The Project Gutenberg eBook of Meine Lebens-Erinnerungen - Band 3

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Title: Meine Lebens-Erinnerungen - Band 3

Author: Adam Oehlenschläger

Release date: March 22, 2015 [eBook #48559]

Language: German

Credits: Produced by Thorsten Kontowski, Karl Eichwalder, La Monte
H.P. Yarroll, Jens Nordmann and the Online Distributed
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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MEINE LEBENS-ERINNERUNGEN - BAND 3 ***

Meine
Lebens-Erinnerungen.

Ein Nachlaß
von
Adam Oehlenschläger.

Deutsche Originalausgabe.

Dritter Band.

Leipzig
Verlag von Carl B. Lorck.
1850.


[5]

Bei meiner Heimkehr traf ich meine Christiane und ihren Vater nicht mehr in dem großen Hause und dem schönen Garten auf der Norderstraße; dieses war durch das Bombardement in Asche gelegt worden. Sie hatten nun eine beschränkte Wohnung an der Ecke der Büngaard-Gasse; aber der Alte hatte sein Bestes, seine Gemüthsruhe und die stille Munterkeit, gerettet. Er liebte wie früher Sprachstudien, Musik und mechanische Beschäftigungen. Mit Christiane besuchte ich die Gräfin Schimmelmann, die sie lieb gewonnen hatte und beständig bei sich sah. Auch mit dem Herzoge von Augustenburg hatte Christiane auf eine sonderbare Weise Bekanntschaft gemacht. Sie war gerade eines Tages mit der Gräfin in deren Schlafkammer, als der Herzog sich melden ließ. Die Gräfin Schimmelmann, die oft gute Einfälle hatte, bat nun Christiane — sie hatte gerade ihren reichen Haarwuchs bewundert — die Flechten aufzulösen, und sie von dem Kammermädchen so zurichten zu lassen, daß sie in den Haaren verborgen wie in einer Glocke stand. Darauf ging die Gräfin zum Herzog, und bat ihn, eine junge Dame mitbringen zu dürfen, welche wünschte, die Bekanntschaft seiner Durchlaucht zu machen. Und nun trat eine Gestalt ins Zimmer, von der man bis auf die Füße nichts weiter sah, als das reiche glänzende blonde Haar. — Auch die Bekanntschaft König Friedrichs VI. hatte Christiane auf eine eigenthümliche Art gemacht. Als die zwei Jahre von der Zeit meines Reisestipendiums verflossen waren, wollten Schimmelmann und Reventlow mir die sechshundert Thaler gern noch auf ein Jahr verschaffen; um aber[6] eines guten Ausfalles gewiß zu sein, da die Poesie nicht in besonderer Gunst bei diesem guten, auf alles Nützliche väterlich bedachten Könige stand, wurde es bei Schimmelmann's folgendermaßen abgemacht: Christiane hatte sich in der letzten Zeit mit einer Freundin im Schönschreiben geübt und es darin weit gebracht. Nun mußte sie das Gesuch so schön, als möglich, schreiben und Schimmelmann brachte es zum Könige, dessen gutes Herz dadurch gerührt wurde, daß eine Braut auf diese Weise ihrem Bräutigam helfe; er bewilligte die Bitte, bewunderte die schöne Handschrift, und fragte, indem er mit dem Gesuch in das Cabinetsecretariat hineinging: „Kann Einer von Euch so hübsch schreiben?“

Meine Heimkehr und Professur.

Nach meiner Heimkehr machte ich dem Könige gleich meine Aufwartung. Es demüthigte mich Etwas, daß er, als ich ihm meinen Namen nannte, sagte: „So, so, Sie sind Oehlenschlägers Sohn!“ Meinen Vater kannte er natürlich vom königlichen Schloß her viel besser, als mich. Aber als das Gespräch gleich auf Axel und Valborg kam und er sagte: „Das Stück ist vortrefflich!“ fühlte ich mich wieder getröstet. Durch Schimmelmann's Einfluß auf den Herzog von Augustenburg und nach dessen Vorschlage, wurde ich kurz darauf als Professor der Aesthetik bei der Universität angestellt, ohne daß ich darum nachsuchte. Nach den geltenden Regeln hatte ich eigentlich keine Berechtigung, denn ich hatte nur das lateinisch-juridische Vorbereitungsexamen gemacht, wenn auch bereits vor 10 Jahren eine akademische Abhandlung geschrieben, die der Prämie würdig erkannt worden war, und dies hat vermuthlich zu meiner Anstellung beigetragen. Als ich dem Könige dafür dankte, sagte ich: „Ich muß die Gnade Ew. Majestät als einen Dichterlohn betrachten; aber dann muß ich auch glauben, Sie wollen, daß ich Dichter bleiben soll. Die Dichter gehören zu den Vögeln, welche in einem Bauer schlecht singen; ich glaube wohl, daß ich im Winter Professor sein könne, wenn ich im Sommer Poet sein darf, d. h.: wenn ich von den Sommervorlesungen[7] entbunden werde.“ Dies fand er billig, und so hielt ich 22 Jahre lang, venia regis, keine Sommervorlesungen, bis ich mich ein Mal darein fand, um dadurch um so leichter eine kleine Gehaltserhöhung zu erlangen.

Dichter-Honorare.

Jetzt hatte ich 1200 Rbthlr., davon 600 von der Universität, 600 von der Finanzcasse. Daraufhin wollte ich mich nun verheirathen; man meinte, das müsse vortrefflich gehen, wenn ich Alles dazu legen wollte, was Aladdin's Lampe (die Poesie) einbringen würde. Ich glaubte es selbst; bis jetzt hatte ich mich nicht sehr viel mit der Oeconomie abgegeben, hatte mich mit meinen Ausgaben nach der Decke gestreckt, hatte keinen Schilling Schulden, sollte Honorar für Axel und Valborg bekommen, der bald aufgeführt wurde und hatte außerdem Correggio für die Einnahme des nächsten Jahres mitgebracht. Leider hatte ich mich aber nicht auf den Buchhandel verstanden, und litt deshalb einen unersetzlichen Verlust und verlor Einkünfte, die meinen Wohlstand hätten begründen können. Vieles konnte man aber auch nicht voraus wissen. Für meine ersten Gedichte gab Brummer mir 100 Rbthlr.; für die poetischen Schriften erhielt ich von Schubothe 6 Rbthlr. per Bogen, und mußte noch Vorwürfe hören, daß das Buch so groß geworden sei. Die nordischen Gedichte bekam ich etwas besser bezahlt, vielleicht das Doppelte; für Axel und Valborg erhielt ich endlich 300 Rbthlr.; aber 3000 Exemplare dieses beliebten Stückes sind gewiß im ersten Jahre verkauft worden. Für die folgenden Auflagen erhielt ich nicht einen Schilling. Nun war mir noch Correggio übrig, den mein früherer Verleger auch gern haben wollte. Als ich ihm erzählte, daß ich das Stück selbst verlegen würde, sagte er ganz betrübt: „Ach Herr Professor, das werden Sie doch nicht thun?“ — „Ja gewiß,“ antwortete ich, „es kann mir Keiner verdenken, daß ich mir selbst erwerben will, was ich nothwendig selbst brauche.“ Ich behielt es also, und ohne dieses Reiben der Lampe hätte mein Geist mir seine Gaben nicht gebracht. Aber er brachte nicht Gold und Edelsteine. Der größte Vortheil[8] war in fremde Hände gekommen. Meine Schriften gingen wohl noch gut; aber nicht so reißend, wie in der ersten Frühlingszeit meines Auftretens, wo Alles neu und ungewöhnlich war. Ich verstand mich auch später nicht auf den Buchhandel, das wußte ich; Christiane verstand es auch nicht; aber sie wußte es nicht. Viel ging verloren; aber es kam doch so viel ein, daß ich in den ersten Jahren vor Nahrungssorgen sicher war.


Die Professur in Gefahr.

Ich muß bei Gelegenheit meiner Anstellung als Professor eines Mißverständnisses von Seiten meines Gönners, des Herzogs, gedenken, das mich fast um das Amt gebracht hätte, ehe ich es erhielt. Als ich ihn besuchte, um ihm zu danken, glaubte ich, daß ich ihm aus Dankbarkeit Etwas von meinen Plänen über meine bevorstehenden poetischen Arbeiten mittheilen müsse. Ich sagte ihm also, daß ich einen Roman schreiben wolle (aus dem nie Etwas geworden ist), in dem ich den Character der vier Religionen: des Christenthums, des griechischen und nordischen Heidenthums und des Muhamedanismus, darzustellen beabsichtige. Kurz darauf rief mich Schimmelmann zu sich, und sagte mir ganz betrübt, daß der Herzog befürchte mich zum Professor zu machen, weil ich meine Vorlesungen in einen Roman einkleiden wolle; daß ich durchaus zu ihm hineilen müsse, um dieses Mißverständniß zu heben, das das Schiff meiner Hoffnungen leicht stranden machen könne. Ich eilte also zum Patron, und erklärte ihm, daß das, was ich erzählt hatte, durchaus nicht meine Vorlesungen berühre: daß das der Plan zu einem Gedicht sei, welches ich im Kopfe hätte. Dies beruhigte ihn wieder; „denn,“ sagte er, „wenn das wäre! —“ Hierin lag gewissermaßen noch eine Warnung. Und als ich ihn verließ, mußte ich an den Kutscher denken, der auf die Polizei beordert war, weil er einen Menschen übergefahren habe, daselbst aber bewies, daß er es nicht gewesen sei; worauf der Actuarius, der doch meinte, daß er ihn nicht so ganz frei durchschlüpfen lassen könne,[9] sagte: „Da Du es nicht gewesen bist, so mag es diesmal so hingehen; daß es aber nicht öfter geschieht!“ Uebrigens war der Herzog von Augustenburg mir stets geneigt, erwies mir Achtung und schrieb mir einen freundlichen Brief, als er sein Universitätspatronat niedergelegt hatte, in welchem er mir für den Correggio, den ich ihm gesandt hatte, dankte.


Eine Genugthuung.

Bei Schimmelmann's wurde eine Abendgesellschaft nach der andern gegeben, in denen ich Axel und Valborg, das in Kurzem aufgeführt werden sollte, und Correggio Deutsch vorlas; dieser letztere war noch nicht übersetzt. Alles Vornehme und zum Hof Gehörige (bis auf den König und die Königin) war zugegen. Eines Abends nach beendigter Vorlesung kam der Graf Baudissin, der einer der Zuhörer gewesen war, auf mich zu. Ich hatte ihn seit dem kurzen Besuch vor fünf Jahren in Berlin, wo er Minister war, nicht gesehen. Er begrüßte mich mit vieler Achtung, und manövrirte um mich her, indem er mir auf eine höfliche Weise zu Leibe rückte, bis er mich in einen Winkel des Saales gedrängt hatte. Er stellte sich fest und steif vor mich hin; ich merkte deutlich, daß Etwas in ihm gähre, womit er kämpfte, konnte aber nicht begreifen, was es sei; endlich zwang er sich, rasch und bestimmt zu sagen: „Ich habe Ihnen Unrecht gethan, ich bitte Sie um Verzeihung!“ Nun verstand ich ihn, und es rührte mich, diesen adelstolzen, strengen, militärischen Mann (er war damals Gouverneur von Kopenhagen) seiner Humanität (wegen deren er ebenso bekannt war, wie wegen seines Stolzes) dieses ihm gewiß nicht leichte Opfer bringen zu sehen. „Ew. Excellenz haben mir kein Unrecht gethan,“ sagte ich, „aber ich Ihnen, weil ich als ein junger Mann, der die herkömmlichen Formen nicht beachtete, es vergaß, Ihnen in Berlin meine Aufwartung zu machen, wo Sie Gesandter waren. Ich muß also Sie um Vergebung bitten!“ — Damit war der Frieden geschlossen; und nun hätte ich ihm freilich den Besuch machen[10] sollen, den ich in Berlin vergaß, und von dem ich ihm selbst zugestanden, daß ich ihn ihm schulde, — aber — ich unterließ es wieder, und wir kamen wieder auf einen gespannten und fremden Fuß mit einander. Warum unterließ ich es denn? War es Hochmuth von mir oder Undankbarkeit? Nein, gewiß nicht; aber ich fühlte, daß dieser Mann und ich nicht sympathisirten, daß das aristokratische Vorurtheil ihn so sehr beherrschte, obgleich er ein sehr rechtschaffener Mann war, daß es früh oder spät mich wieder verletzen würde; und daher fand ich es für besser, gleich abzubrechen. An dieser stolzen Schwäche, die aus Eigenliebe und Eitelkeit entspringt, leiden viele Menschen; alle Stände sind davon geplagt. Zu einer Zeit, wo der Adel noch Etwas zu sagen hatte, war es natürlich, daß dieses Gefühl des Geburtsstolzes — eigentlich ein Unding — oft selbst edle Seelen beherrschte. So hat selbst der Sohn dieses braven Mannes, ein genialer, kenntnißreicher und höchst gebildeter Jüngling, der einem spätern, mehr aufgeklärten Zeitalter angehörte, Shakespeare's Uebersetzer, Tieck's Freund, u. s. w., einmal eine Abhandlung darüber geschrieben: daß kein Unadliger eigentlich das Gefühl der Ehre haben könne; worin er ganz Recht hatte, wenn er hiemit die falsche Don Quixottische Ehre meinte, welche das Mittelalter beherrschte.

Adelshochmuth und Pöbelplumpheit.

Obgleich ich als Dichter zu allen Ständen gehörte und mit ihnen umging, habe ich mich doch stets ebenso wenig in den Adelshochmuth, wie in die Pöbelplumpheit finden können; ich suchte das schön Menschliche im Palast wie in der Hütte, d. h. das Poetische; die höflichen Uebertreibungen gingen mich Nichts an; doch entschuldigte ich stets leichter die Plumpheit des Armen, als den Hochmuth des Vornehmen, weil der Mangel an Erziehung, der Beides hervorruft, bei jenem, nicht aber bei diesem verziehen werden könne. Das Rohe kann außerdem auch reif werden, nie aber das Verweste; selbst Barbarei kann sich zur Schönheit erheben, Luxus aber ist die ausgeartete, verirrte Schönheit; und im schlimmsten Falle ist es weniger gefährlich[11] für die Gesundheit, in der Nähe eines Wagens zu stehen, der voller Dünger ist, als in einem Treibhause voll blühender stark riechender Blumen zu sitzen; der Gestank kann trotz des Widerlichen gesund sein; aber der übertrieben starke, feine Wohlgeruch ist tödtend.

Als einen Beweis, wie ich trotz meines freundlichen Umganges mit den Großen, stets Lust hatte, dem Adelsstolze, wo er sich geltend machte, mit dem meiner Ansicht nach nothwendigen Trotze des gesunden Menschenverstandes zu begegnen, will ich hier eine kleine Geschichte erzählen. Unter Denen, welche mir in diesen Kreisen ganz besondere Freundlichkeit erwiesen, befand sich der Kanzleipräsident Friedrich Moltke. Er war einer der Menschen, die selbst im Greisesalter Jünglinge bleiben. Für die Poesie hatte er eine ungeschwächte Liebe. Ewald war sein Lehrer gewesen und hatte ihm die schöne Ode: „Des Schwertes Sausen und der Lärm der Schilde“ gewidmet, welche so endet:

„Deshalb lächelnder Tugenden, reichen
Wissens glühender Freund, der die Erde
Liebet! Deshalb, mein edelster Moltke!
Füllst Du mir mächtig die Brust und der Harfe
Zitterndes Gold!“

In Ewald's letzten schwachen Tagen war Moltke Kammerjunker, ich glaube bei der Königin Witwe, und hatte ihm eine kleine Pension verschafft, indem er mit Begeisterung von ihm sprach. Bei alle Dem war Moltke Aristokrat, und man sagte, daß er sich nie mit dem kräftigen Demokraten Christian Colbiörnsen vertragen konnte, der Deputirter in der Kanzlei war, welcher Moltke als Präsident vorstand, und die Folge davon war, daß Moltke endlich aus der Kanzlei austrat und Stiftsamtmann in Aalborg wurde.

Der gefeierte Dichter.

Kurz nach meiner Heimkehr wetteiferten Viele der Großen, ebenso wie Schimmelmann's, mir Gesellschaften zu geben, z. B. der Staatsminister Graf Christian Reventlow, Graf Christian Bernstorff, Geheimrath Moltke und die Hofdamen Fräulein[12] v. d. Maase, Gräfin Mynster und Fräulein Levetzau. Eines Abends war auch Moltke auf Friedrichsberg bei einer dieser Damen; er hatte dem König und der Königin seine Aufwartung machen wollen; diese aber waren bei dem Geheimrath Rosenkrone in der Friedrichsberger Allee. Rosenkrone's waren die Einzigen, welche der König und die Königin besuchten; das weckte vielleicht Moltke's Eifersucht ein Wenig und er machte nun seine Bemerkungen darüber, daß Rosenkrone's nicht aus alter Familie seien. Dies reichte hin, um mich den Bogen spannen zu lassen, und ich sagte: „Ew. Excellenz meinen, daß Rosenkrone ein Londemann ist! Ganz gewiß; sein Vater war Bruder des Schauspielers Londemann, der die dänische Bühne verherrlichte, und das Zwergfell der guten Kopenhagener unablässig erschütterte; aber vielleicht wissen Ew. Excellenz nicht, daß der vortreffliche Darsteller des Holberg'schen Henrik ein viel älterer Adelsmann war, als Sie selbst sind, obwohl ich weiß, daß Ihr Adel alt ist, und daß bereits zu Erik Menved's Zeit von einem Moltke gesprochen wird.“ — Moltke sah mich verwundert an und gestand: „Nein, das wisse er nicht.“ — „Das ist leicht zu beweisen,“ sagte ich, „Sie brauchen nur in der Vorrede zu der Folioausgabe des Snorro Sturleson nachzuschlagen, wo Sie sehen werden, daß Londemann gerade vom Snorro Sturleson abstammte; Snorro Sturleson stammt von Harald Schönhaar, und dieser von Regnar Lodbrok.“ — „Ja das ist sehr möglich!“ sagte Moltke artig und lenkte das Gespräch auf einen andern Gegenstand. Moltke war ein hübscher Mann, leicht und schlank, sehr rasch in seinen Bewegungen und trotz seines schneeweißen Haares glühten seine braunen Augen doch in jugendlichem Feuer.

Eine Anekdote von Thorwaldsen.

Das Schlimmste, was man dem Geburtsstolze anthun kann, ist, daß man auf Länder hinweist, wo es von Adligen wimmelt, wie Island, Schottland, Corsica, Ungarn, Polen. — Als Thorwaldsen mehrere Jahre nach diesem Gespräche heimkehrte, wollten ihm gern Alle, Jeder auf seine Weise, huldigen.[13] Ich war eines Vormittags gerade bei ihm, als er auf ein Paar Stiefel wartete, mit denen der Schuhmacher ihn im Stiche ließ. Da trat der brave Finn Magnussen sehr ernst und feierlich ins Zimmer herein und legte Thorwaldsen eine Stammtafel vor, auf welcher bewiesen wurde, daß er (ebenso wie wahrscheinlich Finn Magnussen selbst) von dem norwegischen Könige Magnus Barfuß abstamme. „Das will ich glauben,“ sagte Thorwaldsen lächelnd zu mir, „darum bekomme ich heut auch keine Stiefeln!“

Reventlow. Bernstorff. Die Gräfin Mynster.

Um Thorwaldsen's willen gerieth ich doch etwas mit dem alten, feurigen Minister, Grafen Christian Reventlow ins Unklare, wie die Seeleute sagen. Ich war auch bei ihm eines Abends, saß an seiner Seite, und er machte mir das Compliment, daß ich für den Correggio verdiente Mitglied der Akademie der Künste zu werden. Aber als wir später von Thorwaldsen sprachen und Reventlow Canova weit über ihn stellte, nahm ich mir die Freiheit, durchaus der entgegengesetzten Ansicht zu sein. Reventlow glaubte, dies sei Parteilichkeit für einen Landsmann; aber ich antwortete: „Ew. Excellenz! in zehn Jahren wird Das, was ich jetzt sage, für eine Trivialität angesehen werden.“ — Der vortreffliche Bauernfreund Reventlow hatte viel mehr Sinn für das Oeconomische und Nützliche, als für das Schöne, und er bewunderte deshalb auch Rumford als einen der größten Männer der Zeit. Christian Bernstorff war durchaus entgegengesetzter Art, und das Aeußere dieser Herren entsprach ihrem Wesen. Reventlow groß, beweglich und stark, sah trotz seiner Sterne und Bänder wie ein sinnreicher, tüchtiger Handwerksmeister aus. Der rasche, feine Bernstorff war edel in allen seinen Bewegungen, wie ein englischer Lord. Er war nicht enthusiastisch wie seine Vetter, die Stolberg's, nicht schwärmerisch, aber ebenso poetisch in Bezug aus den Eindruck, und in seiner Ruhe billiger und vielseitiger. Sein Herz war vortrefflich. Es bildete sich zwischen uns eine auf geistige Sympathie gegründete Vertraulichkeit. Als ich einmal in einem solchen[14] Augenblicke zu ihm sagte: „es sei doch ein schöner Beruf, Staatsminister zu sein,“ entgegnete er: „Ich habe nie Lust dazu gehabt; die Umstände haben mich dazu gemacht.“ Man hat ihm später vorgeworfen, daß er den Engländern zu viel getraut habe, und daß er ein Aristokrat gewesen sei. Dies letztere war gewiß stets auf eine sehr edle Weise, mit Bewunderung und Anerkennung alles Großen und Guten, der Fall. Er hat auch Gedichte hinterlassen, in denen seine edle Seele sich ausspricht. Seine schöne junge Gattin war seiner würdig und durchaus liebenswürdig. Ich besuchte sie oft auf Schloß Bernstorff.


Unter meinen neuen Freundinnen zeichnete sich die Gräfin Mynster, geborne Ompteda, Hofdame der Königin, aus. Sie war in ihrer Jugend sehr schön gewesen und sah noch gut aus. Sie war selbst deutsche Dichterin und übersetzte einige meiner Gedichte, unter andern „Die heimliche Stimme.“ Ich habe es mit einigen Veränderungen in der Ausgabe meiner deutschen Gedichte benutzt. Sie litt an einem schlimmen Uebel: einer überspannten Sentimentalität. Oft besuchte sie uns, und dann lasen wir gewöhnlich Gedichte mit einander. Sie strebte stets nach dem Hohen und ich versuchte oft, theils um sie wieder in's Gleichgewicht zu bringen, theils aus schelmischer Neckerei, sie in das Alltägliche herabzuziehen. Als wir einmal Schiller's „Lied an die Freude“ gelesen hatten, und sie zwischen den Sternen und den Millionen umherschwärmte, sagte ich: „Nun zur Veränderung ein anderes kleines Lied,“ und recitirte das Göthesche:

„Mich ergreift, ich weiß nicht wie,
Himmlisches Behagen.
Will mich's etwa gar hinauf
Zu den Sternen tragen?
Doch ich bleibe lieber hier,
Kann ich redlich sagen,
Beim Gesang und Glase Wein,
Auf den Tisch zu schlagen!“

[15]

Die letzte Zeile begleitete ich wirklich mit einem tüchtigen Schlage auf den Tisch, um sie von dem Firmament wieder in's Zimmer herabzuziehen; aber sie grollte mir sehr anmuthig wegen dieses burschikosen Wesens, das sie aus dem schönen Traume geweckt hatte.


Eine Vorlesung am Hofe.

Ich laß nun bald Correggio, bald Axel und Valborg so oft in diesen Gesellschaften vor, daß ich ihrer zuletzt ganz müde wurde; und Christian Colbiörnsen hatte gewiß vollständig Recht, daß er ein Mal bei Prinz Christian nach der Vorlesung von Axel und Valborg, sein Compliment über das Stück mit der Bemerkung begleitete, daß er meine, es müsse etwas wärmer vorgetragen werden. Variatio delectat. Ich hatte so oft meinen Vortrag loben gehört, daß es mir nun gefiel, von einem Manne kritisirt zu werden, der, wie man sagt, selbst Beredsamkeit besaß. Es war das erste und letzte Mal, daß wir zusammen sprachen; ich konnte ihm den wahren Grund des Mangels an Wärme nicht angeben, und begnügte mich damit, ihm höflich für seine richtige Bemerkung zu danken, indem ich die Hoffnung aussprach, daß ich es ein anderes Mal besser lesen werde.

Dieses andere Mal strengte ich mich auch wirklich an; denn da fand die Vorlesung bei dem König und der Königin selbst statt, welche auch den Correggio hören wollten und deshalb eine Assemblée in dem großen Palaissaale veranstalten ließen. Hier hatte ich einen kleinen amüsanten Prolog mit dem Oberceremonienmeister Charles Louis Bouz de la Calmette, der, um mir das Vorlesen leichter zu machen, mir vorschlug, ein Pult zu besorgen, an dem ich stehen könne, um mir die Brust nicht zu drücken. Aber da ich diesen alten französisch-holländischen Cavalier, der mit seinen gepuderten Locken und dem Haarbeutel im Nacken durchaus der vieux bon-temps angehörte, in Verdacht hatte, daß er mich wie einen andern Virtuosen[16] behandeln wolle, der im Stehen spielte, während die Herrschaften saßen, so versicherte ich ihm, daß das Sitzen meiner Gesundheit durchaus nicht schaden, daß es mich vielmehr ermüden würde, fünf lange Acte hindurch zu stehen, und daß ich mir daher einen Stuhl ausbäte. Einige Jahre später dachte ich an diese Scene, als ich die Väringer schrieb, in der Scene mit Harald Haarderaade, wo der Kaiser dem Harald befiehlt zu knieen, dieser aber stehen bleiben will.

Das Brun'sche Haus.

Man hatte befürchtet, daß die Lectüre des langen Stückes seine Majestät ermüden würde; aber er hörte sehr aufmerksam vom Anfang bis zum Ende zu und schien zufrieden zu sein.


Das angenehmste große Haus in Kopenhagen war damals das Brun'sche. Hier war ein Sammelplatz für den Hof, für die beau monde und für die Künstler. Die anmuthige Ida sang vortrefflich, und die Musik war der Genius, welcher hier das Ganze verband und verschmolz.

Meine Heimat hatte ich außer bei mir selbst noch an vier Orten: bei meinem Vater, meinem Schwiegervater, bei Oersteds und Rahbeks. Bei dem Alten speisten wir gewöhnlich jeden Sonntag, wenn wir nicht auf dem Lande waren, und er ein Mal die Woche bei uns.

Rahbek empfing mich sehr liebevoll, und mir war es eine große Freude, die liebenswürdige Karen Margrete wieder auf dem Hügelhause zu sehen; aber Rahbek's Freundlichkeit für mich fing doch bald an, sich aus folgenden Gründen abzukühlen. Zuerst hatte er die Absicht, eine neue Zeitschrift herauszugeben, an deren Herausgabe ich mich betheiligen sollte; aber ich hatte durchaus keine Lust dazu, theils weil es mich im Dichten gehindert haben würde, wenn ich zu gleicher Zeit eine Zeitschrift und die Vorlesungen hatte besorgen sollen, theils weil Rahbek gerade damals durch eine zu flüchtige Behandlung seiner Arbeiten und dadurch, daß er sich in Federkriege einließ, einen Theil[17] seines literarischen Ansehens eingebüßt hatte. Diese abschlägige Antwort sagte ihm nicht zu, und als eine junge Schauspielerin, auf die er außerordentlich viel hielt und von der er geglaubt hatte, daß sie die Hauptrollen in meinen Tragödien spielen würde, mir nicht gefiel, so trug auch dies etwas dazu bei, die Freundschaft abzukühlen. Doch war er an dem Tage sehr liebevoll, wo er zum Ritter des Dannebrogordens ernannt wurde, welche Ehre ich erst mehrere Jahre später erlangte. Er bat mich an dem Tage, wo er Ritter geworden war, die Nacht über bei mir bleiben zu dürfen, da es zu spät sei, nach dem Hügelhause zu gehen. Dies war das einzige Mal, wo er mein Schlafkamerad und zwar in einem sehr engen Bette war, und ich dachte dabei an die Nacht in Paris, wo Baggesen auf ähnliche Weise mein Gast wurde.

Rahbek hatte viel Eigenthümlichkeiten, und einer von dieser verdankte ich meine gute Stellung im bürgerlichen Leben. Er war nämlich mehrere Jahre lang Professor der Aesthetik an der Universität gewesen, als es ihm plötzlich einfiel, seinen Abschied aus einem höchst sonderbaren Grunde zu nehmen: weil man ihm vorgeworfen hatte, daß er die Kant'sche Philosophie nicht studirt habe. Nun lebte er davon, daß er schrieb und übersetzte und Lehrer der Geschichte und des Lateinischen in einer Privatschule war. Wäre dies nicht geschehen, so würde ich wahrscheinlich nie Professor geworden sein, und Gott weiß, was ich dann geworden wäre. Vielleicht wäre ich dann nach Deutschland zurückgegangen (wo Correggio viel Glück gemacht hatte) und wäre ebenso wie Steffens nach und nach ein Deutscher geworden.

Vorlesungen über Ewald und Schiller.

Aber das war nun, Gott sei Dank, nicht der Wille der Vorsehung. Ich wurde hier Professor und wenn ich auch kein Kantianer war, so hatte ich doch ein volles Haus im Ehlers'schen Collegium. Im ersten Winter las ich über Ewald, im zweiten über Schiller. Ich wiederholte diese Vorlesungen im Local der harmonischen Gesellschaft vor Herren und Damen, hatte viele[18] Zuhörer und zählte unter diesen Schimmelmann, Bernstorff, Admiral Bille, Geheimrath Moltke, Oersteds, Professor Mynster, Etatsrath Kirstein u. s. w.


Aufnahme meiner Tragödien in der Heimat.

Ich war fünftehalb Jahre fortgewesen und hatte die Eitelkeit keines Menschen durch meine Anwesenheit verletzt; man hatte meine heimgesandten Schriften nur gelesen, wie man die hinterlassenen Werke eines todten Mannes liest, und so kam es denn mit mir, wie es oft viel Schlechteren begegnet, daß ich zur Mode geworden war. Hakon Jarl hatte außerordentliches Glück gemacht. Es war dies die erste auf die Geschichte begründete poetische Schilderung aus dem Heldenleben des heidnischen Alterthums, welche auf der Bühne dargestellt wurde. Dies allein hätte doch nicht soviel Wirkung auf das größere Publikum ausüben können, wenn nicht auch Hakon's Verhältniß zur Thora, oder richtiger gesagt: ihres zu ihm, die Herzen der Weiber gerührt hätte. Beim Palnatoke war dies nicht der Fall; da war gar keine Liebe und deshalb war das Schauspielhaus bei den ersten Vorstellungen auch ziemlich leer; aber Axel und Valborg machte Alles wieder gut; da gab's Liebe von Anfang bis zu Ende. Obgleich das Stück noch nicht gedruckt war, so war es doch überall bekannt, man hatte gewußt sich Abschriften davon zu verschaffen; diese wurden zu theuren Preisen verkauft, und so hatte man das Vergnügen, sich in die Mönchzeit vor Erfindung der Buchdruckerkunst zurückzuversetzen, wo ein schön abgeschriebenes Exemplar den Genuß erhöhte, weil es seltener war, und weil man etwas genoß, das Andern nicht zu Gebote stand. Reiche Engländer amüsiren sich ja noch oft damit, einige wenige prächtige Exemplare als Manuscript drucken zu lassen. — Correggio wirkte nun wieder auf eine andere Weise, während darin doch zugleich wieder Stoff genug für fühlende Herzen war. Sowie Hakon Jarl den Sinn für das Altnordische geweckt hatte, weckte Correggio den Sinn[19] für die Kunst, und war vielleicht eine der ersten Triebfedern zu ihrem fleißigen Studium in Dänemark, das später reiche Früchte trug. Was die damalige Aufführung dieser Stücke betraf, so läßt dieselbe sich auf keine Weise mit der Aufführung späterer Zeiten vergleichen. — Meine Hauptstütze war gefallen; der Künstler, auf den ich am meisten gerechnet hatte, der herrliche Rosing war lebend todt. Seitdem habe ich selten an einen bestimmten Schauspieler gedacht, wenn ich meine Dramen schrieb, was ihnen oft geschadet hat. Denn man kommt hauptsächlich ins Schauspielhaus, um die Schauspieler zu sehen; sie können ein mittelmäßiges Stück interessant machen, und ein gutes Stück, das im Ganzen schlecht gespielt wird, wird langweilig. Aber es war mir unmöglich, die idealen und neuen Charactere, die ich darzustellen suchte, nach gewissen bekannten Menschen zu formen. Mit Rosing als Hakon Jarl war es doch etwas Anderes! Alles in dieser Rolle paßte für ihn. Er war voller Feuer und pathetisch, konnte kalt und klug sein, war ein Bewunderer des weiblichen Geschlechts und ein kräftiger Norweger von Nidaros. — So war er, als ich ihn kannte; jetzt bei meiner Heimkehr saß er, von einer schrecklichen Gicht darniedergebeugt und konnte weder Hand noch Fuß rühren. — Schwarz, früher in komischen Rollen vortrefflich, war später als würdiger Vater in bürgerlichen Dramen ausgezeichnet; Frydendahl, Thalia's auserwählter Liebling, konnte in mißglückten Versuchen unter Melpomene's Fahne Rosing nicht ersetzen.

Deren Darstellung auf der Bühne.

Aber ein ehrenwerthes Künstlerkleeblatt, ohne dessen Hülfe es mir unmöglich gewesen wäre, durch die Bühne zu wirken, darf ich nicht vergessen. Ich hatte die Freude, Diejenige, die mich vor 16 Jahren als Dyveke und Kathinka entzückt hatte, Heger's Gattin, früher Marie Smith, als eine edle Thora, als Valborg, als Marie im Correggio zu sehen. — Stephan Heger, der in der letzten Zeit ganz die Lust zu spielen verloren hatte, lebte durch meine Stücke gleichsam wieder für die Kunst auf. Der hübsche, gebildete, geistreiche Mann mit dem[20] schönen Organ erfreute Alle als Einar Tambeskjälver, als Thorwald und als Giulio Romano.

Mein Freund der Schauspieler Foersom.

Der dritte im Kleeblatt war mein lieber Foersom. Er hatte sehr viel mehr, als was er auf dem Theater gebrauchte, aber Etwas, was er dort nothwendig haben mußte, fehlte ihm: ein starker Körper und ein deutliches Organ. Dies mußte er durch Anstrengung zu ersetzen suchen und die sichtbare Anstrengung in der Kunst schwächt stets den Eindruck. Aber Foersom war ein Mann von Genie. Er hätte ein vortrefflicher Philologe werden können, und er war Dichter; Dichter mehr als Schauspieler. Einige seiner lyrischen Stücke tragen unverkennbar das Gepräge der Originalität; als Shakspeare's Uebersetzer machte er Epoche. Seine Uebersetzungen bedürfen vielleicht der Berichtigung und es fehlt ihnen zuweilen die Feile; aber Shakspeare hat auch keine Feile gebraucht, und in Foersom's feuriger Uebertragung tritt der eigentliche Shakspeare oft stärker, als in A. W. Schlegel's oft allzu correcter und glatter Bearbeitung hervor, so gut diese auch übrigens ist.

Der Shakspeare'sche Humor war Foersom's eigentliches Element, und deshalb war auch der tiefsinnige, mit seiner Schwäche kämpfende Hamlet seine beste Rolle. — Friede sei mit Deinem Staube, guter Foersom! Ich bewahre noch das Exemplar Deines Lear's und Romeo's, in das Du geschrieben hast: „Dem Zwillingsbruder William Shakspeare's.“ Ich bin stolz darauf, daß Du mir das gesagt hast. — Geist und Gefühl des kräftigen Helden vermochte er darzustellen; aber das Erotische schien nicht gerade das zu sein, womit der tiefsinnige, launige Foersom am meisten sympathisirte.


Madame Schirmer als Thora.

Axel und Valborg machte Glück; doch entging es nicht dem Tadel der Mitglieder der ältern Schule. Der verstorbene Professor Kierulf fand es unnatürlich, daß Axel ein Schwanenlied[21] sang, ehe er starb. Ich hatte nämlich „Schwanengesang“ über Axel's letzten Monolog geschrieben, worunter ich nichts Anderes, als seinen Herzensseufzer im Tode meinte. Es wäre vielleicht besser gewesen, jene Ueberschrift auszulassen. Als man Thaarup einmal während der Aufführung fragte: „Woran stirbt Valborg?“ antwortete er: „An einem Liede!“ Valborg's Tod mag etwas Auffallendes und für Viele etwas Unnatürliches haben; aber ich glaube doch nicht, daß es unmöglich ist, und das ist für den Dichter genug. Ich habe später einmal in Dresden eine Madame Schirmer gesehen, welche den Tod der Valborg dadurch motiviren wollte, daß sie vom 3. Acte an ein gewisses schmachtendes Dahinschwinden andeutete, welches Valborg zu verbergen sucht; aber dies verdirbt das Ganze, ohne die Einzelnheiten zu retten. Valborg's Herz muß plötzlich durch einen Nervenschlag brechen, den ihr überspannter Zustand herbeiführt. Sie stirbt also stark bewegt und entschlummert nicht elegisch. Es würde leicht sein, ihren Tod ohne Nachtheil für das Stück zu verändern; aber davor werde ich mich wohl in der Ausgabe der Tragödien selbst hüten. Die Leser sind nun einmal an die alte Form gewöhnt und mit ihr zufrieden, und würden eine solche Veränderung für einen Eingriff in das öffentliche Eigenthum ansehen. Wenn indessen Etwas an der sogenannten Künstlerunsterblichkeit ist, so muß sie doch wenigstens einige Menschengeschlechter überleben. Es wird also eine Zeit kommen, wo man sich auch von Jugend auf an die Veränderungen in einem Dichterwerke ohne Verlust persönlicher Gefühle und Erinnerungen gewöhnen kann. Für diese — und für die Leser der Jetztzeit, die sich, wenigstens in einer Biographie für die verschiedenen Ideen eines Verfassers interessiren dürften, will ich hier einen Monolog anführen, den ich in späteren Jahren gedichtet habe, und mit dem Valborg das Stück beendigen könnte, wenn Wilhelm seine letzte Replik gesagt hat, und sie todt glaubt.

[22]

Neue Schlußscene zu Axel und Valborg.

Valborg
(erhebt sich von Axel's Leiche und nähert sich Wilhelm):

Nein Herr! Ihr habt nicht recht gesprochen!
Hoch Euer Lied ich preise,
Doch Valborg's Herz ist nicht gebrochen.
Durch Aage's und Else's Weise.
  Der Tod wird langsam mich bezwingen
Bis dann in's Grab ich steige.
Doch kann ich leicht dies Opfer bringen,
Daß meine Treu' ich zeige!
  Kommt nun, Herr Bischof! zu Gottes Ruhm
Woll't mir den Segen ertheilen!
In jenem dunkeln Heiligthum
Will bis zum Tod ich weilen.
  Kommt Jungfrau'n nun, und Ritter werth,
Es schaff't Euch keinen Harm!
Kommt, weih't mich, und werfet die dunkle Erd'
Ueber jung Valborgs Arm.
  Nun gehet Valborg mit Nonnen daher
Und betet die frommen Messen.
Versäumen wird sie's nimmermehr
Und Axel nie vergessen.
  Besser doch nimmer geboren sein,
Als nur sich in Leid zu versenken;
Wenn die Sonne taucht in das Meer hinein
Verlor'ner Freuden zu denken.
  Gott denen verzeihe, die Ursach' sind
Daß die nicht zusammen geblieben,
Die einander so treu von Herzen geminnt
Und in Zucht und Ehren sich lieben!

So würde die Tragödie sich fromm und recht an das alte Lied anschließen, von dem sie ausging, und Valborg's Tod, wenngleich im Grund derselbe, würde natürlicher erscheinen.

[23]


Das Mißgeschick.

Ich hatte mir im ersten Winter nach meiner Rückkehr ein großes Zimmer gemiethet, in dem auch mein Bett stand. Hier empfing ich fleißig Besuch. Mein alter Freund Weyse kam auch zu mir, und wollte durchaus haben, daß ich ihm gleich ein Singspiel schreiben solle, welches er componiren könne. Hier fing nun mein Mißgeschick an; in dem sichern Vertrauen auf mein poetisches Ansehen und den Beifall, den ich unbedingt genoß, beeilte ich mich, mitten in dem Schwarm von Besuchen und Unterbrechungen eine Skizze, Faruk, zu entwerfen, die zwar nicht ohne Poesie war, aber doch keine strenge Kritik aushalten konnte. Weyse war sehr zufrieden damit und ging gleich an die Arbeit. Als er fertig war, mußte ich zum Könige hinauf gehen, und um ein Benefiz auch für den Componisten bitten; denn es war nur eins für den Verfasser bestimmt, das wir dann hätten theilen müssen, und damit war Weyse nicht zufrieden. Der König war im Anfange dagegen, und machte es mir zum Vorwurf, daß ich das Stück nicht Kuntzen, der Kapellmeister war, gegeben hatte; als ich aber seiner Majestät vorstellte, daß ein so großes Genie, wie Weyse, doch auch Gelegenheit haben müsse, sich zu zeigen, fand er sich darein, und bewilligte Jedem von uns ein Benefiz. Das erste kam mir zu; aber ich überließ es Weyse. Dasselbe mußte ich ein paar Jahr später mit Ludlams Höhle thun. Bei Faruk aber, das auch nicht gut gegeben wurde, begannen nun allmälig sich die Wolken des Tadels gegen mich zusammenzuziehen. Von Deutschland aus hatte ich weiter keine Hülfe, obgleich Correggio auf allen Bühnen gespielt wurde und eine Reihe von Jahren hindurch außerordentliches Glück machte. Aber — ich hatte nun Göthe gegen mich, ich hatte die sogenannte romantische Schule verlassen, und dadurch Tieck und Steffens gegen mich lau gemacht. Meine Gegner und Neider in Dänemark fingen an, die Köpfe zusammenzustecken. Sander war immer feindlich gegen mich; er hatte zwei Stücke: „das Hospital“ und „Knut Lavard“ geschrieben, die ausgepfiffen wurden; nicht von einer einzelnen kleinen Partei[24] der Menge gegenüber, sondern die Menge selbst verurtheilte sie. Daran sollte ich nun Schuld sein, obgleich ich während der Execution nicht zugegen gewesen war und die Stücke vor meiner Heimkehr nicht kannte.

Sander und seine „Alphabete“.

Sander hatte mehrere deutsche Romane geschrieben, ehe er herkam und rühmte sich oft aller der „Alphabete,“ die er herausgegeben hatte. Das Glück, welches sein Niels Ebbesen machte, der Dänisch geschrieben war, nachdem er die Fertigkeit der Sprache erlangt hatte, übte einen schädlichen Einfluß auf seinen moralischen Character aus. Ein paar Jahre lang ging er in dem Glauben umher (in dem auch Rahbek ihn bestärkte), daß er ein sehr großer Dichter sei, und — wenn er so fortführe — Dänemarks erster Tragiker werden könne. Das Alles fiel nun zu „Hospital“ und „Knut Lavard“ hinab, und die Verachtung, die diesen matten Arbeiten gezeigt wurde, machte ihn ganz verdreht im Kopf. Ich habe erzählt, daß er eine kurze Zeit in der Schule für die Nachwelt, als ich noch Zögling daselbst war, Unterricht im Deutschen gab. Daß dieser Zögling vier Jahre darauf ihn verdunkeln würde, hielt er der Natur nach für ganz unmöglich und betrachtete es als eine abscheuliche Kabale. Ich erstaunte im hohen Grade, als ich den Mann, der in der Schule unablässig Tugend und Humanität im Munde führte, so schwach sah, daß er sich zu schamlosen Angriffen meines moralischen Characters herabließ. Es ging so weit, daß einer meiner Freunde ihm mit dem Gerichte drohte. Vor diesem Freunde that er privatim Abbitte, und entschuldigte sich damit, daß er krank geworden wäre, wenn er seiner Galle gegen mich nicht Luft gemacht hätte.


Die Dichtung und das Strenghistorische.

Aber Sander war nicht mehr gefährlich; dagegen traf ich bei meiner Heimkehr einen gewissen historischen Eifer an, der der Poesie mit dem Untergange drohte. Durch Dichterwerke angeregt, hatte man gelernt, die alten Heldensagen zu schätzen; man[25] legte sich gründlich auf dieses Studium, und das war gut und recht; aber nun fand man, daß die Dichter die Geschichte allzu oberflächlich behandelt hätten; man meinte viel weiter in der Kunst zu kommen, wenn man sich nur an das Strenghistorische hielte. Die Dichter sollten treue Bilder des Alterthums zeichnen, durchaus ihre eigne Natur, die eigne Zeit, ihre Denkungsart verleugnen und sich in eine barbarische Zeit versetzen; erst dann erhielten ihre Werke tiefere Bedeutung, Wahrheit und Schönheit. — Ich glaubte und glaube noch, daß die Poesie sowohl Vergangenheit, wie Gegenwart, und weder das eine oder das andere allein sein sollte. Ich unterschrieb Schiller's Worte:

„Alles wiederholt sich hier im Leben,
Ewig jung ist nur die Phantasie;
Was sich nie und nirgends hat begeben,
Das allein veraltet nie.“

Der Dichter muß dem Ideale nachstreben; das menschlich Schöne besteht in einer harmonischen Verbindung geistiger und körperlicher Vollkommenheiten. Zu verschiedenen Zeiten hat bald das Geistige, bald das Körperliche geherrscht; der Dichter muß Etwas von Beiden aufgeben, um sie Beide vereinigen zu können. Seine Helden dürfen weder Barbaren noch Philosophen sein, sondern kräftige Menschen mit Verstand und Herz. Er muß also Etwas von der Bildung und Milde seiner Zeit über die allzu wilde Kraft der alten Heldenzeiten ausbreiten. Diese giebt die Handlung und die Charactere, aber er muß zu großem Theile die Barbarei entfernen. Kurz, er muß im Geiste Palnatoke's handeln, wenn dieser sagt:

„Ihr Brüder! Kraft und Frömmigkeit, das sind
Die beiden Flammen, die ins Leben strahlen.
Es scheint die Kraft der Sonne gleich am Tage,
Und weckt mit ihren starken Sommerstrahlen
Die schönen Blumen aus dem todten Grunde;
Es leuchtet Frömmigkeit ein bleicher Mond,
Verleiht den Blumen ihren schönsten Reiz.
Doch diese beiden Flammen müssen wechseln![26]
Denn wenn der Sonne Gluthen ewig brennen,
So wird der Garten einer Wüste gleich,
Der Held ein Irrlicht; strahlt der Mond
Beständig seine frommen matten Flammen,
So schwindet bald des Lebens Macht, der Mensch
Wird zum Gespenste, das vor seinem Tode
Umherirrt in der Nacht verschwiegnen Gräbern.“
Die Grundtvig'sche Schule.

In diesem Geiste habe ich meine Tragödien gedichtet. — Aber bei meiner Rückkehr fand ich einen neuen Absenker der neueren Schule mit einiger Variation der vorigen, aber doch in demselben Geiste, dessen Anführer Grundtvig war. Dieser geniale, aber — meiner Ueberzeugung nach — allzu einseitige und schwärmerische Mann hatte mit zwar seine „Scenen aus dem Untergang des Heldenlebens“ dedicirt, aber ich bemerkte doch bald, daß er zugleich gegen mich kämpfte.

Trotz all' der Huldigungen und des Lobes, das ich von ihm bekommen hatte, konnte ich doch nicht sonderlich zufrieden sein; seine Ansicht war, daß ich den ersten — halb geglückten, halb mißglückten — Versuch gemacht, und so eigentlich nur Anderen den Weg gebahnt habe. Ich las Grundtvig's Heldenscenen, und obgleich diese, wie er selbst sie nennt, nur Gespräche ohne dramatische Handlung und Kunst sind, so staunte ich doch über das Feuer und die Kraft in der Sprache, über die Vertrautheit mit den alten Sagen, welche ihn mit Wörtern und Ausdrücken und mit vielen characteristischen Zügen in den Schilderungen bereichert hatten, die dieses Buch zu einem merkwürdigen Produkte der dänischen Literatur machen. Er war in einer gewissen Richtung der Geschichte um einige Linien auf dem poetischen Compaß näher gekommen, als ich; aber alle seine Helden waren doch nur lyrisch begeisterte Wortführer der rohen Kraft; und dies geht sogar so weit, daß Vagn Akison ohne Mißbilligung der Anderen damit prahlt, einem Sklaven ein Auge ausgeschossen zu haben, als er es versuchen wollte, Palnatoke's Schuß nach dem[27] Apfel auf des Sohnes Haupte nachzumachen. In der ältesten nordischen Geschichte finden sich doch nur wenige Züge solchen aristokratischen Hochmuths und solcher Grausamkeit, an denen die Geschichte des Mittelalters so reich ist. Was die objectiven Darstellungen betraf, so wagte ich stets zu glauben, daß ich mehr altnordisch sei, als Grundtvig, bei dem das subjective Streben sich stets vorherrschend äußerte.

Mein Briefwechsel mit Grundtvig.

Er ging bald einen ganz entgegengesetzten Weg. — Er bewunderte nicht mehr Thor's Hammer; nicht das Christenthum, wie ich es fühlte, stellte ihn zufrieden; er schrieb mir ein Mal einen Brief, und ich beantwortete ihn. Da wir später unsere Ansichten nie unterdrückt haben und diese in der langen Zwischenzeit wohl kaum viel verändert worden sind, will ich hier diese Briefe auszugsweise mittheilen. Grundtvig schrieb:

„Wie ich über Sie und Ihre Werke urtheile, wissen Sie vielleicht; aber ich will es Ihnen doch sagen; denn ich will mich nicht bei Ihnen einschmeicheln, unser Verhältniß aufklären will ich, damit es dann von unsern Herzen und nicht von Mißverständnissen abhängt, welche Stellung wir einander gegenüber einnehmen sollen.“

„Wenn Sie einst in der Erinnerung die Stimmung bei sich wiedergebären wollen, in der Sie Ihre poetischen Schriften dichteten, und sich diese Stimmung als eine feste, ruhige Ueberzeugung denken, von der Alles getrennt ist, was nicht im Christenthume wurzelt, so werden Sie besser, als es Worte auszudrücken vermögen, fühlen, wie ich Ihre neue Dichterlaufbahn beurtheilen muß; denn daß Sie, nachdem Sie Hakon Jarl's Denkmal beendigt hatten, eine neue einschlugen, ist Ihnen sicherlich bewußt. Daß ich nicht blind bin für die Schönheit Ihrer späteren Gedichte sowie für die bei Weitem größere Abrundung und Proportion derselben, werden Sie mir auf mein Wort glauben; aber es versteht sich von selbst, daß es mich innig betrüben muß, daß der religiöse Ernst Ihre Gedichte mehr und mehr verlassen hat, und in Ihren letzten Arbeiten durch ein gewisses[28] Spielen mit dem Geistigen verdrängt wird, wie auch, daß ich diese Gedichte im Grunde viel weniger poetisch (begeistert) nennen muß. Am meisten schmerzt mich dies, weil eine solche Umwandlung ihren Grund im innersten Wesen des Dichters findet. Daraus folgt, daß er das ernste Nachdenken über sein eigenes geistiges Verhältniß zu Gott als dessen Diener auf Erden aufgiebt; daß er mehr Gewicht darauf legt, zu glänzen und Ehre und Beifall zu gewinnen, als seine Brüder zur Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit zu erheben.“

„Ich weiß, daß Sie und viele Andere in mir einen Schwärmer und Fanatiker sehen, aber glauben Sie mir, ich bin es nicht. Wenn das Leben eine Farce ist, welche endigt, sobald der Vorhang des Todes fällt, so habe ich entschieden Unrecht; aber das ist nicht zu befürchten; ich bin meiner Sache gewiß. Gäbe Gott, daß es mit Ihnen ebenso wäre! dann würde Ihr Herz eine reinere und stetigere Freude erfüllen, ein höherer Geist Ihren Gesang beseelen und Sie wieder mit ihren seltenen Gaben ein strahlendes Licht für tausend Ihrer Brüder werden, die in dem Schatten des Todes schlummern und unstet auf Irrwegen umherwandeln.“

Die Dichtung in ihrem Verhältniß zur christlichen Religion.

Ich antwortete:

„Wodurch verdiene ich die kränkenden Anschuldigungen, die Sie gegen meine höhere Menschlichkeit, das ewig Heilige, das sich mit der Gottheit und Ewigkeit verbindet, aussprechen. Worin habe ich in meinen späteren Werken eine Abweichung von meinem höhern Ziele gezeigt. Wahrlich, ich würde sehr betrübt sein, wenn ich nicht fühlte, daß meine Seele sich entwickelt und veredelt hat. Ich behaupte auch, daß mein Palnatoke, Axel und Valborg, Correggio und Stärkodder den Beweis dafür liefern. In Hakon Jarl zeigt sich noch der polemische Gegensatz zwischen der Form des Christenthums und der des Heidenthums. Hiermit sympathisirt Ihr polemischer Character am Meisten. Das Christliche äußert sich daselbst auch mehr in hervortretenden lyrischen Sentenzen Olaf's, der übrigens noch ein sehr mäßiger Christ war.[29] In den anderen Stücken ist nicht vom Christenthum die Rede; aber ich glaube, es findet sich mehr wahres Christenthum darin. Denn die Ideen von der Versöhnung, der Liebe, die unverschuldeten Leiden der liebenswerthen Tugenden und die ewige Hoffnung werden in der Handlung dieser Stücke dargestellt und müssen einen Jeden, der nicht absichtlich seine Augen schließt, überzeugen, daß nicht irdische Eitelkeit ihren Verfasser begeistert hat.“

„Wie wir auch die christliche Offenbarung betrachten mögen, so muß man sie doch ihrem eigenen Geiste nach für das ewig Göttliche halten, das in der Zeit auf eine sinnliche Weise anschaulich wurde; Gott war es, welcher Mensch: der Geist, welcher Fleisch wurde und unter uns wohnte. Das Göttliche müssen wir als unveränderlich betrachten; aber das Sinnliche, das Menschliche, gehört der Zeit und wird mit ihr verändert. Statt sich nur stets an dem Christusbilde, wie die historische Bibelnachricht es umgiebt, zu halten, sucht der Dichter den Geist Christi mit mehreren Bildern zu vereinigen. Dies ist sein Wesen, und ohne dieses giebt es keine Dichtkunst.“

„Die ewige Liebe hat sich sowohl vor, wie nach Christus offenbart; er selbst steht als das schönste, heiligste Beispiel der Vereinigung des Göttlichen und Menschlichen da. Aber seine Stellung ist so hoch, daß der bescheidne Dichter, der daran verzweifelt, ihn so herrlich darstellen zu können, wie er es verdient, sich lieber in Demuth an etwas Menschliches wendet, das ihm gleich ist, und einen Schimmer seiner himmlischen Tugenden hat. Das Licht bricht sich in Farben; mit diesen können wir malen, nicht mit dem Lichte selbst. Ich habe Nichts dagegen, daß man dies ein Spiel mit dem Geistigen nennt; es ist ein Spiel, wie Correggio sagt; aber dieses Spiel schließt den höchsten Ernst in sich. Auch nach der Abrundung von Schönheit in der Kunst, welches Sie gleichfalls als etwas sehr Untergeordnetes zu betrachten scheinen, strebt der wahre Künstler; denn Schönheit ist nichts Anderes, als die vollkommene Form des Guten, und[30] Abrundung ist Reife und die Herrschaft des Künstlers über das Werk.“

Damit war der Briefwechsel geendigt, und kurz darauf wiederholte Grundtvig in seiner Weltchronik, was er mir im Briefe gesagt hatte. Ich fühlte, wie unmöglich es mir werden würde, mit diesem Manne zu sympathisiren, dessen Feuer, Begeisterung, Beredsamkeit ich bewunderte, und von dessen gutem Willen ich überzeugt war, dessen Gefühl und Lebensanschauungen aber in zu starkem Gegensatz zu dem meinigen standen. Hier, wie so oft, erkannte ich die Wahrheit von Göthe's Worten:

„Ganz vergeblich versuchst Du des Menschen
Schon entschiedenen Hang und seine Neigung zu wenden;
Aber bestärken kannst Du ihn wohl in seiner Gesinnung,
Oder wär er noch neu, in Dieses ihn tauchen und Jenes.“

Ein Winter in der Heimat.

Den größten Theil des ersten Winters nach meiner Rückkehr nach Kopenhagen brachte ich in großen Gesellschaften zu; um mich wieder zu erholen und eine alte Freundschaft aufzufrischen, zog ich ein paar Wochen nach Friedrichsburg hinaus, wo mein Jugendfreund Winckler Regimentschirurg war. Während dieser Zeit war ich sein Gast. Wir wanderten in der stillen Winterlandschaft weit umher, sprachen viel mit einander und frischten alte, liebe Erinnerungen auf. Er machte mich mit der Familie des Justizraths und Gestütmeisters Nielsen bekannt, wo ich doch nicht den jungen Mann fand, der einige Jahre später so sehr viel zu dem glücklichen Erfolge meiner Tragödien auf der Bühne beitragen sollte. Es machte mir vielen Spaß, all' die gewaltigen Hengste ihre Capriolen machen zu sehen; einer der schönsten und stärksten von ihnen war Palnatoke genannt. Aber auch kleinere Thiere amüsirten mich in Friedrichsburg: ich hatte ein Zimmer gemiethet, da Winckler keines übrig hatte; hier waren Mäuse, und ich zog eine von diesen so, daß[31] sie an mein Bein hinaufkroch und etwas Brot aß, das ich dort hinlegte, während ich am Ofen saß und las. Bei der kleinsten Bewegung schlüpfte das Thierchen wieder in sein Loch. Ich dachte hierbei an Norkroff und viele andere arme Gefangene, die in solcher Gesellschaft ihren einzigen Trost und Zeitvertreib gefunden hatten.


Meine Trauung.

Am 17. Mai 1810 speiste ich mit meiner Christiane bei ihrem Vater in Kopenhagen zu Mittag; darauf fuhr ich mit ihr allein nach Gientofte, wo Herr Pastor Höegh, nachdem ich ihm die nöthigen Papiere gezeigt hatte, mit uns in die Kirche ging und uns traute. Als Mann und Frau setzten wir uns wieder in den Wagen und fuhren nach dem schönen Christiansholm bei Seeluft, das uns Graf Schimmelmann freundlich zur Sommerwohnung angeboten hatte.

Dieser Sommer war schön und angenehm. Die munteren witzigen Fräulein Hammeleff, die Freundinnen meiner Frau, und der derbe, treue Norweger Reinhardt (später Professor der Zoologie und mit der einen Freundin verheirathet) bildeten damals hauptsächlich unsere Gesellschaft, wenn wir nicht auf Seeluft waren. — In diesem Sommer dichtete ich einige lyrische Gedichte, sowie die Erzählung Aly und Gulhyndy. Von den lyrischen Gedichten war Sigrid mit dem Schleier das längste. Da der Stoff romantisch ist und sich den Ariost'schen Mährchen nähert, schrieb ich es in Ottaverimen, und die Erinnerung an Italien, das ich vor Kurzem verlassen hatte, verlieh ihm ein südliches Colorit. Aber um doch Denen, die da behaupteten, „daß ich nicht mehr nordisch sei,“ zu zeigen, wie wenig ich das Nordische vergessen hätte, schrieb ich zu gleicher Zeit Harald Fangzahn, dessen Form stark nordisch ist, in einem schweren alten isländischen Ton, sowohl in Reimen, wie in Reimbuchstaben.

Die herausgekommene Sammlung unter dem Namen von[32] Dichtungen, welche kurz darauf durch einen Band Erzählungen fortgesetzt wurden, fanden viele Leser und Liebhaber. Aber es hieß doch in gewissen Kreisen, „daß dies nur ein matter Abglanz meiner früheren Gedichte sei.“ Ueberhaupt — mit Ausnahme der Werke, die ich aus der Fremde ins Vaterland sandte, oder kurz vor meiner Abreise herausgab — ist das Meiste ziemlich streng getadelt worden, wenn es erschien, und gewann erst nach und nach Beifall.

So ging es selbst mit Correggio, obgleich Foersom durch seine geistvolle Darstellung diesem Character auf der Bühne Interesse zu verleihen verstand. „Um Gottes Willen,“ sagte ein Mann, der damals viel beim Theater zu thun hatte, „wie kann es nur das Publikum amüsiren, einen armen Maler ein ganzes Stück hindurch ächzen zu hören?“ Man hielt damals eine solche Aeußerung, die von einzelnen Anderen wiederholt wurde, für eine Einfältigkeit; aber wir haben gesehen, daß sie selbst von einem Göthe und Tieck unterstützt worden ist.


