The Project Gutenberg eBook of Der Kunstreiter, 2. Band

This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook.

Title: Der Kunstreiter, 2. Band

Author: Friedrich Gerstäcker

Release date: June 21, 2014 [eBook #46061]

Language: German

Credits: Produced by richyfourtytwo and the Online Distributed
Proofreading Team at http://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER KUNSTREITER, 2. BAND ***

Gerstäcker

Der Kunstreiter

2. Band


Bosse & Co., Hamburg
1914

»Wirt, mir noch einen Schnaps,« sagte Tobias, »der Waldläufer holt mir zu weit und moralisch aus.«

»Mir auch noch einen!« rief Mühler, den der Bursche mit seinem Ernst zu amüsieren anfing. Barthold nahm keine Notiz von der Unterbrechung.

»Siehst du,« fuhr er fort, »wenn du einen einzelnen Baum da draußen stehen siehst, so denkst du wohl – wenn du überhaupt je etwas dächtest – das sei ein lebloses, totes Ding, was da steht, und allerdings kann sich's nicht von der Stelle bewegen, es muß am Boden haften, wo unser Herrgott es hingepflanzt hat. Aber in ihm lebt's und wirkt und schafft und treibt und wächst, reckt die Arme nach dem Himmel empor, von dort her Licht und Regen zu saugen, und hält sich mit den Wurzeln derb im Boden fest, um vom Winde nur gerüttelt, aber nicht geworfen zu werden. Mehr im Leben tut auch nicht einmal der Mensch, nur auf ein wenig andere, sogar nicht immer so erfolgreiche Art. Der Baum ist aber nicht tot, er lebt – er lebt und atmet, wie ein jedes Tier, wenn sich ihm auch die Brust dabei nicht heben kann; aber durch seine Poren zieht der Lebenssaft, zieht Luft und Feuchtigkeit, was er zum Leben braucht, und wird ihm das genommen, muß er sterben. Nimm nur die Axt und hau' in einen Stamm hinein, und sieh, ob er nicht blutet, wenn auch sein Blut nicht rot aussieht wie das unsere. Langsam tropft es zu Boden, und wenn die Wunde ausgeblutet hat, vernarbt sie wieder, wie bei dem Menschen. Sieh nur einen gefällten Baum dir an, aber nicht, wie es die meisten Menschen tun, die bei einem solchen Baume immer gleich berechnen, wie viel Klaftern Scheite oder wie viel Ellen Nutzholz er geben kann. Sieh ihn an, wie er als Leiche daliegt, denn es gibt ebensogut Baum- wie Menschenleichen – sieh, wie die Rinde abstirbt, ihre gesunde, frische Farbe verliert und fahl und erdfarben wird, und die Blätter welken und dorren, die Zweige eintrocknen – und langsam geht er zur Erde zurück, von der er kam, wie der Mensch, anderen, seinesgleichen, Raum zu geben. Und das ist nur der einzelne Baum, nun aber seht die Masse, seht den Wald, wo einer dem andern die Hand hinüberreicht; seht ihn, wenn er sich abends die Sternendecke über den Kopf zieht und duftet und träumt, und leise rauschend der Atem des Herrn durch seine Wipfel fährt; seht ihn, wenn er morgens erwacht, mit rosig verklärtem Gesicht der Sonne entgegenlächelt, und all die tausend Sänger hegt und pflegt, die mit der Morgensonne dem Allerhalter ihre Danklieder entgegenwirbeln – seht ihn am Tage, wie er die Arme schützend über die Erde breitet, den heißen Sonnenstrahlen zu wehren, seine Quellen am liebsten Kinder, die Blumen, zu erreichen und auszutrocknen; seht ihn, wie ihm am Abend spät der helle Schweiß von der vielen Anstrengung an der Stirn steht und in Millionen Tropfen von den Blättern funkelt. Seht ihn im Sommer in seiner Kleiderpracht, im Winter, wenn er sich fest eingehüllt hat in seine warmen Schneetücher – seht ihn, wenn ihr wollt, aber er bleibt immer schön und groß und hehr, ein Tempel des Herrn, den er sich selber auferbaut.«

Barthold hätte sich für seine schwärmerischen Gedanken keine unglückseligeren und unpassenden Zuhörer wählen können, und wenn er ein Jahr danach gesucht hätte, als eben die beiden alten Burschen mit dem Wirt zu Kauf, der mit offenem Munde hinter ihm stand. Auf Tobias' Gesicht lag, solange der alte Mann sprach, ein breites Grinsen, und die rotgeränderten feuchten Augen zwinkerten nur manchmal mit einem verschmitzt sein sollenden Lächeln nach dem »Schwiegervater« hinüber. Mühler seinerseits saß mit fast bis in die Haare hinaufgezogenen Augenbrauen, die Stuhllehne zwischen den Knien und beide Ellbogen darauf gelehnt, dicht vor dem alten Forstwart, und über sein Gesicht zuckte und zerrte es dabei so wunderbar, daß Tobias zuletzt gar nicht mehr auf die Worte hörte, sondern nur ganz erstaunt in die wunderbar veränderliche Physiognomie des »Schwiegervaters« schaute.

»Bravo!« sagte dieser mit seiner heisern Stimme, als Barthold jetzt geendet und wie verklärt durch das Fenster nach seinem lieben Walde hinüberschaute, »bravo, alter Junge, vortrefflich – der Pastor hätt's nicht besser machen können! – Wirt, noch mehr Kümmel, für uns alle, nicht in so kleinen spitzen Gläsern, sondern die ganze Flasche, wir schenken uns selber ein und machen Kreidestriche.«

»Ich danke Ihnen,« sagte der Forstwart ruhig, »ich trinke höchstens morgens ein einziges Glas.«

»Auf einem Beine kann kein Mensch stehen!« rief Tobias.

»Gott sei Dank, daß ich den Branntwein noch nicht brauche, um darauf zu stehen,« meinte der alte Forstwart, »ein nüchterner Kopf und ein volles Herz ist mein Wahlspruch, und – andere Leute führen vielleicht besser, wenn es auch der ihrige wäre. Das aber ist anderer Leute Sache und geht mich nichts an – und nun guten Morgen mitsammen. Ich denke, Tobias, meine Rede hat mir bei dir nicht viel geholfen, und du wirst nach wie vor doch lieber in das Wirtshaus als in den Wald gehen. Du hast aber auch recht, du paßt nicht hinein, und ein Baum sähe gewiß nicht besser aus, wenn du darunter in seinem Schatten lägst. Gott zum Gruß – ich muß wieder hinaus!« Mit den Worten zahlte er dem Wirt sein Glas Branntwein und verließ, still wie er gekommen, die Stube.

»Bei dem rappelt's wohl?« lachte Mühler, als Barthold die Tür hinter sich zugezogen hatte.

»Ein bißchen, ja,« bestätigte der Wirt, »aber er ist ganz harmlos und tut keinem Menschen was. Nur im Walde darf man ihm nicht begegnen, und abends möchte ich da drin nicht um alles in der Welt mit ihm zusammenstoßen.«

»Beißt er?« meinte Mühler trocken.

»Nun, er beißt wohl gerade nicht,« erwiderte der Wirt, »aber daß er allerlei faule Kunststücke kann, ist gewiß. Hier spricht er immer vom lieben Gott, aber da draußen da schwatzt er mit den Bäumen und den Vögeln, ruft die wilden Tiere, sucht geheimnisvolle Wurzeln und treibt allerlei heidnischen Unsinn, wie es hier früher soll Sitte gewesen sein. Im Walde drin steht auch noch eine alte Eiche – kein Mensch weiß, wie alt sie ist – mit einem steinernen Altar darunter, auf dem in alten Zeiten die Heiden ihren Abgöttern Menschen geschlachtet haben. Dort ist er am liebsten, und da treibt er auch nicht selten um Mitternacht seinen Spuk mit bösen Geistern, was eigentlich gar nicht geduldet werden sollte.«

»Ach was!« sagte Tobias, der indessen mit Mühler wacker der Flasche zugesprochen hatte, »er schadet doch keinem Menschen damit, und wenn man ihn zufrieden läßt, ist er gut genug; nur manchmal ein bißchen grob.«

»Wie viel Uhr schlägt das?« sagte Mühler aufhorchend.

»Eben elf – Zeit genug zum Mittagessen.«

»Ja, aber ich muß fort,« meinte der Alte, »will meinen Jungen gleich aus der Schule mit nach Hause nehmen. – Hier, Wirt, meine Zeche, – zwei Glas Bier und ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben Schnäpse – gerade sieben – seht Ihr, hier sind die Striche – famoses Zeug, der Kümmel – hahahaha, den alten Forstwart müssen wir uns einmal wieder hierher einladen; das ist ein kreuzkurioser Kerl. – Guten Morgen, Tobias, guten Morgen, Sternenwirt – der Kümmel soll leben!« Und seinen Hut gegen die Decke werfend, daß er ihm zurück gerade wieder auf den Kopf fiel, nickte er den beiden, darüber nicht wenig erstaunten Männern huldreich zu und verließ mit steifen Schritten die Wirtsstube.

14.

Die Schule war gerade aus, und die Knaben und Mädchen, froh, der engen Stube entronnen zu sein, tummelten sich lustig draußen herum. In der Tür des Schulhauses aber stand der Lehrer und zog mit voller Brust, nach drei Stunden dunstiger, erdrückender Schulstubenatmosphäre, die kalte, frische Luft ein, die von dem See herüberstrich. Die Kleinen, die sich noch etwas im Zimmer aufgehalten hatten, drückten sich scheu und grüßend an ihm vorüber, bogen dann um die Ecke, warfen noch einen Blick zurück, ob er sie nicht mehr sehen könne, und sprangen dann jauchzend den Gefährten nach. Es war Samstag und heute nachmittag keine Schule weiter, und die kleinen Kerle wußten das zu würdigen und zu genießen.

Es ist aber doch die Frage, wer sich mehr darüber freute – der Lehrer oder die Schüler – wenn der erstere auch keine Luftsprünge machte, sondern ernst, mit dem bleichen, abgemagerten Gesicht nach den leichten Wolken hinaufschaute, die oben am Himmel ihre freie, luftige Bahn zogen. Auge und Atemzug drängte dem Weiten entgegen, und wie gern, wie froh wäre der Körper ihnen gefolgt! Der aber war gebannt, gefesselt an den engen Raum, an seine Klasse, an der Schüler Schar, und wenn er auch nur wenig, erstaunlich wenig Lohn dafür bekam, die wenigen Taler brauchte er eben zum Leben und konnte sie nicht entbehren: denn leben wollen wir ja alle, obgleich viele Leute das auch noch leben nennen, was eigentlich existieren heißt.

Heute war Samstagnachmittag, und anderthalb Tage – wenn auch nur kurze Wintertage – freie Zeit lag vor ihm, in denen er seine kranke Brust ausruhen konnte, um am nächsten Montag wieder einen neuen Anlauf zu nehmen, sie vollständig zu ruinieren. Und doch lächelte er, als sein Blick auf die sich von ihm forttummelnde kleine lustige Schar fiel, die, mit den Büchern unter dem Arm oder im Ränzel auf dem Rücken, keine Sorgen, keinen Kummer ahnten, wie viel das Schicksal auch vielleicht schon für sie bereit hielt. Er dachte der eigenen Jugendzeit, dachte der frohen Jahre, die auch er durchlebt, und seufzte nur eigentlich darüber, daß er an frohe Jahre stets so weit zurück denken mußte, wenn er sich ihrer freuen wollte.

Auch die Knechte kehrten von ihrer Arbeit heim, denn die Pferde mußten zwei Stunden Ruhe haben. Vom Gute waren drei Geschirre unten am See beschäftigt gewesen, bei dem jetzigen Frostwetter Schlamm herauszuschaffen und auf die Wiesen zu fahren. Die Geschirre hatten sie unten stehen lassen und ritten nun auf den Sattelpferden, die Handpferde führend, in den Hof zurück, quer über die gefrorene Wiese hinüber, den nächsten Weg einschlagend.

Auf der Straße kam die Erzieherin mit Josefine herunter; sie hatten einen kleinen Spaziergang gemacht, dem aus der Schule kommenden Karl entgegen zu gehen, und der Hauslehrer begleitete sie, um seinen Schüler gleich in Empfang zu nehmen. Karl hatte sich in der letzten Zeit besonders wild und ausgelassen gezeigt, und der Hauslehrer, ein junger Kandidat der Theologie, wußte aus eigener Erfahrung, wie es die jungen Burschen gerade an einem Samstagmittag gewöhnlich ausgelassen treiben; es war deshalb besser, ihm beizeiten einen Zügel anzulegen.

Der alte Mühler hatte seinen Neffen schon im Dorfe selber unter dem Schwarm der übrigen herausgelesen, sich aber keineswegs Mühe gegeben, den Uebermut der kleinen fröhlichen Bande zu zähmen. Selber äußerst guter Laune, stieß er, wie er mitten unter die Knaben kam, einen eigentümlich schrillen Schrei aus und sammelte dadurch im Nu den ganzen Schwarm um sich.

»Hallo, ihr Kerle!« rief er jetzt, »gebt Frieden, macht nicht einen solchen Heidenspektakel, daß man seine eigenen Worte nicht hören kann! Heda, was seid ihr für ungeschickte Jungen!« wandte er sich plötzlich an zwei, die übereinander wegzuspringen suchten, »kommt einmal her, so müßt ihr's machen!«

»Hurra, der Schwiegervater will springen!« riefen einige der größeren Jungen und drängten sich rasch herbei, und der alte Mühler machte in der Tat, von dem Branntwein aufgeregt, Anstalt, ihnen eine seiner Künste zum besten zu geben, als etwas anderes ihre Aufmerksamkeit plötzlich ablenkte.

»Dort! dort! da geht ein Pferd durch!« schrie der eine der Knaben, und als alle nach der angedeuteten Richtung blickten, sahen sie, wie eins der herrschaftlichen Pferde, das sich losgerissen hatte, in voller Flucht über die Wiese nach der Straße zu kam und quer darüber hin wollte.

»Nimm meinen Ranzen, Onkel!« schrie da Karl, der, ohne ein Wort weiter zu sagen, seinen Ranzen und seine Mütze zu Boden warf und, ehe nur jemand eine Ahnung hatte, was er wollte, dem durchgehenden Pferde entgegenflog.

»Karl! Teufelsjunge!« schrie der Alte hinter ihm drein, aber Karl hörte ihn schon nicht mehr. Mit einer Schnelle, die seine Mitschüler besonders in Erstaunen setzte, flog er mehr als er lief, über die hartgefrorene Straße hin, und traf gerade dort mit dem wenig seiner achtenden Pferde zusammen, als dieses über den Chausseegraben setzte. Im Nu aber war er an seiner Seite – die linke Hand krallte in seine Mähne, die rechte stemmte er gegen die Schulter des Tieres, und halb im Sprunge, halb von dem bäumenden Pferde emporgerissen, saß er schon auf dessen Rücken, wie es eben an der andern Seite wieder heraus über die Wiese setzte, um dem Walde zuzustürmen.

Der kleine wilde Reiter machte ihm aber bald begreiflich, daß es nicht länger sein eigener Herr sei, sondern folgen müsse, wohin er es lenkte. Kaum auf seinem Rücken, auf dem er sich vollkommen zu Hause fühlte, griff er, mit dem rechten Bein sich einklammernd, nach dem heruntergefallenen Zügel, brachte ihn dem Pferde über den Kopf und hatte es, ehe es kaum zweihundert Schritte weiter geflogen war, völlig wieder im Zaum und in seiner Gewalt. Zu gleicher Zeit spielte unter der Schuljugend ein anderes Intermezzo, das die kleine Schar kaum weniger belustigte und in Erstaunen setzte als der tollkühne Reitersprung ihres Kameraden.

Der alte Mühler nämlich hatte, statt Ranzen und Mütze seines Neffen aufzuheben, mit halb zusammengeducktem Körper, beide Hände auf die Kniee gestützt, den Kopf etwas zurückgebogen, die Augenbrauen bis in die Haare hineingezerrt, Mund und Augen weit geöffnet, ihm nachgeschaut. Kaum aber sah er, daß der Sprung gelungen war, sah, daß sein Karl sich »nicht blamiert hatte« – wie er ihm später gestand, daß er gefürchtet – sah ihn auf dem Rücken des Tieres, als er plötzlich ein lautes Hussa! ausstieß. Zu gleicher Zeit warf er seinen Hut in die Luft, sprang selber hoch in die Höhe, überschlug sich, zum unsagbaren Ergötzen der Umstehenden, in freier Luft, kam wieder auf die Füße, fing in demselben Moment den zurückfallenden Hut, ohne ihn mit den Händen zu berühren, auf der Stirn und stieß dabei ein wahrhaft diabolisches Gelächter aus.

Der Jubel der Schuljugend bei dem Luftsprunge des »Schwiegervaters« läßt sich eher denken als beschreiben. Ueberhaupt wurden ihnen hier zu viele der Genüsse auf einmal geboten, um nicht dabei über die Stränge zu schlagen. Samstagmittag, ein durchgehendes Pferd, das Kunststück des Kameraden, und nun hier gar der Luftsprung eines Mannes, der bis jetzt, als zum Gute gehörig, nur mit scheuen Blicken von ihnen betrachtet worden und in der Tat auch nur finster und grämlich zwischen ihnen aufgetreten war – das alles zusammen schien, wie gesagt, zu viel für sie.

Ein ähnliches Geschrei oder Geheul, wie es die Wilden in Amerika bei plötzlichen Ueberfällen ausstoßen, machte für einen Augenblick die Luft erzittern, und dann brach sich der Jubel der jugendlichen Bevölkerung in einer Unzahl von Purzelbäumen, wie anderen ländlich-gymnastischen Uebungen Bahn.

Aber auch der Erzieherin Josefinens war eine kleine, wenn auch nicht in Tätlichkeiten ausartende Ueberraschung vorbehalten. Wie nämlich das durchgehende Pferd, kaum zehn Schritt von ihnen entfernt, über die Straße setzte, und Karl vor ihren Augen auf dessen Rücken sprang, da faßte die Erzieherin erschreckt Josefinens Arm, sie zurück und einer möglichen Gefahr aus dem Wege zu ziehen. Josefine aber, sich rasch und erregt von ihr losmachend – denn die Szene hatte ebenfalls in ihrem kleinen Herzen all die früheren lustigen Ritte, das freie, herrliche Leben im Zirkus zurückgerufen – sagte lachend: »Ich fürchte mich nicht, Mademoiselle, wenn ich die langen, unbequemen Kleider nicht anhätte, könnte ich das auch!«

»Du?« rief Mademoiselle Adele erschreckt aus.

»Ich? gewiß. Ich reite so gut wie Charles, und das ist gar nichts, was er da macht. Er sitzt ja auf dem Pferde.«

Zum Glück für die Ordnung in Schildheim – denn wer weiß, wie weit der einmal losgelassene Uebermut der Knaben sowohl wie des Alten gegangen wäre! – erschien in diesem Augenblick eine Person auf dem Schauplatze, die den Lärm plötzlich verstummen machte. – Auf seinem Rappen sprengte Baron von Geyfeln, der am See heruntergeritten war, um zu sehen, wie weit die Knechte mit ihrer Arbeit gekommen wären, unten in den Schwarm hinein, und sein Anruf erschreckte und bändigte zugleich die Schuljugend, die den Baron, als oberste Herrschaft im Orte, mit ganz besonderem Respekt betrachtete.

Aber auch der alte Mühler geriet, wie er nur den Kopf nach dem Geräusche des herangaloppierenden Pferdes gedreht hatte, fast unwillkürlich wieder in seine gewöhnlich ernsthafte Verbissenheit hinein, hielt sich steif und aufrecht, rückte sich rasch den verkehrt sitzenden Hut zurecht und gab dem ihm nächsten Jungen, der von dem Gutsherrn noch nichts gesehen hatte und eben zu einem frischen Purzelbaume ausholte, eine so gutgemeinte Ohrfeige, daß er ihn stolpernd bis über den Weg hinüberschickte.

Georg sprach kein Wort, weder zu den Kindern noch zu seinem Schwiegervater. Nur einen einzigen finstern Blick warf er dem Alten zu, dann aber, wie er sich aus dem Menschengedränge frei sah, fühlte sein Pferd Sporen und Peitsche, und in gestreckter Karriere flog es die Straße hin, dem ahnungslos vor ihm hergaloppierenden Karl nach. Dessen Pferd, wie es die raschen Hufschläge hinter sich hörte, wollte allerdings jetzt ebenfalls in ein rascheres Tempo fallen, aber sein junger Reiter, der den Nachfolgenden erkannte, griff ihm erschreckt in die Zügel. Dem Rappen hätte er auch nicht entfliehen können. In kaum zwei Minuten hatte er ihn eingeholt, und während Georg, der das Kunststück des Knaben von dem Ufer des Sees aus mit angesehen, jetzt dunkelrot vor Zorn im Antlitz, dicht neben ihm sein Tier parierte, hieb er dem zusammenzuckenden Knaben mit voller Wucht die Peitsche über die Schultern, daß dieser mit einem Angst- und Schmerzensschrei seitwärts von seinem Pferde hinunterflog und, was er laufen konnte, quer hin über die Wiese floh.

Georg aber sah sich nicht weiter nach ihm um. Das davonsprengende Pferd rasch einholend und am Zügel fassend, führte er es langsam dem jetzt nicht mehr fernen Gute zu und überließ den anderen, ihm zu folgen.

Zu Hause angelangt, nahm indessen ein wirtschaftliches und noch dazu unangenehmes Geschäft Georgs Aufmerksamkeit gleich so in Anspruch, daß er eine Zeitlang im Hofe aufgehalten wurde.

Ein Knecht hatte nämlich Hafer veruntreut, denselben den Pferden entzogen und verkauft, der Verwalter ihn aber auf der Tat ertappt, und der Schuldige mußte verhört und bestraft werden. Georg war auch heute nicht in der Stimmung, ihm das Vergehen nachzusehen. Der Bursche wollte allerdings seine Tat erst noch ableugnen und dann wenigstens beschönigen, aber es half ihm nichts. Sein Lohn wurde ihm ausgezahlt und er in derselben Stunde mit seiner Kiste, die er auf dem Rücken nach Schildheim hinunter tragen mußte, vom Hofe fortgejagt.

Zum Mittagessen, das bald nachher aufgetragen wurde, kam die ganze Familie zusammen. Selbst Karl hatte sich wieder eingefunden, denn er wußte, daß er nicht fehlen durfte. Der alte Mühler war aber vollkommen nüchtern geworden und blieb sehr kleinlaut, und kein Wort wurde über dem Essen von den Vorgängen des heutigen Tages erwähnt.

Georginen konnte übrigens nicht entgehen, daß irgend etwas Außergewöhnliches vorgefallen sein müsse. Als sie ihren Gatten deshalb fragte, schützte dieser allerdings die Angelegenheit mit dem Knechte vor, aber sie ließ sich nicht durch solche Ausrede täuschen; denn wenn das ihn auch verstimmen konnte, hatte es den nämlichen Einfluß doch nicht auch zu gleicher Zeit auf ihren Vater, wie alle übrigen, die gar nicht damit in Verbindung standen, ausgeübt. Da Georg indessen selber nichts weiter darüber äußerte, so vermutete sie, daß er mit ihr allein davon reden wolle, und schwieg ebenfalls, und die Mahlzeit verlief düster und lautlos.

Nach Tische verließ Georg die Tafel, ohne ihr das geringste zu sagen. Er ging mit dem Verwalter in sein Zimmer, das im andern Flügel lag, ihm das Geld für die heutige Ablohnung der Tagelöhner zu überliefern, und der Hauslehrer zog sich ebenfalls zurück, um nach Tische ungestört seine Zigarre zu rauchen. Nur die Gouvernante blieb noch zurück, und diese entfernte Georgine bald mit einem Auftrage.

Als sie das Zimmer verlassen hatte, sah die Frau erst den Vater, dann Karl, der an den Nägeln kauend am Fenster stand, dann Josefinen an, und sagte endlich mit ernster, strenger Stimme, sich ihrer Herrschaft selbst über den Vater bewußt: »Was ist heute vorgefallen? – Ihr habt etwas, das ihr mir verbergt, und ich will es wissen. Was war es, Vater?«

»Nichts – Alfanzerei!« brummte dieser, indem er ebenfalls zum Fenster trat und an den Scheiben trommelte. »Der Junge da, der Karl, ist hinter einem durchgegangenen Pferde dreingesprungen, hat es eingefangen und ist damit fortgeritten, und er kam dazu und wurde böse darüber – das ist alles.«

»Und ich lasse mich nicht mehr mißhandeln!« knirschte jetzt Karl, der nur mit Mühe und Not die vorquellenden Tränen zurückhielt, in verbissener Wut. »Ich bin alt genug, mir mein Brot selber zu verdienen, und brauche mich nicht hier füttern und – peitschen zu lassen, wie einen Hund!«

»Er hat dich geschlagen?« fragte Georgine düster.

»Gepeitscht!« knirschte der Knabe zwischen den Zähnen, »gepeitscht vor der ganzen Schule! Ich bleibe nicht länger hier, denn ich weiß, wenn er es mir noch einmal täte, würde ich ihm mein Messer zwischen die Rippen rennen – dem...«

»Du bleibst,« sagte Georgine mit fester, entschiedener Stimme, »ich selber werde mit Georg reden.«

»Ich begreife gar nicht, warum Vater so böse darüber geworden ist,« meinte Josefine.

»Höre, Georgine,« sagte nach einigem Zögern der alte Mühler, der sich nicht ganz sicher wußte, ob Georg seinen eigenen Luftsprung gesehen hatte oder nicht, »laß das lieber bleiben.«

»Weshalb?«

»Du weißt, Georg ist heftig und...«

»Er hat kein Recht, den Knaben zu schlagen, weil er ein wild gewordenes Pferd einfängt.«

»Nun ja, die Sache war aber auch eigentlich ein bißchen anders. Karl ist auf das Pferd hinauf voltigiert, was ihm Georg streng verboten hatte. Dafür hat er ihm eins mit der Reitpeitsche aufgezählt, das war alles.«

»Alles? – aber ich bin kein Kind mehr und – kein Pferd,« rief Karl, nur noch mehr in seinem Trotze beharrend, da er Georginen auf seiner Seite fand.

»Aber du hattest unrecht,« sagte der Alte, »du weißt, du sollst keine Kunststücke mehr machen.«

»Und wer will es mir wehren?« rief der Knabe, »wenn mich der Mann als Kind Kunststücke machen ließ und mich besonders dazu anlernte, hat er kein Recht, es mir jetzt, da es ihm nicht mehr paßt, zu verwehren. Ich brauche ihn gar nicht, ich kann ohne ihn leben, und das verdammte Lernen habe ich ohnedies satt. Ich bringe nichts in den Kopf, und in der Schule lachen mich die kleinen Jungen aus, weil ich noch zwischen ihnen sitzen muß. Das tue ich auch nicht länger; ich laufe fort.«

»Du bist ein Esel!« sagte der Alte trocken, »wo willst du hin, he?«

»Ueberall hin, ich komme durch,« trotzte aber der Bursche. »Hol's der Böse, so ein Leben hier fortzuführen, halte ich doch nicht aus, und da war's in der freien Reitbahn zehntausend-, millionenmal besser. Ich komme durch.«

»Warte, bis ich mitlaufe,« brummte der Alte, »dann kannst du mit; jetzt aber geh zu deinem Herrn Doktor und lerne deine Geschichten, was du zu lernen hast; das ist gescheiter. Marsch auf mein Zimmer, ich komme selbst gleich nach – da kommt auch schon die Französin wieder. – Nun haltet das Maul, wenn ihr gescheit seid, und macht keinen Skandal aus der Sache, daß er nicht noch einmal böse darüber wird. Komm, Karl, heut abend lassen wir den Hanswurst wieder tanzen, wenn du brav bist.« Und mit diesen Worten den Knaben bei der Hand ergreifend, zog er ihn mit sich aus der Tür.

15.

Mühler ging mit dem Knaben den Gang hinunter, seiner eigenen Stube zu, als ihnen Georg begegnete. Der Alte wäre ihm gern ausgewichen, aber es war nicht mehr möglich.

»Mühler,« sagte Georg ruhig, »ich habe ein paar Worte mit Euch zu sprechen. Karl, geh auf dein Zimmer – ich hoffe, die heutige Lektion wird dir ins Gedächtnis zurückgerufen haben, meinen Befehlen künftig genauer nachzukommen. Geh nur jetzt – wir brauchen dich hier nicht« – und er winkte dabei dem Knaben so gebieterisch zu, daß dieser, wenn auch verdrossen, doch scheu dem Befehle Folge leistete. Er wußte recht gut, daß er gehorchen mußte.

Georg sah ihm nach, bis er um die Ecke des Ganges verschwunden war, dann sagte er mit wohl gedämpfter, aber finsterer Stimme zu dem Alten, der sich ihm höchst unbehaglich gegenüber fühlte: »Mühler, Ihr solltet Euch in Eure Seele hinein schämen, solche Streiche zu treiben, wie Ihr heute getan!«

»Ich? ich weiß gar nicht...«

»Schweigt!« befahl ihm aber Georg. »Ihr wißt recht gut, was ich meine, denn ich habe Euch gesehen. Versteht Ihr denn nicht besser, als ich es Euch je erklären könnte, die eigentümliche Lage, in der ich mich hier der Welt gegenüber befinde, und sollte Euch nicht gerade besonders daran liegen, das Verhältnis nicht mutwillig zu stören, ja, zu zerstören, das Euch sowohl wie uns hier Frieden und eine anständige, geachtete Existenz sichert?«

»Ich vergaß mich einmal...«

»Das weiß ich, aber,« und er hob dabei drohend den Finger, »es darf nicht wieder geschehen. Ihr werdet jetzt, wie es steht, Mühe genug haben, Euch die Achtung im Orte wieder zu sichern, die Ihr durch Euer heutiges Betragen vielleicht auf immer verscherzt habt. Erfahren die Leute erst einmal, was Ihr gewesen seid, dann haltet Euch auch versichert, daß kein anständiger Bauer, von den Gutsherren gar nicht zu reden, mehr Gemeinschaft mit Euch wird haben wollen, denn so viel habt Ihr im Leben draußen doch gewiß gelernt, daß man über einen Hanswurst wohl lacht, aber nicht mit ihm verkehrt. Noch könnt Ihr es aber vielleicht wieder gut machen; haltet Euch die Leute fern, so viel es geht, und besonders trinkt nicht mit ihnen. Euer Kopf verträgt die starken Getränke nicht, und einmal halb im Rausch, und Ihr seid Eurer Zunge, Eurer Handlungen nicht mehr mächtig. Aber ich denke, ich habe Euch genug darüber gesagt – nur das noch als Warnung: fällt etwas Aehnliches noch einmal vor, so müßt Ihr den Platz verlassen – darauf gebe ich Euch mein Wort, und wie Georg Bertrand sein Wort niemals brach, so breche auch ich es nicht. Ich dächte, Ihr kenntet mich darin.« Und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, ließ er den Alten im Gange stehen und schritt nach Georginens Stube. Mühler aber drückte sich rasch um die Gangecke, seinem eigenen Zimmer zu; als er sich jedoch aus dem Bereiche Georgs wußte, blieb er stehen, schüttelte sich, wie ein Pudel eine Tracht Schläge abschüttelt, und zwar auf eine ihm eigentümliche Weise, die schon oft die Galerien zu kreischendem Gelächter gezwungen hatte, daß nämlich alle seine Glieder wie locker am Leibe hingen und hin und her flogen. – Dann einen scheuen Blick über die Schulter werfend, ob die Luft noch rein sei, rieb er sich vergnügt die Hände und lachte still vor sich hin, während er den Gang hinabtrollte.

»Das ist noch gut gegangen – Teufel auch! heute glaubt' ich, kriegt' ich's dick. Er sieht aber auch alles, der Kujon – na, warte, du sollst mich nicht wieder erwischen, mein Schatz, denn fort möcht' ich mich doch auch nicht aus dem bequemen Platz hier jagen lassen.«

Georg ging in das Zimmer seiner Frau und fand diese mit geröteten Wangen und raschen Schritten, die Arme fest verschränkt, auf und ab gehen. Bei seinem Eintritt blieb sie stehen und sah ihren Gatten finster an.

»Was hast du?« sagte dieser ruhig, die Bewegung der Frau konnte ihm nicht entgehen.

»Was ich habe, Georg,« rief Georgine, die diesen Augenblick ersehnt hatte, indem sie nach dem Herzen griff, »einen Schmerz hier, einen bittern, nagenden Schmerz, der mir nicht Rast noch Ruhe läßt.«

»Das alte Leiden?« sagte Georg düster, indem er seinen Hut auf den Tisch warf.

»Ja und nein,« lautete die Antwort, »du selber hast es heute heraufgezwungen!«

»Ich? – wieso?«

»Daß du den Knaben gemißhandelt, weil er in fröhlicher Jugendlaune einen Augenblick vergaß, welch freie schöne Kunst er einst ausgeübt hatte und jetzt nicht mehr ausüben sollte. Glaubst du nicht, daß wir den Zwang doppelt fühlen, wenn er auf so rohe Weise in Kraft gehalten wird? Glaubst du nicht, daß der Stab, der sich bis jetzt nur gebogen, wenn er zu straff angespannt wird, auch brechen könnte?«

»Wenn er das Biegen nicht vertragen kann, mag er brechen,« erwiderte mit tiefer, fester Stimme der Mann.

»Georg!«

»Höre mich,« fuhr ihr Gatte fort, »denn ich zweifle sehr, daß du den ganzen Umfang des heutigen Vergehens weißt. Karl hat nicht allein gefehlt, das hätte ich vielleicht verziehen, da er sich bis jetzt gut gehalten, aber Vater selber, wahrscheinlich wieder vom starken Trunke erregt, vergaß sich so weit, daß er mitten im Dorfe, von der ganzen Schule umgeben, seine alten Künste ausübte und sich in der Luft überschlug. Den Jubel, den das von dem alten, bisher so gesetzten Manne erregte, kannst du dir denken. Ich kam zum Glück zufälligerweise dazu und verhinderte weiteren Unfug. Soll ich mein Ansehen, mein ganzes künftiges Lebensglück, wie das meines Kindes, auf solche ekelhafte Art gefährdet und untergraben sehen? Georgine, du weißt, wie lieb ich dich und euch alle habe, aber du kennst mich auch; du weißt, daß ich Begonnenes auch durchführe, daß, wo ich einmal meinen Willen eingesetzt, ich auch die Kraft besitze, da zu handeln; deshalb warne deine Angehörigen. Noch ein solches Vergehen, und die Bande, die mich bis jetzt an sie fesseln, sind unerbittlich, unwiderruflich gelöst.«

»Meine Angehörigen? und sind es nicht die deinen auch?« fragte Georgine scharf.

»Sie sollen es bleiben, solange sie meinen Anordnungen folgen – nicht einen Augenblick länger.«

»Anordnungen? – sage lieber Befehlen.«

»So nenne es denn Befehle, wenn du willst.«

»Ich weiß es wohl,« zürnte die Frau, »du hast kein Herz für uns. Solange wir dir Nutzen brachten, waren wir dir gut, doch jetzt, wo...«

»Halt ein, Georgine,« unterbrach sie ernst der Mann, »das ist ein harter, böser Vorwurf, der nicht aus deinem Herzen kam. Du bist aber jetzt, wenn auch völlig grundlos, gereizt, und wir wollen nicht weiter darüber rechten. Ich habe deinen Vater freundlich ermahnt, an uns sowohl, wie an sich selbst zu denken; ich hoffe, das wird für ihn genügen. Karl hat gleich an Ort und Stelle seine Strafe bekommen, und die Sache ist also abgemacht. Willst du selber noch einmal mit ihnen darüber sprechen, so gehe erst mit deiner Vernunft zu Rate, die wird dich den richtigen Weg schon leiten.« Und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, verließ er das Zimmer, bestieg unten im Hofe sein schon bereit gehaltenes Pferd und sprengte in den Wald hinaus.

Georgine blieb, wie er sie verlassen, im Zimmer stehen und sah ihm düster nach. Der ungebeugte Charakter des bisher so selbständigen, verwöhnten Weibes konnte sich dem Zwange noch nicht fügen, der es hier von allen Seiten hemmend umgab. Wohl tauchten wieder jene Gedanken, ihn abzuschütteln, in ihr auf, aber wieder und wieder hielt sie der Gedanke an Josefine zurück, die das verhaßte Gesetz ihren Händen entzog, das Schicksal des Kindes in die Hände des Vaters legend. Allerdings hatte sie schon in ***, ehe sie dem Willen des Gatten nachgab, alles versucht, sich Recht in ihrem Sinne zu verschaffen. Sie selber war zu den besten Advokaten der Stadt gegangen, ihren Beistand in dieser Sache zu erfragen und für sich zu sichern. Sie alle aber hatten ihr einfach das in diesem Falle wirklich einmal nicht anders zu deutende Gesetz vorgelegt, das keinen Ausweg offen ließ: Bis zum siebenten Jahre blieb, bei einer Scheidung der Gatten, das Kind der Mutter, damit diese über das zarte Alter desselben wachen konnte; nach dem siebenten Jahre aber wurde es dem Vater, als seinem eigentlichen Erhalter und Ernährer, anvertraut, und es hätte der Beweise bedurft, daß dieser dessen Erziehung nicht leiten und bestreiten konnte, um es zugunsten der Mutter umzuändern – Beweise, die sie in diesem Falle unmöglich bringen konnte. Sie sah sich deshalb gezwungen, nachzugeben – nachzugeben vielleicht zum erstenmal in ihrem ganzen Leben, und das vergaß sie deshalb schon dem Gatten nie.

