The Project Gutenberg eBook of Reise in Südamerika. Erster Band

This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook.

Title: Reise in Südamerika. Erster Band

Author: Freiherr von Ernst Bibra

Release date: June 29, 2014 [eBook #46141]

Language: German

Credits: Produced by richyfourtytwo and the Online Distributed
Proofreading Team at http://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK REISE IN SÜDAMERIKA. ERSTER BAND ***

Reise in Südamerika

von

Dr. Frhr. Ernst v. Bibra.


Erster Band.


Mannheim.
Verlag von Bassermann & Mathy.
1854.

Inhalt.

Seite
I. Vom Hause bis zur See 1
II. Fahrt nach Rio Janeiro 13
III. Rio de Janeiro 105
IV. Die Fahrt um Kap Horn nach Chile 143
V. Valparaiso (Chile) 167
VI. Reise nach Santjago (Chile) 231
VII. Santjago (Chile) 249

I.
Vom Hause bis zur See.

Im April 1849 verließ ich Nürnberg. Schwer und hart war der Abschied von den Meinen. Hatte doch mein ältester Junge lange Zeit vor meiner Abreise halbe Nächte durchweint im Gedanken an meine Fahrt, und bei Tage sich heiter geberdet um mich nicht zu betrüben. Das war der Typus meines Abschieds überhaupt.

So ging ich aus dem Hause, hinaus in einen kalten und unheimlichen Morgen und vom alten, ehemals weltberühmten Fembo'schen Landkartenhause an, um die halbe Welt bis wieder zurück nach Hamburg, hat mich die Idee nicht verlassen, daß ich die Kinder nicht mehr lebend anträfe. Glücklicher Weise waren meine Ahnungen falsch. Diese wenigstens.

Wir kamen spät des Abends in Leipzig an und fuhren des andern Tages nach Bremen. Man reis't schnell heut zu Tage, doch glaube ich noch schneller diese Reise von Nürnberg nach Bremen beschrieben zu haben. Nur muß ich noch beifügen, daß mich zwei Landsleute begleiteten, W. aus Nürnberg und M. aus Erlangen.

In Bremen stiegen wir im Victoria-Hotel ab. Ich werde auch von jenem Aufenthalte nur Weniges berichten. Die fast fieberhafte Aufregung, die sich meiner bemächtigt hatte, ließ mich nur flüchtig beobachten. Doch sah ich mit Belehrung das Museum und den Dom, und nahm so allegorischen Abschied von deutscher Wissenschaft und Kunst. Eine Notiz über Pyrosoma atlantica und über Fulgurit waren die letzten dahin bezüglichen Bemerkungen in meinem Tagebuch, Taufstein und Schloßverzierungen im Dom die ersten Skizzen in meiner Zeichenmappe. Im Rathhause sind einige gute Holzschnitzereien. Classischer aber ist, was unter dem Rathhause. Hauf hat einen romantischen Schleier über jene Räume gezogen, welche des Guten viel enthalten und in welchen man leicht des Guten zu viel thut. Aber unter den Geistern des Weins fehlten nicht selten die Schauer des Todes. Ein Freund meiner Jugend hatte ein unglückliches Ende genommen vor nicht langer Zeit, an der Stelle, wo ich zechend saß, und solches erfuhr ich eben dort und durch Zufall. Ich hatte Jahre lang nichts von ihm gehört und ihn mir in glücklicher Stellung gedacht.

Es wurden in Bremen die noch nöthigen Einkäufe gemacht und zugleich der Rheder besucht. Es wird sich Letzterer wohl schwerlich mehr meiner erinnern, denn Waarenballen, Menschen d. h. Passagiere, und solche werden doch theilweise immer auch ein wenig als Menschen betrachtet, Fässer, Taue, Zwiebackkisten und Aehnliches wurden dort mit gleicher Hast expedirt. Auf mich aber machte jenes ganze Thun und Treiben einen widerlichen Eindruck.

Endlich erhielten wir die Nachricht, das Schiff liege fertig bei Brake und könne in einigen Tagen in See gehen. Es wurde Abschied genommen von Bremen und auf dem Fluß-Dampfer nach jenem Neste gefahren. Unser Kapitain machte die Fahrt mit uns. Wir hatten ihn indessen schon früher kennen gelernt im Rathskeller, aber dort so wie hier war noch keine Gelegenheit einen Kapitain im eigentlichen Sinne des Worts kennen zu lernen. Erst am Bord seines Schiffes traten die unerläßlichen Untugenden seines Standes hervor. Am Lande ist das Verhältniß Brautstand-artig. Ehestandlich am Bord, sehr stark ehestandlich, flitterwochenlos. Ich komme später auf Kapitain H.....dorf zurück, und auf das gegenseitige Verhältniß zwischen Kapitain und Passagieren überhaupt.

Die Gegend um Brake hatte auf mich einen niederdrückenden Eindruck gemacht. Einen noch langweiligeren aber die Bevölkerung des Fleckens. Freilich kamen wir nur mit den Wirthen des Orts und einigen Krämern in Berührung, deren Unart und Dünkel theilweise dadurch entschuldigt werden mag, daß sie fast einzig mit Auswanderern in Berührung kommen. Mir scheint als trete da eine schlimme Seite der Menschennatur so recht in's wahre Licht. Die fast sichere Aussicht liegt vor, daß sich Wirth und Gäste nie mehr sehen, und so geht man rücksichtslos zu Werke. Alle Prellereien, anderwärts mit obligater Artigkeit ausgeführt, werden hier grob und ohne Maske vorgenommen. Man hat es doch nur mit Gesindel zu thun, und ob erst drüben oder schon hier im alten deutschen Vaterlande diese Parias beraubt werden, – was liegt daran? Auf der andern Seite paßt leider die Benennung Gesindel nicht selten auf jene auswandernden Massen.

Wir, die zukünftigen Passagiere der Brigg Reform, fanden uns allmälig in Brake zusammen, und schon der Augenschein gab, daß die neue Genossenschaft aus besseren Elementen bestand, als gewöhnlich. Die achtzehn Passagiere der Kajüte gehörten alle den gebildeten Ständen an, und solches war auch theilweise, fast in überwiegender Mehrzahl, bei jenen des Zwischendeckes der Fall. Bei allen aber schien durchzuleuchten, daß man sich nicht in Rohheit gefallen wolle.

Jugendlicher Uebermuth freilich fehlte nicht, und abenteuerlich genug waren wohl Tracht und Waffen der Mehrzahl.

Mancherlei kurze Schwerter hingen da an den Hüften; Büchsen und Doppelflinten waren in jeder Hand; während Dolch und Pistolen (oft von bedrohlicher Construction) halb versteckt, Gefährliches ahnen ließen. Den grauen, jetzt (1854) stark anrüchigen Hut schmückte die rothe Feder. Ach, es hat sich mancher gemausert auf jener Reise!

Gemeinsamer Genuß von faulem Wasser und perpetuirlichem Salzfleisch vereinigen auf merkwürdige Weise politische Meinungen, und wirken nicht günstig auf den erwähnten Federschmuck.

Ich habe dort die Stimmungen studirt, die sich bei den Auswanderern kund gaben und nicht selten die Mühe, die man anwendete, sie zu verbergen. Unter der Maske der Heiterkeit mag doch wohl manches Herz krampfhaft geschlagen haben, denn Keiner, im weitesten Sinne des Worts, Keiner kann sein Vaterland gleichgültig, leichten Herzens für immer verlassen. Freilich ist der Begriff des Wortes Vaterland individuell. Ich habe einen jungen Mann gekannt, und er machte die Reise mit uns, welcher den wöchentlichen Küchenzettel seines väterlichen Hauses als sein Vaterland betrachtete. Das heißt, der Begriff Heimath war bei jenem identisch mit heimischer Speise und Trank. Familie und Freunde sind einem andern, Gesetz und Sitte einem dritten das, woran er hängt, was er schwer verläßt, wonach er sich sehnt in der Ferne, was er unbewußt Vaterland nennt.

Der ganze Geist des Volkes, dem man angehört, sein errungenes Wissen, die Schöpfungen seines Kunstsinnes, die Fortschritte seiner Technik, ist wieder einem andern das Vaterland. Die altera natura, die Gewohnheit, die langjährige, die von der Wiege an unsere Begleiterin war, gießt ihren Zauber aus über all das Genannte, vom Pflaumenmuße an, welches alle Sonnabende im heimlichen Familienkreise genossen wird, bis zu den höchsten Errungenschaften der Wissenschaft, Kunst und Gesittung. –

Aber daß man alles das was lieb und theuer durch Gemüthes-, Verstands- und Gewohnheits-Bande, ungern verläßt, wollte dort in Brake mancher nicht Wort haben, und das perfide »ubi bene ibi patria« wurde nicht selten gehört, wenn wohl bisweilen mit krankem Herzen gesungen.

Auch ich verließ viel des Lieben und Theuern, aber ich wußte, daß ich zurückkehren würde, so hatte ich gut beobachten.

Nach einigen Tagen Aufenthalt in Brake wurden uns endlich die Pforten des Paradieses geöffnet. Wir durften an Bord, von unseren Kojen Besitz nehmen, uns einrichten. In einigen Tagen sollte die Reise beginnen. Mancher fand sich ohne Zweifel da bitter enttäuscht. Man hatte sich Kajüten gedacht mit spiegelhellen Fenstern und erhebender Aussicht auf die »dunkelblauen Wogen.«

Diese Kajüte hatte ohne Zweifel blank gebohnte Wände irgend eines fremdländischen Holzes, diese Wände waren vielleicht eingefaßt mit polirtem Messing, dem Golde ähnlich. Eine Hängematte wiegte sich in dem behaglichen Raume, den eine Cigarre aus der Havanna durchwürzte. –

Als wir mit einiger Beschwerlichkeit an Bord geklettert waren und uns durch ein Chaos von Kisten, Koffern, Ballen, Tonnen und Aehnlichem gewunden hatten, fanden wir etwa folgende Einrichtung: Ein schmaler Gang führte vom Deck aus gegen das Steuer zu, zur Kajüte des Kapitains, und links von diesem Gange eine Oeffnung zu einer leiterartigen, vom Zimmermann zugehauenen Treppe, auf welcher man in die Passagier-Kajüte hinabstieg, nach Umständen auch fiel.

Nun befand man sich in einem Raume der kaum fünf Schritte breit war. Die Wände dieses Raums, der Kajüte, waren aus Brettern zusammengenagelt, mit einer sicher beispiellos billigen Tapete beklebt und mit acht weiteren Oeffnungen versehen, durch welche man in die Kojen gelangte. Das Licht in der Kajüte wurde eingelassen durch ein Loch in der Decke, das sogenannte Skylight, von etwa 4 Fuß Durchmesser.

Die Kojen, die hölzernen an den Wänden des Schiffes unmittelbar befestigten Schlafstellen, hatten einen kleinen Vorraum, in welchem ein mäßiger Koffer Raum fand, und ein Mann sich aus- und ankleiden konnte, und dieser Raum war durch einen Kattun-Vorhang von der gemeinsamen Kajüte getrennt. In sechs dieser kleinen Räume waren je zwei Schlafstellen, eine oberhalb der andern angebracht. In zwei weiteren, davon eine ich bezog, vier Schlafstellen, auf jeder Seite zwei. In Mitte der gemeinschaftlichen Kajüte war ein, fast die ganze Länge derselben ausfüllender Tisch von rauhem Holze befestigt, anfänglich von Feldstühlen umstellt, von etwas zerbrechlicher Construktion, später von zwei festgenagelten langen Bänken. Die dem Vordertheile des Schiffes zugewendete Seite enthielt eine Art Wandschrank, in welchem anfänglich die Gläser aufbewahrt wurden, deren Zahl aber bald bis auf zwei oder drei geschmolzen war. Das vis à vis dieses Schrankes bildete ein Sopha auf welchem vier Personen Platz hatten, und welches gewöhnlich von sechsen besetzt war. Solches war die Kajüten-Herrlichkeit der Reform. Das Zwischendeck war von unserer Kajüte nur durch eine Bretterwand geschieden. Von einer eigentlichen Kajüte war hienach keine Rede. Die Reform war ursprünglich nicht zum Passagier-Schiff bestimmt, sondern zum Waaren-Transport; da sie jetzt Menschen nach Kalifornien bringen sollte, wurde das Zwischendeck durch eine Wand getrennt und die Abtheilung für die, welche etwas mehr bezahlt hatten, mit Papier beklebt. Im Uebrigen war der Raum sowohl uns als den Passagieren des sogenannten Zwischendeckes im Verhältniß der Menschen-Anzahl gleich zugemessen, denn jene, etwa fünfzig an der Zahl, konnten sich ebenfalls kaum rühren.

Wenn man zu diesen Entdeckungen, die vorläufig keine sehr behagliche Fahrt versprachen, das Drängen und Treiben, die Unruhe und Hast des Augenblicks nahm, so war der erste Eindruck, den die Reform hervorbrachte, kein angenehmer zu nennen.

Ich habe dort eine Reminiscenz aus meiner Jugendzeit empfunden, und das zwar an den ersten Tag, welchen ich im Erziehungsinstitute zu Neuberg an der Donau zubrachte. Auch in gastronomischer Beziehung fand ich später mancherlei Aehnlichkeit.

Nach zwei Tagen der Unruhen und Plackereien aller Art, als wir endlich auf dem Punkte waren, so ziemlich eingerichtet zu sein, kam eine Art Supercargo, geschickt vom Rheder, um eine Revision unseres Gepäckes abzuhalten. Neue Scheererei. Ich war dort auf dem Punkte meinen ganzen Vorrath von Rothwein und englischem Biere, welchen ich für die Reise gekauft hatte, in die Weser werfen zu lassen. Der Rheder hatte mir zugesagt, ich hätte für mitzunehmende Victualien und Gepäck Nichts zu zahlen. Mußten doch W. und ich ohnehin schon jeder fünfzig Thaler mehr Passage zahlen, als die andern Passagiere der Kajüte! Der Supercargo forderte jetzt für die freilich ziemlich voluminös verpackten Flaschen dreißig und etliche Thaler Fracht. Ich berief mich auf das mir gegebene Wort. Man verlangte Schriftliches. Als die Sache anfing unangenehm zu werden, bat mich W., ihm das Ordnen der Angelegenheit zu überlassen. Ich willigte ein und kam mit zehn Thalern davon.

Auch der Supercargo hatte endlich die Reform verlassen. Unsere Einrichtungen waren ziemlich beendet, das heißt, es hatte jeder so viel seines Gepäckes als möglich in den ohnehin engen Raum der Kajüte gestaut, man hatte sich in den Kojen ausgetheilt und jeder hatte sich gekleidet wie er es eben passend und wohlanständig hielt. Schon jetzt aber begann die eigenthümliche, indessen großentheils nothwendige Geheimnißkrämerei in Betreff der Unternehmungen des Kapitains, welche wohl auf jedem Passagierschiff herrscht. Niemand wußte etwas Sicheres über die Abfahrt. Dumpfe Gerüchte verbreiteten sich unter den Passagieren, man werde noch am Abend einige Stunden abwärts treiben. Indessen nichts Gewisses. Endlich – gegen Abend – wurden die Anker gelichtet und wir fingen an langsam abwärts auf der Weser zu treiben.

II.
Fahrt nach Rio Janeiro.

Der großartige erste Eindruck des Anblicks der See geht unbedingt verloren bei der Abfahrt von Bremen. Man treibt abwärts auf der Weser, man sieht stets die beiden Ufer des Flusses, der, wenn gleich ziemlich breit, doch immer noch Fluß ist. Aber allmälig ziehen sich die Ufer zurück, man sieht Bremerhaven, und ist dann auf einmal in die See gekommen, ohne zu wissen, wie.

Ueberhaupt kommt bei der Abfahrt von Bremen oder Hamburg noch hinzu, daß man den Kanal zu durchschiffen hat. Auch der Abschied vom alten Europa wirkt nicht plötzlich ein. Allenthalben noch ein Fleckchen Land, bald Frankreich, bald England.

Ein anderes ist es, wenn der Reisende das Festland von einem Hafen aus verläßt, der sogleich in die See führt. Dort fällt das Große, das Unendliche der Erscheinung plötzlich und massenhaft in's Auge, und Land so wie See erscheint, gegenseitig sich zur Folie dienend, gleich großartig. Solches war bei allen Häfen von Südamerika der Fall, welche ich besuchte. Hat man aber auch die See schon befahren und ist an das Imposante des Anblicks gewöhnt, so macht das unerwartete Hervortreten desselben stets einen überraschenden und in der That unvergeßlichen Eindruck.

So kletterte ich eines Nachmittags durch einige waldige Schluchten unweit Valparaiso, bestieg endlich einige steile Gehäge und glaubte, vermöge meiner jenes Mal noch mangelnden Ortskenntniß, jenseits des erstiegenen Berges in ein ausgedehntes waldiges Thal zu kommen, in welchem ich Colibri wußte, die ich jagen wollte. Aber ich war irre gegangen, und stand nach Ersteigung des Berges an einem steilen Abhange, der den ganzen unbeschränkten Anblick der See gestattete. Dort wußte ich einige Augenblicke lang nicht wie mir geschah, denn wo ich mir grünes, bebuschtes Thal gedacht, lag plötzlich eine endlose Fläche des feurigsten Ultramarin vor mir, klar, hell, glänzend in südlicher Sonne, nebelfrei und spiegelglatt, mit kaum zu bezeichnender Gränze gegen den Himmel, der, wolkenlos, mit der See an Farbenpracht wetteiferte. –

Auf hoher See selbst, ohne Blick auf irgend eine Küste, verliert nach meiner individuellen Ansicht wenigstens die Größe des Eindrucks bedeutend.

Ich habe nicht selten Augenblicke gehabt, in welchem mir die Entfernung von Bord aus bis an die sichtbare Gränze der See gegen den Horizont wirklich lächerlich nahe erschien, eine Flintenschuß-Weite etwa. Man glaubt auf einer Scheibe zu stehen, deren Mittelpunkt das Schiff ist. Nicht ich allein erhielt diesen Eindruck, es theilten ihn viele der anderen Passagiere. Aber schon ein schwimmender Vogel zerstört jene unangenehme Täuschung großentheils und ein Segel, welches am Horizonte auftaucht, oder eine ferne Küste stellt den Begriff mächtiger Fernsicht wieder her. –

Nach diesen Abschweifungen über den ersten Anblick der See, kehre ich auf die nicht sehr klaren Wogen der Weser zurück und beeile mich, die welche den Muth haben (figürlich gesprochen, ich meine den Muth die Langeweile zu bekämpfen) mir auf meiner Reise zu folgen, – ich beeile mich, sage ich, sie von der Weser auf den Kanal, und auch von dort wo möglich baldigst auf hohe See zu bringen.

Ich folge hier einfach den Eindrücken, wie ich sie empfunden, denn Merkwürdiges oder Neues wenigstens ist nicht zu berichten von einer durchschifften Strecke, die schon vielfach beschrieben worden. –

Uns aber, den Passagieren der Reform, war mancherlei fremd, ungesehen wenigstens, wenn gleich schon öfters gehört, gelesen. Unsere erste Fahrt auf der Weser dauerte einige Stunden, dann wurden bei einbrechender Nacht die Anker geworfen. Des anderen Tages schlechter Wind, das heißt, gar keiner, und langsames Treiben auf dem Flusse einem Holzfloße ähnlich. Enten und Möven schwärmten um das Schiff, ich schoß einige derselben, aber wir konnten ihrer nicht habhaft werden.

Endlich wieder bessern Wind; wir sahen Bremerhaven und kamen am 28. April in die Nordsee. Wangerooge wurde uns gezeigt, und auf eine Zeit lang entschwand Europa unseren Blicken.

Auf der Nordsee sah ich die ersten Quallen. Manche derselben wurden gefangen und von mir gezeichnet. Zu wenig aber bewandert in diesem Zweige der Zoologie, darf ich nicht hoffen, Neues den Männern vom Fach bieten zu können, und so mögen jene auf der Reise gesammelten, ziemlich zahlreichen Skizzen in meiner Mappe bleiben, einfach zur Erinnerung für mich allein.

Indessen werde ich später Gelegenheit haben auf diese eigenthümlichen Geschöpfe zurückzukommen und einige Notizen über sie meinen Lesern vorzuführen. Ich war zu jener Zeit nach einigen Tagen des Zusammenlebens schon als »der Naturforscher an Bord« von den Genossen anerkannt worden, und freundlich wurde mir Alles dahin Bezügliche eingehändigt, dessen man habhaft werden konnte.

Hier kann ich nicht umhin einige Worte zur näheren Bezeichnung meiner Reisegefährten einfließen zu lassen, und es gereicht mir, der ich stets lieber gelobt als getadelt habe, zu großer Befriedigung, der Wahrheit getreu, hier nur Freundliches berichten zu dürfen.

Die Passagiere der Kajüte waren meist junge Kaufleute, welche in Kalifornien ihr Glück zu machen hofften. Einige gehörten auch, wie ich glaube, keinem besonderen Stande an, und durften einfach als die Söhne ihrer Väter betrachtet werden. Ein älterer Herr, ebenfalls Kajüten-Passagier, hatte früher in preußischen Diensten gestanden und wurde Lieutenant genannt. Ich habe während des viermonatlichen Zusammenlebens mit diesen Leuten fast nie einen Zank oder Streit gehört und kleine Mißhelligkeiten, unvermeidlich auf dem engen uns zugemessenen Raume, blieben stets in den Gränzen des Anstandes. Ein Fall von momentaner Tobsucht, hervorgerufen durch ungewohnten Genuß von Spirituosen kann nicht wohl als Ausnahme betrachtet werden. Ich erwähne dessen vielleicht später. Daß indessen kleine Neckereien mit unterliefen, läßt sich denken, und fast wollte es in der ersten Zeit der Fahrt scheinen, als solle ein oder das andere Individuum zur ständigen Zielscheibe erwählt werden. Ich glaube einigen Theil zu haben, daß dieß nicht wirklich geschah.

Was das Benehmen der Genossen gegen mich betraf, so muß ich wiederholen, daß solches das freundlichste gewesen, und mit dankbarer Anerkennung darf ich aussprechen, daß meine naturwissenschaftlichen Bestrebungen den lebhaftesten Anklang, und wo immer möglich, Hülfe und Beistand erfuhren. Was auch zu fischen und zu haschen war auf der See, brachte man mir, leistete hülfreiche Hand beim Präpariren und Zeichnen, und überließ mir willig den halben Raum der Kajüte zum Lesen und Schreiben. Aber auch in anderen Beziehungen war man gefällig, freundlich und zuvorkommend gegen mich, ich habe nie mit irgend einem der Genossen einen Aerger gehabt, ja ich erinnere mich keines Zwistes.

Das Benehmen der Zwischendeck-Passagiere gegen mich war dasselbe wie das der Kajüten-Passagiere, und ich muß einfach das dort Gesagte wiederholen. Indessen kamen im Zwischendecke wohl einigemal Streitigkeiten vor, doch selten und bald geschlichtet. Da Leute von ziemlich verschiedener Bildung, wohl auch Ansicht und Leidenschaft, dort zusammen leben mußten, und bei noch beengterem Raume als in der Kajüte, waren dort Zwiste wohl unvermeidlich. Indessen waren mehrere recht liebenswürdige Leute im Zwischendecke und ich erwähne als einer auffallenden und angenehmen Erscheinung eines Franzosen, der früher in Algier gefochten hatte und nun im Goldlande sein Glück verfolgen wollte. Ein feiner und gebildeter Mann, der ernst in's Leben schaute, aber dabei, so viel es nur immer thunlich, die Sorgfalt seiner Toilette nicht versäumte. Ich glaube, er war der einzige Passagier der Reform, der sich wöchentlich mehrmal rasirte. Er war offenbar aus guter Familie. Was hatte ihn nach Algier, was nach Kalifornien getrieben? Man wußte es nicht, denn solche Fragen werden nie an Bord gestellt und noch weniger in überseeischen Ländern selbst gethan. Häkchen oder Haken hat es da wohl nicht selten und so mag dort der alte Mantel christlicher Liebe in die gefällige Form moderner Weltanschauung gebracht, gegenseitig ersprießliche Dienste leisten. –

Auch musikalische Talente fehlten nicht im Zwischendecke, und wurden mit mehr oder minderem Erfolge anerkannt. Noch muß ich eines Pudels errwähnen, intelligent wie alle seiner Race und vielfach erfahren in hündischen Künsten. Er unterhielt nicht selten die ganze Genossenschaft, hätte aber später fast zu einer Tragödie Anlaß gegeben.

Zu den 18 Passagieren der Kajüte und den etlichen vierzig im Zwischendecke kommen noch zwei weitere Passagiere, die in der oberen Kajüte des Kapitains Platz gefunden hatten. Der Schiffsarzt und seine Frau hatten eine kleine Koje ohnweit der Kapitains-Kajüte inne.

Ich kann nicht wohl dem freundlichen Leser meine Reise und Begebnisse erzählen, ohne daß ich ihnen eben die erhaltenen Eindrücke vorführe, wie sie sich mir einprägten. Werde ich auch häufig den Ort anzugeben genöthigt sein, so mag doch die Tagbuchform nur im Nothfalle zu Hülfe genommen werden. So melde ich denn jetzt, daß wir am 28. April gegen Mittag in den Kanal einfuhren. Wir hatten abwechselnd gutes und schlechtes Wetter, das heißt frischen Wind oder flauen, wie nämlich die Seeleute das Wetter betrachten, nach unseren Begriffen wurde ein kalter Regen, der häufig fiel, auch zum schlechten Wetter gerechnet.

Am 2. Mai hatten wir den Kanal passirt. Die Fahrt durch den Kanal ist mannichfach geschildert worden, und ich will die Freunde und mich nicht damit ermüden, Dinge zu wiederholen, die wohl besser beschrieben worden sind, als ich es vermöchte, nach den flüchtigen Skizzen in Zeichenmappe und Tagebuch. Daß der Kanal belebt ist, was man in diesem Sinne belebt nennt, nämlich mit Hunderten von Fahrzeugen bedeckt, weiß jedermann und auch wir sahen Schiffe jeder Art in Nähe und Ferne. Ohnweit Dover, welches ich der Nähe halber erträglich zeichnen konnte, kamen Fischer an Bord, weniger in der Absicht Fische an uns zu verkaufen, als Briefe nach Europa von uns, gegen eine Vergütung, zu befördern. Ich weiß nicht, ob sie Geschäfte machten, und kann mich nur erinnern, daß ich in einem Anfalle von Sparsamkeits-Laune ihre Forderung zu hoch fand, und keinen Brief nach Hause sendete, was ich später bereute.

Quallen und allerlei anderes Seegethier wurde auch während der Fahrt durch den Kanal häufig aufgefischt und mir überbracht. Aber auch Landbewohner kamen an Bord; Sperlinge nämlich und ein finkenähnlicher Vogel. Sie verließen uns wieder, nachdem sie im Tauwerk sich hinlänglich ausgeruht.

An der Stelle des Kanals, von welcher man die französische und englische Küste zugleich in Sicht hat, hing sich endlich das Gespinnst von Tetragnatha extensa an Taue und Segel. Da ich bescheidene Zweifel hege, daß alle meine freundlichen Leser genau wissen, wer oder was Tetragnatha extensa ist, so nehme ich mir die Freiheit zu bemerken, daß es die Spinne ist, deren fliegendes Gewebe man Sommerfäden, oder alten Weibersommer nennt. Da wir Seitenwind von der englischen Küste her hatten und mithin die Fäden ohne Zweifel in England gesponnen worden waren, so nahm ich Gelegenheit den Reisegefährten zu erzählen, daß ein Engländer Chaucer im 14. Jahrhundert zuerst der Sommerfäden Erwähnung thut, und sie in einem Gedichte besang.

Man bewunderte meine Gelehrsamkeit und einige Stunden darauf eben so die Virtuosität, welche ich in der Konsumtion von Portwein an den Tag legte. Zu jener anfänglichen Zeit der Reise bestand zwischen dem Kapitain und den Reisenden noch ein freundliches Vernehmen, und ersterer hatte mehrere von uns eingeladen mit ihm ein Glas Wein in seiner Kajüte zu trinken. Es blieb nicht bei einem Glase, und mancher wurde todtenähnlich vom Schlachtfelde gebracht. Dort habe ich Süddeutschland glänzend vertreten.

Aber während ich mannichfacher Besuche erwähnte, die wir von See und Land aus erhielten, habe ich noch mit keiner Sylbe von jenem schlimmsten Gaste gesprochen, der dem beginnenden Seefahrer schon am Lande Angst und Schrecken einjagt, auf der See aber directe Verzweiflung bringt. Jedermann weiß, daß ich die Seekrankheit meine. – Schon auf der Weser wurde einigen der Passagiere übel zu Muthe. Als wir in die Nordsee eingelaufen waren, war der größte Theil derselben seekrank. Aber während bei einigen das Unwohlsein kaum einige Tage dauerte, und dann selbst beim stärksten Sturme[1] später nicht wiederkehrte, hatten andere während der ganzen Reise zu kämpfen, und waren nur bei vollständiger Windstille verschont. So z. B. W. aus Nürnberg, welcher nur selten seine Koje verlassen konnte und dessen Ausdauer ich stets bewundert habe.

Aber es giebt noch eine dritte Modifikation der Seekrankheit, jene welche jedesmal bei schlimmem Wetter, bei hoher See wiederkehrt, und mit mehr oder weniger Heftigkeit sich Jahre lang, Jahrzehente und selbst länger wiederholt.

Ich habe einen alten sehr tüchtigen Seemann, einen ächten »Seebären«, gekannt, der dreißig Jahre lang alle Meere der Erde befahren und wahrlich nicht aus weichlichem Stoffe geformt war. Aber bei hoher See wurde ihm unheimlich zu Muthe. Ich habe später eine längere Fahrt mit ihm bestanden, und als wir jene unangenehmen Stellen besuchten, wo fast fortwährend 20 bis 25 Fuß hohe Wellen ihre Tücke übten, habe ich nicht selten mit Bedauern das leidige »mich ist flau« aus seinem Munde vernommen.

Das eigentliche Erbrechen, – nennen wir es beim rechten Namen, ohne die bei dieser Gelegenheit üblichen Umschreibungen zu gebrauchen, – ist aber nicht allein der Ausdruck der Seekrankheit. Ich habe Passagiere gesehen, welche lange Zeit bleich und still umherschlichen, so bald ein wenig Wind die See bewegte, ohne sich zu erbrechen, und diese behaupteten nicht seekrank zu sein. Aber ich glaube nicht, daß sie um Vieles besser daran waren, als die übrigen.

Unter den Reisenden auf der Reform befanden sich, wie ich glaube, kaum mehr als vier oder fünf Personen, welche verschont blieben, und ich hatte das Glück zu diesen Bevorzugten zu gehören.

Allerdings hatte ich in den ersten Tagen der Fahrt einigemal das Gefühl leichten Schwindels, nie aber irgendwie ein weiteres Unwohlsein, mit dem bekannten unangenehmen Anhängsel. Durch ein Glas irgend eines geistigen Getränks waren jene unbedeutenden Anfälle indessen leicht gehoben.

Einigermaßen mag durch ein keckes Entgegentreten und festen Willen immerhin der Seekrankheit zu begegnen sein. Ich meine nämlich die leichteren Modifikationen derselben, deren erste Motive gewiß im Nervensystem zu suchen sind. Aber es ist schwierig, hierauf näher einzugehen.

Uebrigens gestehe ich, daß ich überzeugt war seekrank zu werden, und mich nicht eben besonders auf die neuen Erfahrungen freute, welche ich zu machen fürchtete. Aber als bereits schon ein Theil der Reisenden in verdächtigen Situationen zu sehen waren, während ich mich vollkommen gesund befand, schöpfte ich frischen Muth.

Unsere Fahrt durch den atlantischen Ocean bot keine eigentlichen Abenteuer dar. Wir hatten keine Gefechte mit Piraten, wir litten nicht Schiffbruch und hatten keinen Schiffsbrand. Aber doch sahen wir Allerlei, was dem Binnenländer neu, seltsam, und nach Umständen erheiternd oder bedrohlich erscheinen mochte.

Allein auf sich beschränkt und eingeschlossen von jener unendlichen Wasserwüste, wird den Passagieren sowohl wie der Mannschaft die kleinste Neuigkeit zum Ereignisse. Ein Fisch, der dem Schiffe folgt, Seevögel, ein fernes Segel, oder irgend eine Erscheinung am Himmel, alles weckt das gemeinschaftliche Interesse. So war das erste Schiff, welches wir am 8. Mai außerhalb des Kanales trafen, für uns ein Gegenstand, der großes Interesse erweckte. Es wurde mit jenem Schiffe geflaggt, d. h. der seemännische Gruß gegeben, durch mehrmaliges Aufziehen und Herablassen der Flagge. Der Spanier, denn das Schiff war ein spanisches, erwiederte den Gruß mit Artigkeit und so zogen wir an einander vorüber wie zwei höfliche Männer, die sich mehrfach mit dem Hute grüßen, wohl auch noch mit der Hand bewinken, ehe sie gänzlich scheiden. Alle Nationen ziehen die Flagge gegenseitig auf und geben so ein Zeichen der Höflichkeit von sich, mit Ausnahme des Nordamerikaners, welcher, aus Artigkeit wenigstens, vor einem Schiffe gleichen Ranges keine Flagge aufzieht. Bei amerikanischen Kauffahrern ist dies immer der Fall und so oft wir später einem Yankee begegneten, habe ich unwillkürlich an einen Gentleman gedacht, der die Hände in den Taschen, den Hut auf dem Kopfe und die beiden Füße auf dem Tische liegen hat.

Den ersten Zug von Delphinen sahen wir Tags darauf, den 9. Mai, unter 14° 14' westlicher Länge und 35° 58' nördlicher Breite. Tümmler (Delphinus phocaena) hatten wir in der Nordsee und am Eingange des Kanals mehrere gesehen. Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß die Thiere, welche der Seefahrer überhaupt Delphin, oder eigentlich Schweinfisch nennt, sehr verschiedenen Arten angehören, von welchen viele den Zoologen nicht genau bekannt sind; denn diejenigen Arten, welche nur auf hoher See, oder an unbewohnten Küsten sich aufhalten, kommen nur durch Zufall in kundige Hände, wird gleichwohl hie und da auf der See einer gefangen. Die Fabeln, welche sich die Alten von den Delphinen erzählten, werden theilweise gerechtfertigt durch die Lebhaftigkeit und Intelligenz, welche diese Thiere beweisen. Jener erste Zug, welcher uns entgegenkam, wohl etwa dreißig bis vierzig Individuen, begleitete das Schiff längere Zeit, spielend um das Bugspriet, bald vorauseilend, bald zurückbleibend und wieder dann in verdoppelter Eile nachkommend. Es scheint dieses Begleiten der Schiffe, welches die Delphine fast immer thun, keineswegs zu geschehen, um irgend eine Nahrung zu erhaschen, sondern es hat den Anschein als geschehe es allein aus Heiterkeit oder um einen Weltlauf zu veranstalten.

Der Kapitain warf mit einer Harpune nach einem der Thiere und traf es auch wirklich; als man es aber herausholen wollte, riß die Harpune aus, und das Thier gieng, schwer verwundet, verloren. Dies geschah übrigens fast immer, da die Widerhaken der Harpunen zu klein sind, um das Gewicht des Thieres, sobald es aus dem Wasser ist, tragen zu können.

Wir haben auf der ganzen Fahrt bis nach Valparaiso nicht einen einzigen Delphin bekommen, während wir sicher acht bis zehn Stücke schwer verwundeten. Erst auf der Rückreise wurden wir einiger habhaft, und ich schmeichle mir, dort etwas dazu beigetragen zu haben; indessen davon später.

Unter jenen Breitegraden trafen wir überhaupt häufig Delphine und schon Tags darauf kam wieder ein Zug in die Nähe der Reform. Es schienen die Thiere diesesmal eine Art Vorposten ausgeschickt zu haben, denn der Hauptzug, etwa 50 Thiere, folgte langsam und dicht geschlossen, während fünf oder sechs derselben voraus und auf das Schiff zueilten. Als sie hierauf an der Steuerbord-Seite angelangt, sich wie gewöhnlich anschickten, das Schiff zu begleiten, harpunirte der Kapitain einen derselben, welcher, schwer getroffen, aber noch im Wasser, so heftige Bewegungen machte, daß er losriß und verloren gieng, während das Eisen der Harpune durch die Anstrengungen des Thieres fast im rechten Winkel gebogen an Bord gezogen wurde. Ich stand neben dem Kapitain, und half ihm die Leine fixieren, da die Mannschaft noch an einigen Stellen ebenfalls auf der Lauer stand. Das auffallende und wirklich Intelligenz verrathende Benehmen der Kameraden des Verwundeten setzte mich dort höchlich in Erstaunen. Sobald das Thier getroffen war und sich, die See mit Blut färbend, wieder losgerissen hatte, waren die nächsten an Bord mit der Schnelligkeit des Blitzes verschwunden. Bei jenem großen, in beiläufiger Entfernung von zwei oder drei Schiffslängen nachkommenden Zuge konnte man aber die deutlichen Zeichen der Mißbilligung und Entrüstung beobachten. Die Thiere sprangen knurrend und eigenthümliche Töne von sich gebend über das Wasser empor, schlugen augenblicklich eine der unseren entgegengesetzte Richtung ein, und in dem vorher wohlgeordneten Haufen war ersichtlich Verwirrung und Schrecken eingetreten. Mir schien, als wollten uns jene Delphine ihren Zorn und ihre Kränkung zu erkennen geben, daß wir sie mörderisch empfangen, sie, die gekommen, uns als Fremdlinge zu begrüßen, und uns eine Strecke weit freundlich zu begleiten.

Die Matrosen hatten eine andere Lesart. Sie sagten, wenn ein Schweinfisch geschossen ist und geht, d. h. wenn der Harpunirte schwer verwundet sich losreißt, so freuen sich die anderen, schwimmen ihm nach, beißen ihn vollends todt und fressen ihn auf. – Man sieht, daß die Seeleute die Sache von menschlichem Standpunkte aus auffaßten. Aber ich hatte mir meine Poesie nicht nehmen lassen. Einige Tage später, am 12. Mai, 16° Länge und 30° 51' Breite, ließ sich die Nähe des Landes spüren, ohne daß wir solches in Sicht bekamen. Wir segelten nämlich mit gutem Ostwind zwischen der afrikanischen Küste und den kanarischen Inseln durch. Schwalben schwirrten auf See und Bienen kamen an Bord, auch wurde mir ein kleiner Käfer gebracht. Bald zeigte sich auch ein Falke, der auf die Schwalben Jagd machte.

Aber alle schienen Flüchtlinge und Verschlagene zu sein, des Ostwinds halber wohl afrikanische. Die Schwalben kamen an Bord, und eine fiel bald todt auf das Verdeck. Es war unsere kleine blaue Hausschwalbe (Hirundo urbica), wenigstens sah sie ihr täuschend ähnlich.

Ich frage bei dieser Gelegenheit: wo ist der Instinkt dieser Thiere geblieben, welche im Frühjahr und Herbst so weite Reisen machen, und hier, einige Stunden vom Lande entfernt, ihre Küste nicht mehr finden konnten? Ich kann mir hierüber keine Rechenschaft geben, und auch darüber nicht, daß ihnen so bald die Kräfte ausgegangen waren. Unsere Entfernung von der Küste konnte kaum mehr als vier oder fünf Stunden betragen. Auch der Falke kam an Bord, gieng wieder und wurde endlich von den Passagieren des Zwischendeckes gefangen, als er zum zweitenmale, vollständig entkräftet auf Deck sich niederließ. Man suchte ihn in einer Art improvisirtem Bauer lebend zu erhalten und ich habe nicht erfahren, was aus ihm geworden ist, denn er war in einigen Tagen verschwunden.

In jenen Breitegraden fing die Nähe der Tropen bereits an, sich kund zu geben. Das Wasser, dessen Temperatur ich, so wie jene der Luft, täglich nahm, hatte + 18° R., die Luft frühe 9 Uhr ebenfalls + 18° R. Ach, mit welcher Behaglichkeit habe ich diese + 18° R. verglichen mit der Temperatur des Kanales. In Betreff der Wärme befand ich mich dort auf das Vortrefflichste.

Am 16. Mai sahen wir den ersten fliegenden Fisch. Von frühster Ingend an hat fast Jedermann von diesem Wunder des Meeres erzählen gehört, oder gelesen, und so läßt sich wohl denken, daß das erste Erscheinen dieser scheinbaren Abnormität allgemeines Interesse erregte. Ich gehörte zu den Glücklichen, welche, zufällig auf Deck anwesend, den ersten sahen. Des Nachts kamen mehrere auf das Verdeck, welche mir am andern Morgen eingehändigt wurden. Diese Thiere scheinen fast ausschließlich die Gegend unter den Wendekreisen zu bewohnen, denn von da an (wir befanden uns am 16. Mai unter 21° 19' Länge und 21° 10' Breite), sahen wir fast täglich Züge dieser Thiere sich über die See erheben. Ich glaube, daß es mit ihnen sich wie mit den Delphinen verhalten mag und daß manche Arten derselben wenig oder gar nicht bekannt sind. Ich habe geglaubt, fünf Arten unterschieden zu haben, blos von solchen, welche auf Deck fallend in unsere Hände kamen. Aber beweisen kann ich nichts, da ich leider nur ein Exemplar mit nach Hause gebracht habe. Dieses Thier ist 11 Zoll lang und die Brustflossen, mit welchen es die flugähnliche Bewegung ausführt, messen etwas über 6 Zoll; ich glaube, daß es die bekannteste Art (Exocoetus evolans) ist, und will es nicht weiter beschreiben, da es wohl in den meisten zoologischen Museen zu sehen ist. Was ich über das sogenannte Fliegen dieser Thiere zu berichten weiß, ist etwa Folgendes. Sie vermögen beiläufig eine Strecke von 1000 bis 1500 Schritten sich über der Oberfläche des Wassers schwebend zu erhalten. Es ist übrigens nicht so leicht, dies mit einiger Sicherheit festzustellen, denn einmal täuschen die Entfernungen auf See bedeutend, und auf der anderen Seite sieht man sicher zehn Haufen dieser Fische schweben und in das Meer einfallen, bis man einen sich erheben sieht, wahrscheinlich, weil die Nähe des Schiffes sie stört. Es ist aber klar, daß, um die Länge des Fluges bemessen zu können, man Aufstehen und Einfallen beobachtet haben muß. Sie beschreiben in ihrem Fluge eine schwach gekrümmte, bogenförmige Linie, machen aber meist beim Einfallen in die See einen kurzen, schwachen Haken. Man behauptet, daß sie blos so lange sich in der Luft zu halten vermöchten, als die langen Brustflossen feucht seien, und dies ist wahrscheinlich, eben so, daß sie sich oft erheben, um den Verfolgungen größerer Fische und der Delphine zu entgehen; indessen glaube ich, daß sie nicht selten auch einfach zu ihrem Vergnügen eine Flugpartie anstellen; ich habe wenigstens nie ein größeres Thier, einen Hai oder ähnlichen Fisch an der Stelle oder in der Nähe des Ortes, von welchem sich fliegende Fische erheben, bemerken können. Die Höhe, in welcher sie sich über das Wasser erheben, mag 4 bis 5 Fuß betragen, bei Tag sah ich sie wenigstens niemals diese Höhe überschreiten. Dies scheint aber doch des Nachts der Fall zu sein, indem sie dann ziemlich häufig auf Deck fallen, vielleicht von dem Lichte beim Kompaß verleitet, so glauben wenigstens die Seeleute. – Der fliegende Fisch gehört, wie bekannt, zu der Gattung der Häringe, aber seine Züge sind nicht so zahlreich wie die des gemeinen Härings (Clupea harengus) und ich glaube nicht, daß die Zahl eines Haufens 100 bis 200 Individuen überschreitet. Sein Fleisch bietet eine wohlschmeckende und angenehme Speise, und stets willkommen an Bord ist der unglückliche Verirrte, der des Morgens todt oder in den letzten Zügen liegend auf Deck gefunden wird. – So lange wir die Wendekreise durchschifften, vergingen selten mehr als drei oder vier Tage, ohne daß wir mehreren Zügen dieser Thiere begegneten, ich werde aber, nun ich über sie berichtet, nicht weiter von ihnen sprechen; doch muß ich noch einer Eigenthümlichkeit erwähnen.

Obgleich alle fliegende Fische, und wie ich schon anführte, jedenfalls verschiedene Species, welche gefangen wurden, fett und wohlgenährt waren, fand ich doch im Magen von keinem derselben irgend eine verschluckte Speise. Der Schiffskoch versicherte mich, dies sei bei jedem fliegenden Fisch der Fall. Ich habe 18 bis 20 Individuen geöffnet und bei allen das gleiche Resultat gefunden. Nach unseren Begriffen von fett sein und fett werden kann Letzteres leider nicht stattfinden, wenn sich niemals etwas im Magen befindet, und so ist jene Thatsache immerhin ein Räthsel. Ja, wenn der Kopf leer gewesen wäre!

Wir befanden uns jetzt bereits seit einigen Tagen unter den Tropen, und ich bewahre von jener Zeit die dankbarsten und freudigsten Erinnerungen. Ich kann nicht sagen, daß ich durch irgend etwas bedeutend überrascht worden wäre, nicht das nächtliche tiefe dunkle Blau des Himmels, nicht das der See im glänzenden Lichte der Sonne, nicht die prachtvolle Thierwelt des Meeres, die Quallen und ihre Stammverwandte, welche Edelsteinen gleich in prunkenden Farben an uns vorüber zogen, kam mir unerwartet, obgleich Alles neu, wenigstens ungesehen war. Denn von Allem dem hat wohl jeder Kunde, auch der die See nie gesehen, und ich hatte mir diese Erscheinungen, wenn auch nicht figürlich getreu, doch in gleicher Pracht, in gleichem Glanze vorgestellt. Aber genossen habe ich diese Pracht, und ein freundliches Andenken jener schönen Zeit mir aufbewahrt, für die schlimmen Tage die etwa kommen würden.

Sie sind gekommen jene Tage, sie sind gegangen, sie werden wieder kommen und wieder gehen, aber das Bild jenes tropischen Glanzes wird keine Perfidie trüben, keine Gemeinheit verlöschen können.

Zu den prachtvollsten Erscheinungen, die dem Seefahrer entgegen treten, und welche sich hauptsächlich eben unter den Wendekreisen am glänzendsten gestalten, gehört ohne Zweifel:

Das Leuchten der See,

dem ich jetzt einige Seiten widmen will. Ich habe dieses Phänomen verfolgt und beobachtet wo ich nur konnte, und obgleich ich nicht zweifle, daß die Erscheinung an sich sowohl, als auch die allgemeine Ursache desselben ziemlich bekannt ist, kann ich doch nicht umhin einige über dieselbe gesammelte Erfahrungen mitzutheilen.

Es liegt in dem Blitzen und Funkeln des Meeres ein so eigenthümlicher Zauber, ein solcher mystischer, geheimnißvoller Reiz, daß auch der, welcher sich nicht um Ursache und Entstehung kümmert, stundenlang und täglich jenem leuchtenden Spiele der Wellen zusehen kann.

Schon auf der Nordsee sahen wir zum erstenmale die See leuchten. Ich wurde dort aus der Kajüte auf's Deck gerufen, um die Erscheinung zu beobachten. Es war nicht jenes prachtvolle glänzende Farbenspiel wie es unter den Tropen getroffen wird, sondern es zeigte sich im Kielwasser des Schiffes ein weißlicher Schimmer, dicht am Steuer und kaum zwölf bis fünfzehn Fuß weit in die See reichend. Ich habe jenesmal, noch nicht hinlänglich vertraut mit Bau und Einrichtung des Schiffes, jenen Schein für ein von einer Luke ausstrahlendes und sich im Wasser spiegelndes Licht gehalten, und habe mich erst nach einiger Zeit überzeugt, daß das Licht kein reflektirtes war. Wie alle neue Eindrücke, ist auch jener unverwischt geblieben, und ich sehe noch heute das dunkle Steuer der Reform, umgeben von den fast milchweiß leuchtenden Wellen vor mir.

So lange das Meer von Menschen befahren wird, ist das Leuchten desselben beobachtet worden; Homer und Plutarch haben es geschildert, zwar nach dem wissenschaftlichen Standpunkte ihrer Zeit, aber auch mit der blühenden Sprache derselben und ihrem scharfen Beobachtungsgeiste. In neuerer Zeit sind verschiedene Theorieen über jene Erscheinung aufgestellt, mehrfache, ja viele Abhandlungen darüber geschrieben worden. Ich will den gegenwärtigen Notizen nicht auch einen gelehrten Anstrich dadurch geben, daß ich jene Literatur citire, obgleich mir Manches darüber zur Hand wäre. Man hat zuerst in der Fäulniß gestorbener Seethiere, dann in der Elektricität den Grund zu finden geglaubt, und erst später, obgleich schon vor längerer Zeit, kam man darauf, die Ursache in gewissen Thieren zu finden, welche das Vermögen besitzen einen leuchtenden Schein von sich zu geben.

Ich kann nicht behaupten, daß nicht noch andere Gründe vorhanden sind, aber nie, so oft ich auch beobachtet habe, ist mir ein anderer Grund aufgestoßen, als eben lebende Individuen, welche berührt, oder gereizt, die Ursache des Leuchtens waren.

Zerstreut in meinem Tagebuche finden sich eine Unzahl von Notizen über diesen Gegenstand und ich werde hier nur einige derselben folgen lassen.

Das Leuchten der See findet statt, leuchtender, intensiver, je mehr man sich dem Aequator nähert, mithin je wärmer das Wasser ist. Ich habe dasselbe indessen auf der nördlichen Halbkugel weiter entfernt vom Aequator getroffen, als auf der südlichen. So z. B. wie ich schon erwähnte, auch an der Nordsee, während ich auf der Rückreise vom Kap Horn kommend, erst unter 41° südlicher Breite wieder das erste Leuchten, und das nur durch einzelne schwach schimmernde Punkte ausgesprochen fand.

Unbedingt wird indessen die Erscheinung häufiger, und zugleich prachtvoller auf dem atlantischen Ocean als auf dem stillen Meere getroffen.

Tausende von Thieren, welche den verschiedensten Gattungen angehören, haben das Vermögen zu leuchten. Obenan mögen die Akalephen und Salpen stehen, bei denen, wegen der Größe vieler Arten, das Phänomen am augenfälligsten hervortritt. Die Entomostraca (Insektenkrebse) scheinen fast alle zu leuchten.

Man hat angegeben, und Versuche scheinen die Wahrheit der Angabe bewiesen zu haben, daß der Schleim, welchen die Quallen absondern, und ferner in Fäulniß übergegangene Thiere dieser Gattungen ebenfalls leuchtend seien. Ich widerstreite dies keineswegs, aber während der acht Monate, welche ich auf der See zubrachte, habe ich stets nur lebende Thiere leuchten sehen, d. h. die Thiere leuchteten, so lange sie noch im Stande waren, sich zu bewegen, und contraktive oder oscillirende Bewegungen zu machen. Ich habe nie ein Thier irgend einer Art leuchten gesehen, ohne daß ein fremder Reiz, d. h. vorzugsweise Erschütterung auf dasselbe eingewirkt hätte. Ruhiges Seewasser leuchtet nicht.

Ich habe nie das Leuchten der See als von Infusorien bedingt, getroffen. – Indem ich wiederhole, daß ich hier blos meine Erfahrungen über den fraglichen Gegenstand mittheilen, nicht aber widerstreiten will, was etwa Andere gesehen haben mögen, will ich die beiden eben ausgesprochenen Sätze mit einigen Worten besprechen.

Ich habe nie die See weiter hin als im Umkreise des segelnden Schiffes oder eines andern sich rasch bewegenden Körpers leuchten gesehen, außer in zwei Fällen, welche ich gleich unten anführen werde. Die Thiere, welche das Leuchten bedingen, oder besser gesagt, welche leuchten, sind vollkommen lichtlos, bis sie berührt werden. In den Gegenden um den Aequator, wo überhaupt das Leuchten am meisten stattfindet, tritt die Erscheinung doppelt prachtvoll auf, wenn des Tags über kein zu starker Wind geherrscht, die Oberfläche nicht zu sehr bewegt gewesen.

Aber auch schon bei Tage sieht man bei solchem Wetter die Oberfläche des Wassers mit den meisten Thieren belebt. Bei stürmischem Wetter gehen ohne Zweifel diese Bewohner des Oceans in Tiefen, welche außerhalb der bewegenden Kraft des Windes liegen. Bei ruhiger See genießen sie, so denke ich, des Lichts und der Wärme. Der Anstoß des Schiffes direkt entweder an dieselben, oder der des heftig bewegten durchschnittenen Wassers, bewirkt das Leuchten derselben; denn jede Art von Reiz macht diese Wirkung auf sie.

Nicht selten treten innerhalb der Wendekreise Windstillen ein. Aergerlich für den Seemann, sind solche Stillen, bis auf einen gewissen Punkt hin, für den Naturforscher ein angenehmes Intermezzo. Vielerlei Gethier kann dann aufgefischt, und manche Beute gewonnen werden, die bei raschem Gange des Schiffes unserer spottend vorüberzieht. Aber war auch während solcher Stillen des Tages das Schiff still liegend oder nur kaum merklich dahin treibend, umgeben mit der reichlichsten Fauna, es zeigte sich des Nachts keine Spur von Meeresleuchten. Es wurden die Thiere nicht durch die Bewegung des Schiffes angeregt, gereizt. Wirft man aber in solchen Nächten irgend einen Körper in die See, ja gießt man nur ein Glas Wasser in dieselbe, so entsteht augenblicklich lebhaftes Leuchten. Schöpft man Wasser, so leuchtet die Stelle an welcher das Gefäß die Oberfläche des Meeres berührt, lebhaft, und das geschöpfte und an Bord gebrachte Wasser leuchtet, wird es mit einem Stabe geschlagen oder in einem Glase geschüttelt. Dann leuchten aber eigentlich blos einzelne größere oder kleinere Punkte, welche dem sie umgebenden Wasser die Helle mittheilen. Diese Punkte sind mit einiger Vorsicht und Uebung zu isoliren und erweisen sich als ein oder der andere lebende Organismus. Gießt man Schwefelsäure oder eine andere stärkere Säure in die See, so entsteht momentan ein starkes Aufleuchten, welches länger anhält und intensiver ist, als wenn Wasser ausgegossen wird, da in diesem Falle nicht blos die mechanische Erschütterung, sondern auch die chemische Einwirkung der Säuren gegen die Thiere auftritt.

