The Project Gutenberg eBook of Die Hallig: Die Schiffbrüchigen auf dem Eiland in der Nordsee

This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook.

Title: Die Hallig: Die Schiffbrüchigen auf dem Eiland in der Nordsee

Author: Johann Christoph Biernatzki

Commentator: Heinrich Düntzer

Release date: August 4, 2015 [eBook #49592]

Language: German

Credits: Produced by Jens Sadowski

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE HALLIG: DIE SCHIFFBRÜCHIGEN AUF DEM EILAND IN DER NORDSEE ***

Deutsche
Hand- und Hausbibliothek

Collection Spemann

Die Hallig
oder
die Schiffbrüchigen auf dem Eiland
in der Nordsee
von
J. C. Biernatzki

Mit einer Einleitung von Heinrich Düntzer

Stuttgart
Verlag von W. Spemann

Alle Rechte vorbehalten.

Druck der C. Hoffmann’schen Buchdruckerei in Stuttgart.

Einleitung.

Auf die weder durch Deiche noch durch Dünen geschützten ganz kleinen Eilande an der Westküste Schleswigs, die als Hallige bezeichnet werden, richtete sich die allgemeine Aufmerksamkeit, als man von der furchtbaren Sturmflut des 3. Februar 1825 vernahm, welche Kirchen, Hütten und jedes Besitztum weggeschwemmt und die dem Untergang Entronnenen in solche Not versetzt hatte, daß sie auch in weitern Kreisen zu thatkräftiger Mildthätigkeit antrieb. Als Prediger der nordwestlichsten dieser Halligen, welche von der im Jahre 1634 durch das tobende Meer größtenteils verschlungenen umfangreichen Insel Nordstrand, den Namen Nordstrandischmoor führt, wirkte damals Johann Christof Biernatzki. Er war am 17. Oktober 1795 als Sohn eines Gastwirts in dem holsteinischen Flecken Elmshorn geboren. Von Jugend an schwach und kränklich, von den Blattern stark entstellt, kam er erst spät auf das Altonaer Gymnasium, wo der durch langes Leiden in sich gescheuchte Knabe eine gründliche Vorbildung empfing. Er war hier Zeuge der Leiden des benachbarten Hamburg während des französischen Krieges. Nach Deutschlands Befreiung widmete er sich zu Jena, Halle und Kiel der Theologie und den morgenländischen Sprachen, aber die auf den Hochschulen herrschende, das Herz leer lassende Behandlung des Christentums konnte ihn nicht befriedigen. Seine Seele verlangte nach Erwärmung und Erhebung, die er aus der lebendig aufgefaßten Offenbarung in Gottes Wort und seiner Natur schöpfte. Frischer Natursinn begeisterte ihn, die Schönheit des Deutschen Vaterlandes, (denn als Deutscher fühlte er sich) und die Wunder der Schweiz aufzusuchen. Als er im Jahre 1821 die Prüfung weniger glänzend, als er gehofft, in Glückstadt bestanden, nahm er die ihm angebotene Stelle als Prediger auf der Hallig Nordstrandischmoor an, wie kümmerlich und von aller Welt abgeschnitten auch das Leben der mit Spott oder Mitleid betrachteten „Halligpriester“ sein mochte. Nordstrandischmoor zählte auf seiner kleinen Viertelquadratmeile neun Hütten mit etwa fünfzig Einwohnern, die sich kärglich von der Schafzucht nährten. Die alte Kirche war 1816 von der Flut weggerissen worden, der die Hallig so sehr ausgesetzt war. Bei dem höchst schwachen Einkommen hatte der Priester, wie man die Prediger nannte, auch den Schulunterricht zu besorgen. Alles dies schreckte ihn nicht ab; er wollte als christlicher Prediger auf seine Gemeinde wirken, und eine lenkbarere konnte er nicht finden, da auf der Hallig strengste Sittlichkeit herrschte, dabei aber mußte er auf jede erheiternde Geselligkeit verzichten, da die Bewohner in sich verschlossen, nur dem Bedürfnis des Tages und dem alten Gotte lebten. Gleich in der ersten Zeit riß das aufgeregte Meer die neue Kirche weg und beschädigte das Pfarrhaus, aber gläubig hielt der treue Priester aus. Schon zwei Jahre später führte er in seine bescheidene Wohnung die Geliebte seiner Seele, Henriette de Vries, die ihn mit einer ihm bald wieder entrissenen Tochter beschenkte. Die Geburt einer zweiten erfreute ihn unmittelbar vor der Sturmflut des Jahres 1825, die ihm nur Gattin und Tochter ließ, auch Kirche und Pfarrhaus verschlang, blos der alte goldene Abendmahlskelch von 1549 fand sich wunderbar erhalten.

Für Biernatzki war dieses Unglück die Veranlassung nicht allein zu seiner Versetzung als Prediger der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Friedrichstadt, sondern auch zu seinem ersten Auftreten als Dichter; denn noch in demselben Jahre ließ er sein „religiöses Lehrgedicht, der Glaube“, zum Besten seiner durch die letzte Ueberschwemmung zu Grunde gerichteten Gemeinde erscheinen. Die Teilnahme war so groß, daß noch in demselben Jahre eine zweite Auflage folgte. Ruhte auch Biernatzki’s Muse nicht, die sich gern in reinen Herzenstönen erging, so trat er doch in den nächsten neun Jahren nur bei besondern Gelegenheiten öffentlich auf: das Jahr 1829 brachte das Festgedicht „Der König und sein Volk“, und als der durch den Pariser Julisturm aufgeregte Freiheitsgeist aus Schleswig-Holstein und Dänemark ergriff, suchte er durch eine im Druck erschienene Predigt „Die Pflichten des Bürgers in einer unruhigen Zeit“ christliches Oel auf die brandenden Wogen zu gießen. Bei der allgemeinen Bewegung trieb es ihn, auch die Form des Romans, dessen sittenverderblichen Einfluß er tief bedauerte, in christlicher und sittlicher Wirkung zu verwerten. Zehn Jahre nachdem er seine Hallig verlassen, trat er mit den Erzählungen „Wege zum Glauben oder die Liebe aus der Kindheit“ hervor, deren Absicht die nähere Bezeichnung „Wanderungen auf dem Gebiete der Theologie im Modekleide der Novelle“ entschieden ausspricht. Denselben Nebentitel führt auch die im nächsten Jahre erschienene „Die Hallig“, die schon 1840 zum zweiten, 1852 zum drittenmal aufgelegt, auch ins Englische und Holländische übersetzt wurde. Ihr folgt 1839 die einfach als Novelle bezeichnete, von demselben Geiste durchdrungene, Erzählung „Der brave Knabe oder die Gemeinde in der Zerstreuung“. Im Jahre 1840 wurde Biernatzki auf seinen Wunsch zum Pfarrer von Rüdern in Holstein befördert, aber schon hatte ihn eine schmerzliche Krankheit ergriffen, die ihn, ehe er seine neue Gemeinde übernehmen konnte, am 11. Mai 1840 hinraffte. Seine 1844 gesammelten Schriften brachten auch eine Novelle „Des letzten Matrosen Tagebuch“ und seine zum Teil in Zeitschriften zerstreuten Gedichte. Daß von diesen, wie auch von der Sammlung der Werke, eine neue Auflage sich nötig erwies, deutet auf die Wirkung, welche der frühe hingeschiedene Dichter, auch im Gedränge verschiedenster Richtungen, auf empfängliche Gemüter geübt[1].

In seiner „Hallig“, die uns in den wenigen Monaten vom 9. September 1824 bis zum folgenden 3. Februar eine große Menge von Ereignissen auf dem kleinen, einsamen Eilande zeigt, hat Biernatzki seiner frühern Gemeinde und sich selbst, als Priester und Dichter, ein dauerndes Denkmal gegründet, aber auch zum Besten der armen Halligpriester einen nicht wirkungslosen Mahnruf erlassen. Die gemütliche, in tiefster Seele wurzelnde Liebe der Bewohner von Nordstrandischmoor zur Heimat, ihre still zufriedene Beschränkung, ihr gläubiges Vertrauen auf Gottes Wort als Leitstern in allen Leiden und Nöten tritt lebendig hervor, und wir erschauen, wie gerade die äußern Verhältnisse diesen Charakter immer mächtiger den Halligern aufdrücken mußten, die von aller Welt geschieden, auf dem kleinsten Raum vom Meer beschränkt, auf den Anblick dieses gewaltigen Elementes, einer äußerst kärglichen Natur und der ewigen Himmelsschrift angewiesen, von einem gläubigen, wie sie selbst, in dürftigen Umständen lebenden Priester geleitet, fast nur durch schiffbrüchige Fremde und die geforderten Abgaben mit der Außenwelt verbunden waren. Und auf einem solchen Boden muß die echte Treue wachsen, die sich nur des stillen Genusses freuen will und sich mit allen Wurzelfasern in den einmal liebgewonnenen Zustand einsenkt. Nur eine übermächtige Wirkung kann eine solche Treue wankend machen, wie es Biernatzki auf ergreifende Weise zu schildern weiß, so daß kaum ein leiser Zweifel an diese Möglichkeit aufzusteigen vermag. Unerschütterlicher als die Treue, zeigt sich die Heimatsliebe, der das unnatürliche Verhältnis weichen muß, zu dem der Verlobte, der so viele Jahre lang nach seiner Geliebten sich gesehnt, durch einen wunderlichen Zufall gerade beim Betreten seiner Hallig hingerissen worden. Wenn der Geliebte, den auf der weiten Erde, die er gesehen, nichts abwendig machen konnte, in einem unbewachten Augenblick sich vergißt, so hält das liebende Mädchen unerschütterlich fest an seiner Treue, an seiner reinen Einfalt und Unschuld; in ihrem Herzen ist „Gottes Erdreich“.

Aber der Dichter zeigt uns nicht allein, wie die Hallig auf die Eingeborenen wirkt, der Aufenthalt auf ihr bewirkt auch die Bekehrung eines hochgebildeten fremden Kaufmanns, den Gott hier erkennen läßt, „was uns Not thut“. Dazu müssen freilich andere Umstände und auch der Priester mitwirken, aber alles dies beruht doch im Wesen des der Herrschaft des Meeres unterworfenen Halligs. Hierin wie in der ganzen Erfindung entwickelt Biernatzki großes Geschick. Nicht weniger zeigt die Entwicklung der Seelenzustände einen feinen Beobachter, wenn auch bei einzelnen Zügen die Absichtlichkeit hervortreten mag. Die größte Meisterschaft aber bewährt er in den großartigen Naturschilderungen, beim Schiffbruche und der Rettung nach der Hallig, bei dem schon gleich am Anfang angedeuteten, später so ergreifend in Scene gesetzten Schicklaufe und zuletzt bei der die unglückliche Geschichte von Godber und Maria zu einem bei allem Grausigen doch zu einem beruhigenden Abschluß bringenden Sturmflut.

Neben allem aber tritt die Persönlichkeit Biernatzki’s selbst uns in dem voll ausgeführten Bilde Holds, zu dem er selbst fast alle Züge geliefert hat, höchst verehrungsvoll als Muster eines vom innersten Geiste getriebenen werktätigen christlichen Geistlichen entgegen, das auch diejenigen ansprechen wird, die eine ganz abweichende Ansicht von der Offenbarung und der geistigen Bestimmung des Menschen haben, und seinen Träumen von einer Zeit des Rechtes und der Wahrheit auf Erden eben nur das Recht eines Traumes einräumen. Freilich möchten manche wünschen, daß die Bekehrungsgespräche nicht einen so breiten Raum einnähmen, besonders aber, daß die eigenen Bemerkungen, mit welchen der Dichter zuweilen gleichsam mit dem Finger auf die sittliche Verführung mahnend hindeutet, weggeblieben oder, so viel nötig, in die Darstellung verflochten wären.

Auch aus der ganzen sprachlichen Darstellung weht uns ein dichterisches Gemüt entgegen, das lebendig zu schildern, die rechten Farbentöne zu wählen, durch leicht fließenden, treffenden Ausdruck zu fesseln weiß, so daß nur hier und da etwas Schleppendes, nie etwas Ungehöriges oder die Reinheit der Sprache Trübendes stören möchte. So ist auch der äußern Form nach die „Hallig“ durchaus der Abdruck einer reinen, wolgestimmten Seele.

Heinrich Düntzer.


[1] Eine Gesamtausgabe der Schriften Biernatzki’s ist im Verlag von Ferd. Riehm in Basel erschienen, welche wir allen Freunden des Schriftstellers empfehlen.

I.

Der erste Blick, der auf zum Lichte schaut,

Der erste schwanke Schritt im Staube,

Des Mutternamens erster schwacher Laut:

Giebt’s eine Zeit, die sie dem Herzen raube?

An der Westküste des Herzogtums Schleswig finden sich, umflutet von den Wogen der Nordsee, mehrere Inseln, die als Ueberreste einer zusammenhängenden Landstrecke, welche dem Meere zum Raube geworden ist, den Bewohner des festen Küstenlandes daran erinnern, sich mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln der Fluten zu erwehren.

Die größeren dieser Eilande sind teils durch Deiche (künstliche Seedämme), teils durch Dünen (natürliche Höhen von Meersand) vor den Wogen geschützt, die, täglich mit Flut und Ebbe kommend und gehend, immer neue Versuche zu machen scheinen, die letzten Brocken ihres großen Raubes in den gierigen Schlund des Meeres hinunterzuziehen. Bei der Ebbe geht die See so weit zurück, daß ein meilenweiter Schlickgrund bloßgelegt wird, der noch in kräuselnden Zügen das Bild der Wogen darstellt, die ihn vor wenigen Stunden überfluteten. Einzelne Rinnen und andere Senkungen werden aber auch dann nicht wasserleer, und besonders winden sich für jene Zeit sichtbar rings um die Inseln die, mit einander und dem zurückgewichenen Ocean zusammenhängenden, sogenannten Tiefen, gleichsam Schlangenarme, mit denen der eine Zeit lang an andern Gestaden kämpfende Riese die nie vergessene Beute umschlungen hält, daß sie nicht einen Augenblick der Hoffnung sich überlasse, von ihm aufgegeben zu sein. Diese Tiefen, welche dem einsamen Wanderer, der auf dem weichen, feinem Fußtritt für eine kurze Zeit überlassenen Meeresgrunde Krabben, Rochen oder einen von dem schnellen Abfluß der Wogen überraschten Seehund sucht, auch bei der hohlsten Ebbe unüberschreitbare Grenzen setzen, verhindern die Verbindung zwischen den Inseln zu Lande selbst dann, wenn sie am scheinbarsten ist. Nur einzelne kleinere Eilande erfreuen sich beim Rückgange des Meeres einer kurzen Gemeinschaft mit einander oder mit dem festen Lande, auch ohne das umständliche Mittel der Schifffahrt; aber wehe dem Wanderer, der zu viel dem trügerischen Riesen vertraute! Dieser kehrt oft mit ungewöhnlicher Schnelligkeit zurück, führet den Nebel mit sich als Bundesgenossen, und der Schlickläufer, so nennt man den, welcher die Ebbe zu größeren Wanderungen benutzt, siehet das heimische Gestade vor seinen Blicken verschwinden, er fühlt die Flut um seine Füße spielen, Entsetzen sträubt sein Haar bei diesem Spiel, er eilt mit Todesangst vorwärts, die schon ganz gefüllten Rinnen versperren seinen Weg, er wendet sich seitwärts, um sie zu umgehen, er verliert dadurch seine Richtung, läuft hin und her, ist gefangen ohne Ausweg, und mit jedem Augenblick kriecht die Flut höher an ihn hinan, sein Geschrei verhallt in der großen, weiten Wasserwüste und wird zuletzt von den ihn überrauschenden Wogen ganz erstickt, die bald seine Leiche bedecken; denn ein tiefflutendes Meer ist da, wo noch vor Kurzem die Fußstapfen des Armen sichtbar waren.

Im Gegensatz der größeren, durch Deiche und Dünen gesicherten Inseln werden die kleineren Eilande Halligen genannt. Eine solche Hallig ist ein flaches Grasfeld, das kaum zwei bis drei Fuß höher liegt, als der Strand der gewöhnlichen Flut des Meeres, und daher, weder durch Kunst noch durch Natur beschützt, sehr oft, und besonders in den Wintermonaten sogar wol zweimal an einem Tage, von der wogenden See überschwemmt wird. Die bedeutendsten dieser Halligen sind noch keine halbe Quadratmeile groß; die kleineren, oft nur von einer Familie bewohnten, kaum ein paar tausend Fuß lang und breit; die kleinsten und unbewohnten dienen nur dazu, ein wenig kurzes und feines Heu zu gewinnen, das aber sehr oft, ehe es geborgen werden kann, von der Flut weggespült wird. Das geborgene Heu wird in Diemen zusammengehäuft, über die ein Flechtwerk von Stroh, an beiden Enden mit Steinen belastet herabhängt, wodurch sie eine solche Festigkeit gewinnen, daß nur mit eisernen Spaten das zum jedesmaligen Gebrauche Nötige abgestochen werden kann, und diese Heuberge an der Seite des Hauses oft noch eine Zuflucht geben, wenn die Mauern vor der Gewalt der Wellen niederbrechen. Auf künstlichen Erderhöhungen oder Werften stehen die einzelnen Wohnungen, die selten mehr Raum auf der sich schräge absenkenden Höhe lassen, als zu einem schmalen Gang um die Hütte erforderlich ist. Daher trifft man denn auch auf fast allen Halligen keinen Fleck Gartenland für ein wenig Gemüse, keinen einzigen Strauch mit einer erquickenden Beere, keinen Baum zu einem Ruheplatz im Schatten. Für solche Genüsse müßte die Werfte größer sein, deren Aufführung und Unterhaltung aber schon, so klein sie ist, mehr Kosten erfordert, als das einfache Gebäude, das darauf steht. Auf der Ebene sproßt der Ueberschwemmungen wegen kein fröhliches Gewächs, keine nährende Frucht. Sie ist eine Wüste, die freilich durch ihr fahles Grün, das noch dazu vielfach von schmutziggrau überschlickten Stellen unterbrochen wird, andeutet, wie das genügsame Schaf hier wol seine spärliche Nahrung finden mag, die aber keineswegs jenen frischen, duftigen Graswuchs kennt, in welchen sich behaglich die fette Kuh hinstreckt, oder über welchem das wiehernde Roß mutwillig hin und her sprengt. Suchst du sprudelnde Quellen, die einen Labetrunk geben könnten, da, wo die Sonnenstrahlen, ohne durch eine buschigte Blätterkrone gebrochen zu werden, auf das matte Grasfeld brennen? Wol findest du vom Wellenschlag zerrissene Ufer; wol tiefe Einbrüche des Meeres, die sich oft in langen Krümmungen weit in’s Land hinein erstrecken, als wollten sie es in noch kleinere Stücke zerteilen, um leichter desselben Herr zu werden; wol viele stehende Lachen, ein Nachlaß der letzten Ueberschwemmung, zur Erinnerung, daß das Land schon halb dem Ocean gehöre und ihm bald ganz zufallen werde: aber Trinkwasser? Auf der Werfte wird ein Behältnis ausgegraben und ringsum mit Grassoden ausgesetzt; dahin mag sich Regenwasser von oben her sammeln oder von den Seiten durchsickern es dient den Schafen zur Tränke und ihren Herren zur Bereitung ihres Thees, obwol es von dem mit Meersalzteilen durchdrungenen Boden den widerlichsten Geschmack angenommen hat, der es für den nicht daran Gewöhnten ungenießbar macht. Vielleicht bringt auch gar einmal ein Boot ein Tönnchen Wasser mit vom festen Lande, und in Zeiten der Dürre kann solche Zufuhr zur dringendsten Notwendigkeit werden. Eine Freude hat doch wol der Halligbewohner: das muntere Treiben eines täglichen und reichen Fischfangs? Nein, nicht einmal den schönen Anblick eines in hellen, grünlichen Wellen flutenden Meeres hat er; ein widriges, trübes Gelb in Grau ist die gewöhnliche Farbe der Gewässer um ihn her, und vor dem Aufenthalt in einer Meeresstrecke, die bei der Ebbe stundenweit ihren Schlammboden aufdeckt, hüten sich die Fische und überlassen gern dem Seehund und der häßlichen Roche allein das wenig einladende Gebiet. Und dies Meer, das die Halligen umgiebt und so oft überwogt, und das auf seinen verschiedenen Punkten nach den Namen der im Lauf der Jahrhunderte darin begrabenen Landstellen und ihrer Eigner bezeichnet wird, dies an Gaben so arme und an Raub so reiche Meer ist noch dazu fortwährend ein Räuber, der bald mit langsamer, still untergrabender Macht, bald mit wildstürmender Gewalt ein Stück Land nach dem andern von dem Eilande abbricht, so daß der Halligbewohner schon die Jahre zählen kann, wann den Hütten und den Heerden der letzte Raum genommen sein wird.

Doch glücklich die Hallig, wenn hiemit ihr Bild vollständig gezeichnet wäre! Aber es bleibt noch eine furchtbare Seite übrig. Zur Gewohnheit sind die Ueberschwemmungen geworden, die, alles flache Land überwogend, an die Werfte hinaufsteigen und an die Mauern und Fenster der Hütten mit ihrem weißen Schaum anschlagen. Da blicken denn diese Wohnungen aus der weiten, umrollenden Wasserfülle nur noch als Strohdächer hervor, von denen man nicht glaubt, daß sie menschliche Wesen bergen, daß Greise, Männer, Frauen und Kinder unterdessen vielleicht ruhig um ihren Theetisch hersitzen und kaum einen flüchtigen Blick auf den umdrängenden Ocean werfen. Manch’ ein fremdes, aus seiner Bahn verschlagenes Schiff segelte schon in solchen Zeiten bei nächtlicher Weile über eine Hallig weg und die erstaunten Seeleute glaubten sich von Zauberei umgeben, wenn sie auf einmal neben sich ein freundliches Kerzenlicht durch die hellen Fenster einer Stube schimmern sahen, die halb von den Wellen bedeckt, keinen andern Grund als diese Wellen zu haben schien. Aber es bricht der Sturm zugleich mit der Flut auf das bange Eiland ein. Die Wasser steigen gegen zwanzig Fuß über ihren gewöhnlichen Stand hinauf. Die Wogen dehnen sich zu Berg und Thal, und das Meer sendet in immer neuen, langen Zügen seine volle, breite Gewalt gegen die einzelnen Werften, um sie aus seiner Bahn wegzuschieben. Der Erdhügel, der nur eine Zeit lang zitternd widerstand, giebt nach; bei den unausgesetzten Angriffen bricht ein Stück nach dem andern ab und schießt hinunter. Die Pfosten des Hauses, welche die Vorsicht eben so tief in die Werfte hineinsenkte, als sie darüber hervorstehen, werden dadurch entblößt; das Meer faßt sie, rüttelt sie. Der erschreckte Bewohner des Hauses rettet erst seine besten Schafe hinauf auf den Boden, dann sieht er selbst nach; und hohe Zeit war es! Denn schon stürzen die Mauern, und nur noch einzelne Ständer halten den schwankenden Dachboden, die letzte Zuflucht. Mit furchtbarem Siegesübermut schalten nun die Wogen in dem untern Teil des Hauses, sie werfen Schränke, Kisten, Betten, Wiegen mit wildem Spiel durch einander, schlagen sich immer freieren Durchgang, um Alles hinauszureißen auf den weitern Tummelplatz ihrer unbändigen Kraft, und der Stützpunkte des Daches werden immer weniger, des Daches, dessen Niedersturz rettungslos einer noch vor wenigen Stunden in häuslicher Geschäftigkeit mit einander wirkenden, oder im sanften Arm des Schlummers neben einander ruhenden Familie ein schäumendes Grab bereitet. Aengstlich lauscht das Ohr, ob nicht das Brausen des Sturmes abnehme; ängstlich pocht das Herz bei jeder Erschütterung; immer enger drängen die Unglücklichen sich zusammen. In der Finsternis sieht Keiner das entsetzenbleiche Antlitz des Andern; im Donnergeroll der tobenden Wogen verhallt das bange Gestöhn; aber Jeder kann an seiner eigenen Qual die marternde Angst seiner Lieben ermessen. Der Mann preßt das Weib, die Mutter ihre Kinder mit verzweiflungsvoller Todesgewißheit an sich; die Bretter unter ihren Füßen werden von der drängenden Flut gehoben; aus allen Fugen quellen die Wasser auf; das Dach wird durchlöchert vom Wogensturz; ein irrer Mondstrahl dringt durch die zerrissenen Wolken, fällt hinein auf die Jammerscene, die, von seinem bleichen, zuckenden Lichte beleuchtet, in all’ ihrer Furchtbarkeit erscheint und die angstverzerrten Gesichter einander spiegelt. Da kracht ein Balken. Ein furchtbarer Schreckruf! Noch eine martervolle Minute! Noch eine! Der Dachboden senkt sich nach einer Seite; ein neuer Flutenberg schäumt herauf, und im Sturmgeheul verhallt der letzte Todesschrei. Die triumphierenden Wogen schleudern sich einander Trümmer und Leichen zu.

Dennoch liebt der Halligbewohner seine Heimat; liebt sie über Alles, und der aus der Sturmflut Gerettete baut sich nirgends sonst wieder an, als auf dem Fleck, wo er Alles verlor, und wo er in Kurzem wieder Alles, und sein Leben mit, verlieren kann.

Wir bewundern den Sohn der afrikanischen Wüste, der sein Zelt aufschlägt unter der Glut einer versengenden Sonne, in der Mitte einer unübersehlichen, brennenden Sandstrecke. Er hat doch ein weites Gebiet, das er nach allen Richtungen hin auf seinem flüchtigen Renner durchstreift. Er hat doch seine Oasen, diese Inseln des Sandmeeres, wo er im Schatten der Palme die Quellen sprudeln hört und Lieder singt zur Ehre der Wüste, oder den wunderreichen Erzählungen eines vielgereisten Karawanenführers horcht. Die Heimat, die er liebt, ist doch nicht ohne Abwechslung, sein Leben nicht ohne Veränderung. Er schleppt sich nicht hin in steter Einförmigkeit des Daseins, findet doch Raum für seine Kraft, und hat doch Fernen, denen der Reiz der Neuheit nicht ganz fehlt. Der Halligbewohner übersieht mit einem Blick alle seine nahen Grenzen, sein Thun und Treiben ist dasselbe einen Tag wie den andern, außer daß eine seltene Fahrt ihn zum Verkauf der Wolle seiner Schafe nach dem festen Lande führt; und er fühlt sich bei seiner Abgeschiedenheit vom Menschenverkehr fremd unter Fremden, sobald er seine Scholle im Meere notgedrungen einmal verlassen hat. Alle seine Freuden und Genüsse bleiben wie seine Arbeiten in einem kleinen Umfang beschränkt, ohne lebhaften Reiz, ohne die Spannung einer Ungewöhnliches erwartenden Aussicht. Ein bei der geringen Zahl der Bewohner oft erst nach Jahren auf der Hallig wiederkehrender Hochzeitstanz gehört zu seinen höchsten Vergnügungen.

Die Gefahren selbst, denen der Halligbewohner ausgesetzt ist, entbehren den einzigen Reiz, den die Gefahr haben kann, den Gegenkampf. Mag der Sand der Wüste, vom Sturm aufgewirbelt in die Wolken, als sollte das Gewölbe des Himmels auch eine Sahara werden, daherjagen und Zeltdörfer und Karavanenzüge in sein heißes, erstickendes Bett begraben: die Möglichkeit der Flucht ist doch gegeben, und die Menschen versuchen auf Rossen und Kamelen mit dem Sandsturm in die Wette zu jagen; und oft gelingt es ihnen, dem drohenden Verderben zu entgehen. Der Halligbewohner hat seinen Feind rund um sich; erhebt der sich in seiner schauervollen Macht, so muß er, hülfloser als ein Kind auf dem Wege des tobenden Stieres, sich diesem Gewaltherrscher hingeben und zitternd erwarten, ob er mitleidig schonend vorüberziehe oder in blinder Wut alles niederwälze; er muß Leben oder Tod als ein willenloses Schlachtopfer annehmen, ohne Hand oder Fuß zur völlig unmöglichen, weder Gegenwehr noch Flucht zu regen. Verstand und Kraft sind ihm unnütz; nur Ergebung ist sein Loos in dem vollen Bewußtsein seiner Ohnmacht.

Und nicht etwa die Unbekanntschaft mit den Vorzügen anderer Länder ist es, was dem Halligbewohner seine Heimat lieb macht. Nein, er hat die fruchtbarsten, reichsten Strecken vor seinen Augen. Hinter den Deichen des festen Landes in seiner Nähe ist ein Boden, der seinen Bewohnern einen Ueberfluß bietet wie wenige Länder der Erde ihn haben. Da reift das schwere Korn; da streckt sich der breite Stier in den duftigsten Klee; da erheben sich große und schöne Bauernhöfe, deren Bewohner, mit allen Genüssen des Lebens vertraut und im Gefühl ihrer Wichtigkeit, mit Stolz sich Bauern nennen. Oft auch, und früher noch mehr als jetzt, führt den Halligbewohner in seiner Jugend und Mannheit der Dienst auf Schiffen in ferne Lande. Durch seine Genügsamkeit und Rechtlichkeit auch in der Fremde schwingt er sich zum Schiffsherrn auf; die reichsten Handelsplätze, die herrlichsten Gegenden werden ihm bekannt wie die eigene Heimat. Aber er hat Alles gesehen, Alles verglichen, und — Alles vergessen. Er kehrt mit seinem Ersparten heim zu seinem geliebten Eilande, heim zu diesem trostlosen Boden, zu diesem gefahrvollsten Fleck der Erde, zu dieser Oede voll Entbehrung und Entsagung, und dankt Gott, daß seine Hallig noch nicht weggespült ist; und kaum hat er sich da wieder eingerichtet, so ist er in seinem Wesen und seinen Neigungen wie Einer, der nie die Welt sah.

Es ist auch nicht die Freiheit, die dem Halligbewohner seine kleine Heimat, wie dem Mauren die Wüste, zum Paradiese macht. Er fühlt vielmehr den Druck der Civilisation mit Abgaben, Zöllen und dergleichen, und benutzt dagegen wenig von ihren Vorteilen: von Sicherheit des Eigentums, — ihn schützt ja schon genug seine Armut und seine Wogengrenze — von allgemeinem Verkehr, — zu ihm führt keine gebahnte Straße, — von vermehrten Kenntnissen, — zu ihm verirrt sich selten eine andere Schrift als Bibel und Gesangbuch, — von heiteren Künsten, — die Kunst dringt nicht zu seinen Hütten. Nicht einmal die Geselligkeit, die er haben könnte, gilt ihm etwas. Er ist meistenteils wenig gesprächig, lebt gern auf seiner Werfte für sich, und obwohl sein Prediger oder Priester, wie er ihn nennt, von ihm sehr geehrt wird, so gelingt diesem doch nicht leicht, es zu einer herzlichen Gemeinschaft zu bringen; da er, besonders bei dem weiblichen Geschlecht, außer im Religiösen, den völligen Mangel eines Anknüpfungspunktes an seine Bildung erkennen muß, und seine hochdeutsche Sprache ihn der friesisch sprechenden Gemeinde entfremdet. Nur auf diesen Eilanden hat nämlich das Friesische, das dem Englischen nahe verwandt ist, und worauf der deutsche Sprachforscher mehr, als bisher, sein Augenmerk richten sollte, noch fast seine ganze Eigentümlichkeit sich bewahrt, während es auf den Küsten des festen Landes schon nahe daran ist, in ein bloßes Gemisch auszuarten.

Eine dieser Halligen, von welchen wir im Obigen ein allgemeines und der Wahrheit getreues Bild zu zeichnen versucht haben, ist der Ort der nachfolgenden Handlung. Sie war damals, im Sommer des Jahres 1824, von ungefähr fünfzig Menschen in neun Hütten, auf sechs über die Fläche einer kleinen Viertelmeile zerstreuten Werften bewohnt, welche sich durch Schafzucht kärglich, aber für die geringen Bedürfnisse ausreichend, nährten. Eine, wenig vor den andern Wohnungen ausgezeichnete, neue Kirche, nachdem 1816 die alte, und 1821 wieder eine eben aufgebaute vom Meere weggerissen war, diente den gottesdienstlichen Versammlungen der frommen Gemeinde.

II.

Das schlanke Schiff mit seinen weißen Schwingen

Durchschäumt die Wogen, strebt hinauf, hinab;

Auf Abgrunds Tiefen muß es vorwärts ringen:

„Der Weg zum Hafen führt ja über’s Grab.“

Es war ein stiller, heiterer Nachmittag am 9. September 1824; der klare Himmel spiegelte sich in der glatten Flut des Meeres, das eben nur durch solchen Wiederschein sich heute schöner als sonst malte, so rein und deutlich ab, daß selbst das duftigste Wölkchen, das einen leisen Schatten auf seine Klarheit geworfen hätte, auch auf dem Gegenbilde sichtbar geworden wäre; aber weder Wolkenstreifen noch kräuselnde Wellen trübten das lichte Blau.

Maria saß mit ihrer Mutter, einer betagten Witwe, in der kleinen, niedrigen Stube ihrer Wohnung beim Spinnrade. Die höchste Reinlichkeit und die blau und rot gemalten Wände und Fensterbänke, die mit blankem Messing gezierte Lade, die den Hausschatz von Leinenzeug, Feierkleidern und seidenen Tüchern enthielt und zugleich in einem Schiebfach einzelne Kleinodien an goldenen Ringen und Ketten barg, die der Halligbewohner so sehr liebt, gaben dem Ganzen ein freundliches Ansehen, wozu die mit vielfarbigen Malereien geschmückten Thüren der Wandbetten besonders beizutragen bestimmt schienen. Freilich waren die mit losen Kissen belegten Stühle und der Tisch, der durch seine Größe den Raum der Stube sehr beengte, nur von ungefärbtem Holze und verdankten ihre Politur allein dem beständigen Gebrauch und der fleißig reinigenden und glättenden Hand. Selten unterbrach ein einzelnes Wort aus dem Munde der fleißigen Spinnerinnen die Stille, welche nur von den schnurrenden Rädern mit ihrer eintönigen Geschäftigkeit belebt wurde. Eben so still saß der weiße Schäferhund auf der Fensterbank und blickte mit seinen hellen und klugen Augen durch die kleinen, in Blei gefaßten Scheiben unverwandt auf das Meer hinaus, ohne daß sich doch dort irgend Etwas gewahren ließ, das seine Aufmerksamkeit so rege erhalten konnte.

Doch auch Maria warf zuweilen, wenn ihre Arbeit es erlaubte, einen Blick auf die See. Denn nach neunjähriger Abwesenheit sollte endlich in diesen Wochen Godber wiederkehren, der nach weiten Seereisen zuletzt von Hamburg aus geschrieben, wie er sich ein kleines Kapital erworben, um seine väterliche Stelle auszulösen, und nun sich sehne, zu seiner Hallig und zu seiner Maria zurückzukommen. Ihm war sie schon, nach der Gewohnheit des Landes, seit ihrer frühesten Kindheit verlobt und hatte ihm still und treu eine Liebe bewahrt, die freilich von jener ungeduldigen Leidenschaftlichkeit, welche Viele ihrer Zeitgenossinnen als eine notwendige Eigenschaft der Liebe zu betrachten scheinen, weit entfernt war, die aber nichtsdestoweniger durch ihre Tiefe und Innigkeit sich mit dem ganzen Dasein Maria’s verschmolz, jede andere, auch nur flüchtige Neigung gänzlich ausschloß und allen Gedanken und Empfindungen der Jungfrau die bestimmteste und entschiedenste Richtung auf ihre Pflichten als die Braut und künftige Gattin Godber’s schon längst gegeben hatte und erhielt. Wohl kam in den Briefen Godber’s Manches vor, das weit über die Fassungskraft seiner einfach erzogenen Braut hinaus war, und sie konnte sich einer heimlichen Scheu vor ihm, der so Vieles gesehen und gelernt haben müßte, da er so überklug zu schreiben verstände, nicht immer ganz erwehren; aber er hatte doch auch wieder des Glückes gedacht, wenn er nun die Welt gleichsam hinter sich abschlösse und allein für seine Hallig und seine Maria lebe, um all’ das bunte und wirre Wesen und Treiben, das ihn ganz anwidere, auf dem kleinen, friedlichen Raume, an der Seite einer geliebten, gleichgesinnten Gattin zu vergessen. In solchen Aeußerungen fand ihr Herz sich heimatlich. Sie zauberten ihr ein Morgenrot lieblicher Hoffnungen herauf, vor dem sie die ihr fremde Färbung anderer Stellen seiner Briefe leicht übersah.

„Heute muß er kommen,“ sprach sie zu ihrer Mutter, „mir ahnet so etwas.“

Dabei aber spann sie eben so emsig fort wie sonst; denn sie, wie ihre Schwestern alle auf jenen Eilanden, wußte nichts von einer Liebe, die untreu macht den nächsten, bescheidenen Pflichten des Berufs.

„Heute möchte ich Godber lieber nicht auf der See wissen,“ meinte die Mutter, „denn es ist ein Sturm im Anzuge. Hörst du nicht, wie die Möven schreien?“

„Mutter,“ rief Maria, „das thut der liebe Gott nicht! Ich habe ja so fleißig gebetet, und Er hat mir ein so gewisses, fröhliches Herz gegeben, daß ich weiß, Er thut es nicht.“

„Was thut er nicht?“ fragte die Mutter.

„Er läßt keinen Sturm kommen, Godber zu verderben. Er läßt nur die Winde los, daß sie die Segel straffer füllen und ihn recht schnell heimtragen zu mir — zu uns.“

„Er mache es nach seinem Wohlgefallen,“ sagte andächtig jene. „Was Gott thut, das ist wohlgethan! — Komm, der Spitz ist schon vom Fenster gesprungen und wartet voll Unruhe auf uns. Laß uns die Schafe eintreiben, ehe das Wetter hereinbricht.“

Und sie gingen hinaus auf das Feld, wo der Hund, der schon lange, sei es durch seine Beobachtung der gewöhnlichen Vorzeichen, oder durch die nur seinen reizbaren Nerven merkliche Veränderung der Luft, die Witterung von dem kommenden Sturm gehabt hatte, in raschen Sprüngen vor ihnen voraus eilte und mit eifrigem Bellen die Schafe zusammen- und entgegentrieb. Schon gingen in einzelnen Stößen die ersten Boten des Sturmes über die Wellen hin. Diese rauschten unmutig auf und sanken langsam wieder herab, als seien sie zu träge, um sich zum Kampf zu erheben. In Südwesten stand noch die Abendsonne, aber nur nach oben hin warf sie ihre Strahlen. Unter ihr war ein dunkles Gewölke hervorgetreten, dessen Rand in gelbgrauen Farben spielte und das beinahe eine Viertelstunde lang weder in der Höhe, noch in der Breite wuchs, sondern gleichsam nur als Vorwacht über die See hinlugte. Plötzlich rauschte ein neuer stärkerer Luftstrom daher, der aber mit noch unsicherem Fuß über das Meer wandelte, so daß nur hier und da eine einzelne Welle vor ihm aufschäumte; und Alles ward wieder still. Nun aber, wie gehoben von einer nachdrängenden Macht, tauchten schwarze Wolkenmassen empor und verhüllten das Antlitz der Sonne. Immer schneller und heftiger folgten die Windstöße einander, immer unruhiger schüttelten die Wogen das dunkle Haupt. Da streckte sich das düstere, schwere Schattenbild am Rande des Horizonts zu langen Armen aus, die immer weiter und weiter über den noch lichten Himmel streiften, und deren mächtige Schatten über den Ocean hinjagten. Auf diesen Armen, wie auf ihm gebahnten Straßen, flog der Sturm daher in seiner Kraft, neigte sich zum Meere nieder und die furchtbare Schlacht begann. Die Wellen wogten in breiten, gewaltigen Reihen auf, als wollten sie die Wolken in ihre Tiefe niederziehen; aber der Sturm peitschte sie wieder von ihrer Höhe herab, daß sie, vor Grimm schäumend, gleich stürzenden Gebirgen niederbrachen, um mit neuer Wut nur noch höher sich zu erheben; und immer rasender sauste der Sturm, und immer hohler rollten die Wogen mit dumpfem Rauschen.

Unterdessen war eilig die kleine Herde auf die Werfte getrieben und Maria wandte nun erst wieder den besorgten Blick auf das Meer, das bereits über das Land hinausgetreten war und die einzelnen Hütten durch seine Wellen von einander trennte. Da sah sie, und ihr Herz schlug höher auf, einen weißen Punkt, der bald auf dem Schaumrande einer hochbrausenden Woge keck dahertanzte, bald, in den schwarzen Abgrund niederfahrend, sich ihrem Auge entzog, als wolle er nimmer wiederkehren. „Ein Schiff, Mutter!“ rief sie, und dachte an Godber. Auch die Mutter heftete teilnehmend ihren Blick nach der bezeichneten Gegend, wo sie aber anfangs mit ihren vom Alter geschwächten Augen nichts entdecken konnte. Aber näher und näher kam es; erst wie ein weißer Fittig, der einer verspäteten Möve anzugehören schien, die bald einen Ausweg durch das dunkle, drückende Gewölbe über ihr zu suchen bemüht war, bald in die verschlingenden Wellen untertauchte. Allmählig entfalteten sich die Formen von Segeltüchern, dann wurden die Masten sichtbar und endlich konnte man den ganzen schönen Bau beobachten, wie er jetzt, völlig auf eine Seite gelehnt, den vollen Bogen des straffen Leins zu den Wogen niedersenkte, und jetzt, wenn diese wie im kindischem Spiel den flüchtigen Kuß den Segeln gegeben, wieder gerade sich aufrichtete, und wie ein stolzer Sieger, der seinem glorreichen Grabe jauchzend entgegeneilt, in die Tiefe hinabschwebte. Aber immer tauchte wieder der leichte Kiel mit seinen glatten Wänden und seinen schlanken Masten, mit seinem vielfach, aber in fester Ordnung verschlungenen Tauwerk und seiner vom Meeresgruß dunkler gefärbten Segelfülle aus dem Ocean hervor und wiederholte stets auf’s Neue denselben Auf- und Niedergang, dabei mit mannigfacher Wendung einen scheinbar regellosen, aber von erfahrener Hand geleiteten Weg durch die zahlreichen Untiefen jenes Fahrwassers verfolgend.

„Sie haben einen guten Steuermann,“ sagte die Mutter; und: „Godber!“ tönte es leise von Maria’s Lippen nach.

Jetzt machte das Schiff eine neue Wendung, die es glücklich durch zwei einander beinahe berührende Untiefen hindurchbrachte, und trat aus dem schäumenden Schwall der brandenden Wogen eben siegesfroh in die dunklere Flut hinein.

„Steuer in Lee!“ kreischte die Mutter, als könnte sie mit ihrem im Sturm verhallenden Kommando das Schiff regieren; aber links drehte es sich und jeden Augenblick erwarteten die ängstlichen Zuschauer, daß es nun an die ihnen bekannte gefahrvolle Stelle kommen würde, wo es bei der geringsten Abweichung zur Linken oder zur Rechten auf den dort zu beiden Seiten der Tiefe mehr als anderswo erhöhten, jetzt freilich auch von der Flut überdeckten Grund stoßen mußte. Doch plötzlich fielen alle schon lange gerefften Segel gänzlich von den Masten ab, daß diese mit ihren nackten Spieren verdorrten Fichten glichen, durch die die Wucht des Sturmes unschädlich hinstreift, und das schwankende Schiff bewegte sich langsam in einem Halbkreis herum, so daß das Boogspriet nun gegen den Wind stand, nachdem es so lange die Richtung mit dem Winde angedeutet.

„Sie haben Anker geworfen;“ rief Maria erfreut, und die alte kundige Witwe bemerkte:

„Wenn sie, wie ich glaube, nach Husum wollen, so können sie nun wieder mit der eintretenden Ebbe in den rechten Kurs kommen, von dem sie vor dem Sturm zu weit nach Norden abgetrieben sind.“

Von ihrer Furcht für die Seefahrer befreit, gingen die Beiden in ihre Wohnung. So lange die Tageshelle es erlaubte, warf Maria noch manchen Blick aus dem Hinterstübchen zu dem Schiffe hinüber, das bei nun eingetretener Ebbe ruhig auf seinem Platze liegen blieb, ohne daß man vom Lande aus irgend eine Bewegung auf demselben bemerken konnte. Als die Abenddämmerung die Aussicht hinderte, spann sie wieder ungestörter an der Seite ihrer Mutter fort, wobei zwischen den Beiden Manches über die Aussteuer und künftige Einrichtung verhandelt wurde. Denn auch die Mutter war durch Maria’s Zuversicht allmählig mit dem Gedanken vertraut geworden, daß Godber auf dem Schiffe sei. Mit freundlichen Hoffnungen gingen sie dann, später als sonst, zur Ruhe; jedoch nicht eher, als bis sie andächtig mit einander mit folgendem kurzen, kunstlosen Versgebet sich dem Schutze des Höchsten empfohlen:

In Sturm und Wellenbraus

Behüte Gott, mein Leben

Und um mein schwaches Haus

Laß Deine Engel schweben,

Daß sich die wilden Wogen scheu’n

Wie Lämmer vor dem starken Leu’n.

Doch hast Du andern Sinn,

Naht mir ein jähes Ende:

So nimm mich gnädig hin

In Deine Vaterhände;

Und Todesflut und Christi Blut

Mach’ es mit meinen Sünden gut.

III.

Das Meer ist hier und dort

Wie’s woget und wie’s weht,

Gehorsam seinem Wort,

Ein See Genezareth.

Wenden wir uns nun zu dem Schiffe, das, von des Ankers Zahn gehalten, sich auf seiner gewählten Stelle von den Wellen schaukeln ließ, um das Aufhören des Sturmes zu erwarten. Godber war wirklich, wie Maria es geahnt hatte und wie die kundige Führung des Schiffes in diesen Gewässern es erwarten ließ, auf demselben als Steuermann, und außer ihm befanden sich der Kapitän und vier Matrosen am Bord, nebst drei Passagieren: Herr Mander, Kaufmann aus Hamburg, zugleich Eigentümer der Ladung, und seine schon erwachsenen Kinder, ein Sohn: Oswald, und eine Tochter: Idalia. Nicht um der Geschäfte willen, sondern allein den Bitten seiner Kinder zu Gefallen, die von einer Seetour sich das größte Vergnügen versprochen, hatte Mander die Reise unternommen.

Die Hoffnung des Kapitäns, auf die, von der Mutter Maria’s angegebene Weise seinen Kurs wieder zu gewinnen, wurde getäuscht. Denn als nach einigen Stunden die Ebbe wieder eintrat, lief das Wasser wegen des fortdauernden Südwestwindes mit so geringer Strömung ab, daß es nicht möglich war, mit Hülfe derselben das Schiff gegen den Wind aufzuarbeiten, wodurch auch die Absicht Godber’s, der gerade jenen Ankerplatz vorgeschlagen, weil der Zug der abfließenden Wasser dort sonst besonders stark trieb, vereitelt wurde. Nun trat der gefährliche Uebelstand ein, daß das Schiff, auf seiner Stelle notgedrungen gefesselt, bei der Ebbezeit mit seinem Boden manchen schweren Stoß gegen den Meeresgrund auszuhalten hatte. Als darauf, nach Verlauf einiger erwartungsvoller Stunden, die Flut wiederkehrte, und mit ihr der Sturm in noch größerer Wut ausbrach, zeigte es sich bald, daß einige von jenen Stößen gelöste Fugen Wasser sogen. Jetzt galt es, einen entscheidenden Entschluß zu fassen, da auch die Dunkelheit der Nacht die Gefahr noch vermehrte. Die angefangene Beratung zwischen Kapitän und Steuermann wurde wider ihren Willen nur zu schnell beendigt. Ein furchtbarer Stoß, der das Schiff in allen seinen Teilen erschütterte, als sollte es auf einmal ganz aus einander gehen, deutete auf einen unerwarteten Fall.

„Die Ankerkette ist gebrochen!“ Dieser Schreckensruf gab die Lösung des Rätsels. „Die Taue auch?“ schrie der Kapitän. Diese, viel schwächer, aber lenksamer und dehnbarer, als die eiserne Gliederreihe, hielten freilich für den Augenblick noch an zwei kleinen Ankern, es war aber zu erwarten, daß der nächste Windstoß auch diesen letzten Halt nehmen würde. „Alle Segel auf! alle Lappen bei! die Anker gekappt!“ war nun, nach schneller Uebereinkunft der Sachverständigen, das nächste Kommando; und, die ganze Wucht des Sturmes in seine weiten Fittige fassend, die schäumenden Wogen wie ein leichtes Schneegewölk auseinander stäubend, flog das Schiff dem Strande zu. Ueber diesen waren freilich die Wellen auch schon wieder mit der Flut hinübergegangen; aber der so ganz kundige Mann am Steuer würde, obwohl die Dunkelheit die Werften nicht mehr deutlich erkennen ließ, ihn nicht verfehlt haben. Allein zu viel war den Masten zugemutet. Sie bogen sich, als hätten sie noch ganz die zähe, elastische Kraft, mit der sie früher auf den Bergen der Heimat die Gewalt der Stürme täuschten; sie strebten vorwärts, als wollten sie den schweren Leib des Schiffes weit hinter sich lassen; doch schon kündeten immer hellere verdächtige Laute eine Ueberspannung ihrer Kräfte. Der Ruf: „Alle Beile, alle Messer zur Hand!“ führte die Matrosen auf ihre Posten, wo sie in ängstlicher Erwartung, mit gehobenem Arm horchten auf das nächste Kommando. „Krach! Krach!“ ging es plötzlich, Sturmgeheul und Wogengebraus übertönend, durch alle Teile des Schiffes, und die ganze volle Takelage schmetterte schräge auf das Vorderende nieder und tauchte seitwärts in die Wogen hinab, daß die untern, gebrochenen Enden der Masten sich aufwärts kehrten. „Kappt! Um Gotteswillen, kappt, kappt!“ gellte die Stimme des Kapitäns den Matrosen zu, die, obgleich vom Sturz der Masten das Schiff im ersten Augenblick so tief in die Flut hineingedrückt wurde, als sollte es nie wieder aus dem Abgrund sich erheben, mit bewundernswürdiger Gewandtheit, getrieben von dem Bewußtsein, daß ihr Leben von der schnellen und sichern Ausführung abhinge, dem Befehl volle Genüge leisteten. Da schwankte denn in dem nächsten Momente das ganze Segelwerk, das eben noch mit seinen vollen, weiten Schwingen und den kühnen Masten so stolz sich zu heben und so anmutig sich zu neigen wußte, eine wirre und schlaffe Masse auf der dunklen Oberfläche des Meeres dahin, und das völlig seines besten Schmuckes und seines führenden Zuges beraubte Schiff ward, ein willenloser Spielball der gewaltigen Wogen, hin und her geschleudert. Es war aus einem scheinbar belebten Wesen voll Zier, Mut und Stärke, zu einem stumpfen, toten Holze, zu einem lecken Wrack geworden.

In dieser Lage mußten die, deren Leben nun in offenbarer Gefahr schwebte, einen Entschluß fassen. Sollten sie erwarten, wie der Kampf enden würde, den Sturm und Flut um das entmastete Schiff führten, das diese, immer unaufhaltsamer eindringend, in ihre Tiefe zu ziehen suchte, jener, es immer gewaltsamer vor sich herschleudernd, auf Untiefen zu zertrümmern drohte? Sollten sie es für möglich halten, mit dem leichten Boote, da die Schaluppe an ihrem Platze, am Fuß des großen Mastes, vom Sturz desselben zerschmettert war, die Küste zu erreichen und auf der überschwemmten Hallig in der Finsterniß an eine Werfte zu gelangen? Die Reisenden forderten dringend diesen Versuch. Jede Aenderung war ihnen eine Lebenshoffnung; auf dem Schiffe zu bleiben, schien ihnen der gewisseste Tod. Dem Kapitän erlaubte es sein Pflichtgefühl nicht, so lange noch eine Planke zusammenhielte, seinen Posten zu verlassen. Er wollte aber auch seinen Passagieren nicht widerstreben, und überließ es daher seinem Steuermann, wenn dieser die Möglichkeit der Rettung auf dem Boote für wahrscheinlicher halte, als auf dem rasierten und noch dazu lecken Schiffe, Jene an’s Land zu bringen. Godber, vertrauend auf seine genaue Kenntnis des Fahrwassers und der Hallig, verstand sich dazu, und ihm schlossen sich zwei Matrosen an, die, gleichwie die Andern an aller Rettung verzweifelnd, dennoch es vorzogen, einen letzten Kampf um ihr Leben zu wagen und kämpfend unterzugehen, als sich auf dem Wrack unthätig und kraftlos dem Verderben hinzugeben. Konnte bisher noch eine Hoffnung da sein, das Schiff auf die eine oder die andere Weise vom gänzlichen Untergang zu retten, so mußte diese, so schon auf das schwächste Vielleicht gestützt, völlig wegfallen in dem Augenblick, da Godber, der allein mit dieser See voll Strömungen und voll Untiefen Vertraute, dasselbe verließ. Ihm selbst flog dieser Gedanke durch den Sinn. Schon wollte er von dem übernommenen Rettungsversuch zurücktreten; aber die flehend bittende Idalia stand vor ihm, und — jede andere Bedenklichkeit mußte schweigen. Die Heckjolle wurde daher vom Spiegel des Schiffes in’s Meer gelassen, von den drei Seeleuten mit Leichtigkeit bestiegen, und mit erfahrener Gewandtheit an die Leeseite herumgebracht. Aber es bedurfte einer vollen halben Stunde, um die Andern nur erst in’s Boot hinein zu bringen; denn das leichte Fahrzeug flog bald auf dem schäumenden Kamm einer Welle weit vom Schiffe ab, bald wieder, der niederrauschenden Woge nach, mit solchem Schwung auf dasselbe zu, als sollte es im nächsten Augenblick daran zerschellen. Daher mußten die Passagiere nach mancherlei Versuchen, die eben so oft die Furcht, als der Mangel an Gewandtheit vergeblich machte, zuletzt an Seilen heruntergelassen werden, und schwebend, von den am Schiffe brandenden Wogen überschäumt, erwarten, bis das Boot wieder unter ihnen war. Wurden sie dann auch nur eine halbe Minute zu spät niedergelassen, so tanzte das Boot schon wieder fern von ihnen auf den schwindelnden Höhen eines Wasserberges, oder war in den Hohlen ihrem Blick entzogen, und sie tauchten in die Salzflut unter. Mander und Oswald, deren Hoffnung, sich auf der Jolle zu retten, bei dieser nicht erwarteten Schwierigkeit, sie nur zu besteigen, gänzlich dahin war, fügten sich doch willenlos allen Anordnungen. Idalia, erschreckt durch solche Vorkehrungen, weigerte sich lange, ihrem Vater und Bruder zu folgen, und die Ungeduld, die ihr Zaudern erregte, war wohl eine Mitursache, daß, als sie sich endlich entschlossen hatte, das Seil, welches sie so lange halten sollte, bis das Boot sie aufgenommen, den Händen der Matrosen auf dem Schiffe entglitt und sie in’s Meer hinabstürzte. Godber aber, der kein Auge von ihr gewandt, sprang sogleich in die brausenden Wogen nach und hielt sie mit starkem Arm empor. Doch auch der fertigste Schwimmer würde einem solchen tobenden Meer keine Beute entrissen haben. Glücklicher Weise gelang es den Leuten im Boote, das Ende des Seils zu fassen, welches um Idalia’s Schultern gegürtet war, und so wurden Beide an Bord gezogen.

Bei diesem Aufenthalt und dieser alle Sinne in Anspruch nehmenden Thätigkeit war es nicht leicht, die rechte Richtung nach dem kleinen Fleck Landes, von dessen Auffinden ihre einzige Hoffnung abhing, wieder zu gewinnen. Nur Godber, dem die Lage der Häuser auf der nahen Hallig genau bekannt war, und der während des Tages fast keinen Blick von der lieben Heimat gewandt hatte, vermochte in der trüben Finsterniß, die Alles einhüllte, an einzelnen ihm allein bemerkbaren, dunkleren Flecken sich zu vergewissern, welche Richtung einzuschlagen sei. Ein gegenseitiges: Lebewohl! und: Behüt’ euch Gott! riefen sich die Abfahrenden und Zurückbleibenden noch zu, und bald hatte sie die dunkle Nacht und die wogende See so weit von einander geschieden, daß kein Zusammentreffen, wenn es auch versucht worden wäre, mehr möglich war. Mander saß mit Oswald und Idalia platt auf dem Boden des Bootes, und diese drei schreckten nur dann und wann in die Höhe, wenn eine aufbrandende Woge ihren Schaumwall über das Boot hinschleuderte und es in die Tiefe hinunterzuschwemmen drohte. Die Matrosen ruderten, obwohl hoffnungslos, doch mit ruhiger, gleichmäßiger Anstrengung, als ob keine Todesgefahr sie umgebe. Godber führte mit kraftvollem Arm das Steuer, in künstlichen Wendungen dem Abbruch der niederstürzenden Flutmassen auslenkend, und den am wenigsten gefährlichen Weg durch die wogenden Thäler und auf den schwankenden Höhen mit dem Scharfsinn und der Erfahrung eines auf den Wellen großgewiegten Seemanns für sein schwaches Fahrzeug suchend. Dabei beachtete er mit durchdringenden Augen sorgsam die Ferne, wenn eine Welle, die das Boot emportrug, eine weitere Aussicht als von Woge zu Woge möglich machte. Aber die Finsterniß lagerte sich immer dichter und undurchdringlicher über das tobende Meer hin, und nur an dem kürzeren Schlag der Wellen unterschied er nach zwei Stunden der angestrengtesten Arbeit seiner Ruderer und der ungeduldigsten Aufmerksamkeit von seiner Seite, daß das Boot auf das überschwemmte Land der Hallig gekommen sei. Ein unter dem Wasser verborgener Pfahl oder Ueberrest einer alten Werfte konnte jetzt den Nachen kentern und Allen Verderben bringen. Mit dem gespanntesten Blick forschte Godber daher nach beiden Seiten hin, ob nicht ein Streif hohler gehender Wogen ihm einen schmalen Seearm bezeichne, von dem er wußte, daß er sich an dieser Seite des Landes weit in dasselbe hinstrecke. Gott schärfte seinen Blick und leitete sein Steuer. Er fand jene Einfahrt, wo dem minder Kundigen Alles ein Wogenschwall zu sein schien. Nun forderte er den jungen Mander auf, das Steuer zu nehmen. Dieser aber war gänzlich von Todesangst erstarrt und aller Kraft des Handelns völlig beraubt, daß er bei dem Anruf regungslos sitzen blieb. Williger fand Godber den Vater, der wenigstens halb bewußtlos sich zum Steuer hinsetzte, aber auch wohl ohne Nachhülfe der Matrosen, die mit ihren Rudern zur Lenkung der Jolle beitrugen, wenig geleistet haben würde, die schnell auf einander folgenden Befehle Godber’s, der sich auf das Vorderende des Nachens mit einem langen Handstock gestellt hatte, rasch in’s Werk zu setzen. Da Niemand auf dem Boote Kunde hatte von der Einfahrt, in welcher es sich nun fortbewegte, sondern Alle meinten, noch die tiefe See um sich zu haben, so verstand auch Keiner den Zweck der Anordnungen Godber’s, seiner bald rechts bald links gebietenden Befehle; aber der alte Mander gehorchte wie ein Sklave, der sich kein eigenes Denken und Wollen erlauben darf, die Matrosen als Leute, die gewohnt sind, ihr eigenes Urteil ganz dem strengsten Gehorsam unterzuordnen. Auf diese Weise ging es bald mit dem Winde, bald hart an dem Winde noch anderthalb Stunden fort, ohne daß sie darum eine bedeutende Strecke vorwärts gekommen wären, denn die oft so plötzlichen Wendungen brachten immer einige störende Verwirrung in den Gang des Bootes, und die Kräfte der Ruderer waren beinahe erschöpft. Da führte eine neue kurze Wendung das Fahrzeug wieder in eine andere Richtung, und als ob sie plötzlich fast ganz aus dem Bereich des Windes herausgekommen wären, hörten sie nur noch sein Sausen, fühlten es aber nicht mehr, und die Wogen, deren Rauschen noch beinahe lauter als vorher an ihr Ohr schlug, spielten doch viel ruhiger um den Nachen. An dieser Stelle konnte der kleine Anker wohl halten, den sie auf Godber’s Befehl sogleich auswarfen und die Ruder einlegten.

Staunend über die rätselhafte Veränderung ihrer Lage, blickten die seeerfahrenen Matrosen und der alte Mander, während seine Kinder sich erst allmälig aus ihrer starren Angst erhoben, in die Nacht hinaus; aber Alles um sie her war so schwarz verhüllt, daß sie kaum sich einander, viel weniger irgend Etwas außerhalb des Bootes erkennen konnten, und fragend wandten sich Alle an Godber. Er allein, der sie so wunderbar geführt, mußte Auskunft geben können. „Wir sind zur Stelle!“ rief dieser, sprang auf Idalia zu, löste das Seil, mit dem sie noch immer umgürtet war, von ihren Schultern, schlang das eine Ende um seinen Leib, band das andere Ende in einem Ring der Jolle fest, lehnte seine Stange schräge aus von dem Boot und sprang mit einem mächtigen Satz in die Finsternis und in die Wogen hinein. Ein Schrei des Entsetzens entfuhr Allen. Dann standen sie einige Minuten lang in stummer Erwartung, wie dies ihnen ganz zwecklos dünkende Wagestück Godber’s enden werde. Schon gaben sie ihn verloren, und damit sank wieder jede Hoffnung, aus dem Schrecken dieser Nacht gerettet zu werden. Plötzlich schallte ein lautes Halloh! Halloh! wie aus den Wolken her über sie hin. Die Matrosen antworteten unwillkürlich dem ihnen gewohnten Ruf, obwohl sie nicht begreifen konnten, woher die Stimme so nahe, und doch wieder so hoch von oben her, als ob ein Riese neben ihnen stände. Vergebens strengten sie ihre Blicke an; ihr sonst so scharfes Auge für alle Gegenstände auf dem Meere sah Nichts, als die undurchdringlichste Nacht. Wieder gingen einige Minuten der gespanntesten Erwartung vorüber. Siehe, da glänzte plötzlich ein freundliches Licht durch die Fenster einer friedlichen Wohnung dicht über ihnen auf sie herab, und nach dem ersten regungslosen Erstaunen begrüßten die Matrosen dessen Erscheinen mit einem jubelnden Hurrah! während die Andern mit Thränen der Freude einander in die Arme sanken. Die ganze Lage der Dinge war jetzt klar. Der Nachen ankerte neben einer bis zur halben Höhe von den Fluten bedeckten Werfte und ward durch dieselbe und die darauf stehende Wohnung vor dem Winde geschützt, während noch rings umher der Sturm in gleicher Stärke auf den Wellen tobte und scheinbar noch wilder brauste, indem die an der Werfte vorbei brandenden Wogen eine kleine Strecke hinter dem Boote gegen einander aufwirbelten. Das eine Ende des Seils, das Godber mit hinaufgenommen, hatte er schon an den Thürpfosten befestigt, zog daran das Fahrzeug so nahe wie möglich zu sich und bildete damit zugleich eine ausreichende Handhabe für die Aufsteigenden, so daß in wenigen Augenblicken sich alle in dem sichern Schutz des Hauses befanden.

Hier mit der gutmütigsten Gastfreiheit aufgenommen und mit dem geschäftigsten Eifer erquickt, gewannen sie Zeit, ihrem frohen Erretter den freudigsten Dank darzubringen, den die Matrosen mit einem warmen, festen Händedruck und einem: „Du bist ein braver Steuermann!“ kurz und bündig abmachten. Der alte Mander sagte ebenfalls nur wenige Worte und saß dann stumm und sinnend da. Oswald konnte nicht Redensarten genug finden, um seine Dankbarkeit auszusprechen, dabei war er lustig wie ein Kind, lachte und scherzte über die geliehenen Kleider, in die sie angethan waren, und die freilich nicht eben im Modeschnitt anpaßten, aber doch eine behagliche Wärme den Durchnäßten bereiteten. Idalia, die sich im Nebenzimmer umgekleidet, trat jetzt herein, und während Oswald sie jubelnd umfaßte und sich totlachen wollte über ihren Anzug, in welchem, wie er meinte, sie notwendig auf dem nächsten Maskenball in Hamburg Furore machen müsse, starrte Godber sie als eine Erscheinung an, die mit dem seligsten Entzücken alle seine Nerven durchbebte. Sie war eine Jungfrau seiner Heimat. Dies glattgescheitelte Haar, von der kleinen Haube nur ein wenig bedeckt, dieses grüne Mieder mit seinen kurzen Aermeln, dieses nachlässig in einen Knoten geschlungene Tuch von bunter Seide, dieser gestreifte Rock, der nicht so lang war, die blauen Strümpfe zu verbergen, dieser Anzug hatte die prunksüchtige Großstädterin zu einer bescheidenen Erbin seines Stammes umgeschaffen. Aber diese hohe, weiße Stirn, diese glänzend braunen sprechenden Augen, diese feinen Gesichtszüge und die zartgeröteten Lippen und Wangen, diese lieblich gerundeten Arme mit der kleinen zierlichen Hand: nein! sie war das himmlische Bild einer irdischen Tochter der Hallig. Er war noch verloren in ihrem Anblick, als Idalia sich endlich frei machte von den Spässen ihres Bruders und nun, von ihrem lebendigen Gefühl hingerissen, Alles um sich her vergessend, auf Godber zueilte, mit dem leidenschaftlichsten Ungestüm sich an seine Brust warf und ihn mit ihren Thränen und ihren Küssen bedeckte. Er war ihr ja nachgesprungen in die grausige Tiefe; er hatte durch seine kluge und kühne Führung sie und ihren Vater und Bruder gerettet! Wie konnte sie daran denken, daß die ungehemmte Aufwallung ihrer Dankbarkeit die Grenzen überschritt? Wie konnte sie, die nie gewohnt war, ihre Lebhaftigkeit nur aus Rücksichten auf Andere in das Geleis des Gewöhnlichen zu zwingen, in diesem Augenblick zurückhaltender sein, als das Gefühl ihres Herzens sprach? Einen Geist, wie der ihre war, der jeden Funken der Empfindung sogleich zur hellen Flamme anfachte, hatten die Stunden der Schrecknis auf die furchtbarste Höhe der Angst gesteigert, und so mußte ihn auch die Freude der Errettung Alles überwältigend fortreißen. In den süßesten Tönen, die kaum zu Worten wurden, und die sich in immer von Neuem wieder hervorbrechende Thränenströme auflösten, dankte sie Godber für ihr Leben; und so oft ein Gedanke ihr den Tod in den tobenden Fluthen wieder vormalte, dem sie entgangen, schauderte sie vor dem Schreckensbilde zusammen und klammerte sich fester um den Hals des Retters, als sollte er sie noch einmal aus der grauenvollen Tiefe ziehen. Und Godber — da stand der männlich schöne Jüngling mit bebendem Entzücken, wie Einer, dem plötzlich die Pforte eines neuen, nie geahnten, seligen Daseins aufgethan ist. Ach! der Hoffnungsstern der armen Maria war untergegangen in der Stunde, in welcher endlich ihr langersehnter Verlobter den heimischen Boden betrat.

IV.

Bringst Du zur Heimat wieder

Die alte Lieb’ und Treu’,

Dann laß Dich fröhlich nieder,

Es grüßt Dich Alles wieder

Mit alter Lieb’ und Treu’.

Am andern Morgen war der Himmel klar und heiter. Hinter dem Deiche des festen Landes tauchte eben die Morgensonne empor und warf neugierig ihr Strahlenauge über die Halligen hin, um nach den Verwüstungen der vergangenen Nacht zu sehen und zu fragen, ob noch Wesen übrig geblieben, die ihres Lichtes sich freuten. Das Meer floß still und friedlich in seiner gewohnten Bahn und schien den Menschen, in deren Ohr noch das Wogengebrause der letzten Stunden nachklang, lächelnd zu sagen: Ihr habt nur geträumt!

