The Project Gutenberg eBook of Das Abendmahl im Zusammenhang mit dem Leben Jesu und der Geschichte des Urchristentums

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Title: Das Abendmahl im Zusammenhang mit dem Leben Jesu und der Geschichte des Urchristentums

Author: Albert Schweitzer

Release date: December 5, 2013 [eBook #44366]

Language: German

Credits: Produced by Jana Srna, Michael Waddell, Eleni Christofaki
and the Online Distributed Proofreading Team at
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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS ABENDMAHL IM ZUSAMMENHANG MIT DEM LEBEN JESU UND DER GESCHICHTE DES URCHRISTENTUMS ***

Anmerkungen zur Transkription:

Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Eine Liste der vorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes.


Das Abendmahl

im

Zusammenhang mit dem Leben Jesu

und der

Geschichte des Urchristentums

von

Lic. Dr. Albert Schweitzer

in Strassburg i. E.


Erstes Heft.

Das Abendmahlsproblem

auf Grund
der wissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts
und der historischen Berichte.

illustration

Tübingen und Leipzig.

Verlag von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck).

1901.



Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen behält sich
die Verlagsbuchhandlung vor.


C. A. Wagner's Universitätsbuchdruckerei in Freiburg i. B.


Seinem Lehrer

Herrn Prof. D. Dr. H. J. Holtzmann

gewidmet

in aufrichtiger Verehrung und treuer Anhänglichkeit

von seinem dankbaren Schüler

Albert Schweitzer.


V

Vorrede zu einer neuen Untersuchung über das Abendmahl.

Der Anstoss zu der vorliegenden Arbeit ging von Schleiermacher aus. Im Jahre 1897 erhielt ich nämlich als Thema für meine schriftliche Examensarbeit folgende Aufgabe gestellt: Die Abendmahlslehre Schleiermacher's soll dargestellt und mit den im neuen Testament und in den Bekenntnisschriften niedergelegten Auffassungen verglichen werden.

Ich hatte mich bis dahin mit der Abendmahlsfrage gar nicht beschäftigt und war über die neuesten Forschungen in keiner Weise orientiert, hatte auch keine Zeit dies nachzuholen, weil die Arbeit innerhalb acht Wochen abgeliefert werden musste. So war ich einzig auf die Texte und die bekenntnismässigen Formulierungen der verschiedenen Konfessionen angewiesen.

Die Schleiermacher'sche Dialektik ersetzte mir aber alles. Sie zergliedert nämlich das Problem so, dass es als Ganzes und zugleich in allen Details vor einem steht. Man braucht nur geschichtlich Ernst zu machen mit dem dialektischen Spiel, das er mit vollendeter Kunst zur Beruhigung und Versöhnung der Geister und zugleich zu seinem eigenen ästhetischen Ergötzen aufführt, dann ist man genau auf dem Standpunkt der modernen historischen Forschung angekommen.

Ein Satz besonders ist hier entscheidend. In § 139 3 der Glaubenslehre redet er vom äusseren Verlauf unserer Feier und zeigt, wie wir uns bei der Reproduktion der historischen Umstände naturgemäss auf das Wesentliche beschränken müssen. Wollte man z. B. einen bedeutenden Nachdruck auf den Zusammenhang, in welchem das historische Mahl mit dem Passahmahl stand, legen, so würde man alsbald zur Folgerung gedrängt werden, „dass das Abendmahl jetzt nicht mehr das sein könne, als was es Christus VI gestiftet habe und also auch wohl nicht könne von ihm als eine selbständige und immer dauernde Institution für die Kirche verordnet sein“. „Dieses Bedenken“, so fährt er dann fort, „liegt so nahe, dass es sich leicht in der evangelischen Kirche lautbarer machen kann, als bisher der Fall gewesen, und veranlasst natürlich die Frage, worauf unser Glaube in dieser Sache eigentlich beruhe. Schwerlich wird sich behaupten lassen, dass aus den uns aufbewahrten Worten Christi diese Absicht ganz bestimmt hervorgehe. Vielmehr enthalten einige unserer Erzählungen gar keinen solchen Befehl (Markus und Matthäus), und in den andern ist er nur unbestimmt ausgedrückt (Lukas und Paulus); und da die Apostel aus den Worten Christi beim Fusswaschen keinen solchen Befehl entnommen haben, so hätten sie auch Recht gehabt, aus dem Abendmahl ebensowenig eine bestimmte und allgemeine Institution zu machen! Da nun aber offenbar ist, dass sie das eine gethan haben und das andere nicht, so können wir uns an das halten, was sie eingerichtet haben,, ohne dass wir zu entscheiden brauchten, ob Christus ihnen über das Abendmahl noch andere ausdrückliche Anweisungen gegeben, oder ob sie dieselben aus seinen Worten gefolgert oder nur durch den unmittelbaren Eindruck der Sache und durch die begleitenden Umstände anders bestimmt worden sind in Bezug auf das Abendmahl als in Bezug auf das Fusswaschen. In dem letzten Fall würden wir dann das Abendmahl nur nicht ganz in demselben Sinn als eine unmittelbare Einsetzung Christi ansehen können, immer aber doch glauben müssen, dass sie in seinem Sinn gehandelt haben, wenn wir nicht auch in ihrem engsten Berufskreise ihr kanonisches Ansehen aufgeben wollen“.

Unsere Abendmahlsfeier beruht in letzter Linie nicht auf einer ausdrücklichen Verordnung Jesu! Grafe ist also ganz unschuldig! Was er als ehrlicher Historiker in der Nachfolge anderer Historiker, von der Wucht der Thatsachen gedrängt, bedächtig und schonungsvoll aussprach, das hat Schleiermacher in seiner Glaubenslehre keck hingeworfen. Während man aber dem eleganten Spiel des Dialektikers verständnisvoll zunickte, nahm man es dem ehrsamen Historiker gar übel, als er ungefähr dasselbe zu sagen wagte. Vielleicht auch haben die temperamentvollen Gegner Grafe's diese Seite in ihrem Schleiermacher überschlagen oder sie hielten dafür, dass der betreffende Abschnitt,VII weil er zeitlich schon einige gute Jahrzehnte zurückliegt, auch in zweideutigen Dingen als rechtgläubig passieren dürfe. Es ist merkwürdig: In der Theologie darf heutzutage einer fast alles sagen, was er will, wenn er es nur vornehm und geistreich mit einem gewissen eleganten Skeptizismus thut. Für den ehrlichen Menschen, der redet, weil sein Gewissen ihn zwingt, ist man aber unnachsichtlich.

Die Behauptung, die Schleiermacher zum erstenmal vollständig klar ausgesprochen hat, die dann aber für Jahrzehnte ganz unter den Tisch fiel, ist dazu angethan, einen im kantischen Sinn „aus dem dogmatischen Schlummer zu wecken.“ Sie zeigt nämlich, dass nicht nur die kirchlichen, sondern geradesogut die wissenschaftlichen Abendmahlsauffassungen dem wirklichen Thatbestand nicht gerecht werden. Die kirchlichen Auffassungen setzen voraus, dass Jesus die Feier zur Wiederholung bestimmt habe, können aber nicht nachweisen, dass er es wirklich angeordnet hat, da der betreffende Befehl bei den ältesten Zeugen fehlt. Eine Reihe wissenschaftlicher Auffassungen gehen davon aus, dass die Feier nicht zur Wiederholung bestimmt war, können aber dann nicht erklären, warum sie doch schon in der allerersten Gemeinde aufkam — und das ist doch auch eine unbedingt feststehende Thatsache.

Der Zusammenhang zwischen den beiden Feiern, der historischen und der Gemeindefeier, bleibt also gleich unbegreiflich, ob man sie durch den Wiederholungsbefehl direkt kausal miteinander verbindet oder ob man sich mit der Konstatierung der reinen zeitlichen Aufeinanderfolge begnügt und die Kausalität dahingestellt sein lässt. Schleiermacher ist der Hume der Kausalitätsfrage im Abendmahlsproblem.

Der Vergleich der verschiedensten und zeitlich so weit auseinanderliegenden Abendmahlslehren mit der Schleiermacher'schen Ansicht führte mich vor die Frage, was denn das Beharrende bei diesem steten Wechsel der Auffassungen sei. Ist es nicht denkbar, dass alle Phasen, in denen sich das Abendmahlsproblem auswirkt, durch dieselben Gesetze beherrscht sind und dass also an diesen Gesetzen die wahre historische Auffassung sich zu erproben hat?

Nachdem ich daher meine Examensarbeit zu Ende geführt und die mir in Umrissen schon vorschwebende neue Auffassung in allgemeinen Strichen angedeutet hatte, machte ich mich daran, VIII alle Epochen der Abendmahlsfrage — die altchristliche, die mittelalterliche, die reformatorische und die moderne — gründlich zu studieren, fest entschlossen, nicht eher mit der neuen Auffassung an die Oeffentlichkeit zu treten, als bis ich sie für alle Epochen durchgeführt hätte und so die Gewissheit besässe, dass sie die ganze Geschichte des Abendmahls von der historischen Feier bis in die neueste Zeit erklärt. Zu dieser Arbeit habe ich vier Jahre gebraucht. Darum veröffentliche ich, was mir schon im Herbst 1897, unabhängig von der modernen Forschung, feststand, erst im Herbst 1901, im Zusammenhang mit der Darstellung und Beurteilung der historischen Abendmahlsforschung im 19. Jahrhundert.

Ich habe die Stellung des Problems an der wissenschaftlichen Abendmahlsforschung im 19. Jahrhundert entwickelt, weil uns diese Periode am nächsten liegt. Man hätte aber geradesogut jede andere Phase dazu benutzen können, da die Gesetze in allen dieselben sind.

Die Absicht dieser Arbeit geht weiter als auf die Aufstellung einer neuen historischen Abendmahlsauffassung. Sie verfolgt den praktischen Zweck, die historische Grundlage unserer modernen Abendmahlsfeier abzugeben und das Bestehende geschichtlich zu rechtfertigen. Es ist nämlich nicht zu leugnen, dass unsere Gemeindefeier, nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft, in der Luft hängt. Wenn der Wiederholungsbefehl historisch nicht fundiert ist, was soll dann unsere Wiederholung bedeuten?

Den Gläubigen zwar ficht diese Sorge vorerst wenig an und soll ihn wenig berühren. Es ist nicht die Sache der Leute, welche über die Brücke gehen, sich ängstlich darum zu kümmern, ob durch die Fluten die Fundamente nicht langsam unterwaschen worden sind, sondern das liegt den Architekten ob. Diese müssen, wenn sie eine Senkung auch nur von einem Millimeter wahrnehmen, unverzüglich einer eventuellen Katastrophe entgegenarbeiten, sogar wenn den Passanten die Sache vorerst ganz belanglos scheint. So muss auch die theologische Wissenschaft auf das Fundament des Glaubens sehen und darauf achten, ob nicht die historische Grundlage der Institution, welche gleichsam die Brücke vom Vergänglichen zum Unvergänglichen bildet, durch den Strom der Zeit unterwaschen ist und ob nicht durch die historische Weltanschauung eine ganz IX andere Fundierung unserer Abendmahlsfeier notwendig wird als bisher.

Schleiermacher hat gesagt, dass das Bedenken, die Berechtigung der Wiederholung betreffend, sich leicht in der evangelischen Kirche lautbarer machen könnte, als bisher der Fall gewesen. Und wenn dies nun eintritt, was dann? Solange das Problem der Berechtigung und Notwendigkeit unserer Abendmahlsfeier wissenschaftlich nicht gelöst ist, kann durch den geringfügigsten Umstand eine die öffentliche Meinung aufs äusserste aufregende und unerquickliche dogmatische Erörterung dieser Frage eintreten, zu der der Fall Grafe nur ein kurzes idyllisches Vorspiel wäre.

Das Schlimmste dabei wäre, dass diese Erörterung, einmal in die Oeffentlichkeit gezerrt, notwendig resultatlos bliebe. Denn der wissenschaftlich denkende Mensch wird diese Frage immer wieder aufwerfen müssen, während derjenige, der sich mehr auf den Standpunkt des kirchlichen Glaubens stellt, sie notwendig niederschlagen wird, in dem richtigen Empfinden, dass solche theoretische Bedenken eine so heilige und erhebende und durch den urchristlichen Usus in ihrer Art wieder so geschichtlich fundierte Feier nicht gefährden dürfen. Der Verteidiger wird sogar eigentlich die Geschichte auf seiner Seite haben. Denn, wenn das Abendmahl von Anfang an in der christlichen Gemeinde gefeiert worden ist, so ist doch diese Thatsache, vollständig objektiv betrachtet, viel entscheidender als das Fehlen des Wiederholungsbefehls in zwei alten Berichten. Wir haben es eben mit einer ganz unerklärlichen Antinomie zu thun, bei der man sich sehr hüten muss, irgend welche Folgerungen gegen unsere Feier zu ziehen, besonders wenn man bedenkt, dass man damit ein Stück des ältesten und heiligsten Bestandes des christlichen Glaubens angreift. Nehmen wir vorerst lieber an, dass uns der Schlüssel zur Erklärung der historischen und der urchristlichen Feier und zum Verständnis ihres Zusammenhangs fehlt.

Es ist die Aufgabe der Wissenschaft, gefährliche Fragen in Angriff zu nehmen, ehe sie die öffentliche urteilslose Meinung in Unruhe bringen, den Zündstoff zu beseitigen und in der Stille segensreiche Arbeit zu thun.

Als Schleiermacher in seiner Glaubenslehre die damals nur in seiner dialektischen Phantasie existierenden Parteien vor sich beschied, mutete er ihnen zu, sich auf „die Anerkennung des X kanonischen Ansehens der Apostel in ihrem engsten Berufskreise“ zu vergleichen. Auf diesen Vergleich kann man aber im Ernst nicht eingehen. Das Sprüchlein bannt das Gespenst nicht. Wir wollen den Aposteln die gebührende Ehrfurcht sicher gern erweisen, aber unsere Abendmahlsfeier auf ihr kanonisches Ansehen allein gründen, das dürfen wir nicht.

Rücken wir die Frage ins rechte Licht. Unsere Abendmahlsfeier entspringt dem Vorgehen der ersten Gemeinde, zu der die Apostel gehören. In die Geschichte übersetzt, lautet die Frage nach dem „kanonischen Ansehen der Apostel in ihrem engsten Berufskreise“ also folgendermassen: Welches waren die Motive, durch welche die erste Gemeinde bestimmt wurde, eine derartige im Zusammenhang mit dem letzten Mahl Jesu stehende Feier zu begehen? War das Willkür oder Notwendigkeit?

Daran schliesst sich eine zweite Frage, die Schleiermacher unberücksichtigt gelassen hat. Wenn die erste Gemeinde aus bestimmten Gründen die Feier wiederholt hat, gelten diese auch noch für uns? Besteht in der historischen Feier als solcher auch für uns eine direkte Notwendigkeit, dass wir daraus irgendwie eine Feier ableiten, oder handelt es sich nur um etwas Ueberkommenes?

Darauf lautet die Antwort der Geschichte: es war eine absolute Notwendigkeit, dass das Abendmahl trotz des Fehlens des Wiederholungsbefehls bei der ersten Gemeinde in Aufnahme kam, und diese Notwendigkeit besteht auch noch für uns zu Recht. Unsere Feier gründet sich nicht auf die geschichtliche Ueberlieferung oder auf die unkontrollierbare Autorität bestimmter Persönlichkeiten, sondern direkt auf die historische Feier. So ist unser Abendmahl berechtigt, geboten und notwendig von sich selbst aus.

Die neue geschichtliche Erkenntnis führt aber nicht nur die Versöhnung hinsichtlich der Berechtigungsfrage herbei, sondern auch hinsichtlich der Frage nach der Bedeutung der Feier.

Niemand kann sich der Einsicht verschliessen, dass unsere Feier eigentlich sehr dürftig und unlebendig ist, wenn sie nur auf die Darstellung eines Doppelgleichnisses durch die Reproduktion einer historischen Situation geht, wo der Pfarrer die Stelle Jesu und die Gläubigen die Stelle der Jünger einnehmen. Andererseits stellen die konfessionellen Auffassungen Zumutungen an ernste Christen, die sie entweder zur Gedankenlosigkeit oder zur XI Gewissenlosigkeit erziehen und den Zweifel und Spott geradezu herausfordern.

Könnten beide Auffassungen aus ihrer Sprache heraustreten, dann würden sie darin übereinkommen, dass der Sinn der Feier etwas Geheimnisvolles ist, wo der Einzelne mit der feiernden Gemeinschaft und der Persönlichkeit unseres Herrn in ein besonders heiliges Verhältnis tritt. Nun zwingen aber die unglücklichen Einsetzungsworte den Einen durch die rein symbolische Deutung hinter diesem Geheimnis zurückzubleiben, den Andern durch die wörtliche Deutung über dieses Geheimnis hinauszugehen und das Unfassbare zu behaupten. Die Vermittlungsversuche sind am schlimmsten daran. In der Sache und dem religiösen Gehalt nach mögen sie richtig sein, aber in der Deutung der Gleichnisse sind sie gequetscht und gekünstelt, dass ein Mensch mit ehrlichem Verstand sie nicht zu ertragen vermag. So wie die „Einsetzungsworte“ liegen und nach der Rolle, die man ihnen bisher in der Feier zuwies, sind nur die rein symbolische oder die krass realistische Deutung zulässig. Was dazwischen ist, ist vom Uebel.

Auch hier bringt die wahre geschichtliche Erkenntnis die Befreiung von der unnatürlichen Alternative, indem sie zeigt, dass die Stellung, die man den Gleichnissen in dem Ganzen der Feier anwies, geschichtlich falsch ist. Die urchristliche Feier beruht nicht auf den „Einsetzungsworten“ — dies ist mein Leib, dies ist mein Blut — obwohl diese Worte bei der historischen Feier gesprochen worden sind. Also ist auch unsere Auffassung unabhängig von diesen rätselhaften Gleichnisworten.

Diese kurzen Andeutungen mögen zeigen, dass diese Arbeit in einem praktisch aufbauenden und versöhnenden Geiste geschrieben ist. Zwar wird man, von den gewohnten Auffassungen herkommend, zunächst mannigfach an dieser Untersuchung Anstoss nehmen, da sie die Versöhnung nicht durch eine neue Vermengung oder Verdunkelung, sondern einzig und allein durch geschichtliche Wahrhaftigkeit und Unbefangenheit herbeiführen will. Wir müssen an die Geschichte glauben, d. h. wir müssen der Zuversicht sein, dass mit dem Fortschritt der geschichtlichen Erkenntnis zugleich die Vertiefung und Einigung im Glauben notwendig verbunden ist, obwohl es manchmal vorerst nicht den Anschein hat. In diesem Glauben habe ich diese Untersuchung begonnen und zu Ende geführt.

XII Diese Arbeit erscheint in drei Heften. Das erste behandelt das Problem, wie es sich aus der Forschung des 19. Jahrhunderts und aus den Berichten ergibt. Das zweite sucht die Grundlage der historischen Feier in dem Leben und in den Gedanken Jesu. Es stellt sich dar als die Skizze einer neuen Auffassung des Lebens Jesu. Das dritte behandelt das Abendmahl in der urchristlichen und in der altchristlichen Epoche und zeigt, wie sich daraus die römische Messe und das griechische Mysterium mit gleicher Berechtigung und Notwendigkeit entwickelt haben. Das erste und das zweite Heft erscheinen miteinander. Das dritte wird denselben in thunlichster Bälde folgen.

Zum Schluss fühle ich mich gedrungen, allen meinen Freunden, die mir bei dieser Arbeit behülflich gewesen sind, den Herrn Pfarrern A. Ernst und R. Will zu Strassburg, A. Huck und Ed. Unsinger zu Schiltigheim und dem Herrn Vikar Alfred Erichson in Strassburg, meinen tiefgefühlten Dank auszusprechen.

Strassburg, im August 1901.


XIII

Inhaltsangabe des ersten Heftes.