Ganz besonders prachtvoll ist in solchen Nächten das Schauspiel, wenn sich plötzlich ein leichter Wind erhebt und das Schiff die mit Thieren reichlich bedeckte Oberfläche der See durchschneidet. Das Bugspriet eines Schiffes, das uns entgegenkömmt, scheint zu brennen, und tausend glühende Tropfen spritzen wild um dasselbe empor, während das Kielwasser unseres eigenen Fahrzeugs eine weithin glänzende Furche zieht. Eine nicht minder schöne Erscheinung sind Delphine, die dem Schiffe folgen, oder wie gewöhnlich das Bugspriet spielend umschwimmen.

Es scheinen die Thiere gänzlich zu glühen und hinterlassen kometenartig einen leuchtenden, blitzenden Schweif, indem sie, feurigen Schlangen gleich, die Wellen durchschneiden.

Das Leuchten des in's Meer geworfenen Gegenstandes, des dahin segelnden Schiffes und jenes des schwimmenden Delphins, sie haben ein und dieselbe Ursache. Die durch den raschen Anstoß gereizten Thiere leuchten, und die in's Meer gegossene Schwefelsäure wirkt auf ähnliche Art durch chemische Reaktion.

Alle die Individuen, welche auf solche Weise durch irgend einen Reiz veranlaßt leuchten, thun dies in höherem Grade bei der ersten Veranlassung, ähnlich wie beim elektrischen Aal die ersten Schläge die heftigsten sind, und viele derselben scheinen nach öfter wiederholter Berührung jenes Vermögen fast gänzlich verloren zu haben. Ich werde durch direkte Beispiele dies später zeigen. Aber die beiden Fälle, wo die See auf größeren Strecken, und nicht bewegt durch einen sie durchschneidenden Körper, leuchtete, deren ich eben erwähnte, beweisen, wie empfindlich jene Organismen, wenn sie sich vorher im Zustande der Ruhe befunden haben, auch auf die leiseste Berührung reagiren. Nicht weit vom Aequator entfernt, nach einem vollkommen sonnenhellen Tage, und ebenso fast gänzlich heiterer Nacht, welche den Sternenhimmel in vollständiger Klarheit erblicken ließ, trübte sich plötzlich der Himmel, und bei beinahe vollkommener Windstille fiel ein ziemlich starker lauwarmer Regen. Dort habe ich zum erstenmal das Meer in weiter Ausdehnung und bei vollkommener Ruhe leuchten gesehen. Tausende jener mit Leuchtkraft begabten Thiere, welche gelockt durch den warmen hellen Tag und die entsprechende ruhige Nacht, sich dicht an die Oberfläche des Wassers begeben hatten, wurden von den fallenden Wassertropfen getroffen, und verbreiteten alsbald auf einige Augenblicke ihr Licht, mehr oder minder glänzend je nach der Größe des Individuums. Es schien die See den verschwundenen Sternenhimmel ersetzen zu wollen, und die Erscheinung war in der That eine prachtvolle zu nennen. Sie trat natürlich am deutlichsten hervor in nächster Nähe des fast stille liegenden Schiffes, wo man das Aufblitzen und langsame Verschwinden des Lichts mit Muße betrachten konnte. Ich habe mich einige Tage später durch den direkten Versuch überzeugt, daß Quallen leuchten, wenn sie an der Oberfläche des Wassers schwimmend mit einiger Heftigkeit durch einen Tropfen Wasser getroffen werden, indem ich auf Deck in einem Bottiche mit eingefangenen Thieren den Versuch wiederholte. Aber schon jeder in die See geworfene Körper, oder wie ich schon erwähnte, ausgegossenes Wasser, bringt die ähnliche Erscheinung hervor. Daß sie sich im Großen nicht häufiger wiederholt (ich konnte sie blos einmal beobachten), rührt ohne Zweifel davon her, daß die nöthigen Bedingnisse nicht stets zusammentreffen.

Erhebt sich rasch der Wind, und die See fängt an stärkere Wellen zu werfen, so entsteht hie und da ebenfalls bisweilen ein Aufblitzen des Wassers, ohne Zweifel dadurch hervorgerufen, daß die Spitzen der sich überstürzenden Welle, die in einzelnen Tropfen herabfallen, irgend ein Individuum treffen.

Zum zweitenmale sah ich die See in einer größeren Ausdehnung im Hafen von Lima, in Callao, leuchten. Es war ebenfalls Windstille und die See buchstäblich spiegelglatt. Ich befand mich zufällig am Bord und des Abends auf Deck, als der Signalschuß vom Fort aus gegeben wurde. In demselben Augenblicke entstand vom Lande aus, sich rasch gegen die Einfahrt des Hafens hin fortpflanzend, ein Ausleuchten der See, am stärksten im ersten Momente, dann schwächer werdend, und nach einigen Sekunden fast gänzlich verschwunden. Dauer und Ausdehnung der Erscheinung mußten sogleich jeden Gedanken an einen Widerschein des Signalschusses aufheben. Aber die, wenn auch leise Erschütterung, welche dieser Schuß auf der Oberfläche der See hervorbrachte, reichte hin, die an der Oberfläche befindlichen Seethiere zu erregen und auf einige Augenblicke leuchtend zu machen.

Von dem Obersteuermanne jenes Schiffes, einem intelligenten Seemanne, und Mit-Augenzeuge jenes Phänomens erfuhr ich, daß er Aehnliches ebenfalls schon in andern Häfen beobachtet, und er gab dieselbe Ursache an, welche ich so eben entwickelte.

Ich habe durch diese beiden Fälle gezeigt, daß die See, oder vielmehr die Bewohner derselben, stets einer, wenn auch einer unbedeutenden Berührung oder eines äußerlichen Reizes bedürfen, um zu leuchten und ferner, welch eine leise Berührung genügt, um die vorher nicht gereizten Thiere zu erregen und leuchtend zu machen; ich habe zugleich die einzigen Beispiele angeführt, wo ich die See in einer weitern Ausdehnung leuchten sah.

Ich habe ferner oben ausgesprochen, daß ich das Leuchten der See niemals von Infusorien ausgehend, angetroffen habe.

Es ist mir wohl bekannt, daß man an verschiedenen Orten dieses beobachtet haben will oder hat. Ich selbst habe an verschiedenen Stellen und unter sehr verschiedenen Breitegraden allerdings ebenfalls das Meer im Umkreise des segelnden Schiffes mit einem Scheine leuchten gesehen, welcher matt, bläulich oder milchweiß und zugleich so gleichartig war, so durch die ganze Masse des Wassers verbreitet, daß man unwillkürlich an ganz unendlich kleine Individuen denken mußte, welche, vertheilt in großer Anzahl durch jene Stellen des Meeres, das Leuchten bedingten. Meist finden sich dort keine größeren Thiere, wie Salpen und ähnliche, welche eine intensivere, besonders hervortretende Helle verbreiten, und es mag der Schein ein phosphorähnlicher genannt werden. Solche Stellen fand ich z. B. in der Nordsee, im Kanale, noch weiter südlich, und selbst unweit der Wendekreise in manchen Nächten. Auch jenseits der Linie auf der südlichen Halbkugel und in entsprechenden Breitegraden, findet solches Leuchten statt.

Man glaubt, wenn man vom Borde aus in die See blickt, das Wasser so gleichförmig von dem leuchtenden Stoffe durchdrungen, daß man überzeugt ist, eine herausgespritzte kleinere Menge müsse ebenfalls und mit dem gleichen Lichte leuchten. Macht man aber den Versuch und schöpft in einem kleinern Gefäße, etwa in einem Glase, welches ein Litre faßt, so ist das geschöpfte und an Bord gezogene Wasser fast immer dunkel, und hat keine Spur irgend einer Lichterscheinung. Nur in einzelnen Fällen sieht man einen oder mehrere kleine feurige Punkte durch die Flüssigkeit sich hin und her bewegen, aber diese erhellen dann auf einige Momente die ganze im Glase befindliche Wassermenge. Schüttelt man das Glas heftig, oder schlägt man das Wasser mit einem passenden Stabe, so kommen häufig auch in anfänglich dunklem Wasser jene einzeln leuchtenden Punkte, welche sogleich das ganze Gefäß erhellen, zum Vorschein.

Die geringe Menge einiger solcher Individuen ist also hinreichend eine im Verhältniß ihrer Masse bedeutende Quantität Wasser auf kurze Zeit leuchtend zu machen, und derselbe Fall, wie hier im Glase, findet außen in der See statt.

Mit einiger Uebung gelingt es fast immer der leuchtenden Individuen habhaft zu werden, sie zu isoliren und das Wasser bleibt dann dunkel, es mag geschüttelt oder geschlagen werden. Sie waren mithin die Ursache des Leuchtens.

Diese Individuen aber sind, wenn auch meist sehr klein, doch stets noch mit freiem Auge zu erkennen und gehörten sehr oft dem Geschlechte der Entomostraca oder Insekten-Krebse, bisweilen aber auch anderen Formen an, welche ich indessen nicht näher zu bezeichnen oder zu bestimmen vermag, obgleich ich eine ziemliche Anzahl derselben unter dem Mikroskope zu zeichnen versuchte.

Auf solche Weise also habe ich das einförmige und schwache phosphorähnliche Licht der See niemals durch Infusorien, sondern stets durch Individuen bedingt gesehen, welche noch mit freiem Auge zu erkennen waren.

Aus dem bisher Gesagten geht hervor, wie verschiedenartig das Leuchten auftritt, wenn auch die Grundursache ein- und dieselbe ist. Namentlich scheint in der Nähe des Aequators, wie ich schon öfter erwähnte, die prachtvolle Lichtentwicklung stattzufinden, indem dort vorzüglich die größeren Quallen und Salpen leuchtend gefunden werden. Meist stehen diese Thiere in einiger Tiefe unter dem Wasser, aber in welcher kann nicht wohl genau angegeben werden, da optische Täuschungen mit unterlaufen. Berührt durch das segelnde Schiff, gereizt und leuchtend werdend, scheinen sie glühenden Glaskugeln ähnlich vorüberzuziehen, und das zwar scheinbar kaum einen Fuß tief unter dem Wasser, während die demselben mitgetheilte glänzende Helle einige Fuß in der Breite beträgt. Ich habe bei Tag einigemal Quallen gefangen, Scheibenquallen, langarmige und kegelförmige Medusen, welche, auf Deck in großen Gefäßen mit frischem Seewasser verwahrt, nach eingebrochener Dunkelheit, wenn sie gereizt wurden, lebhaft leuchteten, aber es gelang mir sehr selten, des Nachts mit dem Netze ein solches größeres Thier zu erhaschen. Aber, wie auch schon andere Beobachter angegeben haben, fand auch ich, daß das intensivste Licht von einer Salpe (der Pyrosoma) hervorgebracht wird. Ich konnte nur in einer Nacht, am 22. Mai, unter 22° 37' Länge und 8° 30' Breite, einiger Exemplare habhaft werden, da sie dort fast an der Oberfläche umherschwammen. Bekanntlich besteht die Pyrosoma aus einer Verwachsung einer großen Menge kleiner Individuen, bei welchen der Mund nach außen, der After nach innen und einer zentralen Höhle zu liegt. Die ganze Menge dieser zusammenhängenden Thiere bildet so einen Cylinder, der an dem einen Ende geöffnet ist. Durch gemeinschaftliche Zusammenziehung aller Thiere wird die centrale Oeffnung erweitert oder verengt und so wahrscheinlich die Bewegung bedingt. Wir fingen in jener Nacht etwa sechs bis acht Exemplare und lasen beim Lichte derselben in sonst vollständig dunkler Koje mit Bequemlichkeit. Ich habe jenesmal meinem Freunde W., der unwohl im Bette lag, aus einem kleinen zoologischen Vademecum eine kurze Betreibung dieser Thiere bei ihrem eigenen Lichte vorgelesen.

Wir hatten dieselben in eine Blechschüssel, mit Seewasser gefüllt, gelegt, und obgleich sie ungereizt vollständig dunkel waren, so reichte doch die leiseste Berührung hin, sie augenblicklich leuchten zu machen. Wurde die Schüssel von außen nur mit dem Fingernagel berührt, so leuchteten sogleich sämmtliche, in derselben befindliche Individuen mit dem schönsten Lichte. Wurde vorsichtig eines derselben (stets nämlich die Vereinigung der einzelnen Subjecte zum Ganzen, zur eigentlichen Salpe, als Thier gedacht) mit einem Stäbchen berührt, so leuchtete zuerst das gereizte Individuum, aber auch die anderen, direct nicht berührten fingen alsbald, wenn auch stets mit schwächerem Lichte, zu leuchten an.

Das Licht der Pyrosoma atlant. ist bläulich grün, von einer sehr schönen Modifikation des Farbentones, und das Thier scheint, sobald es leuchtet, transparent zu sein. Am glänzendsten und am längsten dauernd ist die feurige Furche, die das segelnde Schiff hinterläßt an jenen Stellen des Oceans, wo jene Thiere häufig sind.

Eine zierliche Erscheinung, geht ihr gleichwohl das Großartige der flammenden See um ein großes segelndes Schiff ab, sind die Tausende von Funken, die ein rasch gerudertes Boot begleiten, die durch jeden Ruderschlag funkelnd in die Höhe geworfen werden und die Ruder, so wie selbst die in See getauchte Hand feurig glänzend erscheinen lassen.

Flüchtig will ich über die Organe hinweggehen, welche bei der ganzen Reihe der leuchtenden Seethiere dasselbe bedingen. Wissenschaftliche Abhandlungen sind ausführlicher hierauf eingegangen und man hat gefunden, daß während einzelne Arten gänzlich zu leuchten und von dem phosphorescirenden Lichte überzogen oder durchdrungen scheinen, andere blos an einigen Stellen des Körpers erleuchtete Stellen besitzen. Ich habe eine ziemlich bedeutende Anzahl von leuchtenden Thieren aller Art, und unter sehr verschiedenen Breitegraden untersucht und habe dasselbe gefunden.

Im Allgemeinen gänzlich leuchtend sind die stets mehr oder weniger durchscheinenden Quallen und Salpen; mehr auf bestimmten Stellen, meist am untern Theile des Körpers, beschränkt, die Krebs-ähnlichen kleinen Thiere. Möglich, daß die Transparenz der Medusen und Salpen eine Täuschung vermittelt. Bei der überwiegenden Mehrzahl der kleinen von mir untersuchten und häufig auch unter dem Mikroskope gezeichneten Entomostraka habe ich mit Bestimmtheit gefunden, daß die bei Nacht leuchtenden Flecke bei Tage und selbst bei Lampenlicht röthlich gefärbt waren.

Ich zweifle nicht, daß mit Schärfe und Genauigkeit und in kurzer Zeit sich Wahrheiten über das Leuchtevermögen aller dieser Thiere herausstellen ließen, wenn man sie im friedlichen Studierzimmer stets frisch zur Hand haben und gute Instrumente, vielleicht auch chemische Agentien anwenden würde. Meist aber fehlen auf See, bei dem reichlichsten Material, die meisten Hülfsmittel zur genauen Untersuchung, der mangelnden Literatur nicht zu gedenken. Ich hatte ein kleines Mikroskop von Plössel bei mir, aber ich konnte kaum eine stärkere Vergrößerung als eine dreißigfache lineare anwenden, und öfters selbst diese nicht. Es ist nicht leicht ein Thier, was häufig nicht die halbe Größe eines Nadelkopfes erreicht, aus einem Eimer Wasser herauszufangen, entweder beim Lampenlichte, welches selten sehr brillant ist, oder in der Dunkelheit, blos durch des Thierchens eignes Leuchten geleitet, zudem da nach einigemal wiederholtem Reize dieselben bald sterben oder wenigstens nicht mehr leuchten.

Die besprochenen Erscheinungen haben für den, der die See befahren hat, ein solches Interesse und erwecken so vielgestaltige an sie geknüpfte Erinnerungen, daß man es mir vielleicht verzeihen wird, so lange bei denselben verweilt zu haben. Ich werde hinfür nur selten und flüchtig des Gegenstandes mehr erwähnen. Doch muß ich, ehe ich ihn verlasse, noch eine eigenthümliche Erfahrung anführen, welche ich gemacht habe. Es gelang mir nämlich nie, ein des Nachts leuchtendes Seethier, im absolut finsteren Raume, auch bei Tagszeit leuchtend zu machen. Ich fing öfters während des Tages sowohl kleine, als auch größere Individuen, von denen ich wußte, daß sie des Nachts leuchteten, brachte sie in meine Koje, und reizte dieselben, um sogleich nachher bei Tageslicht und unter dem Mikroskope das leuchtende Organ näher prüfen zu können. Aber ich habe nie, auch nie eine Spur eines Lichtscheins gefunden. Ich habe diese Versuche auf der Rückreise von Peru nach Europa angestellt, wo auf dem Schiffe durch die Gefälligkeit des Kapitains alle möglichen Hülfsmittel zu meiner Verfügung standen. Das kleine Prisma, welches von oben die Koje erhellt, wurde auf das sorgfältigste verschlossen. Die Thür, in Fugen laufend, und zum Schieben eingerichtet, wurde zugeschoben und von außen so dicht mit Tüchern verhängt, daß absolut alles Licht ausgeschlossen war; ich blieb dann etwa 30 Minuten in dem verdunkelten Raum, um eine Spur etwa eindringenden Lichts zu entdecken, und um mein Auge empfindlicher für den geringsten Lichtreiz zu stimmen, aber ich habe nie ein anderes Resultat als das oben angegebene erhalten können. Manche der Thiere, meist größere Medusen, welche nicht zu heftig gereizt worden waren, und welche überhaupt länger leben, leuchteten nach eingebrochener Nacht und dann selbst auf Deck, wo bei Sternenhelle deutlich die nächsten Gegenstände zu erkennen waren.

Ist das Leuchtorgan jener Thiere an eine gewisse Zeit gebunden, hängt diese Zeit zusammen mit dem Zwecke, den die Natur überhaupt damit verbunden hat, oder war mein Auge in der verhängten Koje immerhin noch nicht genug an die Dunkelheit gewöhnt, um die Lichterscheinung wahrnehmen zu können? Ich weiß es nicht, aber ich habe die Erfahrung wiedergegeben, wie sie sich mir geboten.

So viel vom Leuchten der See.

Die Temperatur war in jenen Breitegraden in der That eine wahrhaft köstliche zu nennen, wenigstens nach meiner Ansicht. Wir hatten meist günstigen Wind, und die Stillen, welche hier und da eintreten, wie solches dort öfters zu geschehen pflegt, dauerten nicht lange, und waren, für mich den Medusenjäger, so wie für die Seekranken gleich erwünscht. Regenschauer und einzelne Gewitter liefen wohl mit unter, aber vorübergehend, indessen war dann die Schwüle in unserer sogenannten Kajüte einigermaßen drückend, da auf das Skylight eine luftdicht schließende, mit Glas versehene, Decke gesetzt wurde. Einige jüngere Passagiere, welchen die tropische Hitze keine so angenehme Zugabe wie mir war, dem nicht leicht (physisch nämlich) irgendwo zu warm geworden ist, wurden unwohl und dies meist solche, welche längst die Seekrankheit überwunden hatten.

Ich gab den Patienten Brechweinstein und später Citronensäure, und sah auf diese Weise das Uebel leicht verschwinden.

Indessen brachte ich es auch beim Kapitain dahin, daß mittelst einiger Querhölzer jene Skylight-Decke hohl gestellt wurde, so daß zwar dem Regen gewehrt, nicht aber der Luft aller Zutritt abgeschlossen wurde. Eine weitere Verbesserung unserer Umstände brachte ich dadurch zuwege, daß ich den Genossen der Kajüte vorschlug, unser Kostüm zu vereinfachen. Leichte leinene Beinkleider und Hemden, Pantoffel dazu – und der Anzug für den Tag und für die Promenade auf Deck war beendet. Ich gestehe es mit Erröthen und Schamhaftigkeit. Wir hatten dort gewiß ein höchst ungebildetes Aussehen. Keine Strümpfe! nicht einmal jener Repräsentant der Cultur und Bildung, die Kravatte, wodurch sich, mit Ausnahme der behalsbandeten Kettenhunde, der Mensch vorzugsweise vom Thiere unterscheidet. –

Noch ein anderes Schutzmittel gegen die allzugroße Hitze in der Kajüte wurde am Skylight angebracht, ein Segel von etwa 12 bis 15 Fuß Höhe, gegen unten in einen Schlauch endend, welcher in die Kajüte führte. Die gegen das Segel strömende frische Luft wurde auf solche Weise stets in die Kajüte geführt und bewirkte auf diese Art eine in der That sehr angenehme Frische und perpetuelle Reinigung der untern Luft.

Ich muß gestehen, daß ich durch allerlei Kunstgriffe das Ende jenes Schlauches sehr häufig in unsere Koje zu leiten wußte, was den drei Mitbesitzern sehr wohl zu statten kam. Ich selbst schlief fast während der ganzen Zeit, in welcher wir uns unter den Wendekreisen befanden, unter freiem Himmel auf Deck.

Da mich die Matrosen gerne hatten, so weckten sie mich, ehe sie des Morgens das Schiff zu scheuern begannen, und ich entging so der Taufe, welcher nicht selten Passagiere ausgesetzt sind.

Anfänglich schleppte ich allabendlich mit Hülfe einiger freundlichen Genossen meine Matrazze nebst einigen wollenen Decken auf die Stelle, wo ich zu übernachten gedachte. Da aber einigemale Regen einfiel, und alle diese Requisiten schnell und ohne Beihülfe wieder hinabgeschafft werden mußten, beschränkte ich mich auf die wollenen Decken allein. Zuletzt ließ ich auch diese unten, und schlief à la Diogenes einfach in meinem Mantel auf den Brettern des Gangs. Ich lag etwas härter, aber ich hatte die große Bequemlichkeit, nicht mehr den Regen fürchten zu müssen. Bei größeren Schauern war ich rasch unter Deck, des Gepäckes ledig, kleinere aber wurden oben bestanden, öfters schlafend, im süßen Bewußtsein, daß die Sonne des morgigen Tages den einfachen Mantel leicht trocknen würde.

Ich komme bei dieser Gelegenheit auf einen eigenthümlichen Gegenstand, welchen ich mit einigen Worten behandeln will. Ich meine den schädlichen Einfluß, den das Mondlicht, und namentlich jenes des Vollmonds, unter den Wendekreisen äußern soll. Bei allen Seeleuten ist der Glaube verbreitet, daß der Mondschein giftig, wie sie sagen, einwirke. Im Mondscheine wird, selbst außerhalb der Tropen, nie ein Seemann mit unbedecktem Haupte auf Deck erscheinen.

Aber selten wird irgend ein ähnlicher Glaube allgemein unter einem ganzen Stande verbreitet sein, ohne daß irgend wie eine Wahrheit, ein Thatsächliches zu Grunde liegt. Die Folge des Schlafens oder überhaupt nur das Liegen mit unverhülltem Antlitze im Mondscheine soll Geschwulst im Gesichte, Lähmung, Blindheit, in manchen Fällen Wahnsinn und mit dem Tode endende Raserei herbeiführen. In Europa, irre ich nicht im südlichen Frankreich, sind ähnliche Erfahrungen gemacht worden.

Soldaten, welche des Nachts auf den Wällen einer Festung Schildwacht standen, wurden »mondblind.« Dies ist so viel ich weiß der wissenschaftliche Ausdruck für das Leiden, Mondblindheit, Nyctalopia und die vorzüglichste Erscheinung mit welcher es, nach der Aussage eines deutschen Arztes in Valparaiso, auftritt, ist eine mehr oder weniger verbreitete Geschwulst in der Augengegend, und die Eigenthümlichkeit, daß des Nachts vollständige Blindheit eintritt, sei nun Mondlicht oder Feuerbeleuchtung. Jener mir befreundete Arzt hatte als Oberarzt eine Abtheilung chilenischer Truppen über die Cordilleren begleitet und es fanden dort natürlich längere Zeit hindurch nächtliche Bivouaks im Mondscheine statt. Die Hälfte jener Soldaten wurden mit Mondblindheit befallen, und es dauerte einige Monate bis die Erkrankten vollständig geheilt waren.

Ich weiß nicht, ob der keusche unschuldige Mond wirklich die Schuld an dem Uebel trägt, ob es nicht vielleicht die rasche Abkühlung nach einem anstrengenden und erhitzenden Tagmarsche hervorgebracht hat, oder ob nicht andere klimatische, vielleicht nicht beachtete Einflüsse dasselbe hervorgerufen haben. So viel steht indessen fest, daß man dem Liegen im Mondschein alle Schuld aufbürdet, und daß eine leichte Verhüllung des Gesichtes dagegen schützen soll.

Es verdient noch bemerkt zu werden, daß unter den Seeleuten der Glaube herrscht, daß Fleisch geschlachteter Thiere, besonders aber das von Fischen, dem Scheine des Vollmondes ausgesetzt, leichter in Fäulniß übergehe als anderes, ja daß solches Fleisch beim Genusse selbst schädliche Eigenschaften habe. Es liegt eine eigene Mystik in diesem Glauben, der zusammenzuhängen scheint mit mancherlei Erfahrungen über die Einflüsse des Mondes, welche man von andern Seiten her gewonnen haben will. Indessen bedecken die Seeleute sorgfältig frisches Fleisch, was des Nachts über auf Deck bleiben soll und ich muß gestehen, daß ich eines Nachts sehr überrascht war, ein vollständig angekleidetes Schwein an der Schanzverkleidung stehen zu sehen, welches mit einem leichten Anstriche von Melancholie den Hauptmast zu betrachten schien. Die Sache klärte sich einfach dadurch auf, daß man das bei Tage geschlachtete Thier auf Deck gehängt, aber des Mondscheins halber mit alten Kleidern behangen und mit einem Hute bedeckt hatte. – Dem sei aber nun wie ihm wolle, sei die Sache ganz eine Fabel, oder sei sie halbe oder ganze Wahrheit, – so viel steht fest, daß ich nicht die geringste Anwandlung irgend eines Unwohlseins erfuhr, obgleich ich, während wir die Wendekreise durchschifften mit wenig Ausnahmen fast immer unter freiem Himmel und den Mondesstrahlen ausgesetzt schlief. Nicht selten brachten auch noch einige andere Passagiere die Nacht auf Deck zu, aber auch bei diesen zeigte sich Nichts dem Uebel ähnliches.

Aber ich habe an jene Nächte eine freudige dankbare Erinnerung bewahrt, die mich nicht verlassen hat in manchem Sturme der See und des Landes.

Wie oft habe ich dort jener lieben Herzen in der Heimath gedacht, von welchen ich sicher wußte, daß sie für mich schlugen, und deren Zahl ich nicht nennen will, weil Beispiel, Namen und Zahlen gehässig sind. Doch die feierliche Ruhe jener Nächte beschwichtigte den Kummer und die Sehnsucht. Die See, scharf abgegränzt bei Tage und scheinbar nur in mäßigen Dimensionen dem Auge erreichbar, erhält dort das Gepräge von Unermeßlichkeit durch jene fabelhaften Wolkengebilde, die vom Monde beleuchtet, die Gränze zwischen Himmel und Wasser verhüllen. Aber diese irdische Unendlichkeit, sie verschwindet, wenn sich der Blick zu den Gestirnen wendet, und weicht dem Gedanken an eine Ewigkeit, an eine Schöpfung ohne Anfang, ohne Ende, eine unumstößliche Wahrheit, eine unbegreifliche, und deshalb fast eine grauenhafte.

Oft habe ich in solchen Nächten jener ersten Blicke gedacht, wo ich als Knabe den Sternenhimmel betrachtet und wo ich nicht mehr recht die Erzählung meiner Wärterin glaubte, daß die Sternlein lauter Löchlein seien, durch welche der liebe Gott erlaube einen Theil seiner Herrlichkeit im Himmel zu erblicken, wohl auch herabblicke auf artige Kinder und sich freue über sie.

Später erfährt man freilich, daß der liebe Gott eine Constitution bekommen hat, daß alles nach Gesetz und Maaß gehen muß, und jene Bücher-Lehren oder wenigstens der Glaube daran nicht mehr zulässig und statthaft sei.

Ich mag den Freunden nicht bergen, daß ich dort zuweilen ein rechtes großes Kind gewesen und wohl bisweilen gewünscht, zu glauben wie ein kleines.

Während aber so in der Stille jener Nächte der Blick bald über das Wasser schweift und den Streiflichtern des Mondes folgt oder in den fernen Wolken mannichfache Gebilde zu erkennen glaubt, bald in der Tiefe des Himmels sich verliert und sich Spekulationen so verschiedener Art hingiebt, beginnen wir allmählig auf das Murmeln der neben uns vorüberziehenden Wellen unwillkürlich zu lauschen. Sie flüstern uns bisweilen seltsame Dinge zu diese Wellen, Dinge, die man nicht wieder erzählen kann und will, aber sie flüstern uns in den Schlummer.

Es ist Zeit, daß ich wieder einmal eines Datums erwähne, irgend etwas Wichtiges erzähle, was vorgefallen am Bord, ein Ereigniß melde. So will ich denn mittheilen, daß am 25. Mai (unter 22° 22' westlicher Länge und 4° 58' nördl. Breite) während einer Windstille ein Hai gefangen wurde. Dieses kann aber der vollkommensten Wahrheit gemäß an Bord, und besonders an Bord eines Passagier-Schiffes ein Ereigniß genannt werden. Ich hatte die Nacht auf Deck geschlafen, war aber gegen Morgen vom Regen vertrieben in meine Koje gegangen, als plötzlich gegen 5 Uhr ein furchtbarer Lärm auf Deck entstand. Der Ruf: ein Hai! der Alles übertönte, ließ auch mich so schnell als möglich auf Deck eilen, woselbst man eben beschäftigt war, jene »Hyäne des Meeres« an Bord zu ziehen. Man hatte schon seit einigen Tagen eine Angel ausgeworfen, welche unweit des Steuers befestigt, nachschleifte, aber obgleich schon mehrere jener Gäste den Köder, ein Stück Speck, umspielt, hatte doch erst am erwähnten Morgen einer derselben ernstlich angebissen. Das gefangene Thier war 7 Fuß lang und von beträchtlicher Stärke. Es ist übrigens keine ganz gefahrlose Sache, jene Ungethüme, welche natürlich an der Angel sich rasend geberden, an Bord zu bringen, und man muß sich wohl hüten in den Bereich des Rachens oder des Schweifes zu kommen. In letzterem entwickeln sie eine furchtbare Stärke und man versichert, daß unvorsichtig sich Nahenden öfters Arme und Beine zerschlagen worden seien. Der starke, 9 Zoll bis 1 Fuß große Angelhaken hängt an einer etliche Fuß langen Kette und diese an einem Taue. Sobald nun der Fisch auf Deck gezogen ist, wird durch einige Männer das Tau rasch um einen irgendwo befindlichen festen Gegenstand, etwa einen Kabelnagel geschlungen, so daß die Angel mit dem Kopfe des Thieres fixirt ist. Einer der Matrosen nähert sich dann behende dem wüthend um sich schlagenden Hai, und schlägt ihm mittelst eines breiten Beiles rasch den Schweif ab. Gewöhnlich wird hierauf auch der Kopf mit der Axt abgeschlagen, würde man aber dies zuerst thun, so würde der nicht mehr festgehaltene Körper arge Verwüstungen auf dem Decke anzurichten im Stande sein, da er, auch kopflos, noch lange Kraft und Bewegung besitzt.

Vom Körper des Hai nimmt man gewöhnlich die beiden Kiefer und das Rückgrat, welches die Matrosen trocknen und als »Rarität« zu Hause verkaufen. Alles übrige wird in See geworfen. Ich erinnerte mich in Chamisso's Reise um die Welt gelesen zu haben, daß der Hai von den russischen Seeleuten ohne Anstand gegessen wird. Auf mein Zureden gingen einige Passagiere mit mir zum Kapitain um ihn um den Hai zu bitten, d. h. um die Erlaubniß, daß der Koch ihn für uns bereiten dürfe. Wir erhielten zur Antwort, das sei gewiß unser Ernst nicht und überhaupt auf keinem Schiffe gebräuchlich. Ein Thier, was unsere Kameraden frißt, essen wir nicht, sagte mit einer gewissen Würde der Obersteuermann.

Vergebens wendete ich ernsthaft ein, es gebe keine bessere Revanche, als Jemanden, der die Gewohnheit habe, unsere Freunde zu speisen, wieder zu essen. Mit genauer Noth erhielt ich soviel, daß gestattet wurde, den mit einem Stücke des Halses abgehauenen Kopf vom Koche sieden zu lassen. Sollte uns die eklige Speise munden, so sei uns das übrige vergönnt. Die Speise mundete uns aber ganz ausgezeichnet und nur wer längere Zeit fast einzig auf Salzfleisch angewiesen war, weiß den Genuß frischen Fleisches gehörig zu schätzen. Als wir aber uns auf Deck nach dem Uebrigen des Fisches umsahen, war Alles längst von den Matrosen über Bord gebündelt worden.

Ich habe den Kopf jenes Haies skeletisirt und mit zurück nach Europa gebracht. Er befindet sich gegenwärtig im Besitze eines geehrten Freundes, welchem ich durch diese Zeilen freundlichsten Gruß zu bringen mir erlaube, wenn anders sein streng wissenschaftlicher Sinn es über sich gewinnen kann, diese nicht sehr wissenschaftlichen Fragmente zu durchblättern.

Schon am 21. Mai, unter 8° Breite, beobachtete ich das erste Zodiakallicht. Merkwürdig ist, daß diese Erscheinung, welche auffallend genug ist, um von jedem Unbefangenen bemerkt zu werden, erst spät, Mitte des 17. Jahrhunderts beobachtet worden ist. Auch unsere Schiffsmannschaft beachtete das Zodiakallicht nur wenig, oder ignorirte dasselbe; aus welchem Grunde kann ich mir indeß nicht erklären. Diese Leute besitzen ein scharfes Auge, dem der geringste Punkt auf der Fläche der See nicht entgeht, und von welchem eine kleine von uns kaum beachtete Wolke entdeckt und mit Interesse behandelt wird: und sie sollten jenes Phänomen nicht bemerken, welches so augenfällig ist?

Indem ich aber hier der chronologischen Ordnung vorgreife und des in Chile beobachteten Zodiakallichtes erwähne, muß ich bemerken, daß ich bei den chilenischen Dienern, welche mich auf die Cordillera begleiteten, dieselbe Unempfindlichkeit gefunden habe. Dort, und besonders auf der Cordillera, tritt die Erscheinung glänzender auf, als ich sie irgendwo gesehen habe, klar, leuchtend, so daß nur die Sterne erster Größe durch sie hindurch zu bemerken sind. Als ich aber jene Chilenen fragte, was denn jener Lichtschimmer eigentlich sei, was sie davon hielten, bekam ich zur Antwort: el es nada, und die deutschen Seeleute sagten mir, »das ist Nichts, das ist ein Schein, sonst Nichts.«

Die Chilenen aber besitzen im Uebrigen einen lebhaften Sinn für die Schönheiten der Natur, welchem sicher eine poetische Anschauung nicht fehlt. Das Resultat dieser Untersuchungen ist aber, daß gewisse Leute auf das Zodiakallicht nicht reagiren.

Das Zodiakallicht ist eine leuchtende Pyramide, welche etwa eine Stunde nach Untergang der Sonne bei eingebrochener Dunkelheit an der Stelle, wo die Sonne verschwunden, sichtbar wird. Die Basis, scheinbar etwa 30 Grade betragend, wird von den beiden andern Seiten an Länge übertroffen. Indessen muß ich das soeben Ausgesprochene dahin abändern, daß nicht direkt an der Stelle, wo die Sonne verschwunden, sondern einige Grade nach Norden hin die Erscheinung sichtbar wird. Sie folgt also dem Stande der unter den Horizont gesunkenen Sonne, sie scheint von der letztern bedingt zu werden. Das Zodiakallicht hat den Ausdruck einer kosmischen Erscheinung, es hat deren geheimnißvolle Ruhe.

Oft und lange des Nachts im Freien, habe ich in Süddeutschland nie ein Zodiakallicht beobachten können, und alle Wahrnehmungen, welche man hier und da auf dasselbe bezogen, erwiesen sich als einer andern Ursache angehörig; es dürfte mithin als eine, für unsere Breitegrade höchst seltene Erscheinung betrachtet werden.

Ich habe wohl später Gelegenheit auf diesen Gegenstand zurückzukommen.

Am 26. Mai wurden wir ein Segel gewahr, welches bald als ein Bremer erkannt wurde. Man signalisirte, der Landsmann näherte sich uns und da eben ruhige See war, wurde Back gelegt und der Kapitain des befreundeten Schiffes kam zu Boot an unser Bord. Er hatte die Westküste Amerikas besucht, war in Kalifornien gewesen und wußte viel zu berichten von dort und den Fahrnissen bei Cap Horn. Alles Dinge, die wir bald bestehen sollten. Er hatte Passagiere nach Kalifornien gebracht, welche sich fast sämmtlich bei Kap Horn die Finger erfroren hatten. Angenehme Zukunft das, welche uns in Aussicht gestellt wurde, und nicht ermangelte manche trübe Miene zu bewirken! Bei Kap Horn hatte er einen Matrosen verloren. Der Unglückliche war in die See gestürzt und konnte nicht mehr aufgefischt werden, ob er gleich, ein guter Schwimmer, dem Schiffe eine Stunde lang folgte. Es ist schon schwierig einen in See Gefallenen wieder zu bekommen, selbst wenn die See nicht eben sehr hoch geht; bei den stets stürmischen Wogen unweit Kap Horn und in jener Gegend überhaupt, erscheint es geradezu als Unmöglichkeit. Während der Anwesenheit jenes Kapitains an Bord wurden Briefe geschrieben in die Heimath und demselben mitgegeben. Ich schrieb nicht, indem ich von Rio Janeiro als eine größere, bereits begonnene Epistel zu senden beabsichtigte. Nachdem wir dem Kapitain einige Victualien gegeben, welche wir bald in Rio zu erneuern hoffen durften, kehrte er auf sein Schiff zurück, und kam bald außer Sicht.

Ich kann nicht umhin bei dieser Gelegenheit auf eine eigenthümliche psychologische Erscheinung aufmerksam zu machen, welche sich bei vielen der Reisegefährten, bei allen, welche ich befragte und auch bei mir selbst zeigte.

Es war dies ein unangenehmes Gefühl, welches mehr oder weniger bei Allen auftrat, die theure Erinnerungen an die Heimath bewahrten und welches sich unklar auf die Heimath und jene Lieben bezog. Es war nicht das peinliche Gefühl der Unentschlossenheit, ob man etwa umkehren und mit jenem Schiffe wieder nach Hause wolle, was endlich hätte geschehen können. Es war nicht einfache Erinnerung an das Vaterland, welche wohl der Bremer Flagge nicht bedurfte, um erweckt, aufrecht gehalten zu werden. Es war ein unklares Gefühl, welches eben deshalb schwer zu beschreiben, kaum zu analysiren ist.

Die Trauer um einen geliebten Todten wird milder, ruhiger, wenn er der Erde übergeben ist, und das zwar in der Stunde, wo solches geschehen; ein bekanntes Gefühl, ein deshalb aber dennoch sicher nicht hinlänglich erklärtes. Es ist nicht gleich mit dem erwähnten, aber hat Aehnlichkeit mit demselben.

Mag man aber nicht glauben, daß solche wehmüthige Regungen lange gedauert, denn bald hatte das leichtsinnige Völkchen der Reform vergessen, was es bewegt hatte und trotz der Einförmigkeit, welche an Bord herrschte, suchte man sich zu erheitern, wo es halbweg anging. Hier unter den Tropen war es möglich auf Deck zu sein, und so wurden denn häufig die Matrazzen hinaufgeschafft und man ruhte eine Stunde lang auf der rechten Seite liegend aus von den Beschwerden, welche man eine Stunde vorher erduldet hatte. Dort war man auf der linken gelegen. Die Passagiere des Zwischendeckes hatten in diesem Betrachte gemüthlichere Winkel zur Disposition als wir. Das große Boot, mitten auf Deck, in dem ihnen zuständigen Bereiche aufgehängt, erlaubte mancherlei Lager und Plätzchen sich einzurichten, welche vielfach benützt wurden. So hatte der oben erwähnte Franzose sich ein artiges Zelt improvisirt, in welchem er, gehüllt in den Burnus eines von ihm getödteten Beduinen, selbst beduinenähnlich, die Abende und Nächte zubrachte. Hier und da wurde Schafskopf gespielt, oder das edle Sechs und sechszig. Auch ich habe dieses Spiel erlernt und lange Zeit des Abends sowohl auf der Reform, als wie auch später auf dem Dockenhuden gespielt, und das genau eben so schlecht wie ich mein ganzes Leben lang alle andern Kartenspiele gespielt habe.

Auch dem, der am Lande sich wenig aus den Freuden der Tafel macht, wird auf See die Essenszeit bedeutungsvoll. Wer gesund, das heißt nicht seekrank ist, pflegt an Bord meist Hunger zu haben. Aber sehr oft pflegt dieser Hunger ihm auch nach Tische ein unwillkommener Begleiter zu bleiben, wenn er sich der Seemannskost nicht bald befreundet. Ich spreche hier von der Reform und von den meisten Passagier-Schiffen. Auf dem Dockenhuden, mit welchem ich die Rückreise machte, war zwar auch Seemannskost, aber gut, und das Möglichste gethan für die Umstände. Auf Kriegsschiffen ist die Tafel des Kapitains meist eine ausgewählte zu nennen.

Wir auf der Reform bekamen des Morgens etwa um 7 Uhr Kaffee, ohne Milch; dies war natürlich, denn für die 70 Passagiere hätte man einer halben Schweizerei an Bord bedurft; aber auch ohne Brod, ohne Butter und was das Uebelste war, ohne Saft und Kraft, eine wahre Parodie auf den ächten, edlen, braunen Trank der Levante. Hinfällig und dünn, so schwach, daß der Unglückliche eben noch im Stande war, den unförmlichen Blechtopf zu verlassen, in welchem er uns vorgesetzt wurde. Da die meisten der jungen Leute in der Kajüte gewohnt waren ein etwas consistentes Frühstück zu sich zu nehmen, waren sie natürlich nicht sehr erbaut von jener dünnlichen Flüssigkeit. Ich habe oben gesagt, daß die Essenszeit bedeutungsvoll sei auf dem Meere, jene Kaffeestunde aber war leider ziemlich bedeutungslos.

Ich für meine Person habe indessen das erwähnte Getränke verschluckt, ohne zu murren, einestheils, weil ich wußte, daß Murren nicht half, und ferner, weil ich seit langer Zeit gewohnt war, des Morgens nichts zu genießen als schwarzen Kaffee, ohne alle Zuthat, wenn gleich etwas besser als der reformische. Zur Entschuldigung des See-Kaffees aber, der überhaupt auf den meisten Schiffen nicht von besonderer Stärke ist, muß bemerkt werden, daß man, was an Qualität abgeht, durch die Quantität zu ersetzen sucht. Es ist mit dem Thee der des Abends gereicht wird, derselbe Fall, und eine alte Gewohnheit auf Schiffen. Leider ist das Wasser meist verdorben und übelriechend, so daß der Seemann nur selten solches für sich unvermischt genießt, aber die für den Organismus nöthige Menge Wasser im verdünnten Kaffee und Thee einnimmt. Der schlechte Geschmack des Wassers wird durch jene Beimengungen einigermaßen verdeckt.

Dem Mittagsmahle will ich eine verhältnißmäßig kürzere Zeit widmen, als dem Morgenbrode, und in der That ist die Speisekarte auch rasch entworfen. Abwechselnd Linsen- oder Erbsensuppe, einmal in der Woche Fruchtsuppe, nicht süß nicht sauer, eine schauderhafte Erfindung, bestehend aus Wasser, mit welchem man einige getrocknete Kirschen oder Preiselbeeren abgebrüht hatte. Es hatte sich an Bord ein unbestimmtes Gerücht verbreitet, als seien hier und da einige Rosinen in jenem Wasser gefunden worden, aber dieses Gerücht wurde durch wirkliche Augenzeugen nie zur Thatsache erhoben. Der Suppe folgte entweder Salzfleisch und Kartoffel, an einem Tage der Woche gesalzener Speck mit Sauerkohl. Dies letztere Gericht war das genießbarste.

Des Nachmittags wurde Kaffee gereicht, analog dem Morgentranke. Des Abends: Thee, oder ein Schnittchen Käse, oder endlich eine »Lapscaos« genannte Speise, – ich weiß nicht wie das Wort geschrieben wird. – Es ist der Abhub des Mittagstisches, der, gemengt und unter einander gequetscht, des Abends aufgetragen wird. Gesalzene Butter und wirklich guter Senf waren indessen reichlich vorhanden.

Der wahrhaft lucullischen Tafel, welche uns des Sonntags servirt wurde, muß ich indessen noch erwähnen. Hühnersuppe: so lange nämlich die Hühner reichten, für die 18 Passagiere der Kajüte zwei Hühner. Ergo jedes Huhn in neun Theile getheilt. Obgleich diese Thiere entweder durch Heimweh oder andere Verhältnisse, vielleicht auch durch die Schiffskost selbst ziemlich heruntergekommen und schlank geworden waren, behagte doch das Stückchen frisches Fleisch, welches auch mit unbewaffnetem Auge deutlich wahrnehmbar und für jeden von uns der entsprechende Antheil war, ganz ausnehmend. Dann Salzfleisch, jene sauere Unvermeidlichkeit, endlich aber Pudding, und letzterer derb zwar aber doch schmackhaft und reichlich. Ich vergaß zu bemerken, daß wir des Sonnabends gekochten Reis bekamen, ebenfalls ziemlich genießbar.

Zum Genuß des Salzfleisches muß man übrigens, wie ich glaube, nothwendig von früher Jugend an gewöhnt worden sein; mir widerstand dasselbe instinktartig in den ersten Tagen, und ich glaube nicht, daß ich während der ganzen Ueberfahrt mehr als etwa 5 Pfunde jener unangenehmen Speise genossen habe.

So gut wie möglich suchte man nun sich bei Tische zu belustigen, und es fehlte nicht an scherzhaften, hie und da wohl auch ärgerlichen Auftritten. Man suchte zu vergessen, daß nach vierwöchentlicher Fahrt für sämmtliche Passagiere nur noch einige Gläser vorhanden waren, denn daran war man theils selbst, theils war die See schuld. Man suchte zu übersehen, daß im Schiffs-Lexikon das Wort Serviette ausgestrichen schien, daß Messer und Gabeln in ihren Heften bedrohlich wankten, und blos hier und da kamen Ausbrüche des Tadels zum Vorschein, welche, als sie häufiger wurden, eine unangenehme Stimmung zwischen dem Kapitain und den Passagieren zuwege brachten. Des Abends bildeten sich je nach Geschmack und Neigung verschiedene Gruppen, theils wenn es nicht regnete, einem Erzähler zuhörend, theils in der Kajüte trinkend, rauchend, spielend. Die meisten von uns hatten sich von Bremen aus mit einem Vorrathe von geistigen Getränken versehen, und wo es fehlte wurde wohl nicht selten getauscht oder freundlich nachgeholfen. So vergingen die Abende heiter. Was mich anbelangt, so hatte ich des Tages über hinlängliche Beschäftigung. Ich nahm täglich einmal zu einer bestimmten Zeit die Temperatur der See, viermal jene der Luft und stellte des Tages über von früh 7 bis Abend 10 stündliche Barometer-Beobachtungen an. Das Zeichnen gefangener Seethiere, die nöthigen Notizen in das, wenn gleich nur skizzenhaft geführte Tagebuch, füllte ebenfalls viele Zeit aus.

Was meine Abende betraf, so ging ich wohl häufig auf Deck um mich umzusehen nach irgend etwas Absonderlichem oder Neuem, obgleich ich augenblicklich gerufen wurde, sobald sich irgend eine Erscheinung zeigte in Luft oder Wasser; aber da ich schon gestanden, daß ich dazwischen dem Laster des Spiels mich ergeben, und dem Sechs und sechszig gefröhnt, so will ich noch beifügen, daß ich allabendlich eine Flasche Ale getrunken, und nicht selten dabei an die Fleischtöpfe Aegyptens gedacht habe, das ist an ächtes, aufrichtiges bayerisches braunes Bier.

Solches war der Tageslauf auf der Reform unter dem lieblichen Klima der Tropen, mit ähnlichem Typus, doch hier und da mit unangenehmen Modificationen, auch unter anderen Breitegraden.

Am 1. Juni (24° 5' Länge, 0° 38' nördl. Breite) sahen wir einen Zug von etwa 80 bis 90 Schwertwalen, von den Seeleuten Butzköpfe genannt (Delphinus gladiator). Die Thiere zogen nicht weit von unserem Schiffe vorüber und schwammen ganz nach Art der Wallfische, indem sie nämlich von oben nach unten, im Vorwärtsschwimmen tauchen, mit dem Kopfe wieder hervorkommen und wieder tauchen, so daß sie eigentlich eine Reihe bogenförmiger Bewegungen machen. Diese Art sich von Ort und Stelle zu bewegen, verleiht dem ganzen Zuge den Anschein lebhafter Beweglichkeit.

Der Kopf dieser Thiere, welche gewiß 25 Fuß lang waren, ist stumpf-mopsartig, daher wohl der Name Butzkopf. Sie haben eine starke spitzige Rückenflosse und sind gefürchtet, indem sie, wie die Seeleute sagen, Boote anfallen und überhaupt grimmig und blutgierig sind. Sie verfolgen in Haufen die Wallfische, welche sie bisweilen tödten sollen. Auch Landenden sind sie gefährlich.

Es ist die Größe dieser Thiere an verschiedenen Stellen sehr abweichend angegeben, auch die Breitegrade, in welchen sie getroffen werden. Ohne Zweifel sind hier verschiedene Arten beschrieben worden. Ich habe später in Valparaiso einen Unterkiefer der Art, welcher wir begegneten, erworben; er hat auf jeder Seite elf kegelförmige, spitze, schwach einwärts gebogene Zähne, welche eng gedrängt an dem vordern Theile des Kiefers stehen. –

Wir passirten am 2. Juni, eigentlich in der Nacht vom 2. auf den 3. die Linie unter 26° 30' Länge. Es fanden keine jener Festlichkeiten statt, welche bei diesen Gelegenheiten aufgeführt zu werden pflegen, weil der Kapitain unangenehme Reibungen zwischen den Passagieren und der Mannschaft fürchtete, und dies vielleicht nicht mit Unrecht. Es läßt sich wohl denken, daß die Scherze, welche bei der tropischen Taufe vom Stapel laufen, nichst eben der zartesten Natur sind.

Gewöhnlich erscheint Neptun an Bord, mit seinem Obersteuermann und nicht selten mit seinem Hunde. Neptun trägt einen alten Frack oder irgend ein anderes altes verwittertes Kleidungsstück, unvermeidlich aber eine mächtige Perrücke von Werg oder Ziegenfell, wenn solches irgendwo aufzutreiben. Der Obersteuermann Neptuns führt Parodien der auf Schiffen nöthigen Meß-Instrumente in colossalen Dimensionen mit sich. Der Hund Neptuns endlich, ein in Fell genähter oder mit Werg decorirter Kajütenjunge bemüht sich nach Kräften possierlich zu sein und den Angenehmen nach seiner Art zu spielen. Auf Schiffen, in welchen sich keine Passagiere befinden, kömmt Neptun zum Kapitain, der an diesem Tage einen Theil seiner Würde ablegt, und auf den Scherz eingeht und sagt: er habe nicht umhin gekonnt, dem Herrn Kapitain seine Aufwartung zu machen. Letzterer erklärt, wie ihm solches sehr angenehm sei und fragt, ob Neptun und sein Gefolge etwa ein Glas Wein zu sich nehmen wolle. Neptun meint, dies sei nicht so übel. Man bringt nun vier Gläser und ein paar Flaschen Wein. Einer der Scherze ist nun, daß Neptun bittet, das vierte Glas wegzunehmen, da sein Hund nicht aus einem Glase, sondern blos von einem Teller zu saufen gewohnt sei. Es wird ein solcher gebracht und der Junge muß nun, so gut es geht, mit der Zunge nach Hundeart den Wein aus einem flachen Teller trinken oder eigentlich schlürfen. Nach einer Reihe ähnlicher Scherze beschließt des Abends ein Tanz der Matrosen, wobei einige Spaßvögel in improvisirter weiblicher Tracht erscheinen, und ein kleines, vom Kapitain gegebenes Zechgelage die Festlichkeit.

Auf Passagierschiffen übt sich der Witz an den Reisenden. Man soll getauft, vorher aber mit Theer eingeseift und rasirt werden. Dieß soll auf dem Rahmen eines auf Deck trichterförmig aufgespannten Segels geschehen, welches durch eingegossenes Seewasser wasserdicht gemacht und dann mit Wasser angefüllt worden ist. Natürlich wird der mit Theer Bestrichene alsbald kopfüber in das Segel geworfen. Man kauft sich durch eine Kleinigkeit los, und es scheint überhaupt, als ob zu jener Rasirgeschichte blos Subjecte ausgewählt würden, welche ohnedieß sich nur zweifelhafter Achtung an Bord erfreuten. Doch kömmt man nicht leicht ungewässert durch, und fast jeder bekommt, wenn auch scheinbar aus Versehen, plötzlich einen Eimer übergegossen. Daß unter der Linie dieß wenig schadet leuchtet ein.

Wie schon erwähnt, hatten wir nichts dergleichen an Bord, doch gaben die meisten der Kajüten-Passagiere eine Kleinigkeit oder Wein, was gut auf- und angenommen wurde.

Am 4. Juni (26° 50' Länge, 2° 41' südl. Breite) sahen wir auf unserer Backbord-Seite ein großes Schiff, einen Dreimaster, welcher etwa zwei englische Meilen von uns entfernt, gleichen Cours mit uns segelte.