Godber, welcher trotz der Anstrengung, zu der ihn die im vorigen Kapitel beschriebenen Gefahren genötigt hatten, wenig Ruhe fand, trat vor die Thüre der freundlichen Wohnung. Die verschiedenartigsten Gefühle bestürmten sein Herz. Da lag vor ihm der Boden seiner Hallig, nach dem er an den blühenden Küsten Italiens, auf den reichen Fluren Hollands mit solchem Heimweh sich gesehnt; der Boden, auf dem er allein sich glücklich fühlen konnte, von dem sich jetzt wieder loszureißen ihm eine Unmöglichkeit gewesen wäre. Für diese Heimat hatte er in der Fremde gestrebt und gedarbt; der Gedanke an sie hatte ihn gespornt zur unermüdlichsten Thätigkeit, zum willigsten Gehorsam, zum ängstlichsten Eifer in Erfüllung aller seiner Pflichten; hatte ihn ferngehalten von allen Vergnügungen seines Standes, ihn rastlos gemahnt zum sparsamsten Haushalt. Jeder neue Beitrag zu seinem kleinen baaren Schatz, den er stets bei sich getragen und daher auch jetzt gerettet, war immer der Anfang eines lieben frohen Traumes von der Wiederkehr gewesen, dem er sich an solchen Tagen oft Stunden lang in der Einsamkeit hingegeben. Nur seine Begierde, sich zu unterrichten, sein Streben nach einer Bildung über seinen Stand hinaus, konnte ihn verführen, seinen Schatz zuweilen für diesen Zweck anzugreifen; aber er darbte dann auch nur desto sorglicher, um solche Ausgaben bald wieder zu ersetzen. Nun hatte er es erreicht. Dort stand seine väterliche Wohnung. Schauer des Entzückens rieselten durch sein Gebein; Thränen der Freude brannten auf seinen Wangen. Wer, selbst nicht Halligbewohner, diesen nackten Fleck, auf dem das spärliche Gras von der letzten Ueberschwemmung her noch in schlammigter Glätte niederlag, mit seinen tief ausgefurchten und zerlöcherten Werften angesehen und dazu noch der vergangenen Nacht gedacht hätte, die alle Lebendigen auf dieser Scholle im Meere dem Wellentode so nahe gebracht, der würde nie geahnet haben, daß diese Heimat des Jünglings Freudenthränen hervorgerufen. Aber Godber hatte um dieses Anblicks willen neun Jahre hindurch ein Leben voll Anstrengungen und Gefahren, voll Entbehrungen und Entsagungen ertragen; und hätte er zwanzig Jahre so geduldet und gelitten, ihn würde die Wiederkehr auf diese Flur damit nicht zu theuer erkauft dünken.

Und doch, ganz rein war seine Freude nicht. Er konnte sein Kniee nicht beugen vor dem Gott, der ihn gnädiglich behütet und heimgeführt zu dem Lande seiner Väter. Hätte er es doch gethan! Vielleicht würde er dann ganz sein altes Herz wiedergefunden haben. Es wären die eitlen Träume von ihm gewichen. Das Gelübde der Treue wäre der frommen Maria bewahrt und Idalia’s verführerisches Bild hätte seinen Zauber verloren.

In jedes Menschen Leben tauchen wohl solche Zauberbilder auf, die ihm die innere Klarheit trüben und den hellen Blick rauben für die nächste Pflicht; die, wenn sie nicht bloße Träume der Phantasie sind, sondern vielmehr durch außerordentliche Lagen und Verhältnisse hervorgerufen wurden, ihm als Bestimmungen seines Geschicks erscheinen. Sie gaukeln um seine Seele wie ladende Boten eines Genusses, von dem ihn nur kleinliche Rücksichten und Mangel an Selbstvertrauen bisher zurückhielten, und der ihm gewiß ist, wenn er es nur wagen will, sich in seiner Kraft zu erheben. Sie malen ihm eine Zukunft vor, gegen die Alles, was ihm ruhiges Beharren in dem gewöhnlichen Gleise, treues Festhalten früherer Grundsätze, williger Gehorsam unter dem seither dafür gehaltenen Gesetz Gottes zu bieten vermag, matt und farblos, ja seiner unwürdig vorkommt. Es ist ihm zu Mute wie Einem, der nur den Fuß vorwärts zu setzen braucht, um einer langen Knechtschaft zu entfliehen, um in ein Paradies einzutreten, dessen Pforte er nur zu lange schon sich selbst eigensinnig verschloß. Er fragt sich, warum er nicht die schwachen Riegel, Pflicht und Gewissen, ganz zurückschieben solle? Ja, es will ihn bedünken, als seien die Riegel nur ein Ammentraum, dem er entwachsen, oder als habe er jetzt erst in Wahrheit erkannt, was Pflicht und Gewissen eigentlich von ihm fordern. In solchen Zeiten hat der Mensch in sich selber Nichts, was ihm einen Halt geben oder zum Wegweiser dienen könnte. Er hat gleichsam den gewohnten Boden unter seinen Füßen verloren, auf dem er sonst mit Sicherheit auftrat; ihm ist das Ziel seines ganzen früheren Lebens verrückt und seine Gedanken und Empfindungen sind doch noch nicht heimisch geworden in der neuen Aussicht. Darum hat er keine andere Hülfe, als die von Oben kommt. Er richte sein Sinnen und Denken hinauf zu der festen Burg des klaren Rechtes; er hafte mit Blick und Herz an dem ewigen Worte des Richters der Lebendigen und der Toten; er lasse die Welt mit ihren Träumen einen Augenblick hinter sich und versenke mit voller Hingebung sich in das Anschauen Dessen, der die fromme Brust durch Seinen heiligen Geist zu einer Stätte der Gemeinschaft erwählet des Himmels und der Erden. Und dieser Geist wird ihm die Erleuchtung bringen, deren er bedarf. Die Nebelgestalten werden von ihm gewichen sein, wenn er wieder zurückschaut auf seinen Pfad. Er wird sie erkennen als Schatten einer im Hintergrunde lauernden Sünde und nun klar seinen Weg wissen und ihn mit Zuversicht wandeln.

Aber Godber betete nicht, und sein Auge und seine Seele verfinsterten sich, als sein Blick flüchtig auf Maria’s Wohnung hinstreifte. Es ergriff ihn ein Gefühl wie Gewissensangst; aber er scheute sich vor einer klaren Rechenschaft vor sich selbst und ward froh, als die Erinnerung an das im Sturm verlassene Wrack und die darauf gebliebenen Leute alle andern Gedanken verdrängte. Rasch wandte er seine forschenden Blicke nach dem westlichen Ende der Hallig und — da lag das Schiff gekentert nicht weit vom Strande. Er eilte geflügelten Schrittes darauf zu. Sein Weg aber führte ihn an Maria’s Wohnung vorüber, und es wurde ihm unheimlich um’s Herz, als er in die Nähe derselben kam; sein Blut flog rascher in den Adern und färbte seine Wangen röter. Er trat unwillkürlich leiser auf, als fürchtete er, die Verlobte mit dem Geräusch seiner Tritte aus einem Hoffnungstraume zu wecken und in die zu seiner Freude noch geschlossene Thür zu rufen. Wie er vorbei war, fiel ein Stein von seiner Brust, ohne daß er bedachte, wie wenig mit einer solchen kurzen Frist gewonnen sei. Jetzt fesselte wieder das Wrack seine ganze Aufmerksamkeit, und bald hatte er das Ufer erreicht. Doch vergebens strengte er seine Augen an, er sah keine menschliche Gestalt. Er watete so weit als möglich auf den Schlick hinaus, ließ sein schallendes „Halloh“ ertönen; Niemand antwortete. Stumm und unbeweglich lag der jetzt so formlose Bau vor ihm, den früher, als er noch in seiner Schöne mit entfalteten Schwingen die Wogen rauschend durchschnitt, laute und fröhliche Thätigkeit belebte. Godber mußte sich, nach wiederholten Versuchen, einen Gegenlaut hervorzurufen, von dem unglücklichen Schicksal seiner früheren Gefährten überzeugen. Es drängte sich ihm die Vorstellung auf, ob es ihm nicht besser gewesen wäre, in den Wellen, gleichwie sie, begraben worden zu sein, als mit dem Bewußtsein einer doppelten Untreue zu leben: gegen ein Schiff, dessen Steuer ihm anvertraut gewesen war, und das er, wie jeder Seemann das seine, gleich einer Braut geliebt hatte, und gegen die Verlobte seiner frühesten Jugend. Lange starrte er mit trübem Sinnen vor sich hin, bis beim Rückblick auf die Begebenheiten der vergangenen Nacht Idalia’s Bild vor ihn hintrat und alle seine Gedanken und Empfindungen allein auf sich zog. Es ergriff ihn eine unbeschreibliche Sehnsucht, sie wieder zu sehen. Er klagte sich an, ihren Morgengruß nicht erst erwartet zu haben und lenkte seine Schritte eilig zurück.

Achtlos wäre er an der Wohnung seiner Verlobten vorübergegangen, aber — da öffnete sich die Thür; Maria trat mit ihrem Wassereimer heraus. Ihr erster Blick fiel auf Godber. Rasch warf sie ihren Eimer hin, sprang die Werfte hinab, flog jubelnd auf ihn zu und mit einem freudigen „Godber, Godber, bist du da!“ ergriff sie seine Hand, die er ihr mechanisch entgegenstreckte. Hätte er sie an seine Brust gezogen, sie würde seinen Kuß ohne Ziererei empfangen und wiedergegeben haben. Daß er es nicht that, verstimmte sie aber keineswegs; denn an eine ruhigere Aeußerung der Liebe, als die größere Leidenschaftlichkeit der Bewohner des festen Landes in solchen Verhältnissen sie zuläßt, war die Tochter der Hallig gewöhnt. Wußte sie doch, daß er ihr treu geblieben sei; und wenn er es auch nicht geschrieben hätte, er war ja ein Sohn ihrer Heimat, auf der Untreue unter den in früher Kindheit schon Verlobten eben so unerhört ist, als unter Gatten.

„Wo kommst Du aber heute her? Wir erwarteten dich erst morgen von Husum; denn, nicht wahr? Du warst auf dem Schiff, das wir gestern in der Ferne ankern sahen? — Wo ist denn das Schiff geblieben?“ Mit diesen Worten sah sie nach der Ankerstelle, nach der sie gestern mit so sehnsüchtiger Hoffnung hingeblickt hatte.

„Da!“ sagte Godber und streckte seine Hand seitwärts aus nach dem Wrack.

„Herr Gott!“ schrie Maria auf und wäre nun fast an die Brust des Geliebten gesunken. „So kämpftest Du mit dem Tode, während ich so ruhig von Dir träumte! Wir hörten wenig vom Winde in der Vorderstube und meinten, der Sturm habe längst ausgetobt. Ich sagte es der Mutter wohl, daß wir ein Licht in die Hinterkammer setzen sollten; ich hätte gern dabei gewacht. Sie aber meinte, es könnte die in dieser Gegend fremden Schiffer irre machen und lachte mich aus, weil ich so gewiß wissen wollte, daß Du auf dem Schiffe seist. Und nun seid Ihr doch gestrandet! Ach! was hast Du wohl ausgestanden! und wie hätte ich geweint, wenn Du umgekommen wärest. Gewiß, ich wäre auch gestorben!“ und dabei deckte sie die Augen mit ihrer Schürze und weinte vor Angst und vor Freude.

Godber zitterte wie ein Verbrecher. Die Thränen des Mädchens fielen wie glühende Tropfen auf seine Seele. Einen Augenblick kehrte sein früheres volles Gefühl für sie wieder zurück. Er umfing sie mit seinen Armen, preßte sie heftig an sich, und als sie mit ihren blauen, feuchten Augen so voll Liebe zu ihm aufblickte, war Idalia’s Bild ganz aus seinem Herzen verschwunden. Aber Maria riß sich schnell von ihm los und rief:

„Armer Godber! wie zitterst Du! Komm doch geschwind in’s Haus. Der Thee soll gleich fertig sein. Wie die Mutter sich freuen wird, wenn Du vor ihr Bett trittst! Bist Du allein gerettet?“

Diese Frage führte Godber’s Gedanken schnell wieder zu Idalia hin. Er fiel wieder in seinen frühern Kaltsinn gegen Maria zurück und sprach hastig und in abgebrochenen Sätzen:

„Es sind noch Andere gerettet. — Leb’ wohl! — für jetzt! — Ich muß Bescheid bringen wegen des Schiffes.“

„Warte doch!“ entgegnete Maria. „Wo sind sie? Ich gehe mit Dir. Laß’ mich nur erst der Mutter Nachricht bringen.“

Damit sprang sie fröhlich die Werfte hinauf und kam in wenigen Augenblicken wieder zu Godber, der regungslos und in dumpfer Verzweiflung auf dem Flecke geblieben war.

Sie gingen nun mit einander. Er mit trüben Sinnen und einsilbigen Lippen; sie mit leuchtenden Augen und mit einer muntern, ihr sonst ganz ungewöhnlichen Geschwätzigkeit. Sie hatte ihm ja so Viel zu erzählen, wie sehr sie sich nach ihm gesehnt, wie sie bei allen Arbeiten seiner gedacht, wie fleißig sie gesponnen für die Aussteuer, und sie rechnete ihm dabei jedes einzelne Stück des künftigen Haushalts vor, das sie teils von der lieben Mutter mitbekomme, teils selbst verfertigt habe. Godber war zu Mute, als ob ein ängstlicher Traum ihn immer fester umwob und sein Herz einschnürte; sie aber erzählte weiter, wie sie so oft den lieben Gott gebeten, ihn glücklich heimzuführen; mit welcher Zuversicht sie auf die Erhörung ihres Gebetes vertraut; mit welcher Inbrunst sie nun dem Vater im Himmel danken wolle für Seine Güte und Barmherzigkeit, der aber nicht böse werden müsse, wenn sie jetzt vor lauter Fröhlichkeit noch nicht zu einem rechten vollen Dankgebet kommen könne. Wenn sie so mit kindlich frommer Herzlichkeit bald mit Gott sprach, bald mit Godber von dem ersten gemeinsamen Kirchgang, dann fiel es ihm wie Felsenlasten auf die Brust und wie Bleigewicht in seine Füße; er mußte still stehen und Atem schöpfen und seine Kniee drohten einzusinken. Maria bemerkte es; aber die wahre Ursache nicht ahnend, faßte sie ihn mit der zärtlichsten Besorgnis am Arm und schalt, daß er die Erquickung in ihrem Hause verschmäht. Er sei ja noch so angegriffen und es sei unverantwortlich, daß er sich nicht erst gehörig ausgeruht; aber:

„Warte nur,“ fügte sie hinzu, „nun sollst Du auch in den ersten vierzehn Tagen nicht vom bequemen Lehnstuhl aufstehen. Ich will Dich pflegen wie ein Schoßkind. In des seligen Vaters Schafpelz mit seiner wollenen Nachtmütze über den Ohren sollst Du wohl wieder warm werden.“

„Nein, es ist abscheulich, wie Du Deine Gesundheit durch Deine trotzige Weigerung, bei uns einzukehren, auf’s Spiel gesetzt hast!“ sagte sie im Ernst zürnend und halb weinend, als sie zu dem schmalen Balken kamen, der, über den dort noch 16 Fuß breiten Seearm gelegt, freilich nur einem auf solchem Schwindelpfad geübten Halligbewohner ein Steg heißen konnte, da er, um die Schafe zu hindern, nur die scharfe Kante dem Fuße darbot. Maria war wie im Tanze hinübergehüpft; Godber folgte ihr nur langsam und schwankend nach.

Als sie in das Haus eintraten, fanden sie Alle um den großen Tisch beim Frühstück, dessen ganzer Aufsatz freilich nur in Thee mit Schwarzbrot, Butter und Schafskäse bestand. Idalia trug noch die Kleidung der Hallig; doch hatte sie mit erfinderischem Sinn und geschmackvoller Auswahl dem Anzug, ohne Nachteil seiner Eigentümlichkeit, manchen ihm früher fehlenden gewinnenden Reiz gegeben. Ihr Haar, obwohl von der Stirn weggescheitelt, war doch nur in so weit unter die kleine Haube aufgebunden, daß noch mehrere Locken über die Schultern hinfielen. Sie hatte auch aus dem Schmuckkästchen der Familie, dessen reiche Fülle ihre Erwartungen bei weitem übertraf, die lange goldene Kette geborgt, die jetzt von ihrer Brust glänzte, als oben weit und nach unten zu immer kürzer geschnürtes Band das Mieder zusammenhaltend, nach der Weise, wie beim Brautputz solche Ketten auf den Halligen getragen werden. Die großen, ebenfalls goldenen Medaillons, die sonst wohl noch darüber hängen, hatte sie mit besserm Geschmack unbenutzt gelassen. Bei Godber’s Eintritt stand sie rasch auf und trat mit dem unwiderstehlichsten Liebreiz in allen ihren Zügen ihm entgegen, nicht mehr mit der Alles vergessenden Leidenschaftlichkeit von gestern, sondern mit einem Lächeln, in welchem das Bewußtsein sich auszudrücken schien, daß sie ihm gefallen müsse. Man würde aber Idalia Unrecht thun, wenn man ihr Benehmen gegen Godber als leere Gefallsucht auslegen wollte. Nein, ungewohnt, die Verhältnisse zu beachten, oder die Folgen zu bedenken, wo ihre Neigung sprach, gab sie sich auch jetzt ihrem Gefühle ganz hin; und dies Gefühl war mehr als Dankbarkeit gegen den Retter ihres Lebens, es war, wenn nicht volle, zu jeder Aufopferung fähige Liebe, doch eine Aufwallung von Liebe mit allen Ansprüchen, welche die wahre Liebe auf den geliebten Gegenstand macht. Sie wollte gefallen, um sich des Jünglings Herz zu gewinnen, für den so Viel in ihrem Herzen sprach; und fern war sie dem Gedanken, ihn nur als Sklaven ihrer Laune an den Triumphwagen ihrer Reize zu fesseln, obwohl ihr ganzes Benehmen von einer Absichtlichkeit geleitet wurde, zu welcher sonst nur eine Kokette und nie eine wahrhaft Liebende fähig ist. Godber hing mit stummem Entzücken an dem Anblick der lieblichen Erscheinung. Festgebannt auf der Stelle, wo er stand, sah er sie mit einem Blicke auf sich zuschweben, der alle Tiefen seiner Seele durchdrang. Wie sie nun seine Hand faßte, sie an ihre Brust drückte und mit schmelzenden Tönen und dem traulichen Du fragte: „Godber, mein Retter, wie konntest Du uns so früh verlassen ohne meinen Dank für den Morgen zu erwarten, den ich ohne Dich nie gesehen?“ Da wäre er fast ihr zu Füßen gesunken, und Idalia feierte den vollständigsten Sieg, der ihr, wie das zufriedene Lächeln um ihre Lippen verkündete, auch nicht unbemerkt blieb. An ihrer Seite mußte er sich niedersetzen, während Maria, scheu und verlegen und plötzlich verstummt in der Nähe der Fremden, ihr gegenüber kaum sich zu setzen wagte und nur halbe Blicke zu Idalia aufrichtete, deren zarte Schönheit und deren ihr wohl bekannte und doch wieder fremdartige Tracht ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie konnte sich eines unheimlichen Gefühls nicht erwehren, das mehr war, als bloße Befremdung über die ungewöhnliche Erscheinung und über das zutrauliche Benehmen der Fremden gegen Godber. Sie mußte unwillkürlich die bei weicher Fülle schlanken Formen und die blendenden Reize Idalia’s mit dem eignen, von der Sonne gebräunten Antlitz, den von anstrengender Arbeit zeugenden Armen und Händen und der gedrungenen, nur Rührigkeit und Gewandtheit versprechenden, aber keineswegs in stolzer Hoheit imponirenden Gestalt vergleichen. Sie, unter den Halligmädchen leicht die Schönste, stellte sich in ihrer Bescheidenheit tief unter die Fremde, tiefer wohl noch, als sie wirklich zu stehen verdiente. Was Godber’s kalte Erwiderung auf die Aeußerungen ihrer Freude beim Wiedersehen nicht zu wecken vermocht hatte, das drängte beim Anblick der Fremden sich ihr auf: Zweifel an des Verlobten Treue. Und nicht Idalia’s Benehmen gegen Godber war es allein, das solchen Stachel in ihr Herz drückte, sondern die Eifersucht der Liebe, die auch dem einfachsten Mädchen einen nicht leicht zu täuschenden Scharfblick leiht, wenn sie mit dem Geliebten in der Nähe eines andern weiblichen Wesens weilt, würde ihr, auch ohne die Zutraulichkeit der Fremden gegen den Jüngling, manche ihr unwillkommene Bemerkung aufgedrungen haben. Maria’s Herz sollte bald ganz gebrochen werden.

„Wer ist das liebe Mädchen?“ fragte Idalia mit dem freundlichsten Tone, der aber mit einem scharfen, forschenden Blicke auf Godber begleitet war, als wüßte sie schon, wie viel ihr an der Antwort gelegen sei.

Maria errötete tief, sah aber doch dabei mit einem gewissen Trotz zu der Fremden auf. Godber erglühte noch tiefer; sein Auge senkte sich zu Boden, und seine Stimme zitterte, als er erst nach einer Pause antwortete: Maria Nommens. — Er schien noch etwas hinzusetzen zu wollen, aber — er schwieg. Maria horchte noch eine tötliche Minute lang, aber — er schwieg. Da sank sie bleich in sich zusammen, preßte die Hand auf’s Herz, in welchem alle Pulse stockten, und sah und hörte nun nichts weiter. Daß er nicht hatte hinzusetzen können oder wollen: meine Braut! das war für sie genug zur Entscheidung ihres Geschicks. Mit diesem seinem Schweigen war das Glück ihres Lebens vernichtet. Sie wußte nun, daß sie ihn verloren. Idalia ahnete wohl etwas von den Verhältnissen. Ihr konnte die Bewegung Beider nicht entgehen; aber die Freude, Godber für sich gewonnen zu haben, überwog fast ganz ihr Mitleid mit der armen Maria. Auch Godber fühlte, wie er durch das Verschweigen seines Verhältnisses zu Maria schon Alles gesagt habe, und dachte gar nicht daran, wie ja möglicherweise sie gar keine Bedeutung auf dies Verstummen gelegt habe. Er wagte es nicht, aufzusehen und saß in der peinlichsten Unruhe da, woraus er erst durch die Frage Mander’s: „ob er nichts von dem Schiffe gesehen?“ zu seiner Freude gerissen wurde. Er erzählte nun, indem er aufsprang, mit einer Hast und mit einer Teilnahme, die mit seinem bisherigen Stillschweigen über diesen Gegenstand gar nicht zu vereinigen war, was er gesehen und wie die Zurückgebliebenen wohl ihren Tod in den Wellen gefunden hätten.

Alle beschlossen jetzt nach dem Wrack hinzuwandern. Maria folgte allein und langsam nach. Sie sah nur noch, wie an dem oben bezeichneten Steg Idalia vor dem Schwindel erregenden Uebergang zurückbebte und nach mehreren vergeblichen Versuchen, von Godbers Hand geführt, hinüberzugehen, zuletzt ihren Arm um seinen Nacken schlang, und so, von ihm getragen, das jenseitige Ufer erreichte. Nun flossen ihre Thränen ungehemmt. Sie dachte nicht mehr daran, den Andern zu folgen, sondern wankte, bei ihrer Wohnung angekommen, die Werfte hinauf und warf sich laut weinend auf ihren Sitz nieder.

Maria blieb mit ihrem Schmerz allein. Ihre Mutter hatte die Neugierde an den Strand geführt, wo schon fast alle Bewohner der Hallig versammelt waren.

Als Godber sich mit den Freunden dazu gesellte, wurden nach der ersten herzlichen Begrüßung des glücklich Wiedergekehrten Anstalten gemacht, ein Boot über den Schlick hinauszuziehen bis dahin, wo das Wasser tief genug ward, es mit seiner Bemannung zu tragen. Von dieser wurde das halb mit Wasser gefüllte Wrack bestiegen, und auf das Genaueste untersucht. Wie von lebenden Wesen fand man auch von Leichen keine Spur. Wahrscheinlich war beim Kentern des Schiffes der Kapitän mit seinen Leuten durch die Gewalt der Wogen vom Verdeck hinweggerissen, und es stand zu erwarten, daß in einer der nächsten Flutzeiten die Leichen ans Land getrieben werden würden. Einiges Wertvolle wurde sogleich mitgenommen, und Godber vergaß nicht, für Idalia eine Kiste mit Südfrüchten und einen Korb, worin ein paar Bouteillen süßen Weins verpackt waren, beizufügen. Die Bergung der übrigen Ladung, die größtenteils aus Fässern mit Wein und aus Citronenkisten bestand, wurde dadurch vorbereitet, daß mehrere Schiffsseile, um die Stümpfe der Masten und um andere Teile des Wracks geschlungen, mit dem andern Ende am Strande befestigt werden sollten.

Während die Zurückgekommenen Alles berichteten, wie sie Schiff und Ladung gefunden, und Mander, der Vater, dann mit den Leuten um den Berglohn sprach, worüber sie aber zu seiner Verwunderung jede eigentliche Unterhandlung verwarfen und Alles in seinen guten Willen stellten, wobei sie ihm ihre besten Dienste mit einer Herzlichkeit gelobten, die für die Aufrichtigkeit ihrer uneigennützigen Gesinnung sprach, hatte Idalia, mit Hülfe ihres nach einer, wie er sagte, menschlichen Erquickung begierigen Bruders, das Kästchen mit Apfelsinen und eine Flasche Wein geöffnet, aus welcher Oswald sogleich ein paar kräftige Züge that. Darauf schälte sie mit ihren weißen Fingern eine der süßen Früchte ab, teilte sie mit gewandter Kunsterfahrung in zwei Hälften und bot Godber mit dem freundlichsten Dank für seine Aufmerksamkeit die eine Hälfte. Lächelnd schlürfte auch sie dann aus der Flasche und reichte sie ihm mit der Bitte, den labenden Trunk nicht zu verschmähen, wenn er auch dadurch mit ihren Lippen mittelbar in Berührung käme. Des beglückten Jünglings Lippen waren wie festgebannt auf der Stelle, wo ihr Mund gesogen, und erst Idalias Frage: warum er nicht daran gedacht habe, lieber ihren Koffer mit ihren Kleidern mitzubringen? riß ihn aus seiner Begeisterung.

„Ach,“ sagte er, „ich möchte Sie nie in einer andern Kleidung sehen, als in dieser Kleidung meiner Heimat.“

Er errötete selbst vor dem Geständnis, das in diesen Worten lag; Auch Idalia’s Wangen färbten sich höher, und erst nach einer Pause erwiderte sie mit leiser Stimme, indem sie sich voll Anmut zu ihm neigte:

„Ich werde keine andere mehr tragen, so lange es Dir Freude macht. Aber Ihr seid auf diesem Eilande, wie ich glaube, Alle mit einander verwandt oder verschwägert, denn ich habe noch keine andere Anrede gehört, als das liebe Du. Nimmst Du mich nun als ein Mädchen Deiner Hallig an, warum denn mir allein das kalte Sie?“

Ueberraschung und Schauer des Entzückens verschlossen Godber den Mund. Eine Sekunde noch ruhte sein Auge fragend an ihrem Blick; doch der weiche Anhauch einer tiefern Empfindung lag zu deutlich in diesem freundlichen Lächeln, in dieser lieblichen Stimme. Er konnte nicht länger zweifeln an der Erfüllung seiner kühnsten Hoffnungen. Als jetzt die langen, seidnen Wimpern sich niedersenkten, um gleichsam das Auge zu strafen, weil es zu viel verkündet, als die enger angezogenen Lippen die Furcht, mehr zu sagen, und zugleich die Erwartung, wie das Gesagte aufgenommen würde, anzudeuten schienen, da riß es ihn allmächtig hin zu ihren Füßen. Sie aber scheute die Nebenstehenden, und schnell besonnen, obwohl überrascht durch die leidenschaftliche Bewegung des jungen Mannes, ergriff sie seine Hand, und mit einer leichten Wendung von ihm führte sie ihn in seine Schranken zurück. Wer aber konnte es dem Liebetrunkenen wehren, in ihren Händedruck, wie in den Blick, der diesen begleitete, ein antwortendes: „Dein!“ hineinzulegen? Sie rief nun ihren Vater herbei und forderte ihn auf, an der Labung Teil zu nehmen, mit welcher Alicante den Strand einer Hallig bedacht.

Wundern wir uns nicht, daß Idalia die volle Gewißheit ihres Sieges über das Herz des Jünglings, an dem sie schon auf dem Schiffe mit Wohlgefallen den Eindruck, welchen ihre Reize auf ihn machten, bemerkt hatte, so schnell und mit einem kaum jungfräulichen Entgegenkommen herbeiführte. Es lag ganz in ihrem Charakter, an jenem Hangen und Bangen der ahnenden Liebe keinen Geschmack zu finden. Sie wollte, was sie wünschte, rasch entschieden sehen, ohne das ihr langweilige Schweben zwischen Fürchten und Hoffen, und dazu drängte sie noch die wahrscheinliche Kürze ihres Aufenthalts auf der Hallig, wodurch sie fürchten mußte, nach wenigen Tagen vielleicht auf immer von Godber getrennt zu werden, den sie, so weit ihr selbstisches Gemüt lieben konnte, wirklich liebte! Auch war durch frühzeitige Romanlektüre jenes zarte, scheue Wesen längst abgestreift, das, gleichwie der weiche, duftige Schmelz auf dem Farbengewande der Blume, diese Farben mildert und dadurch verschönt, so den Empfindungen der Jungfrau jenen keuschen Sinn leiht, der mehr ist, als erlernter Anstand, der eben zu ihrem eigentümlichsten Sein gehört und ihr den höchsten Reiz giebt, dessen Nachäffung zur widerlichsten Ziererei wird.

Dieses schöne Erbteil, dieser nie wieder zu gewinnende Dufthauch der jungfräulichen Weiblichkeit geht wenigstens immer Euren Töchtern verloren, sorglose Eltern, die Ihr ihnen ohne Ausnahme fast Alles zu lesen verstattet, was die belletristische Literatur darbietet. Mit Euren Anstandsregeln, mit Euren Klugheitsvorschriften, mit Euren Ehrbegriffen könnt Ihr nur übertünchen, nicht jene Weihe der sich ihrer selbst unbewußten Unschuld wieder neu schaffen, welche das ganze Wesen und Thun wie mit einem Odem aus reineren himmlischen Gefilden beseelt und in welcher die Jungfrau an das Wort des Herrn von den Lilien erinnert: „Ich sage Euch, daß auch Salomon in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen, als derselben eine.“ Mit dem Verlust dieser Mitgabe für’s Leben ist aber nicht allein jene Lieblichkeit verloren, die durch keine noch so blendende Schönheit, von keiner noch so glänzenden Bildung ersetzt werden kann; es ist auch damit zugleich jeder wüsten Leidenschaft ein freier Eingang geöffnet, wodurch so leicht ein Betragen hervorgerufen wird, das aller Eurer guten Lehren spottet und Euer graues Haar mit Schanden in die Grube bringt. Ihr pfleget Eure Blumen und bewahret sie sorgsam vor dem Nachthauch und dem scharfen Mittagsstrahl, und Eure Töchter setzet Ihr durch Romanlektüre in eine Welt hinaus, in welcher die schwüle Stickluft lüsterner Begierden und der helle Brand wilder Leidenschaften fast allein das bewegende Triebrad sind, und welche um so gefährlicher ist, weil sie durch ihre reizende Hülle gefällt und der Phantasie noch immer eine weitere Ausmalung übrig läßt. Die Religion, die allein noch wehren könnte, ist dabei zu einer Blumenkönigin umgewandelt, die, mit heitern Kränzen geschmückt, dem frivolen Spiel freundlich zusieht und nur Liebe, Güte, Milde, Duldung und Nachsicht atmet.

Das Auge der Jungfrau, wie auch des Weibes, sollte überhaupt weniger aufgetan sein für den großen Markt der Leidenschaften in der Welt; sie sollten mehr in harmloser Unbekanntschaft mit dem Irren und Wirren der Menschheit ein ungetrübtes Gefühl für alles Wahre, Gute und Schöne sich in einem stillen, frommen Gemüt bewahren, ohne erst, wie der Mann, sich in scharfem Unterscheiden und Zerlegen zu üben, und im besten Falle mit langsam verharrschenden Narben aus dem Kampfe zurückzukehren. Ihre ganze bescheidene Stellung in der Welt, ihre feinere Körperbildung und ihr ihnen angebornes, zarteres Gefühl, wodurch sie mehr der vor jeder leisen Berührung erbebenden Sinnpflanze, als dem in Stürmen aufwachsenden Baum mit harter Rinde zu gleichen bestimmt sind, weisen sie auf ein Stillleben hin. Dagegen führt, wenn nicht die Wirklichkeit, doch ihre jetzt gewöhnliche Lektüre sie in ein Gebiet, das ihnen besser verschlossen geblieben wäre, und sie werden in Lagen versetzt, die, wenn sie auch nur erträumt sind, dennoch eine glückliche Binde von ihren Augen nehmen, sie zur Unzufriedenheit mit ihrem Loose führen, und eine Frucht der Erkenntnis geben, wie die der Eva nach dem Sündenfalle, wodurch ein Paradies verloren ging.

Fern sei es, bei der Bildung des weiblichen Geschlechts nur an den Herd und die Wiege zu denken; aber gewiß ist jede Bildung desselben, die den Herd und die Wiege unleidlich macht, eine verkehrte. Fern sei jene Oberflächlichkeit, welche nur die Versuche zu schimmern nährt; aber doch möge ihr Geist mehr an den Resultaten der Wissenschaft reifen, als daß er in die Tiefen aller Gründe und Beweise sich verliere. Fern sei jenes Weben und Schweben in bloßen Gefühlen ohne Halt und Kraft; aber doch gehe das feinfühlende Herz dem überlegenden Verstande voran und merke das Falsche und Sündliche eher, als jener es durchschaut, habe den Willen schon dem Wahren, Guten und Schönen zugelenkt, während jener noch das Für und Wider abzuwägen nicht fertig ist. Und über dieser Bildung schwebe, sie mit ihrem milden Lichte durchdringend und verklärend, die Religion als die himmlische Jungfrau, um welche die Ahnung einen duftigen Rosenschleier webt, dessen geheimnisvoller Zauber nicht zur Enthüllung entflammt, sondern nur eine heilige Sehnsucht und Liebe nährt. Nur dem Manne mag, dem Weibe sollte nie die Religion als Theologie erscheinen, als jene strahlende Königin, die ihres Thrones Stufen von den Trümmern des Aberglaubens, Unglaubens und der Zweifelsucht erbaut.

V.

So güterreich,

Und doch so arm;

So künstlich heiß,

Und doch nicht warm;

So überfein,

Und doch so roh;

Genuß und Spiel,

Und nimmer froh;

Nur Glanz und Pracht,

Kein Morgenrot:

Fehlt da zum Schluß

Denn noch der Tod?

Zu den am Strande Versammelten hatte sich nun auch der Pastor Hold eingefunden, welcher Godber, den er, obwol erst seit einigen Jahren auf der Hallig angestellt, doch schon aus Maria’s Erzählungen kannte, freundlich begrüßte.

Da das Haus, welches die Fremden zuerst aufgenommen, nicht geräumig genug war, sie auch ferner zu beherbergen, erboten sich Hold und Andere der Gemeinde zur gastfreundlichen Aufnahme, wobei aber, aus demselben Mangel an Raum, eine Trennung vorausgesetzt werden mußte. Als nun Godber mit dem Vorschlage hervortrat, seine väterliche Wohnung, die ja ganz unbesetzt sei, mit den notwendigsten Möbeln und Geräten für Alle einzurichten, wie denn auch sein leerer Schafstall den besten Raum für die zu bergende Ladung darböte und die Anwesenden auf das Bereitwilligste ihren Beitrag zu dieser Einrichtung versprachen, entschied sich Idalia sogleich für die Annahme. Sie sprach unter fröhlichem Händeklatschen laut ihren Jubel darüber aus, dort als regierende Hausfrau zu schalten, und malte ihre Phantasie jenes häusliche Walten ihr zu dem lieblichsten idyllischen Bilde aus. Mander fand es aber passend, eine ältere und erfahrenere Martha um ihre Mithülfe zu bitten. So zogen denn Mander und Oswald, Godber und Idalia, nebst einer bejahrten und verständigen Frau von der Hallig, in Godbers Wohnung ein und die Andern verfügten sich nach ihren verschiedenen Häusern, um dort das Notwendigste für die ersten Bedürfnisse der fremden Familie auszuwählen.

Für diesen Tag war Idalia vollauf beschäftigt, um, so weit es die Umstände erlaubten und die empfangenen Sachen es zuließen, Alles auf das Zierlichste und Freundlichste einzurichten. Wol zehnmal mußte hier ein Stuhl anders angesetzt, dort ein Tisch anderswohin gerückt werden, und es gehörte der ganze geduldige Gehorsam einer Halligbewohnerin dazu, um ihrer Gefährtin bei diesen derselben ganz zwecklos scheinenden Veränderungen nicht den übernommenen Dienst zu verleiden. Godber lächelte innig vergnügt über diese Geschäftigkeit, und putzte nach Idalia’s einander drängenden Anordnungen an der Reinigung und Ausschmückung der Stuben mit, als gelte es, die Kajüte des Kapitäns für den Empfang vornehmer Gäste zu bereiten. Mander selbst freute sich über dieses früher nie bemerkte Wolgefallen seiner Tochter an solchem Treiben. Nur Oswald bemerkte spottend, wie gut es sei, daß der Mittagstisch heute vom Pastorate aus bestellt würde, und verglich seine Schwester mit dem Vetter Fritz, der, als man ihm bei einem Diesput vorwarf: „Sie werden ja immer confuser!“ rasch antwortete: „Nein, ich ordne nur meine Gedanken!“

Es möchte hier Zeit sein, einen nähern Blick auf des jungen Mander’s Charakter zu werfen. Zeigte er sich bisher nur als einen jener faden und ärmlichen Menschen, auf die allein die sinnliche Seite des Lebens Einfluß hat, und die der Erhebung über die Welt des Genusses nicht fähig sind, so hat er sich damit nicht so ganz dargestellt, daß unser Urteil über ihn nun als ausgemachte Wahrheit feststände. Vielmehr, obwol beinahe zwei Jahre jünger als seine dreiundzwanzigjährige Schwester, war doch auch sein Benehmen nicht mehr der offene Spiegel seines Herzens, sondern wie sie Berechnung und Gefühl also verschmolz, daß auch der erfahrenste Menschenkenner oft schwer hätte unterscheiden können, wodurch ihr Betragen bestimmt und geleitet wurde, gleichwie ihr selbst jene Unterscheidung nicht leicht möglich gewesen wäre, so vereinte sich bei ihm ein Herz, fähig der wärmsten Empfindung für alles wahrhaft Große und Schöne, mit der fast ausschließlichen Richtung seines Lebens auf das sinnliche Gefallen und körperliche Behagen. Es war nicht etwa eine blose Maske, die er vornahm, wenn er sich so aussprach und so handelte, als ob er nichts Höheres kenne über des Leibes Wolsein und der Sinne Ergötzung hinaus; nein, er gehörte zu dem Schwarm junger Großstädter, die es Lebensphilosophie nennen, alle ernster anschlagenden Saiten des Herzens in den frivolen Ton einer Brust umzustimmen, in welcher nur Gedanken an Theater, Schmausereien, Trinkgelage, Bälle und Liebschaften Raum haben. Er war noch zu jung, als daß jene Philosophie, die Ausgeburt eines gefallenen Geistes, der das Gemälde seiner Erniedrigung übertünchen und die Stimme des Gewissens übertäuben wollte, dadurch, daß er für seine Tierheit den Namen System mißbrauchte, in ihm so feste Wurzel gefaßt haben sollte, um alle Keime des wahren Lebens zu überwuchern und zu ersticken. Er war aber doch ein zu gelehriger Jünger zu den Füßen dieser Seelenverkäuferin gewesen, um sich nicht selbst zu überreden, daß er ganz das sei, wofür er sich gab, um wenigstens nicht vor Andern das Ansehen behaupten zu können, ein Meister in der Kunst der Erbärmlichkeit zu sein. Natürlich mußten Stunden im Leben, wie die auf der stürmenden See, ihm seine Blöße zeigen; aber eben darum bemühte er sich nur desto mehr, sie aus seinem Gedächtnis zu tilgen und den Eindruck, den in solchen Momenten die traurige Gestalt seiner sogenannten Weltansicht auf ihn und Andere gemacht haben könnte, durch eine schnelle Rückkehr in das alte Geleis zu verwischen, so sehr auch die mahnende Stimme des gewaltsam erweckten besseren Sinnes gegen ein solches Benehmen sprach. Daher war auch sein Lachen und Scherzen gleich nach der Errettung aus dem drohendsten Untergang mehr eine widernatürliche Anspannung seiner Kräfte gegen sich selbst, als, wie er sich und Andere überreden mochte, ein Zeugnis seines leichten Sinnes.

Es gehört die Stimme eines Propheten dazu, um die Nachtwandler zu wecken, die auf dem Pfade fortgehen, den Oswald betreten, diese Damen und Herren, denen im Besitz und Genuß aller Güter des Lebens nur Eines fehlt, das Leben selber. Aber nirgends deutlicher als an ihnen zeigt sich die Wahrheit des Wortes Christi: „wer nicht glaubet, ist schon gerichtet!“ Die ganze fade Armseligkeit ihres Daseins mitten in der Fülle ist ihr Gericht. Gleich einer Verwünschung wirkt schon die Zeichnung eines ihrer „himmlischen“ Tage auf das Gemüt. Diese stundenlange Toilette mit allen ihren jämmerlichen Künsten und dabei das Entzücken über eine wolgelungene Schleife, über die Zier eines neumodischen Kleides, dieser letzte triumphierende Blick in den Spiegel, dieser Wonnegedanke, so Bewunderung zu ernten. Nur ein paar Besuche gegeben oder angenommen, Gespräche in nichtsmeinenden und nichtssagenden Formeln sich bewegend, oder an der ersten Melone, an der neuesten Oper, an dem letzten Ball mit einer Zähigkeit haftend, als ob man sich es bewußt wäre, daß darüber hinaus aller Gedankenvorrat erschöpft sei. Glücklich, wenn eine Stadtneuigkeit, ein eben herausgekommener Roman, oder ein Körnchen Medisance, das schnell auf fruchtbarem Boden fortwuchert, von der Verstandesmarter, unterhaltend zu sein, erlösen und das Lob eines interessanten Gesprächs auf die Sprecher zurückspiegeln. Nun die Tafel mit ihren Leckerbissen und feinen Weinen. Eine gute Gelegenheit, von zarter Constitution, Krieg und Frieden, Hungersnot und Cholera, Volksaufständen und Militärparaden in demselben Gemenge zu reden, in welchem die Kunst des Koches vorliegt. Dann das Concert, wo die schmelzendsten Töne den Weg nicht zum Herzen, sondern nur zu der zahlenden und klatschenden Hand suchen, oder das Theater, wo Thekla auf die Geisterstimme des Souffleurs lauscht und der ermordete Wallenstein auf die Danksagung gegen das hervorrufende Publikum denkt, während dieses allvergessend von Loge zu Loge kokettirt. Oder der Ball, der, den Staub einer schwindsüchtigen Gallopade aufwirbelnd, noch das letzte Fünkchen Leidenschaft in der hohlen Brust anfacht, um das künstlich erregte Blut mit dem künstlichen Eise wieder zu dämpfen. Und dieses Leben, dessen schmutzige Orgien, so wol sie sich mit der feinen Glätte und Zierlichkeit jener Menschen vertragen, wir nicht aufdecken wollen, sollte nicht mitleidenswert sein? Sollte nicht in seiner Flachheit und Fadheit eine Jammergestalt darstellen, gegen die der frechste und roheste Uebertreter aller göttlichen und menschlichen Gesetze noch ein Mensch ist? Er ist doch noch ein Wesen, das Etwas ist, und darum kann er auch noch inne werden den Richter der Lebendigen und der Toten und umkehren von seinem Wege. Auf jener Flachheit gefriert aber der Thau vom Himmel wie auf dem Spiegel des Eises. In jener Fadheit wird jedes Mannakorn aus den Wolken zu geschmackloser Spreu. Wo eine Kraft wirken soll, da muß auch eine Kraft sein, auf die sie wirken kann, sonst geht ihre Wirkung in leere Winde. Wie soll man aber jene mit Dunst erfüllten Totengerippe fassen? Sie thun den Mund auf und nennen ihre Dunstblasen feine Bildung; sie gehen ihren Weg hin und atmen sich ihre Leichengerüche zu als Nahrung für Geist und Herz. Tritt ihnen das Leben entgegen, so wenden sie sich verächtlich ab, als hätten sie Moder und Verwesung gesehen. Ihre Armseligkeit ist ihnen Reichtum, ihre Erniedrigung Hoheit, ihr Unsinn Weisheit, ihre Verdammnis Seligkeit.

So sind sie, wenn auch für den nur obenhin Schauenden mit lieblicher Schale doch durch und durch eine faule Frucht, die, abgefallen vom Baume des Lebens, im Staube liegt, und sich freuet dieses Staubes, ohne Sehnsucht wieder hinauf zu der grünen, frischen Krone.

Hold mochte, als er später den jungen Mander näher kennen lernte und sich die eigenen in großstädtischen Kreisen gemachten Erfahrungen vergegenwärtigte, manches dem hier Ausgesprochenen Aehnliche gedacht haben. Denn wir finden in einer Handschrift von ihm, der er den etwas auffallenden Titel: „Gesichte“ gegeben hat, und woraus wir vielleicht noch einige Mitteilungen vorlegen werden, aus jener Zeit unter Anderem auch folgendes Gesicht:

Ich sah ein kleines Mädchen mit allen Zügen des Hungers auf den bleichen eingefallenen Wangen und mit der Blöße der tiefsten Armut angetan, am Wege sitzen. Ihr Alter mochte zehn bis zwölf Jahre sein, aber ihr Körper war klein und schlaff, wie das kränkelnde Gewächs eines Treibhauses. — Und ein Weib, reinlich aber ärmlich gekleidet, am Busen einen lächelnden Säugling und an der Hand einen hüpfenden Knaben. Ein Korb hing an ihrem Arm. Ihr eilender Schritt stockte an der Seite des Mädchens am Wege; sie ließ die Hand des Knaben fahren und blickte auf ihren Korb. Aber sie ging vorüber und schritt über einen Steg auf das Feld zu einem arbeitenden Manne. Der wischte sich mit dem nervigen Arm den Schweiß von der Stirne und nahm das schwarze Brod aus dem Korbe, während der Knabe für ihn die Flasche aus der nahen Quelle füllte. Da sah das Mädchen am Wege hinüber nach dem Brote, und der Mann brach es in zwei Hälften und trat hin und gab der Hungrigen die eine Hälfte. Sie dankte ihm mit der Begierde, mit welcher sie die Gabe an ihren Mund brachte. Da glitt der Blick des Mannes noch einmal über die ganze Gestalt hin und er legte nun auch die andere Hälfte des Brotes in ihren Schooß. Das Mädchen vergaß ihren Hunger und blickte ihm staunend nach, wie er über den Graben zurückschritt. Sein Weib aber strich mit der Hand über die Augen, als weinte sie, und wischte dann mit ihrer Schürze sorgsam den Schweiß von seiner Stirne, und es schien mir auch, daß sie ihn küßte. Da setzte er sich mit ihr nieder in den Schatten eines Dornbusches, und neben ihnen stand der leere Korb. Sie aber spielten mit dem lächelnden Säugling. Eine Karosse fuhr unterdessen vorüber auf dem Wege, und die darinnen wandten ihre Augen weg von den Menschen zur Rechten, und ich hörte nur noch den Theaterbericht des Herrn, der zur Linken ritt: Ach! das dumme Stück: die Waise.

Da dachte ich: „sie sind schon gerichtet!“

Weiter ging ich und sah nur noch, wie der Mann im Felde freundlich nickte, als ich dem armen Mädchen, schamrot über die geringe Gabe, zwei Silberstücke gab. Wie viel mehr hatte er gegeben! — Immer schöner entfaltete sich die Gegend vor meinem Blicke. Wie ein Garten Gottes lag sie da, gekleidet in Seiner Schöne, erfüllt mit dem Reichtum Seiner Herrlichkeit, träufelnd von dem Segen Seiner Güte und duftend in dem Odem Seiner Allgegenwart. Dort der Saum schützender Gebirge, deren freie Gipfel aus der Tannenwaldung sich erhoben, hier das weiche Grün kräuterreicher Weiden, auf denen die gesättigte Kuh ihre breiten Glieder in den Klee streckte, während das mutige Roß im geflügelten Lauf seine Kräfte übte. Tiefer hinab der schlängelnde Strom, dem fremden Segler nach den Gefahren des Oceans eine willkommene Straße und dem Fischer am Ufer eine Quelle genügsamen Reichtums. Weiter ging ich, doch nur bis zu der breitästigen, dichtbelaubten Eiche am grünen Hügel. Da drang es, wie eine Stimme aus der Höhe überwältigend in mein Herz: „Sehet und schmecket, wie freundlich der Herr ist!“ Mein Fuß hatte in diesem Tempel Gottes den Altar gefunden, an welchem Keiner vorübergehen kann, ohne ein Opfer der Bewunderung und des Dankes gegen Den, dessen Werke so groß und so viel, der sie alle weislich geordnet und die Erde erfüllet mit Seinen Gütern! Und es dauerte lange, ehe ich, froh und verklärt, wie Einer, dessen Glaube zum Schauen geworden ist, dem Hause am Fuße des Hügels mich nahte. Mit seinen roten Ziegeln ragte es weit über die schattenlose Anpflanzung ausländischer Sträucher hervor, und in seiner Größe verdeckte es fast ganz das dahinterliegende Dorf. Die Inschrift: „Zum ländlichen Vergnügen,“ prangte in goldenen Buchstaben über der Thür. Auf dem Vorhofe hielten mehrere Karossen, und reichbordirte Livreebediente zechten und lärmten auf der nahen Kegelbahn. Die Gäste drinnen aber vergnügten sich mit lautem Geräusch am Billard, und als ich ein stilles Nebenzimmer suchte, trafen mich die finstern Blicke gestörter Kartenspieler. Vor ihrem unfreundlichen Murren flüchtete ich in eine andere Stube. Hier aber saßen viele Herren und Damen und blätterten in Journalen und Modezeitungen, bis die Abbildung eines Pariser Maskenanzuges alle Blicke auf sich zog, und allerlei sehnsüchtige Ausrufungen und witzige Bemerkungen hervorriefen. Doch störten diese die eine junge Dame nicht, die selbstgefällig eine Arie aus Fra Diavolo am Fortepiano mit heller Stimme sang. Wie sie aber aufstand, drängte sich Alles an sie heran, ihrem entzückenden Gesange und kunstreichen Spiele zu huldigen.

Da kam mir der Garten Gottes rings um dies „ländliche Vergnügen“ her in den Sinn, und ich dachte: „sie sind schon gerichtet!“

Plötzlich rief eine Stimme aus dem Fenster: „Singe Du uns auch einmal etwas vor!“ und als Alle nun sich dahin wandten, blickte auch ich mit auf die Straße. Da stand das Mädchen vom Wege. Sie hatte auf den Gesang gehorcht und wollte sich eben scheu wegschleichen, erschreckt über die Aufmerksamkeit, die sie erregte. Doch der eine Herr zeigte ihr eine Silbermünze und befahl ihr zu bleiben und zu singen; während der Reiter, den ich vom Wege her wieder unter den Gästen erkannte, mit finsteren Augenbrauen und drohender Stimme ihr zurief: „Pack’ Dich, Dirne!“ „Nein, sie soll singen!“ forderten die Uebrigen. Der Reiter aber warf einen Thaler vor sie hin auf die Straße und schrie noch einmal: „Weg mit Dir!“ Da riefen die Andern einen Diener, der ihr den Weg versperren mußte, und wollten sich den köstlichen Spaß nicht nehmen lassen, den Knittelvers irgend eines Gassenliedes von den Lippen der zagenden Unschuld zu hören. „Ich kann nicht singen,“ stammelte ängstlich die Kleine. „So sag’ uns ein Lied her, das Du weißt! Eher darfst Du keinen Finger nach dem Thaler ausstrecken.“ Das Mädchen blickte nach dem Gelde, das zu ihren Füßen lag, dann nach dem Reiter, der sich aber mürrisch vom Fenster weggezogen hatte, und begann endlich mit zitternder Stimme:

Wer nur den lieben Gott läßt walten

Und glaubensvoll — —

Aber bei dem schallenden Gelächter, das diese Worte hervorriefen, schreckte das arme Mädchen zusammen; in ihre Wangen schoß die volle Glut der Scham auf, und wie ein gejagtes Reh floh sie über die Straße hinweg. Den Thaler nahm der Diener zu sich und eilte der Schenkstube wieder zu. Die aber drinnen flehten nach diesem Intermezzo bei der Kunstbegabten um eine Arie aus: Robert der Teufel.

Da dachte ich: „sie sind schon gerichtet!“

Zu eng ward mir es in diesem Hause; und ich wandte meine Schritte auf die Straße durch’s Dorf entlang. In der Nähe einer der letzten Hütten gellten die scheltenden Worte: „Du Bastard, komm mir nicht wieder unter die Augen!“ und eine alte, erboste Bäurin stieß die Kleine vom Wege aus ihrer Thür. Die aber setzte sich auf einen Stein und weinte bitterlich. Ich trat hinzu und suchte sie zu trösten, und fragte dann, ob sie von ihren Eltern das Lied gelernt, das sie vorhin hatte aufsagen wollen. „Von meinen Eltern?“ und dabei blickte sie mich verwundert an; „die Mutter schilt nur immer mit mir. Dem blinden Nachbar habe ich es an der Thür abgehorcht, der singt es alle Abend.“ — „So versprich mir, jeden Tag einen Vers aus diesem Liede für dich herzusagen, bis Du groß bist.“ Sie gab dieses Versprechen gern und weinte nicht mehr. „Hier ist auch der Thaler,“ fuhr ich fort, „als Lohn für dein Aufsagen am Fenster.“ Die Kleine griff hastig nach dem Gelde. „Dank, Dank!“ rief sie, „nun kann ich der Mutter eine Decke kaufen.“ Da erfuhr ich, ihre Mutter sei schwer erkrankt und sie ausgesandt, die Großmutter im Dorfe um eine warme. Decke zu bitten. „Nun kann ich eine Decke kaufen!“ mit diesen Worten blickte sie halb trotzig nach der Hütte ihrer Großmutter auf, die sie eben ausgestoßen. Da sah sie die Alte am Fenster und eilte freudig allen Zwist vergessend auf sie zu, in der hochgeschwungenen Hand ihr den Thaler entgegen haltend. Und diese Freude, wem galt sie? Der Mutter, die immer nur schalt! — „Hör’, Kleine!“ rief ich ihr nach. Und ich fragte: „Hast Du nie Deinen Vater gekannt?“ Das Mädchen blickte schüchtern um sich her, als drohe ihr eine Gefahr; dann neigte sie sich näher zu mir hin und flüsterte leise: „Vater ist reich und vornehm, aber ich darf ihn nicht Vater nennen;“ und noch leiser und mit einer Hastigkeit, als fürchte sie sich vor ihren eigenen Worten, fügte sie hinzu: „Der war’s, der mir den Thaler zuwarf.“

Da dachte ich: „sie sind schon gerichtet!“

VI.

Der Geist mag sich im Werk verkünden,

Das schöpferisch er Dir enthüllt,

Die Macht kann sich ein Zeugnis gründen,

Das mit Bewundrung Dich erfüllt.

Willst Du nach einem Herzen fragen,

Dem Deine Thräne nicht zu klein:

Da muß das Herz an Deinem schlagen,

Muß mit Dir dulden, mit Dir tragen,

Da muß Dein Gott Dir Christus sein.

Am Nachmittag nach eingetretener Ebbe begannen die Versuche zur Bergung der Güter aus dem Schiffe, wobei Mander und Oswald mit beschäftigt waren, Godber aber nicht, indem Idalia rund heraus erklärte, daß sie seine Hülfe nicht entbehren könne, wenn die Herren eine ruhige Nacht wünschten.

Hold war zu Maria’s Wohnung gegangen, um ihr seinen Glückwunsch zu der Wiederkehr ihres Verlobten zu bringen. Wie ganz anders traf er es da, als er erwartet hatte. Maria in Thränen schwimmend, ihre Mutter ängstlich um sie her trippelnd, und bald schmeichelnd tröstend, bald eifrig darein redend von Unverstand und Wunderlichkeit.

„Gott Lob!“ rief diese, als sie Hold erblickte, „Gott Lob! Herr Pastor, daß Sie kommen! Ich weiß nichts mehr mit dem Mädchen anzufangen. Da kommt sie diesen Morgen, deckenhoch springend, vor mein Bett gejubelt: Godber ist da! daß ich alte Frau noch den Schreck in allen Gliedern fühle, und nun sitzt sie, seit ich vom Strande zurückgekommen bin, bis jetzt laut weinend und schluchzend auf diesem Flecke, weil sie sich einbildet, die fremde Stadtdame, die wunderlich genug aussieht in unserer Tracht, habe mit ihren langen Locken ihm den Kopf verrückt. Als ob so ein schiffbrüchiges Milchgesicht das hübscheste und fleißigste Mädchen in der ganzen Hallig so mir nichts dir nichts bei ihrem Verlobten ausstechen könnte.“

Und nun erzählte sie, immer dazwischen wieder sich zu der jammernden Maria wendend, Alles was sie von der Armen nach und nach, obwohl ohne rechten Zusammenhang, erforscht hatte, und das freilich in ihrem Munde und mit den mildernden Deutungen, die sie dem Benehmen Godber’s unterlegte, nicht geeignet war, den Pastor von der Untreue desselben zu überzeugen. Doch war er auch zu sehr davon überrascht und ergriffen, ein Herz trostbedürftig zu finden, dessen Jubel er zu einem freudigen Dankgebet hatte leiten wollen, als daß er nicht mit mehr Ernst, denn sonst wohl, in Maria’s Vorstellungen eingegangen wäre. Er glaubte zugleich zu ihrer Beruhigung besser wirken zu können, wenn er ihrem aufgeregten Gefühle keinen Widerspruch entgegensetzte, und sagte daher:

„Wir wollen einmal annehmen, liebe Maria, daß Deine Liebe zu Godber nicht mehr in seinem Betragen erblickte, als darin lag, daß die natürliche Teilnahme, die er für die durch ihn Gerettete haben muß, weiter geht, als Du wünschen kannst, wird er nicht, wenn der erste lebhafte Eindruck vorüber ist, zu der Treue zurückkehren, die er Dir gelobte? Wird er nicht bald sein Herz wiederfinden, das, wie Du aus seinen Briefen weißt, neun Jahre in der Ferne nur allein für Dich schlug, obwohl ihm gewiß schon manche reizendere Gestalt als diese Fremde entgegentrat?“

Maria schüttelte schweigend den Kopf.

„Wenn auch,“ fuhr Hold fort, „in diesem Augenblick die Zuneigung der jungen Stadtdame für Godber vielleicht über die Grenzen der Freundschaft und Dankbarkeit hinausgeht, ist damit schon eine ernsthafte Liebe gewiß? Willst Du von ihr verlangen, daß sie, aus der drohendsten Todesgefahr durch ihn gerettet, sogleich ihre Gefühle auf das Maß beschränke, das sie in der Zukunft bewahren müssen und werden? Diese lockende Sprache und dies verführerische Benehmen, wodurch sie Dir jetzt so viel Weh bereitet, werden sich früh genug zu einem freundlichen Dank, zu einer besonnenen Berücksichtigung der Verhältnisse zurecht finden, und Godber wird, vorausgesetzt, daß Du sein Betragen an diesem Morgen recht beurteilst, gar bald sich als das thörichte Gängelkind einer flüchtigen Aufregung erkennen.“

Maria antwortete noch immer nicht.

„Aber was reden wir weiter davon,“ schloß des Tröstenden Zuspruch; „ist denn Dein Glaube an Godber’s Liebe nicht fester, als daß ein Augenblick ihn erschüttern kann? Ist Euer Bund nicht geschlossen unter dem Aufschauen auf Den, der die Herzen der Menschen lenket wie Wasserbäche? Und sollte der Gott, der ihn nach neun Jahren aus jeglicher Gefahr zu Dir heimgeführt, nun nicht auch ferner wachen, fördern und helfen zu einem glücklichen Ende? Gieb Deine Zukunft hin in des Herrn Hand; Er wird’s wohl machen nach Seinem weisen und gütigen Rat und Willen! Befiehl Ihm Deine Wege. Er ließ noch Keinen ohne Trost und Hoffen, der ihm vertraute.“

„Amen!“ sagte die Mutter, die ihre Hände andächtig gefaltet hatte; aber Maria konnte nicht Amen sagen, und schluchzte nur noch lauter, bis sie in die Worte ausbrach: „Er hat mein Gebet verworfen und mein Vertrauen nicht angesehen!“

„Kind, frevle nicht!“ rief die Mutter ängstlich, und: „Gott behalt’ ihr die Sünde nicht!“ flehte sie mit emporgehobenen Händen, indem die Thränen ihr von den gefurchten Wangen perlten.

Hold sah zu seinem Erstaunen, zu welcher Leidenschaftlichkeit plötzlich Maria’s Liebe gestiegen sei, die während der langen Trennung und bei Godber’s gefahrvollem Leben auf der See so ruhig geblieben war. — Fließt denn nicht auch der kleine Bach der Flur, wie unter des Himmels Stürmen, so im Sonnenschein, gleich ruhig dahin? Von einem rauhen Stein, in seine Bahn geworfen, aber schäumt er heftig auf. — Es konnte hier nicht mehr die Rede davon sein, ob ihre Ansicht falsch oder wahr sei; sondern eine rasche und starke Hülfe that ihrer Seele not. Er faßte daher Maria’s herabgesunkene Rechte und sprach in einem ernsten und ruhigen, aber eindringlichen Tone:

„Wehe den Herzen, die an Gott verzagen, und den Händen, die nicht festhalten! Wir aber schauen auf Jesum Christ, den Anfänger und Vollender des Glaubens. Er kam, den Frieden zu bringen auf Erden. Er hatte nicht, wo er Sein Haupt hinlegte. Er wurde von Seinen Feinden geschmäht, von Seinen Freunden verraten. Er weinte blutige Thränen auf Gethsemane, trug die wundenvolle Dornenkrone und war gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze. Er hat’s vollbracht! Zu Ihm kommen die Mühseligen und Beladenen und empfangen den Frieden, Seinen Frieden. Was wollen wir weinen und klagen in unserm Leid beim Gedächtnis Seiner Leiden für uns? Was wollen wir weinen und klagen um unser kurzes, vergängliches, irdisches Teil? Haben wir denn nicht mehr empfangen, als die Welt uns nehmen kann? Haben wir nicht Teil an Seinen Segnungen und in diesen den Reichtum der Gottseligkeit, die zu allen Dingen nütze ist und die Verheißung hat dieses und des zukünftigen Lebens? Ich aber hebe meine Augen hinweg von der Welt auf zu der Höhe und frage: was ist der Mensch, o Gott, daß er mehr erbitte, als Deinen Willen, mehr begehre, als Deine Liebe, die sichtbarlich geworden ist auf Erden, und, selbst mit dem bittersten Leid getränkt, freundlich naht dem Herzen voll Gram und spricht: „Sieh mich an und weine nicht! Der Himmel ist Dir offen!“ Die aber der Welt Unruhe und Kümmernis scheidet von Christo und Seiner Liebe, die kreuzigen Ihn auf’s Neue und verderben sich selber. Darum gieb Ihm Dein Herz und bewahre Ihm Deine Treue; und die Stunde in die Du gekommen bist, wird Dich nicht überwinden, sondern durch den Schmerz der irdischen Liebe Deine Liebe zu dem Heiland nur geläutert, erhoben und verkläret werden. Die mit Thränen säen, werden in Freuden ernten!“

Und nun Maria’s Hand in seiner gefalteten erhebend, während sie lautlos in die Knie sank, rief er:

„Herr Gott! Vater alles Dessen, was Kind heißt im Himmel und auf Erden, hier ist Deine Magd. Dein Wille geschehe! Amen.“

Maria betete die letzten Worte leise und mit bebender Stimme nach. Ihre Thränen flossen linder, ihr Blut wallte ruhiger. Da stand sie auf, und das Auge, in welchem noch die letzte Zähre schwamm, nach Oben richtend, die Hände über die Brust faltend, hochatmend wie von einem langen Druck befreit, sprach sie noch einmal lauter und mit festerem Tone:

„Hier ist Deine Magd! Dein Wille geschehe!“ Nun gab sie voll Zuversicht ihrer Mutter das Versprechen, Alles mit Geduld und Stille in des Herrn Hand zu stellen und nur für sie zu leben, und ihr nur Freude zu machen in den Tagen ihres Alters.

Als Hold sich entfernte, dankten ihm weder Maria noch die Mutter für seine Tröstung anders als mit einem Blick voll Herzlichkeit. Sie waren es ja gewohnt, die Prediger auf den Halligen immer als Teilnehmer solcher Stunden zu sehen und den Segen des geistlichen Amtes an sich zu erfahren. Die Mutter, unter einem Vorwande Maria von der Begleitung zurückhaltend, bat noch den Pastor unter der Thür, doch bei Gelegenheit ein ernstes Wörtchen mit Godber zu reden, was er schon ohnedies sich vorgenommen.

Auf dem Heimwege dachte Hold darüber nach, warum die Hinweisung auf Christum augenscheinlich so mächtig auf die Bekümmerte gewirkt. Er glaubte diesen beruhigenden Einfluß nicht allein daraus ableiten zu müssen, daß das Gedächtnis des Herrn in ein höheres Reich einführe, in welchem die weltlichen Freuden und Leiden nur als Schatten und Träume erscheinen, sondern auch darin finden zu dürfen, daß der Friedefürst und Ueberwinder der Welt uns nicht ohne Sein Kreuz und Seine Dornenkrone erscheint.

Der Mensch will schauen, nicht etwa allein der, welcher den Glauben als eine Entwürdigung der Vernunft verwirft, sondern auch der, welcher ein kindlich gehorsames Herz sich bewahrte für das Wort des ewigen Vaters. Bei diesem ist dies Verlangen das allgemeine Bedürfnis der schwachen Natur des Staubes, die auch da, und vielleicht da am dringendsten, eine Ansprache an die Sinne fordert, wo es darauf ankommt, sich aus deren Bereich zu erheben, wie der Adler, der zur Sonne aufstrebt, in der niedern Luftschicht seinen Flügeln allein die Schwungkraft geben kann, mit der sie ihn in ruhiger Schwebung emportragen. Ein Glaube, der nicht von dem: „Wer mich siehet, der siehet den Vater“ ausgehet, wird der Vermittelung ermangeln, wodurch zu dem ewigen, einigen Geist ein Geist sich aufringt, für den das Leibliche nicht blos Behausung ist, sondern zu dessen eigentümlichem Wesen und Sein es gehört, so daß er, wenn auch diese Erdenhülle bricht, doch wieder in einen, wenn auch verklärten Leib gekleidet wird. Mag auch das allgemeine Gefühl der Andacht den Menschen hinauftragen zu den himmlischen Höhen, und, den blöden Sinn überwältigend, ihn an das Vaterherz Gottes legen mit solcher Innigkeit und Zuversicht, als ob der Glaube zum Schauen geworden wäre, so verliert er sich doch auch wieder leicht in den Tiefen der Gottheit, ohne eine feste Ruhestätte gefunden zu haben, und die Frucht seiner Andacht geht ihm verloren in einem unbestimmten Verschwimmen seiner Gedanken und Gefühle. Besonders aber wird es ihm schwer, in Leiden einen dauernden gewissen Trost von dort her zu nehmen, wo kein Leid ist, wo er für die schmerzlichen Gefühle, die ihn bewegen, keinen Anknüpfungspunkt findet und daher oft so vergeblich ringt, das eine Ende seiner Gedanken, womit er an den Schmerz gebunden ist, fahren zu lassen und das andere Ende zu ergreifen, woran er auf der Himmelsleiter sich emporschwingen soll. In Christo sind diese Enden verknüpft. In Ihm sieht der Leidende den friedvollen Himmel und die schmerzensreiche Erde vereint. Er sieht seiner eigenen Herzenswunden blutige Gestalt und zugleich mit demselben Blick den Sieg, der die Welt überwindet, den Frieden, der vom Himmel stammt und zum Himmel führt. So ist ihm an Christi Hand die Bahn zum Vater geebnet. Sie ist kein plötzlicher Aufschwung mehr über den Abgrund seines Kummers hinweg, sondern ein allmäliger Uebergang aus den Dornen in der Tiefe zu den Friedenspalmen auf der Höhe. Er trägt, indem er mit dem leidenden Heilande aufsteigt, gleichsam seine eignen Leiden mit hinauf und fühlt darum die heilende Hand näher und gewisser. Auch in diesem Sinne ist es wahr: „Niemand kommt zum Vater, denn durch den Sohn!“

Heiland, Deine bangen Schmerzen

Auf der dornenvollen Bahn

Lassen jedem wunden Herzen,

Ein vertrauter Freund, Dich nahn!

Heiland, Deine Siegesfreuden

In der Schmach und in der Pein,

Leuchten auf den Quell der Leiden

Mit des Himmels Wiederschein.

Tau aus ew’gem Lichtgebiete,

Zähren, wie die Erde weint:

Perlen, ihr an einer Blüte,

Trank in einem Kelch vereint;

Abgrund, den die Nacht geboren,

Kreuz, voll Marter und voll Hohn:

Zur Verherrlichung erkoren,

Lebenswiege, Friedensthron!

Ja, die Scheidung ist gefallen,

Und verklärt der Erde Leid.

Aufwärts darf der Seufzer wallen,

Gilt er auch dem Traum der Zeit.

Fand mein Schicksal andre Gleise?

Welche Wandlung ist gescheh’n?

Sieh’, der Freund entführte leise

Hin mich, wo die Palmen weh’n.

VII.