 Seite
Vorrede zu einer neuen Untersuchung über das Abendmahl V-XII
Erster Teil.
Das Abendmahlsproblem auf Grund der wissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts 1-44
Erstes Kapitel 1-5
Einleitung.
1. Der Skeptizismus in der Abendmahlsforschung 1-2
2. Der Ansatzpunkt 2-3
3. Die Einzelfragen 3-5
4. Die vier Typen der Abendmahlsauffassungen 5
Zweites Kapitel 5-7
Das Vorspiel. Zwingli und Calvin.
Drittes Kapitel 7-10
Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung des Genussmoments.
1. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. De Wette, Ebrard und Rückert 7-8
2. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Th. Keim, K. v. Weizsäcker, Willibald Beyschlag, H. Holtzmann, Paul Lobstein, W. Schmiedel 8-10
Viertes Kapitel 10
Ueberblick über die Auffassungen mit Zugrundelegung XIVdes Genussmoments.
Fünftes Kapitel 11-21
Die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments.
1. Die Vorperiode. Fr. Strauss, Bruno Bauer, E. Renan 11-13
2. Die modernen Versuche. W. Brandt, Fr. Spitta, A. Eichhorn 13-14
3. W. Brandt 14-15
4. Fr. Spitta 15-16
5. Kritik der Auffassung Spitta's 16-18
6. A. Eichhorn 18-19
7. Die neue „Thatsache“ 19-20
8. Die Skepsis in der Folge der einseitigen Herausarbeitung des Genussmoments 20
9. Der logische Grund der Skepsis 20-21
Sechstes Kapitel 21-26
Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments und abgeleiteter Geltendmachung des Darstellungsmoments.
Ad. Harnack, Erich Haupt, Fr. Schultzen, R. A. Hoffmann.
1. Allgemeines 21-22
2. Ad. Harnack 22-23
3. Erich Haupt 23-24
4. Fr. Schultzen 24-25
5. R. A. Hoffmann 25-26
Siebentes Kapitel 26-31
Der gesetzmässige Zusammenhang zwischen den Einzelfragen.
1. Der Wiederholungsbefehl 26-27
2. Das Abendmahl und die urchristliche Gemeindemahlzeit 27-30
3. Die Antinomie zwischen der historischen und der urchristlichen Feier 30-31
Achtes Kapitel 31-37
Die Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des Darstellungsmoments.
1. Das Gefechtsfeld 31-32
2. Der Verteidigungsplan. P. W. Schmiedel 32-34
3. Die Offensive. Adolf Jülicher 34-36
4. Die Skepsis in den Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung XVdes Darstellungsmoments 36-37
Neuntes Kapitel 37-44
Die neue Problemstellung.
1. Das Ergebnis der Untersuchung 37-40
2. Der neue Weg 40-44
Zweiter Teil.
Das Abendmahlsproblem auf Grund der historischen Berichte 45-62
Zehntes Kapitel 45-48
Die textkritischen Fragen.
1. Cod. D. Die textkritische Hauptfrage 45-46
2. Abweichende Lesarten 47
3. Das Ergebnis der Textkritik 47-48
Elftes Kapitel 48-50
Die Eigenart des Markusberichts (Mk 14 22-26).
Zwölftes Kapitel 50-56
Der Vergleich der Berichte.
1. Das Prinzip der Gleichbildung 50
2. Der matthäische Bericht (Mt 26 26-29) 50-51
3. Der paulinische Bericht (I Kor 11 23-26) 51-53
4. Der lukanische Bericht (Lk 22 14-20) 53-55
5. Der justinische Bericht (I Apol 66) 55-56
Dreizehntes Kapitel 56-62
Die Authentie des Markusberichts.
1. Der Beweis 56-60
2. Die Folgerungen aus der Authentie des Markusberichts 60
3. Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis im Abendmahl 60-62

1 Erster Teil.

Das Abendmahlsproblem auf Grund der wissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts.

Erstes Kapitel.

Einleitung.

1. Der Skeptizismus in der Abendmahlsforschung.

Es gibt Fragen, welche in dem Denken der Menschheit auftauchen, das volle geistige Interesse einer Epoche in Anspruch nehmen und dann wieder zurücktreten, ohne ihre Lösung gefunden zu haben und ohne dass es klar ist, wie sie ungelöst an Interesse verlieren konnten.

Jahrhunderte gehen darüber hin. Dann, durch eine Wendung in der Geschichte, wird dieselbe Frage wieder in den Vordergrund geschoben und das Spiel wiederholt sich.

Zu diesen intermittierenden Vulkanen gehört die Abendmahlsfrage. Drei Aktionsperioden sind bis jetzt zu verzeichnen. Die erste ist die längste. Sie dauert ungefähr zehn Jahrhunderte. Mit der Dauer steht die Intensität im umgekehrten Verhältnis. Wir haben keinen feuerspeienden Berg, sondern einen Krater mit langsamem Lavaausfluss. Einige Erdstösse — die fränkischen Abendmahlskontroversen — bezeichnen den Schluss der Aktionsperiode.

Die Art, wie die Frage in der Reformationszeit neu auftaucht, ist in höchstem Grade überraschend. Man sollte meinen, dass, in dem gemeinsamen Gegensatz aller reformatorischen Auffassungen zur römischen Theorie, die innerprotestantischen Gegensätze gerade in dieser Frage Aussicht hatten, bis auf weiteres latent zu bleiben. Statt dessen wird gerade die Abendmahlsfrage der Pol, nach dem sich die Gedanken orientieren. Diese zweite, dogmatische Periode, war in ihrem eigentlichen Verlauf ebenso 2 kurz wie heftig. Sie umfasst kaum drei Jahrzehnte. Dann wird die Abendmahlsfrage für die Dogmatik eine Frage neben andern. Schleiermacher's Glaubenslehre, die wissenschaftliche Begründung der Vermittlungsversuche, behandelt sie fast anhangsweise.

Die dritte Periode wird durch die historisch-kritische Forschung heraufgeführt. Wir stehen mitten darin, so aber, dass die Mittagszeit bereits hinter uns liegt. Schon kündigt sich nämlich die Erschöpfung an. Nachdem eine Reihe der letzterschienenen Abhandlungen die Zuversicht, das Problem durch die historische Kritik lösen zu können, nicht mehr so entschieden zur Geltung kommen liessen, wie dies früher der Fall war, greift jetzt eine ausgesprochen skeptische Stimmung Platz, deren Sprache man in dem Aufsatz Eichhorns's[1] vernehmen kann.

An diesem Skeptizismus ist etwas unbedingt Berechtigtes. Er geht nämlich von der Thatsache aus, dass durch die ganze Forschung des 19. Jahrhunderts die Lösung des Problems ferner gerückt ist als je. Die Schwierigkeiten sind gerade durch die historisch-kritische Methode in viel stärkerem Masse hervorgetreten, als man früher jemals ahnen konnte.

Unberechtigt daran ist aber die Art, der historischen gewissenhaften Kritik gegenüber vornehm zu thun und aus der Thatsache, dass sie bis jetzt in dem Problem nicht zum Ziele geführt hat, ihre Inferiorität einer excentrischen überkritischen Unkritik gegenüber zu proklamieren. Statt dessen sollte man eher nach den Gründen forschen, warum die historische Kritik die Lösung dieser Frage bisher nicht herbeiführen konnte.

2. Der Ansatzpunkt.

Das Abendmahlsproblem setzt sich aus einer Reihe von Einzelfragen zusammen, die in den verschiedenen Auffassungen verschieden beantwortet und verschieden mit einander in Zusammenhang gebracht werden. Gewöhnlich dreht sich nun die Kritik um diese Einzelfragen. Man untersucht, ob die Fassung der Einsetzungsworte haltbar ist, ob die Exegese der Gleichnisse richtig ist, wie die betreffende Abhandlung sich zur chronologischen Frage stellt, auf welche Art sie den behaupteten oder 3 verneinten Zusammenhang zwischen Abendmahl und Passah begründet und dergleichen.

Der folgenden Untersuchung kommt es mehr auf die Gesamtauffassung an und auf den Zusammenhang, in welchem die Einzelfragen unter einander stehen. Wächst eine Abendmahlsanschauung aus einer Reihe von selbständigen Entscheidungen über die schwebenden Einzelfragen heraus, oder sind nicht diese Einzelfragen durch einen inneren verborgenen Mechanismus so mit einander verbunden, dass mit der einen zugleich über die andern entschieden wird? Welches sind die Gesetze, nach denen sich die Einzelfragen im Abendmahlsproblem gegenseitig bedingen? Das ist die Frage, welche uns beschäftigt. Nur sie kann uns darüber Aufschluss geben, warum die historisch-kritische Methode nicht zum Ziele führen konnte.

3. Die Einzelfragen.

Liegt die Bedeutung der Gleichnisse darin, dass Jesus das Brot bricht und den Wein im Kelch herumreicht? Oder beruht sie darin, dass die Jünger dieses Brot essen und diesen Wein trinken?

Hat er die Worte über Brot und Wein als Gleichnisse gemeint, oder will er damit andeuten, dass die Jünger seinen Leib und sein Blut durch den Genuss sich irgendwie aneignen?

Fand das Mahl im Zusammenhang mit dem Passahmahl statt, sodass für die Worte Jesu und ihr Verständnis Passahgedanken vorausgesetzt werden dürfen?

Erlaubt es die Chronologie der Evangelien, Jesum noch am Passahabend im Kreise seiner Jünger zu sehen?

Hat er den Jüngern befohlen, die Feier zu wiederholen?

Was hat er ihnen zu wiederholen geboten?

Ist es möglich, dass der „Stifter“ ihnen zumutet, seine eigenen Worte zu wiederholen, die nur in seinem Munde und in jenem historischen Momente einen Sinn haben?

Angenommen, der Wiederholungsbefehl ist nicht historisch, wie kommen denn die Jünger dazu, die Feier dennoch zu wiederholen?

Wie ist es möglich, dass im Urchristentum Paulus die Wiederholung als auf den Herrn zurückgehend in die Darstellung der historischen Feier einträgt?

Wie erklärt sich das Fehlen des historischen Berichts im vierten Evangelium, da doch Kap. 6 die Feier voraussetzt?

4 Steht es im allgemeinen nicht so, dass mit der Annahme des Wiederholungsbefehls das psychologische Verständnis der historischen Feier unmöglich wird, während unter Voraussetzung seines Fehlens die Wiederholung in der ersten Gemeinde ganz unbegreiflich ist?

Hat sich das Abendmahl an ein Passahmahl angeschlossen, wie ist dann, mit oder ohne Wiederholungsbefehl, die tägliche Feier in der urchristlichen Zeit begreiflich?

Waren Agape und Herrenmahl getrennt, standen sie in irgend einem Zusammenhang, oder waren sie identisch?

Wie verlief überhaupt die Herrenmahlsfeier im Urchristentum? Wie sind die Angaben der Didache mit den paulinischen Schilderungen und Forderungen in I Kor 11 zu vereinigen?

In welchem Verhältnis stehen die Kunde und die Auffassung der historischen Feier, welche die Didache und Paulus voraussetzen, zu dem Bilde der historischen Feier in den Synoptikern?

Wie erklärt sich das gänzliche Zurücktreten des Leidensgedankens und der Situation der historischen Feier in der Didache?

Welche Bedeutung kam dem eschatologischen Moment in der urchristlichen Abendmahlsfeier zu?

In welchem Zusammenhang steht das eschatologische Schlusswort Jesu von dem Neutrinken im Reich des Vaters mit dem Verlauf der historischen Feier?

Wie lassen sich die Abweichungen der synoptischen Berichte erklären?

Die paulinische Darstellung ist die chronologisch älteste; der Lukastext nach Cod. D der kürzeste; der Markustext steht im Zusammenhang mit der einfachsten und glaubwürdigsten evangelischen Geschichtsdarstellung, und der justinische Bericht ist möglicherweise unabhängig von unseren Evangelien. Welchem der vier grundverschiedenen Texte gebührt der Vorzug?

In welche Verbindung stellte das Urchristentum die Teilnahme am Herrenmahl mit der Vorstellung von der Erlösung?

Wir nehmen an, die Reproduktion der Herrenworte bei der urchristlichen Feier ist eine freie gewesen; die Bedeutung dieser Worte konnte aber nur eine einzige sein. Wie ist es erklärlich, dass wir aus der ganzen urchristlichen Zeit, ja eigentlich bis ins beginnende Mittelalter hinein keine Kunde von Auseinandersetzungen über den Sinn dieser Worte haben? Die Einsicht, 5 dass die Vorstellungen im Urchristentum noch einen gewissen Grad der Flüssigkeit aufweisen, reicht zur Erklärung der obigen Thatsache nicht aus.

4. Die vier Typen der Abendmahlsauffassungen.

Bei der Darstellung der wissenschaftlichen Abendmahlsdebatte unterscheiden wir zunächst zwei Hauptströmungen. Wir teilen die Abhandlungen danach ein, ob sie für ihre Auffassung das Darstellungs- oder das Genussmoment zu Grunde legen. Unter dem Darstellungsmoment verstehen wir das Handeln und Reden Jesu während der historischen Feier; unter dem Genussmoment die Bedeutung des Essens und Trinkens der Teilnehmer, wie sie sich aus dem Wesen der Feier ergeben soll. Neben den Darstellungen, die eines dieser beiden Momente mit Ausserachtlassung des andern einseitig herausarbeiten, gibt es noch andere, doppelseitige, die eines der Momente zu Grunde legen, dabei aber dem zweiten nebensächliche Geltung zugestehen. Wir haben also im ganzen vier Haupttypen, zwischen denen die mannigfachsten Vermittlungen möglich sind.

Im folgenden werden diese Auffassungen dargestellt in der Ordnung, wie sie geschichtlich in die Erscheinung getreten sind.

Fussnoten:

[1] „Das Abendmahl im Neuen Testament“ von Albert Eichhorn, (Leipzig 1898), Hefte zur „Christlichen Welt“ No. 36.


Zweites Kapitel.

Das Vorspiel. Zwingli und Calvin.

Das Verdienst, das Abendmahlsproblem zuerst wissenschaftlich behandelt zu haben, gebührt Zwingli. Die Bedeutung der historischen Feier beruht nach ihm auf dem symbolischen Handeln Jesu. Durch das Brechen des Brotes und das Darbieten 6 des Weines kündigt der Herr seinen Tod an. Er verordnet die Wiederholung der Feier, damit die Christen bei dem gebrochenen Brot und dem vergossenen Wein seines Todes gedenken.

Die Schwäche dieser Auffassung liegt darin, dass Zwingli den Hauptnachdruck allein auf das Handeln Jesu legt. Er kann die historische Feier erklären, — aber nicht die Wiederholung, bei welcher notwendig der Nachdruck nicht auf dem Handeln Jesu, sondern auf dem der Teilnehmer, dem Genuss des Brotes und des Weines, ruht. Es gelingt nicht begreiflich zu machen, warum die Jünger die Gleichniselemente genossen und noch viel weniger, warum auch spätere Geschlechter bei der Wiederholung noch essen und trinken und nicht bloss anschauen, um sich an dem erzählten und dargestellten Abendmahlshandeln Jesu zu erbauen. Dass Zwingli's Lehre dogmatisch nicht befriedigen konnte, lag in letzter Linie an der Einseitigkeit seiner wissenschaftlichen Exegese.

So musste seine Auffassung auch wissenschaftlich durch diejenige verdrängt werden, welche dem Genuss der Teilnehmer einen Platz neben dem darstellenden Abendmahlshandeln Jesu anweisen konnte. Dies leistete die Abendmahlslehre Calvin's.

Bei ihm liegt die Symbolik zu gleichen Teilen in dem begründet, was Jesus mit den Elementen vornimmt (Brechen des Brotes und Ausgiessen des Weines), und in dem, was die Teilnehmer mit den Elementen beginnen (Essen des Brotes und Trinken des Weines). In dieser Betonung der Darbietung und der Aneignung als der beiden Grundmomente des Abendmahls beruht die wissenschaftliche Stärke der calvinischen Abendmahlslehre. Die historische Feier kann er weniger gut erklären, als es Zwingli gethan; dafür ist es ihm aber möglich, ihre Wiederholung als notwendig darzuthun, indem die Wertung des Genusses, nicht allein der Befehl Jesu, den Zusammenhang zwischen der historischen und der wiederholten Feier aufrecht erhält.

Es waren also nicht nur dogmatische, sondern auch wissenschaftliche Interessen, welche den Sieg der calvinischen Abendmahlsauffassung über die zwinglische bedingten. Die zum Teil auf wissenschaftlicher Grundlage beruhende Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Ansichten bildete ein kurzes Vorspiel zu der grossen historischen Abendmahlsdebatte im 19. Jahrhundert.

7 Da die doppelseitige Auffassung durch den Sieg Calvin's über Zwingli allgemein verbreitet war, setzte die historische Forschung die Doppelseitigkeit voraus. Sie betonte hauptsächlich das Darstellungsmoment, weil die exegetische Anschaulichkeit dafür sprach. So wurden zunächst die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des Darstellungsmoments wissenschaftlich ausgeprägt.


Drittes Kapitel.

Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des Darstellungsmoments und abgeleiteter Geltendmachung des Genussmoments.

1. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. De Wette, Ebrard und Rückert.

De Wette vertritt die doppelseitige Auffassung in seinen Kommentaren.[2] Das Brechen und das Essen des Brotes, das Ausgiessen und das Trinken des Weins bedingen zusammen die Bedeutung der Elemente bei der Feier. Der Hauptnachdruck liegt aber auf dem Brechen, dem darstellenden Moment. Die Betonung des Genussmoments ist mehr nebensächlicher Art.

Von August Ebrard[3] wird auf den Genuss der gleiche Wert gelegt wie auf das Brechen und Ausgiessen. Beide Momente gehören zusammen und bedingen sich gegenseitig. Jesus reicht das gebrochene Brot zum Essen und den ausgegossenen Wein zum Trinken dar.[4]

Bei Ebrard ist die energische Betonung des Genussmoments durch seinen Zusammenhang mit der reformiert-calvinischen Auffassung begreiflich. Aus rein wissenschaftlichen Gründen findet sich das stärkere Herausarbeiten desselben Moments bei Immanuel Rückert.[5] Seine klassische Schrift fasst den ganzen Ertrag der wissenschaftlichen Diskussion der Abendmahlsfrage in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammen. Die Handlung 8 Jesu und der Genuss von seiten der Teilnehmer werden in gleicher Weise betont. In jedem dieser beiden Momente liegt eine besondere Symbolik. Jesus bricht das Brot und gibt es zum Essen, er giesst den Wein ein und bietet ihn zum Trinken dar.[6]

2. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Th. Keim, K. v. Weizsäcker, W. Beyschlag, H. Holtzmann, P. Lobstein, W. Schmiedel.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt sich eine breite und ruhige Strömung verfolgen, welche beide Momente mit sich führt, jedoch so, dass das Darstellungsmoment die Grundströmung, das Genussmoment die Oberströmung bildet. Folgende Aussprüche geben die Richtung des Stromes an.

Th. Keim. Geschichte Jesu von Nazara. 1872 Bd. III S. 232 bis 290 (Das Nachtmahl Jesu).

„Man hat den Eindruck, dass es sich für Jesus doch um etwas mehr handelte, als nur um ein sprechendes Sinnbild seines irgendwie zum Heil der Jünger zu brechenden und zu tötenden Leibes vor den Gästen aufzustellen, man hat den Eindruck einer Gabe; diese Gabe liegt erstlich darin, dass er in nachdrücklicher, in endgültiger Weise als den Zweck seines bevorstehenden Todes das Heil der Jünger nennt, sodann, dass er im Zusammenhang damit die Sinnbilder dieses Heils den Erben dieses Heils nicht nur zum Anschauen, sondern geradezu zum Nehmen und Geniessen übergibt, das Besitztum des Heilstodes und seine Früchte in ihre Hände deponiert.“ S. 272.

Karl v. Weizsäcker. Apostolisches Zeitalter. 1886 S. 596 bis 602.

Weizsäcker vertritt eine interessante Differenzierung in der Symbolik der beiden Akte. Das Brot ist das Sinnbild der Gegenwart Christi in der Gemeinde, der Wein aber das Sinnbild seines Todes, durch welchen er das neue Passahopfer geworden ist. S. 598.

W. Beyschlag. Das Leben Jesu. 1893 Bd. II S. 434-442.

„Der Sinn der Abendmahlsstiftung ist vollkommen klar: Sein Leib, der für uns gebrochen, sein Blut, das für uns vergossen wird, ist sein Leben, das er für uns in den Tod gibt, — 9für uns dahingibt, damit es in uns wirksam werde; damit es, vom inwendigen Menschen angeeignet, wie der äussere Mensch Speise und Trank in sich aufnimmt, ihm Speise und Trank ewigen Lebens werde, und so die in Ihm gekommene Erlösung, den in Ihm gekommenen neuen Bund der Gottgemeinschaft in uns vollziehe.“ S. 439.

H. Holtzmann. Biblische Theologie. 1897 Bd. I S. 296-304.

„Geschichtliche Voraussetzung und übereinstimmendes Resultat der letzten Forschungen ist, dass Jesus seinen Jüngern Brot und Wein zum Genusse dargereicht und dabei mit Beziehung auf das gebrochene Brot von seinem Leib, mit Beziehung auf den ausgegossenen Wein von seinem Blut gesprochen, letzteres insonderheit zugleich als Bundesblut bezeichnet hat.“ S. 296.

Paul Lobstein. La doctrine de la sainte cène. Lausanne 1899.

„Ceci est mon corps“, dit Jésus en rompant le pain qu'il distribue à ses disciples; „cette coupe est la nouvelle alliance dans mon sang versé pour vous“, leur dit-il en faisant circuler la coupe. S. 46. Le pain que Jésus rompt pour les disciples et qu'il leur distribue, ils doivent s'en nourrir: „De même que je vous convie à manger de ce pain, ainsi vous êtes appelés à vous assimiler le fruit de ma mort, les effets salutaires de ce don de moi-même, de ce corps brisé et livré pour vous.“ S. 47.

Wilhelm Schmiedel. Die neuesten Ansichten über den Ursprung des Abendmahls. Protestantische Monatshefte, III. Jahrgang Heft 4 1899.

„Das Bedeutsame ist in erster Linie im Brechen des Brotes und Ausgiessen des Weines aus dem Krug in den Becher zu sehen. Die Austeilung dieser Speisen zum Genuss schliesst sich als etwas zweites an. Um der Hauptsache willen wäre es nicht nötig gewesen: aber da man einmal beim Mahle sass, war es naturgemäss.“ S. 147.

Die gemeinsamen Grundzüge dieser Darstellungen sind also folgende: Brot und Wein sind Leib und Blut Christi, weil er an ihnen seinen Tod und dessen Heilswert versinnbildlicht hat. Dabei fordert er die Jünger zum Genuss auf; das soll bedeuten, dass ihnen die Wohlthaten seines Leidens zu gute kommen, wenn sie verstehen, sich dieselben anzueignen. Die Wiederholung ist erfolgt zum Teil, weil der religiöse Wert dieser Handlung von10 den Teilnehmern eingesehen wurde, zum Teil, weil Jesus durch einen Befehl oder eine Andeutung dazu aufforderte. Auf den Zusammenhang mit dem Passah wird Wert gelegt, ohne dass er jedoch für die Auffassung als absolut notwendig erklärt würde. Ueberhaupt haben diese Darstellungen etwas Schwankendes. Sie vereinigen die mannigfachsten Gesichtspunkte mit einander, sodass es fast unmöglich ist, sie in kurzen Sätzen präcis wiederzugeben.