Georg sprengte indessen in den Wald, das Herz voll von trüben, drückenden Gedanken; denn nie mehr, als gerade in diesem Augenblick, fühlte es die Last, die mit den Ueberresten seines früheren Lebens hereinragte in sein jetziges edleres Sein. Wie war es möglich, daß er den alten Mann, den er verachtete, von sich abschütteln konnte, ohne Georginen im tiefsten Herzen zu verwunden – und tat er es nicht, wer bürgte ihm dafür, daß nicht bei nächster Gelegenheit der Mensch, der nun einmal zur Hefe des Volkes gehörte, seine eigene Stellung im neuen bürgerlichen Leben durch irgend einen tollen Streich untergraben, ja, rettungslos zerstören könne? – Und was dann? Hatte er nicht die Pein seiner früheren Existenz kennen gelernt? War nicht der Schleier von seinen Augen gefallen, durch den geblendet er jenen wilden, zügellosen Stand nur stets im rosigsten und schönsten Lichte gesehen? Dahin konnte er nicht zurückkehren, ohne, wie er recht gut fühlte, geistig und moralisch zugrunde zu gehen, und machte es ihm hier die Verbindung mit jenen alten Ketten, in der er durch den früheren Possenreißer seiner Bande gehalten wurde, nicht doch am Ende auch noch unmöglich, seinem Ziele fest und unverzagt entgegen zu streben?

Er fühlte selber nicht, wie der Rappe, von Schenkeldruck und Sporn getrieben, in sausendem Galopp mit ihm die Straße entlang flog. Der Wind aber kühlte seine heißen Schläfen, die rasche, kräftige Bewegung tat ihm wohl, und seinem feurigen Tier die Zügel lassend, sprengte er mit ihm, dem nächsten breiten Holzwege folgend, gerade in den Wald hinein. Hier aber mäßigte der Rappe selber seinen Schritt; der Weg war rauh und hart gefroren, und die zarten Hufe des edlen Tieres nicht an solche Bahn gewöhnt. Und als auch hierin der Reiter ihm volle Freiheit ließ, blieb es endlich schnaubend und mit dem schönen Kopf auf- und niederfahrend auf einer Waldblöße stehen, wo ein Jäger, die Flinte vor sich auf den Knien, auf einem gefällten Baume saß und jetzt erst, als er den Nahenden erkannte, aufstand, ihn achtungsvoll zu begrüßen.

Er war der alte Forstwart Barthold, und Georgs Blick haftete unwillkürlich lange und mit einem eigenen Interesse auf den gefurchten eisernen Zügen des Greises, um dessen Schläfe der kalte Nordwind die von den Jahren zu Schnee gebleichten Locken jagte.

»Setzt auf, Alter, setzt auf,« sagte er endlich hastig, als sein Geist zu den Gegenständen um ihn her zurückkehrte, »das ist kein Wetter, mit entblößtem Kopfe zu stehen, und noch dazu in Euren Jahren!« Der Alte neigte sich leise und gehorchte dem Befehl.

»Und was macht Ihr hier?« fuhr Georg fort, indem er abstieg, den Nacken seines Tieres klopfte und ihm dann den Zügel auf den Sattel legte, »kommt, geht mit mir ein Stück durch den Wald; mein Pferd ist etwas warm geworden, und ich möchte es nicht still stehen lassen.«

»Ich hab' hier in der Gegend ein Eisen für eine wilde Katze gestellt,« erwiderte der Forstwart, indem er sich an der Seite Georgs hielt, aber nicht ohne einiges Erstaunen sah, daß diesem der feurige Rappe lammfromm und wie ein Hund folgte.

»Gibt es deren hier?«

»Selten einmal eine, aber sie kommen doch zu Zeiten vor und tun dann gar erschrecklichen Schaden unter den lieben Waldtieren. Es ist blutdürstiges, unersättliches Zeug, das Katzengeschlecht, und Wolf und Fuchs reichen ihm nicht das Wasser. – Nur der Mensch treibt es manchmal noch schlimmer als sie.«

»Und so haltet Ihr den Wolf für besser als den Menschen,« lächelte Georg, der schon von den Eigenheiten des Alten gehört hatte, und der sich jetzt freute, einmal so allein mit ihm zusammengetroffen zu sein – vertrieb es ihm doch auch die bösen Gedanken, die sein Hirn peinigten und seine Seele quälten.

»Gewiß tu' ich das,« erwiderte leise der Mann. »Der Wolf ist ein wildes Tier, ohne weiteren Verstand als den, den ihm der liebe Gott gegeben hat, um seine Beute zu beschleichen.«

»Ihr meint den Instinkt.«

»Den mein' ich nicht, ich meine Verstand,« beharrte der Alte, »Instinkt ist ein Wort, das prächtig für die Art von Leuten paßt, die in den Städten die dicken Bücher schreiben, und deren eigener Verstand still steht, wenn sie einmal zu uns in den Wald kommen und das Leben und Treiben der Tiere zu sehen kriegen. Wir aber, die wir eben diese Tiere näher kennen, wissen das wohl besser. Glauben Sie zum Beispiel, gnädiger Herr, daß Ihnen das kluge Pferd da etwa nur aus Instinkt folgt?«

»Ein Pferd? nein, das hat gewiß Verstand.«

»Schön, das sagen Sie, weil Sie näher mit ihm bekannt geworden sind; würden Sie meine lieben Waldtiere so gut kennen lernen, so fänden Sie gar bald, daß wir ihn denen noch viel weniger absprechen dürfen. – Der Mensch aber, was ich vorhin sagen wollte, hat seinen vollen Verstand und Geist und Vernunft und Seele, und wie er es sonst noch nennt, vom lieben Gott erhalten, und wie gebraucht er das alles nur zu oft!«

»Und nur die wilde Katze setzt Ihr noch an bösartigen Eigenschaften über den Menschen?« lächelte Georg.

»Vielleicht hab' ich unrecht,« sagte der Alte, »aber ich kann mir einmal nicht helfen, wenn ich die Katzen mehr als anderes wildes Getier hasse und verabscheue. Aber gerade sie, mehr als Schuhu und Raubvögel, zerstören mir im Frühjahr die junge Brut meiner lieben kleinen Singvögel, und wenn ich dann so ein armes Tierchen neben seinem zerrissenen Nestchen sitzen und trauern und die zerbrochenen Eierschalen unter dem Baume liegen sehe, dann überläuft's mir immer, ich weiß eigentlich selber nicht wie, und ich schwör's den Katzen, Mardern und Iltissen zu, daß sie mir's büßen sollen für alle Zeit – wo ich sie nämlich erwischen kann.«

»Und Ihr habt die Singvögel so gern, Forstwart?«

»Ja, gnädiger Herr, und mit Recht,« sagte der alte Mann, und es war fast, als ob seine Stimme bei den Worten zitterte. »Die kleinen Waldsänger sind mir die liebsten Tiere in der Welt; vielleicht, weil es die einzigen Freunde sind, die ich in der Welt habe,« setzte er langsamer hinzu, »und bei denen wäre es denn schon nicht mehr als Schuldigkeit, daß man ihnen wieder Anhänglichkeit bewiese. Haben sie doch niemanden hier weiter wie mich, der ihren Feinden nachstellt und sie schützt und beschirmt, wo es not tut.«

»Und weiter habt Ihr keine Freunde, Barthold?«

»Keine weiter,« sagte der alte Mann und schüttelte dazu langsam den greisen Kopf.

»Aber der Graf hat mir sehr freundlich von Euch gesprochen und Euch mir warm empfohlen.«

»Der Graf ist ein wackerer, braver Herr,« meinte der Forstwart, »und ich werde ihm ewig danken, was er an mir getan – mehr, als Sie und jemand anders wissen können; – aber – den Herrn kann ich doch nicht zu meinen Freunden zählen!«

»Nicht? – und weshalb?«

»Lieber Gott, weshalb? Der Herr Graf ist mir ein lieber und gnädiger Herr – aber er ist eben ein Herr und noch dazu ein recht vornehmer, wenn auch wohlwollend und herablassend, und da kann mit Unsereinem von Freundschaft nicht die Rede sein. Unter Freunden, mein gnädiger Herr, verstehe ich zwei Teile, die voreinander kein Geheimnis haben, die einander mitteilen, was sie freut, was sie drückt, die einander helfen, wo sie können – nicht nur der eine Teil dem andern, sondern auch umgekehrt, und die beisammen ausharren in Freud' und Leid – solange eben dieses morsche Leben noch zusammenhält und das Herz nicht aufgehört hat zu schlagen.«

»Aber unter der Bedingung, Forstwart, dürft Ihr die Vögel des Waldes, und wenn sie noch so lieb und freundlich singen, doch nicht zu Euren Freunden zählen, denn Ihr mögt ihnen so viel klagen und gestehen, wie Ihr wollt, ihr Mund bleibt stumm für Euch, und mit der Hilfe und dem Beistande, die sie Euch leisten könnten, sieht es auch nur windig aus.«

»Meinen Sie, gnädiger Herr?« sagte der alte Mann und lächelte dabei gar still und heimlich vor sich hin, »aber da hätten Sie sich doch vielleicht geirrt, denn nicht allein verstehen die Vögel mich, wenn ich bei ihnen einmal hier draußen dem gedrückten Herzen Luft mache, nein, ich verstehe sie ebensogut, ob die paar Zurückgebliebenen mir nun im kalten Winter ihr Leid oder im Sommer den Verlust eines lieben Angehörigen klagen oder mir im Frühling die heimkehrenden Wanderer ihren Jubel, ihre Seligkeit entgegen zwitschern. – Sie, gnädiger Herr, sind eigentlich seit langer, langer Zeit der erste, mit dem ich wieder darüber rede, weil – weil mich etwas zu Ihnen zieht, dem ich keine Worte geben kann, für das ich eigentlich keine Ursache habe. Früher, ja, sprach ich mich offen darüber gegen jeden aus, aber mein Lohn war, daß ich von dem unwissenden Volke verlacht und ausgespottet wurde. Da behielt ich, was ich wußte, lieber für mich, und zog mich mehr und mehr nur auf mich selbst zurück.«

»Und Ihr glaubt wirklich, daß Ihr die Sprache der Tiere verstehen könnt – daß sie Euch wieder verstehen, wenn Ihr mit ihnen sprecht?«

»Ich glaube es nicht nur,« sagte zuversichtlich der alte Mann, »ich weiß es ganz gewiß. Stundenlang hab' ich schon draußen auf der Wiese bei den Störchen gesessen und mir von ihren Reisen erzählen lassen – stundenlang dem muntern, manchmal ein bißchen leichtfertigen Stieglitz zugehört, und was meine alte treue Amsel betrifft, die mir eigentlich die liebste ist von allen zusammen, so verstehen wir beide wohl jede Silbe, die wir miteinander reden.«

»Die Amsel ist Euch die liebste?« fragte Georg, der unwillkürlich Interesse an den Phantasien des alten Mannes nahm.

»Gewiß,« erwiderte dieser. »Die Amsel ist eines von den bescheidenen, anspruchslosen Wesen in der Welt, die trotz ihres eigenen Verdienstes, eben ihrer Zurückhaltung wegen, es doch nirgends zu etwas Ordentlichem bringen und stets zurückgesetzt und übersehen werden. Und wie treu hält sie bei uns in Frost und Kälte aus; wie bescheiden hüpft sie in ihrem anspruchslosen schwarzen Kleidchen einher, und was für eine lieblich grüne Stimme hat sie dabei!«

»Eine grüne Stimme?« fragte Georg, dem dieser Ausdruck neu war.

»Allerdings,« versicherte der alte Mann, »und zwar das ganz bestimmte junge Waldesgrün, wenn ihm der Frühling seinen ersten Saft gegeben – nicht ein Mischmasch von Farben, wie der Finke mit seinem Violett oder der Zeisig gar mit seinem schmutzig gelben Ton – ein reines, schönes, helles Grün, das mit seinem lieben Klange meine alten Ohren auch noch erfreut, wenn der Winter schon lange das wirkliche Grün von den Zweigen gefegt und seine weiße Schneedecke über den Wald gebreitet hat.«

»So beurteilt Ihr den Gesang der Vögel nach den Farben?«

»Gewiß tue ich das,« versicherte der Greis, »und nirgends zeigen sich mir die Farben deutlicher als eben im Gesange. Die Grasmücke singt rot, aber kein brennend schmerzendes Rot wie der Kanarienvogel, sondern sanft und doch leuchtend, wie ich nur einmal in meinem Leben am nördlichen gestirnten Himmel habe Strahlen schießen sehen. Die Nachtigall singt dunkelblau – dunkelblau wie der Nachthimmel selber, daß man die beiden kaum voneinander unterscheiden kann. Die Lerche singt jenes wundervolle Korngelb der reifen Aehren, das Rotschwänzchen ein allerliebstes bläuliches Grau, die Schwalbe weiß, der Nußhäer, der spöttische Gesell, ein tiefes Schwarz, ich mag den geschwätzigen hirnlosen Burschen auch deshalb nicht besonders leiden; die Drossel singt dunkelgrün, und fast alle Farben finden sich unter den Sängern des Waldes, alle, mit ihren leisesten Schattierungen – nur nicht hellblau. Kein Vogel, und das ist etwas, worüber ich schon oft und lange nachgedacht, singt hellblau, und nur ein einziges Mal, und zwar eine einzige Nacht, habe ich eine Nachtigall gehört, die hellblau sang, und das war das schönste Himmelblau, das man sich nur denken kann.«

»Und nie wieder hat sie gerade so gesungen?« fragte Georg, den, er wußte selber nicht weshalb, ein eigenes Gefühl der Teilnahme für den Greis beschlich.

»Nie wieder,« sagte der alte Mann leise, »es war ihr Sterbelied gewesen, denn am nächsten Morgen fand ich sie tot in demselben Busche – tot und unverletzt, und habe sie auch dort, wo ich sie fand, nachher begraben. Ich werde den Tag nie vergessen; es war derselbe Morgen, an dem die Kinder wieder von hier abreisten, und wie ich da drüben unter dem Busche bei dem toten Vogel saß, liefen mir die hellen Tränen die Backen herunter. Ich weiß aber wahrhaftig nicht, ob ich über den Vogel oder über die Kinder geweint habe, die ich – wenigstens beide zusammen – nicht wiedersehen sollte.«

Der alte Mann schwieg und sah still und traurig vor sich nieder, und auch Georg wagte im ersten Augenblick nicht die Stille zu unterbrechen. Von welchen Kindern sprach der Greis, und war es nicht etwa gar die eigene Jugend, die an das Herz dieses alten, starren Waldbewohners geklopft und die Erinnerung darin zurückgelassen hatte? – Er mußte darüber Gewißheit haben.

»Was für Kinder, Forstwart?« fragte er mit so viel Gleichgültigkeit als möglich im Tone.

»Das eine kennen Sie, gnädiger Herr,« sagte da der alte Mann, »es ist unser gnädigster Herr Graf, den Gott uns noch recht lange erhalten möge. Wie hübsch und schlank und kräftig der emporgewachsen ist, und wie viel Freude er schon seiner braven Frau Mutter gemacht hat, daß sie wohl stolz auf ihn sein darf!«

»Und das andere?« fragte Georg nach sichtlichem Widerstreben, als der alte Mann hartnäckig schwieg, »was ist aus dem andern geworden?«

»Da fragen Sie den lieben Herrgott!« seufzte der alte Mann, »der andere Knabe war sein Bruder. Auf ein Haar fast glichen sich die beiden jungen Herren, und so wild und lebenslustig waren sie, und so gut, so engelgut dabei! Der jüngste besonders war ein herzig Kind – ich sehe ihn noch vor mir mit den langen dunklen Locken und den großen, sterngleichen Augen – und ich durfte mit ihnen durch den Wald gehen und ihnen das Wild zeigen und die Stellen, wo die saftigsten Erdbeeren wuchsen, und der kleinste faßte mich dann an der Hand und fragte mich, wie hoch der Himmel noch über den hohen Bäumen sei, und ob es wahr wäre, daß die Sterne dort droben die Augen von lieben Engelchen wären, die herabschauten auf die Kinder, ob sie auch brav und gut wären und ihren Eltern Freude machten? Und dann erzählte er mir von seinem Vater, daß er gestorben und zum lieben Gott gegangen sei und sie, die beiden Knaben, mit der Mutter hier allein zurückgelassen habe, und – Gottes Zorn!« murmelte der alte Mann vor sich hin und wandte sich ab von Georg, denn er schämte sich vor dem Fremden, daß ihm, selbst in der Erinnerung an jene Zeit, die sein Herz mit einer eigenen Wehmut erfüllte, die Tränen ins Auge gekommen waren. Georg aber, der ihn mit schmerzlicher Spannung beobachtete, war das nicht entgangen, wenn er auch tat, als ob er es nicht bemerkte; hatte er doch Mühe genug, die eigene Rührung niederzukämpfen. Endlich, sich gewaltsam zwingend, sagte er leise: »Und von dem andern Knaben habt Ihr nie wieder – den andern Knaben habt Ihr nie wieder gesehen?«

»Nein,« erwiderte der Alte, »damals blieben sie acht Wochen bei uns, und kein Tag verging, wo wir uns nicht zusammen hier draußen herumgetummelt hätten. Ein paar wilde Burschen waren es alle beide, und tolle Streiche haben wir mitsammen ausgeführt. Der jüngste besonders – der kleine Tollkopf konnte mit mir machen, was er wollte – schien sein Herz an mich gehängt zu haben. Auf mir geritten ist er sogar, oft und oft, und hat mir dann versprochen, wenn er einmal groß wäre, wollte er mich zu seinem Stallmeister, und Gott weiß was sonst noch machen. Dann gingen sie fort, und ich blieb hier zurück – als Forstwart, Waldläufer oder was Sie wollen. Ein paarmal noch ließen mich die Knaben, besonders der kleine Georg – er hieß wie Sie, gnädiger Herr, Georg – grüßen, dann war auch das vorbei. Ich selber vergaß die Kinder wohl nicht, denn wenn man so ganz allein steht auf der Welt, vergißt man nicht so leicht etwas, an dem das Herz einmal so gehangen, wie ich an den Kindern, besonders an dem jungen Herrn. Während aus den Knaben aber Männer wurden, hörte ich endlich, daß der eine – mein armer kleiner Georg – Deutschland ganz verlassen habe und – in der Fremde gestorben sei, und da konnte ich denn natürlich nichts weiter tun, als – um ihn trauern.«

»Und habt Ihr seinen Bruder nie nach ihm gefragt?« sagte endlich nach langer Pause, während die beiden Männer schweigend nebeneinander hingeschritten waren, Georg.

Der Alte schüttelte mit dem Kopfe. »Das ging nicht gut,« meinte er, »sollte ich die Wunde im Bruderherzen wieder aufreißen? Und ich war froh und glücklich, daß ich wenigstens den einen wieder hatte und mir in dessen heiteren, männlich schönen Zügen das Bild des andern heraufrufen und festhalten konnte. Die Jahre sind auch darüber hingegangen, und wie der Hügel auf dem Grabe des längst Entschlafenen eingesunken sein wird, sind meine Wangen eingefallen, ist mein Haar gebleicht, und ich dachte kaum, daß ich noch einmal so lebhaft wieder an ihn denken würde, bis – bis Sie neulich, gnädiger Herr, mit unserem gnädigen Grafen in den Hof einritten.«

»Ich?« rief Georg und suchte die Bewegung zu verbergen, die seine Stimme zittern machte.

»Ja,« sagte der Greis, und unwillkürlich suchte sein Blick dabei den des Begleiters, »wie ich Sie beide zusammen und nebeneinander, in all der Kraft männlicher Schönheit, beide einander so ähnlich, und doch auch wieder so verschieden, auf einmal vor mir sah, war es plötzlich, als ob eine Stimme in meinem Innern spräche: da sind sie – die Zeit ist wiedergekommen, die du so heiß ersehnt; er ist nicht tot, der kleine Georg, sondern zurückgekehrt, wie er es mir als Kind, seine kleine Hand in der meinen, fest versprochen. – Ich hatte mich doch geirrt; und nur daß Sie Georg heißen, ist ein merkwürdiger Zufall. Fünfundzwanzig Jahre sind freilich eine lange Zeit; aber, lieber Gott! mein altes Herz hat sich doch geirrt, denn was man eben wünscht, erhofft man ja auch gern.«

»Und Ihr habt den Knaben also noch nicht vergessen, Barthold?«

»Ich? – das Kind? nein, mein gnädiger Herr. Ich weiß nicht, weshalb – es war nicht mein Kind, und ging mich auch weiter nichts an, als daß es eben der Herrschaft angehörte und vielleicht einmal später selber mein Herr geworden wäre; denn uns alten Dienstboten geht es wie dem Inventar auf den Gütern, zu dem wir auch mitgehören – wir wechseln die Besitzer. Aber ich glaube, der kleine Bursch hatte es mir damals mit seinen klugen, treuen Augen angetan – vielleicht mit einer Kleinigkeit, die aber bei uns Menschen oft wunderbaren Einfluß ausübt.«

»Und die war?«

»Ich hatte die Kinder gebeten, mich – ich weiß eigentlich selber nicht weshalb, bei meinem Vornamen Franz zu nennen, der Aelteste aber, unser gnädiger Herr Graf jetzt, der auch schon ein bißchen besser mit den Leuten umzugehen wußte, konnte oder wollte es nicht merken und nannte mich nicht anders als Barthold oder Forstwart. Der kleine Georg aber – Sie dürfen es mir aber nicht übel deuten, daß ich ihn noch so nenne, denn für mich ist er der kleine Georg geblieben, alle Zeit – tat mir den Willen und nannte mich Franz, und einmal, wie er Abschied von mir nahm, hat er mich sogar geküßt, und von der Zeit an, wo ich die Kinder in die große Kutsche steigen und mir noch einmal mit den Tüchern winken sah, war es mir, als ob alles, was ich noch auf der Welt mein nenne, mit dem Kinde auf Nimmerwiedersehen geschieden sei. Aber, lieber Gott! ich schwatze und schwatze da von Dingen, die Euer Gnaden unmöglich interessieren können. Halten Sie es einem alten Manne zugute, dem es überdies selten genug gestattet ist, sein Herz einmal einem Nebenmenschen auszuschütten. Ich fühle, daß ich Sie gelangweilt habe.«

»Das habt Ihr nicht, Barthold,« sagte Georg, der gewaltsam die in ihm aufsteigende Rührung niederkämpfen mußte, um sich nicht zu verraten. »Ihr habt mir überdies vorher gesagt, daß Ihr Euer Herz nur Euren Freunden gegenüber öffnen möchtet, zählt mich dazu von jetzt an, ich meine es gut mit Euch. Nehmt meine Hand, sie ist Euch gern geboten, wenn ich auch – Euer kleiner Georg nicht bin, für den Ihr mich gehalten.«

»Gnädiger Herr,« sagte der alte Forstwart verlegen, indem er schüchtern seine Hand in die ihm dargebotene Rechte seines Begleiters legte – »Sie sind so gütig...«

»Wohin führt dieser Weg?« unterbrach ihn jetzt Georg, der das Gespräch abzubrechen wünschte, denn er vermochte nicht länger dem Alten gegenüber kalt und gleichgültig zu scheinen.

»Mitten in den Wald,« lautete die Antwort, »ich muß tausendmal um Verzeihung bitten, wenn ich Sie einen falschen geführt habe. Wir sind hier gleich an der Grenze, und ich wollte eigentlich nur nach einem Fuchsbau sehen; ich habe gar nicht daran gedacht, daß Sie...«

»Es schadet nichts; ich habe nur einen Spazierritt gemacht, und jede Richtung bleibt sich da gleich. Aber ich will jetzt umkehren. Adieu, Barthold, sorgt nur hübsch für Eure kleinen gefiederten Freunde, die Singvögel, denn ich habe sie ebenfalls gern, und – wenn Ihr einmal etwas habt, das Euch auf dem Herzen liegt und das andere Hilfe verlangt, als sie Euch gewähren können, dann kommt ungescheut zu mir. Wenn es in meinen Kräften steht, helfe ich Euch. Lebt wohl!« Mit den Worten wandte er sich zu seinem Pferde, das auf sein Zeichen rasch herbeigetrabt kam, schwang sich in den Sattel und ritt langsam den Weg wieder zurück, den er mit dem Alten heraufgekommen.

Barthold blieb noch lange, wie ihn Georg verlassen hatte, im Wege stehen und schaute ihm schweigend nach, dann setzte er seine Pelzmütze, die er beim Abschied abgenommen, wieder auf und murmelte leise, während er sich jetzt in den Wald wandte: »Gerade so würde mein kleiner Georg wohl auch zu seinem alten Freunde gesprochen haben; gerade so sähe er vielleicht auch aus, aber – du lieber Gott! alter Franz, was hilft es dir? er ist es ja doch nicht, und wenn er wiedergekommen wäre? – wer weiß, ob er dann noch so freundlich mit dem alten Forstwart, der eben doch nichts weiter als ein Forstwart ist, gesprochen hätte, und dann – dann hätt' es mir freilich noch viel, viel weher getan, als so, wo er gar nicht wiedergekommen ist.« – Und leise noch viel mehr vor sich hinsprechend und langsam dazu mit dem Kopfe nickend, verfolgte er seinen Weg.

16.

Georg ritt langsam den Weg, den er gekommen, zurück, das Herz aber mit anderen Gedanken erfüllt als denen, die er so toll und wild auf schnaubendem Rosse in den Wald hinausgetragen. Es war die Jugendzeit, die liebe, holde Jugendzeit, die wieder vor seinem innern Blicke emportauchte, und doch auch brachte sie kein Lächeln auf die zusammengepreßten Lippen, doch drängte sie keine Freudenträne in das fest und starr auf dem Wege haftende Auge. Erst als sich der Wald lichtete, sah der Reiter wieder auf, und durch seine Umgebung zur Gegenwart zurückgekehrt, lenkte er sein Pferd hinter dem Dorfe weg, um unten am See nach seinen Arbeitern zu schauen. Er fühlte sich noch nicht ruhig genug, nach Hause zurückzukehren.

Die Straße selber, als er sie endlich erreichte, war heute außerordentlich belebt, und er erinnerte sich jetzt, gehört zu haben, daß an diesem Abend im Stern zu Schildheim eine Hochzeit gefeiert werden sollte. Die einzige Tochter des Wirtes heiratete hinüber nach Oledorf, und der Vater hatte bestimmt, die Feierlichkeit mit einem solennen Schmaus und Tanz zu beschließen, zu dem eine Menge Verwandte und Gäste aus Oledorf sowohl, wie aus Schildheim selber geladen waren.

Eine Strecke hinter dem Dorfe sah der Reiter einen Knäuel Menschen auf der Straße stehen, die um ein umgeworfenes Fuhrwerk versammelt waren. Fast unwillkürlich lenkte er sein Pferd dorthin und entdeckte bald einen vornehm aussehenden Herrn, der in Reisekleidern neben einem zerbrochenen Wagen stand. Das linke Hinterrad war in Stücken, augenscheinlich an einem der Wegsteine zerschellt und lag im Straßengraben, während ein Kutscher mit Hilfe des Bedienten und einiger gefälligen Bauern bemüht war, das Riemenzeug der Pferde wieder in Ordnung zu bringen. Der Reisende selber bekümmerte sich jedoch weder um Pferde noch Wagen, sondern schien nur damit beschäftigt, seinen etwas beschmutzten und sogar beschädigten Rock wieder zu reinigen, wie die Stöße ungeschehen zu machen, die sein Hut, wahrscheinlich beim Herausfallen aus dem Wagen, erhalten hatte.

Durch die Umstehenden, die Georg kannten, wurde er jedoch auf den Nahenden aufmerksam gemacht und wandte sich jetzt höflich gegen diesen.

»Herr von Geyfeln – wie ich höre, ist das Ihr Name – ich bedaure sehr, mich Ihnen in dieser Situation und diesem Zustande vorstellen zu müssen; mein Name ist Baron von Zühbig, und ich bin hier auf abominable Art mit meinem Geschirr erst fest und dann auseinander gefahren. Könnten Sie uns nicht helfen lassen, daß wir wenigstens mit dem Wagen das dort liegende Dorf erreichten?«

»Das kann ich allerdings, Herr Baron,« erwiderte Georg, »und es tut mir leid, daß Sie der Unfall hier betroffen hat. Ich begreife freilich nicht, wie es auf der trocknen Straße möglich war.«

»Ein Leiterwagen voll junger Bauern kam in gestreckter Karriere hinter uns drein,« erzählte der Baron. »Die jungen übermütigen Burschen, die wahrscheinlich zu irgend einem Feste zogen, jauchzten und schrieen und schwenkten die Hüte, meine Pferde scheuten dadurch etwas zur Seite, das Vorderrad vermied jenen Stein, aber das Hinterrad wurde dagegen gerissen, brach wie Glas und warf mich in diesem Zustande, wie Sie mich hier erblicken, in den Graben hinein.«

»Ich bedaure Sie innig; die Leute haben heute im Dorfe eine Hochzeit und sind dabei gern ein wenig laut; aber ich darf Sie nicht länger als nötig hier auf der Straße lassen. Dort drüben arbeiten meine Leute – die Hinterräder Ihres Wagens sind ziemlich hoch; ich denke, eins von meinen Schlammwagen kann Ihr Geschirr wenigstens bis zum Dorfe bringen, und dort werde ich Sorge tragen, daß Ihr Schade, trotz der Hochzeit heute, augenblicklich wieder verbessert wird. Entschuldigen Sie mich nur auf wenige Minuten, ich bin gleich wieder bei Ihnen.«

Und damit wandte er sein Pferd und ritt in scharfem Trabe über die Wiese hinüber der Stelle zu, wo seine Leute arbeiteten, um diese zur Hilfe des beschädigten Wagens herbeizuholen. Er kehrte auch bald mit ihnen zurück. Das Fuhrwerk wurde wieder so weit instand gesetzt, die kurze Strecke bis zum Dorfe wenigstens zusammen zu halten, und Georg, der sein Pferd jetzt am Zügel führte, schritt neben dem Fremden auf der Straße hin.

Er selber kam aber dabei nicht viel zu Wort; der Fremde, der außerordentlich wißbegierig schien, richtete hundert Fragen an ihn, ohne ihm jedoch Zeit zu lassen, auch nur eine genügend zu beantworten, und interessierte sich besonders dafür, zu erfahren, ob es hier in nächster Nähe nicht irgend eine Stadt oder ein Städtchen gäbe, das er heute abend noch erreichen könnte und in dem Theater gespielt würde.

Das war allerdings nicht der Fall, und der Fremde, der um diesen Preis wohl seinen zerbrochenen Wagen heute im Stiche gelassen hätte, sah sich jetzt genötigt, diesem wieder seine Aufmerksamkeit zu schenken. Sie hatten nämlich das Dorf erreicht, und der Schmied erklärte sich mit dem Wagen- oder Stellmacher, wenn auch im Anfange nach entschiedenem Weigern, doch endlich bereit, die nötige Reparatur sofort vorzunehmen, und daß die Leute rasch arbeiten würden, dafür bürgte die Hochzeit, zu der sie beide eingeladen waren.

Jetzt galt es, dem Fremden Unterkommen im Gasthause zu verschaffen; das war aber entschieden unmöglich und jedes Winkelchen im Hause, bis in die Ställe hinein, besetzt. Nicht einmal Kutscher und Pferde konnten dort untergebracht werden. So ungern es Georg gerade bei einem Fremden tat, sah er sich doch endlich genötigt, ihm für die Nacht – denn an ein Weiterreisen ließ sich nicht denken – seine Gastfreundschaft anzubieten, die indessen von dem Fremden, wenn auch erst nach scheinbarem Sträuben und tausend nichtssagenden, meist französischen Phrasen von »Stören« und »zur Last fallen« angenommen wurde. Den Wagen hatte man indessen den betreffenden Handwerkern übergeben, der Kutscher führte die Pferde in das Gut voran, der Bediente folgte mit dem Nötigsten, was sein Herr für die Nacht brauchte – und das war mehr, als er allein tragen konnte –, das übrige Gepäck hatte der Wirt in sein eigenes Zimmer gestellt, und die beiden Herren schritten jetzt ebenfalls plaudernd zum Gute hinauf, wo Georg die Wirtschafterin rufen ließ und ihr auftrug, augenblicklich eines der Fremdenzimmer für den Gast herzurichten.

Das war bald geschehen, und Baron von Zühbig wurde instand gesetzt, seine Toilette mit ängstlichster Sorgfalt, wie er es stets gewohnt war, zu vollenden. Bis dahin konnte auch das Abendbrot bereitet sein, und zwar heute nur für die beiden Gatten und den Fremden. Der alte Mühler hatte gebeten, auf seinem Zimmer essen zu dürfen, und die Erzieherin trank überdies jeden Abend mit Josefinen den Tee auf dem ihrigen.

Georgine war von dem unerwarteten Besuch rechtzeitig in Kenntnis gesetzt worden und eben mit ihren Anordnungen in Küche und Keller, wie mit ihrer eigenen Toilette fertig geworden, als Herr von Zühbig, von Georg geführt, ihr Zimmer betrat, und sich ihr mit seiner zierlichsten Verbeugung nahte.

»Gnädige Frau, ich muß unendlich bedauern, wenn auch die unschuldige, doch die Ursache zu sein, die Sie heut abend Ihrer gewohnten Bequemlichkeit und ungestörten Häuslichkeit entreißt, um einem Fremden Gastfreundschaft zu erweisen, aber Ihr Herr Gemahl war...« Er blieb plötzlich mitten in der Rede stecken und sah die Dame erstaunt und forschend an, die aber ruhig lächelnd erwiderte: »Lassen Sie sich das nicht stören, Herr Baron. Wir auf dem Lande sind einmal darauf eingerichtet, Nachbarn und Freunde, die uns besuchen, auch bei uns zu beherbergen. Freilich müssen Sie Nachsicht mit uns haben, denn die Zeit war ein wenig kurz.«

»Gnädige Frau – ich,« stammelte Herr von Zühbig, »ich weiß wirklich nicht – ob ich – ob ich nicht schon früher das – das Vergnügen hatte...«

»Der Baron wird fürlieb nehmen,« unterbrach ihn Georg, »ein Reisender ist darauf eingerichtet, oft in irgend dem ersten, besten Wirtshause zu kampieren, und die Bequemlichkeiten sind dort auch nicht immer ausgesuchter Art. Im Stern unten hätten Sie es keinesfalls besser gefunden und wahrscheinlich noch außerdem die ganze Nacht vor tobender Musik kein Auge schließen können.«

»Gewiß – gewiß,« stammelte der Baron, »aber – Sie verzeihen wohl meine Zudringlichkeit – doch nein, es ist nicht möglich – und doch – Herr von Geyfeln – Sie müssen mich wahrhaftig entschuldigen – diese – diese...«

»Was ist Ihnen? Sie scheinen ganz außer sich zu sein!« sagte Georg.

»Das bin ich auch,« rief von Zühbig, indem er abwechselnd bald Georginen, bald Georg staunend und immer noch ungewiß anstarrte, »wahrhaftig, gnädige Frau – ich weiß in diesem Augenblick nicht, ob ich auf dem Kopfe oder auf den Füßen stehe. Ich würde das Ganze auch nur für einen scharmanten, feenhaften Traum halten, wenn Ihre beiden Persönlichkeiten mich nicht eines Besseren belehrten; – aber ich muß Sie schon früher einmal gesehen haben – wenn auch unter anderem, wahrscheinlich angenommenen Namen. Wenn nicht, haben Sie beide entweder Doppelgänger, oder es besteht eine Aehnlichkeit zwischen vier verschiedenen Personen in der Welt, die ich bis zu diesem Augenblick nicht für möglich gehalten hätte.«

Georgine errötete leicht und sah ihren Gatten an. Georgs Brauen aber zogen sich finster zusammen, und kaum fähig, seine Fassung zu behalten, sagte er: »Es finden sich oft Aehnlichkeiten auf der Welt, Herr Baron, die uns im Anfange stutzig machen – es gibt deren auch, die schmeichelhaft – andere, die es nicht sind. Das beste ist, man läßt sich nicht von ihnen beirren, und nimmt das Leben, wie es sich eben bietet, ohne darüber nachzugrübeln.«

Irgend ein anderer Mann, an des Barons Stelle, hätte sich vielleicht den ziemlich deutlichen Wink genügen lassen; Herr von Zühbig aber, mit dem entzückenden Gefühl, für die Salons und deren Klatsch eine neue superbe Entdeckung gemacht zu haben, und von der Identität der vor ihm Stehenden dabei fest überzeugt, hörte, sah und verstand nichts weiter.

»Wenn ich Ihnen nur gestehen dürfte, wie glücklich ich mich fühle, Ihnen hier in Ihrer reizenden Einsamkeit begegnet zu sein!« fuhr er fort, als er sah, daß Georgine verlegen schwieg, »ich segne jetzt den Unfall mit meinem Wagen, der mich auf keiner passenderen Stelle hätte aufs Trockene setzen können.«

»Und mit wem haben wir Aehnlichkeit, Herr Baron?« sagte in diesem Augenblick Georgs tiefe Stimme an seiner Seite.