Das Schiff schien übel zugerichtet. Es hatte den Fockmast verloren und schien auch sonst Havarie erlitten zu haben. Es wurde bald von uns überholt und kam außer Sicht. Es mußte jenes Schiff ohne Zweifel von einer plötzlichen Boe überrascht worden sein, wie denn überhaupt unter dem Aequator nicht selten auf geringe Entfernung das Wetter sehr wechselnd auftritt. Wir auf der Reform hatten wohl auch in jenen Tagen bisweilen schlimmes Wetter gehabt, welches man, auf der Seereise über den Kanal von Deutschland nach England land als »fürchterlichen Sturm« bezeichnen würde, aber so arg war es uns doch nicht geworden, daß Havarie in Aussicht gestanden wäre.

Ich finde unter dem 5. Juni in meinem Tagebuche einer Erscheinung erwähnt, welche ich schon einige Tage vorher beobachtet hatte, welche ich aber am erwähnten Tage ausführlicher beschrieben habe und hier mittheilen will, da ich nirgends eine Anleitung über dieselbe gefunden. Bei klarem Himmel, wenn der Mond nahezu voll ist, wie bei Vollmond, und bei ziemlich ruhiger See, findet sich der Widerschein des Mondes auf dem Wasser besonders klar und leuchtend ausgesprochen. Die solchergestalt beleuchtete Fläche des Meeres bildet, wie natürlich, eine Pyramide, deren Basis vom Horizonte begränzt ist, während die Spitze derselben auf den Punkt zugewendet ist (hier die Stelle an Bord), den der Beschauer einnimmt. Betrachtet man bei dieser Lage der Dinge den Mond und die ihn umgebende Stelle des Himmels allein, ohne besondere Rücksicht auf dessen Reflex auf der See zu nehmen, so zeigt sich nichts was auffallend wäre. Blickt man aber aufmerksam auf den Widerschein im Wasser und zugleich auf den Mond und die Stelle des Himmels, welche zwischen letzterem und der See ist, so bemerkt man schon nach kurzer Zeit, etwa 20 bis 30 Sekunden eine zweite Pyramide, welche aber dunkel ist, deren Basis mit jener der leuchtenden zusammentrifft, und deren Spitze den Mond nahe bei zu Berühren scheint. Bemüht man sich, beide Pyramiden, die helle und die dunkle, gleichzeitig längere Zeit zu fixiren, so nimmt das Phänomen bis auf einen gewissen Punkt hin an Intensität zu. Es ist klar, daß die Erscheinung eine subjective ist und in die Reihe der complementären gehört, denn verdeckt man die leuchtende Stelle der See mit irgend einem Gegenstande, einem Buche z. B. oder einem kleinen Brettchen, so daß blos die obere, dunklere Pyramide gesehen werden kann, verschwindet diese schon nach einigen Augenblicken.

Die Erscheinung wurde von Allen auf dem Schiffe gesehen, nachdem ich darauf aufmerksam gemacht hatte. Ich glaube, daß sie auf größeren Landseen und bei heiterem Himmel ebenfalls stattfindet, aber ich habe nie Gelegenheit gehabt, sie dort zu beobachten, und wie schon oben gesagt, ihrer auch nirgends erwähnt gefunden. Ich habe deshalb mitgetheilt, was ich gesehen habe, auf die Gefahr hin, vielleicht etwas bereits Bekanntes zu erzählen.

Am 8. Juni (29° 25' Länge, 10° 50' südl. Breite) sahen wir 3 Seeschlangen. Ueber diese Thiere, namentlich über jene Arten, welche die hohe See bewohnen, ist sicher noch wenig bekannt. Man weiß, daß die meisten Wasserschlangen giftig sind, und feststehende Giftzähne haben. Aber gewiß findet sich auf hoher See wenig Gelegenheit und vielleicht noch weniger Lust diese Thiere einzufangen. Die, welche uns zu Gesicht kamen, konnten eigentlich nur einige Augenblicke beobachtet werden, da das Schiff einen ziemlich raschen Gang hatte. Sie mochten 5 Fuß Länge haben, waren ziemlich dick, hatten einen flachen zusammengedrückten Kopf und breiten, fischartigen Schwanz. Sie schwammen mit schlangenförmiger Bewegung, doch nicht sehr rasch vorwärts und hielten sich dicht neben einander. Ihre Farbe schien glänzend blaugrün, da sie aber einige Fuß tief unter Wasser schwammen, so mag dieß wohl eine Täuschung und ihre Färbung grau oder weißlich gewesen sein, denn bei klarem Himmel und Sonnenschein erscheinen bei einiger Tiefe auf See alle helle Gegenstände mit grüner oder blauer Farbe.

Kurz nach den Schlangen, nachdem sich der Wind etwas gelegt und das Schiff einen langsamern Gang angenommen hatte, kam ein großer Fisch an die Seite des Schiffes, auf welchen sogleich Jagd gemacht wurde. Es war Coryphaena hippurus welche Species von den Seeleuten allgemein Delphin genannt wird. Warum, wissen die Götter. Der Delphin, hieß es, liebe ausnehmend silberne Geräthschaften, und man hängte deshalb sogleich einen Zinn- oder Blechlöffel an einer Schnur über Bord, damit er herbeigelockt werden sollte und, mit demselben spielend, dann harpunirt werden könnte. Der angebliche Delphin näherte sich auch wirklich dem Löffel, indessen blos in bescheidener Entfernung, ohne Zweifel entrüstet, daß man ihn mit Zinn anstatt mit Silber ködern wollte. Er folgte noch einige Zeit dem langsam weiter segelnden Schiffe und empfahl sich dann. Wie kurz vorher die Schlangen, hatte auch dieser Fisch eine prachtvolle grünlich blaue Farbe, aber auch unser Pseudo Silberlöffel glänzte in ähnlicher Pracht. Indessen zeigt das Thier auch außerhalb des Wassers eine wunderschöne Färbung. Ich hatte später Gelegenheit mehrere derselben genau betrachten zu können und erfuhr auch dort, es war nämlich auf der Rückreise von Peru nach Europa, vom Kapitain des Dockenhuden, warum eigentlich jener Löffel als Lockvogel in die See gehängt wurde. Diese Thiere stellen nämlich den fliegenden Fischen begierig nach, und sollen sich durch den Glanz des Metalles verführen lassen, dasselbe für einen solchen Fisch zu halten. Mit Ausnahme des Glanzes hat freilich ein fliegender Fisch wenig Aehnlichkeit mit einem Zinnlöffel, aber abgesehen von der Erfahrung, ist die Sache vollkommen glaubwürdig, wenn man sich an die englischen Angelkästen und die in denselben befindlichen Köder erinnert. Die meisten der letzteren, welche für den Forellenfang bestimmt sind, sind zwar sehr zierlich und solid verfertigt, aber es gibt kein Insekt auf der Erde, welches ihnen ähnlich sieht. Es sind Phantasie-Fliegen. Dennoch aber gehen die Forellen begierig nach diesen falschen Ködern und werden viel leichter durch sie gefangen, als durch wirkliche Insekten, die man als Lockspeise verwendet.

Vielleicht gehen die Forellen und andere Fische auf den Totaleffect, auf den »Eindruck«, den das Ganze hervorbringt, ähnlich wie es Kunstliebhaber und andere Leute bisweilen zu machen pflegen.

Unser anfänglich besprochener Fisch, Coryphaena hippurus, der Stutzkopf oder Delphin der deutschen Seeleute, ist an 4 Fuß lang, hat einen kurzen, von der Stirne rasch abfallenden Kopf und verhältnißmäßig kleinen Mund. Die Rückenflosse ist sehr hoch und läuft vom Kopfe bis zum Schwanze über den ganzen Leib. Die Brustflossen sind klein, die Bauchflosse fängt in der Mitte des Leibes an. Die Kiefer sind mit einer großen Menge kleiner, aber sehr spitzer, feststehender und nach innen zu hakenförmig gebogener Zähne besetzt. Die größten, welche außen stehen, sind kaum eine Linie lang. Ich habe im Ober- und Unterkiefer des Fisches 120 der größeren Zähne gezählt, kleinere sind gewiß in doppelter Menge vorhanden. Die Färbung des Thiers ist prächtig. Oben bläulich, dann an den Seiten grün, unten orange. Größere und kleinere, gelbe und blaue Flecken laufen längs den Seiten hin. Die Rückenflosse ist blau und die Strahlen sind gelb. Alle diese Farben haben Goldglanz und wechseln während des Todeskampfes. Es gewährte, obgleich mich die Thiere dauerten, dennoch einen prachtvollen Anblick, die auf Deck in der Sonne liegenden Thiere rasch im Wechselspiele alle Farbentöne von Grün, Blau und Gelb annehmen zu sehen. Man könnte die Erscheinung noch am passendsten mit dem Anlaufen gewisser Metalle im Feuer vergleichen, wo die Oxydschicht ebenfalls rasch wechselnd mannichfache Farbennüancen durchläuft. Diese Fische gewähren eine herrliche und auf See stets willkommene Speise, namentlich wenn man Monate lang blos auf Salzfleisch angewiesen war.

Ich gedenke mit dankbarer Erinnerung des 9. Juni und der freundlichen Feier, mit welcher an Bord vom Kapitain sowohl als von den Passagieren mein Wiegenfest gefeiert worden. Längere Zeit vorher hatte ich zufällig einmal des Tags meiner Geburt erwähnt, und war nicht wenig überrascht, jene Angabe so gut im Gedächtnisse festgehalten zu sehen. Ich hatte die Nacht auf Deck zugebracht und war gegen Morgen dem Scheuern der Matrosen weichend, zur Koje gegangen. Als ich zum Kaffee in die gemeinschaftliche Kajüte kam, fiel mir allerdings auf, daß alle Genossen bereits versammelt waren, und eine gewisse geheimnißvolle Stille herrschte. Im Begriffe zu fragen, wurde ich durch die freundliche Ansprache eines der Passagiere aufgeklärt. Glückwünschend, in herzlichen und ehrenden Worten, in seinem und der Genossen Namen, wurde mir von demselben zugleich ein kleines Gedicht gebracht, und mit einem Lebehoch geschlossen auf mich und die entfernten Meinen. Dort habe ich mit scherzhaftem Spruche zu antworten gesucht, aber ich war gerührt im Herzen und habe jene Augenblicke festgehalten bis auf die heutige Stunde.

Als das Hoch der Genossen erklungen, erschien der Kapitain auf der Treppe der Kajüte, ebenfalls Spruch-sprechend, glückwünschend und ein Hoch bringend. Als ich aber mit herzlichen Worten antwortete, bat er mich auf Deck zu kommen. Dort stand mir eine neue Ueberraschung bevor. Der Kapitain hatte sämmtliche Flaggen aufhißen lassen, so daß das Schiff im festlichen Schmucke segelte, und so eine besondere Feier am Bord angedeutet war. Die Passagiere des Zwischendeckes beglückwünschten mich nicht minder freundlich, und vier der Matrosen beschlossen endlich mit seemännischem Spruch und treuherziger Rede die Reihe der mich Begrüßenden.

So wurde mein Wiegenfest auf der Reform festlich begangen, und der Tag harmlos und fröhlich beendet.

Schon im Eingange habe ich jenes Pudels gedacht, der im Zwischendecke die Ueberfahrt mitmachte. Anfänglich hatte derselbe durch allerlei Kunststücke das Seine beigetragen zur Unterhaltung müssiger Passagiere auf Deck. Wohl erfahren in der edlen Kunst des Apportirens, ja Meister in derselben, setzte er durch mächtige Sprünge die Mannschaft in Erstaunen und wußte die kleinsten Gegenstände, welche ihm vorher gezeigt und hierauf versteckt worden waren, allenthalben aufzufinden. Aber aller Orten werden Kabalen erdacht, Intriguen geschmiedet, so auch hier gegen Leo, den Pudel. Das Quarterdeck war mit einem starken Wachstuche, dicht mit Oelfarbe angestrichen, bespannt, und auf dieser zu beiden Seiten etwas abschüssigen Fläche, war es in müssigen Stunden des Abends oder Morgens höchst angenehm zu liegen und je nach Umständen, die Sonne oder die Frische der Luft zu genießen. Fiel aber Regen ein, so hatte jene Fläche eine andere Bestimmung. Es waren am äußern Rande derselben nach Art der Dachrinnen kleine Blechröhren angebracht, durch welche das abfließende Regenwasser unten aufgesammelt und zu beliebigem Zwecke verwendet werden konnte. Nur wer lange Zeit schlechtes und übelriechendes Wasser genossen hat, weiß auf See einen Regen zu schätzen, und ich habe mit Wollust jenes Wasser getrunken mit einer Temperatur von + 24° R. und mit allerlei gemengtem Nebengeschmacke.

Leo hatte sich manchmal auch auf dem Quarterdecke eingefunden und freundlich geruht unter den andern Passagieren. Aber nach einem jener wohlthätigen Regen, während welchem man das Regenwasser aufgefangen und zum Trinken benützte, hatten sich üble Gerüchte verbreitet von bedenklichen Dingen, die sich im Wasser gefunden, Dinge, die nicht vom Himmel gefallen sein konnten, wie das Manna der Wüste zur Erquickung der Kinder Israels, Dinge, die vom Organismus als untauglich für den Stoffwechsel ausgestoßen worden waren, kurz Gegenstände, welche man in guter Gesellschaft nie bei Namen nennt, die nothwendig von einem Pudel herrühren, und in zum Trinken bestimmtem Wasser unter allen Verhältnissen als höchst überflüssig bezeichnet werden müssen.

In Folge dieser Thatsachen, oder auch böswilligen Verleumdungen, wurde Leo vom Quarterdeck verbannt, und selbst das Apportiren auf Deck wurde mißliebig angesehen. Nun saß er halbe Tage trübsinnig und unbeschäftigt am Fallreff in die See starrend und wie es schien in der Hoffnung, irgend etwas aus dem Wasser holen zu dürfen, was zu Hause eine erlaubte Ergötzlichkeit, aber hier zur Unmöglichkeit geworden war. Wenigstens mußte er öfters mit Gewalt zurückgehalten werden, nicht einem zufällig über Bord geworfenen, nutzlosen Gegenstande nachzuspringen.

Müssiggang ist bekanntlich aller Laster Anfang, und so mochte es kommen, daß der Hund sich plötzlich in die See stürzte, ohne Zweifel verführt durch irgend einen sich emporschnellenden Fisch.

Es war fast Windstille, so daß die Bewegung des Schiffes kaum zu bemerken war, aber doch war in kurzer Zeit der Hund weiter als Schiffslänge von uns entfernt, denn ein Schiff auf hoher See, welches vollkommen stille und an demselben Ort zu liegen scheint, bewegt sich doch stets von der Stelle; theils wirkt selbst der leiseste Hauch des Windes auf dasselbe ein, wohl aber am meisten die Dinung und hier und da auch eine Strömung.

Man kann sich denken, daß das arme Thier allgemein bedauert wurde. Der Kapitain ließ Back legen, aber eben weil kaum eine Spur von Wind vorhanden, so folgte das Schiff nur langsam den gegebenen Befehlen, wir drehten uns so, daß wir den wacker schwimmenden Pudel bald Backbord bald Steuerbord in Sicht hatten, aber er entfernte sich immer mehr von Bord, statt näher zu kommen, das heißt, wir trieben weiter, und der Hund blieb zurück. Das kleine Boot war erst Tags vorher frisch angestrichen, und für die Ankunft in Rio Janeiro vorbereitet worden, man setzte es also nur ungern aus; doch versprach der Kapitain das Möglichste zu thun, um des Hundes wieder habhaft zu werden. Da entschloß sich einer der Passagiere des Zwischendeckes, den Hund schwimmend zu holen. Dieser Entschluß verrieth mehr Muth als Besonneneit, und wurde allgemein beanstandet. Dessen ungeachtet aber begann G. sich zu entkleiden, und schickte sich, trotz der ernstlichen Einreden des Kapitains, an, über Bord zu gehen. Ohne Zweifel hätte letzterer mit Bestimmtheit das tollkühne Unternehmen verbieten können, allein, da in der letzten Zeit zwischen ihm und verschiedenen der Passagiere bereits Mißhelligkeiten entstanden waren, wollte er wahrscheinlich kein Machtwort sprechen, und alle friedliche Zusprache nützte nicht.

Während mir der bereits zum Sprunge Bereitete noch seine Schlüssel und andere kleine Gegenstände zum Aufheben gab, sprach ihm der Schiffsarzt zu, sich wenigstens an der Bogleine befestigen zu lassen. Dieß wurde angenommen, aber fehlerhafterweise die Leine zu kurz für die Höhe des Sprungs genommen, so daß dieselbe riß, ehe noch der sich in die See Stürzende das Wasser erreicht hatte. Doch schwamm er rüstig weiter und hatte bald den Pudel erreicht, da sich beide, Hund und Mann, entgegen kamen. Recht sichtbar aber wurde erst hier das Thörichte des ganzen Unternehmens, und es nahm dieses eben so schnell eine bedenkliche Gestalt an.

Als G. den Hund erreicht hatte, kletterte der letztere, bereits ermüdet, sogleich auf den Rücken des Schwimmenden, so daß derselbe nach mehrmaligen Versuchen den Hund abzuschütteln, untertauchen und sich hierauf auf den Rücken werfen mußte, um sich des Thieres erwehren zu können. Der Hund schwamm bald allein für sich weiter, und jetzt konnte man bemerken, daß während es schon ihm nicht möglich war das Schiff einzuholen, der Mann weiter hinter ihm zurückblieb. Ein leichter Wind erhob sich jetzt zur ungünstigen Zeit das Bedrohliche des Augenblicks erhöhend, und uns allen an Bord wurde gleichzeitig die Gefahr klar, in welcher der Schwimmende schwebte.

Es ist eine eigenthümliche Sache darum, einen Menschen, noch dazu einen Mann, mit dem man längere Zeit freundlich verkehrt, so plötzlich in drohende Todesgefahr versetzt zu sehen, und so läßt sich leicht die Aufregung begreifen, die am Bord der Reform sich kund gab. Wir halten uns rasch eingetheilt um den Matrosen hülfreiche Hand zu leisten, wo es nöthig und möglich war, ohne mehr zu stören als zu nützen, aber bereits begannen höhere Wellen den Schwimmenden anfänglich auf kurze, bald auf immer längere Zeitdauer zu verbergen, und der mit den Wogen Kämpfende war sich sicher seiner Gefahr bewußt, ja hatte vielleicht bereits die Hoffnung aufgegeben, gerettet zu werden. Man hatte mittlerweile das Boot losgemacht, um es in See zu bringen, aber da dasselbe nur zum Trocknen auf Deck und ziemlich hoch anfgehängt war, dauerte dies längere Zeit. Endlich war es flott, mit vier der tüchtigsten Matrosen bemannt, und ruderte rasch nach der Richtung des Schwimmenden, den wir nur selten und in bedeuteter Entfernung sehen konnten. Auch das Boot verschwand jetzt in Zwischenräumen hinter den immer höher werdenden Wellen. Es vergingen Minuten des Zweifels und der Angst, bis endlich vom Mast aus der Ruf erscholl: »Sie haben ihn!« Wohl selten wurde ein lebhafteres und freudigeres Hurrah gerufen, als in jenem Augenblicke von den Reisenden auf der Reform. Nach einigen Minuten wurde das Boot sichtbar und kam rasch näher. Unser Freund saß in denselben, sehr hinfällig und bescheiden, wie es schien, aber glänzend in allen Farben, einem Chamäleon gleich. Wir konnten uns die Ursache dieser optischen Erscheinung erst erklären, als wir bemerkten, daß die frischen Oelfarben des Bootes sich abgedrückt hatten auf seinen Körper, als man ihn in dasselbe gezogen hatte.

An den Hund, den unschuldigen Anstifter alles dieses Unheils, hatte Niemand mehr gedacht, so lange man den Menschen in Gefahr wußte; als dieser aber geborgen im Boote sich dem Schiffe näherte, lugte man auch nach Leo. Er schien verschwunden, und nur einzelne der Passagiere wollten ihn bald da bald dort in weiter Entfernung gesehen haben. Das erste lebende Wesen aber, was an Bord gehißt wurde aus dem zurückgekehrten Boote, war der Pudel, der sich, dem Genius seiner Race getreu, erst hier rechtschaffen schüttelte, und dann auf unbefangene Weise im Getümmel verschwand.

Der Gerettete brach, kaum auf Deck angelangt, vollständig entkräftet in sich zusammen, und war erst nach mehreren Stunden Ruhe im Stande, seine Koje zu verlassen.

So endete das Abenteuer mit Leo dem Pudel. Mögen die freundlichen Leser entschuldigen, daß ich so lange sie aufgehalten mit demselben. –

Ich habe vorhin von Mißhelligkeiten gesprochen, welche zwischen Kapitain und Passagieren entstanden, und muß hierauf zurückkommen. Ich habe erzählt, wie man ißt und trinkt, wie man schläft und sich langweilt an Bord, ich habe die Unterbrechungen der Langweile durch Haie, fliegende Fische, Delphine und Quallen angegeben. Aber wir haben noch 8 Tage, bis wir Rio de Janeiro erreichen, und ich glaube sie zweckmäßig auszufüllen, wenn ich jenes Unfriedens, und überhaupt des Verhältnisses zwischen beiden Parteien gedenke.

Es steht irgendwo geschrieben, das Weib solle dem Manne unterthänig sein und ihm folgen in allen vernünftigen Dingen. Alle Welt weiß, daß dies geschieht, und daß das Weib wirklich bisweilen folgt, so lange es ein Ding vernünftig findet.

Hier und da aber sind die Meinungen getheilt über das, was vernünftig und unvernünftig ist, und dann entstehen Mißhelligkeiten, bisweilen sogar »Familienverhältnisse.«

Aehnliches findet an Bord statt, – auf einem Kauffahrteischiffe nämlich[2]. Ernstlich gesprochen, glaube ich, daß wirklich von beiden Seiten viel Takt dazu gehört, um ein fortwährend gutes Vernehmen aufrecht zu erhalten. Es trifft sich oft, daß der Kapitain irgend etwas an Bord zu verbieten genöthigt ist, es mag auch sein, daß bisweilen Verbote mit unterlaufen, welche eben so gut oder noch besser vielleicht, ganz unterblieben wären, aber in beiden Fällen hat er nicht die hinreichende Macht, seine Befehle zu unterstützen.

Dieß ist gleichgefährlich zu Wasser und zu Land.

Wollte der Kapitain irgend einen Passagier durch die Matrosen zwingen lassen, Folge zu leisten, so wäre auf einem Passagierschiffe, so z. B. auf der Reform mit 70 und etlichen Reisenden, ein Zusammenstehn der meisten, und mithin offenbare Meuterei sehr zu befürchten gewesen. Aber auch wenn nicht dergleichen in Aussicht steht, so hat der Kapitain doch immerhin den Ruf des Rheders zu bewahren, den Ruf der sogenannten Humanität und des freundlichen Benehmens gegen die Reisenden.

Es gehen viele Leute über die See, aber in Hamburg und Bremen gibt es auch viele Rheder.

Es bleibt mithin das Verhältniß des Kapitains stets ein sehr eigenthümliches. Dazu kommt, daß die überwiegende Anzahl der Passagiere, so wie der Kapitaine und Seeleute überhaupt, ganz gewiß die verschiedensten Lebensansichten haben.

Die meisten der ersteren haben nie die See gesehen, von den wenigsten der letzteren kennt einer das eigentliche Leben auf dem festen Lande, mit Ausnahme der amphibienartigen See- und Hafenstädte. Meist unweit der Küste geboren und selbst Kind eines Seemanns, Lootsen und dergleichen, kommt der Knabe mit 13-14 Jahren an Bord als Kajütenjunge, wird später Matrose oder Leichtmatrose, macht, wenn befähigt, einige Monate in der väterlichen Hafenstadt die Studien der Steuermannskunst, wird hierauf Unter- später Obersteuermann und im günstigen Falle Kapitain, wenn er nämlich Glück und Geschick hat und nicht etwa zufällig – verloren geht. (Landratten-Sprache: bei einem Schiffbruche ertrinkt.)

Die Seeleute, die deutschen wenigstens und eben so die von andern Nationen, die ich kennen lernte, sind fast alle wackere, muthige und brave Männer, sie sind barmherzig gegen Mensch und Thier; sie sind bescheiden und ihrem Worte treu!

In näherer Berührung mit ihnen auf der Rückreise während längerer Zeit, bin ich öfters sogar auf den Gedanken gekommen, als sei der Mensch von Natur aus doch nicht so sehr filou (es macht sich Das französisch besser), als es gewöhnlich scheinen will.

Aber dieser Seemensch hat vom Landmenschen, speciell aber von der Species Passagier, einen verzweifelt schlechten Begriff.

Seiner Ansicht nach ist der Passagier ein Gegenstand, dessen Gegenwart an Bord den Zweck hat, die nicht vorhandene Fracht des Schiffes nach X oder Y zu decken, d. h. die Kosten des Rheders für die Fahrt, um von dort andere Waare, Tabak, Ochsenhäute, Pfeffer, Farbholz oder andere Sachen einzunehmen.

Der Passagier ist in den ersten Tagen ein jämmerliches Ding, welches seekrank ist, das Deck verunreinigt und allenthalben im Wege steht. Dann wird es neugierig, räsonnirt über Salzfleisch und Wasser und läßt vor Allem unaufhörlich merken, daß seine einzige Sehnsucht nach dem Lande steht.

Ob die Klagen, welche die Passagiere der Reform führten, gegründet waren oder nicht, will ich nicht entscheiden. Einige mögen wohl gerecht, andere unbillig gewesen sein. Aber wohl war an den meisten jener Beschwerden der Kapitain unschuldig. Sie betrafen vorzüglich die Kost und das Wasser. Erstere höchst einfach, und das Wasser übelriechend. Aber Alles dieses war die Schuld des Rheders, welcher das Schiff nicht zum Besten ausgerüstet hatte.

Die ständige Antwort des Kapitains auf alle, endlich täglich, ja stündlich wiederholte Klagen war, daß er nicht mehr geben könne als er habe, und daß es auf andern Schiffen auch so sei. Aber mehr und mehr fand sich eine gegenseitig gespannte, gereizte Stimmung ein, welche einen unheimlichen Eindruck hervorbrachte, ja bedenklich wurde.

Kapitain und Passagiere grüßten sich nicht mehr bei der Begegnung auf Deck; ein, ich muß es leider sagen, öfters rücksichtsloses Benehmen fand bisweilen von beiden Seiten statt, und als wir uns der brasilianischen Küste näherten, wurde eine Schrift entworfen, welche von allen Passagieren unterzeichnet und dem Konsul in Rio de Janeiro übergeben werden sollte.

Diese Schrift enthielt alle Klagen und Beschwerden, welche man gegen den Kapitain zu führen sich berechtigt glaubte und war ein Mittelding zwischen Mißtrauensvotum und Anklage-Adresse, ein Nachklang des Jahres 1848. Ich glaube, daß alle Passagiere, außer ich und die beiden in der obern Kajüte wohnenden Reisenden, jene Schrift unterzeichnet haben.

Die Stellung, welche ich in Hinsicht auf diese Mißhelligkeiten an Bord beobachtet, war die, welche ich seit langer Zeit unter ähnlichen Verhältnissen allenthalben eingenommen habe.

Einzeln den Parteien gegenüber, gab ich jeder Unrecht, suchte aber deren Recht zu vertheidigen nach Kräften bei der andern.

Ich habe die Genossen erinnert, daß sie sich nicht in einem Hotel befänden, und daß man für 300 Thaler von Bremen bis nach Kalifornien keine lucullische Tafel verlangen könne. Ich habe ihnen gesagt, daß man wohl auf andern Schiffen zäheres Fleisch, fauleres Wasser, schmalere Bissen anträfe.

Dem Kapitain aber versicherte ich unter vier Augen, daß man doch mehr thun könne für die gegebene Summe, daß das Fleisch sehr zäh, das Wasser sehr übelriechend und die Bissen sehr schmal wären.

Da man durch die dicksten mittelalterlichen Mauern einer alten freien Reichsstadt, über ganze Straßen und Stadtviertel hin, genau hört, was gesprochen wird in den Häusern unserer Freunde und Nichtfreunde, was Wunder, wenn solches geschah auf einem Schiffe, wo einige dünne Bretter die dickste Scheidewand?

Auf der Reform aber hatte jene akustische Bauart nicht die üblen Folgen, die auf dem Lande nicht selten durch sie erzielt werden, und eine friedliche Lösung der schwebenden Fragen mag bisweilen durch sie bewirkt worden sein.

Ich ward betraut mit der Stelle eines Mittelsmannes zwischen Kapitain und Passagieren; habe Hader verhütet und große Errungenschaften erworben. Man traute mir, da ich jedem meine Meinung sagte, unverholen und mit so viel Derbheit, Artigkeit oder Laune, als ich eben zur Hand hatte. Es muß die Seeluft ein besseres Medium sein für unverholene Meinungen und Scherze, als die auf dem Lande, und es ist hieran vielleicht ein größerer Jodgehalt der ersteren schuld[3].

Um aber wieder auf meine Errungenschaften zu kommen, so muß ich berichten, daß ich unter Andern wöchentlich einen Pudding erwirkt, für die Zwischendeck-Passagiere, und eine Thranlampe mehr, zur abendlichen Beleuchtung. Für die Kajüten-Passagiere aber habe ich zwei Lichter erhandelt durch gute Worte beim Kapitain, ein Schälchen eingemachter Früchte zum Sonntagstisch, und Käse für einen Abend in der Woche um die Frugalität des Souper zu vermindern.

Ich habe die schwebende Zuckerfrage zu einem glücklichen Ende gebracht, und trügt mich mein treuloses Gedächtniß nicht, so wurden durch meine diplomatischen Verhandlungen selbst auf einige Zeit die Speckportionen um ein Unmerkliches größer.

Aber auch dem Kapitain leistete ich wichtige Dienste. Eröffnete ich nicht statt seiner den Passagieren, daß leider die Sauerkohlportionen kleiner werden und bald ganz aufhören würden? Beschwichtigte ich nicht jenen tobenden Sturm, als unter Absingung der Marseillaise und anderer aufrührischer Lieder, ein Stück Salzfleisch, welches zufällig grün statt roth war, über Bord geworfen wurde?

Ernsthaft aber gesprochen, so drehen sich, trägt nicht specielle üble Laune und widerwärtiges Benehmen eines Individuums die Schuld, die Uneinigkeiten an Bord zwischen Kapitain und Reisenden meist um das Essen, und es mag mir wohl bisweilen gelungen sein, ärgerliche Auftritte zu verhüten. Ganz aber war die Spannung nicht zu heben. Sie brach unangenehmer als vorher aus, als wir Brasilien wieder verlassen hatten und machte mir manche trübe Stunde. Ich weiß nicht mehr, ob jene Klagschrift in Rio de Janeiro übergeben worden ist. Unweit Valparaiso wurde aber eine zweite entworfen, unterzeichnet und dort wirklich dem Konsul eingehändigt.

Doch genug von diesen ärgerlichen Händeln. – Ich will einer lieblichen Erscheinung gedenken, welche ich unter diesen Breitegraden, 38° Länge, 22° S. B. in meinem Tagebuch verzeichnet finde. Ich glaube, daß wir dieselbe dort zufällig das erstemal beobachteten, obgleich sie bei günstigen Verhältnissen unter allen Breitegraden vorkommen muß, und später auch noch verschiedenemale gesehen wurde. Ich meine den Regenbogen, welcher bisweilen an der Leeseite des Bugspriets gesehen wird.

Die Erscheinung zeigt sich, wenn bei vollkommen klarem Himmel und nicht zu hohem Stande der Sonne ein schwacher Wind sich plötzlich erhoben hat, so daß das Schiff rasch durch eine noch nicht zu stark bewegte See geht. Die Sonne muß auf der Luverseite des segelnden Schiffes, nämlich auf der stehen, wo der Wind herkömmt. Da der Wind die am Bugspriet empor geschleuderten kleinen Wassertropfen nach der Leeseite treibt, so ist die dort entstandene regenbogenartige Erscheinung sichtbar, wenn man sich so stellt, daß man die Sonne im Rücken hat.

Aehnliche Phänomene kommen häufig bei Wasserfällen und selbst bei größeren Fontainen vor, und müssen auch an den Rädern der Dampfboote gesehen werden; der am Bugspriet der Segelschiffe sich zeigende farbige Bogen aber hat die Eigenthümlichkeit, daß er sich durch Reflex tief in den Grund der See fortzusetzen scheint, was, verbunden mit dem öfteren plötzlichen Verschwinden und dem raschen Wiedererscheinen desselben, einen wunderhübschen Anblick gewährt.

Noch muß ich des südlichen Himmels erwähnen, den wir später bei Kap Horn freilich »noch südlicher«, aber nicht in der Klarheit wie hier unter den Wendekreisen zu sehen bekommen. Jeder hatte vom südlichen Himmel gehört, gelesen, von seiner Pracht und Herrlichkeit sich je nach Begriff und Phantasie ein glänzendes Bild entworfen. So kam es, daß das edle Nil admirari auf der Reform gänzlich vernachlässigt wurde, und alle Welt schwärmte für den Glanz der südlichen Sternenwelt. Insbesondere war es das Kreuz, was zur Bewunderung hinriß. Leider aber zeigte es sich, daß die Ansichten über das Kreuz differirten, nämlich, daß sehr verschiedene Stellen am Himmel angegeben wurden, wo sich das Kreuz befinden sollte, und erst später hat der Kapitain mir das wirkliche Kreuz gezeigt. Die süße Henriette (es hatte aus mir unbekannten Gründen einer der Passagiere diesen Namen an Bord erhalten) äußerte bei dieser Gelegenheit, es gäbe nicht blos ein südliches, sondern auch ein nördliches, östliches und westliches Kreuz, und jeder sähe das seinige an einer andern Stelle des Himmels oder der Erde. –

Daß das südliche Kreuz keine so außerordentlich glanzvolle Erscheinung darbietet, wie man im Norden nicht selten glaubt, geht vielleicht aus dem Gesagten hervor, denn es mögen die Urtheile Unkundiger, die noch dazu den besten Willen hatten, Herrliches zu erblicken, und sich doch nicht einigen konnten, wohl hiefür einen Beweis liefern. Ein schönes Sternbild aber ist immerhin das Kreuz. Auffallender aber, und für mich, den Nichtastronomen, interessanter waren die zwei maghellanischen Wolken und die schwarzen Flecke, oder die Kohlensäcke der Seeleute.

Die maghellanischen Wolken, besonders die größere, haben das Licht der Milchstraße, machen aber wegen ihres Vereinzeltstehens einen eigenthümlichen Eindruck. Man glaubt ein abgerissenes Stück derselben zu sehen. Es hat die größere dieser beiden leuchtenden Flecken des Sternenhimmels eine Größe von 42 Quadratgraden, während die kleinere nur 10 Quadratgrade hat. Sie bestehen aus Nebelflecken, Sternschwärmen, Sternhaufen und vielen einzelnen zerstreuten Sternen.

Die immensen Fortschritte, welche die Naturwissenschaften, besonders die »populären«, im gebildeten Publikum gemacht haben, überheben mich der Mühe anzudeuten, was Nebelflecken, Sternschwärme etc. eigentlich sind, und ich darf sogleich zu den »schwarzen Flecken« übergehn, welche am besten geschildert sind durch ihre Benennung selbst. Es sind in der That dunkle Stellen am Himmel, gerade das Gegentheil jener leuchtenden Wolken und von den Astronomen dadurch erklärt, daß an jenen Stellen sich im Raume eine geringere Anzahl von Himmelskörpern befinden, und daß ihre Dunkelheit noch hervorgehoben wird durch die Dichtheit der sie umgebenden Sternschichten.

Auffallend und fremdartiger noch werden ohne Zweifel dem Bewohner der nördlichen Halbkugel diese schwarzen Flecken erscheinen, als die maghellanischen Wolken, da auf unserer Erdhälfte Nichts Analoges sich am Sternenhimmel dem unbewaffneten Auge darbietet, während die Milchstraße uns schon an die ihr ähnliche Erscheinung der maghellanischen Wolken gewöhnt hat.

Wenigstens war dies der Eindruck, welchen jene beiden Eigenthümlichkeiten des südlichen Himmels auf mich hervorbrachten, der Totaleindruck aber war gegen jenen unserer Halbkugel kein günstiger zu nennen. Nur glänzendere Fixsterne erster Größe vermögen einigermaßen die Sternenleerheit des südlichen Himmels, namentlich in der Nähe des Pols, zu decken.

Daß der nächtliche Himmel unter den Wendekreisen überhaupt schöner und lieblicher, als näher den Polen, bedarf keiner Erwähnung. Die Helle und Klarheit dieser Nächte bei mondfreiem Himmel kommt nicht selten einer Nacht unter unseren Breitegraden gleich, die von halbvollem Monde erhellt wird, und das tiefe prachtvolle Blau entspricht allerdings den Schilderungen, die hievon entworfen worden sind.

Wir sahen am 17. Juni zum erstenmal die Küste von Brasilien. Scheinbar steile Abhänge, hier und da von fast kegelförmigen Formen unterbrochen. Aber die Abstufung dieser Kegel verscheuchte den Gedanken an basaltische oder doleritische Gebilde, und ließen granitische Massen vermuthen. Ich habe, wo es thunlich war, Profile der Küsten gezeichnet, und was mir dort während der Arbeit bisweilen als eine nutzlose Beschäftigung erschien, giebt mir jetzt, wenn ich mein Skizzenbuch durchblättere, eine klare Erinnerung an das Gesehene, ein, wenn auch schwaches, geognostisches Bild, und ruft mir jene Stunden der Erwartung deutlicher in's Gedächtniß zurück, als die Notizen meines Tagebuchs.

Kurz nachdem wir die Küste in Sicht gehabt hatten, fiel Regen und bald darauf verhüllte ein ziemlich dichter Nebel alle Aussicht, bis endlich plötzlich des Nachmittags die Nebel fielen, und wir in prachtvoller Sonnenbeleuchtung und nicht allzugroßer Ferne die brasilianische Küste vor uns hatten.

Die Geschäftigkeit der Seeleute hielt der Schwärmerei der Passagiere die Wage. – Brasilien! Eine Menge fast unbewußter Begriffe verbinden sich mit diesem Namen, welcher mir wenigstens in früher Jugendzeit stets der Repräsentant aller tropischen Pracht, aller überseeischen Herrlichkeit gewesen. Kann ich aber leugnen, daß bei näherer Ansicht der Küste, bei der Hoffnung, wohl morgen schon das Land zu betreten, all das, was ich gelesen über dasselbe in den Werken gelehrter Reisenden, zurückgedrängt wurde von der Erinnerung an jene Phantasien des Knaben? Alle jene Bilder, welche seit mehr als 30 Jahren vergessen in irgend einem Gedächtnißwinkel gelegen, tauchten dort mit wunderbarer Frische wieder auf. Dort habe ich Bertuch's großes Bilderbuch wieder vor mir gesehen mit den riesigen Faltern und glänzenden bunten Vögeln, welche Zeugniß geben von der prachtvollen Fauna jenes Landes. Ich habe die ermahnende Stimme jener gütigen verehrten Frau, die Mutterstelle an mir vertreten, wieder gehört, warnend, nicht so in Affect zu gerathen und den Theetisch nicht umzuwerfen. Als aber dort die Küste plötzlich uns entgegentrat, vergoldet von der abendlichen Sonne und umdonnert von der Brandung des durchschifften Oceans, habe ich mich gefreut, daß ich alles das jetzt sehen würde, jene Falter und Vögel, die Palmen und die Neger und die mächtigen Stämme des Urwaldes mit ihren Schlinggewächsen. Ich habe mich fast verwundert, daß das jetzt doch geschehen, was ich als Knabe für so ganz unmöglich gehalten, trotzdem, daß so vieles geschehen, mir geschehen, was ich als Knabe, als Jüngling und als Mann für noch viel unmöglicher gehalten.

Ich habe vorhin von der Geschäftigkeit der Seeleute beim Anblicke der Küste gesprochen und ich komme darauf zurück. Theils rüstete man sich zur baldigen Landung und traf Vorkehrung, um die Anker werfen zu können, anderntheils aber schien es mir, als wisse man nicht ganz genau, wo man sei und sei bemüht, sich zu orientiren. Gegen Abend wurde etwas von der Küste abgehalten und es dauerte bei der in jenen Gegenden so rasch eintretenden Finsterniß nicht lange, als wir Feuer am Lande und zugleich einen Leuchtthurm mit Drehfeuer erblickten. Aber es war an diesem Drehfeuer nicht zu erkennen, ob wir Kap Frio oder Rio vor uns hatten. Ich kann mich nicht mehr der Unterschiede erinnern, durch welche beide Leuchtthürme erkannt werden. Im Allgemeinen sind die Drehfeuer so eingerichtet, daß einige Sekunden das Licht erscheint, dann eine bestimmte Anzahl von Sekunden verschwindet und hierauf wieder, und bisweilen mit verändertem Farbentone, sichtbar wird. Während wir aber nun sicher waren, eines der beiden Leuchtfeuer vor uns zu haben, traf keins der in den Handbüchern angegebenen Signale mit dem von uns an der Küste gesehenen zusammen. Ich habe mich hievon überzeugt, indem ich abwechselnd mit dem Kapitain die Zeitdauer des Lichts beobachtete. Da besonders für Schiffer, die das erstemal die Küste von Brasilien besuchen, und eben so bei nebligem Wetter die beiden Leuchtthürme, oder vielmehr die Orte, wo sie stehen, leicht zu verwechseln sind, so dächte ich, daß es ganz einfach und sicher unterscheidender wäre, dem einen der Thürme weißes, dem andern rothes Drehfeuer zu geben. Ein in gewissen Intervallen verschwindendes Feuer ist übrigens nothwendig, da in größerer Entfernung und bei Nebel das Signal leicht mit irgend einem andern, zufällig an der Küste brennenden Feuer verwechselt werden könnte, und umgekehrt.

Unser Kapitain, jung zwar, er machte die erste Reise als Kapitain, aber vorsichtig und gewissenhaft, entfernte sich wieder von der Küste, und da es bei Anbruch des folgenden Tages neblig war, kreuzten wir des Morgens, ohne uns zu nähern. Windstille folgte, und bald auf dieselbe gegen Abend eine ziemlich starke Boe. Es wurden die Segel gerefft, und alles angewendet, um uns von der Küste zu entfernen.

Jeder, der einige Zeit lang Salzfleisch gegessen, weiß, daß auf hoher See nur weniges zu befürchten, daß aber eine gewisse Gefahr immerhin an der Küste in Aussicht steht. So war auch bei den Reisenden hie und da ein Anhauch von Aengstlichkeit nicht zu verkennen, und bedenkliche Mienen zeigten sich, als die Feuer an der Küste nicht verschwinden wollten, der Wind stärker und das Schwanken des Schiffes immer heftiger wurde. Doch ging die Nacht ohne Unfall vorüber.

Wir kreuzten des andern Vormittags fortwährend an der Küste, näherten uns aber endlich derselben so weit, daß wir den Eingang zum Hafen in Sicht hatten. Bereits wurde die See belebter. Vögel, Möven in großer Anzahl schwärmten umher, Quallen von ein bis anderthalb Fuß Durchmesser und scheibenförmig gestaltet, zogen ganz langsam am Bord vorüber und Züge von Delphinen wurden nahe und ferne gesehen. Da nur ein sehr schwacher Seewind wehte, so hatten wir Gelegenheit Alles mit Muße beobachten zu können. So war nicht weit von uns ein eigenthümliches Schauspiel zu bemerken. Ein Zug Delphine schwamm in gleichem Curse mit der Reform, und eben so langsam wie sie dem Hafen zu, und wurde von den allenthalben umherschwimmenden Möven bemerkt. Alsbald versammelten sich diese Vögel über den schwimmenden Delphinen, anfänglich einzelne, bald mehrere Hunderte, und begannen ein eigenthümliches Treiben. Sie stürzten sich aus der Luft mit Blitzesschnelle auf die Delphine, verweilten dort entweder einige Sekunden, oder schwangen sich eben so schnell wieder in die Luft. Entweder nehmen diese Vögel irgend eine Art Parasiten von der Haut der schwimmenden Thiere ab oder benützten sie die Gelegenheit um kleine Fische zu fangen, welche nicht selten die Züge größerer warmblütiger Seethiere begleiten. Ich habe deutlich beobachtet, daß sich einzelne Möven an Delphine anklammerten und unter Wasser gingen, wenn diese tauchten, und erst beim Wiedererscheinen derselben sich in die Luft schwangen. Die Delphine selbst schienen sich nicht im Mindesten um die Vögel zu kümmern, sie setzten mit größter Unbefangenheit ihren Weg fort, und die letzteren gaben ihre Beschäftigung erst auf, als der Zug der Delphine sich uns auf Schiffsweite genähert hatte.

Kurz hierauf kamen wir an einige Stellen, woselbst die See ganz roth gefärbt war. Die Ursache war eine Unzahl kleiner rother Krebse, von welchen ich einige aufgefischt, sie aber leider später in Chile verloren habe.

Bereits sahen wir schon den Leuchtthurm des Hafens. Er scheint von ferne gesehen hart am Ufer zu stehen, befindet sich aber in Wirklichkeit weit ab von demselben, auf einem isolirt in See stehenden Felsen, – erinnere ich mich recht, vielleicht zwei englische Meilen vom Eingange des Hafens entfernt.

Wir ließen den Leuchtthurm Backbord liegen und hatten uns kurz vor Untergang der Sonne dem Eingange des Hafens bis auf eine kurze Strecke genähert.

In nächster Nähe hatten wir einige vereinzelt liegende ziemlich steile Felseninseln vor uns, und auf ihnen sahen wir die ersten Palmen. Weiter entfernt gegen rechts bewaldete Höhen, auf welchen die scheidende Sonne eben noch erlaubte, die wunderbaren Formen der tropischen Vegetation zu begrüßen. Noch weiter gegen das Land zu, gegen rechts, liegt am Eingange des Hafens das Fort Santa Cruz, welchem gegenüber der Zuckerhut, ein steiler, etwa 1300 Fuß hoher Felsen, den anderen Theil des Hafeneinganges bildet. Ihm schließen sich Berge und Felsen an, prangend im tiefsten prachtvollen Grün des Pflanzenwuchses.

Es wurde das Loth geworfen, um Tiefe und Beschaffenheit des Ankergrundes zu erforschen und der Kapitain bat die Passagiere um Ruhe und Stille auf einige Zeit, um ungestört jene Arbeit vornehmen zu können.

Denken läßt es sich, daß Alles auf Deck war, was sich rühren konnte an Bord; aber mit Ausnahme der beschäftigten Seeleute, welche hie und da einen Befehl empfingen und Antwort gaben, sprach dort Niemand eine Sylbe und es wurde dem Willen des Kapitains die möglichste Folge geleistet. War es die Achtung vor dem Worte desselben, war es die stille Lust am neuen nie gesehenen Anblicke, hatte sich Aller eine stille beschauliche Stimmung bemächtigt? Ich weiß es nicht, aber ich weiß, daß wenig Momente im Leben (angenehmen Andenkens nämlich) mir so unvergeßlich sein werden, als jene nächtlichen Stunden.

Wir hatten die Anker geworfen und ein leichter Landwind brachte uns eine Fülle von Wohlgerüchen an Bord, während große Nachtschmetterlinge um das Kompaß-Licht flatterten und dann wieder verschwanden.

Der Mond, welcher nur kurze Zeit geleuchtet, hatte den Sternen gestattet, uns das prachtvolle Blau jenes glücklichen Himmels in seiner ganzen Herrlichkeit zu zeigen. Dabei Klänge vom Land, Musik in der Entfernung, in größerer Nähe menschliche Stimmen in fremder unverständlicher Sprache und bewegliche Feuer. Im Hintergrunde und durch das Thor des Hafens ersichtlich die Stadt, beleuchtet von Tausenden von Lichtern längs dem dunklen Saume der Küste.

Alles das ist nichts besonderes. Aber es macht einen eigenen Eindruck wenn man es erfährt nach einer fast zweimonatlichen Seereise an der Küste eines Landes wie Brasilien und mit der Hoffnung, morgen jenes Land betreten zu können!

III.
Rio de Janeiro.

Der freundliche Leser, welcher in Geduld mich bis hieher begleitet hat, hat ohne Zweifel eine beträchtliche Dosis Langweile ausgestanden. So mag man mir denn nicht widerstreiten, daß ich recht treffend geschildert, und es dahin zu bringen gewußt, die Gefühle des Autors überzutragen auf den Leser. Denn trotz des Zaubers der Tropennächte, der Poesie des südlichen Himmels und des Reizes der »dunkelblauen« Wogen, ist ein achtwöchentlicher Aufenthalt in der Atmosphäre von Salzfleisch und Zwieback immerhin höchst langweilig.

Leider vermag ich nicht glänzende Genugtuung zu geben, und jetzt durch Schilderung des Aufenthaltes in Rio de Janeiro den Leser in die Heiterkeit meiner Stimmung zu versetzen.

Wir fuhren am 22. Juni gegen Mittag in den Hafen von Rio ein. Vielfach ist seine Einfahrt und die wirklich prachtvolle Lage des Hafens beschrieben worden. Ich will deshalb so rasch als möglich über die dennoch unvermeidliche Schilderung jener ersten Eindrücke hinweggehen.

Die Einfahrt in den Hafen ist etwa 3000 Schritte breit und ist links gebildet durch den sogenannten Zuckerhut, einen steilen, etwa 1300 Fuß hohen Felsen, rechts durch das Fort Santa Cruz. Von dieser Einfahrt bis zur Stadt sind aber wenigstens noch ein und eine halbe englische Meile zu durchschiffen bis man das Land erreicht. Weiter aber noch in der Breite dehnt sich der Hafen aus, um ihn liegt die Stadt, im Hintergrunde das Orgel- und Sterngebirge.

Abgesehen von verschiedenen Forts, welche neben dem genannten, sowohl die Einfahrt als auch in Nähe der Stadt diese letztere selbst decken, sind im Hafen selbst zwei Inseln mit Forts, von welchen namentlich das auf der Ilha das Cobras, die Schlangeninsel, die Stadt gut zu schützen vermag.

Ich muß offen gestehen, daß sowohl zur Zeit wo ich in den Hafen einfuhr, als auch gegenwärtig, die strategische Wichtigkeit dieser sämmtlichen Fortificationen mir nicht besonders am Herzen lag, aber ihre wirklich malerische Vertheilung an und im Hafen selbst, hat mich entzückt und gewährt in der That einen reizenden Anblick.

Allenthalben hebt das glänzende Grün jener tropischen Vegetation die Weiße der Mauern, und unfern der Kanonen steigen schlanke Palmen empor, oder das riesige Blatt der Banane beschattet dieselben.

Es läßt sich kaum die Belebtheit des Hafens schildern. Hunderte von Booten von allen Größen durchkreuzen nach jeder Richtung hin denselben. Die meisten sind mit Negern bemannt, halbnackten, kräftigen Gestalten. So ist das in der Sonne blitzende Grün des Wassers mit der buntesten Staffage decorirt. Obgleich ich dort noch nicht die Bekanntschaft des edlen Onkel Tom gemacht, stiegen doch allerlei philantropische Gefühle in mir auf, als ich die ersten dieser Boote erblickte.

Eins derselben näherte sich unserem langsam vorwärts treibenden Schiffe, und obgleich am Steuer ein Weißer, mit einem etwas verfänglich aussehenden Bambusstabe stand, schien dennoch im schwarzen Volke der Geist ungestörter Heiterkeit zu herrschen. Schnell vorübergleitend an unserm Borde streckten uns sämmtliche Neger die Zunge entgegen, und solches war der erste Gruß, den wir von unsern schwarzen Brüdern und überhaupt von menschlichen Wesen im neuen Lande erhielten.

Bald folgte ein zweiter. Unweit eines jener Forts angelangt, rief man uns von demselben aus in englischer Sprache zu: Anker geworfen! Mag es nun sein, daß von uns der Befehl nicht gehörig verstanden oder nicht rasch genug befolgt wurde, gleich darauf donnerte ein Kanonenschuß über uns hinweg und unmittelbar nach demselben der zweite Ruf: »Anker geworfen, oder ich schieße scharf!«

Etwas verwirrte hastige Thätigkeit an der Ankerspille und obligate, vielleicht auch hier und da etwas ängstliche Verwunderung der auf Deck befindlichen Passagiere war die Folge der freundlichen Mahnung. Der Grund derselben aber, daß kein fremdes Schiff jene Linie überschreiten durfte, ohne vorher von Douane und Sanitätscommission besucht worden zu sein.

Als der Anker geworfen, kamen bald Boote in unsere Nähe, welche uns in Augenschein nahmen, theils Leute, welche Geschäfte zu machen suchten, theils müßige Gaffer. Die Neger schnitten uns wieder Fratzen und riefen uns, wie ihre Geberden zeigten, Schimpfworte zu, von welchen uns indessen blos das Wort »Californi« verbindlich, wenn gleich nicht erklärlich war. Wir erfuhren erst später dessen Bedeutung und Ursprung.

Douane und Sanitätscommission kamen kurz nach einander an Bord. Es wurde geprüft, gezahlt, was allenthalben auf der Welt die Hauptsache zu sein scheint, und hierauf die Erlaubniß gegeben an's Land zu kommen.

Jetzt legten fast zu gleicher Zeit zwei Boote bei uns an, und es kamen die Agenten zweier Kaufleute an Bord in der Absicht, Kapitain und Passagieren ihre Dienste anzubieten. Die Sache hatte auf den ersten Blick etwas seelenverkäuferisches an sich und erinnerte an die lieben Landsleute, welche in Nordamerika landende unerfahrene Reisende um den Rest ihrer Habe bringen. Aber es zeigte sich das Gegentheil. Diese Leute suchten nur jene Vorräthe und Bedürfnisse an uns zu verkaufen, von welchen sie wissen, daß sie Reisenden nöthig, und dafür helfen sie uns über eine Menge Schwierigkeiten hinweg, die sich dem Ankömmlinge im fremden Lande entgegenstellen. Ich schloß mich mit einem großen Theil der Passagiere dem Agenten eines Schweden, Holm, an, von welchem wir später alle unsere Bedürfnisse kauften und gut bedient worden sind. Nur wenige Gegenstände, welche überhaupt in Rio zu haben sind, fehlten im Verkaufsgewölbe dieses Mannes, und verlangte, nicht vorhandene wurden sogleich aus andern Läden herbeigeschafft. Holm besorgte alle Briefe der Passagiere, ließ dieselben in Häuser führen, welche sie nicht zu finden wußten, und wohin man etwa Empfehlungen hatte, und wurde nicht müde eine Unzahl müssiger und unnützer Fragen zu beantworten, welche unaufhörlich an ihn gethan wurden.