Meine Bekanntschaft mit Christian Stolberg.

Bei Schimmelmanns machte ich die Bekanntschaft mehrerer bedeutender Personen; unter anderen die des Grafen Christian Stolberg, der mir mit geistvoller Freundlichkeit entgegenkam. Sein genialer Bruder Friedrich Stolberg war nicht zugegen. Es würde mich gefreut haben, diesen Dichteraar zu sehen und zu sprechen, der Axel und Valborg liebte — wenn nicht der katholische Mysticismus bereits seine Flügel gestutzt hätte. Auch die Schwester des Grafen Stolberg, Käthchen, ein alte Dame, welche umherreiste, und sich bald bei dem einen, bald bei dem andern ihrer Freunde einquartirte, lernten wir kennen. Sie war immer entzückt und exaltirt, aber sehr gutmüthig und hatte vielen Verstand und Bildung. Als sie hörte, daß wir auf Christiansholm wohnten, sagte sie: „Ach, da muß ich Sie besuchen!“ Sie kam auch. Auf Christiansholm waren zwei große Zimmer mit Glasthüren zu beiden Seiten. Sie trat[33] durch die eine herein; aber kaum sah sie durch die andere die Bäume, so rief sie: „Ach, wie schön! da müssen wir hinaus!“ worauf sie durch die andere ging, und wir mußten mit ihr weiter spazieren, ohne daß es ihr einfiel zurückzukehren. Man erzählte eine komische Geschichte von ihr, wie sie in Holstein, ich glaube beim Grafen Reventlow, in einem Saal der zweiten Etage, ohne es Jemand zu sagen, ein Blumenbeet angelegt hatte, indem sie unbemerkt Erde in ihrer Schürze hinaufschaffte. Diese Rabatte hatte sie voll Vergißmeinnicht gepflanzt und täglich sorgfältig mit Wasser begossen. Eines Morgens, als der Graf zur Decke seines Zimmers emporsah, konnte er nicht begreifen, was das für große, dunkle Flecken seien, die er daselbst bemerkte. Er ließ seinen Verwalter kommen, und als er ihn fragte, was das für Flecke seien, antwortete dieser: „Die hat Comtesse Käthchen gemacht, sie ist verrückt!“ Der Graf wurde über diese groben Aeußerungen böse; aber der Verwalter bat ihn mit hinauf zu kommen, und zeigte ihm das Blumenbeet, worauf der Graf antwortete: „Sie ist freilich verrückt; aber Sie sollen es doch nicht sagen.“


Käthchen Stolberg. — Characterzüge Schimmelmanns.

Hier muß ich einen Characterzug von Schimmelmann erzählen. Er hatte eines Abends ein deutsches Buch politischen Inhalts erhalten, und bat mich, ihm daraus Etwas vorzulesen. Das Buch gefiel mir nicht, weil der Ton mir darin affectirt und schwülstig erschien. Ich las deshalb die übertriebensten Tiraden in einem lächerlichen geschraubten Tone, worüber Schimmelmann endlich böse wurde, mir das Buch aus der Hand riß und sagte: „Nein, so könne man auch die Bibel lesen!“ Ich schwieg, obgleich ich heftig bewegt wurde. Er schwieg auch. Die Gräfin knüpfte ein neues Gespräch an; wir setzten uns zu Tisch. Es ging ziemlich still zu, und ich ging nach Hause, nachdem ich höflich, aber verlegen gute Nacht gesagt hatte. Am nächsten Morgen, als wir auf Christiansholm beim Frühstück saßen, rief[34] Christiane, die zum Fenster hinaus die schöne Allee vor dem Hause hinunterblickte: „Da kommt wahrhaftig Schimmelmann!“ — Der herrliche Mann kam, um es wieder gut zu machen, obgleich ich doch eigentlich erst unartig gegen ihn gewesen war, indem ich ein Buch lächerlich machte, das er gern hatte, und aus dem er mich bat, vorzulesen.

Noch einen andern Zug von ihm muß ich erzählen. Es kam einmal in meiner Gegenwart die Nachricht von seiner Baronie Lindenburg, daß daselbst ein Schiff gestrandet sei, worauf er das Strandrecht hatte. „Das ist ein eigner Fall!“ rief er, und fuhr fort, indem er auf mich zeigte: „das muß Aladdin haben!“

Daß es ein falsches Gerücht war, und daß Aladdin also Nichts bekam, dafür konnte Schimmelmann nicht; er hatte doch den guten Willen gehabt.


Geburt meiner Tochter Charlotte.

Im nächsten Frühjahr 1811 am 21. April wurde meine älteste Tochter geboren; die Gräfin Schimmelmann hielt sie über die Taufe, und sie wurde nach dieser „Charlotte“ genannt.

Wir brachten wieder eine kurze Zeit des Sommers auf Christiansholm zu. Aber dies war das Kometjahr, und das führte eine abscheuliche Hitze mit sich, die ich nicht vertragen konnte. Im Anfange hielt ich mich doch noch tapfer, und um meinen Landsleuten noch ferner zu beweisen, daß ich das Nordische nicht vergessen hatte, dichtete ich die Tragödie Stärkodder. Aber kurz darauf bekam ich das kalte Fieber und die Gelbsucht. Christiansholm ist wunderschön beim Thiergarten gelegen; aber von Sümpfen umgeben; diese hauchten in dem heißen Jahre wahrscheinlich stärkere Dünste als gewöhnlich aus; es lagerte ein weißer Nebel über ihnen, wenn ich in der Abendkühle spazieren ging. Der vortreffliche Arzt Callisen besuchte mich. Er hatte mich stets seit der Zeit lieb gehabt, wo ich ihm bei seinem Rücktritt von der Universität ein Abschiedslied dichtete.[35] Aber ungeachtet seiner Hülfe kam das kalte Fieber doch immer wieder.


Ein seltsamer Besuch.

Eines seltsamen Nachmittags aus jener Zeit entsinne ich mich noch deutlich. Meine Frau war in Kopenhagen, es regnete heftig; ich ging in den großen einsamen Zimmern allein, unbarbirt und gelb, wie ein Zigeuner umher und fing an, die Fieberkälte zu empfinden. In demselben Augenblick trat das Mädchen ein und sagte: „Die Gräfin Schimmelmann stehe draußen mit einer großen Gesellschaft, die mir eine Visite machen wolle.“ — Ich sah durch das Fenster eine Menge wohlgekleideter, munterer, gesunder Menschen, die von einem guten Mittagstisch kamen, und nun zum Dessert den Poeten in der Waldwohnung sehen wollten. Es war mir unmöglich, sie zu empfangen; das Mädchen mußte der Gräfin sagen, daß ich mich niedergelegt hätte. Von einem Winkel aus sah ich die große Gesellschaft wieder durch die Bäume verschwinden, und trotz meines Fiebers athmete ich einen Augenblick leichter, als ich der drohenden Gefahr entgangen war, den Schöngeist in einem Augenblicke spielen zu müssen, wo ich nichts weiter, als ein armer, kranker Mensch war. — Ich setzte mich nun in den Lehnstuhl und wollte mich wirklich auskleiden und zu Bette gehen, als ich in demselben Augenblicke die Augen aufschlug, und einen fremden Mann vor mir in der Halle stehen sah. Er war ziemlich schlecht gekleidet, hatte ein sehr blatternarbiges Gesicht und eine sonderbare Miene. In meinem Fieberzustande fing ich an, an die Möglichkeit eines Räubers zu denken, als er in demselben Augenblicke sehr freundlich den Mund öffnete, und sagte, daß er vom Dr. S. gesandt sei, ob ich ihm nicht die Schrift leihen wolle? — Ich glaubte erst, er wolle die Bibel haben; aber als es zu näherer Erklärung kam, war es „Bürger Qvist,“ der den Harlequin im Thiergarten spielte und gehört hatte, daß ich seine Komödie in Verse gebracht hätte (Sct. Johannisabendspiel) und nun wünschte,[36] sie in dieser Gestalt zu lesen. Ich hatte das Gedicht nicht zur Hand und mußte ihn unverrichteter Sache fortgehen lassen. — Als er fort war, verfiel ich in verschiedene traurige Betrachtungen. „Es waren andere Zeiten,“ dachte ich, „da du noch als Kind dich draußen an dem Harlequin erfreutest. Nun sitzest du hier, hast Fieber und Gelbsucht und blickst dem prosaischen Entrepreneur in die Coulissen. Die Illusion ist aufgehoben, die Kindlichkeit verschwunden; und was ist der Mensch ohne Kindlichkeit und Illusion?“ — Nun kam das kalte Fieber, und so denkt ein Fieberpatient. Dem gesunden, frischen Dichter fehlt es nie an Kindlichkeit, nie an freudiger Illusion. Selbst in seinen Wehmuthszähren spiegelt sich ein schönfarbiger Regenbogen, der den Himmel mit der Erde verbindet; und seine begeisterte Kraft erhärtet diesen lustigen Bogen zu einer Brücke, auf welcher Thor mit allen Göttern herabreitet.

Das kalte Fieber kehrte immer wieder; ich wurde immer matter und gelber, und hätte mich meine Frau nicht, nach Callisen's Rath, in einen wohlverwahrten Wagen eingepackt, und mich zur Stadt gefahren — so hätte ich mich vielleicht niemals erholt.


Die Tragödie Stärkodder.

In meiner neuen Tragödie Stärkodder hatte ich die Idee der Reue und der Besserung eingeflochten. Wenn diese Worte nicht nur ein hohler Klang sind, so muß eine solche Veränderung bei dem Menschen möglich sein. Hier ist nicht die Frage: konnte ein Mann, wie Stärkodder, eine ehrlose Handlung begehen? sondern die Frage ist: konnte ein Mann, der jene Handlung begangen hat, ein Mann wie Stärkodder werden? — Und das glaube ich zur Ehre der Menschheit. — Man muß sich in jenes Zeitalter versetzen. Ein Mensch, der ein solches Verbrechen jetzt beginge, wäre ein Elender, der ohne Zaudern dem Tode überantwortet werden müßte. — Aber was wünscht Stärkodder? Nur den Tod! Und wie wird er gestraft? mit[37] dem Leben, das ihm eine drückende Last ist. In den heidnischen Zeiten war Mord und Todtschlag so allgemein, daß man sich nicht die Bedenken über dergleichen Handlungen machte, wie in unseren Tagen; Geldgier war das allgemeine Laster der industrielosen Barbarei, und die Industrie hat es nicht ausgerottet, obgleich sie sich seltner so plumper Mittel bedient. — Er hatte in einem übereilten Augenblicke im Rausche den Mord begangen. Das Gewissen verfolgt ihn während glänzender Thaten, „jede einzelne groß genug für einen Mann, um der Unsterblichkeit gewiß zu sein.“

„Hier steht ein andrer Mann, ein fremdes Wesen;
Ein Name nur: Stärkodder ist geblieben
In der Vergangenheit. Was ist Stärkodder?
Ein Laut, ein Klang, ein Nichts! Und doch muß er
Für jenes jungen Thoren Unrecht büßen!“

Doch endlich werden die Götter versöhnt, — und diese nordisch-heidnischen Götter — die (gleich den griechischen) mehr die ewigen Naturkräfte, als die moralischen Vollkommenheiten repräsentiren, bedenken sich nicht, den tapfersten Sterblichen in ihre Zahl aufzunehmen.

Diese dramatische Handlung verband ich mit Episoden, indem ich mich in Bezug auf Solches an die Shakespeare'sche Historie, sowie in den großen Situationen an die lyrisch-pathetische griechische Tragödie hielt. Ich glaube, daß diese Episoden, die, wie Aristoteles es verlangt, theils nach Nothwendigkeit, theils mit Wahrscheinlichkeit der Haupthandlung angeknüpft sind, diese unterstützen und das Stück interessant machen, was heut zu Tage keine Tragödie entbehren kann; obgleich ich wohl weiß, daß das Pathetische das Interessante überwiegen muß, und auch hoffe, daß dies im Stärkodder wie in meinen anderen Tragödien der Fall ist.

Knudsen spielte den Stärkodder; und obgleich diese Rolle außerhalb seines Faches lag, kam ihm doch seine Begeisterung,[38] seine Kraft und sein nationales Gefühl zu Hülfe und war von Wirkung; doch war es erst einem Ryge vorbehalten, den eigentlichen Stärkodder darzustellen.


Unbedeutendere Dramen.

Meine folgenden Dramen waren unbedeutender. Ein Maler kann nicht immer große historische Gemälde schaffen; er malt auch zur Abwechselung, während der Geist zu größeren Werken ruht, kleinere Genrebilder. Ich hatte Lust, den leichten französischen Conversationston in gereimten Versen zu versuchen, und schrieb den Canarienvogel. Ein Scherz mit einem gutmüthigen, alten Manne, der ohne Ursache aus seine junge, schöne Frau eifersüchtig ist, und dafür von seinem eignen Bruder durch einen kleinen Schrecken gestraft wird. Wäre man damals ebenso, wie jetzt, in dieser leichten gereimten Diction geübt gewesen, so hätte das Stück vielleicht mehr Wirkung hervorgebracht. Ich habe es später umgearbeitet und verkürzt und glaube, daß es dadurch gewonnen hat. In „Ehrlich währt am längsten“ verlangte ich zu Viel von dem theaterbesuchenden Publikum. Ich hatte nicht an Göthe's Worte in dem Vorspiel zum Faust gedacht: „Wir wollen stark Getränke schlürfen.“ Ich wagte ein kleines naives Idyll ohne Musik, ohne Intrigue, aber — nach dem Urtheil der Kenner — nicht ohne poetisches Leben darzustellen. Ein einfältiger, alter Bischof, übrigens ein gutmüthiger Mensch, der an der Ehrlichkeit zweifelt, wird durch die natürliche Unschuld eines jungen Hirten beschämt; und die Rheingegend des südlichen Deutschlands dient dieser Skizze zum Hintergrunde. Diese kleinen Arbeiten zugleich mit Faruk wurden nun von meinen Gegnern als mißglückte Bagatellen betrachtet, welche deutlich zeigten, daß ich nicht mehr Der sei, der ich gewesen war.

Die Tragödie Hugo von Rheinberg.

Mehr Wirkung machte die Tragödie Hugo von Rheinberg (geschrieben im Jahre 1813), obgleich sie weder vaterländisch noch historisch ist. Hier ist Alles in der von mir selbst erfundenen,[39] tragischen Hausscene auf Effect abgesehen. Ritter Hugo und Frau Bertha fliegen wie Nacht-Schmetterlinge in das Licht, das ein unglückliches Schicksal ihnen vorhält. Kunigunde und Ritter Walther sind trotz ihrer tugendhaften Eigenschaften durch Unvorsichtigkeit und Eigensinn selbst Schuld an ihrem Unglücke. Sie bringt unvorsichtiger Weise Bertha auf die Burg zu Hugo, nachdem Walther Bertha verlassen hat, um auf Abenteuer auszugehen. In ihnen Allen geht etwas Gutes zu Grunde, welches Rührung erweckt. Ein Don Quixote aus dem Mittelalter, Moritz, und sein plumper Vater Ruprecht, werfen in humoristischen Scenen Lichtpartieen in das dunkle Gemälde. Auch sie gehen durch eigne Schuld zu Grunde. Der Eine im eitlen Gezänke, der Andere durch blutigen Rachedurst. Der dänische Harald ist der vernünftigste. Die Scene, in welcher er im Snorro Sturleson liest, und wo der Harnisch herabfällt, ist immer von Wirkung, obgleich man im Voraus weiß, was geschehen wird. Einige werden meinen, daß er leben bleiben und zum Vaterlande zurückkehren müsse; aber er ist doch auch einseitig leidenschaftlich in seiner Freundschaft und wünscht selbst den Tod, um seinem einzigen Freunde zu folgen. So gehen alle heroischen Personen in diesem Gemälde starker Leidenschaften zu Grunde; nur idyllisches Glück, auf bescheidene Weise und Genügsamkeit gegründet, zeigt sich als tröstender Gegensatz bei ihren Dienern.


Eine Burschenschaft. — Der Conferenzrath Brandis.

Während dieser Zeit lernte ich in den vornehmen Zirkeln einen höchst interessanten Mann, den humoristischen, genialen Etatsrath (spätern Conferenzrath) Brandis kennen. Wenn ich ihn hörte, so war mir's, als ob Kästner und Lichtenberg wieder auflebten, um mehr Witze zu machen, aber als ob Göthe ihnen seine geistreichen Beobachtungen für die kleinen characteristischen Züge des Lebens und seine freundliche Ironie geliehen hätte.

Brandis und ich bekamen Lust, eine derjenigen ganz entgegengesetzte Gesellschaft zu gründen, in der wir unsere erste Bekanntschaft[40] gemacht hatten, wo aber doch auch den Musen gehuldigt werden sollte. Er hielt medicinische Vorlesungen und es waren mehrere Kieler Studenten nach Kopenhagen gekommen, um ihn zu hören. Nun stifteten wir eine Burschenschaft; er, um diesen Spaß noch ein Mal in seinem Leben durchzumachen, ich, um ihn überhaupt ein Mal durchzumachen, da ich ihn nie vorher gekannt hatte. Sein ältester Sohn, der jetzige Professor Christian Brandis in Bonn, und unser Freund (späterer Conferenzrath) Bech, der in Deutschland gewesen war, nahmen Theil daran. Die Gesellschaft war bald bei dem Einen, bald bei dem Andern, gerade so, wie ein Collegium politicum. Man saß da an einem langen Tische bei Butterbrod, Bier, Branntwein und Tabak. — Ich rauchte nicht mit, ließ mich aber gern von den Anderen einräuchern. Und nun kamen wieder alle alten, lustigen Geschichten an den Tag. Man konnte sich mit Rücksicht auf die Form keinen größern Unterschied zwischen diesem und dem feinen Damenzirkel denken; aber in der Hauptsache glichen beide Gesellschaften doch einander, in soweit, als sich geistreiche Menschen darin, zum Theil poetisch, unterhielten. Daß diese Burschenschaft übrigens von zahmerer Natur war, als die deutschen, war eine Folge der Ueberpflanzung auf dänischen Grund, und daß zwei Professoren als Mitglieder an derselben Theil nahmen.

Anekdoten von Brandis.

Von dem merkwürdigen Brandis muß ich etwas mehr erzählen. Er war von untersetztem, aber starkem Körperbau; sein außerordentlich ausdruckvolles, blatternarbiges Gesicht mit blauen Augen war voller Humor; sein großer, dicker Kopf mit buschigem, herabhängendem Haar glich etwas einem Löwenkopfe, weshalb Camma Rahbek ihn auch den Löwen nannte. Er war in seinen jüngeren Jahren Badearzt und Gastwirth in Driburg gewesen. In Hildesheim hatte er sich auch aufgehalten und in Göttingen studirt. Er wußte eine große Menge Geschichten zu erzählen, die sich alle mit ihm in diesen Orten ereignet hatten. In Holstein hatte er der Königin Maria Vertrauen gewonnen und war nun unter sehr günstigen Bedingungen ihr Leibarzt.[41] In den erwähnten Kreisen war er oft zugegen gewesen, wenn ich meine Tragödie vorlas; aber er verstand nicht Dänisch und bemühte sich niemals, es zu erlernen. Doch gebrauchte er einmal in einem Wortstreit mit einem Dänen, der nicht Deutsch reden wollte, das Wort „Nidingsfärd“ (Bubenstück), und als sich dann seine Familie wunderte, wo er das Wort herbekommen habe, sagte er: „Hab' ich doch so viele Tragödien von Oehlenschläger hören müssen, muß ich doch Etwas davon behalten.“ Es war merkwürdig, daß er mich wirklich lieb hatte, und sich gern in Gespräche und Scherze mit mir einließ, während ihn meine Poesie, sowie überhaupt dänische Poesie durchaus nicht interessirte. „Diese Helge,“ sagte er einmal zu einem meiner Freunde, „mag ich nun gar nicht leiden.“ Und als ich nun später hierüber spottete und ihn darauf aufmerksam machte, daß er das verurtheilte Gedicht so wenig kenne, daß er glaube, Helge sei ein Frauenzimmer, lachte er selbst darüber. Er konnte es recht gut vertragen, wenn man ihn mit gleicher Münze bezahlte, wie ich es immer that. Einmal sagte er: „Mein Herr, wenn ich von Tugenden und Moralien hören will, gehe ich in die Kirche.“ Ich antwortete: „So hören Sie es ja gar nicht, denn in die Kirche kommen Sie nie.“ — Er lachte.

Einmal spielte man Shakespeare's Hamlet, und er kam mitten im ersten Acte. „Warum haben sie das Stück verstümmelt?“ fragte er, „es ist ja eine Scene vorher mit dem Geiste und dem Sohne.“ Ich antwortete: „Die Scene ist auch gespielt worden, aber Sie sind zu spät gekommen!“ — „So, so!“ sagte er. Darauf wandte er sich gegen das Parterre hin und sagte: „Warum sind denn so wenige Leute heute Abend hier? Die Leute haben keinen Geschmack.“ Und nachdem er das gesagt hatte, ging er selbst fort.

Einer seiner Söhne konnte ein wenig singen, und da er ein sehr zärtlicher Vater war, so arrangirte er seinetwegen zuweilen Abendconcerte, und lud Weyse und Kuhlau dazu ein; diese entschuldigten sich aber. Hierüber wurde Brandis böse.[42] „Diese Musikanten,“ sagte er, „bilden sich so viel ein. In alten Tagen waren die Musikanten Kammerdiener.“ Es fiel mir zu spät ein, ihm darauf zu antworten: „Ja, und die Aerzte.“

Aus allen diesen Geschichten sieht man, daß Brandis unartig sein konnte; und wer ihn nicht persönlich kannte, wird nicht einsehen können, was etwa anziehend bei ihm war. Aber das war sein Witz, sein reicher Geist, seine Weltkenntniß und Beredsamkeit, obgleich er etwas stammelte, seine wissenschaftliche Bildung und sein Genie als Arzt. Wenn man gefährlich-krank war, so wandte man sich an Brandis, und die Aerzte selbst riethen dazu; aber gefährlich mußte es sein, sonst kümmerte er sich nicht darum. Als ich ihn nach dem früher erwähnten kalten Fieber eines Abends auf seinem Landsitze auf Oesterbro besuchte, wollte er durchaus spazieren gehen, und mit mir im Garten nach Sonnenuntergang plaudern. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß ich ein Fieberreconvalescent sei. „Ach, sein Sie kein Kind!“ sagte er. „„Wenn unser größter Arzt sagt, daß es keine Gefahr habe,““ fuhr ich fort, „„so bleibe ich; wenn ich meinem eignen Gefühl folgte, so ginge ich nach Hause.““ Ich hätte gut gethan, wenn ich diesem Gefühle gefolgt wäre; denn den Tag darauf bekam ich wieder das Fieber. — Einige seiner Witze will ich hier als Probe anführen. Von einem Manne, von dem man glaubte, daß er sich sehr viel Mühe gäbe, Orden zu bekommen, sagte er: „Er hat den Bandwurm.“ — Von einer Patientin, deren Verstand verwirrt gewesen war, und die nun wieder anfing, sich zu erholen, sagte er Einem, der fragte, ob sie nun bald wieder ganz vernünftig sein würde: „Ja, klüger, als sie war, ehe die Krankheit kam, kann ich sie nicht liefern.“ — Ein reicher Mann, der immer auf die finanziellen Zustände des Landes schalt, rief ein Mal in einem Gespräch mit ihm aus: „Ach, wir sind alle arme Hunde!“ — „Bitt' um Verzeihung, mein Herr!“ entgegnete Brandis, „Sie sind nicht arm, und ich bin kein Hund!“ — Als ein alter Mann, der sich mit einem hübschen[43] jungen Mädchen verheirathet hatte, ihn fragte: „Darf ich Kinder hoffen?“ entgegnete er: „Nein — aber fürchten!“


Professor Schielderup.

Einen andern sehr witzigen Arzt, der noch mehr stammelte, als Brandis, muß ich bei dieser Gelegenheit nennen: den Norweger Professor Schielderup. Er war übrigens sehr verschieden von Brandis, lang und mager, mit einem sehr bescheidnen Wesen. Er befaßte sich nicht damit, Schöngeist zu sein, obgleich er das Schöne sehr achtete. „Ich bin solch' ein Vieh,“ sagte er ein Mal ganz ernst und bescheiden zu mir, „daß ich keine andern ästhetischen Schriften gelesen habe, als Wilhelm Meister und Benevenuto Cellini.“ Ich antwortete, daß der Anfang gut sei, er solle so fortfahren. — Eine Eigenthümlichkeit bei ihm war, daß er nicht stammelte, wenn er Vorlesungen hielt. Aber als er einmal in der skandinavischen Gesellschaft eine Abhandlung vorlas, kamen in derselben zuweilen Worte vor, über die seine Zunge ebenso wenig hinwegkonnte, wie ein Wagen über große Steine, die auf der Landstraße liegen. Ich brach beinahe in ein Gelächter aus, wandte mich in meiner Noth an meinen Freund, den Professor Thorlacius, meinen Nachbar, und sagte: „Ich kann mich vor Lachen nicht halten, meine Fingerspitzen sind ganz naß vor Anstrengung.“ Mit gutmüthigem Lächeln meinte Thorlacius, man dürfe keinen Naturfehler verspotten. „Ach, mein lieber Freund,“ sagte ich, „dieser Schonung bedarf ein so ausgezeichneter Geist, wie Schielderup ist, gar nicht. Eigentlich ist der Trieb, den ich zum Lachen fühle, nur eine Folge der Bewunderung und Achtung, die ich für ihn hege. Wenn ein Dummkopf stammelt, so ist das nicht lächerlich: es ist die rechte Melodie zum Text. Aber wenn es einem begabten Manne schwer wird, seltene Gedanken auszudrücken, wo ein Dummkopf sich mit größter Leichtigkeit äußert, so ist das eine Ironie, eine Schelmerei von der Natur, welche die muntere Fantasie zum Lachen zwingt.“ — Von Schielderup's Einfällen will ich nur[44] zwei anführen. Er fuhr ein Mal in einer Leichenprocession nach dem Kirchhofe mit einem Spießbürger, den er nicht weiter kannte, der aber diese Gelegenheit benutzen wollte, um von Schielderup ohne Recept und Bezahlung zu erfahren, was er mit all' seinen Leuten zu Hause, die kränkelten, thun solle. Schielderup ließ ihn schwatzen und weitläufig Alles erklären, schwieg aber stockstill. Endlich, nachdem der Mann sich fast eine halbe Stunde expectorirt hatte, ohne Antwort zu bekommen, wurde er zuletzt ungeduldig und rief: „Aber Herr Gott, hören Sie denn nicht, was ich sage?“ — „Ja wohl,“ sagt Schielderup, „ich höre es.“ — „Aber warum antworten Sie denn nicht?“ — „Ich ha — habe keine Zeit!“ — „Was haben Sie denn zu thun?“ — „Ich fa — fahre!“ — Ein anderes Mal fragte ihn Einer mit einer rothen Nase, ob er ihm diese nicht fortschaffen könne? — „Ja,“ antwortete Schielderup, „es kommt nur darauf an, welche Cou — Couleur Sie lieber haben wollen?“


Meine beiden Söhne.

War ich so nun bald in vornehmer, bald in gelehrter Gesellschaft, so befand ich mich wiederum zu Hause, in häuslicher Ruhe in einem dritten, durchaus andern Kreise, in dem meiner Kinder. Lotte lief bereits wie eine kleine Puppe auf dem Fußboden umher, und unsere Wiegen waren, erst mit dem einen Knaben und dann mit dem andern in Bewegung. Johannes Wolfgang ist am 7. Februar 1813, William Conrad am 19. December 1814 geboren.


In diesem Jahre besuchte ich Frau Gyllembourg, frühere Frau Heiberg. Diese geistreiche, muntere Frau versammelte eine angenehme Gesellschaft um sich. Es kamen H. C. Oersted, Weyse und Pram zu ihr. Der junge Johann Ludwig saß als halb erwachsener Knabe da, und lernte damals wohl Manches von uns Aelteren. Ich ließ es mir am allerwenigsten[45] träumen, daß ich wenige Jahre darauf so viel von ihm lernen würde.


Neue Umgangskreise.

In dieser Zeit erwarb ich mir ein paar Freunde, deren Verkehr mich viele Jahre hindurch erfreute, den Chef der Seekadetten, Capitain Peter Frederik Wulff (der als Admiral starb), und seine liebenswürdige Gattin. Wulff hatte sehr viel Liebe für die Poesie, schrieb selbst, gleich seinem Vorgänger Sneedorff, hübsche Verse, und übersetzte später mehrere von Shakspeare's Werken. Er nahm mich zuweilen mit auf das Kadettenschiff. Ich entsinne mich noch einer Partie, die wir zusammen nach Helsingör machten, wo ich einen angenehmen Abend in der Gesellschaft der Fräulein Tuxen (späteren Admiralinnen Rothe und Möller) zubrachte. Durch Wulff wurde ich auch mit dem Olsen'schen Hause bekannt, wo man stets einen lebendigen, muntern Kreis vieler Gäste fand. Etatsrath Olsen, ein kleiner, magerer, bleicher, leichtbeweglicher, sehr höflicher Mann, theilte die Gastfreiheit seiner Frau, und sie selbst hatte das liebenswürdigste Talent, Wirthin zu sein und Munterkeit und Zufriedenheit rund um sich her zu verbreiten. Ihre Schwägerin, Rittmeisterin Balle, war schön und anmuthig; was Wunder, wenn man gern dort in das Haus kam. Bei dieser Gelegenheit erneuerte ich eine alte Bekanntschaft. Ich traf nämlich bei Olsen's den Bischof Balle, mit dem ich nicht gesprochen hatte, seitdem ich als kleiner Junge von sechs Jahren zwischen seinen Knieen stand und hersagte, was ich auswendig gelernt hatte. Es war eigenthümlich, diesen alten Mann, der durchaus einer dahingeschwundenen Zeit angehörte, feierlich still, fast wie ein Gespenst, im Priesterrock mit steifem Kragen und gepuderter Perücke, mitten in den lärmenden, modernen, lustigen Cirkel hineintreten zu sehen und wie er sich an den Abendtisch setzte, wo fast von nichts Anderm als von dem Schauspiele und den Stücken gesprochen wurde, die kurz vorher[46] gegeben waren; denn Olsen war Theaterdirector und die Damen hatten jeden Abend freies Entrée in der Directionsloge. Der alte Bischof kam nie ins Theater, sprach nie von diesen weltlich eiteln Dingen, und obgleich er nicht, wie sein Vorgänger Pontoppidan in seiner „Erklärung“ über „Comödien, Wirthshausgehen, die stets an und für sich Sünden sind, an Feiertagen aber doppelte Sünden,“ geklagt hatte, so war der Ton von Balle's „Lehrbuch“ doch nicht sehr verschieden von dem in Pontoppidan's „Erklärung.“ — Ich gewann übrigens sein Herz dadurch, daß ich ein Mal, als wir allein im Zimmer waren, ihm am Clavier viele der alten Psalmen, die ich auswendig wußte, vorsang; woraus er ersah, daß der Zucker, den ich von ihm am Altare bekommen hatte, doch nicht ganz ohne Wirkung gewesen war.


Der Schauspieler Dr. Ryge.

Bei meiner Schwester, die den Sommer immer in Friedrichsberg wohnte, bei meinem Vater auf dem Schlosse, und bei Rahbeks auf dem Hügelhause erneuerte ich das Andenken an liebe, verschwundene Tage, und sang mit Baggesen: „Ach, nie vergißt das Herz doch der ersten Jugend Kreis!“

Im Uebrigen sangen Baggesen und ich nicht mehr viel zusammen. Er besuchte mich oft, aber ich bemerkte bald, daß der Wurm des Neides an seinem Herzen nagte.

Ich hatte ein mächtiges Organ für meine Tragödien in Dr. Ryge gefunden, der Schauspieler geworden war und einen seltenen Beweis dafür abgab, was Enthusiasmus für die Kunst über weltlichen Vortheil und Ansehen vermag. Er war Stadtphysikus in Flensburg gewesen und hatte ein sehr einträgliches Amt, als er es plötzlich niederlegte, — einzig und allein, um dem Triebe seines Herzens als Tragiker zu genügen. Er war ein vortrefflicher Eleve Brandis'. Obgleich nun Brandis, selbst ein Mann von Geist, Sinn und Interesse für die schönen Wissenschaften[47] hatte, so konnte er doch, in einer ältern Zeit gebildet, gewisse Vorurtheile gegen den Schauspielerstand nicht überwinden, und darüber ließ er sich auf seine gewöhnliche, derbe Art Ryge gegenüber, der hierin natürlich durchaus nicht mit ihm sympathisirte, aus. „Wissen Sie wohl,“ sagte Brandis einmal zu ihm, „daß Sie ein ausgezeichneter Arzt hätten werden können, wenn Sie Ihre Wissenschaft ferner gepflegt hätten?“ — „Es giebt Ihrer genug, die Menschen todt schlagen,“ antwortete Ryge; „wissen Sie wohl, daß ich lieber Statist beim Theater, als der ausgezeichnetste Arzt sein will?“ — Wie sonderbar geht's doch in der Welt zu! Hätte mir Jemand im Voraus gesagt, daß ein Stadtphysikus aus Flensburg bald als ein echter Hakon Jarl, Palnatoke, Wilhelm, Michel Angelo, Stärkodder u. s. w. auftreten würde — so hätte ich geglaubt, Holberg's Geert Westphaler erzählte verrückte Flensburgsgeschichten von seiner großen Reise von Hadersleben nach Kiel. Und doch war es so! Ryge's Liebe für die Kunst war außerordentlich. Ich entsinne mich noch, wie wir an einem herrlichen Frühlingstage zusammen nach Friedrichsberg hinausgingen und über eine Rolle sprachen, die er in einem meiner Stücke spielen sollte. Der Frühling war gerade in seinem schönsten Glanze erwacht; obwohl mich das Gespräch in hohem Grade interessirte, zog doch auch das herrliche Maigrün meine Aufmerksamkeit auf sich, und ich wollte, daß Ryge an meiner Bewunderung Theil nehmen sollte. Aber er würdigte vor lauter Verliebtheit in Melpomene, die Flora nicht eines Blickes (obgleich er seine Brille aufhatte); und als ich ihn fragte: „Aber erfreut denn die Natur nicht auch Sie?“ antwortete er auf seine gewöhnliche humoristische Weise: „Nein, beim Teufel, das thut sie nicht! Sprechen wir nun wieder von der Kunst.“


Der Kritiker Baggesen. — Zwei neue Singspiele.

Das Glück, welches meine Tragödien besonders durch Ryge's ausgezeichnetes Spiel machten, verdroß Baggesen. Er, der[48] sich früher nie mit dramatischer Kunst abgegeben, und in seinen eigenen Versuchen gezeigt hatte, wie wenig er davon verstand, setzte sich auf das hohe Pferd und führte das große Wort. Aber in den ersten Kritiken zeigte er nur Unkenntniß und übertriebenes Selbstvertrauen, ein gewöhnlicher Fehler bei Recensenten; der Ton in seinem Tadel hatte noch nicht die Grenzen des Anstandes überschritten, obwohl man es wohl merkte, daß er es nicht gut mit mir meinte. Ich hatte einige Antikritiken, ohne alle Persönlichkeiten, nur wissenschaftliche Prüfungen der Baggesen'schen Sophismen, geschrieben; aber Benzon, der von Westindien nach Kopenhagen gekommen war und meine anderen Freunde riethen mir ab, mich in eine literarische Fehde einzulassen. Ich unterließ es also, habe dies aber später bereut; denn es würde Baggesen vielleicht auf seinem Wege aufgehalten und ihn verhindert haben, sich dann so stark zu verlaufen.


Weyse wünschte damals (1814) wieder ein Singspiel zu componiren und der herrliche Kuhlau, der nur erst durch seine Instrumentalmusik bekannt war, bat mich gleichfalls, ihm ein solches zu schreiben. Ich überlegte, was sich für das Genie Beider eignen könne. Kuhlau schien mir mehr lebendig und effectvoll zu sein; in Weyse's Musik hatte mich stets eine tiefe ahnungsvolle Phantasie mit ihren holden Träumereien hingerissen. Ich schrieb die Räuberburg für Jenen, Ludlam's Höhle für Diesen. Die Räuberburg hat ein buntes und trotz ihrer Darstellung von Gefahr und Grausamkeit, munteres Colorit. Die Scene spielt in der Provence; die provencalische Rose sticht sich in den Kranz der Liebenden, Töne aus der Zeit der Troubadoure klingen in einzelne Partien herüber; aus dem nahen Spanien schenkt Calderon ein wohlklingendes Versmaß um leicht über die Räuberscenen hinwegzueilen, in denen man mehr über die naive Grausamkeit der Räuber erstaunt, als sich über ihre Abscheulichkeit entsetzt. Ich wollte nicht die deutsche[49] philosophirende Leidenschaftlichkeit, das merkwürdige phantastische Zähneknirschen, die sentimentale, hohe Verzweiflung nachahmen, die wir in Schiller's Räubern bewundern. In der Räuberburg sehen wir südliche Räuber, die so wenig an Gewissensscrupeln und dem Kampfe mit moralischen Gefühlen leiden, daß sie im Gegentheile mit Mord und Todtschlag, wie Knaben mit ihrem Steckenpferde spielen. Brigitte und Camillo sind die merkwürdigsten Charactere im Stücke. Das teuflische Element der ersten ist ganz natürlich; Wollust geht eben so leicht zu Grausamkeit, wie zu phantastischer Schwärmerei über, und das Leben ist für sie nur ein nervenerschütterndes Spiel, welches um so genußreicher ist, je stärker es erschüttert.

In Ludlam's Höhle verschmelzen sich zwei verwandte Mährchen aus den „Neuen Volksmährchen der Deutschen“ mit einander. Die Idee von der Versöhnung hat der romantischen Mythologie Veranlassung zu solchen Darstellungen, wie die von Ludlam und der weißen Dame, gegeben. Ein Sünder konnte sich in seiner letzten Stunde bekehren und Verzeihung finden; wenn aber der Tod ihn überrumpelte, so fand er keine Ruhe im Grabe. Nun schauderte das Herz doch bei dem Gedanken an eine ewige Verdammung, die eine glückliche Reue zu rechter Zeit hätte verhindern können. Deshalb glaubte man, daß solche Todte als Geister umgingen, um Errettung zu finden. Und sowie Christus die Sünden der Menschen gesühnt hatte, so hielt man es für möglich, daß ein lebender, frommer, christlicher Verwandter durch seine Tugend und seine Unschuld die Sünde des Verstorbenen sühnen könne. Diese fromme Phantasie, die aus einem Gefühl der Barmherzigkeit für den Unglücklichen entstand, hat gewiß nichts Abstoßendes für unser Gefühl, und wenngleich unsere Philosophie nicht mehr daran glaubt, so können wir uns doch wohl mit poetischer Illusion auf einige Stunden in den Glauben einer alten Zeit versetzen und ihre Anschauungsweise theilen. Etwas Aehnliches thun wir ja auch immer, wenn wir uns in irgend einen andern Character und[50] in Anderer Denkweise, als unsere eigene versetzen. Ich sehe also nicht ein, warum ein sinnreiches Gespensterspiel strenger von der Poesie und der Bühne ausgeschlossen sein soll, als das Zauberspiel. Es ist doch tragisch, und spricht unsere ernste, moralische Natur, sowohl in der Zeit, wie in dem nationalen Elemente mehr an. Es währte etwas lange, ehe das Stück angenommen wurde, und ich schrieb deshalb an Rahbek (der einer der Censoren war) einen Reimbrief, in Folge dessen es kurz darauf gegeben wurde.

Weyse's und Kuhlau's Musik entsprach ganz meiner Erwartung, die Stücke machten Glück auf der Bühne und wurden immer bei vollem Hause gegeben. Aber Baggesen riß sie herunter, wurde immer gröber und gröber und fand immer mehr und mehr Anhänger; denn da ich stillschwieg, glaubten Viele, daß doch wohl Etwas an seinem Tadel wahr sein müsse; obgleich die Meisten, selbst unter seinen Freunden, fanden, daß derselbe übertrieben sei.


Mißhelligkeit mit Rahbek.
Madame Händel-Schütz in Kopenhagen.

Mein Verhältniß zu Rahbek in dieser Zeit war mißlich. Wir konnten in Sachen des Geschmacks nicht sympathisiren, obgleich ich zu seiner Ehre sagen muß, daß er der Einzige aus der alten Schule war, der meine Arbeiten mit Beifall und Achtung aufnahm. Hätte ich seine Bewunderung für die junge Schauspielerin theilen können, die nicht nach meinem Geschmacke war, und wenn ich einmal im Theater nicht über einen zwar unverzeihlichen aber komischen Scherz über seinen Geschmack gelacht hätte, der von einem Professor Schütz gemacht wurde, so hätte sich wohl auch die Freundschaft nicht abgekühlt. Früher war ein deutscher Adliger hier gewesen, der die scenische Kunst unter dem angenommenen bescheidenen Namen Patrik Peale pflegte, wahrscheinlich um seiner Familie nicht Schande zu machen. Er hielt auch ästhetische Vorlesungen, die Rahbek mit vieler Andacht und großem Wohlbehagen anhörte. Das misfiel[51] mir; denn Herr Peale war meiner Ansicht nach eine verschrobene langweilige Person. Kurz darauf kam die berühmte Madame Händel-Schütz mit ihrem Manne, Professor Schütz, nach Kopenhagen und zeigte ihre Copieen nach Raphael, Correggio, Guido Reni u. s. w., die alle durch Shawls, Tücher, andere Gewänder und fromme Stellungen ausgeführt wurden. Alles, was auf diese Weise darzustellen möglich war, stellte Madame Händel-Schütz wirklich mit vielem Geschmack und Studium dar. Aber da ihr gesundes, recht hübsches Gesicht durchaus nicht ideal, da ihr natürlicher Character munter und lebenslustig war, so konnte sie trotz der äußern, flüchtigen Aehnlichkeit doch vor wahren Kunstkennern niemals als ein Modell der unsterblichen Werke jener großer Meister gelten. Indessen amüsirte es die Leute doch eine kurze Zeit und mich auch, da ich sie von meiner ersten deutschen Reise her kannte. Und als ihr Mann, der durchaus nicht besser war, als Patrik Peale, über Rahbek wegen eines abschlägigen Bescheides, den dieser ihm gegeben, entrüstet, ihn auf dem Theater verspottete, indem er eine kleine ironische Vorlesung in seinem Geschmacke hielt, so lachte ich und daran that ich Unrecht. — Kurz daraus benutzte ich die Gelegenheit, indem ich einige von ihm entliehene Bücher zurücksandte, mich ihm durch ein freundliches versöhnendes Gedicht, das ich der Sendung beilegte, wiederum zu nähern.


Nun wurden wir zwar wieder gute Freunde; aber es hatte doch keine Art, und auf Veranlassung von Freia's Altar wurde die Freundschaft in ein paar Jahren ganz vernichtet. Aber ich komme hier zu einem Standpunkte, wo meine ganze literarische Wirksamkeit betrachtet und überschaut werden muß, um dem Leser einen richtigen Begriff von meiner Stellung und deren Folgen zu geben.

Mehreres hatte dazu beigetragen, daß ich meine Autorität zu verlieren begann, und der Autorität kann Niemand entbehren,[52] der in seinem Fache kräftig wirken und auf die Menge Einfluß ausüben will. Zweifelt man an dem guten Geschmacke des Dichters, so ist das ebenso viel, als wenn der Kaufmann seinen Credit verliert. Beim Anfange meiner Dichterlaufbahn fing ich an, gegen den bestehenden Geschmack zu opponiren; dies war mir nicht wenig förderlich; denn Viele hatten Lust an Veränderung und Streit; der Neid sieht gern alte Mächte gestürzt, und kommt dazu nun noch, daß die Opposition wirklich für etwas Gutes kämpft, so ist es natürlich, daß sie auch bei den Besseren Unterstützung und Anhänger findet.

Rückblick auf meine erste Dichterperiode.

Wenig über zwanzig Jahre stand ich, fast noch ein Kind, mit wenigen Kenntnissen da, aber — man erlaube mir dies ebenso aufrichtig zu sagen — mit guten Fähigkeiten für mein Fach, und in dieser Lebensperiode entwickeln sich die Kräfte mit großer Schnelligkeit. Man fand mich bald im Besitz einer starken Phantasie, eines tiefen Gefühls, einer kecken muntern Laune; aber Philosophie, oder richtiger gesagt, Metaphysik zu studiren, dazu fühlte ich mich ebenso wenig getrieben, wie zur Mathematik. Indessen hatte sich mein gesunder Verstand doch auf natürliche Weise in der Schule des Lebens mehr als bei den meisten jungen Gelehrten entwickelt, welche die Welt nur aus abstracten Theorien kannten. Es war von den ersten Jünglingsjahren an eine meiner liebsten Beschäftigungen gewesen, über das Wesen und die Handlungen der Menschen nachzudenken, die Charactere und die Beweggründe der Handlungen im menschlichen Herzen zu erfassen, weshalb auch die Geschichte seit der Zeit, wo Dickmann in der Schule für die Nachwelt mit Geschmack für sie beibrachte, mir ebenso lieb war, wie die Natur und das Menschenleben. Im Anfange des Jahrhunderts herrschte die Rahbek'sche Schule. Ich nenne sie so, weil er es war, der in der Minerva und dem Zuschauer die Poeten zusammenhielt, und in seinen täglichen Aeußerungen die geltenden Ansichten allgemein verbreitete. In meiner Anfangszeit war der Geschmack sehr schlecht. Nicht als ob wir guter und großer Vorbilder entbehrt[53] hätten. Wir hatten Holberg, Ewald, Wessel, Tullin gehabt; Thaarup hatte seine reizenden Idyllen, Baggesen seine Jugendarbeiten geschrieben. Aber, merkwürdigerweise, während die großen Deutschen, Göthe und Schiller, blühten, war man hier sehr wenig geneigt sie gelten zu lassen. Eigentlich liebte Rahbek nur den sentimentalen Göthe im Werther, ja sogar in Stella und Clavigo. Die damals bei uns besonders hochgeschätzten Dichter waren Iffland, Kotzebue und Lafontaine. Drei meiner Jugendfreunde, die beiden Mynsters und Benzon, theilten diesen Geschmack nicht; sie bewunderten Shakspeare, Göthe, Schiller, Jean Paul, Lessing, welche ich alle durch sie kennen lernte und fleißig studirte, als gerade Steffens kam. Er gab meinem Geiste einen ganz eignen Schwung. Der Mysticismus und das Poetische in der romantischen Träumerei des Mittelalters gefiel mir. Tieck und Novalis wurden meine Lieblingsschriftsteller, die Polemik der beiden Schlegel's im Athenäum und der Europa war ganz nach meinem Geschmack.

Rückblick. Studien ausländischer Dichter.

Das fromme Gefühl, die Liebe zur Kunst des Mittelalters, die ich in Tieck's ersten Schriften (er wurde dazu eigentlich durch den zu früh gestorbenen Wackenroder begeistert) und hauptsächlich bei Novalis (Hardenberg) fand, machten einen starken Eindruck auf mich. Göthe's kleine Abhandlung über den straßburger Münster hatte mich bereits früh erweckt. Friedrich Schlegel's lange Abhandlung über die romantische Kunst war aus der Goethe'schen entstanden; doch ging er weiter. Die Innigkeit, Frömmigkeit, Naivetät und echte Natur, der poetisch tiefe Sinn, der sich in den Bildern der alten italienischen, deutschen und niederländischen Schule findet, wurde durch Tieck, Novalis und Friedrich Schlegel recht einleuchtend und verdrängte die flache Bewunderung für das affectirt moderne Französisch-Griechische. Daß die griechische und gothische (oder altdeutsche) Architektur sich zu einander verhalten, wie die Formen der Mathematik und der Vegetation, wurde recht klar. Später haben Moller in seinem Werke: „Denkmäler der deutschen Kunst,“[54] und die Gebrüder Boisserée in ihrer Beschreibung über den kölner Dom und durch ihre herrlichen Gemäldesammlungen diese Ideen verbreitet. Daß sie von dem pecus imitatorum übertrieben und gemißbraucht wurden, darin mußten sie sich, wie alle andere Ideen fügen. Novalis, der in der tiefsten Bedeutung des Wortes eine „schöne Seele“ genannt werden kann, riß mich hin. Die Frömmigkeit in seinen herrlichen Psalmen, die sich meinem, von Kindheit auf bewahrten, religiösen Gefühl verband, begeisterte mich, das Gedicht: Jesus in der Natur zu schreiben. Dieses Gedicht ist nicht mystisch, aber mythisch; indessen entzückte mich eine Zeitlang das Mystische. Ich begann zu glauben, daß der menschliche Geist den ewigen Geheimnissen, die wir in unseren begeisterten Augenblicken fühlen und ahnen, auf dem speculativen Wege ein gut Theil näher kommen könne. Ich versuchte Schelling's Bruno zu lesen; aber ich konnte ihn nicht überwältigen; dagegen amüsirte es mich, hie und da, in Jakob Böhme's Aurora zu blättern, wo die wunderliche Mischung von seltenem Tiefsinne, hoher Begeisterung, der kühnste Flug, um auf seine Weise das Universum zu überschauen, die innigste Gottesfurcht, das ehrlichste Streben, sich mit Schwärmerei und ermüdender weitläufiger Wiederholung des Gesagten verbanden. Seine Engel erscheinen mir zuletzt doch, gleich den Posaunenengeln in einer alten Kirche, auf staubigen, vergoldeten Holzstrahlen zu sitzen, die von dem Triangel ausgingen, welcher den Namen Jehova, mit hebräischen Buchstaben geschrieben, einfaßt. In dieser Zeit machte ich die Bekanntschaft des Norwegers Nicolai Möller, der in Deutschland in Münster wohnte, ein Freund von Friedrich Stolberg und ganz befangen in der mystischen Philosophie und exaltirter Frömmigkeit war. Er besuchte uns in Kopenhagen. Meinen „Jesus in der Natur“ hatte er gelesen, und er gefiel ihm, aber nur als der erste Schritt des noch eiteln Weltkindes. Er wollte mich bekehren. Ich besuchte ihn und fand ihn Märtyrlegenden in einem großen französischen Folianten lesend. Als er mich dringend aufforderte,[55] mich zu verbessern, und in mich zu gehen, um rechtgläubig zu werden, fragte ich ihn ganz naiv: wie ich das denn anfangen solle? — „Bete!“ sagte er, „Du sollst zu Gott beten, daß er Dich erleuchte!“ — „Leb' wohl Möller!“ antwortete ich freundlich, drückte ihm die Hand und ging. Ich sah ihn seitdem nicht wieder. Er war ein edler, geistvoller, schöner Mensch mit vielen Kenntnissen, sehr blond und von schwacher Gesundheit. Er starb, glaube ich, wenige Jahre darauf.

Also Novalis riß mich hin. Ich entsinne mich noch deutlich des Sommertages, als ich von dem Rundtheile in der Allee, wo ich wohnte, nach dem Schneckenberge im Friedrichsberger Garten ging, mich auf einen abgehauenen Baumstamm setzte, der wie ein Sopha zwischen zwei Bäumen lag, den Rücken auf einen Baum stützte, Heinrich von Ofterdingen las und von den naiven Schilderungen im ersten Theile und von der blauen Blume im zweiten hingerissen wurde, obgleich dies mir bereits damals etwas zu neblich zu werden anfing. Jetzt, wo ich dies auf dem Fasanenhofe 46 Jahre später schreibe, nahm ich auch ein Mal im Sommer Heinrich von Ofterdingen, ging auf den Schneckenberg, der gerade vor dem Hause liegt, setzte mich wieder auf den Baumstamm, der noch dalag, aber alt und verfault, und begann zu lesen. Aber es schmeckte mir nicht wie damals, obwohl ich glaube, daß mein Alter noch jugendfrisch war. Vieles in Novalis erfreut mich jetzt noch wie früher; die naiven häuslichen Schilderungen, das Bergmannsleben, die herrlichen Lieder, die ich übersetzt habe, viele seiner Psalmen, das liebliche Gedicht an Tieck auf Jakob Böhme. Aber der naive Roman (der auch nichts Altdeutsches hat) schwillt bald, besonders im zweiten Theil, zu metaphysischem und mystischem Nebel auf. Novalis trug den Wurm des Todes in seinem Herzen; dies stimmte ihn zu milden, rührenden, religiösen Gefühlen, und brachte ihn dahin, den Freuden des Lebens zu entsagen; doch liebte er und verlobte sich zum zweiten Male kurz nach dem Tode seiner ersten Geliebten. Aristokratische Launen[56] hatte der gute Hardenberg nicht; doch war er nicht ohne geistigen Hochmuth; er sprach von Göthe, wie von einem englischen Mechaniker, der elegante Möbel macht; er selbst hatte die Absicht, außer Heinrich von Ofterdingen sechs Romane zu schreiben, welche seine Ideen über Physik, das bürgerliche Leben, den Handel, die Geschichte und die Liebe umfassen sollten. Er war polemisch, wie Schlegels, und glaubte eine neue Poesie zu erfinden.


Rückblick. Beziehungen zu deutschen Dichtern.

Von Deutschland aus hatte ich bei meiner Heimkehr keine Stütze mehr in Steffens, Tieck und Göthe. Von dem Ersten hatte ich mich selbst getrennt, nicht als Freund und Bewunderer seiner ausgezeichneten Eigenschaften, sondern ich war nicht länger sein ästhetischer Anhänger und Schüler. Obwohl mir sein Geist, seine persönliche Liebenswürdigkeit, seine Beredsamkeit, seine Begeisterung und unzählige poetische Funken stets unverändert lieb blieben, so wich ich doch nun so stark in meinen Ansichten von ihm ab, und war doch selbst so sicher in meiner Kunst geworden, daß ich mich in meinem Urtheile nicht mehr einem Manne unterordnen konnte, der ja eigentlich nur Dilettant darin war. Was Steffens als Naturforscher und Philosoph war, kann und will ich nicht beurtheilen. In der Poesie war er Dilettant. Auf Verse verstand er sich sehr wenig und machte selbst nur einige kleine Versuche. In den Novellen, die er später schrieb, waren wohl schöne poetische Stellen, aber sie waren doch zu weitläufig, zu sehr mit allgemeinen Reflexionen angefüllt. Daß sie Aufmerksamkeit erweckten, als sie erschienen, war natürlich, denn man fand Steffens' Geist darin; aber es fehlten ihnen Composition, Erfindung und originale Charactere. Als Geschmacksrichter war er ein vollständiger Anbeter Tieck's und glaubte fast blind an diesen. Tieck hat mir selbst erzählt, daß Steffens, als sie bei ihrer ersten Zusammenkunft von Wieland sprachen, die gewöhnliche allgemeine Hochachtung für diesen Dichter äußerte. Tieck hatte ihm in[57] Vielem widersprochen, ohne darum doch Wieland ein dichterisches Verdienst abzusprechen. Von Tieck ging Steffens in eine Restauration und ließ sich in einen heftigen Streit mit einem Bewunderer Wielands ein, wobei Steffens, den Dichter herunterriß und viel strenger gegen ihn war, als Tieck kurz vorher. Durch diesen polemischen Enthusiasmus, der mehr aus persönlicher Gereiztheit, als aus klarem Verständniß der Dinge entsprang, litt ich in meinem spätern Zusammenleben mit Steffens oft, und war gewiß nicht der Einzige, dem es so erging.

Rückblick. Steffens.

Ein echter Richter des Geschmacks konnte er also nicht sein, er hatte nicht die Ruhe, die Besonnenheit, die Liebe zu dem vielseitig Objectiven, welche dazu gehört, um sich dieses als sein Eigenthum zu erwerben. Steffens brachte seine Abstractionen hinüber in das Reich der Kunst, gewisse Ideen, d. h.: Ansichten, eine gewisse Art zu denken und zu fühlen, wollte er überall wiederfinden; hiervon hing sein Lob oder Tadel ab. Mit einzelnen Zügen, aus der Geschichte und Poesie herausgerissen, construirte er sich beide nach seinem Kopfe, aber er irrte sich oft in historischen Daten, und viele poetische Werke be- und verurtheilte er, ohne sie recht zu kennen. Begeisterung für mich hatte er nur so lange, wie ich sein Schüler war; doch muß ich hierbei eine Ausnahme machen. Als Max in Breslau, wo Steffens Professor war, später meine deutschen Schriften herausgab, schenkte er ihm ein Exemplar und er las sie. Dadurch erwachte die alte Liebe für den dänischen Dichter, zu dessen Bildung er selbst beigetragen hatte. Er schrieb mit einen sehr freundlichen Brief und einen sehr schmeichelhaften Artikel in den Blättern für literarische Unterhaltung, worin er mit der Aeußerung endigte, daß es Deutschland noch obliege, ein gründliches und klares Urtheil über meine Werke zu fällen. Aber von diesem klaren Urtheile gab er selbst nur mittelmäßige Proben, als er mehrere Jahre darauf in seinem: „Was ich erlebte“ Tieck's alte, von mir gestochenen Trümpfe gegen meinen Correggio wieder ausspielte und die Scene, in der Cölestine den Correggio[58] krönt, als meiner durchaus unwürdig erklärt. Ich selbst glaube, daß sie eine der hübschesten ist, die ich gedichtet habe. — Als ein Characterzug von Steffens' Auffassung des Objectiven kann angeführt werden, daß er an derselben Stelle in dem Buche, wo er dem Leser ein Bild von mir, seinem mehrjährigen, täglichen Umgangsfreund geben will, von meinen kleinen, „schwarzen“ Augen spricht.

Rückblick. Tieck.

Tieck, mit mehr Genialität und Originalität als Steffens, genirte trotz der großen Einseitigkeit in seinem Geschmacke nicht im täglichen Umgange. Er hatte Nichts von nordischer Gereiztheit, wie Steffens und ich; er imponirte im Gegentheile durch eine persönliche Ruhe, welche mit einer großen Beredsamkeit und einer gewissen Vornehmheit, die ihre Wirkung that, verbunden war. Aber seine Urtheile und Ansichten waren oft sehr übertrieben. Es ging uns umgekehrt: ich vertheidigte das Billige und Milde mit Leidenschaft, er das Bittere und Strenge mit Besonnenheit. Die Deutschen haben oft diesen Character, den ein gewisser Buchhändler, als man von einem gewissen Dichter sprach, die „stille Wuth“ nannte. Ich darf sagen, daß ich all' das echt Geniale und Dichterische bei dem herrlichen Tieck bewunderte und noch bewundere. In meinen Uebersetzungen seiner Werke habe ich das gezeigt, obgleich ich wagte, sie zusammenzuziehen und zu verkürzen. Aber Tieck wollte eigentlich Nichts von mir wissen. Wenn ich bei ihm war, ihm selbst Etwas vorlas, gewann ich ihn; aber was sonst von mir herausgegeben wurde, las er nicht. Es ist merkwürdig: die Verachtung und der Mangel an Sympathie, der sich in der neuesten Zeit in Deutschland im Großen gegen Skandinavien gezeigt hat, äußerte sich regelmäßig im Voraus in der Literatur. Die Deutschen konnten es nicht leiden, daß wir eine Literatur hatten, die es wagte, mit der ihrigen zu wetteifern, daß wir eine Geschmacksbildung und eine poetisch-entwickelte Sprache ebenso früh besaßen, wie sie. In der spätern Zeit schlug Tieck's Geistesrichtung eine sonderbare Volte. Anstatt[59] romantisch-phantastisch und witzig ausgelassen zu sein, wurde er kalt verständig. Er schrieb eine Reihe von Novellen, in denen sich schöne Stellen vorfinden, und der „Aufruhr in den Sevennen“ ist der vortreffliche Anfang zu einem unvollendeten Werke; aber im Ganzen genommen wurden diese Novellen doch das Organ für ziemlich einseitige ästhetische Betrachtungen und eine etwas an Pedanterie grenzende Lebensphilosophie, welche eine Zeitlang sehr gelobt wurde. In einem von Tieck's letzten Werken, Vittoria Accorombona, ist mehr Geist und Kraft, als in den meisten früheren Novellen; es herrscht Leidenschaft darin; aber auf merkwürdige Weise werden in ihnen abscheuliche Verbrechen als Ausschweifungen großer Geister mit einer Art Bewunderung und Entschuldigung à la Victor Hugo und mit einer zwar nicht geradezu ausgesprochenen aber doch deutlichen Verachtung gegen den gewöhnlich prosaisch-moralischen Abscheu vor Lastern, die mit großen Eigenschaften verbunden sind, geschildert. Dies stand nun wieder in einem wunderbaren Gegensatze zu der Liebe, welche Iffland, im Anfang eine Zielscheibe des Tieck'schen Spottes, in dessen späteren Tagen fand, wo er als Theaterdirector in Dresden unablässig die Iffland'schen Stücke aufführen ließ.