Wie sich Licht und Schatten wende

Wechselnd in der Völker Loos,

Knechtschaft zieht die Freiheit groß,

Unrecht schlägt die eignen Hände.

Als Hold in seine Wohnung zurückkehrte, fand er Mander und Oswald dort vor. Sie waren gekommen, teils um zu danken für die bewiesene Fürsorge, teils um zu sehen, ob für ihren Aufenthalt auf der Hallig die Annehmlichkeit eines gebildeten Umgangs wenigstens in einer Familie ihnen nicht ganz fehlen würde. Ihre Erwartungen waren freilich geringe, und das Aeußere und Innere einer Wohnung, gegen welche das Haus des Gärtners auf ihrem ländlichen Ruhesitze bei Hamburg ein Palast war, diente nicht dazu, ihre Erwartungen höher zu spannen. Einfachheit und Beschränktheit schienen hier die genügsamen Schaffnerinnen gewesen zu sein. Reinlichkeit mußte den Glanz, Nettigkeit die Schönheit, gefällige Anordnung die Fülle ersetzen; und der Anzug der Pastorin wie ihrer Kleinen trug die Spuren der wirtschaftlichen Nadel, die den abgetragenen Stoff so lange als möglich benutzen lehrt und ihm immer neue, wenn auch kleidsame, doch wenig modische Formen verleiht. Uebrigens blühten Mutter und Tochter in der Fülle der Gesundheit: und der Eindruck, den das herzliche Willkommen der Pastorin auf die Fremden machte, wurde nicht allein durch die angenehmen Züge ihres Gesichtes und ihre gefällige Gestalt, sondern auch durch ihr ungezwungenes, einen frühereren Umgang in höheren Kreisen verratendes Wesen erhöht. Oswald ward dadurch ganz irre gemacht, da er nicht wenig darauf gerechnet hatte, durch gewandte Verdeckung der gewiß erwarteten Verstöße und durch freundliche Herablassung zu den beschränkten Vorstellungen und trivialen Lieblingsgesprächen einer Familie, deren Gesichtskreis, wie er voraussetzte, sehr eng sei, hier großes Lob zu ernten, nun aber bald merkte, daß es für ihn nur darauf ankomme, mit gleicher Leichtigkeit den rechten Umgangston für eine unter solchen eigentümlichen Umständen gemachte Bekanntschaft zu treffen. Auch Mander, der feingebildete Weltmann, der ein solches Benehmen zu beurteilen und zu schätzen wußte, fand sich davon nicht wenig überrascht bei der ebenfalls von ihm vorgefaßten Aussicht, auf unbeholfene Verlegenheit oder überlästige Höflichkeit zu stoßen. Nach den ersten Begrüßungen suchte er daher mit geschickter Wendung eine Gelegenheit zu der Frage an die Pastorin, ob sie sich in dieser ihrer Lage wohl glücklich fühlen könne?

„Das ist eine Gewissensfrage,“ erwiderte sie lächelnd. „Wir Frauen hängen einerseits mehr als die Männer von äußeren Eindrücken ab. Die Stätte, die uns groß gezogen, die Gespielinnen der Jugend, die Kreise des geselligen Lebens, in denen wir uns freuten mit den Fröhlichen und weinten mit den Weinenden, die Gewohnheiten, die Formen einer frühern Zeit bleiben treuer in unserm Gedächtnisse und behaupten länger ihren Einfluß auf unsere Neigungen, Wünsche und Hoffnungen, als es bei dem Manne der Fall sein wird, dem sein Beruf und sein Amt seine Welt ist, in die er sich mit allem seinen Denken, Wollen und Thun hineinversetzt, wodurch die Erinnerung an das Vergangene geschwächt und der Traum von den zukünftigen Tagen weniger lebhaft unterhalten wird.“

„So möchte Ihnen denn Ihre Stellung hier weniger gefallen, als ihrem Gatten?“

„Ich habe,“ sprach sie, „nur von einer Kammer gleichsam des weiblichen Herzens gesprochen, die andere wird mehr für meine Zufriedenheit reden. Unser demütiges, zweites Geschlecht ist ja an den Herrn der Schöpfung, wie der Mann sich selbst nennt, gewiesen. An ihn schließen wir uns an, ihm folgen wir; und Vater und Mutter soll ja das Weib verlassen und ihrem Manne anhangen. Warum denn nicht auch eben so leicht ihm ihre lieben Gewohnheiten, ihre bisherigen Neigungen opfern? Und wie von selbst giebt sich das an der Seite des guten geliebten Gatten. Vergangenheit und Zukunft verbleichen vor dem Rosenschimmer der Gegenwart, wenn dieser auch nicht über die vier Wände des Hauses hinausreicht, wenn dieser auch nur aus dem Auge des Gatten mir strahlt und nicht aus der Umgebung. Er findet doch den Eingang in das offene Herz und übt seinen verklärenden Zauber auf alle Dinge um sie her. Das häusliche Glück überwindet auch selbst eine Hallig mit allen ihren Entbehrungen.“

„Aber unbegreiflich ist es mir,“ sagte Oswald, „wie der Pastor sich hier wohl fühlen kann, da er ja doch in seinen Studienjahren ein reich bewegtes Leben hat kennen lernen müssen?“

„Nicht allein seine Studienjahre hat er zum Teil in Deutschland zugebracht und sie zu Reisen in den schönsten Strecken unseres großen Vaterlandes und der Schweiz mitbenutzt, sondern auch seine Kindheit und erste Jugend verlebte er im Genusse alles dessen, was großstädtischer Verkehr und großstädtische Sitte Angenehmes haben.“

„So werden gelehrte Untersuchungen es ihn vergessen machen, was er jetzt entbehren muß?“ bemerkte Mander, der unterdessen einen Blick auf das kleine Bücherrepositorium geworfen hatte.

„Sie meinen,“ lächelte die Pastorin, „weil Ihnen da die Titel arabischer und persischer Bücher entgegenblitzen. Nein, das ist noch aus jener Zeit her, in welcher, wie Hold sagt, der altertümliche Reifrock der seligen Großmama oft eben so viel Anziehungskraft hat, als der duftende Blumenkranz der lebensfrohen Enkelin; oder die herbe und trockene Frucht, die aus der Ferne und Fremde kommt, lieblicher mundet, als die frische Pflaume aus dem Garten der Heimat. Jetzt muß ich bei vielen dieser Bücher dafür sorgen, daß der Staub nicht ihre goldenen Titel bedecke; nur wenige erfreuen sich noch des Immergrüns der jungen Liebe.“

„Natürlich müssen die einzelnen Lieblingsstudien,“ sagte Mander, „bei dem gebildeten Manne vor dem Interesse für die großen, neuen Fortschritte der Wissenschaft zurücktreten; und so wenig ich auch mit der theologischen Literatur bekannt bin, so weiß ich doch, daß der Theologe, der eine übersichtliche Kenntnis des allgemeinen Ganges seiner Wissenschaft sich bewahren will, schon hinreichend mit Lectüre versorgt ist.“

„Wenn es dem Halligprediger nur vergönnt wäre,“ entgegnete die Pastorin mit einer Stimme, deren Schwanken die Furcht verriet, mehr zu sagen, als vor fremde Ohren gehörte, „etwas für die Befriedigung des wissenschaftlichen Bedürfnisses aufzuwenden. Hold beklagt dies oft und meinte noch neulich, daß die Vierteljahrsgage eines der geringsten Opernsänger oder Ballettänzer ausreichen würde, um den vom Weltverkehr und vom Büchermarkt ausgeschlossenen Geistlichen der Hallig die Schriften und Journale in die Hände zu geben, welche sie vor Lücken in der Kenntnis des Standes ihrer Wissenschaft bewahren könnten. Dazu kommt der tägliche Schulunterricht, der sich bei der geringen Bildungsstufe der Halligbewohner und der gänzlich fehlenden Mithülfe der Eltern fast nur auf die ersten Anfangsgründe beschränkt.“

„Wie!“ riefen Mander und Oswald erstaunt, „der Geistliche ist verurteilt, das ABC zu lehren und Buchstaben vorzumalen?“

„Wenn sie dies Verurteilung nennen wollen, habe ich nichts dagegen. Mir thut es auch oft in der Seele weh, wenn ich im Nebenzimmer das eintönige Buchstabieren anhöre und dabei einen Blick auf diese Bücher werfe. Aber Hold weiß sich ganz darein zu fügen und geht eben so munter in die Schulstube hinein, wie er aus derselben zurückkehrt. Auf allen Halligen ist übrigens der Schuldienst mit dem Pastorat verbunden.“

„Aber ich würde mir einen Gehülfen halten,“ sagte Oswald etwas unbedachtsam.

„Dieselbe Ursache,“ erwiderte die Pastorin, indem sie die Augen senkte und leise errötete, „welche jene Verbindung nötig macht, erspart uns auch den Gedanken an einen Gehülfen für die Schule.“

Die Pastorin wurde durch die Ankunft ihres Mannes aus dieser Unterhaltung befreit, die für sie etwas peinlich geworden war, da Frauen überhaupt noch weniger als Männer dazu geeignet sind, die beschränkte Lage des Hauswesens vor Fremden aufzudecken, und gern, so lange als möglich, einen gewissen Schein zu bewahren streben.

Hold trat den Fremden mit freundlicher Offenheit entgegen und wußte ihren Dank für Das, was auch er für ihre gastliche Aufnahme auf der Hallig gethan, sogleich mit den Worten abzuwenden: wie er ihnen vielmehr danken müßte, daß sie hierher gekommen seien, ihm ein Bischen von der Welt draußen zu erzählen.

Während nun die Hausfrau den Thee mit den Butterschnitten von Schwarzbrod bereitete, das Einzige, was der Halligbewohner in solchen Fällen für seine Gäste hat, und was er den größten Teil der Woche hindurch selbst als Mittagessen mit seiner Familie nur genießt, hatten die Männer im raschen Laufe des Gesprächs schon fast die ganze Erde umflogen, hatten die wirren Bahnen der Politik durchwandelt, sich auf den luftigen Höhen der Weltansichten bewegt und waren in die Tiefen der Wissenschaft hinabgetaucht. Aber nirgends fanden sie sich in Uebereinstimmung mit einander; nirgends gelang es ihnen, die verschiedenen Noten, die jeder anschlug, zu einer melodischen Harmonie zu verschmelzen. Wollte Oswald die aufgestellten Fragen leicht abfertigen, so zeigten ihm Mander und Hold den schweren Ernst derselben und den entscheidenden Einfluß einer richtigen Beantwortung auf das Wol und Wehe der Menschheit. Wollte Mander den Scharfsinn des menschlichen Geistes in der seither versuchten Lösung dieser Lebensfragen bewundern, dann schob ihm Hold die Erfahrung entgegen, wie wenig jene Lösung gefruchtet.

Da aber jetzt die Politik das Gebiet ist, wie es in früheren Zeiten oft die Theologie war, auf welchem sich die Geister am liebsten tummeln, der Gemeinplatz, der fast keinem ganz fremd ist, der die verschiedensten Stände und Stämme mit gleichem Spruchrecht um das Beratungsfeuer sammelt und zugleich für den feineren Beobachter das Tinggericht, wo Vieler Herzen offenbar werden und sich unter einander erkennen auch über den Zeitungs-Krieg und Frieden hinaus, so fanden sich unsere Freunde auch immer wieder zu derselben zurück.

Hold sagte, als er dies bemerkte:

„Es ist immer eine ärmliche Zeit, die keinen über die nächste Wand hinausgehenden, Allen gemeinsamen Stoff zur Unterhaltung hat; sie brütet einen widerlichen Kastengeist, ein kleinliches Mein- und Dein-Leben, eine jämmerliche Nützlichkeitsprosa aus. Ueber dem täglichen Verkehr, über dem Dichten und Trachten für die Duodezwelt, die für Jeden eine andere ist, muß ein Reich aufgethan sein, das Alle zuläßt, ohne nach Paß und sonstiger Berechtigung zu fragen, das ihren Gedanken einen weiten Raum giebt, ihre Empfindungen an Vieler Wol und Wehe groß zieht. Aus diesem Grunde will ich die jetzt so allgemeinen politischen Unterhaltungen, in die auch wir stets wieder unwillkürlich hineingeraten, nicht ganz als bloßen Zeitvertreib verwerfen; obwol die Politik selbst, wie sie als Wissenschaft gelehrt und von den Staaten gegen einander geübt wird, mir die verächtlichste Mißgeburt ist, die ich kenne.“

„Wie!“ rief Mander voll Erstaunen, „müssen Sie nicht den Staatsmann achten, der in seinem Geiste das Schicksal der Völker und Länder abwägt; der Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges zu kombinieren weiß und mit einem Federstrich oft mehr ausrichtet, als die sieghaftesten Armeen; der das Staatsschiff durch alle Klippen hindurch in den schwersten Stürmen steuert und auf tausend Umwegen glücklich an’s Ziel führt?“

„Meinethalben mag seine Klugheit bewundernswert sein,“ entgegnete Hold; „aber sehe ich, daß seine Winkelzüge eben erst die Stürme hervorgerufen haben und die Klippen entstehen ließen; sehe ich, wie er eine Grube zu seinen Füßen gräbt, während er sich selbstgefällig seiner Voraussicht in die Zukunft rühmet; sehe ich, wie er mit Treu und Glauben, mit der Heiligkeit der Verträge, mit den Gesetzen des Rechtes, wie mit Schalen spielt, die man wegwirft, wenn der saftreiche Kern ausgesogen ist und auch wol bei Gelegenheit einmal wieder aufnimmt, um den letzten Tropfen Oel noch herauszupressen; wenn er das eine Knie beugt, um mit vollem Munde Gott und alle Heiligen für sein gutes Recht und um Bestrafung des Treubruchs anzuflehen, während er den andern Fuß aufhebt, um die Gerechtigkeit in den Staub zu treten, dann widert mich der Staatsmann, oder vielmehr die Politik, die er repräsentirt, als die große babylonische Buhlerin unserer Zeit an, die sich am Verderben der Völker sättiget.“

„Sie wollen doch wol nicht die Gesetze der gewöhnlichen Moral, die im häuslichen und bürgerlichen Leben ihre gute Geltung haben, auch auf die Leitung des Geschicks der Völker übertragen?“

„Ja wol will ich das,“ erwiderte Hold mit großem Eifer. „Gerechtigkeit und Treue sind kein Menschenfündlein, an dem gedreht und gedeutelt werden darf. Sie sind Gebote des lebendigen Gottes, der die Welten lenket mit Rat und Weisheit und die Völker des Erdkreises richtet mit Gerechtigkeit. Der Gedanke, weil ich auf diesem Staubkörnlein Erde die Miniaturgeschichte eines Pünktchens übersehe und ein paar Sekunden lang sie weiter führen soll, darum bin ich erhaben über das Gesetz des Schöpfers und ewigen Regierers des Himmels und der Erden, dieser Gedanke ist so mitleidswert armselig, daß man ihn nur belächeln könnte, wenn er nicht zugleich so verächtlich wäre. Wahrlich, so lange das Gesetz Gottes als allein bestimmende Richtschnur noch keine Stätte gefunden hat in der kalten Brust der Leiter unserer Staatenmaschine, so lange bleibt diese ein Räderwerk, das von Blut und Thränen träuft, und das, in wilder Unordnung bald vorwärts, bald rückwärts gehend, den Baumeistern nur Schande macht. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Was ist denn Europa? Ein ewiger Tummelplatz des eisernen Würfelspiels, ein immer neu geöffneter Kirchhof hingemordeter Millionen. Dabei jeder einzelne Staat eine Schuldbank, die nur von neuen Gläubigern vor dem Einsturz bewahrt wird. Ueberall ein Beben und Schweben der Völker und ihrer Hirten in der Furcht, daß die eben glücklich zum Stillstand gebrachte Maschine wieder losrädere; und um diesen ängstlichen Stillstand zu erhalten, müssen große stehende Heere schlagfertig bleiben auch im gerühmten Frieden, dem Meisterstück der Diplomatie.“

„Sie werden diesen Zustand nicht den Staatsmännern zur Last legen.“

„Keineswegs; wohl aber der falschen, zweideutigen, rechtlosen Göttin, der sie huldigen. Können Sie sich denken, daß der Zustand Europa’s schlimmer wäre, wenn die Diplomatiker, anstatt in ihr System die Hintansetzung der Moral aufzunehmen, in allen Beziehungen der Staaten gegen einander die Gesetze derselben als höchste Norm befolgt hätten?“

„Aber das politische Gleichgewicht soll doch bewahrt werden,“ erinnerte Oswald. „Ein vorherrschender Staat würde Einseitigkeit in die Intelligenz der Völker bringen, würde die freie Entwicklung der Nationaleigentümlichkeit hemmen, würde die andern Herrscher zu Sklaven eines allmächtigen Willens herabwürdigen. Und alle Politik geht doch am Ende nur auf die Erhaltung jenes Gleichgewichts unter den Völkern.“

„Was die Völker betrifft, so wissen sie aus der Geschichte, daß jedes Uebergewicht eines Staates, das seinen Grund in der Ausdehnung über die natürlichen Grenzen hinaus hat, auch ohne die Gegenwirkung der Politik seinem Falle nahe ist, eben gerade durch die falsche Politik, die zu solcher Ausdehnung verführte. Sie wissen, daß dies gerühmte, mit so viel tausend Aufopferungen von ihrer Seite immer neu zu erkämpfende Gleichgewicht doch stets ein eingebildetes bleibt, und im besten Falle nur ein sehr schwankendes Gleichgewicht der größern Staaten gegen einander ist, während die kleineren, wie ein Rohr, von jeglichem Winde bewegt, bald in diese, bald in jene Schale sich neigen, und gar oft zur Wiederherstellung der Balance jener diplomatischen Waagschale sich zerstückeln lassen müssen. Dies wissen auch die Fürsten dieser Staaten und zögen gern sich und ihre Länder aus jenem Conflict heraus, in welchem das Recht des Stärkern allein gilt, und der heiligste Vertrag nur dann geehrt wird, wenn ihn ein paarmal hunderttausend Bajonette aufrecht halten. Jenes Gleichgewicht würde aber auch nie solche Störungen erlitten haben, wenn eben nicht dem einzelnen Störenfried die diplomatischen Fechterstreiche seiner Gegner seine Unternehmungen so sehr erleichterten. Ist ein glücklicher Gegenkampf gegen einen solchen begonnen, dann tritt sogleich die Politik mit ihrem scheelsüchtigen Auge hinzu und deutet mit der weitsichtigsten Klugheit darauf hin, wie leicht der eine Mitstreiter durch den gemeinsamen Sieg zuviel gewinnen könne, und öffnet das Auge für das, was so nahe liegt, für das durch solches Mißtrauen dem zu bekämpfenden Gegner gegebene Uebergewicht nicht eher, als bis es zu spät ist. Ist das nicht die Geschichte fast aller Gleichgewichtskriege des letzten Jahrhunderts?“

„Ich darf Sie zu ihrer Widerlegung nur an den Befreiungskampf gegen Napoleon erinnern,“ rief Oswald, „in welchem auch mein Vater mitgestritten hat.“

„Gerade jener Kampf spricht für mich,“ entgegnete Hold. „Es war für die unterjochten Fürsten und Völker ein Augenblick der Begeisterung, der sich über die diplomatischen Winkelzüge der Politik erhob. Wenn dieser Krieg ebenso mit derselben kalten, lauernden Berechnung, mit denselben politischen Seitenblicken, wie die früheren Kämpfe gegen jenen Eroberer, geführt worden wäre, was würde der Erfolg gewesen sein? Was aber die Weisheit der Staatsmänner in jenen Tagen an Großartigkeit angenommen, das flog ihr nur zu in Folge des Sturms der Auferweckung, der über Altäre, Throne und Hütten dahin brauste; es war kein Teil ihrer Natur. Daß die alte Heuchlerin einmal in einer Stunde der höchsten Not zum Gebet getrieben wurde, hat sie damit aufgehört, eine Heuchlerin zu sein? Und hat sie nicht schon während jenes Gebetes, während sie die Gerechtigkeit Gottes anrief, auf neue Ungerechtigkeit gebrütet? Hat sie nicht die gefaltete Hand zugleich zum Raube gekrümmt und auf das Siegesfeld die Drachenzähne neuer Zwietracht ausgesäet?“

„Sie mögen darin Recht haben,“ erwiderte Mander; „jedoch werden Sie auch zugeben, daß mancher Staat, bei einem strengen Festhalten an den Grundsätzen der Moral sich seinen Untergang bereitet hätte, dem er nur durch eine gewandte, den Umständen und Verhältnissen sich anbequemende Politik entgangen ist.“

„Wol wahr! Aber das ist ja eben der Fluch, daß es so weit gekommen ist, daß der Teufel nur durch den Beelzebub ausgetrieben werden kann, daß die Notwehr uns die unwürdige Waffe des Angreifers in die Hände zwingt. Vergessen Sie jedoch nicht, daß trotz seines politischen Spiels und vielleicht eben durch dasselbe auch mancher Staat nur seinen Untergang gefunden hat, und daß wir die Geschichte der Staaten allein vor uns haben, wie sie in jenem politischen Treiben geworden ist; also gar nicht behaupten können, das Bestehen eines einzelnen Staates hätte außer der Reihe der Möglichkeiten gelegen, wenn seine Leiter in ihrer Haltung und in ihrem Handeln nur die strenge Rechtlichkeit und die gewissenhafteste Treue vor Augen gehabt hätten.“

„Das möchte ich doch Keinem raten,“ meinte Oswald, „so lange nicht die Politik Aller sich zu Ihren Grundsätzen bekehrt hat, und dahin wird es nie kommen.“

„Und warum sollte es nie dahin kommen?“ antwortete Hold. „Was wahr und recht ist, das hat seine Wurzel droben im Himmel und senkt seine Blütenzweige auf die Erde herab, um da einen guten Samen auszustreuen. Mag dieser Same denn hier auf steinigtem Boden keine Nahrung zum Keimen finden, dort im Sande der Wüste verdorren: derselbe Himmel hat auch Tau und Sonnenschein, um den Boden allmälig zu bereiten und ihn empfänglich zu machen für die gute Saat. Aus all’ dem Irren und Wirren hienieden wird ein Reich der Gerechtigkeit, der Freude und des Friedens hervorgehen, das seinen glücklichen Bürger nicht ahnen läßt, mit welchem Blut der Boden gedüngt ist, den er betritt; mit welcher Täuschung die in den Gräbern ruhen nach einem Frieden strebten, der vor ihnen her wandelte, ohne daß sie ihn sahen, mit welchem Unsinn man zweierlei Gesetz stellte, eines für die einzelnen Menschen: Du sollst Gott, Deinen Herrn, über Alles lieben und Deinen Nächsten als Dich selbst! und das andere für die Gesammtheit derselben Menschen, für den Staat: Du sollst nach jeglichem Winde lieben oder hassen, und Deinen Nächsten übervorteilen, wie Du kannst!“

„Ein solches Friedensreich auf Erden bleibt immer,“ sagte Mander lächelnd, „nur der schöne Traum eines liebevollen Herzens, und würde nicht einmal, wenn es möglich wäre, förderlich sein für die Entwickelung der Menschheit; denn gerade der Kampf soll Regen und Bewegen in ihr erhalten, soll die Kraft stählen, den Geist schärfen. Die Geschichte muß eine Epopee bleiben und kann nie eine Idylle werden. Auch in der übrigen Schöpfung finden wir gleichen Kampf. Welche, auf furchtbare Umwälzungen deutende Veränderungen bemerken die Astronomen an den Himmelskörpern! Welche Erdbeben, Ueberschwemmungen, vulkanische Ausbrüche; welche Zeiten der Dürre oder überflutender Wolkenbrüche und dergleichen gehören zur Geschichte des Erdbodens! Welcher rastlose Kampf unter den Tieren, welches Recht des Stärkern, welche Beraubung und Erwürgung der Schwächern unter ihnen!“

„Und davon,“ entgegnete Hold, „wollten Sie eine Anwendung auf die Menschen machen, die erschaffen sind nach dem Bilde Gottes; denen Er das Vermögen gab, die Erfahrungen der vergangenen Jahrtausende für die Gegenwart zu benutzen; denen Er Seine heiligen Gebote verkündet, welche alle nicht allein das ewige Heil, sondern mit demselben auch das irdische Wol zum Zweck und Ziel haben, denen Er in Jesu Christo den Abglanz Seiner Herrlichkeit leuchten ließ auf Erden, einer Herrlichkeit, die da ist Gerechtigkeit und Liebe, Kraft und Friede?“

„Mußte nicht auch Christus kämpfen, leiden und sterben, und ist nicht auch durch Ihn so viel neue Zwietracht geweckt auf Erden?“

„Und darum sollten wir immer und ewig Seine Mörder bleiben müssen durch die Verleugnung Seiner Lehren, Segnungen und Verheißungen? Sollten Ihn zum Hausgott bestellen für unsern kleinen häuslichen bürgerlichen Verein; als Gott der Weltgeschichte aber den anbeten, der ein Mörder war von Anfang an? Nein, so gewiß wie, von Christo ganz abgesehen, der über jeden Vergleich hinaus ist, die Apostel, die das Evangelium hinausriefen in die Welt, mehr Segen brachten den Menschenkindern, als Alle, die vor ihnen und nach ihnen gelebt haben, so gewiß wird auch dies Evangelium durchdringen durch alle Tiefen und zu allen Höhen hinauf; und dann erst ist das rechte Streben und Bewegen in der Menschheit, das nicht in der Zwietracht, sondern in der Liebe thätig ist; dann wird mancher jetzt in der Geschichte hochgepriesene Name, der seinen Ruhm auf verbrannte Trümmer und zertretene Schädel erbaute, nur als ein Denkmal menschlichen Unsinns eine kurze Spalte in dem Buche der Vorzeit füllen, während man eifrig den Thaten dessen nachforscht, der einen Grundstein mitlegen half zum Aufbau der bessern Zeit.“

„Und doch,“ bemerkte Oswald, „haben die scheinbar verderblichsten Kriege auch mit zur Förderung der Fortschritte der Menschheit gewirkt.“

„Weil ein Gott vom Himmel darein sieht und Alles zum Besten lenket: Die Gewitter reinigen die Luft und fördern einen schönen Tag herauf. Aber dieser schöne Tag muß droben über den Wolken und Stürmen bereitet werden, die Gewitter schaffen ihn nicht; sie entladen nur ihre eigene heillose Kraft, die aus den Dünsten geboren ist, die sie zerstreuen.“

Die Pastorin, der ihr Mann zu eifrig wurde gegen die Fremden, unterbrach ihn hier lächelnd, indem sie sagte: „Die Dünste meines Thees würden auch längst Zeit gehabt haben, sich zu einem Gewitter zu sammeln, wenn sie nicht so friedsamer Natur wären.“

Mander aber setzte nach einer kurzen Unterbrechung das ernste Gespräch fort. Ihm hatten die Erfahrungen vielbewegten Lebens jenes besonnene Urteil gegeben, das nicht über die Grenzen der Wirklichkeit hinausgeht, und keinen Blick weit über den Anknüpfungspunkt hinüberwagt; doch hörte er gern einen Mann reden, der in der eignen, so viele Wünsche übrig lassenden, beschränkten Lage nur von Idealen für die Menschheit träumte, und hatte mit Absicht nur so viel entgegnet, als nötig war, um Hold im Feuer zu erhalten; wobei aber auch in seiner Brust manche längst entschlafene Empfindung wieder wach zu werden geneigt schien.

„Ich kann mir es wol denken, wie Ihnen, bei Ihrer Bildung zum Volkslehrer und in Ihrer Stellung als solcher, die Männer der Wissenschaft die höchste Bedeutung haben müssen.“

„Es giebt nur eine Wissenschaft,“ erwiderte Hold, „von der das wahre Leben ausgehet in Zeit und Ewigkeit, die Wissenschaft von dem Heil der Menschheit in Gott. Unter das Licht und Gericht derselben soll Alles gestellt werden, was ist und was geschieht; und nur in soweit hat unser Wissen und Erkennen Gehalt und Bestand, als es uns und Andere fördert in dem Bewußtsein unserer Abhängigkeit von Gott, in der heiligen Lust an Seinem Willen, in dem freudigen Vertrauen auf Seinen Rat, mit einem Worte: in der Kindschaft zu Ihm. Gleichwie unser Wollen und Vollbringen in so fern einen lebendigen Keim und eine bleibende Frucht in sich trägt, als es dient jener Wissenschaft des Heils, daß sie eine Gestalt gewinne in unserm Leben und im Leben der Menschheit.“

„Auf diese Weise,“ bemerkte Mander, „hätten alle Wissenschaften nur eine Aufgabe; während sie doch von so verschiedenen Punkten ausgehen, so ganz verschiedene Richtungen einschlagen.“

„Lassen Sie mich ein Bild gebrauchen,“ war Hold’s Antwort. „Die eine Wissenschaft ist die Sonne am Himmel der Menschheit; die andern Bestrebungen der Wißbegierde sind nur die Träger der Strahlen dieser Sonne nach allen Seiten hin und in jedes Dunkel hinein. Vergessen sie diesen ihren Beruf und gehen mit der eignen Hornleuchte umher, so werden sie sich in Wüsten verlieren und auf tausenderlei Irrwegen wandeln. Aber sie werden doch auch ihr Wissen vollständiger entwickeln, klarer durchbilden und fester begründen und dadurch reifen in der Erkenntnis ihres wahren Berufes und in der Zurückführung alles Wissens auf die eine Wissenschaft. Je vollständiger des Irrtums Bahnen durchlaufen sind, desto sicherer werden sie auch zurückgemessen und dienen dann nur als Wegweiser auf den rechten Weg.“

„Sie sind Theologe, und Jedem ist seine Wissenschaft die erste.“

„Die Theologie ist nicht die Wissenschaft, die ich meine; sie ist nur die Anleitung dazu. Sie stellt sich, wenn sie sich selbst erst begriffen hat, die Aufgabe: Alles, was war, ist und geschieht, unter den Brennpunkt der einen göttlichen Wissenschaft zu bringen, wo sich das reine Erz von den Schlacken sondert; und in diesem Sinne soll Jeder ein Theologe sein, indem er all’ sein Denken, Wollen und Thun, alle Arbeit und alle Erfahrung seines Lebens, alle seine Sehnsucht und seine Hoffnung durchleuchten und durchläutern läßt von der wahren Wissenschaft, die aus Gott ist und zu Gott führt. Nur daß der eigentliche Theologe nicht allein, was sein Leben bewegt, sondern die Bestrebungen und Erfahrungen, die Meinungen und Hoffnungen aller Zeiten und aller Völker in das Licht und Gericht der göttlichen Weisheit stellt und dadurch an Schärfe und Bestimmtheit in der Beurteilung des Treibens seiner Zeit, im Durchblicken des Scheines, in der Erkenntnis der Quellen des Irrtums und der Gottentfremdung der Menschheit und des einzelnen Menschen gewinnen soll. Dadurch wird er geschickt werden zum Leiter der Blinden, zum Lehrer der Ungeübten, zum Ermahner der Leichtsinnigen, zum Tröster der Glaubensschwachen, zum Erwecker der Lauen und Gleichgültigen und zum Sprecher des Gerichtes wider Die, welche für sich selber das Heil verschmähen und Andern den Zugang hindern. Und weil wir Alle nach unserer Schwachheit und Sündhaftigkeit bald zu der einen, bald zu der andern Klasse gehören, so darf es Keiner, sei er Priester oder Laie, an dem weitern Anbau der wahren Wissenschaft für sich selbst je fehlen lassen, keine Gelegenheit versäumen, zu reifen in aller Erkenntnis, Tugend und Gottseligkeit.“

„Wo ist aber die wahre Wissenschaft zu finden,“ fragte Mander, „auf die wir Alles zurückführen und an der wir Alles prüfen sollen?“

„Sie ist nicht da und kann nicht da sein,“ entgegnete Hold, „wo Irrtum und Täuschung wenigstens möglich sind, in keinem System der Philosophie. Sie kann nur aus dem Quell der Wahrheit selbst geschöpft werden.“

„Ich möchte mit der Frage des Pilatus,“ sagte Mander, nicht ohne eine schmerzliche Bewegung zu verraten, „Ihnen antworten: was ist Wahrheit?“

„Das Wort Gottes!“ sprach Hold fest und ernst. Aber ein leises Kopfschütteln des alten Mander und ein fast spottendes Lächeln seines Sohnes zeigten ihm, wie wenig diese Antwort seine Zuhörer befriedigt habe.

Oswald erinnerte jetzt, daß es schon spät geworden sei, und die Gäste schieden mit dem gern angenommenen Versprechen, ihren Besuch bald zu wiederholen.

VIII.

Du klagst, daß Deinen Blick umfloren

Die Schatten um der Wahrheit Thron?

Dein eigen Herz hat sie geboren;

Sie sind der Sünde Frucht und Lohn.

Idalia glaubte in ihrem ganzen Leben nie so glücklich gewesen zu sein, als sie jetzt sich fühlte. Diese häusliche Geschäftigkeit, der sie sich mit allem Eifer hingab, hatte, je ungewohnter sie ihr war, einen desto größeren, ja zauberischen Reiz für sie, der noch durch das Eigentümliche ihrer Lage und ihres Aufenthaltes auf einer Hallig erhöht wurde. Die Liebe löste in ihrer Brust, die früher nur Raum hatte für das flatterhafte Wesen eines eitlen Mädchens, alle Ahnungen der wahren Weiblichkeit und den Sinn für die Würde einer Hausfrau. Zugleich wußte sie ja, daß sie so gerade Dem am meisten gefalle, von welchem sie geliebt sein wollte. Sie benutzte nicht einmal alle Vorteile, welche ihr die Mittel ihres Vaters liehen, um Bedürfnisse und Annehmlichkeiten, die sonst der Hallig fremd waren, für ihren Zustand zu gewinnen; sondern gefiel sich in der Einfachheit und Genügsamkeit ihrer jetzigen Heimat, und machte tausend, fast immer unausführbare Vorschläge, um das Ganze noch mehr in die Form einer Gesner’schen Idylle zu kleiden. Den Rand des sogenannten Soods, in welchem sich das Regenwasser sammelte, umkränzte sie mit einer breiten Lage von Seemuscheln, die sie mühsam hatte am Strande zusammensuchen müssen, weil dieser in jener Gegend auch damit geizt. Der Bedarf an Trinkwasser mußte jedoch für die verwöhnten Zungen vom festen Lande herübergebracht werden. Den Schatten und die trauliche Enge einer Laube zu ersetzen, hatte sie mit Godber’s Hülfe ein Zelt von Segeltüchern auf der Werfte aufgeschlagen, und wenn das Wetter es nur zuließ, ward der Kaffee unter dem Dache desselben getrunken. Sie führte auch mit ihrem Bruder manchen Streit, indem sie das Leben auf diesem Eilande vor allen Herrlichkeiten der großen Stadt rühmte, und so oft sie eine der Eigentümlichkeiten der Hallig, wenn auch nur scherzhaft, mit den glänzendsten Lobeserhebungen anpries, fühlte sich Godber enger und enger zu ihr hingezogen und gab sich den schönsten Träumen einer goldenen Zukunft hin. Bei ihm war ja die Liebe zu seiner Heimat so mit seinem innersten Wesen verwoben, daß er Alles, was Idalia in dieser Hinsicht sagte, nur für natürliche Anerkennung der Wahrheit, für ein Zeugnis voller Uebereinstimmung ihrer Seelen nahm, und mit jedem Lobe aus ihrem Munde wuchs daher auch seine Liebe zu ihr, die allein in der Liebe für das Land seiner Geburt ein Gleichgewicht hatte, sonst alle seine andern Gedanken und Empfindungen weit überwog. Die Erinnerung an Maria trat immer weiter in den Hintergrund zurück, und kamen auch einzelne Augenblicke, die an Treu und Glauben mahnten, so übte sich Godber in der Kunst, mit seinem Gewissen sich so zu beraten, daß er Recht behielt. Was konnte er dafür, daß er jetzt erst den Stern gefunden, der ihm auf seiner Erdenwallfahrt zu leuchten bestimmt war? Daß er nun erst sich selbst ganz gefunden durch die Gemeinschaft mit einem Wesen, in welchem sein Denken und Fühlen sich wie in einem verklärenden Spiegel abmalte, so daß er selbst dadurch zu einer nie geahnten Höhe erhoben und begeistert wurde? Er erschrak jetzt vor der niedern Sphäre, in welcher sein Geist und sein Herz geblieben sein müßten, wenn nicht Idalia’s Zauberschlag an die Tiefen seiner Brust gerührt, wenn er mit der unbedeutenden Maria sein Leben hingebracht.

So war es bei ihm, und so ist es bei Allen, die Eitelkeit, die in den verschiedensten Formen und Gestalten, mit den verschiedensten Wendungen und Umkleidungen sich in unsere Selbstbetrachtungen mischend, den Dingen einen Schein leiht, der uns verblendet gegen die klare Beurteilung der Verhältnisse, gegen die offenen Forderungen des Rechtes und der Pflicht. Darum ist es dem Menschen so not, daß er sich halte an dem festen prophetischen Worte. Er soll in Stunden, die er als Scheidewege erkennt, weder blindlings folgen den von Außen gegebenen Eindrücken, noch es versuchen, durch vielseitige Ueberlegung den rechten Pfad herauszufinden. Bei solcher Ueberlegung wachen in ihm alle bösen Geister auf, als fände der Aberglaube seine Erklärung und Bestätigung, der die Kreuzwege zum Tummelplatz nächtiger Dämonen macht. Sinnlichkeit, Eigennutz, Eitelkeit werden sein Urteil irre zu führen suchen, und selbst mit dem besten Willen wird seine Prüfung nie eine gerechte Würdigung Dessen sein, was sich für die eine oder andere Seite sagen läßt. Er soll vielmehr auch in diesem Sinne seine Vernunft, die durch das Erwachen jener bösen Geister in der Abgebung eines wahrhaftigen Zeugnisses gehindert wird, gefangen geben unter den Gehorsam des Glaubens. Er soll fragen, was da sei des Herrn Wille? und die Antwort darauf nicht suchen in sich selbst, als wäre seine Brust eine Wohnung des heiligen Geistes, da doch, wenn sie das wäre, es der Frage nicht bedurft hätte; sondern er soll die Antwort suchen in den Geboten Gottes, wie sie ihm gegeben sind in der reinen und lautern Offenbarung des göttlichen Gesetzes. Ein solches in seiner festen Entschiedenheit, in seiner einfachen Hoheit dastehendes Gesetz, an dem sich nicht drehen und deuteln läßt, so viel man es auch hin- und herwenden mag, und das kein Zuthun und kein Abnehmen leidet, wenn man es nicht ganz verändern und in Widerspruch mit sich selber bringen will: ein solches Gebot ohne Ausflucht, ein solcher Wegweiser ohne Seitenarm, ein solches Ja und Nein, ohne ein Wörtchen darüber, muß allein entscheiden. Ohne einen solchen Gesetzfels kommt es dahin und ist dahin gekommen, daß jeder Mensch seine eigene Moral hat, und daß diese Moral noch dazu ein wahrer Januskopf ist mit zweierlei Gesichtern, und mit Augen, die, was sie heute grün sehen, morgen früh für grau halten und umgekehrt. Berufst Du dich auf Dein Gewissen, so ist dies ja eben nichts Anderes, wenn es den Namen verdient, den Du ihm beilegst, als der Strom lebendigen Wassers vom Felsen des Gesetzes; und ist es das nicht, so ist noch weniger Verlaß darauf als auf eine von jedem Winde bewegte Wetterfahne, die darin noch den Vorzug hat, daß sie doch wenigstens die Richtung anzeigt, woher der Wind bläst. Also das klare, lautere, gegebene, nicht erst nach den Umständen und Verhältnissen zu machende oder zu modelnde Gesetz Gottes sei Dir für Dein Wollen und Thun ein unerschütterlicher Sinai. Vor Seiner Stimme durch die Wolken müssen alle andern Stimmen schweigen; und schmeicheln sie noch so lockend als Stimmen der Wahrheit um Dich her, sie sind Lüge mehr oder minder, in dem Maße, in welchem sie sich von dem einfachen, offenen Sinn des Gesetzes entfernen. Denkst Du an die Folgen? Ein lieblicher Sonnenschein lächelt Dir entgegen, wenn Du es nur einmal nicht so streng und scharf nehmen wolltest mit den Geboten Gottes, oder sie umkleidest in eine Dir gefälligere Wahrheit. Schwere Wolken dagegen hängen herab über Deinen Pfad, bereit, ihre Gewitter und ihren Hagelschlag auf Dich und die Deinen, auf die Saat Deines Nächsten zu entladen, wenn Du ohne Weichen und Wanken beharrest in dem Worte des Gesetzes. Beharre bis in den Tod, auf daß Du das Leben gewinnest! Du sollst Deine unsterbliche Seele beraten, daß sie bestehe vor dem Richter der Lebendigen und der Toten. Für die Folgen da laß Ihn sorgen; sie stehen ja in Seiner, in des gnädigen Vaters Hand. Sie sind nicht Deine Sache. Dein ist es aber, treu erfunden zu werden! Dies sei Dir genug; wenn auch die Erfahrung Dir nicht so oft zeigte, wie unsere Berechnung der Folgen so leicht dem Irrtum unterworfen ist; wie das Licht die Nacht, und die Nacht das Licht gebiert. Immerdar müssen ja auch alle Dinge, sei’s Reichtum oder Armut, Glück oder Unglück, Leben oder Tod, zum Besten dienen dem, der da sagen kann: „Hier bin ich, Herr! Dein Wort war meines Fußes Leuchte!“

Woher kommt denn all die Armseligkeit selbst unter den sogenannten „guten Menschen?“ Woher denn bei ihnen diese vielen „unschuldigen Schwächen,“ diese feinen, scheuen Wendungen, wenn Gott einmal ein Brandopfer wieder fordert auf dem Altar der Pflicht? Weil sie sich selbst ihre Tugend gemacht haben, um sie, gleich einem bequemen und behaglichen Kissen, bald nach der einen, bald nach der andern Seite hin ihrem Erdenschlummer unterzulegen. Weil sie um den Sinai in der Wüste einen schattenreichen Park angepflanzt haben, der ihnen den Berg aus den Augen rückt, während sie auf blumigen Pfaden über Thal und Hügel dahinwandeln, ganz zufrieden damit, wenn sie nur nicht so weit sich entfernen, daß die Mitgäste im Park sie nicht mehr als ihres Gleichen erkennen wollen. Wahrlich, es thut diesem Geschlecht der Flammenspiegel des Gesetzes not, vor dem die Spreu, die sie eine gute Saat nennen, zur Asche werden muß, nicht einmal geeignet, die dürre Stätte zu bedecken.

Es stimmt freilich wenig mit der sogenannten Aufklärung unserer Zeit, sich an ein solches festes Wort zu binden. Nein, wir wollen lieber uns selbst Gesetz sein, und reden daher viel von dem ins Herz geschriebenen Gebot, worunter wir, wenn wir die Wahrheit sagen wollten, eine weiche Wachsfläche verstehen, worin die äußeren Eindrücke allerlei Figuren malen, aus denen wir dann ein mit unsern Neigungen am besten übereinstimmendes Orakel herauslesen, um ihm als einem Götterspruch nachzufolgen. Daher haben wir es denn auch so leicht gefunden, recht gute und sittliche Menschen zu werden; weil wir, wenn unsere Neigungen nur durch glückliche Umstände, durch Erziehung und Scheu vor dem Urteil der Welt in einer gewissen Flauheit gehalten werden, die es nicht zu tobenden Ausbrüchen der Leidenschaften kommen läßt, davor bewahrt bleiben, Diebe und Mörder zu heißen. Ein bischen Hoffahrt, Weltlust, Verleumdung, Rachsucht, Betrug, ja selbst ein bischen Buhlerei mag dabei gern mit unterlaufen; es ist ja einmal das Erdenleben nicht anders, und es ist ja kein Richter in unserer Brust, der es so genau nimmt; es ist kein Gesetz da, das schärfer als ein zweischneidig Schwert teilet zwischen Gott und Welt, Recht und Unrecht, Tugend und Sünde. Wie im lauen Wasser Wärme und Kälte gemengt sind, so ist auch in unserem selbstgeschaffenen Gesetz Licht und Finsternis zu einem die Augen nicht angreifenden Nebel vereinigt. Wie die Schlangenlinie bald rechts und bald links führt, und wenn sie der einen Seite zulenkt, schon die Wendung nach der andern vorbereitet, so ist auch in unserm Wandel weder ein Fortschreiten auf dem Wege des Lebens, noch ein völliges Abirren auf den Weg des Todes. Freilich, wenn der Tag aufgehet, an welchem Gott die Völker der Erde richtet; wenn Er Rechenschaft fordert auch von jeglichem unnützen Wort, das aus unserm Munde gegangen ist; wenn von Seinem Throne das Wort niederleuchtet: „Ihr sollt heilig sein, denn Ich bin heilig!“ dann freilich wird das weiche Wachs unseres Gesetzes vor den Flammenstrahlen seines Gesetzes hinschmelzen; dann wird unser gefügiger Mittelweg offenbar werden als ein Weg des Fleisches und des Verderbens, der in seinen Windungen nur darum an den Weg des Lebens hinstreifte, auf daß wir keine Entschuldigung hätten, als wäre uns verborgen geblieben, was der Herr, unser Gott, von uns fordert. — Die Fabel vom Gewissen, wie dies Wort gewöhnlich genommen wird, muß aufhören, eher mag keine rechte Tugend gedeihen. Und eine Fabel, noch dazu mit gar schlechter Moral, ist das Gewissen; so es, wie bei den meisten Menschen, nichts weiter ist, als ein Gebräu von Lebensklugheit, Sorge für den guten Ruf, Beachtung des Anstandes, versetzt mit einem Teil natürlicher Gutmütigkeit, die eben so gut Charakterschwäche heißen mag, und einem Teil Erkenntnis des göttlichen Willen, die aber nicht recht weiß, wie sie sich mit jener Mixtur verbinden soll, und nur als Bodensatz zu dienen scheint, der, wenn das Gewissen sich einmal aufrüttelt, unstät im Ganzen verschwimmt. Das wahre Gewissen ist kein Gesetzgeber, sondern nur das Auge, das geöffnet ist für das gegebene Gesetz. Es fragt nicht, wie entschieden werden soll, sondern zeigt nur, wie entschieden ist durch Den, der da sprach: Du sollst, und Du sollst nicht! es erlaubt sich kein Urteil über die Umstände und Verhältnisse; sondern erinnert Dich nur an das Urteil Gottes über den Fall, der vorliegt. Dadurch allein bewahrt es sich in seiner Freiheit wider die Anläufe böser Neigungen und Begierden, daß es sein Licht und seine Kraft nimmt aus einer Höhe, zu der diese nicht hinaufreichen. Will es selbst den Weg finden, den Du wandeln sollst, dann fällt es der Knechtschaft anheim; ist nur ein vielleicht hochmütiger, aber doch williger Diener alles ungöttlichen Wesens und der weltlichen Lüste, und trägt die Livree seiner Herren. Es ist also ein fester Pol, ein: „Gieb mir, wo ich stehe!“ dem Gewissen not, von welchem aus es die Welt überwinde. Es hat sein Licht nicht in sich selber; sondern bedarf eben so gut, wie Dein leiblich Auge das Licht von Außen her, um zu sehen. Ist denn etwa der inwendige Mensch nach seinen verschiedenen Geistes- und Seelenthätigkeiten so getrennt und gespalten, daß jede ihr eigenes Gebiet habe, welches sich frei hält von aller Berührung und Einwirkung der andern? Daß jede schaffet und waltet für sich, ohne von der Bewegung der andern sich mitbestimmen zu lassen? Also daß, während das Herz sich krümmt vor einem Opfer, das die Tugend fordert, während die Sinnlichkeit der bösen Lust zustrebt, während die Klugheit eigennützig rät, den breiten Weg zu wählen, daß nun das Gewissen, ohne einen Führer außerhalb dieser Bewegung, sich ganz frei halten sollte von dem Einfluß dieser Hausgenossenschaft? Wird es nicht bald in den verführerischen Sirenengesang mit einstimmen, oder wenigstens bald übertäubt werden, wenn ihm keine Hülfe von Außen her wird? Wenn lange Gewohnheit leichtsinnig und gleichgültig machte gegen den Weg, den wir wandeln, wenn die Geleise, die wir betreten, unserm Fuß einmal so bequem und natürlich geworden sind, daß es uns gar nicht mehr in den Sinn kommt, andere zu wählen: ist dann Dein Gewissen nicht mit Dir in gleiche Gewohnheit versunken? Wird es wachen, wenn Du schläfst? Wird es stille stehen, wenn Du fortgehst? Wird es sehen, wenn Du blind bist? Wird es reden, mahnen, strafen, anders als Du willst, als ob es kein Teil von Dir wäre, da Du es doch auf Dich selbst allein hinweisest, als auf den Quell, woraus es seine Erkenntnis nehmen soll? Damit verlangst Du ja, daß Du Dir selbst widersprechen, Du selbst Dich selbst überwinden sollst; verlangst Licht von der Finsternis, Kraft von der Ohnmacht, Antwort von der Frage. — Es muß Etwas außer uns sein, wohin wir schauen, als auf einen festen Polarstern, ein Licht, das erhaben ist über die Nebeldünste dieser Welt, ein Wegweiser, auf den wir nicht selbst den Weg malen, den wir für den richtigen halten, sondern auf dem er vorgezeichnet ist von Dem, dessen Wort unseres Fußes Leuchte ist, und ein Licht auf dunklen Wegen. Es muß ein heiliger Wille uns verkündet sein vom Vater des Lichtes. Sonst leben wir in einem revolutionären Lande, wo das alte Recht abgeschafft ist und noch kein neues wieder gegeben; wo Jeder mit seinen Ansichten und Neigungen zu Rate geht, was er thun und lassen soll, und wo der Eine mit dem besten Gewissen ein Totschläger wird und der Andere mit gleich gutem Gewissen die Beute zu sich nimmt. Nicht weil man ohne Gewissen handelte, wurden Scheiterhaufen erbaut und die Guillotine aufgerichtet, sondern weil man das Gesetz Gottes: Du sollst nicht töten! vergaß, und die eigenen Ansichten und Neigungen sich zur Gewissenssache machte. Nicht gegen sein Gewissen lebt der, welchem die Befriedigung des irdischen Gelüstens, das Treiben in zeitlichen Geschäften, der behagliche Genuß des weltlichen Friedens Alles ist; der, dem kein Blick der Andacht den Himmel öffnet, keine ernste Frage nach den göttlichen Dingen das Herz bewegt, keine Heiligung des Sinnnes und Wandels als Lebensaufgabe vorliegt. Er merkt vielmehr in sich gar keinen Widerspruch gegen solche Weise, weil er es nicht gelernt oder wieder verlernt hat, sein Leben im Spiegel des göttlichen Gesetzes zu betrachten; und hat nichts destoweniger auch seine Ehrenpunkte, die sein Gewissen ihm nicht zu verletzen erlaubt. Der Ton, der vielleicht auch bei ihm in einzelnen Stunden wie aus einer höheren Welt anschlägt, ist nur ein Nachklang des früher erkannten göttlichen Gesetzes, oder ein Anklang desselben, durch Gottes Schickungen hervorgerufen. Das Gewissen aber in seiner Wahrheit und Klarheit ist nichts mehr und nichts weniger, als ein Abglanz der Herrlichkeit des göttlichen Gesetzes. Ein Spiegel ist es, in welchem wir den Willen des Ewigen erkennen, wenn wir diesen Willen davor halten. Wollen wir aber nur unser eigenes Bild davor hinstellen, so sehen wir eben auch nur unser eigenes Bild, und unser Wollen und Thun wird auch nichts Anderes sein, als eine Nachäffung dieses Bildes; kein Wollen und Vollbringen dessen, was der Herr, unser Gott, von uns fordert. Der Pilger, der kein Ziel vor sich hat, nach dem er strebt, oder keine Anweisung, wie und wohin er wandern soll, richtet sich nach der Munterkeit oder Müdigkeit seiner Glieder, nach der Annehmlichkeit oder Beschwerde des Weges, nach dem Sonnenschein oder Regenwetter des Tages. So auch die Wallfahrt durch’s Leben ohne Gesetz von Außen her. Wo aber dies als Machtgebot des Richters der Lebendigen und der Toten uns vorleuchtet, da gilt kein Säumen und kein Wanken, da gilt kein Fürchten und kein Gefallen, da gilt kein Leben und kein Sterben, da gilt allein das strenge, unerbittliche Wort, das kein Drehen und kein Deuteln zuläßt, das keine Vorwände und Entschuldigungen annimmt, das keine Verführungen und Versuchungen anerkennt, das Gehorsam, nur Gehorsam will. Ohne ein solches Wort der Zucht und der Kraft, das ganz über unser Klügeln und Mäkeln hinausgehoben ist, werden wir nie die Sünde überwinden, nie wandeln in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit. Darum soll unser Gewissen nie etwas Anderes sein, als ein Merken und Erwägen dieses Wortes; und redeten auch tausend Stimmen dagegen und spräche auch die ganze Welt ihr Anathema aus gegen dessen Ausspruch, und flehten auch alle Seufzer und Thränen Deines Herzens gegen seine Erfüllung, und gelte es auch den letzten Brosamen unseres irdischen Glückes, die letzte Hoffnung unseres zeitlichen Daseins: laß fahren dahin, Du hast nur ein Gesetz, das Gesetz des Herrn! und darin beharre bis an’s Ende! Das Reich Gottes muß Dir doch bleiben. Godber war in der Furcht Gottes und in der Zucht des Gesetzes erzogen. Es war ihm darum nicht so leicht, sein Gewissen, das wenigstens mit einem Fuße noch auf dem Boden stand, zu seinen jetzigen Ansichten hinzudrängen. Wenn er eben glaubte, daß es mit ihm ruhig auf dem Wege fortwandle, welchen er fortan als den für ihn notwendigen, durch die Fügungen des Geschicks ihm vorgezeichneten Lebensweg zu betrachten sich zu gewöhnen suchte, dann trat es eigensinnig aus dem Geleise und stand wieder wie eingewurzelt auf der Stelle der Schrift: „Laß Dich nicht einen jeglichen Wind führen, und folge nicht einem jeglichen Wege, wie die unbeständigen Herzen thun; sondern sei fest in Deinem Gemüt und bleibe bei einerlei Rede!“ Doch wir sind nie schlauer und gewandter, als da, wo es darauf ankommt, uns selbst zu betrügen; und so förderte sich auch Godber immer weiter in der Kunst, aus der ehernen Gesetztafel eine wächserne zu machen, und das störrige Roß seines Gewissens in ein folgsames Paradepferd umzuwandeln. Der Herr aber in der Höhe wollte ihm zeigen, wie eitel solche Kunst sei und wie wenig haltbar der Zügel, an dem sie ein Gewissen, das einmal eine andere Führung gewohnt war, zu leiten sucht. Gott sprach durch den Mund der Toten, und — vor das Paradies, in das Godber ruhig einzugehen meinte, trat der Engel mit dem feurigen Schwert.

IX.

Die Stunde kommt, von Gott gesendet,

Das sinnentrunkne Herz wird wach,

Und jedes dunkle Blatt, es wendet

Zurück sich an den hellen Tag.

Die Leichen der mit dem Schiffe Verunglückten wurden gefunden. Godber hatte auf der alten Kirchwerfte einen Stein, in der Form eines großen Taufbeckens, bemerkt und war auf Idalias Wunsch hinausgegangen, um zu sehen, ob derselbe sich nicht für ihre Absicht gebrauchen ließe, seiner Werfte eine neue Zier zu geben. Da lag vor ihm die Leiche seines Schiffsherrn, und später fanden sich, noch im Tode getreu, nicht weit davon die beiden andern Seeleute. Sie hatten zusammen in den Höhlungen des frühern, jetzt fast ganz dem Meere anheimgefallenen Friedhofs, der aber noch durch manches vom Wellenschlag wieder ans Licht gebrachte Gebein von seiner ehemaligen Bestimmung zeugte, ihre Ruhestätte gefunden, nachdem sie lange ein Spiel der Wogen gewesen waren.

„Haben die Toten da in den halboffnen und verwitterten Särgen,“ sagte Hold, als er bald darauf herbeigerufen wurde, um die nötigen Anordnungen wegen der Beerdigung zu treffen, „nicht, gleichsam mitleidig ihre Arme ausgestreckt, um diese Leichen neben sich zu betten? Ach! wie bald wird auch der Platz, wohin wir sie bringen, ausgewaschen werden von der Flut, und die Welle ihr Spiel erneuen mit den ruhelosen Gebeinen!“

Die Abgeschiedenheit, in welcher die Halligen oft Wochen lang durch den Wind und Wetter oder Eisgang gehalten werden, nötigt den Hausvater, auch daran zu denken, daß ein Sarg vorrätig sei. Unter seinem übrigen Gerät darf auch dies memento mori nicht fehlen, so schwer und so ungern man sich auch sonst anderswo daran gewöhnen möchte, tagtäglich mit seinem Blick die enge Bretterkammer zu messen, die für einen unserer Lieben oder für uns selbst bestimmt ist. An Särgen zur notwendig schnellen Beerdigung der aufgefundenen Leichen fehlte es daher nicht, und diese wurde auf den folgenden Tag, einen Sonntag, festgesetzt.

Der fast unerhörte Fall auf der Hallig: drei Leichen an einem Tage, die außerordentlichen Umstände, welche dies Ereignis herbeigeführt, die besondere Rettung der Andern vom Schiffe, dies Alles bestimmte Hold, die ganze Feier des Tages daran zu knüpfen. Es wurden also zur Kirchzeit die drei Särge vor die Kirchthüre gesetzt, da der innere Raum zu beschränkt war, sie und die Gemeinde aufzunehmen. Die Predigt nach Vorlesen des Evangeliums für jenen Tag, den 13. Sonntag Trinitatis, Lukas 17, 11—19, nahm die Frage: „Wo sind aber die Neun?“ als Thema aus dem Schrifttext heraus, und die bloße Ankündigung dieses Themas mußte, so wenig auch nach den Regeln der Homiletik ein solches Herausgreifen eines einzelnen Wortes oder Nebenumstandes gerechtfertigt werden kann, erschütternd wirken, da gerade auch neun Personen in dem Schiffe zusammengewesen waren. Diese einzige Frage stellte die Geretteten und Verunglückten neben einander, führte die Gedanken zurück auf ihre frühere Gemeinschaft, hin auf den jetzt so verschiedenen Zustand, und drängte die Betrachtung auf: wie, wenn die Loose nun vertauscht worden wären? „Wo sind aber die Neun?“ für die Fremden war dies Wort genug zu einer unvergeßlichen Predigt. Es schien auch, als habe Hold durch Hervorhebung dieser Frage nur einen kurzen, aber eindringlichen Schlag auf die Herzen der anwesenden Fremden führen wollen, denn in der Beantwortung redete er weit weniger, als Viele seiner Zuhörer erwarten mochten, in Beziehung auf den vorliegenden Fall; machte von dem Besonderen sogleich allgemeine Anwendungen und vergaß über die Einzelnen nicht die Gemeinde. Vielleicht aber gerade deswegen fanden seine Worte Eingang auch bei diesen Einzelnen. Sie hatten nun nicht die Unannehmlichkeit, alle Blicke und Gedanken auf sich gerichtet zu sehen und nur von und für sich reden zu hören. Sie konnten nun mit voller Aufmerksamkeit dem Worte folgen, da ihre Phantasie nicht immer wieder auf die erlebten Schreckensscenen zurückgeführt wurde. Sie fanden sich nun nicht gestört durch falsche Zeichnung der Umstände ihrer Gefahr und Rettung, durch Andichtung von Empfindungen, die sie nie gehabt, durch Zuschreibung von Wünschen oder Gelübden, die nie in ihre Gedanken gekommen waren. — Nach der Predigt wurden die Särge auf den Gottesacker, der eine kurze Strecke von der Kirche entfernt war, in drei verschiedenen Gängen getragen, da der Mangel an Trägern es nicht erlaubte, sie mit einander hinzubringen. Aber eine Gruft nahm die drei Toten auf, und die große Flagge des Schiffs, dem ihre letzten Dienste im Leben gewidmet waren, sollte über die Särge hingesenkt werden. Godber hatte diese Flagge, die mit schwarzem Flor umhangen war, vorgetragen; aber als er sie hinabsenken wollte in die Gruft, entglitt sie seinen zitternden Händen und von dem Fall ihrer Stange dröhnten die Särge mit hohlem Klang. Godber aber sank totenbleich und an allen Gliedern bebend auf die Umstehenden zurück.

Doch müssen wir hier wohl erst ein wenig wieder zurückgehen, um Godber’s innere Kämpfe bis zu diesem Augenblick zu verfolgen. Mit der Auffindung der ertrunkenen Gefährten war über sein Gemüt eine düstere Wolke gezogen, die er mit der größten Anstrengung zu verscheuchen, oder wenigstens vor Andern zu verbergen strebte. Die starren, strengen Züge im Antlitz seines Kapitäns, als er neben der Leiche desselben am Ufer unter den zerrissenen Grüften stand, schienen ihn zu fragen: „warum hat mein Steuermann vor mir das Schiff verlassen?“ und als er den Blick verstört zurückwandte, ging Maria eben mit langsamem Schritt auf ihre Werfte hinauf, und er glaubte ihren Seufzer zu hören: „warum hast Du Deine Braut verlassen, Godber?“ Da ward es ihm finster vor den Augen, da krampfte eine eisige Hand sich um sein Herz, da gellte es ihm wie Hohngelächter in die Ohren: „Du doppelt Meineidiger!“ Er eilte wie vom Fluch gejagt hinweg von dieser grauenvollen Stätte und stand, ehe er noch wieder zur Besinnung kam, vor Idalia. Wäre diese ihm mit Thränen in den Augen, oder auch gar mit Zorn und Schelten entgegengetreten, er würde an ihren Hals geflogen sein, und an ihrem Busen sein von Wehmut und Bitterkeit gleich erfülltes Herz ausgeweint haben. Sie aber kam mit ihrem gewöhnlichen holden Lächeln auf ihn zu, mit dem Lächeln, das so oft ihn wie mit magischer Gewalt hingerissen hatte; jetzt aber in der Stimmung, worin er war, wirkte es nur zurückstoßend auf ihn; es widersprach zu sehr allen seinen Empfindungen, und es fiel ihm gar nicht ein, daß sie, noch unbekannt mit Dem, was er eben gesehen, auch keine Trauer über das Geschick der Umgekommenen zeigen könne. Er mußte, anstatt zu ihr sich hinzuneigen, scheu zurückweichen. Er mußte, während er seinen Blick starr auf sie heftete, sich selber fragen: „ist dies herzlose, spottende Zauberbild eines doppelten Treubruchs wert?“

Idalia trat stolz zurück. Sie war zu sehr an eine allvergessende Huldigung gewöhnt, als daß sie sich hätte entschließen können, ihn teilnehmend zu fragen: was ihm fehle? Mochte auch Liebe für ihn eben so dringend, als Neugierde, sie antreiben, den völlig Verstörten, der sich, mit beiden Händen die Augen bedeckend, auf einen Stuhl geworfen hatte, um Aufschluß über sein Benehmen zu bitten, so trug doch ihre Empfindlichkeit den Sieg davon. Sie setzte sich grollend in eine andere Ecke, stützte ihren Kopf mit dem Arm, und, die kleinen Lippen hoch aufwerfend, die Augen, wie feucht von einer Thräne, mit dem Schnupftuch trocknend, nur dann und wann einen flüchtigen und verstohlenen Blick auf Godber werfend, spielte sie eben so sehr die Rolle einer Uebellaunigen, als sie es wirklich war. Denn wenigstens das war ihr klar geworden, daß sie nicht so ganz allein herrsche in seinem Herzen, daß es noch Etwas gebe in der Welt, was ihn unempfindlich machen könne gegen die Macht ihrer Reize; daß daher ihr Sieg noch gar nicht so vollständig sei, wie sie bisher geglaubt. Und hatte seine Verstimmung wohl gar allein ihren Grund in einem Zusammentreffen mit Maria? Wenn dieser Gedanke ihrer Liebe, die nicht weniger abgöttische Verehrung, als ausschließliche Hingebung des Herzens von dem Geliebten forderte, vielleicht Eintrag that, so weckte er doch auch wieder ihren Stolz, und durch diesen den Entschluß, ihn mit allen Mitteln ganz zu fesseln. Sie selbst urteilte freilich nicht so klar über ihre Empfindungen und rechnete auch der Liebe einen nicht kleinen Anteil zu an diesem Entschlusse.

Godber aber schien völlig abwesend zu sein mit seinem Geiste. Er brütete bald mit dumpfem Schweigen in sich hinein, bald kündeten einzelne Seufzer und zuckende Bewegungen die tiefe Aufregung seines Innern. Idalia wußte sich in der Spannung zwischen Neugierde und Aerger kaum mehr zu lassen. Selbst ihr Schluchzen hatte der Unempfindliche überhört. Zu ihrer Freude kam endlich ihr Vater, und aus dessen theilnehmenden und tröstenden Worten an Godber, der sich bei dem Eintritte Mander’s emporraffte und ruhiger zu erscheinen strebte, erfuhr sie nun die Auffindung der Leichen. War ihr auch der Schmerz Godber’s über das Geschick der schon längst verloren gegebenen Gefährten unbegreiflich, fühlte sie sich auch noch mehr beleidigt, wie eine ihr so gering dünkende Ursache ihn zu einem solchen Betragen gegen sie verleiten konnte, so hatte sie das doch wenigstens gewonnen, daß nicht mehr die Eifersucht sich in ihre Betrachtungen über sein Benehmen mischte. Sie mußte mit einem Blick in den Spiegel über sich selbst lächeln, daß sie nur einen Augenblick hatte daran denken können, daß ein Halligmädchen ihr den Rang streitig mache. Doch sollte Godber ernsthaft bestraft werden; zu ihren Füßen sollte er Verzeihung betteln, und erst nach langem Flehen wollte sie ihm die Hand zum Kusse als Anfang der Versöhnung reichen; die rechte Versöhnung sollte noch mehrere Tage weiter hinausgeschoben werden, damit es ihm nie wieder einfallen möge, zu vergessen, wie sein Glück allein von ihrer Liebe abhänge, und wie dieses Glück mit voller Hingebung und Vergessenheit erkauft werden müsse.

Und das nennen sie Liebe!

Für heute schien Godber keinen Anfang zur reuigen Rückkehr machen zu wollen, denn, ohne nur mit einem Blicke nach Idalia zu sehen, ging er mit Mander zu dem Pastor, um Verabredungen wegen der Beerdigung zu treffen. Hold nannte die Hausväter, die wohl passende Särge haben würden, und Godber ging zu diesen. Als er später wieder zum Pastorat zurückkam, war Mander schon fortgegangen, und Hold hatte nun Gelegenheit, ein Wort über Godber’s Verhältnisse zu Maria und Idalia zu reden. Kaum aber begann er darauf hinzudeuten, als Godber mit dem Ausruf, der aber keineswegs wie trotzige Abweisung, sondern eher wie ein Schrei der Verzweiflung klang: „Ich weiß Alles, was Sie sagen wollen!“ ihn unterbrach und aus dem Hause stürzte.

Idalia wartete den Abend vergebens auf seine Rückkehr. Sie weinte jetzt wirklich bittere Thränen, die anfangs nur der tiefbeleidigte Stolz hervorgerufen; die aber, weil sie nur den Schmerz der gekränkten Liebe darin sah, auch ihre Gefühle zu der Höhe der wahrhaften Liebe steigerten.

Am andern Morgen fehlte Godber beim Frühstück, und es wußte Niemand im Hause, ob er überhaupt in der Nacht da gewesen sei. Idalia sah ihn zuerst wieder, wie er bleich und verstört mit der Trauerfahne an der Werfte vor den Särgen her vorüberschwankte.