Vorläufig fuhr ich mit seinem Boote vom Bord aus an's Land. Hier erst im raschen Durchgleiten des Hafens konnte ich seine ganze Schönheit bewundern und fand die ganze Bestätigung dessen, was ich schon in Europa gehört, daß nämlich der Hafen von Rio zu den schönsten Punkten der Erde gehört.

Rio de Janeiro ist vielfach beschrieben worden, und die naturhistorischen Schätze Brasiliens wurden ausgebeutet und geschildert mit Gelehrsamkeit und Phantasie von Reisenden, welche das Glück hatten, Jahre lang jenes Land durchziehen zu können. Wir hielten uns etwa nur vierzehn Tage in Rio auf und selbst während dieser Zeit konnten wir nur kleine Ausflüge in die Umgegend machen, da der Kapitain die Dauer des Aufenthaltes niemand mittheilte, und uns anbefahl, jeden Tag der Abreise gewärtig zu sein.

Naturhistorische Forschungen waren mithin kaum anzustellen, wenigstens wäre wohl nur meist schon Bekanntes zu erzielen gewesen. So war ich darauf hingewiesen, dort nur das Leben und Treiben zu beobachten und – selbst zu leben, weshalb nur kurze Schilderungen zu erwarten aus jener glänzenden Tropenstadt.

Ein Theil der Passagiere, zu denen auch ich gehörte, wurden von Holm in einen ziemlich guten Gasthof, Nationalhotel von August Sprengel, gewiesen, und ich brachte den ersten Abend und den größten Theil des folgenden Tags damit zu, in der Stadt umher zu streifen, um einen Totaleindruck zu erwerben. Ich kann ihn nicht wiedergeben, denn viele Bogen würden nur ein unvollständiges Bild hervorrufen. – Mit Ausnahme einzelner größerer, und meist öffentlicher Bauten sind die meisten Häuser zweistöckig und haben die Bauart des südlichen Europa, unbedingt aber modificirt durch den Einfluß der Tropen. Daß die farbige Bevölkerung für ein ungewöhntes Auge anfänglich wohl den meisten Reiz hat, läßt sich denken. Kann ich aber hier Neues berichten? Wohl schwerlich, denn je nach der Auffassungsgabe einzelner Individuen sind alle diese Dinge uns schon unzählige Male erzählt worden.

Als recht charakterisirend und bezeichnend aber für den reichlichsten üppigsten Ueberfluß, welchen jener glückliche Himmelsstrich erzeugt, muß ich des Victualien-Marktes erwähnen. Ich habe selten vorher ein reizenderes, lieblicheres und zugleich belehrenderes lebendes Bild gesehen. In einer großen, im Viereck gebauten Halle liegen alle jene Früchte aufgehäuft in massenhafter Menge und um einige Pfennige zu kaufen, welche bei uns theils mit so viel Thalern bezahlt werden müßten, theils gar nicht zu haben, ja kaum dem Namen nach bekannt sind.

In Mitte mächtiger Hügel von Ananassen, Orangen von allen Arten und von unglaublicher Größe, von eßbaren süßen Citronen, Bananen, Cocosfrüchten, Feigen, Yams, süßen Zwiebeln, Artischoken und einer Unzahl anderer Dinge mit barbarischen Namen aber höchst kultivirtem Geschmacke, sitzen frische, reizende Negerinnen, lustig und guter Dinge ihre Waare anpreisend, singend und trällernd, wohl auch kokettirend, und um sie und zwischen den Früchten glänzen die glühenden Blüthen des Landes zum Verkauf oder zur Zierde dorthin gestellt. Andere jener schwarzen, plaudernden Dirnen sind fast gänzlich versteckt hinter Bergen von riesenhaften Gemüsen. Dort habe ich mich kaum getraut, den biedern deutschen Kohlkopf als Landsmann zu begrüßen, so mächtig war sein Haupt, so tropisch seine Haltung.

Fabelhaftes Seegethier, lebend und todt, wird in andern Regionen zu Kauf und Schau geboten. Fische in allen denkbaren Formen und Farben, Krebse, Hummer, Krabben, Austern und Muscheln aller Art, und dort könnte der Zoologe reiche und ganz gewiß noch unbekannte Schätze erwerben, welche vielleicht hundert Jahre lang verkauft und gespeist worden sind, ohne die Ehre gehabt zu haben, wissenschaftlich beachtet zu werden.

So habe ich selbst später in Valparaiso, dessen Fauna gegen jene von Rio eine ärmliche zu nennen, einen neuen Schmarozerkrebs gefunden, der ohne Zweifel, so lange jene Stadt besteht, in einem Seeigel zu Markte gebracht und täglich dort gegessen wird.

Das bunteste und lebendigste Gemälde aber bietet auf jenem Markte in Rio der Geflügel-Verkauf, oder besser der Wildpretmarkt, der einen weitern Theil der Halle einnimmt. Wildhühner und Enten, alle Variationen des Haushuhns, Perlhühner und Truthähne, wechseln mit lebenden glänzenden Aras und bunten Papageien. Dazwischen sind in Käfigen jene großen schwarzen Schweine ohne Rückenborsten zu sehen, deren Fleisch ganz dem Schwarzwild ähnlich, oder ein Stachelschwein, oder ein kleines unzenartiges Thier, was sich anständig und zahm geberdet, dann Affen von allen Arten und anderes fremdländisches Gethier.

Fremde von allen europäischen Nationen, die sich jenes Treiben besichtigen, Schwarze aus allen Stämmen Afrikas, verkaufend und einkaufend, arbeitend und müßig einherschlendernd, beleben das Ganze und vermehren dessen Reiz. Die ersten Tage in Rio benützte ich um einige Empfehlungsbriefe abzugeben, die ich dahin hatte. Die Mehrzahl derselben habe ich später bei Kap Horn in die See geworfen, und sie sind ohne Zweifel von den Albatrossen verschluckt worden, die dem Schiffe folgten. Binden nicht spezielle Bande den Schreiber und Empfänger solcher Briefe, oder walten nicht besondere günstige Verhältnisse ob, so bringen sie meistens wenig Nutzen.

Halb Nabob halb Englishman steht der Empfänger des Briefes vor euch, die Daumen in den Armlöchern der Weste, mit den Augen halb den Schützling musternd, halb zur Thüre hin bekomplimentirend, und aus allen diesen Halbheiten wird euch bald ganz klar, daß ihr am besten sogleich wieder geht. Ich habe es redlich gethan, freundlich, lachend, und mit höflich ausgesprochenem Troste, daß ich nicht wieder kommen werde. Zu Schutz und Entschuldigung aller jener Empfänger braucht aber kaum bemerkt zu werden, daß, wenn jeder derselben nur einen halben Tag einer solchen Empfehlung opfern wollte, der Leichtsinn, mit welchem sie häufig gegeben werden, ihm wohl wenig freie Zeit übrig lassen würde.

Als ich am ersten Tage des Abends in das Gasthaus zurückkehrte, fand ich einen ziemlichen Theil der Schiffsgenossen krank und in jämmerlichem Zustande. Der unmäßige Genuß von Früchten trug ohne Zweifel die Schuld. Ich empfahl Mäßigkeit für die Folge und ließ heißen starken Thee ohne irgend eine andere Zuthat nehmen. Durchfall und Erbrechen hoben sich überraschend schnell und die gefürchteten Fieber blieben aus. Ich für meine Person habe während meines dortigen Aufenthaltes ganz nach Belieben meine Lieblingsfrucht, die Orange, und eben so Ananas gegessen, dazwischen selbst mit Einschluß des Wassers, jedes Getränke genommen, ohne je irgend ein Uebelbefinden zu spüren. Auch die gefürchteten Muskitos ließen sich erträglich an, und ich habe in Franken in manchen Jahren während einer Nacht mehr von den dort sogenannten Schnaken (Culex pipiens) ausgestanden als während meines ganzen Aufenthalts in Brasilien von den Muskitos. Im Innern des Landes und in der Nähe von Sümpfen leugne ich natürlich nicht das Beschwerliche dieser Gäste. Diejenige Art derselben, welche uns heimsuchte, war klein, etwa zwei Linien lang und mit gefiederten Fühlfäden. Sie summt und pfeift nach Art unserer deutschen Schnaken und ihr Stich hinterläßt einen kleinen Hugel, der mehrere Tage bleibt und in der Mitte einen schwarzen Punkt hat. Wir hatten auf dem Schiffe, nachdem wir Rio verlassen hatten, einige Tage lang fast mehr von ihnen zu leiden, als am Lande selbst.

Einen der lohnendsten Ausflüge in der Umgegend von Rio de Janeiro machte ich nach einigen Tagen meines dortigen Aufenthaltes nach dem Corcovado, dem höchsten Berge in der Nähe der Stadt. Man geht eine große Strecke längs einer Wasserleitung, welche allenthalben berühmt ist und sicher diesen Ruf verdient. Ueber zwei Stunden weit wird vom Corcovado aus das Wasser einer Quelle des Rio Catetes in die Stadt geführt. Der Bau besteht aus achtzig Doppelbogen, und ist an manchen Stellen über hundert und sechzig Fuß hoch. Das Wasser läuft in demselben gedeckt und verschlossen, aber an vielen Stellen kann der Vorübergehende seinen Durst löschen, indem Oeffnungen mit eisernen Gittern das Schöpfen erlauben.

Die nächste Umgebung der Stadt, der Weg nach dem Berge selbst, der durch den bereits unweit der Stadt liegenden Urwald führt, die kostbaren Fernsichten, welche sich allenthalben, wo der Wald eine Lücke bildet, eröffnen, so wie die phantastischen Formen jener Vegetation, bieten einen unbeschreiblichen Zauber dar. Man wandert zwischen prachtvollen Stämmen riesiger Geoffracen, Rhexien, Cisalpinen und anderer gigantischer Bäume, die durch fast armsdicke Schlinggewächse decorirt und verbunden sind, und zwischen ihnen hindurch leuchten in brennenden Farben Bignonien, Lantanen, Pasifloren und hunderte jener Blumen, die bei uns mit Mühe gezogen werden.

Der Vordergrund jener herrlichen landschaftlichen Gemälde, die häufig durch Lichtungen des Waldes erblickt werden, wird bald durch vereinzelte Negerhütten in Mitte mit Früchten überschütteter Orangenbäume, bald durch pittoreske Felsparthieen, bald wieder durch gefallene und mit Parasiten bedeckte Stämme gebildet. Wohl blickt man auch, frei ab von der Höhe, über eine waldige Thalschlucht hinaus in die glänzende Ferne, auf den Hafen und einen Theil der Stadt und des Orgel- und Sterngebirges.

In geognostischer Beziehung habe ich dort manches Interessante gefunden, konnte aber leider nur wenige bezeichnende Stufen schlagen, da ich den Fehler beging, neue, noch ungeprobte Eisen mit mir zu nehmen, welche sämmtlich nach den ersten Schlägen zersprangen.

Schwarzer Glimmer scheint bedeutend vorzuherrschen in dem dortigen Granite, aber Form und Gepräge dieser Gesteine wechseln bedeutend. Schönen edlen Granat habe ich unter anderen Mineralien in einem frisch geöffneten Bruche dicht an der Straße gefunden. Die interessanteste Erscheinung aber, welche man dort aller Orten beobachten kann, ist die Verwitterung des Granits und die Zersetzung dieses Gesteins in einer Intensität, von welcher man sich bei uns kaum einen Begriff zu machen im Stande ist. An manchen Stellen finden sich Thonlager von 40 und mehreren Fußen Mächtigkeit, welche theils wohl von verwittertem ausgewaschenem Gesteine herrühren, theils aber auch blos umgewandelter Granit sind, welcher dort anstand und sich gänzlich gesetzt hat, bis auf unveränderte Quergänge und hier und da noch sichtbar auftretende Glimmerparthieen. Bisweilen aber glaubt man noch unverändertes, vielleicht nur höchstens an der Oberfläche verwittertes granitisches Gestein vor sich zu haben, so deutlich ist die Form der Bestandtheile derselben noch erhalten; aber man kann mit leichter Mühe einen Stock seiner ganzen Länge nach bis an die Faust in den scheinbaren Felsen stoßen, und ich habe mit einer sieben Fuß langen, am Wege liegenden Stange denselben Versuch mit gleichem Erfolge gemacht.

Ich habe dort mitten im unzersetzten frischen Granite flache, kaum einen Zoll mächtige plattenförmige Gebilde anstehen gefunden, welche ich auf einen Fuß Tiefe in das granitische Gestein verfolgen konnte. Diese Platten sehen so außerordentlich täuschend gewissen Formen des oberen Keupersandsteins ähnlich, daß ich an Ort und Stelle fast an die geognostische Unmöglichkeit geglaubt hätte, Nester von Keupersandstein mitten im Granite zu finden. Mitgebrachte Handstücke, welche ich noch heute besitze, belegen die Richtigkeit des Ausgesprochenen und sind von Sachverständigen stets als Keupersandstein angesprochen worden, obgleich sie blos zersetzter Granit sind.

Die warmen Regen, die dort zu gewissen Zeiten ziemlich häufig fallen, im Verein mit der bald wieder erscheinenden glühenden Sonne jenes Himmels, bewirken ohne Zweifel jene rasche und energische Zersetzung, welche für unsere Breitegrade ohne Beispiel ist. – Ich will nicht nochmals von der Aussicht sprechen, die von dem Gipfel des Corcovado sich darbietet und eben so wenig der baumartigen Farren weiter erwähnen, welche dort sich in aller Pracht entfalten, da gelehrte Botaniker den letzten Gegenstand wenn nicht erschöpft, doch hinlänglich berührt haben.

Dagegen will ich eines Negertanzes erwähnen, den wir, heimkehrend, zu beobachten Gelegenheit hatten. Im Hofe eines jener Landhäuser, die schon unweit der Stadt beginnen, und dann stets isolirter und vereinzelter bis in weite Entfernung von derselben angetroffen werden, hatten sich die Schwarzen beiderlei Geschlechts versammelt und führten einen ihrer National-Tänze auf. Die Wahrheit zu gestehen, war bei diesem Tanze wenig zu bemerken von kindlicher Unschuld eines Naturvolkes oder ungekünstelter Grazie. Die Tanzenden waren je nach dem Geschlechte in zwei Reihen gestellt. Einer der Männer sprang vor und näherte sich mit hüpfenden Schritten, welche allerdings einige entfernte Aehnlichkeit mit regelrechten Pas hatten, der weiblichen Reihe. Die gewählte Dame, vor welcher er stehen blieb, trat vor, und nun begann der Tänzer eine Reihenfolge von Bewegungen, welche nichts weniger als zweideutig genannt werden dürfen, sondern vielmehr höchst unzweideutig und nicht näher bezeichenbar waren. Hatten sämmtliche schwarze Herren ihre Tour beendet, begannen die Damen dieselben Manöver. Ich brauche wohl kaum zu bemerken, daß was, gelinde bezeichnet, bei den Männern als burlesk betrachtet werden konnte, von Frauen ausgeführt höchst widerlich erschien. Das Ganze löste sich in eine wilde, verworrene, jauchzende und tobende Gruppe, worauf wieder das vorher geschilderte Spiel begann.

Als begleitendes musikalisches Instrument diente ein rohes an der Sonne getrocknetes Kalbfell auf eine Tonne gelegt, nicht gespannt, und mit einem harten Holzstücke geschlagen und fast ununterbrochen von den Tanzenden mit einem eintönigen Gesange begleitet. Wir glaubten die ewig wiederholten Worte Aira, Aira, re! verstanden zu haben.

Man hat mich von glaubwürdiger Seite versichert, daß jener Tanz ein Nationaltanz der Neger sei und nicht die Parodie oder Nachäffung des Menuett, wie ich theilweise zu glauben geneigt war.

Das Interessanteste, was ich auf jener Excursion in zoologischer Hinsicht getroffen, war ein negatives Resultat. Ich habe nämlich keinen einzigen Käfer getroffen, obgleich mir die Fundorte dieser Thiere wohl bekannt sind, und ich kein ungeübtes Auge besitze. Ich glaube nicht, daß die Jahreszeit hieran die Schuld trug, denn Dipteren, Hymenopteren, Hemipteren und prachtvolle Lepidopteren waren zahlreich zu treffen. Am häufigsten unter den größeren Schmetterlingen war der schöne Bombyx Atlas, der dem chinesischen und japanischen kaum etwas an Größe nachgab. Auch Aeronauta phorbanta oder eine ihm wenigstens sehr ähnliche Species saß häufig an den glatten Stämmen jener mächtigen Bäume, mit den großen blau gefärbten Flügeln schlagend und ausschwitzende Säfte saugend. Für mich, der ehemals leidenschaftlich gesammelt hatte, war es ein eigenthümliches bittersüßes Gefühl, diese prachtvollen Thiere, die Idole meiner Knabenzeit, lebend und in solcher Menge zu sehen, ohne sie fangen zu dürfen. Aber ich hatte mir zum Grundsatz gemacht, hier in Brasilien wenigstens keine Schmetterlinge mitzunehmen, da Transport ohne Beschädigung auf der weiteren Reise kaum möglich gewesen wäre. Die leicht transportirbaren Käfer aber sollen, wie man mir sagte, in der Umgebung von einigen Stunden überhaupt sehr selten sein, da eine Menge von Speculanten ihre Neger ausschicken, um sie einzufangen und an europäische Naturalienhändler zu versenden. Auch in ornithologischer Beziehung sahen wir nur einige kleine finkenähnliche Vögel, hingegen drei Gesellschaften von Brasilianern, welche mit Vogelflinten bewaffnet jagten, indessen auch noch ohne sonderliche Beute waren.

Außer einem mächtigen Regenwurme, vielleicht eine neue Lumbricus-Art, welchen ich aber nicht mitnehmen konnte, war ebenfalls kein kriechendes Thier zu sehen.

Ich bedaure, meinen Lesern nicht von einem Kampfe mit einer Klapperschlange erzählen zu können oder vor ihren Augen eine Boa constrictor erlegen zu dürfen, aber ich vertröste sie auf Chile! Dort werde ich sie über die Gipfel eines Urwalds hinwegführen, sie werden auch ein höchst merkwürdiges Abenteuer mit einem Löwen bestehen sehen, und überhaupt die interessantesten Dinge vernehmen. Zwar nichts Neues, Alles schon dagewesen! Aber wer vermag lauter Nova zu liefern, wenn er wahr sein und nicht ungebührlich »decoriren« will!

Das lebhafte rege Leben, was in tropischen Städten erst mit dem Abende beginnt und bis in die späte Nacht fortdauert, ist so bekannt, daß eine Schilderung desselben vollständig überflüssig.

In Rio de Janeiro aber sind die Abende schon vor Sonnenuntergang prachtvoll, weil der Seewind, der dort herrscht, kostbar erfrischt. Ich brachte bisweilen, war ich gerade nicht auf einer größern Excursion, solche Abende in einer jener Restaurationen nahe am Hafen zu, welche einem Franzosen gehörte, und woselbst ich später kurz vor der Abreise auch einige Tage wohnte. In diesen Anstalten herrscht eine merkwürdige Mengung von französischer Eleganz, brasilianischem Ueberflusse und zugleich, wie soll ich mich ausdrücken, – einer gewissen Einfachheit der Sitten.

Die großen bogenförmigen Thüren sind in den zu ebener Erde und gegen die See liegenden Speisezimmern stets geöffnet, so daß die frische Luft ungehindert Zutritt hat, an den Wänden schöne Kupferstiche, die kleinen Speisetische mit Silber und Kristallglas geziert und in der Mitte des geräumigen Gemaches eine Art Buffet zierlich, ja malerisch geschmückt mit allen jenen eßbaren Produkten des Landes aus Thier- und Pflanzenreich, die bei uns mit Gold gewogen, dort um einige Kreuzer zu haben sind, eine Miniatur-Ausgabe des besprochenen Victualienmarktes. Hinter einem andern in der Tiefe des Zimmers befindlichen Buffet beaufsichtigt eine zierliche Französin die Spirituosen. Aber der Kellner geht in Hemdärmeln, in abgetretenen Pantoffeln, nicht selten ohne Strümpfe und die Bedienung ist, wenn gerade nicht langsam, doch eigenthümlich. Ich war Augenzeuge, wie ein Fremder ein Glas Cognac verlangte. Der am Buffet lehnende Garçon hatte zufällig die linke Hand in der Tasche seiner Beinkleider stecken. Es war ihm lästig, sie zu entfernen, und so ergriff er die in der Nähe stehende Cognac-Flasche mit der Rechten, beseitigte den Stöpsel mit den Zähnen, füllte ein Gläschen und verkorkte die Flasche wieder auf dieselbe Weise, ohne die Linke zu rühren. Hier wußte die Linke nicht, was die Rechte that und umgekehrt, wie es häufig in unsern Kammern der Fall ist.

In jener Restauration versammelte sich ein großer Theil der Reisenden, deren Schiffe im Hafen lagen, und das babylonische Gewirre aller Sprachen, welches meist dort herrschte, ist schwer zu beschreiben. So war ein nordamerikanisches Schiff, welches, wie wir, nach Kalifornien bestimmt war, bei Kap Horn wegen Havarie gezwungen gewesen, umzukehren, und dessen Passagiere gaben uns jeden Abend Gelegenheit, Yankee-Sitte vor Augen zu haben. Eine Cigarre oder Kautabak im Munde, und war es halbweg möglich beide Füße auf dem Tische, spuckten diese Gentlemen mit bewundernswürdiger Virtuosität weit ab von sich an Wände und Geräthschaften. Aber ich hatte auch Gelegenheit, den durchweg praktischen Sinn jener Leute zu beobachten. Sie hatten an einem Abend auf der Straße vor dem Gasthause Händel mit den Brasilianern angefangen, man hatte die Messer gezogen, und einige der Nordamerikaner waren, ich weiß nicht auf welche Art, durch tiefe Querschnitte über den Rücken verwundet worden. Es war nöthig, vor der Uebermacht auf der Straße sich durch das Haus auf die andere Seite in's Freie zurückzuziehen, und sie bewirkten diesen Rückzug, indem sie gänsemarschartig sich mit außerordentlicher Geschmeidigkeit durch alle Gäste schoben, den Einzelnen wegstoßend, größeren Gruppen ausweichend und die Verwundeten so mit sich schleppend, daß diese mit beiden Händen sich an den Schultern des Vordermanns festhielten, während ihr Hintermann sie selbst am Kragen gefaßt hielt.


Nicht leicht habe ich den Ausdruck heiterer und harmloser Freude über eine ganze Bevölkerung ausgebreitet gesehen als in Rio de Janeiro am Vorabende des Johannis-Festes.

Sicher ist es eine der glücklichsten Segnungen der meisten warmen Länder, daß ihre Bewohner eine gewisse kindliche Gemüthlichkeit, einen eigenthümlichen gütlichen Leichtsinn bewahren, die sich bei jeder Gelegenheit äußern. Am Johannis-Feste freut sich alles, eben weil man sich freut. Auf den Straßen eine heitere, wogende, jubelnde Menge, in den Häusern geladene Gäste, freundliche Hausherren und geschäftige Diener, Scherz und Lust in jedem Winkel des Hauses, in jeder Laube des duftenden Gartens. Sobald es zu dunkeln beginnt, erheben sich tausende von farbigen Ballons in die Luft, die entweder in der Höhe verschwinden oder durch ein angebrachtes Feuerwerk in Flammen gerathen und Leuchtkugeln oder Raketen auswerfen. Aber auch auf der Erde entzünden sich allenthalben plötzlich farbige Leuchtsätze und nicht selten wird irgend eine zärtliche Gruppe unfreiwillig beleuchtet, Raketen steigen in die Höhe, Schwärmer und sogenannte Frösche blitzen und knallen aller Orten. Das eigentliche Johannisfeuer aber, von welchem sich auch in Deutschland an mehreren Orten noch Spuren erhalten haben, brennt vielfach in jeder Straße und auf größeren Plätzen in mächtigen Flammen. Alte Kisten und Tannen, unbrauchbares Hausgeräthe und hundert andere brennbare Dinge werden aufgespart auf diesen Tag, und Jedermann sucht sein Scherflein beizutragen für diese allgemeinen Freudenfeuer.

Mich hat dort verwundert, wie geduldig die Pferde über jene Feuer hinwegliefen, denn da die letzteren in ganz engen Straßen brannten, wo an kein Ausweichen zu denken war, mußten alle Wagen, welche zu hunderten die Stadt durchzogen, durch die Flammen fahren, so daß brennende Holzstücke oft zwanzig Schritte weit von den Rädern hinweggeführt wurden.

Die Heiterkeit des Abends wurde wieder durch eine Anzahl Nordamerikaner gestört, welche Unfug verübten und durch die Polizei zur Ruhe gebracht werden mußten. Wir erfuhren bei dieser Gelegenheit die Bedeutung des Wortes »Californi!« welches man uns bei der Einfahrt in den Hafen zugerufen hatte. Es hatten schon vor unserer Ankunft die Passagiere mehrer gleichzeitig im Hafen von Rio verweilender nordamerikanischer Schiffe manchfache Tollheiten und Unarten verübt, in Schenken z. B. statt die Zeche zu zahlen, Geräthe zerschlagen, Raufereien begonnen, Dirnen mißhandelt u. s. w. Da jene Schiffe nach Kalifornien bestimmt waren, so kam unter dem Volke als Schimpfwort jener Name in Umlauf, mit welchem man ohne Unterschied alle nach Kalifornien Reisenden belegte. –

Man wird von mir keine statistische Notizen über Rio verlangen, die allenthalben eben so gut oder schlecht als ich sie geben könnte, nachzuschlagen sind. Daß die 100,000 Einwohner, welche mit Einschluß der Neger die Bevölkerung ausmachen, sich durch das, einige Monate nach meiner Anwesenheit ausbrechende gelbe Fieber bedeutend vermindert haben, ist bekannt; aber solche Verluste ersetzen sich schnell in der neuen Welt, theils durch fremde Ankömmlinge, theils wie hier in Rio, durch Schwarze.

Das Militair hat keinen sehr günstigen Eindruck auf mich gemacht. Es besteht, mit Ausnahme von Fremden, welche in brasilianische Dienste getreten sind, aus Negern, und es ist in der That kein Scherz, wenn ich sage, daß der erste Anblick dieser Krieger mich an eine Affen-Komödie erinnert hat. Sich selbst überlassen, stehn die Schwarzen meist mit gebogenen Knieen, wodurch die ohnedies langen Arme noch länger erscheinen und dies, vereint mit den schwarzen, bisweilen wirklich fratzenhaften Physiognomien bringt jenen pavianartigen Typus zuwege. Doch stehen sie wacker und ernsthaft Schildwacht und wissen, ganz auf europäische Weise, Zudringliche von verbotenen Stellen zu entfernen.

Ich habe den Kaiser Dom Pedro mehrmals auf der Parade gesehen, welche er zu Pferde besuchte. Die Generäle und hohen Stabsoffiziere fahren in kleinen einspännigen, geschlossenen Wagen dorthin. Der Kaiser scheint durchgängig beliebt zu sein und zwischen den beiden dort herrschenden Parteien die Wage zu halten. So viel mir während meines kurzen Aufenthaltes von den dortigen politischen Verhältnissen klar geworden, besteht eine sogenannte altportugiesische Partei, welche die früheren Verhältnisse zurückwünscht, und auf der andern Seite die Partei der Brasilianer, welche das constitutionelle Kaiserthum erhalten wissen will, wohl auch noch weitere Fortschritte in diesem Sinne wünscht. Der Kaiser, welcher eine sehr geringe Civilliste bezieht, soll bei ernstlichen Händeln zu verschiedenen Malen mit Bestimmtheit gedroht haben, abzudanken, was stets eine rasche Vereinigung der streitenden Kräfte herbeiführte. Von beiden Seiten mag man wohl eingesehen haben, daß einestheils ein Kaiser in Brasilien wenigstens für die Gegenwart und ohne eine vollständige Anarchie herbeizuführen, nöthig, vielleicht haben auch gefürchtete Eingriffe von Außen, im Falle einer Umwälzung, das ihrige beigetragen. Wohl aber ist es auch beiden Parteien klar, daß man mit so wenigen Opfern wie gegenwärtig kaum irgendwie ein Staatsoberhaupt werde erhalten können. – Vielleicht ist hier, da ich doch einmal begonnen, von politischen Dingen zu sprechen der passendste Ort der Sklaverei zu gedenken.

Die Sklaverei ist in Brasilien zwar nicht aufgehoben, indessen insofern beschränkt, daß keine neuen von Afrika aus eingeführt werden sollen. Das heißt, es existirt ein Gesetz[4], welches dies verbietet; nichts desto weniger kommen indessen fortwährend Ladungen dieser schwarzen Waare an die Küste, werden heimlich ausgeladen, in die Pflanzungen geschafft und dann endlich nach und nach in die Städte gebracht, wenn man ihrer bedarf.

Man braucht nicht zu sagen, daß die Behandlung der Sklaven eine schlechte sei, es reicht hin, zu bedenken, daß sie eine willkürliche ist.

Wenn aber ein Individuum der Willkür eines andern, und wie hier, kaum mit dem Schatten eines Gesetzes geschützt, überlassen ist, kann man die Folge wohl errathen. Selbst bei bessern Gemüthern liegt es leider oft nahe, Aerger und üble Laune an der Umgebung auszulassen. Es ist klar, daß gemeine und boshafte Naturen jede üble Disposition den unbeschützten Schwarzen fühlen lassen. Ein verfehltes Handelsgeschäft trägt dem Sklaven Prügel ein von seinem Herrn, und die Frau, der etwa ein Liebeshandel entdeckt oder vereitelt worden, peinigt ihre Sklavin bis auf's Blut, wie die Damen überhaupt mit eigentlichem methodischen Quälen in jeder Beziehung besser umzugehen wissen, als Männer, welche einmal derb darein schlagen, physisch oder moralisch, und dann Ruhe geben, wenigstens auf einige Zeit.

Was mich am meisten empört hat, ist das Mißhandeln der Mütter in Gegenwart ihrer Kinder und umgekehrt. Ich habe zehnmal und öfter vielleicht in einem Morgen gesehen, wie die Herrin in der Küche der dort beschäftigten Sklavin im Vorübergehen einige Hiebe versetzte, je nach Bequemlichkeit auf Kopf oder Rücken, und mit dem Gegenstande, den sie eben gerade in der Hand hatte, während ihre Gehülfin das Kind der Negerin mit einem Fußtritte aus der Küche schleuderte.

Wißt ihr, Freunde der Humanität, was ich dort gethan habe? Ich habe jenem schlagenden Drachen Confect überreicht, welches ich zufällig vorher gekauft hatte, und der Schwägerin, welche dem Kinde ihre Aufmerksamkeit durch Fußstöße erzeigte, sagte ich einige Schmeicheleien, denn beide Damen waren sanfte, deutsche Landsmänninnen. Man begreift, daß verdoppelte Mißhandlungen die Folge gewesen wären, hätte ich gewagt, Gegenvorstellungen zu machen. War man Zeuge einer solchen Behandlung, und ich habe Analoges öfter gesehen, so begreift man schwer, wie der lustigste heiterste Theil der Bevölkerung doch unbedingt immer die Neger sind. Der kurz vorher durchgeprügelte Schwarze entwickelt ganz ungetrübt Fröhlichkeit, wenn die Folgen der Strafe ihn nicht allzudeutlich an dieselbe erinnern, ja er wird unverschämt, wenn er nicht stets im Zaum gehalten oder an sein »Verhältniß« erinnert wird.

Ich will jetzt erzählen, wie ich selbst Neger geprügelt habe.

Fast sämmtliche Passagiere der Kajüte hatten bei Kaufmann Holm sich Bedürfnisse für die weitere Reise gekauft und einer der Passagiere und ich hatten aus Gefälligkeit den Transport dieser Gegenstände auf unser Schiff übernommen. Ich muß hier ausdrücklich bemerken, daß jener Passagier, ein junger begabter Mann, für Freiheit, Menschenrechte und dergleichen großartig schwärmte und in Folge des Jahres 1848 sich 1849 etwas rasch aus Deutschland entfernt hatte.

Wir hatten etwa 20 Neger gemiethet, denselben unsere verpackten Waaren gegeben, und wollten sie so zum Hafen führen. Aber schon nach den ersten Straßen, welche wir zurückgelegt hatten, schnitten uns die Neger Fratzen, führten allerlei Kapriolen aus, und machten ersichtlich Anstalt, sich nach allen Richtungen hin zu zerstreuen. So machte mir mein junger Freund selbst den Vorschlag, um uns »Respect« zu verschaffen, einige, allenthalben zum Verkaufe ausstehende Bambusröhre zu erstehen. So rasch dies geschah, so schnell waren die Neger wieder in Reihe und Glied, singend und guter Dinge zum Hafen wandernd.

Ich bin mir dort sonderbar vorgekommen, mit meinem Bambusstocke eine Reihe Sklaven führend.

Angekommen am Kai, lohnten wir die Neger bedungenermaßen ab, aber einige derselben gaben uns durch leicht verständliche Zeichen zu erkennen, sie wünschten ein Trinkgeld. Ich gab mehreren eine Kleinigkeit, nun aber hatten sie mich vollständig zum Besten, drängten uns immer weiter an den Rand des Kai, und gerade die, welche etwas erhalten hatten, waren die tollsten und ausgelassensten.

Als mich endlich einer bei den Schultern faßte, riß meine Geduld, ich holte aus, und schlug derb auf die wolligen Krausköpfe nach allen Richtungen hin, während mein freisinniger Freund, gleiches thuend, mich getreulich unterstützte. Der Erfolg war, daß die Neger auseinanderstoben und sich mit Gelächter zerstreuten. So waren wir also, eigentlich buchstäblich um uns zu schützen, genöthigt, eine Handlung auszuüben, welche wir wohl beide vorher als eine Rohheit erklärt hatten.

Ich glaube, daß eine strenge Behandlung nöthig ist, wo einmal Sklaverei herrscht, ja daß dieselbe eines der Mittel ist, wodurch eine allgemeine Empörung verhütet wird. Exempla sunt odiosa.

Aber der Hauptgrund, weshalb wenigstens in Rio de Janeiro und Brasilien überhaupt kein eigentlicher Sklavenaufstand ausgebrochen, ist der, weil die meisten der Sklaven, wenigstens der importierten, sich unter einander tödtlich hassen. Sie gehören verschiedenen Stämmen Afrika's an, die, in der Heimat sich bekriegend, und selbst gegenseitig als Sklaven an die Weißen verkaufend, hier in Brasilien ihre Feindschaft um so eifriger fortsetzen, da sie sich wechselseitig als die Ursache ihres gegenwärtigen schlimmen Looses betrachten.

Die Sklaverei ist allerdings etwas Schändliches und das Empörende derselben ist noch augenfälliger für den, der nicht von erster Jugend an diesen Anblick gewöhnt ist, und für den – welcher keinen Vortheil davon hat.

Man hat eingewendet, daß man von den frühesten historischen Zeiten an Sklaven gehabt, und sie behandelt, wie man es gegenwärtig thut; man hat gesagt, daß im Vaterland der Neger selbst die Sklaverei zu Hause; das ist Alles richtig, ja es ist sogar wahr, daß man bei sehr vielen Negerstämmen nicht selten einen wohlgenährten Sklaven, welcher ein zartes Fleisch zu liefern verspricht, aufspeist.

Aber giebt das frommen und gläubigen Christen, oder den aufgeklärten freien Republikanern ein Recht, solche heidnische und barbarische Gebräuche beizubehalten? Oder hat es Grund, daß die Fortschritte des Menschengeschlechts vorzugsweise repräsentirt werden durch Dampfmaschinen und Schnellpressen, durch Kleider ohne Naht und Streichfeuerzeuge, durch vulkanisirten Kautschuck, Missionsgesellschaften und die Anwendung der Galvanoplastik?

Eine traurige Thatsache ist, daß unter den Tropen weiße Männer kaum oder gar nicht Feldarbeit verrichten können und daß der dort geborene Indianer nie zu gedungener Arbeit zu bringen ist, so daß afrikanische Arbeiter unvermeidlich erscheinen, wenn Weiße jene Länder überhaupt benützen und bewohnen wollen.

Die ganze Welt weiß, daß diese Wahrheit eine der wichtigsten Lebensfragen für die Einigkeit wenigstens der nordamerikanischen Freistaaten ist.

Der Preis eines Sklaven ist sehr verschieden, 200 Thaler (à 2 fl. 30 kr.) für ein männliches Individuum, was halbweg rüstig, ist wohl das Minimum, aber diese Preise steigen mit der Kunstfertigkeit des Negers bedeutend, 800, 1000 Thaler und auch höher, wie man mir sagte. Weiber sind im Verhältnisse billiger, indessen bestimmen auch hier körperliche Vorzüge und Geschick den Preis.

Wer sich kürzere Zeit in Brasilien aufhält, kann sich Sklaven miethen und hier sind die Preise ebenfalls wieder bedingt durch die Fähigkeiten derselben, durchschnittlich 20-30 Thaler per Monat. Ja man kann sich in Rio de Janeiro aller Orten Sklaven auf Tag und Stunde miethen, indem es dort eine häufige Spekulation ist, die Schwarzen beiderlei Geschlechts des Morgens hinauszuschicken, um eine gewisse Summe zu verdienen, welche des Abends abgeliefert wird. Der Mehr-Verdienst gehört den Sklaven, was beim Weniger geschieht, braucht kaum erwähnt zu werden.

Ein freundlicheres Bild als diese Sklavenzustände giebt der botanische Garten, aber in allen Notizen über Rio de Janeiro ist dessen erwähnt, so daß ich nur wenig über denselben berichten werde. Der Stifter dieses Gartens war ein Mönch, und die Grundidee, welche denselben leitete, die, alle Kulturpflanzen der Erde, einheimisch unter gleichen Breitegraden oder im wärmeren Klima überhaupt, dort zu vereinigen, die Bedingnisse ihres Gedeihens zu studiren, und sie dann in Brasilien zu verbreiten. So viel ich weiß, ist dieser Zweck nur unvollkommen erreicht worden, obgleich von Zeit zu Zeit die Regierung ihn kräftig unterstützt hat. Ich halte diesen Garten für den schönsten der Welt und habe ihn an Ort und Stelle für eine lebende Illustration zu »Tausend und eine Nacht« erklärt.

Die Anlage desselben ist einigermaßen im altfranzösischen Style gehalten, aber jene Kinder der tropischen Flora haben sich nicht binden lassen durch Schnürleib und Perücke, und so ist nur das Zierliche der Etikette geblieben, und deren Steifheit verschwunden.

Man kann sich denken, welchen Effect mächtige Baumgruppen machen, die zusammengestellt sind aus den abenteuerlichsten und prachtvollsten Blattformen der Erde.

Eine lange Allee des australischen Brodfruchtbaums fällt beim ersten Anblick in die Augen und überrascht durch die eigenthümliche Form der Stämme. Mächtige Gruppen von Bambusrohr imponiren durch ihre Höhe, während anderwärts ein Feld mit Theestauden, ferner Kaffeebäume, Baumwollenbäume, Cacaobäume und alle Gewürze Indiens vor unsern Augen blühen oder Früchte tragen. Lauben, mit phantastischen Schlinggewächsen überzogen, kleine künstliche Bassins, das mystische Dunkel mehrerer Partien des Gartens, so wie die allenthalben beschäftigten Neger vollenden das prachtvolle Bild, jener Abtheilung des Gartens gar nicht zu gedenken, in welcher man die kostbarsten Blumen blühen sieht und wo selbst europäische Zierpflanzen, möglichst kühl gehalten und durch Tücher vor der Sonne geschützt, gezogen werden.

Wenn man das über den Hafen fahrende Dampfboot benützt, hat man von der Stadt aus etwa eine Stunde bis zum botanischen Garten. Auf jenem Wege habe ich wieder auffallende Beweise von der stellenweise so starken Verwitterung des Granits gefunden und bezeichnende Handstücke erworben.

Einige Tage, ehe wir Rio verließen, liefen abermals einige Schiffe ein, welche theils bei Buenos Ayres, theils näher bei Kap Horn so bedeutend beschädigt worden waren, daß sie umwenden und im Hafen von Rio den erlittenen Schaden ausbessern mußten. Zugleich verbreitete sich das Gerücht, als sei in diesem Jahre die Schifffahrt bei Kap Horn gefährlicher als je. Das schien bedenklich.

Mehr aber noch war die fast gleichzeitig eingelaufene Nachricht vom Vaterlande aufregender Art. Die Revolution sei erneut und vollständig ausgebrochen. Ein Theil der Fürsten sei getödtet, die anderen verjagt, die Armeen zum Volke übergetreten. Blutige Rache werde genommen an Besitzenden, und Deutschland gehe einer freien, schönen Zukunft entgegen.

Vielleicht hat selten eine Nachricht bei Leuten verschiedener Parteien einen gleicheren Eindruck hervorgebracht.

Diejenigen, welche an die Schönheit jener Zukunft glaubten, bedauerten, das Vaterland verlassen zu haben im entscheidenden Augenblicke. Wir anderen, die bescheidene Zweifel hegten, waren in Sorge, der zurückgelassenen Angehörigen halber. So bedauerte jeder, nicht anwesend zu sein in der Heimat, und wir trösteten uns beinahe gegenseitig, statt uns zu befeinden.

Es war die erste Nachricht vom badischen Aufstande, welche also vergrößert über die See gedrungen war. Erst in Chile erfuhren wir durch vor uns gekommene Dampfer den wirklichen Verlauf der Sache.

Nun aber, ehe ich Rio de Janeiro verlasse, will ich noch einige Angaben über die Temperatur des Wassers und der Luft beifügen – auf See, und über die in Rio selbst.

Ich habe von Bremen an täglich dreimal die Temperatur der Luft genommen und die des Wassers einmal, die Barometerstände wurden anfänglich nur einmal verzeichnet, später indessen, vom 31. Grade nördlicher Breite an bis zum Aequator, von da bis zu Kap Horn und wieder weiter bis Chile, stündlich von früh 9 Uhr bis des Abends 10 Uhr.

Für die vorliegenden Blätter wäre die Angabe dieser bedeuteten Reihe von Zahlen natürlich eine zu ausgedehnte, und eine langweilige Zugabe für den Leser. Ich habe daher unten gewissermaßen nur einen Auszug gegeben, indem ich von Bremen an bis zum 21. Grade nördlicher Breite die Temperatur der Luft und des Wassers blos wochenweise gebe, von dort an aber bis zum Aequator und weiter bis nach Rio de Janeiro die täglichen Stände anführe. Die Barometerstände habe ich gänzlich weggelassen, eben so die Angabe des Windes. Durch die Angabe der Länge und Breite aber kann genau die Stelle gefunden werden, wo sich das Schiff am bezeichneten Tage befunden und der ganze Kurs desselben liegt mit etwaiger Beihülfe einer Karte vor.

Es ist die Länge von Greenwich aus genommen und die Temperatur, genommen im Schatten auf Deck, nach dem Thermometer von Reaumur angegeben. Das Seewasser war mit passender Vorrichtung von der Oberfläche geschöpft.

Datum
1849
 
Temperatur
der Luft
des Mittags
12 Uhr
 
Temperatur
des Wassers
des Morgens
9 Uhr
Länge
westliche
Breite
nördliche
April 23. + 7.0 + 5.7 Nordsee u. Kanal
" 29. + 7.0 + 6.5 2° 32' 51° 52'
Mai 5. + 10.5 + 10.0 9° 22' 45° 50'
" 11. + 15.3 + 14.3 14° 58' 32° 58'
" 16. + 18.7 + 18.0 21° 19' 21° 10'
" 17. + 18.8 + 17.0 22° 30' 18° 9'
" 18. + 18.8 + 17.5 22° 36' 15° 22'
" 19. + 19.3 + 18.7 22° 36' 12° 38'
" 20. + 20.0 + 19.2 22° 30' 10° 35'
" 21. + 21.5 + 20.5 22° 21' 8° 36'
" 22. + 23.0 + 21.0 22° 37' 8° 30'
" 23. + 20.0 22° 33' 4° 50'
" 24. + 22.5 + 21.5 22° 19' 4° 37'
" 25. + 23.0 + 22.2 21° 55' 4° 36'
" 26. + 22.3 + 22.0 22° 22' 4° 58'
" 27. + 21.5 + 22.2 19° 38' 4° 52'
" 28. + 21.8 + 22.3 20° 23' 4° 24'
" 29. + 22.5 + 21.5 20° 10' 4° 5'
" 30. + 22.5 + 21.5 21° 41' 2° 38'
" 31. + 21.8 23° 28' 1° 20'
Juni 1. + 21.8 + 21.5 24° 56' 0° 38'
" 2. + 21.5 + 21.2 26° 16' 0° 4'
Passiren d. Aequators südl.Breite
Datum
1849
 
Temperatur
der Luft
des Mittags
12 Uhr
 
Temperatur
des Wassers
des Morgens
9 Uhr
Länge
westliche
Breite
südliche
Juni 3. + 22.0 + 21.1 26° 30' 0° 35'
" 4. + 22.4 + 22.4 26° 50' 2° 41'
" 5. + 22.4 + 21.9 27° 46' 5° 36'
" 6. + 22.1 + 21.6 28° 47' 8° 9'
" 7. + 22.2 + 21.4 29° 35' 10° 50'
" 8. + 21.1 + 21.0 31° 14' 12° 48'
" 9. + 21.5 + 21.0 32° 55' 14° 12'
" 10. + 21.4 + 20.8 32° 55' 14° 11'
" 11. + 20.9 + 20.5 32° 55' 15° 4'
Juni 12. + 20.4 34° 39' 16° 13'
" 13. + 20.5 + 19.9 36° 22' 17° 48'
" 14. + 20.0 + 19.0 37° 46' 19° 23'
" 15. + 20.5 + 19.3 38° 36' 20° 49'
" 16. + 19.8 + 18.5 39° 13' 22° 50'
" 17. + 19.9 + 18.8 42° 30' 23° 49'
" 18. + 17.0 + 17.1
" 19. + 15.1 + 17.3 22° 57' 21° –
" 20. + 18.0 + 17.4
" 21. + 20.3 + 18.0

Bescheidene Zweifel hegend, daß jeder der freundlichen Leser diese Tabelle einer genauern Beachtung gewürdigt, ja beinahe überzeugt, daß der überwiegende Theil derselben dies nicht gethan hat, füge ich einige Mittelzahlen bei.

Vom 21° 10' bis 0° 4' nördlicher Breite war im Mittel von 17 Beobachtungen die Temperatur der Luft + 21.1 R., und in denselben Breiten und ebenfalls in 17 Beobachtungen, jene des Wassers + 20.5 R.

Von 0° 35' bis 20° 49' südlicher Breite ergiebt das Mittel von 12 Beobachtungen die Temperatur der Luft + 21.4 R., und in denselben Breiten in 13 Beobachtungen das Wasser eine Temperatur + 20.9.

Es war also, obgleich auf der nördlichen Halbkugel Sommer und auf der südlichen Winter war, die Luft und das Wasser auf der letzteren um etwas Weniges wärmer als auf der nördlichen. Man kann indessen nach dem Vorliegenden und mit Vernachlässigung dieser geringen Differenzen die Temperatur des Wassers und der Luft unter den Tropen und auf See für die nördliche und südliche Halbkugel als eine gleiche betrachten.

In Rio de Janeiro war im Mittel von 9 Beobachtungen des Morgens um 6, des Mittags und 8 des Abends die Temperatur in der Rua de Cotovello im Schatten:

Des Morgens 6: + 22.0 R., des Mittags 12: + 24.5 R., des Abends 9 + 22.8 R. Immerhin ein ganz artiges Winterwetter.

IV.
Die Fahrt um Kap Horn nach Chile.

Wieder auf der Reform und geschaukelt auf den sanften Armen der alten Thetis, schien uns anfänglich Alles sich vereinigt zu haben, die Fahrt zu einer angenehmen zu machen. Segelnd bei dem Winde mit Nord-Ost, oder mit Nord vor dem Winde und bei aufgesetzten Leesegeln kamen wir so rasch vorwärts, daß wir in den ersten Tagen fast täglich drei Breitegrade durchfuhren und bald die Höhe von Buenos-Ayres erreicht hatten.

Am Bord war ein reges Leben. Die Passagiere suchten die in Rio de Janeiro gekauften Vorräthe, meist alle eßbarer Natur, unterzubringen. Ich verpackte und verstaute Naturalien, welche ich dort erworben, indianische Waffen und andere Gegenstände, und des Abends wurde dem erstandenen Lissabonwein, der an Portwein erinnert, aber süßer ist, nicht selten wacker zugesprochen. So machte es wenig Eindruck, daß, kaum aus dem Hafen von Rio ausgelaufen, uns der »Expreß« begegnete, ein Schiff unseres Rheders, welches vor uns von Bremen abgesegelt und auf der Höhe von Buenos-Ayres übel zugerichtet worden, so daß es umkehren und in Rio bessern mußte. Die Barke hatte am linken Mast Braam- und Royalstangen verloren und sah höchst jämmerlich und zerschunden aus.

Die Fauna des Meeres ist in jenen Breitegraden eine reichliche. Wir sahen häufig Quallen von allen Arten, unter welchen Scheibenquallen von mehreren Fußen Durchmesser nicht selten. Delphine begegneten uns, Züge von Butzköpfen wurden gesehen, und mannichfache Seevögel, worunter auch schon Albatrosse, begleiteten das Schiff.

Aber auf der Höhe von Buenos-Ayres schon begannen wir einen Vorgeschmack zu bekommen von den Freuden des Kap Horn. Die See ward stürmisch und die häufigen Gewitter, welche unter jenen Breiten herrschen, trieben uns bald ost- bald westwärts. Dort kamen die ersten starken Wellen über Bord und ich erinnere mich noch des eigenthümlichen Anblicks, welcher uns in der Kajüte während des Mittagessens durch einen solchen unwillkommenen Gast zu Theil wurde. Eine ziemliche Anzahl der Passagiere des Zwischendeckes standen an der Luvseite des Schiffes, als plötzlich eine mächtige See über Bord schlug, und da gleichzeitig sich das Schiff rasch auf die Leeseite legte, wurden sie sämmtlich ziemlich unsanft, aber desto rascher von der Backbordseite auf die Steuerbordseite geschleudert, begleitet und durchnäßt von einer mächtigen Wassermasse. Da unser Skylight mit vergittertem Glase gedeckt war, blieb es unbeschädigt, aber keiner von uns in der Kajüte konnte sich anfänglich erklären, was die Menge von Armen, Beinen und Köpfen zu bedeuten hatte, welche rasch und polternd und bunt durcheinander gemengt, das Skylight passirte.

Bald übrigens erlangt man die Uebung beurtheilen zu können, ob eine See über Bord kommen wird oder nicht, und kann so der namentlich in höheren Breitegraden unangenehmen Durchnässung ausweichen, oder sich schützen.

Die meisten Gewitter, welche uns dort überraschten, kamen des Nachts und waren von einem heftigen Winde begleitet. Das Schaukeln des Schiffes, das Brüllen des Donners und der über Bord schlagenden Wellen, in Gemeinschaft mit dem Lärmen, der durch Bergen der Segel und auf Deck nicht selten herumrollenden Gegenstände verursacht wurde, machten manchem der Genossen schlaflose Nächte, zudem da die Seekrankheit wieder alle dafür Empfängliche stark befallen hatte. Ich selbst blieb davon verschont und wurde auch von dem nächtlichen Lärmen nicht sonderlich beunruhigt, indem ich mich bald an denselben gewöhnt hatte.

Es wurde jetzt von Tag zu Tag die See stürmischer, und das, was wie es scheint beinahe allen Schiffern, die Kap Horn umsegeln, geschieht, begegnete auch uns, wir verloren unsere Hühner. Es wurde nämlich der Hühnerkasten eines Morgens von einer starken Welle zerschlagen und ein Theil seiner Insassen theils über Bord gespült, theils beim Bruche des Behälters getödtet, die wenigen wieder eingefangenen aber, welche trübselig und durchnäßt im nothdürftig reparirten Kasten ihres weiteren Schicksals harrten, wurden sammt dem Kasten in folgender Nacht vollständig in die See gespült.

Wir hatten jene Hühner in Brasilien eingenommen, sie waren von einer hochbeinigen Race und schienen das Seeleben überhaupt nicht gut zu vertragen, indem sie sichtlich abmagerten und überhaupt sich jämmerlich geberdeten, während die früher von Deutschland mitgenommenen frisch und munter blieben, wurden sie gleichwohl nicht übermäßig fett befunden.

Am 16. Juli unter 50° 54' Länge und 44° 50' südl. Breite, wurde mir von den Matrosen ein Regenbogen gezeigt, welcher am Himmel stand, während an dem Orte, wo wir uns befanden, weder Regen noch Sonnenschein war. Die Seeleute nennen die Erscheinung Sturmstack, wohl vom englischen Stake herkommend, welches Stock, Pfosten bedeutet. Wie der Ausdruck bezeichnet, bezieht man sie auf nahenden Sturm, welcher aber jenesmal sich nicht einstellte. –

War schon auf der Höhe von Buenos Ayres häufig Wasser über Deck gekommen, so war jetzt buchstäblich keine trockene Stelle mehr auf demselben, indem sich das Wetter täglich verschlimmerte, und neben den fortwährend einschlagenden Wellen häufiger kalter Regen fiel. Auch die Temperatur sank bedeutend, des Mittags z. B. stand am 16. Juli das Thermometer + 6.3 R. Dazu kam, daß während in der Kajüte selten gelüftet werden konnte, es doch auch dort kaum wärmer war, weil die fortwährende Nässe, erzeugt theils durch von oben eindringendes Wasser, theils durch die Menge der durchnäßten Kleidungsstücke, Alles erkältete. Geheizt wurde jetzt so wenig als später, da kein Ofen vorhanden, und dunkle Gerüchte, die sich von einem am Bord befindlichen Ofen verbreitet hatten, welcher in jenen Breiten aufgestellt werden sollte, sich nicht bestätigten. So wurde der Aufenthalt auf der Reform, je mehr wir uns dem Süden näherten, stets unbehaglicher, und diese Unannehmlichkeiten wurden noch vermehrt durch die erneut ausbrechenden Mißhelligkeiten zwischen Kapitain und Passagieren.