Rückblick. Göthe und Schiller.

Von Göthe schied mich nun die unglückliche Geschichte mit Correggio. Aber wenn dies auch nicht der Fall gewesen wäre, so hätte Göthe, wie er jetzt war, mir doch kaum noch in der dramatischen Kunst zu Nutz und Frommen sein können. Ich habe nie recht erfahren, weshalb Correggio ihm so sehr misfiel. Wenn er ihm zu weich und gefühlvoll war, so lag das im Stoffe. Ich habe vor und nach diesem Stücke in einer langen Reihe nordischer Tragödien Heldenkraft geschildert, aber um diese Stücke kümmerte er sich auch nicht, und hat — außer Hakon Jarl — wahrscheinlich kein einziges recht gekannt. Ich konnte Göthe nicht mehr als Lehrer in meiner Kunst betrachten. Ich war nach eigenen Grundsätzen, eigenem Gefühle fortgeschritten und suchte in meinen Dramen auf keine Weise,[60] ihm oder Schiller nachzuahmen; so sehr ich ihr Genie in ihren vorzüglichsten Werken liebte und bewunderte, so war doch die Richtung, welche sie am Schluß ihrer dramatischen Dichterperiode einschlugen, meiner Ansicht nach eine Abweichung vom Rechten. Das Rhetorische, das Raisonnirende, die Lust, sinnreiche Sentenzen aufzustellen, hatte zu sehr überhand genommen. Es ist gewiß, daß der Vers in der Tragödie bedeutend zur Kraft und Würde des Werks beiträgt; aber man muß sich in jeder Kunst, sowie im Leben selbst, vor Vornehmheit und Pedanterie hüten. Indem man die Sprache allzu abstract nur mit Rücksicht auf Ausdruck, Gedanken und Bilder betrachtet, verliert sie die Naivetät, die Einfalt, welche das Große und Schöne nicht entbehren können.

Schiller und Göthe bewunderten mit Recht die Griechen, und glaubten in ihnen die wahren Vorbilder für ihre Kunst zu finden. Schiller beklagte sich bei Humboldt, daß er nicht Griechisch könne, und wollte es auf seine alten Tage lernen; aber Humboldt rieth ihm davon ab und meinte, das sei nicht nöthig. Wahrlich es muß ein großer Genuß für einen Schöngeist sein, den Aeschylos und Sophokles mit Leichtigkeit in der Ursprache lesen zu können. Zwei Dinge habe ich besonders in meinem Leben entbehrt: Griechisch zu können und gut vom Blatt auf dem Fortepiano zu spielen. Dies würde nicht schwierig gewesen sein, wenn es zur rechten Zeit gelernt worden wäre. Aber man hilft sich, so gut man kann; durch Hülfe guter Uebersetzungen eignet man sich den Geist und das Wesen des Dichters an; Compositionen, Characterzeichnungen, Gedanken, Bilder, all' dieses kann die Uebersetzung geben, das Einzige, welches fehlt, ist die Diction; aber die Sprache ist gerade des Dichters eigenes Element, und den Mangel des Fremden erstattet ihm die Natur. Merkwürdig! Weder Thorwaldsen noch ich konnten Griechisch; aber wenn ich meinen „Baldur,“ „Yrsa,“ „Die Longobarden,“ „Das Land gefunden und verschwunden“ in sein Museum lege, so wage ich zu fragen, ob Viele, die Griechisch verstehen,[61] es viel besser, als wir hätten machen können. Es ging dem Dichter hier mit dem Griechischen, wie Peter in Jakob von Tyboe mit dem Deutschen: „er könnte es wohl schreiben, aber nicht lesen.“ — Göthe wußte etwas Griechisch, und was ihm fehlte, das wußte Dr. Riemer, sein Secretair und seine rechte Hand.

Aber nun die Griechen! Finden wir nicht Einfalt und Naivetät in ihren Dialogen? Ganz gewiß! In den Chören finden sich zusammengedrängte Wortwendungen, Gedanken und Betrachtungen; aber die Gespräche sind viel weniger geschmückt, fallen viel mehr in den gewöhnlichen Unterhaltungston. Wo das Pathetische herrscht, tritt das Lyrische besonders in den Chören hervor. Schiller verliebte sich so sehr in diese Chöre, daß er sie an unpassendem Orte in seiner „Braut von Messina“ anbrachte, wie ich bereits im zweiten Theile dieses Buches erwähnt habe. Schiller beging einen noch größern Fehler: er wollte in dem Vorworte zu seinem Stücke beweisen, daß es so sein müsse, daß die dramatische Kunst erst ihre rechte Bedeutung erlangte, wenn der Chor wieder eingeführt würde. Wie würde Jodelle, der erste Franzose, der französische Tragödien nach griechischem Zuschnitte zusammenflickte, sich gefreut haben, wenn er solche Aeußerungen von einem großen Dichter einer Nachbarnation erlebt hätte, die später so lange für das Natürliche kämpfte. Aber Schiller bedachte sich und ging in sich. Er schrieb glücklicherweise seinen meisterhaften „Wilhelm Tell“, ehe er starb, und damit machte der Dichter alles Das wieder gut, was der Philosoph verbrochen hatte. Jene abstracte Dictionsvergötterung, diese Vornehmheit im Style, daß die dramatische Bewegung sich dem Menuette nähert, und die einförmige Ausdrucksweise, welche das Characteristische verwischt, liebte Göthe auch sehr und sie kam zum Ausbruch in seiner „Natürlichen Tochter,“ die so vornehm und kalt ist, als ob sie von Stein wäre; noch mehr in seinem „Elpenor“ und „Epimenides.“ Obgleich Göthe als Jüngling oft das Burschikose mit dem schönen Derb-Natürlichen verwechselte, scheint er mir doch mehr Sinn für das echt[62] Heroische in seinem „Götter, Helden und Wieland,“ als in seiner „Natürlichen Tochter“ zu haben, wenn er den Herkules munter von Wieland sagen läßt: „Der kann nicht begreifen, wie ein Gott ein Flegel sein kann, und sich betrinken, seiner Gottheit unbeschädigt.“

Die neue Schule verwarf Schiller und erkannte ihn nicht für einen großen Dichter; aber das Volk trug ihn auf den Händen, und Göthe, den die neuere Schule vergötterte, fühlte doch, was Schiller war. Glückliche Umstände hatten eine — wenn auch nicht gerade warme Freundschaft (denn sie wurden nie Kameraden, wie Göthe später mit Zelter) — so doch ein auf Wissenschaftlichkeit, Kunst, persönliche Achtung und Wohlwollen schön gegründetes Verhältniß zwischen ihnen gestiftet. Schiller und Göthe hatten die Xenien geschrieben, in denen sie muthwilliger, als es sich für ihr Alter geziemte, manche Persönlichkeit unvorsichtig angegriffen und Veranlassung zu einem Tone gegeben hatten, den sie selbst später haßten. Sie glaubten gegen ein wildes, rohes Wesen ankämpfen zu müssen, welches in seiner Plumpheit die deutsche Tragödie verderben könnte. Was sie hiermit meinten, ist nicht leicht zu sagen; denn es gab ja damals keine anderen Dichter von irgend einigem Einfluß, als Tieck, der seine „heilige Genoveva“ und „Octavian“ (Letzterer mehr Komödie als Tragödie) geschrieben hatte; aber keines von diesen beiden Stücken war für das Theater; daß sie trotz vieler Ausschweifungen viel Genie und Natur zeigten, ist gewiß. Schlegels schrieben „Ion“ und „Alarkos,“ worin sie sich mehr als Philologen und Stylisten, denn als Poeten zeigten, und für sie war keine Gefahr; denn Göthe brachte selbst Ion auf die Bühne. Aber Tieck trat, von Schlegels unterstützt, auf eine sonderbare Weise als Shakespeare's Apostel auf. Nun genügte nicht die Bewunderung und Liebe für die besten Werke des großen Dichters, welche Garrik, Lessing, Schröder und Göthe gelehrt hatten; sondern man sollte Alles bewundern, und selbst Das, was bisher für verfehlt und geschmacklos, der Zeit angehörend betrachtet[63] wurde, in der Shakespeare lebte, sollte nun für Schönheiten und Muster gehalten werden, die man bisher aus Mangel an Fähigkeit, recht in Shakespeare's Geist einzudringen, übersehen und lächerlicher Weise verkannt habe. Diese Kritik, welche Tieck sehr vornehm aussprach, wobei er sich zugleich selbst zu einem Theil von Shakespeare's geistigem Ich machte, war nun freilich tadelnswerth. Aber es half Nichts, daß Schiller, als er den Macbeth übersetzte, die Hexenscenen modernisirte und sie zu philosophischen Reflexionen machte; er verwischte dadurch das Romantische, Volksthümliche, Poetische, tragisch-Grauenhafte, obgleich seine eigne herrliche Dichternatur sich nicht verleugnete, da er in seiner Umarbeitung das herrliche Lied vom Fischer hineindichtete. Noch weniger half es, daß Göthe und er auf den wunderlichen Einfall geriethen, Voltaire's „Mahomed“ und „Tancred“ und Racine's „Phädra“ zu übersetzen. Das Beste in diesen Stücken ist ohne Zweifel die lebendige und rasche Leidenschaftlichkeit und Begeisterung, die sich in den anapästischen, französischen Alexandrinern ausspricht. Indem man diese in ehrbare, gravitätische deutsche Jamben verwandelte, stutzte man den französischen Adlern die Flügel, ohne Löwen aus ihnen zu machen. Das Gedicht, welches Schiller bei dieser Gelegenheit an Göthe schrieb, ist sehr merkwürdig.

„Nicht in alte Fesseln uns zu schlagen
Erneuerst Du dies Spiel der alten Zeit,
Nicht uns zurückzuführen zu den Tagen
Characterloser Minderjährigkeit. —
  Erweitert jetzt ist des Theaters Enge,
In seinem Raume drängt sich eine Welt.
Nicht mehr der Worte rednerisch Gepränge,
Nur der Natur getreues Bild gefällt;
Verbannet ist der Sitten falsche Strenge,
Und menschlich handelt, menschlich fühlt der Held.
Die Leidenschaft erhebt die freien Töne
Und in der Wahrheit findet man das Schöne.
  Doch leicht gezimmert nur ist Thespis' Wagen,[64]
Und er ist gleich dem Acheron'schen Kahn:
Nur Schatten und Idole kann er tragen;
Und drängt das rohe Leben sich heran,
So droht das leichte Fahrzeug umzuschlagen,
Das nur die flücht'gen Geister fassen kann.
Der Schein soll nie die Wirklichkeit erreichen,
Und siegt Natur, so muß die Kunst entweichen.
  Nicht Muster zwar darf uns der Franke werden,
Aus seiner Kunst spricht kein lebend'ger Geist:
Ein Führer nur zum Bessern soll er werden.
Er komme wie ein abgeschied'ner Geist,
Zu reinigen die oft entweihte Scene,
Zum würd'gen Sitz der alten Melpomene.“

In diesem Gedicht hat der oft so tief denkende, philosophische Schiller sich wirklich der größten Widersprüche schuldig gemacht.

„Du führst uns nicht zurück zu den Tagen characterloser Minderjährigkeit“ (d. h. zu Ludwig's XIV. verschrobener sclavischer Zeit); das würde nun auch nichts helfen, „da nicht mehr der Worte rednerisch Gepränge, nur der Natur getreues Bild gefällt;“ da „der Mensch fühlt und handelt menschlich, und man in der Wahrheit nur das Schöne findet.“ Mehr Lob kann man der Zeit nicht geben, die man tadelt, mehr die Zeit nicht tadeln, die man loben will. Aber was sollte denn nun geschehen? Das Gespenst der Kunst, „woraus kein lebendiger Geist spricht,“ sollte wiederkehren, um die Bühne zu reinigen, um mit seinem conventionellen Besen die Apfelsinenschalen und faulen Aepfel wegzukehren, die von der Galerie der Gegenwart auf das Theater herabgeworfen sind. Das bessere Theater wird mit dem Karren der Thespis verglichen, wo die ersten rohen, tragischen Versuche gemacht wurden, und wo die Schauspieler sich das Gesicht mit Hefe beschmierten. Das gute Theater wurde einem schwachen, schwankenden Boote verglichen, auf dem Charon die Todten zur Unterwelt führt. Eben erst war davon die Rede, daß „nur[65] der Natur getreues Bild gefällt;“ nun heißt es: „siegt Natur, so muß die Kunst entweichen.“ Ich glaubte immer, daß die Natur gerade ihren schönsten Sieg in der Kunst fände; denn die Kunst ist ja nichts Anderes, als die verschönerte Natur, kein todtes Schattenbild, welches fürchten muß, daß das Boot umwerfe, so daß also die Todten in Gefahr schweben zu ertrinken, und aufs Neue zu sterben.

Aber wie gesagt, bei Schiller war diese schiefe Richtung nur die Frucht eines übrigens zu billigenden Grolls, als er sich verschmäht und verkannt fühlte. Sein herrlicher „Wilhelm Tell“, der allen folgenden Zeiten zum Muster dienen kann, ist ein Meisterstück und in der „Braut von Messina“ finden sich, ungeachtet der erwähnten Fehlgriffe, herrliche Dinge und Scenen, die des großen Meisters vollkommen würdig sind. Schiller hatte seine Dichterkraft nicht verloren, als er starb; sein Körper, nicht sein Geist unterlag. Obgleich zuweilen etwas zu streng (z. B. gegen Bürger), war er doch der edelste Mensch, der liebevollste Mann und Vater. Sein schöner Tod ist äußerst rührend; das Menschliche, das Humane beseelte ihn; selbst den eine Zeit lang zu großen Hang zur speculativen Philosophie bekämpfte er, um naiv zu bleiben. Er beklagt sich selbst oft in seinem Briefwechsel mit Humboldt darüber, daß sie seinen freien Dichtergeist zu sehr in spitzfindige Labyrinthe gebracht habe. Hätte Schiller länger gelebt, so bin ich gewiß, daß ich in ihm einen Freund, einen Vater gefunden haben würde; dessen versicherte mich seine edle Gattin so oft.

Aber mit Göthe? Aus den Augen, aus dem Sinn! Er ergriff jeden Gegenstand, der ihm begegnete, mit aufmerksamer Genialität. So gefiel ihm auch mein Wesen, — der junge, fremde, ihn bewundernde Lehrling. Aber als ich, auch als deutscher Dichter, auf meinen eigenen Füßen stand — als Deutschland anfing, aufmerksam auf mich zu werden, war es vorbei. Ueber meinen Palnatoke, den ich ihm früher gesandt hatte, sprach er kein Wort. Correggio konnte er nicht leiden, der war zu sentimental. War Palnatoke auch zu sentimental? Nein! Göthe[66] konnte nun das Heroische ebenso wenig, wie das Gefühlvolle, leiden. Helden hat er eigentlich nie geschildert. Der kräftigste, liebenswürdigste Mann, den er gezeichnet hat, ist Götz von Berlichingen, der doch auch meist in idyllischen Verhältnissen auftritt und an rathloser Unbestimmtheit zu Grunde geht. Göthe's Frauen sind stets die genialsten, frischesten, naivesten, hinreißendsten Personen in seinen Dramen, die weit über seinen Männern stehen: Clärchen, Gretchen, Philine, Mignon, Iphigenia, die Prinzessin in Tasso, Dorothea! Man hat so viel von Göthe's Vollkommenheit in der Form gesprochen. Keiner kann sein göttliches Genie mehr bewundern, als ich — aber — Vollkommenheit in der Form? Ja, die deutsche Sprache brachte er in seinen besten Werken dahin; aber er übertrieb die Art, Worte zusammenzudrängen und umzubilden, zuletzt so, daß die Sprache mit der Natur und Klarheit zugleich ihre Ehrlichkeit verlor und er bewegte sich endlich dergestalt in vornehmen oft verschrobenen Redensarten, daß man nicht weiß, was er sagen will. Vieles trug dazu bei, seine Dichterkräfte zu zersplittern. Ich zweifle nicht daran, daß er auch als Physiker Proben seines seltenen Talents gegeben hat; aber — wäre es vielleicht doch nicht besser gewesen, wenn er uns mehrere gute Dichterwerke statt der weitläufigen Farbenlehre u. s. w. gegeben hätte? Göthe hat viel geschrieben; rechnet man aber alle die wissenschaftlichen Betrachtungen, Abhandlungen und Studien ab, so ist die Anzahl der Dichterwerke nicht so groß für einen Mann, der in seinem 83sten Jahre starb, und seine volle Kraft bis zuletzt behielt. Aber nicht allein die Wissenschaft war es, die ihn von der Kunst abzog; eine sonderbare, allzugroße Vorliebe für das Fremde: das Altgriechische, das Römische, das Italienische und endlich das Orientalische zogen ihn fast in dem Moment von dem Nationalen ab, wo das Schicksal den excellenten Göthe nach Weimar rief und ihn zur Excellenz machte.

Manche werden vielleicht finden, daß ich hier allzu lieblos und unehrerbietig über Göthe spreche; aber ich lasse ihm gewiß[67] in Allem Recht widerfahren, was Recht ist; ich spreche hier nicht aus Rache als der von ihm Verschmähte; über das Geschehene sind bereits 40 Jahre dahingegangen. Ich bin nun selbst ein Greis von 70 Jahren, nur wenige Jahre vom Grabe entfernt, in welchem er bereits ruht. Hier kann also nicht die Rede von eitlem Grolle sein; ich liebe ihn beständig, habe nie aufgehört, ihn zu lieben; und Baggesen's bitterste Feindschaft zog ich mir kurz nach meiner Heimkehr von Göthe dadurch zu, daß ich ihm seinen unwürdigen Spott über den großen Mann vorwarf. Aber in einem Dichterleben ist das Verhältniß, in dem ein Dichter zu irgend welchem andern von Bedeutung steht, von Wichtigkeit; denn dies ist theils aus früheren Werken hervorgegangen, theils hat es zu späteren Veranlassung gegeben und somit auf den Geschmack und die ästhetische Bildung des Zeitalters eingewirkt, was wichtiger ist, als viele kleine Züge des täglichen Lebens, in denen die meisten Menschen einander gleichen. Ich muß mich deshalb bei dieser Gelegenheit aussprechen. Von dem Verfasser der natürlichen Tochter, des Epimenides, Elpenor; vom Verfasser des zweiten Theiles des Faust und dem Bewunderer des italienischen Manzoni konnte ich keine Sympathie für meine nordischen Begeisterungen und Arbeiten erwarten. Dies fand sich denn nun auch mehrere Jahre darauf, als Göthe's und Zelter's Briefwechsel erschien, vollkommen bestätigt. In einem Briefe des Letzteren an den Ersteren beklagt Zelter sich darüber, daß die Theaterdirection in Berlin ihm ein Stück von mir gegeben habe, um Musik dazu zu schreiben. Nachdem er zuerst das Stück wie das elendeste Zeug von der Welt durchgegangen ist, schließt er: „Das Stück hat auch barbarische Namen: Axel und Valborg.“ Göthe giebt ihm vollständig Recht und sagt: „Wenn diese Nordländer ihre Bären auf den Hinterfüßen zu tanzen gelehrt haben, glauben sie was Rechts gethan zu haben. Dieser gute Oehlenschläger ist auch einer von diesen Halben, die sich einbilden, ein Ganzer zu sein, und noch Etwas drüber. Ich habe von dem Gezücht viel ausstehen müssen.“

[68]

Rückblick. Göthe und Zelter.

Dieses „Ausstehen“ bestand nun darin, daß er sich darein finden mußte, als ich ihn etwas spät des Abends in der Nachtjacke überraschte, ihm um den Hals fiel und ihm auf ewig Lebewohl sagte, nachdem er sich geistig von mir getrennt hatte. Doch darf ich nicht vergessen, daß er ganz freundlich sagte: „Nun, leben Sie wohl, mein Kind!“ worin doch wieder eine Annäherung lag. Aber ich kannte ihn; Explicationen konnte er nicht leiden. Hätte ich ihm später geschrieben, ihm einige andere Arbeiten gesandt, so wären wir vielleicht wieder in ein freundliches Verhältniß zu einander getreten. Aber — ich war zu stolz — nicht den ersten Schritt zu thun, sondern um mich in seine Gnade hineinzubetteln. Saumselig im Briefschreiben war ich immer; ich schrieb meinen besten Freunden nicht, viel weniger nun ihm.

Was übrigens die starken Expressionen zwischen ihm und Zelter in Bezug auf mich betrifft, so betrachte ich diese gar nicht als eine Beleidigung; denn weder Göthe noch Zelter haben diese Briefe selbst herausgegeben, und es ist ein sehr schlimmer Gebrauch, einen jeden Wisch, den ein ausgezeichneter Mann geschrieben hat, nach seinem Tode herauszugeben, um Geld zu verdienen. Wenn das immer geschähe, so könnte man ja kein vertrauliches Wort mehr schreiben. Tritt man öffentlich auf, so soll man bedenken, was man sagt und seine Ausdrücke abwägen; aber das Sprüchwort: „Gedanken sind zollfrei“ erstreckt sich auch auf die Vertraulichkeit zwischen Freunden; und man sagt Vieles in der Verstimmtheit, was man gar nicht so böse meint. Hätte Göthe an Schiller oder Humboldt geschrieben, so hätte er seine Worte gewiß mehr abgewogen; aber mit Zelter genirte er sich nicht. Dieser natürlich aufgeweckte Kopf, aber ohne wahre Bildung, obgleich er Baumeister und Musicus war, hatte sich vollständig in Göthe vergafft und liebte ihn, wie ein Pudel seinen Herrn liebt. „Wenn er einen D... macht,“ soll er gesagt haben, „ist es besser, als was alle die Andern machen.“ Als sein Sohn starb, vergaß er bald seinen Kummer darüber, als Göthe ihn Du nannte, und ferner immer mit ihm auf Du und[69] Du stand. Ein Beweis seiner sonderbaren Unwissenheit (aus der hervorzugehen scheint, daß der Baumeister nicht viel mehr war, als Mauermeister) war, daß er Göthe einmal in einem Briefe fragte: „Was war Byzanz? Wo war es? — Kannst Du mir hierüber nach Deiner und meiner Art in kurzen und wenigen Worten Aufschluß geben?“ Man sieht hieraus, daß Zelter wenigstens kein Architekt der byzantinischen Schule gewesen ist. — Ein Mal, als er Göthe Samson's Geschichte als ein vortreffliches Süjet zu einer Oper empfiehlt, findet er sich sehr geduldig darein, daß Göthe Samson den dümmsten Lümmel nennt, der sich jemals von einer gemeinen Dirne narren ließ. Aber Zelter componirte schöne Melodien zu einigen göthe'schen Liedern, z. B. zu „Gott und die Bajadere“ und seine Composition zu „Johanna Sebus“ ist herzergreifend schön.

Das Plumpe in Göthe's Aeußerungen über mich in diesen Briefen beleidigte mich also nicht, aber diese abgerechnet sah ich doch in Allem deutlich, wie gering er meine Arbeiten achtete, und wie wenig ihm daran lag, sie zu kennen.

Ein deutsches Gedicht, welches ich vor ein paar Jahren über Göthe geschrieben habe, in welchem ich ihn in dem Ton zu characterisiren suche, in dem er selbst dichtete, mag diese Betrachtung über den großen Mann schließen.

Ein Gedicht über Göthe.

Erstes Bild.

Da steht der junge Wolfgang schön,
Gar lieblich, treulich anzusehn.
Von Leipzig nach Dresden will er wandern
Aber allein, und nicht mit Andern;
Genießen will er Natur und Kunst
Ohne Geschwätz und falschen Dunst.
Er will sich bei Freunden nicht einquartiren,
Die Freiheit würde dabei verlieren;
Im Gasthof auch nicht gern er steckt,
Davon hat der Vater ihn abgeschreckt.
So kehrt er bei einem Schuster ein,
Als könnt es gar nicht anders sein.
Da ruhet er aus und geht nicht weiter,[70]
Der Wirth begegnet ihm freundlich heiter.
Die kleine Mahlzeit ist bald verzehrt,
Und als er nach dem Schlaf begehrt,
Zeigt ihm die Wirthin ein gutes Bett,
Als wenn's ihm die Musa bereitet hätt'.
Da hängt ein Bild ihm unbekannt,
Dem Bette nah, dort an der Wand.
Es ist der Holzschnitt von Hans Sachs;
Der Wolfgang freut sich dessen stracks,
Und eingeschlafen ist er kaum,
So hat er einen schönen Traum
Von Hans Sachs und dem Sängerwesen,
Wie Ihr's könnt in seinen Schriften lesen.
Früh nächsten Morgen auf er steht,
Und in die Galerie hingeht.
Zwar stand er da vor den Meisterstücken
Der Italiener, die ihn entzücken,
Doch fühlt er sich gezogen bald
Zu der Deutschen und Holländer Aufenthalt,
Dem heitern Wesen, der frischen Natur,
Die schon er kennt, geht er auf die Spur;
Und was entsprungen aus diesem Geist,
Bei ihm die größte Kraft beweist.
Und als er steht in des Schusters Laden,
Glaubt er noch Schalken und Ostaden
Zu sehn, so lustig und heiter mild
Steht Alles vor ihm als gutes Bild.
Es kommt die Nacht, und schlafend kaum
Entzücket ihn ein schöner Traum.
Es spricht zu ihm im Ton der Geister
Vom Holzschnitt her der alte Meister:
„Es hat Natur Dich auserlesen
Vor Vielen in dem Weltwirrwesen,
Daß Du sollst haben klare Sinnen,
Nichts Ungeschickliches magst beginnen;
Die Welt soll kräftig vor Dir stehn,
Wie Albrecht Dürer sie einst gesehn;
Ihr festes Leben und Männlichkeit,
Ihre innere Kraft und Ständigkeit,
Der Natur Genius an der Hand,[71]
Soll Dich führen durch alle Land.“
Da öffnet sich das Zimmer weit
Und steht gar in hoher Herrlichkeit
Der Straßburg da, der Riesenthurm,
Wobei der Mensch sich fühlt ein Wurm.
Doch auch ein Geist mit seltner Macht,
Weil selbst es seine Hand vollbracht,
Da sieht er Götz mit der Hand von Erz,
Doch mit dem menschlich warmen Herz:
Da sieht er Clärchens, Gretchens Gesicht, —
Correggio, Rafael malen nicht
Gesichter schöner, und doch vollbracht,
Als hätte sie Dürer selbst gemacht.
Da spricht Hans Sachs: „Das sollst Du singen,
Den Eichenkranz wird es Dir bringen.“
Der junge Wolfgang es treu verspricht,
Daraus entstand manch schön' Gedicht.

Zweites Bild.

Aber hier in Roma, da liegt im Bette der Dichter,
Klopft auf dem Rücken der Frau fein des Hexameters Takt,
Klagt, weil er nicht ein Römer, ein Italiener geworden,
Morgenländer und Türk, seufzt, weil er Deutscher und Christ;
Haßt dabei das Kreuz wie Tabak, wie Wanzen und Knoblauch;
Alles aus Norden ist ihm lächerlich, erbärmlich und schlecht;
„Vieles hat er versucht, gezeichnet, in Kupfer gestochen,
„Nur ein einzig Talent bracht et der Meisterschaft nah:
„Deutsch zu schreiben! Und so verdarb, unglücklicher Dichter!
„Er im schlechtesten Stoff leider nun Leben und Kunst.“

Ist es denn wahr, was er so in übler Laune gesprochen?
Nein, nicht ganz; doch Natur wird durch das Künsteln geschwächt.
Ideal muß auch Natur sein. Nicht unnational sein
Muß der Dichter, sonst hört er auf, ein Dichter zu sein.
Waren denn Iphigenia nicht und die beiden Lenoren
Schön? O ja, recht schön kann die Kreolin sein
Aus dem Zwittergeschlecht, halb deutsch, halb wälsch und griechisch.[72]
Erst als er wieder ganz ward ein Deutscher, da entstand
Dorothea so schön, noch schöner, als Gretchen und Clärchen.
Hätt' uns aus dieser Tonn' mehr nur der Göthe gezapft!
Rückblick. Jean Paul Friedrich Richter.

Aber ehe ich diesmal Deutschland verlasse darf ich doch nicht vergessen, daß ein großer deutscher Dichter, den ich gar nicht persönlich kannte, und der, was Genie und Intelligenz betrifft, Göthe und Schiller nicht nachstand, meinen Aladdin auf das Schmeichelhafteste in den „Heidelberger Jahrbüchern“ besprach. Dies war Jean Paul Friedrich Richter! Dieser eigenthümliche Genius, der die schönsten Schilderungen des Lebens und des Menschenherzens in humoristische Ausschweifungen kleidet, voller Phantasie, Witz und Weisheit, aber leider auch oft so eingehüllt in neblige Extravaganzen und ermüdende Weitläufigkeiten, daß es große Mühe und Anstrengung kostet, sich durch diese Sümpfe, Dünste und Dornhecken zu den schönsten Waldpartieen und Feenschlössern durchzuarbeiten. Dieser eigenthümliche Genius, der, obgleich es ihm in seinen eigenen Werken nicht möglich ist, lange bei einer Vorstellung zu bleiben, ohne sie gleich durch andere, oft himmelweit verschiedene zu unterbrechen, doch im Stande ist, mit Tiefe und Gründlichkeit in die menschlichen Charactere einzudringen, sie bei Anderen aufzufassen, sie selbst zu zeichnen und zu erfinden und dies Alles durch jene Engelgutherzigkeit zu verbinden, die ihn zu einem würdigen Bruder von Claudius und Pestalozzi macht. In seiner Aesthetik, in seiner Levana, seinen Recensionen hat er gezeigt, mit welcher Feinheit und Richtigkeit er im Stande war, in das Wesen der Poesie und fremder Dichterwerke einzudringen. Ihm fiel es nun auch ein, meinen Aladdin zu recensiren, und ich will hier einige seiner eigenen Aeußerungen mittheilen:

„Der Däne Oehlenschläger giebt hier die Wunderlampe, das bekannte Mährchen aus Tausend und Einer Nacht. Er habe[73] Dank für diese Um- und Empordichtung eines Gedichts. Gedachte Tausend und Eine Nacht wäre ganz zu theatralisiren, wenn es mehrere Oehlenschläger gäbe. Ein rührend schönes Gedicht an Goethe — eine nach dem Phöbus gewandte Sonnenblume — und eine Vorrede voll reiner, heller Aesthetik öffnen, wie eine Eingangsmusik, dem Leser Ohr und Auge für das schöne Schauspiel. Das Schauspiel zerfällt in zwei Spiele, Thalia und Melpomene, indeß folgte jene dieser weit genug auf die Bühne nach. Er durfte sich dies als ein Schüler und Freund Shakespeare's, Goethe's und Gozzi's erlauben. Wenn der Schuster Sindbad vor dem Bösewicht Hindbad, dessen ruchlose Predigt sammt den Predigerkritiken humoristisch genug ist, sich selber zu einem Hofnarren abzurichten und einzuschulen sucht, und auf mehrere Einfälle fällt, um damit anzufragen, ob diese einen Narren versprechen, so besteht, neben diesem Lachen, doch die Erhabenheit und Fürchterlichkeit der nächsten Zukunft. Uebrigens hat dem Verfasser der Himmel Sinn und Kraft für das Komische bescheert; ein rein komisches Gedicht von diesem Dänen wäre eine schöne Weinlese für uns. — Mit dem glücklichen Ohre für den Wechsel seiner Versgebäude überwindet er in seinen Terzinen und Stanzen die Schwierigkeiten, welche die meisten Dichterlinge, ja Dichter der neuern Schule stehen lassen als Zugabeschönheiten. Das Werk beginnt mit komischen Menschen und Scenen, spielt sich durch zarte romantische Dichtungen weiter, bis es wie ein Tag beschließt mit immer mehr hier aufgehenden Sternen des Erhabenen und Schauerlichen; und man träumt der reichen Farben- und Lichtwelt noch lange nach“.

Rückblick. Jean Paul über Aladdin.

In diesem ehrenden Lobe findet sich doch auch ein gerechter Tadel. „Allerdings verschwamm sich der Verfasser zuweilen in jene italienische, ja oft in Tieck'sche Weitschweif- und Weitläufigkeit. Nur die Sache ergreife den Dichter, nicht das selbstsüchtige Genießen und Ausdehnen seiner Empfindung derselben. Shakespeare war in die Sache verloren, und daher bei aller Fülle von Bildern und Kräften, nirgends zum Verschwender[74] zerflossen“. Hauptsächlich tadelt Jean Paul mit Recht zwei Gedichte: „Die Verwesung“ und ein Gespräch zwischen den beiden Fee'n „Unschuld und Rache“, die nicht in dem dänischen Aladdin stehen.

Jean Paul endigt seine Recension mit folgender Aeußerung: „Dank gebührt der Kraft, welche, ohne einen Uebersetzer, gleichsam auf einer Landesgrenze gepflanzt, über zwei Nationen zugleich den Ueberhang seiner Blüthen und Früchte ausbreitet. Die Zeit wird ihn noch mehr, gleich einem Diamant, zugleich verdichten und verdurchsichtigen, und er wird immer mehr, statt des Zauberspiegels, den Zauberstab halten lernen.“


An Jean Paul.

Und diesem Manne schrieb ich nicht, und dankte ihm nicht aus vollem Herzen für eine solche Anerkennung. Es ist unverzeihlich! Diese üble Gewohnheit, meinen Freunden nicht zu schreiben, hat mir in meinem Leben sehr geschadet, mich manches schönen Genusses beraubt, manch edles Verhältniß abgekühlt und zerstört. Ich vergaß sie nie, ich gedachte ihrer oft; aber — ich mochte keine Briefe schreiben. Einige Entschuldigung mag darin liegen, daß ein Verfasser, der viel schreibt, nicht das Bedürfniß, das Vergnügen am Briefschreiben, wie Andere empfindet. In welcher Stellung auch der gebildete Mensch im Leben sein mag, treibt es ihn doch zuweilen, seinen Gedanken, seinen Gefühlen Luft zu machen. Aber diese läßt der Dichter in seinen Werken ausströmen, und wo die Anderen sich nach Mittheilung sehnen, sucht er Ruhe. So wird es eine Gewohnheit bei ihm, es zu unterlassen; und wie schwierig es ist, eingewurzelte Gewohnheiten abzulegen, weiß Jeder. Doch kann ich mich durchaus nicht ganz entschuldigen. Auch mochte ich niemals recht gern Visiten machen; doch freute es mich sehr, wenn meine Freunde zu mir kamen. Ich war von Kindheit, von der Jugend an daran gewöhnt, größtentheils allein zu sein, und zu schweigen. „Mein[75] Herr,“ sagte Frau Staël-Holstein einmal scherzend in ihrem deutschen Patois zu mir, „Sie sind gar zu selbständik.“ Eine gewisse Verlegenheit überkam mich immer in Gesellschaften. Mein Gesicht war nicht scharf, mein Gehör nicht fein, mein Gedächtniß im Augenblick nicht sicher; traf ich Animosität und einen Ton mir gegenüber, dem es an Freundlichkeit und Zutrauen fehlte, so verlor meine Geistesruhe das Gleichgewicht; in der Jugend verlief ich mich dann oft; als ich älter wurde, schwieg ich, um es nicht zu thun. Aber — um auf Jean Paul zurückzukommen, that ich denn Nichts für ihn? Nein! aber ich hatte bereits, ein paar Jahr ehe er jene Recension schrieb, ein Lied auf ihn gedichtet, das erst acht Jahre, nachdem Aladdin erschien, in meiner deutschen Gedichtsammlung gedruckt wurde. Ob Jean Paul es jemals gelesen hat, weiß ich nicht, denn ich hörte Nichts mehr von ihm. Seine liebenswürdige Tochter, Frau Förster, deren Bekanntschaft ich im Jahre 1844 in München machte, kannte es nicht, und wurde sehr erfreut als ich es ihr mittheilte. Hier ist es:


Der Wunderbaum.

Es stand ein großer Baum im großen Garten;
Ihr glaubt es kaum,
Doch Blumen, Früchte trug von allen Arten
Der Wunderbaum.
  So groß wie eine königliche Eiche
Der Stamm erschien;
Im Laub da blühten Rosen, roth und bleiche
Durch's Rosmarin.
  Die Blätter wickelten sich mannigfaltig
So grün und dicht;
Die Aeste breiteten sich aus gewaltig
Im Sonnenlicht.
  Bald wölbten sie hinunter sich zur Aue,[76]
Wie Lindenzweig';
Bald schossen sie die Flügel weit in's Blaue
Cheruben gleich.
  Bald schwarz und dick und knotig war die Rinde
Voll Schwamm und Kraut;
Die zarten Zweiglein waren glatt und linde,
Wie Mädchenhaut.
  Man konnte Aepfel, Birnen, Kirschen finden,
Wo man nur las;
Die Aeste schüttelten in Sommerwinden
Die Frucht in's Gras.
  Des Tag's da krochen Affen in den Zweigen
Und neckten sich;
Des Nachts da stand der Baum so still und eigen
Und schauerlich.
  Die Nachtigall im kalten Mondlichtsbade.
Erschrak und schied;
Denn in dem Stamm sang zaubernd die Dryade
Ihr Todtenlied.
  Von Vielen ward der Baum geliebt; genossen
Von Wen'gen ganz.
Doch Jeder fand, was er gesucht, entsprossen
Im Sonnenglanz.
  Wer Früchte liebte, sagte: Ei, da seh' ich
Den Apfelbaum;
Wer Schatten suchte, seufzete: Nun geh' ich
Zum Frühlingstraum.
  Wer Blumen wollte, sagte: Sieh da glühet
Mein Blumenstrauß;
Wer Lieder wünschte, sagte: Sieh da blühet
Mein Vogelhaus.
  Wer gar nichts liebte, sagte: Zwinge, zwinge[77]
Dein Plaudermaul!
Wer Alles liebte, sagte: Singe, singe
Noch lang, Jean Paul!

Die Periode der Opposition.

Ich wende mich nun zu der Epoche, in der sich die Opposition gegen mich am stärksten erwies. Die Erfahrung, daß ich nicht mehr zur romantischen deutschen Schule gehörte, und keine Unterstützung bei deren Führern fand, daß Göthe den Correggio getadelt und mir den Rücken gekehrt hatte, trug gewiß nicht wenig dazu bei, meinen Gegnern und Neidern Muth zum Tadeln zu geben. Hierzu kam, daß auch Grundtvig mich mit seinen vielen Anhängern verlassen, und daß ich selbst mir geschadet hatte, indem ich einige Kleinigkeiten schrieb, die freilich an Werth weit unter den Hauptwerken standen.

Die Baggesen'schen Angriffe.

Baggesen griff mich an. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß er hierzu von Anderen angetrieben wurde; denn seine Umgebung hatte immer großen Einfluß auf seine Handlungen.

Baggesen's Betragen war wirklich so kindisch, daß das Ganze jetzt, wo es vorbei ist, mehr wie eine Comödie, als eine Tragödie zu betrachten sein würde, wenn es nicht so weit gegangen wäre, daß er selbst dadurch um alle Achtung kam.

Alles, was Baggesen bisher unternommen hatte, war in einer Art geistigen Spieles geschehen, das ihn und die Andern amüsirte, so lange es dauerte. Seine besten Gedichte, die Frucht einiger Vormittage, waren Kleinigkeiten, die er später in der Tasche umhertrug und seinen Freunden vorlas. So lange er nicht beißend und erbittert wurde, war er eine höchst interessante angenehme Persönlichkeit. Er konnte einen großen Theil des Geistes der großen Männer, mit denen er umging, nachahmen und sich aneignen; wie ein Chamäleon empfing er die Farbe; sie verschwand aber bald wieder vor einer andern. Mit Wieland war er Wieland, mit Fichte Fichte, mit Jakobi Jakobi,[78] mit Reinhardt Reinhardt, mit Jean Paul Jean Paul, mit Voß Voß. Aber gründlich hatte er sich Nichts erworben und mit eigener Originalität gestempelt. Das, was er am Allerwenigsten verstand, worauf er sich am Allerwenigsten gelegt und wozu die Natur ihm das geringste Talent verliehen hatte, war das Dramatische, und nun beschloß er doch, dramatischer Recensent und Geschmacksrichter für die Bühne zu werden. Ich war nicht der Einzige, den er herunterriß; es ging auch über Holberg her, dessen plumpe Sprache er tadelte und dessen Schilderungen der Sitten und Verhältnisse er modernisirt haben wollte. Hier trat ein Anonymus auf, Peter Wegner (Adolf Boye), der ein gefährlicher Feind für Baggesen wurde. Das Einzige, was den hohlen Kritiken dieses Letztern noch etwas Salz verlieh, war der witzige Ton der ungerechten Angriffe. Man sagte: „Baggesen habe die Lacher auf seiner Seite.“ Nun bekämpfte Peter Wegner ihn von einem vernünftigen und wahrheitsliebenden Standpunkte aus mit gleichen Waffen, aber mit viel größerer Kraft, welche das Bewußtsein der guten Sache giebt, und mit seiner satyrischen Fregatte schoß er das Baggesen'sche Seeräuberschiff in den Grund.

In allen Literaturen findet man Beispiele genug, daß ausgezeichnete Schriftsteller aus Neid von weniger Begabten, ja selbst von Pfuschern angegriffen wurden. So sehen wir in der Vorrede zur zweiten Hälfte des Don Quixote, daß Cervantes über einen Anonymus klagt, welcher behaupte, einen andern bessern Don Quixote, als der Dichter selbst, herausgegeben zu haben. Was hat Shakspeare nicht verdauen müssen, ehe er zu Ehre und Würden gelangte? Lessing wurde von Klotz und Götze; Göthe von Kotzebue von Menzel und Pustkuchen als ein schlechter Poet heruntergerissen. So hatte ein gewisser Paulli in Holberg's Zeit den politischen Kannegießer umschrieben. An und über diesen Paulli und Consorten schrieb Holberg witzige Vorreden unter dem Namen von Hans Mikkelsen und Just Justesen. Peter Wegner versetzte sich ganz in den Holberg'schen[79] Ton und schrieb: „Ein kleines nützliches Unterhaltungsbuch“ an Baggesen, in welchem Holberg selbst die Baggesen'schen Angriffe mit der Geißel der Satyre widerlegt.

Auch Thaarup und Rahbek wurden plump von Baggesen angegriffen. In der sogenannten Judenfehde, welche darin bestand, daß man, durch das Beispiel fremder Nationen dazu aufgemuntert, ein paar Abende hindurch mehreren Juden die Fenster einschlug, übersetzte Thaarup eine mittelmäßige Farce: „Unser Verkehr“ gegen die Juden. Das hätte er unterlassen sollen. Aber in Folge dessen warf Baggesen ihm vor, daß er nicht Dänisch schreiben könne. In seinen besten Werken hatte Thaarup stets ein sehr reines und gutes Dänisch ohne Einmischung von Germanismen geschrieben, was man nicht von Baggesen und während meines Aufenthalts in Deutschland auch nicht von mir sagen konnte, weil es fast unmöglich ist, sich bei längerem Aufenthalt in einem fremden Lande vor jeder Einmischung einzelner fremder Worte zu hüten. Baggesen gebrauchte immer deutsche Redensarten. — Das Lob, welches Rahbek seinen Reimbriefen gespendet hatte, mußte ihm zu bitteren Angriffen gegen Rahbek dienen. Er kehrt stets zu diesem Lobe zurück, als ob es nie früher so gehört worden wäre, und thut, als ob er aus Groll über so übertriebenen Ruhm, das Bedürfniß fühlte, Rahbek zu verhöhnen. Das Wunderlichste war, daß er mitten unter diesen unbefugten und bitteren Angriffen gegen Andere sich selbst mit Mitleid, wie ein armer verfolgter Mann betrachtete. Er schrieb unter Anderm hierüber eine Elegie, welche Peter Wegner gleichfalls in seinem Unterhaltungsbuch unter dem Namen von Just Justesen verspottete; er nannte es ein weinerliches Stück, das gut zu allen Instrumenten paßt, besonders zur Sackpfeife und Drehorgel.

Diese Persiflage Peter Wegner's darf nicht als der freche Angriff eines jungen Menschen gegen einen Mann von Renommé und unbezweifelten Verdiensten betrachtet werden; selbst einem unbedeutenden Schriftsteller gegenüber ist die Persiflage[80] eine schlechte Waffe; nur Eins giebt es, das sie mit Recht angreift: das ist die Persiflage selbst; sowie man Skorpionstiche durch zerdrückte Skorpionen heilt. Daß Baggesen diese Waffe vorher leider in hohem Grade gebraucht hatte, daß es besonders über mich herging, ja zuletzt bis zu den gröbsten Beleidigungen, Unwahrheiten und Schmähworten gesteigert wurde — es wäre Feigheit von mir, wenn ich dies verschweigen und in meiner Biographie nicht erwähnen wollte, jetzt, wo alle Menschen diese Angriffe lesen können und sie aufbewahrt sind, nicht in den ersten Tagesblättern, denn da würden sie mit dem Tage verschwunden sein, und dann würde ich ihr Andenken gewiß nicht auffrischen; aber sie sind neuerdings in Baggesen's gesammelten Werken erschienen, und, wenn nicht für die Ewigkeit, so doch für eine lange Zeit aufbewahrt. Doch allzu lange will ich bei dieser unangenehmen Angelegenheit nicht weilen und nur bemerken, daß Baggesen mich nicht wie einen übrigens verdienstvollen Dichter behandelte, der nur einige seiner Ansicht nach mißglückte Arbeiten hervorgebracht hatte, sondern wie einen dummen und unwissenden Jungen, der unbegreiflicherweise zu seinem frühern Renommé gelangt war; der nicht richtig über die gewöhnlichsten Dinge denken konnte und durchaus nicht im Stande war, seine Muttersprache zusammenhängend zu schreiben. So recensirte er Ludlam's Höhle, wo er unter Anderm über die Charactere des Stückes sagt, daß „die in der Suppenmalerei angebrachten rothen Krebse des Dichters nicht allein verzeichnet, sondern grau sind.“ Peter Wegner hat ihn auch in Veranlassung dieser Recension das ganze Uebergewicht seiner gesunden, ehrlichen, witzigen Kritik fühlen lassen. Auch der kecke, geniale Carsten Hauch griff Baggesen an und hieb seinen Geierschnabel in Dessen kritische Leber. Paul Möller schrieb die vortreffliche Parodie auf Baggesen's: „Als ich klein war.“ Zwölf ausgezeichnete Studenten glaubten Baggesen wegen seiner unwürdigen Aufführung gegen ihren Geschmackslehrer zur Rechenschaft ziehen zu müssen und forderten ihn auf Lateinisch heraus, um seiner eingebildeten[81] Gelehrsamkeit zu spotten. Obgleich ich selbst ihm nicht antworten mochte, und es dessen auch nicht bedurfte, da die Anderen mir die Mühe ersparten, so schien es mir doch eine Pflicht gegen mich selbst zu sein, ihm öffentlich meine Verachtung gegen seine tiefe Beleidigung zu zeigen. Ich schrieb im „Fischer“ einen Chor, in dem ich ihn und Consorten auf aristophanische Weise geißelte. Es war natürlich, daß er also über den Fischer mit verdoppelter Erbitterung herfiel.

Baggesen's Art, mich zu recensiren war, wie gesagt, ohne alle ästhetische Bedeutung und befaßte sich nie mit dem Poetischen; dessen Mangel setzte er als Etwas voraus, das sich von selbst verstand. Seine Angriffe waren lauter Klagen über den Mangel an Ordnung und Zusammenhang in dem Materiellen, zu dessen Beobachtung es doch nur des einfachen Menschenverstandes bedurfte, und bei dessen consequenter Durchführung das Stück doch ganz unpoetisch sein konnte.

Einen starken Gegner fand Baggesen noch im Verfasser der zwölf Paragraphen. Wenn Peter Wegner Baggesen mit Büchsenkugeln traf, so schoß dieser ihn mit Kartätschenkugeln nieder; nur Schade, daß er in seinem Zorn auch das Gute und wirklich Dichterische angriff, das Baggesen hervorgebracht hatte; denn dadurch schwächte er seinen Angriff und seinen Sieg, wo er Recht hatte.


Hagbarth und Signe. — Helge.

Ehe ich den Fischer schrieb, dichtete ich im Winter 1813–14 Hagbarth und Signe, ein Seitenstück zu Axel und Valborg. Ungeachtet sie einander darin gleichen, daß Beides nordische Liebestragödien, ziemlich kurz, ohne Episoden, mit der Einheit der Zeit, des Orts und der Handlung sind, suchte ich doch im Wesentlichen diese Bilder sehr verschieden von einander zu zeichnen: Axel und Valborg im Geist des christlichen Mittelalters und Hagbarth und Signe in dem des nordischen Heidenthums; beide natürlich idealisirt und mit dem Gepräge von[82] des Dichters eignem Herzen, seiner Phantasie und seinem Gedanken. Die Leidenschaft der mit Tapferkeit und Verwegenheit verbundenen Liebe, die sich plötzlich in den Herzen Hagbarth's und Signe's entzündet und ihnen Muth verleiht, das Leben zu wagen, und mit Heldentrotz den Tod für einander zu dulden, war der Gegenstand des einen Stückes; das durch das Christenthum gemilderte Gefühl, von den Jahren der Kindheit an gestärkt, das die Blume der Treue und Hingebung in Axel's und Valborg's Herzen zur Reife brachte, ist der Gegenstand des andern. So gleicht Hagbarth und Signe einem Nachtstücke, mit Tannen über dem Abgrunde, wo der Mond halb hervorbricht; Axel und Valborg ist ein mildes Gemälde blühender Natur in der Abendröthe. — In der Zeit, wo ich kleine Stücke und Singspiele geschrieben hatte, war Ingemann aufgetreten und hatte sich wohlverdienten Beifall durch seine lyrischen Gedichte erworben; auch bewunderte das Publikum seinen Masaniello und Blanca. Letzteres hatte Furore gemacht. Hagbarth und Signe machte doch auch Glück und nun fühlte ich mich gestärkt und begeistert, wieder ein großes Bild des Altnordischen zu malen, in dessen Geist ich mich durch Hagbarth und Signe wieder hineinversetzt hatte.

Um mich dieser Begeisterung recht ungestört zu überlassen, miethete ich mir ein Zimmer auf Friedrichsberg in der Küsterwohnung, und hier saß ich, wo nur eine Wand mich von der Schule trennte, in der ich meinen ersten nothdürftigen Kinderunterricht genossen hatte, und schrieb Helge. Ueber dieses Gedicht ist bei dänischen Lesern nur eine Meinung gewesen und Baggesen wagte nicht, es anzugreifen; er schwieg stockstill darüber. So hatte ich nun also, was nordische Heldendichtung betraf, meine Autorität wieder gewonnen; aber meine Tadler hatten doch viele Leute zu dem Glauben gebracht, daß die nordische Heldendichtung die einzige Sphäre sei in der ich mich mit Glück bewegen könne, und daß dem Verfasser des Sanct Johannisabendspiels, der Langelandsreise, Freia's Altars und Aladdin's von[83] der Natur kein Beruf für das Komische und Witzige verliehen sei. Daß dies mich verstimmte, war natürlich. Nach Allem, was ich in der Kunst gewirkt hatte, noch wie ein Schulknabe betrachtet zu werden, der in seinen Zeugnissen bald Mittelmäßig, bald Schlecht erhielt, war ein trauriger Lorberkranz. Hiezu kam, daß sich meine ökonomischen Verhältnisse auch verschlechterten, theils durch Mangel an sicherer Einnahme, denn ich hatte nur 1200 Thaler Gehalt mit Weib und drei Kindern, theils durch mein schlechtes Buchhändlertalent. Die ersten meiner Werke, die reißend abgegangen waren, hatte ich den Buchhändlern fast für Nichts gegeben; nun verlegte ich selbst Werke, die von Baggesen und seinen Anhängern heruntergerissen wurden, und obwohl ich an ihnen Etwas hätte gewinnen können, wenn ich sie verkaufte, so verlor ich nun und gerieth in Schulden, die sich um Vieles steigerten, als im Jahre 1813 die Geldreorganisation eintrat, die nicht allein mich, sondern viele reichen Leute zu Bettlern machte!

Verfehlte Buchhändlerspeculation.

In solchen Stimmungen wird die Begeisterung für das Hohe und Große bei der Nation und zugleich bei dem Dichter geschwächt. Was dazu beitrug, diese allgemeine Verstimmung zu vergrößern, war Napoleon's Fall. Die Dänen hatten es stets mit ihm gehalten und theilten nicht die Freude der heiligen Alliance, als er das unglückliche große L'hombrespiel mit Blücher und Wellington gespielt, mit Spadille quaskirte, und, obgleich er beinahe gewonnen hätte — durch ein dreistes, unvermuthetes Ausspielen von Blücher, der in der zweiten Hand saß und das erste Mal gestochen war, es Wellington ermöglichte, Napoleon in der Hinterhand bête ja sogar codille zu machen.

Man weiß, daß es nicht meine Art ist, viel zu politisiren, das heißt, mich groß mit den Staatsbewegungen der Zeit und des Augenblickes zu beschäftigen. Hierzu gehört, daß man dem Journallesen einen so großen Theil seiner Zeit opfert, daß es dem Künstler und dem Dichter schadet, dessen Beruf es ist,[84] nicht für den Augenblick, sondern, so gut er kann, für die Ewigkeit zu wirken, indem er die Erinnerungen der Vergangenheit und die Ahnungen der Zukunft mit der Zeit verbindet, in der er lebt. Aber ein Dramatiker, ein historischer Tragiker ist kein Kind, das nur in seinen eigenen Träumen dahingeht. Jede historische Tragödie ist politisch und in den Staatsverhältnissen der Zeitalter, der Nationen begründet. Diese braucht er nur nicht aus ermüdenden, weitläufigen Verhandlungen, sondern in der Quintessenz zu kennen. Diese Quintessenz war mir stets von Wichtigkeit, auch in der neuesten Periode meiner eignen Lebenszeit, und deshalb giebt es wenige historische Hauptwerke, die ich nicht gelesen.

Gedanken über Napoleon.

Es ging mir nicht wie vielen Anderen: ich lernte Napoleon im Anfange nicht von der brillanten Seite kennen; im Gegentheile von der Schattenseite. Während der Schlacht bei Jena war ich in Weimar von dem Haß der Deutschen gegen ihn umgeben. Ich lernte ihn bald als den herrschsüchtigen Unterdrücker kennen, später aber auch seine großen Eigenschaften schätzen. Das Große bei Napoleon bestand darin, daß er ein Genie war; und das Schöne seiner Zeit darin, daß das Genie herrschte. Denn das Mißverhältniß, in dem gewöhnlich die unterdrückten geistigen Kräfte zu der zufälligen oft kleinlichen Macht stehen, fand unter ihm nicht Statt; jede ausgezeichnete Tüchtigkeit, die sich ihm anschloß, konnte ziemlich gewiß sein, Glück zu machen. Napoleon war ein mathematisches Genie und ein großer Held. Aber er war auch Welt- und Menschenkenner, und verband mit seinem Genie in hohem Grade den unentbehrlichen (und doch so oft fehlenden) praktisch gesunden Menschenverstand. Kraft, Fleiß, Aufmerksamkeit, Ueberblick waren bei ihm außerordentlich, und machten ihn zu einem ebenso tüchtigen und seltenen Fürsten im Frieden, wie Helden im Kriege. Unglücklicherweise war er, wenn ich es so nennen darf, auf dem einen Ohre taub: das heißt, ein großer Theil des Lebens sowie auch der Zeit, die er nur halb verstand, entging ihm. Zwei wichtige[85] Dinge fehlten ihm: er konnte nicht Deutsch und war kein Schöngeist. Als Repräsentant der neuern Zeit hätte er auch die letzten Kapitel der vorhergegangnen Zeit lesen sollen, und das hatte er nicht gethan; den ganzen Fortschritt der Intelligenz in Deutschland kannte und achtete er nicht. Er hatte Recht, sich von spitzfindigen, philosophischen Verschrobenheiten abzuwenden; aber er haßte alle tiefdenkenden, frei fühlenden Schriftsteller; er sonderte die Spreu nicht vom Weizen, und unter dem ihm verhaßten Namen von Ideologen verwarf er sie alle. Ehrgeiz hatte ihn stets hingerissen; nun auf der Höhe seiner Gewalt bekam leider Eitelkeit das Uebergewicht. Er begann als Vertheidiger der Freiheit, und endigte damit, Alleinherrscher sein zu wollen. Ganz Europa hätte er gern unter sein Scepter gebeugt. Es ist höchst wahrscheinlich, daß er den Ländern Wohlstand und gute Einrichtungen gebracht und unzählige Mißbräuche abgeschafft hätte; aber er hätte auch die schöne Verschiedenartigkeit der Nationen verwischt, deren es, um sie zu begreifen, zu schätzen, zu beurtheilen, eines poetischen Geistes bedarf. Und wenn er auch in sich selbst die Kraft fühlte, ein solcher Herrscher zu sein; was sollte nach seinem Tode werden? Sein Egoismus war unendlich, und die Eitelkeit untergrub seine Macht. Er gab Oesterreich nach und benutzte nach der Schlacht bei Austerlitz seine Vortheile nicht. Er wollte sich durch Verheirathung einem alten Herrschergeschlechte anschließen. Er hatte Nichts dagegen, obgleich er darüber lächelte, daß man ihn in die griechische Kaiserfamilie der Komnenen hineinlügen wollte. Es giebt ganze Nationen, die fast aus lauter Edelleuten bestehen: Die Isländer, die Hochschotten, die meisten Polen und Ungarn, und die Corsikaner wollen auch alle adelig sein. Diese Forderung wurde auf der kleinen Insel auf 400 Familien eingeschränkt, deren eine Napoleon's war. Aber es tröstete doch den Kaiser Franz ein Wenig, daß sein Schwiegersohn kein vollständiger Roturier war. Napoleon's Mangel an poetischem Sinn veranlaßte ihn, alle Menschen über einen Kamm zu scheeren; auf[86] das Characteristische, das die Handlungen bestimmt, verstand er sich nicht. Deshalb täuschte er sich so sehr in den Spaniern, den Russen, und als die Begeisterung in Deutschland von den Universitäten her und durch die Dichter geweckt worden war, in den Deutschen. Er hatte kein warmes Herz; man konnte es nicht klopfen fühlen, wenn man ihm die Hand auf die Brust legte; aber er war freundlich und oft liebenswürdig im Umgang, wenn er nicht böse war; er konnte Scherz, selbst Neckerei (z. B. von der Herzogin von Abrantes) vertragen; er ließ sich, selbst ein Gelehrter, gern in Gespräche mit ausgezeichneten Gelehrten ein; auch vorzügliche Künstler und Dichter achtete er, aber es hatte doch keine rechte Art damit. Er sagte wohl einmal, hingerissen von Corneille's beredter Schilderung der Heldenkraft, daß er ihn zum Herzog machen würde, wenn er noch lebte; aber nun war Corneille glücklicherweise todt, und er wagte also Nichts bei diesem Versprechen. Daß er nicht den Muth hatte, seinen Freund Talma (der ihn so viel schöne Manieren gelehrt, und ihm in den Jünglingsjahren als armen Lieutnant Geld geliehen hatte) zum Ritter der Ehrenlegion zu machen, und so das elende Vorurtheil gegen den Schauspielerstand auszurotten, ist bekannt. Als er dem an den Felsen gefesselten Prometheus gleich war, liebte ich Napoleon wieder. Ich sagte wie Brutus in Shakespeare's Julius Cäsar: „Joy, for his fortune; honour for his valour; and death, for his ambition!“ Grausam war er nicht; denn daß er viele Jahre hintereinander die Menschen tausendweis auf dem Wahlplatz tödten ließ, kann nicht Grausamkeit genannt werden; dies war eine Kampflust, welche er mit dem ganzen Heere theilte, und bei welcher er sein Leben jedes Mal ebenso sehr aussetzte, wie das jedes Andern. Er entschuldigte sich hier mit Gründen, vor denen das fühlende Herz Abscheu empfindet, die aber Vernunft und poetisches Gefühl schwerlich angreifen konnte: „der Krieg stärkt Kraft und Muth des Mannes, rottet das Kleinliche aus und bietet Gelegenheit, Unzählige zu beschäftigen, die die Armuth sonst zu[87] Grunde richten oder entsittlichen würde.“ Zu Napoleon's Zeit drohte kein Proletarier; kein Cartouche oder Mandrin wurde gerädert; unter Bonaparte wären sie vielleicht Generale geworden. Aber als er gegen das Ende hin seine Aufgabe übertrieb und Alle merkten, daß er nicht mehr für Frankreich, sondern für sich kämpfte, da verlor er auch das Zutrauen und die Liebe der meisten seiner Generale. Napoleon schlug seine Feinde in drei Lebensperioden auf drei Arten: erstens durch seine eigne und die Begeisterung und den Muth der französischen Revolutionsmänner; dann durch seine Kriegskunst, wie ein großer Schachspieler auf dem europäischen Schachbrette; endlich durch die Masse, durch das Uebergewicht der Truppen. Diese letzte Art war die am wenigsten ehrenvolle und richtete auch das Land zu Grunde, das er vertheidigen sollte; es raubte Frauen und Kindern ihre Männer und Väter; zwang halb erwachsene Knaben, die kaum das Gewehr schleppen konnten, mit in den Krieg zu ziehen; und die Felder konnten nicht hinreichend bebaut werden. Wenn der Krieg zu Ende war, fühlte Napoleon Mitleiden mit den verwundeten Kriegern. Aber das Leiden, welches das Gefühl zu augenblicklichen Thränen durch die Einwirkung eines sinnlichen Bildes auf die Phantasie rührt, ist nicht das wahre Mitleiden, das in dem Herzen und der Liebe wurzelt und dem verwandt ist, welches der Erlöser für die ganze Menschheit empfand. Dieses höhere Gefühl kannte Napoleon nicht. Deshalb war er sich auch trotz seines stolzen Ehrgeizes nicht der höhern Menschenehre bewußt. Mit dieser hätte er nicht angefangen, sein Heldenglück auf eine demüthigende Weise durch den Einfluß eines Weibes zu machen; hätte er nicht die Freundin des Revolutionsmannes Barras geheirathet, um weiter zu kommen; mit diesem Gefühle hätte er seine Macht nicht durch das gemeine Spioniren von Talleyrand und Fouché, zweier Elenden, die er selbst verachtete, gestärkt; mit diesem Gefühl hätte er nicht die unverzeihlichen Justizmorde an Palm und dem Herzog von Enghien begangen.