Deshalb ist es auch nicht ratsam von ihnen auszugehen, um die Gesetze des Zusammenhangs zwischen den Einzelfragen aufzustellen. Die Krisis in diesem Zustand wurde erst durch die Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments heraufgeführt.

Fussnoten:

[2] Vgl. De Wette's Commentar zu Matthäus (1836) und zu Johannes (1837).

[3] „Das Dogma vom heiligen Abendmahl und seine Geschichte“ von Dr. August Ebrard. 2 Bde., 1845.

[4] Vgl. Bd. I S. 79-120.

[5] „Das Abendmahl, sein Wesen und seine Geschichte in der alten Kirche“ von Dr. Leopold Immanuel Rückert, Professor in Jena, 1856.

[6] Vgl. Bd. I S. 61-131.


Viertes Kapitel.

Ueberblick über die Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments.

Greift man aus der Geschichte der wissenschaftlichen Abendmahlsuntersuchung die Werke heraus, welche in allgemeiner Weise das Genussmoment zu Grunde legen, so fügen sich folgende Namen in bunter, zusammenhangsloser Reihe aneinander: David Fr. Strauss, Bruno Bauer, E. Renan, Adolf Harnack, Fr. Spitta, W. Brandt, Erich Haupt, Friedrich Schultzen, Rich. Ad. Hoffmann und Albert Eichhorn. In dieser Reihe haben wir keine natürliche Kontinuität, wie in der vorher betrachteten. Bei näherem Zusehen ergeben sich zwei Epochen. Die erste fällt in die Mitte des Jahrhunderts (Fr. Strauss, Bruno Bauer, E. Renan). Die zweite beginnt am Anfang der neunziger Jahre (Harnack und Spitta) und kommt noch vor Ablauf des Jahrzehnts zu ihrem naturgemässen Abschluss (A. Eichhorn).

Strauss, Bruno Bauer, E. Renan, W. Brandt, Spitta und Eichhorn bieten Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments. Adolf Harnack, Erich Haupt, Friedrich Schultzen und R. A. Hoffmann vertreten die doppelseitigen Darstellungen mit Zugrundelegung des Genussmoments und abgeleiteter Geltendmachung des Darstellungsmoments.


Fünftes Kapitel.

11 Die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments.

1. Die Vorperiode. Fr. Strauss, Bruno Bauer, E. Renan.

Für die Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments gibt es zwei Perioden. Die erste liegt gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts zu, die zweite gegen das Ende. Friedrich Strauss bezeichnet die erste, Friedrich Spitta die zweite.

Strauss[7] führt aus, dass die Uebersetzung „dies bedeutet“, wenn sie sich auf das, was Jesus mit den Elementen thut, beziehen soll, bei weitem nicht ausreicht, ja gar nicht im Sinne der Verfasser der Evangelien gelegen haben kann. „Den Schreibern unserer Evangelien war das Brot im Abendmahl der Leib Christi ... hätte man geschlossen, dass das Brot den Leib bloss bedeute, so würden sie sich dadurch nicht befriedigt haben“ (S. 436 ff.). Es ist kritisch nicht zulässig, dass Jesus seinen gewaltsamen Tod mit Bestimmtheit vor sich gesehen habe. Daher kann sich für ihn die Symbolik bei der letzten Mahlzeit mit den Jüngern gar nicht auf seinen Tod beziehen. Ebenso ist der Wiederholungsbefehl für unhistorisch zu halten; dafür spricht das Schweigen der beiden ersten Evangelien und die Erwägung, dass überhaupt eine Gedächtnisfeier natürlicher aus dem Bedürfnis der Zurückbleibenden, als aus dem Plan des Scheidenden hervorgeht. Ein Passahmahl war diese letzte Mahlzeit mit den Jüngern auch nicht. Das eigentlich Historische an der ganzen Ueberlieferung ist das eschatologische Schlusswort beim Becher: ich werde davon nicht mehr trinken, bis ich ihn neu trinken werde mit euch in meines Vaters Reich. In Jesu Gedanken bezieht es sich auf den nächsten Passahwein, nicht allgemein auf das Essen und Trinken. Von Mahlzeiten im messianischen Reich sprach er, gemäss den Vorstellungen seiner Zeit, öfters, und so mag er erwartet haben, das in demselben namentlich das Passahmahl mit besonderer Feierlichkeit werde begangen werden. Wenn er nun versichert, dieses Mahl nicht mehr in diesem, sondern erst in jenem Aeon zu geniessen, so muss, nach seiner Erwartung, bis zur Feier des 12Passah das messianische Reich eintreten. Es ist dabei nicht nötig, dass Jesus das Erscheinen des Reiches an seinen Tod geknüpft dachte. Die ganze urchristliche Abendmahlsauffassung erklärt sich daraus, dass statt des messianischen Reiches und seiner Passahfeier — der Tod Jesu eintrat.

Die Gemeinde feierte das Passah. Es war natürlich, dass sich der Versuch darbieten musste, demselben durch die Beziehung auf den Tod und das letzte Mahl Jesu (welches kein Passahmahl gewesen) eine christliche Deutung zu geben. So erklärt sich das Eindringen des Leidensgedankens und der Leidensweissagung in die historischen Abendmahlsberichte. Die Elemente erhielten eine Beziehung auf den Leib und auf das Blut Christi; dabei wurde das Wort Jesu, den Genuss des Passahweines betreffend, allgemein auf das Essen und das Trinken bezogen und mit Brot und Wein als seinem Leib und Blut in Verbindung gebracht. So entstand die Vorstellung von dem Wiederholungsbefehl. Die Neigung, das Gedächtnismahl vom Passah loszulösen und öfters zu begehen, erklärt das Aufkommen eines derartigen Wortes.

Diese geniale Auffassung von Fr. Strauss enthält bereits alle Faktoren, welche die späteren, das Genussmoment einseitig betonenden Abendmahlsdarstellungen kennzeichnen. Vor allem kommen hier in Betracht die Loslösung der historischen Feier vom Passahmahl, das Ausscheiden der Leidensanspielungen aus den Worten Jesu, die Erklärung der Wiederholung der Feier ohne Annahme des Wiederholungsbefehles und die Notwendigkeit, alle als unhistorisch erkannten Züge in den neutestamentlichen Abendmahlsdarstellungen (Anschluss an das Passahfest, Beziehung auf den Tod Christi und Wiederholungsbefehl) aus der Entwicklung der urchristlichen Feier in einem Zeitraum von nicht einmal zwei Jahrzehnten zu erklären.

Will man diese Rückbildung nicht durch eine gewagte Geschichtskonstruktion erweisen, so bleibt nur wissenschaftliche Skepsis in irgend einer Form übrig. Diesen Weg hat Bruno Bauer[8] betreten. Er setzt voraus, dass die Berichte besagen wollen: der Herr reichte seinen Jüngern seinen Leib und sein Blut zum Genuss dar. Der Wiederholungsbefehl ist eine 13Zuthat aus späterer Zeit mit abschwächender Tendenz. Man fühlte, dass man für die historische Feier den Genuss so nicht aufrecht erhalten könne. Darum hob man die Beziehung auf die Zukunft, die der Formel an sich zu Grunde liegt, hervor. Jesus kann seinen Jüngern nicht sein Fleisch und Blut dargereicht haben,[9] damit sie es assen; also ist der Bericht des Markus Phantasie, und alle andern Berichte sind Nachbildungen dieser Erfindung.

Wie sehr gerade die Vollziehung des Genusses Voraussetzung der Bauer'schen Auffassung ist, zeigt sich darin, dass er dem Matthäus vorwirft, er habe das bei Markus konstatierte Faktum des Trinkens von seiten der Jünger eigenmächtig in einen Befehl Jesu umgesetzt, was schon eine Milderung bedeute. Das eschatologische Schlusswort lässt er unbeachtet und schneidet sich so den Weg ab, der Strauss aus den Schwierigkeiten, welche die einseitige Betonung des Genussmomentes nach sich zieht, herausführte.

Nach E. Renan[10] hat Jesus am letzten Abend die gewöhnliche gemeinsame Mahlzeit mit dem Brotbrechen im Kreise seiner Jünger gefeiert. „Dans ce repas, ainsi que dans beaucoup d'autres, Jésus pratique son rite mystérieux de la fraction du pain.“ Das eschatologische Schlusswort ist für Renan zweifelhaft und ohne Bedeutung. Die synoptischen Abendmahlsberichte erklären sich nur aus der Entwicklung der späteren Anschauungen, für welche das letzte Mahl ein Passahmahl war; dadurch drangen der Leidensgedanke, die Beziehung der Elemente auf den Leib Jesu und die Anordnung der Wiederholung in die Darstellung des letzten Mahles ein.

2. Die modernen Versuche. W. Brandt, Fr. Spitta, A. Eichhorn.

Vergleiche zum Folgenden den verhängnisvollen Vortrag von E. Grafe (Die neuesten Forschungen über die ursprüngliche Abendmahlsfeier. Zeitschrift für Theologie und Kirche 1895) und die klare Zusammenfassung von Rud. Schäfer (Das Herrenmahl nach Ursprung und Bedeutung 1897).

Erst das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts bietet eine Abhandlung, in der die bei Strauss, Bauer und Renan angedeuteten14 Gedanken sich in voller Schärfe und Konsequenz zu einem einheitlichen Bilde entwickeln. Es ist die epochemachende Arbeit Spitta's. Die Werke von Ad. Harnack und W. Brandt gehen ihr zeitlich in der Hervorhebung des ausschliesslichen Mahlzeitscharakters der historischen Feier voraus. Da jedoch Harnack schon mehr zu den doppelseitigen Darstellungen mit Zugrundelegung des Genussmoments überleitet, ist es rätlich, ihn erst dort zu behandeln. Zudem hat er in der 3. Auflage seiner Dogmengeschichte (Bd. I S. 64) zu dem Lösungsversuch Spitta's Stellung genommen und seine eigene Ansicht daraufhin neu formuliert.

3. W. Brandt.

Die evangelische Geschichte und der Ursprung des Christentums. Leipzig 1893 S. 283 ff.

Die Hauptbedeutung der historischen Feier liegt in dem gemeinschaftlichen Genuss. Durch das Gleichnis beim Abendmahl hat Jesus die gemeinsamen Mahlzeiten zum Symbol der Gemeinschaft gemacht. In der Bedeutung dieses Symbols ist der Grund der Wiederholung zu sehen. Eine Anspielung auf den Tod ist, wenn sie sich in dem Wort, welches das Brotbrechen begleitete, findet, für das Wesen der Feier bedeutungslos.

Die Aufnahme des Leidensgedankens und die Eintragung des Wiederholungsbefehls in unsere Berichte gehen auf eine Verschiebung in der urchristlichen Feier zurück. Diese ist dadurch bedingt, dass nach dem Jahre 70 wegen des Fehlens des Lammes Brot und Becher die vornehmsten Ingredienzen des jüdischen Passahmahls bildeten; dadurch wurde eine Gleichgestaltung desselben mit der urchristlichen Herrenmahlsfeier angebahnt. So erklärt es sich, dass die letztere durch das erstere im äusserlichen Verlauf und im Gedankengehalt beeinflusst wurde.

In dieser ansprechenden Skizze finden wir die schon bei Strauss bemerkten Eigentümlichkeiten der das Genussmoment ausschliesslich betonenden Auffassungen wieder. Der Wiederholungsbefehl fehlt, und es kommt darauf an, den Leidenshinweis in unseren Berichten auf die Einwirkung späterer Gemeindevorstellungen zurückzuführen. Ob der von dem Verfasser angezeigte Weg wirklich zum Ziele führt, ist fraglich. Sicher ist, dass er eine grosse Schwierigkeit nicht berücksichtigt hat. Wie konnten die Jünger die Worte des Meisters in dem oben gebotenen Sinn15 verstehen? Wie konnten sie überhaupt begreifen, dass er bei der Darreichung von Brot und Wein sie aufforderte, seinen Leib und sein Blut zu geniessen?

Es ist das unschätzbare Verdienst Spitta's, diese Frage in den Vordergrund geschoben zu haben.

4. Fr. Spitta.

Die urchristlichen Traditionen über Ursprung und Sinn des Abendmahls (zur Geschichte und Litteratur des Urchristentums). 1893 S. 207 bis 337.

Der Sinn der Worte Jesu liegt einzig und allein in der Aufforderung zum Genuss. Das Genossene ist nach seinen Worten sein Leib und sein Blut, gerade dadurch, dass es genossen wird! Das Brechen und Ausgiessen als die darstellende Handlung, welche den Elementen eine veranschaulichende Beziehung auf seinen Tod geben soll, lag seinen Gedanken fern. Die historische Feier war eine Mahlzeit, bei welcher nach dem gemeinsamen Inhalt aller Berichte die Jünger auf seine Aufforderung hin die dargereichte Speise als seinen Leib essen und den eingegossenen Wein als sein Blut trinken sollten und dies auch thaten.

Strauss und Bruno Bauer hatten denselben Thatbestand als von den Quellen geboten konstatiert, wurden aber von hier aus gezwungen, die historische Thatsächlichkeit des geschilderten Vorganges in Frage zu stellen und das Zustandekommen der Berichte sei es aus der Geschichte des Urchristentums (Strauss), sei es aus der Geschichte der Entstehung der christlichen Ueberlieferung überhaupt (Bruno Bauer) zu erklären. Dass die Jünger auf die Aufforderung Jesu hin damals seinen Leib und sein Blut genossen haben sollen, ist für sie eine unvollziehbare Vorstellung.

Spitta kann den Vorgang als historisch aufrecht erhalten durch Zuhülfenahme eschatologischer Gedankengänge. Anknüpfend an die Vorstellung des messianischen Bundes, hat Jesus, wie die übereinstimmenden Züge aller Berichte zeigen, bei den „Einsetzungsworten“ an das Essen und Trinken beim messianischen Mahl gedacht. In der prophetischen und in der apokalyptischen, in der Sapientia- und in der rabbinischen Litteratur stellt sich die Vollendung des Reiches in dem messianischen Mahl dar, wobei die genossene Speise der Messias selbst ist!16 Auf Grund dieser Vorstellung konnte Jesus voraussetzen, dass die Jünger ihn verstehen würden, wenn er sie aufforderte, beim Essen ihn selbst zu geniessen. Was er ihnen bietet, ist eine Vorwegnahme des grossen messianischen Mahles der Endzeit. In diesem Gedanken konnten sie den Leib des Messias essen und ihn in seinem Blut, dem Saft der Trauben, trinken.

Das letzte Mahl war kein Passahmahl, der Leidensgedanke kam für die Symbolik der Elemente nicht in Betracht, und der Wiederholungsbefehl ist unhistorisch. Diese Anschauungen sind späterer Art und nur dadurch verständlich, dass infolge des inzwischen eingetretenen Todes Jesu die Auffassung seiner Worte bei der letzten Mahlzeit sich notwendig ändern musste. Die Feier wurde in Analogie zu dem Passahmahl gesetzt, weil jetzt die Deutung der Worte vom Leib und Blut auf seine Leiden unabweislich war. Damit drang die Vorstellung einer Stiftung notwendig mit ein.

Bei Paulus halten sich die ursprüngliche und die auf das Leiden bezogene Auffassung noch das Gleichgewicht. I Kor 10 1 ff. und I Kor 10 14 ff. kennen den Leidensgedanken noch nicht und betonen das Genussmoment. I Kor 11 23 ff. tritt das neue Moment in Sicht, welches Paulus bei der Bekämpfung der korinthischen Agapenskandale in die Feier einträgt: die Feier hat es mit dem Tode Jesu zu thun.

Das Neue ist also bei Spitta die Heranziehung eigentümlich eschatologischer Gedankengänge, durch welche er eine Feier als historisch aufrecht erhält, bei der der Meister den zu Tische Liegenden Brot und Wein reichte mit der Aufforderung, seinen Leib zu essen und sein Blut zu trinken. In dem Wesen dieser Feier lag es begründet, dass sie ohne ausgesprochenen Wiederholungsbefehl Aufnahme in der ersten Gemeinde fand. Von hier aus scheint es dann nicht unmöglich, in der nun folgenden Entwicklung das Eintreten der Faktoren begreiflich zu machen, welche die neuen Züge in der Auffassung und Wertung der Feier bedingten.

5. Kritik der Auffassung Spitta's.

Die grosse Bedeutung der Untersuchung Spitta's beruht darin, dass er die Abendmahlsfrage nach einem einheitlichen Gesichtspunkt aufgefasst und zu lösen unternommen hat. Alle Einzelfragen stehen bei ihm in einer gegenseitigen, engen Wechsel17verbindung. Seine Abhandlung bildet eine geschlossene Kette, bei der jedes Glied nur im Zusammenhang mit den andern in Betracht kommt. Darin besteht der grosse Fortschritt in seiner Untersuchung den früheren gegenüber. Die textkritischen und die exegetischen Erörterungen sind bei ihm sowohl Grundlage als auch Folge der Gesamtauffassung.

Man hat seine Auffassung eine eschatologische genannt, weil er, wie Fr. Strauss, den Gedanken der Mahlzeit im messianischen Reich zu Hülfe nimmt, um die historische Feier verständlich zu machen. Strauss ging dabei vom synoptisch-eschatologischen Schlusswort aus, in welchem Jesus die Jünger auf das grosse Mahl der Endzeit verweist, wo er wieder mit ihnen vereint sein wird. Der eschatologische Charakter der Spitta'schen Auffassung aber beruht nicht auf dem synoptischen Wort, sondern auf einer eschatologischen Vorstellung vom Endmahl, welche aus den Apokryphen und der Weisheitslitteratur zusammengetragen ist. Dabei ergeben sich eine Reihe schwerer Widersprüche mit dem synoptisch-eschatologischen Schlusswort.

Nach Spitta bietet sich der Messias beim Mahle der Endzeit den Seinen zur Speise und zum Trank an. Nach den Synoptikern weist Jesus auf das Endmahl hin, wo er mit ihnen vom Gewächs des Weinstocks geniesst. Bei Spitta will er also Speise und Trank, bei den Synoptikern mitgeniessender Tischgenosse sein!

Bei Spitta wird der eschatologische Hinweis sowohl für die Speise als für den Trank vorausgesetzt. Historisch ist aber das eschatologische Schlusswort nur beim Becher!

Spitta's Eschatologie bezieht sich auf die Aufforderung zum Genuss des Leibes und Blutes. Das synoptisch-eschatologische Wort steht damit in keinem Zusammenhang, sondern folgt erst auf den Genuss.

Spitta's Auffassung ist also ganz unabhängig vom synoptisch-eschatologischen Schlusswort. Es figuriert auch nicht in seiner kürzesten Form der Einsetzungsworte, sondern diese lauten einfach:

„Nehmet, esset, das ist mein Leib.“

„Trinket alle daraus. Das ist das Blut meines Bundes, das für viele vergossen wird.“

Diese Worte konstituieren die Feier, denn „in der Gemeinde wurde immer daran gedacht, wie er damals darauf hingewiesen,18 er sei jetzt und in alle Ewigkeit die rechte Speise und Erquickung ihrer Seele“ (S. 289). So wird das synoptisch-eschatologische Schlusswort zum wehmütigen Abschiedswort, welches von dem Jubelklang der eschatologisch siegesgewissen Stimmung zum Todesgang überleitet.

Christus die rechte Seelenspeise: dieser Gedanke ist modern. Die Eschatologie Spitta's zielt dahin, diesen Gedanken durch eine Zusammenstellung von alttestamentlichen und apokryphischen Sprüchen in künstlich-antikem Licht spielen zu lassen, damit er die Aufforderung Jesu zum Genuss seines Leibes und Blutes für die historische Situation erkläre. Verzichtet man auf dieses künstliche Licht, dann bleibt nur das skeptische Dunkel. Das ist bei Eichhorn der Fall.

6. A. Eichhorn.

Das Abendmahl im Neuen Testament. Hefte zur christlichen Welt No. 36. 1898.

„Wenn wir unseren Berichten trauen dürfen“, hat Jesus das erste Abendmahl mit seinen Jüngern so gehalten, dass er ihnen Brot und Wein ausgeteilt und sie seinen Leib und sein Blut gegessen und getrunken haben. Aller Nachdruck fällt auf den Genuss. Eine auf Jesu Handeln sich gründende Symbolik kann bei der Betonung des Genusses nicht bestehen. Man darf nicht sagen, dass das Brechen des Brotes auf das Zerbrechen des Leibes und das Trinken des Weins auf das Vergiessen des Bluts hindeutet. Die Handlung, die in Wirklichkeit vorgenommen wird, ist einfach das Essen und Trinken.

Ist dies nun der durch die Quellen gebotene Sachverhalt, so gibt es vorläufig keine Möglichkeit, die historische Feier und das Aufkommen ihrer Wiederholung zu verstehen. Was auch Jesus gesagt und gethan haben mag an jenem Abend, das Kultmahl der Gemeinde mit dem sakramentalen Essen und Trinken des Leibes und Blutes Christi, wie es in der ältesten Christenheit ziemlich von Anfang an sich ausgebildet hat, ist von da aus nicht zu verstehen. So wird Eichhorn, weil er bei der eingestandenen Bedeutung des Genussmomentes von der Heranziehung eschatologischer oder moderner Anschauungen absieht, notwendig zur Skepsis gedrängt.