Ich habe, wie ich schon früher erwähnte, dort mehrfach begütigt und mancherlei ersonnen, um die streitenden Theile auseinander zu halten, bald mit mehr, bald mit minderem Erfolge, aber ich gehe über diese Dinge hinweg, die den Leser ermüden müßten, wie sie mir zu jener Zeit zum Ekel geworden sind.

Wir beobachteten am 21. Juli unter 56° Länge und 46° 54' südl. Breite den ersten Tang und einige Tage hindurch wurden von Zeit zu Zeit Stücke desselben gesehen und aufgefischt. Ueber 49° 5' Breite hinaus konnte ich kein Exemplar dieser Pflanze mehr entdecken, obgleich ich trotz des schlechten Wetters oft Ausspähe hielt. Es war Fucus pyriferus Linné, und bald darauf wurde auch Fucus antarcticus Chamisso an Bord gebracht. Diese von uns aufgefangenen Tange, welche sonst bisweilen eine Länge von 300 Fuß erreichen, hatten indessen nur höchstens eine Länge von 10 bis 15 Fuß, und es bleibt bemerkenswerth, daß wir weiter gegen Süden zu keine mehr zu sehen bekamen. Auch als ich etwa ein Jahr später Kap Horn abermals umschiffte, traf ich nur sehr wenige und kurze Stengel dieser Pflanzen, so daß es scheint, als sei das Fortkommen derselben in diesen Breiten veränderlich, oder unbekannten Zufälligkeiten unterworfen, indem andere Reisende von 80 Fuß langen Stücken des Fucus pyriferus sprechen, welche dort aufgefischt worden, und dessen Häufigkeit in jenen Breitegraden hervorheben. Auch war an den von mir aufgefangenen Fucus-Stücken kein lebendes Wesen zu finden, was sonst selten der Fall zu sein scheint, indem fast alle anderen Beobachter große Mengen der verschiedenartigsten Thiere auf denselben gefangen haben.

In der Nacht vom 25. auf den 26. Juli hatte ich Gelegenheit eine eigenthümliche Modifikation eines Mondhofes zu beobachten. Der Mond stand bei leicht bedecktem Himmel etwa 15 Grade hoch. Genau dem Durchmesser des Mondes gleich zeigte sich in senkrechter Richtung ein leuchtender Streif ober- und unterhalb desselben, von einer Totallänge von ebenfalls etwa 15 Graden und ziemlicher Lichtstärke, welche am intensivsten in der Nähe des Mondes selbst war. Rasch vorüber ziehende Wolken oder Nebelschichten dämpften oder hoben, je nach ihrer Stärke, die Lebhaftigkeit des Lichtes, welches bisweilen ziemlich glänzend erschien. Man kann sich die Erscheinung am leichtesten versinnlichen, wenn man sich einen gewöhnlichen, aber ziemlich großen und hellen Hof um den Mond denkt, an welchem auf beiden Seiten, bis an die Ränder der Mondscheibe hin, zwei Segmente abgenommen worden sind.

Obgleich ich häufig Gelegenheit gehabt hatte, sowohl in Europa als auch auf und über der See den nächtlichen Himmel zu beobachten, habe ich doch blos einmal später in Nürnberg (März 1852) eine ähnliche Erscheinung gesehen, indessen, wenn ich mich so ausdrücken darf, blos angedeutet, nicht klar ausgesprochen, und von geringer Intensität[5].

Wir gingen am 28. Juli des Morgens zwischen Staatenland und Good Succeß, der südlichsten Spitze des Feuerlandes, hindurch und hatten Gelegenheit bald die eine bald die andere der beiden Küsten ziemlich deutlich beobachten zu können. So viel theils mit freiem Auge, theils durch einen Feldstecher von Plössel zu beobachten war, möchte ich die sichtbar gewordene Küste des Feuerlandes in der massenhaften Bildung ihrer Formen sehr ähnlich bezeichnen mit dem Typus der Westküste Amerikas überhaupt. Kleine Hügel schienen mehr oder weniger weit in See vorgeschoben und bildeten die äußerste Küste. Sie waren dunkel, fast schwarz gefärbt, theilweise in pittoresken Formen und schienen basaltischen und doleritischen Gebilden oder plutonischen Conglomeraten anzugehören, wie solche so häufig allenthalben an der Westküste in größerer oder geringerer Ausdehnung getroffen werden. Das mit Schnee bedeckte Gebirge, das gegen das Innere zu sich über jene dunklen Vorgebirge erhebt, trägt den Charakter granitischen Gesteins in weiterer Ausdehnung des Begriffes, wie denn solches eben auch an der Westküste der Fall, wo mächtige Massen von Granit, Gneiß und Glimmerschiefer das Festland bilden, bis sie durchbrochen werden von der Andeskette, jener gigantischen Musterkarte aller plutonischen und vulkanischen Gesteine der Erde.

Staatenland, uns, den Vorübersegelnden, auf der Backbordseite liegend, zeigte im Allgemeinen ähnliche Formen und jene in's Meer reichenden Felsgebilde traten bisweilen noch klarer ausgesprochen hervor. Es mag nicht bezweifelt werden, daß Staatenland verbunden gewesen mit dem Feuerlande, und entweder getrennt worden ist von demselben bei der Hebung beider über die Oberfläche des Meeres, vielleicht aber auch durch eine jener gewaltigen späteren Katastrophen, die periodisch eingetreten sein müssen noch nach der Entstehung jener Länder.

Wem, wohnend auf dem, wenigstens wie es scheint geognostisch ziemlich feststehenden Boden unsers guten alten Deutschlands, eine solche gewaltsame Trennung so bedeutender Massen in vorhistorischer Zeit unglaublich erscheint, den verweise ich auf die erst vor 100 Jahren (1746) vor sich gegangene Entstehung der Insel San Lorenzo bei Callao, welche früher ein Theil des Festlandes, im genannten Jahre durch ein Erdbeben losgerissen wurde und jetzt eine Viertelstunde weit in See liegt.

Wir hielten uns, verloren wir auch bald die Küste aus den Augen, doch stets nicht weit vom Lande entfernt, und die Temperatur sank in Folge dessen ziemlich bedeutend, so daß das Wasser jetzt stets um einige Grade wärmer war als die Luft; so stand des Abends am 28. Juli das Thermometer an 0° R., während das Wasser + 4° R. zeigte.

Eine kleine Tabelle über die Thermometerstände, welche ich weiter unten im Auszuge folgen lassen werde, erläutert am besten diese Verhältnisse, welche ich für jetzt in Zahlen ausgedrückt nicht weiter berühren werde.

Ich will aber hier eine kurze Schilderung unseres Lebens und Treibens während der Umschiffung des Kap Horn geben.

Jämmerlicher und trostloser kann nicht leicht etwas gedacht werden als eine solche Reise für den Passagier. Wir passirten das Kap unter 56° 18' südl. Breite, aber wie ich schon erwähnt, hatte das schlimme Wetter bereits auf der Höhe von Buenos-Ayres begonnen und so hatten wir über fünf Wochen mit Unannehmlichkeiten aller Art zu kämpfen.

Eine See, die fast unaufhörlich 20 Fuß hohe Wellen wirft, Regen, Schnee, Hagel und eisige Nebel, das waren die Erholungen auf Deck, wenn man sich retten wollte aus der Kajüte vor dem Gestöhne der Seekranken, der kalten dumpfen Luft, dem ekelnden Schmutze, der Nässe und der Finsterniß, welche dort herrschte.

Die Tageshelle begann zwischen 10 und 11 Uhr, und verschwand wieder vor 3 Uhr des Nachmittags. In der Kajüte aber war die einzige Helle die, welche durch die geöffnete Thür von oben eindringen konnte, oder die spärlichen Strahlen, welche durch die einen Zoll breiten und etwa sechs Zoll langen Prismen in die einzelnen Kojen fielen, denn das Skylight war durch einen hölzernen Kasten gedeckt worden, da die unaufhörlich über Deck einschlagenden Wellen dasselbe in kurzer Zeit zertrümmert hätten.

Trotzdem, daß die Fugen dieses Kastens mit Theer und Werg verklebt waren, drang doch hie und da, von besonders ungünstig einschlagenden Wellen, Wasser durch dasselbe in die Kajüte, und eben so kamen durch die geöffnete Thür häufig ganz artige Wassermengen in unser Gefängniß, und vermehrten die Nässe und den Schmutz.

Es war durchaus nöthig von Zeit zu Zeit auf Deck frische Luft zu schöpfen. War man aber auch durch Uebung im Stande, meistens den einschlagenden Wellen auszuweichen, so wurde man doch durch den fast unaufhörlich fallenden Regen unbedingt durchnäßt und kehrte in die Kajüte mit nassen Kleidern zurück. Da diese aber nie getrocknet werden konnten, so besaß in kurzer Zeit Niemand mehr ein halbweg trockenes Kleidungsstück.

Man kann sich eine Vorstellung machen von der Atmosphäre in dem engen uns angewiesenen Raume, in welchem 18 Menschen aßen, schliefen, theilweise Tabak rauchten, ihre nassen Kleider aufbewahrten und nebenbei zum großen Theile seekrank waren, mit allen Erscheinungen jener Krankheit, welche ich nicht näher bezeichnen will. –

Kap Horn ist als die Region des fortwährenden Regens bezeichnet, oder besser als die Region der continuirlichen meteorischen Niederschläge, und in der That wechseln dort Schnee, Regen und Hagel ohne Aufhören, und nur selten wurde auf einige Augenblicke die Sonne gesehen als eine gelbliche, schwach leuchtende Kugel, verdrießlich zwischen Wolken hervorblickend und sofort wieder von diesen verdeckt. Bisweilen fiel ein so dichter Nebel, daß auf keine 20 Schritte weit gesehen werden konnte und vom Steuer aus am Bugspriet stehende Männer vollkommen unkenntlich waren.

Schlimmes Wetter, wie es die Seeleute nennen, herrscht immer in jenen Breiten, aber es ist von der Art, daß man es getrost heftigen Sturm nennen kann. Bisweilen aber treten plötzliche Windstillen ein, die einige Stunden anhalten, so daß das Schiff dem Steuer nicht mehr folgt und buchstäblich treibt. Aber die heftige Dinung, d. h. die hohen stoßenden Wellen, welche vom kurz vorher stürmenden Winde zurückgeblieben sind, werfen das Schiff dann so nach allen Seiten hin, und ohne eine bestimmte Richtung, daß wie die Seekranken sagen, diese Bewegung unangenehmer ist, als die des höchsten Sturmes. Meist wird eine solche Windstille durch eine plötzliche heftige Boe beendet, bei welcher nicht selten die Schiffe zu Schaden kommen. Strömungen des Meeres von West nach Ost erschweren die Fahrt in jenen Regionen, wenn man beabsichtigt westwärts zu gehen, wozu noch kommt, daß am Kap Horn und in jenen Breiten überhaupt fast stets Westwinde wehen.

Unser Leben war dort ein kümmerliches und trübseliges, und blieb ich auch von der Seekrankheit verschont, so hatte ich desto mehr von der Kälte zu leiden, welche stets mein arger Feind gewesen ist. Es ist eine schlimme Aufgabe Tag und Nacht Frost und Nässe zu ertragen, mehrere Wochen hindurch, ohne sich nur ein einzigesmal halbweg erwärmen zu können. So kam, trotzdem, daß die Temperatur in der Kajüte nicht unter + 6° R. fiel, doch häufig Erfrieren der Hände und Füße vor, und ich selbst hatte viel daran zu leiden, obgleich ich früher in Deutschland zu manchen Zeiten bei hohen Kältegraden den Tag und die halbe Nacht hindurch im Freien zugebracht hatte. Das Uebel machte sich bemerkbar durch Röthung und Anschwellen der Finger und Zehen und brennenden Schmerz in denselben. Ich habe als das beste Mittel gegen dasselbe, bei andern und bei mir, Bleisalbe erprobt, welche rasch heilend wirkte, und bei mir wenigstens keine der später wiederkehrenden Folgen erfrorener Glieder bemerken ließ.

Ich bin in jener Zeit täglich, wie sonst des Morgens auf Deck gegangen und habe mich mit Seewasser gewaschen, wobei ich mich freilich sonderbar genug behelfen mußte, da des heftigen Schwankens halber kein Waschgefäß gestellt werden konnte, oder vielmehr stehen blieb. Den übrigen Theil des Tages brachte ich größtenteils in der Koje liegend zu, welche ich mir möglichst artig und behaglich mit in Brasilien gekauften Schaffellen ausgefüttert hatte. Halb schlafend, halb wachend, habe ich dort böse Träume gehabt, und wer sich je eine erlaubte anständige Erholung damit verschaffte, mich zu quälen und zu kränken, kann mit Satisfaction diese Zeilen lesen. Die stündlichen Beobachtungen des Barometers und die der Temperatur waren die einzige nützliche Beschäftigung, welche ich dort vorgenommen habe.

Noch jetzt ist die eigentliche Gefahr bei der Umschiffung des Kap Horn nicht ganz beseitigt und manche Schiffe werden dort übel zugerichtet. In früherer Zeit aber gehörte diese Fahrt zu den berüchtigten. Manche Schiffe waren gezwungen, umzuwenden, und um das Kap der guten Hoffnung segelnd, den großen Ocean und das Ziel ihrer Bestimmung zu erreichen. Anson's Reise in den Jahren 1740-1744 giebt hierüber interessante Aufschlüsse und Beispiele wie ganze Geschwader zerstreut und verschlagen wurden, und wie gegen die Jetztzeit eine unverhältnißmäßig große Menge von Schiffen vollkommen zum Dienste untauglich wurden, oder selbst verloren gingen.

Man verdankt den Verbesserungen in der Schifffahrt, vor allem wohl den Aenderungen im Bau der Schiffe selbst die gegenwärtige sehr verringerte Gefahr, denn eine bedeutende Veränderung in den klimatischen Verhältnissen, in Windrichtung und Strömung und in der Intensität beider ist nicht wohl denkbar und geht aus den Schilderungen jener Zeit und den Erscheinungen der Gegenwart auch nicht hervor. –

Wir hatten am 31. Juli des Morgens Kap Horn in Sicht. Ich zeichnete die Felsengruppe, wie ich es vorher auch bei den Küsten von Feuerland und Staatenland gethan hatte. Kap Horn ist eine wild und grotesk aus dem Meere hervorgehobene Felsenparthie und gehört, so wie Diego Ramirez und andere Felseninseln jener Region wohl unzweifelhaft den basaltischen und doleritischen Formen an, deren ich schon vorher erwähnte, als ich von der Küste des Feuerlandes und Staatenland gesprochen habe. Zwei dunkle mächtige Felsen, scheinbar dicht an einander liegend, wurden uns als das eigentliche Kap bezeichnet, dann aber breitet sich gegen Osten hin eine kleine Kette mit Schnee bedeckter kegelförmiger Berge aus, welche wohl in der Wirklichkeit höher sind, da sie aber weiter zurück liegen, niedriger erscheinen.

Kap Horn in Sicht hatten wir nach kurz vorausgegangener Windstille eine heftige Boe aus Nordwest und dann plötzlich Ostwind, so daß wir, was selten der Fall, mit ganzen Leesegeln rasch vorüber segelten. Es ist übrigens kein seltener Fall, daß man näher vorüber fahrend dennoch das Kap nicht zu sehen bekömmt, da häufig dichte Nebel dort alles verdecken; viele Schiffe gehen auch weiter südlich, so daß man sich immer glücklich preisen kann, bei der Umschiffung den berüchtigten Felsen selbst gesehen zu haben.

Den meisten Passagieren stieg der Muth als wir so rasch dahin flogen und der größte Theil der Beschwerden war vergessen, trotz des Hagels, der dicht auf unsere Köpfe fiel, und des Eises am Tauwerk, welches trotzdem, daß das Thermometer + 2° R. zeigte, erst gegen Mittag verschwand.

Des folgenden Tages, am 1. August, stieg gegen Abend das Barometer plötzlich sehr rasch, und es stellte sich alsbald ein so heftiger Nordostwind ein, daß wir die schlimmste Nacht der ganzen Reise hatten, und selbst der alte Steuermann versicherte »nicht oft« so schlimmes Wetter erlebt zu haben.

Auch die bestmöglichst verstauten Effekten der Passagiere flogen in allen Ecken umher; Fässer und Kisten, unsere Privatvorräthe, Mützen, Pfeifen und Schuhe, kurz, all unser ärmliches Geräthe wurde bunt durch einander gewürfelt, und Manches zerstört und verdorben. Bei dieser Gelegenheit ging auch der Rest der für unsern Gebrauch bestimmten Trinkgläser in Stücke, und die einzige Wasserkanne entleerte im Sterben ihren Inhalt in die Koje eines Freundes, der sich übel geberdete, und anfänglich die plötzliche Nässe den durch einen Leck eindringenden Meeresfluthen zuschrieb.

Es hat sich nicht selten getroffen, daß in jenen Breiten auf ein Steigen des Barometers etwas weniger übles Wetter folgte, und mein pariser Aneroid, vermöge welchem ich leichter, als es auf des Kapitains Quecksilber-Barometer geschehen konnte, ein leichtes Steigen oder Fallen anzugeben im Stande war, hatte sich Ruf erworben am Bord, aber in jener Nacht erlitt sein prophetischer Ruf einen bedeutenden Stoß.

Bis zum 5. August blieb der Himmel stets so bedeckt, daß weder Länge noch Breite genommen werden konnte, und zugleich fiel unaufhörlich ein kalter Regen, häufig mit Hagel wechselnd. Wir sahen, muthmaßlich unter dem 50.° südl. Breite die ersten Wallfische an der Westküste, und häufige Züge von Butzköpfen, aber sonst mit Ausnahme weniger Vögel, Albatrosse und der kapischen Taube, kein lebendes Wesen, eben so keine Spur von Leuchten der See. Delphine indessen und eine ziemliche Anzahl Vögel verschiedener Art zeigten sich wieder am 6. und die folgenden Tage. Endlich am 10. August sahen wir zum erstenmale die Küste von Chile, welche ich mit speziellem Interesse betrachtete, da ich beabsichtigte, dort längere Zeit zu verweilen.

Die erwähnten schwarzen doleritischen und basaltischen Formen fehlten hier, und es schien, von der Ferne gesehen, die Küste aus einer Reihe flacher und sanft abgerundeter Hügel zu bestehen, hinter welcher aber direct sich eine Kette schroffer mit Schnee bedeckter Berge erhob, in welcher Piks und groteske Formen nicht fehlten.

Wir sollten in einigen Tagen, so hieß es, in Valparaiso, wörtlich: im Thal des Paradieses sein, und konnten uns nicht recht erklären, wie die Palmen und Orangenhaine dieses glücklichen Landstriches so dicht bei wilden eisigen Bergen liegen sollten.

Man vergaß das wieder, als wir, abhaltend von der Küste, sie bald wieder aus dem Auge verloren; aber ich, der ich später in Chile blieb, trug den Glauben, als seien die Gipfel dicht an der Küste liegender Berge mit Schnee bedeckt wohl zehn Tage mit mir umher, und habe gezeichnete Skizzen auch in diesem Sinne, wie ich es sah, behandelt.

Erst später habe ich erfahren, daß jene schneeigen Gipfel, welche wir schon von Bord aus gesehen, die Andeskette waren, die Cordillera alta, das vielbesprochene, aller Welt bekannte Gebirge. Eine eigenthümliche optische Täuschung, welche fast allenthalben in Chile auftritt, ließ die 40 bis 50 Stunden weit von jenem niedern Küsten-Gebirge entfernte Kette der hohen Cordillera uns als dicht hinter demselben aufsteigend erscheinen. Es fehlte das, was die Maler Lichtperspective nennen, und ich hatte später von der Cordillera aus, gegen See blickend, eine ähnliche Erscheinung.

Noch an demselben Tage beschied mich der Kapitain in seine Kajüte und eröffnete mir, daß wir demnächst in Valparaiso einlaufen würden, zugleich stellte er mir die Schiffsbücher zur Disposition, so daß ich zu meinen Thermometer- und Barometer-Beobachtungen die tägliche Länge und Breite beizufügen im Stande war.

Es ist Gebrauch auf den meisten Schiffen, auf welchen sich viele Passagiere befinden, sorgfältig die Länge und Breite geheim zu halten. Ja selbst die Matrosen wissen kaum wo sie sich befinden, und vermögen nur muthmaßlich zu schätzen. Es hat dies seinen guten Grund. Abgesehen davon, daß der Kapitain sich kaum retten könnte vor der Unzahl müßiger Fragen taktloser Reisenden, warum man z. B. westwärts und nicht mehr nach Osten steure, und umgekehrt, warum es heute so langsam gehe, und bis zu welcher Zeit man diesen oder jenen Ort erreichen werde, würde auch der Mißmuth der Passagiere besonders bei Reisen, wie die um Kap Horn, bedeutend gesteigert werden, wenn man sich plötzlich um einige Grade zurückgeworfen oder verschlagen sieht, oder wenn der Kapitain zu laviren gezwungen ist. Bei bedrohlicher Stimmung der Mannschaft aber, und offener Meuterei, hat der Kapitain immer die Mittel in der Hand irgendwo einzulaufen oder wenigstens in die Nähe eines Hafens zu gelangen, wo Hülfe und Schutz erwartet werden mag. Mir speciell hatte der Kapitain die freundliche Erlaubniß schon in der ersten Zeit der Reise gegeben, täglich nach dem Journale die Länge und Breite verzeichnen zu dürfen. Aber ich lehnte dankend ab, da ich einerseits, als Mitwisser des alle interessirenden Geheimnisses, ebenfalls bestürmende Fragen befürchtete, auf der andern Seite aber Sorge trug, für den Verräther desselben gehalten zu werden, wenn etwa der Wahrheit nahe kommende Vermuthungen laut geworden wären. So zog ich vor, erst jetzt das Fehlende nachzutragen in den freigelassenen Spalten meiner Tabellen.

Wir sahen am 11. des Nachmittags zum zweitenmale die Küste von Chile und liefen am 12. August des Morgens in den Hafen von Valparaiso ein.

Verwöhnt von der üppigen Pracht Brasiliens, wollten uns die kahlen, verbrannten Hügel, die vor uns lagen, keinen besonders glänzenden Eindruck hervorbringen, doch tröstete man sich für die Folge mit Ausflügen »in's Innere«, für die nächste Gegenwart aber mit der Hoffnung, bald wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, und, vor Allem, Landkost zu verspeisen.

Ehe ich aber für immer die Reform verlasse, will ich, wie es oben geschehen, Auszüge mittheilen aus meinen Notizen über die Temperatur, um einen Ueberblick zu geben über diese Verhältnisse bei Kap Horn.

Datum
1849
 
Temperatur
der Luft
des Mittags
12 Uhr
 
Temperatur
des Wassers
des Morgens
9 Uhr
Länge
westliche
Breite
südliche
Juli 6. + 10.3 + 13.8 50° 18' 39° 22'
" 11. + 6.6 + 8.5 50° 20' 44° 15'
" 16. + 6.3 + 6.7 50° 54' 44° 50'
" 17. + 5.3 + 8.2 51° 34' 43° 32'
" 18. + 6.3 + 6.5 52° 28'
" 19. + 9.5 + 11.5 44° 24'
" 20. + 5.2 + 5.5 55° 9' 46° 8'
" 21. + 3.8 + 3.5 56° 0' 46° 50'
" 22. + 3.9 + 3.8 56° 0' 47° 46'
" 23. + 4.5 + 3.9
" 24. + 5.0 + 5.4
" 25. + 5.0 + 4.3 62° 36' 49° 49'
" 26. + 4.2 + 4.0 63° 30'
" 27. + 3.5 + 4.0 63° 47' 52° 38'
" 28. + 2.1 + 4.0 54° 52'
" 29. + 0.5 + 3.5
" 30. + 2.0 + 3.5 64° 37' 56° 6'
" 31. + 2.5 + 4.0 56° 18'
Kap Horn in Sicht
Aug 1. + 3.8 + 4.8
" 2. + 5.0 + 5.0
" 3. + 2.5 + 5.0
" 4. + 5.5 + 5.5
" 5. + 5.3 + 5.5
" 6. + 5.3 + 5.9 77° 18' 47° 23'
" 7. + 6.3 + 7.0 77° 21' 44° 50'
" 8. + 8.0 + 8.2 76° 30' 41° 26'
" 9. + 8.2 + 9.0 75° 32' 38° 54'
" 10. + 9.2 + 10.0 73° 59' 35° 46'
" 11. + 10.5 + 10.5

Es fällt bei Durchsicht dieser kleinen Tabelle und bei etwaiger Vergleichung derselben mit der vorher gegebenen, die Tropen betreffend, sogleich in die Augen daß, während dort die Temperatur des Wassers stets eine etwas niedere war als jene der Luft hier in höheren Breitegraden, etwa von 40° südl. Breite an bis am Kap Horn und wieder auf dieselbe Höhe, das Wasser durchschnittlich, ja fast immer, eine höhere Temperatur als die Luft zeigte.

V.
Valparaiso (Chile).

Natürlich ist vor Allem die Frage: wie wird das Wort ausgesprochen? Man schreibt Valparaiso, aber spricht man auch Valparaiso? oder spricht man Valparaïso? oder vielleicht gar Valpareso? Die großartige Wichtigkeit dieser Frage hat mir erst eingeleuchtet, als ich, nach Deutschland zurückgekehrt, von fast allen meinen Freunden mit solchen Fragen bestürmt worden bin. Leider habe ich an Ort und Stelle mein deutsches Blut so weit verleugnet, keine Nachforschungen anzustellen, welches die richtige, von dortigen Gelehrten anerkannte Aussprache ist. Ich kann also nicht verbürgen, ob Valparaiso oder Valpareso recht oder fehlerhaft, aber ich kann sagen, daß die Chilenen beide Aussprachen gebrauchen, bald so, bald so sprechen, und daß mir an Ort und Stelle die ganze Sache höchst gleichgültig gewesen ist. Woher die Stadt den Namen bekommen, werde ich später berichten.

Nachdem, leider indessen höchst mangelhaft, dieser unzweifelhaft interessanteste Punkt abgehandelt, muß ich mit wenig Worten vorausschicken, wie und in welcher Form ich berichten werde, was ich in Chile gesehen. Ich werde einige der größten Städte, welche ich besuchte, beschreiben und das Leben und Treiben daselbst, die Sitten und Gebräuche schildern, so viel mir davon bekannt geworden. Dann werde ich deren Umgebung gedenken, weiterer Excursionen, und der Reisen durch das Land. Indem mir so Gelegenheit werden wird, der Thier- und Pflanzenwelt zu erwähnen, der Berge und Thäler, der Flüsse und Seen, so wie klimatischer Verhältnisse, mag es vielleicht gelingen eine Skizze zu geben von Chile, ohne durch tägliche Berichte den Leser zu ermüden.

In den ersten Tagen aber mag es mir vergönnt sein, mehr von mir selbst zu sprechen als es später geschehen soll.

Kaum an's Land gestiegen, wo sich die Passagiere nach allen Richtungen zerstreuten, eilte ich zu dem Kaufmanne, auf welchen ich Wechsel zu beziehen hatte, um solche zu präsentiren, wie man es, wenn ich nicht irre, nennt, und zugleich zu bitten, den Betrag noch zu verwahren, da ich in fremdem Lande mich nicht mit unnöthigem Gelde beschweren wollte. Alle Geldgeschäfte haben von jeher für mich etwas so unendlich Widerwärtiges gehabt, daß ich sie so rasch als möglich beendete, und eben dessen froh, das Store verlassen wollte, als ich mit Gerstäcker bekannt gemacht wurde, der bereits seit drei Wochen in Valparaiso, sich ebenfalls im Store eingefunden hatte, um Landsleute zu begrüßen und Neues aus Europa zu hören.

Gerstäcker war der erste Landsmann, ja der erste Mensch, der in der neuen Welt mir mit der liebenswürdigsten Freundlichkeit und Offenheit entgegengekommen ist, und mir sogleich am ersten Tage unserer Bekanntschaft die wesentlichsten Dienste erzeigte, indem er mit Aufopferung seiner eigenen Zeit mir eine Wohnung suchen half.

Ich hatte an einen deutschen Kaufmann, dessen Namen ich vergessen habe, einen Empfehlungsbrief von Haus mitgebracht, und wurde empfangen, wie ich bereits in Brasilien frostige Vorläufer erhalten. Ich erhielt den Rath, so bald als möglich in's Innere zu reisen, da in Valparaiso nichts für einen Naturforscher zu machen, und wurde zugleich wiederholt gefragt, was denn eigentlich mein Geschäft sei, auf das Naturforschen allein reise man ja doch nicht. Natürlich ließ ich mich nicht in weitläufige Erklärungen ein, wie ich denn doch nur allein in »diesem Artikel mache,« sondern bat, wie ich ausdrücklich sagte, als erste und letzte Freundlichkeit, mir auf eine halbe Stunde einen jungen Mann mitzugeben, welcher mir, der noch keines Wortes der spanischen Sprache mächtig, eine Privatwohnung möge suchen helfen, aber ich wurde abgewiesen; man sei zu sehr beschäftigt und Aehnliches, kaum aber Spuren entschuldigender Formen.

Ich ließ den Menschen in seinem Musterlager sitzen und erzählte gleich darauf Gerstäcker die Geschichte, der ob er gleich, wie ich später erfuhr, dringende Arbeiten für Europa hatte, dennoch jenen Tag noch mehrere Stunden mit mir umherlief, mit seinem wie er sagte sechswöchentlichen Spanisch wacker dolmetschte, und mir wirklich eine für Valparaiso ganz erträgliche Wohnung verschaffte.

Ich habe manche heitere Stunde mit Gerstäcker in und um Valparaiso verlebt, wir versprachen uns, auf weiterer Reise nicht die Hälse zu brechen, gesund nach Hause zurückzukehren und uns in Europa wieder zu treffen. Wir haben uns getreulich Wort gehalten und ein freundliches Wiedersehen in Nürnberg gefeiert. Wer aber wissen will, wie Gerstäcker nach Chile gekommen und Weiteres, mag seine Reisebeschreibung kaufen, die ohne Zweifel bereits erschienen ist, während ich Gegenwärtiges schreibe.

Bald hatte ich das nordamerikanische Hotel, in welchem ich zuerst eingekehrt, verlassen, und war in meiner neuen Wohnung eingerichtet. Vier kahle Wände, ein mit gebrannten Steinen gepflasterter Boden, eine aus Holzstückchen zusammengesetzte Decke und freies Wasser, was man sonst in den meisten Häusern kaufen muß, war die Herrlichkeit, welche monatlich eine halbe Unze[6] kostete, d. h. etwa ein und zwanzig Gulden. Ich miethete einen alten Tisch für einen Peso per Monat, warf meine Matrazze auf den Boden und indem ich meine drei Koffer als Sopha und Stuhl benutzte, war meine erste Einrichtung beendet. Ich hatte meine Hausfrau nur einmal gesehen, den Hausherrn in den ersten 8 Tagen gar nicht, ich hatte Haus- und Zimmerschlüssel, obgleich ersterer kaum nöthig, da das Haus bis nach Mitternacht stets offen. So war ich wieder, nach langer Zeit einmal Herr in meinen vier Pfählen und lief in's Freie, mir die Stadt zu besehen. Valparaiso mag eine schöne Stadt genannt werden, wenn vielleicht nicht ganz im alteuropäischen Sinne, wo manchfache Prachtgebäude gefordert werden. Aber der unverkennbare Ausdruck des raschen und rüstigen Vorwärtsschreitens, des fortwährenden Wachsens wirkt wohlthätig und erfreulich auf den Fremden, der sich zum erstenmale die Stadt besieht. Wohl eine Stunde und weiter, zieht sich dieselbe dicht am Ufer des Hafens hinweg, schmal, an vielen Stellen öfters nur einige Straßen breit, an einer Stelle nur zusammenhängend durch wenige Häuser, an andern Orten aber sich wieder weit ausbreitend, wie es eben die Berge erlauben, an welchen die Stadt liegt, und welche an manchen Stellen fast an die See vorgeschoben sind. Der ausgebreitetste Theil der Stadt ist der, wo früher das Dorf Almendral lag. Jetzt ist dort die Calle des Almendral, eine breite, jeder Hauptstadt würdige Straße, und von dem Kothe, von welchem frühere Reisende mißfällig berichten, ist dort nichts mehr zu sehen. Auf den Hügeln nächst der Mitte der Stadt und unweit des Hafens, liegen zierliche Häuser in südeuropäischem Geschmacke meist mit kleinen Gärten versehen, umrankt und beschattet von Schlingpflanzen und mit kostbarer Aussicht auf Hafen, See und Stadt. Meist werden diese lieblichen kleinen Villen von den reicheren Kaufleuten und häufig von Deutschen bewohnt, und sind gastfrei dem geöffnet, der einmal Zutritt gefunden. Ich werde seiner Zeit Freundliches hievon zu berichten haben, denn ich bin artig aufgenommen worden von allen Deutschen, die ich kennen lernte; zuvorkommend aber und herzlich von mehreren Männern, denen ich stets ein dankbares Andenken bewahren werde.

In den Thälern zwischen jenen Hügeln und den nicht selten steil abfallenden Schluchten, werden wohl auch noch hie und da hübsche Häuser getroffen, doch wohnen dort meist ärmere Leute, und oft weit sich an jenen Abhängen verzweigend, enden Häuser und Hütten, immer mehr sich vereinzelnd endlich die Stadt.

Recht deutlich können diese Ausläufe der eigentlichen Stadt ohnweit der Almendral bemerkt werden, und ich möchte solches als charakteristisch bezeichnen für die meisten größeren Städte Südamerikas. Die ansehnlicheren Gebäude werden in solchen Theilen der Stadt allmälig seltener und wechseln mit kleineren bescheidenen Wohnungen, welche endlich in Hütten übergehen. Gleichzeitig verschwinden die Trottoirs, bald auch das Pflaster, man findet sich nicht selten im tiefsten Kothe, ohne recht zu wissen, wie man dorthin gekommen.

Die Hütten aber, anfänglich dicht an einander gebaut, stehen bald vereinzelter und könnten endlich isolirte Gehöfte genannt werden, wären sie bedeutender. In Rio de Janeiro sind es freundliche Landhäuser, welche, so allmälig von der Stadt sich entfernend, den Thälern einen malerischen Reiz verleihen, hier aber in Valparaiso sind jene Vorposten der Stadt von den Lazaroni Chiles bewohnt. Die europäische Tracht, die im civilisirten Theile der Stadt allgemein ist, macht hier dem halb indianischen Kostüme Platz und tief braun gefärbte Frauen mit wildem verworrenen Rabenhaar und glühenden Augen sitzen an der Erde, kaum halb bekleidet, und umzingelt von ihren nackten unbändigen Sprößlingen.

Das ist wohl noch Ursitte des Landes. In der Stadt selbst möchte ich die Bauart als eine dreifache bezeichnen. Es sind die meisten Häuser zweistöckig erbaut, und man hat, Rücksicht nehmend auf die häufigen Erdbeben, alle Mühe darauf verwendet, sie gleichsam elastisch zu construiren. So bildet korbartiges Flechtwerk die Mauer, ausgefüllt mit Lehm und Sand, und ein leichtes Dach deckt das Ganze. Beim Einlegen alter Häuser habe ich diese Bauart beobachtet, welche jetzt aber, wie es scheint, mehr und mehr verschwindet und sich auf die Wohnungen ärmerer Leute beschränkt.

Die bessere Methode, welche Eingang gefunden hat, ist die Construction hölzerner Häuser, nur leicht mit Fachwerk bekleidet, und gefügt nach Art der Schiffszimmerung, leichten Stößen widerstehend, und selbst stärkeren Erschütterungen ausweichend, nachgebend, ohne bedeutend zu leiden.

Endlich findet man aber auch große, selbst massiv von Stein erbaute Häuser in Valparaiso, dreistöckig und würdig der größten Stadt des alten Europa. Aber die meisten sind neu erbaut und es steht zu befürchten, daß das nächste größere Erdbeben arge Verwüstungen anrichten wird in jenen Prachtbauten, während die Häuser der älteren Bauart sicher eher widerstehen dürften.

Bei allen älteren Häusern findet man den Boden mit gebrannten Steinen gepflastert und dann wohl mit einem Teppiche oder einer Strohmatte belegt. In neueren und namentlich größeren Bauten trifft man hölzerne Dielen. In ganz Südamerika aber findet sich keine Zimmerdecke mit Mörtel beworfen, sondern sie bestehen aus leichtem Fachwerke mit dünnen Brettern von etwa 2 bis 3 Fuß Länge und 2 bis 5 Zoll Breite, welche mittelst Nägeln an die Balken der Decke befestigt sind. Es würde ein Mörtelbewurf an der Decke in Valparaiso z. B. keine vier Wochen halten, ohne, allmälig erschüttert und gelöst durch leichte Erdstöße, endlich durch einen etwas intensiveren auf die Geräthschaften des Zimmers oder wohl auch auf die Köpfe der Bewohner geworfen zu werden.

Die öffentlichen Bauten, meist von der Regierung in früherer Zeit gebaut, sind fast durchgängig bescheiden, wenn auch ihrem Zwecke entsprechend.

Von den Kirchen, die eigentlich den Baustyl repräsentiren sollten, vermag ich leider wenig Tröstliches zu berichten. Reminiscenzen an altspanische, mitunter fast maurische Zeit, aber jämmerlich, ja barock verflochten mit Zopf und Perücke, und mit einer hie und da so sonderbaren Ornamentik versehen, daß ich keinen Vergleich mit unserem Lande dafür zu finden weiß, das ist der Eindruck, welchen ich von den Kirchen in Valparaiso bewahrt habe. Ein einfaches, blos aus dem Erdgeschosse bestehendes Gebäude ist das Hospital, welches vielleicht recht die ältere Bauart vertritt, wie sie noch zu Zeiten der spanischen Herrschaft geübt wurde. Es ist ziemlich weitläufig und besteht aus mehreren Vierecken, deren innere Höfe den Genesenden zum Spazierengehen dienen. Luftige Arkaden im Innern fehlen natürlich nicht und das Ganze scheint seinem Zwecke zu entsprechen. Die Krankensäle sind luftig, frei und reinlich gehalten. Da in jenem glücklichen Lande fast stets Thüren und Fenster geöffnet erhalten werden können, so ist das erstere nicht mit besonderen Schwierigkeiten verknüpft. Es befinden sich 180 Betten für männliche Kranke und 154 für weibliche dort, welche natürlich getrennt sind. Eine medicinische und chirurgische Abtheilung besteht indessen nicht, und die Kranken liegen unter einander, so viel ich weiß, in der Ordnung, wie sie eben in die Anstalt kommen. Ein Oberarzt leitet das Ganze und ihm sind zwei Assistenten beigegeben, von welchen jeder 20 Peso den Monat Besoldung bezieht. Im Hospitale befindet sich ein Sectionszimmer und eine Apotheke mit Laboratorium. Beide gut und zweckmäßig eingerichtet. Ich habe bei dieser Gelegenheit den Preis eines Blutegels erfahren, der 6 Realen ist. Zu meiner Schande aber muß ich gestehen, daß ich nicht weiß, ob man im Lande selbst diese Thiere fängt, oder ob sie alle aus Europa dorthin gebracht werden. Daß dies mit größeren Sendungen der Fall ist, habe ich erst später erfahren.

Es mag im Allgemeinen bemerkt werden, daß die häufigsten Krankheitsformen Icterus, Syphilis in ihren verschiedenen Formen, und eben so Phthisis und Tuberculose sind.

Die wenigen Notizen über den Krankheits-Genius von Chile, welche ich gesammelt habe, muß ich indessen für einen andern Ort versparen, da ich eigentlich hier nur von den Gebäuden der Stadt zu sprechen beabsichtigte.

Ein anderes Hospital, erbaut auf einem der Hügel, welche die Stadt umgeben, ist für kranke Seeleute bestimmt, doch werden, wie mir schien, auch vermögende Kranke aus anderen Ständen angenommen, welche ihre Verpflegung bezahlen. Es ist dort eine wirklich lurxuriöse Einrichtung und das Haus liegt versteckt in einem wohl gepflegten Garten mit kostbarer Aussicht auf Hafen und See.

Ich sollte jetzt noch vom Theatergebäude berichten und etwa von dem Justizpalaste oder wie man eben die Anstalt benennt, in welcher die öffentliche Rechtspflege ausgeübt wird. Abermals aber muß ich ein, wenn nicht reuevolles doch offenes Bekenntniß ablegen, wie oben in Betreff der Blutegel. Ich habe mich um das Wesen der Justiz, um die öffentlichen Sitzungen und um die wirklichen theatralischen Vorstellungen im Opernhause so wenig gekümmert, als ich es auch stets in Deutschland gethan habe und so vermag ich, da das Innere mich wenig interessirt hat, auch nur anzugeben, daß das Aeußere der Gebäude einfach und zweckmäßig erscheint und nicht störend einwirkt auf den guten Geschmack.

Vom Hauptsitze des Gouvernements, von Santjago aus, werde ich später über Regierung und staatliche Einrichtungen zu sprechen haben, da ich dort zuverlässige Nachrichten erhalten. –

Um aber die flüchtige Skizze der Stadt und ihres Weichbildes zu beenden, sei es mir erlaubt der nächsten Umgebung von Valparaiso zu gedenken, so weit ein guter Fußgänger dieselbe zu durchstreifen vermag.

Ich habe schon der Hügel gedacht, zwischen und theils auf welchen sich die Stadt längs der Meeresbucht hinzieht. Diese Hügel gewähren an und für sich ein kahles und trostloses Ansehen. Sie bestehen aus Granit, aber die Oberfläche desselben ist verwittert und so hat sich ein eintöniges Braun erzeugt, bedeckt mit spärlichem und wenig zierlichem Pflanzenwuchse, und das nur an einigen Stellen.

Der vier bis fünf Fuß hohe Cactus Chilenis, der sich am meisten auszeichnet und an den steilsten und abschüssigsten Gehägen vortrefflich gedeiht, giebt derselben allerdings ein »südliches« Ansehen, aber die verwünschte Stachelbewaffnung desselben macht oft das Erklimmen jener Gehäge höchst beschwerlich. Neben ihm trifft sich am häufigsten eine Nesselart (Losa acerifolia), Ortiga in der Landessprache, und diese macht, wo sie zahlreicher vorkömmt, jedes Durchdringen unmöglich. Sie erreicht ebenfalls eine Höhe von drei bis vier Fuß und blüht gelb im August und September, aber die geringste Berührung ihrer Blätter bringt heftigen brennenden Schmerz hervor, und die abgebrochenen feinen Stacheln erzeugen auf der Haut Pusteln, welche hart werden und vierzehn Tage bis drei Wochen lang schmerzen.

Weiter entfernt von der Stadt und außerhalb des Bereiches der dichteren Ansiedelung trifft sich in den Schluchten, welche jene Hügel trennen, oft eine prachtvolle Vegetation. Die Sohle jener schmalen Thäler ist fast immer bewässert und nährt so den Pflanzenwuchs, der weiter gegen oben durch Wassermangel und glühende Sonne auf ein Minimum reducirt ist. Schlinggewächse und zierliche Farren, die Quile, ein Rohr von oft beträchtlicher Höhe, vereinzelte Palmen und hundert andere Pflanzen von den verschiedensten Blattformen, bilden dort einen oft phantastischen Baumschlag, und wahrscheinlich war es eines jener Thäler, welches die Spanier bei ihrer Landung an jener Küste zuerst betraten und Val paradiso, Paradiesthal nannten, da ihnen der Gegensatz mit der übrigen großenteils sterilen Küste aufgefallen war.

Erklimmt man die Spitze jener größern Hügel[7], so nimmt allmählig die Landschaft einen andern Charakter an. Es beginnt der Pflanzenwuchs auch gegen die Höhen hin mehrfachere Ausbreitung zu gewinnen und anfänglich kleine, bald aber ausgedehntere Gehölze oder Buschwerke bedecken die Höhen. Die Mimosa cavenia, mit ihrem gleichsam besenförmigen Wuchse und der strahligen Ausbreitung ihrer zahlreichen Aeste, über und über mit Stacheln bedeckt, und dabei mit dem zierlichsten feinen Laube, bildet einen angenehmen Contrast mit den dunklen dickbuschigen Massen des Laurus caustica und zwischen ihnen erhebt sich die Puretia corocata, deren 6 Fuß hoher und mit tausenden von Blüthen bedeckter Blumenstengel würzige Düfte aushaucht, während eine Unzahl drei bis vier Fuß langer Blätter mit spitzen, hakenförmig gebogenen Stacheln den Fuß jener Blumenkrone bewahren[8]. Dort bieten sich reizende Fernsichten dem Auge gegen das Innere des Landes zu, über waldige Schluchten und fruchtbare Ebenen, und wendet man den Blick – auf das unermeßliche Meer, wie sich denn dort wirklich Land und See gegenseitig zur hebenden Folie werden.

Gegen Norden zu und dort, wo die oben beschriebenen »Ausläufe« der Stadt unweit der Almendral sich allmählig verlieren, beginnen pittoreske Felsenparthieen die Ufer der See zu bilden. Fischerhütten und einzelne kleine Landhäuser liegen malerisch zerstreut zwischen jenen steilen Felsenabhängen. Bisweilen ist der Weg an und um dieselben so schmal, daß man kletternd und halb über dem Wasser hängend, sich um irgend eine Ecke winden muß.

In den ersten 10 bis 12 Tagen meines Aufenthaltes hatte ich bereits einige der nöthigsten Worte und Fragen gelernt, um mich im Spanischen verständlich machen zu können. So war ich in jenen Klippen streifend auf ein kleines fast von der See bespültes Plateau gekommen, wo einige Chilenen sich mit Einsammeln von Muscheln beschäftigten, und frug, da mit Ausnahme der Seite an welcher ich gekommen, allenthalben steile Wände waren, wo der »Weg« sei. Die Leute zeigten alle mit der größten Bereitwilligkeit auf eine senkrecht stehende Felsenwand, und blos ihre freundlichen und unbefangenen Mienen bewiesen mir, daß sie mich nicht zum Besten hatten, indem sie mir eine scheinbar unübersteigliche Mauer als »Weg« bezeichneten.

Näher getreten aber und bei genauerer Beobachtung fand ich bald einzelne Vorsprünge und Einbiegungen, so wie Spuren von Fußtritten und indem ich jenesmal zuerst wie auf einer Leiter aufwärts kletterte, überstieg ich auf späteren Excursionen häufig jene Stelle ohne mehr der Hände zum Klimmen zu bedürfen.

Von jenen Felsengruppen aus giebt es einzelne wundervolle Blicke auf die Stadt und den Hafen, welcher mit seinen Schiffen und der Unzahl von Barken, die ihn beleben, den Vordergrund bildet. Ich habe dort, fast allzu schwärmerisch, manche halbe Stunde verträumt, statt pflichtschuldigst Exemplare zu formen von den Graniten, und diverses Gewürme in den Klüften und Spalten des von der See bespülten Gesteins zu fangen.

Folgt man in dieser Richtung hin noch weiter der Küste, so wird das Ufer wieder flacher und blos einzelne Felsgebilde stehen aus dem sandigen mit Muschelfragmenten bedeckten Boden hervor.

Blos ungewöhnlich hohe Springfluthen dringen weiter vor und man kann zu Pferde bequem allenthalben weiter kommen, wenn man die oben auf den Bergen hinziehende Straße, die in's Innere führt, verläßt.

Jene bewaldeten Schluchten, von welchen ich oben gesprochen, münden dort häufig gegen die See hin aus, und es bilden sich nicht selten einzelne Parthieen so zierlichen Baumschlages, eingeschlossen in Felsgruppen, daß man unwillkürlich an künstliche Gartenanlagen denkt.

Mit Ausnahme von Seethieren, die häufig erworben werden können am Fuße jener vorher geschilderten, dicht an See abfallenden Felsen, hat man bisher nur eine geringe Fauna getroffen, und nur hie und da schwimmt dort eine Möve oder es sitzt auf einem Felsenvorsprunge ein gravitätischer Seerabe. Aber hier belebt sich die Gegend. Gegen das Meer hin sitzen oft hunderte der verschiedensten Seevögel auf dem sandigen Ufer, ausgeworfene Muscheln und anderes Gethier suchend und verspeisend.

Am grünen Saume der Berge aber und in den Schluchten schwärmt der Trochilus gigas und sepharoides um Blüthen und Blumen und es werden diese beiden einzigen Colibri des Flachlandes von Chile dort nicht selten getroffen in Gesellschaft größerer, wenn gleich nicht so bunt befiederter Genossen ihres Geschlechts.

Besteigt man die Hügel, zwischen welchen sich jene Schluchten hinziehen, so findet man die Höhe meist bewaldet, doch fehlen auch angebaute Felder nicht, indem sich in günstiger Lage einzelne Ansiedler niedergelassen haben.

Aber es ist Zeit, daß wir zur Stadt zurückkehren und versuchen, deren Leben und Treiben näher kennen zu lernen.

Ich hatte meine Zeit etwa in der Art eingetheilt, daß ich des einen Tages die Umgegend durchstreifte, Mineralien, Gebirgsarten und Pflanzen sammelte und geognostische Durchschnitte zeichnete, oder mit der Flinte auf dem Rücken in den Schluchten kletternd, Vögel schoß, wohl auch am Ufer der See Conchylien und andere Seethiere fing. Des folgenden Tages wurde das Erworbene geordnet. Die erlegten Vögel abgebalgt, die Pflanzen eingelegt und Notizen in's Tagebuch eingezeichnet. Was ich von Thieren lebend erhalten konnte, suchte ich zu beobachten, so lange als möglich, und man mag sich wohl denken, daß es bunt genug in meiner Stube ausgesehen und ich genug Arbeit hatte.

Bald hatte sich ein kleiner Kreis von jungen Deutschen um mich gebildet, welche, meist Kaufleute, dort eine Stelle zu finden hofften, aber vorläufig noch ohne Beschäftigung waren. Sie haben mir getreulich beigestanden und mich vielfach unterstützt in allen meinen Geschäften, indem sie mich theils auf die Jagd begleiteten und thätigen Antheil nahmen an derselben, theils freundlich genug waren, die mineralogischen Hämmer, den Barometer und die Botanisirkapsel zu tragen, wohl auch bei größeren Excursionen den Mundvorrath zu schleppen. Da auch bei der sichtenden Arbeit des folgenden Tages ich häufig mich solcher Beihülfe zu erfreuen hatte, so vermochte ich in kurzer Zeit mannichfache Schätze zu sammeln und wurde bald als der »deutsche Naturforscher« in Valparaiso bekannt, dem noch überdies manche freundliche Gabe geboten wurde von selbst gesammelten Naturalien und allerlei Eigenthümlichem, welches man eben durch Zufall erworben.

Auch von den Passagieren der Reform erhielt ich Besuche, so lange noch das Schiff im Hafen lag, und Beweise von freundlicher Gesinnung gegen mich. Ich hatte in Bremen einen größeren Vorrath von Rauchtabak gekauft, konnte aber der Douane halber denselben nicht gänzlich an's Land schaffen, obgleich ich einen Theil desselben, so wie Cigarren, wohl theils durch Nachsicht der Mauth-Bediensteten eingeschmuggelt hatte.

Arbeitend in meinem Zimmer wurde ich kurz vor der Abreise der Reform überrascht durch den Besuch von zwölf der Passagiere, welche, meine Klause fast gänzlich ausfüllend, von mir knurrend und brummend empfangen wurden, mit ärgerlichen Redensarten von Störungen in der Arbeit, welche selbst in Südamerika eben so fortdauerten wie in Deutschland, und anderen halb scherzhaften halb verdießlichen Worten. Aber ich wurde überrascht und beschämt, als jeder der Besuchenden mir ein Pfund jenes zurückgelassenen Tabaks überreichte. Sie hatten, wohl wissend, wie ungern ich denselben vermißte, ihn einzeln an's Land geschmuggelt und so den letzten Beweis ihrer Freundschaft gegeben.

Lange verbrannt sind jene Blätter, aber noch heute freue ich mich aufrichtig jenes mir bewiesenen Wohlwollens.

Einige Tage darauf segelte die Reform aus dem Hafen ihrem eigentlichen Bestimmungsorte St. Francisko zu, und ich sah mit theilnehmendem Herzen die Männer einem ungewissen Schicksale entgegen gehen, die mir freundlich gesinnt waren und mit welchen ich manche Fährlichkeit bestanden, manches Ungemach ertragen.

Ich habe durch Gerstäcker, der mit ihnen nach Kalifornien reiste, über Einzelne erst in der Neuzeit Nachricht erhalten, das Schicksal der Meisten aber ist mir unbekannt geblieben. Gleich mir blieben in Valparaiso zurück ein junger Kaufmann, Münchmeier, und ein Musiker aus Bremen mit seiner Familie. Ich blieb während meines Aufenthaltes in Chile mit dem Ersteren im freundlichsten Verhältnisse und wir wechseln noch heute Briefe. –

Wie ich dann nach der Abreise der Reform mit den in Valparaiso lebenden Europäern und Deutschen zuerst in nähere Beziehung getreten, will ich ihrer auch zuerst erwähnen, da ich von den Bewohnern der Stadt und von Chile's Bevölkerung im Allgemeinen spreche.

Namentlich für Valparaiso erscheint dies nicht unbillig, da, wenn auch nicht der größere, doch jedenfalls ein bedeutender Theil der Einwohner dort aus Fremden, d. h. aus Europäern besteht.