»Mit wem?« fuhr Herr von Zühbig rasch und beinahe etwas erschreckt herum und starrte seinen Wirt verblüfft an. Dessen Ruhe machte ihn nämlich in seiner Entdeckung wieder schwankend, und wenn er auch auf Georginens Gesicht mit gutem Gewissen hätte schwören mögen, so war ihm das ihres Gatten doch keineswegs so sicher im Gedächtnis geblieben, darin jeden Irrtum außer Zweifel zu lassen. »Mit wem, Verehrtester? o, mit – aber, hahahaha, – Sie wollen doch nicht etwa – Ihr Name...«

»Georg von Geyfeln.«

»Von Geyfeln – Georg? – o gewiß – außer allem Zweifel. Ich bitte, mich um Gottes willen nicht mißverstehen zu wollen. Der frühere Name war jedenfalls angenommen – ein Kunstname. Wir haben das ja bei der Bühne alle Tage, und ich – darf wohl mit Recht von mir sagen, daß ich selber mit zur Kunst gehöre.«

»Sie selber? wie verstehe ich das?« fragte Georg, dem der Fremde eben nicht wie ein Künstler vorkommen mochte.

»Ich bin,« stellte sich der Herr von Zühbig vor, »Generalintendant des ***schen Hoftheaters, wo ich – wenn ich nicht jetzt an ein Wunder glauben soll – das Glück hatte, durch Sie beide in eine reine Ekstase versetzt zu werden. Sie – aber, bester Baron, machen Sie kein solch ernsthaftes Gesicht – Sie bringen mich wirklich in – in Ungewißheit und Gewißheit – ich fange schon an, ganz konfus zu reden – zur Verzweiflung.«

»Am ***schen Hoftheater?« sagte Georg, immer noch in der, wenn auch vergeblichen Hoffnung, den Fremden von seiner Beute für Tee- und Abendunterhaltung abzulenken.

»Bitte, um Verzeihung – nicht im Hoftheater, sondern im – aber Sie wahrhaftig brauchen sich Ihrer Erfolge nicht zu schämen – gnädige Frau, was Sie auch immer bewogen haben konnte, auf eine Zeit Ihr enormes Talent dem Publikum zu widmen. In diesem Augenblick...«

»Habe ich das Vergnügen, Ihnen in ihr meine Frau, Baronin von Geyfeln, vorzustellen,« unterbrach ihn Georg kalt.

»Ungemein erfreut,« stotterte Herr von Zühbig, der dabei nicht einmal wußte, was er sprach, »ungemein in der Tat – gnädige Frau, erlauben Sie mir, daß ich...« Er nahm ihre Hand und führte sie ehrfurchtsvoll an die Lippen.

»Und jetzt, denke ich, wird ein Imbiß wohl bereit sein,« rief Georg wieder mit lebendigerem Tone, denn er wünschte dieser fatalen Auseinandersetzung ein Ende zu machen. »Der Baron wird nach seiner langen Fahrt und seinem Unfalle hungrig geworden sein. Hast du bestellt, mein Kind, daß wir hier oben in deinem Zimmer essen?«

»Ja, es ist alles angeordnet und wird gleich gebracht werden,« sagte die Frau, die sich an der Verwirrung des Fremden ergötzte, ohne im geringsten das Peinliche zu fühlen, das ihres Gatten Herz beugte, »aber bitte, Herr Baron, nehmen Sie doch Platz. Sie müssen sich ja nach der heutigen Anstrengung ermüdet fühlen.«

»Jawohl – ich? – bitte um Verzeihung – mit dem größten Vergnügen,« sagte von Zühbig vollkommen außer Fassung gebracht. Daß er sich den beiden Kunstreitern Monsieur Bertrand und Georginen gegenüber befand, darauf hätte er in dem einen Augenblick den höchsten körperlichen Eid ablegen mögen, während er im andern durch Georgs ernstes, abgemessenes Wesen fast wieder schwankend gemacht worden wäre. Dazu kam die veränderte Kleidung der beiden, die andere, fremde Umgebung, und dann der Name – von Geyfeln. Es gab ein Geschlecht von Geyfeln – Herr von Zühbig war zu sehr Edelmann, nicht den ganzen deutschen Adelskatalog im Kopfe zu haben, und war wirklich der Edelmann ein Kunstreiter oder der Kunstreiter ein Edelmann geworden, oder bestand zwischen vier sich einander gar nichts angehenden Personen eine solche frappante Aehnlichkeit – daß selber er – der Generalintendant des ***schen Hoftheaters getäuscht werden konnte?

Herr von Zühbig ließ sich auf das Sofa neben Georginen nieder, und saß dort wie auf Nadeln, bis ihn die Fragen der schönen Frau nach seiner Reise und dem heutigen Unfalle wieder zu sich selber brachten. Er erzählte jetzt, wie er Urlaub in *** genommen, trotzdem daß seine Anwesenheit dort dringend nötig sei, denn er fürchte, daß am dortigen Theater, selbst während seiner kurzen Abwesenheit, die größten Mißgriffe geschehen würden. Notwendige Familiengeschäfte hatten ihn aber nach Norden gerufen, und er selber war nur der angenehmen Pflicht gefolgt, bei einer im Innern des Landes lebenden Schwester, der Gräfin Hostenbruk, Gevatter zu stehen. Von da kehrte er eben zurück – Herr von Geyfeln kannte gewiß die in Mecklenburg ziemlich ausgebreitete Familie Hostenbruk – und während er im Anfange geglaubt habe, daß ihm sein böser Stern heute einen fatalen Aufenthalt zugezogen, finde er jetzt – und er setzte das mit seinem süßesten Lächeln hinzu – daß es sein guter gewesen sei, dem er nicht genug danken könne. Einmal im Zuge, war auch keine Gefahr, daß Herr von Zühbig ein anderes Thema berühren würde als sich selber, und als er das erschöpft zu haben schien, brachte ein einziges hingeworfenes Wort Georgs, das Theater berührend, ihn in eine neue Bahn, aus deren Gleisen er nicht mehr wich, bis das Essen hereingebracht wurde. Auf eine einladende Bewegung Georgs hatte Herr von Zühbig eben der Dame des Hauses den Arm geboten, sie zu ihrem Stuhl zu führen, als Josefine in das Zimmer kam und sich gegen den Fremden verneigend sagte: »Mama, ich habe mein Musikheft hier liegen lassen!«

»Mademoiselle Josefine, beim Zeus!« rief Herr von Zühbig erstaunt aus.

Josefine sah staunend von ihm zu ihren Eltern, der finstere Blick des Vaters aber ließ sie die Szene rasch durchschauen, und wieder sich graziös verbeugend, gewissermaßen wie um für Nennung ihres Namens zu danken, ergriff sie das vergessene Heft und verschwand im nächsten Augenblick aus dem Zimmer.

»Bitte, diesen Platz einzunehmen, Herr Baron,« sagte indessen Georgine, während der Generalintendant noch immer auf derselben Stelle stand und hinter dem jungen Mädchen wie hinter einer Erscheinung dreinsah.

»Entschuldigen Sie,« erwiderte verlegen Herr von Zühbig, und sein Blick streifte über die beiden Gatten. Wenn aber auch Georgine ihre volle Unbefangenheit gewahrt hatte – denn ihr selber machte es sogar Freude, die Erinnerung an sich und ihre Tochter so bewahrt zu sehen – konnte sich der Baron doch nicht gut über den finstern Ernst täuschen, der auf »Monsieur Bertrands« Zügen lag. Zu viel Weltmann dabei, einen so argen Mißgriff zu begehen, als jetzt noch einmal das Thema zu berühren, das, wie er fühlen mußte, seinem Wirte wenigstens kein angenehmes war, erwähnte er der neuen Bestätigung, die er in seinem ersten Erkennen durch Josefinens Erscheinen gewonnen hatte, mit keinem Worte, und warf sich jetzt, vielleicht mit etwas nur zu großem Eifer, auf ein Gespräch über Ackerbau und Viehzucht, das ihm vollkommen fern lag und von dem er kein Wort verstand. Georg aber war ihm dennoch dafür dankbar und ging rasch darauf ein. Trotzdem herrschte ein Mißton in der Unterhaltung, die unter diesen Umständen nicht natürlich fließen konnte. Der eine Teil verschwieg etwas, von dem der andere schon zu viel Kenntnis erlangt hatte, um es ungeschehen zu machen, und wenn auch das Gespräch bald auf die Jagd, dann auf die Nachbarschaft und die Unterhaltung im Winter hinüberwechselte, ließ sich der heitere Ton darin nicht wiederfinden. Herr von Zühbig sehnte deshalb die Zeit herbei, in der er sich auf sein eigenes Zimmer zurückziehen konnte, und Georg kam ihm darin unter dem Vorwande zuvor, den reisemüden Gast nicht zu lange die nötige Ruhe und Bequemlichkeit entbehren zu lassen. Am nächsten Morgen beim Frühstück wollte man sich wieder treffen, und bis dahin war auch der Wagen, wie sich Georg indessen schon hatte erkundigen lassen, wieder hergestellt, damit die Reise ungesäumt fortgesetzt werde.

So früh indessen Herr von Zühbig an diesem Abend zu Bett gegangen war, so früh war er am nächsten Morgen wieder auf und – unten im Dorfe. Nicht aber um nur nach seinem Geschirr zu sehen – das würde er unter anderen Umständen allein seinem Kutscher oder Bedienten überlassen haben – sondern in einer Sache, die für ihn weit größere Wichtigkeit hatte: über die Geyfelnsche Familie nämlich so viel Nachrichten als möglich einzuziehen. Schon beim Schmied erfuhr er denn auch zu seinem unbegrenzten Erstaunen, daß das Gut Schildheim der Familie Geyerstein gehöre und Herr von Geyfeln nur der neue Pächter sei, der mit dem Grafen von Geyerstein vor noch nicht sehr langer Zeit hier eingetroffen wäre. Weiter vermochte ihm aber der Schmied keine Auskunft zu geben, und ebenso der Wagenmacher, das ausgenommen, daß der »gnädige Herr« noch außer seiner Tochter den Vater seiner Frau und einen Knaben, einen Neffen oder Vetter, bei sich habe. So viel einmal erkundschaftet, gelüstete es Herrn von Zühbig jetzt außerordentlich, noch mehr zu erfahren, denn daß die Residenz bei solcher Neuigkeit auch die kleinsten Details von ihm verlangen würde, verstand sich wohl von selbst; aber es gelang ihm nicht. Selbst der Wirt, der, als er den Stern betrat, nach durchschwärmter Nacht eben sein Bett verlassen hatte und ihn gähnend in Pantoffeln und Schlafpelz mitten im Hausflur begrüßte, wußte keine nähere Auskunft, und Herr von Zühbig hätte auch mit Vergnügen – trotz seiner dringenden Geschäfte zu Hause – einen Tag in Schildheim zugegeben, seine Chronique scandaleuse zu vervollständigen, wenn ihm nur, dem Baron von Geyfeln gegenüber, der geringste haltbare Grund dafür eingefallen wäre. Das ging jedoch nicht an; der Wagen war leider fix und fertig; sein Diener hatte das Gepäck schon vom Gute heruntergebracht und eben begonnen, es wieder aufzuladen, und er mußte sogar eilen, daß er zu der bestimmten Zeit oben beim Frühstück eintraf.

Hatte er übrigens gehofft, hier noch einmal mit Georginen zusammenzutreffen, so sollte er sich darin getäuscht sehen. Georg empfing ihn allein und benachrichtigte ihn, daß sich seine Frau, eines leichten Unwohlseins wegen, entschuldigen ließe, zu so früher Stunde an ihrem Mahl nicht teilzunehmen. Das Frühstück wurde dann fast schweigend eingenommen, und Georg begleitete danach seinen Gast in das Dorf hinunter, um ihn sicher und schnell unterwegs zu sehen.

»Herr von Geyfeln,« sagte hier, als sie das Dorf fast erreicht hatten, der Baron, indem er sich zu seinem Begleiter wandte, »ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen genug für die mir so herzlich erwiesene Hilfe und Gastfreundschaft danken soll. Ich wollte nur, daß Sie selber mir einmal Gelegenheit gäben...«

»Sie haben ein Mittel, Herr Baron,« unterbrach ihn freundlich Georg, »und noch dazu eins, das den Dank ganz und gar auf meine Schultern werfen würde.«

»O, bitte, nennen Sie es!« rief von Zühbig rasch. »Sie glauben gar nicht, wie Sie mich dadurch verpflichten würden.«

»Es ist sehr einfach,« lächelte Georg, aber er fühlte selber, wie er sich Zwang antun mußte, unbefangen zu scheinen. »Wir sind uns, wie Sie gestern ganz richtig bemerkten, nicht zum erstenmal in diesem Leben begegnet.«

»Nicht wahr?« rief von Zühbig rasch und entzückt über diese Bestätigung.

»Es wäre töricht, das verleugnen zu wollen,« fuhr Georg ruhig fort. »Was mich dabei bewogen haben mag, eine Zeitlang die frühere Laufbahn zu verfolgen, kann dem Fremden, der kein weiteres Interesse als das einer flüchtigen Bekanntschaft an mir nimmt, vollkommen gleichgültig sein. Jetzt aber bin ich in das gesellschaftliche Leben, mit dem früheren abschließend, zurückgetreten, und wie ich hier still und abgeschieden von der Welt, fast mit niemandem verkehrend, lebe, möchte ich die frühere Existenz auch als abgeschlossen betrachten. Sie werden mich also außerordentlich verbinden, Herr Baron, wenn Sie, der Zeit gedenkend, die Sie mit uns verlebt, sich nur erinnern wollten, daß ich von Geyfeln heiße. Ich brauche Ihnen kaum zu sagen, daß weder ich noch meine Gattin stolz auf unsere früheren Triumphe sind. Einen Monsieur Bertrand, den ich früher kannte, habe ich vollständig vergessen – wollen Sie das nämliche versuchen?«

»Mit dem größten, innigsten Vergnügen, bester Freund!« rief Herr von Zühbig rasch und herzlich. »Ich selber muß nur noch tausendmal um Pardon bitten, daß ich vielleicht durch irgend eine indiskrete Frage...«

»Die Sache ist abgemacht,« lächelte Georg, die dargebotene Hand ergreifend, »unter Männern ist nichts weiter nötig, und ich kann Ihnen jetzt mit gutem Gewissen sagen, daß ich mich von Herzen freue, imstande gewesen zu sein, Ihnen den kleinen, unbedeutenden Dienst zu leisten. – Aber hier sind wir bei Ihrem Wagen; etwas plump ist das Rad gemacht, doch müssen Sie mit unseren Dorfarbeitern schon fürlieb nehmen. Jedenfalls hält es, und Sie können Ihre Reise ungehindert fortsetzen.«

»Also nochmals meinen wärmsten Dank, und wenn ich Ihnen in *** vielleicht irgend etwas...«

»Ich danke freundlichst,« wehrte Georg ab. »Sie kennen unsern Vertrag, und nun glückliche Reise!«

»Bitte, empfehlen Sie mich noch Ihrer Frau Gemahlin auf das untertänigste, und wenn Sie je wieder nach *** kommen sollten...«

»Es wird nicht geschehen; wäre es aber, so würde ich mir erlauben, Sie aufzusuchen.«

»Sie würden mich außerordentlich glücklich machen – alles in Ordnung, Jean?«

»Alles, gnädiger Herr!«

»Schön – zufahren – also adieu, lieber Baron, adieu!«

Georg neigte sich leicht, als der Wagen, von einem Teil der Dorfjugend umstanden, vorüberrasselte, und Herr von Zühbig unterließ nicht, noch mehrmals freundlichst aus dem Wagen nach dem Zurückbleibenden hinauszuwinken. Georg blieb auf der Straße stehen und sah ihm nach, bis das leichte Fuhrwerk um die nächste Ecke verschwunden war. Dann schritt er langsam, seinen eigenen Gedanken nachhängend, auf das Gut zurück.

17.

Der letzte Abend war nicht allein oben im Gute, sondern auch in Schildheim ein sehr ereignisreicher gewesen, denn die Verheiratung von des Sternenwirts einziger Tochter, der hübschen Kathrine, bildete schon an und für sich eine Aera in dem sonstigen Stilleben des kleinen, abgeschiedenen Ortes. Der Sternenwirt hatte sich aber auch noch außerdem an dem Abend sehr splendid gezeigt, und der Tanz, neben anderen teils vorbereiteten, teils zufälligen Genüssen, bis nahe zum Morgengrauen gedauert; mit ihm natürlich das Zechen und Jubilieren.

Der alte Mühler wäre mit Karl gern ebenfalls an dem gestrigen Abend ins Dorf hinuntergegangen, nur der Vorfall des Morgens hielt ihn ab, denn er wußte recht gut, daß Georg nicht damit einverstanden war, und wollte ihn nicht noch böser machen. Auch Karl durfte nicht fort, und wenn etwas, so erbitterte das den jungen, bis dahin keines Zwanges gewohnten Burschen nur noch mehr. So saß er um elf Uhr mittags etwa – Georg war schon lange wieder auf das Gut zurückgekehrt und arbeitete auf seiner Stube – dem alten Onkel gegenüber, an dem auf den Hof hinausführenden Fenster, kaute an den Nägeln und baute und verwarf Plan nach Plan, um sich diesem, ihm unerträglich werdenden Leben zu entziehen. Da ertönte plötzlich unten auf dem Hofe lustige Musik – die Kirche war aus, und die Musikbande, die gestern abend im Stern aufgespielt, war hinauf auf's Gut gezogen, sich dort ein Trinkgeld zu verdienen. Mit ihnen aber – und Karl fuhr mit einem Freudenschrei von seinem Sitz empor – waren wunderlich und phantastisch gekleidete Gaukler gekommen, die in kurzen Jacken und eng anliegenden Trikots zum Takte der Musik auf dem Hofe und vor den Fenstern Georgs ihre Künste begannen. Einer hatte Stelzen an die Füße geschnallt, womit er zur Musik einen Walzer tanzte und andere Kapriolen ausführte; ein anderer überschlug sich und kugelte sich, Brust und Bauch nach außen, wie ein Ring zusammen, und der dritte lief an einer freistehenden kurzen Leiter hinauf, auf deren oberster Sprosse er dann mit großer Geschicklichkeit seine Künste ausführte.

»Bei Gott, Onkel!« rief Karl jubelnd aus, »da unten ist Müllheimer, Hentz und Bentling – komm rasch – Hentz macht sein Leiterkunststück – siehst du dort?«

»Alle Teufel!« murmelte der Alte in den Bart, »was wollen die denn hier, und wo kommen sie her? Ob sie wissen, daß Georg das Gut bewohnt?«

»Schwerlich,« lachte Karl, »sonst hätten sie wohl kaum ihre Kunststücke im Hofe gemacht, sondern wären gleich von vornherein heraufgekommen. Die werden Augen machen!«

»Was willst du tun?« rief der alte Mühler erschreckt, als Karl eben im Begriff war, das Fenster zu öffnen.

»Ich?« sagte der junge Bursche erstaunt, »sie anrufen natürlich; ich soll doch wohl meine alten Freunde und Kameraden bei euch hier nicht auch noch verleugnen und nicht mehr kennen dürfen?«

»Du bist rein verrückt!« rief der Alte, bestürzt dazwischen springend. »Na, das Donnerwetter und das Hallo von dem da drüben möcht' ich sehen, wenn der dazu käme. Wenn du nicht absolut willst, daß er uns beide noch heute am Tage zum Tempel hinausjagt, so geh' vom Fenster und tu gar nicht, als ob du die da unten siehst.«

Karl war leichenblaß vor verhaltenem Grimm geworden, aber er ließ es geschehen, daß ihn der Alte beim Handgelenk vom Fenster zog und das Rouleau herunterließ, jedes weitere Hinaussehen zu verhindern. Er selber blinzelte nur eben einmal hinter der Gardine vor, und sah gerade, wie der alte Verwalter auf die Leute zuging, ihnen ein Geldstück gab und sie vom Hofe schickte. Das Geschenk mußte auch ein ziemlich reichliches gewesen sein, denn die Gaukler schienen sehr erfreut. Desto weniger zufrieden waren aber die Leute vom Hofe damit, die sich schon um sie gedrängt hatten und ihnen jetzt, als sie den Hof verließen, meist in das Dorf hinab folgten, um dort vielleicht noch mehr von den fabelhaften Künsten zu sehen zu bekommen. Noch stand er am Fenster und sah ihnen nach, als die Tür aufging und Georg eintrat.

»Das ist recht, Mühler,« sagte er, als er die niedergelassene Gardine bemerkte. »Ich weiß nicht, durch welchen Zufall, aber einige unserer alten Bekannten haben, wahrscheinlich auf der Durchreise, ihren Weg bis zu uns hierher gefunden. Ihr seid, wie ich sehe, vernünftig genug, Euch fern von ihnen zu halten; überdies werden die Burschen Schildheim jedenfalls heute wieder verlassen. Ich brauche Euch also nicht weiter zu ermahnen, Euch heute lieber zu Hause zu halten, damit Ihr ihnen nicht etwa zufällig in den Weg liefet.«

»Denke gar nicht dran, auszugehen,« brummte Mühler, »und will selber mit ihnen nichts zu tun haben.«

»Ich habe es von Euch nicht anders erwartet,« sagte Georg, »und auf den jungen Burschen da werdet Ihr mir auch ein wachsames Auge haben. Ich hoffe, Karl, daß du verstanden hast, was ich eben sagte?«

»Ja,« erwiderte der junge Bursche, sich gleichgültig abdrehend, »wenn ich's nicht wieder vergesse.«

»Nicht wieder vergesse?« fragte Georg scharf, »ich ersuche dich, Geselle, dein Gedächtnis anzustrengen, oder du möchtest das nächste Mal nicht wieder so leicht davonkommen. Ich will, daß du es nicht vergißt, und das merke dir, Patron, sonst sprechen wir ein anderes Wort zusammen. Ich werde überhaupt – doch genug,« brach er kurz ab, »es wird keine weitere Mahnung nötig sein, denn du weißt selber am besten, Karl, was dir gut ist und was du von mir zu hoffen – oder zu fürchten hast.« Mit diesen Worten verließ er rasch das Zimmer.

»Verdammt, ob ich das nicht weiß,« fluchte der junge Bursche, als die Tür kaum hinter dem Forteilenden zugefallen war, »besser als du es vielleicht denkst, mein Herz, und daß ich es tun werde, darauf kannst du dich verlassen.«

»Karl,« warnte ihn der Alte, »sei vernünftig und mach' keine dummen Streiche. Georg läßt nicht mit sich spaßen.«

»Ob er's tut oder nicht, was kümmert's mich!« trotzte der Knabe. »Wenn du Lust hast, Onkel, seinen Knecht und gehorsamen Diener zu machen und dafür das Gnadenbrot zu nehmen, gut – du bist alt genug, um zu wissen, was dir zusagt, ich aber vertrage es nicht. Er hat gesagt, ich wisse, was mir gut sei, und ich will ihm dieses Mal wenigstens beweisen, daß er sich nicht geirrt.«

»Was hast du vor?« sagte der alte Mann besorgt, als Karl seine Mütze aufgriff, »du darfst nicht fort.«

»Darf ich nicht?« lachte der junge Bursche, der ihm unter den Händen fort und zur Tür glitt, »und wer will mich hindern?« und mit den Worten schon verschwand er im Gange draußen.

»Karl!« rief ihm der alte Mühler besorgt nach; Karl aber war nicht mehr zurückzurufen, und mit dem Gute und dessen Ausgängen genau bekannt, lief er in die untere Etage hinab, sprang von da in den Garten, um Georg in diesem Augenblick nicht zu begegnen, und gelangte ungesehen, wenigstens ungehindert, in das Dorf hinab. Dort brauchte er auch nicht lange nach seinen früheren Kameraden zu suchen. Ein Volkshaufe, der sich vor einem Bauernhause schreiend und lachend umher drängte, verriet ihm augenblicklich die Stelle, wo die drei »Künstler« eine rohe Schar von Zuschauern entzückten und unterhielten, hätte selbst nicht Hentz schon wieder auf der Spitze der Leiter, den Kopf nach unten, die Beine in die Luft gestreckt, hoch über die ihn umgebenden Dörfler hinausgeragt.

Karl hatte auch vom Fenster aus ganz recht gesehen. Es waren in der Tat jene drei jungen Burschen, die früher zu ihrer Gesellschaft gehörten und bei der Auflösung derselben brotlos in die Welt geworfen wurden. Wie sie indessen ihr Leben gefristet, zeigte sich deutlich in dem gegenwärtigen Possenspiel auf offener Straße, und Karl schämte sich fast, sie hier vor allen Leuten anzureden. Aber sprechen wollte und mußte er mit ihnen – er wußte überdies, daß die Mittagszeit sie zwingen würde, ihre Künste einzustellen, denn hier und da entfernten sich schon einzelne der bisherigen Zuschauer, um ihren eigenen Wohnungen und gedeckten Tischen zuzueilen. Karl hatte sich darin auch nicht geirrt. Die Glocke des kleinen Kirchturmes hob kaum aus, ihre zwölf Mal anzuschlagen, als die Zuschauer, die bis jetzt einen festen Ring um das Künstlertrifolium geschlossen, nach allen Richtungen hin auseinander stoben, und ohne daß einer von ihnen daran gedacht hätte, die doch jedenfalls ebenso hungrigen Equilibristen einzuladen, ja, ohne selbst das geringste für den gehabten Genuß zu zahlen, waren sie im nächsten Augenblick spurlos verschwunden.

»Alle Teufel!« rief der eine von ihnen, Hentz, der diesen plötzlichen Rückzug aus der verkehrten Vogelperspektive von der Leiter aus mit angesehen, indem er mit einem geschickten Satz herunter und auf die Füße kam, »wie die Canaillen laufen, und du, Müllheimer, läßt sie auch fort, ohne einzusammeln!«

»Da sammle du einmal,« brummte der Angeredete, »wenn bei derartigem Gesindel, noch dazu an einem Sonntag, die Freßglocke schlägt! Aber nach Tische will ich sie schon wieder zusammenkriegen, und dann sollen sie doppelt dafür bluten. – Wetter – wer ist denn das, der da drüben steht? – das Gesicht kommt mir sehr bekannt vor.«

»He, Roter, wie geht's?«

»Charles! bei allen sieben Todsünden!« rief der bei seinem Spottnamen Angeredete erstaunt aus, »alle Hagel, Junge, wo kommst du auf einmal wie aus den Wolken hergeschneit?«

»Davon nachher,« sagte Karl, dem nicht daran lag, hier auf der Straße ein langes Gespräch mit ihnen anzuknüpfen. »Kommt ins Wirtshaus nach – ich werde dort für euch etwas zu essen bestellen« – und ohne eine Antwort abzuwarten, bog er in die nach dem Stern führende Gasse ein und überließ es seinen früheren Gefährten, ihm, der willkommenen Einladung nach, so rasch mit ihren verschiedenen Utensilien zu folgen, wie sie eben konnten.


Es war dreiviertel auf ein Uhr – pünktlich um ein Uhr wurde Sonntags auf dem Gute gegessen – als Karl, ebenso heimlich, wie er sich entfernt durch das in den Garten führende Saalfenster mit Hilfe einer in der Nähe lehnenden Stange zurückstieg und seines Onkels Zimmer betrat.

»Na, da ist er – gottlob!« sagte dieser. »Ich fürchtete wahrhaftig, er hätte dumme Streiche gemacht. Es ist gleich eins, Junge.«

Karls Blick haftete auf Georginen, die in der Mitte der Stube, die rechte Hand auf den Tisch gestützt, stand, und starr vor sich niedersah, ohne von dem Eintretenden die geringste Notiz zu nehmen.

»Ja, Onkel,« erwiderte Karl ruhig, ohne den Blick von der Frau zu wenden, »und wahrscheinlich auch das letzte Mal, daß ich es hier werde eins schlagen hören.«

»Bist du toll?« rief Mühler erschreckt, und Georgine sah rasch und forschend zu ihm auf. Karl aber, ohne sich im geringsten irre machen zu lassen, entgegnete: »Nichts weniger als das, Onkel; ich habe im Gegenteil heute, wie ich glaube, meinen Verstand erst wiedergefunden und bin nicht gesonnen, mich hier länger knechten und mißhandeln zu lassen, nur um zu leben, wie es einem dritten gefällt, während ich draußen mein eigener freier Herr sein kann. Die Kameraden gehen nach Altona, wo sich ein neuer Zirkus unter dem berühmten Royazet etabliert hat. Royazet zahlt brillante Gagen, und wenn Georgine mit Josefinen bei dem einträte, könnten sie...«

»Royazet?« unterbrach ihn Georgine emporfahrend, und tiefes Rot färbte in diesem Augenblick ihre Wangen, »weißt du das gewiß?«

»Gewiß,« erwiderte Karl bestimmt, »Müllheimer, Hentz und Bentling sind eben dorthin unterwegs. Royazet hat sich mit dem größten Teil seiner früheren Gesellschaft veruneinigt oder sonst Schwierigkeiten mit ihnen gehabt, denn sie sind ihm fast alle von London aus nach Australien durchgegangen. Hier allerdings bekommen wir nichts zu hören noch zu sehen, draußen aber hat's in allen Zeitungen gestanden, daß er eine neue Gesellschaft gründen will, um mit ihr nach Rußland zu gehen, und deshalb alle namhaften Künstler auffordert, sich an ihn zu wenden.«

»Aber ich habe keine einzig solche Aufforderung in den Zeitungen gelesen,« sagte Georgine.

»Das glaube ich,« sagte Karl erbittert, »wer liest sie zuerst? Georg, und was wir nicht wissen sollen, das weiß er gut genug zu unterschlagen. Erst vorgestern kam ich gerade dazu, wie er die neue Zeitung in den Ofen steckte, und meinen Kopf setze ich zum Pfande, daß in der die nämliche Aufforderung stand.«

»Von Royazet will er überhaupt nichts wissen,« meinte Mühler nachdenklich, »und du kennst den Grund gut genug, Georgine, denn er ist eifersüchtig wie der Teufel auf ihn. Aber wenn er wirklich die Zeitung verbrannt hätte, hat er doch nur recht damit gehabt. Was nützt uns hier, zu wissen, daß sie da draußen in der Welt noch lustige Streiche treiben! Wir haben nichts mehr damit zu tun.«

»Meinst du, Onkel?« rief Karl, »wenn du wirklich eine solche Schlafmütze geworden bist, dich ruhig unter dem Daumen halten zu lassen...«

»Junge,« lachte der Alte, »ich bitte mir mehr Respekt aus...«

»So magst du es tun,« fuhr jedoch Karl unbekümmert fort.

»Er hat recht,« fuhr Georgine dazwischen, »wenn ich so wenig hätte, was mich hier bindet, wie er, nicht drei Tage würde ich den Zwang ertragen haben.«

»Den Henker auch,« sagte knurrend der Alte, »er hat seine ganze Familie hier, und wenn ihn die nicht bindet, was sonst?«

»Wenn die von der Familie, an denen mir etwas liegt, gescheit sind,« entgegnete Karl, »so machen sie es gerade so wie ich und lassen den alten Brummbär seine Felder allein düngen. Zum Henker, wenn Georgine zu Royazet käme, der stellte sich auf den Kopf vor lauter Freude, und auf den Händen würde sie dort getragen, von den Leuten wie vom Publikum.«

»Na ja, setz' du ihr nur auch noch solche Dinge in den Kopf,« schalt der Alte, »weiter hat gar nichts mehr gefehlt! Das braucht's auch eben noch, sie über die Stränge schlagen zu machen – und sie weiß, daß sie nicht darf.«

»Ich kann nicht fort,« erwiderte auch Georgine düster vor sich niederblickend, »er gibt mir mein Kind nicht, und ohne Josefinen geh' ich keinen Schritt.«

»So nimm dir's,« trotzte der junge Bursche. »Was will er machen, wenn wir heute abend unsere Sachen heimlich zusammenpacken und am nächsten Morgen über alle Berge sind?«

»Bah, du sprichst, wie du's verstehst,« sagte der Alte, »du könntest vielleicht weglaufen, und ich glaube nicht einmal, daß es Georgs Herz brechen würde, aber die Frau und das Kind – in zwei Stunden hätt' er sie wieder, und nachher...«

Die Augen der Frau leuchteten von einem unheimlichen Glanze, aber sie sagte kein Wort. Karl dagegen lachte: »Aber mein armer Kandidat – dem breche ich das Herz gewiß. Wen hat er nun morgen, den er quälen und drangsalieren kann? Und die lateinische Grammatik nehme ich zum Andenken mit.«

»Red' nicht so tolles Zeug, Karl!« ermahnte der Alte, »du sprichst wahrhaftig, als ob du ganz im Ernste an solche Torheit dächtest.«

»Tu' ich wirklich?« spottete ihm Karl nach, »gut, dann komm doch morgen früh an mein Bett, Onkel, und weck' mich – willst du?«

»Da schlägt's eins,« rief Mühler, der froh schien, dieses Gespräch abbrechen zu können. »Wir müssen hinüber. Georg ist Sonntags immer auf die Minute bei Tische.«

»Dann dürfen wir natürlich als gehorsame Diener unseres Herrn nicht säumen,« spottete Karl.

»Höre, mein Bursche,« sagte der Alte ernsthaft, indem er sich zum Gehen rüstete, »sei nicht übermütig! Wenn ich die Beine unter eines andern Tisch stecke, muß ich auch tun, wie der andere mich heißt – so lange ich nämlich keinen eigenen habe.«

»Und siehst du, das ist der Haken!« rief Karl, »denn ich habe von nächster Woche an einen eigenen, und will dann nur abwarten, wie lange du dich hier wirst füttern lassen. Royazet hat gar keinen eigenen Klown mehr. Sie sind ihm alle davongelaufen, und wenn er schon in Frankreich enorme Gagen zahlte, kannst du dir denken, daß er in Rußland nicht weniger zahlen wird. Jetzt weißt du, was dir zu wissen not tut, und nun mach', was du willst; ich rede kein Wort weiter drum.«

Mühler, der den trotzköpfigen, unbändigen Charakter des Knaben nur zu gut kannte und schon oft darunter gelitten hatte, schritt mürrisch den Gang entlang, dem Eßzimmer zu. Georgine aber, Karls Arm ergreifend, hielt ihn noch einige Sekunden zurück, bis ihr Vater so weit voran war, sie nicht mehr hören zu können, dann flüsterte sie rasch:

»Schreib mir von dort, Karl, willst du?«

»Gewiß will ich, und ausführlich.«

»Gut, ich werde dir nach Tische einen Zettel geben, auf dem eine Anzahl Fragen stehen. Schreib mir die Antwort darauf – aber vergiß keine und – laß mich nicht lange warten.«

»Und du willst kommen?« fragte der junge Bursche mit glänzenden Augen. »Du weißt am besten, wie sich Royazet darüber freuen würde.«

»Ich kann nichts Bestimmtes sagen. – Wir müssen auch fort. Georg darf nicht ahnen, daß ich mit dir darüber gesprochen.«

»Hab' keine Furcht,« lachte Karl, »wir beide stehen auf keinem solchen Fuße miteinander, daß wir uns unsere Geheimnisse anvertrauen, und ich besorge es dir – darauf kannst du dich verlassen.«

»Ich danke dir – ich werde nachher wieder herüberkommen und dir Reisegeld bringen – du mußt wenigstens einen Zehrpfennig haben, daß du nicht als Bettler dort ankommst.«

»Desto besser,« lachte der Knabe still vor sich hin, »aber auch ohne einen Schilling in der Tasche hätt' ich meinen Plan durchgeführt.«

Georgine antwortete ihm nichts darauf, sondern eilte dem Vater nach, die streng gehaltene Essensstunde nicht zu versäumen. Karl folgte ihr langsamer. Was lag ihm daran, wenn er auch zu spät kam und Georg böse darüber wurde – es war das letzte Mal heute, und wenn er sich über ihn ärgerte, desto besser!

18.

Der alte Mühler suchte an dem Nachmittag noch durch alle seine Ueberredungskünste dem Knaben den Entschluß des Fortlaufens auszureden, aber vergeblich. Karl, mit dem neuen, freien Leben vor sich, und des Zwanges, dem er sich hier hätte fügen müssen, lange müde, beharrte nicht allein fest auf seinem einmal gefaßten Vorsatze, sondern überredete sogar den Alten, daß er ihn bis nach Schildheim hinter begleitete, um dort selber seine neugefundenen Freunde zu treffen. Das mußte natürlich heimlich geschehen; der Präzeptor störte sie dabei nicht, da dieser die Sonntagnachmittage gern zu seinen Studien benutzte und Karl dann immer auf seines Onkeln Stube war. Ueberdies konnte die Zusammenkunft nur eine kurze sein, denn mit der Dämmerung machten sich die »Künstler« schon wieder auf den Weg, um im nächsten Dorfe zu übernachten und den andern Morgen rechtzeitig die nächste Bahnstation zu erreichen. Georg erfuhr Karls Flucht auch erst am andern Morgen, und zwar durch den Hauslehrer, der seinen Zögling vergebens zur Stundenzeit erwartete und ihn dann ebenfalls ohne Erfolg bei seinem Onkel suchte. Der alte Mühler machte sich nun allerdings darauf gefaßt, eine heftige Szene mit seinem Schwiegersohne bestehen zu müssen, denn daß er um Karls Flucht gewußt, lag auf der Hand. Sehr erstaunt und nicht unangenehm überrascht war er aber sowohl wie Georgine, daß Georg keine Silbe davon erwähnte. Dieser ritt allerdings, gleich nachdem er die Nachricht erhalten, fort und kehrte erst gegen Abend zurück – war er ihm gefolgt, in der Absicht, ihn wieder einzufangen? Wenn das der Fall gewesen, sprach er mit niemandem darüber, und selbst beim Abendessen erwähnte er des Flüchtlings mit keiner Silbe. Georgine glaubte nicht mit Unrecht, daß er selber froh war, den lästig werdenden Knaben, ohne eigenes Zutun, aus seiner Nähe entfernt zu wissen.

