The Project Gutenberg eBook of Sämmtliche Werke 1-2: Mein Leben / Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802

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Title: Sämmtliche Werke 1-2: Mein Leben / Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802

Author: Johann Gottfried Seume

Editor: C. A. H. Clodius

Johann Veit Friedrich Schnorr von Carolsfeld

Release date: September 11, 2015 [eBook #49938]

Language: German

Credits: Produced by Sandra Eder, Jens Sadowski, and the Online
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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄMMTLICHE WERKE 1-2: MEIN LEBEN / SPAZIERGANG NACH SYRAKUS IM JAHRE 1802 ***

J. G. Seume’s
sämmtliche Werke.

Vierte rechtmäßige Gesammtausgabe
in acht Bänden.

Erster Band.

Mit dem Bildniß Seume’s.

Leipzig,
Joh. Friedr. Hartknoch.
1839.

Inhalt des ersten Bandes.

Mein Leben 1
Fortsetzung von Seume’s Leben, mitgetheilt von C. A. H. Clodius 99
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Erster Theil 153

Inhalt des zweiten Bandes.

Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Zweiter Theil 1
Anmerkungen zum Spaziergang nach Syrakus von V. H. Schnorr v. K. 205

Mein Leben.

Veritatem sequi et colere, tueri justitiam omnibus aeque bene velle ac facere, nil extimescere.

Das Mißliche einer Selbstbiographie kenne ich so gut als sonst irgend Jemand; und ich halte mich für nicht wichtig genug, daß überhaupt mein Leben beschrieben werde. Wenigstens wäre es nach vierzig Jahren noch Zeit genug. Ein angesehener Buchhändler bot mir vor einigen Jahren, als die Aspekten am litterarischen Himmel noch besser standen, eine beträchtliche Summe, wenn ich ihm die psychologische Geschichte meiner Bildung schreiben wollte. Ich gebe mich aber nicht gern zu dergleichen Spekulationen her; und es geht etwas wider mein Wesen, auf meine Kosten, vielleicht etwas eigenthümlich, einige allgemeine Wahrheiten zu sagen, die die eine Hälfte längst weiß und die andere Hälfte nicht wissen will. Folgendes hat mich indessen bestimmt, etwas über mich selbst zu sagen. Schon Herder, Gleim, Schiller und Weiße und mehrere noch Lebende haben mich aufgemuntert, nach meiner Weise die Umstände meines Lebens, das sie wohl für wichtiger hielten, als es war, schriftlich niederzulegen. Ich glaubte, das wäre im achtzigsten Jahre noch frühe genug; aber meine jetzigen Gesundheitsumstände erinnern mich, es nicht zu verschieben, wenn es geschehen soll. Mehrere meiner Freunde drohen mir, wahrscheinlich genug, daß ich auf alle Fälle einem Biographen doch nicht entgehen würde: und da fürchte ich denn, einem Sudler, oder Hyperkritiker, oder gar einem schalen geschmacklosen Lobpreiser in die Hände zu fallen. Niemand kann doch besser wissen, was an und in ihm ist, als der Mann selbst, wenn er nur redliche Unbefangenheit und Kraft genug hat, sich zu zeigen, wie er ist. Ich überlasse es jedem, der etwas von mir weiß, zu urtheilen, ob das, was er von mir weiß, das Gepräge dieser Unbefangenheit und dieser Kraft trägt. Ich erzähle also ehrlich offen, ohne mich zu schonen, und nicht selten mit dem Selbstgefühl inneren Werths, und ohne den Vorwurf der Anmaßlichkeit, oder die Krittler weiter zu fürchten, die vielleicht sodann über mich nur Todtengericht halten. Thorheiten werde ich wohl nicht wenige und nicht geringe zu beichten haben; aber, so viel ich mir bewußt bin, keine Schlechtheit. Wenn die Erzählung unterhält und vielleicht hier und da die Jugend belehrt und in guten Grundsätzen befestiget, so habe ich nicht umsonst gelebt und geschrieben.

Mein Vater Andreas war ein ehrlicher, ziemlich wohlhabender Landmann, der, wie ich, die Krankheit hatte, keine Ungerechtigkeit sehen zu können, ohne sich mit Unwillen und nicht selten mit Bitterkeit darüber zu äußern. Seine Bekannten nannten ihn also einen hitzigen Kopf, und einige Edelleute einen unruhigen Kopf, den man unterdrücken müsse; das war natürlich und mußte auch gelingen. Nur ein einziges Beispiel seiner Heftigkeit! Ich habe keines von meinen Großältern gekannt, wohl aber einen Großgroßvater, von Seiten des Vaters, einen Mann von mehr als neunzig Jahren, den man nur den alten Jobst nannte, und der mir, als kleinem Urenkel, fast eine Stunde Weges immer einen Kober voll Frühkirschen brachte. Dieser war etwas im Geruch der Ketzerei, weil er nicht das ganze Bonzenwesen des Pfarrers mit gehöriger Gefangennehmung seiner Vernunft gläubig aufnahm, besonders einige Zweifel über die Richtigkeit einiger Decemforderungen hegte. Der alte Jobst stand bei der Gemeine für den Riß in Kollisionsfällen. Als er starb, überließ die Familie mit Bescheidenheit dem Pfarrer die Anordnung des Leichenbegängnisses, ohne Text und Lieder selbst zu wählen. Der Pfarrer ließ lauter Straflieder singen, unter welchen auch das bekannte „O Ewigkeit du Donnerwort“ war, und hielt zur Erbauung und Abschreckung eine wahre Galgenpredigt. Mein Vater unter den Leidtragenden nahm in der ersten Wirkung des Sermons einem alten Verwandten das spanische Rohr weg, eilte damit vor die Sakristei, und hätte gewiß dem Strafredner eine sehr fühlbare Replik beigebracht, wenn man ihm nicht in die Arme gefallen wäre. „Herr, sagte er mit starker Stimme, wenn nur Sie und Ihre Familie so ehrliche gute Leute sind, wie der Verstorbene und seine Familie, so können Sie zufrieden sein. Er konnte und wollte Ihre weiten unersättlichen Aermel nicht füllen; das war seine ganze Gottlosigkeit.“ Es entstand daraus ein Konsistorialprozeß, der meinem Vater viel Geld kostete. Der Verweis, den der Pfarrer erhielt, war leicht eingesteckt; aber das Geld, das es meinem Vater kostete, war nicht so leicht ausgezahlt. Der handfeste Köhlerglaube scheint also die Sache meiner Familie väterlicher Seite nicht gewesen zu sein; weßwegen der ehrwürdige Herr zu Frankfurt am Mayn unseres Namens, der einen gelehrten tractatum de SS trinitate zu Anfange des vorigen Jahrhunderts geschrieben hat, wohl schwerlich zu uns gehört. Daß meine Mutter mich gern als einen Mann Gottes auf der Kanzel gesehen hätte, ist eine gewöhnliche Schwachheit des Geschlechts: sie kam aber bald davon zurück, als sie meine entschiedene Abneigung und verschiedene schlechte Geistliche in der Nachbarschaft sah. Ich habe oft gehört, daß meine Mutter Regine Liebich, in ihrer Jugend für ein schönes Mädchen gehalten worden ist. Mein Geburtsort ist Posern, ein Dörfchen eine Viertelstunde von Rippach, wo die Poststation war, wo die Vorfahren meiner Mutter seit dem dreißigjährigen Kriege ein Grundstück mit Brauerei, Brennerei und Schenkrecht besaßen, das sie, laut Documenten, als Appertinenz vom Rittergut damals mit neunzig Thalern an sich gekauft hatten, und für das man 1803 zwölfhundert bot. Mein Geburtstag fiel, laut der alten Familienbibel, die durch eingebundenes weißes Papier zugleich die Familienchronik war, den 29. Januar 1763, in einer, entsetzlich kalten, Periode, woraus die Gevattern und Basen nach ihrer Weise allerlei prophezeiten. Ohne eben mit Sterne weitläufig gelehrt über den Einfluß äußerer Umstände bei dem ersten Eintritt in die Existenz zu spintisiren, habe ich doch oft gedacht, daß ich, nach der gewöhnlichen Rechnung, ein Produkt der Walpurgisnacht, und als Erzeugniß zweier schönen sehr lebendigen Menschenwesen, weit freundlicherer Natur und weit merkurialischer sein sollte. Vielleicht hat folgender Umstand Einfluß. Da meine Mutter durch eine gewöhnliche Vernachläßigung nach meiner Geburt an der Brust litt, und eine Amme damals in der Gegend etwas ungewöhnliches war, wurde ich mit Kuhmilch aufgezogen. Ich kam mit dem Hubertsburger Frieden an; man nannte mich also Gottfried, und Johann wurde vorgesetzt, weil es ein alter Vetter, auf den man in der Familie etwas hielt, durchaus haben wollte. Meine Erinnerung geht nicht so weit zurück, daß ich mich besinnen könnte, wie ich lesen und schreiben gelernt habe. Der alte Schulmeister Held, dessen Tochter meine Pathe war, und der mich daher mit viel Vorliebe und Strenge ächt altpädagogisch behandelte, brachte mir diese Fertigkeiten bei, so früh, daß sich die Zeit aus dem Gedächtnisse gewischt hat. Ich genoß manches kleine Privilegium zur Zeit der Erdbeeren und Johannisbeeren und Pflaumen, und wenn der Honig geschnitten wurde; aber übrigens wurde mir der Bakel sehr reichlich zu Theil: nicht wegen der Lektion, denn diese ging immer leidlich genug, sondern wegen mancher Unordnungen, die ich nach meinem damaligen Bedünken für gar kluge Streiche hielt. Meine früheste deutliche Erinnerung ist folgende: Ich hatte einen Vetter von gleichen Jahren, mit dem ich mich oft wacker raufte, weil wir die besten Freunde waren. Er ist nachher, wie ich höre, als Dragoner gestorben. Die Schule lag auf einer kleinen Anhöhe und vor derselben unten war ein grüner Rasenplatz, über den der Abfluß einer herrlichen Quelle, die Heilige, nach dem dortigen Dialekt die Heleke genannt, sich schlängelte. Ein herrlicher Platz zum Balgen und Raufen, wenn er nur nicht unter dem Fenster des Schulmeisters gewesen wäre! Wir zwei jungen Streithähne hatten schon in der Schule Zwist gehabt, den der Bakel beschwichtigt, aber nicht geschlichtet hatte. Nun waren wir nicht länger zu halten; die Erörterung fuhr in die Finger, die Bücher wurden weggeschleudert und das Knuffen und Beinstellen und Raufen ging an. Die Größeren schlossen theilnehmend einen Kreis und lachten, wie rüstig die kleinen Kämpfer sich tummelten. Der Herr Pathe Schulmeister rief und drohte mit dem Haselstock aus dem Fenster vom Berge herab. Niemand sah und hörte; das Boxen ging fort und bald lag Jakob oben, bald Gottfried, und die kleinen Finger waren voll Gras und Haare. Plötzlich trennte sich der Kreis und der alte Herr Pathe Held bearbeitete jugendlich rasch mit dem Haselinstrument unsere Beinkleider und Schulterblätter. Das versöhnte schnell wie der Blitz die Streitenden; wir sprangen auf, rafften die Bücher zusammen: der Kreis zog fort, und wir gegeißelt hinter her. Der Kreis lachte, die Pferdebändiger vor der Schmiede und Schenke lachten laut, wir stimmten ein; und lächelnd zog der alte Schulmonarch, den Friedensstifter des Haselbusches drohend noch in der Hand schwingend, nach seinem Berge zurück. Die Sache machte Lärm im Dorfe und alles vom Schulzen bis zum Nachtwächter lachte noch laut nach: nur mein Vater that es verstohlen, um den Buben nicht in seinen Streichen zu bestärken. Noch einige Jahre früher, und früher als meine Erinnerung reicht, hätte ein Zufall fast meiner Existenz ein Ende gemacht. Hinter dem Garten meines Vaters floß der kleine Bach Rippach, der ungefähr eine Stunde von Posern in die Saale fällt. Der Garten war mein Lieblingstummelplatz; nur fürchtete man für den kleinen Buben das Wasser. Es wurden eben alte Bäume ausgerottet und junge gesetzt; ich wurde also dem alten Jakob, der mit einigen andern arbeitete, zur Aufsicht übergeben, damit ich mich nicht dem Bache nähern sollte. Das hielt man gewissenhaft, beachtete aber nicht so sehr die Nähe. Ich springe und jage dort herum und plötzlich fällt der alte Aepfelbaum, an dem man arbeitete, faßt mich und schlägt mich zu Boden. Die erschrockenen Alten wenden und kehren mich nach allen Seiten; ich bin augenblicklich todt; Jakob nimmt mich auf den Arm und trägt die vermeintliche Leiche hinein in den Hof, wo mein Vater eben mit der Mutter an der Wäsche über Hausangelegenheiten sprach. Man stelle sich die Botschaft vor; meine Aeltern liebten uns ohne lächerliche Schwachheit mit wahrem tiefem Gefühl. „Herr, hier bringe ich den Jungen,“ sagte der Alte, indem er mich auf den Wäschtisch legte, „er ist todt. Gott im Himmel weiß, ich bin unschuldig; ich wollte, der Stamm hätte mich getroffen.“ Unter lautem Wehklagen suchte und schickte man nach Hülfe. Der Barbier wandte alle seine Weisheit an, der Arzt kam; alle Mittel waren umsonst; kein Zeichen des Lebens erschien. Zwölf Stunden und darüber war man so traurig vergeblich beschäftigt und eben im Begriff zu enden und an die Beerdigungsanstalten zu denken, als ich das linke sehr verletzte Auge aufschlug. Man fing die Versuche wieder an und brachte mich ins Leben zurück. Es hatte mich nicht der Stamm, sondern nur einige starke Aeste mit den Zweigen getroffen und die tiefe Betäubung bewirkt. Damals mochte ich ungefähr drei Jahre alt sein. Von den Quetschungen blieb wenig zu sehen, außer dem Flecken im erwähnten linken Auge, den man im zwanzigsten Jahre noch wahrnehmen konnte. Ein etwas späterer Vorfall hätte mich auch bald in jene Welt getragen. Mein Vater war damals schon in einer Pachtung als Gastwirth bei Leipzig. Das größte Vergnügen für mich war die Pferde in die Schwemme und auf die Weide zu reiten, wozu ich jedoch nur selten die Erlaubniß bekam. Reiten hieß bei mir jagen, daß die Mähnen flogen und die Haare sausten. So ritt ich einmal gegen die Ordonnanz mit in die Schwemme. Das Thier liebte den Strom eben so sehr, als ich das Reiten, scharrte, stampfte und brauste: meine Hand war zu schwach es zu halten: es legte und wälzte sich mit gewaltigen Wohlbehagen. Ich kam unter das Pferd, verlor die Besinnung und der Strom führte mich weit weit mit sich fort. Indessen hier erholte ich mich, als ich herausgezogen wurde, nach einigen Minuten Versuchen sogleich wieder: und lange Zeit blieb dem jungen Centauren die Reiterei untersagt. Endlich kam mein Vater einmal von der Messe und hatte Pferde gekauft. „Junge, ich habe auch eins für dich mitgebracht,“ sagte er, indem er sich zu mir wendete, und es wurde ein kleiner dürrer Rothschimmel hervorgeführt, der nur vierthalb Füße hatte. Die Bestie hinkte und wieherte komisch, und alle lachten über meinen Vater, mich und den Schimmel. „Wir haben wohl recht viel Geld wegzuwerfen,“ sagte meine Mutter halb ärgerlich, „daß du noch dergleichen Fresser ins Haus bringst.“ „Frau, verdirb mir den Spas nicht!“ sagte er launig selbstzufrieden. „Ich habe es zur Zugabe, habe wahrscheinlich dem armen Thiere das Leben gerettet: denn der Roßtauscher sprach vom Schinder und Todtstechen. Wir haben heuer viel Heu, die Weide ist hoch: es kann doch wohl noch etwas thun: und da der Junge mit des Teufels Gewalt zu Pferde will, so mag er reiten.“ Ich kratzte mich mürrisch hinter den Ohren und bekümmerte mich wenig darum, was man mit meinem stattlichen Reitpferde machte. Aber der Schimmel machte sich gut und gewann durch seine Streiche Celebrität in der ganzen Gegend. Zuerst wurden wir aufmerksam, als wir ihn galloppiren sahen, womit er jedermann in Erstaunen setzte. Er hatte, wie gesagt, drei gesunde Hufe: der vierte war eine Art von krummem Klumpfuß, so daß vorn statt des Eisens nur eine Platte von der Größe eines Guldens lag. Der Schritt ging also jämmerlich und der Trott jämmerlicher; aber Gallop und Karriere wie bei dem besten Renner; da brauchte der kranke Fuß kaum den Boden zu berühren, und wurde von den übrigen mit durchgetragen, welches im Schritt und Trott nicht möglich war, weil da jeder Fuß gleichmäßig seine Dienste thun mußte. Da ich mich um Schritt und Trott wenig kümmerte, war mir der Schimmel schon recht, und ich gewann nicht selten die Wette über die flüchtigsten Rosinanten. Er ward rund wie ein Apfel, und war klug, wie die Rosse des Peliden. Von seinem Stammbaum habe ich nichts erfahren; aber es war ein satyrischer origineller Gaul, der eine Menge Eigenthümlichkeiten besaß. Zu Wagen und Pfluge konnte er nicht gehen; aber eine leichte Egge auf leichten Boden zog er possirlich genug. Er schwamm vorzüglich gern durch die Flüsse und decimirte den Klee auf fremden Wiesen: und dann waren Dutzende von handfesten flinken Kerlen nicht im Stande, ihn zu fangen, oder einzutreiben. Er setzte ächt strategisch auf dem besten Punkte allemal durch und erreichte seine eigene Krippe. Nach dem Tode meines Vaters verkaufte ihn meine Mutter in die Nachbarschaft für eilf Thaler, wo er hart mitgenommen wurde. Einige Zeit nachher sahe ich ihn fast wieder in seinem ursprünglichen Elend, wie ihn mein Vater nach Hause brachte, auf einer fremden mageren Weide, einen Sack um den Kopf, damit das arme Thier nicht von seinen Wanderungstalenten Gebrauch machen könnte. Als er meine Stimme hörte, kam er auf mich zu, und ich glaubte in seinem Wiehern Liebkosen und Wehmuth zu finden. Auch meine Mutter war bei meiner Erzählung, welche von andern bestätigt wurde so gerührt, daß sie fast die Schwachheit gehabt hätte, die heimische Kreatur wieder ins Haus zu nehmen.

Mein Vater war zwar ein heftiger moralisch-strenger, aber kein harter Mann. Im Gegentheil seine Heftigkeit kam meistens aus schneller tiefer moralischer Empfindung her. Das Zuchtmeisteramt im Hause überließ er fast immer meiner Mutter; und diese hatte bei ernsthaften Gelegenheiten mit einigen Worten nur nöthig, den Namen des Vaters zu nennen, um alles in gutem Gleise zu erhalten. Der Vater wurde dadurch nicht als Popanz gebraucht, sondern sein strenger Ernst in ernsthaften Dingen zum gehörigen Zwecke ins gehörige Licht gestellt. Meine Geschwister haben vielleicht nie von meinem Vater einen Schlag bekommen; nur ich erinnere mich, daß ich von ihm einmal thätig gezüchtigt worden bin auf eine schreckliche Weise, die ihn gewiß noch mehr angriff, als mich; und zwar waren beide, er und ich, im Ganzen unschuldig. Er war mit meiner Mutter weg, ich glaube nach Weißenfels, gefahren und hatte uns mit einer Magd und unsern Spielgesellen allein im Hause gelassen. Unterwegs besinnt er sich, daß er den Schlüssel an einer Oberstube hat stecken lassen, auf welcher ein Tisch mit gezähltem Gelde stand, meistens in groben harten Münzsorten. Es war zu spät umzukehren; er eilte aber desto eher nach Hause. Unterdessen waren wir in dem ganzen Hause herum gepoltert, ich mit einem halben Dutzend meiner Spießgesellen, und auch in das Zimmer, wo der Tisch mit dem Gelde stand. So viel Besinnung hatte ich doch schon als ein Bube von sechs Jahren, daß ich sagte, es sei hier für uns kein Spielplatz, auf Entfernung drang, den Schlüssel abzog und in die Tasche steckte. Ich glaubte der erste und letzte im Zimmer gewesen zu sein und hatte niemand in der Nähe des Tisches gesehen. Mein Vater kam, ging hinauf, fand den Schlüssel nicht, kam herab: „Junge, wo ist der Schlüssel zur Oberstube?“ Ich zog ihn hervor; er ging wieder hinauf und zählte nach: es fehlte an der Ecke ein Guldenstück. Mit sichtbarer Verwirrung und Angst kam er wieder herunter: „Junge, wer ist im Zimmer gewesen?“ „Wir alle, Vater, Jacob, Christian und die andern: da ich aber sahe, daß Geld aufgezählt war, gingen wir sogleich wieder heraus und ich nahm den Schlüssel.“ „Wer ist an den Tisch gekommen?“ „Niemand als ich, um die andern abzuhalten.“ „Du hast ihn also genommen!“ fing er an schwach zu sprechen und zu zittern. „Ich habe nichts genommen,“ antwortete ich zitternd, halbweinend. Der Worte waren wenig; er ward heftiger, ich läugnete fest und laut weinend. Er faßte mich konvulsivisch mit den Fäusten und mißhandelte mich bis zur Grausamkeit, daß auf das Geschrei meiner Mutter die Hausleute und Nachbarn herbei stürzten und mich aus seinen Händen retteten. „Andres, lieber Andres,“ sagte der alte sanfte Gevatter Schulmeister Held, „Ihr seid ja außer Euch; Ihr tödtet ja den Knaben; kommt doch zu Euch selbst!“ „Ach Gott!“ seufzte mein Vater halb weinend, warf sich in den großen Stuhl und verhüllte das Gesicht, ohne weiter ein Wort zu sagen. Die Scene ist oft nachher wieder erzählt worden und mir deßwegen so lebendig geblieben. Das Fürchterliche seiner Lage in diesem Momente habe ich aus meinem eigenen Gefühl seitdem mir oft vorgestellt. Er liebte seine Kinder mit der ganzen Zärtlichkeit eines Vaters und der ganzen Heftigkeit seiner Natur; ich war sein Erstgeborner: die Nachbarschaft hielt etwas auf mich, vom Schulmeister bis zum Nachtwächter; man wird ihm also verzeihen, daß er es auch that. Nun denke man sich einen Vater, ein ehrlichen, fein fühlenden, heftigen Mann, der seinen Liebling in einer solchen Enormität ergriffen glaubt, vor dem die schönen Hoffnungen, an denen sein besseres Wesen hängt, auf einmal verschwinden! Man nahm mich nun gütlich vor, und ermahnte mich, ich sollte nur bekennen; ich hatte nichts zu bekennen. Es ist mir noch jetzt rührend, wie urväterlich der alte Schulmeister um uns besorgt war. „Lieber Pathe“ sagte er, „du hast dich geirrt, du willst nur mit dem Gulden spielen. Sage es nur, so ist es gut: du wirst schon einsehen lernen, was das zu bedeuten hat.“ „Das sehe ich schon jetzt ein,“ sprach ich, „und habe nichts gethan.“ Dabei blieb es. Mein Vater war von dem Tage an still in sich gekehrt, berührte die Sache nicht mehr, sah mich zuweilen halb zornig, halb wehmüthig an und verbat sich alles Einreden; sprach nichts Ermahnendes, nichts Abschreckendes, sagte keines seiner Sprichwörter und war wie ein Wesen, dessen beste Kraft gelähmt ist, so daß auch meine Mutter sichtbar dabei litt: die Unruhe saß in beider Seelen. Ungefähr nach drei Wochen klärte sichs auf. Nachbars Samuelchen — ich habe seitdem den Namen weder in der Bibel, noch außer der Bibel recht leiden können — wurde von seinem Vater zum Krämer geschickt, um eine Dose voll Schnupftabak zu holen. Er erhielt einen Gulden, um ihn wechseln zu lassen. Der Krämer hatte von ungefähr nicht so viel kleines Geld, und sagte, er wolle anschreiben, er möchte den Gulden nur wieder mitnehmen und es dem Vater sagen. Sei es nun unwillkürlicher Irrthum, oder lachte der neue Gulden den Buben besser an, als der vergriffene gestohlene; er gab den falschen Gulden zurück. „Hollunke,“ fuhr ihn der Vater an, „das ist gewiß der Gulden, der dort drüben so viel Unheil angerichtet hat.“ Samuelchen bekannte und leugnete nicht, und erhielt in bester Ordnung von seinem etwas härteren Vater die Peitsche in zehnfachem Maaße. Meinem Vater fiel bei der Aufklärung der Sache ein schwerer Stein vom Herzen. Wer lügt, der stiehlt, war sein Sprichwort, und wer stiehlt gehört an den Galgen. Er ward zusehends wieder heiter und suchte durch mancherlei versteckte Liebkosungen wieder Ersatz zu geben; denn öffentlich durfte das Ansehen nicht leiden.

Viele Neckereien bewogen meinen Vater, seine Grundstücke dort zu verkaufen und eine Pachtung eines Wirthshauses mit beträchtlicher Oekonomie in Knautkleeberg nicht weit von Leipzig einzugehen. Da spielte ihm denn das heiße Blut hier und dort schlimme Streiche. Der Justitiarius von Posern hatte bei einer Rügensache, wo sich mein Vater fast, wie Weißens Kunze mit dem Dintenfasse, benommen hatte, gedroht, er müsse kein Advokat und sein Principal kein Edelmann sein, wenn nicht die Sache so weit gedeihen sollte, daß der Andreas Seume noch ins Hundeloch käme für seine Ungebührlichkeiten. Ungebührlichkeiten nennt man aber alles, was irgend einen alten Unfug antastet; und schon das feine Wort für Gefängniß zeigt hinlänglich die Natur der damaligen Patrimonialjustiz. „Ich will doch dem Teufel und seiner Hölle entlaufen,“ sagte mein Vater, „und sollte ich in einer Kneipe Schuhzwecken schnitzen und Schwefelhölzchen machen mein Leben lang;“ und so packte er seine Familie auf einige Wagen und pilgerte fürbaß an die Elster in der Gegend von Leipzig. Er hatte in seiner Jugend das Böttcherhandwerk gelernt, war auch mit dem Felleisen über Naumburg nach Gera und Saalfeld gewandert; da ergriff ihn aber, wie man ihm scherzhaft vorwarf, die Sehnsucht nach der Geliebten, und er eilte über Altenburg und Luckau nach Hause an der Rippach, ward Meister in der Innung und heirathete in seinem zwei und zwanzigsten Jahre stracks ohne weiteres Bedenken. Hätte er nicht etwas Vermögen gehabt, und wäre genöthigt gewesen, sich in der Fremde etwas umzusehen, so hätten vielleicht einige Jahre Umschauen den Feuerkopf etwas kühler gemacht; doch vielleicht hätte sich das Gefühl auch noch tiefer gesetzt und wäre nur desto bitterer geworden, wie es bei etwas mehr Bildung mir selbst gegangen ist. Der Antritt der Pachtung fiel in eine sehr unglückliche Periode, in die Hungerjahre 70 und 71. Der Besitzer des Gutes Lauer, zu dem das Dorf Knautkleeberg gehört, war der damalige Leipziger Stadtrichter, Dr. Teller, ein Bruder der bekannten Teller in Zeitz und Berlin, ein harter, unerbittlicher Mann, der von dem Buchstaben nichts nachließ und alles Unglück sehr klug dem Pachter zugestellt hatte. Vielleicht machte ihn auch das Mißliche seiner eigenen Geschäfte und sein excentrischer Ideengang noch mißmüthiger und bitterer. Man sagte damals, er sei an der Ministerkrankheit gestorben, weil ihn die Hoffnung täuschte, die Stelle als Prinzenhofmeister zu erhalten, durch welche der wackere, rechtschaffene Gutschmidt für sich und das Land eine so rühmliche Laufbahn machte. Die Eigenheiten der Brüder sind bekannt genug: der Berliner, als der vorzüglichste von ihnen, hatte am wenigsten. Mein Vater, anstatt hundert Scheffel Korn in der neuen Pachtung jährlich zu verkaufen, mußte zur Unterhaltung der weitläufigen Wirthschaft über funfzig dazu kaufen: und ich kann mich noch recht wohl erinnern, daß er den letzten Scheffel mit funfzehn Thaler bezahlte. Die Hungersnoth der damaligen zwei Jahre ist in Sachsen als Landeselend bekannt. Hunger haben wir nicht gelitten, aber meines Vaters Vermögen zusammen so ziemlich verzehrt. „So lange ich noch eine Metze Korn mit dem letzten Thaler kaufen kann,“ sagte der wackere Mann, „muß niemand in meinem Hause ungesättigt vom Tische aufstehen.“ Es war, als ob die furchtbare Theuerung doppelten Hunger erzeugt hätte; denn jedermann aß, wie man bemerken wollte, fast noch einmal so viel, als gewöhnlich. Ich galt damals im Dorfe für einen sehr glücklichen Prinzen, daß ich, so viel ich wollte, herrliches Butterbrot hatte, da mancher arme Teufel hungrig halbneidisch vorüber schlich. Da gab ich denn manchen Schnitt weg und tauschte irgend ein Spielwerk oder einen Vogel dafür ein. „Junge, wirst du ewig nicht satt?“ sagte einmal meine Mutter halb froh halb traurig, als sie mir ein frisches Butterbrot schneiden mußte; „es ist doch, als ob der Himmel seinen Segen genommen hätte auch von dem, was noch da ist.“ Da es sich aber ergab, daß ich meine vorige ziemlich starke Portion für einen Hänfling weggegeben hatte, fing sie an eine strenge Zuchtmeistermiene anzunehmen, und ich glaube wirklich, sie würde zu Birkengottfriedchen gegriffen haben, wäre nicht mein Vater dazu gekommen. Der meinte nun, es sei wohl ganz gut, daß ich mein Butterbrot vertheile, nur nicht, daß ich Hänflinge, Peitschen und Platzbüchsen dafür nähme und dann komme und mir ein anderes erlüge: er könne übrigens jetzt nicht alle Hungrigen speisen, und sei froh, wenn er nur seinen Haushalt leidlich gesättigt habe. „Wenn du nun selbst traurig, hungrig nach dem Butterbrot der andern sehen müßtest? Junge, wer zu dir kommt, den weise an mich oder die Mutter! Hunger thut weh, Junge, sagt man: das haben wir noch nicht erfahren; weiß der Himmel, ob es nicht noch kommt! hörst du, Junge, Hunger thut weh.“ Dabei wischte er sich heimlich einige Tropfen aus den Augenwinkeln, und ging und schnitt tief in ein großes Brot, um einige Zeit Sonnenschein auf finstere niedergeschlagene Gesichter zu bringen. „Helfe euch Gott!“ sagte er mit Rührung; „bald können wir nicht mehr helfen.“

Bei meinem Herrn Pathen, dem Schulmeister Held in Posern, hatte ich für einen Phönix im Lernen gegolten; hier bei dem Herrn Weyhrauch in Knauthayn galt ich für einen ausgemachten Dummkopf. Weiß der Himmel, woher es kam: ob mir das Umsetzen wie einem jungen Baume nicht bekommen wollte, oder was sonst die Ursache war, ich hieß nur der dumme Junge von Thüringen einige Jahre lang. Herr Weyhrauch nahm es mit der Geographie nicht sehr genau; denn Posern liegt noch zwei Stunden diesseits der Saale: ich aber habe mich seit der Zeit oft alles Ernstes für einen Thüringer gehalten, zumal da ich jenseit des Stroms verschiedene Verwandte hatte und hier nie so recht einmeißnern konnte. Ich schrieb von Posern aus in meinem sechsten Jahre schon eine ziemlich leserliche Hand; aber Herr Weyhrauch fand darin weder ductum, noch fructum, und ich mußte durchaus ganz von neuem seine Hopfenstangen von Buchstaben nachmalen, worin ich sehr unglücklich war, da ich zum Zeichnen fast gar kein Talent besitze. Herr Adam Weyhrauch war ein ehrlicher, wohlmeinender, braver Mann, der eine gewaltige Zeit in Halle und Leipzig hatte studieren helfen, weil ihn sein Vater Weyhrauch, ludimagister ejusdem loci, quo postea filius, mit aller Gewalt wenigstens zum Kirchenrath machen wollte. Der Tod überraschte ihn aber im sechsten Universitätsjahre des Herrn Sohnes, und er hatte noch eben Kredit beim Patron genug, da er der höheren Klerisei nicht recht trauen wollte, sich denselben zum Nachfolger auszumitteln. Der Musensohn versorgte sich stracks in Leipzig mit einem hübschen Bürgermädchen zu Tisch und Bette, und fing nun an mit allem Fleiß am Weinberge Zions zu arbeiten. Schade, daß er keine Kinder hatte, um das Geschlecht der Weyhrauche in der Schulmeisterei zu Knauthayn rühmlichst fortzupflanzen. Die Bauern meinten, sein Mangel an Produktivität dieser Art rühre von seinem großen Fleiße in Leipzig und Halle her; doch sagten sie dieses nur ganz leise, damit sein Ansehen bei der lieben Jugend nicht in Zweifel gerieth. Er hatte seine liebe Noth mit mir, und ich mit ihm. Ich glaubte zwar seiner Aburtheilung über meine Dummheit nicht ganz; war aber doch ganz verblüfft, daß ich dem Manne durchaus gar nichts zu Danke machen konnte. Lange Zeit war ich so im vermeintlichem moralischem Hinbrüten, bis sich endlich, ich weiß nicht wodurch, der Knoten löste, und täglich irgend etwas Besseres zum Vorschein kam. Niemand war darüber froher, als mein Vater, der schon einige Mal traurig das Verdammungsurtheil über meinen Geist gehört hatte. Wer zuerst etwas Aetherisches in mir entdeckte, war der Pfarrer, Magister Schmidt, ein rechtlicher, jovialer, ziemlich gebildeter und ziemlich orthodoxer Mann, in dessen Charakter aber der Grundzug freundliches Wohlwollen und Güte des Herzens war. Er schloß aus meinen oft sonderbaren Antworten in den öffentlichen Kirchenprüfungen auf meinen eigenen, zuweilen sehr barocken Ideengang, unterhielt sich viel mit mir und berichtigte meine Gedanken. Er besaß darin so viel Geschicklichkeit, als ob er in dem sokratischen geistigen Hebammeninstitut zur Lehre gegangen wäre. Nun sprach er mit dem Schulmeister, Herrn Weyhrauch, über die Methode des Unterrichts bei einem solchen Kopfe; die Einwendungen des Schulmeisters wurden gehoben; der Pfarrer zeigte ihm, daß ich kein Mechaniker und kein Schönschreiber werden und mich schwerlich mit Nachbeten begnügen würde. Man beschränkte sich nun auf die Negative und überließ die Positive mir selbst. Von nun an nahm man wenig Notiz mehr von meinen krummen und schiefen Linien auf dem Papier und meinen Stelzfüßen und Buchstaben, sondern nur von meinen Ideen, womit ich den Schulmeister und auch wohl zuweilen den Pfarrer in einige Verlegenheit setzte. In kurzer Zeit übersprang ich alle Matadorjungen des Dorfs in der Schule, und ward bald der Erste und Statthalter des Herrn Weyhrauch bei dessen Abwesenheit als Bienenvater und Spargelgärtner. Die Umstände und die Gesundheit meines Vaters waren unterdessen sehr gesunken, so daß man meine bessere Anstelligkeit nicht den Gratialen und der Gunst von Hause aus zuschreiben konnte. Ich mochte ungefähr zehn Jahr alt seyn, als ich schon an der Spitze der Dorfschuljugend stand, unter denen doch wohl einige ihr vierzehntes geschlossen hatten. Mein Regiment galt für sehr strenge, aber nie für ungerecht; und ich war damals der Dorfklerisei erster Minister bei Einführung der neuen Schulordnung, die zu derselben Zeit etwas strenge gehandhabt wurde. Ich erinnere mich aus dieser Periode bei eben dieser Gelegenheit eines Vorfalls, wie ich ein Märtyrer meiner Ueberzeugung ward. Es war befohlen, die Kinder sollten ordentlich nach Rang und Alter in der Schule paarweise nach Hause gehen, um das wilde Herumschwärmen zu verhüten. Ich gehörte zu dem Nebendorfe Knautkleeberg und hatte die Aufsicht über meine Kolonne. Die meiste Noth machte mir ein fast funfzehnjähriges großgewachsenes Mädchen, das sich in der Schule durch Langsamkeit im Lernen und außer derselben durch vorschnelle laute Unbändigkeit auszeichnete. Beständig war sie bald rechts, bald links aus der Reihe, bald im Grase, bald im Schotenfelde, und schien des kleinen ohnmächtigen Wichtes von Führer nur zu spotten. Es dem Herrn Weyhrauch zu klagen, schien mir unter meiner Würde, zumal da er ihrer Aeltern wegen viele Nachsicht gegen sie zu zeigen schien: denn sie war die Tochter des Müllers. Als ich ihr eines Tages einige Mal ohne Erfolg Ordnung geboten hatte, ergriff mich mächtig schnell der Amtseifer, daß ich hinsprang, um sie aus einem Haferfelde in Reihe und Glied zu bringen. Sie lachte und verließ sich auf ihre Gewalt; aber der Himmel weiß, wo in dem Augenblick meine Stärke herkam, ich fasse das Weibsstück beim Kragen, um sie in die Ordnung zu ziehen, schleudere sie aber aus dem Haferfelde unglücklicher Weise den Berg hinab in die Sandgrube, wo sie denn gar unsanfte Purzelbäume schoß und sich wenigstens Hände und Gesicht empfindlich an den Steinen zerstieß, so daß reichliches Blut quoll. Nun ging alles schüchtern nach Hause. Den Nachmittag war die liebe Mama schon klagbar eingekommen; Herr Weyhrauch mit dem Haselzepter citirte den jungen Primus vor zum Verhör und Standrecht. Ich erzählte die Sache und bestand auf meinem Recht; nur bedauerte ich den Sturz in die Sandgrube, der nicht in meiner Absicht gelegen hatte. Der Schulmeister wollte seinem Vikar doch so viel ausübende Justizgewalt nicht zugestanden wissen, und meinte Weisung und Meldung sei sein Amt. Ich behauptete im Gegentheil, daß ich damit nicht auskommen könnte. Herr Weyhrauch glühte auf und ich war eben nicht sehr nachgiebig; er brachte mir im Amtseifer gehörigen Orts einen tüchtigen Schilling bei. Diese Schillingsmethode war bei ihm folgende: der pädagogische Vollstrecker faßte Delinquenten mit der linken Hand beim Haarschopf und brachte den Kopf zwischen die Schenkel des Orbilius, wo er ihn an Nacken und Ohren festklemmte und mit eben dieser linken Hand schnell den Hosengurt des kleinen Sünders ergriff, woraus eine Art von Schweben entstand: sodann bearbeitete er mit der rechten, in welcher der Haselstock war, das Oertchen, auf welchem man sonst ruhig sitzen soll, quantum satis, und wohl auch ein wenig mehr. Dieser Prozeß wurde auch an mir vollzogen, und ich hatte meine Abfertigung. Beim Abmarsch nach meinem Sitze verwahrte ich mich noch mit dem Protest, ich habe doch recht gethan. „Hast du?“ rief Herr Weyhrauch, und fing mit neuem Eifer die Exekution von vorn an. Nun schritt ich rasch an meine Tafel, hielt die Hand, wo die Kallipyge die Augen hindreht, und stieß trotzig durch die Zähne: „ich habe doch recht gethan.“ Die Nachbarn lachten und der Schulmonarch fragte despotisch, was da wäre. „Er habe doch recht gethan, meint er“, sagten sie; und die Citation begann peremptorisch von frischem. Ohne weitere Erörterung fing die Bearbeitung noch exemplarischer zum dritten Male an: und nun erst überlegten beide Parteien, Exekutor und Inkulpat, ernsthaft still, ob sie recht gethan hätten. Man kann wohl denken, daß die drei Schillinge mir eine ewig frische denkwürdige Münze sind, da sie zumal in einer Lebensperiode ausgezahlt wurden, wo jede Art Gefühl sehr lebhaft in dem treuen Gedächtnisse bleibt. Mein Vater, der den Vorfall hörte, sagte weiter nichts als, sein bedenkliches Hm, und ich habe nie seine Meinung über den streitigen Punkt erfahren. Daß man, wenn man recht habe, dennoch demüthig vor dem Ansehen schweigen müsse, gehörte, wie ich wußte, nicht unter seine Glaubensartikel; aber noch weniger gehörte es darunter, das nöthige Ansehen des Lehrers wegen einiger Schwielen zu kompromittiren. Herr Weyhrauch mochte das Harte seiner Züchtigung meiner kleinen Hartnäckigkeit fühlen: denn er suchte es durch allerhand freundliche Aufträge, wofür mir gewöhnlich eine Belohnung von herrlichem Brot mit dem besten Honig ward, wieder in das alte Gleis zu setzen.

Um diese Periode, ich glaube, es war 1775 im Sommer, starb mein Vater. Die Geschichte seiner Krankheit und seines Todes ist mir zu wichtig, als daß ich nicht einiges darüber sagen sollte. Seine Pachtung war, wie erwähnt, sehr unglücklich, und der größte Theil seines Vermögens war darauf gegangen. Das lähmte aber nicht sein Kraftgefühl, und störte seinen guten Muth nicht. Einst hatte er seine letzten hundert Thaler nach Leipzig getragen zu Dr. Teller, um den letzten Termin zu entrichten. Das Wetter war schneidend kalt; das Geschäft mochte nicht angenehm gewesen seyn. Gegen die Kälte und den Verdruß hatte er wider seine Gewohnheit, ein Glas Wein getrunken und hatte sich so aufs Pferd gesetzt, kam aber bis zur Erstarrung gefroren zu Hause an, so daß ihm der Knecht vom Pferde helfen mußte, da er sonst der behendeste Mann war. Nun bestellte er sich Koffee, den meine Mutter selbst in der Küche besorgte. Als sie damit ins Zimmer tritt, findet sie, daß er seinen großen Stuhl verlassen und sich auf ein Bette geworfen hat, wo er tief in Federn liegt und schläft. Sie denkt, Schlaf ist besser als alle Arznei und läßt ihn liegen. Den Tag darauf klagt er über Schwere in den Gliedern, und den folgenden Tag über Schmerzen im Unterleibe. Es scheint, die Bettwärme hatte die Kälte, die sich nicht wieder mit dem übrigen Körper in Temperatur setzen konnte, zurück getrieben, und es entstand daraus eine Blasenkrankheit, die ihn einige Jahre mit unsäglichen Schmerzen quälte und ihn am Ende des dritten durch eine Apoplexie tödtete. Man kann denken, wie sehr seine Haushaltung bei dieser traurigen Existenz leiden mußte; und doch verlor er bis an sein Ende niemals einen gewissen Grund von Heiterkeit und Frohsinn: nur hatten ihn seine Erfahrungen etwas bitter gemacht, so daß sich seine wahre Meinung oft sprichwörtlich ziemlich sarkastisch äußerte. Das Minimum von allem Guten, wodurch die Welt regiert wird, war einer seiner gewöhnlichen Gedanken; nur konnte er ihn nicht so dichterisch schön einkleiden, wie wir hier und da in Wielands Schriften finden. „Junge,“ pflegte er mir oft mit skoptischem Gesicht zu sagen, „wenn man dir von oben her zuruft, das Wasser läuft den Berg hinauf, so mußt du gleich antworten: Gnädiger Herr, so eben ist es oben.“ Aerzte wurden angenommen und gewechselt ohne Erfolg, und ich erinnere mich gehört zu haben, man habe mehr als zweihundert Thaler umsonst verdoktert. Als er in seinem 37sten Jahre starb, ließ er seine Geschäfte in der mißlichsten Lage und meine Mutter als Wittwe mit ungefähr fünf Kindern, wovon ich als der älteste ungefähr zwölf Jahr war. Es entstand eine Art von Konkurs, wobei aber durchaus niemand einen Heller verlor: nur blieb meiner Mutter nichts, als die winzige Summe von zwei hundert Thalern, wofür ihr ein kleines Häuschen gekauft wurde. Alle nahmen sich unser mit Rath und That sehr freundlich an, und es fehlte uns wenigstens nie an dem Nothdürftigsten. Der brave Justitiarius Laurentius der Hohenthalischen Güter vorzüglich suchte die unglückliche Familie so sicher als möglich zu stellen, und nahm für seine vielen Bemühungen in unserer Sache nicht allein nichts, sondern ließ uns auf eine feine humane Weise noch manchen kleinen Vortheil zufließen. Mein Vater hatte kurz vor seinem Tode am Ende der Pachtung eine kleine Oekonomie mit etwa sechzehn Ackern Feld gekauft. Das Drückendste für ihn an Körper und Geist war die Frohne, die er selbst verrichten mußte, wenn nicht sogleich alles zu Grunde gehen sollte. Die Sense war seinem jetzt schwachen Arme zu schwer, er mußte einige Male die große Wiese verlassen. Ich erinnere mich, daß einige entmenschte Seelen, wie es deren überall giebt, unter andern der zeitige Vogt, ihre bitter groben Bemerkungen darüber machten, als sie ihn vor seiner Hausthüre mit einem kleinem Knaben, meinem jüngsten Bruder spielen sahen. Der gute Mann wischte sich die Augenwinkel und legte sich lange einsam in den entlegentsten Theil des Gartens. Nach drei Tagen lag er auf der Bahre. Ob wohl diese rohen Seelen dabei einige bessere Gefühle in sich empfunden haben? Dieser Vorfall vorzüglich ist mit Ursache meiner folgenden tief koncentrirten, nicht selten finster mürrischen Sinnesweise. Ich habe die Katastrophe nie los werden können, ob ich gleich selten oder nie davon gesprochen habe.

Der Graf von Hohenthal Knauthayn, der das Gut Lauer gekauft und mich zuweilen in der Schule und bei Kirchenprüfungen mit einigem Wohlgefallen gesehen hatte, hatte bei meines Vaters Tode erklärt, er wolle für mich sorgen und mich etwas lernen lassen. Was dabei seine Gedanken waren, weiß ich nicht. Meine Mutter und ich deuteten auf irgend ein Handwerk; wenigstens verstrich eine ziemliche Zeit, fast von zwei Jahren, ohne daß wieder etwas darüber gesprochen wurde. Unterdessen nahmen sich der Pfarrer, M. Schmidt, und der Schulmeister Weyhrauch meiner wirklich sehr väterlich an. In meinen Kenntnissen kam ich zwar diese beiden Jahre nicht merklich vorwärts, da ich den Uebrigen schon sehr voraus war und man sich höchst selten mit mir beschäftigte: aber es fing doch durch den Umgang schon an sich der bessere Charakter der Humanität zu entwickeln. Mein Studium war biblische Geschichte aus Hübners biblischen Historien und Luthers Bibel selbst, nebst einigen alten ascetischen Schriften, die mir der Schulmeister gab. Damals gewann ich eine solche Festigkeit und Gewandheit in der Bibel, daß ich nur selten einen Spruch nicht hersagen und angeben konnte, der verlangt wurde. Ich wußte sehr viele Psalmen und fast alle Evangelien auswendig, sagte ziemlich genau, wie viel jedes Buch Kapitel und sogar, wie viel jedes Kapitel Verse hatte, und wo und in welcher Verbindung die sogenannten Beweisstellen standen; so daß mir von dieser Zeit an die Gewohnheit geblieben ist, bei manchen Gelegenheiten eine Reihe Bibelstellen anzuführen, worüber zuweilen selbst Theologen sich etwas wundern. Ob sie wirklich bewiesen, was sie beweisen sollen, darnach fragte ich damals noch nicht: es war nur Sache des Gedächtnisses und eines lebendigen Ideenspiels ohne weitere Untersuchung. Im Examen wurde ich nur dann gefragt, wenn irgend ein Knoten zu lösen war, oder die übrigen verstummten, und dann setzte meine Belesenheit und der Strom meiner Beweisstellen nicht selten sogar den Pfarrer in Erstaunen. Nicht selten geschah aber auch ganz natürlich, daß die Sache anfing mir Langeweile zu machen, und da war ich denn, wenn ich gefragt wurde, nicht gegenwärtig, sondern mit meinen Gedanken auf dem Thurme bei den Sperlingen, oder im Busche bei den Sprenkeln, die ich gestellt hatte. Das gab denn harte Verweise, die mich aber verhältnißmäßig weniger rührten, weil ich anfing etwas mehr zu ahnden, als bloßes kaltes Spiel des Kopfs, wie ich endlich hier fand. Doch war das nicht immer der Fall: denn der Pfarrer, ein wahrhaft guter warmer Mann, hatte nicht ganz gewöhnliche Rednertalente, und es machte jedes Mal einen tiefen Eindruck auf meine Seele, dessen ich mir noch jetzt lebendig bewußt bleibe, wenn er irgend einen wichtigen moralischen Satz mit eignen, oder, wie ich nachher fand, erborgten Worten feuervoll vortrug. Dem Menschen ist sehr bald das Reinmenschliche heilig; so wie er bald gleichgültig gegen das wird, was sein Kopf nicht begreift und was sein Herz in keine Bewegung setzt.

Ich konnte lange zu keiner Wahl einer Lebensart kommen, so unbestimmt waren noch meine Ideen vom Leben überhaupt. So lange mein Vater lebte, wurde ich halb und halb zum Kaufmann bestimmt, da er einige Bekanntschaft dieser Art in Leipzig hatte; und ich hatte damals geradezu nichts dagegen. Allein das zerschlug sich mit seinem Tode, und ein Handwerk sollte wahrscheinlich der Gipfel meiner Bestrebungen werden. Aus einer angebornen Neigung zum Soliden entschloß ich mich endlich ein Grobschmidt zu werden. Meine Mutter erschrak und M. Schmidt lachte, als ich mit dem Resultat meiner Ueberlegungen herausrückte, und beide hatten viele Mühe mir die Sache auszureden. „Junge, Du bist ja nur ein Zwerg und sinkst mit Hammer und Zange vor dem Amboß zusammen wie ein Taschenmesser,“ sagte der gutmüthige Pfarrer; „dazu gehört ein Cyclope und kein Liliputer, wie Du bist.“ Ich verstand das letzte nur halb, gab aber doch dem Einreden meiner Mutter nach und den vulkanischen Vorsatz auf: doch gehe ich noch jetzt selten vor einer Schmiede vorbei, wo nicht der alte Hang zur Solidität merklich zurückkehrte. Nun bestimmte ich mich zum Dorfschulmeister, wollte etwas Latein und Musik erlernen und dachte mit dem übrigen nach einiger Vorbereitung schon nicht übel durchzukommen: denn ich galt für einen gewaltigen Katecheten. Noch bei Lebzeiten meines Vaters hatte ich einmal gelegentlich von ungefähr gesagt, es müßte nicht gut seyn, wenn ich nicht über einen Satz hundert Fragen bilden wollte, ohne eben am Ende zu seyn. „Das traue ich ihm zu,“ sagte der Schulmeister, dem es gesagt wurde; „und die Fragen würden toll genug seyn.“ Der letzte Zusatz war mir eben nicht sehr willkommen und machte mich aufmerksam. Seit der Zeit habe ich mich geflissentlich vor vielen voreiligen Fragen gehütet, habe die Sache wahrscheinlich zu weit getrieben und dadurch manches nicht erfahren, was ich hätte erfahren können und sollen. Ein Narr fragt mehr, fiel mir immer ein, als ein Weiser beantworten kann. In der Bestimmung zum Dorfschulmeister mochte wohl ganz leise der Blick auf Herrn Weyhrauch, sein herrliches Bienenhaus, seine vortrefflichen Spargelbeete und seine schönen Rosen und Nelken auch mitwirken: denn es schwebte mir vielleicht dunkel vor, daß bei gehöriger Einleitung und Ausdauer das alles mein werden könnte. Jede sitzende Lebensart war mir verhaßt, und obgleich ein Schulmeister auch sitzen muß, so begriff ich doch schon damals, daß sich viel Wesentliches in seinem Amte sehr vortheilhaft peripatetisch abmachen ließe. „Junge, was du für Einfälle hast!“ sagte M. Schmidt bei dieser neuen Entdeckung: „werde doch lieber Leinweber: ein Dorfschulmeister ist ein jämmerliches Thier. Denkst Du denn, sie haben es alle wie unser Weyhrauch?“ Und nun fing er an, mir ein gar schreckliches Gemälde der armen Dorfschulmeisterlein in Thüringen und Meißen zu zeichnen. Ich ließ mich aber nicht abhalten, und meinte, jeder Stand habe seine Plage und seinen Frieden. „Nun wir wollen sehen, wie weit es geht,“ sagte er, und that Meldung an den Grafen.

Einige Zeit darauf wurde Anstalt gemacht, mich zum Rektor Korbinsky nach Borna zu bringen. Hier kam ich denn wie ein halber Hurone, moralisch gut gebildet, wenigstens ganz unverdorben, aber wissenschaftlich ganz roh und wild an. Der alte Herr nahm mich freundlich väterlich auf, und ist von allen meinen Lehrern derjenige, dem ich am meisten verdanke. Er hatte mehrere Pensionärs, unter denen ich der älteste und unwissendste war; ausgenommen meine Bibelweisheit, in welcher mir es auch dort niemand zuvor that. Das Haus war patriarchalisch gut, und seine Frau war mehr als meine zweite Mutter. Er gab mir kurze, gemessene, deutliche, sehr gründliche Anleitung; das Bedürfniß drängte, der Ehrgeiz spornte, und binnen einem Jahre stand ich so ziemlich mit den übrigen auf gleichem Fuße, die schon vier und fünf Jahre hier gewesen waren: und am Ende des zweiten war ich fast entschieden der erste an Kenntnissen. Der erste an der Tafel konnte ich mit Salomons Weisheit nicht werden: denn da waren zuerst Rücksichten, die ich schwer begriff und noch schwerer billigte. Das schien mir die einzige schwache Seite des guten Mannes: doch war sie bei ihm sehr unschädlich; denn es ging deutlich aus der Behandlung hervor, daß er etwas anders rangirte, als man in der Klasse saß; und ich war nun schon so weit, daß immer die schweren Stellen an mich kamen. Der Rektor überließ mich mir selbst; und da war ich denn zuweilen entsetzlich fleißig und zuweilen entsetzlich faul. Das zweite übersah er zuweilen des ersten wegen: und ein Hm hm mit Kopfschütteln oder ein „Du kommst jetzt nicht vorwärts, mein Sohn!“ waren hinlänglich mich in den Gang zu bringen. Wie ich im Lateinischen und Griechischen dekliniren und konjugiren gelernt habe, weiß ich selbst kaum. Ich las und las, bis es fest blieb; dann las ich Stellen und analysirte und setzte wieder zusammen, da denn die logische Nothwendigkeit sich meiner Seele aufdrang, daß es so seyn müsse und auf diese Weise nicht anders seyn könne. Die Ausnahmen, wenn man sie nur einige Mal gelesen hatte, fielen deutlich genug in die Augen.

Hier ließ mein Bibelstudium ziemlich nach und an dessen Stelle trat die Beschäftigung mit lateinischen Sprichwörtern, welche Weisheit des Lebens lehren. Der Rektor Korbinsky selbst hatte eine Sammlung solcher Sprichwörter in Altenburg drucken lassen; ein sehr nützliches Buch für junge Anfänger, das aber wenig bekannt zu sein scheint. Da ich im Leben schon etwas Gewandtheit besaß und mein Vater gern in Sprichwörtern redete, machte sich der Rektor ein Vergnügen, mich die Uebersetzung auch sprichwörtlich versuchen zu lassen, da denn zuweilen barockes Zeug zum Vorschein kam. So kam einmal das horazische Quidquid delirant reges, plectuntur Achivi vor; der Rektor forderte es sprichwörtlich. Wenn sich die Könige raufen, müssen die Bauern Haare lassen, sagte ich. „Recht gut, recht gut!“ versetzte der Rektor; „nur etwas zu sehr vom Dorfe, etwas zu — zu —“ ich verstand, er wollte sagen zu grob. Ich entgegnete, daß das lateinische delirant und plectuntur eben auch nicht sanft sei, und daß man eine solche Sache recht handgreiflich sagen dürfe. „Nun gut, es mag gehen,“ sagte er, da er selbst nicht gleich ein feineres Sprichwort finden konnte. Die Frau Rektorin gab sich alle ersinnliche Mühe mich fein und artig zu machen, so wie der Herr sich bestrebte, mich zur Tugend und Weisheit zu bilden. In wie fern es dem Rektor gelang, kommt mir nicht zu zu bestimmen; aber ihr gelang es sehr schlecht. Mein Anzug war immer sehr nachlässig, meine Haare grotesk struppig und meine Schuhe schmutzig. Vor allem hatte sie ihren Krieg mit meiner Stirne, die ich nach ihrer Meinung unerträglich runzelte. Ehe ich mirs versahe, versuchte sie eine Glättung mit der Hand oder auch wohl mit der Bürste und drohte sogar mit der Striegel: aber alles umsonst. Sobald ich in Gedanken gerieth und etwas eigenes oder fremdes ruminierte, traten die Runzeln wie Furchen auf die Stirne und die Augenbraunen zogen sich finster zusammen. Das ist geblieben und man hat mich oft für melancholisch mißmuthig gehalten, wenn ich meine seligsten Gedanken hatte. Der Rektor nahm davon keine Notiz, da er selbst etwas von der nämlichen Unart besaß und es wahrscheinlich für ein Adiaphoron hielt. Er gab mir selbst das Zeugniß, daß ich bei ihm in zwei Jahren so viel gethan habe, als andere in sechs Jahren, und drang bei meinen Gönnern auf meine Entfernung, weil ich nunmehr meine Zeit besser anwenden könne und müsse. Ich hätte bei ihm noch lange, noch sehr viel lernen können: allein seine Zeit erlaubte ihm nicht, sich mit mir besonders zu beschäftigen. Doch gab er mir noch einige hebräische Stunden, so daß ich auch hierin ihm den ersten Grund dankte. Ich kam so zu sagen ohne die geringste Kenntniß zu ihm, und las doch meinen Cicero und ein leichtes griechisches Buch ziemlich geläufig, als ich nach zwei Jahren sein Haus verließ; nicht zu erwähnen, daß ich ihm den besten Grund in der Geschichte und Geographie und andern ernsthaften Wissenschaften verdanke. So habe ich bei niemand wieder die Reformationsgeschichte so deutlich, gründlich und pragmatisch gehört, als bei ihm. Er war überhaupt in der Kirchengeschichte sehr stark, studirte unermüdlich und ließ nichts Gutes in jedem Fache ungelesen. Auch Fischer, der mehrere Reisen mit Beifall geschrieben hat, und Mahlmann sind seine Schüler, und ich zweifle nicht, sie werden gern das Wesentliche unterschreiben, was ich hier von ihm gesagt habe. Das Haus dieses Mannes nebst meines Vaters Hause sind der Grund alles Guten, was ich vielleicht in meinem Charakter habe. Ich habe erst nachher durch Vergleichung recht gefunden, wie rein die Sitten und wie fein zugleich in meines Vaters Hause waren. Ich höre jetzt oft in den besten Gesellschaften und in sonst sehr guten Häusern Gesinnungen und Ausdrücke, für die uns der Vater aus dem Hause in den Viehhof würde geschickt haben. „Dergleichen Reden schicken sich wohl bei Tische,“ sagte er oft fürchterlich skoptisch, wenn jemand etwas Ungesittetes äußerte, „nur nicht beim Mistladen.“ Wenn das Gesinde nicht gesittet sprechen konnte, mußte es schweigen; das war mit die erste Bedingung bei der Annahme. Ohne je ein Wort Latein gelernt zu haben, übte niemand strenger als er das sit reverentia pueris! Er wußte, ich weiß nicht wie, die meisten Stellen unserer damals neuesten Dichter, und Bürgers Weiber von Weinsberg erinnere ich mich zuerst von ihm gehört zu haben, mit Varianten bei mißlichen Stellen, deren sich vielleicht kein Kritiker hätte schämen dürfen. Woher er das alles hatte, weiß ich nicht, da er wenig las, und wenig Zeit dazu hatte. Bei Korbinsky wurde dieses feinere moralische Gefühl sorgsam genährt. Niemand verstand die unschuldige Eutrapelie des Lebens besser, als der alte Mann. Er nannte z. E. den Schwager nie anders als Herr Bruder, die Schwägerin Frau Schwester u. s. w.; und das mit viel wahrer Herzlichkeit. Alle seine Zöglinge waren wie seine Kinder, und er nahm auch nachher den wärmsten Antheil an ihren Schicksalen. Es war ein Unglück im Hause, wenn einer seiner ehemaligen Schüler etwas gethan hatte, das einem schlechten Streiche ähnlich sah. „Du lieber Gott, was soll aus dem Menschen werden? das macht mich sehr unruhig.“ Und das verderbte ihm wirklich Schlaf und Mahlzeit. Ueber mich soll er in der Folge oft abwechselnd getrauert und gejubelt haben, bis er sich endlich fest überzeugt habe, ich werde auf keine Weise seiner Erziehung Schande machen, glücklich oder unglücklich: dann sei er ruhig geworden. Nur das Laster hielt er mit den Alten für beweinenswerthes Unglück. Der Aufenthalt bei ihm ist mir immer die schönste reinste Erinnerung gewesen und wird es immer bleiben. Segen seiner Asche!

Zuletzt wurde es aber hohe Zeit, daß ich wegkam, da ich die übrigen sehr übersahe und zuweilen übermüthig und üppig, zuweilen verdrießlich allein stand. Das war denn die Zeit der Streiche, die oft etwas mehr als lustig, die jugendlich verkehrt und unbesonnen waren. So nähten wir, dux gregis ego, wenn er zuweilen eine kleine Erholungsreise machte, alle alte Fußdecken zu Zelten zusammen und hielten unser Scheibenschießen mit dem Blaserohre darunter. Das ging an. Aber oben lagen ein Paar alte Reiterpistolen. Feuergewehr war von meinen ersten Jahren meine Lieblingssache. Die Pistolen wurden in den Dienststand gesetzt, geputzt, geschmiert, und wieder geputzt und mit scharfen Steinen versehen. Sodann wurde Pulver geholt bei dem Krämer, der kein Bedenken trug es uns zu geben, da wir draußen in der Freiheit zuweilen Schwärmer machten, die nichts schadeten. Nun ward das Scheibenschießen und zwar in des Rektors Hofe, da wir nicht heraus durften, ernsthaft. Eine große Scheibe wurde mit den gehörigen Abtheilungen an die Privetthüre gemalt, und es war eine Lust, wie die Kugel durch das Bret fuhr und der Knall inwendig an der Stadtmauer hindonnerte. Das Herz zitterte allen im Leibe vor Freude. Ungefähr vier Schüsse waren gefallen, da erschien der Superintendent, Herr Richter, und der Stadtwachmeister, Herr Herrmann, mit gar finstern Amtsgesichtern. Wir standen nun selbst wie angedonnert da. „Lassen Sie Sich nicht stören, meine Herren,“ sagte Herr Herrmann, „wir wollen bloß ein bißchen zusehen, wie hier kanonirt wird.“ Der Superintendent, Herr Richter, im großen weitwogenden Schlafrock, sagte kein Wort, und so gingen sie fort. Schnell wurden die Gewehre wieder in die alte Rüstkammer gebracht und es war ein ängstliches Harren der Dinge, die da kommen sollten. Einige ehrliche Spießbürger, die vorbei gingen und den Vorfall gehört hatten, hielten nun schreckbare Galgenpredigten über das Verbrechen des Schießens innerhalb der Stadtmauer. Der Abend kam und mit ihm der Rektor; finster und stumm war sein Antlitz: denn wahrscheinlich schon am Thore war ihm die Kanonade berichtet worden. Der Morgen kam und keine Sylbe, weder freundlich noch ernst: nur fing man an sich ins Ohr zu raunen, ich als der unbefugte Feldzeugmeister werde mit gewaffneter Polizei ins Stadtgefängniß abgeholt werden. Schon dachte ich auf die Flucht, als der Rektor mich, den ersten Inkulpaten, zu sich ins Kabinet citirte, und mir Namens des Magistrats, des Ministeriums und der Schule eine Strafpredigt hielt, die ernst genug war. „Ihr seid doch tolle Menschen,“ schloß er endlich freundlicher mit entwölkter Stirne; „man darf euch keine Stunde allein lassen, so macht ihr sogleich ein Dutzend wilde Streiche.“ Nun kamen die andern daran; mit denen ging es bald härter, bald glimpflicher. Am schlimmsten kam ein Dummkopf weg; denn der hatte nichts, womit er wieder gut machen konnte. „Nur hier bleibst du nicht zurück, da bist du mit der erste,“ hieß es. Allein ein solcher Kopf kann auch mehr vertragen.

Ein andermal waren wir einem Vogelsteller in den Dohnstrich gerathen, hatten die Krammetsvögel ausgenommen und Frösche dafür eingehängt. Der Schnellfuß überraschte uns; der Spott verdroß ihn mehr als der Schaden: ich war weit voraus: die andern kamen mit einigen Kopfnüssen durch; ich, als der auctor facinorum sollte eine exemplarische Züchtigung haben. Aber durch viele Umschweife und große Anstrengung entwischte ich glücklich nach der Stadt. Die Krammetsvögel durften wir nicht nach Hause bringen; bloß der Schwank belustigte, und mit vieler Mühe stellten wir ihm sein Eigenthum wieder zu und beschwichtigten ihn durch Bitten, nicht klagbar bei dem Rektor gegen uns einzukommen.

Ein andermal hatten wir ein Vergnügen das dürre Laub von den Bäumen anzuzünden und ein Freudenfeuer zu machen. Einmal versahen wir es, die Flamme schlug um sich und es drohete ein gewaltiger Waldbrand zu werden, als zu unserm Glücke der Wind sich noch wendete. Der Rektor meinte, ich würde ein Taugenichts werden, wenn ich nicht bald weiter käme, und hatte Recht. Aber ich hätte es auch in der Länge nicht mehr ausgehalten, sondern wäre ganz gewiß auf und davon gelaufen. Keine Lage ist peinlicher, als wenn der Geist Bedürfnisse hat, die nicht erfüllt werden, und doch erfüllt werden könnten und sollten. Was vorkam, waren mir abgedroschene Sachen, und nur selten hatte der Rektor Zeit, sich mit mir besonders zu beschäftigen.

Einmal war ich diese Zeit über zu Hause zum Besuche gewesen. Es war nöthig: denn man hatte mir einige Male so unschonend von der traurigen Lage meiner Mutter und Geschwister gesprochen, daß ich ziemlich entschlossen war, den Cicero und Paläphatus im Stiche zu lassen und nach Hause zu gehen, um ihr durch meine Arbeit zu helfen. Ich fand zum Glück, daß man, wie gewöhnlich, übertrieben hatte. M. Schmidt, der gute Mann, mochte so etwas aus einzelnen Aeußerungen schließen und aus meinem Gesichte lesen, und sprach mit Theilnahme und Wärme. „Wir können deine Mutter nicht wohlhabend machen,“ sagte er, „wir können ihr kein gemächliches Leben verschaffen; aber so arm und so entmenscht sind wir doch nicht, daß wir sie und die Ihrigen an den ersten Bedürfnissen Noth leiden ließen. Sei darüber ganz ruhig, mein Sohn, und thue deine Pflicht von deiner Seite!“ Als ich hier zugleich dem Grafen Hohenthal, meinem Wohlthäter und Erzieher, meine Aufwartung machte, war, nach meinen damaligen Begriffen, eine sehr glänzende Gesellschaft von allerhand Ständen zugegen, wo mich denn einer nach dem andern nach Lust und Belieben ins Examen nahm. Es war dabei ein gewisser Herr Leithier, eine pedantisch hofmeisterliche parasitische Seele, den M. Schmidt, ich weiß nicht, aus welcher Antipathie, gewöhnlich ins Neutrum setzte: dieser machte auch, und zwar vorzüglich den Examinator. Weiß der Himmel, was er für eine barocke Frage aus der babylonischen Geschichte that; ich stand stumm und verblüfft da. Er fragte weiter und sahe gerade aus, als ob er aus dem Aristarch ein Orbilius werden wollte, wenns erlaubt wäre. Ich war noch verblüffter und verwirrter. Da nahm sich ein alter Legationsrath Kauterbach, der damals in Leipzig privatisirte, ein Mann von stattlichen Kenntnissen, ansehnlicher Leibesstärke und tüchtiger Stimme, meiner an, nahm den Schulmeister mit einer Derbheit in die Schule, die diesen weit verblüffter machte, als ich armer Schächer vorher war. „Wer zum Teufel,“ sagte er, „wird einem jungen Menschen so blitzhagelsdumme Fragen vorlegen? Da müßte Leibnitz verstummen, wenn er nicht disputiren sollte. Lassen Sie mich examiniren.“ Der alte Herr trat sein Amt an, fragte dieses und jenes aus der Geschichte, und ich bestand so gut, als ein Mensch bestehen kann, der nur erst den Kornelius Nepos ein Jahr bei den Ohren hat. Sogar das Latein ging ex tempore schnakisch genug, ohne daß eben Priscian viel Ohrfeigen bekommen hätte.

Endlich holte man mich von Borna ab, und brachte mich zum Antiquar Martini nach Leipzig auf die Nikolaischule. Reiske wäre freilich besser gewesen: der war aber kurz vorher gestorben und Martini hatte als sein Nachfolger großen Kredit gewonnen. Er mochte ihn auch als eklektischer Gelehrter und Alterthumsforscher verdienen; aber Schulmann war er in einem kaum erträglichen Grade. Gleich im Examen fragte er mich Quisquilien, von denen ich ihm halb verdrießlich bemerkte, daß Herr Korbinsky mich dergleichen Dinge nicht mehr gefragt habe. Lieber wäre ich nach Pforte gewandelt, weil Klopstock dort gewesen war und einige meiner alten Kameraden sich dort befanden. Ich kam nach Sekunde, und hatte nun freilich wieder zu thun, um mit den andern gleichen Fuß zu fassen, zumal da die erste und zweite Klasse gewöhnlich zusammen waren. Auch ging das Studieren die erste Zeit, wenigstens nach meinem Sinne, recht gut: dem Rektor wollte meine Weise nicht behagen, so wenig mir die seinige: und doch sollte ich mich darnach richten. Er hielt viel auf Vorbereitung, und das mit Recht: nur drang er auf sogenannte Präparirzettel, die mir sehr zuwider waren. Denn unnöthiges Schreiben war gar nicht meine Sache, da ich auf einige Tage ein musterhaftes Gedächtniß hatte. „Wo haben wir unsere Präparation?“ fragte er mich einmal: Hier antwortete ich, und zeigte auf die Stirne. „Wir sind etwas keck; wir werden ja sehen.“ Sie war wirklich da, und etwas Brummen von Eigendünkel beschloß den Sermon. Ich konnte aber drei Seiten lesen, während ich einige Wörter niederklexte, die nun doch in meinem Gedächtnisse lagen. Er hatte die Marotte der alten Schulmonarchen, die nicht höflich sind und doch nicht grob sein wollen, immer nur mit Man und Wir zu reden. Daraus entstand dann manches lächerliche Quidproquo. So sagte er einmal im hitzigen Eifer, ich glaube zum jetzigen Buchhändler Sommer: „Wir sind ein Esel.“ Ich meinerseits protestire, antwortete dieser ganz lakonisch; und die Klasse wußte nicht, wo sie mit dem Lachen hinsollte. Es saßen damals Haubold und Blümner und einige andere jetzt nicht unbekannte Männer mit in der Klasse, so daß schon Wetteifer des Fleißes Statt fand. Auch gab uns der Konrektor Forbiger durch seine ernsthafte gründliche Methode, vorzüglich im Griechischen, reichlich Ersatz. Die weitausgebreiteten Kenntnisse des Mannes in vielen Fächern sind bekannt genug. Nur mußte er sich zu uns sehr herablassen, welches ihn zuweilen verdrießlich zu machen schien. Hübschmann, der Tertius, der uns auch einige Stunden gab, zeichnete sich durch einen großen Bierbaß aus, den er sich auf den Kirmissen erworben hatte. Wenn wir, wie wohl verzeihlich war, bei ihm über Cicero’s Pflichten die Aufmerksamkeit verloren und Allotria treiben, nahm er die Sache en gros, und donnerte uns in corpore an: „Lumina mundi wollt ihr werden; ja, ihr Hollunken, lumpenhundi werdet ihr seyn;“ und damit bearbeitete er im Eifer mit Hand und Fuß und Buch das morsche Katheder.

Ich war bei dem Rektor in Wohnung und Kost und Holz verdungen; erhielt aber meinen Speisetheil durch die Magd auf mein Zimmer. Das wollte mir schon nicht behagen und schien mir illiberal: denn bei Herrn Korbinsky in Borna war ich wie ein Kind vom Hause mit allen Uebrigen gehalten worden. Indessen das mochte noch gehen; denn des alten Rektors Würde würde mit mir allein ein barockes tête à tête gemacht haben. Der alte Herr besuchte mich zuweilen auf meinem Zimmer; wahrscheinlich um zu sehen, wie viel ich Holz verbrannte; denn um meine Studien bekümmerte er sich weiter nicht. Nur ein einziges Mal guckte er in meinen Ovid und fand statt der Metamorphose die Amores aufgeschlagen; worüber ich denn einen stattlichen Leviten erhielt. Aber warum stand auch alles in einem Bande beisammen? Ich fand das caetera quis nescit viel leichter und erbaulicher, als das in nova vert animus. Das Holz war der große Gegenstand des Zwistes, ohne daß es eben zur deutlichen Erörterung gekommen wäre. Mein Stubengeselle und Quasihofmeister war Herr Korbinsky, der älteste Sohn des Rektors in Borna, der mir noch einigen Unterricht im Hebräischen gab. Neben uns wohnten noch zwei veterane Studenten, der jetzige Professor Dindorf und der Archidiakonus in Borna, Brunnemann. Auch diese hatten sich ins Holz verdungen; und es ging ihnen wie uns. Da man uns spärlich hinlegte, langten wir selbst zu und bargen den Vorrath im Zimmer. Herr Martini entblödete sich nicht, ihn selbst wieder herauszuholen und das Holz zu verschließen. Es war ein Lattengitter davor; wir zwängten so lange, bis eine Latte losging, und meine kleinere Personalität, die andern waren große, dicke, stattliche Kerle, hineinschlüpfen konnte. Nun bargen wir das Holz im Koffer unter Verschluß. Nun ließ man es in eine festverschlossene Kammer des alten Gebäudes bringen. Zum Glück oder Unglück schloß aber einer der vielen Schlüssel an den leeren offenen Kammern und die Gaunerei ging von beiden Seiten fort. Zuletzt ließ er den Vorrath hinunter bringen, und das arme Mädchen mußte alles drei Treppen herauf tragen. Auch von unten aus holte ich keck genug von Zeit zu Zeit einen Schlafrock voll; und es muß potzig anzusehen gewesen seyn, wie der dicke Hebräer Dindorf und der nicht minder hebräische Korbinsky auf Schildwache standen, ich unten im Holzverschlag lauschte und mich vor dem herabrauschenden Rektor in den Keller versteckte und endlich mit einem Schlafrock voll Scheitholz die Flucht in die Höhe nahm, als der Alte schon wieder über das Tabulat herpolterte. Es wurde eine erkleckliche Summe für Heizung bezahlt, nach der damaligen Zeit, und man ließ uns vor Frost in den Dachstuben zittern: und das Ganze war doch nur Ueberschuß vom Schuldeputat. Bei dieser Einrichtung waren die Klassen auch nicht überwarm: indessen das dauerte eine kurze Zeit des Tages und eine Menge junger Leute können die Zimmer schon heiß machen.

Ich kann nicht umhin, hier, trotz der Ehrlichkeit meines Wesens, die Diebsneigung meiner Natur in solchen Kleinigkeiten anzuklagen. Meine Jugend ist voll davon. Man hätte mich unter Goldhaufen sicher lassen können, ich hätte nichts angerührt: aber in dem Garten war trotz aller Verbote doch selten ein Apfelbaum, den ich nicht verstohlen decimirte. Wenn wir Geschwister Borstorferäpfel zum Braten in der Röhre hatten und sie nun vollendet gut waren, verzehrte ich sehr bald die meinigen und wußte dann die übrigen mit dem Federmesser so zu öffnen, daß der genießbare Inhalt mir zu Theil ward. Griff man sie sodann an, so ging die eingeschlossene Luft ins Weite und die Schale war leer. Wenn ich in die Wurstkammer kommen konnte, wo alles hübsch an Stangen hing, schnitt ich wohl in der Mitte der Wurst etwas heraus und spiekerte sie mit einem Hölzchen wieder ganz. Einmal jagte mich ein Bauer aus einem Schotenfelde von Knauthayn fast bis Lützen, ohne den Flüchtling erwischen zu können. Wegen dergleichen Streichen gab es viel strenge Moralen, und auch wohl thätliche Züchtigungen. Nur erst, nachdem ich die Begriffe ernster sichten lernte und das Unstatthafte der Unart einsah, gewöhnte ich mir diese othaheitische Sitte ab. Wenn jeder sich diese Kleinigkeit erlauben wollte, würde dem Eigenthümer bald wenigstens nicht der beste Theil zurückbleiben. Bei gewissen Gelegenheiten ist eine furchtbare Strenge hierin keine Ungerechtigkeit. Wenn z. E. jeder Soldat eines marschirenden Corps eine Handvoll Kohlrüben mitnehmen wollte, wie würde man das Feld finden? Man hat also mit Recht hier und da Todesstrafe auf dergleichen Unordnungen gesetzt. Freilich ist das in unsern Tagen nicht mehr, wo die Undisciplin wieder bis zur Barbarei herabgesunken ist. Martini war bekanntlich ein guter Alterthumsforscher und hatte vortreffliche Werke in diesem Fache. Die Schüler bekamen selten eins davon zu sehen, und ich lugte und guckte umsonst nach den schönen Bücherschränken, wenn ich zuweilen von ungefähr Zutritt zu dem Adyton seines Museums hatte. Ob mir gleich der Tacitus lieber war, als die Prachtantiquitäten von Pompeji, so verdroß es mich doch, mich so ganz nachlässig wegwerfend als einen Laien behandelt zu sehen. Gegen mein Wesen im Ganzen hatte nun der Rektor nicht viel, aber desto mehr im Einzelnen gegen Kleinigkeiten, die ich sehr ungeschmeidig nach meinem und nicht nach seinem Sinne that. „Wir sind nun wohl ziemlich fleißig,“ sagte er dann und wann, „und es fehlt uns nicht an Talenten, die uns der Himmel gegeben; aber wir sind doch entsetzlich eigensinnig und hartnäckig und wollen immer mit dem Kopfe durch die Wand. Wir werden doch die Welt und ihre Formen nicht anders machen; das wollen wir nur glauben.“ Da hatte nun der alte Herr ganz Recht, und sprach sich und mir und der Welt zugleich das Urtheil: denn er richtete sich so sehr nach der Form, daß fast das Wesen darüber verloren ging. Hier wurde denn auch gedichtert oder vielmehr nur geverselt. Seine Methode war folgende. Er versetzte ein Pensum eigener oder fremder Verse in Prose, doch so, daß kein Oedipus dazu gehörte, zu sehen, was es gewesen war und wieder werden sollte. Dieses diktirte er und verlangte es in Versen zurück. Das Spielwerk war zu leicht und unterhaltend. Ich pflegte da oft einen Sprung zu machen und die Verse anders aufzubauen, als sie wohl mochten gewesen seyn: darüber mußte meine voreilige Weisheit manchmal leiden. Zuweilen mochte ich auch wohl die Verse verdorben haben; das liegt nun so in der Natur: man stolpert einmal lieber über Felsen, als daß man immer auf gleichem Wege fortschleicht.

Meine erste Poeterei war in Borna, wo wir zuweilen aus Gellert und Hagedorn so vel quasi deklamiren mußten. Das hatte mich beschäftigt, da ich sonst eben nichts zu thun hatte; ich setzte mich also hin und machte eine satyrische Fabel: der Hasenschwanz. Man pflegte sich nämlich zum Abwischen der schwarzen Tafeln der Hasenpfoten, oder auch wohl der kurzen Hasenschwänze zu bedienen. Nun war einer der Alumnen, der sich eben nicht durch Talente und Fleiß auszeichnete, beständig damit beschäftiget, allerhand possirliche Spielwerke mit dem Hasenpörzel zu machen. Dabei blieb der Junge ein Geck, ein Dummkopf und ein Hasenschwanz. Das war die sehr sinnreiche Erfindung, und sie erhielt ungeheuern Beifall, weil denn doch wohl seit der Schwedenzeit in der Klasse von einem Zögling nichts ähnliches war ans Licht gestellt worden. Es liefen Kopien herum; ich hoffe zu Gott, es ist keine mehr vorhanden. Die Erfindung sieht man; der Vortrag wird wohl toll genug gewesen seyn, und über der Sprache, die bei mir überhaupt nicht sehr glatt ist, hätte man füglich die Schienbeine brechen können, so viel ich mich noch aus einigen Ausdrücken erinnere. Wenn ich mit Martini’s Versen fertig war, fing ich nun zuweilen wohl auch noch an eigene zu zimmern: sie fielen aber alle sehr hart und holperig aus, und ich war wohl etwas ärgerlich und neidisch, daß einer meiner Nachbarn, der das Handwerk nicht fortgesetzt hat, sie so fließend und rieselnd hervorbrachte. Der Rektor Martini kam einmal dazu, als ich eben einmal einige zu einer Feierlichkeit hatte drucken lassen, und war Anfangs höchlich aufgebracht über die Keckheit, wie er es billig nannte: indessen verlängerte er den Strafsermon doch nicht weiter, nachdem er sie gelesen hatte; woraus ich schloß, daß sie doch nicht so ganz hundelose in seinen Augen mochten gewesen seyn. „Man sollte so etwas doch nicht unternehmen,“ sagte er; „man hat noch nicht Gewandtheit und Routine genug.“ Mir kam der ästhetische Urtheilspruch sehr sonderbar vor, nach dem, was ich schon hier und da bei den Alten und Neuern über die Sache gelesen hatte. Ich machte sogar griechische Verse, Gott sei bei uns, die nicht in der Schulordonnanz lagen: denn es wurde nur deutsch und lateinisch geverselt; in dem Deutschen meistens Alexandriner, die ich seit der Zeit nicht recht habe leiden können; und im Lateinischen verstieg man sich nicht über den Hexameter und das Distichon. Ich hatte zwar nicht das Herz meine griechischen Verse geradezu dem Rektor zu übergeben, legte sie ihm aber doch so in den Weg, daß er sie füglich sehen konnte; er nahm aber keine Notiz davon. Seit der Zeit habe ich nur einige Male im philologischen Uebermuth einige gedrechselt; aber zum Glück ist keiner übrig geblieben: ob ich gleich mit einigen damals nicht übel zufrieden war, und sie mit großem Wohlgefallen wohl zehnmal durchskandirte. Martini pflegte mich selten in meiner Dachstube zu besuchen; und allemal war er Aristarch, der in den Orbilius überzugehen drohte. Ich hatte, wenn ich nicht Lust hatte zu arbeiten, ein gutes Talent zu schlafen: und that mir etwas gütliches im Morgenschlaf, da mich vor Mitternacht die Wanzen in dem alten verdammten Baue nicht ruhen ließen. Das sagte ich ihm geradezu; und er brummte. Einmal fand ich, als ich etwas spät aufstand, von seiner Hand mit Kreide an die Stubenthüre geschrieben: Sex septemve horas dormisse sat est iuvenique senique. Ich veränderte das ve in que; und nun lautete es: Sex septemque (sechs und sieben, also dreizehn) horas. — So blieb es stehen, bis er wieder kam. „Ei seht doch die Variante,“ rief er halb komisch, halb strafend; „nicht übel, gar nicht übel für Faulenzer, wie wir sind.“ Hätte er den Hexameter nicht ungebührlich zum Heptameter verlängert, so hätte die Schnurre nicht Statt finden können.

 

Hier las ich in meinem sechzehnten Jahre den ersten Roman, und zwar den Siegwart, den mir mein Vetter Hahn, ein weißenfelser Gymnasiast, semmelwarm aus der dortigen Presse zuschickte, und zwar alle drei Bände auf einmal. Diese fertigte ich in einer Nacht ab mit ungeheuerm Heißhunger. Die erste Wirkung war auf die Phantasie gewaltig; als ich aber prüfte, fand ich schon damals alles zu sehr Spielwerk und Tändelei der Einbildungskraft, die des Menschen bessere Zeit ohne Nutzen in Beschlag nimmt. Nur das Wirkliche fing an mich zu interessiren. Warum sollen wir mit solchen leeren Dichtungen ins Blaue hinaus greifen? Ohne mich auf den Werth dieser Dichtungsart einzulassen, kehrte ich von der Konfektnäscherei immer sogleich zu der ächt nährenden gediegenen Diät der Geschichte zurück. Auch Werther, der damals erschien, fiel mir sogleich in die Hände; und ich muß bekennen, er spielte dem jungen Kopfe gewaltig mit; desto mehr, da alles dort der Geschichte so gleich ist, und vielleicht meistens Geschichte ist. Da aber meine Seele noch ohne Leidenschaft aller Art war, außer dem allgemeinen Enthusiasmus für das Große, Gute und hohe Schöne, so verflog die Wirkung bald wieder, da ich die Katastrophe nicht in den Annalen der Geschichte verknüpft wiederfinden konnte. Nun hätte man glauben sollen, ich habe mit vieler Anstrengung Geschichte studirt. Das war aber auch nicht der Fall. Das Studiren war mir Bedürfniß, und war dieses gestillt, so pflegte ich fast unwillkührlich lange Zeit das Gelesene zu ruminiren, bis ich wohl zuweilen in das sogenannte selige far niente, den behaglichen, halb dunkeln, ziemlich reinen, bloßen Existenzgenuß zurück sank, der vorzüglich der Kindheit eigen ist. Lange hielt ich natürlich diesen nicht aus, und der Geist schritt zu etwas anderem.

Meine Seele hat von der frühen Kindheit an unbestimmt sehr an der Natur gehangen; dieß ward nun zur Neigung. Das Einfachste war mir immer das Liebste; ein gutes Butterbrot und reines Wasser mein bester Genuß. Ich erinnere mich darüber eines drolligen Auftritts. Mein Vater nahm mich einmal mit nach Leipzig; ich mochte ungefähr ein Bube von sieben Jahren seyn. Er traf einen alten Bekannten, und beide wurden einig ein Frühstück in einem Italiänerkeller zu nehmen. Da ich nicht Lust hatte mitzugehen und er mich nicht nöthigen wollte, wies er mir eine Peripherie an, aus welcher ich nicht kommen sollte, und den Eckstein, an welchem man nach einer Viertelstunde mich wieder treffen würde, und gab mir einige Groschen, sie auf dem Markte nach meinem Belieben zu verzehren. Als er zurückkam, hatte sich noch ein Bekannter angeschlossen. „Nun, hast du auch ordentlich gefrühstückt, Junge?“ fragte er mich. „Ja, Vater.“ „Wie hast du denn dein Geld angewendet?“ „Ich habe mir eine Semmel gekauft, und Rüben dazu.“ „Was für Rüben?“ fragten sie neugierig. „Solche weiße Rüben, wie sie hier haben;“ antwortete ich, indem ich hin auf die Gärtner zeigte. Alle lachten laut. Für wie viel denn? „Für zwei Groschen.“ „Junge, bist du toll? Für zwei Groschen weiße Rüben? Für einen Dreier bekommst du ja draußen auf dem Dorfe so viel, daß sich sechs Fuhrknechte satt essen können.“ „Wo denn?“ „Draußen überall.“ „Ich habe nichts gesehen.“ „Kannst du nicht warten, bis sie groß sind?“ „Warten, ja warten;“ sagte ich und kratzte mich hinter dem Ohre. Es war noch früh im Jahr; ich hätte wenigstens noch einige Monate auf mein Lieblingsgericht warten müssen. Man lachte immer fort über den Dreier für die Semmel und die zwei Groschen für weiße Rüben dazu. „Ei so laßt doch den Jungen zufrieden,“ sagte der alte Verwandte; „es ist doch wohl besser, als wenn er Pfeffernüßchen und Zuckerbrot gekauft hätte.“ Ich war bloß dem Instinkt und der Neigung gefolgt; aber als man vernünftig darüber nachdachte, trat man denn doch auf meine Seite. Der nämliche Alte war auch mein Advokat gegen den Kaffee, der mir sehr zuwider war. Die ganze Familie trank ihn zum Frühstück; ich sollte also auch. „Wir werden dem jungen Herrn ein Süppchen apart kochen,“ sagte meine Mutter, und wollte mich zur allgemeinen Kaffeepartie nöthigen. „Ei so laßt ihn doch zufrieden,“ sagte der Alte; „es wird ihm vielleicht einmal recht lieb seyn, wenn er sich nicht an die verdammte Lorke gewöhnt hat.“ Meine Mutter glaubte, Butterbrot und kaltes Wasser zum Frühstück ohne etwas Warmes würde mir übel bekommen; da sie aber das Gegentheil sah, ließ sie mich ruhig meinen Weg gehen. An dem Brunnen waschen und trinken war also die nämliche Partie: übrigens lief ich meistens allein in allen Dickichten herum, und kein Aelsternest war mir zu hoch, ich mußte hinauf. Das setzte ich denn etwas verändert in Borna und Leipzig fort. Ich trank durchaus weder Wein noch Bier, bekümmerte mich nichts um Backwerk und feinere Gerichte; aber die schönsten Kirschen und Pflaumen wurden immer reichlich gekauft, sie mochten noch so theuer seyn: und mein Aufwand darin ging für meine Umstände zuweilen fast bis zur Verschwendung. Jetzt verband ich meine Streifereien mit meinen Studien. Man sahe mich seltener auf öffentlichen Promenaden; sondern ich lag in irgend einem Dickicht oder dem versteckten Winkel einer Wiese, und las ohne weitere Wahl, was mir in die Hände gefallen war; selten Romane, fast eben so selten Gedichte im Deutschen; aber desto mehr ausgesuchte Stellen aus den Römern und Griechen. Es freute mich besonders nun bei den letzten die Schwierigkeiten überwunden zu haben und mit Leichtigkeit vorwärts zu gehen. Die eklektischen Sprüche der Alten verdrängten immer mehr die biblischen: doch hinderte das nicht die Wirkung, die auch hier und da ein tief aus der Seele gegriffenes und in die Seele gesprochenes Wort eines Hagiographen that.

In dieser Periode gab ich dem jetzigen Professor Höpfner in den Anfangsgründen der hebräischen Sprache Stunde: und wir haben nachher manchmal darüber gelacht, nachdem mir der Schüler als Herausgeber des Golius so gewaltig zu Kopfe gewachsen war. Zuweilen setzt mirs wohl der Eitelkeitsteufel in den Sinn, daß er meiner guten Unterrichtsmethode im Anfange den schnellen Fortgang nachher verdanke.

Die gegenseitige Unzufriedenheit zwischen mir und dem Rektor stieg immer höher. Ich ging durchaus nicht seinen Weg; und er wollte mich den meinigen nicht gehen lassen. Moralische Fehler, außer etwas Geiz, habe ich an dem Manne nicht wahrgenommen; aber desto mehr Grillen und psychologisch-pädagogische Irrthümer und Schwachheiten. Ueberdieß machte mir mein Stubenfreund, Herr Korbinsky, ein Schüler Fischers, und ein gewaltiger Purist, dessen lateinischen Styl verdächtig: und man weiß, was eine Sünde hierin bei einem Schulrektor für ein Piakulum ist. Herr Korbinsky hätte wohl besser gethan, mir darüber keine Sylbe zu sagen: zumal da die Sache ihre Richtigkeit hatte. Man weiß, daß Quisquilien die Welt mehr hudeln, als Sachen vom größten Belang.

Um diese Zeit war ein sächsisches Lager bei Schönau, an der Straße nach Weißenfels. Nichts kitzelt einen jungen Menschen mehr, als militärische Unternehmungen, wenn auch nur im Schattenriß, zu sehen, wo der menschliche Erfindungsgeist und die menschliche Kraft vereint mit furchtbarer Anstrengung für moralische, politische oder physische Existenz kämpfen. Einen Nachmittag hatte ich Erlaubniß erhalten hinaus zu gehen, zu schauen. Ich hatte einen Verwandten im Lager, steckte meinen Julius Cäsar zu mir, um doch auch etwas Militärisches an mir zu haben, und wandelte auf und davon. Im Lager traf ich, ich weiß nicht wo, den Grafen Hohenthal, der mir seinen Beifall über meine Neugierde zeigte und nichts gegen meinen Wunsch hatte, die Nacht hier zu bleiben, und das Manöver des folgenden Tags zu sehen. Diese Erlaubniß, oder Quasierlaubniß, denn eigentlich mußte sie vom Rektor kommen, dehnte ich auf zwei Nächte aus, und war in einer ganz neuen Welt, an die bisher meine Phantasie nur wenig gedacht hatte. Ich hatte damals schon mathematischen Sinn genug, mich um den glänzenden blitzenden Donnereinbruch der Reiterei weniger zu bekümmern, obgleich mein Vetter Dragoner war, und meine ganze Aufmerksamkeit auf die Behandlung und Bewegung des Geschützes und den Marsch, vorzüglich der Grenadierbataillone, zu richten. Das mucrone res agitur, ubi ad triarios rediit schwebte mir bei jeder Gelegenheit aus den Alten vor: und so verschieden auch unser Kriegssystem von dem ihrigen ist, hierin kommt es ganz gewiß mit demselben überein, wie die ganze Geschichte aller Feldzüge lehrt. Ohne eben Neigung zum Soldatenstande zu haben, las und studirte ich doch schon unwillkührlich solche Bücher, wo der Riesenkampf der menschlichen Natur hell und lebhaft geschildert war: und das fand ich mehr bei den Alten, als bei den Neuern, und finde es noch. Als ich nach Hause kam, runzelte der Rektor die Stirne und beutelte das Maul mehr als gewöhnlich, sagte aber sehr wenig, und es schien, als ob er mich als einen Refraktarium aufgegeben hätte. Da ich mein Unrecht fühlte, suchte ich durch Fleiß gut zu machen; da aber dieser Fleiß doch nicht über seinen Stock geschlagen war, konnte ich damit nichts gewinnen. Ich erhielt um die nämliche Zeit ein Schulstipendium von zehen Thalern. „Wir haben zwar Talente und sind nicht müssig,“ sagte er mir beim Aufzahlen; „aber unsere Sitten haben diese Belohnung kaum verdient.“ Nun machte er Miene, das Sümmchen wieder einzustreichen und es mir zu vier und vier Groschen gelegentlich für die kleinen Bedürfnisse zuzustellen, als ich ihm sagte, der Graf, mein Wohlthäter, wolle mir dieses Geld als Aufmunterung zur eigenen Verwendung überlassen, und für das Uebrige Sorge tragen. Das schien er nicht zu billigen, wollte aber doch nichts dagegen haben. Ich erhielt das Geld; und da das für mich eine ungeheuere Summe war, dünkte ich mir damit wenigstens ein Krösus zu sein. Vor allen Dingen wurde Obst gekauft, dann Bücher, hier und da einem Armen reichlicher mitgetheilt; dann ging es zum ersten Male in die Komödie. Man kann denken, wie lange und wie weit ich reichte. Meine Mutter brauchte damals nichts und wollte durchaus nichts als eine Kleinigkeit nehmen, um meine Gutmüthigkeit nicht zu beleidigen, wie sie sich ausdrückte. Da sie von meinen Bedürfnissen wenig verstand, so konnte sie über meine Verwendung bestimmt weder Billigung noch Mißbilligung äußern. Man denke, wie ich kaufte, ich glaube vom jetzigen Professor Schäfer, der mein Schulnachbar war, eine Geschichte oder Geographie, in neunzehn Bänden, ich weiß nicht von welchem alten Knaster, für einen Speciesthaler. Schäfer war froh, daß er das Schweinsleder los wurde, um Platz zu bekommen; und doch studirte ich in den Schwarten so ungeheuer, um die Lücken auszufüllen, daß ich wirklich glaube, ich habe daraus mehr gelernt, als aus manchem langen Kollegio von viel Zeit und für viel Geld. Als ich anfing das Buch taxiren zu lernen, schaffte ich es mit wenig Verlust und viel Gewinn wieder fort.

Das erste Theaterstück, das ich sahe, war Ariadne auf Naxos von Benda, die damals neu war. Der bekannte mythologische Text rührte mich wenig; aber desto mehr die allgewaltige Magie der Musik, verbunden mit der schönen Darstellung und der mir ganz neuen zauberähnlichen Maschinerie. Das letzte verschwand bald; aber die Wirkung der Musik blieb und ist geblieben: und noch jetzt kenne ich in der ganzen Peripherie meiner musikalischen Literatur nichts Lieblicheres als Benda’s Morgenröthe und nichts Malerischeres als seinen Sonnenaufgang in diesem Stücke. Noch jetzt, wenn es mir bei musikalischen Freunden recht heimisch gemüthlich ist, pflege ich zum höchsten Genuß eines seligen Viertelstündchens mit dem Notenbuche in der Hand zu kommen: „Kinder, bringt mir die Morgenröthe und laßt mir die Sonne aufgehen!“ und nach dem Vortrage und der Aufnahme dieser Stellen die Seelen zu beurtheilen. Die Theaterneigung bemächtigte sich bald meiner bis zur Epidemie; vorzüglich als ich zur Akademie überging.

Der letzte Vorfall, der wahrscheinlich meine Entfernung von der Schule bestimmte, war folgender. Wir lasen Xenophons Denkwürdigkeiten, ich mochte wohl etwas zerstreut gewesen seyn, der Rektor war wegen einer andern Veranlassung schon aufgebracht und heftig; er wendete sich unversehens und kurz zu mir und verlangte die grammatische Auflösung eines schweren Wortes: ich machte sie; er schien schon in der Uebereilung zu seyn und fuhr mich hart epanorthotisch an: „Man ist nie, wo man seyn soll; es ist der Infinitiv in diesem und diesem Tempus.“ Es war freilich augenscheinlich der Infinitiv; über das Tempus war Differenz. Er fuhr im Hermeneutisiren fort, ich setzte mich, brummte ungläubig und suchte meine alte Grammatik aus dem Winkel hervor, wo ich denn fand, daß ich Recht hatte. Das zeigte ich höchst wahrscheinlich selbstgefällig genug meinem Nachbar: „Was hat man schon wieder?“ stürzte der Rektor auf mich zu. „Herr Rektor,“ erwiederte ich ganz gelassen, „ich wollte mich bloß überzeugen, daß ich Recht hatte.“ Das brachte den Mann ganz aus seiner Fassung, er stürmte und wüthete und wollte mich ins Carcer führen lassen. „Herr Rektor, bedenken Sie,“ sagte ich ganz ruhig, „es könnte einige Folgen haben.“ Er überlas die Periode noch einmal, besann sich, und ließ mich ohne Antwort sitzen. Die ganze Klasse war stutzig. Ich wollte heut noch die Stelle im Buche wieder finden. Nach der Stunde ließ er mich rufen, stellte mir etwas gelinde meine widerspenstige Sinnesart vor und gab mit einigen philosophischen Apophthegmen seinen Irrthum zu. Die Neckerei und das halbe Subordinationswesen war mir höchlich zuwider; ich kam förmlich mit der Bitte beim Grafen ein, mich noch einige Zeit nach Grimma oder Pforte zu schicken: hier würde ich nunmehr meine Zeit ohne großen Nutzen zubringen. Man war Anfangs mit meiner Unzufriedenheit eher unzufrieden, mochte aber doch bei näherer Nachfrage finden, daß ich so ganz Unrecht nicht hatte, und beschloß eine Aenderung zu machen. Auch wenn ich nicht Recht gehabt hätte, wie das vielleicht hier und da der Fall war, forderte es die richtige, psychologische Pädagogik, meinen Wünschen nachzugeben und es auf eine andere Weise mit mir zu versuchen. Außer etwas Chorgesang in den öffentlichen Stunden hatte man mich weiter keine Musik treiben lassen, und ich sahe daraus, daß man es mit mir nicht auf die Schulmeisterei anlegte. Ohne eben damit unzufrieden zu sein, bedauerte ich doch im Stillen, daß ich eine so ganz unmusikalische Seele bleiben sollte; zumal da ich glaubte und noch glaube, daß in meinem Geiste sehr viel sehr schöne eigenthümliche Musik zu wecken gewesen wäre. Ich selbst konnte den zweckmäßigen Unterricht nicht erschwingen. Ich gerathe bei lebendigen tief gegriffenen und tief eindringenden einfach großen Stellen in die größte Rührung, wie das bei Mozart und Haydn und Händel und Bach und einigen andern oft der Fall ist; und eine lange bloß künstliche Tonverstrickung läßt mich unbeschäftigt und leer.

Man schickte mich zu Morus und Wolf in die Prüfung. Der erste ist nachher immer mein guter väterlicher Lehrer geblieben, und ward sodann mein Freund bis an seinen Tod; es wäre unnöthig, hier seinen moralischen und wissenschaftlichen Werth zu preisen. Von dem zweiten der ein vortrefflicher Lateiner als Ernesti’s Schüler war, hielt mich die strenge ascetische Orthodoxie des Mannes mehr entfernt. Was sie meinen Kenntnissen für ein Zeugniß gaben, weiß ich nicht, ich erhielt es versiegelt; es kann aber nicht ungünstig gewesen seyn: denn statt mich noch auf eine Schule zu schicken, wurde ich sogleich auf die Universität gethan. Und so war ich denn in einer Zeit von ungefähr drei Jahren ein wilder unwissender Landjunge, ein gänzlicher Analphabete, und Leipziger Student; das ging freilich ein wenig rasch. „Alles recht gut,“ sagte mir der wackere Forbiger, als ich Abschied nahm, „nur etwas zu früh!“ ein Urtheil, das ich selbst gern unterschrieb. Martini entließ mich mit Kälte und Würde, ohne jetzt weitere Empfindlichkeit zu äußern. Korbinsky blieb mein Stubenkamerad und Studienleiter, ohne weitere Verbindlichkeit auf beiden Seiten. Ich danke der Gesellschaft dieses Mannes manche bessere Einsichten in die Alten und manchen guten Wink, den ich nachher benutzte. Er starb zu früh als Prediger in Waldheim, ich fürchte als Opfer des unmäßigen Tabakrauchens bei seiner schwachen Brust: er wäre gewiß ein ausgezeichneter Orientalist geworden.

Nun tummelte ich mich in der Freiheit herum, und brauchte sie zwar nicht ganz weise, aber doch so, daß man es eben nicht Mißbrauch nennen konnte. Ich hatte nachzuholen, das fühlte ich, und that es redlich und gewissenhaft: nicht eben durch viele Kollegien, sondern durch eigenen sehr hartnäckigen Fleiß. Vorher hatte ich die Alten nur fragmentarisch gelesen; jetzt fing ich an, sie strenge ganz durchzugehen. Da ich nicht Philolog zu werden gedachte, bekümmerte ich mich weniger um das Partikelwesen und die Sprachnüancen: das kommt nach und nach unmerklich von selbst; sondern es beschäftigten mich die Sachen und die Sprache nur, insofern sie zur Sache gehörte und recht schön war. Ueber die Griechen hörte ich weniger; und doch that ich in denselben mehr und war lebendiger in ihnen als in den Lateinern, weil mich ihr Geist besser ansprach. Oft pflegte ich und pflege noch jetzt halb im Scherz halb im Ernste zu sagen: Was ich Gutes an und in mir habe, verdanke ich meiner Mutter und dem Griechischen. Die dicken Ausgaben mit einem Sumpfe von Noten waren mir als Zeitverderber verhaßt: und meine Meinung, wer mit gehörigen Sprachkenntnissen noch eine große Erklärung einer Horazischen Ode braucht, für den hat Horaz gar nicht geschrieben. Die schönsten Stellen sind immer die einfachsten; und es ward mein ästhetisches Glaubensbekenntniß: Wer nicht in wenig Worten ein rührendes Gedicht, in wenig Strichen eine schöne Zeichnung und in wenig Takten eine vielwirkende Musik hervorbringe, sei nie der Liebling der Musen gewesen. So fiel mir damals das dickbeleibte Buch, Fischers Anakreon, in die Hände, wo des Dichters Grazien in einem Oceane von Notenkrämerei zu Grunde zu gehen in Gefahr sind. Man findet nichts; und doch lockt die Neugier alle Augenblicke nachzusehen. Könnte ich Anakreon nicht besser genießen, als durch Fischer, ich ließe sie beide, den alten und den neuen Griechen, bei den Käseweibern liegen. Deßwegen verkenne ich Fischers große Verdienste um Literatur und Pädagogik gar nicht. Ich genieße vielleicht, ohne es zu wissen, manches, was die Frucht seiner trockenen schweren Arbeit war.

Von den Kollegien, deren ich mich aus dieser Periode mit vorzüglichem Vergnügen erinnere, waren Morus Vorlesungen über die Annalen des Tacitus unstreitig das erste. Er war ein Muster von Exegeten in jeder Rücksicht, ausgenommen vielleicht in der Theologie, wo er mit ängstlicher Ehrlichkeit zu sehr an der vorgeschriebenen Formel hing: und so wacker der Mann als Theologe war, hat nach meiner Ueberzeugung die Theologie an ihm doch nicht so viel gewonnen als die Philologie verloren. Ein sehr gewöhnlicher Mißgriff auf den meisten Universitäten, der auf der Einrichtung beruht! Morus überschüttete uns nicht mit einer Sündfluth philologischer Quisquilien, sondern machte seine Bemerkungen kurz, bündig und gediegen, wie sein Autor den Text; er las nicht für Knaben, und war nicht Schuld, wenn er nicht verstanden wurde. Seine Uebersetzung war ein durchdachtes Meisterstück; ich habe nie eine bessere gelesen: dazu wurde sie noch durch einen selbst tiefgefühlten Vortrag und einen Ausdruck großer Herzlichkeit gehoben.

Das Griechische des neuen Testaments wollte mir nach dem Honig der attischen Biene nicht schmecken. Die Barbarismen, Solöcismen und das halb morgenländische Wesen, wovon es voll ist, stießen mich immer zurück: und es gehörte der schöne begeisterte Enthusiasmus Jesu und die liebenswürdige Moral seiner Lehre durch seine Schüler dazu, um mir es wieder in die Hände zu geben. Des Hebräischen hörte ich bei Dathe sehr viel und sehr fleißig; und ich erinnere mich, daß ich damals Dutzende Psalmen und ganze Kapitel aus den andern Büchern auswendig wußte. Es war bloß Bedürfniß des Wissens, und um nicht hinter den andern zurückzubleiben. Und doch hätte mir das Hebräisch bald einen übeln Handel zugezogen. Ich wohnte bei einem Bäcker, wo Mutter und Tochter, ganz angenehme Stückchen Erbsünde fast immer in ihren offenen Laden Gesellschaft von jungen Leuten, bei sich sahen, die bei ihnen ihr Frühstück hielten. Ich war bis in mein vier und zwanzigstes Jahr ziemlich düster und grämelnd und bekümmerte mich wenig um das Geschlecht. Mein Aufzug war meinen Umständen angemessen und wohl weder glänzend noch zierlich; ich hatte damals einen großen schweren hebräischen Kodex, ich glaube von van der Hoogt, an dem ich hin und her schwitzte. Ein Edelmann aus Thüringen, der wohl auch einmal vor einer hebräischen Schule vorbei gelaufen sein mochte, glaubte, er habe das Privilegium, den jungen Theologaster zu hänseln, und rief mir beim Durchgehen Mosheh veh Kalephedan (eine Regel aus der Grammatik) zu. Einmal und zweimal litt ich das ruhig, das dritte Mal kehrte ich mich um und sagte ihm, was zu sagen war. Er antwortete nicht artig, ich erwiederte nicht sanft, und meinte, die Sache sei ohne Worte gehörig zu schlichten; er mußte zufrieden seyn, und ich war im Begriff den Degen zu holen, um ihm zu folgen: da stürzten die Damen, Mutter und Tochter, als Vermittlerinnen herbei, und ließen nicht eher nach, bis sie die hebräischen Streithähne mit gehörigen Gründen aus einander gebracht hatten. Von nun an ließ mich der Baron ruhig fürbaß ziehen; das hätte er auch vorher thun können und sollen.

Jedermann, der mich so Hebräisch treiben sah, mußte glauben, ich würde wenigstens der zweite Michaelis werden, oder gar ein neues eigenes morgenländisches Licht; es dauerte aber nicht lange: und seit der Zeit habe ich diesen Artikel so ganz vergessen, daß ich kaum mehr weiß, was Schwa und Mappik und Kal und Hithpael ist: denn ich glaube, ich habe seit 1780 kaum wieder eine hebräische Zeile gelesen.

Ich hatte zur Unterhaltung meines Leibes monatlich fünf Thaler. Es war damals zwar beträchtlich wohlfeiler als jetzt; doch kann man bedenken, daß ich mit dieser Summe nicht sehr ins weite greifen oder sybaritisiren konnte. Aber ich hatte auch keine Bedürffnisse, die ich damit nicht hätte befriedigen können, außer der verdammten Theaterepidemie, die sich meiner damals in einem hohen Grade bemächtigt hatte. Ich weiß, daß ich damals monatlich gegen vier Thaler ins Theater getragen habe: man denke sich nun dabei meine Kost. Mehrere Tage aß ich trockene Dreilinge, um nur einige Lieblingsstücke zu hören und vorzüglich Reineke’s Vortrag zu genießen. Als ich diesen Mann das erste Mal sahe, gab er die unbedeutendste Rolle von der Welt, einen Bedienten, der einen Brief zu bringen und kaum sechs Worte zu sprechen hatte. Seine ersten Schritte zeigten, wer er war und jedes Wort gab ihm seinen Rang. Ich, obgleich damals noch ziemlich Idiot, ärgerte mich über den Mißgriff der Direktion und setzte ihn sogleich bei mir als den ersten Mann der Gesellschaft nieder. Er hatte bloß einmal gemächlich ausruhen wollen, und ich sahe ihn einige Tage nachher in seiner bessern Sphäre. Es gewährt mir noch immer einen hohen Genuß in der Erinnerung, diesen Liebling der Natur und der Muse gesehen zu haben. Es konnte von ihm gelten, was Hamlet von seinem Vater sagte: das ist ein Mann! Die deutsche Bühne hat allerdings Künstler von größerem Verdienst, aber wohl schwerlich von größerem Werth. Seine letzte Rolle schwebt noch lebendig vor meiner Seele. Er gab Hamlets Geist, und sein „Schwört, Schwört auf sein Schwert!“ war ein ganzes Stück werth. Seit der Zeit habe ich immer und überall kaum Hamlets Gespenst, nie seinen Geist wieder gesehen.

Um diese Zeit fielen mir die Engländer Shaftsbury und Bolingbroke in die Hände, oder vielmehr ich ihnen; man kann sich die Wirkung denken. Die Kirchenformel und meine ehemalige ächt orthodoxe Exegese hielten mich nur noch an sehr schwachen Fäden. Mein Stubengeselle Korbinsky hatte einige Freunde, mit denen er dann und wann etwas freimüthig über die Wolfenbüttler Fragmente sprach. Einige Artikel aus dem Bayle hatte ich auch schon gelesen. Alles dieses half meinen eigenen skeptischen Ideengang ordnen, oder mich verderben, wie meine orthodoxen Freunde meinten. Es war zum Durchbruch gekommen; nur wagte ich nicht, etwas laut werden zu lassen. Ich glaubte nur, was ich begriff; und ich begriff von den Kirchendogmen nur sehr wenige. Magister Schmidt, der Mittelsmann zwischen mir und dem Grafen und mein wirklich väterlicher Freund, aber ein heftiger Kirchenorthodox, hatte, ich weiß nicht wie, doch etwas erfahren, und nahm mich nach seiner Weise sehr warm vor. Der Klagepunkte waren viele, vorzüglich folgende, so viel ich mich erinnere: Ich wäre nicht ordentlich in die Kirche gegangen, und meistens nur zu Zollikofer; ich hätte mich oft gebadet; ich hätte über einige Dogmen frei und profan gesprochen. Wegen dieser Ruchlosigkeiten sahe mich nun der gute Mann schon leibhaft in der Hölle brennen. Das Theater wurde nicht berührt; und das wäre doch wohl das schlimmste gewesen weil es mich so viel Geld kostete, das ich nicht hatte. Ich läugnete nicht und vertheidigte mich nicht; denn die Vertheidigung hätte zu Erörterungen geführt, die noch schlimmer gewesen wären. Er goß eine bitter epanorthotische Lauge über mich aus, die ich zwar ärgerlich, aber doch geduldig abtriefen ließ. Vorzüglich drohete er mit dem Grafen, der bei dieser meiner verkehrten Sinnesart seine Hand von mir abziehen würde. Diese letzte Bemerkung war unpsychologisch, und wirkte gerade das Gegentheil von dem was sie wirken sollte. Sie machte mich stolz, statt mich demüthig zu machen. Ich nahm das alles mit Stillschweigen hin, ohne Besserung zu versprechen, an die ich gar nicht denken konnte. Meine Mutter wurde gar nicht erwähnt; und doch wäre diese das wirksamste Argument gewesen. Worin hätte ich mich ändern können ohne den bessern Sinn zu verläugnen? Wen von unsern theuern Kirchenlehrern hätte ich statt Zollikofers hören sollen? Das Bad im Flusse hielt ich für diätetisch gut, und, mit Bescheidenheit gebraucht, nicht für unanständig. Daß ich frei über kirchliche Artikel sollte gesprochen haben, ist wohl möglich; aber gewiß nicht profan, ausgenommen in so fern frei und profan eins ist: denn mir ist jeder Volksglaube heilig, der einem ehrlichen Manne Beruhigung gewährt, und sollte er der Philosophie noch so empfindliche Nasenstüber geben. Wer einem leidenden Wanderer seinen alten Mantel nimmt, unter dem Vorwande, er sei übel gemacht und durchlöchert, ist ein Unmensch auf alle Weise. Ich fordere alle auf, mit denen ich jemals in nähere Berührung gekommen bin, ob ich irgend über etwas gespottet habe, das einem andern ehrwürdig und heilig war.

Kurz darauf besänftigte ich den zelotischen Mann ohne Mühe durch die Bitte mir eine Predigt zu erlauben, indem ich ihm zugleich das Manuscript zur Durchsicht überreichte. Er blätterte nur wenig darin und gab es mir mit der Gewährung der Bitte und der Bemerkung vertraulich zurück, schon das Motto gebe ihm die Versicherung, er dürfe sich auf meine Bescheidenheit verlassen. Es stand darüber, glaube ich, aus dem Quinctilian: „Pectus est quod facit disertos.“ Ich hielt den Vortrag in Rehbach und Knauthayn mit Beifall, und meine Ketzerei schien vergessen zu seyn. Desto tiefer und fester saß sie aber bei mir. Es versteht sich, daß man in der Predigt nicht die leiseste Spur davon fand. Ich weiß nicht mehr, wovon ich sprach; aber es war ein reines Thema der reinen allgemeinen Moral, wo der Mensch mit seiner bessern Natur durch sich selbst in Anspruch genommen wird. Man konnte ihr, wie Zollikofers Vorträgen, nur den Vorwurf machen, daß sie auch für Juden, Türken und Heiden passe. Uebrigens maße ich mir nicht an, daß die Rede viel von den Vorzügen der Zollikoferschen gehabt habe.

Es fing nun an furchtbar in mir zu gähren. Ich begriff, daß ich als ehrlicher Mann nicht auf dem Wege fortwandeln konnte. Mit jeder neuen Forschung entstand ein neuer Zweifel, und die Mystik fing an mir verhaßt zu werden, da ich sie so oft Hand in Hand mit weltlicher Klugheit gehen sahe. Ich verehrte die Bibel und versagte dem moralischen Theil derselben den Eingang in meine Seele nicht. Ich verehrte Moses, Christum, aber nach meiner Weise und nicht nach dem System. Heuchelei war mir unerträglich; ich sagte immer nur, was ich dachte, ob ich gleich nicht alles sagte, was ich dachte. Das heilige Palladium der Menschennatur sind die Gedanken unter der Aegide der Vernunft, und es wird hoffentlich niemals jemand gelingen es zu zerreißen.

Meine Lage war sehr prekär und hing von der zufälligen Ueberzeugung Anderer ab. Es war natürlich, daß endlich der Graf alles erfahren mußte; und das schlimmste war, nicht so lebendig, wie es in meinem Innern lag. Ohne seine Unterstützung konnte ich nicht in den Wissenschaften fort leben. Ich wollte der Katastrophe zuvor kommen, zog mich in mich selbst zurück und faßte den Entschluß, auf allen Fall meine eigene Kraft zu versuchen. Das konnte in Leipzig und überhaupt im Vaterlande nicht geschehen. Nach vielen Kämpfen, die mir allerdings wohl das Ansehen eines Melancholischen geben mochten, ging ich auf und davon, ohne einen fest bestimmten Vorsatz, wohin und wozu. Ich nahm mein Monatsgeld, verkaufte einige Bücher, die etwas Werth hatten, und nach Abzahlung meiner kleinen Schulden, die ich nothwendig haben mußte, blieben mir ungefähr neun Thaler. Mit diesen dachte ich schon nach Paris zu kommen und mich umzusehen, was da für mich zu thun sei. Von dort aus — wer sieht nicht gern zuvor Paris? — dachte ich nach Metz in die Artillerieschule, da ich eben damals angefangen hatte, etwas ernsthaft Französisch und Mathematik zu treiben. Das Uebrige überließ ich billig dem Schicksal.

Das Traurigste war der qualvolle Gedanke an meine Mutter; und ich muß bekennen, daß ich mir alle obwohl vergebliche Mühe gab ihn zu unterdrücken, da ich die Unmöglichkeit sahe meine Sinnesart zu ändern und die Unmöglichkeit bei dieser Sinnesart als ehrlicher Mann hier zu bleiben. Sie war zwar keine Zelotin und würde mich nicht sogleich verdammt haben; doch würde ihr ruhiges Wesen es widersprechend gefunden haben, daß Ein Kopf sich nicht bei dem beruhigen könne, wobei sich so viele Hunderttausende ehrsam beruhigen. Auf alle Fälle würde ihr meine Lage, wenn ich geblieben wäre, fast eben so schmerzlich gewesen seyn als meine Entfernung. Ich ging also nach Berichtigung meiner Schulden fort, ohne irgend jemand eine Sylbe gesagt zu haben. Den Degen an der Seite, einige Hemden auf dem Leibe und im Reisesacke und einige Klassiker in der Tasche, marschirte ich zwar ganz rüstig und leicht, aber nichts weniger als ruhig durch die Dörfer nach Dürrenberg, setzte dort über die Saale, ging über das Schlachtfeld bei Roßbach und blieb die erste Nacht in einem kleinen Dorfe bei Freyburg, das, glaube ich, Zeugefeld hieß. Hier schrieb ich in meiner Verlassenheit und mit schwerem Gefühl Abends eine gar rührende Elegie über meinen Zustand. Sie gehört zu den Heiligthümern meiner Seele; Niemand hat sie gesehen und sie hat sich bald aus meinem Taschenbuche verloren, so wie meine Stimmung sich erheiterte und einen etwas stoischen Takt erhielt. Den zweiten Abend blieb ich in einem Dorfe vor Erfurt, wo man mich mit vieler Theilnahme sehr gut, sehr wohlfeil bewirthete, und mich schonend merken ließ, ich hätte wohl jemand mit dem Instrumente da, man wies auf den Degen, etwas übel behandelt und müsse das Weite suchen. Ich widersprach zwar; aber man schien doch so etwas zu glauben. In Erörterungen mochte ich mich nicht einlassen, und ihre Meinung that mir weiter keinen Schaden. Den dritten Abend übernachtete ich in Bach, und hier übernahm trotz allem Protest der Landgraf von Kassel, der damalige große Menschenmäkler, durch seine Werber die Besorgung meiner ferneren Nachtquartiere nach Ziegenhayn, Kassel, und weiter nach der neuen Welt.

Ich erfuhr nachher, daß meine Entfernung in Leipzig einiges Aufsehen gemacht hatte, ob ich gleich fast immer für mich und eingezogen wie ein Klosterbruder gelebt hatte. Man hatte ungefähr vierzehn Tage vorher eine ungewöhnliche Stille und Schwermüthigkeit an mir bemerkt; sehr natürlich: man machte also den voreiligen Schluß, ich habe mich ganz aus dem Leben hinaus begeben. Vorzüglich war ein alter Graf Ysenburg, der gewöhnlich bei dem Grafen Hohenthal lebte und mich mit vieler Güte immer mit Zwieback gefüttert hatte, sehr beschäftigt, den eigentlichen Zusammenhang der Sache ausfindig zu machen. Der alte Herr ließ sich keine Mühe verdrießen und stieg Treppe auf und Treppe ab, wo er Nachricht von mir zu haben hoffte. Man erfuhr nichts von einem Duell, konnte sonst nichts Ungebührliches gegen mich aufbringen; meine kleinen Schulden waren, und zwar den Tag vorher, alle bezahlt. Es war natürlich, an eine Mädchengeschichte zu denken, und man nannte die Tochter eines ehrsamen Handwerkers, mit welcher ich in Vertraulichkeit sollte gelebt haben. Es war bestimmt eine Lüge; denn die Anmuthung zum Geschlecht ist bei mir sehr späte gekommen. Der alte Graf ging wirklich zu dem Handwerksmanne, dessen Namen ich gar nicht erfahren habe, und trug seine Gedanken so schonend als möglich vor: aber der alte heißköpfige Spießbürger nahm die Eröffnung sehr übel auf und gerieth in Versuchung, den unbefugten Nachforscher zur Ehre seiner Tochter handgreiflich die Treppe hinab zu befördern. Es blieb also den guten Leuten nichts übrig als zu glauben, der Melancholikus habe sich ein Leid angethan. In dieser Vermuthung ließ man mich sogar in die Zeitung setzen; ich habe das Blatt viele Jahre nachher selbst gesehen. Daß ich meine Schulden vorher bezahlt hatte, schien mit ein starkes Argument gegen meinen Verstand zu seyn: ein gräßlicher Gedanke über die Immoralität unserer Jugend!

Als der Graf durch meine Briefe aus Hessen die Geschichte, aber freilich nicht den Grund derselben erfuhr, schien er es für eine gewöhnliche Albernheit zu halten und mich für einen Menschen zu nehmen, den man seinem guten oder bösen Genius überlassen müsse. Ich hatte im Allgemeinen nur Drang die Welt zu sehen vorgeschützt, und nur wenige Hindeutungen auf mein inneres Ich angegeben. Wozu sollten Erörterungen und Auseinandersetzungen führen, die Niemanden frommen konnten? Die Herren würden gedacht haben: contra principia negantem non est disputandum. Also war ich eine Prise des Schicksals, und mußte nun werden, wozu ich an der Hand desselben mich selbst machte.

Man brachte mich als Halbarrestanten nach der Festung Ziegenhayn, wo der Jammergefährten aus allen Gegenden schon viele lagen, um mit dem nächsten Frühjahr nach Fawcets Besichtigung nach Amerika zu gehen. Ich ergab mich in mein Schicksal, und suchte das Beste daraus zu machen, so schlecht es auch war. Wir lagen lange in Ziegenhayn, ehe die gehörige Anzahl der Rekruten vom Pfluge und dem Heerwege und aus den Werbestädten zusammen gebracht wurde. Die Geschichte und Periode ist bekannt genug: niemand war damals vor den Handlangern des Seelenverkäufers sicher; Ueberredung, List, Betrug, Gewalt, alles galt. Man fragte nicht nach den Mitteln zu dem verdammlichen Zwecke. Fremde aller Art wurden angehalten, eingesteckt, fortgeschickt. Mir zerriß man meine akademische Inscription, als das einzige Instrument meiner Legitimirung. Am Ende ärgerte ich mich weiter nicht; leben muß man überall: wo so viele durchkommen, wirst du auch: über den Ocean zu schwimmen war für einen jungen Kerl einladend genug; und zu sehen gab es jenseits auch etwas. So dachte ich. Während unsers Aufenthalts in Ziegenhayn brauchte mich der alte General Gore zum Schreiben und behandelte mich mit vieler Freundlichkeit. Hier war denn ein wahres Quodlibet von Menschenseelen zusammengeschichtet, gute und schlechte, und andere die abwechselnd beides waren. Meine Kameraden waren noch ein verlaufener Musensohn aus Jena, ein banquerotter Kaufmann aus Wien, ein Posamentierer aus Hannover, ein abgesetzter Postschreiber aus Gotha, ein Mönch aus Würzburg, ein Oberamtmann aus Meinungen, ein Preußischer Husarenwachmeister, ein kassirter Hessischer Major von der Festung und andere von ähnlichem Stempel. Man kann denken, daß es an Unterhaltung nicht fehlen konnte; und nur eine Skizze von dem Leben der Herren müßte eine unterhaltende lehrreiche Lektüre seyn. Da es den meisten gegangen war wie mir, oder noch schlimmer, entspann sich bald ein großes Komplott zu unser aller Befreiung. Man hatte so viel gutes Zutrauen zu meinen Einsichten und meinen Muth, daß man mir Leitung und Kommando mit uneingeschränkter Vollmacht übertrug; und ich ging bei mir zu Rathe und war nicht übel Willens, den Ehrenposten anzunehmen und die funfzehnhundert Mann auf die Freiheit zu führen und sie dann in Ehren zu entlassen, einen jeden seinen Weg. Außer dem glänzenden Antrage kitzelte mich vorzüglich, dem Ehrenmanne von Landgrafen für seine Seelenschacherei einen Streich zu spielen, an den er denken würde, weil er verteufelt viel kostete. Als ich so ziemlich entschlossen war, kam ein alter Preußischer Feldwebel zu mir sehr vertraulich. „Junger Mensch,“ sagte er, „Sie eilen in Ihr Verderben unvermeidlich, wenn Sie den Antrag annehmen. Selten geht eine solche Unternehmung glücklich durch; der Zufälle sie scheitern zu machen sind zu viele. Glauben sie mir altem Manne; ich bin leider bei dergleichen Gelegenheiten schon mehr gewesen. Sie scheinen gut und rechtschaffen; und ich liebe Sie, wie ein Vater. Lassen Sie meinen Rath etwas gelten! Wenn die Sache glücklich durchgeht, werden wir nicht die letzten seyn, davon Vortheil zu ziehen.“ Ich überlegte, was mir der alte Kriegsmann gesagt hatte, und unterdrückte den kleinen Ehrgeiz, entschuldigte mich mit meiner Jugend und Unerfahrenheit und ließ die Sache vorwärts gehen. Der Kanonier-Feldwebel hatte Recht; es wurde alles verrathen: ein Schneider aus Göttingen, der ein Stimmchen sang, wie eine Nachtigall, erkaufte sich durch die Schurkerei eine Unteroffizierstelle bei der Garde, und da man ihn dort gehörig würdigte und er des Lebens nicht mehr sicher war, die Freiheit und eine Hand voll Dukaten. Ich erinnere mich der Sache noch recht lebhaft. Alle Anstalten zum Ausbruch waren getroffen. Wir lagen in verschiedenen Quartiren, in den Kasernen, dem Schlosse und einem alten Rittersaale. Man wollte um Mitternacht auf ein Zeichen ausziehen, der Wache stürmend die Gewehre wegnehmen, was sich widersetzte niederstechen, das Zeughaus erbrechen, die Kanonen vernageln, das Gouvernementshaus verriegeln und zum Thore hinaus marschiren. In drei Stunden wären wir in Freiheit gewesen; Leute, die Weg wußten, waren genug dabei. Als wir aber den Tag vorher abtheilungsweise auf den Exercirplatz kamen, fanden wir statt der gewöhnlichen zwanzig Mann deren über hundert, Kanonen auf den Flügeln mit Kanonieren, die brennende Lunten hatten, und Kartetschen in der Ferne liegend. Jeder merkte was die Glocke geschlagen hatte. Der General kam und hielt eine wahre Galgenpredigt. „Am Thore sind mehr Kanonen,“ rief er, „wollt Ihr nicht gehen?“ Die Adjutanten kamen und verlasen zum Arrest, Hans, Peter, Michel, Görge, Kunz. Meine Personalität war eine der ersten: denn daß der verlaufene Student nicht dabei seyn sollte, kam den Herren gar nicht wahrscheinlich vor. Da aber niemand etwas auf mich bringen konnte, wurde ich, und vermuthlich noch mehr der Menge wegen, bald los gelassen. Der Prozeß ging an; zwei wurden zum Galgen verurtheilt, worunter ich unfehlbar gewesen seyn würde, hätte mich nicht der alte Preußische Feldwebel gerettet. Die übrigen mußten in großer Anzahl Gassen laufen, von sechs und dreißig Malen herab bis zu zwölfen. Es war eine grelle Fleischerei. Die Galgenkandidaten erhielten zwar nach der Todesangst unter dem Instrument Gnade, mußten aber sechs und dreißig Mal Gassen laufen und kamen auf Gnade des Fürsten nach Kassel in die Eisen. Auf unbestimmte Zeit und auf Gnade in die Eisen, waren damals gleichbedeutende Ausdrücke und hießen so viel, als ewig ohne Erlösung. Wenigstens war die Gnade des Fürsten ein Fall, von dem Niemand etwas wissen wollte. Mehr als dreißig wurden auf diese Weise grausam gezüchtiget; und Viele, unter denen auch ich war, kamen bloß deßwegen durch, weil der Mitwisser eine zu große Menge hätten bestraft werden müssen. Einige kamen bei dem Abmarsch wieder los, aus Gründen, die sich leicht errathen lassen: denn ein Kerl, der in Kassel in den Eisen geht, wird von den Engländern nicht bezahlt.

Endlich ging es von Ziegenhayn nach Kassel, wo uns der alte Betelkauer in höchst eigenen Augenschein nahm, keine Sylbe sagte und uns über die Schiffbrücke der Fulda, die steinerne war damals noch nicht gebauet, nach Hannöverisch-Minden spedirte. Unser Zug glich so ziemlich Gefangenen: denn wir waren unbewaffnet, und die bewehrten Stiefletten-Dragoner und Gardisten und Jäger hielten mit fertiger Ladung Reihe und Glied fein hübsch in Ordnung. Ich genoß, trotz der allgemeinen Mißstimmung, doch die schöne Gegend zwischen den Bergen am Zusammenfluß der Werra und der Fulda, die dort die Weser bilden, mit zunehmender Heiterkeit. Das Reisen macht froher, und unsere Gesellschaft war so bunt, daß das lebendige Quodlibet alle Augenblicke neue Unterhaltung gab. So ging es denn auf sogenannten Bremer Böcken den Strom hinab. Nicht weit von Hameln, glaube ich, machte man eine Absonderung der Preußen, die man nicht durch Preußisch-Minden bringen durfte, und ließ sie einen Marsch zu Lande machen, um das Preußische zu vermeiden. Da mir das zusammengedrückte eingepökelte Wesen auf den kleinen langen Fahrzeugen nicht sonderlich behagen wollte, meldete ich mich als Preußen beim Verlesen. Der Officier sahe in die Liste und sagte, „hier steht ja ein Sachse.“ „So?“ sagte ich; „nun so will ich ein Sachse bleiben.“ Er schwieg, ließ mich aber, nachdem alle verlesen waren, mit den Preußen aussteigen. Man stellte sich und es ging zu Lande weiter. Ich hatte damals die Gewohnheit, ein Buch zwischen Weste und Beinkleider unter den Gürtel zu stecken. Das Buch mochte diesmal etwas zu stark seyn und den Leib unförmlich machen. „Was Teufel, ist der Kerl schwanger?“ sagte ein Hauptmann Lesthen, der eben vor mir stand, und hob die Weste beim Flügel auf, und es wurde der Julius Cäsar zu Tage gefördert. „Was Henker, macht er denn mit dem Buche?“ fuhr er fort. „Ich lese darin;“ war meine Antwort. „Wo hat Er denn das Latein gelernt?“ „Das Latein pflegt man gewöhnlich in der Schule zu lernen.“ Er schüttelte den Kopf. Ich hatte in dem Buche eine Menge Randnoten aus dem Vegez, Frontin und andern Alten und Neuen, auch wohl von mir selbst niedergeschrieben. „Von wem sind denn die Bemerkungen hier?“ „Von mir; und vor mir von den angegebenen Herren.“ Er sah mich fest an und endigte mit dem spöttischen Abschied: „Er wird wohl einmal ein recht großer Mann werden.“ „Schwerlich,“ sagte ich; „das ist unter den Deutschen gar nicht wahrscheinlich: aber wenigstens will ich nicht Schuld seyn, daß es nicht wird.“ Nun ging es fort; und ich las, ohne eben weiter einen Zweck zu denken, in den Ruhestunden zuweilen nach meiner Weise einige Kapitel, aus bloßem Bedürfniß, mich besser zu beschäftigen, als ich in meinen Umgebungen sonst wohl konnte. Hier entspann sich in einem Nachtquartiere wieder ein Komplott und sollte der Kürze wegen, und da unsere Bedeckung nicht sehr stark war, sogleich ausgeführt werden: ich habe aber die Beschaffenheit desselben nicht recht erfahren können. Diese Rekrutenabtheilung bestand aus lauter Preußischen Landeskindern und Preußischen Deserteuren, die beständig vom alten Fritz und Seidlitz und Schwerin sprachen und sich nichts Kleines dünkten. Aber weiß der Himmel, wie es war laut geworden: der kommandirende Officier requirirte sogleich die ganze bewaffnete Bürgerschaft und die Bauern aus der Gegend, machte ächt militärisch Miene, uns in der alten Kirche, wo wir lagen, zusammen zu schießen; und es ging alles wieder ganz ruhig bis an die Weser auf die Bremer Böcke. Hier half mir meine stoische Genügsamkeit und meine Humanität einen Streich machen, der mir in meiner Sphäre zu keiner kleinen Ehre gereichte. Gewinnsucht und Leidenschaft regirt, wie bekannt, die Welt. Damit wir nicht verhungerten, hatte ein Entrepreneur, ein Marketender im Großen, für keine kleine Summe sich anheischig gemacht uns zu beköstigen. Man weiß, wie es geht. Wir wollten eben so viel als möglich essen, und er wollte so viel als möglich gewinnen, welches sich zusammen nicht wohl vertrug. Fast unsere ganze Löhnung ging auf die Menage; und der Klagen liefen bei dem Obersten von Hatzfeld, der den Transport kommandirte, viele ein. Der Mann hatte ein Gefühl für Recht und that was er konnte, den Speisewirth zur guten Behandlung zu nöthigen. Da Ermahnungen bei Gewinnsüchtigen gewöhnlich vergeblich sind, wurden wechselsweise von dem Transport nach den Schiffen Deputirte gewählt, die auf dem Kochschiffe nach dem Recht sehen sollten. Indeß es ging mit den Deputirten wie im englischen Parlament. Dort besticht man mit Guineen, Stellen und Pensionen; hier bestach man mit Wein, Schnaps und Kuchen: und so ging es denn, hier wie dort, nicht viel besser als vorher. Als die Reihe mein Schiff traf, wurde ich von der Rekrutenschaft einstimmig zum Deputirten erwählt. Auf dem Kochschiffe wollte man mich, wie gewöhnlich höflich mit dem Weinglase empfangen und mit Konfect in der Kajüte halten. Ich habe gefrühstückt, war mein Bescheid, und blieb bei den Kesseln stehen, um zu sehen, daß die gehörige Quantität Fleisch und Gemüse hinein kam. Als die Kähne kamen, um zu holen, drang ich darauf, daß die Menagekessel voll gegeben wurden. Wir werden nicht auskommen, sagte man. Wir werden wahrscheinlich auskommen, sagte ich, auf meine Gefahr: denn so viel hatte ich noch rechnen gelernt. Es blieb viel übrig, ich ließ zum zweitenmal holen und alle erhielten eine sehr gute Mahlzeit. Noch blieb viel übrig; doch nicht so viel, daß man noch einmal von vorn hätte anfangen können. Da kamen unsere Zwangswächter, die Dragoner, vom Ufer mit ihren Töpfen. Eine vorlaute schnippische Köchin wollte austheilen und von den armen Teufeln Weißpfennige dafür einnehmen. „Was soll das?“ rief ich: „das Essen ist unser, wir haben es bezahlt; die Leute müssen den Rest unentgeltlich haben.“ Das Liebchen ward böse, und ich ergriff im Amtseifer den Schöpflöffel und theilte aus bis auf den Boden, ohne einen Heller zu nehmen oder nehmen zu lassen. Die alten Kerle drückten mir freundlich die Hand. „Wir sehen leider deutlich genug,“ raunte mir einer zu, „wie Ihr betrogen werdet; können aber nicht helfen.“ Als die belobte Kesselprinzessin es noch einmal wagte, mich zu stören, schlug ich sie im Aerger so heftig mit der Schöpfkelle auf die Hand, daß sie laut schreiend und drohend zum Prinzipal in die Kajüte sprang. Da man mich aber so fest entschlossen sahe, unterstand man sich nicht mich weiter anzutasten. Ich bekam vom Ufer und von den Böcken eine Menge Dankadressen, mit der Versicherung, daß man noch nicht so gut und so reichlich gespeist habe: und diese Dankadressen hatten wohl wenigstens einen eben so guten Grund, als die im Parlamente. Man nehme es, wie man will, ich halte diesen Tag für einen der schönsten meines Lebens: und das Bewußtseyn macht mich stolz, daß ich als erster Volksdeputirter, trotz jeder Versuchung, Schmeichelei oder Drohung, mit eben der beharrlichen Entschlossenheit würde gehandelt haben. Die Sache lief unter den Officieren herum, und ein jeder machte seine Glossen darüber nach seiner Sinnesweise. Die Reihe Deputirter zu seyn kam nicht wieder an unsern Bock, also auch nicht wieder an mich.

So fuhren wir denn den ganzen Strom hinab von Minden bis zu Bremerlee, wo uns die englischen Transportschiffe erwarteten. In Minden auf der Wiese besichtigte uns der Mäkler Fawcet, und es gab von den Dragonerunterofficieren und Gardisten einige freundliche Rippenstöße, weil wir nicht laut und voll und sonorisch genug: Es lebe der König! schrien. Da ich als ein kleiner Kerl im Ranzengliede, das heißt im mittelsten, stand, entging ich den Puffen, ohne eine Sylbe zu sagen genöthigt zu seyn. Aber den Hut mußte ich wenigstens mit schwingen.

Es würde mir ein hoher Genuß gewesen seyn, an der Hand eines Freundes und Geschichtskenners die Partien der Weser von Korvey bis Bremen zu besehen, wo die Schönheiten der Natur durch den Gedanken der alten jetzt verlorenen Nationalehre magisch beleuchtet werden: aber damals war unsere Reise ein sklavisches dumpfes Hinstarren auf die Gegenden, wo ehemals Männer für ein besseres nicht so üppiges Vaterland kämpften. Von Varus bis zu Bonifaz herab schwebten mir dunkel die Scenen vor; Bonifaz, der mit heiliger Einfalt die heroische Tugend vertrieb und die feinergewebte Sklaverei spann, die uns zum Spielwerk Anderer gemacht hat. Von Bremen bis Bremerlee fuhren wir in andern Fahrzeugen, die schon See halten können, aber sich nicht weit von den Küsten entfernen. Unbekümmert legte ich mich Abends hin und schlief mitten auf dem Strome und war sehr verblüfft, als unsere ganz kleine Flotte des Morgens am Ufer ganz trocken da saß, und wartete bis die Fluth sie wieder empor hob: doch waren wir alle nicht halb so verblüfft, als bei der ähnlichen Erscheinung Alexanders Soldaten auf dem Indus.

In den englischen Transportschiffen wurden wir gedrückt, geschichtet und gepöckelt wie die Heringe. Den Platz zu sparen, hatte man keine Hangematten, sondern Verschläge in der Tabulatur des Verdecks, das schon niedrig genug war: und nun lagen noch zwei Schichten übereinander. Im Verdeck konnte ein ausgewachsener Mann nicht gerade stehen, und im Bettverschlage nicht gerade sitzen. Die Bettkasten waren für sechs und sechs Mann; man denke die Menage. Wenn viere darin lagen, waren sie voll; und die beiden letzten mußten hineingezwängt werden. Das war bei warmem Wetter nicht kalt: es war für einen Einzelnen gänzlich unmöglich sich umzuwenden und eben so unmöglich auf dem Rücken zu liegen. Die geradeste Richtung mit der schärfsten Kante war nöthig. Wenn wir so auf einer Seite gehörig geschwitzt und gebratet hatten, rief der rechte Flügelmann: „Umgewendet!“ und es wurde umgeschichtet: hatten wir nun auf der andern Seite quantum satis ausgehalten, rief das Nämliche der linke Flügelmann; und wir zwängten uns wieder in die vorherige Quetsche. Das war eine erbauliche vertrauliche Lage, ungefähr wie im hohen Paradiese, wenn auf der Bühne des Volks Lieblingsstück gegeben wurde.

Ich habe vor vielen vielen Jahren diese liebliche Fahrt als Ouvertüre meines Schriftstellerwesens in Archenholzen’s nun fast vergessenem Journal „Literatur- und Völkerkunde“ mitdrucken lassen, will aber hier, um den Faden nicht zu unterbrechen, das Wesentlichste wieder hersetzen. Daß das obengenannte Menschenragout die Unterhaltung unterhielt, wird man nicht zweifeln. Die Seele derselben war ein dort vergessener ehemaliger französischer Officier aus dem siebenjährigen Kriege, mit Namen Dechar, der seit der Zeit abwechselnd gemeiner Preußischer Dragoner und Füselir-Unterofficier und Sprachmeister und Fechtmeister, Unterofficier und polnischer Revolutions-Hauptmann gewesen war, abwechselnd Gassen gelaufen, unter dem Galgen gestanden und im Felde Kanonen genommen hatte, der in Frankfurt am Main und Kassel, Berlin und Warschau, Breslau und Jauer alle Winkel kannte, alles Gute und Schlechte wußte, wie ein Achill focht und wie Heliogabal fraß und soff, wie Aristarchus sprach und wie Epikurs Küchenjunge lebte. Das Leben dieses Abenteurers allein würde Stoff zu einem großen Gemälde geben. Der schlechteste, gelehrteste und traurigste Gesellschafter war der gute Exmönch aus Würzburg, von dessen entsetzlichem Ende ich hernach noch Einiges sagen will.

Es war mir doch ein sonderbares Gefühl, als ich den andern Morgen auf das Verdeck trat, und zum ersten Mal nichts als Himmel und Wasser um mich sah. Der Ocean wogte majestätisch, und die Schiffe tanzten magisch wie kleine Spielwerke auf der unbegränzten, ungeheuren Fläche: der Himmel war bewölkt und theilte dem Wasser seine tiefe ernsthafte Farbe mit. Ich war wirklich in einer andern Welt und fühlte mich abwechselnd größer und kleiner, nachdem eine erhabene oder bange Empfindung eben in der Seele herrschte. So war es, als unter meinem Fuße Gewitter rollten und furchtbar schöne Zauberwelten bildeten, neben mir die schwarzrothen Wolkensäulen des Aetna stürmten, und über mir die milden Sonnenstrahlen Wärme umhergossen und weithin die ganze große Insel mit ihrer Fabelwelt magisch färbten. Bald kam Sturm und mit ihm die Seekrankheit. Beide waren weiter nicht gefährlich, aber doch den Neulingen furchtbar genug. Fünfe von der sechsmännischen Menage waren krank; ich blieb leider allein gesund. Die Seekrankheit ist nichts als die Wirkung der ungewöhnlich heftigen Bewegung, der man nicht Einhalt thun kann. Man hat ähnliche Erscheinungen genug auf dem Lande. Reiten und Fahren, vorzüglich rücklings, Schaukeln, Karousseldrehen und ähnliche gymnastische Uebungen sind die besten Vorbereitungen zu Seereisen. Die nächsten Vorkehrungen sind, wenig essen und hart und kalt, und wenig trinken und kalt und säuerlich: also ist Wurst, Schinken und dergleichen und Limonade und Wein vielleicht die gemessenste Diät die ersten Tage zur See. Ich sage, ich blieb leider gesund; auch für mich leider! Die Seeluft giebt gewaltigen Appetit; die Schiffsportionen waren klein. Da Niemand aus der Menage essen konnte, hatte ich die Fülle zur Sättigung und konnte Vorrath von Zwieback sammeln, so daß ich wirklich eine ganze große Nachtmütze voll hatte. Bald kam einer und forderte seine Portion, dann der andere, dann der dritte, und so fort; in kurzer Zeit war ich auf mein eigenes kleines Kontingent gesetzt. Die Genesenen waren durch die Krankheit und das Fasten gehörig auf die beschränkte Portion vorbereitet; die Gesunden hingegen hatten eine sehr unangenehme Speisekapacität gewonnen. Bald war mein kleiner Vorrath aufgezehrt, und mein Magen war bei der ganzen Portion auf ein sehr unbehagliches Halbfasten reducirt. Hier sorgte denn zufällig die Muse für ihren Zögling. Ich saß auf dem Quarterdeck und las eben Horazens „Angustam, amici, pauperiem,“ als der dicke Steuermann mich sehr unfreundlich von der Bank schleudern wollte. Ich brummte meine Unzufriedenheit in meinem Bißchen Englisch, das ich von Rogler gelernt hatte, so gut ich konnte, und wollte hinunter in meinen Kasten schleichen, wo ich mich von Niemand hudeln ließ. Der Kapitän kam dazu, guckte mir in das Buch und hieß mich sitzen bleiben. Als er einige Anordnungen gemacht hatte, kam er zurück und fing eine Art von Unterhaltung mit mir an: „You read latin, my boy?“ — „Yes, Sir.“ — „And you understand it?“ — „I believe, I do.“ — „Very well; it is a very good diversion in the situation, you are in.“ — „So I find, Sir; indeed a gread consolation[1].“ So ging es denn freundlich und theilnehmend weiter. Er nahm mich mit in seine Kajüte und zeigte mir seine Reisebibliothek, die aus guten Engländern und einigen Klassikern bestand, und versprach mir, wenn ich die Bücher gut halten würde, mir zuweilen eins daraus zu leihen. Durch seine Freundschaft erhielt ich etwas mehr Freiheit auf dem Schiffe, zumal da ich etwas Vergnügen am Seewesen zeigte und in wenigen Tagen mir die Nomenklatur der Taue und Segel merkte und sehr flink und sicher oben in dem Mastwerke mit herum lief. Es war wieder das Bedürfniß der Thätigkeit, die mir allerhand kleine Vortheile schaffte und mich vorzüglich gesund erhielt. Da der Kapitän wohl merkte, daß die Schiffsportion meinem exemplarischen Appetit nicht zureichend war, ließ er mir großmüthig heimlich zuweilen eine Nachtmütze voll Zwieback und Rindfleisch zukommen, welches in der That im eigentlichsten Verstande ein sehr wohlthätiges Stipendium war.

[1] „Du liesest Latein, mein Sohn?“ — „Ja, Herr!“ — „Und verstehst es?“ — „Ich glaube.“ — „Sehr gut: das ist eine sehr gute Zerstreuung in Deiner Lage.“ — „Das finde ich auch, mein Herr! Es ist in der That ein großer Trost für mich.“

Die Kost war übrigens nicht sehr fein, so wie sie nicht sehr reichlich war. Heute Speck und Erbsen und morgen Erbsen und Speck; übermorgen pease and pork und sodann pork and pease: das war fast die ganze Runde. Zuweilen Grütze und Graupen, und zum Schmause Pudding, den wir aus muffigem Mehl halb mit Seewasser, halb mit süßem Wasser, und altem Schöpsenfett machen mußten. Der Speck mochte wohl vier oder fünf Jahr alt seyn, war von beiden Seiten am Rande schwarzstriefig, weiter hinein gelb, und hatte nur in der Mitte noch einen kleinen weißen Gang. Eben so war es mit dem gesalzenen Rindfleische, das wir in beliebter Kürze oft roh als Schinken aßen. In dem Schiffsbrote waren oft viele Würmer, die wir als Schmalz mitessen mußten, wenn wir nicht die schon kleine Portion noch mehr reduciren wollten: dabei war es so hart, daß wir nicht selten Kanonenkugeln brauchten, es nur aus dem gröbsten zu zerbrechen; und doch erlaubte uns der Hunger selten es einzuweichen; auch fehlte es oft an Wasser. Man sagte uns, und nicht ganz unwahrscheinlich, der Zwieback sei französisch; die Engländer haben ihn im siebenjährigen Kriege den Franzosen abgenommen, seit der Zeit habe er in Portsmouth im Magazine gelegen, und nun füttere man die Deutschen damit, um wieder die Franzosen unter Rochambeau und Lafayette, so Gott wolle, todt zu schlagen. Gott muß aber doch nicht recht gewollt haben. Das schwergeschwefelte Wasser lag in tiefer Verderbniß. Wenn ein Faß heraufgeschroten und aufgeschlagen wurde, roch es auf dem Verdeck wie Styx, Pflegethon und Kocytus zusammen: große fingerlange Fasern machten es fast konsistent; ohne es durch ein Tuch zu seigen war es nicht wohl trinkbar: und dann mußte man immer noch die Nase zuhalten, und dann schlug man sich doch noch, um nur die Jauche zu bekommen. An Filtriren war für die Menge nicht zu denken. Guten ehrlichen Landmenschen kommt dieses ohne Zweifel schrecklich vor: aber wer Feldzüge und Seefahrten mitgemacht hat, findet darin nichts ungewöhnliches. Rum wurde gegeben und zuweilen etwas Bier, welches dem Porter ähnlich war und bei den Matrosen strong beer hieß. Da ich den ersten nicht genießen konnte, tauschte ich ihn gegen das letzte aus, welches mir Wohlthat war. Zuweilen wurde mir auch eine Flasche Porter zugesteckt, da ich am Wein durchaus keinen Geschmack fand.

Stürme hatten wir oft, und einmal so stark, daß uns der Aufsatz des Vordermastes und die große Raa zerbrach. Die Thürmung der Wogen, das Heulen der Winde durch die Segel, das Schlagen und Klirren der Taue, das Donnern der Wellen an die Borde, das Geschrei und Lärmen des Schiffsvolks, der ganze furchtbar empörte Ocean, alles ist in dem Neuling schrecklich: aber bald wird man es gewohnt und schläft ruhig unter dem Kampfe der Elemente. Der sybaritische Amtmann am Rheine, der die Nachtigallen wegschießen ließ, weil sie ihn im Schlafe störten, könnte keine bessere Kur brauchen, als eine Reise über den Ocean — zumal in einem englischen Transportschiffe. Nichts giebt aber auch dem Sinn ein größeres Bild von der Kraft des menschlichen Geistes als das Regiment eines großen Schiffes. Man nehme eines aus der Linie. Man gebe ihm neunzig Kanonen; es ist noch keines von den ersten. Sie sind alle von dem größten Kaliber. Für jedes Stück habe man zweihundert Schüsse an Pulver und Kugeln: welcher Vorrath! Segel und Taue und Stangenwerk; vieles doppelt: eine Besatzung von tausend Mann, welche ungeheure Masse für ein Auge, das sie zusammen auf dem Lande sieht! Für diese Mannschaft Lebensmittel an Essen und Trinken für viele Monate. Dieses alles in einer einzigen Maschine beisammen, mit welcher die Wogen wie mit einem Federballe spielen: und dieses ungeheure Ganze führt der menschliche Geist stolz und ruhig durch empörte Elemente hin und her nach seiner Wahl. Kurio’s Theater, die sich mit halb Rom auf einem Schwerpunkt drehten, als ob sie der Weltbeherrscher spotteten, waren kaum eine größere Erscheinung.

Wir fuhren nicht durch den Kanal und die spanische See, weil damals noch die Franzosen und Spanier dort mit Flotten kreuzten und auf uns lauerten; sondern segelten um die Inseln nördlich an den Orkaden weg. Der Sturm trieb uns weit weit nordwärts: und der Sicherheit wegen gab man vielleicht mehr nach als nöthig war. Wir konnten muthmaßlich nicht weit von Grönland sein; wir froren tief im Sommer, daß wir zitterten Tag und Nacht. Alles ging schlecht genug: wir brachten über einer Fahrt, die sonst gewöhnlich nur vier Wochen dauert, zwei und zwanzig zu. Die Portionen wurden noch knapper an Brot und Fleisch und Wasser; und meine Bekanntschaft mit dem Kapitän war mir noch wohlthätiger. Krankheiten nahmen sehr überhand; doch starben von ungefähr fünfhundert Mann nur sieben und zwanzig, wenn ich nicht irre. Einige meiner nähern Bekannten waren darunter, und unter andern der Exmönch aus Würzburg. Er hatte für einen Mönch recht artige Kenntnisse, wußte viel Geschichte und Mathematik und sprach besser als gewöhnlich Latein. Er war vom Anfange an meine Zuflucht gewesen, wenn die Langeweile sich meiner zuweilen zu bemächtigen drohte: aber vom Anfange an zeigte er einen Mißmuth und eine Gleichgültigkeit gegen das Leben, die ich für nichts weniger als philosophisch hielt. Perfer et obdura war schon damals eines meiner Schibolete, und ich hielt es billig für entehrend, mich von gewöhnlichen Streichen des Schicksals niederschlagen zu lassen. In Ziegenhayn und auf dem Marsche hatte ich alle Mühe, den Kleinmüthigen aufrecht zu halten. Auf dem Flusse waren wir getrennt, und als wir auf dem Schiffe wieder zusammen kamen, hatte er so völlig Verzicht auf das Leben gethan, daß keine Kraft mehr zu wecken war. Das Kloster ist freilich keine Vorbereitung zum Felde. Es fehlte ihm nichts als Lebensmuth; aber Faulheit und Indolenz, die er wohl Resignation und Apathie nannte, hatten sich seiner in einem solchen Grade bemächtigt, daß er sich fast nicht mehr von der Stelle bewegte. Ein Faulthier war die Thätigkeit selbst gegen ihn. „Wenn ich auch über den Ocean komme,“ sagte er, „so geht dort drüben das Elend erst recht an. Noth und Mangel und Mühseligkeit ist die ganze Aussicht, bis uns ein Rifleman durch die Lunge schießt, oder ein Mohak skalpirt.“ Da hatte die Klosterseele freilich nicht ganz Unrecht; aber ein braver Kerl hält aus bis zuletzt: und es ist doch wohl der schändlichste Tod, aus reiner absoluter Faulheit zu sterben. Nur im Kloster kann eine solche Gedankenmißgeburt entstehen. Er blieb entschlossen, dem Elend nicht entgegen zu leben: und mir war es eine neue Erscheinung, von welcher mir keine Erfahrungsseelenkunde etwas gesagt hatte, daß man ohne alle weitere Krankheit und Veranlassung aus bloßer Indolenz sterben könne. Kein Arzt konnte die geringste Krankheitsanzeige finden, und er klagte über nichts, als über das jämmerliche Leben und die noch jämmerlichere Aussicht. Man prügelte ihn zur Bewegung, zum Luftschöpfen, zum Waschen, zum Essen sogar; ohne Prügel that er von allen dem nichts: nur Rum trank er noch ein wenig ungeprügelt. Endlich ward man das Prügeln überdrüssig und ließ ihn liegen: von dem Augenblicke an wurde nichts mehr gewaschen, gekämmt und gebürstet, und fast nichts mehr gegessen. Er lag in den Hinbrüten des Todes. So lange ich konnte, besuchte ich ihn in seinem Kasten neben den Aufgegebenen und versuchte noch, was Vernunft vermochte; endlich machte es mir die Selbsterhaltung zur Pflicht, mich zu entfernen. Nach dem Tode wollte das Klosterkadaver Niemand anrühren, welches sehr zu entschuldigen war. Man suchte die schmutzigsten Gesellen aus und gab ihnen zur Belohnung Rum, daß sie den Todten über Bord warfen. Ich hatte doch noch so viel Theilnahme oder Neugierde, man nenne es, wie man will, mich zu nähern und die Erscheinung zu sehen. Es war ein gräßliches Bild menschlichen Elends und menschlicher Verworfenheit, das ich, Gott sei Dank, bei aller meiner Erfahrung nie wieder gesehen habe. Einige Monate hatte sich der Mensch nicht rasirt und in seinem Unrath gelegen. Das Hemde, dessen Farbe man nicht mehr erkennen konnte, das Kopfhaar, der Bart und die Augenbraunen und Wimpern wimmelten von Insekten, als ob er an der Phthiriase gestorben wäre, welches doch bestimmt der Fall nicht war: denn vorher hielt er sich leidlich reinlich.