[88]

Aber ich weiß sehr gut, daß weder Alexander der Große, noch Julius Cäsar moralisch besser waren, als Napoleon; und wenn wir mit Alexander und Cäsar gelebt hätten, so würden wir sie trotz all' ihrer Fehler doch sehr vermißt haben, wenn sie dahingegangen wären und die Mittelmäßigkeit wieder in ihr altes Recht eingetreten wäre, und ihr einfältiges Haupt wieder erhoben hätte.

Wie bereitwillig ist das Herz nicht, den großen unglücklichen Mann zu entschuldigen und ihm zu vergeben, der, indem er außerordentliche Kräfte an den Tag legte, die Menschennatur zu unsterblicher Ehre führte? „Führe uns nicht in Versuchung,“ beten wir Alle; dem Dichter und Künstler ist es leicht, das zu entwickeln, was die Natur ihm gegeben hat; er braucht als Material nur das Bild der Natur, die Geschichte und seine eigne Phantasie. Aber der Held und der Staatsmann findet seinen Stoff in der Nation, in den bürgerlichen Institutionen und den Lebensverhältnissen. Die soll er ausbilden; und hier führt die widerstrebende Natur der Dinge ihn oft auf Irrwege, oft dahin, Mittel zu wählen, die vor dem Richterstuhle der Moralität nicht vertheidigt werden können, und doch die einzig möglichen waren, um das Ziel zu erreichen. Die Spitzfindigkeit, der Macchiavellismus entschuldigt sie; der Jesuitismus vertheidigt das Mittel des Zweckes wegen; aber dies ist eine gefährliche Philosophie, welche zu den größten Lastern und Verbrechen führt.


Der Gräfin Mynster letzte Tage.

Ich hatte gerade Helge, als eine Frucht meiner stillen Stunden in der einsamen Küsterstube, beendigt, als eine traurige Begebenheit mir den Aufenthalt daselbst zuwider machte, und mich veranlaßte, meine Sommerwohnung nicht mehr in dem schönen Septembermonat zu benutzen. Meine Freundin, Gräfin Mynster, hatte lange an einer tiefen Melancholie gelitten, welche anfing gefährlich zu werden, weil sie sich immer mehr und mehr dem stillen Wahnsinn näherte. Ich hatte sie lange nicht gesehen,[89] als Frau Brun mich bat, nach Sophienholm auf Frederiksdal hinauszukommen, wo Gräfin Mynster versprochen hatte, sie zu besuchen. Frau Brun meinte, daß wenn es Jemanden gäbe, der die Gräfin Mynster aufmuntern und in eine heitere Laune versetzen könne, ich dies sein müsse, ich, dem es früher oft durch poetischen Scherz und freundschaftliche Liebe, zuweilen selbst durch einen etwas dreisten Spott gelungen war, die allzuweit in den höheren Regionen zwischen kalten Wolken umherschwebende Seele des edlen Weibes in die tieferen Thäler herabzuziehen, wo Wärme, Schatten, Blumen und Früchte waren. Ich kam also hinaus und fand sie im Sopha sitzen; aber kaum hatte ich sie gegrüßt und mein Auge auf das ihrige gerichtet, als ich sah, daß — es vorbei sei; es war nicht mehr die geistreiche, freundliche, nur allzu gefühlvolle Dichterin; es war das Gespenst der Dahingegangnen, das mit einem todten, träumenden Nebelblicke auf mich hinstarrte. Die Unterhaltung war matt und inhaltslos; sie antwortete kaum mit den nothwendigsten Worten, dann schwieg sie wieder und starrte vor sich hin. Wir gingen im Garten beim Wasser spazieren und ich achtete sorgfältig auf sie, doch ohne daß sie es merkte, weil ich fürchtete, daß sie hineinspringen würde. Als wir wieder ins Haus kamen, nahm ich mit einem Gefühle Abschied, welches ich unterdrückte, und in der festen Ueberzeugung, daß sie sich nie wieder erholen würde.

Dies war nur allzuwahr und ich sah sie nie wieder. Als Hofdame der Königin war sie mit nach Friedrichsberg hinausgefolgt; sie wohnte neben den anderen Hofdamen, die sie Alle liebten und sorglich beobachteten. Aber eines Tages hatte sie sich von der Tafel dispensirt, weil ihr nicht ganz wohl sei. Gleich nach aufgehobner Tafel eilte Fräulein Levetzau zu ihr — fand aber die Thür verschlossen. In Angst eilte sie zur Herrschaft zurück und theilte ihre Befürchtungen mit. Der König ging selbst zum Zimmer der Unglücklichen, ließ die Thür aufbrechen und fand sie — todt!

Leichenbegängniß der Gräfin Mynster.

Keine Leiche, welche nicht königlich war, durfte der Etiquette[90] zufolge auf dem Schlosse bleiben. Man war in Verlegenheit, wohin man die Leiche bringen solle. Als ich dies hörte, sagte ich: „Bringt sie in meine kleine Küsterwohnung, dort kann ihr Sarg stehen, bis sie begraben wird und von da sind es nur wenige Schritte bis zum Kirchhofe.“ Damit war man auch sehr zufrieden und von hier aus ging auch der Zug, dem sich ihre Verwandten und alle Hofcavaliere anschlossen. Brandis und ich folgten auch; wir gingen zusammen. Wäre ich abergläubisch gewesen, so hätte ein eigenthümlicher Zufall mich unruhig machen können; aber ich kümmerte mich nicht darum und es hatte auch keine Folgen. Als der Sarg in das Grab hinabgesenkt war, wollte ich ihn noch einmal sehen, strauchelte aber über einen Erdhaufen, fiel und schlug mir den Nagel am rechten Daumen, so daß er blau unterlief. Ich zeigte ihn Brandis, der mir natürlich mit ernster Miene ein Unglück prophezeihte.

Die elendesten und dümmsten Gerüchte haben sich später über die Ursache des Todes dieses edeln Weibes verbreitet, als ob es Gewissensbisse gewesen wären. Ich, der ich ihr Freund war, und sie kannte, weiß, daß sie das edelste, reinste Herz war, dessen ganzes Unglück darin bestand, daß es sich einer allzu überspannten Sentimentalität hingab. Soviel ich weiß, ist diese Geisteskrankheit auch erblich gewesen, und sie war nicht die Einzige in ihrer Familie, die daran litt.


Vorbereitungen zur Königskrönung.

Im Sommer 1815 fand die Krönung auf Friedrichsberg statt. Ich schrieb ein Gedicht und ein Lied zu diesem vaterländischen Feste. In einer Audienz beim Könige bat ich ihn um die Erlaubniß, ihm das Gedicht vorlesen zu dürfen. Er gestattete es mir, stellte sich gerade vor mich hin, stützte sich auf seinen Säbel und blickte mich wie ein General an, der einen Rapport von seinem Adjutanten erwartet. Ich las, und merkte, daß es ihn rührte. Als ich an die Stelle kam:

[91]

„Wer hielt mit Vaterhand
Die grünen Inseln fest an Jotaland
Als rund Europa bebt'? Wer hat's gethan?
Er that es, Friederich, der echte Sohn von Dan!“

rollte eine Thräne aus seinem Auge herab, aber er verzog keine Miene, blieb in seiner militärischen Position und schlug mit der Hand nach der Thräne, als ob es eine Fliege gewesen sei, die sich auf seine Wange setzen wollte.

Als ich an die Stelle vom wunderbaren Glückswechsel des Geschickes kam, wie:

Margaretha's Vater
Ward der, der kurz zuvor nur Christophs Sohn gewesen,

schlug er das Auge nachdenkend empor, als ob er im Buche seines Gedächtnisses nachblättern wollte, wen ich damit meinte. Als ich fertig war, sagte er in einem fast barschen Tone: „Ich will Ihnen Nichts sagen; Sie haben selbst gesehen, welchen Eindruck Ihr Gedicht auf mich gemacht hat.“ Ich dankte ihm, erzählte, daß ich noch ein Lied zur Krönung geschrieben habe, und daß ich den Studenten vorschlagen würde, es auf Friedrichsburg im Schloßgarten zu singen, wenn er es erlaubte. Er erlaubte es, ich verbeugte mich und ging.

Der Oberhofmarschall Hauch.

Aber der Oberhofmarschall hatte indessen mit vieler Mühe, wie solch' eine Arbeit sie immer macht, ein weitläufiges Ceremoniel darüber ausgearbeitet, wie der Aufzug und die Einrichtung beim Krönungsfest sein sollte. Was das Ganze hier schwieriger machte, war die Lage des Schlosses mitten in einem See, wodurch der Platz sehr beschränkt wurde, da der Hof nur sehr enge Eingänge hatte. Wenn nun alle königlichen Personen, Minister und die Beamten der drei ersten Rangklassen, zugleich mit der Garde zu Pferde und zu Fuß Platz haben sollten, so blieb natürlich kein Platz für die Studenten übrig; und es wäre in dem engen Raume sehr schwierig gewesen, sie hin- und zurückgehen zu lassen. Hierin hatte nun der Oberhofmarschall vollkommen Recht; er hatte auch Ursache, ärgerlich zu werden, wenn[92] er sahe, daß man seine mühevolle Arbeit verderben wolle, und da er heftiger Natur war, so war es natürlich, daß er böse wurde. Er hatte nur Unrecht, diesem Zorne Luft zu machen, und ihm einem Manne gegenüber zu äußern, der auch böse werden konnte. Hätte er freundlich geschrieben, mit ein paar Worten erklärt, weshalb er den Aufschub wünsche, und mich um denselben gebeten, bis der König nach Friedrichsberg zurückkehrte, so hätte ich mich gleich mit Vergnügen darein gefunden. Nun aber bekam ich ein paar schroffe Zeilen, in denen nur stand, „daß es sich auf keine Weise thun ließe, da kein Platz sei,“ mit der Unterschrift: „Pflichtschuldigst Hauch.“ Eine halbe Stunde darauf hatte er eine Antwort von mir, in welcher stand: „Se. Majestät haben uns zu kommen erlaubt und wir kommen. Pflichtschuldigst Oehlenschläger.“ Mit dieser Antwort ging er zum Könige, der aber sagte: „Er solle zu mir gehen und die Sache in Güte abmachen.“ Ich lag am nächsten Morgen noch im Bette, als das Mädchen hereinkam und sagte: „Der Oberhofmarschall sei da, und wünsche mit mir zu sprechen.“ Ich eilte in die Kleider. Die Einleitungsrepliken waren ziemlich warm und ich sprach endlich mit so lauter Stimme, daß er mich fragte: „ob ich nicht die Fenster nach der Straße hin öffnen wollte, damit die Leute uns hören könnten.“ Aber was war das Ende des Gesprächs? daß der edle Hauch mich umarmte, küßte und mir sagte: „Wenn man am Hofe lebt, so legt sich endlich eine harte Kruste wie eine Schale um das Herz. Wenn wir in der Zukunft Etwas mit einander abzumachen haben, so wollen wir zusammen sprechen. Die Buchstaben sind schwarz.“ — „Nun können Ew. Excellenz gewiß sein, in mir stets einen Freund und Bewunderer zu haben,“ antwortete ich. So schieden wir freundlich von einander, und dieses Verhältniß hat sich bis zum Tode des edeln Mannes viele Jahre darauf nicht verändert, wo ich ihm einen Grabgesang dichtete, und ihn zu seiner letzten Ruhestätte begleitete.

Aussöhnung mit Thaarup.

Bei dem prächtigen Krönungsfeste war ich auf dem Schlosse[93] Zuschauer, und sah wie der König und die Königin vom Bischof Münter gesalbt wurden. Zu Mittag hatte Thaarup mich eingeladen. Wir hatten kurz vorher unsere alte Bekanntschaft erneuert. Er hatte seit mehrern Jahren Nichts von Bedeutung geschrieben. An die zwölf Studenten, die Baggesen auf gut Latein herausforderten, hatte er dagegen kurz vorher auch auf gut Latein in dem Tageblatt eine Ermahnung zu Mäßigkeit und Bescheidenheit gerichtet. Die Ermahnung setzte Viele, besonders der Sprache wegen, in Erstaunen, da Thaarup wahrscheinlich, seitdem er vor einigen dreißig Jahren seine Examenarbeiten geschrieben, seine lateinische Feder nicht eingetaucht hatte; und man weiß doch, daß es, — wie bei den Battemens im Tanz und den Solfeggien im Gesang, — steter Uebung bedarf, um gut Latein zu schreiben. Ich hatte mich mit diesem ehrwürdigen Veteran ausgesöhnt; sein schneeweißes, dichtes Haar, seine schönen, blauen Augen, sein römisches Gesicht und sein männlicher Ausdruck, in dem trotz des satyrischen Lächelns die Freundlichkeit strahlte, ließen mich in ihm noch den Dichter des „Erntefestes“ lieben. Aber was ihn mir bei dieser Gelegenheit noch lieber machte, war der verletzte Stolz mit dem er die Einladung zu dem Festessen abgewiesen hatte, das den Sängern und den Mitgliedern der Kapelle gegeben wurde. Thaarup fühlte, daß er wohl einen Ehrenplatz verdiene; aber da ihm der Titel des Etatsraths (den Prahm hatte) fehlte, so hatte er selbst für Proviant gesorgt. Er hatte auf einem Bauernwagen Schinken, Braten, Kuchen und Wein mitgenommen, sowie wenn man in früheren Zeiten von Kopenhagen aus in den Wald fuhr. Eine kleine Bauernstube hatte er gemiethet. Hier gebrauchte er selbst sehr fleißig den Propfenzieher, als der alte und der junge Dichter nicht fern von dem Treiben des Hofes auf das Wohl des Königs und der Königin tranken. Der kräftige Greis rührte mich durch seinen edeln Stolz; die Gedichte, welche er zum Fest geschrieben hatte, waren ziemlich matt; hier aber fühlte ich noch die Seele wieder in ihrer vollen Kraft blühen.

[94]

Einige Tage darauf wurde es den Studenten gestattet, am Nachmittage hinauszukommen, und das von mir verfaßte Lied auf dem Platze an der Steintreppe gerade über den Terassen zu singen. Die Stunde war, glaube ich, auf sieben Uhr festgestellt. Nun hatte ich die Dreistigkeit, am selben Tage den Mittag bei meinem Freunde Bech auf einem Gute vor dem Osterthore zuzubringen. Als es Zeit war, fuhr ich nach Friedrichsberg; der Wagen rollte rasch dahin; aber ich hatte vergessen, daß ich, wenn ich nach Friedrichsberg kam, erst seidene Strümpfe anziehen und die Stiefeln gegen Schuhe auswechseln mußte. Ich fürchtete, zu spät zu kommen, und bat den Kutscher, aus allen Leibeskräften zu fahren. Das that er denn auch; aber so langsam die Uhr ging, kam mir's doch vor, als ob sie rascher ginge, als die Pferde. Als wir an das Rondel vor dem Friedrichsberger Garten kamen, hatten wir Mühe, uns mit dem Wagen durch den breiten Menschenstrom zu drängen, der sich von der Allee aus bis in den Garten hinbewegte, um Zuschauer des Festes zu sein. Der Oberhofmarschall hatte mich mit Ungeduld erwartet, und als er hörte, daß es noch „Liebe ohne Strümpfe“ sei, und daß ich zu meinem Vater hinuntergehen wolle, um Toilette zu machen, bot er mir gleich ein Zimmer und seinen Diener zur Hülfe an, indem er mit dem Kopfe schüttelte, als ob er sagen wollte: „Die Poeten sind doch ein verdammtes Volk.“ Nun beeilte ich mich und kam auch noch zeitig genug zu den Majestäten, die uns sehr gnädig empfingen. Es war ein ungeheures Menschengewimmel da, und die Studenten sangen das Lied vortrefflich.


Ernennung zum Ritter des Dannebrogordens.
Der Dichter frühere Geltung.

Am Krönungsfeste wurde ich Ritter des Dannebrogordens, wofür ich wohl zum Theil meinen Krönungsgedichten zu danken hatte. König Friedrich VI. war aus der alten Zeit, und wenn ich von ihm sage, daß er mit allen seinen übrigen guten und vortrefflichen Eigenschaften sich nicht auf Poesie verstand und sie[95] nicht genug achtete, so sage ich nur, was auf viele andere brave, ausgezeichnete Männer seiner Zeit paßt. Das Uebel, die Poesie gering zu achten, war ein alter Schaden, der sich besonders in den protestantischen Ländern gleich nach der Reformation zeigte, die trotz ihres großen Fortschrittes in der menschlichen Kulturgeschichte den Fehler hatte, das Schöne und die Werke der Phantasie zu wenig zu schätzen. Bei den Griechen genossen die Dichter die höchsten Ehren; die Römer ahmten ihnen nach und Augustus und Mäcen ehrten Horaz und Virgil auf gleiche Weise. In dem alten heidnischen Norden war der Skalde der Freund und Vertraute des Königs; in Italien, Spanien und Portugal traf es sich oft, daß Adelige Dichter waren; aber in der Periode, welche der Reformation voranging, war das Herz erschlafft, es herrschten keine ausgezeichneten Fürsten, große politische Unruhen hatten vorher Dante verfolgt; Petrarca schwärmte in seiner Einsamkeit; Ariost und Tasso waren in unsicherer Stellung; Cervantes lebte von Privatunterstützung; Camoëns starb fast Hungers. Die Königin Elisabeth von England war trotz ihrer großen Eigenschaften kein Schöngeist, hatte ein kaltes Herz, und die Mörderin der Maria Stuart ahnte nicht, welchen Schatz sie und England im Shakespeare besaß. Walter Scott hat in Kenilworth mit historischer Wahrheit den großen Dichter dargestellt, der beim Feste mit den anderen Domestiken in der Speisekammer ißt. Ludwig XIV. liebte die Poesie als zum höhern Luxus gehörig, und ein gewisses, geistiges Element, wenn es übrigens sclavisch seiner Allmacht und dem herrschenden Vorurtheil huldigte, gefiel ihm. Ludwig XV. hatte für nichts Anderes Sinn, als für Sinnlichkeit. Er hielt Diamanten und Glasperlen in der Kunst für Eins und Dasselbe. Wenn von Poeten die Rede war, so zählte er mehrere Dutzend an den Fingern auf, wobei Madame Pompadour ihm half. „Wie könnte man sie alle ehren und belohnen?“ fragte er, und Madame Pompadour gab ihm vollkommen Recht. Was damals Etwas dazu beitrug, der Poesie ihren Glanz wiederzuverleihen, war Friedrich's II. Liebe für[96] das Französische und seine Freundschaft zu Voltaire, die, obgleich sie ein tragisches Ende nahm, doch lange Zeit hindurch Viel dazu beitrug, die französische Literatur zur Hof- und Toilettenlectüre zu machen. Merkwürdig ist die allgemeine Hochachtung, welche Klopstock sich erwarb; aber das konnte er zum großen Theil dem Stoffe seines Gedichts: die Messiade, danken; er bewegte mehr das religiöse, als das poetische Gefühl, und mit der Religion war es damals in vielen Herzen Ernst. Aber obgleich er seine Unterstützung von Dänemark erhielt, so merkte man doch lange Zeit nichts von einem Interesse für die dänische Kunst. Das Deutsche hatte bei dem Hof die Ueberhand gewonnen. Holberg, obgleich er für sein eignes Geld Baron wurde, ward von der vornehmen Welt doch nicht als Dichter geachtet; seine vortrefflichen Komödien wurden als Farcen für den Pöbel betrachtet. Unglücklicher Weise hatten Ewald und Wessel nicht Kraft genug, dieser Geistesrichtung entgegen zu arbeiten; sie suchten Trost in der Flasche, und ertränkten in derselben nicht nur ihre Sorgen, sondern zuletzt auch ihr Genie. Ausgezeichnete Gelehrte und Beamte hatten mit ihrer ästhetischen Bornirtheit dazu beigetragen, die schönen Künste in Mißcredit zu setzen. Ebenso wie Gram den Holberg verachtet hatte, so verschmähte Luxdorph den Ewald und fand seinen Balder unter aller Kritik. Friedrich VI. war kein Schöngeist; aber kein ausgezeichneter Beamter in seiner Umgebung war es in viel höherm Grade, als er; und bei den Gelehrten herrschte dasselbe Vorurtheil; sie achteten die Poesie nur in Nachahmung des Griechischen und Lateinischen.

Was in meiner Jugend doch Etwas dazu beitrug, die Poesie zu ehren, war das Glück, welches sie in Weimar gemacht hatte, wo ein junger Mann durch sein Dichtergenie sich zum Minister emporgeschwungen hatte, und wo die herrliche Herzogin Amalie die Schöngeister rund um sich her versammelte und Weimar zu einem Athen machte. Aber Weimar war ein kleines Herzogthum, welches in keiner weitern Berührung mit Dänemark stand;[97] und Göthe war hier lange Zeit durch nichts Anderes bekannt, als durch ein Buch, das man auch nicht kannte, weil seine Uebersetzung von der Polizei, als die Moralität und Sitten verderbend, verboten war. Kein Wunder also, daß eine schöne Kunst verachtet wurde, die selbst ein Plato früher aus seinem idealen Staate ausgeschlossen haben würde. Der armen Poesie ist es immer schwieriger geworden, sich geltend zu machen, als der Sculptur, Architektur, Malerei und Musik, deren Werke die Großen theils kaufen und zu Nutzen, Bequemlichkeit und Pracht selbst behalten, theils sich damit ohne Anstrengung unterhalten konnten. Die Künste sind aristokratisch, aber die Poesie ist demokratisch; sie gehört dem ganzen Volke, ihre Werke können Alle lesen, und was das Schlimmste ist, die Poesie denkt und spricht; sie war stets der Dollmetsch für die edle wahre Freiheit, der sich das Gute und Schöne unterordnet, und alle liberalen Ideen sind erst von ihr ausgegangen. Deshalb haben auch die Alleinherrscher, selbst die guten, welche sich nicht auf sie verstanden, einen heimlichen Abscheu vor ihr gehabt, als ob ein Instinkt sie vor einer Frucht warne, in der sich heimliches Gift befinde.

Wenn die alten Skalden zum Preise der Könige sangen, erhielten sie einen goldnen Armring; als Friedrich VI. vor sieben Jahren den Dannebrogorden erweiterte, so daß derselbe nicht nur ein vornehmer Hofschmuck, sondern ein wirkliches Ehrenzeichen sein sollte, gab er gleich Thaarup, der ihn in dem Erntefest und in Peter's Hochzeit besungen hatte, diesen Orden. Vor sieben Jahren hatte ich bereits Aladdin und Hakon Jarl geschrieben; aber dafür bekam ich ihn nicht, nun erhielt ich ihn.

Einer, der ihn nicht bekommen hatte, nicht erhielt und mit Recht meinte, daß er ihn wohl verdient hätte, war Baggesen. Da Baggesen es nicht an Weihrauch für den König gespart hatte, und da er ein ausgezeichneter Dichter und als solcher von Friedrich VI. anerkannt war, so kann man sich die Zurücksetzung auf keine andere Weise erklären, als daß der König mit Baggesen's damaligem Benehmen unzufrieden war. Ein Mann, der in[98] jener Zeit Baggesen's Vertrauen besaß, hat mir erzählt, daß derselbe deshalb besonders einen tödtlichen Haß auf mich geworfen hätte, und ich war doch ganz unschuldig.


Andersen Feldborg.

Im Sommer 1816 hatte ich die Freude, mit meiner ganzen Familie in Friedrichsberg bei dem Lieutnant Bonsach, dem Bevollmächtigten meines Vaters, zu wohnen. — Eines Tages, als ich in meiner Einsamkeit mit einem englischen Buche dasaß und mich darüber ärgerte, daß ich nicht besser Englisch verstand, trat ein Fremder ein, um meine Bekanntschaft zu machen. Er war bleich, von etwas gelber Farbe und blatternarbig; auch schielte er etwas mit dem einen Auge; aber sein Gesicht hatte einen gutmüthigen, muntern, etwas schelmischen Ausdruck. Er nannte sich Andersen Feldborg und kam geradeswegs von England, wo er mehrere Jahre gelebt hatte und ganz zum Engländer geworden war. Er war zu seiner armen Schwester (wie er sie nannte, obgleich ich glaube, daß ihr Nichts fehlte) herübergekommen, und, um so lange es ihm hier gefiele, Sprachlehrer zu sein. Ich zeigte ihm das Buch, in dem ich las, und sagte: „Nun das ist ja herrlich! da können wir gleich anfangen; ich bedarf gerade eines englischen Sprachlehrers.“ Diese Introduction war ganz nach seinem Geschmack; er gab mir eine Stunde und aß zu Mittag bei mir, was er später oft that. Er war ein wunderlicher Gesell. Er erzählte mir seine Erlebnisse; wie er als ganz junger Mensch die Idee bekommen hatte, nach London zu reisen, wo er ohne Zweifel in der äußersten Noth zu Grunde gegangen sein würde, wenn ihn nicht ein guter Mann getroffen und geholfen hätte, bis er bei einem Buchhändler angestellt wurde. Er verstand vortrefflich Englisch, wie ein Eingeborner, und verleugnete doch nicht seine Muttersprache. Er bekam bald so viele Stunden, als er gebrauchte, um anständig zu leben: aber er war ein großer Freund, halbe Tage vom Mittage an bei seinen Eleven, die bald seine guten Freunde[99] wurden, zuzubringen, die ihn im Anfange gern von Sir Walter Scott, den damals die ganze Welt las und bewunderte, erzählen hörten. Dieser wunderliche, lustige, lebensfrohe und doch an die größte Dürftigkeit gewöhnte Mensch hatte zuweilen einen Anfall, der mich sehr beunruhigte, als ihn derselbe einmal bei mir befiel. Dies war ein Anfall, der früher eigentlich nur die Damen befiel, aber nun selbst bei diesen nicht mehr im Gebrauch war, und den man nur noch in den alten Komödien antraf, wenn die Väter sich zu streng gegen die Töchter zeigten: er fiel in Ohnmacht. Mir wurde ganz bange, ich hob ihn auf und rief nach Riechwasser, oder, in Ermangelung dessen, nach Essig. Aber ehe der Essig kam, schlug Feldborg die Augen auf, und als er sich in meinen Armen fand, rief er: „Das ist der dritte Dichter, in dessen Armen ich heute liege.“ Er hatte nämlich denselben Anfall bei Ingemann, und bei einem Dritten gehabt, dessen Namen ich vergessen habe. Als ich merkte, daß er die Sache hier auch von der muntern Seite auffaßte, hörte meine Furcht auf. Er erholte sich sehr bald und aß mit dem gewöhnlichen Appetit zu Mittag.

Er kam auch oft zu Rahbeks. Ein Mal blieb er des Abends so lange dort, daß sie ihm auf ein paar Stühlen ein Bett zurecht machen mußten, weil es zu spät war, um vor Thoresschluß die Stadt zu erreichen. Später, wenn dies wieder geschah, schlief er in einem kleinen Wirthshause auf der Westerbrücke, welches zum „blauen Ochsen“ hieß. Als er eines Abends etwas lange mit dem Fortgehen zögerte, machte Frau Rahbek ihn in ihrem gewöhnlichen scherzenden Tone darauf aufmerksam, daß das Hügelhaus nicht der blaue Ochse sei, worauf er schnell forteilte.


Auf Friedrichsberg hatte ich einen Besuch von dem berühmten E. M. Arndt, nicht dem früher erwähnten Sonderling, sondern dem Professor in Bonn, dem Verfasser vom „Geist der[100] Zeit,“ nach seiner Art auch ein Alterthumsforscher. Er beschäftigte sich nämlich damit, die Spur der Ausbreitung der alten Volksstämme zu untersuchen, die sich natürlich nicht nach den gegenwärtigen geographischen Eintheilungen richteten. Arndt war in Schweden gewesen und hatte sich über die Dalekarlier gewundert, ein untersetztes schwarzhaariges, heftiges Geschlecht, von südlicher Natur, nach Arndt's Ansicht durch eine unbekannte Völkerwanderung zwischen die schlanken, blonden, ruhigen Skandinaven eingekeilt.


Bühnen-Conflicte.

In diesem Jahre bekam ich den unglücklichen Einfall, Freia's Altar zu einer Komödie umzuarbeiten, in der ich, trotz meiner Tadler, die Ausgelassenheit noch weiter trieb, die man in Freia's Altar getadelt hatte. Obgleich Verschiednes in der Umarbeitung wirklich besser wurde, z. B. Guilielmo's und Clausine's Liebesverhältniß, und obgleich Madame Geldschlingels Scenen den anderen wohl nicht viel in Heiterkeit nachgeben, ohne das Decorum zu übertreten (denn es ist, wie einer der Vertheidiger des Stückes richtig sagte, ein Unterschied zwischen einer betrunkenen Frau und einer Frau, die trinkt), so leugne ich doch nicht, daß das Stück durch diese Umarbeitung zu reich an Späßen wurde, und Etwas von seiner ersten jugendlichen Naivetät verlor. Bilbo, der der einzige eigentlich übertriebne Character im ersten Stück ist, wurde es hier noch mehr. Die Grille, das Stück so auf die Bühne zu bringen, lag wohl theils in einem gewissen Stolz, daß ich, der doch anerkannte Dichter, durch die ewigen Zurechtsetzungen von Leuten gelangweilt und geärgert wurde, die meine Kunst weder verstanden, noch den echten Sinn für sie hatten; theils war ein andres Stück von mir da, das aus demselben Sauerteiche bestand, wie Freia's Altar, und das viele Jahre hindurch (und auch lange Zeit nachher) ein Lieblingsstück des Publikums war und blieb. Dies war der Schlaftrunk, in welchem die komischen Charactere und der lustige Dialog[101] durchaus mir gehörten, weshalb ich auch später dieses Stück in der Sammlung meiner eigenen Werke aufgenommen habe.

Freia's Altar ist als burleske Komödie gewiß viel poetischer und ebenso komisch, wie der Schlaftrunk. Sie hatte lange Zeit mit zur Lieblingslectüre der Jugend gehört; sie war mehrere Male auf Privattheatern mit großem Beifall vor Gebildeten und Ungebildeten gespielt worden. Was Wunder, daß ich (dem von der Gegenpartei nun alles komische Talent abgesprochen wurde) mein Stück gern einmal von unseren herrlichen Komikern aufgeführt sehen wollte? Aber dieser lustige Altar der Freia wurde stets von einem tragischen Geschick verfolgt, und ich benahm mich ungeschickt, um ihn zur Aufführung zu bringen. Wie sehr hätte ich mir Etwas von der Schlauheit wünschen können, mit der Beaumarchais in Frankreich, trotz des Verbots des Königs und der Polizei, seinen Figaro in Versailles zur Aufführung zu bringen wußte; was La Harpe, der ihm einige Tage nach der Aufführung begegnete, Veranlassung gab zu sagen: „Ich bewundere den Witz in Ihrem Stücke, und noch mehr den Scharfsinn, den Sie angewandt haben, um es zur Aufführung zu bringen.“ Ich war nun einmal böse und wollte es erzwingen.

Die Theatercensoren.
Rahbek und Etatsrath Olsen.

Es waren zwei Theatercensoren da; diese hatten, wie es in der Natur der Sache liegt, Macht über Leben und Tod der eingereichten Stücke in Bezug auf die Aufführung derselben, und von ihrem Urtheilsspruche ging es ohne Appell zur Execution. Rahbek und Etatsrath Olsen waren Censoren. Daß Rahbek es war, fand man trotz all' seiner Grillen und Einseitigkeiten in der Ordnung. Etatsrath Olsen war ein geselliger, angenehmer Mann, sehr sprachkundig und war Notarius publicus. Bei der Concurrenz um dieses Amt war er P. A. Heiberg vorgezogen, weßhalb dieser ihn in einer Streitschrift zum Gegenstande seines Spottes machte und versuchte, ihn, wenn auch in ein komisches Licht, so doch nicht in ein solches zu stellen, welches ihn zu einem Theatercensor geeignet machte.[102] Olsen hatte selbst einige sehr unbedeutende Gedichte geschrieben; ich weiß nicht, ob er auf Grund derselben Censor wurde; wenn es der Fall war, so geschah dies damals vielleicht weder zum ersten noch zum letzten Male. Bredahl war schon zu Ewald's Zeiten Theaterdirector gewesen. Mein persönliches Verhältniß zum Etatsrath Olsen war ein höfliches. In sein Haus kam ich der Damen und der angenehmen Gesellschaft wegen. Er war auch einmal mein Gast; aber als Baggesen immer gröber und gröber gegen mich wurde, und da er zu Olsen's kam, zog ich mich zurück. Baggesen erwies Olsen große Achtung auch als Kunstrichter und gewann ihn ganz. Daß Olsen also, wenn es ohne Gefahr und Unannehmlichkeit geschehen könne, gegen mich sein würde, war im höchsten Grade wahrscheinlich. Was Rahbek anbetraf, so war, wie bereits gesagt, sein Geschmack beschränkt; das Burleske und Ausgelassene hielt er als unter der Würde der Kunst stehend. Die Wirkung, die es hervorbrachte, wenn das Genie, wie in Molière's und Holberg's Stücken, es schuf, bemerkte er nicht; übrigens konnte er auch nicht zu außerordentlicher Heiterkeit gestimmt und begeistert werden. Ich habe ihn nie ordentlich lachen sehen; ein schallendes Gelächter war Etwas, das ganz außerhalb seiner Natur lag; er bewunderte das Witzige verständig, ja selbst witzig, schelmisch und nicht ohne Humor; aber es war der gleichmüthige Humor, der nur in der Asche glüht und nicht zur Flamme emporschlägt. Das Starkkomische bei Molière und Holberg betrachtete er als Etwas, das nicht fortgesetzt werden dürfe, das der geschmacklosen Zeit angehörte, in der diese großen Männer gelebt hatten, und das diesen, ihrer wahren Verdienste wegen, verziehen werden müsse; diese bestanden in den Characterschilderungen und der moralischen Tendenz der Stücke. Für den eigentlich poetischen Duft dieser Werke hatte der gute Rahbek durchaus keinen Sinn, so wenig wie körperlichen Sinn für Blumenduft und andere Wohlgerüche, die er so sehr haßte, daß er ihnen Gestank vorzog.

Aber so eigensinnig er war, so gutmüthig war er, so[103] leicht war er zu gewinnen, wenn man sich ein klein Wenig nach ihm richtete. Hätte ich mich zuerst an ihn gewandt und ihm gesagt: „Hör' einmal Rahbek! ich habe die Absicht, Freia's Altar umzuarbeiten; ich fühle selbst, daß das Stück zu ausgelassen ist; nimm Du es und mache mir einige Anmerkungen und Striche, wo Du es verändert wünschtest;“ so bin ich überzeugt, er hätte fast gar keine gemacht. Er, der lange Zeit ruhig zugesehen hatte, wie der Theaterübersetzer N. T. Brun jeden zweiten Abend die Stücke mit seinen eigenen unanständigen zweideutigen Späßen anfüllte, würde auch Freia's Altar mit seinen poetischen Scherzen durch den kritischen Schlagbaum haben schlüpfen lassen; der Theaterchef wäre dann auf seine Seite übergetreten, und Olsen war zu schwach, um dann den Schlagbaum allein niederzuhalten. Aber das that ich nun nicht; ich wollte es, wie gesagt, erzwingen. Es genügte nicht, daß ich Bilbo noch toller machte, als er zuerst war; ich schrieb auch eine Vorrede, in der ich einen schlechten Kritikus mit einem Manne mit belegter Zunge verglich, der nicht schmecken könne, weil sein Magen verdorben sei. Diesen Mann bezogen sowohl Rahbek wie Olsen auf sich; und da die Rache ihnen nur ein „Nein“ kostete, so sagten sie Beide: Nein — waren zum ersten und letzten Male in ihrem Leben einig — und das Stück wurde nicht aufgeführt.

Ich will den Leser nicht durch eine weitläufige Erzählung des Federkrieges ermüden, der hierdurch entstand. Ich schrieb eine Pieçe an das Publikum, die vielleicht einmal in einer Sammlung meiner kleinen Abhandlungen gedruckt werden wird. Rahbek und Olsen antworteten. Letzterer besonders mit vornehmer Verachtung über meinen schlechten Geschmack. Mehrere übernahmen meine Vertheidigung, unter Andern Sibbern, der in einer langen Abhandlung das Stück und die Einwendung der Censoren durchging und trotz ihres Tadels glaubte, daß es durch die Umarbeitung gewonnen habe.


[104]

Ein Reiseantrag.

In diesem Herbst, als die Theatersaison schon lange wieder angefangen hatte, und ich eines Abends auf meinem gewöhnlichen Platze im Parquet saß, saß auch der Oberpräsident Moltke auf dem seinigen, gerade vor mir. Im Zwischenacte erzählte er mir, daß der junge (spätere Baron) Bertouch eine Reise ins Ausland machen solle, daß sein Vater ihm einen ältern Mann zur Gesellschaft mitzugeben wünsche, der fremde Länder kenne und dem jungen Manne durch Rath und That nützen könnte. Er fragte mich, ob ich nicht Lust zu dieser Reise hätte, die, wenn ich wollte, nicht über ein Jahr währen sollte? Ich nahm das Anerbieten gern an.

Aber als sich die Stunde des Abschieds näherte, wurde mir das Herz schwer, und mich erfüllte eine tiefe Wehmuth, weil ich meine Familie verlassen sollte. Ich lag am Abend auf dem Fußboden im Zimmer beim Kaminfeuer, und ließ die Kleinen um mich herkrabbeln; ich spielte mit ihnen, wie ein Kind; sie lachten und waren lustig und merkten nicht, daß mein Gesicht jeden Augenblick in Thränen schwamm.

Mir war, als ob wir uns nicht Alle wiedersehen sollten. Aber in der Liebe liegt stets Furcht vor dem Scheiden, und ein wehmüthiges Gefühl folgt dem Gedanken an irdische Trennung und himmlische Wiedervereinigung, deshalb erweckt jeder Abschied auf lange oder kurze Zeit die himmlische Liebe in der Menschenbrust, und selbst in dem täglichen Lebewohl, einem Freunde gegenüber, liegt ja Etwas von diesem heiligen Gefühle.


Auszug aus meinen Reisebriefen 1817.

Beginn der Reise.

Es war kein Spaß für einen gegen Frost und Wind nicht sonderlich abgehärteten Dichter, der sich eben erst von einem ziemlich starken Anfall des Podagra erholt hatte, sich in den kalten Decembernächten auf offene Wagen zu setzen, dann in einem Boote von Laaland über das Meer und von Heiligenhafen[105] durch Holstein zu reisen, bis wir an die Diligencen kamen; denn damals hatte man noch keine Eisenbahnen und keine Dampfschiffe. Ich beschloß deshalb so gekleidet zu reisen, daß ich nicht frieren konnte, und dies setzte ich auf folgende Art ins Werk. Ueber meinen täglichen Kleidern hatte ich folgende Kleidungsstücke. Ein Paar dicke mit Leder besetzte Reithosen gingen hoch auf die Brust hinauf. Dann ein Paar Seehundsstiefeln, die bis über die Kniee reichten. Ueber dem Rock, dem Ueberzieher und dem Mantel einen großen, dicken Bärenpelz. Auf dem Kopf eine Mütze von Bärenfell, die unter dem Kinn zugeknöpft werden konnte und den Nacken bedeckte. So hätte ich Parry und Roß auf ihrer Reise nach dem Nordpol, den ich ebenso wenig, wie sie, fand, begleiten können. Von der Kälte spürte ich also auf der ganzen Reise Nichts, außer, wenn ich in eine sogenannte warme Stube kam, wo ich mich auskleiden mußte. Von Friedrichsberg aus, wo ich von meinem Vater, der erst lachte und scherzte, aber in dem letzten Augenblick weinte, Abschied nahm, fuhr ich noch im geschlossnen Wagen und nicht so stark gegen die Kälte gewaffnet. Feldborg hatte Lust bekommen; mich ein Stück Wegs zu begleiten. Er hatte nichts Anderes mit, als ein kleines in ein Stück Papier gewickeltes Buch. Es war kein Platz im Wagen, da ich einen Reisegefährten hatte; ich gab ihm meinen Pelz und er setzte sich auf den Bock, wo sich der Schwager doch breit machte, weil ihm Feldborg's Liebkosungen nicht gefielen, der ihn, aus Furcht herabzufallen, zu fest und innig umarmte. Wir fuhren nach Kiöge. Am Morgen, als wir weiter reisen sollten, hielt ich meinem Gefolge eine Rede und sagte: „Meine Herren! Wenn man von einer fremden Stadt fortreist, so muß man erst all' die Dinge laut nennen, die man bei sich hat, um Nichts zu vergessen.“ Um ihnen nun gleich ein Beispiel meiner Lehre zu geben, nannte ich Alles, was mir an losen Reiseeffekten gehörte, vergaß aber meinen Hut, weil ich glaubte, ich hätte ihn auf dem Kopfe; das war aber unglücklicher Weise meine Mütze, und so vergaß[106] ich auch wirklich den Hut. Jetzt verließ uns Feldborg. Wir gingen erst ein langes Stück dem Wagen voran, und er stolperte sehr gutmüthig mit seinen schwarzen Gammaschenstiefeln auf den gefrorenen Erdklumpen umher, um mich in dem bequemeren Geleise zu lassen. In schönem Wetter fuhr ich über Gaabensee nach Laaland. In meinen Pelz eingepackt litt ich weder von der Kälte noch von der Seekrankheit.

Ankunft beim Kammerherrn Bertouch.

Bei dem Kammerherrn Bertouch und seiner Gattin brachte ich angenehme Tage zu, und lernte den jungen, freundlichen Mann kennen, mit dem ich reisen sollte. In Wasserstiefeln watete ich mit dem Kammerherrn in Wald und Feld umher. Die Natur gewinnt nicht, wenn man sie im Winterkleide sieht, doch hat jede Jahreszeit ihren eignen Character; das Grün verschwindet nicht ganz. Laaland ist doch ein sehr flaches Land, und wenn man dort ist, bekommt man Lust, mit Hieronymus in Erasmus Montanus zu glauben: Die Erde ist flach.


Ankunft in Hamburg.

Ich bin nun in Hamburg, „sechzig Meilen weit von meinem Herzen,“ wie der Dichter Kruse sang. Meinen letzten dänischen Abend brachte ich in Kiel bei meinem alten Landsmanne Fischer, dem Gastwirth in der Stadt Kopenhagen zu. Er ist Däne mit Leib und Seele, erzählt den Holsteinern, daß er in der kleinen Königsstraße geboren sei, und an den Wänden hängen lauter nationale Bilder. Hier sieht man den Thurm der Frauenkirche von englischen Bomben in Brand geschossen, dort arbeiten Matrosen auf einem Schiffe, hier wieder steht der Schauspieler Knudsen an der Zollbude und singt vor dänischen Seeleuten. Ich war in Kiel auch Mittags beim Grafen Bernstorff; ich sah die liebenswürdige Frau Berger Weihnachtsgeschenke für die Kinder zubereiten und dachte an die meinigen. Einen angenehmen Abend brachte ich bei dem feurigen, witzigen Professor Pfaff zu. Hier traf ich Falk und Dahlmann, der[107] seine literarische Laufbahn mit einer Abhandlung über meine Schriften, welche, ins Dänische übersetzt, gedruckt wurde, begann. Später scheint er sich nicht viel um dänische Literatur bekümmert zu haben, doch war er sehr höflich und artig.


Wir schliefen in Bramstedt. Am nächsten Morgen war Glatteis. Wir schnallten den einen Wagenstuhl rückwärts gegen den Wind; das milderte. Von Kiel nach Hamburg geht es über die Haide. Am ersten Tage ging ich über eine Meile in gutem Wetter zu Fuß; aber je mehr wir uns Hamburg näherten, desto schlimmer wurde es. Die Alster war weit über ihre Ufer hinausgetreten. Einige Bauern mußten uns den Wagen aus dem Morast und dem Eise herausholen. In der Nähe lag ein gestürztes Pferd auf dem Eise, das sich todt geschleppt hatte und der Karren stand umgeworfen daneben. Endlich kamen wir an den neuen, halbfertigen Landhäusern vorüber, die sich wieder aus ihrer Asche erhoben.


Heute war der erste Weihnachtstag; er fing mit einem außerordentlichen Nebel an, wie man ihn selten in Kopenhagen sieht. Es kommt daher, daß Hamburg nahe am Meere und bei der Alster und Elbe liegt. Gegen Mittag wurde es etwas klarer; ich hörte das Glockenspiel vom Kirchthurm. Man hat oft bei uns das Glockenspiel verspottet; nun haben wir keins. Es ist wahr; die Melodien lösen sich fast in Klingklang auf, aber sie tönen doch über die ganze Stadt, vor Aller Ohren, und das ist feierlich. Auf den Straßen begegnete ich Rathsherren mit Allongeperücken, wie in dem politischen Kannegießer; die Reutendiener gleichfalls mit Modesten, Pumphosen und Bratspießen an der Seite, wie die Alkalden in den spanischen Stücken. In der Kirche hörte ich die Kinder einen Weihnachtspsalm singen. Ich höre Kinder gern, und besonders zu Weihnachten in der[108] Kirche singen. Der Organist spielte schön. Ich dachte an meinen Vater, der auch Organist war, und daß meine Vorältern es ununterbrochen viele Glieder hindurch in Schleswig und Holstein gewesen waren. Ich dachte an den großen Bach, der hier wahrscheinlich gespielt hat, an die Orgelkraft und an die tiefe Musik, die von dem Geschlechte Bach's über die weite Welt ausging.


Theaterbesuch. Bekanntschaft mit Perthes.

Wir haben uns einen Wagen von dem Juden Lazarus gekauft, der für dessen Tüchtigkeit einstehen will. Gestern hörte ich Don Juan und bewunderte Madame Becher als Anna; aber ich hätte beinahe das Stück nicht zu sehen bekommen, da ich meine Brille vergessen hatte, wenn nicht ein gutmüthiger Mensch mir ein Perspectiv geliehen hätte. Madame Becher singt gut; aber ich hätte fast über Mozart's Musik alle ihre Triller und Rouladen überhört.


Gestern Abend spielten sie das Käthchen von Heilbronn von Kleist. Walthers und Käthchens Charactere sind vortrefflich durchgeführt und zeigen sich in schönen Situationen. Den Cherub, der Käthchen beschützt, hätte ich lieber fortgewünscht; der liebe Gott hätte ihr doch helfen können; ebenso hätte ich gern gesehen, wenn sie Bürgerin geblieben wäre, und wenn Graf Strahl seine Eitelkeit ihrer seltnen Persönlichkeit geopfert hätte, statt daß sie nun, wie in allen Mährchen, des Kaisers Tochter wird.


Ich habe die Bekanntschaft des Buchhändlers Perthes, eines sehr gebildeten und begabten Mannes, gemacht. Im Anfange stritten wir etwas über den Correggio; er kam mit den Tieck'schen Einwendungen; schien mir aber in meiner Vertheidigung[109] Recht zu geben. Seine Frau ist eine Tochter von Claudius, und aus ihren Augen strahlt die ganze gutmüthige Begeisterung und der originelle Humor des Wandsbecker Boten. Bei dem Herrn Poël, dem Herausgeber des Altonaer Merkurs, war ich auch. Hier traf ich den Legationsrath Bockelmann und Baron Voigt, dessen Bekanntschaft ich vor neun Jahren bei Frau Staël-Holstein gemacht hatte.

Der zeitig entdeckte Irrthum.

Heute Mittag fuhr ich mit Bertouch nach Altona, wo wir zu Poëls eingeladen waren. Ein junger norwegischer Kaufmann, Herr Flood, dessen Bekanntschaft wir gemacht hatten, fuhr mit, da er von Herrn Donner eingeladen war. Wir wollten ihn dorthin fahren; aber er gestattete auf keine Weise, daß wir seinetwegen einen Umweg machten, und der Kutscher bekam Befehl, uns direct zu Poël's zu fahren. Als wir abstiegen, fragte ich den Diener an der Thüre: „Ist es hier?“ und er antwortete: „„Ja, ganz richtig!““ — Flood war gerade bereit, mit dem Wagen fortzufahren, als mir glücklicherweise einfiel zu fragen: „Hier wohnt doch Herr Poël?“ — „„Nein,““ antwortete der Diener, „„hier wohnt Herr Donner.““ Wir riefen also unsern Norweger zurück, und nun mußte er aus dem Wagen ins Haus, wir dagegen setzten uns wieder in den Wagen und fuhren weiter. Es wäre sehr unangenehm für uns Alle gewesen, wenn wir in fremde Gesellschaft gekommen wären und erst später unsern Irrthum entdeckt hätten, obgleich es vielleicht Veranlassung zu einem recht interessanten, kleinen Lustspiele für die Zuschauer geworden wäre.


Es freute mich sehr, meine Freundin Louise Reichardt hier wiederzusehen. Wir gedachten der verschwundenen Jahre, vor zehn Jahren in Giebichenstein; der angenehmen Sommerabende, wo Reichardt am Kamine saß und die Töchter sangen. Jetzt liegt Reichardt in finstrer Erde; der Garten in Giebichenstein gehört Anderen; Steffens wohnt in Breslau; Schleiermacher in[110] Berlin, Louise in Hamburg, ich in Kopenhagen. So werden alte Verhältnisse wie die Spreu vor dem Winde zerstreut.


Kleine Reiseleiden.

Wir hatten viel Mühe, von Hamburg nach Haarburg zu kommen, so kurz der Weg auch ist. Wir mußten den Wagen zur See einen Tag vorausschicken. Nun bekamen wir einen Brief von dem Diener Christian, der mit dem Wagen gefahren war, worin er berichtete, daß Verschiednes am Wagen gebrochen sei, einige Riemen, einige Schrauben; daß er das Ganze für fünf Species habe in Stand setzen lassen, und nun hoffe, daß der Wagen vorläufig halten würde. Hierüber wurden wir sehr bestürzt und ließen gleich Herrn Lazarus holen, der uns den Wagen verkauft und mit seiner eignen Unterschrift für denselben von Hamburg bis Paris eingestanden hatte. Ich hörte ihn zu Bertouch sagen: „Können Sie beweisen, daß ich für die Riemen und Schrauben garantirt habe? ich habe nur für die Federn garantirt“. Nun wurde es mir zu arg; ich fing an, ihn zu bombardiren und drohte mit der Polizei. Das half; er bezahlte die fünf Species, und diese kamen einem armen Lohndiener zu gut, der uns kurz vorher seine Noth geklagt hatte.


Zwischen Hamburg und Welle hatten wir am Nachmittag Schneegestöber, dazu kam, daß der Schwager betrunken war. Wir segelten kreuz und quer über Acker und Wiesen, über Stock und Stein, wie Columbus, als er Amerika entdecken wollte. Endlich wurden wir dessen müde, und wollten den Betrunknen vom Pferde herunter haben. Aber er wollte nicht. „Lassen Sie mich ruhig sitzen, meine Herren“, sagte er mit schläfrigen Augen und lallender Zunge, indem er taumelte; „lassen Sie mich nur dafür sorgen, den Weg zu finden; damit hat's gute Wege; nun finden wir gleich das Gleis wieder!“ — Wir blieben mitten auf dem Felde stehen, das Schneegestöber[111] war dicht, der Abend näherte sich, und es wurde dunkel. Es war kein Spaß; er war nahe daran, uns jeden Augenblick umzuwerfen. „Du bist besoffen,“ rief ich, „Du kannst nicht fahren, nicht sehen! Laß den Diener fahren, der ist Kutscher gewesen, der versteht es, er ist nüchtern!“ — „„Nein, das ist er nicht, mein Herr!““ sagte der Schwager, „„lassen Sie mich nur fahren. Ich verlasse meine Pferde nicht. Wir sind nicht betrunken! Wir werden schon wieder in Gang kommen! daran sind wir gewöhnt.““ Was war zu thun? Wir kannten den Weg nicht; wir mußten ihn also langsam fahren lassen, während Christian nebenher ging und bald die Pferde, bald den Kutscher schlug, wie gerade der Augenblick es erforderte. Endlich kamen wir mitten in der Nacht in ein Dorf, wo der Schwager die Wagenstange zerbrach, gerade als wir hineinfuhren. Nun mußten wir eine von den Bauern kaufen. Sie kamen mit einer Laterne, einer Axt, Nägeln und Hämmern heraus, und wirthschafteten, während wir ungeduldig dastanden und uns nach Abendbrod und Nachtlager sehnten. Endlich kamen wir fort; aber nun ging ein Wagestock entzwei, und wir mußten eine Latte von einem Zaume nehmen und ihn selbst wieder in Stand setzen. Endlich erblickten wir doch das Ziel unsrer Reise, und um zwei Uhr in der Nacht kamen wir erst in eine Herberge, nachdem wir acht Stunden auf vier Meilen zugebracht hatten.


In Brügge zerbrach ein Rad, weil unser Wagen nicht die Spur in dem gefrornen Geleise halten konnte. „Ein Rad kann leicht geknickt werden, wer sieht es voraus?“ sagt Giulio Romano. Eine schöne Gegend! Wir spielten des Abends vor langer Weile Karten zusammen, das erste, und wie ich glaube das letzte Mal auf dieser Reise, aßen gut, tranken die Gesundheit des Herrn Lazarus, wünschten ihn zu dem reichen Mann im Evangelium und fuhren am nächsten Morgen weiter. Nun[112] haben wir bald einen nagelneuen Wagen; die Federn am alten sind gut und verantwortlich gemacht, und wir haben es schwarz auf weiß, daß sie bis Paris halten sollten. Vorwärts!

Das Celler Schloß.

In Celle pilgerten wir nach dem für alle Dänen merkwürdigen Schlosse. Es ist jetzt sehr verfallen. Die Franzosen haben es in der Kriegszeit zerstört. Hier sieht es sehr traurig aus. In diesen finstern Hof rollte die blühende zwanzigjährige Fürstin hinein. Schnell, wie eine Sternschnuppe hatte sie ihre kurze, glänzende Bahn geendet, und verschwand hier im Dunkel. Wir sahen ihren Speisetisch, wo sie täglich einige Gäste hatte. Auch ein Theater war hier auf dem Schlosse, wo sie zuweilen dem Schauspiele beiwohnte. Der große Schröder spielte vor ihr. Ein hübsches Zimmer mit hellgrünem Dammast, mit gebohntem Boden, und der herrlichsten Aussicht war ihr gewöhnlicher Aufenthalt, hier hatte sie ihre kleine Bibliothek und die Bilder ihrer Kinder. In einem finstern Zimmer daneben hatte sie nach drei Tagen einer plötzlichen Krankheit ihren Geist aufgegeben. Sie liegt in der großen Kirche der Stadt begraben.

In Hannover hielten wir uns nur einen Tag auf. Ich hatte nicht Lust länger in einem Orte zu bleiben, wo deutscher Adelshochmuth in seinem ganzen Flor blühen soll, obgleich ich vielleicht für meine Person Nichts davon gefühlt hätte. Hier wird adliger Thee getrunken, und man muß die nothwendigen Ahnen haben, um ihn genießen zu dürfen. Das wichtigste Staatsamt, die ausgezeichnetsten persönlichen Eigenschaften helfen Nichts, wenn das Von fehlt.

Herrn Holbein und Madame Renner besuchte ich auf dem Theater bei der Probe, im Dunkel, das nur durch eine einzige Lampe erhellt wurde. Am Abend sah ich in strenger Kälte ein Lustspiel von Holbein: „Die treue Witwe.“ Bertouch und ich waren des Abends bei Herrn und Madame Renner. Sie gedachten mit Vergnügen des Beifalls, den sie in Kopenhagen gefunden hatten und sangen uns einige hübsche Lieder zur Guitarre vor.

[113]

In Göttingen ging ich zu unsrem Freund, Professor Welcker. Er brachte mich zum Hofrath Heeren, dem berühmten Gelehrten, der mit Heyne's Tochter verheirathet ist. Wir besuchten auch Frau Rodde-Schlösser, die in ihrer Jugend die Doctorpromotion gemacht hat. Im reifern Alter ist die Gelehrtheit in echte weibliche Bildung übergegangen.

Kassel. Die Gebrüder Grimm.

In Kassel hielten wir uns ein paar Tage auf. Ich ging gleich, um die Bekanntschaft der Gebrüder Grimm, der Uebersetzer unserer alten dänischen Kämpeweisen, und der Herausgeber vieler deutschen Sagen, zu machen. Ich mußte lange mit einem Lohndiener umhergehen, ehe ich sie fand. Endlich kamen wir in ein Haus, von dem man uns sagte, daß Grimm hier wohne. Ich klopfte. „Herein!“ Ich trete ein, finde einen alten hübschen Priester an seinem Schreibtische, und frage, ob ich die Ehre habe, mit Herrn Grimm zu sprechen. „Ja, ganz richtig.“ — Ich hatte mir Grimms als junge Männer vorgestellt, die, sowie Riepenhausens in Rom, unzertrennlich in einem Zimmer arbeiteten. Nachdem ich Etwas mit dem Mann gesprochen hatte, merkte ich endlich, daß er Prediger in der Stadt und ein entfernter Verwandter meiner Grimms sei. Ich bat um Verzeihung; aber der Prediger war sehr freundlich und zeigte mir den rechten Weg. Ich war in der ganzen Stadt umhergelaufen, und nun traf es sich, daß sie gerade unserm Gasthofe gegenüber wohnten. Ich fand sie zusammen auf der Bibliothek. Sie zeigten mir verschiedene merkwürdige Manuscripte. Ich ging mit dem jüngsten Grimm gestern Nachmittag in einem Garten spazieren, der Aehnlichkeit mit dem Südfelde hatte. Wir eilten leicht hin über die gefrorene weiße Erde; die hohen Lindenalleen standen zwar blätterlos; aber wir brauchten auch keinen Schatten. Wir sprachen vom Mittelalter und der Gegenwart, und die ganze Situation in dem schönen Winterwald mitten in einer unbekannten Gegend an der Seite des Mährchenfreundes Grimm, schien mir selbst ein schönes Mährchen. — Plötzlich standen wir an einem breiten Deiche, über dessen spiegelklare[114] Fläche mehrere Schlittschuhläufer wie Schatten dahinschwebten. In einem Augenblick hatte unser Norweger, der mit uns ging, sich ein paar Schlittschuhe gemiethet, und freute sich, indem er auf dem Eise große Bogen beschrieb, wie eine wilde Ente, die nach einer langen Flucht durch die Luft, endlich wieder das Wasser erreicht hat. Sein Beispiel steckte mich an. Zum ersten Mal seit sechzehn Jahren lief ich Schlittschuh.