Ich glaube man kann sagen, daß die Hälfte der dortigen Kaufleute Deutsche sind, während der Rest aus Engländern und Franzosen besteht. Der Deutsche genießt in ganz Südamerika, besonders aber in Chile, die allgemeinste Achtung und dieser Ruf ist wohl begründet und erworben durch Fleiß, Thätigkeit und ein reelles Benehmen, so wie er durch eine gewisse Gentilität erhalten wird. Die dortigen Deutschen unterstützen Aermere und nicht ganz unwürdige Landsleute und suchen allenthalben das Ansehen der Nation aufrecht zu erhalten. Wie sehr die chilenische Regierung die Deutschen bevorzugt, geht schon allein daraus hervor, daß sie keine anderen als deutsche Einwanderer haben will, und solchen die günstigsten Bedingungen stellt.

Eine Partei in Deutschland, die der Mißvergnügten und Superklugen, erschöpft sich in unaufhörlichen Lamentationen über die wenige Achtung, welche der Deutsche im Ausland besitze. Der Grund solcher Wehklagen braucht kaum entwickelt zu werden, es soll vor allem das Mißvergnügen gesteigert werden. Was indessen Nordamerika betrifft, haben diese Leute leider Recht. Aber ich glaube, sie selbst sind so gut wie ich im Innern überzeugt, daß weder unsere Regierungen, noch der Mangel einer Flotte schuld an dieser Mißachtung ist, sondern das arbeitsscheue Gesindel selbst, oder jene Menschen, welche die abenteuerlichsten Ideen dort zu realisiren suchen, und welche zusammen die überwiegende Masse der Einwandernden bilden.

Man würde sich einer groben Unwahrheit schuldig machen, wollte man Aehnliches von Südamerika behaupten, sowohl hinsichtlich des Charakters der Einwanderer, als auch der Achtung, in welcher sie stehen.

Es versteht sich von selbst, daß in Chile ansässige Deutsche nicht jedem Landsmann sogleich den Zutritt in ihre Familie gestatten, ohne denselben vorher genauer zu kennen. Ich war aber dennoch bald herzlich aufgenommen und wurde wie ein alter langjähriger Freund behandelt. So namentlich in Valparaiso von Alto Uhde, in dessen Hause ich fröhliche Stunden verbrachte, und dessen Benehmen gegen mich während meines ganzen Aufenthaltes eine Reihe von Freundschaftsbezeigungen gewesen ist, von J. Freundt, dessen Empfehlungsbrief nach Santjago mir mehr geholfen als sämmtliche von Europa mitgebrachten Briefe, und von andern dortigen Deutschen. Auch mit einem deutschen Arzte, Dr. Ried, bin ich bekannt geworden und in freundschaftliche Berührung gekommen. Neben der herzlichsten Aufnahme in seinem Hause verdanke ich ihm manche schätzbare Notiz über Chile und die interessantesten Mittheilungen aus seinem vielbewegten Leben.

Die Engländer sind nach den Deutschen die beliebtesten; dann kommen die Franzosen. Ich bin in Chile mit den stolzen Söhnen Albions wenig in Berührung gekommen, da ich mich nicht berufen fühlte, alle die Ceremonien zu überstehen, welche verlangt werden, um Zutritt zu erhalten; aber mit den leichtsinnigen Franzosen habe ich mich gut vertragen, und sie dort so liebenswürdig gefunden, wie allenthalben auf der Erde.

Die Eingeborenen von Chile, d. h. die Abkömmlinge der Spanier mögen keck als ein gutes, ja liebenswürdiges Volk bezeichnet werden. Es fehlen nicht die Sünden und Mängel des südlichen Blutes, aber sie werden aufgewogen durch die Tugenden, die es bedingt.

Beide fehlen nicht bei den höheren Ständen, aber, theils abgeschliffen, theils verdeckt durch die Kultur, treten sie hier weniger hervor als beim Volke. Ich habe manchfach den Vorwurf aussprechen hören, als seien die Chilenen eigennützig, aber ich glaube, daß sie dieser Vorwurf nicht mehr und weniger trifft als jeden andern Menschen, wenigstens habe ich nie Gelegenheit gehabt, das Gegentheil zu erfahren. Aber ich habe sie bescheiden gefunden, und, so viel Untugenden stets verknüpft sind mit habsüchtiger unverschämter Zudringlichkeit, so kann auf der andern Seite der bescheidene Mann schon von vorne herein mit günstigem Auge betrachtet werden. Durch kleine, scheinbar unbedeutende Züge aber gibt sich oft Solches zu erkennen.

Oft bin ich, allein in den Bergen umherschweifend, Jägern begegnet, welche mich um Pulver oder Schrote ansprachen. Aber nie hat einer derselben, war mein Vorrath nur noch klein, die Gabe angenommen. Da ich neben dem größeren, in der Tasche befindlichen Pulverhorne ein kleines führte, und meist aus diesem das Gewünschte geben wollte, habe ich oft und mit Vergnügen dies beobachtet. Derselbe Fall war mit Tabak zu den dort vorzugsweise im Gebrauche stehenden kleinen Papier-Cigarren.

Ich bin einmal in jenen oben geschilderten Felsen an der See unweit Valparaiso umhergeklettert, und traf auf mehrere Fischer, welche zwar mit Tabak versehen waren, aber kein Papier zur Fertigung der Cigarren hatten. Sie sprachen mich an, und ich wollte ihnen ein weißes Blatt aus meiner Schreibtafel geben. Da drängte sich der ganze Haufe mit fast mich anfangs überraschender Heftigkeit um mich, um das zu verhindern: es sei schade um das schöne Buch, sie würden eher den Tabak in die See werfen. Und das waren sonnenverbrannte, wilde, halb nackte Menschen, die diesen Takt entwickelten, den ihnen kein Hofmeister und keine Gouvernante andressirt hatte. Dort sprang ich zurück, riß rasch eine Handvoll weißer Blätter aus dem Buche und warf sie in die Luft. Nun freilich wurden sie aufgehascht und selbst die in See gefallenen geholt. So war ich denn nach mancher Verständigen Urtheil ein eben so großer Narr als jene, die eine gebotene Gabe aus Bescheidenheit ausschlugen, während ich sie ihnen aufdrang.

Es liegt im chilenischen Volke ein Zug von poetischer Auffassung wirklicher Naturschönheiten, der schon an und für sich auf ein feines Gefühl hinweist. Als ich mich später einige Wochen auf der Cordillera aufhielt und zwei chilenische Knechte mit dorthin genommen hatte, wurde mir manche Gelegenheit, dies zu beobachten. Beide waren so wenig als ich jemals in der Cordillera, und ich staunte, welchen Eindruck eine glänzende Fernsicht auf sie hervorbrachte, oder eine wilde und großartig durch einander geworfene Felsenmasse, die uns plötzlich vor Augen kam. Sie sprangen in solchen Fällen jauchzend in die Höhe, oder tummelten verwegen ihre Pferde auf den Klippen, indem sie riefen: Nicht wahr, unsere Cordillera ist schön! Oder haben andere Länder auch eine solche Cordillera!

Ich bin vor Jahren einmal in Begleitung eines deutschen Knechtes fußreisend in eine der schönsten Felsenpartien der fränkischen Schweiz getreten. Nun, Claus, rief ich, was sagst Du dazu? »Ich bin froh, daß alle diese Steine nicht zu Hausse bei uns sind, da könnte der Teufel Frucht bauen.« war Clausen's prosaische Antwort.

Ein Nordamerikaner hätte ohne Zweifel überlegt, ob jene Steine etwa zu einer großartigen Kalkbrennerei tauglich, und ein Schweizer hätte das Heimweh bekommen – nach einer rentablen Gebirgs-Herberge der Heimat. Ländlich, sittlich!

Doch noch einen chilenischen Zug. In einem jener wilden grotesken Thäler der Cordillera, die plötzlich durch einen schwarzen, in die Wolken reichenden Kegelberg mauerartig geschlossen erscheinen, hielt ich einst mit Carlos, dem jüngeren der Knechte, an. Eingedenk der deutschen Volksromantik der Teufelsmauern, Teufelsbrücken u. s. w., rief ich aus. »Das ist das Haus des Teufels!« Aber Carlos erwiederte. »Nein, Herr! Das ist das Haus Gottes«!

Liegt hierin nicht eine tiefere, eine kindlichere und feinere Poesie als in zehn Druckbogen rosenfarbener Verse?

Trotzdem giebt Euch der chilenische Wechsler in den Städten fast immer einen oder den andern nicht gültigen Realen, und der Handwerksmann, der Euch den Fremden ansieht, verlangt unmäßige Preise, tout comme chez nous; aber dafür beginnt dort in den Städten die Industrie zu blühen, Bildung und Intelligenz entwickeln sich kräftig, und jene Prellereien werden als »Geschäft« behandelt.

Es mag durch Lebensweise und Gebräuche, so wie durch das Aeußere übrigens vielleicht am besten der Charakter des Menschen entwickelt werden.

Die Chilenen beiderlei Geschlechts sind eher unter als über der Mittelgröße, mit auffallend kleiner Hand und zierlichem Fuße. Die Augen kohlenähnlich, die Haare von so glänzender Schwärze, daß sich kaum in Deutschland ein gleiches finden wird. Anlage zur Dickleibigkeit fehlt nicht gänzlich, schien mir indessen bei Frauen seltener als bei uns. Auch Kahlköpfigkeit habe ich selten getroffen. Das Ergrauen der Haare aber kommt häufiger vor und scheint wohl wie allenthalben individuell zu sein. Rasch erblühend und reifend, altert das Weib auch verhältnißmäßig schneller; eine gewisse Regelmäßigkeit der Züge aber, bei vielen Individuen, bewahrt auch dann noch die Spur jugendlicher Schönheit. Vielleicht ist dies bei der rein erhaltenen spanischen Race mehr der Fall als bei Familien, welche früher mit dem indianischen Blute sich vermischt haben. Doch ist dies blos Vermuthung und etwas Gewisses läßt sich jetzt kaum mehr hierüber entwickeln. Die Bewegungen der Frauen sind graciös und zierlich. Gleich in den ersten Tagen unserer Ankunft wurden unsere Passagiere der Reform und ich in das Haus eines Kaufmanns geladen und gebeten, auch für die Folge an den wöchentlich einmal stattfindenden Abendunterhaltungen Theil zu nehmen. Kaum noch eines Worts Spanisch mächtig, war ich dort in bedeutender Bedrängniß, aber ich war erstaunt über sie Artigkeit, mit der man mir zu Hülfe zu kommen sich bemühte, und zugleich über die Schnelligkeit, mit welcher man eine fremde Sprache auf solche Weise erlernt. Dort habe ich die Lieblichkeit bewundert, mit welcher die Frauen alle europäischen Tänze ausführten, und vorzüglich die Leichtigkeit, mit welcher sie sich im deutschen Walzer bewegten. Im Schweiße meines Angesichts habe ich manche halbe Nacht dort auf den Fußspitzen zugebracht, rastlos tanzend mit allen Damen, und – kreuzlahm des andern Morgens.

Ein solcher Salon ist meist mit einigen Nipptischen geziert, welche Seltenheiten enthalten und Luxusgegenstände aus Europa, aber selten fehlen auch die reichen silbernen Geräthe, die noch von dem Silberüberflusse früherer Zeit ein Zeugniß geben. Ist der Hausherr zufällig Minenbesitzer, sind meist auch pracht- und werthvolle Stufen aus den Bergwerken zur Schau gestellt, nach welchen ich oft begehrliche Blicke geworfen.

Wachslichter auf großen silbernen Leuchtern brennend, erhellen das Gemach, dessen Thüren und Fenster geöffnet sind und meist den Blick in den Garten gestatten, der selbst zu jener ersten Zeit meines Dortseins, zur Winterzeit, reichlich mit Blumen geschmückt ist. Trotzdem hat die Hausfrau auf dem Sopha im Kreise der geachtetsten älteren Damen meist den Brasero, das Kohlenbecken, vor sich, an dessen Gluth sich bisweilen die Damen die Finger wärmen, obgleich im Salon dieß wohl kaum nöthig. Der Hausherr sitzt in einer Ecke sich auf einem Lehnstuhl wiegend, und auf Bänken rings an den Wänden haben die übrigen Gäste Platz genommen. Nie fehlt der Flügel, und nach kurzer Zeit der Unterhaltung musicirt oder tanzt man. In den Pausen wird chinesischer Thee gereicht, aber stets auch Paraguay-Thee nach der Sitte des Landes, dann Eis, feine Liköre und Backwerk. Die Cigarre ist dem Cavalleros unvermeidlich. Vor dem Ende einer solchen Abendunterhaltung, mehr eigentlich einer nächtlichen, denn man versammelt sich gegen 9 Uhr und geht um eins oder zwei des Nachts auseinander, werden stets alle Heimkehrenden mit Blumen beschenkt, wie denn auch schon während des Abends bisweilen die Damen irgend einem der Männer Blumen oder Zuckerwerk senden, oder selbst bringen.

Aber diese süße duftende Sitte mag den Eitlen nicht glauben lassen, daß er besonders bevorzugt sei. Sie ist blos durch Artigkeit bedingt und spricht keine specielle Auszeichnung aus. Männern, mit denen die Damen nur halbweg bekannt sind, werden Blumen in's Haus geschickt, und es wird sehr freundlich angenommen, macht man ein analoges Gegengeschenk. Ich war kaum drei Wochen in Valparaiso, so war ich stets mit so vielen Blumen versehen, daß ich füglich eine Ziege hätte ernähren können. Jenen prosaischen Gebrauch habe ich nun freilich nicht von den zarten Kindern der Flora gemacht, aber ich habe Galanterie und Oekonomie vereinend, jene Blumensträuße umgebunden, so unkenntlich gemacht und mit beschnittenen Stielen zu Gegengeschenken verwendet.

Nun ich des heiteren Lebens der höheren Stände gedacht, will ich der Freuden des Volks erwähnen. Handel und Wandel, Handwerk und Arbeit mag später seine Licht- und Schattenseiten zeigen.

Das Befreiungsfest in Chile giebt hiezu eine passende Gelegenheit. Es beginnt am 18. September und ist der Jahrestag, an welchem sich Chile für unabhängig von der spanischen Herrschaft erklärt hat.

Mit dem frühesten Morgen erweckte der Donner sämmtlicher Kanonen von allen Forts des Hafens die Bevölkerung der Stadt. Die im Hafen liegenden fremden Schiffe, zu jener Zeit sicher 70 bis 80 größere Fahrzeuge, hatten alle Flaggen aufgezogen, wobei natürlich die chilenische[9] nicht fehlte und meist an der Spitze prunkte. Eben so waren alle Häuser der Stadt mit Fahnen geschmückt, wohl auch am meisten die chilenische vorherrschend, doch flatterten die Farben aller Nationen dazwischen, denn jedes Banner darf entfaltet werden, mit Ausnahme des spanischen. Dann Glockengeläute, festlicher Gottesdienst und Parade.

Das eigentliche Fest des Volks begann aber erst jetzt und wurde mit einem Wettrennen der Boote im Hafen begonnen. Eine ziemlich weite Strecke wird mit fabelhafter Schnelle durchrudert, und die Rudernden sollen oft so angegriffen sein, daß sie ärztliche Behandlung bedürfen. Den Weltkampf dürfen auch die Matrosen fremder Schiffe mitmachen, ich glaube aber an jenem Tage bestanden die Kämpfenden bloß aus Chilenen; der erste Preis besteht aus zwei Unzen Gold.

Des Abends und die Nacht hindurch wurde beleuchtet, indessen ohne Zwang. Ich sah Laternen und farbige Gläser in welchen Lampen brannten, meist wieder die Landesfarben und hie und da ein Transparent. Sehr glanzreich war das Ganze eben nicht. Am Theater waren zwischen Transparenten zwei Inschriften angebracht:

[10] La independencia nos hara fuertes y la libertad grandes,

und

Valparais recuerda con gratituda a los Patriotos de 1810.

Später war gegen Entrée von einem Peso großer Maskenball im Theatergebäude, welcher indessen von sämmtlichen Damen besucht wurde, die der Gattung Phalaena nocturna angehörten. Ich kann nicht sagen, ob er glänzend gewesen, denn ich habe ihn nicht besucht, aber die Masken, welche ich auf der Straße gesehen habe, schienen mir in's Chilenische übersetzte Tyrolerinnen, Gärtnermädchen, Türken und Ritter unsers Faschings zu sein. Das Fest dauerte 8 Tage, und erst an diesen sprang die Eigenthümlichkeit des Volks und seiner Belustigungen in die Augen, während am ersten und Haupttage europäische Formen vorherrschten.

Auf einem der großen Plateaus, unweit des Leuchtthurms, waren Zelte und Buden aufschlagen und dort trinkt, ißt und tanzt man. Aber man sitzt nicht friedlich Stunden lang an einem und demselben Orte, mit Andacht genießend, was der liebe Gott bescheert hat, sondern man ras't und tobt von einer Bude zur andern, ein Glas hinunter stürzend, und wieder weiter eilend, und das häufig zu Pferde; Mann, Weib und Kind wie toll unter einander umher jagend, über Gräben setzend, und wo es halbweg der Raum erlaubt, nicht das Terrain, denn das ist gleichgültig, wettrennend.

Der fast einzige Tanz, den ich dort habe tanzen sehen, ist die Zambacueca, welche man den chilenischen Fandango nennen kann. Sie gehört dem Volke an, und ich habe gefunden, oder glaube gefunden zu haben, daß man in den höheren Ständen sie vor Fremden nicht gerne tanzt, da man sie nicht für europäisch mithin für »gebildet« genug hält. Ein einziges Paar führt den Tanz aus, welcher aus einer Menge zierlicher und mehr oder weniger leidenschaftlicher Bewegungen besteht. Lockend beginnt der Mann. Das Weib zieht sich fliehend zurück, der Mann folgt, scheint endlich zu verzichten und wendet sich; nun nähert sich die Spröde halb entschuldigend, halb aufmunternd, um später wieder das frühere Spiel zu beginnen. Die Bewegungen sind graciös, nicht heftig, und beide Theile haben ein Taschentuch, auf dessen zierliche Handhabung bald Lockung und Einladung, bald Schutz und Abwehr bedeutend, viel ankömmt. Selten begleitet mehr als eine Guitarre den Tanz, aber die im Kreise sitzenden Frauen begleiten ihn mit Gesang, der unerläßlich ist. Eine einfache, fast klagende Liebesweise mit unzähligen Versen, die wohl häufig aus dem Stegreife gesungen werden, z. B.

Himmel! wo ist meine Geliebte?
Himmel! wo ist mein Stern?
Ach er entschwand meinem Blicke,
Doch nimmer aus meinem Herzen.

Oder:

Grausame Du hast mich geblendet!
Für immer der Augen beraubt,
Denn Dunkel ist wo Du fehlest,
Wo Du bist, zu glänzendes Licht.

Dieß sind wörtliche und absichtlich nicht in Reim gezwängte Uebersetzungen. Meist habe ich ältere Frauen die Zambacueca mit Gesang begleiten hören, und bitter-süße Erinnerungen mögen manche Strophen begleitet haben. Fast immer sind die Tänzer gewandt und es ist ein Genuß dem Tanze zuzusehen, doch habe ich ihn auch von Eingebornen so plump und täppisch ausgeführt gesehen, daß mir graute, während Europäer, die Pas einflechten wollten, in affenartige Sprünge verfielen.

Die wilde tolle Lustigkeit auf solchen Plätzen, durch Tanz und Wein auf's höchste angeregt, macht sich bei der Heimkehr durch das verwegenste Reiten Luft. Es ist in Valparaiso verboten im Galopp durch die Straßen zu reiten oder zu fahren, und nur die berittenen Polizeidiener und die Aerzte dürfen dieß thun. Streng wird hierin die Ordnung gehandhabt und häufig sah ich Uebertreter von den Vigilanten eingeholt und zur Strafe (ein Peso!) gebracht. In jenen Tagen aber ras't alles in wüthender Carrière durch die Stadt. Männer und Frauen, oft 6- oder 7jährige Kinder hinter sich, und in Haufen zu zwanzig bis dreißig Personen, sprengen so durch die Straßen, da von dem Feste heimkehrend, alles durch die Stadt passiren muß.

Häufig umschlingen Liebende, wer weiß vielleicht auch Eheleute, sich mit den Armen während des rasendsten Laufes der Pferde, und es werden Kunststücke ausgeführt, welche jedem Kunstreiter zur Ehre gereichen würden. Es ist ein beliebtes Spiel der Chilenen, sich reitend dicht an einander zu drängen und zu versuchen, ob einer den andern vom Pferde zu bringen vermag. Die Thiere, meist hieran gewöhnt, unterstützen ihren Reiter, indem sie sich, im Sinne seiner Bewegung, gegen das andere Pferd neigen, so daß beide Reiter einen spitzen Winkel bilden. An einer stark abschüssigen Stelle des vom Feste abführenden Weges, habe ich dort gesehen, wie galoppirend zwei Männer dieses Spiel übten, und der eine bereits hart bedrängt, fast zu unterliegen schien, als ein schönes junges Weib, seine Freundin oder Frau, ihm zu Hilfe eilte, mit einem gewaltigen Satze ihres Pferdes an seine Seite kam, und stets nebenher sprengend durch ihr Gewicht den Freund in's Gleichgewicht brachte, so daß bald der Gegner abstehen mußte.

So macht sich Lust und Jubel im übermüthigsten Reiten Luft, aber die Gewandtheit der Reitenden und die Güte und Sicherheit der Pferde macht die Sache weniger gefährlich, als sie dem unkundigen Zuschauer erscheint. –

Was die Gesammt-Lebensweise betrifft, so spreche ich absichtlich erst hievon, nachdem ich solche einzelne Bilder gegeben. Mir schien, als haben die in Valparaiso wohnenden Fremden einen Theil der Sitten des Landes angenommen. Man steht ziemlich spät auf, hingegen wird mehr als die halbe Nacht wachend zugebracht. Man macht Besuche des Nachts um zehn, um eilf Uhr. Da der Gang des ganzen öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens hienach eingerichtet ist, muß sich jeder nach demselben richten, selbst wenn es ihm anfänglich unbequem fallen sollte. Des Morgens um 9 Uhr wird ein Frühstück nach englischer Weise genommen, Thee, Kaffee, Eier, Schinken, Fische u. s. w. Des Abends um 5 oder 6 Uhr die Mittagsmahlzeit. In den Häusern der Fremden ist natürlich mehr oder weniger die Kochkunst ihres Landes repräsentirt, der Norddeutsche genießt mit Anstand seine süße Fruchtsuppe, von welcher sich der Süddeutsche und Franzose schaudernd abwendet. Wie in den meisten wärmern Ländern spielt der Pfeffer[11] in der chilenischen Küche eine bedeutende Rolle und ist beliebt bei arm und reich. Man gewöhnt sich rasch an denselben, obgleich im Anfange die den Speisen zugesetzte Menge dieses Gewürzes fast bedrohlich erscheint.

Die vorzüglichste Nahrung des Volkes, das heißt wie es scheint die beliebteste, sind die Erbsen, Garbanzos genannt. Sie werden mit wenig Fett in größerer Menge geschmort, anfänglich warm, und dann später meist kalt, hie und da aber auch einige Mal wieder aufgewärmt gegessen.

Man hat mancherlei Ideen von der besonderen Nahrhaftigkeit dieser Erbsen gehabt und ich bin mehrfach nach meiner Zurückkunft aufgefordert worden, Aufschlüsse über dieselben zu geben. Sie unterscheiden sich indessen in Nichts von den unsrigen. Ich habe solche Erbsen nicht selten an Ort und Stelle selbst gegessen und habe auch eine Quantität derselben mit nach Europa gebracht und sie untersucht. Aber in wärmern Ländern ist die Masse der Fleischnahrung nicht nöthig, welche in kälteren Gegenden unter höheren Breitegraden zum Bedürfniß wird. Liebig's hierüber aufgestellte Sätze sind allgemein bekannt, ich brauche sie nicht zu wiederholen. Sie haben sich auch hier bestätigt, wie vieles, was dieser Gelehrte ausgesprochen, und was man angegriffen hat.

Ein Engländer, Besitzer eines Landguts unweit Valparaiso, erklärte seinen chilenischen Arbeitern, sie vermöchten unmöglich bei jener schlechten Kost die gewünschten Dienste zu leisten, und ließ ihnen kräftige Fleischnahrung reichen, aber sämmtliche Chilenen erklärten nach einigen Tagen, daß die Fleischkost ihnen nicht behage, und daß, sollten sie arbeiten, ihnen wieder die Erbsen gereicht werden müßten.

Instinktartig greift hier der Mensch nach dem Tauglichsten. Die Macht der Gewohnheit läßt freilich den Fremden in jedem Lande längere oder kürzere Zeit seine alte Lebensweise beibehalten, nicht selten wohl zu seinem Nachtheile; übergesiedelt aber, befolgt die zweite Generation die Gesetze der Natur.

Es ist indessen in Chile Fleischnahrung nicht ausgeschlossen, man führt auf Reisen den Charque, das getrocknete Ochsenfleisch mit sich, und auch der Ausländer gewöhnt sich leicht an dasselbe, obgleich dessen Genuß anfänglich einigermaßen an Talglichter erinnert.

Das frische Rindfleisch ist sehr schmackhaft, und es hat die Eigenthümlichkeit sogleich von frisch getödteten Thieren genossen werden zu können. Ich habe Ochsen mit dem Lasso fangen, tödten und zerstücken sehen. Aber während die noch von thierischer Wärme rauchenden Stücke an den Wänden der Hütten hingen, siedete schon eine andere Portion desselben Fleisches im Topfe und wurde nach kaum anderthalb Stunden von uns als vollkommen wohlschmeckend befunden. Trefflich ist die Hühnersuppe, die Casuela, welche ungewöhnlich rasch bereitet, dem im Lande Reisenden häufig eine sehr willkommene Speise abgibt.

Unweit der See wird fast alles gegessen, was man fangen kann, oder was durch die Fluth an's Land geworfen wird. Krabben, Seespinnen, Krebse aller Art, Echiniten und fast alles was das Aussehen einer Muschel hat. Vielerlei hievon wird in der Stadt zum Verkaufe ausgeboten, und ich habe dort einen neuen Schmarozerkrebs aufgefunden und mit nach Deutschland gebracht, welcher fast in jedem Exemplare der Seeigel getroffen wird, die dort verkauft und sammt jenem Eindringling gespeist werden.

Arme Leute, welche nicht weit entfernt vom Ufer des Meeres wohnen, gehen zur Zeit der Ebbe dorthin, lesen die von der See ausgeworfenen Thiere auf und essen sie roh oder auch gekocht, wenn eben ihre Bequemlichkeit erlaubte, einen Topf und Feuerung mitzunehmen. Da ich bisweilen in Gesellschaft solcher Leute die Küste besuchte und Mahlzeit mit ihnen hielt, wohl auch ein paar Vögel, die ich geschossen, zum Besten gab, so habe ich ohne Zweifel mehrere zoologische Seltenheiten verzehrt, ohne sie im Drange der Zeit gehörig zu würdigen.

Diese meine Gastfreunde führen im Uebrigen ein sehr freies, sehr faules und, wenn man will, ein sehr glückliches Leben, und unterscheiden sich wesentlich von dem Chilenen der Stadt, welcher Handel treibt und ein Gewerbe ausübt, oder vom eigentlichen Landmanne.

Eine kleine, fast nothdürftig zusammengebaute Hütte, die allernothwendigsten Kleidungsstücke und analoger Hausrath ist ihr Besitz! Um zur Ergänzung des mit der Zeit Fehlenden einige Realen zu gewinnen, bringen sie einmal einige Fische oder Krebse zur Stadt, oder arbeiten auch, etwa im Hafen Last tragend, einen Tag. So wird das Nöthigste erworben, Tabak und Erbsen gekauft, und im Schatten der Hütte liegend geraucht, geschmaußt oder geschlafen, bis entweder die See neue Speise an's Land bringt, oder nach einiger Zeit der Erwerb im Hafen wieder hervorgesucht wird.

Die für die Fremden bestimmten Gasthöfe sind in Valparaiso gut, wenn gleich nach unseren Begriffen eben nicht sehr billig. Es ist dort ein amerikanisches Hotel und ein französisches, deren Namen ich vergessen habe, und außerdem mehre andere Gasthäuser, fast alle aber von Ausländern gehalten. Man zahlt für den Mittagstisch einen Peso, eine Flasche Wein, Bordeaux (weißer Wein mit Ausnahme von Champagner wird kaum getroffen), Bier[12] ebenso einen Peso, chilenisches Bier 2 bis 3 Realen. Champagner 2 Peso. Eine Portion Kaffee 2 Realen, derselbe mit Brod 3 Realen, Beefsteaks 2, 3, mit Ei auch 4 Realen. Für die ganze Verpflegung mit Einschluß der Wohnung, aber ohne geistiges Getränke, nur 2 Peso des Tages. Man ist hierbei gut gehalten und für den, welcher des Abends nach der um 5 Uhr gehaltenen Mahlzeit noch etwas zu genießen wünscht, stehen im Gastzimmer die Reste des Bratens oder ähnliche Speisen zu beliebiger Disposition. Trinkgelder werden nicht gegeben, und auch nicht auf Rechnung gesetzt. Außer diesen Gasthöfen existiren noch eine ziemliche Menge kleiner Schenken verschiedenen Ranges, in welchen man speisen kann und Fremde, welche sich nur kurze Zeit dort aufhalten, oder nicht Zutritt in Familien haben, bringen manchen Abend in einer der beiden Conditoreien zu, wo zugleich Kaffee, Bier, Wein und alle verschiedenen andern Getränke geschenkt werden.

Das Volk in ganz Chile ist mäßig in Speise und Trank, und geistige Getränke werden nicht, wie fast allgemein bei uns, täglich genossen, sondern blos bei besonderen Gelegenheiten und selbst dann nicht mit jener Virtuosität wie in gewissen andern Ländern. Es ist vorzugsweise der einjährige rothe Wein, welcher vom Volke getrunken wird und den man Choqali nennt. Er wird am häufigsten in Conception gebaut, indessen auch weiter gegen Süden zu. Man keltert, läßt über den Hülsen gähren und füllt ihn dann in große, oft mannshohe Töpfe oder in Schläuche. Die Chincha, ein gegohrner Apfelwein wird, wie mir scheint, mehr im Süden, in der Provinz Valdivia bereitet und auch genossen, doch wurde mir auch in Valparaiso ein gutes derartiges Getränke vorgesetzt.

Der Markt ist, namentlich was Gemüse und Früchte betrifft, sowohl in Valparaiso und Santjago, als auch in Valdivia und näher dem Süden zu, gut bestellt. Man findet dort alle Gemüse, welche im südlichen Deutschland gezogen werden, und alle gut. Derselbe Fall ist es mit Früchten, bei welchen ich aber die Pfirsiche ausnehme, denn diese wohlschmeckendste der Früchte, welche die Ananas und Orange an Aroma übertrifft, ist dort schlecht, und wird von der in deutschen Gärten gezogenen weit übertroffen. Dafür treten die Erdbeeren, Frutillos, in einer so enormen Größe auf, daß ich die ersten, welche ich sah, für eine fremde, unbekannte Frucht hielt. Die Sandilla, die Wassermelone, ist eine häufige beliebte Speise der ärmeren Chilenen, man erhält vier Stücke derselben von einem Schuh Länge für einen Medio und ihr Genuß ist unschädlich, wird er nicht übertrieben; man hält ihn für ein gutes Mittel gegen Syphilis, und vielleicht nicht ganz mit Unrecht. Es ist die Bemerkung vielleicht nicht uninteressant, daß diese Melonen sich auf der See sehr lange Zeit halten. Ich habe deren am Bord verwahrt von Chile bis nach Peru und von da, um Kap Horn bis fast an den Aequator, mithin fast fünf Monate lang. Alle haben sich nicht gehalten, und auch diese hatten natürlich nicht mehr das frühere Aroma, allein es war doch immer eine frische, dem Seefahrer willkommene Frucht.

Außerdem besitzt man Granaten, Citronen, Mandeln, Kastanien, Oliven, Orangen, die Cheremoya und andere Früchte, aber an Wildpret, mit Ausnahme der Wildenten, ist der Markt schlecht bestellt, und an vierfüßigem Wilde ist vollkommener Mangel, wenigstens in Valparaiso. Der Waizen ist die Körnerfrucht, welche am häufigsten gebaut und selbst nicht unbedeutend ausgeführt wird, dann Mais und Gerste. Hafer und Roggen wurde blos in Valdivia bis jetzt vorzugsweise von Deutschen gebaut.

Da ich später auf die Verhältnisse der Agrikultur zurückkomme, will ich jetzt nicht weiter von derselben sprechen, aber noch kurz des Maaßes erwähnen, nach welchem diese Früchte, bedarf man größere Mengen, verkauft werden. Man kauft dann nach der Fanega, so daß man von Allem was gewogen wird zu sagen pflegt, die Fanega kostet drei, sechs, zehn Peso, oder eben einen bestimmten Preis; aber man würde sich sehr irren, wenn man glauben würde, nach gleichem Gewichte gekauft zu haben. Die Fanega fast jeder Frucht hat verschiedenes Gewicht. Ich lasse hier des Beispiels halber einige Proben folgen:

Aji, Knoblauch, wiegt die Fanega 35 span. Pfd.
Alpiste, Kanariensaamen " 175 " "
Anis " 112 " "
Azafran, Safran " 15 " "
Cal de concha, gebrannter Kalk aus Muscheln " 175 " "
Cal de piedra, gebr. Kalk aus Steinen " 175 " "
Cebada, Gerste " 155 " "
Cocos, Kokosnüsse " 140 " "
Camino, Kümmel " 72 " "
Frangollo, gekochtes Getreide " 160 " "
Garbanzos, Erbsen " 200 " "
Guindas secas, getrocknete Kirschen " 150 " "
Harina, Mehl " 200 " "
     "     "     andere Sorten " 160 " "
     "     "     andere Sorten " 150 " "
Higos, Feigen " 170 " "
Lentejas, Linsen " 200 " "
Mais, Mais " 160 " "
Nueces, Nüsse " 96 " "
Hrigo, Waizen " 160 " "
     "     "     andere Sorten " 155 " "

Wie namentlich in den höheren Ständen europäische Sitte durchweg in Chile tiefere Wurzel schlägt, so ist dies auch mit der Kleidung der Fall. Man trägt sich, in den Städten wenigstens, allgemein nach europäischer Mode und sucht ängstlich das Neueste zu erhalten.

Meist werden bereits fertige Kleidungsstücke von Europa aus importirt, welche indessen wo möglich alle aus Paris sein müssen. Wie manches ehrliche deutsche Beinkleid als pariser Fabrikat mit unterläuft, will ich nicht entscheiden. Ich war in diesem Bezuge übel daran. Gut ausgerüstet mit Reise-, Reit- und Jagdkostüm, war ich nur spärlich versehen mit dem, was die Mode erheischte, und indem dort, wenigstens sicher nicht minder als anderwärts, Kleider Leute machen, war ich gezwungen, zu theuren Preisen mir jene Dinge zu kaufen. Liebig sagt: Der jährliche Verbrauch der Seife sei der Maßstab für den Kulturzustand eines Volks. Ich möchte aussprechen, daß die Grenzsteine dieser Kultur durch den schwarzen Hut repräsentirt sind. Wo der ist, folgt der Frack bald nach, und das Bischen andere Bildung kommt dann schon später.

Ich war alsbald in Valparaiso gezwungen, mir einen solchen Repräsentanten für eine halbe Unze Gold zu kaufen, und zu analogen Preisen ähnliche Dinge, die ich in Europa, theuer gerechnet, für den vierten Theil des Preises bekommen haben würde.

Es versteht sich von selbst, daß die Damen noch erpichter auf die neuesten europäischen Moden versessen sind als die Männer, indessen finden sich doch in Valparaiso, wie in ganz Chile, noch zwei Luxus-Gegenstände, welche, wenn auch nicht chilenisch, doch wenigstens nicht aus Europa gebracht werden.

Es ist das schwere und reich mit Handstickerei versehene große Umschlagtuch aus China für die Damen, der Strohhut aus Panama für die Männer.

Ich habe den chinesischen Shawl in Santjago häufiger getroffen als in Valparaiso, woselbst er durch die sogenannte französische Mode auch schon theilweise verdrängt erscheint. Der Panama-Hut aber ist mit Ausnahme der Wintermonate noch allgemeiner im Gebrauch und für die feineren Sorten wird ein Preis bezahlt, der uns in Deutschland fabelhaft erscheint. Es kostet die geringste Sorte etwa vier Thaler, ein halbweg anständiger Hut aber zwölf, zwanzig, dreißig und vierzig Thaler und es giebt welche, die mit zwölf Unzen, also fast mit 500 Gulden bezahlt werden. Diese sind freilich selten, allein jene für zwanzig bis dreißig Thaler sind häufig im Gebrauche. Der Hut ist ganz ähnlich unseren Strohhüten, niedrig und mit breiter, doch nicht allzugroßer Krempe, das Gewebe natürlich dem Preise nach stets feiner und bei den besseren Sorten feiner Leinwand ähnlich. Da sie ohne allen Schaden gewaschen werden können, und die Form derselben durch die Mode nie verändert wird, kann derselbe Hut viele Jahre getragen werden und es wird hiedurch der hohe Preis etwas modificirt.

Mit Vergnügen berichte ich, daß eine unserer Modethorheiten, Handschuhe im Sommer zu tragen, in Chile kaum bis jetzt Eingang gefunden hat.

Eine beim Volke noch ganz allgemeine Tracht ist der Poncho, eine eigends hiezu gewebte Decke, mit einer Oeffnung in der Mitte, durch welche der Kopf gesteckt wird, während die beiden Seiten des Poncho über Brust und Rücken fallen und zugleich die Arme theilweise bedecken. Die reichen Hacienda- (Landgut) Besitzer und alle Städter, welche Reisen oder Partien im Lande machen, tragen dieses Kleidungsstück, welches von einigen Peso an ebenfalls bis auf mehrere Unzen je nach Feinheit des Gewebes im Preise steht.

Ich glaube, daß der Poncho von den Indianern auf die spanische Bevölkerung der Westküste übergegangen ist, denn bei den jetzt in Chile lebenden freien Indianern, den Araukanern, ist er ganz allgemein in Gebrauch und eben so wird er auf mehreren der Südseeinseln[13] getragen. Daß spanische Maulthiertreiber in Spanien selbst ebenfalls wollene Decken auf ähnliche Weise tragen, beweist wenig, auch unsere Fuhrleute bedienen sich bisweilen einer solchen Tracht.

Der größte Luxus wird in Chile mit dem Reitzeuge getrieben, und obgleich in Städten der englische Sattel ebenfalls, doch meist aber nur bei den Fremden in Gebrauch ist, bedient man sich bei größeren Touren doch fast allgemein des chilenischen Sattels, welcher, ist man gezwungen, im Freien oder in irgend einer Hütte zu übernachten, zugleich als Bett dient. Es besteht derselbe aus fünf oder sechs übereinander auf das Pferd gelegten Schaffellen, welche festgegürtet werden. Hierauf folgt ein hölzernes Gerüste als eigentlicher Sattel, und dem ungarischen Bocke ähnlich, dann kömmt manchmal die gleiche Anzahl der unten liegenden Decken, und über das ganze thurmartige Gebäude liegt zuletzt der sogenannte Pellon, ein gefärbtes feineres Schaffell. Man sitzt nicht so warm als man glauben sollte auf allen diesen Fellen, aber jedenfalls unendlich fest und bequem, und es haben alle Nationen, welche vorzüglich gut reiten, z. B. die Ungarn, Türken, ähnliche Sättel, statt auf einem kaum gekrümmten und spiegelglatten Stück Leder zu sitzen, welches den englischen Sattel vorstellt.

Die Sporen der Chilenen sind mächtig groß, die Räder derselben haben zwei bis drei Zoll im Durchmesser und ich habe in Santjago ein Paar gekauft und mitgebracht, bei welchen die Räder sieben Zoll im Durchmesser haben und welche sechs bayerische Pfunde wiegen.

Entsprechend sind die Steigbügel, meist schwer aus Holz geschnitzt, während das Riemen- und Zaumzeug aus geflochtenem Leder, beim Zaume von der Dicke eines Fingers besteht. Bei den reichen Chilenen finden sich alle diese Gegenstände entweder, so wie die Sporen, ganz von Silber oder so schwer beschlagen und überkleidet, daß ein vollständiges Reitzeug auf tausend Peso wohl auch höher zu stehen kömmt. Die Alforia, die Reisetasche, hängt bei längeren Reisen fast immer am Sattel, unentbehrlich aber ist der Lasso, den man bekanntlich in ganz Südamerika trefflich zu handhaben weiß.

Man weiß anfänglich nicht, soll man die Kunstfertigkeit des chilenischen Reiters, oder die Ausdauer des Pferdes mehr bewundern, indessen gehören beide zusammen um so vollkommen zu sein, wie sie wirklich sind. Ich habe in der ersten Zeit meines Dortseins öfter geglaubt zufällig einem Kunstreiter vom Fach zu begegnen, welcher Privat-Uebungen anstellte. So ging ich noch während der ersten Tage meines Aufenthaltes in Valparaiso auf einem schmalen, sehr abschüssigen Pfade, der rechts von einer scharfen Felswand, links von einem mehrere hundert Fuß tiefen Abgrunde begrenzt und kaum mehr als drei Fuß breit war. Indem ich nun über mir, an der Felswand, den Granit mit einer jener Quarzadern durchzogen sah, für welche ich mich sehr interessirte, suchte ich eine passende Stelle, um aufwärts zu klettern und den Quarzgang in der Nähe betrachten zu können. Da höre ich, eben halb hängend, halb stehend auf einem kleinen Vorsprunge, plötzlich Hufschlag und sehe zugleich einen Chilenen im wüthenden Galopp den schmalen Weg dergestalt abwärts jagen, daß ich der festen Ueberzeugung war, das Pferd sei im wildesten Durchgehen begriffen, und jeden Augenblick einen furchtbaren Sturz in die Tiefe erwartete. Da hält, keine zehn Schritte von mir, der Reiter plötzlich sein Pferd an, und das mit einem so gewaltigen Rucke, daß es sich vollständig auf die Hinterbacken setzt, und schneller als ich das Folgende niederschreiben kann, hat er sich eine Papier-Cigarre gewickelt, angebrannt, sprengt sein Pferd vom Platze aus wieder zum Galopp an und ist eher um eine schroffe Biegung des Weges verschwunden als ich mich besinnen kann. Warum ist jener Mensch so unsinnig geritten? Einfach zum Vergnügen! Und ich selbst bin vier Wochen später, soll ich es gestehen, nicht ganz zum Vergnügen, doch aber, nun – eben um nicht zurückzubleiben, eben so toll einen ähnlichen Weg hinab gejagt, indem ich einem deutschen Landsmann folgte.

Man gewöhnt sich rasch an dieses Reiten, da man bald die Vortrefflichkeit der Pferde erkennt, welche selten straucheln, aber fast nie stürzen, und welche man zudem durch das scharfe Gebiß gut in der Hand hat und fast buchstäblich niederreißen kann.

Eine beliebte Uebung des chilenischen Landvolks ist folgende: Von einem frisch geschlachteten Stiere wird die Haut mit der feuchten und schlüpfrigen inneren Seite aufwärts auf dem Boden mit Pflöcken befestigt. Man stellt sich zwei bis dreihundert Schritte davon auf, sprengt im Carriere an und arretirt auf der spiegelglatten Haut.

Aber die Pferde, gewöhnt von Jugend auf an solche Uebung, sind willig und gutartig und haben dabei eine Sicherheit des Ganges und eine Ausdauer, welche unglaublich erscheint.

Man reitet zwanzig bis fünf und zwanzig Stunden des Tags ohne das Pferd nur ein einziges Mal zu füttern, höchstens reitet man es bis an den Bauch in einen Bach, läßt es nach Belieben trinken und reitet im Galopp weiter, denn alle diese Reisen werden galoppirend gemacht, das Traben kennt man nicht. Aber hat man solche starke Touren gemacht, so läßt man das Pferd wenigstens einige Wochen lang ausruhen, und geht es an, auch länger. Ueberhaupt bleibt ein Pferd nicht länger im Dienste als etwa vier Wochen. Man schickt es dann auf's Land, wo es eben so lange Zeit frei umherläuft, auf den Felsen umherklettert, und überhaupt ganz nach Willkühr lebt. Es giebt Landleute, welche größere und unbebaut liegende Landstrecken zu diesem Zwecke benützen. Man schickt seine Thiere einem solchen, und die bereits ausgeruhten werden mit dem Lasso gefangen und wieder zur Stadt zurückgebracht.

Selbst in den Städten besitzt fast jedermann einige Pferde, auf dem Lande aber, wo der Unterhalt derselben fast gar Nichts kostet, ist kaum irgend Jemand, der nur eine Hufe Landes besitzt, ohne fünf, zehn oder mehrere Pferde, welche alle frei umherlaufen, grasen und sich, bis man ihrer bedarf und sie mit dem Lasso fängt, vollständig selbst überlassen sind. Auch die Ställe in den Städten sind von den unsrigen sehr verschieden. Es sind Schuppen, in welchen die Thiere frei umherlaufen und sich des Winters gegen etwaigen Regen, oder im Sommer gegen allzustarke Sonne, unter einem im Ecke des Schuppens angebrachten Dache schützen.

Es erhellt aber, daß auf solche Weise das Pferd nie den freien Gebrauch seiner Glieder verliert und nachdem es wochenweise auf Felsen umhergeklettert ist, um sich seine Nahrung zu suchen, später ebenfalls nicht ängstlich ist oder strauchelt, wenn es seinen Reiter über schmale Felsenpfade oder an Abgründen vorüber tragen soll.

Die Pferde werden mit Gerste gefüttert, da man den Hafer nicht kennt, Grünfutter ist indessen die vorzüglichste Nahrung derselben.

Der Preis eines Pferdes ist sehr verschieden; um zwei bis drei Unzen erhält man ein ganz taugliches Pferd, bisweilen aber werden wohl auch vier bis fünfhundert Peso für eins gezahlt. Ich muß als eine Eigenthümlichkeit erwähnen, daß man in Chile die Gewohnheit mancher Pferde, im Paßgange oder Schritt die Vorderfüße über einander zu werfen, für eine ganz besondere Schönheit hält, während bei uns dies für einen sogenannten Schönheitsfehler angesehen wird. Indessen weiß ich weder den deutschen noch den spanischen Kunstausdruck für diese Tugend oder Untugend der Pferde, obgleich ein solcher existirt. Man sucht sorgfältig Stuten und Hengste, welche diese Eigenschaft haben, zusammen zu bringen, und gut ausgefallene Fohlen, welchen man möglichst noch durch Dressur nachhilft, werden dann zu den oben angegebenen hohen Preisen verkauft.

Maulthiere und Esel werden von den Chilenen weniger zum Reiten als zum Waaren-Transport und Lasttragen verwendet, doch sieht man ärmere Leute auf Eseln reiten. Unbedingt aber zieht man in Chile die Pferde den Maulthieren für gefährliche Gebirgsreisen vor. Letztere sind, wie Alles was zum weitverzweigten Geschlechte der Esel gehört, störrisch und eigensinnig, ja selbst boshaft, und es gilt in Chile als Regel, stürzt man mit einem Maulthiere, sich sogleich, selbst bei gefährlichem Terrain, so weit als möglich vom Thiere hinweg zu wälzen, da es augenblicklich nach dem Kopfe des Liegenden schlägt.

Ich habe den Pferden und dem Reiten eine, vielleicht anscheinend ungebührlich lange Stelle gewidmet, aber da der Chilene als Kind von drei Jahren auf's Pferd kömmt, und die siebzigjährige Matrone noch Tagreisen auf demselben macht, so mag dem treuen Genossen jener Menschen diese Schilderung seiner Vorzüge wohl gegönnt sein[14].

Ich komme jetzt auf einen eigenthümlichen fast schwierig zu behandelnden Gegenstand, welcher nichts desto weniger mit einigen Worten erwähnt werden muß. Ich meine das, was man die Sittlichkeit eines Volkes im engeren Sinne des Wortes nennt.

Allenthalben ist man geneigt südlichen Völkern einen größeren Hang zur Sinnlichkeit beizumessen, als solchen, welche in kälteren Landstrichen wohnen. Man spricht von heißem Blute, von unbezähmbaren Leidenschaften, von dem Feuer, welches sich in jenen glühenden Blicken verrathe u. dgl. mehr. Ich möchte dem nicht unbedingt beipflichten, nach Allem was ich erfahren habe in kalten und heißen Ländern, und vielleicht gerade in dem Punkte, im Punkte der sinnlichen Liebe. Es will mir scheinen als sei der Saame der alten Erbsünde nahebei gleich stark vertheilt in den Herzen aller Menschen, unter Blonde, Braune und Schwarze, und es neige sich der Sohn des kalten Nordens so stark zu verbotener Liebe, als das Kind der tropischen Sonne.

Aber ein bischen mehr Verstellung versteht der erstere zu üben, mancher zügellose Wunsch wird dort mit dem Schleier der Sittsamkeit bedeckt, und die scharfe Zunge einer Heuchlerin tadelt an der Nachbarin das Vergehen, dessen sie selbst schuldig.

Näher dem Aequator ist man nicht so ängstlich bemüht seine Leidenschaft zu verbergen, man sündigt weniger geheim, und begeht deshalb in Wirklichkeit weniger Sünde, weil man minder lügt, minder heuchelt.

Eigentlich mag Valparaiso im Betreff der Sittlichkeit, behalten wir den Ausdruck bei, keine sichere Norm abgeben, denn es ist eine Hafenstadt und in dieser begegnet man auch in tugendreichen Landen, mehr als in andern Städten, gefallenen Töchtern und verlorenen Söhnen.

Aber eben wegen der Freiheit, mit welcher man in Chile gewisse Dinge behandelt, tritt kein so strenger Gegensatz zwischen andern Städten des Innern auf, und dort, so wie hier, öffnen des Abends jene Damen, von welchen ich oben erzählte, daß sie den Maskenball besuchten, ihre Thüren und lassen ein Paar Blumen, ein Paar Bilder an den Wänden, ein Licht und eine freundliche Miene sehen. Fremde und Einheimische treten ein, man spricht, scherzt, die Guitarre erklingt (bisweilen indessen verzweifelt verstimmt) und man trinkt wohl auch ein Glas aus der Nachbarschaft geholten Weines. Endlich werden die Thüren wieder geschlossen, und die Besuchenden sind gegangen. Ich kann keine Rechenschaft ablegen davon, ob nicht etwa einer derselben geblieben ist, aber ich kann bezeugen, daß der Vorübergehende nicht in diese Zimmer gelockt oder gerufen wird, ohne Zweifel bloß deßhalb, weil man weiß, daß ohnedieß eintritt, wer Belieben dazu trägt. Das ist schon ein großer Unterschied zwischen Valparaiso und andern Hafenstädten in Europa. Bisweilen sieht man vor solchen geschlossenen Thüren einen Mann oder ein altes Weib kauern und friedlich wartend eine Cigarre rauchen.

Ein Freund, der sich nähere Kenntniß erworben, hat mir versichert, dieß sei nach der Aussage der Mädchen un amigo oder mi matre, welche vorläufig außen verweilend, den Schlaf der Freundin oder Tochter bewachen, und später wieder eintreten. Ländlich, sittlich!

Mancherlei noch wußte mein Freund zu berichten, aber streng und nördlich gesinnt, habe ich Alles wieder vergessen, bis auf die burleske Schilderung, die er mir entworfen von der künstlerischen Ausschmückung jener Zimmer. Es bestünden die Bilder an den Wänden dort meist aus deutschen Lithographien, und friedlich habe er dort neben einander hängen gesehen europäische und deutsche Fürsten, Marien und Heilige, Robert Blum und Hecker. Sieht man da nicht, sagte mein Freund, wie Liebe, Unschuld und ein kindliches Gemüth alle Gegensätze zu einen wissen?

Im Kreise der höheren Stände und der Leute, welche Geld besitzen, hat man sich ohnedem ganz nach europäischem Typus eingerichtet, wie solches, mit Ausnahme der Glacé-Handschuhe, auch mit den Kleidern geschehen ist; es ist also wohl auch derselbe Fall mit der Tugend und Moralität eingetreten, gegen außen wenigstens.

Aber manche rosenfarbene Sünde, die geheim betrieben wurde, mag auch durch geheime Buße und Reue gesühnt worden sein, denn noch sind die Frauen fromm und gläubig in Chile.

Aber es ist Zeit wieder einmal von mir selbst zu sprechen. Ich hatte fast acht Wochen in Valparaiso und der Umgebung zugebracht. Da meine Excursionen mich oft weit ab von der Stadt führten, hatte ich häufig Gelegenheit, oder war viel gezwungen, auf dem Lande in einem einsamen Gehöfte oder einer Hütte zu übernachten, das Leben der Landbewohner kennen zu lernen und praktisch so viel Spanisch zu erwerben, daß ich nothdürftig ein Gespräch führen konnte. Allenthalben wurde ich gastlich aufgenommen, und obgleich von Chilenen selbst vor Räubern gewarnt, ist mir doch nie das Geringste begegnet. Indessen wurde einmal während meines Aufenthalts in Valparaiso eine Räuberbande, oder wenigstens in die Gattung einschlagendes Gesindel eingebracht. Von einem Morde aber oder von einem räuberischen Anfalle verlautete während der ganzen Dauer meines Aufenthaltes Nichts. Fürchten aber mag man sich wohl vor Aehnlichem. Wenn ich des Abends oder während der Nacht allein auf einsamen Straßen ritt und mir ein oder mehrere Reiter entgegen kamen, bin ich denselben nicht ausgewichen, sondern ritt stets auf derselben Seite der Straße, welche sie behaupteten; meist wich dann der Entgegenkommende schon in der Entfernung aus. Lenkte ich aber mein Pferd nochmals auf die Seite der fremden Reiter, so bogen jene häufig von der Straße ab, gaben auch wohl querfeldein Fersengeld. Freilich war ich stets bewaffnet und mag einem »Ladron« nicht unähnlich gesehen haben in meinem Reise- und Jagdcostüme.