Einige Monate ist das Herumschwimmen auf dem Ocean, bei gehörigen Veränderungen, so lange die Erscheinungen neu sind, keine üble Parthie; zumal wenn man so in zahlreicher Gesellschaft segelt, wie wir. Unsere Flotte von Transportschiffen aller Art, begleitenden Kriegsschiffen und Kaufmannsfahrzeugen, die die Gelegenheit der Sicherheit benutzten, mochte sich wohl auf siebzig Segel belaufen: und der Abend und Morgen einer solchen schwimmenden Kolonie hat sein Angenehmes, wenn die See nicht zu hoch und zu still ist. Besonders hat das Geläute etwas traulich Heimisches und doch etwas sehr Feierliches auf der unermeßlichen Fläche, daß ich nicht selten zu einem sehr innigen Gebet gestimmt wurde. Was weder Vernunft noch Gefahr bewirken, bewirkt oft die magische Psychagogie der Töne durch das Gefühl.

Wenn ich nicht mit den Matrosen arbeitete, lag ich bei schönem Wetter mit dem Virgil oben im Mastkorbe und verglich unsern überstandenen Sturm mit dem seinigen, und fand ihn nie so lebendig wahr, als eben jetzt, wo ich an den vorigen dachte und den kommenden erwartete. Sein „Insequitur clamorque virum, stridorque rudentum“ ist einfach malerisch schön, daß es den ganzen Auftritt giebt. Das hat er selbst gefühlt, weil es mit wenigen Veränderungen in allen seinen Beschreibungen eines Seesturms wieder kommt. Wenn wir auch nicht wüßten, daß er zur See war, aus diesen Stellen würden wir es fast untrüglich schließen können; so wie ich aus seiner Beschreibung des Atlas schließe, daß er nie auf einem Berge erster Höhe war. Ob ich gleich viele Hülfsmittel der Beschäftigung in und außer mir hatte, die den Andern fehlten, so fing das Einerlei der Scenen doch endlich an mir lästig zu werden. Das Kabeliauangeln und das Einsalzen zu Laberdan auf einigen Bänken in der Nähe von Amerika gab einige Tage wieder gutes Essen und gute Unterhaltung. Ich erinnere mich, daß wir einmal so reichlich fingen, daß außer der Vertheilung eilf Tonnen in einem Nachmittage eingesalzen wurden. Keine Leber von irgend einem Thier zu Wasser und zu Lande ist mir feiner und schmackhafter vorgekommen, als die Leber vom Kabeliau; so wie der Fisch selbst, frisch zubereitet und genossen, einer der köstlichsten ist. Ich würde ihn gleich nach dem Sterled und Thunfisch setzen, und ihn dem Lachse vorziehen; zumal da er auch viel zarter und gesunder ist.

Endlich bekamen wir das Ufer von Akadien zu Gesichte und liefen unter ungemeinem Freudengeschrei in der Bucht von Hallifax ein. Hallifax ist unstreitig einer der besten Hafen am Ocean, vielleicht der beste, für eine unzählige Menge Schiffe; sicher gegen alle Stürme. Die Insel und das Fort St. George nebst einigen starken Landbatterien vertheidigen den Eingang: und es gehört schon eine ziemliche Menge dazu, ihn zu forciren. Seine Lage ist so, daß er mit Fleiß und Aufwand unbezwinglich gemacht werden kann, wenn man nur die Landseite zu vertheidigen im Stande ist.

Man brachte uns wahrscheinlich nach Hallifax, weil es in Neuyork und den andern Provinzen schon höchst mißlich mit den Royalisten stand, und man das Ausschiffen kaum wagen durfte. Der Tag der Ausschiffung war einer der schönsten und einer der schlimmsten. Zwei und zwanzig Wochen waren wir herumgeschwommen, ohne das geringste Land gesehen zu haben. Da wir keine brittischen Amphibienseelen waren, sehnte sich Alles ohne Ausnahme nach festem Fuße; zumal da der Scharbock empfindlich zu werden anfing. Es war ein Hungertag, da uns die Schiffe an das Land wiesen, und das Landkommissariat, zumal da das Ausschiffen sich sehr spät verzögerte, noch nicht geliefert hatte. Doch vergaß Jeder in der Freude gern die Forderung des Magens, wenn er nur den Boden begrüßen konnte. Ich erinnere mich dabei eines sehr wehmüthigen Auftritts. Ich war einer der Ersten am Lande, und hatte nebst einigen Andern eine kleine Quelle herrlichen Wassers am Ufer im Sande entdeckt. Lange hatten wir diese köstliche Erquickung entbehrt; wir tranken mit Wollust und großen Zügen. Schnell erscholl die Entdeckung und die Hungrigen und Durstigen stürzten in Haufen nach dem kleinen spiegelhellen Wasserschatze, drängten sich, stießen sich, Jeder wollte gierig der erste Theilnehmer sein: in dem Getümmel gerieth der Sand des abschüssigen Ufers in Unordnung, gab nach, und in einem Augenblicke war die ganze kleine herrliche Quelle versandet. Sie brauchte Stunden, um sich wieder zu läutern, und die Menge stand traurig um sie herum und betrachtete lechzend den Verlust.

Als ich vom Schiffskapitän Abschied nahm, drückte er mir mit herzlicher Freundlichkeit die Hand. „It is a pity, my boy,“ sagte er, „you do not stay with us; you would soon become a very good sailor.“ „Heartily I would,“ sagte ich, „but you see, it is impossible.“ „So it is,“ rief er, „god speed you well[2]!“ Mit einem dankbaren Wunsche für den menschenfreundlichen Mann stieg ich die Leiter hinab ins Boot und ruderte dem Ufer zu. Das Ufer um Hallifax her ist unfreundlich, ziemlich öde und unfruchtbar. Der Ort, der uns zum Lager angewiesen wurde, war abhängiger Felsenboden. Wir kamen spät ans Land, und ehe die Bedürfnisse herbeigeschafft wurden, ward es fast Nacht. Die Zelte kamen an und sollten aufgeschlagen werden. Man hatte mich zum Unterofficir ernannt; ich sollte also für das Aufschlagen sorgen. Nun hatte ich in meinem Leben nur ein einziges Lager ganz nahe gesehen und wußte von der Maschinerie eines Zeltes nicht einen Pfifferling. „Schlippe,“ sagte ich zu einem alten Preußischen Grenadir, der mir zugetheilt war, „Latein und Griechisch verstehe ich so ziemlich, aber wenig vom praktischem Militär; helfe Er mir durch, vielleicht kann ich wieder durchhelfen.“ Der alte Satyr lächelte, ergriff das Beil, nahm einige mit sich, that als ob er meine weisen Befehle ausführte und in einer Stunde stand unser Zelt, trotz den übrigen so gut da, als es der harte Boden erlauben wollte. Die Schwierigkeit war nicht klein, da die Zeltstangen und Zeltpflöcke erst aus dem Walde geholt und gehauen werden mußten. Die Nacht kam ein Sturm, wie ein Orkan, der unsrer Architektur weidlich spottete. Den folgenden Morgen standen vom ganzen Lager nicht zehn Zelte mehr fest; das unsrige stand nur halb; viele hatte der Wind in den Morast hinabgetrieben. Nun fingen wir an, etwas solider zu bauen, wozu uns auch die Kälte trieb; denn es war schon spät im Jahr und ein cimmerisches Wetter auf der verdammten Landzunge.

[2] „Es thut mir leid, mein Sohn, daß Du nicht bei uns bleibst. Du würdest bald ein guter Seemann geworden seyn?“ — „Herzlich gern wollt’ ich’s; aber Sie sehen, das es unmöglich ist.“ — „Das ist es, Gott sei mit Dir!“

Da man den Transport nicht zu den Regimentern bringen konnte, wurden wir in ein Bataillon von fünf Kompagnieen formirt und sollten für uns Dienste thun. Das ging toll genug; der Oberste Hatzfeld that sein Möglichstes, das Gesindel in Ordnung zu bringen. Fast die Hälfte waren gediente Leute; das machte die Sache etwas leichter: nur waren, wie natürlich, die besten Soldaten fast immer die liederlichsten Kerle. Ich als Unterofficir sollte nun den Exercirmeister machen und wußte selbst noch blutwenig. „Schlippe,“ sagte ich wieder, „Er sieht wohl, daß es mit mir noch etwas hapert. Wir wollen täglich eine Stunde in den Wald gehen, als obs zur Jagd wäre: da ist Er wohl so gut, mir einige Handgriffe gründlicher zu zeigen, als ich sie bis jetzt gefaßt habe.“ Der alte Satyr lächelte, und meinte: „es würde schon gehen; zur Noth auch ohne ihn.“ Es ging; gerade wie bei einem Professor, qui docendo discit, ward es täglich mit mir besser; und bald galt ich für einen Kerl, der sein Gewehr meisterhaft zu handhaben verstand und sich in die kleinen Evolutionen geschickt genug zu finden wußte. Es gehört nur einige Kenntniß mathematischer Figuren und etwas Geistesgegenwart zu dem Letzten.

Das Leben im Lager im Spätjahr war schlecht genug; keine gute Kost, und Kälte bis zum Heulen und Zähnklappern. Unser Bataillon sah aus buntschäckig, wie eine Harlekinsjacke, da es aus den Uniformen aller Regimenter bestand. Wir hatten weder Fahnen noch Kanonen, da es täglich hieß, wir sollten zu unsern Regimentern stoßen. Ich nebst ungefähr zwanzig andern war dem Regiment Erbprinz zugefallen, habe aber das Regiment nie gesehen.

In dieser Zeit machte ich Münchhausens, oder er vielmehr meine Bekanntschaft. Ich saß im Zelte und wärmte mich gegen die nasse Kälte etwas an Flakkus Odenfeuer, da schlug ein Officir den Zeltflügel zurück und fragte, ob ich der Sergeant Seume wäre. Da ich denn der war, hieß er mich herauskommen. Ich warf mich in die Ordonnanz und trat hervor; er belugte mich etwas neugierig, faßte mich am Arm, und fort gings durch mehrere Kompagniegassen dem Ende des Lagers zu, wo sein Zelt stand. Ich wartete der Dinge, die da kommen sollten, da der Herr unterwegs ziemlich einsylbig war. In seinem Zelte lagen auf dem Tische einige Verse, die er mir hingab, und mich fragte, ob sie von mir wären. Ich besahe sie und sagte ja. Es war eine tragisch-komische Elegie über unser Leben im Lager, die, wie der Gegenstand selbst, lächerlich-weinerlich genug seyn mochte. „Wir müssen bekannter werden,“ sagte er; „sehr gern,“ sagte ich. Er bat mich auf ein Stückchen Wildbraten, denn er ist bekanntlich ein trefflicher Weidmann, den Abend zu Tische; und da in meinem Zelte Schmalhans Küchenmeister war, so kam mir die Einladung sehr willkommen. Seitdem waren wir fast überall zusammen, wenn uns der Dienst nicht trennte; welches leider denn oft genug geschah. Münchhausen war damals, wie Johnson sich ausdrückt, a man of sound strong unletter’d sense, ein Mann von gesundem, gediegenem, ungelehrtem Verstande, welches ihm und mir sehr zu Statten kam: denn ich hatte verdammt viel Schulstaub und nicht wenig Schuldünkel an mir; obgleich meine klassischen Kenntnisse noch sehr seicht waren. Sein Beifall war nun meine beste Belohnung und seine Kritik meine beste Belehrung. Ich begriff, daß bloße Schule nicht alles sei; und er fand, daß die Schule doch Vieles sei und desto mehr, wenn sie durchaus Zögling und Folgerin der bessern Natur ist.

Es hat sich ein freundschaftlicher Zirkel von Officiren gebildet, in den man mich unvermerkt fast unzertrennlich hinein zog, und mit vieler Herzlichkeit behandelte. Münchhausen war stillschweigend durch seine Mischung von Ernst, Bonhommie und heiterer Laune darin die Hauptperson. Jeder trug das Seinige dazu bei, die Unterhaltung und die Menage zu würzen. Die meisten jungen Herrn waren tüchtige Nimrode; und so fehlte es uns selten an etwas frischem Wild auf den Tisch: denn die Lieferungsartikel, ausgenommen das Brot, welches vortrefflich war, waren nicht viel besser, als auf dem Schiffe. Die Lieblingsneigung eines jungen Mannes, welcher Buttlar hieß, zur Konditorei, machte besonders unsere Deserte sehr reich und köstlich, da es uns an Ingredienzen nicht fehlte; und ich erinnere mich selten besseres Backwerk genossen zu haben, als aus seiner Officin. Es war keine uninteressante Gruppe, wenn einer eine wilde Ente spickte, der andere Madeira brachte, der dritte das Gewehr putzte, der vierte Dienstaudienz gab, der fünfte mit Schürze und Geschirr vor dem Kamine Pastetchen schuf, der sechste den possirlichen Ansteher machte, und der siebente im Julius Cäsar las, aber mehr auf die Ente und die Pasteten, als auf den Text sahe. Der Dominus Konditor hatte eine paradiesische Freude und ein ganz verklärtes Antlitz, wenn wir seinem Machwerk durch heroisches Essen und kräftige Lobsprüche Ehre erwiesen; denn er genoß selten etwas davon. Nun gab es aber undankbare Schäker, die zuweilen nach dem Genuß eine bittere Kritik darüber anfingen: und dann gerieth nicht selten der junge Künstler in so heftiges Feuer, daß er Pfannen, Kasserolle, Kuchenformen und alle Geräthschaften zornentflammt durch einander warf und dreimal heilig schwur, er wolle für uns undankbare Gesellen keine Schürze mehr umbinden; welches er dann nach ächter Dilettantenart gewöhnlich drei Tage hielt, wo ihn die Naturschwachheit und Gutmüthigkeit wieder besiegte. Es gelang den Herren nicht, mich zum Jäger zu machen, ob ich gleich zuweilen aus Gefälligkeit mitzog, oder auch wohl allein mit dem Gewehr am Wasser herumstreifte: woran vorzüglich mein kurzes Auge Schuld haben mochte. Denn von Jugend auf konnte ich nur auf eine kleine Entfernung bestimmt sehen, ob ich gleich in der Nähe sehr scharf sahe und die kleinste Schrift bei Mondschein las; welches noch jetzt ziemlich unverändert eben so ist. In der alten Welt habe ich nie gefischt, außer zuweilen als Knabe mit meinem Vater in der Gippach, welche herrliche Schmerlen enthielt: in Amerika verführte mich der Reichthum des Fischzugs nicht selten zu diesem Vergnügen, wo ich in einer Stunde manchmal mehr Hummer und black salmon, eine Art kleinere, schwarzbraune Lachse fing, als ich nach Hause zu bringen im Stande war. Da beide Arten nicht zu meinem Geschmack gehörten, schenkte ich sie gewöhnlich dem ersten, der sie haben wollte. Für Hummer wählte ich kleinere zartere Krebse; und von den Fischen waren Aale, Makrelen, Kabeliaus und einige Schollenarten meine Lieblinge, die alle sehr reichlich und sehr wohlfeil dort zu haben waren: denn für einen englischen Stüber wurde ein Kabeliau gekauft, der mit dem Kopf auf der Schulter lag und mit dem Schwanze nicht selten die Erde berührte. Die Fische waren zwar im Lager als Fieber erzeugend verboten; aber ich ließ mich nicht abhalten meiner Liebhaberei zu folgen, und mußte selbst einmal dafür auf der Brandwache sitzen. Sie haben mir nie geschadet; vielleicht weil ich sie sehr einfach und meistens gebraten aß. Das war besonders der Fall mit einer sehr großen Sorte Häringe, die zum Einsalzen, wenigstens für die dortige Kunst, zu mächtig waren, aber einen herrlichen Bratfisch gaben. Ich bin nicht Naturhistoriker; aber es macht mir oft ein eigenes Vergnügen das Geschlecht der Häringe nach meiner Meinung durchzugehen, von dem großen ellenlangen, Amerikanischen Häringe herab bis zu der athenischen Aphye, die nur das Feuer zu riechen brauchte, um gekocht zu seyn, und die auch mit zu den Häringen zu gehören scheint. Dazwischen liegen der englische, der holländische, der schwedische, der dänische Häring; die Strömlinge und Killoströmlinge, vorzüglich aus der Peipussee; die Sprotten, die Anchovie, die Sardelle, die mit der Aphye fast eins zu seyn scheint: und weiß der Himmel, wie viele Arten noch in den indischen Meeren leben, mit denen ich unbekannt bin.

Münchhausen munterte mich beständig auf zur Arbeit, das hieß zum Dichten, wozu ich aber weder viel Zeit noch Lust hatte. Auch kann ich mich nur weniger Kleinigkeiten erinnern, die ich damals geschrieben hätte, und keiner einzigen, die verdient hätte aufbewahrt zu werden, wäre es auch nur als Beleg der Bildungsgeschichte; Alles war höchst mittelmäßig. Dafür lief ich, wenn ich Zeit hatte, mit Horaz oder Virgil in der Hand, oder auch wohl mit einem Homer, in den Wäldern herum, lagerte mich in einer Grotte oder alten Baumgruppe und vergaß nicht selten über meinen Lieblingsstellen den Sonnenuntergang, so daß ich sehr spät in das Lager oder die Kasernen zurückkam. Daneben war ein alter Hagedorn und ein Exemplar von Hölty, die ich irgendwo aufgetrieben hatte, meine Begleiter. Das Beste von Hölty wußte ich damals auswendig, wozu noch jetzt bei mir seine berühmten Traumbilder nicht gehören. Die Elegie am Grabe eines Dorfmädchens und am Grabe seines Vaters sind für mich noch jetzt die lieblichste Wehmuth, die ich in der Literatur kenne. Ich zeigte Münchhausen die Schönheiten und ihre Gründe, welches mir bei ihm sehr leicht ward; denn ich habe selten eine Seele für wahre Schönheit empfänglicher und enthusiastischer gefunden, als die seinige. Er bedauerte, daß er mir in den Klassikern nicht folgen konnte: aber was ich ihm daraus übersetzte, so wenig meisterhaft auch die Uebersetzung sein mochte, bewies ihm doch, daß meine Vorliebe für sie kein Vorurtheil war, und weckte ganz leise die Neigung, die bald Entschluß und Ausführung ward, selbst bekannt zu werden mit diesen reichen Schätzen ächter Kunst. Er überraschte mich einige Jahre nachher mit einer Kenntniß, die in Erstaunen setzte. In manchem Alten, vorzüglich im Flakkus, den er etwas hyperbolisch verehrte, hatte er mich zurückgelassen.

Der Dienst war, zumal für mich als Unterofficier, beschwerlich genug und ließ nicht viel Zeit übrig. Ueberdieß spannte mich noch dazu der Oberste Hatzfeld in das Joch als Schreibersknecht, so daß ich die noch übrigen Musestunden beim Adjutanten als Adjuvant saß, mir fast die Finger krumm schmierte und weiter nichts erntete, als ein freundliches „Wir bleiben euch in Gnaden gewogen;“ wovon doch am Ende selbst Taubmanns Katze ihr Bischen Geist aufgab. Ich hatte bei dieser Veranlassung einen sehr tragikomischen Auftritt auf meine Unkosten. Niemand bemerkte die Runzeln und den Murrsinn auf meiner Stirne; das hieß Tag aus, Tag ein, schreib, Teufel, schreib; bis ich in meinem verkehrten Sinn auf ein verzweifeltes Mittel gerieth, mich zu befreien. So wie ich von der Wache kam, nahm ich mein Gewehr und ging in den Wald, um nicht zugegen zu sein, wenn, wie ich vermuthete, die Bothschaft zu Schreiberei kommen sollte. Das geschah: meine Entfernung wurde sogleich auch als absichtlich mit ziemlich boshaften Zusätzen durch die gehörigen Instanzen rapportirt. „Du wirst den Teufel auf den Hals bekommen,“ riefen mir meine Kameraden zu, als ich zurückkam; „der Oberste hat zweimal geschickt; du sollst schreiben.“ „So,“ sagte ich; „es ist gut.“ „Ich glaube vielmehr, es ist nicht gut,“ meinte der Feldwebel: „auch kommen Sie morgen wieder auf die Wache; es sind zwei auf Kommando gegangen.“ Den andern Morgen stand ich in der Front der Wachtparade, als der Oberste ziemlich grimmig auf mich zu kam und mir im Eifer einen Knopf vom Rocke drehete. Der Oberste war ein kolossalischer Mann, der auftrat, wie ein Herkules, mit dem Blicke Funken sprühte und eine Stimme sprach, wie eine Quartposaune, übrigens aber noch ziemlich human und wohlwollend war. Er soll zu seiner Zeit, wie man sagte, zu Rinteln mächtig renomirt haben. „Wo ist der Herr gestern gewesen?“ donnerte er mich an. „Auf der Jagd.“ Jedermann wußte, daß ich sonst eben kein Jäger war. „Ich will den Sakrementer jagen,“ fing er an und hielt eine kurze Art von energischer Galgenpredigt, deren Finale war, daß ich aus der Front ohne Säbel sogleich in die Wache befördert wurde. Nach der Parole wurde Exekution mit dem kalten Eisen gehalten, immer unter Fortsetzung des obigen erbaulichen Sermons von Distinktion und Unerkenntlichkeit und Halsstarrigkeit, mit einigen starken Donnerwettern durchschossen, die sein furchtbarer Baß ziemlich gut nachmachte. Sodann ging es wieder in die Wache. Den andern Morgen, als ich freigelassen wurde, oder vielmehr, als man die Kette etwas länger ließ, meldete ich mich ordonnanzmäßig bei den Instanzen, und also auch bei dem Obersten. „Sind wir nicht ein Paar recht dumme deutsche Dorfteufel,“ kam er mir komisch polternd entgegen, „daß wir uns nicht friedlich vertragen können und uns da so zanken und streiten müssen!“ „Ich darf nicht widersprechen, Herr Oberster,“ brummte ich halblaut mürrisch, skoptisch durch den Bart. „Zum Teufel, Herr, sei Er nicht impertinent!“ rief er. Nun fing ich an zu exponiren in aller Ordnung mit Bestimmtheit: daß der Dienst hart und strenge sei, daß ich von Wachen, Visitiren, Kommando’s wenig Nächte frei habe, daß, wenn meine Kameraden ausruheten, ich halb schlaftrunken mich am Schreibetische quälen müsse, daß ich das nicht aushalten könne u. s. w. Der Oberste rieb die Stirne, meinte, dem Dinge könne wohl abgeholfen werden; nur habe ich eine sehr schlechte Methode ergriffen. Da hatte er Recht. Nun frühstückten wir zusammen; er befahl, mich vom gewöhnlichen Dienst zu befreien, außer wenn das Bataillon manövrirte, um nur schreiben zu helfen; und dazu gab er mir monatlich einige spanische Thaler Zulage. Die Ausgleichung war besser, als der Prozeß. Die größte Freude über meinen Unfall hatte wohl das Zöfchen, dem ich auf der Weser auf dem Speiseschiffe im Amtseifer so strenge mitgespielt hatte, und das jetzt recht stattlich bei dem Major, wie man sagte, eine Art von haushälterischer Liebschaft machte. Sie lächelte mich so schadenfreundlich an, als ich mich vom Arrest meldete, als ob sie mir den ganzen Auftritt bei Bremen zurückgeben wollte.

Nun ging es gut: ich schrieb eine lange Zeit viel Regimentslisten, und that übrigens sehr wenig. Die Arbeit war zwar trocken und langweilig genug; da oft wegen eines alten morschen Pfanndeckels, der nicht zwei Pfennige werth war, einige Bogen umkopirt werden mußten: dafür fing aber eben auch damals dort das papierne Jahrhundert recht praktisch an, und hat seit der Zeit gehörige reichliche Früchte getragen. Bei Münchhausen konnte ich nun nicht so oft seyn, als ich wünschte und er zu wünschen schien: und die guten Leute hoben mir manchmal mein Stück wilde Ente und einige Pastetchen auf, bis ich erst spät zur Partie kommen konnte. Ich that abwechselnd Dienste, nach dem Behuf, als Korporal, Sergeant, Fourier und Feldwebel, so daß ich alle Süßigkeiten des kleinen Soldatenlebens recht auskosten konnte. Als Fourier war ich ein reicher Mann, weil bei den Lieferungen immer etwas an Brot, Butter, Fleisch, Rum u. s. w. übrig blieb; nur ein einziges Mal mußte ich über zehen spanische Thaler zusetzen: da hieß es denn: „thut der Herr nicht die Augen auf, so thue er den Beutel auf.“

An eigene Arbeit wurde jetzt wenig gedacht, so sehr mich auch Münchhausen antrieb: einige Kleinigkeiten verdienen nicht Erwähnung. Nur ein einziges Stück, das eine Art von Jagdstück war, wäre vielleicht nicht ganz unwerth als Bildungsanfang mit aufbehalten zu werden, wenn nur noch irgendwo etwas davon zu finden wäre, als in den Winkeln meines Gedächtnisses, wo nicht viel davon übrig ist. Einiger Verse erinnere ich mich; sie lauteten, glaube ich, so:

Laß uns ruhen, Freund, in dieser Höhle,

Auf dem grauen Steine da,

Den vielleicht noch keine Menschenseele

Seit dem ersten Tag der Erde sah.

Ha, wie schauervoll und furchtbar siehet

Hier das Antlitz unsrer Mutter aus!

Wie die Allmacht sie dem Nichts entziehet,

Liegt sie hier, Natur, in Schreck und Graus.

Felsen, seit der Fluth noch unbestiegen,

Heben schwer ihr schwarzes Haupt empor,

Und um ihre dunkeln Schädel fliegen

Ungewitter aus der Kluft hervor.

Kreuzend liegen tausendjähr’ge Eichen

Durch einander, die das Alter fraß;

Morsche eingeborstne Stämme zeigen,

Daß den Wald hier nie ein Förster maß.

Kein gesellig Thier besucht die Klüfte,

Wohin nie der Fuß des Wandrers dringt,

Wo kein Vogel durch die leeren Lüfte

Eine Melodie der Freude singt.

Nur zuweilen brummt mit tiefem Grimme

Ein bejahrter Bär aus seiner Gruft

Durch die Felsen, wo mit heisrer Stimme

Nur ein alter grauer Adler ruft.

Doch vielleicht kann noch ein Wilder lauschen,

Der zum Mord sein krummes Messer schleift,

Und sodann in blitzgeschwindem Rauschen

Uns den Schädel von dem Hirne streift u. s. w.

Das Uebrige ist verwischt und wohl schwerlich irgendwo wieder zu finden, oder des Aufsuchens werth. Das Skalpiren der Wilden ist bekannt genug: und man erzählt davon fürchterliche Beispiele. Mir selbst ist keines bekannt geworden. Sie skalpiren sehr ehrlich nur ihre Feinde; und unsere Wilden waren durchaus nur freundschaftliche Leute. Ich kann wenig von ihnen sagen, was nicht schon bekannt wäre. Sie kamen sehr häufig in großer Anzahl in die Stadt, um ihre Jagdbeute zu verkaufen, die meistens aus Moosthieren, Geflügel und zuweilen Fischen, vorzüglich Aalen, bestand. Dafür bekamen sie Rum, europäische Bedürfnisse und spanische Thaler. Sie wußten den Werth des Geldes schon sehr gut zu schätzen, und betrogen eben so oft, als sie betrogen wurden. Das Moosthier, oder das Elent, ist ein majestätisches Geschöpf, das an Größe dem größten Holsteiner Pferde nichts nachgiebt, Schaufelgeweihe wie der Dammhirsch hat, die prächtig und furchtbar ausgreifen und ihm ein schreckbares Ansehen geben. Das Fleisch ist nicht immer gut; von einem jungen kann man es zu den Leckerbissen zählen, wenn es gut zubereitet wird. Man kann sich die Menge dieser Thiere denken, die dort müssen gewesen sein, da ganze englische Regimenter Tornister von Elentsfellen hatten. Die sogenannten Wilden waren nicht viel schlechter gekleidet, als ich die Letten, Esthen und Finnen gefunden habe. Ein grobes, graues Tuch, künstlich genug um den Körper gewickelt, machte das Hauptkleidungsstück. Sie kamen gewöhnlich zur See, in ihren bekannten Booten von Birkenrinde, die meisterhaft gebaut waren und die sie mit ihren kleinen Rudern meisterhaft zu führen verstanden. Die englischen Matrosen, die es ihnen nachthun wollten, verloren sehr oft das Gleichgewicht und fielen in die See, worüber denn die Indier und über das europäische schwerfällige Schwimmen recht herzlich lachten. Sie machen mit diesen Booten große Küstenreisen und stechen damit außerordentlich weit in die See. Ich erinnere mich eines Falles, der uns wenigstens ziemlich unterhaltend war. Ich hatte auf einer kleinen Außenbatterie die Wache, saß auf einer Kanone und schaute behaglich in die See hinaus, die eben ziemlich hoch und hohl ging. Da entdeckten wir in großer Ferne etwas, worüber jeder seine eigenen Muthmaßungen hatte, was es wohl seyn könnte. Keiner rieth die Wahrheit. Als es näher kam, sahen wir, es war ein indisches Birkenboot, das der Wind grade zu uns ans Ufer trieb. Wir eilten hinab und es lag ein ziemlich alter Uramerikaner darin, der in Sturm und Wogenbruch recht ruhig schlief. Neben ihm lag eine leere und eine halbleere Rumflasche, die seinem Schlummer sehr behülflich gewesen seyn mochten. Er war nicht zu ermuntern; denn sein Zustand ist leicht zu errathen. Wir führten ihn hinauf ins Wachthaus, legten ihn auf dem ruhigsten Ort der Britsche nieder, wo er lethargisch fortschlief. Das Boot zogen wir ans Land, die Flaschen bargen wir; den Beutel, den er am Gürtel trug, und in dem vierzig spanische Thaler waren, schloß ich aus Vorsicht in den Schrank. Als er ernüchtert erwachte, blickte er wild verwundert um sich, daß er sich auf einer europäischen Wache befand. Da wir ihm aber die gefährliche Lage bedeuteten, in welcher er sich befunden hatte, ward er heiter und schien im Begriff zu seyn, uns danken zu wollen: da er aber auf den Gürtel blickte und seinen Beutel vermißte, ward sein Gesicht länger und breiter, und ein Gemisch von Gefühlen schien in seiner Seele zu arbeiten, die alle besagten: Ha, ha! so ists? du bist unter die weißen Leute gerathen: als ich ihm aber den Beutel aus dem Schranke darreichte und er schnell am Anblick merkte, daß wohl nichts fehlen würde, er wohl auch eilig den Schluß machen mochte, daß man nicht einen Theil behalten würde, wo man des Ganzen Meister war, ward seine Freude urpatriarchalische Ausgelassenheit. Er umarmte einen nach dem andern, und man sahe ihm an, daß ihm das Geld nicht so lieb war, als die Gesellschaft ehrlicher Leute; und als er die Summe endlich vollzählig fand, bestand er durchaus darauf, die Wache sollte eine Handvoll Thaler nehmen. Ich hatte gute Gründe das zu verweigern; aber einige mußten wir behalten. Nun bugsirten wir ihn wieder in sein Boot, mit guten Erinnerungen und Warnungen vor der Rumflasche. Er schien ganz Dankbarkeit; das Wetter war besser und er ruderte gutes Muthes durch die Bucht in den Ocean hinaus. Ein andermal hatte ich auf dem nämlichen Platze den grauenvoll großen Anblick, daß ein schönes herrliches Schiff aus Unkunde des Weges bei starkem widrigen Winde auf einen verborgenen Felsen lief. Ich hatte lange mit ängstlicher Theilnahme zugesehen, wie es mit Mühe und Schwierigkeit herein lavirte. Meine Augen waren mit gespannter Aufmerksamkeit dahin geheftet; meine Seele war ganz auf dem Schiffe, da setzte es in keiner großen Entfernung mit einem furchtbar krachenden Stoß auf das versteckte Riff, so daß die Maste zusammen brachen und die ganze Maschine in Trümmer zu zerbersten drohte. Das Geschrei der Leute war herzschneidend. Sogleich fielen einige Nothschüsse und sogleich eilten einige größere Schiffe, an ihrer Spitze eine Fregatte, und eine Menge kleinere Fahrzeuge, zur Hülfe heraus. Von der Mannschaft wurde Alles gerettet; aber von der Ladung fast nichts, da sie aus lauter Artikeln bestand, die nicht das Wasser vertragen konnten. Das schöne fast ganz neue Schiff saß fest auf der Spitze, die ein ungeheures Leck gerade unten mitten am Kiel eingebrochen hatte, und weder menschliche Kraft noch Kunst war es herabzubringen im Stande, bis endlich eine sehr einfache Maschinerie es mit der großen Springfluth herunter hob. Man legte nämlich bei der niedrigsten Ebbe auf beiden Seiten eine Menge großer leerer Rumfässer, befestigte sie korrespondirend unter dem Kiel weg mit Tauen, und auf diese Weise hoben die vielen leeren Gefäße mit Hülfe der hohen Fluth das Schiff aus dem Riff heraus und brachten es glücklich hinein auf den Werft. Ich war durch einen glücklichen Zufall eben wieder gegenwärtig, als es herabgehoben und hinein bugsirt wurde.

Die Wilden benahmen sich, so viel ich habe beobachten können, immer anständig; doch soll das nicht stets der Fall gewesen seyn, und der Gouverneur soll sie militärisch haben einstecken lassen müssen, um ihren Natürlichkeiten in Hinsicht des Geschlechts Einhalt zu thun. Wenn sie des Rums etwas voll und lustig wurden, führten sie drollig genug sogleich am Ufer den Ball auf und tanzten nach einer Art von brummendem Gesang, wozu einige mit Kieselsteinen aus dem Stegreife den Takt schlugen. Wir kamen nicht selten auf unsern größern Streifereien in ihre Hütten an Felsen und Bächen, die meisten hatten sich tiefer zurückgezogen; ich habe aber nie gehört, daß sie einem von den Unsrigen etwas zu Leide gethan hätten: und dann wäre es wahrscheinlich bloß die Schuld des Europäers gewesen. Einige hielten es mit uns, einige mit den Republikanern, nachdem ihre Stimmung und Lage war: und es wäre wohl schwer zu entscheiden, ob sie hier oder dort mehr betrogen wurden. Mit dem Feuergewehr wußten sie schon seit langer Zeit sehr geschickt umzugehen, und hatten gemeiniglich alte große lange holländische Schießprügel, mit welchen sie mehrere hundert Schritte vortrefflich das Ziel trafen und manchen Posten im Gebüsche wegschossen, ohne daß man gewahr werden konnte, woher die Kugel kam. Als die Franzosen noch Herren von Kanada waren, ließen sie sichs angelegen seyn, durch ihre Missionarien die Amerikaner ins Christenthum einzupferchen: daher noch mancher Alte unter ihnen, wenn er die Glocken hört, sein Kreuz schlägt und „au nom de dieu, du père, du fils et du saint esprit“ dazu sagt. Das schien indessen auch der ganze Ueberrest von Kenntniß in Sprache und Religion zu seyn. Die Engländer kümmern sich um das Bekehrungsgeschäft wenig oder gar nicht: das hätte nichts zu sagen, da man die Neubekehrten nur gar zu gern in die Verhältnisse der Letten und Esthen treten läßt; wenn man die armen Urbewohner nur nicht ächt europäisch-christlich von allen Seiten so zurück zwänge, daß ihnen im Kurzen nichts als der Hals von Kalifornien oder die unbekannten Eisländer übrig bleiben werden. Die ich gesehen habe, waren alle ein großer, schöner, nerviger Menschenschlag, mit länglich regelmäßigen Gesichtern, ungefähr wie die alten ächten Brandenburger. Ich erinnere mich nicht einen unter ihnen gesehen zu haben, der über fünf Fuß neun Zoll oder unter fünf Fuß drei Zoll gewesen wäre; also sehr selten war einer so klein, wie meine eigene Personalität, die doch unter uns noch nicht zwerghaft ist. Die kupferbraune Farbe kleidete die Männer sehr anständig ernsthaft; ungefähr wie bei uns ein Grenadier, der ein halbes Dutzend Feldzüge mitgemacht hat, eine Farbe bekommt, die von seinem Feldkessel nicht sehr verschieden ist. Aber die nämlichen Züge und die nämliche Farbe sind den weiblichen Reizen nichts weniger als günstig; und ich habe keine Indianerin gesehen, die durch ihre Erscheinung den geringsten gefälligen Eindruck auf meinen europäischen Sinn gemacht hätte, ob ich gleich eine Menge junger Mädchen gesehen habe und damals selbst ein junger rüstiger Kerl war. Die meisten sprechen jetzt etwas Englisch, da sie vom höchsten Norden bis an die spanische Gränze hinab von lauter ursprünglich englischen Kolonien umgeben sind. Kriegerische Vorfälle haben wir außer einigen Märschen nicht gehabt: ein einziges Mal schien es zu etwas Ernsthaftem kommen zu wollen, da die Franzosen den Ort anzugreifen drohten. Aber außer einigen Schüssen von den äußersten Batterien fiel nichts vor: es blieb bei den Drohungen, vermuthlich da sie die Engländer stärker und in besserer Bereitschaft fanden, als sie vermutheten. Mich ärgerte das; denn ich sahe der Landung und dem blutigen Handel mit aller Neugier eines jungen Menschen entgegen, bei dem Kraftgefühl und Thätigkeitstrieb die natürliche Furchtsamkeit überwand. Wenn ich zuweilen von einigen Kriegsvorfällen gesprochen habe, als ob ich dort gegenwärtig dabei gewesen wäre, so ist das weniger jugendliche Eitelkeit gewesen, als vielmehr, weil mich die Leute durch ihr ungestümes Fragen hineinzwangen, und ich manchmal aus Aerger Ja sagte, weil ich beständig Nein gesagt hatte. Auch habe ich keine einzige Unwahrheit gesprochen, so viel ich mich erinnere: nur geschah nicht Alles unter meinen Augen. Es that mir nachher manchmal leid, da es doch gegen den Charakter der Wahrhaftigkeit ist, der immer mein Ziel war: aber ich wollte nicht gern zurücknehmen, und habe mich seit der Zeit gehütet, eine Sylbe über die strengste Wahrheit zu sagen: gegen dieselbe sprach ich nie.

So kam denn endlich die Nachricht vom Frieden uns eben nicht erwünscht: denn junge thatendurstige Leute sehen nicht gern ihrer Bahn ein Ziel gesteckt. Man hatte mir geschmeichelt, ich könnte Officier werden und mir eine Laufbahn eröffnen. Mit dem Frieden war Alles geschlossen: denn nach unserer Ordnung konnte kein Bürgerlicher in der Regel weiter aspiriren, als bis zum Feldwebel; ein Ehrenposten, dessen lebenslängliche Dauer ich eben nicht sehr beneidete. Bei uns mußte man Edelmann seyn, oder viel Geld haben, um im Staate ein Mann zu werden; zwei Verdienste, deren Gültigkeit jedem Vernünftigen sogleich in die Augen springt. Zuweilen that Verbindung und Empfehlung auch etwas; und noch seltener wurde zufälligerweise auch wohl wirkliches Talent bemerkt. Im Kriege, wo oft periculum in mora ist, wo man Männer für Aemter und nicht Aemter für Männlein sucht, sind die Ausnahmen häufiger und es tritt da, dem Kastengeist zum schweren Aerger, nicht selten das alte primitive impertinente Menschenrecht wieder ein, daß jeder nur das gilt, was er werth ist. Doch hat es bei uns noch lange Zeit, ehe es dahin im Allgemeinen kommt: der Mensch gilt durchaus nur das, wozu ihn der Staat stempelt, und es ist keine Gefahr, daß Vernunft die Stempelordnung machen und halten werde.

Ich hatte in Amerika einen Freund, von dem ich nicht weiß, wo ihn das Schicksal hingeschlagen hat, der zu den besten gehört, die ich je gehabt habe: einen gewissen Serre aus Halberstadt, von der französischen Kolonie, der einige Zeit bei seinem Anverwandten Lavater in der Schweiz gewesen war, und dessen besseren vernünftigern Enthusiasmus glühend heiß besaß. Dieser war Unterofficier, wie ich, ein junger, muthvoller, leichtsinniger Kerl. Das Leben englischer Söldlinge war uns eben nicht angenehm, und wir beide hatten uns mit dem Gedanken getröstet, wir würden uns gelegentlich den Republikanern anschließen können; ein sehr natürlicher, verzeihlicher Gedanke für junge Leute, die mehr mit Plutarch, als mit Hobbes lebten. Die Gelegenheit wollte nicht kommen; Serre suchte sie also herbei zu führen; und er hatte eben den Entwurf gemacht, durch die großen Waldungen über die Buchten von Hallifax nach Boston zu gehen; freilich eine Unternehmung auf Tod und Leben. Er hatte sich schon über die englischen Posten unterrichtet, für Munition und nothwendige Bedürfnisse gesorgt; und die Ausführung war beschlossen, als eben der Friedensbote kam. Mich hatte nichts so sehr zurückgehalten, als der Gedanke, Münchhausen zu verlassen, der mit so redlicher Freundschaft an mir hing; und die Sache war von der Beschaffenheit, daß sie durchaus keine Mittheilung litt. Die einzige Bedenklichkeit in unsrer Freundschaft war, daß Münchhausen ein Edelmann war, der den Kopf voll alten Ritterwesens hatte, welches ich auf alle Fälle für halbe Barbarei hielt und noch halte. Freiheit und Gerechtigkeit hat bei Edelleuten einen ganz andern Sinn, als uns Philosophie und Staatswissenschaft lehrt: und das „verba valent sicut nummi“ ist nirgends mehr anwendbar, als in unserm sogenannten öffentlichen Rechte. Unserer Freundschaft stand also der Mangel endlicher Uebereinstimmung entgegen, welches der Fall bei Serre nicht war, der übrigens weder Münchhausens moralischen Werth, noch feinen Lebenstakt hatte. Der Friede zerschlug unsere Unternehmung, da wir nur nach Thätigkeit junger Leute geizten und nicht gesonnen waren, neben und unter Huronen und neuen Republikanern unser Leben fort zu vegetiren. Auf dem Schiffe wurde ich von Münchhausen getrennt; er kam auf ein anderes Fahrzeug. Der Guignon des Lebens wollte, daß ich ihn seit der Zeit nur zweimal wieder sahe; einmal, als sich auf dem Meere unsere Schiffe so näherten, daß wir mit der größten Anstrengung uns einige Worte zurufen konnten; das anderemal, als ich aus Italien und Frankreich kam, und ihn in Schmalkalden besuchte.

Unser Leben in Hallifax bestand in einem Drittel deutscher Gewöhnlichkeit, einem Drittel huronischer Wildheit und einem Drittel englischer Verfeinerung; und nach dem verschiedenen Charakter der Individuen stach eins von diesen Dritteln hervor. Bei mir blieb wohl meistens der Deutsche sitzen, obgleich Britten und Huronen mein Studium waren, und bald diese, bald jene den Vorzug behielten. Ich habe schon oben gesagt, daß Hallifax vielleicht einer der besten Häfen des Erdbodens ist. Diese Insel und das Fort St. George am Eingange ist eben stark genug, mit gehöriger Besatzung jeder beträchtlichen Flotte die Annäherung zu verwehren. Die Stadt selbst, am Ufer hin, tief in die Bucht hinein, hat ungefähr zehntausend Einwohner. Der englische Preis aller Artikel ist immer etwas höher, als in andern Ländern, und im Kriege war er es dort ungewöhnlich. Ich erinnere mich, daß ich manchmal zum Abend nach unserm Gelde fast für acht Groschen Brot, für acht Groschen Butter und für acht Groschen Kartoffeln gegessen, und einmal für ein Stückchen Kälberbraten und einen Gurkensalat eine halbe Guinee bezahlt habe. Während eines ganzen Winters bestand mein Abendbrot fast immer aus geröstetem Butterbrot mit geräuchertem Lachs, dem wohlfeilsten Artikel der Gegend. Das Pfund frisches Fleisch kostete nicht selten nach unserm Gelde einen halben Thaler; frisches Gemüse war kaum zu bezahlen. Dafür konnte aber auch ein Handarbeiter am Hafen täglich drei spanische Thaler verdienen: Alles kam ins Gleiche. Verschiedene sparsame Kerle haben auf diese Weise mehrere hundert spanische Thaler gesammelt, und, wenn sie der Zufall verschonte, sie mit in die Heimath gebracht. Ich selbst hatte von dem Ertrag der Arbeitskommandos, welche von der Krone bezahlt wurden, einige schwere Goldstücke zurückgelegt. Einige ächt soldatische Kameraden, in deren Taschen sich kein blindes Kupferstück hielt, hänselten mich aber so lange und droheten mir, mir bei meinem seligen Ende mit meinem eigenen Golde tüchtig das Maul zu zerschlagen, daß ich sie sehr bald wieder in Umlauf gesetzt hatte. Wenn Münchhausen nichts Wildes lieferte, und ich den schwarzstriefigen Kommißspeck und auch den Rauchlachs zum Ueberdruß gegessen hatte, schoß uns Serre in den Außengegenden auch wohl einen fetten Hund, oder einen feisten Kater, deren frisches Fleisch und Fett uns nicht selten leckere Mahlzeiten gaben.

Unsere Hinfahrt dauerte, wie ich oben sagte, zwei und zwanzig Wochen, eine ungeheure Länge; den nämlichen Weg machten wir rückwärts in drei und zwanzig Tagen; also machte ich eine der besten und eine der schlimmsten Fahrten mit. Heimwärts segelten wir, als flögen wir davon; und es gewährte ein eigenes großes, kühnes Vergnügen auf den ungeheuern Maschinen im Sturm daher geschleudert zu werden. Es hatten sich eine große Menge Schiffe aller Arten und aller Nationen zuerst nach dem Frieden gesammelt, und wir liefen wohl über zweihundert zusammen in dem Kanal ein, unter denen sich auch zwei amerikanische Fregatten mit der neuen freien Staatenflagge befanden, für einen Alt-Engländer wohl das größte Herzeleid, seitdem die brittischen Flotten die Meere besegelten. Die letzte Nacht gehört zu den schönsten, die ich auf dem Wasser erlebt habe. Es war ein gewaltiger Gewittersturm auf dem Kanale in der Gegend von Portsmouth. Die zusammengeengte Flotte, das Heulen des Sturms, das Schlagen des Tauwerks, das Rollen des Donners, das Leuchten der Blitze, das grelle Aufhellen der glühenden Wogen und das augenblickliche Schließen zur schwärzesten Nacht, das Rufen und Schreien der Matrosen, das Geläute der Glocken, der ferne dumpfe Hall der Signalschüsse, das Dröhnen und Krachen der Schiffsfugen, und die Angst, daß wir vielleicht über Klippen stürzten — man denke sich die Wirkung des Ganzen auf die entzündete Einbildungskraft! Und mit dem sich heiternden Morgenhimmel waren wir wirklich in der Nähe der Kreideberge, die dem Lande den Namen Albion geben. Es war still und frisch und freundlich, wie nach einer Gewitternacht, und die Schiffe schaukelten nur noch unwillkührlich heftig auf der empörten See. Bei diesen und ähnlichen Gelegenheiten war es mein gewöhnliches Vergnügen, mich im Raum unter die Oeffnung zu setzen und in die Höhe an den Horizont hinaus zu sehen; da sah ich denn die Schiffe rechts und links oben auf den Wellen tanzen. Man denke die Winkel, welche die Schiffe auf der Woge machen mußten, damit dieses möglich war. Oft war die Täuschung so groß, daß man minutenlang glaubte, ein Schiff sei von den Wellen verschlungen, das plötzlich mit Blitzesschnelle wieder auftauchte und eben so wieder verschwand. Bei Deal lagen wir einige Zeit in den Dünen vor Anker, und da wurde uns denn wohl einzeln erlaubt, an das Land zu gehen; das ist also das Ganze meines Aufenthaltes in Alt-England und kaum der Erwähnung werth. Die Fahrt über die Nordsee war dießmal sehr stürmisch und langweilig, welches desto verdrießlicher war, da die Reise über den Ocean so schnell ging und wir das Uebrige nur noch für einen Katzensprung hielten. Auf einmal befanden wir uns bei Cuxhaven und Ritzebüttel, vermuthlich weil wir nicht in die Weser einlaufen konnten. Ich erinnere mich hier eines Vorfalls, der die außerordentliche Gewalt der Fluth beweist. Ein Mensch saß auf dem Verschlage, der als Bequemlichkeit diente. Die Fluth war im Ablaufen; er mochte sichs bequem machen, und sein ganzes Gewicht ruhte auf dem Seitenstücke; das Stück brach, er fiel hinunter, und obgleich zwei der besten Schwimmer sogleich nachsprangen, so war er doch augenblicklich verschwunden und wurde nicht wieder gesehen. Mit vieler Mühe rettete das ausgesetzte Boot nur die beiden Matrosen und hatten einige Stunden zu arbeiten, ehe es wieder an das Schiff kam. Nach einigen Tagen segelten wir wieder nach Bremerlee, wo wir Fahrzeuge wechselten und eben so wieder heraufbugsirt wurden, wie wir hinunter fuhren.

Hier schreckte uns die Besorgniß, daß wir bei Minden würden an die Preußen verkauft werden. Es wurde laut gesprochen, und der bekannte gewissenlose Seelenschacher des alten Landgrafen machte die Sache nicht unwahrscheinlich. Serre also, ein gewisser Wurzner aus Gotha und meine Personalität hatten bei Elsfleth den löblichen Entschluß gefaßt, uns den Fesseln der schändlichen Dienstbarkeit zu entziehen. Einige Nächte lauerten wir ohne Erfolg auf Gelegenheit; denn die Büchsenschützen hatten ihre geladenen Läufe überall hin gerichtet. Aus Verdruß und Müdigkeit war ich auf meinem Habersack eingeschlafen, und als ich den Morgen erwachte, waren die beiden Hechte fort und hatten mich vermuthlich mit Sicherheit nicht wecken können. Ich kratzte mich hinter den Ohren und sahe ärgerlich nach dem Kahne, der sie in die Freiheit geführt hatte. In Bremen versuchte ichs indessen allein auf meine eigene Hand, und es gelang mir am hellen lichten Tage unter ziemlicher Gefahr. Die nächste Veranlassung war ein Gezänk mit dem Feldwebel über Brotlieferung, in welches sich der kommandirende Officir etwas diktatorisch handgreiflich mischte. Das Gespenst der Preußen saß mir fest im Gehirn; ich hatte ganz gegen meine Gewohnheit ohne alle Absicht in einigen Gläsern Wein mich etwas warm getrunken, und machte kurz und gut auf und davon, am Ufer hin, über die Brücke weg, in die Altstadt hinein. Ein guter, alter, ehrlicher Spießbürger mochte mir doch wohl einige Verwirrung ansehen; er kam freundlich zu mir und fragte: „Freund! Ihr seid wohl ein Hessischer Deserteur?“ „Und wenn ich denn einer wäre?“ sagte ich. „Da muß ich Euch sagen, unser Magistrat hat Kartel mit dem Landgrafen.“ Und nun —

Fortsetzung
von
Seume’s Leben,
mitgetheilt
von
C. A. H. Clodius.

Und nun“ — das sind die letzten Worte, welche Seume geschrieben hat; das Folgende ist leider nur Erzählung aus den Erinnerungen einiger Freunde des Verewigten. Ihnen, welche ihn genau gekannt und innig geliebt haben, ist das Bild, welches er selbst gezeichnet hat, ein Vermächtniß, in welchem er bei ihnen fortlebt. Sie glauben ihn noch vor sich zu sehen und reden zu hören, weil sein Leben sich eben so anspruchslos und wahr, eben so heiter und gleichmüthig in Worten und Handlungen darstellte, als er es, während einer schmerzhaften Krankheit, beschrieben hat. Seine Selbstbiographie zeigt uns seine Jugend, seine übrigen Schriften zeigen den Mann, und folgende Züge von einer Hand, welche mit Treue zeignet, werden die Schilderung seines edlen und liebenswürdigen Charakters vollenden. Große Sorgfalt für sein Inneres, wenige für sein Aeußeres; ernstes Denken, ruhiges Erwägen und Tiefe des Gemüths; Mangel an Nachgiebigkeit und Reichthum an Nachsicht; Bewußtsein seines Werthes und Bescheidenheit eines gebildeten Menschen; Freundlichkeit und Liebe im Herzen, oft finster um Stirn und Auge; empfänglich für das Schöne und Erhabene; flammender Eifer für die Gerechtigkeit und eine gesetzmäßige Freiheit; selbstständig ohne Furcht; bitter gegen schlechte Menschen aus Liebe zur Menschheit; — so war Seume.

Wieland nannte Seumen, wegen seiner Tugenden und wenigen Bedürfnissen, den edlen Cyniker, einen Menschen von großem Werth. Dieses Lob des berühmten und liebenswürdigen Mannes hat ihn sehr glücklich gemacht und wird ihn ehren bei Allen, welche den Beifall der Besten unter den Menschen für den höchsten Ruhm halten, den ein Sterblicher gewinnen kann. Einer seiner Freunde, der allen seinen entfernten Geliebten ein Sternbild widmete, wobei er ihrer in stillen Nächten gedachte, wurde von Seume gefragt: wohin er denn ihn einmal künftig einquartiren würde? und als er darauf im scherzenden Ton antwortete: „Sie haben schon lange Ihren Platz in dem hellen, nicht untergehenden Gestirn des großen Bären;“ sagte Seume mit Lächeln: „So, so! Meinetwegen!“ — Die Begebenheiten, welche hier angeknüpft werden, sind Beweise zu dem Lobe, welches eine unpartheiische Freundschaft ausgesprochen hat und können als Belege dienen, daß ein widriges Schicksal der Hebel edler Naturen wird.

 

Das gutmüthige Volk der guten Stadt Bremen drängte sich als eine Schutzwehr um Seume herum und schob gewissermaßen den Fremdling hülfreich zum nächsten Thore hinaus. Seume, ein trefflicher Läufer, flog wie ein Pfeil. Demungeachtet waren seine Verfolger, die Hessischen Jäger, ihm immer ganz nahe und trieben ihn endlich in den Sack zwischen den beiden Flüssen der Hunte und der Weser. Hier, glaubten sie, könnte er ihnen nicht entspringen, und er hielt sich verloren: denn wollte er sich ins Wasser stürzen, so tödtete ihn, den durch und durch Erhitzten, der Schlag; blieb er stehen, so war er das Opfer seiner Flucht. Zum Glück sah er in einem Weidenbusch am Ufer der Hunte einen Fischerkahn und sprang hinein. Der mitleidige Fischer, welcher der Menschenjagd zugesehen hatte, hieß ihn sich gleich auf dem Boden niederlegen, und stieß augenblicklich vom Lande ab. Nun kamen auch die Jäger und schossen; aber die Kugeln flogen über das Schiff, und der gleichmüthige Schiffer arbeitete ruhig durch die Gefahr, bis er glücklich das jenseitige Ufer erreichte. „Hier Freund,“ sagte der Mann, „seid Ihr frei, und auf Oldenburgischen Grund und Boden. Gott helf Euch weiter!“ Das Leben war gerettet, die Kette zerbrochen, und der Landgraf litt einen Verlust von einer Handvoll Thaler, die er aus Seume’s Verkauf zum zweitenmal hätte lösen können.

Den folgenden Tag kamen Hessische Officiere mit freundlichen Worten, brachten Pardon, boten Geld, versprachen Beförderung; aber Seume ließ sich nicht verleiten, empfahl sich höflich und ging aus ihrer Gesellschaft weg nach der Stadt Oldenburg. Der damalige, jetzt noch in Rußland lebende Herzog dieses Landes, ein gebildeter, edler Fürst, unterstützte den einnehmenden, interessanten jungen Deserteur, und that Vorschläge zu künftigen Lebensplänen; als aber Seume die Sehnsucht nach der geliebten Mutter und dem Vaterlande äußerte, entließ er ihn mit einem ansehnlichen Geschenk. Durch diese Großmuth konnte der so lange Geplagte und Verkaufte nun bequem frei und froh die Rückkehr zur lieben Heimath antreten und der gerettete Sohn konnte wieder in die Arme der Mutter eilen. Schon hatte er wohlgemuth die Oldenburgische Gränze überschritten, als das unglückliche Vergessen, die Hessische Uniform mit einem Civilrock zu vertauschen, ihn gerade in den verhaßten Dienst brachte, dem er durch seine Flucht hatte entgehen wollen, und ihm in einem Augenblick wieder Freiheit, Hoffnung und kaum genossenes Glück raubte. Preußische Werber hielten ihn an und schleppten ihn, als Deserteur, ohne Umstände nach Emden, wo er gemeiner Soldat werden mußte. Den Käfig, in welchen man ihn, wie alle unfreiwillig genommenen Soldaten, eingesperrt hatte, zu zerbrechen, dem ehemals strengen Preußischen Dienst und der verächtlichen Behandlung der Soldaten wieder zu entgehen, das war die einzige tröstliche Aussicht, welche ihm hier in der Garnison übrig blieb, und die ihn reizte, so bald als möglich zu entfliehen. Einst in einer sternenhellen Nacht führte er seinen Entschluß wirklich aus. Er mochte ungefähr eine Stunde gelaufen seyn, als die Lärmkanone seine Flucht ankündigte und die ganze Gegend zum Verfolgen aufrief. Seume ließ sich dadurch nicht schrecken; aber ein dicker Nebel verhüllte ihm den Weg, machte ihn irre und führte ihn wieder gerade nach Emden in die Hände derer, welchen er zu entgehen glaubte. In seinem Arrest schrieb er mit Kreide einen lateinischen Vers an die Thüre der Wachstube, welcher die traurige Stimmung seiner Seele ausdrückte. Der wachhabende Officir fragte, wer den Vers geschrieben habe? „Vermuthlich der kleine schwarze Arrestant;“ antwortete die Wache. Das Kriegsverhör begann mit der Untersuchung über den Hexameter und ein Kapitän behauptete: er sei nicht richtig. Seume bewies aus der Prosodie, daß er vollkommen schön sei und lehrte die Richter, was zu einem guten Hexameter erfordert werde. Als aber demungeachtet der Kapitän seine Kritik noch zu behaupten suchte, brachte Seume einen Beweis vor, der entscheiden mußte: er zog seinen Virgil aus der Tasche und zeigte, daß jener Vers aus dem größten Künstler der lateinischen Poesie genommen war. Die Untersuchung über eine Stelle aus dem Virgil führte zu der Frage, wie er in den Dienst gekommen sei? und als Seume hierauf finster antwortete: „durch Gewalt von den Preußen, wie von den Hessen;“ ließ man Gnade für Recht ergehen und befreite ihn von dem Arrest. Der brave General Courbiere, welchen die Preußen, nach der Schlacht bei Jena, mit Achtung öffentlich genannt haben, nahm sich seiner an, erleichterte ihm den Dienst, trug ihm auf, seine Kinder zu unterrichten und empfahl ihn mehreren Familien. Jetzt hatte Seume keine Noth. Aber, weil er nicht hoffen durfte, wieder los zu kommen, und keine Aussicht hatte, befördert zu werden bei der Einrichtung Friedrichs II., nach welcher nur die Adeligen Officirstellen erhalten konnten, dachte er an einen neuen Versuch, zu entfliehen, ungeachtet der erste so wenig gelungen war. Es war Winter; die grundlosen Wege und Felder in Ostfriesland mochten eben hart und die weiten, tiefen Gräben eben zugefroren seyn, als Seume seinen Posten verließ und, in Dunkelheit der Nacht, das Weite suchte. Noch in eben der Nacht fing es an zu thauen; der Regen strömte vom Himmel und machte die Felder, worauf Seume seinen Weg in der Entfernung von der Landstraße und den Dörfern suchen mußte, zu tiefen Morästen. Länger als 24 Stunden war er, durchnäßt und erhitzt, fortgewadet, durch das Eis in tiefe Gräben gesunken, und hatte mit fast übermenschlicher Anstrengung sich bis nahe an die Gränze gearbeitet, als er sich erschöpft fühlte und der Ohnmacht nahe in ein Dorf ging. Die Leute halfen ihm; aus seinen Stiefeln floß das Blut; man legte ihn in ein Bett. Der freundliche Amtmann des Orts besuchte ihn, gab ihm Erquickungen, und sandte ihn den andern Tag auf einem Wagen, sorgfältig in Stroh gepackt, unter einer handfesten Bedeckung, wieder nach Emden in die Ketten zurück. Wer vermochte jetzt den Unglücklichen, welchen Jedermann schon froh in Sicherheit glaubte, den seine Officire selbst mit Jammer wieder eingeliefert sahen, zu retten? Zum Unglück war der General, sein Gönner, mit dem Obersten des Regiments gespannt; Keiner traute dem Andern, um etwas für den Arrestanten gegen die fürchterlichen Kriegsgesetze zu wagen. Die angesehensten Männer in Emden verwandten sich für Seumen mit allen Kräften, doch ohne glücklichen Erfolg; vergeblich bat fast die ganze Stadt. Endlich kam die Jugend, an ihrer Spitze die eigenen Kinder des Generals, und baten mit Thränen und Händeringen für ihren geliebten Lehrer um Gnade. „Kinder,“ sagte der General, konnte aber vor Wehmuth kaum sprechen, „Kinder, ich kann nicht, so gern ich wollte.“ — Man nahm Seumen die Ketten ab und stellte ihn vor das Kriegsgericht, welches ihn zu zwölfmal Spießruthen verurtheilte. Finster und schweigend trat er ab, als der Oberste „Halt!“ rief. Seume trat wieder vor. Der Oberste sprach weiter: „In Rücksicht des sonstigen guten Betragens des Arrestanten, seines moralischen Lebenswandels und des guten Gebrauchs, welchen er von seinen Talenten macht, auch wegen der Art und Weise, wie er in den Dienst gekommen ist, verwandelt das Kriegsgericht die bestimmte Strafe in sechswöchentliches Gefängniß bei Wasser und Brod.“ — Der General setzte halb laut hinzu: „Arrestant wird es wohl auch nicht übel nehmen, wenn ihm die Bürger zuweilen ein Stück Braten senden.“ Dieser Wink wurde gut verstanden. Seume schmausete während der sechs Wochen seines Arrestes, durch die Gutmüthigkeit der Bürger in Emden, besser als der General, und konnte noch von seinem Ueberfluß den Kameraden reichlich mittheilen.

Diese letzte Flucht, die blutige Strafe, welche die preußische Disciplin für eine zweite Desertion bestimmte, und die unerwartete glückliche Wendung, mußten Seumen noch bekannter machen, als er schon vorher war, und ihm allgemeine Theilnahme erwecken. Die Sache hatte durchaus keine nachtheiligen Folgen für ihn; der Dienst wurde ihm nicht schwerer gemacht, seine Freiheit nicht beschränkter, als sie vor seiner Entfernung war; er konnte seine Lehrstunden wieder fortsetzen, und es fehlte ihm an nichts, als an Unabhängigkeit von dem preußischen Dienstzwange. Einst fragte ihn ein begüterter, braver Mann, ein Bürger der Stadt: „Warum, Seume, suchen Sie nicht Urlaub, um einmal nach Sachsen zu reisen?“ — „Ich würde ihn nicht erhalten.“ — „Sie werden ihn gewiß erhalten; bieten Sie nur eine Kaution.“ — „Das kann ich nicht: denn ich habe nicht so viel Geld.“ — „Dann habe ich. Bieten Sie achtzig Thaler; sprechen Sie morgen mit dem General!“ — „Ich komme nicht wieder.“ — „Was geht das mich an? machen Sie das, wie Sie wollen; achtzig Thaler stehen parat.“ — Seume bat um den Urlaub, erhielt ihn, und kam glücklich bei seiner glücklichen Mutter in Poserne an.

Jetzt faßte er den Plan, sich in Leipzig ganz den Wissenschaften zu widmen, und während er seinem Körper, nach so vieler Anstrengung, Erholung gewährte, den Geist in größere Thätigkeit zu setzen. Wovon aber sollten die achtzig Thaler Kaution, die ihm so edelmüthig gegeben waren, wieder erstattet werden? Die gute Mutter hätte gewiß den letzten Heller für den geliebten Sohn und das wiedergefundene Glück hergegeben; aber der gute Sohn verschwieg die Schuld sorgfältig, weil er wollte, daß die liebende Mutter sich um seinetwillen nichts versagen, und in keine Verlegenheit kommen sollte. Der Kreissteuereinnehmer Weiße, der liebenswürdigste Mensch, den ich in einem Zeitraum von einem halben Jahrhundert habe kennen lernen, und dessen Gleichen ich auf meinen Reisen nirgends gefunden habe, schaffte Rath und half Seumen auch aus der Noth, die ihm jetzt noch auf dem Herzen lag. Weiße gab Seumen einen englischen Roman: Honorie Warren, zum Uebersetzen; als dieser mit der Arbeit fertig war, ging jener damit zu dem Buchhändler Goeschen, sagte ihm den Zweck derselben und erzählte ihm die Geschichte des Uebersetzers. Dieser Roman ist 1788 gedruckt erschienen. Das Honorar dafür wurde nach Emden an den Mann gesandt, welcher durch seine Großmuth Seume’s Befreier geworden war, und auf die Wiedererstattung wahrscheinlich gar nicht gerechnet hatte.

Vielleicht haben wenige Schriftsteller ihre Laufbahn aus so edlen Absichten, als Seume, begonnen; denn sein erstes Werk ist ein rührendes Denkmal des Edelmuths eines Bürgers (in Emden), der Dankbarkeit, Redlichkeit und kindliche Liebe des Verfassers, wodurch dieses Buch jedem fühlenden Herzen interessant werden muß.

Jetzt widmete sich Seume, nach einer langen und prüfungsvollen Unterbrechung, ganz den Wissenschaften mit aller der Freiheit, die er sich ehemals gewünscht hatte und mit angeborner Liebe und Ausdauer, an dem Orte, den er ehemals aus freiem Entschluß verließ. Der Abweg, welchen er damals von seiner akademischen Laufbahn einschlug, hatte ihn durch scharfe Dornen, durch ein zwar schmerzliches, doch läuterndes Fegefeuer geführt. Die wirkliche Welt, der Umgang mit edlen und niedrigen Naturen, die sonderbaren Verhältnisse wilder, roher und disciplinirter Menschen im Kampf unter einander und mit den Elementen hatten ihm Lektionen gegeben, welche eine herrliche Vorbereitung zu den Studien der Wissenschaften wurden, und ihn vor Pedanterie, Schulstaub, Gehaltlosigkeit und Uebertreibung sicherten. Um den Aufwand für die geistigen und leiblichen Bedürfnisse auf der Universität zu gewinnen, gab er Unterricht in lebenden Sprachen. Seine Methode war erleichternd für das Gedächtniß, bildend für den Geist, erweckend für das Gemüth; sie und die große Anhänglichkeit der Schüler an ihren Lehrer sind ein Beweis, daß ein vorzüglicher Mensch auf jedem Standpunkt das Rechte trifft und Achtung und Liebe einflößt.

1792 wurde Seume Magister. Der Küster Rothe an der Thomaskirche gab ihm dazu das Geld, zutrauensvoll, ohne Eigennutz, aus reiner Achtung und Zuneigung; ihm ist das Gedicht in den Obolen: An meinen Freund Rothe, gewidmet.

Zum Beweise hinlänglicher Geschicklichkeit zu einem Magister gehörte damals auch die Ausarbeitung einer Chrie nach hergebrachter Form. Das Formwesen war niemals Seume’s Sache gewesen und war es noch weniger jetzt. Da gab es denn beim Examen, statt der Fragen und Antworten, Diskussionen über das Wesentliche in der Meisterschaft der Kunst und in dem Gebiete der Wissenschaft, welche dem Examinator sehr bedenklich und anmaßend vorkommen mußten. Als aber Seume seine Disputation: Die Waffen der Alten, verglichen mit den Waffen der Neuen, vertheidigte, war man zufrieden, und hielt ihn des Rechts, Vorlesungen zu halten, vollkommen würdig. Der Soldat war in einen Magister verwandelt, oder, welches die Eitelkeit lieber hört, in einen Doktor der Philosophie. Man kann nicht mit Gewißheit entscheiden, ob die Natur Seumen mehr Anlage zum Militärstande, oder für die Wissenschaften gegeben habe. Sein Körper war stark, wie seine Seele. Aber es schien, als ob er zur Mathematik, die einem Anführer in Feldzügen unentbehrlich ist, weniger Talent und Neigung hätte, als zu den schönen Wissenschaften, der Philosophie und Philologie. Damals scheint Seume’s Absicht gewesen zu seyn, sich für eine akademische Lehrstelle zu bilden. Er hatte vermuthlich deshalb, als Vorbereitung, die Stelle eines Instruktors und Erziehers gesucht, und eine solche gefunden in dem Hause der Gräfin Igelströhm, durch seinen Gönner Weiße, welcher, durch seine Kinderschriften, das Zutrauen begüterter Eltern in halb Europa erworben hatte und ganz Deutschland mit Hofmeistern versorgte. Jene Dame hielt sich in Leipzig auf, so lange ihr Sohn, der Seume zum Führer erhielt, dort studirte. Der Eleve war wild und sein Erzieher nicht wenig muthig und rasch. Einst, als die jetzt verewigte edle Fürstin, Luise Henr. Wilh. von Dessau, bei der Gräfin von Igelströhm zum Besuch war und bei ihr in einer stillen Laube des Gartens saß, jagten die beiden Herren, wie ein Paar feurige junge Rosse, so gewaltsam vor den nervenschwachen Freundinnen vorüber, daß die Fürstin gar sehr erschrak. „Wer ist der finstre, wilde, junge Mann?“ fragte sie. „Der Führer meines Sohnes,“ antwortete die Gräfin mit Lächeln. „Führer?“ wiederholte die Fürstin und schüttelte den Kopf. „Ja,“ sagte die Gräfin, „und ein sehr guter, wohl unterrichteter Führer! ein sehr redlicher, interessanter Mann.“

Als der junge Graf seine akademischen Studien geschlossen hatte, holte ihn sein Vater von Leipzig ab. Dieser nahm auch Seume mit und führte ihn zu seinem Bruder, dem russischen bevollmächtigten Minister und General en chef. Er wurde Sekretär des Generals, kam mit demselben 1793 in Warschau an, gewann die Achtung desselben und erhielt von ihm eine Officirstelle bei den Grenadieren, damit er Gelegenheit zum Emporsteigen bekommen möchte. Im Besitze des unbeschränkten Vertrauens, mußte er alle wichtige diplomatische Papiere in jener kritischen Periode, welche der Theilungsgeschichte Polens folgte, für die große Kaiserin Catharina die Zweite ausarbeiten. Der General hat nicht unterlassen, den Verfasser dieser Aufsätze der Kaiserin zu nennen, und diese hatte ihm die Beförderung seines Grenadierlieutenants empfohlen.

Igelströhm und Seume! Das war eine Verbindung eigener Art. Der alte Hof- und Staatsmann war üppig, prachtliebend, sinnlich, verständig und klug; aus Diensteifer ein tüchtiger politischer Despot, übrigens ein braver Soldat, großmüthig und gutmüthig. Man hat ihn vieles Bösen beschuldigt: aber Seume hat ihn mit Unparteilichkeit gerechtfertigt in einer Schrift, welche er über die damalige Lage der Dinge in Polen geschrieben hat, und welche gleich erwähnt werden wird. Diesem Manne stand Seume zur Seite, wie wir ihn kennen; Seume, der immer die Wahrheit unverholen sagte und von den polnischen Angelegenheiten ganz andere Ansichten hatte, als der General und die Kaiserin. Demohngeachtet bewies Igelströhm seinem Sekretair privatim und öffentlich die größte Achtung und ein aufrichtiges Wohlwollen. Der polnische General Kosciusko hatte die Russen geschlagen; diese nannten ihn einen Meuter und Bösewicht; Seume sagte, er sei der edelste und bravste Pole, und Igelströhm erwiederte nichts weiter darauf, als: „Mon cher, Sie sind ein sonderbarer Mensch.“ Wenn Seume in seinem schlechten Oberrock manchmal von seinem Schreibetisch aufsprang, um den General über etwas zu fragen, und ohne Toilette durch das Vorzimmer eilte, worin die vornehmen Polen und Russen vom Militär- und Civilstande auf Audienz warteten, so hielten ihn diese für einen Domestiken des Generals und behandelten ihn herablassend; er sie dagegen ohne Komplimente, wie seines Gleichen. Der Mensch kam ihnen noch sonderbarer vor, wenn sie ihn hernach an der Tafel mitten unter sich sitzen sahen, wenn der General ihn nicht anders, als mon cher, nannte, und ihm auch wohl eine seltene Schüssel sandte, wenn er wußte, daß Seume sie gern aß. Die Erscheinung war ihnen ein Räthsel, das sie manchmal aus dem Takt brachte und dessen Auflösung oft komisch genug war. Der Ton an des Generals Tafel war ungezwungen, heiter, interessant und witzig. Nicht selten fochten die dort anwesenden Kriegsmänner mit Epigrammen gegen einander, und unter ihnen waren mehrere, welche, unbeschadet ihrer militärischen Verdienste, mit den Musen so vertraut waren, daß sie während dem Essen, sehr schöne Verse aus dem Stegereif machen konnten. Der junge, schöne Major von Igelströhm, eben so muthig, als geistreich und gut, ein naher Verwandter des Generals und ein glänzender Stern in jener Gesellschaft, war vorzüglich Seume’s Freund.

Nach und nach wurde es in Warschau bekannt, daß der Sekretär bei seinem Chef viel galt; da versuchte man denn eine Zeit lang, ihn zu allerhand vortheilhaften Spekulationen zu benutzen, bis seine Uneigennützigkeit und Redlichkeit eben so bekannt wurden, als die Gunst des Generals, und bis die Bestecher sich einander in’s Ohr flüsterten: „mit dem Menschen ist nichts anzufangen.“ Unter andern bat ein Jude um seine Protektion bei Gelegenheit eines Magazinverkaufs. Er meinte, „es sei doch besser, daß ein so verdienstvoller Mann, wie der Sekretär und ein so ehrlicher Mann, als er, der Kauflustige, bei der Sache gewönnen, als ganz fremde und habsüchtige Menschen.“ „Was wollen Sie denn geben?“ fragte Seume; der Jude nannte eine Summe. „So viel,“ sagte Seume, „ist die Sache nicht werth; es scheint, Sie haben sich sehr verrechnet. Sie werden Ihre Verbindlichkeiten nicht erfüllen können. Bleiben Sie davon!“ „Was?“ erwiederte der Jude empfindlich, „ich mich verrechnen? Ich versichere Ihnen, daß noch eine hübsche Summe schöner Dukaten für Sie, und für mich ein ganz honettes Profitchen übrig bleibt.“ Seume wies den Mann zum General und fertigte ihn mit der Versicherung ab, daß er sich in ihm sehr geirrt habe und auf ihn gar nicht rechnen dürfe. So muß man es anfangen, wenn man arm, aber ruhig leben und sterben will.

Der General Igelströhm versuchte, den Stoiker ein wenig zu sybaritisiren; aber auch er sagte sehr oft in guter Laune: „an dem Menschen ist Hopfen und Malz verloren.“

Auf heiteres Wohlleben folgten nun wieder Schrecken des Todes. Die Kaiserin verlangte eine Reduktion der polnischen Nationaltruppen; die Polen widersetzten sich, und es brach die Revolution, welche schon lange unter der Asche glimmte, endlich in vollen Flammen aus. Ueber 100,000 Polen hatten sich verschworen, und, was unglaublich scheint, diese aus Menschen aller Art zusammengesetzte Verschwörung blieb zwei Jahre lang verschwiegen. Die interessante Begebenheit, ihre Veranlassung und Folge, erzählt Seume in einer Schrift unter dem bescheidenen Titel: Einige Nachrichten über die Vorfälle in Polen im Jahre 1794, Leipzig 1796, welche er dem Herrn Grafen von Hohenthal auf Knauthayn aus Dankbarkeit zugeeignet hat. Er sagt in der Vorrede:

„Es war einer der schönsten Tage meines Lebens als ein rechtschaffner Mann mich Ihnen, verehrungswürdiger Wohlthäter, einst mit den Worten empfahl: Er ist ein Knabe guter Art; der Segen seines Vaters ruht auf ihm. Seine Empfehlung galt, und noch jetzt thut dem Kriegsmanne die Erinnerung so wohl, als sie dem Jüngling am Grabe des Vaters that.“ — — —

Nachdem er die Verbindlichkeit, welche der Graf ihm aufgelegt, öffentlich erkannt hat, fährt er fort:

„Wenn irgend eine gute Seele bei einer gutgedachten und gutgesprochenen Stelle mir mit einer leisen Empfindung des Dankes lohnen sollte, so übergebe ich Ihnen den Zoll, den ich durch Ihre Güte zu empfangen in den Stand gesetzt wurde.“

Die Darstellung jener fürchterlichen Tage in der genannten Schrift, als ein wichtiges Stück aus Seume’s Leben, und von ihm selbst geschrieben, muß hier mit seinen eigenen Worten eingeschaltet werden.

„Nachdem die Russen von den Polen geschlagen waren, fingen die Unruhen auch in Warschau an. Der General Igelströhm nahm dagegen Maßregeln und nun brach das Blutbad am grünen Donnerstag aus. Die Polen glaubten das Prävenire wählen zu müssen. Ungefähr 4000 polnisches Militär befand sich in Warschau, für welches ihre Chefs mit ihren Köpfen zu bürgen versprachen; aber ihre Bürgschaft half den Russen nichts. Das Verständniß war nur unter einigen kleinen Officiren von der Krongarde zu Fuße und zu Pferde und von der Artillerie, kaum einigen Hunderten Gemeinen und einigen Hunderten der unternehmendsten Köpfe von der Populace. Sehr wenige Staabsofficire entschlossen sich, Partei zu nehmen. Die Subalternen führten ihre Kompagnien, als ob es zum Exercirplatz ginge, und Alles gewann bald ein ziemlich wohlgeordnetes Ganze. Um Mitternacht brachten die Kosaken schon Rapport von häufigen Bewegungen. Die Mirsche Kavallerie that früh ungefähr um fünf Uhr den ersten Angriff auf einen russischen Posten von zwei Kanonen, nicht weit vom eisernen Thore hinter dem sächsischen Palaste, war glücklich in schneller Ueberraschung, hieb den größten Theil der Leute nieder, vernagelte die Kanonen und bald lief das Feuer durch die ganze Stadt. Die Russen waren sogleich auf ihren bestimmten Posten, aber Alles war noch wie in einer fremden Welt und wußte so wenig von der Absicht der Andern bei dem Lärm, daß russisches und polnisches Militär noch mit Honneurs vor einander vorüberzogen. Mit vieler Geschicklichkeit hatten die Polen, welche natürlich die russischen Posten wußten, die verschiedenen Kommandos abgeschnitten. Nun gab es erst Erklärungen, und im Kurzen war Alles in Feuer. Die Polen öffneten das Zeughaus und führten ihre zahlreiche, ziemlich wohlbediente Artillerie heraus, und fingen an, aus allen Kräften mit derselben zu arbeiten. Bis ungefähr um zehn Uhr war das Gefecht noch sehr furchtsam von Seiten der Polen, indem die Populace sich noch scheute, sogleich thätig Parthei zu nehmen. Aber um diese Stunde hatte man schon einige Officire gefangen, einige Posten und einige Kanonen genommen, und Alles strömte nun nach dem Zeughause, um Waffen und Munition zu holen, welche man denn auch an Alle und Jede mit Vergnügen austheilte. Auch war schon an verschiedenen Orten Munition aufgeführt. Man stelle sich vor, daß von den Russen nicht mehr als 5500 Mann unter dem Gewehr standen, daß fast eine gleiche Anzahl polnischer Soldaten und gewiß über 20,000 Bewaffnete aller Art gegen dieselben fochten, daß die Polen eine Ueberlegenheit in der Menge ihrer guten und wohlbedienten Artillerie hatten, daß sie überall den Vortheil der Position in den engen Gassen und allen Plätzen durch genauere Kenntniß der Lokalität sich zu erwerben wußten, daß sie nicht von Enthusiasmus, sondern von Wuth hingerissen blind auf den Tod liefen; nehme man dieses Alles, und man kann fast nach mathematischer Berechnung den Ausgang der Aktion bestimmen. Einige Bataillons der Unsrigen gingen unstreitig etwas zu frühe unter dem Kommando des General Novitzky, aus der Stadt, und das Ganze konnte also deswegen noch weniger einen Vereinigungspunkt gewinnen. Hätte der General Igelströhm am Donnerstage das ganze Unternehmen der Polen, alle ihre Vortheile und die ganze augenblickliche Lage der Seinigen gekannt, ich bin versichert, er würde nicht mit Hartnäckigkeit die Stadt haben behaupten wollen, da ihm der Rückzug noch frei stand. Aber Mangel an Kommunikation ließ selbst den kommandirenden General nur einen Theil der Geschichte übersehen, und diese Kommunikation war unter den Umständen gar nicht so leicht, als Mancher wohl glauben dürfte. Es wurden viele Kuriere erschossen oder gefangen, die von einem Posten zum andern geschickt wurden. Das Gefecht dauerte mit abwechselndem Glücke, den ganzen Donnerstag fort. Eine offene Feldschlacht ist, nach dem Zeugniß aller alten Officiere, ein Spielwerk gegen eine solche Mönchsklepperei, wo der ehrliche Kerl aus dem Winkel niedergeschossen wird, ohne einen Feind zu sehen. Die Schüsse flogen von den Ecken, aus den Kellern, aus den Fenstern, über die Mauern, von den Dächern, und von unten und oben und von allen Seiten und überall war Tod, und Niemand zeigte sich. Ungefähr siebenzig Kanonen von verschiedenem Kaliber arbeiteten ohne Aufhören durch die Plätze und Gassen der Stadt; bald drängten die Russen, bald die Polen. Das Rikoschet der Kartätschen rasselte grell von einer Mauer zur andern, und schlug nieder, was die geraden Kugeln nicht fassen konnten. Schon waren die Straßen mit Leichen gestreut. Man konnte schon deutlich sehen, daß wir uns unmöglich würden halten können. Die Nacht brach ein, das Postengefecht dauerte fort. An allen Ecken und Plätzen der Stadt arbeitete das Geschütz, und das kleine Gewehr machte von allen Quartiren eine grelle Musik während der Pausen. Die Nacht war furchtbar schön. Der Himmel schien sie gemacht zu haben, um den Menschen Spielraum zu ihrer Thorheit zu geben; mit glänzender Ruhe blickte der Mond auf den Wahnsinn der Elenden herab. Die beiden Abende werden lange, vielleicht immer, ihr Bild in meiner Seele lassen; es ist groß und schrecklich. Der ferne und nahe Donner der Stücke, der sich fürchterlich dumpf durch die Straßen brach, das Gekletter der kleinen Gewehre, der hohle Ton der Lärmtrommeln, der Todtenlaut der Sturmglocken, das Pfeifen der Kugeln, das Heulen der Hunde, das Hurrahgeschrei der Revolutionäre, das Klirren ihrer Säbel, das matte Aechzen der Verwundeten und Sterbenden; nehmen Sie dieses Alles in der tiefen, hellen, herrlichen Mitternacht, und vollenden Sie das Gemälde nach Ihrem eigenen Gefühl! Ich vergaß unter der Größe des meinigen der Gefahr und freute mich einige Augenblicke, bei der schaurigen Scene gegenwärtig zu seyn. Schon den Donnerstag Nachmittag waren die Polen in das Hintertheil des Igelströhmischen Palastes, wo der Ingenieurgeneral von Suchteln stand, einmal eingedrungen, und hatten aus demselben alle Hofzimmer, unter denen die Gesandtschaftskanzlei war, mit ihren Kugelbüchsen zerschossen; wurden aber nach einer Stunde wieder daraus vertrieben. Von allen Seiten wurde der Palast gedrängt, und schon gegen fünf Uhr Abends das hintere Thor, welches die Polen mit Gewalt zu erbrechen suchten, verrammelt, und der Thorweg mit todten Pferden gesperrt. Zu verwundern war es, daß nichts Feuer fing, indem das Schießen von beiden Seiten so heftig war, daß man vor Dampfe keine Hand breit im Hofe sehen konnte. In der Nacht selbst gab der General die Hoffnung auf, sich länger halten zu können. Die Zeit eines glücklichen Rückzugs war verstrichen, und nun dachte man blos auf Rettung. Der General schickte verschiedene Officiere als Kuriere zu dem damaligen Brigadier Mokronowsky, der an der Spitze der Revolutionäre stand, um wegen des Auszugs zu verhandeln; aber keiner kam zurück; und wenn man auch dieses Verfahren der Polen mit der allgemeinen Verwirrung entschuldigen wollte, da man ihnen durch die Wuth des Pöbels keinen sichern Rückweg schaffen konnte, so ist doch das folgende Benehmen der Herren, die durchaus mit ihren Kanonen Gerechtigkeit predigen wollten, sonderbar genug, indem man alle diese Officiere, unter welchen selbst der Brigadier Bauer sich befand, hernach als Kriegsgefangene behielt, da sie doch auf Treu und Glauben mit Trompetern gekommen waren; eine von den vielen Inkonsequenzen, die man in der Geschichte findet! Der General Igelströhm schaffte sich endlich mit ungefähr vierhundert Mann, nachdem er sich im engsten Gedränge noch bis den Freitag Nachmittag geschlagen hatte, mit Gewalt nach der Seite von Povonsk einen Ausweg. Hätten die Polen Disposition und Entschlossenheit genug gehabt, so wären wenige Russen durchgekommen, gestehen selbst einige wackere Officiere von den Unsrigen, die bei der Retirade waren; aber die Russen fochten wie Russen. Die Grenadiere wiesen jeden Vorschlag und Zuruf, sich zu ergeben, mit Verachtung zurück, und sagten: „ihre Bajonette würden ihnen schon Durchgang verschaffen.“ Auch schleppten sich wirklich schwer Verwundete unter dem heftigsten Feuer von allen Seiten bis vor die Stadt hinaus, wo sodann die herbeieilenden Preußen ihren Rückzug deckten. Ich hatte das Unglück, da ich eben einen schwerverwundeten Kameraden, den ich schon einigemal besucht hatte, auf noch einige Augenblicke sehen wollte, in der Eile zurückgelassen, abgeschnitten, von einem Orte zum andern getrieben und endlich gefangen zu werden. Was seit der Zeit im Felde vorgegangen ist, kann ich nicht als Augenzeuge, sondern nur durch Nachrichten und aus der Wirkung wissen, die es auf Warschau hatte; und auch dieses nur unzulänglich, da unsere Gefangenschaft so enge war, daß wir Kriminalverbrechern ziemlich ähnlich sahen.

„Den Freitag Nachmittag hatte sich also der General Igelströhm mit den einigen Hunderten, die er noch zusammenziehen konnte, durchgeschlagen und sich mit den Preußen vereinigt. Die Zurückgebliebenen wurden meistens niedergemacht, wenn sie nicht so glücklich waren, einem vernünftigen Militär oder sonst menschlichen Menschen in die Hände zu fallen. Ich verbarg mich im Hotel des Grafen Borch, wo mein verwundeter Freund lag, in welches ich, als ich zu den Unsrigen retiriren wollte, von einer Partei zurückgetrieben wurde. Das Gemetzel fing nun erst an recht wüthend und grausam zu werden, da die Polen nun entschieden überall das Uebergewicht hatten, und der bewaffnete Pöbel selten Gefühl für Menschlichkeit hat; und das Schießen dauerte, wiewohl nicht so stark als gestern und heute Vormittag, durch die ganze Stadt fort, bis ohngefähr um Mitternacht, wo sodann nur unterbrochen aus kleinem Gewehr gefeuert wurde. Den Sonnabend früh fing es in einzelnen Parteien, wo sich noch die Feinde trafen, zuweilen hartnäckig wieder an, indem sich einige Rotten Russen wie Verzweifelte wehrten; hörte aber gegen den Mittag ganz auf. Denn jetzt wurde zur Ruhe geschlagen und geblasen; und hier muß ich gestehen, so groß vorher das Geschrei, der Lärm, das wilde Geschieße und verworrene Geheul bei Morden und Plündern gewesen war, so schnell war nun alles stille; es fiel kein Schuß, kein Schlag mehr. Ich war so glücklich gewesen, vor der Wuth der besoffenen Parteien mich verborgen zu halten, indem ich wirklich in den Todesstunden, wo keiner der Unsrigen, als nur Erschlagene und Halbtodte, mehr zu sehen war, meine Retirade hinter ein großes Bollwerk alter Fässer auf einem der obersten Böden nahm. Unzählige Parteien zogen zu Mord und Raube unter und neben mir hin, rekognoscirten glücklich umsonst alle Schlupfwinkel um mich her, und zogen mit dem tröstlichen Fluche fürbaß: „Verdammt, hier sind keine Russen.“ Sie sehen, lieber Freund, daß ich sehr offenherzig erzähle, da Niemand um die Geschichte weiß, als ich selbst; denn daß ich die Nacht vom Charfreitag zum heiligen Sonnabend hinter einer Batterie Tonnen auf einem der höchsten Böden Warschaus über Welt und Menschen und ihre und meine Narrheit philosophirte, wird man wohl schwerlich unter die Heldenthaten rechnen.

„Nachdem ich einmal das Unglück gehabt hatte, zurück zu bleiben; und wer damals zurückblieb, den konnte man eben nicht geradezu der Poltronerie zeihen; nachdem ich mich ferner ziemlich mathematisch überzeugt hatte, daß ich allein wohl schwerlich Warschau behaupten würde, so fing ich omnibus modis an darauf zu denken, wie ich nun meinen Hirnschädel endlich sichern wollte; und der Himmel war so gnädig mich zu schützen. Der fürchterlichste Augenblick meines Lebens war den Sonnabend Morgens, als das Gefecht in einzelnen kleinen Partien wieder anfing. Es hatten sich nämlich noch einige von unsern Soldaten, mit mehreren Bedienten, Weibern und Kindern von der Ambassade auf einen Boden des andern Flügels retirirt, den von mir nur eine dünne Bretterwand schied. Eine starke Partei vermuthlich von gestern, oder schon wieder heute besoffener Polen, drangen auf den Boden, und die russischen Soldaten wollten den Angriff zurücktreiben. Das Gefecht fing also oben an. Stellen Sie sich vor, auf einem Obergebäude das Krachen der Schüsse, das Geklirr der Gewehre, das wüthende unartikulirte Gebrülle der Polen, das Geschrei der Russen, das Kreischen der Weiber und Kinder in der Todesangst; es ist doch etwas ganz anders, als wenn man dergleichen nachgemacht auf dem Theater sieht und hört. Ich selbst war für mich in diesem Momente in Sicherheit: aber mein Gefühl ergriff mich mächtig; ich bebte, ich fühlte Kälte durch meine Glieder fahren, die Haare starrten unter dem Hute; ich glaube, es war selbst Todesangst: es war eine unnennbare schreckliche Empfindung, die ich in meinem Leben weder vorher noch nachher gehabt habe. Mir war diese Erfahrung Bestätigung einer Meinung, die ich immer gehabt habe: um das Gefühl eines Mannes zu seiner Höhe zu treiben, gehört nothwendig die ganze Macht der Sympathie: Zufälle seiner eigenen abgesonderten Individualität reißen ihn nie so sehr außer sich, daß er sein Gleichgewicht verlöre, oder er verdient nicht mehr, daß man ihn Mann nenne. Ich hatte während der ganzen Zeit meiner Kryptomilitärschaft hinter den Tonnen meinen Degen in der Faust, um ihn an vernünftige Leute mit Anstand abzugeben, oder ehrlich in der Arbeit zu sterben, wenn mich eine Rotte Bedlamisten entdeckte; ein Tertium war schwerlich denkbar. Ich hatte seit Mittwoch Abend nichts als einige Bissen Konfekt gegessen, die mir ein Soldat vom Raube reichte, und einigemal einen Trunk Wasser getrunken; Sie können also leicht denken, daß mich den Sonnabend früh Hunger und Durst plagte. Ich rekognoscire von oben herab die Straße, als sich der Lärm etwas zu legen anfing; aber alles war noch voll Verwüstung und Verwirrung. In dem Hofe des Palastes waren zum wenigsten noch einige Hunderte bunten Gesindels aller Art, mit Waffen aller Art, schrieen Sprachen aller Art durch einander: und nur zuweilen brach mit unaufhaltbarer Gewalt der Jubel: „Freiheit und Kosciusko!“ durch den Haufen. Ganz matt warf ich mich auf den Boden und schlief recht ruhig ungefähr eine Stunde, als mich der hohle Lärm von Fußtritten und das Stampfen der Gewehrkolben weckte: ich fuhr auf, und setzte mich wieder in meine alte Positur; aber auch diese Gesellschaft ging fluchend vorüber, ohne mich zu wittern. Ich wartete noch eine Weile; Hunger und Durst fingen von neuem an gewaltig zu werden; ich häsitirte noch etwas, denn wer häsitirt nicht ein wenig, ehe er den Fuß rückt, wenn der Schritt den Kopf gilt? auch wenn er ziemlich hungrig und durstig ist. Nach kurzer Ueberlegung ließ ich den Degen liegen, riß die Kordons vom Hute, warf Feldzeichen und Feder weg, und marschirte so entschlossenen Muthes, da ich zum Glück nur einen blauen Ueberrock an hatte, durch das Getümmel. Zwei Schildwachen standen am Eingange des Hauses, vier am Thore; Niemand bemerkte mich, unter der Verwirrung. Alle Strassen lagen voll todter Pferde, Sättel, Mäntel, Monturen, Kasken und Exuvien aller Art; die Kadaver der Gebliebenen hatte man gleich des Morgens gesammelt, und in den verschiedenen Gegenden der Stadt in Haufen gestapelt, um sie zu zählen, und von da sie zu begraben, oder in die Weichsel zu werfen. Mich däucht, in der Geschichte mehr Beispiele gelesen zu haben, daß man bei Warschau die Todten in die Weichsel warf. So philosophisch man auch denken mag, empört ein solches Verfahren doch immer das Menschengefühl. Ehemals sah man es als etwas Charakteristisches der alten Barbarei an, und jetzt kann es ein Beispiel seyn, daß unser Jahrhundert sich von derselben bei weitem noch nicht völlig losgemacht hat. Alles fand ich auf der Straße: die Revolutionären mit noch blutigen Waffen unter Hurrahrufen, die andern als Neugierige und nicht wenige zeigten sich, zu ihrer eigenen Sicherheit; indem niemand sicher war, der nicht wenigstens an der Freude äußerlich Theil nahm. Pistolen und bloße Säbel waren in Aller Händen; und ich habe selbst Männer wandeln gesehen, die zwei Paar Pistolen im Gürtel trugen, in der einen Hand den Säbel hatten, und am andern Arm eine Dame führten. Sie können sich leicht vorstellen, daß meine Promenade keine der angenehmsten war; ich durchwandelte, ohne geflissentlich viel Notiz zu nehmen, einige Gassen. Das Haus des General Igelströhms war ganz zerstört, es stand nur das Gerippe davon da; in denjenigen einiger andern Russen hatte man nicht viel glimpflicher gehaußt. Mein erster bestimmter Gang war zu dem sächsischen Major Herrn von Geßnitz, bei dem ich als einem Landsmanne mir die erste Nachricht von dem Ausgange und der Lage der Sachen holen wollte, da ich selbst weiter nichts wissen konnte, als daß die Unsrigen fort waren. Der Major kam mir mit weit größerer Angst entgegen, als ich selbst hatte, und bat mich um Gotteswillen, nicht in sein Haus zu kommen. Dem Vater einer Familie mußte dieses Gefühl natürlich seyn; ich versicherte ihn, daß ich durchaus nicht meine Sicherheit auf Kosten der seinigen erkaufen wollte, auch wenn man mich vor seiner Schwelle niederhauen sollte. Er konnte oder wollte nicht viel sprechen, und schien meine augenblickliche Entfernung zu wünschen. Auf seinen Rath sollte ich nach dem Rathhause in der Altstadt zu dem erwählten Präsidenten Sakreczewsky gehen, und mich zum Arrest melden. Unwillkührlich marschirte ich von ihm fort durch den Sächsischen Hof, um einen andern Freund, den Doktor Blauberg, aufzusuchen, der als Arzt doch nicht mit bei der Schlächterei gewesen seyn konnte. Hier erschien ich als ein Gespenst: denn ich sollte mit Gewalt den vorigen Tag nicht weit von dem Hause gefallen seyn, und die Bedienten hatten noch die Identität meines Kadavers nach genauer Besichtigung behauptet. Kaum wollte man mir glauben, daß ich selbst das Gegentheil versicherte. Den Doktor selbst hatte man eine halbe Stunde vorher als den Russen anhängig abgeholt, und sein alter Schwiegervater bat mich inständig, ihn nicht in Gefahr zu setzen. Er bot mir Säbel und Pistolen an, damit ich unter der Maske eines Revolutionärs sicher in das Arsenal kommen könnte. Ich liebe nie die Maske; ich dankte ihm, und wandelte voll Verdruß einige Gassen auf und ab. Der Mann meinte es gut; er war selbst Pole, und konnte nichts anders thun, wir waren beide in Verlegenheit. Ich kam unvermerkt wieder in den sächsischen Garten, und hielt hier, auf dem besten Spaziergange in Warschau, mit mir selbst Kriegsrath, was ich wohl mit meinem Kopfe anfangen sollte. Alle Ausgänge waren besetzt, die Gegend wimmelte von Truppen und wilden Revolutionären; und vor der Stadt, sagte man mir im Hause des Doktors, wird alles niedergehauen, was man auffängt. Noch unentschlossen was ich thun sollte, war ich in Gedanken in die Krakauer Vorstadt gekommen, und hier hielt das Schalinskische Regiment mit seinen Kanonen. Einige Officiere sprachen französisch, und plötzlich fiel mir ein, es wäre am besten, ich bliebe hier; und sogleich war ich bei ihnen. „Meine Herren,“ sagte ich, „ich bin ein russischer Officir, bei Ihnen kann ich hoffentlich sicher seyn.“ Sie sahen mich voll Verwunderung an, und mir selbst war es nun unbegreiflich, wie ich, da ich doch Uniform-Unterkleider trug, und der Hut mit Knopf und Litze noch ganz militärisch aussah, durch das wüthige Gewimmel gekommen war. Meine erste Bitte war um etwas Trinken, und sie ließen sogleich aus der nahen Apotheke etwas Zimmetwasser holen, welches, mir mit einem Stücke Kommißbrot auf der Kanone recht köstlich schmeckte. Die Officiere waren sehr höflich und artig, und fragten und sagten manches über die Begebenheit; einige davon erinnerten sich nun, mich in der Uniform gesehen zu haben. Sogleich versammelten sich um uns her einige Dutzend von der Populace, und fragten mit grimmigen Blicken, ob ich kein Russe wäre? da ihnen aber ein Officier sagte, ich sei ein Franzose, und sie mich französisch sprechen hörten, gingen sie halb mißtrauisch weiter. „Sie haben uns viel, sehr viel zu schaffen gemacht,“ sagte mir sodann ein Officir, welcher deutsch sprach; „unser Regiment hat 250 Mann Verlust; aber wie konnte Ihr General die Stadt gegen unser Militär, unsere starke Artillerie, unsere ganze bewaffnete Bürgerschaft, gegen alle unsere Vortheile, die uns Lokalkenntniß gab, behaupten wollen? Wahrlich die Idee war gigantisch.“ Ich sagte ihm, daß man Vorfälle nicht immer vorher sehen könne, und daß keiner gewinnen würde, wenn sich der Andere nicht verrechnete. Alle waren sehr artig; und zwei von ihnen begleiteten mich nach dem königlichen Schloß, wo mich Mokronowsky, der eben dort war, auf die Hauptwache bringen ließ. — — —

Als ich den Sonnabend Nachmittag im Schlosse anlangte, hatte man eben vor dem Schloßthore noch einige Russen niedergehauen, die die Wache nicht retten konnte. Nun fing die Ungezähmtheit und Gesetzlosigkeit an, ihre Kräfte zu zeigen. Alles trug Waffen; und nur sehr wenige hatten Vernunft genug, um zu sehen, was weiter geschehen würde. Es führte zu blos Haß, Wuth und Wahnsinn; und um die Grausamkeiten zu beschönigen, erdichtete man die lächerlichsten Beschuldigungen. Leicht ist es, die Rache des Pöbels zu reizen, aber sehr schwer, sie zu besänftigen. Man sprach von Freiheit, und Niemand hatte davon einen Begriff; alles war zügellos, und bei der geringsten Veranlassung drohete man, alle Gefangene ohne Unterschied zu morden. Die einstweilige Regierung wandte zwar alles an, um wieder Ordnung herzustellen; aber folgendes Beispiel zeigt, wie schwach das Ruder gegen den Sturm war. Bei einer kleinen nichtswürdigen Veranlassung wurden den ersten Osterfeiertag achtzig russische Gefangene niedergemetzelt. Ich habe die Geschichte mit den Umständen von einem Polen, der Augenzeuge des schändlichen Schauspiels gewesen ist, der zuvor nichts weniger als russischer Partisan war, aber nach und nach, durch wilde Unordnung und dergleichen Unmenschkeiten getrieben, selbst in der größten Gefahr fast immer für uns war. Obige Anzahl Gefangener sollte von einem Orte zum andern gebracht werden. Alles geht, natürlich voll Neugierde, bewaffnet vor, neben und hinter ihnen her, um recht nach Herzenslust spotten und schimpfen zu können, welches jederzeit das Vergnügen des Pöbels jeder Art ist. Ein kleiner giftiger Junge, dem vermuthlich die Physiognomie eines der Gefangenen zuwider war, oder der von ihm auf seine Spottfragen eine nicht genug demüthige Antwort erhalten hatte, schießt mit der Pistole nach ihm, trifft aber zum Unglück einen dabei kommandirten Officir durch den Arm, und hatte die listige Bosheit, die Pistole dem Gefangenen unter die Füße zu werfen, und zu sagen: dieser habe sie ihm aus dem Gürtel gerissen, und nach dem Officir geschossen. Alles ward wüthend, schrie Halt! und wollte sogleich über die Gefangenen herfallen. Die Menge wuchs, man führte schon Kanonen mit Kartätschen herbei, und kein Ansehen einiger herbeigeeilten Magistratspersonen half etwas. Die Gefangenen fielen auf die Knie, baten flehend und mit gefalteten Händen, man möchte untersuchen, und den Schuldigen tödten; nichts, man drohete, alle Gefangene in allen Gefängnissen zu ermorden, wenn man ihnen nicht diese Preis geben wollte. Die Krise war schrecklich: das Militärkommando nicht stark genug, den bewaffneten Pöbel zu zähmen; er fiel mit dem Säbel über die armen Elenden her, und metzelte sie mehr als schlächtermäßig alle nieder. Leute, die zugegen gewesen sind, können das Gräßliche des Anblicks nicht genug beschreiben, wie die noch zuckenden rauchenden Glieder der Zerstümmelten in einem kleinen Raum auf der Methstraße umher gelegen haben. Das ist Volkswuth. Gesetzt auch, welches doch selbst Polen als nicht wahr eingestehen, daß der Gefangene die Pistole im Grimm ergriffen habe, so konnten doch nur Unmenschen deswegen so viele Unschuldige niederhauen. Dieses war einer der kritischen Augenblicke für die Gefangenen; und der Major Wengersky, der durch seinen Volkston viel Ansehen und Gewalt über die bewaffnete Menge hatte, sagte nachher zu uns: „Kinder, dieser Sturm war gestillt; gebe Gott, daß er nicht von neuem ausbreche. Seyn Sie um Gottes Willen ruhig und vorsichtig; denn in dieser Lage kann man für nichts stehen.“ In der Schloßwache waren ohngefähr sechzehn gefangene Officiere von den Unsrigen, die meisten verwundet, und einige sehr schwer. Hier wurden wir aus des Königs Küche gespeist, und man begegnete uns mit vieler Artigkeit. Nach vierzehn Tagen wurden die Kranken in das Spital, und wir übrigen in das Kommissionshaus gebracht, wo wir mehrere unserer Kameraden vorfanden. Hier trat die neuerwählte Kommission ihre Funktion förmlich an, und wir gewannen täglich mehr das Ansehen von Kriminalisten. Kaum hatten wir Stroh zum Schlafen; zum Essen nicht Messer und Gabel; und erst nach einigen Wochen ließ man sich bedeuten, daß wohl schwerlich ein Officier über Tische mit einer Gabel sich oder seine Wache tödten würde. Man fing an uns Messer und Gabel, jedoch nur bei Tische, zu erlauben, und jedesmal standen bei dem Essen doppelte Posten mit bloßem Säbel, oder gespanntem Hahn. Bier wollte man anfangs nicht zulassen, aber an Branntewein fehlte es nie, welches mir gewaltig inkonsequent däuchte. Bücher sollten gar nicht, und noch weniger Schreibmaterialien erlaubt werden, so daß sogar ein Arzt sein anatomisches Kompendium verstecken mußte, das er noch durch Zufall gerettet hatte. Hernach wurde man humaner, und endlich hatte Herr Sablotzky von der Kommission sogar selbst die Güte, mir einen beträchtlichen Vorrath Papiere zuzustellen, weil er wußte, daß ich ein Poetaster war, und die Poeten sich um politische Intriguen sehr selten bekümmern. Die zweite Krise war vor dem Tage der Hinrichtung der Herren Ozarowsky, Ankewicz, Kossakowsky und Sabiello. Ankewicz, gewesener Präsident des Conseil permanent, hatte, sagt man, einen falschen Lärm veranstalten lassen, als ob die Russen und Preußen zurückkämen, um die Stadt anzugreifen; bei dieser Gelegenheit sollte dann seine Partei die Gefangenen befreien und so vereinigt versuchen, ob für ihn und sie nicht Rettung möglich wäre. Alles stürmte nach dem Arsenale; es wurden Kanonen vorgefahren, es fielen hin und wieder Schüsse, und kein Gefangener durfte es wagen, sich am Fenster zu zeigen, so drohete man abzudrücken. Man fand den Lärm bald falsch; aber alles war deswegen in der entsetzlichsten Gährung. Dieses war ein Donnerstag; den Freitag wurden schnell die Dekrete für die Obenbenannten abgefaßt, und sie wurden hingerichtet. Noch immer droheten unvernünftige und wahnsinnige Schwärmer den Gefangenen den Untergang, und die Strenge gegen sie ließ nicht nach. Man erlaubte kein Licht und keine Bücher, aber wohl Brantewein und Karten; eine Maßregel, die mir ganz abderitisch vorkam; denn wirklich waren unter einer Menge junger Leute, die auch nicht alle die feinste Bildung hatten, über dem Spiele Rausch und heftiger lärmender Zank nicht selten. Einige Tage nachher hatten einige Officiere von Distinktion für mich die Erlaubniß erhalten, daß ich in den sogenannten Brühlschen Palast gebracht wurde, wo ehemals Repnin und Stakelberg gewohnt hatten, und wo alle Ausgezeichnete unter den Russischen Gefangenen und das ganze Corps diplomatique saßen. Alle waren bis auf das letzte Hemde ausgeplündert; eine Methode, die sich doch wahrlich nicht mit der gepriesenen Menschlichkeit der Revolutionäre vertrug! Noch einige Monate nach der Periode machte der Graf Moschinsky dem General Suchteln ein Geschenk mit einem Hute, weil er beständig hatte müssen mit bloßem Kopfe gehen. Man erlaubte selbst keinem Officiere, das Geld zu empfangen, das ihm von seinen Verwandten von außen her zur Erleichterung ihres Zustandes zugeschickt wurde, sondern zählte es ihnen nach und nach in Dukaten zu, daß sie sich kaum einzelne Kleidungsstücke machen lassen konnten. Dieses ist zu entschuldigen, da die traurigen Verhältnisse es nothwendig machten; daß man aber die Officiere wie Missethäter auf der Erde liegen ließ, daß man ihnen nicht einmal eine breterne Bettstelle, lange Zeit nicht einmal einen groben Strohsack, und nur höchst wenig erbärmliches Stroh zum Lager gab, ist wohl unter gesitteten Völkern ohne Beispiel. Man ließ uns nicht in die Stadt gehen aus Besorgniß vor der Wuth des Pöbels, und daß die Besorgnisse nicht ungegründet waren, beweist der fürchterliche Aufstand, in welchem der Fürst-Bischof Massalsky, der Fürst Czetwertinsky, der Geheimerath Boskamp, der Kriminalgerichtsassessor Wulfers und mehre andere ihre Opfer wurden. Zwar muß ich selbst hier der Populace die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie, als sie die Thore mit Gewalt gesprengt hatten, gegen die Kriegsgefangenen nicht das Geringste weder sprachen noch thaten, sondern einigen Erschrockenen und Weibern vielmehr Muth einredeten, und, wie sie sagten, nur die Verräther, ihre Landsleute, zum Galgen schleppen wollten. Allein wer kann einer wüthenden Menge trauen? Nur ein Funke ist genug, ein ganz neues Feuer anzublasen.

„Der Feind rückte heran; die polnischen Truppen unter Kosciusko waren auf ihrer Retirade nicht weit mehr von Warschau. Die Gefängnisse waren voll Staatsgefangener, welches eine starke Wache forderte. Der Dienst in den Schanzen war natürlich sehr strenge und lästig; die Arbeit beschwerlich. Sogleich machen einige Hitzköpfe das Projekt, die gefangenen Polen, die alle den Tod verdient hätten, oder doch die Vornehmsten de facto hinrichten zu lassen. Man richtete des Nachts an zwölf verschiedenen Orten Galgen auf und auch vor dem Thore des Brühlschen Palastes ward unter einer Menge Fackeln und dem lautesten Vivatrufen so ein Instrument des Volksgerichts aufgepflanzt. Die Kommission ließ mit Anbruch des Tages manche niederreißen, und auch den vor unserer Pforte; aber kaum erfuhr es die erbitterte Menge, so kam sie mit großer Verstärkung unter den Waffen, und richtete ihn unter dem gräßlichsten Lärm wieder auf. Einige Delinquenten hatten wirklich Sentenz, und sollten diesen Tag gehangen werden; aber man stürmte alle Gefängnisse und führte mit Gewalt heraus, wen man bestimmt hatte. Der Fürst Bischof wurde unter unserm Fenster dicht an dem Thore in Pontifikalibus gehangen, die übrigen schleppte man an verschiedene Orte, und oft von einem Galgen zum andern, wenn der eine schon besetzt war. Verschiedene von den polnischen Officieren, die bei diesem Tumulte Ordnung schaffen wollten, wurden verwundet. Die Krise ließ das Schlimmste befürchten. Zum Glück rückte Kosciusko nach dem Verlust des Treffens bei Cezechoczin mit der Armee immer näher nach der Stadt, und schickte sogleich einige tausend Mann Kavallerie herein, welche die Ordnung wieder herstellen half. Auf den offenen Plätzen wurden Piquets mit Kanonen aufgestellt, und gegen die Ruhestörer mit Strenge verfahren; so daß einige Tage nachher einige Tausend müßige Taugenichtse als Rekruten zur Armee geschickt wurden.

„Die Belagerung der Stadt von den Preußen fing an; und während der ganzen Zeit war die Stadt selbst in der größten Ruhe. Man begegnete nun den Gefangenen, so viel als man in der Lage erwarten konnte, mit Achtung und Anstand, ob man gleich natürlich von der Strenge nichts nachlassen konnte.“ — —

Die Preußen hatten Warschau zwar belagert, aber nicht genommen. Suwarow verstand das Ding besser, erschien, nahm, zog siegend in die Stadt ein und befreite die russischen Gefangenen.

Seume’s Freunde in Leipzig hielten ihn als ein Opfer der revolutionären Wuth für verloren; aber wie wurden sie überrascht, und nicht wenig erfreut, als er gerettet und wohlbehalten wieder vor ihnen stand! Er kam auf Befehl der russischen Kaiserin nach Sachsen, als Begleiter und Beistand des jungen Majors Muromzow, Sohn des Obersten, der bei Katharina viel gegolten hatte, und auf dem Schlachtfelde schwer verwundet liegend in polnische Gefangenschaft gerathen war. Der Jüngling, welcher durch die Brust geschossen war, suchte Heilung und wurde durch den vortrefflichen Eckhold in Leipzig völlig hergestellt. Diese Sendung war ehrenvoll für Seume, und er konnte nun mit Sicherheit darauf rechnen, im russischen Dienst bald einen bedeutenden Posten zu erhalten, als am 27sten November 1796 der Tod die große Monarchin von der Erde wegnahm und Seume’s schöne Hoffnungen auf einmal wieder vernichtete. In einer gehaltvollen Schrift: „Ueber das Leben und den Charakter der Kaiserin von Rußland Katharina II.,“ die im Anfange des Jahres 1797 in Leipzig erschien, hat Seume den Charakter und die Thaten seiner Gönnerin kurz, unparteiisch, würdig und meisterhaft geschildert. Wer ihn für einen unruhigen, mit den Maßregeln aller monarchischen Regierung unzufriedenen Menschen gehalten hat, der wird nach Lesung jener Schrift eine andere Meinung von ihm bekommen, und die Gründe wie den Zusammenhang seiner politischen Meinungen erst recht beurtheilen können.

Paul I. bestieg nun den russischen Thron. Seine Maximen und Beschlüsse haben Vielen wehe gethan, auch Seume litt darunter. Alle russische Officiere im Auslande wurden strenge zurück berufen, und die nicht gleich kamen, wurden auf der Liste ausgestrichen. Seume war auf Befehl Katharinens in Leipzig; sein Geschäft war ohne seine Schuld noch nicht vollendet; denn Eckholds Kunst und die Heilung der Natur richtete sich nicht nach einem kaiserlichen Ukas; demohngeachtet strich man auch ihn aus. Aber Seume war nicht weniger ein harter Kopf als Paul I. Er schrieb und protestirte so lange und so nachdrücklich, bis man ihn einen ehrenvollen Abschied sandte, und zugleich die Erlaubniß ertheilte, wieder zum Dienst zurückkommen zu können. Auf diese Erlaubniß leistete aber der Lieutenant Verzicht, wohl einsehend, daß seine Art und Weise mit Pauls I. Art und Weise gar nicht verträglich war, und blieb frei und unabhängig in Sachsen. Der Charakter des Kaisers ist übertrieben getadelt; Seume hat ihn in mancher Rücksicht gerechtfertigt und richtiger beurtheilt in einer Schrift, die unter dem Titel: „Zwei Briefe über die neuesten Veränderungen in Rußland,“ 1797 herausgekommen ist, und manche noch jetzt interessante Nachrichten über die Organisation und die treffliche Kleidung des russischen Militärs enthalten, wodurch man geneigt werden kann zu glauben, daß andere Nationen manches davon nachgeahmt haben. Er lebte jetzt wieder in Leipzig von der Schulmeisterei — wie er zu sagen pflegt — von dem Unterricht im Englischen und Französischen. Seine Leiden und Freuden waren die nämlichen, welche überhaupt dem Menschen zu Theil werden, wenn er ein stark fühlendes Herz und einen gebildeten Geist, wenn er eine Bildung hat, die kein Gepräge fremder Gewalt ist, sondern aus dem eignen Geiste durch die von Gott mitgetheilte Kunst entstand.

Ich würde gesagt haben, er habe von jetzt an das Privatleben erwählt, wenn man also ein Leben nennen könnte, welches angewendet wird, für das Beste der ganzen Menschheit zu wirken. Er suchte keine Militärstelle, weil nach seiner Meinung das deutsche Militär nicht für das stritt, was er für das Beste hielt, und weil er auswärtigen Kriegern nicht helfen wollte, Deutschland einst, wie er voraussah, den Folgen des Krieges auszusetzen. Er suchte kein Amt — in einem Amte durfte er das nicht öffentlich sagen, was er mündlich und schriftlich sagen wollte — und er brauchte kein Amt; denn der Unterhalt für ihn, der so wenig bedurfte, war leicht zu gewinnen, und an Erheiterung konnte es ihm nicht fehlen, weil ihm jedes gute Haus, jedes edle Herz offen stand, und er den feinsten Sinn für wahre Geselligkeit hatte.

Der Buchhändler Göschen, welcher damals einige schöne Ausgaben deutscher klassischer Schriftsteller druckte, bat Seume zu ihm nach Grimma zu kommen, und die Revision der Handschriften des Drucks zu übernehmen. Er nahm die Einladung an, arbeitete mit Liebe und Treue, und lebte hier in der reizenden Natur, in den Bergen und Schluchten, an den lieblichen Ufern der Mulde. Im Jahre 1780 gab er bei einem andern Buchhändler seine Gedichte heraus. Sein Umgang waren einige gebildete Familien jener Gegend, und einige Jünglinge, welche er durch Lehren und Beispiele bildete, zur Entbehrung und Ertragung gewöhnte. War der Winterabend recht unangenehm, so stand er bei anbrechender Nacht von seiner Arbeit auf, ging noch zu diesem oder jenem Freunde auf dem Lande, und gebot dem Zögling, in einer Stunde ganz allein nachzukommen. Hatten sie dann wieder ausgeruhet, so wandelten sie in dicker Finsterniß durch Schneegestöber und Sturm, durch Hügel, Berge und Hohlwege nach Grimma zurück. Es wurde auch wohl zu Mittage beim allerschlechtesten Wetter des Monats December ein Spaziergang von sechs tüchtigen Stunden nach Leipzig beschlossen, um dort in das Schauspiel zu gehen, welches um sechs Uhr Abends anfängt. War das Stück geendigt und eine warme Suppe gegessen, so ging die Reise unaufhaltsam gleich zurück, und der Mentor und sein Zögling kamen bald nach Mitternacht wieder in ihrer Wohnung an. Nicht allein die Härte des Winters, sondern auch die Hitze und die Gefahr des Sommers sollte die Jugend ertragen lernen. Ein Freund lebte allein auf dem Lande und litt viel von dem Einfluß der Gewitter auf seinen Körper. In einer schrecklichen Mitternacht flogen Blitze auf Blitze vom Himmel und ein Donnerschlag unterbrach den andern; da dachte Seume an seinen Freund, machte sich stracks mit seinem Zögling auf, und erschien bei dem Leidenden als ein freundlicher Engel in der gefährlichen Nacht. Einer dieser Zöglinge, welcher jetzt in Wien ein geschickter Tonkünstler ist, hatte eine sehr zarte weichliche Natur; demohngeachtet wurde diese vermittelst jener Uebungen so gestärkt, daß er den letzten Feldzug der Oesterreicher gegen die Franzosen, ohne sich zu schonen, tapfer mitgemacht und die größten Fatiguen glücklich ausgehalten hat. Die Jünglinge wurden durch diese strenge Erziehungsart zwar hart, aber nicht rauh, stark, aber nicht wild; sie blieben in ihrem Innern sanft, und fähig des schönen Genusses der stillen häuslichen Freuden, welche auch ihr Lehrer so gern und so innig genoß. Wenn seine Freunde ein Familienfest feierten, so durfte Seume nicht fehlen und sie haben ihn da recht herzlich froh gesehen. Es sind noch viele Gedichte vorhanden, worin er jenen glücklichen Stunden ein Monument gesetzt hat, die jetzt von den Besitzern als heilige Pfänder seiner Freundschaft angesehen werden. Eins bei dem Wiegenfeste eines kleinen Mädchens soll hier abgedruckt werden, weil es so leicht und ungezwungen ist.

Für Lottchen zu ihrem neuen Jahre.

Der Tag

Mag

So schauerlich

Novemberlich sehn,

Er ist doch nicht traurig;

Ist schön.

Das Jahr

War

Dem feinen Geschöpfchen

Mit niedlichen Köpfchen

Ein Blumenaltar:

So werde

Die Erde

Dem lieblichen Mädchen von Jahr zu Jahr

Nun Lottchen,

Du drolliges Bild,

Du bist ja so wild,

Lauf bald nun ein drolliges Trottchen

Kosakisch,

So schnakisch,

Wie kaum es der liebe Papa

In artiger Gruppe

Der lärmenden Truppe

Der häuslichen Polterer sah.

Seume’s einfache, klare und treuherzige Sprache mit dem Landvolke bewog Göschen, auf einem ländlichen Spaziergang, ihn aufzumuntern, ein Sittenbuch für den Stand zu schreiben, den er so gut kannte und den er liebte. Er schenkte die Handschrift seinem Freunde, dem würdigen Pastor Schieck in Pomsen, und sie ist, nach dem Tode ihres Verfassers, unter dem Titel: „Nachlaß moralisch religiösen Inhalts,“ gedruckt worden. Für das Honorar derselben hat ihr ehemaliger Besitzer der Gemeine des Dorfs Groß-Steinberg eine neue Altar- und Kanzelbekleidung besorgt, zum Andenken an den edlen Mann, welcher eines Bauern Sohn war.

Es haben sich hier und dort einige Vers- und Reimmeister, welche in der reinen Kunstform viel geleistet zu haben glauben, mit der Frage vernehmen lassen: ob Seume auch ein Dichter sey? Besteht das Wesentliche der Poesie in hohen Gedanken, in tiefem Gefühl des Großen und Schönen, in Gebilden, welche in der Seele entstehen, und welche die Seele wahr, lebendig, ergreifend, wohlklingend und melodisch ausspricht, so ist Seume ein Dichter, ohngeachtet er kein romantisches Gedicht gemacht hat, sondern nur das poetische Talent zur Unterstützung jener Ideen benutzte, für welche er seine Nation empfänglich machen wollte. Alle seine für das Publikum bestimmten Gedichte sind nur Vorübungen und Vorläufer zu einem großen Lehrgedichte: „Asträa,“ welches er nicht ausführen konnte, weil ihn der Tod zu früh überraschte. Durch Schillers Thalia wurde das Gedicht an Münchhausen allgemein bekannt. Schnorr las dasselbe und es riß ihn so hin, daß er nicht eher ruhte, bis er die Bekanntschaft des Dichters gemacht hatte. Aus dieser Bekanntschaft von den Musen geknüpft entstand ein Bund der Freundschaft, den zu lösen die Zeit nicht vermochte. Bei Schnorr, diesem ächten Künstler, wenn, wie Lessing meint, der Kunstsinn den Künstler macht, bei Schnorr, diesem braven Hausvater, der eine zahlreiche Familie durch unermüdeten Fleiß und Entsagung aller erkünstelten Bedürfnisse erhält und trefflich erzieht, bei dem heitern, durch und durch guten Schnorr aß Seume gewöhnlich des Abends sein Butterbrod und seine Kartoffeln, trank Wasser, wiegte die Kleinen eins nach dem andern auf seinem Schooß, und lebte und webte hier in der Kunst, und in der wahren lieblichen Natur.

Seume hatte Empfänglichkeit für die Reize des schönen Geschlechts: er war mehrere Mal wirklich verliebt mit der ganzen Stärke und Heftigkeit seines Gemüths. Ich würde dieses als etwas ganz Gewöhnliches, das den mehrsten Geschöpfen zu begegnen pflegt, gar nicht erwähnen, noch weniger bemerken, daß er, wie alle ätherische und kräftige Menschen, den Kopf dabei ein wenig verloren habe, wenn es nicht auffallend gewesen wäre, daß die beiden letzten Gegenstände seiner Liebe reiche Mädchen waren. Er suchte ihren Reichthum nicht, aber da sie reich waren, ließ er sich hier gehen, und strebte nach einer ehelichen Verbindung mit dem Gegenstand seiner Liebe, weil, wenn er ein Opfer seiner Ueberzeugung und deren lauter Verkündigung werden sollte, welches gar nichts Unmögliches war, die Gattin nicht verlassen von Familie und Vermögen sein möchte. Gewiß haben mehrere Mädchen Eindruck auf ihn gemacht; aber wenn sie arm waren, so suchte er gleich Anfangs Herr über ein solche Liebe zu werden, und ihrer Macht zu entgehen.

Es war überhaupt Plan in seinem Privatleben, wiewohl dieser Plan nicht in die Augen fiel. Als Göschen ihm die Aufsicht über seine damaligen typographischen Unternehmungen antrug, antwortete Seume: „Zwei Jahre will ich bei Ihnen sitzen, dann muß ich mich aber wieder ein wenig auslaufen. Ich will nach Syrakus.“ Mit dem letzten Tage der zwei Jahre, im Anfange des Decembers 1801, reisete er ab, und nach neun Monaten trat er an demselben Tage, den er als Ziel seiner Abwesenheit bestimmt hatte, auch wieder in Göschens ländliche Hütte, zum frohen Erstaunen der ganzen Familie. Wenige Wochen vor seiner Abreise, am Geburtstage der Mutter dieser Familie, seiner Freundin, sang er im Garten bei einer sternhellen Nacht, verkleidet als Einsiedler, folgendes Lied:

Der Abend gießt, wie Dämmrungstraum,

Sich friedlich durch den Apfelbaum,

Und haucht dem Greis am Lebensziel

Noch Jugendgeist ins Saitenspiel.

Ich bin dem Sturm der Welt entflohn,

Und Ruh ist meiner Seele Ton;

Hoch wogt’ ich einst von Pol zu Pol,

Nun bin ich einsam, still und wohl.

Ein Silberhaupt, das weise war,

Sieht tief zurück durch manches Jahr,

Und sieht aus der Vergangenheit

Prophetisch den Erfolg der Zeit.

Es weht mich von der Sternenbahn

Jetzt himmlische Begeist’rung an:

Hört, Kinder, hört mit stiller Ruh

Dem Lied des alten Klausners zu!

Engelharfen tönen laut

Durch der Geister Reihn,

Wo die Tugend Hütten baut,

Gut und froh zu seyn.

Gott der Vater schuf die Erde,

Daß sie uns zum Himmel werde.

Freundschaft giebt und Liebe nur

Menschenmajestät;

Jede Freude der Natur

Wird durch sie erhöht:

Ohne diese mag der armen

Traurigen sich Gott erbarmen.

Wenn die Mutter zu dem Fest

Ihre Kinder nimmt,

Und die Freude jubeln läßt,

Die im Auge glimmt:

Welche Zunge könnte sagen,

Was beredt die Herzen schlagen!

Schöner als es gestern war,

Schöner ist es heut;

Und so bringet jedes Jahr

Seine Seligkeit.

Mag die Zeit vorüberfließen,

Wisse, weise zu genießen.

Engelharfen tönen laut

Durch der Geister Reihn,

Wo die Tugend Hütten baut,

Gut und froh zu seyn.

Gott der Vater schuf die Erde,

Daß sie uns zum Himmel werde.

Während einer Handvoll Tage hatte er die Reise durch Oesterreich, Italien, Sicilien, die Schweiz, von da einen Abstecher nach Paris, und von Paris nach Sachsen zu Fuße vollendet. Die Veranlassung zu dieser Reise war keine andere, als der Wunsch, den klassischen Boden zu durchwandeln, und in den großen Begebenheiten, in dem herrlichen Reiche der Kunst des Alterthums, und in der schönen Natur Italiens anschaulich zu leben. Er hat geschwelgt in diesen Genüssen; aber er hat darüber nicht, wie Andere, den Geschmack des Guten und Schönen verloren, welches die vaterländische Erde und der Himmel unserer Heimath reichlich giebt. Das beweiset folgendes kleine Gedicht:

Den 20. September 1802.

Lieben Leute,

Bringet heute

Jeder seiner Gaben beste

Zu der Freundin Jahresfeste!

Freude bringt und frohen Sinn!

Wo man freundlich sich begegnet,

Seele sich durch Seele segnet,

Wohnt des Lebens Königin.

Ihre Kinder

Fliehn geschwinder,

Doppelt froh sie zu begrüßen

Mit der Freude Feuerküssen,

Heute zu der Mutter Schooß;

Und der Mann des Herzens eilet

Ihnen in den Arm und theilet

Ihres Lebens schönes Loos.

Aus den Blicken

Strahlt Entzücken

Und es leuchtet in der Ferne

Mit der Hoffnung Flammensterne

Schön und mild die Zukunft schon.

Mögen, Freundin, Dir auf Erden

Oft noch solche Stunden werden,

Und die Zeit ist nicht entflohn.

Am Aetna wächst die Frucht der Hesperiden

Und Oel und goldner Wein;

Allein man wohnt am Aetna nicht zufrieden

Und kann nicht ruhig sein.

Der Feuerberg stürzt aus dem Höllenschlunde

Oft seine Fluth herab,

Und wälzt die Stadt mit Oel und Frucht zu Grund

Und macht ein großes Grab.

Am Hügel hier blühn jetzt noch schöne Rosen, —

Und wächst auch etwas Wein:

Auch können wir beim Lied vertraulich kosen

Und immer ruhig sein.

Zwar nickt uns nicht von einem hohen Baume

Die Ambrafeige zu,

Doch pflücken wir vom Ast die Mohrenpflaume,

Und essen sie in Ruh.

Die Mandel fehlt, wir haben aber Kirschen,

Und haben dran Gewinn;

Und gäben wir wohl unsre Purpurpfirschen

Für die Granate hin?

Der Aetna ist ein häßlicher Herr Vetter

Mit seiner Feerei:

Hier kommt wohl auch ein kleines Donnerwetter;

Doch ist es bald vorbei.

Drum wollen wir genießen, singen, kosen,

Und froh sein wollen wir.

Singt, Freunde, singt: Es leben unsre Rosen

Auf unserm Berge hier!

Nach Vollendung dieser großen Wanderung ruhte er wieder in Leipzig aus, und schrieb seinen „Spaziergang nach Syrakus.“ Dieses Werk verschaffte ihm als Schriftsteller und als Mensch eine große Achtung bei allen Edeln von der Newa bis an den Rhein. Jetzt, da die öffentliche Meinung für ihn war, tadelte er mit Kühnheit alles, was er als Fehler und Mißbräuche in den gesellschaftlichen Verhältnissen erkannte, und sagte ohne Schonung der Personen das Gute und Böse einer jeden Verfassung gerade heraus. In der Vorrede zu seiner Uebersetzung von Percivals Beschreibung des Vorgebirges der guten Hoffnung (Leipzig 1805) macht er den Engländern wie den andern Eroberern, über ihr politisches Verfahren starke Vorwürfe und sagt ihnen seine Meinung ohne Zurückhaltung. „Der Verfasser,“ sagte Seume, „hat die Feinde seiner Nation so schlecht gemacht, als sich’s mit Ehre und einem Anschein von Wahrheit thun ließ; aber dadurch wird die Sache für seine Landsleute nicht besser; denn wo sie die Meister spielten und noch spielen, da geht es mit eben so wenig Mäßigung und Humanität zu, als überall — — — Andere wissen doch ihren Erpressungen und Malversationen noch einen Anstrich von Wohlwollen zu geben, wodurch sich freilich kein Sehender blenden läßt. Percival sagt ohne Scheu geradezu: wenn wir das Vorgebirge haben, beherrschen wir den Handel Indiens, folglich den Handel der Welt, folglich — die Folgen sind alle klar. Das ist ächt britisch. Britannia, Beherrscherin des Meeres! durch die Wogen mache den Erdball zinsbar! — Der jetzige politische Horizont kommt mir vor, wie die Lage vor der Schlacht von Zama; siegt die eine Partie, so haben wir wahrscheinlich eine Römerei, vielleicht etwas sanfter und glimpflicher, nach dem Geiste der Zeit, im Uebrigen aber ganz ähnlich. Wenn England im Streite nicht erliegt, ist dadurch nichts gewonnen, als Dauer des Kampfes, wozu die andern die Kräfte liefern. Die Energie der Engländer ist nicht zu verkennen, so wenig als ihr Freiheitssinn zu Hause; daß sie sich aber durch Gerechtigkeit, Humanität und reines Wohlwollen vor Nationen in andern Welttheilen auszeichnen sollten, wird ihnen Niemand glauben. — Wo der Begriff Sklave noch im Recht gilt, darf man durchaus nicht behaupten, daß man die erste Stufe reiner menschlicher Bildung erstiegen. Der Himmel bewahre uns auch vor römischer und griechischer Freiheit, wenn für das allgemeine Heil der Menschheit Hoffnung seyn soll. Freiheit ist durchaus nichts als Gerechtigkeit, und diese nichts, als gleiche Befugniß mit gleichen Pflichten im Staate. Und so lange man sich ein Haar breit von dieser Basis entfernt, so mag man Konstitutionen bauen, wie man will; es werden blitzende Meteore seyn, aber nicht halten. Nur die Natur mit ihren Gesetzen ist beständig.“ —

Wahrscheinlich hat er auch damals seine Anmerkungen zum Plutarch in lateinischer Sprache geschrieben, mit einer Vorrede, welche so kühn war, daß sie kein Buchhändler drucken konnte und kein Censor die Erlaubniß dazu gab. Wo die Handschrift hingerathen ist, weiß man nicht.

Der russische Konsul in Leipzig, Herr Hofrath Schwarz, suchte für einen jungen angesehenen Mann einen Begleiter bis Dorpat. Seume ergriff diese Gelegenheit um den längst gefaßten Vorsatz auszuführen, seine Freunde und ehemaligen Kriegsgefährten in Petersburg zu überraschen. Diese merkwürdige Reise durch Rußland, Finnland und Schweden hat er in dem Werke: „Mein Sommer,“ beschrieben, und er hat auch dieses Werk benutzt, um das Leben seiner Seele ohne Schleier darzustellen. Die Vorrede zu diesem Werke ist meisterhaft und gehört in dieser Rücksicht zu dem Besten, was die alte und neue Literatur in diesem Fache aufgestellt hat.

Die oft genug wiederholten Behauptungen Seume’s waren jetzt eingetroffen: die Franzosen wurden Beherrscher des Kontinents, und er sah den Folgen in der Stille und Abgezogenheit zu. Er hatte einige Bogen Papier zusammengeheftet und den Titel: „Schmieralien“ darauf geschrieben. Die verhängnißvolle Zeit brachte gewissermaßen in jedem Menschen, nach seiner Individualität, Schmieralien hervor, Zunder, welchen die Begebenheiten entzündet hatten, und der bei andern bald erlosch, dem aber Seume in seiner Seele Nahrung gab, und dann in sein Magazin trug, welches, nach seinem Tode, unter dem Titel: „Apokryphen“ 1811 erschien. Im Jahre 1808 erschien sein „Miltiades.“ Dieses Werk ist kein Spiel bestimmt gesehen zu werden, und weichen Seelen zu Thränen zu verhelfen; es ist ein Bild für die Seele des Jünglings und des Mannes, der in Flammen für das Vaterland ausbrechen soll.

Gegen Johannis des eben genannten Jahres litt der Vielgewanderte an einer Schwäche des Fußes, welche er seit den amerikanischen Feldzügen, wiewohl ohne große Beschwerde, schon zuweilen empfunden hatte, die aber jetzt so groß war, daß er einige Wochen das Bett hüten mußte. Das war ein Vorbote der größeren Leiden, die bald über ihn ausbrachen. Am Ende des Augusts begann eine Krankheit des Unterleibes, der Blasenkatarrh, eine Krankheit, die mit den qualvollsten Schmerzen verknüpft ist, ihm fast allen Schlaf raubte, und, was noch grausamer für ihn war, ihm weder das Lesen, noch das Schreiben, ja nicht einmal das Sprechen verstattete. Während dieser Pein hat er seine Trauer und seinen Trost in dem rührenden Gedichte: „Kampf gegen Morbona“ ausgedrückt. Möge es Niemand ungelesen lassen! Sein edler Freund, der treffliche Doktor Braun, that, was er vermochte; er linderte die Schmerzen, hob die gesunkenen Kräfte immer wieder empor, und stellte ihn so weit wieder her, als es möglich war. Mit Anfang des Jahres konnte er wieder ausgehen und seine Freunde besuchen; jedoch blieb er immer schwach, weil der Same des Todes im Wachsthume zwar geschwächt, aber nicht erstickt werden konnte. Die treueste Freundschaft hat für ihn während dieser Krankheit gesorgt und ihn gepflegt. Der Kaufmann Haußner ließ sich ehemals von Seume in der englischen Sprache unterrichten, und nahm ihn hernach, um seinen Umgang zu genießen, in seine Wohnung auf. Mehr kann kein Bruder für den Bruder, kein Sohn für den Vater thun, als dieser Mann für seinen Freund, während der ganzen Krankheit, mit Delikatesse, mit Aufopferung, mit einer Art von Eifersucht gegen die Freundschaftsbezeugungen Anderer gethan hat.

Im Frühlinge 1810 wagte Seume, ungeachtet seiner Schwäche, eine Reise nach Weimar zu seinem verehrten Freunde Wieland. Dieser, erschüttert durch die Hinfälligkeit des ehemals so kräftigen Mannes, und besorgt wegen einer vielleicht hülflosen Zukunft, ging zu seiner Gönnerin, der Erbprinzessin von Weimar, einer der seltenen Fürstinnen, die alle gute und edle Menschen liebt und von allen geliebt wird, erzählte ihr Seume’s Geschichte und führte den edlen Mann selbst bei ihr ein. Sie nahm sich desselben an, und verlangte von ihm, daß er an ihren Bruder, den Kaiser Alexander, nach Petersburg schreiben sollte. Seume schrieb nach seiner Art wahr und würdig. Wieland fürchtete, der Ton des Briefes möchte hier und da dem Kaiser auffallend seyn, die Großfürstin fand es nicht, nahm den Brief und sandte ihn selbst an ihren erhabenen Bruder ab. Der gütige Monarch bestimmte für Seume eine Pension; aber leider bedurfte er derselben nicht mehr, er hatte das Ende seiner irdischen Wanderschaft und das Ende aller Sorgen erreicht.

Nach seiner Zurückkunft von Weimar fand er seine Wohlthäterin und Freundin, die Frau Elisa von der Recke, und den Dichter Tiedge, der ihn unbeschreiblich achtete und liebte, im Begriff, nach Töplitz in das Bad zu reisen. Er wurde dadurch zu dem Entschlusse bewogen, ihnen zu folgen und in ihrer Gesellschaft zu versuchen, ob auch er an jener Quelle Heilung und die Kraft seines Lebens wieder gewinnen könnte. Bei seinem Abschiede übergab er dem D. Braun, als ein Pfand seiner Liebe, die Handschrift des von ihm selbst niedergeschriebenen Lebens. Wir sehen aus diesem und aus dem Gedichte „Morbona,“ daß bis jetzt die Krankheit seinen Geist nicht überwältigt hatte. Ließen die Schmerzen nur etwas nach, so war sein Gespräch heiter, freundlich, lehrreich und oft witzig. Er war immer herzlich gegen die Freunde, zuweilen sanfter, als gewöhnlich, aber eben so stark und bitter, als sonst, gegen alle Feinde der Vernunft, des Lichtes und der Humanität.

Gegen das Ende des Monats Mai 1810 traf Seume in Töplitz ein, wo er im goldnen Schiffe, oder der sogenannten Töpferschenke, eine Stube bezog, welche ihm die heiterste Aussicht auf die Stadt und das Bad, von dem er noch entscheidende Hülfe hoffte, auf ein paradiesisch grünendes Thal, mit hohen, im Frühlingsdufte schwimmenden Bergen, aber auch auf die Stelle seines künftigen Grabes gewährte. Ganz nahe war er hier dem Fürstenhause, wo die Frau von der Recke und Tiedge wohnten, deren Umgang ihn den vorhergehenden Winter so oft zu einer wahrhaft menschenfreundlichen Heiterkeit gestimmt hatte, und ihm auch nun seine letzten trüben Stunden erhellte. Auch konnte so am leichtesten, aus der Küche der Frau von Recke, für seine, nach einer strengen Diät angeordneten Speisen gesorgt werden, und dieses diente ihm zu keiner geringen Beruhigung, da er selbst über diese Diät, wenigstens anfangs, sehr gewissenhaft hielt. Unterzeichneter, der ihn seit zwanzig Jahren kannte und schätzte, hatte seine Wohnung eine Treppe höher über ihm; bald sammelten sich auch einige andere Freunde und Bekannte um ihn her, und waren daher ebenfalls im Stande, durch kleinere Dienste für ihn zu sorgen, die Seume mit williger Dankbarkeit und anfangs unter freundlichen Scherzen annahm. Ungeachtet Seume dieses Mal natürlich Pferd und Wagen bei seiner Reise zu Hülfe genommen hatte, so ward es doch bald bei Menschen aller Art in Töplitz bekannt, daß der berühmte Fußwanderer angekommen sei, um hier das Bad zu gebrauchen, und seine Ankunft sowohl, als der mögliche Erfolg seiner Kur, erregte allgemeine Theilnahme. Er selbst wünschte diese Kur möglichst beschleunigt. Denn die mitgebrachte, nicht unbedeutende Menge von Dukaten seiner Baarschaft, über welche er mit der Genauigkeit eines Financiers häufige Revision hielt, wie auch die in seinem Taschenbuche aufgezeichneten Reiserouten und Städtenamen, wiesen auf einen Lieblingsplan hin, den Rhein oder wohl gar die Schweiz zu besuchen. Leider schlugen aber bald die Aeußerungen des würdigen Töplitzer Brunnenarztes, D. Ambrozy, den er wegen seines Zustandes um Rath fragte, seine und mit noch deutlichern Ausdrücken die Hoffnungen seiner Freunde nieder. Der Gebrauch des freilich weit wirksamern Stadtbades ward Seumen ganz untersagt, und nur die Steinbäder, in dem eine Viertelstunde Weges entfernten Dorfe Schönau, wurden gestattet, welche bei günstiger Witterung gebraucht, wenn auch den Grund seiner Krankheit nicht ganz heben, aber ihm doch etwas Stärke geben, wenigstens nichts schaden würden. Die größte Schwierigkeit lag für Seume und seine Freunde darin, ihm ein medicinisch zweckmäßiges Getränk zu verschaffen. Das laue Trinkwasser in Töplitz ist bekanntermaßen, selbst nach seiner Erkältung ohne Kraft und kaum trinkbar, weshalb man sich an die Biere und österreichischen Landweine, oder einen selbst mitgebrachten Weinkeller halten muß. Alle diese Getränke waren Seumen gerade, aus medicinisch bekannten Gründen, bei seiner Krankheit verboten. Seume versuchte vom mineralischen Wasser der benachbarten Brunnenstadt Bilin zu trinken. Aber das Wasser dieses Sauerbrunnens war ihm zu schwer, und vermehrte seine Uebel. Am Kloster Mariaschein, eine Stunde von Töplitz, fließt das Mariabrünnlein, eine erfrischende, mit zierlicher Kuppel überdeckte Quelle, von der ich Seumen eine Flasche zur Probe mitbrachte. Allein auch diese Gabe der Heiligen wollte unserm Kranken nicht zusagen, und überdem war die Quelle zu entfernt. Seume war einmal an das Selterwasser gewöhnt, welches man aber anfangs in Töplitz vergebens suchte. Schon bemeisterte sich der Unmuth unseres Freundes, und aus einer sehr gewöhnlichen Täuschung schob er alle Schuld seiner Schmerzen nicht auf seinen unheilbaren Zustand, sondern auf den Mangel des Selterwassers, an das er gewöhnt sei. Es ist eine eben so bewährte, als rührende Erfahrung, daß die Hoffnung den Menschen selbst am Rande des Grabes nicht verläßt, um ihm, wenigstens durch ihren lieblichen Schein, die finstere Wahrheit der letzten Stunden zu verschleiern. Auch Seume war davon ein Beispiel. Sein Muth fand sich nicht wenig aufgerichtet, und sein Hang zur Selbstständigkeit vorzüglich geschmeichelt, als ihm selbst gelang, was keinem seiner Freunde gelungen war, bei einem Krämer in Töplitz noch einige Flaschen Selterwasser aufzutreiben. Aber bald sah er ein, daß auch diese seine Panacee das verlorne Gleichgewicht seiner Natur wieder herzustellen nicht mehr im Stande war. Nichtsdestoweniger brauchte er, anfangs mit aller Vorsicht, einige Steinbäder, und spürte auch deren gute Wirkung. Ja selbst der Gang nach Schönau und zurück, den er bei guter Witterung zu Fuß, in dem alten Reisecostüm, das wir an ihm kannten, wacker unternahm, ermattete ihn so wenig, daß er gewöhnlich seinen Mittag noch bei seiner Freundin Elise zubringen, und mit ihr und Tiedge, nach alter Weise, über die Welt und sein Zeitalter philosophiren konnte. Zuweilen äußerte er zwar hier im Schooße vertrauter Freundschaft den in seiner Lage wohl erlaubten Wunsch, durch den Tod bald von seinen Schmerzen befreit zu werden. Ja er gab wohl nicht undeutlich zu verstehen, daß ihn blos um der Schwachen und Thoren willen die Pflicht des Beispiels abhielte, seinem für sich, und, wie er meinte, für seine Freunde beschwerlichen Zustande ein Ende zu machen. Indessen wechselte diese trübe Stimmung mit andern der Lebensliebe und Lebenshoffnung wieder ab. Gewöhnlich wird die viele Sorge, welche ein Kranker an seine Heilung zu verschwenden pflegt, ein neuer Grund der Lebensliebe. Denn wer wünschte wohl vergebens gesorgt zu haben? Dies war auch bei Seumen der Fall, so wenig er sonst, in gesunden Tagen selbst, das Gute des Lebens zu preisen gewohnt schien. Diese abwechselnden Stimmungen brachten nun freilich einige Widersprüche in seinem Betragen, zuweilen ängstliche, übertriebene Folgsamkeit gegen die diätetischen Regeln, zuweilen auch halsstarrige Unfolgsamkeit, bald stoische Geduld, bald minder stoische Wunderlichkeit hervor, weswegen er denn manche moralische, wohlmeinende Vorhaltung von seinen Freunden anhören mußte, die er mit seinen gewöhnlichen Sarkasmen, oder mit einem lakonischen: „Schon gut!“ hinnahm. Leider war er aber keinesweges, bei der rauheren Witterung, die dem ersten Scheinfrühlinge folgte, dahin zu bestimmen, das Baden ganz auszusetzen. Ja an einem mit Regen drohenden Tage erwachte der alte militärische Geist in ihm so sehr, daß er die für Kranke freilich mit mancherlei Beschwerlichkeit und Unkosten verknüpfte, einzige Transportanstalt verschmähte und seinen Weg zu Fuß antrat, welcher denn mit einem von mir nachgebrachten Regenschirme rückwärts vollendet werden mußte. „Ich bin hierher gekommen, um zu baden,“ sprach er, „folglich muß ich baden und kann nicht auf die Witterung warten.“ Diese traurige Konsequenz, verbunden mit der kleinen Inkonsequenz, einmal nach dem Bade, der Einladung des gastfreien Prälaten von Ossegg zufolge, sich umzuziehen, und, trotz aller Erinnerung, bei Tische selbst seine diätetischen Regeln alle zu vergessen — war entscheidend. Nur ein paarmal saß er noch gebückt, in seinen Mantel gehüllt und mit aschgrauer Gesichtsfarbe, in dem gewohnten Kreise, und mußte seinen Sitz bald mit dem Sopha, endlich mit dem Bette vertauschen. Er konnte nun nicht mehr aufdauern, und alles, was ihm sonst lieb gewesen war, widerstand ihm.

Gern hatte er vordem in dem Zirkel der Frau von der Recke von deren Begleiterinnen die Lieder Elisens und Tiedgens zur Guitarre, oder Schillers Ideale, nach Naumanns tief ins Herz dringender Composition, zum Fortepiano singen hören, und den Sängerinnen durch manche Herzlichkeit, ja selbst durch manche feinere Galanterie gedankt. Einst brachte er den beiden Begleiterinnen Elisens Eine Rose. — „Ich habe nicht mehr, als die Eine Rose,“ sagte er zu ihnen, „und ich glaube Sie damit zu ehren, daß ich Ihnen beiden nur Eine gebe.“ Noch in Töplitz, wo die Anwesenheit der liebenswürdigen und talentvollen Wittwe Naumanns manche Veranlassung zu musikalischen Unterhaltungen gab, war Seume ein aufmerksamer Zuhörer. Ja selbst in den letzten Tagen ehe er sich legte, ward er einst durch die Stelle in einem von Elisens Liedern:

„Hinter jenen Sternen

Hält die Liebe Wort.“

wunderbar ergriffen. Dieser Gedanke, welchen in einem spätern Liede Schiller auf eine ähnliche Weise ausdrückt, rührte unsern, düster und in sich gekehrt dasitzenden Seume so sehr, daß er mitten unter dem Gesange mit Thränen in den Augen aufstand; Elisen die Hand drückte und sagte; „Elisa, das ist ein herrlicher Gedanke!“ Dieses war aber auch die letzte Aeußerung unseres Freundes, die von Gefühl für die Außenwelt und für das höhere Schöne zeugte, wiewohl sie hinreichend seine Ueberzeugung von der Fortdauer des edleren Daseyns in uns beurkundet. Man bot ihm an, als er sich schon ganz in sein Krankenzimmer zurückgezogen und verschlossen hatte, ihn wenigstens noch von ferne Musik hören zu lassen; aber er verbat es, wie auch die Besuche selbst aller Freunde, die nicht, so zu sagen, zu seiner medicinischen Wartung angestellt waren, aber ihm dabei durch Handreichungen nützlich seyn konnten. Ganz schien von nun an der kräftige Geist in sich selbst zusammen gerollt, hatte das äußerliche Wesen den körperlichen Leiden, ja selbst den wehmüthigsten Aeußerungen derselben, überlassen, und verkündete sich nur noch durch den starren, aber durchdringenden, prüfenden Blick, mit dem er die Umstehenden ansah. Selbst auf meine mit möglichster Schonung und Vorsicht an ihn gerichtete Frage, ob er noch einem abwesenden oder gegenwärtigen Freunde etwas zu entdecken und aufzutragen habe, antwortete er nicht mehr verständlich, wiewohl er seinen Leipziger Arzt und vertrauten Freund, D. Braune, mit Namen nannte. Den Trost einer höhern Welt, der in den herrlichsten Sprüchen der Weisen des Alterthums ausgedrückt, und in einem vor seinem Sterbelager aufgeschlagenen Bande der Reisen des jüngern Anacharsis gesammelt, mehr seine trauernden Freunde erhob, als sein Ohr erreichte, schien er nicht mehr zu bedürfen. Ueber Seume’s religiöse Ueberzeugungen, über welche auch sein bei Göschen 1811 erschienener Nachlaß moralisch-religiösen Inhalts befriedigenden Aufschluß giebt, habe ich, so wie von einigen andern Zügen seines Charakters, bei Gelegenheit einer frühern Handschrift seiner Gedichte in der Minerva 1812 einige Worte gesprochen. Es sei mir erlaubt, die hierher gehörige Stelle zu wiederholen:

„Freilich hatte wohl die Ansicht seines Zeitalters Seumen in den spätern Jahren seines Lebens manches Symbol geraubt, das zu einer andern Zeit ihm in dem letzten Kampfe seiner Natur eine heitere, minder bittere, versöhnte Stimmung hätte geben können. Freilich sprach er wohl zuweilen in eben dem rauhen Tone mit dem Himmel, wie mit seinen nächsten Freunden, und glaubte vielleicht den Himmel, den er mit seinen Bitten nicht bestürmen zu wollen erklärte, eben so dadurch zu ehren, wie seine Freunde. Allein der Mann, der unter dem Sturme von Warschau, in einer Stunde, wo achtzehntausend Menschen um einer politischen Maxime willen hingeschlachtet wurden, zu Gott betete, — betete auch zu Gott, als einem Ewigseyenden, in seiner Todesstunde, und trat mit dem letzten Seufzer über das so grausende Gemälde des niedern Leben an die Schwelle einer richtenden, aber auch versöhnenden Ewigkeit. Eine Sterbenacht ist schon an sich feierlich, und die Nacht, wo unser Freund seinen letzten Kampf zu kämpfen begann, ward es noch mehr durch die Umgebungen, durch das tief unter dem matt erhellten Krankenzimmer im Schatten liegende Töplitzer Frühlingsthal, umringt und durchschnitten von grotesk gestalteten Bergen, deren Rücken sich bis an die Fenster zog, durch das fernher vom Begräbnißplatze leuchtende, ahnungsvolle Licht einer Kapelle, wo schon ein Leichnam bewacht wurde, der unserm Seume am folgenden Tage weichen mußte. Unmöglich konnte man in solcher Stunde die andächtigen Seufzer des sich verlassen fühlenden Sterbenden, der nur von einem Freunde und einem jungen Feldscheer (auch einem Bewunderer des berühmten Fußwanderers) bewacht wurde, für blos zufällige Wirkungen des Schmerzes, sein Aufstöhnen zu dem, namentlich von ihm genannten Gotte (wie der ungläubige Lamettrie auf seinem Krankenlager selbst gesagt haben soll) für eine bloße Redensart erklären.“ — Minerva 1812. S. 290.