Sie besteht in dem ausgesprochenen Verzicht, auf Grund der vorhandenen Berichte die historische und die wiederholte Feier19 in ihrem Zusammenhang zu begreifen, wenn nicht eine neue, von unseren Berichten unabhängige Thatsache ein Datum liefert, welches den Ausgangspunkt der uns unverständlichen Entwicklung kenntlich macht. — Gelingt es nicht, in der gnostischen Gedankenwelt ein sakramentales Essen, welches das Vorbild des Abendmahls abgeben könnte, nachzuweisen, sodass für die älteste Christenheit nicht das supranaturale Essen und Trinken als solches, sondern nur die Ersetzung einer andern übernatürlichen Substanz durch Christi Leib und Blut neu ist, dann muss auf ein Verständnis der historischen Feier und ihrer Entwicklung zur Gemeindefeier endgültig verzichtet werden.

7. Die neue „Thatsache“.

Um dem Skeptizismus zu entgehen, postuliert Eichhorn eine neue, über den Bestand unserer Quellen hinausgehende Thatsache. Seine Vorgänger, die mit ihm die ausschliessliche Betonung des Genusses gemein haben, ersetzen dieses Postulat durch eine angenommene Thatsache.

D. Fr. Strauss erklärt das Aufkommen der Abendmahlsfeier im Urchristentum, und damit die Entstehung unserer Berichte, durch das Missverständnis eines von Jesu bei dem letzten Mahl gesprochenen eschatologischen Wortes von seiten der Jünger.

Bruno Bauer verlegt die ganze Entwicklung, da er sie anders nicht erklären kann, in die Phantasie des Urevangelisten. Renan behilft sich mit der Annahme eines schon früher von Jesu geübten, den Jüngern bekannten geheimnisvollen Ritus des Brotbrechens. Spitta bringt eine eigenartige, im Grunde moderne eschatologische Vorstellung an die synoptischen Berichte heran, welche mit dem dort gebotenen eschatologischen Schlusswort in gar keiner Beziehung steht.

W. Brandt überträgt moderne Anschauungsweisen in die Gedankenwelt Jesu und seiner Jünger, ohne diese Uebertragung aus den Berichten begründen zu können.

So bildet die Untersuchung Eichhorn's den natürlichen Schlusspunkt der scheinbar so zusammenhangslosen Reihe der Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments. Durch die dialektische Behandlung des Problems entzieht er jeder künftigen Darstellung von vornherein die Berechtigung, wenn sie20 nicht eine neue geschichtliche Thatsache aufbringen kann, die erklärt, wie die Anschauung aufkam, dass Jesus den Jüngern zumutete, seinen Leib und sein Blut zu essen und zu trinken.

8. Die Skepsis in der Folge der einseitigen Herausarbeitung des Genussmoments.

Eichhorn's Postulat trägt auch nicht weiter als die behaupteten Thatsachen seiner Vorgänger. Er verlangt, dass die Vorstellung des supranaturalen Essens und Trinkens in einer schon vorhandenen religiösen Gedankenwelt nachgewiesen werde. Die nähere Kenntnis des „Gnostizismus“ könnte nach seiner Ansicht dazu führen.

Zugegeben, dass ein solches supranaturales Essen und Trinken schon existiert hätte, so müsste dargethan werden, wie man im Urchristentum dazu kam, diesen Gedanken ins Abendmahl herüberzunehmen. Inwiefern gab die historische Feier Ansatzpunkte dazu? Die von Eichhorn vorgeschlagene Operation hängt ganz in der Luft, denn unsere Berichte stehen einem solchen Beginnen vollständig fremd und ablehnend gegenüber.

Nun wäre die Umsetzung seines Postulats in eine dementsprechende historische Thatsache der einzige Ausweg aus der Skepsis. Gleich beim ersten Schritt zeigt sich aber, dass er völlig aussichtslos ist. Also muss eine Darstellung, welche von der Voraussetzung ausgeht, Jesus habe die Seinen bei Brot und Wein zum Genuss seines Leibes und Blutes aufgefordert, von vornherein, unter allen Umständen auf die Lösung des Problems verzichten! Die konsequente Herausarbeitung des Genussmoments führt notwendig zur Skepsis: das ist der Ertrag dieser Darstellungen.

9. Der logische Grund der Skepsis.

Wenn in der wissenschaftlichen Behandlung einer Frage die Skepsis sich einstellt, so liegt dies immer daran, dass sich in den Voraussetzungen eine unbegründete Behauptung versteckt hat, welche von da aus das menschliche Denken neckt und in die Irre führt. Die Wissenschaft an sich kann nie zur Skepsis führen. Mit der Aufdeckung der unerwiesenen Voraussetzungsbehauptung ist die Skepsis gehoben.

Worin besteht diese nun in den obigen Abhandlungen? Der Fehler kann nicht in der ausschliesslichen Geltendmachung des21 Genussmoments beruhen. Dass das Abendmahl von der urchristlichen Gemeinde als Mahlzeit übernommen und gefeiert wurde, dass die Handlung, welche die urchristliche mit der historischen Feier verbindet, nicht in dem symbolischen Handeln des „Stifters“, sondern in der Handlung der Teilnehmer, dem Essen und Trinken besteht: diese Thatsachen werden durch die Quellen geboten und durch das Urchristentum bestätigt.

Nicht in der Thatsache, sondern in der Art der Wertung des Genussmoments ist der Fehler zu suchen. Sämtliche obige Darstellungen formulieren sie dahin, dass Jesus die Jünger bei der Darreichung von Brot und Wein aufgefordert habe, seinen Leib zu essen und sein Blut zu trinken. Die Skepsis beruht also in der Verbindung des Mahlzeitcharakters der Feier mit den Gleichnisworten, denn damit ist eine Aussage gegeben, in der Subjekt und Objekt identisch sind: der Darbietende ist zugleich der Genossene. Hier hört das Denken auf. Das üppige Schlinggewächs historischer und exegetischer Einfälle ist keine Brücke über den Abgrund des Selbstwiderspruchs!

Statt also von der Konstatierung auszugehen, dass Jesus den Seinen seinen Leib und sein Blut zum Genuss dargereicht habe, muss man damit beginnen, diese Voraussetzung selbst zu prüfen. Ist es wirklich eine aus der urchristlichen Feier und aus den Berichten unumstösslich feststehende Thatsache, dass Jesus ihnen dies in irgend einer Form zugemutet hat? Wenn ja, dann ist die Lösung der Abendmahlsfrage unmöglich, da wir dabei das „wie“ aus unseren Texten nie erklären können und jede freie Deutung bei unseren Berichten ohne Rückhalt bleibt.

Fussnoten:

[7] David Fr. Strauss, Das Leben Jesu. 1. Ausgabe, Tübingen 1836. Bd. I, S. 396-442: Das Abendmahl.

[8] Bruno Bauer, Kritik der evangelischen Geschichte, 1842. Kritik der Evangelien, 1850, Bd. III S. 191-213.

[9] Kritik der evangelischen Geschichte, Bd. III S. 241: „Ein Mensch, der leiblich und individuell dasitzt, kann nicht auf den Gedanken kommen andern seinen Leib und sein Blut zum Genuss anzubieten.“

[10] E. Renan, La vie de Jésus 1863, S. 385 ff.


Sechstes Kapitel.

Die doppelseitigen Auffassungen mit Zugrundelegung des Genussmoments und abgeleiteter Geltendmachung des Darstellungsmoments.

Ad. Harnack, Erich Haupt, Fr. Schultzen, R. A. Hoffmann.

1. Allgemeines.

Diese doppelseitige Reihe steht unter dem Einfluss der Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments. Während die Richtung, die durch die Namen Rückert, Lobstein22 und Holtzmann gekennzeichnet wird, von dem Handeln Jesu ausgehend den Genuss der Teilnehmer zu erklären versuchte, verfahren die neuen doppelseitigen Auffassungen umgekehrt. Sie stellen den Genuss in den Vordergrund und suchen dieses Moment nun so zu formulieren und so zur Geltung zu bringen, dass auch das auf den Tod hinweisende Handeln Jesu damit in irgend einer Weise vereinbar ist und daraus seine Erklärung empfangt. Das Schwergewicht hat sich also von der einen auf die andere Seite verschoben.

In letzter Linie sind es exegetische Bedenken, welche die betreffenden Verfasser dazu führen, auch dem Leidensgedanken und dem Handeln Jesu Rechnung zu tragen. „Die Worte sind mir zu mächtig“, sagt Harnack bei der Würdigung der Auffassung Spitta's, deren Grundgedanke ihm zusagt, während die Exegese ihn nicht befriedigt. Es ist das Motto auch der übrigen doppelseitigen Darstellungen.

2. Ad. Harnack.

Brot und Wasser: die eucharistischen Elemente bei Justin (Texte und Untersuchungen Bd. VII S. 117 ff. 1891). Theologische Litteraturzeitung 1892 S. 373-378. Dogmengeschichte (3. Aufl.) Bd. I S. 64.

Durch eine Untersuchung, ob Wasser oder ob Wein das eucharistische Genusselement in der alten Kirche waren, kam Harnack im Jahre 1891 dazu, in entschiedener Weise zu betonen, dass in jener älteren Zeit die Symbolik sich nicht auf das Wesen der Elemente habe beziehen können, sondern dass die ganze Bedeutung der historischen und der urchristlichen Feier auf der Mahlzeit als solcher beruht habe.

Das Abendmahl muss eine wirkliche Mahlzeit gewesen sein; die in Frage kommende Handlung ist das Essen und Trinken. Jesu Worte beziehen sich auf den Genuss. „Die wichtigste Funktion des natürlichen Lebens hat der Herr geheiligt, indem er die Nahrung als seinen Leib und sein Blut bezeichnet hat. So hat er sich für die Seinen auf immer mitten hineingestellt in ihr natürliches Leben und sie angewiesen, die Erhaltung und das Wachstum dieses natürlichen Lebens zur Kraft des Wachstums des geistigen Lebens zu machen.“

Mit diesem Moment sucht nun Harnack noch ein anderes in Beziehung zu setzen und dadurch diese allgemeine religiöse 23Wertung des Genusses zu spezifizieren. „Der Herr hat ein Gedächtnismahl seines Todes eingesetzt, oder vielmehr, er hat die leibliche Nahrung als sein Fleisch und sein Blut, d. h. als die Nahrung der Seele, bezeichnet (durch die Sündenvergebung), wenn sie mit Danksagung in Erinnerung seines Todes genossen wird.“

Dieser Satz ist für Harnack's Auffassung entscheidend. „Oder vielmehr“, „d. h.“ und „wenn“ sind die Rangiergeleise, auf denen man von dem allgemeinen, wunderbar tiefen Gedanken herkommend, „dass der Herr die wichtigste Funktion des natürlichen Lebens geheiligt habe“, umsetzt, um die Einfahrt zur historischen Feier, mit dem dort ausgedrückten Leidensgedanken, zu gewinnen. Der allgemeine Mahlzeitcharakter seiner Auffassung wird also näher bestimmt durch folgende Sätze:

3. Erich Haupt.

Ueber die ursprüngliche Form und Bedeutung der Abendmahlsworte. Halle, Universitätsprogramm 1894.

Indem Jesus die zu Tische liegenden Jünger bei der Darreichung des Brotes und des Weines auffordert, seinen Leib und sein Blut zu geniessen, will er sagen: „Meine Person ist Träger der Kräfte eines höheren Lebens, welches so angeeignet werden und so zu einem Bestandteil eurer Personen werden will, wie dies bei der irdischen Nahrung der Fall ist. Dies gilt aber ganz besonders von meinem bevorstehenden Tode; gerade die Dahingabe meiner Persönlichkeit wird euch die in ihr beschlossenen Lebens- und Heilskräfte in vollstem Masse erschliessen und zu gute kommen lassen.“ Dieser Grundgedanke deckt sich vollständig mit dem Spitta's. Während aber letzterer ihm im Munde Jesu eine eschatologische Wendung gab, überträgt Haupt diesen durch den Ausdruck „Persönlichkeit“ als modern gekennzeichneten Gedankengang auf die historische Feier durch Zuhülfenahme des Leidensgedankens.

Die Eschatologie tritt dabei ganz zurück. Jesus hatte bei dem letzten Mahle auch von dem grossen Mahl der Vollendung gesprochen. Indem nun das ganze Mahl nachgebildet wurde, fanden auch diese eschatologischen Gedanken ihre Stelle. So ist24 bei Haupt das eschatologische Moment nicht zur Erklärung der Wiederholung benutzt, sondern erst aus der Wiederholung selbst verständlich.

Durch die nebenhergehende Geltendmachung des Todesgedankens für die Erklärung der Feier ist die Beibehaltung des Wiederholungsbefehls gegeben. In der Nacht des Verrats hat der Herr das ganze Mahl unter den Gesichtspunkt eines Abschiedsmahls gestellt. Er will sein Gedächtnis für die Zeit der Trennung wachhalten. „Somit ist nicht nur kein Gegengrund dagegen, dass Jesus die Wiederholung der Handlung seinen Jüngern anbefohlen hat, sondern ein dahin zielendes Wort ist sogar aus inneren Gründen höchst wahrscheinlich.“ Diese vorsichtige und zurückhaltende Begründung der Beibehaltung des Wiederholungsbefehls gibt den genauen Gradmesser ab für die Beeinflussung des zu Grunde gelegten Genussmoments durch das Darstellungsmoment und den Leidensgedanken.

Mit derselben Vorsicht äussert Haupt sich auch über das Verhältnis zwischen dem wiederholten Herrenmahl und der Agape. „Nicht zwei Teile sollen diese gemeinsamen Mahlzeiten haben, einen profanen, welcher der äusseren Sättigung dient, und einen religiösen, welcher der Erinnerung an Christi Tod gewidmet ist, sondern ihre ganze Zusammenkunft soll religiösen Charakter tragen, und das Herrenmahl im engeren Sinne ist nur der Höhepunkt des Ganzen.

4. Fr. Schultzen.

Das Abendmahl im Neuen Testament. Göttingen 1895.

In dieser Darstellung ist die Hervorhebung des Leidensgedankens und damit die Bedeutung des darstellenden Moments im Handeln Jesu aus der Nebenstellung fast bis zur Gleichstellung mit dem Genussmoment gerückt, wobei aber letzteres immer noch den Ausgangspunkt bildet. „Es spricht nichts dafür, dass etwa Jesus nur auf das Essen Gewicht gelegt habe und die Beziehung auf seinen Tod späterer Zusatz sei. Umgekehrt ist es aber auch nicht wahrscheinlich, dass Jesus nur eine symbolische Handlung bei jenem letzten Mahl vorgenommen hat, und dass die Verbindung mit dem Mahle nur durch den äusseren Anlass entstanden ist.“ Auch das Brot ist nicht blosses Symbol, sondern auf Grund des Symbols zum wenigsten Repräsentant und Vermittler des Leibes Jesu.

25 Das Genussmoment und das darstellende Moment werden durch den Begriff des Opfermahls zusammengehalten. Den Jüngern waren Jesu Gedanken aus der religiösen Vorstellungswelt Israels bekannt und fasslich. In dem Begriff des Opfermahls war die Wiederholung unmittelbar gegeben und ebenso der Empfang der in ihm gespendeten Gabe. So hat, trotz des Fehlens des Wiederholungsbefehls, Jesus auch nach dem Bericht des Markus an eine Wiederholung gedacht, weil er eine Gabe spendet, die auch für die fernsten Zeiten Wert hat.

Wie bei Erich Haupt vermögen die eschatologischen Gedanken auch bei Fr. Schultzen sich nur anhangsweise Geltung zu verschaffen, nachdem die Wiederholung der Feier schon anderweitig feststeht. „Die Parousiegedanken bei dieser Feier erklären sich bei der lebhaften Sehnsucht der Gemeinde nach der Parousie leicht, da das Abendmahl auch nach I Kor 11 26 eine Feier ist, die in der Wiederkunft Christi ihr Ziel erreicht hat.“

Die Trennung von Mahlzeit und Abendmahl wird bereits für die Urgemeinde vorausgesetzt. Paulus prägt schon Vorhandenes schärfer aus. Die später erfolgte Abtrennung der „Eucharistie“ von dem Mahle erklärt sich viel einfacher, wenn sie bereits ein besonderer Teil derselben war, als wenn man das ihr besonders Eigentümliche gar nicht erkennen konnte.

5. R. A. Hoffmann.

Die Abendmahlsgedanken Jesu Christi. Königsberg 1896.

Bei Hoffmann tritt das Darstellungsmoment noch stärker hervor als bei Schultzen. Es wird geradezu eine zweifache Art von Teilnehmern vorausgesetzt. Das darstellende Handeln geht auf die einen, der Genuss ist für die andern bestimmt. „Vergossen wurde sein Blut für das ungläubige Volk, zu trinken gab er es den Seinen.

Mit letzterem will er sagen, dass, da das Blut die Seele ist, seine Seele in sie übergehen werde, um ihnen zu ihrer bevorstehenden hohen Mission Kraft zu geben, sie zu stärken, damit auch sie, wenn der Fall an sie herantritt, imstande seien, ihrerseits ihre Seele als Lösegeld für andere dahinzugeben. Nicht seinen Leichnam reicht er ihnen dar, sondern seinen lebendigen Leib als den Träger des ihm innewohnenden göttlichen Geistes.

„In der urchristlichen Feier kommt, neben dem Essen und Trinken, auch dem, was Jesus gethan hat, dem Brechen und26 Danken — in entsprechender Wiederholung — Bedeutung zu.“ Dies war der Standpunkt von Schultzen. Hoffmann geht noch weiter. „Das Wesentliche der ersten Mahlzeit war ohne weiteres nicht zu wiederholen, eben die Handlung des Herrn, wie sich in ihr seine überragende Geistesgrösse, seine Kraft und Leben ausströmende Gegenwart noch zum letztenmal ihnen dokumentiert hatte“ (S. 106).

Eine Wiederholung ohne Wiederholungsbefehl ist also undenkbar. Der Wiederholungsbefehl muss sich vor allem auf den Genuss bezogen haben, da Jesus zur Erinnerung an ihn ein Mahl eingesetzt hat. Es lässt sich nicht mehr ausmachen, wie sich in der ersten Zeit das Abendmahl des näheren zur Gemeindemahlzeit verhalten habe. Für Paulus jedenfalls war die feierliche Gemeindemahlzeit mit dem Abendmahl untrennbar verbunden.

Der Eschatologie kommt in der Darstellung Hoffmann's keine Bedeutung zu.


Siebentes Kapitel.

Der gesetzmässige Zusammenhang zwischen den Einzelfragen.

1. Der Wiederholungsbefehl.

Die historische Feier ist eine Mahlzeit: darin liegt ihre Wiederholung von selbst begründet. Wenn Jesus dem Essen und dem Trinken im gemeinsamen Kreis der Seinigen eine besondere, irgendwie segensreiche Bedeutung verleiht, so ist hiermit ohne weiteres die Wiederholung gefordert. Er braucht das nicht in einem Befehl ausgesprochen zu haben.

Dies ist der Standpunkt der das Genussmoment ausschliesslich betonenden Darstellungen. Auch die doppelseitigen Auffassungen, welche das Genussmoment zu Grunde legen, stimmen damit überein. Wenn die Jünger Jesum verstanden haben, mussten sie von selbst diese Feier wiederholen. Sofern hingegen das Darstellungsmoment nebenbei betont wird, ist nun aber die Wiederholung gar nicht selbstverständlich. Was Jesus gethan, das kann eigentlich nicht wiederholt werden.

So gehen diese doppelseitigen Darstellungen von dem Gedanken aus, dass der Wiederholungsbefehl eigentlich überflüssig ist, kommen aber dann dazu, ihn doch irgendwie als möglich oder notwendig anzunehmen.

27 Die Frage bleibt für sie also in der Schwebe. Je stärker der Leidensgedanke und das Darstellungsmoment für die historische Feier geltend gemacht werden, mit desto grösserer Entschiedenheit wird zur Erklärung der eingetretenen Wiederholung eine darauf hinzielende Anweisung gefordert.

2. Das Abendmahl und die urchristliche Gemeindemahlzeit.

In der Gemeindefeier steckt ein Doppeltes. Wiederholt wird eine gemeinsame Mahlzeit. Dabei soll aber in irgend welchem Masse ein historischer, an sich einzigartiger Moment reproduziert werden. In welchem Verhältnis steht das wiederholte „Herrenmahl“ zu den gemeinsamen religiösen Mahlzeiten des Urchristentums?

Nach den Auffassungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments sind beide identisch, denn für sie besteht ja auch die historische Feier nur in der Mahlzeit als solcher. Die doppelseitigen Darstellungen aber kommen hier in dasselbe Gedränge, wie mit dem Wiederholungsbefehl. Auch sie, sofern sie den Mahlzeitcharakter zu Grunde legen, sollten eigentlich die Identität proklamieren. Nun betonen sie aber daneben auch das Darstellungsmoment. Dann wird aber die Gemeindefeier zur Wiederholung einer bestimmten historischen Situation, welche nicht mehr durch die gemeinsame Mahlzeit als solche reproduziert wird. Das wiederholte Herrenmahl soll also jetzt von der gemeinsamen religiösen Mahlzeit irgendwie abheben, jedoch nur soweit, dass die letzthinige Einheit beider festgehalten wird. Die Schwierigkeit wächst mit der stärkeren Betonung des Darstellungsmoments. Man erhält folgende Stufenleiter:

W. Brandt: Jesus macht die gemeinsamen Mahlzeiten zum Symbol der Gemeinschaft. Als nach seinem Tode der Glaube an ihn neu auflebte, wurde natürlich das vom Herrn selbst gegebene Symbol der Gemeinschaft besonders gepflegt. Gemeindemahlzeit und „Herrenmahl“ sind identisch.