Godber hatte in der Nacht bei den Toten gewacht und sich ausdrücklich jede Teilnahme Anderer an dieser Wache verbeten, so ungern sich auch die beiden mitgeretteten Matrosen aus alter Neigung zu ihrem Kapitän und ihren Gefährten davon zurückweisen ließen. Er wollte allein sein, allein mit den glücklichen Toten und seinem unglücklichen Herzen. Sein Schmerz löste sich in dieser Stille zu Thränen der Wehmut auf. Seine ganze glückliche Kindheit, seine Spiele mit Maria, das Gelübde, das er ihr gegeben, die Briefe, die er ihr geschrieben, die Träume von einer schönen Zukunft an ihrer Seite mitten in den Gefahren des Meeres, mitten unter dem geräuschvollen Treiben seines Berufs, die einsamen Nächte am Steuer, wenn die Wellen fremder Meere wie Grüße aus der Heimat um den Kiel rauschten und die Sterne am Himmel von dem Frieden dieser Heimat redeten: Alles dieses wiederholte sich in seiner Erinnerung und ging an ihm vorüber wie Bilder eines verlorenen Paradieses. Warum konnte er dies Paradies nicht wieder gewinnen? Warum die Fesseln, die die Untreue gebunden, nicht von sich abstreifen? so fragte er sich selbst; und Idalia’s Bild vermochte nicht einen Augenblick seinen Geist in diese Bande zurückzuführen. Vielmehr erwachte in ihm eine unendliche Sehnsucht, Maria, seine Maria wiederzusehen. Um Mitternacht verließ er die Totenkammer, trat leise hinaus in’s Freie; und siehe! die Sterne blickten so freundlich lächelnd auf ihn herab, als wollten sie seinen Gang segnen. Er eilte raschen Laufs vorwärts, übersprang mehrere Gräben, um nicht durch den Umweg über die Stege aufgehalten zu werden. Da blinkte ihm schon von fern ein Lichtglanz aus der ersehnten Wohnung entgegen. Es fiel ihm nicht auf um diese späte Stunde. Er meinte, es müsse so sein; sie warte ja auf ihn, sie zeige ihm ja damit nur den Weg zurück zu seinem Gelübde der Treue. Hastig, aber doch sorgsam jedes Geräusch meidend, ging er die Werfte hinauf. Ein Stein an der Mauer erlaubte ihm, über die niedrigen Fensterladen hinwegzusehen. Da saß Maria am Bette ihrer Mutter, die Hände gefaltet in den Schoß gelegt und mit den halbgeschlossenen Augen, wie träumend, nach Oben blickend. Angewurzelt blieb Godber auf seiner Stelle, den Atem zurückpressend in der aufwallenden Brust, mit unverwandtem Auge an der Jungfrau haftend, die ihm jetzt, wenn er in diesem Augenblick hätte vergleichen können, als eine himmlische Erscheinung gegen Idalia’s irdisches Schattenbild vorgekommen wäre. Lange, lange stand er so. Maria nickte zuweilen vom Schlummer überwältigt ein, und Godber’s Herz klopfte dann hörbar vor Angst, daß sie fallen möchte. Wenn sie die Augen wieder aufschlug, wartete er immer darauf, daß sie ihn sehen und wie am ersten Tage mit dem Ausruf: „Godber, Godber, bist Du wieder da!“ zu ihm hineilen sollte. War denn nicht heute der erste Tag? kam es ihm doch vor, als habe er nur schwer geträumt und sei erst eben angekommen auf der Hallig. Aber Maria nahm das Licht, leuchtete sorgsam nach dem Bette ihrer Mutter hin und horchte auf ihren Odemzug. So waren Stunden entflohen; für Godber waren es Minuten. Der Morgen begann schon zu dämmern; für Godber war es noch Mitternacht. Die Kühle aber, welche dem Aufgang der Sonne vorhergeht, fieberte auch ihn an. Er merkte es nicht; nur wurden seine Gedanken dadurch von Maria auf die Ursache ihres Nachtwachens hingeführt. „Ach!“ dachte er, „gewiß ist die Mutter krank, und du, du allein trägst die Schuld! Du bringst die Mutter in’s Grab, und die Tochter“ — er konnte nicht vollenden — wird ihr nachfolgen! Hinein mußte er, zu ihren Füßen die Stunde der Reue feiern, an ihrer Brust wieder zum neuen Leben erwachen. Er hatte die Hand schon an der Thürklinke. Da krähte der Hahn im Stalle dicht neben ihm dem Morgen entgegen. Er schrak zusammen, wie ein ertappter Verbrecher. „Petrus der Verräther!“ murmelte er dumpf in sich hinein, zog die Hand rasch von der Thür hinweg und blickte wild um sich. Die Sterne waren untergegangen und ein grauer Nebel verdeckte noch die erste Röte des Tages. Godber’s hochatmende Brust sog die kalte, schwere Luft mit vollen und raschen Zügen ein. Er fühlte auf einmal alle Bande wieder, in die er sich verwirrt, und stürzte fort. Atemlos kam er in der Totenkammer wieder an. Die Lampe war fast ganz niedergebrannt und warf nur noch einen schwachen Schimmer in die Dunkelheit hinein. Sein rascher Fußtritt stieß an einen der Särge an, dumpf dröhnten die trocknen Bretter und besinnungslos sank der Lebende bei den Toten zu Boden.

Nach dieser Nacht mußte für Godber der folgende Tag wahrhaft martervoll werden. Die völlige Erschöpfung seiner Körperkräfte trug dazu bei, seiner Phantasie volle Herrschaft über ihn zu geben. Er sah und hörte in Allem nur Anspielungen auf seinen Treubruch. In dieser Kirche hatte ja Maria für seine glückliche Rückkunft gebetet; hierher gedachte sie den ersten Gang an seiner Seite zu machen. Diese ganze Gemeinde wußte ja von seinem Gelübde; alle Blicke kündeten die tiefste Verachtung; alle diese heimlichen Unterredungen sprachen schon den Bann über ihn; alle Tritte lenkten von seiner Nähe ab. Die Buchstaben selbst des Gesangbuches drängten sich von seinem Blick hinweg und die Töne flohen seinen vergifteten Odem. Bei der Frage Hold’s: „Wo sind aber die Neun?“ grüßten ihn die fahlen Gesichter der Toten und sprachen grinsend: „Die Neun sind wieder beisammen!“ Daß diese Worte der Predigt angehörten, konnte ihm nicht in den Sinn kommen; er sah und hörte nur die Toten, die sich immer näher an ihn herandrängten und deren eisiger Hauch ihm durch die Gebeine rieselte, während heiße Tropfen von seiner Stirne fielen. So wurde er nach dem Schluß der Kirchenfeier in den Leichenzug als Träger der Trauerfahne willenlos hineingezogen. Aber die Flagge des seiner Hand vertraut gewesenen Schiffes ward ihm zu einer großen, schweren Woge, die vor ihm herrollte und ihn mit fortzog. Er klammerte seine Hand so fest um den Stock, daß ihn der Arm schmerzte, und je mehr er den Schmerz fühlte, desto fester klammerte er seine Finger zusammen; denn desto gewisser ward es ihm, daß er, in die Flut geschleudert, die letzte Planke des zertrümmerten Schiffes gefaßt habe. Dreimal hatte er, von den ängstlichen Bildern gefoltert, den schweren Gang machen müssen, und trat nun an das offene Grab. Er starrte hinein und strengte seine Augen vergebens an, den Abgrund zu seinen Füßen abzusehen. Immer tiefer dehnte sich vor ihm die unergründliche Gruft. Er wäre, wie er sich immer weiter vorbog, um mit seinem irren Blick die Tiefe zu ermessen, hinabgestürzt, wenn ihn nicht Mander und Oswald, die in ihm nur den um den Verlust seiner Schiffsgenossen tieftrauernden Mann sahen, zurückgehalten hätten. Da hörte er, wie Hold, in Bezug auf des Kapitäns Weigerung, das ihm anvertraute Schiff zu verlassen, sagte: „Es ist ein Segen bei der Treue, wenn nicht in der Zeit, doch in der Ewigkeit!“ Dieses Wort schmetterte seine letzte Kraft hin. Er murmelte leise wie ein Sterbender mit gebrochenem Herzen: „Und ein Fluch bei der Untreue in Zeit und Ewigkeit!“ Jetzt schon wäre er hingesunken, wenn er sich nicht mit schlaffen Gliedern auf die Flaggenstange gelehnt, die neben ihm in den Boden gesteckt war. Hold mußte ihn erinnern, die Flagge in die Gruft zu senken. Er faßte sie krampfhaft an und schwankte wieder vornüber auf das Grab zu. Da standen die drei Särge; aber wie vorher die Tiefe unergründlich schien, so rückten nun die schwarzen Särge dicht vor seine Augen hin. Die Deckel öffneten sich, die Toten rüttelten sich zornig drohend gegen ihn auf. Er taumelte entsetzt zurück, und die Flagge fiel aus seinen ohnmächtigen Händen auf die Särge hin.

X.

Es reift in stiller Hütte

In einfach frommer Sitte

Das wunderreiche Herz,

Dem Segen jede Wunde,

Dem Licht die trübste Stunde,

Dem Tau der größte Schmerz.

Maria’s Benehmen in diesen Tagen war ganz der Spiegel ihres gottergebenen Herzens. Sie erfüllte die häuslichen Pflichten, die ihr oblagen, mit demselben Eifer und derselben Ausdauer wie früher. Wer sie nicht, belebt von der Hoffnung einer schönen Zukunft, gekannt hatte, konnte nicht ahnen, welchen Schmerz die Jungfrau, der dies stille, ruhige Wesen angeboren zu sein schien, zu überwinden sich im täglichen Gebet übte, und welcher Kraft sie bedurfte, um fest zu werden in ihrer Erwählung, eine Magd des Herrn zu sein. Gott, der da sorget für die gebrochenen Herzen, und Keinem mehr auflegt, als er tragen kann, erleichterte ihr ihren Kampf durch die Krankheit, welche die Mutter befiel. Und Maria gab, als ob sie es empfunden, daß diese Krankheit ihrer Wunde Heilung bringen sollte, sich mit einer Sorgsamkeit und Aufopferung der Pflege ihrer Mutter hin, daß all’ ihr Sinnen und Denken gleichsam verschlungen ward von diesem ihren neuen Beruf. Aerztliche Hülfe bot die Hallig nicht dar; und auswärts sie zu suchen, überstieg die Vermögenskräfte der Witwe, wenn auch nicht der Wille gefehlt hätte, da Ruhe, Pflege und einige Hausmittel dem Halligbewohner in Krankheitsfällen genug dünken. Hold besuchte die Kranke mehrere Male, und wenn diese zuweilen auf Godber’s Untreue zu sprechen kam, fiel ihr Maria schnell in die Rede und sagte: „Laß das, Mutter. Ich kann Dich ja nun besser pflegen, als wenn ich an ihn dächte.“ Sprach sie mit Hold allein, dann drang wohl noch ein Ton des Schmerzes durch; aber als hätte er nur einen Friedensgruß aus der Höhe von den Lippen des Seelsorgers locken wollen, ging er gleich wieder in die aufrichtige Sprache frommer Ergebung über.

Lächeln aber mußte Hold, als Maria ihm bei einem dieser Besuche ein paar damals vielgelesene Romane mit der Bitte gab, sie dem jungen Herrn zurückzubringen. Er erfuhr nun, daß Oswald, vielleicht nur um eine, seinen Neigungen entsprechende Abwechslung in die Einförmigkeit des Lebens, zu dem er gezwungen war, hineinzubringen, die Bekanntschaft des Mädchens gesucht, den einen Tag der Mutter eine Flasche Wein, den andern Tag der Tochter die Bücher gebracht habe.

„Sie aber,“ meinte diese, „könne eben so wenig aus seinen Reden, wie aus seinen Büchern vernehmen. Ihr werde unheimlich dabei zu Mute; denn das sei eben die Sprache, welche Godber in seinen Briefen auch zuweilen geredet, und die wol die Schuld trage, daß er seine Verlobte nun verachte;“ und unbekannt mit der Blume, die durch ihren Namen die Erinnerung fesseln soll, fügte sie mit dem scharfen Spott eines tiefverwundeten Herzens hinzu:

„Da reden sie von Vergiß mein nicht, als ob man so Etwas abpflücken könne, wie eine Blume, die zum Verwelken bestimmt ist. Kein Wunder, daß sie so leicht vergessen!“

„O, diese feinen Herren,“ dachte Hold beim Heimwege, „die die Fühlfäden ihrer Lüsternheit nach jedem hübschen Gesicht ausstrecken und es nicht merken, wenn sie die Einfalt der Unschuld vor sich haben, an der all’ ihre Gifttropfen, wie an einem Krystall, abfallen, ohne eine Spur zu lassen. Nein, mein kluger Oswald, mit Deinen Romanen wolltest Du wol erst geschickt den Boden bereiten für deine Liebschaft. Aber hier ist kein Boden, auf dem solche Schlingflanzen Wurzel fassen können. Hier ist Gottes Erdreich und nicht das faule Beet verborgen gehaltener Begierden. Ehe Maria Dich und Dein Gift versteht und dadurch ihm die Kraft zu schaden giebt, müßtest Du sie gar lange in Deine Schule nehmen. Und dann noch das Vergißmeinnicht, welches in ihrem Herzen als eine Blume aus dem Garten Gottes blüht, das pflückst Du nicht so leicht ab, das schützen Gottes Engel vor jedem versteckten oder offenen Angriff.“

Um Mander zu schonen, wartete Hold eine Gelegenheit ab, die Bücher an Oswald ohne Zeugen abzugeben, und sagte ihm dabei:

„Glauben Sie ja nicht, daß ich diese Schriften dem Mädchen abgenommen. Sie gab mir sie ganz freiwillig, weil sie dergleichen nicht verstehen könne.“

„Ich glaubte,“ stotterte Oswald verlegen, „daß dem äußerlich so wol gebildeten Mädchen eine größere innere Bildung keinen Nachteil bringen würde.“

„Und Sie dachten,“ entgegnete Hold strenge, „eben erst wegen dieser Wolgestalt ihres Aeußern an eine innere Bildung? warum denn, wenn Sie ihre sogenannte Bildung so hoch schätzen, gingen Sie ohne Teilnahme an den gleich ungebildeten, aber weniger mit körperlichen Reizen Geschmückten vorüber?“

„Es ist natürlich, daß die auch bloß äußere Schönheit ein regeres Interesse weckt.“

„Ja wol, natürlich,“ erwiderte Hold, „wenn wir gewohnt sind, uns vom Sinnenreiz in unserm Interesse bestimmen zu lassen.“

„Sie nehmen die Sache zu ernst,“ lachte Oswald, der sich von seiner augenblicklichen Verwirrung erholt. „Als Hirte müssen Sie freilich darauf achten, daß kein Schaf Ihrer Heerde zu Schaden kommt.“

„Also auf einen Schaden war es doch abgesehen?“ fragte Hold mit scharfer Betonung, und als Oswald, wol fühlend, wie er sich in seinem eignen Ausdruck gefangen habe, erst nach einer Pause antwortete:

„Ich sagte Ihnen ja schon, daß ich dem Mädchen, das, wie ich nicht leugnen will, mir gleich beim ersten Anblick sehr gefiel, eine reichere Bildung des Geistes und des Herzens wünschte, und darum ihr die Bücher gab,“ fuhr er fort:

„Um Maria’s Willen würde ich kein Wörtchen in dieser Sache verloren haben. Sie hat jene Unschuld, die da Gift trinken mag, und es wird ihr nicht schaden, die auf Schlangen treten mag, und ihr Fuß wird nicht verwundet werden; denn sie ist einfältiglich frommen Sinnes. Für ihren Verstand ist die Sünde zu hoch und ihr Herz zu hoch für die Sünde. Aber um Ihretwillen, junger Mann, möchte ich noch ein Wort sagen. Vergleichen Sie sich einmal in Ihrem Gewissen mit dieser Maria. Sie wissen Vielerlei und Maria gar Wenig. Sie kennen die Geschichte der Völker, ihre Sprachen, ihre Sitten; Maria’s Kunde von diesem Allen ist fast nur auf den Umfang dieses Eilandes beschränkt. Sie haben Mancherlei gesehen und erfahren, und wissen von hunderttausend Dingen zu reden, von denen Maria nicht einmal die Namen kennt. Sie gelten durch die Feinheit Ihres Benehmens, durch gefälligen Anstand und kluge Benutzung aller Vorteile der Erziehung für einen gebildeten Mann; Maria geht schlicht und recht dahin und redet, wie es ihr um’s Herz ist, ohne Zier und Schminke. Sie suchen dabei die Erholung von Geschäften in allerlei Vergnügungen, welche die Sinne reizen und die Gelüste des sterblichen Leibes befriedigen; Maria betet und arbeitet einen Tag wie den andern und sorgt mit aufopfernder Liebe für die Pflege ihrer kranken Mutter. Sie nehmen Freuden und Leiden als Spiele des Zufalls; Maria dankt ihrem Gott und vertraut ihrem Vater im Himmel. Sie stehen hoch über ihr, so hoch, wie die Erde mit ihren Gaben und Genüssen nur erheben kann, und —“ er faßte Oswald’s Hand und schloß mit erhobener Stimme: „ich sage Ihnen, wenn Sie an einen Gott glauben, in dem Namen dieses wahrhaftigen Gottes: Maria steht hoch über Ihnen, denn ihr Wandel ist im Himmel!“

Der junge Mander schwankte zwischen Unmut und Scham und erwiderte mit einer Stimme, in der Trotz und Verlegenheit sich mischten:

„Ein wenig Bildung mehr würde der frommen Jungfrau keinen Schaden thun.“

„Maria’s Bildung,“ entgegnete Hold, „ist für ihren Stand und Beruf hinlänglich; und was ihr sonst zu wissen nützlich wäre, lernt sie wahrlich nicht aus diesen Büchern. Ja, — verzeihen Sie, wenn auch ich, als ein Landsmann Maria’s, schlicht und recht rede, wie mir’s um’s Herz ist, — was Sie von ihr lernen können, ist bei weitem mehr und wichtiger, als das, was Sie ihr aus allem Ihren Wissen und aus allen Ihren Büchern an Belehrung zu geben vermögen. Gesetzt auch, sie könnte die Bildung annehmen, die Sie ihr darreichen wollen, was hätte sie damit gewonnen? Unzufriedenheit mit ihrer Lage, Sehnsucht nach einem ihr unerreichbaren Leben, und was noch schlimmer ist, Erregung von Leidenschaften, die jetzt ihr Herz unzugänglich finden. Verloren aber hätte sie, unwiederbringlich verloren: die Geduld und die Stille eines in Gott ergebenen Gemütes, den Frieden einer den irdischen Schmerz überwindenden Seele; verloren die Ruhe eines unbefleckten Gewissens und die sichere Freudigkeit eines kindlich frommen Glaubens.“

„Wie mögen Sie diesen unschuldigen Romanen einen so schädlichen Einfluß zuschreiben? sie sind ja nur zu einer augenblicklichen Unterhaltung bestimmt und bilden dabei unmerklich den Verstand.“

Wir nehmen,“ war Hold’s Entgegnung, „solche Bücher für das, was sie sind, für Erzeugnisse der Einbildungskraft und sind zu bekannt mit dem Leben, das sie schildern, um mehr darin zu finden, als uns selbst, nur in andern Kleidern. Für Maria aber würden sie eine Welt eröffnen, wenn sie dieselbe verstehen könnte; eine Welt, die ebenso heiße Begierden entflammen und darum ihr ebenso schädlich werden würde, wie Amerika bei der ersten Entdeckung es den Spaniern ward. — Doch ich vergesse, daß Ihr Versuch für die Bildung Maria’s nur eine versuchte Vorbildung für ein ähnliches Spiel war, wie Ihre Schwester es mit Godber treibt.“

Oswald ließ sich nicht darauf ein, diesen erneuten Vorwurf noch einmal abzulehnen. Er ergriff vielmehr mit einer Hast, die seine Freude kund gab, auf einen andern Gegenstand das Gespräch gewandt zu sehen, die Gelegenheit, Idalia als Streitpunkt vorzuschieben.

„Was kann sie denn dafür, wenn ihre Reize so hinreißend wirken? sie hat schon ganz andere Männer zu ihren Füßen gesehen, als diesen Godber.“

„Was kann ich dafür!“ antwortete Hold mit Spott. „Dies Wort kommt mir vor, wie ein verlorener Posten, der auf’s Geradewol dem anrückenden Feinde entgegengeworfen wird, weil es an einer ordentlichen Wehr zur Verteidigung fehlt. Aber es würde unnütz sein, mit Ihnen hierüber zu reden, da Sie gerade ja schon in die Fußstapfen Ihrer Schwester getreten wären, wenn nicht ein gebrochenes Herz, besonders wenn Gottes heilige Engel sich darin gelagert haben, so schwer zu erobern stände, wie ein Herz, wo Eitelkeit und Sinnlichkeit die Wache halten, dagegen leicht.“ — Als Oswald vor Unwillen erglühend jetzt nach seinem Hute griff, fügte der Pastor hinzu:

„Noch Eins, Herr Mander! Sie werden mich immer bereit finden zu all’ der Freundlichkeit, die wir den Gästen unserer Hallig schuldig sind. Sie werden mich verbinden, wenn Sie durch Ihre Unterhaltung dazu beitragen wollen, für diese Wochen mir den Genuß einer heitern Geselligkeit zu verschaffen. Es wird mir wol thun, mit Ihnen und Ihrem Herrn Vater einmal wieder über Dinge reden zu können, die früher das Gespräch mancher schönen Stunde mit meinen Freunden waren. Sie werden es mir aber erlauben müssen, daß ich mich auf meine Weise um Ihre Achtung bewerbe, und daher Ihnen bei jeder passenden Gelegenheit in mir den Seelsorger zeige. Versäumte ich dies, ließe ich Sie bei mir das Amt vergessen, das mir von Gott vertraut ist, dann würde ich ja die Achtung eines vernünftigen Mannes verscherzen. Gehen Sie daher Ihren Weg, wie Sie wollen. Lassen Sie mich auf dem Wege, den Beruf und Gewissen mir vorschreiben; und dabei wollen wir uns die kurzen Stunden unserer Gemeinschaft gegenseitig zu erheitern suchen, und ich hoffe, wir werden dann als Männer von einander scheiden, die sich gerne gesehen haben.“

Oswald war etwas verdutzt über diese Wendung und entfernte sich mit einigen wenig sagenden, aber doch freundlich sein sollenden Worten.

XI.

Aus der Furche Nacht und Tau

Hebt die Lerche kühn die Schwingen,

Von der lichten Morgenau

Her den jungen Tag zu bringen.

So aus schweren Erdenleid der Glaube,

Daß dem Himmel er den Himmel raube.

Für Godber waren jene Phantasien, die ihn zuletzt ohnmächtig am Grabe niederwarfen, der Anfang des in jenen Gegenden gewöhnlichen Fiebers, das zwei Tage den Kranken mit Heftigkeit ergreifend, ihm den dritten Tag Ruhe gönnt, sich auf den nächsten Fiebertag zu bereiten. Idalia zeigte jetzt die ganze Heftigkeit ihres Charakters. Sie warf sich an Godber’s Lager nieder. Sie bedeckte seine kalten Lippen mit ihren glühenden Küssen. Sie rief Himmel und Erde zu Zeugen an, daß sie ohne ihn nicht leben könne, und machte sich die lautesten Vorwürfe über ihr teilnahmloses Betragen gegen ihn. Mander sah mit Erstaunen, welche Gewalt die Liebe über seine Tochter ausübte. Ihm war wol ihre Neigung für den Retter ihres Lebens nicht verborgen geblieben; doch meinte er, wenn erst die Zeit die Dankbarkeit schwäche, werde auch die Entfernung die flüchtige Aufregung eines aus ihr hervorgegangenen Gefühls vergessen machen. Er hatte den Jüngling, der ihm wert sein mußte, bedauert, wenn er wahrnahm, wie dieser von Idalia’s Reizen gefesselt wurde. Aber gewohnt, seinen Kindern mehr teilnehmender Begleiter auf ihrer Lebensbahn, als ein väterlicher Erzieher zu sein, hatte er sich gescheut, die in dieser augenblicklichen Zuneigung so Glücklichen durch klare Aufdeckung des wahren Verhältnisses zu stören. Jetzt freute er sich über die Zurückhaltung; denn war Idalia’s Liebe so tief und innig, wie sie sich nun ihm zeigte, so wollte er ihrer Wahl kein Hindernis entgegenstellen. Fehlte es ihm doch nicht an Mitteln, Godber zum Herrn eines schönen Schiffes zu machen, und durfte er doch hoffen, bei der erprobten Geschicklichkeit und Rechtschaffenheit des jungen Mannes, wie bei dem guten Herzen und festen Charakter desselben, in ihm einen würdigen Schwiegersohn zu sehen, in dessen Hand Idalia’s Glück fest begründet sein würde. Bei dieser Betrachtung bedurfte es nicht erst der flehenden Bitten seiner Tochter, ihn anzutreiben, für ärztliche Hilfe zu sorgen. Oswald fuhr deshalb nach Husum hinüber und kam am folgenden Tag mit dem Arzte zurück, den Idalia in der ängstlichsten Spannung erwartet hatte. Dieser konnte, unbekannt mit dem Seelenzustande des Jünglings, nur ein gewöhnliches Fieber in dessen Krankheit sehen und sagte, daß jetzt allein Diät und Pflege, nach einigen Tagen erst Medicamente nützlich werden könnten.

Idalia mußte sich mit diesem Ausspruche zufrieden geben, so schwer es ihr wurde. Sie hatte fast die ganze erste Nacht an Godber’s Bette gewacht und konnte nur mit Mühe bewogen werden, selbst Ruhe zu suchen, als endlich der Kranke nach den heftigsten Phantasien, in welchen sich die Gefühle, die seine Brust bewegten, in den wunderlichsten Bildern durch einander wirrten, eingeschlummert war. Godber’s Jugendkraft schien die Krankheit durch einen langen Schlaf überwinden zu wollen. Als er erwachte, war der Frost des wiederkehrenden Fiebers schon vorüber und die Hitze begann aufzusteigen, die alten Phantasien mit sich führend. Idalia saß bereits wieder an seinem Lager. Er blickte starr auf sie hin, ohne eine Antwort auf ihre Frage nach seinem Befinden. Es schien, als strenge er sich an, seine Gedanken zu ordnen, und als wäre die vor ihm sitzende Jungfrau eine ganz fremde Gestalt, die er nicht in den Kreis seiner Vorstellungen hinein zu bringen vermöchte. Plötzlich zuckte er zusammen; seine Züge verzerrten sich, wie getroffen von dem Anblick einer gräßlichen Todesgefahr, und mit dem Ausruf: „dreifach Meineidiger!“ barg er sich stöhnend in die Kissen.

Idalia konnte nur zum Teil erraten, was den Jüngling so tief erschüttert hatte; auch war sie oft geneigt, Alles für Phantasiespiele des Fiebers zu halten, die keinen Grund in seinen wirklichen Gefühlen hätten; doch freute sie sich innig, als in den nächsten Tagen diese Phantasien mit den Fieberanfällen wiederkehrten und Godber’s volle Zärtlichkeit für sie sich auf das deutlichste aussprach, weicher, hingebender als je zuvor. Seine körperliche Schwäche milderte den Kampf in seinem Innern. Idalia’s treue Pflege rührte ihn tiefer, mit seinem Wesen übereinstimmender als alle früheren Zeugnisse ihrer Liebe, wenn diese ihn auch leidenschaftlicher entzückt hatten. Er gab sich gleichsam seinem Loose hin, ohne weiter durch die Erinnerung an das Vorhergegangene zu widerstreben. Nur an ihr haftete sein matter Blick; nur wenn sie neben ihm saß, war er zufrieden; nur ihr Lächeln erheiterte auch sein bleiches Gesicht. Wie ein Kind der Mutter folgte sein Auge allen ihren Bewegungen; und mehr stumm, als wortreich, malte sich doch gerade in seinem Schweigen die tiefste, vollste Liebe. Gleich wie die Abendröte nach einem stürmischen Tage der wieder Lebensodem schöpfenden Natur die lieblichste Färbung leiht, so war über Godber’s Wesen nun eine ganz eigene Milde, Zartheit und Hingebung verbreitet. Diese Wendung seiner früher mehr heftig bewegten Gefühle ging zum Teil aus wirklich jetzt innigerer Liebe zu Idalia, zum Teil aber auch aus der ihm freilich nicht klar bewußten Notwendigkeit hervor, sein Dasein nun ganz mit dem ihren zu verweben, um den Frieden seines Lebens wieder zu gewinnen.

Auf Idalia’s Herz blieb diese Innigkeit Godber’s nicht ohne bedeutenden Einfluß; es hatte der wahren Liebe nie so nahe gestanden, als jetzt. Diese ungewohnte, nie geahnte und ihrem Charakter fremde Weichheit, die völlige Verschmelzung aller Gedanken und Gefühle mit dem geliebten Wesen zog sie unwiderstehlich an, und sie fühlte in einzelnen Stunden Aehnliches. In einer solchen Stunde sang sie unter Begleitung der Laute, die sie mit hoher Kunstfertigkeit spielte, und deren Erhaltung im Schiffbruch sie der Sorgfalt verdankte, mit welcher sie dieselbe, als ein Mittel, mit ihrem Talent zu prunken, nach jedem Gebrauch wieder verschloß, das folgende Lied, welches sie auf Godber’s Bitte ihm nun täglich wenigstens einmal vorsingen mußte:

Was ich einst gewesen,

Weiß ich’s denn noch mehr?

Kann ich Kunde geben,

Wie ich anders wär?

War mir Lebenswiege

Nicht Dein erster Gruß?

Wie mir Todessiegel

Wär’ Dein letzter Kuß.

Kann die Blume scheiden

Sich von Licht und Tau?

Kann die Welle steigen

Auf in’s ferne Blau?

Giebt’s für Dein Gebilde

Eine andre Welt,

Wo Dein Schöpferwille

Es nicht trägt und hält?

So nur Deine Gabe

Geb’ ich Dir zurück,

Wenn ich liebend atme

Nur in Deinem Glück.

Godber sah in diesen und ähnlichen Ausdrücken die vollsten Beweise der hingebendsten Liebe, und sie dienten dazu, ihn in dem Bestreben zu bestärken, sein Verhältnis zu Maria mit dem Schleier völliger Vergessenheit zu bedecken; wie sie zugleich ihm die unbegrenzte Erwiderung solcher Liebe gleichsam als eine Pflicht auflegten, an deren Erfüllung doch auch sein Herz den größten Anteil hatte.

So gingen beinahe vierzehn Tage hin, und bis auf die nach einer solchen körperlichen und geistigen Aufregung sehr natürliche Mattigkeit war Godber’s Krankheit fast ganz vorüber, und durch sie der Bund der Liebenden fester als je geknüpft. Zugleich gab die Weise, wie Mander jetzt über diesen Bund sprach, der Neigung, die bisher dem freundlichen Traum der Gegenwart als einer flüchtigen Gunst des Geschicks ohne weitere Erwägung sich hingegeben, die bestimmte Richtung auf die Zukunft, gab ihr den bräutlichen Charakter in seiner Entschiedenheit des Bewußtseins.

Idalia betrachtete, obwol sie es sich gestehen mußte, daß auch in ihrer Brust durch die Liebe zu Godber manche neue Saite angeschlagen sei, doch diesen gegen die Worte ihres Liedes als ihr Gebilde. Hatte sie ihn nicht aus einer Beschränkung des Daseins erhoben, in der er sich früher wolgefallen? Hatte sie ihm nicht eine neue Welt geöffnet, an deren Pforte kaum sein kühnster Traum ihn ohne sie geführt hätte? Mußte er nicht in ihr das Gestirn erkennen, das ihm in eine schönere, genußreichere Zukunft hineinleuchtete, als wozu ihm seine Geburt und sein bisheriges Leben bestimmt zu haben schien? Daß sie dies klar denken und darnach, seltene Momente der Vergessenheit ausgenommen, ihre ganze Stellung gegen den Jüngling beurteilen und ihr Benehmen regeln konnte, zeigt, wie wenig ihre Brust der echten, weiblichen Liebe zugänglich war.

Vielleicht mochte ein Vorfall am neunten Tage der Krankheit Godber’s noch mehr dazu beitragen, Idalia zu einer scharfen, übersichtlichen Würdigung ihrer Verhältnisse zurückzuführen.

Es war ein heiterer Nachmittag. Die milde Herbstsonne blickte so freundlich und warm in die kleine, aber in ihrer lebhaften Färbung und zierlichen Ordnung recht gemütlich ansprechende Stube hinein. Während verschiedene Geschäfte alle übrigen Bewohner vom Hause entfernt hielten, saß Idalia allein an Godber’s Lager und bewachte seinen ruhigen Schlummer. Sein bleiches Gesicht, von dem alle Spuren des rauhen Seelebens verschwunden waren, während die beginnende Genesung schon ihre erste leise Röte auf die Wangen gehaucht hatte, erschien, halbbeleuchtet von einem schrägen Sonnenstrahl, in einem Lichte, das die männlich schöne Form desselben auf das Anmutigste hervorhob. Sie hatte ihn noch nie so anziehend gefunden und konnte sich nicht enthalten, mit einem leichten Kuß seine Lippen zu berühren. Erwachte er auch nicht davon, so mußte er diese Berührung doch gefühlt haben, denn sie schien, wie das stille Lächeln um seinen Mund bezeugte, sich mit einem angenehmen Traum vermählt oder diesen erst hervorgerufen zu haben. Idalia lehnte sich auf ihren Sitz zurück und ihre Augen mit behaglicher, verschwimmender Ruhe auf den Schlafenden richtend, fiel sie selbst auch bald in jenen Halbschlummer, der zwischen Wachen und Träumen die Mitte hält, und in welchem wir liebliche Erscheinungen der Phantasie bald mit halbgeöffneten, bald wieder mit geschlossenen Augen anlächeln; gleichwie das Kind, welches der Mutter freundlich Antlitz über der Wiege weiß, oft in seinen leisen Träumen durch die kaum gehobenen Wimpern den Blick durchschimmern läßt zu der Mutter auf.

Befremdet, aber noch ungewiß, ob sie wache oder träume, erhob Idalia sich aus diesem Schlummer, als sie eine dunkle Gestalt am Ende des Bettes stehen sah, die mit unverwandtem Blick sie und Godber betrachtete und bei Idalia’s Aufschauen den Finger auf den Mund legte, mit einer leisen Neigung gegen Godber, seinetwillen um Schweigen bittend. Es hätte vielleicht dieser Weisung kaum bedurft, da die unerwartete Erscheinung Maria’s, denn diese war es, wie lähmend auf ihre Nebenbuhlerin wirkte; wozu noch das von Nachtwachen und Seelenschmerz in eine Totenblässe verwandelte Gesicht der Verlassenen nicht wenig beitrug, sowie die ganze auf tiefe Trauer deutende Kleidung derselben. Besonders aber gab das schwarze Tuch, welches um den Kopf geschlungen, Stirn und Kinn fast ganz verhüllte, und die bleichen Wangen und den matten Glanz der Augen noch mehr hervortreten ließ, dieser Erscheinung etwas Schauerliches. Maria hatte den einfachen Goldreif, den Godber noch immer von ihr trug, mit vorsichtiger Berührung von seinem Finger abgestreift und barg ihn in die Falten ihres Busentuchs. Dann zog sie den Verlobungsring an ihrer Hand langsam ab und neigte sich gegen Idalia hin, als wollte sie denselben ihr geben. Dabei bewegten sich ihre Lippen in dem Versuch, einige Worte zu lispeln; aber die Zunge versagte den Dienst, nur ein hörbarer Seufzer drängte sich aus ihrer Brust, eine heiße Zähre fiel auf Idalia’s Hand und der Ring in deren Schooß. Maria aber wandte sich rasch, warf aber an der Thür noch einen langen, schmerzlichen Blick auf Godber hin, sah dann mit einem vertrauensvoll bittenden Lächeln Idalia an, als wolle sie ihr damit Godber’s Glück an’s Herz legen und — war verschwunden.

Idalia saß noch lange auf derselben Stelle, ehe eine klare Vorstellung über das Geschehene sich aus ihren irren Gedanken und wechselnden Gefühlen losrang. Daß sie das Herz eines liebenden Mädchens gebrochen, war ihr nun zur vollen Gewißheit und ihr Mitleid im höchsten Grade rege geworden. Zugleich fühlte sie sich unangenehm in der freien Leitung ihres eigenen Herzens auf gewisse Weise dadurch beschränkt, daß es ihr eine notwendige Pflicht geworden war, eine solche Liebe, wie Maria kund gab, dem Jüngling zu ersetzen, welchen sie jener entzogen. Stimmte auch diese Pflicht mit ihren Neigungen überein, so war sie doch nun eine Fessel und darum für diese Neigung nach ihrem Charakter weniger zu einem Sporn, als zu einem Rückhalt geeignet. Auch verbarg sie vor Godber den empfangenen Ring und verschwieg ihm sorgfältig das Erscheinen Maria’s an seinem Lager. So brachte sie die Unbehaglichkeit einer Verheimlichung in ihr Verhältnis zu ihm. Sie mochte heimlich fühlen, daß ihre Liebe nicht jeder Prüfung gewachsen sei; wie konnte sie das rechte, volle Vertrauen zu seiner Liebe haben?

Maria wäre wohl kaum je dahingekommen, auf die obenerzählte Weise Idalia an sich zu erinnern, wenn nicht der Tod ihrer Mutter alle ihre Gefühle noch höher aufgeregt, als sie es schon durch die Untreue des Verlobten waren, und ihr eine Spannung gegeben hätte, die sie aus dem einfachen Geleise ihres sonstigen Ganges hinaustrieb.

Der Arzt, der um Godber’s willen die Hallig besuchte, hatte auf Hold’s Bitte auch nach der kranken Witwe gesehen, obwohl ihre Unpäßlichkeit für wenig gefährlich gehalten wurde. Wie erschrack Hold, als der Arzt ihm erklärte, daß hier alle Hülfe zu spät komme, und die Alte ihrer Auflösung rasch entgegengehe. So sollte denn Maria ganz verwaist in ihrem Schmerze dastehen? Ihr schwererkämpftes Vertrauen zu der väterlichen Führung Gottes sollte durch einen neuen Schlag erschüttert werden? Hold suchte sie auf den ihr drohenden Verlust so schonend als möglich vorzubereiten. Sie nahm zu seiner Verwunderung die allmälige Mitteilung des ärztlichen Ausspruches mit Gelassenheit auf. Konnte ihr, nach dem Schmerze, den sie überwunden, noch Etwas zu schwer zu tragen sein? Sie schien gleichsam dem Himmel trotzen zu wollen, sie noch härter zu treffen. Nur als Hold sie darauf aufmerksam machte, wie wenig eine solche Ergebung diesen Namen verdiene, wie sehr sie sich darin versündige, den Schmerz nicht fühlen zu wollen, den ihr der himmlische Vater auf’s Neue bereite; als er mit scharfem Worte diese Gelassenheit eine unchristliche, heidnische nannte, da brach sie in Thränen aus und fragte wehmütig: „Was wollen Sie denn von mir?“

„Ich will,“ antwortete Hold, „ein offenes Gemüt, wo der warme Sonnenstrahl der göttlichen Barmherzigkeit, die sich auch im Leiden offenbaret, eine fruchtbare Stätte findet; keine eisige, verschlossene Brust, an welcher die Stürme vorüberwehen, ohne sie zu berühren. Ich will kindlichen Gehorsam und nicht eigensinnigen Trotz. Ich will Leben und nicht Tod. Der Herr soll Deine Thränen sehen und Deine Seufzer hören, daß sich darin kund gebe Deine Demut und Dein Getroffensein von Seinen Schlägen. In Seinen Himmel hinauf soll Dein Gebet und Flehen dringen um Kraft und Stärke. Du sollst nicht schweigen vor Ihm, als hättest Du schon, was du bedarfst. Du sollst lernen von dem Anfänger und Vollender des Glaubens, dem es ein Geringes gewesen wäre, sich jenen kalten, harten Gleichmut anzueignen, mit dem Du tragen und dulden willst, der aber weinte und betete: „Vater ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber!“ Siehe Maria, es ist ein Geist über Dich gekommen, der nicht der rechte ist, so sehr er sich auch rühmen mag seiner Geduld und Stille. Laß uns, die wir einen Vater im Himmel haben, auch zu diesem Vater kommen in der Traurigkeit, wie in der Freude. Wir wollen traulich mit Ihm reden, mit der Kinder Offenheit und Herzlichkeit; wollen Ihn fragen, und Er soll sich verantworten und uns offenbaren, warum Er das gethan! Und gewiß, wir werden eine Antwort erhalten, wie der Heiland sie erhielt, als er rief am Kreuze zum Himmel auf: „Gott, mein Gott! warum hast Du mich verlassen?“ und die Antwort hatte, als Er im Verscheiden betete: „Vater in Deine Hände befehle ich meinen Geist!“ Geh’ in Dein Kämmerlein und weine Dich aus vor dem Vater in der Höhe, daß Deine Thränen nicht mehr wie brennende Tropfen auf eine dürre Stätte fallen, sondern zum himmlischen Tau werden, der die Wunden Deines Herzens kühlt.“

Maria’s Thränen flossen stärker, und sie sagte endlich: „Ich verstehe es nun an mir selber, was es heißt: Herr, ich glaube! hilf meinem Unglauben!“

„Ja, so ist es,“ erwiderte Hold. „Das Verständnis der Schrift geht uns immer erst allmälig auf. Sie würde uns stets ein Buch mit sieben Siegeln bleiben, wenn die Erfahrungen unseres Lebens nicht hinzukämen und uns offenbarten die Offenbarungen Gottes in ihrer Fülle, als Worte der Wahrheit und des Heils. Wir leben uns in die Schrift hinein, und dadurch wird sie uns wieder zu Licht und Leben. Das bloße Hineinlesen läßt uns vielfach in der Dunkelheit selbst da, wo wir meinen, klar zu sehen. So klopfe auch Du nur mit Deinen Erfahrungen, und mit Allem, was Dir noch bevorstehen mag, an diese heilige Pforte an und sie wird Dir aufgethan werden. Ein reicher Schatz des Trostes wird Dir offen liegen, und eine Ergebung in den Willen des himmlischen Vaters wird Dein werden, die da traurig ist und doch fröhlich, die da zaget und doch überwindet, die da schmerzlich fühlt, was genommen, und doch selig ruhet in Gott, der es genommen.“

Maria’s Mutter starb, wie sie gelebt, still und fromm. Sie empfing das heilige Mahl, nicht zu einem bis auf die Todesstunde vorbehaltenen Ruhekissen des wunden Gewissens, sondern als letzte Versiegelung eines Glaubens, in welchem sie treu beharret bis ans Ende. Ihr Alter machte sie unfähig, die Tiefe der Wunde zu beurtheilen, an welcher ihre Tochter blutete. Weil am Rande des Grabes ihre Gedanken abgelenkt waren von den irdischen Dingen, und die Eitelkeit unserer zeitlichen Wünsche und Hoffnungen in solcher Nähe der ewigen Heimat ihr klarer vorstand, vermochte sie sich nicht mehr in die Gefühle eines jugendlichen Herzens hineinzuversetzen, das seine Ansprüche auf das Glück dieser Welt nicht so leicht aufgiebt. Daher fürchtete sie auch nichts für ihre Tochter, um so mehr, da sie in dem religiösen Sinn derselben eine sichere Gewähr sah, daß ihr der Trost aus der Höhe nicht fehlen werde, Alles zu überwinden. Ihr letztes Wort an Maria war die Ermahnung: „Bleibe fromm und halte Dich recht, denn solchen wird es zuletzt wohlgehen!“ und sie verschied mit dem Ausruf: „Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!“

So endete eine Frau, die manches Herbe in ihrem Leben erfahren, aber ihren festen Glauben und innern Frieden nie verloren. Sie schied aus einer Welt, in der sie nur gar Wenige gekannt hatten, und in der sie fast allein von ihrer Tochter vermißt wurde; und doch möchte Mancher, dessen Leben Millionen bewunderten und dessen Nachruhm Millionen feiern, diese an Geist und Gut arme und in ihrem kleinen Kreise bald vergessene Witwe um ihren Platz am Throne Gottes beneiden. Wen sein Beruf oft an Sterbelager führte, und wem da Gelegenheit ward, ein einfach christliches Gemüt in der Abschiedsstunde von einem ebenso einfach stillen Leben zu beobachten, dem ist jeder Prunk irdischer Größe widerlich, selbst da, wo er wahres Verdienst zur Folie hat, und wo dies Verdienst fehlt, kostet es ihm Mühe, sein Mitleid nicht in Verachtung übergehen zu lassen.

XII.

Ach! du gleißest, ohne je zu laben!

Oede Weisheit einen Augenblick

Gieb mir nur den Glaubenstraum des Knaben,

Gieb mein Herz, mein kindlich Herz zurück!

Es möchte vielen Menschen, denen das stille Kämmerlein im Hause fehlt, und auch den Meisten, welchen es nicht fehlt, recht gut sein, wenn sie Gelegenheit hätten, auf längere oder kürzere Zeit einmal ganz aus dem Kreise ihrer bisherigen Umgebung und Thätigkeit herauszutreten, und sie in einem mußereichen Stillleben sich allein auf sich selbst zurückgewiesen sähen. Da wird Manches laut, was in dem Gewirre des täglichen Verkehrs übertäubt wurde, Manches kommt ans Licht, was im Dunkel des Herzens verborgen schlief, manche Blume keimt hervor, der es früher an dem ihr willkommenen Boden, an der ihr zusagenden Luft mangelte, wie zugleich auch in mancher glänzenden Frucht der Wurm offenbar wird. Wir sind mehr oder minder auch geistig Sklaven unseres Erdenberufs und des Kreises, in dem wir leben. In den Ketten und Banden, mit welchen unsere Stellung in der Welt uns umschlingt, verlieren wir gar leicht Sinn und Kraft für ein freies Um- und Aufschauen aus dem uns von ihr angewiesenen Gesichtskreise hinaus. Die Anforderungen und die Genüsse, ja die Vorurtheile des Standes, dem wir angehören, und des Verhältnisses, in welchem wir zu Andern stehen, üben eine unmerkliche Herrschaft über unsere Gedanken und Empfindungen und sind eben so viel Hemmketten für eine reinmenschliche Auffassung unseres Standes in der Schöpfung und im Reiche Gottes.

Das erkannte Mander auf der Hallig. Es war ihm, als habe er das Kleid ausgezogen, das er beständig getragen, und wollte er es nun auch wieder fest um sich wickeln, so blieb doch immer eine Oeffnung, durch welche ein Geist ihn anwehte, der das alte Gewand nicht duldete. Seither hatte er geglaubt, er werde endlich einmal in der Philosophie, welcher er alle seine Nebenstunden widmete, das reine Sonnenbad finden, das ihn zu dem vollen, freien, übersichtlichen Blick über Göttliches und Menschliches, Bleibendes und Vergängliches befähige, obwohl er sich gestehen mußte, daß er es zu dieser Stunde noch nicht weiter gebracht, als bis zu den Flügelschlägen des seinem Neste noch nicht entwachsenen Vogels, und daß zwischen dem Suchen nach dem Altarlicht, von dem alle Erleuchtung ausgeht, und der Verklärung durch dasselbe und in demselben eine weite Kluft befestigt sei. Jetzt drängte sich ihm nun gar die Frage auf, ob es der Philosophie überhaupt möglich sei, den Staub der niedern Welt, über welcher sie richtend thronen wolle, je ganz von sich abzuschütteln? ob nicht auch auf den scharfsinnigsten Denker seine Zeit, sein Volk, seine Lebensverhältnisse, seine ererbten Gewohnheiten, die Irrtümer seiner Vorgänger einen nie völlig zu beseitigenden Einfluß üben mußten? Die Erfahrung schien diese Frage bejahend zu beantworten. Denn die vermeintlich höchste Stufe war ja immer nur der Anfang einer höheren gewesen, und die Philosophie mit ihren wechselnden Systemen glich einer ewig sich häutenden Schlange. So glänzend auch die neue Haut anfangs erscheinen mochte, konnte sie doch nicht dem Geschick entgehen, bald als dunkle abgestreifte Hülle einer andern zur bloßen Folie zur dienen.

Diese Betrachtungen führten Mander zu manchen ernsten Unterredungen mit dem Pastor, in welchen, wenn Oswald nicht dabei gegenwärtig war, er jenen allmälig einen offenen Blick in sein in religiöser Hinsicht unbefriedigtes Herz thun ließ.

„Wie oft,“ sagte Mander, „habe ich mich auf ein neu angekündigtes System der Weltweisheit, wie ein Kind auf die Weihnachtsgabe, gefreut, und wenn ich durch die schwere Sprache mich zum Verständnis durchgearbeitet, fand ich nur neue Fragen ohne Antwort, neue Rätsel ohne Auflösung; wohl tiefe Blicke ins Herz, aber keine Nahrung für das Herz; wohl geistreiche Untersuchungen, aber keinen lohnenden Fund. Die Philosophen kamen mir vor wie Schatzgräber, die nach einem Schatz graben, dessen hohler Klang sie zu immer neuen Anstrengungen reizt, während neckische Geister ihn immer tiefer vor ihnen versenken.“

„Lassen Sie uns,“ erwiderte Hold, „bei einem scheinbaren Nebenumstande stehen bleiben, bei der schweren Sprache der Philosophen. Im Worte liegt eine wunderbare Macht. Indem der Mensch einem Dinge einen Namen gibt, macht er sich dadurch gleichsam zum Herrscher desselben. Es ist nun kein unbestimmtes Etwas mehr, das seine Gedanken verwirrt und sich denselben jeden Augenblick frei entziehen kann; nein, es ist gebunden unter dem Gehorsam seines geistigen Anschauens und muß ihm Rede stehen, sobald er es bei seinem Namen ruft. Es liegt ein tiefer Sinn darin, wenn nach der biblischen Schöpfungsgeschichte Gott dem Menschen die Tiere vorführt und ihn sie nennen läßt. Damit war diesem eine feste Herrschaft über sie gegeben, weil nun mit dem Worte sogleich ihre Gestalt, ihre Eigenschaften, ihre Triebe in einem Gesammteindrucke vor die Seele traten, und er nun ihre Aehnlichkeit und Unähnlichkeit, ihre Nützlichkeit oder Schädlichkeit mit einem Blicke übersehen konnte. So sind wir auch dann erst einer Vorstellung wirklich mächtig geworden, wenn wir für sie das entsprechende Wort gefunden. Unser Denken ist Sprechen, sei es nun allein ein Sprechen in uns, oder auch zugleich für unser Ohr. Um nun Gottes mächtig zu werden, wie die Philosophie es will, welche die göttlichen Dinge in den Bereich des menschlichen Wissens herunterzieht, müßten wir auch eine Sprache haben, die Seiner mächtig wäre. Fehlt aber diese Sprache uns, und ich meine die hohle, geschraubte, die gleich einem lebendig Begrabenen unter dem Leichensteine sich windende Sprache der bisherigen Philosophie gibt uns sattsam Kunde, daß sie uns fehle, so dürfen wir auch von dieser Philosophie keine Aufschlüsse über die göttlichen Dinge erwarten.“ — „Und dürfen gar keine erwarten!“ seufzte Mander; „denn jeder Aufschluß muß uns doch durch eine Sprache zukommen?“

„Mit keiner Menschensprache,“ entgegnete Hold, „wohl aber mit der Gottessprache, mit dem Glauben.“

Mander schüttelte schweigend den Kopf.

„Halten Sie es für so wunderbar,“ fuhr Hold fort, „daß Gott, der Unsichtbare und Unendliche, einen andern Weg nimmt, sich uns zu offenbaren, als auf welchem die sichtbaren und endlichen Dinge zu unserer Vorstellung kommen? Diese können wir besprechen, dies Wort zugleich im Sinne des Schlangenbeschwörers genommen, wir können sie ergreifen, umfassen, uns ihrer bemächtigen mit dem Vermögen des Geistes, das seinen Ausgang und die Spitze seiner Kraft im Worte hat. Sollte dies Vermögen, dessen Entwickelung und Vollendung von der Sprache bedingt wird, auch darum hinreichen, Gott eine Stätte in unserm Staube zu bereiten, daß wir ihn betrachten, haben und halten, als einen mit der Meßrute unserer Vorstellungen zu messenden, in den Banden unserer Begriffe zu fesselnden, als einen zu besprechenden Gegenstand? Dürfen wir nicht vielmehr schon im Voraus erwarten, daß wenn Er von uns erkannt sein und unser werden will, Er auf einem andern Wege erkannt und unser wird? Der Glaube ist nun die Art und Weise, wie Gott zu uns kommt und wir zu Ihm kommen; er ist die Sprache, in der sich Himmel und Erde allein verstehen, und wir heben dies Verständnis zwischen Beiden auf, und verlernen, uns selbst und Andern verständlich zu reden, wenn wir in der Sprache, mit welcher wir uns das Irdische gleichsam zur Anschauung bringen, ein Mittel zur Anschauung Gottes zu haben glauben.“

„Reden Sie aber auch nicht als Prediger von Seinem Wesen, Seinen Eigenschaften, Seinem Walten?“

„Wie ich vom Geiste rede,“ sagte Hold; „nur immer in Rücksicht auf körperliche Dinge; von seiner Unsichtbarkeit, Unteilbarkeit und in Rücksicht auf sein Hervortreten im Glauben. Nie kann es mir einfallen, ihn davon gesondert, als einen nackten Begriff in das Wissen meiner Zuhörer einführen zu wollen. So auch mit Gott. Die Predigt nennt Ihn Schöpfer, Erhalter und Regierer; sie weiset Ihn nach in allen Seinen Zeugnissen, in der Natur, in den Fügungen des Erdengeschicks, im Glauben, im Gewissen der Menschen, in der Offenbarung; aber auf diese Weise ebnet sie Ihm nur die Wege zum Menschenherzen, will nicht selbst dieser Weg sein; ja wäre nicht Gott schon vor ihr die Straße gewandelt, dann würde ihr Ebnen und Bahnen Ihn nicht des Weges führen. Darin, meine ich, versieht es nun eben die Philosophie. Sie stellt sich hin als Weg zu Gott; sie greift dem heiligen Geist ins Amt und verwaltet es gar schlecht, weil sie Sein Werkzeug, den Glauben, entweder gar nicht, oder nur als Notbehelf benutzt, nicht als alleinige Himmelsleiter, nicht als das alleinige Bindemittel zwischen dem, was droben ist, und dem, was unten ist.“

„Spricht aber der Glaube klar und deutlich genug in Aller Herzen?“ entgegnete Mander. „Muß nicht die Philosophie das Heer der Irrtümer bekämpfen, das sich in die Vorstellungen von Gott hineindrängt? Muß sie nicht fortwährend an einem Damm gegen den Aberglauben bauen, der gleich einem drängenden Meer immer von Neuem die Menschheit zu überfluten droht? Hat sie darum nicht immer die Anstrengungen der edelsten Männer beseelt?“

„Lassen Sie mich,“ war Hold’s Erwiderung, „auf das Letzte zuerst antworten. War in der Rede der Propheten: „Der Herr spricht!“ war in dem Worte Jesu Christi: „Meine Rede ist nicht mein, sondern Deß, der mich gesandt hat!“ Philosophie? Ja, ist selbst nur des Sokrates Dämon, oder ist in Platon’s Mythen Philosophie? Ist nicht vielmehr in diesem Allen der Rede von Gott das Sprechen Gottes als vorausgegangen angegeben? Liegt darin nicht die Weisung für unsere Philosophen, daß Verstandeserzeugnisse keine Offenbarungen von den Tiefen der Gottheit geben, die Niemand erforscht, denn der Geist Gottes, und wem Er es offenbaren will? Was Sie aber von der Philosophie als Damm gegen den Aberglauben sagen, so hat ja Der, welcher in die Welt kam, das Licht der Welt zu sein, und dessen Lehre, Sie mögen von seiner Person denken, was Sie wollen, der mächtigste Damm wider den Aberglauben gewesen ist, mächtiger, kräftiger wehrend, als alle Schulsysteme zusammen, weder in Hörsälen gelernt und gelehrt, noch die dunkle und verschrobene Sprache der Hörsäle geredet. Er hat ja immer bezeugt, daß Er nicht aus sich selber rede, sondern nur verkünde, was Gott ihm gegeben zu verkünden. Was aber die Irrtümer betrifft, welche die Philosophie bekämpft, so müssen Sie gestehen, daß sie, wie die sich einander bekämpfenden Philosopheme schon zeigen, in ihrem Kampfe gegen diese Irrtümer selbst die Wahrheit noch nicht gefunden hat, und oft Irrtümer hervorruft, die noch schädlicher sein würden, als die bestrittenen, wenn das Gift nicht eben in der schweren Zunge der geistigen Giftmischer sein Gegengift fände. Wenigstens haben Sie selbst schon gestanden, daß die Philosophie Ihnen den Frieden zu geben nicht fähig sei und also für Sie ihren Zweck verfehle.“

„Das eben ist es, was mich so sehr verstimmt,“ sagte Mander. „Ich kann nicht hinleben und mich wie ein Maulwurf in die Erde hineingraben. Ich werde von einer ruhelosen Gewalt aus diesem kleinlichen Zeittreiben, aus diesem eklen Sinnengenuß, aus dieser niedern Weltsorge herausgetrieben und muß immer wieder fragen und seufzen: was ist Wahrheit? und immer wieder ausschauen und mich sehnen nach dem Licht, das wie ein Irrlicht mich auf falsche Wege führt, nach dem Frieden, der mich lockt und mich flieht.“

„Ei, so wirf denn einmal weg, was Du weißt und nicht weißt!“ rief Hold eifrig. „Hinweg mit dem alten Gewande all’ Deines Forschens und Grübelns! Gieb einmal wieder hin dem Vater im Himmel ein kindlich offenes Herz, das Nichts will, als empfangen. Tauch einmal wieder empor mit freiem Geist aus den Abgründen, in die Du Dich versenkst, und schäme Dich des Flehens und der Thränen nicht, und wahrlich! auch Du wirst es erfahren, daß die Sterne Augen und Thränen haben für solch ein suchendes, sehnendes Menschenherz, daß noch immerdar Tau vom Hermon fällt auf die Berge Zions! — Glauben Sie mir, Mander, wir sollen nur fernhalten, was hindert und wehret, sollen nur nicht das Glas über die Blume setzen und meinen, daß ihre Ausdünstung sich wieder zum erquickenden Tau für sie bilde. Nein, wir sollen die Blume hinstellen unter Gottes freien Himmel, und die Erquickung wird ihr nicht fehlen.“

Mander fühlte sich von der begeisterten Rede des Pastors getroffen, in seinem Auge zitterte eine Thräne, und die Rührung der Pastorin, die ihrem Gatten die Hand drückte und sich nach einem Blick der vollsten Liebe an dessen Brust neigte, erhöhte noch seine Gefühle. Er konnte nicht gleich antworten, und nur als die Pastorin, wie zwischen den beiden Männern vermittelnd, sagte:

„Es möchte dem Manne nicht immer so leicht sein, als es dem weicheren Frauengeschlecht ist, sich und sein Wissen zu vergessen und die Selbstthätigkeit des Geistes in die Empfänglichkeit des Herzens aufgehen zu lassen,“ erwiderte er:

„Nein, glauben Sie mir, nie sind meinem Leben solche Stunden ganz fremd geworden, in denen alle Zweifel und Fragen überwältigt wurden vom religiösen Gefühl, und ich habe nie aufgehört, sie als Feierstunden meines Lebens zu lieben und zurück zu wünschen. Doch, daß sie eben nur Feierstunden in den langen Werktagen, nur Strahlen in die Nacht hinein, nicht die Morgenröte einer schönen Zukunft waren, das ist es, was mich betrübt, ja, mich mißtrauisch gegen sie macht. Wie denn auch diese dunkeln, unbestimmten Gefühle, die wir nicht leiten und ordnen können, die uns vielmehr wie eine fremde Macht fortreißen, uns unmöglich ein auch für ruhigere Betrachtung befriedigendes Gottesbewußtsein geben können.“

Hold’s Antwort hierauf war:

„Warum nennen Sie auch Das, was in solchen Feierstunden Sie bewegt, Gefühl? Ich würde es viel lieber eine Pfingstpredigt nennen, die der Herr Himmels und der Erden in seinem Erbarmen über Ihren schwachen Glauben Ihnen hält. Das Wort Gefühl läßt uns schon von vornherein an Dunkelheit, Unbestimmtheit, Unverläßlichkeit denken; wir deuten es als etwas uns Eigenes, ja Sinnliches. Doch erinnern Sie sich dessen, was ich vorhin sagte von der Sprache, in der Gott seinen Kindern im Staube offenbar wird. Nehmen Sie jene religiöse Erregung, jene andächtige Feier in Ihrem Innern, als diese Sprache Gottes, wie Sie selbst ihren Eindruck mit einer fremden Macht vergleichen, und Sie werden ihr mehr Vertrauen schenken. Wenn die Brust aufwallt, wie von einem neuen, frischen Lebensodem gehoben, wenn ein Beben durch die Gebeine geht, als spürten auch sie die Geisternähe mit empfänglichem Sinn, wenn die Thräne in’s Auge heraufquillt aus dem innersten Herzen, wenn die Seele von einer Fülle überströmt wird, in der sie sich so reich und so selig fühlt, wenn der Geist frei und rein aufatmet, als sei er aller Schranken und Schlacken bar, warum wollen wir es in solchen Augenblicken leugnen und nicht bekennen: Der Herr spricht! Wie soll denn der ewige Geist sich dem endlichen Geiste anders ankündigen, als durch ein solches Insichaufnehmen, das mit einer Ueberwältigung der Staubeshülle verbunden sein muß und daher ganz andere Empfindung erzeugt, als dieser sonst eigen sind. Der zweideutige Ausdruck: religiöses Gefühl, nimmt solchem Nahen und Walten des heiligen Geistes den Wert für uns und den Einfluß auf uns zur Erleuchtung, Heiligung und Beseligung.“

„Könnte nicht jene Aufregung und Erhebung der Andacht auch Täuschung sein, eine Folge unserer aus der Kindheit herübergenommenen, vielleicht falschen Vorstellungen von Gott.“

„Ist es Menschenwerk,“ antwortete Hold, „unser Selbstwerk, das uns treibt in solchen Stunden, woher denn die über alle unsere sonstigen Sinne und Gefühle weit hinausgehende Erhebung? Nur uns Aehnliches können wir erzeugen, nur steigern, was wir haben, nur einen Schritt weiter uns fortbewegen auf unserm Geleise; nicht die Tiefe überspringen, nicht das Neue schaffen. Ich frage aber Sie, ich frage Jeden, dem einmal solche Andachtsfeier aufging, ob er nicht ein ganz Anderer war denn zuvor? ob der alte Mensch nicht zurücksank wie ein Gewand, und ein Neues in ihm geboren wurde, wodurch er selbst eine neue Creatur ward voll Licht und Leben, so lange, bis die vorige Finsternis wieder über ihn kam, und er sich wieder erkannte in dem alten Gewande? Wer kann aber solch Neues schaffen, als der alleinige Schöpfer?“

„Dieses Alles zugegeben,“ sagte Mander: „so ist damit noch keine Frage beantwortet. Auch bei mangelhaften religiösen Vorstellungen mögen solche Momente der Weihe nicht fehlen. Sie sind vielleicht eine Offenbarung der Gottheit; aber eine Offenbarung, wodurch für das Wissen von Gott Nichts gewonnen ist.“

„Es ist wenigstens Freude, Friede, Seligkeit für Augenblicke gewonnen, und die Gewißheit, daß Gott Wege hat zum Menschenherzen, die nicht wie unsere Wege zu Ihm voll von Steinen des Anstoßes sind. Es ist das Vertrauen gewonnen, daß Er Sein Kind im Staube nicht lassen wird in Irrtum und Verblendung, sondern aus Seiner Fülle geben wird, was demselben zu wissen not ist, um der rechten Empfänglichkeit für Seinen heiligen Geist nicht zu ermangeln, um aus jenen Weihestunden die rechte Frucht mit in’s Leben hineinzunehmen. Ja, Seine freie Gabe soll es sein, was wir von Ihm wissen, nicht das zweifelhafte, schwankende, trügliche Ergebnis unserer Forschungen.“

„Ist aber nicht auch die Vernunft Gottes Gabe?“ bemerkte Mander. „Und wenn wir sie als das Mittel unserer Erkenntnisse von Gott annehmen, so leiten wir damit ja all’ unser Wissen in den göttlichen Dingen, wenn auch nicht unmittelbar, doch am Ende nur aus einer und derselben Quelle mit den Offenbarungsgläubigen ab.“

„Dem Licht des Tages,“ entgegnete Hold, „dankt unser Auge das Vermögen zu sehen; will es aber in die Sonne schauen, dann sinkt es geblendet zurück. Es war vorzüglich unserer Zeit vorbehalten, eine Offenbarung Gottes an die Menschen außerhalb der Grenzen der Vernunft zu leugnen. Wir treffen das: Der Herr spricht! sonst in allen Religionen der Erde. Wollen Sie mir dagegen bemerken, das komme daher, weil die ungebildete Vernunft über ihren selbstgemachten Gewinn erstaunt und sich nicht selbst die Ehre zuzuschreiben wagt, oder weil die einzelnen Weisen meinten, eine göttliche Autorität erlügen zu müssen, um Leiter des blinden Volkes zu werden, so kann ich ebenso wahrscheinlich sagen: es kommt daher, weil man eben wußte, eine göttliche Offenbarung empfangen zu haben. — Doch warum reden wir denn über diese Dinge? Ist es nicht, weil Sie die Höhen und Tiefen, die Länge, Weite und Breite des Gebiets der Vernunft durchwandert haben und nun kommen und fragen: was ist Wahrheit?“

„Wandeln aber nicht so Viele in Frieden ihren Weg und halten sich an die Vernunftreligion?“

„Nennen Sie diese unbestimmten Ideen von Gott, Freiheit des Willens und Unsterblichkeit Vernunftreligion, so vergessen Sie nicht, daß es eben noch ausgemacht werden soll, ob diese Ideen denn Gaben der Vernunft sind, und nicht vielmehr ein Raub an der Offenbarung begangen. Und woher denn der Friede dieser Vielen? Eben weil sie gar keine weitere Nahrung suchen über diese zufällig aufgerafften Brosamen hinaus, oder weil sie ihre Vernunft, die nach hellerem Lichte aus dem Halbdunkel hinausstrebt, ängstlich in Zügel halten, als wäre sie ein scheues Roß, das mit seinem Vorwärtsrennen den Reiter in einen Abgrund stürzen könnte. Wie oft hört man das Wort: ‚Darüber muß man nicht weiter nachdenken, sonst könnte man den Verstand verlieren.‘ O, du gerechter Himmel! Ueber das Band, das mich halten soll in der Gemeinschaft mit dem Ewigen, über das Licht, das mein Leben auf Erden verklären soll zu einem Wandel der Kinder Gottes, über den Pfad, der mir die Brücke bauen soll über der Zeit Vergänglichkeit und des Todes Verwesung hinweg zum ewigen, seligen Leben: darüber sollte ich mich scheuen, weiter zu denken? in diesen Dingen klar zu schauen mich fürchten? vor tieferem Aufschluß mich ängstlich zurückziehen? Wo es sich um die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit handelt, wo mein eigentliches Sein, meine Zuversicht im Leben und im Sterben, mein Heil in Zeit und Ewigkeit in Frage steht: da sollte ich mir das Schicksal der Mücken zur Warnung dienen lassen, die ihre Flügel an den Flammen versengen?“

„Aber ist dies nicht oft das Schicksal Derer geworden, die weiter forschten?“ meinte Mander. „Wenn sie es auch nicht selbst empfunden haben in der Leidenschaft für ihre glänzenden Systeme, so spricht es sich doch aus in dem schnellen Wechsel derselben, in den Widersprüchen, die darin offenbar werden, in dem geringen Einfluß ihrer Weisheit, die kaum in wenigen Jüngern fortlebt und sich in denen schon anders gestaltet, als sie aus dem Haupte des Meisters, eine scheinbar so wol gerüstete Minerva, hervorging.“

„Was bedürfen wir weiter Zeugnis?“ erwiderte Hold. „Sind wir nicht zu der Notwendigkeit einer göttlichen Offenbarung gekommen?“

Vielleicht hätte das Gespräch noch bis tief in die Nacht hinein gedauert, wenn nicht Oswald gekommen wäre, um seinen Vater abzuholen, da es schon sehr spät geworden war. Die Pastorin gestand, daß sie sich freue, die Fortsetzung einer solchen Unterhaltung verschoben zu sehen, da sie nicht lassen könne, zuzuhorchen und doch merke, wie solche Untersuchungen erkältend auf ihr Herz wirkten.

Oswald sagte lachend: „Gewiß läßt mein Vater sich noch von Ihnen bekehren, Herr Pastor. Aber ehe ich vor Bileams Esel meine Kniee beuge, müßte mein Haar so grau werden, wie die Haut des Esels vermutlich war.“

Sein Vater warf ihm einen unwilligen Blick zu und hätte ihm mit hartem Wort seinen unziemlichen Spott verwiesen, wenn nicht Hold rasch das Wort genommen:

„Halten Sie Ihrem Sohn ein wenig Derbheit zu Gute. Er giebt nur auf seine Art wieder, was er in meiner Art davon bei unserer letzten Unterredung hat erfahren müssen. Uebrigens möchte ich,“ fuhr er, zu dem über diese Anspielung lächelnden, aber doch errötenden Oswald gewendet, fort, „daß Ihr Haar recht bald so grau würde, wie Sie es haben wollen, um Ihr Knie zu beugen, wenn auch nicht vor Bileams Esel, doch vor Dem, den ein gleiches Tier trug, als Er einzog in Jerusalem, keinen gezwungenen, sondern einen freiwilligen Segen zu bringen, nicht einem Volke, sondern allem Volke.“

„Verzeihen Sie, Herr Pastor,“ erwiderte Oswald, „wenn ich mich zu hart ausdrückte. Aber es ist mir immer unbegreiflich gewesen, wie vernünftige Menschen keinen Anstoß an solchen Erzählungen im sogenannten Worte Gottes finden.“

Hold antwortete: „Halten Sie den Spruch: ‚Du sollst lieben den Herrn, Deinen Gott, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte;‘ oder den andern: ‚Was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wollautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob: dem denket nach,‘ für gute und reine Lehre?“

„Ja, gewiß.“

„Nun, dann thun Sie, was diese Sprüche sagen. — Wie würden Sie einen Menschen nennen, der an einer mit köstlichen Speisen reichbesetzten Tafel deswegen vorüberginge, weil er ein Gericht bemerkt, an dem er keinen Geschmack finden kann?“

„Ich werde mich wol hüten,“ lachte Oswald, diesen Menschen einen Narren zu heißen; sonst schickten Sie mich mit der Extrapost meines eigenen Wortes in’s Tollhaus. Aber Sie werden doch auch zugeben, daß Ihre verfängliche Frage eben nur ein Ausweichen und kein Antworten ist.“

„Lassen Sie mich bei dem Bilde bleiben,“ entgegnete Hold. „Der Gast, der sich an die für ihn bereitete Tafel setzt und seinen Hunger und Durst an den Speisen, die er loben muß, stillet, der mag wol fragen, was es mit der einen Speise bedeute, die ihm geschmacklos vorkommt. Wer aber um ihretwillen alle andern auch verschmäht, der hat kein Recht zur Frage.“

„Abgeführt!“ rief Oswald, drehte sich auf dem Absatz herum und entfernte sich mit seinem Vater.