Interessante Bekanntschaften.

Wir haben durch Grimm die Bekanntschaft des Fräulein von Kahlenberg und der Frau von Malzburg, zweier gebildeten Damen, gemacht. Ich bin ein paar Abende bei ihnen gewesen und habe ihnen einige kleine Gedichte vorgelesen. In einem ziemlich großen Kreise haben wir einmal die Rollen des Correggio vertheilt, und so die beiden ersten Acte gelesen. Den dritten Act las ich allein, um ihnen eine rechte Idee davon zu geben, wie ich ihn mir gedacht hatte. Es war da ein junger Dichter in der Familie, der denselben Namen hatte. Den fünften Act von Hagbarth und Signe habe ich auch vorgelesen.

Gestern Vormittag war ich mit meinen Landsleuten auf der Gemäldegalerie. Stelle Dir meinen Zustand vor; nachdem ich in strenger Kälte die Bibliothek und die ganze Gemäldegalerie gesehen hatte, und nun endlich nach Hause gehen wollte, um Etwas aufzuthauen, begegne ich der Frau von Malzburg und ihrem ganzen Gefolge in der Thür. Die Höflichkeit gebot mir, mit ihnen zurückzugehen. Wie sehr würde es mich bei einer milderen Temperatur erfreut haben, die Werke der Kunst mit dieser interessanten Dame zu betrachten. Aber nun! Meine Füße waren Eis, meine Fingerspitzen erfroren. So mußte ich umhergehen und Ruisdal, Holbein, Albrecht Dürer, Ostade, Teniers, Caracci und van der Werft sehen. Dieser Letztere machte mich noch mehr frieren. Die Schönheiten der großen Meister, die ich nun nicht genießen konnte, erschienen mir wie ein fein erdachter Höllenspott in dem wahren Nistheim.[115] Auf all' das Richtige und Treffende, das Frau von Malzburg sagte, hörte ich fast wie ein ganz dummer Mensch. Das Einzige, womit ich sympathisirte, waren die geflochtenen Babouchen, die der Gallerieverwalter über seine Stiefeln gezogen hatte. Er betrachtete uns mit einer Art von mitleidigem Ausdruck, weil wir uns freiwillig das schlechte Vergnügen bereiteten, all' die Bilder anzusehen, deren er schon so lange müde war. Ich las deutlich in seinen Zügen die Worte: „Wenn ich nicht dazu gezwungen wäre, so sollte der Teufel hier stehen, da ging ich lieber in meine warme Stube.“ Ich gab ihm in meinem Herzen Recht. Und wenn Jemand aus der Gesellschaft sagte: „Ach wie ist das schön! wie ist das herrlich!“ so ließ ich die Blicke sehnsuchtsvoll auf die geflochtenen Babouchen des Verwalters herabsinken und sagte seufzend: „Ja wohl, es herrscht ein sehr warmer Ton darin.“ So verschieden war mein Gefühl und meine Stimmung, als ich ein und Dasselbe an einem Vormittage sah. Ich dankte Gott, daß Alle in der Gesellschaft meinen Correggio kannten, denn sonst hätten sie mich in Bezug auf Gemälde für einen Eiszapfen halten müssen. Man darf nicht physische Schmerzen leiden, wenn man sich einem geistigen Genuß hingeben soll. Als es anging, nahm ich Abschied von der Gesellschaft und Frau von Malzburg neckte mich freundlich am Abend, indem sie sagte, daß sie recht gut gemerkt habe, wie erfroren ich gewesen sei.


Wir sollen vierspännig fahren.

Wenn wir des schlechten Wetters wegen bisher langsam gereist waren, so beschlossen wir, nun um so rascher dahin zu rollen. Aber im Anfange kamen wir auch nicht weit. Denn obgleich wir mit drei Pferden eingetroffen waren, wollte der Wagenmeister uns nicht mit weniger, als mit vieren weiter ziehen lassen, obgleich wir um eine Person und einen Koffer weniger geworden waren. Dies wollte ich nun durchaus nicht dulden. Ich suchte ihm erst das Ungerechte und Unsinnige seines[116] Entschlusses zu beweisen; aber als dies nichts half, als er ärgerlich wurde und sagte, wenn wir nicht wollten, so ließe er das vierte Pferd wieder abspannen, und so müßten wir nachher doppelt bezahlen, versicherte ich ihm, daß daraus Nichts werden würde, und daß er uns doch noch mit drei Pferden fahren müsse. Dies konnte er wahrscheinlich nicht begreifen, und ging in der Meinung fort, daß wir als Fremde uns doch zuletzt seinem Willen fügen müßten. Aber ich lief in die Stadt, wo der Oberpostdirector wohnte und ließ mich melden. Es war ziemlich früh am Morgen, und er stand noch im Schlafzimmer in seiner Nachtjacke. Ich bat um Entschuldigung, sagte ihm meinen Namen, und bat ihn, in dieser Sache zu entscheiden. Er war sehr artig, schrieb mir einen kleinen Zettel und äußerte seine Freude darüber, meine Bekanntschaft gemacht zu haben. Als ich auf die Straße hinaus kam, und den Zettel las, stand auf demselben, — „daß der Herr Professor Ehlers mit drei Pferden fahren sollte.“ Der Kerl wollte seinen eigenen Augen nicht trauen, als er den Zettel sah. Aber als er gelesen hatte, rief er dem Schwager: „Vorwärts!“ zu, lüftete den Hut und ging ins Haus. So zogen wir im Triumph aus Kassel heraus und ich reiste vier Meilen incognito als Professor Ehlers.

Aber wir waren doch ganz traurig, und die Munterkeit im Wagen war verschwunden; denn wir hatten unsern lieben Norweger Flood in Kassel zurückgelassen. Seine Freundlichkeit und sein muntrer Sinn hatten uns auf dem Wege sehr erheitert. Auf dem langen Wege von Hamburg nach Kassel hatte er mich aus bloßer Freundschaft begleitet. Aber nun mußte er über Amsterdam nach seinem Norwegen zurück, wo ihm die Liebe winkte. Eine amüsante Geschichte, die in einem Wirthshause eintraf, ehe wir uns trennten, darf ich nicht vergessen.

Wir hatten zusammen Abendbrot gespeist; zum Dessert gab es Rosinen und Mandeln; Bertouch hatte eine Zwillings-Mandel gefunden, die er Flood hinreichte, und so sollte Der, welcher[117] zuerst Vielliebchen sagen würde, wenn sie sich das nächste Mal sähen, ein Geschenk vom Andern erhalten.

Es war eine schneidende Kälte, als ich am nächsten Morgen bei Tagesgrauen Bertouch aus seinem Bett heraussteigen (wir lagen alle Drei in einem Zimmer), und mit nackten Füßen im bloßen Hemde mit listiger Miene sich in der ziemlich großen Stube nach Flood's Bett hinschleichen sah. Hier stand er einen Augenblick und betrachtete seinen Gegner lächelnd mit einer überlegenen, mitleidigen Miene, so wie Einer, der seines Sieges gewiß ist. Darauf rüttelte er ihn am Arm, und als Flood erwachte und die Augen aufschlug, rief Bertouch triumphirend: „Philine!“ Flood starrte ihn, verdrießlich darüber, aus seinem guten Schlafe geweckt zu sein, an, aber als er Bertouch sah, und nun verstand, was er wollte, sagte er ganz verdrießlich, indem er ihm den Rücken zukehrte: „Vielliebchen!“ Bertouch hatte also die Wette verloren, da er den falschen Namen genannt hatte. Philine in Wilhelm Meister hatte ihn irre gemacht, und er mußte mit nackten Füßen über den kalten Fußboden unverrichteter Sache zurückkehren. Das Wunderlichste war, daß, als ich später beim Kaffeetische mit ihm über Göthe's Wilhelm Meister sprach, er diesen gar nicht kannte.


Ein verlorenes Vielliebchen.

Heute Morgen um halb sechs Uhr standen wir in Marburg auf. Gerade wie wir an dem frühen, kalten, finstern Morgen bei einer Laterne in den Wagen steigen und weiter fahren wollten, kamen zwei andere, gleichfalls eingehüllte Reisende von der entgegengesetzten Treppe in gleicher Absicht herab. Das schwache Licht bestrahlte mein Antlitz. Eine der fremden Personen stutzt, sieht mir ins Gesicht, tritt näher und ruft: „Ollanslakkero!“ Ich sehe ihn an — „Olinto dal Borgo di Primo!“ der italienische Uebersetzer meines Correggio. Ist es möglich? — Wir umarmen einander, beklagen, daß wir von dieser Zusammenkunft nicht früher gewußt hatten. Ich bitte ihn, meine[118] Frau, meine Kinder und Schimmelmann's zu grüßen. Darauf steigen wir beide in unsere Wagen, werfen uns Kußhände zu, und setzen, wie zwei in einem Augenblicke einander begegnende Planeten, unsere entgegengesetzten Bahnen fort.


Frankfurt a. M. Friedrich Schlegel.

Wir wohnen nun in Frankfurt in einem sehr guten Hôtel: „Zum römischen Kaiser!“

Heute aßen wir mit unserer kopenhagener Freundin Frau Pauli bei einem Kaufmanne, Herrn Pätsch, zu Mittag. Hier war ein merkwürdiges Eßzimmer. Es besteht nämlich aus einem uralten Stadtgefängnisse, welches nun mit einem schönen Hause verbunden ist. Die Wölbung ist blau wie die Luft gemalt, an den Wänden winden sich grüne Büsche und Zweige hinauf. So treten die beengenden Mauern zurück, und verlieren sich in einer leichten Luftperspective, und an demselben Orte, wo vor ein paar hundert Jahren mancher Unglückliche an seiner Kette nagte, und mit seinen Nägeln an den rauchgeschwärzten Mauern kratzte, während der Henkerstod seiner wartete, sitzen nun hübsche, lustige und wohlhabende Leute bei hellem Kerzenscheine und werden in Herrlichkeit und Freude tractirt.


Nach der Komödie war ich bei Friedrich Schlegel. Er ist als österreichischer Legationsrath hier. Seine Frau ist eine Tochter von Moses Mendelssohn und wahrscheinlich die Verfasserin des Romans Florentin, in dem viel Schönes ist, obgleich sie selbst jetzt das Buch als einen Jugendversuch betrachtet. Obwohl ich wußte, daß Schlegel nun ganz Politiker geworden war, und obgleich ich in vielen Beziehungen, sowohl in historischen und religiösen, wie in ästhetischen Ansichten mit ihm differire, so konnte ich mir doch nicht das Vergnügen versagen, einen so ausgezeichneten, talentvollen und kenntnißreichen Mann wieder zu sehen und zu sprechen, dessen Schriften eine so wichtige Rolle[119] in meiner frühern Jugend gespielt und theils dazu beigetragen haben, mich irre zu leiten, theils mich zu belehren und zu bilden. — Ich fand auch sein Aeußeres sehr verändert, denn ich erkannte ihn nicht wieder, obgleich er mitten im Zimmer stand und mit entgegen lächelte; so dick und fett war er geworden. Er war sehr freundlich, und mein Herz öffnete sich ihm, wie einem Manne, mit dem ich in einem gewissen Grade sympathisirte, und von dem ich in andrer Beziehung ganz verschieden war. So ging es ihm gewiß auch mit mir. Wir sprachen über viele Dinge zusammen, von denen wir ungefähr wußten, daß wir in ihnen übereinstimmen könnten. Ich las ihm einige meiner kleinen deutschen Gedichte vor, die ihm zu gefallen schienen.

Ein Brief von Friedrich Schlegel.

Eine gewisse Verlegenheit herrschte doch zwischen uns Beiden, die ganz natürlich war. Er hatte mir vor fünf Jahren einen Brief geschrieben, auf den ich ihm nicht geantwortet hatte. Der Brief lautet folgendermaßen:

Wien, den 17. Januar 1812.

„Erlauben Sie einem alten Bekannten und Freunde, sich bei Ihnen in Erinnerung zu bringen und vor Ihnen zugleich mit einer Bitte und Einladung wieder zu erscheinen. Ihre Mitwirkung zu dem „Deutschen Museum,“ wovon ich die Ankündigung beilege, würde mir um so willkommner sein, da mein Hauptzweck bei dieser Zeitschrift auch die allgemeinere Verbreitung und Würdigung nicht bloß der altdeutschen, sondern auch der altnordischen Dichtkunst, Saga und Götterlehre ist. Alles, was Sie uns irgend dafür, sei es Poesie oder Prosa, geben wollten, würde sehr willkommen sein. — Ich habe in der letzten Zeit Dänisch gelernt, und Sie dienen mir jetzt in Ihrer nordischen Dichtung als Wegweiser zur Edda. In Ihrem deutschen Axel und Valborg fand ich viel Schönes. Das Stück wird, glaube ich, nächstens hier gegeben werden. Aber doch scheint mir's, als behandelten Sie uns Deutsche etwas stiefbrüderlich, und behielten[120] das Auserlesenste Ihrer Dichtungen zurück, um es in dänischer Muttersprache niederzulegen.

Ich hoffe mich bald einer Antwort von Ihnen zu erfreuen, und bin Ihr Freund,

Friedrich Schlegel,
K. K. Hofsecretair.“

Ich wußte nicht, was ich auf diesen Brief antworten sollte. Schlegel lobte zwar in einem vornehmen Tone Axel und Valborg, warf mit aber vor, daß ich Deutschland stiefbrüderlich behandelt, und ihm nicht das Beste meiner Arbeiten mitgetheilt hätte. Indessen hatte ich doch bereits Aladdin, Hakon Jarl, Palnatoke und Correggio ins Deutsche übertragen und ich wußte, wie gesagt, nicht, was ich ihm antworten sollte und schwieg deshalb still.


Ankunft in Metz.

Nun sind wir also in Metz auf französischem Grund und Boden, haben gebohnte Zimmer, Kaminfeuer und bessere Mahlzeiten, als in den deutschen Flecken. Besonders lieb ist mir das Kaminfeuer; es breitet eine angenehme Wärme aus, die nicht zu stark ist, und es macht auch einen angenehmen Eindruck, das Feuer zu sehen.

Hier befindet sich ein Theater und eine Garnison. Die Folge davon ist, daß das Parquet von Majoren, Capitains, Lieutnants, das Parterre von Soldaten voll ist, die Logen von Generalen und Obersten besetzt sind, und die Civilisten nur Ausnahmen bildeten. Die Officiere geben also hier den Ton an, und da bei solchen Gelegenheiten selten die Generale commandiren, so sind es hauptsächlich die jungen Officiere. Daß sich unter diesen nun ein Theil brutaler Claqueurs findet, ist natürlich. Diese schwarzhaarigen, breitschulterigen Söhne des Mars sind im Kriege auferzogen, und verstehen sich wenig auf Kunst und Poesie. Sie redeten doch auch von Shakespeare, und als der Eine den Namen nicht richtig aussprach, sagte der Andere zu ihm: „Il faut dire: J'expire!“.


[121]

Die Kathedrale ist eine der schönsten altdeutschen Kirchen, die ich gesehen habe. Als ich die leichten hohen Wölbungen, die schlanken Säulen betrachtete, welche sich wie Bäume im Walde erheben, wurde ich in meinen Fantasien und Gefühlen durch eine türkische Musik gestört. Dies war eine Art militärischen Gottesdienstes, der einer Wachtparade glich. Während einige Compagnien Soldaten in die Kirche zogen und sich da in Ordnung stellen, wurden allerlei lustige Tänze und Märsche gespielt, die mich an ein Ballet erinnerten.


Unser Reisezug.

Paris den 1. Februar.

Was, seitdem wir Metz verlassen haben, geschehen ist, läßt sich leichter beschreiben, als erleben; wir waren drei und einen halben Tag unterwegs, die uns, trotz der kurzen Wintertage, wie die längsten Hundstage erschienen. Man denke sich eine ungeheure große Karethe mit mächtigen Vorrichtungen zum Gepäck oben, vorn und hinten; man denke sich, daß in einem solchen Wagen bequem Vier, unbequem Fünf sitzen können, und daß Sechs darin saßen; man denke sich diese dickräderige Maschine von fünf, sechs, zuweilen sieben, ja zehn mageren Schindmähren gezogen, man stelle sich dann diesen Raritätenkasten langsam über Berge und Thäler, wie eine Ameise, durch ein Vergrößerungsglas gesehen, über einen kleinen Haufen dahinkriechen. — Unsere Gesellschaft bestand aus einer jungen französischen Dame in einem dünnen Nesseltuchkleide und einem Taffetüberrock ohne Futter; zweien ältlichen Herren und uns anderen drei Männern, die wie früher Sadrach, Mesach und Abednego das Personal im feurigen Ofen ausmachten.

Der eine Fremde, der Officier gewesen war, erzählte uns seine Abenteuer, wie er in der Revolutionszeit genöthigt gewesen war, sich aus dem Fenster zu schwingen und mit den Händen am Steincarnise festzuhalten, während die Mutter das Fenster schloß und versicherte, daß kein Fremder da sei.

[122]

St. Menehould ist bekannt dafür, daß man dort Kalbsfüße so weich kocht, um selbst die Knochen mitessen zu können. Der arme Ludwig Capet aß sie auch mit vielem Appetit kurz ehe man ihn erwischte und zur Richtstätte hinschleppte.

Wechsel der Reisegesellschaft.

Unsere Officiere hatten wir verloren und bekamen dafür stumme Personen in den Wagen; der Eine mit gelbseidnem Tuche um den Kopf und geflochtenen Bambouchen an den Füßen; der Andre mit einem Flecken auf dem linken Auge und seinem Rock auf dem Schooße. Er wunderte sich mit Recht über meine ungeheuer dicke Bekleidung; aber ich war ein langes Stück gegangen, und hatte den Pelz wieder angezogen, weil ich warm geworden war, und mich nicht erkälten wollte. Mit einer verdrießlichen Miene fragte er, nachdem er einen halben Tag geschwiegen hatte: „Aber mein Herr! wie gehen Sie denn zu Hause, wenn Sie hier so gehen?“ Ich antwortete ihm: „So kleiden wir uns Alle in Kopenhagen, mein Herr, wenn wir uns warm gegangen haben, uns in den Wagen setzen und uns nicht erkälten wollen. Ich wundere mich ebenso sehr, Sie mit Ihrem Rocke auf dem Schooße zu sehen, wie Sie sich über meinen Pelz auf dem Körper wundern.“ Er meinte das komme daher, daß die Franzosen wärmeres Blut hätten und Strapazen besser ertragen könnten. Ich antwortete: „Der Wallfisch hat warmes Blut, obgleich er mit einem ellendicken Thranpelz umherschwimmt; der Häring hat kaltes Blut, obgleich er nur in einen dünnen Silbermoireeshawl eingehüllt ist.“

Endlich roch das schlechtgegerbte Seebärenfell doch mir selbst zu arg; ich sprang aus dem Wagen und verkaufte dasselbe für zwei Napoleonsd'or an den Conducteur.

Zweites Eintreffen in Paris.

In den ersten Nächten hatten wir in Wirthshäusern geschlafen, nun fuhren wir die letzte Nacht ganz durch. Die Dame wollte durchaus, daß das einzige offne Fenster geschlossen würde. Ich schnappte nach Luft, wie eine Maus unter der Luftpumpe. Alle zwölf Lungen (wir waren sechs Personen) verrichteten ihre Blasebalgdienste, um das Bischen Sauerstoff zu[123] verzehren, das noch übrig war. Der Angstschweiß trat mir auf die Stirn; ich sprang aus dem Wagen und setzte mich zum Conducteur hinaus. So fuhr ich in Paris hinein, wo halb vergessene Erinnerungen mir von der Vorstadt an bis zum Hôtel de Brétagne in der Rue Richelieu hin, wo ich jetzt wohne, entgegentraten.


Wie erfreute es mich, den vortrefflichen Fleury im Théâtre français wiederzusehen; daß er viel zu alt für seine Rolle war, vergaß man über das gute Spiel. Fleury verbindet Verstand, Gutmüthigkeit und Naivetät mit Feinheit und Lebensart, ohne welche die sogenannte höhere französische Comödie ein elendes Machwerk ist. Er ist der Einzige in ganz Frankreich, der noch den Marquis du vieux bon-temps spielen kann. Ein noch größeres Schauspielertalent als Fleury ist Mademoiselle Mars, voller Leben, Grazie, Anmuth, obgleich schon ein gutes Stück über die jungen Jahre hinaus.


Wir sind bei unserm Minister, General Waltersdorff gewesen, der uns freundlich empfing und uns zu Mittag einlud. Hier traf ich meinen alten Bekannten, den Legationssecretair (spätern Legationsrath) Vogt, und erfuhr, daß der Capitain (später General-Kriegscommissär) Abrahamson noch in Paris sei. Ich habe ihn später getroffen, und erfreue mich sehr an dem Umgange dieses talentvollen und dienstfertigen Landsmannes.

Frau von Staël-Holstein.

Ich bin auch bei der Baronesse Staël-Holstein gewesen. Sie wohnt in der Rue royal, einer der schönsten Straßen in Paris, und wie ich mir denken konnte, in einem großen Palast. —

Während ich die Treppe hinaufging, zogen mir die Tage im Geiste vorüber, wo ich das erste Mal in Paris war, als sie auf dem Lande in Auberge en ville wohnte und nicht zur[124] Hauptstadt kommen durfte. Nun hatte sie den Hafen ihrer Wünsche erreicht. — Der Diener, der mich melden sollte, hörte meinen Namen, den er natürlich ganz verdreht der gnädigen Frau mittheilte. Er kam wieder und sagte: „Sie kenne Niemanden dieses Namens“. Ich war gerade im Begriff, ihn mit Bleistift auf einen Zettel zu schreiben (denn ich hatte, wie gewöhnlich meine Visitenkarten vergessen), als ich eine junge Dame im Morgenkleide und in einem Capüchon an mir langsam in einiger Entfernung vorübergehen, und mich aufmerksam betrachten sah. Als ich näher kam, war es die Herzogin von Broglio, die ich von ihrer Kindheit her kannte. Als ich ihr meinen Namen nannte, beklagte sie, daß ihre Mutter mich nicht gleich empfangen könne, da sie nicht angekleidet sei, und ging dann auch hinein. Kurz darauf kam der Diener, der meine Karte hineingebracht hatte, zurück, und sagte: die Baronesse ließe mich bitten, am Abend zwischen Acht und Neun wiederzukommen. Es war also eine Soirée, und ich konnte nicht vorher mit meiner alten Freundin allein sprechen, in deren Hause ich neun Jahre vorher fünf Monate in Coppet zugebracht hatte. — Am Abend kleidete ich mich also in Schuhe und Strümpfe und ging hin. Ich fand einen Theil besternter Herren, zwischen denen ich mich durcharbeiten mußte, um Frau von Staël auf dem Sopha bei einem Kamine zu finden, wo sie, wie gewöhnlich mit einem Turban auf dem Kopfe, saß, und mich mit einem Scherz empfing, als ob wir uns erst gestern gesehen hätten. Sie stellte mich Alexander von Humboldt vor, mit dem ich zehn Jahre vorher in Berlin gesprochen hatte. Ich entdeckte auch A. W. Schlegel in der Menge, und sprach mit ihm, aber nur kurz. Die Conversation war nicht frei und allgemein; es herrschte ein steifer und stiller Ton daselbst, und — darauf verstehe ich mich nicht. Frau von Staël lud mich ein, den nächsten Montag bei ihr zu speisen. —


[125]

Ich bereitete mich darauf vor, zur bestimmten Zeit um sechs Uhr einzutreffen; aber da unser Diener Christian mir Bertouch's Schuhe gegeben, und meine eigenen eingeschlossen hatte, so währte es etwas lange, sodaß es ungefähr sieben Uhr wurde, als ich bei Frau von Staël eintraf, um Mittag bei ihr zu speisen. Sie saß an einem kleinen runden Tisch mit ihrer Tochter, der Herzogin, und zwei anderen älteren Damen; für mich war ein Platz frei gelassen. Ich entschuldigte mich, erzählte mein Mißgeschick, beeilte mich, die Speisenden einzuholen, die bereits beim Fische waren, und gab mir alle Mühe, bei dem Französisch-Sprechen nicht verlegen zu werden. Wir sprachen von verschiedenen Dingen. Frau Staël machte mir ein Compliment, weil ich im Norden bekannt geworden sei, und ich sagte: „Was ist der Norden gegen die Erde?“ womit ich den Kreis ihres Ruhms meinte. Wir sprachen von Friedrich Schlegels Buch über die Geschichte, mit dem wir Beide nicht zu sympathisiren schienen, trotz des Guten, welches sich darin befindet, weil wir es gegen die Aufgabe der Geschichte fanden, zu beweisen, was man beweisen will, indem man einzelne Züge hervorhebt und die anderen in den Schatten stellt. Sie fragte mich nach Frau Brun, und es freute sie, zu hören, daß diese frisch und gesund sei. Von dem Dichter Werner sprachen wir auch, und waren Beide darin einig, daß die Frömmigkeit bei unserm guten Freunde sehr weit gegangen sei, und daß der Deutsche Recht habe wenn er sage: „Allzuviel ist ungesund!“ — Sie hatte den Correggio noch nicht gelesen, fand es aber sonderbar, daß ich einen Stoff gewählt, wo der Held unter der Last eines Geldsackes stürbe. Ich entgegnete, ich hätte gerade Lust bekommen, das Stück dieses Zuges wegen zu schreiben, und daß ich es als eine Allegorie behandelt hätte, da der Künstler größtentheils arm ist, und den Nahrungssorgen unterliegt. Dies drückte ich im Gespräche nicht so ganz richtig Französisch aus, und sagte: „Unter der Last des Geldes,“ was ihr Veranlassung zu einem Scherz gab, indem sie sagte: „Mais,[126] mon Dieu, comment peut-on tomber sous ce qu'on n'a pas?“ Ich antwortete: „Ce n'est pas l'argent sous lequel il tombe, c'est le cuivre.“ Und nun schien sie mich zu verstehen. — Sie rieth mir Voltaire's Tancred zu sehen, der an diesem Abend gegeben wurde. Ich folgte ihrem Rath, fühlte mich aber nicht sonderlich erbaut. Der gute Lafond schreit außerordentlich, und scheint mir affectirt, überspannt und unnatürlich.


Ich muß hier (nach Verlauf von 31 Jahren) erzählen, was ich 1817 in meinen Reisebriefen übersprang, wo Frau von Staël-Holstein noch lebte, und ich nicht wollte, daß es wie eine Klage oder Rache aussehen sollte. Ich stand damals in Paris in einem etwas gespannten Verhältniß mit der Frau von Staël; ein Brief, den ich ihr einmal in der langen Zwischenzeit geschrieben, war unbeantwortet geblieben. Indessen veränderte dies nicht den freundlichen Ton zwischen uns, und daß ich das letzte Mal so spät zu Tisch gekommen war, hatte ich entschuldigt und sie vergeben. Aber nun lud sie mich dieses letzte Mal ein, sie am Nachmittage zu besuchen. Als ich ins Zimmer kam, trat gerade eine große Gesellschaft von Herren und Damen aus dem Speisesaal, wo die Mahlzeit geendigt war, herein. Ich wurde fast ohnmächtig vor Erbitterung über die Beleidigung, mich nach Tisch zu sich zu laden, sie, die mich vor wenigen Jahren in Coppet auf den Händen getragen hatte. Ich wollte gleich wieder aus dem Zimmer gehen, blieb aber doch noch einen Augenblick, weil ich eine englische Dame traf, die ich von Coppet her kannte, und der ich meine Gefühle mittheilte, worauf ich ging. Und von dem Augenblicke an sah ich Frau von Staël nie mehr. Sie schickte nicht zu mir (vielleicht wußte sie nicht, wo ich wohnte) und ich besuchte sie nicht wieder. Nicht einmal zu A. W. Schlegel mochte ich gehen, der nie einer von meinen Leuten gewesen war, und der mich früher nicht leiden konnte, weil Frau von Staël mir so viel Freundlichkeit erwies. Dieses ihr Benehmen ist mir stets ein[127] Räthsel geblieben. Als ich Waltersdorff die Geschichte erzählte, sagte er scherzend: „Sie hat dieses Mal vielleicht mit Ihnen wenig Umstände gemacht, weil Sie es letzthin mit ihr ebenso machten.“


Die Benefizvorstellung Fleury's.

Wenn Talma und Mademoiselle Duchenois in einer Tragödie und Fleury und Mademoiselle Mars in einer Comödie spielen, so ist das Théâtre français stets überfüllt. — Dann stellen sich die armen Leute in langen Reihe hin, um Billets zu kaufen und ihre Plätze an die Theatergänger zu verkaufen, wenn diese zu spät kommen. — An einem der ersten Abende, als ich im Palais royal spazieren ging und in die Nähe des Théâtre français kam, wußte ich gar nicht, was der Auflauf zu bedeuten habe. Ich hatte mich noch nicht recht gefaßt, als zwei Poissarden herbeiliefen, mich rasch unter die Arme nahmen, sagend: „Venez, Monsieur, venez, à la tête!“ und mit mir davon liefen. Sie wollten ihren Platz dicht beim Eingang für 8 Sous verkaufen.

Fleury hat dieser Tage sein Benefiz für 43jährige Dienste gehabt; und alle Theater wetteiferten, diesem vorzüglichen, ältesten Schauspieler Liebe und Huldigung darzubringen. Zu seiner Vorstellung wurde ihm das große Opernhaus eingeräumt, da das Théâtre français bei weitem keinen so großen Raum für Zuschauer bietet. Er spielte in Molière's „le bourgeois gentilhomme,“ und hier war Gelegenheit, um durch Tanz und Gesang Scenen zu seiner Ehre zu arrangiren. Da waren Schauspieler, Sänger und Tänzer, als Deputirte aller Theater, welche an dem Divertissement Theil nahmen, das, obgleich für Monsieur Jourdan eingerichtet, doch zugleich eine Bedeutung in Bezug auf Fleury hatte. Ich spürte große Lust, bei dieser Vorstellung zugegen zu sein; aber unglücklicher Weise hatte ein Sprachlehrer, den ich von meinem frühern Aufenthalte in Paris her kannte, mich gebeten, mir Billets verschaffen zu dürfen, und es nicht gethan, sonst wäre es mir leicht gewesen hineinzukommen. In der[128] letzten Stunde lief er zu Fleury, zu den Cassirern und den Controleuren; er zog mich nutzlos in das Gedränge hinein, um ein Billet zu kaufen, nachdem alle vergriffen waren. Doch verlor er noch nicht den Muth, und sagte, nun habe er einen Plan, der gewiß glücken würde. Ich ließ es ihn versuchen; wir bestimmten einen Ort, wo wir uns treffen sollten; aber sobald er fort war, ging ich nach Hause, und freute mich, ihn zur Strafe für seine Unzuverlässigkeit mich vergebens suchen zu lassen[1].

Théâtre français.

Beim Théâtre français sind noch einige sehr gute Schauspieler: eine vortreffliche Soubrette; die beiden Baptist's, Michaud, Thénard u. s. w. In den zwei Brüdern nach Kotzebue spielte der älteste Baptist den Seecapitain und Michaud den Matrosen mit unendlicher Wahrheit. Der jüngere Baptist ist eine vortreffliche Maske in Molière'schen Stücken. Er spielte letzthin le malade imaginaire. In diesem Stücke tritt das ganze Theaterpersonal, Herren und Damen, im Nachspiel als Doctoren auf. Die Schauspielerinnen tragen ihr Haar als Allongeperücken in langen Locken über die Schulter frisirt. Während ein Marsch gespielt wird kommen sie zu Zwei und Zwei in Procession nach einem Compliment vor dem Publikum, und gegenseitig vor einander, werden mehr oder weniger applaudirt, je nachdem sie beliebt sind, und setzen sich auf ihren Platz. Mir kommen stets die Thränen in die Augen und es ergreift mich jedes Mal ein feierliches Beben, wenn es in der Doctorcreation zu der Stelle kommt, wo Argan sagt: Juro! Denn bei diesem Worte fiel Molière ohnmächtig auf der Bühne um, wurde nach Hause getragen, und starb wenige Stunden darauf. — Liegt nicht etwas Schönes, Großes und Rührendes in dem Zufall? Dieser seltne Dichter wurde vor Aller Augen in einem seiner lustigen Stücke abgerufen, gleich als ob das Volk recht empfinden sollte, was es in ihm verloren! Dieser ausgelassne, burleske[129] Aufzug, an dem das ganze Theaterpersonal Theil nahm, um als Doctoren den neuen Doctor einzuweihen, wurde zu einer rührenden Mythe, zu einer die Thränen hervorlockenden Ironie. Wenn man es umgekehrt betrachtet, so versteht man den Sinn: Nicht der junge Doctor wurde von den ältern eingeweiht; der alte Meister wurde in seinem letzten Augenblicke von seinen Schülern gekrönt. Und er schwor noch wie ein ehrlicher Sohn zur Fahne der hohen Thalia, als ihn ein freundlicher Engel in ein besseres Leben hinwinkte. So wurde seine Todtenscene ein Fest; so verwandelte das Burleske sich in eine feierliche Handlung und Melpomene verbarg sich einen Augenblick unter der Maske Thalia's, um, wenn sie dann die Maske abriß, eine ganze Nation durch ihr bleiches Antlitz zu erschüttern.


Die Pariserinnen.

Man trifft hier selten schöne Frauengesichter. Die Pariserinnen sind graziös und haben besonders schöne Füße. Sie kleiden sich sehr geschmackvoll, aber ihre Züge sind, im Ganzen genommen, grob; ein weißer Teint und rothe Wangen sind eine Seltenheit, doch verstehen sie es sehr gut, sich durch Schminke, Spitzen, Rosabänder und pomadeglänzende Locken Frische zu geben. — Obgleich es auf der Straße ganz rein war, standen doch alte Weiber und Jungen mit Besen (an den Stellen, wo es schmutzig ist, wenn es geregnet hat), fegten ein Wenig die Erde mit ihren Besen und baten dann um eine Kleinigkeit, weil sie die Straße gereinigt hätten. Andere boten hübsch gebundene Veilchen zum Verkauf. Ich kaufte einen kleinen Strauß, und mir war's, als ob mich Primavera zuerst im Jahre 1817 mit diesem milden Dufte begrüßte. Ich ging von dem Tuileriengarten über den Platz Ludwigs XV. und stand einen Augenblick auf der Stelle, wo Louis Capet, Marie Antoinette und ihr Mörder Robespierre dasselbe Schicksal getheilt haben. Aber so entsetzliche Mordthaten hier auch begangen sind, so hat der Ort selbst doch nichts Schreckliches. Es ist ein schöner, offener, freundlicher Platz mit fortwährendem[130] Menschengewimmel. Man muß sich historisch in das Schreckliche zurückversetzen; und das macht ungefähr dieselbe Wirkung, als wenn man davon liest. — Eine elende Richtstätte auf dem Felde, wo ein armer Sünder geendet hat, erschüttert viel mehr. Die Einsamkeit, das Abgelegene, das gräßliche Rad auf der Stange weckt diese finstere Wehmuth, dieses feierliche Beben. Jüngst war ich auf dem Greveplatz, empfand aber auch dort keine Erschütterung mehr. Nicht was geschehen ist, sondern wie es geschah, wirkt auf das Herz und die Vorstellungen des Menschen. Wenn die verdammte mechanische Leichtigkeit nicht dagewesen wäre, wäre die Hinrichtung mit der Guillotine nicht zu einer Manufacturarbeit geworden, sondern hätte der Scharfrichter seine alte Würde in dem rothen Mantel und mit dem breiten Schwerte bewahrt, dann wäre es nicht so weit gekommen.


Physiognomie von Paris.

Der weiße Kalkstein spielt auch eine große Rolle in Paris und der Umgegend und ist von keiner guten Wirkung fürs Auge. Er macht den Weg und die Stiefeln weiß, und blendet das Auge; die Gebäude sind außerordentlich bleich, wo sie nicht angestrichen sind; und das sind sie in Paris nur hie und da bis zur ersten Etage. Die Häuser, wenn man einzelne Gebäude ausnimmt, sind durchaus nicht hübsch; sie sind außerordentlich hoch und schmal; die Fenster liegen innerhalb der Mauer und machen die Gebäude hohläugig-melancholisch. Nützliche, aber häßliche Brandmauern steigen an jeder Seite des Daches empor, und berauben das Haus seines Ansehens. Wenn man von einem hohen Punkte aus eine Straße in Paris betrachtet, sieht sie wie lauter unregelmäßige Felsenstücke aus, wie große Kreidefelsen mit einer schmalen Kluft in der Mitte. Erst wenn man in die Straßen kommt, so daß man keine Uebersicht hat, wird der Blick auf eine angenehme Weise durch die brillanten Läden beschränkt, die fast wie Glashäuser mit lauter Kostbarkeiten, aussehen. Häufig findet man auch das unterste Stockwerk[131] mit einer hochrothen Farbe angestrichen. Unzählige Inschriften machen fast jedes Haus zu einem Titelblatt mit einer Vignette.

Aber oben, wenn man das Auge emporhebt, sieht man das bleiche Kreidehaus mit den hohläugigen Fenstern und den Eisengittern.

Entstehung von Paris.

Und doch war dieser weiße Stein (den man in Menge unter einem Berge an einem großen Flusse mit ein paar kleinen Inseln gefunden) die Ursache zu dem ungeheuren Paris. Er ist leicht zu schlagen und hat die gute Eigenschaft, daß er sich mit der Zeit härtet. So haben die Pariser, ein uraltes celtisches Volk, ihn gefunden und eine Stadt auf der größten Insel gebaut, die nun la Cité heißt.


Erinnerung an Passy.

Ich kam jüngst auf einem Spaziergange in eine Stadt. Ich mochte nicht mitten im Orte nach dem Namen fragen; mir erschien dies so lächerlich, und ich dachte: es muß entweder St. Cloud oder Passy sein. Ich sah eine Menge Placate an den Häusern angeschlagen, und fing an, sie zu studiren. Aber — es half Nichts! — Ich fand nichts Anderes, als: maisons à vendre — etc. Die Beschreibungen der Häuser und Zimmer waren sehr genau. Aber der Name der Stadt, in der ich mich befand, kam nirgends vor. Das setzte man als Jedem bekannt voraus. Ich ging weiter und ärgerte mich über die häufigen großen Ueberschriften auf hochrothem Grunde mit schwarzen, römischen Buchstaben, die mich von dem Nahrungszweige eines jeden Bürgers unterrichteten, und mich aufforderten, mir alle möglichen Bedürfnisse anzuschaffen, nur nicht das Eine, welches ich empfand.

Als ich die Hauptstraße, welche sehr lang ist, durchgangen war, wußte ich ganz genau, wo ich Kleider, Schuhe, Zimmer, Essen, Trinken und Diener finden könne; aber wo ich war, wußte ich nicht. Es schien mit zuletzt eine verhexte Stadt ohne Namen, nur von meiner müßigen Phantasie erfunden. Ich betrachtete die Bürger auf der Straße wie Schatten, die sich nur[132] den unschuldigen, prosaischen, ja zuweilen einfältigen Anstrich gaben, mich zu foppen; und ich athmete erst wieder leicht, als ich jenseits auf dem Felde stand.

Aber als ich nun hier in der jungen hervorkeimenden Märznatur meine Augen erhob, hefteten sie sich an eine niedrige Mauer, hinter der ich in einem großen Garten lange Lindenalleen sah. — „O, das ist ja Passy!“ rief ich; „hier ist ja der Sommersitz des alten Dreyer, wohin ich vor zehn Jahren so oft kam, und mit ihm und Guilleaumeau, Bröndsted und Koës frohe Stunden verlebte! wo wir nach der Mahlzeit im Grünen Ball spielten!“ — Die großen Bäume bewegten ihre noch nackten Zweige, als ob sie mich grüßen wollten; und die weißen Steinurnen auf der Gartenmauer lächelten bleich in der Sonne, als ob sie sagen wollten: Dreyer, Guilleaumeau und Koës liegen bereits in den Grabesurnen. Gehe fort von hier, Wanderer, es ist dies kein Ort der Freude mehr für dich! Da dachte ich: so will ich denn doch in der Nähe des Ortes, wo die Gastfreiheit ihren Sitz hatte, auf das Andenken der Freunde trinken. Und darauf ging ich zu einem Traiteur nicht weit von Dreyer's Garten, außerhalb der (nun nicht mehr) verhexten Stadt; ließ mir ein Zimmer mit Sonnenschein, einen Eierkuchen und eine halbe Flasche Wein geben; stieß darauf mit dem Glase an der Flasche an, und rief: Gott erfreue ihre Seelen!

Als ich durch Passy zurückging, konnte ich mich nicht genug über meine frühere Blindheit wundern. Nun konnte ich es recht deutlich sehen, daß es Passy war, und wußte den Rückweg sehr gut zu finden.

Ich sah eine große vergoldete Kirchenkuppel sich hoch in die Wolken erheben. Die vergoldete Kirche führte mich allmälig zu dem großen Invalidenhause. Hier begegnete mir eine Anzahl junger Krieger, die auf Stühlen umhergerollt wurden, Andere hinkten auf Stelzbeinen im Sonnenschein umher. Es waren auch einige ältere darunter. Mit ehrerbietiger Wehmuth trat ich in die melancholischen Hallen, wo die stolzen Ueberwinder[133] der Welt nun ihre letzten Tage wie alte Spittelweiber zubrachten. Es schien übrigens gut für sie gesorgt zu werden. Ich trat in die große Küche; drei bis vierhundert kleine Würste wurden gerade aus den Töpfen geholt und dampfend auf den reingescheuerten Eichentisch gelegt. In einem ungeheuren Kupferkessel stand das gekochte Erbsenmus. Die Helden von Austerlitz und Jena sollten heute Wurst mit Erbsen essen.


Ein eigensinniger Kutscher.
Ein Ausflug nach St. Cloud.

Als es heute Ein Uhr war und ich nicht mehr schreiben mochte, schien mir die Sonne ins Zimmer, als ob sie fragen wollte: Willst du nicht auch etwas ausgehen? — Ja, antwortete ich, nahm meinen Hut und ging bei den Tuilerien vorüber nach dem Pont neuf, wo die kleinen Equipagen halten, denen man in dem geschmackvollen Paris einen sehr unanständigen Namen giebt. Es sind Karren auf zwei Rädern, in denen aber sechs Menschen sitzen können. In einem solchen Wagen kann man für dreißig Sous nach Versailles fahren. Kaum war ich dort hingekommen, als zehn Kutscher, wie Hornissen auf eine Birne, auf mich losstürzten, und Alle mit lauter Stimme, indem sie mich bei den Rockschößen faßten, riefen, ob ich nach Versailles hinausfahren wollte? Ich antwortete, daß ich wohl Lust dazu hätte, aber weder taub geschrieen noch lebendig zerrissen werden möchte. Darauf stieg ich, um jeder weitern Unannehmlichkeit zu entgehen, in eins dieser Fuhrwerke, nachdem der Kutscher mir versichert hatte, daß wir im Augenblick abfahren würden. Aber wir waren, wie ich merkte, erst unserer Drei und sollten Sechs sein. Es half Nichts, daß bald noch Zwei hinzukamen. Der Kutscher wollte noch Einen haben. Wir versicherten, daß wir nicht drinnen blieben, wenn noch Einer käme, und fragten: „Was gewinnst Du dabei, wenn Du Einen bekommst und Fünfe verlierst?“ Aber er hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, wurde ärgerlich und war thöricht genug, uns wieder aussteigen zu lassen. Hierdurch gewannen[134] wir sehr; denn wir kamen in einen viel bessern Wagen, hatten bessere Pferde und einen anständigeren Kutscher und nun fuhren wir von dannen. Aber — o Wunder! — wir waren noch nicht weit gefahren, als die ganze Umgegend von Paris sich in einen großen See verwandelte. Die Seine hatte nämlich ihre Ufer überstiegen. Wir fuhren lange im Wasser und begegneten auf dem Wege mehreren Booten, sodaß mir anfing bange zu werden, und ich an den Kutscher Kühleborn in Fouqué's Undine dachte. Indessen währte es doch nicht lange, so kamen wir auf das höhere Hügelland, wo es ganz trocken war. Es ist ein großes Glück, daß bei solchen Flüssen Anhöhen sind; und läge der größte Theil von Paris nicht ziemlich hoch, so würde es oft schlimmer aussehen, als dies nun der Fall ist. — Es ist ein noch größeres Glück für uns in Kopenhagen, daß die Ostsee nicht ähnliche Launen hat. Sie brauchte nur einige Ellen über die Zollbude zu steigen, so wäre der größte Theil von Kopenhagen überschwemmt. Es war schönes Wetter, aber die Uhr war bereits Zwei, ich fand es etwas zu spät, um nach Versailles hinauszufahren, und ließ deshalb den Kutscher an einem bequemen Orte halten, von wo aus ich nach St. Cloud gehen konnte. Im Garten standen die niedrigsten Partieen auch unter Wasser. Ich sah ein kleines Mädchen, die unter einem Baume saß, von wo aus zwei Wege abführten. Ich fragte sie: „Welcher Weg ist der beste?“ Sie antwortete: „„Es ist gleich, welchen Weg Sie gehen, mein Herr, sie sind beide gleich gut; aber auf diesem hier werden Sie des Wassers wegen wohl nicht fortkommen, deshalb ist es wohl besser, Sie gehen auf dem andern.““ — Ich dankte ihr und befand mich wohl dabei. Es war noch kein Laub an den Bäumen, aber das Gras begann hier und da hervorzugucken. Das Schloß wollte ich nicht sehen; ich war früher dort gewesen, und es war mir nicht um schön decorirte Zimmer, sondern um einen herrlichen, blauen, sonnenwarmen Frühlingstag zu thun. Nachdem ich umherspaziert war, ging ich in ein Wirthshaus, das in der Sonne lag, und[135] hielt dort eine einfache Mahlzeit. Ich hatte Rousseau's Heloise mitgenommen, war müde, und setzte mich mit dem Buche in die Sonne. Aber es schmeckte mir nicht so gut, als da ich sie das erste Mal las, obgleich mir schon damals Viel daran mißfallen hatte.

Nach dem Essen war ich wieder im Garten. Zwei freundlichen, alten Männern, welche Gänge kehrten, und mich mit echten unschuldigen Gärtnergesichtern anlächelten, gab ich jedem Etwas. Sie wurden ganz bestürzt, als ich ihnen die kleinen Silberstücke in die Hand drückte, dankten aber herzlich. — Als ich nach St. Cloud kam, war dort kein Wagen zur Abfahrt bereit. Die Uhr war erst Fünf und das Wetter herrlich. Ich beschloß also zu Fuß zu gehen. Als ich bei Passy vorüber kam, fing das Wasser bereits an, mir den Weg zu sperren, und ich wäre nicht hinübergekommen (denn der ganze Weg bildete bereits einen Kanal), wenn nicht einige Männer Bretter gelegt hätten, und mit einem Boot bei den unpassirbaren Stellen übersetzten. Nun sollte ich Trinkgeld geben; hatte aber kein kleines Geld mehr bei mir, mußte also in den Augen dieser Männer wahrscheinlich für einen Geizhals gelten, weil ich den alten Gärtnern meine letzten Sous gegeben hatte. Als ich nach Paris kam, hatte die Seine auch hier einige der niedrigst gelegenen Straßen überschwemmt. Ich mußte einen langen Umweg machen, und war außerordentlich müde. Auf dem Pont neuf standen Leute und sahen nach einem Zeichen unten an den Brückenpfeilern wie hoch die Seine gestiegen war; vor vielen Jahren (1745) hatte sie freilich viel höher gestanden; aber auch diesmal betrachtete man den hohen Wasserstand als ein seltenes Ereigniß.


Besuch des Jardin des plantes.

Gestern war das schönste Wetter und ich war im Jardin des Plantes, nur hier und da guckte ein Blümchen hervor. Die grüne Ceder vom Libanon, die einer Buche mit Tannenblättern gleicht, breitete ihren feierlichen Schatten über den Hügel[136] aus. Wir sahen die spitzschnauzigen Wölfe; die Hyänen mit den gemeinen unbarmherzig dummen Glotzaugen. Der alte Löwe sah wie ein General aus Ludwig's XIV. Zeit mit einer Allongeperücke aus. Braun, der Bär, ging unten in einem tiefen Graben, in dem er einen Baum hatte, um daran hinaufzuklettern. Jüngst stieg ein Mann zu ihm hinab, um einen Thaler zu holen, der darin lag; da kam Braun ihm sehr freundlich entgegen und drückte ihn so innig an seine Brust, daß der Mann den Geist aufgeben mußte. Ich sah einige philosophische Eulen, deren Weisheit gleich der der Sophisten das Licht scheute; einige Adler, die in das Fleisch hackten. Die Papageien hatten ihre Toilette gemacht, und glichen alten Weibern, die ihre unschöne Gestalt mit prächtigen Kleidern behangen und sie ausgeschmückt haben, daß es eine Lust war; sie waren entsetzlich dumm. Es fanden sich da auch herrliche Fasanen. Zu denen flogen die Spatzen hinein, und durch das Gitterwerk wieder hinaus, und es war rührend anzusehen, wie die kleinen Vögel sich immer, wenn sie wollten, wieder frei machen konnten, die großen aber darin bleiben mußten. Bei der Löwin lag ein kleiner Hund, der sehr eitel und prahlerisch aussah, während die Löwin vornehm gähnte und sich langweilte. Wir sahen einen ehrwürdigen Elephanten. Da waren langhalsige Sträuße, Stachelschweine; kurz, es war wie in Noah's Arche und in Aesop's Fabeln. Die Affen spielten die Bajaz- und Harlekinsrollen in einem stinkenden Nachspiele. Sie bilden sich ein, daß sie mit zur Löwen- und Tigerfamilie gehören, weil vor ihnen auch ein Gitterwerk ist.


Versailles.

Ich kam jüngst nach Versailles. Von diesem prächtigen Schlosse war die Vergoldung in der strengsten Bedeutung des Wortes verschwunden; aber nun vergoldet man es wieder thunlichst. Ludwig XIV. hat absichtlich eine Stelle zum Schloß und Garten[137] gewählt, für die der Schöpfer gar nichts gethan, damit er selbst allein die Macht und Ehre davon habe. Die Gegend war ein Morast; — dieser ist nun in den festesten Boden verwandelt. Es war kein Wasser dort; — aber Ludwig verstand es, durch künstliche Leitungen sich Wasser, ebenso wie Poesie, zu verschaffen, und wo man geht, kann nun das Wasser aus mittelmäßig geformten bronzenen Tritonen und Oreaden spritzen. Kein Unterofficier kann die Soldaten zwingen, in geraderen Reihen zu stehen, als die Gärtnerscheere hier die Hecken gezwungen hat. Indessen bekommt das Ganze durch seine Weitläufigkeit und Kostbarkeit, Ordnung und Reinlichkeit, etwas Imposantes und Angenehmes. Im Schlosse selbst sind schöne Hallen, die Plafond's sind köstlich gemalt und es hat etwas Feenhaftes, durch alle die goldenen Säle mit hohen, gewölbten Kuppeln zu wandeln. Ludwig XIV. war, wie die Krähe und Narciß in seinen eigenen Namen und sein eigenes Bild vergafft, wohin man das Auge richtet, in welchen Saal man tritt, steht Ludwig XIV. im Harnisch mit der Allongenperücke. Ja, in dem großen Saal steht er in jeder Wölbung unter der Kuppel. Diese Gemälde enthalten die wichtigsten Momente seiner (d. h. seiner Generale) Siege. Ich stand in dem langen Saale allein, und konnte es mir recht vorstellen, wie es hier von Herren und Damen mit großen Rockschößen, breiten Reifenröcken, Perücken und Toupee's gewimmelt haben muß. — Hier stand der große Racine zitternd und bebend, als Ludwig an ihm vorüber ging, ohne ihn zu grüßen; ging nach Hause und starb; — Gott sei seiner Seele gnädig!

In dem Theater war ich auch, aber hier lag noch Alles in größter Unordnung. Alte Gemälde und Portraits waren hineingeschleppt, und wie in einer Rumpelkammer übereinander geschichtet; und mitten zwischen diesen stand ich. — Es schien mir wie eine satyrische Scene, die absichtlich von dem Schloßverwalter veranstaltet sei. Ich wandte mich deshalb zu ihm[138] und sagte: „Ja, es ist schrecklich, wie der Geschmack zurückgegangen ist.“ — „„Nein, mein Herr,““ sagte er, „„diese alten Gemälde und Portraits gehören nicht hier her; wir haben sie nur ad interim hierher gesetzt.““ — „Lassen Sie sie nur stehen,“ antwortete ich; „es wird mit ihrem Theater doch nicht gut, bevor sie nicht diese Helden auf die Bühne bringen.“ — Durch das viele Umhergehen war ich warm geworden, und nun sollten wir in die Orangerie. Dies ist ein langes Gewölbe in dem untersten Seitengebäude. Die Fenster waren geschlossen; wir gingen durch einen langen finstern Keller, wo gerade soviel Licht war, daß ich die Orangenbäume in viereckigen Holzkasten entdecken konnte; sie hatten rundgeschnittene Kronen, welche freilich alle grün waren. — Es schwebte mir die Frage auf der Zunge: „Was haben diese Bäume verbrochen?“ denn es schien mir, als ob ich durch die Bastille oder die französische Academie ging, wo die Natur unter der Zuchtruthe gehalten wird. Zugleich dachte ich aber daran, wie schön es im Sommer aussehe, wenn sie draußen in der Luft ständen, und Früchte trügen. So hatte ich sie im Jahre 1807–1808 gesehen. Nun versöhnte ich mich mit der Einrichtung, und dachte: das ist eine Art Winterschlaf; man muß diese Orangen wie eine Truppe Schauspieler betrachten, die ihre Rollen in dem Lustspiele durchlesen, das sie am Geburtstage der Sommerwärme aufführen sollen.


Versailles. — St. Denis.

Das war nun die Versailler Tour. Einige Tage darauf dachte ich: Du hast keine der Majestäten auf dem Lustschlosse gefunden, Du mußt sie einmal auf ihrer Winterwohnung aufsuchen, da sind sie gewiß zu Hause. — Mit diesem Gedanken stieg ich in einen Wagen, und fuhr eines schönen Tages nach St. Denis hinaus. Als ich nun an dem Kirchhofe von Paris vorüberfuhr, wo Alles auf Das hindeutete, was gewesen war,[139] erhob sich nach und nach der ehrwürdige Thurm von St. Denis, und erinnerte mich an unser altes Roeskilde.

Die Gräber von St. Denis.

Ich dachte nicht an die Geschichte der Begräbnisse und bildete mir ein, daß ich viele davon sehen würde, wie in Roeskilde oder Westminster. — Mit diesem Gedanken trat ich in die alte gothische Kirchthür; aber statt der Gräber der Todten erblickte ich in dem großen hellgelben Steingewölbe nichts als einen lebenden Todtengräber, der eine Mütze aufhatte, weil es nicht gestattet war, einen Hut in der Kirche aufzubehalten. Er ging auf und ab, und wartete wahrscheinlich auf einige Kunden, d. h. Lebende, welche sich umherführen lassen und ihm Trinkgeld gehen würden. Ich fragte ihn, ob ich die königlichen Gräber sehen könnte; aber er schlug es mir mit vieler Wichtigkeit ab, und sagte: daß sich das nicht ohne besondere Erlaubniß thun ließe. Dies that mir leid, und ich glaubte bereits, die Reise vergebens gemacht zu haben; als er in demselben Augenblicke mein Herz durch den Zusatz erleichterte, daß auch nichts weiter zu sehen sei, als die Särge Ludwigs XIV. und seiner Familie. — „Aber mein Gott,“ rief ich, „wo sind denn alle Merowinger, die Karolinger, die Valois, und die Bourbons geblieben?“ — „„Es ist Nichts mehr an ihnen zu sehen,““ sagte der Todtengräber. — „Das kann ich mir wohl denken,“ entgegnete ich, „aber ihrer Gräber?“ — „„Existiren nicht mehr; denn in der Revolutionszeit wurden sie vernichtet, und Robespierre ließ alle ihre Gebeine herausnehmen und sie auf dem Kirchhofe dort begraben.““ — Hier öffnete er eine Seitenthür zu einem kleinen, grünen Kirchhof. — Ich: Liegen sie da noch? Der Todtengräber: Nein, später hat man sie wieder in die Kirche gebracht. Ich: Das heißt, alle Gebeine zusammen; denn es war wohl nicht leicht, Chlodowigs Gebeine von denen Chilperichs, Merowings von denen Dagoberts, und Chlodions von denen Pharamunnds zu trennen. Der Todtengräber: Sie können sich denken, daß das ein artiger Haufen war. Ich: Und wenn man ihnen auch,[140] wie den Abderiten einen Schlag über die Beine gegeben hätte, so würden sie doch vergessen haben, die Beine an sich zu ziehen. Ja ich möchte wohl solch' eine Schiebkarre voll der Königsasche mehrerer Jahrhunderte sehen! Der Gedanke: „von Erde bist du, zu Erde sollst du werden,“ würde bei einem solchen Anblicke sehr einleuchtend werden. — Nun erzählte der Todtengräber mir mit vieler Routine die Geschichte der Kirche. Der Chor ist in dem elften Jahrhundert mit runden unverhältnißmäßigen Säulen erbaut. Die Kirche selbst hat Ludwig der Heilige errichtet und Thüre und Eingang sind noch aus der Zeit Karls des Großen. Vom Anfange des neunten Jahrhunderts? Unter dem Chor war die alte Kirche, eine niedrige Kapelle, von Dagobert im siebenten Jahrhunderte gebaut. Nun führte der Todtengräber mich in eine Kapelle hinab, welche mehrere Jahrhunderte hindurch von Gerölle und Steinen verschüttet lag, bis man sie endlich wiederfand. Eine Kirche aus dem siebenten Jahrhundert ist nichts Geringes. — Es ist angenehm, in das dunkle Mittelalter einzudringen; aber hier begegnet uns die sonderbare Erscheinung: je tiefer man ins Mittelalter hineinkommt, destomehr nähert man sich wieder der hellern, modernern Römerzeit; und dadurch wird der mysteriöse Eindruck geschwächt. Dagobert's kleine Kirche glich mehr dem verdorbenen Geschmack der antiken Baukunst, als der ersten selbsterfundenen romantischen; und als antik ist sie wieder sehr jung. Indessen hat man nicht viele Denkmäler aus dem siebenten Jahrhunderte außerhalb Italien und Griechenland, und es war mir interessant, in dieser kleinen niedrigen Kapelle umherzugehen, auf der nun die große Kirche stand, und die le bon roi Dagobert hatte bauen lassen. Einige alte Leichensteine aus dem elften und zwölften Jahrhundert lagen umher. Sie sahen älter aus und stellten ein paar Könige vor: Childerichs oder Chilperichs. Es kam mir vor, als ob diese steifen, weißen Steinbilder Leichen wären, und sie glichen den alten Königen. Ein paar gezeichnete Figuren waren auch aus dem siebenten Jahrhunderte[141] da, und zeugten gleichfalls von dem vorbyzantinischen Geschmacke. Später sah ich ein Versammlungszimmer der Geistlichkeit der Kirche, das schön und mit den besten Bildern der neuesten französischen Maler geschmückt ist.


Die stille Woche in Paris.