Ein Umstand, der weniger den Sterbenden, als seine um ihn versammelten Freunde in den letzten Stunden beunruhigte, trug dazu bei, dem schaurig romantischen Bilde seines Lebens eine ästhetische Vollendung zu geben, es gerade so wunderlich und flüchtig schließen zu lassen, als es begonnen hatte, um eine poetische Weissagung unsres Diogenes zu erfüllen, die sich in der frühern Sammlung seiner unvollkommenen Gedichte (s. Minerva am angef. Orte S. 304) befindet.

Und weigerte man mir auch Sarg und Decke,

Was liegt mir dran?

Flaum oder Stein ist Eins; an welchem Flecke,

Geht mich nichts an.

In einem Badeorte müssen die Wirthe, welche Kranke einnehmen, eigentlich auf Todesfälle gefaßt seyn. Indessen kann man es eines Theils doch niemanden zumuthen, schon Sterbende einzunehmen, andern Theils einen Kontrakt auf längere Zeit gelten zu lassen, als man ihn eingegangen war. Seume’s Logis war weiter vermiethet, und diese sehr vortheilhafte Vermiethung konnte durch seinen Todesfall gehindert werden. Die Inhumanität lag also mehr in dem wunderlichen Spiele des Schicksals, als in den Menschen, daß Seume in dem Augenblicke, da sein Engel (um einen Seumischen, militärischen Ausdruck zu gebrauchen) abgelöst! rief, juristisch genommen, eigentlich ohne Quartier war; und doch hätte dieser Umstand, wenn Seume anders in dem Zustand gewesen wäre, ihn noch zu beachten, seine Bitterkeit gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse gewissermaßen rechtfertigen können. Alles war mit Seume’s Bewilligung — denn Sterbende verändern bekanntlich den Ort gern — schon eingepackt, um ihn hinüber in seine Wohnung zu schaffen, als die Sänftenträger, bei der unerwarteten Beschleunigung seiner Auflösung, eben so wenig Lust bezeigten, einen schon halb zur Leiche gewordenen Menschen fort zu tragen, wie der neue Wirth, ihn aufzunehmen. Mit vieler Mühe und nur durch die Dazwischenkunft der angesehensten Männer von Töplitz, ja der Polizei selbst, gelang es unseren Vorstellungen, die bisherigen Wirthsleute zu bewegen, ihm die Stätte, wo er krank gelegen hatte, auch zum Sterben zu lassen. Während man indeß noch über diesen irdischen Wohnungswechsel stritt, — löste Seume selbst den Knoten, brach seine morsche Hütte ab, und vertauschte die irdische Wohnung mit der friedlichen und seligen im Schooße seines Schöpfers. Dieses geschah in den Vormittagsstunden des 13ten Juni 1810. Seine schon zusammengepackte, für einen vorübereilenden Wanderer nicht unbeträchtliche Verlassenschaft, indem außer dem baaren Gelde seine Krankengarderobe sehr gut ausgestattet war, wurde nun dem Magistrat übergeben, und Anstalt zu seiner Beerdigung getroffen.

Hier darf nun der Edelmuth der katholischen Geistlichkeit von Töplitz nicht ungerühmt bleiben, die manchem frühern Herkommen zuwider, jedoch mit sichtbarer Zufriedenheit aller Einwohner, unserm, in verschiedenem Glauben gebornen Freunde nicht nur das ehrenvollste Begräbniß, ganz nach unsern deshalb geäußerten Wünschen, sondern auch auf ihrer eben so durch die Natur, als durch die Kirche geweihten Erde eine freundliche Ruhestätte gewährte. Und so ward Seume’s, des unruhigen Wanderers, der über manchen menschlichen Mißbrauch im Leben geeifert hatte, Grabstein zugleich ein schönes Denkmal friedlicher Gesinnungen zweier getrennter Religionsparteien.

Am Morgen des 15ten Juni versammelten sich die in Töplitz anwesenden Freunde Seume’s in der Wohnung der Frau von der Recke, dem sogenannten Fürstenhause, um in Begleitung einiger anderen angesehenen Einwohner und Badegäste von Töplitz, die auch von fern den Namen des merkwürdigen Menschen geehrt hatten, und unter Vortritt des würdigen Geistlichen, Seume’s Reste der Erde zu übergeben. Außer der Frau von der Recke und ihrer nächsten Umgebung, befanden sich unter der Begleitung Herr Professor Fichte und seine Gattin, die Gattin des Herrn Hofrath Böttiger von Dresden, die Wittwe Naumanns, Herr D. Weigel, der Seumen ebenfalls in den letzten Stunden mit medicinischer Hülfe beigestanden hatte, und späterhin die Besorgung seines Grabsteines übernahm, Herr Hofrath Tittmann von Dresden, der Herr Graf Schönfeld der jüngere aus Wien, der sich Seume’s bildenden Umgangs von Leipzig her dankbar erinnerte, und andere mehr, welche die in ganz Deutschland verbreiteten Freunde des Verstorbenen in dieser ernsten Stunde würdig vertreten konnten. Das Begräbnißlied, das von den Schülern beim Eintritte in den kleinen, ländlich berasten Kirchhof aus ihren Notenbüchern gesungen ward, war zufälliger Weise ganz in Seume’s Sinne, und als wenn er es selber gedichtet hätte; zumal der letzte Vers, von dem ich mich erinnere, daß er den stolzen Sieger mit dem Erobererschwerte so gut wie jeden andern Adamssohn, der dazu geboren ist, der Erde Früchte zu verzehren, und sich — erobern zu lassen, vor das Todtengericht und die Schaufel des Todtengräbers lud. — Hierauf empfing die Leiche in der kleinen Kapelle den priesterlichen Segen als Mitgabe zu ihrer letzten Wanderung. — Der Sarg sank mit den Ueberresten unsers Geliebten in die schwarze, räthselvolle Tiefe hinab, und unter dem Klange der Sterbeglocken, welche das sichtbare Bild des Freundes hinabriefen, sprach der Endesunterzeichnete vor dem Kreise der stilltrauernden umstehenden Freunde folgende Worte:

„Hier also, auf diesem Hügel kalter Erde, legt unser Seume seinen Wanderstab für immer ... nieder. Wohl Ihm, und uns, seinen Freunden, daß wir es sagen können von Grunde des Herzens! Nicht ziellos war seine Reise, nicht vergebens sein wundervoll reiches Leben, so oft er diesem Leben am Abend seiner Tage auch wohl zürnen mochte, überwältigt von Schmerzen der Seele und ihrer irdischen Hülle! ...

„Was Seume war, ward er durch sich selbst. Nicht aus rohem Triebe durchwanderte unser geliebter Wanderer von Syrakus die Erde. Er suchte die Spuren der allwaltenden Ordnung in Schönheiten und Schrecknissen der Natur, in den Trümmern gesunkener Völker, in den Mordscenen seiner Zeit ... in den Gesinnungen der Menschen, seiner Brüder. Ach, der rauhe Sohn der Natur, mit gradem Blick, mit dem tiefsten, brennendsten Gefühle des Rechts im Herzen, und dieses Herz auf der Zunge tragend, konnte seine Menschen nur zürnend, nur murrend lieben. Dennoch liebte er sie, und die edelsten seines Volks entgegneten dankbar seine Liebe. Itzt empfängt ein fremdes Land, in dessen heilenden Quellen er Milderung seiner Qualen suchte ... seine Asche, und endet diese Qualen mit ewiger Ruhe. Segnet, Freunde, diesen heiligen Boden, der sein Grab ward! Unser Freund ward hier nicht getäuscht mit leeren Hoffnungen. Er wähnte hier von Schmerzen zu ruhen, die unheilbar waren, und fand hier das höchste Leben, das keiner Heilung bedarf. Friede seiner Asche! Die Erde deckt die Bösen, und die Guten drückt sie nicht.“ —

Dieselben Freunde, welche hierauf mit Thränen Erde auf seinen Sarg warfen, unterzeichneten sich mit noch mehreren theilnehmenden Menschen zu einem kleinen Denkmal auf dem Grabe nahe an den Mauern der schützenden Kapelle. Unser Seume hat nun in fremder Erde, fern von den Seinigen, einen Stein, schwerer, fester und in die Augen fallender, als wohl jemals der unruhige Erdenpilger sich es hätte träumen lassen. Aber selbst der Todtengräber hat dieses Denkmal des wunderbaren, menschenfreundlichen und menschenfeindlichen Weltbürgers lieb, und durch eine harmonische Veranstaltung des Schicksals, besuchen und bekränzen an diesem von Fremden aller Völker wimmelnden Orte, jährlich viele wandernde Fremdlinge das Grab desjenigen, der auf dieser Erde selbst immer ein pilgernder Fremdling blieb.

C. A. H. Clodius.

Spaziergang nach Syrakus
im Jahre 1802.
Erster Theil.

Lieber Leser!

Voriges Jahr machte ich den Gang, den ich hier erzähle; und ich thue das, weil einige Männer von Beurtheilung glaubten, es werde vielleicht Vielen nicht unangenehm, und Manchen sogar nützlich seyn. Vielleicht waren diese Männer der Meinung, ich würde es anders und besser machen; darüber kann ich, in der Sache, nur an meine eigene individuelle Ueberzeugung appelliren; so gern ich auch eingestehen will, daß sie hier und da Recht haben mögen, was die Form betrifft.

Ich hoffe, Du bist mein Freund oder wirst es werden; und ist nicht das eine und wird nicht das andere, so bin ich so eigensinnig zu glauben, daß die Schuld nicht an mir liegt. Vielleicht erfährst Du hier wenig, oder nichts neues. Die Vernünftigen wissen das alles längst. Aber es wird meistens entweder gar nicht, oder nur sehr leise gesagt: und mir däucht, es ist doch nothwendig, daß es nun nach und nach laut und fest und deutlich gesagt werde, wenn wir nicht in Ewigkeit Milch trinken wollen. Bei dieser Kindernahrung möchte man uns gar zu gern beständig erhalten. Ohne starke Speise wird aber kein Mann im Einzelnen, werden keine Männer im Allgemeinen: das hält im Moralischen wie im Physischen. Es thut mir leid, wenn ich in den Ton der Anmaßlichkeit gefallen seyn sollte. Aber es ist schwer, es ist sogar ohne Verrath der Sache unmöglich, bei gewissen Gegenständen die schöne Bescheidenheit zu halten. Ich überlasse das Gesagte der Prüfung und seiner Wirkung, und bin zufrieden, daß ich das Wahre und Gute wollte.

Es ist eine sehr alte Bemerkung, daß fast jeder Schriftsteller in seinen Büchern nur sein Ich schreibt. Das kann nicht anders seyn, und soll wohl nicht anders seyn; wenn sich nur jeder vorher in gutes Licht und reine Stimmung setzt. Ich bin mir bewußt, daß ich lieber das Gute sehe und mich darüber freue, als das Böse finde und darüber zürne: aber die Freude bleibt still, und der Zorn wird laut.[3]

In Romanen hat man uns nun lange genug alte, nicht mehr geläugnete Wahrheiten dichterisch eingekleidet, dargestellt und tausendmal wiederholt. Ich tadle dieses nicht, es ist der Anfang: aber immer nur Milchspeise für Kinder. Wir sollten doch endlich auch Männer werden, und beginnen die Sachen ernsthaft geschichtsmäßig zu nehmen, ohne Vorurtheil und Groll, ohne Leidenschaft und Selbstsucht. Oerter, Personen, Namen, Umstände sollten immer bei den Thatsachen als Belege seyn, damit alles so viel als möglich aktenmäßig würde. Die Geschichte ist am Ende doch ganz allein das Magazin unsers Guten und Schlimmen.

Die Sache hat allerdings ihre Schwierigkeit. Wagt man sich an ein altes Vorurtheil des Kultus, so ist man noch jetzt ein Gottloser; sondirt man etwas näher ein politisches und spricht über Malversation, so wird man stracks unter die unruhigen Köpfe gesetzt: und beides weiß man sodann sehr leicht mit Bösewicht synonym zu machen. Wer den Stempel hat, schlägt die Münze. Wer für sich noch etwas hofft und fürchtet, darf die Fühlhörner nicht aus seiner Schale hervorbringen. Man sollte nie sagen, die Fürsten oder ihre Minister sind schlecht, wie man es oft hört und liest; sondern hier handelt dieser Fürst ungerecht, widersprechend, grausam; und hier handelt dieser Minister als isolirter Plusmacher und Volkspeiniger. Dergleichen Personalitäten sind nothwendige heilsame Wagstücke für die Menschheit, und wenn sie von allen Regierungen als Pasquille gebrandmarkt würden. Das Ganze besteht nur aus Personalitäten, guten und schlechten. Die Sklaven haben Tyrannen gemacht, der Blödsinn und der Eigennutz haben die Privilegien erschaffen, und Schwachheit und Leidenschaft verewigen beides. Sobald die Könige den Muth haben werden sich zur allgemeinen Gerechtigkeit zu erheben, werden sie ihre eigene Sicherheit gründen und das Glück ihrer Völker durch Freiheit nothwendig machen. Aber dazu gehört mehr, als Schlachten gewinnen. Bis dahin wird und muß es jedem rechtschaffenen Manne von Sinn und Entschlossenheit erlaubt seyn zu glauben und zu sagen, daß alter Sauerteig alter Sauerteig sey.

Man findet es vielleicht sonderbar, daß ein Mann, der zweimal gegen die Freiheit zu Felde zog, einen solchen Ton führt. Die Enträthselung wäre nicht schwer. Das Schicksal hat mich gestoßen. Ich bin nicht hartnäckig genug, meine eigene Meinung stürmisch gegen Millionen durchsetzen zu wollen: aber ich habe Selbstständigkeit genug, sie vor Millionen und ihren Ersten und Letzten nicht zu verläugnen.

Einige Männer, deren Namen die Nation mit Achtung nennt, haben mich aufgefordert, etwas öffentlich über mein Leben und meine successive Bildung zu sagen: ich kann mich aber nicht dazu entschließen. In meiner Jugend war es der Kampf eines jungen Menschen mit seinen Umständen und seinen Inkonsequenzen; als ich Mann ward, waren meine Verflechtungen zuweilen so sonderbarer Art, daß ich nicht immer ihre Erinnerung mit Vergnügen zurückrufe. Wer sagt gern, ich war ein Thor, um durch ein Beispiel einige längst bekannte Wahrheiten vielleicht etwas eindringlicher zu machen? Da ich als ein junger Mensch von achtzehn Jahren, als theologischer Pflegling, von der Akademie in der Welt hinein lief, fand man bei Untersuchung, daß ich keinen Schulfreund erstochen, kein Mädchen in den Klagestand gesetzt und keine Schulden hinterlassen, daß ich sogar die wenigen Thaler Schulden den Tag vor der Verschwindung bezahlt hatte; und man konnte nun den Grund der Entfernung durchaus nicht entdecken und hielt mich für melancholisch verirrt, und ließ mich sogar in dieser Voraussetzung so schonend als möglich zur Nachsuchung in öffentliche Blätter setzen. Daß ein Student den Tag vorher ehe er durchgeht, seine Schulden bezahlt, schien ein starker Beweis des Wahnsinns. Ich überlasse den Philanthropen die Betrachtung über diesen Schluß, der eine sehr schlimme Meinung von der Sittlichkeit unserer Jugend verräth. Dem Psychologen wird das Räthsel erklärt seyn, wenn ich ihm sage, daß die Gesinnungen, die ich seitdem hier und da und in folgender Erzählung geäußert habe, schon damals alle lebendig in meiner Seele lagen, als ich mit neun Thalern und dem Tacitus in der Tasche auf und davon ging. Was sollte ein Dorfpfarrer mit diesen Gährungen? Bei einem Kosmopoliten können sie, auf einem festen Grunde von Moralität, wohl noch etwas Gutes wirken. Der Sturm wird bei mir nie so hoch, daß er mich von der Base, auf welcher ich als vernünftiger rechtlicher Mann stehen muß, herunterwürfe. Meine meisten Schicksale lagen in den Verhältnissen meines Lebens; und der letzte Gang nach Sicilien war vielleicht der erste ganz freie Entschluß von einiger Bedeutung.

Man hat mich getadelt, daß ich unstät und flüchtig sei: man that mir Unrecht. Die Umstände trieben mich, und es hielt mich keine höhere Pflicht. Daß ich einige Jahre über dem Druck von Klopstocks Oden und der Messiade saß, ist wohl nicht eines Flüchtlings Sache. Man wirft mir vor, daß ich kein Amt suche.[4] Zu vielen Aemtern fühle ich mich untauglich, und es gehört zu meinen Grundsätzen, die sich nicht auf lächerlichen Stolz gründen, daß ich glaube, der Staat müsse Männer suchen für seine Aemter. Es ist mir also lieb, daß ich Ursache habe zu denken, es müssen in meinem Vaterlande dreißigtausend Geschicktere und Bessere seyn, als ich. Wäre ich Minister, ich würde höchst wahrscheinlich selten einem Manne ein Amt geben, der es suchte. Das werden Viele für Grille halten; ich nicht. Wenn ich Isolirter nicht strenge nach meinen Grundsätzen handeln will, wer soll es sonst?

Man hat es gemißbilligt, daß ich den russischen Dienst verlassen habe. Ich kam durch Zufall hin, und durch Zufall weg. Ich bin schlecht belohnt worden; das ist wahrscheinlich auch Zufall: und ich bin noch zu gesund an Leib und Seele, um mir darüber eine Suppe verderben zu lassen. In der wichtigsten Periode, der Krise mit Polen, habe ich in Grodno und Warschau die deutsche und französische diplomatische Korrespondenz zwischen dem General Igelström, Pototzky, Möllendorf und den andern preußischen und russischen Generalen besorgt, weil eben kein anderer Officier im Hauptquartier war, der so viel mit der Feder arbeiten konnte. — „Sie sind noch nicht verpflichtet,“ sagte Igelström zu mir, als er mir den ersten Brief von Möllendorf gab. „Sie haben nicht geschworen.“ — „Der ehrliche Mann,“ antwortete ich, „kennt und thut seine Pflicht ohne Eid, und der Schurke wird dadurch nicht gehalten.“ — Man hat den alten Stabsofficieren Dinge von großer Bedeutung abgenommen und sie mir übergeben, als Möllendorf noch die Piliza zur Grenze forderte, und als man nachher russisch die Dietienen in Polen nach ganz eigenen Regeln ordnete und leitete.[5] Igelström, Friesel und ich waren einige Zeit die Einzigen, die von dem ganzen Plane unterrichtet waren. Ich habe gearbeitet Tag und Nacht, bis zur letzten Stunde, als der erste Kanonenschuß unter meinem Fenster fiel: und mir däucht, daß ich denn auch als Soldat meine Schuldigkeit nicht versäumte, wenn ich gleich während des langen Feuers kartätschensicher zuweilen in einer Mauernische neben den Grenadieren saß und in meinem Taschenhomer blätterte. Zu den russischen Arbeiten hatte der General Dutzende; zu den deutschen und französischen, die der Lage der Sachen nach nicht unwichtig seyn konnten, niemand als mich: das wird Igelström selbst, Apraxin, Pistor, Bauer und andere bezeugen. Als der Franzose Sion ankam, waren die wichtigsten Geschäfte schon gethan. Dafür wurde mir dann und wann ein Geiger vorgezogen, der einem der Subows etwas vorgespielt hatte. Das ist auch wohl anderwärts nicht ungewöhnlich. Ich hatte das Schicksal, gefangen zu werden. Der General Igelström schickt mich nach Beendigung der ganzen Geschichte mit einem schwer verwundeten jungen Manne, der mein Freund und dessen Vater der seinige war, nach Italien, damit der Kranke dort die Bäder in Pisa brauchen sollte. Wir konnten nicht hin, weil die Franzosen alles besetzt hatten. Die Kaiserin starb; ich konnte unmöglich an dem Tage zurück auf meinem Posten seyn, den Paul in seiner Ukase bestimmt hatte, und wurde aus dem Dienst geschlossen. Man hat in Rußland wenig schöne Humanität bei dem Anblick auf das flache Land. Schon vorher war ich bald entschlossen nicht zurückzugehen, und ward es nun ganz. Der Kaiser gab mir auf meine sehr freimüthige Vorstellung an ihn selbst, da ich durchaus keinen Dienstfehler gemacht hatte, endlich den förmlichen ehrenvollen Abschied, den mir der General Pahlen zuschickte. Es ist sonst Gewohnheit in Rußland, Officieren, die einige Dienste geleistet haben, ihren Gehalt zu lassen; ich erhielt nichts. Das war vielleicht so Geist der Periode, und es würde Schwachheit von mir seyn, mich darüber zu ärgern. Wenn ich jetzt etwas in Anregung bringen wollte, würde man die Sache für längst antiquirt halten und der Sinn des Resultats wird heißen: Wir Löwen haben gejagt. — Ich will mir den Nachsatz ersparen. Wenn ich nicht einige Kenntnisse, etwas Lebensphilosophie und viel Genügsamkeit hätte, könnte ich den Rock des Kaisers um ein Stückchen Brot im deutschen Vaterlande umher tragen.

Ich habe mich in meinem Leben nie erniedriget um etwas zu bitten, was ich nicht verdient hatte; und ich will auch nicht einmal immer bitten, was ich verdiente. Es sind in der Welt viele Mittel ehrlich zu leben: und wenn keines mehr ist, finden sich doch einige, nicht mehr zu leben. Wer nach reiner Ueberzeugung seine Pflicht gethan hat, darf sich am Ende, wenn ihn die Kräfte verlassen, nicht schämen abzutreten. Auf Billigung der Menschen muß man nicht rechnen. Sie errichten heute Ehrensäulen und brauchen morgen den Ostracismus für den nämlichen Mann und für die nämliche That.

Wenn ich vielleicht noch vierzig Jahre gelebt habe und dann nichts mehr zu thun finde, kann es wohl noch eine kleine Ausflucht werden, die Winkel meines Gedächtnisses aufzustäuben, und meine Geschichte zur Epanorthose der Jüngern hervor zu suchen. Jetzt will ich leben, und gut und ruhig leben, so gut und ruhig man ohne einen Pfennig Vorrath leben kann. Es wird gewiß gehen, wie es bisher gegangen ist: denn ich habe keine Ansprüche, keine Furcht und keine Hoffnung.

Was ich hier in meiner Reiseerzählung gebe, wirst Du, lieber Leser, schon zu sichten wissen. Ich stehe für Alles, was ich gesehen habe, in so fern ich meinen Ansichten und Einsichten trauen darf: und ich habe nichts vorgetragen, was ich nicht von ziemlich glaubwürdigen Männern wiederholt gehört hätte. Wenn ich über politische Dinge etwas freimüthig und warm gewesen bin, so glaube ich, daß diese Freimüthigkeit und Wärme dem Manne ziemt, sie mag nun Einigen gefallen oder nicht. Ich bin übrigens ein so ruhiger Bürger, als man vielleicht in dem ganzen meißnischen Kreise kaum einen Thorschreiber hat. Manches ist jetzt weiter gediehen und gekommen, wie es wohl zu sehen war, ohne eben besser geworden zu seyn. Machte ich die Ronde jetzt, ich würde wahrscheinlich mehr zu erzählen haben, und Belege zu meinen vorigen Meinungen geben können.

Freilich möchte ich gern ein Buch gemacht haben, das auch ästhetischen Werth zeigte; aber Charakteristik und Wahrheit würde durch ängstliche Glättung zu sehr leiden. Niemand kann die Sache und sich selbst besser geben, als beide sind. Ich fühle sehr wohl, daß diese Bogen keine Lektüre für Toiletten seyn können. Dazu müßte vieles heraus und vieles müßte anders seyn. Wenn aber hier und da ein guter, unbefangener, rechtlicher, entschlossener Mann einige Gedanken für sich und Andere brauchen kann, so soll mir die Erinnerung Freude machen.

Leipzig, 1803.

Seume.

Nach gewissenhafter Ueberlegung habe ich im Wesentlichen nichts verändern können. Faktisch waren die Dinge so, wie ich sie erzähle; und in dem Uebrigen ist meine Ueberzeugung nicht von gestern und ehegestern. Wahrheit und Gerechtigkeit werden immer mein einziges Heiligthum seyn. Warum sollte ich zu entstellen suchen? Zu hoffen habe ich nichts, und fürchten will ich nichts. Ueber Vortrag und Styl werden freilich wohl die Kritiker noch manche Ausstellung zu machen haben, gegen deren Richtigkeit ich nicht hartnäckig streiten will. Aber es war mir unmöglich das Ganze mehr umzuschmelzen, und die lebendigere Individualität möchte auch bei dem Guß mehr verloren als gewonnen haben. Ich lege dieses zwar nicht als ein vollständiges Gemälde, aber doch als einen ehrlichen Beitrag zur Charakteristik unserer Periode bei den Zeitgenossen nieder, und bin zufrieden, wenn ich damit nur den Stempel eines wahrheitliebenden, offenen, unbefangenen, selbstständigen, rechtschaffenen Mannes behaupte. Gegen den Strom der Zeit kann zwar der Einzelne nicht schwimmen: aber wer Kraft hat, hält fest und läßt sich von demselben nicht mit fortreißen. Noch gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß einst ursprüngliche Gerechtigkeit seyn werde, obgleich die unglücklichen Versuche noch viele platonische Jahre dauern mögen. Nur wirke Jeder mit Muth, weil sein Tag währt.

Dresden, den 9. Dec. 1801.

Ich schnallte in Grimma meinen Tornister, und wir gingen. Eine Karavane guter gemüthlicher Leutchen gab uns das Geleite bis über die Berge des Muldenthals, und Freund Großmann sprach mit Freund Schnorr sehr viel aus dem Heiligthume ihrer Göttin, wovon ich Profaner sehr wenig verstand. Unbemerkt suchte ich einige Minuten für mich, setzte mich oben Sankt Georgens großem Lindwurm gegenüber und betete mein Reisegebet, daß der Himmel mir geben möchte billige, freundliche Wirthe und höfliche Thorschreiber von Leipzig bis nach Syrakus, und zurück auf dem andern Wege wieder in mein Land; daß er mich behüten möchte vor den Händen der monarchischen und demagogischen Völkerbeglücker, die mit gleicher Despotie uns schlichten Menschen ihr System in die Nase heften, wie der Samojede seinen Thieren den Ring.

Nun sah ich zurück auf die schöne Gegend, die schon Melanchthon so lieblich fand, daß er dort zu leben wünschte; und überlief in Gedanken schnell alle glücklichen Tage, die ich in derselben genossen hatte: Mühe und Verdruß sind leicht vergessen. Dort stand Hohenstädt mit seinen schönen Gruppen, und am Abhange zeigte sich Göschens herrliche Siedelei, wo wir so oft gruben und pflanzten und jäteten und plauderten und ernteten und Kartoffeln aßen und Pfirschen: an den Bergen lagen die freundlichen Dörfer umher, und der Fluß wand sich gekrümmt durch die Bergschluchten hinab, in denen kein Pfad und kein Eichbaum mir unbekannt waren.

Die Sonne blickte warm wie im Frühling, und wir nahmen dankbar und mit der heitersten Hoffnung der Rückkehr von unsern Begleitern Abschied. Noch einmal sah ich links nach der neuen Mühle auf die größte Höhe hin, die uns im Gartenhause zu Hohenstädt so oft zur Gränze unserer Aussicht über die Thäler gedient hatte, und wir wandelten ruhig die Straße nach Hubertsburg hinab. In Altmügeln empfing man uns mit patriarchalischer Herzlichkeit, bewirthete uns mit der Freundschaft der Jugend und schickte uns den folgenden Morgen mit einer schönen Melodie von Göthens Liede — „Kennst du das Land?“ — unter den wärmsten Wünschen weiter nach Meißen, wo wir eben so traulich willkommen waren. Wenn wir uns doch die freundlichen Bekannten an die südliche Küste von Sicilien hin bestellen könnten! Die Elbe rollte majestätisch zwischen den Bergen von Dresden hinab. Die Höhen glänzten, als ob eben die Knospen wieder hervorbrechen wollten, und der Rauch stieg von dem Flusse an den alten Scharfenberg hinauf. Das Wetter war den achten December so schwül, daß es unserm Gefühl sehr wohlthätig war, als wir aus der Sonne in den Schatten des Waldes kamen.

Seit zwölf Jahren hatte ich Dresden nicht gesehen, wo ich damals von Leipzig herauf wandelte, um einige Stellen in Guichards mémoires militaires nachzusuchen, die ich dort nicht finden konnte. Auch in Dresden fand ich sie nicht, weil man sie einem General in die Lausitz geschickt hatte. Nach meiner Rückkehr traf ich den Freibeuter Quintus Icilius bei dem Theologen Morus, und fand in demselben nichts, was in meinen Kram getaucht hätte. So macht man manchen Marsch in der Welt, wie im Kriege, umsonst. Es wehte mich oft eine kalte, dicke, sehr unfreundliche Luft an, wenn ich einer Residenz nahe kam; und ich kann nicht sagen, daß Dresden dießmal eine Ausnahme gemacht hätte, so freundlich auch das Wetter bei Meißen gewesen war. Man trifft so viele trübselige, unglückliche, entmenschte Gesichter, daß man alle fünf Minuten auf eines stößt, das öffentliche Züchtigung verdient zu haben, oder sie eben zu geben bereit scheint: Du kannst denken, daß weder dieser noch jener Anblick wohlthut[6]. Viele scheinen auf irgend eine Weise zum Hofe zu gehören oder die kleinen Offizianten der Kollegien zu seyn, die an dem Stricke der Armseligkeit fortziehen, und mit Grobheit grollend das Endchen Tau nach dem hauen, der ihrer Jämmerlichkeit zu nahe tritt. Ungezogenheit und Impertinenz ist bekanntlich am meisten unter dem Hofgesinde der Großen zu Hause, das sich oft dadurch für die Mißhandlungen schadlos zu halten sucht, die es von der eben nicht feinen Willkühr der Herren erfahren muß. Höflichkeit sollte vom Hofe kommen; aber das Wort scheint, wie viele andere im Leben, die Antiphrase des Sinnes zu seyn, und Hof heißt oft nur ein Ort, wo man keine Höflichkeit mehr findet, so wie Gesetz oft der Gegensatz von Gerechtigkeit ist. Wehe dem Menschen, der zur Antichambre verdammt ist! Es ist ein großes Glück, wenn sein Geist nicht knechtisch oder despotisch wird! und es gehört mehr als gewöhnliche Männerkraft dazu, sich auf dem gehörigen Standpunkte der Menschenwürde zu erhalten.

Eben komme ich aus dem Theater, wo man Großmanns alte „Sechs Schüsseln“ gab. Du kennst die Gesellschaft. Sie arbeitete im Ganzen gar nicht übel. Das Stück selbst war beschnitten worden, und ich erwartete nach der Gewohnheit eine förmliche Kombabusirung, fand aber bei genauer Vergleichung, daß man dem Verfasser eine Menge Leerheiten und Plattheiten ausgemerzt hatte, deren Wegschaffung Gewinn war. Verschiedene zu grelle Züge, die bei der ersten Erscheinung vor fünf und zwanzig Jahren es vielleicht noch nicht waren, waren gestrichen. Aber es war auch mit der gewöhnlichen Dresdener Engbrüstigkeit Manches weggelassen worden, was zu Ehre der liberalen Duldung besser geblieben wäre. Ich sehe nicht ein, warum man den Fürsten in einen König verwandelt hatte. Das Ganze bekam durch die eigenmächtige Krönung eine so steife Gezwungenheit, daß es bei verschiedenen Scenen sehr auffallend war. Wenn man in Königsstädten die Könige zu bloßen Fürsten machen wollte, würde dadurch etwas gebessert? Sind nicht beide Fehlern unterworfen? Die Furcht war sehr unnöthig; und der Charakter des wirklich vortrefflichen Churfürsten muß eher durch solche Winkelzüge beleidiget werden. Man hat ihm in seinem ganzen Leben vielleicht nur eine oder zwei Uebereilungen zur Last gelegt, und davon ist keine in dem Stücke berührt. Daß man die Grobheiten der verflossenen zwanzig Jahre wegwischt, hat moralischen und ästhetischen Grund: aber ich sehe nicht ein, warum die noch immer auffallenden Thorheiten und Gebrechen der Adelskaste nicht mit Freimüthigkeit gesagt, gerügt und mit der Geißel des Spottes zur Besserung gezüchtiget werden sollen. Wenn es nicht mehr trifft, ist es nicht mehr nöthig; daß es aber noch nöthig ist, zeigt die ängstliche Behutsamkeit, mit der man die Lächerlichkeit des jüngsten Kammerjunkers zu berühren vermeidet.

Christ, als Hofrath, sprach durchaus bestimmt und richtig, und seine Aktion war genau, gemessen, ohne es zu scheinen. Du kennst seinen feinen Takt. Madam Hartwig spielte seine Tochter mit ihrer gewöhnlichen Theatergrazie und an einigen Stellen mit ungewöhnlicher, sehr glücklicher Kunst. Madam Ochsenheimer fängt an eine ziemlich gute Soubrette zu werden, und verspricht in der Schule ihres Mannes viel Gutes in ihrem Fache. Ochsenheimer war nicht zu seinem Vortheile in der Rolle des Herrn von Wilsdorf. Thering und Bösenberg kennst Du: beide hatten, der erste als Philipp, der zweite als Wunderlich, ein ziemlich dankbares Feld. Thering spielte mit seiner gewöhnlichen barocken Laune und mußte gefallen; aber Bösenberg that einen beleidigenden Mißgriff, der ihm vielleicht nur halb zur Last gelegt werden kann. Wunderlich wollte für den gelieferten Wagen stante bene bezahlt seyn: und nun denke Dir Bösenbergs obersächsische Aussprache hinzu, die so gern das Weiche hart und das Harte weich macht, und die dazu hier sehr markirt zu seyn schien. Der halblateinische Theil des Publikums lachte heillos, und mir kam es als eine Ungezogenheit der ersten Größe vor. Die übrigen Rollen waren leidlich besetzt. Auch Drewitz machte den Fritz nicht übel, weil er ihn schlecht machte. Aber Henke war ein Major, wie ein Stallknecht, und arbeitete oder vielmehr pfuschte zur großen Belustigung aller Militaire, die um mich her im Parket saßen. Der Fehler war nicht sowohl sein eigen, als des Direktoriums, das ihn zum Major gemacht hatte. Non omnia possumus omnes; er macht den Bäcker Ehlers in einem Ifflandischen Stücke recht gut.

Man hatte uns bange gemacht, wir würden Schwierigkeiten wegen Oesterreichischer Pässe haben; aber ich muß die Humanität der Gesandtschaft rühmen. Herr von Büel, als Sekretär, nahm uns sehr gütig auf und fertigte, da er unsere Wünsche bald abzureisen vernahm, mit großer Freundlichkeit sogleich selbst aus; und in einigen Stunden erhielten wir die Papiere, von dem Grafen Metternich unterschrieben, durch alle kaiserliche Länder.

Du kennst meine Saumseligkeit und Sorglosigkeit in gelehrten Dingen und Sachen der Kunst. Was soll ich Laie im Heiligthum? Die Gallerie sah ich nicht, weil ich dazu noch einmal hätte Schuhe anziehen müssen; den Antikensaal sah ich nicht, weil ich den Inspektor das erstemal nicht traf; und das Uebrige nicht, weil ich zu indolent war. Du verlierst nichts; ein Anderer wird Dir Alles besser erzählen und beschreiben.

Herrn Grassi besuchte ich, mehr in Schnorrs Gesellschaft und weil ich ihn ehedem schon in Warschau gesehen hatte, als weil ich mich sehr gedrängt gefühlt hätte, seine Arbeiten zu sehen; und doch halte ich ihn für den besten Maler, den ich bis jetzt kenne. Er hat ein glühendes und doch sehr zartes Kolorit, mit einer richtigen und interessanten Zeichnung. Mich däucht, er hat von dem strengen Ernst der alten ächten Schule etwas nachgelassen und seine eigene blühende, unaussprechlich reizende Grazie dafür ausgegossen. Er hat mit besserm Glücke gethan, was Oeser in seiner letzten Manier thun wollte, durch welche er, wie die Kritiker der Kunst sehr gut wissen, unter die Nebulisten gerieth. Beide schmeicheln; aber Grassi schmeichelt nur dem Kenner, und Oeser schmeichelte nur dem Liebhaber. Grassi erzählte mir noch manches von Warschau, wo wir beide in der großen Krise der letzten Revolution Berührungspunkte fanden. Er hatte durch Teppers Fall einen Verlust von fünftausend Dukaten erlitten, und mußte während der Belagerung bei dem Bürgercorps als Korporal zehn Mann kommandiren. Stelle Dir den sanften Künstler auf einer Batterie mit einer Korporalschaft wilder Polen vor, wo die kommenden Kugeln durchaus keine Weisung annahmen. Kosciusko’s Freundschaft und Kunstsinn brachten den guten Mann endlich in Sicherheit, indem der General ihm Pässe zur Entfernung von dem schrecklichen Schauplatze auswirkte und ihm selbst hinlängliche Begleitung gab, bis er nichts mehr zu befürchten hatte. Du kannst denken, daß unser Freund Schnorr sich mit Enthusiasmus an den Mann anschloß; und die Herzlichkeit, mit der sich beide einander öffneten, machte beiden Ehre.

Heute früh wurde ich durch den Donner der Kanonen geweckt und erfuhr beim Aufstehen, daß dem Hause ein Prinz geboren war. Vielleicht macht der Herr in seinem Leben nicht wieder so viel Lärm, als bei seiner Ankunft auf unsern Planeten. Die Fürsten dieses Hauses sind zum Glück ihrer Länder seit mehr als einem Jahrhundert meistens Kinder des Friedens. Dadurch werden die Verdienste gewiß erhöht, und ihr Muth wird doch nicht mehr problematisch, als ob sie Schlachten gewännen.

Budin.

Du weißt, daß Schreibseligkeit eben nicht meine Erbsünde ist, und wirst mir auch Deiner selbst wegen sehr gern verzeihen, wenn ich Dir eher zu wenig, als zu viel erzähle. Wenn ich recht viel hätte schreiben wollen, hätte ich eben so gut in meinem Polstersessel bleiben können. Nimm also mit Fragmenten vorlieb, aus denen am Ende doch unser ganzes Leben besteht. In Dresden mißfiel mir noch zuletzt gar sehr, daß man zur Bequemlichkeit der Ankömmlinge und Fremden noch nicht die Straßen und Gassen an den Ecken bezeichnet hat; ein Polizeiartikel, an den man schon vor zehn Jahren in kleinen Provinzialstädten sogar in Polen gedacht hat, und der die Topographie außerordentlich erleichtert: und Topographie erleichtert wieder die Geschäfte.

Den letzten Nachmittag sah ich dort noch die Mengsische Sammlung der Gypsabgüsse. Schnorr wird Dir besser erzählen, von welchem Werthe sie ist, und Küttner hat es, meines Wissens, schon sehr gut gethan. Du weißt, daß ich hier ziemlich Idiot bin und mich nicht in das Heiligthum der Göttin wage; ob ich gleich über manche Kunstwerke, zum Beispiel über die Mediceerin, meine ganz eigenen Gedanken habe, die mir wohl schwerlich ein Antiquar mit seiner Aesthetik austreiben wird. Schon freue ich mich auf den Augenblick, wo ich das Original in Palermo sehen werde, wo es, wie ich denke, jetzt steht. Hier interessirten mich eine Menge Köpfe am meisten, die ich größtentheils für römische hielt. Küttners Wunsch fiel mir dabei ein, daß der Churfürst diese Sammlung, zur Wohlthat für die Kunst, mehr kompletiren möchte. Auch ist die Periode des Beschauens zu beschränkt, da sie den Sommer wöchentlich nur zwei Tage und den Winter öffentlich gar nicht zu sehen ist. Einige Verordnungen, die Kunst betreffend, sind mir barock genug vorgekommen. Kein Künstler, zum Beispiel, darf auf der Gallerie ein Stück ganz fertig kopiren, wie man mich versichert hat. Dieß zeigt eine sehr kleinliche Eifersucht. Es wäre für die Schule in Dresden keine kleine Ehre, wenn Kopien großer Meister von dort kämen, die man mit den Originalen verwechseln könnte. Auch darf kein Maler länger als die bestimmten zwei Stunden, oben arbeiten, welches für die Kopisten in Oel eine Zeit ist, in welcher fast nichts gemacht werden kann. Aber das Künstlervolk mag seinen Muthwillen auch zuweilen bis zur Ungezogenheit treiben; und es soll vor Kurzem ein nahmhafter Maler unsers deutschen Vaterlandes seine Pinsel auf einem der schönsten Originale abgewischt haben, um die Farben zu versuchen. Da würde mir Laien unwillkürlich der Knotenstock sich in der Faust geregt haben.

Den letzten Abend sah ich noch eine Oper, die mit ziemlich vieler Pracht gegeben wurde. Mein Gedächtniß ist wie ein Sieb, aber mich däucht, es war die Gräfin von Amalfi. Die Musik ist, wenn ich nicht irre, sehr eklektisch. Es war bei der Vorstellung kein einziger schlechter Sänger und Akteur; aber, nach meiner Meinung, auch kein einziger vortrefflicher, so sehr man auch in Dresden dieses behauptete. Die Schuld mag wohl mein gewesen seyn, da ich mich fast in jedem Fache eines bessern Subjektes unwillkürlich erinnerte.

In Pirna sahen wir ein Stündchen Herrn Siegfried, den Du als den Verfasser von Siama und Galmori kennest und der uns mit einigen Bekannten an die Grenze brachte. Nun ging es in die Höhe; und so mild es unten am Flusse gewesen war, so rauh war es oben, und in einigen Stunden hatten wir schon Schnee. Dieser vermehrte sich bis einige Stunden hinter Peterswalde, nahm sodann allmälig wieder ab und hörte bei Außig wieder ganz auf.

Man hatte mir gar sonderbare Begriffe von den auffallenden Erscheinungen der böhmischen Katholicität gemacht. Ich habe nichts bemerkt. Im Gegentheil muß ich sagen, es gefiel mir Alles außerordentlich wohl. Unser Wirthshaus in Peterswalde war so gut, als man mit gehöriger Genüglichkeit es sich nur immer wünschen kann. Der Zollbeamte, der den Paß bescheinigte, war freundlich. Die Mahlzeit war nicht übel und die Aufwärterin gar allerliebst niedlich und artig. Lache nur über diese Bemerkung von mir Griesgram! Man müßte eine sehr verstimmte und unästhetische Seele haben, wenn man nicht lieber ein junges, hübsches, freundliches Gesicht sähe, als ein altes, häßliches, murrsinniges. Das Mädchen setzte in unserm Zimmer ihr Silbermützchen vor einem Spiegel, der zwischen zwei Marienbildern hing, so reizend unbefangen in Ordnung, als ob sie sich in Ehren eine kleine Unordnung recht gern wollte vergeben lassen. Der Ketzer Schnorr sah dem rechtgläubigen Geschöpf so enthusiastisch in die Augen, als ob er sich eben zu ihr bekehren, oder sie wenigstens zum Modell nehmen wollte. Ueberdieß ist der böhmisch-deutsche Dialekt bis Lowositz ziemlich angenehm und gurgelt die Worte nicht halb so dick und widrig hervor, wie der gebirgische in Sachsen.

Der Weg von Peterswalde[7] nach Außig ist rauh, aber schön; von Außig, wo man wieder an die Elbe kommt, romantisch wild, links und rechts an dem Flusse hohe Berge mit Schluchten, Felsenwänden und Spitzen. Hier tönte mir die Klage über die Undisciplin unserer sächsischen Landsleute ins Ohr, die in dem baierischen Erbfolgekriege zur Feuerung hier alle Weinpfähle verbrannten. Sie durften nur einige hundert Schritte höher steigen, so hatten sie ganze Wälder. Das schmerzt mich in die Seele Anderer. Wenn die Oestreicher es eben so schlimm machen, so werden wir dadurch nicht besser. Wann wird unsere Humanität wenigstens diese Schandflecken wegwischen? Bei Lowositz endigen allmälig die Berge, und von da bis Eger hinauf und Leutmeritz hinab ist schönes, herrliches, fruchtbares Land, das zwei Stunden hinter Budin nun ganz Ebene wird. In Budin, einem Orte, wo allgemeine Verlassenheit zu seyn scheint, traf ich bei dem Juden Lasar Tausig eine kleine Sammlung guter Bücher an, und ließ mir von ihm, da er Lessings Nathan einem Freunde geliehen hatte, auf den Abend Kants Beweisgrund zur einzig möglichen Demonstration über das Daseyn Gottes geben.

Prag.

Von Budin bis hierher stehen im Kalender sieben Meilen, und diese tornisterten wir von halb acht Uhr früh bis halb sechs Uhr Abends sehr bequem ab, und saßen doch noch über eine Stunde zu Mittage in einem Wirthshause, wo wir bei einem Eierkuchen durchaus mitfasten und dafür funfzig Kreuzer bezahlen mußten; welches ich für einen Eierkuchen in Böhmen eine stattliche Handvoll Geld finde. Da war es in Peterswalde verhältnißmäßig billiger und besser. Der Wirth zur Rose in Budin hatte ein gutes Haus von außen und ein schlechtes von innen. Eine Suppe von Kaldaunen, altes dürres Rindfleisch und ein zäher, lederner Braten von einer Gans, die noch eine Retterin des Kapitols gewesen seyn mochte; noch schlechter waren die Betten: aber am schlechtesten war der Preis. Die schlechten Sachen waren ungeheuer theuer, wovon ich schon vorher unterrichtet war. Aber Muß ist ein Bretnagel, heißt das Sprichwort. Dieser Wirth ist der Einzige in Budin und mich däucht, schon Küttner hat gehörig sein Lob gesungen. Uebrigens lasse ich die Qualität der Wirthshäuser mich wenig anfechten. Das beste ist mir nicht zu gut, und mit dem schlechtesten weiß ich noch fertig zu werden. Ich denke, es ist noch lange nicht so schlimm, als auf einem englischen Transportschiffe, wo man uns wie die schwedischen Häringe einpökelte, oder im Zelte, oder auf der Brandwache, wo ich einen Stein zum Kopfkissen nahm, sanft schlief und das Donnerwetter ruhig über mir wegziehen ließ.

In der Budiner Wirthsstube war ein Quodlibet von Menschen, die einander ihre Schicksale erzählten und hier und da, zur Verschönerung wahrscheinlich, etwas dazu logen. Einige östreichische Soldaten, Stallleute und ehemalige Stückknechte, die alle in der französischen Gefangenschaft gewesen waren, und einige Sachsen von dem Kontingent machten eine erbauliche Gruppe, und unterhielten die Nachbarn lang und breit von ihren ausgestandenen Leiden. Besonders machte einer der Soldaten eine so greuliche Beschreibung von den Läusen im Felde und in der Gefangenschaft, daß wir Andern fast die Phthiriase davon hätten bekommen mögen. Mir war es nunmehr nur eine drollige Reminiscenz meiner ersten Seefahrt nach Amerika, wo die Engländer uns gar erbärmlich säuberlich hielten, und wo wir, vom Kapitän bis zum Trommelschläger, der Thierchen auch eine solche Menge bekamen, daß sie das Tauwerk zu zerfressen drohten. Ein Fuhrknecht erzählte dann unter andern toll genug, wie er und seine Kameraden in Iglau neulich einige Soldaten, in einem Streit wegen der Mädchen, gar furchtbar zusammengeprügelt hätten. Where there is a quarrel, there is always a lady in the case, dachte ich, gilt auch bei der östreichischen Bagage. Ein Soldat meinte, daß die Fuhrknechte denn doch etwas sehr Mißliches und Ungebührliches unternommen hätten, sich an den Vertheidigern des Vaterlandes zu vergreifen; die Geschichte würde ihnen am Ende bitter bekommen seyn. „Ei was,“ versetzte der Fuhrknecht, „es waren ja nur Legioner.“ „Das ist etwas anderes,“ erwiederte der Soldat beruhigt, „das waren also nur Studenten und Kaufmannsjungen, die den dritten Marsch um das Butterbrot weinten, wie die Hellerhuren; die kann man schon mit einer tüchtigen Tracht Schläge einweihen, um ihnen den Kitzel zu vertreiben.“

In Prag registrirte uns eine Art von Thorschreiber gehörig ein, gab uns Quartierzettel und schickte unsere Pässe zur Visirung auf das Polizeidirektorium. Die Herren der Polizei waren, gegen alle Gewohnheit der Klasse in andern Ländern, die Höflichkeit selbst; den andern Morgen war in zehn Minuten Alles abgethan, und wir hatten unsern Bescheid bis Wien. Unsere Bekannten wunderten sich sehr über unser Glück, da man noch kurz vorher Fremden mit Gesandtschaftspässen viele Schwierigkeiten gemacht hatte.

Das Theater hier ist polizeimäßig richtig und nicht ohne Geschmack gebaut. Das Stück, das man gab, war schlecht, die Gesellschaft arbeitete nicht gut, und das Ballet ging nicht viel besser, als das Stück. Der Gegenstand des letztern, das wilde Mädchen, war von dem Komponisten sehr gut ausgeführt; und es war Schade, daß in der Vorstellung weder Charakter, noch Takt richtig gehalten wurde. Guardasoni ist Unternehmer der beiden Abtheilungen des Theaters, sowohl der deutschen, als der italienischen. Die deutsche habe ich höchst mittelmäßig gefunden, und die italienische soll noch einige Grade schlechter seyn, die wir doch sonst in Leipzig bei ihm sehr gut besetzt und wohl geordnet fanden. Heute wurde Hamlet gegeben, und Du kannst Dir vorstellen, daß ich nicht Lust hatte, einen meiner Lieblinge gemißhandelt zu sehen.

Die Bibliothek war geschlossen, weil sie in Feuersgefahr gewesen war und man den Schaden ausbauet; und das wird länger dauern, als ich zu warten gesonnen bin. Der Bibliothekar, Rath Unger, der um Literatur und Aufklärung viel Verdienste und gegen Fremde große Gefälligkeit hat, würde indessen unstreitig die Güte gehabt haben, uns die gelehrten Schätze zu zeigen, wenn wir ihn zu Hause getroffen hätten. Es ist bekannt, wie sehr sie im dreißigjährigen Kriege von den Schweden geplündert wurde, die, durch Einverständniß mit ihrer Partei, sogar die unterirdischen Gewölbe ausfindig zu machen wußten, um die versteckten Reichthümer hervorzuziehen. Durch die Aufhebung der Klöster unter Joseph dem Zweiten hat die Bibliothek zwar wieder außerordentlich gewonnen; aber die aufgehäuften Bücher und Schriften sind eben dadurch für die Literatur größerer Gefahr ausgesetzt, weil sie an einem einzigen Orte beisammen liegen. Der letzte Vorfall hat die Besorgniß bestätigt und erhöht. Ein Glück war es, daß eben damals mehr als vierzig Menschen oben lasen, als durch die Nachlässigkeit eines Künstlers, der über derselben in Feuer arbeitete, die Gluth durchbrach. So ward selbst die liberale Benutzung des Instituts, dessen Einrichtung zu den musterhaftesten gehört, ihre Rettung.

Auf Grodschin war das Wetter unfreundlich und finster, und ich blickte durch die Schneegestöber nach der Gegend hinaus, wo Friedrich schlug und Schwerin fiel. Die Kathedrale hat für die Liebhaber der Geschichte manches Merkwürdige. Die Begräbnisse der alten Herzoge von Böhmen gewähren, wenn man Muße hat, eine eigene Art von Genuß; und das silberne Monument eines Erzbischofs ist vielleicht auch für den Künstler nicht ohne Interesse. Während Schnorr es betrachtete, stand ich vor den Gräbern der Kaiser Wenzel und Karls des Vierten, und fand, daß die Zeiten der goldenen Bulle doch wohl nur für wenige Fürsten golden und für die ganze übrige Menschheit sehr bleiern waren. Schlicks, des Ministers Grabmal, gleich hinter dem Steine des Kaisers, ist ein verdorbener gothischer Bombast ohne Geschmack und Würde. Eine Pyramide in der Kirche kommt mir vor, als ob man den Blocksberg in eine Nachtmütze stecken wollte.

Der gute Nepomuck auf der Brücke, mit seiner ehrwürdigen Gesellschaft, gewährt den frommen Seelen noch viel Trost. Es scheint überhaupt in Prag, sowohl unter Katholiken, als unter Protestanten, noch eine große Anzahl Zeloten zu geben: nur nicht unter den höheren Ständen, die in dieser Rücksicht die Toleranz selbst sind.

Ich freute mich, als ich hinter Lowositz in Böhmen auf die Ebenen kam, und hoffte nun, einen beträchtlichen Grad von Wohlstand und Kultur zu finden, da der Boden rund umher außerordentlich fruchtbar zu seyn schien. Aber meine Erwartung wurde traurig getäuscht. Die Dörfer lagen dünn, und waren arm: noch mehr, als in dem Gebirge. Man drasch in den Herrenhöfen auf vielen Tennen und die Bauernhäuser waren leer und verfallen; die Einwohner schlichen so niedergedrückt herum, als ob sie noch an dem härtesten Joche der Sklaverei zögen. Mich deucht, sie sind durch Josephs wohlthätige Absichten wenig gebessert worden, und höchst wahrscheinlich sind sie hier noch schwerer durch die Frohnen gedrückt, als irgendwo. Wo die Sklaverei systematisch ist, machen die Städte oft den Anhang des großen und kleinen Adels und theilen den Raub. Das schien hier der Fall. Alles war in Furcht, als sich die Franzosen nahten; nur die Bauern jubelten laut und sagten, sie würden sie mit Freuden erwarten und alsdann schon ihre Unterdrücker bezahlen. Ob der Landmann in Rücksicht der Franzosen Recht hatte, ist eine andere Frage: aber in seiner Freude bei der furchtbaren Krise des Vaterlandes lag ein großer Sinn, der wohl beherzigt zu werden verdiente, und der auch vielleicht den Frieden mehr beschleunigt hat, als die verlornen Schlachten.

Unsere guten Freunde jagen uns hier Angst ein, daß rund umher in der Gegend Räuber und Mörder streifen. Das könnten unsere guten Freunde nun wohl bleiben lassen; denn fort müssen wir. In Leutmeritz sollen über Hundert sitzen, und in Prag nicht viel weniger. Die Auflösung der militärischen Corps ist immer von solchen Uebeln begleitet, so wie bei uns die Einrichtungen gewöhnlich sind. Ich gehe getrost vorwärts und verlasse mich etwas auf einen guten, schwerbezwingten Knotenstock, mit dem ich tüchtig schlagen und noch einige Zoll in die Rippen nachstoßen kann. Freund Schnorr wird auch das Seinige thun; und so müssen es schon drei gut bewaffnete, entschlossene Kerle seyn, die uns anfallen wollen. Wir sehen nicht aus, als wenn wir viel bei uns trügen, und auch wohl nicht, als ob wir das Wenige, das wir tragen, so leicht hergeben würden.

Znaym.

Wir nahmen den Segen unsrer Freunde mit uns und pilgerten von Prag aus weiter. Wo ich nichts gesehen habe, kann ich Dir natürlicher Weise nichts erzählen. Nachtlager sind Nachtlager; und ob wir Schinken oder Wurst oder beides zugleich aßen, kann Dir ziemlich gleichgültig seyn.

Es war ein schöner, herrlicher, frischer Morgen, als wir durch Kolin und durch die Gegend des Schlachtfeldes gingen. Daun wußte alle seine Schlachten mit vieler Kunst zu Postengefechten zu machen, und Friedrich erfuhr mehr als einmal das gewaltige Genie dieses Kunktators. Wäre er bei Torgau nicht verwundet worden, es wäre wahrscheinlich eine zweite Auflage von Kolin gewesen. Die Gegend von Kolin bis Czaßlau kam mir sehr angenehm vor; vorzüglich geben die Dörfer rechts im Thale einen schönen Anblick. Die vorletzte Anhöhe von Czaßlau gewährt eine herrliche Aussicht rechts und links, vorwärts und rückwärts, über eine fruchtbare, mit Dörfern und Städten besäete Fläche. Mich däucht, es wäre hier einer der besten militärischen Posten, so leicht und richtig kann man nach allen Gegenden hinabstreichen: und mich sollte es sehr wundern, wenn der Fleck nicht irgendwo in der Kriegsgeschichte steht. Nicht weit von Kolin aß ich zu Mittage in einem Wirthshause an der Straße, ohne mich eben viel um die Mahlzeit zu bekümmern. Meine Seele war in einer eigenen, sehr gemischten Stimmung; nicht ohne einige Wehmuth, unter den furchtbaren Scenen der Vorzeit; da tönte mir aus der Ecke des großen, finstern Zimmers eine schwache, zitternde, einfach magische Musik zu. Ich gestehe Dir meine Schwachheit: ein Ton kann zuweilen meine Seele schmelzen und mich wie einen Knaben gängeln. Eine alte Böhmin saß an einem helleren Fenster uns gegenüber und trocknete sich die Augen, und ein junges, schönes Mädchen, wahrscheinlich ihre Tochter, schien ihr mit Mienen und Worten sanft zuzureden. Ich verstand hier und da in der Entfernung nur Einiges aus der Aehnlichkeit mit dem Russischen, das ich, wie Du weißt, ehemals etwas zu lernen genöthigt war. Die Empfindung bricht bei mir selten hervor, wenn mich nicht die Humanität allmächtig hinreißt. Ich helfe, wo ich kann; wenn ich es nur öfter könnte. Der Ton des alten Instruments, welches ein goldhaariger junger Kerl in dem andern dunkeln Winkel spielte, mochte auf die Weiberseelen stärker wirken, und ihre eigenthümliche Stimmung lebendiger machen. Es war nicht Harfe, nicht Laute, nicht Zither; man konnte mir den eigentlichen Namen nicht nennen; am ähnlichsten war es der russischen Balalaika.

Mich däucht, schon Andere haben angemerkt, daß die Straße von Prag nach Wien vielleicht die befahrenste in ganz Europa ist. Uns begegneten eine unendliche Menge Wagen mit ungarischen Weinen, Wolle und Baumwolle: aber die Meisten brachten Mehl in die Magazine bei Czaßlau und weiter hin nach der Grenze.

Die böhmischen Wirthshäuser sind eben nicht als die besten in Kredit, und wir hatten schon zwischen Dresden und Prag einmal etwas cynisch essen, trinken und liegen müssen. Man tröstete uns, daß wir in Deutschbrot ein sehr gutes Haus finden würden; aber nie wurde eine so gute Hoffnung so schlecht erfüllt. Wir gingen in zwei, die eben keine sonderliche Miene machten, und konnten keine Stube erhalten; die Officiere, hieß es, haben auf dem Durchmarsche Alles besetzt. Das mochte vielleicht auch der Fall seyn, denn Alles ging von der Armee nach Hause: deßwegen die unsichern Wege. Im dritten legte ich mißmuthig sogleich meinen Tornister auf den Tisch, und quartirte mich ein, ohne ein Wort zu sagen. Der Wirth war ein Kleckser und nannte sich einen Maler, und seine Mutter ein Muster von einem alten, häßlichen, keifischen Weibe, das schon seit vierzig Jahren aus der sechsten Bitte in die siebente getreten war. Es erschienen nach uns eine Menge Juden, Glashändler, Tabuletkrämer und Kastenträger aller Art, von denen einer bis nach Sibirien an den Jenisey zu handeln vorgab. Die Gesellschaft trank, sang und zankte sehr hoch, ohne sich um meine Aesthetik einen Pfifferling zu bekümmern; und zur Nacht schichtete man uns mit den Hebräern so enge auf das Stroh, daß ich auf dem britischen Transport nach Kolumbia kaum gedrückter eingelegt war. Solche Abende und Nächte mußten schon mit eingerechnet werden, als wir den Reisesack schnallten.

In Iglau habe ich bei meinem Durchmarsche nichts gesehen, als den großen, schönen, hellen Markt, dessen Häuser aber in der Ferne sich weit besser machen, als in der Nähe, wie fast Alles in der Welt, das ins Prächtige fallen soll, ohne Kraft zu haben. Ziemlich in der Mitte des Marktes steht ein herrliches Dreifaltigkeitsstück, von Leopold dem Ersten und Joseph dem Ersten, so christgläubig als möglich, aber traurig wie die Barberei. Einige feine Artikel waren zerspalten und bekleckst, aber die conceptio immaculata und die sponsa spiritus sancti standen unter dem Ave Maria zum Troste der Gläubigen noch fest und wohl erhalten. Es soll bei Iglau schon ein recht guter Wein wachsen; er muß aber nicht in Menge kommen; denn ich habe in der Gegend nicht viel Weingärten gesehen. Eine halbe Stunde diesseits Iglau stehen an der Gränze zwei Pyramiden nicht weit von einander, welche im Jahr 1750 unter Maria Theresia von den böhmischen und mährischen Ständen errichtet worden sind. Die Inschriften sind ächtes neudiplomatisches Latein und schon ziemlich verloschen, so daß man in hundert Jahren wohl schwerlich etwas mehr davon wird lesen können: und doch sind sie, wie gewöhnlich, zum ewigen Gedächtniß gesetzt. In Mähren scheint mir durchaus noch mehr Liberalität und Bonhommie zu herrschen, als in Böhmen.

Im Städtchen Stannen müssen beträchtliche Wollmanufakturen seyn; denn alle Fenster sind mit diesen Artikeln behangen, und man trägt sehr viel Mützen, Strümpfe, Handschuhe und dergleichen zu außerordentlich niedrigen Preisen zum Verkauf herum. Ein gutes, bequemes Wirthshaus, das erste, das wir, seitdem wir aus Prag sind, trafen, hatte den Ort gleich etwas in Kredit bei uns gesetzt. Wenn man nicht mit Extrapost fährt, sondern zu Fuße trotzig vor sich hinstapelt, muß man sich sehr oft huronisch behelfen. Meine größte Furcht ist indessen vor der etwas ekeln Einquartirung gewisser weißer, schwarzbesattelter Thierchen, die in Polen vorzüglich gedeihen und auch in Italien nicht selten seyn sollen. Uebrigens ist es mir ziemlich einerlei, ob ich mich auf Eiderdunen oder Bohnenstroh wälze. Sed quam misere ista animalcula excruciare possint, apud nautas expertus sum; darum haben ihnen auch vermuthlich die Griechen den verderblichen Namen gegeben.

Hier in Znaym mußte ich zum erstenmal Wein trinken, weil der Göttertrank der Germanen in Walhalla nicht mehr zu finden war. Der Wein war, das Maß für vier und zwanzig Kreuzer, sehr gut, wie mich Schnorr versicherte; denn ich verstehe nichts davon, und trinke den besten Burgunder mit Wasser, wie den schlechtesten Potsdamer. Hier möchte ich wohl wohnen, so lieblich und freundlich ist die ganze Gegend, selbst unter dem Schnee. An der einen Seite stößt die Stadt an ziemliche Anhöhen, und auf der andern, vorzüglich nach Oestreich, wird die Nachbarschaft sehr malerisch durch die Menge von Weingärten, die alle an sanften Abhängen hingepflanzt sind. Die beiden Klöster an den beiden Enden der Stadt sind, wie die meisten Mönchssitze, treffliche Plätze. Das eine, nach der Oestreichischen Seite, hat Joseph der Zweite unter andern mit eingezogen. Die Gebäude derselben sind so stattlich, daß man sie für die Wohnung keines kleinen Fürsten halten sollte. Im Kriege dienten sie zu verschiedenen Behufen; bald zum Magazin, bald zum Aufenthalte für Gefangene: jetzt steht Alles leer.

Die römische Ruine, die hier zu sehen ist, steht zwei Stunden vor der Stadt, rechts hinab in einer schönen Gegend. Da ich aber in Mähren keine römischen Ruinen studiren will, wandelte ich meines Weges weiter. Ein hiesiger Domherr hat sie, wie ich höre, erklärt, auf den ich Dich mit Deiner Neugier verweise. Wenn ich nach den vielen schönen Weinfeldern rund in der Gegend urtheile, und nun höre, daß die Ruine von einem Domherrn erklärt worden ist, so sollte ich fast blindlings glauben, sie müsse sich auf die Dionysien bezogen haben. Der Boden mit den großen weitläufigen Weinfeldern könnte, da er überall sehr gut zu seyn scheint, doch wohl besser angewendet werden, als zu Weinbau. Die Armen müssen billig eher Brot haben, als die Reichen Wein; und Aebte und Domherren können in diesem Punkte weder Sinn noch Stimme haben.

Auf der Grenze von Mähren nach Oestreich habe ich kein Zeichen gefunden; nur sind sogleich die Wege merklich schlechter als in Böhmen und Mähren, und mit den Weingärten scheint mir entsetzlich viel guter Boden verdorben zu seyn. Ich nehme die Sache als Philanthrop und nicht als Trinker und Procentist. Schlechtes Pflaster, das seit langer Zeit nicht ausgebauet seyn muß, gilt für Chaussee.

Wie häufig gute Münze und vorzüglich Gold hier ist, davon will ich Dir zwei Beispielchen erzählen. Ich bezahlte gestern meine Mittagsmahlzeit in guten Zehnern, die in Sachsen eben noch nicht sonderlich gut sind; das sah ein Tabuletkrämer, machte mich aufmerksam, wie viel ich verlöre, und nahm hastig, da ich ihn versicherte, ich könne es nicht ändern und achte den kleinen Verlust nicht, die guten Zehner weg, und legte dem Wirth, der eben nicht zugegen war, neue schlechte Zwölfer dafür hin. Ein andermal fragte ich in einem Wirthshause, wo Reinlichkeit, Wohlhabenheit und sogar Ueberfluß herrschte, und wo man uns gut beköstigt hatte, wie hoch die Dukaten ständen? Mir fehlte kleines Geld. Der Wirth antwortete sehr ehrlich: „Das kann ich Ihnen wirklich durchaus nicht sagen; denn ich habe seit vielen Jahren kein Gold gesehen: nichts als schlechtes Geld und Papier; und ich will Sie nicht betrügen mit der alten Taxe.“ Der Mann befand sich übrigens mit schlechtem Gelde und Papier sehr wohl und war zufrieden, ohne sich um Dukaten zu bekümmern.

Wien.

Den zweiten Weihnachtsfeiertag kamen wir hier in Wien an, nachdem wir die Nacht vorher in Stockerau schon ächt wienerisch gegessen und geschlafen hatten. An der Barriere wurden wir durch eine Instanz angehalten und an die andere zur Visitation gewiesen. Ich armer Teufel wurde hier in bester Form für einen Hebräer angesehen, der wohl Juwelen oder Brabanter Spitzen einpaschen könnte. Ueber die Physiognomie! Aber man mußte doch den casum in terminis gehabt haben. Mein ganzer Tornister wurde ausgepackt, meine weiße und schwarze Wäsche durchwühlt, mein Homer beguckt, mein Theokrit herumgeworfen und mein Virgil beschaut, ob nicht vielleicht etwas französischer Kontrebant darin stecke; meine Taschen wurden betastet und selbst meine Beinkleider fast bis an das heilige Bein durchsucht: alles sehr höflich; so viel nämlich Höflichkeit bei einem solchen Processe Statt finden kann. I must needs have the face of a smuggler. Meine Briefe wurden mir aus dem Taschenbuche genommen, und dazu mußte ich einen goldnen Dukaten eventuelle Strafe niederlegen, weil ich gegen ein Gesetz gesündigt hatte, dessen Existens ich gar nicht wußte und zu wissen gar nicht gehalten bin: „Du sollst kein versiegeltes Blättchen in deinem Taschenbuche tragen.“ Der Henker kann so ein Gebot im Dekalogus, oder in den Pandekten suchen. Aus besonderer Güte, und da man doch am Ende wohl einsah, daß ich weder mit Brüßler Kanten handelte, noch die Post betrügen wollte, erhielt ich die Briefe nach drei Tagen wieder zurück, ohne weitere Strafe, als daß man mir für den schönen vollwichtigen Dukaten, nach der Kaisertaxe, von welcher kein Kaufmann in der Residenz mehr etwas weiß, neue blecherne Zwölfkreuzerstücke gab. Uebrigens ging alles freundlich und höflich her, an der Barriere, auf der Post, und auf der Polizei. Wider alles Vermuthen bekümmerte man sich um uns mit keiner Sylbe weiter, als daß man unsere Pässe dort behielt und sagte, bei der Abreise möchten wir sie wieder abholen. Sobald ich meine Empfehlungsbriefe von der Post wieder erhalten hatte, wandelte ich herum sie zu überliefern und meine Personalität vorzustellen. Die Herren waren alle sehr freundschaftlich, und honorirten die Zettelchen mit wahrer Theilnahme. Ich könnte Dir hier mehrere brave Männer unserer Nation nennen, denen ich nicht unwillkommen war, und die ich hier zum ersten Male sah; aber Du bist mit ihrem Werth und ihrer Humanität schon mehr bekannt als ich.

Gestern war ich bei Füger und hatte eine schöne Stunde wahren Genusses.[8] Der Mann hat mich mit seinen Gesinnungen und seiner Handelsweise sehr interessirt. Er hatte eben Geschäfte, und ich konnte daher seine offene Ungezwungenheit desto besser bemerken: denn er besorgte sie so leicht, als ob er allein gewesen wäre, ohne uns dabei zu vernachlässigen. Wer in den Zimmern eines solchen Mannes lange Weile hat, für den ist keine Rettung. Er hat eben so einen Achilles bei dem Leichname des Patroklus vollendet, der auch nun gezeichnet und in Kupfer gestochen werden soll. Ich hatte die Stelle nur noch einige Tage vorher in meinem Homer gelesen; Du kannst also denken, mit welcher Begierde ich an dem Stücke hing. Es ist ein bezauberndes Bild. Der junge Held in Lebensgröße bei dem Todten, der bis an die Brust neben ihm sichtbar ist, scheint sich so eben von seinem tiefsten Schmerz zu erholen und Rache zu beschließen. Die Figur ist ganz nackt, und scheint mir ein Meisterstück der Zeichnung und Färbung; aber der Kopf ist göttlich. Du weißt, ich bin nicht Enthusiast; aber ich konnte mich kaum im Anschauen sättigen. Wenn meine Stimme etwas gelten könnte, würde ich mit der himmlisch jugendlichen Schönheit des Gesichts nicht ganz zufrieden seyn. Der Held, der hier vorgestellt werden sollte, ist nicht mehr der Jüngling, den Ulysses unter den Töchtern Lykomeds hervorsuchte; es ist der Pelide, der schon gefochten und gezürnt hat, der schon das Schrecken der Trojaner war. Um dieses zu seyn, scheint mir der Kopf noch zu viel aus dem Gynäceum zu haben. Mich däucht, der Mann sollte schon etwas vollendeter seyn: die Periode ist selbst nur sehr kurze Zeit vor seinem eigenen Tode. Ich bescheide mich gern, und überlasse dieses den Eingeweihten der Kunst. Ein Sklave steht hinter ihm, auf dessen Gesichte man Erstaunen und Furcht liest.

Mehr als alles war mir wichtig sein Zimmer der Messiade. Hier hängt fast zu jedem Gesange eine Meisterzeichnung, an der sein Geist mit Liebe und Eifer gearbeitet hat. Er sagte mir, daß er vor Angst einige Wochen nicht zum Entschlusse habe kommen können, was er mit dem Gedicht anfangen solle, bis auf einmal die ganze Reihe der Scenen sich ihm dargestellt habe. Es sind zwanzig, und nur von vieren hat Göschen die Kupfer zu seiner schönen Ausgabe erhalten. Es wäre werth, daß Göschen mit seinem gewöhnlichen Enthusiasmus für Wahrheit und Schönheit in der Kunst mit wackern Künstlern sich entschlösse, sie dem Publikum alle mitzutheilen: aber die Unternehmung würde keinen kleinen Aufwand erfordern, wenn Füger auf keine Weise leiden sollte. Figuren und Gruppen sind vortrefflich, die apostolischen Gesichter bezaubernd, und Judas mit dem Satan gräßlich charakteristisch, ohne Karikatur. Vorzüglich hat mich das Blatt gerührt, wo der Apostel nach dem Tode des geliebten Lehrers den Weibern die Dornenkrone bringt. Die Stelle ist ein Meisterwerk des Pathos im Gedicht; das hat der Künstler gefühlt und sein Gefühl mit voller Seele der Gruppe eingehaucht. Der Eifer des Kaifas ist ein Feuerstrom und der Hauptmann der Römer gleicht einem, der in seinem Schrecken es noch zeigt, daß er zu dem alten Kapitol gehört. Porcia ist ein göttliches Weib. Am wenigsten hat mich das erste und letzte Blatt befriedigen wollen, weil ich mich mit der Personificirung der Gottheit nicht vertragen kann. Man nehme das Ideal noch so hoch, es kommt immer nur ein Jupiter Olympius: und diesen will ich nicht haben; es ist mir nicht genug. Christus ist das erhabenste Ideal der christlichen Kunst. Er ist selbst nach der orthodoxesten Lehre noch unser Bruder. Bis zu ihm kann sich unsere Sinnlichkeit erheben, aber weiter nicht. Unsere Apostel und Heiligen sind die Götter und Heroen des alten Mythus. Bis zu Platos einzig wirklichem Wesen hat sich auch kein griechischer Künstler emporgewagt. Der olympische Jupiter ist der homerische. Ich wünschte Klopstock und Wieland nur eine Stunde hier in diesem Zimmer: sie würden Lohn für ihre Arbeit finden, und Füger für die seinige.

Ich muß Dir noch über zwei Stücke von Füger etwas sagen, die ich in den Zimmern des Grafen Fries antraf und die Du vielleicht noch nicht kennst. Der Graf erinnerte sich meiner mit Güte von der Akademie her, und seine Freundlichkeit und Gefälligkeit gegen Fremde, so wie sein Enthusiasmus für Kunst und Wissenschaft, in denen er seinen besten Genuß hat, sind allgemein bekannt. Die beiden Gemälde sind ziemlich neu; denn das erste ist nur zwei Jahre alt und das zweite noch jünger. Das erste ist Brutus der Alte, wie er seine Söhne verdammt; und der Moment ist das furchtbare: Expedi secures! Man muß das Ganze mit einem Blicke umfassen können, um die Größe der Wirkung zu haben, die der Künstler hervorgebracht hat. Jede Beschreibung, die auseinandersetzt, schwächt. Das Stück ist reich an Figuren; aber es ist keine müssig: sie gehören alle zur Katastrophe, oder nehmen Antheil daran. Alles ist richtiger, eigenthümlicher Charakter, vom Konsul bis zum Liktor. Alles ist ächt römisch, und schön und groß. Ich darf nicht wagen zu beschreiben; es muß gesehen werden. Vorzüglich rührend für mich war eine sehr glückliche Episode, die, so viel ich mich erinnere, der alte Geschichtschreiber nicht hat, oder wenn er sie hat, wirkt sie hier im Bilde mächtiger als bei ihm in der Erzählung. Ein ziemlich alter Mann steht mit seinen zwei Knaben in der Entfernung und deutet mit dem ganzen Ausdruck eines flammenden Patriotismus auf den Richter und das Gericht hin, als ob er sagen wollte: Bei den Göttern, so müßte ich gegen euch seyn, wenn ihr würdet wie diese! Vater und Söhne sind für mich unbeschreiblich schön.

Das zweite Stück ist Virginius, der so eben seine Tochter geopfert hat, das Messer dem Volke und dem Decemvir zeigt, und als ein furchtbarer Prophet der künftigen Momente nur einen Augenblick dasteht. Dieser Augenblick war einzig für den Geist des Künstlers. Die beiden Hauptfiguren, Virginius und Appius Klaudius sind in ihrer Art vortrefflich: aber unbeschreiblich schön, rührend und von den Grazien selbst hingehaucht ist die Gruppe der Weiber, die das sterbende Mädchen halten. Diese bekümmern sich nicht um den Vater, nicht um den tyrannischen Richter, nicht um das Volk, um nichts was um sie her geschieht; sie sind ganz allein mit dem geliebten Leichname beschäftiget. Eine so reizende Verschlingung schwebte selten der Seele eines Dichters vor: nimm nun noch die Vollendung und Zartheit der Figuren und das Pathos des Augenblicks dazu! Es ist eine der schönsten Kompositionen aus der Seele eines Künstlers, den der Genius der hohen und schönen Humanität belebte. Ich würde niederknieen und anbeten, wenn ich die Römer nicht besser kennte. Du weißt aber schon hierüber meine etwas ketzerische Denkungsart. Als Philantrop betrachtet, möchte ich lieber in Rußland leben, an der Kette der dortigen Knechtschaft, als unter dem Palladium der römischen Freiheit. Beschuldige mich nicht zu schnell eines Paradoxons! Wehe den neuen Galliern, wenn sie die altrömische Freiheit ihrer Nation, oder gar ihren Nachbarn aufdringen, oder, wie Klopstock spricht, aufjochen wollen! Aber wo gerathe ich hin?

Fügers neuestes Werk, an dem er jetzt, wie ich höre, für den Herzog Albert von Sachsen-Teschen arbeitet, ist ein Jupiter, der dem Phidias erscheint, um ihn zu seinem Bilde vom Olympus zu begeistern. Da es in die Höhe kommen soll, ist die Anlage etwas kolossalisch. Der Gedanke ist kühn, sehr kühn: aber Füger ist vielleicht gemacht, solche Gedanken auszuführen. Mit einer liebenswürdigen Offenheit gesteht der große Künstler, daß er einige seiner herrlichsten Kompositionen aus Vater Wielands Aristipp genommen hat. Nun wünschte ich auch David einige Stunden so nahe zu seyn, wie ich es Füger war; und ich hoffe, es soll mir gelingen. —

Während der vierzehn Tage, die ich hier hausete, war nur einigemal ein Stündchen reines, helles Wetter, aber nie einen ganzen Tag; und die Wiener klagen, daß dieses fast beständig so ist. Da ging ich denn so finster allein für mich auf dem Walle und etymologisirte „Vindobona, quia dat vinum bonum; Danubius, quia dat nubes;“ wer weiß, ob die Römer bei ihrer Nomenklatur nicht an so etwas gedacht haben. Wenn Harrach, Füger, Retzer, Ratschky, Möller und einige Andere nicht gewesen wären, die mir zuweilen ein Viertelstündchen schenkten, ich hätte den dritten Tag vor Angst meinen Tornister wieder packen müssen.

Von dem Wiener Theaterwesen kann ich Dir nicht viel Erbauliches sagen. Die Gesellschaft des Nationaltheaters ist abwechselnd in der Burg und am Kärnthner Thore, und spielt so gut sie kann. Das männliche Personale ist nicht so arm, als das weibliche; aber Brockmann steht doch so isolirt dort und ragt über die Andern so sehr empor, daß er durch seine Ueberlegenheit die Harmonie merklich stört. Die Andern, unter denen zwar einige gute sind, können ihm nicht nacharbeiten, und so geht er oft zu ihnen zurück; zumal da auch seine schöne Periode nun vorbei ist. Man gab eben das Trauerspiel „Regulus.“ Ich gestehe Dir, daß es mir ungewöhnlich viel Vergnügen gemacht hat; vielleicht schon deßwegen, weil es einen meiner Lieblingsgegenstände aus der Geschichte behandelte. Ich halte das Stück für recht gut gearbeitet, so viel ich aus einer einzigen Vorstellung urtheilen kann, wo ich mich aber unwillkührlich mehr zum Genuß hingab, als vielleicht zur Kritik nöthig war. Es sind allerdings mehrere kleine Verzeichnungen in den Charaktern; aber das Ganze hat doch durchaus einen festen, ernsthaften, nicht unrömischen Gang: die Sprache ist meistens rein und edel, und ich war zufrieden. Zum Meisterwerke fehlt ihm freilich noch Manches; aber Apollo gebe uns nur mehrere solche Stücke, so haben wir Hoffnung auch jene zu erhalten. Es wird mir noch lange einen großen Genuß gewähren, Brockmann in der Rolle des Regulus gesehen zu haben. Der weibliche Theil der Gesellschaft, der auf den meisten Theatern etwas arm zu seyn pflegt, ist es hier vorzüglich; und man ist genöthigt die Rolle der ersten Liebhaberin einer Person zu geben, die mit Aller Ehre Aebtissin in Quedlinburg oder Gandersheim werden könnte. Die Dame ist gut, auch gute Schauspielerin; aber nicht mehr für dieses Fach.

Die Italiener sind verhältnißmäßig nicht besser. Man trillerte sehr viel, und singt sehr wenig. Der Kastrat Marchesi kombabusirt einen Helden so unbarmherzig in seine eigene verstümmelte Natur hinein, daß es für die Ohren eines Mannes ein Jammer ist; und ich begreife nicht, wie man mit solcher Unmenschlichkeit so traurige Mißgriffe in die Aesthetik hat thun können. Das mögen die Italiener, wie vielen andern Unsinn, bei der gesunden Vernunft verantworten, wenn sie können.

Ich, meines Theils, will keine Helden,

Die uns, entmannt und kaum noch mädchenhaft,

Sogleich den Mangel ihrer Kraft,

Im ersten Tone quiekend melden,

Und ihre lächerliche Wuth

Im Schwindel durch die Fistelhöhen

Von ihrem Bret herunter krähen,

Wie Meister Hahns gekappte Brut.

Wenn ich des Hämmlings Singsang nicht

Wie die Taranteltänze hasse,

So setze mich des Himmels Strafgericht

Mit ihm in eine Klasse!

Schikaneder treibt sein Wesen in der Vorstadt an der Wien, wo er sich ein gar stattliches Haus gebaut hat, dessen Einrichtung mancher Schauspieldirektor mit Nutzen besuchen könnte und sollte. Der Mann kennt sein Publikum und weiß ihm zu geben, was ihm schmeckt. Sein großer Vorzug ist Lokalität, deren er sich oft mit einer Freimüthigkeit bedient, die ihm selbst und der Wiener Duldsamkeit Ehre macht. Ich habe auf seinem Theater über die Nationalnarrheiten der Wiener Reichen und Höflinge Dinge gehört, die man in Dresden nicht dürfte laut werden lassen, ohne sich von höherem Orte eine strenge Weisung über Vermessenheit zuzuziehen. Mehrere seiner Stücke scheint er im eigentlichsten Sinne nur für sich selbst gemacht zu haben; und ich muß bekennen, daß mir seine barocke Personalität als Tyroler Wastel ungemeines Vergnügen gemacht hat. Es ist den Wienern von feinem Ton und Geschmack gar nicht übel zu nehmen, daß sie zuweilen zu ihm und Kasperle herausfahren und das Nationaltheater und die Italiener leer lassen. Seine Leute singen für die Vorstadt verhältnißmäßig weit besser, als jene für die Burg. Die Kleidung ist an der Wien meistens ordentlicher und geschmackvoller als die verunglückte Pracht dort am Hofe, wo die Stiefletten des Heldengefolges noch manchmal einen sehr ärmlichen Aufzug machen. So lange Schikaneder Possen, Schnurren und seine eigenen tollen Operetten giebt, wo der Wiener Dialekt und der Ton des Orts nicht unangenehm mitwirkt, kann er auch Leute von gebildetem Geschmack einigemal vergnügen; aber wenn er sich an ernsthafte Stücke wagt, die höheres Studium und durchaus einen höheren Grad von Bildung erfordern, muß der Versuch allerdings immer schlecht ausfallen, aber hier wird er vielleicht sagen: ich arbeite für mein Haus; dawider ist denn nichts einzuwenden. Nur möchte ich dann nicht zu seinem Hause gehören. Er will aber höchst wahrscheinlich für nichts weiter gelten, als für das Mittel zwischen Kasperle und der Vollendung der mimischen Kunst im Nationaltheater. Die Herren Kasperle und Schikaneder mögen ihre subordinirten Zwecke so ziemlich erreicht haben; aber das Nationaltheater ist, so wie ich es sah, noch weit entfernt, dem ersten Ort unsers Vaterlandes und der Residenz eines großen Monarchen durch seinen Gehalt Ehre zu machen.

Den Herrn Kasperle aus der Leopoldstadt hat, wie ich höre, der Kaiser zum Baron gemacht; und mich däucht, der Herr hat seine Würde so gut verdient, als die meisten, die dazu erhoben worden. Er soll überdieß das wesentliche Verdienst besitzen, ein sehr guter Haushalter zu seyn.

Ueber die öffentlichen Angelegenheiten wird in Wien fast nichts geäußert, und Du kannst vielleicht Monate lang auf öffentliche Häuser gehen, ehe Du ein einziges Wort hörst, das auf Politik Bezug hätte; so sehr hält man mit alter Strenge eben so wohl auf Orthodoxie im Staate, wie in der Kirche. Es ist überall eine so andächtige Stille in den Kaffeehäusern, als ob das Hochamt gehalten würde, wo jeder kaum zu athmen wagt. Da ich gewohnt bin, zwar nicht laut zu enragiren, aber doch gemächlich unbefangen für mich hin zu sprechen, erhielt ich einigemal eine freundliche Weisung von Bekannten, die mich vor den Unsichtbaren warnten. In wie fern sie Recht hatten, weiß ich nicht; aber so viel behaupte ich, daß die Herren sehr Unrecht haben, welche die Unsichtbaren brauchen. Einmal spielte mir meine unbefangene Sorglosigkeit fast einen Streich. Du weist, daß ich durchaus kein Revolutionär bin, weil man dadurch meistens das Schlechte nur schlimmer macht: ich habe aber die Gewohnheit, die Wirkung dessen, was ich für gut halte, zuweilen etwas lauter werden zu lassen, als es vielleicht gut ist. So hat mir der Marseiller Marsch als ein gutes musikalisches Stück gefallen, und es begegnete mir wohl, daß ich, ohne irgend etwas Bestimmtes zu denken, eben so wie aus irgend einem andern Musikstücke, einige Takte unwillkührlich durch die Zähne brumme. Dieß geschah auch einmal, freilich sehr am unrechten Orte, in Wien, und wirkte natürlich wie ein Dämpfer auf die Anwesenden. Mir war mehr bange für die guten Leute, als für mich: denn ich hatte weiter keinen Gedanken, als daß mir die Musik der Takte gefiel, und selbst diesen jetzt nur sehr dunkel.

Ich erinnerte mich eines drolligen, halb ernsthaften, halb komischen Auftritts in einem Wirthshause, der auf die übergroße Aengstlichkeit in der Residenz Bezug hatte. Ein alter, ehrlicher, eben nicht sehr politischer Oberstlieutenant hatte während des Krieges bei der Armee in Italien gestanden und sich dort gewöhnt, recht jovialisch lustig zu seyn. Seine Geschäfte hatten ihn in die Residenz gerufen, und er fand da an öffentlichen Orten überall eine Klosterstille. Das war ihm sehr mißbehaglich. Einige Tage hielt er es aus, dann brach er bei einem Glase Wein ächt soldatisch laut hervor und sagte mit recht drolliger Unbefangenheit: „Was, zum Teufel, ist denn das hier für ein verdammt frommes Wesen in Wien? Kann man denn hier nicht sprechen? Oder ist die ganze Residenz eine große Karthause? Man kommt ja hier in Gefahr das Reden zu verlernen. Oder darf man hier nicht reden? Ich habe so etwas gehört, daß man überall lauern läßt: ist das wahr? Hole der Henker die Mummerei! Ich kann das nicht aushalten und ich will laut reden und lustig seyn.“ Du hättest die Gesichter der Gesellschaft bei dieser Ouvertüre sehen sollen! Einige waren ernst, die andern erschrocken; andere lächelten, andere nickten gefällig und bedeutend über den Spaß: aber Niemand schloß sich an den alten Haudegen an. „Ich werde machen,“ sagte dieser, „daß ich wieder zur Armee komme: das todte Wesen gefällt mir nicht.“

Als die Franzosen bis in die Nähe von Wien vorgedrungen waren, soll sich, die Magnaten und ihre Kreaturen etwa ausgenommen, Niemand vor dem Feinde gefürchtet haben: aber desto größer war die allgemeine Besorgniß vor den Unordnungen der zurückgeworfenen Armee. Damals fing Bonaparte eben an, etwas bestimmter auf seine individuellen Aussichten loszuarbeiten, und hat dadurch zufälliger Weise den Oestreichern große Angst und große Verwirrung erspart.

Doktor Gall hat eben einen Kabinetsbefehl erhalten, sich es nicht mehr beigehen zu lassen, den Leuten gleich am Schädel anzusehen, was sie darin haben. Die Ursache soll seyn, weil diese Wissenschaft auf Materialismus führe.

Man sieht auch hier in der Residenz nichts als Papier und schlechtes Geld. Das Lenkseil mit schlechtem Gelde ist bekannt; man führt daran, so lange es geht. Das Kassenpapier ist noch das unschuldigste Mittel, die Armuth zu decken, so lange der Kredit hält. Aber nach meiner Meinung ist für den Staat nichts verderblicher, und in dem Staat nichts ungerechter, als eigentliche Staatspapiere, so wie unsere Staaten jetzt eingerichtet sind. Eingerechnet unsere Privilegien und Immunitäten, die freilich ein Widerspruch des öffentlichen Rechts sind, zahlen die Aermeren fast durchaus fünf Sechstheile der Staatsbedürfnisse. Die Inhaber der Staatspapiere, sie mögen Namen haben wie sie wollen, gehören aber meistens zu den Reichen, oder wohl gar zu den Privilegiaten. Die Interessen werden wieder aus den Staatseinkünften bezahlt, die meistens von den Aermeren bestritten werden. Ein beliebter Schriftsteller wollte vor kurzem die Wohlthätigkeit der Staatsschulden in Sachsen dadurch beweisen, weil man durch dieses Mittel sehr gut seine Gelder unterbringen könne. Nach diesem Schlusse sind die Krankheiten ein großes Gut für die Menschheit, weil sich Aerzte, Chirurgen und Apotheker davon nähren. Ein eigener Ideengang, den freilich Leute nehmen können, die ohne Gemeinsinn gern viel Geld sicher unterbringen wollen. Das Resultat ist aber, ohne vieles Nachdenken, daß durch die Staatsschulden die Aermern gezwungen sind, außer der alten Last, auch noch den Reichen Interessen zu bezahlen, sie mögen wollen oder nicht. Bei einem Steuerkataster, auf allgemeine Gerechtigkeit gegründet, wäre es freilich anders. Aber jetzt haben die Reichen die Steuerscheine, und die Armen zahlen die Steuern. Man kann diese Logik nur bei einem Kasten voll Steuerobligationen bündig finden. Wo hätte der Staat die Verbindlichkeit, den Reichen auf Kosten der Armen ihre Kapitale zu verzinsen? Und das ist doch am Ende das Facit jeder Staatsschuld. Jede Staatsschuld ist eine Krücke und Krücken sind nur für Lahme. Die Sache ist zu wichtig, sie hier weiter zu erörtern. Ich weise Dich vorzüglich auf Hume’s Buch, als das beste, was mir über diesen Gegenstand bekannt ist.

Sonderbar war es, daß man in dem letzten Jahre des Krieges bei der höchsten Krise, Wien zum Waffenplatz machen wollte; das Schlimmste, was die Regierung für ihre Sache thun konnte! Wenn damals die Franzosen den Frieden nicht eben so nöthig hatten, wie die Deutschen, oder wenn Bonaparte andere Absichten hatte als er nachher zeigte, so war das Unglück für die östreichischen Staaten entsetzlich. Was konnte man von den Vorspiegelungen erwarten? Es war bekannt, Wien hätte sich nicht acht Tage halten können; und welche Folgen hätte es gehabt, wenn es auf dem Wege der Gewalt in die Hände der Feinde gekommen wäre? Die Wiener waren zwar sicher, daß es nicht dahin kommen würde; aber eben deßwegen waren die Vorkehrungen ziemlich verkehrt. Man hätte gleich mit Entschlossenheit der Maxime des Ministers folgen können, dessen übrige Verfahrungsart ich aber nicht vertheidigen möchte. Hier hatte er ganz Recht, wenn nur sonst die Kräfte gewogen gewesen wären: „Die Residenz ist nicht die Monarchie; und es ist manchem Staate nichts weniger als wohlthätig, daß die Hauptstadt so viel Einfluß auf das Ganze hat.“

Für Kunstsachen und gelehrtes Wesen habe ich, wie Dir bekannt ist, nur selten eine glückliche Stimmung; ich will Dir also, zumal da das Feld hier zu groß ist, darüber nichts weiter sagen: Du magst Dir von Schnorr erzählen lassen, der vermuthlich eher zurückkommt, als ich.

Ich darf rühmen, daß ich in Wien überall mit einer Bonhommie und Gefälligkeit behandelt worden bin, die man vielleicht in Residenzen nicht so gewöhnlich findet. Selbst die schnakische Visitation an der Barriere wurde, was die Art betrifft, mit Höflichkeit gemacht. Den einzigen böotischen, aber auch ächt böotischen Auftritt hatte ich auf der italienischen Kanzlei. Hier wurde ich mit meinem alten Passe von der Polizei um einen neuen gewiesen. Im Vorzimmer war man artig genug und meldete mich, da ich Eile zeigte, sogleich dem Präsidenten, der eine Art von Minister ist, den ich weiter nicht kenne. Er hatte meinen Paß von Dresden schon vor sich in der Hand, als ich eintrat.

„Währ üß Aehr?“ fragte er mich mit einem stierglotzenden Molochsgesichte, in dem dicksten Wiener Bratwurstdialekt. Ich ehre das Idiom jeder Provinz, so lange es das Organ der Humanität ist; und die braven Wiener mit ihrer Gutmüthigkeit haben in mir nur selten das Gefühl rege gemacht, daß ihre Aussprache etwas besser seyn sollte. Ich that ein kurzes Stoßgebetchen an die heilige Humanität, daß sie mir etwas Geduld gäbe, und sagte meinen Namen, indem ich auf den Paß zeigte.

„Wu will Aehr hün?“

„Steht im Passe: nach Italien.“

„Italien üß gruhß.“

„Vor der Hand nach Venedig, und sodann weiter.“

„Slähftr holtr sähr füehl sulch lüederlüchches Gesüendel härümmer.“

Nun, Freund, was war hier zu thun? was war hier zu thun? Dem Menschen zu antworten, wie er es verdiente? Er hätte leicht Mittel und Wege gefunden, mich wenigstens acht Tage aufzuhalten, wenn er mich nicht gar zurückgeschickt hätte; denn er war ja ein Stück von Minister. Ich suchte also eine alte militärische Aufwallung mit Gewalt zu unterdrücken. „Der Graf Metternich in Dresden muß wohl wissen, was er thut, und wem er seine Pässe giebt: er ist verantwortlich dafür!“ sagte ich so bestimmt, als mir der Ton folgte. Der Mensch belugte mich von dem verschnittenen Haarschädel den polnischen Rock herab bis auf die Schariwari, die um ein Paar derbe rindslederne Stiefeln geknüpft waren.

„Wu wüll Aehr weiter hünn?“

„Vorzüglich nach Sicilien.“

Er glotzte von neuem, und fragte:

„Was wüll Aehr da machchen?“

Hätte ich ihm nun die reine, platte Wahrheit gesagt, daß ich blos spazieren gehen wollte, um mir das Zwergfell auseinander zu wandeln, das ich mir über dem Druck von Klopstocks Oden etwas zusammen gesessen hatte, so hätte der Mann höchst wahrscheinlich gar keinen Begriff davon gehabt, und geglaubt, ich sei irgend einem Bedlam entlaufen.

„Ich will den Theokrit dort studiren,“ sagte ich.

Weiß der Himmel, was er denken mochte; er fuhr mich an, und sah auf den Paß und sah mich wieder an, und schrieb sodann etwas auf den Paß, welches, wie ich nachher sah, der Befehl zur Ausfertigung eines andern war.

„Abber Aehr dörf süchch nücht ünn Venedig uffhalten.“

„Ich bin es nicht Willens,“ antwortete ich mit dem ganzen Murrsinn der düstern Laune, „und bekomme hier auch nicht Lust dazu.“ Er beglotzte mich noch einmal, gab mir den Paß und ich ging.

Man hat mir den Namen des Mannes genannt und gesagt, daß dieses durchaus sein Charakter sey, und daß er bei dem Kaiser in gar großem Vertrauen und hoch in Gnaden stehe. Desto schlimmer für den Kaiser und für ihn und die Wiener und Alle, die mit ihm zu thun haben! Sein Gesicht hatte das Gepräge seiner Seele, das konnte ich beim ersten Anblick sehen, ohne jemals eine Stunde bei Gall gehört zu haben. Seinen Namen habe ich geflissentlich vergessen, erinnere mich aber noch so viel, daß er, eben nicht zur Ehre unserer Nation, ein Deutscher, obgleich Präsident der italienischen Kanzlei war. Ist das der Vorschmack von Italien? dachte ich; das fängt erbaulich an.

Von hier ging ich mit dem Passe hinüber in die Kanzleistube, wo ausgefertigt wurde; und hier war der Revers des Stücks, ein ganz anderer Ton. Ich wurde so viel „Euer Gnohden gescholten, daß meine Bescheidenheit weder ein noch aus wußte, und erhielt sogleich einen großen Realbogen voll Latein, in ziemlich gutem Stil, worin ich allen Ober- und Unterofficianten des Kaisers, im Namen des Kaisers, gar nachdrücklich empfohlen wurde. Wenn es nur der Präsident etwas höflicher gemacht hätte; es hätte mit der nämlichen oder weit weniger Mühe für ihn und mich angenehmer werden können. Auf dem neuen Passe stand gratis, und man forderte mir zwei Gulden ab, die ich auch, trotz der sonderbaren Hermenevtik des Wörtchens, sehr gern sogleich zahlte und froh war, daß ich dem Uebermaß der Grobheit und Höflichkeit zugleich entging.

Schottwien.

Nun nahm ich von meinen alten und neuen Bekannten in der Kaiserstadt Abschied, packte meine Siebensachen zusammen und wandelte mit meinem neuen kaiserlichen Dokumente Tages darauf fröhlichen Muthes die Straße nach Steiermark. Schnorr hatte, als Hausvater, billig Bedenken getragen, den Gang nach Hesperien weiter mit mir zu machen.[9] Man hatte die Gefahr, die auch wohl ziemlich groß war, von allen Seiten noch mehr vergrößert; und was ich, als einzelnes isolirtes Menschenkind, ganz ruhig wagen konnte, wäre für einen Familienvater Tollkühnheit gewesen. Komme ich um, so ist die Rechnung geschlossen und es ist Feierabend: aber bei ihm wäre die Sache nicht so leicht abgethan. Er begleitete mich den zehnten Januar, an einem schönen, hellen, kalten Morgen, eine Stunde weit heraus, bis an ein altes, gothisches Monument, und übergab mich meinen guten Genius. Unsere Trennung war nicht ohne Schmerz, aber rasch und hoffnungsvoll, uns in Paris wieder zu finden.

Ich zog nun an den Bergen hin, die rechts immer größer wurden, dachte so wenig, als möglich — denn viel Denken ist, zumal in einer solchen Stimmung und bei einer solchen Unternehmung, sehr unbequem — und setzte gemächlich einen Fuß vor den andern immer weiter fort. Als die Nacht einbrach, blieb ich in einem Dorfe zwischen Günselsdorf und Neustadt. So wie ich in die große Wirthsstube trat, fand ich sie voll Soldaten, die ihre Bacchanalien hielten. Die Reminiscenzen der Wachstuben, wo ich ehemals Amts wegen eine Zeit lang jede dritte Nacht unter Tabacksdampf und Kleinbierwitz leben mußte, hielten mich, daß ich nicht sogleich zurückfuhr. Ich pflanzte mich in einen Winkel am Ofen, und ließ ungefähr dreißig Wildlinge ihr Unwesen so toll um mich her treiben, daß mir die Ohren gellten. Einige spielten Karten, Andere sangen, Andere disputirten in allen Sprachen der Pfingstepistel mit Mund und Hand und Fuß. Bald entstand Streit im Ernst, und die Handfesten schienen schon im Begriff, sich einander die argumenta ad hominem mit den Fäusten zu appliciren; da fing ein alter Kerl an in der Ecke der großen gewölbten Stube auf einer Art von Sackpfeife zu blasen, und Alles ward auf einmal friedlich und lachte. Bei dem dritten und vierten Takte ward es still, bei dem sechsten faßten ein Paar Grenadire einander unter die Arme und fingen an zu walzen. Der Ball vermehrte sich, als ob Hüons Horn geblasen würde; man ergriff die Mädchen und sogar die alte, dicke Wirthin, und aller Zank war vergessen. Dann traten Solotänzer auf und tanzten steierisch, dann kosakisch, und dann den ausgelassensten, ungezogensten Kordax, daß die Mädchen davon liefen und selbst der Sackpfeifer aufhörte. Dann ging die Scene von vorn an. Man spielte und trank, und fluchte und zankte und drohte mit Schlägen, bis der Sackpfeifer wieder anfing. Der Mann war hier mehr als Friedensrichter, er war ein wahrer Orpheus. Der Wein, den man aus großen Glaskrügen trank, that endlich seine Wirkung; Alles ward ein volles, großes, furchtbar bacchantisches Chor. Hier nahm ich den Riemen meines Tornisters auf die linke Schulter, meinen Knotenstock in die rechte Hand und zog mich auf mein Schlafzimmer, wo ich ein herrliches Thronbette fand und gewiß wie ein Fuhrknecht geschlafen hätte, wäre ich nicht von den Grenadiren durch eine förmliche Bataille geweckt worden. Der ehrliche Wirth machte den Leidenden, überall das sicherste bei militärischer Regierung, und hätte seinen kriegerischen Gästen wohl gern ihre Kreuzer geschenkt, wenn sie ihn nur in Ruhe gelassen hätten. Ein Officier, wie ich aus dem Tone vermuthete, mit dem er sprach, machte endlich um zwei Uhr Schicht, und es ward ruhig.

Den andern Morgen fand ich einen ehrsamen, alten Mann bei seinem Weine sitzen, der den Kopf über die nächtliche Geschichte der Kriegsmänner schüttelte. Dieser erzählte mir denn einiges über die Einquartirung und klagte ganz leise, daß sie der Gegend sehr zur Last wäre. Die Soldaten waren auf Arbeit an dem Kanale, über den ich gestern gegangen war, und der, wie mir der Alte bedeutend zweifelhaft sagte, bis nach Triest geführt werden solle. Vor der Hand wird er nur die Steinkohlen von Neustadt nach Wien bringen. Das Wasser aus den Bergen bei Neustadt und Neukirchen war so schön und hell, daß ich mich im Januar hätte hinein werfen mögen. Schönes Wasser ist eine meiner besten Liebschaften, und überall, wo nur Gelegenheit war, ging ich hin und schöpfte und trank. Du mußt wissen, daß ich noch nicht ganz diogenisch einfach bin, aus der hohlen Hand zu trinken, sondern dazu auf meiner Wanderschaft eine Flasche von Resina gebrauche, die reinlich ist, fest hält und sich gefällig in alle Formen fügt. Eine Stunde von Schottwien fängt die Gegend an herrlich zu werden; vorzüglich macht ein Kloster rechts auf der Anhöhe eine sehr romantische Partie. Das Ganze hat Aehnlichkeiten mit den Schluchten zwischen Außig und Lowositz; nur ist das Thal enger und der Fluß kleiner; doch sind die Berghöhen nicht unbeträchtlich und sehr malerisch gruppirt. Das Städtchen Schottwien liegt an dem kleinen Flüßchen Wien zwischen furchtbar hohen Bergen, und macht nur eine einzige Gasse. Vorzüglich schön sind die Felsenmassen am Eingange und Ausgange.

Es hatte zwei Tage ziemlich stark gefroren und fing heute zu Mittage merklich an zu thauen; und jetzt schlagen Regengüsse an meine Fenster und das Wasser schießt von den Bergen und der kleine Fluß rauscht mächtig durch die Gasse hinab. Mir schmeckt Horaz und die gute Mahlzeit hinter dem warmen Ofen meines kleinen Zimmers vortrefflich. Horaz schmeckt mir, das heißt, viele seiner Verse; denn der Mensch selbst mit seiner Kriecherei ist mir ziemlich zuwider. Da ist Juvenal ein ganz anderer Mann, neben dem der Oktavianer wie ein Knabe steht. Es ist vielleicht schwer zu entscheiden, wer von den beiden den Anstand und die guten Sitten mehr ins Auge schlägt, ob Horazens Kanidia oder Juvenals Fulvia; es ist aber ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden zum Vortheil des letztern. Wo Horaz zweideutig witzelt, oder gar ekelhaft schmutzig wird, sieht man überall, daß es ihm gemüthlich ist, so etwas zu sagen; er gefällt sich darin: bei Juvenal aber ist es reiner, tiefer, moralischer Ingrimm. Er beleidigt mehr die Sitten als jener; aber bei ihm ist mehr Sittlichkeit. Horaz nennt die Sache noch feiner und kitzelt sich; Juvenal nennt sie, wie sie ist; aber Zorn und Unwille hat den Vers gemacht.

Ein Felsenstück hängt drohend über das Haus her, in welchem ich übernachte. Hier fängt die Gegend an, die, wie ich mich erinnere, schon andere mit den schönsten in der Schweiz verglichen haben. Wie wird es aber auf den steiermärkischen Wegen werden, vor denen mir schon in Wien selbst Eingeborne bange machen wollten? Es kann nun nichts helfen; nur Muth! damit kommt man auch in der Hölle durch. Zwischen Neustadt und Neukirchen, einer langen, langen Ebene zwischen den Bergen, die sich hinter dem letzten Orte mehr und mehr zusammenschließen, begegnete mir ein starkes Kommando mit Gefangenen. Der letztern waren wohl einige Dutzend; eben keine sehr gute Aussicht! Einige waren schwer geschlossen und klirrten trotzig mit den Ketten. Die Meisten waren Leute, welche die Straßen unsicher gemacht hatten. Aber desto besser, dachte ich; nun sind der Schurken weniger da; und diese werden gewiß nicht so bald wieder losgelassen. In Wien und hier auf dem Wege überall wurde erzählt, daß man die Preßburger Post angefallen, ausgeplündert und den Postillon und den Schaffner erschlagen habe. Auch bei Pegau, nicht weit von Grätz, war das nämliche geschehen. Das waren aber gewiß Leute, die vorher gehörig rekognoscirt hatten, daß die Post beträchtliche Summen führte, die sich auch wirklich zusammen über hundert und dreißig tausend Gulden belaufen haben sollen. Bei mir ist nicht viel zu rekognosciren; mein Homer und meine Gummiflasche werden wenig Räuber in Versuchung bringen.

Mürzhofen.

Von Schottwien bis hierher war heute in der Mitte des Januars eine tüchtige Wandlung. Der Sömmering ist kein Maulwurfshügel; es hatte die zweite Hälfte der Nacht entsetzlich geschneit, der Schnee ging mir bis hoch an die Waden; ich wußte keinen Schritt Weg, und es war durchaus keine Bahn. Einige Mal lief ich den Morgen noch im Finstern unten im Thal zu weit links, und mußte durch Verschläge in dem tiefen Schnee die große Straße wiedersuchen. Nun ging es bergan zwei Stunden, und nach und nach kamen einige Fuhrleute den Sömmering herab, und zeigten mir wenigstens, daß ich dorthin mußte, wo sie herkamen. Links und rechts waren hohe Berge, mit Schwarzwald bewachsen, der mit Schnee behangen war; und man konnte vor dem Gestöber kaum zwanzig Schritte sehen. Oben auf den Bergabsätzen begegneten mir einige Reisewagen, die in dem schlechten Wege nicht fort konnten. Der Frost hielt noch nicht, und überdieß waren die Gleise entsetzlich ausgeleiert. Herren und Bedienten waren abgestiegen und halfen fluchend dem Postillon das leere Fuhrwerk Schritt vor Schritt weiter hinauf winden. Ich wechselte die Schluchten bergauf, bergab, und trabte zum großen Neide der dick bepelzten Herren an dem englischen Wagen fürbaß. Ein andermal rollten sie vor mir vorbei, wenn ich langsam fortzog. So gehts in der Welt; sie gingen schneller, ich ging sicherer. Auf dieser Seite des Sömmerings kommt aus verschiedenen Schluchten die Wien herab; und auf der zweiten Hälfte der Station, nach Mürzzuschlag, nachdem man den Gipfel des Berges erstiegen hat, kommt eben so die Mürz hervor, und ist in einer Stunde schon ein recht schöner Bach. Bei Mürzzuschlag treibt sie fast alle hundert Schritte Mühlen und Hammerwerke bis herab nach Krieglach, wo sie größer wird, nun schon einen ansehnlichen Fluß bildet, und nur mit Kosten gebraucht werden kann. Es ist angenehm, die Industrie zu sehen, mit welcher man das kleine Wässerchen zu seinem Behufe zu leiten und zu gebrauchen weiß; und die kleinen Thäler an dem Flusse herunter sind außerordentlich lieblich, und machen auch unter dem Schnee mit ihren fleißigen Gruppen ein schönes Winterbild.

Die Wörter Mürzzuschlag und Krieglach klangen mir nach den Wiener Mordgeschichten gar sehr wie nomina male ominata, deren Etymologie ich mir gern hätte erklären lassen, wenn ich nicht zu faul gewesen wäre, irgend einen Pastor aufzusuchen: und ich war herzlich froh, als ich gegen Abend so ziemlich aus der abentheuerlichen Gegend heraus war. Es ist etwas sehr gewöhnliches, daß man einem Gaste, wenn er die Zeche bezahlt und abzieht, glückliche Reise wünscht, und man denkt weiter nicht viel dabei: aber Du kannst nicht glauben, wie angenehm es ist, wenn es in einer solchen Lage, im Januar, wenn der Sturm den Schnee gegen die Felsen jagt, mit Theilnahme von einem artigen, hübschen Mädchen geschieht, zumal wenn man den Kopf voll Räuber und Strauchdiebe hat.

Grätz.

Hier will ich einige Tage bleiben und ruhen: die Stadt und die Leute gefallen mir. Du weißt, daß der Ort auf beiden Seiten der Murr sehr angenehm liegt; und das Ganze hat hier einen Anblick von Bonhommie und Wohlhabenheit, der sehr behaglich ist. Von Schottwien aus machte ich den ersten Tag mit vieler Anstrengung nur fünf Meilen; und den zweiten mit vieler Leichtigkeit sieben: aber den ersten stieg ich in dem entsetzlichsten Schneegestöber an der Wien bergauf; und den zweiten ging ich bei ziemlich gutem Wetter an der Mürz bergab. Es ist ein eigenes Vergnügen, die Bäche an ihren Quellen zu sehen und ihnen zu folgen, bis sie Flüsse werden. Die Mürz ist ein herrliches Wasser, und muß die erste Meile schöne Forellen haben. Man hat mich zwar gewarnt, nicht in der Nacht zu gehen, und mich däucht, ich habe es versprochen: aber ich habe bis jetzt doch schon zwei Mal dagegen gesündigt, und bin über eine Stunde die Nacht gelaufen. Indessen wer wird gern in einer schlechten Kneipe übernachten, wenn man ihm sagt, daß er eine Meile davon ein gutes Wirthshaus findet?

An einem dieser Tage wurde ich zu Mittage in einem kleinen Städtchen gar köstlich bewirthet, und bezahlte nicht mehr, als achtzehn Kreuzer. Das that meiner Philantropie sehr wohl; denn Du weißt, daß ich mir aus den Kreuzern so wenig mache, wie aus den Kreuzen. Mein Ideengang kam dadurch natürlich auf die schöne Tugend der Billigkeit und auf die unbillige Forderung, daß alle Richter, als Richter, sie haben sollen. Billigkeit ist die Nachlassung von seinem eigenen Rechte; und nun frage ich Dich, ob ein Richter dabei etwas zu thun hat? Nur die Parteien können und sollen billig sein. Bei billigen Richtern wäre es um die Gerechtigkeit geschehen. Mit diesen Gedanken setzte ich mich in dem nächsten Wirthshause nieder, und legte das Resultat derselben in mein Taschenbuch über die Billigkeit.

Verdammt den Richter nicht! er darf nicht billig seyn

Für ihn ist das Gesetz von Eisen,

Und seine Pflichten sind von Stein,

Ihn taub und kalt nur auf das Recht zu weisen.

Nur das, was mir gehört, geb’ ich mit Bruderhand

Dem Bruder für die kleine Spende,

Und schlinge freundlicher das Band,

Das beide knüpft, und schüttle froh die Hände.

Hier ist der Uebergang zu der Erhabenheit

Der göttergleichen Heldentugend,

Die sich der Welt zum Opfer weiht;

Der erste Blick von unsrer Geistesjugend.

Die strenge Pflicht, die der Vertrag erzwingt,

Bleibt ewig Grund zu dem Gebäude;

Doch Milde nur und Güte bringt

Ins leere Haus den Harrenden die Freude.

Mit seinem Eisenstaab befriedige das Recht

Den großen Trost gemeiner Seelen;

Mit dem olympischen Geschlecht

Soll uns schon hier die Göttliche vermählen.

Jeder soll billig seyn für sich; das ist menschlich, das ist schön: aber alle müssen gerecht seyn gegen alle; das ist nothwendig, sonst kann das Ganze nicht bestehen. Der billige Richter ist ein schlechter Richter, oder seine Gesetze sind mehr als mangelhaft. Die Billigkeit des Richters wäre ein Eingriff in die Gerechtigkeit. Zur Gerechtigkeit kann, muß der Mensch gezwungen werden; zur Billigkeit nicht: das ist in der Natur der Sache gegründet. Wo die Parteien billig seyn wollen, handelt der Richter nicht als Richter, sondern als Schiedsmann. Die Gerechtigkeit ist die erste, große, göttliche Kardinaltugend, welche die Menschheit weiter bringen kann. Nicht die Gerechtigkeit, die in den zwölf Tafeln steht und die nachher Justinian lehren ließ. Jeder unbefangene Geschichtsforscher weiß, was die Zehnmänner waren, was sie für Zwecke hatten und verfolgten und wie sie zu Werke gingen, und wie viel Unsinn Papinian von dem Putztische der heiligen Theodora annehmen mußte. Nicht die Gerechtigkeit unserer Fürsten, die oft einige tausend Bauern mit Peitschen vom Pfluge hauen, damit sie ihnen ein Schwein jagen, das ein Jägerbursche zum Probeschusse tödten könnte. An der Seine erschien vor einigen Jahren eine Morgenröthe, die sie hervorzuführen versprach. Aber die Morgenröthe verschwand, es folgten Ungewitter, dann dicke Wolken und endlich Nebeltage. Es war ein Phantom. Wenn Du Gerechtigkeit in den Gesetzen suchst, irrest Du sehr; die Gesetze sollen erst aus der Gerechtigkeit hervorgehen, sind aber oft der Gegensatz derselben. Du kannst hier, wie in manchem unserer Institute, schließen: jemehr Gesetze, desto weniger Gerechtigkeit; jemehr Theologie, desto weniger Religion; je längere Predigten, desto weniger vernünftige Moral. Mit unserer bürgerlichen Gerechtigkeit geht es noch so ziemlich; denn die Gewalthaber begreifen wohl, daß ohne diese durchaus nichts bestehen kann, daß sie sich ohne dieselbe selbst auflösen: aber desto schlimmer sieht es mit der öffentlichen aus; und mich däucht, wir werden wohl noch einige platonische Jahre warten müssen, ehe es sich damit in der That bessert, so oft es sich auch ändern mag. Dazu ist die Erziehung des Menschengeschlechtes noch zu wenig gemacht, und diejenigen, die sie machen sollen, haben zu viel Interesse, sie nicht zu machen, oder sie verkehrt zu machen. Sobald Gerechtigkeit seyn wird, wird Friede seyn und Glück: sie ist die einzige Tugend, die uns fehlt. Wir haben Billigkeit, Großmuth, Menschenliebe, Gnade und Erbarmung genug im Einzelnen, bloß weil wir im Allgemeinen keine Gerechtigkeit haben. Die Gnade verderbt alles, im Staate und in der Kirche. Wir wollen keine Gnade, wir wollen Gerechtigkeit; Gnade gehört bloß für Verbrecher; und meistens sind die Könige ungerecht, wo sie gnädig sind. Wer den Begriff der Gnade zuerst ins bürgerliche Leben und an die Stühle der Fürsten getragen hat, soll verdammt seyn, von bloßer Gnade zu leben: vermuthlich war er ein Mensch, der mit Gerechtigkeit nichts fordern konnte. Aus Gnaden wird selbst kein guter, rechtlicher, vernünftiger Mann selig werden wollen, und wenn es auch ein Dutzend Evangelisten sagten. Es ist ein Widerspruch, man lästert die Gottheit, wenn man ihr solche Dinge aufbürden will. Aber, lieber Freund, wo gerathe ich hin mit meinem Eifer in Grätz?

Mit diesen und ähnlichen Gedanken, die ich Dir hier nicht alle herschreiben kann, lief ich immer an der Mürz hinunter, kam in Brüg an die Murr und pilgerte an dem Flusse hinab. Schon zu Neukirchen waren mir eine Menge Wagen begegnet, die leer zu seyn schienen und doch außerordentlich schwer gingen. Auf dem Sömmering traf ich noch mehr, und entdeckte nun, daß sie Kanonen führten, die sie höchst wahrscheinlich von Grätz und noch weiter von der italienischen Armee brachten und deren Lavetten vermuthlich verbraucht waren. Vor einem Wagen zogen oft sechszehn Pferde, und der Wagen waren mehr als hundert. Für mich hatten sie den Vortheil, daß sie Bahn machten. Hier und da war auch Bedeckung; und Soldaten mit Gewehr sehe ich als Reisender jetzt immer gern: denn im Allgemeinen darf man annehmen, diese sind ehrliche Leute; die schlechten behält man in den Garnisonen und läßt sie nicht mit Gewehr im Lande herumziehen.

Den zehnten um neun Uhr aus Wien, und den vierzehnten zu Mittage in Grätz, heißt im Januar immer ehrlich zu Fuße gegangen. Die Thäler am Flusse herunter sind fast alle romantisch schön, die Berge von beträchtlicher Höhe. Noch eine Meile von Brüg, gleich an dem Ufer der Mürz, steht ein schönes Landhaus; auf der einen Seite desselben siehst Du auf der Gartenmauer Pomona mit ihrem ganzen Gefolge in sehr grotesken Statüen abgebildet, und auf der andern die Musik mit den meisten Instrumenten nach der Reihe, noch grotesker und fast an Karikatur gränzend. Das Ganze ist schnakisch genug, und thut eine possirliche angenehme Wirkung. Der Trägerin des Füllhorns fehlte der Kopf, und da die ganze Gesellschaft ziemlich beschneit war, konnte man nicht entdecken, ob er abgeschlagen war, oder, ob man sie absichtlich ohne Kopf hingestellt hatte. Die Oerter in der Gegend haben alle das Ansehen der Wohlhabenheit.

Bei Röthelstein beschwerte sich ein Landmann, mit dem ich eine Meile ging, über den Schaden, den die Wölfe und Luchse anrichteten, die aus den Bergen herab kämen. Der Schnee ward hoch und die Kälte schneidend, und ich eilte nach Pegau, bloß weil der Ort für mich einen vaterländischen Namen hatte. Aber das Quartier war so traurig, als ich es kaum auf der ganzen Reise angetroffen hatte. Man sperrte mich mit einem Kandidaten der Rechte zusammen, der aus der Provinz nach Grätz zum Examen ging, und der mich durch seine drolligen Schilderungen der öffentlichen Verhältnisse in Steiermark für das schlechte Wirthshaus entschädigte. Er hatte viel Vorliebe für die Tyroler, ob er gleich ein Steiermärker war, und lobte Klagenfurth nach allen Prädikamenten. Mit ihm ging ich vollends hierher.

Grätz ist eine der schönsten großen Gegenden, die ich bis jetzt gesehen habe; die Berge rund umher geben die herrlichsten Aussichten, und müssen in der schönen Jahreszeit eine vortreffliche Wirkung thun. Das Schloß, auf einem ziemlich hohen Berge, sieht man sehr weit; und von demselben hat man rund umher den Anblick der schön bebauten Landschaft, die durch Flüsse und Berge und eine Menge Dörfer herrlich gruppirt ist. Als ich oben in das Schloßthor trat, stand ein Korporal dort und pfiff mit großer Andacht eines der besten Stücke aus der Oper: „die Krakauer,“ welche die letzte Veranlassung zum Ausbruch der Revolution in Warschau war. Da ich die Oper dort genossen und das darauf folgende Trauerspiel selbst mitgemacht hatte, so kannst Du denken, daß diese Musik hier in Grätz ganz eigen auf mich wirkte. Eben diese Melodie hatte mich oft so sehr beschäftigt, daß ich manchmal in Versuchung gewesen war, für mich selbst einen eigenen Text darauf zu machen, da ich das Polnische nicht sonderlich verstehe. Die Gefängnisse des Schlosses sind jetzt voll Verbrecher, die mir mit ihren Ketten entgegen klirrten. Das Spital, gleich unten am Schloßberge, ein stattliches Gebäude, ist von Joseph dem Zweiten; und das neue, sehr geschmackvolle Schauspielhaus, mit einer kurzen, ächt lateinischen Inschrift, von den Ständen. Herr Küttner spricht schon ziemlich gut von dem hiesigen Theater, und ich habe sein Urtheil völlig richtig gefunden. Man gab eine neue Bearbeitung des alten Stücks: „der Teufel ist los.“ Der Text hält freilich, wie in den meisten Opern, keine Kritik aus. Schade, daß man nicht in dem Tone fortgefahren ist, den Weisse angeschlagen hatte. Es hätten eine Menge zu niedriger Redensarten ausgemerzt werden sollen. Die Musik war eklektisch und gab Reminiscenzen; war aber sehr gefällig, und schon mehr italienisch als deutsch. Der Gesang war besser, als ich ihn seit Guardasonis schöner Periode irgendwo gehört habe. Das Personale ist ziemlich gut besetzt, und vorzüglich das weibliche nicht so ärmlich, als in Dresden und Wien. Das einzige, was mir mißfiel, waren die Furien und Teufel, welche durchaus aussahen, wie die Kohlenbrenner vom Blocksberge.

In einer Prolepse muß ich Dir, nicht ganz zur Ehre unserer Mitbürger, sagen, daß ich auf meiner ganzen Wanderschaft kein so schlechtes Schauspielhaus gesehen habe, als bei uns in Leipzig. Hier in Oestreich und durch ganz Italien und auch in Frankreich sind überall gehörige, bequeme Vorzimmer am Eingange, und die meisten haben Kaffeehäuser von mehrern Piecen, wo man Erfrischungen aller Art und gut haben kann. Bei uns wird das Publikum in einem schlechten Winkel ziemlich schlecht bedient, und für Bequemlichkeit und Vergnügen derjenigen, die nun gerade diese Scene oder diesen Akt nicht sehen wollen, ist gar nicht gesorgt. An Feuersgefahr scheint man eben so wenig gedacht zu haben, und sperrt das Publikum auf Gnade und Ungnade ohne Rettung und Ausflucht zusammen.

Die Grätzer sind ein gutes, geselliges, jovialisches Völkchen; sie sprechen im Durchschnitt etwas besser deutsch, als die Wiener. Der Adel soll viel alten Stolz haben. Das ist nun überall so sein Geist, etwas gröber oder feiner; ausgenommen vielleicht in großen Städten und größern Residenzen, wo sich die Menschen etwas mehr an einander schleifen und abglätten. Längs der Mürz und der Murr herunter giebt es links und rechts noch manche alte Schlösser, die aber, dem Himmel sei Dank, immer mehr und mehr in Ruinen sinken. Ihr Anblick erhöht nur noch das Romantische. Von Iffland, der voriges Jahr auch hier war, spricht man sowohl hier als in Wien noch mit Enthusiasmus. An der Wirthstafel erzählten einige Gäste vom Lande viel von der Bärenjagd und den Abenteuern, die es dabei gäbe. Ich glaubte immer, diese Art von Pelzwerk wäre jetzt nur noch in Polen und jenseits zu Hause; aber voriges Jahr wurden hier in der Gegend zwölfe geschossen, und auch diesen Jahrgang wieder mehrere. Vor einigen Jahren ward eine Bärin, die Junge hatte, erlegt und auf einen Hof geschafft. Kurze Zeit nachher folgten die Jungen der Fährte der todten Mutter und setzten sich vor dem Hofe auf einen alten Lindenbaum, wo sie sich endlich ruhig fangen ließen. Die Gärten und der Lindenberg waren verschneit, so daß ich diese Vergnügungsörter nur von weitem sah.

Laybach.

Hier mache ich, wenn Du erlaubst, wieder eine Pause und lasse meine Hemden waschen, und meine Stiefeln besohlen.

Von Grätz aus war es sehr kalt und ward immer kälter. Die erste Nacht blieb ich in Ehrenhausen, einem ganz hübschen Städtchen, das seinem Namen Ehre macht, wo ich von meiner lieben Murr Abschied nahm. Der Ofen glühte, aber das Zimmer ward nicht warm. Der Weg von Ehrenhausen nach Mahrburg ist ein wahrer Garten, rechts und links mit Obstpflanzungen und Weinbergen. Auch Mahrburg ist ein ganz hübscher Ort an der Drawa, und die Berge an dem Flusse hinauf und hinab sind voll der schönsten Weingärten. Eine herrliche ökonomische Musik war es für mich, daß die Leute hier überall links und rechts auf Bohlentennen draschen. Man kann sich keinen traulichern Lärm denken. Das Deutsche hörte nunmehr unter den gemeinen Leuten auf, und das Italienische fing nicht an: dafür hörte ich das krainische Rothwelsch, von dem ich nur hier und da etwas aus der Analogie mit dem Russischen verstand. Die Russen thun sich etwas darauf zu gute, daß man sie so weit herab in ihrer Muttersprache versteht, und nennen sich deswegen die Slawen, die Berühmten, ungefähr so wie die heutigen Gallier sich eine große Nation nennen. Bis nach Triest und Görz wurden sie hier überall verstanden. Die Polen sprechen sogleich leicht und verständlich mit ihnen, und die Böhmen finden keine große Schwierigkeit. Ich selbst erinnere mich, als ich vor mehreren Jahren aus Rußland zurückkam und einen alten russischen Grenadier als Bedienten mit mir hatte, daß er mir in der Lausitz in der Gegend von Lübben sagte: „Aber, mein Gott, wir sind ja hier noch ganz in Rußland; hier spricht man ja noch gut russisch.“ So viel Aehnlichkeit haben die slawischen Dialekte unter sich, von dem russischen bis zum wendischen und krainischen.

Von Gannewitz aus ist ein hoher, furchtbar steiler Berg, weit steiler als der Sömmering; so daß vier und dreißig Ochsen und sechs Pferde an einem Frachtwagen zogen, den die sechs Pferde auf gewöhnlichen Wegen allein fortbrachten. Die Berge sind hier meistens mit schönen Buchen bewachsen, da sie an der Murr fast durchaus mit Schwarzwald bedeckt sind.

In Cilly kam ich ziemlich spät an, und that mir gütlich in sehr gutem Bier, das nun ziemlich selten zu werden anfängt. Aus Verzweiflung muß ich Wein trinken, und zwar viel; denn sonst würde man mich ohne Barmherzigkeit auf ein Strohlager weisen, und wenn ich auch noch so sehr mit dem Gelde klingelte. Es wurde hier bei meiner späten Ankunft so stark geschossen und geschrien, daß ich glaubte, es wäre Revolution im Lande. Wie ich näher kam, hörte ich, daß es Schlittenfahrten waren. In Cilly hätte ich auch bald meine irdische Laufbahn geschlossen: das ging so zu. Ich aß gut und viel, wie gewöhnlich, in der Wirthsstube, und hatte bestellt, mir ein gutes Zimmer recht warm zu machen, weil es fürchterlich kalt war: denn die steiermärkischen und krainischen Winter halten sich in gutem Kredit, und der jetzige ist vorzüglich strenge. Nach der Mahlzeit ging ich auf das Zimmer, zog mich aus, stellte mich einige Minuten an den Ofen, und legte mich zu Bette. Du weißt, daß ich ein gar gesunder Kerl bin, und jeden Tag gut esse, und jede Nacht gut schlafe. So auch hier. Aber es mochte vielleicht gegen vier Uhr des Morgens seyn, als ich durch eine furchtbare Angst geweckt wurde und den Kopf kaum heben konnte. So viel hatte ich noch Besinnung, daß ich errieth, ich schlief in einem neu geweißten Zimmer, das man auf mein Verlangen gewaltig geheizt hatte. Als ich mich aufzurichten versuchte, um das Fenster zu öffnen, fiel ich kraftlos und dumpf auf den Pfühl zurück und verlor das Bewußtseyn. Als es helle ward, erwachte ich wieder, sammelte nun so viel Kraft, das Fenster zu öffnen, mich anzuziehen, in der Eile das Zimmer zu verlassen, hinunter zu taumeln und unten etwas Wein und Brot zu bestellen. Hier kam der zweite Paroxysmus; ich sank am Tische hin in einen namenlosen Zustand, wie in einen lichtleeren Abgrund wo Finsterniß hinter mir zuschloß. So viel erinnere ich mich noch; ich dachte, das ist der Tod und war ruhig: sie werden mich schon gehörig begraben. Kurze Zeit darauf erwachte ich wieder unter dem entsetzlichsten Schweiße, der mich aber mit jedem Augenblicke leichter ins Leben zurückbrachte. Der ganze Körper war naß, die Haare waren wie getaucht, und auf den Händen standen große Tropfen bis vorn an die Nägel. Niemand war in dem Zimmer; der Schweiß brachte mir nach der Schwere des Todes ein Gefühl unaussprechlicher Behaglichkeit. Etwas Schwindel kam zurück; nun suchte ich mich zu ermannen und nahm etwas Wein und Brot. Die Luft, dachte ich, ist die beste Arznei, und auf alle Fälle stirbt man besser in dem freien Elemente, als in der engen Kajüte. So nahm ich meinen Tornister mit großer Anstrengung auf die Schulter und ging oder wankte vielmehr fort; aber mit jedem Schritte ward ich leichter und stärker, und in einer halben Stunde fühlte ich nichts mehr, ob mir gleich Kleid, Hut, Haar und Bart und das ganze Gesicht schwer bereift war und der ganze Kerl wie schlecht verschossene Silberarbeit aussah; denn es fiel ein entsetzlich kalter Nebel. Nach zwei Stunden frühstückte ich wieder mit so gutem Appetit, als ich je gethan hatte. Siehst Du, lieber Freund, so hätte mich der verdammte Kalk beinahe etwas früher, als nöthig ist in jene Welt gefördert. Doch vielleicht kam mir dieses auch nur so gefährlich vor, weil ich keiner solchen Phänomene von Krankheit, Ohnmacht und so weiter, gewohnt bin. Etwas gewitziget wurde ich indeß für die Zukunft, und ich visitirte nun allemal erst die Wände eines geheizten Zimmers, ehe ich mich ruhig einquartirte.

Zwischen Franz und Sankt Oswald steht rechts am Berge eine Pyramide mit einem Postament von schwarzem Marmor, auf dem die Unterwerfungsakte der Krainer an Karl den Sechsten eingegraben ist: Se substraverunt, heißt es mit klassisch diplomatischer Demuth. Eine Viertelstunde weiterhin ist links ein anderes neueres Monument, wie es mir schien, zur Ehre eines Ministers, der den Weg hatte machen lassen. Es war sehr kalt; die Schrift war schon ganz unleserlich und der Weg war auch wieder in übeln Umständen, obgleich beides höchstens nur von Karl dem Sechsten.

Abends kam ich mit vieler Anstrengung in Sankt Oswald an, ob ich gleich recht gut zu Mittag gegessen hatte; denn der Zufall mochte mich doch etwas geschwächt haben. Der Wirth, zu dem man mich hier wies, war ein Muster von Grobheit und hat die Ehre, der Einzige seiner Art auf meiner ganzen Reise zu seyn; denn alle übrigen waren leidlich artig. Ich trat ein und legte meinen Tornister ab. Es war Zweidunkel, zwischen Hund und Wolf. „Was will der Herr?“ fragte mich ein ziemlich dicker, handfester Kerl, der bei dem Präsidenten der italienischen Kanzlei in Wien Kammerdiener gewesen zu seyn schien, so ganz sprach er seine Sprache und seinen Dialekt. Du weißt, daß sehr oft ein Minister das Talent hat, durch sein wirksames Beispiel die Grobheit durch die ganze Provinz zu verbreiten. „Was will der Herr?“ Ich trat ihm etwas näher und sagte: „Essen, trinken und schlafen.“ — „Das erste kann er, das zweite nicht.“ — „Warum nicht? Ist hier nicht ein Wirthshaus?“ — „Nicht für Ihn.“ — „Für wen denn sonst?“ — „Für andere ehrliche Leute.“ — „Ich bin hoffentlich doch auch ein ehrlicher Mann.“ — „Geht mich nichts an.“ — „Aber es ist Abend, ich kann nicht weiter und werde also wohl hier bleiben müssen,“ sagte ich etwas bestimmt, hier gerieth der dicke Mann in Zorn, ballte seine beiden Fäuste mit einer solchen Heftigkeit, als ob er mit jeder auf einmal ein halbes Dutzend solcher Knotenstöcke zerbrechen wollte, wie ich trug. „Mach der Herr nur kein Federlesens, und pack Er sich, oder ich rufe meine Knechte, da soll die Geschichte bald zu Ende seyn.“ Er deutete grimmig auf die Thür und ging selbst hinaus. Ich wandte mich, als er hinaus war, an einen jungen Menschen, welcher der Sohn vom Hause zu seyn schien, und fragte ihn ganz sanft um die Ursache einer solchen Behandlung. Er antwortete mir nicht. Ich sagte, wenn man mir nicht trauete, so möchte man meine Sachen in Verwahrung nehmen, und Börse und Uhr und Paß und Taschenbuch dazu. Nun sagte er mir ängstlich, der Herr wäre aufgebracht, und es würde wohl bei dem bleiben, was er gesagt hätte. Hier kam der dicke Herr selbst wieder. „Ist der Herr noch nicht fort?“ — „Aber, Lieber, es ist ja ganz Nacht; ich bin sehr müde und es ist sehr kalt.“ — „Geht mich nichts an.“ — „Es ist kein anderes Wirthshaus in der Nähe.“ — „Wird schon eins finden.“ — „Auch wieder ein solches?“ — „Nur nicht räsonnirt und Marsch fort!“ — „Hier ist mein Paß aus der Wiener Staatskanzlei.“ — „Ei, was!“ rief er grimmig wüthend, und ohne mit Respekt zu sagen, „ich sch.... auf den Quark!“ Was war zu thun? Zur Bataille durfte ich es nicht wohl kommen lassen; denn da hätte ich, trotz meinem schwerbezwingten Knotenstock, Schläge bekommen für die Humanität, quantum satis, und noch etwas mehr. Der Mensch schien Kaiser und Papst in Sankt Oswald in einer Person zu seyn. Ich nahm ganz leise meinen Reisesack und ging zur Thür hinaus. War das nicht ein erbaulicher, ästhetischer Dialog?

Nun ist in ganz Sankt Oswald, so viel ich sah, weiter nichts, als dieses ziemlich ansehnliche Wirthshaus, die Post, ich glaube die Pfarre und einige kleine Tagelöhnerhütten. Zu der Postnation habe ich durch ganz Deutschland nicht das beste Zutrauen in Rücksicht der Humanität und Höflichkeit: das ist ein Resultat meiner Erfahrung, als ich mit Extrapost reis’te; nun denke Dir, wenn ein Kerl mit dem Habersack käme! Er möchte noch so viel Dukaten in der Tasche haben, und zehren wie ein reicher Erbe — das wäre wider Polizei und die Ehre des Hauses. Zu dem Pfarrer hätte ich wohl gehen sollen, wie ich nachher überlegte, um meine Schuldigkeit ganz gethan zu haben. Aber das Unwesen wurmte mich zu sehr; ich gab dem Heiligen im Geiste drei tüchtige Nasenstüber, daß er seine Leute so schlecht in der Zucht hielt, und schritt ganz trotzig an dem Berge durch die Schlucht hinunter in die Nacht hinein. Die tiefe Dämmerung, wo man aber doch im Zimmer noch nicht Licht hatte, und mein halb polnischer Anzug mochten mir auch wohl einen Streich gespielt haben: denn ich glaube fast, wenn wir einander hätten hell ins Gesicht sehen können, es wäre etwas glimpflicher gegangen. Die Gegend war nun voll Räuber und Wölfe, wie man mir erzählt hatte, ich marschirte also auf gutes Glück geradezu. Ungefähr eine halbe Stunde von dem Heiligen der schlechten Gastfreundschaft traf ich wieder ein Wirthshaus das klein und erbärmlich genug im Mondschein dort stand. Sehr ermüdet und etwas durchfroren trat ich wieder ein, und legte wieder ab. Da saßen drei Mädchen, von denen aber keine eine Sylbe deutsch sprach, und sangen, bei einem kleinen Lichtchen, ihrer kleinen Schwester ein gar liebliches krainisches Wiegentrio vor, um sie einzuschläfern. Endlich kam der Wirth, der etwas deutsch radbrechte: dieser gab mir freundlich Brot, Wurst und Wein, und ein Kopfkissen auf das Stroh. Ich war sehr froh, daß man mir kein Bett anbot; denn mein Lager war unstreitig das beste im ganzen Hause. Es war mir lieb bei dieser Gelegenheit eine gewöhnliche krainische Wirthschaft zu sehen, die dem Ansehen nach noch nicht die schlechteste war, und die doch nicht viel besser schien, als man sie bei den Letten und Esthen in Kurland und Liefland findet. Gleiche Ursachen bringen gleiche Wirkungen.

Bei Popetsch steht rechts von der Post, oben auf der Anhöhe, ein stattliches Haus, und hinter demselben zieht sich am Berge eine herrliche Partie von Eichbäumen hin. Es waren die ersten schönen Bäume dieser Art, die ich seit meinem letzten Spaziergange in dem Leipziger Rosenthale sah. Im Prater in Wien sind sie nicht zahlreich; dort in der Donaugegend sind die Pappeln und Weiden vorzüglich.

Nicht weit von Laybach fallen die Save und Laybach zusammen; und über die Save ist eine große hölzerne Brücke. Die Lage des Laybacher Schlosses hat von fern viel Aehnlichkeit mit dem Grätzer; und auch die Stadt liegt hier ziemlich angenehm an beiden Seiten des Flusses, eben so wie Grätz an der Murr. Die Brücken machen hier, wie in Grätz, die besten Marktplätze, da sie sehr bequem auf beiden Seiten mit Kaufmannsläden besetzt sind; eine große Annehmlichkeit für Fremde! Das Komödienhaus ist zwar nicht so gut, als in Grätz, aber doch immer sehr anständig; und auch hier sind am Eingange links und rechts Kaffee- und Billardzimmer.

Schantroch, der hiesige Entrepreneur, der abwechselnd hier, in Görz, in Klagenfurt, und auch zuweilen in Triest ist, gab Kotzebues Bayard. Er selbst spielte in einem ziemlich schlechten Dialekt, und seine ganze Gesellschaft hält keine Vergleichung mit der Domaratiussischen in Grätz aus. Man sprach hier von einem Stück in Knittelversen, das Alles, was Schiller und Lessing geschrieben haben, hinter sich lassen soll. Herr Schantroch, der mit mir an der nämlichen Wirthstafel speis’te, schien ein eben so seichter Kritiker zu seyn, als er ein mittelmäßiger Schauspieler ist. Doch ist seine Gesellschaft nicht ganz ohne Verdienst und hat einige Subjekte, die auch ihren Dialekt ziemlich überwunden haben: und Schantroch soll als Principal Alles thun, was in seinen Kräften ist, sie gut zu halten. Die Tagesordnung des Stadtgesprächs waren Balltrakasserien, wo sich vorzüglich ein Officier durch sein unanständiges, brüskes Betragen ausgezeichnet haben sollte: und dieser war, nach seinem Familiennamen zu urtheilen, leider unser Landsmann. Die Kaffeehäuser sind in Grätz und hier weit besser als in Wien; und das hiesige Schweizerkaffeehaus ist weit artiger und verhältnißmäßig anständiger, als das berühmte Milanosche in der Residenz, wo man sitzt, als ob man zur Finsterniß verdammt wäre. Du siehst, daß man für das letzte Zipfelchen unsers deutschen Vaterlandes hier ganz komfortabel lebt und uns noch Ehre genug macht.

Einige Barone aus der Provinz, die in meinem Gasthofe speis’ten, sprachen von den hiesigen Rechtsverhältnissen zwischen Obrigkeiten und Unterthanen; oder vielmehr zwischen Erbherren und Leibeigenen; denn das erstere ist nur ein Euphemismus: und da ergab sich denn für mich, den stillen Zuhörer, daß Alles noch ein großes, grobes, verworrenes Chaos ist, eine Mischung von rechtlicher Unterdrückung und alter Sklaverei.

Was Küttner von dem bösen Betragen der Franzosen in einigen andern Grenzgegenden gesagt hat, muß wohl hier nicht der Fall gewesen seyn. Alle Eingeborne, mit denen ich gesprochen habe, reden mit Achtung von ihnen, und sagen, sie haben weit von ihren eigenen Leuten gelitten. Aber auch diese verdienen mehr Entschuldigung, als man ihnen vielleicht gönnen will. Die Armee war gesprengt. Stelle Dir die fürchterliche Lage solcher Leute vor, wenn sie zumal in kleine Parteien geworfen werden. Der Feind sitzt im Rücken oder auch schon in den Seiten; sie wissen nicht, wo ihre Oberanführer sind, haben keine Kasse, keinen Mundvorrath mehr: nun kämpfen sie ums Leben überall, wo sie Vorrath treffen. Gutwillig giebt man ihnen nichts oder wenig: und die Bedürfnisse vieler sind groß. Natürlich sind die Halbgebildeten nicht immer im Stande, sich in den Grenzen der Besonnenheit zu halten. Die Einen wollen nichts geben, die Andern nehmen mehr, als sie brauchen. Daß dieses so ziemlich der Fall war, beweist der Erfolg. Es wurden hier einige Hunderte eingefangen und auf das Schloß zu Laybach gesetzt. Nun waren sie ordentlich und ruhig und sagten: „Wir wollen weiter nichts, als Essen; wir konnten doch nicht verhungern.“

Das Erdbeben, von dem man in Gräz fürchterliche Dinge erzählte, und sagte, es habe Laybach ganz zu Grunde gerichtet, ist nicht sehr merklich gewesen und hat nur einige alte Mauern eingestürzt. In Fiume, Triest und Görz soll man es stärker gespürt haben: doch hat es auch dort sehr wenig Schaden gethan. Der Verkehr ist hier ziemlich lebhaft; die Transporte kommen auf der Save von Ungern herauf in die Gegend der Stadt und werden zu Lande weiter geschafft. Vorzüglich gehen die Bedürfnisse jetzt ins Venetianische, für die dort stehenden Truppen, und auch nach Tyrol, das sich von dem Kriege noch nicht wieder erholt hat.

Zwischen der Save und der Laybach, wo beide Flüsse sich vereinigen, soll in den Berggegenden ein großer Strich Marschland liegen, an den die Regierung schon große Summen ohne Erfolg gewendet hat. Eine Anzahl Holländer denen man in Unternehmungen dieser Art wohl am meisten trauen darf, hat sich erboten, das Wasser zu bändigen und die Gegend brauchbar zu machen, mit der Bedingung, eine gewisse Zeit frei von Abgaben zu bleiben. Aber die Regierung ist bis jetzt nicht zu bewegen; aus welchen Gründen, kann man nicht wohl begreifen: und so bleibt der Landstrich öde und leer, und das Wasser thut immer mehr Schaden.

Prewald.

Von Laybach aus geht es nun allmälich immer aufwärts, und man hat die hohe Bergspitze des Loibels rechts hinter sich. Bei Oberlaybach, einem ziemlich kleinen Städtchen, kommt die Laybach aus den Bergen und trägt, gleich einige hundert Schritte von dem Orte des Ausgangs, Fahrzeuge von sechzig Zentnern. Von hier geht es immer höher bis nach Loitsch und so fort bis nach Planina, das, wie der Name zeigt, in einer kleinen Ebene, ziemlich tief zwischen den rund umher emporsteigenden Bergen liegt. Der Weg von Laybach bis Oberlaybach hat noch ziemlich viel Kultur; aber von da ist er wild und rauh, und man trifft außer den Stationen bis nach Adlersberg wenig Häuser an. Hier in Planina hatte das Wasser wieder Unfug angerichtet. Es dringt überall aus den Bergen hervor, und hat das ganze schöne Thal zu einer außerordentlichen Höhe überschwemmt, so daß die Eichen desselben bis an die Aeste im Wasser stehen. Dieses war noch nicht ganz fest gefroren, und man setzte auf mehrern Fahrzeugen beständig über nach Planina. Der Fall ist nicht selten in dieser Jahreszeit; aber diesesmal war die Fluth außerordentlich hoch. Die Hälfte von Planina, auf der andern Seite des Thals, stand unter Wasser. Vorzüglich soll die Fluth auch mit vermehrt werden durch den Bach von Adlersberg, der dort bei der Schloßhöhle sich in die Felsen stürzt, so einige Meilen unter der Erde fortschießt und hier in einer Schlucht wieder zum Vorschein kommt.

Von Planina aus windet sich der Weg in einer langen Schneckenlinie den großen Berg hinan, und giebt in mehreren Punkten rückwärts sehr schöne Partien, wie auch schon, wenn ich nicht irre, Herr Küttner bemerkt hat. Mich däucht, daß man ohne großen Aufwand die Straße in ziemlich gerader Linie hinauf hätte ziehen können, die auch, mit gehörigen Absätzen, eben nicht beschwerlich seyn würde. Ehrliche Krainer hatten es hier und da schon mit ihren kleinen Wagen gethan, und zu Fuße konnte man schon überall mit Bequemlichkeit durchschneiden. Die Herrschaft Adlersberg liegt oben auf der größten Höhe und ist nur von noch höheren Bergspitzen umgeben. Der Schloßberg ist bei weitem nicht der höchste, sondern nur der höchste in der Ebene, welche die Herrschaft ausmacht. Von allen Seiten sammelt sich das Wasser und bildet einen ziemlichen Fluß, der bei der Grotte am Schloßberge, nahe bei der Mühle, wie oben erwähnt worden ist, in die Felsen stürzt. Ich wollte, wie Du denken kannst, die Höhle sehen, und es ward mir schwer einen Menschen zu finden, der mich begleiten wollte. Endlich ging ein Mensch von der Mauth mit mir, kaufte Fackel und Licht, und führte mich weit, weit vor den Ort hinaus, durch den tiefsten Schnee, immer waldeinwärts. Das ging eine starke halbe Stunde ohne Bahn so fort, und der Mensch wußte sodann nicht mehr, wo er war, und suchte sich an den Felsenspitzen und Schluchten zu orientiren. Wir arbeiteten noch eine halbe Stunde durch den hohen Schnee, in dem dicksten Fichtenwalde, und — keine Grotte! Du begreifst, daß es mir etwas bedenklich ward, mit einem wildfremden, baumstarken Kerl so allein in den Schluchten herumzukriechen und in Krain eine Höhle zu suchen: mich beruhigte aber, daß ich von dem öffentlichen Kaffeehause in der Stadt vor Aller Augen mit ihm abgegangen war. Ich sagte ihm, die Höhle müsse, wie ich gehört habe, doch nahe an der Stadt, am Schloßberge seyn, und er antwortete, jene in der Nähe der Stadt solle ich auf dem Rückwege sehen; aber diese entfernte sei die merkwürdigere. Endlich kamen wir nach vielem Irren und Suchen, nach einer halben Stunde, am Eingange der Höhle an. Dieser ist wirklich romantisch, wild und schauerlich, in einem tiefen Kessel, rund umher mit großen Felsenstücken umgeben und mit dem dichtesten Schwarzwalde bewachsen. Hier zündeten wir in dem Gewölbe, halb am Tage die Fackel an und gingen in die Höhle hinein, ungefähr eine Viertelstunde über verschiedene Felsenfälle, sehr abschüssig, immer bergab. Beim Hinabsteigen hörte ich links in einer ungeheuren Tiefe einen Strom rauschen, welches vermuthlich das Wasser ist, das bei der Stadt in den Felsen fällt und bei Planina wieder herausdringt. Wir stiegen nicht ohne Gefahr noch einige hundert Schritte weiter über ungeheure eingestürzte Felsenstücke immer bergab, und mein Führer sagte mir, weiter würde er nicht gehen, er wisse nun keinen Weg mehr und die Fackel würde sonst nicht den Rückweg dauern. Er mochte wohl nicht der beste Wegweiser seyn. Aber die Fackel brannte wirklich in der großen Tiefe und vermuthlich in der Nähe von Dünsten nur mit Mühe; wir stiegen also wieder heraus und förderten uns bald zu Tage. Nun fand mein Begleiter den Weg rückwärts nach der Stadt sehr leicht. Unterwegs erzählte er mir von allen den vornehmen und großen Personagen, welche die Höhlen gesehen hätten. Diese entferntere sähen nur Wenige; und unter diesen Wenigen nannte er vorzüglich den Prinzen Konstantin von Rußland. Mein Führer hatte den kürzesten Weg nehmen wollen und hatte mich unbemerkt auf den hohen Felsen über der Höhle am Schlosse gebracht, wo wir nun wie die Gemsen hingen und mit Gefahr hinunter klettern mußten, wenn wir nicht einen Umweg von einer halben Stunde machen wollten. Einige Untenstehende riefen uns und zeigten uns die Pfade, auf denen es möglich war hinunter zu kommen. Nun standen wir am Eingange der andern Grotte, wo sich der Fluß in den Felsen hinein stürzt. Der Fluß nimmt sodann die Richtung ein wenig links; der Weg in der Grotte geht ziemlich gerade fort rechts. In einiger Entfernung vom Eingange erweitert sich das Gewölbe; es wird sehr hoch und breit, man hört links den Fluß wieder herrauschen, und bald kommt man auf einer natürlichen Felsenbrücke über demselben, mitten unter dem Gewölbe. Hier thut die Flamme der Fackeln eine furchtbare schöne Wirkung. Man hört das Wasser unter sich, und sieht über sich und rund um sich die Nacht des hohen, breiten Gewölbes. Hier haben die Führer die Gewohnheit, einige Bund Stroh auf den Felsenwänden der Brücke anzuzünden, und hatten diesmal sehr reichlich zugetragen. Die magische Beleuchtung der ganzen unterirdischen Brückenregion mit ihrem schauerlichen Felsengewölbe, den grotesken Felsenwänden und dem unten im Abgrunde rauschenden Strome, macht einen der schönsten Anblicke, deren ich mir bewußt bin. Wenn der Strohhaufen fast verzehrt ist, stürzt man ihn von der Brücke hinab in den Strom, und so sieht man ihn unten in der Tiefe auf dem Wasserbett noch einige Augenblicke fortglühen. Die plötzlich aufsteigende weite Flammenhelle und die schnell zurückkehrende Finsterniß, wo man bei dem schwachen Fackellichte nur einige Schritte sieht, macht einen überraschenden Kontrast. Es hatten sich einige gemeine Krainer zu uns gesellet, die gern die Gelegenheit mitnehmen, das schöne Schauspiel in der Grotte wieder zu sehen, dabei ihre Geschichten auszukramen und noch einige Groschen zu verdienen. „Bis hierher sind die Franzosen gekommen,“ sagten sie, als wir auf der Brücke standen; „aber weiter wagten sie sich nicht.“ — „Warum nicht?“ fragte ich. Die Kerle zogen ein wichtiges Gesicht beim Fackelschein, und suchten den Muth der Franzmänner verdächtig zu machen. Die Franzmänner mochten wohl andere Ursachen haben. Sie waren höchst wahrscheinlich nicht zahlreich genug, hatten draußen nicht gehörige Maßregeln genommen und besorgten in der großen Tiefe der Höhle irgend ein unterirdisches Abenteuer kriegerischer Natur. Außerdem ist nichts zu fürchten. Ich ging nun links am Flusse jenseit der Brücke ungefähr noch einige hundert Schritte weiter fort; dann aber mußten wir anfangen mit Lebensgefahr über die Felsen am Wasser hinzuklettern. Mein Führer sagte, es sei unmöglich weiter zu kommen. Das glaubte ich nun eben nicht: aber es war Schwierigkeit und Gefahr; ich wollte noch heute den Weg im Sonnenlichte weiter, und wir krochen und wandelten zurück. Die Bielshöhle bei Elbingerode hat mehr Verschiedenheit und die benachbarte Baumannshöhle einige vielleicht eben so große Partien aufzuweisen; aber sie haben nichts ähnliches, wie die furchtbare Höllenfahrt in der ersten und der Fluß und die Brücke in der letztern sind. Die Tropfsteine sind in den Harzhöhlen häufiger, grotesker und schöner als hier. Zum Beweis, daß dieser Fluß das bei Planina wieder herausströmende Wasser sei, erzählte man mir, man habe vor einiger Zeit hier bei dem Einsturz ungefähr eine Metze Korke hinein geworfen, und diese seien dort in der Bergschlucht wieder zum Vorschein gekommen.

Hier sitze ich nun in Prewald, einer sehr hohen Bergspitze gegenüber, und zittere vor Frost, bis man mein Zimmer heizt. Die Höhle zu Lueg, einem Gute des Grafen Kobenzl, habe ich nicht gesehen. Mein Wirth in Adlersberg erzählte mir abenteuerliche Dinge davon. Sie soll ehemals von dort vier Stunden bis nach Wippach gegangen, aber jetzt durch ein Erdbeben sehr verschüttet seyn. Küttner hat sie gesehen und den Eingang abgebildet. Das Land ist rund umher voll von dergleichen Höhlen, und wäre wohl der Bereisung eines Geologen werth. Vor einigen Jahren bauete ein Landmann Weizen auf einem schönen Feldstriche am Abhange eines Berges und erntete sehr reichlich; als er für das künftige Jahr bestellen wollte, schoß der ganze Acker gegen zehn Klafter tief herab, und es fand sich, daß ein unterirdischer Fluß unter demselben hin gegangen war, und den Grund so ausgewaschen hatte, daß er einstürzen mußte. Auch soll in einem See unweit Adlersberg eine noch ganz unbekannte Art von Eidechsen hausen, von der man erst seit kurzem den Naturkundigen einige Exemplare eingeschickt habe. Vor einigen Jahren soll sogar ein Bauer ein Krokodil geschossen haben. Das alles lasse ich indessen auf der Erzählung des Herrn Merk in Laybach beruhen, der mir jedoch ein sehr wahrhafter, unterrichteter Mann zu seyn scheint.

Triest.