XIII.

Um zu nehmen, mußt Du geben.

Siehst Du auf Dich selbst zurück,

Flieht Dich das gehoffte Glück.

Nur für Opfer zahlt das Leben.

Kindlein in des Meeres Wiege,

Eiland an der Wellen Brust!

Scholle Du im Weltgebiete,

Meine Heimat, meine Lust!

Keine Waldung Dich verhüllet,

Dich kein Felsengürtel hält,

Rings umher die Wasserfülle,

Ueber Dir des Himmels Zelt:

Legst Du offen Dein Gelände

Hin vor Gottes Angesicht,

Kennst im Kampf der Elemente

Andre Wehr und Waffe nicht.

Friede wohnt in Deinen Hütten,

Deine Armut ist Dein Glück;

Treu blieb hier der Väter Sitte

In der Enkel Kreis zurück.

Frömmigkeit und Tugend heimen

Gern an Deinem stillen Herd,

Wo kein Gut, das Andre neiden,

Wo kein Herz, das Mehr begehrt.

Kindlein in des Meeres Wiege,

Eiland an der Wellen Brust!

Menschen schiffen kalt vorüber;

Doch der Engel weilt mit Lust!

Diese Verse fand Godber auf einem losen Zettel, der als Merkzeichen in einem der Bücher diente, welche Mander von Hold geliehen. Es mußte ihn dieses einfache Lied mächtig ergreifen, weil der Inhalt so ganz aus seinem Herzen genommen war. Er las es fast nie ohne Thränen, und hätte gern gegen den Pastor, der es allein verfaßt haben konnte, seinen innigsten Dank für dasselbe ausgesprochen, wenn ihm nicht dieser bei jedem zufälligen Zusammentreffen eine Scheu eingeflößt, wie die des Schuldbewußten vor seinem Verkläger. Den Schluß der Verse: „Doch der Engel weilt mit Lust!“ wandte er auf Idalia an, und sie ließ sich auch dies gefallen, weil seine Liebe ihr die Tage wirklich recht angenehm machte, und sie ja wußte, daß die Zeit ihres Aufenthalts auf der Hallig nicht mehr so lange dauern würde. Sie konnte daher auch auf seine Darstellungen von dem künftigen Zusammenleben auf seinem heimatlichen Eilande auf eine Weise eingehen, die es ihm lange verbarg, wie sie nur Träume in diesen Gemälden eines so genügsamen und weltverachtenden Glückes sah. Hätte sie es im Geringsten nur für möglich halten können, daß Godber bei der Wahl zwischen ihrem Besitz und dem Verlust der Heimat im Ernst schwanken würde, dann würde sie sich stolz, ja verächtlich, wenn auch mit wundem Herzen, von ihm zurückgezogen haben. Fühlte sie sich auch auf dieser öden Flur glücklicher, als je früher im Glanz der Welt, so dankte sie dieses Glück ja doch keineswegs dieser ärmlichen Scholle, sondern der hingebenden Liebe des Jünglings, von dem sie annahm, daß ihm außer ihr Alles gleichgültig sei. Gefiel sie sich auch in der Lebensweise, die sie jetzt führte, so war es doch nur der augenblickliche Reiz des Ungewohnten, des von ihren sonstigen Verhältnissen gänzlich Abstechenden und das Anziehende der hausfräulichen Sorge. Für die Unterhaltung weniger Wochen war dies Leben gut genug, mochte immerhin als eine neue Art von Badereisen gelten; aber für immer auf diesem Fleck zu bleiben, der Entbehrung und Entsagung aller Lebensgenüsse von seinen Bewohnern fordert, wo das Leben selbst immer auf der Spitze der Gefahr schwebt: das war ein Gedanke, der ihr zu fern stand, als daß sie ihn in der Seele eines Andern vermuten konnte, dem ein Tausch möglich war, und noch dazu ein Tausch, der alles Glück, das Liebe, Reichtum, Weltverkehr geben konnte, in die Wagschale legte.

Wenn wir aber Godber mit dem Gedanken hätten vertraut werden lassen, für jenes Glück seine Heimat aufzugeben, dann würde in ihm kein echter Halligbewohner gezeichnet sein.

Wir haben die Hallig, welche der Schauplatz unserer Erzählung ist, in einer Zeit gesehen, als die eine Hälfte der Wohnungen von den Fluten in Trümmerhaufen an den Deichen des festen Landes aufgedämmt und die andere Hälfte, nur noch bloße Pfahlgerippe darstellend, allein an dem Dache als gewesene Wohnungen kenntlich war; als ein einziges Haus auf der durchlöcherten Werfte kaum noch so weit stand, daß es zu einer Zuflucht der dem Wellentode Entronnenen dienen konnte; als die Aussicht auf die nächste Hallig nur einen kahlen Fleck zeigte, von dem Werfte, Häuser, Herden und Menschen in einer Nacht hinweggespült waren, ohne eine Spur ihres Daseins zu lassen. Wir haben Die, denen das nackte Leben kaum eine dankenswerte Gabe heißen konnte, mitten in der grausen Zerstörung, worin sie Alles eingebüßt, in der vollen Lebendigkeit der Schreckenserinnerung an die furchtbare Nacht, mit dem Eindruck, den Frost, Hunger, Nässe auf den Körper und durch ihn auf die Seele machen; wir haben sie in diesem Zustande gesprochen, wir haben es ihnen vorgehalten, wie die nächste Nacht die Verwüstung in dem Untergange Aller vollenden könne, und konnten nur zwei hochbejahrte Leute, die allein standen und zu schwach waren, sich ein Bretterdach aufzuschlagen, dazu überreden, ein sicheres Asyl anzunehmen. Alle andern blieben, und bauten, als später die wahrhaft christliche Mildthätigkeit der Hohen und Niedrigen, der Reichen und Armen im Lande es erlaubte, sich auf der geliebten Scholle wieder an. Sie hätten Wohnungen haben können, wo sie es wünschten, so reichlich flossen die Unterstützungen; aber sie fühlten wol, daß Heimweh ihnen den Tod bringen würde auch auf den gesegnetsten Fluren. Sie sprachen sogar den Wunsch aus, daß wir für immer bei ihnen bleiben möchten, und in ihrer Vorliebe für ihre Heimat meinten sie nicht, damit ein Opfer zu verlangen, wogegen sich unsere Ansprüche an das Leben sträuben könnten; denn für sie war eine Hallig, selbst nach den neuesten Erfahrungen, doch eine Stätte, die alle Wünsche befriedige.

Dies mußten wir hier einschalten, um es dem Leser begreiflich werden zu lassen, wie Godber dem Gedanken so fern stand, die Hallig wieder zu verlassen, und wie er sich schmeicheln konnte, Idalia werde diese Heimat gern mit ihm teilen. Lange konnte freilich diese Täuschung nicht währen, und Oswald war der erste, der dem Träumer die Augen öffnete.

„Wenn man hier nur eine alte Mähre herüberbringen könnte!“ äußerte Jener einmal bei Tische. „Es geht gar zu langsam mit dem Transport der Güter. Sollen wir ebenso langsam in die Frachtschiffe einschleppen, wie wir aus dem Wrack herausgeschleppt haben, so kann der Winter kommen und uns mit diesem „Kindlein in des Meeres Wiege“ in Eis und Schnee einwindeln bis zum Frühling. Auch wäre es gut, wenn mein künftiger Herr Schwager sich ein bißchen in der Reitkunst üben könnte.“

„Hier bedarf es keiner Reitkunst, und hier werd’ ich künftig an der Seite meiner Idalia leben, hier sterben,“ erwiderte Godber.

Oswald sah erstaunt bald auf ihn, bald auf Idalia, die auch in dem Tone, mit welchem Godber sprach, nicht den Scherz finden konnte, der doch notwendig in seinen Worten liegen mußte.

„Idalia hier!“ rief Oswald aus, als er wieder Worte fand für seine Verwunderung. „Hier, auf dieser einsam treibenden Rübe im weiten Kessel des Oceans! Hier auf dieser Amphibie, von der man nicht weiß, ob sie ein Landtier oder ein Seebutt ist! Hier in dieser Stube voll Himmelblau und Purpurrot! Hier bei dem ewigen Theetopf und seinen treuen Gevattern: Schafskäse und Schwarzbrot! Hier Idalia die Königin der Bälle! die Herrscherin im Herzgebiete der Männerwelt! die Entzückung und Verzweiflung von hundert Anbetern! die unbestrittene Siegerin im Kreise der Modedamen! Das war ein köstlicher Gedanke von Dir, Godber, über den ich in acht Tagen mich nicht ausgelacht habe.“

Godber wandte sich vor Unwillen errötend von ihm, und zuversichtlich Idalia’s Hand ergreifend wiederholte er ihr mit dem zärtlichsten Ausdruck ihres eigenen Liedes:

„Giebt’s für Dein Gebilde

Eine andre Welt,

Wo Dein Schöpferwille

Es nicht trägt und hält?“

Es blieb den Worten nach zweifelhaft, ob er darin seine Bereitwilligkeit, ihr überall zu folgen, oder ihre Gesinnung mit ihrem eigenen Ausdruck darlegen wollte. Er glaubte in ihrer Seele zu reden, da er ja auch nur ihre Sprache gebrauchte, die ihn so oft als Bestätigung seines höchsten Wunsches entzückt hatte. Sie aber, — ob ganz ohne Ahnung, daß es im Widerspruch mit seiner Meinung sei, wollen wir nicht entscheiden, — nahm die Worte für die Sprache seines Herzens, und noch ohne dies ganz offen auszusprechen, sagte sie:

„Unsere Liebe wird uns jeden Fleck der Erde zur angenehmen Heimat machen, so mir, wie Dir.“ Die scharfe Betonung des: „wie Dir“, traf Godber’s Herz wie ein Schmerzensstich, in seine Wangen stieg eine dunkle Röte auf, und mit einer Frage auf den Lippen haftete sein Blick lange und ernst auf Idalia. Das Wort aber blieb auf seiner Zunge und scheute sich hervorzutreten, gleichsam im bangen Vorgefühl des verletzenden Widerspruchs, den es finden würde. Sie hielt seinen Blick lächelnd aus, und eine leichte Berührung seiner Lippen mit ihrer Hand drängte seine Frage ganz zurück. Oswald dagegen ließ das Gespräch nicht so schnell fallen.

„Das klingt wie ein Schäferroman,“ lachte er; „und ich habe eben Nichts dagegen, obgleich ich kein Myrtill bin und eine Daphne anbete; wenn nur nicht von einer Hallig die Rede wäre, die kaum ein liebendes Seehundspaar wohnlich finden würde.“

Mander, der bisher dem Gespräch wie einem Scherz zugehört, erinnerte seinen Sohn, daß sie gar keine Ursache hätten, von diesem Eilande verächtlich zu reden, dem sie nächst Gottes Hülfe und Godber’s Mut und Geschicklichkeit ihre Rettung verdankten, wo der Friede, dem Tausende in großen Städten bis an ihr Ende vergeblich nachjagten, bei allen Bewohnern von der Wiege bis in’s Grab heimisch zu sein schiene.

Godber ergriff freudig das Lob seiner Heimat. „Nicht wahr,“ rief er, „ist das Leben hier nicht schön? Gerade diese mannigfachen Entbehrungen, diese Abgeschiedenheit von der Welt, dieser Mangel an äußern Reizen führen den Menschen auf sich selbst zurück und lehren ihn in seiner eigenen Brust, in seinem kleinen häuslichen Kreise sein Glück finden, das eben darum ein sicheres, dauerndes ist, weil es unabhängig von Außendingen seinen Grund und Boden, wie seine Nahrung in dem Menschen selber hat. Selbst die Gefahren, die mit diesem Aufenthalt verbunden sind, dienen nur dazu, den kindlich demütigen und gläubig ergebenen Sinn in uns zu erhalten, aus welchem Vertrauen und Zuversicht, und freudiges Aufschauen zum Vater in der Höhe hervorgehen. Hier wird der Mensch wieder Mensch und streift all’ die bunten Flitter ab, die ihm doch am Ende mehr Sorge als Freude machen. Hier ist er frei von den Ketten, die ihm die große Welt da draußen schmiedet durch tausend Bedürfnisse und Gewohnheiten, von denen sein Herz nichts weiß und nichts zu wissen braucht, um glücklich zu sein; ja die er selbst nur zu oft als Hemmketten fühlte, ohne vor der Welt es wagen zu dürfen sich ihrer zu entledigen. Hier ist er, was er ist; nicht Das, wozu ihn die Sitte macht und was er um Anderer willen sein muß. Hier kann er sich freuen und weinen, thätig sein und ruhen, lieben und meiden, wann, wie und wen er will. Er hat nur sich zum Herrn, und Keiner darf ihm darein reden. Nicht um aller Schätze der Erde willen ließe ich mich wieder spannen in das Joch der verkehrten Welt, die da ruft Friede, Friede! und ist kein Friede, sondern eitel Zwietracht, Mißgunst und Haschen und Jagen nach einem Ziel, das weit hinter ihr liegt; die da rennet mit verblendetem Auge nach Lust und Freude, und nie sie findet, sondern nur Ekel, Ueberdruß, Uebersättigung ohne Genuß; die heute auf Eiern schleicht, morgen auf Leichen tritt; die mit dem süßesten Lächeln die Giftschale darreicht und zugleich sich selbst in ihrem Unverstande den Becher des Lebens vergiftet.“

„Auch mir würdest Du in diese verkehrte Welt nicht folgen?“ fragte Idalia mit dem freundlichsten Blick, während Mander und Oswald über die grauenvolle Beschreibung ihrer Welt scherzten.

„Dir?“ sagte Godber, wie erschreckt von einem plötzlichen Lichtstrahl. Sich selbst beruhigend setzte er aber sogleich hinzu: „Darum eben kettet sich ja meine Seele so fest an Dich, darum bist Du mir die köstliche Perle im Ocean, weil Dein reiner Lichtglanz keine Färbung angenommen von der früheren Umgebung; weil Du, in der dunklen Wiege eingeschlossen, dennoch den keuschen Sinn Dir empfänglich gehalten hast für das wahre Glück, von dem jene Welt Nichts weiß.“

Idalia fand nicht gleich eine Antwort auf diese Worte, und ihr Blick, in welchem sich Erstaunen und Verlegenheit malten, goß eine eisige Kälte über Godber’s Begeisterung. Oswald aber sagte mit tragikomischem Pathos:

„Leb’ wohl, Idalia! In tiefer Bewunderung beuge ich mich vor der künftigen Primadonna im grünen Mieder und bunten Rock; aber um Deines Ruhmes willen muß ich Dich verlassen. Ein geflügelter Bote will ich eintreten in die Theezirkel Deiner trauernden Vaterstadt, ein Verkünder Deines seligen Martertums auf diesem meerumflossenen Altar der Liebe. Dein Name soll glänzen an dem, in den letzten Zeiten etwas bleich gewordenen Sternenhimmel weltüberwindender Liebesmacht. Postfrei will ich Dir jede Woche hundert klangvolle Sonnette und fünfzig schwungreiche Oden übersenden, die von Lippen armer, unter der Last ihrer Körbe seufzender Poeten ertönen zur Feier Deines weltverachtenden Herzens. Eine feurige Kohle sollst Du jeder Jungfrau werden, die nicht Deinem Vorbilde nachfolgen will.

Eine Hütte, eine Scholle,

Einen Mann und einen Hund,

Eines Schafes grobe Wolle,

Thee und Schwarzbrot für den Mund;

Die von andern Dingen spricht,

Kennt Idalia’s Liebe nicht!“

Idalia bemerkte freilich, daß, wenn der Herr Bruder künftig noch einmal wieder Verse auf sie machen sollte, sie hoffe, diese würden dann an Inhalt und Form etwas zierlicher und feiner ausfallen; aber dabei lachte sie doch über Oswald’s Späße, und der Schmerz Godber’s über dies Lachen drängte den auflodernden Zorn zurück und erstickte die harte Rede, die auf seiner Zunge lag. Mander bemerkte die Blässe auf Godber’s Gesicht und das Zittern, das dessen Glieder überflog; er sagte daher lächelnd:

„Unser Freund kann besser scherzen, als Scherz vertragen!“ und setzte ernster hinzu: „Ich möchte auch nie so verächtlich reden von einem Fleck, der uns einmal so willkommen war. Es wird Godber schwer werden, seine Heimat zu verlassen; denn die Liebe zu derselben scheint ja zur andern Natur Aller zu gehören, die hier geboren sind. Er ist aber zugleich zu vernünftig, als daß er die Heimatliebe, die ihn selbst beseelt, nicht auch bei Idalia voraussetzen sollte, und daher wird er ja von ihr kein Opfer verlangen, das selbst zu bringen er sich nicht fähig hielte; besonders wenn er zugestehen muß, daß der Hallig den Vorzug vor Hamburg zu geben nur eben einem Eingeborenen dieses Eilandes möglich ist.“

Godber fand sich tief getroffen durch diese Bemerkung. Es war ihm noch gar nicht eingefallen, daß, wie er nur in seiner Heimat sich glücklich fühlen könne, auch Idalia nur in ihrer Vaterstadt ihr Glück finden würde; daß dasselbe Recht, welches er für sich in Anspruch nahm, ein Halligbewohner bleiben zu dürfen, er ihr nicht verweigern könne, wenn sie eine Großstädterin bleiben wolle. Fühlte er, daß selbst an ihrer Seite ihn in der Fremde Heimweh verzehren würde, wie durfte er ihr denn an seiner Seite auf der Hallig Heimweh verargen? Diese Betrachtung hielt ihn stumm. Tiefe Schwermut lagerte sich wie eine bange Last über seine Seele. Er verlor sich in Gedanken, die an seine Untreue gegen Maria nahe genug hinstreiften, um eine Empfindung wie Reue zu wecken.

Oswald unterbrach die verlegene Pause, indem er das Glas erhob, um auf einen frohen Verein in Hamburg anzustoßen. Mechanisch ergriff auch Godber sein Glas und stieß mit an, aber er setzte es wieder hin ohne zu trinken.

Mit diesem Tage trat eine gewisse Spannung zwischen den Liebenden ein. Idalia ward ernster, nachdenklicher, zurückhaltender, und obwohl sie nicht zweifelte, daß Godber seine Grille fahren lassen würde, war es ihr doch unangenehm, daß er sie genährt hatte, daß er sie wenigstens nicht sogleich habe vergessen können, als er ihre Abneigung bemerkte, eine Halligfrau zu werden. Er dagegen war traurig bewegt; dabei jedoch so hingebend, so achtsam, so besorgt, immer die vollste Liebe zu zeigen, als nähre er noch eine geheime Hoffnung, sie zu dem Opfer bewegen zu können, von welchem das Glück seines Lebens abhing. Beide vermieden es, auch nur mit dem leisesten Worte jene Verschiedenheit ihrer Ansprüche an die Zukunft zu berühren.

Die verwaiste Maria war unterdessen in Hold’s Familie aufgenommen und dadurch der Wohnung Godber’s näher gebracht. Es konnte nicht fehlen, sie mußten sich von jetzt an öfter sehen, wenn auch nur aus der Ferne. Ja, es geschah auch wohl, daß ihre Wege neben einander vorbeiführten, so sehr sie auch jede Begegnung zu vermeiden suchten. Doch eines Tages trafen sie sich am Steg und waren, gedankenvoll hinwandelnd, sich schon zu nahe, um ohne Gruß vorübergehen zu können. Sie standen vor einander, Beide die Augen zu Boden schlagend; Maria die Hand auf die beklemmte Brust gepreßt, Godber mit bebenden Lippen, ohne eines Wortes mächtig zu sein. Endlich faßte er ihre Hand und sagte leise:

„Maria, es mußte so sein!“

Sie blickte auf, und eine Thräne zitterte in ihrem Auge.

„Der Herr hat es so gewollt!“ seufzte sie. „Er mache Dich glücklich.“

„Und Dich, Marie!“ antwortete er.

Sie aber schlug den Blick gen Himmel, und es brach wie ein Lichtglanz durch ihre Thränen:

„Seine Kraft ist in dem Schwachen mächtig.“

„Maria,“ rief Godber, und drückte ihre Hand fester, „kannst Du mir vergeben?“

„Als ich den Ring von Deinem Finger zog,“ antwortete sie, „da habe ich Dir vergeben!“

Godber ließ ihre Hand fahren und sah nach seinem Ringe. Zum ersten Mal bemerkte er, daß dieser ihm fehle. Er starrte auf die Stelle, wo er ihn getragen, konnte nicht begreifen, wann das Pfand der Treue von seiner Hand gekommen, und es war ihm, als sei nun erst seine Untreue vollendet, als sei nun erst jede Rückkehr unmöglich geworden. Er hätte in diesem Augenblick viel darum gegeben, den Ring noch zu haben; er hätte ihn in diesem Augenblick um keinen Preis fahren lassen. Der Gedanke, daß er ihn nicht mehr habe, dehnte eine Kluft vor ihm aus, die ihn auf ewig von Maria trennte. Nun erst war sie für ihn verloren, unwiederbringlich verloren, als wenn nicht schon längst sie von einander geschieden gewesen wären. Als er wieder aufsah, war Maria verschwunden.

Idalia hatte diesen Auftritt von weitem angesehen, und ohne ein Wort darüber zu verlieren, ward sie nur immer kälter und fremder gegen Godber. Er aber hing sich mit seiner Liebe ihr desto fester und fester an. Sie war gleichsam das Anker, das ihn halten sollte im Sturm der widersprechenden Gefühle, in dem Kampf der sich unter einander verklagenden Gedanken. Er fühlte, daß wenn sie ihn aufgebe, die Kraft seines Lebens gebrochen wäre, daß ihm dann das Bewußtsein ausginge, warum denn Alles so gekommen sei, daß er dann in der Wüste des Meeres umhertaumele, wie ein Leichnam, der von der felsigen Küste ringsum immer wieder in die Wogen zurückgeworfen wird.

XIV.

Gabe ist, was Licht und Leben,

Gnade ist, was Frieden gab!

Sollen Engel niederschweben,

Du kannst nicht die Leiter heben,

Engel senken sie herab.

Mander würde vielleicht die Liebenden aufmerksamer beobachtet und so bald die Pflicht des Vaters erkannt haben, ein Verhältnis, das bei dem gänzlichen Mangel an Uebereinstimmung in den Wünschen und Hoffnungen für’s Leben unmöglich glücklich enden konnte, bei Zeiten zu lösen, wenn er nicht zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen wäre. Er mochte keinen Versuch mehr wagen, aus sich selbst heraus die Himmelsleiter zu erbauen, und doch scheute sein Geist vor dem Gedanken zurück, daß Gott sie in seiner Barmherzigkeit und Liebe längst herabgelassen habe.

„Wie mögen Sie doch nur annehmen,“ sagte er in seinen Unterredungen mit dem Pastor über die Offenbarung, „daß Gott, der mehr Welten regiert, als das Alter der Erde Sekunden zählt, als der Ocean Tropfen, als die Wüste Staubkörner hat, daß dieser Gott so große Dinge thun sollte, um dieses winzigen Menschengeschlechts willen, dessen mächtigste Geister, von bloßen Gewalthabern gar nicht einmal zu reden, wie Mücken sind, die im Sonnenstrahl spielen?“

„Und dessen große und kleine Geister doch meinen,“ sprach Hold, „sich den Gott, den sie anzubeten berufen sind, auf das weiße Blatt ihres Weltsystems hinsetzen zu können wie einen Tintenfleck, den man mit dem Löschpapier auftrocknet, um darüber hinzuschreiben!“

„Lassen wir Das!“ fiel ihm Mander in die Rede. „Ich merke wohl, hier auf dieser flachen Scholle, den Himmel so weit über sich, das Meer so weit um sich, fast ohne einen Gegenstand, der an kleinliche Menschenarbeit erinnert, weitet sich das Herz, und die Gedanken wollen sich nicht mehr zügeln und gängeln lassen in Begriffen und Schlüssen, sondern schweifen frei in die Unendlichkeit aus, als wären sie einem Kerker entflohen. Als ich gestern Abend auf dem Taufstein am alten Kirchhof saß und nur Meer und Sternenhimmel sah, da kam ich mir vor, als schwimme auch ich im Weltocean, selbst eine kleine Welt, bewegt von Gottes Odem, getragen von Gottes Macht, verklärt von Gottes Geist, friedlich und selig, wie die andern Sterne, feiernd wie sie den Schöpfer, Erhalter und Regierer. Und es ist mir noch jetzt, als könnte ich, seit ich einmal so reich war, nie wieder in der Zukunft so arm werden an Glauben und Glaubensfreudigkeit, wie ich früher es gewesen.“

„Nun,“ sprach Hold wie segnend, „so möge denn Ihnen immerdar leuchten der Morgenstern, der aufgegangen ist in Ihrem Herzen. Muß es denn nicht ein liebevoller Gott sein, der solche Stunden dem Menschen giebt? Sollten wir leugnen, daß in solcher Feier Gottes Sprache ist, dies leugnen, weil unsere Sprache keine Worte hat, sie nachzustammeln? Aber sie fragten, wie Gott für das winzige Menschengeschlecht so große Dinge thun sollte, sich ihm zu offenbaren in Seiner Herrlichkeit, und ihm Licht zu bringen in der Finsterniß, Frieden in der Zwietracht, auf eine solche Weise, wie das Evangelium von Christo aussagt. Ich gehe noch weiter. Nicht allein ein winziges, schwaches, ohnmächtiges, vergängliches Geschlecht nenne ich die Menschen, sondern auch ein durch Selbstverschuldung verblendetes und sündiges. Es ist Keiner, auch nicht Einer, der vor Gott gerecht erfunden wäre. Es ist der Spiegel unseres Herzens befleckt mit unheiligem Wesen, und unser Wandel Trägheit zu allem Guten und Ungehorsam gegen Gottes Gesetz. Jeder Gedanke an Gott, den heiligen und gerechten Richter der Lebendigen und der Toten, muß eine Beichte sein und ein Flehen um Gnade, wodurch auch der leiseste Vorbehalt von eigenem Verdienst und eigener Gerechtigkeit hinweggenommen wird, wie Gottes Sonnenstrahl den Regentropfen wegnimmt, der auf einem Grabstein liegt. Doch nicht um dies winzige Geschlecht allein auf einem Staubkorn Seiner Welt, auch um dies durch eigne Schuld verderbte und täglich neue Schuld häufende Geschlecht hat Gott so große Dinge gethan; denn das ist Seine Liebe. Und wäre auf diesem Erdboden auch nur eine Seele unter allen Millionen gewesen, empfänglich für Seine Segnungen und Verheißungen, für diese eine Seele würde Er Himmel und Erde bewegt haben in ihren Axen, diese Eine an Sein Vaterherz zu ziehen; denn das ist Seine Liebe! Und wäre diese eine Seele siebenmal siebzigmal wieder zurückgefallen in ihre Finsternis und ihr Verderben, Er würde siebenmal siebzigmal Himmel und Erde bewegt haben in ihren Axen, diese Eine wieder heimzuführen in das Reich der Gerechtigkeit, der Freude und des Friedens; denn das ist Seine Liebe! Wir reden von Seiner Allmacht und Weisheit, die die Unermeßlichkeit füllen mit ihren Zeugnissen; wir sehen den kleinsten Wurm im Staube so fein und künstlich gebildet und sein gedacht, wie des Seraphs, dessen Hallelujah durch die Himmel rauschet; und Gottes Liebe sollte nicht eben so vollkommen sein, wie alle Seine andern Eigenschaften? Sie sollte eine Begrenzung, Beschränkung, einen Rückhalt kennen, wovon Seine Allmacht und Seine Weisheit nichts weiß? Es kann und darf nie gefragt werden, sollte Gott je so gnädig und barmherzig sein wollen, wie das Evangelium Ihn verkündet in der Lehre vom Versöhner? Denn das ist eine Frage, die ihm eine Vollkommenheit abspricht; eine Vollkommenheit gerade im Herrlichsten, was Himmel und Erde kennen, in der Liebe. Es ist nur eine Frage: thut es dem Menschen not zu seiner rechten Heiligung im Geiste des Gemüts, zu seinem Frieden im Leben und im Sterben, daß sich Gott ihm offenbare als Weg, Wahrheit und Leben, als Heiland, Versöhner, Erlöser, Friedensfürst? Muß sich der Mensch diese Frage mit ‚Ja‘ beantworten, wenn er aufrichtig prüfet sein Wissen, sein Wesen und seinen Wandel, wenn er es gelernt hat, Halbheit und Lauheit im Denken, Wollen und Thun zu verschmähen und zu verachten, dann kann er mit kühner Hand in die Wolken greifen, dann kann er freudig miteinstimmen: „also hat Gott die Welt geliebt!“ Dann darf er nicht weiter fragen: wie mag solches zugehen? Denn wie alles Wesen über des Menschen Wissen und Verstehen ist, wie sollte denn nicht auch die Liebe Gottes über sein Wissen und Verstehen sein?“

„Sie haben einen Glauben, der im Stande wäre, Berge zu versetzen!“ sagte Mander tief bewegt.

„Ich wollte, ich hätte ihn,“ erwiderte Hold, „dann würden wir bald eines Glaubens sein.“

„Ich möchte fragen, was muß ich thun, daß ich das ewige Leben erbe?“ sprach Mander mehr in sich hinein, als zu Hold gewandt.

„Fragen Sie die Schrift, die von Christo zeuget. Lassen Sie vor Allem erst Ihr Nachdenken weilen beim Gesetze. Prüfen Sie all’ Ihr Wesen und Thun mit unerbittlicher Strenge an den Geboten Gottes und an dem Vorbilde des Herrn. Machen Sie keine Sünde zur Schwachheit, keine Unlauterkeit zur Natur des Staubes, keine Versuchung zu einer unüberwindlichen Macht, keine Vergleichung mit Andern zur Entschuldigung für sich. Malen Sie sich keine Liebe Gottes aus, die nachsichtig, begütigend, vergeßlich ist, wie die kränkelnde Liebe der Menschen, sondern eine Liebe die mit der strengsten Gerechtigkeit Hand in Hand gehet; auf daß der Wetterstrahl des Gerichtes Sie durchleuchte und durchflamme, auf daß Sie hingeschmettert werden in den Staub und Ihre vermeinte Tugend und Ehrbarkeit, wie Splitter und Spreu, von Ihnen fliege; auf daß Sie zittern und zagen lernen vor Dem, der Rechenschaft fordert auch von jeglichem unnützen Worte, das aus unserm Mund gegangen ist; und Ihre Seele, so wenig sie auch noch jetzt glauben mag, daß es dahin mit ihr kommen könne, zu kommen brauche, in Reu und Leid zage unter dem Licht und Gericht des göttlichen Gesetzes. Nur durch Traurigkeit zur Freude! Nur durch’s Gericht zur Gnade! Nur durch Zwietracht zum Frieden! Nur durch Tod zum Leben! Nur die Niedrigen werden erhöht und die Demütigen angenommen! So lange wir uns vor Gott noch dünken, Etwas zu sein, sind wir Nichts. Hineinpredigen aber läßt sich solche schmerzensreiche Buße nicht. Die muß von Oben kommen, als Liebesgabe und göttliche Gnade. Nur raten kann mein Wort dazu; nur an dem Bollwerk rütteln, das hindert; nur leise rütteln an des Herzens Thoren, daß ihre Angeln leichter sich umwenden, wenn der Herr kommt zum Gericht! Gehen Sie in eine einsame Stunde und treten Sie Ihren Dornenpfad an.“

„Sind Sie auf demselben Dornenpfade zur Glaubensfreudigkeit gekommen?“ fragte Mander leise.

„Ich gehe diesen Weg noch täglich und bin doch froh und selig im Herrn!“ erwiderte Hold.

„Das ist wunderbar!“

„Nicht so wunderbar wie der Bund der göttlichen, versöhnenden Liebe und der strengrichterlichen Gerechtigkeit mit einander. Nicht so wunderbar, wie Christi Zagen vor dem Kreuze und doch Hingebung an’s Kreuz. Darüber aber gebe ich Ihnen keine Erklärung, bis Sie in die Stunde gekommen sind, die ich zuerst von Ihnen fordern muß, die Gott von Ihnen fordert, weil Er Sie derselben so nahe gebracht hat; wenn Sie dann noch nach einer Erklärung fragen sollten.“

Es war aber keineswegs so leicht, Mander auf den Dornenweg zu bringen, wo seine Selbstzufriedenheit bluten sollte. Mancher Abend ging noch in lebhaften Unterredungen hin, in welchen Hold vorzüglich Mander’s erwachende Neigung bekämpfte, sich eine Art von philosophischem Christentum zu construiren.

„Sind aber nicht alle Materialien dazu gegeben, in der Schrift, wie in den sonstigen Zeugnissen Gottes?“ verteidigte sich Mander.

„Materialien für Sie übergenug,“ entgegnete Hold; „aber der Mörtel fehlt noch, das Herzblut, das die Reue erpreßte, und die Thränenflut, welche die Sehnsucht nach einem Frieden, wie ihn die Welt und die Weltweisheit nicht geben kann, aufquellen ließ. Sie sind in Gefahr, in der Halbheit zu bleiben, weil Sie anfangen, die Baustücke an einander zu passen, ehe das Gebäude in seiner Höhe und Tiefe, in seiner Länge und Breite vor Ihrer Seele steht.“

„Es möchte aber der Weg zum Glauben nicht für Alle derselbe sein,“ meinte Mander.

„Ohne die Demut kommt Keiner in diesen Weg hinein; und ohne die tiefe, durchdringende, ja zermalmende Erkenntnis der Sündhaftigkeit vor Gott, ohne das laute, aufrichtige, in Reu’ und Leid ringende Bekenntnis derselben ist keine Rückkehr für den, der, wie Sie, in den Irrpfaden der geistigen Selbstanbetung sich erging. Daß Sie jetzt schon Baumeister sein wollen, ehe Sie selbst wahrhaft erbauet sind, oder jedenfalls noch in der ersten Frühlingslust der beseligenden Erbauung leben sollten, scheint mir anzudeuten, daß Sie noch unter der Knechtschaft Ihres eigenen Geistes gefangen und nicht durchgedrungen sind zur Freiheit der Kinder Gottes, deren Glaube keine dorische oder korinthische Säulenordnung, sondern eine kühn aufstrebende Säule ist, deren fester Fuß in den Tiefen des Herzens steht und deren Spitze der Regenbogen der Verheißung kränzt.“

„Eine sichere Begründung,“ warf Mander ein, „kann dem Glauben nicht schaden, ja ihn allein der Vernunft annehmbar machen, daß sie mitstimme mit dem Herzen, das seiner bedarf.“

„‚Der Glaube ist eine gewisse Zuversicht des, was man hoffet, und nicht zweifelt an dem, was man nicht siehet‘, sagt schon der Apostel,“ war Hold’s Antwort. „Unter diesem ‚was man nicht siehet‘ ist doch auch wohl das Nichtsehen der Vernunft durch Begriffe und Schlüsse mitverstanden; denn was sie so sich zusammenkettet, Glied an Glied, das sieht sie, das hört auf Gegenstand der Hoffnung und des Glaubens zu sein; es wird Gegenstand des Wissens und bleibt Stückwerk, wie all’ unser Wissen Stückwerk ist. Der Glaube aber ist ein Ganzes, Volles, Vollkommenes, ein Tag ohne Wolken, ein Kleinod, des wir uns freuen ohne Diebe und Räuber zu fürchten. Er ist kein Raub, sondern eine Gabe. Wir schaffen ihn nicht, sondern er schafft uns. Er ist nicht unser, sondern wir sind sein. Wir kommen nicht zu ihm dadurch, daß wir ihn in unser Gebiet hereinziehen, sondern dadurch, daß wir aus unserm Gebiet heraustreten und in sein Gebiet eingehen. Darum bauen Sie vergeblich an einem Fachwerk; es bleibt ein Gerüst, durch dessen Sparren jeglicher Wind weht, und worin der Geist Gottes nie heimatlich wird.“

„Thun denn aber die gelehrten Theologen etwas Anderes, als was ich versuche?“

„Leider thun sie oft nichts Anderes. Aber da geht es denn auch Vielen ihrer Zuhörer, wie es mir ging,“ erwiderte Hold, und nahm vom Bücherbord ein Heft aus seiner Studentenzeit, auf dessen letzter Seite sich folgender „Epilog zur Dogmatik“ fand:

So hat denn alle Wissenschaft gelogen!

Vom blinden Wahne sollt’ der Geist gesunden;

Und nun ist jeder lichte Blick verschwunden,

Und um den Frieden ist das Herz betrogen.

Ich seh’ mich auf ein Meer hinausgezogen,

Wo keine Nadel mag den Pfad erkunden,

Wo nie ein Blei den Ankergrund gefunden,

Wo alle Winde weh’n auf irren Wogen.

Der Lootse winkt zur Rechten, der zur Linken:

„Sieh, wie Dir dort der Heimat Sterne blinken!“

„Nein, folge mir, da dräut ein Felsenriff!“

Der Dritte nickt ein Ja zu beiden Seiten;

Ein Vierter fängt mit Allen an zu streiten;

Und unterdessen sinkt das lecke Schiff.

Doch halt! Was will der Mann mit Kennermienen?

Mein Sohn, Du sogst die rechte Weisheit ein.

„Laß nun Dein Pfund dem blinden Volke dienen.“

Er spricht’s, und ich — soll Seelenhirte sein!

„Es mag schlimm genug sein,“ sagte Mander, „Führer sein zu sollen, wenn man noch selbst ungewiß auf dem Kreuzwege steht. Aber daß man sich erst die Leiter zurecht stellt und Stufe auf Stufe prüft, ist doch klüger, als wenn man sich vornimmt, erst auf der höchsten Staffel sich nach dem sichern Stande und der Haltbarkeit der Stufen umzusehen.“

„Ach! zu solchem Vornehmen,“ entgegnete Hold, „läßt es der Glaube gar nicht kommen. Er bedarf keiner Leiter. Er ist ein Adler, den seine Schwingen sogleich über die Wolken hinauftragen. Er wird nicht, sondern er ist. Er macht sich nicht allmälig, sondern steht da in seiner Herrlichkeit. Ein schwacher, lauer und halber Glaube ist ein Unding. Wohl mag er auf Zeiten, in Stunden der Prüfung oder vor den Anläufen des ungöttlichen Wesens und der weltlichen Lüste zurückweichen; aber eine Mischung, Zersetzung und Teilung kennt er nicht. Er ist Alles oder Nichts; ganz oder gar nicht. Nur im Wissen, Wollen und Thun giebt es Halbheit, nicht im Glauben. Er kann nur beseligen oder verdammen, nicht ein wenig trösten, ein bischen erheben, ein wenig schrecken, ein bischen zittern machen. Er kämpft nicht, sondern er siegt nur. Er schreitet daher in seiner Kraft und erfüllet mit seiner Fülle das Herz; schmettert es nieder in den Abgrund und trägt es aus dem Abgrunde mit Jauchzen empor zu den himmlischen Höhen. Von diesen Höhen herab mögen wir den Glaubensweg erkunden, nicht von unten auf; nur mit dem Senkblei, nicht mit dem Fernrohr.“

Mander war oft in Versuchung, den Pastor der Einseitigkeit und Beschränktheit zu zeihen. Oft wieder war er in schmerzlichem Ringen nach Zuversicht der demütigste und gelehrigste Jünger. Dann aber klagte er über Dunkelheit in Hold’s Ausdrücken; wogegen dieser bemerkte:

„Das Wort ist Same und nicht mehr und minder. Im Samen liegt aber der Keim verborgen unter der Hülle und wartet auf Sonnenstrahl und Tau von Oben her, um die Hülle zu durchbrechen und Blüte und Frucht zu werden.“

Bald klagte er über die Dunkelheit der Offenbarungen Gottes. Hold erinnerte ihn:

„Die Fackel für die mancherlei Wege der göttlichen Offenbarungen ist die eine Offenbarung der heilsamen Gnade Gottes in Christo. Ist diese aufgegangen dem Herzen in ihrem vollen Glanze, so fließt ihr Lichtstrom über die ganze dunkle Gegend aus, und Alles wird hell! Nur Licht giebt Licht. Unser blöder Verstand mag uns wohl dazu führen, daß wir die Wahrheit nicht bei ihm erwarten. Unsere Sündhaftigkeit kann uns wohl die Sehnsucht wecken nach der Gnade Gottes; aber was Wahrheit ist, lernen wir erst durch die Wahrheit, und die Erlösung kennen wir erst durch die Erlösung. Sie aber ringen nach Beiden, als hätten sie schon das Wesen derselben erforscht und ihre Kraft erfahren. Daß dies aber nicht der Fall ist, zeigt Ihr Kampf mit einzelnen Dunkelheiten: denn Schatten weisen weg vom Licht und sind keine Wegweiser zum Lichte, wofür Sie sie nehmen, da Sie sich so lange bei ihnen aufhalten.“

XV.

Von der Heimat sel’gem Frieden

Nach dem wüsten Streit hienieden

Zeugt das lichte Sternenzelt;

Doch des Liedes klarer Spiegel

Offen der Verheißung Siegel

Zeig’ er in dem Kampf der Welt.

Ein Amtsgeschäft nötigte Hold zu einer Reise nach der nächsten, eine Meile entfernten Insel. Oswald begleitete ihn, teils um einige Angelegenheiten, die schnellere Ueberführung der geborgenen Ladung nach Husum betreffend, zu ordnen, teils um den für ihn so langweiligen Aufenthalt auf der Hallig durch einen Tag in anderer Umgebung zu unterbrechen. Ein günstiger Wind trug in der mondhellen Nacht das Schiff mit dem ruhigen Gleiten eines Schwans dem Ziel der Reise entgegen, und Oswald, der diese Meeresstrecke in dem furchtbarsten Aufruhr gesehen und auf derselben in Todesgefahr geschwebt hatte, sprach einmal über das andere seine Verwunderung über den Gegensatz aus.

„Heute so still und mit kaum merkbaren Wellen das kleine Schiff fortwiegend; damals anzuschauen wie eine ungeheure Woge, auf der das mächtige Gebäude auf und nieder schwankte, wie eine Feder, von Knaben in die Höhe geblasen. Heute der leise Hauch, der die Segel eben füllet und sich zu fürchten scheint, mehr zu thun, als wir gerade wollen; damals ein Heulen und ein Rasen, als wollte die tolle Windsbraut unser Schiff wie einen Knäuel zusammenwickeln und es gen Himmel schleudern. Dem Winde hat man so viele Namen gegeben, um seine wechselnde Weise zu bezeichnen. Das Meer heißt Meer, mag es wie ein gefügiger Sclave uns dienen, mag es wie ein wütender Tyrann mit unserm Leben würfeln.“

„Der Mensch heißt Mensch,“ bemerkte Hold, „mag er kindlich friedlich mit Blumen spielen, oder in blinder Leidenschaft Leichenhügel auftürmen; und der Uebergang von der einen zur andern Art zu sein, ist bei demselben Menschen nicht weniger überraschend, als bei dem Meere, und es ist nur gut, daß die ungestümen Wogen unserer Brust gewöhnlich wenig Macht haben, Unheil zu stiften.“

„Darum halte ich es damit,“ sagte Oswald, „dem Leben die leichte Seite abzugewinnen und das Blut hübsch ruhig zu halten. Alles Aufwogen, sei’s in Haß, sei’s in Liebe, ist nicht meine Sache. Dadurch habe ich es so weit gebracht, daß ich lache und scherze, wo Andere sich totgrämen wollen und außer sich vor Angst oder Zorn sind.“

„So nutz’ ich das Leben,

Und nehm’ es, wie’s ist;

Eh’ kalt mich im Grabe

Das Leben vergißt.“

„Wenn Sie Jahre lang in einem Kerker schmachten sollten, Jahre lang auf ein Krankenlager hingestreckt lägen, meinen Sie dann, daß Sie mit diesem Verse die feuchten Wände zieren, oder mit dieser Melodie Ihre Schmerzen einlullen würden?“ fragte Hold.

„Das will ich nicht behaupten,“ erwiderte Oswald; „aber darum freue ich mich, daß ich nicht in diese Probe geführt werde.“

„Warum trachten Sie aber nicht lieber nach einer Zuversicht, die auch solche Proben aushalten kann? Können Sie eine Ansicht für Wahrheit halten, welche von Außendingen abhängt, die nicht in unserer Gewalt sind? Rechnen Sie den Glimmerschiefer zu den Edelsteinen, weil er im Sonnenstrahl wie Diamanten funkelt?“

„Sie haben vollkommen Recht, lieber Pastor,“ antwortete Oswald, „eben weil sie Pastor sind, für mich aber Unrecht, weil ich singe:

Vergessen ist Freude

Und Denken nur Pein;

Und gilt er Dir Wahrheit,

Ist Wahrheit der Schein.“

„Ich kann Ihnen auch einen Vers dazu geben,“ sagte Hold:

„O, kindisches Treiben!

O, ärmlicher Wahn!

So schaukeln die Wellen

Den herrnlosen Kahn.

Und dieser Vers führt mich auf die Frage: was dachten und fühlten Sie in den Stunden, als Sie auf diesem Meere vor einigen Wochen zwischen Tod und Leben kämpften?“

„Ich dachte und fühlte gar nichts. Mir war alles Denken und Empfinden rein ausgegangen. Ich war eine hohle Schale, in die erst nach unserer Rettung ein Kern zurückkam. Was hätten mir auch alle Gedanken und Gefühle helfen sollen? Sie konnten den wilden Ocean nicht bändigen und den gebrechlichen Kahn nicht zusammenhalten.“

Ihr Denken und Empfinden konnte Ihnen freilich nichts helfen; aber wohl wäre es anders mit dem gewesen, der in Sturm und Wogendrang hätte sprechen können nach den Worten des Liedes, das Sie nur halb kennen wollen:

Wer kämpfend und fallend

Dem Siege vertraut,

Der hat sich errungen

Das Jawort der Braut.

Sie führt dem Altare

Der Heimat ihn zu.

Sein Glaube wird Schauen;

Der Staub ist zur Ruh.“

„Ich streite nicht mit Ihnen, Herr Pastor,“ antwortete Oswald. „Ich gebe Ihnen, wie gesagt, vollkommen Recht. Ich ehre Ihre Ueberzeugungen und Sie um derselben willen. Ich würde auf Ihre Redlichkeit und Treue mehr bauen, als auf mich selbst. Aber — ich bleibe, was ich bin; und wie ich bin; wenn ich nicht, wie ich es Ihnen schon halb versprochen, einst im grauen Haar zu Ihnen zurückkehren sollte, um zu lernen, wie man die Falten des Leichentuchs mit Anstand um sich wickelt. Gewiß, lieber Hold,“ schloß Oswald, als er merkte, wie der Pastor sich bei dieser letzten Aeußerung unwillig von ihm wandte, „ich will nicht spotten, wenn es auch manchmal so klingt; es ist nur ein hohler Klang, dem Sie keine Bedeutung unterlegen müssen, die er nicht haben soll. Aber wir stehen uns so fern und so fremd in unsern Ansichten und Meinungen, daß keine Vereinigung möglich ist. Sie stehen fest auf Zion, und ich treibe, ein leichter Nachen, jeden Blumenbach entlang, der mich eben tragen will.“

„Den hohlen Klang nehme ich Ihnen nicht übel,“ erwiderte Hold; „aber daß es eine Stunde in Ihrem Leben geben konnte, in welcher Sie nach Ihrem eignen Ausdruck eine hohle Schale waren, und doch nun, bei solchem Geständnis, sich noch länger in der ganzen Hohlheit und Leerheit Ihrer Ansichten, die eigentlich, wie Sie es selbst aussprechen, nichts weiter als Gedankenlosigkeit sind, wohl fühlen können, das verstehe ich nicht. Ich fürchte, Gott wird Sie noch einmal mit gar schwerer Hand anfassen, oder vielmehr ich muß es wünschen.“

„Sie werden es mir erlauben,“ sprach Oswald lachend, „den Dank für diesen frommen Wunsch bei Ihnen zu ersparen.“

Hold wandte das Gespräch auf andere Dinge, und da sie sich in der Bekanntschaft mit dem Liede, aus dem die vorher von ihnen angeführten Strophen genommen sind, zusammengefunden, ward die Poesie der Gegenstand ihrer Unterhaltung. Hierin stimmten die Urteile Beider fast ganz zusammen. Oswald’s ausgebreitete Belesenheit in diesem Fache hatte sein richtiges Gefühl nicht verwirrt, sondern nur geschärft. Kein blendender Bilderschmuck bestach ihn; kein dichterischer Gedanke ging ihm um der mangelhaften, poetischen Form willen verloren. Ossian, der Barde, der selbst dem Nebel Kraft und Anmut einzuhauchen wußte, war sein Liebling, und er behauptete mit Hold’s völliger Zustimmung, daß man in dem Brodem des Plumpuddings groß gezogen sein müßte, um Ossian’s Gedichte zu dem untergeschobenen Machwerk eines gentleman machen zu können. Je lebendiger Oswald sprach, je reicher er seine vielseitige Kenntnis der schönen Literatur entfaltete, je wahrer er das Flache von dem Tiefen, die gemachte von der wirklichen Begeisterung unterschied, desto mehr mußte sich Hold wundern, wie ein Mensch zugleich so scharf und richtig urteilen, und doch so gedankenlos hinleben; so wahr und so stark empfinden, und doch so gefühllos für den Geist Gottes sein könne. Es war ihm unbegreiflich, wie Oswald bei den Ergüssen himmlischer Begeisterung eines Dichters mit inniger Anerkennung weilen konnte, ohne dadurch auf sich selbst und seine Entfremdung von allem Göttlichen geführt zu werden. Es war, als trüge ihn seine Phantasie mit in den Aufschwung dieser Dichter hinein, und als sähe er dennoch darin nur den Flug eines Luftballons, der aus seiner Höhe ohne weitere Kunde von den göttlichen Dingen zur Erde herabsinkt. Aber — sie haben Augen und sehen nicht; sie haben Ohren und hören nicht.

Für die Leser, welche das Gedicht, aus welchem wir oben einzelne Verse in die Erzählung verflochten haben, ganz kennen zu lernen wünschen, möge es hier stehen.

Das Leben.

Ein Anfang ohn’ Ende;

Ein Schleier ohne Bild;

Ein Träumen und Sehnen,

Das nimmer gestillt;

Ein Blühen und Duften;

Ein schmeichelndes Lied;

Und Alles nur Täuschung,

Die lockt und entflieht.

Ein Wollen und Können,

Und nie ein Vollbracht;

Ein Lernen und Wissen,

Das klüger nicht macht.

Ein Drängen und Treiben

Bergauf und bergab;

Ein Sorgen und Mühen

Für’s wartende Grab.

Für Herren und Knechte

Ein wunderlich Spiel,

Als Ernst gar zu wenig,

Als Scherz gar zu viel:

Und dennoch zum Leben

Die Liebe so groß? —

Gern sitzen die Narren

Der Narrheit im Schooß.

Was zürnst Du dem Leben,

Dem gaukelnden Spiel?

Du fragst nach dem Ziele?

Der Weg ist das Ziel!

Dein Hoffen und Wagen,

Und wär’s ohne Lohn; —

Im Hoffen und Wagen

Genießest Du schon.

Entströmt ohne Lorber

Dem Helden sein Blut;

Doch freut sich im Streite

Des Kämpfenden Mut.

Der Rätsel so viele?

Die Antwort so kahl?

Frag’ nicht nach den Reben

Den vollen Pokal.

Vergessen ist Freude,

Und Denken nur Pein;

Und gilt er Dir Wahrheit,

Ist Wahrheit der Schein.

So nutze das Leben,

Und nimm es, wie’s ist,

Eh’ kalt Dich im Grabe

Das Leben vergißt.

O, kindisches Treiben!

O, ärmlicher Wahn!

So schaukeln die Wellen

Den herrnlosen Kahn!

Das Leben ein Schleier,

Den Keiner durchschaut;

Doch ehre den Schleier;

Er wallt um die Braut,

Die wüstem Verlangen

Nur keuscher sich hüllt,

Den Glauben mit froher

Verheißung erfüllt.

Es wehet ihr Odem

Dahin und daher,

So grüßet von Küste

Zu Küste das Meer.

Und wandelt der Pilger

Nach Süd und nach Nord,

Sie ladet ihn liebend

So hier und so dort.

Sie blickt von den Sternen

Ihm freundlich herab;

Und lächelt weissagend

Auf Wiege und Grab;

In Kämpfen, in Stürmen,

In wolkiger Nacht,

Von Weisen gescholten,

Von Spöttern verlacht,

Schmück’ kühn Dir mit Kränzen

Hochzeitlich das Haupt,

Vom Baume der Hoffnung,

Der nimmer entlaubt.

Wer streitend und fallend

Dem Siege vertraut,

Der hat sich errungen

Das Jawort der Braut.

Sie führt dem Altare

Der Heimat ihn zu.

Sein Glauben wird schauen;

Der Staub ist zur Ruh.

XVI.

— Und jede neue Welle säumte

Für mich am feuchten Leichentuch.

Und jede neue Welle schäumte

Entgegen mir den Todesspruch.

Wir übergehen den kurzen Aufenthalt auf der Insel, die, umgeben und durchschnitten von starken Deichen mit einer Höhe von mehr als zwanzig Fuß und einem Belauf von achtzig bis hundert Fuß, in der Mitte ihrer Abteilungen oder Koege, wo das Meer völlig dem Auge entzogen war, das Ansehen eines von festen Wällen umgürteten Lagers darbot, das von den Kriegern verlassen, nun dem friedlichen Landmann angehörte, der es nur bißher versäumt, die Wälle abzutragen.

Auf der Rückfahrt nach der Hallig mußte das Schiff anfangs mit widrigen Winden kämpfen; später trat eine völlige Windstille ein, und eine Viertelmeile vom Ziel wurde Anker geworfen, da auch die Ebbe dazu kam, die kein Weiterkommen selbst bei günstigem Winde gestattet hätte. Noch war es heller Nachmittag, und klar lagen die einzelnen Wohnungen der Hallig vor dem Blicke der ungern Verweilenden. Das Schiff stand bald ganz auf dem Trocknen, und es schien so leicht, die kurze Strecke zum Ufer zu Fuß zu machen. Sollte auch hie und da ein bißchen in dem weichen Schlamm gewatet, oder eine und die andere Wasserrinne übersprungen werden müssen, so kam man doch vor Abend nach Hause. Der Gedanke, so festgebannt zu sein, machte Oswald ungeduldig, und für Hold war jede Stunde der Entfernung von den Seinen ein Abbruch an seinem häuslichen Glück. Die beiden Schiffer hatten nichts dagegen, ihr Fahrzeug bis zur nächsten Ebbe liegen zu lassen, wie sie dies schon oft gethan, und so traten denn die vier Reisegenossen ihren Weg zur Hallig an. Freilich hätten die vielen Unglücksfälle, welche durch dies sogenannte Schlicklaufen herbeigeführt werden, sie abhalten sollen; aber die Luft so heiter, das Land so nahe, woher denn Gefahr? Oswald lachte laut auf, als Hold nur so obenhin sagte, daß solche Versuche, das Land zu gewinnen, schon Vielen das Leben gekostet, und dieser fügte auch selbst gleich hinzu, daß heute freilich nichts zu fürchten sei. O, des kurzsichtigen Geschlechts, das sich so sicher dünkt, indem es dem Tode entgegenrennt! Kaum zehn Minuten später standen die Wanderer schon ratlos und angstvoll da, und wußten nicht mehr, wohin sie die Schritte wenden sollten, ob rückwärts, ob vorwärts. Ein dicker Nebel, der urplötzlich, man wußte nicht, ob von oben herab, oder von unten heraufgestiegen kam, lagerte sich um sie her.

Die Nebel oder Seedünste sind oft nicht höher als sechs bis acht Fuß, und es begegnete uns einmal, daß wir vom Schiffe aus mit den Leuten am Ufer uns unterredeten, ohne daß wir auch nur das Geringste mehr sehen konnten, als deren Köpfe, die im hellsten Lichte auf der grauen undurchdringlichen Masse gleichsam schwammen, und deren Bewegungen von einer Stelle zur andern, ohne daß man die bewegenden Glieder sah, einen wunderbaren Anblick gewährten. Was wir in dem Folgenden erzählen, mag ebenfalls für Den, welcher jene Meeresstrecke nicht kennt, manches Wunderbare haben; aber wir legen auch hier, wie andern Stellen dieser Schrift, unsere eigenen Erfahrungen zu Grunde.

Sobald der Nebel aufkam, wandten sich Aller Blicke unwillkürlich auf das Schiff zurück. Wenn nur noch irgend etwas zu sehen gewesen wäre! Aber die weiter als drei Schritte von einander standen, waren ja schon nicht mehr für einander da und mußten sich durch Rufen zusammenfinden. Oswald ahnte noch nicht die Größe der Gefahr und konnte sich in das ängstliche Beraten der andern nicht finden, da er meinte, sie müßten bald das Ufer gewinnen, wenn sie nur darauf hielten, die gerade Richtung nicht zu verfehlen. Auch der Schluß der Beratung fiel dahin aus, vorwärts zu gehen, weil die freilich entferntere Hallig sich doch immer in diesem Nebelmeer wahrscheinlicher treffen ließ, als das nahe, aber leicht zu verfehlende Schiff. Oswald schritt keck voran und trällerte ein Liedchen. Doch als tiefere Stellen, die nicht zu durchwaten waren, umgangen werden mußten, als Rinnen kamen, an denen man in mancherlei Wendungen hinzuwandern gezwungen war, ehe eine Stelle gefunden ward, schmal genug, um hinüberzuschreiten, als bald der eine, bald der andere Gefährte im Nebel oft eine geraume Zeit verschwand, da wurde er stiller und stiller. Als er ein paarmal, entweder unbesonnen forteilend, oder zaghaft zurückbleibend, nur nach lautem Geschrei, da der Nebel den Schall hemmte, sich den Genossen wieder anschließen konnte; als er bald im Schlamme tief einsinkend, bald mit ungewissem Sprung die Weite verfehlend, alle Mühseligkeiten des Weges erfuhr, da begann ein kalter Schweiß von seiner Stirne zu perlen, und bei jedem Stillstand fühlte er das Beben der Angst in seinen Gebeinen. Solcher Stillstand ward immer öfter nötig, teils um die erschöpften Kräfte wieder zu sammeln, teils um über die rechte Richtung sich zu vergewissern. Welche Umwege aber wurden in der dichten Nebelhülle gemacht, die bei heller Witterung leicht hätten vermieden werden können! Vielleicht war der Uebergang über eine Rinne nur ein paar Fuß weiter rechts oder links, und eine halbe Stunde wurde vergeudet, um ihn aufzufinden, weil man ihn an der Seite vermutete, wo er nicht war, und wenn man sich endlich überzeugte, daß er da nicht zu finden sei, wo man ihn suchte, ging wieder eine neue halbe Stunde darüber hin, um zu dem alten Fleck zurückzukommen. Zuletzt mußten sich die vier Leidensgefährten anfassen, um nicht durch die graue Wand, die zwischen ihnen jetzt schon bei der Entfernung von auch nur einem Schritt von einander aufgetürmt war, getrennt zu werden. Bisher waren nur wenige, durch die Umstände gebotene Worte gesprochen. Jeder ging still, sich seinen trüben Gedanken überlassend, hinter dem andern her; nur Oswald unterbrach nun durch sein Stöhnen und Klagen vielfach das ängstliche Schweigen. Aber nicht lange, da tönte die Schreckensfrage von Mund zu Mund: „wohin sollen wir uns wenden?“ Ach! die sich widersprechenden Antworten zeigten nur zu gewiß, daß man sich auf keine Antwort mehr unbedingt verlassen konnte. Die Richtung, bisher noch teils durch die Aufmerksamkeit auf jede neue Wendung, teils auch durch die Kenntnis der Schiffer von dem Lauf wenigstens der größeren Rinnen, vielleicht nicht ganz verloren, ward nun Allen völlig zweifelhaft. Denn die zu machenden Wendungen und Krümmungen waren immer verschlungener, des Hin- und Hergehens, Vor- und Rücklaufens immer mehr geworden; und unheilbringendes Zeichen! die Rinnen wurden allmälig breiter, flossen zu zahlreicheren Wasserstraßen über, welche bald langsam wie heimtückische Räuber dahinschlichen, indem sie zwischen den kleinen Erhöhungen in vielfachen Krümmungen sich fortwanden, oder lauernd und auf neuen Zuschuß wartend an einer größeren Bank sich verweilten; bald aber auch wie mutige Krieger von einem erklimmten Wall auf die Ebene niederwogten und dort sich nach allen Richtungen ausbreiteten. Von diesen Bewegungen sahen die Wanderer freilich Nichts, obgleich der Nebel jetzt anfing, sich ein wenig zu verteilen. Aber sie kannten ja die Stunde, in welcher ihr Todfeind die Herrschaft wieder antrat auf den Marken, die sie mit mutwilligem Fuß zu betreten gewagt hatten. Sie merkten sich auch schon von seinen verstrickenden Netzen umschlossen, denn wohin sie sich wandten, stießen sie auf seine Gänge, wohin sie sich wandten, folgte er ihnen nach, und bald spülte er allenthalben um die Füße der gejagten Beute. Nun kroch er, sich hebend und sich senkend, langsam, aber mit sicherm Fortschritt, immer höher hinauf, steigerte in gleichem Stufengang das Bangen und die Beklemmung der Umherirrenden, deren Tritte immer heftiger, aber auch immer unsicherer wurden auf dem überschwemmten Boden, und wallte jetzt um die schlotternden Kniee mit höhnischem Rauschen, in welchem sich nur zu deutlich die grausame Freude aussprach: „Ihr entgeht mir doch nicht mehr!“ Was half die erneute Beratung: „wohin sollen wir uns kehren?“ Ja hätte nun auch die rechte Richtung ausgemacht werden können, wie ja wirklich die aufmerksame Beachtung der Bewegung der Flut sie ungefähr erraten ließ, hatte man nicht vor sich Rinnen, die jetzt zu undurchdringlichen Tiefen geworden waren? Durfte man, selbst dies Hindernis nicht mit erwägend, es sich verbergen, daß eine ungefähre Richtung gar keine sei, da sie an der Scholle, die im weiten Ocean aufgefunden werden sollte, eben so gut rechts oder links vorbei als darauf hin führen konnte? Doch wurde ein Versuch gemacht, vorwärts zu dringen, aber schnell wieder aufgegeben, als der Führer des Zuges plötzlich bis über die Achsel in eine Tiefe versank, aus der er nur mit Mühe herausgezogen werden konnte. Jetzt blieb nichts anderes übrig, als auf dem Platze, wo man gerade sich befand, stehen zu bleiben und sich in voller Hülflosigkeit der Macht des immer höher schwellenden Oceans zu überlassen, und dem Vater im Himmel, der allein den Wogen gebieten kann: bis hierher und nicht weiter! Leib und Leben im Gebet zu empfehlen. „Mein armes, armes Weib!“ dachte Hold; und sein Geist war so ganz in diesem Gedanken aufgegangen, so ganz mit ihrem Schmerz um den Verlust des Gatten eins geworden, daß ihm die Teilnahme für die nahe Bedrängnis verloren ging in der vollen Empfindung ihres Jammers. Die beiden andern Männer standen in dumpfer Hingebung schweigend da. Oswald aber verlor in dieser gezwungenen Unthätigkeit alle Fähigkeit, seiner Todesangst irgend ein stärkeres Gefühl entgegenzusetzen, oder auch nur sie unter einer anscheinenden Ruhe zu verbergen. So lange noch Versuche zur Rettung gemacht werden konnten, war er bei jedem günstigen Anschein voll Hoffnung, und die Beschwerden der Wanderung ließen es ihn zuweilen ganz vergessen, daß sie auf dem Wege wandelten, der sie vielleicht nur immer fester als Opfer des Meeres umstrickte. Aber stille zu stehen, rings um sich die Wüste des Oceans, in jedem leisen Wellenschlag einen neuen Todesboten zu merken, mit welchem der beutesichere Feind neckisch sein Opfer grüßte, eine Marter auszuhalten, die ohne die Abwechslung des Schmerzes in immer gleicher Ruhe einen Tropfen aus dem Becher der Hoffnung nach dem andern auszählte; diesem schwerfällig aufkriechenden Tode, als würde der Körper von einer ungeheuren Schlange in immer höher schwellenden Windungen langsam umzogen, von Sekunde zu Sekunde seinen Gang nachzumessen, ihn immer näher und näher am hochschlagenden Herzen zu fühlen: das war mehr, als Oswald zu ertragen vermochte. Anfangs drang er in seine Gefährten mit dem leidenschaftlichsten Ungestüm, doch irgend ein Mittel zur Rettung zu ergründen. Als er endlich ihren vielfältigen Beteuerungen glauben mußte, daß Alles versucht sei, was versucht werden könne, und daß jetzt nur noch die Möglichkeit als letzter Hoffnungsstern übrig bleibe, wenn der Nebel sich noch mehr verteile, und das Land nahe sein sollte, durch ihr Geschrei ein Boot herbeizurufen, da schrie er, in jeder längern Zögerung den gewissen Tod sehend, so gellend auf, daß es diesem herzzerschneidenden Ruf anzumerken war, wie nur die furchtbarste Seelenangst ihm die übernatürliche Stärke gegeben. Mit diesem Ruf war aber auch alle seine Kraft dahin, seine Füße wollten ihn nicht mehr tragen, alle seine Gebeine schüttelten sich wie aus ihren Fugen heraus, seine Zähne hämmerten auf einander und sein Haar sträubte sich hoch empor; keines zusammenhängenden Wortes war er weiter mächtig. Er wäre jetzt schon umgesunken, wenn Hold ihn nicht gehalten. Es ward auch für Alle nötig, sich gegenseitig zu stützen, da die Wellen schon so hoch gestiegen waren, daß es schwer wurde, die Füße gegen ihren Andrang festzustemmen. Schweigend standen die Männer so neben einander, fest die Hände in einander geschlungen. Jeder hatte in seinem Innern die Rechnung mit dem Leben zu schließen und weder Zeit zu klagen, noch Lust zu trösten. Oswald wollte freilich auch seine Seele in Gottes Vaterhuld empfehlen und rang sich aus seinen durch einander tobenden Gedanken und wild lodernden Empfindungen zu einem Blick nach oben durch, aber der Himmel, an dem schon hin und wieder ein Stern durch den Nebelflor schimmerte, nahm seinen Blick nicht an, wenigstens sank des Jünglings Auge sogleich scheu wieder zurück, und in demselben Augenblick rauschte eine Woge, höher als die übrigen, hinter ihm auf; ein doppelter Wasserstrahl ging von seinem Nacken um den Hals her und floß über seine Brust hin. „Du bist gerichtet!“ schauderte es durch seine Seele, und ein neuer Angstschrei riß sich aus seiner Brust los, dem ein dumpfes anhaltendes Stöhnen, untermischt mit abgebrochenem Aechzen, folgte. Festeren Gemütern wäre vielleicht dieses Stöhnen widerlich gewesen, auf seine Leidensgefährten wirkte es dahin, daß auch sie ohne Rückhalt seufzten und klagten.

Die Wasser aber rauschten heran, heran; eine Woge legte sich über die andere hin, und mit jeder kommenden Woge lief eine Sekunde ab von der kurzen, den Armen noch zugemessenen Lebensstunde.

Der Nebel sank endlich völlig und begrub seine feuchten Dünste in die Flut. Am Himmel blinkten nur einzelne Sterne, und auf dem Meere war für Die, denen das Wasser schon bis an die Brust stand, nichts zu sehen, als bald hier, bald da auf dem kräuselnden Kamm einer Welle der Wiederschein eines Sternenlichts. Die Dunkelheit verbarg das Schiff. Doch da, da, und wieder da! Das sind Lichter der Heimat! — Schließt Eure Rechnung schneller, Unglückliche, die Lichter der Heimat werden zu Lampen für die Toten hingestellt. Wie seid Ihr irre gegangen! Jene Lichter zeigen Euch, daß Ihr wenigstens drei Mal weiter von der Heimat entfernt seid, als Ihr es waret, da Ihr das Schiff verließet. Kein Ruf dringt hinüber zu der fernen Küste; ja, könnte ein Ruf hinüberdringen, kein Boot, und würde es auch noch so rüstig getrieben, vermag Euch zu erreichen, ehe noch das Meer mit Euren Leichen spielt. Da sitzen Eure Lieben und warten auf Euch! „Nun muß er bald kommen!“ sprechen Vater und Mutter, Weib und Kind, Bruder und Schwester, und Euer Platz wird leer gelassen in ihrer Mitte, bis Ihr kommt. Für Euren freundlichen Empfang, für Eure Erquickung nach der Reise sind Alle geschäftig; wohnlich und gastlich soll Euch Alles anlächeln; traulich und herzlich das Willkommen sein, das Euch begrüßt. Erzählen sollt Ihr den horchenden Lieben, was Ihr gesehen, und die gemütliche Heimat von Neuem loben. — Euer Platz wird leer bleiben in der Mitte der Lieben, denn die Wasser rauschen heran, heran; eine Woge legt sich über die andere hin, und mit jeder kommenden Woge läuft eine Sekunde ab von der kurzen, Euch noch zugemessenen halben Stunde.