So vergingen die nächsten Wochen. Der Kandidat, dessen Zögling auf so seltsame Weise abhanden gekommen, war entlassen worden, und das Leben auf dem Gute ging wieder im alten, stillen Gleise. Allerdings suchte jetzt Georg seine Frau in mancher Weise zu zerstreuen und führte sie wieder mehr als im letzten Monat auf die benachbarten Güter, deren Insassen auch Schildheim manchmal aufsuchten – aber Georgine fand keine Freude mehr daran. Die alte Sehnsucht war in ihr erwacht; es drängte sie jetzt mehr, allein und ungestört zu sein, um ihre eigenen Pläne und Träume zu überdenken, als sich durch fremde, gleichgültige und ihr oft langweilige Menschen zerstreuen zu lassen, und während Georg dieses Zurückziehen von der Gesellschaft mit Freuden sah und zu seinen Gunsten deutete, brütete der Geist der Frau über Trennung – Flucht von ihm.

Nicht so bald hatte der alte Mühler den Knaben vergessen, an den er sich einmal gewöhnt – an dem sein Herz hing. Er fehlte ihm auf Schritt und Tritt – Tag und Nacht mußte er an ihn denken, und um die Zeit zu töten, mit der er jetzt weniger anzufangen wußte als je, ging er nun häufiger in den »Stern« hinunter, in des alten Tobias' Gesellschaft, seine eigenen mürrischen Gedanken zu vergessen.

Georg mußte das endlich bemerken, und, um ihn davon abzuziehen, suchte er den Alten im Gute selber zu beschäftigen. Er wollte ihn nach und nach an eine geregelte Tätigkeit gewöhnen – aber das ging nicht mehr. Mühler hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie nützlich beschäftigt, und dachte gar nicht daran, auf seine alten Tage etwas derartiges zu beginnen. War er dem nun früher so viel als möglich ausgewichen, so kam es ihm jetzt, mit den Gedanken an den entlaufenen Neffen und das lustige Leben, in dem dieser schwelgte, doppelt zuwider vor. Alles ihm Aufgetragene führte er deshalb nachlässig oder gar nicht aus, und der Heftigkeit Georgs begegnete er mit einer störrischen Gleichgültigkeit, die eben alles über sich ergehen ließ. Nach vierzehn Tagen aber hielt er selbst das nicht mehr aus. Es war ein Brief von Karl gekommen, und Georgine hatte ihm den Inhalt desselben mitgeteilt. Die Versprechungen von dort lauteten dabei so verlockend, daß er ihnen, mit der Sehnsucht nach dem Jungen, nicht länger widerstehen konnte, und er beschloß, einen entschiedenen Schritt zu tun.

Das bequeme, bis dahin geführte Leben hatte aber doch auch zu viel Anziehendes für ihn gehabt, es so ohne weiteres, besonders ohne Sicherheit, was er dafür eintausche, von der Hand zu weisen – eine Hintertür beschloß er sich jedenfalls offen zu halten, noch dazu, da ihm das zugleich Gelegenheit bot, sich auf friedlichere Weise von Georg zu trennen. Schnell deshalb mit seinem Plane im reinen, ging er noch an dem nämlichen Abend zu seinem Schwiegersohne und erklärte ihm, daß ihn die Angst um den Neffen nicht ruhen noch rasten lasse und er ihn um die Erlaubnis bitte, einen Versuch zu machen, ihn wieder aufzufinden. Er verlangte nur vierzehn Tage Zeit dazu, und habe er ihn bis dahin nicht gefunden, so wolle er ohne ihn zurückkehren.

Georg war klug genug, den Alten zu durchschauen, denn daß dieser den Aufenthalt des Burschen oder doch wenigstens wußte, wohin er sich damals gewandt, blieb gewiß. Wollte er ganz fort von ihm? – hatte er im Sinne nicht zurückzukehren? – Vielleicht – er selber aber hätte Gott gedankt, den lästigen, fatalen Menschen auf solche Weise loszuwerden; durfte er dann doch weit eher auf ein friedlich häusliches Leben rechnen, und wurde noch dazu der steten Angst und Gefahr enthoben, durch ihn seine eigene Existenz gefährdet zu sehen. Nur daß Georgine bei der Flucht des Vetters sowohl wie bei der jetzt erklärten Abreise des Vaters so ruhig und teilnahmlos blieb, war ihm rätselhaft.

Trieb den alten Mann wirklich nur die Sehnsucht nach dem Knaben, an dem er, wie Georg recht gut wußte, mit ganzem Herzen hing – und wollte er in der Tat ihn zurückholen? Oder fühlte Georgine jetzt selber, daß ihr Vater den alten Possenreißer nicht vergessen, sich nun einmal in seinen Jahren nicht mehr ändern könnte? Fühlte sie, daß es zu ihrem und ihres Gatten Wohl und Frieden sei, wenn er sie verlasse? O, dann hätte er dieses endliche Erkennen ihrer Pflichten, zu ihres und ihres Kindes Bestem, von ganzem Herzen segnen wollen.

Dem alten Manne gab er natürlich mit Freuden die Erlaubnis zur Reise, wie Geld, sie zu bestreiten, aber vergebens suchte er Georginen, als Mühler sie verlassen hatte, zu einem offenen Geständnis ihrer Gefühle zu bringen. Georgine gab ihm nur ausweichende, ja, fast leichtfertige Antworten, und hatte es ihn gedrängt, sein übervolles Herz einmal gegen sie offen ausschütten zu dürfen, so stieß sie ihn jetzt mehr zurück, als daß sie ihn ermutigt hätte. Er konnte freilich nicht ahnen, daß der alte böse Geist aufs neue Besitz von der ehrgeizigen Seele der Frau genommen hatte und sie in ihm, dem Gatten, nur noch den Tyrannen sah, der ihrem wie ihres Kindes Glück aus elendem Stolz im Wege stand.

Georg war, das sah sie klar, seit jener Zusammenkunft mit dem Grafen ein durchaus anderer geworden. Wo war der todesverachtende Mut geblieben, mit dem er sich früher den verwegensten Künsten entgegenwarf? wo die frische, fröhliche Lebenslust, die ihn den Augenblick genießen ließ, eben des Augenblicks wegen, und nicht der nächsten Stunden gedachte, viel weniger der nächsten Jahre? So hatte sie ihn kennen gelernt, so geliebt, und jetzt? – Sie haßte die Bücher, über denen er halbe Tage grübelte, sie haßte die friedliche Beschäftigung, in der er seinen Frieden fand, und mit keinem solchen Ziele vor sich, wie er, in diesem Leben ein verlorenes Glück wiederzugewinnen, zürnte ihr Herz im Gegenteil über das, was er ihr geraubt, und sann und sann darauf, es mit Gewalt oder mit List sich wieder zu erobern. Aber sie war klug genug, den Gatten gerade das, was jetzt ihre ganze Seele erfüllte, nicht ahnen zu lassen. Sie kannte den unbeugsamen, starren Geist des Mannes; hier aber erst hatte sie dessen Einfluß fühlen gelernt; denn so lange ihre Bahnen draußen in Licht und Jubel nebeneinander hinflogen, war er ihr nimmer störend in den Weg getreten. Jetzt dagegen, wo sie ihm gehorchen sollte, sie, die bis dahin nur gewohnt gewesen, zu befehlen, empörte sich ihr ganzes Selbst gegen einen solchen Zwang, und kein Wunder, daß sie den Augenblick herbeisehnte, in dem sie sich und ihr Kind demselben entziehen konnte.

Der alte Mühler war indessen, nachdem er Abschied von Georginen genommen und von ihr heimlich mehrere Briefe erhalten hatte, mit seinem treuen Begleiter, dem Spitz, nach Schildheim hinunter gegangen. Georg erbot sich zwar, ihn bis zur nächsten Eisenbahnstation fahren zu lassen, aber er lehnte es ab, und zwar unter dem Vorwande, daß er noch gar nicht genau wisse, nach welcher Richtung er sich wenden solle. In der Tat aber wollte er Georg keine Kontrolle geben, wohin er gefahren sei; der Kutscher konnte ihn, wie er recht gut wußte, nicht leiden, und würde jedenfalls an der Station aufgepaßt haben, wohin er sein Billett genommen.

Gepäck führte er übrigens fast gar keins bei sich, sondern hatte das Nötige deshalb schon mit Georginen besprochen. Georg war oft auf halbe Tage abwesend, und es fand sich dann leicht eine Gelegenheit, seine sämtlichen Sachen nachzuschicken.

Mühler nun, seit langer Zeit zum erstenmal wieder mit einer Summe Geldes in der Tasche, und mit voller Freiheit, jeden beliebigen Gebrauch davon zu machen, konnte sich nicht entschließen, trockenen Mundes am »Stern« vorüberzugehen. Fand er niemanden weiter dort, so war er doch sicher, »den faulen Tobias« anzutreffen, und seinen Abschiedstrunk nahm er dann mit dem.

Der faule Tobias saß auch wirklich, nach alter Gewohnheit, dicht neben dem Ofen hinter einem der kleinen schweren Tische, ein Glas Branntwein vor sich, und zwar nicht das erste. Das spirituöse Getränk schien aber keineswegs heute den sonst so belebenden Eindruck auf ihn gemacht zu haben, und während sich sein faltiges und etwas schmutziges Gesicht immer aufhellte, wenn er seinen »Freund« Mühler entdeckte, und nun sicher war, ein paar Stunden angenehm mit erzählten Schnurren und Anekdoten zu verbringen, zogen sich heute seine Augenbrauen womöglich noch finsterer zusammen. Nur die geballte Faust, die er auf dem Tische liegen hatte, nahm er herunter und steckte sie, geballt wie sie war, in die Tasche, als ob sein Grimm und Aerger niemandem weiter gehöre als ihm selber, und er auch wisse, wo er ihn hintun könne.

Mühler merkte auf den ersten Blick, daß mit dem alten Burschen etwas nicht richtig sei, und da ihm besonders heute gar nichts daran lag, einen mürrischen, verdrossenen Trinkgenossen zu haben, setzte er sich hinüber zu ihm auf die Bank, warf seinen Hut und das kleine Bündel, das er in der Hand trug, hinter sich und sagte, während sein Spitz auf einem Stuhl neben ihm ganz ernsthaft Platz nahm: »Wirt, eine Flasche Wein, aber von Eurem besten – nicht etwa den Rachenreißer wieder, den Ihr mir das letzte Mal gegeben.«

Tobias warf ihm einen etwas erstaunten Seitenblick zu und rückte ein wenig bei, um ihm mehr Raum zu geben, schien aber trotzdem entschlossen, in seinem Schweigen zu verharren, und erwiderte nicht einmal den guten Tag, den ihm jener bot.

»Na zum Teufel,« sagte Mühler, »was steckt dir denn in der Krone, he? Hast du die verkehrte Maulsperre, Kamerad, oder kennst du mich nicht mehr? Du schneidest ein Gesicht heut, als ob dir das Wasser ausgeblieben wäre und du jetzt mit Schnaps mahlen müßtest, um das alte Räderwerk im Gange zu halten.«

»Ist ihm auch was Aehnliches passiert, Herr Mühler,« nahm da, für Tobias, ein alter Bauer, der unfern von ihrem Tische hinter einem Kruge Bier saß, die Antwort auf, »das Wasser zum Mahlen ist ihm freilich ausgeblieben – nur mit dem Schnaps wird's etwas dünn aussehen. Es bleibt ihm schon nichts anderes übrig, wie eine Windmühle anzulegen.«

»Auch kein schlechtes Geschäft, Kamerad,« lachte Mühler, von dem gebrachten Wein den Stöpsel ziehend, »he, noch ein Glas, Herr Wirt! – Sind famose Dinger, diese Windmühlen, in denen einem früh die Morgensonne und nachmittags die Abendsonne in dasselbe Fenster scheint.«

»Du weißt den Henker davon,« fuhr Tobias mit einem tückischen Blick den alten Bauer an. »Wenn ich Schnaps brauche, werde ich ihn auch bekommen. Du Hungerleider gibst mir doch keinen.«

»Nein, Tobias, da hast du recht,« lachte der Alte gutmütig, »das wäre auch dreimal weggeworfenes Geld, und hättest du nicht so viel von dem bösen Stoff getrunken, sähe es jetzt auch besser mit dir aus.«

»Aber was ist denn vorgefallen?« rief Mühler erstaunt.

»Nichts, als was wir alle lange vorhergesehen haben,« sagte der Bauer. »Sein Geld, das ihm gehörte, hat der Tobias durchgebracht, und wenn der Müller drunten auch genötigt ist, ihn bis an seinen Tod zu füttern, so hat er sich doch geweigert, ihm von heute ab einen Pfennig weiter zu geben, sein liederliches Leben zu unterstützen.«

»Der Müller ist ein Lump!« fiel hier Tobias wütend ein, indem er die geballte Faust wieder aus der Tasche zog und damit auf den Tisch schlug, »ich habe mich für ihn aufgeopfert, und jetzt kommt er...«

»Der Müller ist ein Ehrenmann,« unterbrach ihn ruhig der Bauer, indem er von seiner Bank aufstand, sein Bier austrank und seinen Hut vom Nagel nahm, »er hat bis jetzt mehr für dich getan, wie einer von uns getan haben würde, und Not, Aerger und Schande außerdem dafür genug gehabt. Da er jetzt sieht, daß du kein anderer Mensch werden willst, so mag er dich wenigstens auch nicht länger in dem liederlichen Leben unterstützen, und da hat er, sollt' ich denken, recht. Daß du anders denkst, ist deine Sache – Gott befohlen!« Und seinen Hut aufstülpend, verließ der alte Mann das Zimmer.

Tobias schleuderte ihm mit einem boshaften Blick den bittersten Fluch nach, auf den er sich besinnen konnte; Mühler aber lachte und sagte: »Laß den Brummbär laufen, Kamerad; gut, daß er fort ist; der soll uns den schönen Tag noch lange nicht verderben. Da trink, das ist der Sorgenbrecher, besser als das verwünschte Vitriolöl, das sie hier für Schnaps verkaufen. Der hier brennt nicht und wärmt doch, und je mehr man davon trinkt, desto leichter wird's einem im Kopfe.«

Tobias schien noch immer keine rechte Lust zu haben, geselliger zu werden, wenn er auch das dargebotene Glas nicht verschmähte; mit jedem Glase aber taute er mehr auf, und während sich Mühler, in einer eigenen Art von rauher Herzlichkeit, bemühte, den alten niedergebrochenen Säufer aufzurichten, fing ihm selber der Wein an zu schmecken.

»Hol' der Henker die Kosten!« lachte er, als er die dritte Flasche bestellte, »wo das herkommt, ist mehr, und so jung treffen wir doch nicht wieder zusammen.«

»Wo das herkommt, ist mehr?« sagte Tobias, aufmerksam werdend, »der da droben« – und er deutete mit dem Daumen nach der Richtung des Gutes hinüber – »ist wohl schmählich reich?«

»Puh, reich!« rief Mühler, das große Glas bis zum Rande füllend und auf einen Zug leerend, »was heißt reich? Was man hat, kann einem die nächste Stunde gestohlen werden oder sonst abhanden kommen, aber was man kann, Kamerad, darauf kommt's an, und das, was man kann, das macht den Mann.«

»Nun, Kamerad,« lachte Tobias, der bis jetzt noch viel nüchterner als Mühler war, trotzdem daß er schon ungezählte Gläser Branntwein vorher hinabgegossen, »bis jetzt hast du uns aber noch nicht gezeigt, was du kannst...«

»Vielleicht habe ich nicht gewollt,« schmunzelte Mühler.

»Und willst du jetzt?«

»Nein,« schüttelte Mühler mit dem Kopfe, indem er einen Blick nach der am Fenster spinnenden Wirtin hinüberwarf. Der Wirt war hinausgegangen, um nach seinen Getränken zu sehen, und weitere Gäste nicht im Zimmer – »andere brauchen auch nichts davon zu wissen.«

»Na, vor der darfst du dich nicht genieren,« meinte Tobias, »wenn du sonst ein Geheimnis daraus machst, denn die ist stocktaub. Aber weißt du – wenn's – was wäre, das man zum Leben und besonders zum Trinken gebrauchen könnte, verstehst du, da wär' mir's recht, wenn ich auch etwas davon erführe. Wer weiß, wie man's einmal gebrauchen kann.«

»Du?« lachte der Alte, dem der Gedanke ungemeinen Spaß machte, sich den »faulen Tobias« als »Künstler« vorzustellen, »hahaha, das ist kostbar – du, mit den lahmen Knochen, du wärst ein Kapitalexemplar für irgend eine Gesellschaft!«

»Hoho!« rief Tobias, leicht gereizt, »ich weiß mich wohl in jeder Gesellschaft zu benehmen, und du hast noch gar keine Ursache gehabt, mir das unter die Nase zu reiben.«

»Puh, Tobi, schwatz' von nichts, wovon du nichts verstehst,« sagte Mühler, der keineswegs trunken, aber durch den Wein gesprächig geworden war. »Was ich unter Gesellschaft verstehe, ist etwas ganz anderes – nicht das, was du meinst, wo zehn oder zwanzig oder dreißig Personen zusammenkommen und sich um die Tische herumsetzen und ihr Bier trinken. Kannst du aber – Donnerwetter, die Flasche ist schon wieder leer – he, Wirtschaft! – kannst du auf dem Kopfe stehen?«

»Ich?« sagte Tobias, ihn mit einem entsetzlich verblüfften Gesicht anstarrend, »ich weiß nicht – ich habe es noch nicht versucht.«

»Ist auch gar nicht nötig, Kamerad, denn du kannst's doch nicht,« sagte Mühler, »und das ist noch das Leichteste dabei. – Hast du neulich gesehen, was für Kunststücke die drei Burschen machten, die hier im Dorfe waren?«

»Von denen der eine die Leiter hinauflief, ohne daß sie jemand hielt?«

»Ganz recht, und das sind noch Spielereien, denn sie riskieren nichts dabei, als vielleicht einmal, wenn es mißglückt, auf den Hintern zu fallen.«

»Aber was hat das mit dir und – mit dem Baron da oben zu schaffen?« sagte Tobias, der aus den Worten seines Nachbarn nicht recht klug wurde.

»Kannst du das Maul halten?« fragte Mühler leise.

»Das kann ich,« versicherte Tobias, wirklich froh, endlich einmal etwas zu finden, was er wirklich zu können glaubte.

»Gut,« sagte Mühler, »das ist manchmal schon viel wert – da kommt aber der Wirt wieder – der braucht nichts zu wissen.«

»Na, Herr Mühler,« sagte dieser, der mit einer frischen Flasche zum Tische trat, »sind ja heute recht fidel. Hab's mir gleich gedacht, daß Sie mehr wollten, und die alte Sorte mitgebracht. Nicht wahr, die schmeckt?«

»Es geht – da nehmt die leeren Flaschen mit. Tobias hier ist heute etwas niedergeschlagen, und den müssen wir wieder fidel machen – trinkt Ihr ein Glas mit, Sternenwirt?«

»Gleich steh' ich zu Befehl, Herr Mühler – muß nur einmal hinunter in die Schmiede, dort etwas zu besorgen – ich bin bald wieder da. Sollten Sie in der Zeit etwas wollen, so steht es drüben in der Stube, und meine Alte da kann es Ihnen geben.«

»Der kann abkommen,« sagte brummend Tobias, als der Wirt das Zimmer verlassen hatte, »Lump nichtsnutziger. Wer Geld hat, dem macht er den Buckel krumm, und so wie er merkt, daß es dünn wird, kennt er einen nicht mehr und fängt an schwer zu hören. Dir knöpfe ich die Ohren noch einmal auf, Halunke – aber – über was sollt' ich's Maul halten, Mühler? – Was kann der Baron, und was kannst du?«

»Baron,« sagte Mühler, die Achsel zuckend und sich und Tobias aufs neue einschenkend, »der da drüben ist so wenig Baron wie du und ich.«

»Den Teufel auch!« murmelte Tobias leise und erstaunt vor sich hin.

»Das schadet auch nichts, Kamerad,« lachte der Alte in übermütiger Laune weiter, »bah, so viel für einen lumpigen Baron, wenn er nichts weiter kann, als Samstags dem Verwalter sein Geld auszahlen, und für das übrige den lieben Gott sorgen läßt – unser Monsieur Bertrand kann mehr.«

»Mosje Bertrand?« fragte Tobias erstaunt.

»Sagte ich Bertrand?« fragte Mühler, dem das Wort nur so entfahren war.

»Ich dächte...«

»Na, bleibt sich gleich – den solltest du einmal auf drei Pferden zugleich reiten sehen.«

»Auf dreien, na, so lüg' du und der Teufel! wie will er denn auf dreien zugleich sitzen?«

»Sitzen? – er sitzt auch nicht, er steht, mit jedem Fuß auf einem und das dritte zwischen den Füßen, und vier dabei vorn im Zügel, daß die Haare sausen.«

»Aber das machen ja die Kunstreiter!« sagte Tobias, jetzt völlig verblüfft über alles, was er hörte.

»Tun sie auch, Kamerad,« lachte Mühler, »und seine Frau, meine Tochter, solltest du erst sehen – der Jubel von den Leuten, wenn sie auf ihrem Schimmel geflogen kam und durch Reifen sprang und über Tücher wegsetzte und sich so und so drehte – und die Kleine – die Josefine, das ist ein wahrer Teufel von einem Kinde auf dem Sattel – sie könnte nicht leichter auf dem festen Boden tanzen.«

»Ja, zum Donnerwetter, Kamerad,« sagte Tobias, erstaunt Front gegen ihn machend, »der Baron da drüben ist doch nicht etwa...«

»Der beste Kunstreiter, der je ein Pferd dressiert hat,« ergänzte Mühler, »das muß man ihm lassen, wenn er auch noch ein so schlechter Oekonom sein mag.«

»Und die ganze Familie – und du?«

»Lauter Kunstreiter,« lachte der Alte triumphierend, ohne sich jedoch selber als Bajazzo zu denunzieren. »Das ist ein lustiges Leben, Kamerad, und du solltest einmal dabei sein, wenn es so recht mitten im Glanz und Gang ist. Hier – der Teufel soll's holen, ein Hund hat's besser, als den ganzen Tag da drinnen hinter den steinernen Mauern zu sitzen und Maulaffen feil zu halten, und ich hab' es auch satt bekommen und gehe meiner Wege.«

»Was?« rief Tobias, jetzt noch mehr erstaunt als vorher. »Du willst fort, Kamerad, willst mich hier allein lassen?« setzte er mit einer eigenen Art von Rührung hinzu.

»Kann's nicht ändern,« bestätigte Mühler, »das Leben hier führ' ein anderer – mein Junge ist schon voraus.«

»Und die da drüben auf dem Gute?«

»Mögen's halten, wie sie wollen,« sagte Mühler gleichgültig, »ich kann mir mein Brot verdienen, ohne die da, und lustigeres Brot, wie sie mir bieten können. Wenn mit dir nur etwas anzufangen wäre, nähm' ich dich mit, Tobi, aber – es geht nicht, du bist zu steif in den Knochen – meine müssen freilich auch erst wieder gelenkig werden, denn das lange Stillhocken ist ihnen schwerlich dienlich gewesen.«

Tobias antwortete ihm nicht, andere Gedanken gingen ihm im Kopf herum, und Mühler tat einen langen Zug aus seinem Glase. Dabei fiel aber sein Blick auf die Wanduhr, und sich aufraffend, sagte er: »Donnerwetter, es wird spät, ich muß fort.«

»Heute noch?«

»Gleich.«

»So warte wenigstens, bis der Wirt wiederkommt.«

»Wozu?« lachte Mühler, »die paar Flaschen kann er mir zum Andenken aufschreiben, bis ich zurückkehre. Wirte vergessen einen so leicht, wenn man ihnen nicht ein kleines Andenken da läßt.«

»Das geschieht dem Lump recht,« lachte Tobias, »sonst aber,« setzte er, von einem plötzlichen Gedanken ergriffen, hinzu, »hätt'st du mir es vielleicht da lassen können, und ich hätt's ihm gegeben, wenn er wiederkam.«

»Wolltest du wirklich?« fragte Mühler und ein eigener, drolliger Zug zuckte ihm um die Mundwinkel. Wie sein Blick aber auf die Jammergestalt des vor ihm stehenden, zusammengebrochenen alten Säufers fiel, regte sich auch etwas wie Mitleiden in seinem Herzen. Leichtsinnige Menschen sind gewöhnlich gutmütig, und in einem eigenen Anfall von Großmut sagte er: »Na, meinetwegen, Tobias – ich will dir das Geld da lassen, gib es dem Wirt, wenn er kommt. Drei, vier Flaschen hatten wir ja wohl, die Flasche kostete 18 Schillinge, macht zusammen 1 Taler 24 Schillinge, da – da hast du's und – vergiß es nicht etwa...«

»I bewahre!« sagte Tobias, das Geld, ohne es zu überzählen, in die Westentasche schiebend, »und du kommst wirklich nicht wieder?«

»Wenigstens so bald nicht. Heut abend denk' ich noch bis Kerkhofen zu marschieren.«

»Dann darfst du dich auch nicht länger aufhalten,« sagte Tobias, der seine eigenen Gründe hatte, den Kameraden unterwegs zu wünschen, ehe der Wirt wiederkam.

»Darf ich nicht?« lachte Mühler, »aber ich glaube, du hast recht; es wird spät. So behüt' dich Gott, Alter, und trink mir nicht zu viel; es wär' schade, wenn wir dich verlieren sollten, denn eine solche natürlich rote Nase kommt nicht gleich wieder vor.«

»Ist mir auch sauer genug geworden,« meinte Tobias, »sie dahin zu bringen.«

»Kann ich mir denken – also nochmals adieu! komm, Hanswurst!« Und mit den Worten schüttelte er ihm die Hand, griff dann seinen Hut und sein Bündel auf und verließ, von seinem Spitz gefolgt, das Haus und das Dorf. Tobias begleitete ihn nicht. Es war noch ein Rest in der Flasche, den er erst vertilgen mußte, und dann gingen ihm auch eine Menge Dinge im Kopfe herum, die er vorher in aller Ruhe ordnen und sichten mußte; das Denken fing ihm doch an schwer zu werden. Wie er noch so da saß, kam der Wirt zurück.

»Nun,« sagte der, »wohin geht denn der Schwiegervater? Ich sah ihn von weitem, mit einem Bündel in der Hand, aus dem Dorf marschieren – weißt du's, Tobias?«

»Was geht mich der Mühler an?« murrte dieser, »ich bin sein Aufpasser nicht.«

Der Wirt ging zu seiner Frau ans Fenster, faßte sie an der Schulter und schrie ihr ins Ohr: »Hat der Mühler bezahlt?«

Die Frau schüttelte mit dem Kopfe, und der Wirt warf einen Blick nach Tobias und der jetzt leeren Flasche hinüber. Der aber regte sich nicht oder tat, als ob er nicht ein Wort von dem Gesprochenen gehört. Was ging ihn Mühler an? – Endlich stand er auf, nahm seinen alten Filzhut und sagte: »Was bin ich schuldig?«

»Schuldig?« fragte der Wirt, »wenn du alles zahlen wolltest, was du hier schuldig bist, so hättest du eine lange Rechnung und ich einen guten Tag. Heute habe ich dir von vornherein gesagt, daß ich dir die paar Glas Schnaps schenke, damit hört's aber jetzt auf, und von nun an wird dir hier im Stern nicht eher wieder ein Glas Branntwein hingestellt, als bis du das Geld auf den Tisch legst.«

»Ich will von Euch nichts geschenkt,« grollte finster der Alte, »und brauche nichts – vier Glas Branntwein habe ich gehabt, etwa so viel wenigstens. Da sind Eure paar lumpigen Schillinge« – und damit warf er die Münze auf den Tisch.

»Haha, hast du doch noch etwas in einer Taschenecke aufgehoben?« lachte der Wirt, »na, mir kann's recht sein; bei dem aber, was ich gesagt habe, bei dem bleibt's.«

»Will schon wieder Geld kriegen,« lachte der Alte tückisch vor sich hin. »Ich weiß, was ich weiß, und der Baron muß zahlen.«

»Der wird dich vom Hofe jagen, wenn du da 'nauf betteln gehst.«

»Betteln? habe noch in meinem Leben nicht gebettelt, und werd's auf meine alten Tage nicht anfangen. Was ich weiß, kauft er mir gern ab.«

»Was du weißt?« lachte der Wirt, »na, höre, Tobias, du machst deinem Schulmeister zu viel Komplimente. Ja, wenn der verantwortlich wäre für alles, was du nicht wüßtest!«

»Mein Schulmeister hat nichts damit zu tun,« murrte der alte Mann verdrießlich.

»Und wer sonst?«

»So fragt man die Narren aus,« erwiderte Tobias trocken, schlug sich seinen Hut noch einmal fest und verließ das Haus, die Straße nach dem Gute zu einschlagend.

19.

Tobias hatte sich einen tollen Plan ausgedacht, der ihm aber ganz in seine verzweifelte Lage paßte, und mit einer Quantität Spirituosen im Kopfe war er auch gerade in der Stimmung, ihn auszuführen. Ob er sonst den Mut gehabt haben würde, dem seines ernsten Wesens wegen eher gefürchteten Gutsherrn auf die eigene Stube zu rücken, muß dahingestellt bleiben. Noch nicht mit sich im klaren, wie er das Wirtshaus verließ, verbiß er sich aber mehr und mehr in den einmal gefaßten Gedanken, und ohne daß er es selber merkte, verringerte er die Entfernung zwischen sich und dem Gute mit jedem Schritte.

Wäre er dem Verwalter oben begegnet, so würde ihn dieser, in dem Zustande, in dem er sich befand und der deutlich genug die in reichem Maße genossenen Getränke verriet, wohl kaum vorgelassen, sondern rundweg abgefertigt haben; denn Tobias war ein Mensch, mit dem man sowohl im Dorfe wie auf dem Gute wenig Umstände machte. So aber traf er nur einen der Knechte im Hofe, der ihn, da er nach dem Gutsherrn fragte und vorgab, er habe etwas Wichtiges mit ihm zu besprechen, zu der Treppe brachte, die zu Georgs Zimmer führte. Dort ließ er ihn allein, und Tobias balancierte sich die breite steinerne Stiege – jetzt aber gar nicht mehr so behaglich und zuversichtlich wie unten in frischer Luft – hinauf. Er war jedoch einmal da, wie er sich wieder und wieder vorerzählte – umkehren half nichts mehr, und deshalb die Zähne fest aufeinander beißend, kletterte er die wenigen Stufen vollends hinan, hielt einen Augenblick an der Tür, um Atem zu schöpfen, und klopfte dann an.

»Herein!« tönte Georgs tiefe und ruhige Stimme, und Tobias wäre vielleicht in diesem Augenblick doch noch wieder umgekehrt, aber es war zu spät; seine Hand lag auf dem Drücker, und im nächsten Augenblick sah er sich dem Herrn selber gegenüber.

»Was wollt Ihr?« fragte ihn mit eben nicht freundlicher Stimme Georg, denn er sah mit einem Blick, in welchem Zustande sich der alte Trunkenbold befand.

»Guten Abend,« erwiderte Tobias vor allen Dingen auf die Anrede, nahm seinen Hut ab und drehte ihn zwischen den Händen.

»Guten Abend – was soll's?«

»Ich wollte nur...«

»Nun?«

»Ich wollte Sie nur bitten, Herr Baron,« stotterte der Alte.

»Tobias,« fertigte ihn da Georg ab, der ihn vom Dorfe her kannte, »Ihr seid heut wieder in einem Zustande, bei dem Ihr Euch viel lieber hättet zu Bette legen sollen, als zu mir heraufzukommen. Ueberdies hasse ich jede Bettelei, noch dazu von einem Burschen wie Ihr, an den jeder Schilling rettungslos weggeworfen wäre. – Marsch! packt Euch, und macht, daß Ihr nach Hause kommt. – Ihr riecht bis hierher nach Spirituosen. – Wird's bald, oder soll ich Euch fortschaffen lassen?«

Wäre Georg freundlich oder auch nur ernsthöflich mit ihm gewesen, Tobias hätte nie den Mut gehabt, ein Wort über die Lippen zu bringen. Die doppelten Vorwürfe des Trinkens und Bettelns aber stachelten ihm die verworrenen Geisteskräfte zum Widerstande auf, und seinen alten Hut in den Händen zusammenrollend, sagte er mit einem höhnischen Blick auf den Gutsherrn: »Halten zu Gnaden, Herr von Geyfeln – oder wie Sie sonst heißen mögen, was – ich trinke, bezahle ich, und das geht niemanden etwas an – und zum Betteln – bin ich ebenfalls – nicht hierher gekommen, daß Sie es nur wissen! – Im Gegenteil wollte ich Ihnen einen Gefallen tun – daß Sie wüßten, woran Sie – woran Sie wären, und nicht etwa dächten, wir wären alle so dumm und glaubten die Geschichte mit dem – Baron...«

Georg horchte hoch auf, denn die Worte des Trunkenen, mit wie schwerer Zunge er sie auch herausbrachte, verrieten mehr, als sie jetzt noch eingestehen mochten. »Was ist das, was aus dir spricht, mein Bursche?« sagte er deshalb ruhig, aber mit wirklich mühsamer Fassung, indem er auf ihn zuging, »was willst du von mir?«

»Aha!« lachte der Alte still vor sich hin, »werden wir zahm? Ja, ich hab' es mir wohl gedacht, mein Täubchen. Der alte Tobias ist auch nicht auf den Kopf gefallen, wie manche Leute ihn wohl gern wollten glauben machen – der Sternwirt zum Beispiel – und dieses Mal an die richtige Schmiede gegangen.«

»Was willst du von mir, und weshalb bist du heute hierher gekommen?« wiederholte Georg noch einmal seine Frage; denn ein dunkler Verdacht stieg über die Absicht des Trunkenen in ihm auf.

»Na?« sagte Tobias, der noch immer nicht trunken genug war, die veränderte Anrede unbemerkt zu lassen, »geduzt haben wir einander freilich noch nicht, so viel ich weiß, aber das schadet nichts – was nicht ist, kann noch werden, und der Mühler, der Schwiegervater, war auch ein sauberer Mensch und wir nannten uns doch du miteinander. Also, lieber Bruder, hahaha – lieber Bruder, ich wollte dir nur sagen, daß wir – ne, nicht wir – im Dorfe drunten sind zu dumm – die wissen noch nichts – aber daß ich, der alte Tobias, herausgekriegt habe, wer du eigentlich bist – weißt du wohl?« – Er versuchte dabei eine Art von Pantomime zu machen, wie er sie vielleicht einmal von Kunstreitern gesehen haben mochte, indem er sich auf das eine Bein balancierte und das andere aushob, den Kopf etwas auf die Seite neigte und seine beiden Arme, mit dem zerknitterten Hut in der einen, ausstreckte. Dieser gewagten Position war er aber doch in solchem Augenblick nicht gewachsen. Er verlor die Balance und wäre auf den Boden geschlagen, wenn er nicht noch glücklich die Tischecke erwischt hätte, um sich daran zu halten.

In Georgs Armen zuckte es, den frechen, widerlichen Burschen aus der Tür zu werfen, aber er bezwang sich trotzdem. Er wollte jetzt erst wissen, was er eigentlich im Schilde führe, und die Arme fest ineinander schlagend, wie um sie zu sichern, daß sie ihm nicht unwillkürlich vorgriffen, haftete nur sein düsterer Blick fest und verächtlich auf der vor ihm schwankenden schmutzigen Gestalt – dem Spottbild eines Menschen.