Fr. Spitta: „Es wurde bei Brot und Wein immer daran gedacht, wie er damals darauf hingewiesen, dass er jetzt und in alle Ewigkeit die rechte Speise und Erquickung ihrer Seele sei.“ Die Didache repräsentiert die urchristliche Feier. Herrenmahl und Agape waren danach identisch. Es ist verfehlt, Didache 9 und 10 als Einleitungsgebete zur „eigentlichen Abendmahlsfeier“ auffassen zu wollen.

28 Ad. Harnack: Hier beginnt die Differenzierung. Sie ist in dem klassischen Satz mit den Rangiergeleisen enthalten. „Der Herr hat ein Gedächtnismahl seines Todes eingesetzt, oder vielmehr, er hat die leibliche Nahrung als sein Fleisch und sein Blut, d. h. als die Nahrung der Seele bezeichnet (durch die Sündenvergebung), wenn sie mit Danksagung in Erinnerung seines Todes genossen wird. So haben die Apostel seine Stiftung verstanden.“ Eine Feier, bei der alle diese näheren Bestimmungen zum Ausdruck kommen sollen, ist aber keine einfache gemeinsame Mahlzeit mehr, sondern eine Ceremonie. „Jesus verhiess ihnen, dass er mit der Kraft seiner Sündenvergebung bei jeder Mahlzeit sein werde, die sie zu seinem Gedächtnis halten würden.“ Wie wurde aber die gemeinsame Mahlzeit als „Gedächtnismahl“ gekennzeichnet? Durch welche Akte, durch welche Reden? Wie wurde die Situation des historischen Mahls reproduziert, wo doch auch das „Abendmahl“ nur ein besonderer Augenblick im Verlauf der letzten gemeinsamen Mahlzeit gewesen war?

Erich Haupt: „Die ganze Zusammenkunft soll religiösen Charakter tragen, und das Herrenmahl in engerem Sinn ist nur der Höhepunkt des Ganzen.“ Weil Haupt das Darstellungsmoment stärker betont als Harnack, kann er Gemeindemahl und „Abendmahl“ nicht irgendwie in einander übergehen lassen, sondern er muss das Abendmahl als eine besondere Situation auffassen, die den Höhepunkt der ganzen Mahlvereinigung repräsentiert. Er kann nicht darum herumkommen, die auf Grund der Stiftung „wiederholte Handlung“ von der religiösen Mahlzeit sich abheben zu lassen und doch wieder die letzthinige Einheit beider festzuhalten. So bleibt ihm nur das Verhältnis der Steigerung.

Spitta und Harnack bestreiten, dass in Didache 10 6 „wenn einer heilig ist, trete er herzu“ eine besondere Feier beginnt. Haupt muss seine Steigerung auch hier wiederfinden und nimmt an, dass diese Worte die eigentliche Abendmahlsfeier einleiten. Das „Herr, komme doch“ bezieht sich auf die Gegenwart des Herrn im „Sakrament“.

Fr. Schultzen: Durch den Begriff des „Opfermahls“ hält er die beiden auseinanderstrebenden Teile der Feier zusammen. Er kann sie aber nicht mehr, wie Erich Haupt, in das Verhältnis 29der Steigerung setzen — dazu ist die Betonung des Darstellungsmoments bei ihm schon viel zu stark — sondern er muss die Trennung konstatieren. „In dem Begriff des Opfermahls ist die Wiederholung der Mahlzeit unmittelbar gegeben und ebenso der stetige Empfang der gespendeten Gabe“ (S. 74). Wiederholt wird aber zweitens die Handlung des Veranstalters der Opfermahlzeit, als Voraussetzung des Empfangs und des Genusses der Teilnehmer. „Die Gabe, die er ihnen zuwandte, sollte den Erfolg haben und hat ihn auch wirklich gehabt, dass sie wiederholten, was er gethan, und damit auch ferner an dem Segen seines Opfertods Anteil erhielten“ (S. 96).

Wie soll man sich aber vorstellen, dass die Jünger beim gemeinsamen Mahl „wiederholten, was er gethan?“ Das bedeutet nichts anderes, als dass das Gemeindemahl und das Abendmahl auf die Trennung angelegt waren. In I Kor 11 macht Paulus die schon vor ihm angebahnte Scheidung nur stärker geltend. Dass nachher die Eucharistie vom Mahle gänzlich losgelöst wurde, „ist nur die geschichtliche Vollendung des schon in der Stiftung enthaltenen Prozesses“.

R. A. Hoffmann: Das Darstellungsmoment tritt so stark hervor, dass Hoffmann auf die Lösung des Problems verzichtet. „Das Wesentliche der ersten Abendmahlsfeier war ohne weiteres nicht zu wiederholen, eben die Handlung des Herrn“ (S. 106). Auf den von Jesus selbst vorgenommenen Akt kann der Wiederholungsbefehl nicht gehen. Ihn auf die Handlung der Teilnehmer, das Essen und Trinken zu beziehen, ist zwar grammatikalisch sozusagen unmöglich. Da aber nichts anderes übrig bleibt, müssen wir eben annehmen, Jesus habe zum Mittel der Erinnerung an ihn „ein Mahl eingesetzt“.

Wie er das verstanden haben wollte, ist nicht klar. Es ist stark mit der Möglichkeit zu rechnen, „dass dasjenige, was uns von den Worten Jesu bei der Einsetzung seines Mahles überliefert worden ist, nicht alles repräsentiert, was er wirklich zur Aufklärung über seine uns heutzutage so schwer verständliche Handlung gesprochen hat“ (S. 115).

Wie man es mit der Feier im Urchristentum gehalten hat, darüber ist keine vollständige Klarheit zu gewinnen. Wir wissen nur, „dass das Abendmahl in der Urgemeinde eine wirkliche Mahlzeit war, wobei sehr wahrscheinlich ist, dass das Brotbrechen zugleich Herrenmahl war“ (S. 137).

Zusammenfassung. Die Untersuchung ergibt folgenden30 Satz: Bei ausschliesslicher Geltendmachung des Genussmoments sind die Gemeindemahlzeit und das Abendmahl identisch. Mit der nebenhergehenden Betonung des Darstellungsmoments wird die Differenzierung zwischen beiden in steigendem Masse notwendig, bis zuletzt beide auseinanderfallen.

3. Die Antinomie zwischen der historischen und der urchristlichen Feier.

Es ist wohl nicht das geringste Verdienst der grossartigen Abhandlung Spitta's, in voller Schärfe das Prinzip proklamiert zu haben, dass eine Abendmahlsauffassung nur dann Wert hat, wenn sie das Wesen der urchristlichen Feier, wie es uns besonders in der Didache begegnet, erklärt. Dementsprechend bildet die urchristliche Feier auch den Hauptstützpunkt seiner Darstellung. Er wird ihr vollkommen gerecht, da seiner Auffassung zufolge das Abendmahl eine Freudenmahlzeit war. Indem er von einem Wiederholungsbefehl und von einer Abhebung des „Abendmahls“ von der Gemeindemahlzeit absieht, stimmt er vollständig mit der urchristlichen Ueberlieferung überein; diese weiss ja auch nichts davon, dass die Feier eine auf den Befehl Jesu erfolgende ausgesprochene Reproduktion jener historischen Situation sein soll.

Während Spitta so die urchristliche Feier vollkommen erklärt, vermag er aber der historischen in keiner Weise auch nur annähernd gerecht zu werden. Das teilt er mit allen Auffassungen, welche das Genussmoment einseitig herausarbeiten. Inwiefern die Jünger Jesum verstehen mussten und verstanden haben, als er sie aufforderte, seinen Leib und sein Blut zu geniessen: das vermögen sie, ohne unerlaubte Kunstgriffe, in keiner Weise deutlich zu machen. Für die historische Situation bleibt ihnen nur der Skeptizismus übrig, wobei sie sich trösten dürfen, wenigstens der urchristlichen Feier gerecht zu werden.

Mit den doppelseitigen Auffassungen steht es folgendermassen: Je mehr sie das Darstellungsmoment betonen, desto besser und ansprechender können sie die historische Feier erklären, da sie nun den Leidensgedanken und die Symbolik des Handelns Jesu für die Deutung der Gleichnisse verwerten können. In demselben Masse aber werden sie unfähig, die urchristliche Feier zu erklären. Mit dem Darstellungsmoment ist ja31 der Wiederholungsbefehl, die Bedeutung des Leidensgedankens für die Feier und die Differenzierung zwischen Abendmahl und Gemeindemahlzeit gegeben. Das alles läuft aber der urchristlichen Ueberlieferung schnurstracks zuwider. Diese weiss nichts davon, sondern sie beschränkt sich merkwürdigerweise auf den Satz: Das Abendmahl ist ein Freudenmahl, bei dem das darstellende Handeln Jesu in keiner Weise irgendwie reproduziert wird.

Die Antinomie ist also unlösbar. Eine doppelseitige Auffassung erklärt die historische Feier nur in dem Masse, als sie die urchristliche nicht erklärt und umgekehrt. Dieser Satz enthält das Grundresultat der Untersuchung über die doppelseitigen Darstellungen. Infolge dessen müssen sie auf die Lösung des Problems verzichten, da keine von ihnen, und wäre sie noch so geistreich, über diese Antinomie hinauskommen kann.

Letztere liegt eben in der bisherigen Problemstellung selbst begründet, welche die urchristliche Feier als eine entsprechende Wiederholung der historischen auffassen will. Nun ist aber das Wiederholte der Geschichte zufolge dem Ursprünglichen gar nicht ähnlich. Die historische Feier ist eine Ceremonie im Verlauf einer Mahlzeit, die urchristliche ist nur eine gemeinsame Mahlzeit ohne entsprechende Wiederholung der Ceremonie. Damit ist Antinomie unabweisbar gegeben.

Nun steht aber fest, dass die urchristliche auf die historische Feier zurückgeht. Also ist das Problem erst dann gelöst, wenn der Zusammenhang beider erklärt wird, ohne dass deshalb die Gemeindefeier irgendwie eine entsprechende Nachbildung der historischen ist. Die urchristliche Abendmahlsfeier ist etwas Selbständiges.


Achtes Kapitel.

Die Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des Darstellungsmoments.

1. Das Gefechtsfeld.

Die Darstellungen mit ausschliesslicher Betonung des Genussmoments bedeuteten einen kühnen Vorstoss gegen die allgemein verbreitete Auffassung, welche durch die Namen Rückert, 32Holtzmann und Lobstein vertreten ist. Es konnte einen Augenblick scheinen, als hätte die hergebrachte Ansicht durch diesen unerwarteten, geschlossenen Angriff gegen die Deutung der Gleichnisse aus dem Handeln Jesu alle ihre Positionen verloren. Jetzt aber, wo die Lage sich langsam klärt, zeigt sich, dass dies nicht der Fall ist.

Wohl mussten einige exponierte Stellungen von dem angegriffenen Teil aufgegeben werden. Dafür hat er sich aber in eine Position zurückgezogen, die als unüberwindbar gelten darf. Die Sache steht so, dass der Angreifer darauf verzichten muss, diese befestigte Stellung jemals zu erobern, der Angegriffene aber auf absehbare Zeit nicht an eine Aktion im freien Felde denken kann.

Zu den aufgegebenen Positionen gehört vor allem die Stellung zur Frage des Passahmahls. Während bis in die 70er und 80er Jahre das letzte Mahl den Synoptikern entsprechend fast allgemein als Passahmahl aufgefasst wurde, sucht man jetzt diese Frage aus dem Zusammenhang mit der Gesamtauffassung herauszurücken. Man begnügt sich mit einer vorsichtigen chronologischen Erwägung, ob das synoptische Datum wahrscheinlich sei oder nicht.

Aehnlich steht es mit dem Wiederholungsbefehl. Auch die Auffassungen mit Zugrundelegung des Darstellungsmoments suchen sich von der Notwendigkeit eines auf die Wiederholung hinweisenden Wortes frei zu machen.

Zugleich wird das Genussmoment im ganzen doch entschiedener hervorgehoben als es bisher der Fall war. Es bleibt jedoch immer in Abhängigkeit vom Darstellungsmoment und wird erst durch dasselbe verständlich.

Diese Verschiebungen in der Position kann man am besten in den successiven Kundgebungen Lobstein's und Holtzmann's verfolgen, soweit sie die Abendmahlsfrage betreffen. Sie haben die Verteidigungsstellung eingerichtet.

2. Der Verteidigungsplan. P. W. Schmiedel.

Protestantische Monatshefte 1899: Die neuesten Ansichten über den Ursprung des Abendmahls.

Dem etwas forschen Vorgehen Eichhorn's gegenüber unternahm es Schmiedel darzuthun, wie die Sachen eigentlich liegen. Er zeigt zunächst, dass die chronologischen Gründe gegen die Möglichkeit, dass das letzte Mahl ein Passahmahl war,33 zusammengenommen allerdings einen grossen Eindruck machen. Betrachtet man sie aber einen nach dem andern, so verlieren sie bedeutend an Energie. Die Annahme, dass Jesus das gesetzliche Passah feierte, ist also nicht von der Hand zu weisen, da die entschiedenen Aussagen der Synoptiker den chronologischen Einwürfen wohl das Gleichgewicht halten können.

Ueberdies lässt sich der Passahgedanke in ansprechender Weise zur Erklärung der historischen Feier heranziehen, wobei mit der Möglichkeit zu rechnen ist, dass in Jesu Seele Passah- und Bundesgedanken zusammenflossen.

Was die Handlung betrifft, die er vorgenommen haben soll, ist anzunehmen, dass das Bedeutsame mindestens in erster Linie das Brechen des Brotes und das Ausgiessen des Weines aus dem Krug in den Becher sei. Das Austeilen dieser Speisen zum Genuss schliesst sich als etwas Zweites an. „Um der Hauptsache willen wäre es nicht nötig gewesen; aber da man einmal beim Mahle sass, war es naturgemäss.“ Es dient demselben Zwecke wie das einem Bundesopfer oder dem Passahopfer nachfolgende Mahl überhaupt, der gemeinsamen Aneignung und Pflege des in dem Opfer vorkommenden Gedankens.

Die Frage, ob der Wiederholungsbefehl historisch ist oder nicht, bleibt hier in der Schwebe. Wäre er sicher überliefert, so wäre er verständlich. Aber ebenso begreiflich ist es, dass Jesus an eine Wiederholung nicht dachte.

Der genialen Unbesonnenheit gegenüber ist ruhiges Abwägen absolut notwendig. S. 148: „Wir müssen noch darauf aufmerksam machen, wie dringend es sich empfiehlt, auf jeden dem unsrigen ähnlichen Versuch wohlwollend einzugehen, wenn man nicht in unlösbare Schwierigkeiten kommen will.“ Der hohe Wert dieser Stellung beruht nämlich in der Stütze, die sie in einer natürlichen Exegese unserer neutestamentlichen Abendmahlsberichte findet. Durch seine Geltendmachung des Darstellungsmoments kann Schmiedel jeden einzelnen Zug der historischen Situation, jeden durch die Exegese angedeuteten Nebengedanken in seiner Gesamtauffassung unterbringen. Es ist gelungen, „die Möglichkeit, dass Jesus eine der Beschreibung ungefähr entsprechende Feier wirklich gehalten habe“, auf einen sehr hohen Grad der Wahrscheinlichkeit zu bringen. Die Herleitung der Berichte aus34 der späteren Gemeindetheologie, etwa gar mit Benutzung ausserchristlicher Analogien, wird von selbst gegenstandslos. Jede derartige Konstruktion muss zuerst den Nachweis erbringen, dass die von ihr behauptete Umbildung sich in so kurzer Zeit nach Jesu Tod habe einbürgern können.

Damit erschöpft sich aber der Wert dieser Verteidigungsstellung: sie verfügt über sicher schiessende, gut placierte Geschütze, die aber nicht sehr weit tragen, sodass vor den Augen der Belagerten die Reiterschwärme der Belagerer sich auf dem unbestrichenen Terrain vergnügt und unbehelligt tummeln. Es ist nämlich unmöglich, dass jemals eine mit der Schmiedel'schen verwandte Auffassung erklären könne, wie die von ihnen bis ins einzelne verstandene historische Feier im Urchristentum, etwa noch gar ohne Annahme eines dahinzielenden Befehls Jesu, wiederholt worden ist. Denn das Schwergewicht liegt ja für sie in dem Handeln Jesu. Nun ist dieses Handeln Jesu in der urchristlichen Feier gar nicht wiederholt worden, weil dies unmöglich ist. Der Leidensgedanke fehlt ihr ja vollständig. Sie ist eine Mahlzeit, bei welcher, so viel wir wissen, die Ceremonie der historischen Feier in keiner Weise reproduziert wurde. Das Nebensächliche, das Essen, ist also Hauptsache geworden und die Hauptsache ist in der wiederholten Feier ganz zurückgetreten.

Ausserhalb des schmalen, von den Festungsgeschützen beherrschten Terrainstreifens ist also der geringste Reitertrupp des Angreifers gegen die wohlbewaffnete, aber schwerfällige Besatzung im Vorteil, wenn sie einen Ausfall wagen sollte. Jede kecke Konstruktion, von Strauss bis auf Eichhorn, kann das Aufkommen und das Wesen der urchristlichen Feier besser erklären, als die exegetisch gewissenhafte, aus den Berichten destillierte Auffassung Schmiedel's. Nur halte die erstere sich ausser Bereich des exegetischen Verteidigungsfeuers, wenn sie nicht durch den ersten Schuss ausser Gefecht gesetzt sein will. Fürwahr ein merkwürdiger Kampf, wo es einen nicht Wunder nimmt, dass jeder als Sieger thut, obwohl der andere unbesiegt ist.

3. Die Offensive. Adolf Jülicher.

Zur Geschichte der Abendmahlsfeier in der ältesten Kirche. 1892. (Theologische Abhandlungen, K. v. Weitzsäcker gewidmet.)

Jülicher berührt sich am nächsten mit Zwingli, dessen Auffassung er ins Moderne übersetzt, indem er auf die gegenwärtige35 Form der Fragen Rücksicht nimmt. Es handelt sich um die einseitige Geltendmachung des Darstellungsmoments.

Alle auf dem Genussmoment beruhenden Auffassungen legen Jesu moderne Gedanken unter. Was er bei jenem Mahle zuletzt so besonders feierlich sagte, muss für jeden Anwesenden unmittelbar verständlich gewesen sein. Der Vergleichspunkt muss also in dem liegen, was er vor den Augen der Jünger mit den Genusselementen vornimmt: in dem Brechen des Brots und in dem Ausgiessen des Weins. Der Sinn der begleitenden Worte bezieht sich auf den bevorstehenden Tod. „So wie dieser Wein alsbald verschwunden sein wird, so wird alsbald mein Blut vergossen sein, denn mein Tod ist eine beschlossene Sache; aber“, fügt er tröstend hinzu, „es wird nicht umsonst vergossen, sondern „für viele“ und — ein bildlicher Ausdruck, der in dem Gedankenkreis des Passahtages lag — als ein Bundesblut.“ Nur den Gegenstand des Geniessens vergleicht Jesus hier und dort mit seinem Leibe, auf das Geniessen reflektiert er gar nicht. Höchstens insofern das Genussmoment aus dem vorhergehenden darstellenden Moment irgend eine Bedeutung empfängt, kann man ihm problematische Geltung zugestehen. So hatte die Feier ursprünglich einen wehmütig schmerzlichen Charakter, welcher nur aus der Situation begriffen werden kann.

Nun lässt die älteste Ueberlieferung Jesum durch nichts andeuten, dass er jene sinnvolle Handlung auch künftighin von seinen Gläubigen vollzogen sehen möchte. Wie hat man aber dann in der Urkirche aus dieser historischen Feier so schnell eine zu steter Wiederholung bestimmte Handlung machen können? Zuerst war es wohl ein inneres Bedürfnis. Passahgedanken und Abschiedserinnerungen wirkten mit. Bald fand die Wiederholung im Zusammenhang mit jedem Mahle statt und es kam die Vorstellung eines ausdrücklichen darauf hinzielenden Gebotes Jesu auf. „So weit es irgend ging, wollte man die Situation von ehedem reproduzieren, nur dass man jetzt auf das zurückblickte, was damals angekündigt werden sollte“ (S. 247). Diese Feier wurde nach dem ersten Akt kurz das Brotbrechen genannt. Bei der Austeilung der sakramentalen Elemente hat man wohl nicht von jeher die Deutungs- respektive Einsetzungsworte des Herrn verbotenus wiederholt, denn sonst würde deren Ueberlieferung nicht so viele Differenzen aufweisen. Nach I Kor 11 26 hat man dabei nie versäumt, den Tod des36 Herrn zu verkünden, also immer wieder das erschütternde Ereignis sich vor Augen zu stellen und seine Notwendigkeit, wie seine segensreichen Wirkungen zu erörtern; aber das geschah in freien Formen.