Wenn man aber fragt, warum ich eigentlich jenen Reitern entgegen geritten, so muß ich antworten, daß dieses ziemlich aus demselben Grunde geschehen, aus welchem sie auswichen. Da ich denn doch nicht wußte, wem ich das Vergnügen haben sollte zu begegnen, so zog ich vor, das Prävenire zu spielen.

Vierzehn Tage wohnte ich während jener Zeit auf den Windmühlen etwa 2 Stunden von Valparaiso. Ein deutscher Aufseher, Namens Schmids, der dort wohnte, trat mir freundlich eine Stube ab, stellte mir seine Pferde zur Disposition, und half mir gefällig in meinen Arbeiten. Ich habe in seiner Begleitung größere Touren in das Land gemacht, und noch später überbrachte er mir für mich gesammelte Naturalien nach Valparaiso. Mit wahrhaft aufrichtiger Freude gedenke ich stets der deutschen Landsleute aus allen Ständen, welche mir im fernen Lande so freundlich entgegen gekommen sind, und ich schalte bei dieser Gelegenheit ein, daß während meines zweiten Aufenthaltes in Valparaiso, vier Monate später, mir mehrere deutsche Handwerker, welche dort als Gesellen arbeiteten, Käfer und Conchylien überbrachten, da sie durch das Gerücht erfahren hatten, daß ich Naturforscher sei und solche Dinge sammle.

Die Abende auf jener Mühle wurden gewöhnlich bei einem Italiener zugebracht, welcher eine Frau aus Buenos-Ayres geheirathet hatte und dort an der Straße nach Santjago einen kleinen Kaufladen und eine Schenke unterhielt. Sein Lager war ziemlich gut mit verschiedenem Getränke versehen, aber wie überhaupt in jenen Ländern gebräuchlich, waren alle Flaschen und Vorräthe auf Gestellen längs den Wänden aufgestellt, und durch kürzlich vorgenommene Baureparaturen in einige Unordnung gekommen. Selten war das Richtige zu finden, und so kam es, daß statt chilenischem Biere Portwein, statt Teneriffa Ale, und statt Madeira Bordeaux gereicht wurde. Nach einigem Suchen überreichte der Wirth irgend eine Flasche mit der stehenden Redensart. »Ich weiß nicht, was es ist, aber es wird wohl auch gut sein,« und auch die Preise wurden willkürlich gemacht.

Diese Art, Wirthschaft zu betreiben, ergötzte mich höchlich. Die durch Zufall erworbene Flasche wurde meist mit den Wirthsleuten getheilt, während ich an ihrem Abendessen Theil nahm und Paraguai-Thee mit ihnen trank. Obgleich bei Tage schon stärkere Hitze eingetreten, waren doch die Abende und Nächte ziemlich kühl, da der Berg, auf dem die Mühlen erbaut, der höchste der nächsten Umgebung und dem Winde stark ausgesetzt war, und es fehlte bei diesen abendlichen Unterhaltungen nie der Brasero. Ich habe dort gemüthlich am Kohlenfeuer sitzend manche schätzenswerthe Aufschlüsse über Chile und die benachbarten Länder erhalten, welche theils der Deutsche, theils der Italiener durchzogen hatte, und welche ich großen Theils, einmal aufmerksam gemacht, bestätigt fand.

Ich muß bei dieser Gelegenheit einer eigenthümlichen Notiz erwähnen, welche mir dort mitgetheilt wurde, und welche zwar allerdings theilweise gewiß eine Fabel, eben so gewiß aber auch nicht ganz aus der Luft gegriffen ist. In den La Plata-Staaten – erzählte der Müller – also auf der »andern Seite« wie man in Chile zu sagen pflegt, existirt ein sonderbares und gefährliches Thier. Es ist eine Schlange von etwa fünfzehn Fuß Länge, aber von der Dicke eines sehr starken Mannes, wohl auch stärker. Dieses Thier hat eine nur langsame Bewegung, aber eine furchtbare Kraft im Athem. Selbst größere Säugethiere, zum Beispiel Füchse, werden, sind sie einmal auf zehn oder zwölf Schritte im Bereich der Schlange, von ihr angezogen und verspeist. Die Thiere, welche, einzig durch das mächtige Einziehen der Luft, dem Unthier immer näher gebracht werden, stemmen sich mit aller Kraft dagegen, und schreien häufig aus Angst, aber alles ist vergebens. Die Schlange zieht auf gleiche Weise kleine Kinder an sich und ist sehr gefürchtet, da sie sich nicht selten in der Nähe von Dörfern und Städten blicken läßt. So bei Mendoza, San Juan, La Bioja. Da sie keine raschen Bewegungen hat, können kräftige Männer ihrer Herr werden, und man erschlägt sie mit Aexten. Ihre Haut giebt dann Riemen und Lederzeug und wird in Streifen geschnitten und zu Reitpeitschen verwendet. So weit der Müller. Daß die Geschichte mit dem Anziehen durch den Athem eine Fabel ist, begreift jedermann. Aber daß dort ein Thier von ähnlicher Form und Größe existirt, was von unsern Naturforschern bis jetzt noch nicht gekannt ist, unterliegt fast auch keinem Zweifel. Ich habe später mit einem deutschen Arzte in Santjago, welcher sich vielfach mit der Fauna jener Gegenden beschäftigte, über die Sache gesprochen, und er sagte mir, daß jene allgemein verbreitete Sage in Betreff der Größe der Schlange ihre Richtigkeit habe und es sei ihm durch die glaubwürdigsten Zeugen bestätigt, daß kleinere Säugethiere, Vögel und Amphibien sich wirklich der Schlange nähern und von ihr verspeist werden. Aber die Haut der Schlange sei stets klebrig, so daß eine Menge von Insekten, ja selbst kleine Vögel auf derselben klebten und diese sowohl als die größeren, später zum Opfer fallenden Thiere, sähen die Schlange selbst für einen liegenden Baumstamm an, dem sie wirklich ähnlich sehe. Auf diese Weise würden letztere eine Beute des Unthiers, indem sie sich der kleinen fest klebenden Thiere bemächtigen wollten. – Relata refero!

Aber selten ist eine so allgemein im Volke verbreitete Sage wie die eben erzählte ganz ohne Grund; und ich halte es für Pflicht des Forschers ihrer zu erwähnen um spätere wissenschaftliche Reisende aufmerksam zu machen.

Bei meinem Aufenthalte auf den Mühlen traf ich einige Mal Leute, welche aus den Vorbergen der Cordillera herabkommend, verschiedene Volksheilmittel und ähnliche Gegenstände zum Verkaufe brachten. Ich bin durch einen eigenthümlichen Zufall, den ich nicht näher erwähnen kann, um jene Medikamente gekommen, aber ich glaube, daß sie wenigen Werth für die Wissenschaft gehabt hätten, indem die Wurzeln und Kräuter, aus welchen sie bestanden, meist zu unscheinbarem Pulver zerrieben waren, während ihre Bezeichnung der beim Volke gebräuchliche Name der Pflanze ist, der sich noch häufig nur auf kleinere Distrikte beschränkt.

Des Beispiels halber führe ich indessen einige solche Artikel an, welche ich im Hausschatze einer Landbewohnerin fand, bei welcher ich öfter auf Excursionen einkehrte:

Voican, klein geraspelte Holzspähne, gegen Leucorrhoea;

Mansarilla de Castilio, Blattfragmente gegen Magenschmerzen;

Goma de Mimbrilla[15], Samenkörner, gegen Hämorrhagien aller Art;

Triaca [16], Wurzel gegen Magenschmerzen;

Pichoa, Blattfragmente, als Purgirmittel gebräuchlich;

Pietra de aguila, Adlerstein, wurde als reines Eisenoxydhydrat befunden, von der Besitzerin aber als eine große Seltenheit und theurer Gegenstand geschätzt. Es wird gegen Fallsucht angewendet.

Endlich Asarcon gegen Verstopfung. Dieses Mittel bestand aus reinem Mennige, welcher im Spanischen minio heißt. Woher der Name asarcon, weiß ich nicht, wenn nicht vielleicht von asarse, verbrennen. Die Frau hielt dieses Mittel, vielleicht wegen der rothen Farbe, am höchsten in ihrem ganzen Arzneischatze. Ich gab ihr einige Aloë-Pillen mit der Anweisung zwei derselben bei vorkommenden Fällen zu gebrauchen, und die Mennige zu entfernen. Als ich des andern Tages wiederkehrte, fand ich ihre Magd, ganz nach Art der deutschen Stubenmädchen, mit verbundenem Kopfe und mürrischer Miene umherschleichen, und nachdem sie sich entfernt hatte, gestand mir die Herrin mit heimlicher Freude, sie habe, um die Stärke meines Mittels zu prüfen, dem Mädchen fünf Pillen gegeben. Well! man sieht hieraus wie der Drang, wissenschaftliche Experimente anzustellen, selbst unschuldigen Naturkindern einwohnt.

VI.
Reise nach Santjago (Chile).

Wieder von den Mühlen nach Valparaiso zurückgekehrt, beschloß ich nach kurzer Zeit tiefer in's Innere von Chile zu gehen, und vorläufig mich nach Santjago zu verfügen. Ich miethete und bezahlte meine Wohnung auf zwei Monate im Voraus, um einen ruhigen Platz für meine bereits gesammelten Naturalien zu haben, nahm von meinen Freunden Abschied und wurde von Uhde, Freundt und Dr. Ried mit sehr guten Empfehlungsbriefen versehen, welche mir mehr Nutzen und bessere Aufnahme gebracht haben als alle anderen zusammen, die ich aus Europa mit mir genommen.

Ich nahm eine Berloche, einen zweirädrigen und zweisitzigen Wagen, für welchen ich nebenher gesagt 20 Peso bis nach Santjago zahlen mußte, und machte mich eines Morgens etwa gegen 9 Uhr auf den Weg. Die Art, auf welche man durch solche Berlochen fortgeschafft wird, ist folgende. Der Wagenlenker erscheint am Hause, reitend, und führt das in einer Gabel gehende Wagenpferd am Zügel. Die Effekten des Reisenden werden gepackt, d. h. nach Seemannsart festgestaut, angebunden, eingekeilt, kurz eigentlich mehr befestigt als verpackt. Dann fährt man durch die Stadt; an irgend einer Ecke gesellt sich ein zweiter Berittener zum Wagen, und schon am Ende der Stadt erscheint ein dritter mit etwa zwanzig oder dreißig ledig laufenden Pferden, und kaum vor der Stadt, wo auf dem Wege nach Santjago zu sogleich ein Berg ansteigt, beginnt die tolle Jagd, aus welcher eigentlich die ganze Fahrt besteht. Man lenkt sogleich auf den äußersten Rand der Straße, wo häufig kein Geländer gegen das Stürzen in den Abgrund schützt, und fährt bergan bergab im schnellsten Galopp, und auf der Ebene oft Carriere. An steilen Stellen helfen beide Reiter aufwärts ziehen, indem sie Haken, welche mit starken Riemen an ihrem Sattel befestigt sind, am Wagen einhängen und so zu beiden Seiten nebenher galoppiren.

Der dritte Reiter treibt, den Lasso schwingend, die frei laufenden Pferde neben her, welche bald zurückbleiben, an günstigen Stellen ein wenig grasend, dann wieder im vollsten Laufe an der Berloche vorüber rasend, voraus eilen. Hie und da wird angehalten, eines dieser Pferde mit dem Lasso heraus gefangen und statt des ermüdeten eingespannt. Ein eigentliches Wettrennen beginnt auf den weiten Ebenen, welche man an mehreren Stellen des Wegs antrifft und woselbst der von der Sonne hart gebrannte Boden das günstigste Terrain bietet. Da fast alle Reisenden, welche von Valparaiso nach Santjago gehen, zu gleicher Tagszeit abreisen, so treffen auf jenen Flächen häufig die Berlochen zusammen und nun beginnt die Wettfahrt.

Wenn man es mit einem – wie soll ich mich ausdrücken – mit einem etwas aufgeregten Menschen zu thun hat, muß man entweder die größte Ruhe beobachten, oder was auch bisweilen hilft, sich noch unsinniger geberden. Wir fuhren dort mit noch zwei anderen Wagen fast in einer Reihe. In dem einen zwei chilenische Herrn, in dem zweiten zwei Damen mit einem Negerkinde. Als das raschere Fahren begann, setzten die Damen das Kind neben sich auf den Boden der Berloche und hielten verschiedene Schachteln und Büchsen mit den Händen fest, und die Herren nahmen des stärkeren Luftzuges halber die Hüte ab, niemand aber zeigte eine besondere Aufregung oder Verwunderung, sondern jene Vorkehrungen wurden mit derselben Ruhe getroffen, mit welcher man eben bei uns, fängt es gelinde an zu regnen, den Regenschirm aufspannt, oder einen Handschuh auszieht und in die Tasche steckt. Dort rief ich meinen Chilenen zu. »mas pronto!« (rascher!) Sie sahen mich einen Augenblick verwundert an, denn solches war ihnen wohl noch selten gesagt worden, hierauf aber begann ein wirklich so verrücktes Jagen, daß wir bald unsere Rivalen hinter uns hatten.

Durch diese Narrheit hatte ich mir die dauerhafteste Achtung und Ergebenheit meiner Berlocheros erworben, welche mich von diesem Augenblicke an für einen ächten Caballero hielten.

Man kehrt auf dem Wege nach Santjago zweimal ein; einmal in Casa blanca, wo man zu Mittag speist und Siesta hält, das zweite Mal um zu übernachten, in Curicavia. Die Gasthöfe an beiden Orten sind so ziemlich in europäischem Style eingerichtet, und man befindet sich wohl dort. Von Curicavia geht man bald des Morgens ab, und kömmt bei guter Zeit in Santjago an. Die ganze Strecke, welche 40 bis 50 Stunden Weges beträgt, fährt man in nicht ganz 15 Stunden.

Dem von Valparaiso nach Santjago Reisenden ist ein Ueberblick über das Land wohl gestattet. Es mag das chilenische Land kurz so bezeichnet werden. Seiner ganzen Länge nach ist der schmale Landstrich, welcher Chile bildet, von zwei Gebirgszügen eingeschlossen und begrenzt. Gegen Westen, und die Küste des stillen Oceans bildend, ist es die sogenannte Cordillera de la Costa, die Küstenreihe, ein Gebirgszug, welcher in wechselnder Höhe 800 bis 1200 Fuß ansteigt und selten die Höhe von 3000 Fuß übersteigen wird. Bisweilen in sanfteren Krümmungen abfallend gegen die See, erhebt sich jene Bergreihe doch meist in steilen schroffen Ufern, an welchen eine donnernde Brandung sich bricht. Es ist dieselbe gegen Süden auf dem Gipfel und gegen das Land zu häufig bewaldet, aber im nördlichen Theile Chile's fast durchgängig kahl und schroff. Indessen auch dort, wo schon die glühende Sonne kaum auf den Höhen mehr eine Vegetation aufkommen läßt, sind noch jene Schluchten, die ich schon oben erwähnte, so wie bei Valparaiso, mit üppigem Grüne bekleidet, dem einzelne schlanke Palmen und mächtige Schlinggewächse ein tropisches Ansehen verleihen.

Hat man diese Küsten-Cordillera überstiegen, so breitet sich das Flachland von Chile vor unsern Blicken aus und gewährt den erfreulichen Anblick eines Landes, von welchem die Cultur Besitz genommen hat, ohne schon vollständig die Freiheit der Natur verdrängt zu haben. Kleinere und größere Besitzungen, von der Hütte des armen Landmannes, der nur wenige Hufen Landes besitzt, bis zu der wohl eingerichteten Hacienda des Reichen, welche Tausende von Thalern jährlichen reinen Ertrag abwirft, bieten sich allenthalben dem Auge dar, aber waldige Thäler, felsige Schluchten und selbst öde, nur mit der Espina[17] spärlich bedeckte Ebenen, liegen zwischen jenen Zeugen des Fleißes und beweisen, daß noch fleißige Hände dort Beschäftigung finden würden, und der Fluch der Uebervölkerung dort noch nicht eingetroffen.

Einzelne kleinere Gebirgszüge, aber nicht so regelmäßig fortgesetzt wie die Küstenreihe, wohl auch isolirte kegelförmige Berge, unterbrechen jene Ebene, bis endlich die hohe Reihe der Anden, la Cordillera alta, Chile vom anderen Theile Südamerikas trennt.

Im Allgemeinen ist dies der landschaftliche Charakter des Landes und namentlich im mittleren Theile. Während im Norden und Süden aber beide Hauptgebirgszüge sich gleichmäßig fortziehen wie im mittleren Theile, und auch jene Unterbrechungen der Ebene durch einzelne Bergformen stattfinden, wird das landschaftliche Bild im Norden modificirt durch den Mangel der Flora und erinnert bereits an die nachbarliche Wüste von Atacama. Im Süden hingegen zeigt eine noch weit ausgebreitete waldige Fläche und Ströme, die sie durchziehen, daß hier zwar der im Norden mangelnde, alles befeuchtende Regen nicht fehlt, wohl aber noch Bevölkerung und Arbeitskraft.

Stellen, auf welchen man Belege für das eben Ausgesprochene findet, sind die Cuesta[18] de Valparaiso, die Cuesta de Zapata und die Cuesta de Prado. Die Cuesta de Valparaiso, auf welcher die Mühlen erbaut sind, ist ein Glied der Küsten-Cordillera. Ich habe sie nach meinen barometrischen Messungen 1279 Fuß hoch gefunden; die Cuesta de Prado 2277 Fuß hoch. Der letztere Berg steigt steil an und die Straße, welche über denselben führt, läuft im Zickzack aufwärts, wenigstens 30 Windungen machend. Von dort hat man eine besonders schöne Fernsicht über das Land, während die wilden steilen Abhänge und Schluchten einen romantischen Vordergrund bilden.

Ich habe in einer größern wissenschaftlichen Abhandlung, welche in den Denkschriften der k. k. Akademie der Wissenschaften in Wien erschienen ist, die geographischen Verhältnisse von Chile so ausführlich behandelt als es mir nach den gemachten Erfahrungen möglich war, und ich muß auf jene Abhandlung denjenigen verweisen, welcher sich speciell für Geognosie interessirt. Als kurze Skizze eines geognostischen Bildes, und vorzugsweise das mittlere Chile betreffend, möchte etwa Folgendes anzuführen sein. Granitisches Gestein bildet die Hauptmasse der Küstenreihe. Meist gegen Süden, z. B. in Valdivia, als Glimmerschiefer auftretend, herrscht bei Valparaiso der eigentliche Granit vor, hie und da vertreten durch Sienit, oder übergehend in Gneis. Zahlreiche Gänge vom basaltischen, doleritischen und vorzugsweise porphyrischen Gesteine, durchdringen die granitischen Formen, an der Küste häufig als kegelförmige Erhebungen aus den Fluthen ansteigend, in den Gebirgen des Landes aber mächtig sich ausbreitend an manchen Stellen, so daß der flüchtig untersuchende Geognost an ein Ueberwiegen wohl glauben mag. Wirklich aber beginnt ein solches Vorherrschen dieser vulkanischen Gesteine weiter gegen das Innere, gegen die hohe Cordillera zu. Es treten endlich dem Forscher die Vorberge derselben entgegen, Trachyte, Dolerite, Porphyre der verschiedensten Art werden immer häufiger, sie sind kaum mehr als Gangbildung zu betrachten, sondern als selbständige Formen und bilden große mächtige Kegelberge. Dort wird das granitische Gestein in allen seinen Modificationen seltener, bis endlich in der Kette des Andes-Gebirges selbst, das wildeste bunteste Gemenge aller Felsarten der vulkanischen Reihe auftritt, bisweilen aber auch noch von vereinzelten granitischen Schichten bedeckt, die offenbar empor gehoben worden sind, nicht selten aber auch einschließend und umhüllend mächtige Massen darstellen, die mehr oder weniger verändert und umgestaltet sind.

Es giebt vielleicht wenige Landstriche der Erde, für deren Entstehung, d. h. für ihre Erhebung aus der Tiefe, aus den Fluthen des Meeres, leichter eine glaubwürdige Theorie aufgestellt werden kann, als für Chile und einen großen Theil der Westküste. Aber wir haben keinen Maßstab mehr auf unserer Erde für jene gewaltigen Reactionen, welche dort vorgegangen sein müssen, und gegen welche sich das Erdbeben von Lissabon verhält, wie ein emporgeschnelltes Sandkorn gegen das Auffliegen eines mächtigen Pulverthurmes.

Ohne Zweifel war der größere Theil von Südamerika, der jetzt die östliche Seite bildet, längst empor gestiegen, als durch einen jener gigantischen Vorgänge im Innern der Erde sich eine neue Spalte öffnete, und ohne Zweifel mächtig erschütternd das ganze schon bestehende Festland, die Kette der hohen Cordillera feurig flüssig aus jener Riesenkluft hervordrang. Gleichzeitig mag das wohl geschehen sein, wenigstens das Emporsteigen des größten Theils der Andes-Kette, wenn auch nicht gleichzeitig nach unsern Begriffen von Raum und Zeit, für welche hundert Jahre schon eine Periode.

Durch jene kolossalen glühenden Felsmassen hindurch bahnten sich wieder neue nachdringende Massen einen Weg, theils erstarrend ehe sie die Oberfläche erreicht, theils sie durchdringend und mehr oder weniger flüssig sich ergießend über dieselbe. Längs der ganzen Reihe des neu entstandenen Gebildes aber blieben Kanäle offen nach der gährenden, schmelzenden Tiefe. Fortwährende vulkanische Ausbrüche fanden statt durch dieselben, eine Reihe meteorologischer Erscheinungen hervorrufend, deren Intensität wir nur zu ahnen vermögen, nehmen wir auch die analogen Processe zu Hülfe, welche noch heute vor unsern Augen bei den Ausbrüchen unserer jetzigen Vulkane vor sich gehen.

Später wohl erst hob sich das Flachland von Chile und den andern Ländern, welche jetzt die Westküste bilden. Sind nun jene Gänge und Spalten-Ausfüllungen, welche den Granit und die Gesteine des Flachlandes durchziehen, schon entstanden als noch das Meer alle jene Formen bedeckte, oder erst später, so viel ist sicher, mächtige Erschütterungen müssen durch eine lange Reihe von Jahren das neue Land heimgesucht haben, davon geben die Erdbeben Zeugniß, welche noch heute dort häufiger als irgendwo sonst auftreten.

An manchen Stellen in Chile, unweit Valparaiso, unweit Santjago, im Norden und im Süden, trifft man neptunische Formen den granitischen aufgelagert, und diese oft Versteinerungen führend; die Schichten sind ohne Zweifel der alte Meeresgrund, in der Tiefe schon früher dem Granite aufgelagert und später dann mit demselben emporgestiegen. Aber auch mächtige Alluvialgebilde werden häufig in Chile getroffen und man begegnet auf der Reise von Valparaiso nach Santjago vielfachen Spuren, daß mächtige Wassermassen dort geströmt haben müssen, so wie die schroffen und steilen Schluchten der Küsten-Cordillera, offenbar blos mächtige Wasserrisse, ebenfalls dessen Zeugniß geben.

Alles deutet mit vollständiger Sicherheit darauf hin, daß diese mächtigen Fluthen nicht von der See aus gegen das Land hin gedrängt worden sind, sondern sich vom Lande aus gegen das Meer hin ergossen haben.

Dies wird klar, so bald man sowohl dem Laufe der Flüsse folgt, mithin jenen Rissen und Vertiefungen, die noch heute Wasser führen, als auch den Ablagerungen jener Gerölle und der Form der Schluchten.

Jene Gewässer strömten (und wahrscheinlich in einzelnen öfters wiederkehrenden Perioden) von der Andes-Kette aus hinab über das Flachland von Chile, Gesteinstrümmer und Blöcke von dort mit sich führend und allenthalben zurücklassend, bis sie, aufgehalten durch den Damm, den die Küsten-Cordillera bildete, sich dort aufstauten und endlich gewaltsam Bahn brachen durch jenes Hemmniß.

So sind jene Schluchten entstanden, in denen häufig noch jetzt ein kleines Bächlein die früheren gewaltigen Wasserstraßen repräsentirt, welche sich durch dieselben in das stille Meer ergossen haben müssen.

Es ist nicht schwer zu errathen, durch welche Vorgänge von der hohen Cordillera herab solche Wassermengen gekommen sind, ja selbst die Gegenwart giebt erklärende Beispiele hiezu, wenn gleich nicht in dem kolossalen Maßstabe jener vergangenen Zeit.

Nach Hebung der Andes-Kette war ohne Zweifel ein Zeitpunkt längerer Ruhe eingetreten und die mächtigen Gipfel und Höhen bedeckten sich mit Schnee und Gletschereis, wie es noch heute der Fall ist. Aber die, man kann sagen dichtgedrängte Reihe von Vulkanen, in jener Zeit wohl noch zahlreicher als jetzt, verharrte nicht immer in jener Ruhe, und massenhafte Ausbrüche erfolgten von Zeit zu Zeit. Es ist bekannt, daß selbst in unsern Tagen bei dem Ausbruche eines einzelnen Vulkanes sich elektrische Anhäufungen oberhalb desselben in der Luft ansammeln, Gewitter entstehen, Gußregen auf den Berg herabstürzen, und ist derselbe mit Schnee bedeckt, oft Ueberschwemmungen in der Nachbarschaft verursachen. Denkt man sich aber jene Masse von mächtigen Feuerbergen, welche ohne Zweifel vereint, oder doch wenigstens in größerer Menge und bedingt durch ein und dieselbe unterirdische Reaction, gleichzeitig zu arbeiten begannen, denkt man sich die Masse der Elektricität, welche sich so entlangs eine größere Strecke der Cordillera oberhalb derselben angesammelt, und Wolkenbrüche auf dieselben herab ergossen, nimmt man hiezu noch eine sehr wahrscheinliche Erwärmung der mit Schnee bedeckten Außenseite der Krater an, so ist leicht erklärt, wie plötzlich mit reißender Schnelle, theils durch die meteorischen Niederschläge, theils durch geschmolzenes Gletschereis bedingt, solche mächtige, Alles zerstörende, allenthalben sich Bahn brechende Wassermassen über das Land sich ergießen konnten. Die tiefen Thäler der Andeskette, auch heute von Flüssen durchströmt, welche einzig dem Gletschereise ihren Ursprung verdanken und deren zeitweiliges Anschwellen durch analoge Ursachen, wie die oben angeführten, bethätigen vollständig das so eben Ausgesprochene.

Dem freundlichen Leser, welcher vielleicht kein besonderer Freund geognostischer Studien, sich gelangweilt hat bei diesen Notizen, kann ich leider kaum ein kleines Reiseabenteuer bieten, was ihn entschädigen möchte.

Flüchtiger daher noch, als ich selbst im Galopp jene Strecke zurückgelegt, will ich ihn, nun er die Gegend kennt, oder wenigstens doch eine leichte Skizze derselben erhalten hat, durch dieselbe hinweg und nach Santjago führen.

Ich begrüßte auf den Mühlen Abschied nehmend den Italiener, und erhielt nach gewohnter Weise statt des verlangten Glases Portwein, Cayrock mit der Bemerkung: daß er auch sehr gut sei. Er ermahnte mich beim Scheiden, ja nicht so schnell fahren zu lassen, und man weiß bereits, wie ich durch »mas pronto« seine Lehren befolgte.

Ich bin ferner einer Masse von Ochsenkarren begegnet, welche zwischen ganz unsinnig hohen Rädern einherschleichen und sich auf die Länge einer Viertelstunde durch schauderhaftes Knarren und Pfeifen derselben ankündigen. Man hat vier, ja sechs Paar Ochsen vor dieselben gespannt und der Fuhrmann führt einen vier oder fünf Klafter langen, dünnen Stab mit eiserner Spitze, mittelst welcher er die Thiere antreibt. Fährt man mit diesem Wagen einen steilen Berg abwärts, so spannt man ein Paar der Ochsen aus und hängt sie hinter dem Wagen an, diese müssen das Fuhrwerk aufzuhalten suchen, während man die vorderen zum raschen Laufen und Anziehen antreibt. Ich habe nicht recht begriffen, warum man überhaupt nicht gleichmäßig fährt, ohne auf der einen Seite übermäßig anzureizen, so daß man auf der andern aufhalten muß. Da aber die politischen Zustände mehrerer Länder ein ähnliches Bild bieten, muß die Sache vielleicht doch einen vernünftigen Grund haben.

Im Ganzen ist der Weg nach Santjago stets belebt. Neben jenen Ochsenkarren, welche den Waaren-Transport mit dem Innern vermitteln, begegnet man unzähligen Reitern und ganzen Zügen von Maulthieren und Eseln, ebenfalls mit Waaren oder auch mit Victualien beladen.

Auch die Fauna wird reichlicher. Vögel aller Art schwärmen im Gebüsche, oder treiben sich auf dem Felde umher, so mehrfache Geierarten und zierliche wilde Tauben. Indessen zeichneten sich mit Ausnahme der bereits erwähnten Kolibri-Arten alle diese Vögel kaum durch besonders glänzende Farben aus. Der Sturnus militaris mit glänzender rother Brust macht hievon allein halbweg eine Ausnahme. Die ziemlich reichliche Ausbeute in zoologischer und botanischer Hinsicht, welche ich in Chile erwarb, habe ich in der bereits erwähnten Abhandlung in den Denkschriften der k. k. Akademie in Wien angegeben, und werde daher mit der Anführung lateinischer Namen hier nicht den Leser ermüden, wenn ich nicht etwa über die Lebensweise irgend eines Thieres oder die eigenthümlichen Eigenschaften einer Pflanze etwas Besonderes anzuführen im Stande bin.

Ich habe indessen auf dieser Fahrt immerhin etwas Interessantes in anthropologischer Beziehung getroffen, eine Greisin von unendlich hohem Alter, welche an der Cuesta de Prado in einer kleinen Lehmhütte wohnte und die Vorüberreisenden um Almosen ansprach. In einen alten schwarzen Fetzen gehüllt, von weißem Haupthaar umflattert, und mit nicht unbedeutendem gleichgefärbten Barte, machte diese lebende Mumie einen fast grauenhaften Eindruck. Sie sprach mich mit einigen Worten an, welche etwa bedeuteten: »Gebt einer alten Unglücklichen, welche selbst nicht weiß, wie alt sie ist, eine Kleinigkeit«. Ich reichte ihr etwas, worauf sie eine segnende Geberde machte, aber meine Knechte riefen Vamos! und fuhren wie verrückt von dannen. Es ist des Teufels Großmutter, sagte der eine, die jeden verflucht, der ihr nichts schenkt. Sie erzählten mir ferner, daß das Weib schon vor der ersten Revolution (1810) an jener Stelle gewohnt, und vorgebe, so alt zu sein, daß sie ihr Herkommen vergessen habe, und auch die ältesten Männer hätten sie, als sie noch Knaben gewesen, schon in diesem Zustande gekannt. Also eine Art stabile Ahasvera.

Ich habe in Santjago dasselbe über die Alte gehört, wo man hinzusetzte, sie sei die einzige öffentliche Bettlerin, welche kein Privilegium[19] habe, welche aber niemand antaste, und ernähre sich fast einzig von Brod und – Branntwein!

Auf der Höhe der Cuesta de Prado tritt dem Reisenden die Cordillera schon näher und imposant entgegen. Ich hielt dort einen Augenblick, um den Stand meines Aneroid-Barometers zu bemerken, dann wurde natürlich wieder am äußersten Rande der Straße, und was die Pferde laufen konnten, bergab gefahren, und bald war die Ebene von Santjago erreicht.

Die Cordillera, an deren Fuße die Stadt erbaut zu sein scheint, entwickelte sich hier zum ersten Male vor meinem Blicke in größerer Ausdehnung. Es reichten ihre beschneiten Gipfel, so schien es, gerade bis an die Wolkenschicht, welche oberhalb derselben schwebte, und ich staunte über die Höhe des Gebirges. Aber oben in den Wolken bemerkte ich einen schwarzen Fleck, den ich mir nicht erklären konnte.

Da vertheilte sich plötzlich jener Wolken- oder Nebelschleier, rasch und in Zeit von wenigen Minuten der Sonne weichend, und vor mir stand die Andes-Kette in doppelter Höhe. Jene Wolken hatten die obere Hälfte des Gebirges bedeckt und der schwarze Fleck von vorhin war eine steil emporstehende, nicht mit Schnee bedeckte Felsenspitze gewesen.

Dort habe ich wie ein Kind diesem wundervollen Anblick entgegen gejubelt, und noch heute – – nun noch heute sagen meine verständigen Freunde, es sei eine Kinderei, über einen unfruchtbaren Berg solchen Lärmen aufschlagen.

VII.
Santjago (Chile).

Wenn man die Stadt nahebei erreicht hat, wird man erst inne, daß man von dort, bis an den Fuß, an die Vorberge der hohen Cordillera, noch drei bis vier Stunden zu reisen hat, trotzdem daß von einiger Entfernung aus gesehen, Stadt und Gebirge sich zu berühren scheinen.

Theils die Größe und Höhe des Gebirgs, welches es näher erscheinen läßt, trägt an dieser Täuschung die Schuld, theils aber auch eine eigenthümliche in Chile auftretende Erscheinung, ich meine den Mangel dessen, was die Maler mit Luftperspektive bezeichnen. Es ist dort schwierig auf größere Entfernungen hin die wirkliche Weite abzuschätzen, in welcher sich irgend eine Stadt, ein Berg u. s. w. befindet, indem alle diese Objekte sich fast in gleicher Klarheit darstellen, seien sie eine, zehn oder zwanzig Stunden weit entfernt. Ich habe später von der Cordillera aus das 15 Stunden weit entfernte Santjago so deutlich vor mir gesehen, daß ich auf einen Abstand von höchstens anderthalb Stunden geschlossen haben würde, hätte ich nicht den Weg von dort selbst zurückgelegt, und in Valdivia hätte ich dem 50 Stunden weit gelegenen Vulkane von Villarica höchstens 8 bis 10 Stunden Entfernung gegeben. Die Trockenheit der Luft und Mangel an Wasserdünsten in derselben kann kaum hieran allein schuld sein, denn obgleich trocken im Flachlande von Chile, war in der Cordillera selbst die Luft feucht genug, und in Valdivia war zu jener Zeit der Hygrometerstand etwa wie der mittlere von Deutschland. Ich erwähne mithin diese Erscheinung, ohne sie näher erklären zu können[20].

Flüchtig will ich über die Beschreibung der Stadt hinweggehen und nur den allgemeinen Eindruck zu schildern versuchen, den sie hervorruft. Es ist Santjago, die Hauptstadt Chiles, nur mit Ausnahme von Lima wohl die größte der Westküste, schon früher hinreichend geschildert, und es hat sich seitdem dort im Ganzen nur wenig geändert. Alle Straßen derselben schneiden sich im rechten Winkel, sind breit und mit Trottoirs versehen; durch die Mitte vieler derselben laufen starke Rinnen, theils auch gedeckte Kanäle zum Abzug der Unreinlichkeiten. Die durch die parallel laufenden Straßen entstandenen Vierecke werden Quadras genannt und haben einen Flächenraum von etwa zwei bayerischen Tagwerken. Die Außenseiten der Häuser, welche diese Quadras bilden, haben durchschnittlich ein klösterliches Ansehen, wenigstens die aus älterer Zeit. Meist einstöckig sind sie häufig mit kleinen vergitterten Fenstern versehen, und einfach weiß angestrichen. Durch jene Eintheilung in Quadras aber bleibt Raum für den Privatbesitz, so daß eine behagliche Einrichtung im Innern nicht fehlt. Ein ziemlich geräumiger Hof mit kleinem Garten bildet dann die Mitte des Gebäudes, die Thüren sind meist gegen diesen Hof hin geöffnet, und es hat mich der Gesammt-Typus dieser Wohnungen, ich weiß nicht mit Recht oder Unrecht, unwillkürlich immer an die alten römischen erinnert.

Indessen hat man auch größere zwei- ja dreistöckige Häuser erbaut, welche den häufigen Erdstößen bis jetzt mit mehr oder weniger Glück gut widerstanden haben. Am Hauptplatze, der Plaça, steht das Gouvernements-Gebäude und einige Kasernen. Die Münze ist ein wirklich großartiges Gebäude zu nennen, eben so die Universität, und unter den durchschnittlich gut gebauten Kirchen nimmt die Kathedrale den Hauptplatz ein und dürfte ihn auch in mancher großen Stadt Europas behaupten.

Schöne öffentliche Brunnen zieren die Stadt, aber das Wasser der meisten derselben ist trübe, d. h. fast milchähnlich gefärbt und es befinden sich in allen Häusern Filtrir-Apparate, wo vermittelst eines Sandsteins das Wasser klar erhalten wird. Man nennt dieß dort destilliren.

Die Ursache dieser Unreinheit des Wassers ist die, daß alle Brunnen der Stadt mit Flußwasser gespeist werden. Aber diese Flüsse selbst verdanken ihre Entstehung dem geschmolzenen Schnee der Cordillera, von welcher herab sie sich in's Flachland ergießen. Dieß geschieht im Gebirge selbst mit einem solchen starken Falle, und in Folge dessen mit einer so reißenden Schnelle, daß man in einem jener Gebirgswasser, welches kaum einen Fuß Tiefe hat, häufig nur mit Mühe zu stehen vermag.

In Folge dieser Heftigkeit des Laufes werden aber eine bedeutende Anzahl größerer oder kleinerer Fragmente der Gesteine losgerissen, durch welche die Gewässer strömen und diese Geschiebe reiben sich fortwährend theils unter einander, theils an den noch fest stehenden Felswänden des Flußbettes, so daß das Wasser mit einer Menge unendlich kleiner nicht nur aufgelöster, sondern auch suspendirter[21] Theile geschwängert wird, welche es trübe und milchähnlich erscheinen lassen. Ich habe eine Zeit lang unweit der Schneegränze auf der hohen Cordillera am Ufer eines solchen Flusses geschlafen und bin häufig in der Nacht durch das donnerähnliche Getöse geweckt worden, was plötzlich vorübergeführte Steinmassen verursachten, indem während der Nachtzeit alle diese Gewässer stärker anschwellen und heftiger strömen, da sie durch den durch die Sonnenhitze des Tages geschmolzenen Schnee verstärkt werden. –

Es ist mir die Einwohnerzahl von Santjago auf 80 bis 90,000 angegeben worden, allein die ziemlich zahlreiche Geistlichkeit und das Militär sollen bei dieser Schätzung nicht mit inbegriffen sein, und ich muß überhaupt bemerken, daß ich eher mehr als weniger Seelen für die Stadt annehmen möchte.

Was den Charakter der Bevölkerung von Santjago betrifft, wie ihre Sitten und Gebräuche, so gilt für dieselben was für Valparaiso bereits ausgesprochen wurde. Doch herrscht in Santjago, trotzdem, daß europäische Mode auch hier allgemein, doch noch mehr eigenthümliches Leben und die Sitte altspanischer Zeit vor.

So ist z. B. die ganz verständige Sitte, gegen Abend einen leichten Mantel zu tragen, dort ganz allgemein, und selbst die Senoritta schlägt keck und malerisch den großen Shawl um sich, wenn sie sich in den Räumen ihres Hauses bewegt.

Auch die glänzenden Läden und Verkaufsgewölbe werden in Santjago nicht angetroffen, wie in Valparaiso. Die Mehrzahl der Verkaufslokalitäten sind in Santjago eigentlich nichts weiter als Kramläden, in welchen mancherlei Waaren bunt genug gemengt verkauft werden.

Der eigentliche Ausdruck des chilenischen Lebens ist also in Santjago besser kennen zu lernen als in Valparaiso.

Ich war im englischen Hotel abgestiegen und hatte bald darauf einige Deutsche aufgesucht, an welche ich Briefe von Valparaiso hatte. Von Dr. Segeth, einem deutschen Arzte, wurde ich sogleich eingeladen, in seinem Hause zu wohnen. Es ist mir von jeher durchaus zuwider gewesen, in einer Stadt auf solche Weise Gastfreundschaft anzunehmen, indem man, selbst seiner Freiheit beraubt, den Gastfreund dennoch stets mehr oder weniger stört. Als ich aber Segeth ganz unverholen deshalb meine Meinung eröffnete, sagte er lachend, er sei ganz meiner Ansicht, aber er habe einige Quadras weiter noch ein anderes Haus, blos von einem Jäger bewohnt, und das solle ich als alleiniger Herr ungestört in Besitz nehmen. Ich schlug ein, und hatte mich bald ganz behaglich eingerichtet. Außer dem Jäger (einem Deutschen in Segeth's Diensten), dessen Familie, einer unbestimmten Anzahl von Knechten, Pferden und Maulthieren, einem lebenden Condor, verschiedenen Papageien und anderem Gethiere, war niemand im Hause, und ich hatte bald eine gewisse Obergewalt usurpirt.

Segeth war Minenbesitzer, hatte Landgüter und betrieb noch andere Geschäfte. Er hatte sechszig und etliche Pferde und eine, wie ich glaube, noch größere Anzahl von Maulthieren. Mir standen daher stets Pferde zu Gebot, so viel ich benützen wollte, und ich machte reichlichen Gebrauch von diesem Anerbieten, indem ich in Begleitung des Jägers sowohl als auch allein oder mit einigen Knechten Ausflüge in die Umgegend machte. Die Abende brachte ich dann, heimgekehrt von solchen Excursionen, häufig bei einem deutschen Kaufmanne, F. Schulze, zu, welcher mit gastlicher Freundlichkeit sein Haus allen Deutschen geöffnet hatte und bei welchem ich heitere Stunden verlebte. Noch steht lebhaft in meinem Gedächtnisse ein kolossaler Feigenbaum in Schulze's Garten, unter welchem wir oft halbe Nächte in fröhlichen Gesprächen verbrachten und in dessen Gipfel der Trochylus gigas, der größte Colibri Chile's, nistete.

Im Umkreise von einigen Stunden Weges sind mehrere hübsche kleinere Landseen bei Santjago, und dorthin ritten wir häufig um Wasservögel zu schießen, Amphibien und Insekten zu fangen und die Gesteine der Umgegend zu sammeln. So erwarb ich reichliche Ausbeute in der Laguna de Quilicana. Der See hat eine Ausdehnung von etwa einer halben Stunde in der Länge und Breite und ist auf der einen Seite von ziemlich steilen Hügeln eingeschlossen, welche etwa 900 Fuß hoch sein mögen; dort fallen auch seine Ufer ziemlich steil ab und das Wasser hat eine Tiefe von 8 bis 10 Fuß; auf der andern Seite aber verflacht er sich vollständig und geht in eine sumpfige Wiese aus. Er soll durch ein Erdbeben entstanden sein. Trachyt und Dioritporphyr in manchfacher Variation bilden die Hügel, und ich habe später einige der dort auftretenden Gesteine in der Algodonbay in Bolivien wieder gefunden, täuschend, und zum Verwechseln ähnlich. Glasiger Feldspath, Magneteisen und Kupferkies wurden in jenen Gesteinen unter anderen Beimengungen gefunden.

In jenem See lebt ein großer 7 bis 8 Zoll langer Frosch, er ist indessen schwer zu erhalten und scheint eine neue Art zu sein. Ich habe trotz aller Mühe ein einziges Exemplar mit nach Europa bringen können.

Wundervolle Jagdparthieen und zugleich gute naturhistorische Beute ergab eine andere Lagune, irre ich nicht, etwa drei Stunden weit von der Stadt entfernt.

Ich habe dort den Ibis albicollis geschossen und Ibis nigricollis, wundervoll schöne Enten und die ersten Papageien. Am meisten aber interessirte mich die Jagd des Coypo[22], einer anderthalb Fuß langen Ratte, welche die Ufer des Sees bewohnt. Auf jenem See sowohl, als auch auf anderen in der Umgegend der Stadt war das Thier früher sehr häufig, wird aber jetzt selten getroffen. Obschon längst bekannt und wie es scheint in ganz Südamerika zu Hause, sind dessen anatomische Verhältnisse doch erst in neuerer Zeit näher bekannt geworden, so z. B. die Eigenthümlichkeit, daß das Weibchen die Säugewarzen auf dem Rücken hat, ohne Zweifel aus dem Grunde, weil es schwimmend seine Jungen längere Zeit mit sich umherträgt. Das Thier schwimmt ziemlich rasch und taucht unter sobald es Gefahr bemerkt; mit der Schnelligkeit des Blitzes aber läuft es über liegendes Schilf und andere Wasserpflanzen hinweg, welche selbst in nur schwacher Schicht die Oberfläche des Wassers bedecken. Das Pelzwerk ist graubraun und hat Aehnlichkeit mit dem Biberfelle.

Da der See längs dem Ufer und bisweilen ziemlich weit gegen die Mitte hin mit Schilf bedeckt war, konnten wir uns mit dem Boote hinlänglich versteckt halten, und es gelang mir, ein schönes und großes Exemplar des Coypo zu erlegen, welches sich gegenwärtig in der Sammlung der Gewerbsschule zu Schweinfurt befindet.

Geognostische Studien können in Santjago beinahe schon in der Stadt selbst gemacht werden. Dicht an derselben, noch fast eingeschlossen von ihr, liegt der Monte San Lucia, ein Hügel von etwa 250 Fuß Höhe, auf welchem ein Engländer mit Erlaubniß der chilenischen Regierung zur Zeit meiner Anwesenheit eine Sternwarte erbaute. Die Hauptmasse dieses Felsens ist ein graugrüner Porphyr, in welchem glänzende Kristalle von Feldspath häufig eingemengt sind. Hier und da findet sich Magneteisen und bisweilen, doch seltener, Hornblende. Es finden sich kugelförmige Absonderungen, welche aus concentrischen Lagen begehen, die größere Masse des Felsens aber ist häufig plattenförmig gespalten, und in den Absonderungsflächen findet sich, ohne Zweifel als secundäres Produkt, Kalkspath in Kristallen.

War es nicht ein kleiner Anfall von Heimweh, daß es mich lebhaft erfreute, in diesem Gesteine einen alten Bekannten getroffen zu haben? In Franken, am Fuße des Steigerwaldes, und dort ganz vereinzelt alle Formen des Keupers durchbrechend, tritt nämlich ein Gestein auf, welches mit dem des Monte San Lucia so täuschende Aehnlichkeit hat, daß neben einander gelegte Exemplare kaum zu unterscheiden sind. Ich habe dort im fernen Lande mich lebhaft der Arbeiten erinnert, welche ich vor Jahren über jenes Gestein in der Heimath unternommen, und, nebenher, an manches Gute und vieles Schlimme, was ich seitdem erfahren.

Auch der Cerro blanco, der weiße Hügel, liegt dicht an der Stadt, an deren nordöstlichem Ende. Eine reizende Fernsicht ergiebt sich dort auf Stadt und Umgegend, und am Berge selbst, der kegelförmig emporgeschoben ist, zeigen sich einige merkwürdige Erscheinungen. Er ist auf der südlichen Seite durch Steinbruch-Arbeit aufgeschlossen, und dort finden sich Ablagerungen von Geröll und Geschieben, welche mit Sand wechseln. Auf dem trachytischen Gesteine selbst liegt unmittelbar Sand, hierauf Geröll und dann wieder Sand. Jede Lage hat fast einen Fuß Mächtigkeit und die Gerölle sind abgeschliffen, also jedenfalls von weiter hergeführt. Es fällt der Berg an der Stelle, wo ich diese Formen fand, steil ab, etwa in einem Winkel von 40 Graden, aber die Ablagerungen der Gerölle fallen genau ebenfalls in diesem Winkel, also parallel mit dem Abhang des Berges. Man muß also annehmen, daß sie früher sich abgesetzt haben an der Stelle, wo der Berg sich gegenwärtig befindet, und mit demselben später gehoben worden sind. Jene mächtigen Fluthen, deren ich oben erwähnte, haben also schon in einer früheren Periode statt gefunden, nach welcher noch das ganze Land mächtigen Erschütterungen ausgesetzt war, denn ohne solche mag es wohl kaum abgegangen sein bei der Hebung und dem Emporsteigen eines Kegels von etwa 800 Fuß Höhe. Man kann den Cerro blanco als Trachyt-Porphyr ansprechen. Gegen die Stadt zu ist das Gestein weißgrau mit Einmengungen von Quarz-Körnern, Feldspath und glasigem Feldspathe. Hornblende entdeckt man nur durch das Mikroskop in demselben. Gegen Norden zu herrscht eine mehr röthliche Farbe vor, aber fast in der Mitte und auf der Spitze des Hügels zeigt sich, gangartig auftretend, ein dunkles Gestein. Manchmal sind in demselben Trümmer des röthlichen Trachyt-Porphyr eingeschlossen und geben der Bildung das Ansehen eines Conglomerats.

Einige Stunden von Santjago gegen die Cordillera und in der Nähe eines Klosters liegen die Bäder von Apoquindo. Ich bin durch diese Bade-Anstalt lebhaft an gewisse kleine Bäder in Deutschland erinnert worden, welche bei uns allenthalben getroffen werden, so wenig ihre Existenz auch über den Umkreis von einigen Stunden hinaus bekannt sein mag. Hier besteht die größte Anzahl der Kurgäste meist aus Frauen der Umgegend, mehr oder weniger mit fabelhaften Zuständen behaftet, und mit Ausnahme der Zunge, hinfällig und leidend. Die Männer bilden die Minderzahl, durchschnittlich ältere Leute, Pensionisten, ein Pfarrer, ein Candidat oder Lehrer, vielleicht auch irgend ein Kranker, dessen Kur von einer mildthätigen Anstalt bestritten wird. Mit wenig Ausnahme war dort in den Bädern von Apoquindo dasselbe Publikum, derselbe Typus der Badegäste, nur, wenn man so sagen darf, vom Deutschen in's Chilenische übersetzt. Es sind zwei lange Gebäude zur Aufnahme der Kurgäste errichtet, blos aus einem Erdgeschosse bestehend, und von Lehm erbaut, mit einfachster Einrichtung im Innern. Die einzelnen Gemächer dieser Häuser waren meist, ja fast sämmtlich von Damen in Anspruch genommen und ich hatte dort Bedenkliches zu überstehen. Ein deutscher Landsmann, welcher mich begleitete, eröffnete nämlich den Frauen, daß ich ein großer und weltberühmter Arzt sei (risum teneatis amici?!); man beobachtete ehrfurchtsvolles Schweigen bis ich die Temperatur der Quellen genommen, und flüchtig die Wassermenge bestimmt hatte, welche dieselben lieferten, dann aber wurde ich von ihnen umringt, sollte helfen, retten, gesund machen, selbst Krüppel heilen, vor allem aber »un remedio« geben. Ich frug meine Kranken, ob sie schon in Santjago einen Arzt befragt hätten, und eröffnete ihnen, als die meisten bejahten, gravitätisch, daß deutsche Aerzte nicht gewohnt seien einander ihre Kranken abspenstig zu machen (Lieber Gott! wen hat nicht schon eine Frau zum Lügen gebracht und erst hier sicher ein Dutzend!), aber das half wenig. Ich wurde von Zuständen in Kenntniß gesetzt, von deren Existenz ich vorher keine Ahnung gehabt hatte, und konnte mich zuletzt kaum durch die Flucht retten, indem ich mit Mühe mein Pferd gewann, bald wieder zu kommen versprach und davon ritt.

Man nennt die fünf dortigen Quellen warme. Drei derselben entspringen aus einem röthlichen Porphyr, die übrigen zwei brechen aus Schuttland hervor, welches jedoch wohl nur in geringer Mächtigkeit das porphyrische Gestein bedeckt. Dicht an der Quelle hat man Vertiefungen in den Boden gegraben, in welcher sich das Wasser sammelt, und welche man mit leichten, hie und da ziemlich durchsichtigen Reisighütten bedeckt hat, und in diesen badet man.

Die Temperatur der drei aus dem Porphyr brechenden Quellen war I + 17.0° R. II + 19.5° R. III + 19.0° R., die aus dem Schuttlande kommenden hatten IV + 17.0° R. und V + 19.5° R.

Uebrigens entspringen alle fünf nur in geringer Entfernung von einander, so daß der Abstand der beiden entlegensten kaum 15 Schritte beträgt. Die Gesammtmenge, welche alle Quellen zusammen geben, beträgt etwa 60 Litres für die Stunde. Eine Analyse der Quellen ist nicht vorhanden, aber vier derselben haben einen sehr unschuldigen Geschmack und die medicinische Wirksamkeit scheint, nach allem, was ich erfahren konnte, sich ebenfalls in sehr engen Grenzen zu bewegen[23].

Eine derselben aber wurde mir als kupferhaltig bezeichnet, ihr Wasser wird nicht getrunken und für giftig gehalten. Ich habe noch in der Folge von mehreren kupferhaltigen Wassern der Westküste zu berichten, welche dort kaum zu den Seltenheiten gerechnet werden dürfen, und den Kupferreichthum bezeugen, der allenthalben dort in tiefer liegenden Gängen vorhanden sein muß.

Als einer freundlichen Erinnerung muß ich des Dorfes Renca unweit Santjago gedenken, das reich geschmückt mit Rebengeländern und prachtvollen Feigenbäumen, einen ländlichen Vergnügungsplatz für die Stadtbewohner abgiebt. Ich habe selten so artig gehaltene und zierliche ländliche Wohnungen gesehen als eben dort, wo die Kunst kaum etwas, aber die Natur alles zur Verschönerung gethan hat. An Sonn- und Feiertagen aber ist auch stets eine zahlreiche Volksmenge dort versammelt. Unter den Belustigungen, mit welchen man dort sich ergötzt, ist mir eine Art theatralische Vorstellung lebhaft im Gedächtniß geblieben. Heilige, gekrönte Häupter und einige Teufel trieben sich in lebhaftem Wechselverkehr auf einer kleinen improvisirten Bühne herum, bisweilen unterbrochen durch eine Reihe grotesker Tänze, welche von einem der Schauspieler aufgeführt wurden. Obgleich ich kaum von den rasch und heftig hergesagten Rollen etwas verstand, und auch wenig Aufschluß über das eigentliche Wesen der Spiele erhalten konnte, hat das Eigenthümliche desselben doch einen bleibenden Eindruck auf mich gemacht. So wie ich auf dem Wege nach Santjago das schauderhafte alte Weib gesehen habe, so sah ich nebenher gesagt, hier in Renca das schönste Mädchen[24].