»Ha – hallo,« sagte Tobias dabei, indem er sich gewaltsam im Gleichgewicht zu halten suchte, »hoppa – beinahe wären wir gefallen – Boden ist hier verdammt uneben. – Ja – was ich gleich sagen wollte – Sehen Sie, Herr – Herr Baron oder Herr Berthold oder wie Sie sonst heißen – ja so – das wollte ich dir nur sagen – ich weiß die Geschichte; ich bin dahintergekommen, hinter den blauen Dunst. – Mir macht keiner ein X für ein U – aber ich kann auch's Maul halten – wie Bruder Mühler, der Schwiegervater, ganz richtig gesagt hat – ich kann, wenn ich eben will und – wenn's gut bezahlt wird. Verstehst du, Bruderherz?«

Georg brauchte nicht mehr zu wissen. Der alte Trunkenbold hatte ihm in wenigen Worten klar und deutlich gezeigt, daß Mühler ihm sein Geheimnis verraten und er jetzt in den Händen dieses liederlichen Menschen sei, der aus seiner Entdeckung den größten Nutzen zu ziehen suchte. Daß er sich aber mit einer solchen Kreatur nicht weiter einlassen konnte, mochten sich nun die Folgen stellen, wie sie wollten, fühlte er in dem Augenblick mehr, als er zu einem klaren Bewußtsein desselben gekommen wäre. Ohne deshalb ein weiteres Wort an ihn zu richten, öffnete er das Fenster und rief im Hofe zwei gerade dort beschäftigte Knechte an: »He, Hans – Gottlieb! kommt einmal herauf – rasch!«

»Hans? – Gottlieb?« wiederholte Tobias etwas erstaunt. »Hans – Gottlieb? – Wozu brauchen wir Hans und Gottlieb – he? – Wie ist es, Herr Baron oder Herr Berthold – hahaha, über die Namen alle wird man ordentlich konfus! – Ich kann das Maul halten, und will das Maul halten, aber« – und hier machte er mit freundlichem Grinsen eine Gebärde des Geldzählens – »hier müssen wir zusammenkommen, wenn ich nicht...«

Georg hörte die Leute auf der Treppe, riß die Tür auf und sagte: »Den Burschen da werft mir einmal aus dem Hofe hinaus und das jedesmal, so oft er sich hier sollte sehen lassen. Schickt mir dann den Verwalter und den Vogt herauf.«

»Na komm, Tobias,« sagte der eine der Knechte, den Alten ohne weitere Umstände beim Kragen nehmend, »es hilft dir nichts, weder Strampeln noch Wehren. Der Herr Baron hat's einmal gesagt.«

»So?« schrie Tobias, aus allen seinen Himmeln geträumter Schätze etwas unsanft geweckt und über dieses keineswegs erwartete Resultat zugleich erstaunt, »so? ist das eine Behandlung – Herr Baron – wissen Sie – wenn ich will – so kann ich...« Alle seine weiteren Reden und Drohungen wurden durch die beiden handfesten Burschen unterbrochen, von denen der eine, als sie sahen, daß er nicht gutwillig gehen wollte, ihn unter den Armen packte. Der andere hob ihm zu gleicher Zeit die Beine aus, und Tobias wurde, trotz seinem Grimm, der sich jetzt gegen die Knechte kehrte, ohne weiteres die Treppe hinunter, durch den Hof und bis vor das Tor getragen, wo ihn die Leute ruhig absetzten und laufen ließen. Zwar sprudelte er hier noch eine Menge Dinge von Baronen und Lumpen, Kunstreitern und »Geheimnissen« heraus, die Knechte verstanden aber kein Wort davon, ließen ihn stehen und gingen an ihre Arbeit zurück.

Tobias wütete, als er aber Miene machte, noch einmal in den Hof zurückzukehren, drohten ihm die beiden Burschen mit den Fäusten, und das Herz voll Ingrimm, aber doch zu feige, sich einer weiteren Handgreiflichkeit auszusetzen, drehte er sich endlich um und taumelte, rücksichtslos um Weg und Steg, gerade über Wiese und Felder weg, ins Tal hinab.


Zu derselben Zeit, in welcher Tobias jenen verunglückten Versuch machte, von Herrn von Geyfeln entweder eine Summe Geldes oder noch lieber eine fortlaufende Unterstützung zu erpressen, saß Josefine mit ihrer Erzieherin, fleißig mit Lesen und Arbeiten beschäftigt, in ihrem Stübchen.

Josefine war jetzt etwa acht Jahre alt und hier auf dem Gute, da sich die Mutter fast gar nicht oder doch nur sehr selten oder oberflächlich um sie kümmerte, einzig auf den Umgang mit der Erzieherin angewiesen. In dieser aber hatte Georg einen glücklichen Fund getan, denn die junge Dame besaß nicht allein sehr wackere Kenntnisse, sondern auch ein gutes, für alles Schöne und Edle empfängliches Herz. Praktisch dabei in allem, was sie anfaßte, und bescheiden und anspruchslos in ihrem ganzen Wesen, sicherte sie sich in ihrer schwierigen Stellung bald die Liebe des einen, sowie die Achtung des andern Teiles, und ging dazwischen ruhig ihre Bahn. Bald hatte Mademoiselle Adele auch den Charakter der Frau und Mutter durchschaut, mit der sie zusammen lebte, und Georgine besaß in der Tat keine Eigenschaften, die das stille, einfache Mädchen an sie hätten fesseln und zwischen beiden ein wirklich freundschaftliches Verhältnis entstehen lassen können. Vergnügungssüchtig und nur an sich selber denkend, fehlte Georginen jene ruhige Weiblichkeit, die da im Stillen wirkt und schafft, und selbst oft mit den bescheidensten Mitteln imstande ist, den Familienkreis zu einem Paradiese umzuschaffen. Wo aber hätte sie auch diese Eigenschaften sich erwerben, wo in ihrer ganzen früheren Lebensweise einen Sinn für Häuslichkeit gewinnen sollen? Ihre ganze Erziehung lag dem Begriffe zu fern, und wenn ihr auch in der ersten Zeit ihres Aufenthalts zu Schildheim manchmal dieses stille, zurückgezogene Leben nicht mehr in so dunklen Farben erschien und sie die Möglichkeit dachte, sich einst hineinzufinden, verdrängten die letzten Wochen doch jeden derartigen Gedanken wieder aus ihrem Herzen. Noch zu keiner Zeit hatte sie sich dabei, so sehr sie Josefinen liebte, mit deren Erziehung beschäftigen können und mögen. Sie wußte gar nicht, wie sie es anfangen müsse, und konnte und wollte sich keine Mühe in dieser Hinsicht geben. Im Zirkus, ja, dort hätte Josefine keine bessere Lehrmeisterin haben können, als eben ihre Mutter, aber hier, zwischen den Büchern und weiblichen Arbeiten, von denen allen sie wenig oder nichts verstand, fühlte sie sich fremd und überließ das bereitwillig und allein der Fremden.

Georg fand dieses Wesen seiner Gattin durch ihr früheres Leben, wenn auch nicht vollständig gerechtfertigt, doch wenigstens entschuldigt, und ertrug es eben um der Tochter willen; Mademoiselle Adele aber fühlte ihr Herz dadurch verletzt und wandte sich mit um so größerer Liebe dem jungen Mädchen zu, dem sie, wie sie recht gut einsah, die Mutter ersetzen mußte. Und das Kind selber kam ihr dabei mit vollem Herzen und inniger Liebe entgegen. Von früh an, ja, solange sie eigentlich denken konnte, an ein wildes, unstetes Leben gewöhnt, in dem sich das junge Herz nicht wohl fühlen, von rauhen Menschen umgeben, an die es sich nicht anschließen konnte, hatte es hier zum erstenmal eine Heimat und in seiner Erzieherin ein Wesen gefunden, das wirklich teil an ihm nahm und ihm mit mütterlicher Liebe ergeben war.

Wohl hatte es der kleinen Eitelkeit geschmeichelt, mit den mühsam erlernten Künsten im Zirkus draußen rauschenden Applaus einzuernten, aber mit heimlichem Neid sah Josefine dabei zugleich unter den geputzten Zuschauern die vielen anderen kleinen Mädchen, die von den Ihrigen gehegt und gepflegt und – nicht gezankt wurden, wenn sie eine Ungeschicklichkeit auf dem Pferde begangen. Das Kind auch fühlte, wenn es sich dessen selbst nicht klar bewußt wurde, ein Bedürfnis nach Pflege. Jene heilige Sympathie, die Mutter und Kind gegenseitig aneinander zieht, wenn sie auch in Georginens Herzen anderen, unheiligeren Empfindungen Raum geben mußte – war in Josefinens Brust ebensogut gepflanzt gewesen und nur die Zeit über verkümmert und niedergehalten worden. Jetzt aber, durch ihrer Erzieherin treue Pflege geweckt, entfaltete sie sich rasch und gewaltig, und bald hing das kleine Wesen mit unendlicher Liebe an der Pflegerin.

Georgine würde selber erschrocken sein, hätte sie einen Blick in dieses aufknospende Kinderherz tun können, in dem ihr Bild nicht mehr wie früher den vollen Raum erfüllte – aber sie hatte andere Dinge im Kopfe, als sich um die Einzelheiten, um die kleinlichen Anhängsel der Erziehung und Pflege ihrer Tochter zu kümmern. Daß sich diese täglich mehr heranbildete, sah sie wohl, und es erfüllte sie mit Freude; nur aber mit dem einen Ziel im Auge, Josefinen einst als einen Stern erster Größe an dem Himmel prangen zu sehen, der allein ihre eigene Welt bildete, dachte sie nicht daran, ob gerade die Nahrung, die das Kind jetzt für Herz und Geist empfing, ihm später dienlich werden könnte. Sie sah nur für sich und die Tochter die Lichtseite des Lebens, dem sie entgegenstrebte, und so blendete diese ihre Augen, daß sie für alles andere gleichgültig – blind wurde.

Mademoiselle Adele hatte indessen im steten Umgange mit Josefinen die Vergangenheit des Kindes kein Geheimnis bleiben können. Die unbewachte Aeußerung der Kleinen, als das Pferd durchging, entdeckte ihr auch nichts Neues, sondern bestätigte nur den schon früher gefaßten Verdacht. Aber nur noch inniger, wenn das überhaupt möglich gewesen wäre, fühlte sie sich dadurch zu dem Kinde hingezogen, dem sie solcher Art ein neues Leben verschaffen half; noch mehr aber wachte sie über all seine kleinen Unarten und Fehler, deren Quelle ihr kein Geheimnis mehr war, und die sie jetzt desto leichter beseitigen oder heben konnte, und dabei durften weder Josefine noch ihre Eltern ahnen, welchen tiefen Blick sie in ihre früheren Verhältnisse getan. Es war ihr genug, daß sie es wußte, dem Kinde zum Nutzen, und das Geheimnis ruhte sicher in ihrer Brust.

Josefine hatte zum Weihnachtsfeste unter anderen Sachen auch mehrere Jugendbücher bekommen, in denen kleine Erzählungen mit hübschen Bildern standen. Das junge Mädchen, das eigentlich hier erst ordentlich lesen gelernt – denn wo wäre ihm früher die Zeit dazu geworden? – verschlang gierig die frische Nahrung, die ihrem Geiste geboten wurde. Eine neue Welt erschloß sich ihr dadurch, und ihrer Erzieherin liebevolle Geduld gehörte dazu, ihr all die tausend und tausend an sie gerichteten Fragen zu beantworten. Eine kleine Erzählung stand aber in dem Buche, die Josefine wieder und wieder durchgelesen, und doch noch keine Frage deshalb an ihre Erzieherin gerichtet hatte. Dieselbe war überschrieben: »Das gestohlene Kind.« Josefine hatte das Buch vor sich auf den Knien und las darin, und zwar wieder und wieder die eine Seite, und Mademoiselle Adele, die lange schon, wenn auch von ihm unbemerkt, die Augen auf dem Kinde haften ließ, wußte, was es las und was seinem kleinen Kopfe nicht recht erklärlich werden sollte. Und dennoch fürchtete sich Josefine zu fragen, die Erzählung berührte für sie verbotenen Grund – ihr eigenes früheres Leben, und von dem gegen andere Leute zu sprechen, hatte ihr die Mutter verboten, und der Vater sie gebeten, es nicht zu tun, und des Vaters Bitte wog in ihrem kleinen Herz viel mehr noch selbst, als das Verbot. Ueber die Worte aber, die sie hier oft und immer wieder durchgelesen, schüttelte sie auch ebenso oft den Kopf. Es war ihr etwas darin nicht klar, aber Mademoiselle Adele – so lieb sie dieselbe hatte, konnte sie nicht darüber fragen – wenn sie einmal wieder mit dem Vater spazieren ginge, sollte der ihr Aufschluß darüber geben. Endlich riß sie sich von der sie fesselnden Seite los und schlug eine andere Erzählung auf.

»Nun, Josefine?« fragte die Erzieherin, die sich die Gelegenheit nicht wollte entgehen lassen. »Was hattest du da, worüber du nicht recht einig warst? Kann ich dir helfen? Hast du vielleicht irgend ein schweres Wort nicht ordentlich verstanden?«

»O nein,« sagte die Kleine, »ich verstehe alle die Worte, die hier im Buche stehen, aber da – da war eine Erzählung...«

»Was für eine Erzählung, mein Herz?«

»Eine Geschichte, wo von einem Kinde erzählt wird, das böse Menschen seinen Eltern gestohlen haben, und zuletzt – finden es die Eltern wieder und freuen sich so darüber.«

»Nun, das ist doch eine sehr erfreuliche Sache, daß die Eltern ihr Kind wiedergefunden haben.«

»Ja – gewiß – aber...«

»Wer waren denn die Leute, die es gestohlen hatten?«

»Kunstreiter,« zögerte das Kind, »und das sind doch keine bösen Menschen?«

»Nein, gewiß nicht,« erwiderte Mademoiselle Adele. »Es gibt wohl auch böse Leute unter ihnen, wie in allen Ständen, aber im ganzen ein solches Urteil über sie zu fällen, wäre höchst ungerecht und sogar schlecht. Das ist doch wohl auch nicht in dem Buche gesagt?«

»Nein – nein, sicherlich nicht – es war auch gewiß ein großes Glück, daß die armen Eltern ihr Kind wiedergefunden haben, aber...«

»Aber? mein Herz? – was ist dir noch darin aufgefallen?«

»Eigentlich wollte ich den Papa darum fragen.«

»Und kann ich es dir nicht auch sagen?«

»Doch nicht so gut wie Papa – der weiß es viel besser.«

»Aber vielleicht kann ich es dir auch erklären, und du magst dann den Papa noch immer darum fragen.«

»Ja,« sagte Josefine, der das einleuchtete.

»So lies mir einmal die Stelle vor, die dir so viel Kopfzerbrechens machte.«

Josefine blätterte einige Seiten zurück.

»Soll ich das Ganze lesen?«

»Nein, ich kenne die Erzählung schon, nur das, was du nicht genau verstehst.«

»Ja – hier steht: Wie dankbar waren die Eltern gegen Gott, daß sie nicht allein ihr Kind, ihre liebe Marie, wieder erhalten hatten, sondern daß die arme Kleine auch dem traurigen Leben unter solchen Leuten entrissen war! Und wie glücklich fühlte sich Marie, als sie sich endlich nicht mehr genötigt sah, unter den rohen Menschen zu leben, indem sie die Schule ordentlich und regelmäßig besuchen und fleißig lernen konnte, und jetzt doch hoffen durfte, zu einem für sie passenden Leben erzogen zu werden, zu einem Leben, das sie zu einem braven Mädchen und einer tüchtigen, wackern Frau heranbilden konnte.«

Das Kind schwieg, als es diese Zeilen gelesen hatte.

»Nun?« fragte Adele, »was ist dir dabei aufgefallen, mein Herz?«

»Das letzte, Mademoiselle,« antwortete die Kleine zaghaft: – »und jetzt doch hoffen durfte, zu einem für sie passenden Leben erzogen zu werden, das sie zu einem braven Mädchen und einer tüchtigen, wackern Frau heranbilden konnte. – Konnte sie denn das unter den – Kunstreitern nicht auch werden?«

»Mein liebes Herz,« sagte die Erzieherin mit weicher Stimme, und sie mußte sich Gewalt antun, die Rührung zu verbergen, die jene einfachen, schüchternen Worte hervorgerufen, »das Leben solcher Leute mag an sich manches Schöne und Angenehme haben, und besonders die Männer, die da ihre Geschicklichkeit und Kraft zeigen können, fühlen sich vielleicht oft wohl darin. Ein junges Mädchen gehört aber nicht in einen solchen Kreis – du bist noch nicht alt genug, um zu begreifen, weshalb nicht, aber du wirst es selber fühlen, wenn du nur einige Jahre älter sein wirst. Der Tanz und die Kunststücke auf einem Pferde mögen vielleicht – ich verstehe das nicht – für einen Mann passend und hübsch sein, aber die Frau, das junge Mädchen, die Gott geschaffen hat in stiller Häuslichkeit zu wirken, sind nicht dazu gemacht, sich in solcher Weise öffentlich zu zeigen. Das Publikum, das dabei sitzt, applaudiert allerdings und freut sich an den köstlichen Sprüngen, aber im Herzen denken alle ebenso, und von Tausenden, die in die Hände schlagen und Bravo rufen, möchte gewiß nicht ein einziger sein eigenes Kind zu solchem Leben hergeben.«

»Nicht?«

»Nein, meine Josefine, denn Kinder vor allem gehören in den Schutz des Hauses – Kinder müssen lernen, denn ihre Jugend ist die einzige Zeit, in der sie noch lernen können, und nicht bloß Lesen und Schreiben, was in jetziger Zeit jeder Tagelöhner kann, sondern alles, was sie später einmal im Leben brauchen können, und was sie, wenn sie selber einmal Kinder vom lieben Gott bekommen, diese wieder lehren sollen. Bei einem solchen Leben aber können sie das nicht; sie verfehlen also den Zweck, zu dem sie hier auf Erden bestimmt sind, und wenn sie dann einmal älter werden, fühlen sie es und sind unglücklich. Darum sollen alle Kinder, die nicht nötig haben, schon in so zartem Alter ihr Brot in solcher Weise zu verdienen, dem lieben Gott recht von Herzen danken, daß er sie in Verhältnisse gebracht hat, in denen sie mit anderen guten Menschen leben und sich heranbilden können, und sollen die Zeit, die ihnen also zu ihrer Pflege und Erziehung geboten wird, recht fleißig benutzen – das, mein Kind, meint der Satz, den du nicht verstanden hast.«

Josefine schwieg eine lange, lange Weile; endlich stand sie langsam auf, legte das Buch hin, ging zu ihrer Erzieherin, und das Köpfchen an deren Schulter schmiegend, sagte sie leise: »Und glauben Sie, daß auch ich dem lieben Gott dafür dankbar sein müsse?«

»Wenn du fühlst, mein liebes Kind,« erwiderte gerührt Adele, »daß du gute Menschen um dich hast, die dich lieben und bemüht sind, dein Bestes zu wollen und dein einstiges Glück zu gründen, gewiß.«

Josefine schmiegte sich fester an sie an, legte den Arm um ihre Schulter, und während sie das Antlitz daran barg, quollen ihr ungesehen die großen, hellen Tränen aus den Augen.

20.

In der Residenz *** hatte die so plötzliche Auflösung des Zirkus Bertrand – besonders nach so glänzenden Erfolgen – im Anfange nicht geringe Sensation erregt, und die Tagesblätter füllten ihre Spalten fast eine Woche lang mit den verschiedensten Vermutungen und Gerüchten. Dann kam anderes, was ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, und der Zirkus mit all seinen Angehörigen war vergessen – und doch ließ er in einem Herzen eine tiefe und böse Narbe zurück.

Graf Geyerstein hatte in derselben Zeit, in welcher sich der Zirkus damals trennte, einen mehrwöchentlichen Urlaub erbeten und angetreten, über das Wohin seiner Reise aber strenges Stillschweigen beobachtet. Er war indessen stets in seinem ganzen Wesen ernst und zurückhaltend, und sein Schweigen fiel deshalb nicht besonders auf. Trotzdem gaben sich aber doch verschiedene Personen nicht unbedeutende, wenn auch vergebliche Mühe, den Zweck seines Urlaubs und besonders das Ziel seiner Reise heraus zu bekommen, unter diesen ganz besonders Fräulein von Zahbern – aus Gründen, die ihr selber am besten bekannt waren. Graf Geyerstein nahm aber nicht einmal seinen Burschen mit unterwegs, und ehe man eigentlich recht wußte, wann er reisen wolle, war er plötzlich spurlos verschwunden, und ebenso unerwartet, drei Tage noch vor abgelaufenem Urlaub zurückgekehrt.

In der Zwischenzeit hatte beim Kriegsminister von Ralphen ein großer Ball sein sollen, wenigstens sprach man schon in der Stadt davon und unterhielt sich über die wahrscheinlichen Einladungen. Die älteste Tochter Melanie war aber sehr leidend gewesen, und da die Feier eigentlich ihrem Geburtstag galt, konnte sie natürlich nicht stattfinden, wenigstens nicht zu der bestimmten Zeit. Es hieß, daß sie aufgeschoben wäre.

Die »höheren Schichten der Gesellschaft« beschäftigen sich in dieser Zeit überhaupt viel – vielleicht mehr als nötig – mit der Ralphenschen Familie, bei der jedenfalls eine auffallende Veränderung in einer Hinsicht stattgefunden hatte, wenn auch die Ralphensche Familie selber das nicht zu bemerken oder zu beachten schien.

Jenen Kreisen hatte es nämlich kein Geheimnis bleiben können, war auch nicht als solches betrieben worden, daß Graf Geyerstein sehr häufig das Ralphensche Haus besuche, von dem alten Kriegsminister sowohl, wie von seiner Tochter Melanie sehr gern gesehen sei, und infolge davon natürlich die letztere heiraten würde. Man hatte sich in der Tat schon daran gewöhnt, die beiden jungen Leute als ein Paar zu betrachten, so wenig sie sich selber vielleicht darüber klar geworden. Da plötzlich, nach dem Urlaub des jungen Grafen, änderte sich die ganze Sache, und zwar so auffallend, daß Geyerstein das Ralphensche Haus fast gar nicht mehr oder doch nur selten betrat. Ein desto häufigerer Gast dagegen wurde der junge Graf Selikoff, und wenn dieser selber auch recht gut fühlen mochte, daß er dem Herzen Melanies noch sehr fern stand – obgleich sich seine Bemühungen dahin nicht verkennen ließen, – übernahm die überhaupt zu allen Zeiten sehr rasch mit ihrem Urteil fertige »Gesellschaft« den Ausspruch und erklärte sich dahin: die Alliance mit Graf Geyerstein habe sich aus irgend welchen nicht bekannten Gründen zerschlagen, und Graf Selikoff sei an dessen Stelle gerückt.

Der alte Herr von Ralphen mochte etwas Aehnliches fühlen, ja, fürchten, denn er liebte den jungen Geyerstein wie einen Sohn und kannte den, der an seine Stelle rücken sollte, noch zu wenig, um schon mit einem Urteil über ihn fertig zu sein. Aber er hatte sich auch fest vorgenommen, seiner Tochter in einer Herzensangelegenheit keinen Zwang anzutun, noch ihr sein Urteil aufzudringen. Erst wenn sie selber ihn um Rat fragen würde, war die Zeit zu sprechen für ihn gekommen. Uebrigens durfte er seiner Melanie, wie er glaubte, schon vertrauen, daß sie keinen raschen, unüberlegten Schritt ohne seinen Rat tun würde, und er sah deshalb der nächsten Zukunft mit vieler Ruhe entgegen. Nicht ganz so gleichgültig nahm Exzellenz die Frau Kriegsminister die Sache, und zwar von einem, dem jungen Grafen Geyerstein weniger günstigen Gesichtspunkte aus. Sie hatte ihn ebenso gern wie ihr Gatte, aber – im Vergleich mit dem außerordentlich reichen russischen Grafen, dessen Hilfsquellen wirklich unerschöpflich schienen, war Geyerstein doch eine minder gute Partie für ihre Melanie, und den Rücksichten – der Sorge der Mutter für ihrer Tochter Wohl – mußten alle anderen nachstehen. Nicht so zartfühlend wie der alte Herr dabei, hatte sie allerdings versucht, von Melanie selber die Ursache in dem Wechsel ihres Betragens, wenn nicht ihrer Neigung, zu erfahren, doch ohne Erfolg. Melanie konnte und wollte nicht die wahre Ursache eingestehen, und mit den ausweichenden Antworten, die sie gab, mußte sich, wohl oder übel, die Exzellenz begnügen.

Wer aber seit einiger Zeit zu den fleißigsten Besuchern des Hauses gehörte, ohne jedesmal erst eine Einladung abzuwarten, war Fräulein von Zahbern, und selbst ein minder herzliches Entgegenkommen, als sie mitbrachte, konnte sie nicht davon zurückschrecken. War Offenheit dabei eine hervorragende Eigenschaft ihres Charakters, so empfand sie für Melanie eine tief innige Freundschaft. Sie gestand ihr, daß sie den Augenblick ordentlich herbeisehne, in dem sie wieder in ihre Arme fliegen könne, und Melanie müsse ihr es ordentlich angetan haben, denn sie wäre nicht imstande, vor ihr auch nur das geringste, was auf ihrem Herzen läge, geheim zu halten. Melanie selber, viel zu gutmütig und zartfühlend, jemanden, der ihr so herzlich entgegenkam, von sich abzustoßen, duldete diese Freundschaftsbezeigungen mehr, als daß sie dieselben erwiderte. Ihr Geheimnis behielt sie aber, und trotz der jungen Dame direkten und indirekten Anspielungen darauf, für sich, und Franziska von Zahbern fand es bei späteren Besuchen im Zühbigschen Hause eben noch so unerklärlich, weshalb Melanie total mit dem Grafen Geyerstein gebrochen habe, wie früher. Daß dem aber wirklich so sei, ließ sich nicht verkennen, und so oft Fräulein von Zahbern den Grafen Selikoff bei Ralphens traf, ebenso oft kehrte sie auch mit vermehrter Verachtung gegen das Menschengeschlecht im allgemeinen und einzelne Individuen insbesondere in ihre eigene stille und einsame Wohnung zurück.

In diese Zeit fiel es, daß Herr von Zühbig seinen Ausflug nach dem Norden machen mußte, wohin ihn seine Frau begleiten sollte. Frau von Zühbig hatte dazu allerdings nicht die geringste Lust, würde ihrem Manne aber doch dieses Opfer gebracht haben, wenn nicht gerade ein heftiges Nervenleiden einen Tag vor seiner Abreise sie an ihr Lager gefesselt hätte. Herr von Zühbig mußte deshalb allein fort; aber auch hierüber schien er sich zu trösten, da ihm noch dazu von anderer Seite die höchste Aufmunterung zuteil ward. Seine königliche Hoheit hatten nämlich geruht, ihm noch einige spezielle Aufträge – allerdings höchst unbedeutender Art, aber doch Aufträge – zu erteilen, und er verließ seine Heimat genau mit einem solchen Gesicht und solchen Gefühlen, mit denen ein anderer an seiner Stelle zurückgekehrt wäre. Herr von Zühbig war aber nicht allein Mensch, er war auch Kavalier, und es ist einmal nicht kavaliermäßig, irgend ein Gefühl des Schmerzes oder der Niedergeschlagenheit – ausgenommen bei Hoftrauer – dem Publikum zu verraten.

Frau von Zühbig erholte sich glücklicherweise gleich nach ihres Gatten Abreise so vollkommen wieder, um ihre gewöhnlichen Whistpartien mit Herrn von Silberglanz und Fräulein von Zahbern ohne Zögern aufnehmen zu können, und da kein Rückfall erfolgte, befand sie sich auch während ihres Gatten Abwesenheit vollkommen wohl, ja, wie sie erklärte, wohler als je. Die Heilung aber selber verdankte sie niemandem weiter als dem Baron von Silberglanz, der nicht unbedeutende magnetische Kraft besaß und dieselbe in einzelnen speziellen Fällen zum Besten seiner Mitmenschen anwandte. Er tat es aber, wie er versicherte, nur ausnahmsweise und selbst dann höchst ungern, da es ihn außerordentlich angriff und seine eigene Gesundheit darunter litt.

Jedenfalls war der Erfolg hier ein vortrefflicher gewesen, und unsere kleine Partie saß eines Abends auch wieder fröhlich beisammen, als draußen die Klingel etwas stark gezogen wurde und Frau von Zühbig, mit dem freudigen Ausruf: »Mein Mann!« die Karten fallen ließ und die neben ihr stehende Teetasse vom Tische warf.

Der herbeispringende Bediente hatte noch nicht die Hälfte der Scherben wieder aufgelesen, als Herr von Zühbig, in Pelz und Mütze, »gestiefelt und gespornt« in das Zimmer seiner Frau trat – und wie glücklich war diese, daß sie den Gatten endlich wieder hatte – flog sie an seinen Hals, unbekümmert um die fremden Menschen, um die Dienerschaft! wie half sie ihm selber, so viel er sich auch dagegen sträuben mochte, Pelz und Schal ablegen, und ruhte nicht eher, als bis er behaglich hinter einer Tasse heißen Tees in der Sofaecke saß! Der »Rubber« mußte natürlich erst ausgespielt werden, Herr von Zühbig drang, als Whistspieler von Fach, selber darauf. Dann aber wurde der Spieltisch beiseite gerückt, und der »Reisende« sollte erzählen – viel erzählen, und zwar alles, was er gesehen und erlebt, und – wenn irgend möglich – ein klein wenig mehr.

Herr von Zühbig befand sich, nach allen ausgestandenen »Beschwerden und Fährlichkeiten« ausnehmend wohl in der weichen Sofaecke, und ebenfalls gerade in der Stimmung, sich mitzuteilen. So offen und ausführlich er aber über alles sprach, was ihn betroffen und was er »durchgemacht«, so waren seine Zuhörer keinen Augenblick im Zweifel darüber, daß er noch etwas – und gerade die Hauptsache – verhehle, und konnten den Moment kaum erwarten, wo er ihnen auch dieses enthüllen würde. Bis jetzt aber waren die Dienstboten noch ab und zu gegangen; die Gouvernante hatte die Kinder hereingebracht, dem Papa die Hand zu küssen und ihm »bonne nuit« zu sagen – es war noch keine ordentliche Ruhe gewesen. Jetzt schien das beseitigt; die Tür schloß sich hinter den letzten Friedensstörern, und Fräulein von Zahbern, die indessen wie auf Kohlen gesessen hatte, rief: »Und jetzt heraus, mein Intendant! wir wissen, Sie haben noch etwas auf dem Herzen, und es drückt Sie ausnehmend, es loszuwälzen. Befreien Sie sich davon – bitte, bitte, erzählen Sie!«

Die junge Dame schlug dabei die Hände zusammen, wie es die lieben Kindlein machen, wenn sie die Eltern um etwas ersuchen wollen – übrigens gehörte sie schon seit längerer Zeit nicht mehr zu den Kindern.

Der Generalintendant sah den kleinen Kreis ihn erwartend umgebender Menschen innig vergnügt an – der Moment war gekommen, auf den er sich schon die ganze Heimfahrt über gefreut, und er erntete jetzt in vollen Zügen die Belohnung dafür ein, daß er es sich versagt hatte, sein Geheimnis leichtsinnig – vielleicht gar durch einen Brief – zu verschleudern.

»Also ein Geheimnis glaubt ihr, daß ich habe?« fragte er schmunzelnd.

»Es ist grausam, wie er uns martert,« rief seine Frau.

»Er spannt uns absichtlich auf die Folter,« sagte Baron von Silberglanz, »und vielleicht ist es nicht einmal der Mühe wert, daß wir uns so darüber den Kopf zerbrechen.« Diese List, es herauszubekommen, war etwas plump, aber auf Herrn von Zühbig von vortrefflicher Wirkung.

»Meinen Sie wirklich?« rief der genannte Herr, sich im Sofa rasch emporrichtend, »aber Sie sollen mir Abbitte tun, Silberglanz – Sie vor allen anderen, denn gerade Sie wird es mehr als alle anderen interessieren.«

»Mich?« rief der Baron erstaunt.

»Tun Sie nicht so unschuldig – als ob wir nicht wüßten, wie Sie für die schöne Bertrand geschwärmt hätten.«

»Die Kunstreiterin?« riefen Fräulein von Zahbern und Frau von Zühbig wie aus einem Munde.

»Georgine Bertrand,« bestätigte der Generalintendant, sich an dem Genusse ihres Erstaunens weidend, »aber« – setzte er plötzlich mit gebrochener Hand hinzu – »Diskretion, meine Herrschaften! Was ich Ihnen jetzt mitteile, geschieht wie unter dem Siegel der Beichte. Ich selber habe versprochen, das Geheimnis zu bewahren, und werde es tun – hier natürlich, unter Freunden, darf man sich aussprechen.«

»Versteht sich, versteht sich,« rief Fräulein von Zahbern rasch und ungeduldig, »aber wo, bester Intendant, wo haben Sie Madame Bertrand gefunden?«

»Madame?« fragte von Zühbig lächelnd, »Madame nicht allein, Monsieur Bertrand, Fräulein Josefine, das ganze Nest, und darin wäre nichts besonders Außerordentliches, aber eben das wo? Das erraten Sie nicht, und wenn ich Ihnen ein Jahr Zeit dazu gäbe.«

»Nun? – o, quälen Sie uns nicht länger.«

»Du bist mehr als grausam, Guillaume.«

»Nun gut, so hören Sie denn – aber noch einmal, stumm wie das Grab!«

»Wie das Grab,« sagten alle drei feierlich.

»Auf dem Gute des Grafen von Geyerstein.«

»Es ist nicht möglich,« platzte Fräulein von Zahbern heraus, während Herr von Silberglanz ebenfalls einen Ausruf des Staunens nicht unterdrücken konnte.

»Nicht möglich, meine Gnädige?« lächelte von Zühbig. »Ich gebe Ihnen mein Wort, und es ist das Wort eines Mannes, der Erfahrung in der Welt gesammelt hat. Es existiert außerordentlich viel Unmögliches in eben dieser Welt.«

»Und ich sehe daran eben gar nichts Außerordentliches,« bemerkte seine Frau. »Geyerstein hat sich in die Bertrand vergafft – das wußten wir schon damals, nur daß er den Mann mit auf das Gut nimmt, ist etwas außergewöhnlich – und selbst das vielleicht nicht einmal,« setzte sie achselzuckend hinzu.

»Bertrands auf dem Gute des Grafen Geyerstein,« wiederholte noch einmal Fräulein von Zahbern, als ob sie die Worte in einer Verzückung spräche – was Frau von Zühbig gesagt, hatte sie gar nicht gehört – »und wissen Sie das ganz gewiß?«

»Ich weiß nicht, ob Sie das gewiß wissen nennen können, meine Gnädige,« erwiderte lächelnd Herr von Zühbig, »aber ich habe mit ihnen zu Abend gespeist, habe dort übernachtet und gefrühstückt, und bin von Monsieur Bertrand oder vielmehr Baron von Geyfeln noch ein Stück begleitet worden.«

»Baron von Geyfeln?« fragte Frau von Zühbig, »wer ist das nun wieder? Den Namen kenne ich ja gar nicht.«

»Nun, ma chere, die Sache ist sehr klar. Den Namen Bertrand braucht die Familie nicht mehr und nennt sich einfach jetzt: von Geyfeln.«

»Monsieur Bertrand?« rief die gnädige Frau entrüstet, »aber das darf er ja gar nicht. Wie kann sich der Mensch Baron nennen?«

»Liebes Herz,« beschwichtigte sie ihr Gatte, »wer fragt dort danach, wen kümmert oder geniert es? und es nennen sich so viele Menschen Baron, die – hm, noch eine Tasse Tee, mein Schatz. Ich bin wirklich ganz ausgetrocknet angekommen. – Nun, Silberglanz, Sie sitzen ja ganz versteinert da! An was denken Sie?«

»Ich? sonderbare Frage! an diese unerwartete Nachricht – dieser stille Duckmäuser, dieser Graf Geyerstein!«

»Ja, stille Wasser sind tief, lieber Freund,« bemerkte Frau von Zühbig, »mir haben Sie immer nicht glauben wollen.«

»Aber, gnädige Frau!« rief von Silberglanz, »kein Mensch hat doch eine Ahnung haben können, daß Geyerstein...«

»Kein Mensch?« unterbrach ihn die Dame lächelnd, »wir sind nicht alle so kurzsichtig wie Sie. Fragen Sie die Zahbern, was wir schon vor langen Wochen miteinander besprochen haben.«

»Ich kann noch gar nicht wieder zu mir selber kommen,« stöhnte die Genannte, »es ist zu unglaublich. Und deshalb der lange Urlaub!«

»Er übt noch Entsagung genug,« lächelte Frau von Zühbig, »und wird selber über die Dauer seines Urlaubs ganz das Gegenteil gedacht haben, liebe Franziska.«

»Aber wie geht es den – Leuten?« fragte von Silberglanz, »fühlt sich denn die Dame in solchem Doppelverhältnis wohl?«

»Was kann das uns interessieren!« bemerkte die gnädige Frau.

»Es ist doch immer interessant in psychischer Hinsicht,« sagte von Silberglanz.

»Da hat der Baron recht,« bestätigte von Zühbig, »und nur aus diesem Grunde war auch mir das Begegnen dieser Leute – ich wurde genötigt, dort zu übernachten, weil ich ein Rad zerbrochen hatte – höchst interessant.«

»Gott, wie romantisch!« rief Silberglanz.