4. Die Skepsis in den Auffassungen mit einseitiger Geltendmachung des Darstellungsmoments.

Die Darstellung Jülicher's bedeutet für die Abendmahlsauffassungen mit konsequenter Zugrundelegung des Darstellungsmomentes das, was die Abhandlung Eichhorn's für die das Genussmoment zu Grunde legenden Auffassungen war. Beide zeigen durch die Konsequenz ihres Gedankenaufbaus, dass die alleinige Betonung des von ihnen zu Grunde gelegten Moments notwendig zum Skeptizismus führt. Dies tritt bei Eichhorn darin zu Tage, dass er die historische Feier, von der urchristlichen Gemeindefeier aus betrachtet, nicht zu erklären vermag. Jülicher kann die Gemeindefeier von der historischen Feier aus nicht erklären.

Er hat ganz Recht, wenn er sagt, dass die Zugrundelegung des Genussmoments die Zuhülfenahme moderner Gedanken zur Erklärung der historischen Worte Jesu fordere. Heisst es aber nicht ebenso sehr moderne Gedanken auf vergangene Zeiten übertragen, wenn man sich die urchristliche Feier als gewollte, möglichst genaue Reproduktion der Situation von ehedem begreiflich machen will? Jülicher's Auffassung könnte die zwinglische Gemeindefeier erklären — und da fehlte ihm noch der Wiederholungsbefehl — aber niemals die urchristliche religiöse Gemeindemahlzeit.

Die Schwierigkeiten werden gerade durch seine scharfe und logisch einheitliche Gesamtauffassung mit absoluter Deutlichkeit herausgearbeitet. Er erlaubt sich nicht zwischen dem Abendmahl im eigentlichen Sinne und der Gemeindemahlzeit zu unterscheiden. Mit diesem Spielraum hatten die doppelseitigen Darstellungen aller Schattierungen operiert und damit die grössten Schwierigkeiten überwunden. Die ganze Gemeindefeier ist „Herrenmahlzeit“ — so sagt Jülicher und stimmt dabei mit niemand so vollkommen überein als mit Spitta und Eichhorn.

Damit ist aber die Antinomie, welche zum Skeptizismus führt, notwendig gegeben. Die Gemeindefeier, auf die Jülicher von seiner Auffassung der historischen Feier aus kommt, ist eine Fiktion, welche der wirklichen urchristlichen Mahlfeier geradezu37 widerspricht, da die letztere „keine Reproduktion der Situation von ehedem“ war. Wie die Wiederholung aufgekommen, vermag er in keiner Weise darzuthun. „Dass es zunächst wohl ein inneres Bedürfnis war, bei dem Passahgedanken und Abschiedserinnerungen mitwirkten“: diese problematische und gewundene Annahme erklärt für die Wiederholung gar nichts.

Nun könnte Jülicher durch den Wiederholungsbefehl um die Schwierigkeit herumkommen. Das erlaubt ihm aber sein exegetisches Gewissen nicht. Obwohl er ihn absolut notwendig brauchte, verzichtet er darauf, weil er durch die beiden ältesten Synoptiker nicht bezeugt ist. Seine ansprechende Auffassung ist aus der exegetischen Betrachtung der Berichte erwachsen. Gerade die Exegese beraubt ihn aber der einzigen Möglichkeit, die Wiederholung der von ihm geschilderten Feier im Urchristentum auch nur einigermassen begreiflich zu machen. Die urchristliche Feier als Reproduktion der historischen Situation ohne Wiederholungsbefehl ist einfach undenkbar. Also stehen wir hier vor einer vollständigen Selbstauflösung. Um das Aufkommen der urchristlichen Feier zu erklären, müsste Jülicher eine unabhängig von den Berichten gegebene Thatsache postulieren — wie Eichhorn es thut, um das Aufkommen des historischen Berichts fasslich zu machen.

Die konsequente Geltendmachung des Darstellungsmoments führt also zu derselben Skepsis, wie die einseitige Herausarbeitung des Genussmoments.


Neuntes Kapitel.

Die neue Problemstellung.

1. Das Ergebnis der Untersuchung.

Die Auffassungen mit einseitiger Betonung des Genussmoments können nur die urchristliche, nie die historische Feier erklären.

Die Auffassungen mit einseitiger Betonung des Darstellungsmoments können nur die historische, nie die urchristliche Feier erklären.

Die doppelseitigen Auffassungen können die historische Feier nur in dem Masse erklären als sie die urchristliche nicht erklären, und umgekehrt.

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Also vermag keine dieser Auffassungen das Abendmahlsproblem zu lösen, da dieses gerade verlangt, dass beide Feiern in ihrem gegenseitigen Zusammenhang begriffen werden!

Durch diese Sätze werden nicht bloss die hier besonders analysierten Auffassungen betroffen. Diese sind nur Typen für so und so viele andere, die schon veröffentlicht worden sind oder noch im Zeitenschosse schlummern. Vergangen oder zukünftig: alle werden sie durch die obigen drei Sätze schon im Vorverfahren abgethan. Ehe sie überhaupt gehört werden können, müssen sie zuerst nachweisen, dass sie etwas anderes sind als eine neue Kombination von Darstellungs- und Genussmoment. Können sie das nicht, so sind sie von vornherein abgewiesen, denn dann vermögen sie das Problem nicht zu lösen. Es kommt ja nicht auf ihr bestimmtes Gepräge oder auf die Art, wie sie sich historisch und exegetisch darstellen, an, sondern nur auf das Verhältnis, in dem das Darstellungs- und das Genussmoment darin zu einander stehen. Alles andere ist Beiwerk.

Jede Auffassung ist durch die Formel bedingt, welche das von ihr angenommene Verhältnis des Darstellungs- zum Genussmoment ausdrückt. Damit ist ja ihre Stellung zu den Einzelfragen — dem Wiederholungsbefehl, der Deutung der Gleichnisse, der Form der angenommenen urchristlichen Feier u.s.w. — entschieden. Man kann sie danach geradezu ausrechnen. Was die Verfasser dann noch von dem Ihrigen an geistreichen Einfällen, exegetischen Funden und genialen Inkonsequenzen hinzuthun, das ist alles ohne Belang. Ohne dass sie es wissen, folgen sie ja einem inneren Zwang. Weil sie müssen, nehmen sie die schwersten exegetischen Hindernisse! Weil sie nicht anders können, übersehen sie schwerwiegende historische Fragen! Weil sie die Verschnörkelungen am Erker nach freiem Bedünken entwerfen dürfen, sind sie — und die andern mit ihnen — geneigt zu vergessen, dass ihnen der Grundriss des Baues aufgegeben ist.

Unter den gegebenen Voraussetzungen gibt es keine neuen Abendmahlsauffassungen mehr. Ob auch eine aus einer exegetischen oder historischen Beobachtung hervorwächst, kann sie im Grunde doch nichts anderes sein, als die Wiederholung oder Modifizierung einer schon vorhandenen, nämlich39 der, mit welcher sie die Formel über das Verhältnis der beiden Momente gemein hat. Wollte man sich die Mühe geben, den Stammbaum der vorhandenen Auffassungen aufzustellen, so würde es nicht schwer halten, jeder ihre Vorfahren zu entdecken.

Die Darstellungen mit einseitiger Herausarbeitung des Genussmoments sind nur die wissenschaftlich-historische Reproduktion der altgriechischen Auffassung.

Zwingli hat die römische Theorie rationalisiert und ist von Jülicher ins modern-geschichtliche übertragen worden.

Die doppelseitigen Auffassungen geben die Vermittlungsversuche zwischen der Messe und dem griechischen Mysterium und diejenigen der Reformationszeit in historischer Form wieder. Man kann also ruhig sagen, dass alle möglichen Kombinationen der beiden Momente schon erschöpft sind.

Mit „neuen Auffassungen“ ist also nichts gethan; neu daran ist immer nur der Einfall, nie die Formel — und auf letztere kommt es allein an. Darum führt die Detailauseinandersetzung mit einer solchen neuen Auffassung zu gar nichts. Das für „richtig“ und das für „falsch“ Befundene hängen ja gesetzmässig zusammen: eins ist nur insofern richtig, als das andere falsch ist.

Daran liegt es, dass Arbeiten in der Art, wie sie Rud. Schäfer, Clemen[11] und Schmiedel zu den neuesten Aufstellungen geliefert haben, trotz aller abwägenden Gewissenhaftigkeit die Forschung nicht in dem Masse des aufgewandten Scharfsinns vorwärts bringen. Aus dem, was sie anerkennen, lässt sich keine neue Auffassung zusammenbauen, und das, was sie auszusetzen haben, reicht nicht hin, die andere zu verwerfen, wenn man nichts Besseres an die Stelle zu setzen hat.

Diejenigen, welche unter den gegebenen Verhältnissen neue Abendmahlsauffassungen aufstellen, rechnen ein Exempel, das bisher nie hat wollen aufgehen, zum so und sovielten Male durch. Ihre Kritiker rechnen das Exempel zum so und sovielten Male nach. Auf geht es aber darum doch nicht.

Es kann nie aufgehen. Darum nützt es nichts, immer mit Eifer und Sammlung von vorn anzufangen. Man muss den Fehler nicht in der Rechnung, sondern im Ansatz suchen. Die

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bisherigen Auffassungen bringen es nicht über dialektische Behauptungen hinaus, welche als Ganzes aus den geschichtlichen Thatsachen weder zu beweisen noch zu widerlegen sind.

Es gilt also sich von der bisherigen Problemstellung loszumachen.

Wo liegt der Grund des Metaphysischen in der Abendmahlsfrage?

2. Der neue Weg.

Bisher galt der Satz: Um das Abendmahl zu erklären, muss man von der Deutung der Gleichnisse ausgehen, denn diese konstituieren das Wesen der Feier. So suchte man sie aus dem Genuss, oder aus dem Handeln, oder aus beiden zusammen zu deuten — und, wenn man eine plausible Erklärung gefunden hatte, glaubte man den Schlüssel zum Abendmahl zu besitzen.

Nun gilt es aber zwei Thüren zu öffnen: der betreffende Schlüssel passt aber jedesmal nur zu einer. Angenommen Spitta und die andern deuten die Gleichnisse richtig auf das Urchristentum: der historischen Situation entspricht aber ihre Erklärung nicht. Angenommen Jülicher und die andern deuten sie richtig aus der historischen Situation: im Sinne des Urchristentums ist aber ihre Erklärung nicht, denn dort kommt in keiner Weise zum Ausdruck, dass die Handlung Jesu den Tod versinnbildlichte.

Man hat aber allen Grund zu fragen, ob die Gleichnisse aus der sie begleitenden Handlung so ohne weiteres deutbar sind. Alle Erklärungen werden ja auf Umwegen erreicht! Wieso soll das Brechen des Brots die Kreuzigung des Leibes anzeigen? Ist diese Erklärung etwa deswegen einleuchtender, weil es die einzige ist, welche die begleitende Handlung offen lässt? Wer sagt uns, dass es die Jünger so verstanden haben können? In der urchristlichen und altchristlichen Epoche, ja eigentlich bis auf Zwingli weiss kein Mensch etwas von dieser Deutung.

Mit dem Wort über dem Kelch steht es noch schlimmer. Hier muss man nämlich, um dem Gleichnis einen Sinn abzugewinnen, den Vergleichspunkt zur Handlung geradezu hinzuerfinden. Berichtet ist nur das Herumreichen des Kelches. Dieses ist aber für das „Vergiessen des Blutes“ nicht charakteristisch. Das einzig Erträgliche wäre das „Ausgiessen in den Kelch“. Obwohl nun diese Handlung in keinem Berichte erwähnt ist, haben es alle exegetischen Deutungen,41 welche auf dem Darstellungsmoment beruhen, mit dem „Ausgiessen“ des Weines in den Kelch zu thun. Aus der inneren Zwangslage heraus schaffen sie frei ein Analogon zum Brotbrechen, ohne sich darüber zu rechtfertigen, wie sie dazu kommen, die Situation in unerlaubter Weise zu bereichern.

Wo steht denn geschrieben, dass Jesus den Wein in den Kelch vor den Augen der Jünger bedeutungsvoll eingoss, wie er das Brot brach? Nirgends! Also beruht die exegetische Deutung des zweiten Gleichnisses auf reiner Erfindung.

Gestehen wir es offen ein: es fehlt uns jegliche Anleitung zu einer natürlichen Deutung der Gleichnisse. Ueber Künstelei haben wir es dabei nicht hinausgebracht. Unser Schlüssel ist nur ein schlechter Nachschlüssel: er passt zur Not in das eine Schloss, aber nicht in beide. Und aus dieser Notdeutung der Gleichnisse wollen wir die ganze historische und urchristliche Mahlfeier erklären!

Wenn man in dieser Notlage einmal den noch einzig möglichen Ausweg ins Auge fasste! Es geht nicht an, die Feier durch die Gleichnisse zu erklären. Versuchen wir es mit dem umgekehrten Verfahren, nämlich die Gleichnisse aus der Feier zu erklären!

Freilich, am Anfang scheint das nur das letzte verzweifelte Rütteln an der verschlossenen Thür. Aber überlegen wir die Sache einmal ruhig.

Beim Abendmahl handelt es sich um die Austeilung von Seiten Jesu, um den Genuss von Seiten der Jünger und um zwei Gleichnisse, welche mit dem Vorgang zusammenfallen. Ich sage zusammenfallen! In einer Situation können Handlungen und Reden zeitlich zusammenfallen, während sie in dem Bericht nur in zeitlicher Folge geschildert werden können, weil die Worte jedes Nebeneinander notwendig in eine Aufeinanderfolge auseinanderlegen.

So halten unsere Berichte die Reihenfolge: Austeilung, Gleichnis, Genuss inne, als hätte Jesus zuerst symbolisch gehandelt, dann ausgeteilt, dann das erklärende Gleichnis gesprochen, worauf zuletzt die Jünger verständnisvoll gegessen hätten.

Versucht man es aber einmal, sich den berichteten Vorgang als Scene vorzustellen, so merkt man bald, dass die säuberliche chronologische Folge stark illusorisch wird. Man denke42 sich die 12 Menschen, die wie auf eine innere Verabredung hin mit dem Essen des ihnen zugeteilten Stückes warten, bis Jesus das Gleichniswort gesprochen! Wie unnatürlich, ja unmöglich diese Scene in der gedachten chronologischen Folge der Handlungen ist, kann man in Oberammergau sehen, wenn sie ins Leben übersetzt wird! Es lässt sich kaum etwas Unnatürlicheres und Geschraubteres denken.

Für den, welcher eine berichtete Situation mit dem Blick des Malers in der Wirklichkeit zu schauen vermag, bleiben nur zwei Möglichkeiten. Entweder hat Jesus jedem Einzelnen das Brot zugeteilt und dabei für jeden Einzelnen das Gleichniswort wiederholt: dann ist die chronologische Folge so haltbar. Oder aber, wie feststeht, er hat allen zusammen Brot ausgeteilt und das Gleichniswort nur einmal gesprochen: dann ist die chronologische Folge, mit der wir bisher operierten, illusorisch geworden. Sie besagt dann nur, dass Jesus im Verlauf der Austeilung des Brotes und während des Herumreichens des Bechers die Gleichnisworte vom Leib und vom Blut gesprochen! Ob zu Anfang, in der Mitte oder zu Ende, ob vor, während oder nach dem Essen und Trinken: das ist nicht auszumachen. Unsere Berichte geben uns darüber keinen Aufschluss.

Aus der angenommenen chronologischen Folge haben die bisherigen Auffassungen ohne weiteres eine causale gemacht. Man sagte: Die Austeilung und das dabei vorkommende Brechen und Ausgiessen begründet das Gleichnis, das Gleichnis soll den Jüngern die Bedeutung des Genusses erklären, und die Bedeutung des Genusses macht das Wesen der Feier aus.

Aus einer angenommenen zeitlichen Folge eine causale zu machen, das ist ein Fehler, den das menschliche Denken trotz aller Warnungen immer und immer wieder macht und sich dadurch die grössten Probleme schafft.

Nun zeigt die Geschichte, dass gerade diese angenommene causale Folge das Abendmahlsproblem unlösbar macht. Andererseits beschränkt sich unsere Kenntnis von der Situation darauf, dass Jesus im Verlauf der Austeilung die Gleichnisse gesprochen hat. Also machen wir uns von dem Vorurteil los, als ob die Gleichnisse die Feier konstituierten, und fassen das Problem so, dass die Feier die Gleichnisse erklärt. Anders ausgedrückt: Man meinte bisher, dass Jesus die Jünger aufforderte, das dargereichte Brot und den herumgereichten43 Wein zu geniessen, weil er sie als seinen Leib und sein Blut bezeichnet hatte (wobei freilich niemand sagen kann, in welchem Sinne sie mit Brot und Wein seinen Leib und sein Blut assen und tranken).

Wir aber gehen jetzt davon aus, dass Jesus von dem Brot und dem Wein, die seine Jünger auf seine Darreichung hin genossen, sagt, sie wären sein Leib und sein Blut, gerade im Hinblick darauf, dass sie es auf seine Darreichung hin geniessen! Sie essen also nicht seinen Leib und trinken nicht sein Blut, sondern, weil sie jenes Brot essen und jenen Wein trinken, sagt er, es sei sein Leib und sein Blut! Das Gleichnis konstituiert also die Feier nicht, sondern es erwächst aus ihr!

Die Feier ist selbständig! Sie besteht darin, dass Jesus unter Danksagung seinen Jüngern das Brot bricht und den Kelch herumreicht und sie davon geniessen. Zum Wesen der Feier gehören die Gleichnisse nicht, sondern Jesus spricht in diesen geheimnisvollen Worten die Bedeutung aus, welche die Feier für ihn hat!

Diese zweite Eventualität liegt gerade so gut in den Berichten wie die erste. Nur ging man immer an ihr vorüber, weil die chronologische Folge der Handlungen in der schriftstellerischen Darstellung die Aufmerksamkeit ganz für die erste gefangen nahm.

Nun ist aber logisch festgestellt, dass die bisherige Annahme das Problem vollständig unlösbar macht. Also muss man es notgedrungen mit der zweiten probieren.

Ueberdies spricht die Geschichte gerade für die zweite. Es steht fest, dass die Leidensgleichnisse in der urchristlichen Feier keine Rolle spielten. Sie wurden im Verlauf der Feier in keiner Weise reproduziert! Dafür sprechen Didache und Paulus, denn wenn sie aus dem alltäglichen Verlauf der Feier bekannt gewesen wären, bliebe I Kor 11 23 unverständlich, da hier dann etwas Bekanntes in geheimnisthuerischer Weise wiederholt würde! Es stand also im Urchristentum so: Man wusste wohl, dass diese Gleichnisse bei der historischen Feier gesprochen worden waren, die Gemeindefeier leitete sich von dieser historischen Feier ab: aber doch fühlte man kein Bedürfnis, die historischen Gleichnisse Jesu dabei irgendwie zu reproduzieren. Also war die historische Feier, sofern sie sich in der 44Gemeindefeier fortsetzte, von den Gleichnissen unabhängig, da man sonst auch die Gleichnisse wiederholt hätte. Das ist durch die Geschichte bezeugt.

Darum hat es das Abendmahlsproblem gar nicht mehr mit den beiden unmöglichen Fragen zu thun, wieso Jesus seinen Jüngern seinen Leib zu essen und sein Blut zu trinken gegeben habe und wie sie diese Feier später in entsprechender Weise reproduzierten, sondern das Problem selbst ist ein ganz anderes. Es heisst nicht mehr: Was bedeuten die Gleichnisse, damit wir die Feier erklären können? sondern: Was bedeutete die Feier, damit wir die Gleichnisse erklären können.

In welchem Sinne war die Austeilung von Brot und Wein beim letzten Mahl ein so überaus feierlicher Akt, der sich auf Jesu Tod bezog? — von dieser Frage hat die Untersuchung auszugehen, indem sie die Gleichnisse vorerst ganz bei Seite lässt. Es ist der einzige Weg zur Lösung des Problems.

Fussnoten:

[11] Der Ursprung des heil. Abendmahls von Lic. Dr. Karl Clemen. 1898. Hefte zur christl. Welt No. 37.


Zweiter Teil. 45

Das Abendmahlsproblem auf Grund der historischen Berichte.


Zehntes Kapitel.

Die textkritischen Fragen.

1. Cod. D. Die textkritische Hauptfrage.

Es handelt sich um den Lukasbericht (Lk 22 15-20). In der gewöhnlichen Fassung zeigt er ein eigentümliches Gepräge. Er bietet zunächst ein Wort über den Passahgenuss in dem zukünftigen Reiche. Darauf folgt ein ähnliches Wort, den Becher betreffend, welches mit dem synoptisch-eschatologischen Schlusswort nach Markus und Matthäus übereinstimmt. Nachdem so gleichsam ein erster Redegang über das Essen und Trinken abgeschlossen ist, kommt das Wort über dem gebrochenen Brot und über dem Wein als Bundesblut; bei letzterem fehlt dann das bei den beiden älteren Synoptikern den zweiten Akt beschliessende eschatologische Schlusswort.

Wir haben also eine merkwürdige Doppelheit: zwei Worte das Essen, und zwei den Kelch betreffend. Von den beiden auf das Essen bezogenen Worten handelt nur das zweite von dem Genuss des Brots, während das erste vom Passah allgemein redet. Die Doppelheit ist also hier nicht so auffällig, wie in den beiden das Trinken betreffenden Worten, welche sich beide auf den Kelch beziehen. Das zweite nimmt sich wie ein Nachtrag zum ersten aus, da es ohne das eschatologische Schlusswort steht, die Aufforderung zum Genuss nicht enthält und überhaupt in dieser Form der Feier keinen abrundenden Abschluss gibt, wie es das altsynoptische Kelchwort thut.