„Mein armes Weib! mein Kind! mein Kind!“ rief Hold laut zum Himmel auf. Neben ihm seufzten die Männer, und Oswald’s Gestöhn klang verzweiflungsvoll dazwischen. Aber der trübe Geist, der Hold’s Seele niederdrückte, und der dadurch so lähmend auf den sonst so glaubensfreudigen Mann wirkte, weil dieser besonders durch eine Regung von Eitelkeit verleitet war, sich der Wanderung über den Schlick nicht zu widersetzen, zu der er lieber zustimmen, als für furchtsam gehalten werden wollte, dieser trübe Geist war mit jenem Ausruf auf die höchste Spitze gelangt, wo ihn nun wie ein Wetterstrahl aus der Höhe das Wort traf: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Zucht!“ Da war es, als träte Hold mit vollem Siegesjubel heraus aus dem Schatten der Finsternis und den Banden des Todes, die ihn so lange gehalten, und er hub an zu predigen in den Wellen mit lauter und fester Stimme; freilich mehr in abgebrochenen Sätzen, wie es die Lage der Dinge natürlich machte, als in dem Zusammenhange, welchen unsere Aufzeichnung seinen Worten gegeben hat.

„Gelobet sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der Vater der Barmherzigkeit und der Gott alles Trostes! Der uns tröstet in aller unserer Trübsal, daß wir auch trösten können, die da sind in allerlei Trübsal, mit dem Troste, damit wir selber getröstet werden von Gott. — Lobet den Herrn in allen Seinen Werken, denn alle Seine Werke sind unsträflich! Auf Sein Gebot kommen und gehen die Wasser. Er wehet das Meer an mit dem Hauche Seines Mundes, und es weichet scheu vor Ihm zurück. Er wehet das Meer an mit dem Hauche Seines Mundes, und es schwellet und wallet heran folgsam Seinem Ruf; und was Er gebeut, das geschieht zur rechten Stunde. So ist es denn auch Seine Stunde, in die wir gekommen sind. Es ist Sein Rat, der uns dies Grab bereitet; und darum leitet auch Seine Hand uns hinüber in Sein Reich. — Freuet Euch! Er hat in diesen Stunden der Angst uns gereiniget von unsern Sünden. Er hat uns hingegeben in unsere Ohnmacht, daß die letzten Trümmer unseres Dünkels niederbrächen unter Seinem Wort: „Seid stille und erkennet, daß ich der Herr bin!“ — Er hat uns hienieden schon gerichtet, und unter Seiner Heimsuchung ist unsere Schuld und Missethat über unser Haupt gewachsen, wie das Meer über unser Haupt wächst; also daß wir weit von uns geworfen haben das eitle Gewand eigner Gerechtigkeit und unsere Seele gekleidet in das hochzeitliche Kleid der Gerechtigkeit in Christo, die vor Gott gilt. — Hallelujah dem Gott der Stärke, dem Vater der Liebe! In Seiner Kraft überwinden wir die Welt, und Seine Gnade erfüllet die verzagten Herzen mit Freude und Friede. Und die da weinen um uns, — Herr, unser Gott, durch die Wolken hindurch dringt unser Gebet aus der Tiefe, und Du erhörest, erhörest uns, die wir ausschütten unser Herz vor Dir. Ja, wir bitten und zweifeln nicht: Du bist ein Helfer und Vater der Witwen und Waisen, unter dem Schatten Deiner Flügel ruhen sie. Du richtest sie auf, wo sie meinen vergehen zu müssen. Du weisest ihnen Wege, wo sie keine Wege sehen. Vater tröste sie, stärke sie, führe sie um unserer Bitte willen, wie Du verheißen: „Bittet, so wird Euch gegeben.“ — Nicht für uns bitten wir. Wir haben nur Dank, daß Du uns hast hören lassen Dein Wort zu uns mit wahrhaftigem Sinn und völligem Glauben. Wir haben allenthalben Trübsal, aber wir ängstigen uns nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. Denn Du hast einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, und unser Glaube ist schon hienieden zum Schauen geworden, also daß Dein Licht uns umleuchtet in der Finsternis, daß unsere Seelen auffahren mit Flügeln, wie Adler, aus der Tiefe, daß wir Dich loben und preisen im Sterben. — Hallelujah! Ehre und Preis unserm Gott, der uns den Sieg gegeben hat über den Tod! Hallelujah! Dem Herrn sei Dank und Preis in Einigkeit! Amen.“

Auf die beiden Männer der Hallig machten diese begeisterten Worte ihres Pastors den entschiedensten Eindruck. Sie hatten eben noch seine Seufzer und Klagen gehört, ihn die Schwäche und Trostlosigkeit seiner Leidensgenossen teilen sehen, und nun erhob er sich auf einmal zu solcher Höhe des Glaubens und der Todesfreudigkeit, daß sie seinen Zuspruch, obwohl dieser sich ganz in den Grenzen ihres geistigen Gebiets hielt, aufnahmen als eine Stimme von Oben, als die Sprache eines weltüberwindenden Geistes, der wie im Sturm den Geist der Furcht und des Zagens ausgetrieben, und dessen Stätte eingenommen in der Brust ihres vorher mit ihnen verzagten Seelsorgers. Daß fast jedes Wort seiner Tröstung an einen Bibelspruch erinnerte, gab ihr für Diejenigen, welche von Kindheit an die heilige Schrift als Gotteswort geehrt hatten, den vollen Stempel der Untrüglichkeit und daher noch gewisseren Einfluß auf die Gemüter. Für Oswald jedoch war jede Tröstung verloren. Während Jene lobten und dankten, als sei die Todesstunde ein Fest geworden, klang ihm dies Zeugnis der Glaubensfreudigkeit wie ein Hohn über die Oede seines Herzens. Oft versuchte er es, ein Wort des Glaubens und der Hoffnung seinen Gefährten nachzusprechen; aber er wußte nicht einmal, ob es über seine Zunge ging, wenigstens kam es ganz leer zu ihm zurück und fand in seiner von Todesängsten gemarterten Brust keine Stätte, um auch nur einen Augenblick zu haften. Er glaubte zu jammern und zu schreien, um so irgend eine Macht zum Mitleid zu bewegen, aber dies Jammern und Schreien war nur in ihm, seine Lippen fieberten nur, ohne daß ein Laut über dieselben kam; er glaubte mit aller Macht zu kämpfen wider die umdrängende Flut, aber seine Nerven zuckten nur krampfhaft, alle Muskelkraft war aus den erschlafften Gliedern entschwunden. So bot er das vollendete Bild eines Menschen dar, der an seinem Unglauben und seiner Gottvergessenheit zum Märtyrer geworden ist.

Die Wasser aber rauschen heran, heran; eine Woge legt sich über die andere hin und mit jeder kommenden Woge läuft eine Sekunde ab von der kurzen, den Opfern des Meeres noch zugemessenen Viertelstunde.

XVII.

Alles wollen sie begreifen,

Alles wollen sie verstehn;

Alles schneiden sie in Streifen,

Um — zusammen sie zu nähn;

Und was wider ihre Lehren

Ist wahrhaftiglich geschehn,

Soll das offne Ohr nicht hören,

Nicht das offne Auge sehn.

Nicht allein mit den obenstehenden Versen möchten wir die zunächst folgende Erzählung einer bis zur Erscheinung gesteigerten Einwirkung der Seele auf die Seele einleiten. Mit der bloßen Behauptung oder Verwerfung einer Ansicht oder Erfahrung, die von der gewöhnlichen Meinung, von dem alltäglichen Gange der Dinge abweichen, ist Nichts gewonnen. Auch von den Gründen, welche unsere Erfahrung einer solchen Einwirkung in eine leere Täuschung aufzulösen streben, müssen wir bekennen, daß sie ihre Kraft bisher noch nicht an uns bewiesen haben, so zweifelnd-prüfend wir uns auch auf diesem dunkeln Felde der höheren Seelenkunde bewegen. Hold’s Versuch, sich eine nicht abzuleugnende Thatsache für seinen Glauben annehmlicher zu machen, teilt die gewöhnliche Eigenschaft solcher Versuche, er ist Grau in Grau gemalt, erklärt das Wunderbare durch das Wunderbare. Doch benutzen wir ihn gern, wenn auch nur zu einer bescheidenen Einleitung in dieses Kapitel.

„Ist nicht so Vieles in unserm Geiste,“ sagte er, „das über die gewöhnlichen Gesetze des Denkens und Empfindens hinaus ist? Oeffnet die Andacht nicht Tiefen in unserer Brust, die wir ohne sie ganz übersehen? und sind die Perlen und Edelsteine, die sie aus diesen Tiefen zieht, nicht von einer Art, daß unser Wissen und Verstehen jede Schätzung aufgeben muß? Die Andacht aber ist in ihrer höchsten Blüte Einswerden mit Gott, ein Verschmelzen unseres Geistes mit Seinem Geiste, also, daß wir absterben unserm früheren selbsteigenen Geistesleben, und in Gott leben, weben und sind, wodurch wir fähig werden, zu denken, zu fühlen und zu handeln über unsere sonstige Kraft weit hinaus, weil die Kraft Gottes in dem Schwachen mächtig ist. Wie nun die Liebe zu Gott solches Wandeln auf Höhen, zu denen unsere gewöhnlichen Gaben nicht hinaufreichen, möglich macht, so auch öffnet die irdische Liebe uns Wege vom Herzen zum Herzen, auf die kein uns ohne diese Liebe bekanntes Seelenvermögen hinweist. Es gibt auch hier eine Sprache und Mitteilung, die eben wie die Andacht nur in einzelnen Momenten ihre Hieroglyphe in das Buch unseres Lebens hineinschreibt. In Augenblicken, in welchen wir uns selbst ganz vergessen, und all’ unser Denken und Empfinden in die Seele des geliebten Gegenstandes hineinversenken, wird die Ferne zur Nähe und die Trennung zur Gemeinschaft; und unsere Bitten, Warnungen, Seufzer und Grüße werden Gedanken und Empfindungen der geliebten Seele, und damit sie nicht als eigene Träume unbeachtet bleiben, kleiden sie sich auch wohl in das Gewand sichtbarer Gestalten, hörbarer Worte, die aber nur eine Abspiegelung der auf solche Art geweckten Vorstellungen sind, daher nicht in die Sinne der diesen fremden Personen fallen. Es sind Erkennungen, denen ähnlich, mit welchen wir uns droben in den ewigen Hütten wiedererkennen, wenn die Seele mit dem neuen Leibe überkleidet wird, von dem unsere irdische Hülle nur der gröbere Schatten ist. Doch werden diese Wechselwirkungen der Seelen auf einander wohl nur da möglich sein, wo eine Liebe ist, nicht allein der vollsten Hingebung fähig, sondern auch in derselben durch langes Erkennen und innige Verschmelzung der Gedanken und Empfindungen erprobt und bewährt.“

Nun zu unserer Erzählung.

Godber und Idalia saßen in der Abenddämmerung dieses Tages, der für die Hallig ein Tag der schmerzensreichsten Trauer zu werden drohte, neben einander in der Stube ihrer Wohnung. Das Gespräch zwischen ihnen stockte oft, eben weil Beide sich Mühe gaben, es zu unterhalten.

So geschieht es immer, wenn zwei Menschen zusammen sind, die Etwas auf dem Herzen haben, worüber eine gegenseitige Erklärung notwendig ist, diese Notwendigkeit auch erkannt, aber die offene Erklärung vermieden wird, weil man von ihr ein Resultat fürchtet, das noch unangenehmer die Seele berührt, als die drückende Empfindung der Ungewißheit und Unentschiedenheit es thut.

Idalia verbarg ihre Verstimmung nur wenig, während Godber sich ernstlich anstrengte, alle mögliche Weichheit und Zärtlichkeit in seine Worte und sein Benehmen zu legen. Getrennt waren die Herzen schon. Erloschen war fast ganz das Feuer der Liebe; nur daß Beide sich noch nicht überwinden konnten, dies einander oder auch sich selbst nur recht zu gestehen; Idalia nicht, weil ein gewisses Mitleid mit dem Jüngling, der sein Leben für sie gewagt und ihr die Verlobte geopfert, noch in ihrer Brust sich regte, und dies Gefühl dem schwachen Rest ihrer Neigung ein Gewicht lieh, das er eben nur durch diese fremdartige Zugabe noch hatte. Godber wagte nicht, über seine Empfindung klar zu denken, weil er das Kleinod, für welches er so viel gegeben, nicht fahren lassen wollte, obgleich er eingesehen, daß es ihn nicht glücklich mache, und weil ihm graute vor der Leere eines Herzens, das zwischen der weggeworfenen und der zur Täuschung gewordenen Lebenshoffnung in der Mitte stände.

Als eben wieder eine lange Pause eingetreten war, öffnete sich plötzlich die Thüre, und die Pastorin, eine ganz unerwartete Erscheinung in diesem Hause, stand bleich und bebend vor den Erstaunten.

„Godber,“ sagte sie hastig, „Godber! ich beschwöre Dich, nimm Dein Boot und fahre dem Schiff entgegen. Sie sind in Gefahr, mein Gatte ist in Gefahr. Um eines armen unglücklichen Weibes willen, erbarme Dich, Godber, und fahre hinaus.“

Dabei hatte sie seine Hand ergriffen mit dem flehendsten Ausdruck der furchtbarsten Angst, und war im Begriff, vor ihm niederzusinken, als Godber aufsprang und die halb ohnmächtige Frau auf seinen Stuhl sich setzen ließ.

„Beruhigen Sie sich, Frau Pastorin!“ rief er. „Ich will Alles thun, was Sie wünschen. Ist irgend eine Nachricht da?“

Auch Mander, der jetzt aus dem Nebenzimmer trat, in welchem er bei den Büchern, die ihm Licht geben sollten in der Dämmerung seines Glaubens, geweilt hatte, fragte erschreckt über die Angst der Pastorin, woher sie von der Gefahr des Schiffes wisse?

„O Ihr fragt, ihr glaubt nicht!“ klagte diese händeringend, „und unterdessen versinkt mein Gatte in den Fluten. Ihr saht ihn nicht, wie ich ihn sah. An mein Fenster klopfte sein Finger. Ich eilte freudig vor die Hausthür. Er stand da. Ich sah sein Gesicht so hell im Nebel. Ich wollte ihn umarmen und in’s Haus führen. Aber da flossen seine Züge auseinander, und wie sie verschwammen, hörte ich den Seufzer: „mein armes, armes Weib!“ O Godber, hab’ Erbarmen und fahre hinaus. Ich will mit Dir, ich bin stark genug zum Rudern. Du weißt nicht, wie stark die Frau und Mutter ist, die für den Gatten kämpft.“

Vergebens bemühte sich Mander, die Verstörte auf die Macht der Einbildungskraft hinzuweisen, und wie natürlich es sei, daß ihre Liebe, die jede Abwesenheit des geliebten Mannes so schwer ertrüge, ihr allerlei schreckhafte Bilder vorgaukele, die ihren Grund nur in ihrer Sehnsucht nach dem Abwesenden hätten, und in dem vielleicht in der Einsamkeit zu weit verfolgten Gedanken: wie, wenn er einmal von solcher Reise nicht wiederkehrte? Vergebens sprach Godber zu ihr vom Winde, vom Wetter, von der Flut, wie durchaus keine Gefahr denkbar sei, aber eine Verzögerung notwendig hätte eintreten müssen. Die Pastorin setzte diesem Allem immer wieder die ihr gewordene Erscheinung entgegen. Sie gab genau an, was sie vorher bis zu dem Augenblick dieses Gesichtes gedacht und gethan, sie erklärte, gerade in jenem Momente nur ein heiteres Bild der Heimkehr vor der Seele gehabt zu haben, und sprach mit solcher Sicherheit der Ueberzeugung und solcher bestimmten Ausmalung der kleinsten Umstände, daß wenigstens der offene Widerspruch verstummte. Ja Godber, der mit den meisten Seeleuten die Empfänglichkeit für den Glauben an geheimnisvolle Einwirkungen und wunderbare Vorbedeutungen teilte, hatte kaum noch einen Zweifel daran, daß hier etwas dergleichen sich kund gebe. Als daher bei der Pastorin die Angst um den Gatten wie eine für kurze Zeit mühsam zurückgehaltene Flut wieder alle ihre Gedanken und Empfindungen überwogte und sie mit den herzzerreissendsten Jammertönen ihn anflehte: „Godber, rett’ ihn, rett’ ihn!“ beeilte er sich, ihren Bitten zu willfahren. Mander und Idalia begleiteten aber die von der Sorge um ihren Gatten gequälte Frau, bei der nun, da sie ihren Zweck erreicht hatte, eine Erschöpfung aller Kräfte eintrat, und die doch nicht länger von ihrem Kinde entfernt bleiben wollte, nach Hause, während Godber mit den beiden Seeleuten, seinen früheren Schiffsgenossen, an den Strand ging und sein Boot bestieg. Glücklicherweise lag dieses, da es am nächsten Morgen zur Ueberführung einiger Kisten von der geborgenen Ladung auf ein Frachtschiff gebraucht werden sollte, auf einer Stelle, von der sie, wiewohl die Flut eben erst das Gestade benetzte, gleich fortrudern konnten; und obschon der Nebel noch wenig gesunken war, fanden sie doch das Schiff, das sie suchten, bald auf, da der Eine der Matrosen es kurz vor dem Eintritt der hohlen Ebbe hatte vor Anker gehen sehen. Als ihr lauter, mit kurzen Unterbrechungen vom ersten Gewahren des Schiffes an fortgesetzter Ruf unbeantwortet blieb; als sie auf das Verdeck, in die Kajüte hinabstiegen und keine Seele antrafen, da blieb kein Zweifel übrig, daß die Unglücklichen, die auf dem Fahrzeuge gewesen waren, irgendwo auf dem Schlick umherirrten, oder vielleicht schon dem anschwellenden Meere zur Beute geworden waren. Wo sie suchen? Nach welcher Gegend hin das Boot wenden? Godber stand eben mit diesen Fragen auf dem Verdeck, sah mit dem angestrengtesten Blick, als könnte er die dichten Dünste mit seinem Auge durchspähen, rings umher und hörte das Plätschern der Wellen um den Kiel mit einem Grausen, als stände er, selber ein ratloses Opfer, mitten in den andrängenden Fluten; da — „Horch! was war das?“ riefen alle drei Männer auf einmal. Es kam durch den Nebel hin wie ein pfeifender Schrei aus weiter, weiter Ferne her. Wir wissen, daß es Oswald’s gellender Angstruf war, und auch jene glaubten darin einen Hülferuf der Gesuchten zu hören. Sie wurden freilich wieder zweifelhaft, als ihr vereintes Geschrei keine Antwort brachte, obwohl sie es mehrmals wiederholten. Doch da jede Richtung, die sie hätten einschlagen können, gleich ungewiß war, so zogen sie die Richtung vor, von welcher sie jenen Ton vernommen. Rasch ruderten sie vorwärts, wechselten oft, um immer mit gleicher Kraft den Lauf des Bootes zu beschleunigen, hielten nur zuweilen einige Augenblicke an, um auf eine Antwort auf ihren Ruf zu horchen. Da diese aber immer ausblieb, da die Flut schon so hoch gestiegen war, daß in der Gegend, wo sie sich befanden, es kaum noch denkbar schien, die Unglücklichen, wenn sie sich hieher verirrt hätten, am Leben zu finden, und da, obgleich der Nebel nicht mehr die Aussicht hinderte, die Fläche des Meeres, so weit sie übersehen werden konnte, nur das ununterbrochene Spiel der Wellen im Sternenlicht zeigte, so beschlossen sie, noch einmal alle Kraft zu einem gemeinsamen Ruf zu vereinen, und dann eine andere Richtung zu nehmen.

Wir kehren jetzt zu Denen zurück, die wir in der äußersten Todesgefahr verließen. Ihre Kraft, dem immer höher anschwellenden Meere zu widerstehen und sich gegen die wogende Flut aufrecht zu halten, nahm mehr und mehr ab. Wäre der Wind nicht so ganz still gewesen, dann würden sie schon längst ihren Tod gefunden haben. Die Begeisterung, welche Hold und durch seine Ansprache auch die beiden Männer von der Hallig über die Not des Augenblickes emporgetragen, war in eine schweigende, fast bewußtlose Ergebung übergegangen, während in Oswald’s Brust bei völliger Erstarrung des Körpers alle Schrecken des kommenden Gerichts forttobten, und das vergebliche Ringen nach irgend einem Gnadenworte ihn bis zur wahnsinnigen Verzweiflung hinaufmarterte. Wohl hatte er in seinen früheren Lebensverhältnissen zu Denen gehört, welche sich in den Gesetzen äußerlicher Ehrbarkeit bewegen, wenn sie auch die Grenzen dieser äußerlichen Ehrbarkeit so weit stecken, daß allerlei sogenannte natürliche Schwachheitssünden mit hineinpassen; wohl hatte er in dem ihm nie versagten Titel eines liebenswürdigen, gefälligen, unterhaltenden jungen Mannes das Ziel aller Forderungen, die an ihn gemacht werden könnten, erreicht geglaubt, und dennoch — jetzt diese schreckliche Leere und Blöße im Angesicht der Einigkeit! Warum ließ ihn denn das „gute Herz,“ dessen er sich doch in allen einzelnen ernsteren Augenblicken sonst so wohl zu getrösten wußte, nun so ganz ohne Trost und Hoffen? Seine Freundlichkeit gegen Jedermann, seine Teilnahme für Anderer Wohl und Wehe, seine Bereitwilligkeit, ihr Bestes zu fördern, sein Fleiß in seinem Berufe, ja selbst seine Rührung in, früher wenigstens, nicht so ganz seltenen Momenten beim Aufblick zum Sternenhimmel, beim Lesen schöner Stellen in Dichterwerken, wodurch er sein weiches, empfängliches Gemüt bekundet, konnte ihm solcher Ruhm jetzt nicht helfen in der Nähe des Todes? Warum wich dies Alles so scheu nun aus seinem Gedächtnis hinweg, daß er es herzerren mußte in seine Erinnerung, und es dennoch, wenn er darauf haften wollte, gleich einem flüchtigen Schatten wieder entschwunden merkte? Warum lag trotz diesem Allen sein Leben vor ihm wie eine nackte, dürre Haide, auf der kein Blümchen sich pflücken ließ für die Ernte, die jetzt nach seiner Aussaat fragte? Waren doch Tausende noch lange nicht wert, ihm gleichgestellt zu werden, und Tausende so tief versunken in Sünde und Schande, daß er gegen sie noch ein Heiliger genannt werden konnte; und doch — warum wendete der Herzenskündiger, den ja die Frommen als den Gott der Liebe und der Gnade bezeichnen, nicht das Flammenschwert des Gerichtes von ihm ab, das ihm die Seele durchschnitt und das innerste Mark seiner Kraft verzehrte? Warum rollte, ein immer näher kommender Donner, vor seinem Ohr das furchtbare: Verloren! Verloren!?

Könnten auch Dir vielleicht, lieber Leser, wenn Gott ähnliche Schreckensstunden über Dich verhängte, gleiche Fragen den letzten Kampf schwer machen?

Dieser Kampf schien für die von den Fluten fast Bedeckten gekommen.

„Herr, in Deine Hände!“ rief Hold, und glaubte das letzte Wort für sich und seine Gefährten gesprochen zu haben; da — da scholl ein mächtiger Ruf über die Wasser hin und zuckte durch die Seelen Derer, die schon jede Lebenshoffnung aufgegeben, wie ein Auferstehungsgruß. Aber eine lange Minute voll Entzücken und voll Angst ging darüber hin, ehe sie zu antworten vermochten. Die ersten Laute waren kaum mehr, als ein bloßes Aufatmen aus den Tiefen der Brust und dienten nur dazu, die Furcht zu wecken, daß ihre Stimme gar nicht hörbar werden würde. Zugleich war jene schwer errungene Ergebung in Gottes Willen plötzlich mit jenem Ruf von ihnen gewichen, und das volle Gefühl ihrer schrecklichen Lage, das Gedächtnis der Lieben, die ihr Tod in Gram und Herzeleid versenken würde, wieder in seiner ganzen Stärke zurückgekehrt. Endlich riß sich mit der furchtbarsten Anstrengung aus jeder Brust ein Schrei los, der weithin gellte, und der, da das Band der Zunge einmal gelöst war, fast ununterbrochen fortdauerte, ja immer stärker wurde, je näher die Antworten tönten. Und nun hob es sich dort wie eine schwarze Woge und rauschte heran ein Boot, getrieben von starken Ruderschlägen, welche die im Sternenlicht blitzenden Wassertropfen wie ein Feuerregen von sich sprühten. Ein wirres Jauchzen klang herüber, hinüber. Schauer des höchsten Entzückens rieselten durch die Gebeine der dem Leben Wiedergegebenen. In sehnsüchtiger Erwartung streckten sie schon von fern ihre Arme dem Nachen entgegen, der, von der begeisterten Kraft seiner Ruderer getrieben, je näher dem Ziel mit desto rascherem Fluge durch die Wellen schäumte. Jetzt war er bei ihnen. Der Freudenruf der Retter verschmolz mit dem Jubel der Geretteten, und bald trug das eben im letzten Augenblick Erlösung bringende Boot froh die dem Meere entrissenen Opfer dem heimatlichen Heerde zu.

XVIII.

Nur Spiegel ist das Leben,

Das Herz ist die Gestalt;

Das Wort, das Du gegeben,

Tönt her nur aus dem Wald.

Auf der Hallig war die Absendung des Bootes und die Ursache dieser ungewöhnlichen Maßregel schnell bekannt geworden. Daher fanden die Ankommenden die ganze Gemeinde am Strande versammelt. Schon von weitem sah man, daß Niemand fehle, und die ängstliche Besorgnis der Pastorin wurde als Zeugnis ihrer Liebe zu dem Gatten gutmütig entschuldigt. Als aber nun kund ward, in welcher Gefahr die vier Männer geschwebt hatten, als deren völlige Erschöpfung diese Gefahr auf das Deutlichste bezeugte, da wandten sich Aller Augen auf die Frau, deren lebendige Ahnung sie nun als das Werkzeug des barmherzigen Gottes erscheinen ließ. Sie aber hing sprachlos im Arm des geliebten Mannes und teilte ihre seliglächelnden Blicke zwischen ihm und dem Sternenhimmel. Dahin deutete sie auch, als eine der Frauen, deren Gatte mit Hold gewesen war, ihr laut dessen Rettung zuschrieb. In ihren Häusern angekommen, fühlten die Geretteten erst ganz die körperlichen Folgen der überstandenen Gefahr. In dem Maße, wie die natürliche Aufregung des Geistes sich in der Ruhe sänftigte, nahm die leibliche Schwäche bis zur völligen Ohnmacht zu und weckte neue Besorgnisse in der Brust der Lieben. Der nächste Tag ging ihnen in einem Halbtraum hin, von dem sie kaum auf wenige Augenblicke erwachten, um die ihnen dargebotenen stärkenden Mittel zu sich zu nehmen. Hold, der dem Ansehen nach am wenigsten kraftvolle, war doch der erste, der geistig und körperlich Alles überwunden hatte. Vielleicht deswegen, weil sein Gemüt eher als die Andern die wohlthuende Richtung nach Oben nahm und in freudigem Dank gegen Gott sich ergoß. Oswald lag mehrere Tage in einem unruhigen, durch krampfhafte Erschütterungen und ängstliche Träume unterbrochenen Schlummer und bedurfte sorgfältiger ärztlicher Pflege. Erst am fünften Morgen erwachte er neugestärkt nach einem mehrstündigen, tiefen Schlaf, aber es gingen noch einige Tage hin, ehe er zum ersten Male auf längere Zeit das Bett verlassen konnte. An seines Vaters Arm wandelte er in der Stube auf und nieder und suchte im Gespräch mit demselben über das Vorgefallene schon wieder seine alten leichtsinnigen Redensarten hervor, freilich jetzt mit einem ihn oft übermannenden inneren Widerstreben. Der alte Mander aber war ernst und feierlich, und sagte endlich:

„Oswald, laß uns nicht widerstreben Gottes Fügungen. Ja, er hat uns auf dies Eiland geführt, daß wir erkennen sollen das Eine, was not thut. Er will uns retten! Auch mich hat er auf’s Neue ergriffen mit Dem, was Er über Dich verhängt in jenen schrecklichen Stunden Deines Lebens. Ich kann Ihm nicht länger widerstehen. Ich muß Ihn loben und Ihm danken, daß Seine Gnade größer gewesen ist, als meine Verblendung und meine Schuld. Ich will fortan Ihm, nur Ihm allein dienen, und möchte sagen können: ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen! Wie furchtbar hat Er sich Dir offenbart in Seinem Gericht, und doch zugleich auch in Seiner Gnade, die nicht will, daß Einer verloren gehe, sondern Jedermann sich zu Ihm kehre und Buße thue. Wie die Hausmutter einen Brand aus dem Feuer reißt, daß er nicht ganz verzehret werde, so reißt auch der Herr Deine Seele zu sich. Oswald, mein Sohn, widerstrebe Ihm nicht länger!“

„Aber, Vater,“ erwiderte Oswald, ebenso verlegen, als bewegt bei Mander’s sichtbarer Rührung, „soll ich denn meine Jugend einem finstern, freudenlosen Ernst opfern?“

„Nein, nicht opfern,“ rief Mander, „heiligen, verklären sollst Du sie und Dein ganzes Leben bis an’s Ende mit einer Freude, die mehr ist und reicher giebt, als Alles, was Du bisher an Lust und Genuß gekannt hast. Eine innere sichere Freudigkeit sollst Du gewinnen, die selbst Stunden der Angst, wie die, welche Dich für immer gezeichnet haben, überwinden lehrt.“

Oswald hatte, in Verwunderung über die Worte: „welche Dich für immer gezeichnet haben,“ einen Blick in den Spiegel geworfen, und blieb voll starren Entsetzens vor demselben stehen. „Im grauen Haar,“ hatte er spottend zu Hold gesagt, „wolle auch er an seine Bekehrung denken,“ und siehe! nun hatte die eine schreckliche Nacht sein Haar grau gefärbt; er war ein Greis geworden in der Blüte der Jugend. Lange blieb er bebend an allen Gliedern, mit der Blässe des Todes übergossen, lautlos in seiner Stellung, dann sank er mit dem Ausruf: „Gott, ich erkenne Dich!“ seinem Vater ohnmächtig in die Arme.

Als er wieder zu sich selbst kam, verlangte er nach einem Spiegel, den er aber nach dem ersten Blick in denselben sogleich wieder schaudernd und stöhnend von sich wies. Auf alles Zureden, sich zu beruhigen, antwortete er nur mit abgebrochenen Lauten, welche bald die von allen Schrecken der Verzweiflung gemarterte Seele, bald das nach dem Trost aus der Höhe lechzende Herz verkündeten.

„Laßt ihn allein!“ sagte Hold, an den Mander sich gewandt hatte. „Es ist genug, wenn er still beobachtet wird; merken muß er es nicht. Der Herr hat ihn ergriffen und will einen Kampf mit ihm ausringen, in welchem jede menschliche Hülfe eine unnütze, ja gefährliche Zuthat ist. Oswald muß noch Stunden erfahren und durchleben, furchtbarer als die in der See, und es ist nicht gut, wenn ihm das rettende Boot zu früh entgegengeführt wird. Er möchte es dann bald wieder verlassen.“

Und der besorgte Vater sah und hörte, wie Oswald sich vom Lager aufriß, mit hastigen Schritten trotz seiner früheren Mattigkeit in der Stube auf- und abeilte, jetzt mit beiden Händen die Augen bedeckte und am Rande seines Bettes das Gesicht in die Kissen begrub, wie er nun zu beten versuchte, nun sich alle Hoffnung auf Gott absprach, bald wieder mehr wie ein unruhig Träumender, als wie ein Schlafender lautlos dalag. Erst gegen Abend hörte man ihn auf seinem Bette still schluchzen und weinen, und in diesem Zustande nahm er schwach und willenlos die leibliche Erquickung an, die sein Vater ihm darbot. Auf dessen Frage aber nach seinem Befinden, ergriff er die Hände desselben, benetzte sie mit heißen Thränen und flehte:

„Vater, Vater, vergieb mir!“

„Laß uns Beide Gott bitten, uns zu vergeben, mein Kind,“ erwiderte Mander weich, und seine Thränen mischten sich mit denen seines Sohnes.

Doch der Gedanke an die Notwendigkeit der göttlichen Vergebung regte alle Schrecken der letzten Stunden wieder auf in Oswald’s Brust, und Mander hatte eine Nacht am Lager seines Sohnes, von der er nachher selbst gestand, daß sie eine Schule der strengsten, aber zugleich heilsamsten Zucht auch für ihn gewesen sei.

Der Morgen kam, und mit ihm kam für Oswald das schöpferische Werde mit seinem Siegesruf: „das Alte ist vergangen, und siehe! Alles ist neu geworden!“ Der Sturm des Aufruhrs in seiner Brust schwieg, das Meer lag still und eben, und Gottes Sterne spiegelten sich in seinen friedvollen Tiefen. Dieser Uebergang aus der qualvollsten Unruhe zur seligsten Ruhe glich nicht dem langsamen Sinken der Wellen, wenn der Flügelschlag der Windsbraut immer matter und matter wird, sondern jener wunderbaren Wandlung, als der Herr hörte die Bitte Seiner Jünger: „Herr, hilf uns! wir verderben!“ und stand auf und bedräuete Wind und Meer. Da ward es ganz stille. Auf gleiche Weise hatte auch hier das angstvolle: „Herr, hilf uns! wir verderben!“ die rechte Zeit und Stunde gefunden, und aus der tobendsten Wetternacht trat plötzlich die Sonne siegstrahlend und friedebringend hervor. So hat oft die Stunde der geistigen Wiedergeburt in der Stunde der leiblichen Geburt ihr Gleichnis. Wie dort die schwersten Wehen mit einem Augenblick in die Seligkeit aufgehen, daß das Kindlein geboren ist, so fühlt hier sich die Seele auf einmal aller Zweifel und Schrecken, aller Banden und Kämpfe entlastet und ruht gläubig selig am Vaterherzen. Und haben nicht alle Stunden der Andacht, wenn sie nicht ein bloses Anklopfen bleiben sollen ohne Eingang zum Vater, solche Momente, in denen das Gefühl der Gottesnähe und die Freude der Gemeinschaft mit ihm das Herz überwallen ohne allmälige Entwicklung, ohne spätere Steigerung?“ — Oswald war wie ein Kind, das aus dem ängstlichen Traum erwacht und — den hellen Glanz der Weihnachtsfreuden vor sich ausgebreitet sieht. Kein Gedanke an die Schrecken, die noch eben seine Seele durchschauerten, störte das Hosianna des neuen Lebens.

Mander’s Empfindungen waren mehr nur ein Nachklang der Gefühle Oswald’s und seine Freude darüber, daß dieser den Frieden gefunden, ließ es bei ihm nicht gleich zur vollen Anerkennung dessen kommen, was er selbst in dieser Nacht gewonnen.

Hold fand ihn in der Frühe dieses Tages auf den Knieen am Lager des Sohnes. Beider Hände waren in einander geschlungen zum gemeinschaftlichen. Gebet. Beider Augen, in denen noch die letzten Thränen schwammen, verloren im Aufschauen zu Dem, der ihnen Seine heilsame Gnade hatte widerfahren lassen.

Das Werk des heiligen Geistes war vollbracht. Daher sprach Hold nur wenig. Sein Wort berührte keine Vergangenheit, gab keine Mahnung für die Zukunft, sondern war mehr nur der Segen zum Schlusse, das letzte nachtönende Hallelujah der Friedensfeier.

Erst am zweiten und dritten Tage ließ Hold sich auf eine längere Unterredung ein und fand den jungen Mander so empfänglich für alle Segnungen und Verheißungen des Evangeliums, so bereit und willig, in alle Tiefen des Glaubens zu folgen, ja nach der ersten Hinleitung und Anweisung so klar und entschieden in seinem Verständnis der Offenbarungen Gottes, daß er voll Verwunderung ausrief:

„Seit wann haben Sie das Alles gelernt?“

„Gelernt?“ antwortete Oswald. „Weiß ich’s doch selbst nicht, wann und wie? Jene qualvollen Stunden in der See kommen mir vor wie Hammerschläge, die nur das Golderz an das Tageslicht bringen, das lange harrte der Erlösung von den Schlacken. Wie schrecklich mir auch jene und die nachfolgenden Stunden waren, jetzt ist es mir, als hätte ich Nichts erduldet für den Frieden der nun mein Teil ist; als müßte ich einen noch viel herberen Kelch trinken, um nur einigermaßen den Gnadenreichtum aufzuwiegen, der seine Fülle über mich ausgeschüttet. O, wie ist Gott so voll Liebe, Güte und Barmherzigkeit, weit, weit über unser Wissen und Verstehen! Und ich konnte Ihn so lange verkennen! Wie vielfach hat Er mich geladen. Ich sehe Ihn nun so sorgsam um meine Seele bemüht von Anfang an; verstehe nun jede Stimme an mein Herz, die früher mir unbeachtet verhallte. Ja, mein ganzes vergangenes Leben liegt vor mir als eine ununterbrochene Kette von Ansprüchen an mein Herz, von Mahnungen für mein Gewissen, von Hinweisungen auf den rechten Weg, von Erinnerungen an Sein Gericht. Wie konnte ich doch nur so taub und verblendet sein?“

„Wir taufen die Kinder mit Wasser,“ sagte Hold für sich; „aber Gott wählet Seine Stunde, sie mit Geist zu taufen. Und sollen wir denn die Gnade richten, wenn wir meinen, unsere Bereitung zu dieser Taufe sei länger und schmerzlicher gewesen, und die Taufe selber doch nicht gabenreicher, als die des andern Kindes, das Gott bestimmt hat zu einem Zeugnis Seiner wunderbaren Liebesmacht?“

War dies Selbstgespräch Hold’s, der erst nach schweren Kämpfen und auf weiten Umwegen durchgedrungen war zu der Glaubenshöhe, auf der er stand, eine Anwandlung von Neid, oder ein kluges Mißtrauen in die Wiedergeburt des früher so gottentfremdeten Jünglings? Vielleicht kam das Erstere zum Letzteren mit hinzu, ohne daß Hold selbst das Eine von dem Andern in seinen Gedanken klar unterschied.

Am folgenden Morgen gab Oswald seinen Entschluß zu erkennen, sich zum Missionar vorzubereiten.

„Ich muß,“ rief er, „hinaus unter die Heiden! Ich möchte meine Arme ausstrecken nach Allen, die noch wandeln in der Finsternis, und ihnen zurufen; Gehet ein zu Eures Herrn Friede! Es wird die Liebe, die ich erfahren, mir zur Last und Bürde, wenn ich Nichts dafür thun und leiden kann. Sie wird zu einer Flamme, die mich verzehrt, wenn ich nicht Andern von ihrer Glut mittheilen soll.“

Hold bekämpfte diesen Entschluß; anfangs damit, daß er den Rat gab, nicht bei der ersten Aufwallung der Begeisterung auf die Beharrlichkeit zu rechnen, die dem Apostel nötig sei. Als aber Oswald die gänzliche Umwandlung seines Wesens und Charakters versicherte, als er es für seinen künftigen Frieden durchaus notwendig erklärte, für das Evangelium in Not und Tod zu gehen, da erinnerte Hold mit einer Strenge, die in seinen vorhin angedeuteten Gedanken über Oswald’s Umwandlung ihre Erklärung findet:

„Wie schwer lernen wir es, wahrhaft demütigen Herzens zu sein! Wie sehr sträuben wir uns noch immer gegen das Empfangen und wollen nehmen, wollen uns selber geben, wenigstens nach Möglichkeit abverdienen, was wir dem Herrn verdanken. So wollen auch Sie jetzt kämpfen, tragen und dulden, um sich doch am Ende noch ein wenig eigen Verdienst zurechnen zu können bei der reinen Gnadenthat des Vaters im Himmel.“

„O, gewiß nicht!“ rief Oswald. „Ich fühl’ es so ganz, daß Nichts mein ist, daß Alles Sein ist, daß nur Sein warmer Frühlingsodem die kalte Winternacht weggehaucht hat von der Wüste meines Lebens. Mir ist so wunderbar neu zu Mute, wie die Erde, wenn sie eine Seele hätte, fühlen müßte in den Tagen des Lenzes, vor dessen Blick die lange erstarrten Ströme niederschmelzen und alle Quellen wieder rieseln, auf dessen Gang die Keime wieder erwachen zum Leben und zu Blüten und Düften aufschwellen im Sonnenlicht. Ich will ja weiter Nichts, als dies Blühen und Duften hinaustragen in die Wüste, wo noch der Winter lagert. Ich will ja nur eine Seele suchen, die mit mir erwacht zum Leben, mit mir den Vater preist, der so Großes an uns gethan.“

„Vergessen Sie nicht,“ erwiderte Hold, „daß noch genug Stunden kommen werden in Ihrem Leben, in welchen Sie Ihre Armut für sich selber fühlen, obgleich Sie sich nun reich genug dünken, Andern mittheilen zu können. Und dann möchte ich wenigstens für die Heiden lieber Männer einfachen Sinnes von Jugend auf, wie die ersten Apostel es waren; Männer, die unverwirrt und unverirrt ein empfängliches, offenes Herz dem Herrn darbrachten von Anfang an; Männer, deren Rückblick in die Vergangenheit weniger von Reue verfinstert wird, und die daher das Amt der Verkündigung nur aus reiner Liebe, nicht mit dem Nebengedanken, ein Bußopfer zu bringen, übernehmen. Deren Predigt wird einfacher sein, weniger berechnend, weniger aus dem Eigenen schöpfend, allein mehr gebend, was sie empfangen vom Herrn und von Ihm haben in Seinem Worte. Sie wird nicht so sehr das Ausreuten des Verkehrten zu ihrem Geschäft machen, als vielmehr nur darreichen, was dienet zur Erleuchtung, Heiligung und Beseligung. Sie wird den Boden der Heidenwelt nicht so ausschließlich als ein Feld betrachten, das zubereitet werden muß für die Saat; sondern sie wird den Samen streuen in Hoffnung und sein Gedeihen dem Tau und Sonnenschein von Oben überlassen; und ich glaube, das ist die rechte apostolische Weise, von der aber gar zu leicht derjenige abgeht, dessen Herz selbst lange ein Feld voll Unkraut war, ehe der Weizen Raum finden konnte.“

„Ach! daß Sie auch immer Recht haben müssen,“ seufzte Oswald. „Aber unmöglich kann ich wieder zurückkehren zu jenen trocknen, nur für irdische Genüsse arbeitenden Geschäften meines früheren Berufs; unmöglich wieder heimatlich werden in der mir jetzt widerlichen Welt meiner Vaterstadt.“

„Der Glaube verklärt Alles,“ sagte Hold, „all’ unser Lieben, Wirken, Leiden und Hoffen. Haben Sie bisher im Kaufmannsstande nur ein Wirken für irdische Genüsse gesehen, so werden Sie ihn jetzt in einem neuen Lichte betrachten. Er ist es, der alle natürlichen und künstlichen Grenzen zwischen den Völkern der Erde niederbricht. Er sendet sein Banner hinüber über die weite Ebene des Oceans, treibt sein Rad die Felsengebirge hinauf und hinab, zieht das Saumtier durch Wüsten und Einöden. Ihn schreckt keine Mühe und keine Gefahr. Er trotzt dem versengenden Mittagsstrahl und dem Eis des mitternächtlichen Pols.“

„Ja,“ fiel Mander hier in die Rede, „auch wir dienen der geistigen Entwickelung der Menschheit. Ich habe erst, seit ich mir dies recht vergegenwärtigt von der Lectüre der Schriften, die den Geist emportrugen über alles Eitle und Weltliche, ohne Murren aufstehen und an die Börse gehen können. Wir fördern die allmälige Verbrüderung und höhere Reife der Völker, indem wir ihre Entfremdung von einander rastlos bekämpfen und dadurch auch die Folgen derselben: Mißtrauen, Feindseligkeit, Verachtung, Einseitigkeit und Unwissenheit. Denn der Handel ist ein über den Erdboden sich hinstreckendes, lebendiges, ewig bewegliches Gewebe, dessen Fäden über alle Scheidungen hinweg die Völker an einander ziehen, sich gegenseitig von einander abhängig machen und dadurch sie sich einander achten und lieben lehren. Er ist der Träger eines nie ruhenden Umtausches, nicht allein irdischer Güter, sondern auch geistiger Fortschritte. Mit seinen Frachtbriefen sendet er Wissenschaft, Kunst, Cultur den entferntesten Nationen zu; macht durch seine Ballen zum Gemeingut Aller nicht allein die Produkte jeder Zone, sondern auch die Geistesflamme, die ohne seine weltumfassende Thätigkeit nur einem kleinen Fleck der Erde gestrahlt hätte. Er mindert die Kriege, weil seine Interessen, die bei jedem Kriege so hart verletzt werden, immer schwerer in die Wagschale fallen. Er schafft, daß die Erde ein Vaterland und die Menschheit ein Volk werde, das, so verschieden an Sprachen und Sitten, doch im gegenseitigen Verkehr sich befreundet, das, so oft auch entflammt in Zwietracht, doch nach dem ersten Friedensblatt sogleich wieder verbunden ist durch brüderlichen Austausch.“

„Und,“ fuhr Hold fort, „öffnet nicht das Kaufschiff dem Boten des Evangeliums die sonst feindlich verschlossene Küste? Baut nicht der Handelsverkehr die Brücke von Land zu Land, von Volk zu Volk dem Worte Gottes? Nehmen Sie den Stand des Kaufmannes hinweg, wie fern würde dann noch die Zeit sein, von der es heißen soll: Eine Heerde unter Einem Hirten, Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und Vater Aller!? Wir können nicht Alle unmittelbar, aber Alle mittelbar wirken für das Reich Gottes. Und wollen wir uns unser Wirken, das scheinbar allein dem Nächsten, dem irdischen Wolergehen dienet, verklären, so müssen wir ihm jene Beziehung auf das Eine, was not thut, auf die Erhebung der Kinder des Staubes zu Kindern Gottes zu geben wissen. Es ist dem Arzt eine Freude, wenn er den Kranken von der Nähe des Grabes durch seine Kunst zurückgerufen hat zum Genuß des Lebens. Seine Freude wird aber höher, himmlischer, wenn er dabei bedenkt, daß Gott durch ihn einer Unsterblichen Seele eine längere Frist bereitet hat, für die Ewigkeit zu reifen, daß Gott durch ihn dem Sünder noch Raum gab zur Buße, dem Glaubensschwachen noch Gelegenheit zum höheren Verständnis, dem Frommen zur weitern Vollendung. So auch der Kaufmann. Er sorgt für Bedürfnisse und Genüsse, die vielleicht nur die niedere sinnliche Natur des Menschen befriedigen, und er ist ein Werkzeug in der Hand Gottes, die Wege zu ebnen und die Bahnen zu brechen den Segnungen und Verheißungen, die Freude und Friede bringen in Zeit und Ewigkeit. In solchem Bewußtsein treibt er freudig sein Geschäft. Es ist ein Werk Gottes für ihn geworden. Er beneidet nicht mehr den Priester um sein den göttlichen Dingen allein geweihtes Amt. Er ist, wie dieser, ein Diener des Herrn, der da will, daß Allen geholfen werde an allen Enden der Erde.“

„Nun lerne ich mehr verstehen,“ bemerkte Mander, „was Sie früher einmal sagten, daß Sie alle Bestrebungen der Menschheit nur in Beziehung auf ihren Dienst für die eine Wahrheit würdigten.“

„Aber,“ entgegnete Oswald, „sind nicht gerade große Handelsplätze die Stätten der größten Entfremdung von den göttlichen Dingen? Führt nicht das Streben nach Erwerb und Gewinn am leichtesten von dem Ringen nach den wahren Gütern des Lebens ab?“

„Alle großen Städte sind jetzt hierin gleich,“ war Hold’s Antwort. „Doch ist Irreligiosität keineswegs eine natürliche Zugabe des Handelsverkehrs. Im Mittelalter waren die großen Kaufstädte, — denken Sie an Augsburg mit seinen edlen Geschlechtern: Fugger und Welser, — an Frömmigkeit, Tugend und Ehrbarkeit reicher, als viele andere Städte, deren Ruhm sich nur auf einen Bischofssitz oder auf ein Residenzschloß gründete. — Kehren Sie zurück zu ihrem frühern Beruf. Zeugen Sie inmitten der Verderbnis vom Reiche Gottes. Stellen Sie in Sinn und Wandel einen Handelsherrn dar, der seinen rechten Schatz im Himmel weiß, der wach und thätig in seinem Weltberufe, diesen verkläret durch das Bewußtsein seines höhern Berufes. Schämen Sie sich auch unter den Spöttern nicht des Evangeliums von Christo, geben Sie Rede und Antwort über Ihren Glauben vor Jedermann, erwerben Sie ihm Achtung auch von Denen, die ihn nicht teilen; und Sie sind, was Sie vorher zu werden wünschten, Sie sind ein Arbeiter im Weinberge des Herrn; und vielleicht gesegneter in Ihrer Ernte für Sein Reich, als wenn Sie die Stätten aufsuchten, die noch völlig brach liegen.“

„Sie eröffnen mir eine Aussicht,“ erwiderte Oswald, „deren Reiz ich nicht verkenne; aber Sie senden mich zurück in einen Kampf, dem ich schon einmal nicht gewachsen war.“

„Doch nun angethan mit den Waffen des Lichtes, doch nun gerüstet mit dem Schwert des Glaubens und gedeckt von seinem Schilde! Wol aber ist Ihnen sorgsame Vorsicht, strenge Aufmerksamkeit not. Was der Herr auch Großes an Ihnen gethan, Sie sind, Oswald, doch noch eine junge Blüte im Glauben, die der Entwickelung und Ausbildung auch noch ferner sehr bedarf, ehe sie Andere erfreuen mag mit ihren Düften und Früchten. Bitten Sie Gott, daß Er Sie kräftige und vollbereite. So wird Er Sie darstellen zum Zeugnis, ohne daß Sie sich dazu drängen, ein Zeuge zu sein.“

Oswald wagte keine weitere Gegenrede, doch fühlte er sich verletzt durch das wenig verhehlte Mißtrauen in seine völlige Umwandlung zu einem neuen Menschen und hätte daran wol am besten erkennen können, wie gerecht dies Mißtrauen sei.

Zur weiteren Durchbildung und gleichsam Wurzelung im Heil wäre ein längerer Aufenthalt auf der Hallig und Hold’s Anleitung und Anregung gewiß nützlich gewesen, und Oswald’s Siegesfreude ging mehr allein aus dem Rückblick auf die Vergangenheit hervor, als daß sie von einem ernsten Aufschauen auf den Anfänger und Vollender des Glaubens begleitet war.

Vielleicht mochte auch Hold zu wenig auf die Macht des lebendigmachenden Glaubens rechnen, und eine Umwandlung, wie die vorliegende, nicht ganz zu würdigen wissen, weil sie als eine für ihn neue Erscheinung auftrat. Außerdem beurteilte er früher den jungen Mander nur nach Dem, was dieser selbst von sich erkennen ließ, und verborgen war ihm die leise Arbeit, wodurch der Geist Gottes, der die Herzen lenkt wie Wasserbäche, diesen scheinbar so dürren Boden schon lange empfänglich gemacht; wie ja auch Oswald diese stille Bereitung nicht verstanden, und darin nur Regungen kindischer Schwäche gesehen, die er bekämpfen, und, um den vermeinten Ruhm eines starken Geistes nicht zu verlieren, sorgfältig verbergen zu müssen glaubte. Und wer konnte zeugen von der furchtbaren Qual der Läuterung in jenen Stunden, als jede kommende Woge zu einem Boten ward, der das immer gleiche Wort wiederholte: „dem Menschen ist es gesetzt zu sterben, und darnach das Gericht!?“ wer zeugen von seinen spätern schweren Kämpfen, bis der Morgenstern aufging in seinem Herzen?

Doch in seinen spätern Jahren machte auch Oswald noch manche trübe Erfahrungen, wie er sich im ersten Augenblick der Begeisterung zu viel zugetraut, wie auch unter dem Morgenrot der Gnadensonne noch Wolken und Stürme nicht fehlen, wie oft wir in einzelnen Momenten Höhen überstiegen, die wir nachher erst wieder mit Mühe erklimmen müssen. Die Kämpfe blieben für ihn nicht aus. Der Umwege wurden noch viele. Nur Das hatte er gewonnen, daß seine Augen aufgethan waren für das rechte Ziel, und daß er darum sich immer wieder auf den rechten Weg zurückfand, und daß die Thränen seiner Reue gesegnet waren mir dem Troste: „Freude ist im Himmel über einen Sünder, der Buße thut!“

Und mehr gewinnen ja auch die Meisten nicht vom Glauben an das Evangelium. Ihrer guten Werke sind vielleicht nicht mehr, als die Derer, welche das Heil in Christo verschmähen; aber sie wissen, daß diese Werke ohne Verdienst und Gerechtigkeit sind, und halten darum um derentwillen Nichts von sich selber, sondern bekennen in Demut ihr Zurückbleiben in der Nachfolge des Herrn. Sie sind vielleicht nicht stärker in der Versuchung als Jene; aber sie fühlen ihre Unwürdigkeit und kehren bald um in Reue und Buße und tragen Leid über ihre Sündhaftigkeit. Daher, wenn auch Beide wenig unterschieden sind nach ihrer äußerlichen Erscheinung, ist doch im Innern ein völliger Gegensatz. Hier Demut; dort Eitelkeit. Hier Betrübnis über den Mangel an Heiligung und immer tiefer gefühltes Bedürfnis der Erlösung; dort leichtsinniges Entschuldigen und Vergessen und Vertrauen auf das sogenannte „gute Herz“ und auf die einzelnen löblichen Bestrebungen, als ausreichend zur Befriedigung der Forderungen des göttlichen Gesetzes.

Wir sagen: die Meisten gewinnen kaum mehr von ihrem Glauben an das Evangelium, und bekennen gern, daß sie schon damit unendlich Viel gewonnen haben; keineswegs aber wollen wir dieser Halbheit irgend einen Vorschub leisten; sondern stellen das Ziel der Vollendung auf, wonach wir unermüdlich ringen sollen mit Gebet und Flehen, mit Seufzern und Thränen, mit Wachen und Streiten, mit Treiben und Drängen, mit Sorgen und Hoffen: die völlige Erneuerung im Geiste des Gemütes, die Verklärung des inwendigen Menschen, die sich abspiegelt in allen Gedanken und Gefühlen, in allen Worten und Werken, die alles ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste austreibt, wie vor der Sonne die Nebel und Schatten schwinden; die Wiedergeburt, wodurch das Erdengeschöpf in seinem Wesen und Thun zu einem Kinde Gottes, und der Wandel auf Erden zu einem Wandel im Himmel wird, wodurch die Welt selbst dem also Wiedergeborenen auch zu einer neuen Schöpfung sich umwandelt, deren Freuden und Leiden nur Zeugnisse sind, daß sie Gottes Welt ist. Mit dem Glauben an die Erlösung tritt erst die Möglichkeit einer solchen Wiedergeburt ein, weil durch ihn im Menschen die Liebe, die reinste und stärkste Triebkraft im Himmel und auf Erden, auf das Göttliche gelenkt wird; aber dieser Glaube ist nicht die Wiedergeburt selbst, wie unsere Halbheit sich oft gern überreden möchte, er ist nur die notwendige Bedingung dazu und bleibt ein totes Erz und eine klingende Schelle, wenn er nicht in der Liebe thätig ist, in der Liebe, die da schaffet und wirket zur Heiligung des Sinnes und Wandels.

Aber — wer darf dann auf Erden ein Wiedergeborner heißen? — —

Laßt uns den Vater bitten, daß er uns unsere Schwachheit vergebe doch wehe uns, wenn wir sie uns selbst verzeihen!

XIX.

Reift mir auf Erden nicht Aehre noch Traube,

Bleibt mir doch immer das hoffende Herz.

Wird ihm zum Schauen auch nimmer der Glaube,

Bricht es im Tode doch himmelwärts.

Die Nähe des Winters erinnerte die fremden Gäste der Hallig an ihre Abreise zu denken. Ungern entschlossen sich Mander und Oswald dazu, den Tag der Entfernung von einer Stätte zu bestimmen, die ihnen zu einem Altar des Höchsten geworden war. Dieses Eiland war ja ihr Vaterland, denn hier hatten sie zuerst mit vollem Lebensgefühl den Vaternamen stammeln lernen; hier in dem Irren und Wirren ihres Geistes die Ruhe gefunden, nach der sie so lange mehr oder minder gedurstet. Hier war für sie die Nacht gewichen und der Morgenstern aufgegangen in ihrem Herzen. Beide scheuten sich, wieder in die ihnen unheimlich gewordene Welt ihres früheren Lebens hinauszutreten. Dort mußten sie sich Gäste und Fremdlinge fühlen, während sie die Hallig als eine, wenn auch neue, doch für sie segensreiche Heimat liebten. Mit Schmerz dachten sie zugleich an die Trennung von Hold und seiner Gattin. Sie verehrten in ihm den Führer zum Lichte und zum Frieden, den Mann, dessen wissenschaftliche Geistesrichtung sich mit einem so kindlichen Glauben verschmolz, den Seelsorger, welcher bei aller Vielseitigkeit seiner Bildung dennoch für seine so unbedeutende Stellung im Amte zu leben schien. Sie verehrten in ihr das liebende Gemüt, das stille Walten im häuslichen Kreise; und an Beiden die Zufriedenheit in einem mehr als bescheidenen Erdenloose, in welchem Tausende, bei solcher Kenntnis des Besseren, sich höchst unglücklich gefühlt hätten. Sie wußten nicht, daß ein Halligprediger schon als solcher wenig geehrt wird, und daß dieser Titel bei Vielen genug ist, eine halb verächtliche Miene anzunehmen; aber hätten sie dies gewußt, dann würden sie auf die Entbehrungen und Entsagungen, auf die Mühseligkeiten und Gefahren eines solchen Amtes aufmerksam gemacht haben, würden die Aermlichkeit der Einnahme, die notwendige Beschäftigung mit all’ den kleinlichen Arbeiten des Hauses und der Schafhürde, wodurch größtenteils allein jene Einnahme gewonnen wird, die Abgeschiedenheit von der Welt und allem wissenschaftlichen Verkehr haben reden lassen für Diesen und Jenen der Amtsbrüder Hold’s, dem es an geselliger Gewandtheit im Leben und an übersichtlicher Kenntnis der Fortschritte der Wissenschaft fehlen mag. „Hat der Geistliche,“ so hätte etwa ihre Verteidigung gelautet, „den Ihr bewundert wegen seiner Feinheit im Betragen und wegen seines Anstandes in vornehmen Zirkeln, den Ihr oben an setzet in der Zahl der Geistreichen, Hochgebildeten, Hochgelehrten, hat er die schönsten Jahre seiner Jugend und Manneskraft als Halligprediger verlebt? Hat er es versucht, was es heißt: aus der reichen Welt des Genusses in solche Entbehrung versetzt, mit dem warmen für die ganze Menschheit schlagenden Herzen auf solche vergessene Scholle verpflanzt, aus dem blühenden Paradiese hoffnungsvoller Jugendträume in solcher Umgebung zu erwachen, in welcher die Natur nicht weniger als der Mensch darbt, wie keine noch so kahle Haide darbt, von den Quellen des Wissens in solche für den Geist nahrungslose Oede verbannt, zu solchen niedern Arbeiten, zu solchem Betriebe eines Schafzüchters verurteilt zu werden? Hat er es versucht, was es heißt: bei einem so spärlichen, auf solche Art verdienten Lohne hauszuhalten und dabei in jeder kommenden Sturmflut den Tod vor Augen zu sehen, und wenn Weib und Kind ihn überleben, diese als Bettler in die Welt hinausgestoßen zu wissen? Fraget ihn, auf sein Gewissen, ob er dann noch der Mann geblieben wäre, als den Ihr ihn jetzt lobt und ehrt? Fraget ihn, ob er sich getraue in solcher Lage auch nur einige Jahre hindurch, — und mancher Halligprediger kommt zeitlebens nicht von seiner Scholle, — sich jene Kraft zu bewahren, die an dem innern Lohn und an dem Bewußstein von dem Segen seines Amtes genug hat, und die eben darum Geist und Herz aufrecht hält selbst in solcher Kümmerlichkeit des äußerlichen Daseins?“

Für Euch, seine früheren Amtsgenossen, will der Verfasser dieser Bogen, — der sich nicht schämt, daran zu erinnern, daß auch er ein Halligpriester, wie man Euch oft nennt und damit meint etwas Spöttisches gesagt zu haben, in den ersten Jahren seiner Amtsführung war, und vielleicht noch wäre, wenn ihm das Meer nicht zweimal die Kirche weggerissen, deren neuer Aufbau zuletzt unthunlich ward, — hiermit ein Wort des Ernstes wider die stolz auf Euch Niederblickenden gesagt haben. Es wird dieses Wort Euch keine Frucht bringen und keine Hand bewegen, einen Fond zu sammeln, um wenigstens für den wissenschaftlichen Bedarf zu sorgen, ohne den auch der denkendste und gelehrteste junge Geistliche bald dem Stande der Wissenschaft nicht mehr gewachsen sein wird, und ohne den es ein wahrhaft seltener Sieg über die Schwäche der menschlichen Natur sein muß, wenn nicht Mangel, Einsamkeit, Elementarunterricht, Besorgung der Wollheerde, Abhängigkeit vom Preise des von ihr gewonnenen Produkts allmälig den älteren Mann abstumpfen für die höhere Richtung des Geistes. Nur wer vor dieser Prüfung schon völlig durchgedrungen ist zum rechten Leben im Geiste, mag in ihr bewährt erfunden werden. Für Den, welchen sie vor der Reife trifft, ist die Bitte not, daß sie nicht lange währe. Wenn auch fruchtlos, sei doch für Euch mit warmem Eifer geredet ein Wort des Bruders, der über die Wasser hin Euch die Hand reicht, und dem es lange ein Bedürfnis war, für Euch zu sprechen. Kommt auch sein Wort leer zu ihm zurück von der Herzenspforte Derer, welche aus ihrer sichern und bequemen Höhe auf Euch herabsehen, Eurem Herzen wird es wolthuend sein; und es ist das erste, das öffentlich Eure gute Sache führt wider die ungerechte Beurteilung und wenige Berücksichtigung Eures Märtyrertums im Dienste der Kirche.[2]

Idalia fand es, da der Tag der Abreise bestimmt ward, durchaus notwendig, mit Godber offen zu reden. Gern hätte sie das ganze Verhältnis sich ohne eine solche Entwicklung lösen sehen. Sie war mit ihren Gedanken schon der Abreise vorausgeeilt und sah sich wieder in der glänzenden Umgebung der Vaterstadt, in allen Genüssen eines reichbewegten Lebens. Dort hoffte sie auch, würden ihr Vater und ihr Bruder von den wunderlichen Grillen, welchen nur die Einsamkeit und die Gespräche mit Hold Nahrung geben konnten, bald wieder genesen. Ihre Abneigung gegen den mystischen Anstrich, wie sie es nannte, verleidete ihr die Hallig nun ganz, und ihr Mißfallen an dieser erstreckte sich auch auf ihr Verhältnis zu Godber, der ja mit seiner Hallig so völlig eins war, daß er zu schwanken schien, ob er dieser oder seiner Liebe entsagen solle. Freilich sprach sich in Godber’s Benehmen noch immer die alte Zärtlichkeit aus; aber sie wußte ja doch, daß er nicht ohne Bedenken die Heimat um ihretwillen verlassen würde, und seine Weichheit und Hingebung kam ihr jetzt, da in ihrem Herzen seine Neigung keinen gleichen Anklang mehr fand, unmännlich und kindisch vor. Sie konnte nicht begreifen, wie sie früher an ein engeres Verhältnis mit ihm habe denken können. Sie wußte nicht mehr, was sie Ungewöhnliches und Anziehendes an ihm gefunden, und schalt sich eine Thörin, daß sie sich von der Dankbarkeit für ihre Lebensrettung habe so weit führen lassen. Sie fürchtete nun im Ernst, daß er sich noch entschließen möchte, ihr zu folgen, und machte sich allerlei Pläne, wie sie ihn, wenn er mit nach Hamburg kommen sollte, allmälig nötigen wollte, sich so in den Hintergrund zu ziehen, daß er jede Hoffnung auf ihren Besitz aufgeben müsse. Aber fragen mußte sie ihn doch nun erst, denn er schien ja nicht reden zu wollen, obgleich sie schon durch Ablegung der Kleidung der Hallig ihm ihre Meinung deutlich genug offenbart, und vergebens auch suchte sie durch Kälte und Verschlossenheit ihn zu reizen; es war, als ob er nur desto magnetischer zu ihr hingezogen würde, je mehr sie ihn zurückstieß. Wol mußte er merken, daß seine Liebe nicht mehr wie früher erwidert ward, wol war auch seine Leidenschaft für sie erkaltet, doch kettete ihn das Bedürfnis, einen Gegenstand zu haben, über den er sich selbst vergessen könnte, an Idalia. Er sah ihre peinliche Frage voraus, sah die Stunde der Entscheidung immer näher kommen, und wich doch ängstlich jeder Hindeutung auf dieselbe aus.

An einem heitern Novembertage stand er am Ufer des Meeres und blickte auf das Spiel der Wellen zu seinen Füßen. Eine wehmütige Rührung breitete ihren weichen Schleier immer weiter über seine Gedanken und Gefühle und sänftigte sie, wie die Mutter das unruhige Kind, wenn sie es in ihr Gewand hüllt und an die warme Liebesbrust drückt. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft flossen ihm wie in eine Thräne zusammen, in welcher all’ sein Träumen und Sehnen sich zu dem lieblichen Bilde eines friedlichen Stilllebens ausmalte; aber ob vom aufgehenden Morgenstrahl oder vom scheidenden Abendrot dies Bild beleuchtet werde, das wußte er nicht; nur daß es ein Bild nicht der Wirklichkeit, sondern nur der Sehnsucht sei, erinnerte ihn die feuchte Perle, die über seine Wangen niederrollte. Lange stand er so da, in dem Vergessen, das doch wieder kein Vergessen ist, indem um die Schwinge des schönsten Traumes immer noch der Flor der Trauer weht, und das Herz zu keiner stolzen Höhe voll Licht und Seligkeit zu erheben vermag. In solcher Stimmung erschien ihm seine Hallig als der einzige Fleck der Erde, der ihm zusagen konnte, als die Stätte, auf der allein die Wunden seiner Brust Heilung finden würden; es war ihm unmöglich sich in den Verkehr der Welt hineinzudenken, und er schauderte vor der furchtbaren Einsamkeit und Verlassenheit unter den Menschen, die sich in dem lauten Treiben des Lebens bewegten.

Hold, in welchem gerade entgegengesetzte Wünsche durch den Verkehr mit den Fremden, durch die aufregenden Gespräche, durch die Erneuerung des geistigen Austausches, durch die Erinnerung an das lebendige Treiben der Welt rege geworden waren, und der, öfter als sonst, jetzt sehnsüchtig über die Wogen hinschaute die ihn vom festen Lande und dessen geistiger und politischer Lebensfülle trennten, überraschte Godber in seinen Träumen. — Sie waren bald in ihrem Gespräch bei dem, was Beiden, Jedem auf seine Weise, nahe lag: bei der Abreise der Fremden.

„Du wirst uns,“ fragte Hold, „nun wol verlassen?“

„Nein, nein,“ rief Godber heftig, „ich verlasse meine Heimat nicht.“

„Und Idalia bliebe hier?“ war die verwunderte Gegenfrage.

„Ich weiß es nicht,“ erwiderte Jener leise mit unsicherem Tone.

„Du weißt es nicht?“ und dabei sah Hold den Jüngling, der schweigend und gesenkten Auges vor ihm stand, prüfend an.