»Wenn man mit so vielen Menschen zu tun hat, wie unsereiner,« fuhr der Intendant fort, »so gewinnt man einen raschen Ueberblick über Charaktere und Seelenzustände, und ich glaube, ohne mir zu schmeicheln, daß ich mich darin als Autorität betrachten darf. Ich weiß wenigstens seit langen Jahren kein Beispiel, daß ich mich nach solchem gefaßten Urteil geirrt hätte. Demzufolge schien sich Monsieur Bertrand, oder besser gesagt: Baron von Geyfeln, außerordentlich behaglich in seiner neuen Würde zu fühlen.«

»Und seine Frau?«

»Aber was für Interesse nehmen Sie an dem Seelenzustand der Frau?«

»Nur ein allgemeines, meine Gnädigste, auf Parole; nur ein allgemeines. Herr von Zühbig wird mir darin recht geben.«

»Vollkommen, lieber Silberglanz,« lächelte Herr von Zühbig, und der Blick, den er dabei heimlich dem Baron zuwarf, hatte etwas von einem Faun, »die Frau schien sich übrigens, wie ich fest überzeugt bin, nicht glücklich in diesen Verhältnissen zu fühlen. Sie sprach mit Entzücken von ihren früher gefeierten Triumphen, sobald der Herr Gemahl nur einmal den Rücken wandte – was, beiläufig gesagt, sehr selten geschah.«

»Gemahl,« sagte Frau von Zühbig verächtlich, »ich glaube gar nicht, daß die beiden miteinander getraut sind.«

»Ist auch gar nicht notwendig, mein Schatz,« lächelte ihr Gatte, »und, wie du ganz richtig bemerkst, unter den stattfindenden Verhältnissen in der Tat unwahrscheinlich. Desto mehr gerechtfertigt bleibt aber dann meine Behauptung, daß sie sich nicht behaglich unter solcher Aufsicht fühlen könnte – wenn nicht Bertrand doch immer ein sehr hübscher, stattlicher Mann wäre.«

»Ich begreife aber nicht, daß Graf Geyerstein sie zusammenläßt.«

»Wird es nicht hindern können; es gäbe auch sonst zu viel Aufsehen. So verläuft die Sache ganz ruhig und gleichmäßig, denn Herr von Geyfeln ist dem Namen nach der Pachter seines dortigen Gutes, und daß der Eigentümer seine Pachtersleute dann und wann besucht und nach der Wirtschaft sieht, ist nicht mehr wie in der Ordnung, kann wenigstens keiner Seele auffallen.«

»Eine schöne Wirtschaft, die sie dort mitsammen führen werden!«

»Allerdings,« lächelte Herr von Zühbig, »Madame Georgine bleibt immer eine schöne Frau.«

»Es war sehr rücksichtslos von ihrem Gatten, euch so wenig allein zu lassen,« bemerkte etwas boshaft Madame.

»Mein bester Engel, du glaubst doch nicht etwa, daß...«

»Daß Monsieur Bertrand eifersüchtig wäre? – nein. Die Leidenschaft scheint er wenigstens nicht zu kennen. Aber weshalb sollte sich die Donna da unbehaglich fühlen?«

»Aus Langerweile, ma chere, jedenfalls aus Langerweile; denke nur, wie lange Graf Geyerstein schon wieder in der Stadt ist, und für eine Frau, die an ein solches Leben, wie das frühere, gewöhnt war, mag es wahrhaftig kein Spaß sein, auf einem Fleck in einer quasi Wildnis zu hocken.«

»Warum ist sie nicht bei ihrer Kunst geblieben?«

»Das ist mir auch unerklärlich,« versicherte Silberglanz.

»Aber bildschön ist sie, das muß man ihr lassen,« versicherte von Zühbig, vielleicht nur, um seine Frau damit zu necken. »Ich gebe Ihnen mein Wort, Baron, in dem kleinen Morgenhäubchen sah sie rein zum Anbeißen aus« – und er küßte dabei auf das zarteste die Spitzen des dritten Fingers und Daumens seiner linken Hand.

»Du bist immer sehr leicht entzündet, mon cher,« sagte seine Frau, »sie hat ein ganz alltägliches Gesicht, und nur hübsche Augen.«

»Was?« fuhr ihr Gatte erstaunt nach ihr herum, »Silberglanz, ich bitte Sie um Gottes willen, nehmen Sie meine Partei – Georgine nicht schön? Ich gebe dir mein Wort, Amelie, sie ist das verführerischste Weib, das ich in meinem Leben gesehen habe – present company, versteht sich, always excepted.«

»Sie hat auch Anbeter genug gehabt,« seufzte von Silberglanz, während Frau von Zühbig mit den Achseln zuckte.

»Und über die neuen die alten doch nicht vergessen,« lächelte mit einem bezeichnenden Blick Herr von Zühbig.

»Wieso?« fragte leicht errötend der Baron.

»Ein andermal,« beschwichtigte ihn der Intendant, und seine Frau sagte: »Du bist unausstehlich heute – aber, liebe Franziska, Sie sprechen ja kein einziges Wort mehr und sitzen da, stumm wie ein Fisch; doch natürlich, solches Interesse können wir nicht an der Dame nehmen, wie die beiden Herren da, die nur in der Erinnerung an sie in einer wahren Verzückung schwimmen.«

»Sie tun mir unrecht, gnädige Frau,« verteidigte sich von Silberglanz, »aber das Interesse, das wir an einer bekannten Persönlichkeit nehmen, noch dazu, wenn sie uns in solcher Art ins Gedächtnis zurückgerufen wird, ist wohl erklärlich. Fräulein von Zahbern wird ganz meiner Meinung sein.«

Fräulein von Zahbern war es in der Tat, ja, so überrascht durch die Nachricht geworden, daß sie im ersten Augenblick wirklich nur daran dachte, auf welche Weise sie dieselbe am besten verwerten könne. Durch Frau von Zühbigs Anrede kam sie auch erst wieder zu sich selbst und erwiderte darauf: »Nein, natürlich nicht – interessant bleibt es allerdings immer, aber was gehen uns eigentlich die Leute weiter an. Lieber Gott, man hat so viel mit sich selber zu tun, daß man sich wahrhaftig nicht auch noch um andere Menschen zu bekümmern braucht.«

»So laßt denn Monsieur Bertrand und seine Donna ruhen, wenn ich bitten darf,« sagte Frau von Zühbig, der das Gespräch unangenehm wurde. »Ich hätte dem Grafen Geyerstein einen besseren Geschmack zugetraut, aber über Geschmack läßt sich nicht streiten. Apropos, Geyerstein – die Alliance mit Melanie und Selikoff ist also so gewiß wie arrangiert.«

»Natürlich,« sagte von Zühbig, »das war vorauszusehen.«

»Ich bitte um Verzeihung!« rief Fräulein von Zahbern rasch, »so ganz bestimmt und ausgemacht ist die Sache doch noch nicht. Ich bin fast täglich im Ralphenschen Hause und müßte da auch etwas davon erfahren haben.«

»Liebe Franziska,« sagte Frau von Zühbig gutmütig, »ereifern Sie sich nicht; die Sache ist in der Tat so gut wie geschehen. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf, und ich habe sehr sichere Quellen. Die Verlobung wird in drei Wochen bei Gelegenheit des Hochzeitstages der Exzellenzen bekannt gemacht werden, und der große Ball ist auch bis auf jenen Tag verschoben worden. Sie sehen, daß ich ganz genau unterrichtet bin.«

»Und Sie glauben wirklich?«

»Von glauben ist da gar keine Rede mehr, liebe Franziska, die Sache ist geschehen, und ich denke, Melanie macht an dem Russen eine bessere Partie, als an dem armen Grafen Geyerstein.«

»Nun, mein Kind, Geyerstein ist doch nicht so arm?«

»Er braucht dann sehr viel, mein liebes Herz, denn hier in der Stadt wissen wir genau, daß er sich, in der letzten Zeit besonders, außerordentlich eingeschränkt und nur das Allernötigste ausgegeben hat. Lieber Gott, so etwas kann ja in den Verhältnissen, in denen wir nun einmal leben, kein Geheimnis bleiben und spricht sich aus. – Aber was ist das, Sie wollen schon fort?«

»Mama erwartet mich,« sagte Fräulein von Zahbern, die aufgestanden war und ihren Schal festigte, »es ist auch schon spät, und nach so langer Abwesenheit werden Sie mit Ihrem Herrn Gemahl noch manches zu besprechen haben.«

»Aber Sie können doch nicht allein gehen?«

»Wenn mir das gnädige Fräulein erlauben, werde ich Sie begleiten,« sagte Baron Silberglanz, ebenfalls aufstehend. »Fräulein von Zahbern hat recht, es ist Zeit, daß wir gehen.«

»Aber ich bitte Sie, Baron.«

»Auf ein andermal, mein lieber Zühbig. Wenn jemand von einer größeren Reise zurückkommt, tut ihm Ruhe wohl. Gnädige Frau, ich habe die Ehre.«

»Wenn Sie also nicht anders wollen, bon soir, Baron,« sagte Herr von Zühbig, »hoffentlich haben wir bald wieder das Vergnügen, Sie bei uns zu sehen. Mein gnädiges Fräulein, kommen Sie gut nach Hause, Sie haben ja nicht so weit. – Aber noch einmal bitte ich in der bewußten Angelegenheit um Ihre Diskretion. Herr von Geyfeln hat mich selber gebeten, hier in *** nichts von dem Zusammentreffen zu erwähnen, und ich werde auch darüber schweigen wie das Grab. – En famille ist es natürlich eine andere Sache.«

»Nicht eine Silbe!« rief Baron Silberglanz beteuernd.

»Gute Nacht, meine liebe Franziska,« sagte Frau von Zühbig, die aufgestanden war und Fräulein von Zahbern zärtlich umarmte und küßte, »gute Nacht, mein liebes Herz. Verwahren Sie sich nur ja recht gut, daß Sie sich nicht erkälten; es ist entsetzlich rauh draußen und Ihre Gesundheit überdies so zart.«

»Gute Nacht, meine liebe Amelie,« erwiderte die junge Dame, »haben Sie keine Angst um mich; ich bin vortrefflich eingepackt, und die paar Schritte lauf' ich schnell hinüber. – Gute Nacht, Herr Intendant. Morgen müssen Sie uns noch mehr von Ihren Reisen erzählen.«

Frau von Zühbig begleitete die Freundin bis zur Tür, und hier umarmten sich die beiden Damen nochmals auf das Herzlichste; der Baron empfahl sich ebenfalls, und die beiden Gatten blieben allein.

»Die arme Zahbern dauert mich,« sagte Frau von Zühbig, indem sie zu ihrem Platze auf dem Sofa zurückkehrte, »sie hatte sich so feste Rechnung auf den jungen Russen gemacht.«

»Auf den Selikoff?«

»Gewiß. Einmal glaubte sie ihn auch schon ganz sicher im Netz zu haben; er war ihr aber zu klug. Hast du nicht gesehen, wie sie ordentlich gelb vor heimlichem Aerger wurde, als ich ihr erzählte, daß die Verbindung fest beschlossen sei?«

»Das glaub' ich, daß ihr die Partie recht gewesen wäre,« lachte ihr Gatte, »ein solcher Goldfisch!«

»Irgend eine, bester Freund,« versicherte Frau von Zühbig nachlässig. »Lieber Gott, Franziska ist nun einmal in den Jahren, in denen sie einen Mann bekommen muß – wenn sie sich nicht ihr übriges Leben ohne einen solchen behelfen soll, und ich glaube kaum, daß sie sehr wählerisch darin sein würde. Natürlich ist ihr der beste der liebste. – Aber was war denn das, worüber du dich noch mit Silberglanz besprechen wolltest?«

»Ich? – mit Silberglanz?«

»Wegen der Donna.«

»Ach so,« lachte der Intendant, »weiter nichts als ein Scherz, liebes Kind. Der arme Silberglanz war bis über die Ohren in jene Kunstreiterin verliebt, und rein toll vor Eitelkeit, wie er einmal ist, glaubt er alles, was dem Nahrung gibt. Ich werde mir einen Scherz mit ihm machen und ihm erzählen, daß sich Georgine angelegentlich nach ihm erkundigt und mir unter der Hand zu verstehen gegeben habe, daß ich ihn wissen lassen möchte, wo sie schmachte.«

»Du irrst dich darin doch vielleicht in dem Baron.«

»Gott bewahre, liebes Herz – ich irre mich nie. Aber ich bin müde, mein Schatz, und werde heute früh zu Bett gehen. Bitte, laß mir noch die indessen eingegangenen Briefe und Zeitungen bringen.« Frau von Zühbig läutete, und ihr Gatte saß bald, behaglich im Sofa zurückgelehnt, hinter einem Haufen aufgerissener Papiere.

21.

Frau von Zühbig kannte ihre Freundin Franziska so genau wie Herr von Zühbig den Baron, und beide verließen an dem Abend das Zühbigsche Haus trotz aller Freundschaftsbezeugungen mit einem Stachel im Herzen, der aber nur die junge Dame wirklich schmerzte. Unterwegs blieb sie auch außerordentlich einsilbig, trotz aller Bemühungen des Barons, der es für seine Pflicht hielt, sich liebenswürdig zu machen. Zu Hause angekommen, sagte sie ihrer Mutter kaum guten Abend, schloß sich dann in ihr Zimmer ein, warf sich in ihr Sofa, und ihr Gesicht in die Hand stützend, starrte sie finster brütend vor sich nieder. Fräulein von Zahbern hatte Augenblicke, in denen sie hübscher aussah als in diesem.

»Also doch,« murmelte sie leise vor sich hin, mit dem Fuße dabei den Teppich schlagend, »also doch! – Diese kokette Ralphen, dieses unreife, eingebildete Ding, voll Kapricen und Launen! Und wie scheinheilig und unschuldig die – Person gegen mich tat! ob ihr je ein Wort davon über die Lippen gegangen wäre! Das ist Freundschaft, das ist Vertrauen – die kleine giftige Schlange, die! Und was für eine Ursache nur sie und Geyerstein auseinander gebracht haben mag? – Sie hat ihn geliebt, ich weiß es bestimmt, ja, meinen Kopf möcht' ich zum Pfande setzen, daß sie ihn noch liebt; sie kann sich einmal nicht verstellen, so viel Mühe sie sich gibt, und als ich ihr neulich nur den Namen nannte, wurde sie bald blaß und bald rot. Hätte ich damals meinen Vorteil verfolgt, ich glaube, ich hätte sie zu einem Geständnis bringen können, aber meine alberne Gutmütigkeit ließ es nicht zu. Gutmütigkeit für solches Entgegenkommen! – Doch warte,« setzte sie entschlossen hinzu, als sie aufsprang und mit raschen Schritten in ihrem Zimmer auf und ab lief, »jetzt hab' ich dich! Liebt sie den Geyerstein wirklich noch, so ist er auch zurückgetreten und nicht sie, und das zu erfahren, hab' ich jetzt ein prachtvolles Mittel. Die Zühbigsche Nachricht ist Gold wert, und daß ich ihr das Gift tropfenweise beibringe, darauf kann sie sich verlassen. Hat sie Selikoff wirklich so fest umgarnt – ist die Verbindung beschlossen und festgesetzt, wie diese boshafte Zühbig behauptet, so kann ich darin so nichts mehr verderben – nur meine Rache will ich noch haben. Der Wurm krümmt sich, wenn er getreten wird, aber die Schlange sticht, und ich will selber jetzt einmal die Zeitlang die Schlange spielen. Wie sie die Neuigkeit wohl aufnehmen wird? – Ich bin neugierig, ob sie sich so weit verstellen kann! – Aber nein, dazu fehlt ihr Charakterstärke, denn sie ist ja noch weiter nichts als eine arme, hilflose Kokette.«

Fräulein von Zahbern hatte sich selber in eine recht fatale, unangenehme Laune hineingedacht und gesprochen, und würde, um dem Resultate zu entgehen, wenn andere Personen gegenwärtig gewesen wären, jedenfalls zu Tränen und Krämpfen ihre Zuflucht genommen haben. Eingeschlossen aber in ihr Zimmer, dachte sie an nichts derartiges, sondern kleidete sich aus, ging zu Bett und grübelte unter der warmen Decke über die Rachepläne weiter.


Melanie saß am nächsten Tage allein mit Luise in ihrem Zimmer und arbeitete an einer Stickerei. Graf Selikoff hatte sie gerade verlassen, und ein prachtvolles Blumenbukett lag vor ihr auf ihrem Arbeitstische – aber ihr eigenes Antlitz paßte nicht zu den blühenden Rosen und Kamelien, mit denen es prangte. Sie sah bleich und angegriffen aus, und ein schmerzlicher Zug umzuckte den feingeschnittenen Mund.

»Ich will ein Glas Wasser holen,« sagte Luise aufstehend, »die Blumen welken sonst so schnell.«

»Ich danke Ihnen,« erwiderte Melanie, »aber bitte, setzen Sie die Blumen in das andere Zimmer hinüber, ich habe Kopfschmerzen, und die Rosen duften mir zu stark.«

»Sie sehen heute leidend aus, Melanie,« sagte Luise, zu ihr gehend und leise ihre Stirn küssend, »fehlt Ihnen etwas?«

»Nein, nicht das geringste weiter,« lächelte das junge Mädchen, »ein rheumatischer Kopfschmerz jedenfalls; ich fürchte fast, daß ich mich gestern beim Nachhausekommen erkältet habe.«

»Sie waren auch so leicht angezogen.«

»Es wird vorübergehen – da kommt jemand.«

»Es ist Rosalie – sie wird mich zum Spazierengehen abholen wollen. Begleiten Sie uns vielleicht ein wenig?«

»Heute nicht – Ruhe wird mir besser sein. Was hast du, Rosalie? Du siehst ja so verdrießlich aus! Ist dir etwas geschehen?«

»Mir?« sagte das junge Mädchen, indem sie zu der Schwester ins Zimmer trat und ans Fenster ging, »was soll mir geschehen sein? Ich ärgere mich nur über jemanden.«

»Ueber wen? – wer hat dir die Ursache dazu gegeben?«

»Ueber wen? – über den Grafen Geyerstein – es ist recht häßlich von ihm!«

»Was, mein Herz?« sagte Melanie und fühlte dabei, wie ihr das Blut zum Herzen zurückschoß.

»Und hast du es denn auch vergessen?« rief Rosalie erstaunt, »ist denn nicht heute mein Geburtstag, an dem er jedesmal morgens bei mir gewesen, und den er mit uns gefeiert hat, und habe ich ihn auch heute nur mit einem Auge zu sehen bekommen? Ja – vorbei geritten ist er vorhin – vor einer Viertelstunde, gerade wie des Grafen Selikoff Wagen vorgefahren war, aber ob er auch nur heraufgesehen und gegrüßt hätte – Gott bewahre! Ich bin so ernstlich böse auf ihn, daß ich ihn recht tüchtig auszanken werde, wenn er das nächste Mal wieder zu uns kommt. Da ist Graf Selikoff viel freundlicher – wenn er nur das Zeichnen verstände!«

»Er wird heute Dienst gehabt haben, Rosalie,« sagte Melanie leise, »und da, weißt du wohl, kann er nicht abkommen, wenn er auch gern möchte.«

»Ach was,« rief das junge Mädchen, »die ganze Woche, und die ganzen letzten vier Wochen hat er nicht in einem fort Dienst gehabt, und wenn er kommen wollte, hätte er gewiß schon einmal Zeit dazu gefunden – und heute hatte ich mich so darauf gefreut, denn meine große Schweizerlandschaft hat er noch nicht einmal gesehen. Was macht denn Graf Selikoff so lange bei der Mama drüben? Ich wollte eben hinüber und wurde nicht hineingelassen.«

»Ich weiß es nicht; er hat doch wohl etwas mit ihr zu besprechen.«

»Kommen Sie, Komtesse,« sagte Luise, die recht gut fühlte, wie das Gespräch der Schwester peinlich wurde, »es wird sonst zu spät zu unserm Spaziergang heute.«

»Ich kann heute nicht gehen,« rief Rosalie rasch, »Mama hat mir Besuch geladen – da fährt er fort,« unterbrach sie sich selber. »Gott sei Dank! jetzt kann ich hinüber und Mama fragen, welches Kleid ich anziehen soll.« Und mit den Worten huschte sie leicht und fröhlich aus der Tür hinaus, allen Aerger in dem einen Gedanken ihres Anzuges vergessend.

»Fräulein von Zahbern läßt fragen, ob es der gnädigen Komtesse genehm wäre,« meldete in dem Augenblick die Kammerjungfer durch die halbgeöffnete Tür.

»Lieber Himmel,« sagte Melanie erschreckt, »gerade heute!« aber es blieb ihr nicht einmal Zeit, den Satz zu vollenden, denn Fräulein von Zahbern hüpfte auf Melanie zu, und sie umarmend und küssend, sagte sie lachend: »Ich konnte mir die Freude nicht versagen, unserer kleinen Rosalie zu ihrem Geburtstage zu gratulieren – und wo steckt denn der kleine, liebe, wilde Engel?«

»Rosalie, liebe Franziska, ist eben zu ihrer Mutter gegangen; sie wird aber jedenfalls bald zurückkehren. Bitte, nimm so lange Platz.«

»Du siehst auch heute wieder angegriffen aus,« sagte Fräulein von Zahbern, indem sie der Gouvernante, ohne diese selbst nur eines Grußes zu würdigen, Mantel und Muff überließ, den Hut dann auf einen nahen Stuhl legte und sich die Locken vor dem Spiegel ordnete, »fehlt dir etwas, mein Herz?«

»Etwas Migräne, mein altes Leiden, vielleicht auch nur eine Erkältung, die ich mir gestern abend beim Nachhausegehen zugezogen.«

»Ach ja. Ihr hattet ja euer Kränzchen bei Schodens gestern. Nun, was macht unsere überschwengliche Euphrosyne? schmachtet sie noch? – Ich begreife wahrhaftig nicht, wie sie bei dem Vater auf diese Weise hat ausarten können. Sie webt und lebt und schwebt immer in einer höheren Welt, und kommt mit uns anderen armen Sterblichen eigentlich nur bei Kaffeegesellschaften zusammen – hahaha!«

»Euphrosyne,« sagte Melanie gutmütig, »ist ein sehr liebes, braves Mädchen, und wenn sie kleine Eigenheiten hat, dürfen wir die recht gern, ihrer anderen vortrefflichen Eigenschaften wegen, übersehen oder müssen sie doch wenigstens milde beurteilen. Sie spricht zum Beispiel nie ein böses oder gehässiges Wort über einen andern hinter dessen Rücken, und das ist doch gewiß schon viel wert.«

»Weil sie unsere Schwächen nicht sieht,« lachte Fräulein von Zahbern, »ihr Auge hängt ja immer an den Wolken und ihren Idealen. Bei Zühbigs hat sie neulich geschwärmt, daß mir Amelie versicherte, es sei gar nicht mehr zum Aushalten gewesen. – Apropos, Zühbig, der Intendant, ist gestern von seiner nordischen Reise, wie er es nennt, zurückgekehrt und hat eine ganze Tasche voll Neuigkeiten mitgebracht.«

»Das läßt sich denken,« lächelte Melanie, »und er ist jetzt gewiß recht in seinem Element.«

»Er hat auch eine Entdeckung gemacht.«

»Wirklich? – einen neuen Stern am Theaterhimmel entdeckt? Der wird nach ihm benannt werden müssen. Doch hoffentlich einen Planeten, den wir in dem Falle auch einmal auf seiner Wanderung bewundern dürfen.«

»Nein, einen alten Stern,« sagte Fräulein von Zahbern, »einen Stern, der nur eine Zeitlang vom Horizont verschwunden war – einen Stern erster Größe noch dazu. Die Frau des Georg Bertrand.«

»In der Tat?« sagte Melanie ruhig, »aber ich glaube, die Entdeckung wird im öffentlichen Zirkus und mit Hilfe des Programms nicht so außerordentlich schwer gewesen sein.«

»Sie reitet ja nicht mehr, schon seit sie von hier fort ist,« rief Fräulein von Zahbern rasch, »hat sich auch in ihren Verhältnissen, ja selbst in ihrem Namen sehr gebessert und heißt jetzt Frau von Geyfeln.«

»Von Geyfeln?«

»Und selbst das ist noch nicht das Merkwürdigste,« setzte das gnädige Fräulein still vor sich hin lachend hinzu. »Du rätst gewiß nicht, Melanie, auf wessen Gut sie sich befindet.«

»Wie soll ich das raten?« sagte Melanie, die sich alle Gewalt antun mußte, ihre Fassung zu bewahren; sie schöpfte dabei viel Atem, denn es war, als ob eine eiserne Hand ihr die Brust zusammenschnüre, »Land und Leute dort sind mir vollkommen fremd.«

»Wer hätte das dem stillen Grafen zugetraut!« fuhr Fräulein von Zahbern fort, und ihr Blick hing lauernd an den Zügen der Gepeinigten, »Amelie hat aber ganz recht: Stille Wasser sind tief, und die Ruhigen haben es oft faustdick hinter den Ohren.«

»Von welchem Grafen sprichst du?« fragte Melanie. Sie wußte, welcher Name folgen würde und mußte, aber sie hatte einen von der Freundin unbewachten Blick aufgefangen; sie fühlte, daß sie beobachtet wurde, welchen Eindruck die Nachricht auf sie mache, sie wußte, daß Franziska im Innern triumphieren würde, wenn sie sich schwach zeigte, und ihre ganze Kraft zusammenraffend, dem zu begegnen, sah sie ruhig in der Redenden Auge.

»Von welchem Grafen?« lächelte Fräulein von Zahbern, ihres Sieges jetzt gewiß, »von welchem könnt' ich reden als von unserem unvergleichlichen Ritter Bayard ohne Furcht und ohne Tadel, dem Grafen Geyerstein!«

»In der Tat?« erwiderte Melanie, aber so ruhig, als ob Fräulein von Zahbern ihr eben erzählt hätte, daß irgend eine Modehandlung in *** einen neuen Kleiderschnitt erhalten hätte. »Hat sich Madame Bertrand von ihrem Gatten scheiden lassen? dann dürfen wir bald einer Verlobungsanzeige in den Zeitungen entgegensehen.«

»Aber du bist gar nicht erstaunt darüber?« rief Fräulein von Zahbern, die eine stärkere Wirkung erwartet hatte.

»Und warum erstaunt? Graf Geyerstein ist sein eigener Herr und hat niemandem von uns Rechenschaft über seine Handlungen abzulegen. Wenn er mit seiner Familie wegen einer solchen Mesalliance übereinkommt, wen sonst dürfte und würde es kümmern?«

»Von einer Heirat ist vorderhand wohl noch keine Rede,« rief die junge Dame, die ihr, wie sie beabsichtigt, das Gift tropfenweise zumaß, »denn der Graf hat den Herrn Bertrand ebenfalls mit dort hingenommen, und er wie seine Schöne sind angeblich die Pachtersleute auf dem Gute. Eigentlich ist es ein wunderliches Verhältnis, in dem sich die beiden Herren da einander gegenüberstehen; aber dort in der Wildnis kann man sich über manches hinwegsetzen, und Monsieur Bertrand wird wohl schon seinen Nutzen dabei finden.«

»Herr von Zühbig hat sich wohl sehr auf seiner Reise amüsiert?«

»Außerordentlich, und eine Menge Fährlichkeiten dabei erlebt. Einmal brach ihm ein Rad, gerade in der Nähe des Baron Geyfeln, wie Monsieur Bertrand ja jetzt, ich weiß nicht, von wem geadelt, heißt, und er übernachtete dort. Uebrigens hat er mich gebeten, keinen Gebrauch davon zu machen; Baron Geyfeln hat ihn selber darum ersucht, hier in *** nichts davon zu erwähnen, daß er ihn gefunden hätte. – Doch Rosalie bleibt lange. Ist sie noch immer bei der Mama drüben?«

»Wahrscheinlich – sie wird später herüberkommen, um sich ankleiden zu lassen.«

»Dann werde ich doch lieber einmal zur Mama hinüber springen und auch gleich der lieben Exzellenz meinen Glückwunsch zu dem heutigen Tage bringen. Sie ist doch wohl?«

»Ganz wohl.«

»Und was stickst du da Schönes? – das ist ja ganz prachtvoll, ein reizendes Muster. Was wird denn das?«

»Eine Zigarrentasche.«

»Also nicht für den Papa, denn der raucht nicht.«

»Nein.«

»Aha – ein Geheimnis – nun auf Wiedersehen, mein süßes Herz – auf Wiedersehen, ich habe dich lange genug gestört.« Und ihre vorhin abgelegten Garderobestücke mit Hilfe Luisens, die ein stummer, aber erregter Zuhörer des ganzen Gespräches gewesen war, wieder anlegend, rauschte Fräulein Franziska aus dem Zimmer, in dem sie bitteres Weh, weit ärger, als sie wohl je geahnt, ausgesäet hatte.

Melanie war schweigend aufgestanden, sie bis zur Tür zu begleiten – ihr Kuß brannte noch auf ihren Lippen, und ebenso still wollte sie wieder zurück zu ihrem Stuhle gehen, als ihr Blick auf das mitleidsvolle, teilnehmende und für sie ängstlich besorgte Gesicht Luisens fiel.

»Meine liebe, liebe Melanie,« flüsterte die Gouvernante, »glauben Sie um Gottes willen nicht, was das Fräulein Ihnen erzählt hat. Fräulein von Zahbern ist nicht wählerisch in ihren Neuigkeiten, und der Stadtklatsch zieht alles in den Staub, was er erreichen kann.«

Melanie streckte die Hand aus, als ob sie ihr etwas erwidern wollte – aber sie vermochte es nicht. Bis hierher hatte ihre Kraft gereicht, und die Arme um den Nacken des treuen Mädchens schlingend, barg sie das Antlitz an ihrer Schulter und weinte still. Luise störte sie auch nicht darin; sie wußte aus Erfahrung, daß Tränen den wildesten Schmerz lindern, lösen können, und ließ sie sich ruhig ausweinen. Dann aber, als Melanie ihren Platz am Stickrahmen wieder eingenommen hatte und nur noch den Kopf in die Hand gestützt nach den ziehenden Wolken am Himmel hinaufschaute, sagte sie freundlich: »Es ist nicht wahr. Ich habe die feste, innige Ueberzeugung: es ist nicht wahr. Was Herr Zühbig – sollte die Kunde wirklich von ihm ausgehen – veranlaßt haben kann, ein solches Gerücht auszusprengen, weiß ich nicht, daß aber Graf Geyerstein sich mit dieser Frau so weit einlassen sollte, in ein solches, ihrem Manne gegenüber entwürdigendes Verhältnis zu treten, das glaube ich nicht, und wenn« – Luise mochte selber über das Feuer erschrecken, mit dem sie den Grafen verteidigte, denn ruhiger setzte sie plötzlich hinzu – »wenn selbst ein anderer Mund es bestätigte, als der des Fräuleins von Zahbern.«

»Doch, Luise – doch – es ist wahr,« flüsterte leise Melanie, »jedes Wort, das sie gesagt, ist wahr, so oft sie sonst auch übertreiben mag. Eine einzelne Lüge läßt sich erfinden und verbreiten, aber nicht ein ganzes Gewebe von Tatsachen, und daß – Graf Geyerstein jene Frau liebt – des bin ich selber Zeuge.«

»Sie selber?«

»Ja – fragen Sie mich nicht weiter, Luise, aber – ich habe die Beweise, und was mich am meisten schmerzt, ist nur, daß ich noch schwach genug gewesen bin, das so zu fühlen und – wie ich fast fürchte – der Zahbern verraten zu haben. Jetzt ist das vorbei; ich habe mich selber wieder, und wenn mein Herz noch törichterweise an jenem Manne hing, dem es sich in erster Neigung zugewandt, so ist das jetzt vorbei – vorbei für immer. Ihnen, Luise, konnte ich das sagen; ich weiß, wie lieb Sie mich haben, wie gut und treu Sie sind, und daß ich Ihnen vertrauen darf, wie einer Schwester. Ihnen war ja auch meine unglückselige Neigung kein Geheimnis, aber jetzt lassen Sie es abgetan – geschlossen sein zwischen uns. – Eine flüchtige Leidenschaft für jene schöne, verlockende Frau hätte ich ihm vielleicht verzeihen können – ein Verhältnis aber ihrem Gatten gegenüber, in das kein Ehrenmann treten würde, mag ihm Gott vergeben, ich kann es nicht. Wenn von jetzt an der Name des Grafen von Geyerstein noch zwischen uns genannt wird, so sei es als der eines fremden – gleichgültigen Menschen.«

»Und wollen Sie dem Grafen nicht gestatten, sich zu verteidigen?«

»Wie kann er es?« fragte Melanie schnell, »und hat er selbst nur den Versuch gemacht? Er weiß, daß ich das Verhältnis kenne, wenn er auch vielleicht nicht ahnt, daß ich jetzt von seinem ganzen Umfange unterrichtet bin. Von da an mied er selber unser Haus, meine Nähe, und ich bedurfte fast keines stärkeren Beweises, als dieses stille Eingestehen seiner Schuld. Lassen Sie es deshalb abgetan sein, es ist das viel besser so, als wenn wir ihn vielleicht nötigten, Unwahrheiten und Beschönigungen mir gegenüber zu versuchen. Ich kann ihn nicht mehr achten – ich möchte ihn nicht auch noch verachten lernen.«

»Der arme Graf!« seufzte Luise, »und wenn er nun doch unschuldig wäre, wenn irgend ein unglückseliges Mißverständnis...«

»Beruhigen Sie sich, Luise; das ist es nicht. Hätte ich mich nicht selber überzeugt – wüßte ich nicht drei, vier verschiedene Fälle, in denen er mit jener Frau in Verbindung stand, ja, ich würde es auch glauben. Madame Bertrand hat ihn aber sogar verkleidet auf seinem Zimmer besucht – verlangen Sie einen stärkeren Beweis?«

»Das wäre allerdings stark genug, wenn es erwiesen...«

»Es ist erwiesen und die Sache erledigt. Gott sei Dank, ich habe mich selbst wiedergefunden, und keine solche Schwäche soll mich je mehr überwältigen. Aber still; ich glaube, Rosalie kommt zurück und wird ihren Putz in Ordnung bringen wollen.«

»Es ist die Exzellenz,« sagte Luise, »ich höre ihre Stimme.«

»Meine Mutter?«

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Ihre Exzellenz die Frau Kriegsminister von Ralphen betrat mit Rosalie das Zimmer.

»Fräulein, haben Sie die Güte, Rosalien ankleiden zu lassen,« sagte sie, zu der Gouvernante gewandt, »ich wünsche mit meiner Tochter etwas zu besprechen. Geh, mein Kind, und komme nachher wieder hinüber zu mir – ich erwarte dich in einer halben Stunde.« Die Gouvernante verließ, dem Winke gehorsam, mit ihrem Zögling das Gemach, und Frau von Ralphen, langsam zu Melanie tretend, neben deren Stuhl sie sich auf denselben Fauteuil niederließ, in dem vorhin Fräulein von Zahbern gesessen, sagte freundlich: »Mein liebes Kind – aber ich dächte fast, du hättest geweint; deine Augen sehen so verschwollen aus. Fehlt dir etwas?«

»Nichts, liebste Mutter, nur ein wenig Kopfschmerz hatte ich, und selbst den kaum mehr, denn seit der letzten Viertelstunde fühle ich mich um vieles leichter.«

»Desto besser, denn ich habe ein paar ernste Worte mit dir zu reden.«

»Liebe Mutter!«

»Graf Selikoff war vorhin bei mir, um Abschied zu nehmen. Er war auch vorher bei dir, und du weißt, daß er in Familienangelegenheiten nach Petersburg muß. Wie lange er sich dort aufhalten wird, hängt allerdings von Umständen ab; er hofft aber doch in sechs bis acht Wochen spätestens wieder zurück zu sein, und hat mich indessen feierlich um mein Fürwort bei dir gebeten.« Melanie ließ die Hand mit der Nadel, die sie gehoben hatte, um in ihrer Arbeit fortzufahren, wieder sinken und sah still vor sich nieder, und die Mutter, die sie kurze Zeit beobachtete, fuhr mit langsamer, aber eindringlicher Stimme fort: »Ich brauche dir die Vorteile nicht auseinanderzusetzen, die für dich wie für uns alle aus einer Verbindung mit einem so edlen und angesehenen Hause entstehen würden; Vorteile sollen auch keinen Einfluß bei meiner Tochter auf die Wahl eines Gatten haben, denn, Gott sei Dank, wir können und dürfen die höchsten Ansprüche machen und stehen keinem nach. Aber Selikoff ist auch ein liebenswürdiger und braver Mensch, mit dem eine Frau schon hoffen darf, glücklich und angenehm zu leben, und ich möchte dir die Sache hiermit warm und dringend ans Herz gelegt haben. Eine Zeitlang glaubte ich einmal – und ich meine sogar, ich hätte Ursache dazu gehabt – daß Graf Geyerstein sich um dich bewerbe, und daß du selber ihm nicht abgeneigt wärest. Ich hätte allerdings nicht das geringste gegen Geyerstein einzuwenden; er ist aus edlem Geschlecht, ein braver und wackerer Mann, und der Vater hat ihn besonders gern und hält große Stücke auf ihn, aber – Selikoff ist denn doch eine bessere und schicklichere Partie für dich, und ich habe mit Genugtuung gesehen, daß du selber so zu denken scheinst. Graf Geyerstein mag das auch wohl fühlen, denn er hat sich in letzter Zeit fast auffallend zurückgezogen.« Die Mutter schwieg eine kleine Weile, um die Wirkung zu beobachten, die ihre Worte auf die Tochter machen würden. Melanie aber erwiderte keine Silbe, regte sich nicht, und die alte Exzellenz fuhr fort: »Graf Selikoff hofft, daß er dir nicht ganz gleichgültig sei. Er hat schüchtern, wie er ist – freilich noch nicht gewagt, dich selber darum zu fragen, er ist aber bei mir gewesen, und hat mich ohne Umschweife offen und ehrlich gebeten, ein Fürwort für ihn bei dir einzulegen, also förmlich und in aller Ordnung bei mir, der Mutter, um deine Hand geworben. Ebenso einfach und ohne alle Umschweife frage ich also dich jetzt, Melanie, willst du die Gattin des Grafen Selikoff werden?«

»Liebste, beste Mutter...«

»Laß mich eine einfache Antwort haben, Ja oder Nein; Selikoff selber hat dir noch Zeit mit der Antwort gelassen, bis er zurückkommt, nur für mich verlange ich sie, um darüber beruhigt zu sein; denn diese Ungewißheit reibt mich auf, und das vertragen meine Nerven nicht. Hast du etwas gegen ihn einzuwenden?«

»Nein!«

»Also darf er hoffen, daß du ihm deine Hand reichst, dich wenigstens mit ihm verlobst, sobald er zurückkehrt, denn die Vorbereitungen zu einer Vermählung sind nicht so im Nu beendet, wie die jungen Leute gar nicht selten glauben. Also: Ja oder Nein?«

»Ja!« hauchte Melanie.