Als daher diese eigentümliche Doppelheit in dem Lukasbericht auffiel, war die natürlichste Korrektur schon gegeben:46 das zweite Kelchwort, da die Aufforderung zum Genuss schon im ersten enthalten schien, zu streichen, dagegen das zweite Wort über dem Brot, das in seiner spezifischen Eigenschaft vorher nicht erwähnt war, zu belassen, weil es die Aufforderung zum Genuss enthält. Es ist die Korrektur von Cod. D.[12] Er schliesst mit den Worten: τοῦτό ἐστι τὸ σῶμά μου (V. 19ª).

Entschliesst man sich einmal zu diesem so natürlichen Abstrich, so liegt gar kein Grund mehr vor, das Kelchwort mit seiner Aufforderung zum Trinken sich zwischen die beiden auf das Essen bezogenen Aussagen eindrängen zu lassen und sie unnatürlich auseinanderzureissen; man moduliert nach der ursprünglichen synoptischen Harmonie zurück, sodass das eschatologische Schlusswort beim Kelch wieder ans Ende kommt. Tritt dementsprechend V. 17 und 18 hinter 19ª, so erhält man einen Bericht, der sich von dem gewöhnlichen nur dadurch unterscheidet, dass er vor dem Brotwort ein Wort über das Passah bringt, welches dem eschatologischen Schlusswort über dem Kelch nachgebildet ist. Dieses Verfahren findet sich bei b c.[13]

Die Entstehung des Abendmahlsberichtes des Cod. D. beruht auf Reflexion. Ueberhaupt bricht sich die Ueberzeugung immer mehr Bahn, dass seine Abweichungen durchweg diesen Charakter tragen. Eine originelle Vorstellung der historischen Feier schwebt dieser Berichtform gar nicht vor. Daher betrifft die Grundfrage der Textform des Lukas gar nicht Cod. D, sondern die gewöhnliche Lesart. Wie kommt Lukas dazu, den Bericht so ins Doppelte sich spiegeln zu lassen, dass der Versuch, diese Doppelheit als auf ein Versehen zurückgehend zu korrigieren, sich in Cod. D notwendig einstellen musste? Diese Frage ist aber gar keine textkritische mehr, sondern sie hängt mit der Entwicklung der Feier im Urchristentum und der damit gegebenen Verschiebung des Bildes des historischen Mahles zusammen.[14]

47

2. Abweichende Lesarten.

Die Frage, ob in den einzelnen Fällen εὐλογήσας oder εὐχαριστήσας zu lesen ist, hat keine Bedeutung. Die beiden älteren Synoptiker gebrauchen den ersteren, Paulus, Lukas und Justin den letzteren Ausdruck.

Der Grund der verschiedenen Lesarten in Mt 26 26 ist leicht einzusehen. Partizipien und erzählende Verben häufen sich in einer Weise, dass man in keinem Falle eine schwerfällige und ungriechische Konstruktion vermeiden kann. Ob man nun liest: λαβὼν ὁ Ἰησοῦς ἄρτον καὶ εὐλογήσας ἔκλασεν καὶ δοὺς τοῖς μαθηταῖς καὶ εἶπεν,[15] oder ob man eines der Partizipien auflöst und die Lesart erhält: λαβὼν ὁ Ἰησοῦς ἄρτον καὶ εὐλογήσας ἔκλασεν καὶ ἐδίδου τοῖς μαθηταῖς καὶ εἶπεν[16] bleibt sich gleich. Der Satz ist in jedem Falle formlos, weil er eine Häufung von Handlungen auf einen Moment enthält, deren zeitlicher und logischer Zusammenhang sich sprachlich gar nicht wiedergeben lässt. Die Varianten beruhen auf der empfundenen darstellerischen Schwierigkeit, die jeder auf eine andere Weise zu überwinden suchte.

Bei Markus treten die stilistischen Schwierigkeiten nicht so sehr hervor. Er vermeidet nämlich die namentliche Nennung des Spenders und der Empfänger, wodurch die matthäische Konstruktion so besonders ungelenk wird.

Der paulinische und der justinische Bericht sind von dieser Schwierigkeit befreit: sie vereinfachen die Situation, indem sie die Darreichung (ἔδωκεν) und die Aufforderung zum Genuss (λάβετε) auslassen.

Das φάγετε in Mk 14 22[17] ist naive matthäische Nachbildung. Die alten Zeugen bieten nur λάβετε.

Der Zusatz καινῆς, den einige Lesarten bei dem Wort über dem Becher in Mk 14 24[18] bieten, beruht auf naiver Nachbildung der paulinischen Version.

3. Das Ergebnis der Textkritik.

Die Verschiedenheit der Lesarten ist nicht darin begründet, dass die eine mit ihren Wurzeln historisch höher hinaufreicht als 48 die andere. Sie gehen zum Teil aus der Schwierigkeit hervor, welche die betreffenden Auffassungen haben, sich stilistisch darzustellen. Zum Teil entspringen sie der Tendenz, die Berichte einander gleichzubilden. Dazu war es aber schon zu spät: die verschiedenen Typen hatten schon eine zu scharfe historische Ausprägung erhalten, als dass es den nachbessernden Versuchen hätte gelingen können, den Einheitstypus herzustellen, an dem die vorhergehende geschichtliche Epoche sich vergebens abgearbeitet hatte.

Den letzten Versuch dieser Gleichbildung bietet der textus receptus, sofern er den ersten Akt bei Paulus nach Analogie mit dem matthäischen darstellt und dadurch eine Aufforderung zum Genuss einträgt (nehmet, esset), die in I Kor 11 24 ursprünglich fehlt.

Die Aufgabe der Textkritik in der Abendmahlsfrage besteht darin, dass sie jeden der Berichte in seiner charakteristischen Eigentümlichkeit darstellt, indem sie ihn von den Spuren der versuchten litterarischen Gleichbildung mit andern befreit. Diese Aufgabe, so bescheiden sie scheint, ist von eminenter Tragweite. Hätte sich die Gleichbildung der Berichte wirklich durchgesetzt, so wäre das Abendmahlsproblem unlösbar.

Fussnoten:

[12] D, a, ff². Die Ausgabe von Westcott und Hort hat diese Lesart adoptiert.

[13] In derselben Absicht lässt syrcu Vers 20 aus und setzt dafür Vers 17 und 18 ein.

[14] Eine eingehende Darlegung der Textfragen, welche den Lukasbericht betreffen, findet sich in der Abhandlung von Erich Haupt.

[15] So א (sed δούς ex ἐδίδου korrigiert ab אª) BDLZ.

[16] ΑϹΓΔ.

[17] Mk 14 22: zu λάβετε zugesetzt φάγετε (EFHM²).

[18] Mk 14 24: τῆς διαθήκης (אBCDL).


Elftes Kapitel.

Die Eigenart des Markusberichts (Mk 14 22-26).

Der erste Akt besteht einzig darin, dass Jesus unter Gebet das Brot bricht und es herumreicht; zugleich spricht er das Gleichniswort von seinem Leib. Es fehlt, wie bei Matthäus, das uns aus Paulus gewohnte ὑπὲρ ὑμῶν und über Matthäus hinaus das φάγετε.

Ist so im ersten Akt die Aufforderung zum Genuss in Hinsicht auf das Gleichnis nicht ausdrücklich ausgesprochen, so fehlt sie im zweiten vollständig. Es wird zuerst berichtet, dass Jesus allen den Kelch nach dem Gebetswort herumgereicht habe und alle daraus getrunken haben (Mk 14 23). Darauf erst spricht er das Gleichniswort von dem für viele vergossenen Blut (Mk 14 24).

Bruno Bauer war meines Wissens der erste, der darauf hingewiesen, dass Markus statt der Aufforderung zum Trinken die Konstatierung bietet, dass alle getrunken haben. Er sieht49 darin nur eine Abschwächung gegen Matthäus, da Markus sich scheue, die Aufforderung Jesu in vollem Umfang aufrecht zu erhalten.

Dabei hat aber Bruno Bauer nicht bemerkt, dass mit dieser Konstatierung auch die gewöhnliche chronologische Folge vom Gleichnis zum Genuss sich verschiebt, wodurch zugleich das uns geläufige kausale Verhältnis zwischen Gleichnis und Genuss aufgehoben wird. Diesem Bericht zufolge ist es unmöglich, dass Jesus oder die Jünger die Bedeutung des Trinkens aus dem Gleichnis herleiten, weil dieses ja erst auf das Trinken folgt!

Zu beachten ist ferner, wie das weihevoll (ἀμήν) und nachdrücklich gesprochene eschatologische Schlusswort von dem Neutrinken in dem Reich des Vaters sich eng an das Gleichniswort anschliesst! Es bildet den Höhepunkt der Feier (V. 25), worauf alsbald der Aufbruch erfolgt.

Diese eigenartigen Züge des Markusberichts sind bisher nicht herausgearbeitet worden. Man hat ihn einfach nach den andern gedeutet. Alle Berichte, so nahm man ohne weiteres an, bieten dieselbe Thatsache. Beim letzten Mahl hat Jesus den Jüngern Brot und Wein so dargereicht, dass sie die Elemente irgendwie als seinen Leib und sein Blut assen und tranken. Das Fehlen des φάγετε bei Markus erklärte man daraus, dass es sich von selbst verstehe. Die Eigentümlichkeit des zweiten Akts hob man nicht einmal hervor, weil man sie — ohne sich davon Rechenschaft zu geben — nach Matthäus und den andern interpretierte.

Diese Annahme, dass der Markusbericht im Grunde dasselbe besage wie die andern, ist eine der unbewiesenen Voraussetzungen, mit denen die bisherigen Abendmahlsauffassungen operierten. Wenn wir nämlich nur den Markusbericht hätten, käme niemand auf den Gedanken, dass Jesus seinen Jüngern Brot und Wein als seinen Leib und sein Blut ausgeteilt und sie zum Genuss in diesem Sinne aufgefordert habe. Man würde die zeitliche Folge im ersten Akt nach der des zweiten auffassen und als Thatbestand feststellen, dass Jesus im Verlauf der Austeilung des Brotes das Gleichnis von seinem Leib und nach der Herumreichung des Bechers das Gleichnis von seinem Blut gesprochen habe. Wenn wir aber einen Bericht haben, wo Jesus dem50 strikten Wortlaut zufolge weder seinen Leib noch sein Blut zum Genuss ausgeteilt hat, so dürfen wir ihn nicht, als handle es sich um eine gewisse Nachlässigkeit und Sparsamkeit im Ausdruck, nach den andern auslegen, sondern wir müssen ihn mit ihnen vergleichen und eine Auseinandersetzung herbeiführen. Daraus ergibt sich dann die Tragweite der Abweichungen. Entweder handelt es sich um eine absolut unverständliche Schilderung, die man, weil sie mit dem feststehenden Thatbestand absolut keine Verwandtschaft hat, als Kuriosum nicht weiter zu beachten braucht, oder — wir haben den authentischen Bericht vor uns, von dem die Untersuchung ausgehen muss. Diese Alternative ist nicht zu umgehen, sobald man sich die Eigenart des Markusberichts klar gemacht hat.


Zwölftes Kapitel.

Der Vergleich der Berichte.

1. Das Prinzip der Gleichbildung.

Aeusserlich betrachtet zeigt sich die Eigenart des Markusberichts darin, dass die beiden Akte an Umfang und Gesichtspunkten verschieden sind. Der erste ist ganz kurz; er beschränkt sich auf das Gebetswort, das Brechen zum Austeilen und die Gleichnisrede; der zweite enthält das Gebetswort, die Austeilung, die Erwähnung des Genusses, die Gleichnisrede, den Hinweis auf die Heilsbedeutung des Todes und das eschatologische Schlusswort. Der Vergleich zeigt, dass bei den andern Berichten die beiden Akte in steigendem Masse einander gleichgebildet werden, sowohl dem Umfang nach, als auch hinsichtlich der Gesichtspunkte, die sie enthalten. Wir erhalten zwei Parallelakte, indem die Handlungen und Worte beim Wein genau denen beim Brot entsprechen.

Diese Gleichbildung erfolgt entweder so, dass die Momente des zweiten Akts in den ersten eingetragen werden (Matthäus, Paulus, Lukas), oder so, dass der zweite Akt nach Analogie des ersten zusammengezogen wird (Justin).

2. Der matthäische Bericht (Mt 26 26-29).

Matthäus befindet sich auf dem Wege zur Gleichbildung. Durch das φάγετε ist die ausdrückliche Erwähnung des Genussmoments in den ersten Akt aufgenommen. Da im zweiten an 51Stelle der Konstatierung ebenfalls die Aufforderung zum Genuss getreten ist, so entsprechen sich beide Akte in diesem Punkte vollkommen. λάβετε, φάγετε· τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου. πίετε ἐξ αὐτοῦ πάντες· τοῦτο γάρ ἐστιν τὸ αἷμά μου. Die Gleichbildung ist aber noch nicht vollständig vollzogen. Dem ersten Akt fehlt ein dem Wort über die Bedeutung des vergossenen Bluts entsprechender Hinweis (τὸ περὶ πολλῶν). Auch das eschatologische Wort, welches das Gleichnis über dem Wein beschliesst, ist beim Brot noch nicht vertreten.

Zudem zeigt das im zweiten Akt stehen gebliebene πάντες, dass hier eine Konstatierung in eine Aufforderung umgesetzt worden ist. Bei der Konstatierung muss ja notwendig erwähnt werden, dass sie alle davon getrunken haben. Bei der Aufforderung aber ist das πάντες selbstverständlich, oder — wenn es die Weihe der Aufforderung nachdrücklich hervorheben soll — wie kann es dann beim Brot fehlen? Hier wäre es wirklich gefordert, da Jesus nicht ohne weiteres annehmen kann, dass alle das Stückchen Brot, das er ihnen darbietet, auch wirklich essen, während er dem Herumgehen des Kelches mit dem Auge folgt. Bei Paulus, Lukas und Justin ist dann das πάντες, als nicht mehr von Belang, auch wirklich ausgefallen.

Die Verbindung des eschatologischen Schlussworts mit dem Kelchwort nach rückwärts, dem Aufbruch zum Leidensweg nach vorwärts ist bei Matthäus noch gewahrt. Jedoch ist es mit dem Kelchwort nicht mehr durch das gewaltige ἀμήν in Steigerung verbunden, so dass es, wie bei Markus, den Höhepunkt der ganzen Feier bildet, sondern es ist nur mehr eine mit δέ beigeordnete Schlussbemerkung (Markus ἀμήν λέγω ὑμῖν, Matthäus λέγω δέ ὑμῖν).

So befindet sich die Gleichbildung bei Matthäus noch im Fluss. Bei Paulus ist sie schon viel weiter fortgeschritten.

3. Der paulinische Bericht (I Kor 11 23-26).

Hinter jedem Akt ist abschliessend angefügt: τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν. Durch Uebernahme eines auf die Bedeutung des Todes hinweisenden Worts (τὸ ὑπὲρ ὑμῶν) gleicht sich der erste Akt dem zweiten an. Nur das ἔκλασεν hat keine Parallele.

Bei Markus und Matthäus beschloss das Wort von der Wiedervereinigung beim Mahl im zukünftigen Reich den Spruch über dem Becher. Nur scheinbar ist es bei Paulus ausgefallen. Er52 setzt es vielmehr als Abschluss bei beiden Akten voraus: ὁσάκις γὰρ ἐὰν ἐσθίητε τόν ἄρτον τοῦτον καὶ τὸ ποτήριον πίνητε, τὸν θάνατον τοῦ κυρίου καταγγέλλετε, ἄχρι οὗ ἔλθῃ (V. 26).

Bis dass er kommt — darin liegt die Erwartung des Kommens des Herrn und des Anbruchs des Reiches. Dies darf man für die Erklärung des τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν nicht ausser Acht lassen. Danach ist die ἀνάμνησις doppelseitig: nach rückwärts eine Erinnerung an den Tod Jesu, nach vorwärts ein Gedenken an seine Parusie. Die Feier gilt dem Gekreuzigten, der als Messias bei seiner Ankunft offenbart werden wird, als welcher er schon jetzt durch die Auferstehung zur Rechten Gottes erhöht ist.

Bedenkt man nun, dass die historische Relation des eschatologischen Schlussworts im zweiten Akt abgefallen ist, dass aber nach der Vorstellung Pauli beide Akte mit der Erwartung der Parusie in Zusammenhang stehen, so liegt es nahe, in dem τοῦτο ποιεῖτε, als Konstatierung oder als Wiederholungsbefehl gefasst, die paulinische Form des beiden Akten beigesetzten eschatologischen Schlussworts zu sehen.

Für den ersten Akt ist dies eine künstliche Angliederung, da historisch dieser Hinweis nur mit dem Kelchwort in Beziehung steht, wo der Genuss konstatiert ist; der erste Akt mit seinem ἔκλασεν ist gar nicht darauf angelegt. Daraus entsteht bei Paulus eine unerträgliche grammatikalische Verwirrung. Die Parallele zu dem ὁσάκις ἐὰν πίνητε, das erwartete ὁσάκις ἐὰν ἐσθίητε, fehlt in der Form des τοῦτο ποιεῖτε von V. 24. Unter dem ποιεῖν kann also für den ersten Akt nur das erwähnte Brechen verstanden sein. Aus V. 25 und 26 geht aber hervor, dass, dem ποιεῖν des zweiten Akts entsprechend, der Genuss, nämlich das Essen, darunter verstanden werden muss. Grammatikalisch allein berechtigt wäre: so oft ihr dieses Brot brechet und diesen Kelch trinket; thatsächlich aber soll es bedeuten: so oft ihr dieses Brot esset. So ist auch das γὰρ zu verstehen, welches V. 26 mit V. 24 und 25 zugleich verbindet, sofern es als Wiederholung der dort von Jesu gemeinten Handlung das Essen und Trinken voraussetzt.

Die Gleichbildung ist also trotz des latenten Widerstandes des ersten Aktes erreicht. An beide Gleichnisse schliesst sich das Wort von der Heilsbedeutung des Todes und der eschatologische Hinweis an.

53 Dabei entgeht Paulus durch die Form, in der er diesen Hinweis bietet, einer grossen Schwierigkeit. Dieses Wort ist in der ursprünglichen Gestalt ein Schlusswort. Fügt man es in dieser Form dem ersten Akt an, so wird die Handlung in der Mitte auseinander gerissen, da dann Jesus schon beim Brot die Feier beschliesst. Diese Schwierigkeit hat Lukas gefühlt, als er die paulinische Vorstellung in den synoptischen Bericht zu übertragen unternahm.

4. Der lukanische Bericht (Lk 22 14-20).

Lukas bringt zuerst das eschatologische Schlusswort in direkter Rede für beide Akte. Für das Kelchwort lag die Form der älteren Synoptiker vor. Er nimmt die Matthäusform, weil er die Aufforderung zum Genuss, welche Paulus nicht bietet, voraussetzt. Durch die Auslassung des Wortes vom Blut wird folgendes Kelchwort hergestellt Lk 22 17 u. 18: καὶ δεξάμενος ποτήριον εὐχαριστήσας εἶπεν· λάβετε τοῦτο καὶ διαμερίσατε εἰς ἑαυτούς· λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ πίω ἀπὸ τοῦ νῦν ἀπὸ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου ἕως ὅτου ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἔλθῃ.

Der Versuch nimmt sich gut aus; das διαμερίσατε hat zugesetzt werden müssen, damit man die später folgende Darreichung des Kelches (V. 20) nicht vorwegnehme; das eingefügte γὰρ stellt in Verbindung mit dem διαμερίσατε zur Not einen logischen Gedankenzusammenhang her; das καινόν (vgl. Mt 26 29) blieb besser weg, weil dieses Adjektiv nachher als erklärender Zusatz zu διαθήκη figuriert; der Farbenton der eschatologischen Aussage ist etwas verblasst (Matthäus ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης ὅταν αὐτὸ πίνω μεθ' ὑμῶν καινὸν ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ πατρός μου· Lukas ἕως ὅτου ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἔλθῃ).

Schwieriger war die Formulierung des eschatologischen Schlussworts für den ersten Akt, da hier kein behauenes Material vorlag und das Wort über dem Brot seinen Widerstand gegen die aufgezwungene Verbindung mit irgend einem eschatologischen Hinweis schon bei Paulus hinreichend bekundet hatte. Ein einziger Ausweg bot sich dar: das eschatologische Schlusswort, da es einmal für die Handlung des Essens gefordert war, auf die ganze Mahlzeit zu beziehen. Dieser Fassung kam der Gedanke zu Hülfe, dass möglicherweise die historische Feier ein Passahmahl gewesen; das neukonstruierte eschatologische Schlusswort für das Essen bezieht sich bei Lukas also auf das Passahmahl, das54 Jesus mit den Seinen feiert. 15 καὶ εἶπεν πρὸς αὐτούς· ἐπιθυμίᾳ ἐπεθύμησα τοῦτο τὸ πάσχα φαγεῖν μεθ' ὑμῶν πρὸ τοῦ με παθεῖν· 16 λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ φάγω αὐτὸ ἕως ὅτου πληρωθῇ ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ.