Da ich nicht Kaufmann bin und nach den Bemerkungen meiner Freunde durchaus keine merkantilische Seele habe, wirst Du von mir über Triest wohl nicht viel hören können, wo alles merkantilisch ist. In Prewald wohnte ich bei den drei Schwestern, die, wenn ich mich nicht irre, Herr Küttner schon nennt. Die Mädchen treiben eine gar drollige Wirthschaft, und ich befand mich bei ihnen leidlich genug. Zuerst waren sie etwas barsch und behandelten mich, wie man einen gewöhnlichen Tornistermann zu behandeln pflegt. Da sie aber eine goldene Uhr sahen und mit hartem Gelde klimpern hörten, wurden sie ziemlich höflich und sogar sehr freundlich. Zum Abendgesellschafter traf ich einen katholischen Feldprediger, der von Triest war, bei den Oestreichern einige Zeit in Udine gestanden hatte und nun hier ganz allein bei den Mädchen gar gemächlich in Kantonnirung zu liegen schien. Eine von den Schwestern war ein noch ganz hübsches Stückchen Erbsünde, und hätte wohl einen ehrlichen Kerl etwas an die sechste Bitte erinnern können. Die erste Bekanntschaft mit den drei Personagen — ich nennte sie gerne Grazien, wenn ich nicht historisch zu gewissenhaft wäre — machte ich drollig genug in der Küche, wo sie sich alle drei auf Stühlen oben auf dem großen Heerde um ein ziemlich starkes Feuer hergepflanzt und im Fond des hintern Winkels an der Wand den Mann Gottes hatten, der ihnen Hanswurstiaden so possirlich vormachte, daß alle drei aus vollem Halse lachten. Das war nun ein Jargon, Deutsch, Italienisch und Krainisch, von jeder dieser Sprachen die ästhetische Quintessenz, wie Du denken kannst, und ich verstand blutwenig davon. Indessen stellte ich mich so nahe als möglich, um von dem Feuer, wenn auch nicht der Unterhaltung, doch des Heerds, meinen Antheil zu haben. Man nahm zuerst keine Notiz von mir, belugte mich sodann etwas neugierig und fuhr fort. Der geistliche Herr gewann mir bald Rede ab und sprach erst rein italienisch, radbrechte dann deutsch und plauderte endlich das beste Mönchslatein. Da es hier darauf ankam, so kannst Du glauben, daß ich mit meiner Gelehrsamkeit eben nicht den Filz machte, und der Mann faßte bald eine gar gewaltige Affection zu mir, als ich glücklich genug einige Dinge aus dem Griechischen anführte, die er nur halb verstand. Nun empfahl er mich den schönen Wirthinnen sehr nachdrücklich, und ich hatte die Ehre ihn zum Tischgesellschafter zu erhalten. Die Mädchen staunten über unsere Gelehrsamkeit und hätten leicht zuviel Respekt bekommen können, wenn nicht der Mann zuweilen mit vieler Wendung eine tüchtige Schnurre mit eingeworfen hätte. Natürlich erhielt er durch das Lob, das er mir zukommen ließ, selbst im Hause ein neues Relief: wer den andern so laut und gründlich beurtheilt, muß ihn durchaus übersehen können.

Wenn ich nicht aus der trophonischen Höhle gekommen, nicht sehr müde gewesen wäre und nicht den folgenden Morgen ziemlich früh fort gewollt hätte, wäre mir die lustige Unterhaltung des geistlichen Harlekins noch länger vielleicht nicht unlieb gewesen. Aber ich eilte zur Ruhe und ließ die Leutchen lärmen. Als ich den andern Morgen aufstand und fort wollte, fand ich in dem ganzen, großen, nicht übel eingerichteten Hause noch keine Seele lebendig. Die Thüren waren nur von innen verriegelt und also für mich offen: aber wenn ich auch Schuft genug wäre, so schlechte Sottisen zu begehen, so könnte ich doch das Vertrauen so gutherziger Leutchen nicht mißbrauchen. Ich trabte mit meinen schweren Stiefeln einige Mal über den Saal weg: niemand kam, nirgends eine Bewegung. Ich klopfte an einige Zimmer; keine Antwort. Endlich kam ich an ein Zimmer, das nicht verschlossen war. Ich trat hinein, und siehe, das hübsche Stückchen Erbsünde hob sich so eben aus dem Bette und entschuldigte sich freundlich, daß noch Niemand wach sey. Weiß der Himmel, ob ich armes Menschenkind nicht in große Verlegenheit würde gerathen seyn, wenn sie nicht eben um ihre Schultern den Mantel geworfen hätte, den gestern Abend der geistliche Herr um die seinigen hatte. Der Mantel gab mir sogleich eine gehörige Dose Stoicismus; ich bezahlte meine Rechnung und trollte zum Tempel hinaus.

Du mußt wissen, daß ich entweder gar nicht frühstücke, oder erst wenn ich zuvor einige Stunden gegangen bin, versteht sich, wenn ich etwas finde. Seit diesem Tage machte ich mirs nun durchaus zum Gesetz, meine Rechnung allemal den Abend vorher zu bezahlen, damit ich den Morgen auf keine Weise aufgehalten werde. In Prewald gab man mir zuerst Görzer Wein, der hier in der Gegend in besonders gutem Kredit steht und es verdient. Er gehört unter die wenigen Weine, die ich ohne Wasser trank, welche Ehre, zum Beispiel, nicht einmal dem Burgunder wiederfährt. Doch kann ein Idiot, wie ich, hierin eben keine kompetente Stimme haben. Von Prewald bis nach Triest sind fünf Meilen. Ich hatte den Morgen nichts gegessen, fand unterwegs kein einladendes Haus; und, mein Freund, ich machte nüchtern im Januar die fünf Meilen recht stattlich ab. In Sessana hatte mir das erste Wirthshaus gar keine gute Miene und es hielten eine gewaltige Menge Fuhrleute davor. Der Ort ist nicht ganz klein, dachte ich, es wird sich schon noch ein anderes besseres finden. Es fand sich keins, ich war zu faul zu dem ersten zurückzugehen, ging also vorwärts; und nun war von Sessana bis an die Duane von Triest nichts zu haben. Es ist lauter steinigter Bergrücken und es war kein Tropfen gutes Wasser zu finden: das war für einen durstigen Fußgänger das verdrießlichste. Wenn ich nicht noch zuweilen ein Stückchen Eis gefunden hätte, das mir den Durst löschte, so wäre ich übel daran gewesen. Die Bergspitze von Prewald sah ich bis nach Triest, und sie schien immer so nahe, als ob man eine Falkonetkugel hätte hinüber schießen können. Von Schottwien bis Prewald hatte ich abwechselnd sehr viel Schnee: bei Sessana hörte er allmählich auf, und hier liegt er nur noch in einigen finstern Gängen und Schluchten. In Prewald zitterte ich noch vor Frost am Ofen, und hier diesseits des Berges am Meere schwitzt man schon. Es ist heute, am drei und zwanzigsten Januar, so warm, daß überall Thüren und Fenster offen stehen.

Der erste Anblick der Stadt Triest von oben herab ist überraschend, der Weg herunter ist angenehm genug, der Aufenthalt auf einige Zeit muß viel Vergnügen gewähren; aber in die Länge möchte ich nicht hier wohnen. Die Lage des Orts ist bekannt, und fängt nun an ein Amphitheater am Meerbusen zu bilden. Die Berge sind zu hoch und zu kahl, um angenehm zu seyn; und zu Lande ist Triest von aller angenehmen Verbindung abgeschnitten. Desto leichter geht alles zu Wasser. Der Hafen ist ziemlich flach, und nur für kleine Fahrzeuge: die größern und alle Kriegsschiffe müssen in ziemlicher Entfernung auf der Rhede bleiben, die nicht ganz sicher zu seyn scheint. Die See ist hier geduldig, und man kann ihr noch sehr viel abtrotzen, wenn man von den Bergen herab in sie hinein arbeitet, und so nach und nach den Hafen vielleicht auch für große Schiffe anfahrbar macht.

An den Bergen rund herum hat man hinauf und herab terrassirt und dadurch ziemlich schöne Weingärten angelegt. Die Triester halten viel auf ihren Wein; ich kann darüber nicht urtheilen, und in meinem Gasthause giebt man gewöhnlich nur fremden. Die etwas höhere Altstadt am Kastell ist eng und finster. Die neue Stadt ist schon fast ganz der See abgewonnen. Ob hier das alte Tergeste wirklich gestanden hat, mögen die Antiquare ausmachen. Ich wohne in dem sogenannten großen Gasthofe, einem Hause von gewaltigem Umfange und dem nämlichen, worin Winkelmann von seinem meuchlerischen Bedienten ermordet wurde. Meine Aussicht ist sehr schön nach dem Hafen, und vielleicht ist es das nämliche Zimmer, in welchem das Unglück geschah. Die Geschichte ist hier schon ziemlich vergessen.

Ich fand hier den Philologen Abraham Penzel, der in Triest den Sprachmeister für die Italiener deutsch und für die Deutschen italienisch macht. Die Schicksale dieses sonderbaren Mannes würden eine lehrreiche, angenehme Unterhaltung gewähren, wenn sie gut erzählt würden. Von Leipzig und Halle nach Polen, von Polen nach Wien, von Wien nach Laibach, von Laibach nach Triest, überall in genialischen Verbindungen. Der unglückliche Hang zum Wein hat ihm manchen Streich gespielt und ihn noch zuletzt genöthigt, seine Stelle in Laibach aufzugeben, wo er Professor der Dichtkunst am Gymnasium war. Er hat durch seine mannigfaltigen, verflochtenen Schicksale ein gewisses barockes Unterhaltungstalent gewonnen, das den Mann nicht ohne Theilnahme läßt. Per varios casus, per tot discrimina rerum tendimus Tergestum, sagte er mir mit vieler Drolerie, damit uns hier, wie Winkelmann, der Teufel hole. Wir gingen zusammen aus, konnten aber Winkelmanns Grab nicht finden. Niemand wußte etwas davon.

Das Haus eines Griechen — wenn ich mich nicht irre, ist sein Name Garciatti — ist das beste in der Stadt und wirklich prächtig, ganz neu und in einem guten Style gebaut. Eine ganz eigene recht traurige Klage der Triester ist über den Frieden. Mit christlicher Humanität bekümmern sie sich um die übrige Welt und ihre Drangsale kein Jota und wünschen nur, daß ihnen der Himmel noch zehn Jahre einen so gedeihlichen Krieg bescheren möchte, dann sollte ihr Triest eine Stadt werden, die mit den besten in Reihe und Glied treten könnte. Dabei haben die guten kaufmännischen Seelen gar nichts Arges; schlagt euch todt, nur bezahlt vorher unsere Sardellen und türkischen Tücher! Das neue Schauspielhaus ist das beste, das ich bis jetzt auf meinem Wege gesehen habe. Gestern gab man auf demselben Teodoro Re di Corsica, welches ein Lieblingsstück der Triester zu seyn scheint. Die Dekoration, vorzüglich die Partie Rialto in Venedig, war sehr brav. Es wäre aber auch unverzeihlich, wenn die reichen Nachbarn, die es noch dazu auf Unkosten der Herren von Sankt Markus sind, so etwas nicht ausgezeichnet haben wollten. Man sang recht gut, und durchaus besser, als in Wien. Vorzüglich zeichneten sich durch Gesang und Spiel aus die Tochter des Wirths und der Kammerherr des Theodor. Die Logen sind alle schon durch Aktien von den Kaufleuten genommen und ein Fremder muß sich auf ihre Höflichkeit verlassen, welches nicht immer angenehm seyn mag. Die Herren haben die Logen gekauft, bezahlen aber noch jederzeit den Eingang; eine eigene Art des Geldstolzes! Der Patriotismus könnte wohl eine etwas humanere Art finden, die Kunst zu unterstützen. Der Fremde, der doch wohl zuweilen Ursache haben kann im Publikum isolirt zu seyn, ist sehr wenig dabei berücksichtigt worden. Hier hörte ich zuerst den betäubenden Lärm in den italienischen Theatern. Man bedient sich des Schauspiels zu Rendesvous, zu Konversationen, zur Börse, und wer weiß wozu sonst noch? Nur die Lieblingsarien werden still angehört; übrigens kann ein Andächtiger Thaliens nicht viel Genuß haben; und die Schauspieler rächen oft durch ihre Nachlässigkeit die Vernachlässigung. Etwas eigenes war mir im Hause, daß das Parterre überall entsetzlich nach Stockfisch roch, ich mochte mich hinwenden, wo ich wollte.

Venedig.

Die Leute meinten hier wieder, ich sey nicht gescheidt, als sie hörten, ich wollte zu Fuße von Triest über die Berge nach Venedig gehen, und sagten, da würde ich nun wohl ein Bischen todt geschlagen werden: aber ich ließ mich nicht irre machen und wandelte wieder den Berg herauf; zwar nicht den nämlichen großen Fahrweg, kam aber doch, nach ungefähr zweistündigem Herumkreuzen am Ufer und durch die Weinberge, wieder auf die Heerstraße. Ich besuchte die Höhlen von Korneale nicht, weil die ganze Gegend verdammt verdächtig aussah, und ich mich in der Wildniß doch nicht so ganz allein und wildfremd den Leuten in die Hände geben wollte. Die Berge, welche von Natur sehr rauh und etwas öde sind, waren sonst deßwegen so unsicher, weil sie, wie die Genuesischen, der Zufluchtsort alles Gesindels der benachbarten Staaten waren. Da ganz Venedig aber jetzt in österreichischen Händen ist, wird es nun der wachsamen Polizei leichter, Ordnung und Sicherheit zu erhalten. Man spürt in dieser Rücksicht schon den Vortheil der Veränderungen. An dem Zwickel der Berge kommt hier ein schöner Fluß aus der Erde hervor, der vermuthlich auch Höhlen bildet. Hier sind, nach aller Lokalität, gewiß Virgils Felsen des Timavus; und ich sah stolz umher, daß ich nun ausgemacht den klassischen Boden betrat. Der Einschnitt zwischen den Bergen, oder das Thal zwischen Santa Croce und Montefalcone macht noch jetzt der Beschreibung der Alten Ehre. Unten rechts am Meere stand vermuthlich der Heroentempel im Haine, und links etwas weiter herauf am Ausflusse des Timavus war der Hafen. Ich schlug mich hier rechts von der geraden Straße nach Venedig ab über die Berge hinüber nach Görz, welches sechs ziemlich starke Meilen von Triest liegt. Wenn man einmal über die Berge hinüber ist, welche freilich etwas kahl sind, hat man die schönsten Weinthäler. Der Wein wird schon nach italienischer Weise behandelt, hängt an Ulmen oder Weiden, und macht, wo die Gegend etwas nachhilft, schöne Gruppirungen.

Von Görz nach Gradisca sind die Berge links ziemlich sanft und man hat die großen Höhen in beträchtlicher Entfernung rechts: und wenn man über Gradisca nach Palma Nuova herauskommt, ist man ganz in der schönen Fläche des ehemaligen venetianischen Friaul, hat links fast lauter Ebene bis zur See und nur rechts die ziemlich hohen Friauler Alpen. Von Görtz nach Udine stehen im Kalender fünf Meilen; aber östreichische Officiere versicherten mich, es seien gute sieben Meilen, und ich fand Ursache der Versicherung zu glauben. Palma Nuova war eine venetianische Grenzfestung, und nun hausen die Kaiserlichen hier. Sie exercirten eben auf dem großen Platze vor dem Thore. Der Ort ist militärisch nicht ganz zu verachten, wenn er gut vertheidigt wird. Man kann nach allen Seiten vortrefflich rasiren, und er kann von keiner nahen Anhöhe bestrichen werden.

In Udine feierte ich den neun und zwanzigsten Januar meinen Geburtstag; und höre, wie! Ich hatte mir natürlich den Tag vorher schon vorgenommen, ihn recht stattlich zu begehen, und also vor allen Dingen hier Ruhetag zu halten. Der Name Udine klang mir so schön, war mir aus der Künstlergeschichte bekannt, und war überdies der Geburtsort unserer braven Grassi in Dresden und Wien. Die große feierlich tönende Abendglocke verkündete mir in der dunkeln Ferne — denn es war schon Nacht, als ich ankam — eine ansehnliche Stadt. Vor Campo Formio war ich im Dunkeln vorbeigegangen. Am Thore zu Udine stand eine östreichische Wache, die mich examinirte. Ich bat um einen Grenadier, der mich in ein gutes Wirthshaus bringen sollte. Gewährt. Aber ein gutes Wirthshaus war nicht zu finden. Ueberall wo ich hineintrat, saßen, standen und lagen eine Menge gemeiner Kerle bacchantisch vor ungeheuer großen Weinfässern, als ob sie mit Bürger bei Ja und Nein vor dem Zapfen sterben wollten. Es kam mir vor, als ob Bürger hier seine Uebersetzung gemacht haben müsse; denn der lateinische Text des alten englischen Bischofs hat dieses Bild nicht. In dem ersten und zweiten dieser Häuser hatte ich nicht Lust zu bleiben; im dritten wollte man mich nicht behalten. „Ruhig!“ dachte ich; „du gehst auf die Wache: morgen wird sichs schon finden.“ Der Sergeant gestand mir gern Quartier zu, da ich der Wache für ihre Höflichkeit ein gutes Trinkgeld geben wollte. Nun holte man Brot und Wein für mich. Kaum war dieses da, so kam eine fremde Patrouille, einige Meilen weit her, welche ihr Quartier auch in der Wachstube nahm. Nun sagte der Sergeant ganz höflich, es sei kein Platz mehr da. Das sah ich auch selbst ein. Er machte auch Dienstschwierigkeiten, die ich als alter Kriegsknecht sehr bald begriff. Ich überließ Brot und Wein dem Ueberbringer und verlangte, man solle mich auf die Hauptwache bringen lassen. Das geschah. Dort fand ich mehrere Officiere. Ich erzählte dem Wachhabenden meinen Fall und schloß mit der Meinung, daß ich doch Quartier haben müsse, und sollte es auch auf der Hauptwache seyn. Die Herren lärmten, fluchten und lachten und sagten, es gehe ihnen eben so; die Welschen schlügen die Deutschen todt nach Noten, wo sie könnten. Man schickte mich zum Platzmajor. Gut! Dieser forderte meinen Paß, fand ihn richtig, revidirte ihn, befahl, ich sollte mich den folgenden Morgen bei der Polizei melden, die ihn auch unterschreiben müsse, und machte einige Knasterbemerkungen über die Nothwendigkeit der guten Ordnung, an der ich gar nicht zweifelte. „Das ist alles recht gut;“ sagte ich; „aber ich kann kein Quartier finden.“ Ach das wird nicht fehlen, meinte er; „aber es fehlt,“ meinte ich. Der alte Herr setzte sein Glas bedächtlich nieder, sah seine Donna an, rieb sich die Augenbrauen und schickte den Gefreiten mit mir und meinem Tornister alla nave. Der Gefreite wies mich ins Schiff und ging. Als ich eintrat, sagte man mir, es sei durchaus kein Zimmer mehr leer; es sei alles besetzt. Ich that groß und bot viel Geld; aber es half nichts. „Sie sollten es für den vierten Theil haben,“ antwortete mir eine alte ziemlich gedeihliche Frau; „aber es ist kein Platz.“ — „Ich kann nicht fort, es ist spät; ich bin müde und es ist draußen kalt.“ Die Italienerin machte es wie der Mann von Sankt Oswald, nur ganz höflich. „Ich gehe nicht,“ sagte ich, „wenn man mir nicht einen Menschen mitgiebt, der mich wieder auf die Hauptwache bringt.“ Den gab man. Nun war ich wieder auf der Hauptwache und erzählte und forderte Quartier. Man lärmte und fluchte und lachte von neuem. Ich versicherte nun bestimmt, ich würde hier bleiben. Wort gab Wort. Einer der Herren sagte lachend: „Warten Sie, vielleicht bin ich noch so glücklich, Ihnen Quartier zu verschaffen. Es ist eine verfluchte Geschichte; es geht uns oft auch so, wenn wir nicht mit Heereszug kommen: aber ich habe hier einige Bekanntschaft.“ Der Officier ging einige hundert Schritte weit davon mit mir in ein Haus, hielt Vortrag, und ich erhielt sehr höflich Quartier. Zimmer und Bett waren herrlich. Nun wollte ich essen; da war nichts zu haben. „Ma Signore,“ sagte die Wirthin, „questa casa non è locanda; non si mangia qui.“ Ich hatte sieben Meilen im Januar gemacht, und war auf dem Pflaster noch eine Stunde herum trottirt; ich konnte mich also nicht entschließen, spät in der Finsterniß noch einmal auszugehen. Der Officier war fort. Ich sah grämlich aus, und man wünschte mir ohne Abendessen freundlich „Felicissima notte:“ ich ging ärgerlich zu Bett und schlief herrlich. Den andern Morgen, an meinem Geburtstage, sollte ich auf die Polizei gehen. Der Sitz derselben war in vierzehn Tagen wohl vier Mal verändert worden; man wies mich hierhin und dorthin, und ich fand sie nirgends.

Der Henker hol’ Euch mit der Polizei!

Es ist doch lauter Hudelei.

So dachte ich in meinem Aerger, kaufte mir eine Semmel und einige Aepfel in die Tasche, ging nach Hause, bezahlte den sehr billigen Preis für mein Quartier, steckte meinen Paß ohne die Polizei wieder in die Brieftasche und reis’te zum Thore hinaus. Das war mein Geburtstag zum Morgen. Den Abend aber — denn zu Mittage konnte ich kein schickliches Haus finden und fastete — erholte ich mich wieder zu Codroipo. Eine niedliche Piemonteserin, deren Mann ein Deutscher und Feldwebel bei einem kaiserlichen Regimente war, kam zu Fuße mit ihrem kleinen Jungen von ungefähr zwei Jahren von Livorno und ging nach Gräz. Du weißt, ich liebe schöne reinliche Kinder in diesem Alter ungewöhnlich, und der Knabe fing so eben an, etwas von der Sprache seines Vaters und etwas von der Sprache seiner Mutter zu stammeln und hatte sein großes Wesen mit und auf meinem Tornister. Der Wirth brachte uns Polenta, Eierkuchen und zweierlei Fische aus dem Tagliamento, gesotten und gebraten. Du siehst, dabei war kein Fleisch: das war also an meinem Geburtstage gefastet und nach den besten Regeln der Kirche.

Der Weg zwischen Triest und Venedig ist außerordentlich wasserreich; sehr viele große und kleine Flüsse kommen rechts von den Bergen herab, unter denen der Tagliamento und die Piave die vorzüglichsten sind. Zwischen Codroipo und Valvasone ging ich über den Tagliamento in vier Stationen, auf dem Rücken eines großen, ehrenfesten Charons, der seine langen Fischerstiefeln bis an die Taille hinaufzog. Der Fluß war jetzt ziemlich klein; und dieses ist zu solcher Zeit die Methode Fußgänger überzusetzen. Sein Bett ist über eine Viertelstunde breit und zeigt, wie wild er seyn muß, wenn er das Bergwasser herabwälzt. Wenn die Bäche groß sind, mag die Reise hier immer bedenklich seyn; denn man kann durchaus an den Betten sehen, welche ungeheuere Wassermenge dann überall herabströmt. Jetzt sind alle Wasser so schön und hell, daß ich überall trinke: denn für mich geht nichts über schönes Wasser.[10] Die Wohlthat und den Werth davon zu empfinden, mußt Du Dich von den Engländern einmal nach Amerika transportiren lassen, wo man in dem stinkenden Wasser fingerlange Fasern von Unrath findet, die Nase zuhalten muß, wenn man es durch ein Tuch geschlagen trinken will, und doch noch froh ist, wenn man die kocytische Tunke zur Stillung des brennenden Durstes nur noch erhält. So ging es uns, als wir in den amerikanischen Krieg zogen, wo ich die Ehre hatte, dem Könige die dreizehn Provinzen mit verlieren zu helfen.

In Pordenone traf ich das erste Mal eine öffentliche Mummerei von Gassenmaskerade, mußte bei gar jämmerlichen Fischen wieder fasten, und wäre übel gefahren, wenn mich ein kleines, niedliches Mädchen vom Hause nicht noch mitleidig mit Kastanien gefüttert hätte. Hier sind in der Markuskirche einige hübsche Votivgemälde, mit denen man sich wohl eine halbe Stunde angenehm beschäftigen kann. Von Udine bis Pordenone ist viel dürres Land; doch findet man mitunter auch sehr schöne Weinpflanzungen. Die Deutschen stehen, wie Du aus der Geschichte von Udine gesehen hast, eben nicht in dem besten Kredit hier in der Gegend, und es ist kein Unglück für mich, daß man mich meistens für einen Franzosen hält, weil in meine Sprache sich oft ein französischer Ausdruck einschleicht. Wenn ich gleich sage und wiederhole, ich sei ein Deutscher, so will man es doch nicht glauben. In der Vermuthung, ich müsse ein französischer Officier seyn, der das Land umher durchzieht, werde ich oft recht gut bewirthet. Dergleichen Promenaden der Franzosen müssen also doch so ungewöhnlich nicht seyn. Signore è Francese, ma non volete dirlo. Fate bene, fate bene: sagte man mir mit sehr freundlichem Gesichte. Alles kommt freilich auf dem Parteigeist an, der hier eben so mächtig ist, als irgendwo. Viele klagen über die Franzosen; aber die meisten scheinen es doch nicht gern zu sehen, daß sie nicht mehr hier sind.

In Conegliano fand ich einige junge Kaufleute, die von Venedig kamen und den Weg nach Triest zu Fuße machen wollten, den ich eben gekommen war. Das Herz ward ihnen sehr leicht, als ich sagte, es gehe recht gut und es sei mir keine Gefahr aufgestoßen: denn man hatte auch diesen Herren von der andern Seite das Gehirn mit Schreckbildern angefüllt. Sodann war auch dort, wie er sich selbst in der Gesellschaft einführte, ein großer Philosoph, ungarischer Husarenunterofficier, der hier den politischen Spion zu machen schien. Er donnerte gewaltig über die Revolution und brachte Anspielungen und indirekte Drohungen gegen meine Person, als dieses Verbrechens verdächtig. „Der Wirth hat das Recht, nach meinem Passe zu fragen, mein Herr,“ versetzte ich, als mir die Worte zu stark und zu deutsch wurden: „wenn sie aber glauben, daß es nöthig ist, so führen Sie mich vor die Behörde zur Untersuchung. Uebrigens erbitte ich mir von Ihrer Philosophie etwas Humanität.“ Das wirkte: der Mann fing nun an, ein halbes Dutzend Sprachen zu sprechen, und vorzüglich das Italienische und Ungarische mit einer horrenden Volubilität. Sobald wir nur lateinisch zusammenkamen, waren wir Freunde, und er war sogleich von meiner politischen Orthodoxie überzeugt: und als ich ihn vollends zu meinem Weine mit Pastetchen ehrenvoll einlud, gehörten wir durchaus zu einer Sekte. Er hielt sich an den Wein, ich mich an die Pastetchen, und alle Coneglianer, Trevisaner und Venetianer staunten den Strom von Gelehrsamkeit an, den der Mann aus seinem Schatze hervorgoß.

Von Conegliano bis Treviso hatte ich mir auf einem eingefallenen Steinchen die Ferse blutig getreten, und gab daher zum ersten Mal den Zudringlichkeiten eines Vetturino nach, der mich für sechs Liren nach Mestre bringen wollte. Mit der Bedingung, daß ich gleich abginge, ließ ich mir die Sache gefallen: denn ich wollte noch gern diesen Abend in Mestre seyn, um den folgenden Morgen zeitig nach Venedig überzusetzen. Sechs Liren war mir ein unbegreiflich niedriger Preis für einen vollen Wagen mit zwei guten Pferden, den er mir vor dem Wirthshause als mein Fuhrwerk zeigte: so daß ich nicht wußte, was ich denken sollte. Aber vor der Stadt hielt er an und packte noch einen venetianischen Kaufmann und eine Tyrolerin ein, die als Kammerjungfer ihrer Gräfin nachreis’te; und nun begriff ich freilich. Von Conegliano aus ist der Weg schon sehr frequent, und die Landhäuser werden häufiger und schöner; und von Treviso ist es fast lauter schöner, mit Villen besetzter Garten. Die Tyrolerin sentimentalisirte darüber ununterbrochen deutsch und italienisch; der Italiener war ein gar artiger Kerl, und da kamen denn die beiden Leutchen bald in einen Ton allerliebster Zweideutigkeiten, zu dem die deutsche Sprache, wenigstens die meinige, gar nicht geeignet ist: und doch kann ich nicht sagen, daß sie geradezu in Unanständigkeit ausgeartet wären. Blos der unreine Nasenton der Tyrolerin mißfiel mir; und da ich bei einer zufälligen Lüftung des Halstuches in der untern Gegend des Kinnbackens einige beträchtliche Narben erblickte, war ich sehr froh, daß ich mit excessiver Artigkeit dem Venetianer die Ehrenstelle neben ihr im Fond überlassen hatte. Ich erhielt meinen Theil Witz von ihnen für meine überstoische Laune und Taciturnität, und rettete mich von dem Prädikat eines Gimpels vermuthlich nur durch meine Unkunde in der italienischen Sprache und einige Sarkasmen, die ich ganz trocken hinwarf. In Mestre wollte mich die Dame aus Artigkeit mit in ihr Hotel nehmen und meinte, ich könnte morgen mit der Gräfin und ihr zusammen die Ueberfahrt nach dem schönen Venedig machen: aber ich fand eine Gesellschaft von Venetianern, die noch diesen Abend übersetzen wollte, und schloß mich an. Wir ruderten den Kanal hinunter. Die Andern waren alle Einheimische, und hatten weiter nichts nöthig, als dieses zu sagen; aber ich Fremdling mußte einige Zeit auf der Wache warten, bis der Offiziant meinen Paß gehörig registrirt hatte. Er behielt ihn, und gab mir einen Passirzettel, nach östreichischer Sitte, mit der Weisung, mich damit in Venedig auf der Polizei zu melden. Das forderte etwas Zeit, da der Herr etwas Myops und kein Tachygraph war; und meine Gesellschafter waren über den Aufenthalt etwas übellaunig. Doch das gab sich bald. Man fragte mich, als ich zurückkam, mit vieler Artigkeit und Theilnahme, wer ich sei? wohin ich wolle? und dergleichen; und wunderte sich höchlich, als man hörte, daß ich zu Fuße allein einen Spaziergang von Leipzig nach Syrakus machen wollte. Der Abend war schön, und ehe wir es uns versahen, kamen wir am Rialto an, wovon ich aber jetzt natürlich weiter nichts als die magische Erscheinung sah. Ein junger Mann von Conegliano, mit dem ich während der ganzen Ueberfahrt viel geplaudert hatte, begleitete mich durch eine große Menge enger Gäßchen in den Gasthof The Queen of England und, da hier alles besetzt war, zum goldnen Stern, nicht weit vom Markusplatze, wo ich für billige Bezahlung ziemlich gutes Quartir und artige Bewirthung fand.

Den dritten Februar, wenn ich mich nicht irre, kam ich in Venedig an, und lief sogleich den Morgen darauf mit einem alten, abgedankten Bootsmanne, der von Lissabon bis Konstantinopel und auf der afrikanischen Seite zurück die ganze Küste kannte, und jetzt den Lohnbedienten machen mußte, in der Stadt herum; sah mehr als zwanzig Kirchen in einigen Stunden, von der Kathedrale des heiligen Markus herab bis auf das kleinste Kapellchen der ehemaligen Beherrscherin des Adria. Wenn ich Künstler oder nur Kenner wäre, könnte ich Dir viel erzählen von dem, was da ist und was da war. Aber das Alles ist Dir wahrscheinlich schon aus Büchern bekannt; und ich würde mir vielleicht weder mit der Aufzählung noch mit dem Urtheile große Ehre erwerben. Der Palast der Republik sieht jetzt sehr öde aus, und der Rialto ist mit Kanonen besetzt. Auch am Ende des Markusplatzes, nach dem Hafen zu, haben die Oestreicher sechs Kanonen stehen, und gegenüber auf Sankt George hatten schon die Franzosen eine Batterie angelegt, welche die Kaiserlichen natürlich unterhalten und erweitern. Die Partie des Rialto hat meine Erwartung nicht befriedigt; aber der Markusplatz hat sie, auch so wie er noch jetzt ist, übertroffen.

Es mögen jetzt ungefähr drei Regimenter hier liegen; eine sehr kleine Anzahl für ernsthafte Vorfälle! So wie die Stimmung jetzt ist, nähme und behauptete man mit zehntausend Mann Venedig; wenn man nämlich im Anfange energisch und sodann klug und human zu Werke ginge. Das Militär und überhaupt die Bevölkerung zeigt sich meistens nur auf dem Markusplatze, am Hafen, am Rialto und am Zeughause; die übrigen Gegenden der Stadt sind ziemlich leer. Wenn man diese Partien gesehen hat und einigemal den großen Kanal auf und abgefahren ist, hat Venedig vielleicht auch nicht viel Merkwürdiges mehr; man müßte denn gern Kirchen besuchen, die hier wirklich sehr schön sind.

Das Traurigste ist in Venedig die Armuth und Bettelei. Man kann nicht zehn Schritte gehen, ohne in den schneidendsten Ausdrücken um Mitleid angefleht zu werden; und der Anblick des Elends unterstützt das Nothgeschrei des Jammers. Um Alles in der Welt möchte ich jetzt nicht Beherrscher von Venedig seyn; ich würde unter der Last meiner Gefühle erliegen. Schon Küttner hat viele Beispiele erzählt, und ich habe die Bestätigung davon stündlich gesehen. Die niederschlagendste Empfindung ist mir gewesen, Frauen von guter Familie in tiefen, schwarzen, undurchdringlichen Schleiern knieend vor den Kirchthüren zu finden, wie sie, die Hände gefaltet auf die Brust gelegt, ein kleines hölzernes Gefäß vor sich stehen haben, in welches die Vorübergehenden einige Soldi werfen. Wenn ich länger in Venedig bliebe, müßte ich nothwendig mit meiner Börse, oder mit meiner Empfindung Bankerott machen.

Drollig genug sind die gewöhnlichen Improvisatoren und Deklamatoren auf dem Markusplatze und am Hafen, die einen Kreis um sich her schließen lassen und für eine Kleinigkeit über irgend eine berühmte Stelle sprechen, oder auch aus dem Stegreife über ein gegebenes Thema theils in Prosa, theils in Versen sogleich mit solchem Feuer reden, daß man sie wirklich einigemal mit großem Vergnügen hört. Du kannst Dir vorstellen, wie geringe die Summe und wie erniedrigend das Handwerk seyn muß. Eine Menge Leute von allen Kalibern, Lumpige und Wohlgekleidete, saßen auf Stühlen und auf der Erde rund herum und warteten auf den Anfang, und eine Art von buntscheckigem Bedienten, der seinem Prinzipal das Geld sammelte, rief und wiederholte mit lauter Stimme: „Mancan ancora cinque soldi; ancora cinque soldi!“ Jeder warf seinen Soldo hin, und man machte gewaltige Augen, als ich einigemal mit einem schlechten Zwölfkreuzerstück der Forderung ein Ende machte und die Arbeit beschleunigte. Welch ein Abstand von diesen Improvisatoren bis zu den römischen, von denen wir zuweilen in unsern deutschen Blättern lesen!

Auf der Giudecca ist es, wo möglich, noch ärmlicher, als in der Stadt; aber eben deswegen sind dort nicht so viele Bettler, weil vielleicht Niemand hoffen darf, dort nur eine leidliche Ernte zu halten. Die Erlöserskirche ist daselbst die beste, und ihre Kapuziner sind die Einzigen, die in Venedig noch etwas schöne Natur genießen. Die Kirche ist mit Orangerie besetzt, und sie haben bei ihrem Kloster, nach der See hinaus, einen sehr schönen Weingarten. Diese, nebst einigen Oleastern in der Gegend des Zeughauses, sind die einzigen Bäume, die ich in Venedig gesehen habe. Die Insel Sankt George hält bekanntlich die Kirche und das Kapitel, wo der jetzige Papst gewählt wurde, und wo auch noch sein Bildniß ist, das bei den Venetianern von gemeinem Schlage in außerordentlicher Verehrung steht. Der Maler hat sein Mögliches gethan, die Draperie recht schön zu machen. Die Kirche selbst ist ein gar stattliches Gebäude und, wie ich schon oben gesagt habe, mit Batterien umgeben.

Die Venetianer sind übrigens im Allgemeinen höfliche, billige, freundschaftliche Leute, und ich habe von Vielen derselben Artigkeiten genossen die ich in meinem Vaterlande nicht herzlicher hätte erwarten können. Einen etwas schnurrigen Auftritt hatte ich vor einigen Tagen auf dem Markusplatze. Man hatte mich beständig in dem nämlichen Reiserocke (die Ursache war, weil ich keinen andern hatte, da ich keinen andern im Tornister tragen wollte) an den öffentlichen Orten der Stadt herumlaufen sehen und doch gesehen, daß ich mit einem Lohnbedienten lief und Liren verzehrte. Ich zahlte dem Bedienten jeden Abend sein Geld, wenn ich ihn nicht mehr brauchte; dieses geschah diesen Abend, da es noch ganz hell war, auf dem Markusplatze. Einige Mädchen der Aphrodite Pandemos mochten bemerkt haben, daß ich bei der Abzahlung des Menschen eine ziemliche Handvoll silberner Liren aus der Tasche gezogen hatte, und hingen sich, als der Bediente fort war, und ich allein gemächlich nach Hause schlenderte, ganz freundlich und gefällig an meinen Arm. Ich blieb stehen und sie thaten das nämliche. Man gruppirte sich um uns herum und ich bat sie höflich, sich nicht die Mühe zu geben, mich zu inkommodiren. Sie fuhren mit ihrer artigen Vertraulichkeit fort, und ich ward ernst. Sie waren beide ganz hübsche Sünderinnen, und trugen sich ganz niedlich und anständig, mit der feineren Klasse. Ich demonstrirte in meinem gebrochenen Italienisch, so gut ich konnte, sie möchten mich in Ruhe lassen. Es half nichts; die Gesellschaft in einiger Entfernung lächelte, und Einige lachten sogar. Die Gruppe mochte allerdings possirlich genug seyn. Eine von den beiden Nymphchen schmiegte sich endlich so schmeichelnd als möglich an mich an. Da wurde ich heiß und fing an in meinem stärksten Baßtone auf gut Russisch zu fluchen, mischte so etwas von Impudenza und senza vergogna dazu, und stampfte mit meinem Knotenstocke so emphatisch auf das Pflaster, daß die Gesellschaft sich schüchtern zerstreute und die erschrockenen Geschöpfchen ihren Weg gingen.

Ein anderer, etwas ernsthafterer Vorfall beschäftigte mich fast eine halbe Stunde. Ich verschließe den Abend mein Zimmer und lege mich zu Bett. Als ich den Morgen aufstehe, finde ich meine Kleider, die neben mir auf einem andern Bette lagen, ziemlich in Unordnung und meinen Hut herabgeworfen. Ich wußte ganz gewiß, in welche Ordnung ich sie gelegt hatte. Das Schloß war unberührt und mir fehlte übrigens nichts. Ich dachte hin und her und konnte nichts herausgrübeln, und mir schwebten schon mancherlei sonderbare Gedanken von der alten venetianischen Polizei vor dem Gehirne, so daß ich sogleich, als ich mich angezogen hatte, zu dem Kellner ging und ihm den Vorfall erzählte. Das Haus war groß und voll. Da erhielt ich denn zu meiner Beruhigung den Aufschluß, es seyen die Nacht noch Fremde angekommen, und man habe noch eine Matratze gebraucht, und sie aus dem Bette neben mir mit dem Hauptschlüssel abgeholt. Hätte ich nun die Sache nicht gründlich erfahren, wer weiß, was ich mir noch für Einbildungen gemacht hätte.

Jetzt ist meine Seele voll von einem einzigen Gegenstande, von Canova’s Hebe. Ich weiß nicht, ob Du die liebenswürdige Göttin dieses Künstlers schon kennst; mich wird sie lange, vielleicht immer beherrschen. Fast glaube ich nun, daß die Neuen die Alten erreicht haben. Sie soll eins der jüngsten Werke des Mannes seyn, die ewige Jugend. Sie steht in dem Hause Albrizzi, und der Besitzer scheint den ganzen Werth des Schatzes zu fühlen. Er hat der Göttin einen der besten Plätze, ein schönes, helles Zimmer nach dem großen Kanal angewiesen. Ich will, ich darf keine Beschreibung wagen; aber ich möchte weissagen, daß sie die Angebetete der Künstler und ihre Wallfahrt werden wird. Noch habe ich die Mediceerin nicht gesehen; aber nach allen guten Abgüssen von ihr zu urtheilen, ist hier für mich mehr, als alle Veneres Cupidinesque.

Ich stand vom süßen Rausche trunken,

Wie in ein Meer von Seligkeit versunken,

Mit Ehrfurcht vor der Göttin da,

Die hold auf mich herunter sah,

Und meine Seele war in Funken:

Hier thronte mehr als Amathusia.

Ich war der Sterblichkeit entflogen,

Und meine Feuerblicke sogen

Aus ihrem Blick Ambrosia

Und Nektar in dem Göttersaale;

Ich wußte nicht, wie mir geschah:

Und stände Zevs mit seinem Blitze nah,

Vermessen griff ich nach der Schale,

Mit welcher sie die Gottheit reicht,

Und wagte taumelnd jetzt vielleicht

Selbst dem Alciden Hohn zu sagen,

Und mit dem Gott um seinen Lohn zu schlagen. —

Du denkst wohl, daß ich bei dem marmornen Mädchen etwas außer mir bin; und so mag es allerdings seyn. Der Italiener betrachtete meine Andacht eben so aufmerksam, wie ich seine Göttin. Diese einzige Viertelstunde hat mir meine Reise bezahlt; so ein sonderbar enthusiastischer Mensch bin ich nun zuweilen. Es ist die reinste Schönheit, die ich bis jetzt in der Natur und in der Kunst gesehen habe, und ich verzweifle selbst mit meinem Ideale höher steigen zu können. Ich muß Canova’s Hände küssen, wenn ich nach Rom komme, wo er, wie ich höre, jetzt lebt. Das goldene Gefäß, die goldene Schale und das goldene Stirnband haben mich gewiß nicht bestochen; ich habe bloß die Göttin angebetet, auf deren Antlitz Alles, was der weibliche Himmel Liebenswürdiges hat, ausgegossen ist. In das Lob der Gestalt und des Gewandes will ich nicht eingehen; das mögen die Geweiheten thun. Alles scheint mir des Ganzen würdig.

In dem nämlichen Hause steht auch noch ein schöner Gypsabguß von des Künstlers Psyche. Sie ist auch ein schönes Werk; aber meine Seele ist zu voll von Hebe, um sich zu diesem Seelchen zu wenden. In dem Zimmer, wo der Abguß der Psyche steht, sind rund an den Wänden Reliefs in Gyps von Canova’s übrigen Arbeiten: eine Grablegung des Sokrates durch seine Freunde; die Scene, wo der Verurtheilte den Becher nimmt; der Abschied von seiner Familie; der Tod des Priamus nach Virgil; der Tanz der Phäacier in Gegenwart des Ulysses, wo die beiden tanzenden Figuren vortrefflich sind; und die opfernden Trojanerinnen vor der Minerva, unter Anführung der Hekuba. Alles ist eines großen und weisen Künstlers würdig; aber Hebe hat sich nun einmal meines Geistes bemächtiget und für das Uebrige nichts mehr übrig gelassen. Wenn der Künstler, wie man glaubt nach einem Modell gearbeitet hat, so möchte ich für meine Ruhe das Original nicht sehen. Doch, wenn dieses auch ist, so würde seine Seele gewiß es erst zu diesem Ideal erhoben haben, das jetzt alle Anschauer begeistert.

Da meine Wohnung hier nahe am Markusplatz ist, habe ich fast stündlich Gelegenheit die Stellen zu sehen, auf welchen die berühmten Pferde standen, die nun, wie ich höre, den konsularischen Pallast der Gallier bewachen sollen. Sonderbar! wenn ich nicht irre, erbeuteten die Venetianer, in Gesellschaft mit den Franzosen, diese Pferde nebst vielen andern gewöhnlichen Schätzen. Die Venetianer ließen ihren Verbündeten die Schätze und behielten die Pferde; und jetzt kommen die Herren und holen die Pferde noch. Wo ist der Bräutigam der Braut, der jährlich sein Fest auf dem adriatischen Meere feierte? Die Briten gingen seit ziemlich langer Zeit schon etwas willkührlich und ungebührlich mit seiner geliebten Schönen um; und nun ist er selbst an der Apoplexie gestorben, und ein Fremder nimmt sich kaum mehr Mühe, seinen Bucentaur zu besehen. Venedig wird nun nach und nach von der Kapitale eines eigenen Staats zur Gouvernementsstadt eines fremden Reichs sich modificiren müssen; und desto besser für den Ort, wenn dieses sanft, von der einen Seite mit Schonung und von der andern mit gehöriger Resignation, geschieht.

Gestern ging ich nach meinem Passe, der auf der Polizei gelegen hatte und dort unterschrieben werden mußte. Ich bin überhaupt kein großer Wälscher, und der zischende Dialekt der Venetianer ist mir gar nicht geläufig. Ich konnte also in der Kanzlei mit dem Ausfertiger nicht gut fertig werden, und man wies mich in ein anderes Zimmer an einen andern Herrn, der fremde Zungen reden sollte. In der Meinung, er würde unter einem deutschen Monarchen auch wohl deutsch sprechen, sprach ich Deutscher deutsch. „Non son asino ferino,“ antwortete der feine Mann, „per ruggire tedesco.“ Das waren, glaube ich, seine Worte, die freilich eine grelle Ausnahme von der venetianischen Höflichkeit machten. Die Anwesenden lachten über den Witz, und ich, um zu zeigen, daß ich wider sein Vermuthen wenigstens seine Galanterie verstanden hatte, sagte ziemlich mürrisch: „Mais pourtant, Monsieur, il est à croire qu’il y a quelqu’ un ici, qui sache la langue de votre Souverain.“ Das machte den Herrn etwas verblüfft; er fuhr ganz höflich französisch fort sich zu erkundigen, sagte mir, daß mein Paß ausgefertigt sei, und in drei Minuten war ich fort. Ich erzähle Dir dieses nur als noch einen neuen Beweis, wie man hier gegen unsere Nation gestimmt ist. Diese Stimmung ist ziemlich allgemein, und die Oestreicher scheinen sich keine sonderliche Mühe zu geben, sie durch ihr Betragen zu verbessern.

Morgen will ich über Padua am Adria hinabwandeln, und mich, so viel als möglich dem Meere nahe halten, bis ich hinunter an den Absatz des Stiefels komme und mich an den Aetna hinüber bugsiren lassen kann. Die Sache ist nicht ganz leicht. Denn unter Ancona bei Loretto endigt die Poststraße; sed non sine dis animosus infans. Ich weiß, daß mich Deine freundschaftlichen Wünsche begleiten, so wie Du überzeugt seyn wirst, daß meine Seele oft bei meinen Freunden und also auch bei Dir ist.

Bologna.

Neun Tage war ich in Venedig herumgelaufen. Die Nacht war ich angekommen, die Nacht fuhr ich mit der Corriere wieder ab. Die Gesellschaft war ziemlich zahlreich, und wir waren wie im trojanischen Pferde zusammengeschichtet. Das Wetter war nicht sehr günstig; wir fuhren also von Venedig nach Padua von acht Uhr des Abends bis den andern Mittag. Der Weg an der Brenta herauf soll sehr angenehm seyn; aber das Wasser hatte bekanntlich die Straßen durch ganz Oberitalien so fürchterlich zugerichtet, daß es ein trauriger Anblick war; und ich grämte mich nicht sehr, daß ich auf meiner Fahrt und wegen des stürmischen Wetters wenig davon sehen konnte. So wie wir in Padua ankamen, ward das Wetter leidlich. Die Unterredung im Schiffe war bunt und kraus, wie die Gesellschaft: aber es wurde durchaus nichts gesprochen, was Bezug auf Politik gehabt hätte. Die einzige Bemerkung nehme ich aus, welche ein alter ziemlich ernsthafter Mann machte: es wäre nun zu hoffen, daß wir in dreißig oder vierzig Jahren zu Fuße nach Venedig würden gehen können. Er deutete bloß kurz an, die alte Regierung habe ein Interesse gehabt, die Stadt als Insel zu erhalten und habe sich die Räumung der Lagunen viel Geld kosten lassen; die neue Regierung werde ein entgegengesetztes Interesse haben, und brauchte dann nicht viel Kosten darauf zu wenden, die Straße von Mestre nach Venedig fest zu machen. Ich lasse die Hypothese dahin gestellt seyn.

Als ich in Padua meine Mahlzeit genommen hatte, nahm ich meinen Tornister und machte vor meinem Abzuge dem heiligen Antonius einen Besuch. Sogleich war ein Cicerone da, der mich führte, und meinte, ich könne ganz füglich, so betornistert wie ich wäre, überall herumlaufen. Das nahm ich sehr gerne an, und wandelte in diesem etwas grotesken Aufzuge, mit aller Devotion, die man dem alten Volksglauben schuldig ist, in der gothischen Kathedrale herum. In der Kirche drängten sich mit Gewalt noch zwei andere Ciceronen mit zu mir und ließen sich mit Gewalt nicht abweisen; sie waren weit besser, als ich, gekleidet und zeigten mir alle ihre Wunder mit vieler Salbung; und ich hatte die Ehre drei zu bezahlen. Sodann ging ich das Monument des Livius aufzusuchen, von welchem alle meine drei Führer nichts wußten. Er muß in seiner Vaterstadt jetzt so außerordentlich berühmt nicht seyn: denn drei stattlich gekleidete Männer, die ich nach der Reihe anredete, konnten mir weder vom Livius, noch von seinem Monumente erzählen; und doch sprachen zwei davon geläufig genug französisch. Endlich wies mich ein alter Graukopf nach dem Stadthause, wo es sich befinde. Ich wandelte in dem ungeheuren Saale des Stadthauses neugierig herum, und redete einen Mann mit einem ziemlich literarischen Antlitz lateinisch an. Er antwortete mir italienisch, er habe zwar ehemals etwas Latein gelernt, aber es nun wieder ziemlich vergessen; und das meinige sey ihm zu alt, das könne er gar nicht verstehen. Er wies mich hierauf an einen Andern, der mit einem Buche in einer Ecke saß. Dieser stand auf und zeigte mir mit vieler Humanität den alten Stein über dem Eingange der Expedition. Du kennst ihn unstreitig mit seiner Inschrift, welche weiter nichts sagt, als daß die Paduaner ihrem Mitbürger Livius hier dieses Andenken errichtet haben. Das neue, prächtige Monument, das der ehemalige venetianische Senat und das paduanische Volk ihm gesetzt haben, sah ich nicht, weil es zu entfernt war und ich diesen Abend nach Battaglia patrouilliren wollte. Als ich ging, sagte mir der Paduaner sehr artig: „Gratias tibi habemus pro tua in nostrum popularem observantia. Eris nobis cum multis aliis testimonio, quantopere noster Livius apud exteros merito colatur. Valeas nostrumque civem ames ac nobis faveas!“ Der Mann sagte dieses mit einer Herzlichkeit und mit einer gewissen klassischen Wichtigkeit, die ihm sehr wohl anstand.

Vom Livius weg ging ich mit dem Livius im Kopfe gerades Weges durch seine alte trojanische Vaterstadt in das klassische Land hinein, das ehemals so große Männer gab. Du weißt, daß ich sehr wenig Literator bin; weißt aber auch, daß ich von der Schule aus noch viel Vergnügen habe, dann und wann einen alten Knaster in seiner eigenen Sprache zu lesen. Livius war immer einer meiner Lieblinge, ob ich gleich Thucidydes noch lieber habe. Ich wiederhole also wahrscheinlich zum tausendsten Male die Klage, daß wir ihn nicht mehr ganz besitzen, und finde den übereilten, etwas rodomontadischen Lärm, den man vor einiger Zeit hier und da über seine Wiederfindung gemacht hat, sehr verzeihlich. Ein Gedanke knüpfte sich an den andern; und da fand ich denn in meinem Sinn, daß wir wohl schwerlich den ganzen Livius wieder haben werden. Freilich ist das zu bedauern: denn gerade die wichtigsten Epochen der römischen Geschichte für öffentliches Recht und Menschenkunde, und wo sich unstreitig das Genie und die Freimüthigkeit des Livius in ihrem ganzen Glanze gezeigt haben, der Sklavenkrieg und die Triumvirate, sind verloren: aber was kann Klage helfen? Den Verlust erkläre ich mir so. Ich glaube durchaus nicht, daß er aus Zufall oder Vernachlässigung gekommen sei. Livius war ein freimüthiger, kühner, entschlossener Mann, ein warmer Patriot und Verehrer der Freiheit, wie alle seine Mitbürger, die es bei den letzten Unruhen in Rom unter dem Triumvirate thätig genug gezeigt hatten; er war ein erklärter Feind der Despotie. August selbst, dem die römische Schmeichelei schändlicher Weise einen so schönen Namen gab, nannte ihn mit einer feinen Tyrannenmäßigung nur einen Pompejaner. Die Familie der Cäsarn war nun Meister; man kennt die Folgen der erbaulichen Subjekte derselben, die schon schlimm genug waren, wenn sie auch nur halb so schlecht waren, als sie in der Geschichte stehen. Du findest doch wohl begreiflich, daß die Cäsarn nicht absichtlich ein Werk, wie die Geschichte des Livius war, zu Lichte werden gefördert haben. Es wird mir sogar aus einigen Stellen des Tacitus sehr wahrscheinlich, daß man Alles gethan hat, sie zu unterdrücken, wenigstens die Stellen, wo der aristokratisch römische Geist und die Tyrannei der Cäsarischen Familie insbesondere mit sehr grellen Farben gezeichnet seyn mußte. Dieses waren vorzüglich der Sklavenkrieg und das Ende der Bürgerkriege. Es war überhaupt ein weitläuftiges Werk, und nicht Jeder war im Stande sich dasselbe abschreiben zu lassen. Alle fanden es also wahrscheinlich genug ihrer Sicherheit und ihrem Interesse gemäß, die Stellen nicht bei sich zu haben, die ihnen von dem Argwohn und der Grausamkeit ihrer Herrscher leicht die blutigste Ahndung zuziehen konnten. Auf diese Weise ist das Schätzbarste von Livius im eigentlichen Sinne nicht sowohl verloren gegangen, als vernichtet worden: und als man anfing ihn ins Arabische zu übersetzen, war er vermuthlich schon so verstümmelt, wie wir ihn jetzt haben. So stelle ich mir die Sache vor. Und gesetzt, die wichtigsten Bruchstücke fänden sich noch irgendwo in einem seltenen Exemplar unter einem Aschenhaufen des Vulkans, so kannst Du, aus der Analogie der neuen Herrscher mit den alten, ziemlich sicher darauf rechnen, daß wir die Schätze doch nicht erhalten werden; zumal bei dem erneuerten und vergrößerten Argwohn, der seit einigen Jahrzehenden zwischen den Machthabern Statt hat. Wenn ich mich irre, soll es mir lieb seyn: denn ich wollte drei Fußreisen von der Elbe an den Liris machen, um dort von dem Livius den Spartakus zu lesen, den ich für einen der größten und besten römischen Feldherren zu halten in Gefahr bin.

Unter diesen Ueberlegungen, deren Consequenz ich Dir überlasse, wandelte ich die Straße nach Rovigo fort. Diese Seite von Venedig ist nicht halb so schön, als die andere von Treviso nach Mestre: die Ueberschwemmungen mit dem neuen Regenwasser hatten die Wege traurig zerrüttet, und ich zog sehr schwer durch den fetten Boden Italiens weiter. Ueberall war der Segen des Himmels mit Verschwendung über die Gegend ausgeschüttet, und überall war in den Hütten die jämmerlichste Armuth. Vermuthlich war dieß noch mit Folge des Kriegs. Nicht weit von Montselice kehrte ich zu Mittage an der Straße in einem Wirthshause ein, das nicht die schlimmste Miene hatte, und fand nichts, durchaus nichts, als etwas Wein. Ich wartete eine halbe Stunde und wollte viel zahlen, wenn man mir aus den benachbarten Häusern nur etwas Brot schaffen könnte. Aber das war unmöglich; man gab mir aus Gutmüthigkeit noch einige Bissen schlechte Polenta, und ich mußte damit und mit meinem Schluck Weins weiter gehen.

Vor Rovigo setzte ich über die Etsch und trat in das Cisalpinische. Der kaiserliche Officier jenseit des Flusses, der meinen Paß mit aller Schwerfälligkeit der alten Bocksbeutelei sehr lange revidirte, machte mir bange, daß ich diesseits bei dem französischen Kommandanten wohl Schwierigkeiten finden würde. Als ich zu diesem kam, war Alles gerade das Gegentheil. Er war ein freundlicher, jovialischer Mann, der mir den Paß, nach einem flüchtigen Blick auf mich und auf den Paß, ohne ihn zu unterschreiben, zurückgab. Ich machte ihm darüber meine Bemerkung, daß er nicht unterschriebe. „Vous n’en avez pas besoin;“ sagte er: „Vous venez de l’autre coté?“ — „Je viens de Vienne et je m’en vais par Ferrare à Ancone.“ — „N’importe:“ versetzte er; „allez toujours. Bon voyage!“ Die Höflichkeit des Franzosen, die ich gegen die Nichthöflichkeit des Präsidenten in Wien und des Polizeiherrn in Venedig hielt, that mir sehr wohl. Rovigo war die erste eigentlich italienische Stadt für mich; denn Triest und Venedig und die übrigen Oerter hatten alle noch so etwas Nordisches in ihrer Erscheinung, daß es mir kaum einfiel, ich sei schon in Italien. Weder hier, noch in Lagoscuro, noch in Ferrara fragte man mich weiter nach Pässen, ob ich gleich überall starke französische Besatzungen fand. Vor meinem Fenster in Rovigo stand auf dem Platze der große Freiheitsbaum mit der Mütze auf der Spitze, und gegenüber in dem großen Kaffeehause war ein starkes Gewimmel von Italienern und Franzosen, die sich der jovialen Laune der Ungebundenheit überließen. Aber Alles war sehr anständig und ohne Lärm.

Ich muß Dir bekennen, daß mir dieses heitere, kühne Wesen gegen die stille, bange Furchtsamkeit in Wien und Venedig sehr wohl gefiel, und daß ich selber etwas freier zu athmen anfing; so wenig ich auch eben diese Freiheit für mich behalten und sie überhaupt den Menschenkindern wünschen möchte. Das Wasser hatte hier außerordentlichen Schaden gethan, wie Du gewiß schon aus öffentlichen Blättern wirst gehört haben; vorzüglich hatte der sogenannte canale bianco seine Dämme durchbrochen und links und rechts große Verwüstungen angerichtet. Es arbeiteten oft mehrere hundert Mann an den Dämmen und werden Jahre arbeiten müssen, ehe sie Alles wieder in den Stand setzen. Hier sah man empörende Erscheinungen der Armuth in einem ziemlich gesegneten Landstriche; und ich schreibe dieses auch mit dem Unheil zu, das die Flüsse und großen Kanäle hier sehr oft anrichten müssen. Da eine Straße ganz abscheulich war, ließ ich mich bis Ponte di Lagoscuro auf den Po hinauf rudern, und zahlte fünf Ruderknechten für eine Strecke von drei Stunden die kleine Summe von zehn Liren. Der Po ist hier ein großes, schönes, majestätisches Wasser, und die heitere, helle Abendsonne vergoldete seine Wellen, und links und rechts die Ufer in weiter, weiter Ferne. Es war, als ob ein Ozean herabrollte, und die Griechen haben ihn mit vollem Recht Eridanus, den Gabenbringer oder den Wogenwälzer, genannt, nachdem Du nun die Erklärung machen willst. Eridanus und Rhodanus scheinen mir ganz die nämlichen Namen zu seyn; und die beiden Flüsse haben unstreitig große Aehnlichkeit mit einander.

Wenn man an einem hellen, kalten Abende zu Anfange des Februars einige Stunden auf dem Wasser gefahren ist, so ist ein gutes, warmes Zimmer, eine Suppe und ein frisch gebratener Kapaun ein sehr angenehmer Willkommen. Diesen fand ich in Ponte di Lagoscuro, und wandelte den Morgen darauf in dem fürchterlichsten Regen auf einem ziemlich guten Wege die kleine Strecke nach Ferrara. Hier blieb ich und schlenderte den Nachmittag in der Stadt herum. Die architektonische Anlage des Orts ist sehr gut, die Straßen sind lang und breit und hell. Es fehlt der ganzen Stadt nur eine Kleinigkeit, nämlich Menschen. Französische Soldaten sah man überall genug, aber Einwohner desto weniger. Die öffentlichen Gebäude und Gärten und Plätze sind nicht ohne Schönheit. Mehrere Stunden war ich in der Kathedrale und dem Universitätsgebäude. Am Eingange sind hier, wie in Wien an der Bibliothek, sehr viele alte lateinische Inschriften eingemauert, die meistens Leichensteine sind und für mich wenig Interesse haben. Die Bibliothek aber ist ziemlich ansehnlich und man wiederholte mir mit Nachdruck einigemal, daß durchaus kein Fürst etwas dazu gegeben habe, sondern daß Alles durch die Beiträge des Publikums und von Privatleuten nur seit ungefähr funfzig Jahren angeschafft worden sei. Auf der Bibliothek findet sich jetzt auch das Grab und das Monument Ariosts, das sonst bei den Benediktinern stand: das sagt die neue lateinische Inschrift. Man zeigte mir mehrere Originalbriefe von Tasso, eine Originalhandschrift von Ariost und sein metallenes, sehr schön gearbeitetes Dintenfaß, an dem noch eine Feder war. Ohne eben die Authenticität sehr kritisch zu untersuchen, würde ich zu Oden und Dithyramben begeistert worden seyn, wenn ich etwas inspirationsfähiger wäre. So viel muß ich sagen, die Bibliothek beschämt an Ordnung die meisten, die ich gesehen habe.

Im Gasthofe fütterte man mich den Abend sehr gut mit Suppe, Rindfleisch, Wurst, Fritters, Kapaun, Obst, Weintrauben und Käse von Parma. Du siehst daraus, daß ich gewöhnlich nicht faste, wie an meinem Geburtstage zu Udine, und daß die Leipziger Aubergisten vielleicht sich noch hier ein kleines Exempel von den oberitalienischen nehmen könnten. Das Wetter war fürchterlich. Ich hatte gelesen von den großen gefährlichen Morästen zwischen Ferrara und Bologna, und die Erzählungen bestätigten es, und sagten weislich noch mehr; so daß ich nicht ungern mit einem Vetturino handelte, der sich mir nach Handwerksweise sehr höflich aufdrang. Der Wagen war gut, die Pferde waren schlecht und der Weg war noch schlechter. Schon in Padua konnte ich eine kleine Ahnung davon haben; denn eine Menge Kabrioletiers wollten mich nach Verona und Mantua bringen; da ich aber sagte, daß ich nach Bologna wollte, verlor kein Einziger ein Wort weiter, als daß sie Alle etwas von Teufelsweg durch die Zähne murmelten. Meine Kutschengefährten waren ein cissalpinischer Kriegskommissär, und eine Dame von Cento, die ihren Mann in der Revolution verloren hatte. Wir zahlten gut und fuhren schlecht, und wären noch schlechter gefahren, wenn wir nicht zuweilen eine der schlechten Strecken zu Fuße gegangen wären. Einige Stunden von Ferrara aus ging es leidlich, dann sank aber der Wagen ein bis an die Achse. Der Vetturino wollte Ochsenvorspannung nehmen; die billigen Bauern forderten aber für zwei Stunden nicht mehr, als acht und zwanzig Liren für zwei Ochsen, ungefähr sechs Gulden Reichsgeld. Der arme Teufel von Fuhrmann jammerte mich, und ich rieth ihm selbst, gar kein Gebot auf die unverschämte Forderung zu thun. Die Gaule arbeiteten mit der furchtbarsten Anstrengung absatzweise eine halbe Stunde weiter; dann ging es nicht mehr. Wir stiegen aus und arbeiteten uns zu Fuße durch, und es ward mit dem leeren Wagen immer schlimmer. Erst fiel ein Pferd, und als sich dieses wieder erhoben hatte, das andere, und einige hundert Schritte weiter fielen alle beide und wälzten sich ermattet in dem schlammigen, thonigen Boden. Da hatten wir denn in Italien das ganze deutsche salzmannische menschliche Elend in concreto. Die Pferde halfen sich endlich wieder auf; aber der Wagen saß fest. Nun stelle Dir die ganz bekothete Personalität Deines Freundes vor, wie ich mit der ganzen Kraft meines physischen Wesens meine Schulter unter die Hinterachse des Wagens setzte und heben und schieben half, daß die Dame und der Kriegskommissär und der Vetturino erstaunten. Es ging, und nach drei Versuchen machte ich den Fuhrmann wieder flott. Aber ans Einsetzen war nicht zu denken. Nun hatte ich das Amt, die Dame und den Kommissär durch die engen, schweren Passagen zu bugsiren, und that es mit solchem Nachdruck und so geschicktem Gleichgewicht auf den schmalen Stegen und Verschlägen und an den Gräben, daß ich ihnen von meiner Kraft und Gewandtheit eine gar große Meinung gab. Schon hatten wir uns, als wir zu Fuße voraus über den italienischen Rhein, einen ziemlich ansehnlichen Fluß, gesetzt hatten, in einem ganz artigen Wirthshause zu Malabergo einquartirt und uns in die Pantoffeln des Wirths geworfen, als unser Fuhrmann ankam und uns durchaus noch acht italienische Meilen weiter bringen wollte. Ich hatte nichts dagegen, und die andern wurden überstimmt. Von hier aus sollte nun der Weg besser seyn. Wir schroteten uns also wieder in den Wagen und ließen uns weiter ziehen. Jetzt trat eine andere Furcht ein: der Dame und dem Kriegskommissär — drollig genug an Italienern! — ward bange vor Gespenstern. Der Kriegskommissär schien überhaupt mit seinem Muthe nicht viel zur Befreiung seines Vaterlandes beigetragen zu haben. Mir ward zwar auch etwas unheimlich, nicht aber vor Geistern, sondern vor Straßenräubern, für welche diese Straße zwischen tiefen, breiten Kanälen ordentlich geeignet schien: indessen sammle ich in dergleichen Fällen als ein guter Prädestinatianer meinen Muth und gehe getrost vorwärts. Gegen Mitternacht kamen wir endlich glücklich auf unsere Station, einem isolirten, ziemlich großen und guten Gasthof, an; der, wenn ich nicht irre, Althee hieß und von dem ich Dir weiter nichts zu sagen weiß, als daß man mir einen Wein gab, der dem Champagner ähnlich war und also meinen Beifall hatte. Bei diesem Weine und der guten Mahlzeit vergaß der Kommissär alle Mühseligkeiten des Tages und des Abends, und schien ganz eigentlich in seinem rechten Elemente zu seyn: das ist ihm nun freilich nicht übel zu nehmen; denn ich befand mich nach einer solchen Fahrt dabei auch ganz behaglich.

Den andern Mittag langten wir hier in der alten päpstlichen Stadt Bologna an, wo man zuerst wieder nach meinem Passe fragte. Mit mir Fremden nahm man es nicht so strenge, als mit meinem Kameraden, der aus der Gegend von Parma war, und der ein förmliches Kandidatenexamen aushalten mußte. Auf der Polizei, wo ich den Paß signiren lassen mußte, war man eben so artig und höflich, als an dem Grenzflusse. Hier in Bologna fand ich überall eine exemplarische Unreinlichkeit, die an Schweinerei gränzt; und wenn man der häuslichen Nettigkeit der Italiener überhaupt kein großes Lob geben kann, so haben die Leute in Bologna den größten Schmutz aufzuweisen. Außer dem Stolz auf ihr altes Felsine, behaupten die Bologneser noch, daß ihre Stadt so groß sei, wie Rom. Daran thun sie nun freilich etwas zuviel; wenn man aber auf den Thurm steigt und sich rings umher umschaut, so wird man den Raum doch groß genug finden, um in eine solche Versuchung zu gerathen, zumal wenn man etwas patriotisch ist. Der Hauptplatz mit der daran stoßenden Kathedrale, und dem Gemeinehause rechts, und den großen, schönen Kaufmannshallen links, macht keine üble Wirkung. Der Neptun mitten auf demselben, von Jean de Bologna, hat als Statüe wohl seine Verdienste; nur Schade, daß der arme Gott hier so wenig von seinem Element hat, daß er wohl kaum den Nachbarn auf hundert Schritte in die Runde zu trinken geben kann. Der Eingang des Gemeinehauses ist von Franzosen besetzt, und die Bürgerwache steht gar demüthig in einem sehr spießbürgerlichen Aufzuge daneben. Ueber dem Portal hängt ein nicht unfeines Bild der Freiheit mit der Umschrift in großen Buchstaben: „Republica Italiana;“ welches erst vor einigen Wochen hingesetzt war, da man die Cisalpiner in diese Nomenklatur metamorphosirt hatte.

Vor dem Nationaltheater wurde ich gewarnt, weil man daselbst durchaus immer die niedrigsten Hanswurstiaden gebe und zum Intermezzo Hunde nach Katzenmusik tanzen lasse. Hätte ich mehr Zeit gehabt, so hätte ich doch wohl die Schnurrpfeifereien mit angesehen. Dafür ging ich aber auf das kleine Theater Da Ruffi, und fand es für eine so kleine Unternehmung allerliebst. Ich kann nicht begreifen, wie die Leute bei einem so geringen Eintrittsgelde und dem kleinen Raum des Schauspielhauses den Aufwand bestreiten können. Man gab ein Stück aus der alten französischen Geschichte, den „Sklaven aus Syrien“, wo natürlich viel über Freiheit und Patriotismus deklamirt wurde; aber schon wieder mit vieler Beziehung auf Fürstenwürde und Fürstenrechte, welches man vielleicht voriges Jahr noch nicht hätte thun dürfen. Die Donna und der Held waren gut. Der Dialekt war für mich deutlich und angenehm; die meisten Schauspieler waren, wie man sagte, Römer, und nur ein Einziger zischte venetianisch. Nach dem Stück gab man das beliebte Spiel Tombola, wovon ich vorher gar keinen Begriff hatte und auch jetzt noch keinen sehr deutlichen bekommen habe, da es mir an jeder Art Spielgeist fehlt. Es ist eine Art Lotterie aus dem Stegreif, die für das Publikum auf dem Theater nach dem Stücke mit allgemeiner Theilnahme enthusiastisch gespielt wird. Die Anstalten waren sehr feierlich; es waren Munizipalbeamten mit Wache auf dem Theater, die Loose wurden vorher ausgerufen, alle gezeigt, und einem Knaben in den Sack geworfen. Ob man gleich nur um einige Scudi spielte, hätte man doch glauben sollen, es ginge um die Schätze Golkondas, so ein Feuereifer belebte alle Theilnehmer. Mir hätte das Spiel herzlich lange Weile gemacht, wie alle dergleichen Hazardspiele, wenn nicht die Physiognomien der Spielenden einiges Vergnügen gewährt hätten. Mein Cicerone war ein gewaltig gelehrter Kerl, und sprach und räsonnirte von Schulen und Meistern und Gemälden so strömend, als ob er die Dialektik studirt hätte und Professor der Aesthetik wäre; und er konnte es gar nicht zusammen reimen, daß ich nicht wenigstens vierzehn Tage hier bleiben wollte, die Reichthümer der Kunst zu bewundern. Er hielt mich halb für einen Barbaren und halb für einen armen Teufel; und ich überlasse Dirs, in wie weit er in beiden Recht hat. Ich ging trotz seinen Demonstrationen und Remonstrationen den andern Morgen zum Thore hinaus.

Ancona.

Von Bologna geht es auf dem alten Emilischen Wege in der Niederung durch eine sehr wasserreiche Gegend immer nach Rimini herunter. Blos von Bologna bis nach Imola geht man über fünf oder sechs Flüsse. Rechts hatte ich die Apenninen, die noch beschneit waren; der Boden ist überall sehr fett und reich. In Imola machte ich einen etwas barocken Einzug. Ich kam gerade zu den Harlekinaden der Faschingsmasken, wovon ich in Pordenone schon einen Prodrom gesehen hatte. Die ganze Stadt war in Mummerei und zog in bunten Gruppen in den Straßen herum. Nur hier und da standen unmaskirt einige ernsthafte Männer und Matronen und sahen dem tollen Wesen zu. Meine Erscheinung mochte für die Leute freilich etwas hyperboreisch seyn; eine solide polnische Kleidung, ein Seehundstornister mit einem Dachsgesicht auf dem Rücken, ein großer, schwerer Knotenstock in der Hand. Die Maskerade hielt alle Charaktere des Lebens, ins Groteske übersetzt. Auf einmal war ich von einer Gruppe umgeben, die allerhand lächerliche Bockssprünge um mich herum machte. Die ernsthaften Leute ohne Maske lachten, und ich lachte mit; einen genialischen Aufzug dieser Art kann man freilich nicht auf der Leipziger Messe haben. Plötzlich trat mit den possirlichsten Stellungen eine tolle Maskenfratze vor mir hin und hielt mir ein Barbierbecken unter die Nase, das Don Quixotte sehr gut als Helm hätte brauchen können; und ein anderes Bocksgesicht setzte sich hinter mich, um von seinem Attribute, der Klystirspritze, Gebrauch zu machen. Stelle Dir das donnernde Gelächter von halb Imola vor, als ich den Klystirspritzenkerl mit einer Schwenkung vollends umrannte, meinen Knotenstock komisch nach ihm hinschwang und meine Personalität etwas aus dem Gedränge zu Tage förderte. Zum Unglück muß ich Dir sagen, daß mein Bart wirklich über drei Tage lang war und daß ich von den dortigen rothen Weinen, an die ich nicht gewöhnt war, mich in einer Art von Hartleibigkeit befand. Die Menge zerstreute sich lachend, und ein ziemlich wohlgekleideter Mann ohne Maske, den ich nach einem Gasthof fragte, brachte mich durch einige Straßen in die Hölle, Nummer Fünfe. Das war nun freilich kein erbaulicher Name; indessen ich war ziemlich müde und wollte in meinen Pontifikalibus nicht noch einmal durch das Getümmel laufen, um ein besseres Wirthshaus zu suchen; also blieb ich Nummer Fünfe in der Hölle. Nachdem ich meinen Sack abgelegt hatte, wandelte ich wieder vor zu dem Haufen; und nun muß ich den Farcenspielern die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie sich, so weit es ihr Charakter erlaubte, ganz ordentlich und anständig betrugen. Ein entsetzlich zudringlicher Cicerone, der mich in drei verschiedenen Sprachen, in der deutschen, französischen und italienischen, anredete, verließ mich mit seiner Dienstfertigkeit nicht eher, als bis einige französische Officiere mich von ihm retteten und mit mir in ein nahes Kaffeehaus gingen. Vor diesem Hause war der beste Tummelplatz der Maskirten, die in hundert lächerlichen Aufzügen und Gruppirungen mit und ohne Musik auf und niederliefen. Ein siedend heißer politischer Imolait schloß sich an mich an und führte das Gespräch durch verschiedene Gegenstände sehr bald auf die Politik und erkundigte sich, wie es in Wien aussähe. Ich antwortete ganz natürlich der Wahrheit gemäß: „Ganz ruhig.“ „On les a bien forcé à coups de bayonnettes à ètre en repos;“ sagte er. „Apparemment,“ sagte ich. — „C’est toujours la meilleure manière de disposer les gens à se conformer à la raison.“ — „Mais oui,“ entgegnete ich, „après en avoir essayé les autres; pourvû toute fois, qu’il y ait de la raison et de la justice au fond de l’affaire.“ — „Est-ce que vous en doutez pour la nòtre?“ — „On ne peut pas répondre à cela en deux mots.“ Nun wollte er eine Diskussion anfangen und ward ziemlich heftig. Ich entschuldigte mich mit meiner alten Formel; „Quand on commence, il faut toujours commencer par le commencement;“ da würde sich denn ergeben das alte Iliacos intra muros peccatur et extra. Der Abend rief mich zum Essen und zur Ruhe, und wir schieden recht freundschaftlich, indem er meinte: „Wenn es auf uns beide angekommen wäre, würde wohl kein Krieg entstanden seyn.“ Das glaubte ich wenigstens für mich auf meiner Seite, und ging ganz andächtig in die Hölle Nummer Fünfe, wo ich bis zum Sonnenaufgang recht sanft schlief. Ist Imola nicht ein Ort, wo ein Bischof sich zum Papst bilden kann?

In Faenza sah ich die erste französische Wachparade, und in Forli nichts. Nicht eben, als ob da nichts zu sehen wäre: Antiquare und Künstler finden daselbst reichliche Unterhaltung für ihre Lieblingsfächer. Aber ich dachte weder an alte noch neue Kriege und zog gerades Weges ins Wirthshaus, das Hôtel de Naples. Auf mein Italienisch war man nicht außerordentlich höflich, vermuthlich, weil es nicht sonderlich gut war. „Ne pourrais-je pas parler au maitre de la maison?“ fragte ich etwas trotzig, indem ich meinen Tornister abwarf. Auf einmal war alles freundlich, und alles war zu haben. Sonderbar, wie zuweilen einige Worte so oder so wirken können, nachdem man sie hier oder da sagt. In Ferrara mochte ich wohl mit meinem Reisesacke einigen Herren etwas drollig vorkommen, und sie schienen sich hinter mir über mich mit lautem Gelächter etwas zu erlustigen. „Qu’est ce qui’l y a là, Messieurs?“ fragte ich mit einer enrhumirten rauhen Stimme. „Niente, Signore,“ war die Antwort; und alles trat still in eine bescheidene Entfernung. In Spoleto hätte mir die Frage ein Stilet gelten können. Ich fand in dem Hôtel de Naples zwei Kaufleute und drei Schiffer; der Kellner war ein jovialischer Mensch; man begrüßte mich in einer Minute zehn Mal mit dem Prädikate cittadino, gab mir den Ehrenplatz und fütterte mich à qui mieux mit den besten Gerichten. Es machte keinen Unterschied, als man nun erfuhr, ich sei ein Deutscher; so sehr bestimmt der erste Augenblick die künftige Behandlung! Wir pflanzten uns, da der Abend sehr rauh und stürmisch war, um den Kamin her, machten einen traulichen, freundlichen Familienzirkel und tändelten mit einem kleinen allerliebsten Jungen, der, wie ein Toast der Gesellschaft, von den Knieen des Einen zu den Knieen des Andern ging.

Zwischen Forli und Cesena sind die Reste des alten Forum Pompilii, und die Trümmer einer Brücke, welche auch alt zu seyn scheint. Ich sah von allem sehr wenig wegen des entsetzlichen Wetters. Die Brücke gleich vor Cesena über den Savio ist ein Werk, das bei den Italienern für etwas sehr Schönes gilt; das kann aber nur in dieser Gegend seyn. Das fürchterlich schlechte Wetter hielt mich in Cesena, da ich doch nur von Forli gekommen war, und also nicht mehr als vier Stunden gemacht hatte. Hier wurde ich von dem Wirthe mit einer gewissen kalten Förmlichkeit aufgenommen, die sehr merklich war, und in ein ziemlich ärmliches Zimmer hinten hinaus geführt. Ich hatte weiter nichts dawider. Nachdem wir aber eine Stunde geplaudert hatten, ich in einem Intermezzo des Regens etwas ausgegangen war, um die Stadt zu sehen und ein Kaffeehaus zu besuchen, und wieder zurückkam, fand ich meine Sachen umquartirt und mich in ein recht schönes Zimmer vorn heraus versetzt. Die Wirthin machte die Erklärung: man habe mich für einen Franzosen gehalten, der von der Munizipalität logirt würde: nun pflegte die Munizipalität seit langer Zeit für die zugeschickten Gäste gar nichts mehr zu bezahlen: man könnte es also nicht übel deuten, daß sie auf diese Weise so wohlfeil, als möglich durchzukommen suche. Aber ein Galantuomo, wie ich, müsse mit Anstand bedient werden. Das fand ich auch wirklich. Die Mädchen vom Hause waren recht hübsch und so höflich und freundlich, als man in Ehren nur verlangen kann. Es kam noch ein Schiffskapitän, der mir Gesellschaft leistete und mir von seinen Fahrten im mittelländischen Meere eine Menge Geschichten erzählte. Er bedauerte, daß es Friede sei und der Schleichhandel nun nicht mehr so viel eintrage: das sagte er nämlich, ohne sich sehr verblümt auszudrücken. Die Rechnung war für die sehr gute Bewirthung außerordentlich billig. Cesena ist übrigens eine alte, sehr verfallene Stadt, und der aufgepflanzte Freiheitsbaum machte unter den halbverschütteten Häusern des fast leeren Marktes eine traurige Figur. Pius der Sechste muß für seine Vaterstadt nicht viel gethan haben: es würde ihm weit rühmlicher seyn, als der verunglückte Palast für seinen verdienstlosen Nepoten.

Vor Savignano ging ich, nicht, wie Cäsar, über den Rubikon. Wahrscheinlich hat der kahlköpfige Weltbeherrscher hier oder etwas weiter unten am Meere den ersten entscheidenden Schritt gethan, die sonderbare Freiheit seines Vaterlandes zu zertrümmern, da er als Despot des neu eroberten Galliens zurückkehrte. Ein eigener Charakter, der Julius Cäsar! Es ist von gewissen Leuten schwer zu bestimmen, ob sie mehr Liebe oder Haß verdienen. Ich erinnere mich, daß es mir in einem solchen moralischen Kampfe einmal entfuhr, Cäsar sei der liebenswürdigste Schurke, den die Geschichte aufstelle. Die Aeußerung hätte mir fast die Beschuldigung der verletzten Majestät aller Monarchen zugezogen. Dagegen wollte man mir neulich beweisen, Brutus sei eigentlich der Schurke gewesen, und Cäsar ganz Liebenswürdigkeit. So, so? bien vous fasse! Ihr seid es werth, Cäsarn mit seiner ganzen Sippschaft und liebenswürdigen Nachkommenschaft zu Herrschern zu haben; ob ich es gleich nicht über mich nehmen wollte, den Junius Brutus durchaus zu vertheidigen. Also hier gingen wir beide über den Rubikon, Cäsar und ich; haben aber übrigens beide nichts mit einander gemein, als daß wir — nach Rimini gingen.

In Savignano war Markt; der Platz wimmelte von Leuten, die zur Ehre der neuen Kokarde weidlich zu zechen schienen. Ich fragte einen wohlgekleideten Mann nach einem Speisehause. Er besah mich ganz mißtrauisch, schaute nach meinem Hute und da er rund herum keine Kokarde entdeckte, ward sein Ansehen etwas grimmig und er schickte mich mit der höflichen Formel weiter: Andate al diavolo! Das war die Kehrseite von Cesena. So gehts zu Revolutionszeiten: für das nämliche wirst Du hier gepflegt, dort beschimpft; glücklich, wenns nicht weiter geht.

In Rimini schlief ich gewiß ruhiger, als der mächtige Julius nach seinem Uebergange und dem geworfenen Würfel geschlafen haben mag. Vor der Stadt sind einige herrliche Aussichten. Auf dem Platze della Fontana steht der heilige Gaudentius von Bronze, der eine gar stattliche Figur macht. Auch ein Papst Paul, ich weiß nicht welcher, hat hier ein Monument für eine Wasserleitung, die er den Bürgern von Rimini bauen ließ. Eine Wasserleitung halte ich überall für eins der wichtigsten Werke und für eine der größten Wohlthaten; und hier in Italien ist es doppelt so. Wenn ein Papst eine recht schöne wohlthätige Wasserleitung bauet, kann man ihm fast vergeben, daß er Papst ist. Auf dem andern Platze stand der Baum mit der Mütze und der Inschrift: L’union des François et des Cisalpins. Aber welche Union! Das mag der heilige Bartholomäus in Mailand sagen.

Wenn ich nun ein ordentlicher, systematischer Reisender wäre, so hätte ich von Rimini rechts hinauf, auf die Berge gehen sollen, um die selige Republik Sankt Marino zu besuchen; zumal, da ich eine kleine Liebschaft gegen die Republiken habe, wenn sie auch nur leidlich vernünftig sind. Aber ich ging nun gerade fort nach Cattolica und Pesaro. Die Arianer hatten, wie man sagt, auf dem Koncilium zu Rimini den Meister gespielt: deshalb gingen die rechtgläubigen Bischöfe mit Protest herüber nach Cattolica und verewigten ihre muthige Flucht durch den Namen des Orts. Auch steht, wie ich selbst gelesen habe, die ganze Geschichte auf einer großen Marmorplatte über dem Portal der Kirche zu Cattolica: ich nehme mir aber selten die Mühe etwas abzuschreiben, am wenigsten dergleichen Orthodoxistereien. In Pesaro, wo ich beiläufig die erste Handvoll päpstlicher Soldaten antraf, fragte ich, weil ich müde war, den ersten besten, der mir begegnete, wo ich logiren könnte? „Bei mir,“ antwortete er. Sehr wohl! sagte ich und folgte. Der Mann hatte ein Schurzfell und schien, mit Shakespear zu reden, ein Wundarzt für alte Schuhe zu seyn. Nun fragte er mich, was ich essen wollte? Das stellte ich denn ganz seiner Weisheit anheim, und er that sein Möglichstes mich zufrieden zu stellen, ging aus und brachte Viktualien, machte selbst den Koch und holte zweierlei Wein. Das war von nun an oft der Fall, daß der Wirth sich hinstellte und mir die patriarchalische Mahlzeit bereitete und ich ihm hülfreiche Hand leistete. Er klagte mir ganz leise, daß die gottlosen Franzosen vier der schönsten Gemälde von hier mit weggenommen haben. Als ich den andern Morgen im Kaffeehause saß und mein Frühstück verzehrte, ließen mir eine Menge Vetturini nicht eher Ruhe, bis ich einen von ihnen nach Fano genommen hatte. Dieser mein Vetturino war nun ein ächter Orthodox, der vor jedem Kreuz sein Kreuz machte, sein Stoßgebetchen sagte, seine Messe brummte und übrigens fluchte wie ein Lanzenknecht. Vor allen Dingen war sein Gesang charakteristisch. Ich habe nie einen so entsetzlichen Ausdruck von dummer Hinbrütung in vernunftlosem Glauben gehört. Wenn ich länger verdammt wäre solche Melodien zu hören, würde ich bald Materialismus und Vernichtung für das Konsequenteste halten: denn solche Seelen können nicht fortleben.

Vor Pesaro und noch mehr bei Fano wird die Gegend ziemlich gebirgig, ist voll Schluchten und Defileen in den Höhen, und es wird leicht begreiflich, wie die fremden Karthager sich hier verirrten und den Römern leichtes Spiel machten. Der Metaurus ist, wie fast alle Flüsse, welche aus den Apenninen kommen, ein gar schmutziger Fluß, und hat eben so wenig wie der Rubikon ein klassisches Ansehen. Man wollte mir zwischen Fano und Sinigaglia den Berg zeigen, wo Hasdrubal geschlagen worden sein soll. Ich kann darüber nichts bestimmen, da mir die Geschichte der Schlacht aus den alten Schriftstellern nicht gegenwärtig war. So viel ist gewiß, daß sie hier in der Gegend und am Flusse vorfiel; und mit dem Polybius und Livius in der Hand dürfte es vielleicht nicht schwer seyn, den Platz genau aufzusuchen. Da ich aber wahrscheinlich nicht in Italien kommandiren werde, war ich um den Posten nicht sehr bekümmert. Der Himmel habe den Hasdrubal und die römischen Konsuln selig!

Sinigaglia ist ein angenehmer Ort durch seine Lage: vorzüglich geben die üppig vegetirenden Gärten der Landseite der Stadt ein heiteres Ansehen. Ich hatte zum ersten Mal das Vergnügen ein italienisches Stiergefecht zu sehen, wo die Hunde ziemlich hoch geworfen wurden und ziemlich blutig wegkamen, und woran halb Sinigaglia sich sehr zu ergötzen schien. Das Prototyp der Dummheit, mein Vetturino, führte mich weiter bis Ancona, da ich einmal in die Bequemlichkeit des Sitzens gekommen war. Die See ging hoch und die Brandung war schön; rechts hatte ich herrliche Anhöhen, mit jungem Weitzen und Oelbäumen geschmückt. Vor Ancona blühten den neunzehnten Februar Bohnen und Erbsen. Die Thäler und Berge rechts geben abwechselnd mit Wein und Obst und Oel und Getreide eine herrliche Aussicht. Der Hafen von Ancona mag für die Alten außerordentlich gut gewesen seyn; für die Neuern ist er es nicht mehr in demselben Grade: und wenn nicht der Molo viel weiter hinaus geführt worden wäre, würde er wenig mehr brauchbar seyn. Es können nur wenig große Schiffe sicher darin liegen. Am Anfange des alten Molo steht der sogenannte Triumphbogen Trajans von weißem Marmor, der aus den Antiquitätenbüchern hinlänglich bekannt ist. Die Schrift fängt nun an ziemlich zu verwittern, und man muß schon sehr ziffern, wenn man den Sinn heraus haben will. Es müßte denn nur mir so gegangen seyn, der ich im Lesen der Steinschriften nicht geübt bin. Der neue Bogen des Vanvitelli, weiter hinaus, steht gegen den alten sehr demüthig da. Ganz am Ende des Molo steht ein Wachthurm, und vor demselben standen einige Piecen Artillerie auf dem Molo hereinwärts, die den Hafen bestreichen. Die übrigen Stücke decken oder wehren blos den Eingang von der Seite von Loretto. Am Thurme stand eine französische Wache, deren man in der ganzen Stadt sonst nicht viele fand, obgleich die Besatzung ziemlich stark ist. „Est-ce qu’il est permis de monter la tour pour voir la contrée?“ fragte ich. „Non,“ war die Antwort: ich mußte also zurückgehen und die Berge rund umher besteigen, wenn ich die Aussicht theilweise haben wollte, die ich hier hätte ganz haben können. Es mag freilich wohl der beste militärische Augenpunkt seyn, so daß man billig Bedenken trägt, Jedermann sich auf demselben umsehen zu lassen. Das Seelazareth an dem andern Ende des Hafens, gleich am Wege von Loretto und Sinigaglia, der sich dort trennt, ist ein sehr schönes Gebäude ganz im Meere, so daß eine Brücke hinüber führt. Es hat rund herum eine Menge schöner, bequemer Gemächer, eine Kapelle mitten im Hofe, frisches Wasser durch Röhren vom Berge, und ein ziemlich großes Waarenhaus. Auch das Militärspital auf dem Lande ist ein schönes, weitläufiges Gebäude. Die Schiffe sind meistens fremde, und die Handlung hebt sich nur sehr langsam durch die Maßregel des römischen Hofes, daß man Ancona zu einem Freihafen erklärt hat. Auf der südlichen Höhe der Stadt steht die alte Kathedralkirche, wo außer dem unverweslichen heiligen Cyriakus noch einige andere Kapitalheilige begraben liegen, deren Namen mir entfallen sind. Man findet dort eine schöne, prächtige, funkelnagelneue Inscription, daß Pius der Sechste auf seiner Rückkehr aus Deutschland, wo er die Wiener gesegnet hatte, daselbst die Unverweslichkeit des Heiligen in Augenschein genommen, bewundert und von neuem dokumentirt habe. Dieses Monument des Wunderglaubens ist dem Papst auf Kosten des Volks und der Stände der Mark Ancona in der glänzenden marmornen Krypte der Heiligen errichtet worden. O sancta!

Die Börse ist ein großer, schöner, gewölbter Saal mitten in der Stadt, mit interessanten, gut gearbeiteten Gemälden und Statüen, welche moralische und bürgerliche Tugenden vorstellen. Die erstern sollen von Perugino seyn, wie man mir sagte; ich hätte sie nicht für so alt gehalten.

Im Theater gab man die alte Posse, der lustige Schuster, gar nicht übel, und das italienische Talent zur Burleske mit dem feinen Takt für Schicklichkeit und Anstand zeigte sich hier sehr vortheilhaft. Ich konnte nicht umhin, Dir hier einige Worte über unsere deutschen Landsleute auf der Bühne zu sagen. Es wäre wohl zu wünschen, daß sie etwas von der Delikatesse der Wälschen hierin hätten oder lernten. Das ist bei uns ein ewiges Küssen und sogar Schmatzen auf den Bretern bei jeder Gelegenheit. Wenn man glaubt, daß dieses eine schöne ästhetische Wirkung thun müsse, so irrt man sich vermuthlich; wenigstens für mich muß ich bekennen, daß mir nichts langweiliger und peinlicher wird, als eine solche Zärtlichkeitsscene. Ein Kuß ist alles, und ein Kuß ist nichts; und hier ist er weniger als nichts, wenn er so seine Bedeutung verliert. Er gehört durchaus zu den Heimlichkeiten der Zärtlichkeit, in der Freundschaft wie in der Liebe, und wird hier entweiht, wenn er vor die Augen der Profanen getragen wird. Ich weiß die Einwürfe; aber ich kann hier keine Abhandlung schreiben, sie alle zu beantworten. Der Italiener weiß durch die feinen Nüanzen der Umarmung mehr zu wirken, als wir durch unsere Küsse. Es versteht sich, daß seltene Ausnahmen Statt finden. Ein anderer Artikel, den wir etwas zu materiell behandeln, ist das Essen und Trinken und Tabaksrauchen auf dem Theater. Das alles ist von sehr geringer ästhetischer Bedeutung, und sollte füglich wegfallen. Es ist als ob wir unsere Stärke zeigen wollten, um die Präeminenz unsers Magens zu beweisen: und der Gebrauch der Theemaschine und der Serviette gehört bei mir durchaus nicht zu den guten Theaterkünsten; zumal wenn man eine Theekanne auf das Theater bringt, die man in der letzten Dorfschenke kaum unförmlicher und unreinlicher finden würde. Auch sieht man zuweilen einen Korb, der doch Eleganz bezeichnen sollte, als ob eben ein Bauer Hühnermist darin auf das Pflanzenbeet getragen hätte. Nimm mir es nicht übel, daß ich da in dramaturgischen Eifer gerathe! Es wirkt nicht angenehm, wenn man Schicklichkeit und Anstand vernachlässigt.

Von Leipzig bis hierher habe ich keinen Ort gefunden, wo es so theuer wäre wie in Ancona; selbst nicht das theure Triest. Ich habe hier täglich im Wirthshause einen Kaiserdukaten bezahlen müssen, und war für dieses Geld schlecht genug bewirthet. Man schiebt noch alles auf den Krieg und auf die Belagerung; das mag den Aubergisten sehr gut zu Statten kommen. Alles war voll Impertinenz. Dem Lohnbedienten zahlte ich täglich sechs Paoli; dafür wollte er früh um neun Uhr kommen und den Abend mit Sonnenuntergang fortgehen; und machte gewaltige Extraforderungen, als er bis nach der Komödie bleiben sollte, da ich in der winkligen Stadt meine Auberge in der Nacht nicht leicht wiederzufinden glaubte. Er pflanzte sich im Parterre neben mich und unterhielt mich mit seinen Impertinenzen; und dafür mußte ich ihm die Entrée bezahlen und zwei Paoli Nachschuß für die Nachtstunden. Die Barbiere bringen jederzeit einen Bedienten mit, eine Art von Lehrling, der das Becken trägt und die Kunst des Bartscherens von dem großen Meister lernen soll. Nun ist das Becken zwar in der That so geräumig, daß man bequem einige Ferkel darin abbrühen könnte, und man wundert sich nicht mehr so sehr, daß die erhitzte Phantasie Don Quixotte’s so etwas für einen Helm ansah. Hast Du den Herrn recht gut bezahlt, so kommt der Junge, der die Serviette und den Seifenlappen in Ordnung gelegt hat und fordert etwas della buona mano, della buona grazia, und macht zu einer Kleinigkeit eben kein sehr freundliches Gesicht. Mein Bart hat mich bei den Leuten schon verzweifelt viel gekostet, und wenn ich länger hier bleibe, würde ich mich an die Bequemlichkeit der Kapuziner halten.

Die Leute klagten über Noth und hielten bei hellem Tage durch die ganze Stadt Faschingsmummereien, daß die Franzosen die Polizeiwache verdoppeln mußten, damit das Volk einander nur nicht todt trat; so voll waren die Gassen gepfropft. Da gab es denn possirliche Auftritte, wie in Imola. Vorzüglich schnakisch sah es aus, wenn eine sehr feine Gesellschaft in dem höchsten Maskeradenputz vorbeizog, ein wirklicher Ochsenbauer mit seinen weitgehörnten Thieren, die Weinfässer fuhren, sich eingeschoben hatte und eine Gruppe zierlicher Abbaten hinter den Fässern hertrollte, nicht vorbei konnte, mit Ungeduld ihre Blicke nach den Damen schickten, endlich durchwischten und mit den handfesten Fuhrleuten in ernsthafte Ellbogenkollision kamen. Das gab dann Leben und Lärm unter den dichtgedrängten Zuschauern links und rechts. Die armen Leute, welche über Hunger klagten, warfen doch einander mit Bonbons aller Art; aber vorzüglich gingen freundschaftliche, zärtliche Kanonaden mit einer ungeheuren Menge Maizs, den man in Körben als Ammunition zu dieser Neckerei dort zum Verkauf trug. Mich däucht, man hätte nachher wohl zehn Scheffel sammeln können. Freilich lesen den andern Tag die Armen auf, was nicht im Koth zertreten und zerfahren ist; und damit entschuldigt man das Unwesen. Es ist eine sonderbare, sehr närrisch lustige Art Almosen auszutheilen.

Die Kaffeehäuser sind hier sehr gut eingerichtet und man trifft daselbst immer sehr angenehme, unterhaltende Gesellschaft von Fremden und Einheimischen. Eine sonderbare Erscheinung muß die Belagerung der Stadt im vorigen Kriege gemacht haben, wo fast alle Nationen von Europa, Oestreicher, Engländer, Russen, Italiener und Türken gegen die neuen Gallier schlugen, die sich trotz allen Anstrengungen der Herren doch darin behaupteten, und die nun bloß durch die gewaltige Frömmigkeit ihres Machthabers daraus vertrieben werden. Ancona ist gewiß in jeder Rücksicht einer der interessantesten militärischen Posten an dieser Seite, und nächst Tarent der wichtigste am ganzen adriatischen Meere. Bis nach Ancona lautete mein Paß von Wien aus, weil der höfliche Präsident der italienischen Kanzlei ihn durchaus nicht weiter schreiben wollte. Aber hier machte man mir gar keine Schwierigkeit mir einen Paß zu geben, wohin ich nur verlangte. Man war nur meinetwegen besorgt ich möchte dem Tode entgegengehen. Dawider ließ sich nun freilich kein mathematischer Beweis führen: ich machte den guten, freundschaftlichen Leuten aber deutlich, daß meine Art zu reisen am Ende doch wohl noch die sicherste sey. Wer würde Reichthümer in meinem Reisesacke suchen? Mein Aufzug war nicht versprechend; und um nichts schlägt man doch nirgends die Leute todt.

Rom, den 2ten März.

Wider meine Absicht bin ich nun hier. Die Leutchen in Ancona legten es mir so nahe ans Gewissen, daß es Tollkühnheit gewesen wäre, von dort aus an dem Adria hinunter durch Abruzzo und Kalabrien zu gehen, wie mein Vorsatz war. Ihre Beschreibungen waren fürchterlich, und im Wirthshause betete man schon im voraus bei meiner anscheinenden Hartnäckigkeit für meine arme erschlagene Seele. Vous avez bien l’air d’être un peu François; et tout François est perdu san ressource en Abruzzo. Ce sont des sauvages sans entrailles; sagte man mir. Das klang nun freilich nicht erbaulich, denn ich denke noch manches ehrliche Kartoffelngericht in meinem Vaterlande zu essen. „On Vous prendra pour François, et on Vous coupera la gorge sans pitié,“ hieß es. „Fort bien,“ sagte ich, „ou plutôt bien fort.“ Was war zu thun? Ich machte der traurigen Dame zu Loretto meinen Besuch, ließ auch meinen Knotenstock von dem Sakristan mit zur Weihe durch das Allerheiligste tragen, beguckte etwas die Votiven und die gewaltig vielen Beichtstühle, ließ mir für einige Paoli ein halbes Dutzend hoch geweihte Rosenkränze anhängen, um einige gläubige Sünderinnen in meinem Vaterlande damit zu beglückseligen, und wandelte durch die Apenninen getrost der Tiber zu. Freilich gab es auch hier keinen Mangel an Mordgeschichten, und in einigen Schluchten der Berge waren die Arme und Beine der Hingerichteten häufig genug hier und da zum Denkmal und zur schrecklichsten Warnung an den Ulmen aufgehängt: aber ich habe die Gabe, zuweilen etwas dümmer und ärmer zu scheinen, als ich doch wirklich bin; und so bin ich dann glücklich auf dem Kapitol angelangt.

Die Gegend von Ancona nach Loretto ist herrlich, abwechselnd durch Thäler und auf Höhen, die alle mit schönem Getreide und Obst und Oelbäumen besetzt sind; desto schlechter ist der Weg. Es hatte noch etwas stark Eis gefroren, eine Erscheinung, die mir in der Mitte des Februars bei Ancona ziemlich auffiel; und als die Sonne kam, vermehrte die Wärme die Beschwerlichkeit des Weges unerträglich.

Ich war seit Venedig überall so sehr von Bettlern geplagt gewesen, daß ich auf der Straße den dritten Menschen immer für einen Bettler ansah. Desto überraschender war mir ein kleiner Irrthum vor Loretto, wo es vorzüglich von Armen wimmelt. Ein ältlicher, ärmlich gekleideter Mann stand an einem Brückensteine des Weges vor der Stadt, nahm mit vieler Deferenz seinen alten Hut ab, sprach etwas ganz leise, das ich, daran gewöhnt, für eine gewöhnliche Bitte hielt. Ich sah ihn flüchtig an, fand an seinem Kleide und an seiner Miene, daß er wohl bessere Tage gesehen haben müsse, und reichte ihm ein kleines Silberstück. Das setzte ihn in die größte Verlegenheit; sein Gesicht fing an zu glühen, seine Zunge zu stammeln: er hatte mir nur einen guten Morgen und glückliche Reise gewünscht. Nun sah ich dem Mann erst etwas näher ins Auge und fand so viel Bonhommie in seinem ganzen Wesen, daß ich mich über meine Uebereilung ärgerte. Wahrscheinlich hielten wir beide einander für etwas ärmer, als wir waren. Du wirst mir zugeben, daß solche Erscheinungen, die kleine Unannehmlichkeit des augenblicklichen Gefühls abgerechnet, unserer Humanität sehr wohl thun müssen. Die Gegend um Loretto ist ein Paradies von Fruchtbarkeit und die Engel müssen ganz gescheidte Leute gewesen seyn, da sie nun einmal das Häuschen im gelobten Lande nicht behaupten konnten, daß sie es durch die Luft aus Dalmatien hierher bugsirt haben. Es steht hier doch wohl etwas besser, als es dort gestanden haben würde, wo es auch den Ungläubigen, so zu sagen, noch in den Klauen war. Zwar hatte es den Anschein, als ob der Unglaube auch hier etwas überhand nehmen wollte und einen dritten Transport nöthig machen würde; denn die entsetzlichen Franzosen, die doch sonst die allerchristlichste Nation waren, hatten sich nicht entblödet, der heiligen Jungfrau offenbar Gewalt anzuthun, worüber die hiesigen Frommen große Klagelieder und Verwünschungen anstimmen: aber die neue Salbung des großen Demagogen giebt auf einmal der Sache für die Gottseligkeit eine andere Wendung. Die Mummerei nimmt wieder ihren Anfang, man macht Spektakel aller Art, wie ich denn selbst das Idol des Bacchus auf einer ungeheuern Tonne zum Fasching vor dem heiligen Hause in Pomp auf- und abführen sah; und man verkauft wieder Indulgenzen nach Noten für alle Arten von Schurkereien. Es ist überhaupt nicht viel Vernunft in der Vergebung der Sünden; aber wer diese Art derselben erfunden hat, bleibt ein Fluch der Menschheit, bis die Spur seiner Lehre getilget ist.

Mit diesen und ähnlichen Gedanken wandelte ich die lange Gasse von Loretto den Berg hinauf und hinab, durch die schönen Thäler weiter und immer nach Macerata zu. Links haben die Leute eine herrliche Wasserleitung angelegt, die das Wasser von Recanati nach Loretto bringt. Wenn ich überall eine solche Kultur fände, wie von Ancona bis Macerata und Tolentino, so wollte ich fast den Mönchen ihre Möncherei verzeihen. In Macerata bewillkommte mich im Thor ein päpstlicher Korporal und nahm sich polizeimäßig die Freiheit, meinen Paß zu beschauen. Der Mann war übrigens recht höflich und artig, und schickte mich in ein Wirthshaus nicht weit vom Thore, wo ich so freundlich und billig behandelt wurde, daß mir die Leutchen mit ihrem gewaltig starken Glauben durch ihre Gutmüthigkeit außerordentlich werth wurden. Ich machte mir ein gutes Feuer von Ulmenreisig und Weinreben, las eine Rhapsodie aus dem Homer und schlief so ruhig wie in der Nachbarschaft des Leipziger Paulinums. Es war meine Gewohnheit, des Morgens aus dem Quartier auf gut Glück zum Frühstück auszugehen, und mich an das erste beste Wirthshaus an der Straße zu halten. Die Gegend war paradiesisch links und rechts; aber zu essen fand sich nichts. Hinter Macerata geht der Weg links nach Abruzzo ab, und ich gerieth in große Versuchung, mich dort hinunter nach Fermo und Bari zu schlagen. Bloß mein Versprechen in Ancona hielt mich zurück. Ich bat die guten Bruttier um Verzeihung für mein Mißtrauen und meinen Unglauben, und wanderte fürbaß. Der Hunger fing an mir ziemlich unbequem zu werden, als ich rechts am Wege ein ziemlich schmutziges Schild erblickte und nach einem Frühstück fragte. Da war nichts als Klage über Brotmangel. Endlich fand sich, da ich viel bat und viel bot, doch noch Wein und Brot. Das Brot war schlecht, aber der Wein desto besser. Ich war nüchtern, hatte schon viel Weg gemacht, war warm und trank in großen Zügen das Rebengeschenk, das wie die Gabe aus Galliens Kampanien perlte und wie Nektar herunterglitt. Ich trank reichlich, denn ich war durstig, und als ich die Kaupone verließ, war es, als schwebte ich davon, und als wäre mir der Geist des Gottes sogar in die Fersen gefahren. So viel erinnere ich mich, ich machte Verse, die mir in meiner Seligkeit ganz gut vorkamen. Schade, daß ich nicht Zeit und Stimmung hatte, sie aufzuschreiben; so würdest Du doch wenigstens sehen, wie mir Lyäus dichten hilft; denn meine übrige Arbeit ist sehr nüchtern. Die Feldarbeiter betrachteten mich aufmerksam, wie ich den Weg dahin schaukelte; und ich glaubte, ich tanzte die Verse ab. Da fragte mich ganz traulich-pathetisch ein Eseltreiber: „Volete andare a cavallo, Signore?“ Ich sah seine Kavallerie an, rieb mir zweifelnd die Augen und dachte: Sonst macht wohl der Wein die Esel zu Pferden: hat er denn hier die Pferde zu Eseln gemacht? Aber ich mochte reiben und gucken, so viel ich wollte, und meine Nase komisch mit dem Hofmannischen Glase bebrillen, die Erscheinungen blieben Esel; und ich gab auf den wiederholten Ehrenantrag des Mannes den diktatorischen Bescheid: „Io sono pedone e non voglio andare a cavallo sull’ asino.“ Die Leute sahen mich an und der Eseltreiber mit, und lächelten über meinen Gang und meine Sprache; aber waren so gutartig und lachten nicht. Das waren urbane Menschenkinder; ich glaube fast, daß im gleichen Falle die Deutschen gelacht hätten.

In Tolentino gings gut, und ich ließ mich überreden, von hier aus durch die Apenninen, denen man nichts Gutes zutraut, ein Fuhrwerk zu nehmen, um nur nicht ganz allein zu seyn. Hier kommt der Chiente den Berg herunter und ist für Italien ein ganz hübscher Fluß, hat auch etwas besseres Wasser als die übrigen. Man geht nun einige Tagereisen zwischen den Bergen immer an dem Flusse hinauf, bis zu seinem Ursprunge bei Colfiorito, wo er aus einem See kommt, in welchem sich das Wasser rund umher aus den höchsten Spitzen der Apenninen sammelt. Ich hatte einen Wagen gemiethet, aber der Wirth als Vermiether kam mit der Entschuldigung, es sei jetzt eben keiner zu finden; ich müsse zwei Stunden warten. Das war nun nicht erbaulich. Aergerniß hätte mich aber nur mehr aufgehalten; ich faßte also Geduld und ließ mich mit meinem Tornister auf einen Maulesel schroten; mein Führer setzte sich, als wir zur Stadt hinaus waren, auf die Kruppe, und so trabten wir italienisch immer in den Schluchten hinauf. Diese wurden bald ziemlich enge und wild, und hier und da aufgehangene Menschenknochen machten eben nicht die beste Idylle. Ich blieb auf einer Station, deren Namen ich vergessen habe, nicht weit von dem alten Kamerinum, dessen Livius im punischen Kriege sehr ehrenvoll erwähnt. Hier pflegte man mich sehr gastfreundlich und ich erhielt den bedungenen Wagen nach Foligno. Serravalle ist ein großes langes Dorf, in einer engen, furchtbaren Bergschlucht am Fluß, nicht weit von der größten Höhe des Apennins; und ich wunderte mich, daß man hier so gut und so wohlfeil zu essen fand. Von dem See bei Colfiorito, einem Kessel in den höchsten Bergwänden, geht es bald auf der andern Seite aufwärts, und der Weg windet sich sehr wildromantisch in einer Felsenschnecke hinunter. Case Nuove ist ein armes Oertchen am Abhange des Berges, fast eben so zwischen Felsen wie Serravalle auf der andern Seite. Die Leute hier verstehen sich sehr gut zu nähren, indem sie die Sympathie der Reisenden in Anspruch nehmen. Sie übertheuern den Fremden nicht, sondern wenden sich bei der Bezahlung mit rührender Ergebung an seine Großmuth. Wenn man nun einen Blick auf die hohen, furchtbaren nackten Felsen rund um sich her wirft — man müßte keine Seele haben, wenn man nicht etwas tiefer in die Tasche griffe und den gutmüthigen Menschen leben hälfe.

Von Case Nuove nach Foligno ist eine Partie, wie es vielleicht in ganz Italien nur wenige giebt, so schön und romantisch ist sie. Man erhebt sich wieder auf eine ansehnliche Höhe des Apennins, und hat über eine sehr reiche Gegend eine der größten Aussichten. Unten rechts, tief in der Schlucht, sind in einem sich nach und nach erweiternden Thale die Papiermühlen des Papstes angelegt, die zu den besten in Italien gehören sollen. Oben sind die Berge kahl, zeigen dann nach und nach Gesträuche, geben dann Oelbäume und haben am Fuße üppige Weingärten. Hier sah ich, glaube ich, zuerst die perennirende Eiche, die in Rom eine der ersten Zierden des Borghesischen Gartens ist. Auf der Höhe des Weges soll man hier, wenn das Wetter rein und hell ist, bis nach Assisi und Perugia an dem alten Thrasymen sehen können. Ich war nicht so glücklich; es war ziemlich umwölkt: aber es war auch so schon ein herrlicher Anblick. Wer nur ein Kerl wäre, der etwas Ordentliches gelernt hätte! Hier komme ich nun schon in das Land, wo kein Stein ohne Namen ist. Mit magischen Wolken überzogen liegt das alte, finstere Foligno unten im Thale, wo der Segen Hesperiens ruht. Rechts und links liegen Anhöhen mit Gebäuden, die gewiß in der Vorzeit alle merkwürdig waren. Links hinunter weideten ehemals die vom Klitumnus weiß gefärbten Stiere, welche die Weltbeherrscher zu ihren Opfern in die Hauptstadt holten; und tief, tief weiter hinab liegt in einer Bergschlucht das alte Spoleto, vor dessen Thoren das vom Thrasymen siegreich herabstürzende Heer Hannibals zum ersten Mal von einer Munizipalstadt fürchterlich zurückgeschlagen wurde. In und bei Foligno ist artistisch nicht viel zu sehen, nachdem die neuen Gallier das schöne Madonnenbild mitgenommen haben. Die Kathedralkirche wird jetzt ausgebessert und mich däucht, mit Geschmack. Man hatte mich in die Post einquartirt, wo man mich zwar ziemlich gut bewirthete, aber ungeheuer bezahlen ließ. Eine Bewirthung, für die ich den vorigen Abend auch auf der Post oben in den Apenninen sieben Paoli gezahlt hatte, mußte ich hier in dem Lande des Segens mit sechszehn bezahlen. Man wollte mich überdieß mit Gewalt zu Wagen weiter spediren, und da ich dieß durchaus nicht einging, sollte ich wenigstens ein Empfehlungsschreiben meines freundlichen Bewirthers nach Spoleto an einen seiner guten Freunde haben. Natürlich, daß ich auch dafür dankte; denn er hatte mir vorher durch sich selbst seine guten Freunde nicht sonderlich empfohlen. Sobald als der Morgen graute nahm ich also mein Bündel und wandelte immer wieder im Thale hinauf nach Hannibals Kopfstoß. Hier kam ich bei den berühmten Quellen des Klitumnus vorbei, die jetzt von den Eselstreibern und Waschweibern gewissenlos entweiht werden, ob sie gleich noch eben so schön sind als vormals, als Plinius so enthusiastisch davon sprach. Große Haine und viele Tempel giebt es freilich nicht mehr hier; aber die Gegend ist allerliebst und ich stieg emsig hinab und trank durstig mit groben Zügen aus der stärksten Quelle, als ob es Hippokrene gewesen wäre. Hier und da standen noch ziemlich hohe Cypressen, die ehemals in der Gegend berühmt gewesen seyn sollen. Vorzüglich sah es aus, als ob Athene und Lyäus ihre Geschenke hier in ihrem Heiligthume niedergelegt hätten. Es sollen in den Weinbergen noch einige Trümmer alter Tempel seyn; ich suchte sie aber nicht auf. Als ich so dort mich auf den jungen Rasen sonnte, setzte sich ein stattlich gekleideter Jäger zu mir, lenkte das Gespräch sehr bald auf Politik, zog einige Zeitungsblätter aus der Tasche und wollte nun von mir wissen, wie man nach dem Frieden die endliche Ausgleichung machen würde, und wie besonders der heilige Sitz und die geistlichen Churfürsten dabei bedacht werden sollten. Daran hatte ich nun mit keiner Sylbe gedacht, und sagte ihm ganz offenherzig, das überließe ich denen, quorum interesset.

Ich bin nicht gern bei solchen Ausgleichungsprojekten; denn es ist fast immer etwas Empörendes dabei. Ein Beispielchen will ich Dir davon erzählen. Du kannst Dir nichts Anmaßlicheres, Verwegneres, Hohnsprechenderes, Impertinenteres denken, als den russischen Nationalgeist; nicht den des Volks, sondern der hoffnungsvollen Sprößlinge der großen Familien, die die nächste Anwartschaft auf Aemter im Civil und bei der Armee haben. Einer dieser Herren, der nur wenig seinen Kameraden vorging, äußerte in Warschau öffentlich im Vorzimmer, er hoffe wohl noch russischer Gouverneur in Dresden zu werden und zu bleiben. Die Frage war eben, wie man Oestreich über die zweite Theilung in Polen zufrieden stellen wolle? Der Neffe des Gesandten, der doch Major bei der Armee und also kein Troßbube war, meinte ganz naiv und unbefangen, da gäbe es noch Churfürsten und Fürsten genug zu spoliiren. Dein Freund stand bei den Excellenzen, deren einige durchaus die moralische Antiphrase ihres Titels waren, und kehrte sich trocken weg und sagte: „Das ist wenigstens der richtige Ausdruck: So geht es hier und da.“

Der Jäger verließ mich nach einem halben Stündchen Kosen, und ich verließ den Klitumnus. In Spoleto ging ich ohne Schwierigkeit gerade durch das Thor hinein, durch welches Hannibal, laut der Nachrichten, nicht gehen konnte. Fast hätte ich nun Ursache gehabt zu bedauern, daß ich das Empfehlungsschreiben des billigen Mannes in Foligno nicht angenommen hatte; denn ich lief in dem Neste wohl eine halbe Stunde herum, ehe ich ein leidliches Gasthaus finden konnte. Endlich führte man mich doch in eins, wo man für den dritten Theil der gestrigen Zeche eben so gut bewirthete. Es ist ein großes, altes, dunkles, häßliches, jämmerliches Loch, das Spoleto; ich möchte lieber Küster Klimm zu Bergen in Norwegen seyn, als Erzbischof zu Spoleto. Die Leute hier, denen ich ins Auge guckte, sahen alle aus wie das böse Gewissen; und nur mein Wirth mit seiner Familie schien eine Ausnahme zu machen. Deßwegen habe ich mich auch keinen Deut um ihre Alterthümer bekümmert, deren hier noch eine ziemliche Menge seyn sollen. Aber alles ist Trümmer; und Trümmern überhaupt, und zumal in Spoleto, und überdieß in so entsetzlichem Nebelwetter, geben eben keine schöne Unterhaltung. Ueber dem Thore, das man Hannibals Thor nennt, stehen die Worte in Marmor:

HANNIBAL CAESIS AD THRASYMENUM ROMANIS INFESTO AGMINE URBEM ROMAM PETENS AD SPOLETUM MAGNA STRAGE SUORUM REPULSUS INSIGNE PORTAE NOMEN FECIT.

So ist die Ueberschrift. Ich weiß nicht, ob es die Worte des Livius sind; mich däucht, bei diesem lautet es etwas anders. Die Sache hat indeß nach den alten Schriftstellern ihre Richtigkeit; nur weiß ich nicht, ob es eben dieses Thor seyn möchte: denn wie vielen Veränderungen ist die Stadt nicht seit den punischen Kriegen unterworfen gewesen! Doch ist es eben das Thor, durch das der Weg von Perugia geht. Der Marmor scheint ziemlich neu zu seyn. Jetzt dürfte sich wohl schwerlich ein französisches Bataillon zurückwerfen lassen.

Ich Idiot glaubte, als ich in Foligno angekommen war, ich sei nun den Apennin durchwandelt: aber das ganze Thal von Klitumnus mit den Städten Foligno und Spoleto liegt in den Bergen. Von Spoleto bis Terni ist der furchtbarste Theil desselben: und hier war ich wieder zu Fuße ganz allein. Den Morgen als ich Spoleto verließ, sah ich links an dem Felsen noch das alte gothische Schloß, wo sich wackere Kerle vielleicht noch einige Stunden um die Stadt schlagen können, ging vor den sonderbaren Anachoreten vorbei und immer die wilde Bergschlucht hinauf. Wo ich einkehrte, unterhielt man mich überall mit Räubergeschichten und Mordthaten, um mir einen Maulesel mit seinem Führer aufzuschwatzen: aber ich war nun einmal hartnäckig und lief trotzig allein meinen Weg immer vorwärts. Oben auf dem Berge soll der Jupiter Summanus einen Tempel gehabt haben. Es ist wohl nur von Rom aus nach Umbrien der höchste Berg; denn sonst giebt es in der Kette viel höhere Partien. Der Weg aufwärts von Spoleto ist noch nicht so wild und furchtbar, als der Weg abwärts und weiter nach Terni. Das Thal abwärts ist zuweilen kaum hundert Schritte breit; rechts und links sind hohe Felsenberge, zwischen welche den ganzen Tag nur wenig Sonne kommt, mit Schluchten und Waldströmen durchbrochen. Dörfer trifft man auf dem ganzen Wege nicht, als auf der Spitze des Berges nur einige Häuser und ein halbes Dutzend in Strettura, dessen Name schon einen engen Paß anzeigt. Hier und da sind noch einige isolirte Wohnungen, die eben nicht freundlich aussehen, und viele alte, verlassene Gebäude, die ziemlich den Anblick von Räuberhöhlen tragen. Fast nichts ist bebaut. Die meisten Berge sind bis zu einer großen Höhe mit finstern, wilden Lorbeerbüschen bewachsen, die vielleicht eine Bravobande zu ihren Siegeszeichen brauchen könnte. Ich gestehe Dir, es war mir sehr wohl, als sich einige italienische Meilen vor Terni das Thal wieder weiterte und ich mich wieder etwas zu Tage gefördert sah und unter mir schöne, friedliche Oelwälder erblickte, unter denen der junge Weitzen grünte. Das Thal der Nera öffnete sich und es lag wieder ein Paradies vor mir. Hohe Cypressen ragten hier und da in den Gärten an den Felsenklüften empor, und der Frühling schien in den ersten Gewächsen des Jahres mit wohlthätiger Gewalt zu arbeiten.

Vorgestern kam ich auf meiner Reise hierher in Terni an. Mein Wirth, ein Tyroler, und stolz auf die Ehre, ein Deutscher zu seyn, fütterte mich auf gut österreichisch recht stattlich, und setzte mir zuletzt ein Gericht Sepien vor, die mir zum Anfange viel besser geschmeckt hätten. Er mochte mich für einen Maler halten und glauben, daß dieses zur Weihe gehöre. Zum Desert und zur Delikatesse kann ich den Dintenfisch, nach dem Urtheil meines Gaumens, nicht empfehlen; schon seine schwarzbraune Farbe ist in der Schüssel eben nicht ästhetisch. Nachdem ich gespeist, Interamner Wein getrunken und meinen Reisesack gehörig in Ordnung gelegt hatte, trollte ich fort nach dem Sonnentempel, nämlich der jetzigen Diminutivkirche des heiligen Erlösers. Sie war verschlossen, ich ließ mich aber nicht abweisen und ging zum Sakristan, der weiter keine Notiz von mir nahm, bei seiner Schüssel und seinem Buche unbeweglich sitzen blieb und mich durch eine alte Sara in die Kirche weisen ließ. Der Mann hatte in seinem Sinne recht; denn er dachte ohne Zweifel: Der da kommt weder mir noch meiner Kirche zu Ehren, sondern bloß der heidnischen Sonne sein Kompliment zu machen. Richtig. Die Leute haben bekanntlich das Tempelchen wie wahre Obskuranten behandelt und dafür gesorgt, daß in dem Sonnentempel keine Sonne mehr scheinen kann. Alle Eingänge sind vermauert und zu Nischen gemacht, in deren jeder ein Heiliger für Italien schlecht genug gepinselt ist; und über dem Altare steht ein Sankt Salvator, der seinen Verfertiger auch nicht aus dem Fegefeuer erlösen wird.

Nun stieg ich, ob ich gleich diesen Tag schon durch vier Meilen Appenninen von Spoleto herüber gekommen war, noch eine deutsche Meile lang den hohen Steinweg zu dem Falle des Velino hinauf. Das war Belohnung. Der Tag war herrlich; kein Wölkchen, und es wehte ein lauer Wind, der nur in der Gegend des Sturzes etwas kühl ward. Die Sonne stand schon etwas tief und bildete aus der furchtbaren Schlucht der Nera hoch in der Atmosphäre einen ganzen hellen, herrlich glühenden und einen größern dunklen Bogen im Staube des Falles. Ich saß gegenüber auf dem Felsen, und vergaß einige Minuten alles, was die Welt sonst Großes und Schönes haben mag. Etwas Größeres und Schöneres von Menschenhänden hat sie schwerlich aufzuweisen. Folgendes war halb Gedanke, halb Gefühl, als ich wieder bei mir selbst war.

Hier hat vielleicht der große Mann gesessen,

Und dem Entwurfe nachgedacht,

Der seinen Namen ewig macht;

Hat hier das Riesenwerk gemessen,

Das größte, welches je des Menschen Geist vollbracht,

Es war ein göttlicher Gedanke,

Und staunend steht die kleine Nachwelt da

An ihres Wirkens enger Schranke,

Und glaubet kaum, daß es geschah.

Wie schwebte mit dem Regenbogen,

Als durch die tiefe Marmorkluft

Hinab die ersten Donnerwogen

Wild schäumend in den Abgrund flogen,

Des Mannes Seele durch die Luft!

So eine selige Minute

Wiegt einen ganzen Lebenslauf

Alltäglichen Genusses auf;

Sie knüpft das Große an das Gute.

Es schlachte nun der zürnende Pelide

Die Opfer um des Freundes Grab;

Es zehre sich der Philippide,

Sein Afterbild, vor Schelsucht ab!

Es weine Cäsar, stolz und eitel,

Nach einem Lorbeerkranz um seine kahle Scheitel;

Es mache sich Oktavian,

Das Muster schleichender Tyrannen,

Die je für Sklaverei auf schöne Namen sannen,

Mit Schlangenlist den Erdball unterthan;

Die Motten zehren an dem Rufe,

Den ihre Ohnmacht sich erwarb,

Und jedes Säkulum verdarb

An ihrem Tempel eine Stufe.

Hier steigt die Glorie im Streit der Elemente,

Und segnend färbt der Sonnenstrahl

Des Mannes Monument im Thal,

Wo sanft der Oelbaum nickt, und hoch am Firmamente,

Das Feuer glüht mir durch das Rückenmark,

Und hoch schlägt’s links mir in der Seite stark;

Wer so ein Schöpfer werden könnte!

Oben am Sturz rund um das Felsenbette ist zwischen den hohen Bergen ungefähr eine kleine Stunde im Umkreise eine schöne Ebene, die voll umgehauener Oelbäume und Weinstöcke steht. Ich wollte schon den Päpstlern über das Sakrilegium an der Natur fluchen, als ich hörte, dieses sei im letzten Kriege eine Lagerstätte der Neapolitaner gewesen. Sie schlugen hier Anfangs die Franzosen durch den alten Felsenberg hinunter, und ich begreife nicht, wie sie mit gewöhnlicher Besinnung es wagen konnten, sie weiter zu verfolgen. Sie gingen in das Manöver und bezahlten für ihre Kurzsichtigkeit unten sehr theuer. Es ist traurig für die Humanität, daß man sich mit Tigerwuth sogar unter den Zweigen des friedlichen Oelbaums schlägt. So sehr ich zuweilen der Härte beschuldiget werde, ein Oelbaum und ein Weizenfeld würde mir immer ein Heiligthum seyn; und ich könnte mich gleich zur Kartätsche gegen denjenigen stellen, der beides zerstört. Die Sonne ging unter, als ich den schönen Olivenwald herabkam, und kaum konnte ich unter den Weinstöcken noch einige Veilchen und Hyacinthen pflücken, die dort ohne Pflege blühen.

Es war zu spät, noch die Reste des Theaters in dem Garten des Bischofs zu sehen, und den andern Morgen wanderte ich nach Narni. Die Gegend von Narni aus an der Nera hinunter ist furchtbar schön. Die Brücke bei Borghetto über die Tiber ist zwar ein sehr braves Stück Arbeit, aber als Monument für drei Päpste immer sehr kleinlich, wenn man sie nur gegen die Reste des alten ponte rotto bei Narni über die Nera hält. Das sind doch noch Triumphbogen, die Sinn haben, diese Brücke und der Trajanische bei Ancona. Der schönste ist wohl der Wasserfall des Velino, der oben für die ganze Gegend von Rieti schon über zweitausend Jahre eine Wohlthat ist, weil er sie vor Ueberschwemmung schützt. Ich bekenne, daß ich für zwecklose Pracht, wenn es auch Riesenwerke wären, keine sonderliche Stimmung habe.

Eine halbe Stunde von Narni läßt man die Nera rechts und der Weg geht links auf der Anhöhe fort, immer noch wild genug, aber doch nicht so grauenvoll, wie zwischen Spoleto und Terni. Das Interamner Thal, das man hier bei Narni zuletzt in seiner ganzen Ausdehnung an der Nera hinauf übersieht, stand bei den Alten billig in großem Ansehen, und ist noch jetzt bei aller Vernachlässigung der Kultur ein sehr schöner Strich zwischen dem Ciminus und dem Apennin. In Otricoli, einem alten schmutzigen Orte nicht sehr weit von der Tiber, wo ich gegen Abend ankam, lud man mich gleich vor dem Thore höflich in ein Wirthshaus, und ich trug kein Bedenken meinen Sack abzuwerfen und mich zu den Leutchen an das Feuer zu pflanzen. Es hatte freilich keine sonderlich gute Miene; aber ich hätte vielleicht Gefahr gelaufen, im Städtchen selbst ein schlechteres oder gar keins zu finden und den Weg zurück zu machen, wo ich dann nicht so willkommen gewesen wäre. Kaum hatte ich einige Minuten ziemlich stumm dort gesessen, als ein ganz gut gekleideter Mann sich neben mich setzte und mir mit einigen allgemeinen theilnehmenden Erkundigungen Rede abzugewinnen suchte. Er war ein starker, heißer Politiker, und, wie sehr natürlich, mit der Lage der Dinge und vorzüglich mit den allerneuesten Veränderungen nicht sonderlich zufrieden, und meinte weislich, die Sachen könnten so keinen Bestand haben. Sein Ansehen versprach eben keinen ausgezeichneten Stand, und doch war er einer der gescheidtesten, bewandertsten Männer, die ich noch auf meiner Wanderung in Italien von seiner Nation gesehen habe. Orthodoxie in Kirche und Staat schien seine Sache nicht zu seyn; und er mußte etwas Zutrauen zu meinem Gesichtsentwurf gewonnen haben, daß er mich ohne Zurückhaltung so tief in seine Seele sehen ließ. Er kannte die heutigen Staatsverhältnisse ungewöhnlich gut und war in der alten Geschichte ziemlich zu Hause. Der alte Römerstolz schien noch tief in seinem Innern zu sitzen. Er sprach skoptisch vom Papste und schlecht von den Franzosen; besonders hatte sein Haß den General Murat recht herzlich gefaßt, von dessen schaamlosen Erpressungen er zähneknirschend sprach, und der schon durch seinen Mameluckennamen allen Kredit bei ihm verloren hatte. Dieser Otricolaner war seit langer Zeit der erste Mann, der meinen Spaziergang richtig begriff, und meinte, daß sein Vaterland auch jetzt noch ihn verdiene, so tief es auch gesunken sei. Wir schüttelten einander freundschaftlich die Hände, und ich ging mit der folgenden Morgendämmerung den Berg hinunter, neben den Ruinen der alten Stadt vorbei, auf die Tiber zu.

Bis jetzt war es Vergnügen gewesen auch im Kirchenstaate zu reisen. Jenseits der Berge vor und hinter Ancona, bei Foligno und Spoleto und Terni und Narni war die Kultur doch noch reich und schön, und in den Bergen waren die Scenen romantisch groß und zuweilen erhaben und furchtbar. Man vergaß leicht die Gefahr, die sich finden konnte. Von der Tiber und Borghetto an wird Alles wüst und öde. Die Bevölkerung wird immer dünner und die Kultur mit jedem Schritte nachlässiger. Civita Castellana gilt für das alte Falerii der Falisker, wo der Schurke von Schulmeister seine Zöglinge ins feindliche Lager spazieren führte und vom Kamill so brav unter den Ruthenstreichen der Jungen zurückgeschickt wurde. Es ist angenehm genug, nach einer eingebildeten, militärischen Topographie sich hier den wirklich schönen Zug als gegenwärtig vorzustellen. Die Lage entspricht ganz der Idee, welche die Geschichte davon giebt. Der Ort ist rund umher mit Felsen umgeben, die von Natur unzugänglich sind. Der Anblick flößte mir gleich Respekt ein, und ohne an Cluver zu denken, der, wie ich glaube, es ziemlich sicher erwiesen hat, setzte ich sogleich eigenmächtig die alte Festung hierher. Von Borghetto her führt eine alte Brücke über eine wilde, romantische Felsenschlucht, und nach Nepi und Rom zu hat Pius der Sechste eine neue Brücke gebaut, welche das Beste ist, was ich noch von ihm gesehen habe. Es ist übrigens gar erbaulich, in welchem pompösen Styl diese Dinge in Aufschriften erzählt werden: solche ampullae et sesquipedalia verba scheinen recht in der Seele der heutigen Römlinge zu liegen. Die alten Römer thaten und ließen reden, und diese reden und lassen thun. Ich habe auf meinem Wege von Ancona hierher viele erhabene Ehrenbogen gefunden, welche in einer angeschwollenen Sprache weiter nichts sagten, als daß Pius der Sechste hier gewesen war und vielleicht ein Frühstück eingenommen hatte. Diese Bogenspanner verdienten einen solchen Herrscher. Von Civita Castellana aus trennt sich die Straße; die alte flaminische geht über Rignano, Malborghetto und Primaporta nach der Stadt, und die neue von Pius dem Sechsten über Nepi und Monterosi, wo sie in die Straße von Florenz fällt. Ich dachte mit dem alten Sprichwort: „Nun gehen alle Straßen nach Rom;“ und hielt mich halb unwillkührlich rechts zu dem neuen Papst. Der alte Weg kann wohl nicht viel schlimmer seyn, als ich den neuen fand. Doch von Wegen darf ich mit meinen Landsleuten nicht sprechen; die sind wohl selten in einem andern Lande schlimmer und gewissenloser vernachlässigt, als bei uns in Sachsen.

Erlaube mir über die Straßen im Allgemeinen eine kleine vielleicht nicht überflüssige Expektoration! Es ist empörend, wenn dem Reisenden Geleite und Wegegeld abgefordert wird und er sich kaum aus dem Koth herauswinden kann, um dieses Geld zu bezahlen. Die Straßen sind einer der ersten Polizeiartikel, an den man fast überall zuletzt denkt. Geleite und Wegegeld und Postregal haben durchaus keinen Sinn, wenn daraus nicht für den Fürsten die Verbindlichkeit entspringt, für die Straßen zu sorgen; und die Unterthanen sind nur dann zum Zuschuß verpflichtet, wenn jene Einkünfte nicht hinreichen. Denn der Staat hat unbezweifelt die Befugniß, die Natur und Zweckmäßigkeit und den gesetzlichen Gebrauch aller Regalien zu untersuchen, wenn es nothwendig ist, und auf rechtliche Verwendung derselben zu dringen. Das ergiebt sich aus dem Begriff der bürgerlichen Gesellschaft, wenn gleich nichts davon im Justinianischen Rechte steht, welches überhaupt als jus publicum das traurigste ist, das die Vernunft ersinnen konnte, so sehr es auch ein Meisterwerk des bürgerlichen seyn mag. Bei den Straßen tritt noch eine Hauptvernachlässigung ein, ohne deren Abstellung man durchaus auch mit großen Summen und anhaltender Arbeit nicht glücklich seyn wird. Ich meine, man sucht nicht mit Strenge das schädliche Spurfahren zu verhüten. Es ist so gut, als ob keine Verfügungen deswegen vorhanden wären, so wenig wird darauf gesehen. Es ist mathematisch zu beweisen, daß die Gewohnheit des Spurfahrens, zumal der schweren Wagen, die beste, festeste Chaussee in kurzer Zeit durchaus verderben muß. Ist einmal der Einschnitt gemacht, so mag man schlagen und ausfüllen und klopfen und rammeln, so viel man will, man gewinnt nie wieder die vorige Festigkeit; die ersten Wagen fahren das Gleis wieder aus, und machen das Uebel ärger. Fängt man an ein zweites Gleis zu machen, so ist dieses bald eben so ausgeleiert; und so geht es nach und nach mit mehrern, bis die ganze Straße ohne Hülfe zu Grunde gerichtet ist. Wenn aber der Weg nur einigermaßen in Ordnung ist und durchaus kein Wagen die Spur des vorhergehenden hält, so kann kein Gleis und kein Einschnitt entstehen; sondern jedes Rad versieht, so zu sagen, die Stelle eines Rammels und hilft durch die beständige Veränderung des Drucks die Straße bessern. Man würde eben so sehr endlich den Weg verderben, wenn man ohne Unterlaß mit dem Rammel beständig auf die nämliche Stelle schlagen wollte. Durch das Nichtspurfahren verändern auch die Pferde beständig ihre Tritte, und das Nämliche gilt sodann von den Hufen der Thiere, was von den Rädern des Fuhrwerks gilt. Fast durchaus habe ich den Schaden dieser bösen Gewohnheit gesehen, und nur im Hannöverischen hat man, so viel ich mich erinnere, strengere Maßregeln genommen, ihn zu verhüten. Aber ich muß machen, daß ich nach Rom komme.

Die Italiener müssen denn doch auch zuweilen ein sehr richtiges Auge haben. Zwei etwas stattlichere Spaziergänger, als ich, begegneten mir mit ihren großen Knotenstöcken bei Nepi, vermuthlich um ihre Felder zu besehen, auf denen nicht viel gearbeitet wurde. „Signore è Tedesco e va a Roma!“ sagte mir einer der Herren sehr freundlich. Die Deutschen müssen häufig diese Straße machen; denn ich hatte noch keine Sylbe gesprochen, um mich durch den Accent zu verrathen. Sie riethen mir, ja nicht in Nepi zu bleiben, sondern noch nach Monterosi zu gehen, wo ich es gut haben würde. Ich dankte und versprach es. Es ist sehr angenehm, wenn man sich bei dem ersten Anblick so ziemlich gewiß in einer fremden Gegend orientiren kann. Nach meiner Rechnung mußte der mir links liegende Berg durchaus der Soracte seyn, obgleich kein Schnee darauf lag; und es fand sich so. Jetzt gehört er dem heiligen Sylvester, dessen Namen er auch trägt; doch hat sich die alte Benennung noch nicht verloren, denn man nennt ihn noch hier und da Soratte. Nun ärgerte es mich, daß ich nicht links die alte flaminische Straße gehalten hatte; dann hätte ich den Herrn Soratte, der sich schon von weitem ganz artig macht, etwas näher gesehen, und wäre immer längs der Tiber hinunter gewandelt. Der Berg steht von dieser Seite ganz isolirt; das wußte ich aus Anmerkungen über den Horaz, und deßwegen erkannte ich ihn sogleich, da mir seine Entfernung von Rom bekannt war. Hinten schließt er sich durch eine Kette von Hügeln an den Apennin. Der Berg ist zwar ziemlich hoch, aber gegen die Apenninen selbst hinter ihm doch nur ein Zwerg. Ich will mir doch einmal ein recht schulmeisterlich hermenevtisches Ansehen geben, und Dir hierbei eine pragmatische Bemerkung machen. Vielleicht weißt Du sie schon: thut nichts; eine gute Sache kann man zweimal hören. Du darfst von dem hohen Schnee des Horaz nicht eben auf die Höhe des Berges schließen. Der Sorakte hat, weil er mit der großen Bergkette der Apenninen verglichen, doch nicht außerordentlich hoch ist und tiefer herab in der Ebene liegt, nur selten Schnee; und Herr Horaz wollte durch seinen Schnee den ziemlich starken Winter anzeigen, wo man wohl thäte, Kastanien zu braten und sich zum Kamin und Becher zu halten. Das finde ich denn ganz vernünftig. Vielleicht war er eben damals in Tibur, wo er von Mäcens Landgute bloß die Spitze des beschneiten Sorakte sehr malerisch gruppirt vor sich hatte. Uebrigens thue ich dem Horaz keine kleine Ehre, daß ich mich mit einem seiner Verse so lange beschäftige; denn er ist durch seine Sinnesart mein Mann gar nicht, und es ist schade, daß die Musen gerade an ihn so viel verschwendet haben.

Nepi könnte ein herrlicher Ort seyn, wenn die Leute hier etwas fleißiger seyn wollten: aber je näher man Rom kommt, desto deutlicher spürt man die Folgen des päpstlichen Segens, die durchaus wie Fluch aussehen. Hinter Monterosi packte mich ein Vetturino, der von Viterbo kam und nach Rom ging, mit solchem Ungestüm an, daß ich mich nothwendig in seinen Wagen setzen mußte, wo ich einen stattlich gekleideten Herrn fand, der eine todte Ziege und einen Korb voll anderer Viktualien neben sich hatte. Die Ziege wurde eingepackt und der Korb beiseite gesetzt; ich legte meinen Tornister zu meinen Füßen gehörig in Ordnung, und pflanzte mich Barbaren neben den zierlichen Römer. Er belugte mich stark und ich ihn nur obenhin; nach einigen Minuten fing das Gespräch an; und ich schwatzte so gut ich in der neuen römischen Zunge konnte. Das ewige Thema waren leider wieder Mordgeschichten, und der Herr guckte jede Minute zum Schlage hinaus, ob er keine Pistolenholfter sähe. Ganz spaßhaft ist es freilich nicht, wie ich nachher erfahren habe: aber eine solche Furcht ist doch sehr possirlich und lächerlich. Diese Angst hielt bei dem Mann an, bis wir an die Geierbrücke von Rom kamen, wo er sich nach und nach wieder erholte. Am Volksthore, denn durch dieses fuhren wir ein, fragten die päpstlichen Patrontaschen nach meinem Passe und brachten ihn sogleich zurück mit der Bitte: „Qualche cosa della grazia pella guardia!“ So so; das fängt gut an: ich mußte wohl einige Paoli herausrücken. Da hielten wir nun vor dem großen Obelisken und ich überlegte, nach welcher von den drei großen Straßen ich auf gut Glück hinunter gehen sollte. Eben hatte ich meinen Gesichtspunkt in die Mitte hinab durch den Corso genommen und wollte aussteigen, als mein Kamerad mich fragte, wo ich wohnen würde? „Das weiß ich nicht,“ sagte ich; „ich muß ein Wirthshaus suchen.“ Er bot mir an, mich mit in sein Haus zu nehmen. Er habe zwar kein Wirthshaus, ich solle es aber bei ihm so gut finden, als es Gefälligkeit machen könne. Ich sah dem Manne näher ins Auge und las wenigstens keine Schurkerei darin, dachte, hier oder da ist einerlei, setzte mich wieder nieder und ließ mich mit fortziehen. Man brachte mich, dem heiligen Franziskus mit den Stigmen gegenüber, in den Palast Strozzi, wo mein Wirth eine Art von Haushofmeister zu seyn scheint.

Rom.

So bin ich denn unwidersprechlich hier an der gelben Tiber, und zwar in keinem der letzten Häuser. Man hat hier im Hause viel Höflichkeit für mich, und mehr Aufmerksamkeit, als mir lieb ist: denn ich merke, daß ich viel theurer leben werde, als in irgend einem Wirthshause; wie mir meine Landsleute, die den römischen Rommel etwas verstehen, auch schon erklärt haben. Ich habe meine Addressen aufgesucht. Uhden und Fernow empfingen mich mit Humanität und freundschaftlicher Wärme. Du kennst die Männer aus ihren Arbeiten, welche gut sind; aber sie selbst sind noch besser, welches nicht immer der Fall bei literärischen Männern ist. Ich bin also schon kein Fremdling mehr am Kapitole. Auch den selbstständigen, originellen und etwas barocken Reinhart sah ich gleich den zweiten Tag, und mehrere andere deutsche Künstler. Gmelin ist ein lebhafter, jovialischer Mann, der nicht umsonst die Welt gesehn hat, und der eine eigene Gabe besitzt, im Deutschen und Französischen mit der lebendigsten Mimik zu erzählen.

Der Kardinal Borgia, an den ich einen Brief hatte, nahm mich mit vieler Freundlichkeit auf. Ein Anderer würde in seinem Stil Herablassung sagen; nach meinem Begriff läßt sich kein Mensch herab, wenn er mit Menschen spricht: und wenn irgend ein sogenannter Großer in seinem Charakter noch Herablassung nöthig hat, so steht er noch lange nicht auf dem rechten Punkte. Ich war genöthigt meine Anrede französisch zu machen, da ich mir im Italienischen nicht Wendung genug zutraute, mit einem solchen Manne eine zusammenhängende Unterredung zu halten. Er antwortete mir in der nämlichen Sprache; aber kaum hörte er, daß ich Latein wußte, so fuhr er, für einen Kardinal drollig genug, lateinisch fort, dieser Sprache das Lob zu reden, durch welche die Nationen so fest zusammenhangen. Haec est illa lingua, setzte er hinzu, quae nobis peperit Livios atque Virgilios. Et Tiberios et Nerones, hätte ich fast durch die Zähne gemurmelt. Ein Wort gab das andere, ich mußte ihm einiges von meiner Kriegswanderung nach Amerika erzählen und von meinem Wesen in Polen, und der alte Herr fiel mir mit vieler Gutmüthigkeit um den Hals, und faßte mich im Ausbruch der Jovialität nicht allein beim Kopf, sondern sogar bei den Ohren. Ein alter militärischer General Sr. Heiligkeit stand dabei, und es wurde ein herzliches Trio gelacht, in das ich so bescheiden als möglich mit einstimmte. Du wirst schon wissen, daß man in Rom mehr Mönchsgenerale, als Kriegsgenerale antrifft. Beide spielen mit Kanonen, und es wäre nicht schwer zu entscheiden, welche die ihrigen am besten zu gebrauchen wissen. Ich erhielt die Erlaubniß ohne Einschränkung immer zu dem Kardinal zu kommen, welches für einen Pilger, wie ich bin, keine Kleinigkeit ist. Er stutzte gewaltig, als er hörte, ich wolle übermorgen mein Bündel nehmen und des Weges weiter wandeln, billigte aber meine Gründe lachend, als ich ihm sagte, ich wollte vor der heißen Jahreszeit meinen Spaziergang nach Syrakus endigen und auf meiner Rückkehr mich länger hier aufhalten. Er bot mir keine Empfehlung nach Veletri an, um dort freieren Eintritt in das Familienkabinet zu haben, worüber ich mich einigermaßen wunderte. Aber man hat Schwierigkeiten mit den Franzosen gehabt, und Einige fürchteten sogar, die Franzosen würden die ganze Sammlung wegschaffen lassen. Das geschieht nun zwar, wie ich höre, nicht: aber es ist doch begreiflich, daß dadurch etwas Furchtsamkeit und Unordnung entstanden seyn mag. Uebrigens bin ich nicht nach Italien gegangen, um vorzüglich Kabinette und Gallerien zu sehen und tröste mich leicht mit meiner Laienphilosophie.

Eben habe ich Canova gesehen und unsere Freunde, Reinhart und Fernow. Es ist überall wohlthätig, wenn sich verwandte Menschen treffen; aber wenn sie sich auf so klassischem Boden finden, gewinnt das Gefühl eine eigne Magie schöner Humanität. Canova hat eine zweite Hebe für die Pariser gearbeitet, die mir aber mit den Veränderungen, die er gemacht hat und die er doch für Verbesserungen halten muß, bei weitem nicht so wohl gefällt, wie die venetianische. Du kennst meinen Enthusiasmus für diese. Er hat, däucht mir, dem Urtheil und dem Geschmacke der Franzosen geschmeichelt, denen ich aber in der Anlage einer Batterie eher folgen wollte, als in der Kritik über reine Weiblichkeit. Es bleibt an allen ihren schönen Weibern immer noch etwas von dem Charakter aus dem alten Palais Royal zurück. Er hat auch zwei Fechter nach dem Pausanias gemacht, die nach langer Ermüdung zur Entscheidung einander freien Stoß geben. Der Eine hat so eben den furchtbarsten Schlag vor die Stirne erhalten, — dieses ist der Moment — und reißt sodann mit entsetzlichem Grimm seinem Gegner mit der Faust auf einen Griff das Eingeweide aus. Sie gelten für Muster der Anatomie und des Ausdrucks. Da sie keine Beziehung auf reine, schöne Humanität haben, konnten sie mich nicht so sehr beschäftigen: denn Furcht und Grimm sind Leidenschaften, von denen ich gerne mich wegwende. Die Stelle aus dem Pausanias ist mir nicht gegenwärtig; ich weise Dich auf ihn. Demoxenus heißt, glaube ich, der eine Fechter.

In einigen Tagen werde ich durch die Pontinen nach Terracina und sodann weiter nach Süden gehen, damit ich vor der ganz heißen Jahrszeit, wenn’s glückt, wieder zurückkomme. Mißglückt es — denn man spricht gar wunderlich — so mögen die Barbaren mich auf ihrer Seite haben. Ich will mich nicht durch Furcht ängstigen, die auf alle Fälle kein guter Hausgenosse in der Seele ist. Zu Ende des Jahres hoffe ich post varios casus Dich wieder zu sehen.

Terracina.

Du siehst, daß ich aus den Sümpfen heraus bin. Die Prophezeiung meiner Freunde in Rom ist eingetroffen. Der Herr Haushofmeister in dem Palaste Strozzi, dem heiligen Franz mit den Stigmen gegenüber, überließ es meiner Großmuth, die seinige zu belohnen. Das heißt nun die Leute meistens am unrechten Flecke angefaßt. Ich griff mich indessen an, so viel ich konnte, und gab für drei Tage Wohnung und drei Mahlzeiten — die übrigen hatte ich auswärts gehalten — zwei Kaiserdukaten, welches ich für ziemlich honett hielt. Der Mann machte in Rom ein flämisches Gesicht, aber doch weiter keine Bemerkung, sondern begleitete mich noch gefällig bis Sankt Johann von Lateran, wo er mir am Thore seine Adresse gab, damit ich ihn bei meiner Rückkehr finden möchte. Er mochte doch die Rechnung gezogen und überlegt haben, daß einen ganzen Monat verhältnißmäßig das Geldchen noch mitzunehmen wäre. Das war nun aber mir nicht gelegen; meine Börse wollte sich in die Länge nicht so großmüthig behandeln lassen. Man hat der Ausgaben mehrere. Ich ging nun durch die weitläufigen, halb verfallenen Gärten der Stadt und durch die ganze wüste Gegend vor derselben nach Albano hinüber.

Einige Millien vor der Stadt wandelte links unter den Ruinen der alten Wasserleitung, die vom Berge herabkamen, ein Mann mit einem Buch einsam hin, suchte sich rund umher zu orientiren, und schloß sich, als ich näher kam, an mich an. Es war ein Franzose, der sich in Velletri schon lange häuslich niedergelassen hatte, in der Stadt gewesen war und jetzt heimging. Seine Gesellschaft war mir hier höchst angenehm, da er mit der Geschichte der Zeit und den Vorfällen des Kriegs bekannt war und rund umher mir alle Auftritte erklärte. Links hinauf nach den Hügeln des Albanerbergs hatten sich die Franzosen und Insurgenten hartnäckig geschlagen. Die Insurgenten hatten zuerst einigen Vortheil und hatten deßwegen nach der Weise der Revolutionäre angefangen, höchst grausam zu verfahren: aber die Franzosen trieben sie mit ihrer gewöhnlichen Energie bald in die Enge, und nun fehlte es wieder nicht an Gewaltthätigkeiten aller Art. Einige Millien von Albano ist rechts am Wege eine Gegend, welche Schwefelquellen halten muß; denn der Geruch ist entsetzlich und muß in der heißen Sommerperiode kaum erträglich seyn. In einer Peripherie von mehrern hundert Schritten keimt deßwegen kein Gräschen, obgleich übrigens der Strich nicht unfruchtbar ist.

Die Albaner bilden sich ein, daß ihre Stadt das alte Alba Longa sei, und sagen es noch bis jetzt auf Treu und Glauben jedem Fremden, der es hören will. Die Antiquare haben zwar gezeigt, daß das nicht seyn könne, und daß die alte Stadt, laut der Geschichte, an der andern Seite des Sees am Fuße des Berges müsse gelegen haben: aber drei oder vier Millien, denken die Albaner, machen keinen großen Unterschied; und es ist wenigstens Niemand in der Gegend, der ein näheres Recht auf Alba Longa hätte, als sie. Wir wollen sie also in dem ruhigen Besitz lassen. Die jetzige Stadt scheint zur Zeit der ersten Cäsaren aus einigen Villen entstanden zu seyn, von denen die des Pompejus die vorzüglichste war. Dadurch sieht es nun freilich um das Monument der Kuriatier mißlich aus, das auf dem Wege nach Aricia steht, und welches mir überhaupt ein ziemlich gothisches Ansehen hat. Nach der Geschichte sind alle, die drei Kuriatier wie die beiden Horatier, unten vor der Stadt Rom begraben, wo der Kampf geschah und wo auch ihre Monumente standen; indessen läßt sich wohl denken, daß die neuen Albaner aus altem Patriotismus ihren braven Landsleuten hier ein neues Denkmal errichteten, als unten die alten verfallen waren. Wenigstens ist nicht einzusehen, wozu das Ding mit den drei Spitzen sonst sollte aufgeführt worden seyn. Ein Kastell zur Vertheidigung des Weges wäre das Einzige, wozu man es machen könnte; aber dazu hat es nicht die Gestalt.

In Albano fand mein Franzose Bekannte, bei denen er einkehrte, und ich ließ mich auf die Post bringen, welche das beste Wirthshaus ist. Sobald ich abgelegt hatte, trat ein artiger, junger Mann zu mir ins Zimmer, der aus der Gegend war und mit vieler Gutmüthigkeit mir die Unterhaltung machte. Mit ihm wandelte ich noch etwas in der schönen Gegend hin und her, und namentlich an das Monument, von dessen Alterthum er indessen auch nicht sonderlich überzeugt war. Antiquitäten schienen zwar seine Sache nicht zu seyn; aber dafür war er desto bekannter mit der neuen Welt. Er sprach Französisch und Englisch mit vieler Geläufigkeit, weil er in beiden Ländern einige Zeit gewesen war; eine nicht gewöhnliche Erscheinung unter den Italienern! „Je m’appelle Prince,“ sagte er, „mais je ne le suis pas;“ indessen hatten ihn die Franzosen nach seiner Angabe prinzlich genug behandelt, alle seine Oelbäume umgehauen, und ihm auf lange Zeit einen jährlichen Verlust von zweitausend Piastern verursacht. Die Wahrheit davon lasse ich auf seiner Erzählung beruhen. Der junge Mann zeigte viel Offenheit, Gewandtheit und Humanität in seinem Charakter. Sodann führte er mich einige hundert Schritte weiter zu einer alten Eiche an dem Wege nach Aricia, nicht weit von dem Eingange in den Park und die Gärten des Fürsten Chigi. Die Eiche sollte von seltener Schönheit seyn, und sie ist auch wirklich sehr ansehnlich und malerisch: aber wir haben bei uns in Deutschland an vielen Orten größere und schönere.