»Ich danke dir, mein liebes Kind,« sagte die Mutter mit einiger Rührung, denn sie freute sich, daß ein Lieblingsplan von ihr zur Wahrheit geworden war, und fühlte doch auch dabei, daß Melanie noch irgend etwas auf dem Herzen hatte, das nicht so ganz mit diesem Ja übereinstimmte, ihr also dadurch vielleicht ein Opfer brachte. Sie hütete sich aber wohl, danach zu fragen, denn sie fürchtete und haßte jede Aufregung. Die Hauptsache war überdies erledigt, und alles andere konnte nicht weiter in Betracht kommen.

»Meinst du da nicht vielleicht,« setzte sie nach einer kleinen Pause hinzu, »daß wir dem armen Grafen ein paar Zeilen schreiben sollen, um ihn aus seiner Ungewißheit zu reißen?«

»Nein, ja nicht!« bat Melanie rasch.

»Ich meine nicht eine bestimmte Zusage; nur ein paar freundliche Worte, die ihm Hoffnung machen und seine Rückkehr zu uns vielleicht beschleunigen – wenn er sich überdies nicht schon genug beeilt, um seine Geschäfte zu beenden.«

»Nein, Mama – bitte, nein! Ich kann ihm nicht schreiben, ehe er selber bei mir um meine Hand geworben hat, und – ich möchte auch weiter keine Vermittlung in einer so wichtigen Sache haben. Er hat sich selber diese Frist gestellt, wir dürfen sie auf keinen Fall kürzen.«

»Du hast recht,« sagte die Exzellenz, »das sähe am Ende gar aus, als ob wir es nicht erwarten könnten. Uebrigens scheint er fast einen Brief zu erhoffen, denn er hat mir seine Adresse in Petersburg dagelassen.«

»Kehrt er zurück,« sagte Melanie, »so ist es früh genug, und ich selber brauche die Zeit, mich zu sammeln und – darauf vorzubereiten. Es ist ein wichtiger Schritt, den ich zu tun gedenke – ein Schritt, von dem es keinen Rückweg gibt. Laß mir, liebe Mutter, die mir dazu gegönnte Zeit ungeschmälert, damit ich mich nicht vorher schon als gebunden zu betrachten brauche – versprich mir das.«

»Von Herzen gern, liebes Kind; guter Gott, die kurze Zeit wird überdies so rasch verlaufen, daß man am Ende gar nicht weiß, wo sie geblieben ist, und ich habe noch so erstaunlich viel zu tun! Jetzt mach' mir aber auch kein so trauriges Gesicht mehr; das ist kein Gesicht, wie es sich für ein glückliches Bräutchen schickt. Apropos, ich habe der Rosalie zu ihrem Geburtstage heute Gesellschaft gebeten – ihre gewöhnlichen Spielkameraden und Freundinnen aus der Tanzstunde. Komm später ein wenig zu uns hinüber, das wird dich zerstreuen.«

»Weiß Papa darum?« fragte Melanie, ihre Augen zu der Mutter hebend.

»Um die Kindergesellschaft? – Ja, so, du meinst Selikoffs Antrag? – Nein, er war nicht zu Hause. Es wird ihm nicht so ganz recht sein; ich weiß, er hat sich zu deinem Gatten einen andern ausgedacht, aber er schätzt den jungen Russen doch auch sehr; er weiß, wie gern ihn der Fürst hat, und ist außerdem ein viel zu guter Vater, als daß er deinem Willen Zwang antun sollte. Also beruhige dich darüber nur vollkommen; ein Einspruch von seiner Seite ist nicht zu befürchten. – Aber ich sitze hier und schwatze und schwatze, und drüben warten eine Menge Geschäfte auf mich. Also adieu, meine liebe Melanie, adieu. Sei wieder freundlich – nicht so ernst, mein liebes – glückliches Bräutchen!« Und die Tochter umarmend und küssend, nickte sie ihr noch einmal zu und verließ dann rasch das Zimmer.

22.

Herr von Zühbig hatte in diesem Morgen außerordentlich lange geschlafen, um sich von den gehabten Strapazen gehörig auszuruhen, war dann in sein Bureau gegangen, um die nötigen und laufenden Geschäfte zu ordnen, und schlenderte danach langsam einem Frühstückskeller zu, eine Erfrischung einzunehmen.

Es war das ein Platz, der ausschließlich von der Hautevolee besucht wurde – Herr von Zühbig wäre auch sonst nicht hingegangen. Besonders fanden sich die Kavallerieoffiziere gern hier des Morgens zusammen, und der Intendant hatte viele Freunde unter dem Militär, dem einst selber angehört zu haben sein Stolz war.

Das höchst elegant eingerichtete Lokal wurde selbst den Tag über von Gasflammen erhellt, da Tageslicht nie hineindringen konnte; weiche Plüschsofas zogen sich an den Seiten hin, und kleine, durch schwere Gardinen abgeschiedene Räumlichkeiten bildeten traulich gemütliche Plätzchen, in denen sich ein paar Zecher hübsch abgesondert von den übrigen halten konnten.

Von Zühbig war aber gesellschaftlicher Natur; er gehörte zu den Persönlichkeiten, die ein stilles, zurückgezogenes Familienleben nur dem Namen nach kennen – wenigstens davon gehört hatten, wenn sie auch nicht daran glaubten, und eigentlich nur, wie der Jäger sagt, »in Rudeln« gefunden werden. Morgens war er in seinem Bureau oder auf der Promenade, bei schlechtem Wetter im Café oder Delikatessenkeller, nachmittags hier und da mit Freunden zusammen, und abends im Theater oder beim Whist. Aus diesem Grunde verschmähte er auch die kleinen abgeschiedenen Lokale, nannte sie »Gefangenzellen« und protegierte den langen Gesellschaftstisch, an dem er hoffen durfte, mit Gleichgesinnten zusammen zu treffen.

Heute hatte er übrigens dazu eine ungünstige Zeit gewählt. Es war noch früh oder schon zu spät für die gewöhnlichen Gäste, und von Zühbig befand sich hinter einem Glas altem Madeira und einem Teller mit Kaviar ganz allein und keineswegs so gemütlich, wie er es erwartet haben mochte. Vergebens hatte er auch, in einer Art von Instinkt, dann und wann nach den Fenstern geschaut, ob nicht etwa Ankömmlinge sein Los erleichtern wollten. Die Fenster waren nämlich bloß Imitationen von wirklichen, tatsächlichen Lichtverbreitern; sie bestanden aus Spiegelglas und warfen ihm stets nur sein eigenes unzufriedenes Bild zurück.

»Garcon!« rief Herr von Zühbig.

»Zu Befehl, Ew. Gnaden.«

»Der Madeira ist heute abominabel – der muß auf einem Heringsfaß gelegen haben.«

»Bitte tausendmal um Verzeihung, Ew. Gnaden – er hat in Flaschen dreimal die Linie passiert.«

»So? – in der Tat? dann ist er oder ich jetzt an der andern Seite vom Aequator – aber Sie sprechen wahrscheinlich von dem Kaviar. Der schmeckt wirklich so, als ob er dreimal die Linie passiert haben könnte. Er ist ganz ranzig.«

»Der beste russische, der nur zu bekommen war.«

»Ein hartes Brötchen haben Sie mir auch dazu gegeben, und die Zitrone hier hat wahrscheinlich eine ägyptische Mumie einige tausend Jahre zur Verzierung in der Hand gehalten. Mit solchen Waren ist es kein Wunder, daß die Gäste ausbleiben, und ich scheine hier als letzter der Mohikaner die Reste zu verzehren. Fürchten Sie sich nicht, den Keller hier so allein zu bewohnen?«

Der Kellner lächelte verlegen, und Herr von Zühbig trank seinen Madeira aus und schob das Glas von sich.

»Geben Sie mir noch einen Schnitt, aber aus einer andern Flasche; ich fürchte, diese ist aus Versehen irgendwo zurückgeblieben, als ihre Kameraden auf Reisen gingen.«

»Herr von Zühbig – richtig wie ich gehofft,« sagte in diesem Augenblick eine feine Stimme, und durch die halbgeöffnete Tür schaute das vergnügte Gesicht des Baron Silberglanz, während er jetzt ins Zimmer glitt und, von dem Kellner unterstützt, Hut und Paletot ablegte.

»Wirklich noch ein Mensch!« rief der Intendant. »Mein guter Baron, Sie sind wohl auf einer Entdeckungsreise begriffen, mich, als einen Verschollenen, irgendwo an den unwirtlichen Ufern des Eismeeres aufzusuchen. Sie kommen zur rechten Zeit – eine Hundekälte herrscht überhaupt hier, und ich habe mich in Ermangelung eines Bessern die letzte Zeit über schon mit Fischeiern und Tran, welchen jener junge scherzhafte Mensch Madeira nennt, ernähren müssen.«

»Ich habe Sie in der Tat gesucht, bester Intendant,« sagte der Baron, indem er sich neben Herrn von Zühbig niederließ. – »Garcon, mir auch von diesen Fischeiern und Tran – und war schon auf Ihrem Bureau, um Sie dort zu finden.«

»Aus reiner Anhänglichkeit oder aus einem andern Grunde?«

»Beides – zuerst wollte ich mich erkundigen, wie Ihnen die Fahrt bekommen ist.«

»Vortrefflich, wie Sie sehen; ich habe sogar eine so robuste Konstitution mitgebracht, daß ich imstande bin, die Kost hier zu vertragen. Darüber also beruhigt, mit was kann kann ich Ihnen weiter dienen?«

»Ja, mein bester Herr von Zühbig – Sie – Sie wissen doch, daß ich Sie schon früher gebeten hatte, mir sicher für die neue Oper eine Loge reservieren zu lassen?«

»Allerdings.«

»Das wollte ich Ihnen gern noch einmal ans Herz legen, daß Sie es ja nicht vergäßen. Ich habe es einer befreundeten Familie fest versprochen und möchte nicht wortbrüchig werden.«

»Das ist allerdings viel Aufopferung,« versicherte Herr von Zühbig, »daß Sie sich, nur um ein Versprechen zu halten, dem hiesigen Madeira und Kaviar aussetzen. Weiter war es nichts?«

»Weiter? – nein – nicht daß ich wüßte – Ihre Gesellschaft allerdings ausgenommen« – von Zühbig verbeugte sich leicht und lächelnd. »Allein schmeckt mir der Wein auch nicht,« fuhr der Baron fort, »und es plaudert sich am besten zu zweien. Apropos, haben Sie auf Ihrer letzten Reise einige Jagden mitgemacht?«

»Nein, Sie wissen ja, ich hatte keine Zeit dazu.«

»Sonst – haben Sie keine Bekannten unterwegs getroffen?«

»Sonst? – ah so, Sie meinen außer dem Monsieur Bertrand und seiner schönen Frau,« erwiderte Herr von Zühbig, und ein eigenes Lächeln zuckte um seine Lippen. Er wußte jetzt, wo hinaus sein teilnehmender Freund wollte, und mit einigem trocknen Humor, den er besaß, fühlte er sich gerade in der Stimmung, ein halb Stündchen Zeit damit zu töten, Herrn von Silberglanz ein wenig zu dupieren. Er konnte ihn außerdem nicht leiden – vielleicht nur weil ihn Frau von Zühbig protegierte – vielleicht, weil er im stillen den neugebackenen Adel mit Geringschätzung betrachtete. Viele, sehr viele der Hautevolee, Herr von Zühbig nicht ausgenommen, würden sich auch wenig um den jungen Baron mit seinem unangenehm eitlen Wesen gekümmert und ihn vollständig links liegen gelassen haben, wenn – sie ihn eben hätten entbehren können. Herr von Silberglanz war aber sehr reich und gegen den hohen Adel – zu dem zu gehören er den größten Stolz fühlte – sehr liberal, und die Konsequenz daraus ist leicht zu ziehen.

Herr von Zühbig brauchte ebenfalls sehr häufig Geld, und je nachdem dieses Bedürfnis stieg oder sank, stieg und sank auch zugleich sein Freundschaftsthermometer für den Baron. Ganz fallen lassen konnte er ihn aber nie, und unter vier Augen oder im kleinen Familienkreise war er die Herzlichkeit selber; öffentlich jedoch machte er keinen Staat mit ihm und vermied ihn, wo es nur irgend schicklicherweise geschehen konnte.

»Nein, lieber Freund,« setzte von Zühbig deshalb, wie sich besinnend, hinzu, »nicht daß ich wüßte. Keinesfalls irgend eine hervorragende Persönlichkeit, für die Sie sich besonders interessieren würden.«

»Eigene Sache das, mit jenem Monsieur Bertrand und seiner Frau!« sagte Silberglanz nach einer kleinen Pause, in der er an seinem Madeira langsam gesogen.

»Höchst eigen, in der Tat!« erwiderte von Zühbig, seinem Beispiele folgend.

»Daß sich der Mann zu einer solchen Rolle hergibt!«

»Er wird es bald satt bekommen.«

»Und die Frau?«

»Hat es schon lange satt.«

»Glauben Sie wirklich?«

»Lieber Silberglanz, von glauben kann keine Rede mehr sein, wenn es einem mit dürren Worten gesagt wird.«

»Aber das erwähnten Sie doch nicht?«

»Weil ich vor meiner Frau von jener Georgine so wenig wie möglich sprechen wollte, denn das arme Kind ist fabelhaft eifersüchtig und oft ohne den geringsten Grund; wahrhaftig, Baron, ohne den geringsten Grund. Apropos, Silberglanz, Sie Schelm Sie! ich habe ja gar nicht gewußt, daß Sie in so genauer Verbindung mit der Bertrand gestanden haben.«

»Ich, lieber Zühbig? Bitte, sprechen Sie nicht so laut, der Kellner da drüben spitzt die Ohren schon, das – war auch gar nicht der Fall.«

»Bst, bst, Männchen, keine Flausen!« drohte ihm von Zühbig lächelnd mit dem Finger, »wenn eine Frau einmal das eingesteht, was mir die schöne Georgine eingestanden hat, da ist's nachher nicht mehr richtig, und mir machen Sie in der Hinsicht nichts mehr weis. Aber was geht's mich an! das ist eine Sache, die jeder mit sich selber auszumachen hat, und ich wäre der letzte, der Sie deshalb tadelte.«

»Aber was hat sie Ihnen nur gesagt?« flüsterte der Baron, dem jetzt selber daran lag, etwas zu erfahren, von dem er fast überzeugt war, daß es ein Mißverständnis sein müsse, hätte ihn von Zühbigs Ruhe und Sicherheit nicht wieder irre gemacht. »Was kann sie Ihnen um Gottes willen gestanden haben?«

»Daß sie sich unglücklich in dem Verhältnis fühle, und daß ihr ein Freund fehle!« flüsterte von Zühbig.

»Ein Freund?«

»Ja – noch einer,« sagte der Intendant. »Zwei hat sie, die scheinen ihr aber noch nicht genug zu sein – sie sagte, sie müßte jemanden haben, der es ehrlich mit ihr meinte.«

»Ehrlich?«

»Nun, das sind die Redensarten.«

»Aber was habe ich damit zu tun?«

»Sie sagte mir ferner,« fuhr von Zühbig fort, »daß sie hier in der Residenz eine Bekanntschaft gemacht habe – aber Verhältnisse wären damals störend dazwischen getreten – sie nannte keinen Namen, aber sie versicherte mir, das sei ein Ehrenmann gewesen.«

»Da war ja aber von mir noch immer keine Rede.«

»So? aber kurz vorher hatte sie mich gefragt, ob ich einen gewissen Baron von Silberglanz in der Residenz kenne, und als ich es bejahte und ihr versicherte, daß er zu meinen speziellen Freunden gehöre, wurde sie so rot, wie Blut nur machen kann.«

»In der Tat?«

»Und als ich fortging und uns ihr – Mann einen Augenblick verlassen hatte, trug sie mir wohl keinen Gruß an Sie auf, he? und hat mir wohl nicht dabei freundlich gesagt, ich möchte den Namen ihres stillen Aufenthalts Schildheim nicht vergessen?«

»Hat sie das in der Tat?« sagte von Silberglanz, und wie in Gedanken leerte er sein Glas Madeira und schlug mit dem Messer daran, es von dem herbeischnellenden Garcon wieder füllen zu lassen.

»Ich denke doch,« sagte von Zühbig, als der Kellner mit dem Glase durch die Büfettür verschwunden war, »daß eine Dame eigentlich nicht gut mehr zu verstehen geben könnte.«

Baron von Silberglanz schüttelte lächelnd mit dem Kopfe. »Und doch haben Sie die Donna falsch verstanden,« sagte er, »sie hat mich auf keinen Fall damit gemeint – wahrscheinlich den Grafen selber. Sie weiß, daß Sie mit ihm befreundet sind, und wünscht, allem Vermuten nach, ihn auf eine feine Weise wissen zu lassen, daß sie – eben Langeweile hat.«

»Lieber Freund!«

»Ich gebe Ihnen mein Wort, nicht anders. Und wenn's wirklich anders wäre, was hilfe es mir. Jener Ort – Schildheim nannten Sie ihn?«

»Jawohl.«

»Nun ja, jener Ort liegt Gott weiß wie weit von hier entfernt – im Mecklenburgischen, nicht wahr?«

»Allerdings.«

»Nun sehen Sie, und vielleicht weit von einer Eisenbahn?«

»Etwa sechs Stunden zu fahren.«

»Entsetzlich – aber das ist ja kaum möglich. Da irren Sie sich, lieber Zühbig. In letzter Zeit sind mehrere Eisenbahnen dort gebaut, daß man wohl kaum sechs Stunden von einem Gleis zum andern hat. Sechs Stunden vielleicht zu gehen.«

»Bitte um Verzeihung; zu fahren.«

»Wie heißt denn die nächste Station?«

»Kolbendorf,« erwiderte von Zühbig, und mußte sich Mühe geben, das Lächeln zu verbergen, das ihm wider Willen um die Lippen zuckte. Er durfte natürlich nicht merken, daß von Silberglanz alle nötigen geographischen Kenntnisse unter der Hand zu sammeln wünsche.

»Lauter fremde Namen,« sagte der Baron gleichgültig. »Ja, wenn der Ort auf meinem Wege nach Paris läge, machte ich vielleicht des Spaßes halber auf der Hin- oder Rückreise einen Abstecher da hinüber.«

»Wollen Sie nach Paris, Baron?«

»Ich muß dahin – in Geschäften für meinen Papa, den alten Baron. Die Zeit ist aber noch nicht bestimmt und hängt eben von Umständen ab. Wahrscheinlich werde ich den Rest des Winters dort zubringen.«

»Ach, da beneide ich Sie; wer da mit könnte!« seufzte von Zühbig, indem er von seinem Sitze aufstand und an sein Glas schlug.

»Sie wollen schon fort?«

»Ja, ich werde nervös, wenn ich noch länger hier in dem einsamen Keller sitzen bleibe. Ich habe schon jetzt ein Gefühl, als ob wir durch irgend einen tückischen Zufall verschüttet wären und nun erst, nach einigen tausend Jahren, bei gelegentlicher Bohrung eines Brunnens als getrocknete Ueberreste eines vorsündflutlichen Menschengeschlechts wieder an die freie Luft gebracht würden. Hier, Garcon, für Ihren frischen Madeira und alten Kaviar der Sündenlohn – das für Sie, für schlechte Behandlung – au revoir.«

»Danke untertänigst,« lächelte der Kellner.

»Aber so warten Sie doch nur einen Moment!« rief von Silberglanz, seinen Wein rasch austrinkend, »ich begleite Sie.«

»Sehr wohl,« sagte von Zühbig, dem daran nicht einmal besonders viel lag; der Baron war aber bald an seiner Seite, und die beiden Männer stiegen zusammen die Kellertreppe hinauf, die sie wieder in Licht und Sonnenschein und an die frische, wenn auch kalte Luft führte.

Als sie das Trottoir betraten, ritt ein Kürassieroffizier im Schritt vorüber, ohne sie jedoch zu sehen. Er hielt den Zügel locker in der Hand und sah ernst und schweigend, den Kopf weder rechts noch links drehend, vor sich nieder.

»Graf Geyerstein,« flüsterte der Baron seinem Begleiter zu, und als ob der Graf seinen ausgesprochenen Namen gefühlt habe, denn die Klänge des gelispelten Wortes konnten sein Ohr nicht erreichen, drehte er langsam den Kopf nach ihnen um. Die beiden Herren lüfteten die Hüte; der Graf erwiderte den Gruß, indem er seinen Arm nur etwas hob, und ritt vorbei.

»Wetter auch,« sagte von Zühbig, »wie blaß und elend Geyerstein geworden ist, seit ich ihn nicht gesehen habe! Ich hätte ihn fast gar nicht wiedererkannt.«

»Sehnsucht nach Urlaub vielleicht,« schmunzelte Silberglanz. »Es geht doch nichts über eine freie, ungebundene Existenz.« Und seinen Arm vertraulich in den von Zühbigs legend, wollte er mit ihm die breite Hauptstraße hinaufschlendern. Daran lag aber diesem nichts.

»Sie wollen dort hinauf?« sagte er.

»Wohin Sie gehen; die Richtung ist mir vollkommen gleichgültig. Bis zum Diner habe ich weiter gar nichts vor.«

»Aber ich desto mehr, bester Freund,« erwiderte der Intendant. »Sie haben recht, es geht nichts über eine freie, ungebundene Existenz, ich aber gehöre mit zu jenen armen, geknechteten Menschenkindern, die nicht einmal eine eigene Zeit besitzen. Ich muß noch einmal auf mein Bureau, um einige Briefe zu beantworten.«

»Schön, dann begleite ich Sie wenigstens bis zur Tür,« sagte der nicht so leicht abzuschüttelnde Silberglanz, und dagegen konnte Herr von Zühbig nichts einwenden. Das Theater lag aber nur eine sehr kurze Strecke von dort entfernt, und hier verabschiedete sich denn wirklich der Baron, irgendwo auf der Promenade einen andern Bekannten aufzutreiben, dem er sich in Ermangelung Zühbigs anhängen konnte.

23.

Wir haben Georg verlassen, als damals der alte Tobias auf seinen Befehl aus dem Hofe gejagt wurde. Damit war er allerdings für den Augenblick den Burschen los; daß dieser aber, über die Behandlung wütend und von Branntwein und Aerger aufgeregt, ins Dorf hinabgehen und dort sein Geheimnis ausschreien würde, ließ sich voraussehen – und was dann? Wie unangenehm mußte selbst hier auf dem Gute Georgs Stellung werden, wenn die Bauern von Schildheim, ja, seine eigenen Knechte erfuhren, daß er unter einem angenommenen Namen hierher gekommen wäre! und wie erst sollte sich sein Verhältnis zu den benachbarten Gutsbesitzern stellen, wenn aus dem Baron von Geyfeln der frühere Kunstreiter Monsieur Bertrand wurde? Er selber hätte sich vielleicht darüber hinweggesetzt, aber würde Georgine dieses einsame Leben ertragen, wenn sie von da an nur auf ihre eigene Familie angewiesen blieb?

Selbst der frühere Besuch von Zühbigs – wenn auch seit der Zeit Wochen vergangen waren – kam ihm wieder ins Gedächtnis und zeigte ihm mehr und mehr, daß sein Geheimnis bald kein Geheimnis mehr bleiben würde. Die Bosheit des alten Possenreißers und der Zufall hatten sich in die Hände gearbeitet, und er sah mit recht bitteren, sorgenden Gefühlen der Zukunft entgegen.

Vor allem mußte er aber jetzt erfahren, was unten im Dorfe vorgefallen sei oder noch geschehe, und er schickte deshalb den Verwalter mit einem gleichgültigen Auftrage zum Sternenwirt hinunter. Dort sollte er nebenbei anfragen, ob Mühler im Krug noch eingekehrt oder seinen Weg gleich weiter gezogen sei.

Das abgemacht, setzte er sich hin und schrieb einen ausführlichen Brief über die Erlebnisse der letzten Wochen, besonders über sein Begegnen mit Herrn von Zühbig, an Wolf und sprach darin die Befürchtung aus, daß seine Stellung hier nicht lange mehr haltbar sein würde; denn zogen sich die benachbarten Gutsbesitzer von ihm zurück, so sah er voraus, wie unglücklich sich Georgine fühlen und ihm das Leben dann auf jede Art verbittern würde. In dem Briefe teilte er aber auch dem Bruder mit, daß ihn Karl, der Neffe des Alten, heimlich verlassen habe und er jetzt fest entschlossen sei, nach dem Vorhergegangenen, möge sich Georgine darüber gebärden, wie sie wolle, den alten Mühler selbst nicht wieder bei sich aufzunehmen.

Den Brief sandte er durch einen besonderen Boten auf die nächste Postexpedition, sagte aber Georginen noch nichts von dem Vorfalle mit ihrem Vater. Da der Alte, wie es nicht anders sein konnte, das Geheimnis Georgs ausgeplaudert hatte, so war es mehr als wahrscheinlich, daß er selber gar nicht beabsichtigte, zurückzukehren, und in dem Falle vermied Georg eine fatale Erörterung mit der überhaupt leicht reizbaren Frau. Solange das umgangen werden konnte, sollte es geschehen.

Ungelegen kam ihm in dieser Zeit gerade eine kleine Reise, die er in Geschäften machen mußte. Diese betraf aber seinen Getreideverkauf und ließ sich nicht länger aufschieben, und die Abreise war schon auf den nächsten Morgen angesetzt. Die Vorbereitungen dazu nahmen auch jetzt seine Zeit in Anspruch, und damit beschäftigt, suchte er das unangenehme Gefühl zu bewältigen, das ihn immer und immer wieder beschleichen wollte, wenn er an den letzten Auftritt mit dem alten Trunkenbold zurückdachte.

Der Verwalter war indessen in das Dorf hinabgegangen und erfuhr dort bald Mühlers letzte Erlebnisse in Schildheim. Ohne daß er eine Frage danach tat, erzählte ihm der Wirt, wie der »Schwiegervater vom Gute« heute nachmittag bei ihm vier Flaschen Wein mit dem faulen Tobias getrunken und – nicht bezahlt habe, und dann mit einem Bündel in der Hand den Weg am See entlang marschiert sei. Er wollte dabei vom Verwalter wissen, ob der Schwiegervater wiederkomme oder nicht; der Verwalter beruhigte ihn indes darüber, denn seines Wissens hatte Mühler allerdings nur eine kleine Reise vor, von der er vielleicht schon in zwei oder drei Tagen zurück wäre. Vom Krug aus ging der Verwalter, ehe er nach dem Gute zurückkehrte, am Bache hinauf. Er hatte dort in der letzten Woche Weiden schneiden lassen und wollte sehen, was da noch zu tun wäre. Der Bach war durch die letzte milde Witterung ziemlich angeschwollen. Das Wetter änderte sich aber; seit Mittag wurde die Luft auffällig kälter, und einzelne Flocken aus dem grauen Himmel verkündeten einen Schneefall für die Nacht. Der Verwalter schritt rasch am Bache entlang, ohne sich länger als irgend nötig an den einzelnen Stellen aufzuhalten, und dort angelangt, wo das schmale Wasser eine scharfe Biegung nach Norden machte, wollte er sich eben wenden und in gerader Richtung wieder nach dem Gute hinaufschneiden, als seine Aufmerksamkeit auf einen in seinem Wege liegenden Gegenstand gelenkt wurde. Es war ein alter Hut, der dort, unter einem Weidenbaume auf der Wiese, etwa drei oder vier Schritt vom Wasser entfernt, lag. Er blieb einen Augenblick dabei stehen und drehte ihn mit dem Fuße um; die fragliche Kopfbedeckung sah aber so schäbig und abgenutzt aus, daß er sich nicht zu wundern brauchte, wenn den der Eigentümer in Ekel fortgeworfen hatte – eher war es ein Rätsel, daß er ihn noch so lange getragen. Die Schneeflocken wurden auch schärfer, der Wind setzte mit größerer Härte ein, und seine Hände in die Taschen schiebend, eilte er, so rasch er konnte, den schützenden Gebäuden des Gutes wieder zu.

In der Nacht fiel ein tüchtiger Schnee. Der Förster schickte allerdings einen Boten aufs Gut, daß er zwei Füchse stecken habe, und ob der Herr Baron nicht herauskommen wolle, diese zu schießen; Georg aber hatte seine Abreise auf neun Uhr festgestellt, und der Schlitten hielt zur bestimmten Zeit vor der Tür.

Georg hatte mit seiner Frau schon am vorigen Abend seine Reise und die Zeit seiner Abwesenheit besprochen. Als er an diesem Morgen von ihr Abschied nehmen wollte, war sie gerade mit Ankleiden beschäftigt und ließ sich nicht darin stören. Georg ging zu Josefinen hinüber, um ihr Adieu zu sagen. Die Kleine saß bei ihrer Erzieherin am Schreibtisch und arbeitete fleißig. Der Vater nickte ihr freundlich zu und trat dann, während Mademoiselle Adele aufstand, näher zum Tische.

»Es tut mir leid, daß ich Sie störe, Mademoiselle! bitte, behalten Sie Ihren Platz – aber ich werde drei oder vier Tage in Geschäften abwesend sein und wollte nur Josefinen Adieu sagen. Leider bin ich gerade in der letzten Zeit gar zu sehr beschäftigt gewesen, mich viel mit ihr abzugeben. Sind Sie noch zufrieden mit ihr?«

»Recht sehr zufrieden,« antwortete das junge Mädchen aus vollem Herzen. »Josefine ist ein braves Kind und macht mir viel, viel Freude; ich darf das wohl in ihrem Beisein sagen.«

»Sie glauben nicht, Mademoiselle, wie große Freude Sie mir mit dieser Nachricht machen, und dir, Josefine, danke ich besonders dafür. Leid hat es mir bis jetzt auch immer getan, daß du so allein, ohne Spielgefährtin, besonders den langen Winter hier verbringen mußtest, und ich will dir jetzt zeigen, daß ich auch dankbar für dein gutes Betragen sein kann. Sie werden bald noch einen Zögling bekommen, Mademoiselle. Der Geistliche in Sostheim ist gestorben. Sie wissen, er war schon ein Jahr Witwer und hat ein Töchterchen in Josefinens Alter hinterlassen. Das arme kleine Wesen ist dort von der Gemeinde einer Familie zugeteilt worden, in der es sich nicht wohl fühlt, sich nicht wohl fühlen kann. Ich habe deshalb beschlossen, es zu mir zu nehmen und mit meinem Kinde zu erziehen. Meine Frau ist allerdings noch nicht damit einverstanden und glaubt vielleicht, daß wir dadurch zu große Verantwortlichkeit auf uns nehmen. Sie wird sich aber leicht darein finden, wenn sie die liebe kleine Marie erst kennen lernt.«

»Marie heißt sie?« rief Josefine rasch und errötend.

»Ja, mein Kind.«

»Und ich will ihr gern,« sagte Adele herzlich, »die Mutter zu ersetzen suchen, soweit das in meinen Kräften steht. Ich glaube auch mit Ihnen, Herr Baron, daß solche Gesellschaft einen glücklichen und segensreichen Einfluß auf Ihre Tochter ausüben wird – nicht gerechnet das gute Werk, das Sie an der verlassenen Waise üben.«

»Ich komme jetzt dort in die Nähe,« fuhr Georg fort, »und werde das Kind wahrscheinlich gleich mitbringen. Haben Sie die Güte, alles vorzubereiten, daß es hier eine freundliche Heimat findet. Und du wirst gut mit deiner neuen Schwester sein, Josefine?«

»O gewiß, Papa, gewiß,« rief die Kleine, die Hände zusammenschlagend, »ich freue mich so sehr – so sehr auf die – Marie!«

»So bleibe denn hübsch brav, bis ich wiederkomme, und folge der Mademoiselle in allen Dingen. Sie meint es gut mit dir. Ich selber,« wandte er sich dann an die Erzieherin, »werde in drei, spätestens vier Tagen zurück sein, leben Sie wohl bis dahin.« Und seiner Tochter freundlich zunickend, verließ er das Zimmer.

»Wird der Schlitten gehen?«

»Gewiß,« sagte der Kutscher, »trotz dem Tauwetter ist doch noch alter Schnee genug liegen geblieben, und heute nacht hat es eine tüchtige Partie frischen darauf geworfen. Jedenfalls geht es besser als der Wagen.«

Georg stieg ein und warf noch einen Blick nach den Fenstern hinauf. Die Georginens waren verhängt, und Fräulein Adeles Zimmer lag nach dem Garten hinaus, aber sie war mit der Kleinen in die dem Hofe zunächst liegende Stube gekommen, um den Vater abfahren zu sehen. Das Fenster wurde geöffnet, und Josefine bog sich heraus und winkte fröhlich herab. Der Vater grüßte hinauf, und der Schlitten klingelte lustig zum Tor hinaus der breiten, weißgedeckten Straße folgend, und zwar in der entgegengesetzten Richtung von Schildheim fort.

Etwa eine Stunde vom Gute entfernt, begegnete der Schlitten einem leichten Reisewagen. Ein einzelner Herr saß darin, aber so bis unter die Augen in Pelz eingehüllt, daß man seine Züge nicht erkennen konnte. Georg achtete auch nicht auf ihn, denn andere Dinge gingen ihm im Kopfe herum, als sich um gleichgültige Reisende zu bekümmern. Der Fremde aber bog sich, als er an ihm vorüber war, rasch aus dem Wagen hinaus und sah ihm nach, so lange er den Schlitten noch erkennen konnte, dann sich zu seinem Kutscher wendend, sagte er: »Kanntest du den Herrn, der da eben an uns vorüberfuhr?«

»Das war der Baron vom nächsten Gute Schildheim,« erwiderte der Mann. »Vom Dorfe Schildheim, wohin ich Sie fahren soll, liegt es kaum zehn Minuten oder ein Viertelstündchen entfernt. Sie wollten wohl den Herrn Baron besuchen?«

»Nein,« sagte der Fremde, »überdies bleibe ich einen Tag in Schildheim, und wenn ich ja noch hinübergehen wollte, ist er bis dahin jedenfalls zurück. Er wird wohl nur auf die Jagd gefahren sein.«

Die Sache interessierte den Kutscher zu wenig, und er antwortete nichts darauf, hieb dagegen auf seine Tiere ein, um sobald wie möglich aus dem ihm immer schärfer entgegenwehenden Nordwinde und in die warme Stube zu kommen, wo er die Gewißheit eines Rasttages hatte. Die Pferde griffen tüchtig aus, und bald konnten sie von weitem die roten Dächer des kleinen freundlichen Ortes und die weite Fläche des Sees durch die Bäume herüber schimmern sehen. Der Wagen rollte jetzt in dem flachen Tale hin, und der Kutscher, nach links hinauf deutend, sagte: »Da drüben liegt das Gut, das der Herr Baron gepachtet hat.«

»So? – das ist Schildheim?« sagte der Fremde mit großem Interesse, »also sind wir jetzt auch gleich im Dorfe?«

»Wird nicht mehr lange dauern – da vorn liegt's schon,« sagte der Kutscher, und während er mit leisem Schnalzen die Peitsche schwang, legten sich die Pferde von selber mehr in den Zug, als ob sie den ihrer wartenden Hafer und den warmen Stall schon witterten. Es dauerte auch nicht lange, so erreichten sie die ersten Außengebäude, und bald darauf hielt das leichte Fuhrwerk vor dem Stern, an dem sie der Wirt mit abgezogenem Käppchen bewillkommnete und Gast wie Pferden vortreffliches Unterkommen versprach. Zu gleicher Zeit kam von der andern Seite die Briefpost durch das Dorf, hielt am Wirtshause, um die Briefe für Dorf und Gut abzugeben, und rasselte dann weiter. Ein Knecht aber, der um diese Zeit immer vom Gute herabgeschickt wurde, etwa eingetroffene Briefe und Zeitungen in Empfang zu nehmen, tat die erhaltenen Papiere in einen hierzu bestimmten ledernen Beutel und wollte damit ungesäumt nach Hause zurückkehren, als er von jemandem angerufen wurde. Er drehte sich nach der Stimme um und sah den Schulzen mit dem Müller und noch zwei anderen Bauern, die ihm winkten und dann zu ihm herankamen.