Die stille Woche in Paris entspricht ungefähr der Thiergartenzeit bei uns. Freilich wird die ganze Woche hindurch auf den vier großen Theatern nicht gespielt; und auf den kleinern nicht am Gründonnerstage und dem Charfreitage; aber dafür hat denn auch Lucifer auf andere Weise für das Vergnügen gesorgt. — In alten Tagen befand sich außerhalb der Stadt eine Kapelle der heiligen Jungfrau. Zu dieser Kapelle gingen die Vornehmsten der Stadt, Könige und Königinnen nicht ausgenommen, in Procession, beteten dort fromm und gingen dann wieder zurück. Später meinte man, der Weg sei doch zum Gehen zu lang; man meinte, man könne ebenso gut zur heiligen Jungfrau beten, wenn man hinaus fahre. Endlich verfeinerte man die Idee so weit, daß man meinte, man könnte wohl auch hinausfahren, ohne zu beten. Und dabei blieb es. Am Aschermittwoch, Grünendonnerstag und Charfreitag fährt also Alles hinaus, was Pferde und Wagen hat, oder miethen kann. Der Zug fängt am Boulevard an, geht über den Platz Ludwigs XV., durch die elyseischen Felder, zur Barrière hinaus, nach dem Bois de Boulogne, wo Viele aussteigen und wieder zurückgehen. Alle die prächtigen Equipagen, Schritt vor Schritt fahrend mit schön geschmückten Damen, die dort zur Schau sitzen! Man kann nicht leugnen, daß das Ganze ein elegantes und lebendiges Bild giebt. Nur Eins ist verkehrt, daß es in der stillen Woche geschieht! und Charfreitag ist der brillanteste und lustigste Tag. In diesen Tagen wetteifern die Damen in der Erfindung schöner Toiletten. Künstler, Maler und Schneider sind als Richter zugegen und nun wird gewählt; was man am Schönsten findet, das wird dann die neue[142] Mode, die sich in kurzer Zeit über ganz Europa ausbreitet. Was besonders dazu beiträgt, es unterhaltend zu machen, ist die außerordentlich lächerliche Verschiedenartigkeit, welche dort herrscht. Ein Jeder kann natürlich fahren. Nun kommt bald ein prächtig lackirter Wagen mit geschminkten Damen mit Spitzenhüten und Sonnenschirmen, hinterdrein knarrt ein elender Miethwagen, mit Heubündeln statt der Sitze, voller Poissarden mit Häubchen oder Mützchen; darauf segelt ein englischer Wagen mit einem Kutscher vorüber, dessen spitziger Hut, in Form eines gleichschenkeligen Triangels ihm mit der Krempe gerade über der Nasenspitze sitzt. Dann kommt die Herzogin von Berry mit einer Suite ihrer Garden. Darauf Demoiselle Bourgoin, die Schauspielerin im Théâtre français, verschleiert, aus Devotion damit ja Niemand merke wie alt sie wird. — Man muß gestehen, die französischen Damen kleiden sich mit vielem Geschmack. Sie gehen in prächtiger Toilette auf ihren kleinen, graziösen Füßen mit filirten oder brodirten Seidenstrümpfen, und sie gleichen hierin durchaus nicht dem Pfau, bei dem die Füße die schwächste Seite sind. Eine große Menge von Gensd'armen ist da, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. So bringt man hier die stille Woche zu.

Aber es ist auch Gottesdienst da. Ich ging Abends auch in die Kirche St. Roche, und da war es voll. Aber ich fand keine sonderliche Andacht. Ein Prediger heulte auf der Kanzel, schrie, schlug um sich und war sehr aufgebracht. Er sprach nicht wie ein Vater oder Freund zu seinen Kindern und Schülern; sondern wie ein Gefangnenwärter, der Schelme oder Verbrecher ausschilt. Wir wären gern Alle zusammen wieder draußen gewesen; aber die Thüren waren während der Predigt geschlossen, sodaß man bleiben mußte. Es nahm gar kein Ende, und ich war nahe daran, ihn von der Kanzel in die Hölle hinab zu wünschen. Endlich kamen wir hinaus. — Da hast Du ein Bild von einem pariser Charfreitag.


[143]

Potage à la turc.

In meinen Briefen gehe ich zuweilen den Krebsgang. So will ich nun erzählen, wie ich am Gründonnerstage beinahe gefastet hätte, und zwar aus lauter Heidenthum. Ich war nämlich im Long-champ — so wird der vorher erwähnte Zug genannt — so lange, daß ich nicht mehr zu Very ins Palais royal kommen konnte. — Bertouch ißt in einem Hôtel zu Mittag, wo eine geschlossene Gesellschaft ist, und da bin ich zuweilen auch; aber da es mich mehr amüsirte, umherzugehen, ihn aber Bekanntschaften fortzusetzen, so bleibt er noch dort und ging auch mit einigen Freunden vom Hause spazieren. — Da die Uhr über Fünf Uhr war, ging ich in eine Restauration am Boulevard zu Monsieur le Riche. Bei den Reichen pflegt man gut zu diniren, und ich kann auch im Ganzen nicht klagen. Aber man höre! Das Erste, auf das meine Augen auf der großen Speisekarte fielen, war potage à la turc. — Potage à la turc? das klang mir so kräftig. Ich verlange also potage à la turc. Der Garçon sagt: bien, Monsieur! — Es kommen andere Gäste, welche potage à la julienne, aux choux, aux ris, aux vermicelles etc. verlangen. — Sie bekamen Alle ihre Suppen früher als ich die meinige. Endlich kommt der Diener mit einem silbernen Teller, auf dem eine in einer Obertasse befindliche Portion gekochten gelben Reißes ganz trocken wie ein harter Kuchen steht. Ich dachte: das kommt wohl in die Suppe. Ich warte. Nichts mehr! Endlich werde ich ungeduldig und rufe: „Eh bien? le potage?“ — Garçon: „Le voilà, Monsieur!“ Ich: „Comment, c'est du potage ça?“ Garçon: „Oui, Monsieur!“ —


Das Museum.

Vor der Thüre zum Museum steht ein Schweizer, und ich hatte im Anfange immer Mühe, an ihm vorüberzukommen. Bald war es nicht geöffnet, bald sollte man seinen Paß vorzeigen. Einmal, als ich den Paß bei mir hatte, sagte[144] er: „Monsieur le chevalier, ce n'est pas nécessaire, mais la galérie n'est pas ouverte aujourd'hui.“ — Ein anderes Mal, wo ich den Paß in der Hand hielt, wollte er ihn lesen, und ich trat endlich ungehindert in die Wunderwerke der Kunst ein, ohne daß Cerberus mich ferner daran gehindert hätte.

Die Galerie hat viele ihrer Krähenfedern verloren. Das Geschwätz: daß es schade sei, daß sich nicht Alles mehr auf einer Stelle finde, und daß dies die Möglichkeit zu studiren, sowohl für Künstler, als für Kunstverständige erschwere, hat mich oft verdrossen. Als ob Kunstwerke nur für die Künstler da wären! Im Gegentheil: die Künstler sind für die Kunstwerke da. Wenn man Alles nur in Bezug auf das Bedürfniß der Künstler einrichten will, so kommt mir das so vor, als ob man die Speise in der Küche stehen ließe, wenn der Koch sie fertig gemacht, damit die Küchenjungen am nächsten Tage daraus lernen, eine ähnliche Speise zu bereiten.

Die Werke sollen gerade in die Welt hinausgebracht und vertheilt werden, damit Alle Etwas haben können. Jede irgend wichtige Stadt hatte früher ein einigermaßen bedeutendes Kabinet, so ist es jetzt wieder. Hier war Alles zu einem Haufen zusammengefegt. Erstens war es ein gemeiner Raub; aber es war auch ohne Nutzen: es machte die früheren Kunstsammlungen leer, und die außerordentliche Menge auf einem Punkte stumpfte den Sinn ab und zerstreute, sodaß man auch hier die Kunstwerke nicht recht genoß. Das Seltenste erschien alltäglich, wenn man an der Masse vorüberging.

Während früher ein Altarbild die Kirche feierlich und schön machte, und oft gerade in Bezug und berechnet auf den Ort gemalt war, hingen sie nun oft in einem Winkel hoch oben im Schatten, wie in einer Rumpelkammer. Eine Statue, welche dazu bestimmt war, frei zu stehen, sodaß man rund um sie umhergehen, und sie von allen Seiten betrachten konnte, mußte[145] sich hier oft damit begnügen, an einer Wand und in unvortheilhafter Beleuchtung zu stehen. Weßhalb soll man auch so Vieles sehen? Es verbreitet den Geschmack für das Schöne weit mehr, wenn Alle Etwas, als wenn Einige Alles sehen. Und was kommt überhaupt bei diesem ewigen Besehen und Copiren heraus? Davon haben wir traurige Beweise!

Ich kann es nie lange aushalten, Gemälde und Statuen zu sehen; aber ich sehe sie gern jeden Tag wieder. Ich habe mich oft über Menschen gewundert, die mit ununterbrochener Aufmerksamkeit dergleichen mehrere Stunden lang hinter einander betrachteten. Im Anfange glaubte ich, es sei Mangel an Sinn für das Schöne, der mich müde werden ließ; aber später, als ich oft Aehnliches bei Leuten gesehen habe, die gerade ihres Schönheitsgefühls wegen geachtet waren, tröstete ich mich. So viele Gemälde und Statuen auf einmal zu sehen, kommt mir vor, als wenn man viele Gedichte auf einmal liest. Der eine Eindruck verdrängt den andern. Es ist als ob man in einen Raritätenkasten, oder in eine Laterna magica blickt. Das Gefühl wird gezwungen, uns treulos zu werden. Die Phantasie muß ihr Bild fahren lassen, gerade in dem Augenblicke, wo sie es genießen wollte; vor lauter Lust, Alles zu sehen, sieht man zuletzt gar Nichts und verläßt die Sammlung mit leerem Herzen. — Meine Seele wird von solchem Anblicke befruchtet, und wenn der Geist Gedanken und Bilder in sich aufgenommen hat, sucht er die Einsamkeit, um selbst zu schaffen.


Bertouch, der kein großes Vergnügen daran findet, Kunstwerke zu sehen, war jüngst mit mir in der Galerie; als er ganz gleichgültig vor Raphael's heiligem Georg stand, wollte ich doch versuchen ihm zu imponiren und sagte: „Wissen Sie wohl, daß dieses Bild vielleicht ebenso viel, als ihre Baronie gekostet hat?“ — „„Möglich,““ antwortete er gleichgültig, „„die[146] Liebhabereien sind verschieden.““ Ich lachte und gab ihm vollkommen Recht.


Das Ballet. — Galeotti.

Das Ballet nähert sich hier bei Weitem nicht so sehr der eigentlichen Mimik, wie die Composition unsers Galeotti, ist aber viel mehr mit Tanz verbunden. Galeotti war eigentlich ein Dichter. Die Compositionen seiner Fabeln, die, wenn auch anderen Stücken entnommen, doch ganz umgearbeitet waren, können als Entwürfe zu guten Schauspielen dienen. Jede Kunst hat ihre Eigenthümlichkeit, in der sie vollkommen werden muß; sie kann sich unmöglich über sich selbst erheben, unmöglich ihre Vorzüge von einer andern Kunst entlehnen. In den Ausdrücken der Leidenschaft, in der Entwickelung der Charactere kann das Ballet sich nicht mit einem guten Schauspiele messen; denn das Wichtigste, das Wort fehlt. Das Ballet ist die Kunst der äußern Bewegung. Seine Hauptaufgabe ist, den Menschen in allen schönen Formen der Bewegung darzustellen. Hier kommen also Tanz, Gruppen, anmuthige Verwickelungen, die sich in Harmonie auflösen u. s. w. in Betracht[2]. So wie das Singspiel die Stimme des Menschen, als Ausdruck für seine Gefühle und Leidenschaften behandelt, so behandelt das Ballet seine Körperbewegungen. Die Pantomime stellt eine Handlung in so weiter Entfernung gesehen dar, daß man nicht mehr die Worte vernehmen, sondern sie sich nur durch die Bewegungen versinnlichen kann. Da es nun bloß sehr wenige Stimmungen giebt, welche diese äußere Bewegung gestatten, wenn sie nicht der Deutlichkeit wegen unschön übertrieben werden sollen, so sehen wir ein, daß der Kreis der Pantomime sehr beschränkt ist. Einzelne Gedanken kann sie nur selten ganz deutlich ausdrücken. Unser Galeotti handelte deshalb sehr klug,[147] indem er Stoffe wählte, die bereits durch die Poesie bekannt waren, sodaß die Erinnerung an die Worte des Gedichts den mimischen Vortrag unterstützen konnten. Will die Pantomime dagegen auf ihren eigenen Füßen stehen und tanzen, so muß sie sich in ihrer Sphäre halten. In dem Tragischen sind nur einzelne pathetische und erotische Gegenstände für dieselbe geeignet; dagegen ist der Tanz ein Ausdruck jugendlichen Lebens und jugendlicher Munterkeit, und wir sehen also deutlich, daß jugendlicher Scherz in anmuthigen Bewegungen ihre Hauptsache ist. Das fühlen die Franzosen als geborene Tänzer und suchen, indem sie keinen großen Werth auf die Balletcomposition legen, den Zweck durch die richtigste Wahl des Stoffes und durch die vollkommenste Darstellung zu erreichen.

Das Ballet.

Ich habe zwei Ballete dieser Art hier ganz vortrefflich gesehen: Zephyr und Flora und der Carneval in Venedig. Wenn Zephyr überhaupt menschlich verkörpert werden könnte, so wäre es hier durch die anmuthigsten Bewegungen und Wendungen geschehen. Die blühende Flora tanzte in holder Grazie mit ihrem Geliebten: es war wie die Frühlingsluft in einer Rose. Der Carneval ist ein amüsanter Wirrwarr der verschiedenartigsten Masken: italienische Phantasie und Munterkeit, verbunden mit französischer Leichtigkeit und Grazie. Alles unterstützte diese Vorstellungen: Costüme und Decorationen waren vollkommen schön; das Wasser rieselte, die Böte segelten dahin, die Bäume warfen ihren Schatten, die Blumen schmückten Alles, wie in der schönen Natur.

Welche Menge schöner, junger Menschen beider Geschlechter! Einer verdrängt den Andern. Alles geschieht ohne Prätension, und das Schwierigste mit einer so nachlässigen Leichtigkeit, daß man glauben sollte, man könne es selbst machen. So muß alle Kunst sein: wo man die Schwierigkeit bemerkt, da ist Anstrengung; Anstrengung setzt Mühe, ja wohl selbst Schmerz voraus, und die Folge davon ist, daß man mit dem Leidenden Mitleid oder gegen den Schwachen Verachtung empfindet, anstatt sich[148] mit über das Blühende zu freuen und den Starken zu bewundern.

Man frage mich nicht nach den Namen dieser Phantome! Worte scheinen mir nichts mit ihnen zu thun zu haben, und ein Name ist ein Wort. Ich betrachte sie wie die Blumen im Winde: die Linné'schen Bezeichnungen sind für mich von geringer Bedeutung. Es erfreut mich stets, sie gleichsam jedesmal aufs Neue zu entdecken. Aber wenn man durchaus einen Namen haben will, so diene zur Nachricht, daß Mademoiselle Bigottini eine der vorzüglichsten Tänzerinnen ist.


Die Haupttheater von Paris.

Ich gehe gern ins Théâtre des Variétés und sehe Brunet und Potier. „Le ci-devant jeune homme“ dieses Letzteren ist meisterhaft. Brunet's „Jocrisse“ ist eine Stereotypausgabe komischer Dummheit.

Im Théâtre de la Gaiété bin ich nur einmal gewesen. Vor zehn Jahren, als ich das letzte Mal hier war, spielten sie ein Stück: Le pied de mouton, einhundertundsiebenzigmal hinter einander. Während ich fort war, hat es geruht. Nun hat man es wieder hervorgeholt.

In diesem Theater, das übrigens hübsch gebaut ist, trinkt man im Parterre Bier. Es ging auch ein Verkäufer umher, der die wunderbarste Fertigkeit besitzt, seine Waare Demjenigen zuzuwerfen, der sie verlangt. Ich war eines Abends da, als das Haus überfüllt war; er stand auf einer Bank mitten im Parterre und rief seine Waaren aus. Wenn nun Einer oben auf der dritten Galerie Etwas verlangte, so warf er es hinauf, so daß Dieser es fangen konnte. Auf diese Weise that er es nach allen Seiten hin, ohne daß es ihm ein einziges Mal mißglückte. Später ging er die Treppe hinauf, öffnete die Logenthüren und cassirte sein Geld ein.

Zur Ambigu comique und im Théâtre porte St. Martin spielt man nichts Anderes, als zusammengewürfelte Melodramen.[149] Und mit diesen Pfuscherarbeiten vergleicht man hier die Meisterwerke fremder Nationen. Deshalb nennt man Shakespeare's und Schiller's Tragödien nur Melodramen. Das kommt mir so vor, als wollte man ein schönes Mädchen einen Hund nennen, weil sie Beide ein Halsband tragen.


Das Examen auf den Boulevards.

Auf den Boulevards sind eine Menge kleiner Buden und Zelte, in denen alle Tage, wie bei uns während der Thiergartenzeit, gespielt wird. Zuweilen giebt es vor dem Altane ein Vorspiel, um die Zuschauer anzulocken. Jüngst als ich an einer dieser Buden vorüberging, hörte ich folgendes Bruchstück eines Intermezzo für den Pöbel: Ein junger Mensch mit rother Zopfperücke und rothem Rocke examinirt einen närrischen Greis in der Geschichte folgendermaßen: Er: Monsieur, pouvez vous me définir l'histoire? Qu'est ce que c'est que l'histoire? Der Greis: Permettez moi premièrement de vous définir une poire. Der junge Lehrer: Bien! Der Greis: Une poire est un fruit allongé avec une peau et une tige. Der Junge mit Zufriedenheit: Bien! C'est une poire! Et l'histoire? Der Greis: C'est un — l'histoire française? Der Junge: Oui! Qu'est ce que c'est que ça: „l'histoire française?“ Der Greis: C'est un récit de tous les évènements passés, du temps de Pharamond, jusqu'à nos jours. Der Junge: Bien! Ah c'est bien répondu. — Hier wurde die Darstellung zu meinem großen Verdruß unterbrochen; das wahre Bild eines Examens.


Ich war letzthin in der Tapetenweberei, wo man Bilder in Teppiche webt. Blumen eignen sich am meisten durch ihre gefleckten stark getrennten Farben für diese Kunst. Es ist amüsant, die Leute arbeiten zu sehen. Sie sitzen unsichtbar hinter Rahmen oder Harfen, in denen die Kette die Saiten bildet,[150] und den Einschlag weben sie ganz mechanisch nach kleinen abgemessenen Quadraten in die Kette, und bringen so die Bilder hervor. Steht man nun eine Zeitlang und sieht diesen fleißigen, klugen Arbeitern zu, so sieht man allmälig hier ein grünes Blatt, dort eine kleine rothe Knospe entstehen. Uebrigens geht die Arbeit sehr langsam trotz allen Fleißes und ist also außerordentlich kostbar.


Das Treiben im Palais royal.

Die arbeitende Klasse in Paris ist schnell, tüchtig in ihrem Fach, mäßig und unternehmend. Es ist hübsch, einen Graveur oder Uhrmacher im Palais royal in seinem kleinen Glaskasten zu sehen; denn so kann man seine Werkstatt nennen, in der der größte Theil der Wände Fenster sind. Fleißig sitzt er da, sieht durch seine Vergrößerungsgläser, und arbeitet, während die müßige Menge vor seinem Fenster vorübergeht. Er sieht selten hinaus, sondern blickt auf seine Arbeit, gebraucht Meißel, Feile und Zange, und ist gewohnt, den Menschenstrom draußen wie einen andern Fluß zu betrachten, der ihn nur durch seine Beweglichkeit interessirt, und weil er ihm ab und zu den Goldstaub zuführt, den er zur Unterhaltung für sich und seine Familie gebraucht.

Ueber den Werkstätten dieser fleißigen Arbeiter ist das Spielhaus, wo die ungeheuersten Summen ebenso rasch durch Leichtsinn vergeudet, wie unten die kleinen Summen langsam durch Fleiß verdient werden. Man hört jeden zweiten Tag von jungen Leuten, die sich ertränkt, aufgeknüpft und erschossen haben. Vor einiger Zeit saß Bertouch des Abends in einem Kaffee des Palais royal und hörte einen Schuß draußen im Dunkeln in einem kleinen Garten. Es war ein junger Engländer, der sich eine Kugel durch den Kopf geschossen hatte. Er war vor ein paar Tagen nach Paris mit 20,000 Fr. gekommen; diese hatte er in zwei Tagen verloren, und noch 40,000 Fr. auf sein Ehrenwort verspielt.

[151]

Die gesprengte Bank.

Man hat übrigens im vorigen Jahre die Bank, in der strengsten Bedeutung des Wortes, gesprengt. Das heißt nämlich mit Pulver. Einige Glücksritter wußten eine kleine Dose unter den Tisch gerade unter die Geldhaufen zu praktiziren, und Feuer so anzulegen, daß es nicht gleich zündete. Während des Spieles springt nun die Dose in die Luft. Das Zimmer wird voller Rauch. Die Spieler, welche sonst nicht fürchteten, von dem ungeheuren Glücksrade zermalmt zu werden, springen entsetzt von ihren Sitzen auf, weil ihnen hier der Untergang auf eine andere ungewöhnliche Weise droht. In diesem Augenblick springen die Spitzbuben herbei, raffen das Geld zusammen und schleichen sich in der allgemeinen Verwirrung davon. — Jetzt ist es verboten, mit dem Hute herein zu kommen. Er muß im Vorzimmer gegen eine Marke zurückgelassen werden.


Unser Diener Christian hat einige Anfälle vom kalten Fieber gehabt, er ist aber wieder dadurch genesen, daß er wie toll durch die Boulevards rannte. Es war gut, daß er nicht als verdächtig aufgegriffen wurde; denn da er weiter nichts Französisches sprechen kann, als: „Donnez moi um sangdael (chandelle)!etc.; so wäre er nicht im Stande gewesen, Rechenschaft zu geben, wenn man ihn ergriffen hätte. Wir übergaben ihm die ersten Tage einem Doctor, der ihn einen halben Eimer lauwarmes Wasser mit Citronen trinken ließ; aber als er mich später flehentlich bat, es nicht mehr trinken zu müssen, erlaubte ich es ihm unter der Bedingung, daß er in zwei Tagen gesund sein müsse. Darauf gab er mir sein Ehrenwort und hat es auch wie ein ehrlicher Kerl gehalten. Das Fieber verließ ihn, und er starb doch nicht. Uebrigens wird er von den Leuten hier im Hause wie ein Taubstummer behandelt, da er nichts verstehen und nichts reden kann. Aber er versteht sich prächtig auf Pantomimen, und hier kommt das angeborene theatralische Talent den Leuten im Hause zu Statten.


[152]

Der Hund kein Dichter.

Man zeigt einen Hund, der schwierige Kopfrechnungen machen und auf diese Weise den Leuten sagen kann, an welche Karte sie gedacht haben. Er erweckt die Aufmerksamkeit der ganzen Stadt durch sein mathematisches Talent. Ich fragte, ob er auch Verse machen könne, und als man: „Nein“ antwortete, freute es mich, daß den Poeten auf diese Weise eine unschuldige Rache über die Mathematiker wurde, die immer so sehr mit ihrem menschlichen Verstand prahlen, und die Phantasie zu den niedrigen Seelenkräften rechnen, die wir mit Thieren theilen. Sehen Sie wohl, meine Herren! Verse konnte der Hund doch nicht machen. „Aber er konnte ebenso wenig rechnen!“ — Das sage ich auch nicht; ich erzähle nur, daß ganz Paris es glaubt. Dagegen hat Paris nie geglaubt, daß ein vierbeiniger Hund Verse machen könne.


Ich gehe oft an den Quais der Seine entlang. Letzthin ging ich über Pont neuf, wo Ravaillac den gefühlvollen, verliebten Ritter, den tapfern Helden und väterlichen König Heinrich IV. ermordete, der, ohne außerordentliche Geistesgaben und Thaten sich durch seine persönliche Liebenswürdigkeit und sein gutes Herz unsterblich gemacht hat. Ich höre nie das Volkslied: „Où peut-on être mieux, qu'au sein de sa famille,“ ohne an ihn zu denken, und mir sein bärtiges lächelndes Antlitz in Rubens' Bild vorzustellen. Auf meiner Wanderung kam ich auch am Café de Voltaire vorüber. Ich hatte die Absicht hineinzugehen, besann mich aber gleich, indem ich zu mir selbst sagte: Du triffst ihn doch nicht. Aber ich hätte viel darum gegeben, wenn er gelebt, und drinnen seinen Witz zwischen seinen Bewunderern bei dem lieben Kaffee hätte spielen lassen, diesem langsamen Gifte, bei dem er über achtzig Jahre gelebt.

Ich kann mich nie den kleinen Inseln mit la Cité in der Seine nähern, ohne an meine Vorväter die Normannen zu denken, welche den Fluß herauf mit ihren kleinen Schiffen kamen,[153] die Stadt belagerten, einnahmen und anzündeten. Der Fluß und die Inseln sind jetzt fast noch so wie damals, die Stadt selbst — welch ein Unterschied! und doch ist es nicht lange her, daß eine viel abscheulichere Barbarei hier unter den seinen, polirten Parisern raste, als unter den barbarischen Normannen. Die Normannen haben niemals wie die Katholiken gegen die Hugenotten, wie die Jakobiner gegen alle ehrlichen Leute gerast. Man folge mir nun noch ein paar Schritt auf den Greveplatz! — Nun stehe ich auf der Stelle, wo das Blut Tausender geflossen ist, wo man täglich Fenster wie Logen zu dem blutigsten Schauspiele miethete. — Aber ich merke Nichts davon, die Erde, auf der ich stehe, war einmal so vom Blut gesättigt, daß sie die rothen Ströme nicht mehr einsaugen wollte, und man war genöthigt, die Richtstätte nach dem Platze Ludwig's XV. hin zu verlegen. Nun aber sitzen die Poissarden hier ganz ruhig und verkaufen Gemüse. Zuweilen stehe ich still und höre sie zanken und dann glaube ich in ihren Schmähworten und wilden Blicken den Funken der Flamme zu sehen, die so fürchterlich ausbrach.


Abschied von Paris.

Ich verlasse Paris nicht ohne Wehmuth. Ich liebe diesen Mittelpunkt europäischen Lebens und Wirkens. Ich habe nun bereits 21 Monate meines Lebens in dieser Stadt zugebracht. Das erste Mal 18, jetzt 3. Ich habe hier meine Tragödien Palnatoke und Axel und Valborg geschrieben; habe Hroar's Sage ausgearbeitet und Aladdin, Hakon Jarl, Palnatoke und mehrere Gedichte ins Deutsche übersetzt. In keiner Stadt, nächst Kopenhagen bin ich so lange gewesen und habe so viel gewirkt; ist es da nicht natürlich, daß die Erinnerung mir lieb sein muß, wenn ich dies zu den eigenen, großen Vorzügen der Stadt hinzurechne? — Es haben sich hier Einige über diese Vorliebe gewundert und gesagt, es sei unconsequent von mir, da ich die Franzosen nicht liebe. Aber sie thaten[154] mir Unrecht. Ich liebe nicht die französische Tragödie, den französischen Hochmuth und die Unwissenheit über Alles, was nicht Französisch ist. Aber die französische Nation finde ich im Ganzen genommen liebenswürdig und angenehm, mit mancherlei Eigenschaften, die den anderen Nationen fehlen. Und sollte ich mir außerhalb Kopenhagen einen Aufenthalt nach meinem Sinne wählen, so wäre es Paris; denn hier findet man Alles, und Jeder kann leben wie er will. Ich habe eigentlich keine persönlichen Bekanntschaften gemacht; aber oft mit vernünftigen, gebildeten, freundlichen Franzosen an öffentlichen Orten gesprochen. Ich sympathisire mit ihrer raschen, kurzen, witzigen Art, die Dinge zu betrachten. Die Franzosen sind Lebensphilosophen, sind kräftige, thätige Menschen. Auch das Elegante und doch Oekonomische in Allem, was die Bedürfnisse des Lebens betrifft, mag ich gern. Man trifft in Paris viele Fremde aller Nationen. Gute Schauspiele, die die angenehmste Erholung meines Lebens, nächst Verwandten und Freunden ausmachen, finden sich hier ganz besonders. Und deshalb schaue ich fortreisend mit einem schwermüthigen Blick auf das Gewimmel der Boulevards, indem ich zum letzten Mal an ihnen vorüber fahre. Das Auge haftet an der porte St. Martin, so lange es vermag; ich denke: siehst Du nun Paris nie mehr? und tröste mich mit dem alten Sprichwort: Alle guten Dinge sind drei!


Die Reisegesellschaft.

Am 21. April reisten wir von Paris. Ein französischer Oberst in mittlern Jahren, der einer Wunde wegen, die er im Krieg bekommen hatte, hinkte, war ein angenehmer Gesellschafter. Er hatte sich nun zur Ruhe gesetzt, lebte friedlich mit Frau und Kindern in der Nähe von Verdun, und unterhielt sich damit, wie er sagte, der Schulmeister seiner Kleinen zu sein. Er zeigte mir alle die Stellen auf den Wegen, wo die Preußen im Jahre 1792 zurückgeschlagen waren, aber ohne Haß und Prahlerei. Er war lustig und jovial, ein brauner, hübscher,[155] vierschrötiger Mann. Während wir im besten, ernsten Gespräch dasaßen, holte er einen Brummtriesel aus der Tasche hervor, und als eine Madame im Wagen (femme savante) ihn fragte, was es sei, machte er eine Bewegung, um zu zeigen, wie das Spielzeug gehe und zischelte mit dem Munde, wie es klingt, wenn der Brummtriesel auf der Erde singt. Er hatte alle Feldzüge mitgemacht und erzählte unparteiisch. Mitten in den blutigen Berichten wenn der Wagen schwankte und der gelehrten Frau bange wurde, streckte er die Hände, so wie im größten Schreck weit aus, und wenn sie ihm den Rücken zukehrte, machte er Grimmassen, wie ein Schuljunge in seiner Ausgelassenheit. Bertouch hatte seine Uhr in Verdun vergessen, und tröstete sich nun, indem er Zuckerwerk aus einer großen Tüte aß, die er sich daselbst gekauft hatte. Der altes Oberst versprach, der Uhr wegen zu schreiben, und hoffte, daß er sie ihm wieder schaffen würde, konnte es aber nicht unterlassen, mit ihm zu scherzen und zu sagen: „Da sitzt er wahrhaftig wie ein kleines Kind und nascht, um sich über den Verlust der Uhr zu trösten.“ Bertouch äußerte mir auf Dänisch sein Mißbehagen über diese Anrede, ich rieth ihm aber davon ab, einen von Napoleons Helden, der sich erbot, ihm eine kostbare Uhr wieder zu schaffen, eines gutmüthigen Scherzes wegen herauszufordern. Der Oberst schrieb nach der Uhr, und wir bekamen sie auch ganz richtig wieder. Ein anderer jüngerer Franzose, der in Polen, Deutschland und Spanien gewesen war, war sehr zuvorkommend und bescheiden, und als ich bei Tisch mit einem Stockfranzosen über französische Zustände disputirte, nahm Jener meine Partei und sagte: „Il faut dire la vérité: nous sommes peu de chose à présent!“ — Ein ganz junger Mensch von sechzehn Jahren stieg in St. Menehould in den Wagen, ein hübscher, großer Junge. Er hatte vor Kurzem ein kleines Amt oder dergleichen bekommen; denn er spielte mit einem Papiere in der Hand, und als wir ihn fragten, was es sei, sagte er: „es sei ein Posten, den er erhalten habe.“ Das war die erste Reise in[156] seinem Leben. Seine Geliebte begleitete ihn an den Wagen. Es wurde ein rührender Abschied, obgleich nur auf zwei Tage genommen. Im Wagen erzählte er uns umständlich von seinem Vater, seiner Mutter, seiner Tante, seiner Schwester, seiner Cousine (seiner Geliebten). — So fuhren wir bald rasch, bald langsam. In der ersten Nacht kamen wir nicht ins Bett, das war eine harte Nuß. Am nächsten Abend waren wir in Chalons, an dem darauf folgenden in Metz.

Ankunft in Metz.

Die Gegend um Metz ist sehr schön. Eine Meile vor Metz liegt ein kleines Dorf, von Fruchtbäumen und Weinbergen eingeschlossen, ein wahres Paradies.

Es war ein fürchterlicher Wind; aber wir saßen geborgen. In der Nähe von Metz lag ein Pferd auf dem Wege. Es ist todt, sagte Bertouch. — „Ist es todt?“ rief der junge Franzose, „das glaube ich nicht.“ Bertouch versicherte es, und sagte: daß viele Bauern darum ständen. „Weinten oder lachten sie?“ fragte der Franzose. Er wollte daraus nämlich einen Schluß ziehen, ob Hoffnung sei, oder nicht.

In Metz fanden wir unsern Wagen, morgen reisen wir über Straßburg nach Tübingen.


Das Mißverständniß. Saverne.
Der Straßburger Münster. — Cotta.

Von Metz bis Straßburg sind 20 Meilen, wir beschlossen, 10 Meilen täglich zu fahren. In Bourdonnaye trafen wir ein Haus mit einem Wirth darin, aber es war kein Wirthshaus. Fünf, sechs Leute standen vor der Thür und sahen zu, wie Christian den Wagen abpackte; Bertouch und ich hielten Wache. Wir bekamen eine finstere Kammer mit einer zerbrochenen Fensterscheibe. Der Wein schäumte wie Bier. Als ein altes Frauenzimmer Spiegeleier auf den Tisch setzte, glaubte ich, Brigitte in der Räuberburg leibhaftig zu sehen. Am nächsten Morgen stürmte und schneite es, als wir abfuhren. Endlich hörte das Schneegestöber auf, und durch die Wolken blickte der blaue Himmel. Wir kamen in ein Dorf und sahen schöne, große, grün bewachsene[157] Felsen mit mächtigen Burgruinen. Ich rief Christian, der auf dem Bocke saß, zu, er solle den Schwager fragen, was das für eine Ruine sei; Christian antwortete „daß es zu einem Grabe gehöre,“ woraus ich dann den richtigen Schluß machte, daß ihm gesagt worden sei, es habe einem Grafen gehört. Die zwei hohen Berge lagen von einem dünnen, blau-weißen Nebel umgeben; die übrige Landschaft war nebelfrei. Wir näherten uns dem Dorfe, das malerisch mit seinen rothen Dächern bisher den muntern Vordergrund der melancholisch-großen Landschaft gebildet hatte. Wie heißt dieser Ort, fragte ich. Savern! antwortete der Kutscher. — Plötzlich stand Schiller's herrliche Romanze: „Ein frommer Knecht war Fridolin“ vor meiner Seele. Und nun wurde mir die finstere Burgruine in der Luft und der schwarze Tannenwald noch einmal so bedeutungsvoll. Ich sah die schöne Gräfin von Savern und ihren wilden strengen Gatten. Wir kamen an der Kirche vorüber, wo Fridolin sich aufgehalten hat. Dort im Walde stellte ich mir die Höllenknechte, das Feuer anschürend, vor, in das das Ungeheuer selbst gestürzt werden sollte. Eine leichte weiße Wolke fuhr an den finstern Wolken rasch vorüber und verschwand hoch im Himmel über den Bergen. Da glaubte ich den Geist des unsterblichen Schiller zu sehen, und starrte ihm begeistert nach. — Der Wagen hielt und die Pferde wurden gewechselt. Ich war wieder das Kind des Augenblicks. Mir froren die Füße, ich war hungrig, langweilte mich darüber, daß es so langsam ging, und statt an Schiller's herrliche Romanze zu denken, dachte ich an Herrn Holbein's Schauspiel über denselben Stoff. — Nun wurde das Wetter milder, und als wir wieder an ein kleines Dörfchen kamen, war der Himmel klar, ruhig und blau. — Wenn man Tag und Nacht reist, vergißt man leicht das Datum; aber aus der Ruhe auf der Straße, und den geputzten Kleidern, in denen Mädchen, Frauen und Kinder uns begegneten, schlossen wir, daß es Sonntag sei, was auch wirklich der Fall war. Während ich so da saß und an[158] den schönen Sonntag, an das lebendige freundliche Idyll dachte, das ich kurz vorher in dem Dorf gesehen hatte, wozu die Felsentragödie dort im Sturme ein schöner Gegensatz gewesen war, — erhob Straßburg in der Ferne seinen feierlichen Thurm vor meinen Augen. Aber gerade, wie wir in die Stadt einfuhren, brach wieder ein Ungewitter los. Ein wilder Orkan pfiff durch die kühnen Thurmlöcher, und wir fuhren in ein gutes Gasthaus, während der Riese draußen dem Schnee und Wind trotzte, und ebenso jugendlich dastand, als damals, wo Göthe in seiner Krone Rheinwein trank. Es ist von Göthe so viel Schönes über den herrlichen Münster gesagt worden, daß jeder Zusatz überflüssig wäre. Ich stieg in den Thurm hinauf, aber nicht so hoch, als damals, wo ich noch Junggeselle war. Der Thurm ist so hoch, so schmal, endlich so von Oeffnungen durchbrochen, daß man gleichsam in einem schwachen Gitterwerk hoch in der Luft schwebt. Man fürchtet nicht selbst hinabzufallen; denn man kann sich ja anhalten; aber man hat die Empfindung, daß möglicher Weise der Thurm in einem solchen Augenblick herabstürzen könnte. In dem Glockengewölbe entdeckte ich die Namen: „C. u. F. Comtes de Stolberg. Göthe. Lenz u. s. w. 1776.“ Ich wandte mich an den alten Thurmwächter, bezahlte ihn für meinen langen, fast das ganze Alphabeth umfassenden Namen, und bat ihn, denselben gerade unter den Göthe's einzuhauen.


In Stuttgart traf ich Cotta als Geheimen Hofrath unermüdet, bleich, mager, voller Feuer beweglich, gesund und fleißig. Wir hatten eine kleine Rechnung mit einander abzumachen, und ich neckte ihn freundlich, daß er, der reiche Mann, so genau wenige Groschen nachrechnete. „Lieber Freund!“ sagte er lächelnd, „hätte ich nicht auf die Groschen gesehen, wäre ich kein reicher Mann geworden.“ Hier in Württemberg ist aller Augenblicke ein Reichs- oder Kreistag. Der Minister Wangenheim steht mit Cotta und Andern der öffentlichen Meinung gegenüber;[159] er will zwei Kammern haben und das Volk nur Eine. Jüngst schlugen einige Volksvertreter Wangenheim die Fenster ein; aber er sagte, wie Fichte früher zu den Studenten: „Ein Steinwurf ist ein sehr schlechtes Argument.“ Aber obgleich nun Wangenheim an gewissen aristokratischen Elementen zum Besten des Staates, seiner Ueberzeugung nach, festhält, so ist er doch so fern von thörichtem Adelshochmuth, daß er, obgleich Excellenz und ein Mann von feinstem Weltton aus Neigung in seinem Privatleben fast burschikos ist. Der junge Dichter Rückert ist sein Duzbruder. Einen langweiligen Kammerherrn mit einem Zuschnitt aus der vieux bon-temps, den Wangenheim nicht leiden konnte, wußte er vor Kurzem aus einer Dichter- und Künstlergesellschaft, in die derselbe sich eingeschmuggelt hatte, zu bringen, indem er ihm gewissermaßen die Thür wies. Wangenheim stand sehr höflich bei Tisch auf, hielt eine Rede an ihn, in der er ihm bewies, wie wenig er in unsere Gesellschaft passe. Als wir Abends die Gesellschaft verließen, machte der Minister, der mit mir Arm in Arm allein ging, da wir in ein interessantes Gespräch gekommen waren, den Vorschlag, ob wir nicht in ein Wirthshaus gehen, und eine Bowle Punsch trinken wollten. „Ja,“ antwortete ich, „wenn Ew. Excellenz können, kann ich es auch!“ „Ach,“ rief er, indem er mit dem Kopfe schüttelte und weiter ging, „die verfluchte Excellenz!“ Er war ein Vetter des Bischofs Münter, dessen Mutter „eine Edle von Wangenheim“ war, wie meine Freundin, Frau Brun, in ihrer Biographie schreibt.

Wangenheim. Rückert.

Rückert ist außerordentlich altdeutsch gewesen. Das hat sich Etwas gelegt und er zeichnet sich in seiner Kleidung nicht mehr von Andern aus. Er dichtete mir zum Abschied folgendes Sonnet:

Gen Süden kam vom nord'schen Meeres Sunde,
Ein edler Vogel des Gesang's geflogen,
Der, wie er dän'sche Luft hat eingesogen,
So laut doch singen kann mit deutschem Munde.
  Es fühlte gleich sich in der ersten Stunde[160]
Mein Herz zu ihm entschieden hingezogen;
Und, ist mir sein's wie meines ihm gewogen,
So bleiben wir fortan die Zwei im Bunde.
  Ist er vom raschen Flug zu seinem Norden
Nun heimgekehrt, und ich bin fern im Süden,
So soll des Raumes Trennung uns nicht stören;
  Dazu ist uns die Kunst des Lied's geworden,
Die wollen wir so brauchen ohn' Ermüden
Daß Einer soll des Andern Nachhall hören.

Uhland. Frau Huber. v. Küster.

Ein anderer junger Dichter, Uhland, lebt hier als Advokat. Es freute mich, seinen Fortschritt zu bemerken, vor zehn Jahren sah ich ihn noch als ein halbes Kind. Man macht viel aus ihm und er verdient es auch gewiß; aber wie bei Rückert zu viel Blühendes ist, so findet sich bei Uhland etwas Steriles; er ist männlich, ehrlich, zuweilen tieffühlend, aber oft trocken und gleich dem Ton seiner Gedichte zu sehr Göthe. Ich besuchte Uhland mit Rückert, was ich nicht gethan haben würde, wenn ich ihr Verhältniß zu einander gekannt hätte; sie gehörten zu verschiedenen politischen Parteien und das machte die Unterhaltung gespannt und verlegen.


Ich habe die Bekanntschaft der Frau Huber gemacht, welche einige gute Erzählungen geschrieben hat. Ihr erster Mann war Georg Forster, der herrliche Reisebeschreiber. Sie brachte mich in Kannstadt zu einer Freundin. Auf dem Heimwege verirrten wir uns in einem interessanten Gespräche zwischen den Weinbergen Schwabens.


[161]

Dannecker. — Schelling.

Bei Dannecker sah ich Schiller's colossale Büste. Er hat Schiller nicht idealisirt, sondern ihm nur wieder verliehen, was dieser zufällig durch Kränklichkeit verloren hatte. Als der König von Württemberg diese Büste sah (es war derselbe, vor dem Schiller in seiner Jugend geflohen war), sagte er: „Aber mein lieber Dannecker, warum so groß?“ „„Ew. Majestät,““ antwortete Dannecker, „„große Leute muß man groß machen!““

Das beste Werk dieses Künstlers ist seine Ariadne. Ein schönes, junges nacktes Weib auf einem Tiger; der herrlichste Gegensatz von weiblicher Schönheit und wilder thierischer Kraft. Man fürchtet nur, daß der Tiger gehen werde; denn dann würde die arme Ariadne, mit dem einen Beine auf dem Rücken des Thieres und dem andern Fuß nach hinten ausgestreckt, ohne Zweifel herunterfallen.


Schelling.

Ueber Augsburg kamen wir nach München. Hier machte ich gleich Schelling's Bekanntschaft. Schelling ist nicht sehr groß, aber kräftig und gesund. Sein geniales, sanftes Auge versöhnt durch schwäbische Milde den nordphilosophischen Trotz der Nase. Die Lippen bewegen sich zu freundlicher Mittheilung und nur ungern, mit einem Anstrich von Schmerz, zur Verachtung. Man sieht gleich, daß er ein Mann mit treuem Herzen ist. Daß er ein großer Philosoph ist, weiß ganz Deutschland und der Norden. Er lebt still im Schooße seiner Familie und hat gleich mir drei Kinder. Den kleinen Knaben von zwei Jahren fragte ich, ob er ein Schellingianer sei? Und er antwortete: Ja. Die Mutter ist eine sehr artige, gebildete Frau; Schelling ging gleich mit mir aus, um mir die Münchner Naturschönheiten zu zeigen, aber ich war so beschäftigt mit ihm, daß ich nichts Anderes sah, obwohl ich bemerkte, daß wir an einem Fluß und einigen Bäumen vorüberkamen. Er liebt[162] die Poesie und ist mit ihren besten Producten in allen Sprachen bekannt.

Als wir nach Hause kamen, setzten wir die Unterhaltung mit seiner Frau beim Theetische fort, vermischten aber das Gespräch mit mehr Heiterkeit. Zuweilen gebrauchte er die Worte anders als in der allgemeinen Bedeutung, und dergleichen giebt leicht Veranlassung, daß man über Ausdrücke statt über Gedanken disputirt. So verstand er unter Ewigkeit das vollendete Zukünftige, und nicht das Ganze ohne Anfang und Ende. Ich sagte scherzend: „Nehmen wir an, die Ewigkeit verhalte sich zur Zeit wie ein Scheffel Erbsen zu den einzelnen Erbsen im Scheffel. Alle Erbsen machen den Scheffel aus, der Scheffel muß also überall vom Anfang bis zum Ende sein. Das ist die Ewigkeit. Die Erbsen dagegen repräsentiren die Zeit.“ — „„Nun,““ sagte er, „„das würde sich gut in einer aristophanischen Komödie ausnehmen.““ — Schelling's gewöhnliche Unterhaltungslectüre ist nämlich Aristophanes, dessen Werke er so vielfach studirt und gelesen hat, daß er sie fast auswendig kann.

Gestern hatte er einige gute Freunde bei sich. Er bat mich, ihnen etwas von meinen Arbeiten vorzulesen; da sie nun meine Mährchen und Erzählungen, die vor Kurzem bei Cotta herausgekommen sind, nicht kannten, so las ich ihnen die Glücksritter vor. Schelling ergötzte sich daran; er sagte, diese Novelle erinnerte ihn an Cervantes und Boccaccio und versicherte nach der Lectüre, daß es ihn sehr unterhalten hätte zu hören, wie Xaver zu Ehren gekommen sei.

Ich gestand Schelling, daß ich wohl seine Hauptgedanken und seine Weltanschauung durch Steffens kenne, daß ich aber nicht viel von ihm gelesen habe, und daß es die Sprache und die Ausdrucksweise sei, die mich davon abgehalten habe. „Ich schreibe nun auch Deutsch,“ sagte ich, „weil ich gern von einer großen Brudernation gekannt und gelesen sein will, und nicht verlangen kann, daß sie eine Sprache lernen soll, die nur von ein paar Millionen Menschen gesprochen wird; aber, lieber Herr,[163] es kann doch noch weniger verlangt werden, daß man eine schwierige Sprache lernen soll, die nur von Einem gesprochen wird!“ Schelling lächelte und gab mir Recht; er gestand zu meiner Verwunderung, daß man mit Deutlichkeit und Klarheit in seiner eignen Sprache denken und sich aussprechen müsse; daß er als junger Professor wöchentliche Vorlesungen hielt, dem alten Schlendrian in der Redeweise gefolgt sei, obgleich er in seinen Ideen so sehr von demselben abwich; und er versicherte mir, daß ich Das, was er fernerhin schreiben würde, mit Leichtigkeit würde lesen können. Ich versprach es ihm und entwickelte ihm mit wenigen Worten meine Lebensphilosophie. „Sie haben eine gesunde und brave Lebensansicht,“ sagte er, meinte aber doch, daß man weiter gehen könne.


In der Gemäldegalerie erfreute es mich ganz besonders, mehrere herrliche Bilder des spanischen Malers Murillo zu finden. Kein Gegenstand ist für Murillo zu hoch oder zu niedrig. Was von Tasso bei Göthe gesagt wird, paßt sich gut auf ihn: „Oft adelt er, was uns gemein erschien.“


Weiterreise.

In entsetzlicher Hitze und Staub reisten wir den ersten Tag über Hohenlinden (wo es Moreau's Feinden früher heißer noch wurde) nach Altötting. Wir wollten bis nach Braunau, aber ein starkes Gewitter zog herauf und ein Wagen, der uns von München aus gefolgt war, blieb aus Furcht vor dem Ungewitter in Altötting schon um 7 Uhr Abends. So blieben wir also auch da und kamen in einen alten Saal, wo sechs Betten standen und ein messingener Kronleuchter an der Decke hing. Die Fensterscheiben waren wie in einer Kirche in Blei gefaßt. Auf der einen Seite des Saals war eine hölzerne ungemalte Galerie mit einer Treppe. Wir öffneten die Fenster, zogen unsere Röcke[164] und Stiefeln aus, machten uns aus zwei Stühlen ein Sopha und lasen in einigen Musenalmanachen, die man uns in Stuttgart verehrt hatte. Unsere unbekannte Reisegesellschaft war im andern Zimmer, sprach Französisch und zuweilen etwas Italienisch. Es war ein Herr und zwei Damen. Sie gingen in die Kirche hinüber um ihre Andacht zu halten. Das Mädchen, welches den Tisch deckte, erzählte, daß eine Kirche da sei, zu der Viele hinreisen, um ihr Augenlicht wiederzuerlangen, und fragte, ob wir nicht auch hingehen wollten? Wir dankten und sagten: „Da wir hier sitzen und lesen, kannst Du wohl sehen, mein Kind, daß wir nicht blind sind.“ — Die Fremden kamen zurück. Der Herr verirrte sich, als ich gerade im tiefen Negligee stand, um ins Bett zu gehen. Er trat ein und redete mich sehr vertraut Französisch an. Wahrscheinlich hielt er mich für ein Frauenzimmer, welches beweist, daß er die Kirchenkur noch nicht ordentlich gebraucht hatte. Kaum ertönte meine Baritonstimme, als er die Hände auf die Brust legte, sich verbeugte und viel Entschuldigungen machte. Ich begleitete ihn im Hemde sehr höflich zur Thür hinaus und wir machten uns auf der Treppe viel Complimente.

Den nächsten Tag hatten wir tüchtigen Regen, durch den die Bäume ausschlugen, das Leder aber auf unserem Wagen einkroch. Es war schade, daß Christian nicht auch zusammenschrumpfen konnte, denn er saß draußen auf dem Bock und wurde durch und durch naß. Wir reisten über Braunau, Altheim, Ried, nach Lambach, wo es schlecht war und wir elende Betten bekamen, da unsere unbekannte Reisegesellschaft die besten erhalten hatten. Hier hörten wir, daß es die Churfürstin Witwe von Baiern, eine österreichische Prinzessin sei, mit der wir reisten, das machte uns etwas verlegen. Wir waren oft in der Thür vor ihr vorübergegangen, ohne sie anders zu grüßen, als indem wir den Hut lüfteten. Aber da Ihre Hoheit incognito reiste, so war auch hierdurch ihre Absicht[165] erreicht. Doch beschlossen wir fernerhin nicht voran, sondern hinterher zu fahren und ehrerbietig in der Entfernung zu grüßen. Nun konnte ich auch die Entschuldigungen und die Alteration des Herrn begreifen, als er sich letzthin irrte. Es war nämlich ein Kammerherr. Man denke sich seine Bestürzung, als er statt schöngekleideter Damen einen halbnackten Poeten fand.

Am dritten Tage war schönes kühles Wetter. Alles war frisch und grün. Das schlaffe neugeborene gelbe Laub hing matt in dicken Büscheln an den Zweigen und saugte die Sonnenstrahlen ein, um größere Kraft und grünere Farbe zu erlangen. Wir fuhren an einem Abgrunde hin. Das Land ist voll der schönsten Berge. Herrliche Aussichten auf Dörfer, Städte und Kirchen, die tyroler Schneefelsen im Hintergrunde. Morgens und Abends ging ich stets eine lange Strecke.

Ein Incognito.

Im Wirthshause in Kleinmünchen bekamen die Churfürstlichen die Lust zu wissen, wer wir seien. Die Dame fragte Christian darnach, und er erzählte es in seinem Patois, sodaß sie gewiß eine sehr verwirrte Idee von unserer Existenz bekam. Wir hielten uns stets entfernt; aber am vierten Tage wurden wir doch mit der Herrschaft bekannt und zwar durch folgendes Abenteuer. — In einem kleinen Dorfe vor einer Schmiede wurden unsere Pferde scheu, weil sie unvermuthet zwei Esel vor einer Karre sahen; sie sprangen zur Seite, und knack brach die Wagenstange wieder entzwei! Bertouch wurde ungeduldig, ich aber stellte ihm vor, daß wir froh sein müßten, daß es nicht mitten auf dem Wege, am allerwenigsten bei dem Abgrunde — sondern gerade vor einer Schmiede geschehen sei, wo bereits das Eisen glühte, das die Wagenstange wieder fest machen sollte. Während nun der Schmied mit seinem Handwerkszeuge kam, stiegen wir aus und gingen den Weg entlang. Da rollte die Churfürstin an uns vorüber und grüßte uns. „Sie ist glücklich,“ sagten wir, „sie hat einen ganzen Wagen. Wir kommen nur langsam nach.“ — Unter diesen Betrachtungen schlugen wir unsere Augen auf und sahen weit hin den Wagen der[166] Churfürstin halten, und die Herrschaft uns zu Fuß entgegenkommen. „Was Teufel!“ dachte ich — „ist ihr Wagen auch gebrochen?“ — Eins der Räder hatte Feuer gefangen. — Nun erwiesen wir uns sehr dienstfertig, machten Entschuldigungen, weil wir Ihre Hoheit so lange nicht erkannt hatten, und darauf lief ich zum nächsten Dorfe um Wasser zu holen. — Nach einer Viertelstunde brachte ich einen Mann mit einem Eimer auf dem Kopfe herbei. Der Kammerdiener kam uns entgegen und sagte: es sei nicht mehr nöthig. Der Mann goß das Wasser aus und ging wieder. Wir kamen zum Wagen — das Feuer dachte gar nicht daran aus zu sein, das Eisen glühte. Die Churfürstin kam auf mich zu und dankte mir. Auf dem Wege hatte ich eine Pfütze gesehen; ich nahm die leeren Weinflaschen aus ihrem Wagen füllte sie mit Pfützenwasser, und begoß das Eisen so lange bis es kalt wie Eis wurde. Inzwischen kam der Diener mit Licht — das heißt: mit Talglicht um den Wagen zu schmieren; denn die Sonne stand hoch am Himmel. Und nun fuhren sie langsam zur nächsten Station und wir mit unserem in Stand gesetzten Wagen hinterher.

Auf der nächsten Station sahen wir die Churfürstin mit ihrem Gefolge in das nächste Wirthshaus gehen. Wir hielten uns in der Entfernung und ich schlug Bertouch vor, in einen andern Gasthof zu gehen. Wie wir eben beim Essen saßen, kam der Kammerdiener ganz außer Athem zu uns herein; er hatte uns überall gesucht und sollte uns einladen mit Ihrer Hoheit zu speisen.

Da wir nun bereits gegessen hatten, so kam er zurück um uns zum Kaffee bei der Churfürstin auf der nächsten Station einzuladen. Dies geschah, und Ihre Hoheit war sehr gnädig und freundlich.


[167]

Bei meiner letzten Abendwanderung traf ich in einer schönen Gebirgsgegend einen Bauer, der mit einigen irdenen Gefäßen nach Hause ging, die er im nächsten Dorfe für seine Wirthschaft gekauft hatte. Ich ließ mich in ein Gespräch mit ihm ein. Er erzählte mir von seinen Kindern und seinem Glücke. Ich sagte ihm, daß ich auch Kinder hätte. „Ja das ist wohl die größte Freude“ fuhr er fort; „wohnen Sie weit von hier?“ — „„In Kopenhagen in Dänemark““ war meine Antwort. — „Ach das muß sehr weit sein,“ rief er aus, „dort wohne ich.“ — Und in demselben Augenblicke sah ich ein hübsches Haus am Wege, die Thüre stand offen und zwei blühende Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, saßen auf der Schwelle. Kaum erblickten sie den Vater, als sie ihm entgegensprangen. Er hob sie auf, küßte sie und schenkte jedem von ihnen einen kleinen irdenen Topf mit hübscher Glasur. Ich sagte niedergeschlagen Lebewohl und eilte fort. — Alle Heiligenbilder am Wege waren zum Pfingstfeste mit Blumen und Laubwerk geschmückt. Die bunten Laubhütten in denen Maria mit dem Jesuskinde stand, waren erleuchtet. Ich sah Maria's und Jesus' vergoldete Kronen durch die Blätter schimmern, und eine große Schaar kleiner Kinder lag rund umher auf den Knieen und sang und betete in der Abendröthe.


Ankunft in Wien.

Ich bin nun hier in Wien, und habe durch unsern Chargé d'affaires, Herrn von Koss mehrere Bekanntschaften gemacht. Ich war bei den Baronen Arnstein und Eskeles auf ihrem hübschen Landhause in Hitzing. Die Damen dieser Familie sind sehr gebildet und lieben die Poesie. Bei meinem alten Freunde Breuß, bei der Dichterin Karoline Pichler, die so geistreich und gutmüthig ist, mit ihrem österreichischen Accent. Die Schauspielerin und Dichterin Frau Weißenthurn habe ich auch besucht, und fand bei ihr die besten Schauspieler: Korn, Koch, Koberwein u. s. w. Man hat hier im Burgtheater Axel[168] und Valborg und Correggio gegeben, welche, besonders das letztere, viele Glück machten. Hakon Jarl im Theater an der Wien aufgeführt, mundete nicht recht; er ist zu nordisch. — Ich bin bei dem Fürsten Metternich gewesen, und fand hier die Großen des Landes, die Liechtensteine, Esterhazy, Dietrichsteine beim Spieltische sitzen. Eben als sich Metternich in ein Gespräch mit mir einlassen wollte, kam der Kronprinz von Baiern und zog ihn in ein andres Zimmer. Den Tag darauf reiste Metternich nach Italien, sodaß ich fast gar nicht mit ihm gesprochen habe. Fürst Odescalchi lud mich zu Mittag in seinen großen Palast ein; er ist ein eifriger Freund der Poesie und des Schauspiels, und obgleich geborner Italiener, durchaus Deutsch. Im Hofrath Sohnleitner fand ich einen sehr angenehmen gastfreien Mann. Er war bei der Leitung des Burgtheaters betheiligt, wurde aber der Sache bald überdrüssig. Er hatte meinen Hugo von Reinberg zu übersetzen angefangen, hielt aber damit inne, als er hörte, daß ich es selbst thun wollte.


Solchen Staub hab ich noch nie gesehen. Die Luft wird oft ganz damit angefüllt. So südlich Wien liegt, hat es doch ein nördliches Klima. Bei dem häufigen Winde hier muß man Tacitus beistimmen, wenn er sagt: „Terra ventosior, qua Noricum ac Pannoniam adspicit.“ —


Bekanntschaften in Wien.

Das Fest auf Veranlassung der Abreise der Prinzessin war im Augarten, in prächtigen dazu aufgeführten Sälen; der Hof in Galla. In Gallakleidern konnte man auch auf die Galerie kommen. Hätten wir Billete erhalten, so hatten wir beschlossen, uns ein paar alte gallonirte Kleidungsstücke bei einem Trödler zu miethen. Das Frohnleichnamsfest sah' ich von einem Fenster aus bei dem Grafen Pachta. Hier kamen in Prozession: Bürger, Priester, Hofleute, Beamte, Aerzte, Gelehrte, Kaiser, und Diener. Die schönen Krucifixe waren mit Fahnen geschmückt,[169] die Straßen mit Brettern, Laub und Blumen belegt. Während des Zuges fing es zu regnen an; aber Kaiser Franz wollte den heiligen Zug nicht unterbrechen; er ging mit seiner brennenden Kerze hinter dem Erzbischofe. Bürger, Mönche, kleine vater- und mutterlose Kinder dem Kaiser voran. Hinterher die prächtige ungarische Garde auf den schönsten Pferden.


Wien. — Das Theater.

Ich habe Axel und Valborg hier aufführen sehen. Korn war ein vortrefflicher Axel. Mademoiselle Adamberger war als Valborg erhaben und rührend. Koch gab den Erzbischof mit Würde und Vatergefühl; Koberwein als Hakon, Ochsenheimer als Knut waren auch gut. Schwarz war ein kräftiger Sigurd. In Bezug aus das religiöse Element hat manche Veränderung stattgefunden. Die Decoration hatte nichts verloren, obgleich sie nur eine Vorhalle zur Kirche darstellte. Dagegen hatte die poetische Würde dadurch Abbruch erlitten, daß der Erzbischof zum Kanzler und Bruder Knut zum Kirchenvoigt gemacht war.


Mademoiselle Adamberger hatte zwei Tage vor ihrer Hochzeit mit Arnet, einem Gelehrten, ihr letztes Benefiz, als welches die Schuld gegeben wurde. Sie sprach mit Thränen und vieler Anmuth einen Epilog der Frau Pichler, der sehr viel Werkung hervorbrachte. Die Schuld ist eins der Stücke, die Furore und Epoche zu einer gewissen Zeit gemacht haben ohne daß sie sich für die Zukunft in frischem Leben erhalten werden. Der Stoff ist spannend, die Versification fließend, das Stück ist an mehrern Stellen nicht ohne Pathos; aber es ist durchaus unnordisch, wenn gleich nach den Norden hin versetzt; es ist auf einer häßlichen Unnatur durch die Vorausbestimmung erbaut, welche als Schicksal gelten soll, den Muth niederdrückt, und die Tugend und die moralische Zurechnungsfähigkeit schwächt. Die Schuld ist mit Werner's 24. Februar und Grillparzer's Ahnfrau verwandt. Diesen Dichter sah ich eines Abends bei[170] Frau Pichler, wo ich Ludlam's Höhle vorlas; aber wir näherten uns einander nicht weiter; unsere Naturen schienen zu verschieden zu sein.