Es steht vielleicht zu erwarten, daß Chile in nicht sehr langer Zeit das Ziel für manche deutsche Auswanderer werden wird, und in diesem Sinne dürfte es manchem der Leser nicht unangenehm sein, die Notizen zu durchblättern über die Form der Regierung, über das Militär und Studienwesen, Handel und Gewerbe, welche ich hier folgen lassen will. Bekanntlich ist Chile eine Republik und vielleicht hat nie ein Volk mit mehr Recht eine Revolution begonnen, als eben die Chilenen.

Ich habe mehrfache Notizen gesammelt über die Bedrückungen, welche die Spanier gegen ihre Provinzen ausgeübt haben, zwar von in Chile wohnenden Deutschen, aber von Männern, welche unbefangen waren und parteilos, so viel es überhaupt ein ehrlicher Mann sein kann, und man weiß nicht, soll man unwillig oder bedauernd auf das Verfahren hinblicken, welches die spanische Regierung eingeschlagen hatte, indem sie Alles that um in allen ihren Besitzungen an der Westküste Unzufriedenheit hervorzurufen, Nichts aber um sie sich zu erhalten. So durften unter andern blos spanische Handelsschiffe die dortigen Häfen besuchen, so daß der Handel auf das Aeußerste beschränkt war. Eine der unsinnigsten Maßregeln war aber ohne Zweifel die, daß kein im Lande, d. h. in Chile, Peru u. s. w. Geborener irgend einen höheren staatlichen Posten dort begleiten konnte, sondern daß alle diese Stellen stets mit geborenen Spaniern besetzt werden mußten. Der Sohn des loyalsten Anhängers der Regierung wurde als Fremder betrachtet, war er in Chile geboren, und so gewissermaßen schon zum Feinde Spaniens bei seiner Geburt gestempelt.

Die Erbitterung, welche sich allmälig einschlich, wurde durch jedes spanische Schiff mit neuen Ankömmlingen stärker angefacht, denn diese benahmen sich stolz und abstoßend gegen die eingeborenen Chilenen, und man betrachtete sich gegenseitig mit argwöhnischen und feindseligen Blicken, besonders nachdem einmal die ersten Unruhen ausgebrochen waren.

Es wurde nie vielleicht ein Bürgerkrieg mit mehr Erbitterung geführt, als der chilenische Befreiungskampf. Die vom Mutterlande eingeführten Truppen schlugen sich mit beispielloser Tapferkeit und ohne Zweifel hätte sich, da die meiste taktische Kraft auf ihrer Seite war, auch für sie der Sieg entschieden, hätte nicht die Unterstützung von Spanien aus gefehlt. Hatte man dort die Mittel hiezu nicht, lag Perfidie im Spiele, oder war es Nachlässigkeit, ich weiß es nicht, aber es ist sicher, daß die Bewaffnung der Truppen, der Stand der Forts, der Häfen und alle Hülfe von außen zu jener Zeit in demselben schlechten Zustande war, wie vor hundert Jahren schon Anson dies geschildert hat.

So siegten die Chilenen. Diese Revolution verdankt nicht dem Beispiele Nordamerikas ihren Ursprung, sie wurde nicht erzeugt durch Nachahmung französischer Grundsätze, nicht durch englische speculative Einflüsterungen, sie ging aus dem Bedürfnisse, aus der unabweisbaren Nothwendigkeit hervor, das spanische Joch abzuwerfen, sie wurde von Besitzenden des Landes, von den am meisten Begüterten, und von dem intelligentesten Theile der Nation entworfen und ausgeführt, und diese halten auch noch gegenwärtig die Zügel der Regierung in den Händen.

Die Form der Regierung ist etwa folgende: Ein Präsident, der das Prädicat Excellenz hat, steht an der Spitze. Er wird auf fünf Jahre gewählt, und kann hierauf auf's Neue für die gleiche Zeit, aber nicht für die folgenden fünf Jahre gewählt werden. Die Wahl des Präsidenten geschieht durch Wahlmänner, welche vom Volke gewählt werden.

Die Regierung wird durch die Nationalversammlung, den Congreso nacional, geleitet. Er besteht aus zwei Kammern. Die der Senatoren aus 20 Mitgliedern bestehend, welche 9 Jahre im Amte bleiben, und die der Deputirten, welche alle drei Jahre neu eintreten. Die Kammer der Senatoren hat unter andern das Recht die Ernennung der Erzbischöfe zu bestätigen oder zu verwerfen und spricht, im Falle ein Minister angeklagt wird, das Urtheil. Der gesammte Congreso nacional aber bestimmt die Stärke des Heeres, bewilligt die Etatsausgaben, stimmt für Frieden oder Krieg, nachdem der Präsident die betreffenden Vorschläge gemacht hat. Die Gerechtigkeitspflege wird durch verschiedene Gerichtshöfe geübt, welche von unten herauf folgende sind:

Inspectores, mit Urtheil ohne Appellation über Dinge von 12 Peso Werth, und mit Freiheit des Verurtheilten zu appelliren, bis zu 39 Peso.

Subdelegatos (wörtlich: Unterbevollmächtigte). Sie urtheilen in erster Instanz über Sachen von 40 bis 150 Peso Werth, und in zweiter Instanz über solche von 12 zu 40 Peso.

Alcades ordinarios, mit Urtheil in zweiter Instanz über Sachen von 40 bis 150 Peso und in erster Instanz über höhere Werthe.

Jueces de latras, entscheiden endlich alle Processe die über 150 Peso Werth haben, und in erster Instanz alle Processe gegen die vorher genannten Richter, ebenso in Strafsachen.

Dann folgen in höherer und höchster Instanz ein Appellationsgericht und ein Oberappellationsgericht.

Es mögen folgende Bestimmungen, Auszüge aus der Constitution und aus Gesetzbüchern, vielleicht am besten geeignet sein, einiges Licht auf den Geist der Regierung zu werfen:

Es darf Niemand verhaftet werden, außer durch Gerichtsbeschluß oder auf frischer That ertappt.

Die Sklaverei ist abgeschafft[25].

Die Tortur und der Eid des Angeklagten in Kriminalsachen ist abgeschafft.

Das Briefgeheimniß ist garantirt.

Es besteht vollkommenste Preßfreiheit. (Hiebei muß indessen bemerkt werden, daß die Justiz, liberal im höchsten Sinne des Worts, kein Preßvergehen zu kennen scheint. Macht sich aber irgend Jemand unnütz, und zeigt sich als Feind der Regierung, so weiß ihn die Polizei zu fassen. Ausländer werden in diesem Falle auf das nächste beste Schiff einer befreundeten Macht gesetzt und friedlich in ein anderes Land gefahren. Einerlei wohin: Bolivien, Centralamerika, Peru.)

Alle Abgaben und Lasten sind gleich.

Die Industrie ist vollkommen frei.

Literarisches Eigenthum ist gegen Nachdruck geschützt.

Die öffentliche Macht gehorcht, sie deliberirt nicht.

Eine Maßregel, welche in Gegenwart oder in Folge einer Aufforderung der öffentlichen Macht getroffen worden ist, ist als nichtig zu betrachten.

Jede Repräsentation des Volkes, außer durch den Congreso nacional, ist Aufruhr.

Bei Aufruhr kann der Belagerungszustand eintreten.

Beim Belagerungszustand ist die Constitution örtlich und zeitlich aufgehoben.

Das Militär in Chile besteht aus den Linientruppen und der Landmiliz.

Die Soldaten der Linie werden geworben. Ich kann keine Nachricht geben, ob blos nur Chilenen oder ob auch Ausländer eintreten können. Indessen weiß ich, daß während ich in Valparaiso war, ein Nordamerikaner als Militärarzt angenommen wurde. Der Stand der Landarmee ist im Frieden auf 3000 Mann festgesetzt. Zur Zeit meiner Anwesenheit betrug derselbe indessen nur 2770 Mann. Der chilenische Soldat liegt während des Friedens gerne im Schatten und raucht seine Cigarre, speist gerne und thut am liebsten Nichts. In Sauberkeit der Uniform wäre Manches zu wünschen. Im Kriege geht er wie toll auf den Feind und macht Märsche, deren Größe ich hier nicht niederschreiben will, weil man mir nicht glauben würde. Bei solchen Fällen herrscht strenge Mannszucht, und ich will ein Beispiel anführen, welches mir von einem höchst glaubwürdigen Augenzeugen erzählt wurde. Die chilenische Republik führte Krieg, ich glaube mit der argentinischen, doch weiß ich dieß nicht mehr so genau und ebenso nicht den Namen des Generals, welcher einsah, daß es durchaus nöthig war, zu einer bestimmten Zeit über der Cordillera zu sein. Die Jahreszeit war übel, die Wege gefährlich und mühsam zu erklimmen. Jener Anführer aber erließ fast wörtlich folgenden Tagesbefehl:

Mitbürger! Soldaten!

Wir müssen über die Cordillera. Ich habe nur zwei Dinge zu befehlen:

Bei dem Marsche über die Cordillera gibt es keine vollständige Musik, für je 30 bis 40 Mann reicht eine Guitarre aus!

Bei dem Marsche über die Cordillera gibt es keine Müdigkeit. Der zurückbleibende Müde wird erschossen!

Man kam in unglaublich kurzer Zeit über das Gebirge, indem man beim Klange der Guitarre marschirte und es meldete sich nicht ein Mann als müde.

Die Offiziere der chilenischen Linie haben durchaus die Haltung der europäischen und alle die ich gesehen habe, schienen mir feine Männer zu sein.

Da jeder Chilene in die Liste des Heeres eingetragen ist, so beträgt auf dem Papiere die Anzahl der Miliztruppen fast 80,000. Wie viele indessen hievon dienstfähig und ob alle Milizen verpflichtet sind über die Grenze zu gehen, weiß ich nicht. Indessen uniformirt und bewaffnet der Staat diese Landwehr auf seine Kosten, und wenn sie im Diente sind, werden sie besoldet. Den Rang eines Generals giebt der Congreso und vom Major aufwärts ernennt derselbe ebenso alle Offiziere der Miliz, welche Leute vom Fach sein und bereits bei der Linie gedient haben müssen. Vom Major abwärts wählt die Miliz sich ihre Offiziere selbst. Es kömmt kaum vor, daß hiebei Männer zur Wahl kommen, welche, wie soll ich sagen, mißliebig sind.

Es mag sich treffen, wie anderwärts auch der Fall ist, daß die militärischen Uebungen der Miliz nicht mit derselben Sorgfalt und Präcision ausgeführt werden, wie jene der regulären Truppen; aber im Kriege hat sich die chilenische Landwehr stets vortheilhaft benommen und Tüchtiges geleistet. Daß die Cavallerie vorzüglich ist, braucht kaum erwähnt zu werden, wenn man bedenkt, daß jeder Chilene ein geborener Reiter.

Der Stand der Marine ist kein glänzender. Chile hat eine Fregatte, zwei Corvetten und noch zwei andere kleine Schiffe. Es wollte mich bedünken, als segle die Fregatte nicht sehr rasch und sei zum Dienste auf hoher See nicht wohl zu brauchen. Obgleich nur allein Küstenland, hat Chile doch vielleicht eingesehen, daß im Fall einer Mißhelligkeit mit einer größeren Macht Europas oder mit Nordamerika, gegen jene bedeutenden Seemächte mit aller Aufopferung doch Nichts auszurichten sei; da aber Chile außerdem mit Ausnahme zweifelhafter Stationen in der Maghellanstraße, keine überseeischen Besitzungen oder Colonien hat, und überdem keine bedeutende Ausfuhr an Landesprodukten durch chilenische Schiffe stattfindet, hält man wohl die Kosten einer größeren Flotte für nicht äquivalent ihrem Nutzen. –

Ueber das Unterrichtswesen weiß ich nur wenig zu sagen.

In Santjago ist eine Universität und ein höheres Gymnasium; Realgymnasien (Collegio) sind in jeder Provinz, niedere Bürgerschulen in jeder Stadt. Außerdem ist in Santjago eine Militärakademie, ein geistliches Seminar, ein Schullehrer-Seminar und eine Hebammen-Schule. Eine Navigationsschule ist in Valparaiso, eine Bergwerksschule ist in Coquimbo.

Das Laboratorium der Universität zu Santjago ist vollständig zweckmäßig erbaut und reichlich mit Instrumenten und Geräthschaften ausgerüstet. Ich habe mich in demselben heimischer gefühlt als fast irgendwo auf meiner ganzen Reise. Domeyko steht demselben vor und ist überhaupt die Seele aller naturwissenschaftlichen Unternehmungen des Landes. Ich bin erstaunt über das vielseitige und gediegene Wissen dieses Mannes und über seine rastlose Thätigkeit. Aber ich habe nie auf die in mein Fach einschlagenden Gegenstände des Unterrichts näher eingehen können, und vermag keine Aufschlüsse zu geben über den Gang der Gymnasialbildung, die Form und die Gesetze, welche dort eingehalten werden bezüglich des Uebertritts auf die hohe Schule und ob dort alte Sprachen, wie bei uns, vorzugsweise betrieben werden.

Im Uebrigen weiß ich aus guter Quelle, daß die Regierung sich lebhaft für das Erziehungs- und Unterrichtswesen interessirt, dasselbe cultivirt und nach ihrem Sinne regelt.

Obgleich Chile nach seinen gegenwärtigen Verhältnissen eher bestimmt ist, den Ackerbau und das Bergwesen zu cultiviren, als vorzugsweise ein Handel treibender Staat zu sein, ist der Handel doch einer der wichtigsten Gegenstände für das Land und das schon deswegen, weil sowohl wirkliche Luxusgegenstände, als auch zum Leben unentbehrliche Bedürfnisse von Außen eingeführt werden. Obgleich ich vielleicht im Stande wäre, ziemlich ausführliche Nachrichten in Betreff des dortigen Handels mitzutheilen, muß ich mich doch auf einen kurzen Raum beschränken, da der Zweck der gegenwärtigen Notizen nur der ist, eine allgemeine Uebersicht zu geben.

Die Artikel, welche ausgeführt werden, sind vorzugsweise: Silber, plata pinna und plata en barras, d. h. in kurzen runden Blättern und Barren, und gemünzt, Pesos, als Zahlung nach Europa; Gold, doch weniger. – Kupfer, ein Hauptartikel, in Erzen sowohl nach England und Hamburg, vorzugsweise aber cobre in ejes, d. h. schon einmal geschmolzenes, ferner in Barren und fast vollständig rein. Das chilenische Kupfer geht nach ganz Europa und nach den Vereinigten Staaten.

Wolle, Schafwolle; indessen scheint es als würden blos geringere Sorten ausgeführt, und man behielte die feinsten im Lande.

Ochsenhäute, die Felle der Chinchilla, letztere als ganz feines Pelzwerk häufig nach Europa.

An Produkten des Ackerbaues, jedoch fast einzig für die benachbarten Länder der Westküste, wird am häufigsten ausgeführt Waizen, dann Gerste und Bohnen. Mit Ausnahme dieser letzteren Gegenstände, welche meist durch chilenische Handelsschiffe verfahren werden, geschieht die Ausfuhr der anderen durch fremde Schiffe, welche sie in den chilenischen Häfen abholen.

Der Import aber ist ohne Zweifel in Chile der bedeutendste Handelszweig. Dies wird vollständig klar werden, sobald ich weiter unten die gewerbliche Thätigkeit Chiles erwähne.

Dieser Handel ist durchgängig in den Händen von Europäern. Deutschen, Engländern und Franzosen, und durch sie werden die Erzeugnisse ihrer Länder nach Chile gebracht. Handelshäuser in Europa haben dort, meist in den Häfen und vorzugsweise in Valparaiso, ihre Agenten, diesen werden die verlangten und gangbaren Waaren zugeschickt und von ihnen in größeren Parthieen an die Handelsleute verkauft, welche sogenannte offene Geschäfte, d. h. Läden haben. Nicht blos alle Eisen-, Stahl- und Messingwaaren, sondern auch Gläser, Papier, Linnen, Kattune, Seidenzeug und tausend Artikel, die unter dem Namen der kurzen Waaren begriffen sind, werden auf diese Weise eingeführt.

Kaum braucht bemerkt zu werden, von welcher Wichtigkeit für die europäische Industrie diese Verhältnisse sind, wenn man bedenkt, daß die stets wachsende Bevölkerung von Chile, ja fast der ganzen Westküste, diese Produkte unsers Fleißes von uns zu beziehen genöthigt ist, indem keine Fabrik in jenen Ländern existirt, und wohl nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge auch Manufaktur- und Fabrikwesen so bald keine festen Wurzeln dort fassen dürfte.

Ohne unseren dortigen europäischen Landsleuten irgendwie zu nahe treten zu wollen, läßt sich doch von vorne herein denken, daß dieselben sicher der Errichtung und dem Aufblühen einer Fabrik mit allen Kräften entgegentreten werden, denn der Absatz europäischer Waare würde stocken, und mithin ebenfalls ihr Verdienst.

Auf der andern Seite glaube ich nicht, daß die Chilenen selbst gute Arbeiter für solche Geschäfte abgeben würden; sie haben wenig Sinn für sitzende Lebensart und überhaupt ist das Land, welches allenthalben noch Feld genug bietet zum Ackerbau, nicht bestimmt, seine Kinder in dem Baumwollstaube einer Spinnerei verkümmern oder in einer Farbfabrik chronisch vergiften zu sehen[26].

Endlich aber wird wohl schwerlich die chilenische Regierung selbst besonders lebhaft sich für die Errichtung von Fabriken interessiren. Einestheils hat sie wohl eingesehen, daß dauernder Wohlstand in Chile vorzugsweise nur durch Acker- und Bergbau begründet werden kann. Auf der andern Seite aber würde durch das Aufhören des Imports fremder Waaren ein unersetzlicher Ausfall in den öffentlichen Finanzen entstehen, denn es ist der Eingangszoll, welcher vorzugsweise die Ausgaben des Staats decken muß.

Ich will kurz die Einnahme des Staats und mithin zugleich die Abgaben berühren. Es kömmt sogleich nach dem Zolle das Tabaksmonopol in Betreff der Ergiebigkeit für den Staat. Es darf in Chile kein Tabak gebaut werden und die Einführung unterliegt der Aufsicht der Regierung. Im Jahre 1845 hat die Einfuhr des Tabaks und der Verkauf im Estanço publico des Staates, demselben 663,356 Pesos getragen.

Der Zehnte, vorzugsweise von Vieh und Getreide erhoben, ist nicht bedeutend, da er nicht strenge eingefordert oder vielmehr geringer gegeben wird, doch will ihn das Volk nicht abgeschafft wissen, da man dann eine andere Steuer fürchtet.

Der Catastro, eine Art Grundsteuer, unbedeutend.

Der Alcabala, welches mit »Handlohn« übersetzt werden kann, wird mit 4 Procenten beim Verkaufe von Grundstücken entrichtet; er trug im Jahre 1845 102,176 Peso.

Die Patente, Gewerbsteuer, beim Kaufmanne 50 Peso nicht übersteigend, beim Gewerbtreibenden nicht 25.

Ferner. Die Post, das Wegegeld, das Stempelpapier und die Münze, Alles aber nur spärliche Einnahmen, so, daß die Münze im Jahre 1845 nur 23,959 Peso, die übrigen drei Punkte aber eine noch geringere Einnahme boten.

Der Eingangszoll aber betrug im gedachten Jahr 1,763,739 Peso, und weder die Regierung noch das Volk werden diese glücklich erdachte Steuer missen wollen. Glücklich erdacht nämlich für Chile, indem die ganze Masse der Fremden und alle Schiffe, welche Bedürfnisse einnehmen, dieselbe mittragen müssen und beider Anzahl, gerade für Chile, das Küstenland, eine bedeutende ist.

Außerdem besteuert sich durch den Zoll gewissermaßen das Publikum selbst, indem der Luxus theuerer besteuert ist als Nothwendiges, feinere Waaren höher als geringere. So richtet sich z. B. bei Linnen und Baumwollenzeugen die Größe der Steuer nach der Anzahl von Fäden, welche auf einen Quadratzoll gehen.

Der Empfänger gibt den Werth der Waaren an und scheint derselbe der Zollbehörde zu gering, so hat sie das Recht gegen Erlegung des Preises sie zu behalten.

Einige, durchschnittlich berechnete, Einfuhr-Ansätze sind folgende:

Baumwollenwaaren 20-30 Procent d. Werthes,
Garn 20 " "
Wollenwaaren 20 " "
Seidenwaaren 15 " "
Leinen 20 " "
Metalle 10 " "
Schiffsmaterialien 2-20 " "
Wein 20-100 " "
Bier 100 " "
Spirituosen 40-75 " "
Eisen u. andere Metallwaaren 20 " "
Glas 20 " "
Steingut, Porcellan 20 " "
Lederwaare 30-35 " "
Kurze Waare überhaupt 20-35 " "
Mobilien 30 " "
Papier 20 " "

Diesen Notizen füge ich bei, daß die Zollbeamten artig sind und Privatleuten, von welchen sie voraussetzen, daß dieselben keinen Handel treiben, durch die Finger sehen. So habe ich offen einen großen Theil meines Tabakes und meiner Cigarren vor das Mauthhaus in Valparaiso gebracht, aber man that, als bemerkte man denselben nicht, nachdem man erfahren, daß ich »medico i naturalista« sei.

Den Schiffkapitänen aber der Kauffahrteischiffe lauern sie ganz speciell auf, da dieselben fast alle schmuggeln. Ich selbst habe die chilenische Zollbehörde um nichts gebracht, als um den Zoll von 100 Flaschen englisches Bier, welche ich bei meiner Abreise von einem amerikanischen Schiffe[27] auf das unsrige schmuggelte.

Jene Geschichte hat mir 40-50 Peso erspart und viel Vergnügen, d. h. romantisches, verschafft, leider aber kann sie nicht ganz erzählt werden, eben so wenig wie eine andere analoge Schmuggel-Expedition, welcher ich später beiwohnte. Man muß oft das Interessanteste verschweigen, und kann als »naturalista« nicht berichten von jedem Schmetterling, den man gefangen, und von jeder Jagd (caza) die man unternommen.

Der Stand der Gewerbe in Chile geht zum Theil aus dem vorher über den Import Gesagten hervor. Man kann z. B. annehmen, daß der größte Theil der nach europäischem Schnitte verfertigten Kleider auch von Europa aus schon fertig eingeführt werden, obgleich es Schneider in Chile giebt, die ganz gut arbeiten und es ist mit analogen Dingen, Schuhen, Hüten u. s. w. derselbe Fall.

Geht man auf die einzelnen Gewerbe ein, so findet man, daß viele Gewerbe, welche bei uns in sehr verschiedene Fächer zerfallen, dort in ein einziges vereinigt sind. Selbst Ausländer, die dort ansässig sind, betreiben auf diese Art ihr Geschäft. So habe ich in Valparaiso die ziemlich bedeutende Werkstätte eines Franzosen gesehen, der Schmied, Schlosser, Waffenschmied und Büchsenmacher zu gleicher Zeit war, und welcher zwar gute, indessen ziemlich theuere Arbeit lieferte. Ich mußte demselben für einen ganz einfachen Mineralienhammer drei und für einen Ladestock mit Krätzer vier Peso bezahlen.

Viele Gewerbe sind sehr schlecht vertreten, z. B. das der Dreher; fast alles in diese Fächer Einschlagende wird importirt. Ein gleicher Fall ist mit Optikern und Mechanikern, und wohl größtentheils auch mit Uhrmachern. Leder- und Riemenzeug wird im Lande sehr solid gefertigt, doch zieht man, wenn es halbweg angeht, europäischen, oft wenig dauerhaft gefertigten Kram vor.

Ich glaube fast, daß unter den Gewerben, welche reine Luxusartikel fertigen, Gold- und Silberarbeiten am besten vertreten sind. Die Zierlichkeit und Dünnheit europäischer Schmuck-Gegenstände findet man nicht bei den dort gefertigten, obgleich viel eingeführte theuer genug verkauft werden; aber noch sind Anklänge vorhanden altspanischer Luxusliebe und des Reichthums und Ueberflusses an edlen Metallen, der bei Entdeckung der Westküste angetroffen wurde. Von den schweren Beschlägen an Sattel und Reitzeug habe ich schon oben gesprochen, aber auch andere Dinge werden schwer und reich gefertigt. Ich habe mir dort eine silberne Mechara, eine Lunte zum Anzünden der Cigarren für vier Peso gekauft, aber ich habe solche von Gold gesehen, welche zwölf Unzen kosteten. Aehnlich sind die im Lande gefertigten Ketten, Dosen und dergleichen.

Während meiner Anwesenheit in Santjago kam bei einem mir bekannten deutschen Goldarbeiter eine Sendung kalifornisches Gold im Werthe zu etwa 9000 bis 10,000 Peso an. Alles wollte Schmucksachen von diesem Golde besitzen, und der Vorrath war rasch aufgearbeitet. Ich wohnte öfters diesen Arbeiten bei und kann behaupten, daß aus einer Tabatière, wie sie dort gefertigt wurden, sicher sechs von jenen hätten gemacht werden können, wie sie bei uns im Gebrauche sind, und dabei fehlte eine gewisse, wenn auch eigenthümliche Eleganz jenen Arbeiten durchaus nicht.

Die Gewerbe, welche die zum Leben unentbehrlichen Dinge liefern, werden meist von eingebornen Chilenen betrieben, so z. B. sind Maurer und Zimmerleute meistens Landeskinder. Ich habe da die Bemerkung gemacht, daß gewisse Handthierungen vollständig den Unterschied der Nationen aufzuheben scheinen. Der chilenische Maurer z. B. ist das lebendige Ebenbild seines deutschen Collegen. Hier ist alle spanische Grandezza, alles Feuer des Südamerikaners verschwunden. Er ist Maurer mit Herz und Seele. Er nimmt aus einer großen Dose, die sich knarrend öffnet, seine Prise, und bedient sich mit Geräusch eines blauen Taschentuches. Er bedarf die dreifache Zeit, welche jeder andere Mensch bedarf, um von einer Stelle des Baues zur andern zu gehen und streicht den Mörtel so langsam und bedächtig auf, als wolle er dessen Erhärten abwarten. Mit dem ersten Schlage der Feierstunde aber läßt er die Kelle aus der Hand fallen und geht unerwartet raschen Schrittes von dannen.

Auch der chilenische Tüncher braucht, wie der deutsche, stets zwei Tage länger als er versprochen hat zur Arbeit, und beschmutzt nach Kräften alle benachbarten Gegenstände.

So umschlingt ein großes gemeinschaftliches Band alle Menschen als Brüder!

Andere Gewerbe befinden sich noch auf der Stufe möglichster Einfachheit. So z. B. die Weberei. Das Spinnrad und der eigentliche Webstuhl sind unbekannt. Man spinnt mit der Spindel, und wie früher unseren Frauen einzig die Weberei oblag, wird sie noch heute in Chile allein von denselben betrieben, und das zwar auf mühsame und beschwerliche Art. Die Kette wird an zwei Stäben von der Breite des zu verbindenden Tuches befestigt, und diese Stäbe werden Anfangs in der ganzen Länge der Fäden an der Kette angespannt und sechs Zoll hoch über dem Boden an Pflöcken befestigt. Auf einem langen dünnen Stabe ist der Einschlag aufgewunden und wird zwischen den Fäden der Kette durchgeschoben, und diese wird durch Schlingen mittelst eines durchgeschobenen schweren Holzes in die Höhe gehoben. Diese Arbeit ist sicher mühevoll und beschwerlich, und je nach der Feinheit des Gewebes können des Tags hindurch eine bis drei Ellen gefertigt werden. Aber dennoch weben die Frauen und Mädchen jene feinen Ponchas, von welchen ich schon gesprochen habe und welche theuer bezahlt werden.

Auch das Färben besorgen die Frauen, und die gewebten Wollenzeuge sind schön und dauerhaft gefärbt; ich weiß indessen nicht auf welche Weise und mit welchen Farben sie dieß bewerkstelligen, obgleich ich mich mehrfach bemühte, es zu erfahren.

Ich will noch kurz der Mühlen und Töpferei gedenken.

Die chilenische Mühle wie solche auf dem Lande allenthalben im Gebrauche, besteht aus einem niedern horizontal und festliegenden Steine. Durch diesen geht eine Welle und in dieser läuft der obere Stein. Unten sind horizontal eine Art keilförmige Speichen angebracht, die man am Ende löffelförmig ausgehöhlt hat. Ein Wasserstrahl gegen dieselben geleitet, treibt das Rad. Es giebt auch Mühlen, bei welchen der Mühlstein in einer hölzernen Rinne auf und ab bewegt wird, ganz auf ähnliche Weise wie bei uns an manchen Orten Aepfelwein bereitet wird.

Ausländer aber haben großartige Mühlen eingerichtet nach neuem amerikanischem System und deren befindet sich eine in Conception und eine andere in Santjago, welche letztere einem Amerikaner gehörte. Dicht an neben diesem Etablissement, welches außer der eigentlichen Mühle noch aus verschiedenen großen Höfen, Speichern u. s. w. besteht, befindet sich eine jener kleinen ärmlich construirten, bei welcher der Mühlstein in einer Rinne läuft, eine Maus neben einem Elephanten. Ihr Besitzer verlachte den Amerikaner als er seinen Bau begann und wartet noch jetzt auf seinen Ruin, aber der Amerikaner macht die besten Geschäfte. Der Windmühlen bei Valparaiso habe ich bereits gedacht. Ihr Eigenthümer ist ein Engländer.

Der Töpferei erwähne ich vorzugsweise wegen der eigenthümlichen Form der dort gefertigten Arbeiten. Es bedienen sich Wohlhabende meist aus Europa eingeführter eiserner Töpfe und nur ärmere Leute, und nur solche, welche weiter im Innern wohnen und das eiserne Geschirr schwer erhalten können, haben irdenes. Die Form dieses irdenen Geschirres ist merkwürdiger Weise ganz dasselbe wie sie noch heut zu Tage in allen germanischen Gräbern gefunden wird, welche man von Zeit zu Zeit in Deutschland öffnet. Ich habe früher in Franken mehrfach solche Ausgrabungen geleitet, und dabei Mittel eingeschlagen die Gefäße ganz aus der Erde zu bekommen; ich habe aber dort nicht eine Form ausgegraben, welche nicht in Chile noch täglich gefertigt wird, und im Gebrauch ist. Eine zufällige Aehnlichkeit ist nicht möglich, denn die Uebereinstimmung ist allen Einzelnheiten der verschiedenen Gefäße ist zu groß. Es findet also irgendwie ein Zusammenhang statt. Aber welcher? Ich habe später in der Algodon-Bai Gräber der alten Titicacaner geöffnet und Reste von Töpfergeschirr gefunden, welche allerdings Aehnlichkeit mit dem in Rede stehenden hatten, aber aus jenen Fragmenten war eine Gleichheit kaum mehr zu entwickeln. Die Titicacaner-Race aber ist bereits 1000 bis 1500 Jahre von der Erde verschwunden. In den Gräbern der ihnen folgenden Inca-Race finden sich Gefäße von ganz anderer Form, hingegen bedienen sich die Ureinwohner, welche von Panama an bis nach Kalifornien gefunden werden, ganz derselben Geschirre, wie man sie in Chile findet, und fast an der ganzen übrigen Westküste sind sie in Gebrauch. Ist die Form dieses Töpfergeschirres von den Spaniern nach Südamerika gebracht worden, oder haben dieselben jene von den Eingeborenen angenommen? Weder an Ort und Stelle habe ich etwas Näheres hierüber ermitteln, und hier in Deutschland eben so wenig erfahren können, welches Kochgeschirr man gegenwärtig noch in Spanien gebraucht, so einfach dieß auch erscheint. Die wichtigen Fragen, welche in ethnographischer Beziehung sich hieran knüpfen lassen, brauche ich wohl nicht anzuführen. –

Fast ähnlich wie es mit dem Mühlenwesen in Chile geht, verhält es sich auch mit dem Ackerbaue. In größeren Hacienden wird, ähnlich wie in jener amerikanischen Mühle, mit verbesserten Hülfsmitteln und vergrößertem Vortheile gearbeitet, auf kleineren Gütern aber ist die Art und Weise des Ackerbaues noch auf niederer Stufe. So hat man gegen den Süden zu kaum eisernes Geräthe, außer eine Axt, eine Sichel mit gekerbter Schneide, also ganz antike Form, und ein starkes Messer. Der Pflug ist ein gekrümmtes Holz mit einer ebenfalls hölzernen Pflugschaar und die Egge ein Bündel irgend einer dornigen Staude. Die Schaufeln bestehen aus dem Schulterblatte eines Ochsen oder Pferdes. Gewöhnliche Transporte oder Lasten, die für Maulthiere zu schwer sind, werden auf Ochsenhäuten fortgeschleift, zweirädrige Karren sind fast schon ein Luxus und bei diesen bestehen die Räder einfach aus dem Querschnitte eines starken Stammes. Aber auch weiter gegen den Norden und auf größeren Besitzungen sind noch sehr einfache Methoden im Gebrauch, so z. B. das Dreschen vermittelt Pferden. Es war dieß eine der ersten Eigenheiten des Landes, welche ich, als ich mich Santjago näherte, bemerken konnte und welche mir noch vollkommen neu war. Man hatte einen großen Fleck des Landes geebnet, eingezäunt, dort das Getreide aufgeschüttet und jagte nun etwa mit 100 Stuten im tollsten Rennen auf demselben umher. Die ausgefallenen Körner werden gegen den Wind geworfen und so von der Spreu gereinigt. Wie viel Getreide auf solche Weise verloren geht, kann man sich denken.

Die Viehzucht ist in Chile sehr blühend, obgleich auf ziemlich andere Weise betrieben, als bei uns. Kleinere Gutsbesitzer lassen ihr Vieh in der Nähe ihrer Häuser weiden wie es ihm gutdünkt und man fängt, je nachdem man vielleicht zum Verkauf oder zum Schlachten ein Stück bedarf, das ausgewählte mit dem Lasso. In der Nähe des Gebirges aber treibt man das Vieh jährlich dorthin, wo es unter der Aufsicht von Kuhhirten den Sommer über bleibt, und nur in den Wintermonaten, wo der Schnee sich in tiefere Regionen herabzieht, wird es ebenfalls weiter abwärts gebracht.

Ich bin, als ich aus der Cordillera zurückkehrte, einem solchen Zug von Rindern begegnet, aber glücklicher Weise durch eine Schlucht getrennt. Es wurde dort eine Heerde von etwa 6 bis 8000 Stück getrieben, obgleich oben schon eine bedeutende Anzahl zerstreut war. Wir waren froh, zur Heimkehr nicht jenen Weg auf der entgegengesetzten Seite der Schlucht gewählt zu haben, denn dort wäre kein anderes Mittel gewesen, als umzukehren und mit dem rennenden Vieh bis an den Ort seiner Bestimmung zurück zu reiten. Der ganze Haufe rannte in der That wie toll und besessen auf dem schmalen und gefährlichen Bergpfade, dessen eine Seite von einem tiefen in die Schlucht führenden Abgrunde begrenzt wurde, vorwärts, blökend und brüllend und ohne Zweifel alles niederwerfend, was nicht gleichen Schritt hielt. Einzelne Vaceros mit furchtbaren Spornen und starken bis an die halben Schenkel reichenden Ledergamaschen, hie und da mit langen speerartigen Stachelstöcken, alle aber mit dem Lasso bewaffnet, ritten mit, leitend und antreibend, und es gab das ganze wilde Treiben ein wirklich anziehendes Bild.

Oben angelangt, zerstreut sich das Vieh in den Bergen, indem es bereits die dortigen Weiden kennt, wird indessen von den Vaceros in steter Aufsicht gehalten. Die trächtigen Kühe werden näher zum Lagerplatz getrieben, um die jungen Kälber gegen den Puma und den Condor beschützen zu können, widerspenstige Thiere aber werden mit dem Lasso niedergeworfen und so wird ihnen ein gewaltiger Respekt vor demselben beigebracht.

Einmal im Jahre bringt man einen Theil des Viehes in die Nähe der Hacienda und sucht dort dasjenige aus, welches zum Schlachten bestimmt wird, ich glaube, daß auch bei dieser Gelegenheit die einjährigen Kälber gebrannt, d. h. mit dem Zeichen des Besitzers versehen werden. Man hat dann in der Nähe der Hacienda einen sogenannten Corral aufgerichtet, nämlich eine starke Umzäunung in welche die Rinder getrieben werden. Man sucht diejenigen aus, welche zum Schlachten bestimmt sind, trennt sie von den andern und läßt sie noch einige Monate auf gut bewässerten Wiesen in der Umgegend der Hacienda weiden, bevor sie getödtet werden; das übrige Vieh aber wird wieder in's Gebirge zurückgeschickt.

Auch Schaf- und Schweinezucht werden betrieben und in neuerer Zeit hat man englische Schweine eingeführt, welche sehr gut gedeihen.

Ich habe von allen den Gegenständen, welche ich im Vorhergehenden berührte, keineswegs ausführliche Nachrichten geben wollen, sondern ich beabsichtigte eine Skizze der Zustände und der Verhältnisse des Landes zu geben. Aber es ist auch Zeit diese abzubrechen.


Mannheim.

Schnellpressendruck von Heinrich Hogrefe.

Fußnoten

[1] Landratten-Ausdruck. Seemanns-Sprache: schlimmes Wetter.

[2] In jeder Beziehung ist auf Kriegsschiffen ein anderes Verhältniß. Dort ist jeder Kapitain unumschränkter Herr. Er muß es dort nothwendig sein, und jedermann an Bord sieht dieß ein. Es trifft sich selten der Fall, daß auf Kriegsschiffen Passagiere mitgenommen werden. Geschieht aber dieß, so muß der Reisende sich unbedingt in die Befehle des Kapitains fügen. Ich weiß einen Fall, wo ein Passagier in Ketten gelegt wurde, weil er hartnäckige Widersetzlichkeit an den Tag legte.

[3] Bericht über die Arbeiten von Chatin, E. Marchand, Niepce, Meyrac über das Vorkommen des Jods. Compte rend. XXXV. 505, und Erdmann: Journal f. pract. Chemie. Band 57, Seite 468. 1852. Vorzugsweise zu berücksichtigen die Abhandlung v. Niepce: Abhängigkeit des Cretinismus von Mangel des Jod in der Luft, im Wasser und in den Nahrungsmitteln.

[4] Dieses Gesetz wurde bereits im Jahre 1830 gegeben.

[5] Bei dieser Gelegenheit muß ich der Uneigennützigkeit unserer Matrosen auf der Reform lobend erwähnen. Ich hatte vorher gegen dieselben ausgesprochen, daß ich für jede eigenthümliche Erscheinung am nächtlichen Himmel, welche man mir zeigen werde, zwei Thaler geben wolle. Sie hatten mich des Nachts gerufen, um mich auf jenen Mondhof aufmerksam zu machen, aber keiner war auch durch die freundlichsten Worte zu bewegen, die bedungenen zwei Thaler zu nehmen. Ich habe Aehnliches bei allen deutschen Matrosen getroffen. Gerne verdienen sie Geld durch wirkliche Arbeit und Mühe, aber was ihnen keine Aufopferung, keine Anstrengung kostet, lassen sie sich nicht bezahlen. Eine andere Sache ist es mit Wein und ähnlichen Dingen, z. B. Cigarren, welche gerne jederzeit von dem Matrosen angenommen werden. Ja er hält es nicht für unanständig, kann er irgendwie über den Vorrath des Passagiers gerathen, sich selbst zu bedienen. Stellt man aber selbst solche Gegenstände unter die Obhut der Matrosen, schenkt man ihnen Vertrauen, so wird kein Atom derselben verschwinden. So mag ich wohl sagen, daß ich die Seeleute derb, ja roh getroffen, nie aber gemein. Als solcher mag der bezeichnet werden, der unbedingt geschenktes Vertrauen mißbraucht, und auch wohl den Vertrauenden für einfältig oder schwach hält.

[6] Um für die Folge nicht stets überrechnen zu müssen, und einen Anhaltspunkt für die Preise zu haben, hier folgende Bezeichnungen der vorzüglichsten Münzen und Geldsorten. Eine Unze Gold, Onza, gleich 17¼ Thaler spanisch, etwa 25 Thaler preußisch oder 43 Gulden. Dann die halbe Onza, die viertel oder der Escudo, und der Escudito oder die achtel Unze. Diese in Gold geprägt, viertel und achtel aber nicht häufig. In Silber ist ein Thaler, Peso, etwa 2 Gulden 30 Kreuzer am häufigsten. Die halben und viertel Thaler, medio Peso und Pesata, habe ich selten getroffen. Die gewöhnlichste kleinere Silbermünze ist der Real und der doppelte Real, 18 und 36 Kreuzer, dann der halbe Real 9 Kreuzer. Der Quartillo, der viertels Real und Kupfergeld, kommt ebenfalls im Verkehr der größeren Städte weniger vor. In Kupfer hat man übrigens Zwei-Centaro-Stücke gleich ein Quartillo, und 1 Centaro. Es mag beigefügt werden, was von Seite der Wechsler häufig Gelegenheit gibt den Unkundigen zu prellen, daß die Unze Gold 17¼ Thaler in Realen gilt, in harten Thalern aber nur 17 Thaler, und daß der harte Thaler ebenfalls gewechselt wird mit 8½ Realen, während unter einem Peso, Thaler, gewohnlich 8 Realen verstanden werden, d. h. man nennt 8 Realen einen Peso.

Von Realen sind aber zwei Gepräge da, als altspanische, unförmlich von Barren gehauene Silberstücke, mit dem Stempel und der Zahl I oder II versehen, und neue nett geprägte. Bei jenen ersten, welche meist gewaltig abgeschliffen sind, entscheidet die Zahl, welche eben noch sichtbar, ob sie einen oder zwei Realen galten, so daß oft ein kleines Stück auf dem die II noch zu erkennen auch für so viel genommen wird, während das größere, offenbar als Doppelreal geprägt, nur einen gilt.

[7] Ich habe den scheinbar höchsten desselben barometrisch gemessen und 1309 Fuß hoch gefunden.

[8] Ich habe an den dicken knolligen Wurzeln dieser Puretia eine eigenthümliche Erscheinung beobachtet. Der holzige Blüthenstengel und die scharfstachlichen Blätter werden von den Chilenen zu verschiedenem Zwecke häufig nach Hause gefahren. Die starken und durch das Abhauen der Blätter blosgelegten Wurzeln färben sich dann, wenn sie längere Zeit der Sonne ausgesetzt waren, so intensiv schwarz und werden so kohlenähnlich, daß man eine ausgebrannte Feuerstelle an solchen Orten vor sich zu sehen glaubt. Diese schwarze Schicht dringt zolltief und noch weiter in die Wurzel ein, und Schwächere dünnere Partien sind ganz durchaus in die schwarze Substanz verwandelt, sie ist zerreiblich und hat alle äußeren Eigenschaften wirklicher Kohle. Eine Partie solcher schwarzen Fragmente, welche ich nach Deutschland zur chemischen Untersuchung mitnehmen wollte, ist mir leider abhanden gekommen. Ich habe bei keiner andern Pflanze ein ähnliches Verhalten getroffen. An eine wirkliche freiwillige Verkohlung, an eine Zersetzung und ein Entweichen der anderen Bestandtheile und ein Restiren des Kohlenstoffes darf, wie ich glaube, kaum gedacht werden, es müßte also das Auftreten irgend eines Farbstoffes angenommen werden. Vielleicht gelingt es mir noch, die dort so häufige Substanz zur Untersuchung zu erhalten.

[9] Die chilenische Flagge besteht aus drei Feldern, aus zwei oberen, das eine blau mit weißem Sterne, das zweite ganz weiß, das dritte, untere, roth.

[10] Die Unabhängigkeit macht uns stark und die Freiheit groß, Einwohner von Valparaiso erinnert Euch mit Dankbarkeit an die Patrioten von 1810.

[11] Ich glaube Caspicum annuum. Er ist roth, und wird in kleinen ausgehöhlten Kürbissen zum Verkauf gebracht.

[12] Deutscher, speziell bayerischer Landsmann! Drei Gläser Bier fünf Gulden! Welch ein Land! Aber die Chilenen trinken kaum dieses edle Getränke, und obgleich sogar das oben bezeichnete immer halbweg erträgliche Bier im Lande gebraut wird, wird es doch meist von Fremden consumirt. Es ist kein Scherz, wenn ich Folgendes erzähle. Ich habe an einem Abende der Heimath gedenkend einmal eine zweite Flasche Ale verlangt, aber man getraute sich nicht zu verstehen, so ungeheuerlich erschien dem Kellner dies Begehren. Er zeigte mir endlich die beigebrachte Flasche in der Entfernung, ob er auch recht verstanden, und später versammelten sich Neugierige unter der Thür, um den Mann zu betrachten, der zwei Flaschen solch bittern Zeugs ohne Schaden zu verschlingen vermöge. Kaum half es, daß ich mich als Deutscher zu erkennen gab.

[13] So besitze ich einen zierlichen, aus Baumbast gefertigten Poncho, der während meiner Anwesenheit in Valparaiso von einem von jenen Inseln kommenden Schiffer gebracht wurde, und welcher Spuren längeren Gebrauchs trägt.

[14] Der Pferdefreund fragt mich: Welche Race? Ich weiß es nicht. Das chilenische Pferd ist, ähnlich seinem Herrn, von Mittelgröße, eher aber kleiner als dieselbe überragend. Es ist zierlich und schlank gebaut und erinnert an die ungarische Race. Jedenfalls ist es zuerst von den Spaniern mitgebracht worden und auch die wilden Pferde auf der Ostküste Amerikas stammen von spanischen Pferden ab, aber wie es sich zur gegenwärtigen Race andalusischer Pferde verhält, ob und wie es verändert, vermag ich nicht anzugeben.

[15] Goma, eigentlich Gummi, Harz. In meinem Tagebuch finde ich bei der Goma de Mimbrilla verzeichnet: »ist auch in der Pharmacie bekannt,« aber ich habe hier nicht entwickeln können, woher der Name kömmt.

[16] Triaca, wörtlich Theriak, oder allgemeines Gegengift.

[17] Eine Akazien-Art mit langen Stacheln, welche erst später im Sommer sich belaubt.

[18] Cuesta heißt auch die Höhe eines Berges, wird aber häufiger noch als Abhang, als die abschüssige Seite des Berges gebraucht, während los altas den eigentlichen Gipfel, die Höhe bezeichnet. Die Chilenen gebrauchen vorzüglich den Ausdruck Cuesta, wie mir scheint, um das Hinderniß zu bezeichnen, was sich den Reisenden beim Uebersteigen entgegenstellt.

[19] Es giebt in Chile privilegirte Bettler, welche durch ein Messing-Schild an der Brust kenntlich sind. Meist Blinde oder solche Leute, welche keine Angehörige haben und absolut arbeitsunfähig sind. Ihre Zahl ist sehr beschränkt, und andere Bettler trifft man kaum.

[20] In Peru habe ich nichts dem Erwähnten analoges gefunden.

[21] Ich habe von meinem verehrten Freunde, Hrn. Professor Domeyko in Santjago die Ergebnisse der Analysen einiger Fluß- und Brunnenwasser aus Santjago und der Umgebung erhalten, welche ich hier mittheile.

Wasser des Flusses Maipo

  in Santjago 7½ Stunden
von Santjago
Chlornatrium 0.193 0.170
Schwefelsaure Kalkerde 0.474 0.623
Kohlensaure Kalkerde 0.115 0.054
Kohlensaure Talkerde 0.048 0.060
Eisen und Thonerde 0.010 0.014
Kieselerde 0.033 0.118
  ——— ———
Summe der gelösten Stoffe 0.873 1.039
Suspendirte Stoffe 1.100 1.545

Brunnen-Wasser.

  Brunnen
aus dem
Flusse Velasco
Brunnen
v. d. Plaça
in Santjago
Chlornatrium 0.096 0.042
Schwefelsaure Kalkerde 0.204 0.275
Kohlensaure Kalkerde 0.103 0.129
Kohlensaure Talkerde 0.003 0.020
Eisen und Thonerde 0.007 0.015
Kieselerde 0.017 0.035
  ——— ———
Summe der gelösten Stoffe 0.440 0.516
Suspendirte Stoffe 0.040

Die untersuchten Mengen waren jedesmal ein Quartillo, gleich 1265 Grammen.

Spuren von Chlorkalium und Chlormagnesium wurden in allen Wassern gefunden. In einigen der chilenischen Flußwasser auch Spur von Jod und Brom.

Domeyko trennte durch Filtriren die suspendirten und fand in denselben.

Kieselerde 0.501
Eisen und Thonerde 0.351
Kalkerde 0.086
Vermit 0.062
  ———
  1.000

[22] Myopotamus Coypus.

[23] Erst später erhielt ich aus den Sessionsberichten der Academie in Santjago eine Abhandlung von Domeyko, worin derselbe eine Analyse des Wassers veröffentlicht und zugleich einige Notizen über dasselbe giebt. Diesen Berichten ist ein weiterer beigefügt von Dr. Veillon über die Wirksamkeit des Wassers. Da diese Mittheilungen ziemlich das Gegentheil von dem enthalten, was ich oben ausgesprochen habe, so erwähne ich ihrer nachträglich, weil mein Zweck bei allen meinen wissenschaftlichen Arbeiten sowohl wie bei den vorliegenden Skizzen der ist, die Wahrheit zu geben nach Kräften. Veillon giebt glückliche Erfolge an, die er mit dem Wasser bei verschiedenen Krankheiten erhalten hat, welchen ich nicht widersprechen kann, wenn sie vielleicht gleichwohl in die Reihe derjenigen zu setzen sind, welche man häufig auch bei uns in ähnlichen Fällen beobachtet hat. Beim Gebrauche von solchen Bädern sind der Glaube, die veränderte Lebensweise und ein wenig guter Wille mächtige Agentien. Domeyko indessen hat das Wasser analysirt, und die Arbeiten dieses tüchtigen Chemikers verdienen alles Vertrauen. In dem zum Trinken benützten Wasser fand er auf 1000 Theile Wasser:

Chlor calcium 2.165
Chlor natrium 1.177
Chlor magnesium 0.034
Schwefelsauren Kalk 0.052
Thonerde und Eisen 0.020
Kieselerde 0.035
Organische Substanz Spur
———
3.483

Domeyko fand Spuren von Jod und Brom im Wasser, aber Kupfer konnte er in keiner der Quellen finden. Die qualitative Zusammensetzung der Wasser ist gleich, sie variiren nur in quantitativer Beziehung.

Domeyko sagt ferner: El aqua de Apoquindo es clara, cristalina, sin olor, de un sabor mui desagradable, dificil de describir etc., d. h. das Wasser von Apoquindo ist klar, kristallhell, ohne Geruch und von einem höchst unangenehmen, schwer zu beschreibenden Geschmacke. Hierzu habe ich nur zu bemerken, daß jene Quelle, welche mir als kupferhaltig bezeichnet wurde, allerdings einen eigenthümlichen üblen Geschmack besaß, die anderen Quellen aber, und eben so die Trinkquelle, sich nach meinem Dafürhalten im Geschmacke nicht von jedem andern guten Brunnenwasser unterschieden.

[24] In Chile nämlich. In Europa giebt es natürlich reizendere Damen und ohne Zweifel auch schauderhaftere alte Weiber jeden Alters und Geschlechts.

[25] Sie war in Chile nie sehr im Gebrauche. Mir scheint, als bethätige sich hier, was ich oben bei Brasilien über die Sklaverei ausgesprochen. In Chile, wo der Weiße arbeiten kann, war die Sklaverei nie sehr im Schwunge, durch die Einführung der Republik wurde sie gänzlich aufgehoben. Auch in Peru hat man Republik gemacht, aber die Sklaverei hat man gelassen. Der Transport der schwarzen Waare ist zwar aufgehoben, aber die einmal vorhandenen werden fortgezüchtet wie nützliche Hausthiere. Aber Peru liegt unter den Tropen.

[26] Es wurde vor drei Jahren eine Tuchfabrik in Santjago etablirt, sie ist jetzt bereits wieder eingegangen.

[27] Jeder Gegenstand, der im Hafen von einem Schiffe auf das andere gebracht wird, muß verzollt werden, als sei er am Lande verkauft worden. Streifende Boote der Zollwacht führen scharfe Aufsicht.

Hinweise zur Transkription

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. Fremdsprachige Abschnitte, die abweichend in Antiqua gesetzt wurden, sind in der Transkription in kursiver Schrift dargestellt.

Offensichtliche Fehler wurden korrigiert, bei Zweifeln der Originaltext beibehalten. Eine Liste der vorgenommenen Aenderungen befindet sich hier am Ende dieses Textes.

Änderungen

Seitenangabe
originaler Text
geänderter Text

Seite 58
unter 22° 22' westlicher Länge und 4° 58' südl. Breite
unter 22° 22' westlicher Länge und 4° 58' nördl. Breite

Seite 70
Am 1. Juni (24° 5' Länge, 0. 38' nördl. Breite) sahen wir
Am 1. Juni (24° 5' Länge,  38' nördl. Breite) sahen wir

Seite 83
sich wenigstens an der Bogleine befestigen
sich wenigstens an der Bugleine befestigen

Seite 92
ein Schälchen eingemachter Früchte zum Sonntagsfisch
ein Schälchen eingemachter Früchte zum Sonntagstisch

Seite 102
aber leider später in Chili verloren habe
aber leider später in Chile verloren habe

Seite 107
Schilderung des Aufenhaltes in Rio de Janeiro
Schilderung des Aufenthaltes in Rio de Janeiro

Seite 149
am 21. Juli unter 56° Länge und 46° 54'' südl. Breite
am 21. Juli unter 56° Länge und 46° 54' südl. Breite

Seite 180
trifft sich am häufigsten eine Nesselart (Losa acerifolia)
trifft sich am häufigsten eine Nesselart (Loasa acerifolia)

Seite 246
Beziehung getroffen, Eine Greisin von unendlich hohem Alter
Beziehung getroffen, eine Greisin von unendlich hohem Alter

Seite 285
Es giebt auch Mühleu, bei welchen
Es giebt auch Mühlen, bei welchen