„Du weißt es nicht? Godber, hast Du Dich selbst, hast Du das Rechte wiedergefunden?“ und als Godber noch immer nicht antwortete, fuhr er lebhaft fort: „Gewiß, Du kannst nicht glücklich werden in der großen Stadt, in dem rauschenden Leben und Treiben, unter Menschen, die jeder Thräne, wie sie ja noch in Deinem Auge hängt, nur spotten. Du mit Deinem einfachen stillen Wesen würdest Dich unheimlich fühlen müssen in ihren glänzenden Kreisen. Für den Sohn der Hallig ist nur die Hallig der Boden, wo sein Leben gedeihlich wurzelt, nirgends sonst kann es ihm wol werden. Und Idalia? Die Neigung, die sie Dir zugewandt, ist wol nur Regung der Dankbarkeit, Folge der ungewohnten Einsamkeit, Ausfüllung müßiger Stunden, höchstens Aufwallung leidenschaftlicher Gefühle, in denen sie wechselt wie mit ihren Modekleidern.“

Godber errötete bei diesen Worten vor Scham, und Hold, der es bemerkte, ergriff seine Hand und sagte:

„Es kränkt Deinen Stolz, daß ich Dir dies sage; es thut Dir wehe, daß ein Anderer von Dir weiß, Du habest mehr zu gelten geglaubt, als Du giltst. Aber es würde Deinen Stolz ja noch mehr empören müssen, dies an ihrer Seite erst dann zu lernen, wenn kein Rückschritt mehr möglich, wenn Du durch ein heiliges Band in den Zauberkreis ihres blendenden Schimmers gebunden bist, und, wie Du selbst Dich darin unbehaglich fühlst, sie auch es fühlen ließest, daß Du ihr ein unbehaglicher Schatten bist. Und es ist ja nicht Deine Schuld, daß Du vertrautest ihrer süßen Rede und ihrem schmeichelnden Benehmen. Es ist ja vielmehr Deine Ehre, daß Du dadurch getäuscht werden konntest. Der Mensch, der sagen könnte: ich bin nie getäuscht worden, der hat sich selber sein Urteil damit gesprochen, und ich würde mich vor seiner Freundschaft ebenso sehr hüten, wie ich mich dränge zu Dem, dessen Herz blutet von den Wunden, welche das getäuschte Vertrauen schlug. Ja, Godber, darum und weil ich mir es gelobte in dem rettenden Boote, in welchem Du mich zu meiner Gattin und zu meinem Kinde zurückbrachtest, drängte ich mich an Dich und bitte um Dein offenes Vertrauen. Ich werde es nicht täuschen, so lange ich des Augenblicks gedenke, als Dein und Deiner Gefährten Ruf über die Wasser scholl, die um mein Haupt spülten.“

Godber widerstand nicht länger; ein Blick, in welchem der glänzende Tau einer dankbaren Thräne perlte, und ein fester warmer Händedruck bezeugten es dem Pastor, daß die Zurückhaltung, die jener immer gegen ihn beobachtet, nun einer herzlichen Annäherung gewichen sei.

Offen sprach jetzt Godber über seine ganze Lage und Stimmung. Er verschwieg nicht, wie Idalia’s Benehmen in der letzten Zeit ihn gekränkt, und ihm fast die Gewißheit gegeben, sie wünsche das Verhältnis mit ihm gelöst zu sehen.

„Laß fahren dahin!“ rief Hold. „Scheide, was schon längst geschieden ist und sich entgegensteht wie Süd und Nord. Und will Dein Herz noch bluten, so wirf es mit all’ seinen Wunden an’s große Vaterherz dort oben; Gott wird es zu heilen wissen, daß es aus dem schweren Kampfe hervorgehet, ein Held, für den seine Narben zeugen, daß man sich verlassen darf auf seine Kraft und Treue.“

Hold vertraute der Zukunft mehr, als Godber, denn nur dieser kannte ja ganz die Gewissensunruhe, die ihn bei jedem ernsten Gedanken über sich selbst folterte. Nur eine scheinbare Kraft lieh ihm den Entschluß, ein letztes, entscheidendes Wort mit Idalia zu reden. Der Grund seiner Schwäche lag tiefer, als in der Trauer der unerwiderten Liebe, denn dann wäre ihm jetzt die Rückkehr zur vollen Freiheit des Geistes nahe gewesen, da er im Begriff stand, eine Fessel zu lösen, die ihn bisher von dem Glücke zurückgehalten, für welches er jahrelang in Geduld und Hoffnung gearbeitet, und das selbst durch die Flammen der neuen Leidenschaft oft noch als ein milder, freundlicher Stern hindurchgeblickt. Doch wäre seine Liebe zu Idalia auch fortan für ihn nichts weiter gewesen als ein Traum, der bei unserm Erwachen kaum in kurzer Erinnerung fortlebt, konnte er damit auch vergessen, daß um ihretwillen er vor der letzten Planke das Schiff verlassen, dessen Steuer ihm anvertraut gewesen, daß er um ihretwillen seinen Gelübden gegen Maria untreu geworden war? Wenn diese ihm auch verzeihen wollte, konnte er sich selber verzeihen? Nur so lange er noch hoffen durfte, die zu besitzen, für welche er so viel geopfert, hatte dieses Opfer noch eine lichte Seite, hatte noch einen, wenn auch zu teuer erkauften Vorteil, hatte einen Altar, auf dem es dargebracht war; nun, da er selbst es erfolglos zu machen im Begriff stand, fiel es auf sein Herz zurück wie eine dunkle, schwere Wolke, durch die kein Streif des Morgenrotes brechen konnte, die Aussicht in die kommenden Tage zu erhellen. Nur das Eine, was die Gegenwart von ihm forderte, die Trennung von Idalia, blieb ihm klar; jede Zukunft war für ihn Nacht und Finsternis, während Hold einer frohen Entwickelung des Geschicks der durch frühe Gelübde Verbundenen, oder vielmehr einer ruhigen Rückkehr in das ebene Geleis ihrer Vereinigung für’s Leben mit freudiger Teilnahme entgegensah.

„Du wirst mit Deinem Vater reisen?“ sagte Godber am andern Morgen zu Idalia, mit einem Tone, dessen Frage wie gewisse Voraussetzung klang, nachdem ihn die Ueberlegungen einer schlaflosen Nacht noch entschiedener in dem Entschluß gemacht hatten, mit dem Mute der vollendeten Hoffnungslosigkeit sich ganz in das dunkle Gewand eines unausweichlichen Geschicks zu hüllen.

Idalia erbebte sichtbar. War es die letzte Regung für den Jüngling, war es die plötzliche Nähe der längst gewünschten Entscheidungsstunde, wodurch sie so heftig bewegt wurde? Sie vermochte nicht gleich etwas zu erwidern. Sie sann auf eine Antwort, die, indem sie ihm jede Hoffnung auf ihren Besitz abschnitt, dennoch so wenig als möglich ihn verletzen sollte, und, wie es gewöhnlich in solchen Fällen geht, sie verwundete ihn gerade auf’s Tiefste mit ihrer Erwiderung.

„Wie vielen Dank bin ich Dir, schuldig, Godber. Ohne Dich hätte ich meine Vaterstadt, nach der ich mich jetzt so sehne, nie wiedergesehen. Nie,“ dabei ergriff sie seine Hand und drückte sie innig, „nie werde ich es vergessen, wie Du mir nachsprangst in die rollende See. Nie wird meine Dankbarkeit, nie werden meine Wünsche für Dein Glück aufhören! Und, nicht wahr? wir haben ein freundliches, liebliches Spiel mit einander gehabt auf diesem Eilande, woran wir uns immer gern erinnern werden, als an eine im Leben so seltene, kindliche Vergessenheit.“

Godber erglühte vor Scham und Zorn. Also ein Spiel durfte sie nennen, was ihn und die arme Maria um das Glück des Lebens betrogen! Er preßte die Lippen zusammen und stand eine Zeit lang da, wie Einer, der zweifelhaft ist, ob er die innere Wut bezähmen oder auslassen soll.

Idalia wurde immer unruhiger, je länger sein Schweigen währte. Sie wollte ihren Stolz zusammenraffen und sich kurz von ihm wenden; aber das Gefühl ihres Unrechts, nicht ohne eine Beimischung von Furcht vor dem so tief gekränkten Jüngling, überwog, und sie sagte mit schmeichelnden Tönen:

„Welch ein Festtag wird es für mich werden, wenn Du uns einmal in Hamburg besuchst! Dann wollen wir wieder plaudern von den alten Zeiten, und Du wirst sehen, wie treu mein Gedächtnis auch die kleinsten Umstände unseres Zusammenlebens auf diesem Eilande bewahrt haben wird.“

Godber hatte diese letzteren Worte ganz überhört; aber der zornige Aufruhr seiner Seele ging plötzlich in eine Wehmut über, die seine Augen mit Thränen füllte. Ein gewöhnlicher Uebergang der Empfindungen in seinem Gemüt, dessen Schwäche einer heftigen Bewegung nicht lange gewachsen ist. Die Spannung, in seinen Zügen wie in seiner Stellung löste sich in eine Schlaffheit auf, vor der sich Idalia fast noch mehr scheute, als vor dem Ausbruch des Zorns, da sie davon eine rührende Scene fürchtete, die sie um jeden Preis vermeiden wollte, weil diese doch zu Nichts führen konnte, und weil sie bei der tiefen Erschütterung Godber’s zugleich fühlte, daß sie ihres Herzens noch nicht so vollkommen Meister sei, wie sie es geglaubt hatte.

Doch Godber besann sich, daß Alles ja doch nur so gekommen sei, wie es kommen mußte, daß er selber Entscheidung gewünscht, ja daß diese Entscheidung schon längst da gewesen, und ihr nur das Wort gefehlt habe. Er wandte sich rasch um und eilte fort, ohne nur einen Blick des Abschieds auf Idalia zu werfen. Diese hätte gern eine freundlichere Trennung gesehen. Sie schwankte einen Augenblick, ob sie ihm nicht nachfolgen und noch ein paar herzlichere Worte mit ihm reden sollte; aber ehe sie sich darüber besonnen, war es zu spät. Godber eilte die Werfte hinab, und bald trieb sein Boot mit ihm einsam auf den Fluten. Erst nach der Abreise der Fremden fand er sich auf der Hallig wieder ein.

Auch wir können von Idalia hier Abschied nehmen, indem wir einen flüchtigen Blick in ihre Zukunft werfen. Hätte sie es verstanden, ihre Neigung für Godber zur wahren weiblichen Liebe zu erheben, sie würde vielleicht selbst seine Abneigung, der Heimat untreu zu werden, überwunden haben, und er hätte an ihrem Herzen wohl vergessen, wie teuer er das Glück an ihrer Seite erkauft. Da sie aber nun einmal solche Hingebung erfahren und von sich gestoßen, durfte sie erwarten, je wieder ein Herz zu finden, das nur in ihrer Liebe alle Sehnsucht erfüllt sah?

Sie fand sich in Hamburg bald wieder in all’ die Zerstreuungen, in welchen sie früher gelebt, und heiratete zuletzt einen Mann, dessen Vermögen und Neigung es ihr erlaubte, auch als Gattin in den Thorheiten zu glänzen, welche die Zeit ausfüllen, ohne das Herz zu befriedigen, vielmehr dasselbe zu einer wahren Parforcejagd nach immer neuen Befriedigungen der Eitelkeit und der Weltlust stacheln. Was ihre Seele bewegte, welche Erinnerungen aus der Vergangenheit auftauchten, wenn sie in den doch nicht ganz zu vermeidenden einsamen Stunden ihrer kinderlosen Ehe, den Kopf auf die Hand gestützt, die Stickerei vergessend auf dem Schooße ruhen lassend, mit halbgeschlossenen Augen wie in die Leere hinausstarrend, oft lange dasaß, so lange, bis sie erschreckt von einer heißen Thräne, die auf ihren Arm fiel, aufsprang, hastig die Laute ergriff und die Saiten stürmen ließ, als sollten die wilden Töne gewaltsam eine Lust aufregen, von der das Herz nichts wissen wollte, das mögen Die beurteilen, welche folgende Verse verstehen:

Einen Maitag hat das Leben,

Einen Schöpfer-Augenblick;

Läßt Du ihn vorüberschweben,

Kehrt er nimmer Dir zurück.

Einmal kommt das Glück Dir nahe,

Winket Dir mit offner Hand;

Wer es einmal scheiden sahe,

Hat es ewig fortgebannt,

Und dann ruft es keine Zähre,

Wieder hin in Deine Spur!

Treibe bis zum fernsten Meere.

Pilgre bis zur fernsten Flur.

Breit’ der Erde Güter alle

Um Dich her in weiten Reih’n,

Führ’ in Deine reiche Halle

Jede Lebensfreude ein,

Schlürfe tief aus voller Schale: —

Ach! Du seufzest im Genuß;

Denn es fehlt dem Feiermahle

Der verscherzte Weihekuß;

Denn es fehlet Deinen Kränzen

Das verschmähte Immergrün;

Deine Blumen, wie sie glänzen,

Blühen nur, um zu verblühn.

Einmal durftest kühn Du hoffen,

Bräutlich grüßte das Geschick;

Einmal sahst Du Eden offen —

Hoff’ auf keinen zweiten Blick.


[2] Durch obige Worte veranlaßt, haben einige edle Frauen in Kopenhagen einen Versuch gemacht, die Lage der Halligprediger zu verbessern. So wenig nun auch das Resultat ihren Wünschen entsprach, so wollte ich doch nicht ihre Bemühungen mit Stillschweigen übergehen. Die Zinsen des zusammengebrachten Kapitals werden wenigstens dazu dienen, in der Zukunft einer etwaigen Witwe eines Halligpredigers einen kleinen Zuschuß zu dem dürftigen Witwengehalt zu geben, und so wird auch diesem Scherflein der Dank nicht fehlen. Auch ich, dem von einer dänischen Insel her das einzige Zeugnis ward, daß mein Wort für die Halligprediger nicht ganz ohne Anklang geblieben sei, nehme meinen Gruß an diese Insel, freilich in Erwartung eines reicheren Ausfalls damals dargebracht, nicht zurück und setze den letzten Vers dieses Grußes noch mit ebenso warmem Herzen hierher, wie ich ihn zuerst niederschrieb:

Hilfer hoit, i Gaedestoner,

Den, hvor i Kamp og Raad

Borgerdyd hver Tinding kroner;

Taarer fandt jeg der og — Daad.

XX.

Was der Herr den Seinen giebt, das trage

Nicht hinein in’s kühne Wortgefecht.

Was von Oben stammt, will keine Frage,

Fordert Glauben als ein göttlich Recht.

Mander und Oswald wünschten noch das Mahl des Herrn, gleichsam als eine Versiegelung ihres neuen Bundes mit Ihm, in der ihnen so lieb gewordenen Gemeinde zu feiern. Idalia antwortete auf die Frage ihres Vaters, „ob sie sich der heiligen Handlung anschließen werde?“ daß ihre Gedanken zu sehr auf die Abreise gerichtet wären, als daß sie mit Andacht an der Feier Teil nehmen könne.

Gewiß ist es uns am angenehmsten, wenn wir das: „ich bitte Dich, entschuldige mich!“ in das blendende Gewand einer zarten Ehrfurcht vor dem Heiligen einkleiden können; und es giebt Leute, die, wenn man ihren Worten glauben soll, allein aus jener gewissenhaften Scheu vor einer zerstreuten Teilname am Gottesdienst die Kirche zeitlebens meiden und die häusliche Andacht auch nur darum unterlassen, weil sie bis an das Ende ihrer Tage darauf warten, einmal mit rechter Würde andächtig sein zu können.

Mander fragte Hold, als er demselben seinen und seines Sohnes Entschluß zu erkennen gab, zum Tische des Herrn zu gehen: „welcher Ansicht vom heiligen Abendmahle er zugethan sei?“ Hold erwiderte:

„Ich wollte, Sie hätten mich nicht gefragt, sondern sich, unberührt vom Streite der Meinungen und Ansichten, mit voller Seele dem Eindruck dieser Feier hingegeben, um an sich zu erfahren, was sie Ihnen sein soll. Vielleicht ist das Abendmahl für Jeden nach seinem Bedürfnis und seiner Empfänglichkeit etwas Anderes, und ich hätte lieber von Ihnen gehört, welchen Gehalt Sie in diesem Kleinod der Christenheit gefunden, als daß ich Ihnen Anleitung gegeben zu einem vorgefaßten Urteil, da dies nicht angeht, ohne eine Trennung in der Gemeinde des Herrn zu erörtern, die dem Abendmahl den Charakter der Communion nimmt.“

„Aber es kann doch nur eine Ansicht die wahre sein,“ entgegnete Mander, „und es kann doch nur der das Mahl des Herrn mit dem vollen Segen für sich feiern, der weiß, was der Herr mit dieser Feier wollte?“

„Aller Segen kommt von Oben,“ war Hold’s Antwort, „und ich glaube, es haben Viele, welche mit den verschiedensten Ansichten zum Mahle des Herrn kamen, doch den gleichen Segen davon gehabt, weil im Augenblick der Feier Keiner mehr seiner Ansichten gedachte, sondern sich hingab dem Einfluß, den die Feier auf ihn ausübte. Freilich wird dieser Einfluß bei Allen sicherer und auch wohl dauernder sein, wenn sie vorher und nachher die ganze Bedeutung dieses Genusses erwägen.“

„Sie sind bisher mein Lehrer gewesen, seien Sie es auch ferner,“ bat Mander. „Ihr Urteil muß bei Dem, was ich Ihnen sonst verdanke, eine große Autorität haben.“

„Meine Autorität soll Ihnen nicht weiter gelten, als was ein langjähriges Nachdenken über die Heilsordnung des Evangeliums voraus hat vor der erst kürzlich gewonnenen Einsicht in die Wahrheit der Offenbarung Gottes in Christo. Nun lassen Sie es sich noch einmal gesagt sein: ich knüpfe den Segen der Feier, die Sie vor sich haben, nicht so sehr an das volle Verständnis von dem Charakter derselben, als an eine Gnadenwirkung Gottes auf das empfängliche Gemüt. Sie sollen daher nicht zum Tische des Herrn treten mit der Ueberzeugung: Dies oder Jenes werde ich an mir erfahren, sondern vielmehr warten der Verheißung, die diese Feier hat; sich und Ihre Andacht nicht binden an diese und jene Auffassung vom Abendmahl, sondern willig und bereit sein, mit reiner Hingebung anzunehmen, was der Herr Ihnen in demselben darreicht. Ich für meinen Teil stehe auf dem Grunde der Kirchenlehre.

Fassen wir das Ganze der Offenbarung in Christo als eine Wunderthat der erlösenden Gnade Gottes, wodurch ein wirklich Neues, nicht den bisherigen Mitteln der Gemeinschaft mit dem Himmel Aehnliches, etwa nun nur in höherem Grade sich Entfaltendes, in das Leben der Menschheit eintrat, als eine Erhebung der Natur des Staubes zu einer Trägerin des Lebens, welches war bei dem Vater und erschienen ist auf Erden, so können wir uns auch nicht dagegen sträuben, ein Fortleben und Fortwirken dieser That in beständigen Wundern anzunehmen. Ist einmal statt der Vermittelung zwischen dem, was droben ist, und dem, was hienieden ist, welche an die uns verliehenen geistigen Gaben ihre Geistesgaben anknüpft, — so bei uns in den Weihestunden der höchsten Andacht, so bei den Propheten im reichsten Maße, — ein Mittler gegeben, in welchem Himmel und Erde eins wurden, so dürfen wir auch die Lehren, Segnungen und Verheißungen dieses Mittlers nicht mit dem Maßstabe messen, welchen wir den Dingen anlegen, die dem gewöhnlichen Gesetz folgen, nach welchem Himmel und Erde in ihrem Wesen sich ewig fern bleiben, und nur durch das Band der Gemeinschaft im Geiste sich einander nähern. Wir dürfen vielmehr erwarten, daß Alles, was von jener That ausgeht, einen Charakter habe, der dieselbe nicht allein fortspiegelt als eine wunderbare, sondern der alles dieses von ihr Ausgehende in sich selber ein Wunder sein läßt. So das Abendmahl. Es ist nicht das Gedächtnis an die That der Versöhnung, das neu geboren werden soll, sondern die That selber, die neu geboren wird im Gläubigen. Das Mahl des Herrn ist Er, der sich mir neu giebt, es ist nicht Ich, der ich mich Ihm neu gebe. Wie die Erlösung durch sein Leibesleben und Lebensleiden auf Erden bedingt war, so ist das Abendmahl nicht allein eine geistige Nahrung für den Geist; sondern eine irdisch-himmlische Speise, durch die wir Sein werden und Er unser wird durch eine volle Vereinigung. Im Abendmahl ist der ganze Christus, der Lehrer und der Erlöser, der Leidende und der Ueberwinder, der Gekreuzigte und der Auferstandene, der Sohn der Maria und der Sohn Gottes, und der erstere nicht weniger als der letztere. Während uns in jeder andern Feier bald der Eine, bald der Andere stärker hervortritt, ist beim Abendmahl Jener mit Diesem, und Dieser mit Jenem in einer Hülle verbunden, und geht in einer Gemeinschaft in uns über. Ohne die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl wird die Erlösung eine That in der Zeit, die allein durch den Glauben fortlebt, aus dem irdischen Gebiet ganz wieder in das geistige aufgegangen ist; während sie auch nach ihrer irdischen Seite im heiligen Abendmahle fortleben soll, nicht allein weil Christus nun im Geiste der Gläubigen fortlebt, sondern weil Er selber noch für sie da ist. Denn Sein Fortleben in unserm Geiste ist doch immer nur unser Leben in Ihm, abhängig von unserem Verständnis und unserer Andacht, ist nicht in der That und Wahrheit Sein Leben in uns, ist immer nur Wir, nicht Er. Unsere Zeit aber ist nicht ärmer, als die der ersten Jünger, wenn wir sie nicht arm machen. Sie hat nicht allein Seine Lehren, Segnungen und Verheißungen; sie hat Ihn, Seinen Leib und Sein Blut. Auch uns wird die neue Schöpfung geboten, die Durchdringung und Verklärung unseres geistigen Daseins zur Einheit mit Ihm. — Wie mag Solches zugehen? ist hier nicht die Frage, und alle Theorien und Formeln sind Gebrechlichkeit. Es ist nur die Frage: stimmt solche Lehre vom Abendmahl, wie sie sich in der echt lutherischen Theorie und Formel, soweit unsere irdische Sprache überhaupt für solche Dinge ausreicht, am wenigsten klügelnd und deutelnd ausspricht, überein mit den Worten der heiligen Schrift, mit dem ganzen, wunderbaren Rat Gottes zur Erlösung der Kinder im Staube, mit der Thatsache der Erlösung selbst, und mit dem Glauben der Männer, denen wir ein Erzpriestertum in der großen Gemeinde des Evangeliums beilegen müssen? Mit diesem letzten Punkt schiebe ich keine menschliche Autorität vor, da er seinen Rückhalt in der gemeinsamen Uebereinstimmung der Antworten auf alle andern Punkte haben soll; aber wohl behaupte ich damit, daß wie die Wahrheit die Frucht des Geistes, so die göttliche Wahrheit allein die Frucht des göttlichen Geistes sein kann. Dieser Geist nun hat seine Zeit und Stunde für Das, was dem Glauben der Kirche dienet. Für Das, was dem Glauben des Einzelnen dienet, weiset er zurück auf eine solche Stunde der Menschheit, die eben so wenig auf Concilien, als am Schreibpult hinter der nächtlichen Lampe geboren wird; sondern deren Wiege ein Herz ist, das mit seinem weltüberwindenden Glauben auch wirklich eine Welt überwindet, ein Herz, das nicht etwa einzelne Lichtfunken aus Schutt und Asche hervorsucht, sondern das durchglühet ist vom heiligen Feuer, und gereinigt und geläutert ist von diesem Feuer zu einer Stätte, von welcher aus Gott gern seine Stimmen in die Welt aussendet. Darum wer neue Theorien und Formeln in den göttlichen Dingen aufstellen will, der frage nicht allein, was er wisse, sondern auch, was er sei an Leben in Gott und Wandel vor Gott. Mit Schulweisheit und kritischem Scharfsinn mag man einen Homer zu zerstückeln wagen, und es wird doch nur so lange gelingen, bis die Flammen der Begeisterung, die in einzelnen Stücken fortglühen, wieder in eine helle Lohe zusammenschlagen, und der Erzguß auf’s Neue dasteht in uralter Kraft und Herrlichkeit. Kann nun jene kalte, trockene Scheidekunst selbst an einer Schöpfung des menschlichen Geistes und Herzens nur zum Ritter von der traurigen Gestalt werden, dessen kurzer Sieg bald zur desto gewissern Niederlage wird, mit welcher Aussicht kann er sich dann auf dem Gebiete des Göttlichen versuchen? Sowohl die rechte Lehre von den göttlichen Dingen, als auch das rechte Wort dafür kann nur der Geist Gottes geben, und Der will Tempel und Altar sehen, will Horebs Höhen und Mamres Palmen, will Herzen, deren Flügelschlag zu einem Adlerfluge fähig ist, will Männer, die Mut und Demut genug haben, Gott zu bitten um Erleuchtung.“

„Hat aber nicht die reformirte Kirche,“ bemerkte Mander, „die doch auch Männern, wie Sie eben bezeichneten, ihr Dasein verdankt, eine Ansicht vom Abendmahl, nach welcher es eine blose Gedächtnisfeier ist?“

„Auch die reformirte Kirche,“ war Hold’s Entgegnung, „gewann bald wieder durch Calvin die Richtung auf einen tieferen Sinn; obwohl in der katholischen und lutherischen Kirche, so wenig auch beide in der näheren Bestimmung dieser Lehre und den Folgerungen daraus übereinstimmen, allein eine wirklich tiefere Würdigung des Abendmahls gefunden wird; da Alles, was man sonst dieser Feier beizulegen versucht hat, durch Vergeistigung der Gefühle beim Andenken an den Herrn auf die schwindelndsten Höhen hinauf nur eine gewisse Scheu bei einem blosen Gedächtnismal stehen zu bleiben, zu erkennen giebt, ohne doch wirklich etwas mehr daraus zu machen. Man fühlt wohl das Bedürfnis, der Gemeinde eine Nahrung zu geben, die nicht blose Brosamen darreicht, sondern eine sättigende Lebensspeise; aber man thut nur Gewürze hinzu, und denkt nicht daran, daß Gewürze eben nur zur Würze dienen und nicht zur Sättigung.“

„Wie vereinen Sie aber dieses Vergessen mit dem Erzpriestertum, wie Sie es vorher solchen Männern beilegten, die Säulen der Kirche Gottes sind, zu welchen Sie doch auch Zwingli und Calvin mitrechnen?“ fragte Mander.

„Erinnern Sie sich, daß ich diesem Punkt von der Autorität solcher Heroen des Evangeliums einen Rückhalt gab in der Uebereinstimmung mit andern Zeugnissen. Wo diese Uebereinstimmung ist, da gebe ich mich freudig hin, und sie ist gerade in dem Kern des Evangeliums, in der Lehre von der Erlösung; wo sie fehlt, da suche ich mit desto größerem Eifer selber in dem Worte des Lebens, freue mich aber doch, wenn die Wahrheit, die ich finde, auch viele Zeugen Gottes in der Kirche, wenn auch nicht alle, für sich hat.“

„Aufrichtig muß ich bekennen,“ sagte Mander, „daß gerade das Wort: „Solches thut zu meinem Gedächtnis,“ mir in dem Augenblick, in welchem es gesprochen wurde, kurz vor dem Tode am Kreuze, so natürlich vorkommt in dem Munde des Herrn, und daß die Stiftung, auf welche es deutet, mir ebenso natürlich allein aus der Scheidestunde hervorgegangen zu sein, und darum auch ihr Wesen und ihren Charakter nur in der Erhaltung einer lebendigen Erinnerung an des Stifters Leiden und Sterben für uns zu haben scheint.“

„Dagegen muß ich bekennen,“ entgegnete Hold, — so verschieden ist das Urteil! — „daß mir Nichts wundersamer vorkommt, als eine Feier zum Gedächtnisse Dessen, der uns Weg, Wahrheit und Leben ist, von dem die ganze jetzige Bildung des Menschengeschlechts ihren Anfang und ihren Ausgang hat, dem wir in der Taufe geweiht sind, in dessen Licht wir atmen, in dessen Gemeinde wir leben, dem wir Freude, Friede und Seligkeit verdanken im Leben und im Sterben. Kann Der, welcher spricht: ‚Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte nicht!‘ und: ‚Ich bin bei Euch bis an der Welt Ende!‘ gemeint haben, mit solchem Mahl allein ein Erinnerungsfest einzusetzen, wie allenfalls Derjenige es stiften mag, welcher fürchtet, es könnten seine Lehren und Segnungen vergessen werden, und doch gern in seiner Persönlichkeit, als ein Mann, der zu seiner Zeit und für seine Zeit Gutes gewollt, in der Erinnerung fortleben möchte? Ja, müßte solche Stiftung nicht in der christlichen Kirche mehr und mehr an Bedeutung verlieren, je lebendiger der Herr lebte im Gedächtnis der Seinen? Je inniger die Seele Ihm angehörte, je tiefer der Geist sich versenkte in die Fülle Seiner Segnungen und Verheißungen, desto weniger könnte eine Feier gelten, die nur erinnern soll, Ihn nicht zu vergessen.

Der Apostel Paulus redet ferner auf solche Weise vom Abendmahl, daß jeder Gedanke an ein bloses Gedächtnismal wegfallen muß. Er spricht: ‚Welcher unwürdig von diesem Brot isset oder von dem Kelch des Herrn trinket, der ist schuldig an dem Leibe und Blute des Herrn. Der Mensch aber prüfe sich selbst, und also esse er von diesem Brote und trinke von diesem Kelch. Denn welcher unwürdig isset und trinket, der isset und trinket ihm selber das Gericht, damit, daß er nicht unterscheidet den Leib des Herrn.‘“

„Erlauben Sie mir noch die Frage,“ sagte Mander hierauf: „Konnten die ersten Jünger, die mit dem Herrn zu Tische saßen, in dem Brote und dem Kelche ein solches Sacrament, wie sie es vorher auslegten, genießen, da der Herr noch bei ihnen war?“

„Ich brauchte Ihnen keine Antwort auf diese Frage zu geben,“ erwiderte Hold, „ehe Sie mir nicht meine Einwendungen gegen eine blose Erinnerungsfeier widerlegt, bevor Sie nicht erwiesen haben, daß die Deutungen, mit welchen man dem Abendmahl einen höheren Charakter geben will, ohne die leibliche Gegenwart zu bekennen, wirklich mehr sind als blose Zuthaten, die bei aller ihrer scheinbaren Fülle es doch nur ein Gedächtnismahl bleiben lassen, ein Mahl, dessen Genuß in seinen Wirkungen auf den Gläubigen nichts Anderes giebt, als was schon jede andere lebendige Erinnerung an den Heiland und Erlöser geben kann. Aber ich will Sie doch daran erinnern, daß auf die Beantwortung Ihrer Frage gar nicht so viel ankommt. Erkennen wir im Abendmahl eine Stiftung für die Kirche, für alle kommenden Christengemeinden, — und das haben nur Wenige geläugnet, — so kann es gern für die späteren Bekenner eine andere Bedeutung haben, als er für die ersten Jünger, denen die sichtbare Gegenwart des Herrn das Sacrament war, schon haben konnte, und welchen es erst Das wurde, was es uns ist, als der Herr heimgegangen war zu Seinem himmlischen Vater. Diese andere Bedeutung besteht ja denn doch immer nur darin, daß wir mit, in und unter dem Brote und Wein haben, was sie noch sichtbar vor sich hatten. Die Kraft des Mahls, die sacramentliche Fülle bleibt dieselbe, nur bei ihnen Schauen, bei uns Glaube. Doch ich fühle, wie es mit allem Erweisen eine mißliche Sache ist auf diesem Gebiete. Die göttlichen Dinge wollen erfahren sein.“

„Mir ist so unsicher um’s Herz geworden,“ sprach Mander mit einem Seufzer, „daß ich wollte, ich hätte nicht gefragt!“

„Ich sagte es Ihnen im Voraus, daß Sie keine andere Frucht nehmen würden aus dieser Erörterung. Aber vielleicht werden Sie noch künftig mit mir Denen, die das Abendmahl nicht in seiner ganzen Bedeutung würdigen, zurufen: Entkleidet nicht die Kirche ihres heiligen Schmuckes; nehmt ihr nicht die Krone von ihrem Haupte; reißt sie nicht los von der Wurzel des Lebens, von der innigen, ewigen, thatsächlichen Gemeinschaft mit dem, der vom Vater kam, um vom Vater zu zeugen! Uebrigens treten Sie hinzu zu dem Tische des Herrn mit Andacht und Hingebung, und erwarten Sie, was Er Ihnen darreicht aus Seiner Fülle. Er ist Allen, die zu Ihm kommen, Etwas, und leitet sie selber dazu, daß Er ihnen Alles werden kann. Sein Segen wird Ihnen nicht fehlen!“

Die Stunde der Feier war gekommen. Die ganze Gemeinde, die, nach der am Sonntage vorher geschehenen Bekanntmachung, sich zur Communion gemeldet hatte, da auf den Halligen es nicht immer zu erwarten ist, daß die sonst bestimmten Tage zu solcher Feier wegen des oft durch Sturm und Wellen verhinderten Kirchganges regelmäßig gehalten werden können, sammelte sich in der an Hold’s Wohnung anstoßenden, mit ihr durch ein Dach verbundenen Kirche. Nach Beendigung des Gesanges trat Hold vor den Altar und hielt eine kurze, eindringliche Rede, die in ihren schlichten Worten nur auf das Verständnis seiner gewöhnlichen Zuhörer berechnet schien, während sie gerade in ihrer Einfachheit, in ihrer festen Hinstellung Dessen, was den Beiden, die heute zum erstenmal mit rechter Sehnsucht nach der Verheißung, die er verkündete, zum Tische des Herrn traten, noch nicht als gewisse Zuversicht aufgegangen war, auf diese einen wahrhaft erbauenden, begründenden Eindruck machte. Darauf trat der Bejahrteste in der Gemeinde, ein Mann mit schneeweißem Haar, vor Hold hin und sprach mit einer Stimme, deren Zittern von Altersschwäche und zugleich von tiefer Rührung zeugte, folgende Worte, bei denen sich Alle von ihren Sitzen erhoben:

„Würdiger, lieber Herr! Also rede ich für mich und für Alle: Ich bitte Euch, wollet meine Beichte hören und mir die Vergebung sprechen.“

„Ich armer sündiger Mensch bekenne und beklage mich, daß ich die heiligen Gebote Gottes unseres Vaters mannigfaltig übertreten, und mich gegen Gott und meinen Nächsten oft versündigt habe, damit ich Gottes gerechte Strafe, zeitlichen und ewigen Tod wohl verdienet. Aber alle meine Sünde gereuet mich ernstlich und ist mir von Herzen leid, und ich habe keinen andern Trost, denn die Gnade Gottes, die größer ist, als meine Schuld, und das teure Verdienst meines Herrn Jesu Christi. Komme daher in der Zeit der Gnaden, daß ich möge Vergebung empfangen und damit neue Freudigkeit zu Gott und Kraft zur Heiligung durch Seinen Geist. Amen.“

Dieser den Fremden unerwartete Auftritt verfehlte nicht seine Wirkung auf ihr Herz. Mander fühlte tief den Wert einer solchen thätigen Teilnahme der Gemeinde am Gottesdienst bei dieser Feier. Er fühlte sich in dem Augenblicke gleichsam eins geworden mit dem Greis, der für Alle sprach. Er fühlte in dessen Bekenntnis sein Bekenntnis, in dessen Bitte seine Bitte und darum sich klarer und deutlicher als Einer, der da nahet mit demütigem Flehen und der Verheißung entgegensieht, als wenn der Geistliche allein geredet. Oswald zitterte heftig. Jedes Wort, das der Greis sprach, klang in allen Tiefen seiner Brust wieder. Es war ihm, als tönte die Bitte von seinen eigenen Lippen, aber als würde sie inniger, dringender, flehender, indem sie der Ausdruck seiner Sehnsucht wurde, als gestaltete sie sich zu einem Ruf aus der Tiefe, zu einem Schrei des Erbarmens, zu einem Seufzer, an dessen Erhörung sein Leben hing.

Als der Greis geendet, faltete Hold seine Hände, hob die Augen empor in stillem Gebet und sprach dann nach einer kurzen, erwartungsvollen Pause, indem er seine Rechte segnend auf das Haupt des alten Mannes vor ihm legte, der unterdessen seine Knie gebeugt hatte an den Stufen des Altars:

„Der in die Welt kam, nicht daß Er die Welt richte, sondern daß die Welt durch Ihn selig werde, der da die Mühseligen und Beladenen zu sich ruft, daß Er sie erquicke, Der spricht durch das Amt, das Er mir vertraut, zu Dir und zu der Gemeinde, die durch Dich bekannt hat ein gutes Bekenntnis: „Sei getrost, Deine Sünden sind Dir vergeben.“

Und als nun Hold seine Hände weiter ausbreitete über die ganze Gemeinde hin, und noch einmal die Worte wiederholte: „Sei getrost, Deine Sünden sind Dir vergeben!“ da sank es wie eine Decke von Mander’s und Oswald’s Seele. Das Evangelium war nun völlig Licht, Kraft und Leben in ihnen geworden, und alle Dämmerung, Schwachheit und Lauheit schwand wie der letzte winterliche Nebeltag vor dem siegenden Frühlingsodem. Sie fühlten sich so offen und empfänglich für jeden Gruß aus der Höhe, so klar und entschieden im Glauben, so leicht und frei in der Erfüllung der Verheißung, daß das Reich der Wunder, durch die das Göttliche sich dem Staube offenbart, ihnen als eine natürliche Welt erschien, in welcher sie schon längst heimisch, und sie traten zum Tische des Herrn als in Allem Bekenner der Lehre ihrer Kirche.

XXI.

Schmerzen giebt es, deren Wunden

Nur die stumme Brust erträgt;

Wenn das kühne Wort sie wägt,

Ist des Duldens Kraft geschwunden.

Auf den nächsten Mittag war die Abreise bestimmt. Die Geschäfte wegen der Bergung waren schon einige Tage vorher zur Zufriedenheit beendigt, und Mander und Oswald nahmen von allen Bewohnern der Hallig durch Besuche in jeder Wohnung Abschied, und wurden allenthalben als liebe Freunde, die man nicht hoffen darf, wiederzusehen, mit der Feierlichkeit eines solchen letzten Zusammenseins aufgenommen und entlassen, an keiner Stelle ganz ohne Thränen der gutmütigen, für jede ihnen bewiesene Teilnahme leicht empfänglichen Halligbewohner. Da diese Leute, besonders auf der Hallig, die wir im Sinne haben, — auf welcher, so weit das Kirchenbuch geht, keine außereheliche Geburt, und so weit die Erinnerung der ältesten Personen reicht, nie ein leidenschaftlicher Streit vorgekommen war, — gar zu leicht geneigt sind, die Welt außerhalb ihrer kleinen Eilande, und besonders in den großen Städten, nur als eine ungläubige und zuchtlose sich zu denken, so hatte die Teilnahme der Fremden am Abendmahl diese in ihren Augen so gehoben, daß sie dieselben mit einer Art bewundernder Ehrfurcht betrachteten. Sie ahneten nicht, daß ihr Eiland erst das Emmaus gewesen war, wo jene den Herrn erkannten. Jede einzelne Familie brachte auch ihren besonderen Dank dar für die silbernen Altarleuchter, welche Mander der Gemeinde geschenkt, und die Hold freilich aus bestimmten Gründen nicht am gestrigen Tage schon auf den Altar gesetzt, aber sie den Hausvätern, die nach der Feier bei ihm gewesen, gezeigt hatte. Am bewegtesten war der Abschied von Hold. Einige Gaben, welche die Freundschaft und Dankbarkeit der Scheidenden dem Pastor und seiner Gattin darboten, wurden ohne Ziererei angenommen. War doch auch die Schwierigkeit, welche mit der Besorgung dieser Gaben aus der Ferne verbunden gewesen sein mußte, ein Beweis mehr, daß sie, wie lange vorbedacht, so auch Zeugnisse einer Freundschaft sein sollten, die länger dauern würde, als der Aufenthalt auf der Hallig. Nur gegen ein großes Faß mit Wein, das auf seiner Hausflur aufgestellt wurde, protestirte Hold, da er sich dieses Getränks längst entwöhnt habe. Doch er mußte auch hierin nachgeben, da Mander versprach, bei der ersten Gelegenheit für kleinere Gebinde zum Umfüllen zu sorgen, und darauf aufmerksam machte, daß, wenn auch Hold selbst keinen Genuß davon haben wolle, doch den Kranken und Schwachen in der Gemeinde eine solche Stärkung oft wohlthätig werden könne.

Wer hätte bei diesem Hin- und Herreden daran denken sollen, daß das Leben mehrerer Menschen ganz allein, und die Gesundheit der ganzen Gemeinde größtentheils allein von der Annahme dieses anfangs verschmähten Geschenkes abhinge!

Oswald trennte sich von Maria nicht ohne eine ernstere Regung, als mit welcher er von den übrigen Bewohnern der Hallig Abschied genommen, und Mander legte für sie und Godber, da er mit Hold auf eine baldige frohe Vereinigung dieses Paares hoffte, eine Summe Geldes bei dem Pastor nieder und machte sich zu einer jährlichen Summe schriftlich verbindlich. Auch den Verlobungsring Godber’s, den Maria Jenem auf seinem Krankenlager vom Finger gezogen, hatte Idalia ihrem Vater zurückgegeben, um ihn Maria einzuhändigen. Mander gab ihn Hold, daß er die passende Gelegenheit zur Rückgabe abwarten möchte.

Am Ufer fanden die Abreisenden die ganze Gemeinde versammelt, und noch einmal rief ein Händedruck und ein herzliches Lebewohl alle Gefühle des Abschieds wach, und mit Thränen in den Augen bestiegen Mander und Oswald das Schiff. Auch Idalia wandte mehr als einmal den von einem feuchten Tau umflorten Blick auf das bald in einem lichten Nebel schwindende Eiland zurück. Sie hätte gern dem Schiffe Halt geboten, nicht um die Hallig wieder zu betreten, aber sie im Auge zu behalten. Alle ihre Gedanken und Empfindungen waren wie in einer Schwebe, und sie konnte ihnen ebensowenig die volle Richtung in die Zukunft geben, als sie in die Vergangenheit ganz zurückwenden. Sie hätte es für eine Wohlthat für ihr Herz gehalten, wenn das Schiff, das sie unaufhaltsam forttrug, von der Ebbe übereilt, stehen geblieben wäre zwischen den beiden Ufern, wie sie sich selbst auf einem leeren Raum zwischen dem Zeitstrom der Vergangenheit und dem der Zukunft zu stehen schien. Als sie die Küste des festen Landes betrat, da zitterte und schwankte sie, wie Einer, der nach einem langdauernden, heftigen Sturm den mit der wogenden Bewegung des Schiffs nicht durch frühe Uebung vertrauten Fuß an’s Land setzt.

Auf der Hallig blieben die Bewohner derselben so lange am Ufer versammelt, als noch der Nebel einen Blick vom Schiffe erhaschen ließ, und sowohl die auf demselben, als auch die Zurückbleibenden winkten bis dahin einander zu, ohne bestimmt zu wissen, ob ihre Abschiedsgrüße noch bemerkt und erwidert werden könnten.

Hold war den Tag über in einer Stimmung, der er den Namen der Wehmut über die Trennung von den Freunden gab; und doch war es mehr als diese Trennung, was ihn so tief bewegte. Alle Träume seiner Jugend waren durch die Gespräche mit diesen Gästen aus der Welt, in welcher er sich früher so hoffnungsreich und lebenskräftig bewegt, wieder wach geworden. Seine früheren Freunde, denen er gleichsam ohne Kunde durch Versetzung auf die Hallig entschwunden war, winkten ihn nun von Neuem in ihren Kreis. Die Länder, die er an ihrer Seite durchpilgert, breiteten wieder alle ihre Schönheiten vor ihm aus. Das rege Treiben der politischen Welt, von der ihm jetzt kaum dann und wann die Zeitung eine dürftige Nachricht brachte, trat wieder vor seine Gedanken hin, als ein Zauberbild, das hell vor unserer Nacht vorüberzieht. Das reiche Feld der Wissenschaft blühte und duftete vor seinem Geist in der köstlichen Blumenpracht auf, aber wie ein schöner Garten, den wir durch ein Gitter anschauen, in welchem wir uns nicht ergehen dürfen. Und hier diese öde Hallig! Dies wüste Meer um sich her! Dieser Nebel, der ihn verhüllte, als wollte er ihn für immer von der Welt ausschließen. Hatte er denn den Becher Djemschids, auf dessen Rand sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft malt, nur an die durstenden Lippen gesetzt, um nun für sein ganzes Leben mit ungestilltem Verlangen nach einer Labung aus demselben zu schmachten? Mit welch’ ganz andern Gefühlen, mit welch’ schönen Hoffnungen für sein Erdenleben wandelte er auf den Schweizerbergen, an den Ufern der Ströme des Vaterlandes! des Vaterlandes, aus dem er nun vielleicht für immer fortgebannt war, vergessen auf einer von trüben Meeresfluten umflossenen Scholle, hingegeben jeder Entsagung und Entbehrung! Er ging hinaus an das Ufer. Er schaute sehnsüchtig in die Nebel hinein, als könne sein Auge sie durchdringen, und den Gedanken folgen, die über das Meer hinflogen und über Berg und Thal schweiften. Seine Sehnsucht wurde zum Liede, das wie ein langer Seufzer sich aus den Tiefen seiner Brust losrang:

Schwebt hinüber, Trauertöne,

Grüßt den heimatlichen Strand;

Grüßt das liebe, wunderschöne,

Heil’ge, deutsche Vaterland.

Grüßt, wo über Thal und Hügel —

Hell des Jägers Horn erschallt,

Wo der blaue Wellenspiegel

Um die Fischerbarke wallt.

Grüßt, wo die Lawinen toben

In des Staubbachs Silberduft,

Ach! wie drängt das Herz nach Oben,

Nach der Berge Himmelsluft;

Wo mit bräutlich schönen Kränzen

In der Abendröte Glühn,

Jungfrau, Deine Scheitel glänzen;

Könnt ich dahinüber ziehn!

Oder hin zum Strand der Saale,

Wo der Tannen schwankes Dach

Wölbt sich über Heldenmale,

Die der Zeiten Sturm zerbrach.

Allenthalben an der Elbe,

An der Donau und am Rhein,

Ist mein Vaterland dasselbe,

Wert der Deutschen Land zu sein.

Reich an Reben, reich an Eichen,

Felsenkräftig, blumenmild,

Malt es rings in treuen Zeichen

Seines treuen Volkes Bild.

Schwebt hinüber, Trauertöne,

Grüßt den heimatlichen Strand,

Alle Lust und alles Schöne

Blieb zurück im Vaterland.

Ach! vergebens wecken Klagen

Die verhaltnen Schmerzen nur,

Keine milden Lüfte tragen

Sie zur heimatlichen Flur.

Mich umrauschen Meereswogen,

Nebel hüllen meinen Blick;

Meine Grüße sind verflogen, —

Keine Antwort kommt zurück!

XXII.

Nur das Heute ist das Alte,

Jede Morgenröte weiht

Uns für eine neue Zeit,

Und wer sagt uns, wie sie walte?

Godber war bald nach der Abreise der Fremden auf die Hallig zurückgekehrt und lebte einsam in seiner Wohnung. Wenn man ihn sah, schlich er trübsinnig und in sich gekehrt dahin und vermied mit ängstlicher Scheu jede Anrede. Sein Haus und seine Werfte waren während seiner langen Abwesenheit und nach dem Tode seines Vaters ganz verfallen; er aber that Nichts für die versäumte Ausbesserung und schien es nicht zu beachten, daß die Fluten in den stürmischen Weihnachtstagen große Beschädigungen anrichteten, die seinen Aufenthalt sehr unsicher machten.

Hold kam oft zu ihm und versuchte es, ihn zu neuer Lebenshoffnung zu erheben. Er erzählte viel, so wenig auch Godber solche Gespräche zu lieben schien, von Maria’s frommer Ergebung in den Willen des Herrn, von der Ruhe, mit welcher sie ihr künftiges Geschick erwarte, von der Güte ihres Herzens, die keiner Beleidigung lange gedenke. Er suchte, ohne geradezu Godber’s Verhalten zu entschuldigen, doch Alles auf, was es in einem mildern Lichte erscheinen lassen konnte, und wies hin auf die erbarmende Liebe Gottes, die uns nicht umkommen läßt unter der Bürde des bösen Gewissens.

Als er eines Tages auch wieder so sprach, erhob sich Godber, der bisher ihn schweigend angehört, von seinem Sitze, trat vor ihn hin, blickte mit starren Augen ihn an und sprach mit einer Stimme, die feierlich und schauerlich klang:

„Wird der Gott, den Du verkündest, auch jene Nacht wieder ungeboren machen, in der ich das Steuer des Schiffes verließ, um Die zu retten, um deretwillen ich ein doppeltes Gelübde brach? Wird Er, wie Er Maria’s verwundetes Herz zu heilen verstand, auch den schönen Bau wieder zusammenfügen, der durch mich zu einem elenden Wrack geworden ist. Wenn Du in blinder Leidenschaft Deine Kirche angezündet, würdest Du das so leicht vergessen, daß Du meinest, ich sollte vergessen, was ich an dem Schiff gesündigt? Wird Gott auch die drei Toten dort aus ihrer Gruft in’s Leben zurückrufen, daß ich es von ihnen wieder höre: ‚Godber ist ein braver Steuermann!‘ ohne ein Hohngelächter der Hölle daneben zu hören?“

Hold erbebte sowol vor dem irren Ausdrucke in Godber’s Zügen und Worten, als vor der Entdeckung einer nicht geahnten Bürde auf dem Gewissen des Jünglings. Godber aber fuhr fort:

„Du zitterst vor solchem Verbrechen und hörst es doch nur, und ich, der es gethan, sollte nicht zermalmt werden unter seiner Last? Für mich ist keine Hülfe mehr!“

Mit weicherer Stimme, deren leises Beben den Uebergang aus starrer Verzweiflung in eine wehmütige Rührung bezeugte, setzte er nach einer kleinen Pause hinzu:

„Und kannst Du mir auch Maria bräutlich froh in den Arm legen, Du kannst nicht sagen: dieses Auge hat nicht um Deinetwillen geweint; dies Herz hat nicht um Deinetwillen geblutet; an der Treue des Halligsohnes haftet durch Dich kein Makel. Maria hat nur meine Schuld zu vergessen. So ein Vergessen ist leicht. Ich soll mich selbst vergessen. Da muß der Tod helfen. — Und der kann ja auch nicht helfen,“ schrie er entsetzt auf, „denn droben ist das Gericht!“

Damit schlug er beide Hände vor’s Gesicht und sank in dumpfem Brüten auf seinen Sitz zurück.

Hold bedurfte einiger Zeit, um sich zu sammeln, dann trat er vor Godber hin und sagte:

„Ich will nicht mit Dir reden von dem Schiffe; nicht Dich darauf aufmerksam machen, wie Deine Kunst und Erfahrung es doch vielleicht nicht hätte retten können; wie viel wahrscheinlicher Euer Aller Tod bei solchem Versuch gewesen wäre, während nun fünf Menschen Dir ihr Leben verdanken. Ich will aber reden von dem Amte, das die Versöhnung predigt. — Wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den wir vor Gott haben sollen. So wir mit aufrichtigem Herzen prüfen unser Selbstwerk, müssen wir bekennen, daß wir nicht bestehen können vor dem heiligen und gerechten Gott, müssen bekennen, daß unter dem Licht und Gericht des göttlichen Gesetzes unsere Tugend wie ein Schattenbild zerfließt, und dagegen unsere Uebertretungen wachsen wie Wogen, die über unser Haupt zusammenschlagen. Vor dem Worte: ‚Ihr sollt heilig sein, denn Gott ist heilig!‘ vor der Wahrheit: ‚Ihr sollt Rechenschaft geben auch von jedem unnützen Worte, das aus Eurem Munde gegangen ist!‘ bestehet keine Entschuldigung, kein Vorwand, keine Rechtfertigung. Unsere Schwachheit ist Lüge, denn sie ist eine Frucht des Lügengeistes, der uns Gottes Gesetz verfinstert und entstellt, der diese Macht aber nicht haben würde, wenn wir sie ihm nicht selber gegeben, dadurch, daß wir die böse Lust in uns wuchern ließen. Was wir Verführungen und Versuchungen nennen, sind blos Antworten von Außen her auf die Lockstimmen der Sünde in unserm Innern. Wer das ‚Heilig‘ nicht in seiner ganzen Bedeutung nimmt, als eine völlige Reinigung unseres Sinnes und Wandels von allem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Lüften, als eine vollkommene Verklärung vom Kinde des Staubes zum Kinde Gottes in allen Gedanken, Worten und Werken, der weiß noch gar nichts von Gott und seinem Willen und unserer Berufung auf Erden, und meint noch teilen zu können zwischen Gott und dem Mammon; während alle Halbheit und Lauheit vor Gott ein Greuel ist, während, wer das Gesetz hält und sündigt an einem, des ganzen Gesetzes schuldig ist. Von solcher Strenge haben wir keine Macht, uns Etwas nachzulassen, und Gott selber hat nicht die Macht, denn Er ist heilig!“

Godber rang die Hände und schluchzte laut:

„Für mich ist keine Hülfe mehr!“

Hold aber fuhr fort:

„So wir nun solches zu Herzen nehmen, können wir nicht mit Freudigkeit weder vor Gott treten, noch mit Freudigkeit Sein Gesetz erfüllen. Denn zwischen Ihn und uns wird sich unsere Sünde legen und eine dunkle Scheidewand, die uns ausschließt von allem Trost und allem Hoffen; und unser Versuch zur Aenderung des Sinnes und Wandels muß scheitern, weil die Sünde, die einmal mächtig geworden ist in uns, nur in schweren Kämpfen überwunden wird; zu solchem Kampfe aber Freudigkeit zu Gott und Liebe zu Ihm gehören, die wir nicht haben, so lange unser beladenes Gewissen nur zeugt von dem Richter der Lebendigen und der Toten.“

„Er hat schon gerichtet!“ rief Godber.

„Wir müssen das alte Gewand ausziehen und ein hochzeitliches Kleid anziehen können. Wir müssen die Last von uns werfen und leichten Herzens ein neues Leben beginnen können. Wir müssen die Traurigkeit von uns thun und in Freudigkeit zum Himmel aufschauen können. Ein solches Können liegt aber nicht in unserer Macht. Wollen wir es aus eigener Macht versuchen, da werden wir den kurzen Flügelschlag des frohen Entschlusses bald wieder gelähmt fühlen durch das Gedächtnis der ungesühnten Schuld. Wir können aber uns selber Nichts vergeben, auch den geringsten unlautern Gedanken nicht; denn wir stehen nicht unter unserm Gesetz und Gericht, sondern unter Gottes Gesetz und Gericht.“

„Ich weiß es! Ich weiß es!“ stöhnte Godber.

Hold aber fuhr mit erhobener Stimme fort:

„Wir bedürfen Gottes Vergebung. Nicht aber in einem bloßen Ahnen, Meinen, Hoffen, sondern in einer Zuversicht, welche die Pforten der Hölle nicht überwältigen. Und nun, Godber, die Zeit ist erfüllet, die Nacht ist vergangen und der Tag ist herbeigekommen! Es ist kund geworden auf Erden das große Geheimnis der Erlösung: Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit Ihm selber! Empor, Du müde, sündenvolle Seele! Empor! Denn Freude ist im Himmel über einen Sünder, der Buße thut. Das ist kein Wort, das trostbedürftige Sehnsucht dem Menschen eingab; dann wäre es nichts nütze, hätte keinen Halt wider die ewig neuen Anläufe des anklagenden Gewissens. Es ist das Wort Dessen, der vom Vater kam, um vom Vater zu zeugen, und es stehet fester, als die Veste des Himmels. Der Herr spricht, der Herr, dessen Wort nicht Sein Wort, sondern Deß, der Ihn gesandt; der Herr spricht, und durch Ihn der Richter der Lebendigen und der Toten: ‚Sei getrost, Deine Sünden sind Dir vergeben!‘ So thue auch Du, Godber, Deine Brust auf, und laß die Liebe, die anklopfet mit solchen Stimmen an Deines Herzens Thore, mächtig werden, wo das Gericht mächtig war. Wirf hin Deine Last und Bürde und tritt freudig an die neue Bahn, als wärest Du heute neu geboren und die Vergangenheit nicht Dein. Gedenke ihrer nur, um immer in der Demut zu bleiben die sich Nichts dünket mit eigenem Verdienst und eigener Gerechtigkeit, um im lebendigen Eifer zu bleiben nach der Krone der Vollendung in aller Heiligung des Sinnes und Wandels, um die Sünde zu verabscheuen, die so unselig macht, wie Du es erfahren, um die Gnade des himmlischen Vaters, der so große Dinge für Dich gethan, in Freude, Friede und Seligkeit bis an Dein Ende zu preisen. Aber gedenke der Vergangenheit nicht Dir zum Fluch, sondern zum Segen; wie Gott ihrer nur gedenkt, um Dich aus ihr heraus einzuführen in das Reich Seiner Segnungen und Verheißungen.“

Godber war tief ergriffen von Hold’s Worten, und wenn sie ihm auch nicht die Ruhe zurückgeben konnten, die von ihm gewichen war, so dienten sie doch dazu, das Auge wieder mit einem, wenn auch nur kurzen und scheuen, doch suchenden Blick nach oben zu lenken, durch den Sturm der anklagenden Stimmen ein leises Wehen, wie vom Friedenslande her, durchzittern zu lassen und heiße Thränen hervorzurufen, in welchen die verzehrende Flamme der Reue gleichsam einen Ausweg fand und darum an sinnverwirrender Macht über ihn verlor. Er faßte Hold’s Rechte, beugte sein Haupt herab und drückte seine heiße Stirne auf die Hand des Mannes, dessen guten Willen, ihm ein Führer aus seinen Nächten heraus zu sein, er nicht verkannte.

Der Unglückliche aber, der den guten Willen, ihn zu trösten, dankbar erkennt, der ist auch schon auf dem besten Wege, sich trösten zu lassen.

Von Tag zu Tag gelang es nun Hold sichtlicher, Godber’s Gemüt mehr zu beruhigen. Dadurch, daß er — von der anfänglichen schonenden Weise zurückgekommen, — dessen Betragen in den letzten Monaten mit eiserner Strenge beurteilte, hatte er des selber sich so streng Verdammenden Vertrauen ganz gewonnen und damit ihn zugleich zu den Füßen des Erlösers gedrängt. Denn der Weg nach Golgatha geht nur über den Sinai, und wer auf freundlicheren Umwegen dahin will, der bleibt auf halbem Weg stehen und findet darum auch nur einen halben Frieden, der keiner einsamen, ernsten Stunde, keiner wahrhaftigen Selbstprüfung gewachsen ist.

Zugleich aber wandte Hold nun öfter die Gespräche auf zeitliche Dinge, machte Godber aufmerksam auf den schlechten Zustand seiner Werfte, auf die bisherige Vernachlässigung seiner kleinen Heerde, gab ihm Rat und fragte ihn um Rat bei kleinen häuslichen Arbeiten und weckte ihn dadurch zur Thätigkeit und zur Teilnahme für die gewöhnlichen Lebensverhältnisse. So glaubte er denn völlig den Sieg gewonnen zu haben und der Ausgleichung der unglücklichen Trennung zwischen Godber und Maria nahe zu sein. Aber hierin fand er einen unerwarteten Widerstand. Jede Hindeutung auf die Wiedervereinigung Beider ward lebhaft zurückgewiesen.

„Ueber die ewige Halbheit!“ sagte Hold endlich ärgerlich. „Da hat nun der liebe Vater im Himmel Alles gethan, daß Seine Kinder sich freuen sollten der Erde und ihrer guten Gaben; hat uns in Seiner Gnade geholfen, los zu sein von dem bösen Gewissen, verlangt keine Buße und kein Opfer mehr, sondern will, daß wir in Erkenntnis und Erfahrung seiner unendlichen Liebe nun auch froh und selig wandeln unter dem Himmel und kindlich annehmen und genießen, was Er uns darreicht aus Seiner Fülle. Kinder will er haben, die offnen und empfänglichen Herzens sind für Seine Liebe, nicht für die Liebe allein, die da redet mit Orgelklang, sondern auch für die, welche locket mit Flötentönen. Kinder will Er haben, die sich freuen nicht allein Seines Himmels, sondern auch Seiner Erde, die nicht allein danken dem Vater in der Höhe, der Seinen Trost ausgießt über die Mühseligen und Beladenen, sondern auch dem Vater hinieden, der da wandelt unter den Glücklichen und lieb hat die Herzen, die ihm danken, daß Er ihre Wallfahrt so reich machte an heiterm Sonnenschein und lieblicher Blütenfülle. Und wir? Wir wollen uns ein Verdienst daraus machen, daß wir fort und fort büßen, und gefallen uns darin, Seiner Güte für diese Zeit zu entsagen, als könnten wir dadurch irgend einen Anspruch auf Seine Verheißungen in der Ewigkeit erwerben. Das ist die falsche Scham, die sich schämet, Alles aus Seiner Hand zu nehmen; die ein Selbstwerk hinzuthun will zu dem Gotteswerk der Erlösung, der der frohe Glaube und die kindliche Liebe und die Heiligung, die aus solchem Glauben und solcher Liebe, wie die Frucht aus der Blüte, hervorgeht, nicht genug sind; sondern die in der Verschmähung der Freude an Gottes Werken und Gottes Gaben hienieden noch ein vermeintlich verdienstliches Opfer darbringen will!“

„O nein,“ rief Godber, „das ist es nicht! Und habe ich auch wol früher dergleichen gedacht, Sie haben mich längst geheilt von dieser krankhaften Demut, die eine Tochter des Stolzes ist. Aber — Maria wird nie an meiner Brust glücklich werden. In jeder Wolke, die meine Stirne trübt, wird Idalia vor ihr stehen; aus jedem Gedanken, dem ich achtlos nachhänge, wird sie diesen Namen herauslesen. Von bangen Träumen in ihrem Schlummer gestört, wird sie meine Träume belauschen, und ich werde an ihrer Seite in der beständigen Furcht wandeln, ihren Zweifeln an meiner Liebe einen, wenn auch unschuldigen Anlaß zu geben. Es wäre ein Anderes, wenn wir uns vorher nie gekannt hätten; aber ein Treubruch läßt immer einen Stachel zurück, den oft die aufmerksamste Liebe nur tiefer drückt, weil sie dem einmal so bitter Getäuschten als Berechnung erscheint!“

Hold wußte hierauf nicht Viel zu erwidern, und vielleicht hatte Godber Recht. Wenigstens machte Hold die Bemerkung, daß Maria wol Aehnliches im Sinne tragen mochte; denn auch sie warf jede Hindeutung auf Wiederherstellung des früheren Verhältnisses mit einem Kopfschütteln weg, das bei der jetzigen Lage der Dinge kaum dem Zweifel an Godber’s Werbung um ihre Hand gelten konnte. Im Uebrigen war in ihrem ganzen Wesen ein so kindlich heiterer Friede, daß wer, unbekannt mit ihren bittern Erfahrungen, sie sah, für die Unbefangenheit einer hoffnungsvollen Jugend halten mußte, was die Frucht völliger Ergebung in den Willen des himmlischen Vaters und der Spiegel eines gottseligen Herzens war.

„Laß uns von der Zeit,“ sagte Hold zu seiner Gattin, „die Lösung dieses Knotens erwarten!“

„Von der Zeit? Ja, wenn die Zeit nur unser wäre!“

XXIII.

Und solche Nacht, die bleibt im Leben

Ein Denkmal, das auf Felsen ruht;

Der Schein, den sie in’s Herz gegeben,

Verlischt in keiner Thränenflut.

So kam der dritte Februar 1825 heran. Wir stehen in der nachfolgenden Erzählung wieder fast ganz auf dem Boden der Geschichte, deren Schuld es ist, wenn Manches dem Leser als zu kühnes Gemälde der Phantasie erscheinen sollte, was doch nur die Erfahrung an die Hand gab. Es ist gerade da, wo die Begebenheiten in’s Gebiet des Wunderbaren hinüberstreifen, am sorgsamsten darauf gehalten, nur die ungefärbte Thatsache zu geben, und deswegen auch der Stoff für die folgenden Schilderungen allein aus der Geschichte jener furchtbaren Nacht der Trübsal in der Gemeinde des Verfassers genommen.

Heftige Stürme aus Nordwesten trieben die Fluten über das Land hin, so daß selbst bei der Ebbe die Hallig vom Meere bedeckt blieb. Doch gewöhnt an solche Stürme, und ihre Kraft und Richtung vergleichend mit früheren, glaubten die Halligbewohner diesmal Nichts zu fürchten zu haben, und während die Wogen an die Werften heranbrausten und die Hütten erzitterten vor dem Anprall der Windsbraut, legten die Meisten am frühen Abend sich ruhig nieder. Hold saß noch etwas später auf, beschäftigt mit einer literarischen Arbeit. Seine Gattin, die in einigen Monaten zum zweiten Male Mutter zu werden hoffte, schlummerte sanft in der Nebenkammer an der Seite ihrer Erstgeborenen.

Da trat zu Hold’s Erstaunen Maria leise in’s Zimmer.

„Das Wasser steigt hoch,“ sagte sie mit bebender Stimme.

„Wie!“ rief Hold, und dämpfte aus Besorgnis für die Ruhe seiner Frau schnell den Ausruf des Schreckens: „Gegen zwei Uhr ist erst Flut! Jetzt ist es kaum zehn!“

„Und schon ist beinahe die ganze Werfte bedeckt,“ fuhr Maria fort. „Schon schlagen einzelne Wellen an Godber’s Wohnung hinauf, schon hat sich die eine Seite derselben gesenkt. Aus meinem Fenster sah ich ihn vor der Thür. Er blickte so starr nach mir herüber.“

Hold war schnell aufgesprungen und trat mit Maria vor die geöffnete Hausthür.

Ein wahrhaft blendender Mondschein goß sein Licht über das Meer aus, das mit vollen, breiten Wogen schäumend und rauschend, in dunklen Thälern und leuchtenden Höhen wechselnd, sich um die einzelnen Wohnungen gleichsam über sich selber ausschöpfte, als wollte ein Meer das andere überfluten.

„Gott sei unserer armen Seele gnädig in dieser Nacht!“ rief Hold, und blickte unwillkürlich zurück in dem Gedanken an seine Gattin. Da stand diese schon hinter ihm, und mit einer Fassung, wie sie gerade bei dem weiblichen Geschlecht in Stunden der höchsten Gefahr fast öfter gefunden wird, als bei Männern, sagte sie, indem sie den Arm um seinen Nacken schlang:

„Wir sterben doch zusammen, Du und ich und unser Kind. Ich bleibe nicht allein zurück, wie damals, als nur Dich diese Wogen bedrohten!“

In demselben Augenblick brach ein Teil von Godber’s Wohnung hinab in die Flut, und es war vorauszusehn, daß der jetzt schon so deutlich werdende schlechte Zustand der Werfte bald den völligen Untergang des Hauses und den schnellen Tod seines Bewohners herbeiführen würde. Godber aber schien, obgleich manche zu seinen Füßen brandende Woge ihn mit ihrem Schaum hoch bespritzte, ganz unempfindlich für die Gefahr. Noch stand er, im klaren Lichte des Mondes fast bis zu den Zügen seines Antlitzes kenntlich, auf derselben Stelle, wo Maria ihn zuerst gesehen; aber sein Blick war nicht mehr auf Hold’s Wohnung gerichtet, sondern starrte nach der Seite hinaus, wo der Kirchhof lag, von dem freilich kaum mehr der äußerste Kamm des ihn umgebenden Walles dann und wann noch sichtbar wurde. Daß ein Fach seiner Wohnung niederbrach, störte ihn nicht auf. Maria rief aus angstgepreßter Brust ihm zu. Er hörte es nicht. Da — war es ein zufälliges Ausgleiten auf dem glatten Rande der vom Wellenschlag gepeitschten Werfte, war es bedachter Versuch zu Godber hinzudringen, — sank Maria in die Flut hinab und tauchte in der nächsten Minute schon gegen zwanzig Schritt von der Werfte aus dem schäumenden Berge einer Woge auf und glitt dann wieder in dem langen dunklen Bogen der folgenden Welle fort.

Der Schrei des Entsetzens von den Lippen Hold’s und seiner Gattin weckte Godber aus seinem Brüten. Sein Blick flog rasch über die Fluten hin in der Richtung, die ihm der gellende Angstruf gegeben, und in demselben Augenblick rauschte die Welle, die Maria trug, wieder empor, und in dem glänzenden Schaumgewölk ihres Absturzes zeigten sich die hocherhobenen Arme und der Kopf der Jungfrau. Da stürzte Godber hinein in die rollende See, mit schneller Besonnenheit die Bewegung der Flut ermessend, die glücklicherweise fast gerade auf seine Werfte zutrieb. Einen langen Bootshaken hatte er eben in der Hand gehabt, um sich damit gegen den wütenden Sturm festzustemmen, und dieser diente ihm nun zu einem Ankerhalt in dem Kampfe mit den tobenden Wasserbergen, denen seine Kräfte nicht gewachsen waren, während er, wo seine Kraft ausreichte seinem Ziele in schräger Richtung entgegenstrebte. Und siehe! da er eben aus dem ihn hochüberdeckenden Strudel einer abbrechenden Woge aufathmete, schoß von dem Schaumrande der nächsten Wassermauer vor ihm eine dunkle Gestalt herab und schwebte, von der neuen Welle getragen, ihm entgegen, und — in wenigen Augenblicken stand Godber wieder auf seiner Werfte. Maria hing wie leblos in seinem Arm.