In der italienischen Oper hat man Mozart so lange gespielt, bis man seiner müde geworden ist, und sich nach der modernen Opera seria sehnt. Madame Borgondio mit einer sehr guten Altstimme, spielte letzthin den König Cyrus mit halblangen Handschuhen. Sie war auch Tankred in schwarzer Rüstung. Ich bin ein solcher Heide, daß ich keinen Geschmack an den vergötterten Tankred finden kann. Die Musik ist brillant aber nicht herzergreifend, mit zu vielen Trillern und Roulladen.


Beethoven.

Beethoven habe ich gesehen aber nicht mit ihm gesprochen. Er hat schwarze Haare, rothe Wangen und sieht recht tüchtig aus, aber er ist sehr taub, der arme Mann! Ein großes Unglück für einen Musiker. Beethoven wollte gern, daß ich ihm ein Singspiel dichten sollte, was ich auch gern gethan haben würde, wenn ich mich dazu aufgelegt gefühlt hätte. Er soll eine sehr schöne Oper componirt haben.[3]


Wir sind noch hier in Wien; aber Wien ist nicht hier;[171] das ist auf's Land gereist, und kommt erst wieder, wenn wir fort sind.


Schöne Aussichten.
Kleine Leiden.

Das kaiserliche Lustschloß Laxenburg liegt ungefähr zwei Stunden von der Stadt. Man geht durch schöne Alleen dorthin, und hat nach allen Seiten Aussichten auf Bergpartieen. Breuß nahm Bertouch und mich zu seinem Freunde, dem Schloßhauptmann Riedel, mit. Er führte uns erst auf das Schloß, das hübsch, einfach und freundlich ist. Die Zimmer sind ungefähr wie bei einem wohlhabenden Privatmanne auf dem Lande. Von da mußten wir in der Mittagshitze in den Garten hinunter. Eine ungewöhnliche Menge Rosen waren bei der starken Wärme bereits verblüht. Die Gluth war unerträglich. Ich ging mit Castelli, der auch nicht gerade für Aussichten schwärmt. Wir bewunderten die Lusthäuser, während die Andern, ich weiß nicht Was bewunderten, und ich sagte zu Castelli: „Könnte ich wählen, wollte ich lieber Hausarrest haben, als diese Freude jetzt genießen.“ Indessen mußte ich gute Miene zum bösen Spiel machen, verbindlich lächeln und sagen: „Das ist ganz scharmant, allerliebst!“ was es auch wirklich war. Stets wollte ich in den Schatten, und stets mußte ich im Sonnenschein bei den anmuthigen Aussichten stehen bleiben. Das waren schlimme Aussichten für mich. „„Nun wie finden Sie es?““ fragte Breuß. „Sehr schön,“ sagte ich; „ich wollte nur wünschen, daß ich ein paar Stunden im Schatten hier auf der Bank sitzen und ein gutes Buch lesen könnte.“ — „„Jetzt sind wir nicht hergekommen, um zu lesen,““ sagte er und zog mich mit sich fort. Bertouch bemerkte, daß ich todtenbleich sah. (Stets werde ich in der Mittagshitze bleich). Man fragte mich, wie mir die englischen Anlagen gefielen. „Gut“ antwortete ich; „aber ich liebe auch die alten Alleen sehr, die lassen sich sehr gut mit einer englischen Anlage verbinden.“ — „„Ach,““ versetzte Einer der Anderen, „„das ist gar nicht hübsch, kann man sich etwas[172] teiferes als solch' eine Allee denken?““ Ich: „Warum kann das Steife nicht auch schön sein!“ Er: „„Es ist unnatürlich.““ Ich: „Ich finde es durchaus nicht unnatürlich, daß der Mensch schöne Bäume in eine Reihe pflanzt, um auf dem kürzesten Wege von einem Ort zum andern im Schatten zu gehen. Weßhalb darf die Menschennatur sich nicht auch zur übrigen Natur gesellen?“ Er: „„Die Menschen können nicht Etwas schöner bilden, als die Natur es gebildet hat.““ Ich: „Das ist wahr; aber die Natur (oder der Schöpfer) hat auch unsere Natur gebildet. Und es ist ein Naturtrieb bei uns, die Natur zu unserem Gebrauche, nach unserem Verstande, unseren Ideen, unserer Bequemlichkeit einzurichten. Eine schöne Allee ist der herrlichste Frühlingstempel, in welchem sich eine leichte Architektur mit der ewigen Schöpfungskraft vereint.“ Nachdem ich ihn durch diese Gründe fast dahin gebracht hatte, mir Recht zu geben, bombardirte ich ihn mit der Vaterliebe, und fragte ob er nicht finde, daß es schön sei wenn man etwas stehen lasse, was eine verschwundene Zeit hervorgebracht habe; und ob es nicht erhebend und angenehm zugleich sei, in den ehrwürdigen Baumgängen zu wandeln, dessen Blätter vor vielen Sommern die Stirne unsrer Vorväter beschatteten. Nun gaben sie mir Alle Recht; und so disputirte ich mich aus der Sonnenhitze in den Schatten hinein. — In dem herrlichen kühlen Buchenlaub erquickte ich mich nun recht. Zu Lust und Leben in den warmen Sommertagen gehört Schatten. Pan, alle Faune, Nymphen und Tryaden lieben Schatten und frische Quellen. Sie spielen unter den dunkelgrünen Wölbungen, fürchten aber den gelben Staub und die Mittagshitze.

Eine Ueberraschung.

Mein Freund Breuß, der sich vorgenommen hatte, mich mit allen Laxenburgischen Herrlichkeiten zu tractiren, gönnte mir aber keinen Augenblick Ruhe. Er zog mich unbarmherzig mit sich fort, und verlangte daß Freude und Bewunderung von meinen Lippen strömen sollte. Ich beschloß mich etwas zu rächen, indem ich gleichgültig that, und als er mich fragte, wie mir[173] dies Alles gefiele, antwortete ich: „Ei recht gut, aber glauben Sie denn, ich habe früher keinen grünen Park gesehen?“ Breuß meinte: niemals einen solchen. Ich versicherte ihm, daß das Südfeld und der Friedrichsberger Garten eben so schön seien. Er behauptete, das sei unmöglich. Ich behauptete, daß der Norden gerade die Heimath der reichbelaubten Bäume, er, daß dieß übertriebene Vaterlandsliebe sei. So kamen wir wieder zur übrigen Gesellschaft, und da konnte ich denn merken, daß Etwas im Werke sei, und ich von irgend etwas Neuem überrascht werden sollte. „Nun gut“ sagte Herr Riedel lächelnd, „da Sie das Alte so sehr lieben, wollen wir die Gegenwart verlassen.“ Indem er diese Worte sagte, langten wir bei einem kleinen See mit einem Boot an, und gerade gegenüber stand eine — Ritterburg! — Eine alte Ruine? nein — eine neue vollständige, bunte, fix und fertige Ritterburg, als wäre sie etwa vor ein paar Jahren gebaut, was auch wirklich der Fall war. Wir fuhren auf einer Fähre hinüber. Auf dem Thore war ein Ritter im Harnisch gemalt. Das Thor ging auf, wir traten ein, und befanden uns nun in einem kleinen Hofe. Gerade vor uns war die Ritterwohnung mit ihrem Thurme; auf der einen Seite die Kapelle mit den bunten Fenstern, der Stall, das Zimmer der Knappen u. s. w. In der Mitte des Hofes ein Brunnen mit altmodischer Architektur, Heiligen und Schnörkeln.

Eine neue Ritterburg.

Der plötzliche Eindruck all' dieser alten Sachen rührte mich; aber ich konnte mich beinahe nicht des Lachens enthalten, als Mehrere der Gesellschaft auf mich zukamen und mir stark ins Antlitz anstatt auf die Gegenstände schauten, die sie wahrscheinlich kannten, um zu beobachten welche Wirkung sie auf mich machten, und wie es aussähe wenn ich gerührt wäre. Alles zu erzählen, was an diesem Orte gesammelt ist, wäre unmöglich. Aber man staunt, wenn man erfährt, daß diese Burg aus lauter wirklichen Alterthümern zusammengesetzt ist. Hier giebt es nichts Neues, nicht einmal die Mauern; sie sind von fernen Ruinen herbeigeschafft. Ganz Oesterreich mußte seine alten[174] Merkwürdigkeiten diesem Orte abgeben. Wir wollen eine kurze Wanderung durch die wichtigsten Zimmer machen.

Hier gehen wir also erst in den Richtersaal hinauf. Mitten in diesem runden Saale ist ein runder Tisch; mitten in diesem Tische ein Loch mit einem Rost. Dieses Loch führt gerade in das Burgverließ. Durch eine solche Oeffnung wurde der Sünder in alter Zeit aus seinem Gefängniß heraufgewunden, mit dem Kopf über der Oeffnung, um von den Richtern, die rings um den Tisch saßen, verhört zu werden; und es war nicht selten, daß sie ihm in dieser Stellung gleich den Kopf abschlagen ließen. In dem mittelsten Theile des Thurmes ist ein hoher runder Saal mit bunten langen Fenstern aus dem achten Jahrhundert. Von dort gingen wir ins Gastzimmer, wo die Ritter gesessen und aus großen Bechern gezecht hatten. In einem Seitenzimmer findet man prächtige Sachen, silberne Becher, Perlmutterhörner, Elfenbein, Bergkrystall, alte Gold- und Silbergefäße. Die Rüstkammer ist voll von köstlichen Kleinodien aus dem Mittelalter: Schwertern, Büchsen, Lanzen. Die Büchsen wie kleine Handkanonen mit Lunten. Ein grauer runder Filshut mit Eisenblech und Spangen versehen hängt an der Wand, und es soll historische Sicherheit dafür da sein, daß er Karl dem Großen gehört habe. Alte Harnische finden sich in solcher Menge, daß man mehrere Wochen brauchte um dieses Alles anzusehen.

Nun kommen wir zu den Frauengemächern. Alte Bilder hängen rund umher an den mit vergoldetem Leder bedeckten Wänden; Meublesreliquien, Kaiser Karls IV. Bett zum Beispiel. Das Auge findet Nichts, das nicht historischen Werth hätte. Plötzlich steigen wir von dieser hellen Pracht durch finstere Gänge und enge Treppen hinab zu dem schauerlichen Burgverließ. Eine matte Lampe erleuchtete die trübe Wölbung, ein weißer Schatten steht im Hintergrunde. Ein Gefangener mit bleichem, eingefallenem Gesicht, eine weiße Kappe über dem Kopf; das rothe Kreuz auf dem Mantel zeigt mir, daß es ein Tempelherr[175] sei. Ich will näher treten, plötzlich streckt er seine Arme gegen mich aus und rasselt mit den Ketten. Ein schreckliches Bild, das in dem tiefen Gewölbe, dessen Dunkel den Eindruck festhält, tragisch täuscht. — In der schönen prächtigen Kapelle hatte Herr Riedel alle Lichter anzünden lassen. Altäre, Gebetbücher, Heiligenbilder füllen den kleinen Raum. Das Meiste ist von Kloster Neuburg gekommen. An der Wand hängt eine Copie von Albrecht Dürer.

Man hört übrigens viel darüber klagen, daß die alten wirklichen Burgen, die noch ganz dastehen, ihre Merkwürdigkeiten durch dieses Zusammenschleppen nach einem Ort verloren haben, und daß diese Verbindung von Dingen verschiedener Jahrhunderte sehr willkürlich sei. Man findet Sachen aus dem zehnten und fünfzehnten Jahrhunderte oft in einem und demselben Zimmer. Aber — welche Zeit hätte nicht die Gegenstände der vorhergehenden Zeit angehäuft? Das thaten die alten Ritter auch. Jean Paul sagt sehr richtig: „Jede Zeit besteht aus zwei Theilen; dem Schluß der vorhergehenden und dem Anfang der folgenden Periode.“ Die Burg ist schön! Herr Riedel verdient Dank für den Kunstsinn, mit dem er sie aufführen ließ.


Am Nachmittag gingen wir wieder spazieren, und nun war es viel kühler und angenehmer. Der Theil der Anlage, zu dem wir nun kamen, war auch waldreicher. Ehe wir nach Hause fuhren, mußten wir Abendbrot essen. Es war im großen Saal gedeckt, der Tisch war herrlich mit Blumen geschmückt; aber der Garten war doch besser, und es dauerte nicht lange, so nahm Jeder seinen Stuhl, seine Serviette und Teller, und lagerte sich draußen vor der Gartenthür. Einige setzten sich auf die Treppe. Castelli war sehr heiter, setzte sich früher als wir an den Tisch, spielte den Gourmand in Wiener Dialect und kostete alle Gerichte, ehe wir etwas davon bekamen. Wenn die Wirthin lachend fragte, was er haben wollte, so sagte er: „Küß' die[176] Hoand, i will Oalles hoaben, gäben's mir erscht a was Schuncken.“ So endigten wir diesen Tag in heiterem Kreise und fuhren wieder zur Stadt zurück.


Eine Hinrichtung.

Vor ein paar Tagen wurde ein Mensch hingerichtet, der seine Schwester ermordet hatte. Er wurde vor der Stadt an einer hohen Säule, die die Spinnerin am Kreuz heißt, aufgeknüpft. Die Säule ist altgotisch; eine weibliche Gestalt in Stein ausgehauen spinnt unter dem Kreuze. Sie sollte eher, gleich der dritten Parze, mit der Scheere schneiden. Vielleicht spinnt sie Hanf. Die eigenthümliche Lust, die ich in meiner Jugend hatte, Hinrichtungen zu sehen, war bei mir vergangen, und ich war nicht Zuschauer. In einem gedruckten Berichte versicherte der Prediger, daß der Sünder bekehrt, bevor er gehängt worden sei. Ich las ihn nicht; aber ich hatte Struensee's Bekehrungsgeschichte von Mynter gelesen und glaubte, es würde wohl etwas Aehnliches sein. Es traf sich ein paar Tage darauf, daß ich in der Bildergalerie war, wo ich ein sehr merkwürdiges Bild betrachtete, welches auch eine Bekehrungsgeschichte vorstellte. Das Bild zeigt Christus wie er nach Golgatha geht, gebeugt sein Kreuz tragend. Aber vor ihm fahren die zwei Schächer auf Karren und haben Mönche bei sich, welche den Sündern das Krucifix vor die Augen hielten, und sie durch die Erinnerung an den Tod Christi trösten.


Hammer-Purgstall.

Bei dem Bankdirector Weinach, der einen schönen Landsitz in Hitzing hat, traf ich einen magern, lebhaften Mann mit einem ehrlichen, ernsthaften Gesicht, der, als er mich sah, mir mit offenen Armen entgegenkam und rief: „Guten Tag, Oehlenschläger! Schönen Dank für Aladdin!“ Dies war Hofrath Hammer, einer von Europa's gelehrtesten Orientalisten, der Tausend und Eine Nacht übersetzt hat. Er erzählte mir, wie er sich lange[177] vergebens bemüht habe ein Exemplar dieses Werkes zu erlangen, weil die Erzähler, die ihr Brod durch die mündliche Mittheilung finden, sich stets bemühen, die abgeschriebenen Märchen gleich zu vernichten. Als er es in der Türkei und in Arabien nicht erhalten konnte, schrieb er einem jungen Engländer, der übrigens kein Wort Arabisch verstand, den arabischen Titel des Buches für den Fall auf, daß er in Aegypten, wohin er reiste, glücklicher sein sollte, als Hammer es in Arabien gewesen war. Als der junge Engländer nach Cairo kam und auf dem Markte stand, rief er den Titel ganz laut aus. Gleich kam Jemand mit dem Buche zu ihm, und fragte ob er es kaufen wollte? Auf diese Weise bekam Hammer ein Exemplar.

Ueber Tische erzählte er uns, daß er in einer Klosterkirche der Umgegend Basreliefs gefunden habe, welche seine Vermuthungen über die Ausschweifungen der Tempelherren im Mittelalter zur Gewißheit erheben. Er glaubte aus diesen Bildern vollständig den Beweis führen zu können, daß sie Gnostiker gewesen seien und ihre Freidenkerei im Orient gelernt haben. Im Aeußeren zeigten sie eine gewisse Frömmigkeit und Mäßigkeit, unter sich aber erlaubten sie sich Alles, spotteten jeden Glaubens und hatten einen Becher mit einem Antlitz das in der Entfernung wie Christus aussah aber in der Nähe zum Bilde des Teufels wurde. Kurz Alles, was ihnen unter Philipp dem Schönen in Frankreich vorgeworfen und weßhalb achtundsechzig Tempelherren mit ihrem Großmeister Molai verbrannt wurden, glaubte Hammer aus diesen Basreliefs beweisen zu können. Doch, fügte er hinzu, sei es nicht abgemacht, daß alle Tempelherren gleich schuldig waren. Die Ausschweifungen, welche die Ritter trieben, waren darum noch nicht der Hauptzweck des Ordens; dieser war politisch, mit Rücksicht auf die Macht des Papstes, sowie später bei dem Orden der Jesuiten. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat der derbe, ehrliche Molai gar keinen Theil daran gehabt.


[178]

Der Hund als Schauspieler.

In Hitzing werden auch Comödien aufgeführt. Letzthin sahen wir einen Hund die Hauptrolle spielen. — Ein Trunkenbold soll sein Kind wiegen. Während er in Gedanken dasitzt, kommt der Hund, springt an die Wiege hinauf, nimmt das Kind heraus, und spielt mit ihm auf dem Fußboden. Der Vater sitzt ruhig und wiegt. Nun kommen Mutter und Tanten. Sie wollen das Kind sehen, es ist kein Kind da. Wo ist es geblieben? Sie suchen darnach, der Hund spielt mit ihm und zerrt es unter den Tisch. Das Kind, es ist natürlich eine Puppe, wird glücklich gerettet, und damit endet der erste Act. Mehr sah' ich nicht, denn ich meinte, die Handlung sei vorüber und das Interesse habe aufgehört. Man hat pro und contra disputirt, ob Hunde zum Comödienspiele zugelassen werden sollen; Pferde hat man auf den meisten großen Hoftheatern. Meine Ansicht ist, daß es jedem Talent unverwehrt sein müsse, sich in einer freien Kunst zu zeigen.[4] Der Hund ist in diesem Stücke nur ein deus ex machina, der die menschlichen Verhältnisse in Bewegung setzt. Hätte hier z. B. der Vater besser auf sein Kind in der Wiege geachtet, so würde der Hund es nicht gefaßt und unter den Tisch geschleppt haben. Das ist doch eine äußerst moralische Allegorie.


Vermählungsfest im Augarten.

Ich habe bereits erzählt, daß ich noch nicht den schönen Saal gesehen hatte, der im Augarten zur Verlobung der Prinzessin mit dem Kronprinzen von Brasilien gebaut war.

Letzthin war da nun auch ein Ball für das Volk, damit es doch auch Ragout von dem Braten bekäme, welchen der Hof kurz vorher gehabt hatte. Da war ich dabei. Unglücklicherweise waren mehr Leute aus den Vorstädten als aus der Stadt[179] da, besonders vom schönen Geschlecht, das an diesem Abend ziemlich unschön war. Das Haus stand da: ein schöner griechischer Tempel, eine Rotunde voller Kronleuchter, weiß wie Alabaster, mit unzähligen Säulen, Seitengängen und Nebensälen. Die Tische voll von — Blumen und leeren silbernen Terrinen; die Speisen selbst wurden sehr langsam herbeigeschafft. Es war kaum ein Diener bei jedem Tisch. Hier in Wien gehen sehr komische Menschen an öffentlichen Orten und den Schauspielhäusern mit Erfrischungen umher. Sie sind wie Vorreiter gekleidet, und tragen Hüte mit Aufschlägen und Federn. Aber man kann sich nichts Zerlumpteres denken; sie sehen wie Don Ranudo's Diener aus. Die Federn an ihren Hüten sind so schmutzig und klebend, daß man nicht weiß, wofür man diese Gestalten halten soll. Sie gleichen schlecht ausgestopften, staubigen und verdorbenen Vögeln in einem Naturalienkabinet. Mit diesen Federhüten auf dem Kopf, mit diesem halben Bereiterflitter schreiten sie mit ungeputzten Wasserstiefeln langsam dahin. Man begreift nicht, was das Costüm bedeuten soll, was sie mit dem Federputz auf dem Kopfe wollen, um „Gefrorenes“ zu verkaufen.

Heute Abend hier im Tempel des Augartens war es ganz anders. Sie sollten Lakaien vorstellen, und gingen deshalb in alten rothen Theaterlivree'n, mit alten abgenützten Tressen umher, aber es war sehr schwierig, eine dieser Gestalten zu erwischen; und wenn man auch mit Einem sprach und etwas verlangte, so bekam man es doch nicht. Endlich wurde ich ungeduldig. Ich saß gerade bei meinem guten Freunde Breuß, der hungrig war. Ich gedachte der Wohlthaten, die ich in seinem Hause genossen hatte; mein Herz wurde gerührt; ich drängte mich durch den Schwarm hindurch in die Küche bis an den Heerd, half der Köchin etwas Spinat auf das Fricandeau legen, schlug mich fast in der strengsten Bedeutung des Wortes mit einem Lakai um eine Portion Kalbsbraten. Er: „Doa's ist für einen anderen Herrn bestimmt; euer Gnoad'n könn's nicht hoab'n.“[180] Ich: „Ich will es haben, ich habe lange genug gewartet.“ Damit nahm ich meine beiden Teller, reichte sie einem anderen, mir mehr ergebenen Lakai; und nun ging ich im Triumph wieder nach dem griechischen Tempel zurück und hatte die Freude, einmal meinen gastfreien Wirth zu bewirthen, der sich über meine Gewandheit Lebensmittel herbeizuschaffen wunderte.

Mit dem Tanzen wollte es nicht recht gehen. Ein paar galante Herren mit Handschuhen walzten mit einem paar Damen. Man erkannte in Einzelnen dieser Nobili Venetiani Ladendiener und die anwesende beau monde hielt sich zurück. Der Erzherzog Rainer ging umher, blickte freundlich auf die Leute, und ein Fourier ging voran und machte Platz für ihn.


Kloster-Neuburg.

Mit dem Baron Retzer, einem ältlichen Dichter und Büchercensor, habe ich eine Reise nach Kloster-Neuburg gemacht, das schön an der Donau, anderthalb Meilen von Wien liegt. Es existirt davon folgende Sage: Der Markgraf Leopold IV. hatte ein Schloß auf dem Kahlenberg. Einmal, als er mit seiner Gattin Agnes am offenen Fenster stand, riß ein Windstoß ihr den Schleier vom Haupte und trieb ihn weithin in den Wald, so daß sie ihn aus den Augen verlor. Ein paar Jahre darauf war der Markgraf in demselben Walde zur Jagd. Plötzlich beginnen seine Hunde zu bellen und zu heulen. Er folgte ihnen und sieht sie um einen Baum versammelt, an dem er einen Schleier fand, den er als den seiner Gattin wiedererkannte. Der fromme Leopold, der lange die Absicht hatte, ein Kloster zu bauen, ohne mit sich über den Platz einig werden zu können, betrachtete dieses Ereigniß als einen Wink des Himmels und ließ das Kloster bauen, wo der Schleier hing.

Der Prälat Herr Gaudentius hatte den Baron Retzer mit seinen Freunden eingeladen, bei ihm Mittag zu essen. In den prächtigen Zimmern wohnen nun die Augustiner. Wir gingen fast durch alle. Die Tapeten waren der Ehrbarkeit und[181] der Conservation halber mit weißer Leinwand überhangen. Die parquettirten Fußböden waren sehr schön gebohnt. In dem letzten Zimmer trafen wir den Prälaten in seinem schwarzen Rocke, mit einem kleinen weißen herabhängenden Bande vorn und hinten und mit einem Sammtkäppchen, das er, uns freundlich grüßend, lüftete. Aber der arme Herr Gaudentius hatte Zahnschmerzen. Er zeigte uns die Zimmer, die Aussicht ist schön auf dem Kahlenberge und man sieht viel Weinberge und Windungen der Donau. Nun mußten wir mit einem andern Bruder hinausgehen, um das merkwürdige Gebäude zu sehen. Wir speisten bei dem Prälaten in einem Zimmer, wo unser König auch einmal gespeist hatte. Es waren noch fünf andere Geistliche da. Ehe man sich setzte, wurde stillschweigend gebetet, und Herr Gaudentius ertheilte den Segen auf eine, wenn ich so sagen darf, flüchtige und bescheidene Art, wie wenn man weiß, daß Fremde (Ketzer) zugegen sind. Die geistlichen Herren waren vernünftige Leute und fast liberal. Wir sprachen vom Dichter Werner, der hier den ersten Anstoß zu seiner Bekehrung erhalten hat; d. h. durch sich selbst, nicht durch die Mönche; denn er aß hier mit einem vortrefflichen Schauspieler Rose, (so tolerant sind sie) und Rose hat mir versichert, daß Werner sich ganz auf eigene Hand in den dritten Himmel versetzt fühlte.

Die größte Einnahme des Stiftes besteht in Wein, der in ungeheuer großen, aus drei Etagen bestehenden Kellern aufbewahrt wird. Unter Anderem soll sich daselbst ein Faß befinden, welches 999 Eimer faßt; also eine Schwester des Heidelberger.

Die Kirche, welche alt ist, bekamen wir nicht zu sehen. Hier bewahrte man den Schleier auf, der der Frau Markgräfin vom Kopfe geweht war, und einige kostbare Becher, unter Anderen einen aus Goldstaub, den man in der Donau gefunden hat, gefertigten.

Ein ehrwürdiger Frater führte uns nach der Mahlzeit auf sein Zimmer, und zeigte uns seine kostbare Kupferstichsammlung, auf welche er im Laufe von 30 Jahren all sein Geld verwendet[182] hatte. Er zeichnete auch selbst und in seinem Schlafzimmer hingen mehrere Portraits in Pastel; unter diesen ein gräßliches Bild von einem bis an den Gürtel nackten Sterbenden, der ein Krucifix in der Hand hält. Dies war ein Mensch, den der Canonicus einmal zum Tode vorbereitet, und gleich gemalt hatte, nachdem er verschieden war. Während mir der Augustiner seine Kupferstiche zeigte, wandte ich immer die Augen nach jenem Schreckbilde hin. Er wunderte sich darüber, daß dieses Skelett meine Aufmerksamkeit von den Meisterwerken Raphaël's und Leonardo da Vinci's ablenken könne. Ich sagte ihm: „Wenn es mein Bild wäre, so würde ich es verbrennen, ehe ich zu Bett ginge, aber ich kann nicht umhin, es anzublicken. Das Entsetzen hat einen eigenen Reiz.“


Castelli als Schuster.

Letzthin waren wir zu dem jüngeren Herrn Gaimüller mit Breuß nach Hitzing hinaus geladen, um eine Komödie zu sehen, die an seinem Namenstag aufgeführt werden sollte.

Das Hauptstück war: Der Schuster, eine Posse von Schickaneder. Dieses Stück zeichnet sich nicht durch einen sehr witzigen Dialog, sondern durch das Nationaldrollige in der Situation aus. Castelli spielte einen besoffenen Schuhflicker, der auf seine junge Frau eifersüchtig ist, in dem höchsten Grade der Vollkommenheit, Frau G. spielte das junge Weib, die uns durch ihre österreichische Volksnaivetät alle Fehler vergessen macht, mit derselben Vollkommenheit.

Viele begreifen nicht, wie vernünftige Leute Vergnügen daran finden können, das Benehmen und die Reden trunkner Leute nachgeahmt zu sehen und zu hören. Es ist wahr, Weisheit reden sie nicht, wenigstens keine zusammenhängende Weisheit; aber jeden Menschen mit Phantasie müssen diese Aphorismen, diese Ideenassociationen, Einfälle, verschiedenen Leidenschaften, dieser Wechsel zwischen Aufbrausen und Schlaffheit, Haß und Liebe, Aufrichtigkeit und List, unterhalten.


[183]

Der Sct. Annentag.

Vergangenen Sonntag war der Sct. Annentag. Im Prater ward Feuerwerk abgebrannt, und der Entrepreneur lud die Nannerls (alle die Damen, welche Anna heißen) unter der Ueberschrift: Verehrungswürdigste Nannetten! ein, mit zur Unterstützung des Festes beizutragen. Auf einem anderen Plakate stand: „Erstens: wird eine mechanische Figur ein verehrungswürdiges Publikum mit seinen Bewegungen zu unterhalten suchen.“ —

Das Feuerwerk war groß und brillant. Obgleich der schelmische Mond schon hinter den Bäumen stand und etwas von dem Eindruck schwächte, hielt er sich doch gutmüthig und romantisch hinter einer Wolke, bis das Feuerwerk vorüber war.

Unter Anderem wurde auch die Liebe feuerwerksmäßig dargestellt. Zwei brennende Figuren, ein Herr und eine Dame, standen in einem funkelnden Tempel; und während sie im besten Brennen waren, fingen sie an, sich zu bewegen und die Köpfe zu einander zu neigen, um sich zu küssen. Der Mann verlöschte zuerst. Ob dieses Feuerwerk Satyre oder Zufall war, will ich ungesagt lassen.


Den 28. Juli.

Ich hatte Christian, unserem dänischen Diener gesagt, daß er mir ein Bouquet zu morgen kaufen sollte. Als ich in's Zimmer kam, hatte er es vergessen. Ich schickte ihn wieder darnach fort. Einige Zeit darauf kam er mit einem ganz kleinen Blumenstrauß für ein paar Kreuzer zurück: „Aber Christian,“ rief ich, „ich will ein ordentliches, großes, schönes Bouquet zur Geburtstagsfeier meiner Frau.“ — „„Ja, ich kann schon so einen bekommen, aber der ist sehr theuer, der kostet vier bis fünf Gulden!““ — „Gleichviel, was er kostet! fort!“ — Nun ging er wieder fort und kam nach einer halben Stunde mit — einem Busch künstlicher Rosen von Leinwand oder Seide und überreichte ihn mir: „Nein, Christian, daß ist doch zu toll, hast Du mich denn[184] noch nicht verstanden? Hast Du dein Dänisch oder all das Französich und Deutsch vergessen? Einen Blumenstrauß, einen schönen, großen, lebendigen Blumenstrauß will ich haben, um ihn dort auf der Kommode in's Wasser zu stecken!“ — Nun ging er wieder. Nach einer Viertelstunde kam er endlich mit einem großen Bouquet zurück. Aber die Blumen hatten keine langen Stiele. Es waren lauter kleine Sträußer, welche an einem hölzernen Stiel zusammengebunden waren, und zwar einen großen, aber hölzernen, steifen Strauß bildeten, gleich einem Federstutz auf einem Czako. Nun war nichts Anderes zu thun, als ihn wieder aufzumachen, und sich so gut als möglich damit zu behelfen. „Hol mir ein Glas!“ Er brachte mir eine kleine Medicinflasche. „Ein großes Glas!“ Er brachte ein Bierglas. „Taugt nichts, es muß ein Einmacheglas oder dergleichen sein.“ Er blieb etwas lange fort; ich machte mir alle möglichen Vorstellungen, was er nun bringen würde und staunte, als er mit einem großen, schwarzgeräucherten irdenen Gefäße ankam, noch darüber, daß es nicht schlimmer ausgefallen war. Nun lief ich verzweifelt auf den Vorsaal hinaus, und als ich daselbst einen Blumentopf mit Erde angefüllt fand, reinigte ich ihn, verklebte das Loch mit Sieglack, wickelte weißes Papier um den Topf, schrieb hübsch mit großen Buchstaben „den 28. Juli 1817“ darauf, setzte den Blumentopf auf den Tisch, — und hatte nun endlich nach vieler Mühe und Beschwerde einen kleinen Altar meiner Christiane zu Ehren zu Stande gebracht.


Ein Magnetiseur.

Capitain Wocher, ein herrlicher Mann, sprachkundig, Kunstkenner, Gelehrter, witzig, Satyriker, munter in Gesellschaft, treuer Freund, tapferer Soldat, veranstaltete daß wir einen Doctor Tschöppholz besuchen sollten, der sich viel mit dem sogenannten thierischen Magnetismus abgiebt. Wir besuchten deshalb erst den Doctor in Hitzing auf seinen Sommersitz. Als Landsitz betrachtet, war er etwas traurig. Er hatte ihn selbst,[185] wie er sagte, nach seiner Idee bauen lassen. Das Haus war hoch und eng, die Treppe schmal, die Zimmer klein, es gab viele Winkel, und die Wände waren absonderlich gemalt. Um die Aussicht zu sehen, führte uns der Doctor an ein kleines Fenster, von wo aus man mühsam auf das Dach klettern mußte. Innerhalb auf dem Boden stand ein Automat, ein Gespenst mit einer Trommel. Ich hätte ihn gern seinen Triller schlagen hören, aber da der Doctor sich beklagte, daß er ihn nie aufziehen könne (es war ein Uhrwerk im Automat), ohne daß ihn die Kinder gleich austrommeln ließen, so durfte ich nicht darum bitten. Mitten in dem Wohnzimmer stand ein Spielzeug von gebranntem Thon mit einer Kugel, die man durch mehrere Schneckengänge fallen lassen kann, und die dann in numerirte Löcher fiel. In der Mitte war ein Herz: Das war die beste Nummer. Ich versuchte mein Glück und meine Kugel fiel heuresement mitten ins Herz. Der Doctor ist ein kleiner, melancholischer, ernster, sanfter, magerer Mann mit scharfen eingefallenen Augen und einer spitzen Nase. Er ist Leibarzt bei dem Fürsten Esterhazy. In seinem Garten hingen die Weinranken wie Bohnen an den Stangen; Geröll lag in den Gängen. All' dies gab mir eine vortheilhafte Meinung von dem Mann als Magnetiseur; denn es war deutlich, daß er ein Gelehrter sei, der nicht so auf das Aeußere achtete, und daraus schloß ich, daß er sich viel mit dem Innern beschäftigte, was denn auch der Fall sein soll. Seit Mesmer's Zeit beschäftigte er sich unablässig mit Magnetismus. Er soll ein sehr guter Mann sein, ein sehr tüchtiger Arzt, er ist fromm und religiös; Wocher und ich fanden, daß er etwas Stilldurchdringendes in seinem Gesicht habe. Wir nannten ihn zum Scherz unter uns den Zauberer, und betrachteten den melancholischen Lustsitz als eine Vorhalle zum Heiligthum. Wir sprachen aus Bescheidenheit diesmal nichts vom Magnetismus, als beim Abschied, wo ein alter Herr kam, der seine Tochter magnetisiren lassen wollte. Nun äußerten wir unsern Wunsch[186] und Doctor Tschöppholz versprach, ihn in einigen Tagen zu befriedigen.

Eine Woche darauf lud er uns eines Vormittags ein, ihn in seiner Wohnung in Wien zu besuchen. Wir traten in ein Zimmer voller Bücher, christlicher Bilder an den Wänden, und in einem Winkel stand ein großer brauner Lederstuhl mit Eisenketten und eisernen Spitzen. Wir fanden einen vierschrötigen, rothwangigen, starken Mann bei ihm, der geradezu und, wie es schien, ganz gesund war. Er war ein Chirurg, der die Gabe besaß, in hohem Grade und mit solcher Leichtigkeit magnetisch clairvoyant zu werden, daß der Doctor ihn über 4000 Mal gebraucht hatte, um von dem Zustande der Kranken zu sprechen, und Rath zu ertheilen, wenn sie zugegen waren. — Ich hatte kurz zuvor die von Eschenmeyer herausgegebene Zeitschrift gelesen, in der documentirt wird, daß der Magnetismus keine Einbildung sei. Zwei Menschen haben in Württemberg, der Eine vier Jahre, der Andere neun Monate, den Tod des Königs vorausgesagt, und viele hatten ihren innern Krankheitszustand vorherbestimmt, hatten vorhergesagt, wie lange die Krankheit währen würde, hatten im Dunkeln Worte mit der Herzgrube gelesen u. s. w. — Als wir etwas zusammengesprochen hatten, setzte sich der Chirurg in einen Stuhl, und während eines gleichgültigen Gesprächs mit uns, magnetisirte ihn der Doctor mit einer Eisenstange, die er theils nach seiner Stirn hin bewegte, theils in Zirkelbogen um ihn gehen ließ; zuweilen berührte er ihm die Herzgrube mit den Fingerspitzen. Es dauerte nicht lange, so fing der Chirurg an zu gähnen, sich im Kopfe zu kratzen, sich zu strecken, zu zittern, gähnte dann wieder, und verfiel darauf in Schlaf, der unverkennbar ein wirklicher war. — „Nun ist er fort,“ sagte der Doctor, „nun können wir die größten Geheimnisse zusammen sprechen, er hört nichts, außer was ich mit ihm spreche.“ — Ich bat den Doctor den Kranken um Gotteswillen nichts über mein Schicksal sagen zu lassen. — „Beruhigen Sie sich,“ sagte der Doctor, „er[187] kennt nun die Gefühle ihres Herzens, und sagt Ihnen nichts Unangenehmes.“ — Als er dies äußerte, streckte der Somnambule seine Hand gegen mich aus, und der Doctor, der bisher gleichgültig mit mir gesprochen hatte, fing an mich mit freundlichen Augen zu betrachten und sagte: „Sie gefallen ihm; er wünscht in Verbindung mit Ihnen zu stehen, reichen Sie ihm Ihre Hand!“ — Ich reichte sie ihm nicht, ohne etwas zu zittern. — „Wie finden Sie jetzt die Gemüthsstimmung dieses Herrn?“ fragte er. „„Weich,““ antwortete der Somnambule. Bei diesen Worten rollte eine Zähre von seinen Wangen herab, die der Doctor abwischte und sagte: „Er weint, Ihre Gegenwart ist ihm angenehm!“ darauf fragte er wieder: „Ist dieser Herr aus Eifer für die Wissenschaft, und um den Magnetismus zu studiren hergekommen?“ — Der Somnambule: „Nein, bloße Neugierde!“ — Der Doctor: „Wie finden Sie den Gesundheitszustand dieses Herrn?“ — Der Somnambule: „Vollkommene Gesundheit. Er muß sich nur vor dem Zorn hüten.“ Während ich nun an diese eigenthümliche Sache denke, erröthete ich plötzlich. Da sagte der Somnambule: „In diesem Augenblick schlägt sein Puls zehn Mal schneller, als gewöhnlich.“ Der Arzt fühlte an den Puls, und dieser ging noch sehr stark. — „Ist das Krankheit?“ fragte der Doctor. Der Somnambule: „Nein, es ist nur die Einbildungskraft, die ihn erhitzt.“

Als der Doctor ihn fragte, ob Wocher auch käme, um zu sehen, was es für eine Bewandtniß mit dem Magnetismus habe, lächelte er und sagte: „Er hat es ja schon einmal gesehen.“ Wocher stutzte, es war richtig, obgleich es nicht hier geschehen war. — Ich bat den Doctor, den Mann wieder in seinen gesunden Zustand zu versetzen; er strich nun wieder nach der entgegengesetzten Seite hin, hauchte nun wieder die magnetische Materie von seiner Stirn fort, und es währte nicht lange, so gähnte er, streckte sich, öffnete die Augen, lächelte und erhob sich, ohne zu wissen, was vorgegangen war. Diesen Auftritt[188] habe ich gesehen und glaube nicht, daß man Komödie mit mir gespielt hat.


Unter den Gelehrten Wiens habe ich noch die Bekanntschaft des Baron Hormayr gemacht, der das Beste geschrieben hat, was über österreichische Geschichte existirt. Es ist ein lebhafter Mann, der die Poesie liebt.


Abreise von Wien.

Der Abschied ist ein Anspannen des Lebensfadens nach zwei entgegengesetzten Seiten, wodurch der Knoten der Liebe fester geschürzt wird. Wenn es auf unsere Kleider regnet, so weckt der Regen wieder jenen schlummernden Duft des aromatischen Parfüms, den wir früher darauf gegossen haben. So auch die Abschiedszähre auf dem Gewande des Lebens. Ich kann also auch Jeanpaulisiren.


Sowie man Wien verläßt und nach Böhmen hineinkommt wird die Aussicht weniger schön. Es ist gut, daß wir die Sonne im Rücken haben. Auf dem Wege stehen oft schöne Eubischbaum-Alleen. Vorgestern Abend kam ich an einen Teich, wo das braunrothe Rindvieh darin umherwadete und trank, während die Abendsonne auf ihr rothes Fell schien. Dies ließ mich an die schönen niederländischen Bilder denken. Es ist herrlich, eine solche ehrbare Kuh in Abendroth stehen zu sehen, besonders wenn sie hoch steht, daß der blaue Himmel den Hintergrund bildet. Die Frauen schneiden das Korn hier mit Sicheln; wenn solch ein großes schönes Mädchen an mir vorüberging, glaubte ich Ceres in eigener Person zu erblicken. Gestern früh ging ich ein hübsches Stück in der Sonne, ich kam in die Nähe eines Waldes und gerade vor mir murmelt eine Quelle. Ich setzte mich an einen Tannenbaum hin und erwartete den[189] Wagen. „Schöne Natur,“ dachte ich, „wie erfreut es den Dichter, dich zu sehen.“ Und mir schien es, als ob die Natur antwortete: „Und mich freut es oft von einem Dichter gesehen zu werden.“


Dresden. Weber. Böttiger.

Dresden kannte ich kaum wieder, obwohl ich elf Jahr vorher mich drei Monate dort aufgehalten hatte. Es lagen so unzählige Vorstellungen zwischen der damaligen und jetzigen Zeit, daß sie einen großen Theil der Erinnerungen verwischt haben. Das heißt in Bezug auf Straßen, Märkte u. s. w., denn auf der Gemäldegalerie war ich gleich wieder heimisch. Und kaum war ich ein paar Tage hier gewesen, so fiel es wie ein Nebel von meinen Augen, und ich wunderte mich, daß ich nicht besser Bescheid gewußt habe.

Ich wußte, daß ich von dem Kreise, der mir das erste Mal so lieb war, nämlich von der Körnerschen Familie, zu der ich täglich als Hausfreund kam, nicht einmal Ueberreste finden würde, denn der alte Körner war mit seiner Frau nach Berlin gezogen, nachdem er einen solchen Sohn, wie seinen Theodor, eine Tochter wie seine Emma verloren hatte.


Der erste, mit dem ich hier am Mittagstisch im „goldenen Engel“ Bekanntschaft machte, war der Capellmeister Maria von Weber, der sich meiner aus Stuttgart v. J. 1809 erinnerte. Er ist ein beredter, witziger und freundlicher Mann. Er führte mich in die Vorlesung des Hofrath Böttiger, über die Kunst des Alterthums. Der alte muntere Böttiger empfing mich freundlich, umarmte und küßte mich mehrmals mitten im Auditorium vor allen Zuhörern, wodurch ich etwas verlegen wurde; darauf bat er mich Platz zu nehmen und begann. Ich hörte eine Vorlesung von ihm über die verschieden Arten, wie die Griechen plastisch gearbeitet hätten; in Erz, gebranntem[190] Thon, Marmor und endlich, was man für das Wichtigste und Schönste hielt, in einer Verbindung aller harten Stoffe, die (weil Gold und Elfenbein das Wichtigste dabei waren) Chryselephantine genannt wurde. Er ließ das Bild einer Minerva umhergehen, an welchem man sah, daß das Nackte Elfenbein gewesen war, der Panzer und Helm Gold, und das Gewand schöne Blumenemaille, im Uebrigen Alles reich mit Edelsteinen besetzt. Wie die Zusammensetzung gemacht wurde, darüber sind die Gelehrten noch uneinig.


Dresden. Sammlungen.

Das grüne Gewölbe habe ich gleich den ersten Nachmittag, den ich hier war, besucht, und wunderlicherweise sah ich es das letzte Mal, als ich in Dresden war, gar nicht, wahrscheinlich aus dem Grunde: Du kannst es ja noch immer zu sehen bekommen. Aus solchem Grunde geschieht oft Vieles nicht. In diesem Bewußtsein mochten wohl einmal drei Berliner von ihrer Vaterstadt aus nach Potsdam gereist und mit der Post zurückgefahren sein; dann stiegen sie in einem Wirthshaus ab, und ließen sich von einem Lohnbedienten alle Merkwürdigkeiten der Stadt zeigen.

Endlich bekam ich es doch überdrüssig alle diese Seltenheiten zu sehen. Es ging mir wie Morgiane unter alten „Demanten und Smafiren.“ In Mahomed's Turban nimmt sich ein schöner Smaragd, auf dem Busen der Favoritin ein schöner Rubin herrlich aus, aber wenn man sie in den Schränken in Reihen da liegen sieht, so macht es nur den halben Eindruck. Diese Edelsteine entbehrten des Schimmers der wunderbaren Lampe, und ich war philiströs genug, mir das Geld für einen einzigen Diamanten in meine Tasche zu wünschen. Dann mögen, dachte ich, die Andern meinetwegen alles Uebrige behalten!


Dresden. Die Gemäldegalerie.

Die Gemäldegalerie habe ich in diesen Tagen fleißig besucht. O wie erfreut es doch, etwas Herrliches und Schönes[191] wiederzusehen! Es ist ein zwiefacher Genuß: die Gegenwart und die Erinnerung! Hier ging ich vor elf Jahren umher, und empfand eine Ahnung, was Kunst sei. Ich hatte oft die Madonna Raphael's besucht, die trotz des schmutzigen Rauches, der sie zum Theil verschleiert, frisch in ihrer Schönheit mit dem Kinde auf dem Arme emporsteigt, wie ich sie in meinem Mönchsbruder besungen habe. Ich besuchte meine bunten Correggiobilder, die aussehen, als ob sie gestern gemalt seien. Die Arbeiten aus jener ersten Zeit sind die poetischsten. Es war mir ein eigenes Gefühl, vor diesen Gemälden zu stehen, die ich nicht gesehen, nachdem ich Correggio geschrieben. Rubens bewunderte ich stets halb im Vorübergehen. Das Flüchtige und rasch Gemalte muß flüchtig und rasch betrachtet werden. Van Dyk hat seine Bilder oft wahr ausgeführt, hat aber nicht Rubens' Genie und Erfindung. Rembrandt bewundere ich als einen poetischen, höchst genialen Schornsteinfeger. Seine Bilder haben immer die Schornsteinfarbe; aber er weiß ihnen mit wenigen leichten Partien eine starke Wärme, ja sogar Feuer zu geben, wie die Kohle auf dem Heerde. Seine (Schweine-) Hirten-Idyllen oft aus der biblischen Geschichte, tragen das Gepräge tiefer Wahrheit. Wenn man den rechten Gegensatz zu Rembrandts romantischen Kohlenbrennerscenen haben will, so gehe man hin und öffne die Glasschränke zu Van der Werft's Bisquit- und Porzellanboutiquen. Das ist fein gemalt, wie die Leute zu sagen pflegen. Doch kann man nicht leugnen, daß Van der Werft Grazie, ja zuweilen selbst Physiognomie in den ausgeführten Formen hat; aber er hat größtentheils vergessen, seinen Emailestücken einen lebendigen Geist einzuhauchen. Von Murillo hängt nur eine Madonna mit ihrem Kinde da. Titian's Venus liegt auf ihrem Lager, aber ich finde sie gar nicht schön. Von Michel Angelo ist hier nur ein tüchtiger, starker, nackter Jüngling in Fesseln, der lebendig verbrannt werden soll. Aber er sieht mit einem eigenthümlich vornehmen und wilden Blicke zum Scheiterhaufen hin, indem[192] er sein Antlitz halb hinter dem Arme verbürgt, als ob er sagen wollte: Diese dumme Behandlung ist unverständig und unverschämt, aber sie ist bald überstanden. Niederländische Gemälde sind in Menge hier. Eins der liebsten ist mir Holbein's Madonna, vortrefflich conservirt. Sie steht mit dem Jesuskinde auf dem Arm, und der Bürgermeister kniet ehrlich und gutmüthig vor ihr, in seiner altdeutschen Tracht, lauter Portraits, außer Maria und dem Kinde. Ich finde es schön sich so auf fromme Weise ein Familienbild malen zu lassen.

Dresden. Theater.

Der bekannte Dichter, Herr Kind, hat ein Stück geschrieben: Van Dyk; worin viel Schönes und Anmuthiges vorkommt, obgleich dass Ganze etwas lose und weitläufig[5] und die Katastrophe unmotivirt ist.

In diesem Stücke hat der Dichter Gelegenheit gegeben, viele Bilder von Rubens, Ostade und Tenniers auf dem Theater darzustellen, was eine gute Wirkung hervorbringt und die Dresdner amüsirt, die ihre liebe Gemäldegalerie wiedererkennen.

Ich habe Ludlam's Höhle bei Böttigers vor Mehreren vorgelesen; sie machte auf meine Zuhörer Eindruck, und der Regisseur, Herr Helbig, hat die Absicht, das Stück auf die Bühne zu bringen.

Heute Abend spielt man mir zu Ehren Axel und Valborg mit einigen nothwendigen Abänderungen. Ich war auch bei der Schauspielerin Madame Schirmer, welche mir einmal die Ehre erwies, auf einem Declamatorium mein Bild zugleich mit dem Göthe's zu bekränzen. Sie wird die Valborg spielen.


Dresden. Axel und Valborg.

Es waren dieselben Veränderungen vorgenommen wie in Wien. Das Stück wurde gut gegeben, und die Vorstellung gefiel; aber ich erkannte auch die Ursache, weshalb Madame Schirmer früher wenig Eindruck in dieser Rolle gemacht hatte,[193] als man vermuthete. Sie glaubte das ganze Stück hindurch Valborg's Tod vorbereiten und motiviren zu müssen; als ob ein Wurm heimlich an ihr nagte von dem Augenblick an, wo der Ring in Harald Gille's Grab fällt. Das ist richtig; nur darf man sich nicht durch Valborg's Worte, die sie an Axel richtet, irre leiten lassen, und glauben, sie sei ruhig oder resignirt, und dies selbst in der Trennungsscene im dritten Acte. Zeigt Valborg sich äußerlich zu ruhig, so bleiben die Zuschauer kalt, denn auf dem Theater kann man das Innere nur durch das Aeußere sehen. Die Hauptsache ist außerdem nicht Valborg's Tod — sondern das Poetische besteht in der schönen Schwärmerei der jungen Leute und ihrem rührenden Unglück. Damit dies zum Herzen gehen soll, muß Valborg kräftig, voller Feuer und Gefühl sein; sie will Axel durch ihre Worte beruhigen, und merkt nicht, daß sie ebenso sehr des Trostes bedarf, wie Er und daß sie sein Schicksal theilt. Ohne dieses Feuer könnte Valborg auch nicht zuletzt so in der Kirche träumen. Es ist auch unnatürlich, sich Valborg's Tod in der kurzen Zeit motivirt zu denken. Valborg stirbt vom Schlage getroffen. Die Zeit kann sie nicht hinzehren, abgesehen davon, daß dieses Zehren, wie kurz man es auch darstellen mag, etwas Unschönes hat, das womöglich vermieden werden muß. Und das habe ich auch immer gethan. Es ist ganz unrichtig, wenn man sich Correggio als einen Siechen denkt, der die ersten vier Acte hindurch ächzt und im letzten unterliegt. Die kleine innere Wunde, die vor Kurzem geheilt war, öffnet sich durch seine Heftigkeit und er fällt gerade, weil er so unvorsichtig lebhaft, bewegt und leidenschaftlich gewesen war. Alles muß Feuer und Leben sein, sowohl bei Valborg als Correggio.


Ich muß hier noch eine Anekdote von Helwig erzählen, der den Wilhelm vortrefflich spielte und Regisseur des Theaters[194] ist. Er hatte den Abend vorher wegen Axel und Valborg einen Schreck gehabt. Als er ausgekleidet war und ins Bett gehen wollte, fiel es ihm ein, daß er den Theaterzettel nicht richtig geschrieben habe; sondern daß auf der Correctur Erland Erzbischof statt Kanzler stehe. Da nun dieser Fehler zum größten Skandal Veranlassung gegeben hätte, da die katholische Geistlichkeit in Harnisch gerathen, das Stück in Zukunft verboten — Helbig vielleicht bestraft worden wäre — ward es ihm heiß im Kopf und er schickte sein Mädchen sogleich in die Druckerei. Aber als sie unverrichteter Sache zurückkehrte (Alle waren bereits im Bett), so lief er selbst hin; klopfte den Setzer heraus, ging mit ihm in die Druckerei und sah nun — daß er gegen Schatten gekämpft hatte und daß wirklich auf dem Zettel Kanzler und nicht Erzbischof stand. Froh und leicht ums Herz ging er nach Hause, kleidete sich aus, legte sich ins Bett und schlummerte süß.


Dresden. Katholischer Gottesdienst.

Ich habe in der katholischen Kirche schöne Musik gehört und freute mich in dem freundlichen hellen Gebäude zu sitzen, das, ohne gerade schön zu sein, etwas sehr Belebendes hat. Wenn der Schweizer sich nur nicht immer so viel Mühe gäbe, die Männer von den Frauen zu trennen und Jeden auf eine besondere Seite zu treiben. Es kommt mir so vor, als ob der jüngste Tag wäre, wo die Böcke von den Schafen getrennt werden. Lehnt sich Einer unvorsichtiger Weise an eine Säule oder Wand, so kommt er auch gleich und klopft ihm auf die Schulter. Er macht den meisten Spectakel in der Kirche aus lauter Eifer für die Ruhe, — und ich dachte an die Geschichte von den acht Männern, die Einen in das Getreide trugen, damit dieser nicht die Saat zertrete. Ein schönes Altarblatt von Raphael Mengs schmückt den Hintergrund der Kirche.

Wieland und der Kurfürst.

Von der Kirche führt ein verdeckter Gang zum Schlosse, durch den die königliche Familie mit dem ganzen Gefolge nach[195] dem Gottesdienste geht. Dieser ist immer voll von Menschen und ich war jetzt auch einmal da, wie vor elf Jahren. Mir war es als ob es gestern gewesen wäre; so ganz gleich schien mir der Anblick. Es macht einen wunderbaren Eindruck, eine so schöne, große katholische Kirche mitten in dem Lande zu sehen, von dem die Reformation ausging. In Bezug auf die kurfürstliche Familie und den bedeckten Gang muß ich eine kleine Geschichte erzählen. Zur Zeit, als Wieland in seiner höchsten Blüthe stand, war er einmal nach Dresden gekommen. Einer seiner Bewunderer am Hofe, vielleicht der Marschall, hatte große Lust, ihn dem Kurfürsten vorzustellen, da aber Wieland nicht den dazu erforderlichen Rang hatte (er ließ sich nicht wie Göthe, Schiller und Herder adeln), so ging es nicht an, ihn an den Hof zu bringen. Hier dagegen auf dem Gange zur Kirche glaubte sein Beschützer wohl, daß es sich machen ließe. Als also der Kurfürst vorüberging, faßte ihn der Andere bei der Hand und stellte ihn vor. Der Kurfürst stand einen Augenblick still und blätterte im Buche seines Gedächtnisses, ob es anginge, daß ein Kurfürst mit einem Poeten auf einem öffentlichen Wege spräche; da er aber wahrscheinlich kein Beispiel hierfür fand, ging er weiter, ohne von Wieland Notiz zu nehmen.


Obgleich wir mit Extrapost reisen, geht der Wagen durch den brandenburger Sand doch wie bei einem Leichenzuge, und will man sich eine richtige Vorstellung von unserer Fahrt machen, so denke man sich eine Kalesche mit Koffern und drei Menschen auf ein Pflug gesetzt, man denke sich vor diesen Pflug vier magere Gäule gespannt, und daß es fast überall Schritt vor Schritt geht; so hat man eine Idee von unserer Fahrt von Dresden nach Berlin.

Ein zudringlicher Gast.

In einem Kruge hier in der Nähe ist jüngst eine hübsche Geschichte passirt. Ein Elephant hat die Ehre für den Augenblick[196] das dresdener Publikum zu unterhalten. Da nun Elephanten auf ihren eigenen dicken Beinen einherschreiten müssen, so begab es sich, daß benannter dicker Fleischklumpen nach langsamer Wanderung mit seinem Herrn eines Abends bei diesem Bauernkrug ankam, wo man ihn, wie jedes andere Pferd, an den Schlag anband. Im Kruge saßen die Bauern, spielten bei Licht Karten, rauchten Tabak, tranken Branntwein, zankten sich, und gewannen einander das Geld ab. Der Elephant mußte dies lustige Treiben innerhalb der hellen Fenster bemerkt haben, während er selbst draußen in der finstern Nacht melancholisch stehen, und den großen Wagen und das Siebengestirn angähnen mußte, und da er sie Karten spielen sah, hatte er wahrscheinlich Lust bekommen, daran Theil zu nehmen; er erhob also mit philosophischer Ruhe seinen Rüssel, zerbrach mit Leichtigkeit die Scheiben und das Fensterkreuz, steckte den Rüssel ins Zimmer und wühlte umher. Man stelle sich vor, was betrunkene Bauern geglaubt haben müssen, indem sie so plötzlich mitten in ihrem Landsknecht durch eine so ungeheure Schlangengestalt gestört wurden. Als der Wirth hereinkam und sie Alle schreiend über einander liegen sah, hatte er alle seine Geistesgegenwart nöthig, um ihnen aus der Naturgeschichte zu beweisen, daß es nicht der Satan sei, der sie (nach ihrem eigenen wiederholten Verlangen) hole, sondern ein unschuldiger Elephant, der mit ihnen spiele; der nur Gemüse, und weder Ochsen- noch Bauernfleisch fräße.


Fahrt durch die Haide.

Wir fuhren durch lauter Haideland, wo nichts war, als Sand, Sonnenstrahlen und Fliegen. Von einzeln stehenden Büschen am Wege brachen wir Zweige ab, womit wir unsere Pferde bedeckten, um sie etwas zu schützen; denn mit den gestutzten Schweifen, mit denen sie unablässig umherschlugen, konnten sie sich nicht selbst vertheidigen.

Der Abend war schön, und nun kamen wir plötzlich zu[197] einem herrlichen kühlen Nußwald, wo die Früchte in den Zweigen uns winkten. Wir stiegen ab, und pflückten unsere Mützen voll von den noch nicht ganz reifen, aber doch wohlschmeckenden Früchten.

Weiterhin kamen wir an einen kleinen Tannenwald, wo die wenigen Brombeeren, die wir im Gebüsch fanden, uns erfrischten.

Um Ein Uhr gelangten wir an eine Station. Als ich auf dem Sopha lag, halb im Schlaf mein Butterbrod aß, das ich mit einem kleinen Hunde theilte, den ich von seinem Lager verjagt hatte, um selbst darauf zu liegen, kam Christian ganz bleich herein und sagte: „Wir können heute Nacht nicht weiter reisen; draußen auf dem Wege liegt ein armer Mann, der todtgeschlagen ist und jämmerlich stöhnt. Der Hausknecht und der Postillon haben eine Laterne angezündet, und sind hinausgegangen, zu sehen, wie es steht!“ — Ich lief zur Thür hinaus, die Leute kamen aber gleich zurück und sagten, daß es ein armer, kranker Mann aus einem der Nachbarhäuser gewesen sei, der gestöhnt habe. Je weiter wir fuhren, destomehr Pferde bekamen wir. Erst hatten wir zwei, dann bekamen wir drei; nun mußten wir vier nehmen und der Postmeister sagte, wir sollten eigentlich fünf bekommen, aber weil wir es seien, sollte es bei vier sein Bewenden haben. Hätten wir die Ehre mehr als das Geld geliebt, so hätten wir wohl mit sechsen fahren können.

Der Wagen ging, wie gewöhnlich, etwas entzwei. Im Ganzen hat er, was den Rumpf anbetrifft, eine gute Gesundheit, aber die Räder und die Stange kränkeln zuweilen. Hier zerriß ein Riemen. Glücklicherweise hatten wir eine eiserne Kette, mit der wir uns behalfen, bis am andern Morgen der Riemen wieder hergestellt war.