Den Herren Fürsten Chigi kannte ich aus Charakteristiken von Rom, und hätte wohl Lust gehabt seine Besitzungen näher zu besehen. Er selbst ist als Dichter und Deklamator in der Stadt bekannt, und soll wirklich unter diesen beiden Rubriken viel Verdienst haben. Er muß indeß ein sonderbarer Bukoliker und Idyllendichter seyn; denn in seinem Park hat er den schönsten und herrlichsten Eichenhain niederhauen lassen, und in dem Ueberreste läßt er die Schweine so wild herumlaufen, als ob er sich ganz allein von ihrer Mastung nähren wolle. Darüber sind nun besonders die Maler und Zeichner so entrüstet, daß sie den Mann förmlich in Verdammniß gesetzt haben, und ich weiß nicht, wie er sich daraus erlösen will. Die Gegend ist dessen ungeachtet noch eine der schönsten in Italien, und das romantische Gemisch von Wildheit und Kultur, die hier zu kämpfen scheinen, macht, wenn man aus der Oede Roms kommt, einen sonderbaren wohlthätigen Eindruck. Die Leute in dieser Gegend haben den Ruhm, vorzüglich gute Banditen zu seyn.

Von Albano ging ich den andern Morgen über eben dieses Aricia, dessen Horaz in seiner Reiseepistel von Rom nach Brindisi gedenkt, nach Gensano und Velletri und immer in die Pontinen hinein. Die Leute von Gensano sind mir als die fleißigsten und sittigsten im ganzen Kirchenstaate vorgekommen, und sie haben wirklich ihre Fleckchen Land so gut bearbeitet, daß sie den Wohlthaten der Natur Ehre machen. Die Lage ist sehr schön; Berge und Thäler liegen in dem lieblichsten Gemische rund umher, und der kleine See von Nemi, unter dem Namen der Dianenspiegel, giebt der Gegend noch das Interesse der mythologischen Geschichte.

Vor Velletri holte mich ein Franzose ein; nicht mein gestriger, sondern ein anderer, der bei der Condeischen Armee den Krieg mitgemacht hatte, jetzt von Rom kam und mit Empfehlungen von dem alten General Suworow nach Neapel zu Akton ging, von dem er Anstellung hoffte. In zwei Minuten waren wir bekannt und musterten die Armeen durch ganz Europa. Nach seinen Briefen mußte er ein sehr braver Officier gewesen seyn, der selbst bei Perugia ein Detachement kommandirte; und ich habe ihn als einen ehrlichen Mann kennen lernen. Wir aßen zusammen in Velletri und schlenderten sodann ganz vergnügt die Berge hinab in die Sümpfe hinein, die einige Stunden hinter der Stadt ihren Anfang nehmen. In Cisterne wollten wir übernachten: aber das Wirthshaus hatte die schlechteste Miene von der Welt, und die päpstlichen Dragoner trieben ein gewaltig lärmendes Wesen. Uebrigens fiel mir ein, daß dieses vermuthlich der Ort war, wo Horaz so sehr von den Flöhen gebissen wurde und noch andere traurige Abenteuer hatte; daß auch der Apostel Paulus hier geschlafen haben soll, ehe man ihn nach Rom in die Kerker des Kapitols einsperrte. Das war nun lauter böses Omen. Wir beschlossen also, zumal da es noch hoch am Tage war, noch eine Station weiter zu wandeln, bis Torre di tre ponti. Hier kamen wir aus dem Regen in die Traufe. Es war ein großes, leeres Haus; der Wirth war nach Paris gereist, um, wenn es möglich wäre, seine Habe wieder zu erhalten, die man ihm in die Wette geraubt hatte. Erst plünderten die Neapolitaner, dann die Franzosen, dann wieder die Neapolitaner, und die Streiter des heiligen Vaters zur Gesellschaft: das ist nun so römische Wirthschaft. Es war im ganzen Hause kein Bett, und die Leute sahen nicht außerordentlich freundlich aus. Der Wirth war abwesend; es waren viele Fremde da, die in den pontinischen Sümpfen, wohin sogar der Auswurf aus Rom flüchtet, kein großes Zutrauen einflößen können. Die alte gutmüthige Haushälterin gab uns indessen eine große Decke; wir verrammelten unsere Thüre mit Tisch und Stühlen, damit man wenigstens nicht ohne Lärm hinein kommen könnte, legten uns beide, der französische Oberstlieutnant und ich, in die breite mit Heu gefüllte Bettstelle, stellten unsere Stöcke daneben, deckten uns zu und schliefen, so gut uns die Kälte, die Flöhe und die quakenden Frösche schlafen ließen. Den Morgen darauf war das Wetter fürchterlich und machte den nicht angenehmen Weg noch verdrießlicher: vorzüglich fluchte der Franzose nach altem Stil tous les diables mit allem Nachdrucke durch alle Instanzen, die Yorick gegeben hat. Es konnte indessen nichts helfen; ich Hyperboreer zog bärenmäßig immer weiter; der Franzmann aber versteckte sich in ein altes leeres Brückenhaus über dem Kanal und wollte den Sturm vorbeigehen lassen. Wenn man naß ist, muß man laufen, ich ließ ihn ruhen, und versprach, hier in Terracina im Gasthofe auf ihn zu warten.

Die letzte Station vor Terracina war für mich die abenteuerlichste. Die alte appische Straße geht links etwas oben an den Bergen hin und macht dadurch einen ziemlichen Umweg; aber die Neuen wollten dem Elemente zum Trotz klüger seyn, und zogen sie unüberlegt genug gerade fort. Sie sieht recht schön aus, wenn sie nur gut wäre. Das Wasser war groß; ich hatte den Abweg links über eine alte Brücke nicht gemerkt, und ging die große gerade Linie immer weiter. In einer halben Stunde stand ich vor Wasser, das rechts aus der See hineingetreten war und links durch die Gebüsche weit hinauf ging. Durch den ersten Absatz schritt ich rasch; aber es kam ein zweiter und ein dritter noch größerer. Es war dabei ein furchtbarer Regensturm und ich konnte nicht zwanzig Schritte sehen. Ich ging fast eine Viertelstunde auf der Straße bis über dem Gürtel im Wasser, und wußte nicht, was vor mir seyn würde. Einige Mal waren leere Plätze links und rechts; und da stand ich in den Einschnitten wie im Meere. Nur die Bäume, die ich dunkel durch den Regensturm sah, machten mir Muth vorwärts. Endlich war ich glücklich durch die päpstliche Stelle, und zog eine parallele zwischen den Alten und Neuen, die eben nicht zum Vortheile meiner Zeitgenossen ausfiel. Wie ich heraus war, ward der Himmel hell, und ich sah den Berg der göttlichen Circe in der Abendsonne zu meiner Rechten und zu meiner Linken die Felsen von Terracina glänzen. Es war wirklich als wenn die alte Generalhexe eben einen Hauptproceß machte, und ich konnte froh seyn, daß ich noch so gut mit einem Bißchen Schmutz davon gekommen war. Nachdem ich in der Locanda Reale, einem großen stattlichen Hause an dem Heerwege vor der Stadt, Quartier gemacht hatte, recognoscirte ich oben den Ort auf dem weißen Felsen, wie ihn Horaz nennt, wo man rechts und links von dem Circeischen Vorgebirge bis an das Kajetanische und über die Inseln eine herrliche Aussicht hat. Ich bekümmerte mich wenig um die Ruinen des alten Jupitertempels und um den neuen Palast des Papstes, sondern weidete mich an der unter mir liegenden Gegend, den herrlichen Orangegärten, die ich hier zuerst ganz im Freien ausgezeichnet schön fand, und der üppigen Vegetation aller Art. Auch mehrere Palmbäume fand ich hier schon, da in Rom nur ein einziger als eine Seltenheit nicht weit vom Kolosseum gezeigt wird. Von der letzten Station führt eine herrliche Allee der schönsten und größten Aprikosenbäume in die Stadt.

Mein Franzose kam, und es fand sich, daß der arme Teufel mit seiner Börse auf den Hefen war. Ich mußte ihn also doch nach Neapel hinüber transportiren helfen. Zu Abend traf ich im Wirthshause ein Paar ziemlich reiche Mailänder, die mit schöner Equipage von Neapel kamen, und wir aßen zusammen. Die Herren waren ganz verblüfft zu hören, daß ich von Leipzig nach Agrigent tornistern wollte, bloß um an dem südlichen Ufer Siciliens etwas herumzuschlendern und etwa junge Mandeln und ganz frische Apfelsinen dort zu essen. Die Unterhaltung war sehr lebhaft und angenehm, und die Norditaliener schienen die schöne Neapel quovis modo, literärisch, ästhetisch und physisch genossen zu haben. Morgen gehts ins Reich hinüber; denn so nennt man hier das Neapolitanische.

Neapel.

Der Morgen war frisch und schön, als wir Anxur verließen, der Wind stark und die Brandung hochstürmend, so daß ich am Strande eingenetzt war, ehe ich daran dachte. Die Wogen schlugen majestätisch an den steilen Felsen herauf. Am Eingange des Reichs hatte mein französischer Reisekamerad Zwist mit der Wache, die ihn nicht recht gern wollte passiren lassen. Meinen Paß vom Kardinal Ruffo besah man bloß, schrieb meinen Namen aus, und ich war abgefertigt. Der Franzose packte seine ganze Brieftasche aus, sprach hoch, erwähnte Suwarow, appellirte an den Minister und zwang die Wache durch etwas Impertinenz in Respekt, die von ihrer Seite auch wohl etwas über die Instruction gegangen seyn mochte. In Fondi, wo wir zu Mittag aßen, trafen wir ziemlich viel Militär, unter dem mehrere Deutsche waren. Die Stadt selbst liegt, wie es der Name zeigt, in einem der angenehmsten Thäler, nicht sehr weit vom Meere. Der Weg von Terracina dahin ist abwechselnd fruchtbar und lachend, durch hohe Felsen und fruchtbare Felder. Nicht weit von Fondi sollen, glaube ich, links an den Bergen noch die Ueberreste von der Villa des Nerva zu sehen seyn; ich hielt mich aber an die Orangegärten, und vergaß darüber den Kaiser, die alten Stadtmauern, den See, den heiligen Thomas und alle andere Merkwürdigkeiten. Noch einige Millien nach Itri hinaus ist die Gegend zwischen den Bergen ein wahres Paradies. Auf der Hälfte des Weges stand in einem engen Felsenpasse eine Batterie aus dem vorigen Kriege, wo die Franzosen tüchtig zurückgeschlagen wurden. Sie suchten sich aber einen andern Weg über die hohen Berge; ein Einfall, von dem die Neapolitaner sich gar nichts hatten träumen lassen! Das war eine etwas zu gutmüthige Zuversicht; man thut besser zu glauben, daß die Feinde alle Gemsenjäger sind, und in einer Entfernung von sechs deutschen Meilen ist es nie unmöglich, daß sie die Nacht noch kommen werden. Die Neapolitaner sahen den Feind im Rücken und liefen über Hals und Kopf nach Kajeta.

Itri war von den Franzosen häßlich mitgenommen worden. Man hatte die Kirchen verwüstet und Pferdeställe daraus gemacht. Das ist nun freilich nicht sehr human; von Religiosität nichts zu sagen. Der Ort liegt in einer Bergschlucht tief begraben. Es standen hier nur wenige Soldaten zur Polizei, deren Kommandant ein ehemaliger östreichischer Sergeant, jetzt neapolitanischer Fähnrich war, der uns die Ehre that, mit uns einige Stunden Wein zu trinken. Mein Franzose hatte keine Schuhe mehr; ich mußte ihm also doch Schuhe machen lassen. Den Morgen darauf konnte er nicht fort, weil seine Füße nicht mehr im baulichen Wesen waren, und ich wollte nicht bleiben, er suchte mich überdieß zu überreden, ich möchte mit ihm von Kajeta aus zur See gehen, weil er den Landweg nicht aushalten würde. Das ging für mich nun nicht, denn ich wollte über den Liris hinunter nach Kapua und Kaserta. Ich gab ihm also zu dem Ausgelegten noch einen Kaiserdukaten, quittirte in Gedanken schon, übergab ihn und mich dem Himmel, und wandelte allein ab. Fast hätte ich vergessen, Dir eine etwas ernsthafte Geschichte von Itri zu erzählen, nämlich ernsthaft für mich. Itri ist ein Nest; das Wirthshaus war schlecht. Unsere Wirthin war eine ziemlich alte Maritorne, die ihren Mann in der Revolution verloren und sich zur Haushaltung und den übrigen Behufen einen jungen Kerl genommen hatte. Ich legte mich oben auf einem Saale zu Bette, und mein Kamerad zechte unten noch eins mit dem Herrn Fähnrich Kommandanten, der wiedergekommen war, und kam mir sodann nach. Er war etwas über See und schlief sogleich ein; ich philosophirte noch eins topsyturvy. Da hörte ich unten einen wilden Kerl nach dem andern ankommen und sehr laut werden. Die Anzahl mochte wohl bis zehen oder zwölf gestiegen seyn. Nun vernahm ich, daß es über unsere armen Personalitäten geradezu herging und daß man über uns eine ziemlich furchtbare Nachtinquisition hielt. „Sono cattiva gente.“ hieß es in einem hohen Ton einmal über das andere; und man that mehr als einmal den Vorschlag, mit uns zu verfahren nach der Neapolitaner Revolutionsweise. Mein Franzose schnarchte. Du kannst denken, daß mir nicht sonderlich lieblich dabei zu Muthe ward. Man schlägt hier zum Anfang sogleich die Leute todt, und macht sodann nachher — eben weiter keinen Prozeß. Die alte Dame, unsere Wirthin, nahm sich unser mit einem exemplarischen Muth an, sprach und schrie was sie konnte, und behauptete, daß wir ehrliche Leute wären; der Kommandant hätte unsere Pässe gesehen. Nun schien man zum Unglück dem Kommandanten selbst in der Politik gerade nicht viel Gutes zuzutrauen. Der Himmel weiß, wie es noch möchte geworden seyn. Ich zog ganz stille Rock und Stiefeln an, nahm meine ganze Kontenanz und mein ganzes Bißchen Italienisch zusammen, und machte Miene die Treppe hinab unter sie zu gehen. „Meine Herren,“ sagte ich so stark und bestimmt als ich konnte, „ich bin ein fremder Reisender; ich dächte, im Wirthshause, wo ich bezahle, dürfte ich zur Mitternacht Ruhe erwarten. Ich höre, ich bin Ihnen verdächtig; führen Sie mich vor die Behörde, wohin Sie wollen: aber machen Sie die Sache mit Ernst und Ruhe und als ordentliche brave Leute ab!“ Es ward stiller; die Wirthin und Einige von ihnen baten mich oben zu bleiben, welches ich natürlich sehr gern that; und nach und nach schlichen sie alle fort. Spaßhaft ist es nicht ganz; denn dort geht man selten ohne Flinte und Messer, und jeder ist zur Execution fertig.

Den andern Morgen wandelte ich also allein zwischen den Oelbergen nach Mola di Gaeta hinüber. Die Amme ist durch dieses Etablissement ihres Namens fast berühmter geworden, als ihr frommer Milchsohn. Warum war ich nun nicht gestern noch bis hierher gegangen? Hier fand ich ein großes, schönes, ziemlich billiges Gasthaus, wo ich bei frischen Eiern und bei frischen Fischen, die nicht weit von mir aus dem Meere gezogen wurden, und frischen herrlichen Früchten ein vortreffliches Frühstück hielt. Unter mir stand ein Citronengarten in der schönsten Gluth der Früchte; und links und rechts übersah ich die Bucht von der Spitze des Vorgebirges rund herum bis hinüber nach Ischia und Procida. Es ist, in der Entfernung von einigen hundert Meilen, das köstlichste Dessert, wenn wir uns durch die Erinnerung irgend eines kleinen Vorfalles mit unsern Freunden wieder in nähere Berührung setzen können. Hier auf der nämlichen Stelle hatte vor mehrern Jahren Friedrich Schulz gesessen und Fische und Früchte gegessen, und mich aufgefordert, seiner zu gedenken, wenn ich von Mola auf das klassische Land umher schauen würde. Jetzt ist er nicht mehr, der Liebling seiner Freunde und der Grazien, der die Freude bei den Fittigen zu halten verstand und sie rund umher gab. Wo auch seine Asche ruht, ein Biederer müsse hingehen und sie segnen! Keiner seiner Schwachheiten werde gedacht; er machte durch sein Herz gut, was sein Kopf versah.

Nun ging ich vergnügt und froh die schöne magische Gegend hinauf und hinab, bis hinunter, wo der Nachricht zufolge ehemals Cicero’s Formiä stand, bis an den Liris hinab. Langsam wallte ich dahin; mir däuchte, ich sähe die Schatten des Redners und des Feldherrn, des Tullius und des Marius, daher ziehen. Hier legte der Patriot den Kopf zur Sänfte heraus, und ließ sich von dem Hauptmanne, dem er das Leben gerettet hatte, entschlossen den Lohn für seine Philippiken zahlen. Es ist mir der ehrwürdigste Moment in Cicero’s Leben; der einzige vielleicht, wo er wirklich ganz rein als selbstständiger Mann gehandelt hat. Als er gegen Verres sprach, war es vielleicht Ruhmsucht, von der Rednerbühne zu glänzen; Gefahr war nicht dabei; als er gegen Katilina donnerte, stand seine Existenz auf dem Spiel und er hatte keine andere Wahl, als zu handeln oder mit zu Grunde zu gehen; als er gegen Antonius wüthete, trieben ihn wahrscheinlich Haß und Parteisucht. Im Glück prahlte er, im Unglück jammerte er: er zeigte in seinem ganzen Leben oft viel Ehrlichkeit und Wohlwollen, aber nur im Tode den Muth, der dem Manne ziemt. Sein Tod hat mich in gewisser Rücksicht mit seinem Leben ausgesöhnt; so wie es Männer in der Geschichte giebt, deren Tod fast das Verdienst ihres Lebens auslöscht. Dort unten lag Minturnä; dort, stelle ich mir vor, stand das Haus, wo der Cimbrer mit dem Schwerte kam, als öffentlicher Henker den Ueberwinder seiner Nation zu tödten, und wo dieser gefangene Ueberwinder ihn mit einigen Worten Todesschrecken in die Glieder jagte. „Mensch, wagst du es, den Kajus Marius zu morden?“ Weiter hinab rechts ist die Sumpfgegend, wo nach der Flucht der erste Mann der ersten Stadt der Welt sich im Schilfe verbarg, bis er sich hinüber nach Afrika retten konnte. Ich setzte unter diesen Gedanken über den Garigliano, und merkte kaum, daß ich diesseits von einer Menge Mauleseltreiber umgeben war, die mir alle sich und ihre Thiere zum Dienst anboten. Da half kein Demonstriren, sie machten die Kleinigkeit der Forderung noch kleiner, und setzten mich halb mit Gewalt auf ein lastbares Stück, schnallten meinen Reisesack in Ordnung, und so zog ich mit der lieblichen Karavane weiter. Ein Kalabrese hatte mich in Mola gebeten, ihm meine Gesellschaft zu erlauben, und ich konnte nichts dawider haben. Ein Junge von ungefähr dreizehn Jahren hatte sich einige Millien weiter herab angeschlossen, der in der Residenz sein Glück versuchen wollte, weil seine Stiefmutter zu Hause den Kredit ihres Namens etwas zu streng behauptete. Beide liefen nebenher. Es wurde bald alles durchgefragt, und der Junge mußte etwas weitläuftig seine Geschichte erzählen. Nun fing mein alter Eseltreiber an mit wahrhaft väterlicher Wärme dem jungen Menschen die Gefahr vorzustellen, der er entgegen liefe. Er that dieses mit einer Zärtlichkeit, einer Heftigkeit, und zugleich mit einer Behutsamkeit im Vortrage, die mir den alten Mann sehr werth machten. Wäre ich Sultan gewesen, ich hätte den Eselstreiber zum Mufti gemacht, und es würde gewiß gut gegangen seyn. Diese schöne bedachtsame Philanthropie wäre manchem unserer Moralisten zu wünschen. Auch schien er über die ehrenvolle Gesellschaft durch seinen Verstand und seinen heitern Ernst ein ziemliches Ansehen zu haben. Kurz vor Sessa schieden wir; ich setzte mich von dem Esel wieder auf meine Füße. Er gab dem jungen Menschen zu seinem Rathe noch etwas Geld; und ich griff natürlich über dem Alten und dem Jungen auch etwas tiefer in die Tasche, als wohl gewöhnlich. Mein Kalabrese begleitete mich, ich mochte wollen oder nicht, auf die Post, als das beste Wirthshaus. Der Junge ging weiter.

Da es noch hoher Tag war, spazirte ich hinauf nach Sessa, das, wie ich hörte, viel alte Merkwürdigkeiten hat, und ehemals eine Hauptstadt der Volsker war. Der Weg von der Post hinunter und in die Stadt hinauf ist angenehm genug; und die Lage des Orts ist herrlich mit den schönsten Aussichten, rechts nach Kajeta und links über die Niederung weg nach dem Gaurus hinüber. Als ich in der Kathedralkirche stand und einen heiligen Johannes, der enthauptet wird, betrachtete, und eben so sehr die Andacht einiger jungen ganz hübschen Weiber beherzigte, die den schönen Mann auf dem Bilde mit ihren Blicken festhielten, trat mein alter Eseltreiber, der auf der andern Seite heraufgekommen war, zu mir, mich zu begrüßen. Er hatte mich vielleicht wegen einiger Aeußerungen etwas lieb gewonnen, und vermuthlich die Silberstücke gesehen, die ich dem Buben gegeben hatte; und als wir aus der Kirche traten, führte er mich in den Zirkel seiner Zunftleute und stellte mich wohl funfzig Eseltreibern aus Sessa und der Gegend mit der freundschaftlichsten Theilnahme vor. Mir däucht, wenn die Leute hier Wahltag gehabt hätten, sie hätten mich, dem Minister zum Trotz, einstimmig zu ihrem Deputirten im Parlamente gemacht: so sehr bezeigten sie mir alle ihr Wohlwollen; und ich kann Dir nicht läugnen, es däuchte mir mit völligem Rechte wenigstens eben so wohl, als da mich in Warschau die alte kommandirende Excellenz unter den Arm faßte, in dem Zimmer herumführte und mir in vollem Kreise die Ausfertigung einer Depesche ins Ohr flüsterte. Aus diesem Zirkel zogen mich einige sehr artige junge Leute, die mich weiter herum begleiteten, und vorzüglich zu den Augustinern führten, die hier für ihre Bäuche den behaglichsten Ruheplatz mit der schönsten Aussicht nach allen Seiten ausgesucht hatten. Der einzige Beweis, daß die Leute doch noch etwas klassischen Geschmack haben müssen, ist, daß sie die Falerner Berge übersehen. Ihr Gebäude ist für das Gelübde der Armuth eine Blasphemie. Doch daran bin ich schon gewöhnt; man braucht eben nicht erst über den Liris zu gehen, um so ausschweifende Pracht, so unsinnige Verschwendung zu sehen. An der Ueberfahrt über den Garigliano oder Liris sieht man noch die Substruktion einer alten Brücke, und nicht weit davon jenseits die Reste einer Wasserleitung. Der Fluß selbst, der nicht sehr breit ist, muß, trotz dem Prädikate der Stille, das ihm Horaz giebt, doch zuweilen gefährlich zu passiren seyn: denn er ist ziemlich tief und jetzt im Frühling sehr schnell; und man erzählte mir, daß, als die Franzosen ungefähr zwei Stunden aufwärts mit der Reiterei durch denselben setzen wollten, ihrer viele dabei umgekommen wären. An den Ufern desselben weiden große Heerden Büffel.

Als ich wieder hinunter kam, setzte man mir auch Falerner Wein vor; für die Aechtheit will ich indessen nicht stehen. Es ist bloß die klassische Neugierde ihn getrunken zu haben; denn er hat schon längst seinen alten Kredit verloren. Höchst wahrscheinlich ist die Ursache der Ausartung Vernachlässigung, wie bei den meisten italienischen Weinen, die sich besser halten würden, wenn man sie besser hielte. Als wir den Morgen auswandelten, ward meinem Kalabresen entsetzlich bange; er behauptete, das folgende große Dorf bestände aus lauter Räubern und Mördern, welche die Passage von Montagne Spaccate zu ihrem Tummelplatz machten. Jeder Windstoß durch das Gesträuch erschreckte ihn; und als wir vollends einige bis auf die Zähne abgedorrte Köpfe in eisernen Käfichen an dem Felsen befestigt sahen, war er der Auflösung seines Wesens nahe, ob er gleich den Krieg als königlicher Kanonier mitgemacht hatte, und ein Kerl wie ein Bär war. Er faselte von lauter mariuoli, wie er sie nannte, die gar fürchterliche Leute seyn sollten und von denen er erschreckliche Dinge erzählte. Als ich mir eine Beschreibung der Kerle ausbat, sagte er: man wüßte nicht, woher sie kämen und wohin sie gingen, sondern nur was sie thäten; sie plünderten und raubten und schlügen todt, wo sie könnten; gingen zu Dutzenden bewaffnet, und erschienen und verschwänden, ohne sich um etwas zu bekümmern. Nach seiner Angabe kommen sie meistens aus den Bergen von Abruzzo. Ich habe nun freilich zur Schande der Regierung gefunden, daß der Mensch ziemlich Recht hat. Er pinselte mir aber die Ohren so voll, daß ich ihm sagte, er möchte mich ungehudelt lassen mit seinen erbärmlichen Litaneien; wenn ich todt geschlagen werden sollte, so wollte ich mich doch wenigstens vorher nicht weiter beunruhigen. Das kam dem Kerl sehr gottlos vor, und mir seine Klagelieder sehr albern. Er trieb mich immer vorwärts, mich nur durch die berüchtigte Felsenpassage zu bringen, und dankte allen Heiligen inbrünstiglich, als wir aus der Gegend heraus waren. Er segnete meinen Entschluß, als ich mich auf der Straße von einem Vetturino bereden ließ, mich einzusetzen und mich mit ihm bis nach Kapua bringen zu lassen. Als wir in Kapua ankamen, war der Gouverneur nach Kaserta gefahren, und man wollte durchaus, ich sollte seine Rückkehr erwarten, damit er meinen Paß ratificiren möchte. Endlich bestürmte ich den Capitaine du jour so viel, daß er mir den Paß ohne Visirung zurück gab, und dem Officier an dem Thore Befehl schickte, er solle mich gehen lassen; er selbst wolle die Ausnahme verantworten.

Nun wollte ich über Altkapua nach Kaserta gehen; dazu war aber mein Kalabrese durchaus nicht zu bringen; er meinte, das wäre der sichere Tod; da wimmelte es von Mariuolen. Ich gab dem Schuft einige Karlin, verstehe neapolitanische, ließ ihn rechts nach Aversa fortrollen, um dort am rechten Orte seine attellanischen Fabeln zu erzählen, und schlug mich links nach Altkapua. Einige ehrsame Bürger aus der Festung Neukapua, die ich einholte und denen ich die lächerliche Furcht des Menschen erzählte, meinten, es sei zwar etwas Gefahr, werde aber immer übertrieben, und man habe nun doch schon seit einigen Wochen nichts gehört. Die Herren schienen sich patriotisch ihrer vaterländischen Gegend anzunehmen. Wo ehemals Kapua war, steht jetzt, glaube ich, der Flecken Sankt Martin, ungefähr eine Stunde von der neuen Stadt, die unten am Vulturnus in einer bessern militärischen Position angelegt ist. Sankt Martin ist noch jetzt eine Lustpartie für die Bürger der neuen Stadt, so sehr behauptet der alte Platz seinen Kredit. Es steht bekanntlich noch der Rest eines alten Amphitheaters, das aus den Zeiten der Römer und also verhältnißmäßig neu ist, welches die Antiquare hinlänglich kennen, auf die ich Dich verweise. Ich ging durch die Trümmern eines Thors, welches vermuthlich das nämliche ist, durch das Hannibal seinen Ruhm hinein und nicht wieder heraus trug, ließ nach kurzer Beschauung das Theater links liegen und pilgerte den Weg nach Kaserta fort. Es stehen dort an der Straße links und rechts nicht weit von einander ein Paar Monumente, die vermuthlich römische Begräbnisse sind, und von denen eines wenigstens in sehr gutem Styl gearbeitet zu seyn scheint.

Es wäre überflüssig, Dir eine Beschreibung des Schlosses in Kaserta anzufangen, die Du hier und da gewiß weit genauer und besser finden kannst. Der erste Anblick ist groß und wirklich imponirend. Die Garten links, die schönen Pflanzungen rechts, der prächtige Schloßplatz und die Gebäude rund umher, Alles beschäftigt. Vorzüglich wird das Auge gefesselt von der Ansicht durch das große Thor, welche durch das ganze Schloß und die Gärten bis weit hinaus auf die Berge geht, über welche man die berühmte Wasserleitung herüber gebracht hat. Diese schöne, reiche Kunstkaskade schließt den Grund der Partie. Man wird selten irgendwo so etwas Magisches finden. Du weißt, daß auch hier die Franken etwas willkührlich gehaus’t haben: jetzt ist der Kronprinz und Seine Sardinische Majestät hier.

Auf der Post empfing man mich, ob ich gleich Fußgänger war, mit vieler Artigkeit, und ich hatte bald einen Trupp Neugieriger um mich her, die mich von Adam bis Pontius Pilatus ausfragten; und Alle wunderten sich, daß ich den Räubern noch nicht in die Hände gefallen wäre. Humane Theilnahme und Billigkeit zeichnete das Haus vor vielen andern aus. Ich hatte nur noch einige Stunden Zeit die Stadt zu besehen; dieß war aber zur Auffassung eines richtigen Totaleindrucks genug. Den andern Morgen, als ich abgehen wollte, arretirte mich wieder ein Vetturino an der Ecke des Marktes: „Volete audare in carozza, Signore?“ — „Ma si, si,“ sagte ich, „se partite presto presto.“ — „Questo momento; favorisca montare.“ Ich stieg ein und setzte mich neben einen stattlichen dicken Herrn; sogleich kamen noch zwei andere und wir rollten zum Thore hinaus.

Dieses ist als das schöne reiche, seelige Kampanien, das man, seit es so bekannt ist, zum Paradiese erhoben hat, für das die römischen Soldaten ihr Kapitol vergessen wollten! Es ist wahr, der Strich zwischen Aserva, Kapua, Kaserta, Nola und Neapel, zwischen dem Vesuv, dem Gaurus und den hohen Apenninen, oder das sogenannte Kampanerthal, ist von Allem, was ich in der alten und neuen Welt bis jetzt noch gesehen habe, der schönste Platz, wo die Natur alle ihre Gaben bis zur höchsten Verschwendung ausgegossen hat. Jeder Fußtritt trieft von Segen. Du pflanzest einen Baum, und er wächst in kurzer Zeit schwelgerisch breit und hoch empor; Du hängst einen Weinstock daran und er wird stark, wie ein Stamm, und seine Reben laufen weitausgreifend durch die Krone der Ulme; der Oelbaum steht mit bescheidener Schönheit an dem Abhange der schützenden Berge; die Feige schwillt üppig unter dem großen Blatte am gesegneten Aste; gegenüber glüht im sonnigen Thale die Orange, und unter dem Obstwalde wallt der Weizen, nickt die Bohne, in reichlicher lieblicher Mischung. Der Arbeiter erntet dreifach auf dem nämlichen Boden in Fülle, Obst und Weizen und Wein; und Alles ist üppige, ewig jugendliche Kraft. Unter diesen magischen Abwechselungen kamen wir in einigen Stunden in Parthenope an. Der stattliche dicke Herr, mein Nachbar, schien die Deutschen etwas in Affektion genommen zu haben, war ehemals einige Monate in Wien und Prag gewesen, wußte einige Dutzend Wörter von unserer Sprache, und war die Gefälligkeit selbst. Er war aus dem königlichen Hause, und mich wunderte deswegen seine Artigkeit etwas mehr, da Höflichkeit in der Regel bei uns nicht mit zu den ausgezeichneten Tugenden der Hausofficianten der Großen gehört. In Neapel brachte er mich in einem eigenen Wagen in das Haus eines seiner Bekannten an dem Ende des Toledo, bis ich den Herrn Heigelin aufgesucht hatte, an den meine Empfehlung von Wien lautete. Es ist wirklich sehr wohlthätig, wenn man, bei dem ersten Eintritt in so einen Ort, wie Neapel ist, als Wildfremder eine so freundliche Hand zur Leitung findet, bis man sich selbst etwas orientiren kann.

Neapel.

Du mußt und wirst von mir nicht erwarten, daß ich Dir eine topische, statistische, literarische oder vollständige kosmische Beschreibung von den Städten gebe, wo ich mich einige Zeit aufhalte. Dazu ist mein Aufenthalt zu kurz; die kannst Du von Reisenden von Profession, oder aus den Fächern besonderer Wissenschaften gewiß besser bekommen. Ich erzähle Dir nur freundschaftlich, was ich sehe, was mich vielleicht beschäftigt und wie es mir geht. Meine Wohnung ist hier auf Monte Oliveto. Wie der Ort zu dem Namen des Oelberges kommt, weiß ich nicht; er ist aber eine der besten Straßen der Stadt, nicht weit vom Toledo, mit welchem er sich oben vereiniget. Die Besitzerin des Hauses ist eine Französin, die sich seit einigen Jahren der hiesigen Revolution wegen zu ihrer Sicherheit in Marseille aufhält. Ich habe Ursache zufrieden zu seyn: es ist gut und billig. Die Gesellschaft besteht meistens aus Fremden, Engländern, Deutschen und Franzosen; die letzten machten jetzt hier die größte Anzahl aus.

Seit einigen Tagen bin ich mit einem alten Genuesen, der halb Europa kennt und hier den Lohnbedienten und ein Stück von Cicerone macht, in der Stadt herumgelaufen. Der alte Kerl hat ziemlich viel Sinn und richtigen Takt für das Gute und sogar für das Schöne. Er hielt mir einen langen Sermon über die Landhäuser der Kaufleute rund in der Gegend umher, und bemerkte mit censorischer Strenge, daß sie das Verderben vieler Familien würden. Man wetteiferte gewöhnlich, wer das schönste Landhaus und die schönste Equipage habe, wer auf seinem Casino die ausgesuchtesten Vergnügen genieße und genießen lasse, und wetteiferte sich oft zur Vergessenheit und endlich ins Unglück. Sitten und Ehre und Vermögen würden vergeudet. Kaum habe der Kaufmann ein kleines Etablissement in der Stadt, so denke er schon auf eines auf dem Lande; und das zweite koste oft mehr, als das erste. Spiel und Weibergalanterie und das verfluchte oft abwechselnde Cicisbeat seien die stärksten Gegenstände des Aufwands; und doch sei das Cicisbeat hier noch nicht so herrschend, als in Rom. Wenn Du mir einwendest, daß das ein Lohnbedienter spricht; so antworte ich: „Jeder hat sein Wort in seinem Fache, und hier ist der alte Kerl in dem seinigen. Seine Amtsbrüder in Leipzig und Berlin können gewiß auch weit bessere Nachrichten über gewisse Artikel geben, als man auf dem Rathhause finden würde. Jeder hat seine Sphäre, der Finanzminister und der Thorschreiber.“ Ich sah die Kirche des heiligen Januar in der Stadt; Neapel sollte, däucht mir, eine bessere Kathedrale haben. Das Vorzüglichste darin sind einige merkwürdige Grabsteine und die Kapelle des Heiligen. Dieses ist aber nicht der Ort, wo er gewöhnlich schwitzen muß; das geschieht vor der Stadt in dem Hospital bei den Katakomben. In den Katakomben kroch ich über eine Stunde herum, und beschaute das unterirdische Wesen, und hörte die Gelehrsamkeit des Cicerone, der, wie ich vermuthete, Glöckner des Hospitals war. Ueber den Grüften ist ein Theil des Gartens von Capo di monte. Der Führer erzählte mir eine Menge Wunder, welche die Heiligen Januarius und Severus hier ganz gewiß gethan haben, und ich war unterdessen mit meinen Konjekturen bei der Entstehung dieser Grüfte. Hier und da lagen in den Einschnitten der Zellen noch Skelette, und zuweilen ganze große Haufen von Knochen, wie man sagte, von der Zeit der großen Pest. Die römischen Katakomben habe ich nicht gesehen, weder nahe an der Stadt noch in Rignano, weil mich verständige Männer und Kenner versicherten, daß man dort sehr wenig zu sehen habe und es nun ganz ausgemacht sei, daß das Ganze weiter nichts als Puzzolangruben gewesen, die nach und nach zu dieser Tiefe und zu diesem Umfang gewachsen. Das ist begreiflich und das Wahrscheinlichste.

Die heilige Klara hat das reichste Nonnenkloster in der Stadt und eine wirklich sehr prächtige Kirche, wo auch die Kinder des königlichen Hauses begraben werden. Die Nonnen sind alle aus den vornehmsten Familien; und man hat ihre Thorheit und ihr Elend so glänzend, als möglich zu machen gesucht. Mein alter Genuese, der ein großer Hermenevte in der Kirchengeschichte ist, erzählte mir bei dieser Gelegenheit ein Stückchen, das seinen Exegetentalenten keine Schande macht, und dessen Würdigung ich den Kennern überlasse. Die heilige Klara war eine Zeitgenossin des heiligen Franziskus und des heiligen Dominikus; und man giebt ihr Schuld, sie habe beide insbesondere glauben lassen, sie sei Jedem ausschließlich mit sehr feuriger christlicher Liebe zugethan. Dieses thut ihr in ihrer Heiligkeit weiter keinen Schaden. Jeder der beiden Heiligen glaubte es für sich und war selig, wie das zuweilen auch ohne Heiligkeit zu gehen pflegt. Dominikus war ein großer, starker, energischer Kerl, ungefähr wie der Moses des Michel Angelo in Rom, und sein Nebenbuhler Franziskus mehr ein ätherischer, sentimentaler Stutzer, der auch seine Talente zu gebrauchen wußte. Nun sollen auch die heiligen Damen zu verschiedenen Zeiten verschiedene Qualitäten lieben. Der handfeste Dominikus traf einmal den brünstigen Franziskus mit der heiligen Klara in einer geistlichen Exstase, die seiner Eifersucht etwas zu körperlich vorkam; er ergriff in der Wuth die nächste Waffe, welches ein Bratspieß war, und stieß damit so grimmig auf den unbefugten Himmelsführer los, daß er den armen schwachen Franz fast vor der Zeit dahin geschickt hätte. Indeß der Patient kam davon, und aus dieser schönen Züchtigung entstanden die Stigmen, die noch jetzt in der christlichen Katholicität mit allgemeiner Andacht verehrt werden. Ich habe, wie ich Dir erzählte, ihm in Rom gegenüber gewohnt, und sie dort hinlänglich in Marmor dokumentirt gesehen. Mein Genuese sagte mir die heilige Anekdote nur vertraulich ins Ohr, und wollte übrigens als ein guter Orthodox weiter keine Glosse darüber machen, als daß ihm halb unwillkührlich entfuhr: „Quelles bêtises on nous donne à digérer! Chacun les prend à sa façon.

Heute besuchte ich auch Virgils Grab. Die umständliche Beschreibung mag Dir ein Anderer machen. Es ist ein romantisches, idyllisches Plätzchen; und ich bin geneigt zu glauben, der Dichter sei hier begraben gewesen, die Urne mag nun hingekommen seyn, wohin sie wolle. Das Gebäudchen ist wohl nichts anderes, als ein Grab, nicht weit von dem Eingange der Grotte Posilippo, und eine der schönsten Stellen in der schönen Gegend. Ich weiß nicht, warum man sich nun mit allem Fleiß bemüht, den Mann auf die andere Seite der Stadt zu begraben, wo er nicht halb so schön liegt, wenn auch der Vesuv nicht sein Nachbar wäre. Ich bin nicht Antiquar; aber die ganze Behauptung, daß er dort auf jener Seite liege, beruht doch wohl nur auf der Nachricht, er sei am Berge Vesuv begraben worden. Das ist er aber auch, wenn er hier liegt; denn der Berg ist gerade gegenüber: in einigen Stunden war er dort, wenn er zu Lande ging; und setzte er sich in ein Boot, so ging er noch schneller. Die Entfernung eines solchen Nachbars, wie Vesuv ist, wird nicht eben so genau genommen. Lag er dort, so hat ihn auf alle Fälle der Berg tiefer, halb in den Tartarus gebracht. Aber alle übrigen Umstände sind mehr für diese Seite der Stadt. Hier ist die reichste, schönste Gegend; hier waren die vorzüglichsten Niederlassungen der römischen Großen, vornehmlich auf der Spitze des Posilippo die Gärten des Pollio, der ein Freund war des römischen Avtokrators und ein Freund des Dichters; nach dieser Gegend lagen Puteoli und Bajä und Cumä, der Avernus und Misene, die Lieblingsgegenstände seiner Dichtungen; diese Gegend war überhaupt der Spielraum seiner liebsten Phantasie. Wahrscheinlich hat er hier gewohnt, und wahrscheinlich ist er hier begraben. Donat, der es, wenn ich nicht irre, zuerst erzählt, konnte wohl noch sichere Nachrichten haben, konnte davon Augenzeuge gewesen seyn, daß das Monument noch ganz und wohl erhalten war; hatte durchaus keine Ursache, diesem Fleckchen irgend einen Vorzug vor den übrigen zu geben, und dieses ist der Ort seiner Angabe: zwei Steine von der Stadt, an dem Wege nach Puteoli, nicht weit von dem Eingange in die Grotte. Ich will nun auch einmal glauben — man hat für manchen Glauben weit schlechtere Gründe — und also glaube ich, daß dieses Maros Grab sei. Den Lorbeer suchst Du nun umsonst; die verkehrten Afterverehrer haben ihn so lange bezupft, daß kein Blättchen mehr davon zu sehen ist. Ich nahm mir die Mühe hinauf zu steigen, und fand nichts, als einige wild verschlungene Kräuter. Der Gärtner beklagte sich, daß die gottlosen vandalischen Franzosen ihm den allerletzten Zweig des heiligen Lorbeers geraubt haben. Dichter müssen es nicht gewesen seyn: denn davon wäre doch wohl etwas in die Welt erschollen, daß der Lorbeer von dem Lateiner neuerdings auf einen Gallier übergegangen sei. Vielleicht schlägt er für die Gläubigen am Grabe des Mantuaners wieder aus. Man sollte wenigstens zur Fortsetzung der schönen Fabel das Seinige beitragen; ich gab dem Gärtner geradezu den Rath.

Als ich hier und bei Sanazars Grabe nicht weit davon in der Servitenkirche war, verfolgte mich ein trauriger Cicerone so fürchterlich mit seiner Dienstfertigkeit, mir die Antiquitäten erklären zu wollen, daß er durchaus nicht eher von meiner Seite ging, bis ich ihm einige kleine Silberstücke gab, die er sehr höflich und dankbar annahm. Ich habe mich nicht enthalten können, bei dieser Gelegenheit wahres Mitleid mit dem großen Cicero zu haben, daß sein Name hier so erbärmlich herumgetragen wird. Die Ciceronen sind die Plagen der Reisenden, und immer ist einer unwissender und abenteuerlicher, als der andere. Den vernünftigsten habe ich noch in Tivoli getroffen, der mir auf der Eselspromenade zum wenigsten ein Dutzend von Horazens Oden rezitirte und nach seiner Weise kommentirte.

Ich versuchte es an dem Fuße des Posilippo am Strande hinaus bis an die Spitze zu wandeln: es war aber nicht möglich weiter als ungefähr eine Stunde zu kommen: dann hörte jede Bahn auf, und das Ufer bestand hier und da aus schroffen Felsen. Hier stehen in einer Entfernung von ungefähr einer Viertelstunde zwei alte Gebäude, die man für Schlösser der Königin Johanna hält, wo sie zuweilen auch ihr berüchtigtes Unwesen getrieben haben soll. Sie sind ziemlich zu so etwas geeignet, gehen weit ins Meer hinein, und es ließe sich sehr gut zeigen, wozu dieses und jenes gedient haben könnte. Zwischen diesen beiden alten leeren Gebäuden liegt das niedliche Casino des Ritters Hamilton, wo er beständig den Vesuv vor Augen hatte; und man thut ihm vielleicht nicht ganz unrecht, wenn man aus dem Orte seiner Vergnügungen auf etwas Aehnlichkeit mit dem Geschmack der schönen Königin schließt, die von der bösen Geschichte doch wohl etwas schlimmer gemacht worden ist, als sie war. Ich war genöthigt wieder zurückzugehen, und nicht weit von der Villa Reale nahmen mich eine Menge Bootsleute in Beschlag, die mich an die Spitze hinausrudern wollten. Es schien mir für den Vormittag zu spät zu seyn; deßwegen wollte ich nichts hören. Aber man griff mich auf der schwachen Seite an; man blickte auf die See, welche sehr hoch ging, an den Himmel, wo Sturm hing und auf mich mit einer Miene, als ob man sagen wollte: das wird dich abhalten. Dieser Methode war nicht zu widerstehen, ich bezahlte die Gefahr sogleich mit einem Piaster mehr, und setzte mich mit meinem alten Genuesen in ein Boot, das ich erst selbst herunter ziehen half. Der Genuese hatte auch mehrere Seereisen gemacht, und hatte Muth, wie ein Delphin. Aber die Fahrt ward ihm doch etwas bedenklich; der Sturm heulte von Sorrent und Capri gewaltig herüber, und die Wogen machten rechts eine furchtbare Brandung, das Wasser füllte reichlich das Boot, und der Genuese hatte in einem Stündchen die Seekrankheit bis zu der letzten Wirkung. Ich wollte um das Inselchen Nisida herum gerudert seyn; das war aber nicht möglich: wir mußten, als wir einige hundert Schritte vor dem Einsiedler vorbei waren, umkehren und unsere Zuflucht in ein einsames Haus nehmen, wohin man in der schönen Zeit von der Stadt aus zuweilen Wasserpartien macht, wo es aber jetzt traurig genug aussah. Indessen fütterte uns doch der Wirth mit Maccaroni und gutem Käse. Nicht weit von hier, nahe an dem Inselchen Nisida, auf welchem auch Brutus vor dem Tode der Republik sich einige Zeit aufgehalten hat, sind die Trümmern eines alten Gebäudes, die aus dem Wasser hervorragen, und die man gewöhnlich nur Virgils Schule nennt. Wenn man nun gleich den Ort wohl sehr uneigentlich Virgils Schule nennt, so ist es doch sehr wahrscheinlich, daß er hier oft gearbeitet haben mag. Es ist eine der angenehmsten klassischen, mythologischen Stellen, welche die Einbildungskraft sich nur schaffen kann. Vermuthlich gehörte der Platz zu den Gärten des Pollio. Er hatte hier um sich her einen großen Theil von dem Theater seiner Aeneide, alle Oerter, die an den Meerbusen von Neapel und Bajä liegen, von den phlegräischen Feldern bis nach Sorrent.

Nicht weit von der Landspitze und von dem Wirthshause, wo ich einkehrte, stand ehemals ein alter Tempel der Fortuna, von dem noch einige Säulen und etwas Gemäuer zu sehen sind. Jetzt hat man an dem Orte ein christliches Kirchlein gebauet und es der Madonna della fortuna geweiht. Man hat bekanntlich Manches aus dem Heidenthum in den christlichen Ritus übergetragen, die Saturnalien, das Weihwasser und vieles Andere; aber besser hätte man nicht umändern können: denn es ist wohl auf der ganzen Erde, in der wahren Geschichte und in der Fabellehre kein anderes Weib, das ein solches Glück gemacht hätte, als diese Madonna. Ein wenig weiter landeinwärts sind in den Gärten noch die gemauerten Tiefen, die man mit Wahrscheinlichkeit für die Fischhälter des Pollio annimmt, und in dieser Meinung eine große marmorne Tafel an der Thür angebracht hat, auf welcher lateinisch alle Gräuel abscheulich genug beschrieben sind, die der Heide hier getrieben hat; wo denn natürlich die Milde unserer Religion und unserer Regierungen ächt kardinalisch gepriesen wird. Ich weiß nicht, ob man nicht vielleicht mit dem britischen Klagemann sagen sollte: „A bitter change, severer for severe!“ Es ist jetzt kaum ein Sklave übrig, den Pollio in den Teich werfen könnte.

Mein Genuese bat mich um alles in der Welt, ihn nicht wieder ins Boot zu bringen. Auch ich war sehr zufrieden, auf einem andern Wege nach der Stadt zurück zu kehren. Ich zahlte also die Bootsleute ab, und wir gingen auf dem Rücken des Posilippo nach Neapel. Diese Promenade mußt Du durchaus machen, wenn Du einmal hierher kommst; sie ist eine der schönsten, die man in der herrlichen Gegend suchen kann. Lange Zeit hat man die beiden Meerbusen von Neapel und Bajä rechts und links im Gesicht, genießt sodann die schöne Uebersicht auf die Partie jenseits des Berges nach Pozzuoli, welche die Neapolitaner mit ihrer verkehrten Zunge nur chianura oder die Ebene nennen. Man kommt nach ungefähr vier Millien des herrlichsten Weges in der Gegend von Virgils Grabe wieder herunter auf die Straße. Der Spaziergang ist freilich etwas wild, aber desto schöner.

Man sagte mir, die Regierung habe wollen eine Straße rund um den Posilippo herum auf der andern Seite nach Pozzuoli führen, so daß man nicht nöthig hätte, durch die Grotte und die etwas ungesunde Gegend jenseits derselben zu fahren, sondern immer am Meere bliebe. Das wird in der That einer der herrlichsten Wege werden; ungefähr eine halbe Stunde ist gemacht: aber wenn doch die neapolitanische Regierung vorher das Nöthige, Gerechtigkeit, Ordnung und Polizei, besorgte; das andere würde sich dann so nach und nach schon machen.

Bekanntlich wird das Fort Sankt Elmo mit der darunter liegenden Karthause für die schönste Partie gehalten; und sie ist es auch für alle, die sich nicht weiter auf den Vesuv, oder zu den Kamaldulensern bemühen wollen. Es ist ein ziemlicher Spaziergang auf die Karthause, den unser schlesischer Landmann, Herr Benkowitz, schon für eine große Unternehmung hält, auf welche er sich den Tag vorher vorbereitet. Ich Tornisterträger steckte die Tasche voll Orangen und Kastanien und wandelte damit zum Morgenbrote sehr leicht hinauf. In das Fort zu kommen hat jetzt bei den Zeitumständen einige Schwierigkeit, und man muß vorher dazu die Erlaubniß haben. Man sieht in der Karthause fast eben soviel, nur hat man nicht das Vergnügen, zehen oder zwanzig Klaftern höher zu stehen. Die Karthause hat der König ausgeräumt und sich die meisten Schätze zugeeignet. Es ist jetzt nur noch ein einziger Mönch da, der den Ort in Aufsicht hat. In der Kirche sind noch mehrere schöne Gemälde, besonders von Lanfranc, und ein noch nicht ganz vollendetes Altarblatt von Guido Reni; auch der Konventsaal hat noch Stücke von guten Meistern.

Um die schönste Aussicht zu haben, mußt Du zu den Kamaldulensern steigen. Die Herren sind in der Revolution etwas decimirt worden, haben aber den Verlust nicht schwer empfunden. Man geht durch die Vorstadt Frascati und einige Dörfer immer bergauf und verliert sich in etwas wilde Gegenden. Weil man nicht hinauf fahren kann, wird die Partie nicht von sehr vielen gemacht. Wir verirrten uns, mein Genueser und ich, in den Feigengärten und Kastanienwäldern, und ich mußte dem alten Kerl noch mit meiner Topographie im Orientiren helfen. Das ärgerte mich gar nicht; denn wir trafen in der wilden Gegend einige recht hübsche Partien nach allen Seiten. Es gab Stellen, wo man bis nach Cajeta hinüber sehen konnte. Da wir uns verspätet hatten, mußten wir in einem Dorfe am Abhange des Berges zum Frühstück einkehren und einen zweiten Boten mitnehmen. Dieser brachte uns auf einem der schönsten Wege an dem Berge über dem Agnano hin in das Kloster. Es ist dort nichts zu genießen als die Aussicht; die Kirche hat nichts Merkwürdiges. Ein Laienbruder führte mich mit vieler Höflichkeit durch alle ihre Herrlichkeiten, und endlich an eine ausspringende Felsenspitze des Gartens unter einige perennirende Eichen, die vielleicht der schönste Punkt in ganz Italien ist. Von Neapel sieht man zwar nicht viel, weil es fast ganz hinter dem Posilippo liegt; nur der hohe Theil von Elmo, Belvedere und einige andere Stückchen sind sichtbar. Aber rund umher liegt das ganze schöne magische klassische Land unter Einem Blick. Portici, das auf der Lava der Stadt des Herkules steht, der sich empor thürmende Vesuv mit dem Somma, Torre del Greco, Pompeji, Stabiä, Sorrent, Massa, Capri, der ganze Posilippo, Nisida, Ischia, Procida, der ganze Meerbusen von Bajä mit den Trümmern der Gegend, Misene, die Thermen des Nero, der Lukriner See und hinter ihm versteckt der Avernus, die Solfatara, bei heiterm Wetter die Berge von Cumä, der Gaurus und weiter hin die beschneiten Apenninen, unten der Agnano mit der Hundsgrotte, deren Eingang nur ein hervorspringender Hügel bedeckt; der neue Berg hinter der Solfatara; alte und neue Berge, ausgebrannte und brennende Vulkane, alte und neue Städte, Elysium und die Hölle: — alles dieses fassest Du mit Deinem Auge, ehe Du hier eine Zeile liesest. Tief, tief in der Ferne sieht man noch Ponza und einige kleinere Inseln. Da haben die Mönche wieder das Beste gewählt. Freund, wenn Du einmal hörst, daß ich einmal unbegreiflich verschwunden bin, so bringe mit unter Deine Muthmaßungen, daß ich vielleicht der schönsten Natur zu Ehren die größte Sottise gemacht habe, und hier unter den Anachoreten hause. Hier den Homer und Virgil, den Thucydides und etwas von der attischen Biene, abwechselnd mit Aristophanes, Lucian und Juvenal — so könnte man wohl in den Kastanienwäldern leben und das Bißchen Vernunft bei sich behalten: denn diese wird jetzt doch überall wieder konterband. Also gehe zu den Kamaldulensern, wenn Du auch nicht in Versuchung bist, bei ihnen oben zu bleiben!

Jetzt schließe ich und schreibe Dir vermuthlich noch einiges über Neapel, wenn ich aus Trinakrien zurückkomme; denn eben muß ich zu Schiffe nach Palermo.

Palermo.

Wir hatten einige Tage auf leidlichen Wind zum Auslaufen gewartet: endlich kam eine starke Tramontana und führte uns aus dem Zauberplatze heraus. Es war gegen Abend, die sinkende Sonne vergoldete rund umher die Gipfel der schönen Berge, der Somma glänzte, der Vesuv wirbelte Rauchwölkchen, und die herrliche Königsstadt lag in einem großen, großen Amphitheater hinter uns in den magischen Strahlen. Rechts war Ischia und links Capri; die Nacht senkte sich nach und nach und verschleierte die ferneren Gegenstände in tiefere Schatten. Ich konnte in dem Abendschimmer nur noch deutlich genug die kleine Stadt auf Capri unterscheiden. Die gemeinen Neapolitaner und Sicilianer nennen mit einer ihnen sehr gewöhnlichen Metathesis die Insel nur Crap. Sie ist jetzt ziemlich kahl. Ich hätte von Neapel aus gern eine Wasserfahrt dahin gemacht, um einige Stunden auf dem Theater herum zu wandeln, von welchem zur Schande des Menschenverstandes ein sybaritischer Wüstling einige Jahre das Menschengeschlecht mißhandelte; aber ich konnte keine gute Gesellschaft finden, und für mich allein wären nach meinen übrigen Ausgaben die Kosten zu ansehnlich gewesen. Ueberdieß war es fast immer schlechtes Wetter. Zur Ueberfahrt hierher hatte ich mich auf ein Kauffahrteischiff verdungen, weil ich auf das Packetboot nicht warten wollte. Der Wind ging stark und die See hoch, aber ich schlief gut: man erkannte gleich daraus und aus meinem festen Schritt auf dem Verdeck, daß ich schon ein alter Seemann seyn müsse. Da es Fasten war und die Leute lauter Oel aßen, wollte sich der Kapitän mit dem Essen für mich nicht befassen: ich hatte also auf acht Tage Wein, Orangen, Brot, Wurst und Schinken für mich auf das Schiff bringen lassen. Den ganzen Tag ging der Wind ziemlich stark und gut; aber gegen Abend legte er sich und die See ward hohl. Doch hatten wir uns gegen Morgen, also in allem sechs und dreißig Stunden, in den Hafen von Palermo hinein geleiert. Das war eine ziemlich gute Fahrt. Auf der Höhe hatten wir immer die Kanonen scharf geladen und ungefähr vierzig große Musketons fertig, um gegen die Korsaren zu schlagen, wenn einer kommen sollte. Denn Du mußt wissen, der Unfug ist jetzt so groß, und die neapolitanische Marine ist jetzt so schlecht, daß sie zuweilen bis vor Capri und sogar bis vor die Stadt kommen, um zu sehen, ob sie etwa Geschäfte machen können, wie sich auch die Spielkaper in den deutschen Bädern ausdrücken. Das ist nun freilich eine Schande für die Regierung, aber die Regierung hat dergleichen Schandflecke mehr.

Wir kamen hier, ich weiß nicht zu welchem Feste an, wo in der Stadt so viel geschossen wurde, daß ich die Garnison wenigstens für zehntausend Mann stark hielt. Aber ich habe nachher die Methode des Feuerns gesehen. Sie gehört zur einheimischen Frömmigkeit und ist drollig genug. Man hat eine ungeheure Menge kleiner Mörser, die man in der Reihe nach einander geladen hinstellt: absatzweise stehen etwas größere, die wie Artillerie donnern. Sie sind alle so gestellt, daß, wenn am Flügel angezündet wird, das Feuer regelmäßig schnell die ganze Fronte hinunter greift und am Ende mit einigen großen Stücken schließt. Von weitem klingt es wie etwas Großes; und am Ende besorgt es ein einziger alter, lahmer Konstabel. Unser Hauptmann von der Aurora ließ sich mit seiner Artillerie stark hören.

Ich wurde auf der Sanität, wohin ohne Unterschied alle Ankommende müssen, mit vieler Artigkeit behandelt, und man ließ mich sogleich gehen, wohin ich wollte, da die andern, meistens Neapolitaner, noch warten mußten. Mein erster Gang, nachdem ich mich in einem ziemlich guten Wirthshause untergebracht hatte, war zu dem königlichen Bibliothekar, dem Pater Sterzinger, an den ich von dem Sekretär der Königin aus Wien Briefe hatte. Der Güte dieses wirklich sehr ehrwürdigen Mannes danke ich meine schönsten Tage durch ganz Sicilien. Er gab mir durch die ganze Insel Empfehlungen an Männer von Wissenschaft und Humanität, in Agrigent, Syrakus, Catanien und Messina. Der Saal der Bibliothek ist unter seiner Leitung in herrliche Ordnung gebracht, und mit allen sicilianischen Alterthümern sehr geschmackvoll ausgemalt worden, so daß man hier mit einem Blick alles Vorzügliche übersehen kann. Es finden sich in der hiesigen Bibliothek viele Ausgaben von Werth, und mir ist sie im Fache der Klassiker reicher vorgekommen, als Sankt Marcus in Venedig. Eine Seltenheit ist der chinesische Konfuzius mit der lateinischen Interlinearversion, von den Jesuiten, deren Missionsgeschäft in China damals glückliche Aussichten hatte. Hier habe ich weiter noch nichts gethan, als Orangen gegessen, das Theater der heiligen Cäcilia besehen, bin in der Flora und am Hafen herumgewandelt und auf dem alten Erkte oder dem Monte Pellegrino gewesen.

Von hier aus, sagte man mir, ist es durchaus nicht möglich, ohne Führer und Maulesel durch die Insel zu reisen. Selbst die Herren Bouge und Caillot, an die ich von Wien aus wegen meiner fünf Dreier hier gewiesen bin, sagen, es werde sich nicht thun lassen. Ich habe nicht Lust mich jetzt noch hier länger aufzuhalten, lasse eben meine Stiefeln besohlen und will morgen früh in die Insel hineinstechen. Da ich barfuß nicht wohl ausgehen kann und doch etwas anderes zu schreiben eben nicht aufgelegt bin, habe ich mich hingesetzt und in Sicilien einen Sicilier, nämlich den Theokritus, gelesen. Der Cyklops kam mir eben hier so drollig vor, daß ich die Feder ergriff und ihn unvermerkt niederschrieb. Ich will Dir die Uebersetzung ohne Entschuldigung und Präambeln geben und werde es sehr zufrieden seyn, wenn Du sie besser machst; denn ich habe hier weder Apparat noch Geduld, und wäre mit ganzen Stiefelsohlen wohl schwerlich daran gekommen. Also wie folgt:

Nicias, gegen die Liebe, so däucht mich, giebt es nicht andres

Pflaster und keine andere Salb’, als Musengesänge.

Lindernd und mild ist das Mittel, doch nicht so leicht es zu finden.

Dieses weißt Du, glaub’ ich, sehr wohl, als Arzt und als Liebling,

Als vorzüglicher Liebling der helikonischen Schwestern.

Also lebte bei uns einst leidlich der alte Cyklope

Polyphemus, da heiß er in Galateen entbrannt war.

Nicht mit Versen liebt’ er und Aepfeln und zierlichen Locken,

Sondern mit völliger Wuth, hielt alles andre für Tand nur.

Oft, oft kamen die Schafe von selbst zurück von der Weide

Zu der Hürd’, und der Hirt saß einsam und sang Galateen

Bis zum Abend vom Morgen schmelzend am Ufer im Riedgras,

Mit der schmerzlichen, schmerzlichen Wunde tief in dem Herzen,

Von der cyprischen Göttin, die ihm in die Leber den Pfeil warf.

Aber er fand das Mittel; er setzte sich hoch auf den Felsen,

Schaute hinaus in das Meer und hob zum Gesange die Stimme:

Ach Galatea, Du Schöne, warum verwirfst Du mein Flehen?

Weißer bist Du wie frischer Käs und zarter wie Lämmer,

Stolzer wie Kälber und herber wie vor der Reife die Traube.

Also erscheinest Du mir, wenn der süße Schlaf mich beschleichet;

Also gehst Du von mir, wenn der süße Schlaf mich verläßt;

Fliehest von mir wie ein Schaf, das den Wolf, den grauen, erblickte.

Mädchen, die Liebe zu Dir schlich damals zuerst in das Herz mir,

Als mit meiner Mutter Du kamst, Hyacinthen zu sammeln

Auf dem Hügel, und ich die blumigen Pfade Dich führte.

Seitdem schau ich immer Dich an, und kann es durchaus nun,

Kann es nicht lassen; doch kümmert es Dich, beim Himmel auch gar nichts.

Ach ich weiß wohl, liebliches Mädchen, warum Du mich fliehest:

Weil sich über die ganze Stirne mir zottig die Braue,

Von dem Ohre zum Ohre gespannt, die einzige, lang zieht,

Nur ein Auge mir leuchtet, und breit mir die Nase zum Mund hängt.

Aber doch so wie ich bin hab’ ich tausend weidende Schafe,

Und ich trinke von ihnen die süßeste Milch, die ich melke:

Auch geht mir der Käse nicht aus im Sommer, im Herbst nicht,

Nicht im spätesten Winter; die Körbe über den Rand voll.

Auch kann pfeifen ich schön, wie keiner der andern Cyklopen,

Wenn, Goldäpfelchen, Dich und mich den Getreuen, ich singe

Oft in der Tiefe der Nacht. Ich füttr’ elf Hirsche mit Jungen.

Alle für Dich, und für Dich vier junge zierliche Bären.

Komm, ach komm nur zu mir! viel findest der Schätze Du mehr noch.

Laß Du die bläulichen Wogen nur rauschen am Felsengestade;

Süßer schläfst Du bei mir gewiß die Nacht in der Grotte.

Lorber hab’ ich daselbst und schlanke, leichte Cypressen,

Dunkeln Epheu zur Laub’ und süß befruchteten Weinstock;

Frisches Wasser, das mir der dicht bewaldete Aetna

Von dem weißesten Schnee zum Göttertranke herabschickt.

Sprich, wer wollte dagegen die Wogen des Meeres erwählen?

Und bin ich ja für Dich, mein liebliches Mädchen, zu zottig,

Ei, so haben wir eichenes Holz und glühende Kohlen:

Und von Dir vertrag’ ich, daß Du die Seele mir ausbrennst,

Und, was am liebsten und werthsten mir ist, das einzige Auge.

Ach, warum ward ich nicht ein Triton mit Flössen zum Schwimmen?

Und ich tauchte hinab, Dir das schöne Händchen zu küssen,

Wenn Du den Mund mir versagst, und brächte Dir Lilienkränze,

Oder den weichesten Mohn mit glühenden, klatschenden Blättern.

Aber jenes blühet im Sommer und dieses im Spätjahr,

Daß ich Dir nicht alles zugleich zu bringen vermöchte.

Aber ich lerne gewiß, ich lern’, o Mädchen, noch schwimmen,

Kommt nur ein fremder Schiffer zu uns hierher mit dem Fahrzeug,

Daß ich doch sehe, wie lieblich sich dort bei euch unten es wohnet.

Komm, Galatea, herauf, und bist Du bei mir, so vergiß dann,

Wie ich hier sitzend am Felsen, zurück nach Hause zu kehren!

Komm und wohne bei mir und hilf mit weiden und melken,

Hilf mir mit bitterem Lab die neuen Käse bereiten!

Ach, die Mutter nur ist mein Unglück, sie nur verklag’ ich;

Denn sie redet bei Dir für mich kein freundliches Wörtchen.

Und sieht doch von Tage zu Tage mich magerer werden.

Sagen will ich ihr nun, wie Kopf und Füße mir beben,

Daß auch sie sich betrübe, da ich vor Schmerzen vergehe.

O Cyklope, Cyklope, wo ist dein Verstand hingeflogen?

Gingst Du doch hin und flöchtest Dir Körbe und mähetest Gras Dir,

Deine Lämmer zu füttern; das wäre fürwahr doch gescheidter.

Melke das Schäfchen, das da ist; warum verfolgst Du den Flüchtling?

Und Du findst Galateen; auch wohl eine schönere Andre.

Mädchen die Menge rufen mir zu zum Scherze die Nacht durch:

Alle kichern mir nach. So will ich denn ihnen nur folgen:

Denn ich bin auf der Welt doch wohl auch wahrlich ein Kerl noch.

Also weidete Polyphemus und sang von der Liebe,

Und es ward ihm leichter, als hätt’ er Schätze vergeudet.

Ist es nicht Schade, daß wir das zärtliche Liebesbriefchen des Polyphemus an seine geliebte Galatee von dem Tyrannen Dionysius nicht mehr haben? Er wurde, glaube ich, durch einen Triton bestellt. Die sicilischen Felsen machen alle eine eigene idyllische Erscheinung; und wenn ich mir so einen verliebten Cyklopen Homers oder Virgils in schmelzenden Klagen darauf sitzend vorstelle, so ist die Idee gewaltig possirlich. Das giebt übrigens auch, ohne eben meine persönlichen Verdienste mit den Realitäten des Polyphemus zu vergleichen, eigene, nunmehr nicht unangenehme Reminiscenzen meiner übergroßen Seligkeit, wenn ich ehemals meine theuer gekaufte Spätrose der kleinen Schwester meiner Galatee geben konnte, und wenn ich drei hyperboreische Meilen auf furchtbarem Wege in furchtbarem Wetter meinen letzten Gulden in das Schauspiel trug, um aus dem dunkelsten Winkel der Loge nicht das Schauspiel, sondern die Göttin zu sehen. Ich hatte mit meinem Cyklopen gleiches Schicksal und brauchte mit ziemlichen Erfolg das nämliche Mittel.

Eben hatte ich die letzten Verse geschrieben, als man mir meine Stiefeln brachte; und diesem Umstande verdankst Du, daß ich Dir nicht auch noch seine Hexe oder sein Erntefest bringe.

Agrigent.

Siehst Du, so weit bin ich nun, und bald am Ende meines Spaziergangs, der bei dem allen nicht Jedermanns Sache seyn mag. Von hier nach Syrakus habe ich nichts zu thun, als an der südlichen Küste hinzustreichen; das kann in einigen Tagen geschehen, wenn ich nun ein ächter Gelehrter oder gar Antiquar wäre, so würde ich mich ärgern: denn ich habe viel versehen. Ich wollte nämlich von Palermo über Trapani, Alcamo und Sciacca gehen, um in Segeste und Selinunt die Alterthümer zu sehen, die noch dort sind. Auch Barthels hat sie nicht gesehen, wenn ich mich recht erinnere; und der Tempel von Segeste wäre doch wohl eine so kleine Abschweifung werth. Ich wohnte in Palermo mit einem neapolitanischen Officier, einem Herrn Canella aus Girgenti, zusammen, mit dem ich ein langes und breites darüber sprach; und dieser hatte die Güte mir einen Mauleseltreiber aus seiner Vaterstadt als Wegweiser zu besorgen. Nun denke ich in meiner Sorglosigkeit weiter mit keiner Sylbe daran, und glaube, der Kerl wird mich gerade an den Eryx bringen. Ich setze mich auf und reite in der größten Andacht, in welcher ich meine Orangen nach und nach aufzehre, wohl zwei Stunden fort, als mir einfällt, daß ich doch zu weit links von der See abkomme. Der Eseltreiber versicherte mich aber sehr ehrlich, das sei der rechte gewöhnliche Weg nach Agrigent. Ich bin wieder einige Millien zufrieden. Endlich kommen wir bei Bei Frati an, und ich finde mich zu sehr mitten in der Insel. Nun orientirte und erklärte ich mich, und da kam denn zum Vorschein, daß sich der Eseltreiber den Henker um meine Promenade bekümmert hatte, und mit mir gerade den alten römischen Weg durch die Insel geritten war. Was war zu thun? Rechts einlenken? Da war eine ganze Welt voll Berge zu durchstechen, und Niemand wollte den Weg wissen: und das Menschenkind verlangte nicht mehr als sechs goldene Unzen, um nach Palermo zurück und den andern Weg zu machen. Das war meiner Börse zuviel: ich entschloß mich endlich mit etwas Griesgrämlichkeit nun so fort zu reiten, und die erycinische Göttin andern zu überlassen, die vielleicht ihren Werth besser zu würdigen verstehen. Wir ritten von Palermo bis fast an die Bagarie den Weg nach Termini, und stachen dann erst rechts ab. Die Partien sind angenehm und könnten noch angenehmer seyn, wenn die Leute etwas fleißiger wären. So wie man sich von der Hauptstadt entfernt, wird es ziemlich wild. Wir kamen durch einige ziemlich unbeträchtliche Oerter, und der Abfall der Kultur und des äußerlichen Wohlstandes war ziemlich grell. Alles war weit theuerer, als in der Hauptstadt, nur nicht die Apfelsinen, an denen ich mich erholte und von denen ich mein Magazin nicht leer werden ließ. Nicht weit von Bei Frati blieb uns rechts auf der Anhöhe ein altes Schloß liegen, das man Torre di Diana nannte, und wo die Sarazenen ehemals mit den Christen viel Grausamkeit getrieben haben sollen. Es war mir noch zu zeitig bei den schönen Brüdern zu bleiben, zumal da das Wirthshaus geradezu der Revers des Namens war; wir ritten also ungefähr fünf Millien weiter an ein anderes. Hier war auch nicht einmal Maccaroni zu haben. Wir ritten also wieder weiter; mein Eseltreiber und noch ein armer Teufel, der sich angeschlossen hatte, fingen an sich vor Räubern zu fürchten, und ich war es auch wohl zufrieden, als wir endlich ziemlich spät in Sankt Joseph, nicht weit von einem Flusse, ankamen, dessen Namen ich vergessen habe.

Hier fanden wir eine ganze Menge Mauleseltreiber aus allen Theilen der Insel und doch wenigstens Maccaroni. Aus Vorsicht hatte ich für mich in Palermo Brot gekauft, das beste und schönste, das ich je gesehn und gegessen habe. Hier war es mir eine Wohlthat, und ich selbst konnte damit den Wohlthäter machen. Die Leutchen im Hause, unter denen ein Kranker war, segneten die fremde Hülfe: denn das wenige Brot, das sie selbst hatten, war sehr schlecht. Ist das nicht eine Blasphemie in Sicilien, das ehemals eine Brotkammer für die Stadt Rom war? Ich konnte meinen Unwillen kaum bergen.

Einen lustigen Streit gab es zum Dessert der Maccaroni. Die Eseltreiber hatten mir abgelauert, daß ich wohl ihre Alterthümer mit besuchen wollte, wie sich denn dieses in Sicilien einem Fremden sehr leicht abmerken läßt. Da erhob sich ein Zwist unter den edelmüthigen Hippophorben über die Vorzüge ihrer Vaterstädte in Rücksicht der Alterthümer. Der Eseltreiber von Agrigent rechnete seine Tempel und die Wunder und das Alter seiner Stadt her; der Eseltreiber von Syrakus sein Theater, seine Steinbrüche und sein Ohr; der Eseltreiber von Alcamo sein Segeste und der Eseltreiber von Palermo hörte königlich zu und sagte — nichts. „Ihr könnt euch auch groß machen,“ sagte der Treiber von Catanien zu dem Treiber von Alcamo, „mit eurem Margarethentempelchen, der nicht einmal euer ist,“ und fing nun an auch die Alterthümer seiner Vaterstadt, als der ältesten Universität der Erde, herauszustreichen, wobei er den Alcibiades nicht vergaß, der in ihrem Theater geredet habe. Du mußt wissen, Margarethe heißt bei den Siciliern durchaus ein gefälliges, feiles Mädchen; das war für die Mutter des ehrsamen Mannes der Aeneide kein sonderlicher Weihrauch. Ohne mein Erinnern siehst Du hieraus, daß die sicilischen Mauleseltreiber sehr starke Antiquare sind, ob sie die Sache gleich nicht immer außerordentlich genau nehmen; denn der Agrigentiner rechnete den benachbarten Macaluba zu den Alterthümern seiner Vaterstadt, ohne daß seine Gegner protestirten; und hätte der Streit noch länger gedauert, so hätte der Catanier vielleicht den Aetna auch mit aufgezählt.

Den Morgen darauf gingen wir durch die Jumarren, einen heillosen Weg, unter sehr schlechtem Wetter. Nie habe ich eine solche Armuth gesehen, und nie habe ich mir sie nur so entsetzlich denken können. Die Insel sieht im Innern furchtbar aus. Hier und da sind einige Stellen bebaut; aber das Ganze ist eine Wüste, die ich in Amerika kaum so schrecklich gesehen habe. Zu Mittage war im Wirthshause durchaus kein Stückchen Brot zu haben. Die Bettler kamen in den jämmerlichsten Erscheinungen, gegen welche die römischen auf der Treppe des spanischen Platzes noch Wohlhabenheit sind; sie bettelten nicht, sondern standen mit der ganzen Schau ihres Elends nur mit Blicken flehend in stummer Erwartung an der Thüre. Erst küßte man das Brot, das ich gab, und dann meine Hand. Ich blickte fluchend rund um mich her über den reichen Boden, und hätte in diesem Augenblicke alle sicilische Barone und Aebte mit den Ministern an ihrer Spitze ohne Barmherzigkeit vor die Kartätsche stellen können. Es ist heillos. Den Abend blieb ich in Fontana Fredda, wo ich, nach dem Namen zu urtheilen, recht schönes Wasser zu trinken hoffte. Aber die Quelle ist so vernachlässiget, daß mir der Wein sehr willkommen war. Ich mußte hier für ein Paar junge Tauben, das einzige, was man finden konnte, acht Karlin, ungefähr einen Thaler nach unserm Gelde, bezahlen; da ich doch mit dem ewigen Maccaroni mir den Magen nicht ganz verkleistern wollte. Das Beste war hier ein großer, schöner, herrlicher Orangengarten, wo ich aussuchen und pflücken konnte, so viel ich Lust hatte, ohne daß es die Rechnung vermehrt hätte, und wo ich die köstlichsten, hochglühenden Früchte, von der Größe einer kleinen Melone, fand. Gegenüber hängt das alte Sutera traurig an einem Felsen, und Campo Franco von der andern Seite. Das Thal ist ein wahrer Hesperidengarten und die Segensgegend wimmelt von elenden Bettlern, vor denen ich keinen Fuß vor die Thür setzen konnte; denn ich kann doch nicht helfen, wenn ich auch alle Taschen leerte und mich ihnen gleich machte.

Der Fluß ohne Brücke über den ich in einem Strich von ungefähr drei deutschen Meilen wohl funfzehn Mal hatte reiten müssen, weil der Weg bald diesseits, bald jenseits gehet, ward diesen Morgen ziemlich groß; und das letzte Mal kamen zwei starke cyklopische Kerle, die mich mit Gewalt auf den Schultern hinüber trugen. Sie zogen sich aus bis aufs Hemde, schürzten sich auf bis unter die Arme, trugen Stöcke wie des Polyphemus ausgerissene Tannen, und suchten die gefährlichsten Stellen, um ihr Verdienst recht groß zu machen: ich hätte gerade zu Fuße durchgehen wollen, und wäre nicht schlimmer daran gewesen als am Ende der pontinischen Sümpfe vor Terracina. Ihre Forderung war unverschämt, und der Eseltreiber meinte ganz leise, ich möchte sie lieber willig geben, damit sie nicht bösartig würden. Sie sollen sich sonst kein Gewissen daraus machen, Jemand mit dem Messer, oder dem Gewehrlauf, oder geradezu mit dem Knittel in eine andere Welt zu liefern. Die Gerechtigkeit erkundigt sich nach solchen Kleinigkeiten nicht weiter. Der Fluß geht nun rechts durch die Gebirge in den See. Ich habe seinen eigentlichen Namen nicht gefaßt; man nannte ihn bald so, bald anders, nach der Gegend; am häufigsten nannten ihn die Einwohner Fiume di San Pietro. Von nun an war die Gegend von hierher nach Agrigent abwechselnd sehr schön und fruchtbar, und auch noch leidlich bearbeitet. Nur um den Macaluba, den ich rechts von dem Wege ab aufsuchte, ist sie etwas mager.

Ich will Dir sagen, wie ich den Berg, oder vielmehr das Hügelchen fand. Seine Höhe ist sehr unbeträchtlich und sein ganzer Umfang ungefähr eine Viertelstunde. Rund umher sind in einer Entfernung von einigen Stunden ziemlich hohe Berge, so daß ich die vulkanische Erscheinung Anfangs für Quellwasser von den Höhen hielt. Diese mögen dazu beitragen; aber sie sind wohl nicht die einzige Ursache. Die Höhe des Orts ist verhältnißmäßig doch zu groß, und es giebt rund umher doch viel tiefere Gegenden, die auch wirklich Wasser halten. Am wenigsten ließe sich seine periodische Wuth erklären. Wo ich hinaufstieg, fand ich einen einzelnen, drei Ellen hohen Kegel, aus einer Masse von Thon und Sand, dessen Spitze oben eine Oeffnung hatte, aus welcher die Masse immer herausquoll und herabfloß, und so den Kegel vergrößerte. Auf der Höhe des Hügels waren sechs größere Oeffnungen, aus denen beständig eben dieselbe Masse hervordrang; ihre Kegel waren nicht so hoch, weil die Masse flüssiger war. Ich stieß in einige meinen Knotenstock gerade hinein, und fand keinen Grund; so wie ich aber nur die Seiten berührte, war der Boden hart. In der Mitte, und ziemlich auf der größten Höhe desselben, war die größte Oeffnung, zu der ich aber nicht kommen konnte, weil der Boden nicht trug, und ich befürchten mußte, zu versinken. Zuweilen, wenn es anhaltend sehr warm und trocken ist, soll man auch zu diesem Trichter sehr leicht kommen können. Ich sah der Oeffnungen rund umher größere und kleinere, ungefähr dreißig. Einige waren so klein, daß sie nur ganz kleine Bläschen in Ringelchen ausstießen, und ich konnte meinen Stock nur mit Widerstand etwas hineinzwingen. Die Ausbrüche und die Regenstürme ändern das Ansehen des Macaluba beständig; er ist daher noch etwas wandelbarer, als seine größern Herren Vettern. Ihm gegenüber liegt, in einer Entfernung von ungefähr zwei Stunden, auf einer beträchtlichen Anhöhe eine Stadt, die von weitem ziemlich hübsch aussieht, und, wenn ich nicht irre, Ravonna heißt. Die Einwohner dieses Orts und einiger naheliegenden kleinen Dörfer wurden, wie man erzählte, vor drei Wochen sehr in Schrecken gesetzt, weil der Zwergberg anfing inwendig gewaltig zu brummen und zu lärmen. Es ist aber dießmal bei dem Brummen geblieben. Von dem Diminutiv-Vulkan bis hierher sind ungefähr noch acht Millien durch eine ziemlich rauhe Gegend über mehrere Berge.

Mein Eintritt in die Locanda hier war eine gewaltig starke Ohrfeigenpartie. Das ging so zu. Als ich das Haus betrachtete, ob es mir anstehen und ob ich hier bleiben würde, kam ein sehr dienstfertiger Cicerone, der mich wahrscheinlich zu einem seiner Bekannten bringen wollte. Ehe ich mir’s versah, schoß ein junger starker Kerl aus einer Art von Küche heraus, fuhr vor mir vorbei, und packte den höflichen Menschen mit einer furchtbaren Gewalt bei der Gurgel, warf ihn nieder, und fing an, ihn mit den Fäusten aus allen Kräften zu bearbeiten. Ich sprach zum Frieden, so gut ich konnte, und er ließ den armen Teufel endlich los, der auch sogleich abmarschirte. Ich sagte dem Fausthelden so glimpflich als möglich, daß ich diese Art Willkommen etwas zu handgreiflich fände; da trat er ganz friedlich und sanft vor mich und demonstrirte mir, der Kerl habe seine Mutter geschimpft; das könne und werde er aber nicht leiden. Nun machte man mir ein Zimmer bereit; und so schlecht es auch war, so zeigten die Leute doch allen guten Willen; und damit ist ein ehrlicher Kerl schon zufrieden. Nun suchte ich den Ritter Canella, den Onkel meines militärischen Freundes in Palermo, und den Kanonikus Raimondi auf. Beide waren sehr artig und freundschaftlich, und der Ritter besuchte mich sogar in meinem Gasthause. Raimondi, welcher Direktor der heiligen Schrift ist, führte mich in die alte gothische Kathedrale, wo ich den antiken Taufstein sah und das akustische Kunststück nicht hören konnte, da er den Schlüssel zu der verschlossenen Stelle vergessen hatte, und es unbescheiden gewesen wäre, ihn wegen der Kleinigkeit noch einmal zu bemühen. Man findet es in vielen Kirchen. Wenn man an dem einen Ende ganz leise spricht, geht der Schall oben an dem Bogen hin, und man hört ihn an der andern Seite ganz deutlich. Jetzt hat man den Ort deßwegen verschlossen, weil man auf diese Weise die Beichtenden belauschte. Der alte Taufstein, der die Geschichte des Hippolytus enthält, ist aus den Reisenden und Antiquaren bekannt genug, und ich fand bei Vergleichung auf der Stelle, daß Dorville, welcher bei Raimondi lag, fast durchaus außerordentlich richtig gezeichnet hat.

Canella gab mir einen Brief an den Marchese Frangipani in Alicata. Mein Mauleseltreiber kam beständig und machte den Bedienten und Cicerone. Io saggio tutto, Signore, Io conosco tutte le maraviglie, sagte er mit einer apodiktischen Wichtigkeit, wider welche sich eben so wenig einwenden ließ, als wider die Infallibilität des Papstes. Da ich das meiste, was ich sehen wollte, schon ziemlich kannte, hatte ich weiter nichts gegen die Gutherzigkeit des Kerls, der ein Bursche von ungefähr neunzehn Jahren war. Ich hatte das ganze Wesen der alten Stadt schon aus den Fenstern des Herrn Raimondi übersehen, steckte also den folgenden Morgen mein Morgenbrot in die Tasche, und ging hinunter in die ehemaligen Herrlichkeiten der alten Akragantiner. Was kann eine Rhapsodie über die Vergänglichkeit aller weltlichen Größe helfen? Ich sah da die Schutthaufen und Steinmassen des Jupiterstempels, und die ungeheuern Blöcke von dem Tempel des Herkules, wie nämlich die Antiquare glauben; denn ich wage nicht, etwas zu bestimmen. Die Trümmern waren mit Oelbäumen und ungeheuren Karuben durchwachsen, die ich selten anderswo so schön und groß gesehen habe. Sodann gingen wir weiter hinauf zu dem fast ganzen Tempel der Concordia. Das Wetter war frisch und sehr windig. Ich stieg durch die Celle hinauf, wo mir mein weiser Führer folgte, und lief dann oben auf dem steinernen Gebälke durch den Wind mit einer nordischen Festigkeit hin und her, daß der Agrigentiner, der doch ein Mauleseltreiber war, vor Angst blaß ward, an der Celle blieb und sich niedersetzte. Ich that das nämliche mitten auf dem Gesims, bot den Winden Trotz, nahm Brot und Braten und Orangen aus der Tasche, und hielt ein Frühstück, das gewiß Scipio auf den Trümmern von Karthago nicht besser gehabt hat. Ich konnte mich doch einer schauerlichen Empfindung nicht erwehren, als ich über die Stelle des alten, großen, reichen Emporiums hinsah, wo einst nur ein einziger Bürger unvorbereitet vierhundert Gäste bewirthete, und jedem die üppigste Bequemlichkeit gab. Dort schlängelte sich der kleine Akragas, welcher der Stadt den Namen gab, hinunter in die See; und dort oben am Berge, wo jetzt kaum noch eine Trümmer steht, schlugen die Karthager, und das Schicksal der Stadt wurde nur durch den Muth der Bürger und die Deisidämonie des feindlichen Feldherrn aufgehalten. Wo jetzt die Stadt steht, war vermuthlich ehemals ein Theil der Akropolis. Nun ging ich noch etwas weiter hinauf zu dem Tempel der Juno Lucina und den übrigen Resten, unter denen man mehrere Tage sehr epanorthotisch hin und her wandeln könnte. Die systematischen Reisenden mögen Dir das Uebrige sagen; ich habe keine Entdeckungen gemacht. Der jetzige König hat einige Stücke wieder hinauf auf den alten Concordientempel schaffen lassen, und dafür die schöne alte Fronte mit der pompösen Inschrift entstellt: „Ferdinandus IV. Rex restaurauit.“ Ich hätte den Giebel herunterwerfen mögen, wo die kleinliche Eitelkeit stand.

Die beiden ziemlich gut erhaltenen Tempel stehen nicht weit von den alten Mauern, in deren solidem Felsen eine Menge Aushöhlungen sind, aus denen man nicht recht weiß, was man machen soll. Einige halten sie für Gräber. Mir kommt es wahrscheinlicher vor, daß es Schlafstellen für die Wache waren, eine Art von Kasernen; und sie sind vermuthlich nur aus der neuern Zeit der Saracenen oder Gothen. Diese Mauern, so niedrig sie auch gegen die hohen Berge umher liegen, sind doch als Felsen beträchtlich genug, daß man von der See aus die Stadt das hohe Akragos nennen konnte; und noch jetzt würden unsere Vierundzwanzig-Pfünder genug zu arbeiten haben, eine Bresche hineinzuschlagen. Es ist wohl nicht ohne Grund geschehen, daß man die schönsten Tempel der Mauer so nahe baute. Sie waren das Heiligthum der Stadt; ihre Nähe beim Angriff mußte anfeuern, wo die Bürger augenscheinlich pro aris et focis schlugen. Auch der Tempel des Herkules muß unten nicht weit von der Mauer gestanden haben. Dort sind aber die Mauern nicht so hoch und stark gewesen, weil die Natur dort nicht so unterstützte; eben deßwegen setzte man dorthin den Tempel des Herkules, um die Bürger an der schwachen Seite mehr an Kampf und Gefahr zu erinnern; eben deßwegen liegen wahrscheinlich dort Tempel und Mauer in Trümmern, weil vermuthlich daselbst die Stadt mehreremal eingenommen wurde. Was ich aus dem sogenannten Grabmal Hierons machen soll, weiß ich nicht; ich überlasse es mit dem Uebrigen ruhig den Gelehrten. Ich habe nicht Zeit, gelehrt zu werden. Am kürzesten dürfte ich nur meinem Maultiertreiber folgen; der sagt mir gläubig fest bestimmt. „Kischt’ è il tempio di San Gregoli; Kischta Madonna è antica;“ und wer es nicht glauben will, anathema sit. Der gute Mensch hat mich recht herzlich in Affektion genommen, und meint es recht gut; vorzüglich zeigt er mir gewissenhaft alle Klöster, und sagt mir, wie reich sie sind. Nun interessiren mich die Klöster und ihre Bewohner nur κατ’ ἀντιφρασιν της καλοκαγαθιας; ich sagte also diesen Morgen zu einem solchen Rapport ganz unwillig murmelnd in meinem Mutteridiom: „Ich wollte, es wären Schweinställe!“ Weiß der Himmel, was der fromme Kerl verstanden haben mochte: „Si, si, Signore, dice bene,“ sagte er treuherzig; „kischt’ è la cosa.“ Er rechnete es mir hoch an, daß er Italienisch sprach, und nicht den Jargon seiner Landsleute, mit denen ich gar nicht fortkommen würde: doch kam ich mit seinen Landsleuten in ihrem Jargon noch so ziemlich ohne ihn fort. Auf der heutigen Promenade erzählte er mir von einer kleinen Stadt, nicht weit von Alcamo hinab in dem Gebirge, wo die Leute Griechisch sprächen, oder gar Türkisch, so daß man sie gar nicht verstehen könnte, wie das oft der Fall zu Girgenti auf dem Markte wäre. Hier führte er eine Menge ihrer Wörter an, die ich, leider! wieder vergessen habe. „Non sono cosi boni latini, come noi autri,“ sagte er. Du siehst, der Mensch hat Ehre im Leibe.

Den musikalischen Talenten und der musikalischen Neigung der Italiener kann ich bis jetzt eben keine große Lobsprüche machen. Ich habe von Triest bis hierher, auf dem Lande und in den Städten, auch noch keine einzige Melodie gehört, die mich beschäftigt hätte, welches doch in andern Ländern manchmal der Fall gewesen ist. Das Beste war noch von eben diesem meinem ästhetischen Cicerone aus Agrigent, der eine Art Liebesliedchen sang, und sehr emphatisch drollig genug immer wiederholte: „Kischta nutte, kischta nutte iu verrù, iu verrù.“ (Questa notte io verrò.)

Eben bin ich unten am Hafen gewesen, der vier italienische Meilen von der Stadt liegt. Der Weg dahin ist sehr angenehm durch lauter Oelpflanzungen und Mandelgärten. Hier und da sind sie mit Zäunen von Aloen besetzt, die in Sicilien zu einer außerordentlichen Größe wachsen; noch häufiger aber mit indischen Feigen, die erst im September reif werden, und von denen ich das Stück, so selten sind sie jetzt, in der Stadt mit fast einem Gulden bezahlen mußte, da ich die Seltenheit doch kosten wollte. Die Karuben, oder Johannisbrotbäume gewinnen hier einen Umfang, von dem wir bei uns gar keine Begriffe haben. Sie sind so häufig, daß in einigen Gegenden des südlichen Ufers das Vieh mit Karuben gemästet wird. Der Hafen, wie er jetzt ist, ist vorzüglich von Karl dem Fünften gebaut. Buonaparte lag einige Tage hier und auf der Rhede, als er nach Aegypten ging: und damals kamen auch einige Franzosen hinauf in die Stadt, wo gar keine Garnison liegt. Sie müssen sich aber nicht gut empfohlen haben; denn der gemeine Mann und Bürger spricht mit Abscheu von ihnen. Der Hafen ist ungefähr wie in Ancona, und keiner der besten. Nicht weit davon sind eine Menge unterirdischer Getreidebehälter, weil von Agrigent sehr viel ausgeführt wird. Die politische Stimmung durch ganz Sicilien ist gar sonderbar, und ich behalte mir vor, Dir an einem andern Orte noch einige Worte darüber zu sagen.

Syrakus.

Dieß ist also das Ziel meines Spazierganges, und nun gehe ich mit einigen kleinen Umschweifen wieder nach Hause.

Ich will Dir von meiner Wanderung hierher so kurz als möglich das Umständliche berichten. Das Reisen zu Maulesel wird mir doch ziemlich kostbar. Von Agrigent aus verlangte man für einen Maulesel nicht weniger als eine Unze täglich, etwas mehr als einen Kaiserducaten; oder eine Pezzo, wenn ich ihn selbst füttern und den Führer beköstigen wollte. Dieß war nun sehr theuer; und mein eigener Unterhalt kostete, zumal auf dem Lande, nicht wenig. Ich handelte also mit meinem Mauleseltreiber, er sollte mich zu Fuße auf einer Ronde um die Insel begleiten; dafür sollte er mit mir ordentlich leben, so gut man in Sicilien leben kann, und ich wollte ihm täglich noch fünf Karlin, ungefähr einen deutschen Gulden, geben: dabei könnte er doch zusammen während der kurzen Zeit drei goldene Unzen Gewinn haben. Der Handel wurde gemacht; ich gab ihm zwei Unzen voraus, um sich für die eine, eigene Bedürfnisse auf die Reise anzuschaffen, und die zweite unterdessen seiner alten Mutter zu lassen. Er kaufte mir einen Habersack, ungefähr wie man ihn den Mauleseln mit dem Futter umhängt, that meine zwei Bücher, meine Hemden mit den übrigen Quinquaillerien und etwas Proviant hinein, und trug ihn mir nach oder vor. Meinen stattlichen Tornister hatte ich, um ganz leicht zu seyn, und auch aus Klugheit, versiegelt in Palermo gelassen: denn er fand überall so viel Beifall und Liebhaber, daß man mir einigemal sagte, man würde mich bloß meines Tornisters wegen todtschlagen.

Noch muß ich hier eine Bekanntschaft nachholen, die ich in Agrigent machte. Als ich in meinem Zimmer aß, trat ein stattlich gekleideter Mann zu mir herein, und erkundigte sich theilnehmend nach allen gewöhnlichen Dingen, nach meinem Befinden, und wie es mir in seinem Vaterlande gefiel, und so weiter. Die Bekanntschaft war bald gemacht; er wohnte in einem Zimmer mir gegenüber in dem nämlichen Wirthshause, bat um die Erlaubniß, sein Essen zu mir bringen zu dürfen, und wir aßen zusammen. Es fand sich, daß er eine Art Steuerrevisor von Palermo war, der in königlichen Geschäften reiste. Die Sicilianer sind ein sehr gutmüthiges, neugieriges Völkchen, die in der ersten Viertelstunde ganz treuherzig dem Fremden Alles abzufragen verstehen. Ich fand nicht Ursache, den Versteckten zu spielen; und so erfuhr denn der Herr Steuerrevisor über Tische auf seine Frage, daß ich ein Ketzer war. Der dicke Herr legte vor Schrecken Messer und Gabel nieder, und sah mich an, als ob ich schon in der Hölle brennte; er fragte mich nun über unser Religionssystem, von dem ich ihm so wenig als möglich, so schonend als möglich sagte. Der Mensch war in der Residenz verheirathet, hatte zu Hause drei Kinder, und mußte, nach seiner offenen Beichte, auf der Landreise jede Nacht zur Bequemlichkeit, wo möglich, sein Mädchen haben; fluchte übrigens und zotirte auf Lateinisch und Italienisch trotz einem Bootsknecht: aber er konnte durchaus nicht begreifen, wie man nicht an den Papst glauben und ohne Mönche leben könne. Dabei hatte er ziemliche Studien aus der römischen Legende. Doch entschloß er sich, mit mir fortzuessen, fragte aber immer weiter. Es fehlte ihm nicht an etwas Gutmüthigkeit und einem Schein von Vernunft; aber er donnerte doch halb spaßhaft das Verdammungsurtheil über uns Alle her: „Siete tutti minchioni, siete come le bestie.“ Das nenne ich mir Logik! indessen, lieber Freund, es giebt dergleichen Logik noch viel in der Welt, in jure canonico, civili et publico, die uns für Sterling verkauft wird. Uebrigens trug der Mann viel Sorge für mich, schloß sich brüderlich an mich an, und meinte, ich ginge großen Gefahren entgegen. Das war nun nicht zu ändern. Als ich abging, band er mich dem Eseltreiber auf die Seele, gab ihm für mich seine Adresse in Palermo und ließ mich Ketzer doch unter dem Schutze aller Heiligen ziehen.

So zog ich denn mit meinem neuen Achates den Berg hinunter, über den kleinen Fluß hinweg nach dem Monte Chiaro hin, auf Palma zu, welches die hiesigen Einwohner Parma nennen. Ein junger Mensch, der in Syrakus einen Handel machen wollte, gesellte sich mit seinem Esel zu uns. Mir war das nicht sehr lieb, weil ich immer die Ehre hatte für alle Eseltreiber der ganzen Insel zu bezahlen. In Palma traf ich einige meiner Bekannten, die Antiquare von Sankt Joseph, die sich über das Margarethentempelchen von Segeste zankten. Diese Herren staunten über meine Verwegenheit, daß ich zu Fuße reisen wollte. Hier hatte ich ein Unglück, daß mich auch den Weg allein fortzusetzen zwang. Mein Begleiter von Agrigent war sehr fromm, es war Fasten; er aß so viel Paste, daß ich über seine Capacität erstaunte. Indeß ein Sicilianer dieser Art hat seine Talente, die unser einer nicht immer beurtheilen kann. Ich mochte nichts sagen; er hätte glauben können, es wäre wegen der Bezahlung. Wir gingen fort; aber kaum waren wir eine halbe Stunde gegangen, so fing die Paste an zu schwellen, und verursachte dem frommen Menschen fürchterliche Passionen. Ich fing nun an ihm den Sermon zu halten, warum er so viel von dem Kleister und nicht lieber etwas mit mir gegessen habe. Hier rührte ihn von neuem das Gewissen, und er bekannte mir, er habe schon furchtbare Angst gehabt, daß er mit mir in der Fasten zu Fontana Fredda eine halbe Taube gegessen. Sein Beichtvater habe ihn hart darüber angelassen. Die Sache ward nun schlimmer. Er fiel nieder, wälzte sich und schrie vor Schmerz und konnte durchaus nicht weiter fort. Was sollte ich thun? Ich konnte hier nicht bleiben. Nachdem ich ihm so derb und sanft als möglich den Text über seinen unvernünftigen Fraß gelesen hatte, nahm ich ihm meinen Sack ab, übergab ihn seinem Freunde und Landsmanne, überließ ihn seinen Heiligen und ging allein weiter. Es war mir lieb, daß ich ihn so gut versorgt sah; ich hätte ihm nicht helfen können; doch that es mir um den armen dummen Teufel leid. Ich habe nachher erfahren, daß er sich erholt hat. Wenn er gestorben wäre, wäre es gewiß zum Wunder bloß darum gewesen, weil er in der Fasten mit einem Ketzer junge Tauben gegessen hatte, und nicht wegen seines bestialischen Maccaronifraßes. Ich habe vernünftige Aerzte in Italien darüber sprechen hören, daß jährlich in der Fasten eine Menge Menschen an der verdammten Paste sich zu Tode kleistern; denn der gemeine Mann hat die ganze lange Zeit über fast nichts anderes als Makkaroni mit Oel.

Ich ging also nun allein auf gut Glück immer an der Küste hin, bald das Meer im Auge, bald etwas weiter links in das Land hinein, nachdem mich der Weg trug. Bei Palma ist wieder schöne, herrliche Gegend, mit abwechselnden Hügeln und Thälern, die alle mit Oelbäumen und Orangengärten besetzt sind. Die hier wachsenden Orangen sind etwas kleiner, als die übrigen in der Insel, aber sie sind die feinsten und wohlschmeckendsten, die ich gegessen habe; selbst die von Malta nicht ausgenommen, deren man eine Menge in Neapel findet. Gegen Abend kam ich in Alicata an, wo ich vor der Stadt zwei sehr wohlgekleidete Spaziergänger antraf, die mich zu sich auf eine Rasenbank einluden und in zehn Minuten mir meine ganze Geschichte abgefragt hatten. Wir gingen zusammen in die Stadt; ich halte sie für die beste, die ich nach Palermo bis jetzt noch auf der Insel gesehen habe. Das Wirthshaus, das ich fand, war ziemlich gut, ich hatte also nicht Ursache, dem Marchese Frangipani, an den ich empfohlen war, beschwerlich zu fallen. Indessen gab ich doch meinen Brief ab, und er nahm mich mit vieler Artigkeit in seinem ziemlich großen Hause auf, wo ich eine ansehnliche Gesellschaft fand. Man nöthigte mich, mit den Damen etwas Französisch und mit den geistlichen Herren, deren einige zugegen waren, Lateinisch zu sprechen. Als man sich zum Spiele setzte — c’est partout comme chez nous — und ich daran nicht Theil nehmen wollte, noch konnte, da ich nie ein Kartenblatt anrühre, empfahl ich mich und befand mich in meinem Wirthshause recht wohl. In der schönsten Abenddämmerung machte ich noch einen Spaziergang an dem Strande und sah der Fischerei zu. Die hiesige Rhede muß für die Schiffe nicht viel werth seyn, so viel ich von der Lage mit einem Ueberblick urtheilen kann. Gleich vor Alicata, von Palma her, liegt ein am Meere sich herziehender Berg, der von den Gelehrten mit Grund für den Eknomos der Alten gehalten wird. Jenseits des Salzflusses, oder des südlichen Himera — denn der nördliche fließt bei Termini — ist ein anderer Berg, dessen Name, glaube ich, Phalarius heißt: und diese beiden Berge paradiren in den karthagischen Kriegen. Der Eknomos soll nach der Erklärung Einiger seinen Namen davon haben, weil der agrigentinische Tyrann Phalaris den Perillischen Stier hier aufgestellt haben soll. Dieses scheint aber mehr auf den Phalarius zu passen. Wenn Du mir erlaubst eine Konjektur zu machen, so will ich annehmen, daß der Eknomos deßwegen so genannt worden sei, weil er ganz allein, isolirt, von der ganzen übrigen Bergkette rund herum abgesondert liegt; die andern Berge hängen in einem großen Amphitheater alle zusammen. Der griechische Name däucht mir, könne dieß bedeuten: ἐκ του νομου των ἀλλων ὁρων κειται γεωλοφος. Der Berg ist jetzt ziemlich gut bebaut, mit schönen Oelgärten und mehreren Landhäusern besetzt, und giebt der Gegend ein sehr freundliches Ansehen. Links ist an dem Himera hinauf eine schöne große Ebene mit Weitzenfeldern; eine der besten, die ich je gesehen habe. Alicata ist der erste Ort, wo ich in Sicilien billig behandelt wurde.

Ueberall warnte man mich vor bösen Wegen und vorzüglich hier in Alicata, wo man sagte, daß die achtzehn Millien von hier nach Terra Nuova die schlimmsten in der ganzen Insel wären. Sono cattiva gente, hieß es; und cattivo war der ewige Euphemismus, wenn sie zu Ehre ihres Landes nicht Räuber und Banditen sagen wollten. Hier hat mich wahrscheinlich nur meine armselige Figur gerettet. Ich wandelte gutes Muthes am Strande hin, las Muscheln und murmelte ein Liedchen von Anakreon, machte mit meinen Gedanken tausend Circumherumschweife und blieb bei der schönen Idee stehen, daß ich hier nun vermuthlich in die geloischen Felder käme: da sah ich von weitem drei Reiter und zwar zu Pferde auf mich zu trottiren. Die Erscheinung eines Maulesels oder Esels ist mir in Sicilien immer lieber, als eines Pferdes. Mir war etwas unreimisch, und ich nahm mir vor, so ernsthaft als möglich vor ihnen vorbeizugehen. Das litten sie aber nicht, ob sie es gleich auch mit ziemlichem Ernst thaten. Sie waren alle drei mit Flinten bewaffnet; der Dolch versteht sich von selbst. Ich grüßte nicht ganz ohne Argwohn. Man rief mir Halt! und da ich that, als ob ich es nicht gleich verstanden hätte, ritt einer mit Vehemenz auf mich zu, faßte mich beim Kragen und riß mich so heftig herum, daß das Schisma noch an meinem Rocke zu sehen ist. „Wer seid Ihr?“ — Ein Reisender. — „Wo wollt Ihr hin?“ — Nach Syrakus. — „Warum reitet Ihr nicht?“ — Es ist mir zu theuer; ich habe nicht Geld genug dazu. — Einer meiner Freunde in Rom hatte mich in dem barocken Aufzuge gezeichnet, den ich damals machte, damit ich, wie er mir sagte, doch sagen könnte, ich habe mich in Rom malen lassen. Ich schicke Dir die Zeichnung zur Erbauung, und Du wirst hier wenigstens meine Eitelkeit nicht beschuldigen, daß sie sich ins beste Licht gesetzt hat. Man riß meinen Sack auf und fand darin freilich keine Herrlichkeiten, ein Hemde, zwei Bücher, ein Stück hartes Brot, ein Stückchen noch härteren Käse und einige Orangen. Man besah mich aufmerksam von der Ferse bis zum Scheitel. — „Ihr habt also kein Geld zum Reiten?“ — Ich kann so viel nicht bezahlen. — Meine Figur und der Inhalt meines Sackes schienen ihnen hierüber ein gleichlautendes Dokument zu seyn. Man nahm das weiße Buch, in welches ich einige Bemerkungen geschrieben hatte, um die Reminiscenzen zu erhalten: man fragte, was es wäre, und durchblätterte es neugierig, und Einer, der etwas Ansehen über die beiden Andern zu haben schien, machte Miene es einzustecken. Ich sagte etwas betroffen: Aber das ist mein Tagebuch mit einigen Reisebemerkungen für meine Freunde. Der Mensch betrachtete mich in meiner Verlegenheit, besann sich einige Augenblicke, gab mir das Buch zurück und sagte zu dem Andern: „Gieb ihm Wein!“ Dieses hielt ich, und wohl mit Recht, für das Zeichen der Hospitalität und der Sicherheit. Ob ich gleich nicht lange vorher reichlich aus einem Felsenbache getrunken hatte, so machte ich doch keine Umstände, der ehrenvollen Gesellschaft Bescheid zu thun, so gut ich konnte, und trank aus der dargereichten engen Flasche. Diese Flaschen mit sehr engen Mündungen sind, wie Du vielleicht schon weißt, hier für das arme Klima sehr diätetisch eingerichtet. Man ist durchaus genöthigt sehr langsam zu trinken, weil man doch nicht mehr schlucken kann, als heraus läuft. Nun fragte man mich dieses und jenes, worauf ich so unbefangen als möglich antwortete. — „An wen seid Ihr in Syrakus empfohlen?“ — An den Ritter Landolina. — „Den kenne ich;“ sagte Einer. — „Ihr seid also arm und wollt den Giro machen, und geht zu Fuße?“ Ich bejahte das. Nun fragte man mich: „Versteht Ihr das Spiel?“ Ich hatte die Frage nicht einmal recht verstanden: da ich aber, außer ein wenig Schach, durchaus gar kein Spiel verstehe, konnte ich mit gutem Gewissen Nein antworten. Diese Frage ist mir vorher und nachher in Sicilien oft gethan worden, und die Erkundigung ist, ob man etwas vom Lotto verstehe, welches auch hier, Dank sei es der schlechten Regierung, eine allgemeine Seuche ist. Das gemeine Volk steht hier noch oft in dem Wahn, der Fremde als ein gescheidter Kerl müsse sogleich ausrechnen, oder auszaubern können, welche Nummern gewinnen werden. Man wünschte mir gute Reise und ritt fort. Was war nun von den Leuten zu halten? Aus gewöhnlicher Vorsicht hatte ich die Uhr tief gesteckt: sie war also nicht zu sehen: mein Taschenbuch, in welchem ungefähr noch sieben und zwanzig Unzen in Gold liegen mochten, war inwendig in einer Tasche hoch unter dem linken Arm und wurde also nicht bemerkt. Die Leute hatten keine Uniform und durchaus kein Zeichen als Polizeireiter: übrigens waren sie für Sicilien sehr anständig gekleidet. Gewehr und Dolche trägt in Unteritalien zur Schande der Justiz und Polizei jedermann. Wenn sie ehrlich waren, so thaten sie wenigstens alles mögliche es nicht zu scheinen: und das ist an der südlichen Küste von Sicilien fast eben so schlecht, als wenn bei uns in feiner Gesellschaft ein abgefeimter Schurke gerade das Gegentheil thut. Ich denke immer, meine anscheinende Armseligkeit hat mich gerettet, und die Uhr und die Unzen hätten mir den Hals brechen können.

Vor Terra Nuova wurde ich wieder freundschaftlich angehalten. Die Leute hoben Getreide aus ihren unterirdischen Magazinen, wahrscheinlich um es einzuschiffen. Ich fragte nach einem Gasthause. Man lud mich ein, mich dort ein wenig niederzusetzen und auszuruhen: ich war wirklich müde und that es. Neugierigere Leute als in Sicilien habe ich nirgends gefunden; aber im Ganzen fehlt es ihnen nicht an Gutherzigkeit. Was schlecht ist, kommt alles auf Rechnung der Regierung und Religionsverfassung. Man fragte mich sogar, ob ich eine Uhr trüge, und begriff wieder nicht, wie ich es nur wagen könnte, so zu reisen. Und doch bin ich überzeugt, das war immer noch die sicherste Art, da ich allein war.

In der Stadt im Wirthshause gab man mir ein Zimmer, worin kein Bett, kein Tisch und kein Stuhl war, und sagte dabei, ich würde in der ganzen Stadt kein besseres finden. Ich warf mich auf einen Haferspreu, die in einem Winkel aufgeschüttet war, und schlief ein. Ein Stündchen mochte ich vielleicht geschlafen haben und es war gegen Abend; da wurde ich geweckt. Mein Zimmer, wenn man das Loch so nennen kann, war voll Leute aller Art, einige stattlich gekleidet, andere in Lumpen. Vor mir stand ein Mann im Matrosenhabit, der eine förmliche lange Inquisition mit mir anhob. Er war ganz höflich, so viel Höflichkeit nämlich bei so einem Benehmen Statt finden kann, fragte erst Italienisch, sprach dann etwas Tyrolerdeutsch, da er hörte, daß ich ein Deutscher sei; dann Französisch, dann Englisch und endlich Latein. Die Anwesenden machten Ohren, Maul und Nase auf, um so viel als möglich zu kapiren. Man war geneigt mich für einen Franzosen zu halten, fragte, ob ich der Republik gedient habe, und so weiter: aber über die eigene Stimmung gegen die Franzosen gaben sie selbst nicht das geringste Merkzeichen. Der Mann im Matrosenkleide sagte, ich müßte Franzose seyn, weil ich das Französische so gut spräche. Das konnte nur ihm so vorkommen, weil er es sehr schlecht sprach. Das Examen ward mir endlich sehr widerlich und lästig, so wie ein Bär am Pfahl zu stehen und mich auf diese Weise beschauen und vernehmen zu lassen; ich sagte also bestimmt: „Wenn ich verdächtig bin, mein Herr, so bringen Sie mich vor die Behörde, wo ich mich legitimiren werde; oder wenn Sie selbst von der Polizei sind, so sprechen Sie offen, damit ich mich darnach benehmen kann! Erlauben Sie mir übrigens etwas Ruhe in einem öffentlichen Hause, wo ich bezahle; es ist warm und ich bin müde.“ Das sagte ich italienisch so laut und gut ich konnte, damit es alle verstehen möchten; einer der Herren bat mich höflich um Verzeihung, ohne weiter eine Erklärung zu geben; die Neugierigen verloren sich; und nach einigen Minuten war ich wieder allein auf meiner Haferspreu. Den Abend, nachdem ich bei einigen Seefischen sehr gut gefastet hatte, brachte man mir Heu; und ein gutmüthiger Tabuletkrämer aus Katanien gab mir zur Decke einen großen Schafpelz, welcher mir lieber war als ein Bett, das man nicht haben konnte.

Den andern Morgen ging ich über den Fluß Gela und durch ein herrliches Thal nach Santa Maria di Niscemi hinauf. Dieses Thal mit den Partien an dem Flusse links und rechts hinauf machte vermuthlich die Hauptgruppe der geloischen Felder aus. Wenn auch Gela nicht gerade da stand, wo jetzt Terra Nuova steht, so lag es doch gewiß nicht weit davon, und höchst wahrscheinlich nur etwas weiter bergabwärts nach dem Flusse hin, wo noch jetzt einige alte Ueberreste von Gemäuern und Säulen zu sehen seyn sollen. Das Thal ist auch noch jetzt in der äußersten Vernachlässigung sehr schön, und es läßt sich begreifen, daß es ehemals bei der Industrie der Griechen ein Zaubergarten mag gewesen seyn. Hier in Niscemi ist es wahrscheinlich wo vor mehrern Jahren ein merkwürdiger Erdfall geschehen ist, den Landolina beschrieben hat.

Von hier aus wollte ich nach Noto gehen, und von dort nach Syrakus. Aber wenn man in Sicilien nicht bekannt ist und ohne Wegweiser reist, so bleibt man, wenn man nicht todt geschlagen wird, zwar immer in der Insel; aber man kommt nicht immer geraden Weges an den bestimmten Ort. Einige Meilen in der Nachbarschaft der Hauptstadt ausgenommen, kann man eigentlich gar nicht sagen, daß in Sicilien Wege sind. Es sind bloß Mauleseltriften, die sich oft verlieren, daß man mit ganzer Aufmerksamkeit den Hufen nachspüren muß. Der König selbst kann in seinem Königreich nicht weiter als nach Montreal, Termini und einige Meilen nach Agrigent zu im Wagen gehen: will er weiter, so muß Seine Majestät sich gefallen lassen, einen Gaul, oder sicherer einen Maulesel zu besteigen. Das läßt er denn wohl bleiben, und deßwegen geht es auch noch etwas schlechter, als gewöhnlich anderwärts, wo es die Fürsten nur sehr selten thun. Man rieth mir, von Santa Maria nach Caltagirone zu gehen; das that ich als ein Wildfremder. Aber kaum war ich ein Stündchen gegangen, als ich in einen ziemlich großen Wald perrennirender Eichen kam, wo ich alle Spur verlor, einige Stunden in Felsen und Bergschluchten herumlief, bis ich mich endlich nur mit Schwierigkeit wieder links orientirte, indem ich den Gesichtspunkt nach einer hohen Felsenspitze nahm. Hier fand ich vorzüglich schöne Weiden in den Thälern und große zahlreiche Heerden. Um Caltagirone herum ist die Kultur am leidlichsten; man kann sie noch nicht gut nennen. Die Stadt, welche auf einer nicht unbeträchtlichen Höhe liegt, hat rund umher schöne angrenzende Thäler, und es herrscht hier für Sicilien noch eine ziemliche Wohlhabenheit. Ich war nun auf einmal wieder beinahe mitten in der Insel. In der Stadt war auf dem Markte ein gewaltiger Lärm von Menschen; man aß und trank, und handelte und zankte, und sprach überall sehr hoch, als auf einmal das Allerheiligste vorbeigetragen wurde; schnell war alles still und stürzte nieder, und der ganze Markt, Schacherer und Fresser und Zänker, machte in dem Moment eine sonderbare Gruppe. Ich konnte aus meinem Fenster bei einer Mahlzeit getrockneter Oliven, die hier mein Lieblingsgericht sind, unbemerkt und bequem alles sehen. Ein so gutes Wirthshaus hätte ich hier nicht gesucht; Zimmer, Bett, Tisch, alles war sehr gut, und verhältnißmäßig sehr billig.

Von hier aus wollte ich nach Syrakus, ging aufmerksam den Weg fort, den man mir bezeichnet hatte, und war, ehe ich mirs versah, durch eine sehr abwechselnde bunte Gegend, in Palagonia, dem Stammhause des seligen Patrons der Ungeheuer, barocken Andenkens. Wäre ich an seiner Stelle gewesen, ich wäre hier geblieben; denn Palagonia gefällt mir viel besser, als die Nachbarschaft von Palermo, wo er das Tabernakel seiner ästhetischen Mißgeburten aufschlug. Wieland läßt den geächteten Diagoras in der Gegend von Tempe, aus Aergerniß über Götter und Menschen, ein ähnliches Spielwerk treiben; aber der Grieche thut es besser und genialischer, als der Sicilianer. Palagonia liegt herrlich in einem Bergwinkel des Thales Enna. Kommt man von Caltagirone herüber, so geht man zuletzt durch furchtbare Felsenschluchten, und steigt einen Berg herab, als ob es in die Hölle ginge: und es geht in ein Elisium. Schade, daß die exemplarische sicilianische Faulheit es nicht besser benutzt und genießt! Die Stadt ist traurig schmutzig. Ueber den Namen der Stadt habe ich nichts gehört und gelesen; welches freilich nicht viel sagen will, da ich sehr wenig höre und lese. Ich will annehmen, er sei entstanden aus Paliconia, weil nicht weit davon rechts hinauf in den hohen Felsen der Naphthasee der Paliker liegt, von dem die Fabel so viel zu erzählen und die Naturgeschichte manches zu sagen hat. Wäre ich nicht allein gewesen oder hätte mehr Zeit, oder stände mit meiner Börse nicht in so genauer Rechnung, so hätte ich ihn aufgesucht.

Von hier aus wollte ich nun nach Syrakus. Einer der überraschendsten Anblicke für mich war, als ich aus Palagonia heraustrat. Vor mir lag das ganze große schöne Thal Enna, das den Fablern billig so werth ist. Rechts und links griffen rund herum die hohen felsigen Bergketten die es einschließen, und von Noto und Mazzara trennen; und in dem Grunde gegenüber stand furchtbar der Aetna mit seinem beschneiten Haupte, von dessen Schädel die ewige lichte Rauchsäule in der reinen Luft emporstieg, und sich langsam nach Westen zog. Ich hatte den Altvater wegen des dunkeln Wetters noch nicht gesehen, weder zu Lande noch auf dem Wasser. Nur auf der südlichen Küste in Agrigent, vor dem Thore des Schulgebäudes, zeigte man mir den Riesen in den fernen Wolken; aber mein Auge war nicht scharf genug, ihn deutlich zu erkennen. Jetzt stand er auf einmal ziemlich nahe in seiner ganzen furchtbaren Größe vor mir. Katanien lag von seinen Hügeln gedeckt; sonst hätte man es auch sehen können. Ich setzte mich unter einen alten Oelbaum, welcher der Athene Polias Ehre gemacht haben würde, auf die jungen wilden Hyacinthen nieder, und genoß eine Viertelstunde eine der schönsten und herrlichsten Scenen der Natur. Das war wieder Belohnung, und ich dachte nicht weiter an die Schnapphähne und das Examen von Terra Nuova. Ich würde rechts hinaufgestiegen seyn in die Berge, wo viele Höhlen der alten sikanischen Urbewohner in Felsen gehauen seyn sollen; aber ich konnte dem Orientiren und der müßigen Neugierde in einer sehr wilden Gegend nicht so viel Zeit opfern. Ich verirrte mich abermals, und kam, anstatt nach Syrakus, nach Lentini. Es war mir indessen nicht unlieb, die alte Stadt zu sehen, die zur Zeit der Griechen keine unbeträchtliche Rolle spielte. Sie ist in dem Mißkredit der schlechten Luft, weßwegen auf einer größern Anhöhe Karl der Fünfte, däucht mir, Carlentini anlegte. Ich spürte nichts von der schlechten Luft; aber freilich kann man vom Ende des März keinen Schluß auf das Ende des July machen. Der See giebt der Gegend ein heiteres, lachendes Ansehen, und die Luft würde sich sehr bald sehr gesund machen lassen, wenn man nur fleißiger wäre. Um die Stadt herum ist alles ein wahrer Orangengarten; und Du kannst denken, daß ich mit den schönen Hesperiden nicht ganz enthaltsam war, da ich doch nun nicht hoffen durfte, Syrakusertrauben zu essen. Mir hat es gefallen in Lentini; und wenn die Leute daselbst krank werden, so sind sie wahrscheinlich selbst Schuld daran, nach allem, was ich davon sehe. Ich war nun zwei Mal irre gegangen, und hielt es daher doch für besser, einen Mauleselführer zu nehmen. Er erschien und wir machten bald den Handel, da ich nicht viel merkantilisches Talent habe und gewöhnlich gleich zuschlage. Nun wollte der Mensch die ganze Summe voraus haben: das fand ich etwas sonderbar und meinte, wenn er mir nicht traute, so müßten wir theilen. Damit war er durchaus nicht zufrieden; aber noch drolliger war sein Grund. Er meinte, wenn ich geplündert, oder erschlagen würde, wie sollte er sodann zu seinem Gelde kommen? Das war mir zu toll; ich schickte ihn ärgerlich fort, und ging mit meinem Schnappsack allein.

Von hier wollte ich endlich nach Syrakus; aber ich ging in den Mauleseltriften der Bergschluchten und Höhen und Thäler abermals irre, und kam, anstatt nach Syrakus, nach Augusta. Das erste Stündchen Weg war schön und ziemlich gut bebaut: aber sodann war einige Stunden nichts als Wildniß, wo rund umher Oleaster, fette Asphodelen und Kleebäume wuchsen. Eine starke Stunde vor Augusta fing die Kultur wieder an, und hier ist sie vielleicht am besten auf der ganzen Insel. Der Wein, den ich hier sah, wird ganz dicht am Boden alle Jahre weggeschnitten, und die einzige Rebe des Jahres giebt die Ernte. Das kann nun wohl nur hier in diesem Boden und unter diesem Himmel geschehen. Es ist ein eigenes Vergnügen, die Verschiedenheit des Weinbaues von Meißen bis nach Syrakus zu sehen; und wenn ich ein weingelehrter Mann wäre, hätte ich viel lernen können. Die Landzunge, auf welcher Augusta liegt, mit der Gegend einige Stunden umher, gehört zu dem üppigsten Boden der Insel. Vor der Stadt machte man Salz aus Seewasser, zu welcher Operation man einen großen Strich todtes Erdreich brauchte. Nirgends habe ich so schwelgerische Vegetation gesehen, als in dieser Gegend. Die Stadt ist ringsum vom Meere umgeben, und es führt nur eine ziemlich feste Brücke hinüber. Von der Landseite ist der Ort also gut genug vertheidigt, und es würde eine förmliche Belagerung dazu gehören, ihn zu nehmen. Von der Seeseite scheint das nicht zu seyn. Die wenigen Werke nach dem Wasser zu wollen nicht viel sagen. Die Stadt selbst ist nicht viel kleiner, als die Insel Ortygia, oder das heutige Syrakus. Ich wurde zum Stadthauptmann geführt, der meinen Paß besah, und mir ihn sogleich ohne Umstände mit vieler Höflichkeit zurückgab. Hier wurde ich, aus meinem Passe, Don Juan getauft, welchen Namen ich sodann auf dem übrigen Wege durch die ganze Insel bei allen Mauleseltreibern durch Ueberlieferung behielt. Der Gouverneur, oder Stadthauptmann, was er seyn mochte — denn ich habe mich um seinen Posten weiter nicht bekümmert — bewirthete mich mit dem berühmten Syrakusischen Muskatensekt, den endlich dieser Herr wohl gut haben muß, und mit englischem Ale und Biscuit. Das Ale war gut, und das Biscuit besser; und über den Wein habe ich keine Stimme. Mir war er zu stark und zu süß. Ein Perrukenmacher, der in dem Hause des Stadthauptmanns war, führte mich gerades Weges in sein eigenes, bewirthete mich ziemlich gut, und ließ mich noch besser bezahlen. Dafür wurde ich aber so viel beexcelenzt, als ob ich der erste Ordensgeneral wäre, der den großen päbstlichen Ablaß auf hundert Jahre herumtrüge. Man erzählte mir, daß vor einigen Monaten ein Deutscher mit seiner Frau aus Malta durch Sturm hier einzulaufen genöthigt worden sei, und, da er keinen Paß gehabt, zwanzig Tage habe hier bleiben müssen, bis man Befehl von Palermo eingeholt habe. Solche Guignons können eintreten!

Um nicht noch einmal in den Bergen herumzuirren, nahm ich nun endlich einen Maulesel mit einem Führer hierher nach Syrakus. Ich hatte eine große Strecke Weges an dem Meerbusen wieder zurückzumachen. So lange ich mich in der Gegend von Augusta befand, war die Kultur ziemlich gut; aber so wie wir Syrakus näher kamen, ward es immer wüster und leerer. Der Aetna, der über die andern Berge hervorragte, rauchte in der schönen Morgenluft. Der Mauleseltreiberpatron hatte mir zum Führer einen kleinen Buben mitgegeben, der sich, sobald wir heraus waren, auf die Kruppe schwang, mir einen kleinen eisernen Stachel zum Sporn gab, und so mit mir und dem Maulesel über die Felsen hintrabte. Diese Thiere hören auf nichts, als diesen Stachel, der ihnen, statt aller übrigen Treibmittel am Halse applicirt wird. Wenn es nicht recht gehen wollte, rief der kleine Mephistopheles hinter mir: „Pungete, Don Juan, sempre pungete.“ Siehst Du, so kurz und leicht ist die Weisheit der Mauleseltreiber und der Politiker. Das scheint das Schiboletchen aller Minister zu seyn. Wie der Hals des Staats sich bei dem Stachel befindet, was kümmert das die Herren? Wenn es nur geht, oder wenigstens schleicht. Mein kleiner Führer erzählte mir hier und da Geschichten von Todschlägen, so wie wir an den Bergen hinritten. Rechts ließen wir die Stadt Melitta liegen, die auf einer Anhöhe des Hybla noch eine ziemlich angenehme Erscheinung macht. Sonst ist der Berg ziemlich kahl. Acht Millien von Syrakus frühstückte ich an der Feigenquelle, wo der Feigen sehr wenig, aber viel sehr schöne Oelbäume waren, fast der Halbinsel Thapsus gegenüber. Nun trifft man schon hier und da Trümmern, die zwar noch nicht in dem Bezirk der alten Stadt selbst, aber doch in ihrer Nähe liegen. Noch einige Millien weiter hin ritt ich den alten Weg durch die Mauer des Dionysius herauf, und befand mich nun in der ungeheuren Ruine, die jetzt eine Mischung von magern Pflanzungen, kahlen Felsen, Steinhaufen und elenden Häusern ist. Als ich in der Gegend der alten Neapolis zwischen den Felsengräbern war, dankte ich meinen Führer ab, und spazierte nun zu Fuße weiter fort. Der Bube war gescheidt genug, mir einen Gulden über den Akkord abzufordern. In Syrakus ging ich durch alle drei Thore der Festung als Spaziergänger, ohne daß man mir eine Sylbe sagte: auch bin ich nicht weiter gefragt worden. Das war doch eine artige stillschweigende Anerkennung meiner Qualität. Den Spaziergänger läßt man gehen.

Druck von B. G. Teubner in Leipzig.

J. G. Seume’s
sämmtliche Werke.

Vierte rechtmäßige Gesammtausgabe
in acht Bänden.

Zweiter Band.

Leipzig,
Joh. Friedr. Hartknoch.
1839.

Spaziergang nach Syrakus
im Jahre 1802.
Zweiter Theil.

Syrakus.

Heute will ich fröhlich, fröhlich seyn,

Keine Weise, keine Sitte hören,

Will mich wälzen und vor Freude schrein:

Und der König soll mir das nicht wehren.

So singt Asmus den ersten Mai in Wandsbeck; so kann ich doch wohl vier Wochen früher, den ersten April, in Syrakus singen; so froh bin ich; ob ich gleich vor einigen Stunden beinahe in dem Syrakasumpfe ersoffen oder erstickt wäre. Wo fange ich an? Wo höre ich auf? Wenn man in Syrakus nicht weit von der Arethuse sitzt und einem Freunde im Vaterlande schreibt, so stürmen die Gegenstände auf den Geist: vergieb mir also ein Bißchen Unordnung!

So wie ich zum Thore herein war und eine Straße herauf schlenderte, — wohl zu merken, mein Sack hielt keine große Peripherie, und ich konnte ihn mit seinem Inhalt leicht in den Taschen verbergen — so rief mir ein Mann aus einer Bude zu: „Vous êtes étranger, Monsieur, et Vous cherchez une auberge? — Vous l’avez touché, Monsieur!“ sagte ich. „Ayez la bonté d’entrer un peu dans mont atelier: j’aurai l’honneur de Vous servir.“ Ich trat ein. Der Mann war ein Hutmacher, Franzose von Geburt, und schon seit vielen Jahren ansässig in Syrakus. Er begleitete mich in ein ziemlich leidliches Wirthshaus, das auch Landolina nachher als das beste nannte. Die Nahrung, wenigstens das Hutmachen ist in Syrakus so schlecht, daß mein Franzose es gern zufrieden war, bei mir so ein Mittelding von Haushofmeister und Cicerone zu machen. Ich traf Landolina das erste Mal nicht; er war auf einem Landgute. In einer Festung kann ich doch gutwillig nicht bleiben, wenn man mich nicht einsperrt; ich lief also hinaus an den Hafen, nämlich an den großen, oder an den Meerbusen; denn der kleinere auf der andern Seite nach den Steinbrüchen zu hat jetzt nichts Merkwürdiges mehr, so viel auch Agathokles Marmor daran verschwendet haben soll. Ich ging gerade fort über den Anapus, weit hinüber über das Olympeum, und wäre vielleicht bis an die andere Abtheilung des Berges hinunter gegangen, wenn der Tag nicht schon zu tief gewesen wäre. Ich bin doch schon ziemlich weit gegen Süden gewandelt; denn, wenn ich nicht irre, so segelte in den punischen Kriegen der Römer Otacilius von hier aus nach Afrika, machte große Beute in Utika, und war den dritten Abend wieder zurück. Ob Syrakus oder Lilybäum der Ort war,[11] von dem er ausfuhr, darüber wird Dir Dein Livius Bescheid geben: wer kann alles behalten? Du siehst doch, daß ich, wenn ich sonst nur ein ächter Weidmann wäre, in einigen Tagen die Jagdpartie des frommen Aeneas und der Frau Dido mitmachen könnte.

Plemnyrium liegt hier vor mir und sieht sehr wild aus, und hat jetzt durchaus nichts mehr, das nur einen Spaziergang werth wäre. Eine zweite Sumpfgegend hielt mich auf; sonst wäre ich doch wohl noch etwas weiter gegangen. Auf dem Rückwege setzte ich mich ein Viertelstündchen an die zwei Säulen, die für die Ueberreste von dem Tempel des Jupiter Olympius gelten. Es versteht sich, daß die Tempel des Göttervaters meistens auch eine schöne Aussicht gewähren; hier ist sie herrlich. Indem ich sie genoß, setzte ich mich in die Zeit zurück, wo Dionysius eben so willkührlich den Haushofmeister der Olympier, als den Zuchtmeister der Sterblichen machte. Und die Geschichte des Mantels und Bartes ist eben so charakteristisch als des Dichters, der seine Verse nicht loben wollte. Als ich wieder über den Anapus herüber war, dachte ich gerade nach Neapolis heraus zu schneiden und so einen etwas andern Weg zurück zu nehmen. Die Sonne stand noch nicht ganz am Rande, ich sahe alles vor mir und dachte den Gang noch recht bequem zu machen. Aber o Syraka! Syraka! An solchen Orten sollte man durchaus mit der Charte in der Hand gehen. Ehe ich mirs versah, war ich im Sumpfe; ich dachte es zu zwingen und kam immer tiefer hinein: ich dachte nun rechts umzukehren, um keinen zu großen Umweg zu machen: und da fiel ich denn einige Mal bis an den Gürtel in noch etwas Schlimmeres als Wasser. Es ward Abend, und ich fürchtete, man möchte das Thor schließen; wo man denn eben so unerbittlich ist, als in Hamburg. Endlich arbeitete ich mich doch mit vielem Schweiß in einem nicht gar erbaulichen Aufzug wieder auf den Weg, und kam so eben vor Thorschluß herein. Mein Franzose, der auf mich in meinem Wirthshause wartete, war schon meinetwegen in Angst, und erzählte mir nun Wunderdinge von dem Sumpfe. Vor einiger Zeit, als die Franzosen hier waren, hatten einige Offiziere gejagt. Einer der Herren verläuft sich auf einem kleinen Abstecher in den Syraka, denkt wie ich, ist aber nicht so glücklich, und sinkt bis fast unter die Arme hinein. Er kann sich nicht herausbringen, ruft umsonst, und feuert mit seinem Gewehr um Hülfe: darauf kommen seine Kameraden, und müssen ihn nach vielem vergeblichen Rekognosciren von allen Seiten mit Stricken herausziehen. Laß Dir es also nicht einfallen, wenn Du rechts am Anapus spazieren gehest, gerade hinüber nach der schönen Anhöhe zu gehen: bleib hübsch auf dem Wege; sonst kommst Du, wie wir in eine schmutzige Tiefe, in den Syraka.

 

Eben komme ich von einem Spazierritte mit Landolina zurück. Der Mann verdient ganz das enthusiastische Lob, das ihm mehrere Reisende geben: ich habe es an mir erfahren. Er ist einige Mal mit wahrhaft freundschaftlicher Theilnahme mit mir weit herum geritten und gegangen. Du weißt, daß er Ritter ist, und er hatte versprochen, mich zu Pferde in meinem Quartier abzuholen. Ich hatte mir also auch einen ordentlichen Gaul bestellt, so stattlich als man ihn in Syrakus finden konnte, um dem Manne durch meine zu barocke Kavalkade nicht Schande zu machen. Wir ritten weit hinaus bis nach Epipolä, wo wir unsre Pferde ließen und nach den äußersten Festungswerken der alten Stadt über viele Felsen zu Fuße gingen. Hier besah ich mit dem besten Führer, den Du vermuthlich in ganz Sicilien in jeder Rücksicht finden kannst, die Schlösser Labdalum und Euryalus. Die ausführlichere Beschreibung mit dem Plan magst Du bei Barthels sehen: alles würde doch bei mir, wie bei ihm, Landolina gehören. Wir waren schon weit umher gestiegen, und setzten uns hier auf eine der höchsten Stellen der alten Festung nieder, um rund um uns her zu schauen. Ich halte dieses halbe Stündchen für eines der schönsten, die ich genossen habe, wenn ich nur die Melancholie herauswischen könnte, die für die Menschheit darin war. Von dieser Spitze übersah man die ganze große ungeheure Fläche der ehemaligen Stadt, die nun halb als Ruine und halb als Wildniß da liegt. Rechts hinunter zog sich die alte Mauer nach Neapolis, dem Syraka und dem Hafen; links hinab ging bis ans Meer die gegen vier Millien lange berühmte neuere Mauer, welche Dionysius in so kurzer Zeit gegen die Karthager aufführen ließ. Von beiden sieht man noch den Gang durch die Trümmern, und hier und da noch mächtige Werkstücke aufgefügt. Tief hinunter nach der Insel, die jetzt das Städtchen ausmacht, liegen die Scenen der Größe des ehemaligen Syrakus, die nunmehr kaum das Auge auffindet. Rechts kommt der Anapus in dem Thale zwischen den Bergen hervor, und weiter hin jenseits zieht sich eine lange Kette des Hybla rund um die Erdspitze herum. Hinter uns lag der mons crinitus, wo die Athenienser bei der unglücklichen Unternehmung gegen Sicilien standen. Dort unten rechts an der alten Mauer, welche die Herren von Athen umsonst angriffen, stand das Haus des Timoleon, wo man bei der kleinen Mühle noch die Trümmer zeigt. Links hier unten brach Marcellus herein, drang dort hervor bis in die Gegend des kleinen Hafens, wo der schöpferische Geist Archimeds mit dem Feuer des Himmels seine Schiffe verzehrte; dort stand er im Lager und wagte es lange nicht weiter zu gehen, weil er sich hier vor der starken Besatzung der Außenwerke in Epipolä fürchtete. Dort weiter links hinunter auf der Ebene liegt der Acker, den der Verräther erhielt, welcher die Römer führte. Weiter hinab lag Thapsus, und in der Ferne Augusta, jenseit eines andern Meerbusens. Hier hätte ich Tage lang sitzen mögen, mit dem Thucydides und Diodor in der Hand. Diese Schlösser sind vielleicht das Wichtigste, was wir aus dem Kriegswesen der Alten noch haben: und wenn sich ein Militär von Kenntnissen und Genie Zeit nehmen wollte, sie zu untersuchen, es würde eine angenehme, sehr lehrreiche Unterhaltung werden. Die Werke sind von ziemlichem Umfang, und die Neuern haben an Solidität und Größe schwerlich etwas Aehnliches aufzuweisen. Wenn sie nicht etwas zu weit von der Stadt lägen, würden sie derselben von unendlichem Nutzen gewesen seyn. Aber so waren es durch die Lage bloß sehr feste Außenwerke, deren Wichtigkeit vorzüglich der peloponnesische Krieg gezeigt hatte. Die Athenienser hatten die Mauer rechts von der Seite des Anapus nicht zwingen können: ihre Anzahl war vermuthlich zu geringe, und sie hatten keinen Alcibiades zum Führer mehr. Die Römer drangen durch die große Linie links. Wäre diese Linie kürzer gewesen, oder mit andern Worten, hätte die Hauptbefestigung nicht zu weit hinaus gelegen; es wäre vielleicht dem Marcellus, trotz der Verrätherei, nicht gelungen. Jede Dehnung schwächt, wo man sie nicht in der offenen Schlacht zum Manöver benutzen kann.

Jetzt sitze ich hier und lese den Theokrit in seiner Vaterstadt. Ich wollte, Du wärst bei mir und wir könnten das Vergnügen theilen, so würde es größer werden. Mein eignes Exemplar hatte ich, um ganz leicht zu seyn, aus Unachtsamkeit mit in Palermo gelassen, bat mir ihn also von Landolina aus. Dieser gab mir mit vieler Artigkeit die Ausgabe eines Deutschen, unseres Stroth: und dieses nämliche Exemplar war ein Geschenk von Stroth an Münter, und von Münter an Landolina, und ich las nun darin an der Arethuse. Der Ideengang hat etwas Magisches. — Sei nur ruhig! ich habe jetzt zu viel Vergnügen dabei und meine Stiefelsohlen sind noch ganz; Du sollst hier mit keiner Uebersetzung geplagt werden.

Auch heute komme ich von einem Spaziergange mit Landolina zurück. Wir waren nur in der Nähe, in der alten Neapolis, die aber wirklich das Interessanteste der alten Ueberreste enthält. Die Antiquare sind dem unermüdeten patriotischen Eifer Landolinas unendlich viel schuldig. Er hat eine Menge Säulen des alten Forums wieder aufgefunden, welche die Lage desselben genauer bestimmen. Es lag natürlich gleich an dem Hafen, und besteht jetzt meistens aus Gärten und einem offenen Platze, gleich vor dem jetzigen einzigen Landthore. Etwas rechts weiter hinauf hat Landolina das römische Amphitheater besser aufgeräumt und hier und da Korridore zu Tage gefördert, die jetzt zu Mauleseleien dienen. Die Römer trugen ihre blutigen Schauspiele überall hin. Die Arena giebt jetzt einen schönen Garten mit der üppigsten Vegetation. Weiter rechts hinauf ist das alte große griechische Theater, fast rund herum in Felsen gehauen. Rechts, wo der natürliche Felsen nicht weit genug hinaus reichte, war etwas angebaut, und dort hat es natürlich am meisten gelitten. Die Inschrift, über deren Aechtheit und Alter man sich zankt, ist jetzt noch ziemlich deutlich zu lesen. Es läßt sich viel dawider sagen, und sie beweist wohl weiter nichts als die Existens einer Königin, Philistis, von welcher auch Münzen vorhanden sind, von der aber die Geschichte weiter nichts sagt. Die Wasserleitung geht nahe am Theater weg; vermuthlich brachte sie ehemals auch das Wasser hinein. Die Leute waren etwas nachlässig gewesen, so daß ein Zug Wasser gerade auf den Stein der Inschrift floß, die etwas mit Gesträuchen überwachsen war. Landolina gerieth darüber billig in heftigen Unwillen, schalt den Müller und ließ es auf der Stelle abändern. Gegenüber steht eine Kapelle an dem Orte, wo Cicero das Grab des Archimedes gefunden haben will. Wir fanden freilich nichts mehr: aber es ist doch schon ein eignes Gefühl, daß wir es finden würden, wenn es noch da wäre, und daß vermuthlich in dieser kleinen Peripherie der große Mann begraben liegt. Nun gingen wir durch den Begräbnißweg hinauf und oben rechts herum, auf der Fläche von Neapolis fort. Es würde zu weitläufig werden, wenn ich Dir alle die verschiedenen Gestalten der kleinen und größern Begräbnißkammern beschreiben wollte. Wir gingen zu den Latomien und zwar zu dem berüchtigten Ohre des Dionysius. Akustisch genug ist es ausgehauen und man hat ihm nicht ohne Grund diesen Namen gegeben. Ein Blättchen Papier, das man am Eingange zerreißt, macht ein betäubendes Geräusch, und wenn man stark in die Hand klatscht, giebt es einen Knall, wie einen Büchsenschuß, nur etwas dumpfer. Wir wandelten durch die ganze Tiefe, und darin hin und her. Landolina zeigte mir vorzüglich die Art, wie es ausgehauen war, die ich Dir aber als Laie nicht mechanisch genau beschreiben kann. Man hob sich von unten hinauf auf Gerüsten, wovon man noch die Vertiefungen in dem Felsen sieht, und erhielt dadurch eine Höhlung von einem etwas schneckenförmigen Gang, der ihm wohl vorzüglich die lange Dauer gesichert hat. Bei Neapel habe ich, wenn ich nicht irre, etwas Aehnliches in den Steingruben des Posilippo bemerkt. Nirgends ist aber die Methode so vollendet ausgearbeitet, wie hier in diesem Ohre. Ob Dionysius dasselbe habe hauen lassen, ließe sich noch bezweifeln, obgleich Cicero der Meinung zu seyn scheint; aber daß er es zu einem Gefängnisse habe einrichten lassen, hat wohl seine Richtigkeit. Cicero nennt es einen schrecklichen Kerker. Hin und wieder sieht man noch Ringe in dem Felsen, in der Höhe und an dem Boden, und auch einige durchbrochene Höhlungen, in denen Ringe gewesen seyn mögen. Diese gelten für Maschinen, die Gefangenen anzuschließen. Wer kann darüber etwas bestimmen? Oben am Eingange ist das Kämmerchen, welches ehemals für das Lauscheplätzchen des Dionysius galt. Es gehört jetzt viel Maschinerie dazu, von unten hinauf, oder von oben herab dahin zu kommen. Ich bin also nicht darin gewesen. Landolina erklärt das Ganze für eine Fabel, die Tzezes zuerst erzählt habe. Dieses Behältniß hat durch Erdbeben sehr gelitten; an der tiefen Höhle selbst aber, oder an dem eigentlichen Ohre, ist kein Schade geschehen. Gleich am Eingange hat Landolina eine eingestürzte Treppe entdeckt, die er mir zeigte. Die Stufen in den zusammengestürzten Felsenstücken sind zu deutlich; und es läßt sich wohl etwas Anderes nicht daraus machen, als eine Treppe. Man nimmt an, diese habe durch einen verdeckten Gang in das Gefängniß geführt, durch welche der Tyrann selbst Gefangene von Bedeutung hierher brachte. Mit dem Dichter, der seine Verse nicht loben wollte, wird er wohl nicht so viel Umstände gemacht haben. Landolina sagte mir, er habe sich vor einigen Jahren durch Maschinen mit einigen Engländern in das obere kleine Behältniß bringen lassen und eine Menge Experimente gemacht; man höre aber nichts, als ein verworrenes dumpfes Geräusch.

Die Spießbürger von Syrakus lassen sich aber den hübschen Roman nicht so leicht nehmen; und gestern Abend räsonnirte einer von ihnen gegen mich bei einer Flasche Syrakuser verfänglich genug darüber ungefähr so: „Wozu soll das Kämmerchen oben gewesen seyn?“ Zum Anfange einer neuen Steingrube, wozu man es gewöhnlich machen will, ist es an einem sehr unschicklichen Orte, und rund umher sind weit bessere Stellen. Die Treppe, welche Landolina selbst entdeckt hat, führt gerade dahin; kann nach der Lage nirgends anders hinführen. Wenn man jetzt oben nichts deutlich mehr hört, so ist das kein Beweis, daß man ehedem nichts deutlich hörte, die Erdbeben haben an dem Eingange Vieles zertrümmert und eingestürzt, also auch sehr leicht die Akustik verändern können. Man sagt, Dionysius habe in dieser Gegend der Stadt keinen Palast gehabt. Zugegeben, daß dieses wahr sei, so war dieses desto besser für ihn, allen Argwohn seiner nahen Gegenwart zu entfernen. Er konnte deßwegen bei wichtigen Vorfällen sich immer die Mühe geben von Epipolä hierher zu kommen und zu hören; ein Tyrann ist durch seine Spione und Kreaturen überall. Dionysius war keiner von den bequemen sybaritischen Volksquälern. Damit läugne ich nicht, daß er draußen in Epipolä noch mehrere Gefängnisse mag gehabt haben: „man hatte in Paris weit mehrere, als wir hier in Syrakus.“ Ich überlasse es den Gelehrten, die Gründe des ehrlichen Mannes zu widerlegen; ich habe nichts von dem Meinigen hinzu gethan. Mir däucht, für einen Bürger von Syrakus schließt er nicht ganz übel.

In dem Vorhofe des sogenannten Ohres treiben jetzt die Seiler ihr Wesen, und vor demselben sind die Intervallen der Felsenklüfte mit kleinen Gärten, vorzüglich von Feigenbäumen, romantisch durchpflanzt. Weiter hin ist ein anderer Steinbruch, der einer wahren Feerei gleicht. Er ist von einer ziemlichen Tiefe, durchaus nicht zugänglich, als nur durch einen einzigen Eingang nach der Stadtseite, den der Besitzer hat verschließen lassen. Von oben kann man das ganze kleine magische Etablissement übersehen, das aus den niedlichsten Partien von inländischen und ausländischen Bäumen und Blumen bestehet. Die Pflaumen standen eben jetzt in der schönsten Blüthe, und ich war überrascht, hier den vaterländischen Baum zu finden, den ich fast in ganz Sicilien nicht weiter gesehen habe. Er braucht hier in dem heißeren Himmelsstrich den Schatten der Tiefe. Das Vorzüglichste, was ich mit Landolina auf diesem Gange noch sah, war ein tief verschüttetes altes Haus, dessen Dach vielleicht ursprünglich sich schon unter der Erde befand. Das Eigene dieses Hauses sind die mit Kalk gefüllten irdenen Röhren in der Bekleidung und Dachung, über deren Zweck die Gelehrten durchaus keine sehr wahrscheinliche Konjektur machen können. Vielleicht war es ein Bad, und der Eigenthümer hielt dieses für ein Mittel, es trocken zu halten, da diese Röhren vermuthlich Luft von außen empfingen und die Feuchtigkeit der Wände mit abzogen. Der enge Raum und die innere Einrichtung sind für diese Vermuthung des Landolina. Nicht weit davon ist eine alte Presse für Wein oder Oel in Felsen gehauen, die noch so gut erhalten ist, daß, wenn man wollte, sie mit wenig Mühe in Gang gesetzt werden könnte.

Bei den Kapuzinern am Meere, in der Gegend des kleinen Marmorhafens, sind die großen Latomien, die vermuthlich die furchtbaren Gefängnisse für die Athenienser im peloponnesischen Kriege waren. Ich bin einigemal ziemlich lange darin herumgewandelt. Die Mönche haben jetzt ihre Gärten darin angelegt, aus denen noch eben so wenig Erlösung seyn würde. Man könnte sie noch heut zu Tage zu eben dem Behuf gebrauchen, und zehn Mann könnten ohne Gefahr zehntausend ganz sicher bewachen. Der Gebrauch zu Gefängnissen im Kriege mag sich auch nicht auf das damalige Beispiel eingeschränkt haben; dieses war nur das größte, fürchterlichste und gräßlichste. Die Mönche bewirtheten mich mit schönen Orangen, und bedauerten, daß die Engländer schon die besten alle aufgegessen und mitgenommen hätten, sagten aber nicht dabei, wie viel das Kloster Geschenke dafür erhalten haben mag: denn man bezahlt gewöhnlich dergleichen Höflichkeit ziemlich theuer. Hier hat man einen ähnlichen Gang, wie das Ohr des Dionysius; er ist aber nicht ausgeführt worden, weil man vermuthlich den Stein zu dem Behufe nicht tauglich fand. Man kann stundenlang hier herum spaziren, und findet immer wieder irgend etwas Groteskes und Abenteuerliches, das man noch nicht gesehen hat. Wenn man nun die alte Geschichte zurückruft, so erhält das Ganze ein sonderbares Interesse, das man vielleicht an keinem Platze des Erdbodens in diesem Grade wieder findet. Besonders rührend war mir hier an Ort und Stelle die bekannte Anekdote, daß viele Gefangene sich aus der schrecklichen Lage bloß durch einige Verse des Euripides erlös’ten: und mir däucht, ein schöneres Opfer ist nie einem Dichter gebracht worden.

In dem heutigen Syrakus, oder dem alten Inselchen Ortygia ist jetzt nichts Merkwürdiges mehr, als der alte Minerventempel und die Arethuse. Diese Quelle ist, wenn man auch mit keiner Sylbe an die alte Fabel denkt, bis heute noch eine der schönsten und sonderbarsten, die es vielleicht giebt. Wenn sie auch nicht vom Alpheus kommt, so kommt sie doch gewiß von dem festen Boden der Insel; und schon dieser Gang ist wundersam genug. Wo einmal etwas da ist, kommt es den Dichtern auf einige Grade Erhöhung nicht an, zumal den Griechen. Ich habe bei Landolina eine ganze ziemlich lange Abhandlung über die Arethuse gesehen, die er mit vieler Gelehrsamkeit und vielem Scharfsinn aus der ganzen Peripherie der griechischen und lateinischen Literatur von den ältesten Zeiten bis auf den heutigen Tag zusammengetragen hat. In Sicilien und Italien dankt ihm jetzt Niemand für diese Arbeit: es wäre aber für die übrigen Länder von Europa zu wünschen, daß sie bekannter würde. Vielleicht läßt er sie noch in Florenz drucken. Mehreres davon ist durch seine Freunde schon im Auslande bekannt. Er hat eine Menge sonderbarer Erscheinungen an der Quelle bemerkt, die mit dem Wasser des Alpheus Analogie haben, und die vielleicht zu der Fabel Veranlassung geben konnten. Sie quillt zuweilen roth, nimmt zuweilen ab und bleibt zuweilen ganz weg, daß man trocken tief in die Höhle hineingehen kann; und dieses zu einer Zeit, wo sie nach den gewöhnlichen physischen Wetterberechnungen stärker quellen sollte: sie vertreibt Sommersprossen, welches selbst Landolina zu glauben schien. Durch diese Gabe muß die Nymphe nothwendig schon die Göttin der Damen werden. Aehnliche Erscheinungen will man an dem Alpheus bemerkt haben. Nun kamen die Griechen von dort herüber, und brachten ihre Mythen und ihre Liebe zu denselben mit sich auf die Insel; so war die Fabel gemacht: das Andenken des vaterländischen Flusses war ihnen willkommen. Die neueste Veränderung mit der Quelle findet man, däucht mir, noch in Barthels zum Nachtrage in einem Briefe, der höchst wahrscheinlich auch von Landolina ist. Seitdem ist das Wasser süß geblieben, heißt es. Ich fand eine Menge Wäscherinnen an der reichen, schönen Quelle. Das Wasser ist gewöhnlich rein und hell, aber nicht mehr, wie ehemals, ungewöhnlich schön. Ich stieg so tief als möglich hinunter und schöpfte mit der hohlen Hand: man kann zwar das Wasser trinken, aber süß kann man es wohl kaum nennen; es schmeckt noch immer etwas brackisch, wie das meiste Wasser der Brunnen in Holland. Die Vermischung mit dem Meere muß also durch die neueste Veränderung noch nicht gänzlich wieder gehoben seyn. Alles Wasser auf der kleinen Insel hat die nämliche Beschaffenheit, und gehört wahrscheinlich durchaus zu der nämlichen Quelle. In der Kirche Sankt Philippi ist eine alte tiefe, tiefe Gruft mit einer ziemlich bequemen Wendeltreppe hinab, wo unten Wasser von der nämlichen Beschaffenheit ist; nur fand ich es noch etwas salziger; das mag vielleicht von der großen Tiefe und dem beständig verschlossenen Raum herkommen. Landolina hält es für das alte Lustralwasser, welches man oft in griechischen Tempeln fand. Sehr möglich; es läßt sich gegen die Vermuthung nichts sagen. Aber kann es nicht eben sowohl ein gewöhnlicher Brunnen zum öffentlichen Gebrauche gewesen seyn? Er hatte unstreitig das nämliche Schicksal mit der Arethuse in den verschiedenen Erderschütterungen. Man weiß, die Insel machte bei den alten Tyrannen von Syrakus die Hauptfestung aus. Man hatte außer der Arethuse wenig Wasser in den Werken. Diese schöne Quelle liegt am Meere und war sehr bekannt. Der Feind konnte Mittel finden, sie zu nehmen, oder zu verderben. War der Gedanke, sich noch einen Wasserplatz auf diesen Fall zu verschaffen und ihn vielleicht geheim zu halten, nicht sehr natürlich? Ich will die Vermuthung nicht weiter verfolgen und eben so wenig hartnäckig behaupten. Das Wasser als Lustralwasser konnte nebenher auch diese politische Reservebestimmung haben.

Als ich hier in der Kirche saß, die eben ausgebessert wird, und den Schlüssel zur erwähnten Gruft erwartete, gesellte sich ein neapolitanischer Officier zu mir, der ein Franzose von Geburt und schon über zwanzig Jahre in hiesigen Diensten war. Er sprach recht gut Deutsch und hatte ehemals mehrere Reisen durch verschiedene Länder von Europa gemacht. Wenn man diesen Mann von der Regierung und der Kirchendisciplin sprechen hörte — man hätte Feuer vom Himmel zur Vertilgung der Schande flehen mögen. Alles bestätigte seine Erzählung, und bösartige Unzufriedenheit und Murrsinn schien nicht in dem Charakter des Mannes zu liegen. Vorzüglich war die Unzucht der römischen Kirche, nach seiner Aussage, ein Gräuel, wie man ihn in dem weggeworfensten Heidenthume nicht schlimmer finden konnte. Blutschande aller Art ist in der Gegend gar nichts Ungewöhnliches und wird mit einem kleinen Ablaßgelde nicht allein abgebüßt, sondern auch ungestraft fortgesetzt. Der Beichtstuhl ist ein Kuppelplatz, wo sich der Klerus für eine gemessene, oft kleine Belohnung sehr leicht zum Unterhändler hergiebt, wenn er nicht selbst Theilnehmer ist. Wer profane Schwierigkeiten in seiner Liebschaft findet, wendet sich an einen Mönch, oder sonstigen Geistlichen, und die ehrsamste sprödeste Person wird bald gefällig gemacht. Der Mann sprach davon dem Altare gegenüber, wie von gewöhnlichen Dingen, die Jedermann wisse, und nannte mir mit großer Freimüthigkeit zu seinen Behauptungen Namen und Beispiele, die ich gern wieder vergessen habe. Ich erzähle die Thatsache, und überlasse Dir die Glossen.

Minerva hat, in ihrem Tempel, der heiligen Lucilie Platz machen müssen. Man hat das Gebäude nach der gewöhnlichen Weise behandelt, und aus einem sehr schönen Tempel eine ziemlich schlechte Kirche gemacht. Das Ganze ist verbaut, so daß nur noch von innen und außen der griechische Säulengang sichtbar ist. Das Frontispice ist nach dem neuen Styl schön und groß, sticht aber gegen die alte griechische Einfachheit nicht sehr vortheilhaft ab.

Bald wäre ich heute unschuldigerweise Veranlassung eines Unglücks geworden. Ein Kastrat, der in der Kathedralkirche singt und nicht mehr, als sechzig Piaster jährlich hat, war mein Gast in dem Wirthshause, weil er sehr freundlich war und ein sehr gutmüthiger Kerl zu seyn schien. Ein Geiger, sein Nebenbuhler, neckte ihn lange mit allerhand Sarkasmen über seine Zuthulichkeit, und kam endlich auch auf einen eigenen eigentlichen topischen Fehler seiner Natur, an dem der arme Teufel wohl ganz unschuldig war, da ihn Andere vermuthlich ohne seine Beistimmung an ihm gemacht hatten. Darüber gerieth das entmannte Bild plötzlich so in Wuth, daß er mit dem Messer auf den Geiger zuschoß und ihn erstochen haben würde, wäre dieser durch die Anwesenden nicht sogleich fortgeschafft worden. Auch der Sänger konnte die Aergerniß durchaus nicht verdauen und entfernte sich.

Eben sitze ich hier bei einem Gericht Aale aus dem Anapus, die hier für eine Delikatesse der Domherren gelten, und die ich also wohl eben so verdienstlos verzehren kann. Ich habe sie selbst auf dem Flusse gekauft und halb mit gefischt. Ich fuhr nämlich heute Nachmittags mit meinem Franzosen über den Hafen den Anapus hinauf, um das Papier zu suchen. Das Papier fand ich auf der Cyane links bald in einer solchen Menge, daß wir das Boot kaum durcharbeiten konnten: aber die schöne Quelle der Cyane konnte ich nicht erreichen. Es war zu spät; wir mußten fürchten verschlossen zu werden und kehrten zurück. Das ärgerte mich etwas; ich hätte früher fahren müssen. Das Wasser ging hoch und wir kamen noch eben wieder zum Schlusse an. Hier am Hafen wollten einige Köche der hiesigen Schmecker mir durchaus meine Beute abhandeln und boten gewaltig viel für meine Aale, machten auch Anstalt sich derselben provisorisch zu bemächtigen, als ob das so Regel wäre: ich hielt aber den Fang fest und sagte bestimmt, ich wollte hier in Syrakus meine Aale aus dem Anapus essen, und würde sie weder dem Bischof, noch dem Statthalter, noch dem König selbst geben, wenn er sie nicht durch Grenadire nehmen ließe. Die Leute beguckten mich und ließen mich abziehen. Ueber das Papier selbst und des Landolina Art es zuzubereiten habe ich nichts hinzuzufügen: ob ich gleich glaube in den bisherigen Beschreibungen der Pflanze, zwar keine Unrichtigkeiten, aber doch einige Unvollständigkeit entdeckt zu haben. Die Sache ist indessen zu unwichtig. Unser schlechtestes Lumpenpapier ist immer noch besser, als das beste Papier, das ich von der Pflanze vom Nil und aus Sicilien gesehen habe. Wir können nun das Sumpfgewächs und den Kommentar des Plinius darüber entbehren; es hat nur noch das Interesse des Alterthums.

Eine drollige Anekdote darf ich Dir noch mittheilen, welche die gelehrten Späher und Seher betrifft, und die mir der besten einer unter ihnen, Landolina selbst, mit vieler Jovialität erzählte, als wir nach einem Spaziergange in dem alten griechischen Theater saßen und ausruhten. Landolina machte mit einer fremden Gesellschaft, von welcher er einen unserer Landsleute, ich glaube den Baron von Hildesheim, nannte, eine ähnliche Wanderung. Hier entstand nun ein Zwist über eine Vertiefung in dem Felsen, die ein jeder nach seiner Weise interpretirte. Einige hielten sie für das Grab eines Kindes irgend einer alten vornehmen Familie, und brachten Beweise, die vielleicht eben so problematisch waren, wie die Sache, welche sie beweisen sollten. Man sprach und stritt her und hin. Das bemerkte ein alter Bauer nicht weit davon, daß man über dieses Loch sprach. Er kam näher und erkundigte sich und hörte, wovon die Rede war. „Das kann ich Ihnen leicht erklären,“ hob er an; „vor ungefähr zwanzig Jahren habe ich es selbst gehauen, um meine Schweine daraus zu füttern: da ich nun seit mehrern Jahren keine Schweine mehr habe, füttere ich keine mehr daraus.“ Die Archäologen lachten über die bündige Erklärung, ohne welche sie unstreitig noch lange sehr gelehrt darüber gesprochen und vielleicht sogar geschrieben hätten. „So geht es uns wohl noch manchmal,“ setzte Landolina sehr launig hinzu.

Die hiesigen Katakomben unterscheiden sich wesentlich von denen zu Neapel. Was beide ursprünglich gewesen seyn mögen, ist wohl schwerlich zu bestimmen; aber daß beide in der Folge zu Begräbnißplätzen gedient haben, ist ausgemacht. Von den syrakusischen ließe sich vielleicht aus dem Bau mehr behaupten, daß sie ursprünglich dazu gehauen wurden. Der große Unterschied der neapolitanischen und syrakusischen besteht darin, daß in den neapolitanischen die Leichenbehälter von dem Boden aufwärts, und hier in die Tiefe der Wand hineingearbeitet sind. Dort sind unten die größern und dann an der Wand herauf die kleinern Behälter; hier sind vorn die größern und dann weiter in der Felsenwand hinein die kleinern: so daß in Neapel das Dreieck der Lage an der Seite aufwärts, in Syrakus mit der Spitze einwärts niedergelegt zu denken ist. Beschreibung ist schwer und Zeichnung macht noch mehr Umstände; ich weiß nicht, ob ich Dir deutlich geworden bin. Ein avtoptischer Anblick giebt es in einem Moment. In Neapel lagen die Kadaver in kleineren Nischen an der Wand hinauf, unten die größeren und aufwärts immer kleinere; in Syrakus in den Felsen hinein, vorn größere und hinterwärts immer kleinere. Hier habe ich den einzigen vernünftigen Mönch als Mönch in meinem Leben gesehen. Wo man sonst auch noch zuweilen gute und vernünftige trifft, sind sie es wenigstens nicht als Mönche. Der Eingang in die Grüfte ist hier eine alte Kirche des heiligen Johannes, wo nur noch selten Gottesdienst gehalten wird. Dieser Mönch ist der einzige Bewohner der Kirche und der Katakomben, Glöckner und Sakristan, und Abt und Kellner und Laienbruder zugleich. Das erstemal, als wir kamen, war er nicht zu Hause, sondern in der Stadt nach Lebensmitteln. Als wir umkehrten, begegneten wir ihn in den Feigengärten, und gingen wieder mit ihm zurück nach Sankt Johannis. Er machte für einen Religiosen einen etwas sonderbaren genialischen Aufzug. Seine Eselin hatte gesetzt, und doch hatte er sie nöthig, um seine Viktualien aus der Stadt zu holen; er nahm sie also mit dem jungen Esel von dreiundzwanzig Stunden zusammen. Der kleine Novize des Lebens konnte natürlich die große Tour nicht aushalten. Der Mönch mit seinem langen Talar nahm seinen Zögling auf die Schultern und ging voran, und die Mutter folgte in angeborner Sanftmuth und Geduld mit den Körben. So fanden wir den Gottesmann. Er ist übrigens ein ehrlicher Schuster aus Syrakus, der drei Söhne erzogen und zur Armee und auf die See geschickt hat. Nach dem Tode seiner Frau, da seine abnehmenden Augen dem Ort und dem Draht nicht mehr recht gebieten wollten, hat ihn der Bischof hierher gesetzt; vielleicht das Gescheidteste, was seit langer Zeit ein Bischof von Syrakus gethan hat! Die Krypte der Kirche, wo noch Gottesdienst gehalten wird, ist auch schon tief und schauerlich genug. Von den Gemälden in den verschiedenen Abtheilungen der Katakomben läßt sich wohl nicht viel sagen; denn sie sind meistens neu. Aus einer griechischen Inschrift habe ich auch nichts machen können: das ist indessen kein Beweis, daß es andere nicht besser verstehen. Die Leute fabeln hier, daß diese Katakomben bis nach Catanien gehen; vermuthlich weil man ehemals dort auch Katakomben gefunden haben mag. Das ist eben so, als wenn zuweilen der Führer der Baumannshöhle versichert, daß sie sich bis nach Goßlar erstrecke.

Der Sommer muß hier zuweilen schon fürchterlich seyn; denn Landolina erzählte mir von einem gewissen Südwestwinde, den man il ponente nennt, welcher zuweilen in einem Nachmittage durch seinen Hauch alle Pflanzen im eigentlichen Sinne verbrenne, die Bäume entlaube und den Wein verderbe. Der Sirocco soll ein kühlendes Lüftchen gegen diesen seyn: man finde nachher in einem solchen Grade alles verdorret, daß man es sogleich zu Asche reiben könne. Zum Glück sei er nur sehr selten. Auch der Hagel, der hier zuweilen falle, sei so groß und scharf, daß er die Stengel der Pflanzen und die Aeste der Bäume nicht zerknicke, sondern zerschneide. Dieses seien die zwei gefährlichsten Landplagen in dem südlichen Sicilien. Die Winter sind gewöhnlich von keiner Bedeutung; nur der vergangene ist etwas hart gewesen, und man hat seit zehn Jahren wieder den ersten Schnee, aber auch nur auf einige Stunden, in Syrakus gesehen. Ein solcher Tag ist dann ein Fest, besonders für die Jugend, welcher so etwas eine sehr große Erscheinung ist. Sonst sieht man den Schnee nur auf den Gipfeln ferner Berge.

Syrakus kommt immer mehr und mehr in Verfall: die Regierung scheint sich durchaus um nichts zu bekümmern. Nur zuweilen schickt sie ihre Steuerrevisoren, um die Abgaben mit Strenge einzutreiben. Es war mir eine sehr melancholische Viertelstunde, als ich mit Landolina oben auf der Felsenspitze von Euryalus saß, der würdige patriotisch eifernde Mann über das große traurige Feld seiner Vaterstadt hinblickte, das kaum noch Trümmer war, und sagte: „Das waren wir!“ und mit einem Blick hinunter auf das kleine Häufchen Häuser: „Das sind wir!“ Ich habe während der vier Tage Umgang mit ihm, in ihm einen der reinsten und liebenswürdigsten Charaktere gefunden, und er sprach mit schönem Enthusiasmus von seinen nordischen Freunden Münter und Barthels und einigen andern, die ihn besucht hatten, und von Heyne, den er noch nicht gesehen hatte. Syrakus allein hatte ehemals mehr Einwohner, als jetzt die ganze Insel. Nur der dritte Theil der Insel ist bebaut, und dieses ziemlich schlecht. Das habe ich auf meinen Zügen gefunden, und Eingeborne, die zugleich Kenner sind, bestätigen es durchaus. Ehemals schickte man bei der großen Bevölkerung Korn nach Rom, und die Insel wurde für ein Magazin der Hauptstadt der Welt gehalten. Neulich ist man genöthigt gewesen, Getreide aus der Levante kommen zu lassen, damit die wenigen ärmlichen südlichen Küstenbewohner nicht Hunger litten. Kann man eine bessere Philippika auf die Regierung und den Minister in Neapel schreiben? Man giebt der physischen Verschlimmerung des Landes durch die Erdrevolutionen viele Schuld: aber die Berge sind noch alle fruchtbar bis fast an die Spitzen. Wenn man die Gipfel der Riesen, des Eryx, des Taurus und einige Felsenpartien ausnimmt, könnte von allen gewonnen werden, wenn man Arbeit daran wagen wollte. Die Jumarren, diese verschrieenen Gegenden, geben reichlich, wenn man fleißig ist. Sicilien ist ein Land des Fleißes, der Arbeit und der Ausdauer. Man will aber jetzt nur da bauen, wo man fast nicht nöthig hat zu arbeiten. Es sind freilich wenig große Striche hier, die so schwelgerisch fruchtbar wären, wie das Kampanerthal: aber es könnte viel schönes Paradies geschaffen werden.

Der Hafen ist fast leer, und ist vielleicht einer der schönsten auf dem Erdboden. Wenn man ein Fort auf Plemnyrium und eines auf Ortygia hat, so kann keine Felucke heraus und hinein. Jetzt kreuzen die Korsaren bis vor die Kanonen. Als im vorigen Kriege die Franzosen Miene machten, sich der Insel zu bemächtigen, war hier schon alles entschlossen sich recht tapfer zu ergeben. Man erzählte mir eine Anekdote, die mir unglaublich vorkam; aber sie wurde verschieden im Publikum hier und da wiederholt. Der Gouverneur, um ja durchaus außer Stande zu seyn, schnell zu handeln, läßt alle Kaliber der Kugeln durch einander werfen und die Munition in Unordnung bringen. Die Franzosen nahmen ihren Weg nach Aegypten und es war weder Gefecht noch Ergeben nöthig; die Excellenz zog sich durch ein sanftes seliges Ende aus allem Verdruß. Hätten die Franzosen ihren Vortheil besser verstanden, anstatt an den Nil zu gehen vorher die Insel anzugreifen; mit zehntausend Mann hätten sie dieselbe mit ihrer gewöhnlichen Energie genommen und mit gehöriger Klugheit behauptet. Freilich wären dazu andere Maaßregeln nöthig gewesen, als ihre Generale und Kommissäre zur Schande der Nation und ihrer Sache hier und da ergriffen haben. Sicilien wäre auch in einem östlichen Kriege ein ganz anderer Zwischenpunkt als Malta; das zeigt die ganze Geschichte und schon ein einziger Blick auf die Insel. — Es kommen jetzt selten Schiffe aus Syrakus. Bloß im vorigen Kriege war es ein Zufluchtsort gegen die Stürme: und dabei hat die Stadt wenigstens etwas gewonnen. Jetzt nach dem Frieden vermindert sich die Anzahl der Ankommenden beständig wieder.

Noch etwas Literarisches muß ich Dir doch aus dem südlichen Sicilien melden, damit Du nicht glaubest, ich sei ganz unter die Analphabeten getreten. Landolina läßt jetzt in Florenz eine Abhandlung drucken, in welcher er beweist, daß der heutige berühmte Syrakuser Muskatenwein der οἶνος πόλλιος oder πόλιος der Alten sei. Die klassischen Hauptstellen darüber sind, glaube ich, die Gärten des Alcinous im Homer, und Hesiodus in seinen Tagewerken im sechshundert und zehnten Vers. Im Homer heißt es, daß an den Weinstöcken reife Trauben und grünende Blüthen zugleich gewesen seien, worüber sich unsere Ausleger zuweilen quälen, sagte Landolina. Sie dürften nur die Sache wörtlich nehmen und zu uns nach Syrakus kommen, so könnten sie sich bei der ersten Ernte des Muskatenweins zu Anfang des July leicht überzeugen. Aber nur die Muskatentraube hat diese Eigenschaft des Orangenbaums, daß sie reife und unreife Früchte und Blüthen zu gleicher Zeit zeigt. Landolina behauptet, diese Traube sei zunächst aus Tarent nach Syrakus gekommen; das mag er beweisen. Dieses alles wird Dir, als einem weingelehrten Manne, weit wichtiger seyn, als mir Abacchevten. Er hat mir manche nicht unangenehme philologische Bemerkung über manche griechische Stelle gemacht, für die ihm sein Freund Heyne in Göttingen Dank wissen wird, dem er sie wahrscheinlich auch alle mitgetheilt hat. An der Arethuse kann man freilich manches etwas besser sehen, als an der Leine. Uebrigens sagte er noch, daß Homer, der, nach der Genauigkeit seiner Beschreibung zu urtheilen, durchaus in Sicilien gewesen seyn müsse, vielleicht nicht sonderlich hier aufgenommen worden sei, weil er bei jeder Gelegenheit einen etwas bösartigen Tik gegen die Insel äußere.

Catanien.

Du siehst, ich bin nun auf der Rückkehr zu Dir. Syrakus, oder vielleicht schon Agrigent, war das südlichste Ende meines Weges. Vor einigen Tagen ritt ich zu Maulesel wieder mit einem ziemlich kleinen Führer hierher. Man kann die Reise in einem Sommertage sehr bequem machen; und wenn man recht gut beritten ist, recht früh aufbricht und sich nicht sehr umsieht, kann man wohl Augusta noch mitnehmen. Die Maulesel machen einen barbarisch starken Schritt, und das Pungete, Don Juan, pungete! wurde auch nicht gespart. Es war ein herrlicher warmer Regenmorgen, als ich Syrakus verließ; der Himmel hellte sich auf, als ich aus der Festung war, und die Nachtigallen sangen wetteifernd in den Feigengärten und Mandelbäumen so schön, wie ich ihnen in Sicilien gar nicht zugetraut hätte, da sie sich noch nicht sonderlich hatten hören lassen. Ich ging wieder vor der Feigenquelle vorbei und durch einen Strich der schönen, herrlichen Gegend von Augusta. Aber vor derselben und nach derselben war es wüste, ununterbrochen wüste, bis diesseits der Berge an die Ufer des Simäthus. In einem Wirthshause am Fuße der Berge, ungefähr noch zehn Millien von Catanien, wo ich essen wollte, und wenigstens Maccaroni suchte, gab der Wirth skoptisch zur Antwort: „in Catanien sind Maccaroni; hier ist nichts.“ Der Mensch hatte die trotzige, murrsinnige Physiognomie der gedrückten Armuth und des Mangels, der nicht seine Schuld war, und gewann nicht eher eine etwas freundliche Miene, als bis ich seinen Kindern von meinem schönen Brote aus Syrakus gab; dann holte er mir mein Lieblingsgericht, getrocknete Oliven. In der Gegend des Simäthus war das Wasser ziemlich groß, das man auf die Felder umher auf den Reis leitete. Mein Maulesel, den ich nordischer Reiter wohl nicht recht geschickt lenken mochte, fiel in eine morastige Lache des Flusses, und bekam meine halbe Personalität unter sich. Mein linker Fuß, der wegen einer alten Kontusion nicht viel vertragen kann, wurde gequetscht und etwas verrenkt und ich kam lahm hier an. Sehr leicht hätte ich eines sehr unidyllischen schmutzigen Todes in dem Schlamme des Simäthus sterben können: doch zürne ich deßwegen dem Flusse nicht; denn er ist doch der einzige Fluß, der diesen Namen auf der Insel verdient, und durchaus der größte; wenn gleich einige den Salzfluß bei Alicata, oder gar den Himera bei Termini größer machen. Der Simäthus ist ein eigentlicher Fluß, die Zierde und der Segen des eigentlichen Thales Enna, und die andern sind nur Waldströme, die sich freilich zuweilen mit vieler Gewalt von den Bergen herabwälzen mögen, wie ich schon selbst die Erfahrung gemacht habe. Das dauert aber gewöhnlich nur einige Tage; dann kann man wieder zu Fuß durch ihre Betten gehen. Nicht weit diesseit des Simäthus, über den hier eine ziemlich gute Fähre geht, führte mich mein unkundiger Eseltreiber tief in Büsche und Moräste hinein, daß weder ich, noch er, noch der Esel weiter wußten. Mein Schmutz und mein Schmerz am Fuße hatten mich etwas grämlich gemacht, so daß ich im Aerger dem Jungen mit der Ruthe einige Schläge über das Kollet gab. Darüber fing er an jämmerlich zu schreien; wir erholten uns beide, und er sagte mir sodann mit vieler Eseltreiberweisheit, das sei sehr unklug von mir gewesen, daß ich so wenig Geduld gehabt habe; ich habe zwar von ihm nichts zu fürchten, weil er ehrlich sei! aber ich sei doch immer in seiner Gewalt. Avis dem Leser! der Junge hatte Recht, und ich schämte mich meiner Uebereilung; wir versöhnten uns, und ritten philosophisch weiter. Die fernere Nachbarschaft von Catanien ist, für Catanien, schlecht genug bebaut, die ganze Gegend des Simäthus könnte und sollte besser bearbeitet seyn. In der Nähe der Stadt fängt die Kultur schöner an. Ich ließ an dem Stadtthore den Jungen mit der Bezahlung laufen, und spazierte oder hinkte vielmehr, etwas gesäubert, die Straße hinab, wendete mich an die erste Physiognomie, die mir gefiel, und die mich auch in dem Elephanten sehr gut unterbrachte. Für den beschädigten Fuß gab mir ein Arzt bei dem Professor Gambino Muskatennußöl, und es ward sogleich besser, und jetzt marschire ich schon wieder ziemlich fest. Das habe ich auch nöthig; denn ich will auf den Aetna, wo sich mancher schon den Fuß vertreten hat.

Eben stehe ich von einer ächt klassischen Mahlzeit auf, mein Freund, und ich glaube fast, es wäre die beste in meinem Leben gewesen, wenn nur einige Freunde, wie Du, aus dem Vaterlande mit mir gewesen wären. Aber mein Tischgeselle war ein hiesiger Geistlicher, eben die Physiognomie, die ich auf der Straße zum Führer bekam. Der Mann ist indessen für einen sicilischen Theologen vernünftig genug, und hat mir eben, ich weiß nicht wie, klassisch bewiesen, daß Catanien das Vaterland der Flöhe sei. Meine Mahlzeit, Freund, war ganz vom Aetna, bis auf die Fische, welche aus der See an seinem Fuße waren. Die Orangen, der Wein, die Kastanien, die Feigen und die Feigenschnepfen, alles ist vom Fuße und von der Seite des Berges. Ich bin Willens, ihn auf alle Weise zu genießen; deßwegen bin ich hergekommen; und wohl nicht absichtlich, um das Unwesen der Regierung und der Möncherei zu sehen. In Catanien ist es wohl von ganz Sicilien und vielleicht von ganz Italien noch vielleicht am hellsten und vernünftigsten; das hat Biskaris und einige seiner Freunde gemacht, durch welche etwas griechischer Geist wieder aufgelebt ist. Es ist hier sogar eine Art von Wohlstand und Flor, der den schlechten Einrichtungen in der Insel Hohn spricht. Hier würde ich leben, wenn ich mich nicht bei den Kamaldulensern in Neapel einsiedelte. Hier fängt man wenigstens an, das Unglück des Vaterlandes, die Unordnungen und Malversationen aller Art, die schrecklichen Wirkungen der Unterdrückung und des dummen Aberglaubens recht lebhaft zu fühlen. Die Mönche haben den dritten Theil der Güter in den Händen; und wenn ihre Mast das einzige Uebel wäre, das sie dem Staate verursachen, so könnte der gräßliche Druckfehler des Menschenverstandes doch vielleicht noch Verzeihung finden. Aber — mein Gott, wer wird ein Wort über die Mönche verlieren! Bonaparte wird sich zu seiner Zeit ihrer schon wieder eben so thätig annehmen, wie der Uebrigen, da sie mit ihnen zu seinem Systeme gehören. Es entfuhr mir aus kosmopolitischem Ingrimm hier in einer Gesellschaft, daß ich etwas unfein sagte: „Les moines avec leur cortège sont les morpions de l’humanité.“ Die Sentenz wurde mit lautem Beifall aufgenommen, und auf manchen vorübergehenden Kuttenträger angewendet. Du begreifst, daß man schon ziemlich liberal seyn muß, um so etwas nur zu vertragen: freilich verträgt man es nicht überall; aber die Stimmung ist doch sehr lebendig gegen das Ungeziefer des Staats. Die Franzosen haben in der ganzen Insel keine geringe Partei; und diese nimmt es Bonaparte sehr übel, daß er nach Aegypten ging, und nicht vorher kam und sie nahm, welches nach ihrer Meinung etwas Leichtes gewesen wäre. Muth, Klugheit, allgemeine Gerechtigkeit und Humanität, von welchen Eigenschaften er wenigstens die erste Hälfte besitzt, hätten mit zehen tausend Mann die Sache gemacht: und es ist leicht zu berechnen, was Sicilien für den Krieg gewesen wäre; wenn es auch jetzt nicht mehr so wichtig ist, als in den karthagischen Kriegen, oder unter den Normännern. Alle vernünftige Insulaner sind völlig überzeugt, daß sie bei dem nächsten Kriege, an dem Neapel nur entfernt Antheil nimmt, die Beute der Engländer, oder Franzosen seyn werden; und ich gab ihnen mit voller Ueberlegung den Trost, daß sie sich im Ganzen auf keinen Fall verschlimmern könnten, so sehr auch einzelne Städte leiden möchten. Sie schienen das leicht zu begreifen, und sich also nicht zu fürchten.

Es würde zu weitläuftig werden, wenn ich anfangen wollte, Dir nur etwas systematisch über Literatur und Antiquitäten zu schreiben. Andere haben das besser vor mir gethan, als ich es könnte. Es hat sich wesentlich nichts geändert. Der thätige Geist des alten Biskaris scheint nicht ganz auf seinen Nachfolger übergegangen zu seyn: obgleich auch dieser noch immer die nämliche Humanität zeigt. Das Kabinet ist wohl nicht ganz in der besten Ordnung. Was mich im Antikensaale vorzüglich beschäftigt hat, waren einige sehr schöne griechische und römische Köpfe, ein Torso fast von der nämlichen Gestalt, wie der jetzige Pariser, und den Einige diesem fast gleich schätzen, und eine Büste der Ceres, die beste, die ich gesehen habe. Es sind mehrere Statüen der Venus da; aber keine einzige, die mir gefallen hätte. Unter den kleinen Bronzen zeichneten sich für mich aus, ein Atlas, der Himmelsträger, ein Mars, ein Merkur und ein Herkules. Es sind auch noch einige andere von vortrefflicher Arbeit. Die Lampensammlung ist sehr beträchtlich, vorzüglich die Matrimoniallampen, unter denen viele sehr niedliche, leichtfertige, aphrodisische Mysterien sind, die dem Charakter nach aus den Zeiten der römischen Kaiser zu seyn scheinen. Manches gehört wohl auf keine Weise in eine solche Sammlung; vorzüglich nicht die Gewehre, welche wenig Interesse für Künstler und Kenner haben: einzelne Anekdoten müßten denn die Stücke merkwürdig machen. Vorzüglich schön ist noch eine längliche Vase, wo Ulyß und Diomed die Pferde des Rhesus bringen.

Das Uebrige findet man besser und geordneter bei dem Ritter Gioeni, dessen Fach ausschließlich die Naturgeschichte ist, und vorzüglich die Naturgeschichte Siciliens. Man findet bei ihm alle vulkanische Produkte des Aetna, des Vesuv und der liparischen Inseln, und es ist ein Vergnügen, die Resultate eines anhaltenden Fleißes hier zusammen zu sehen. Hier sind alle sicilischen Steine, von denen die Marmorarten vorzüglich schön sind. Bei Landolina und Biskaris und Gioeni sind Tische, die aus allen sicilischen Marmorarten gearbeitet sind. Das Fach der Muscheln findet man wohl selten so schön und so reich, als bei dem Letzten. Was mich besonders aufhielt, waren die verschiedenen niedlichen Sorten von Bernstein, alle aus Sicilien, die ich hier nicht gesucht hätte. Ich wußte wohl, daß man in Sicilien Bernstein findet, aber ich wußte nicht, daß er so schön und groß angetroffen wird: und ich habe aus der Ostsee keine so schöne Farben und Schattirungen davon gesehen. Die Arbeiten waren sehr niedlich und geschmackvoll. In der neuern Chemie und Physik muß man indessen nicht sehr gewissenhaft mit fortgehen: denn es wurde zufällig von der Platina gesprochen, die Gesellschaft war nicht ganz klein und nicht ganz gewöhnlich, und man gestand sogar Deinem idiotischen Freunde eine Stimme über die specifische Schwere des Metalles zu. Endlich mußte unser Landsmann Bergmann den Zwist entscheiden, und ich war wirklich seinem Ausspruche am nächsten gekommen. Der Ritter und sein Bruder sind Männer von vieler Humanität und unermüdetem Eifer für die Wissenschaft.

Ich hatte das Vergnügen in dem Universitätsgebäude einer theologischen Doktorkreation beizuwohnen. Der Saal ist groß und schön und hell. Rund herum sind einige große Männer des Alterthums nicht übel abgemalt, von denen Einige Catanier waren, nämlich Charondas und Stesichorus; auch Cicero hatte für seinen Eifer für die Insel die Ehre hier zu seyn; sodann der Syrakusier Archimed und einige andere Sicilier. Theokrit war den frommen Leuten vermuthlich zu frivol; er war nicht hier. Der Candidat war ein Dominikaner, und machte in ziemlich gutem Latein die Lobrede der Stadt und der Akademie Catanien. Der Promotor hielt sodann der Theologie eine Lobrede, die sehr mönchisch war, und die ich ihm bloß der guten Sprache wegen nur in Sicilien noch verzeihe. Nun, dachte ich, wird die Disputation angehen; und vielleicht vergönnt man sogar, da die Versammlung nicht zahlreich und ich von einem hiesigen Professor eingeführt war, mir Hyperboreer auch ein Wörtchen zu sprechen. Aber das war schon alles inter privatos parietes mit dem Examen abgemacht: man gab dem Candidaten den Hut, die Trompeter bliesen, und wir gingen fort. Die Universitätsbibliothek ist nicht zahlreich, aber gut gewählt und geordnet, und der Bibliothekar ist ein freundlicher, verständiger Mann. Er zeigte mir eine erste Ausgabe vom Horaz, die mit den Episteln anfing, und die, wie er mir sagte, Fabricius sehr gelobt habe.

In den antiken Bädern unter der Kathedrale, durch welche eine Ader des Amenanus geleitet ist, die noch fließt, war die Luft so übel, daß der Professor Gambino es nur einige Minuten aushalten konnte. Meine Brust war etwas stärker; aber ich machte doch, daß ich wieder herauskam. Sie werden selten besucht. Auch in den dreifachen Korridoren des Theaters etwas weiter hinauf kroch ich eine Viertelstunde herum: von hier hat der Prinz Biskaris seine besten Schätze gezogen. Auch hier ist ein Aquaedukt des Amenanus, aber sehr verschüttet. Nicht weit davon ist ein altes Odeum, das jetzt zu Privatwohnungen verbauet ist. Die Kommission der Alterthümer hat aber nun die Oberaufsicht; und kein Eigenthümer darf ohne ihre Erlaubniß einen Stein regen.

Das Kloster und die Kirche der reichen Benediktiner sind so gut, als man eine schlechte Sache machen kann. Die Kirche gilt für die größte in ganz Sicilien und ist noch nicht ausgebauet; an der Facade fehlt noch viel. Sie mag dessen ungeachtet wohl die schönste seyn. Die Gemälde in derselben sind nicht ohne Werth, und die Stücke eines Eingebornen, des Morealese, werden billig geschätzt. Am meisten thut man sich auf die Orgel zu gute, die vor ungefähr zwanzig Jahren von Don Donato del Piano gebauet worden ist. Er hat auch eine in Sankt Martin bei Palermo gebauet; aber diese hier soll, wie die Catanier behaupten, weit vorzüglicher seyn. Man hatte die wirklich ausgezeichnete Humanität, sie für einige Freunde nach dem Gottesdienste noch lange spielen zu lassen; und ich glaube selbst in Rom keine bessere gehört zu haben. Schwerlich findet man eine größere Stärke, Reinheit und Verschiedenheit. Einige kleine Spielwerke für die Mönche sind freilich dabei, die durchaus alle Instrumente in einem einzigen haben wollen: aber das Echo ist wirklich ein Meisterstück; ich habe es noch in keiner Musik so magisch gehört. Die Abenddämmerung in der großen, schönen Kirche, und dann die feierlich schaurige Beleuchtung wirkten mit. Die Bibliothek und das Kabinet der Benediktiner sind ansehnlich genug, und könnten bei den Einkünften des Klosters noch weit besser seyn. Im Museum finden sich einige hübsche Stücke von Guido Reni und, wie man behauptet, von Raphael. Mehrere griechische Inschriften sind an den Wänden umher. Eine auf einer Marmortafel ist so gelehrt, daß sie, wie man sagte, auch die gelehrtesten Antiquare in Italien nicht haben erklären können: auch Visconti nicht. Ich hatte nicht Zeit; und was wollte ich Rekrut nach diesem athletischen Triarier? Doch kam es mir vor, als ob sie in einem späteren griechischen Stile das Märterthum der heiligen Agatha enthielte. Wenn Du nach Catanien zu den Benediktinern kommst, magst Du Dein Heil versuchen. In der Bibliothek bewirthete man mich, als einen Leipziger, aus Höflichkeit mit den Actis eruditorum, die in einer Klosterbibliothek in Catanien auch wirklich eine Seltenheit seyn mögen. Die Byzantiner waren alle mit Caute in Verwahrung gesetzt, und werden nicht jedem gegeben. Als einen sehr großen seltenen Schatz zeigte man mir eine außerordentlich schön geschriebene Vulgata. Ich las etwas darin, und verschüttete die gute Meinung der Herren fast ganz durch die voreilige Bemerkung, es wäre Schade, daß der Kopist gar kein Griechisch verstanden hätte. Man sah mich an: ich war also genöthigt zu zeigen, daß er aus dieser Unwissenheit vieles idiotisch und falsch geschrieben habe. Die guten Leute waren verlegen und legten ihr Heiligthum wieder an seinen Ort, und ihre Mienen sagten, daß solche Schätze nicht für Profane wären. Der Pater Secretär, ein feiner, gebildeter Mann, der in seinem Zimmer ein herrliches Instrument hatte, gab mir einen Brief an ihren Bruder oben am Berge im Namen des Abts, da er hörte, daß ich auf den Berg wollte. Er schüttelte indessen zweifelhaft den Kopf und erzählte mir schreckliche Dinge von der Kälte in der obern Region des Riesen: es würde unmöglich seyn, meinte er, schon jetzt in der frühen Jahreszeit noch zu Anfange des Aprils hinaufzukommen. Er erzählte mir dabei von einigen Westphalen, die es noch bei der nämlichen Jahreszeit gewagt hätten, aber kaum zur Hälfte gekommen wären und doch Nasen und Ohren erfroren hätten. Ich ließ mich aber nicht niederschlagen; denn ich wäre ja nicht werth gewesen, nordamerikanischen und russischen Winter erlebt zu haben.

Das Kloster hat achtzigtausend Scudi Einkünfte, und steht in Kredit, daß es damit viel Gutes thut. Das heißt aber wohl weiter nichts, als funfzig Faulenzer ernähren hundert Bettler; dadurch werden beide dem Staate unnütz und verderblich. So jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen, sagt unser alter Sirach; und ich finde den Ausspruch ganz vernünftig, auch wenn er mir selbst das Todesurtheil schriebe.

Eine schöne Promenade ist der Garten dieses nämlichen Klosters der hinter den Gebäuden auf lauter Lava angelegt ist, und wo man links und rechts und geradeaus die schönste Aussicht auf den Berg und das Meer und die bebaute Ebene hat. Die Lavafelder geben dem Garten das Ansehen einer großen, mächtigen Zauberei. Gleich neben diesem Garten, neben dem Klostergebäude nach der Stadt zu, hat ein Kanonikus einen kleinen botanischen Garten, wo er schon die Papierstaude von Syrakus als eine Seltenheit hält. Noch angenehmer ist der Gang in die Gärten des Prinzen Biskaris in der nämlichen Gegend. Als er ihn anlegte, hielt man es für eine Spielerei; aber er hat gezeigt, was Fleiß mit Anhaltsamkeit und etwas Aufwand thun kann. Er hat die Lava gezwungen; die Pflanzung grünt und blüht mit Wein und Feigen und Orangen und den schönsten Blumen aller Art. Der Gärtner brachte mir die gewöhnliche Höflichkeit, und ich legte mehrere Blumen in mein Taschenbuch für meine Freunde im Vaterlande.

Das Jesuitenkloster in der Stadt ist zum Etablissement für Manufakturen gemacht; und ob dieses Etablissement gleich noch nicht weit gediehen ist, so ist doch durch die Vernichtung des Klosters schon viel gewonnen. In der Kathedrale hängt in einer Kapelle ein schrecklich treues Gemälde, ungefähr sechs Fuß im Quadrat, von der letzten großen Eruption des Berges 1669, die fast die Stadt zu Grunde richtete. Ein ächter Künstler sollte es nehmen und ihm in einer neuen Bearbeitung zur Wahrheit des Ganzen auch Kunstwerth geben. Es würde ein furchtbar schönes Stück werden, und das ganze Gebiet der Kunst hätte dann vielleicht nichts Aehnliches aufzuweisen. Hier hätte Raphael arbeiten sollen; da war mehr als sein Brand.

Unten wo der zertheilte Amenanus wieder aus den Lavaschichten herausfließt, steht noch etwas von der alten Mauer Cataniens, ungefähr in gleicher Entfernung zwischen dem Molo links und dem Lavaberge rechts, der dort weiter in die See hinein sich emporgethürmt hat. An dem Molo hat man schon lange mit vielen Kosten gearbeitet; ich fürchte aber, die See wird gewaltiger seyn, als die Arbeiter. Wenn links ein Felsenufer etwas weiter hervorgriffe und den Wogensturz von Calabrien her etwas dämmte, so wäre eher Hoffnung zur Haltbarkeit. Die Erfahrung, von der ich nichts wußte, hat schon meine Meinung bestätigt, und einige verständige Leute pflichteten mir bei. Catanien wird sich wohl müssen mit einer leidlichen Rhede begnügen, wenn nicht vielleicht einmal der Aetna, der große Bauer und Zerstörer, einen Hafen bauet. Er darf nur links einen solchen Berg ins Meer schießen, wie er rechts gethan hat, so ist er fertig. Es fragt sich, ob das zu wünschen wäre. Die Straße Ferdinande, von dem prächtigen Thore von Syrakus her, ist die Hauptstraße: eine andere, die ihr etwas aufwärts parallel läuft, ist fast eben so schön. Wenn Catanien so fortarbeitet, macht es sich nach einem großen Plane zu einer prächtigen Stadt. Fast alle öffentlichen Monumente sind von der Kommune aus eigenen Kräften bestritten, und es sind derselben nicht wenig; des Hofes geschieht nur Ehrenerwähnung. Es ist der lieblichste Ort, den ich in Sicilien gesehen habe, und übrigens sehr wenig mit der Regierung in Kollision; so daß viel Gutes zu erwarten ist. Die Dazwischenkunft der Höfe verderbt wie ein Mehlthau meistens das natürliche Gedeihen der freien Industrie.

Messina.

Ich muß mich etwas fassen, daß ich Dich den Weg über den Berg und Taormina hierher mit mir nicht gar zu unordentlich machen lasse; ob Du gleich Geduld genug wirst haben müssen, denn ich bin ein gar schlechter Systematiker. Der Wirth im Elephanten in Catanien, in dessen Buche ich viele Bekannte fand und der sich als einen sehr guten Hodegeten ankündigte, besorgte mir eben nicht wohlfeil einen Mann mit einem Thiere, der mit mir die Fahrt bestehen sollte. Ich packte meinen Sack voll Orangen und ritt nun bergan. Wie viel ich Dörfer und Flecken durchritt, ehe ich am Sandkloster ankam, weiß ich nicht mehr. Dieses Kloster gehört bekanntlich den reichen Benediktinern unten in der Stadt, die hier nur einen Laienbruder haben, welcher die Oeconomie besorgt, denn sie haben rund umher weite Distrikte von Weinbergen. Bei den Mönchen gilt selten das Sprüchwort: im Weine ist Wahrheit, sondern: im Weine ist Schlauheit. Ich kann mir nicht helfen, und wenn mich die Mönche zum Abt machten, ich würde sagen: je größer das Kloster, desto größer die Sottise. Die Mönche unten sind gar feine Kauze, die das Inconsequente und Bedenkliche und Kritische ihrer jetzigen Lage sehr gut fühlen und die Kutte durchzuschauen wissen: diese waren freundlich und höflich. Der Laienbruder hier im Sande war etwas grämelnd und murrsinnig. Er nahm meinen Empfehlungsbrief, betrachtete ihn und sagte mir ganz trocken: „Der Abt, mein Vorgesetzter, hat ihn nicht unterschrieben; er geht mich also nichts an.“ „Das ist schlimm für mich,“ sagte ich: „Ja wohl!“ sagte er. „Was soll ich nun thun?“ fragte ich: „Was Sie wollen;“ antwortete er. Er besann sich indessen doch etwas; man trug eben das Essen auf. Er fragte mich, ob ich mitessen wollte; und ich machte natürlich gar keine Umstände, weil ich ziemlich hungrig war. Wir setzten uns also, und über Tische ward mein Wirth etwas freundlicher. Mein Maulesel mit dem Führer wurde nach dem nächsten Orte Nicolosi geschickt und mir Quartier und Pflege gesichert. Man meldete, daß eine fremde sehr vornehme Gesellschaft ankommen würde, die auch auf den Berg steigen wollte; das war mir lieb. Wir aßen dreierlei Fische. Denke Dir, ein Laienbruder der Benediktiner in der höchsten Wohnung am Aetna zur Fasten dreierlei Fische! Denn über diesem Kloster sind nur noch einige Häuser links hinüber, und weiter nichts in der Waldregion bis hinauf an die alte Geißhöhle. Ich spreche von dieser Seite; die andern Pfade kenne ich nicht. Es kam ein anderer Herr, der uns trinken half. Dieser schien ein etwas besseres Stück von Geistlichem zu seyn. Mein Wirth zog den Brief aus der Tasche und ließ ihn von dem andern vorlesen; da ergab sich mir denn erst, daß der Herr Laienbruder wohl gar nicht lesen konnte. Der Brief lautete ungefähr, daß der Pater Secretär ihn im Namen und auf Befehl des Abtes schreibe, den deutschen reisenden Herrn, der von dem Minister sehr empfohlen wäre, nach Würden bestens zu bewirthen. Von meiner Entfernung war nun gar nicht mehr die Rede. Der Bruder ward gesprächiger und erzählte mir seine Reisen und seine Schicksale, und daß ihn der Papst kenne. Bald kam er auf meine Ketzerei und segnete sich. Er ließ sich mein Seelenheil und meine Bekehrung noch etwas angelegener seyn, als der palermitanische Steuerrevisor in Agrigent, fand mich aber ganz refraktarisch: er mußte mich also mit seinem besten Futter in die Hölle gehen lassen. Der vornehmste Grund, den er brauchte, mich zum Christen zu machen, war: Ich hätte doch einen sehr gefährlichen Weg vor mir, es seien auf dem Berge schon Viele umgekommen; nun könnte ich, wenn ich auch todt gefunden würde, nicht einmal christlich begraben werden. Das war nun freilich ein triftiges Argument; denn bei diesen Herren ist kein Akatholikus ein Christ. Ich sagte ihm so sanft als möglich die Anekdote des Diogenes, der sich im ähnlichen Falle ausbat, man möchte ihm nach dem Tode nur einen Stock hinlegen, damit er die Hunde wegjagen könnte. Der Mann schüttelte den Kopf und — trank sein Glas. Nun wurde mir ein Führer bestellt, der theuer genug war, und auf alle Fälle Alles in Ordnung gesetzt, wenn auch die Gesellschaft nicht kommen sollte. Eben als die Einrichtung getroffen war, wurde gemeldet, daß die Engländer nicht kommen würden, sondern in Nicolosi blieben. Darüber war der Mann Gottes sehr ergrimmt und betete etwas unsanft, wie Elisa, der Bärenprophet, über einige seiner Feinde unten in Catanien und oben in Nicolosi. Ich machte einen Ausflug gegenüber auf die Monti rossi, die sich bei der letzten großen Eruption gebildet haben, vermuthlich von der Farbe den Namen tragen und von ihren Gipfeln eine herrliche Aussicht geben. Man hatte eine starke Viertelstunde nöthig sie zu ersteigen, und von ihnen sieht man noch jetzt den ganzen ungeheuren Lavastrom, der hier ausbrach, alles umwälzte und zernichtete, einen großen Theil der Stadt zerstörte und tief hinter derselben sich als eine hohe Felsenwand in der See stemmte. Ich weiß wohl, daß Stollberg anderer Meinung ist; aber ich habe es hier so von vielen Einwohnern gehört, unter denen auch manche ziemlich unterrichtete Männer waren. Als ich herunterstieg, begegnete ich zwei Engländern von der Partie aus Nicolosi, die den nämlichen Spaziergang hierher gemacht hatten. Ihrer waren fünfe, lauter Officiere von der Garnison aus Malta, die von Neapel kamen und unterwegs den Berg mitsehen wollten; ein Major, ein Hauptmann und drei Lieutenants. Sie freuten sich noch einen zur Partie zu bekommen, und ich holte flugs meinen Sack vom Mönche und zog herunter zu den Engländern ins Wirthshaus nach Nicolosi, wo schon vorher mein Führer einquartirt war. Der Mönch machte ein finsteres Gesicht, murrte etwas durch die Zähne, vermuthlich einige Flüche über uns Ketzer alle; ich dankte und ging.

Hier trieben wir nun, die fünf Briten und Dein Freund, unser Wesen sehr erbaulich. Die Engländer hatten den Wirth vom goldenen Löwen aus Catanien mitgebracht; ich trat zur Gesellschaft, man schaffte mir ein Bett so gut als möglich, und wir legten uns nieder und schliefen nicht viel. Die Herren erzählten ihre Abenteuer, militärische und galante, von der Themse und vom Nil: und bald traf die Kritik einen General, bald ein Mädchen. Vorzüglich war der Gegenstand ihrer Reminiscenzen eine gewisse originelle Trompetersfrau, die sie nach allen kernigen Prädikamenten zur Königin ihres Lagers in Aegypten erhoben. Gegen Mitternacht kamen die Führer, und nun setzte sich die ganze Karavane zu Maulesel: sechs Signori forestieri, zwei Führer mit Laternen und ein Proviantträger. Es war, wenn ich nicht irre, den sechsten April zu Mitternacht, oder den siebenten des Morgens. Den vorigen Tag war es trübes Wetter gewesen, hatte den Abend ziemlich stark geregnet, hellte sich aber auf, so wie wir aus dem Wirthshause zogen. Wir gingen bei meinem Mönche in Sankt Nicola del bosco ovver della rena vorbei. Es war frisch und ward bald kalt, und dann sehr kalt. Wir trottirten und lärmten uns warm. Dann deklamirte der Major Grays Kirchhof, dann sangen wir „God save the King,“ nach Händel, und „Britannia, rule the waves,“ und andere englischpatriotische Sachen. Jeder gab seinen Schnak. „We are already pretty high,“ sagte der Eine: „it is a bitter nipping cold,“ der Andere, „Methinks, I hear the dogstar bark, and Mars meets Venus in the dark;“ fuhr ein Dritter fort. „Is that not smoke there?“ fragte ein subalterner Myops; „I believe I see already old Nick smoking his pipe.“ — „But my dear,“ sagte der Major, „You are purblind upon your starbord eye: it is an oaktree.“ So war es: das gab Gelächter und wir gingen weiter. Bald kamen wir aus der bebauten Region in die waldige und gingen nun unter den Eichen immer bergauf. Ungefähr um ein Uhr kamen wir in der Gegend der Geißhöhle an, die aber bis jetzt außer Gebrauch kommt. Der Fürst von Paterno hat dort ein Haus gebaut, wo die Fremden eintreten und sich bei einem Feuer wärmen können. Das Haus ist schlecht genug, und ein deutscher Dorfschulze würde sich schämen, es nicht besser gemacht zu haben. Indessen ist es doch besser als nichts, und vermuthlich bequemer als die Höhle. Hier blieben wir eine kleine halbe Stunde, bestiegen wieder unsere Maulthiere und ritten nunmehr aus der waldigen Region in den Schnee hinein. Ungefähr eine Viertelstunde über dem Hause und der Höhle hörte die Vegetation ganz auf und der Schnee fing an hoch zu werden, der schon um das Haus her und hier und da neu und alt lag. Wir mußten nun absteigen und unsere Maulthiere hier lassen. Der Schnee ward bald sehr hoch und das Steigen sehr beschwerlich. Unsere Führer riethen uns nur langsam zu gehen, und sie hatten Recht: aber die Herren ruhten zu oft absatzweise, und darin hatten diese nicht Recht. „Methinks, I smell the morning air,“ sagte der Major, und fuhr ganz drollig fort, als ein junger Lieutenant durch den hohlen Schnee auf ein Lavastück fiel und über den Fuß klagte: „Alack, what dangers do environ the man that meddles with cold iron!“ Die Kälte des Morgens ward schneidend und die Engländer, die wohl in Aegypten und Malta eine solche Partie nicht gemacht hatten, schüttelten sich wie die Matrosen. Endlich erreichten wir den Steinhaufen des sogenannten Philosophenthurms, und die Sonne tauchte eben glühend über die Berge von Kalabrien herauf und vergoldete was wir von der Meerenge sehen konnten, die ganze See und den Taurus zu unsern Füßen. Ganz rein war die Luft nicht, aber ohne Wolken; desto magischer war die Scene. Hinter uns lag noch Alles in Nacht, und vor uns tanzten hier und da Nebelgestalten auf dem Ocean. Wer kann hier beschreiben? Nimm Deinen Benda, und laß auf silbernem Flügel dem Mädchen auf Naxos die Sonne aufgehen: und wenn Du nicht etwas von unserm Vergnügen hast, so kann Dir kein Gott helfen.[12] So ging uns Titan auf; aber wir standen über einem werdenden Gewitter: es konnte uns nicht erreichen. Einer der Herren lief wehklagend und hoch aufschreiend um die Trümmern herum; denn er hatte die Finger erfroren. Wir halfen mit Schnee und rieben und wuschen, und arbeiteten uns endlich zu dem Gipfel des Berges hinauf. Mir däucht, man müßte bis zum Philosophenthurm reiten können; bis dahin ist es nicht zu sehr jäh: aber die Kälte verbietet es; wenigstens möchte ich eben deßwegen ohne große Verwahrung nicht von der Kavalkade seyn. Von hier aus kann man nicht mehr gehen; man muß steigen, und zuweilen klettern, und zuweilen klimmen. Es scheint nur noch eine Viertelstunde bis zur höchsten Spitze zu seyn, aber es ist wohl noch ein Stückchen Arbeit. Die Briten letzten sich mit Rum, und da ich von diesem Nektar nichts genießen kann, aß ich von Zeit zu Zeit eine Apfelsine aus der Tasche. Sie waren ziemlich gefroren; aber ich habe nie so etwas Köstliches genossen. Als ich keine Apfelsinen mehr hatte — denn der Appetit war stark — stillte ich den Durst mit Schnee, arbeitete immer vorwärts, und war zur Ehre der deutschen Nation der Erste an dem obersten Felsenrande der großen ungeheuern Schlucht, in welcher der Krater liegt. Einer der Führer kam nach mir, dann der Major, dann der zweite Führer, dann die ganze kleine Karavane bis auf den Herren mit den erfrorenen Fingern. Hier standen und saßen und lagerten wir, halb in dem Qualm des aufsteigenden Rauchdampfes eingehüllt, und keiner sprach ein Wort, und jeder staunte in den furchtbaren Schlund hinab, aus welchem es in dunklen und weißlichen Wolken dumpf und wüthend herauftobte. — Endlich sagte der Major, indem er sich mit einem tiefen Athemzuge Luft machte: „Now it is indeed worth a young man’s while to mount and see it; for such a sight is not to be met with in the parks of old England.“ Mehr kannst Du von einem ächten Briten nicht erwarten, dessen patriotische Seele ihren Gefährten mit Rostbeef und Porter ambrosisch bewirthet.

Die Schlucht, ungefähr eine kleine Stunde im Umfange, lag vor uns, wir standen alle auf einer ziemlich schmalen Felsenwand, und bückten uns über eine steile Kluft von vielleicht sechzig bis siebenzig Klaftern hinaus und in dieselbe hinein. Einige legten sich nieder, um sich auf der grausen Höhe vor Schwindel zu sichern. In dieser Schlucht lag tief der Krater, der seine Stürme aus dem Abgrunde nach der entgegengesetzten Seite hinüber warf. Der Wind kam von der Morgensonne und wir standen noch ziemlich sicher vor dem Dampfe; nur daß hier und da etwas durch die Felsenspalten heraufdrang. Rund herum ist keine Möglichkeit, vor den ungeheuern senkrechten Lavablöcken, bis hinunter ganz nahe an den Rand des eigentlichen Schlundes zu kommen. Bloß von der Seite von Taormina, wo eine sehr große Vertiefung ausgeht, muß man hineinsteigen können, wenn man Zeit und Muth genug hat, die Gefahr zu bestehen: denn eine kleine Veränderung des Windes kann tödtlich werden, und man erstickt, wie Plinius. Uebrigens würde man wohl unten am Rande weiter nichts sehen können. Hätte ich drei Tage Zeit und einen entschlossenen, der Gegend ganz kundigen Führer, so wollte ich mir wohl die Ehre erwerben, unten gewesen zu seyn, wenn es der Wind erlaubte. Man müßte aber mit viel größerer Schwierigkeit von Taormina hinaufsteigen.

Nachdem wir uns von unserm ersten Hinstaunen etwas erholt hatten, sahen wir nun auch rund umher. Die Sonne stand nicht mehr so tief, und es war auch auf der übrigen Insel schon ziemlich hell. Wir sahen das ganze große, schöne herrliche Eiland unter uns, vor uns liegen, wenigstens den schönsten Theil desselben. Alles was um den Berg herum liegt, das ganze Thal Enna, bis nach Palagonia und Lentini, mit allen Städten und Flecken und Flüssen, war wie in magischen Duft gewebt. Vorzüglich reizend zog sich der Simäthus aus den Bergen durch die schöne Fläche lang hinab in das Meer, und man übersah mit Einem Blick seinen ganzen Lauf. Tiefer hin lag der See Lentini und glänzte wie ein Zauberspiegel durch die elektrische Luft. Die Folge wird zeigen, daß die Luft nicht sehr rein, aber vielleicht nur desto schöner für unsern Morgen war. Man sah hinunter bis nach Augusta und in die Gegend von Syrakus. Aber die Schwäche meiner Augen und die Dünste des Himmels, der doch fast unbewölkt war, hinderten mich weiter zu sehen. Messina habe ich nicht gesehen: und mir däucht, man kann es auch von hier nicht sehen: es liegt zu tief landeinwärts an der Meerenge und die Berge müssen es decken. Palermo kann man durchaus nicht sehen, sondern nur die Berge umher. Von den Liparen sahen wir nur etwas durch die Wölkchen. Nachdem wir rund umher genug hinabgeschaut hatten, und das erste Staunen sich etwas zur Ruhe setzte, sagte der Major nach englischer Sitte: „Now be sure, we needs must give a shout at the top down the gulf;“ und so stimmten wir denn drei Mal ein mächtiges Freudengeschrei an, daß die Höhlen der furchtbaren Riesen wiederhallten, und die Führer uns warnten, wir möchten durch unsere Ruchlosigkeit nicht die Teufel unten wecken. Sie nannten den Schlund nur mit etwas veränderten Mythus: „la casa del diavolo“ und das Echo in den Klüften „la sua risposta.“

Der Umfang des kleinen tief unten liegenden Kessels mag ungefähr eine kleine Viertelstunde seyn. Es kochte und brauste und wüthete und tobte und stürmte unaufhörlich aus ihm herauf. Einen zweiten Krater habe ich nicht gesehen; der dicke Rauch müßte vielleicht ganz seinen Eingang decken, oder dieser zweite Schlund müßte auf der andern Seite der Felsen liegen, zu der wir wegen des Windes der den Dampf dorthin trieb, nicht kommen konnten. Auch hier waren wir nicht ganz von Rauche frei; die rothe Uniform der Engländer mit den goldenen Achselbändern war ganz schwarzgrau geworden; mein blauer Rock hatte seine Farbe nicht merklich verändert.

Ich hatte mich bisher im Aufsteigen immer mit Schnee gelabt; aber hier am Rande auf der Spitze war er bitter salzig und konnte nicht genossen werden. Nicht weit vom Rande lag ein Auswurf von verschiedenen Farben, den ich für todten Schwefel hielt. Er war heiß und wir konnten unsere Füße darin wärmen. Wir setzten uns an eine Felsenwand, und sahen auf die zauberische Gegend unter uns, vorzüglich nach Catanien und Paterno hinab. Die Monti rossi bei Nicolosi glichen fast Maulwurfshügeln, und die ganze große ausgestorbene Familie des alten lebendigen Vaters lag rund umher, nur er selbst wirkte mit ewigem Feuer in furchtbarer Jugendkraft. Welche ungeheure Werkstatt muß er haben! Der letzte große Ausbruch war fast drei deutsche Meilen vom Gipfel hinab bei Nicolosi. Wenn er wieder durchbrechen sollte, fürchte ich für die Seite von Taormina, wo nun die Erdschicht am dünnsten zu seyn scheint. Die Luft war, trotz dem Feuer des Vulkans und der Sonne, doch sehr kalt, und wir stiegen wieder herab. Unser Herabsteigen war noch belohnender, als der Aufenthalt auf dem obersten Gipfel. Bis zum Philosophenthurm war viel Behutsamkeit nöthig. Hier war nun der Proviantträger angekommen, und wir hielten unser Frühstück. Die Engländer griffen zu der Rumflasche, und ich hielt mich zum gebratenen Huhn und dann zum Schnee. Brot und Braten waren ziemlich hart gefroren, aber der heiße Hunger thaute es bald auf. Indem wir aßen, genossen wir das schönste Schauspiel, das vielleicht das Auge eines Menschen genießen kann. Der Himmel war fast ganz hell, und nur hinter uns über dem Simäthus hingen einige kleine lichte Wölkchen. Die Sonne stand schon ziemlich hoch an der Küste Kalabriens; die See war glänzend. Da zeigten sich zuerst hier und da einige kleine Fleckchen auf dem Meere links vor Taormina, die fast wie Inselchen aussahen. Unsere Führer sagten uns sogleich, was folgen würde. Die Flecken wurden zusehens größer, bildeten flockige Nebelwolken und breiteten sich aus und flossen zusammen. Keine morganische Fee kann eine solche Farbengluth und solchen Wechsel haben, als die Nebel von Moment zu Moment annahmen. Es schoß in die Höhe und glich einem Walde mit den dichtesten Bäumen von den sonderbarsten Gestalten, war hier gedrängter und dunkler, dort dünner und heller, und die Sonne schien in einem noch ziemlich kleinen Winkel auf das Gewebe hinab, das schnell die ganze nördliche Küste deckte und das wir hier tief unter uns sahen. Der Gluthstrom fing an die Schluchten der Berge zu füllen, und hinter uns lag das Thal Enna mit seiner ganzen Schönheit in einem unnennbarem Halblichte, so daß wir nur noch den See von Lentini als ein helles Fleckchen sahen. Dieses alles und die Bildung des himmlischen Gemäldes an der Nordseite war das Werk einer kleinen Viertelstunde. Ich werde eine so geschmückte Scene wahrscheinlich in meinem Leben nicht wieder sehen. Sie ist nur hier zu treffen; und auch hier sehr selten; die Führer priesen uns und sogar sich selbst deßwegen glücklich. Wir brachen auf, um, wo möglich, unten dem Regen zu entgehen: in einigen Minuten sahen wir nichts mehr von dem Gipfel des Berges; alles war in undurchdringlichen Nebel gehüllt, und wir selbst schossen auf der Bahn, die wir im Hinaufsteigen langsam gemacht hatten, pfeilschnell herab. Ohne den Schnee hätten wir es nicht so sicher gekonnt. Nach einer halben Stunde hatten wir die Blitze links, immer noch unter uns. Der Nebel hellte sich wieder auf, oder vielmehr wir traten aus demselben heraus, das Gewitter zog neben uns her nach Catanien zu, und wir kamen in weniger, als der Hälfte Zeit wieder in das Haus am Ende der Waldregion, wo wir uns an das Feuer setzten — nämlich diejenigen, die es wagen durften. Die Engländer hatten zu dieser Bergreise eine eigene Vorkehrung getroffen. Weiß der Himmel, wer sie ihnen mochte gerathen haben: die meinige war besser. Sie kamen in Nicolosi in Stiefeln an, setzten sich aber dort in Schuhe, und über diese Schuhe zogen sie die dicksten wollenen Strümpfe, die man sich denken kann, und die sie sogar, wie sie mir sagten, schon in Holland zu diesem Behufe gekauft hatten. Der Aufzug ließ sonderbar genug; sie sahen mit den großen Aetnastöcken von unten auf alle ziemlich aus, wie samojedische Bärenführer. Ich ging in meinem gewöhnlichen Reisezeug, mit gewöhnlichen baumwollenen Strümpfen in meinen festen Stiefeln. Schon hinaufwärts waren einige holländische Strümpfe zerrissen; herabwärts ging es über die Schuhe und die Unterstrümpfe. Einige liefen auf den Zehen, die sie denn natürlich erfroren hatten. Meine Warnung langsam und fest, ohne abzusetzen, fortzugehen, hatte nichts geholfen. Mir fehlte nicht das Geringste. Vorzüglich hatte einer der jungen Herren die Unvorsichtigkeit gehabt, sich mit warmem Wasser zu waschen und an das Feuer zu setzen. In einigen Minuten jauchzte er vor Schmerz, wie Homers verwundeter Kriegsgott, und hat den Denkzettel mitgenommen. Vermuthlich wird er in Catanien, oder noch in Malta zu kuriren haben. Du kannst sehen, welcher auffallende Kontrast hier in einer kleinen Entfernung in der Gegend ist; unten bei Catanien raufte man reifen Flachs, und die Gerste stand hoch in Aehren; und hier oben erfror man Hände und Füße. Nun ritten wir noch immer mit dem Gewitter durch die Waldregion nach Nicolosi hinab, wo wir eine herrliche Mahlzeit fanden, die der Wirth aus dem goldenen Löwen in Catanien kontraktmäßig angeschafft hatte. Wir nahmen Abschied, die Engländer ritten zurück nach Catanien, und ich meines Weges hierher nach Taormina.

Es ist vielleicht in ganz Europa keine Gegend mit so vielfältigen Schönheiten, als die Umgebung dieses Berges. Seine Höhe kann ich nicht bestimmen. In einem geographischen Verzeichnisse wurde er hier beträchtlich höher angegeben, als die höchsten Alpen: das mögen die Italiener mit den mathematischen Geographen ausmachen. Der Professor Gambino aus Catanien will diesen August mit einer Gesellschaft hinauf gehen, um oben noch mehrere Beobachtungen anzustellen. Man hat in der Insel das Sprüchwort vom Aetna: „On le voit toujours le chapeau blanc et la pipe à la bouche.“ — Der Schnee soll nie schmelzen: das ist in einem so südlichen Klima viel. Man nennt ihn in Sicilien meistens, wie bekannt, nur Monte Gibello: aber man nennt ihn auch noch sehr oft Aetna, oder den Berg von Sicilien, oder geradezu vorzugsweise den Berg. Die letzte Benennung habe ich am häufigsten und zwar auch unten an der Küste gefunden. Mir scheint es überhaupt, daß man jetzt anfängt, die alten Namen wieder hervorzusuchen und zu gebrauchen. So habe ich auch den Fluß unten nicht anders als Simäthus nennen hören.

Bis an das Bergkloster der Benediktiner ist der Aetna von dieser Seite bebaut; weiter hinauf ist Wald und fast von lauter Eichen, die jetzt noch alle kahl standen; und nicht weit von der Geißhöhle, oder dem jetzigen Hause von Paterno hört die Vegetation ganz auf. Wir fanden von dort an bis zum Gipfel Schnee. Die bebaute Region giebt eine Abwechselung, die man vielleicht selten mehr auf dem Erdboden findet. Unten reifen im lieblichsten Gemische die meisten Früchte des wärmern Erdstrichs; alle Orangengeschlechter wachsen und blühen im goldenem Glanze. Weiter hinauf gedeiht die Granate, dann der Oelbaum, dann die Feige, dann nur der Weinstock, und die Kastanie; und dann nur noch die ehrwürdige Eiche. Am Fuße triffst Du alles dieses zusammen in schönen Gruppen, und zuweilen Palmen dazu.

Auf meinem Wege nach Taormina zeigte mir mein Führer, nur auf einem Punkte, den alten, großen, berühmten Kastanienbaum in der Ferne. Kaum kann ich sagen, daß ich ihn gesehen habe; ich wollte ihm aber nicht einen Tag aufopfern. Die Nacht mußte ich in einem kleinen elenden Dörfchen bleiben. Der Weg nach Taormina gehört zu den schönsten, besonders einige Millien vor der Stadt. Dieser Ort, welcher ehemals unten lag und nun auf einem hohen Vorsprunge des Taurus steht, hat die herrlichste Aussicht nach allen Seiten, vorzüglich von dem alten Theater, einem der kühnsten Werke der Alten. Rechts ist das ewige Feuer des Aetna, links das fabelhafte Ufer der Insel, und gegenüber sieht man weit, weit hinauf an den Küsten von Calabrien. Höchst wahrscheinlich ist das Theater nur römisch; man hat es nach der Zerstörung durch die Saracenen so gut als möglich wieder zusammengesetzt, scheint aber dabei nach sehr willkührlichen Konjekturen verfahren zu seyn. Es ist bekanntlich eines der erhaltensten, und Alles, was alt ist, ist sehr anschaulich, aber für das neue Flickwerk möchte ich nicht stehen: und doch hat eben der schönste, prächtigste Theil am meisten von den Barbaren gelitten. Das alte Schloß, welches noch viel höher als die Stadt liegt, muß schwer zu nehmen seyn. Die Patronin, die heilige Mutter vom Felsen, müßte es also ziemlich leicht sehr gut vertheidigen, wenn ihre Kinder verständige und brave Kriegsleute wären. Nach Taormina hatte ich eine Empfehlung von Catanien an den Kommandanten, die einzige in Sicilien, welche schlecht honorirt wurde. Man wies mich in ein Wirthshaus unten am Fuße des Berges, welches aber eine Stunde hinunter ist. Das konnte mir mein Mauleseltreiber auch sagen; und hätte ich oben ein Wirthshaus finden können, so wäre ich dem Herrn gar nicht beschwerlich gefallen. Bei den Kapuzinern sprach ich gar nicht ein; denn ihre Ungefälligkeit und ihr Schmutz waren mir schon geschildert worden. Ich schickte hier meinen Mauleseltreiber fort und wanderte wieder allein zu Fuße weiter: denn an der See hinauf, dachte ich, kann ich nun Messina nicht verfehlen. Ein alter Sergeant von Taormina, der mir sehr freundlich den Cicerone machte, wollte mir eine Ordre an den Kommandanten von Sankt Alexis, einen unter ihm stehenden Korporal, mitgeben, daß er mir dort das Schloß auf der Felsenspitze zeigen sollte: ich dankte ihm aber mit der Entschuldigung, daß ich nicht Zeit haben würde. Der Weg hinauf und herab von Taormina ist etwas halsbrechend, hat aber einige schöne, sehr gut bebaute Schluchten. Mein Aufenthalt oben dauerte aus angeführten Ursachen nur zwei kleine Stunden, bis ich das Theater gesehen, und Fische und Oliven mit dem Sergeanten gegessen hatte. Der ehrliche alte Kerl wollte mich für die Kleinigkeit noch einige Millien begleiten, damit ich den Weg nicht verlieren möchte. Einen gar sonderbaren, langgezogenen, tiefen, nicht unsonorischen Dialekt haben hier die Leute. Auf die Frage, wie weit ich noch zum höchsten Orte habe, erhielt ich die Antwort: „Saruhn incuhra cinquuh migliah:“ welches Jeder ohne Noten verstehen wird.

Die Nacht blieb ich in einem kleinen Orte, der, glaube ich, Giumarrinese hieß, und noch achtzehn Millien von Messina entfernt ist. Ein Seebad nach einem ziemlich warmen Tage that mir recht wohl; und die frischen Sardellen gleich aus der See waren nachher ein ganz gutes Gericht. Man thut sich hier darauf etwas zu gute und behauptet mit Recht, daß man sie in Palermo nicht so schön haben kann. Einige Millien von Messina fand ich wieder Fuhrgleise, welches mir eine wahre Wohlthat war; denn seit Agrigent hatte ich keinen Wagen gesehen. In Syrakus kann man nur eine Viertelstunde an der See, bis an ein Kloster vor der Stadt und bis in die Gegend des Anapus fahren: und eine geistliche Sänfte, von Mauleseln getragen, die ich in den Bergschluchten zwischen Augusta antraf, war Alles, was ich einem Fuhrwerk ähnliches gefunden hatte.

Messina.

In der langen Vorstadt von Messina traf ich einige sehr gut gearbeitete Brunnen, mit pompösen lateinischen Inschriften, worin ein Brunnen mit Recht als eine große Wohlthat gepriesen wurde. Nur Schade, daß sie kein Wasser hatten! Die Hafenseite ist noch eine furchtbare Trümmer, und doch der einzige nahe Spaziergang für die Stadt. Noch der jetzige Anblick zeigt, was das Ganze muß gewesen seyn; und ich glaube wirklich, die Messinesen haben Recht gehabt, wenn sie sagten: es sei in der Welt nicht so etwas Prächtiges mehr gewesen, als ihre Facade an dem Hafen, die sie deßwegen nur vorzugsweise den Palast nannten, und ihn noch jetzt in den Trümmern so nennen. Das Schicksal scheint hier eine schreckliche Erinnerung an unsere Ohnmacht gegeben zu haben: „Das könnt ihr mit Macht und angestrengtem Fleiß in Jahrhunderten; und das kann ich in einem Momente!“ Die Monumente stürzten, und die ganze Felsenküste jenseits und diesseits wurde zerrüttet! — Nur die Heiligennischen an den Enden werden wieder aufgebauet und Bettelmönche hineingesetzt, den geistlichen Tribut einzutreiben. Aufwärts in der Stadt wird sehr lebhaft und sehr solid wieder aufgebauet. Die Häuser bekommen durchaus nicht mehr, als zwei Stockwerke, um bei künftigen Erderschütterungen nicht zu sehr unter ihrer Last zu leiden. Das unterste Stockwerk hat selbst in den furchtbarsten Erdbeben überall nur wenig gelitten.

Messina ist reich an Statuen ihrer Könige, von denen einige nicht schlecht sind. Ich habe stundenlang vor dem Bild Philipps des Zweiten gestanden, und die Geschichte aus seinem Gesichte gesucht. Mir däucht, er trägt sie darauf; und selbst Schiller scheint seinen Charakter desselben von so einem Kopfe genommen zu haben. Die heilige Jungfrau ist bekanntlich die vorzüglichste Patronin der Messinesen, und Du kannst nicht glauben, wie fest und heilig sie noch auf ihren Schutzbrief halten. Wenn sie hier nicht im Erdbeben hilft, so wie Agatha in Catanien den Berg nicht zähmt, so müssen freilich die Sünder gestraft werden. Ich hatte so eben Gelegenheit, eine große feierliche Ceremonie ihr zu Ehren mit anzusehen. Die ganze Geistlichkeit mit einem ziemlich ansehnlichen Gefolge vom weltlichen Arm hielt das Palmenfest. Mich wundert nicht, daß die Palmen in Sicilien nicht besser fortkommen und immer seltener werden, wenn man sie alle Jahre auf diese Art so gewissenlos plündert. Alles trug Palmenzweige, und wer keinen von den Bäumen mehr haben konnte, der hatte sich einen schnitzen und färben lassen. Der Aufzug wäre possirlich gewesen, wenn er nicht zu ernsthaft gewesen wäre. Ein Mönch predigte sodann in der Kathedralkirche eine halbe Stunde von der heiligen Jungfrau und ihrem gewaltigen Kredit im Himmel und ihrer besondern Gnade gegen die Stadt, und führte dafür Beweise an, über die selbst der ächteste, gläubigste Katholik hätte ausrufen mögen: „Credat Judaeus Apella!“ Sodann kam der Erzbischof in einem ungeheuern, alten, vergoldeten Staatswagen mit vier stattlichen Mauleseln, stieg aus und segnete das Volk, und es ging selig nach Hause. Die Kathedrale hat in ihrem Baue nichts Merkwürdiges, als die Säulen, die aus dem alten Neptunustempel am Pharus sind. Der große, prächtige Altar war verhängt; er gilt in ganz Sicilien für ein Wunder der Arbeit und des Reichthums. Man machte mir Hoffnung, daß ich ihn würde sehen können, und nahm es ziemlich übel, daß mir die Sache so gleichgültig schien.

Man sagt, die Hafenseite liegt deßwegen noch so ganz in Trümmern, weil die Regierung sie durchaus eben so schön und ganz nach dem alten Plan aufgebauet wissen wolle, die Bürger aber sie nur mit dem Uebrigen gleich, zwei Stock hoch, aufzuführen gesonnen seien. Mir däucht, das Ganze ob ich es gleich von sehr unterrichteten Leuten gehört habe, sei doch nur ein Gerücht; und wenn es wahr ist, so zeigt es den guten soliden Verstand der Bürger, und die Unkunde und Marotte der Regierung. Die Statue des jetzigen Königs, Ferdinand des Vierten, hat man noch 1792 mitten unter die Trümmer gesetzt. Wenn hier der gute Herr nicht seinen lethargischen Schnupfen verliert, so kann ihm kein Anticyra helfen. Was die Leute bei der Aufstellung der Statue hier eben mögen gedacht haben, ist mir unbegreiflich, da der König weder eine solche Ehre, noch eine solche Verspottung verdient. Die Statue war auf alle Fälle hier das Letzte, was man aufstellen sollte. In dem Hafen liegen eben jetzt vier englische Fregatten, und es scheint, als ob die Briten über die Insel Wache hielten; so bedenklich mag ihnen die Lage derselben vorkommen. Es sind schöne, herrliche Schiffe, und so oft ich etwas von der englischen Flotte gesehen habe, habe ich unwillkührlich den übermüthigen Insulanern ihr stolzes „Britania rule the waves“ verziehen; eben so wie dem Pariser Didot sein „Excudebam,“ wenn ich die Arbeit selbst betrachtete.

Von der Wasserseite möchte es immer etwas kosten, Messina anzugreifen: aber zu Lande von Scaletta würde man so ziemlich gleich gegen gleich fechten, und der Ort würde sich nicht halten. Ich war hier an einem Präpositus in einem Kloster empfohlen, der viel Güte und Freundlichkeit, aber ziemlich wenig Sinn für Aufklärung hatte, welches man dem guten Mann in seiner Lage so übel nicht nehmen muß. Er begleitete mich mit vieler Gefälligkeit überall hin, und wollte mich in dem Kloster logiren; aber ich hatte schon in der Stadt ein ziemlich gutes Wirthshaus. Die Kirche des heiligen Gregorius auf einer ziemlichen Anhöhe ist reich an Freskogemälden und Marmorarbeit: aber was mir wichtiger ist, als dieses, sie giebt von ihrer Façade links und rechts die schönste Aussicht über die Stadt und den Meerbusen; und mit einem guten Glase muß man hier sehen können, was gegenüber am Ufer in Italien und in Reggio auf den Gassen geschieht. In dem Hause des Herrn Marini, eines Patriciers der Stadt, steht als neuestes Alterthum ein Stück von einer alten Säule mit Inschrift, das vor einiger Zeit gefunden worden ist. Sie hat auf einem Brunnen gestanden, und man behauptet, die Inschrift sei griechisch; aber Niemand ist da, der sie erklären könnte. Ob ich gleich leidlich griechisch lese, so konnte ich doch nicht einmal herausbringen, ob es nur griechische Lettern wären. Vielleicht ist es altes phönizisches Griechisch, und in diesem Falle vielleicht eins der ältesten Monumente. Schrift und Marmor haben sehr gelitten, da sie lange unter der Erde gelegen haben. Das Stück ist, so viel ich weiß, noch nicht bekannt, und wird sorgfältig aufgehoben. Ich empfehle es Männern, die gelehrter sind, als ich; da es doch vielleicht für irgend einen Punkt der Geschichte nicht unwichtig ist.

Die Herren des Klosters luden mich ein, zum Fasttage bei ihnen zu essen. Dieses ist die einzige Mahlzeit, die ich in Italien bei Italienern genossen habe; und sie war stattlich. Von den übrigen Herren habe ich viel Höflichkeit erhalten, aber nichts zu essen. Das ist nun so die italienische Weise, die ich weder loben noch tadeln will. Das Kloster bestand nur aus wenigen Geistlichen: der Laienbrüder, welche die Bedienten machten, waren mehr. Man gab mir den Ehrenplatz und war sehr artig und ich sollte daher wohl dankbar seyn; aber erst für Humanität — magis amica veritas! Ich habe mir die Gerichte gemerkt, und muß sie Dir nennen, damit Du siehst, wie man an einem sicilischen Klostertische fastet. Zum Eingang kam eine Suppe mit jungen Erbsen und jungem Kohlrabi; sodann kamen Maccaroni mit Käse; sodann eine Pastete von Sardellen, Oliven, Kapern und starken aromatischen Kräutern; ferner ein Kompott von Oliven, Limonen und Gewürz; ferner einige große herrliche, goldgelbe Fische aus der See, die ich für die beste Art von Bärschen hielt; weiter hochgewürzte, vortreffliche Artischocken; das Dessert bestand aus Lattichsallat, den schönsten jungen Fenchelstauden, Käse, Kastanien und Nüssen: Alles, und vorzüglich das Brot, war von der besten Qualität, und schon einzeln quantum satis superque. Vor allen habe ich die Kastanien nirgends so schön und so delikat gebraten gefunden. Nun frage ich Dich, heißt das nicht mit diesem Fasten einem ehrlichen Kerl mit aller Gewalt die Erbsünde in den Leib jagen? Bei dieser Diät muß man freilich orthodoxen Glauben gewinnen, der die Vernunft verachtet. Ich ging hinaus und lief einige Meilen am Strande herum, bis zur Charybdis hinunter; aber die frommen Gläubigen blieben zu Hause in der Gottseligkeit. Das nenne ich einen Fasttag: nun denke Dir den Festtag! Meine fußwandelnde Person war wohl nicht so wichtig, daß man deßwegen eine Aenderung in der Klosterregel sollte gemacht haben. Nun führte man mich oben in dem unausgebauten Kloster herum, und zeigte mir die Anlagen und das Modell, das man dazu aus Rom hatte kommen lassen. Ich hoffe vom Himmel zum Heile der Menschheit, die Sottise soll nicht fertig werden. Ob so etwas auf meiner Nase mag gesessen, weiß ich nicht; die Herren zeigten mir nichts mehr von ihren übrigen Herrlichkeiten. Hier las man mir ein Manuscript von einem Abt Sacchio vor, das eine Beschreibung und Geschichte der Stadt Messina enthielt und das man sehr hoch schätzte; aber nach dem zu urtheilen, was davon gelesen wurde, brauchen wir es nicht zu bedauern, daß der Schatz im Kloster liegt; die Abhandlung scheint bloß für Mönche pragmatisch.

Die Festung zu sehen, muß man Erlaubniß haben, welches etwas schwer hält. Ich bemühte mich nicht darum, da ich schon so viel aus der Anlage sah, daß man mit zweitausend braven Grenadieren ohne Erlaubniß hineingehen könnte. Alles ist nur auf einen Angriff zu Wasser berechnet. Der Hafen hier und in Palermo sind noch die einzigen Oerter, wo ich in Sicilien einige artige Weibergestalten gesehen habe. Anderwärts und vorzüglich in Agrigent und Syrakus, war ich mit meinen griechischen Idealen aus dem Theokrit traurig durchgefallen. Der Hafen ist auch hier und in Palermo die einzige Promenade, und für den Menschen, der Menschen studiren will, gewiß eine der wichtigsten; so bunt und kraus sind die Gestalten vieler Nationen durch einander gruppirt! Schon in der Stadt selbst wohnt eine große Verschiedenheit, und der Fremden sind eine Menge. Einen der schönsten Augenblicke hatte ich gestern Abends, bei dem ich als Mensch über die Menschen mich fast der Freudenthränen nicht enthalten konnte. Ein fremdes Schiff kam aus dem mittelländischen Meer die Meerenge herab. Ich weiß nicht, ob es durch Sturm oder irgend einen andern Unfall gelitten hatte; es war in Gefahr und that Nothschüsse. Du hättest sehen sollen, mit welchem göttlichen Enthusiasmus fast übermenschliche Kraft zwanzig Boote von verschiedenen Völkern durch die Wogen auf die Höhe hinausarbeitete, um die Leidenden zu retten. Italiener, Franzosen, Engländer, Griechen und Türken wetteiferten in dem schönsten Kampfe: sie waren glücklich und brachten Alles ohne Verlust in den Hafen. In diesem Momente ärgerte ich mich fast, daß ich nicht reich war, hier den Rettern ein menschliches Fest zu geben: aber ein zweiter Augenblick gab mir Besinnung; das Fest war so schöner. Das brave bunte Gewimmel war mehr belohnt durch die That; und ich war sehr glücklich, daß ich sie gesehen hatte. Als ich zurückging, wurde ich an einer Heiligennische per la santa vergine um ein Almosen gebeten; ich sah den Mann forschend an und er fuhr fort: „Date nella vostra idea, date pure! sara bene impiegato.“ Der Mensch verstand wenigstens den Menschen, wenn er ihn auch betrügen sollte: ich gab.

Palermo.

Hier bin ich nun wieder von der Runde zurück. Der letzte Zug von Messina hierher war der beschwerlichste, aber er hat auch viel Belohnendes. Die Berge waren mir gar fürchterlich beschrieben worden; ich miethete mir also einen Maulesel mit seinem Führer und setzte ruhig aus. Beschäftigt mit den alten Messeniern, der eisernen Tyrannei der Spartaner, der muthigen Flucht der braven Männer nach Zankle und allen ihren Schicksalen, Unglücksfällen, Ausartungen und Erholungen, die Seele voll von diesen Gedanken stieg ich neben meinem Maulesel den Berg hinauf und blieb oft stehen, einen Rückblick auf zwei so schöne Länder zugleich zu nehmen. Melazzo auf einer weitausgehenden Landzunge macht von fern einen hübschen Anblick, und das Land umher scheint nicht übel gebauet zu seyn. Auch diese Gegend hat viel im letzten Erdbeben gelitten. Unten am Pelor sah ich zum erstenmal wieder grüne vaterländische Eichen und die Nachtigallen schlugen wetteifernd aus den Schluchten. Mir war auf einmal so heimisch wohl dabei, daß ich hier hätte bleiben mögen. Es geht doch nichts über einen deutschen Eichenwald. Bei Barcellona, wie man mir den Ort nannte, sah ich das schönste Thal in ganz Sicilien; und Andere sind, däucht mir, schon vor mir dieser Meinung gewesen. Es ist ein reizendes Gemische von Früchten aller Art, Orangen und Oel, Feigen und Wein, Bohnen und Weizen; und die ausschließenden Berge sind nicht zu hoch und zu rauh, sondern ihre Gipfel sind noch alle mit schöner Waldung bekrönt. In Patti war kein Pferdestall zu finden: wir ritten also von einem Orte zum andern immer weiter hin bis Mitternacht. Patti dankt, däucht mir, seinen Ursprung, oder wenigstens seinen Namen, einem dort geschlossenen Vergleiche in den punischen Kriegen. Den Ort meines Nachtlagers habe ich vergessen, aber die Art nicht. Die See war furchtbar stürmisch, und es hatte entsetzlich geregnet. Mit vieler Mühe konnten wir noch einige Fische und Eier erhalten. Es hatten sich zwei Fremde zu mir gesellt, die auch von Messina kamen und ins Land ritten. Wein war genug da, aber kein Brot. Man gab mir aus Höflichkeit die beste Schlafstelle; diese war auf einem steinernen Absatze neben der Krippe; die andern Herren legten sich unten zu den Schweinen. Mein Mauleseltreiber trug zärtliche Sorge für mich und gab mir seine Kaputze: und man begriff überhaupt nicht, wie ich es habe wagen können, ohne Kaputze zu reisen. Diese sonderbare Art von schwarzbraunem Mantel mit der spitzigen Kopfdecke ist in ganz Italien und vorzüglich in Sicilien ein Hauptkleidungsstück. Ich hatte ganz Geschmack daran gewonnen; und wenn ich von dieser Nacht urtheilen soll, so habe ich Talent zum Kapuziner; denn ich schlief sehr gut. Den ersten Tag machten wir fünfzig Millien.

In Sankt Agatha, einem Kloster von einer sehr angenehmen Lage, wollten wir die zweite Nacht bleiben; und dort scheint kein übles Wirthshaus zu seyn; aber es war noch zu früh und wir ritten mehrere Millien weiter bis Aque Dolci, wo der schöne Name das beste war, wie vor Agrigent in Fontana Fredda. Hier waren Leute, wie die sikanischen Urbewohner der Insel, groß und stark und rauh und furchtbar; und hier, glaube ich, war ich mit meiner Ketzerei wirklich in einer etwas unangenehmen Lage. Ein Stück von Geistlichkeit hatte Lunte gerochen und nahm mich sehr in Anspruch, und ich hielt ihn mir nur durch Latein vom Halse, vor dem er sich zu fürchten schien. Anderwärts war der Bekehrungseifer gutmüthig und wohlwollend sanft; hier hatte er etwas cyklopisches. Nicht weit von dem Ort ist oben in dem Felsen eine Höhle, die man mir sehr rühmte und in die man mich mit Gewalt führen wollte. Es war aber zu spät und ich hatte auch nicht recht Lust, mit solchen Physiognomien allein in den polyphemischen Felsenhöhlen herumzukriechen. Ich war hier nicht in Adlersberg. Hier mußte ich für ein Bett sechs Karlin bezahlen, und als ich bemerkte, daß ich für Bett und Zimmer zusammen in Palermo nur drei bezahlte, sagte mir der Riese von Wirth ganz skoptisch: „Freilich; aber dafür sind sie auch eben jetzt nicht in Palermo und bekommen doch ein Bett.“ Der Grund war in Sicilien so unrecht nicht.

Wir hatten schon, wie mir mein Führer sagte, mit Gefahr einige Flüsse durchgesetzt. Nun kamen wir an einen, den sie Santa Maria nannten. Es mußte oben fluthend geregnet haben; denn die Waldströme waren fürchterlich angeschwollen. Dieses macht oft den Weg gefährlich, da keine Brücken sind. Einer der Cyklopen, den man füglich für einen Polyphem hätte nehmen können — so riesenhaft war er selbst und so groß und zackig der wilde Stamm, den er als Stock führte — machte die Gefahr noch größer. Die Gesellschaft hatte sich gesammelt; keiner wollte es wagen zu reiten. Meinem Führer war für sich und noch mehr für seinen Maulesel bange. Es war nichts. Die Insulaner sind an große Flüße nicht gewöhnt. Man machte viele Kreuze und betete Stoßgebetchen zu allen Heiligen, ehe man den Maulesel einen Fuß ins Wasser setzen ließ; und dankte dann vorzüglich der heiligen Maria für die Errettung. An einem solchen Strome, wo ich allein war, wollte mein Führer, ein Knabe von funfzehn Jahren, durchaus umkehren und liegen bleiben, bis das Wasser von den Bergen abgelaufen wäre. Das hätte mich Piaster gekostet und stand mir nicht an. Ich erklärte ihm also rein heraus, ich würde reiten, er möchte machen was er wollte. In der Angst für sein Thier und seine Seele schloß er sich auf der Kruppe fest an mich an, zitterte und betete; und ich leitete und schlug und spornte den Maulesel glücklich hinüber. „Da haben uns die lieben Heiligen gerettet,“ sagte er, als er am andern Ufer wieder Luft schöpfte; „und mein Stock und der Maulesel,“ sagte ich. Der Bursche kreuzigte sich drei Mal über meine Gottlosigkeit, faßte aber doch in Zukunft etwas mehr Muth zu dem meinigen. Sodann blieben wir in einem einzigen isolirten Hause vor einem Orte, dessen Namen ich auch wieder vergessen habe. Ich hätte gelehrter seyn sollen, oder beständig einen Nomenklator bei mir haben. Das Donnerwetter hatte mich diesen und den vorigen Tag verfolgt: und es schneite und graupelte bis über einen Fuß hoch. Die Waldströme waren wirklich sehr hinderlich und zuweilen vielleicht gar gefährlich für Leute, die nicht an das Element gewöhnt sind und nicht Muth haben. Einmal verdankte ich aber dem großen Wasser eine schöne Scene. Der Fluß war, nach der Meinung meines Begleiters, unten durchaus nicht zu passiren, und er ritt mit mir immer an demselben hinauf, wo er eine Brücke wußte. Der Weg war zwar lang und ich ward etwas ungeduldig; aber ich kam in ein Thal, das einen so schönen großen Orangenwald hielt, wie ich ihn auf der ganzen Insel noch nicht gesehen hatte. Des Menschen Leidenschaft ist nun einmal seine Leidenschaft. Für einige Kreutzer konnte mein Magen überall haben, so viel er nur fassen konnte: aber meine Augen wollten noch zehren, und diese brauchten mehr zur Sättigung, und ließen dann gern alles hängen und liegen.

Endlich kamen wir in Cefalu an. Für große Schiffe ist hier wohl kein Hafen zum Aufenthalt. Der Ort hat vermuthlich den Namen vom Berge, der einer der sonderbarsten ist. Wir hatten bisher die liparischen Inseln immer rechts gehabt; nun verschwanden sie nach und nach. Von Messina bis Cefalu ist es sehr wild; von hier an fängt die Kultur wieder an etwas besser zu werden. Es kommen nun viele Reißfelder. Bei Cefalu sah ich eine schöne, lange, hohe, herrliche Rosenhecke, deren erste Knospen eben zahlreich üppig aufbrachen. Diese Probe zeigte, was man hier schaffen könnte. Ich hätte dem Pfleger die Hände küssen mögen; es waren die ersten, die ich in ganz Unteritalien und Sicilien sah.[13] Die Leute sind schändliche Verräther an der schönen Natur.

In Termini erholte ich mich; hier findet man wieder etwas Menschlichkeit und Bequemlichkeit. Meine Wirthin war eine alte freundliche Frau, die alles Mögliche that mich zufrieden zu stellen, welches bei mir sehr leicht ist. Sie examinirte mich theilnehmend über alles; nur nicht über meine Religion, ein seltener Fall in Sicilien; stellte mir vor, was meine Mutter jetzt meinetwegen für Unruhe haben müßte, und rieth mir ernstlich, nach Hause zu eilen; sie hätte auch einen Sohn auf dem festen Lande, den sie zurück erwartete. Wenn ihre Theilnahme und Pflege auch sehr mütterlich war, so war indessen doch ihre Rechnung etwas stiefmütterlich.

Als ich in einer melancholisch ruhigen Stimmung über Vergangenheit und Gegenwart hing und mit meinem Mäoniden in der Hand aus dem Garten auf den Himerafluß hinabschaute, ward unwillkührlich eine Elegie in meiner Seele lebendig. Es war mir, als ob ich die Göttin der Insel mit noch mehr Schmerz, als über ihre geliebte Tochter am Anapus klagen hörte, und ich gebe Dir ohne weitere Bemerkung, was aus ihrer Seele in die meinige herüber hallte.

Trauer der Ceres.

Meine Wiege, wie bist Du verödet, Du liebliches Eiland,

Ach wie bist Du verödet, Du herrlicher Garten der Erde,

Wo die Götter der Sterblichen einst den Olympus vergaßen!

Zeus Kronion, Du Retter, o rette Trinakriens Schöne,

Daß sie nicht endlich ganz mit der letzten Trümmer vergehe!

Glühend rinnt mir die Thräne, wie sie Unsterblichen rinnet,

Rinnt mir schmerzlich die Thräne vom Aug’ beim Jammer des Anblicks.

Wo, wo sind sie, die Kinder, die fröhlichen, seligen Kinder

Meiner Liebe, die einst mit Tethrippen die Wege befuhren,

Wo jetzt kaum ein ärmlicher Bastard des Langohrs hinzieht?

Ach wo find ich die Männer von Akragas, von Syrakusä,

Von Selinunt, die stolzen Söhne der stolzeren Väter,

Welche die hohe Karthago bedrohten mit Macht und mit Reichthum

Und die höhere Rom? Wo find’ ich die Reihen der Jungfraun,

Die die heiligen Züge mir führten in bräutlichem Glanze,

Daß die Olympier selbst mit Scheelsucht neidisch herabsahn?

Schaaren von Glücklichen drängten sich einst aus marmornen Thoren

Durch die schattigen Haine der Götter, zu Traubengebirgen,

Durch die reichen Gefilde, die ich bedeckte mit Garben.

Eherne Krieger zogen zum Streit, dem Stolze des Fremdlings

Furcht und Verderben; es hallte von Felsen zu Felsen das Schlachtwort,

Für die Sache der Freiheit und für des Vaterlands Sache.

Leben und Freude athmeten hoch vom Aetna zum Eryx,

Vom Simäthus, dem Heerdenernährer, zum fetten Anapus.

Zeus Kronion, wenn ich mit Stolz die Gesegneten sahe,

War ich die reichste Mutter und fühlte doppelt die Gottheit.

Ach wie bist Du gefallen, mein Liebling, wie bist Du gefallen

Tief in Jammer und Armuth, Zerstörung und furchtbares Elend!

Deine Städte, mein Stolz, sie liegen in Trümmern am Meere,

Ihre Tempel verwüstet und ihre Odeen zerstöret,

Ihre Mauern verschüttet und ihre Wege verschwunden.

Im Gefühl des unendlichen Werths des Menschengeschlechtes

Schritten erhabene Söhne der götterbefreundeten Hellas

Mächtig durch die Gebirge und schufen den Felsen zum Tanzsaal

Gegenüber des Aetna ewigen Feuerhaupte.

Jetzt durchwandelt die Thale der Jammer des bettelnden Volkes.

Einsam, scheu, mit Hunger im bleichen gesunkenen Auge,

Nur mit schmutzigen Lumpen die zitternde Blöße behangen;

Und im Antlitz furcht noch die Wuth des heiligen Unsinns.

Hymnen ertöneten einst den Göttern in glücklichen Chören.

Durch die Städte der Insel; melodisch pflügte der Landmann,

Schnitt der Winzer und zog die Netze der freundliche Fischer.

Finster lauscht jetzt Mißtraun tief in den Furchen der Stirne;

Stumm und einsam schleicht es daher, und, tönet die Seele

Unwillkührlich Gesang, so klingt er wie Aengste des Todes.

Gastlich empfingen den Fremdling einst Siciliens Küsten,

Und er wandelte froh, wie in den Fluren der Heimat;

Wildniß starret nunmehr dem kühnen Pilger entgegen,

Und mit der Miene der Mordlust ziehen die Räuber am Ufer.

Wie einst vor den unwirthlichen Zeiten der alten Cyklopen

Trägt das Land den Anblick der wildesten Höhlenbewohner,

Als besäß es noch nicht mein herrliches Aehrengebinde,

Nicht den friedlichen Oelbaum, nicht die erfreuliche Traube,

Und noch nicht der Hesperiden goldene Früchte.

Zeus Kronion, Du Retter, o rette Trinakriens Schöne,

Daß sie nicht endlich ganz mit der letzten Trümmer vergehe!

Von Termini aus kann der König wieder fahren. Indessen hätte der Minister, der den Weg gebauet hat, ihn mit weniger Kosten vermuthlich besser und dauerhafter machen können. Die Wasserleitung ist nicht sonderlich beachtet. In der Bagaria sah ich von außen noch einige sublime Grotesken des sublim grotesken Fürsten von Palagonia, die nun nach seinem Tode nach und nach alle weggeschafft werden. Ich hatte weder Zeit noch Lust das innere Heiligthum der Ungeheuer zu sehen. Wenn indessen seine drollige Durchlaucht nur etwas zur Verschönerung der Gegend umher beigetragen hat, so will ich ihm die Mißhandlung der Mythologie, der ich übrigens selbst nicht außerordentlich hold bin, sehr gern verzeihen. Die ganze Gegend um die Stadt, vorzüglich nach Palermo hin, ist die bebauteste und ordentlichste, die man in Sicilien sehen kann, wenn es gleich keine der schönsten und reichsten ist.

Mir ward es wirklich recht wohl, als ich wieder in die Nachbarschaft von Palermo kam, wo ich mich nun schon als etwas heimisch betrachtete. Mein Einzug in die Residenz war, als ob ich ihn noch bei dem hochseligen Fürsten von Palagonia bestellt hätte. Es holte uns eine Sänfte irgend eines Bischofs ein, vermuthlich des Bischofs von Cefalu. Sie war sehr charakteristisch überall mit Schellen behangen, und wurde, nach der Gewohnheit des Landes, von zweien der stärksten Maulesel getragen, die von einigen reitenden Bedienten geführt wurden. Die Sänfte war ziemlich geräumig und mochte bequem Platz haben für den Bischof und seine Nichte; denn ich habe es in Sicilien durchaus gemerkt, daß die vornehmen Geistlichen viel auf Nichten halten. Ein alter, dicker, satirischer Eseltreiber setzte sich gravitätisch hinein, und fing an barock daraus zu diakoniren und mit großen Grimassen den Segen zu spenden. Die Schellen klangen, er nickte und machte ein Bocksgesicht, und die Karavane lachte über die Posse, bis die Nähe der Stadt der Profanation ein Ende machte. Nun zog die ganze originelle Kavalkade hinter mir mit Schellengeläute in Palermo zum Seethor ein. In Leipzig hätte ich damit ein Schauspiel für ein Quartir der Stadt machen können; in Palermo lachten bloß zwei Visitatoren.

Palermo, auf dem Paketboote.

Mein alter Wirth hier schickte mich zu einem neuen, seinem Freunde, weil sein Haus voll war. Ich war hier eben so gut wie dort, und noch etwas billiger; und hatte überdieß die Aussicht auf den Hafen. Nun habe ich wieder meinen Reisegefährten von Seehund, welcher den Maro mit einigen andern Kameraden hält. Die Zeit wird mir aber so wenig lang, daß ich nur selten die alten Knaster aus dem Felle nehme.

Vor einigen Tagen war hier Osterjahrmarkt am Hafen, auf welchen die Palermitaner etwas zu halten scheinen, wo aber außer einigen Quinquaillerien nicht viel zu haben ist. Man hat wenigstens dabei die Gelegenheit, fast die ganze galante Welt von Palermo spazieren gehen und fahren zu sehen. Man sieht hier mehr schöne Wagen als in Messina, ob dort gleich im Allgemeinen mehr Wohlstand zu seyn scheint. Es herrscht hier, wie fast an allen Höfen, Verschwendung und Armuth. In Messina ist man in Gefahr, von den Wagen etwas gerädert zu werden; aber hier hat man für die Fußgänger am Strande einige Wege gemacht, die für schön gelten. Du magst darüber Herrn Hager lesen; ich kann Dir nicht alles erzählen. Noch einmal habe ich die Promenade auf den Monte Pellegrino gemacht, als ob ich auch ein heiliger Pilger wäre. Mich lockte bloß die Aussicht, wiewohl auch die meisten andern Pilger bloß irgend eine Aussicht locken mag. Das Wetter war mir wieder nicht günstig; ich ließ mich indessen nicht abhalten, und stieg bis ziemlich auf den höchsten Gipfel des Felsenbergs hinauf. Wo das Kloster steht, ist ein Absatz von etwas fruchtbarem Erdreich, das noch sehr gutes Getreide hält. Ich ging hinaus bis an die äußerste Spitze, wo eine Kapelle der heiligen Rosalia steht mit ihrem Bilde, das füglich etwas besser seyn sollte. Die Fremden aller Länder hatten sich hier verewigt und mir wenig Platz gelassen. Alles war voll, und Stirne und Wange und Busen des heiligen Rosalienmädchens waren beschrieben; es blieb mir also nichts übrig, als ihr meinen Namen auf die Nasenspitze zu setzen. Vielleicht dachte Jeder durch Aufsetzung seines Namens das Gemälde zu verbessern; die Nasenspitze ist wenigstens durch den meinigen nicht verdorben worden: und dieses ist das einzige Mal, daß ich auf der ganzen Wandlung meinen Namen geschrieben habe, wenn mich nicht die Polizei dazu nöthigte.

Zwischen diesem isolirten Felsen und der höheren Bergkette liegt ein herrliches kleines Thal, das sich von der Stadt immer enger bis an die See vorzieht. Es ist von der Natur reichlich gesegnet, und der Fleiß könnte noch mehr gewinnen. Hier muß nach der Topographie das Städtchen Hykkara gelegen haben, aus welchem Nicias die schöne Lais holte und nach Griechenland brachte. Weiter hinaus suchte ich mit meinen Hofmannischen Augen den Eryx bei den Trapani, und knüpfte in vielen schnellen Uebergängen Wieland, Aristipp und die erycinische Göttin zusammen. Weiß der Himmel, wie ich in diesem Thema auf den Hudibras kam; die Ideenverbindung mag wohl etwas schnell und gesetzlos gewesen seyn, und ich halte es nicht für wichtig genug, sie wieder aufzusuchen. Ich guckte also hin nach Trapani und sang oder murmelte vielmehr nach einer beliebten Melodie aus Mozarts Zauberflöte die schönen harmonischen Verse von Buttler, die ich immer für ein Meisterstück der Knittelrhythmik gehalten habe. Sie paßten vortrefflich zur Melodie des Vogelfängers. Also ich brummte:

So learned Taliacotius from

The brawny part of porters bum

Cut supplemental noses, which

Would last as long as parent breech,

And as the date of Knock was out,

Off dropt the sympathetic snout.

Ich hatte in meinem musicalischen Enthusiasmus nicht auf den Weg Achtung gegeben; und kaum hatte ich die letzte Zeile gesungen und wollte die erste wieder anfangen, so fiel ich auf die Nase, welches mir selbst auf den Aetna nicht begegnet war, wo doch die Landsleute Buttlers in ihren Strümpfen alle sehr oft zu Falle kamen. Hatte vielleicht die Göttin von Amathunt und vom Eryx die Profanation rächen wollen? die Nase blutete mir. Besser die Nase, als das Herz, dachte ich. Auch dieses war mir wohl ehedem etwas enge gewesen; jetzt war ihm längst wieder leicht. Ich hatte aus Gewohnheit noch ein kleines, niedliches Madonnenbildchen an einer seidenen Schnur am Halse hangen, das mir oft das Prädikat der Katholicität erworben hatte. Das Original hatte mich königlich betrogen[14]. Jetzt nahm ich es unwillkührlich von der linken Seite, nach welcher sich das Idolchen immer neigte, schloß unwillkührlich das Glas auf, nahm das elfenbeinerne Täfelchen heraus und erschrak, als ich es heftig unwillkührlich in zehn Stücke zersplittert zwischen dem Daumen hielt. War das lauter Rache Rosaliens und der vom Eryx? Mögen sie sich an niemand bitterer rächen! Ich hielt die Trümmerchen in der Hand; Freund Schnorr mag verzeihen: er hatte mit Liebe an dem Bildchen gepinselt. Einige Minuten hielt mich Phantasus noch mit Wehmuth am Original; ich saß auf einem Felsenstücke des Erkta, und sah es im Geist an der Spree im goldenen Wagen rollen. Rolle zu! und so flogen die Stücke mit der goldenen Einfassung den Abgrund hinunter. Ehemals wäre ich dem Bildchen nachgesprungen —; noch jetzt dem Original. Aber ich stieg nun ruhiger den Schneckengang nach der Königsstadt hinab; die röthlichen Wölkchen vom Aetna her flockten lieblich mir vor den Augen. Ich vergaß das Gemälde: möge es dem Original wohl gehen!

Ich hatte mich bis tief in die Nacht verspätet, und wurde zu Hause gräßlich bewillkommt. Aber da muß ich Dir noch Mehreres erzählen, ehe Du dieses gehörig verstehst. Du erinnerst Dich des guten Steuerrevisors, der sich in Agrigent meiner so freundschaftlich annahm, daß er mir fast die Menschheit streitig machte. Kaum hatte ich in meinem Wirthshause die erste Nacht ausgeschlafen, als mein Steuerrevisor zu mir hereintrat. Das that mir nun recht wohl; denn wer freut sich nicht, daß sich jemand um ihn bekümmert? Er erzählte mir, er sei meinetwegen in großem Schrecken gewesen, als der Eseltreiber zurückgekommen, und habe geglaubt, ich werde nun sicher umkommen, da ich allein ohne Waffen in der Insel herumlaufe. Der Mauleseltreiberjunge, mein Begleiter, sagte er mir zum Trost, sei völlig von der Paste wieder genesen, und er habe die zwei Unzen, bis auf den Abzug einiger Kleinigkeiten, ihm wieder herausgeben müssen. Gut, dachte ich; also wieder zwei Unzen gerettet; ich kann sie brauchen. Sogleich nach seiner Ankunft in Palermo habe er sich nach meinem Wirthshause erkundigt und es bald erfahren. Nun sei er seit acht Tagen täglich da gewesen, um nachzufragen. Heute früh habe er meine Ankunft erfahren und sei sogleich hierher zu mir geeilt. Nun lud er mich ein, zu ihm in sein Haus zu ziehen. Das war mir indessen nicht ganz recht; denn ich wäre lieber geblieben, wo ich war. Aber der Mann bat so freundlich, war so besorgt gewesen; ich packte also ein, und ließ hintragen. Er wohnte vor dem Thore nach Montreale. Wir aßen, und seine Frau, eine heiße zelotische nicht unfeine Sicilianerin, fing nun meine Bekehrung an. Das Examen ging über Tische und zum Dessert von Artikel zu Artikel, von dem Papste und den Mönchen bis auf die unbefleckte Empfängniß. Das Letzte war das Allerheiligste, von dem ich nichts wußte. Die gute Frau hätte, wie es schien, lieber ihre eigene Keuschheit in Gefahr gesetzt, als das geringste von der Jungferschaft Mariens aufgegeben. Man sprach mit aller Wärme und Salbung, mich zu überzeugen; aber vergebens. Man fing nun an mir Aussichten zu eröffnen: ja, lieber Gott, wenn ich ein anderer Kerl wäre, als ich bin, könnte ich im Vaterlande Aussichten haben, wo man sie doch am liebsten hat. Don Juan, fatevi cristiano, e statevi in Sicilia. — Ma lo sono. — Ma non siete cattolico. — Io sono bene cosi; non si puo megliò. Die Frau aß im Eifer Bonbons und trank Wein, und war heftig; und da ich denn trocken halsstarrig fortblieb, rief sie in heiliger Wuth aus, indem sie den Teller von sich stieß: „Ma voi altri voi siete tutti baroni f-t-ti..“ Ueber diese Naivetät erschrak ich, und wäre jetzt für zwei Unzen gern zurück in meinem Wirthshause gewesen. Nach Tische ging ich zu Rosalien, wie ich Dir erzählte. Ich glaubte das Haus meines neuen Wirths recht gut gemerkt zu haben und irrte mich doch: ich kam in ein unrechtes. Nun wollte ich eben fragen, ob hier Don Filippo wohne, als ein Kerl Ladro, briccone, furfante herausschrie und wüthend mit dem Messer auf mich zustürzte. Ich hob so schnell ich konnte die Eisenzwinge meines Knotenstocks, flüchtete eben so schnell zum Hause hinaus und eilte die finstere Gasse hinunter. Die Nachbarschaft gerieth in Lärm: eine schöne Nachbarschaft; dachte ich, und ging in mein altes Gasthaus. Dort war ich sehr willkommen. Ich hatte mich eben zu Bette gelegt, als der Herr Steuerrevisor kam und mich aufsuchte. Er hatte den Lärm gehört und war meinetwegen in Todesangst. Ich erzählte ihm mein Abenteuer und sagte, daß ich in einer solchen Nachbarschaft nicht wohnen möchte; er ließ aber nicht nach, bis ich ihm versprach, morgen wieder zu ihm zu kommen; denn diesen Abend war ich nicht wieder aus dem Bette zu bringen. Den andern Morgen war er wieder sehr früh da und holte mich ab. Nun lebten wir leidlich ordentlich einige Tage, das Vorgefallene wurde bedauert und meine Ketzerei weiter nicht mehr, als nur im Allgemeinen, in Anspruch genommen. Aber wenn wir zuweilen zusammen ausgingen, welches der Herr sehr gut zu veranstalten wußte, hatte er immer etwas zu kaufen und kein Geld bei sich; ich war also ziemlich stark in Auslage und bezahlte jede Mahlzeit dadurch sehr theuer. Ich mußte Geld haben von dem Kaufmann, und er erbot sich sogar meine Geschäfte bei ihm zu machen, da ich doch der Sprache nicht recht mächtig wäre. Aber dazu war ich bei aller meiner indolenten Gutherzigkeit denn doch schon zu sehr gewitziget, dankte und verbat seine Mühwaltung, und holte meine Baarschaft nicht eher, als bis ich abreisen wollte. Er half mir zuletzt noch manches besorgen, und da er sich meinetwegen bei Nacht etwas enrhümirt hatte, mußte ich bei dem schlechten Wetter mit ihm doch wohl einen Wagen nehmen. Hier erzählte mir der Mann sehr naiv etwas näher seine Amtsbeschäftigungen. Wir müssen, sagte er, in der Insel herumreisen, die rückständigen Steuern einzutreiben, und im Namen des Königs den Leuten Kleider, Betten und das übrige Hausgeräthe wegnehmen, wenn sie nicht bezahlen können. Es packte mich bei diesen trockenen Worten eine Kälte, daß ich im Wagen meine Reisejacke dichter anzog und unwillkührlich nach meinem Halstuche griff. Die zwei Unzen wurden vergessen, und ich erinnerte nicht; ob ich sie gleich nun lieber dem Mauleseltreiber gelassen hätte, der so großen unglücklichen Appetit an der Paste hatte. Ueberdieß war ich mit Vielem in Auslage, und es war mir sehr lieb, als der Kapitän an Bord rufen ließ. Er begleitete mich bis ans Wasser im Wagen mit seinen beiden kleinen Mädchen, die in der That allerliebst niedliche Geschöpfchen waren. Beim Abschied in meiner Kajüte bat er sich noch eine Unze zum Geschenk für diese aus: ich ungalanter Kerl zog mürrisch die Börse und gab ihm schweigend das Goldstück hin. Er hatte mir es sehr verübelt, daß ich mir auf dem Packetboote ein Zimmer für mich genommen und mich an die Tafel des Kapitäns verdungen hatte. Das war, nach seiner Meinung, Verschwendung, und ich hätte für das Viertel der Summe mich lieber unter die Takelage des Raums sollen werfen lassen. Ein erbaulicher Wirth, der Herr Steuerrevisor! Der Wind blieb widrig; wir fuhren nicht ab, und ich zog lieber wieder hinaus ins Wirthshaus: sogleich suchte er mich wieder auf und wollte mich wieder zu sich haben. Der Mensch ward endlich unerträglich zudringlich und weggeworfen unverschämt, und ich mußte noch bei einigen Partien für ihn bezahlen. Um mich aber endlich recht bestimmt, nach der schicklichsten Weise für ihn, zu benehmen, aß ich in einem Speisehause unbefangen mit großem Appetit ein Gericht nach dem andern, ohne ihn einzuladen, oder für ihn zu bestellen. Nun wünschte er mir endlich gute Reise, und ich sah ihn nicht wieder, den Herrn Steuerrevisor Don Filippo — — seinen Geschlechtsnamen will ich vergessen. Sterzinger, mit dem ich nachher noch sprach, kannte ihn und lachte. Er hatte in der Welt mehrere gelehrte und merkantilische Metamorphosen gemacht, bis er zu seiner witzigen Würde gedieh. Der Himmel lasse ihn meine Unzen zur Besserung bekommen!

Das Gebäude des botanischen Gartens hinter der Flora am Hafen ist nun fertig. Der Franzose Julieu hat es gezeichnet und ein Palermitaner es nach dem Riß aufgeführt. Die Sicilianer sind mit der Ausführung, aber nicht mit der Idee zufrieden. Wo man rechts und links, auf der Insel und dem festen Lande, noch so viele Monumente griechischer Kunst hat, ist man freilich etwas schwierig. Die Säulen sind nicht rein und oben und unten verziert. Der Saal ist nach der Anlage des Linneischen in Schweden, und vielleicht einer der prächtigsten dieser Art. Rund umher stehen die Büsten der großen Männer des Fachs in Nischen, von Theophrast bis zu Büffon. Dem Zeichner des Gebäudes hat man die Ehre angethan, sein Gesicht unter einem andern alten Namen mit darunter zu setzen; eine eigene sonderbare Art von Belohnung!

Der alte Cassero oder Corso, in allen italienischen Städten von Bedeutung die Hauptstraße, hat jetzt seinen Namen verändert und heißt Toledo nach der Hauptstraße von Neapel; vermuthlich dem anwesenden Hofe eine Schmeichelei zu machen. Uebrigens muß der Hof eben nicht außerordentlich geliebt seyn; denn ich habe oft gehört, daß man nie so schlechtes Wetter auf der Insel gehabt habe, als die vier Jahre, so lange der Hof hier sei.

Die Polizei scheint hier nicht sehr genau zu seyn, oder berechnet Dinge nicht, die es doch wohl verdienten. Vor einigen Tagen führte man auf einer breiten Gasse öffentlich ein Banditendrama auf. Es war sogar Militärwache dabei, um Ordnung zu halten, und die ganze Gasse war gedrängt voll Zuschauer. Die Schauspieler arbeiteten gräßlich schön, und der Held hätte dem Handwerk Ehre gemacht. Freilich wird er mit poetischer Gerechtigkeit wohl im Stücke seine Strafe erhalten; aber dergleichen Scenen, wo noch so viel natürliche heroische Kraft und Deklamation ist, sind zu blendend, um in Unteritalien auf öffentlichen Plätzen unter dem größten Zulauf gegeben zu werden. Man zahlt nichts; jeder tritt hin und schaut und nimmt was und wie viel er will. Haben doch sogar Schillers Räuber einmal Unfug bei uns angerichtet. Auf diese Weise kommt man dem siedenden Blute nicht wenig entgegen. Auch ist das Messer noch eben so sehr im Gebrauch und vielleicht noch mehr als vor zwanzig Jahren. Ich hatte vor einigen Tagen ein Schauspiel davon. Ich ging den Morgen aus; ein Kerl schoß blutig an mir vorbei und ein anderer mit dem Dolche hinter ihm her. Es sammelte sich Volk, und in einigen Minuten war einer erstochen, und der Mörder verwundet entlaufen. Die Wache, welche nicht weit davon stand, that, als ob sie gar nichts dabei zu thun hätte. Sie haben einen erschlagen, klingt in Sicilien und Unteritalien nicht härter als bei uns, wenn man sagt, es ist einer berauscht in den Graben gefallen. Nur gegen die Fremden scheinen sie, aus einer alten religiösen Sitte, noch einige Ehrfurcht zu haben. Sie erstechen sich unter einander bei der geringsten Veranlassung, hörte ich einen kundigen wahrhaften Mann urtheilen; aber ein Fremder ist heilig. Ich möchte mich freilich nicht zu sehr auf meine fremde Heiligkeit verlassen, aber die Sache ist nicht ohne Grund. Ich blieb, zum Beispiel, zwischen Messina und Palermo in einem einzelnen Hause, dessen zwei handfeste Besitzer ich gleich beim ersten Anblick classificirt hatte. Alles bestätigte meinen Argwohn und meine Besorgniß. Man speiste mich indessen leidlich und machte mir sodann ein Lager auf einer Art von Pritsche, so daß alle Schießgewehre und Dolche in einem Winkel zu meinem Kopfe lagen. Man machte mich auch darauf aufmerksam, daß ich allein bewaffnet wäre, und ich schlief nun ziemlich ruhig.

Nach Sankt Martin bin ich nicht gekommen, weil das Wetter beständig sehr unfreundlich war, und ich mich die letzten Tage nicht entfernen durfte, da man mit dem ersten guten Winde abfahren wollte. Die Mönche dort oben sollen die prächtigste Mast in der ganzen Christenheit haben. Wenn das Christenthum Schuld an allem Unheil wäre, das man bei seinen Priestern und durch seine Priester sieht, so wäre der Stifter der hassenswürdigste der Menschen. Das astronomische Observatorium auf dem Schlosse konnte ich nicht füglich sehen, weil Piazzi nicht zugegen war. Uebrigens bin ich auch ein Laie am Himmel. Vielleicht hat es eine wohlthätige Wirkung auf die Insel, daß die Sicilianer nun ihre Göttin unter den Sternen finden; bisher haben sie das Heiligthum der Ceres und ihre Geschenke gewissenlos verachtet. Eine vaterländische Neuigkeit ist mir noch aufgestoßen. Der Kaiser Karl der Fünfte hat um Sicilien große Verdienste, und sein Andenken ist billig den Insulanern ehrwürdig. Ueberall findet man noch Arbeiten von ihm, die seinen thätigen Geist bezeichnen, und die jetzt vernachlässigt und vergessen werden. Die Wachthürme rund umher, die er nach seiner afrikanischen Unternehmung aufführen ließ, zeigen von seinem Muth und der damaligen Kraft der Insel. Auch der Molo des Hafens von Agrigent ist von ihm. Seine Bildsäule steht also in Palermo fast mitten in der Stadt am Toledo auf einem freien Platze; aber mit einem Bombast, der nicht in der Natur des Mannes lag. Er hat in der Inschrift eine lange Reihe Beinamen, und heißt unter andern, vermuthlich wegen der Schlacht, auch der Sachse und Hesse. Könnte man nun unsern Kurfürsten Moritz, dessen Enkomiast ich übrigens nicht ganz unbedingt werden möchte, nicht wegen der Ehrenberger Klause den Oestreicher und Spanier nennen? Sein Sieg war bedeutend genug, und die Folge des Tages für die Protestanten auf immer wichtig.

Bei Kapri.

Der Wind schaukelt uns ohne Fortkommen hin und her, und schon fast den ganzen Tag tanzen wir hier vor Massa, Kapri und Ischia herum. Den ein und zwanzigsten April Abends gab das Kriegsschiff, welches jetzt, glaube ich, die ganze Flotte des Königs von Neapel ausmacht, das Signal, und wir arbeiteten uns aus dem Hafen heraus. Den andern Morgen hatten wir Sicilien und sogar Palermo noch ziemlich nahe im Gesichte; der Rosalienberg und die Spitzen von Termini und Cefalu lagen ganz deutlich vor uns: das andere war von dem trüben Wetter gedeckt. Mehrere Schiffe mit Orangen und Oel hatten sich angeschlossen, um die sichere Fahrt mit dem Kriegsschiffe und dem Packetboot zu machen. Das letztere hat auch zwanzig Kanonen und ist zum Schlagen eingerichtet. Wir saßen lange zwischen Ustika und den liparischen Inseln, und ich las, weiß der Himmel wie ich eben hier auf diesen Artikel fiel, während der Windstille die Georgika Virgils, die ich hier besser genoß, als jemals. Nur wollte mir die Schlußfabel von dem Bienenvater nicht sonderlich gefallen: sie ist schön, aber hierher gezwungen. Dann las ich, da der Wind noch nicht kommen wollte, ob wir gleich in seinem mythologischen Vaterlande waren, ein großes Stück in die Aeneis hinein. Hier wollte mir nun, unter vielen Schönheiten im vierten Buche, die Beschreibung des Atlas wieder nicht behagen, so herrlich sie auch klingt. Es ist dünkt mich, etwas Unordnung darin, die man dem Herrn Maro nicht zutrauen sollte. Da ich eben nicht viel zu thun habe, will ich Dir die Stelle ein wenig vorschulmeistern. Merkur kommt von seinem Vater auf der Ambassade zu Frau Dido hierher. Die Verse heißen, wie sie in meinem Buche stehen:

— jamque volans apicem et latera ardua cernit

Atlantis duri, coelum qui vertice fulcit;

Atlantis, cinctum assidue cui nubibus atris

Piniferum caput et vento pulfatur et imbre;

Nix humeros infusa tegit: tum flumina mento

Praecipitant senis, et glacie riget horrida barba.

Die Verse sind unvergleichlich schön und malerisch: aber er bringt auf dem obersten Scheitel Sturm und Regen, läßt den Schnee auf den Schultern liegen, Flüsse aus dem Kinn strömen und weiter unten den Bart von Eis starren. Das ist nun alles ziemlich umgekehrt, wenn ich meinem bißchen Erfahrung glaube. Ich weiß nicht, was Heyne aus der Stelle gemacht hat. So weit oben werden schwerlich noch Fichten wachsen. Ich überlasse es Dir, Deinen Liebling zu vertheidigen: ich selbst bleibe hier in meiner Hermenevtik etwas stecken. Wer in seinem Leben keine hohen Berge gesehen und bestiegen hat, nimmt so etwas freilich nicht genau. Schade um die schönen Verse!

Diese Nacht begegneten uns viele französische Schiffe, die ihre Landsleute von Tarent holen wollen. Alles ist ungeduldig bald am Lande zu seyn; aber Aeolus hat uns noch immer seinen Schlauch nicht gegeben, und wir müssen aushalten. Das Essen ist recht gut und die Gesellschaft noch besser; meine Geduld ist also weiter auf keiner sehr großen Probe; und ich habe noch die ganze Odyssee zu lesen. Der russische und englische Gesandte sind auf dem großen Schiffe; wir haben also noch die Ehre, ihrentwillen recht langsam zu fahren, da das Kriegsschiff schwerer segelt. Die Geschichte des Tages auf unserer Flotte sagt eben, daß der Leibgaul der russischen Excellenz gefährlich krank geworden ist. Wie viele von den Leuten seekrank sind, oder sterben, das ist eine erbärmliche Kleinigkeit: aber bedenke nur, der Leibgaul des russischen Gesandten! — der ist ein Kerl von Gewicht. Man erzählt bei Tische dieß und jenes: sogar die Geschichten der Hofleute aus ihrem eigenen Munde bestätigen die schlechte Meinung, die ich durchaus von der neapolitanischen Regierung habe. Es waren einige sybaritische Herren des Hofes bei uns, die doch nicht lassen konnten, dann und wann etwas vorzubringen und einzugestehen, was Stoff zu Aergerniß und Sarkasmen gab. Meine Taciturnität nahm daraus die Quintessenz. — Es ist wieder tiefe Nacht im Golf geworden; der Wind bläst hoch und wirft uns gewaltig. Ich habe auf allen meinen Fahrten, Dank sei es meiner guten Erziehung, nie die Seekrankheit gehabt: ich lege mich also ruhig nieder und schlafe.

Neapel.

Ich erwachte im Hafen. Eine Mütze voll günstiger Wind und die Geschicklichkeit des Kapitäns hatten uns hereingebracht. Nun machte ich in drei Minuten meine Toilette, nahm den ersten besten Lazarone und wandelte in mein altes Wirthshaus auf Montoliveto, wo ich sogar meine alte Stube wieder leer fand. Das war mir sehr lieb; denn ich bin gar kein Freund von Veränderung. Mein alter Genuese war bei einem andern Fremden, und ich konnte den ersten Tag keinen Lohnbedienten erhalten, weil man gehört hatte, daß ich sehr viel zu Fuße herumlief und laufen wollte, ob ich mich gleich erbot einige Karlin mehr als gewöhnlich zu zahlen. Das nenne ich kampanische Bequemlichkeit, von der man eine Menge drollige Anekdoten hat. Den ersten Tag wollte mir keiner folgen; dann wollte ich keinen haben.

Ich machte mich ganz allein mit der Morgenröthe auf nach Pozzuoli. Dort fehlte es nicht an Wegweisern, und ich wurde gleich beim Eingange in Beschlag genommen. Ich ließ mir gern gefallen, mich in dem Meerbusen von Bajä herumzurudern und da die alten Herrlichkeiten zu sehen. Du kennst sie aus andern Büchern; ich will Dich also mit ihrer Beschreibung verschonen. Wenn ich Dir auch alle Säulen des Serapistempels anatomirte, wir würden deßwegen in unsern Konjekturen nicht weiter kommen. Was ich aus der sogenannten Brücke des Kaligula machen soll, weiß ich nicht: die Meinung der Antiquare, daß es ein Molo gewesen seyn soll, will mir nicht recht einleuchten. Es sind noch dreizehn Stücke davon übrig, die in verschiedenen Distanzen aus dem Wasser hervorragen. Wenn es nicht zu idiotisch klänge, würde ich sie wohl für die Reste der berüchtigten Brücke halten. Die Entfernung von Pozzuoli nach Bajä ist nicht so groß, daß es einem Menschen, wie das Stiefelchen, nicht hätte einfallen können, so einen Streich zu machen. Damals war der Meerbusen landeinwärts nach dem Monte Nuovo zu vielleicht noch etwas tiefer; der Lukriner See hing mit dem Avernus zusammen und half den Julischen Hafen bilden, der Umweg war also etwas größer als jetzt. Zum Molo für Pozzuoli scheinen mir die Trümmern weder Gestalt, noch gehörige Richtung zu haben. Meinetwegen sei es, wie man wolle! Ich stieg bei dem Lukriner See aus, der durch die Erdrevolution sehr viel eingeengt worden ist. Jetzt ist er nichts besser als ein großer Teich. Wir gingen, vermuthlich durch den Einschnitt des Berges, hinein, durch welchen man ehemals die beiden Seen, den Lukriner und den Averner, zusammen verbunden hatte, um den Julischen Hafen zu bilden. Häufige Erdbeben und vulkanische Ausbrüche haben alles geändert. Der Zugang zum Avernus ist noch jetzt romantisch genug, und der Eintritt in die sogenannte Grotte der Sibylle wirklich schön und schauerlich. Ich setzte mich am Eingange hin und sah rechts gegenüber den alten Tempel, der für den Tempel des Apollo gilt. Es ist ein Wunder, wie dieser Tempel bei der Erhebung des neuen Berges stehen blieb, die doch ohne große Erschütterung der Nachbarschaft unmöglich geschehen konnte. Man kann nichts Romaneskeres haben, als den kleinen Gang von dem Averner See bis zum Eintritt in die Grotte, zumal wenn man den Kopf voll Fabel hat. Hier zündeten wir die Fackel an und gingen nun in dem Gewölbe hinter, bis man rechts tief hinunter in das Sakrarium steigt. Vermuthlich hat Virgil seine Erzählung an diesem Orte gearbeitet; denn das Facilis descensus Averni scheint wörtlich hier weggenommen zu seyn. Es ging immer tiefer und tiefer, bis wir an ein etwas weites Gemach kamen, welches ziemlich voll Wasser war. Hier mußte ich mich auf den Rücken meines Führers setzen, und hinüber reiten. Rechts und links fand ich jenseits einen langen Katalog von Neugierigen aller Nationen. Mein Name steht oben auf dem Erkta, wo die Karthager so brav und lange schlugen, der heiligen Rosalia auf der Nase; und damit genug. So ganz allein mit einem Wildfremden in dieser Höhle herumzuschleichen, mein Freund, macht doch etwas unheimisch.

Ein Schauerchen fuhr mir beim Fackelschein

Im Heiligthum durch das Gebein;

Das Wasser ging mir in der Höhle

Des Mütterchens bis an die Seele.

Mir ward so ernst und feierlich

Und voll von Eifersucht setzt’ ich mich

An einem dreifach dunkeln Flecke

Auf einen Stein in einer Ecke.

Mein Führer ließ mir eben etwas Zeit

Mit seiner Stromgelehrsamkeit,

Und machte sich zur Fahrt ins Licht bereit:

Da hab’ ich denn in aller Stille

Die alte kumische Sibylle

Für Dich und mich um Rath gefragt;

Sie hat mir aber — nichts gesagt.

Mit Danke nahm ich ihr Orakel an,

Und glaube, sie hat wohlgethan.

Kaum hatte ich diese Verschen kumisirt, als mein Leiter mich aus meiner Andacht mit der Bemerkung drollig genug weckte: „Era questa Sibilla gran puttana; ed era questo qui un gabinetto segreto, dove fece — —“ Hier brauchte er einige Töne, die in allen Sprachen ziemlich verständlich sind. Nun war meine Prophetin sogleich eine gemeine Zigeunerin. Was doch die Phantasie nicht Alles macht, nachdem man nur die Sache ein wenig höher oder tiefer nimmt! Die Leute fabeln hier, daß aus der Höhle ein Gang nach Bajä und ein anderer nach Cumä gegangen sei, wo die Hexe ein zweites Heiligthum hatte. Das ist sehr leicht möglich und war vielleicht weiter nichts, als der jetzige große Gang, der nach dem Avernus führt und also nach Cumä offen und nach dem Lucriner, oder nach Bajä verschüttet ist. Auch hier könnte er sehr leicht wieder geöffnet werden. Die ganze Anlage ist ein Werk der Kunst, vielleicht durch die schöne romantische Lage der Berge und Seen und einige Felsenspalten veranlaßt; aber vermuthlich von hohem Alter. Die Wasservögel schwimmen recht lustig auf dem Avernus herum, und die Luft war auch nicht leer von Geflügel: so daß der Ort nunmehr die Antiphrase seines Namens ist.

Nun wandelte ich an den Meerbusen hinunter und sah die ehemaligen Thermen des Nero. Solltest Du glauben, daß ich nicht im Stande war, hinunter zu steigen? Ich hatte mich ausgezogen, und versuchte es zweimal. Der Dampf trieb mir aber auf den vierzig Schritten, die ich ungefähr vorwärts ging, einen so entsetzlichen Schweiß aus, daß ich umkehrte. Ich ließ den Kerl allein seine Eier kochen. Meine vornehmen Landsleute, die unten gewesen seyn sollen, müssen den Schwitzkasten besser vertragen können, als ich: das Experiment war mir zu heiß. Ob die alten Gebäude, die am Strande hin stehen, Tempel oder Bäder gewesen, vermag ich nicht zu entscheiden. Sie gehören augenscheinlich zu Bajä, und zu Bajä waren viele berühmte Bäder; doch findet man sie sonst wohl nicht leicht von dieser Tempelform. Es sind zwei Rotunden, jetzt ziemlich hoch mit Erde angefüllt, und das Echo darin ist furchtbar stark. Das sogenannte Grab Agrippinens verdient wohl gesehen zu werden, es mag gehören, wem es will. Die Arbeit ist gut und die Wandverzierungen sind sehr niedlich und geschmackvoll. Ich fand darin ein Stückchen Bernstein von der Gestalt eines Diskus, mit einem kleinen Loche in der Mitte, durch welches ein Draht oder Ring gegangen zu seyn schien. Der Himmel mag wissen, ob es alt ist, oder wie es sonst dahin gekommen seyn mag. Von dem Tempel des Herkules, in dessen Nähe Agrippina umgekommen seyn soll, werden, hart unter dem Vorgebirge Misene, noch einige Trümmer gezeigt. Baulä ist jetzt ein kleines, armseliges Dörfchen. Was die Piscine und die Felsengänge, oder die sogenannten Gefängnisse des Nero mögen gewesen seyn, darüber zanken sich noch die Gelehrten. Ich begreife nicht, warum sie nicht von Menschen, wie die römischen Censoren von der schlechtesten Sorte waren, zu Kerkern sollen gebraucht worden seyn. Sie sind gräßlich und die Gefängnisse in Syrakus sind Ballsäle dagegen: wie denn alles Grausame bei den Römern schrecklicher und scheußlicher war, als bei den Griechen, die Spartaner vielleicht ausgenommen, die mehr einen römischen Stempel trugen. Bis fast hinaus auf die Spitze des Vorgebirges und bis hinab an die elysäischen Felder und das todte Meer sind schöne Pflanzungen von Wein und Feigen. Misene ist eine von dieser Seite auslaufende Erdzunge, die sich mit dem hohen Felsen dieses Namens schließt. Gegenüber liegt nicht weit davon sogleich Procida, und man erzählte, daß die Engländer im vorigen Kriege von dort herüber nach Baulä geschossen haben. Das ist aber doch nicht wohl möglich; es muß aus den Schiffen auf dem Passe zwischen Procida und Misene geschehen seyn. Im Vorbeigehen darf ich Dir noch sagen, daß ich neulich in Rom in den deutschen Propyläen eine Recension von Gmelins Blättern von dieser Gegend gesehen habe, wo man sich fast ausdrückt, als ob das Mare morto und der Avernus eine und die nämliche See wären; eine Unbestimmtheit, die man doch in den Propyläen nicht antreffen sollte!

Ich ließ mich von Misene gern über den Meerbusen hinüber nach Pozzuoli rudern, wo ich zwar etwas spät, aber mit desto besserm Appetit eine herrliche Mahlzeit nahm. Der Bajische Meerbusen ist wegen seiner Schönheiten berühmt: aber überall, wohin man blickt, findet man nur Trümmer, Zerstörungen der Zeit, der Barbarei und der Erdrevolutionen, als ob sich Alles vereinigt hätte, diesen Sitz der schändlichsten Despotie zu vernichten und nur die Reize der Natur übrig zu lassen. Der neue Berg wird jetzt ziemlich bearbeitet und giebt guten Wein, wie man sagt. Die Leute behaupten hier mit Gewalt, hier habe ehemals der Falerner Berg gestanden und sei in verschiedenen Erdrevolutionen mit verschüttet worden; geben auch noch eine Sorte Wein für Falerner, der allerdings besser seyn soll, als der ächte Falerner bei Sessa auf der andern Seite des Gaurus. Eine sonderbare Phantasie ist mir vorgekommen; ich weiß nicht, ob ich der Erste bin, der sie gehabt hat. Capri sieht von hier, und noch mehr von der Spitze des Posilippo und bei Nisida aus, wie der Kopf eines ungeheuern Krokodils, das seinen Rachen nach Sorrent dreht. Diese Einbildung kam mir immer wieder, so oft ich dahin sah; und sie giebt der Tiberiade einen abscheulichen Stempel.

Der Weg von Pozzuoli nach Neapel zurück geht durch ein üppig reiches Thal an dem Posilippo hin. Die Gegend ist aber als sehr ungesund bekannt, wegen der Solfatara und des Agnano, die links in der Nähe liegen. Der beträchtliche Berg Posilippo liegt rechts vor Dir; Alles ist geschlossen und nirgends eine Schlucht zu sehen, und Dir wird vielleicht etwas bange vor der Auffahrt und Abfahrt. Diese ersparst Du; denn Du fährst, wie ein Erdgeist, gerade durch den Berg hin. Dieß ist die berühmte Grotte. Vermuthlich war die Veranlassung dazu der Steinbruch, den man tief hineinarbeitete. Man konnte dabei leicht auf den Gedanken kommen durchzugehen, und so einen geraden Weg zu machen. Der Eingang von Neapel ist schöner, als von Pozzuoli, und wenn man bei einer gewissen Mischung der Atmosphäre aus der Mitte in die schöne Beleuchtung hinaussieht, ist es ein unbeschreiblicher Anblick. Auch von dieser Arbeit ist die Zeit der Entstehung unbekannt. Zur Zeit der Römer muß das Werk nicht unternommen worden seyn; denn diese hätten wahrscheinlich etwas davon gezeichnet, weil sie, als sie hierher in diese Gegend kamen, schon ziemlich eitel waren. In der Mitte der Höhle ist, links von Neapel aus, ein Behältniß eingehauen, welches jeder Vernünftige sogleich einer Polizeiwache anweisen würde. Aber hier giebt man es der heiligen Jungfrau zur Kapelle, und dann und wann sollen sich Räuber darin aufhalten und daraus die Gegend unsicher machen!

Eben komme ich vom Vesuv. Aber da ich auch von Pästum komme, muß ich vom Anfange anfangen, wenn Du nur einigermaßen promeniren sollst. Meine Absicht war, so ganz gemächlich über Salerno in einigen Tagen allein hinunter nach Pästum zu gehen: aber ohne alle Kunde möchte es doch etwas bedenklich gewesen seyn. Ueberdieß drückte mich die Hitze auf dem staubigen Wege nach Pompeji unerträglich, meine Fußsohlen hatten durch langen Gebrauch einige Hühneraugen gewonnen, die den Marsch in der Hitze eben nicht befördern. Ich ließ mich also in Terre del Greco, wo jetzt der beste Wein wächst, überreden, eine Karriole zu nehmen. Eine der schönsten Partien, vielleicht in ganz Italien, ist der Weg von Pompeji nach Salerno, vorzüglich um Cava herum. Ohne mich um die Alterthümer zu bekümmern, ergötzte ich mich an dem, was da war; ob ich gleich nicht läugnen kann, daß Fleiß und Anhaltsamkeit es hier und da noch schöner hätten machen können.

In Salerno, wo ich sehr zeitig ankam, wollte ich die Nacht bleiben, und den folgenden Morgen weiter fahren. Ich wandelte also in der Stadt herum, und bald faßte mich ein Geistlicher bei der Krause, der mir alle Herrlichkeiten seiner Vaterstadt zeigte. Die Kathedrale mit ihren Wundern war das erste. Das Bassin am Eingange, von einem einzigen Stücke gearbeitet, ließe sich wirklich auch in Rom noch sehen. Man zeigte mir eine Menge Gräber von alten Erzbischöfen und Salernitaner Advokaten, die den Leuten gewaltig wichtig waren. Einige schöne alte Basreliefs aus Pästum hat man hier und da mit zur Verzierung neuer Monumente gebraucht. Das Merkwürdigste sind mehrere sehr schöne antike Säulen, die man auch aus Pästum geholt hat. Man führte mich in das Adyton der Krypte des Schutzpatrons, welches Matthäus ist. Hier stand die statua biformis des Heiligen, die einem Janus ziemlich ähnlich sieht. Bei dieser Gelegenheit wurden mir denn alle Wunder erzählt, die der Apostel zum Heile der Stadt gegen die Saracenen gethan hatte. Es läßt sich wohl begreifen, wie das zuging, und wie irgend ein Spruch von ihm und der Enthusiasmus für ihn so viel wirkten, daß die Ungläubigen abziehen mußten. Und nach der alten Rechtsregel, quod quis per alium — kommt ihm dann die Ehre billig zu. Das wissen die Spitzköpfe unter den Herren gar trefflich zu amalgamiren: die Plattköpfe haben es gar nicht nöthig, die nehmen es starkgläubig geradezu. Im Hintergrunde der Krypte stehen noch ein Paar weibliche Heiligkeiten, deren Namen ich vergessen habe, deren Blut aber noch beständig fließt. Ich hörte es selbst rauschen und kann es also bezeugen; ich wagte gläubig keine Erklärung des Gaukelspiels. Unter den vielen Narren war auch ein Vernünftiger, der mir vorzüglich die Säulen aus Pästum alle und von allen Seiten in den schönsten Beleuchtungen zeigte: er drückte mir stillschweigend die Hand, als ich fortging. Nun brachte man mich noch mit Gewalt in eine andere Kirche, wo eine schöne Kreuzigung, weder gemalt, noch gehauen, noch gegossen, sondern ins Holz gewachsen war. Mit Hülfe einiger Phantasie konnte man wohl so etwas heraus- oder vielmehr hineinbringen; und die Wunder überlasse ich den Gläubigen. Einige wunderten sich, daß ich doch gar nichts aufschriebe, wie andere Reisende, und einer der jungen Herren, die mich begleiteten, sagte zu meinem Lobe, ich wäre von Allem hinlänglich unterrichtet und überzeugt. Da sagte er denn in beidem eine große Lüge. Als ich wegging, bat sich mein Hauptführer, der sich, glaube ich, einen Kastellan des Erzbischofs nannte, etwas für die Armen aus; das gab ich: sodann etwas zu einer Seelenmesse für mich; das gab ich auch. Schadet Niemand und hilft wohl! Man muß die Gläubigen stärken, lautet das Schibolet, das Göthens Reinecke der Fuchs von seiner Mutter bekommt. Dann bat er sich auch etwas für seine Mühe aus. Dazu machte ich endlich ein grämliches Gesicht und zog noch zwei Karlin hervor. Als ich sie hinreichte, schnappte sie ein Profaner weg, der sich einen Korporal nannte, und von dem ich eben so wenig wußte, wie er zur Gesellschaft, noch wie er in den Dienst der Kirche gekommen war. Darüber entstand Streit zwischen dem Klerikus und dem Laien. Der geistliche Herr sagte mir ins rechte Ohr, daß der Korporal ein liederlicher Säufer wäre; dieser zischelte mir ins linke, das Mönchsgesicht sei ein Gauner und lebe vom Betruge: ich antwortete beiden ganz leise, daß ich das nämliche glaube und es wohl gemerkt habe. Es ist ein heilloses Leben.

Mein Freund, Du suchest in Salerne

Den Menschensinn umsonst mit der Laterne

Denn, zeigt er sich auch nur von Ferne,

So eilen Kutten und Kaputzen,

Der heiligen Verfinsterung zum Nutzen,

Zum dümmsten Glauben ihn zu stutzen.

Da löscht man des Verstandes Zunder,

Und mischt mit Pfaffenwitz des Widersinnes Plunder,

Zum Trost der Schurkerei, zum Wunder:

Und jeder Schuft, der fromm dem Himmel schmeichelt,

Und wirklich dumm ist, oder Dummheit heuchelt,

Kniet hin und betet, geht und meuchelt,

Gewiß, Vergebung seiner Sünden

Beim nächsten Plattkopf lästerlich zu finden.

Ich kann mir nicht helfen, Lieber, ich muß es Dir nur gestehen, daß ich den Artikel von der Vergebung der Sünden für einen der verderblichsten halte, den die Halbbildung der Vernunft zum angeblichen Troste der Schwachköpfe nur hat erfinden können. Es ist der schlimmste Anthropomorphismus, den man der Gottheit andichten kann. Es ist kein Gedanke, daß Sünde vergeben werde: Jeder wird wohl mit allen seinen bösen und guten Werken hingehen müssen, wohin ihn seine Natur führt. Eine mißverstandene Humanität hat den Irrthum zum Unglück des Menschengeschlechts aufgestellt und fortgepflanzt: und nun wickeln sich die Theologen so fein als möglich in Distinktionen herum, welche die Sache durchaus nicht besser machen. Was ein Mensch gefehlt hat, bleibt in Ewigkeit gefehlt; es läßt sich keine einzelne That aus der Kette der Dinge herausreißen. Die Schwachheiten der Natur sind durch die Natur selbst gegeben, und die Herrscherin Vernunft soll sie durch ihre Stärke zu leiten und zu vermindern suchen. Der Begriff von Verzeihung hindert meistens das Besserwerden. Gehe nur in die Welt, um Dich davon zu überzeugen! Soll vielleicht dieser Trost großen Bösewichtern zu Statten kommen? Alle Schurken, die sich nicht bessern können, die von Beichte zu Beichte täglich schlechter, weggeworfener und niederträchtiger werden, diese sollen, zum Heile der Menschheit, verzweifeln. Jeder soll haben, was ihm zukommt. Die Verzweiflung der Bösewichter ist Wohlthat für die Welt; sie ist das Opfer, das der Tugend und der Göttlichkeit unserer Natur gebracht wird. Verzweifle, wer sich nicht bessern, sich nicht vernünftig beruhigen kann! Die Vergebung der Sünden kann ich nicht begreifen: sie ist ein Widerspruch, gehört zu den Gängelbändern der geistlichen Empirik, damit ja Niemand allein gehen lerne. Man darf nur die Länder recht beschauen, wo diese entsetzliche Gnade im größten Umfange und Unfuge regiert. Kein rechtlicher Mann ist dort seiner Existenz sicher. Die Geschichte belegt.

Hier in Salerno erhielt ich einen neuen Führer, der mir sehr problematisch aussah. Er machte mich darauf aufmerksam, daß ich bei ihm außerordentlich sicher sei, weil er alles schlechte Gesindel als freundliche Bekannte grüßte, und meinte, in seiner Gesellschaft könne mir nichts geschehen. Das begriff ich und war ziemlich ruhig, obgleich nicht wegen seiner Ehrlichkeit. Er hatte mich öffentlich in der Stadt übernommen; es galt also seine eigene Sicherheit, mich dahin wieder zurückliefern: weiter hätte ich ihm dann nicht trauen mögen. Wir fuhren noch diesen Abend ab, und blieben die Nacht an der Straße in einem einzelnen Wirthshause, wo sich der Weg nach Pästum rechts von der Landstraße nach Eboli und Calabrien trennt. Diese Landstraße geht von hier aus nur ungefähr noch vierzig Millien; dann fängt sie an Sicilianisch zu werden, und ist nur für Maulesel gangbar. Es war herrliches Wetter; der Himmel schien mir an dem schönen Morgen vorzüglich wohl zu wollen: meine Seele ward lebendiger, als gewöhnlich.

Ich eilte fort und Nachtigallen schlugen

Mir links und rechts in einem Zauberchor

Den Vorgeschmack des Himmels vor,

Und laue, leise Weste trugen

Mich im Genuß für Aug’ und Ohr

Durch Gras wie Korn, und Korn, wie Rohr.

Balsamisch schickte jede Blume

Mir üppig ihren Wohlgeruch,

Der Göttin um uns her zum Ruhme,

Aus Florens großem Heiligthume;

Und rund umher las ich das schöne Buch

Der Schöpfung, jauchzend, Spruch vor Spruch

Die goldnen Hesperiden schwollen

Am Wege hin in freundlicher Magie,

Und Mandeln, Wein und Feigen quollen

Am Lebensstrahl des Segensvollen

In stillversteckter Eurhythmie,

Und Klee, wie Wald, begränzte sie.

Ich eilte fort, hochglühend ward die Sonne,

Und fühlte schon voraus die Wonne,

Mit Pästums Rosen in der Hand,

An eines Tempels hohen Stufen,

Wo Maro einst begeistert stand,

Die Muse Maros anzurufen.

Die Tempel stiegen, groß und her,

Mir aus der Ferne schon entgegen,

Da ward die Gegend menschenleer

Und öd’ und öder um mich her,

Und Wein wuchs wild auf meinen Wegen.

Da stand ich einsam an dem Thore

Und an dem hohen Säulengang,

Wo ehmals dem entzückten Ohre

Ein voller Zug im vollen Chore

Das hohe Lob der Gottheit sang.

Verwüstung herrscht jetzt um die Mauer,

Wo einst die Glücklichen gewohnt,

Und mit geheimem tiefem Schauer

Sah ich umher und sahe nichts verschont;

Und meine Freude ward nun Trauer.

Umsonst blickt Titan hier so milde,

Umsonst bekrönet er im Jahr

Zwei Mal mit Ernte die Gefilde —

Du suchst von allem, was einst war,

Umsonst die Spur; ein zottiger Barbar

Schleicht mit der Dummheit Ebenbilde,

Ein Troglodyt, erbärmlicher als Wilde,

Um den verschütteten Altar.

Nur hie und da im hohen Grase wallt,

Den Menschensinn noch greller anzustoßen,

Dumpf murmelnd eine Mönchsgestalt.

Freund, denke Dir die Seelenlosen!

In Pästum blühen keine Rosen.

Ich gebe Dir zu, daß in diesen Versen wenig Poesie ist; aber desto mehr ist darin lautere Wahrheit. Ich hielt mich hier nur zwei Stunden auf, umging die Area der Stadt, in welcher nichts, als die drei bekannten großen, alten Gebäude, die Wohnung des Monsignore, eines Bischofs, wie ich höre, ein elendes Wirthshaus und noch ein anderes jämmerliches Haus stehen. Das ist jetzt ganz Pästum. Hier dachte ich mir Schillers Mädchen aus der Fremde; aber weder die Geberin, noch die Gaben waren in dem zerstörten Paradiese. Ich suchte, jetzt in der Rosenzeit, Rosen in Pästum für Dich, um Dir ein klassisch sentimentales Geschenk mitzubringen; aber da kann ein Seher keine Rose finden. In der ganzen Gegend rund umher, versicherte mich einer von den Leuten des Monsignore, ist kein Rosenstock mehr. Ich durchschaute und durchsuchte selbst alles, auch den Garten des gnädigen Herrn; aber die Barbaren hatten keine einzige Rose. Darüber gerieth ich in hohen Eifer und donnerte über das Piakulum an der heiligen Natur. Der Wirth, mein Führer, sagte mir, vor sechs Jahren wären noch einige da gewesen; aber die Fremden hätten sie vollends alle weggerissen. Das war nun eine erbärmliche Entschuldigung. Ich machte ihm begreiflich, daß die Rosen von Pästum ehedem als die schönsten der Erde berühmt gewesen, daß er sie nicht mußte abreißen lassen, daß er nachpflanzen sollte, daß es sein Vortheil seyn würde, daß jeder Fremde gern etwas für eine pästische Rose bezahlte; daß ich, zum Beispiel, selbst jetzt wohl einen Piaster gäbe, wenn ich nur eine einzige erhalten könnte. Das Letzte besonders leuchtete dem Manne ein; um die schöne Natur schien er sich nicht zu bekümmern: dazu ist die dortige Menschheit zu tief gesunken. Er versprach darauf zu denken, und ich habe vielleicht das Verdienst, daß man künftig in Pästum wieder Rosen findet: wenigstens will ich hiermit alle bitten, die nämlichen Erinnerungen eindringlich zu wiederholen, bis es fruchtet.

Eine Abhandlung über die Tempel erwarte nicht. Ich setzte mich an einem Rest von Altar hin, der in einem derselben noch zu finden ist, und ruhte eine Viertelstunde unter meinen Freunden, den Griechen. Wenn einer ihrer Geister zurückkäme und mich Hyperboreer unter den letzten Trümmern, seiner Vaterstadt sähe! Hier ist mehr, als in Agrigent. Ich bin nicht der Erste, welcher es anmerkt, was die Leute für gewaltig hohe Stufen gemacht haben, hier und in Agrigent. Man muß sehr elastisch steigen, oder man ist in Gefahr sich einen Bruch zu schreiten. Daß einer von den Tempeln dem Neptun gehöre, beruht wahrscheinlich nur auf dem Umstand, daß Neptun der vorzüglichste Schutzgott der Stadt war: so wie man eines der Gebäude für eine Palästra hält, weil es anders, als die gewöhnlichen Tempel, mit zwei Reihen Säulen über einander gebauet ist. Sollte dieses nicht vielmehr ein Bulevterion gewesen seyn? Denn es läßt sich nicht wohl begreifen, wozu die obere Säulenreihe in einer Palästra dienen sollte. Vielleicht war es auch Bulevterion und Palästra zugleich; unten dieses, oben jenes. Nicht weit von den Gebäuden zeigte man mir noch als eine Seltenheit einen Stein, der nur vor kurzem gefunden seyn muß, weil ich ihn noch von niemand angeführt gefunden habe. Es ist aber nur ein gewöhnlicher Leichenstein, und zwar ziemlich neu aus der lateinischen Zeit. Das Quadrat der Stadt ist noch überall sehr deutlich zu unterscheiden durch die Trümmer der Mauern. Das Thor nach Salerno hin hat noch etwas hohes Gemäuer, und das Bergthor ist noch ziemlich ganz und wohl erhalten. Die beiden übrigen, die man mir als das Seethor und Justizthor nannte, zeigen nur noch ihre Spuren. Die Hauptursache, warum dieser Ort vor allen übrigen so gänzlich in Verfall gerathen ist, scheint mir das schlechte Wasser zu seyn. Ich versuchte zwei Mal zu trinken, und fand beide Mal Salzwasser: das Meer ist nicht fern, die Gegend ist tief, und auch aus den nahen Bergen kommt Salzwasser. Das süße Wasser mußte weit und mit vielen Kosten hergeleitet werden. Die Vegetation rechtfertigt noch jetzt Virgils Angabe. Der Anblick ist einer der schönsten und traurigsten. Als ich auf dem Rückwege zu Fuße etwas vorausging, lag auf den Aesten eines Feigenbaumes eine Schlange geringelt, die mich ruhig ansah. Sie war wohl stärker als ein Mannarm, ganz schwarz von Farbe und ihr Blick war furchtbar. Sie schien sich gar nicht um mich zu bekümmern, und ich hatte eben nicht Lust, ihre Bekanntschaft zu machen. Es fiel mir ein, daß Virgil atros colubros anführt, die er eben nicht als gutartig beschreibt: diese schien von der Sorte zu seyn.

Auf meiner Rückkehr hatte ich Gelegenheit, zwei sehr ungleichartige Herrn von dem neapolitanischen Militär kennen zu lernen. Ich wurde einige Millien von Salerno an der Straße angehalten, und ein Officier nicht mit der besten Physiognomie setzte sich geradezu zu mir in die Karriole, ohne eine Sylbe Apologie über ein solches Betragen zu machen, und wir fuhren weiter. Ich hörte, daß mein Fuhrmann vorher entschuldigend sagte: „E un signore Inglese:“ das half aber nichts; der Kriegsmann pflanzte sich ein. Als er Posto gefaßt hatte, wollte er mir durch allerhand Wendungen Rede abgewinnen: seine Grobheit hatte mich aber so verblüfft, daß ich keine Sylbe vorbrachte. Vor der Stadt stieg er aus und ging fort ohne ein Wörtchen Höflichkeit. Das ist noch etwas stärker, als die Impertinenz der deutschen Militäre hier und da gegen die sogenannten Philister, die doch auch zuweilen systematisch ungezogen ist. Als ich gegen Abend in der Stadt spaziren ging, redete mich ein Zweiter an: „Sie sind ein Engländer?“ — Nein. — „Aber ein Russe?“ — Nein. — „Doch ein Pole?“ — Auch nicht. — „Was sind Sie denn für ein Landsmann?“ — Ich bin ein Deutscher. — „Thut nichts; Sie sind ein Fremder und erlauben mir, daß ich Sie etwas begleite.“ — „Sehr gern; es wird mir angenehm seyn.“ Ich sah mich um, als ob ich etwas suchte. Er fragte mich, „ob ich in ein Kaffeehaus gehen wollte.“ Wenn man Eis dort hat: war meine Antwort. Das war zu haben: er führte mich und ich aß tüchtig, in der Voraussetzung, ich würde für mich und ihn tüchtig bezahlen müssen. Das pflegte so manchmal der Fall zu seyn. Aber als ich bezahlen wollte, sagte die Wirthin, es sei alles schon berichtigt. Das war ein schöner Gegensatz zu der Ungezogenheit vor zwei Stunden. Er begleitete mich noch in verschiedene Partien der Stadt, besonders hinauf zu den Kapuzinern, wo man eine der schönsten Aussichten über den ganzen Meerbusen von Salerno hat. Ich konnte mich nicht enthalten, dem jungen, artigen Manne das schlimme Betragen seines Kameraden zu erzählen. „Ich bin nicht gesonnen,“ sagte ich, „mich in der Fremde in Händel einzulassen; aber wenn ich den Namen des Officiers wüßte und einige Tage hier bliebe, würde ich doch vielleicht seinen Chef fragen, ob dieses hier in der Disciplin gut heiße.“ Der junge Mann fing nun eine große, lange Klage über viele Dinge an, die ich ihm sehr gern glaubte. Wir gingen eben vor einem Gefängnisse vorbei, aus dessen Gittern ein Kerl sah und uns anredete. „Dieser Mensch hat vierzig umgebracht,“ sagte der Officier, als wir weiter gingen. Ich sah ihn an. „Hoffentlich kann es ihm nicht bewiesen werden;“ erwiederte ich. — „Doch, doch; für wenigstens die Hälfte könnte der Beweis völlig geführt werden.“ Mich überlief ein kalter Schauder: „und die Regierung?“ fragte ich. „Ach Gott, die Regierung,“ sagte er ganz leise, — „braucht ihn.“ Hier faßte es mich wie die Hölle. Ich hatte dergleichen Dinge oft gehört; jetzt sollte ich es sogar sehen. Freund, wenn ich ein Neapolitaner wäre, ich wäre in Versuchung, aus ergrimmter Ehrlichkeit ein Bandit zu werden und mit dem Minister anzufangen. Welche Regierung ist das, die so entsetzlich mit dem Leben ihrer Bürger umgeht! Kann man sich eine größere Summe von Abscheulichkeit und Niederträchtigkeit denken? „Jetzt wird er doch nun hoffentlich seine Strafe bekommen;“ sagte ich zu meinem unbekannten Freunde. „Ach nein,“ antwortete er; „jetzt sitzt er wegen eines kleinen Subordinationsfehlers, und morgen früh kommt er los.“ — Wieder ein hübsches Stückchen von der Vergebung der Sünde! Die Amnestie des Königs hat die Armee und die Provinzen mit rechtlichen Räubern angefüllt. Er nahm die Banditen auf, sie waren brav, wie ihr Name sagt; er belohnte sie königlich, gab ihnen Aemter und Ehrenstellen, und jetzt treiben sie ihr Handwerk als Hauptleute der Provinzen gesetzlich. Dieses wird in der Residenz erzählt, auf den Straßen und in Provinzialstädten, und es werden mit Abscheu Personen und Ort und Umstände dabei genannt.

Ich lief eine Stunde in Pompeji herum, und sah, was die andern auch gesehen hatten, und lief in den aufgegrabenen Gassen und den zu Tage geförderten Häusern hin und her. Die Alten wohnten doch ziemlich enge. Die Stadt muß aber bei dem allen prächtig genug gewesen seyn, und man kann sich nichts netter und geschmackvoller denken, als das kleine Theater, wo fast alles von schönem Marmor ist; und die Inskription mit eingelegter Bronze vor dem Proscenium ist, als ob sie nur vor wenigen Jahren gemacht wäre. Die Franzosen haben wieder einen beträchtlichen Theil ans Licht gefördert und sollen viel gefunden haben, wovon aber sehr wenig nach Paris ins Museum kommt. Jeder Kommissär scheint zu nehmen, was ihm am nächsten liegt, und die Regierung schweigt, wahrscheinlich mit berechneter Klugheit. Es ist etwas mehr als unartig, daß die alten schönen Wände so durchaus mit Namen bekleckst sind. Ich habe viele darunter gefunden, die diese kleine Eitelkeit wohl nicht sollten gehabt haben. Vorzüglich waren dabei einige französische Generale, von denen man dieses hier nicht hätte erwarten sollen: bei der Sibylle ist es etwas anders.

Von Salerno aus war ich mit einer Dame aus Caserta und ihrem Vater zurückgefahren. Als diese hörten, daß ich von Portici noch auf den Berg wollte, thaten sie den Vorschlag Partie zu machen. Ich hatte nichts dagegen; wir mietheten Esel und ritten. Was vorherzusehen war, geschah: die Dame konnte, als wir absteigen mußten, zu Fuße nicht weit fort und blieb zurück; und ich war so ungalant, mich nicht darum zu bekümmern. Der Herr Vetter strengte sich an, und arbeitete mir nach. Als wir an die Oeffnung gekommen waren, aus welcher der letzte Strom über Torre del Greco hinunter gebrochen war, wollte der Führer nicht weiter und sagte, weiter ginge sein Akkord nicht. Ich wollte mich weiter nicht über die Unverschämtheit des Betrügers ärgern und erklärte ihm ganz kurz und laut, er möchte machen was er wollte; ich würde hinaufsteigen. „Doch nicht allein?“ meinte er. „Ganz allein,“ sagte ich, „wenn Niemand mit mir geht;“ und ich stapelte immer rasch den Sandberg hinauf. Er besann sich doch und folgte. Es ist eine Arbeit, die schwerer ist, als auf den Aetna zu gehen; wenigstens über den Schnee, wie ich es fand. Der Sand und die Asche machen das Steigen entsetzlich beschwerlich: man sinkt fast so viel rückwärts, als man vorwärts geht. Es war übrigens Gewitterluft und drückend heiß. Endlich kam ich oben an dem Rande an. Der Krater ist jetzt, wie Du schon weißt, eingestürzt, der Berg dadurch beträchtlich niedriger, und es ist gar keine eigentliche größere Oeffnung mehr da. Nur an einigen Stellen dringt etwas Rauch durch die felsigen Lavaritzen hervor. Man kann also hinuntergehen. Die Franzosen, welche es zuerst thaten — wenigstens so viel man weiß — haben viele Rotomontade von der Unternehmung gemacht: jetzt ist es von der Seite von Pompeji ziemlich leicht. Fast jeder, der heraufsteigt, steigt hinab in den Schlund; und es sind von meinen Bekannten viele unten gewesen. Ich selbst hatte den rechten Weg nicht gefaßt, weil ich eine andere kleine Oeffnung untersuchen wollte, aus welcher noch etwas Dampf kam und zuweilen auch Flamme kommen soll. Die Zeit war mir nun zu kurz; sonst wäre ich von der andern Seite noch ganz hinunter gestiegen. Gefahr kann weiter nicht dabei seyn, als die gewöhnliche. Während mein Führer und der Kasertaner ruhten und schwatzten, sah ich mich um. Die Aussicht ist fast die nämliche, wie bei den Kamaldulensern: ich würde aber jene noch vorziehen, obgleich diese größer ist. Nur die Stadt und die ganze Partie vom Posilippo diesseits der Grotte hat man hier besser. Nie hatte ich noch so furchtbare Hitze ausgestanden, als im Heraufsteigen. Jetzt schwebten über Sorrent einige Wölkchen und über dem Avernus ein Donnerwetter: es ward Abend und ich eilte hinab. Hinunter geht es sehr schnell. Ich hatte schon Durst, als die Reise aufwärts ging; und nun suchte ich lechzend überall Wasser. Ein artiges liebliches Mädchen brachte uns endlich aus einem der obersten Weinberge ein großes, volles Gefäß. So durstig ich auch war, war mir doch das Mädchen fast willkommener, als das Wasser: und wenn ich länger hier blieb, ich glaube fast, ich würde den Vulkan gerade auf diesem Wege vielleicht ohne Führer noch oft besuchen. In einem großen Sommerhause, nicht weit von der heiligen Maria, erwartete uns die Dame und hatte unterdessen Thränen Christi bringen lassen. Aber das Wasser war mir oben lieber, als hier die köstlichen Thränen, und die Hebe des ersten wohl auch etwas lieber, als die Hebe der zweiten.

Es war schon ziemlich dunkel, als wir in Portici ankamen, und wir rollten noch in der letzten Abenddämmerung nach Neapel. Mit dem Museum in Portici war ich ziemlich unglücklich. Jetzt war es zu spät, es zu sehen. Das erste Mal war es nicht offen und ich sah bloß das Schloß und die Zimmer, die, wenn man die Arbeit aus Pompeji, einige schöne Lavatische und die Statuen zu Pferde aus dem Herkulanum wegnimmt, nichts Merkwürdiges enthalten. In dem Hofe des Museums liegen noch einige bronzene Pferdeköpfe aus dem Theater von Herkulanum: die Statuen selbst sind in der Lava zusammengeschmolzen. So viel ich von den Köpfen urtheilen kann, möchte ich wohl diese Pferde haben, und ich gäbe die Pariser von Venedig sogleich dafür hin. In dem Theater von Herkulanum bin ich eine ganze Stunde herumgewandelt, und habe den Ort gesehen, wo die Marmorpferde gestanden hatten, und den Ort, wo die bronzenen geschmolzen waren. Bekanntlich ist es hier viel schwerer zu graben, als in Pompeji: denn diese Lava ist Stein, jene nur Aschenregen. Dort sind nur Weinberge und Feigengärten auf der Oberfläche; hier steht die Stadt darauf: denn Portici steht gerade über dem alten Herkulanum; und fast gerade über dem Theater steht jetzt oben eine Kirche. Die Dame von Caserta gab mir beim Abschied am Toledo ihre Adresse: ich hatte aber nicht Zeit, mich weiter um sie zu bekümmern.

Obgleich der Vesuv gegen den Aetna nur ein Maulwurfshügel ist, so hat er doch durch seine klassische Nachbarschaft vielleicht ein größeres Interesse, als irgend ein anderer Vulkan der Erde. Ich war den ganzen Abend noch voll von der Aussicht oben, die ich noch nicht so ganz nach meinem Genius hatte genießen können. Ich setzte mich im Geist wieder hinauf und überschaute rund umher das schöne blühende magische Land. Die wichtigsten Scenen der Einbildungskraft der Alten lagen im Kreise da; unvermerkt gerieth ich ins Aufnehmen der Gegenstände um den Vulkan.

Vom Schedel des Verderbers sieht

Mein Auge weit hinab durch Flächen,

Auf welchen er in Feuerbächen

Verwüstend sich durch das Gebiet

Der reichgeschmückten Schöpfung zieht.

Wo steht der Nachbar ohne Grausen,

Wenn zur Zerstörung angefacht

Aus seinem Schlund der Mitternacht

Ihm hoch die Eingeweide brausen?

Wenn donnernd er die Felsen schmelzt,

Und sie im Streit der Elemente,

Als ob des Erdballs Asche brennte,

Hinab ins Meer hoch über Städte wälzt?

Der Riese macht mit seinem Hauche

Die schönste Hesperidenflur

Zur dürrsten Wüste der Natur,

Wenn er aus seinem Flammenbauche

Mit rother Glut und schwarzem Rauche

Die Brandung durch die Wolken hebt,

Und meilenweit was Leben trinket,

Wo die Zerstörung niedersinket,

In eine Lavanacht begräbt.

Parthenope und Pausilype bebt,

Wenn tief in des Verwüsters Adern

Die Feuerfluthen furchtbar hadern;

Und was im Meer und an der Sonne lebt,

Eilt weit hinweg mit blassem Schrecken,

Sich vor den Zorn des Tödtenden zu decken.

Es kocht am Meere links und rechts,

Bis nach Sorrent und bis zu Baja’s Tannen,

Wo er die Bäder des Tyrannen

Aus der Verwandtschaft des Geschlechts,

Indem er weit umher verheeret,

Mit seinem tiefsten Feuer nähret.

Er macht die Berge schnell zu Seen,

Die Thäler schnell zu Felsenhöhen,

Und rauschend zeigen seine Bahn,

So weit die schärfsten Augen gehen,

Die Inseln in dem Ocean.

Wer bürget uns, wenn ihn der Sturm zerrüttet,

Daß er nicht einst in allgemeiner Wuth

Noch fürchterlich mit seiner Fluth

Den ganzen Golf zusammen schüttet?

Nicht alles noch, wo jetzt sein Feuer quillt,

Aus seiner Werkstatt tiefstem Grunde,

Von Stabiä bis zu dem Schwefelschlunde,

Mit seinen Lavaschichten füllt?

Hier brach schon oft aus seinem Heerde

Herauf, hinab des Todes Flammenmeer,

Und machte siedend rund umher

Das Land zum größten Grab der Erde.

Unter diesen Phantasien schlief ich ruhig ein. Ob ich gleich gern das furchtbare Schauspiel eines solchen Vulkans in seiner ganzen entsetzlichen Kraft sehen möchte, so bin ich doch nicht hart genug es zu wünschen. Ich will mich mit dem begnügen, was mir der Aetna gegeben hat. Der Vesuv kräuselt zuweilen einige Rauchwölkchen; aber ich fürchte, sein Schlaf und sein Verschütten sind von schlimmer Vorbedeutung. Der Aetna war auch verschüttet, ehe er Catanien überströmte, und in dem Krater des Vesuvs waren zuweilen große Bäume gewachsen. Bei seinem künftigen Ausbruche dürfte die Gegend von Portici, eben da, wo oben der heilige Januar steht, um den Feind abzuhalten, am meisten der Gefahr ausgesetzt seyn; denn dort ist, nach dem äußern Anschein, jetzt die Erdschale am dünnsten. Man scheint so etwas gefühlt zu haben, als man den heiligen Flammenbändiger eben hierher setzte.

Die Russen in Neapel machen eine sonderbare Erscheinung. Sie sind des Königs Leibwache, weil man ganz laut sagt, daß er sich auf seine eigenen Soldaten nicht verlassen kann. Wenn dieses so ist, so ist es ganz gewiß seine eigene Schuld; denn ich halte die Neapolitaner für eine der bravsten und besten Nationen, so wie überhaupt die Italiener. Was ich hier und da Schlimmes sagen muß, betrifft nur die Regierung, ihre schlechte Verfassung oder Verwaltung und das Religionsunwesen. Die Russen haben sich sehr metamorphosirt und ich würde sie kaum wieder erkannt haben. Du weißt, daß ich die Schulmeisterei in keinem Dinge verachte, wenn sie das Gründliche bezweckt: aber ich glaube, sie haben sich durch Pauls Veränderungen durchaus nicht gebessert. Brav werden sie immer bleiben; das ist im Charakter der Nation: aber Paul hätte das Gute behalten und das Bessere geben sollen. Ich habe nicht gesehen, daß sie Linie und besser den Schwenkpunkt hielten, und fertiger die Waffen handhabten: aber desto schlechter waren sie gekleidet, ästhetisch und militärisch. Die steifen Zöpfe, die Potemkin mit vielen andern Bocksbeuteleien abgeschafft hatte, geben den Kerlen ein Ansehen von ganz possirlicher Unbehülflichkeit. Potemkin hatte freilich wohl manches gethan, was nichts werth war; aber diese Ordonnanz bei der Armee war sicher gut. Paul war in seiner Empfindlichkeit zu einseitig. Uebrigens werden hier die russischen Officiere, wie ich höre, zuweilen nicht wegen ihrer Artigkeit gelobt, und man erzählte sehr auffallende Beispiele vom Gegentheil. Das sind hoffentlich nur unangenehme Ausnahmen; denn man läßt im Ganzen der Ordnung und der Strenge des Generals Gerechtigkeit widerfahren.

Der heilige Januarius wird als Jakobiner gewaltig gemißhandelt und von den Lazaronen auf alle Weise beschimpft: es fehlt wenig, daß er nicht des Patronats völlig entsetzt wird. Dafür wird der heilige Antonius sehr auf seine Kosten gehoben; und es wird diesem sogar durch Manifeste vom Hofe gehuldigt. Doch ist die Januariusfarce wieder glücklich von Statten gegangen, und er hat endlich wieder ordentlich geblutet. Ich habe für dergleichen Dinge wenig Takt, bin also nicht dabei gewesen, ob die Schnurre gleich fast unter meinen Augen vorging. Einer meiner Freunde erzählte mir von den furchtbaren Aengstigungen einiger jungen Weiber und ihrer heißen Andacht, ehe das Mirakel kam, und von ihrer ausgelassenen heiligen ekstatischen Freude, als es glücklich vollendet war. Womit kann man den Menschen nicht noch hinhalten, wenn man ihm einmal seine Unbefugnisse genommen hat?

Rom.

Nun bin ich wieder hier in dem Sitz der heiligen Kirche, aber nicht in ihrem Schooße. Wie Schade das ist! Ich habe so viel Ansatz und Neigung zur Katholicität, würde mich so gern auch an ein Oberhaupt in geistlichen Dingen halten, wenn nur die Leute etwas leidlicher, ordentlich und vernünftig wären. Meiner ist der Katholicismus der Vernunft, der allgemeinen Gerechtigkeit, der Freiheit und der Humanität; und der ihrige ist die Nebelkappe der Vorurtheile, der Privilegien, des eisernen Gewissenszwanges. Ich hoffte, wir würden einst zusammen kommen; aber seit Bonapartes Bekehrung habe ich für mich die Hoffnung sinken lassen. Dank sei es der Frömmelei und dem Mamelukengeist des großen französischen Bannerherrn, die Römer haben nun wieder Ueberfluß an Kirchen, Mönchen und Banditen. Er hat uns zum wenigsten wieder einige hundert Jahre zurückgeworfen. Homo sum — sagt Terenz; sonst könntest Du leicht fragen, was mich das Zeug anginge. Aber ich will den Faden meiner Wanderschaft wieder aufnehmen.

Den letzten Tag in Neapel besuchte ich noch den Agnano und die Hundsgrotte. Schon Függer in Wien hatte mich gewarnt, ich möchte mich dort in Acht nehmen; allein im Mai, dachte ich, hat so ein Spaziergang wohl nichts zu sagen. Der Morgen war drückend und schwül, und über der Solfatara und dem Kamaldulenser Berge hingen Gewitterwolken. Alles ist bekannt genug; ich wollte nur aus Neugier das Lokale sehen und weiter keinen Hund auf die Folter setzen. Nachdem ich aber ungefähr ein Stündchen am See herumgewandelt war und mir die Lage besehen hatte, ward mir der Kopf auf einmal sonderbar dumpf und schwer, und ich eilte, daß ich durch die Bergschlucht wieder heraus kam. Es war ein eigenes furchtbares Gefühl, als ob sich alle flüssigen Theile mischten und die festen sich auflösen wollten. So wie ich mich von der Gegend entfernte, kehrte mein heller Sinn zurück, und es blieb mir nur eine gewisse Schwere und Müdigkeit von der Wärme. Eine eigene Erscheinung in meinem Physischen war es mir indessen, als ich gleich nachher in einem Wirthshause nicht weit von Posilippo aß, daß ich mir an einer eben nicht harten Kastanie auf einmal drei Zähne bis fast zum Ausfallen locker biß. Der Agnano und die Hundsgrotte kosten dich ein wenig zu viel, dachte ich, und that schon Verzicht auf meine drei Vorderzähne. Aber Veränderung der Luft und etwas Schonung haben sie bis auf einen wieder ziemlich festgemacht; und dieser wird sich hoffentlich auch wieder erholen. Will er nicht, nun so will ich ihn der Hundsgrotte opfern.

Von Rom nach Neapel war ich zu Fuße gegangen: von Neapel nach Rom fuhr ich der Schnelligkeit wegen mit dem neapolitanischen Courrier. Noch die Nacht fuhren wir über Aversa nach Kapua, und den Tag von Kapua nach Terracina. Anstatt einer attellanischen Fabel erzählte man uns in Aversa als wahre Geschichte, daß eben die Räuber vom Berge herunter gekommen wären und einen armen Teufel um sechzig Piaster erschlagen. In Fondi stahl ich mich mit etwas bösem Gewissen voraus, weil ich dem Herrn Zolleinnehmer nicht gern in die Hände fallen wollte. Dieser Herr hatte nämlich auf meiner Hinreise einen sehr großen Gefallen an meinem Seehundstornister bekommen, wollte ihn durchaus haben, und bot mir bis zu drei goldenen Unzen darauf. Ich wollte ihn nicht missen, hatte seiner Zudringlichkeit aber doch einige Hoffnung gemacht, wenn ich zurückkäme: und jetzt wollte ich ihn eben so wenig missen. Wer bringt nicht gern Haut und Fell und alles wieder heil mit sich zurück? Durch die Pontinen ging es dießmal die Nacht, welches ich sehr wohl zufrieden war. Der Morgen graute, als wir in Velletri eintrafen. Nun kam aber eine ächt italienische Stelle, über der ich leicht hätte den Hals brechen können.

Ich habe die Gewohnheit, beständig vorauszulaufen, wo ich kann. Zwischen Gensano und Aricia ist eine schöne Waldgegend, durch welche die Straße geht. Oben am Berge bat der Postillon, wir möchten aussteigen, weil er vermuthlich den Hemmschuh einlegen wollte, und am Wagen etwas zu hämmern hatte. Der Oficier blieb bei seinen Depeschen am Wagen, und ich schlenderte leicht und unbefangen den Berg hinunter in den Wald hinein, und dachte, wie ich Freund Reinhart in Aricia überraschen würde, der jetzt daselbst seyn wollte. Ungefähr sieben Minuten mochte ich so fortgewandelt seyn, da stürzten links aus dem Gebüsche vier Kerle auf mich zu. Ihre Bothschaft erklärte sich sogleich. Einer faßte mich bei der Krause, und setzte mir den Dolch an die Kehle; der andere am Arm, und setzte mir den Dolch auf die Brust; die beiden übrigen blieben dispositionsmäßig in einer kleinen Entfernung mit aufgezogenen Karabinern. In der Bestürzung sagte ich halb unwillkührlich auf Deutsch zu ihnen: „Ei so nehmt denn ins Teufels Namen alles, was ich habe!“ Da machte einer eine doppelt gräßliche Pantomime mit Gesicht und Dolch, um mir zu verstehen zu geben, man würde stoßen und schießen, sobald ich noch eine Sylbe spräche. Ich schwieg also. In Eile nahmen sie mir nun die Börse und etwas kleines Geld aus den Westentaschen, welches beides zusammen sich vielleicht auf sieben Piaster belief. Nun zogen sie mich mit der vehementesten Gewalt nach dem Gebüsche, und die Karabiner suchten mir durch richtige Schwenkung Willigkeit einzuflößen. Ich machte mich bloß so schwer als möglich, da weiter thätigen Widerstand zu thun der gewisse Tod gewesen wäre: man zerriß mir in der Anstrengung Weste und Hemd. Vermuthlich wollte man mich dort im Busche gemächlich durchsuchen und ausziehen, und dann mit mir thun, was man für gut finden würde. Sind die Herren sicher, so lassen sie das Opfer laufen; sind sie das nicht, so geben sie einen Schuß oder Stich, und die Todten sprechen nicht. In diesem kritischen Momente — denn das Ganze dauerte vielleicht kaum eine Minute — hörte man den Wagen von oben herabrollen und auch Stimmen von unten: sie ließen mich also los, und nahmen die Flucht in den Wald. Ich ging etwas verblüfft meinen Weg fort, ohne jemand zu erwarten. Die Uhr saß, wie in Sicilien, tief, und das Taschenbuch stak unter dem Arme in einem Rocksacke: beides wurde also in der Geschwindigkeit nicht gefunden. Die Kerle sahen gräßlich aus, wie ihr Handwerk; keiner war, nach meiner Taxe, unter zwanzig, und keiner über dreißig. Sie hatten sich gemalt, und trugen falsche Bärte; ein Beweis, daß sie aus der Gegend waren, und Entdeckung fürchteten. Reinhart traf ich in Aricia nicht; er war noch in Rom. So hätte ich wohl noch leicht in der schönen klassischen Gegend bleiben können. Dort spielt ein Theil der Aeneide, und nach aller Topographie bezahlten daselbst Nisus und Euryalus ihre jugendliche Unbesonnenheit; nicht eben, daß sie gingen, sondern daß sie unterwegs so alberne Streiche machten, die kein preußischer Rekrut machen würde. Wer wird einen schön polirten, glänzenden Helm bei Mondschein aufsetzen, um versteckt zu bleiben? Herr Virgil hat sie, vermuthlich bloß der schönen Episode wegen, so ganz unüberlegt handeln lassen.

Hier in Rom brachte man mir die tröstliche Nachricht, daß zwei von den Schurken, die mich in dem Walde geplündert hätten, erwischt wären, und daß ich vielleicht noch das Vergnügen haben würde sie hängen zu sehen. Dawider habe ich weiter nichts, als daß es bei der jetzigen Unordnung der Dinge sehr wenig helfen wird. Ich habe hier etwas von einem Manuscripte gesehen, das in kurzem in Deutschland, wenn ich nicht irre, bei Perthes gedruckt werden soll, und das ein Gemälde vom jetzigen Rom enthält. Du wirst Dich wundern, wenn ich Dir sage, daß fast alles darin noch sehr sanft gezeichnet ist. Der Mann kann auf alle Fälle kompetenter Beurtheiler seyn; denn er ist lange hier, ist ein freier, unbefangener, kenntnißvoller Mann, bei dem Herz und Kopf gehörig im Gleichgewicht stehen. Die Hierarchie wird wieder in ihrer größten Ausdehnung eingeführt; und was das Volk eben jetzt darunter leiden müsse, kannst Du berechnen. Die Klöster nehmen alle ihre Güter mit Strenge wieder in Besitz, die Kirchen werden wieder geheiligt und alle Prälaten behaupten fürs allererste wieder ihren alten Glanz. Da mästen sich wieder die Mönche; und wer kümmert sich darum, daß das Volk hungert? Die Strassen sind nicht allein mit Bettlern bedeckt, sondern diese Bettler sterben wirklich daselbst vor Hunger und Elend. Ich weiß, daß bei meinem Hierseyn an einem Tage fünf bis sechs Personen vor Hunger gestorben sind. Ich selbst habe Einige niederfallen und sterben sehen. Rührt dieses das geistliche Mastheer? Der Ausdruck ist empörend, aber nicht mehr als die Wahrheit. Jedes Wort ist an seiner Stelle gut, denke und sage ich mit dem Alten. Als die Leiche Pius des Sechsten prächtig eingebracht wurde, damit die Exequien noch prächtiger gehalten werden könnten, erhob sich aus dem gläubigen Gedränge ein Fünkchen Vernunft in dem dumpfen Gemurmel, daß man so viel Lärm und Kosten mit einem Todten mache, und die Lebendigen im Elende verhungern lasse. Rom ist oft die Kloake der Menschheit gewesen, aber vielleicht nie mehr, als jetzt. Es ist keine Ordnung, keine Justiz, keine Polizei; auf dem Lande noch weniger als in der Stadt; und wenn die Menschheit noch nicht tiefer gesunken ist, als sie wirklich liegt, so kommt es bloß daher, weil man das Göttliche in der Natur durch die größte Unvernunft nicht ganz ausrotten kann. Du kannst denken, mit welcher Stimmung ein vernünftiger Philanthrop sich hier umsieht. Ich hatte mich mit einer bittern Philippika gerüstet, als ich wieder zu Borgia gehen wollte. Nil valent apud vos leges, nil justitia, nil boni mores; sagittantur sacerdotes, perit plebs, caecutit populus; vilipenditur quodcunque est homini sanctum, honestas, modestia, omnis virtus. Infimus et improbissimus quisque cum armis per oppida et agros praedabundus incedit, furatur, rapit, trucidat, jugulat, incendia miscet. Haec est illa religio scilicet, auctoris ignominia, rationis opprobrium, qua vos homines liberos et viros fortes ad servitia et latrones detrudere conamini. So gohr es, und ich versichere Dich, Freund, es ist keine Sylbe Redekunst dabei. Aber gesetzt auch, ein Kardinal hätte das hingenommen, warum sollte ich dem alten, guten, ehrlichen Manne Herzklopfen machen? Es hilft nichts; das liegt schon im System. Man wird schon Palliativen finden: aber an Heilung ist nicht zu denken. Die Herren sind immer klug wie die Schlangen; weiter gehen sie im Evangelium nicht. Die neuesten Beweise davon kannst Du in Florenz und Paris sehen. Ich ging gar nicht zu Borgia, weil ich meiner eigenen Klugheit nicht traute. Ueberdieß hielt mich vielleicht noch eine andere Kleinigkeit zurück. Die römischen Vornehmen haben einen ganzen Haufen Bedienten im Hause und geben nur schlechten Sold. Jeder Fremde, der nur die geringste Höflichkeit vom Herrn empfängt, wird dafür von der Valetaille in Anspruch genommen. Das hatte ich erfahren. Nun kann man einem ganzen Hausetat doch schicklich nicht weniger als einen Piaster geben; und so viel wollte ich für den Papst und sein ganzes Kollegium nicht mehr in Auslage seyn.

Ich will das Betragen der Franzosen hier und in ganz Unteritalien nicht rechtfertigen: aber dadurch, daß sie die Sache wieder aufgegeben haben, ist die Menschheit in unsägliches Elend zurückgefallen. Ich weiß, was darüber gesagt werden kann, und von wie vielen Seiten alles betrachtet werden muß: aber wenn man schlecht angefangen hat, so hat man noch schlechter geendiget; das Zeugniß wird mit Zähneknirschen jeder rechtliche Römer und Neapolitaner geben. Geschichte kann ich hier nicht schreiben. Durch ihren unbedingten, nicht nothwendigen Abzug ist die schrecklichste Anarchie entstanden. Die Heerstraßen sind voll Räuber; die niederträchtigsten Bösewichter ziehen im Lande herum. Blos während meiner kurzen Anwesenheit in Rom sind drei Courriere geplündert und fünf Dragoner von der Begleitung erschossen worden. Niemand wagt es mehr, etwas mit der Post zu geben. Der französische General ließ wegen vieler Ungebühr ein altes Gesetz schärfen, das den Dolchträgern den Tod bestimmt, und ließ eine Anzahl Verbrecher vor dem Volksthore wirklich erschießen. Die Härte war Wohlthat; nun war Sicherheit. Jetzt trägt jedermann wieder seinen Dolch und braucht ihn. Die Kardinäle sind immer noch in dem schändlichsten Kredit, als Beschützer der Verbrecher. Man erzählt jetzt noch Beispiele mit allen Namen und Umständen, daß sie Mörder in ihren Wagen aus der Stadt in Sicherheit bringen lassen. — Ueber öffentliche Armenanstalten bei den Katholiken ist schon viel gesagt. Rom war auch in dieser Rücksicht die Metropolis. Jetzt sind durch die Revolution fast alle öffentliche Armenfonds wie ausgeplündert, und die Noth ist vor der Ernte unter der ganz armen Klasse schrecklich. In ganz Marino und Albano ist keine öffentliche Schule, also keine Sorge für Erziehung; in Rom ist sie schlecht. Der Kirchenstaat ist eine Oede rund um Rom herum, deßwegen erlaubt aber kein Güterbesitzer, daß man auf seinem Grunde arbeite. Das Feudalrecht könnte in Gefahr gerathen. Wenn er nicht geradezu hungert, was gehn ihn die Hefen des Romulus an? Die Möncherei kommt wieder in ihren crassesten Flor, und man erzählt sich wieder ganz neue Bubenstücke der Kuttenträger, die der Schande der finstersten Zeiten gleichkommen. Man sagt wohl, Italien sei ein Paradies, von Teufeln bewohnt; das heißt der menschlichen Natur Hohn gesprochen. Der Italiener ist ein edler, herrlicher Mensch; aber seine Regenten sind Mönche, oder Mönchsknechte; die meisten sind Väter ohne Kinder; das ist Erklärung genug. Ueberdies ist es der Sitz der Vergebung der Sünde.

Ich will nur machen, daß ich hinauskomme, sonst denkst Du, daß ich beißig und bösartig geworden bin. Die Partien rund herum sind ohne mich bekannt genug: ich habe die meisten, allein und in Gesellschaft, in der schönsten Jahreszeit genossen. Man kann hier seyn und sich wohl befinden, nur muß man die Humanität zu Hause lassen. Mit Uhden habe ich die Partien von Marino, Grottaferrata, Fraskati und den Albaner See gesehen. Eines der ältesten Monumente ist am See der Felsenkanal, der das Wasser aus demselben durch den Berg in die Ebene hinabläßt; und der, wenn ich nicht irre, noch aus den Zeiten des Kamillus ist. Die Geschichte seiner Entstehung ist bekannt. Man wirkt noch heute eben so durch den Aberglauben, wie damals. Wenn der Gott von Delphi den Ausspruch der Mathematiker nicht bestätigt hätte, wären die Römer schwerlich an die Arbeit gegangen. Das ganze Werk steht noch jetzt in seiner alten, herrlichen ursprünglichen Größe da und erfüllt den Zweck. Uhden wunderte sich, daß Cluver, ein sonst so genauer und gewissenhafter Beobachter, sagt, es seien noch Spuren da, da doch der ganze Kanal noch eben so gangbar ist, wie vor zwei tausend Jahren. Mir däucht, zu Cluvers Rechtfertigung kann man annehmen, daß der Eingang eben damals verschüttet war, welches sich periodenweise leicht denken läßt: und der Antiquar untersuchte nicht näher. Der Eingang ist ein sehr romantischer Platz und der Gegenstand der Zeichner: vorzüglich wirkt die alte perennirende Eiche an demselben. Das Schloß Gandolfo oben auf dem Berge ist eine der schönsten Aussichten in der ganzen schönen Gegend. Hier zeigte man mir im Promeniren einen Priester, der in einem Gefechte mit den Franzosen allein achtzehn niedergeschossen hatte. Das nenne ich einen Mann von der streitenden Kirche! Wehe der Humanität, wenn sie die triumphirende wird! Wer auf Hadrian eine Lobrede schreiben will, muß nicht hierher gehen, und die Ueberreste seiner Villa sehen: man sieht noch ganz den Pomp eines morgenländischen Herrschers, und die Furcht einer engbrüstigen tyrannischen Seele. Auch sogar sein Grabmahl hat die päpstliche Zwittertyrannei zu ihrem Ergastel gemacht. Trajan hat Monumente besserer Bedeutung hinterlassen. Wo bei Frascati wahrscheinlich des großen Tullius Tuskulum gestanden hat, sieht man jetzt sehr analog — eine Papiermühle. Das Plätzchen ist sehr philosophisch; nur würde Thucydides hier schwerlich die tuskulanischen Quästionen oder gar de natura deorum geschrieben haben. Der schönste Ort von allen antiken Gebäuden, die ich noch gesehen habe, ist unstreitig die Villa des Mäcen in Tivoli. Man kann annehmen, daß der Schmeichler Horaz hier mehrere seiner liebsten Oden gedichtet habe, für den gewaltigen Mann, neben und unter den er hier haus’te. Man wollte mich unten am Flusse jenseits nicht weit von den Ställen des Varus in ein Haus führen, wo noch Horazens Bad zu sehen seyn soll; aber ich hatte nicht Lust: es fiel mir seine Canidia ein. Virgil war ein feinerer Mann und ein besserer Mensch. Kein Stein ist hier oben ohne Namen, und um die Kaskade und die Grotte und um die Kaskadellen. Wenn ich Dir die Kaskadellen von unserm Reinhart mitbringen könnte, das würde für Dich noch Beute aus Hesperien seyn: ich bin nur Laie.

Von den Kunstschätzen in Rom darf ich nicht anfangen. Die Franzosen haben allerdings Vieles fortgeschafft; aber der Abgang wird bei dem großen Reichthume doch nicht sehr vermißt. Ueberdieß haben sie mit wahrem Ehrgefühl kein Privateigenthum angetastet. Einigen ihrer vehementesten Gegner haben sie zwar gedroht; doch ist es bei den Drohungen geblieben: und die Privatsammlungen sind bekanntlich zahlreich und sehr ansehnlich. Nur einige sind durch die Zeitumstände von ihren Besitzern zersplittert worden; vorzüglich die Sammlung des Hauses Colonna. Aus den Gärten Borghese ist kein einziges Stück entfernt. Bloß der Fechter und der Silen haben einen klassischen Werth, wie ihn mehrere der nach Paris geschafften Stücke nicht haben. Die größte Sottise, die vielleicht je die Antiquare gemacht haben, ist, daß sie diesen Silen mit dem lieblichen jungen Bacchus für einen Saturnus hielten, der eben auch diese Geburt fressen wollte. Der erste, der diese Erklärung auskramte, muß vor Hypochondrie Konvulsionen gehabt haben. Vorzüglich beschäftigte mich noch eine Knabenstatue mit der Bulle, die man für einen jungen Britanicus hält. Sei es wer es wolle, es ist ein römischer Knabe, der sich der männlichen Toga nähert, mit einer unbeschreiblichen Zartheit und Anmuth dargestellt. Ich habe nichts Aehnliches in dieser Art mehr gefunden.

In der Gallerie Doria zog meine Aufmerksamkeit vornämlich ein weibliches Gemälde von Leonardo da Vinci auf sich, das man für die Königin Johanna von Neapel ausgab. Das kann Johanna nicht seyn, sagte ich, unmöglich; ich wäre für das Original von Leukade gesprungen: das kann die Neapolitanerin nicht seyn. Wenn sie es ist, hat die Geschichte gelogen, oder die Natur selbst ist eine Falschspielerin. Man behauptete, es wär ihr Bild und ich genoß in der Träumerei über den Kopf den schönen Salvator Rosa im andern Flügel nur halb. Als ich nach Hause kam, fragte ich Fernow; und dieser sagte mir, ich habe Recht; es sei nun ausgemacht, daß es eine gewisse Gräfin aus Oberitalien sei. Ich freute mich, als ob ich eine Kriminalinquisition los wäre.

Auf dem Kapitol vermißte ich den schönen Brutus. Dieser ist nach Paris gewandelt, hies es. Was soll Brutus in Paris? Vor funfzig Jahren wäre es eine Posse gewesen, und jetzt ist es eine Blasphemie. Dort wachsen die Cäsarn, wie die Fliegenschwämme. Noch sah ich die alte hetrurische Wölfin, die bei Cäsars Tode vom Blitz beschädigt worden seyn soll. Die Seltenheit ist wenigstens sehenswerth. Von dem Thurme des Kapitols übersah ich mit Einem Blick das ganze, große Ruinenfeld unter mir. Einer meiner Freunde machte mir ein Geschenk mit einer Rhapsodie über die Peterskirche; ich gab ihm dafür eine über das Kapitol zurück. Ich schicke sie Dir hier, weil ich glauben darf, daß Dir vielleicht die Aussicht einiges Vergnügen machen kann.

Du zürnst, daß dort mit breitem Angesichte

Das Dunstphantom des Aberglaubens glotzt

Und jedem Feuereifer trotzt,

Der aus der Finsterniß zum Lichte

Uns führen will; Du zürnst den Bübereien,

Dem Frevel und dem frechen Spott,

Mit dem der Plattkopf stiert, der Tugend uns und Gott

Zum Unsinn macht; den feilen Schurkereien,

Und der Harpye der Mönchereien,

Dem häßlichsten Gespenst, das dem Cocyt entkroch,

Das aus dem Schlamm der Dummheit noch

Am Leitseil der Betrügereien

Zehntausend hier, zehntausend dort ins Joch,

Dem willig sich die Opferthiere weihen,

Zum Grabe der Vernunft berückt,

Und dann mit Hohn und Litaneien

Aus seiner Mastung niederblickt:

Du zürnst, daß man noch jetzt die Götzen meißelt,

Und mit dem Geist der Mitternacht

Zu ihrem Dienst die Menschheit niedergeißelt,

Und die Moral zur feilen Dirne macht

Bei der man sich zum Sybariten kräuselt

Und Recht und Menschenwerth verlacht.

Dein Eifer, Freund, ist edel. Zürne!

Oft giebt der Zorn der Seele hohen Schwung

Und Kraft und Muth zur Besserung;

Indessen lau mit seichtem Hirne

Der Schachmaschinenmensch nach den Figuren schielt

Und von dem Busen seiner Dirne

Verächtlich nur die Puppen weiter spielt.

Geh hin und lies, fast ist es unsre Schande,

Es scheint, es war das Schicksal Roms,

In Geierflug zu ziehn von Land zu Lande;

Es schlug die Erde rund in Bande,

Und wechselt nur den Sitz des Doms.

Was einst der Halbbarbar ins Joch mit Eisen sandte

Beherrschet nun der Hierofante

Mit dem Betruge des Diploms.

Jetzt thürmet sich am alten Vatikane

Des Aberglaubens Burg empor,

In deren dumpfigen Arkane

Sich längst schon die Vernunft verlor,

Und wo man mit geweihtem Ohr

Und Nebelhirn zur neuen Fahne

Des alten Unsinns gläubig schwor.

Dort steht der Dom, den Blick voll hohen Spottes

Mit dem er Menschensinn verhöhnt;

Und mächtig stand, am Hügel hingedehnt,

Einst hier die Burg des Donnergottes,

Wo noch des Tempels Trümmer gähnt;

Und wer bestimmt aus welchem Schlunde

Des Wahnsinns stygischer Betrug

Der armen Welt die größte Wunde

Zur ewigen Erinnrung schlug?

Hier herrschten eisern die Katonen

Mit einem Ungeheur von Recht,

Und stempelten das menschliche Geschlecht

Despotisch nur zu ihren Frohnen;

Als wäre von Natur vor ihnen Jeder Knecht,

Den Zevs von seinem Kapitole

Mit dem Gefolge der Idole

Sich nicht zum Lieblingssohn erkohr;

Und desto mehr, je mehr er kühn empor

Mit seines Wesens Urkraft strebte

Und sklavisch nicht, wie vor dem Sturm das Rohr

Beim Zorn der Herr’n der Erde bebte.

Nur wer von einem Räuber stammte,

Dem Fluch der Nachbarn, wessen Heldenherz,

Bepanzert mit dem dicksten Erz,

Zum Hohn der Menschheit lodernd flammte,

Wer alle Andern, wie Verdammte,

Zur tiefsten Knechtschaft von sich stieß

Und den Beweis in seinem Schwerte wies —

Nur der gelangte zu der Ehre,

Ein Mann zu seyn im großen Würgerheere.

Oft treibt Verzweiflung zu dem Berge,

Dem Heiligen, dem Retter in der Noth,

Wenn blutig des Bedrückers Scherge

Mit Fesseln, Beil und Ruthen droht:

Und, was erstaunt jetzt kaum die Nachwelt glaubet,

Dem größten Theil der Nation,

Dem ganzen Sklavenhaufen, raubet

Der Blutgeist selbst die Rechte der Person,

Und setzt ihn mit dem Vieh der Erde

Zum Spott der Macht in eine Heerde.

Der Wüstling warf dann in der Wuth,

Für ein zerbrochnes Glas, mit wahrer Römerseele

Den Knecht in die Muränenhöhle,

Und fütterte mit dessen Blut

Für seine schwelgerischen Tische

Die seltenen, weitgereis’ten Fische;

Und für die Kleinigkeit der Sklavenstrafe ließ

Mit Zorn der schlauste der Tyrannen,

Den seine Welt Augustus hieß,

Zehn Tage lang den Herrn von sich verbannen.

Nimm die zwölf Tafeln, Freund, und lies,

Was zum Gesetz die Blutigen ersannen;

Was ihre Zehner kühn gewannen,

Durch die man frech die Menschheit von sich stieß.

Wer zählet die Proskriptionen,

Die der Triumvir niederschrieb,

In denen er durch Henker ohne Schonen

Die Bande von einander hieb,

Die, das Palladium der Menschlichkeit zu retten,

Uns brüderlich zusammenketten.

Durch sie wird Latium in allen Hainen roth

Bis in die Grotten der Najaden,

Und mit dem Grimm des Schrecklichen beladen,

Des Fluchs der Erde, gingen in den Tod

An Einem Tage Myriaden:

Und gegen Sullas Henkergeist

Ist, zu der neuen Zeiten Ehre,

Der Aftergallier, der Blutmensch Robespierre,

Ein Genius, der mild und menschlich heißt.

Man würgte stolz, und hatte man

Mit Spott und Hohn die Unthat frech gethan,

So stieg man hier auf diesen Hügel

Und heiligte den Schreckenstag,

Der unter seiner Schande Siegel

Nun in der Weltgeschichte lag.

Man schickte, ohne zu erröthen,

Den Liktor mit dem Beil und ließ

Im Kerker den Gefangnen tödten,

Der in der Schlacht als Held sich wies,

Vor dessen Tugend man selbst in der Raubburg zagte

Und nicht sie zu bekämpfen wagte.

Dort gegenüber setzten sich

Die Cäsarn auf dem Palatine,

Wo noch die Trümmer fürchterlich

Herüber gähnt, und jetzt mit Herrschermiene

Auch aus dem Schutte der Ruine,

Wie in der Vorwelt Eisenzeit,

Mit Ohnmacht nur Gehorsam noch gebeut.

Dort herrschten, hebt man kühn den Schleier,

Im Wechsel nur Tyrann und Ungeheuer;

Dort grub der Schmeichler freche Zunft

Mit Schlangenwitz am Grabe der Vernunft:

Dort starben Recht und Zucht und Ehre;

Dort betete man einst Sejan,

Narciß und sein Gelichter an,

Wenn die Neronen und Tibere

Nur scheel auf ihre Sclaven sahn —

Sie selbst der Schändlichkeit Heloten,

Die Qual und Tod mit einem Wink geboten,

Dort ragt der Schandfleck hoch empor.

Wo, wenn des Scheusals Wille heischte,

Des Tigers Zahn ein Menschenherz zerfleischte,

Und wo der Sklaven grelles Chor,

Dem Blutspektakel Beifall kreischte,

Und keinen Zug des Sterbenden verlor;

Wo zu des Römerpöbels Freude

Nur der im Sand den höchsten Ruhm erwarb,

Der mit dem Dolch im Eingeweide

Und Grimm im Antlitz starb.

Von außen Raub und Sklaverei von innen,

Bei Cato, wie bei Seneka.

Stehst Du noch jetzt entzückt vor Deinen Römern da,

Und stellst sie auf des Ruhmes Zinnen?

Vergleiche, was durch sie geschah,

Von dem Sabiner bis zum Gothen,

Die Kapitolier bedrohten

Die Menschheit mehr als Attila,

Trotz allen preisenden Zeloten.

Betrachtest Du die Stolzen nur mit Ruh.

Für einen Titus schreibest Du

Stets zehn Domitiane nieder.

Behüte Gott nur uns und unsre Brüder

Vor diesem blutigen Geschlecht,

Vor Römerfreiheit und vor Römerrecht!

Wenn Peter stirbt, erwache Zevs nicht wieder!

In dem Palast Spada besuchte ich einige Augenblicke die Statue des Pompejus, die man bekanntlich für die nämliche ausgiebt, unter welcher Cäsar erstochen wurde. Dieses kann aber vielleicht so wahrscheinlich gemacht werden, als solche Sachen es leiden. Die Statue hat sonst nichts Merkwürdiges und ist artistisch von keinem großen Werth. Unter dieser Statue sollten alle Revolutionäre mit wahren, hellen, gemäßigten Philanthropen zwölf Mitternächte Rath halten, ehe sie einen Schritt wagten. Was rein, gut oder schlecht in dem Einzelnen ist, ist es nicht immer in der Gesammtheit; auf der Stufe der Bildung, auf welcher die Menschheit jetzt stehet.

Die Peterskirche gehört eigentlich der ganzen Christenheit, und die Hierarchie würde vielleicht gern das enorme Werk vernichtet sehen, wenn sie das unselige Schisma wieder heben könnte, das über ihrem Bau in der christlichen Welt entstanden ist. Etwas mehr gesunde Moral und Mäßigung hätte damals die Päpste mit Hülfe des abergläubischen Enthusiasmus zu Herren derselben gemacht: diese Gelegenheit kommt nie wieder. Ob die Menschheit dadurch gewonnen, oder verloren hätte, ist eine schwere Frage. Es ist, als ob man der stillen Größe der alten Kunst mit diesem herkulischen Bau habe Hohn sprechen wollen. Du kennst das Pantheon, als den schönsten Tempel des Alterthums. Stelle Dir vor, einen verhältnißmäßigen ungeheuern Raum, als die Area des Heiligentempel, zu einer großen Höhe aufgeführt, und oben das ganze Pantheon als Kuppel darauf gesetzt, so hast Du die Peterskirche. Das Riesenmäßige hat man erreicht. Wir saßen in dem Knopfe der Kuppel unser drei, und übersahen die gefallene Roma. Diese Kirche wird einst mit ihrer Kolonnade die größte Ruine von Rom, so wie Rom vielleicht die größte Ruine der Welt ist.

In dem benachbarten Vatikan beschäftigten mich nur Raphaels Logen und Stanzen und die Sixtinische Kapelle. Beide sind so bekannt, daß ich es kaum wage, Dir ein Wort davon zu sagen. Ein Engländer soll jetzt das jüngste Gericht von Michel Angelo in zwölf Blättern stechen. Das erste Blatt ist fertig und hat den Beifall der Kenner. Er sollte dann fortfahren und die ganze Kapelle nach und nach geben. Die Sibyllen haben eben so herrliche Gruppirungen und sind eben so voll Kraft und Seele.

Vor der Schule Raphaels habe ich stundenlang gestanden und mich immer wieder hingewendet. Nach diesem Sokrates will mir kein anderer mehr genug thun. So muß Sokrates gewesen seyn, wie dieser hier ist; und so Diogenes, wie dieser da liegt. Pythagoras hielt mich nicht so lange fest, als Archimedes mit seiner Knabengruppe. In dieser hat vielleicht der Künstler das vollendetste Ideal von Anmuth und Würde dargestellt. Ich sah den Brand und im Vorzimmer die Schlacht: aber ich ging immer wieder zu seiner Schule. Ich würde vor dem erhabenen Geiste des Künstlers voll drückender Ehrfurcht zurückbeben, wenn ich nicht an der andern Wand seinen Parnaß sähe, auf welchen er als den Apoll den Kammerdiener des Papstes mit der Kremoneser Geige gesetzt hat. Aber ich möchte doch lieber etwas angebetet haben, als eine solche Vermenschlichung sehen — den Apollo mit einer Kremoneser Geige! Die Logen fangen an, an der Luftseite stark zu leiden. Sie sind ein würdiger Vorhof des Heiligthums und vielleicht reicher, als das Adyton selbst. Hier konnten die Gallier nichts antasten; sie hätten denn als Vandalen zerstören müssen: und das sind sie doch nicht, ihre Feinde mögen sagen, was sie wollen. Ich müßte Dir von Rom allein ein Buch schreiben, wenn ich länger bliebe und länger schriebe: und ich würde doch nur wenig erschöpfen.

Zum Schluß schicke ich Dir eine ganz funkelnagelneue Art von Centauren, von der Schöpfung eines unserer Landsleute. Aber ich muß Dir die Schöpfungsgeschichte erzählen, damit Du das Werk verstehst.

Es hält sich seit einigen Jahren hier ein reicher Britte auf, dessen grilliger Charakter, gelinde gesprochen, durch ganz Europa ziemlich bekannt ist, und der weder als Lord eine Ehre der Nation, noch als Bischof eine Zierde der Kirche von England genannt werden kann. Dieser Herr hat bei der Impertinenz des Reichthums die Marotte, den Kenner und Gönner in der Kunst zu machen und den Geschmack zu leiten, und zwar so unglücklich, daß seine Urtheile in Italien hier und da bei Verständigen fast schon allein für Verdammung gelten. Vorzüglich haßt er Raphael und zieht bei jeder Gelegenheit seine deos minorum gentium auf dessen Unkosten hervor. Indessen er bezahlt reich, und es geben sich ihm, zur Erniedrigung des Genius, vielleicht manche gute Köpfe hin, die er dann ewig zur Mittelmäßigkeit stempelt. Viele lassen sich Vieles von dem reichen Britten gefallen, der selten in den Grenzen der feinern Humanität bleiben soll. Für einen solchen hielt er nun auch unsern Landsmann; dieser aber war nicht geschmeidig genug sein Klient zu werden. Er lief und ritt und fuhr mit ihm, und lud ihn oft in sein Haus. Der Lord fing seine gewöhnlichen Ungezogenheiten gegen ihn an; fand aber nicht gehörigen Knechtsgeist. Einmal bat er ihn zu Tische. Der Künstler fand eine angesehene Gesellschaft von Fremden und Römern, welcher er von dem Lord mit vielem Bombast als ein Universalgenie, ein Erzkosmopolit, ein Hauptjakobiner vorgestellt wurde. Jakobiner pflegt man dort, wie fast überall, Jeden zu nennen, der nicht ganz unterthänig geduldig der Meinung der gnädigen Herren ist, und sichs wohl gar beigehen läßt, Unbefugnisse in dem Menschen zu finden, die er behaupten muß, wenn er Menschenwerth haben will. Dem Künstler mußte dieser Ton mißfallen, und ein Fremder, der es merkte, suchte ihn durch Höflichkeit aus der peinlichen Lage zu ziehen, indem er ihn nach seinem Vaterlande fragte. „Ei was?“ fiel der Lord polternd ein; „es ist ein Mensch, der kein Vaterland hat, ein Universalmensch der überall zu Hause ist.“ „Doch, doch, Mylord,“ versetzte der Künstler, „ich habe ein Vaterland, dessen ich mich gar nicht schäme; und ich hoffe, mein Vaterland soll sich meiner nicht schämen: Sono Prussiano.“ Man sprach Italienisch. „Prussiano? Prussiano?“ sagte der Wirth; „Ma mi pare che siete ruffiano.“ Das war doch Artigkeit gegen einen Mann, den man zu Tische gebeten hatte! Der ehrliche brave Künstler machte der Gesellschaft seine Verbeugung, würdigte den Lord keines Blicks und verließ das Zimmer und das Haus. Nach seiner Zurückkunft in sein eigenes Zimmer schrieb er in gerechter Empfindlichkeit ihm ungefähr folgenden Brief.

„Mylord.

„Ganz Europa weiß, daß Sie ein alter Geck sind, an dem nichts mehr zu bessern ist. Hätten Sie nur dreißig weniger, so würde ich von Ihnen für Ihre ungezogene Grobheit eine Genugthuung fordern, wie sie Leute von Ehre zu fordern berechtigt sind. Aber davor sind Sie nun gesichert. Ich schätze Jedermann, wo ich ihn finde, ohne Rücksicht auf Stand und Vermögen, nach dem was er selbst werth ist; und Sie sind nichts werth. Sie haben alles was sie verdienen — meine Verachtung.“

Der Lord hielt sich den Bauch vor Lachen über die Schnurre; er mag an solche Auftritte gewöhnt seyn. Aber der Zeichner setzte sich hin und fertigte das Blatt, das ich Dir gebe. Das langgestreckte Schwein, die vollen Flaschen auf dem Sattel, die leeren zerbrochenen Flaschen unten, das Glas, der Finger, der Krummstab, der große antike Weinkrug, der an dem Stocke lehnt, Alles charakterisirt bitter, auch ohne Kopf und Ohren und ohne den Vers; aber Alles ist Wahrheit. Der alte fünf und siebenzigjährige Pfaffe läßt noch kein Mädchen ruhig.

Auch seines Lebens letzten Rest

Beschäftigt noch Lucinde;

Wenn Ihn die Sünde schon verläßt,

Verläßt er nicht die Sünde.

Der Lord erhielt Nachricht von der Zeichnung, deren Notiz in den guten Gesellschaften in Rom herumlief, und knirschte doch mit den Zähnen. Für so verwegen hatte er einen Menschen nicht gehalten, der weder Bänder, noch Geld hatte. Endlich sagte er doch, nach der gewöhnlichen Regel, wo man zu bösem Spiele gute Miene macht: „Il s’est vengé en homme de génie.“ Die Zeichnung bekam ich und ich trage kein Bedenken sie Dir mitzutheilen. Für solche Delinquenten ist keine Strafe, als die öffentliche Meinung: und warum soll die öffentliche Meinung nicht — öffentlich seyn und öffentlich dokumentirt werden? Die Parteien sind der Maler Reinhart und Lord Bristol. Von Bristol ist nun wohl keine Besserung zu erwarten; aber Andere sollen nicht so werden, wie er ist: deßwegen wird es erzählt.

Mailand.

Von Rom hierher ging ich halb im Wagen, halb zu Fuße: im Wagen, so weit ich mußte, zu Fuße, so weit ich konnte. Man hatte während meines Aufenthalts in Rom auf der Straße von Florenz Courriere geplündert, Soldaten erschossen und große Summen geraubt. Es wäre Tollkühnheit gewesen, allein zu wallfahrten, wenn man nicht geradezu ein Bettler war, und sich durch das cantabit vacuus sichern konnte. Ich fuhr also mit einer Gesellschaft nach Florenz. Von Ronciglione nach Viterbo gehts am See hinauf über den Ciminus. Auf dem Berge empfehle ich Dir die Aussicht rechts hinüber nach dem Soratte; sie ist herrlich. Man sieht hinüber nach Nepi und Civitacastellana, bis fast nach Otricoli, und weiter hin, in die noch beschneiten Apenninen. Die Nebelwölkchen kräuselten sich herrlich und bezeichneten den Lauf der Tiber. Trotz der gedrohten Gefahr konnte ich doch nicht im Wagen bleiben, und trollte meistens zu Fuße voraus und hinterher. Nicht weit von Viterbo begegnete uns eine Gesellschaft, die, nach aller Beschreibung, die ich schon in Rom von ihnen hatte, eine Karavane deutscher Künstler war, welche von Paris nach Rom gingen. Der Wagen fuhr eben bergab sehr schnell, und ich konnte mich nicht erkundigen.

Du kannst denken, daß ich auf Thümmels Empfehlung in Montefiascone den Estest nicht vergaß. Er ist für mich der erste Wein der Erde; und doch hatte ich nicht bischöfliches Blut: zwei Flaschen trank ich den Manen unsers Landsmannes. Ich brauchte mich nicht hineinzubemühen in die Stadt, deren Anblick auch sehr wenig einladendes hatte: der Wirth erzählte unaufgefordert die Geschichte des seligen Herrn, und machte mir mit der Landsmannschaft ein Kompliment. Es war gut, daß ich nicht hier bleiben konnte; ich glaube, ich wäre Küster bei dem Bischofe geworden, und hätte hier lernen Wein trinken. Aus dem Munde des Wirths lautete die Grabschrift; „Est, est, est, et propter nimium est dominus Fuggerus hic mortuus est.“ Ob nun der Herr Bischof, der sich hier an den herrlichen Wein in die selige Ewigkeit hinübertrank, wirklich aus unserm edeln Geschlecht dieses Namens war, das überlasse ich den geistlichen Diplomatikern. Ich lief rüstig vor dem Wagen her, nach Bolsena zu, am See hin, nach Sankt Lorenz, dem Lieblingsorte Pius des Sechsten. Die ganze Gegend um Bolsena ist romantisch. Daß unten Altlorenzo so außerordentlich ungesund seyn soll, kann ich nicht begreifen. Daran scheint nur die Indolenz der Einwohner Schuld zu seyn, die die Schluchten nicht genug aushauen und bearbeiten.

Als eine Neuigkeit des Tages erzählte man hier die Geschichte von einem Komplott in Neapel. Murat, den ich selbst noch in Neapel gesehen habe, soll die Rädelsführer durch seine Versprechungen zur Entdeckung der ganzen Unternehmung sehr fein überredet und sodann die ganze Liste dem Minister überreicht haben. Weiß der Himmel, wie viel daran ist! Ganz ohne Grund ist das Gerücht nicht. Denn schon in Rom wurde davon gesprochen, und der König von Sardinien war aus Caserta daselbst angelangt, wie man laut sagte, aus Furcht vor Unruhen in Neapel, und wohnte im Palast Colonna. Die neapolitanische Regierung hatte dabei in ihrem Ingrimm ihre gewöhnliche alte, unüberlegte Strenge gebraucht. In Montefiascone traf ich einen Franzosen, der zwei und zwanzig Jahre in Livorno gehandelt hatte und ein gewaltiger Royalist war. „Ich wollte schon vor zwölf Jahren zurückgehen,“ sagte er mir, „aber mein Vaterland ist diese ganze Zeit über eine Mördergrube und ein verfluchtes Land gewesen. Die Republikaner und Demokraten sind alle Bösewichter. Nun, da Bonaparte wieder König ist, werde ich nach Hause gehen und mein Alter in Ruhe genießen.“ Der Mann sagte dieses alles mit den nämlichen Worten; ich bin nur Uebersetzer.

Acquapendente an dem Flusse macht eine schöne Partie und ist für den Kirchenstaat eine nicht unbeträchtliche Stadt. „Was das für eine närrische Benennung der Oerter ist,“ sagte ein Engländer, „Acquapendente und Acquafiascone.“ Vor Radikofani an der Grenze bei Torricelli hatte man auch den Courrier geplündert, und ein toskanischer Dragoner war dabei umgekommen. Siena ist ziemlich leer. Der heilige Geruch des Erzbischofs benahm mir alle Lust, nur aus dem Wirthshause zu gehen. Es ist der nämliche Herr, der zur Zeit Josephs des Zweiten päpstlicher Legat in den Niederlanden war, und daselbst allem Guten sehr thätig widerstrebte. Neuerlich in der Revolution hat er sich durch seine heroische Unvernunft ausgezeichnet. Die Juden mochten bei Ankunft der Franzosen den Glauben gewonnen haben, daß sie auch Menschen seien, und sich also bürgerlich einige Menschlichkeiten erlaubt haben. Nach Abzug der Franken hielt der christgläubige Pöbel zu Siena im Sturm über die verruchten Israeliten Volksgericht, und führte dreizehn der Elenden lebendig zum Scheiterhaufen. Einige muthige vernünftige Männer baten den Erzbischof, sein Ansehn zu interponiren, damit die Abscheulichkeit nicht ausgeführt würde. Die Energie des Glaubens aber weigerte sich standhaft gegen die Zumuthungen der Menschlichkeit, und die Unglücklichen wurden zum frommen Schauspiel der Christenheit lebendig gebraten. Als die Volksexecution nach Hause zog, gab der geistliche Vater den Kindern mit Wohlgefallen seinen Segen. Doch dieses ist in Italien noch Humanität.

Von Siena nach Florenz ist ein schöner, herrlicher Weg; und so wie man Florenz näher kommt, wird die Kultur immer besser und endlich vortrefflich. Von Monte Cassino, dem letzten Ort vor Florenz, ist die schönste Abwechselung von Berg und Thal bis in die Hauptstadt. Was Leopold für Toskana gethan hat, wird nun eilig alles wieder zerstört, und die Mönche fangen hier ihr Regiment eben so wieder an, wie in Rom. Der allgemeine große Wohlstand, der durch die östreichische, hier sehr liberale, Regierung erzeugt worden war, wird indeß nicht sogleich vertilgt. Hier sind Segen und Fleiß zusammen. Der neue König wird nicht geachtet; jedermann sieht ihn als nicht existirend an: bloß der römische Hof gewinnt durch seine Schwachheit Stärke. Dieser Leopold, sagt der Nuntius, hat vieles gethan als ein ungehorsamer Sohn, das durch den Willen des heiligen Vaters und das Ansehen der Kirche ipso jure null ist. Du kannst denken, wie stark man sich am Vatikan fühlen und wie schwach man die am Arno halten muß, daß man eine solche Sprache wagt. Aber sie wissen, daß sie mit dem Herrn in Paris zusammengehen; das erklärt und rechtfertigt vielleicht ihre Kühnheit. Die größte Anzahl seufzt hier nach der alten Regierung; Neuerungssüchtige hoffen auf Verbindung mit den Herren jenseits des Berges, oder gar mit den Franzosen; die jetzige Regierung hat den kleinsten Anhang. Der König ist nicht gemacht, ihn zu vergrößern: das hat man sehr wohl gewußt, sonst hätte man ihn nicht zum Schattenspiel brauchen können. In der Stadt läuft die Anekdote sehr laut herum, daß er in seinem Privattheater den Balordo vortrefflich macht, und niemand wundert sich darüber.

Es wurde hier über Meyers Nachrichten von Bonapartes Privatleben gesprochen; und Leclerc, der ihn doch wohl etwas näher kennen muß, soll darüber ganz eigene Berichtigungen gemacht haben. Die Feinheit der Kardinäle zeigte sich vorzüglich in der Papstwahl. Pius der Siebente war, als Bischof von Imola, Bonapartes Gastfreund gewesen; auf diesen Umstand und den individuellen Charakter des korsischen Beherrschers der Franzosen ließ sich schon etwas bauen. Du siehst, es ist gegangen. Vielleicht halfen die Rothhüte dem Korsen erst deutlich sein System entwickeln. In Imola kann man gut Maskerade spielen. Der Papst und seine Gesellen vergessen das Gebot des heiligen Anchises noch nicht, das er seinem frommen Sohne beim Abschied aus der Hölle gab; und wo ein Mittel nicht hilft, hilft das andere. In eine eigene Verlegenheit kamen indessen die Herren mit der Madonna von Loretto, welche bekanntlich die Franzosen mit sich genommen hatten. Ein Mönch kommt nach ihrer Entfernung und sagt: Das habe ich gefürchtet, daß sie das heilige Wunderbild wegführen würden: deßwegen habe ichs verborgen und ein anderes dafür hingestellt: hier ist das ächte. Dieses wird nun den Gläubigen zur Verehrung hingesetzt, ohne daß man in Rom sogleich etwas davon erfährt. — Ich habe es in Loretto selbst gesehen, mich aber um die Aechtheit des einen und des andern wenig bekümmert. — Nun unterhandelt man in Rom über das Pariser, und die Franzosen schicken es mit Reue zurück. Es kommt in Rom an, wo es noch stehen soll. Nun fragt sich, welches ist das ächte? Eins ist so schlecht wie das andere, und beide thun natürlich Wunder in die Wette!

Von den hiesigen Merkwürdigkeiten ist das Beste in Palermo: die Mediceerin, die Familie der Niobe und die besten Bilder; wenigstens hat man mich in dem leeren Saale so berichtet: doch hat die Gallerie immer noch sehr interessante Sachen, vorzüglich für die Deutschen. Mit der Mediceischen Venus ist es mir sonderbar genug gegangen. Ich wünschte vorzüglich auf meiner Pilgerschaft das Wunderbild zu sehen, und es ist mir nicht gelungen. In Palermo habe ich mit Sterzinger in dem nämlichen Hause gegessen, wo oben die Schätze unter Schloß und Siegel und Wache standen. Sie waren durchaus nicht zu sehen. Der Inspektor von Florenz, der mit in Palermo war, hatte Hoffnung gemacht, ehe alles wieder zurückginge, würde er die Stücke zeigen. In Rom und Neapel wußte man öffentlich gar nicht recht, wo sie waren: denn man hatte absichtlich ausgesprengt, das Schiff, welches alles aus Livorno nach Portici und weiter nach Palermo schaffen sollte, sei zu Grunde gegangen, um die Aufmerksamkeit der Franzosen abzuziehen. Es steht aber zu befürchten, sie werden eine gute Nase haben, und sich die Dame mit ihrer Gesellschaft nachholen. So viel ich Abgüsse davon gesehen habe, keiner hat mich befriedigt. Sie ist, nach meiner Meinung, wohl keine himmlische Venus, sondern ein gewöhnliches Menschenwesen, das die Begierden vielleicht mehr reizen, als beschwichtigen kann. Mir kommt es vor, ein Künstler hat seine schöne Geliebte zu einer Anadyomene gemacht; das Werk ist ihm ungewöhnlich gelungen: das ist das Ganze. Ueber die Stellung sind alle Künstler, welche Erfahrung haben, einig, daß es die gewöhnlichste ist, in welche sich die Weiblichkeit setzt, sobald das letzte Stückchen Gewand fällt, ohne je etwas von der Kunst gehört zu haben. Ich selbst hatte einst ein eigenes ganz naives Beispiel davon, das ich Dir ganz schlicht erzählen will. Der russische Hauptmann Graf Desessarts — Gott tröste seine Seele! er ist, wie ich höre, an dem Versuche in Quiberon gestorben, den ich ihm nicht gerathen habe — er und ich, wir gingen einst in Warschau in ein Bad an der Weichsel. Dort fanden sich, wie es zu gehen pflegt, gefällige Mädchen ein, und eine junge, allerliebste, niedliche Sünderin von ungefähr sechszehn Jahren brachte uns den Thee, um wahrscheinlich auch gelegentlich zu sehen, ob Geschäfte zu machen wären. Wir waren beide etwas zu ernsthaft. „Das arme artige Geschöpfchen dauert mich,“ sagte der Graf; aber der Franzose konnte doch seinen Charakter nicht ganz verläugnen. „Je voudrois pourtant la voir tout entière,“ sagte er, und machte ihr den Vorschlag und bot viel dafür. Das Mädchen war verlegen und bekannte, daß sie für einen Dukaten in der letzten Instanz gefällig seyn würde; aber zur Schau wollte sie sich nicht verstehen. Mein Kamerad verstand seine Logik, brachte mit feiner Schmeichelei ihre Eitelkeit ins Spiel, und sie gab endlich für die doppelte Summe mit einigem Widerwillen ihr Modell. Sobald die letzte Falte fiel, warf sie sich in die nämliche Stellung. „Voilà la coquine de Medicis!“ sagte der Graf. Es war ein gemeines polnisches Mädchen mit den Geschenken der Natur, die für ihren Hetärensold sich nur etwas reizend gekleidet hatte; eine Wissenschaft, in der die Polinnen vielleicht den Pariserinnen noch Unterricht geben könnten! Allemal ist mir bei einem Bilde der Aphrodite Medicis die Polin eingefallen und meine Konjektur kam zurück: und mancher Künstler war nicht übel Willens meiner Meinung beizutreten. Urania könnte in der Glorie ihrer hohen siegenden Unschuld keinen Gedanken an die bedeckten Kleinigkeiten haben, die nur ein Satyr bemerken könnte. Ihr Postament war jetzt hier leer.

Es ist vielleicht doch auch jetzt noch keine unnütze Frage, ob Moralität und reiner Geschmack nicht leiden durch die Aufstellung des ganz Nackten an öffentlichen Orten. Der Künstler mag es zu seiner Vollendung brauchen, muß es brauchen: aber mir däucht, daß Sokrates sodann seine Grazien mit Recht bekleidete. Kabinette und Museen sind in dieser Rücksicht keine öffentlichen Orte; denn es geht nur hin, wer Beruf hat und wer sich schon etwas über das Gewöhnliche hebt. Sonst bin ich dem Nackten in Gärten und auf Spaziergängen eben nicht hold, ob mir gleich die Feigenblätter noch weniger gefallen. Empörend aber ist es für Geschmack und Feinheit des Gefühls, wenn man in unserm Vaterlande in der schönsten Gegend das häßlichste Bild der Aphrodite Pandemos mit den häßlichsten Attributen zuweilen aufgestellt sieht. Das heißt die Sittenlosigkeit auf der Straße predigen; und bloß ein tiefes Gefühl für Freiheit und Gerechtigkeit hat mich gehindert, die schändlichen Ausgeburten zu zertrümmern, oder in die Tiefe des nahen Flusses zu stürzen.

Auf der Ambrosischen Bibliothek zu studiren hatte ich nicht Zeit. Die Philologen müssen in die Bibliothek des Grafen Riccardi gehen, wo sie für ihr Fach die besten Schätze finden. Mir war es jetzt wichtiger, in der Kirche Santa Croce die Monumente einiger großen Männer aufzusuchen, die sich zu Bürgern des ganzen Menschengeschlechts gemacht haben. Rechts ist vorn das Grabmal Buonarottis, und weiter hinunter auf der nämlichen Seite Machiavellis, und links der Denkstein Galileis. Es verwahrt wohl kaum ein Plätzchen der Erde die Asche so vortrefflicher Männer nahe beisammen.

Für den Antiquar und den Gelehrten ist von unserer Nation jetzt in Florenz noch ein wichtiger Mann, der preußische Geheimerath, Baron von Schellersheim, ein Mann von offenem, rechtlichem Charakter und vielen feinen Kenntnissen, dem sein Vermögen erlaubt, seiner Neigung für Kunst und Wissenschaft mehr zu opfern, als ein anderer. Er besitzt vielleicht mehr antike Schätze, als irgend ein anderer Privatmann. Was ich bei ihm gesehen habe, war vorzüglich eine komplette alte, römische Toilette von Silber; ein großes, altes, silbernes, ziemlich kubisches Gefäß, welches ein Hochzeitsgeschenk gewesen zu seyn und Hochzeitsgeschenke enthalten zu haben scheint. Auf den vier Seiten sind von der ersten Bewerbung bis zur Nachhauseführung die Scenen der römischen Hochzeitgebräuche abgebildet. Dieses ist vielleicht das größte silberne Monument der alten Kunst, das man noch hat. Ferner hat er vier silberne Sinnbilder der vier Hauptstädte des römischen Reichs, Rom, Byzanz, Antiochia und Alexandria, welche die Konsuln, oder vielleicht auch die andern kurulischen Magistraturen, an den Enden der Stangen ihrer Tragsessel führten. Diese müssen, der Geschichte nach, etwas neuer seyn. Weiter besitzt er einige alte komplette silberne Pferdegeschirre mit Stirnstücken und Bruststücken. Aber das Wichtigste sind seine geschnittenen Steine, unter welchen sich mehrere von seltenem Werth finden, und seine römischen Goldmünzen; mehrere konsularische von Pompejus an, und fast die ganze Folge der Kaisermünzen von Julius Cäsar bis Augustulus. Hier fehlen nur wenige wichtige Stücke. Du siehst, daß dieses eine Liebhaberei nicht für Jedermann ist. Ich schreibe Dir dieses etwas umständlicher, weil es Dich vielleicht interessirt und Du es noch nicht in den Büchern findest: denn seine Sammlung ist noch nicht alt, und sie konnte nur in den Verhältnissen des Besitzers so bald, so reich gemacht werden.

Die schönen Gegenden um Florenz zwischen den Bergen an dem Flusse auf und ab sind bekannt genug, und Du erwartest gewiß nicht, daß ich als Spaziergänger Dir alle die andern Merkwürdigkeiten aufführe. Das hiesige Militär kam mir traurig vor; schöne Leute, aber ohne Wendung und Geschicklichkeit! Zum Abschiede sah ich den Morgen noch die amalfischen Pandekten; und die Franzosen haben sich etwas bei mir in Kredit gesetzt, daß sie diesen Kodex nicht genommen haben; und gegen Abend wohnte ich auf dem alten Schlosse noch einer Akademie der Georgophilen bei. Hier hielt man eine Vorlesung über die vortheilhafteste Mischung der Erdarten zur besten Vegetation, und sodann las einer der Herren eine Einleitung zu einem chemisch physischen System. Zum Ende zeigte man einige seltene neue Naturprodukte. Neben meinem Zimmer im Bären wohnte eine französische Familie, nur durch eine dünne Wand getrennt; diese betete den Abend über eine ganze Stunde ununterbrochen so inbrünstig und laut, daß mir über der Andacht bange ward. Seit Ostern ist, wie ich höre, überall das Religionswesen wieder Mode; und in Frankreich scheint Alles durchaus nur als Mode behandelt zu werden.

Nach Bologna hatte ich mich über den Berg wieder an einen Vetturino verdungen, und fand im Wagen einen französischen Chirurgus, der von der Armee aus Unteritalien kam, und eine italienische Dame mit ihrem kleinen Sohn auf dem Schooße; und endlich kam noch ein schweizerischer Kriegskommissär mit einem furchtbar großen Säbel, der in Handelsgeschäften seines Hauses gereis’t war. Die Dame, eine Frau von Rosenthal, deren Mann östreichischer Officier war, ging allein mit ihrem Kinde, einem schönen sehr lieblichen Knaben von ungefähr anderthalb Jahr, nach Venedig, um dort ihren Mann zu erwarten, der in Livorno und anderwärts noch Dienstgeschäfte hatte. Da der Junge ein überkomplettes Persönchen im Wagen und doch so allerliebst war, machte er die Ronde von der Mutter zu uns allen. Die Gesellschaft lachte über meine grämliche Personalität mit dem Kleinen auf dem Arm, und ich kam mir wirklich selbst vor, wie der Silen im Kabinet Borghese mit dem jungen Bacchus. Du siehst, daß ich mir gehörige Ehre wiederfahren zu lassen weiß. Die Leutchen mußten das Nämliche meinen; denn die Gruppirung fand Beifall, und der Junge war gern bei mir.

Der Berg von Florenz aus ist ein wahrer Garten bis fast auf die größte Höhe. Du kannst denken, daß ich viel zu Fuße ging; der Franzose leistete mir dann zuweilen Gesellschaft. Der Schweizer mit dem großen Säbel kam selten aus dem Wagen. Etwas unheimisch machen es oben auf dem Bergrücken die vielen Kreuze, welche bedeuten, daß man hier jemand todt geschlagen hat, weil man gewöhnlich auf die Gräber Kreuze setzt. Die Römer sind in diesem Falle etwas weniger fromm und politischer, und setzen nichts darauf; denn sonst würde der ganze Weg bei ihnen eine Allee von Kreuzen seyn. Ich muß Dir bekennen, daß ich von dem Kreuze gar nicht viel halte. Warum nimmt man nicht etwas Besseres aus der Bibel? Das Emblem scheint von der geistlichen und weltlichen Despotie in Gemeinschaft erfunden zu seyn, und alles kühne Emporstreben der Menschennatur zur knechtischen Geduld niederzudrücken, und diese subalterne Tugend zur höchsten Vollkommenheit der Moral zu erheben. Wozu braucht man Gerechtigkeit, Großmuth und Standhaftigkeit? Man predigt Geduld und Demuth. Demuth ist nach der Etymologie Muth zu dienen, und die zweideutigste aller Tugenden. In der alten griechischen und römischen Moral findet man diese Tugenden nicht; und die Einführung ist eben kein Vorzug der christlichen. Sie kann nur im Evangelium der Despoten stehen, welche sie aber für sich selbst doch sehr entbehrlich finden. Es ist freilich auch philosophisch besser, Unrecht leiden, als Unrecht thun; aber es gibt ein Drittes, das vernünftiger und edler ist als beides: mit Muth und Kraft verhindern, daß durchaus kein Unrecht geschehe. In unserm lieben Vaterlande hat man das Kreuz zwar meistens weggenommen, aber dafür den Galgen hingesetzt. So schlecht auch dieser ist, kommt er mir doch etwas besser vor. Das Kreuz verhält sich zum Galgen, wie die Mönche zu den Soldaten: die ersten sind die Instrumente und die zweiten die Handlanger der geistlichen und weltlichen Despotie; die permanente Guillotine der Vernunft. Christus hat gewiß seiner Religion keinen so jämmerlichen Anstrich geben wollen, als sie nachher durch ihre unglücklichen Bonzen bekommen hat. Freilich, wenn man den Gekreuzigten nicht an allen Feldwegen zeigte, könnte es doch wohl der Menge einfallen, ihre Unbefugnisse etwas näher zu untersuchen, und zu finden, daß keine Konsequenz darin ist, sich durch den Druck des Feudalsystems und durch das Privilegienwesen ohne Aufhören kreuzigen zu lassen. Berechnet ist es ziemlich gut, wenn es nur gut wäre.

Bei Pietramala sah ich oben den zweideutigen Vulkan nicht, weil er zu weit rechts hinüber in den Felsen lag, und der Wagen nicht anhalten wollte. Nun hatten wir von den Oelbäumen Abschied genommen; auf dieser Seite des Apennins sind sie nicht mehr zu finden. Auf der Südseite sind Oelbäume, auf der Nordseite nach Bologna herüber Kastanien. Man kommt nun wieder dem lieben Vaterlande näher; alles gewinnt diesseits des Berges schon eine etwas mehr nördliche Gestalt. Mein alter gelehrter Cicerone in Bologna hatte eine große Freude, mich glücklich wieder zu sehen; und ich lief mit ihm so viel herum, als man in zwei Tagen laufen konnte. Aber der Schweizer Kriegskommissär führte mich mehr in die Kaffeehäuser, als in die Museen. Ein polnischer Hauptmann von der Legion, der, wie ich in Mailand fand, eigentlich nur Fähnrich war, und sich selbst einige Grade avancirt und hier geheirathet hatte, schloß sich geflissentlich an uns an, und freute sich, mit Deutschen deutsch zu plaudern: denn er war lange kaiserlicher Unterofficier gewesen. Der Mensch sagte, er sei in seinem Leben kein Republikaner gewesen — das ließ sich von einem polnischen Edelmanne sehr leicht denken — und er sei nun froh, daß die H—e von Freiheit nach und nach wieder abgeschafft werde. Man hatte eben das Wappen über dem Generalzollhause geändert, und anstatt der Freiheit die Gerechtigkeit hingesetzt, welches eigentlich Eins ist. Die wahre Freiheit ist nichts anders als Gerechtigkeit: nur behüte uns der Himmel vor Freiheiten und Gerechtigkeiten! Sodann erhob er die Tapferkeit und die Kriegszucht der Polen, von der ich selbst Beweise hatte, und an welcher ich also nicht zweifelte.

Von allen Merkwürdigkeiten, die ich in Bologna noch zu sehen genöthigt war, will ich Dir nur die Gallerie Sampieri erwähnen. Sie ist nicht groß, aber köstlich. Die Plafonds sind von den drei Caracci, Hannibal, Ludwig und August, und könnten mit Ehren in Rom unter den besten stehen. Das schönste Stück der Sammlung, und nach Einigen die beste Arbeit von Guido Reni, ist der reuige Petrus. Die Kunst mag allerdings dieses Urtheil der Kenner rechtfertigen; aber mich hat weit mehr beschäftigt die Hagar von Guercino. Dieser Künstler hat den Mythus gefaßt, wie Rechtlichkeit und Humanität es fordern, nicht wie die leichtgläubige Frömmigkeit ihn herbetet. Hagar ist ein schönes, herrliches, Ehrfurcht gebietendes Weib, das in dem Gefühl seines Werths dasteht; der Vater der Gläubigen ist ein jämmerlicher Sünder unter dem Scepter seiner Ehehälfte, und diese kann halb versteckt ihre kleine, boshafte, neidische Seele kaum verbergen. Nur dem Knaben Ismael wäre vielleicht jetzt schon etwas mehr von dem kühnen Trotze zu wünschen, der ihn in der Folge so vortheilhaft auszeichnete. Es kann mit der Volksbildung nicht wohl weiter gedeihen, so lange man noch dieses Buch als göttliche Norm der Moral aufdringt, und jedes Jota desselben mit Theopnevstie stempelt. Es enthält so vielen schiefen Sinn, so viele Unsittlichkeiten in Beispielen und Vorschriften, daß ich oft mit vieler Ueberlegung zu sagen pflege, der Himmel möge mich vor Davids Frömmigkeit und Salomons Weisheit behüten. Man windet sich aus Betrachtungen hierüber eben so schlecht, wie bei der Vergebung der Sünden. Wenn man das Ganze als ein Gewebe menschlicher Thorheiten und Tugenden, als einen Kampf der erwachenden Vernunft mit den despotischen und hierarchischen Kniffen nähme, so wäre das Gemälde unterhaltend genug, und als das älteste Dokument der Menschenkunde heilig: aber wozu dieses dem Volke, das davon nichts brauchen kann? Das Papstthum hat vielleicht keinen glücklichern Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch zu entziehen; wenn man ihm nur etwas reineres und besseres dafür gegeben hätte. Die Legenden der Heiligen aber und die Ausgeburten des Aberglaubens aus dem Mittelalter sind freilich noch viel schlimmer. Was den ersten heiligen Geboten der Vernunft widerspricht, das kann kein heiliger Geist als Wahrheit stempeln.

Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wieder auf die Schulter und pilgerte durch die große schöne Ebene herüber nach Mailand. In Modena gefiel mir’s sehr wohl, ohne daß ich den erbeuteten Eimer sah. Die Stadt ist reinlich und lebendig und lachend; die Wirthshäuser und Kaffeehäuser sind gut und billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne daß ein einziges Bajonett dabei gewesen wäre. In der neuen Republik ist man wenigstens überall sicher; die Polizei ist ordentlich und wachsam, und alles bekommt ein rechtliches Ansehen. Massena, der hier kommandirte, ergriff eine herrliche Methode Sicherheit zu schaffen. Einige Schweizer Kaufleute waren in der Gegend geplündert worden; der General hieß sie arretiren und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war richtig. Nun wurden die Gemeinheiten, in deren Bezirke die Schurkerei geschehen war, gezwungen das Geld zu ersetzen, und man ließ die Fremden ziehen. Ich finde darin, wenn es durchaus mit Strenge und Genauigkeit geschieht, keine Ungerechtigkeit. Wenn man die Räuber hübsch ordentlich henkte und eine Kasse zur Wiedererstattung, wie die Brandkasse, anlegte, das würde die öffentliche Sicherheit recht sehr befördern.

In Reggio lag ein polnisches Bataillon, und ein Unterofficier desselben, der am Thore die Wache hatte und ein Anspacher war, freute sich höchlich wieder einen preußischen Paß zu sehen, den ich mir von dem preußischen Residenten in Rom hatte geben lassen, weil ich ihn mit Recht zu meiner Absicht für den besten hielt.

Nun wollte ich den Abend in Parma bleiben und einen oder zwei Tage dort ausruhen und Bodoni sehen, an den ich Briefe von Rom hatte. Aber höre, wie schnurrig ich um das Vergnügen gebracht wurde! Am Thore wurde ich den achten Juni mit vieler Aengstlichkeit examinirt und sodann mit einem Gefreiten nach der Hauptwache geschickt. Ich kannte die Bocksbeutelei, ob sie mir gleich auf meiner Wanderung hier zum ersten Mal begegnete. Unterwegs freuete ich mich über die gutaussehenden Kaffeehäuser und saß schon im Geist bei einer Schaale Eis: denn ich hatte einen warmen Marsch gehabt. Die Parmesaner saßen gemüthlich dort und schienen viel Bonhommie zu präsentiren; nur hier und da zeigte sich ein breites aufgedunsenes Gesicht, wie ihr Käse. Auf der Hauptwache las der Officier meinen Paß, rief einen andern Gefreiten und befahl ihm, mit mir zu gehen. Ich glaubte, ich sollte zu dem Kommandanten gebracht werden, und hoffte schon auf eine ähnliche Bewirthung, wie in Augusta in Sicilien. Aber der Zug dauerte mir sehr lange; ich fragte und erfuhr nun, ich müßte zum Thore hinaus: ich dürfte nicht in der Stadt wohnen. Es war mir gleich aufs Herz gefallen, als ich auf dem Markte die Grenadire so schön gepudert sah. Die Kerle trugen hinten Haarwülste, so groß wie das Kattegat. Ich forderte, man sollte mich zum Kommandanten bringen. „Ma, mio caro, non posso mica;“ sagte mein Begleiter. Ich drang darauf. „Ma, mio caro, non sapete il servizio; questo non posso mica.“ Ich alter Kriegsknecht mußte mir die Sottise gefallen lassen. Warum hatte ich mich vergessen? Der Mensch hatte Recht. Wir kamen ans Thor, und ich fragte den Officier, indem ich ihm meinen Paß wies, ob das eine humane Art wäre, einen ehrlichen Mann zu behandeln. Er sah mich an, sagte mir höfliche Worte und berief sich auf Befehl. Ich verlangte noch einmal, zum Kommandanten gebracht zu werden; ich wollte hier bleiben, ich hätte Geschäfte. Er zuckte die Schultern; ein alter Sergeant, der ein etwas liberaleres Antlitz hatte, meinte, man könnte mich doch hinschicken; der Officier war unschlüssig: „Ma, mio caro, non possiamo mica,“ sagte der Gefreite von der Hauptwache, der noch dabei stand. Der Officier sagte mir, er könne mir jetzt nicht helfen; ich könne morgen wieder hereinkommen und dann thun was ich wolle. Jetzt ging ich trotzig den Weg zum Thore hinaus. Der Gefreite hätte keine bessere Charakteristik von Parma und den Parmesanern geben können: „Ma, mio caro, non possono mica.“ Aergerlich und halb lachend ging ich in ein Wirthshaus eine gute Strecke vor dem Thore. Das nenne ich mir eine aufmerksame, besorgliche Polizei! Ich hatte mir in Reggio den Bart machen lassen, ein reines, feines Hemd angezogen, mich geputzt und gebürstet. Ihre problematischen Landsleute zwischen Alicate und Terra Nuova, und ihre nicht problematischen Landsleute zwischen Gensano und Aricia hatten mir zwar bei ihrer braven Visitation einige Schismen in Rock und Weste gebracht; aber dessen ungeachtet hatte man noch in Bologna in guter Gesellschaft meinen Aufzug für sehr polito erklärt. Ich zog bei dem Officier einige Mal meine goldne Uhr und erbot mich zehn Louisd’or Kaution zu machen, und im Passe war ich stattlich mit Signor betitelt: nichts, man gestattete mir kein Quartir in der Stadt. Und nun denkst Du, daß ich den andern Morgen hineinging und mich des fernen erkundigte? Das ließ ich hübsch bleiben. Wenn ich im Himmel abgewiesen werde, komme ich nicht wieder: diese Ehre erhalten die Parmesaner nicht. Ich aß gut und schlief gut, und schlug den andern Morgen den Weg nach Piacenza ein. Man merkte sogleich, daß die Leute hier in Parma noch orthodox und nicht von der Ketzerei ihrer Nachbarn angesteckt sind; denn ich sah hier weder viele Dolche und Schießgewehre, wie bei den Italienern jenseits der Berge. Die Nachtigallen sangen folgenden Morgen so herrlich und so schmetternd, und ich wunderte mich, wie sie in der Nähe eines so konfiscirten Orts noch einen Ton anschlagen könnten. Aber sie schlugen fort, und endlich vergaß ich das Eis, den Käse, Bodoni und Mica, und wandelte auf den Po zu. Ich hatte in Rom ein herrliches Gemälde von dem Uebergange über den Fluß aus dem letzten Kriege gesehen: der Künstler war hier gewesen und hatte nach der Natur gearbeitet und ein Meisterstück der Perspektive gemacht. Jetzt suchte ich mich zu orientiren. Der Ort ist sehr leer und öde, aber der Fluß macht schöne Partien.

In Lodi aß ich wohl ruhiger zu Mittage, als Bonaparte, wenn ich mir gleich nicht so viel Ruf erwarb, und konnte gemächlich den Posten besehen, wo man geschlagen hatte. Unter andern guten Sachen traf ich hier die schönsten Kirschen, die ich vielleicht je gegessen habe. Wenn gleich das alte Laus Pompeji nicht gerade hier lag, so ist doch wohl der Name daraus gemacht und der Ort daraus entstanden: wenigstens wird das hier auf einem Marmor am Rathhause behauptet. Die Männer von Lodi müssen ein sinnreiches Geschlecht seyn; das sah man an ihren Schildern. Unter andern hatte ein Schuhmacher auf dem seinigen einen Genius, der sehr geistreich das Maaß nahm.

Hier in Mailand verlasse ich nun Hesperien ganz, und bin schon längst nicht mehr im Lande, wo die Zitronen blühn. In Rom sagte man, daß das Erdbeben vorigen Monat den Dom von Mailand sehr beschädigt habe; es ist aber kein Stein heruntergeworfen worden. Dieses gothische Gebäude streitet vielleicht mit dem Münster in Straßburg um den Vorzug, ob es gleich nicht vollendet ist, und es nun vielleicht auch nie werden wird. In der Kapitale der italischen Republik geht alles nach gallischen Gesetzen; und hier und dort, wie Du weißt, alles nach dem Willen des korsischen Avtokrators. Wenn es nur gut ginge, wäre vielleicht nicht viel dawider zu sagen. Man scheint hier der goldenen Freiheit nicht durchaus außerordentlich hold zu seyn. Einer meiner Bekannten begleitete mich etwas durch die Stadt und unter andern auch in die Kathedrale. Hinter der kunstreichen Krypte des heiligen Borromeo steht in einer Nische der geschundene heilige Bartolomeo, mit der Haut auf den Schultern hangend. Er gilt für eine gräßlich schöne Anatomie. Der Italiener stand und betrachtete ihn einige Minuten: „das sind wir,“ sagte er endlich; „die Augen hat man uns gelassen, damit wir unser Elend sehen können.“ Die Franzosen machen eine schöne Parade vor dem Pallast der Republik; nur wird es mir schwer, die allgewaltigen Sieger in ihnen zu erkennen, vor denen Europa gezittert hat. Das alte weitläuftige Schloß vor der Stadt wird sehr verengt und vor demselben der Platz Bonaparte gemacht: jetzt ist dort noch alles wüste und leer.

Vor allen Dingen besuchte ich noch das berühmte Abendmahlsgemälde von Leonardo da Vinci in dem Kloster der heiligen Maria. Das Kloster ist jetzt leer, und das Refektorium, wo das Gemälde an der Wand ist, war während der Revolution, wie man sagt, einige Zeit sogar ein Pferdestall. Das Stück ist einige Mal restaurirt. Volpato hat es zuletzt gezeichnet und Morghen gestochen, und wahrscheinlich ist der Stich, der für ein Meisterstück der Kunst gilt, auch bei euch schon zu haben: Du magst ihn also sehen und urtheilen. Ich sah ihn in Rom zum ersten Mal. Auch in dem verfallenen Zustande ist mir das Original noch weit lieber, als der Stich, so schön auch dieser ist. Volpato ist vielleicht etwas willkührlich bei der Kopirung zu Werke gegangen, da das Stück dem gänzlichen Verfalle sehr nahe ist. Wir sind indessen dem Künstler Dank schuldig für die Rettung. Ich sage nichts von dem schönen Charakter der übrigen Jünger; mit vorzüglich feinem Urtheil hat der Maler den Säckelmeister Judas Ischariot behandelt, damit er die ehrwürdige Gesellschaft nicht durch zu grellen Kontrast schände. Auch der Geist des Mannes ist nicht verfehlt. Er sitzt da, wie ein kühner, tiefsinniger, mit sich selbst nicht ganz unzufriedener Finanzminister, der einen großen Streich wagt; er rechnete für die Gesellschaft, nicht für sich. Auch psychologisch ist Ischariot noch kein Bösewicht; nur ein Unbesonnener. Ein Bösewicht hätte sich nachher nicht getödtet. Er glaubte, der Prophet würde sich mit Ehre retten. Ich möchte freilich nicht Judas seyn und meinen Freund auf diese Weise in Gefahr setzen; aber vielleicht eben nur darum nicht, weil ich nicht so viel Glauben habe, als er. — Jetzt muß man auf einer Leiter hinuntersteigen in den Saal, der untere Eingang ist vermauert: und nun leidet das Stück durch feuchte, dumpfe Luft vielleicht eben so sehr, als vorher durch andere üble Behandlung.

Hier sah ich seit der heiligen Cecilie in Palermo wieder das erste Theater. In Neapel brachte mich Januar darum, weil acht Tage vor und acht Tage nach seinem Feste kein Theater geöffnet wird. Ohne Spiel wollte ich auch das Karlstheater nicht sehen. In Rom machten mir meine Freunde eine so schlimme Schilderung von dem dortigen Theaterwesen, daß ich gar nicht Lust bekam, eins zu suchen. Man sagt, das Haus sei hier eben so groß, als das große in Neapel. Der Gesang war nicht ausgezeichnet, und für das große Haus zu schwach. Man erzählte mir hier eine Anekdote von Demoiselle Strinasacchi, die jetzt in Paris ist. Ich gebe sie Dir, wie ich sie hörte: sie ist mir wahrscheinlich, weil uns etwas Aehnliches mit ihr in Leipzig begegnete, nur daß weder unser Mißfallen, noch unser Enthusiasmus so weit ging, als die italienische Lebhaftigkeit. Die Natur hat ihr nicht die Annehmlichkeiten der Person auf dem Theater gegeben. Bei ihrer ersten Erscheinung erschrak hier das ganze Haus so sehr vor ihrer Gestalt und gerieth so in Unwillen, daß man sie durchaus nicht wollte singen lassen. Der Direktor mußte erscheinen und es sich als eine große Gefälligkeit für sich selbst erbitten, daß man ihr nur eine einzige Scene erlaubte, dann möchte man verurtheilen, wenn man wollte. Die Wirkung war vorauszusehen; man war beschämt und ging nun in einen rauschenden Enthusiasmus über: und nach Endigung des Stücks spannte man die Pferde vom Wagen und fuhr die Sängerin durch einen großen Theil der Stadt nach Hause. Es wäre eine psychologisch nicht unwichtige Frage, das aufrichtige Bekenntniß der Weiber zu hören, ob sie das Zweite für das Erste erkaufen wollten. Die Heldin selbst hat keine Stimme mehr über die Sache.

Das Ballet war schottisch und sehr militärisch. Man arbeitete mit einer großen Menge Gewehr und sogar mit Kanonen: und das Ganze machte sich auf dem großen Raume sehr gut. Der Charaktertanz war aber mangelhaft, vorzüglich bei der Mutter. Man hatte gute Springer, aber keine Tänzer; ein gewöhnlicher Fehler, wo das Ganze nicht mit Einer Seele arbeitet! Ich habe nie wieder so gute Pantomime gesehen, als in Warschau aus der Schule des Königs Poniatowsky. An ihm ist ein großer Balletmeister verloren gegangen und ein schlechter König gewonnen worden.

In Rom hatte ich einige Höflichkeitsaufträge an den General Dombrowsky erhalten, und er nahm mich mit vieler Freundlichkeit auf und lud mich mit nordischer Gastfreiheit auf die ganze Zeit meines Hierseyns an seinen Tisch. Hier fand ich mit ihm und andern von Polen aus Berührung. Ich hatte ihn einige Mal in Suwarows Hauptquartire gesehen; und er hatte von seinem ersten Dienst unser Vaterland Sachsen noch sehr lieb. Er ist einer von den heutigen Generalen, die die meiste Wissenschaft ihres Faches haben; und Du findest bei ihm Bücher und Charten, die Du vielleicht an vielen andern Orten vergebens suchst. Er ist ein sehr freier, strenger Beurtheiler militärischer Zeichnungen, fordert das Wesentliche und bekümmert sich nicht um zierliche Kleinigkeiten. Er hat eine schöne Sammlung guter Kupferstiche von den Köpfen großer Männer; besonders ist darunter ein Gustav Adolph, der sehr alt und charakteristisch ist, und auf den er viel hält. Eine Anekdote aus diesem nur geendigten Kriege wird Dir vielleicht nicht unangenehm seyn. Dombrowsky liebte Schillers dreißigjährigen Krieg und trug ihn in seinen Feldzügen in der Tasche. Bei Trebbia oder Novi schlug eine Kugel gerade auf den Ort, wo unten das Buch lag, und dadurch wurde ihm wahrscheinlich das Leben gerettet. Ich habe das durchschlagene Exemplar selbst in Rom gesehen, wo er es einem Freunde zum Andenken geschenkt hat, und die Erzählung aus dem eigenen Munde des Generals. Er sagte mir lachend: „Schiller hat mich gerettet, aber er ist vielleicht auch Schuld an der Gefahr: denn die Kugel hat eine Unwahrheit herausgeschlagen. Es stand dort: die Polen haben bei Lützen gefochten; das ist nicht wahr; es waren Kroaten. Die Polen haben nie für Geld geschlagen; selbst jetzt schlugen wir noch für unser Vaterland; ob es gleich nunmehr unwiderbringlich verloren ist.“ Das gab etwas Sichtung der vergangenen Politik. Ich meinte, es wäre vorauszusehen gewesen, daß für Polen keine Rettung mehr war. Die Franzosen würden sich in ihrer noch kritischen Lage nicht der ganzen Wirkung der furchtbaren Tripleallianz bloßstellen, um ein Zwitterding von Republik wieder zu etabliren, an deren Existenz sie nun gar kein Interesse mehr hatten. Eifersucht zwischen den großen, mächtigen Nachbarn ist wahrscheinlich und ihnen vortheilhaft. Wenn die Polen noch unter einem einzigen Herrn wären, so ließe sich durch eben diese Eifersucht noch Rettung denken. Das schienen sie vorher selbst zu fühlen, und thaten, da die Katastrophe nun einmal herbeigeführt war, hier und da etwas, um nur unter Einen Herrn zu kommen. Ich weiß selbst, daß ich als russischer Officier in Posen vor der Hauptwache vor den preußischen Kanonen von einem Dutzend junger Polen belagert wurde, die mir’s nahe an’s Herz legten, daß doch die Kaiserin sie alle nehmen möchte; sie sollte ihnen nur einige Bataillone Hülfe schicken, so wollten sie die Preußen zurückschlagen. Sie brachten eine Menge scheinbare Gründe, warum sie lieber russische Unterthanen zu seyn wünschten; aber die wahren verbargen sie gewiß. Sie dachten unstreitig: bleiben wir nur beisammen, so können wir durch irgend eine Konjunktur bald wieder politische Existenz gewinnen. — Der General fand die Schlußfolge ziemlich bündig, sagte aber, ein Patriot dürfe und müsse auch die letzte schwache Hoffnung für sein Vaterland versuchen. Das ist brav und edel.

Die Polen haben hier noch ganz ihre alte Organisation und tragen ihre alten Abzeichen, so daß man die alten Officiere noch für Sachsen halten könnte. Der Mangel im Kriege muß in Italien zuweilen hoch gestiegen seyn; denn es wurde erzählt, daß einmal die Portion des Soldaten auf acht Kastanien und vier Frösche reducirt gewesen sei. Die Zufriedenheit wird gegenseitig mit einer ganz eigenen Art militärisch drolliger Vertraulichkeit geäußert. So sagten die Franzosen von den Polen: „Ah, ce sont de braves coquins; ils mangent comme les loups, boivent diablement, et se battent comme les lions.“ Die polnischen Officiere konnten den französischen Soldaten nicht Lob genug ertheilen über ihren Muth, ihre Unverdrossenheit und ihren pünktlichen Gehorsam. Wo die Franzosen nicht durchdrangen: waren gewiß alle Mal ihre Anführer Schuld daran. Es wurde behauptet, daß das polnische Corps bei der letzten Musterung noch 15000 Mann stark gewesen sei; und jetzt wird eben in Livorno ein Theil davon nach Sankt Domingo eingeschifft. Es hat das Ansehen, als ob Bonaparte alle Truppen, die ihm zu seinen Absichten in Europa als etwas undienstlich vorkommen, auf diese gute kluge Weise fortzuschaffen suche, welches man auch hier und da zu merken scheint. Auch werden die Unruhen dort vielleicht geflissentlich nicht so schnell gedämpft, als wohl sonst die französische Energie vermöchte.

Die freundliche Aufnahme des Generals hielt mich mehrere Tage länger hier, als ich zu bleiben gesonnen war; und in den Mußestunden lese ich mit viel Genuß Wielands Oberon, den mir ein Landsmann brachte. Die ersten Tage hatte man mich im Wirthshause mit einem gewissen Mißtrauen wie einen gewöhnlichen Tornisterträger behandelt; da ich aber täglich zum General ging, feine Hemden in die Wäsche gab, artige Leute zum Besuch auf meinem Zimmer empfing, und vorzüglich wohl, da ich einige schwere Goldstücke wechseln ließ, ward das ganze Haus vom Prinzipal bis zum letzten Stubenfeger ungewöhnlich artig. Noch muß ich Dir bemerken, daß ich in Mailand von ganz Italien nach meinem Geschmack die schönsten Weiber gefunden habe: auch den Corso in Rom nicht ausgenommen. Ich urtheile nach den Promenaden, die hier sehr volkreich sind, und nach den Schauspielen. Hier im Hause hatte ich nun vermuthlich, wie in Italien oft, das Unglück, für einen reichen Sonderling zu gelten, den man nach seiner Weise behandeln müsse. Ich mochte in Unteritalien und Sicilien oft protestiren, so viel ich wollte, und meine Deutschheit behaupten, so war ich Signor Inglese und Eccellenza; und man machte die Rechnung darnach. So etwas mochte man auch nach verjüngten Maßstabe in Mailand denken. Die Industrie ist mancherlei. Ich saß an einem Sonntag Morgens recht ruhig in meinem Zimmer, und las wirklich zufällig etwas in den Libertinagen Katulls; da klopfte es und auf meinen Ruf trat ein Mädchen ins Zimmer, das die sechste Bitte auch ohne Katull stark genug dargestellt hätte. Die junge, schöne Sünderin schien ihre Erscheinung mit den feinsten Hetärenkünsten berechnet zu haben. Ich will durch ihre Beschreibung mein Verdienst weder als Stylist, noch als Philosoph zu erhöhen suchen. „Signore, comanda qualche cosa?“ fragte sie in lieblich lispelndem Ton, indem sie die niedliche Hand an einem Körbchen spielen ließ und Miene machte es zu öffnen. Ich sah sie etwas betroffen an und brauchte einige Augenblicke, ehe ich etwas unschlüssig „No“ antwortete. „Niente?“ fragte sie, und der Teufel muß ihr im Ton Unterricht gegeben haben. Ich warf den Katull ins Fenster und war höchst wahrscheinlich im Begriff, eine Sottise zu sagen, oder zu begehen, als mir schnell die ernstere Philosophie still eine Ohrfeige gab. „Niente,“ brummte ich grämelnd, halb mit mir selbst im Zwist; und die Versucherin nahm mit unbeschreiblicher Grazie Abschied. Wer weiß, ob ich nicht das Körbchen etwas näher untersucht hätte, wenn die Teufelin zum drittenmal mit der nämlichen Stimme gefragt hätte, ob gar nichts gefiele. So war die Sache, mein Freund; und wäre sie anders gewesen, so bin ich nicht so engbrüstig und könnte sie Dir anders, oder gar nicht erzählt haben. Ich ging also nur leidlich mit mir selbst zufrieden zum General.

Zürich.

Nun bin ich bei den Helvetiern und fast wieder im deutschen Vaterlande, und bereite mich, in einigen Tagen einen kleinen Abstecher zu den Galliern zu machen. Viel Erbauliches wird nach allen Aspekten dort jetzt füglich nicht zu sehen und zu hören seyn: indessen da ich einmal in Bewegung bin, will ich doch an die Seine hinunterwandeln. Wenn ich wieder fest sitze, möchte es etwas schwer halten.

Den vierzehnten Juni ging ich aus Mailand und ging diesen Tag herüber nach Sesto am Ticino, den ich nicht für so beträchtlich gehalten hätte, als ich ihn fand. In der Gegend von Mailand war schon eine Menge Getreide geerntet und Alles war in voller Arbeit; und als ich über den Berg herüberkam, fing das Korn nach Altdorf herunter eben erst an zu schossen: das ist merklicher Kontrast. Die größte Wohlthat war mir nun wieder das schöne Wasser, das ich überall fand. Von Mailand hatte ich die beschneiten Alpen mit Vergnügen gesehen und nun nahte ich mich ihnen mit jedem Schritte, und kam bald selbst hinein. Von Sesto aus fuhr ich auf dem Tessino und dem Lago maggiore herauf, bloß um die schöne Gegend zu genießen, die wirklich herrlich ist. Ich kam aus Unteritalien und Sicilien, und gab mir also keine große Mühe, die Borromeischen Inseln in der Nähe zu sehen, da mein Schiffer mir sagte, es würde mich einen Tag mehr und also wohl zwei Dukaten mehr kosten. Ich sah also bei Varone links an der Anhöhe den gigantischen heiligen Karl Borromeo aus der Ferne, und fuhr dann sowohl bei der schönen Insel, als bei der Mutterinsel vorbei. Man hätte mir höchst wahrscheinlich dort nur Orangengärten gezeigt, die ich in Unteritalien besser gesehen habe, und hätte mir gesagt, hier hat Joseph, hier Maria Theresia und hier Bonaparte geschlafen. Das wäre mir denn zusammen kaum so wichtig gewesen, als da mich der Kastellan von dem Schlosse zu Weißenfels belehrte, hier in diesem Bette schlief Friedrich der Zweite nach der Schlacht bei Roßbach. Die Fruchtbarkeit an dem See ist hier zuweilen außerordentlich groß, und wo die Gegend von den rauheren Winden geschützt wird, findet man hier Früchte, die man in der ganzen Lombardei umsonst sucht. Man sieht noch recht schöne Oelbäume, die man diesseits der Apenninen nur selten findet, und sogar indische Feigen in der freien Luft. Ich schlief am Ende des Sees in Magadino, wo der obere Tessin hineinfällt, in einem leidlichen Hause, schon zwischen rauhen Bergen. Den andern Morgen trat ich den Gang an dem Flusse herauf über Belinzona an, der mich nach einigen Tagen über den Gotthard herüber brachte. Zwei Tage ging ich am Flusse immer bergauf. Die Hitze war unten in der Schlucht ziemlich drückend, bis nach Sankt Veit, wo man, ich glaube zum Frohnleichnamsfeste einen Jahrmarkt hielt, der mir besser gefiel, als der Ostermarkt in Palermo, obgleich für mich weiter nichts da war, als Kirschen. Den ersten Abend blieb ich in einem kleinen Orte, dessen Name mir entfallen ist. Der Tessin stürzte unter meinem Fenster durch die Felsen hinunter; gegenüber lag am Abhange ein Kloster, und hinter demselben erhob sich eine furchtbar hohe Alpe in schroffen Felsenmassen, deren Scheitel jetzt, fast zu Johannis, mit Schnee bedeckt war. Die Bewirthung war besser, als ich sie in diesen Klüften erwartet hätte; vorzüglich waren die Forellen aus dem Tessin köstlich. Die Leute schienen viel ursprüngliche Güte zu haben. Mein größter Genuß waren überall die Alpenquellen, vor denen ich selten vorbeiging, ohne zu ruhen und zu trinken, wenn auch beides nicht nöthig war, und in den Schluchten um mich her zu blicken, und vorwärts und rückwärts die Gegenstände fest zu halten. Jetzt schmolz eben der Schnee auf den Höhen der Berge, und oft hatte ich vier bis sechs Wasserfälle vor den Augen, die sich von den nackten Häuptern der Alpen in hundert Brechungen herabstürzten, und von denen der kleinste doch immer eine sehr starke Wassersäule gab. Der Tessin macht auf dieser Seite schönere Partien, als die Reuß auf der deutschen; und nichts muß überraschender seyn, als hier hinauf und dort hinunter zu steigen. Ayrolles war mein zweites Nachtlager. Hier sprach man im Hause Deutsch, Italienisch und Französisch fast gleich fertig, und der Wirth machte mit seiner Familie einen sehr artigen Zirkel, in dem ich sogleich heimisch war. Suworow hatte einige Zeit bei ihm gestanden, und wir hatten beide sogleich einen Berührungspunkt. Er war ganz voll Enthusiasmus für den alten General, und rühmte vorzüglich seine Freundlichkeit und Humanität, welches vielleicht Vielen etwas sonderbar und verdächtig vorkommen wird. Aber ich sehe nicht ein, was den Wirth in Ayrolles oben am Gotthardt bestimmen sollte, eine Sache zu sagen, die er nicht sah. Suworow war nicht der einzige General, der ihm im Kriege die Ehre angethan hatte, bei ihm zu seyn: er zeichnete sie alle, wie er sie gefunden hatte. Mehrere davon sind allgemein bekannt. Ich habe das zweideutige Glück gehabt, für den Enkomiasten des alten Suworow zu gelten, und ich suchte doch nur seinen wahren Charakter zu retten und einige Phänomene zu erklären, die ihm zur Last gelegt werden. In Prag hat er zu einem häßlichen Gemälde gesessen. Der Löwe ist todt und nun wird zugeschlagen. Ich weiß sehr wohl, daß das ganze Leben dieses Mannes eine Kette von Eigenheiten war; aber wenn man seine Nichtfreunde in Prag und Wien hörte, wäre er ein ausgemachter alter, mürrischer Geck von einem weggeworfenen Charakter gewesen; und der war er doch gewiß nicht. Sonderbarkeit war überhaupt sein Stempel: und in Prag war er in einer eigenen Stimmung gegen ihn. Die politischen Verhältnisse lassen vermuthen, in welcher peinlichen Lage er damals von allen Seiten sich befand. Weder sein eigener Monarch, noch der östreichische Hof waren mit seinem Betragen zufrieden. Er hatte ohne Schonung über Fehler aller Art und ohne Rücksicht der Personen gesprochen. Er war alt und kränklich und sah dem Ende seines Lebens entgegen. Seine Grillen konnten unter diesen Umständen sich nicht vermindern. Die Ungezogenheiten einiger seiner Untergebenen wurden wahrscheinlich ihm zur Last gelegt; und er selbst war freilich nicht der Mann, der durch schöne Humanität und Grazie des Lebens immer seinen Charakter hätte empfehlen können. Seines Werthes sich bewußt, fest rechtlicher Mann, aber eisern consequenter Soldat, war er voll Eigenheiten, von denen viele, wie Bizarrerien und Marotten aussahen; war äußerst strenge gegen sich und sodann auch in seinen Forderungen gegen Andere, und sprach skoptisch und sarkastisch über Alles. Seine Bigotterie war sehr wohl berechnet, und unstreitig nicht so tadelhaft, als sie an der Seine gewesen wäre; aber auch in diesem Stücke verläugnete ihn sein eigener Charakter nicht und gab ihr ein Ansehen von Possirlichkeit. Er soll in Prag eine schmutzige Filzerei gezeigt haben, weggefahren seyn, ohne einen Kreuzer zu bezahlen, und nichts, als einen alten Nachttopf zurückgelassen haben, den man als eine Reliquie ganz eigener Art aufbewahrt. Dies ist nun gewiß wieder ein barockes Quidproquo: denn Geiz war so wenig in seinem Charakter, als prahlerische Verschwendung. Wenn ich diese Dinge nicht von wahrhaften Leuten hätte, würde ich nur den Kopf schütteln und sie zu den lächerlichen Erfindungen des Tages setzen. Aber man muß auch den Teufel nicht schwärzer machen, als er ist; und ich bin fest überzeugt, daß Suworow durchaus ein ehrlicher Mann und kein Wüthrich war, wenn er auch eine starke Dose Excentricität hatte, und mit der Welt im Privatleben oft Komödie spielte, so wie man seine Energie im öffentlichen zu lauter Trauerspielen brauchte. Du weißt, daß ich dem Manne durchaus nichts zu danken habe, und kannst also in meinen Aeußerungen nichts, als meine ehrliche Meinung finden. Wenn wir einigen Engländern glauben wollen, die durch ihren persönlichen Charakter ihre Glaubwürdigkeit nicht verwirkt haben, so ist der Nordländer Suworow, wenn auch Alles wahr war, was von ihm erzählt wird, immer noch ein Muster der Humanität gegen den Helden des Tages, Bonaparte, der auf seinen morgenländischen Feldzügen die Gefangenen zu Tausenden niederkartätschen ließ.

Hier oben behauptete man, wenn Suworow Zeit gehabt hätte, nur noch sechstausend Mann über den Berg hinüber nach Zürich zu werfen, so wäre die Schlacht eben so fürchterlich gegen die Franzosen ausgefallen, wie nun gegen die Russen. Alle Franzosen, mit denen ich über die Geschichte gesprochen habe, gestehen das Nämliche ein, und sagen, bloß die Entfernung des Erzherzogs, der in die Falle des falschen Manövers am Unterrhein ging, sei die Ursache ihres Glücks gewesen; und sie bekennen, daß sie im ganzen Kriege meistens nur durch die Fehler der Gegner gewonnen haben. Hier in Zürich habe ich rund umher mich nach dem Betragen der Russen erkundigt, und man giebt ihnen überall das Zeugniß einer guten Aufführung, die man doch anderwärts als abscheulich geschildert hat. Man beklagt sich weit mehr über die Franzosen, deren Art Krieg zu führen dem Lande entsetzlich drückend seyn muß, da sie selten Magazine bei sich haben, und nur zusammentreiben was möglich ist. Das geht einmal und zweimal, das drittemal muß es gefährlich werden, welches die Schlauköpfe auch sehr wohl wissen. Sie berechnen nur klug; Humanität ist ihnen sehr subalterner Zweck. Dieses ist einigen Generalen und Kommissären, und nicht der ganzen Nation zuzurechnen.

Ayrolles ist der letzte italienische Ort, und diesseits des Berges in Sankt Ursel ist man wieder bei den Deutschen. Zwei Tage war ich beständig bergauf gegangen; Du kannst also denken, daß der Ort schon auf einer beträchtlichen Höhe steht. Rund umher sind Schneegebirge, und der Tessin bricht rauschend von den verschiedenen Abtheilungen des Berges herab. Ich schlief unter einem Gewitter ein; ein majestätisches Schauspiel hier in den Schluchten der höchsten Alpen. Der Donner brach sich an den hohen Felsenschädeln, und rollte sodann furchtbar in das Thal hinunter, durch das ich heraufgekommen war. Ein solches Echo hörst Du freilich nicht auf der Ebene von Lützen.

In dem Wirthshause zu Ayrolles saß ein armer Teufel, der sich leise beklagte, daß seine Börse ihm keine Suppe erlaubte. Du kannst denken, daß ich ihm zur Suppe auch noch ein Stückchen Rindfleisch schaffte; denn ich habe nun einmal die Schwachheit, daß es mir nicht schmeckt, wenn Andere in meiner Nähe hungern. Er war ein ziemlich alter wandernder Schneider aus Konstanz, der, wie er sagte, nach Genua gehen wollte, einen Bruder aufzusuchen. Er hörte aber überall so viel von der Theuerung und der Unsicherheit in Italien, daß er lieber wieder zurück über die Alpen wollte, und erbot sich, mir meinen Reisesack zu tragen. Ich sagte ihm, ich wollte auf seine Entschließung durchaus keinen Einfluß haben, er müßte seine Umstände am besten wissen, ich wäre gewohnt meinen Sack selbst zu tragen. Er wollte aber bestimmt wieder zurück, und ich trug nun kein Bedenken, ihn meinen Tornister umhängen zu lassen. Wir stiegen also den kommenden Morgen, den achtzehnten Juni, rüstig den Gotthardt hinauf. Es war nach dem Gewitter sehr schlechtes Wetter, kalt und windig, und in den obern Schluchten konnte man vor Nebel, und noch weiter hinauf vor Schneegestöber, durchaus nichts sehen; links und rechts blickten die beschneiten Gipfel aus der Dunkelheit des Sturms drohend herunter. Nach zwei starken Stunden hatten wir uns auf die obere Fläche hinaufgearbeitet, wo das Kloster und das Wirthshaus steht, und wo man im vorigen Kriege geschlagen hat. Das erste liegt jetzt noch wüst, und der Schnee ist von innen hoch an den Wänden aufgeschichtet; das Wirthshaus ist ziemlich wieder hergestellt, und man hat schon wieder leidliche Bequemlichkeit. Es muß eine herkulische Arbeit gewesen seyn, hier nur kleine Artilleriestücke heraufzubringen, und es war wohl nur in den wärmsten Sommermonaten möglich. Der Schnee liegt noch jetzt auf dem Wege sehr hoch, und ich fiel einigemal bis an die Brust durch. Den höchsten Gipfel des Berges zu ersteigen würde mir zu nichts gefrommt haben, da man im Nebel kaum zwanzig Schritte sehen konnte. Es ist vielleicht in den Annalen der Menschheit aus diesem Kriege ein neues Phänomen, daß man ihn hier zuerst über Wolken und Ungewitter herauftrug: coelum ipsum petimus stultitia. Das Wasser auf der obersten Fläche des Berges hat einen ziemlichen Umfang; denn es gießt sich rund umher die Ausbeute des Regens und Schnees von den höchsten Felsen in den See, aus dem sodann die Flüsse von mehreren Seiten hinabrauschen. Es müßte das größte Vergnügen seyn, einige Jahre nach einander Alpenwanderungen machen zu können. Welche Verschiedenheit der Gemälde hat nicht allein der Gotthardt? Kornfelder wogen um seine Füße, Heerden weiden um seine Kniee, Wälder umgürten seine Lenden, wo das Wild durch die Schluchten stürzt; Ungewitter donnern um seine Schultern, von denen die Flüsse nach allen Meeren herabstürmen, und das Haupt des Adula schwimmt in Sonnenstrahlen. Das gestrige Gewitter mochte vielleicht Ursache des heutigen schrecklichen Wetters seyn: doch war die Veränderung so schnell, daß in einer Viertelstunde manchmal dicker Nebel, Sturm, Schneegestöber, Regen und Sonnenschein war, und sich die Wolken schon wieder von Neuem durch die Schluchten drängten. Als ich oben gefrühstückt hatte, ging ich nun auf der deutschen Seite über Sankt Ursel, durch das Ursler Loch und über die Teufelsbrücke herab. Denke Dir das Teufelswetter zu der Teufelsbrücke, wo ich links und rechts kaum einige Klaftern an den Felsen in die Höhe sehen konnte, und Du wirst finden, daß es eine Teufelspartie war: ich möchte aber doch ihre Reminiscenz nicht gern missen. Als wir weiter herabkamen ward das Wetter heiter und freundlich, und nur einige Schluchten in den furchtbaren Schwarzwäldern waren noch hoch mit Schnee gefüllt, und die Spitzen der Berge weiß. Mein Schneider von Konstanz erzählte mir Manches aus seinem Lebenslaufe, der eben nicht der beste war, wovon aber der Mensch gar keine Ahnung zu haben schien. Sehr naiv machte er den Anfang mit dem Bekenntniß, daß er in seinem ganzen Leben nicht gearbeitet habe, und nun in seinem achtundvierzigsten Jahre nicht erst anfangen werde. — „So, so, das ist erbaulich; und was hat Er denn gethan?“ — „Ich habe gedient.“ — „Besser ist arbeiten als dienen.“ — Nun erzählte er mir, wo er überall gewesen war: da war denn meine Personalität eine Hausunke gegen den Herrn Hipperling von Konstanz. Er kannte die Boulevards besser, als seine Hölle, und hatte alle Weinhäuser von Neapel diesseits und jenseits der Grotte versucht. Zuerst war er kaiserlicher Grenadier gewesen, dann Reitknecht in Frankreich, dann Kanonir in Neapel und zuletzt Mönch in Korsika. Er fluchte sehr orthodox gegen die Franzosen, die ihm seine Klosterglückseligkeit geraubt hatten, weil sie die Nester zerstörten. Jetzt machte er Miene, mit mir wieder nach Paris zu gehen. Ich gab ihm meinen Beifall über seine ewige unstäte Landläuferei nicht zu erkennen, und er selbst schien zu fühlen, er hätte doch wohl besser gethan, sich treulich an Nadel und Fingerhut zu halten. Wir schlenderten eine hübsche Partie ab, da wir in einem Tage von Ayrolles den Berg herüber bis herab über Altorf nach Flüren am See gingen. Altorf, das vor einigen Jahren durch den Blitz entzündet wurde und fast ganz abbrannte, wird jetzt recht schön, aber eben so unordentlich wieder aufgebauet. Die Berggegend sollte doch wohl etwas mehr Symetrie erlauben. Eine Stunde jenseit Altorf war das Wasser sehr heftig aus den Bergen heruntergeschossen und konnte nicht schnell genug den Weg in die Reuß finden, so daß wir eine Viertelstunde ziemlich bis an den Gürtel auf der Straße im Wasser waden mußten. Es war kein Ausweg. Den andern Morgen nahm ich ein Boot herüber nach Luzern, ohne weiter den Ort besehen zu haben, wo Tell den Apfel abgeschossen hatte. Nicht weit von der Abfahrt stürzt rechts ein Wasserfall von sehr hohen Felsen herab, nicht weit von Tells Kapelle, und man erzählte mir, daß oben in den Alpen ein beträchtlicher See von dem Wasser der noch höhern Berge wäre, der hier herabflösse. Schade, daß man nicht Zeit hat, hinaufzuklettern; die Partie sieht von unten aus schon sehr romantisch, und oben muß man eine der herrlichsten Aussichten nach der Reuß und dem Waldstädtersee haben. Die Fahrt ist bekannt, und Du findest sie in den meisten Schweizerreisen. In dem seligen Republikchen Gersau frühstückten wir, und die Herren beklagten sich bitter, daß ihnen die Franzosen ihre geliebte Autonomie genommen hatten. Die ganze Fahrt auf dem Wasser herab bis nach Luzern ist eine der schönsten; links und rechts liegen die kleinen Kantone, und höher die Schneealpen, in welche man zuweilen weit weit hineinsieht. Der Pilatusberg vor Luzern ist nur ein Zwerg, der den Vorhof der Riesen bewacht. In Luzern fand ich im Wirthshause unter der guten Gesellschaft einige Freunde von Johannes Müller, die mit vieler Wärme von ihm sprachen. Nachdem ich die Brücken und den Fluß beschaut hatte, ging ich zum General Pfeiffer, um seine wächserne Schweiz zu sehen. Die Sache ist bekannt genug, aber kein so unnützes Spielwerk, wie wohl Einige glauben. Der Mann hat mit Liebe viele schöne Jahre seines Lebens daran gearbeitet, und mit einer Genauigkeit, wie vielleicht nur wenig militärische Charten gemacht werden. Die Franzosen haben das auch gefühlt, und Lecourbe, gegen den der alte General zuerst eine entschiedene Abneigung zeigte, wußte durch seine Geschmeidigkeit endlich den guten Willen des Greises so zu gewinnen, daß er sich nun als seinen Schüler ansehen konnte. Die Schule hat ihm genützt; und es wird allgemein nicht ohne Grund behauptet, er würde den Krieg in den Bergen nicht so vortheilhaft geführt haben, ohne des Alten Unterricht. Die Wachsarbeit ist bekannt: es ist Schade, daß ihm die Jahre nicht erlauben, das Uebrige zu vollenden. Dieser Krieg hat die Bergbewohner in Erstaunen gesetzt: man hat sich in ihrem Lande in Gegenden geschlagen, die man durchaus für unzugänglich hielt. Die Feinde haben Wege gemacht, die nur ihre Gemsenjäger vorher machten; vorzüglich die Russen und die Franzosen. Man hat sich auf einmal überzeugt, daß die Schweiz bisher nur vorzüglich durch die Eifersucht der großen Nachbarn ihr politisches Daseyn hatte. Die Russen und Franzosen kamen auf Pfaden in das Murter Thal, die man nur für Steinböcke gangbar hielt. Die Katholicität scheint hier sehr gemäßigt und freundlich zu seyn. Das Merkwürdigste für mich war noch, daß mir der Kellner im Gasthofe erzählte, man habe in dem See zweiunddreißig Sorten Forellen, so daß man also bei der kleinsten Wendung der Windrose eine andere Sorte hat. Diejenigen, welche man mir gab, hätten einen Apicius in Entzücken setzen können; und ich rathe Dir, wenn Du hierher kommst, Dich an die Forellen zu halten, wenn Du gleich nicht alle Sorten des Kellners finden solltest.

Von Luzern ließ ich mich auf dem Wasser wieder zurückrudern, durch die Bucht links, ging über den kleinen Bergrücken herab an den Zuger See, setzte mich wieder ein, und ließ mich nach Zug bringen. Wäre ich etwas frömmer gewesen, so wäre ich rechts fort zur heiligen Mutter von Einsiedel gegangen. Auf dem Bergrücken zwischen diesen beiden Seen steht die bekannte andere Kapelle Tells mit der schönen Poesie. Alles ist sehr gut und sehr patriotisch; aber ich fürchte, nicht sehr wahr: denn wenn auch die Schweizer noch die Alten wären, würden sie sich doch in diesen Konjunkturen schwerlich retten. Man nimmt die größeren fruchtbaren Kantons und läßt die Alpenjäger jagen und hungern; sie werden schon kommen und bitten. Bloß die Eifersucht gegen Oestreich gab der Schweiz Existenz und Dauer.

Von Zug aus nahm ich meinen Tornister selbst wieder auf den Rücken. Der Schneider sah einige Minuten verblüfft, brummte und bemerkte sodann ich müsse doch sehr furchtsam seyn, daß ich ihm meinen Reisesack nicht anvertrauen wolle. Ich machte ihm begreiflich, daß hier zwischen Zug und Zürich gar nichts zu fürchten sei, daß mich allenfalls mein Knotenstock gegen ihn schütze, daß ich ihm aber keine Verbindlichkeit weiter haben wolle: seine Gesellschaft sei mir auch zu theuer, er sei unbescheiden und fast unverschämt; ich wolle weiter nichts für ihn bezahlen. Dabei erklärte ich ihm, daß ich in Luzern für meine eigne Rechnung vierunddreißig Batzen, und für die seinige sechsunddreißig bezahlt habe; das stehe mir nicht an. Er entschuldigte sich, er habe einen Landsmann gefunden und mit ihm etwas getrunken, und der Wirth habe zu viel angeschrieben. „Vielleicht ist beides,“ sagte ich. „Er hat zu viel getrunken, und Jener hat noch mehr angeschrieben, ob mir das gleich von dem ehrlichen Luzerner nicht sehr wahrscheinlich vorkommt: aber, mein Freund, Er hat vielleicht der Landsleute viele von Neapel bis Paris; ich zahle gern eine Suppe und ein Stück Fleisch und einige Groschen, aber ich lasse mich nur Einmal so grob mitnehmen.“ Er verließ mich indessen doch nicht; wir wandelten zusammen den Albis hinauf und herab, setzten uns unten in ein Boot und ließen uns über den See herüber nach Zürich fahren wo ich dem Sünder noch einige Lehren und etwas Geld gab, und ihn laufen ließ. Er wird indessen beides schon oft bekommen haben.

Hier bin ich nun wieder unter vaterländischen Freunden, und könnte bald bei Dir seyn, wenn ich nicht noch etwas links abgehen wollte. In Zürich möchte ich wohl leben; das Oertliche hat mir selten anderwärts so wohl gefallen. Ich trug einen Brief aus Rom zu Madame Geßner, der Wittwe des liebenswürdigen Dichters, und ging von ihr hinaus an das Monument, das die patriotische Freundschaft dem ersten Idyllensänger unserer Nation errichtet hat, an dem Zusammenflusse der Siehl und der Limmat. Das Plätzchen ist idyllisch schön, und ganz in dem Geiste des Mannes, den man ehren wollte; und der Künstler, sein Landsmann, hat edle Einfalt nicht verfehlt, welche hier erfordert wurde. Akazien, Platanen Silberpappeln und Trauerweiden umgeben den heiligen Ort. Einige Zeit verwendete ich darauf, die Schlachtgegend zu überschauen; und ich kann nicht begreifen, wie die Oestreicher ihre Stellung verlassen konnten. Ich verschone Dich mit Beschreibungen, die Du in vielen Büchern vielleicht besser findest. Eine eigne Erscheinung war es mir hier, daß bei Vidirung des Passes zwei Batzen bezahlt werden mußten. Ich möchte wohl wissen, wie man dieses mit liberaler Humanität, oder nur mit Rechtlichkeit in Uebereinstimmung bringen wollte.

Nun erlaube mir noch, Dir fragmentarisch etwas über meinen Gang durch Italien im Allgemeinen zu sagen! Du hast aus meiner Erzählung gesehen, daß es jetzt wirklich traurig dort aussieht; vielleicht trauriger, als es je war. Ich bin gewissenhaft gewesen, und jedes Wort ist Wahrheit, so weit man historische Wahrheit verbürgen kann. Daß Brüdone in Sicilien gewesen ist, bezweifelt niemand; aber Viele haben Vieles gegen seine schönen Erzählungen. So viel weiß ich, daß in Sicilien selbst, und vorzüglich in Agrigent und Syrakus, man sehr übel mit ihm zufrieden ist; aber Barthels ist doch vielleicht zu strenge gegen ihn verfahren. Mehrere Rügen, die ich hier nicht aufzählen kann, haben ihre Richtigkeit; und sein Hauptfehler ist, daß er seiner poetischen Phantasie zu viel Spielraum gab. Die Besten über die Insel von den Neuern sind wohl Barthels und Münter. Dorville habe ich fast durchaus sehr genau gefunden, so viel ich auf dem Fluge habe bemerken können.

Das ganze Königreich Neapel ist in der traurigsten Verfassung. Ein Courier, der von Messina über Rheggio nach Neapel gehen soll, hält den Weg immer für gefährlicher als einen Feldzug. Der Officier, mit dem ich nach Rom reis’te, war sechszehnmal geplündert worden, und dankte es nur seiner völligen Resignation, daß er noch lebte. Ich könnte sprechen, sagte er, aber dann dürfte ich keine Reise mehr machen, oder ich wäre auf der ersten ein Mann des Todes. Alle Gräuel, die wir von Paris während der Revolution gehört haben, sind noch Menschlichkeit gegen das, was Neapel aufzuweisen hat. Was die Demokraten in Paris einfach thaten, haben die royalistischen Lazaronen und Kalabresen in Neapel zehnfach abscheulich sublimirt. Man hat im eigentlichen Sinne die Menschen lebendig gebraten, Stücken abgeschnitten und ihre Freunde gezwungen davon zu essen; der andern schändlichen Abscheulichkeiten nicht zu erwähnen. Ein wahrhafter, durchaus rechtlicher Mann sagte mir, man sei mit einer Tasche voll abgeschnittener einzelner Nasen und Ohren zu ihm gekommen, habe aufgezählt, wer die Eigenthümer derselben gewesen, und er habe seine ganze Standhaftigkeit und Klugheit nöthig gehabt, nicht zu viel Mißbilligung zu zeigen, damit er nicht selbst unter die Opfer geriethe. Das ist unter Ruffo geschehen, dessen Menschlichkeit sogar noch hier und da gerühmt wird. Die Geschichte der Patrioten von Sankt Elmo ist bekannt. Nelson und seine Dame, die Exgemahlin Hamiltons, ließen im Namen der Regierung die Kapitulation kassiren, und die Henker hatten volle Arbeit. Auf diese Weise kann man alles was heilig ist niederreißen. Man nennt den Namen des Admirals und noch mehr den Namen der Dame mit Abscheu und Verwünschung, und bringt Data zur Belegung. In Kalabrien soll jetzt allgemeine Anarchie seyn. Das ist begreiflich. Bildung ist nicht, und das Bißchen Christenthum ist, so wie es dort ist, mehr ein Fluch der Menschheit. Die Franzosen kamen und setzten in Revolution; die Halbwilden trauten und wurden verrathen. Ruffo kam im Namen des Königs, und versprach: die Betrogenen folgten und wütheten nun unter ihm bis zur Schande der menschlichen Natur in der Hauptstadt. Jetzt sagen sie, der König habe sie noch ärger betrogen, als die Franzosen. Wer kann bestimmen, wie weit sie Recht haben? Die Regierung des Dey kann kaum grausamer seyn; schlechter ist sie nicht. Im ganzen Königreich und auf der Insel zusammen sind jetzt kaum funfzehn tausend Mann Truppen: diese haben einen schlechten Sold, und dieser schlechte Sold wird noch schlechter bezahlt. Du kannst die Folgen denken. Unzufriedenheit gilt für Jakobinismus, wie fast überall. Ich habe die meisten Städte des Reichs gesehen, und nach meinem Ueberschlage ist die Zahl der Truppen noch hoch angenommen. Die sogenannten Patrioten schreien über Verrätherei der Franzosen und knirschen die Zähne über die Regierung. Mäßigung und Gerechtigkeit ist in Neapel kein Gedanke. Mit fünf tausend Franzosen will ich das ganze Reich wieder reformiren und behaupten, sagte mir ein eben nicht zelotischer Parteigänger. Die rechtlichsten Leute wurden gezwungen der Revolution beizutreten, um sich zu retten, und wurden hernach wegen dieses Zwanges hingerichtet. Vorzüglich traf dieses Schicksal die Aerzte. Es wurden Beispiele mit Umständen erzählt, die Schauder erregen. Filangieri war zu seinem Glücke vorher gestorben. Die Regierung nimmt bei ihrer gänzlichen Vernachlässigung noch alle Maßregeln, die Gemüther noch mehr zu erbittern; ist saumselig, wo rechtliche Strenge nöthig wäre, und grausam, wo weise Mässigung frommen würde. In Sicilien treibt das Feudalsystem in den gräßlichsten Gestalten das Unheil fort: und obgleich mehr als die Hälfte der Insel wüste liegt, so würde doch kein Baron einen Fuß Land anders, als nach den strengsten Lehnsgesetzen bearbeiten lassen. Die Folgen sind klar. Wie geachtet die Regierung und geliebt der Minister ist, davon habe ich selbst ein Beispielchen von den Lazaronen in Neapel gehört. Es kam ein Schiff von Palermo an mit etwas Ladung aus der Haushaltung des Königs. Unter andern wurde ein großer, schöner Maulesel ausgeschifft; das neugierige Volk stand wie gewöhnlich gedrängt umher. „Kischt’ è il primo minischtro,“ sagte ein Kerl aus dem Haufen, und die ganze Menge brach in ein lautes Gelächter aus. Ohne Zweifel ist der Minister nicht so schlecht, als ihn seine Feinde machen; aber er ist doch genug, um ein schlechter Minister zu seyn. Das Facit liegt am Tage: das Reich verarmt täglich mehr, und der Minister wird täglich reicher. An Manufakturen wird gar nicht gedacht: die Engländer und Deutschen versorgen alle Provinzen. In Neapel brauchte ich Strümpfe; die waren englisch: in Syrakus war nichts Einheimisches zu finden. Ueberall sind fremde Kaufleute, die mit fremden Artikeln handeln. Man sagt in Neapel auf allen Straßen ganz laut, der Minister verkaufe als Halbbrite die Nation an die Engländer. Man schreit über die öffentliche Armuth und die öffentliche Verschwendung; man lebe von der Gnade der Franzosen und halte drei Höfe, in Palermo und Kaserta und Wien. Einzeln erzählte Vorfälle sind empörend. Der König ist ein Liebhaber von schönen Weibern. Das mag er: andere sind es auch, ohne Könige zu seyn. In der Revolution wurde eine Dame als Staatsverbrecherin mit ergriffen, und das Tribunal verurtheilte sie zum Tode. Die vornehme interessante Frau appellirte an den König, und ihre Freunde brachten es so weit, daß sie zur endlichen Entscheidung ihres Schicksals nach Palermo geschickt wurde. Der König lebte dort in ihrer Gesellschaft einige Zeit nach der Liebhaber Weise; endlich drangen die strengen Strafprediger an sein Gewissen: die Frau wurde nach Neapel zurückgeschickt und — hingerichtet. Sie erzählte das Ganze selbst vor ihrem Tode auf dem Blutgerüste. Das ist verhältnißmäßig eben so schlimm, als die eingesalzenen Nasen und Ohren. Man hat mir Namen und Umstände und den ganzen Prozeß wiederholt genannt.

Die Kassen sind leer, die Offizianten müssen warten, und dabei soll man Jagdpartien geben, die über 50,000 neapolitanische Dukaten kosten. Der General Murat erhielt Geschenke, deren Werth sich auf 200,000 Thaler belief. Ich weiß nicht, wer mehr Unwillen erregt, ob der König, oder Murat? Jener handelt nicht als König, und dieser schlecht, als Republikaner. Anders that Fabricius. Die Räuber streifen aus einer Provinz in die andere, und plündern und morden, ohne daß die Justiz weiter darnach fragt. Man läßt die Leute so gut und so schlecht seyn, als sie wollen; nun sind der Schlechten fast immer mehr als der Guten, zumal bei solchen Vernachlässigungen: so ist die Unordnung leicht erklärt. Die Beschaffenheit des Landes hilft dem Unfuge; die Berge bergen in ihren Schluchten und Winkeln die Bösewichter, gegen welche die Regierung keine Vorkehrungen trifft. Ich habe in dem ganzen Reiche keine einzige militärische Patrouille gesehen, aber Haufen Bewaffnete bis zu fünf und zwanzig. Diese sollen auch Polizei seyn: aber sie tragen kein Abzeichen, sind von den Schurken nicht zu unterscheiden, und alle ehrliche Leute fürchten sich vor ihnen.

Ueberhaupt habe ich in Neapel jetzt drei Parteien bemerkt, die Partei des Königs und der jetzigen Regierung, zu welcher alle Anhänger des Königs und des Ministers gehören; die Partei der Kronprinzen, von dem man sich ohne vielen Grund etwas Besseres verspricht; und die Partei der Malkontenten, die keine Hoffnung von Vater und Sohn haben, und glauben, keine Veränderung könne schlimmer werden. Die letzte scheint die stärkste zu seyn, weiß aber nun, da sie von den Franzosen gänzlich verlassen worden ist, in der Angst selbst nicht, wohin sie den Gesichtspunkt nehmen soll.

In Rom arbeitet man mit allen Kräften an der Wiederherstellung aller Zweige der Hierarchie und des Feudalsystems: Gerechtigkeit und Polizei werden schon folgen, so weit sie sich nämlich mit beiden vertragen können. Die Mönche glänzen von Fett, und segnen ihren Heiland Bonaparte. Das Volk hungert und stirbt, oder flucht und raubt, nachdem es mehr Energie, oder mehr fromme Eselsgeduld hat. Es wird schon besser werden, so viel es das System leidet.

In Hetrurien weiß man sich vor Erstaunen über alle die Veränderungen zu Hause und auswärts noch nicht zu fassen. Die Meisten, da die Menschen nun doch einmal beherrscht seyn müssen, wünschen sich wieder das sanfte östreichische Joch, wie es unter Leopold war. Die Vernünftigern klagen leise oder auch wohl laut über die Anmaßlichkeit des römischen Hofes und die Schwachheit der Regierung; und die hitzigen Polypragmatiker hoffen auf eine Veränderung diesseits der Berge.

Die italienische Republik windet sich, trotz den Eigenmächtigkeiten und Malversationen der Franzosen, ihrer Herren Nachbarn, nach und nach aus der tausendjährigen Lethargie. Hier war an einigen Orten viel vorgearbeitet: aber auch das alte Päpstliche erholt sich und wird etwas humaner. Das Päpstliche diesseits der Apenninen scheint indessen nie so tief gesunken zu seyn, als in der Nähe des Heiligthums. Weit von dem Segen war immer etwas besseres Gedeihen. Alles liegt hier noch im Werden und in der Krise. Die großen Städte klagen zwar über Verlust, aber das platte Land hebt sich doch merklich. Das läßt sich wieder sehr leicht erklären. In Italien scheinen überhaupt die Städte das Land verzehrt zu haben, welches wohl weder politisch, noch kosmisch gut ist.

Die Franzosen im Allgemeinen haben sich in Italien gut betragen, so wie man ihnen das nämliche Zeugniß auch wohl in Deutschland nicht versagen kann. Man erzählt Beispiele von Aufopferung und Edelmuth, die dem humanen Zuhörer außerordentlich wohl thun, und seine sympathetische Natur für den Gegensatz entschädigen, der sich zuweilen zeigt. Einzelne Generale, Kommissäre und Officiere machen oft grelle Ausnahmen. Unter den Generalen wird Murat als Erpresser und Plagegeist überall genannt; und mir däucht, der Augenschein bestätigt die Beschuldigung: er wird bei einem großen Aufwand reich. Ich habe eine ewige Regel, deren Richtigkeit ich mir nicht abstreiten lasse: Wer in dem Dienst des Staats reich wird, kann kein Mann von edelm Charakter seyn. Jeder Staat besoldet seine Diener nur so, daß sie anständig leben und höchstens einen Sicherheitspfennig sparen können: aber zum Reichthum kann es auf eine ehrenvolle Weise keiner bringen. Es giebt nach meiner Meinung nur zwei rechtliche Wege zum Reichthum, nämlich Handel und Oekonomie; einige wenige Glücksfälle ausgenommen. Ist der Staatsdiener zugleich Handelsmann, so hört er eben dadurch auf, einem wichtigen Posten gut vorzustehen. Die Kommissäre haben einmal das unselige Privilegium, die Nationen zu betrügen, weil man ihnen unmöglich alles genau durchschauen kann; und die französischen sollen es sehr ausgedehnt gebraucht haben. Empörend ist es für mich gewesen, wenn ich hörte, daß viele französische Officiere frei durch alle Provinzen reis’ten, mit oder ohne Geschäft, sich nach ihrem Range für sich und ihre Begleitung eine Menge Pferde zahlen ließen und doch allein gingen und knickerisch nur zwei nahmen, und das Geld für die übrigen einsäckelten. Manche arme Kommune, die kaum noch Brot hatte, mußte bei dergleichen Gelegenheiten exekutorisch ihren letzten Silberpfennig zusammenbringen, um den fremden, so genannten republikanischen Wohlthäter zu bezahlen. Das nenne ich Völkerbeglückung! Man muß bekennen, daß die Franzosen selbst über diese Schändlichkeit fluchten; aber sie geschah doch oft. Wo Murat als General kommandirt, fällt so etwas nicht auf; Moreau würde sich und seine Nation von solchen Schandflecken zu retten wissen. So viel ich von den Franzosen in Italien gemeine Soldaten und Unterofficiere gesehen habe, und ich bin manche Meile in ihrer Gesellschaft gegangen, habe ich sie als gesittet, artig, bescheiden und sehr unterrichtet gefunden. Sie urtheilten meistens mit Bündigkeit und Bestimmtheit und äußerten durchaus ein so feines Gefühl, daß es mir immer ein Vergnügen war, solche Gesellschaft zu treffen. Das alte vornehme Zotenreißen und Fluchen ist sehr selten geworden, und sie sprechen über militärische Dispositionen mit einer solchen Klugheit und zugleich mit einem solchen Subordinationsgeist, daß sich nur ein schlechter Officier andere Soldaten wünschen könnte.

In Ansehung des Physischen ist ein Gang von Triest nach Syrakus und zurück an den Züricher See, wenn er auch nur flüchtig ist, mit vielen angenehmen Erscheinungen verbunden. Auf der Insel ist das lieblichste Gemisch des Reichthums aller Naturprodukte, so viel man ohne Anstrengung gewinnen kann; Orangen aller Art, Palmen, Karuben, Oel, Feigen, indische und gemeine, Kastanien, Wein, Weitzen, Reiß. Bei Neapel werden die indischen Feigen, die Karuben und Palmen schon selten; diesseits der Apenninen Oel und Feigen. Die südliche Seite des Berges, von Florenz aus, hat noch die herrlichsten Oelpflanzungen; beim Herabsteigen nach Bologna findet man sie nicht mehr: alles sind Kastanienwälder. In der Lombardei ist der Trieb üppig an Wein und Getreide; aber alles ist schon mehr nördlich. Ein einziger Weinstock macht noch eine große Laube, und auf einem einzigen Maulbeerbaume hingen zuweilen sechs Mädchen, welche Blätter pflückten: aber ein Oelbaum ist schon eine Seltenheit. Die südlichen Seiten der Alpenberge geben durch ihre Lage hier und da noch Früchte des wärmern Erdstrichs, und am Lago maggiore hat man noch Orangengärten, Olivenpflanzungen und sogar, obgleich nur spärlich, indische Feigen. Am Tessino herauf trifft man noch Kastanien die Menge und sehr schöne und große Bäume, und bis Ayrolles wächst gutes Getreide. Dann hört nach und nach die Vegetation auf. An der Reuß diesseits kann man weit tiefer herabgehen, ehe sie wieder anfängt. Sankt Ursel liegt vielleicht tiefer als Ayrolles und man hat dort nichts von Getreide. Kastanien trifft man auf dieser Seite nicht mehr oder nur höchst selten, und der Nußbaum nimmt ihre Stelle ein. Weiter herab ist alles vaterländisch.

Paris.

Von Zürich hierher ist ein hübsches Stück Weges, und ich schreibe Dir davon so wenig, als möglich, weil alles ziemlich bekannt ist. Einige Freunde begleiteten mich den 24sten Juni ein Stündchen von Zürich aus, und schickten mich unter des Himmels Geleite weiter. Bei Eglisau begrüßte ich das erste Mal den herrlichen Rhein und ging von da nach Schafhausen, bloß um den Fall zu sehen. Er hat an Masse freilich weit mehr, als der Velino; aber ich wäre sehr verlegen, welchem ich die größte malerische Schönheit zugestehen sollte. Dort ist die Natur noch größer als hier, und der Sturz noch weit furchtbarer. Mir däucht, ich habe gehört, ein Engländer habe versucht, den Fall herunterzufahren: und ich glaube, die Donquischotterie ist allerdings nicht unmöglich, wenn der Fluß voll ist. Bei kleinem Wasser würde man unfehlbar zerschmettert. Nur müßte die Seite von Laufen gewählt werden; denn die von Schafhausen würde ziemlich gewisser Tod seyn. Ich sage nicht, daß man nicht auf der Unternehmung umkommen könne: aber gesetzt, ich würde auf der Seite von Laufen oben verfolgt und sähe keine Ausflucht, so würde ich kein Bedenken tragen, mich in einem guten Boot den Fall hinabzuwagen und würde meine Rettung nicht unwahrscheinlich finden. In der Krone in Schafhausen war sehr gute Gesellschaft von Kaufleuten, Kommissären und Engländern.

Den 25sten stach ich in den Breisgau herüber. Laufenburg, wo ich die Nacht blieb, ist ein ärmlicher Ort, wo der Rhein einen zweiten kleinen nicht so gefährlichen Fall bildet: doch ist auch dieser Schuß zwischen den Felsen sehr malerisch. Weiter hin stehen in den Dörfern noch Franzosen bis zum Austrag der Sache, und die Einwohner sind in Verzweiflung über den Druck von allen Seiten. Bloß unsere geringe Anzahl verhindert uns, sagte man mir laut, gewaltsame Mittel zu unserer Befreiung zu versuchen. Die Franzosen müssen hier sehr schlechte, abscheuliche Mannszucht halten: denn ich habe wiederholt erzählen hören, daß sie durchreisende Weiber mit Gewalt hinauf in den Wald zur Mißhandlung schleppen. An den Eingeborenen wagen sie sich nicht zu vergreifen, weil sie unfehlbar todtgeschlagen würden, es entstände daraus was wolle: diese Unordnung fürchten sie doch. Jeder Einquartierte muß täglich zwei Pfund Brot, ein Pfund Fleisch und eine Flasche Wein erhalten. Seit einiger Zeit müssen die Wirthe für den Wein zehn Kreuzer täglich bezahlen: dafür werden den Soldaten Kittel angeschafft. Das ist denn doch für die große Nation verächtlich klein. Dieses ist heute den 26sten Juni unseres Jahres 1802; und der Kommandant der Truppen mag seine Ehre retten, wenn er kann: ich sage, was ich vielfältig gehört habe.

Die Gegend am Rhein herunter ist fast durchaus schön, und besonders bei Rheinfelden. In Basel am Thore lud man mich zum Kriegsdienste der Spanier ein, die hier für junges Volk von allen Nationen freie Werbung hatten, ausgenommen die Franzosen und Schweizer. Mir war das nicht unlieb, ob ich gleich die Ehreneinladung bestimmt ausschlug: denn es zeigt wenigstens, ich sehe noch aus, als ob ich eine Patrone beißen und mit schlagen könne. Im wilden Manne war die Gesellschaft an der Wirthstafel ziemlich zahlreich und sehr artig. Der französische Kommandant, zu dem ich wegen meines Passes ging, war freundlich und höflich. Der preußische Paß war in Mailand revidirt worden, und der General Charpentier hatte daselbst bloß darauf geschrieben, daß er durch die Schweiz nach Paris gültig sei. In Basel wies man mich an den ersten Grenzposten, ungefähr noch eine Stunde vor der Stadt. Als ich dort ankam, sah der Officier nur flüchtig hinein, gab ihn zurück und sagte: „Vous ètes bien en règle. Bon voyage!“ und seitdem bin ich nirgend mehr darnach gefragt worden. So wie ich in das französische Gebiet trat, war alles merklich wohlfeiler und man war durchaus höflicher und artiger. In einem Dorfe nicht weit von Belfort hielt ich eine herrliche Mittagsmahlzeit mit Suppe, Rindfleisch, Zwischengericht, Braten, zweierlei Dessert und gutem Wein und zahlte dafür dreißig Sols. Dafür hätte ich jenseits der Alpen wenigstens dreimal so viel bezahlen müssen. Den nämlichen Abend, vier Meilen von Basel, zahlte ich für ein recht gutes Quartier mit Zehrung nur sechsundvierzig Sols. So ging es verhältnißmäßig immer fort; und auch nicht viel theurer ist es in Paris. Mir thut die Humanität und das allgemeine Wohlbefinden besser, als der wohlfeile Preis. Man spricht dort noch etwas deutsch und Leute von Erziehung bemühen sich, beide Sprachen richtig und angenehm zu reden. Das Dorf war ziemlich groß und als ich gegen Abend noch einen Gang an den Gärten und Wiesen hin machte, hörte ich in der Ferne an einem kleinen buschigen Abhange einen Gesang, der mich lockte. Das war mir in ganz Italien nicht begegnet; und als ich näher kam, hörte ich eine schöne einfache ländliche Melodie zu einem deutschen Texte, den ich für ein Gedicht von Matthison hielt. Die Sängerinnen waren drei Mädchen, die man wohl in der Abendröthe für Grazien hätte nehmen können. Die Zuhörer mehrten sich und ich war so heimisch, als ob ich an den Ufern der Saale gesessen hätte.

Nun ging ich über Besançon und Auxonne nach Dijon herunter. Es war ein Vergnügen zu wandeln; überall sah man Fleiß und zuweilen auch Wohlstand. Wenigstens war nirgends der drückende Mangel und die exorbitante Theurung, die man jenseits der Alpen fand: und doch hatte hier die Revolution gewüthet und der Krieg gezehrt. Besançon ist wohl mehr ein Waffenplatz, als eine Festung. Der Ort ist seit Cäsars Zeiten immer ein wichtiger Posten gewesen. Aber bei einer Belagerung würde jetzt die Stadt bald zu Grunde gehen und der Ort sich kaum halten. In Auxonne wurden alle Festungswerke niedergerissen, und jedermann ging und ritt und fuhr ungehindert und ungefragt aus und ein. Das fand ich selbst gegen die Schweiz sehr liberal. Einen Abend blieb ich in Genlis, dem Gute der bekannten Schriftstellerin. Die Besitzung ist sehr nett, aber sehr bescheiden; und die Dame wird, trotz allem, was ihre Feinde von ihr sagen, hier sehr geliebt.

Dijon hat ungefähr eine Stunde im Umfange und rund um die Stadt einen ziemlich angenehmen Spaziergang. Der Ort empfindet die Folgen der Revolution vor allen übrigen, weil sie hier vorzüglich heftig war. Die Leute wissen bis jetzt vor Angst noch nicht, wo sie mit ihrer Stimmung hin sollen: die Meisten scheinen königisch zu seyn. Mein Wirth, der sehr höflich mit mir herumlief, erzählte mir in langen Klagen den ganzen Verlauf der Sachen in ihrer Stadt, und die schreckliche Periode unter Robespierre, wo viele brave Leute theils guillottinirt wurden, theils in den Gefängnissen vor Angst und Gram starben. Die Sache hat freilich mehrere Seiten. Viele scheinen nur das Anhängsel der ehemaligen Reichen vom Adel und der Geistlichkeit zu machen; diese können allerdings bei keiner vernünftigen Einrichtung gewinnen. Alle große Städte, die nicht auf Handel, Fabriken und Industrie beruhen, die Hauptstadt ausgenommen, müssen durch die Veränderung nothwendig verlieren, da die Parlamentsherren, der reiche Adel und die reiche Geistlichkeit nicht mehr ihr Vermögen daselbst verzehren. Aber deßwegen ist dieses noch kein wesentlicher Verlust für die Nation. Der Park des Prinzen Condé vor dem Petersthore ist jetzt verkauft und ein öffentlicher Belustigungsort. Im Ganzen ist die Stadt sehr todt.