So weit waren die ängstlichen Blicke Hold’s und seiner Gattin den Bewegungen Beider gefolgt, jetzt erinnerte aber eine hochrauschende Woge, die die Hausflur überspülte, sie daran, die nötigen Vorkehrungen für die eigne Rettung zu machen. Hold schloß alle Fensterläden fester und verriegelte die Hausthür. Die besten Schafe hätten auf den Boden gebracht werden sollen, aber dazu sahen sich Beide ohne anderweitige Hülfe unfähig. Daher wurden nur sonstige wertvolle Dinge, die leichter zu transportieren waren, hinaufgebracht, und um ihr Kind nicht oben der Kälte ohne Not auszusetzen, und um bereit zu sein, wenn vielleicht durch kleine Nachhülfe die Thüren gegen die heranbrechenden Fluten haltbarer gemacht werden könnten, entschlossen sie sich, so lange als möglich unten zu bleiben. Wol fingen bald leichtere Gegenstände um sie her zu treiben an, da die Zugänge in’s Haus nicht gegen die dasselbe umgebende Wassermasse ganz verstopft werden konnten; aber doch war dem wogenden Element noch kein solcher Zugang geöffnet, der demselben eine zerstörende Macht über das Inwendige der Wohnung gegeben hätte. Nur hatte die Pastorin für jeden Fall ihr Kind in den Arm genommen, das nach einem schläfrigen, aber freundlichen Blick auf die Eltern ruhig fortschlummerte. Diese sprachen wenig, sondern saßen neben einander auf dem schweren Eichentisch, der ein Erbstück des Pastorats wol schon öfter die See um sich her gehabt hatte, und drückten bei jedem Wogenschlag, der die Grundfesten des Hauses erschütterte, sich fester an einander. In der nächsten halben Stunde trieben schon alle Koffer und Kasten im ganzen Hause, und das Wasser stand an dem Rande des Tisches. Da mußten sie sich entschließen, ihren Platz zu verlassen, um der Bodentreppe zuzuwaten. Allein ehe sie diese noch erreichten, schlug es wie mit gewaltigen Donnerschlägen gegen die Thür an der Westseite des Hauses; diese brach zugleich mit einem ganzen Fachwerk der Mauer ein, und das Vorderende eines mächtigen Balkens drang mit einem rasenden Flutenschwall in’s Haus und zersplitterte im furchtbaren Anprall die Bodentreppe. Im starren Schreck standen die Unglücklichen einige Minuten regungslos und athemlos; sie umklammerten sich fest und bargen die todesbleichen Gesichter Einer an des Andern Brust. Da hörten sie laute Klagetöne neben sich, und aus dem Halbdach, das jener Balken hinter sich schleppte, und das in dem Augenblick in Trümmer zerriß, wurde der Nachbar, dessen Werfte nur in einem geringen Abstande vom Pastorat lag, mit seiner Frau auf das erschreckte Paar hingeworfen.

„Mein Kind, mein Kind!“ schrie die Nachbarin mit dem herzzerreißendsten Jammer, als sie sich von der ersten Betäubung erholte. Ach! das Kind war auf eine Heudieme festgebunden, da der Vater den Sturz seines Hauses vorausgesehen, und die armen Eltern wußten nicht, ob es von dem Fall der Mauer zerschmettert sei oder mit dem Heu in den Wogen treibe.

„Mein Kind, mein Kind!“ schrie die Mutter wieder und wieder, und der Vater jammerte mit ihr. Beide vergaßen, daß sie, wenigstens für den Augenblick, gerettet, Beide vergaßen, daß die nächste Minute auch sie als Opfer der tobenden See auf schäumenden Wellen forttreiben könne.

Die Lage der Armen ward zur furchtbarsten Angst gesteigert. Um sie her fluteten die Wellen mit schrecklicher Gewalt, schlugen nach und nach alle Seitenmauern im Innern des Hauses ein, warfen sich mit rasendem Spiel die schwersten Lasten wie leichte Federbälle zu, und jeden Augenblick in Gefahr, von den umhergeschleuderten Massen zerschmettert zu werden, standen die schon halb dem Tode Verfallenen vor der offenen Bodenluke, von der eine längere Lebenshoffnung wie neckisch herabschaute, da keine Stiege mehr hinaufführte. Einige Erleichterung gewährte es ihnen, daß ein Teil der Mauer an der dem ersten Einbruch entgegengesetzten Seite jetzt niederstürzte, während gerade hinter ihnen die Wand noch fest hielt. Nun trieben doch wenigstens die bisher ohne bestimmte Richtung umhergeschleuderten Kisten, Balken und Mauerstücke in wildem Gedränge diesem Ausgang zu, und sie hatten bald nur allein mit den immer höher schwellenden Wogenstürzen zu kämpfen, da nur noch nackte Pfähle um sie her waren. Wäre die Wand hinter ihnen gebrochen, dann freilich hätten die Wellen auch sie hinausgerissen in die weite Tiefe. Doch immer höher und höher stieg die Flut, und immer gewisser ward der Untergang, auch wenn jene Wand nicht nachgab, da kaum mehr die höchste Anstrengung die Unglücklichen aufrecht zu halten vermochte, und keine Möglichkeit da war, auf den Boden hinaufzukommen; und schon schlugen einzelne Wellen über ihr Haupt hin; und Hold’s Gattin mußte das weinende Kind, das sie selbst nicht ihrem Manne abgeben wollte, höher halten, um es vor dem Ertrinken im Arm der Mutter zu bewahren.

Aber lange vorher, ehe solche Gefahr von einem Sterblichen geahnt werden konnte, war die Hülfe schon bedacht und bereitet. Das Weinfaß, das Mander ihm aufgedrungen, schlug, da vermutlich die Wasser den Grund, wo es gestanden, untergraben, von einer schweren Woge gefaßt, vorne über und stand aufrecht gerade vor der so sehnsuchts- und verzweiflungsvoll angestarrten Oeffnung im Boden. Auf diesem Fasse retteten sich die mit neuer Hoffnung nun Beseelten nach Oben. Welche Zuflucht aber? Ein vom Sturm schon hie und da zerrissenes Dach auf schwankenden, von jedem Wellenschlag erschütterten Pfählen. Rings um und unter sich den empörten Ocean, dessen Wellen ihren Schaum oft hoch über das zitternde Obdach hinspritzten und reiche Wasserstrahlen durch die Löcher desselben hereingossen. In dieser, gegen die frühere unten im Hause ruhigeren Lage sank Hold’s Kleine wieder in ihren sanften Schlummer und wurde selbst nicht von den heißen Thränen erweckt, die aus den Augen der Mutter auf die teure Bürde in ihren Armen herabfielen; aber die Nachbarin erwachte hier aus ihrer dumpfen Hingebung und jammerte von Neuem laut um ihren Sohn. Jetzt stürzte die Kirche, die mit Hold’s Wohnung, wie schon erwähnt, ein Haus ausmachte, zusammen. Es würde Allen unbemerkt geblieben sein, da im Heulen des Sturmes und im Brausen der Wellen, wie im Knarren und Krachen aller Fugen des Gebälks auch selbst des Himmels Donnerschläge aus dem betäubenden Gemisch von Tönen nicht heraus gehört worden wären, wenn nicht mit dem Sturz der Kirche auch an zwei Seiten das noch bisher das Obdach tragende Pfahlwerk weggerissen, und somit nicht allein der Bodenraum auf ein paar schmale Bretter mit einigen Sparren über sich, um welche das Ried des Daches in Fetzen flatterte, beschränkt worden, sondern auch eine freie Aussicht nach Norden und Osten hin gegeben wäre.

Welche Aussicht! Ein weites unübersehliches Wogenfeld, das bald zu einem Bogen sich vor ihnen auftürmte, der ihre Zuflucht mit seiner mächtigen Last mit einemmale niederzumalmen drohte, bald in einem tiefern Zuge darunter hinschäumte, als wollte es dieselbe hoch in die Luft drücken und in fliegende Trümmer aus einander sprengen. Dabei jagten sich Balken, Bretter, Kisten, Betten, Wiegen, tote Schafe durcheinander, gleichsam in ängstlichem Wetteifer, wer zuerst eine Ruhestätte hinter den Deichen des festen Landes erreiche, die vom Sturm und Wellenschlag gebotene Richtung verfolgend. Aus diesem Gewirre, welches das Schicksal auch der übrigen weiter nach Nordwesten gelegenen Halligen beurkundete, tauchte dann und wann eine Gestalt auf, die den aller Lebenshoffnung Entsagenden ihr eignes Schicksal in einem schauerlichen Bilde malte. Das grelle Licht des Mondes breitete einen fürchterlich hellen Schein auf dies Schreckensgemälde, als hätte die Nacht darum des Tages Schimmer geborgt, um mitleidlos dem Menschen kein Entsetzen zu ersparen. Von den Häusern der Hallig hätte nur Godber’s Wohnung von der offenen Seite gesehen werden können, und diese war verschwunden. Doch sieh! standen nicht dort zwei Gestalten eng umschlungen, gleichsam nur von der Brandung getragen, denn kein fester Punkt war zu sehen, worauf die Füße hafteten. Es waren Godber und Maria. Mit übermenschlicher Kraft schien er sich gegen Sturm und Wogendrang zu stemmen. Er bog sich bald dem Stoß der tollen Windsbraut entgegen, daß mit ihr die Wasser ganz über ihn hinrauschten, bald hob er sich und die Jungfrau in seinem Arm wieder empor, um aus dem Wogenschwall herauszuatmen zu neuen Anstrengungen. Aber vergebens! Der Stand unter seinem Fuß — war es ein Mauerwerk, war es Gebälk, — hielt nicht länger. Eine fürchterliche Woge rauschte wie ein gieriges Meerungeheuer heran, und einen Augenblick schwebten Godber und Maria, ein vereintes Paar, als würden sie so gen Himmel gehoben, noch über den Wassern und hinauf bis zu dem äußersten Höhenschaum der langgestreckten Woge; dann sanken sie hinab in den brausenden Strudel, aus dem keine Rettung mehr möglich. Ueber diesen Anblick hatten die, welche Zeugen des Unterganges der Liebenden waren, ihre eigne Gefahr eine Zeit lang vergessen; aber jetzt dachten sie wieder an sich selbst zurück, wie Leute, die den Tod, den sie selber erleiden müssen, an andern sahen, und die nun die Nächsten in der Reihe der Opfer sind. Furcht vor dem Tode war nicht mehr das vorherrschende Gefühl, obwohl bei jeder starken Erschütterung des schwankenden Asyls diese Furcht mit dem Beben der schauerlichen Erwartung des letzten Augenblicks durch Geist und Gebein flog. In den kurzen Momenten der Erwartung eines neuen Todesboten ging die gewisse Aussicht des Unterganges beinahe in Hoffnung, ja in Sehnsucht auf baldige Erlösung aus der Schreckensstunde durch ein schnelles Ende über. Nur lenkte Godber’s und Maria’s Versinken in die Fluten die Gedanken der Nachbarin wieder auf den Verlust ihres Kindes, von dem sie auch nicht anders erwarten konnte, als daß es zum Spiel der Wellen eine Leiche auf dem Meere treibe; und ihr Jammer wurde von Neuem laut. Da verfinsterte sich die Aussicht, als zöge eine dunkle Wolke vorüber. Es war eine Heudieme, die noch von dem Flechtwerk, an welchem von beiden Seiten schwere Lasten herabhingen, zusammengehalten wurde, nun aber an einen vorragenden Balken hinangeschleudert, überschlug und aus einander ging. Der obere Teil schoß unter das Dach, und überschüttete die auf dem Boden liegenden mit nassen Heuhaufen. Und siehe! zu den Füßen der Mutter lag ihr längst verloren gegebenes Kind lebend und unverletzt! O, wer faßt die Wonne der Eltern. Mit tausend Küssen bedeckte sie den Knaben, mit Lob und Dank feierten sie des Herrn Güte und Barmherzigkeit. Jeder Gedanke, daß der Tod Allen noch immer gleich nahe sei, war verschwunden. Selbst Hold und seine Gattin hob die Teilnahme an der Freude der Eltern zu einer völligen Vergessenheit der gemeinsamen Lage; und hätte in diesem Augenblick das leichte Gebälk dem Stoß der Wellen nachgegeben, sie würden mit einander, noch voll von der Wonne des Entzückens über die Rettung des Kindes, von den Fluten bedeckt worden sein. Als die Gedanken an die durch jene Rettung nicht verminderte Gefahr zurückkehrten, war diese schon vermindert. Der Sturm tobte nicht mehr so heftig und sänftigte sich mit jeder Minute. Die Wogen gossen nicht mehr so gewaltige Massen über das gebrechliche Dach aus und rauschten bald nur noch darunter hin. Doch wurde der Jubel der mit neuer Lebenshoffnung Erfüllten dadurch sehr gemäßigt, daß die Stützen der wenigen Querbalken und Bretter, durch die sie über der Tiefe gehalten wurden, jetzt kaum mehr auch den kleinsten Stößen und Schlägen gewachsen schienen, sondern heftiger als vorher schwankten und in ihre Fugen sich mehr und mehr lösten; ja daß mit dem Rückgang der Flut der Grund, auf dem die tragenden Ständer ruhten, in großen Brüchen abfiel und daher die eine Seite des kleinen Bodenraums sich so sehr neigte, daß es den Bedrängten nur durch das Umklammern der einzeln stehenden Sparren allein möglich ward, sich noch eine Zeit lang auf den schrägen und glatten Brettern zu halten. Das Meer aber schlug noch mit einzelnen schweren Wogenzügen nach der Beute hinauf, die es ungern zurückließ, und wühlte, als es immer tiefer sank, den Grund um die Stützpfähle so gierig ab, daß diese fast allen Halt verloren, und die Gefahr der bis dahin gesparten Opfer jetzt erst den höchsten Grad erreichte. Je höher deren Hoffnung gestiegen, das Leben zu retten, desto ängstlicher ergriff sie der Gedanke, nun der immer mehr und mehr abfallenden Macht der Sturmflut doch zuletzt noch zu unterliegen. Wie langsam flossen die Minuten hin! Wie langsam ging die See zurück! Doch die Zeit zählte sich an dem Pulsschlag der pochenden Herzen ab, und nach sechs Stunden, in denen jede Minute ein Todesbote in der furchtbarsten Gestalt gewesen, standen die Geretteten wieder auf dem Boden der Mutter Erde.

XXIV.

Gott siehet herab! und — horch! die Wetter schweigen,

Errettung kommt, woher Verderben kam;

Des Tages langersehnte Blicke zeigen,

Wie Gott uns schützte und was Gott uns nahm.

Aus der „Ueberschwemmung“ 1825.

Aber mit welchen Gefühlen sahen sich die dem Tode Entronnenen auf der Stätte ihres früheren, bei allen Entbehrungen ihnen doch so freundlichen, häuslichen Stilllebens! Wer möchte sie richten, daß nicht gleich der erste Aufblick Dank war. Kaum konnte das Leben als eine willkommene Gabe erscheinen, da ihnen Alles genommen, was das Leben in dieser Erdenzeit zur Erhaltung und zum Genuß fordert. Ausgeschwemmt war der Boden, wo die Mauern des Hauses gestanden, die das genügsame, und darum so reiche Glück eines liebenden Paares umschlossen. Das Gotteshaus war fort und damit der Verkünder des Evangeliums in dem innersten Leben seines Berufes auf’s Tiefste verwundet und von seinem zweiten Heiligtum, von dem stillen Herde seines häuslichen Glücks, waren ihm nur einige Trümmer geblieben, die kaum noch die Stätte desselben bezeichneten. Er und seine Gattin sahen mit Thränen auf die Verwüstung. Er gedachte seiner Bücher, auch nicht eins war ihm geblieben; sie dachte an die tausend kleinen Mittel und Zeugnisse der Wirtschaftlichkeit, auch keine Spur war übrig gelassen, woran sich ein neuer Hausstand anknüpfen ließ. Was Beide verloren, konnte eine Geldrolle aufwiegen; aber die Freude an Dem, was sie unter Sorgen und Mühen erworben, die Liebe zu Dem, was freundliche Erinnerungen ihrem Herzen teuer gemacht, das Band, mit welchem die Gewohnheit uns auch an ein sonst wenig beachtetes Eigentum bindet, die alte Traulichkeit, mit der uns ein Besitz anblickt, der gleichsam als treuer Freund und Genosse zu den Freuden und Leiden unseres häuslichen Lebens gehört, das Alles konnte kein Gold wieder erstatten. Und wäre dies auch möglich gewesen, woher der Ersatz? Standen sie nicht arm und bloß da? — Ohne Aussicht für die Zukunft! Ohne Aussicht auch nur für des Tages Bedürfnis! Das Leben aus der tobenden See gerettet, mußte es nicht vielleicht schon in den nächsten Tagen dem Hunger und dem Froste unterliegen? Durften sie jetzt schon vertrauend hinüberblicken zu den Küsten des festen Landes, von wo die Hülfe kommen sollte, ehe sie wußten, wie weit die Ueberschwemmung sich auch über Deiche und Dämme ergossen, wie weit die Milde und die Mittel ihrer Nebenmenschen reichen und wie schnell die Blicke von jenen Ufern auf ihren Zustand geleitet werden würden? Hatte doch wohl damals Keiner in unserm Vaterlande erwartet, daß für die Halligen so viel rasche Thätigkeit sich entwickeln, so reichliche Unterstützung ihnen zufließen werde, als die Folge bewährte; wie viel weniger konnten im ersten Augenblick, in dem vollen Gefühl ihrer furchtbaren Lage, die unglücklichen Halligbewohner selbst erwarten?

Hold und seine Gattin weilten trostlos auf der nun wüsten Stätte ihres früheren Glückes, und ihr Kind weinte vor Kälte. Sie wandten ihre Blicke umher und allenthalben sahen sie dieselbe Verwüstung. Leere Werften oder noch einzelne Pfähle hier und da, die ein zerrissenes Dach trugen! Nur eine Wohnung war weniger zerstört und konnte einigermaßen noch Schutz und Obdach bieten. Dahin lenkten sie ihre wankenden Schritte. Als Hold von der zerlöcherten Werfte hinabstieg, bemerkte er eine Platte von dem umgestürzten eisernen Ofen, unter der ein Buch hervorragte. Und er stand still, und eine dunkle Röte, wie die Glut der Scham, goß sich über sein bleiches Gesicht. — Dann aber flossen seine Thränen stärker, doch aus den Thränen hob sich ein leuchtender Blick zu dem umwölkten Himmel. Er faßte die Hand seiner Gattin, drückte sie fest und innig und sprach:

„Siehe, da redet der Herr wieder zu uns! Nein,“ und damit schloß er Weib und Kind in seine Arme, „wir wollen nun und nimmer verzagen. Er will, daß wir Ihn hören. Wie klar hat Er auf’s Neue geredet! Er selber hat mir am Abend zu schreiben gegeben, was mir am Morgen dienen sollte zur Stärkung meines schwachen Glaubens.“

Und nun erzählte er auf dem Wege zu der Zufluchtsstätte, was er in das Buch seiner „Gesichte“, denn dies war das gefundene, am gestrigen Abend zuletzt geschrieben:

„Und wieder war der Himmel geöffnet wie in der Zeit, da Jakob, der Sohn Isaaks, schlummerte auf dem Felde. Aus dem lichten Gewölk, das den Eingang zu der Stätte der Engel, die das Antlitz Gottes schauen, umwallte, ging herab die Himmelsleiter hinein in die schweigende Nacht der winterlichen Erde. Die Strebesäulen der Leiter waren wie zwei breite, von Morgendüften umflossene Sonnenstrahlen, und die Stufen wie Mondenschimmer, durchblitzt von Sternenlicht. Niederstieg ein Bote Gottes, anfangs anzuschauen wie ein weißes, duftiges Gewölk, das sich wieget am Sommertage in dem blauen Himmelsmeer; dann näher zur Erde schwebend erschien seine Gestalt, wie den Himmlischen die Gestalt einer frommen Seele erscheinen mag, wenn sie in dem verklärten Leibe, für den unser Auge keinen Blick hat, der Heimat beim Vater zueilt. Mein Auge aber sollte geöffnet werden, den Engel zu schauen auch in dieser Gestalt, denn eine feurige Kohle war mir bereitet in des Vaters Rat, weil meine Schwachheit gezagt hatte in Sorgen der Nahrung. Und der Engel betrat die Erde, winkte und schwebte mir voran leise und leicht, wie Sommerfäden durch die Lüfte ziehen. Wir wandelten über Berg und Thal hin durch die stille Winternacht, und mein Fuß strauchelte nicht auf der glatten Eisdecke und wurde nicht müde in dem weichen Schnee, als berührten meine Sohlen nicht den Grund unter mir. Auch an einzelnen nächtlichen Pilgern kamen wir vorüber, aber sie sahen uns nicht, denn auch meine Gestalt war vor Menschenaugen nicht da. Kam es mir doch selber vor, als hätte ich den schweren, dunklen Erdenschatten zurückgelassen auf seiner Schlummerstätte, und es pilgerte meine Seele in dem Kleide der zukünftigen Heimat. So kamen wir in eine große Stadt und die Thore öffneten und schlossen sich ohne Geräusch, wie eine Nebelwand auseinanderfließt und den Sonnenstrahl durchläßt, der, eine schlummernde Knospe zu wecken, mit raschem Blick auf die Flur niederleuchtet. In den Straßen war es öde und still, und wir schritten durch die langen Häuserzeilen wie zwei Lustwandler, die, verspätet auf ihrer Ausflucht, nun die Pforten ihrer Wohnung verschlossen fanden und eine gastliche Stätte suchen bei einem entfernten Freunde. So wandelte der Engel Gottes mit mir durch die weite Stadt, und die da schliefen in den hohen Palästen, träumten von dem Reichtum, den Ehren und den Wollüsten dieser Erde, wie zuvor; und die da schliefen in den Hütten der Armut, sorgten auch im Schlafe in Sorgen der Nahrung und waren voll Neid und Gier, wie am Tage; aber der Engel Gottes ging vorüber und Niemand merkte ihn. Nur über des Kindleins Angesicht, das noch unbekannt mit der Welt in der Wiege schlummerte, und noch nicht wußte, ob es reich oder arm geboren sei, mochte ein Lächeln hinwallen, schöner und lieblicher, als das Lächeln der Braut, die im Traum den Verlobten sieht. Da lag am andern Ende der Stadt eine hohe Kirche, deren schlanke Thürme sich in die Wolken streckten, durchbrochen vom leuchtenden Schein des Mondlichts, und deren breite Seiten und Säulenhallen dahin gebaut schienen, um die dahinterliegenden engen Gäßchen, die Heimat der Elenden und Verachteten, zu bedecken. Durch die hohen Fensterbogen glänzte Lampenschimmer, und wie wir an der gewölbten Pforte standen, läutete ein liebliches Glockenspiel zur Frühmette. Mich ergriff das Geläute vom Thurm und der Gesang der Priester am Altar mit heiligen Schauern, und es drängte mich hineinzugehen mit den einzelnen Andächtigen, die zum Gebet eilten. Der Bote Gottes aber winkte zu bleiben und wandte seinen Blick hinauf zu dem Gesimse des stattlichen Tempels. Da fiel ein Sperling, erstarrt in dem scharfen Winterfrost, herab vom Dache zu den Füßen des Engels. Dieser aber hob ihn auf und barg ihn mitleidig in die Falten seines Gewandes, ihn zu erwärmen an seinem Busen. Und als ob damit sein Geschäft aus wäre an dieser Stätte, schritt er rascher, und wie es mir schien, mit freudigerem Antlitz weiter vorwärts, hinein in das geächtete Viertel der Stadt, hinein in die dunklen, schmalen und gewundenen Gassen bis an die äußerste Ringmauer. Da stand eine Hütte, also verfallen, daß mir bange war, nur vorüberzugehen. Aber der Bote Gottes ging hinein und ich mußte ihm unwillkürlich folgen. Eine morsche Stiege hinauf, und noch eine, da traten wir in eine schmale Bretterkammer unter dem Dache. Das einzige Fenster der ärmlichen Behausung hatte über die Ringmauer hinweg die Aussicht auf das offene Feld und bot mit seinen geborstenen Scheiben dem rauhen Winde freien Eingang, zugleich aber auch dem vollen Mondstrahl, also daß ich alle Gegenstände deutlich erkennen konnte, als wäre es heller Tag. Vielleicht mochten auch meine Augen klarer sein, denn sonst. Auf dem Strohlager in der einen Ecke lag ein Sterbender, ich hörte es an dem Röcheln seiner Brust. Ach! er war der Versorger, der einzige, letzte Versorger der Seinen, die um sein Lager standen, sein Weib mit sechs Kindern und das siebente an ihrer Brust. Die Kinder rangen die Hände und weinten laut. Die Mutter aber blickte mit dem bleichen, starren Antlitz vor sich hin und hatte keine Thräne mehr. Nur der Säugling lag am Busen der Verzweiflung und sog die wenige Nahrung. Der Sterbende richtete sich mit matter Anstrengung auf und blickte mit den hohlen Augen hin auf die Seinen. In allen seinen Zügen lag die martervolle Sehnsucht nach einer Tröstung für sie, er pflückte krampfhaft mit den hagern Fingern in den Strohhalmen vor ihm, als hoffte er, noch eine Aehre zu finden, die ihn erinnere an den Gott, der den Hungrigen Brot giebt; aber die Halme waren leer, und sein Seufzer ward zum Verzweiflungsgestöhn. Die Kinder weinten lauter, und der Mutter brachen die Kniee, daß sie niedersank neben dem Gatten.

„Wohin führst Du mich?“ sprach ich leise zu dem Engel. „Hilf hier, wenn Du kannst, oder laß uns von hinnen gehen, laß mich weinen über das Elend des menschlichen Lebens.“

Der Engel aber antwortete, und seine Worte tönten wie das Wehen, das dem erwachenden Morgen vorangeht:

„Das Auge unseres himmlischen Vaters schauet herab auf alle seine Kinder im Staube. Die Hülfe ist in seinem Rat. Er wird auch hier Keinen verlassen und versäumen. Ich aber bin von ihm nur gesandt, daß die Seele des Sterbenden im Frieden von hinnen fahre.“

Bei diesen Worten lüftete er die Falten seines Gewandes, und der Sperling, neubelebt an seiner Brust, flatterte hervor und dem Fenster zu. Auf der Fensterbank lag der Rest einer Brodrinde, der letzte Vorrat der Armen. Und der hungrige Vogel ließ sich nieder und machte sich an die Brodrinde, und pickte geschäftig eine Krume nach der andern ab. Da floß es wie ein Strahl der Verklärung über das Antlitz des Sterbenden. Sein Auge beobachtete mit leuchtendem Blick jede Bewegung des Vogels, der bald an die eine, bald an die andere Seite hüpfend von der gefundenen Nahrung kostete. Und immer glänzender spiegelte sich die Freude, immer seliger der Friede in den Zügen des dem Tode nahen. Höher richtete er sich auf, als wäre ihm die jugendliche Kraft zurückgekehrt, eine Thräne des Dankes schimmerte in seinem nun zum Himmel gewendeten Auge; Vertrauen, Zuversicht, Hoffnung thronten auf seiner heitern Stirn. Dann schaute er zurück auf die Seinen, streckte die Hand aus über die Gattin und die Kinder hin, wies auf den Sperling am Fenster und rief mit voller, fester und klarer Stimme:

„Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen und euer himmlischer Vater nähret sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr, denn sie?“

Er sprach’s und sah nur noch, wie aus der Gattin Auge, das so lange thränenleer gewesen war, wieder eine milde Zähre floß, da — schied seine Seele in Frieden.“

XXV.

Hinauf zum Himmel, tiefgebeugte Seele,

In Thränen reift die Saat der Ewigkeit,

Daß sich der Mensch das bessre Teil erwähle,

mahnt ihn des irdischen Vergänglichkeit:

Das Zeitliche vergeht der Zeit zum Raube,

Doch ewig bleibt die Liebe und der Glaube.

Aus der „Ueberschwemmung“ 1825.

Am Morgen nach dieser Nacht der Verwüstung war die ganze Gemeinde, Männer, Frauen, Greise, Kinder, in dem einen Hause versammelt, das allein noch obdachfähig geblieben war! Alle übrigen Wohnungen waren teils gänzlich weggerissen, teils zu einem blosen Pfahlwerk geworden. Welche Aussicht für die Zukunft der unglücklichen Halligbewohner! Hab und Gut und Herden dahin! Für die kommenden Tage kein Obdach, kein Erwerb; für den Augenblick nicht einmal trockene Kleidung und Nahrungsmittel! Krankheit, Hunger, Frost, Blöße, Verzweiflung oder Tod in den Wellen mit der nächsten wiederkehrenden Flut: das war das Geschick, dessen Vorboten schon zu nahe waren, um sie zu übersehen. So lange noch nicht Alle die Zuflucht erreicht hatten, gaben die Erzählungen der einzeln Ankommenden immer neue Nahrung zur lauten Bewunderung der göttlichen Macht und Güte. — So war unter Andern eine Frau mitten in der ernsten Stunde, die zum ersten Male ihre mütterlichen Hoffnungen erfüllen sollte, von den Wellen auf ihrem Lager überrascht worden. Auf den Boden getragen, stürzte sie mit dem niederbrechenden Hause auf eine Heudieme hin. Hier klammerte sie sich an und hielt, von schweren Balken belastet, die mit jeder Woge sich hoben und senkten, die ganze Nacht aus, watete dann gegen Morgen bis über die Kniee im Wasser hin zu dem Hause, in welchem sie jetzt sogleich nach ihrer Ankunft eines gesunden Kindes[3] genas. — Als aber, außer Godber und Maria, Niemand mehr fehlte, wandten sich Aller Gedanken und Gefühle auf den Verlust, den sie erlitten, auf die Hoffnungslosigkeit ihres Zustandes, und Alle klagten, weinten und schluchzten mit einander. Nur Hold, dessen Aussicht für die Zukunft, nach Ueberwindung der ersten Not, weniger betrübend war, der seit dem Antritt seines gefahrvollen Kirchendienstes auf der Hallig sich oft ähnliche Lagen gedacht, und den der Herr, wie wir gesehen, bereits mächtig getröstet in seiner Trübsal, gewann bald wieder das Gedächtnis der Verpflichtungen, die sein Amt ihm auferlegte; und nie war ihm die Herrlichkeit seines Berufes so klar gewesen, als sie ihm in diesen Stunden ward. Er wandte sich bald an Alle, bald wieder an Einzelne; machte auf die wahrhaft wunderbaren Errettungen aufmerksam, von denen vorher Einer dem Andern erzählt; suchte das Vertrauen zu dem Vater zu wecken, der die Vögel unter dem Himmel nährt und die Blumen des Feldes kleidet; zeigte, wie so viele köstliche Sprüche gleichsam gerade für die Lage geredet seien, in welcher sie sich befänden, und ermunterte, da seine ersten Vorstellungen, eine Zuflucht auf dem festen Lande mit Hülfe des einzigen Schiffes zu suchen, das noch unzertrümmert an seinem Anker lag, zurückgewiesen waren, nun selbst dazu, mit voller Hingebung auf dem geliebten Boden der Heimat Alles zu erwarten, was im Rate Gottes beschlossen sei. Dem Tiefgebeugten floß seine Rede wie Manna in der Wüste und erinnerte ihn an den glimmenden Docht, der nicht verlischt, an das geknickte Rohr, das nicht zerbricht. Die Verzweifelnden strafte er mit mächtigem Wort: „Demütiget Euch unter die gewaltige Hand Gottes! Wer ist jemals zu Schanden worden, der auf Gott gehoffet? Wer ist jemals verlassen, der in der Furcht des Herrn geblieben ist? Haben wir Gutes empfangen von Gott, warum sollten wir denn auch nicht Uebles annehmen? Darum seid geduldig in der Trübsal!“ Und über Alle hin rief er: „Wenn ich nur Dich habe, Allmächtiger, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir auch Leib und Seele verschmachten, so bist doch Du, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Heil!“ Allmälig gewann seine Tröstung Eingang in die bekümmerten Gemüter, immer mehr schlossen sich ihm an und stimmten in seine Reden ein; und die Klagen verstummten, die Thränen flossen linder, und die Seufzer wurden zu stillen Gebeten.

Nun mahnten Frost und Hunger, eine nährende und wärmende Speise zu bereiten. War es auch möglich, ein Feuer anzuzünden, so fehlte es doch an Nahrungsmitteln, die nicht völlig vom Meerwasser durchnäßt waren, und vor Allem fehlte es an süßem Wasser zum Kochen, da die Ueberschwemmung alle Brunnen mit ihrer Salzflut gefüllt. Doch Hold erinnerte an das Weinfaß, das ihm und den Seinen zur Rettung gedient, und einige junge Leute gingen hin, es zu suchen.

Diese stießen bei ihrem Herumwandern auf Godber’s Leiche, die ihren Ruheplatz in der durch die Sturmflut wieder aufgerissenen Gruft des Kapitäns und der beiden Matrosen gefunden hatte. Gleichsam als sicheres Zeichen der Versöhnung war er also gebettet! Hätte er sich selber eine Grabstätte wählen sollen, er würde keine andere gewählt haben.

Der Mensch ist in Stunden besonderer Aufregung gar leicht geneigt, dem Zusammentreffen einzelner Umstände eine tiefere Bedeutung unterzulegen, als es vielleicht für ihn haben sollte. Wir wollen daher gern dem Leser das Urteil frei lassen, ob Hold Recht hatte, als er später im Gespräch mit seiner Gattin über die Auffindung der Leiche Godber’s in jener Gruft seiner früheren Schiffsgenossen sich dahin äußerte:

„Mir ist, als habe Gott mir dadurch eine große Beruhigung geben wollen. Ich kann nun an Godber denken ohne den geringsten Zweifel, daß ihm vergeben ist. Diese Vereinigung im Tode mit allen Denen, welche er mit Recht oder Unrecht als Opfer seiner Untreue betrachtete, kommt mir als eine bejahende Antwort vor auf die Frage der Ueberlebenden: ‚Ist seine Reue angenommen im Gericht?‘ Wir sollten in Frieden sein gedenken, darum sahen wir seine Leiche in Frieden schlummern neben Denen, deren Tod sein Gewissen beunruhigte. Ich wenigstens muß Gott danken, daß Er es also gefügt, und möchte um keinen Preis Godber’s Leiche an einer andern Stelle gefunden wissen. Er mußte erst den Weg dahin machen, wohin ihn die Sühne rief. Maria gehörte nicht dahin. Darum wurden ihre Leichen getrennt. Mit ihr versöhnten ihn die letzten Augenblicke seines Lebens; und sie sind nun vereint in den ewigen Hütten.“

Gewann unsere Erzählung Deine Teilnahme, lieber Leser, so scheide auch Du von Godber, ohne mit Unwillen seiner Schwäche zu gedenken. Wer hat die Gewalt der Leidenschaft ermessen, deren lodernde Flamme oft in einem unseligen Augenblick Alles verzehrt, was an Pflicht und Treue wir unser nennen, und wir stehen vor dem Aschenhaufen und fragen verwundert: „Wie konnte es doch so kommen?“ Richten wir uns selber, dann sei keine Strenge zu streng; urteilen wir aber über Andere, dann flüstere das Bewußtsein unserer Schwachheit das Gebet uns zu: „Herr, führe uns nicht in Versuchung!“

Das gesuchte Faß ward glücklicherweise wohlbehalten aufgefunden, geöffnet, und darauf wurden in Wein die vorrätigen Nahrungsmittel gekocht, deren Genuß nun den Durchnäßten und Durchkälteten eine erquickende Lebenswärme zurückgab.

„Bis hieher hat der Herr geholfen!“ rief Hold, nachdem Alle gesättigt waren. „Lasset uns hinziehen zu der Stätte, wo Sein Heiligtum stand, daß wir Ihm dort danken, wo wir so oft Seinen heiligen Namen angerufen haben. Dort im Angesicht der Zerstörung alles Dessen, was wir von Ihm hatten an zeitlichem Gut, wollen wir Ihn preisen, daß er unsere Lieben erhalten und Seine Liebe uns bewährt auch da, als Seine Hand schwer auf uns lag.“

Und er stimmte aus Luther’s Kernliede: „Aus tiefer Not schrei’ ich zu Dir!“ die folgenden Verse an, in welche die ganze Gemeinde auf dem Zuge zu der Stätte, wo die Kirche gestanden, mit einfiel:

Und währt es auch bis in die Nacht,

Und wieder an den Morgen,

So soll mein Herz an Gottes Macht

Verzweifeln nicht, noch sorgen.

So thut der Fromme rechter Art,

Der aus dem Geist erzeuget ward,

Und seines Gottes harret.

Ob bei uns ist der Sünden viel,

Bei Gott ist viel mehr Gnade.

Sein Arm zu helfen hat kein Ziel,

Wie groß auch sei der Schade.

Er ist allein der gute Hirt,

Der Israel erlösen wird

Aus seinen Nöten allen.

Als Hold die Kirchenwerfte betrat, die kaum in ihrer Zerstörung noch eine Werfte heißen konnte, und auf der auch kein Stein und kein Balken zurückgeblieben, die daran erinnern konnten, daß hier ein Haus gestanden, war das Erste, das ihm in die Augen fiel: Maria’s Leiche. Diese mußte mit der rückgehenden Flut hierher getrieben sein und lag in einer der Höhlungen der zerrissenen Werfte in einer fast sitzenden Stellung, so daß sie beim ersten Anblick als eine Lebende erschien, die hier einen Schutz vor den rauhen Winden gesucht. Alle drängten sich um Hold her, als er sich mit einer Thräne im Auge über den Leichnam niederbeugte. Er war so weich und wehmütig geworden, daß er die freudige, gottvertrauende Stimmung, in welcher er die Gemeinde hierhergeführt, vergebens wieder suchte.

So war denn dies jugendliche Leben dahin, das vom irdischen Glück nur geträumt. Als der Traum in Erfüllung gehen sollte, breitete der Morgen seinen scharfen Winterfrost über die Blüten der bräutlichen Hoffnung und sie welkten alle. Auch Du mit Deinem bescheidenen, einfachen Wesen, die Du geschaffen schienst, um friedlich über die Erde hinzugehen, unbeachtet vom Geschick, das die stolzen Herzen trifft und die reichen Gemüter prüft, auch Du mußtest bluten, ein stillduldendes Opfer der von Leidenschaften bewegten Welt. Doch der Stern eines schönern Morgens war ja aufgegangen in Deinem Herzen und weckte Blüten, die die Erde nicht geboten, wider die der feindliche Winterfrost nichts vermochte, die von dem Tau des himmlischen Friedens und von den Thränen des irdischen Schmerzes zugleich genährt, nur desto reicher sich entfalteten und desto lieblicher aufdufteten der Heimat zu. Nicht in ein anderes Land ist Deine Seele übergegangen, sie war ja schon hienieden losgebunden von den Fesseln zeitlicher Wünsche, war hienieden schon eine Pilgerin nicht zum Himmel, sondern im Himmel. Die Thräne, die auf Deine Leiche fällt, gilt nicht Dir, deren Glaube zum Schauen geworden ist, sie gilt der Welt, die nicht einmal für Dein anspruchsloses Herz eine ruhige Stätte hatte. Ja, wir sind Gäste und Fremdlinge auf Erden!

Indem Hold sich tiefer hinabbeugte, weniger um die Tote näher zu betrachten, als vielmehr, um seine Thränen zu verbergen, sah er neben Maria den goldenen Abendmahlskelch liegen, der seit 1459 der Gemeinde gedient[4]. Dieser Fund ergriff ihn wie eine Botschaft aus der Höhe. Mit siegender Kraft kehrte sein heiterer Glaubensmut in seine Brust zurück. Er faßte schnell das ihm und der Gemeinde so werte Kleinod, hob es hoch empor in der Linken, während seine Rechte wie segnend über den Häuptern der ihn umgebenden Gemeinde lag. Sein freudeverklärter Blick ruhte am Himmel, durch dessen leichte Wolken eben die Sonne brach, deren Strahl die grause Zerstörung umher beleuchtete, zugleich aber über das Antlitz Hold’s einen Schimmer ergoß, in welchem sich seine innere Gottesfreudigkeit klar und glänzend abspiegelte. So stand er auf der höchsten Stelle der zertrümmerten Werfte, den Mittelpunkt eines wunderbaren Gemäldes bildend. Zunächst an ihm Maria’s Leiche in halbsitzender Lage, wie eine fromme Schülerin zu den Füßen ihres Lehrers, das Gesicht mit dem mildesten Frieden des Todes in den Zügen gleichfalls dem Himmel zugewendet. Die Gemeinde ringsum in den mannigfaltigsten Stellungen mit mehr oder minder deutlichen Zeichen der Ermattung; Alle nur in leichter Kleidung, der man die Verwirrung der Nacht ansah, die Männer mit freiem Nacken und offener Brust, die Frauen und Mädchen mit dem langen, nassen Haar, das über die Schultern herabfiel; bei dem Einen das Antlitz ganz verklärt im Aufschauen zum Herrn, bei dem Andern ein Zug von Trauer und Wehmut beim neuen Anblick der Vernichtung ihres irdischen Glückes; die Kinder furchtsam umschauend und den Eltern sich anschmiegend, als sähen sie die Schreckbilder der vergangenen Nacht noch einmal zurückkehren. Dabei die zerrissene Werfte, hier in tiefen Höhlungen ausgewaschen, dort in steilen Abbrüchen und herumliegenden Erdhaufen einem gesprengten Festungswall gleichend. Auf der einen Seite das halbgesunkene Balkengerüst, der einzige Ueberrest der Wohnung Hold’s; auf der andern die Aussicht über die glatte Fläche des Landes hin, voll zerstreuter Trümmer, die durch einzelne Streifen des am Morgen gefallenen Schnees von dem dunklen, feuchten Grunde gehoben wurden. Weiterhin das Meer, dessen Wellen nach der Erschütterung des letzten Sturmes noch in ungewöhnlicher Bewegung waren und die Macht bezeugten, die solche Zerstörung angerichtet. Das Ganze gab ein Gemälde, das in seiner Wahrheit jede Schöpfung der Phantasie weit hinter sich zurückließ.

„Fürchte Dich nicht, Du kleine Gemeinde!“ rief Hold. „Siehe der Herr ist Dir nahe! Wie der Regenbogen nach der Sündflut der Welt ein Zeichen und Zeugnis war, daß Gottes Gnade fortan größer sein werde als ihre Schuld, so giebt Gott uns diesen Kelch, der so vielen Geschlechtern gedient, und der so manche Sturmflut überdauert hat, heute wieder zum Zeichen und Zeugnis, daß er sich unser erbarmen will mit alter Lieb’ und Treue. Fürchte Dich nicht, Du kleine Gemeinde! Der Gott, der Jesum Christum in die Welt gesandt, daß Er den Kelch der Versöhnung fülle mit Seinem Blute, der Gott spricht durch dies Gefäß der heiligsten Feier zu Dir: Ich will Dich nicht verlassen, noch versäumen! Herr, wir halten fest an Deinem Worte! Herr, wir bauen auf Deine Zeugnisse! Wer mag noch daran gedenken, was diese Nacht ihm genommen? Wessen Brust ist nicht durchströmt von dem Trost aus der Höhe? Wessen Herz schlägt nicht kindlich froh dem Vaterherzen droben entgegen? Er hat Seinen Boten vorausgesandt, diesen Kelch. Er ist da und teilet einem Jeden aus Seiner reichen Fülle. Er ist da und mit Ihm weltüberwindende Kraft und freudige Hoffnung. Er ist da, Du Tochter Zions, und hat aufgerichtet in Deinem Herzen Sein Heiligtum, dessen Grund ist der Fels der Zuversicht, dessen Säulen sind Licht und Gnade, dessen Altar ist Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens, dessen Zinne ist Friede und Seligkeit. Arm und hülflos, wie wir aus dem Mutterschoße hervorgegangen sind, stehen wir wieder vor Ihm. Er will uns neugeboren werden lassen, daß wir fortan ganz die Seinen sind, genährt nur von der lautern Milch des Glaubens, stark nur in Seiner Stärke, reich nur in Seinem Reichtum, selig nur in Seiner Liebe. Herr, unser Gott, hier sind wir! Wir sind Dein; Deines Reiches Erben, nicht mehr Kinder der Zeit!

Das Zeitliche vergeht der Zeit zum Raube;

Doch ewig bleibt die Liebe und der Glaube!


[3] Dieser Knabe, in dem Kirchenbuche der nun der nächstgelegenen Insel zugepfarrten Gemeinde das vorletzte Kind, — die nach dem frühen Tode der erstgeborenen jetzt älteste Tochter des Verfassers dieser Novelle ist das letzte, — wurde in der Taufe: Johannes (Gott ist gnädig) genannt.

[4] Dieser Becher befindet sich jetzt in der Kunst- und Antiquitätenkammer in Kopenhagen.

Die
Collection Spemann

ist in der Absicht begründet, den guten alten Brauch einer eigenen

„Hand- und Hausbibliothek“

wieder zu Ehren zu bringen. Neben dem vollberechtigten Interesse an der anziehenden Zeitungslektüre wollen wir die Freude an dem abgeschlossenen Buche wieder zu wecken suchen.

Keine Litteratur der Welt besitzt einen solchen Reichtum von eigenen wie von angeeigneten Werken unvergänglichen, klassischen Wertes, als gerade die deutsche. Wie die Werke unserer deutschen Geisteshelden dem Fortschritt der Menschheit die Wege gewiesen, so hat die Litteratur der ganzen Welt durch unsere Uebersetzungskünstler auf uns zurückgewirkt. Franzosen und Engländer, Russen und Italiener, Spanier und Skandinavier, Römer und Griechen mußten ihr Bestes hergeben — durch musterhafte Uebertragungen sind sie in unsere Litteratur aufgenommen. Romane, Novellen und Dramen, schildernde und sachlich belehrende Reisebeschreibungen, Memoiren und Geschichtswerke, naturwissenschaftliche und medizinische Schriften — ein unermeßlicher Reichtum des Besten und Edelsten ist unser.

Aber wem ist es geboten, für die Stunden der Muße und geistigen Erbauung sich aus dieser reichen Fülle das Edelste und Beste, das Brauchbare und Gute auszusuchen und zusammenzustellen zu einem wahren litterarischen Hausschatz? Nur wenig Bevorzugten! Die Gesammtheit des Lesepublikums ist mehr oder minder darauf angewiesen, es dem Zufall zu überlassen, was er ihm bietet oder was äußere Mittel zu erlangen gestatten.

Da ist es nun die „Hand- und Hausbibliothek“, deren Zusammenstellung bewährte und kenntnisreiche Männer leiten, die beseelt sind von dem schönen Gedanken, die geistigen Errungenschaften weitesten Kreisen zugänglich zu machen — die „Deutsche Hand- und Hausbibliothek“ die mit jedem neuen Band jenen Hausschatz bereichert und vermehrt in wohldurchdachter Wahl. Ja noch mehr, die den Genuß dessen, was sie bietet und bringt, erhöht und erweitert durch Einleitungen der namhaftesten Forscher, durch biographisch-kritische Vorworte gewissermaßen die engere Bekanntschaft zwischen Autor und Leser vermittelt.

Das deutsche Buch ist fast sprichwörtlich geworden durch seine hohen Preise, die nur Wenige zu erschwingen im stande sind. Fünf bis sieben Mark ist der gewöhnliche Preis einer Oktavbandes. Wir wagen es und geben unsere Bände

gebunden für 1 Mark,

ein Preis, wie er noch nie und nirgends aufgestellt ist.

Wir geben unsere Bände gebunden in schönem und solidem, von Künstlerhand entworfenen Einband. So sind unsere Ausgaben nie dem Auseinanderfallen beim Lesen und ebenso nie der Fährlichkeit ausgesetzt, von ungeschickten Buchbindern verdorben oder in häßlicher Ungleichheit gebunden zu werden. Damit auch dem so ärgerlichen Verlieren beim Ausleihen vorgebeugt werde, hat jeder Band ein Bibliothekschild zur Einzeichnung des Namens des Besitzers. Da ferner alle Bände in gleichem Einband erscheinen, so kann der Bezug der Collection Spemann an jedem Ort Deutschlands und des Auslandes begonnen und fortgesetzt werden.

Jeder Band ist einzeln käuflich. Wir eröffnen aber auch ein Abonnement auf eine Serie von 20 Bänden. Alle zwei bis drei Wochen soll ein Band erscheinen und jeder Abonnent einer Serie erhält

den 20. Band gratis.

Damit ist Gelegenheit geboten, eine musterhafte Bibliothek für sich und die Familie für einen Betrag zu erhalten, welcher kaum den Abonnementsbetrag einer größeren Leihbibliothek überschreitet.

Wir hegen die Zuversicht, daß die Nation der „Deutschen Hand- und Hausbibliothek“ eine freundliche Aufnahme gönnen werde.

Inhalt der ersten Serien
(vorbehaltlich etwaiger Abänderung im Einzelnen).

Louise von François, Zwei Erzählungen. Mit einem biographisch-kritischen Vorwort von Joseph Kürschner.

Zwei Kabinettsstücke vollendeter Erzählungskunst, welche mit den besten Mitteln die tiefste und ästhetisch reinste Wirkung erzielt.

Karl Immermann, Der Oberhof. Mit einer Einleitung von Levin Schücking.

Die vorzüglichste deutsche Dorfgeschichte, die treffendste Schilderung westfälischen Bauernlebens, voll realistischer Wahrheit, anmutender Frische, zum Herzen sprechender Poesie.

Miguel de Cervantes Saavedra, Moralische Novellen. Eingeleitet von Otto von Leixner.

Durch Selbständigkeit und Mannigfaltigkeit der Stoffe nicht weniger als durch scharfe, lebensvolle Charakteristik ausgezeichnete Leistungen des berühmten Verfassers des „Don Quixote“.

J. Ch. Biernatzki, Die Hallig oder die Schiffbrüchigen auf dem Eilande in der Nordsee. Roman. Mit einer Einleitung von Heinrich Düntzer.

Mit fesselnder Anschaulichkeit geschriebene Nordseegeschichte, die das so eigenartige Lokalkolorit meisterhaft wiedergiebt und die Sturmflut von 1825 mit ergreifender Wahrheit schildert.

August Becker, Auf Waldwegen. Mit einer Einleitung von Joseph Kürschner.

Eine durch Einfachheit der Charakterzeichnung wie Naturwahrheit der Scenerie gleich ausgezeichnete Erzählung des wohlbekannten Verfassers von „Rabbis Vermächtnis“.

Nicolas Gogel, Russische Novellen. Mit einer Einleitung von Friedr. Bodenstedt.

Die mitgeteilten Novellen enthalten u. A. die vollendetste Leistung Gogols „Taraß Bulba“, eine Erzählung aus der Ukraine von überwältigender Schönheit und erhabener Einfachheit.

Sophie Junghans, Die Erbin wider Willen. Mit einem biographisch-kritischen Vorwort von Joseph Kürschner.

Eine Familiengeschichte im besten Sinne des Worte, die den Leser anheimelt und von der er mit dem vollen Bewußtsein scheidet, eine gute und liebe Bekanntschaft gemacht zu haben.

Alain René Lesage, Der Hinkende Teufel. Miteiner Einleitung von Ferd. Lotheißen.

Der hinkende Teufel Asmodi gewährt seinem Retter einen Einblick in alle Häuser Madrids, was zu den lebendigsten und köstlichsten Schilderungen von Scenen verschiedenster Art Anlaß giebt.

James Fenimore Cooper, Der Bravo. Mit einer Einleitung von L. Pröscholdt.

Diese der Geschichte Venedigs entnommene Erzählung des bedeutendsten amerikanischen Romanschriftstellers erregt durch reiche Handlung und ungemein lebendige Schilderungen bis zum Schluß anhaltende Spannung.

Ludwig Achim von Arnim, Die Kronenwächter. Roman. Mit einer Einleitung von Johannes Scherr.

Bedeutender historischer Roman aus dem Zeitalter Maximilians, großartig concipiert, ein treuer Spiegel des deutschen Lebens im Mittelalter, in echt poetischer Beleuchtung.

Levin Schücking, Etwas auf dem Gewissen. Mit einem biographisch-kritischen Vorwort von Joseph Kürschner.

Eine der besten neueren Leistungen des gefeierten deutschen Erzählers, von origineller, fesselnder Prägung.

Washington Irving, Alhambra. Mit einer Einleitung von L. Pröscholdt.

Eine der reizendsten Schöpfungen Irvings, welche alle Vorzüge des überaus gewandten Schriftstellers im hellsten Lichte zeigt und mehr bekannt zu werden verdient, als sie es ist.

Homers Odyssee. Uebersetzt von Voß. Mit einer Einleitung von Jakob Mähly.

Von Homers Epen, den hervorragendsten und unvergänglichen der Weltlitteratur, schildert die Odyssee die Irrfahrten und schließliche Heimkehr des Odysseus.

Ludovika Hesekiel, Von Lieb’ und Treue! Erzählungen. Mit einem biographisch-kritischen Vorwort von Joseph Kürschner.

Die höchst originelle Art des Erzählens, die L. Hesekiel so charakteristisch von vielen ihrer Kolleginnen unterscheidet, zeigt sich in diesem Bande um so mannigfaltiger, als es eine ganze Reihe einzelner Erzählungen sind, die sie bietet.

Charles Dickens (Boz), David Copperfield. Mit einer Einleitung von L. Pröscholdt.

Der beste Roman des berühmten Romanschriftstellers und vorzüglichen Humoristen, um so anziehender und interessanter, als der Dichter darin zum Teil seine eigenen Erlebnisse schildert.

A. Schroot, Der Dampf im Dienste der Menschheit. Mit zahlreichen Illustrationen.

In allgemein verständlicher Form gehaltene und anziehende Darstellung der Verwendung eines der wichtigsten Faktoren im industriellen und Verkehrsleben der Gegenwart, mit erläuternden historischen Rückblicken.

Wunderbare Reisen und Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen. Mit einer Einleitung von Joseph Kürschner.

Die mehr dem Hörensagen nach, als aus der Lektüre im Publikum bekannten unglaublichen Lügengeschichten des Freiherrn Hieronymus von Münchhausen, die noch heute bei Jung und Alt allgemeinen Interesses gewiß sind.

Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Eingeleitet von Robert Boxberger.

Eines der schönsten Vermächtnisse des unvergänglichen Dichterpaares, eine Fundgrube erhebender Gedanken, die lautersten Offenbarungen über die Beziehungen der großen Geister zu einander und zu ihrer Zeit, das unentbehrliche Supplement zu allen Ausgaben ihrer Werke.


Zehn Jahre geographischer Forschungen und Entdeckungen. Nach den Originalberichten der berühmtesten Reisenden zusammengestellt u. mit einer Einleitung versehen.

Treue und anschauliche Schilderung der großen Entdeckungsfahrten, welche während des letzten Jahrzehnts unternommen wurden, mit entsprechendem kritischen Beiwerk zur Erkenntnis ihrer wissenschaftlichen Bedeutung.

E. T. A. Hoffmann, Elixire des Teufels.

Diese für die Geschichte der romantischen Schule hochbedeutsamen Nachtstücke sind mit glühender Phantasie geschrieben, welche auch da, wo sie ins Ungeheuerliche gerät, die spannendste Illusion erzeugt.

Karl Julius Weber, Demokrites oder hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen. Ausgewählt und mit einer Einleitung versehen.

Höchst unterhaltendes Buch mit einer unerschöpflichen Fülle von Witz, Humor, Ironie, guten Einfällen und köstlichen Anekdoten, die auch dem schwärzesten Hypochonder ein Lächeln abnötigen.

Max King, Frauenherzen. Zwei Erzählungen. Mit einer Einleitung.

Zwei tief empfundene kleine Novellen, aus dem Herzensleben der Frau, ihren Irren und Erkennen, Leiden und Siegen, auf dem Hintergrund gut getroffener gesellschaftlicher Zustände.

Linguet, Enthüllungen aus der Geschichte der Bastille. Mit einer Einleitung.

Der Advokat Linguet, der seiner Zeit wohlbekannte Publizist, erzählt in diesem Buch seine Haft und Behandlung in dem berühmten französischen Staatsgefängnis kurz vor der französischen Revolution.

Frederick Marryat, Der Pirat. Mit einer Einleitung.

Ueberaus fesselnder und spannender Roman dieses namhaftesten Meisters der Seeromandichtung mit glücklich entworfener und durchgeführter Handlung, farbenprächtigen Schilderungen.

A. Schroot, Die Elektricität. Mit zahlreichen Abbildungen.

Zeitgemäßes Seitenstück zu desselben Autors Buch vom Dampf. Auf Grund der besten Quellen entworfene Geschichte der Dienstbarmachung der Elektricität im Dienste der Menschheit, unter Berücksichtigung der epochemachenden Fortschritte auf diesem Gebiet in unserer Zeit.

Joh. Jak. Engel, Lorenz Starck. Ein Charaktergemälde. Mit einer Einleitung.

Einer der vorzüglichsten Familienromane der deutschen Litteratur, sowohl durch inneren Gehalt wie durch die Darstellungsform ausgezeichnet.

Daniel Defoë, Leben und wunderbare Abenteuer Robinson Crusoës. Mit einer Einleitung.

Dieses zu den verbreitetsten Büchern der Welt gehörende Werk, aus zahlreichen Bearbeitungen für die Jugend bekannt, erscheint hier in der Originalfassung, die den Leser lebhaft fesseln und manche liebe Reminiscenz an die Kindheit auffrischen wird.

Wohlgefülltes Schatzkästlein deutschen Scherzes und Humors. Zu Nutz und Frommen lachlustiger Leser aus den Schächten deutscher Litteratur ans Licht befördert.

Reichhaltigste Sammlung alles Dessen, was an Scherz und Humor vereinzelt verschiedenen Orts vorkommt, zur Unterhaltung und Kürzung müßiger Stunden nicht minder, wie als Beitrag zur Erkenntnis deutschen Gemüts und Verstandes zusammengetragen.

Hans Christian Andersen, Der Improvisator. Roman. Mit einer Einleitung.

Der sinnige Kinderfreund, der liebenswürdige Märchenerzähler Andersen bietet in dem „Improvisator“ den Erwachsenen unter seinen Verehrern ein vollendetes Kunstwerk, das meisterhaft erzählt, ungemein ansprechend wirkt.

Aus dem Leben eines deutschen Reichsritters. Selbstbiographie Götz von Berlichingens. Mit einer Einleitung.

Eines der charakteristischen Memoirenwerke aus dem 16. Jahrhundert, bedeutsam zur Beurteilung des damaligen Adels und für den deutschen Leser um so interessanter, als der größte deutsche Dichter den Selbstbiographen zum Helden eines unvergänglichen Dramas machte.

Ludwig Ziemssen, Umwege zum Glück. Ein Roman. Mit einer Einleitung.

Sinnige anmutige Erzählung des beliebten Schriftstellers, der darin in ansprechendster Weise ein Vorkommnis im modernen Leben mit lebensvollen und lebensfrischen Farben ausführt.

Aus den Briefen der Madame de Sevigné. Mit einer Einleitung.

Die Briefe der Md. de Sevigné, eine der vorzüglichsten Schriftstellerinnen Frankreichs, zeichnen sich durch lebhaften Geist, wahres Gefühl aus und bieten die lebendigsten Schilderungen, charakteristischsten Aeußerungen und Anekdoten der franz. Hofverhältnisse im 17. Jahrhundert.

Konrad Arnold Kortüm, Die Jobsiade. Ein komisches Heldengedicht. Mit einer Einleitung.

Mit prächtiger Laune und vielem Witz geschriebenes niedrig-komisches Gedicht, das in seinem Genre als das beste Erzeugnis der deutschen Litteratur gilt und heute noch ebenso wie zur Zeit seiner Schöpfung wirkt.

Alessandro Manzoni, Die Verlobten. Eine mailändische Geschichte. Mit einer Einleitung.

Einer der vorzüglichsten historisch-nationalen Romane der Weltlitteratur, der das italienische Leben im 17. Jahrhundert mit Meisterschaft schildert, mit einer Wahrheit, einem Farbenreichtum, der das Geschriebene als Wirklichkeit erscheinen läßt.

Friedrich Freiherrn von der Trencks merkwürdige Lebensgeschichte. Mit einer Einleitung.

Selten haben die Schicksale eines Menschen so lebhaftes und allgemeines Interesse erregt, wie die des Freiherrn von der Trenck, dessen Lebensbeschreibung eine Fülle interessanter Momente darbietet.

Aus dem Leben eines Humanisten im 16. Jahrhundert. Selbstbiographie Thomas Platers. Mit einer Einleitung.

Hochinteressantes und kulturhistorisch wichtiges Memoirenwerk, eines durch Nacht zum Licht gelangten Mannes, der es vom Ziegenhirten bis zum Rektor der lateinischen Schule in Basel brachte.

Joseph Franz Isla, Geschichte des berühmten Predigers Gernudio von Campazas. Mit einer Einleitung.

Nächst dem „Don Quixote“ des Cervantes der bekannteste Roman der spanischen Litteratur, sittengeschichtlich höchst wertvoll und von packendem Humor.

H. J. Christoffel von Grimmelshausen, Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch. Mit einer Einleitung.

Die bedeutendste Sittenschilderung des 17. Jahrhunderts in der deutschen Geschichte. Die Arbeit zeigt die tiefsten Einblicke in das Kriegsleben, den Aberglauben der Zeit u. s. w. in buntestem Wechsel und das alles mit einer Frische und einem Humor von geradezu frappierender Wirkung.

Heinrich von Kleist, Mustererzählungen. Mit einer Einleitung.

Dieser Band eint die besten der durch ihren klassischen Stil, wie durch Schärfe der Charakteristik, vorzügliches Kolorit und lebendige Spannung ausgezeichneten Erzählungen des Dichters der „Hermannsschlacht“ und des „Käthchens von Heilbronn“.

Aus dem Briefwechsel Charlotte Elisabeths von der Pfalz. Mit einer Einleitung.

Eine der treffendsten Schilderungen von den Verhältnissen und Personen am Hofe des „großen Königs“ Ludwigs XIV. aus der Feder der scharfblickenden Witwe des einzigen Bruders des letzteren.

Wolfram von Eschenbach, Parzival. Mit einer Einleitung.

Die tiefe und gedankenreiche Schöpfung aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts, die den ersten Platz unter den höfischen Epen der deutschen Litteratur einnimmt, dürfte in unseren Tagen mit um so mehr Interesse gelesen werden, als es zur Zeit ein deutscher Dichter unternommen hat, den Parzival als musikalisches Drama der Nation vorzuführen.

Wilhelm Hauff, Lichtenstein. Mit einer Einleitung.

Von dem besten deutschen Erzähler im ersten Viertel dieses Jahrhunderts die mit Recht beliebteste Erzählung, die auf einem prächtig gezeichneten historischen Hintergrund eine poetisch anmutende Herzensgeschichte abspielen läßt.

Ludwig Börne, Briefe aus Paris. Mit einer Einleitung.

Die geschichtlich hochinteressanten Aufzeichnungen, von denen Gottschall sagt, es seien „dithyrambische Philippiken, elegische Wehrufe, satyrische Bambocciaden, der blutrote Maskenscherz eines weichen Gemüts“.

Walter Scott, Kenilworth. Mit einer Einleitung.

Einer der berühmtesten historischen Romane des Schöpfers dieser Gattung, der in der Regierungszeit der Königin Elisabeth spielt und all’ die berühmten Vorzüge Scott’scher Erzählungskunst aufweist.

Georg Christ. Lichtenberg, Vermischte Schriften. Mit einer Einleitung.

Auswahl der besten Arbeiten des eben so geschmackvollen wie geistvollen Schriftstellers, der über den feinsten und schneidigsten Witz verfügte und die Ueberspanntheit in der Litteratur seiner Zeit mit Erfolg bekämpfte.

Saint Simon, Denkwürdigkeiten. Mit Erläuterungen und einer Einleitung.

Die Denkwürdigkeiten Saint-Simons, des Tacitus Frankreichs, werfen grelle Lichter auf den Hof Ludwig XIV. und Ludwig XV. und sind in unserer Ausgabe unter Vermeidung des weniger Wichtigen und Anziehenden wiedergegeben.

Caroline von Wolzogen, Agnes von Lilien. Mit einer Einleitung.

Dieser vortreffliche Roman der Schwägerin Schillers, der höchst ansprechende Schilderungen des deutschen Familienlebens enthält, wurde bei seinem ersten Erscheinen selbst von den beiden Schlegels für ein Werk Goethes gehalten.

Johann Heinrich Jung Stillings Lebensgeschichte. Mit einer Einleitung.

Der Verfasser dieser Autobiographie genoß wie bekannt des großen Altmeisters Goethes besondere Gunst, der auch die als ächtes Volksbuch wirkende erste Abteilung (Jugendgeschichte) selbst zum Druck beförderte.

Das Nibelungenlied. Ins Hochdeutsche übertragen und mit einer Einleitung versehen.

Das vollendetste deutsche Volksepos, in dem sich in reinster Unmittelbarkeit das ganze innere und äußere Leben des deutschen Mittelalters spiegelt.

Jean Jacques Rousseau, Die neue Heloise. Mit einer Einleitung.

In poetischer Sprache geschriebener Roman, welcher dem Autor einen seiner glänzendsten Erfolge verschaffte. Das reine Naturleben wird darin den abstoßenden Verhältnissen des wirklichen Seins gegenüber gestellt.

Mathias Claudius, Vermischte Schriften. Mit einer Einleitung.

Auswahl der besten, im Volkston gelungensten litterarischen Arbeiten des Wandsbecker Boten, die von edler, biederer Einfachheit zeugen, welche aus gutem, ehrlichen Gemüt hervorging.

Benjamin Franklins Selbstbiographie. Mit einer Einleitung.

Der hervorragendste Staatsmann Amerikas und einer der berühmtesten Schriftsteller dieses Landes erzählt hier die ebenso interessante wie lehrreiche Geschichte seines reichbewegten Lebens, das nicht nur dem engeren Vaterland, sondern den Interessen der ganzen Menschheit geweiht war.

Horace Walpole, Das Schloß von Otranto. Mit einer Einleitung.

In dieser Arbeit des geistvollen englischen Schriftstellers wird zum erstenmal die Feudalzeit für den Roman verwertet und man muß ihn als Ausgangspunkt der Romantik für Walter Scott bezeichnen.

Denkwürdigkeiten der Markgräfin von Ansbach. Mit einer Einleitung.

Originelle und anziehende Memoiren von historischem und kulturgeschichtlichem Interesse.

Edgar Allen Poe, Amerikanische Geschichten. Mit einer Einleitung.

Sammlung einer Reihe besonders ausgezeichneter Arbeiten des amerikanischen Dichters, der vorzüglich zu erzählen, spannend seine Stoffe zu entwickeln weiß und über eine ganz außergewöhnliche Phantasie verfügt.

Adalbert v. Chamisso, Vermischte Schriften. Mit einer Einleitung.

Daß Beste, was der Dichter schuf, der die lobenswerten Eigenschaften der Franzosen mit denen der Deutschen verband, ist hier zusammengetragen worden und giebt ein vollständiges Bild der eigenartigen Dichter-Individualität.

Joachim Nettelbecks Selbstbiographie. Mit einer Einleitung

Der mutige Retter Kolbergs, der Freund Schills und Genosse Gneisenaus, den alle deutschen Bürgertugenden zierten, giebt hier das Bild seines reichbewegten Lebens, dessen fesselnden Reiz niemand verkennen wird.

Edward George Bulwer, Eugen Aram. Mit einer Einleitung.

Vortrefflich geschriebener Roman des namhaften englischen Dichters und Staatsmannes, ausgezeichnet vor allem durch psychologische Feinheiten der Schilderung.

Giovanni Franceso Straparola, Erzählungen. Mit einer Einleitung.

Eine Folge ansprechender Novellen, die leicht und angenehm erzählt und in origineller Weise aneinander gereiht sind.

Till Eulenspiegel. Mit einer Einleitung.

Lange Zeit eines der beliebtesten Volksbücher, in denen eine Menge loser Streiche um eine Person gesammelt werden, die als „Held der Handwerks- und Landfahrerwitze“ ein noch heute nicht verschwundenes Dasein führt.

Historia von Dr. Johann Fausten, den weitbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler. Mit einer Einleitung.

Wiedergabe des berühmten alten Volksbuches, aus dem die zu einer außerordentlichen Fülle angewachsene Faustlitteratur hervorgegangen ist.


Jeder Band ist einzeln käuflich,
gebunden 1 Mark = 1 Frc. 35 Cts. = 60 Kr. ö. W. — Franko per Post 1 M. 25 Pf.

Anmerkungen zur Transkription

Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Im Original g e s p e r r t hervorgehobener Text wurde in einem anderen Schriftstil markiert. Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind, wurden in einer anderen Schriftart markiert.

Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):