»Hör' einmal, Gottlieb,« sagte der erstere, als sie nahe genug waren, sich verständlich zu machen, »was habt Ihr denn gestern auf dem Gute mit dem Tobias angefangen?«

»Wir?« lachte der Knecht, »an die Luft haben wir ihn gesetzt, wie es uns der gnädige Herr geheißen!«

»Wieso, an die Luft gesetzt?«

»Nun, vors Tor gebracht und laufen lassen. Er war so betrunken, daß er kaum stehen konnte. Hat er uns verklagt?«

»Nein, das nicht,« sagte der Schulze, »habt Ihr ihm weiter nichts zuleide getan?«

»Nicht das geringste,« erwiderte der Knecht. »Er schimpfte wohl und räsonnierte in einem fort; aber was ist mit einem besoffenen Menschen anzufangen?«

»Und was machte er, als Ihr ihn vor das Tor setztet?«

»Erst schimpfte er und wollte wieder zurück, dann aber, als wir ihm drohten, drehte er sich um und torkelte seiner Wege. Wir haben uns nicht weiter um ihn bekümmert.«

»Und der Baron auch nicht?«

»Der Baron?«

»Hat sich auch nicht weiter um ihn bekümmert?«

»Wird sich der mit dem betrunkenen Menschen einlassen!« lachte der Knecht. »Was ist denn aber los, daß ihr alle miteinander so lange Gesichter schneidet?«

»Weiter nichts,« sagte der Müller, »als daß mein Schwiegervater, seit Ihr ihn oben aus dem Gute gejagt habt, nicht wieder, weder hier im Dorfe noch irgendwo anders gesehen worden ist.«

»Und er wäre die Nacht nicht nach Hause gekommen?«

»Mit keinem Schritt.«

»Und im Wirtshause ist er auch nicht gewesen?«

»Nein.«

»Dann ist er sicher unter irgend einem Baume umgefallen und eingeschlafen,« meinte der Knecht, »aber jedenfalls hätte ihn doch heute morgen die Kälte wecken müssen.«

»Wenn ihn die Kälte die Nacht über nicht umgebracht hat,« sagte der Schulze. »Weshalb habt Ihr ihn denn vom Hofe gejagt?«

»Ich weiß es nicht,« erwiderte Gottlieb, »er ist wohl unverschämt gegen den gnädigen Herrn gewesen, denn er war oben bei ihm im Zimmer und hatte ein schrecklich großes Maul, wie uns der Baron hinaufrief; der war aber ganz ruhig und befahl uns nur, wir sollten den Besoffenen vors Tor bringen und nicht wieder ins Gut lassen.«

»Na, Müller,« sagte der Schulze, »wenn ihm wirklich etwas Menschliches begegnet wäre, könntet Ihr Euch trösten – und das Dorf auch. Freude hätten wir an dem Tobias nicht mehr erlebt.«

»Das ist wohl wahr,« sagte der Müller, »und die Haare würde ich mir deshalb nicht ausraufen. Es bleibt aber doch immer meiner Frau Vater, und daß mir die Leute später nachsagten – wenn's auch nicht wahr wäre – daß ich ihn draußen auf der Straße hätte liegen und umkommen lassen, das könnt Ihr ebenfalls glauben.«

»Dann beruft Euch nur auf uns hier im Dorfe, Müller,« beruhigte ihn der Schulze. »Ihr habt an dem faulen Strick getan, was kein anderer getan hätte, und braucht Euch wahrhaftig keine Gewissensbisse darüber zu machen. Jetzt wollen wir indessen einmal die Gemeinde aufbieten und sehen, ob wir nicht herausbekommen können, was aus ihm geworden ist. Weit kann er auf keinen Fall gestern mehr gelaufen sein, und ist ihm ein Unglück passiert, so müssen wir ihn ganz in der Nähe finden.«

Die Gemeinde wurde zusammengerufen; als Sammelplatz gab es natürlich keinen andern und passenderen Ort als den Krug, und hier füllte sich indessen auch die Gaststube mehr und mehr mit eintreffenden und eifrig debattierenden Bauern. Sobald die Gemeinde vollzählig war, wollte man ausrücken. Der hatte aber noch dies, jener das zu Hause zu tun; andere waren auf dem Felde draußen und mußten erst hereingeholt werden, und die Leute im Wirtshause konnten indessen ihre Zeit nicht besser verwerten, als daß sie Bier tranken und ihre Pfeifen in Brand hielten.

Das Gespräch drehte sich dabei natürlich ausschließlich um den »faulen Tobias«, sein früheres und sein jetziges Leben, seine guten und seine bösen Seiten, und man kam, trotz allen seinen Fehlern, doch zu dem Resultat, daß man wünschte, es möchte ihm kein Unglück geschehen sein. – Im stillen hoffte freilich doch ein jeder, daß er nicht wieder zum Vorschein käme, denn er war in der letzten Zeit dem Dorfe eine Last geworden.

Eine volle Stunde war mit solchen Vorbereitungen vergangen, und noch immer fehlten einige. Der Schulze aber erklärte, daß sie jetzt nicht länger warten könnten, rief die Leute in der Stube zusammen und wollte sie eben einteilen, wie sie nach verschiedenen Richtungen hin ausgehen und ihnen angewiesene Distrikte absuchen sollten, als der Verwalter in die Stube trat.

»Hört einmal, ihr Leute,« redete dieser die Bauern an, »wie mir eben der Gottlieb sagt, vermißt ihr den Müllers-Tobias seit gestern. Ist dem so?«

»Ja, Herr Verwalter,« sagte der Schulze, »wir wollen eben fort und ihn suchen.«

»Dann geht vor allen Dingen einmal am Bache hinauf,« sagte der Verwalter, »ihr wißt, dort, wo das Wasser die scharfe Biegung macht und die beiden Steine stehen, auf denen früher einmal eine hölzerne Bank lag.«

»Ist er dort?« riefen einige durcheinander.

»Das weiß ich nicht,« sagte der Verwalter, »aber als ich gestern abend dort hinauf ging, um nach den Kopfweiden zu sehen, fand ich nicht weit vom Ufer einen alten Hut, der recht gut dem Tobias gehört haben kann. Ich habe allerdings nichts weiter von ihm gesehen und mich gestern abend, an keinen Unfall denkend, auch nicht länger dort aufgehalten, denn das Wetter war mir zu schlecht; aber ich fürchte fast, wenn ihm irgend etwas zugestoßen ist, war's an der Stelle. Ist's euch recht, gehe ich mit, und finden wir dort nichts, so könnt ihr euch ja nachher noch immer einteilen und die Nachbarschaft ordentlich absuchen.«

Gegen den Vorschlag ließ sich nichts einwenden, gab er ihnen doch ein bestimmtes Ziel, und die ganze Schar brach lärmend auf, den bezeichneten und nicht sehr entfernten Platz, den sie alle recht gut kannten, sobald als möglich zu erreichen. Als sie vor das Wirtshaus kamen, sahen sie einen fremden Herrn, der allein den Weg zum Gute einschlug.

»Wer ist das, Verwalter?« fragte diesen der Schulze.

»Ich weiß es nicht,« lautete die Antwort. »Jedenfalls ein Fremder, der den Baron zu sprechen wünscht – da kommt er aber zu spät, denn der ist heute morgen verreist.«

»Vielleicht ein Bekannter von der Herrschaft?«

»Möglich.«

»Er ist vor etwa einer Stunde aus dem Lande unten heraufgekommen,« sagte einer der Bauern, »muß auch wohl etwas hier im Orte zu tun haben, denn sein Kutscher sagt, daß er einen Tag hier bleiben wolle.«

»Dann müßte er aber ja unserm Herrn begegnet sein!«

»Vielleicht ein Getreidehändler – die reisen jetzt im ganzen Lande umher, das liebe Gut aufzukaufen, und wenn sie's uns um einen Spottpreis abgeschwatzt haben, machen sie nachher ihre eigenen Preise und treiben's in die Million 'nauf.«

Aber die Leute hatten jetzt andere Dinge im Kopfe, als sich diesen über den Fremden zu zerbrechen. Rechtsab bogen sie von der Straße, dem Wasserkurs aufwärts folgend, und während einige der jüngeren Burschen lange Stangen mit Haken trugen, den Bach damit auszufühlen, liefen andere voraus, um den Hut wiederzufinden und sich damit der genauen Stelle zu versichern, in deren Nachbarschaft sie den armen Teufel vielleicht doch noch auf trockenem Boden antreffen konnten.

Mit dem Hute hatte es indessen einige Schwierigkeit. Der in der letzten Nacht ziemlich dicht gefallene Schnee deckte alles mit seiner weichen, ausgleichenden Masse, und so genau konnte der alte Verwalter die Stelle ebenfalls nicht angeben, denn er erinnerte sich nur ungefähr des Platzes. Während aber einige am Ufer auf und ab liefen und jeden Baum untersuchten, klopften andere auf jede kleine Erhöhung im Schnee und stocherten sie auf, bis sie endlich wirklich den alten Hut fanden. Er wurde von dem Müller augenblicklich als Tobias' Eigentum anerkannt, und die Arbeiter begannen jetzt den Bach abwärts von dort mit den Stangen nachzusuchen. Leider bewährte sich hier, was der Müller gleich von Anfang an gefürchtet. Gleich wo sie begannen, und der Stelle genau gegenüber, an welcher der Hut gelegen, trafen die eingeworfenen Stangen auf die Leiche, die von einem Gegenstande unter Wasser festgehalten wurde. Man mußt sie mit einiger Gewalt ans Ufer ziehen, und dabei hob sich ein alter Weidenast mit aus dem Wasser, der sich fest in den Rock des Unglücklichen verwickelt hatte. Die Ursache seines Todes war deshalb auch allen klar; er mußte, jedenfalls im Trunke, hier den Weg verfehlt haben und in das Wasser hineingetaumelt sein, dessen Ufer er doch wohl wieder erreicht hätte, wenn ihn eben nicht der zähe, elastische Zweig daran verhinderte. Ueberdies seiner Sinne nicht mächtig und mit dem geschwächten Körper, ließ es sich leicht erklären, daß er selbst in dem schmalen und eben nicht tiefen Bache ertrinken konnte.

Die Männer hoben die Leiche schweigend aufs Trockene, und einige der mitgebrachten Seile quer zwischen die beiden Stangen bindend, machten sie eine Art von Bahre daraus, auf der sie den alten Tobias ins Dorf und in die Mühle hinabtrugen.

24.

Georgine war angekleidet und saß über einen Brief brütend in ihrer Stube, deren Riegel sie vorgeschoben hatte. Wieder und wieder las sie das Schreiben durch, und dann, als ob ihr der Inhalt keine Ruhe lasse, sprang sie auf und ging mit festverschränkten Armen und raschen Schritten in dem Gemache auf und ab.

»Und wer könnte mich tadeln, wenn ich meinem Willen folgte?« murmelte sie dabei leise vor sich hin. »Liebt das gefangene Tier nicht seine Freiheit und sucht sie wieder zu erlangen, wie viel mehr denn der Mensch, dem die Natur nicht umsonst den kühnen Geist gegeben! – Und bin ich weniger als eine Gefangene in diesem öden, abgelegenen Hause, das ich nur wie der an einen Faden gebundene Vogel verlassen darf, um hierher zurückzukehren, wenn es meinem Herrn gefällt, mich wieder an dem Faden einzuziehen? Gift und Tod!« zürnte sie, und die dunklen Augen sprühten Feuer, die Lippen preßten sich zusammen, und der kleine Fuß stampfte ungeduldig, wild den Boden.

»Und jetzt gerade – jetzt kommt der Brief, wo Georg – und ich kann nicht fort. Ohne Geld – ohne Paß, eine Frau allein mit ihrem Kinde. An den Stäben darf ich rütteln, an den Stäben, die mich halten, und meinem Zorn darf ich Luft machen, heimlich – heimlich, daß es niemand hört, und das ist Georgine – das ist die kühne Reiterin – das ist die Frau, die ihr Schicksal nur deshalb an diesen Georg Bertrand fesselte, weil er noch kühner war als sie, und die sich jetzt von ihm an den Pflug spannen läßt, den Acker für das tägliche Brot als Bäuerin zu lockern.« Ein leises Klopfen an der Tür unterbrach sie, und rasch den Kopf danach umdrehend, rief sie: »Wer ist da?«

»Ich bin's,« sagte die Wirtschafterin, und zu gleicher Zeit versuchte eine Hand die Tür zu öffnen, was jedoch der vorgeschobene Riegel verhinderte.

»Was wollen Sie?«

»Ein fremder Herr ist da,« lautete die Antwort, »der erst nach dem Herrn Baron gefragt hat und dann die Frau Baronin zu sprechen wünschte. Er hat mir seine Karte gegeben, und ich habe ihn so lange in das Besuchszimmer geführt, aber es ist dort nicht eingeheizt.«

Georgine ging zur Tür, schob den Riegel zurück und nahm die Karte, die sie leise las: »Baron Hugo von Silberglanz?«

»In des Herrn Barons Zimmer ist es noch warm,« fuhr dabei die Wirtschafterin fort, »aber da hinein durfte ich ihn ja doch nicht bringen, denn da liegen immer so viele Papiere herum, und der Herr Baron hat's auch nicht gern.«

»Nein – versteht sich,« sagte Georgine, die Karte noch immer kopfschüttelnd in der Hand, »schicken Sie mir doch das Mädchen, daß es hier ein wenig aufräumt, und gehen Sie dann zu dem fremden Herrn hinüber und bitten ihn, ein wenig zu verziehen – nachher bringen – Sie ihn hier in mein Zimmer.«

»Soll gleich besorgt werden, gnädige Frau,« sagte die Wirtschafterin, indem sie geschäftig nach ihrem Schlüsselbund griff, »und doch wohl ein bißchen Frühstück besorgen, wenn es ein alter Bekannter ist?«

»Frühstück? – ich weiß es nicht – warten Sie damit, bis ich klingeln und danach verlangen werde – ich kenne den Herrn gar nicht.«

Die Wirtschafterin ging, und Georgine blieb in einem eigenen Zustande von Zweifel und Staunen zurück.

»Baron Silberglanz?« sagte sie leise, »ist das nicht derselbe fade Mensch, der mich in *** mit seinem zudringlichen Wesen verfolgte, und was hätte den hierher zu uns geführt? Soviel ich weiß, kennt ihn Georg gar nicht – und sollte er mich suchen? aber woher wüßte er, daß ich hier bin? – Ha, vielleicht ist er ein Bekannter des Grafen Geyerstein und bringt Aufträge oder Briefe von ihm. – Geyerstein,« sagte sie, sich auf ihr Sofa werfend und den Kopf in die Hand stützend, »dieser rätselhafte Mensch – ernst und kalt in seinem ganzen Aeußern, und doch so herzlich gegen Georg. Und sollten die beiden wirklich – doch welchen Grund könnten sie haben, es mir zu verheimlichen – mir, der Frau des einen – aber in welcher Verbindung stehen sie dann zusammen?«

Das Hausmädchen kam herein, räumte die Stube auf und verließ das Zimmer wieder, während Georgine ihren Gedanken nachhing, bis sie durch Stimmen auf dem Gange zu sich selber gebracht wurde. Es war der Fremde, den ihr die Haushälterin zuführte.

»Bitte, treten Sie nur hier ein, Herr Baron; die gnädige Frau erwarten Sie schon.«

»Danke, liebe Frau,« sagte der Fremde, »ich finde mich jetzt schon zurecht.« Und er klopfte leise an die Tür.

»Herein!«

Die Tür öffnete sich, eine elegant gekleidete, sehr schmächtige Gestalt, die den Paletot schon draußen abgelegt hatte, glitt herein und schloß sie augenblicklich wieder, und die feine, schwächliche Stimme des zierlichen Männchens sagte: »So habe ich mich nicht geirrt – Glück ist heute meinen Augen widerfahren, denn sie dürfen die holde Georgine, die Königin der Amazonen, wieder schauen. Gnädige Frau, ich lege mich nicht nur in der leeren Phrase Ihnen zu Füßen« – und den Worten die Tat folgen lassend, hüpfte er auf Georgine zu, ergriff ihre Hand, die er an das zierliche Schnurrbärtchen drückte, und ließ sich vor ihr auf ein Knie nieder.

»Herr von Silberglanz!« sagte Georgine, die ihn jedoch mit der noch immer gehaltenen Hand emporhob, »das ist in der Tat eine Ueberraschung – aber bitte – Sie vergessen, daß wir hier nicht in der Residenz, sondern auf dem Lande sind, und Sie es außerdem nicht mit der holden Georgine, sondern mit der Pachtersfrau, Baronin von Geyfeln, zu tun haben. Ich bedaure übrigens, daß Sie meinen Mann nicht zu Hause treffen, dem doch jedenfalls Ihr Besuch gilt.«

»Soll ich aufrichtig gegen Sie sein, schöne Frau,« sagte Herr von Silberglanz, indem er aufstand, sich sein rechtes Knie mit dem Hute abwischte und den angebotenen Stuhl neben Georginen einnahm, ohne jedoch ihre noch immer gefaßte Hand loszulassen, »wollen Sie mein ganzes Herz offen, ohne ein Fünkchen Falschheit vor sich ausgelegt haben?«

»Ich bin kein Anatom, bester Baron,« sagte Georgine, ihm ihre Hand langsam entziehend, »und doch wäre es vielleicht von Interesse,« setzte sie lächelnd hinzu, »einmal das Herz eines so vollständig zivilisierten Herrn genau studieren zu können, wenn man nur eben auch wüßte, daß man nicht angeführt würde.«

»Göttliche Frau...«

»Ich bitte Sie ernstlich, keine dieser überschwenglichen Anreden mehr, wenn Sie wollen, daß ich Ihnen länger zuhören soll. Sie wissen, daß ich jetzt in anderen Verhältnissen lebe – also, was wünschten Sie mir zu sagen?«

»Teuerste – gnädige Frau,« sagte Herr von Silberglanz bestürzt, »Sie werfen mich nicht allein aus der siebenten Etage aller meiner Himmel, nein, von einem ordentlichen Turme hinunter. Ich kam mit so fröhlichem Herzen...«

»Das zu verlieren Sie bis jetzt noch keine Ursache gehabt haben.«

»Sie geben mir neue Hoffnung!« rief von Silberglanz belebt. »So hören Sie denn – aber verraten Sie mich nicht – daß ich keineswegs Ihres Gatten wegen – den ich gar nicht die Ehre habe, persönlich zu kennen, sondern nur allein Ihretwegen hierher gekommen bin.«

»Meinetwegen?« rief Georgine, mit Recht erstaunt. »Woher wußten Sie überhaupt, daß Sie mich hier treffen würden?«

»Durch Herrn von Zühbig, den Sie hier gastlich aufgenommen.«

»Ich dachte mir, daß der Herr nicht würde schweigen können.«

»Er wäre mehr als grausam gewesen, hätte er es getan. Aber er sagte uns mehr – er sagte uns, daß Sie sich, holde Frau, nicht glücklich in Ihren neuen Verhältnissen fühlen, und da – brach mir das Herz, da konnte ich nicht widerstehen, ich mußte Sie aufsuchen, mußte das selber von Ihren Lippen hören, und Ihnen meine Hilfe anbieten – im Falle Sie dieselbe gebrauchen wollten.«

»Aber woher wußte Herr von Zühbig etwas derartiges?« fragte Georgine erstaunt, »ich habe mit dem Herrn nur im Beisein meines Mannes gesprochen, und keine derartige Klage ist über meine Lippen gekommen.«

»Und muß dem Menschenkenner nur alles mit dürren Worten gesagt werden?« fuhr Herr von Silberglanz fort, »genügt nicht oft ein unbewachter Blick, ein halb unterdrückter Seufzer, selbst eine verzögerte Antwort auf eine dahinzielende Frage?«

»Also aus reiner Teilnahme für mich sind Sie gekommen?« lächelte Georgine. Und wäre Herr von Silberglanz wirklich solch ein Menschenkenner gewesen, wie er eben beschrieb, er hätte das halb höhnische Lächeln, das um die Lippen der jungen Frau spielte, verstehen müssen und nicht zu seinen Gunsten deuten können. So aber fuhr er mit seiner süßesten Stimme fort: »Nur Ihretwegen, holde Georgine, die ganze Reise; nur deshalb, um von Ihren Lippen die Bestätigung zu hören und Ihnen meine Hilfe anzubieten oder das Gegenteil zu erfahren und – selig in dem Bewußtsein, Sie glücklich zu wissen – wieder heimzufahren.«

»Und wie glauben Sie, daß mein Mann eine solche Einmischung in seine Rechte aufnehmen möchte?« sagte Georgine, die indessen aufgestanden war und die Tür geöffnet hatte, um sich zu überzeugen, daß die Wirtschafterin nicht mehr draußen stehe – aber der Gang war leer, und sie nahm ihren Platz wieder ein.

»Er ist verreist – ich bin ihm unterwegs begegnet,« erwiderte Herr von Silberglanz rasch, »er wird sogar, wie ich unten im Dorfe hörte, vor drei, vier Tagen nicht wieder zurückkehren.«

»Das ist allerdings so und hat sich zufällig getroffen. Sie aber mußten doch darauf rechnen, ihn hier zu treffen.«

»Ich habe Glück, gnädige Frau,« schmunzelte Herr von Silberglanz, »wirklich ganz schmähliches Glück, bei allem, was ich angreife, darauf verlaß ich mich stets, und es hat mich noch nie betrogen. Außerdem kennt mich Ihr Herr Gemahl gar nicht persönlich, denn wenn ich Sie in *** aufsuchte, wußte ich es immer so einzurichten, daß er abwesend war. Aber es hätte auch nichts gemacht, wenn ich ihn wirklich zu Hause fand. Um irgend eine Ausrede wäre ich nicht verlegen gewesen; konnte ich mich doch den ganzen Weg hierher darauf vorbereiten, und einmal hätte sich schon die Gelegenheit geboten, Sie allein zu sprechen; ich wäre wenigstens nicht eher wieder fortgegangen. So aber half mir mein altes Glück, und Sie können mir ungestört Ihr Herz ausschütten.«

»Und wenn ich Ihnen nun einfach sage, daß sich jener Herr von Zühbig vollständig geirrt?«

»Dann glaube ich es Ihnen nicht!« rief von Silberglanz schnell. »Ihr bleiches Antlitz, das sonst in Jugendfrische und Gesundheit gerötet war, sagt Nein. Ihre matten Augen, der wehmütige, schmerzkündende Zug um den Mund, das alles spricht lauter, als Sie es selbst bestätigen könnten, für meine Behauptung, und wollen Sie jetzt noch leugnen, daß ich recht habe?«

»Und wenn Sie recht hätten,« sagte Georgine bitter, »was könnten Sie mir helfen?«

»Was ich Ihnen helfen könnte?« rief Silberglanz erstaunt, »ich liebe Sie – sehen Sie mich nicht so finster an, göttliches Weib – ich bin rein toll vor Liebe, sage ich Ihnen – nicht ruhen und schlafen habe ich können, als ich gehört habe, Sie wären unglücklich – keinen Frieden hat's mir gelassen, bis ich im Wagen saß und zu Ihnen durfte. Und was ich Ihnen helfen kann? – ich habe Geld – ich bin reich – mit Geld ist alles zu machen in der Welt. – Was wollen Sie mehr?«

Georgine wandte den Kopf von ihm ab und biß ihre Unterlippe; ihr Stolz empörte sich gegen die Liebeswerbung dieses Menschen, und doch mußte gerade er – gerade jetzt, in diesem Augenblick ihr nahen, wo ihre Fesseln sie ärger drückten als je. Sie fühlte dabei, daß sie ihrer Bewegung nicht länger Meister war – sie mußte Zeit gewinnen, und aufstehend ging sie zur Tür und zog die Glocke.

»Was wollen Sie tun?« rief Herr von Silberglanz erschreckt, denn ein ähnliches Glockenzeichen in solchem Moment bildete eine von den Erinnerungen seines Lebens, bei denen er gerade nicht mit Vorliebe weilte.

»Sie sind so weit gefahren,« antwortete Georgine ruhig, »ich kann Sie doch nicht ohne Frühstück lassen.«

»Aber ich gebe Ihnen mein Wort...«

»Es ist alles vorbereitet – ich danke Ihnen vorderhand für Ihr freundliches Anerbieten – lassen Sie mir Zeit, darüber nachzudenken.«

»Aber wenn Monsieur Bertrand zurückkehren sollte?«

»Sie meinen den Baron von Geyfeln?«

»Ja – gewiß – versteht sich – wenn der Baron zurückkehren sollte?«

»Sie sind ja um keine Ausrede verlegen,« lächelte Georgine. »Frühstück für den Herrn,« sagte sie dann laut, als die Wirtschafterin die Zimmertür öffnete, »aber was ist denn, Sibylle, Sie haben ja geweint?«

»Ach, denken Sie sich nur das Unglück, gnädige Frau,« sagte die Alte, sich die Tränen trocknend, »den armen Tobias unten im Dorfe haben sie eben aus dem Bache gefischt, in den er gestern abend gefallen und ertrunken ist.«

»Den Tobias? Wer war das?«

»Ach, es war wohl ein leichtfertiger, alter Mensch, der sich den bösen Trunk angewöhnt hatte und nicht davon lassen wollte, und wenn man's recht bedenkt, ist es vielleicht ein Glück für ihn und uns alle, daß ihn der liebe Herrgott zu sich genommen hat; wenn es nur nicht auf eine gar traurige Weise geschehen wäre. Und dann waren wir doch miteinander Geschwisterkinder, und gestern noch hat ihn der gnädige Herr aus dem Hofe schaffen lassen, weil er im Trunke heraufgekommen war und sich wohl unanständig oder unehrerbietig betragen hatte.«

»Das tut mir leid, Sibylle,« sagte Georgine, »jetzt aber seien Sie so gut und schicken Sie das Frühstück für den Herrn herauf – Sie haben doch das blaue Zimmer heizen lassen?«

»Ach du mein Himmel, das habe ich in dem Schreck ganz vergessen!«

»Dann müssen Sie es hier hereinschaffen. In die eiskalte Stube können wir den Herrn nicht führen.«

»Soll gleich alles besorgt werden!« rief Sibylle, die in dem Augenblick selbst den armen Tobias über das Frühstück vergaß. Im nächsten schoß sie auch schon wieder den Gang entlang, und Herr von Silberglanz atmete freier. Vergebens suchte er aber das Gespräch auf den früheren Gegenstand zurückzulenken; Georgine wich ihm entschieden aus, und bald wurden draußen wieder Schritte laut, denn die Hausmagd kam mit den bestellten Speisen, deckte den Tisch mit zwei Kuverts und blieb, auf Georginens Befehl, im Zimmer, falls noch etwas gebraucht werden sollte, bis ihr Gast gegessen und getrunken hätte. Georgine selber nippte nur an einem Glase Wein, das Herr von Silberglanz für sie eingeschenkt.

Erst wie er abgegessen, verließ die Magd das Zimmer wieder, um das Geschirr fortzutragen, und Georgine wandte sich jetzt an ihren Gast: »Herr von Silberglanz,« sagte sie, und so kalt und ruhig sie dabei blieb, bebte doch ihre Stimme und verriet die Aufregung, in der sie sich befand, »ich muß Sie jetzt bitten, mich zu verlassen und heute nicht zu mir zurückzukehren.«

»Den ganzen Tag nicht – und wollen Sie meinen Tod?«

»Lassen Sie jetzt Ihre Uebertreibungen,« unterbrach ihn die Frau, und ihre Brauen zogen sich finster zusammen. »Sollte ich noch in den Fall kommen, Ihren Beistand in Anspruch zu nehmen, so müssen Sie dabei wie ein Mann, nicht wie ein junger verliebter Geck handeln, und vor allem dürfen wir hier keinen Verdacht erregen. Sind Sie in eigener Equipage gekommen?«

»Nein, mit einem Lohnkutscher von der letzten Eisenbahnstation.«

»Desto besser. Haben Sie irgend einen vernünftigen Vorwand, sich heute den Tag über hier im Orte aufzuhalten?«

»Vortrefflichen,« lautete die rasche Antwort, »ich erkundige mich nach den Kornpreisen und sehe mir das Getreide an, kaufe auch, wenn ich es zu einem annehmbaren Preise bekommen kann, und adressiere es an eine Firma in ***.«

»Sehr gut. Auf wie lange haben Sie Ihren Kutscher gemietet?«

»Auf unbestimmte Zeit; ich kann ihn gleich wieder fortschicken, oder ihn und seine Pferde so lange behalten, wie und wohin ich sie brauche. O, wenn ich hoffen dürfte...«

»Meinen Sie es ehrlich und aufrichtig mit mir?«

»Können Sie zweifeln, holdeste der Frauen?« rief Herr von Silberglanz, und schien nicht übel Lust zu haben, sich wieder auf ein Knie vor ihr niederzulassen; Georginens Ernst aber hielt ihn zurück.

»Wollen Sie mir nur meiner selbst, nicht anderer eigennütziger Absichten wegen helfen?« fuhr die Frau fort.

»Aber, teuerste Georgine.«

»Antworten Sie mir klar und deutlich auf die Frage.«

»Ich beschwöre Sie.«

»Ja oder nein!«

»Ja denn; können Sie etwas anderes glauben?«

»Gut,« erwiderte die junge Frau, indem ein tiefer Seufzer ihre Brust hob, »ich will es wagen.«

»Befehlen Sie über mich.«

»Jetzt nicht. Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe. Beschäftigen Sie sich heute ausschließlich mit dem Getreide in Schildheim. Morgen früh aber vor Tage schicken Sie Ihren Kutscher mit dem Gepäck nach Hottweil, der nächsten Eisenbahnstation. Ich selber werde Ihnen heute abend spät noch eine Kiste und einen Koffer hinunter senden, die er mitnimmt.«

»Sie machen mich zum Glücklichsten der Sterblichen!« rief von Silberglanz, der über diese rasche Wendung, wie den kaum geahnten, seine kühnsten Hoffnungen überschreitenden Erfolg selber so erstaunt war, daß er keine Worte fand, seine Bereitwilligkeit auszudrücken. »Und morgen?«

»Morgen früh um zehn Uhr kommen Sie wieder zu mir, das weitere zu erfahren,« erwiderte Georgine, die kalt und besonnen ihren Plan überdachte. »Ich weiß nicht, wie weit ich selber imstande sein werde, bis dahin meine Vorkehrungen zu treffen. – Aber noch eins: Nehmen Sie heute die Gelegenheit, einen Spaziergang in den Wald zu machen. Dort lassen Sie sich die Zaubereiche zeigen und merken sich genau den nächsten Weg dorthin. Einen Führer finden Sie überall.«

»Schön, sehr schön; es soll alles pünktlich ausgeführt werden; aber Ihre Pläne, gnädige Frau! Wollten Sie nur die Güte haben, mir in etwas – in der größten Kleinigkeit Ihre Pläne mitzuteilen, daß ich meine eigenen Maßregeln...«

»Morgen,« erklärte Georgine bestimmt. »Mein Kopf brennt mir; bitte, lassen Sie mich jetzt allein, daß ich Zeit habe mich zu sammeln, lieber Baron.«

»Ihr Wille ist mir Befehl!« rief von Silberglanz, der dem lieben Baron nicht widerstehen konnte. »Holde Georgine, Sie haben mich in Ihrer Hand – Sie können mich um den kleinen Finger wickeln – Sie können alles, alles mit mir machen – ich kenne Hugo von Silberglanz nicht mehr – Hugo von Silberglanz ist ein anderer Mensch geworden – er ist eigentlich gar kein Mensch mehr, er ist ein Gott – er geht nicht mehr auf der Erde, er fliegt – er schwimmt in einem ganzen Ozean voll Wonne.«

Er hatte Georginens Hand ergriffen und bedeckte sie mit seinen Küssen; aber es war kein Liebesblick, der dabei aus ihren Augen auf ihn fiel. Wieder zuckte der schmerzlich-böse Zug um ihre Lippen, und ihm ihre Hand endlich entziehend, deutete sie mit einer bittenden Bewegung nach der Tür; von Silberglanz vermochte jetzt auch nicht länger ihrem Wunsche zu widerstreben. Gern wäre er freilich noch kühner geworden, aber der Frau ernste Haltung entmutigte ihn wieder – er mußte ihr erst Zeit lassen. Morgen – morgen sollte er seinen Triumph feiern, und mit einem schmachtend süßen Blick auf das von ihren Gefühlen erregte, wirklich wunderschöne Weib griff er seinen Hut auf und verließ rasch das Zimmer und das Gut.

Ende des zweiten Bandes

Hinweise zur Transkription

Gegenüber der Erstausgabe aus dem Jahr 1861 wurde die vorliegende Ausgabe im Jahr 1914 überarbeitet, ohne dem Werk gerecht zu werden: Modernisierung der Rechtschreibung, großenteils Verzicht auf Texthervorhebungen in gesperrter Schrift, Verzicht auf Textmarkierungen in Antiqua-Schrift, teilweise Zusammenlegen von Absätzen, teilweise Änderung von Textpassagen, Neuaufteilung der drei Bände des Buches.


Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.

Offensichtliche Fehler wurden korrigiert, bei Zweifeln der Originaltext beibehalten. Änderungen in der Schreibweise sind in der nachstehenden Liste ausgewiesen, Änderungen in der Zeichensetzung nicht.

Änderungen:

Seitenangabe
originaler Text
geänderter Text

Seite 6
manchmal mit einem verschmitzt sein solden Lächeln
manchmal mit einem verschmitzt sein sollenden Lächeln

Seite 13
daß meine seine eigenen Worte nicht hören kann
daß man seine eigenen Worte nicht hören kann

Seite 19
und in gestreckter Kariere flog es die Straße
und in gestreckter Karriere flog es die Straße

Seite 22
und der Lauslehrer zog sich ebenfalls zurück
und der Hauslehrer zog sich ebenfalls zurück

Seite 40
Eierschalen unter dem Baume liegen sehen
Eierschalen unter dem Baume liegen sehe

»Und Ihr habt die Singvögel so gern, Fortstwart?«
»Und Ihr habt die Singvögel so gern, Forstwart

Seite 44
es doch nirgends es zu etwas Ordentlichem bringen
es doch nirgends zu etwas Ordentlichem bringen

Seite 49
war das nicht entganggen, wenn er auch tat
war das nicht entgangen, wenn er auch tat

und tolle tolle Streiche haben wir mitsammen ausgeführt
und tolle Streiche haben wir mitsammen ausgeführt

Seite 59
zogen, jauchzten und schrien und schwenkten
zogen, jauchzten und schrieen und schwenkten

Seite 61
dafür brügte die Hochzeit, zu der sie beide
dafür bürgte die Hochzeit, zu der sie beide

Seite 62
augenblicklich eins der Fremdenzimmer für den Gast
augenblicklich eines der Fremdenzimmer für den Gast

Toilette fertig geworden, und als Herr von Zühbig
Toilette fertig geworden, als Herr von Zühbig

Seite 75
in Pantoffeln und Schafpelz mitten im Hausflur
in Pantoffeln und Schlafpelz mitten im Hausflur

zu so früher Stunde an ihrem Mal nicht teilzunehmen
zu so früher Stunde an ihrem Mahl nicht teilzunehmen

Seite 77
meine Gattin stolz auf unseren früheren Triumphe sind
meine Gattin stolz auf unsere früheren Triumphe sind

Seite 80
an dem gestrigend Abend ins Dorf hinuntergegangen
an dem gestrigen Abend ins Dorf hinuntergegangen

Seite 81
mit großer Geschicklichkeit seine Künst ausführte
mit großer Geschicklichkeit seine Künste ausführte

Seite 85
als Karl seine Mütze angriff
als Karl seine Mütze aufgriff

Seite 101
Hintertür beschloß beschloß er sich jedenfalls offen zu halten
Hintertür beschloß er sich jedenfalls offen zu halten

Seite 104
war er ihr immer störend in den Weg getreten
war er ihr nimmer störend in den Weg getreten

Seite 121
fing ihm doch an schwer zu wer- zu werden
fing ihm doch an schwer zu werden

Seite 131
mit freundlichem Grinsen eine Gebäde des Geldzählens
mit freundlichem Grinsen eine Gebärde des Geldzählens

Seite 132
hob ihm zu gleicher Zeit die Beina aus
hob ihm zu gleicher Zeit die Beine aus

Seite 134
jene ruhige Weiblichkeit, die da im stillen wirkt
jene ruhige Weiblichkeit, die da im Stillen wirkt

Seite 141
»Nein, gewiß nicht,« erwiderte Mademoeselle Adele.
»Nein, gewiß nicht,« erwiderte Mademoiselle Adele.

Seite 157
Was ich Ihnen jetzt mitteilte, geschieht wie
Was ich Ihnen jetzt mitteile, geschieht wie

Seite 160
wird selber über die die Dauer seines Urlaubs
wird selber über die Dauer seines Urlaubs

Seite 161
diesem Grunde war auch mir das Begennen dieser Leute
diesem Grunde war auch mir das Begegnen dieser Leute

Seite 164
»Das ist mir auch unerklärlich,« versichert Silberglanz.
»Das ist mir auch unerklärlich,« versicherte Silberglanz.

Seite 167
aber über Geschmack läß sich nicht streiten
aber über Geschmack läßt sich nicht streiten

Seite 178
hat er nicht in einemfort Dienst gehabt
hat er nicht in einem fort Dienst gehabt

Seite 180
Nun, was macht unsere überschwengliche Euphrosine?
Nun, was macht unsere überschwengliche Euphrosyne?

Seite 187
daß Tränen den wildesten Schmrez lindern
daß Tränen den wildesten Schmerz lindern

Seite 201
aber Sie sprechen wahrscheinlich von dem Kavier
aber Sie sprechen wahrscheinlich von dem Kaviar

Seite 241
sich ein rechtes Knie mit dem Hute abwischte
sich sein rechtes Knie mit dem Hute abwischte

Seite 245
daß sich jener Herr von Zühbig vollständig gerirrt?
daß sich jener Herr von Zühbig vollständig geirrt?