Von Dijon fuhr ich, weil mir das Wetter zu heiß ward, mit dem Courrier nach Auxerres und von dort mit der Diligence nach Paris. Auxerres ist eine Mittelstadt, aber ziemlich lebhaft, wenigstens weit lebhafter, als Dijon. Zum Friedensfeste hatte man an dem Boulevardkaffee der Hebe einen Tempel aufgeführt, der der französischen Kunst eben keine Ehre macht. Die Gesellschaft war aber angenehm und die Bewirthung gut und billig. Die Wirthin, ein Prototyp der alten ächt französischen Höflichkeit und Gutherzigkeit, setzte sich zu mir in die Gartenlaube, hielt mir bei Gelegenheit der Bezahlung einen langen Unterricht über den Geldkurs, und gab mir Warnungen, damit ich als Fremder mit der Münze nicht betrogen würde; welches indessen, zur Ehre der Nation, nur sehr selten geschehen ist. In Italien war der Fall häufiger, und auch in der Schweiz.

Die Gesellschaft in der Diligence war besser, als der einsylbige Courrier von Dijon. Ein alter General von der alten Regierung, ein fremder Edelmann aus der Schweiz, ein Landpfarrer, der zugleich Mediciner war, ein Kaufmann, ehemals Adjutant des Generals Lecourbe, ein Gelehrter von Auxerres, der vorzüglich in der Oekonomie stark zu seyn schien und einige andere Unbekannte machten eine sehr bunte Unterhaltung. Ich saß zwischen dem Geistlichen und dem Gelehrten im Fond, und vor mir der General auf dem Mittelsitze. Der General hatte ehemals in Domingo kommandirt, wäre fast bei seiner Rückkehr in Brest guillotinirt worden, und nur die Intervention vieler angesehener Kaufleute hatte ihn gerettet, die seiner politischen Orthodoxie in der damaligen Zeit das beste Zeugniß gaben. Der Geistliche war ausgewandert gewesen und hatte als Arzt einige Zeit auf der Gränze gelebt, war aber mit vieler Klugheit zu rechter Zeit zurückgekommen und hatte seitdem nach dem Winde lavirt. Jetzt zeigte er nun wieder mehr seinen eigentlichen Geist. Er war ein Mann von vielen Kenntnissen und vielem Scharfsinn und vieler Verbindung mit den ehemaligen Großen; also allerdings kein Plattkopf, sondern ein Spitzkopf.

Er erzählte, als ob das so seyn müßte, eine Menge heilige Schnurren seiner Jugend, die sogar in seinem eigenen Munde zwar unterhaltend, aber eben nicht salbungsreich waren. So war er bei Sens einmal als falscher Bischof gereist und hatte falsche Officialien gehalten, und man hatte sich todt gelacht, als er den Spaß entdeckte. Ein andermal hatte er einst als Chorschüler gesehen, daß ein Bauer seinem Beichtvater einen großen, schönen Karpfen brachte und ihn unterdessen in den Weihkessel setzte. Schnell stahl ihn der Hecht mit seinen Gesellen zum Frühstück, und hatte seine große Freude, als der absolvirte Bauer kam und in und unter dem Weihkessel umsonst den eingesetzten Karpfen suchte, um ihn nun in die Küche des geistlichen Herrn abzuliefern. Dergleichen Schnurren hatte er zu Dutzenden, und erzählte sie besser, als ich. Noch eine Drolerie zeichnete sich aus, aus der alten französischen Geschichte. Es lebte unweit Sens ein Kanzler von Frankreich auf seinen Gütern, und war als sehr guter Haushalter bekannt. Einst kommt ein Bauer von seinem Gute in die Beichte und beichtet, er habe dem Kanzler die Perrücke gekämmt. „Nun, seid ihr denn ein Perrückenmacher?“ fragte der Beichtvater. — „Nein; ich habe sie ihm nur so gekämmt.“ — „Das sind Possen; die könnt ihr künftig bleiben lassen: was gehn euch des Kanzlers Perrücken an?“ — Dieser geht mit der Absolution fort und ein anderer kommt und beichtet, er habe dem Kanzler die Perrücke gekämmt. Die nämliche Sünde, der nämliche Verweis, die nämliche Vergebung: da kommt ein dritter mit der nämlichen Beichte. Da fällt dem geistlichen Herrn plötzlich auf, das müsse eine ganz eigene Kämmerei seyn. Die Vorhergehenden hielten in der Kirche noch etwas Andacht; „Écoutez donc, Messieurs les perruquiers,“ ruft er ihnen zu, „venez encore en peu ici! il y a encore à peigner. Was hat das für ein Bewandtniß mit der Perrücke?“ Nun erklärte denn das beichtende Kleeblatt, der Kanzler habe sehr schöne Heuschober draußen auf der Wiese stehen, und sie gingen zuweilen mit dem Rechen hinaus und zögen rund herum bedächtig herunter, daß es niemand merkte: das nennten sie des Kanzlers Perrücke kämmen. Die neue Manier die Perrücke zu behandeln wurde also nun scharf gerügt, untersagt und schwer verpönt.

Nun fing der Herr an im Ernst sehr fromm zu erzählen, was die heiligen Reliquien hier und da in der Nachbarschaft von Paris wieder für Wunder thäten, und dem Himmel zu danken, daß man endlich wieder anfange an die allerheiligste Religion zu denken und sie nun wieder wagen dürfe, ihr Haupt empor zu heben. Er erzählte wenigstens ein halbes Dutzend ganz nagelneue Wunder, von denen ich natürlich keins behalten habe. Er selbst hatte mit heißem, heiligem Eifer Un abrégé précis sur la vérité de la religion chrétienne geschrieben, so hieß, glaube ich, der Titel, und das Buch dem Kardinal Caprara zugeschickt. Nach dem Tone zu urtheilen, kann ich mir die Gründe denken. Der Kardinal habe ihm, wie er sagte, ein schönes Belobungsschreiben gegeben und ihn aufgemuntert, in seinem Eifer muthig fortzufahren. Einen komplettern Beweis für die Wahrheit in dem Buche kann man nun füglich nicht verlangen, als das Urtheil und den Stempel des Kardinals Caprara.

Nun wurde von den alten Zeiten gesprochen, die Ceremonien und Feierlichkeiten des Hofs beschrieben und nicht ganz leise angedeutet, daß man die glückliche Rückkehr derselben bald hoffe. Der geistliche Herr, der den Sprecher machte und wirklich gut sprach, erhob nun vorzüglich die Mätressen der Könige von Frankreich, von der schönen Gabriele bis zur Pompadour und weiter herunter. Es wurde dabei das Ehrengesetz der Galanterie nicht vergessen: Les rois ne font que des princes, les princes font des nobles et les nobles des roturiers. Er behauptete aus gar nicht unscheinbaren Gründen, daß alle diese Damen sehr gutmüthige Geschöpfe gewesen, und ich bin selbst der Meinung, daß sie dem Reiche weit weniger Schaden zugefügt haben als die Minister und die Könige selbst, deren Schwachheiten gegen beide oft unerhört waren. Nur klang die Apologie aus dem Munde eines sehr orthodoxen Geistlichen etwas drollig. Gegen Bonaparte hatte er weiter nichts, als daß er zu schnell gehe, daß man aber von dem großen Manne noch nicht urtheilen dürfe. Da hatte ich denn freilich gesündigt; denn ich hatte nun leider einmal geurtheilt. Das Urtheil über öffentliche Männer, es mag nun wahr oder falsch seyn, kommt nie zu früh, aber oft zu spät. Mit frommer Andacht meinte er noch, que Bonaparte seroit le plus grand homme de l’univers et de toute l’histoire, s’il mettoit en se retirant le vrai rejetton sur le tròne. Schwerlich wird der Konsul den Pfarrer zu seinem geheimen Rath machen. Das alles wurde ohne viele Vorsicht öffentlich in der Diligence geäußert: Du siehst, daß sich die Fahne sehr gedreht hat. Man sagte laut, daß die Mehrheit den König wünsche, und ihre Zuchtmeister mögen ihnen wohl den Wunsch ausgepreßt haben. Die Generale nannte man nur les mangeurs de la république, und das ohne Zweifel mit Recht.

Unter diesen und andern Ventilationen kamen wir den 6. July in Paris an, wo man mich in das Hôtel du Nord in der Straße Quincampoi brachte, wo, wie ich höre, der berüchtigte Law ehemals sein Wesen oder Unwesen trieb. Das war mir zu entfernt von den Plätzen, die ich besuchen werde. Mein erster Gang war Freund Schnorr aufzusuchen[15]. Ich fand mit der Adresse sogleich sein Haus und hörte zu meinem großen Leidwesen, daß er vor sieben Tagen schon abgereist war. Seine Stube war aber noch leer, der Colonnade des Louvre gegenüber; ich zog also wenigstens in seine Stube; und aus dieser schreibe ich Dir, in der Hoffnung Dich bald wieder zu sehen; denn meine Börse wird mich bald genug erinnern, die väterlichen Laren zu suchen.

Paris.

Es würde anmaßlich seyn, wenn ich Dir eine große Abhandlung über Paris schreiben wollte, da Du davon jeden Monat in allen Journalen ein Dutzend lesen kannst. Mein Aufenthalt ist zu kurz; ich bin nur ungefähr vierzehn Tage hier und mache mich schon wieder fertig abzusegeln.

Nach Paris kam ich ohne alle Empfehlung, ausgenommen ein Papierchen an einen Kaufmann wegen meiner letzten sechs Dreier. Ich habe nicht das Introductionstalent, und im Allgemeinen auch nicht viel Lust, mich sogenannten großen Männern zu nahen. Man opfert seine Zeit, raubt ihnen die ihrige und ist des Willkommens gewiß; trifft sie vielleicht selten zur schönen Stunde, und hätte mehr von ihnen gehabt, wenn man das erste beste ihrer Bücher, oder ihrer öffentlichen Verhandlungen vorgenommen hätte. Das ist der Fall im Allgemeinen; es wäre schlimm, wenn es nicht Ausnahmen gäbe. Mir däucht, man ist in dieser Rücksicht auch zuweilen sehr unbillig. Man erwartet, oder verlangt vielleicht sogar von einem berühmten Schriftsteller, er solle in seiner persönlichen Erscheinung dem Geist und dem Witz in seinen Büchern gleich kommen, oder ihn noch übertreffen; und man bedenkt nicht, daß das Buch die Quintessenz seiner angestrengtesten Arbeiten ist, und daß die gesellschaftliche Unterhaltung ein sonderbares Ansehen gewinnen würde, wenn der Mann beständig so in Geburtsnoth seyn sollte. Die Zumuthung wäre grausam, und doch ist sie nicht ungewöhnlich. Es giebt zuweilen glückliche Geister, deren mündlicher extemporärer Vortrag besser ist, als ihre gesichtetste Schrift; aber dieses kann nicht zur Regel dienen.

Ich ging zu Herrn Millin, weil ich dort Briefe zu finden hoffte. Diese fand ich zwar nicht, aber man hatte ihm meinen Namen genannt, und er nahm mich sehr freundlich auf; und ich bin, so wie ich ihn nun kenne, versichert, ich würde auch ohne dieß freundlich aufgenommen worden seyn. Millin ist für die Fremden, die in literärischer Absicht Paris besuchen, eine wahre Wohlthat. Der Mann hat eine große Peripherie von Kenntnissen, die ächte französische Heiterkeit, selbst eine schöne Büchersammlung in vielen Fächern und aus vielen Sprachen, und eine seltene Humanität. Mehrere junge Deutsche haben den Vortheil, in seinen Zimmern zu arbeiten und sich seines Raths zu bedienen. Ich habe ihn oft und immer gleich jovialisch und gefällig gesehen. Auf der Nationalbibliothek herrscht eine musterhafte Ordnung und eine beispiellose Gefälligkeit gegen Fremde. Daß in der öffentlichen Gerechtigkeit große Lücken sind, ist bekannt, und daß ihre gepriesene Freiheit täglich preßhafter wird, leidet eben so wenig Zweifel. Ich hatte selbst ein Beispielchen. Die Kaiserin Katharina die Zweite hatte dem Papst Pius dem Sechsten ein Geschenk mit allen russischen Goldmünzen gemacht; schon der Metallwerth muß beträchtlich gewesen seyn. Diese lagen mit den übrigen Schätzen im Vatikan. Die Franzosen nahmen sie weg, um sie nach Paris zu den übrigen Schätzen zu bringen. In Rom sind sie nicht mehr; aber deßwegen sind sie nicht in Paris. Man sprach davon; ich fragte darnach. — „Sie sind nicht da.“ — „Aber sie sollten da seyn.“ — „Freilich.“ — „Wer hat denn die Besorgung gehabt?“ — Man schwieg. — „Der Kommissär muß doch bekannt seyn.“ — Man antwortete nicht. — „Warum untersucht man die Sache nicht?“ — Man zuckte die Schultern. — „Aber das ist ja nichts mehr als die allergewöhnlichste Gerechtigkeit und die Sache der Nation, über die jeder zu sprechen und zu fragen befugt ist.“ — „Wenn die Herren an der Spitze,“ sagte man leise, „die doch nothwendig davon unterrichtet seyn müssen, es nicht thun, und es mit Stillschweigen übergehen — wer will es wagen?“ — „Wagen, wagen!“ brummte ich; „so so, das ist schöne Gerechtigkeit, schöne Freiheit!“ Meine Worte und mein Ton setzten die Leutchen etwas in Verlegenheit; und es schien, ich war wirklich seit langer Zeit der Erste, der nur so eine Aeußerung wagte. Wo keine Gerechtigkeit ist, ist keine Freiheit; und wo keine Freiheit ist, ist keine Gerechtigkeit; der Begriff ist eins; nur in der Anwendung verirrt man sich, oder vielmehr man sucht andere zu verwirren.

In dem Saale der Manuscripte arbeiten viel Inländer und Ausländer, und unter andern auch Doctor Hager an seinem chinesischen Werke. Ich ließ mir den Plutarch von Sankt Markus in Venedig geben, um doch auch ein gelehrtes Ansehen zu haben, bin aber nicht weit darin gekommen. Es wird mir sauer, dieses zu lesen, und ich nehme lieber den Homer von Wolf, oder den Anakreon von Brunk, wo mir leicht und deutlich alles vorgezogen ist. In der Kupferstichsammlung hängt an den Fenstern herum eine gezeichnete Kopie von Raphaels Psyche aus der Farnesina; aber sie gewährt kein außerordentlich großes Vergnügen, wenn man das Original noch in ganz frischem Andenken hat.

Mein erster Gang, als ich ins Museum im Louvre kam, war zum Laokoon. Ich hatte in Dresden in der Mengsischen Sammlung der Abgüsse und in Florenz bei der schönen Kopie des Bandinelli einen Zweifel aufgefangen, den man mir dort nicht lösen konnte. Man sagte mir, es sei so im Original; und das konnte ich nicht glauben, oder ich beschuldigte den alten großen Künstler eines Fehlers. Die Sache war: das linke Bein, um welches sich an der Wade mit großer Gewalt die Schlange windet, war im Abguß und in der Marmorkopie durchaus gar nicht eingedrückt. Ich weiß wohl, daß die große Anstrengung der Muskeln einen tiefen Eindruck verhindern muß: aber eine solche Bestie, wie diese Schlange war, und auf dem Kunstwerk ist, mußte mit ihrer ganzen Kraft der Schlingung den Eindruck doch ziemlich merklich machen. Hier sah ich die Ursache der Irrung auf einen Blick. Das Bein war an der Stelle gebrochen, und so auch die Schlange; man hatte die Stücke zusammengesetzt: aber eine kleine Vertiefung der Wade unter der Pressung war auch noch im Bruche sichtbar. Beim Abguß und der Kopie scheint man darauf nicht geachtet zu haben, und hat die Wade im Druck der Schlange so natürlich voll gemacht, als ob sie nur durch einen seidenen Strumpf gezogen würde. Ich überlasse das Deiner Untersuchung und Beurtheilung; mir kommt es vor, als ob die so verschönerte Wade deßwegen nicht schöner wäre.

Den Apollo von Belvedere will man jetzt, wie ich höre, zum Nero, dem Sieger machen. Klassische Stellen hat man wohl für sich, daß Nero in dieser Gestalt existirt haben könne; es kommt nur darauf an, daß man beweise, er sei es wirklich. Es wäre Schade um das schöne, hohe Ideal der Künstler, wenn seine Schöpfung eine solche Veranlassung sollte gehabt haben. Indessen bin ich fast in Gefahr, in der Miene und besonders um den Mund des Gottes etwas Neronisches zu finden. Der Musaget gefällt mir nicht, so wenig als einige seiner Mädchen: aber dafür sind andere dabei, die hohen Werth haben. Unter der Gesellschaft steht ein Sokrateskopf, nach welchem Raphael den seinigen in seiner Schule gemacht haben soll. Wie könnte ich Dir den Reichthum beschreiben, den die Franken hergebracht haben! Ich wollte nur, die Mediceerin wäre auch da, damit ich doch das Wunderbild sehen könnte. Vorzüglich beschäftigten mich einige Geschichtsstatüen und Geschichtsköpfe, meistens Römer; und vor allen die beiden Brutus, die man links am Fenster in ein ziemlich gutes Licht gesetzt hat, welches im Ganzen nicht der Fall ist; denn die meisten Kunstwerke, selbst der Laokoon und der Belvederische Apoll, stehen schlecht. Ich bin oft in dem Saale auf und ab gewandelt, und habe links und rechts die Schätze betrachtet; aber ich kam immer wieder zu den Köpfen und vorzüglich zu diesen Köpfen zurück. Ich gestehe Dir meine Schwachheit, daß ich lieber Geschichtsköpfe sehe, als Ideale: und auch unter den Idealen finde ich mehr Porträts und Geschichte, als die Künstler vielleicht zugestehen wollen.

Die Gemäldesammlung oben ist verhältnißmäßig noch reicher und kostbarer, als der Antikensaal unten; aber die Ordnung und Aufstellung ist vielleicht noch fehlerhafter. Wenige Stücke, ausgenommen der große Vordersaal, haben ein gutes Licht. Die Madonna von Foligno war bei Madonna Bonaparte, und die Transfiguration war verschlossen unter den Händen der Restauratoren: ich habe sie also nicht gesehen. Dafür war ich so glücklich, den Saal der Zeichnungen offen zu treffen. Wie sehr bedauerte ich, daß Schnorr nicht mehr hier war! er wäre hier in seinem eigentlichen Element gewesen. Das Wichtigste darunter ist doch wohl auf alle Fälle die völlig ausgearbeitete Skizze Raphaels von seiner Schule, mir däucht, fast so groß, wie das Gemälde selbst. Er hat bekanntlich nachher im Vatikan in der Arbeit einige wenige Veränderungen gemacht. Ich genoß, und ließ die andern gelehrt vergleichen; nahm hier wieder den Sokrates und Diogenes und Archimedes. Im nämlichen Saale sah ich auch die Vasen und einige Tische. Die bekannte Mengsische Vase mit der doppelten griechischen Aufschrift zeichnet sich durch Schönheit vor den meisten übrigen aus. Daß die eine Inschrift Δεπας heißt, ist die höchste Wahrscheinlichkeit: aber die Entzifferung der andern beruht wohl nur auf Konjektur des Gegenstandes; denn man könnte aus den Zügen eben so gut Κορακας, als Ηεπαυσο machen. Die Vermuthung ist indessen sinnreich, wenn sie auch nicht richtig seyn sollte. Vielleicht giebt irgend eine Stelle eines alten Schriftstellers einigen Aufschluß darüber.

Ich hatte gewünscht, David zu sehen, hörte aber in Paris so viel Problematisches über seinen Charakter, daß mir die Lust verging. Ich sah ihn nur ein einziges Mal in seinem kleinen Garten am Louvre, und sein Anblick lud mich nicht ein, ihm näher zu kommen. Das that mir leid, denn ich finde in dem Manne sonst Vieles, was mich hingezogen hätte. Aber reine Moralität ist das Erste, was ich von dem Manne fordere, den ich zu sehen wünschen soll. Vielleicht thut man dem strengen, etwas finstern Künstler auch etwas zuviel; desto besser für ihn und für uns Alle! Sein Sohn hatte die Höflichkeit mich in das Atelier seines Vaters zu führen, wo Brutus der Alte steht, ein herrliches Trauerstück. Man nennt es hier nur die Reue des Brutus, und ich begreife nicht, wie man zu dieser Idee gekommen ist. Die Leichen der jungen Menschen werden eben vorbeigetragen, der weibliche Theil der Familie unterliegt dem Gewicht des Schmerzes, die Mutter wird ohnmächtig gehalten. Diese Gruppirung ist schön und pathetisch. Der alte Patriot sitzt entfernt in der Tiefe seines Kummers; er fühlt ganz die Verwaisung seines Hauses. Dieß ist, nach meiner Meinung die ganze Deutung des Stücks. Reue ist nicht auf seinem Gesichte, und kann, so viel ich weiß, nach der Geschichte nicht darauf seyn. Diese Arbeit hat mir besser gefallen als die Sabinerinnen, welche in einem abgelegenen Saale für 36 Sols Entrée gezeigt werden. Ich weiß nicht, ob David es nöthig hat, sich Geld zahlen zu lassen: aber die Methode macht weder ihm, noch der Nation Ehre. Ich hatte nichts gezahlt, weil mich sein Sohn führte. Es thut mir in seine und jedes guten Franzosen Seele leid, daß die Kunst hier so sehr merkantilisch ist. Ueber das Stück selbst schweige ich, da ich im Ganzen der Meinung der andern deutschen Beurtheiler bin.

In Versailles war ich zweimal; einmal allein, um mich umzusehen; das zweitemal in Gesellschaft mit Landsleuten, als die Wasser sprangen. In Paris sah man Alles unentgeltlich, und überall war zuvorkommende Geselligkeit: in Versailles war durchaus eine Begehrlichkeit, die gegen die Pariser Humanität sehr unangenehm abstach. Ich zahlte einem Lohnlakei für zwei Stunden einen kleinen Thaler; darüber murrte er und verlangte mehr. Ich gab dem Mann in den ehemaligen Zimmern des Königs dreißig Sols; dafür war er nicht höflich. Alles war theurer und schlechter und alle Gesichter waren mürrischer. Das scheint mir nun so die eingewurzelte Natur des alten Hofwesens zu seyn. Du wirst mir die Beschreibung der Herrlichkeiten erlassen. Unten das Naturalienkabinet ist sehr artig, und enthält mehrere Kuriositäten, muß aber freilich viel verlieren, wenn man einige Tage vorher den botanischen Garten in Paris gesehen hat. Eine eigene Erscheinung ist in dem hintersten Zimmer eine Zusammenhäufung der Idole der verschiedenen Kulten des Erdbodens. Darunter stand auch das Kreuz und mich wundert, daß man es nach Abschließung des Konkordats noch nicht wieder von hier weggenommen hat, da es doch sonst durchaus wieder in seine Würde gesetzt ist. Die Gemälde auf den Sälen oben sind alle aus der französischen Schule, und es sind viele Stücke darunter, die durch Kunst und noch mehr durch Geschichtsbeziehung interessant sind. Der Garten und vorzüglich die Orangerie wird in guter Ordnung gehalten. Sie ist schön, und es ist wohl wahrscheinlich, was man sagt, daß Bäume dabei sind, die schon unter Heinrich dem Vierten hier gestanden haben. Die Partien nach Trianon hinüber sind noch eben so schön, als sie vor zwanzig Jahren waren. Die Versailler, welche unstreitig von allen am meisten durch die Revolution verloren haben, und bei denen das monarchische Wesen vielleicht noch am festesten sitzt, schmeicheln sich, daß der Hof wieder hierher kommen werde, damit sie doch nicht gänzlich zu Grunde gehen. Das ist geradezu ihre Sprache und ihr Ausdruck; und sie haben wohl daran nicht Unrecht. Wenn sie vom Großkonsul sprechen, nennen sie sein Gefolge seinen Hof; und wenn man die Sache recht ohne Vorurtheil nimmt, ist er absoluter und despotischer, als irgend ein König von Frankreich war, von Hugo Capet bis zum letzten unglücklichen Ludwig. Jetzt wird St. Cloud für ihn eingerichtet.

Gestern habe ich ihn auch endlich gesehen, den Korsen, der der großen Nation mit zehnfachem Wucher zurückgiebt, was die große Nation seine kleine seit langer Zeit hat empfinden lassen. Es war der vierzehnte Juli und ein großes Volksfest, wo der ganze Pomp der seligen Republik hinter ihm herzog. Früh hielt er große Parade auf dem Hofe der Tuilerien, wo alles Militär in Paris und einige Regimenter in der Nachbarschaft die Revue passirten. Ich hatte daher Gelegenheit, zugleich die schönsten Truppen von Frankreich zu sehen. Die Konsulargarde ist unstreitig ein Corps von den schönsten Männern, die man an einem Orte beisammen denken kann: nur kann ich mir in den französischen Soldaten, ich mag sie besehen, wie ich will, immer noch nicht die Sieger von Europa vorstellen. Wir sind mehr durch den Geist ihrer Sache und ihren hohen Enthusiasmus, als durch ihre Kriegskunst, geschlagen worden. Die taktische Methode des Tiraillirens, die aber vielleicht nur der Ueberlegene an Anzahl brauchen kann, hat das Ihrige auch gethan. Von Bonaparte sollte ich wohl lieber schweigen, da ich nicht sein Verehrer bin. Einen solchen Mann sieht man auf zweihundert Meilen vielleicht besser, als auf zehn Schritte. Es scheint aber in meinem Charakter zu liegen, Dir über ihn etwas zu sagen; und das will ich denn mit Offenheit thun. Ich bin keines Menschen Feind, sondern nur der Freund der Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Neid und Herabsetzungssucht sind meiner Seele fremd; ich nehme immer nur die Sache. Ich bin dem Manne von seiner ersten Erscheinung an mit Aufmerksamkeit gefolgt, und habe seinen Muth, seinen Scharfblick, seine militärische und politische Größe nie verkannt. Problematisch ist er mir in seinem Charakter immer gewesen, und ist es jetzt mehr, als jemals, wenn man ihn nicht geradezu verdammen soll. Bis auf den Tag von Marengo, wo ihn Desaix’s Tod aus den republikanischen Grenzen heraushob, hat er als Republikaner im Allgemeinen handeln müssen: seitdem hat er nichts mehr im Sinne eines Republikaners gethan.

Als er aus Aegypten kam, trat er die Krise seines Charakters an. Wir wollen sehen, was er in Paris thut, dachte ich, und dann urtheilen. Ich tadle ihn nicht, daß er das Direktorium stürzte: es war keine Regierung, die unter irgend einem Titel die Billigung der Vernünftigen und Rechtschaffenen hätte erhalten können. Ich tadle ihn nicht, daß er so viel als möglich in der wichtigen Periode das Ruder des Staats für sich in die Hände zu bekommen suchte: es war in der Vehemenz der Faktionen vielleicht das einzige Mittel, diese Faktionen zu stillen. Aber nun fängt der Punkt an, wo sein eigenster Charakter hervorzutreten scheint. Seitdem hat er durchaus nichts mehr für die Republik gethan, sondern Alles für sich selbst — eben da er aufhören sollte, irgend etwas mehr für sich selbst zu thun, sondern Alles für die Republik. Jeder Schritt, den er that, war mit herrlich berechneter Klugheit vorwärts für ihn, und für die Republik rückwärts. Land gewinnen heißt nicht die Republik befestigen. Die erste Konstitution zeigte zuerst den Geist, den er athmen würde. Sie wurde mit dem Bajonett gemacht, wie fast alle Konstitutionen. Es that mir an diesem Tage wehe für Frankreich und für Bonaparte. Das Schicksal hatte ihm die Macht in die Hände gelegt, der größte Mann der Weltgeschichte zu werden: er hatte aber dazu nicht Erhabenheit genug und setzte sich herab, mit den übrigen Großen auf gleichen Fuß. Er ist größer, als die Dionyse und Cromwelle; aber er ist es doch in ihrer Art, und erwirbt sich ihren Ruhm. Daß er nicht sah, daß seine Konstitution die neue Republik zertrümmern und dem vollen Despotismus die Wege bahnen würde, das läßt sich von seinem tiefen Blick nicht denken: und über seine Absichten mag ich nicht Richter seyn. Ich habe wider das Konsulat nichts, nichts wider das erste Konsulat. Aber seine Macht war sogleich zu exorbitant, und die Dauer war nicht mehr republikanisch. Ich gebe zu, daß die Dauer der römischen Magistraturen von einem Jahre zu kurz war, zumal bei der Unbestimmtheit und Schlaffheit ihrer Gesetze de ambitu; aber die Dauer der neuen französischen von zehn Jahren war zu lang. Der letzte Stoß war, daß der alte Konsul wieder gewählt werden konnte. Ein Mann, der fast zehn Jahre lang eine fast grenzenlose Gewalt in den Händen gehabt hat, müßte ein Blödsinniger, oder schon ein öffentlicher, verächtlicher Bösewicht seyn, wenn er nicht Mittel finden sollte, sich wieder wählen zu lassen, und sodann nicht Mittel, die Wahl zum Vortheil seiner Kreaturen zu beherrschen. Kleine Bedienungen mögen und dürfen in einer Republik lebenslänglich seyn; wenn es aber die großen sind, geht der Weg zur Despotie. Das lehrt die Geschichte. Ich hätte nicht geglaubt, daß es so schnell gehen würde; aber auch dieses zeigt den Charakter der Nation. Fast sollte man glauben, die Franzosen seien zur bestimmten Despotie gemacht, so kommen sie ihr überall entgegen. Sie haben während der ganzen Revolution viel republikanische Aufwallung, oft republikanischen Enthusiasmus, zuweilen republikanische Wuth gezeigt, aber selten republikanische Vernunft. Nicht, als ob nicht hier und da einige Männer gewesen wären, die das Letzte hatten; aber der Sturm verschlang sie. Es sind durch diese Staatsveränderung freilich Ideen in Umlauf gekommen und furchtbar bis zur Wuth gepredigt worden, die man sich vorher nur sehr leise sagte, und die so leicht nicht wieder zu vertilgen seyn werden: aber die halbe und falsche Aufklärung dieser Ideen und der Mißbrauch derselben geben den etwas gewitzigten Gegnern die Waffen selbst wieder in die Hände. Die Republik Frankreich trägt, so wie die römische, und zwar weit näher, als jene, ihre Auflösung in sich, wenn man keine haltbarere Konstitution bauet, als bis jetzt geschehen ist. Mir thut das leid; ich habe vorher ganz ruhig dem Getümmel zugesehen und immer geglaubt und gehofft, daß aus dem wildgährenden Chaos endlich noch etwas Vernünftiges hervortauchen würde. Seitdem Bonaparte die Freiheit entschieden wieder zu Grabe zu tragen droht, ist mir, als ob ich erst Republikaner geworden wäre. Ich bin nicht der Meinung, daß eine große Republik nicht dauern könne. Wir haben an der römischen das Gegentheil gesehen, die doch, trotz ihrer gerühmten Weisheit, schlecht genug organisirt war. Ich halte dafür, daß in einer wohlgeordneten Republik am meisten Menschenwürde, Menschenwerth, allgemeine Gerechtigkeit und allgemeine Glückseligkeit möglich ist. Beweis und Vergleichung weiter zu führen, würde wenig frommen und hier nicht der Ort seyn. Wo nicht der Knabe, der diesen Abend in der letzten Strohhütte geboren wurde, einst rechtlich die erste Magistratur seines Vaterlandes verwalten kann, ist es Unsinn von einer vernünftigen Republik zu sprechen. Privilegien aller Art sind das Grab der Freiheit und Gerechtigkeit. Schon das Wort erklärt sich. Eine Ausnahme vom Gesetz ist eine Ungerechtigkeit, oder das Gesetz ist schlecht. In Deutschland hat man klüglich die Geistlichen und Gelehrten in etwas Theil an manchen Privilegien nehmen lassen, damit der Begriff nicht so leicht unbefangen auseinander gesetzt werde, und die Beleuchtung Publicität gewinne. In Frankreich hat man zwar die Privilegien mit einem einzigen Machtspruche zertrümmert und glaubt nun genug gethan zu haben. Aber sie werden sich schon wieder einschleichen und festsetzen; und man arbeitete schon selbst dadurch für sie, daß man auf der Gegenseite ohne Schonung stürmte, und zu weit ging. „Die Republik der Fische ist durch die freie Fischerei zerstört,“ sagte der geistliche Herr ganz skoptisch in dem Postwagen; „und die freie Jagd giebt der Polizei genug zu thun; denn es macht allerhand Gesindel im Lande allerhand Jagd.“ Muß man denn bei Abstellung der Ungebühr durchaus die Jagd frei geben? Oder ist dieses nur ein Rechtsbegriff? Sie kann nicht frei seyn. In jedem wohlgeordneten Staate ist sie nur ein Recht der Eigenthümer; und nur der Eigenthümer kann die Befugniß haben, das Wild auf seinem Grundstücke zu tödten, und hat den Prozeß gegen den Nachbar, der es zum Schaden seiner Nachbarn nicht thut. Das Lehnsystem ist in Frankreich abgeschafft. Es wird sich aber von selbst wieder machen; denn man hat keine Vorkehrungen dagegen getroffen. Nach meiner Ueberzeugung ist die Grundlage der Freiheit und Gerechtigkeit in einem Staate, daß der Staat durchaus nur reine Besitzungen giebt und sichert, und dafür reine Pflichten fordert. Durch diesen Grundsatz allein werden die Rechtsverhältnisse vereinfacht, und die Beeinträchtigung aller Art aufgehoben. Es entsteht daraus zwar nothwendig ein Gesetz, das eine Einschränkung des Eigenthumsrechts zu seyn scheint; dieses ist aber nicht weiter, als insofern gar Niemand ein Eigenthumsrecht zum Nachtheile des Staats haben kann und darf. Niemand darf nämlich die Erlaubniß haben, seine Grundstücke mit Lasten zu verkaufen, oder auf immer zu vergeben, sondern muß sie durchaus rein veräußern. Nur durch dieses Gesetz wird der Rückkehr des Feudalsystems der Weg versperrt, werden alle Frohnverhältnisse, alle Leistungen an Subordinirte, Emphyteusen, alle Erbpachtungen aufgehoben. Denn alles dieses ist der Weg zum Lehnsystem, und dieses ist der Weg zu Ungerechtigkeiten aller Art und zur Sklaverei. Wo es noch erlaubt ist, mit Lastklauseln Grundstücke umzutauschen, kann in die Länge keine wahre Freiheit und Gerechtigkeit bestehen. Dagegen sind wohl schwerlich gültige Einwendungen zu machen. Wenn jemand zu viele Grundstücke hat, daß er sie nicht durch sich und seine Familie verwalten, oder durch Pächter besorgen und bestellen lassen kann, so hat er eben deßwegen für den Staat in jeder Rücksicht schon zu viel; er ist ihm zu reich. Er mag dann verkaufen, aber rein verkaufen und ohne Bedingung, so theuer, als er will. Intermediäre Lasten können nicht bleiben: der Bürger kann Niemand Pflichten schuldig seyn, als dem Staate: und Bürger ist jeder, der nur einen Fuß Landes besitzt. In detrimentum reipublicae finden keine Besitzungen Statt. Es versteht sich von selbst, daß dann alle Steuerkataster nach der Regel Detri gemacht werden: und die erste Realimmunität ist der erste Schritt zur Despotie. So lange unsere Staaten nicht nach diesen Grundsätzen gemacht werden, dürfen wir nicht allgemeine Gerechtigkeit, nicht allgemeines Interesse, nicht Festigkeit und Dauer erwarten. In Frankreich ist kein Gesetz, das den belasteten Verkauf der Grundstücke untersagte; die Folge ist vorauszusehen.

Die Errichtung der Ehrenlegion mit Anweisung auf Nationalgüter ist der erste beträchtliche Schritt zur Wiedereinführung des Lehnsystems; das ward allgemein gefühlt: aber Niemand hat die Macht, dem Allmächtigen zu widerstehen, der den Bajonetten befiehlt. Die Bajonette sind, wie gewöhnlich, sehr fein mit ins Spiel gezogen, und die meisten Führer derselben nehmen sich nicht die Mühe, bis auf übermorgen vorwärts zu denken. Wo die Regierung militärisch wird, ist es um Freiheit und Gerechtigkeit gethan. Rom fiel, sobald sie es ward. Die Geistlichkeit spricht wieder hoch und laut. Freilich wird sie nicht so schnell wieder zu der enormen Höhe steigen, wo sie vorher stand, so wenig, wie der Adel. Aber das alte System wurde auch nicht in einem Tage gebauet. Ich erinnere mich, daß vor einiger Zeit ein Emigrant in Deutschland, der übrigens nicht Schuld daran war, daß die Esel keine Hörner haben, sich höchlich freute, daß nun wenigstens ein Edelmann allein an der Spitze stehe: das Uebrige werde sich schon machen. Der Mann muß in seiner Unbefangenheit eine prophetische Seele gehabt haben. Es hat wirklich alles Ansehen, sich zu machen. Man sagt, Caprara habe schon auf Wiederherstellung der Klöster angetragen, sei aber von Bonaparte zurückgewiesen worden. Bonaparte müßte nicht der kluge Mann seyn; der er ist, wenn er ohne Noth solche Sprünge machen wollte, oder mehr gäbe, als er zu seinem Behufe muß. Es ist das Glück des Adels und der Geistlichkeit, daß sie mit Modificationen in seine Zwecke gehören. Wenns Noth thut, wird sich schon Alles geben. Daß die Katholicität in Frankreich noch vielen Anhang, theils aus Ueberzeugung, theils aus Gemächlichkeit, theils aus Politik hat, beweist das Konkordat sehr deutlich. Man hat wirklich den Katholicismus zur Staatsreligion, das heißt zur herrschenden, gemacht, und ich stehe nicht dafür, wenn es so fort geht, daß man in hundert Jahren das Bekehrungsgeschäft nicht wieder mit Dragonern treibt. Ich selbst wurde durch die Rolle, die Bonaparte dabei spielte, gar nicht überrascht; es war seine Konsequenz: er war bei der Osterceremonie der nämliche, welcher er in Aegypten war, wo er sein Manifest anfing: „Im Namen des einzigen Gottes, der keinen Sohn hat!“ Er dachte mundus vult — ergo —; aber das Sprichwort ist nicht wahr: und es wäre zu wünschen gewesen, daß er nicht so gedacht hätte. „Il est un peu singe, mais il est comme il faut;“ sagte der geistliche Herr im Postwagen. Wenn er Bonaparte dadurch richtig gezeichnet hat, so ist es zugleich ein gräßliches Verdammungsurtheil für seine Nation. Nur die Zeit kam erleuchtend. Der Mann ist von seiner Größe herabgestiegen. Es wird erzählt, er habe die Fahnen weihen wollen, sei aber durch das Gemurmel der alten Grenadiere davon abgehalten worden, die doch anfingen, die Dose etwas zu stark zu finden. Ein Mann, der in Berlin und Petersburg entschieden republikanische Maßregeln nimmt, gilt dort mit Grund für widerrechtlich und die Regierung verfährt gegen ihn nach den Gesetzen; das Gegentheil muß aus dem nämlichen Grunde seit zehn Jahren in Frankreich gelten: man müßte denn in der Berechnung etwas höher gehen; welches aber sodann jedem Revolutionär in utramque partem zu Statten kommen würde.

Jetzt lebte er einsam und mißtrauisch, mehr, als je ein Morgenländer. Friedrich versäumte selten eine Wachparade; der Konsul hält alle Monate nur eine einzige. Er erscheint selten und immer nur mit einer starken Wache, und soll im Schauspiel in seiner Loge sogar Reverberes nach allen Seiten haben, die ihm Alles zeigen, ohne daß ihn Jemand sieht. Bei andern liberalern Maßregeln könnte er als Fremdling, wie eine wohlthätige Gottheit unter der Nation herumwandeln, und sein Name würde in der Weltgeschichte die Größe aller andern niederstrahlen. Nun wird er unter den Augusten, oder wenigstens unter den Dionysen glänzen; dafür hat er auf den kleinlichen Ruhm eines Aristides Verzicht gethan. Ich könnte weinen; es ist mir, als ob mir ein böser Geist meinen Himmel verdorben hätte. Ich wollte so gern einmal einen wahrhaft großen Mann rein verehren; das kann ich nun hier wieder nicht.

Man sagt sich hier still und leise mehrere Bonmots, die seinen Stempel tragen. Von dem Tage des ägyptischen Manifestes an hat sich meine Seele über seinen Charakter auf Schildwache gesetzt. Das Konkordat und die Osterfeier sind das Nebenstück. Als ihn ein zelotischer Republikaner in die ehemaligen Zimmer des Königs führte, die er nun selbst bewohnen wollte, und ihm dabei bedeutend sagte: „Citoyen, vous entrez ici dans la chambre d’un tyran;“ antwortete er mit schnellem Scharfsinn: „S’il avoit été tyran, il le seroit encore.“ Eine furchtbare Wahrheit aus seinem Munde! Als ihm vorgestellt wurde, das Volk murre bei einigen seiner Schritte, er möchte bedenken, erwiederte er: „Le peuple n’est rien pour qui le sait mener.“ Dem Sieyes, den die Partei des Konsuls bei jeder Gelegenheit als einen Flachen, sehr subalternen Kopf darstellt, soll er auf eine Erinnerung sehr skoptisch gesagt haben: „Si j’avois été roi en 1790, je le serois encore; et si j’avois dit alors la messe, j’en ferois encore de même.“ Ich sage Dir, was man hier und bedächtlich an öffentlichen Orten spricht; denn laut zu reden wagt es Niemand, weil seine lettres de cachet eben so sicher nach Bicetre führen, als unter den Königen in die Bastille. Als das bekannte Buch über das lebenslängliche Konsulat erschien und er es nicht mehr unterdrücken konnte und doch den Verfasser, der ein angesehener und von der Nation allgemein geachteter Mann war, willkührlich gewaltsam in der Krise anzutasten nicht wagte, begnügte er sich zu sagen: „Es sei Alles sehr gut, aber jetzt nur etwas zu früh.“ Jedermann, der etwas weiter blickte, behauptete, es sei leider etwas zu spät. Das gesetzgebende Corps nennt man hier nur die Versammlung, durch welche er Gesetze giebt. Als ein Kommissär mit dem feinen Vorschlag des lebenslänglichen Konsulats nicht sogleich überall erwünschten Eingang fand, sondern vielmehr Schwierigkeiten aller Art antraf, soll er bei dem schnellen Rapport ungeduldig mit den Fingern geknackt und gesagt haben: „Ah, je saurai les attraper.“ Das hat er gehalten. Er schmiedete das Eisen schnell, weil es warm war: nach vierzehntägigen Abkühlungen und Ueberlegungen möchte die Sache anders gegangen seyn. Ueber die Stimmung werden sonderbare Anekdoten erzählt; aber sie ist nun geschehen.

Man nennt ihn hier mit verschiedenen Namen, le premier consul, le grand consul, le consul vorzugsweise. Die beiden andern, die auch nur das Drittheil der Wache haben, sind neben ihm Figuranten und ihrer wird weiter nicht gedacht, als in der Form der öffentlichen Verhandlungen. Scherzweise nennt man ihn auch Sa Majesté, und ich stehe nicht dafür, daß es nicht Ernst wird. Auch heißt er ziemlich öffentlich empereur des Gaules; vielleicht die schicklichste Benennung für seinen Charakter, welche die Franzosen auch zugleich an die mögliche Folge erinnert! Auf Cäsar folgte August, und so weiter.

Die Feier des Tages des Bastillensturms beschloß ein Konzert in den Tuilerien, wo in dem Gartenplatze vor dem Orchester am Schlosse eine unzählige Menge Menschen zusammen gedrängt stand. Die ganze Nationalmusik führte es aus, und that es mit Kunst und Fertigkeit und Würde. Die Musik selbst gefiel mir nicht, ein Marsch ausgenommen, der durch seinen feierlichen Gesang eine hohe Wirkung hervorbrachte. Ich habe den Meister nicht erfahren. Das erste Orchester und vielleicht die erste Versammlung der Erde hätte bessere Musik haben sollen. Auf dem Balkon waren alle hohen Magistraturen der Republik, wie sie noch heißt, in ihrem Staatsaufzuge, und von den fremden Diplomatikern diejenigen, denen der Rang eine solche Ehre gab. Der erste Konsul ließ sich einigemal sehen, ehe man Notiz von ihm nahm. Endlich fingen einige der Vordern an zu klatschen; es folgte aber nur ein kleiner Theil der Menge. Der Platz hielt vielleicht über Hunderttausend, und kaum der hundertste Theil gab die Ehrenbezeigung. Der Enthusiasmus war also nicht so allgemein, als man für ihn in seiner neuen Würde hätte erwarten sollen. Auch die Illumination war nicht die Hälfte von dem, was sie voriges Jahr gewesen seyn soll: und man sprach hier und da davon, daß die republikanischen Feste nach und nach eingehen sollten. Das ist begreiflich. Indessen werden sie doch etwas länger dauern, als die Republik selbst; wie die meisten Zeichen länger währen, als die Sache selbst.

Von den Merkwürdigkeiten in Paris darf ich nicht wieder anfangen wenn ich kein Buch schreiben will; und dazu habe ich weder Lust, noch Zeit, noch Kenntniß. Die bunte Scene wandelt sich alle Tage interessant. Bloß der Garten der Tuilerien mit den elysäischen Feldern, welcher die Hauptpromenade der Pariser in dieser Gegend ausmacht, gewährt täglich eine unendliche Verschiedenheit. Die Preßfreiheit ist hier verhältnißmäßig eingeschränkter, als in Wien, und ich bin fest überzeugt, wenn der Tartüffe jetzt erschiene, man würde ihn eben sowohl verdammen, als damals; und Moliere könnte wieder sagen: „Monsieur le président ne veut pas, qu’on le joue.“ Die Dekaden sind durch das Konkordat und die Einführung der römischen Religion nothwendig geradezu wieder abgeschafft; sie heben einander auf. Auch rechnet man in Paris fast überall wieder nach dem alten Kalender und zählt nach Wochen. Die öffentlichen Verhandlungen werden bald folgen. Die Fasten werden in den Provinzen in Frankreich hier und da strenger gehalten, als selbst in Italien. In Italien konnte ich fast überall essen nach Belieben; in Dijon mußte ich einigemal, sogar an der Wirthstafel, zur Fasten mit der Gesellschaft Froschragout essen: es war kein anderes Fleisch da. Mir war es einerlei, ich esse gern Frösche; aber diese Mahlzeit ist doch sonst nicht Jedermanns Sache. So ging mir es noch mehrere Mal auf der Reise. In Paris nimmt man freilich noch keine Notiz davon; aber man that es auch ehemals nicht. Die alten Namen der Oerter und Gassen treten nach und nach alle wieder ein, und eine republikanische Charte von der Stadt ist fast gar nicht mehr zu brauchen. Viele stellen sich, als ob sie die neuen Namen gar nicht wüßten; so sah mich ein sehr wohlgekleideter Mann glupisch an, als ich in die rue de loi wollte, wies mich aber sehr höflich weiter, als ich sie rue de Richelieu nannte. Das Pantheon heißt wieder die heilige Genoveve, und wird höchst wahrscheinlich nur unter dieser Rubrik vollendet werden. Ob sich dieses alles so sanft wieder machen wird, weiß der Himmel. Man scheint jetzt von allen Seiten mit gehörigen Modificationen darauf hinzuarbeiten. Die wieder eingewanderten und wieder eingesetzten Geistlichen treten schon überall von neuem mit ihren Anmaßlichkeiten hervor, und finden Engbrüstigkeit genug für ihre Lehre. Sie versagen, wie man erzählt, hier und da die Absolution, wenn man die Güter der Emigranten nicht wieder herausgeben will. Das kann in einzelnen Fällen sogar republikanische Gerechtigkeit seyn: aber der Mißbrauch kann weit führen. Man erzählt viele Beispiele, daß die französischen Roskolniks durchaus keine gemischten Ehen gestatten. Laßt nur erst die Geistlichkeit in die Justiz greifen, so seid ihr verloren! Vor einigen Tagen las ich eine ziemlich sonderbare Abhandlung in einem öffentlichen Blatte, wo der Verfasser eine Parallele zwischen dem französischen und englischen Nationalcharakter zog. Man blieb ungewiß, ob das Ganze Ernst, oder Ironie war. Er ließ den Briten wirklich den Vorzug des tiefern Denkens, und behauptete für seine Nation durchaus nur die schöne Humanität und den Geschmack. Wenn sich das Letzte nur ohne das Erste halten könnte. Die Ausführung war wirklich drollig. Er sagt nicht undeutlich, die ganze Revolution sei eine Sache des Geschmacks und der Mode gewesen; und wenn man die Geschichte durchgeht, ist man fast geneigt, ihm Recht zu geben. Aber diese Mode hat Ströme Blut gekostet; und wenn man so fortfährt, wird fast so wenig dadurch gewonnen werden, als durch jede andere Mode der Herren von der Seine.

Die Polizei ist im Allgemeinen außerordentlich liberal, wenn man sich nur nicht beigehen läßt, sich mit Politik zu bemengen. Das ist man in Wien auch. Der Diktator scheint das alte Schibolet zu brauchen: panem et circenses. Wenn ich in irgend einer großen Stadt zu leben mich entschließen könnte, so würde ich Paris wählen. Die Franzosen haben mehr, als eine andere Nation dafür gesorgt, daß man in der Hauptstadt noch etwas schöne Natur findet. Die Tuilerien, die elysäischen Felder, die Boulevards, Luxenburg, der botanische Garten, der Invalidenplatz, Frascati und mehrere andere öffentliche Orte gewähren eine schöne Ausflucht, die man durchaus in keiner andern großen Stadt so trifft. Eine meiner sentimentalen Morgenpromenaden war, die Wachparade der Invaliden zu sehen; in meinem Leben ist mir nichts rührender gewesen, als diese ehrwürdige Versammlung. Kein einziger Mann, der nicht für sein Vaterland eine ehrenvolle Wunde trug, die ihm die Dankbarkeit seiner Mitbürger erwarb! Zur Ehre unserer Chirurgie und Mechanik wandelten Leute ohne beide Füße so fest und trotzig auf Holz, als ob sie morgen noch eine Batterie nehmen wollten. Die guten Getäuschten glauben vielleicht immer noch für Freiheit und Gerechtigkeit gefochten zu haben und verstümmelt zu seyn.

Morgen will ich zu Fuße fort, und bin eben bloß aus Vorsicht mit meinem Passe auf der Polizei gewesen; denn man weiß doch nicht, welche Schwierigkeiten man in der Provinz haben kann. Meine Landsleute und Bekannten hatten mir gleich beim Eintritt in die Stadt gesagt, ich müßte mich mit meinem Passe auf der Polizei melden, und redeten viel von der Strenge. Ich fand keinen Beruf hinzugehen. Es ist die Sache der Polizei, sich um mich zu bekümmern, wenn sie will; ich weiß nichts von ihrem Wesen. Man hat von Basel aus bis hierher nicht nach meinem Passe gefragt; auch nicht hier an der Barriere. Der Wirth schrieb meinen Namen auf und sagte übrigens kein Wort, daß ich etwas zu thun hätte. „Wenn mich die Polizei braucht,“ sagte ich, „wird sie mich schon holen lassen; man hätte mir das Nöthige an der Barriere im Wagen oder im Wirthshause sagen sollen.“ Es fragte auch niemand. Indessen, da ich fort will, ging ich doch hin. Der Officier, der die fremden Pässe zu besorgen hatte, hörte mich höflich an, besah mich und den Paß und sagte sehr freundlich, ohne ihn zu unterschreiben: „Es ist weiter nichts nöthig; Sie reisen so ab, wenn Sie wollen.“ — Der Paß war noch der Preußische von Rom aus. — „Wenn Sie ihn allenfalls vom Grafen Lucchesini wollen vidiren lassen, das können Sie thun; aber nöthig ist es nicht.“ Ich dankte ihm und ging. In dergleichen Fällen thue ich nicht gern mehr, als ich muß; ich ging also nicht zu dem Gesandten.

Frankfurt.

Dem Himmel sei Dank, nun bin ich wieder diesseits des Rheins im Vaterlande. Ich werde Dir über meinen Gang von Paris hierher nur wenig zu sagen haben, da er so oft gemacht wird, und bekannter ist, als eine Poststraße in Deutschland.

Den ein und zwanzigsten ging ich aus Paris und schlief in Meaux. Der Weg ist angenehm und volkreich, wenn gleich nicht malerisch; und die Bewirthung ist überall ziemlich gut, freundlich und billig. Wenn ich zwischen Rom und Paris eine Vergleichung ziehen soll, so fällt sie in Rücksicht der Literatur und des Lebensgenusses allerdings für Paris, aber in Rücksicht der Kunst immer noch für Rom aus. Du darfst nur das neueste sehr treue Gemälde von Rom lesen, um zu sehen, wie viel für Humanität und Umgang dort zu haben ist; für Wissenschaft ist fast nichts mehr. Alte Geschichte und alles was sich darauf bezieht, ist das einzige, was man dort an Ort und Stelle gründlich und geschmackvoll studiren kann. In Paris sind die öffentlichen vortrefflichen Büchersammlungen für Jedermann, und es gehört sogar zum guten Tone, wenigstens zuweilen eine Promenade durch die Säle zu machen, die Fächer zu besehen, die Raritätenkasten zu begucken und einige Kupferstiche zu beschauen. Wer sie benutzen will, findet in allen Zweigen Reichthümer; und alles wird mit Gefälligkeit gereicht. In Rom wurde die vatikanische Bibliothek, so lange ich dort war, nicht geöffnet. Die Schätze schlafen in Italien, und es ist vielleicht kein Unglück, daß sie etwas geweckt und zu wandern gezwungen worden sind.

Mit der Kunst ist es anders. Wäre ich Künstler und hätte die Wahl zwischen Rom und Paris, ich würde mich keine Minute besinnen und für das erste entscheiden. Die Franzosen hatten allerdings vorher eine hübsche Sammlung, und haben nun die Hauptwerke der Kunst herüber geschafft: aber dadurch haben sie Rom den Vortheil noch nicht abgewonnen. In Gemälden mag vielleicht kein Ort der Welt seyn, der reicher wäre, als Paris; aber die ersten Meisterwerke der größten Künstler, die lauter Frescostücke sind, konnten doch nicht weggeschafft werden. Die Logen, die Stanzen, die Kapelle, die Farnesina, Grottaferrata und andere Orte, wo Michel Angelo, Raphael, die Caracci, Domenichino und andere den ganzen Reichthum ihres Geistes niedergelegt haben, mußten unangetastet bleiben, wenn man nicht vandalisch zerstören wollte. Die Schule von Athen allein gilt mehr, als eine ganze Gallerie. Die venezianischen Pferde, welche vor dem Hofe der Tuilerien aufgestellt sind, mögen sehr schöne Arbeit seyn; aber mir gefallen die meisten Statüen in Italien besser. Die Rasse der Pferde ist nicht sehr edel. Ich zweifle, ob sie unter den Pferdekennern so viel Lärm machen werden, als sie unter den Künstlern, oder vielmehr unter den Antiquaren gemacht haben. Das Pferd des Mark Aurel auf dem Kapitol ist mir weit mehr werth, und die beiden Marmorpferde aus Herkulanum in Portici würde ich auch vorziehen. Der einzige Vorzug, den sie haben, ist, daß sie vielleicht die einzigen alten Tethrippen sind, die wir noch übrig haben: und auch dazu fehlt ihnen noch viel. Schlecht sind sie nicht und man sieht sie immer mit Vergnügen; aber für die schöne Arbeit sollten es schönere Pferde seyn. Man hat ihnen die gallischen Hähne zu Wächtern gegeben. Gegen das Kapitol haben diese nicht nöthig zu krähen, wie die Gänse gegen die Gallier schrieen; wenn sie nur sonst die wichtigste Weckstunde nicht vorbei lassen.

 

Die Franzosen haben übrigens nur öffentliche Sammlungen, die vatikanische und kapitolinische, in Kontribution gesetzt. Es ist kein Privateigenthum angegriffen worden. Die Privatsammlungen machen aber in Rom vielleicht den größten Theil aus. In der Villa Borghese steht alles, wie es war; und der Fechter und der Silen mit dem Bacchus sind Werke, die an klassischem Werth in Paris ihres Gleichen suchen. Die schönsten Basreliefs sind noch in Rom in dem Garten Borghese und auf dem Kapitol und sonst hier und da. Sarkophage, freilich sehr untergeordnete Kunstwerke und Badegefäße sind in Rom noch in großer Menge von ausgesuchter Schönheit: in Paris sind von den letztern nur zwei ärmliche Stücke, die man in Rom kaum aufstellen würde. Uebrigens ist die Gegend um Rom selbst mehr eine Wiege der Kunst. Die Natur hat ihren Zauber hingegossen, den man nicht wegtragen kann. Man hat zwar die Namen Frascati und Tivoli nach Paris gebracht und alles schön genug eingerichtet: aber Frascati und Tivoli selbst werden für den Maler dort bleiben, wenn man auch alles umher zerstört. Der Fall, die Grotte, die Kaskadellen und die magischen Berge können nicht verrückt werden, und stehen noch jetzt, wie vor zweitausend Jahren, mit dem ganzen Zauber des Alterthums. Das Haus des Mäcen verfällt, wie die Häuser des Flaccus und Katullus: man zieht keine Musen mehr aus ihrem Schutt hervor: aber die Gegend hat noch tausend Reizungen, ohne sie. Man hat in Paris keinen Albaner-See, kein Subiaco, kein Terni in der Nähe. Der Gelehrte gehe nach Paris; der Künstler wird zur Vollendung immer nach Rom gehen, wenn er gleich für sein Fach auch hier an der Seine jetzt zehnmal mehr findet, als vorher. Sobald die Franzosen Raphaele und Buonaroti haben werden, sind sie die Koryphäen der Kunst, und man wird zu ihnen wallfahrten, wie ins Vatikan.

Függer und David scheinen mir indessen die einzigen großen Figurenmaler zu seyn. Die Italiener haben, so viel ich weiß, keinen Mann, den sie diesen beiden an die Seite stellen können. Dafür haben die andern keinen Canova. Ein großer Verlust für die Kunst ist Drouais Tod, und es giebt nicht gemeine Kritiker, die seinen Marius allen Arbeiten seines Lehrers vorziehen.

Den zweiten Tag trennte sich der Weg, und ohne weitern Unterricht schlug ich die Straße rechts ein, war aber diesmal nicht dem besten Genius gefolgt. Sie war sehr öde und unfruchtbar, die Dörfer waren dünn und mager, und es ward nicht eher wieder konfortabel, bis die Straßen bei Chalons wieder zusammenfielen. Ich verlor dadurch einen großen Strich von Champagne, und die schönen Rebhühneraugen in Epernay, auf die ich mich schon beim Estest in Montefiascone gefreut hatte. Das liebe Gut, das man mir dort in den Wirthshäusern unter dem Namen Champagner gab, kann ich nicht empfehlen. Einige Stunden von Chalons schlief ich die Nacht an einem Ort, der Pogny heißt, und der seinem Namen nach vielleicht der Ort seyn kann, wo Attilla sehr tragisch das Nonplusultra seiner Züge machte. Dann übernachtete ich in Longchamp, dann in Ligne en Barrois. In Nancy, wo ich Vormittags ankam, besah ich Nachmittags das Schloß und die Gärten, welche jetzt einen angenehmen öffentlichen Spaziergang gewähren und ziemlich gut unterhalten werden. Hier hatte ich den 26sten Juli schon reife, ziemlich gute Weintrauben. Der Professor Wilmet, den ich mit einem Briefe von Paris besuchte, macht seinem holländischen Namen durch wahre Philanthropie Ehre, ob er gleich weder Deutsch, noch Holländisch spricht. Er ist Millins Pflegevater und spricht mit vieler Zärtlichkeit von ihm, so wie dieser oft mit kindlicher Dankbarkeit in Paris den Professor nannte. Wilmet war mit der deutschen Literatur und besonders mit dem Zustande der Chemie und Naturgeschichte in Deutschland sehr gut bekannt und schätzte die Genauigkeit und Gründlichkeit der deutschen Untersuchungen.

Von da ging ich über Toul immer nach Straßburg herauf. Von Nancy aus pflegt man die Notiz auf den Wirthshausschildern in französischer und deutscher Sprache zu setzen, wo denn das Deutsche zuweilen toll genug aussieht. Bei Zabern ist die Gegend ungewöhnlich schön und es muß in den Bergen hinauf romantische Partien geben. Da ich den letzten Abend noch gern nach Straßburg wollte, nahm ich die letzte Station Extrapost und ließ mich in die Stadt Lion bringen. Das Wetter ward mir wieder zu heiß und ich wollte den andern Morgen mit der Diligence nach Mainz fahren: aber des alten wackern Oberlins Höflichkeit und einige neue angenehme Bekanntschaften hielten mich noch einige Tage länger bis zur nächsten Abfahrt. Oberlin traf ich auf der Bibliothek und er hatte die Güte, mir ihre Schätze selbst zu zeigen. Unter den bronzenen Stücken ist mir ein kleiner weiblicher Satyr aufgefallen, der nicht übel gearbeitet war. Die Seltenheit solcher Exemplare erhöht vielleicht den Werth. Der alte verstorbene Hermann hatte auf der Bibliothek die Stücke der verstümmelten Statüen vom Münster mit sarkastischen Inschriften auf die vandalischen Zerstörer aufbewahrt, wo Rühl und einige andere sich nicht über ihre Enkomien freuen würden. Das schöne Wetter lockte mich mit einer Gesellschaft über den Rhein herüber, und ich betrat nach meiner Pilgerschaft bei Kehl zuerst wieder den vaterländischen Boden, und sah die Verschüttungen des Forts und die neuen Einrichtungen der Regierung von Baden. Es ist schon sehr viel wieder aufgebaut. Daß ich mich etwas auf dem Münster umsah, brauche ich Dir wohl nicht zu sagen. Man hat eine herrliche Aussicht auf die ganze, große, schöne, reiche Gegend und den majestätischen Fluß hinauf und hinab. Es wäre vielleicht schwer zu bestimmen, ob der Dom in Mailand, oder diese Kathedrale den Vorzug verdient. Diese beiden Gebäude sind wohl auf alle Fälle die größten Monumente gothischer Baukunst. Als ich in der Thomaskirche das schlecht gedachte und schön gearbeitete Monument des Marschall Moritz von Sachsen betrachtete, kamen einige französische Soldaten zu mir, die sich wunderten, wie hierher ein Kurfürst von Sachsen käme, und ich mußte ihnen von der Geschichte des Helden so viel erzählen, als ich wußte, um sie mit sich selbst in Einigkeit zu setzen. Auf der Polizei wunderte man sich, daß mein Paß nirgends unterschrieben war und ich wunderte mich mit, und erzählte meine ganze Promenade von Basel bis Paris und von Paris bis Straßburg; da gab man auch hier das Papier ohne Unterschrift zurück.

Nun fuhren wir über Weißenburg, Landau, Worms und so weiter nach Mainz. Nach meiner alten Gewohnheit lief ich bei dem Wechsel der Pferde in Landau voraus und hatte wohl eine Stunde Weges gemacht. Die Deutschen der dortigen Gegend und tiefer jenseits des Rheins herauf haben einen gar sonderbaren Dialekt, der dem Judenidiom in Polen nicht ganz unähnlich ist. Ich glaube doch ziemlich rein und richtig Deutsch zu sprechen: desto schnurriger mußte es mir vorkommen, daß ich dort wegen eben dieser Aussprache für einen Juden gehalten wurde. Ich saß nämlich unter einem Nußbaum und aß Obst, als sich ein Mann zu mir setzte, der rechts hereinwanderte. Ich fragte, „ob ich nicht irren könnte und ob die Diligence hier nothwendig vorbei müßte?“ Er bejahte dieses. Ein Wort gab das andere, und er fragte mich in seiner lieblichen Mundart; „Der Härr sayn ain Jüd, unn rähsen nacher Mähnz?“ — „Ich reise nach Mainz; aber ich bin kein Jude. Warum glaubt Er, daß ich ein Jude sei?“ — „Wähl der Härr okkeroth sprücht wü ain Jüd.“ Man hat mir zu Hause wohl manches Kompliment über meine Sprache gemacht; aber ein solches war nicht darunter.[16]

Von der Gegend von Weißenburg kann ich militärisch nichts sagen, da es noch ziemlich finster war, als wir dort durchgingen. Landau ist weiter nichts, als Festung, und alles was in der Stadt steht, scheint bloß auf diesen einzigen Zweck Beziehung zu haben. Wir kamen in Mainz gegen Morgen an und man schickte mich in den Mainzer Hof, welcher, wie ich höre, für den besten Gasthof gilt. In Mainz sieht man noch mehr Spuren von Revolutionsverwüstungen, als an irgend einem andern Orte. Der Krieg hat verhältnißmäßig weniger geschadet. Ich hielt mich nur einen Tag auf, um einige Männer zu sehen, an die ich von Oberlin Addressen hatte. Auch unser Bergrath Werner von Freiberg war hier und geht, wie ich höre, nach Paris. Sein Name ist in ganz Frankreich in hohem Ansehen.

Den andern Tag rollte ich mit der kaiserlichen Diligence durch einen der schönsten Striche Deutschlands hierher.

Auf meinem Wege von Paris hierher fragte man mich oft mit ziemlicher Neugierde nach Zeitungen aus der Hauptstadt, und nahm die Nachrichten immer mit sehr verschiedener Stimmung auf. Sehr oft hörte ich vorzüglich die Bemerkung über den Konsul wiederholen: „Mais pourtant il n’est pas aîmé;“ besonders von Militären. Das ist begreiflich. Es giebt Regimenter und ganze Korps, die ihn nie gesehen haben und die doch auch für die Republik brave Männer gewesen sind. Diese wünschen sich ihn vielleicht sehr gern zum General, aber nicht zum Souverain, wie es ganz das Ansehen gewinnt. „Il faut diablement des choses, ce petit corporal d’Italie; cela va loin!“ sagte man; und ein Wortspieler, der ein katonischer Republikaner war, bezeichnete ihn mürrisch mit folgendem Ausdruck: „Bonaparte qui gloriam bene partam male perdit.“ In der Gegend von Straßburg habe ich hier und da gehört, daß man bei seinem Namen knirschte, und behauptete, er führe allen Unfug geradezu wieder ein, den man auf immer vertrieben zu haben glaubte. Was ein einziger Mann wieder einführen kann, ist wohl eigentlich nicht abgeschafft. „Man wollte in der ersten Konstitution,“ sagten sie, „dem König keine ausländische Frau erlauben, und jetzt haben wir sogar einen fremden Abenteurer zum König, der willkührlicher mit uns verfährt, als je ein Bourbonide: wer ihm mißfällt, ist Verbrecher, und ihm mißfällt jeder, der selbstständige Freiheit und Vernunft athmet. Er weiß sich vortrefflich die ehemalige Wuth und den Haß der Parteien zu Nutze zu machen.“

Weiter nach Mainz redete man nichts mehr von der Republik und den öffentlichen Geschäften, sondern klagte nur über den Druck und die Malversation der Kommissäre, und jammerte über die neue Freiheit. „Den Zehnten geben wir nicht mehr, den behalten wir,“ sagen die Bauern mit Bitterkeit. Eine grausamere Aposiopese kann man sich kaum denken, wenn auch die neun Zehntheile eine große Hyperbel sind. Ein Zeichen, daß die Regierung wenig nach vernünftigen Grundsätzen verfährt, ist nach meiner Meinung immer, wenn sie militärisch ist und wenn man anfängt, ausschließlich den Bürger von dem Krieger zu trennen. In Frankreich macht der Soldat wieder alles, und was ein General sagt, ist Gesetz in seinem Distrikt. Die nächsten Militäre nach dem Konsul bezeichnen ihren Charakter genug durch ihre Bereicherung. Der allgemeine Liebling der Nation ist Moreau, und der Mann verdient ohne Zweifel die große, stille Verehrung seines ganzen Zeitalters. Ich bin nirgends gewesen, in Deutschland, Italien und Frankreich, wo man nebst seinen Kriegstalenten nicht seine tadellose Rechtlichkeit, seine Mäßigung und Humanität gepriesen hätte. Er soll es ausgeschlagen haben, Officier der Ehrenlegion zu werden, die so eben errichtet werden soll, und die jeder Republikaner für unrepublikanisch und für die Wiederauflebung des Feudalwesens hält. Man thut ihm vielleicht keinen Dienst, ihn mit dem öffentlichen System in Kollision zu setzen; aber seine Unzufriedenheit wird überall ziemlich laut erzählt. Seine Parteigänger, die weniger Mäßigung haben, als er selbst, wünschten ihn hier und da laut am Ruder, und sagen bedeutend nur, Moreau grand consul; zogen aber die Worte so sonderbar, daß es klang wie Mort au grand consul. Die Sprache erleichtert viel solche Spiele, hinter welche sich die Parteisucht versteckt.

Das System des Konsuls liegt nun wohl ziemlich am Tage, und leidet keine Mißdeutung. Alles ist gekommen, wie vorherzusehen war, nur mit etwas schnelleren Schritten. Das Buch Napoleon Bonaparte und das französische Volk, giebt den Gang der Dinge ziemlich richtig an; wenn man nur die Vehemenz gegen die Person und einige unwichtige Irrthümer und gleichgültige Personalitäten abrechnet. Die Zeichnung der Nation ist in demselben, trotz der klassischen Gelehrsamkeit, zu grell; und jedes andere Volk würde in den nämlichen Umständen höchst wahrscheinlich das nämliche seyn. Die Briten, als die entgegengesetzteste Nation, haben es bei ihrer Revoluzion auch bewiesen. Bonaparte ist unstreitig der vollendetste Mann seiner Art; die Geschichte hat bis jetzt keinen größern. Er erschöpft ganz den griechischen Sinn des griechischen Worts. Traurig ist es für den geläuterten Menschensinn, daß solche Erscheinungen bei unserm gepriesenen Lichte noch möglich sind: aber zermalmend für alle bessern Hoffnungen, daß man sie sogar als nothwendig annehmen muß. Alles, was zur Grundlage einer vernünftigen Freiheit und Gerechtigkeit dienen konnte, ist wieder zerstört. Die militärische Regierung ist mit dem eisernsten Zwange wieder eingeführt; alle Wahlen sind so gut, als aufgehoben, die Juries, als das letzte Palladium der Freiheit, sind vernichtet: und damit die emporstrebende Vernunft der Despotie keine Streiche spiele, ist durch eine gemessene Erziehung sehr klug jeder liberale Forschergeist in Philosophie und Naturrecht verbannt. Ob Bonaparte mit seinem Anhang dabei die menschliche Natur ganz richtig berechnet habe, ist sehr zu bezweifeln. Mir selbst ist es ziemlich klar, daß er auf diesem Wege das alte Herrschersystem mit seinem ganzen Unwesen wieder gründen wird, oder eine neue Revoluzion nothwendig macht. Tertium non datur. Die Folge für die Humanität ist dabei leicht zu berechnen. Er hätte ein Heiland eines großen Theils der Menschheit werden können, und begnügt sich, der erste wiedergeborne Sohn der römischen Kirche zu seyn. Er läßt sich halten, wo er hätte stehen können. Er hat eine lichtvolle Ewigkeit gegen das glänzende Meteor eines Herbstabends, Ehre gegen Ruhm ausgetauscht. Noch ist er zwar nicht bis zu Dionysens Nußschaale und Pferdehaar gekommen; aber die Umschanzung von seinen Söldlingen und Trabanten zeigt hinlänglich von der unsichern Angst, welche das System nothwendig macht.

Ob Moreau schuldig, oder unschuldig ist, ist ein Problem, dessen Lösung das Publikum wohl schwerlich erfahren wird. Sind aber die Beschuldigungen gegen ihn gegründet, so gehört seine Sache vor die Aerzte, ehe sie vor die Richter kommt. Das Papier ist geduldig; und Glauben verdient nichts, als was in sich konsequent und durch rechtliche Zeugen faktisch erwiesen ist. Daß Moreau nicht des Konsuls Freund war, und daß er für sein Vaterland anderes Heil sah und wünschte, ist leicht zu begreifen: daß er sich aber zu einem solchen Complott mit den Feinden der Nation wegwerfen sollte, konnte man nur von einem Bedlamiten erwarten. Er hätte dadurch seinen tadellosen Charakter, seinen von der Nation geliebten und von ganz Europa geachteten Namen in den Koth geworfen, ohne den geringsten Gewinn für sich selbst, als ewige Schande, und ohne einigen Anschein von Wohlthat für sein Volk. Wäre dieses dennoch, so hätte allerdings der Franzos Recht, welcher von ihm sagte: Moreau hat nur zwischen dem Rhein und der Donau Verstand.

Die beiden letzten Jahrzehende scheinen dazu geeignet zu seyn, dem aufmerksamen Beobachter eine Synopse der Menschengeschichte zu geben; so glänzend und so göttlich, und so unsinnig und verächtlich erscheint unser Geschlecht in der nämlichen Periode! Die neapolitanischen Gräuel, die Wassertaufen, und der Schandfleck bei Rastadt mit den letzten Missionsniederträchtigkeiten sind Erscheinungen, die nur an Größe des Umfangs hinter der Bartholomäusnacht und den Riesenverbrechen der römischen Triumvirn zurückbleiben, und die einem rechtlichen Manne eine momentane Scham abzwingen, daß er ein menschliches Gesicht trägt. Man schwor ehedem sogar in Rußland bei Pichegrüs Namen: und welcher ehrliche Mann wollte den letzten Theil seines Lebens gelebt haben, hätte auch der erste noch zehn Mal mehr Glanz und Größe? Mir ist es allemal mehr um den Charakter eines Mannes zu thun, als um sein Schicksal. Hat er diesen verloren, so wird dieses höchst gleichgültig. Nemesis schlage jeden mit ihrer Ruthe! Leider möchte man bei einem Blick über die Sache der Menschheit halb phrenetisch ausrufen: heiliger Aristides, bitte für uns! Ach der große Moment fand nur ein kleines Geschlecht.

In der Postkutsche von Mainz hierher war ein Gewimmel von Menschen, und einige segneten sich wirklich ganz laut, daß sie aus der vermaledeiten Freiheit einmal heraus wären, in der man sie blutig, so sklavisch behandle. Dies waren ihre eigenen Ausdrücke. Und doch waren sie mit ihrem ganzen Vermögen noch jenseits des Rheins in der Freiheit. Vor Hochheim wandelte ich in Gesellschaft eines Spaziergängers der Gegend, wie es schien, den Berg herauf. Der Mann nahm mit vielem Murrsinn von der ersten muntern hübschen Erntearbeiterin im Felde Gelegenheit, eine furchtbare Rhapsodie über die Weiber zu halten, hatte aber ganz das Ansehen, als ob er der Misogyn nicht immer gewesen wäre und nicht immer bleiben würde; denn alles Uebertriebene hält nicht lange. Er nahm seine Beispiele nicht bloß von den Linden weg und aus dem Egalitätspalaste, und mußte tiefer in die Verdorbenheit der Welt mit dem Geschlecht verflochten seyn. Er machte mit lebhaftem Kolorit ein Gemälde, gegen welches Juvenals lassata viris noch eine Vestalin war; und ich war froh, als mich der Wagen auf der Ebene wieder einholte und ich wieder einsteigen konnte. Du weißt, ich habe eben nicht Ursache, geflissentlich den Enkomiasten der Damen zu machen; indessen muß man ihnen doch die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß sie — nicht schlimmer sind, als die Männer: und die meisten ihrer Sünden leiden vielleicht noch etwas mehr Apologie, als die Sottisen unseres Geschlechts.

Frankfurt muß, dem Anscheine nach, durch den Krieg weit mehr gewonnen als verloren haben. Der Verlust war öffentlich und momentan, der Gewinn ging fast durch alle Klassen und war dauernd. Es ist überall Wohlstand und Vorrath; man bauet und bessert und erweitert von allen Seiten, und die ganze Gegend rund umher ist wie ein Paris; besonders nach Offenbach hinüber. Man glaubt in Oberitalien zu seyn. Unser Leipzig kann sich nicht wohl mit ihm messen, ob es gleich vielleicht im Ganzen netter ist.

Von hier kann Dir jeder Kaufmann Nachrichten genug von der Messe mitbringen. Ich besuchte nur einige alte Bekannte und machte einige neue. Wenn ich ein Kerl mit der Börse à mon aise wäre, würde ich vermuthlich Frankfurt zu meinem Aufenthalt wählen. Es ist eine Mittelstadt, die gerade genug Genuß des Lebens giebt für Leib und Seele, um nicht zu fasten und sich nicht zu übersättigen. Im Fall eines Krieges mit den Franzosen liegt es freilich schlimm: die Herren können alle Nächte eine Promenade von Mainz herüber machen, den Morgen hier zum Frühstück und zum Abendbrote wieder zu Hause seyn.

Bei der Frau von Laroche in Offenbach traf ich den alten Grafen Metternich, wenn ich nicht irre, den Vater des kaiserlichen Gesandten in Dresden. Er war ehemals Minister in den Niederlanden; und nie habe ich einen Mann von öffentlichem Charakter gesehen, zu dem ich in so kurzer Zeit ein so großes reines Zutrauen gefaßt hätte: so sehr trägt sein Gesicht und sein Benehmen den Abdruck der festen Redlichkeit mit der feinsten Humanität!

Leipzig.

Meine Runde ist nun vollendet und ich bin wieder bei unsern väterlichen Laren an der Pleiße. Von Frankfurt aus ging ich über Bergen in Gesellschaft nach dem Oertchen Bischofsheim, wo man mir ein freundliches Mahl zugedacht hatte. Bei Bergen und Kollin haben unsere Landsleute gezeigt, daß sie nicht Schuld an den übeln Streichen bei Pirna waren. Vor Hanau ging ich vorbei und hielt mich immer die Straße nach Fulda herein. Die Hitze des vorzüglich heißen Sommers drückte mich zwar ziemlich, aber ich nahm mir Zeit, ruhte oft unter einem Eichbaume und war die Nacht mit den schlechten Wirthshäusern zufrieden. Auf meiner ganzen Reise hatte ich sie nicht so schlecht gefunden, als hier einige Mal in Hessen. Zwischen Fulda und Hühnefeld drückte mich die Hitze furchtbar und der Durst war brennend; und auf meiner ganzen Wanderung habe ich vielleicht keine so große Wohlthat genossen, als da ich sodann links an der Straße eine schöne Quelle fand. Leute, welche einen guten Flaschenkeller im englischen Wagen mit sich führen, haben von dieser Erquickung keinen Begriff. Der Hitze haben sie im Wagen zwar nicht viel weniger, aber die Erfrischung können sie nicht so fühlen. Du darfst mir glauben, ich habe dieses und jenes versucht. In Hünefeld war Schießen, die Gesellschaft der Honoratioren speiste in meinem Wirthshause, und ich hatte das Vergnügen, die Musik so gut zu hören, als man sie wahrscheinlich in der Gegend und aus Fulda hatte auftreiben können. Wenn auch zuweilen eine Kakophonie mit unter läuft, thut nichts; sie können das Gute doch nicht ganz verderben, eben so wenig als man es in der Welt durch Verkehrtheit und Unvernunft ganz ausrotten kann.

In Vach hatten mich die Handlanger des alten Landgrafen in Beschlag genommen und nach Ziegenhain und Kassel und von da nach Amerika geliefert. Jetzt sollen dergleichen Gewaltthätigkeiten abgestellt seyn. Doch möchte ich den fürstlichen Bekehrungen nicht zu viel trauen; sie sind nicht sicherer, als die demagogischen. Es wäre unbegreiflich, wie der Landgraf seit langer Zeit so unerhört willkührlich, zum Verderben des Landes und einzig zum Vortheil seiner Kasse, mit seinen Leuten geschaltet und förmlich den Seelenverkäufer gemacht hat, wenn es nicht durch einen Blick ins Innere erklärt würde. Die Landstände wurden selten gefragt, und konnten dann fast keine Stimme haben. Der Adel ist nicht reich und unabhängig vom Hofe. Die Minister und Generale hatten ihren Vortheil, dem Herrn zu Willen zu leben. Jeder hatte vom Hofe irgend etwas, oder hoffte etwas, oder fürchtete etwas, für sich oder seine Verwandten. Die großen Officiere gewannen Geld und Ehre, die kleinen Unterstützung und Beförderung. Die Uebrigen litten den Schlag. Das Volk selbst ist bis zum Uebermaaß treu und brav. Hier und da war Verzweiflung; aber der alte Kriegsgeist half. Die Hessen glauben, wo geschlagen wird, müssen sie dabei seyn. Das ist ihr Charakter aus dem tiefsten Alterthum. Ich erinnere mich in einem Klassiker gelesen zu haben, daß die Katten lange vor Christi Geburt als Hülfstruppen unter den Römern in Afrika schlugen. Jetzt hat der Landgraf, wie versichert wird, die fremden Verbindungen dieser Art aufgegeben.

Von Vach wollte ich Post nach Schmalkalden zu meinem Freunde Münchhausen nehmen. Der Wirth verpflichtete sich, da nicht sogleich Postpferde zu haben waren, mich hinüberzuschaffen, ließ sich die Posttaxe für zwei Pferde und den Wagen bezahlen und gab mir einen alten Gaul zum Reiten. Das nenne ich Industrie. Was wollte ich machen? Ich setzte mich auf, weil ich fort wollte. Doch kam ich zu spät an. Es war schon tief Nacht, als ich den Berg hinein ritt, und gegen zehn Uhr war ich erst in dem Thale der Stadt. Die Meinungschen Oerter und Dörfer, durch die ich ging, zeichneten sich immer sehr vortheilhaft aus. Das Einzige, was mir dort nicht einleuchten wollte, war, daß man überall so viel herrliches Land mit Tabakspflanzungen verdarb. Dieses Giftkraut, das sicher zum Verderben der Menschen gehört, beweist vielleicht mehr, als irgend ein anderes Beispiel, daß der Mensch ein Thier der Gewohnheit ist. In Amerika, wo man noch auf fünfhundert Jahre Land genug hat, mag man die Pflanze auf Kosten der Nachbarn immer pflegen, aber bei uns ist es schlimm, wenn man durchaus die Oekonomie mehr merkantilisch, als patriotisch berechnet.

Ich ließ mich den andern Morgen meinem Freunde ohne meinen Namen, als einen Bekannten melden, der von Frankfurt käme. Wir hatten uns seit neunzehn Jahren nicht gesehen und unser letztes Gespräch waren einige Worte auf dem Ocean, als der Zufall unsere Schiffe so nahe zusammen brachte. Die Zeit hatte aus Jünglingen Männer gemacht, im Gesichte vielleicht manchen Zug verändert, verwischt und eingegraben. Ich wußte, vor wem ich stand und konnte also nicht irren. Er schien schnell seinen ganzen dortigen Zirkel durchzugehen, stand vor mir und kannte mich nicht. Hier habe ich ein kleines Empfehlungsschreiben, sagte ich, indem ich ihm meinen Finger hinhielt, an dem sein Bild von ihm selbst in einem Ringe war. Es war, als ob ihn ein elektrischer Schlag rührte, er fiel mir mit meinem Namen um den Hals und führte mich im Jubel zu seiner Frau. Dieses war wieder eine der schönsten Minuten meines Lebens. Einige Tage blieb ich bei ihm und seinen Freunden, und genoß, so weit mir meine ernstere Stimmung erlaubte, der frohen Heiterkeit der Gesellschaft.

Mir ist es oft recht wohl gewesen, wenn ich durch das Gothaische und Altenburgische ging. Man sieht fast nirgends einen höhern Grad von Wohlstand. Es herrscht daselbst noch eine gewisse alte Bonhommie des Charakters, daß ich viele Gesichter fand, denen ich ohne weitere Bekanntschaft meine Börse hätte anvertrauen wollen, um sie an einen bezeichneten Ort zu bringen, wo ich sie sicher wieder gefunden haben würde. Ich habe in diesem Ländchen weniger Bekanntschaft, als sonst irgendwo: Du kannst also glauben, daß ich nicht aus Gefälligkeit rede. So oft ich darin war, habe ich immer die reinste Hochachtung und Verehrung gegen den Herzog gefaßt. Um einen Fürsten zu sehen, braucht man nicht eben seine Schlösser zu besuchen, oder gar die Gnade zu genießen, ihm vorgestellt zu werden. Oft sieht man da am wenigsten von ihm. Seine Städte und Dörfer und Wege und Brücken geben die beste Bekanntschaft — vorausgesetzt, er ist kein junger Mann, der die Regierung erst antrat. In diesem Falle könnte ihm viel Gutes und Schlimmes unverdienter Weise angerechnet werden. Wo das Bier schlecht und theuer und das Brot theuer und schlecht ist, wo ich die Dörfer verfallen und elend und doch die Visitatoren nach dem Sacke lugen sehe, da gehe ich so schnell als möglich meines Weges. Nicht das Predigen der Humanität, sondern das Thun hat Werth. Desto schlimmer, wenn man viel spricht und wenig thut.

Schon in Paris hatte ich gehört, die Preußen wären in Erfurt, und wunderte mich jetzt, da ich sie noch nicht hier fand. Diese Saumseligkeit ist sonst ihre Sache nicht, wenn etwas zu besetzen ist. Fast sollte man glauben, die langsame Bedächtlichkeit habe einen pathologisch moralischen Grund. Hier erinnerte mich ein heimlicher Aerger, daß ich ein Sachse bin. Ich hielt mir lange Betrachtungen über die Großmuth und Uneigennützigkeit der königlichen Freundschaften; ich verglich den Verlust des Königs mit seinem Gewinn; ich überdachte die alten, rechtlichen Ansprüche, die Sachsen wirklich noch machen konnte und machen mußte. Wenn Sachsen eine Macht von hundert tausend Mann wäre, so würde die gewöhnliche Politik das Verfahren rechtfertigen. Jetzt mag es alles seyn, was Du willst, nur ist es nicht freundschaftlich. Mir däucht, daß man in Dresden doch wohl etwas lebendigere, wirksamere Maßregeln hätte nehmen können und sollen. Es war alles voraus zu sehen. Die Leipziger werden die Folgen spüren. Freilich wird man vielleicht die ersten zehn Jahre nichts, oder wenig thun: aber man hat doch nun die Kneipzange von beiden Seiten in den Händen, und kann sicher das festina lente spielen. Politisch muß man immer das Schlimmste denken und glauben; was geschehen kann, wird geschehen. Die Geschichte und das Naturrecht rechtfertigen diese Maxime: in bürgerlichen Verhältnissen ist man durch Gesetze geschützt; hier sichert nur Klugheit und Kraft, selten Gerechtigkeit. Der gegenwärtige Schritt rechtfertigt die Furcht vor dem künftigen. Zutrauen giebt das nicht. Ich hätte von Berlin in diesen Verhältnissen zu Dresden solche Resultate nicht erwartet.

In Weimar freute ich mich, einige Männer wieder zu sehen, die das ganze Vaterland ehrt[17]. Der Patriarch Wieland und der wackere Böttiger empfingen mich mit freundschaftlicher Wärme zurück. Die Herzogin Mutter hatte die Güte, mit vieler Theilnahme sich nach ihren Freunden diesseits und jenseits der Pontinen zu erkundigen und den unbefangenen Pilger mit Freundlichkeit zu sich zu laden. Jedermann kennt und schätzt sie als die verehrungswürdigste Matrone, wenn sie auch nicht Fürstin wäre.

Als ich den andern Morgen durch das Hölzchen nach Naumburg herüber wandelte, begegnete mir ein preußisches Bataillon, das nach Erfurt zog. Wenn man in dem nämlichen Rocke, mit der nämlichen Chaussüre über Wien und Rom nach Syrakus und über Paris zurückgegangen ist, mag der Aufzug freilich etwas unscheinbar werden. Es ist die nicht löbliche Gewohnheit unserer deutschen Landsleute, mit den Fremden zuweilen etwas unfein Neckerei zu treiben. Die Soldaten waren ordonnanzmäßig artig genug; aber einige Officiere geruhten sich mit meiner Personalität ein Späßchen zu machen. Ich ging natürlich den Fußsteg am Busche hin, und der Heereszug zog den Heerweg. Einer der Herren fragte seinen Kameraden in einem etwas ausgezeichneten pommerischen Dialekte, den man auf dem Papier nicht so angenehm nachmachen kann: „Was ist das für ein Kerl, der dort geht?“ Der andere antwortete zu meiner Bezeichnung: „Er wird wohl gehen und das Handwerk begrüßen.“ „Nein,“ antwortete eine andere Stimme, „ich weiß nicht, was es für ein närrischer Kerl seyn mag; ich habe ihn gestern bei der Herzogin im Garten sitzen sehen.“ Uebersetze das erst etwas ins Pommerische, wenn Du finden willst, daß es mir ziemlich schnakisch vorkam. Indessen glaube ich unmaßgeblich, die Herren hätten ihre Untersuchung und Beurtheilung über mich etwas höflicher doch wohl einige Minuten sparen können, bis ich sie nicht mehr hörte. Aber mit einem Philister macht bekanntlich ein preußischer Officier nicht viel Umstände[18]. Ob das recht und human ist, wäre freilich etwas näher zu bestimmen.

Meiner alten guten Mutter in Posern bei Weißenfels war meine Erscheinung überraschend. Man hatte ihr den Vorfall mit den Banditen schon erzählt, und Du kannst glauben, daß sie meinetwegen etwas besorgt war, da sie als orthodoxe Anhängerin Luthers überhaupt nicht die beste Meinung von dem Papst und seinen Anordnungen hat. Sie erlaubte durchaus nicht, daß ich zu Fuße weiter ging, sondern ließ mich bedächtlich in den Wagen packen und hierher an die Pleißenburg bringen. Du kannst Dir vorstellen, daß ich froh war meine hiesigen Freunde wieder zu sehen. Schnorr war der erste, den ich aufsuchte, und das enthusiastische Menschenkind warf komisch den Pinsel weg, zog das beste seiner drolligen Gesichter und machte mit einem Sprung einen praktischen Kommentar auf Horazens Stelle, daß man bei der Rückkehr eines Freundes von den Cyklopen wohl ein Bischen närrisch seyn könne.

Morgen gehe ich nach Grimma und Hohenstädt, und da will ich ausruhen trotz Epikurs Göttern. Mir däucht, daß ich nun einige Wochen ehrlich lungern kann. Wer in neun Monaten meistens zu Fuße eine solche Wanderung macht, schützt sich noch einige Jahre vor dem Podagra. Zum Lobe meines Schuhmachers, des mannhaften, alten Heerdegen in Leipzig, muß ich Dir noch sagen, daß ich in den nämlichen Stiefeln ausgegangen und zurückgekommen bin, ohne neue Schuhe ansetzen zu lassen, und daß diese noch das Ansehen haben, in baulichem Wesen noch eine solche Wanderung mit zu machen.

Bald bin ich bei Dir, und dann wollen wir plaudern; von manchem mehr als ich geschrieben habe, von manchem weniger.

Anmerkungen
zum
Spaziergang nach Syrakus
von
V. H. Schnorr v. K.

Vorerinnerung.

Seume war mein Freund und ich der Seinige im wahren Sinne des Wortes: unsere Freundschaft war auf gegenseitiges tiefes Gefühl für Redlichkeit und Rechtlichkeit gegründet.

Ich war sein Begleiter bis Wien, wo ich dem Rath einiger Männer von Bedeutung zufolge, denen ich empfohlen war, zurückbleiben mußte. Man erlaube mir also, Seume’n im Geiste weiter zu folgen, und hier und da ein Wort für die Leser einzuschalten, die er interessirt.

Meine Anmerkungen betreffen bloß die Individualität des Reisenden, und daß ich dazu einigen Beruf fühle, möge der Umstand rechtfertigen, daß Seume neun Jahre lang mein Tischgenosse und täglich in meinem Hause war.

Er ist nicht mehr, und ich und die Meinigen — haben Einen redlichen Freund verloren.

[3] Ich bin mir bewußt &c.

Das wird Niemand läugnen, der S. näher gekannt hat; und er befand sich nicht wohler, als in dem häuslichen Kreis einer rechtlichen Familie. Er war auch bei weitem nicht so grießgrämig, als Manche vielleicht glaubten, und nahm, wenn er aufgefordert wurde, selbst Antheil an der Ausführung kleiner Possen, zuweilen als Dichter, zuweilen als mitspielende Person.

So übernahm er einmal die Rolle des Heroldes, als wir in der herrlichen, romantischen Gegend bei Grimma, in Pölen, auf freiem Felde den Don Quixote im abenteuerlichsten Kostüm aufführten, und die Kleopatra machte er selbst in seinem Schnurrbarte, als wir die Posse von Kotzebue in Hohenstädt gaben, um Freund G. eine heitere Stunde zu machen.

So finster sein Blick und so ernsthaft er überhaupt war, so näherten sich ihm doch bald selbst die kleinen Kinder, die er mit innigem, tiefem Gefühl in seine Arme schloß.

Sein größter Kummer war, nicht selbst Weib und Kind zu haben. Das Schicksal war ihm nicht günstig gewesen, und er hatte in dieser Hinsicht bittere Erfahrungen gemacht. Dieses zeigt schon sein früheres Gedicht: „der Abschied an Münchhausen.“ In seinen spätern Gedichten und besonders im gegenwärtigen Buche hat er sich darüber hier und da deutlicher ausgesprochen.

So sagt er einmal zu mir: „Wenn es nicht wider meine Grundsätze wäre, so möchte ich wohl von einem gesunden Bauermädchen einen Jungen haben.“

S. war durchaus streng sittlicher Mensch. Hörte er von einer Handlung schöner Humanität sprechen, so war seine Aeußerung kurz: „Nun, das ist vernünftig! das ist human, das ist brav!“ Aber sein Herz wurde wohlthätig erwärmt.

Ein solches herzerhebendes Freudenfest gab ihm auch jenes Ereigniß, das er in diesem Buche aus Messina selbst erzählt.

Er pflegte immer zu sagen: „das Gute lobt und belohnt sich selbst.“

Ueber Niederträchtigkeiten aber, über Herabwürdigung und Entehrung der Menschenwürde ergrimmte er zähneknirschend in seinem Innersten, so tolerant er auch immer menschliche Schwachheiten beurtheilte.

Das Wohl der Menschen, auf allgemeine Gerechtigkeit und Freiheit — für seine Ansichten eigentlich nur Synonyma — gegründet, lag ihm zu sehr am Herzen. Indessen war er besonnen. Mit den Individuen aus dem Volke ließ er sich nie, weder in politische, noch in religiöse Gespräche ein. „Das kann da nichts helfen,“ pflegte er zu sagen: „das Vernünftige muß von oben herabkommen und allgemein gemacht werden.“ Und so gab er auch nicht einmal seiner Mutter und seinen Verwandten seine Schriften. „Ihr versteht das nicht,“ sagte er. „Gehorcht ihr den Gesetzen und geht in eure Kirche.“

Er war nie mit den schnellen, sogenannten Aufklärern zufrieden, störte Niemand in seinem Glauben, und schätzte wackere, gewissenhafte Prediger sehr.

Unter seiner Mutter Bildniß, das ich einmal vor ohngefähr 15 Jahren für ihn zum Andenken gezeichnet und radirt hatte, ließ er Folgendes stechen:

Regina Christina Seumin.

Liebe und Hochachtung den Aeltern, Treue den Freunden, Ehrfurcht der Religion, Gehorsam den Gesetzen, Muth dem Vaterlande, Gerechtigkeit und Menschlichkeit Allen.

[4] Man wirft mir vor, daß ich kein Amt suche &c.

Oft hörte ich ihn sagen: „was soll ich mit dem Amte, da — dort — oder gar am Hofe?“

„Das dauert vier Wochen und — ihr sehet mich wieder.“ Rücksichten zu nehmen, war ihm in öffentlichen Angelegenheiten unmöglich, darum vermied er lieber die Kollisionen. So wurde er einmal aufgefordert, ein politisch-literarisches Zeitungsblatt zu schreiben; er dankte aber sehr dafür, so groß der Gewinn geschildert ward, so glänzend ihm auch die Aussichten eröffnet wurden. — S. würde das Naturrecht vortrefflich gelesen haben — er hatte große Lust dazu — allein, es würde ihm bald untersagt, und ein geschriebenes konfiscirt worden seyn.

Am passendsten würde für ihn eine Inspektion über den allgemeinen Straßenbau gewesen seyn; und ich bin überzeugt, wir würden im Vaterlande, wenn auch keine spanischen Chausseen, doch bessere Wege haben; denn daß diese mitunter recht schlecht sind, darüber ist unter allen Reisenden nur eine Stimme.

Allgemeines Menschenglück beschäftigte ihn vor Allem. Sein Herz war voll von dem Gedanken einer allgemeinen Gerechtigkeit. Es belebten ihn zuweilen große Hoffnungen, so weit er auch den Zeitpunkt besserer Zeiten hinaussetzte.

Er war indeß nicht müssig und hat manches Gute gewirkt, mehrere junge Leute von Herz und Kopf, die er unterrichtete und die sehr redliche, achtungswürdige Menschen geworden sind, haben gestanden, daß sie Seume’s rechtlichen, festen Grundsätzen unendlich viel zu verdanken haben. Selbst viele junge, studirende Adelige, denen er wahrlich um keinen Preis schmeichelte, kamen doch immer wieder, aus wahrer Achtung gegen den Mann und seine Grundsätze. Mit einem Worte, S. genoß als allgemein anerkannt redlicher Mann eine allgemeine Achtung, und ich hoffe mit Zuversicht, sie wird ihm ewig bleiben.

[5] Man hat alten Stabsofficieren Dinge von großer Wichtigkeit abgenommen und sie mir übergeben &c.

Als der General von Schwerin, Neffe des bekannten großen Schwerin, vor ungefähr 10 Jahren in Leipzig war und mir zum Malen saß, fragte er nach S. Ich zeigte ihm einige Briefe von ihm; „ja, ja! das ist seine Hand,“ sagte er, „ich kenne sie.“

Von der unfreundlichen Behandlung, die er auf dem Rückwege aus Rußland von dem alten Igelström erfuhr, erzählt er in seinem Sommer (seiner letzten Reise nach Rußland) selbst. So fallen — nicht eben sehr selten — die Belohnungen für geleistete, redliche Dienste aus!

[6] Man trifft so viele trübselige Gesichter &c.

Das war in seinem moralischen Ingrimme gesprochen, wo seine Phantasie und die Rückerinnerung an so manche Herabwürdigung der Menschenwürde, besonders in den Residenzen, auf ihn einstürmte. Er empfand dieses damals tief und giebt dieses Gefühl hier zu erkennen. Er wollte aber keinesweges dadurch eine ganze Stadt beleidigen, wie sich von selbst versteht.

[7] S. hatte einige griechische und lateinische Autoren und ich etwas Italienisches in den Tornister gepackt. In Peterswalde fing er an zu lesen, — ich glaube den Florus — und riß, mit mancher drolligen und sarkastischen Bemerkung, ein gelesenes Blatt nach dem andern heraus und warf zuletzt die Schale in den Ofen. Diese Prozedur machte er planmäßig mit mehreren Büchern, die ihn weniger interessirten, um nach und nach den Tornister wieder leichter zu machen. Den Homer, Virgil und Horaz brachte er wieder zurück und verschenkte sie an seine Freunde.

[8] Gestern war ich bei Füger &c.

Die damaligen Momente sind mir noch ganz gegenwärtig, und mich dünkt, Seume zeigt hier, daß er nicht so sehr Profaner war, als er auf der ersten Seite selbst sagt. Er hatte für Kunstwerke, besonders nach seiner Zurückkunft aus Italien, einen sehr richtigen Takt, vorzüglich was den Charakter und Ausdruck betrifft. Ich habe seinem Umgange auch in dieser Hinsicht Vieles zu danken. Seine Aeußerungen waren fast immer treffend.

[9] Schnorr hatte als Hausvater billig Bedenken getragen.

Es sei mir hier vergönnt, mit wenig Worten die Gründe anzuführen, durch welche ich bewogen wurde, den Gang nach Italien und Sicilien aufzugeben, und zwar um so mehr, da man hier und da an meinem Muthe gezweifelt haben mochte.

Ich verließ Leipzig mit frohem Gemüthe, mit wahrem Vertrauen auf die Vorsehung. Es kam mir kein Gedanke von Furcht in die Seele, wie es wohl bei Menschen, beseelt von Enthusiasmus für irgend etwas Gutes und bei reiner Absicht, der Fall zu seyn pflegt. Als ich aber in Wien meine Empfehlungsbriefe, besonders die von Weiße (dem Verfasser des Kinderfreundes) an Männer abgab, denen ich besonders als Familienvater an das Herz gelegt worden war, so rieth man mir einstimmig, nicht weiter zu gehen, da so häufig jetzt Straßenräubereien vorgefallen seien. „Wenn wir nun auch nicht annehmen wollen,“ sagte Füger, „daß Sie todtgeschlagen werden; zur Vereitelung Ihres ganzen Endzweckes ist es schon genug, wenn Sie einige Male Ihres Geldes beraubt werden. Mit einem Worte, er rathe mir, dieses Mal meinen Enthusiasmus, Italien und Sicilien zu sehen, zu bekämpfen und als Familienvater ohne alles Vermögen, meine sauer ersparten einige hundert Thaler nicht zu wagen.“

Füger’s Sprache war so herzlich, daß ich, tief gerührt, an Weib und Kinder dachte, und zu bleiben beschloß. Seume konnte dieses selbst nicht mißbilligen; er war zu sehr redlicher Mann und Freund, und völlig bekannt mit meinen Verhältnissen, als daß er egoistisch mir hätte zureden sollen. Die Trennung that uns Beiden weh!!

[10] Jetzt sind alle Wasser so schön und hell &c.

Reines, schönes Wasser war für S. wirklich ein großer Genuß, und wo wir dergleichen trafen, wurde mit Frohsinn geschöpft.

Aus Wein machte er sich in der That nichts, Champagner war noch der einzige Wein, den er liebte.

Wasser war für ihn ein universelles Mittel für Alles: er kurirte selbst den verdorbenen Magen damit, wie er mir in Mähren zu meiner Verwunderung durch folgenden Vorfall bewies.

Wir waren mit vielem Appetit und durchfroren zur Abendmahlzeit im Wirthshause angelangt. Sehr fetter, kalter Schweinsbraten und säuerliches Bier, statt des schlechten Wassers machte unsere ganze Mahlzeit aus. Wir begaben uns darauf in eiskalte Betten zur Ruhe.

Mitten in der Nacht wurde ich plötzlich durch ein ängstliches, lautes Stöhnen und Röcheln aus meinem Schlafe geweckt. Blitzschnell aus dem Bette springen, mit dem Gedanken an Mord meinen Stock ergreifen und nach meines Freundes Bette fliegen, war das Werk eines Augenblicks. Entschlossen auf Tod und Leben erfaßte ich in der tiefsten Finsterniß gewaltsam ein menschliches Wesen und war eben im Begriff zu kämpfen, als sich auf einmal das Räthsel löste — und ich bemerkte, daß ich Seume’n selbst gefaßt hatte. Die ganze Mordgeschichte endigte sich mit Lachen.

So wie wir des Morgens das Haus verließen, griff S., trotz meinen Vorstellungen, nach reinem Schnee, bis wir Wasser fanden, hungerte und genas.

S. war bis in sein vierundvierzigstes Jahr, bis nach seiner letzten Zurückkunft aus Rußland, ohngeachtet der vielen Strapazen, in seinem Leben nie krank gewesen, als sich nachher bei ihm ein Uebel nach dem andern entwickelte, welche besonders durch Mangel an Bewegung befördert wurden. Dem Letzteren wurde er durch das häufige Vertreten seines durch eine frühere Kontusion geschwächten linken Fußes ausgesetzt, wohin sich nach und nach eine stärkere Geschwulst zog.

Auch glaube ich, daß ihm die häufigen Einladungen an reichbesetzte Tafeln im Kontrast seiner gewohnten, einfachen Lebensweise Schaden gethan haben.

[11] Lilybaeum. Liv. 23, 41. (Clodius.)

[12] Wer kann hier beschreiben? &c.

S. hatte in seinem Leben viel Musik gehört, liebte sie — besonders die Vokalmusik, und sein Urtheil darüber war voll richtiger Empfindung.

Aber keine Musik ergriff ihn so gewaltig, als die Ouverture aus Benda’s „Ariadne auf Naxos.“ Und war er auch durch Weltereignisse und zuletzt durch seine Krankheit noch so mißgestimmt, und er hörte diese Musik gut vortragen, so gerieth sein Innerstes in frohen Aufruhr, und sein Geist erhob sich über alles Irdische und Kleinliche dieser Erde. Sein Auge strahlte hohe Freude und sein Ausdruck sprach eine hohe Ahnung eines unsterblichen, ewigen Wesens aus.

Er hatte diese Musik unter ganz eigenen Umständen, in einer eigenen Situation seines Lebens zum ersten Male und zwar gut gehört. So eröffnet zuweilen ein Moment eine unversiegbare Quelle der wohlthätigsten Empfindungen durch die Erinnerung in unserm Herzen.

[13] Ich hätte dem Pfleger die Hände küssen mögen &c.

S. liebte die Blumen sehr, vorzüglich die Rosen. Ein Rosengarten war ihm der erfreulichste Anblick und er bezahlte zuweilen die Erlaubniß, die Rosen selbst abschneiden zu dürfen — ein wahres Fest für ihn — ziemlich theuer. Handeln war überhaupt seine Sache nicht: hatte er auf die Forderung etwas weniger geboten und man war nicht sogleich zufrieden, so gab er das Geforderte, ohne weiter ein Wort zu verlieren; oder machte militärisch links um und ging. Es war zuweilen possirlich, ihn kaufen zu sehen; auch fühlte er sehr gut, daß ihm das Handelstalent abging, und wir mußten daher so manches für ihn besorgen. Hier einige seiner Aufträge in schnurrigen Knittelversen:

Mein lieber Herr Gevatter Schnorr,

Wohl unsern freundlichen Gruß zuvor.

Ihr wißt, daß wir mit jedem Wind

Wohl Euer treuer Gevatter sind,

Als bitten wir, Ihr wollet dann

Auch einen Dienst uns lobesann

Aus lauter Gunst und guten Willen

Uns thun und hübsch mit Fleiß erfüllen:

Ihr wollet nämlich unsre Sachen

Bei Meister Brohm zusammenmachen

Und nach und nach für die Gebühren

Zu uns herüber expediren.

Da sich’s auf eins nicht tragen läßt,

So könnt Ihr wohl den Ueberrest

Bei Euch behalten, bis man ihn

Gemächlich kann herüber ziehn.

Sodann behändigt diesen Brief,

Der, wie Ihr seht, ein wenig schief

An Göschen, der wird Euch sofort

Für mich zu weiterem Transport

Wohl achtzig Thaler zahlen lassen;

Ihr kennt Herr Rothen an der Ecke,

Der half mir rüstig aus dem D....e;

Nun diesem zahlet zwanzig Thaler,

Dabei entschuldigt den Bezahler,

Daß er nicht selbst von Angesicht

Mit seinem alten Freunde spricht:

Es thut mir selber herzlich leid;

Allein jetzt hab’ ich keine Zeit.

Und zwanzig laßt Ihr bei Euch liegen,

Die will ich bald in’s Kleine kriegen;

Und vierzig schickt Ihr mir herüber:

Das ist die Summe bis zum Stüber.

Sodann noch eins; allein verzeiht

Die Schererei, mein lieber Veit:

Kauft mir doch ein halb Dutzend Paar

Von Strümpfen wie im vor’gen Jahr.

Sodann noch eins: Es ist uns fast

Das Leben ohne Ton zur Last;

Drum schafft uns doch in unsern Nöthen

Nur eine von den alten Flöten,

Damit, wenn uns die Grillen hudeln,

Wir doch ein Stückchen können nudeln.

Und das vor Allem, hört ihr, Veit!

Denn mit den Strümpfen hat es Zeit.

Wir hoffen übrigens, daß Ihr

Euch immer werdet, so wie wir,

In Eurer lieben Stadt der Linden

Mit Euren Leuten baß befinden,

Und wünschen, daß Ihr mich recht bald

In meinem Grimm’gen Aufenthalt

Besuchen werdet. — Meinen Gruß!

Ich büffle jetzt mit Kopf und Fuß.

Seume.

Er hatte überhaupt manche Eigenheiten. Dahin gehört, daß er nicht gern allein aß, daher genoß er selten etwas zu Hause. Zur Gurkenzeit pflegte er des Morgens zu kommen und Gurken mitzubringen. Meine Kinder, die seine Gewohnheit kannten, holten dann schwarzes Brot, Pfeffer und Salz, und so genoß er die Gurken mit vielem Appetit. Fand er in einem Garten Zwiebelbeete, so war er ganz Spanier; und mit seinen Freunden Früchte abzunehmen war ihm ein großes Fest.

[14] Das Original hatte mich königlich betrogen &c.

Ich schalte hier Seume’s eigene Expektorationen an sein Idolchen, wie er es selbst nennt, ein.

Erster Brief an M...

Eben will ich mich schlafen legen, liebes Mädchen, und es ist recht spät, und ich bin recht müde, weil ich viel Zeugs gearbeitet habe, was mir kein Vergnügen macht: aber Dir muß ich doch vorher schreiben. Das gehört zu meinem Dessert des Abends. Wenn Du die Briefe und Briefchen alle zusammenzählst, Mädchen, die ich Dir schon geschrieben habe; ich glaube, man könnte das Augsburger Archiv damit anfüllen. Und was mag ich Dir wohl immer Alles geschrieben haben? Was kann das seyn? Und wenn ich tausend Foliobände an Dich schriebe, so würde Alles nur Liebe seyn. Wenigstens mußt Du jede Zeile aus meinem Briefe streichen, die nicht etwas von Liebe athmet.

Und wenn ich hundert Jahre schriebe,

Ich schriebe Dir doch nichts als Liebe.

Der Puls, der Dir nicht Liebe schlägt,

Der Wunsch, der mich zu Dir nicht trägt,

Gehöret nicht zu meinem Wesen,

Ist meiner Seele fremd gewesen.

Die Liebe nur belebt mein Herz

Und hebet froh es himmelwärts;

Die Liebe, die Du mir zum Leben

Und für die Ewigkeit gegeben.

Ich sah und sog mit tiefem Geiz

Von Deinem Antlitz jeden Reiz,

Ich kam und nahm aus Deinen Blicken

Der Seele süßestes Entzücken

Ich sah Dich und ein neuer Schmerz

Zog wonnevoll mir in das Herz.

Du sprachst mir, und von Deiner Lippe

Floß sanft der Strom der Aganippe.

Du sahst mich an, und denkend stand

Ich wie gefesselt hingebannt.

Ach, einsam bin ich oft gelaufen,

Um mir mit Weisheit Ruh’ zu kaufen;

Die Weisheit schlug vor meiner Ruh’,

Wenn ich erschien, die Laden zu.

Ich kam mit Deinem holden Bilde

Zurück vom herbstlichen Gefilde,

Mit jedem Tritte folgtst Du mir,

Und selig war ich stets mit Dir.

Da wagt’ ich endlich nah’ zu treten

Und meine Seele vorzubeten.

Die Angst, die mich gefoltert hat,

Hast Du in Deinen bängsten Stunden

Gewiß im Leben nicht empfunden;

Die Freude, die mich schnell durchlief,

Als ich den ersten lieben Brief

Mit Beben las, den Du geschrieben,

Ist mir noch heute so geblieben,

Wie damals sie mein Herz empfand,

Als ich wie neu geschaffen stand,

Vergieb mir, Mädchen meiner Seele,

Wenn ich Dir mein Geschwätz erzähle;

Ich denk’ an jeden Augenblick,

Wo ich Dich einst nur sah, zurück,

Und jauchze bei der Göttergabe,

Daß ich Dich, Mädchen, Dich nun habe.

Nun bin ich Gottes liebster Sohn;

Ich singe mit dem schönen Lohn

Trotz jedem König hohe Psalmen,

Und ihre Scepter sind nur Halmen.

Was kümmert mich ihr Flittergold;

Du, liebes Mädchen, bist mir hold;

Ich lege mich zu Deinen Füßen,

Und Du bückst Dich herab zu Küssen.

Von nun an soll mir ganz allein

Nur Deine Liebe Weisheit seyn;

Aus Deinen seelenvollen Blicken

Soll sie mich nur allein beglücken;

Und dann von diesem Glücke warm,

Studir’ ich nur in Deinem Arm,

Und was ich Dir am Herzen lerne,

Ist schöner als die Morgensterne.

Ach wäre nur die Zeit erst da,

Die ich schon oft im Traume sah!

Wo Du Dich lieblich an mich schmiegest

Und Dich in meinem Arme wiegest,

Wo Du mir Deinen Feuerkuß

Zum Morgen- und zum Abendgruß

Mit froher, froher Liebe bringest,

Und mir ein Lied der Freude singest;

Dann kann ich meinen besten Kuß

Zum Morgen- und zum Abendgruß

Dir mit der frohsten Liebe bringen,

Und dir ein Lied der Freude singen.

Die Verse sehen wohl etwas schläfrig aus? Es ist Mitternacht, Mädchen! da ist es ganz natürlich. Du mußt mit mir Schwätzer recht viel Geduld haben. Wenn Du mich einmal ganz hast, so magst Du mich nach Deiner Weise ziehen; wenn Du nämlich noch etwas Taugliches an mir findest. Folgsam will ich wohl seyn, wenn Du mir das Gute ordentlich vordemonstrirst. Was machst Du Liebe? Werde ja gesund! Werden Papa und Mama nicht bald wieder irgend einen Schmaus haben? Ich wünsche den Leuten recht viel Geselligkeit. Grüße Schwesterchen; und werde ja gesund; das ist sehr wichtig, durchaus, hörst Du? Schreib mir bald, daß Du besser bist.

Ich küsse Dir mit Zärtlichkeit Hand und Mund.

Ewig Dein Treuer; werd’ ja bald gesund!

S.

Zweiter Brief an Dieselbe.

Auch heute mußt Du mit mir Geduld haben, liebes Mädchen; ich bin beständig wie auf der Post. Heute kam Igelström zu mir und zeigte mir seine Ordre, sich sogleich bei dem Kommando zu stellen. — Sei ruhig, Liebe, ich reise nicht. — Sein Befehl war, sogleich bei Empfang abzugehen. Die Ursache weiß ich sehr wohl. Auch einige andere Officiere haben schnell zu ihren Corps gehen müssen. Nun mußte ich ihm eine Menge Geschäfte besorgen helfen, die ich einem Freunde schuldig bin. Man muß mir nicht den Vorwurf machen, daß ich meine ernsthafteren Pflichten nicht willig und pünktlich erfülle. Man sagte uns, es seien auch Briefe an uns auf der Post: Du kannst denken, Liebe, daß mir das Herz schlug, ob wir nicht auch vielleicht Befehl erhalten würden. Die Briefe kamen, und waren zwar vom General, aber sie enthielten bloß freundschaftliche Allotria. Eigentlich wäre es nun wohl besser gewesen, ich wäre jetzt gereist; denn je eher ich hinkomme, desto eher bin ich wieder zurück. Aber Dich jetzt so krank zu verlassen, Dich vielleicht nicht einmal sehen zu können, das würde mein Herz nicht ausgehalten haben, so hart es auch seyn mag. Ich bitte Dich, liebes, theures Mädchen, werde ja nicht krank, nicht schlimm krank, oder ich kann nicht dafür bürgen, daß ich nicht gerade zu Deinem Vater gehe. Liebe, schreib’ mir, daß es besser mit Dir ist; schreib’ nicht viel, wenn es Dir schwer wird; nur einige Zeilen zu meiner Beruhigung. Wenn ich Dich nur wohl weiß, so bin ich glücklich genug. Täglich fühle ich mehr, wie sehr Liebe unser ganzes Wesen stimmen kann. Mein Vater starb, und ich fühlte Schmerz und weinte Thränen; aber welcher Unterschied zwischen jenem Gefühle und dem zärtlichen Kummer, den mir nur Dein Uebelbefinden macht. Mädchen, ich liebe Dich unaussprechlich: das habe ich so oft gesagt; aber ich sage es eben so oft, weil ich meine Liebe nicht aussprechen kann. Deine Gesundheit beschäftigt mich jede Stunde. Oft breche ich mitten in der Periode meiner Schreiberei ab, lege die Feder seitwärts, und sehe minutenlang, viertelstundenlang auf das leere Blatt. Meine theure, einzig innig geliebte M., ich bitte Dich bei der Glückseligkeit, die Du mir gegeben hast und geben willst, bei der ganzen innigen Zärtlichkeit, mit der ich Dich ewig lieben werde, sei sorgsam und aufmerksam auf Deine Gesundheit. Es macht mir unaussprechlich viel Unruhe, wenn ich Dich krank denken muß; um so mehr, da ich nicht hin kann, um Dich von Deinem Zustande zu überzeugen. Ein einziger Blick ist mehr, als eine lange Erzählung. Es hat mich recht geschmerzt, daß Du fandst, ich sei unordentlich; denn ich kann es nicht ganz für Scherz nehmen. Habe nur Geduld, ich halte viele Dinge zu sehr für Kleinigkeiten: im Wesentlichen hat mir noch Niemand Unordnung vorgeworfen. Du sollst finden, daß Du nicht vergebens zu mir gesprochen hast. Habe nur Muth, mit mir kannst Du alles Gute machen. Ich fühle, Mädchen, daß bei jedem Deiner Küsse meine Seele sich immer noch zärtlicher an dich schließt. Nie habe ich Begriffe von der Liebe eines Mädchens gehabt, jetzt ist mein ganzes Herz voll davon. Ich lasse Dir Gerechtigkeit, liebes Mädchen, ohne Erröthen Gerechtigkeit wiederfahren, Du bist zärtlicher als ich. Diesen Vorzug giebt Dir Deine Weibernatur, die lauter Grazie und Sanftmuth ist; denn bei Gott! in der Stärke der Liebe will ich mich auch von Dir nicht übertreffen lassen. Wenn ich Dich nicht glücklich mache, ich fühle den Werth meines Herzens, so glaube ich, es kann kein Sterblicher Dir Glück und Zufriedenheit geben. Ich habe Dir meinen ganzen alten Stolz geopfert, und unendlich gewonnen; ich würde Dir den Feldherrnstab und alle Ordensbänder opfern und immer gewinnen. Wenn doch die Menschen immer richtig nach Kopf und Herz mäßen, so würde nicht so viel Mißverstand seyn. Wenn wird die glückliche Zeit kommen, Liebe, wo ich Dir wenigstens täglich eine gute Nacht sagen darf? Aber würde der Geiz damit zufrieden seyn? Ich bin so glücklich, so glücklich, wie ein sterblicher Erdenbewohner seyn kann; lehre mich Genügsamkeit, Liebe. Nur für Deine Gesundheit will ich beten. Glaube mir, ich bin förmlich fromm geworden, seit ich Dich liebe.

Die Gottlosen sollten lieben, und sie würden sogleich aufhören zu lästern: die Abgötterei, welche Liebende begehen, ist mehr ein Lob des Schöpfers, als eine Blasphemie. Ein unnennbar süßes Gefühl bebt durch mein ganzes Wesen, hebt meine ganze Seele von der Erde empor, wenn Du mit frommer Vertraulichkeit mit einem Kusse Dich zu mir neigst. Ich bin vielleicht ein Kind; aber der Himmel erhalte mir und Dir diesen Kindersinn. Grüße Schwester F.......... Nimm den Kuß der Zärtlichkeit, und daß Dir der Himmel Gesundheit gebe.

Ewig Dein Seume.

Dritter Brief an Dieselbe.

Da soll ich arbeiten, liebes Mädchen, und meine ganze Seele ist bei Dir. Dein Briefchen hat mich nicht so sehr getröstet, als mich Sch.’s Nachrichten beunruhigt haben. Du bist sehr krank, wie ich höre, und ich soll ruhig seyn! Dein Arzt ist nicht zu Hause, zu dem Du noch das meiste Zutrauen hast; Du kannst nicht sprechen, Du leidest die empfindlichsten Schmerzen; und ich soll ruhig seyn! Da liegt der Bogen, den ich in die Druckerei liefern soll; ich habe ihn weggeworfen. Ich weiß in meinem Zustand mit nichts zu vergleichen, er ist mir ganz fremd: ich bin sehr traurig und möchte doch um Alles in der Welt nicht fröhlich seyn, wenn mir Jemand meine Traurigkeit nehmen wollte. Liebes, krankes Mädchen, und Du leidest sicher meinetwegen; meinetwegen hast Du Dich nicht geschont; wie werde ich, wie kann ich Dir alle Zärtlichkeiten vergelten, die Du mir schon gezeigt hast. Ich fühle, ich muß von Dir die Liebe lernen; ach, Theuerste, werde nur gesund, Du sollst ganz mit Deinem Schüler zufrieden seyn. Es ergreift mich beständig unwillkürlich eine Wehmuth, von welcher ich mich nicht losreißen will. Die Saiten, die ich Stümper auf dem Klaviere anschlage, beben alle melancholische Akkorde, und alle kleinen Stücke, die ich von der Laute greife, sind ungewöhnlich elegisch. Einige Töne, welche den Ton der Seele treffen, können einen Laien tiefer rühren, als den Meister die Kunstharmonien ihrer Zauberer. Ich bekenne Dir, Liebe, ich gäbe ganze Konzerte von Haydn für zwei Töne auf der Laute hin, wenn sie die Stimmung der Seele zurückbeben.

Es ist schon sehr hart, in einer solchen Entfernung von seiner Geliebten zu leben, wie ich: in einem so eigenen traurigen Verhältnisse zu stehen, wie ich; solche schöne Hoffnungen und so eigene Schwierigkeiten zu haben, wie ich; aber jetzt, da Du krank bist, da ich herumschleiche, wie ein Verirrter, da ich Dir so nahe bin und so fern, hat meine Lage keine ähnliche an qualvoller Angst. Ich spreche nicht, weil ich meine Empfindung lieber behalte als ausgebe; ich würde Dir auch nicht schreiben, wenn ich Dir verbergen könnte, wie es in meiner Seele aussieht. Selbst meine Gedanken sind so irrsam durcheinander, daß Du es vielleicht sogar meinem Briefe ansiehst. Es ist, als ob ich mich hinsetzen sollte zu sterben. Vergieb mir, bestes, theuerstes, ewig geliebtes Mädchen; ich sollte nicht klagen; denn ich bin ein Mann, und ein Mann soll stark seyn. Ein König mit seiner Macht könnte meinen Augen sicher keine Thräne auszwingen; meine eigenen Empfindungen haben oft schon die glühenden Tropfen bis an die Wimper getrieben. Ich weine wohl nicht, aber meine Augen brennen und eine hohe Gluth fährt elektrisch durch meinen Nacken. In welchem Lichte mag ich Dir erscheinen, Liebe? Man klagt mich so sehr der Härte, der Unempfindlichkeit, der Rohheit an: und in meinem Charakter, der meistens der eisernen Vernunft folgt, liegt etwas, das jener Beschuldigung einigen Anschein von Wahrheit giebt. Aber ich versichere Dich, bei allem, was einem ehrlichen Mann heilig seyn kann, es ist nur Schein, und wer in den Charakter nicht tiefer eindringt, bleibt bei dem Schein stehen. Du machst mir vielleicht einst den nämlichen Vorwurf, wenn meine Liebe sich in das Kleid des Vernunftmäßigen schickt, meine Seele sich vielleicht in die alte stoische Ruhe setzt, und Du dann glaubst, das Feuer meiner Empfindungen sei ausgestorben. Das würde mir schrecklich werden; denn ich versichere Dich, bei meiner anscheinenden Ruhe kocht es oft in der Tiefe wie ein Vulkan. Thue mir nie das Unrecht, Liebe, je an meinem Herzen zu zweifeln; setze es auf die Probe, wie Du willst, und es wird Probe halten. Meine Empfindungen sind ewig, denn sie sind wahr. Wenn ich nur einmal so glücklich wäre, näher um Dich zu seyn, mit Dir in innigern Verhältnissen zu stehen, damit Du mich ganz kennen lerntest, und sähest, daß ich ein Herz wie das Deinige ganz verdiene. Siehst Du, bestes, trautes Mädchen, meine Verse könnten Schminke tragen, meine Moral könnte Wortgepränge seyn, meine Briefe könnten lügen, meine Reden könnten Brast seyn, meine Küsse könnten Dir heucheln; denn wer würde nicht ein schönes, liebenswürdiges Mädchen feurig küssen, wenn er ihr Herz bestricken wollte: Alles an mir könnte Dich betrügen; aber nicht meine Handlungen, welche Dokumente bleiben, für oder gegen mich, nicht die herzliche, innige, zärtliche Aufmerksamkeit, mit der ich ununterbrochen mein ganzes Leben für Deine Glückseligkeit wachen würde. Meine heißeste Liebe zu Dir macht mich nicht blind, M..... ich kann Dich bei dem Glück, das ich von dieser Liebe hoffe, versichern, ich würde Dir es mit zärtlicher Schonung sogleich entdecken, wenn ich etwas an Dir fehlerhaft fände; aber Alles, Alles hat an Dir, so viel ich jetzt gesehen habe, meine Billigung, Manches hat mich entzückt, und selbst der kältere Beobachter würde nichts zu tadeln finden. Der Himmel hat mich in Deinem Herzen sehr gesegnet; ich habe so viele Glückseligkeit durch meine undankbar kalte Philosophie nicht verdient. Aber ganz kalt bin ich nie gewesen, ich hatte wenigstens die Empfänglichkeit der Wärme mir erhalten, sonst hätte ich Dich nicht geliebt, sonst hättest Du mir nicht geantwortet. Die Welt wird Dich sehr tadeln, wenn sie Deine Wahl erfährt; aber ich will Dich rechtfertigen dadurch, daß ich ihr zeige, ein Weib könne an meiner Seite wohl so glücklich seyn, als in einem goldnen Wagen. Mädchen, ich darf Dir bekennen, ich freue mich auf die Zeit wie ein Knabe, der noch zehn Jahre zu warten hat, bis ihm der Bart keimt. Gewiß, ich bin ein guter Mensch durchaus, und ein solcher wird nie ein schlechter Mann. Werde nur, werde nur gesund; ich bitte Dich, meine Theure, sorge für Dich; befolge jetzt die Vorschriften, die Dir der Arzt giebt, sei ruhig und habe Geduld. Wenn ich nur selbst ruhig seyn könnte, ich wollte Dir recht gute Predigten über die Ruhe halten. Mir ist alle Tage, als ob ich in euer Haus stürmen müßte, so zieht mich eine unaufhaltbare Gewalt immer in Deine Gegend. Mädchen, wenn Du wüßtest, wie oft ich in meinen Mantel gehüllt Abends dort in der Straße auf und abwandle; ich blicke nicht hinauf, weil ich nichts sehen würde, aber es thut mir doch etwas wohl, Dir so nahe zu seyn, bis mich meine Ungeduld fort nach Hause treibt. Ich habe mit Dir und bloß durch Dich schon manche schöne, herrliche Stunde genossen; aber eben dieser volle Genuß zeigt mir nun die Leerheit aller übrigen. Es ist, als ob ich nicht lebte, wenn ich nicht wenigstens in Gedanken bei Dir bin, so sehr bist Du Alleinherrscherin meines ganzen Wesens geworden. Ich kann, ich will nicht ruhig seyn, so lange Du nicht wohl bist, so lange Du nicht sicher in meinen Armen ruhest. M...., liebes, krankes, theures Mädchen, gewiß, es soll Dir noch recht wohl gehen, und Du sollst gesund seyn, und des Arztes nicht bedürfen. Denn blos eure verkehrte Lebensweise ist Schuld an euerm beständigen Uebelbefinden. Wenn ich doch so glücklich wäre, als ein sehr gleichgültiger Bekannter in euerm Hause zu seyn, nur dieses: nur um mich zu überzeugen, was ihr Leutchen für eine Menage führt, daß ihr immer nicht wohl seid. Aber was sage ich Unbesonnener? An Deiner Krankheit bin ich Schuld, blos ich; und sonst ist wohl Alles in der Familie wohl. Ich werde mir die Strafe auflegen, Dich nie wieder so zu sehen. Aber wenn werde ich Unglücklicher Dich nun wieder sehen? Das Schicksal bietet Alles auf, mich für meine ehemalige Härte recht weich zu machen. Ich kann Dir nun versichern, M....., ich bin nun so demüthig, als es nur die christliche Moral immer haben will. Werde nur wieder gesund, und rufe mich zu Dir; oder rufe mich auch nicht zu Dir und werde nur gesund.

Wenn nur Hygea ihre Kraft des Lebens

Durch Deiner Glieder Fülle gießt,

Wenn nur in Pulsen eines leichten Strebens

Dein Blut sanft auf und nieder fließt,

Wenn Du nur Gottes Luft mit freien Zügen

Und frischer Brust zum Wohlseyn trinkst,

Will ich entzückt an Deinen Busen fliegen,

Wenn Du dem lieben Schwärmer winkst.

Ich will zum Himmel wie ein Pilger beten,

Daß Dir der Himmel Arzt und Heilung sei;

Und darf ich bald Dir wieder nahe treten,

So eil’ ich hohen Herzensschlags herbei,

Und sinke, Liebe, hin zu Deinen Knieen,

Und danke mit dem seligsten Genuß

Dir und dem Himmel nur in einem Kuß,

In welchem alle Hochgefühle glühen.

Herrliches, liebes Mädchen, ich wünsche Dir baldige, feste, dauerhafte Genesung. Dann mußt Du durchaus Dein Arzt selbst seyn, wenigstens keinen andern als mich haben. Wenn ich nur ruhig seyn könnte! Ich küsse Dich so zärtlich als ich Dich liebe. Dein auf ewig.

Seume.

Vierter Brief an Dieselbe.

Heute bin ich schon etwas ruhiger Deinetwegen, da mir Sch. Nachricht von Deiner Besserung bringt. Aber ganz ruhig werde ich nicht eher, als bis ich Dich wieder einmal selbst sehe, und urtheile, daß Du gesund und wohl bist. Denn Deiner Versicherung über Deine Gesundheit glaube ich auch nicht; Du hast mich so oft getäuscht. Du glaubst, liebes Mädchen, hier ist die Täuschung wohlthätig und besser als Wahrheit. Das spricht Deine Liebe; aber das kann meine Liebe nicht glauben. Als ich Dich das letzte Mal in meinen Armen hielt, liebes Mädchen, wie gut und zärtlich warst Du da! wie liebevoll hingst Du an meinem Halse und athmetest an meinem Herzen. Aber Du warst krank, Du warst schon recht krank, armes Mädchen. Mir war’s, als ob Deine Küsse doppelte Zärtlichkeit hätten; es ist etwas Unaussprechliches in einem solchen Blicke, einem solchen Kusse. Wehe dem Menschen, den ein solcher Kuß nicht ganz zum reinen Geweihten seiner Liebe macht. Es liegt Wehmuth darin, unbeschreibliche Wehmuth, theuerstes Mädchen, ich glaube, ich fange jetzt erst recht an, Dich zu lieben, wie ich soll, und werde Dich an Zärtlichkeit übertreffen, wenn ein Mann je ein Mädchen an Zärtlichkeit übertreffen kann. Siehst Du, Liebe, ich lasse Dir und Deinem Geschlecht Gerechtigkeit wiederfahren; ich gestehe, ihr mögt zärtlicher lieben, aber liebt ihr auch treuer und standhafter und unverbrüchlicher? Das ist eine Frage, die ich nicht entscheiden mag. Mich däucht, Du mußt ein Muster aller dieser Tugenden seyn, weil Du mich wählen konntest. Das klingt stolz, Liebe, aber es ist wahr; und mit diesem Stolze wirst Du wohl zufrieden seyn. Du konntest wohl glauben, daß ein Mann, wie Du Dir meinen Charakter vorstellen mußtest, vorzüglich in so ernsten Dingen sehr ernst denkt, und doppelt ernst handelt: und doch eiltest Du in meine Arme. Du bist ein Engel für mich; ich weiß gar nicht, Mädchen, wie ich Dich ganz verdienen werde: aber verdienen will ich Dich, das Zeugniß sollst Du mir einst noch geben. Ich glaube, im ganzen Vaterlande ist kein Mädchen, das so gut und liebevoll wäre, als Du bist, M..... Mädchen, ich fühle Deinen Werth in mancher ganz kleinen Nüance, und liebe Dich täglich mehr. Das ist vielleicht eine Formel; denn ich glaube, ich kann Dich nicht mehr lieben, als gestern und ehegestern; und doch kommt mir’s jedesmal so vor, wenn ich Dich in meinen Armen halte. Aber weißt Du, Liebe, daß ich Dich jetzt als meine theuerste Geliebte doch noch nicht so liebe, als ich Dich lieben werde, wenn Du einst mein Weib seyn wirst: das fühle ich, das lieget in der Natur und ich wollte es philosophisch beweisen. Die Geliebte ist dem Liebhaber freilich das höchste, glühendste Ziel aller seiner Wünsche und Hoffnungen, aber das Weib muß dem Manne durchaus Alles, Alles, der ganze Zirkel seines Wesens seyn. Der Mann ist ein Verräther, dem sein Weib das nicht ist; und wehe dem Weibe, welches dieses alles dem guten Manne nicht seyn kann. Vergieb mir, liebe M....., Du weißt, ich bin kein Ueberzärtlicher, vergieb mir meine süße Schwärmerei: das denke ich mir durchaus als die seligste Periode der ganzen Erdenexistenz, wenn Du mir einen Knaben oder ein liebliches Mädchen entgegen tragen wirst. Da Du mich kennst, wirst Du mich deswegen nicht tadeln; da ich Dich kenne, darf ich wohl in den hohen Empfindungen meines Herzens ein Wort dieser Art zu Dir sprechen. Wenn ich so oft unter einer glücklichen Familie saß, und mich an den reinen Gesichtern der kleinen, fröhlichen Kinder weidete, stieg oft eine unbekannte Sehnsucht in mir auf. Ich dachte nie an die Hoffnung, selbst einst so glücklich zu werden, und ließ die kleinen, krauslockigen Jungen mich in den Haaren zausen und am Barte rupfen. Die Leute sagten immer, trotz meiner Wildheit, sähen sie daraus, daß ich ein guter Mann sei. Du, M....., hast mir diese neue Hoffnung geschaffen, und ich danke Dir dafür wärmer, als für alle Deine Küsse. Werde nicht eifersüchtig über meine sonderbare Philosophie. Du bist mir doch, bleibst mir doch Alles, der ganze Inbegriff des Segens, den ich mir vom Himmel erbitte. Mädchen werde nur wieder gesund: denkst Du etwa, das sei so ganz egoistisch? und daß Du so blos meinetwegen gesund werden sollst? Glaube das nicht, Liebe, ich wollte gern für Dich leiden und dulden, wenn ich Dir nur Deinen Schmerz abnehmen könnte. Seit ich Dich so herzlich liebe, bin ich, so wahr ich lebe, ein anderer Mann; ich habe das Leben selbst weit lieber, und mich däucht, es sei nun doch des Wunsches werth zu leben. Ehemals nahm ich mir wahrlich kaum die Mühe, das Leben zu wünschen.

Sonst sah’ ich manchen Frühling blühn,

Und sahe manchen Sommer fliehn,

Und bückte an des Beetes Saum

Mich nach der schönsten Blume kaum.

Sonst strich mir mancher Herbst vorbei

Und war mir immer einerlei,

Ich aß da Aepfel ohne Dank,

Die Traube ohne Frohgesang.

Jetzt, M...., lieb’ ich Dich

Und Alles wird nun froh um mich

In jeder Blume trägt die Luft

Mir Labung zu, und Balsamduft.

Der Apfel, den ich eben aß,

Schmeckt würziger, als Ananas;

Rund um ist Alles eingeweiht,

Und selbst der Schnee ist Feierkleid.

Werde nur wieder gesund, meine Liebe! Ich küsse Dich zärtlich, recht zärtlich. Ewig Dir treu und der Deinige, liebes Mädchen, ewig.

S.

Fünfter Brief an Dieselbe. (Einige Wochen später.)

M....

Dein Vater hat mir das Versprechen abgefordert, die Korrespondenz abzubrechen: ich hatte schon geschrieben, es ihm zu geben; er hatte aber nicht die Güte, den Brief, der es enthielt, anzunehmen; folglich habe ich es ihm nicht gegeben: und sein Wille ist für mich unbedingt kein Gesetz. Aber Du scheinst der nehmlichen Gesinnung zu seyn; und Deine Wünsche sollen mir heilig seyn, bis zu meinem letzten Hauche. Fürchte nicht, daß ich Dich weiter mit Zudringlichkeiten beschweren werde: nur das traurige Vergnügen kann ich mir nicht versagen, in diesem letzten Briefe noch einmal herzlich zu Dir zu sprechen. Ich will mich rechtfertigen vor Dir, rechtfertige Du Dich auch vor Dir selbst. Mein Herz soll und muß schweigen; ich habe Ursache zu fürchten, daß seine Sprache nicht mehr verstanden wird; und ich will seine Empfindungen nicht entweihen. Es ist seit einiger Zeit meine Beschäftigung gewesen, daß ich alle Deine Briefe mit bitterm Gefühle wiederholt durchgelesen; es ist, als ob die schöne Täuschung noch um mein Herz spielte, als ob ich nicht aus dem süßen Traum erwachen könnte. Ich kenne viele Arten des Zweifels; aber keiner giebt solche Scorpionenstiche, wie der Zweifel, den Du mir gegeben hast. Ich bin glücklich gewesen, in meinem Wahn glücklich gewesen, das danke ich Dir. Du kannst stolz seyn, es hat mich kein weibliches Geschöpf glücklich gemacht, als Du; Du kannst sehr stolz seyn, es wird mich keine wieder glücklich machen. Du bringst mich zu meiner alten Philosophie über die Weiber zurück, und noch sehr zu rechter Zeit. M...., Du hast nicht großmüthig, nicht redlich mit mir, nicht weise mit Dir selbst gehandelt. Warum hast Du mir nicht Wahrheit gesagt? Glaubst Du, daß ich Wahrheit scheue, auch wenn sie mich zu Boden schlägt? Ich merkte Deine Veränderung gleich mit den Feiertagen: ich lief herum voll Angst wie ein Gejagter. Von Dir kam kein Gruß, keine liebreiche Erkundigung, keine Nachfrage nach einem Briefe, deren ich wohl sieben geschrieben und zerrissen habe. Meine Seele war auf der Folter; endlich sagte mir Sch., das Verhältniß müsse abgebrochen werden, das wolltest Du; Du, die Du mir noch vor vierzehn Tagen die heiligsten Betheuerungen schicktest: Dein Vater habe Dir alle Hoffnung benommen, Dir mit seinem Fluche gedrohet. Von Allem dem war nichts wahr, wie ich aus Deines Vaters Briefe sehe. Welche Partie glaubst Du denn, daß ich nach meinem Charakter nehmen konnte, als Deinem Vater nun geradezu zu schreiben, da ich nach Deiner Botschaft annehmen mußte, er wisse schon Alles? Hättest Du mir die Wahrheit sagen lassen; ich hätte Dir mit einem kurzen Kampfe Alles zurückgeschickt. Du klagst über meinen Stolz, und nimmst Dir die Mühe, mich ganz zu demüthigen. Vielleicht gelingt es Dir, vielleicht nicht. Dein Vater will keine Briefe von mir annehmen, auch Deine Mutter nicht. Du vielleicht auch nicht. Das erniedrigt mich nicht; ich finde mein Betragen ziemlich konsequent, so konsequent man in meiner Gemüthsstimmung seyn kann. Was soll ich nun thun? Dein, Dein eigener Antrieb war es, zu brechen. Du hättest mir und Dir und Deinen Aeltern viele schmerzliche Gefühle ersparen können, wenn Du mit etwas mehr Ueberlegung gehandelt hättest. Es scheint, als ob Du Dir ein Vergnügen gemacht hättest, meine Empfindungen zu einer solchen Höhe zu winden, um mich dann mein Nichts fühlen zu lassen. Es ist Dir ganz gelungen. Das Mädchen, das noch kurz vorher an meinem Nacken hing, und mich um meine Treue bat, hat nun nicht einmal den Muth, zu sagen, daß es mich liebt. Ich bin zur Galanterie zu ernst, und Du hast Dich geirrt, wenn Du mich unter diese Rubrike gebracht hast. Wir haben einander, wie es scheint, Beide nicht gekannt; und dürfen also einander keine Beschuldigungen machen. Daß ich Deine Ruhe gestört habe, vergieb mir; daß Du mir so schöne Hoffnungen geschaffen und vernichtet hast, daß durch Dich mein Friede zu Grunde gegangen ist, das will ich Dir vergeben, meine Blödsinnigkeit anklagen, und Dich zu den ganz gewöhnlichen Mädchen rechnen. Wenn ich das nur könnte, M...., ich wäre noch glücklich genug. Mein Ernst hat Dir nicht gefallen; um ihn zu heilen, hast Du Bitterkeit hineingegossen. Deinen Aeltern rechne ich nichts an; sie handeln nach ihrem Begriff der Pflicht: aber wie Du nach Deinem Begriff der Pflicht handelst, kann ich nicht einsehen. Du warst weder gegen Deinen Vater, noch gegen mich, wie Du solltest. Die Gründe, welche Dein Vater gegen mich anführt, sind alle gültig genug, da Du ihnen Gewicht giebst: ein einziger hat mich mehr als alle getroffen, er heißt die Wankelmüthigkeit des Weibes. Dein Vater läßt Dir Gerechtigkeit wiederfahren. M...., Du hättest redlicher mit mir seyn sollen. Ich bin nicht der Mann, der das weiche Herz eines Mädchens mißbraucht; ich fordere Dich auf, die Wahrheit zu sagen. Bin ich nicht offenherzig mit Dir gewesen? Habe ich Deine Empfindungen bestochen? Meine ganze Seele hängt noch an Dir, und wird sich ewig nicht loswinden können. Wenn Du meiner unwerth wärest, würde ich über Dich weinen und trauern. Sage mir nur offenherzig Deine Wünsche, und traue mir Großmuth genug zu, sie alle zu befriedigen, und wenn es mein Leben kostete. Wider meine Ehrlichkeit kannst Du nichts fordern. Deine Briefe solltest Du längst wieder haben, wenn sie Dein Vater nicht verlangte. Bekommen soll er sie nicht; aber lesen soll er sie, wenn er darauf dringt, zu seiner Beruhigung und Deiner Rechtfertigung. Hast Du etwas geschrieben, was Du zu gestehen Dich schämest? Dich zu schämen Ursache hast? Mädchen, dann sind wir Beide zu beklagen, Dein Vater und ich; und Du am mehrsten. Dann sollen sie zur Tilgung alles Mißtrauens vor seinen Augen vernichtet werden. Wenn ich auch das Angesicht Deines Vaters scheue, will ich mich doch vor ihm nicht schämen. Ich bin gewohnt, mir Achtung zu erzwingen, wenn ich mir auch keine Gewogenheit erwerbe. Ich kann mir vorstellen, wie viel Nachtheiliges man Dir auf meine Kosten vorsagen wird; wenn Du das so geradezu ohne Sichtung glaubst, so habe ich jede Empfindung meines Herzens umsonst verschwendet. Ich bedaure Dich bei allem meinem Schmerz noch weit mehr, als mich selbst: denn ich werde höchst wahrscheinlich zeitlebens Dir zum Vorwurf herumlaufen. Mein Betragen wird Deine Strafe seyn. Ich versichere Dich, Liebe, ich werde Dich nicht aus meiner Seele verlieren. Ich habe mit keinem Mädchen in einer nähern Verbindung gestanden; Du bist das einzige, das sich ganz in meinem Herzen festgesetzt hat. Gehe hin, wo Du willst; ich werde Dich mit zu Grabe nehmen. Du hörst vielleicht nach dreißig Jahren von mir noch den nämlichen Ton, wenn Du Dich meiner gelegentlich erinnerst. M...., ich bitte Dich um Gotteswillen, bei dem Glücke, das Du noch hoffst, sei Deiner werth; ich kann nichts Schlimmes von Deinem Herzen glauben. Sei Deines Vaters Freundin, wenn Du nicht meine Geliebte mehr bist. Wenn mein Kuß Dich nicht edler gemacht hat, bin ich ein Verworfener, oder Du ein Geschöpf ohne Sinn. Thue nichts, nichts heimlich: was ich that, geschah Deinetwegen; sonst trete ich immer in’s Licht. Meinetwegen zeige auch diesen Brief Deinen Aeltern; ich werde ihnen gelegentlich nicht bergen, daß ich ihn geschrieben.

Erlaube mir noch einmal, mich in die süße Täuschung der Harmonie unserer Herzen zu setzen. Du hast ein schönes Werk zerstört, Liebe; das hättest Du nicht thun sollen, oder nicht sollen bauen helfen. Du fragst, was ich denke? und nicht, was ich fühle? Ich bin unendlich traurig; und von welcher Art meine Empfindungen sind, magst Du in Zukunft von meinem Gesichte lesen. Ich bin vielleicht nie wieder so glücklich, eine Sylbe mit Dir zu sprechen; aber mein Herz wird Dich begleiten, denn ich bin unveränderlich.

Seume.

An Herrn ***.

Mein Herr!

Wir kennen einander nicht; aber die Unterschrift wird Ihnen sagen, daß wir einander nicht ganz fremd sind. Meine ehemaligen Verhältnisse zu Ihrer Frau können, dürfen und müssen Ihnen nicht unbekannt seyn. Sie würden vielleicht nicht übel gethan haben, meine Bekanntschaft früher gemacht zu haben; ich störe Niemandes Glück. Ob Madam *** gegen mich ganz gut gehandelt hat, kann ich nicht entscheiden, eben so wenig als Sie; da wir Beide nicht gleichgültig sind. Ich vergebe ihr gern und wünsche ihr Glück; es war ja nie etwas anders der Wunsch meines Herzens. Einige meiner Freunde wollen mir Glück wünschen, daß die Sache so gekommen ist; sie überzeugen fast meinen Kopf, aber mein Herz blutet bei der Ueberzeugung. Da Sie mich nicht kennen, dürfen Sie über mich nicht urtheilen. Ich bin weder Antinous, noch Aesop, und Mademoiselle *** muß doch vorzüglich den ehrlichen, guten Mann zu sehen geglaubt haben, als sie mir sehr theuere Versicherungen gab. Doch stille davon! Es geziemt mir nicht, mich zu rechtfertigen, und noch weniger, Andere anzuklagen. Was die Leidenschaft that, hat — die Leidenschaft gethan. Ich bin nicht Ihr Freund, das leiden die Verhältnisse nicht: da ich aber ein ehrlicher Mann bin, ist es für Sie so gut, als ob ich es wäre. Sie selbst, mein Herr, haben bei der Sache als ein junger, nicht ganz ernsthafter Mann gehandelt. Ich wünsche Ihnen Glück; Sie haben das nöthig. Ihre Frau ist gut, ich habe sie tief beobachtet, und ich würde nicht im Stande gewesen seyn, mein Herz an eine Unwürdige zu verlieren. Daß zwischen uns nichts Strafbares vorgefallen ist, dafür muß Ihnen mein Charakter und meine jetzige Handelsweise bürgen. Sie hat Fehler: sie kann hassen, verzeiht nicht leicht, und ist leichtsinnig. Sie haben also keinen leichten Gang mit ihr. Sie müssen ihr manchen Fehler vergeben und selbst keinen begehen. Es ist mir daran gelegen, daß Sie Beide glücklich sind: das wird Ihnen begreiflich seyn, wenn Sie etwas vom Herzen des Menschen wissen und mich nicht für einen ganz gewöhnlichen Menschen halten. Ich werde höchst wahrscheinlich unterrichtet seyn, wie Sie leben, so weit man im Allgemeinen unterrichtet seyn kann: denn ich bin in B., wo ich oft war, nicht ganz Fremdling: Ich kann nun einmal nicht wieder gleichgültig werden, das hätte Madam *** ehemals glauben und ihre Maßregeln zur Zeit nehmen sollen. Das Schrecklichste würde mir seyn, wenn Sie je eine Ehe nach der Mode führen sollten. Ich bitte Sie bei Ihrem Glück und bei dem Rest von meiner Ruhe, noch mehr aber bei dem Glück der Person, die uns theuer seyn muß, nie — nie leichtsinnig zu seyn. Sie sind Mann; von Ihnen hängt Alles ab. Wenn M.... je von ihrem Charakter sinken könnte, ich würde den meinigen fürchterlich rächen. Verzeihen Sie und halten das nicht für Impertinenz. Sie müssen Zeiten und Menschen kennen. Furcht giebt Sicherheit. Ich werde Ihre Frau mit meinem Willen nie wieder sehen. Wenn Sie selbst Ihre Pflichten immer erfüllen, so führen sie ihr immer in einer ernsthaften Stunde mein Andenken wieder zu. Es kann ihr heilsam werden, und soll Ihnen nicht schaden. In meiner Seele kann in diesen Verhältnissen nur Liebe oder Verachtung wohnen; ich kenne mich; die erste kann nur mit dem Stufenjahre Freundschaft werden, und der Himmel bewahre Sie und mich vor der zweiten: ihr Vorbote würde schrecklich seyn.

Ich kann aus der Seele des Weibes herauslesen, was Madam *** jetzt über oder auch wohl wider mich sagen wird, und ich wünsche aufrichtig, daß sie nie mit Reue an mich zu denken Ursache habe. Es ist Ihr eigenes, großes Interesse, mein Herr, dafür mit beständiger Aufmerksamkeit zu sorgen (hier fehlt ein Stück von der sehr zerknitterten Handschrift) — — gewöhnliches Weib; nur — — Unglück, wenn sie — — wäre.

Höchst wahrscheinlich kann ich Ihnen nie einen Dienst leisten, so wenig als Sie mir bei meiner Denkungsart. Sollten Sie aber je glauben, daß ich es könnte, so hätte ich in mir Ursache genug, es mit Vergnügen und Eifer zu thun.

Ich erwarte weder Antwort, noch Dank; sehen Sie nur das, was ich so kalt als möglich sagte, mit meiner Seele oder nur mit gehöriger Gleichmuth an, und Sie werden Alles sehr natürlich finden.

Ich versichere Sie herzlich meiner völligen Achtung, und es muß Ihnen daran gelegen seyn, sie zu verdienen. Leben Sie wohl und glücklich! Auch dieser Wunsch geht ganz von Herzen, ob er gleich mit etwas mehr Wehmuth geschieht, als der Mann fühlen sollte.

Grimma.

Seume.

[15] Mein erster Gang war Schnorr aufzusuchen &c.

Ja auch mir thut es heute noch leid! —! Ich dachte so oft an meinen Freund, allein ich erwartete seine baldige Ankunft in Paris durchaus nicht. Hätte ich nur die leiseste Ahnung davon gehabt, ich würde mich gern auf’s möglichste eingeschränkt haben, so sehr auch mich der kleine Rest meiner Baarschaft an die Rückkehr in mein Vaterland mahnte.

[16] Man hat mir zu Hause wohl manches Kompliment über meine Sprache gemacht &c.

S. sprach sehr gut Deutsch und hatte etwas von dem Dialekte der gebildeten Lievländer, der bekanntlich einer der angenehmsten ist. Auch war sein Vortrag so gut und so bündig, daß man ihn stets hätte nachschreiben können.

[17] In Weimar freute ich mich &c.

Vom Vater Wieland sprach S. stets mit einer reinen, kindlichen Verehrung. Wenn ich des Abends meinen kranken Freund besuchte, und es war wieder einmal ein Brief von Weimar angekommen, so erheiterte ihn stets ein sehr wohlthätiges Interesse für den ganzen Abend.

[18] Aber mit einem Philister macht bekanntlich ein preußischer Officier nicht viel Umstände &c.

Guter Seume, Du bist todt, und die alte Klage ist noch oft gehört worden. Es wäre traurig, wenn es nicht Ausnahmen gäbe, die sich von selbst verstehen. Unter diese für die Erinnerung so wohlthätigen gehörten auch jener preußische Oberste mit seinem Hauptmanne, welche wir auf den Ruinen in Tharand trafen. Wie freundlich redeten sie uns an, — und wir waren eben nicht prächtig gekleidet — und mit welchem Ausdruck von Achtung behandelten sie Dich, verewigter Freund, als sie mit Diskretion nach unsern Namen gefragt hatten.

Diese Herren waren auch preußische Officiere; aber gebildete und kenntnißvolle Männer!

Wie wahr unser Seume auch damals in einem langen, interessanten Gespräch mit diesen Männern das Kommende prophezeihte, und wie sehr alles dieses denselben einleuchtete, dessen erinnere ich mich noch mit dem lebhaftesten Gefühl.

Unser guter, redlicher S. war in so mancher Hinsicht zu beklagen; aber am meisten schmerzte ihn, daß er sich mußte die letzten Jahre ernähren lassen. Er äußerte dann und wann nur wenige Worte gegen mich; aber auch die wenigen Worte waren hinreichend, seine schmerzhaften Gefühle zu erkennen zu geben. Noch ein großes Glück war es für ihn, daß er seine Unterstützung aus den Händen achtungswürdiger Menschen erhielt! Ruhe sanft, redlicher Mann! jedes Andenken ist ein Segen Deiner Asche geweiht!

Druck von B. G. Teubner in Leipzig.

Anmerkungen zur Transkription

Das Inhaltsverzeichnis des zweiten Bandes wurde direkt hinter das Inhaltsverzeichnis des ersten Bandes verschoben.

Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Hervorhebungen, die im Original g e s p e r r t sind, wurden mit einem anderen Schriftstil gekennzeichnet. Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt waren, wurden in einer anderen Schriftart markiert.

Die variierende Schreibweise und Grammatik der Vorlage wurden weitgehend beibehalten. Lediglich offensichtliche Fehler wurden berichtigt wie hier aufgeführt, teilweise unter Verwendung weiterer Ausgaben (vorher/nachher):