In einer kleinen Stadt stieg ich vom Wagen und eilte zu einem armen Barbier, um mich rasiren zu lassen. Die Frau gab dem schwachen abgezehrten Kinde — Kaffee. Armuth und Elend herrschte in allen Winkeln. Der Mann sah bleich und[198] finster aus. Als er mir das Messer an's Kinn setzte, dachte ich: Du bist hier wildfremd! Weder Bertouch noch Christian haben gesehen, wo Du hingegangen bist. Du hast alles Reisegeld in einem Gürtel um den Leib. Wenn nun der Mann dies vermuthete, in der Verzweiflung wär, dir den Hals abschnitte und deine Leiche in einen abgelegenen Brunnen würfe? Mit diesen Gedanken blickte ich ihm starr in die Augen, um ihm zu imponiren, wenn er etwas Böses im Sinne hätte. Als er fertig war fühlte ich mich ihm unsäglich verbunden und steckte dem kleinen Kinde einen Thaler in die abgezehrte Hand. Die armen Leute dankten innig, und ich schämte mich, daß ich dergleichen hatte denken können. Aber ich dachte es eigentlich auch nicht, es war nur ein Spiel der Phantasie. Wenn ein Dichter die Phantasie nicht spuken und träumen lassen könnte, ohne davon ergriffen zu werden, so wäre es schlecht mit ihm bestellt.

Am nächsten Tage kamen wir, nachdem wir die Haiden durchpflügt hatten, an einen schönen See, wo wir die Pferde beneideten, daß sie sich im frischen Wasser abkühlen konnten. Wir kamen wieder an Brombeerhecken vorüber. Da stand eine Frau, die einen großen irdenen Topf voll gepflückt hatte. Statt auszusteigen und sich welche mit eigener Hand zu pflücken, fand Bertouch es bequemer, der Frau alle Beeren abzukaufen. Für vier Groschen bekam er die ganze Ernte. Ich fragte ihn, ob er wirklich die Absicht hätte, sie alle zu verzehren. Er schwieg lächelnd, nahm sie in sein Taschentuch, legte sie in den Schooß, streifte die Aermel auf und nun begann ein Beerenessen: eine Hand voll nach der andern in den Mund. Christian ahmte seinem Herrn nach. Da saßen sie, als ob sie als Kannibalen Hände in Blut getaucht hätten. Endlich sagte ich zu Bertouch: „Darf ich um meine Portion bitten?“ Und da er, wie immer, mir höchst gutmüthig und gastfrei die größte Hälfte gab, nahm ich sie, und warf sie mit den Worten zum Wagen hinaus: „Das ist ein Opfer, das ich Ihrem Magen bringe.“ — Später machte es mir Spaß, die beiden blutrothen Schlächter allmälig[199] ganz dunkelblaue Hände, wie Färber, bekommen zu sehen. So machten sie in kurzer Zeit zwei Handwerke mit größter Leichtigkeit durch.


Ankunft in Berlin.

Welch wunderbares Gefühl, Berlin wieder zu sehen! Die ehernen Pferde über dem Brandenburger Thor haben unterdessen eine Reise nach Paris und wieder zurück gemacht.

Am zweiten Tag nach unsrer Ankunft ward ein großes Manöver in Großbeeren, zwei Meilen von Berlin, abgehalten; und darauf wurde die Hülle von einem großen eisernen Kreuze, einem Grabdenkmal für die gefallenen Krieger, abgenommen.

Eine Menge Menschen war hinausgegangen, um an dem Feste Theil zu nehmen. Aber da das Wetter nicht schön war und ich eben erst eine lange Reise gemacht hatte, fühlte ich nicht Lust, gleich wieder auszufahren, blieb zu Hause, und ließ mir von Bertouch erzählen, was er gesehen hatte.


Aufenthalt in Berlin.

Ich habe die Geheimräthe Pistor und Alberti besucht, besonders ihrer Frauen wegen, der Töchter Reichardts, die stets freundlich gegen mich gewesen waren. Pistor ist ein Sonderling, der so thut, als ob er mich nicht mehr kennt, das ist aber gleichgültig. Den Buchhändler Reimer besuchte ich in dem schönen großen Hause, das er jetzt besitzt. Schleiermacher wohnt bei ihm, befindet sich aber auf einer Fußreise. Bei Bernstorff's fand ich die gewöhnliche liebenswürdige Gastfreundschaft. Ich habe Göthe's Geschwister vortrefflich von Wolf und der Madame Stich darstellen sehen. Wolf und seine Frau, die Weimars Perle waren, sind nun in Berlin. Als ich Frau Wolf fragte, warum sie nicht in Weimar geblieben sei, antwortete sie: „Ich konnte es da nicht länger aushalten, Göthe ist ein großer Mann, aber ein kleiner Mensch.“ Bei Frau von Zschokke, Pistor's Schwester, fand ich die alte Freundschaft. Ich las da eines[200] Abends Holberg's „Die Unsichtbaren“ aus demselben alten Exemplare vor, wie vor elf Jahren.


Ich habe meinen alten Freund Kienlen hier in Berlin wiedergefunden. Er ist arm, ohne Anstellung. Göthe's Claudine von Villabella, die er schon in Paris 1809 componirt hatte, soll nun hier bald aufgeführt werden. In Zelter's Singakademie und bei seiner Liedertafel bin ich auch gewesen. Er ist ein Mann von 60 Jahren und leitet diese Akademie mit Humor und Kraft. Man beschuldigt ihn grob zu sein und er ist nicht sonderlich beliebt, gegen mich war er sehr freundlich[6].


Berlin. Theater.

Ich habe Hoffmann's Bekanntschaft gemacht. Seine Märchen und Erzählungen sind trotz des Convulsivischen und Entsetzlichen, das zuweilen zur Manier wird, voll von poetischem Feuer, einer starken Phantasie und von Humor. Er ist Regierungsrath, klein, mager. Er zeigt in seiner Unterhaltung viel Verstand. Er ist auch ein guter Musiker, und hat Fouqué's Undine übersetzt. Er und der Buchhändler (später Kriminaldirector) Hitzig luden mich ein, mit ihnen in einer Restauration zu essen, wo ich auch Berlins größten Komiker, Devrient, fand. Ich habe ihn einen französischen Kammerdiener spielen sehen, der einen deutschen Kutscher unterrichtet und ihm bei einer Flasche Wein, die sie an einem kleinen Tisch zusammen trinken, imponirt. (Den Namen des Stückes habe ich vergessen.) Man kann sich nichts Lustigeres denken. Nie kann Prahlerei und ein albernes Wesen auf eine hübschere Art persiflirt werden; all die vornehmen Manieren carrikirt, und doch mit einer bewundernswürdigen, französischen Nonchalance.


[201]

Jüngst, bei Alberti's, disputirte ich mit dem Professor Buttmann über die wissenschaftliche Terminologie. Er sagte, sie sei nöthig; ich behauptete: Nein; man könne das, was man in seiner eigenen Sprache nicht klar auszudrücken vermöge, auch noch nicht klar denken. Gewisse Schattirungen des Denkens ließen sich freilich nicht aus einer Sprache in die andere übersetzen; aber gerade dieser Unterschied mache, daß mehrere und nicht eine Sprache existire; das konnte der gelehrte Grammatiker nicht leugnen.

Das Opernhaus ist sehr schön. Seitdem das Schauspielhaus abgebrannt ist, wird hier immer gespielt; aber kommt es nun daher, daß das Opernhaus mehr abgelegen, oder daß es Sommer ist, es ist sehr wenig besucht. Der Theaterintendant Herr Graf Brühl schickt mir jeden Morgen ein Billet zu einem Sperrsitz. Ich habe Unzelmann wieder gesehen. Er wird nun alt, ein herrlicher Komiker. Er besaß nicht Iffland's Feinheit und Portraitmalertalent, aber mehr komische Begeisterung und ein lustigeres Naturel. Er hatte die Gewohnheit, zuweilen ein paar Worte seiner Rolle hinzuzufügen. Dies wurde verboten, und man mußte Strafe zahlen, wenn man das Verbot übertrat. Einmal spielte man das kleine schöne Singspiel: Richard Löwenherz, wo die Prinzessin reitend zur Burg kommt. Das Pferd machte gefährliche Capriolen auf der Bühne nach dem Orchester zu, und Unzelmann, der mitspielte, ging hin, griff in den Zügel, hob drohend seine Finger und sagte: „Weißt du nicht, daß es verboten ist, in der Rolle Zusätze zu machen?“ — Ein starker Applaus belohnte diesen Witz, und Unzelmann bezahlte mit Freuden seine Strafe.

Unzelmann stand am Vormittag mit anderen Schauspielern auf der Bühne, nachdem zu Schiller's Räubern die Probe gehalten war, gerade als das Schauspielhaus zu brennen anfing. Als er nun das Feuer unter dem Dache bemerkte, winkte er den Anderen zu und sagte leise: „Still Kinder! das muß um Gottes willen geheim gehalten werden! Das darf Niemand wissen. Wir werden es wohl bald löschen können.“ Indessen wirbelten[202] die starken Flammen bereits zum Dach hinaus, hoch in die Luft empor, und der ganze Markt war voller Menschen, die dem Brande zusahen. Die Schauspieler mußten eilen, um sich selbst zu retten.

Ich muß hierbei noch eine andere Geschichte erzählen. Ein Mensch hat am Vormittag ein Parterrebillet zur Vorstellung der Räuber genommen. Als nun das Schauspielhaus Abends 6 Uhr vernichtet war und noch in den Ruinen brannte, und ein Piquet Soldaten umherstand, um die Menschenmenge abzuhalten, kam der Mann, klopfte einem Soldaten auf die Schulter und wollte auf die Brandstätte, weil er ein Billet hatte.


Frau von Arnim.
Brentano. Fouqué.

Bei Pistor's lernte ich Frau von Arnim, Brentano's Schwester, eine lebhafte, muntere Dame, trotzig, witzig, geistreich, beredt, scherzhaft und gutmüthig kennen. Wenn sie mit Männern spricht, so neckt sie gern; man muß auf jedes Wort achten das man sagt, damit sie sich nicht daran klammern kann; man muß lustig sein und sie wieder necken, dann lächelt sie vergnügt. Sie fragte mich, ob bei mir zu Hause auch Damen seien, die mir die Wahrheit sagen könnten. Ich antwortete ihr: „O ja! wir haben sehr vernünftige artige Damen in Kopenhagen.“ „„Aber,““ sagte sie, „„wenn sie alle so höflich und artig sind, wer sagt Ihnen dann das Nothwendige derb und grob?““ „O,“ antwortete ich, „wenn ich das zur Veränderung einmal von Damen hören will, so reise ich ins Ausland!“ „„Bravo,““ rief sie und brach in Gelächter aus; „„ich verzeihe Ihnen Ihre Unverschämtheit, es war eine gute Antwort.““ Arnim ist groß, blond, hübsch und sehr still. Er hat einen poetischen Geist, nur ist er in seinen Dichtungen etwas neblig und weitläufig; doch trifft man in seinen späteren Büchern, z. B. Berthold's erstes und zweites Leben viele schöne Schilderungen. Brentano, sein Schwager, wollte sich im Anfange gar nicht mit mir abgeben, aber als er mich später eines Abends bei Arnims[203] sah, wo ich ein paar Acte aus Freia's Altar vorlas, fand ich Gnade vor seinen Augen und nun sind wir sehr gute Freunde. Er gleicht der Schwester. Mit vielem Witz spricht er von Allem, stellt Alles in ein barockes Licht, und findet leicht Fehler in Dem heraus, was man sagt; gesteht aber doch selbst, daß auch er ein sündiger Mensch ist. Er ist in der letzten Zeit etwas fromm geworden, glaube ich, ließ sich aber mir gegenüber nicht weiter darüber aus, weil er merkte, daß ich es nicht auf seine Weise sei. Er ist kaum mittelgroß, hübsch, aber ziemlich bleich und mager; das schwarze lockige Haar hängt ihm wild um den Kopf. Seine Augen mit großen Lidern sind braun, voller Feuer und unstet. Es ist keine Frage, daß er viel Geist und Talent besitzt; wenn er nicht zu negativ wäre und mehr Ruhe hätte, könnte er es gewiß weit bringen. Ich las ihm etwas aus meinem Evangelium des Jahres vor, das er sehr lobte; aber auf eine Weise die stets unangenehm ist; wenn nämlich der Richter nicht bloß einzusehen sondern auch zu übersehen glaubt, was er beurtheilt.


Vor Kurzem kam Fouqué sieben Meilen weit von seinem Gute her, um meine Bekanntschaft zu machen. Hoffmann bat uns, diesen Abend bei ihm zuzubringen und so hatten wir Drei nun wirklich einen echten Dichterabend. Fouqué ist ein offenherziger, freundlicher Mann, gutmüthig und mittheilend, er hat ein edles Herz und eine reiche Phantasie. Seine Undine, sein Galgenmännlein, der unbekannte Kranke, Ixion u. s. w. sind vortrefflich. Er ist meiner Ansicht nach am vorzüglichsten in seinen Märchen. Zu dem Dramatischen fehlt ihm die Aufmerksamkeit für die wirkliche Natur. Er träumt schön von Tapferkeit, Liebe und Alterthum. Man könnte etwas mehr Gedankenreichthum in seinen Werken wünschen und das Adelige spielt eine zu große Rolle darin. Er ist durchaus nicht beißend, polemisch oder satirisch, läßt alles Gute gelten und auch einen[204] Theil Mittelmäßiges. Dänisch versteht er sehr gut; und hat die meisten meiner dänischen Werke in seinen Abendzirkeln Deutsch vorgelesen. Er ist nicht sehr groß, ziemlich stark, blond und hat krauses Haar. Hoffmann, ein burlesker, phantastischer Gnome, mit vielem Verstand, stand mit der weißen Schürze wie ein Koch da und bereitete Cardinal aus Rheinwein und Champagner. Der Pokal ging unablässig umher; wir erzählten uns einander kleine Geschichten und abenteuerliche Ereignisse, die entweder uns oder Anderen widerfahren waren. Unter Anderem kann ich folgende Novelle von einem Juden mittheilen, die Hoffmann erzählte.

Fouqué. Hoffmann.

Dieser Jude fühlte sich von den Wahrheiten der christlichen Religion überzeugt und ließ sich taufen. Kaum war er getauft, als er in jeder Nacht von seiner todten Frau beunruhigt wurde. Sie erschien ihm, rang ihre Hände, starrte ihn mit hohlen Blicken an, zeigte auf ihren Scheitel, und jammerte darüber, daß sie keine Ruhe im Grabe habe, weil sie nicht auch Christin geworden sei. Er veränderte seine Wohnung, aber sie verfolgte ihn, erschien ihm in jeder Mitternacht und verlangte der heiligen Taufe theilhaftig zu werden. Um der Unglücklichen Ruhe im Grabe zu schaffen, und um den Lebenden von der gräßlichen Erscheinung zu befreien, beschloß die Obrigkeit und die Priesterschaft, das Grab zu öffnen und die Leiche zu taufen, was denn auch geschah. Von diesem Augenblicke an ließ sich das Gespenst nicht mehr sehen, sondern fand eine selige Ruhe. — Aber nun kommt die Erklärung der Fabel: Kurz darauf bekam der Jude einen Proceß mit den Erben seiner Frau, die sie beerben wollten; aber da berief er sich darauf, daß seine Frau auch getauft sei und nun das Erbe ihm gehöre.

Hitzig. Körners.

Während wir bei solch' gräßlichen Erzählungen dasitzen und die Phantasie durch Cardinal erhitzen, wende ich den Kopf zur Seite und sehe — einen kleinen schwarzen Teufel — mit einem Horn auf der Stirn, und einer rothen Zunge aus dem Munde hängend, sich über meine Schulter beugen. Es war dies eine Marionettenpuppe, die Hoffmann gekauft hatte (er hat den ganzen[205] Schrank voll), mit der er manövrirte, um mich in einem grausigen Märchen zu erschrecken. Einmal erzählte Fouqué etwas, und nun setzte Hoffmann sich ans Klavier, accompagnirte Fouqué's Erzählung und malte Alles mit Tönen aus, je nachdem es grausig, kriegerisch, zärtlich oder rührend war und das machte er ganz vortrefflich. Am nächsten Abend waren wir bei Hitzig, hier aber gerieth Fouqué über Tisch in ein langwieriges Gespräch mit einer Dichterin, welche wissen wollte, wie er es machte, wenn er dichtet. Es kam zu keinem Ende und es war mir unangenehm, indem ich dadurch seine Gesellschaft einbüßte. Er zeigte mir beim Abschied seinen Degen, auf welchem steht: Pour moi mon âme, mon coeur pour ma dame; oder etwas Aehnliches. Ich mußte versprechen, ihn zu besuchen, aber diesmal wird wohl nichts daraus werden.


Ich war bei den alten Körners. Er, seine Frau und seine Schwägerin haben sich fast gar nicht verändert, aber die Jugend im Hause ist todt. Als ich bei ihnen eintrat, brachen beide Frauen in Thränen aus; denn der Gedanke an Theodor und Emma erwachten wieder lebhaft in ihnen. Theodor Körner's kurzes Leben war schön und rührend. Ein junger begeisterter Tyrtäus für sein Vaterland, ein ehrlicher Kämpe. Wäre Friede gekommen, und er dramatischer Dichter geworden, so hätte er sich kaum auf dieser Höhe gehalten. Sein „Leyer und Schwert“ ist vortrefflich. Als Theaterdichter zeigt er keine besondere Anlage, sondern ahmt Schiller sehr in dem zu zierlichen Dialog nach, ohne doch die nöthige Kraft, Beweglichkeit und Humor in die Charactere und die Handlung zu legen.


Tieck.

Vor Kurzem kam Tieck von einer sehr forcirten Reise zurück. Er ist in England gewesen und hat in den alten Sagen von Shakspeare, seinem Theater und seinen Schauspielern umhergestöbert;[206] hatte das Verhältniß erforscht, in dem Shakspeare zu den Dichtern seiner Zeit stand, was von Anderen geschrieben war, als und bevor er dichtete u. s. w. Dieses Buch kann sehr interessant werden. — Ich fand Tieck sehr verändert; er geht von Gicht gekrümmt an seinem Stocke und ist ziemlich stark geworden. Wenn ich mit ihm allein spreche, hat er ein freundliches Wesen, einen einnehmenden schalkhaften Blick und einen gutmüthigen aufrichtigen Ton. Was seine Ansichten betrifft, bin ich in Vielem anderer Meinung und erquicke mich mehr an seiner Poesie, als an seiner Philosophie. Er ist mir zu streng gegen die jetzige Zeit, und betrachtet das Mittelalter, sein Mönchswesen, Aristokratie und erste Kunstversuche mit allzu günstigen Augen.

Als er Canova einmal zu sehr herunterriß, wurde ich böse und sagte: „Canova ist ein ausgezeichneter, seltener Künstler, er ist kein Thorwaldsen, aber Silber ist gut, obgleich es kein Gold ist.“ Tieck meinte, daß er gar kein Bildhauer sei und sagte: „„Wenn Er Bildhauer ist, so weiß ich nicht, was ein Bildhauer ist.““ — „Das will ich Dir sagen,“ antwortete ich, „das ist ein Mann, der einen Stein mit einem Meißel behaut und schöne Bilder hervorbringt, und das hat Canova oft gethan.“ — Indessen kam es doch bald zu einem Vergleich, und als ich ging, sagte er mit freundlichen Blicken: „Nun sei nicht böse!“ — Bei Zschokke's hatten wir letzthin eine rechte Künstlermahlzeit, da waren Tieck, Schinkel, Arnim, Brentano und mehrere Andere. Es wurde Rheinwein getrunken und gesungen: „An grünen Bergen wird geboren“ und „Am Rhein, da wachsen unsere Reben.“ Zuletzt sang ich Dänisch, was die Anderen gern hörten. —


Ein talentvoller Barbier.

Da wir einmal vom Singen sprechen, muß ich eine komische Geschichte erzählen. Mein Barbier hörte mich letzthin des Morgens trällern und sagte: „Ach, der Herr Professor singen jewiß scheen.“ — „„Es geht,““ antwortete ich. — „Ich habe auch eene sehr jude Stimme,“ sagte er, indem er mich einseifte,[207] „und Beschort hat mich vor 30 Jahren jesagd, deß ick een sehr jroßer Sänger hätte werden können.“ — „„Das hätten Sie thun sollen,““ entgegnete ich. — „I nun,“ sagte er, indem er mich bei der Nasenspitze faßte, „ick bin ja och so recht jlücklich.“ — Nach einer kleinen Pause fing er wieder an: „Ick singe den heegsten Diskant un den tiefsten Baß. Ick kann ooch Alt un Tenor singen. Woll'n Se hören?“ — Nun stieg er in die Fistel hinauf, wie der Küster Peter im Erasmus Montanus. — „Herr Gott, das war schön,“ dachte ich. — „„Ach, Herr Professor,““ fuhr er fort und frischte die Seife auf, „„woll'n Se nich ooch ä bischen singen, denn will ick secundiren.““ — „Mit Vergnügen,“ antwortete ich. Und nun fing ich, eingeseift wie ich war, sehr feierlich an: „In diesen heiligen Hallen,“ und er, indem er eifrig das Messer auf dem Lederriemen strich: „kennt man die Rache nicht.“ Wer herein gekommen wäre und uns so gesehen und gehört hätte, hätte sich zu Schanden gelacht.


Vor einigen Abenden las Tieck seine Uebersetzung: „Der Flurschütz von Greenfield,“ der sich in seinem altenglischen Theater findet. Er liest vortrefflich vor und hat echtes Schauspielertalent, besonders für das Komische. — Ich habe ihm die zwei ersten Acte von Ludlam's Höhle vorgelesen, mit denen er sehr zufrieden war. — Als ich jüngst mit ihm unter den Linden ging, begegneten wir einem sehr schönen, anmuthigen Mädchen, welches ihn erröthend grüßte, und ihn mit der innigsten Hingebung fragte, wie es ihm gehe. Sie wünschte ihm recht warm Gesundheit und langes Leben als sie ihn verließ, und ich konnte an ihrem Gruße und an der Wärme, mit der sie sprach, sehen, wie lieb sie ihn hatte.


Schinkel.

Mit Tieck besuchte ich den Baurath Schinkel, einen seltenen Architekten und Maler. Wir sahen mehrere seiner Landschaften,[208] in denen der Gegenstand ebenso romantisch wie die Ausführung kräftig und schön ist. Wir fanden bei ihm auch die Frau Arnim. Tieck saß vor jedem Bilde in einem Lehnstuhle und betrachtete es außerordentlich lange mit großer Aufmerksamkeit und großem Ernst. Frau Arnim huckte sich vor den Bildern nieder, fing zu scherzen an, neckte mich wie gewöhnlich und fragte, ob ich mich auf Gemälde verstände; was für Ideen ich hätte u. s. w., Alles nur, um den gravitätischen Tieck zu stören, der sie von Kindheit auf kennt und nun halb böse, halb lächelnd wie ein Großvater schalt, weil sie so unruhig war und ihn in seiner Andacht störte.

Schinkel zeigte uns seine trefflichen Zeichnungen zu einer gothischen Kirche, so wie es vor ein paar Jahren der Plan war, sie hier zu bauen. Nun wird aber wohl nichts daraus. Die meisten der schönen Decorationen, die man auf dem Theater hatte, die aber nun leider beinahe alle verbrannt sind, verdankte man Schinkel. Besonders sollen die Decorationen zu Fouqué's Undine, von Hoffmann entworfen, vortrefflich gewesen sein. Kühleborn's Erscheinung und Undine's Geist in den klaren Springbrunnen sollen jede Erwartung übertroffen haben.


Ich habe einmal beim Grafen Brühl zu Mittag gegessen. Er hat einen schönen Garten, wo der Tisch unter einem Zelt in der Nähe hoher, schattiger Pappeln gedeckt war. Die Gräfin ist eine liebenswürdige, schöne Dame, voller Geist, und, was merkwürdig ist, liebt und zieht die deutsche Literatur der französischen vor, obgleich sie Französisch erzogen ist. Sie spricht auch sehr gut Deutsch und der leise Anklang des französischen Accents steht ihr gut.

Ich war auch ein paar Mittage in dem großen Garten bei dem Buchhändler Reimer, der nun nach Hause gekommen ist. In solch schönen Gärten vergißt man ganz, daß man sich in den Berliner Sandebenen befindet, denn der Thiergarten ist gar nicht[209] schön. Auch in diesem habe ich einen Mittag bei dem General Helvig und dem jungen schwedischen Dichter Atterbom zugebracht. General Helvig ist ein rascher, lebendiger, gewandter Weltmann und Atterbom ein blonder, schwärmerischer Jüngling, dessen Anlagen zu den besten Hoffnungen berechtigen. Ich disputirte mit Helvig über den Magnetismus, gegen den er sehr stark eiferte und ihm jede Wirkung absprach; ich führte an, was ich bereits früher erzählt habe.


Ein Magnetiseur.

Professor Wolffhardt treibt hier den Magnetismus ins Große und hat eine ordentliche Fabrik für seine Patienten, die er alle mit Hülfe desselben curirt. Herr Muhr aus Kopenhagen, der sich auch auf diesen Zweig der Wissenschaft legt, führte mich in Wolffhardt's Laboratorium, einen großen, finstern Saal, voll von Herren und Damen, die stumm wie das Grab da saßen und sich selbst magnetisirten. Zwei große magnetische Säulen stehen in jedem Winkel des Saales; von diesen Säulen gehen dünnere Stahlstäbe aus. Nun setzen die Patienten sich in zwei Kreisen um die Hauptsäulen; jeder nimmt seine Stahlstange in die Hand, setzt sie auf die Herzgrube, und fängt nun an so lange darauf zu reiben, bis er in Schlaf fällt. Darauf führt der Professor die Schlummernden auf einige kleine Sophas, die sich an den Wänden hinter grünen Gardinen befinden. Und wenn nun Jeder in seinem Behältniß sitzt, so flüstert er ihnen, wie ein Beichtvater in einem Beichtstuhle, zu, und erhält Antwort. Uebrigens herrscht Todtenstille da, und Keiner spricht mit dem Andern ein Wort. Ich folgte Wolffhardt, und hörte ihn eine Dame Etwas über ihren Zustand fragen. Sie sagte: daß sie noch einige Wochen das Medicament gebrauchen müsse, das sie angefangen habe u. s. w. Es war nicht so amüsant, wie bei Tschöppholz in Wien. Hier waren mir zu Viele, es war nicht so zauberhaft, wie mit jenem einzelnen Clairvoyant; und mochte es nun daher kommen, daß ich mich an diese Vorstellung gewöhnt[210] hatte, oder was es sei — kurz — ich hatte genug an dem einen Male und kam nicht öfter, obgleich der Professor so freundlich war, mir freien Zutritt zu erlauben, so oft ich wollte.


Professor Solger.

Ich habe einen Abend bei Frau Reichardt zugebracht. Ihre Tochter Sophie sang mir einige von den Liedern des Vaters vor und wir träumten uns nach Giebichenstein zurück. Hier traf ich den Professor Solger. Ich las ihm meine Romanze „der Walrabe“, die ich kurz vorher ins Deutsche übersetzt hatte, vor. Ich besuchte ihn ein paar Tage darauf mit Tieck. Der Mann interessirte mich als ein geschmackvoller Gelehrter. Seine Uebersetzung des Sophokles hatte ich sehr fleißig studirt und mich dadurch sowohl mit dem Trimeter, wie mit der musikalischen Schönheit des Chors und der effectvollen Anwendung der Anapästen und Spondeen bekannt gemacht. Aber ich merkte wohl, daß Solger nicht viel mehr für mich empfand. Er und Tieck lobten unablässig den verstorbenen Heinrich Kleist als einen großen Dichter, dessen Tod eine empfindliche Lücke in der deutschen Literatur zurückgelassen hätte. Darin war ich auch einig mit ihnen, denn ich achtete selbst dieses Talent sehr hoch. Dagegen konnte ich nicht ihren Enthusiasmus für die Tragödie „der Prinz von Homburg“ theilen, die mir zu preußisch ist, als daß sie recht poetisch sein könnte, und in der das Motiv „augenblickliche Feigheit“ eines sonst braven Officiers etwas Peinliches und Kleinliches hat. Solger war ein blinder Bewunderer Tieck's und nahm all' dessen Ansichten in seine Philosophie auf. In seinem „Erwin,“ den ich etwas später las, fand ich dies bestätigt. Ich ward in diesem Buche in eine Klasse mit Werner und Fouqué gestellt und als ein untergeordneter Dichter betrachtet. Aber daran bin ich bei den norddeutschen Literatoren gewöhnt (in Süddeutschland spricht man in einem andern Tone). Doch habe ich den Trost, daß Solger in seinem Buche mit Verachtung von Jean Paul's Aesthetik, einem Werke, spricht, das leben, beliebt[211] sein und gelesen werden wird, so lange eine deutsche Literatur existirt. Solger ist fast schon vergessen.


Es that mir recht leid, mich so bald wieder von meinem guten Tieck, unleugbar einem der genialsten Dichter Deutschlands, und mit dem ich in so vielen Dingen sympathisire, trennen zu müssen. „Du bist mir zu sentimental,“ sagte er einmal zu mir mit freundlichem Lächeln. „„Ich weiß, daß ich Dir das sein muß,““ war meine Antwort. Ich hatte damals nicht Lust weiter zu antworten, sonst hätte ich gesagt: „„Und Du bist mir zu phantastisch.““

Ich erinnerte mich des Gesprächs, das ich einmal mit Werner hatte, als er die Hand auf meine Schulter legte und sagte: „Lieber Freund, Ihr seid mir gar zu gesund,“ und ich ihm antwortete: „„Lieber Freund, Ihr seid mir gar zu krank!““


Schleiermacher.

Ich war auch in der reformirten Kirche und hörte Schleiermacher predigen. Schleiermacher spricht durch den Verstand zum Herzen. Es scheint, als sollte es eine trockene, moralische Abhandlung werden; plötzlich verbinden sich all' die ruhig bewiesenen Sätze wie hohe Blumenstengel zu einem Tempel zur Ehre der Gottheit, in dessen Mitte der Altar der Liebe steht und seine Flamme mit dem Licht der Wahrheit vereinigt. Schleiermacher ist im täglichen Leben freundlich und witzig. Er hat in seinen Gesprächen Etwas von jener schönen sokratischen Ironie, die sich so gut mit dem höchsten Streben vereinigen läßt. Ich nahm im Beichtstuhl von ihm Abschied, wo er mit dem Küster stand, und das Geld zählte, welches im Klingelbeutel eingekommen war.


Mein Reisegefährte, Justizrath Wiedemann, ist ein sehr vernünftiger, einsichtsvoller Mann. Sein Fach ist die Naturgeschichte,[212] und er war nach Berlin unter Anderm gereist, um einige Insecten zu erhalten. Hiervon trug er die besten aus dem Schooß, und es amüsirte mich, in den vielen freien Stunden, wenn der Wagen nicht allzusehr stieß, die schönen, blau und roth geschildeten Roßkäfer, die wunderlichen Hirschkäfer, die Nashörner, kleine coquette Gotteskühchen mit den Pünktchen zu sehen. All' die Armen waren lebendig gespießt, und der Insectenkasten war eigentlich eine große Richtstätte voller Galgen. Indessen saß er doch wie ein liebevoller Vater mit seinen kleinen lebendig gespießten Schooßkindern auf den Händen die ganze Reise hindurch, und wiegte sie, damit sie sich nicht stoßen sollten.


Lübeck, den 18. September.

Das Erste, was ich hier that, war, in der Zeitung mich nach einer Gelegenheit nach Kopenhagen umzusehen. Es gab deren zwei: die eine mit dem Delphin, die andere mit dem Jungen Lars. Als Poet versuchte ich natürlich zuerst auf den Delphin zu kommen, da ich von Arion her weiß, daß er es mit den Dichtern ehrlich meint. Aber der war erst in drei Wochen segelfertig. Nun mußte ich mich nach dem Jungen Lars umsehen; aber Lars hatte nicht mehr Geduld gehabt, in Lübeck zu bleiben, sondern war nach Travemünde hinausgeschwommen, und spähte von dort auf eine günstige Gelegenheit zum Weiterreisen. Nun schickte ich zum Schiffer, Herrn Mörck, und er antwortete, ich würde willkommen sein.


Heimkehr.

Vorgestern morgen legte das Schiff bei, und ich ließ mich an die Treppe der Zollbude rudern. Es hat etwas viel Anziehenderes, zur See, als zu Lande nach Hause zu kommen. Zu Lande gewöhnt man sich nach und nach an das Vaterland; hier aber kommt es auf einmal. Die kräftigen Flüche der lieben Matrosen klangen mir süßer im Ohre, als Nachtigallengesang;[213] und ich hätte ihnen beinahe Geld gegeben, um noch mehr zu fluchen. Als ich am Wirthshause bei der Zollbude stand, überlegte ich, ob ich gleich nach Hause eilen sollte, wie ich war, oder ob es besser sei, erst einen Boten vorauszusenden. Dies schien mir zuletzt doch dass Beste zu sein. Ich schickte also Jemand fort, ließ mich rasiren und kleidete mich um. Welch wunderbares Gefühl, hier in einem fremden Wirthshause, in einem fremden Zimmer zu stehen, was ich so oft gethan; aber jetzt nun zum letzten Male, und so nahe meinem eigenen Heerde. Der Bote kam zurück, berichtete mir von der Freude der Geliebten, und nun eilte ich heim.

Wie soll ich mein Entzücken beschreiben, als ich sie Alle weinend und schluchzend mir Kußhände durchs Fenster zuwerfen sah. Sie kamen mir auf der Treppe entgegen! Alle drei Kinder waren ein gutes Stück gewachsen, und hatten wegen des Vaters Rückkehr neue Kleider an. William erkannte mich gleich an meinem Portrait, das er in meiner Abwesenheit so oft betrachtet hatte; ihm war vor dem halbfremden Vater gar nicht bange, sondern er klammerte sich neugierig und vertrauensvoll und freundlich an mich an. Lotte stand sprachlos und weinte und küßte meine Hände; der kleine Johannes starrte zu seinem Vater schweigend mit schweren Thränen in den ernsten Augen empor. Meine treue Christiane wußte nicht, wo sie vor Freude hin sollte. Seligere Augenblicke giebt es auf Erden nicht; sie sind eben so süß und belebend, wie der Abschied schmerzlich ist.


Fußnoten:

[1] Dieser Sprachlehrer war Depping, der später die „Geschichte der Normannen“ geschrieben hat.

[2] Als ein Meister dieser Kunst zeigte sich viele Jahre später unser Bournonville.

[3] Diese „sehr schöne Oper“ war sein göttlicher Fidelio, den ich erst einige Jahre darauf kennen und als ein Werk schätzen lernte, das neben Mozart's Meisterwerken steht. Zweimal sandte der große Künstler einen Freund mit der Aufforderung zu mir, ihm ein Singspiel zu schreiben — und ich ließ es sein! Hätte ich es gethan, und es wäre mir wie Ludlam's Höhle und die Räuberburg geglückt, und Beethoven hätte eine Oper, wie Fidelio, dazu geschrieben, — welch ein Triumph! Eine edlere Rache hätte mir nicht über den zwar großen Künstler aber mir ungetreuen Weyse werden können, der mit Baggesen befreundet wurde, gerade als dieser Ludlam's Höhle am allerärgsten herunterriß, Verse schrieb, um Baggesen's Räthsel zu lösen, und dann stets verwarf, was ich ihm zum componiren geben wollte.

[4] Göthe nahm bekanntlich seinen Abschied als Theaterdirector weil ein Hund in diesem Stücke auf dem Theater zu Weimar auftreten durfte.

[5] Tieck hat das Stück weit besser als Correggio gefunden.

[6] Wie ehrlich er dies meinte, hat man aus dem Vorhergehenden gesehen.


Ende des dritten Bandes.

Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.


Verlag von Carl B. Lorck.

Literarische Neuigkeiten.

Ostern bis Michaelis 1850.

Alle unten angezeigten Werke sind in allen Buchhandlungen Deutschlands und des Auslandes entweder vorräthig oder können zu den beigesetzten Preisen bezogen werden.

Oersted, Hans Christian, Der Geist in der Natur. Deutsch von Prof. Dr. K. L. Kannegießer. Nebst einer biographischen Skizze von P. L. Möller und mit dem Portrait des Verfassers in Stahl gestochen von Weger. Preis 1 Thlr. 10 Rgr.

Oersted, Hans Christian, Die Naturwissenschaft und die Geistesbildung. Auch u. d. T.: Der Geist in der Natur. II. Deutsch von Prof. Dr. K. L. Kannegießer. 1 Thlr. 5 Rgr.

Oersted, Hans Christian, Die Naturwissenschaft in ihrem Verhältniß zur Dichtkunst und Religion. Ein Supplement zu: Der Geist in der Natur. Deutsch von Prof. Dr. K. L. Kannegießer, mit einem Vorworte von P. L. Möller. Preis 15 Rgr.

Seit Humboldt's „Kosmos“ dürfte kein Werk mit ähnlichem Beifall aufgenommen worden sein, wie diese Schriften des berühmten Physikers, die in leicht verständlicher Sprache abgefaßt, für das ganze gebildete Publikum berechnet sind. Die Blätter für literarische Unterhaltung sagen: „In anspruchsloser gemüthlicher Sprache durchwandert dieses Buch die fruchtbarsten Gefilde der gesammten Naturkunde und bestellt bald hier bald dort den Boden mit der geistigen Frucht scharfsinnigen Denkens. Der Leser folgt ihm überall mit dem lebhaftesten Interesse, und kehrt gewiß nie anders heim als mit den dankbarsten Gefühlen eines reichen Erntesegens. Das Werk wird viel gelesen werden, weil es ohne Ausnahme für alle Leser einen reichen Stoff zum Denken giebt. Es wird für die Sachverständigen und Freunde der Naturwissenschaften mit triumphirender Freude begrüßt werden; denn es bietet Das, was Jeder längst als wahr erkannt hat, daß nämlich ein verständiger und weiser Umgang mit der Natur den Menschen bessere, erhebe, und ihn allmälig emporführe zu den höchsten Stufen geistiger Bildung. Darum werden sie ohne Ausnahme Alle wünschen, daß diese durchaus populair gehaltene Schrift gerade in die Hände der bisherigen heimlichen Feinde der Naturwissenschaften kommen möge, damit sie in diesem klaren Spiegel der reinsten und edelsten Naturanschauung die häßliche Unnatur Ihres versteckten Strebens zur Erkenntniß bringen, und den Vorsatz zur Besserung fassen können. Die liebevolle Milde, das freundliche Dulden aller Einreden und selbst Vorwürfe, womit das Buch jeden Schritt vorwärts thut, die hülfereiche Rücksicht mit der es sich auf naturwissenschaftlich schwachgebildete Leser bezieht, und sich zu ihnen herabläßt ohne die Reifern dadurch gerade zu langweilen, dies Alles ist es was das Buch zu einer Lieblingslectüre eines sehr großen Kreises von Denkern aller Grade und Richtungen stempeln wird. Es interessirt den gebildeten Mann wie die geistreiche Frau; es erhebt und kräftigt das Denken und Wollen des edeln Jünglings ebenso mächtig wie es den geistigen Blick der feinfühlenden Jungfrau klärt und stark macht zum Eindringen in die Ehrfurcht einflößenden Tiefen des Schöpfers aller Welten und aller Natur auf Erden und im Himmel. Ja, das Werk zeigt mit der Fülle eines hochbegabten, vielgeübten Geistes das Ewigbleibende, den Geist in der Natur.“

„Eine kurze, aber in jeder Hinsicht würdig gehaltene Biographie des Verfassers bildet den Eingang des Werks. Sie ist aus der Feder P. L. Möller's, eines jetzt in Berlin wohnenden dänischen Gelehrten geflossen, und zeigt überall eine tiefgefühlte Hochachtung vor dem großen Manne, ohne das Lob bis zu der excentrischen Höhe zu steigern wo es leicht umschlagen und misfallen kann. Die ganze Art der Auffassung der Lebensmomente des großen Mannes ist nobel und ruht überall auf dem sichersten Grunde der reinsten Wahrheit.“

„Dem Herrn Kannegießer müssen wir schließlich noch ein warmes anerkennendes Wort des Dankes aussprechen für die Sorgfalt womit derselbe ein so ausgezeichnetes Werk auch ausgezeichnet auf unsern deutschen Grund und Boden verpflanzt hat. Daß das Buch mehr wie eine bloße Uebersetzung sei, fühlt jeder aufmerksame Leser.“

Wir begnügen uns dieses Urtheil anzuführen, bemerken aber, daß alle kritischen Organe sich einmüthig in derselben Weise ausgesprochen haben.

Die obenerwähnten drei Werke Oersted's, welche zusammen ein Ganzes bilden, sind auch elegant in zwei Bände gebunden zu haben; Preis des Einbandes 20 Rgr., und eignen sich diese Werke so ganz vorzüglich zu Festgeschenken.

Oehlenschläger, Adam, Meine Lebens-Erinnerungen. Ein Nachlaß des Dichters. Deutsche Originalausgabe. Mit dem Portrait des Verfassers nach Gertner, in Stahl gestochen von Weger. 4 Bände.

6. Thlr. 20 Rgr.
Elegant geb. für den Einband 1 Thlr. 10 Rgr.

Als Schlußstein seiner literarischen Wirksamkeit beabsichtigte Oehlenschläger seine Erinnerungen erscheinen zu lassen. Das Manuscript war zur Herausgabe geordnet, es sollte jedoch dem Dichter nicht beschieden sein, diese selbst zu leiten, indem der Tod seine schöne und reiche Wirksamkeit im verflossenen Januar endigte. Oehlenschläger's Leben war nicht eine Kette abenteuerlicher Begebenheiten, es floß, wie das des deutschen „Dichterfürsten“ ruhig und heiter hin, aber Wenige hatten, wie „der nordische Dichterfürst“ Gelegenheit tiefere Einblicke in die literarischen Verhältnisse seiner Zeit zu thun; Wenigen war es vergönnt, in eine so enge Beziehung, zu beinahe allen Koryphäen der Literatur, der Kunst und der Bühne zu treten. Hierdurch gewinnen seine Erinnerungen ein großes Interesse und sie werden stets einen bedeutenden Platz in der Memoiren-Literatur Deutschlands einnehmen.

Kopenhagen und seine Umgebungen. Ein Handbuch für Reisende nach Dänemark. Mit einer Ansicht von Kopenhagen in Stahl gestochen, einer Karte der Stadt und des nordöstlichen Seelands und einem Plane von Thorwaldsen's Museum.

Eleg. geb. Thlr. 15 Rgr.

Es ist dieses Werk mit der größten Sorgfalt und mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse des deutschen Reisenden abgefaßt. Außer einer genauen Beschreibung der Stadt und deren Sehenswürdigkeiten, der Umgebungen, einem Ausfluge durch das nördliche Seeland und das südliche Schoonen enthält das Werk noch einen gedrängten Abriß der Geschichte, der Statistik, der Staatsverfassung und der Literaturgeschichte Dänemarks, viele Nachweisungen, Verzeichnisse, allgemeine Bemerkungen &c. &c.

Burckhardt, Eduard, Allgemeine Geschichte der Jahre 1840–46.

Preis 1 Thlr. 20 Rgr.
Gebunden 2 Thlr.
Elegant geb. für den Einband 10 Rgr.

A. u. d. T.: Allgemeine Geschichte der neuesten Zeit. 5. Band.

Burckhardt, Eduard, Allgemeine Geschichte der Jahre 1815–40. Dritte vermehrte und verbesserte Auflage. Zweite unveränderte Ausgabe.

4 Bände. 5 Thlr. 10 Rgr.
Elegant gebunden für den Einband 1 Thlr. 10 Rgr.

A. u. d. T.: Allgemeine Geschichte der neuesten Zeit. 1–4. Band.

Die Geschichte der Jahre 1847–1850 (der allgemeinen Geschichte 6. und 7. Band) wird binnen Kurzem erscheinen.

Der erste Band schildert die Ereignisse von der Stiftung der heiligen Allianz bis zum Congresse von Laibach.

Der zweite Band begreift den Zeitraum vom Ausbruch der griechischen Revolution bis zum Tode Alexander's I.

Der dritte Band beginnt mit der Thronbesteigung Karl's X. und schließt mit der Beendigung der griechischen Revolution.

Der vierte Band endlich erzählt die Begebenheiten von der Julirevolution bis zum Tode Friedrich Wilhelm's III.

Unter den vielen in neuester Zelt erschienenen Geschichtswerken dürfte wohl keines dem denkenden Leser willkommener sein, als eine treue unparteiische Darstellung der Zeitereignisse, welche vor unsern eigenen Augen vorübergegangen, und an denen wir alle mehr oder minder, wenn auch nur geistigen Antheil genommen haben. Welch eine Reihe großartiger Ereignisse hat sich nicht seit der Stiftung des sogenannten heiligen Bundes, bis in die jüngsten Tage begeben? Und wer wäre wohl geistig theilnahmlos geblieben in dem großen Kampfe zwischen Liberalismus und Antiliberalismus, in welchem nach den Worten eines unserer größten Geschichtschreibers der allgemeinste und Grundcharakter der neuesten Zeit besteht! „Die fortschreitende Entwickelung und Ausführung des Systems der heiligen Allianz, die Einwirkung desselben auf alle äußern und innern Verhältnisse der Nationen, auf alle Interessen und auf alle Schicksale des Welttheils, ja der ganzen civilisirten Welt, bilden den weitaus vorherrschenden Character der neuesten Geschichte.“ Und diese Zeit in ihren großartigen sowohl als verwerflichen Erscheinungen zu characterisiren, jenen Kampf zu beschreiben mit seinen Niederlagen und Siegen, dieß war der Zweck des Verfassers bei dem vorgenannten Werke; in wie weit er seinen Zweck erreicht hat, darüber mag am besten die Verbreitung der ersten Abtheilung des Werkes in drei starken Auflagen und die Einmüthigkeit, womit eine ehrenhafte Kritik es als gutes und tüchtiges Werk begrüßt hat, sprechen.

Historische Hausbibliothek. Herausgegeben von Prof. Dr. Friedrich Bülau. 13–17. Band.

Enthält:

Haltaus, Carl, Geschichte des Kaisers Maximilian des Ersten. Mit dem Portrait Maximilian's in Stahl gestochen nach Albrecht Dürer.

1 Thlr.
Eleg. geb. für den Einband 10 Rgr.

A. u. d. T.: Historische Hausbibliothek. 13. Band.

Guizot, Franz, Geschichte der englischen Revolution bis zum Tode Karl's des Ersten. Mit dem Portrait Karls.

1 Thlr.
Eleg. geb. für den Einband 10 Rgr.

A. u. d. T.: Historische Hausbibliothek. 14. Band.

Nordstein, F. A., Geschichte der Wiener Revolution. Mit dem Portrait des Erzherzogs Johann in Stahl gestochen.

Preis 1 Thlr.
Eleg. geb. für den Einband 10 Rgr.

A. u. d. T.: Historische Hausbibliothek. 15. Band.

Irving, Washington, Das Leben Mohammeds. Mit dem Portrait Mohammed's in Stahl gestochen.

Preis 1 Thlr.
Eleg. geb. für den Einband 10 Rgr.

A. u. d. T.: Historische Hausbibliothek. 16. Band.

Schröder, Joh. Friedr., Geschichte Karls des Großen. Mit dem Portrait Karls nach Albrecht Dürer.

1 Thlr.
Eleg. geb. für den Einband 10 Rgr.

A. u. d. T.: historische Hausbibliothek. 17. Band.

Früher erschien: 1. Kugler, Friedrich der Große. 2. Conscience, Belgien. 3. Laurent, Napoleon. 4. Groß-Hoffinger, Joseph II. 5. Groß-Hoffinger, Karl von Oesterreich. 6. Gravière, Nelson. 7. Pelz (Welp), Peter der Große. 8. Bonnechose, Huß. 9. Mignet, Revolution. 10. Williards, Nordamerika. 11. Allen, Dänemark. 12. Lamartine, Februar-Revolution. Preis eines jeden Bandes 1 Thlr.

Subscriptionsbedingungen. Jeder Band von circa 25 enggedruckten Bogen mit einem Stahlstich bildet ein abgeschlossenes Werk und ist einzeln zu haben für den Preis von nur 1 Thlr.

Es findet durchaus kein Abnahmezwang statt, so daß Jeder nach seinem Bedürfnisse oder seiner Neigung sich eine gewählte Bibliothek zusammenstellen kann, weßhalb auch jeder Band mit einem Doppeltitel versehen ist.

Alle Bände sind auch in gleichförmigen geschmackvollen englischen Einbänden zu haben, so daß diese, selbst zu verschiedenen Zeiten bestellt, doch genau aneinander passen; sie dürften sich so ganz besonders als Geschenk und Prämienbücher eignen. Der Preis des Einbandes ist 10 Rgr.

Ausführliche Prospecte sind in allen Buchhandlungen zu haben.

Thiers, Adolf, Geschichte des Consulats und des Kaiserreichs. Aus dem Französischen von Dr. Eduard Burckhardt. Illustrirte Prachtausgabe.

73–82. Lieferung à 4 Rgr.

Die 10 Bände des Originals werden in circa 90 Lieferungen erscheinen.

Andersen, H. C., Gesammelte Märchen. Miniatur-Ausgabe. Elegant gebunden, mit Goldschnitt.

Preis 1 Thlr. 20 Rgr.

Andersen, H. C., Gesammelte Märchen. Dritte, vollständige, vom Verfasser selbst besorgte Ausgabe.

Preis 1 Thlr.
Elegant gebunden 1 Thlr. 10 Rgr.

Andersen, H. C., Bilderbuch ohne Bilder. Miniatur-Ausgabe. Elegant gebunden, mit Goldschnitt.

Preis 25 Rgr.

Andersen's Märchen und Bilderbuch ohne Bilder sind bereits ihrem Inhalte und innerem Werthe nach zu bekannt, als daß wir über diesen noch hier zu reden nöthig hätten. Es sei uns gestattet, in Betreff der vorliegenden Ausgaben darauf aufmerksam zu machen, daß die erstere sich neben guter Ausstattung durch die höchste Wohlfeilheit auszeichnet. Die zwei letzteren in Format und Ausstattung sich genau an die bekannten Cotta'schen Miniatur-Ausgaben so wie an die in meinem Verlag erschienene Henrik Hertz König René's Tochter anschließend, eignen sich ganz besonders zu Geschenken.

Niederländische Bibliothek. Eine Sammlung der vorzüglichsten belletristischen Werke holländischer und vlämischer Schriftsteller.

In Bänden à 10 Rgr.

Erschienen sind 1–6. Bd.: Conscience, Jakob von Artevelde. 7. Bd.: Conscience, Der Rekrut. 8–11. Band: van Schaik, Dorfgeschichten. 12. Band: Conscience, Baas Gansendonck.

Conscience, Hendrik, Jakob von Artevelde. Historischer Roman. Aus dem Vlämischen unter Mitwirkung des Verfassers von O. L. B. Wolff. Mit einer biographischen Skizze und Portrait des Verfassers.

6 Bände. 2 Thlr.

A. u. d. T.: Niederländische Bibliothek. 1–16. Band.

Auf genaue historische Forschungen gegründet, entwickelt uns Conscience hier ein eben so treues als farbenreiches Bild des großen Genter Bürgers, welcher mit ebenso gesunder Lebensweisheit als richtiger Politik in jenen dunkeln Zeiten es sich zur Aufgabe setzte, Flandern von verderblichen ausländischen Einflüssen und Bedrückungen, die dies gewerbreiche Land lange niedergehalten hatten, zu erlösen und ihm die einzig wahre Freiheit, die bürgerliche Freiheit unter dem Gesetze zu erringen, leider aber dem Haß seiner Feinde erliegen mußte. Die Characterschilderungen der Hauptpersonen, namentlich Artevelde's und seines Gegners Denys, die Darstellung der Sitten und Gebräuche, die Volksscenen u. s. w. sind meisterhaft; über Allem schwebt aber wie ein milder und stärkender Hauch des Verfassers Vaterlandsliebe und Unparteilichkeit und übt einen höchst wohlthätigen Eindruck auf den Leser aus, der dieses Buch mit zweifachem Gewinne aus der Hand legen wird, nämlich dem interessantester Unterhaltung und befriedigendster Belehrung, wie sie wenige andere ähnliche Werke darbieten.

Conscience, Hendrik, Der Rekrut. Aus dem Vlämischen von O. L. B. Wolff.

Preis 10 Rgr.

A. u. d. T.: Niederländische Bibliothek. 7. Band.

Conscience, Hendrik, Baas Gansendonck. Aus dem Vlämischen von O. L. B. Wolff.

Preis 10 Rgr.

A. u. d. T.: Niederländische Bibliothek. 12. Band.

Schaik, Cornelis van, Niederländische Dorfgeschichten. Aus dem Holländischen unter Mitwirkung des Verfassers von Eduard Wegener. Mit einer biographischen Skizze und dem Portrait des Verfassers in Stahl gestochen von Weger. 4 Bände.

Preis 1 Thlr. 10 Rgr.

A. u. d. T.: Niederländische Bibliothek. 8–11. Band.

Ein echt nationales Werk und der unverfälschte Ausdruck des niederländischen Geistes und Volkes in ihrer ganzen Gemüthstiefe und Beschaulichkeit. Eine bekannte niederländische Zeitschrift: Vaterländsche letteroefeuingen sagt: „C. van Schaik ist ein ausgezeichneter Maler. Seine Gemälde sind nicht nur fesselnd, sondern sie reißen hin. Bei schönen Stellen machten wir uns während des Lesens Zeichen in dem Buche, aber als es aus war, lag es ganz und gar voll von diesen Zeichen, und wir hatten keine Worte für den Eindruck, den es auf uns gemacht, so lebendig und voll Wahrheit ist die Darstellung der Personen und Zustände, so tief ergreifend ist die einfache Fabel, die hier behandelt wird. — C. van Schaik versteht die Kunst, zu erzählen; er ist ein feiner Beobachter, und liest in den Herzen mit derselben Gewandtheit und Leichtigkeit, womit er in das Leben umherschaut. Nichts entgeht seinem scharfen Blicke; sowohl die Menschen, als ihre Sitten und Gebräuche schildert er mit einer Treue, die in Erstaunen setzt, und mit einer Abwechselung von Farben, die unsere Bewunderung erregt und in der kleinsten Einzelnheit den Meister erkennen läßt.“

Bernhard, Carl, Das Glückskind. Novelle. Aus dem Dänischen von Prof. Dr. K. L. Kannegießer.

Preis 1 Thlr.

A. u. d. T.: Carl Bernhard, gesammelte Werke. 14. Band.

Bernhard, Carl, Zwei Freunde. Novelle. Aus dem Dänischen von Prof. Dr. K. L. Kannegießer.

Preis 1 Thlr.

A. u. d. T.: Carl Bernhard, gesammelte Werke. 15. Band;

Band 1–13 enthalten: 1. Band: Die Hospital-Verlobung. 2. Band: Eine Familie auf dem Lande. 3. Band: Der Eilwagen. Ein Sprichwort. 4. Band: Die Declaration. Schooßsünden. 5. Band: Der Kommissionair. Tante Franziska. 6. Band: Der Kinderball. 7–9. Band: Christian der Siebente und sein Hof. 10–13. Band: König Christian der Zweite und seine Zeit. Preis eines jeden Bandes 1 Thlr.

Wir bringen hier dem deutschen Publikum eine Reihe von Erzählungen und Novellen, welche das Leben der gebildeten Stände in Dänemark mit eben so blühender Phantasie als feiner Beobachtung und trefflicher Darstellung schildern, und in ihrer Heimath sich den größten und anhaltendsten Beifall erworben haben. Wenn das hier Gesagte von allen Novellen Bernhard's gilt, so dürfte es auf keine eine größere Anwendung finden als auf das Glückskind.

Unter den Romanen zeichnet sich besonders Christian VII. und sein Hof sowohl durch die glückliche Wahl des Stoffs als der Behandlung aus. Mit meisterhaften Zügen schildert er den Hof Christian VII., das Unglück der liebenswürdigen Caroline Mathilde, die Intriguen der ränkesüchtigen Königin Wittwe, den Sturz und das tragische Ende des Ministers Struensee, wie seines Freundes, des Grafen Brandt.

Wir können mit vollem Rechte dem ganzen gebildeten Publikum und namentlich der Frauenwelt diese Werke empfehlen, die sich außer durch die erwähnten Vorzüge auch durch das sich in allen aussprechende hohe sittliche Gefühl auszeichnen.

Hage, J. van den, Gesammelte Werke. Aus dem Holländischen von Prof. Dr. O. L. B. Wolff. 2. Ausgabe.

10 Bände. 10 Thlr.

1–6. Bd.: Der Schaafhirt, historischer Roman. 6 Bde. 7–9. Bd.: Schloß Lövestein, historischer Roman. 3 Bde. 10. Bd.: Erzählungen.

Unter dem Gesammttitel:

Skandinavische Bibliothek

ist in meinem Verlage eine Sammlung der bedeutendsten Erscheinungen auf dem Gebiete der schönen Literatur Dänemarks, Norwegens und Schwedens angefangen worden. Romane, Novellen, dramatische Werke und Dichtungen aller Art werden hierin Aufnahme finden. Sowohl auf die Wahl der aufzunehmenden Werke als auch auf die Uebersetzung und die äußere Ausstattung wird alle Sorgfalt verwendet werden. Biographische Skizzen und Portraits werden ab und zu den Werken noch erhöhten Werth verleihen.

Bei der reichen Literatur des Nordens auf dem genannten Felde und bei dem großen Interesse, welches die nordische schöne Literatur schon seit längerer Zeit gewonnen, glauben wir auf eine große Theilnahme rechnen zu können und haben daher den Preis auf nur 10 Rgr. pro Band gesetzt. Ein Abnahmezwang findet nicht statt, sondern jedes vollständige Werk wird einzeln abgegeben.

Der 1–4. Bd. enthält:

Hermidad, Emanuel St., Das Meerweib. Ein Roman. Aus dem Dänischen von F. A. Leo.

4 Bände. 1 Thlr. 10 Rgr.

Das Werk des pseudonymen Verfassers wurde in Dänemark mit ungetheiltem Beifall aufgenommen und zeichnet sich durch tiefe Poesie, edle Sprache, reiche Phantasie und spannende Handlung aus. Der Uebersetzer ist durch seine poetische Uebertragung von Henrik Hertz: „König René's Tochter“ und „Svend Dyrings Haus“ bereits auf das vortheilhafteste bekannt.

Raumann, Dr. Christian, Syndicus an der Universität zu Lund, Ueber die Strafrechtstheorie und das Pönitentiarsystem. Aus dem Schwedischen übersetzt und mit einem bevorwortenden Schreiben von Prof. Dr. C. R. David.

10 Rgr.

Gewerbe-Ausstellung, die, in Leipzig im April 1850. Besonderer Abdruck aus der Leipziger Handelszeitung.

Preis 7½ Rgr.


Portraits.

Conscience, Hendrik. Portrait nach einer Büste von Arendonck mit Facsimile. Stahlstich. Gr. 4. Chin. Papier. 10 Rgr.

Oersted, Hans Christian. Stahlstich mit Facsimile. Gr. 4. Chin. Papier. 10 Rgr.

Oehlenschläger, Adam. Stahlstich nach Gertner, mit Facsimile Gr. 4. Chin. Papier. 10 Rgr.

Schaik, Cornelis van. Stahlstich mit Facsimile. Gr. 4. Chin. Papier. 10 Rgr.

Johann, Erzherzog von Oesterreich. Stahlstich. Gr. 4. Chin. Papier. 10 Rgr.

Maximilian I. Nach Albrecht Dürer. Stahlstich. Gr. 4. Chin. Papier. 10 Rgr.

Karl der Große. Nach Albrecht Dürer. Stahlstich. Gr. 4. Chin. Papier. 10 Rgr.

Mohammed. Stahlstich. Gr. 4. Chin. Papier. 10 Rgr.

In demselben Formate und zu demselben Preise erschien früher:

Friedrich der Große. — Napoleon. — Joseph II. — Erzherzog Karl. — Nelson. — Peter der Große. — Huß. — Mirabeau. — Washington. — Christian IV. von Dänemark. — Lamartine. — Karl I. von England. — Pius IX. — Luther.


Anmerkungen zur Transkription:

Der Schmutztitel wurde entfernt.

Rechtschreibung und Zeichensetzung des Originaltextes wurden übernommen und offensichtliche Druck- und Setzfehler korrigiert.

Der Originaltext ist in Fraktur und fremdsprachliche Passagen sind in Antiqua gesetzt. Abkürzungen wie Dr. und römische Zahlen wie XV wurden nicht in Antiqua dargestellt.

Die Kapitelüberschriften aus den Kopfzeilen wurden in den Text als Randnotizen eingefügt.