Die Benutzung des Passahgedankens ermöglicht Lukas, eine Mahlfeier darzustellen, bei der sowohl das Essen als das Trinken einen eschatologischen Hinweis erhalten. Dabei wird aber die historische Feier auseinandergerissen! Zuerst kommen die beiden eschatologischen Worte; sie werden in den Verlauf der Passahmahlzeit gerückt. Das erste bildet zugleich eine stimmungsvolle Einleitung. Von dem Wort über dem Brot wird dadurch nichts vorausgenommen: nur mit dem Wort über dem Becher hat es seine Schwierigkeit. Um das Kelchwort, welches dann bei der eigentlichen historischen Feier eintritt, von dem vorhergehenden, welches im Rahmen des Passahmahls verlief, genau abzuheben, wird es in der paulinischen Form berichtet: τὸ ποτήριον μετὰ τὸ δειπνῆσαι λέγων· τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη ἐν τῷ αἵματί μου: soweit geht die Uebereinstimmung. Nun ist aber der eschatologische Hinweis nach Paulus (I Kor 11 24 u. 25 τοῦτο ποιεῖτε etc.) schon beim ersten Passah-Kelchwort verbraucht; deswegen wird hier nach Matthäus zurückmoduliert und τὸ ὑπὲρ ὑμῶν ἐκχυννόμενον eingesetzt; aus diesem Grunde war schon an Stelle des paulinischen ἐν τῷ ἐμῷ αἵματι das altsynoptische ἐν τῷ αἵματί μου eingetreten.

Der erste Akt wird nach Paulus beschrieben; aus den Synoptikern ist die ausdrückliche Erwähnung der Darbietung (ἔδωκεν-διδόμενον) eingedrungen. Das τοῦτο ποιεῖτε ist stehen geblieben, weil das eschatologische Wort hinsichtlich des Essens sich auf das Passahmahl allgemein bezieht.

Der Bericht des Lukas erklärt sich litterarisch einfach als ein Versuch, die bei Paulus erreichte Gleichbildung der beiden Akte unter Zuhülfenahme des Zusammenhangs der historischen Feier mit dem Passahmahl in die synoptische Geschichtserzählung zurückzutragen. Daraus resultiert dann folgender Verlauf der Feier: Jesus weist zu Anfang des Passahmahls darauf hin, dass er es erst im Gottesreiche wieder mit den Jüngern feiern wird. Solches wiederholt er beim ersten Herumreichen des Kelches. Bei einer Brotdarreichung im Verlaufe der Feier spricht er das Gleichnis von seinem Leibe, desgleichen beim Kelch das Gleichnis von seinem Blute. Beide Akte sind absolut gleich durch die Geltendmachung des Heilswertes der Dahingabe55 (V. 19 τὸ ὑπὲρ ὑμῶν διδόμενον, V. 20 τὸ ὑπὲρ ὑμῶν ἐκχυννόμενων). Auch bei dieser Gleichbildung geht es ohne stilistische Härte nicht ab, sofern nämlich im zweiten Akt von einem vergossenen Kelch die Rede ist, während das Blut gemeint ist.

Wie bei Paulus werden beide Akte durch das τοῦτο ποιεῖτε abgeschlossen. Wir haben also eine bis auf den gemessenen Rythmus in der Sprache sich erstreckende Gleichbildung. Freilich ist dabei der Schluss der Feier verloren gegangen. Das stolze Wort von dem Wiedertrinken in des Vaters Reich ist schon für den Anfang der Passahfeier verbraucht, statt dass es, wie bei Markus und Matthäus, zum Aufbruch überleitet. Dafür finden hier die Episoden von der Bezeichnung des Verräters, dem Rangstreit und der Verwarnung des Petrus ihren Platz (Lk 22 21-38), wobei die Schilderung des feierlichen Aufbruchs nach dem Lobgesang (Mk 14 26 = Mt 26 30) unterbleibt. „Er ging nach seiner Gewohnheit an den Oelberg“ (Lk 22 39: καὶ ἐξελθὼν ἐπορεύθη κατὰ τὸ ἔθος εἰς τὸ ὄρος τῶν ἐλαιῶν).

Eine originelle Auffassung von dem Wesen der historischen Feier liegt dieser Darstellung nicht zu Grunde. In keinem Falle ist sie aus dem Bestreben hervorgegangen, die Trennung des „Abendmahls“ von der gemeinsamen religiösen Mahlzeit, welche bei Paulus angebahnt sein soll, historisch zu begründen! Dieser formlose Bericht ist nur aus dem Prinzip παρηκολουθηκότι ἄνωθεν πᾶσιν ἀκριβῶς καθεξῆς γράψαι (Lk 1 3) zu erklären.

Es ist daher nicht zu erwarten, dass durch Streichung oder Versversetzung aus der lukanischen Darstellung sich ein Bericht gewinnen lässt, der auf eine originelle ältere Vorstellung der historischen Feier zurückgeht. Mehr als durch solche Versuche wird man dem Wert der lukanischen Darstellung gerecht, wenn man das schriftstellerische Geschick, das ästhetische Feingefühl und den liturgischen Schwung würdigt, von denen diese Schilderung Zeugnis gibt.

5. Der justinische Bericht (I Apol. 66).

Hier vollzieht sich die Gleichbildung durch Verkürzung des zweiten Akts nach Analogie des ersten. Die berichtete Feier beschränkt sich auf zwei rätselhafte Worte Jesu. Nach einem Dankgebet über dem Brot spricht er: „dies ist mein Leib“, desgleichen beim Kelch: „dies ist mein Blut“ 56(τὸν Ἰησοῦν λαβόντα ἄρτον εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν· τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἀνάμνησίν μου, τοῦτό ἐστι τὸ σῶμά μου. καὶ τὸ ποτήριον ὁμοίως λαβόντα καὶ εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν· τοῦτό ἐστι τὸ αἷμά μου).

Es fehlt das Brechen des Brots, der Hinweis auf den Wert der Dahingabe und die Hervorhebung des erwarteten oder erfolgten Genusses im zweiten Akt. Auch das eschatologische Schlusswort ist ausgefallen. Nur beim ersten Akt findet sich das τοῦτο ποιεῖτε in der paulinischen Form, wobei aus τὴν ἐμὴν ἀνάμνησίν (I Kor 11 24) τὴν ἀνάμνησίν μου geworden ist.

Hier steigert sich aber der Widerstand des ersten Akts gegen einen derartigen Eintrag bis zur Unerträglichkeit. Worauf soll sich das ποιεῖν beziehen? Auf das vorausgehende Gebetswort? Das Brechen ist nicht erwähnt, der Genuss vorausgesetzt, aber nicht hervorgehoben. So ist das τοῦτο ποιεῖτε hier für die grammatikalische Auslegung sinnlos und die Erwähnung desselben bei dem ersten Akt allein unverständlich.

Bei dieser verkürzten Darstellung ist die ganze historische Situation interesselos geworden. Zwar erwähnt Justin Dial. 41, 70 und 117, dass in der Gemeindefeier auch die Erinnerung an Jesu Tod mit hereinspielt. In seinem Bericht aber fehlt jede Andeutung, dass dieses Mahl in der Nacht vor dem Tod stattgefunden hat.

Aus dem „justinischen Bericht“ allein wüssten wir also nur, dass Jesus bei einem Mahle, nachdem er das Dankgebet über dem Brot gesprochen, seinen Jüngern geboten habe, diesen Brauch zur Erinnerung an ihn festzuhalten; danach habe er fortfahrend das gesegnete Brot als seinen Leib und den gesegneten Kelch als sein Blut bezeichnet.


Dreizehntes Kapitel.

Die Authentie des Markusberichts.

1. Der Beweis.

Authentisch ist ein Bericht, welcher in keiner Weise durch die Vorstellung von der Gemeindefeier beeinflusst ist. Der Markusbericht ist authentisch, weil sich dieser Nachweis für ihn führen lässt.

Worauf beruht die Gleichbildung der beiden Akte, welche alle andern Berichte, wenn auch der Art und dem Grad nach verschieden, im Unterschied zu Markus aufweisen? Auf dem Einfluss, welchen die altchristliche Feier auf die Vorstellung der57 historischen ausübt. Die Gemeindefeier war eine Mahlzeit, bei der dem Essen dieselbe Bedeutung zukam wie dem Trinken. Ganz natürlich übertrug sich dies auf die historische Feier. Man wusste also nicht anders, als dass Jesus beim Brot und beim Wein in genau entsprechender Weise gehandelt und geredet haben musste, sofern in der abgeleiteten Feier die gleiche Wertung des Essens wie des Trinkens konstatiert wurde. So war die Gleichbildung der beiden Akte für die historische Feier von der urchristlichen gefordert.

Besässen wir nun den Markusbericht nicht, so würden wir an der Gleichheit der beiden Akte nichts Besonderes finden, da dies auch unserem Empfinden als das Natürlichste erscheint. Alle modernen Rekonstruktionsversuche der „ursprünglichen Einsetzungsworte“ vertreten die Gleichbildung ebenfalls. Wir sind also auch geneigt, die Gleichheit der beiden Akte ohne weiteres für selbstverständlich zu halten.

Nun zeigt aber der Markusbericht, dass die Gleichheit der beiden Akte nicht selbstverständlich ist. Also muss man entweder für die Ungleichheit derselben bei ihm oder für die Gleichheit bei den andern eine Erklärung suchen. Dabei ergibt sich, dass man wohl die andern aus dem Markusbericht ableiten kann, nicht aber umgekehrt. Matthäus und Paulus — der Lukasbericht ist ein rein litterarisches Produkt — stellen die Feier nach dem zweiten Akt des Markus dar, Justin nach dem ersten. Bringt man bei jedem die Gleichbildung der beiden Akte entsprechend in Abrechnung, wozu die grammatikalischen Härten und Unmöglichkeiten Anweisung geben, so erhält man jedesmal den Markusbericht.

Dabei zeigt sich in der Gleichbildung der beiden Akte noch eine gewisse Entwicklung. Dass sie bei Matthäus noch nicht vollständig durchgeführt ist, lässt erkennen, dass die Gleichheit der Akte nicht das Ursprüngliche ist. Also muss sie ihren Grund in der historischen Anschauung der alten Zeit haben, welche diese Berichte formuliert hat. Da dieser allein in dem Mahlzeitcharakter der Essen und Trinken gleichwertenden Gemeindefeier gegeben sein kann, steht fest, dass diese Berichte durch das Medium der altchristlichen Auffassung der Gemeindefeier hindurchgegangen sind. Markus steht ausserhalb dieses Prozesses, weil er die Gleichbildung nicht aufweist; also ist er authentisch.

58 Dass die Vorstellung der historischen Feier bei Paulus und Justin in einem sehr hohen Masse durch die Auffassung der Gemeindefeier bedingt ist, liegt auf der Hand. Der historische Bericht ist bei ihnen ja nur Mittel zum Zweck. Er soll eine bestimmte Anschauung von der Gemeindefeier vertreten. Die Art, wie sie beide in Verbindung setzen, geht weit über unsere Begriffe hinaus. Wir verstehen die Gemeindefeier immer nur als eine entsprechende Wiederholung der historischen, sofern sie aus der letzteren begründet wird. Paulus und Justin setzen beide gleich, indem sie die Gemeindefeier mit der historischen Feier gegeben sein lassen. Dabei entstehen dann Gedankengänge, die für uns ganz überraschend sind.

Es handelt sich um I Kor 11 26. In V. 24 und 25 vollzieht Jesus die Einsetzung. Wer redet in V. 26? Das γὰρ, sofern es sich zum Vorhergehenden begründend verhält, schliesst den Subjektswechsel aus. Der Ausdruck τὸν θάνατον τοῦ κυρίου zeigt aber an, dass die historische Situation verlassen ist und Paulus von der Gemeindefeier redet. Dazu passt aber das γὰρ nicht, denn was für die Gemeindefeier gilt, ist nicht eine Begründung zu den Worten Jesu, sondern eine Folgerung aus dem historischen Spruch. In diesem Satz vollzieht also Paulus den Uebergang von der historischen Feier zur Gemeindefeier so, dass er beide für einen Augenblick gleichsam zusammenschiebt.

Darum schmilzt er zwei Sätze, von denen der erste der historischen Situation, der zweite der Darlegung über die Gemeindefeier angehört, ineinander.

Justin bietet ein Seitenstück zu diesem schillernden Uebergang. Er fasst in der berühmten Darlegung I Apol. 65 und 66 die historische Feier und die Gemeindefeier in einem gemeinsamen Ausdruck zusammen, indem er sie bezeichnet als: ἡ δι' εὐχῆς λόγου τοῦ παρ' αὐτοῦ (sc. Jesu) εὐχαριστηθεῖσα τροφή. Dieser Ausdruck bekundet eine Gleichsetzung der beiden Feiern, die59 weit über unseren Begriff der entsprechenden Wiederholung hinausgeht. Die Speise bei der Gemeindefeier ist, wie bei der historischen, durch Jesu Gebetswort geheiligt. Ein Unterschied besteht also nicht.

Was die Gleichbildung der beiden Akte anzeigt, wird durch die Argumentierung, mit welcher Paulus und Justin die Gemeindefeier mit der historischen Feier verbinden, bestätigt: Sie sehen die historische Feier nur in der Beleuchtung der Gemeindefeier.

Solange die Textvergleichung ausschliesslich auf die Entdeckung der wahrscheinlichsten und ansprechendsten Form der Einsetzungsworte ausging, bestand die Vorstellung der Möglichkeit einer paulinischen oder justinischen Sondertradition zu Recht, da beide „die Einsetzungsworte“ in sowohl unter sich unabhängigen als von den beiden älteren Synoptikern grundverschiedenen Fassungen boten. Prüft man aber die Berichte als Berichte, frägt man sie, ohne den verlockenden Anpreisungen ihrer „Einsetzungsworte“ Gehör zu geben, was sie von dem Verlauf und dem Wesen des gesamten historischen Vorgangs, bei welchem diese Gleichnisse geredet wurden, wissen, dann ist es mit der Scheinoriginalität aus. Es zeigt sich, dass sie sich die historische Feier der ihnen geläufigen Gemeindefeier entsprechend vorstellen, nur dass Jesus dabei Speise und Trank austeilt und die bekannten Gleichnisse redet. Also geht auch ihre Fassung „der Einsetzungsworte“ nicht auf eine paulinische oder justinische Sondertradition zurück, sondern sie ist geschichtlich aus der vorausgesetzten Gemeindefeier zu erklären. Paulus und Justin differieren in ihren „Einsetzungsworten“, weil und insofern die justinische von der paulinischen Gemeindefeier differiert. Zwischen beiden muss in der Auffassung der Feier eine Wandlung eingetreten sein.

So führt die neue Problemstellung eine neue Auffassung der Authentie mit sich, welche sich nicht mehr auf Meinungen, sondern auf Gesetze gründet. Als authentisch gilt nicht mehr die kürzeste oder scheinbar klarste Relation „der Einsetzungsworte“, sondern die Darstellung des gesamten historischen Vorgangs, für welche eine Beeinflussung durch die Gemeindefeier nicht nachgewiesen werden kann, ob uns nun die betreffende „Einsetzungsformel“ zusagt oder nicht.

Bisher galt es für interessant, mit einer gewissen skeptischen Nonchalance die Behauptung hinzuwerfen, dass wir über die60 Authentie der Berichte niemals etwas wissen können. Selbst wenn unter unseren Berichten ein authentischer sich befände, so hätten wir doch kein Mittel, ihn unter den andern herauszufinden. Durch die neue Auffassung der Authentie ist diese Skepsis abgethan. Wir besitzen einen authentischen Bericht. Wer es bestreiten will, muss nachweisen, dass der Markusbericht ein durch die andern Darstellungen desavouiertes Phantasieprodukt ist. Authentisch oder sinnlos: das ist die einzig offene Alternative.

2. Die Folgerungen aus der Authentie des Markusberichts.

Die neue Auffassung der Authentie bezeichnet den ersten Erfolg der neuen Problemstellung. Er öffnet dem neuen Lösungsversuch den Weg. Jesus forderte die Jünger auf, seinen Leib zu essen und sein Blut zu trinken: dieser angenommene gemeinsame Thatbestand aller Berichte schien den Weg zu versperren. Durch die Authentie des Markusberichts wird aber dieser Scheinthatbestand ausser Kraft gesetzt. Es ist historisch bestätigt, was aus der Kritik der modernen Auffassungen geschlossen wurde: Jesus hat seine Jünger nicht aufgefordert, seinen Leib und sein Blut zu geniessen, sondern er hat die Gleichnisworte im Verlauf, nicht vor dem Genuss gesprochen. Das Kelchwort kommt erst, nachdem alle getrunken haben!

Also haben wir einen Bericht, bei dem das Wesen der Feier nicht auf den Gleichnissen, sondern auf dem feierlichen Vorgang beruht. Das hatte die neue Problemstellung gefordert. Nun ist es Thatsache geworden. Also ist das Abendmahlsproblem für die historische Kritik lösbar.

3. Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis im Abendmahl.

Die Bedeutung der Darreichung der Genusselemente bleibt vorerst rätselhaft. Nur das Negative ist klar, dass nämlich die Gleichnisse nicht aus der symbolischen Handlung des Brechens und aus dem vorausgesetzten Ausgiessen des Weins an sich erklärt werden dürfen. Das darstellende Moment spielt in den Berichten keine Rolle und verschwindet zuletzt ganz, wie der justinische Text zeigt, wo das Brechen nicht einmal mehr erwähnt wird.

Wollte man die Gleichnisse nach dem authentischen Markustext deuten, so müsste man das erste aus dem Brechen, das zweite61 aus der Thatsache, dass alle Jünger getrunken haben, erklären. Man bekäme also zwei ganz verschieden geartete Gleichnisse.

Die Gleichnisse vom Leib und Blut müssen aber irgendwie den Leidensgedanken enthalten. Dass Jesus damit das Geheimnis seines Leidens zum letztenmal ausgesprochen hat, ist in den Umständen dieses letzten Zusammenseins gegeben. Wenn wir also die Gleichnisse nicht richtig zu verstehen vermögen, kann dies nur daran liegen, dass wir das Geheimnis des Leidensgedankens falsch auffassen.

Nun ist es die Eigentümlichkeit aller modern-historischen Abendmahlsauffassungen, dass sie in der Feier den eschatologischen Gedanken nicht zur Geltung bringen. Sie verwenden das Wort von dem Neutrinken in des Vaters Reich nicht als eine das Wesen jenes letzten Mahls mitkonstituierende Aussage, sondern machen daraus bestenfalls ein Anhangswort.

Im Markustext nimmt es aber eine Hauptstellung ein. Es ist das mit erhobener Stimme feierlich und eindringlich gesprochene Schlusswort der Feier. Dabei hängt es mit dem Wort vom vergossenen Blut eng und unzertrennlich zusammen, so dass es mit ihm einen einzigen Gedanken zu bilden scheint. Diese enge Verbindung zwischen dem Todes- und Wiederkunftsgedanken ist charakteristisch für den zweiten Akt der Situation bei Markus.

Demselben Zusammenhang begegnen wir aber auch bei Paulus und zwar in beiden Akten. Nach ihm — und er beruft sich dabei ausdrücklich auf den historischen Hergang — besteht die Bedeutung des Essens und Trinkens irgendwie in der Verkündigung des Todes des Herrn zugleich mit der Erwartung seiner Parusie. „So oft ihr dieses Brot esset und diesen Wein trinket, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis dass er komme.“

In der authentischen Relation der historischen Feier und in der ältesten Relation der Gemeindefeier haben wir also beidemal eine organische Verbindung zwischen dem Leidensgedanken und der eschatologischen Erwartung. Es ist daher falsch, das Wesen der Feier in der letzten Aussprache des Todesgedankens allein zu finden. Nicht von seinem Tod, sondern von seinem Tod und der baldigen Wiedervereinigung mit ihnen beim Mahle im neuen Reich hat Jesus zu den Seinen geredet. Das Geheimnis seines Todes, welches bei dieser Feier in 62 der ergreifendsten und erhebendsten Weise zum letztenmal von Jesus ausgesprochen wurde, enthält den Leidensgedanken im engsten Zusammenhang mit der eschatologischen Erwartung.

Die modern-historischen Abendmahlsauffassungen sind also unhistorisch, weil der Leidensgedanke, mit dem sie operieren, keinen Zusammenhang mit der Eschatologie aufweist. Darum können sie den wesentlichen Grundzug der historischen Feier und der ältesten Gemeindefeier nicht zum Ausdruck bringen. Um das Wesen des letzten Mahles zu begreifen, bedarf es daher eines Einblicks in den eschatologischen Charakter des Leidensgeheimnisses Jesu. Diesen kann man nicht aus der Feier selbst gewinnen, da Jesus dort das Geheimnis im Gleichnis ausspricht. Das Gleichnis aber vermögen wir nicht zu deuten.

Beim letzten Mahl handelt Jesus als Messias, und zwar als leidender Messias. Wenn wir sein Handeln nicht verstehen, so liegt dies mithin daran, dass wir sein Messianitäts- und Leidensgeheimnis falsch verstehen. Das Abendmahl kann nur aus dem Zusammenhang des Lebens Jesu begriffen werden. Unsere Abendmahlsauffassungen sind falsch — also ist die Auffassung des Lebens Jesu, welche uns dazu geführt hat, auch falsch.

Das Abendmahlsproblem ist das Problem des Lebens Jesu! Eine neue Abendmahlsauffassung kann nur aus einer neuen Auffassung des Lebens Jesu hervorwachsen, welche das Messianitäts- und Leidensgeheimnis so enthält, dass sein feierliches Handeln beim letzten Mahle begreiflich und verständlich wird. Ein neues Leben Jesu: das ist der einzige Weg zur Lösung des Abendmahlsproblems.


Anmerkungen zur Transkription:

Die erste Zeile entspricht dem Original, die zweite Zeile enthält die Korrektur.

S. XV:

S. 13:

S. 17:

S. 25:

S. 54: