The Project Gutenberg eBook of Auszug aus der Alten, Mittleren und Neueren Geschichte

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Title: Auszug aus der Alten, Mittleren und Neueren Geschichte

Author: Carl Ploetz

Editor: Maximilian Hoffmann

Friedrich Kähler

Release date: November 8, 2013 [eBook #44136]

Language: German

Credits: Produced by Henry Flower, Juliet Sutherland and the Online
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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK AUSZUG AUS DER ALTEN, MITTLEREN UND NEUEREN GESCHICHTE ***

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[i]

AUSZUG
AUS DER
ALTEN, MITTLEREN UND NEUEREN
GESCHICHTE.

VON
DR. KARL PLŒTZ (†),
EHEM. PROFESSOR AM FRANZÖSISCHEN GYMNASIUM IN BERLIN.

neu bearbeitet von Prof. Dr. MAX HOFFMANN (†)
UND
Professor Dr. FRIEDRICH KÄHLER,

SIEBZEHNTE AUFLAGE.

LADENPREIS: GEBUNDEN 3 MARK.

LEIPZIG 1912.
VERLAG VON A.G. PLŒTZ.

[ii]Alle Rechte vorbehalten.
Copyright 1912 by A.G. Plœtz, Leipzig.[iii]

Vorwort zur 16. Auflage.

Das vorliegende geschichtliche Handbuch, seit der neunten Auflage von dem jetzigen Herausgeber bearbeitet, ist durch Umgestaltung und Vermehrung des Inhalts bei den wiederholten Auflagen mehr und mehr ein Werk des Herausgebers geworden, von ihm zu vertreten hinsichtlich seiner Eigenheiten und Mängel. Doch ist die übersichtliche Anlage und Einrichtung des Buches ein bleibendes Verdienst des Verfassers; auf dem von ihm gelegten Grunde ließ sich leicht weiterbauen. Prof. Dr. Plœtz, 1848–1852 Oberlehrer am Katharineum zu Lübeck, dann Prof. am Französischen Gymnasium in Berlin, weithin bekannt durch seine Lehrbücher der französischen Sprache, hatte dieses Buch als Leitfaden für den Geschichtsunterricht an höheren Schulen entworfen, ausgehend von dem Grundsatz, daß »nur das Tatsächliche in möglichst übersichtlicher Gruppierung vorzuführen sei«, weil »ein Leitfaden, der zusammenhängende Erzählung bietet, dem Vortrage des Lehrers notwendigerweise Eintrag tut«. Er hatte es aber auch für den Privatgebrauch bestimmt, »um ein rasches Orientieren über historische, dem Gedächtnis augenblicklich nicht gegenwärtige Verhältnisse zu ermöglichen«. Die späteren Auflagen haben diesen letzteren Zweck mehr berücksichtigt und sind über die dem Schulunterricht gesteckten Grenzen hinausgegangen; doch ist dem Lehrer die Auswahl dessen, was gelernt werden soll, leicht gemacht durch die Einrichtung des Druckes. Strebsamen Schülern ist es vielleicht willkommen, manches hier zu finden, was bei späteren Studien näher ins Auge gefaßt werden kann.

Für die neueste Zeit seit 1866 ist den späteren Auflagen sehr schätzbare Mitarbeit von militärischer Seite zugute gekommen; diese Mitarbeit erstreckt sich bei der vorliegenden auch auf die deutschen Kolonien, deren Entwickelung von so hoher Bedeutung für Deutschlands Weltstellung ist. Auch sonst ist hier und da gebessert, um die Brauchbarkeit des Buches zu erhöhen. Möge es auch ferner Nutzen stiften als Führer durch ein weites, fast unermeßliches Gebiet, dessen Kenntnis doch unentbehrlich ist.

Lübeck, 9. Oktober 1909.
Max Hoffmann.[iv]

Vorwort zur 17. Auflage.

Als ich nach dem 1910 erfolgten Tode des langjährigen Herausgebers dieses Buches, des Herrn Professors Dr. Hoffmann in Lübeck, von dem Herrn Verleger den ehrenvollen Auftrag erhielt, die Besorgung der neuen Auflage zu übernehmen, habe ich mich dieser dankenswerten Aufgabe um so lieber und eifriger unterzogen, als ich bereits die letzten Ausgaben mit regem Interesse verfolgt hatte. Bei meinen nahen persönlichen Beziehungen zu dem verdienstvollen bisherigen Herausgeber glaubte ich anfangs, aus Rücksichten der Pietät für die 17. Auflage noch von größeren Änderungen Abstand nehmen zu müssen. Jedoch drängte sich mir je länger, je mehr die Erkenntnis auf, daß die Geschichte Asiens, besonders Ostasiens, infolge der erheblich lebhafter gewordenen Beziehungen zu Europa und Amerika notwendig eine eingehendere Behandlung und Würdigung verlange und zweitens, daß der Wunsch nach einer übersichtlicheren Einteilung und Gliederung des neuesten Geschichtsstoffes nicht wohl unberücksichtigt gelassen werden könne. Nach beiden Seiten hin bin ich bestrebt gewesen, entsprechende Änderungen durchzuführen. Was ich sonst im einzelnen im »Auszug aus der Geschichte« wie im »Anhang« gekürzt, erweitert oder berichtigt habe, wird der aufmerksame Leser leicht erkennen.

Möge das Buch in dieser neuen Fassung die gleiche wohlwollende Aufnahme finden wie die früheren Auflagen! Möge es ihm gelingen, das Interesse für die Geschichte und insonderheit die Liebe zur Geschichte unseres Volkes, die Erkenntnis und Wertschätzung der Grundlagen seiner Kultur und das Verständnis für seine Größe und seine Ziele in immer weitere Kreise zu tragen!

Herrn Professor Fischer in Blaubeuren und Herrn R.A. Plœtz in Margate (England) sage ich auch an dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank für wertvolle Notizen zur deutschen und englischen Geschichte.

Husum, 18. Februar 1912.
Friedrich Kãhler.[v]

Inhalt

Seite
Einteilung der allgemeinen Weltgeschichte1
Die Rassen in der Weltgeschichte2
I. Alte Geschichte.
A. Die ägyptisch-semitischen Völker.
§ 1.Ägypter3
§ 2.Babylonier und Assyrer6
§ 3.Juden (Hebräer, Israeliten)11
§ 4.Phöniker und Karthager13
B. Die asiatischen Arier.
§ 1.Völker Kleinasiens15
§ 2.Inder16
§ 3.Iranier17
C. Die Völker Ostasiens21
D. Die Griechen.
§ 1.Mythische Zeit23
§ 2.Staaten und Kolonien27
§ 3.Perserkriege und Blütezeit Athens38
§ 4.Peloponnesischer Krieg47
§ 5.Makedoniens Emporkommen53
§ 6.Alexander der Große59
§ 7.Hellenistische Zeit63
§ 8.Griechische Kunst und Wissenschaft69
E. Die Römer.
§ 1.Zeit der Königsherrschaft71
§ 2.Rom als Republik75
§ 3.Unterwerfung Italiens82
§ 4.Die Punischen Kriege87
§ 5.Ausbreitung der römischen Herrschaft94
§ 6.Bürgerliche Unruhen100
§ 7.[vi]Marius und Sulla103
§ 8.Pompejus und Cäsar107
§ 9.Untergang der Republik118
§ 10.Kunst und Literatur bei den Römern120
§ 11.Kaiserzeit bis zum Untergang des weströmischen Reiches121
II. Mittlere Geschichte.
A. Bis zum Vertrage von Verdun (375–843).
§ 1.Völkerwanderung139
§ 2.Frankenreich unter den Merowingern145
§ 3.Das oströmische Reich147
§ 4.Mohammed und das Kalifat148
§ 5.Frankenreich unter den Karolingern150
B. Bis zum Beginn der Kreuzzüge (843–1096).
§ 1.Italien und Deutschland (Karolinger, sächsische, fränkische Kaiser)155
§ 2.Frankreich169
§ 3.England und der Norden169
§ 4.Die Pyrenäische Halbinsel171
§ 5.Der Osten172
C. Das Zeitalter der Kreuzzüge (1096–1270).
§ 1.Kreuzzüge173
§ 2.Deutschland und Italien (Hohenstaufen)179
§ 3.Frankreich191
§ 4.England192
§ 5.Die Pyrenäische Halbinsel194
§ 6.Der Osten194
D. Bis zur Entdeckung Amerikas (1270–1492).
§ 1.Deutschland bis auf Maximilian I195
§ 2.Frankreich bis auf Karl VIII207
§ 3.Italien210
§ 4.England bis auf Heinrich VII211
§ 5.Die Pyrenäische Halbinsel214
§ 6.Der Norden und Osten215
[vii]III. Neuere Geschichte.
A. Bis zum Westfälischen Frieden (1492–1648).
§ 1.Erfindungen, Entdeckungen und Kolonien221
§ 2.Die Reformation in Deutschland224
§ 3.Frankreich bis auf Ludwig XIV.234
§ 4.Italien239
§ 5.Die Pyrenäische Halbinsel und die Niederlande241
§ 6.England und Schottland245
§ 7.Der Norden und Osten249
§ 8.Deutschland, Dreißigjähriger Krieg251
B. Bis zur französischen Revolution (1648–1789).
§ 1.Frankreich unter Ludwig XIV.261
§ 2.Deutschland unter Leopold I.265
§ 3.Der Norden und Osten267
§ 4.England269
§ 5.Der spanische Erbfolgekrieg272
§ 6.Der Nordische Krieg274
§ 7.Deutschland, Friedrich der Große278
§ 8.Der Norden und Osten292
§ 9.Großbritannien und Nordamerika298
§ 10.Südeuropa303
§ 11.Frankreich unter Ludwig XV. und XVI.305
C. Bis zum Wiener Kongress (1789–1815).
§ 1.Die Revolution in Frankreich306
§ 2.Frankreichs Kriege gegen das Ausland313
§ 3.Machtentfaltung des ersten französischen Kaiserreiches321
§ 4.Sturz des ersten französischen Kaiserreiches. Deutscher Befreiungskrieg331
§ 5.Herstellung des europäischen Staatensystems339
D. Bis auf unsere Zeit.
§ 1.Neue Erfindungen343
§ 2.Verfassungs- und Unabhängigkeitskämpfe345
§ 3.Die Zeit von 1830–1848348
§ 4.Die Revolutionszeit 1848–1852354
§ 5.[viii]Kunst und Wissenschaft im 19. Jahrhundert363
§ 6.Machtentfaltung des zweiten französischen Kaiserreichs. Nationale Einigung Italiens365
§ 7.Deutschlands Einigung durch Preußen371
§ 8.Deutsch-französischer Krieg 1870–1871381
§ 9.Das Deutsche Reich seit 1871393
§ 10.Österreich-Ungarn397
§ 11.Rußland399
§ 12.Die dritte französische Republik403
§ 13.England406
§ 14.Holland, Luxemburg, Belgien, Dänemark, Skandinavien, Schweiz410
§ 15.Italien411
§ 16.Die Pyrenäische Halbinsel413
§ 17.Die Balkanhalbinsel414
§ 18.Amerika416
§ 19.Asien419
§ 20.Entwickelung der deutschen Kolonien423
Anhang. I.Brandenburgisch-preußische Geschichte427
II.Die andern Staaten des Deutschen Reiches434
Namen- und Sachregister439

[1]

Einteilung der allgemeinen Weltgeschichte.

Bis 375 n. Chr.I.Alte Geschichte, von der Zeit der ersten geschichtlichen Kunde bis zum Beginn der Völkerwanderung.
375–1492.II.Mittlere Geschichte, vom Beginn der Völkerwanderung bis zur Entdeckung Amerikas.
Seit 1492.III.Neuere Geschichte, von der Entdeckung Amerikas bis auf unsere Zeit.

Die alte Geschichte gliedert sich nach den hervortretenden Völkern in fünf Abschnitte. Diese Völker sind:

1. Die ägyptisch-semitischen Völker. 2. Die asiatischen Arier. 3. Die Völker Ostasiens. 4. Die Griechen. 5. Die Römer.

Die mittlere Geschichte teilt man nach den hervorragenden Ereignissen in vier Perioden:

375–843.1.Vom Beginn der Völkerwanderung bis zum Vertrag von Verdun.
843–1096.2.Vom Vertrag zu Verdun bis zum Beginn der Kreuzzüge.
1096–1270.3.Das Zeitalter der Kreuzzüge.
1270–1492.4.Vom Ende der Kreuzzüge bis zur Entdeckung Amerikas.

Die neuere Geschichte gliedert sich ebenfalls in vier Perioden:

1492–1648.1.Von der Entdeckung Amerikas bis zum Westfälischen Frieden.
1648–1789.2.Vom Westfälischen Frieden bis zum Beginn der französischen Revolution.
1789–1815.3.Vom Beginn der französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß.
Seit 18154. Vom Wiener Kongreß bis auf unsere Zeit.[2]

Die Rassen in der Weltgeschichte.

Die Naturforschung bestimmt die Rassenunterschiede des Menschengeschlechts nach körperlichen Merkmalen; anders müssen sie von der geschichtlichen Forschung aufgefaßt werden. Reine Rassen im Sinne der Naturforschung liegen für den Zeitraum unserer Weltgeschichte nirgends vor. Nur die Nachklänge der Rasseneinheiten, die man für vorgeschichtliche Zeiten voraussetzen darf, nämlich der Durchschnitt der körperlichen und geistigen Eigentümlichkeiten, und als Haupteinteilungsprinzip die Sprache, sind die Merkmale der Rasse im Sinne des Historikers. In Betracht kommen dabei hauptsächlich folgende Rassen:

I.Die sumerische Rasse, die Urbewohner von Babylonien.
II.Die ägyptisch-semitische (Semiten im weiteren Sinne), deren Ursitz Arabien gewesen zu sein scheint.
III.Die zagrische mit dem Hauptsitze um die Grenzgebirge zwischen der heutigen Türkei und Persien (die herrschende Bevölkerung in Elam).
IV.Die kleinasiatische (Hethiter), die mit der indo-atlantischen verwandt zu sein scheint (Urarthier, Mitanier).
V.Die arische (indo-europäische): Iranier, Inder, Phryger, Griechen, Italiker, Kelten, Germanen, Litu-Slaven. Diese Völker sind die Hauptträger der geschichtlichen Entwickelung.
VI.Von der altaischen Rasse haben die Chinesen und Japaner im Osten einen eigenen Kulturkreis gebildet, die Bulgaren, Magyaren und Türken in Europa eine gewisse Bedeutung gewonnen.

Andere Rassen (Ainos, Dravidas, Malaien, Iberer, Basken, Amerikaner, Neger) haben eine mehr passive Rolle gespielt als zurückweichende Urbevölkerung.[3]

I. Alte Geschichte.

A. Die ägyptisch-semitischen Völker.

§ 1. Ägypter.

Ägypten, das von Höhenzügen und Wüsten eingeschlossene, oberhalb des Delta nur wenige Stunden breite, etwa 1100 km lange Tal des untern Nil, der alljährlich vom Juli an auf fast 4 Monate seine Ufer überflutet und so das Land befruchtet. Zwei Landesteile: Unter-Ägypten mit der Hauptstadt Memphis und dem Deltalande; Ober-Ägypten mit der Hauptstadt Theben (Nu-Amôn), Südgrenze die Stromschnellen bei Syene, jetzt Assuan. Beide bestanden ursprünglich als selbständige Staaten nebeneinander. Ackerbau, Handwerk und Kunst erscheinen im vierten Jahrtausend v. Chr., wo die geschichtlichen Nachrichten beginnen, schon hoch entwickelt.

Staatswesen: Erbliches Königtum, die Könige gelten als Söhne des Sonnengottes selbst für göttliche Wesen. Glänzende Hofhaltung, viele Beamte, das Land in bestimmte Gaue geteilt. Bedeutender Einfluß der Priester, denen auch die Pflege der Wissenschaften (Sternkunde, Heilkunde, Rechtskunde) obliegt. Frühzeitige Feststellung des Sonnenjahres. Strenge Regelung des gesamten Lebens durch religiöse Satzungen. Erbliche Stände, nicht völlig gegeneinander abgeschlossene Kasten.

Religion: Verehrung der persönlich gedachten Naturkräfte, verbunden mit symbolischem Tierdienst. Die einzelnen Gaugötter schließen sich allmählich zu Götterkreisen zusammen. Oberster Gott der Sonnengott ihm sind die Obelisken geweiht. Neben ihm andere Gottheiten der Sonne, des Mondes, des Nils usw. Besondere Verehrung des Ptah in Memphis, des Amôn in Theben, der Neit in Saïs. Der Kampf der dem Menschen heilsamen und feindlichen Naturkräfte, wie er sich in dem alljährlichen Aufblühen, Absterben und Wiedererwachen der belebten Natur ausprägt, wird dargestellt in dem Mythus von Osiris. Osiris, der Gott des Lebens, wird von Set (Typhon), dem Dämon der verzehrenden Gluthitze, getötet, von seiner trauernden Gemahlin Isis gesucht; endlich überwindet Hôrus, der Sohn beider, den Set. Osiris, wieder belebt, herrscht in der Unterwelt über die Seelen der Abgeschiedenen (Totengericht).

Sorgfältige Bestattung der Toten, die für die einmal wiederkehrenden Seelen durch Einbalsamierung in Felsengräbern[4] und Pyramiden erhalten wurden (Mumien). Heilige Tiere: der Stier Hapis in Memphis als Abbild des Ptah verehrt; die Kühe der Isis, die Katzen der Bast, die Sperber dem Hôrus geheiligt.

Die Hieroglyphenschrift,[1] ursprünglich Bilderschrift, hat Buchstaben-, Silben- und Wortzeichen; oft wird dem mit Buchstaben- und Silbenzeichen geschriebenen Worte ein Bild zur Verdeutlichung angefügt. Sie wurde hauptsächlich zu Inschriften an den Wänden der Tempel und Grabkammern benutzt; für den gewöhnlichen Gebrauch schrieb man auf Papyrusblättern mit einer abgekürzten, der hieratischen Schrift, später mit der noch mehr verkürzten demotischen Schrift.

vor Chr. Vor 3000.

Das alte Reich,

begründet von König Mena durch Vereinigung der beiden Landesteile. Wechselnde Residenzen der Könige in der Gegend von Memphis (oberhalb Kairo). Ihre Grabdenkmäler sind die Pyramiden; über 70 noch erhalten. Die höchsten (bei dem Dorfe Gizeh) sind von den Königen der 4. Dynastie[2] (um 2800) erbaut: Snofru, Chufu (Cheops bei Herodot),[3] Chafrâ, Menkaurâ. Unter der 6. Dynastie zerfällt die Einheit des Reiches; mehrere Könige herrschen nebeneinander. Herstellung der Einheit durch die von Theben in Ober-Ägypten ausgehende 11. Dynastie.

Um 2100.

Das mittlere Reich,

die klassische Zeit Ägyptens. Blüte der Baukunst und der Literatur (religiöse, medizinische, biographische Schriften; Märchen, Fabeln und Lieder). Handelsverkehr mit Syrien und dem Weihrauchlande Punt (Südarabien). Residenzen in der Landschaft Fajjûm oberhalb Memphis.

Amenemhât I. (12. Dynastie) baut den Amôntempel in Theben, seine Nachfolger unterwerfen das Land Kusch (Nubien),[5] Wesertôsen III. ist der in der griechischen Sage hervortretende Sesostris. Amenemhât III. legt im Fajjûm den Moeris-See an, um die Überschwemmungen des Nils zu regeln, und erbaut dort einen großen Reichstempel, von den Griechen Labyrinth genannt. Auch diese Dynastie hat Pyramiden gebaut; Felsengräber von Priestern und hohen Beamten bei Beni-Hassan.

Um 1800.

Eroberung Ägyptens durch die Hyksôs, Hirtenkönige semitischer Abkunft, die über die Landenge von Suez eindrangen. Sie beherrschten hauptsächlich das untere Land, Ober-Ägypten wurde von einheimischen Statthaltern verwaltet. Einer von diesen, Ahmôse, Statthalter in Theben, vertreibt endlich im 16. Jahrhundert die Hyksôs und herrscht dann als König.

Um 1530.

Das neue Reich (Hauptstadt Theben)

erhebt sich bald zu bedeutender Macht und Größe. König Dhutmôse I. (Thutmosis) aus der 18. Dynastie macht Nubien zur Provinz und dringt in Syrien bis zum Euphrat vor. Seine Tochter Hatschepsowet sendet Schiffe aus nach dem Weihrauchlande Punt. Dhutmôse III. macht Syrien und Palästina zu Provinzen: höchste Machtfülle Ägyptens.

Seine Nachfolger erhalten diesen Umfang des Reiches aufrecht. Amenhotep III. schmückt Theben mit glänzenden Bauten; Ruinen bei den jetzigen Dörfern Karnak, Luksor und Medinet-Abu; bei letzterem noch jetzt zwei sitzende Kolosse, Statuen des Amenhotep, deren eine von den Griechen die tönende Säule des Memnon genannt ward.

Um 1400.

Amenhotep IV. führt einen Sonnen-Monotheismus ein; alle anderen Götter sollen dem weichen. Er gründet eine neue Residenz in Mittel-Ägypten (Ruinen von El-Amarna), steht in freundschaftlichen Beziehungen zu den Königen von Babel und Assur. Nach seinem Tode Wiederherstellung der früheren Götterverehrung, zumal des Amôn von Theben.

Um 1300–1270.

Seti I. und sein Sohn Ramsês II. (19. Dynastie) kämpfen mit den Hethitern (Cheta), die in Nordsyrien ein Reich gegründet haben (S. 15). Ramsês siegt in der Schlacht bei Kadêsch am Orontes, deren epische Beschreibung (der Schreiber Pentaur) in Tempelinschriften erhalten ist. Blüte des Reichs unter seiner fernerhin friedlichen Regierung; Residenz zu Tanis im Deltalande, Tempelbauten zu Theben und Abu-Simbel (in Nubien), Nilkanal bis zum Timsah-See.

Um 1180.

Ramsês III. (20. Dynastie) behauptet das Ansehen des Reichs durch Kämpfe gegen die »Seevölker«, welche in Syrien eindringen, und gegen die Libyer im Westen.[6]

Zeit des Verfalles unter den folgenden Herrschern, Syrien wird unabhängig, in Nubien erhebt sich das Reich von Napăta. Die Priesterschaft des Amôn von Theben wird allmächtig, und endlich stößt der Oberpriester Hĕrihôr den letzten Ramsês (XII.) vom Throne. Gegen seine Nachfolger erhebt sich eine neue Dynastie (21.) in Tanis. Kriegerisch tritt noch einmal König Scheschonk I. auf (22. Dynastie), der um 920 für kurze Zeit Jerusalem erobert. Dann Schwäche der Königsmacht gegenüber den Gaufürsten.

Um 775.

Pianchi, König von Napăta, erobert Ägypten; doch wird es nach einiger Zeit wieder selbständig. Dauernde Eroberung 728 durch Schabăka, König von Napăta, der die 25. Dynastie begründet. Sein zweiter Nachfolger Taharka tritt den Assyrern in Syrien entgegen.

670.

Assurachiddin, König von Assur, erobert Ägypten und ernennt 22 Statthalter, meist ägyptische Gaufürsten; doch hat er, wie auch sein Nachfolger Assurbanipal, gegen den von Napăta zurückkehrenden Taharka und dessen Nachfolger Tantamôn um den Besitz des Landes zu kämpfen. Nach des letzteren Tode treten die ägyptischen Statthalter wieder in ihre Rechte.

645.

Herstellung des Reiches. Psamêtik von Sais, einer der Statthalter, macht sich mit Hilfe karischer und ionischer Söldner unabhängig von Assyrien (S. 10), residiert zu Sais im Deltalande (26. Dynastie), öffnet das Land dem Fremdenverkehr (Syrer, Karer, Ionier). Unzufriedenheit im Stande der Krieger, ein Teil derselben wandert nach Nubien aus. Sein Sohn

610–594.

Neko (Necho) setzt den Bau des Kanals vom Timsah-See bis zum Roten Meere fort, ohne ihn zu vollenden, läßt durch phönikische Seeleute Afrika umfahren, versucht Syrien wiederzuerobern, wird aber 605 von den Babyloniern unter Nebukadnezar II. bei Gargămisch am Euphrat zurückgeschlagen. Sein Enkel Wahabrê (bei Herodot Apries) wird entthront von

570–526.

Ahmôse (Amāsis), dessen Regierung die letzte Glanzzeit Ägyptens ist. Freundschaft mit den Griechen von Kyrēne und mit Polykrătes von Samos; den ionischen Griechen wird die Ansiedlung in Naukrătis gestattet. Tempelbauten in Sais und Memphis. Sein Sohn

525.

Psamêtik III. wird in der Schlacht bei Pelusium von Kambyses besiegt. Ägypten persische Provinz.

§ 2. Babylonier und Assyrer.

Ebenso alt wie im Niltal ist die Kultur in der fruchtbaren Ebene am Unterlauf des Euphrat (Purat) und Tigris (Diglat),[7] welche später nach ihrer Hauptstadt Babylonien hieß. Träger dieser bis ins fünfte Jahrtausend vor Chr. nachweisbaren Kultur sind die nichtsemitischen Sumerer, doch sind zu der Zeit, wo die geschichtlichen Nachrichten beginnen, schon semitische Stämme eingedrungen, zumal in Nord Babylonien, und haben sich die vorgefundene Kultur angeeignet.

Die Entwickelung von Gewerbtätigkeit und Handel führt frühzeitig zur Ausbildung eines genauen Gewichts- und Maßsystems, bei welchem die Zahl 60 der Einteilung zugrunde liegt (Sexagesimal-System); an die Beobachtung der Sterne knüpft sich genaue Zeitrechnung, doch auch der Aberglaube der Sterndeutung (Astrologie).

Religion: Von der Verehrung der leuchtenden Himmelskörper ausgehend bildet sich eine vielgestaltige Götterwelt. Oberster Gott Ellit, später Bêl genannt, Sohn des Himmelsgottes Anu; seine Gemahlin Belit. Andere Götter Samas, der Sonnengott, Sin, der Mondgott, Rammân, der Gott des Gewitters, Marduk, der Stadtgott von Babel, Nergal, Istar, Nabu. Hohes Ansehen der Priester, die wie in Ägypten zugleich Lehrer der Wissenschaft sind.

An der altbabylonischen Kultur nimmt teil das von zagrischen Völkern bewohnte Land Elam (Hauptstadt Susa am Choaspes) und allmählich auch das weiter nördlich am oberen Tigris gelegene Land Assur (Assyrien). Überall ist die Keilschrift im Gebrauch, mit Griffeln auf Tontafeln und Tonzylinder eingeritzt, später in vereinfachter Form von den Persern angenommen.[4]

Um 3000.

Stadtkönigtümer im Lande der Sumerer (Südbabylonien), gestützt auf alte Kultstätten: Ur, Eridu, Larsa, Lagas (Sirpurla), Nipur mit dem auf Terrassen hochgebauten Tempel des Ellit.

Im Norden Stadtkönigtümer der Semiten: Akkad, Sippara, Borsippa, Babel.

Um 2800.

König Sargon von Akkad (Nordbabylonien) gründet ein Reich, das sich bis nach Syrien erstreckt.

Um 2600.

Im Süden erheben sich die Könige von Ur, dann die von Larsa; die Herrscher dieser Dynastien bezeichnen sich auch als Könige von Sumer und Akkad.

Um 2300.

Kudur-Mabuk, König von Elam (Susiana), erobert Ur und Larsa.[8]

Um 2200.

Hammurabi, König von Babel, befreit den Süden von dem Joch der Elamiter und zwingt ihn für immer unter die Herrschaft des Nordens; begründet damit das Babylonische Reich. Die Hauptstadt, ein großes ummauertes Viereck, vom Euphrat durchströmt; auf der einen Seite des Flusses die Königsburg, auf der andern ein in 8 Stockwerken sich erhebender Tempel des Bêl. Sorgfältiger Ackerbau, Anlage von Kanälen. Eine umfassende Gesetzgebung, bekannt geworden durch eine 1901 in Susa gefundene Inschrift dieses Königs, regelt das bürgerliche Leben: Landbau, Schiffahrt, Handel, Eherecht, Erbrecht.

Um 1700.

Herrschaft der vom Zagrosgebirge her eingedrungenen Kassu (Kossäer) über Babel;[5] seit etwa 1250 wieder einheimische Könige.

Um 1500.

Reich Assur am oberen Tigris. Alte Hauptstadt gleichen Namens; spätere Residenzen der Könige sind Ninua (Ninive)[6] und Kalach. Ausbildung des Kriegswesens und geordnete Verwaltung; die Jahre werden nach dem Wechsel der obersten Staatsbeamten (Limu) gezählt.

Um 1450.

König Assurubállit von Assur, befreundet mit Burnaburjasch von Babel, zerstört das Nachbarreich der Mitani am oberen Euphrat. Lange Zeit bestehen die drei Reiche Babel, Elam, Assur nebeneinander, verbunden durch Handelsverkehr, aber auch öfters in Feindschaft. Tiglatninib von Assur herrscht um 1280 eine Zeitlang auch über Babel, Nabukudrossor I. (Nebukadnezar I.) von Babel ist um 1130 siegreich gegen Elam, führt die geraubte Mardukstatue aus Susa zurück.

Um 1100.

Tiglatpilêsar I. von Assur schlägt einen Angriff der kleinasiatischen Muski (S. 15) zurück, dringt erobernd vor nach Naīri (den Gebieten nördlich vom oberen Tigris) und nach Nordsyrien, wo das Reich der Hethiter (S. 5) sich in kleinere Staaten aufgelöst hat; er erreicht bei Arwad (Aradus) in Phönizien das Mittelmeer. Die nächstfolgenden Könige haben diesen Umfang der Herrschaft nicht behauptet; dann aber folgt die Gründung der Assyrischen Großmacht.[9]

885–860.

Assurnâssirpal (III.) erobert die Länder am oberen Euphrat und Nordsyrien und dringt wieder bis zum Mittelmeer vor. Tyrus und Sidon zahlen Tribut.

860–825.

Salmanâsar II. wiederholt diese Züge, greift zwar Damaskus mehrfach vergeblich an, hält aber Tyros, Sidon und das Reich Israel (König Jehu) tributpflichtig, ebenso im Osten die indogermanischen Madai (Meder) (S. 17); in Babel greift er bei einem Thronstreit mit Heeresmacht ein. Sein zweiter Nachfolger Râman-nirari III. (um 800) erobert auch Damaskus und führt reiche Beute davon. Unter ihm reicht die assyrische Macht von Medien über ganz Palästina bis nach Edom. Dann folgt eine Zeit des Niedergangs; Salmanâsar III. (um 780) kämpft erfolglos gegen das in den nördlichen Bergländern (Armenien) entstandene Reich Urarthu.

745–727.

Tiglatpilêsar III. (Pulu), ein Usurpator, stürzt den schwachen König Assur-nirari und erhebt die assyrische Macht aufs neue. Er bekriegt das westliche Medien, bricht die Macht der Urarthier, stellt die Herrschaft über Syrien wieder her. Die Könige von Damaskus, Israel, Tyros zahlen ihm Tribut. In Babel bestätigt er zuerst den König Nabunâssir[7] als aber nach dessen Tode Ukînzêr, Fürst der Kaldi (Chaldäer, im südlichen Babylonien) sich des Thrones bemächtigt, vertreibt er diesen und macht sich selbst unter dem Namen Pulu zum König von Babylon, Sumer und Akkad. So wird er der Gründer des assyrischen Weltreichs, indem er

729.

Assur und Babel vereinigt.

722–705.

Sarrûkîn (Sargon), Begründer einer neuen Dynastie, beendet die von seinem Vorgänger Salmanâsar IV. begonnene Belagerung von Samaria, führt die Einwohner nach Medien, schlägt einen Angriff des ägyptischen Königs Schabăka (S. 6) bei Raphia (unweit Gaza) zurück, vernichtet durch Eroberung von Gargamisch (Karchemisch) den letzten Hethiterstaat in Syrien (S. 8). Dann unterwirft er das westliche Medien, siegt über den König Rusas von Urarthu, zwingt Mita, den König der Muski (Midas von Phrygien, S. 8), zur Huldigung. Cypern tributpflichtig. Inzwischen hat sich in Babel Mardukbaliddin, Fürst der Kaldi, von Elam her unterstützt, der Herrschaft bemächtigt; Sarrûkîn besiegt ihn 710 und stellt die Vereinigung beider Reiche wieder her. Elam bleibt selbständig. Neue Residenz Dûr-Sarrûkîn (Chorsâbâd) nördlich von Ninive. Sein Sohn[10]

705–681.

Sinachirib (Sanherib) behauptet Syrien gegen die Ägypter, belagert aber Tyros und Jerusalem vergeblich (König Hiskia), zerstört die Stadt Babel nach abermaligem Aufstande der Einwohner.

681–668.

Assurachiddin (Assarhaddon) stellt Babel wieder her, begünstigt die Babylonier, unterwirft Ägypten (S. 6, Memphis 670 erobert) und mehrere arabische Stämme. Sidon erobert und zerstört, wird assyrische Provinzialstadt. Unter diesem König hat das Reich seine größte Ausdehnung. Aber schon unter seiner Regierung beginnen nomadische Indogermanen, die Skutscha und Gimirai (Skythen und Kimmerier), das Reich vom Norden her zu bedrohen.

668–626.

Assurbanipal (Sardanapal) wird durch den Aufstand seines Bruders Samassumukîn, den Assurachiddin zum König von Babel eingesetzt hatte, genötigt, Ägypten aufzugeben (vgl. S. 6), unterwirft jedoch Babel wieder und macht dem Reiche Elam ein Ende durch Eroberung der Hauptstadt Susa. Seine durch Bauten verschönerte Residenzstadt ist Ninive; dort ist in den umfangreichen Ruinen der größte Teil seiner großartigen Bibliothek aufgefunden worden (Tafeln und Zylinder aus Ton mit Keilschrift). Nach seinem Tode wird Babel wieder selbständig und erhebt sich bald zu großer Macht, während das assyrische Reich durch die verheerenden Kriegszüge der Skythen, die bis nach Syrien vordringen, geschwächt wird.

626–539.

Das Neu-Babylonische (chaldäische) Reich.

626–605.

Nabupalôssor, ein Chaldäerfürst, König von Babel, erkennt die assyrische Oberhoheit nicht mehr an, verbündet sich mit dem König der Meder Kyaxāres (S. 17).

606.

Ende des assyrischen Reiches, die vier Residenzstädte, namentlich Ninive, von den Medern unter Kyaxāres zerstört. König Neko von Ägypten, welcher Syrien zu erobern versucht (609 Schlacht bei Megiddo, wo König Josia von Juda fällt), wird von Nabukudrossor, Nabupalôssors Sohn, zurückgeschlagen.

605–561.

Nabukudrossor II. (Nebukadnezar) läßt die vergrößerte Stadt Babel (Babylon) mit einer doppelten Mauer umziehen, legt die sogen. schwebenden Gärten der Semiramis (Terrassen) an, stellt den Tempel des Bêl und die das Land vor Versumpfung schützenden Kanäle wieder her (Wasserbecken bei Sippāra), sichert das Land im Norden durch die vom Euphrat bis zum Tigris reichende medische Mauer. Amasis von Ägypten, der sich mit griechischen Inselmächten verbündet hat, 605 bei Karchemisch besiegt. Krieg gegen Juda. 586 Jerusalem zerstört, die Einwohner am Euphrat angesiedelt, 573 Tyros unterworfen.[11]

Nach dem Tode des großen Königs Verfall des Reiches durch Thronstreit. Kurze Regierungen der drei Nachfolger aus Nebukadnezars Familie; dann wird die chaldäische Dynastie von den Priestern gestürzt, die einen Babylonier Nabunêd auf den Thron erheben. Dieser bemüht sich um Herstellung der Tempel und Einkünfte der Priester, erliegt aber dem Angriffe der Perser.

539.

Babylon von Kyros erobert; Babylonien wird zunächst ein Kronland der Perserkönige, dann nach einem Aufstand unter Xerxes persische Provinz. Der Marduktempel von Xerxes zerstört, bleibt seitdem in Trümmern.

§ 3. Juden (Hebräer, Israeliten).

Syrien, von semitischen Völkern bewohnt, hat nach dem Verfalle der Macht der Hethiter (S. 8) keine zusammenfassende Staatsbildung aufzuweisen; im 9. Jahrhundert wird es von den Assyrern abhängig. Doch behalten die Einwohner ihre alte Religion und Sprache; in Nordsyrien herrscht die aramäische Sprache.

Geschichtlich bedeutsam durch seine Religion ist das im Lande Kanaan (Palästina) wohnende jüdische Volk, dessen ältere Geschichte sagenhaft ist. Stammväter: Abraham, Isaak, Jakob; Auswanderung nach Ägypten, Rückkehr unter Mose, Gesetzgebung am Sinai. Unter Josuas Führung werden die Völker Kanaans besiegt; Verteilung des Landes zu beiden Seiten des Jordan unter die 12 Stämme; der Stamm Levi zur Priesterschaft bestimmt. Verehrung des einigen unsichtbaren Gottes Jahveh (Jehovah); sein Heiligtum die tragbare Stiftshütte, darin die Bundeslade, in welcher die Gesetztafeln aufbewahrt werden. Das Gesetz Jahvehs beherrscht das ganze bürgerliche Leben. (Theokratie.)

Weitere Kämpfe mit den Völkern Kanaans unter Führung der Richter: Gideon, Jephtah, Simson, Samuel.

Um 1000.

Auf Verlangen des Volkes salbt Samuel den Saul (aus dem Stamme Benjamin) zum König. Saul, siegreich gegen die Nachbarvölker, entzweit sich bald mit dem Priestertume. Samuel salbt einen andern König, David, aus dem Stamme Juda. Diesen nötigt Saul zur Flucht, tötet sich aber selbst nach einem unglücklichen Kampfe gegen die Philister.

Um 980.

David treibt die Feinde zurück, entreißt den Jebusitern Jerusalem, wohin die Bundeslade gebracht wird, und macht diese Stadt zur Hauptstadt.

Um 950.

Salomo baut den Tempel zu Jerusalem; Freundschaft mit dem König Hirôm I. von Tyros, gemein[12]same Seefahrten nach dem Lande Ophir (Ostarabien?); glänzende Regierung. Nach seinem Tode

Um 925.

Teilung des Reiches der Juden. Die Stämme Juda und Benjamin halten zu Rehabeam, dem Sohne Salomos, die andern zehn Stämme unter Jerobeam bilden das Reich Israel (Hauptstadt Sichem, später seit Ahab Samaria).

Im Reiche Israel gelangt unter König Ahab (um 870) durch den Einfluß seiner Gemahlin Isebel, Tochter Itobaals I. von Tyros, der phönikische Baal- und Astartedienst zu großer Verbreitung. Kampf der Propheten (Elîa, Elisa u. a.) gegen das götzendienerische Königtum. Ahab fällt im Kampf gegen Damaskus. Der Feldhauptmann Jehu, von Elisa gesalbt, tötet Isebel, rottet das Geschlecht Ahabs aus, macht sich zum König und verbietet den Baaldienst; er wird 842 dem assyrischen Könige Salmanâsar II. tributpflichtig (S. 9). Dann Bedrängnis durch die Könige von Damaskus, glücklichere Zeit unter Jerobeam II. König Menachem wird 738 wiederum den Assyrern untertan; König Hosea wird, als er sich der assyrischen Herrschaft zu entziehen sucht, 724 von Salmanâsar IV. geschlagen und gefangen. Nach 3 jähriger Belagerung wird

722.

Samaria von Sarrûkin (S. 9) erobert, das Reich Israel zerstört; über 27000 Einwohner weggeführt und in Assyrien und Medien angesiedelt.

Das Reich Juda wird noch unter Rehabeams Regierung von den Ägyptern unter Scheschonk (S. 6) mit Krieg überzogen. König Josaphat (um 870) vermählt, um ein friedliches Verhältnis mit dem Reiche Israel herzustellen, seinen Sohn mit Athalja, der Tochter Ahabs von Israel und der Isebel. Athalja bemächtigt sich 843 in Jerusalem der Herrschaft, ermordet, um Davids Stamm auszurotten, ihre eigenen Enkel (nur Joas wird wunderbar gerettet und im Tempel Jehovahs auferzogen) und führt in Jerusalem den Baaldienst ein. Sie wird 837 von dem Hohenpriester Jojada gestürzt und getötet, der junge Joas auf den Thron gesetzt, der Baaldienst aufgehoben.

König Hiskia (um 700), der Leitung des Propheten Jesaja folgend, verbannt aufs neue die Abgötterei, verweigert den Assyrern den Tribut und verbindet sich mit Ägypten. Die Assyrer unter Sinachirib belagern vergeblich Jerusalem, führen aber viele Bewohner des offenen Landes in die Gefangenschaft.

Unter Josia (640–609) verheeren die Skythen (s. S. 10) das Land. Herstellung des Jehovahdienstes nach Auffindung des Gesetzbuches im Tempel (621); der Prophet Jeremia. König Josia fällt im Kampfe gegen den ägyptischen König Neko (s. S. 10) bei Megiddo 609. Das Reich Juda wird den Ägyptern und nach der Schlacht bei Gargamisch (S. 6) den[13] Babyloniern Untertan. Ein Versuch des letzten Königs Zedekia, die Unabhängigkeit wieder zu gewinnen, mißlingt trotz ägyptischer Hilfe.

v. Chr. 586.

Nabukudrossor, König von Babylon, zerstört Jerusalem. Viele Juden in die babylonische Gefangenschaft geführt.

539.

Kyros gestattet den Juden die Rückkehr nach Palästina und die Wiederherstellung eines Staates Juda. Jerusalem und der Tempel wieder aufgebaut. Herstellung des mosaischen Gesetzes durch Esra 458, Mauerbau unter Nehemia 445. An der Spitze des kleinen Staates steht unter persischer Oberhoheit der Hohepriester; Feindschaft gegen Samaria, wo Vermischung mit anderen Völkern eingetreten ist.

§ 4. Phöniker und Karthager.

Phönikien, der schmale, hafenreiche Küstenstrich westlich vom Gebirge Libanon, bewohnt von einem semitischen Volke, welches frühzeitig Städte gründete: Arwad (Arados), Gubal (Byblos), Berut (Berytos), Sidon, Zor (Tyros). Sidon seit etwa 1500 v. Chr. die bedeutendste Stadt.

Die Religion der Phönīker mit der babylonischen verwandt, durch Ausschweifung und Grausamkeit entstellt. Hauptgötter Baal, Astarte und Moloch, der Feuergott, welchem Menschenopfer dargebracht wurden. In Tyros Melkart besonders verehrt, in Gubal der Frühlingsgott Adonis.

Die Phöniker trugen als Handelsvolk die in Ägypten und Babylonien begründete Kultur nach den Ländern des Westens. Ihre Häfen standen durch Karawanenstraßen (über Damaskus und Thadmor) mit dem Euphratlande in Verbindung. Mannigfache Gewerbtätigkeit: Weberei, Purpurfärberei, Glasbereitung, Bergbau, Bearbeitung der Metalle. Ausbildung der (konsonantischen) Lautschrift, von der die europäischen und neueren asiatischen »Alphabete« abstammen.

Gründung zahlreicher Kolonieen auf Cypern, Rhodos, Kreta, Kythera, auf Inseln des Ägäischen Meeres, auf Sicilien, an der Nordküste von Afrika (Utica, Leptis), an der Südküste von Spanien (Gades). Weitere Handelsfahrten teils nach der Westküste Afrikas, teils nach Britannien und der deutschen Seeküste, wo sie u. a. den Bernstein fanden.

Um 1100.

Tyros gelangt an Stelle von Sidon zum Vorrang unter den phönikischen Seestädten.

Um 950.

Blüte von Tyros unter König Hirôm I., dem Freunde Salomos (S. 11). Neu-Tyros, auf einer Insel der Altstadt gegenüber gelegen, wird erweitert, befestigt und durch einen Damm mit dem Festlande verbunden. Später entstehen[14] innere Zwistigkeiten; ein großer Teil der alten Geschlechter verläßt unter Führung der Königstochter Elissa die Stadt Tyros und gründet

v. Chr. Um 814.

Karthāgo, punisch Kartchadast (d. h. die neue Stadt), an der Meeresbucht zwischen dem Schönen und dem Hermäischen Vorgebirge, nicht weit von dem heutigen Tunis (Doppelhafen, Burg Byrsa). Die Gründerin Elissa wird später als Göttin Dido-Astarte (Beschützerin der Kolonisation) verehrt.

Verfassung Karthagos: Aristokratische Republik, die Herrschaft in der Hand der reichen Großkaufleute und Gewerbetreibenden, an der Spitze zwei jährlich erwählte Suffeten, d. h. Richter, auch Könige genannt, ein engerer und ein weiterer Senat; die Bürgerschaft hat das Wahlrecht und wird bei wichtigen Entscheidungen befragt.

Allmähliches Sinken der Städte des Mutterlandes; sie geraten unter die Botmäßigkeit der Assyrer, dann der Babylonier; nur Tyros erhält sich bis 573 frei. Währenddessen breiten sich die Griechen, welche schon früher (um 1000 v. Chr.) die Phöniker aus dem Ägäischen Meere verdrängt hatten, an den Küsten und Inseln des westlichen Mittelmeeres aus und bedrohen die phönikischen Niederlassungen mit Vernichtung.

Um 600.

Gegenüber dieser Gefahr beginnt Karthago die Phöniker des Westens unter seiner Führung zu sammeln und gründet ein seemächtiges Reich in Nordafrika, Westsicilien und Südspanien. Grenzkriege mit den Griechen von Kyrēne; die Altäre der Philänen (östlich von Groß-Leptis) als Grenze festgestellt. Auch Sardinien wird von den Karthagern besetzt; aus Korsika vertreiben sie, im Bunde mit den Etruskern, die Griechen von Phokäa (Seeschlacht bei Alalia 540).

586–573.

Tyros hält eine dreizehnjährige Einschließung (von der Landseite) durch Nabukudrossor aus, muß aber zuletzt die Oberherrschaft des Königs von Babylon anerkennen (S. 10).

539.

Nach Zerstörung des Babylonischen Reiches durch Kyros werden die Phöniker den Persern Untertan, sie stellen fortan den Hauptteil der persischen Seemacht. Sidon wird nunmehr wieder die erste Stadt Phönikiens. Tripolis als Bundesstadt gegründet von Arados, Sidon und Tyros.

332.

Nach der Eroberung von Tyros durch Alexander d. Gr. wird Phönikien und ganz Syrien, bald auch Ägypten und Babylonien ein Teil der großen griechisch-makedonischen Monarchie.[15]

B. Die asiatischen Arier.

Ein neues Zeitalter beginnt mit dem Auftreten der Arier (Indoeuropäer). Zuerst treten die asiatischen Zweige dieser Völkergruppe hervor in Iran, Kleinasien, Armenien, Indien, dann die südeuropäischen (Griechen und Italiker), weiterhin die Kelten und Germanen, zuletzt die Slaven und Letten.

§ 1. Völker Kleinasiens.

Um 1500 v. Chr. erscheinen zuerst die den Phrygern verwandten Muski und Stämme der iranischen Saken (Skythen) in Kleinasien. Sie verdrängen die Hethiter (S. 5, 8, 9), von deren früherer gewaltiger Herrschaft sich Denkmäler westlich vom Halys in Syrien, Mesopotamien, Kilikien, Kappadokien, auch am Sipylos finden. Das Phrygische Reich, dessen König Mita (Midas) 710 den Assyrern huldigt (S. 9), erliegt bald darauf dem Ansturm der Kimmerier (S. 10), die ebenso wie die Saken oder Skythen iranische Stämme sind, die nicht seßhaft werden. Als selbständige seßhafte Stämme erscheinen die Armenier, Kappadokier, Lykier; an der Westküste bildet sich das Lydische Reich und gewinnt dann weitere Ausdehnung.

Um 670.

König Gyges, Begründer der Mermnaden-Dynastie, huldigt dem assyrischen Reiche, fällt im Kampf gegen die Kimmerier, welche die Hauptstadt Sardes bis auf die Burg erobern, dann aber zurückweichen. Seine Nachfolger unterwerfen Mysien und Phrygien, bekämpfen die Griechenstädte. Alyattes, der vierte Mermnade, gerät in Krieg mit Kyaxâres von Medien.

585.

Unentschiedene Schlacht am Halys zwischen Alyattes und Kyaxâres (Sonnenfinsternis, vorhergesagt von Thales von Milet). Der Halys wird als Grenze zwischen dem lydischen und dem medischen Reiche festgesetzt. Des Alyattes Tochter wird mit Astyages, dem Sohne des Kyaxâres, vermählt. Alyattes unterwirft Bithynien, Paphlagonien, Karien, auch die meisten Griechenstädte, zerstört Smyrna. Aufhäufung großer Schätze in der Königsburg von Sardes.

554–541.

Kroisos, Sohn des Alyattes; er unterwirft nach der Einnahme von Ephĕsos alle griechischen Küstenstädte, mit Ausnahme von Milet, mit dem er das von Alyattes erzwungene Bundesverhältnis erneuert. Reger Verkehr mit dem europäischen Griechenland.

Nach der Entthronung seines Schwagers Astyages von Medien durch den Perser Kyros überzieht Kroisos das persische Reich mit Krieg. Auf den (zweideutigen) Rat des delphischen[16] Orakels überschreitet er den Halys. Unentschiedene Schlacht bei Pterĭa. Kroisos geht unschlüssig nach Sardes zurück. Kyros folgt ihm, siegt in einer zweiten Schlacht, erobert Sardes und nimmt Kroisos gefangen.

Um 545.

Untergang des lydischen Reichs, das mit dem persischen vereinigt wird.

§ 2. Die Inder.

Um 1500 v. Chr. Einwanderung arischer Stämme in das Tiefland des Indus; sie breiten sich allmählich aus über das Gangesland, über die Halbinsel Dekhan und die Insel Ceylon (Singhala), überall eine dunkelfarbige Urbevölkerung (Dravidas) verdrängend. Gründung zahlreicher Staaten.

Der alt-arische Götterglaube, den die Eroberer mitbrachten, bilderlose Verehrung der Naturmächte (der Himmelsgott Diausch-Asura, der Gott des allumfassenden Weltraumes Váruna, der Feuergott Agni, der Gewittergott Indra u. a.), ward unter dem Einfluß der Priester allmählich zu der mehr monotheistischen Brahma-Religion umgebildet, die das gesamte Denken und Leben in strenge Satzungen einfügte. Viele Vorschriften der Reinigung, Lehre von der Seelenwanderung. Das Volk wird in vier streng geschiedene Stände (Kasten) geteilt: Priester (Brahmanen), Krieger (Kschatrija), Ackerbauer und Gewerbetreibende (Vaiçja), die unterworfenen Ureinwohner als Dienende (Çudra): am niedrigsten stehen die als unrein verachteten Paria. Die Könige gehen aus dem Kriegerstande hervor, sie wählen ihre Ratgeber und Beamten aus den Brahmanen.

Reiche Entwickelung der Literatur; Sanskrit die Schriftsprache, von der Volkssprache unterschieden. Vedas die heiligen Bücher (Hymnen, Gebete, Sprüche), Gesetzbuch des Manu. Die epischen Dichtungen Mahabhârata und Ramâjana schildern die Heldentaten der Kriegszeit, doch hat ihr ursprünglicher Inhalt manche Umbildung in priesterlichem Sinne erfahren. In Baukunst und Skulptur ist seit dem 6. Jahrhundert persischer Einfluß erkennbar.

Um 520.

Buddha, ein Königssohn (seine Heimat an den Vorhöhen des Himâlaya), tritt als Reformator auf, verwirft die strengen Satzungen und Kastenunterschiede, lehrt sittliche Vervollkommnung durch Entsagung und Mitleid, stellt als Ziel die Ruhe der Seele (Nirwāna) auf. Er wird später selbst als Gott verehrt, sein Bild in den Tempeln aufgestellt.

Um 450.

Das Reich von Magādha im Gangeslande erhebt sich nach Unterwerfung mehrerer Nachbarstaaten[17] zu größerer Bedeutung: seine Könige nehmen den Buddhismus an. Residenz Pataliputra (Patna).

317–291.

Tschandragupta, ein Flüchtling aus Magadha, vertreibt die Makedonier aus dem Induslande, macht sich zum König von Magadha und erweitert das Reich fast über die ganze vorderindische Halbinsel. Sein Enkel

263–226.

Açoka durch milde und sorgsame Regierung berühmt. Blütezeit des Buddhismus; die Stupa, Kuppelbauten zum Schutz der Reliquien Buddhas, Bhagavāti die pyramidenförmig aufsteigenden Tempel (Pagoden). Anlage von Straßen, Brunnen, Krankenhäusern (auch für Tiere). Inschriften bezeugen seine Beziehungen zu den Herrschern der Diadochenreiche.

Im Reiche Magadha lebte im 6. Jahrhundert nach Chr. der Dramendichter Kalidâsa (Sakuntăla). Im 3. Jahrhundert gelangt die Brahmalehre wieder zur Herrschaft; der Buddhismus breitet sich nach Hinterindien, Tibet, China, Japan aus. Das Eindringen fremder Eroberer beginnt erst in der Zeit des Islam.

§ 3. Die Iranier.

Das Hochland Iran (Ariân, Land der Arier) ist ein Land der Gegensätze; zwischen schneebedeckten Gebirgen und glühenden Sandwüsten liegen oasenartig Strecken fruchtbarsten Bodens, die natürlichen Mittelpunkte des Landes. Am stärksten bewohnt sind die Gebirgsländer am Rande des Hochlandes; im Westen Medien und Persien, im Norden Hyrkanien und Parthien, im Osten Baktrien und Arachosien; dort hat sich in der Landschaft Arīa (Herat) auch der alte Gesamtname erhalten.

Der alte Götterglaube erfuhr auch hier eine priesterliche Umbildung durch die Lehre des Zarathuschtra (Zoroaster), der in unbekannter Zeit unter einem Fürsten Vistâspa lebte. Als Staatsreligion erscheint diese Lehre erst unter Dareios I., um 520. Über die anderen Götter erhebt sich Ahura-Mazda (Ormuzd), Beschützer des Ackerbaues und Verteidiger der Wahrheit; ihm stehen zur Seite die 6 guten Geister, Amĕscha-Spenta. Sein Dienst fordert die Bekämpfung der verderblichen Mächte, an deren Spitze Angramanjusch (Ahriman) steht. Keine Götterbilder und Tempel; nur Feueraltäre im Freien, namentlich auf Bergen; das Feuer gilt als heiliges Symbol der Reinheit. Später (um 400 v. Chr.) finden auch Götter der alten Volksreligion wieder große Verehrung, namentlich Mithra, der Gott des Sonnenlichts, und Anāhĭta, Göttin der Gewässer, denen man auch Bilder und Tempel errichtet. Heiliges Buch Avesta, nur zum Teil erhalten in einer aus der Sassanidenzeit[18] (3. Jahrhundert nach Chr.) stammenden Bearbeitung. Die Priester (Magier) zu einer erblichen Kaste vereinigt.

Die Meder im nordwestlichen Gebirgslande, seit 835 den Assyrern Untertan (S. 9), doch oft sich empörend, befreien sich zur Zeit des Einbruchs der Skythen (S. 10). Schon um 670 wird Kastarita, ein medischer Fürst, von den Assyrern als gefürchteter Gegner genannt. Nach Herodot ist Deiokes (700 bis 647) als der Begründer des medischen Reiches anzusehen. Der Befreier Mediens von den unter Partatua (Protothyas bei Herodot) infolge des babylonisch-assyrischen Krieges in großen Scharen (S. 10) eingedrungenen Skutscha (Skythen), die unter Madyas, dem Sohn Partatuas, 28 Jahre über »Asien« herrschten, war

624–585.

Kyaxâres, vermutlich ein Nachkomme Kastaritas. Er ist wohl der eigentliche Gründer des Mederstaates, schuf ein stehendes Heer, stand im Bunde mit Babylonien (S. 10). Er zerstört Ninive, kämpft mit den Lydern (S. 15) und dehnt seine Herrschaft über andere iranische Stämme (Sagartier, Hyrkanier, Parther) aus. Sein Reich vom Halys im Westen bis an die Grenze Elams (zu Babylon) im Südosten. Residenz Hagmatâna (Agbatana). Sein Nachfolger ist

584–550.

Astyages (babylonisch Ischtuvegu). Er macht einen Vorstoß gegen das neubabylonische Reich und belagert um 555 Harrân. Seine Erfolge werden vereitelt durch den Aufstand der Perser, eines medischen Vasallenstaates in Elam, unter Kurusch II.

Um 630.

Die Perser dringen aus ihrem Gebirgslande im Südwesten Irans nach Elam vor und gründen hier unter dem Achämeniden Tschischpisch (Teïspes bei Herodot) das Königreich Antschan. Hier herrschen die Könige Kurusch I. und Kambudschija I., dann des letzteren Sohn

558–529.

Kyros (Kurusch II.), welcher 550 seinen Lehnsherrn Astyages stürzt und die medische Hauptstadt Hagmatâna erobert. Er vereinigt die persischen Stämme unter seiner Herrschaft und gründet das große

559–330.

Persische Reich,

welches die Völker Vorderasiens zu einer politischen Einheit zusammenfaßt. Ihm gehorchen die früher den Medern unterworfenen Völker Irans, die Armenier und Kappadoker; er stürzt das lydische Reich (S. 16), und während seine Feldherren Mazares und Arpagos die Griechenstädte an der kleinasiatischen Küste unterwerfen, erobert er Babylon. Das babylonische Reich wird dem persischen angegliedert (S. 11), jedoch in Sitte[19] und Religion nicht angetastet. Die phönikischen Städte und die Kilikier behalten ihre einheimischen Könige unter persischer Oberhoheit, in den Griechenstädten werden persisch gesinnte Fürsten (Tyrannen) eingesetzt, den Juden wird die Rückkehr nach Palästina gestattet. Hauptstadt zunächst wohl Susa, denn Kyros’ Stammland Antschan gehörte zu Elam.

Die Meder sind in diesem Reiche zunächst den Persern gleichgestellt, ebenso wie die Babylonier; auch aus ihnen nimmt der König seine Beamten. Bei den Persern herrschen einfache Sitten; als kräftiges Gebirgsvolk sind sie den in der Kultur vorgeschrittenen Nachbarvölkern überlegen. Kyros fällt 529 im Kampfe gegen die Nomaden im Nordosten des Reiches (Massageten, ihre Königin Tomyris nach Herodot); sein Grabmal zu Pasargădã ist erhalten. Sein Sohn und Nachfolger

529–522.

Kambyses (Kambudschĭja) tötet seinen jüngeren Bruder (Smerdis) Baraĭja, der sich an die Spitze eines Aufstandes der östlichen Reichshälfte gestellt hat. (Kyros hatte sich nicht auf das Persertum gestützt, sondern auf die alten Kulturländer; erst unter Dareios gewann das Persertum die führende Stellung im Reich.) Er erobert Ägypten (S. 6), zieht den Nil aufwärts gegen Napata, das sich unterwirft. Die Griechen in Kyrene erkennen ebenfalls die Oberherrschaft der Perser an, aber eine beabsichtigte Unternehmung gegen Karthago scheitert an der Weigerung der Phöniker, gegen ihre Pflanzstadt Schiffe zu stellen. Inzwischen empört sich in Medien der Magier (Priester) Gaumâta, indem er sich für den getöteten Bardija ausgibt. Kambyses stirbt auf der Rückkehr aus Ägypten; der falsche Bardija wird nach kurzer Herrschaft gestürzt von den sieben Stammfürsten der Perser, deren erster König wird, der Sohn des Achämeniden Vischtâspa (Hystaspes),[8]

521–485.

Dareios I. (Darijavahusch). Aufstände im ganzen Reiche, zuerst in Elam und Babylon, dann empören sich die Meder, Sagarter, Hyrkanier und Parther unter angeblichen Nachkommen des Kyaxâres, die Armenier, in Persien selbst ein zweiter falscher Bardija. Die Niederwerfung aller dieser Aufstände (Babylon durch die List des Zopyrus erobert) berichtet die dreisprachige Keilinschrift (persisch, elamitisch,[20] babylonisch) an der Felswand von Bagistâna (Behistun, südwestlich von Agbatana am oberen Choaspes).

Darauf Neuordnung des Reiches; es wird in 20 Satrapien geteilt, die bestimmte Steuern zu entrichten haben in Geld und Naturalien. Nur die eigentlichen Perser sind steuerfrei, nicht mehr die früher ihnen gleichgestellten Meder. Die Perser bilden den Kern des Heeres. Die übrigen Reichsvölker stellen Truppen oder Schiffe. Einheitliche Reichswährung, deren Einheit der Dareikos (Goldmünze von etwa 23 M. Wert) bildet, der auch in Griechenland und Indien in Umlauf kommt. 300 Dareiken gleich einem babylonischen Silbertalent, 7030 M. unseres Geldes. Große Heerstraßen angelegt, namentlich die Königsstraße von Sardes nach Susa mit Stationen für die reitenden Boten des Königs. Palastbauten in Susa und der neuen Hauptstadt Persepŏlis; auch Babylon und Agbatāna bleiben Residenzen des Großkönigs.

Dareios erweitert das Reich durch Unterwerfung des Induslandes, läßt von der Indusmündung aus Arabien umfahren und den Nilkanal nach dem Roten Meer (S. 6) vollenden. Karthago zahlt Tribut. Nach Westen vordringend überschreitet er 514 mit Heeresmacht den Bosporus, dann auch die untere Donau, dringt in das Skythenland ein, muß jedoch umkehren (Histiaios, Tyrann von Milet, rettet die Donaubrücke gegen den Rat des Atheners Miltiades) (S. 36); sein Feldherr Megabazos unterwirft Thrakien und Makedonien. Von den griechischen Inseln werden Lemnos und Imbros Untertan, wie früher schon Lesbos, Chios, Samos.

500–494.

Aufstand der ionischen Griechen,

angestiftet durch den mit einem Fürstentum in Thrakien beschenkten, dann aber bei Dareios verdächtigten und nach Susa berufenen Tyrannen Histiaios von Milet und dessen Schwiegersohn Aristagŏras. Mit Hilfe von Athen und Eretria wird Sardes eingenommen, die Stadt geht in Flammen auf. Aber bald werden die Ionier von dem persischen Landheere geschlagen, von den Bundesgenossen aus Athen und Eretria verlassen, die ionische Flotte wird bei der Insel Lade (vor Milet, 494) besiegt. Nach Unterwerfung der Ionier Milet zerstört, die noch übrigen Einwohner an der Mündung des Tigris angesiedelt. Histiaios gekreuzigt. 492 folgt die Wiederunterwerfung von Thrakien und Makedonien (S. 38).

490.

Seezug der Perser, um die Unterwerfung der griechischen Inseln zu vollenden; die Landung in Attika mißlingt. Weitere Unternehmungen gegen Griechenland gehemmt durch einen Aufstand der Ägypter.

485–465.

Xerxes I. (Khsijârscha) unterwirft Ägypten, sein Zug gegen Griechenland mißlingt; die Herrschaft über Thrakien, Makedonien, die Inseln, die kleinasiatischen Griechen[21]städte geht verloren. Schwelgerisches Leben am Königshofe; die alten einfachen Sitten der Perser schwinden. Xerxes und sein ältester Sohn werden von Artabān, dem Führer der Leibwache, in Susa ermordet. Es folgt der zweite Sohn

465–424.

Artaxerxes I. (Artachschâtra) mit dem Beinamen Langhand (Longimănus). Zweiter Aufstand der Ägypter unter Inărōs, von den Athenern unterstützt, von Megabyzos, dem Satrapen von Syrien, unterdrückt (S. 44). Friede mit den Griechen nach 449; Empörung des Megabyzos durch Verhandlungen beigelegt. Sein Sohn Xerxes II. wird im zweiten Monat seiner Regierung ermordet von seinem jüngeren Bruder Sogdianos; diesen stürzt der Halbbruder

424–405.

Dareios II. (Nothos), der dann mit Satrapenaufständen zu kämpfen hat. Dritter Aufstand der Ägypter, die über 60 Jahre lang ihre Unabhängigkeit behaupten.

405–359.

Artaxerxes II. (Mnemon) besiegt seinen jüngeren Bruder Kyros, der als Statthalter in Kleinasien sich empört hat, 401 bei Kunaxa unweit Babylon, nimmt die Griechenstädte in Kleinasien wieder unter seine Herrschaft (S. 55).

359–338.

Artaxerxes III. (Ochos) unterwirft die Phönīker, nach drei Kriegen auch die Ägypter, herrscht als tatkräftiger Despot, wird endlich von seinem Günstling, dem Ägypter Bagoas, vergiftet. Dieser setzt Arses, des Königs jüngsten Sohn, auf den Thron, beseitigt ihn aber nach zwei Jahren und macht den Enkel eines Bruders von Artaxerxes II.,

336–330.

Dareios III. (Kodomannos), zum König. Bagoas muß den Giftbecher trinken. Dareios regiert wohlwollend, erliegt aber dem Angriff der makedonischen Macht.

330.

Vernichtung des Perserreiches durch Alexander d. Gr. Die griechische Kultur kommt in Vorderasien zum Siege.

C. Die Völker Ostasiens.

Durch die weiten Hochflächen des inneren Asiens von den westlichen Kulturvölkern getrennt entsteht frühzeitig in China ein bedeutendes Reich, gegründet auf den Ackerbau in den fruchtbaren Flußtälern des Hoangho und Jantsekiang. Die sagenhafte Überlieferung stellt an den Anfang fünf große Kaiser, die in der Zeit von 3300–2207 v. Chr. regiert haben sollen. Als Gründer des Reiches gilt Fohi, der seine Untertanen den[22] Gebrauch der Haustiere und die Schriftzeichen lehrte; Schinnung führte den Ackerbau ein, Hoang-ti lehrte die Zeitrechnung und ordnete die Verwaltung der Provinzen, seine Gemahlin begründete die Seidenweberei.

Zwei Dynastieen regieren von 2207–1122 v. Chr.; unter der zweiten wird die Macht des Kaisers durch die großen Lehnsträger sehr beschränkt. Wu-wang, Begründer der dritten Dynastie (1122–256). Diese erwirbt zu dem ursprünglichen Reichsgebiet am unteren Hoangho auch die Länder am Jantsekiang, verliert aber alle Macht an die großen Feudalherren.

551–478.

In einer Zeit des Verfalls und innerer Wirren tritt Kong-fu-tse (Confucius) als religiöser Reformator auf. Er sammelt Sittensprüche und Lieder der älteren Zeit in den fünf heiligen Büchern (King); seine Lehre wird zu seinen Lebzeiten nicht beachtet, später jedoch unter der Dynastie Han zur Staatsreligion erhoben. Die Grundzüge der alten Religion (Verehrung des Himmels, der mächtigen Geister und der Ahnen) hat er nicht verändert. Er will die Menschen glücklich machen als Mitglieder der Familie und des Staates. Das Einzelindividuum hat sich der Gewalt und Autorität der Älteren und Höheren unbedingt zu unterwerfen.

255–206.

Der Kaiser Schi-huang-ti, Begründer der vierten Dynastie, bricht die Feudalherrschaft der Großen, stellt die Einheit des »Reiches der Mitte« her, beginnt den Bau der Großen Mauer (2500 km lang, mit Wachttürmen) zur Abwehr der Einfälle nördlicher Mongolenvölker.

206 vor Chr. bis 263 nach Chr.

Die Han-Dynastie gibt dem Reiche seine größte Ausdehnung und höchste Blüte im Innern. Im Süden werden Tongking, Anam, Cochinchina unterworfen, im Westen das Tarim-Gebiet, im Nordosten Korea.

Seit 65 n. Chr.

Eindringen des Buddhismus. Handelsverbindungen nach dem Westen; den Römern wird die Seide (vestis Serĭca) bekannt. Der römische Kaiser Marcus Aurelius soll 166 eine Gesandtschaft nach China geschickt haben.

220–617.

Zeit innerer Kriege; es bilden sich mehrere Reiche, die aber unter Wuti, dem Stifter der Dynastie Tsin (263–420) und dem großen Kaiser Taitsung (627–659) aus der Dynastie Tang (618–906) vorübergehend wieder vereinigt werden. Später China unter tatarischen und mandschurischen Dynastien.

Die chinesische Kultur verbreitet sich namentlich nach Japan, dessen Geschichte um 600 v. Chr. mit der Gründung eines Reiches auf der Insel Kiusiu beginnt.[23]

D. Die Griechen.

Einen großen Fortschritt in der weltgeschichtlichen Entwickelung hat das hochbegabte Griechenvolk bewirkt. Gegenüber der religiösen und politischen Gebundenheit der asiatischen Völker zeigt es die freie Entwickelung der menschlichen Kräfte und hat in Staat, Kunst und Wissenschaft eine noch jetzt in vieler Beziehung vorbildliche Höhe erreicht. Die griechische Kultur, begünstigt durch ein wohlgelegenes, reich gegliedertes Land, stand noch in Blüte, als das Christentum in die Welt eintrat, und hat ihm die Wege gebahnt.

§ 1. Mythische Zeit.

Der Name Griechen ist deutsche Umformung des von den Römern gebrauchten Namens Graeci.[9] Sie selbst nannten sich Hellenen; als Ureinwohner ihres Landes bezeichneten sie die Pelasger. Alte Heiligtümer des pelasgischen Zeus waren zu Dodōna in Epirus und auf dem Berge Lykaios in Arkadien. Der Name Hellenen erscheint bei Homer noch nicht als Gesamtname des Volkes; die später gewöhnliche Ansicht unterschied vier Hauptstämme des hellenischen Volkes: Äŏler, Achäer, Dorier, Ionier.

Merkwürdige Überreste aus der hellenischen Vorzeit sind seit 1870 durch die von Schliemann und seinen Nachfolgern zuerst in Troja (Hissarlik), dann in Amyklä, Mykenä, Orchomenos, Tiryns veranstalteten Ausgrabungen zu Tage gekommen. Man fand in den Unterbauten weit ausgedehnter Königspaläste und in wohlerhaltenen Gräbern vielerlei Waffen, eine erstaunliche Menge Goldschmuck, Wandmalereien, bemalte Tongefäße und anderes. »Schatzhaus des Atreus«, Löwentor in Mykenä. Weitere Grabungen auf den Inseln, namentlich Cypern, Rhodos, Thera, Kreta, haben gezeigt, daß eine frühe altertümliche Kultur die Küsten und Inseln des Ägäischen Meeres umfaßte und unter orientalischem Einfluß, hauptsächlich infolge der regen Handelsbeziehungen mit den Phönīkern, sich höher entwickelte. Die Zeit dieser Mykenischen Kultur, deren bedeutsamster Mittelpunkt Kreta war (König Minos), ist 1500 bis 12 v. Chr.; eine jüngere Zeit schildern die Homerischen Gedichte. Von alters her viele kleine Staaten unter kriegerischen Königen, aber kein grausamer Despotismus wie bei den Assyrern; milde Behandlung der Sklaven.[24]

Religion. Die den arischen Völkern gemeinsame Verehrung der Naturkräfte bildet sich bei den Griechen frühzeitig um zur Verehrung persönlich gedachter Götter. Aus dem Chaos sollen Himmel und Erde (Urănos und Gaia) entstanden sein, von diesen stammt das Göttergeschlecht der Titanen (Krŏnos, Rhea, Promētheus u. a.). Dieses verdrängen die olympischen Götter, an ihrer Spitze der Himmelsgott Zeus, Sohn des Kronos und der Rhea, welcher die Herrschaft der Welt mit seinen Brüdern Poseidon (Meer) und Hades oder Pluton (Unterwelt) teilt. Als olympische Götter werden besonders folgende 12 zusammengefaßt: Zeus, Hera, Poseidon, Demēter, Hestia, Hephaistos, Ares, Apollon, Artĕmis, Pallas Athene, Aphrodite, Hermes (die letzten 7 gelten als Kinder des Zeus). Andere Gottheiten: Persephŏne (Tochter von Zeus und Demeter, Gemahlin Plutons), Eros, der ständige Begleiter der Aphrodite, Dionysos oder Bakchos (Sohn des Zeus und der thebanischen Königstochter Semĕle), in seinem Gefolge der Hirtengott Pan, die Satyrn und Nymphen; Asklepios (Sohn des Apollon), die 9 Musen (Klio, Euterpe, Thalīa, Melpomĕne, Terpsichŏre, Erăto, Polymnia, Urania, Kalliŏpe, Töchter des Zeus und der Mnemosy̆ne), ferner Eos, Iris; die Meergottheiten Nereus (seine Töchter die Nereĭden), Amphitrīte, Triton, Proteus, Glaukos.

Die Abhängigkeit des Menschengeschlechts von den Göttern gibt sich kund in Gebeten, Opfern, Festzügen; durch Orakel, Vorzeichen (Weissagung aus dem Vogelflug und aus den Eingeweiden der Opfertiere) geben die Götter ihren Willen kund. Glaube an ein Fortleben nach dem Tode (Elysion, Tartăros).

Reiche Entwickelung der Götter- und Heldensage, ein Schatz für die griechische Poesie der folgenden Zeiten.

Die Erinnerung an die Tatsache, daß Griechenland die Anfänge höherer Kultur von den Völkern des Ostens erhalten hat, spiegelt sich wieder in den Einwanderungssagen:

Danăos, Gründer der Burg von Argos, soll aus Ägypten gekommen sein, seine 50 Töchter, die Danaiden, ermorden ihre Männer, die Söhne des Äigyptos; nur Hypermnestra rettet den Lynkeus. Ihr Nachkomme Perseus, Sohn des Zeus und der Danae, gründet nach der Rückkehr von seinen Heldentaten (Medusa getötet, Andromĕda befreit) die Burg von Mykēnä als Herrschersitz. Aus seinem Geschlecht stammen Eurystheus und Herăkles.

Pelops, Sohn des Königs Tantălos, soll aus Lydien nach Elis gekommen sein. Seine Söhne Atreus und Thyestes bemächtigen sich, nachdem Eurystheus im Kampfe gegen die Herakliden gefallen ist (s. S. 25), der Herrschaft in Mykenä. Atreus’ Sohn Agamemnon herrscht nach ihm in Mykenä, der jüngere Sohn Menelāos in Sparta als Erbe des Königs Tyndareos, dessen Tochter Helĕna ihm vermählt ist.[25]

Kadmos, Sohn des phönikischen Königs Agenor von Sidon, gründet die Burg von Theben (Kadmēa), wo seine Nachkommen herrschen; er soll den Griechen die Buchstabenschrift gebracht haben.

In Attika gilt als uralter einheimischer König Kekrops, Gründer der Burg von Athen; an ihn knüpft sich die attische Königsreihe, in welcher Erichthonios, Erechtheus, Jon, Ägeus, Theseus hervortreten. Unter Ägeus soll Attika der Seeherrschaft des Königs Minos von Kreta untertan geworden sein. Letzterem wird, wie dem Kadmos, phönikische Abstammung zugeschrieben; er gilt als Sohn des Zeus und der Europa, Tochter des Königs Agenor.

Nationalhelden der griechischen Sage sind Herăkles und Theseus.

Herăkles (Hercŭles), Sohn des Zeus und der Alkmēne aus Perseus’ Stamm, in Theben geboren, wird seinem Vetter Eurystheus in Mykenä dienstbar,[10] zieht in Gemeinschaft mit Telămon und Peleus, den Söhnen des Königs Aiăkos von Ägina, gegen Troja (König Laomĕdon, Vater des Priamos), besiegt den König Neleus in Pylos. In Kaly̆don heiratet er die Königstochter Dejaneira, welche ihm später das mit dem Blut des Kentauren Nessos getränkte Gewand sendet; er verbrennt sich selbst auf dem Öta und wird unter die Götter aufgenommen. Die Dorier haben ihn zu ihrem Stammheros gemacht; ihre Könige nannten sich seine Nachkommen, von ihm leiten sie ihr Recht auf den Besitz der Peloponnes ab. Seine Söhne, die Herakliden, sollen gegen die Verfolgungen des Eurystheus bei Theseus in Athen Schutz gefunden haben; sie versuchen vergebens die Rückkehr, erst den Nachkommen gelingt sie (dorische Wanderung, S. 28).

Theseus; Sohn des Kekropiden Ägeus, ist der Stammheros der Ionier, insbesondere der Athener. Er fährt nach Kreta, tötet dort den Minotauros und rettet mit Hilfe der Königstochter Ariadne die demselben zum Opfer bestimmten athenischen Jünglinge und Jungfrauen. Bei der Rückfahrt bleibt Ariadne auf Naxos zurück und wird Gemahlin des Gottes Dionysos; Theseus vergißt das schwarze Segel mit dem weißen zu vertauschen, Ägeus stürzt sich in das nach ihm benannte Meer. Theseus wird König von Athen, vereinigt die Bewohner Attikas zu einem Staate. Er stirbt auf der Insel Skyros im Kampf gegen den König Lykomēdes.[26]

Als Gründer des attischen Staates soll er das Volk in drei Stände geschieden haben: Eupatriden (Adel), Geomoren (Bauern) und Demiurgen (Gewerbtreibende). Dagegen wird die Einrichtung der vier alten Phylen (d. i. Stämme): Geleonten, Hoplēten, Argadeis, Aigikoreis (die Glänzenden, Wehrhaften, Feldarbeiter, Ziegenhirten), deren jede wieder in drei Phratrien zerfiel, auf Ion, den mythischen Stammvater des ionischen Stammes, zurückgeführt.

Drei gemeinsame Unternehmungen in der heroischen Zeit sind durch Sagen verherrlicht, die den Hauptstoff für die griechische Poesie bilden.

1. Der Argonautenzug. Phrixos, Sohn des Minyerkönigs Athămas von Orchomĕnos, flüchtet vor der Stiefmutter Ino mit seiner Schwester Helle auf dem Widder mit goldenem Vlies, den beide von ihrer Mutter Nephĕle erhalten haben. Helle stürzt auf der Flucht bei Abȳdos ins Meer, welches nun Hellespontos, d. h. »Meer der Helle«, heißt. Phrixos kommt nach Kolchis (am Pontos Euxeinos, Schwarzen Meere) zum Könige Aiētes. Der Widder wird geopfert, das goldene Vlies in einem Haine des Gottes Ares von einem Drachen bewacht. — Iason aus Iolkos, von seinem Oheim Pelĭas aufgefordert, fährt auf dem Schiffe Argo an der Spitze einer Heldenschar nach Kolchis, um das Vlies zu holen; es wird mit Hilfe der Zauberin Medeia, Tochter des Aiētes, gewonnen. Rückkehr nach Iolkos; Pelĭas auf Antrieb der Medeia getötet.—

2. Krieg der Sieben gegen Theben. Ödipus, Sohn des Laïos, Königs von Theben aus Kadmos’ Stamm (die Labdakiden) und der Jokaste, wird infolge eines unheilverkündenden Orakels von den Eltern ausgesetzt, in Korinth von Poly̆bos erzogen. Er tötet bei Delphi den Vater, ohne ihn zu kennen, löst das Rätsel der Sphinx, wird König in Theben und heiratet seine eigene Mutter. Als ihm der Greuel entdeckt wird, beraubt er sich selbst des Augenlichts. Seine Töchter Antigŏne und Ismēne geleiten ihn in die Verbannung. Theseus gewährt ihm Aufnahme; sein Grab am Hügel Kolōnos bei Athen. In Theben Bruderzwist seiner Söhne Eteŏkles und Polyneikes.

Mit dem vertriebenen Polyneikes ziehen gegen Theben: Adrastos (König von Argos), Tydeus, Amphiarāos, Kapăneus, Hippomĕdon, Parthenopaios. Die feindlichen Brüder fallen im Zweikampf, auch die andern Fürsten alle bis auf Adrastos kommen um. Kreon, der Oheim der Brüder, wird König von Theben, verurteilt Antigŏne zum Tode, weil sie den Polyneikes bestatten wollte.

Zehn Jahre später Zug der Epigonen (Söhne der Sieben). Theben wird eingenommen; Thersandros, des Polyneikes Sohn, als König eingesetzt.[27]

3. Trojanischer Krieg.[11] Priămos, König von Troja oder Ilios; seine Gemahlin Hekăbe (Hekŭba). Von seinen Söhnen treten in der Sage hervor: Hektor (Gem. Andromăche) und Paris (Alexandros). Dieser entführt Helĕna, die Gemahlin des Menelāos von Sparta. Um sie zurückzuholen, vereinigen sich die edelsten Fürsten aller griechischen Gaue: des Menelāos Bruder Agamemnon von Mykēnä, Anführer der Griechen: Nestor von Pylos; Achilleus, König der Myrmidonen aus Phthia in Thessalien, Sohn des Peleus und der Nereïde Thĕtis; sein Freund Patroklos; Aias und Teukros, Söhne Telamons aus Salămis; der jüngere Aias des Oïleus Sohn, Anführer der Lokrer; Diomedes von Argos, des Tydeus Sohn; Odysseus von Ithăka, des Laërtes Sohn; Idomĕneus von Kreta, Enkel des Minos, u. a.

Bundesgenossen der Troer: Thraker, Päoner, Paphlagonier, Myser, Phryger, Lyder, Karer; die Lykier unter Sarpēdon und Glaukos; später die Amazonen unter ihrer Königin Penthesileia, die Äthiopen unter Memnon.

Abfahrt der Griechen vom böotischen Hafen Aulis (der Seher Kalchas; Opferung der Iphigeneia, welche nach Tauris entrückt wird). Schiffslager an der troischen Küste, Beutezüge in die Umgegend. Im zehnten Jahre Streit zwischen Agamemnon und Achilleus wegen der Sklavin Brisēis, Achilleus zieht sich vom Kampfe zurück. Die Troer dringen unter Hektors Führung siegreich in das Schiffslager ein, werden aber zurückgetrieben, als Achilleus, um den Tod des Patroklos zu rächen, wieder am Kampfe teilnimmt. Hektor von Achilleus getötet, dieser durch einen Pfeil des Paris. Das hölzerne Pferd auf Odysseus’ Rat gezimmert. Bei der Einnahme Trojas tötet Neoptolĕmos, Achills Sohn, den greisen Priamos. Aeneas entkommt, rettet seinen Vater Anchīses. Irrfahrten der heimkehrenden Helden (Odysseus).

Agamemnon wird nach der Rückkehr von seiner Gemahlin Klytämnestra und Aigisthos getötet; sein Sohn Orestes rächt ihn, wird von den Erinnyen, den strafenden Göttinnen der Unterwelt, verfolgt, in Athen auf dem Areopag freigesprochen, nachdem er seine Schwester Iphigeneia aus Tauris zurückgeführt hat. Er herrscht dann in Mykenä.

§ 2. Staaten und Kolonien.

Eine große Umwandlung trat ein durch die Wanderungen hellenischer Stämme. Die aus Epīrus in das nach ihnen benannte Land einwandernden Thessăler verdrängen die Böoter[28] aus ihren Wohnsitzen in Arne; diese nehmen nach Unterwerfung der Kadmeer und Minyer die fortan nach ihnen benannte Landschaft Böotien in Besitz. Ebenso wandern die am Pindos in Thessalien ansässigen Dorier nach Süden; ein Teil von ihnen bleibt in dem Berglande Doris am Öta, die anderen ziehen, durch Ätōler verstärkt, bei Naupaktos über die Meerenge nach der Peloponnes. Diese

1104 (?)

dorische Wanderung

hat die Gründung dorischer Staaten zur Folge. Nach der Sage sind die Herakliden Tēmenos, Kresphontes, Aristodēmos Anführer der Dorier; Temenos wird König in Argos, Kresphontes in Messenien; die Söhne des Aristodemos, Eurysthĕnes und Prokles, herrschen gemeinsam in Sparta. Oxylos, Anführer der Ätōler, wird König in Elis. Ein Teil der älteren achäischen Bevölkerung zieht sich nach Achaja zurück und vertreibt die dort wohnenden Ionier, die sich nach Attika wenden, in Arkadien bleiben die alten Einwohner; dorisch dagegen werden, Korinth, Sikyon, Phlius, Epidauros, Megara, Ägina, Kreta.

1066 (?)

Kodros, König von Athen, fällt, nach der Sage sich freiwillig opfernd, im Kampf gegen die aus der Peloponnes nach Norden vordringenden Dorier; Attika wird von ihnen nicht unterworfen.

1000–900.

Äolische, ionische, dorische Kolonien an der Küste Kleinasiens und auf den Inseln.

Äŏler und Achäer gründen Mytilēne und Methymna auf der Insel Lesbos; Kyme, Smyrna u. a. Städte auf dem kleinasiatischen Festlande; Smyrna wird später ionisch.

Ionier, nach der Sage meist von Athen ausgewandert unter Führung der Söhne des Kodros, besetzen die Inseln Chios und Samos und gründen an der lydischen und karischen Küste 12 Städte, namentlich Milet, Ephĕsos, Kolŏphōn, Klazomĕnä, Phokäa. Gemeinsames Heiligtum (Panionion) der Tempel des Poseidon am Vorgebirge Mykăle.

Dorier besetzen die Inseln Melos, Thera, Kōs und Rhodos und gründen an der karischen Küste Halikarnassos und Knidos. Auch Kreta galt als dorisch.

Auf Cypern sind Ansiedlungen von Peloponnesiern aus vor-dorischer Zeit nachgewiesen; nach Euböa und den Kykladen sind die Ionier früher als nach Asien gekommen.

In Ionien entstanden in der Zeit von 900–800 v. Chr. die homerischen Gesänge (Ilias, Odyssee, Hymnen). Homēros nach der Sage ein blinder Sänger aus Smyrna oder Chios; Sängerschule der Homeriden auf Chios. Wandernde Rhapsoden[29] sangen dem Volk und den Edlen von den Taten der Götter und Helden und erweiterten allmählich die überlieferten Sagenkreise. Die epische Dichtung wurde die Grundlage hellenischer Bildung und Gesittung. Zu dem heroischen Epos trat ergänzend hinzu das Lehrgedicht; Hesiodos aus Askra in Böotien um 700: Theogonie, Werke und Tage.

Staatsverfassungen. Das patriarchalische Königtum der heroischen Zeit wird allmählich verdrängt durch die Herrschaft der Edlen (Aristokratie). Diese entartet oft zu einer drückenden Herrschaft weniger (Oligarchie), gegen welche sich in manchen Staaten Tyrannen als Führer der Gemeinde (Demos) erheben; in andern findet friedlicher Ausgleich durch einen erwählten Schiedsrichter (Aisymnētes) statt. Tyrann heißt der nicht auf gesetzliche Weise zur Herrschaft gelangte Herrscher, ursprünglich ohne die Nebenvorstellung willkürlicher oder grausamer Regierung. Auf die Tyrannis folgt meist eine gemäßigtere Aristokratie oder Demokratie. In der Demokratie entscheidet die Mehrzahl der Bürger über die Staatsangelegenheiten; die Fremden und Sklaven sind von politischen Rechten ausgeschlossen.

Der spartanische Staat wurde das Vorbild der Aristokratie, besonders für die dorischen Staaten, der athenische Staat das Vorbild der Demokratie, besonders für die ionischen Staaten.

In dem dorischen Sparta bestand die Bevölkerung aus drei streng geschiedenen Klassen: 1. Spartiaten, die dorischen Eroberer, welche die fruchtbarsten Teile des lakonischen Landes, das Eurotastal und die Niederungen bis zum Meere, besaßen. 2. Periöken (d. h. Herumwohnende), Nachkommen der vertragsmäßig unterworfenen Achäer. Sie waren persönlich freie, aber zinspflichtige Eigentümer ohne politische Rechte, wurden jedoch zum Kriegsdienst herangezogen. 3. Heloten, Leibeigene des Staats. Sie waren auf die Landlose der Spartiaten verteilt, bestellten deren Äcker und lieferten ihren Herren einen bestimmten Teil des Ertrages ab. Im Kriege dienten sie als Schildknappen und Leichtbewaffnete.

820. (?)

Lykurgische Verfassung und Gesetzgebung.

Lykurgos, nach sagenhafter Überlieferung aus königlichem Geschlecht, Vormund des jungen Königs Charilāos, schlichtet die Streitigkeiten und ordnet das Verhältnis der drei Klassen der Bevölkerung zu einander. Seine Gesetze, auf die Autorität des delphischen Orakels gegründet und nur mündlich in kurzen Aussprüchen überliefert, gelten als die Grundlage spartanischer Tüchtigkeit.

An der Spitze des Staats bleiben zwei erbliche Könige aus heraklidischem Geschlecht, der eine ein Agiade (von Agis,[30] nach der Sage Sohn des Eurysthenes), der andere ein Eurypontide (von Eurypon, Enkel des Prokles, s. S. 28). Sie bringen die Staatsopfer dar, entscheiden Streitigkeiten des Familienrechts, führen das Heer, ernennen die Beamten, namentlich die 5 Ephoren (d. h. Aufseher, ursprünglich wohl für die 5 Bezirke des Periökengebietes).

Der Rat der Alten (Gerusia), bestehend aus 28, mindestens 60 Jahre alten, auf Lebenszeit gewählten Geronten unter dem Vorsitz der beiden Könige, hat: 1. die Vorberatung über alles der Volksversammlung Vorzulegende, 2. die Gerichtsbarkeit über Kapitalverbrechen.

Die Volksversammlung, bestehend aus allen über 30 Jahre alten Spartiaten, beschließt endgültig über Gesetze, Verträge, Krieg und Frieden, doch ohne Beratung und Abstimmung, nur durch Zuruf.

Die Spartiaten sollen unter sich gleich sein in Besitz und Kriegstüchtigkeit. Jeder Spartiatenfamilie wird aus dem nach Kriegsrecht von den Doriern gewonnenen Landbesitz ein unveräußerliches Erbgut (Klēros, d. h. Los) zugewiesen, dessen Bestellung den Heloten obliegt. Man zählte 4500, später 9000 Landlose der Spartiaten, 30000 der Periöken. Verbot der Reisen und des Fremdenverkehrs in Sparta; eisernes Geld, nur der Staat darf Gold und Silber besitzen.

Gemeinschaftliche Erziehung der Knaben vom 7. Jahre an, auf Abhärtung und kriegerische Übung gerichtet, doch wurden auch die homerischen Gesänge und Chorlieder lyrischer Dichter (Tyrtaios) gelernt. Zusammenleben der Männer; die Zeltgenossenschaften hatten auch im Frieden ihre gemeinsamen Mahlzeiten (Syssitien).

Sehr ähnliche Gesetze galten in Kreta, wo zahlreiche selbständige dorische Städte bestanden. Später dort auch schriftliche Gesetze; eine 1884 gefundene Inschrift enthält das Recht der Stadt Gortyn, Bestimmungen über Familienrecht, Erbrecht, Stellung der Sklaven u. a.

776.

Erste Olympiade,

Beginn einer gemeinsamen griechischen Zeitrechnung, die sich an die alle 4 Jahre dem höchsten Gotte Zeus zu Ehren in Olympia gefeierten Spiele knüpfte. In Elis, am Flusse Alpheios, lag der ummauerte heilige Bezirk, die Altis, mit Altar und Tempel des Zeus, Säulenhallen und Schatzhäusern, wo die Weihgeschenke aufgestellt wurden.[12] Die Spiele fanden[31] außerhalb der Altis statt im Stadion (Springen, Laufen, Diskoswerfen, Speerwerfen, Ringen) und im Hippodrom (Wettfahren der Viergespanne). Den Siegern wurden Kränze von Ölzweigen zuteil; Dichter verherrlichten sie im Liede. Unter dem Schutze Spartas gewannen die Olympischen Spiele große Bedeutung für die Erhaltung des Nationalbewußtseins unter dem politisch sehr zersplitterten Griechenvolke.

Ähnliche Spiele, doch vermehrt durch musische Wettkämpfe der Sänger und Zitherspieler, wurden seit 586 bei Delphi dem Apollon zu Ehren gefeiert, in jedem dritten Olympiadenjahr (Pythische Spiele). Das Orakel zu Delphi, oft befragt bei wichtigen Unternehmungen, z.B. Gründungen von Kolonien, Kriegszügen, stand unter dem Schutze der delphischen Amphiktyonie (Umwohnerschaft), zu welcher die Phokier, Lokrer, Böoter, Thessaler u. a. gehörten.

Dem Poseidon zu Ehren wurden auf dem Isthmos, dem Zeus zu Ehren zu Nemea in Argolis alle zwei Jahre Spiele gefeiert. Die Wettkämpfe stählten die Volkskraft und weckten den Sinn für freie Entwickelung der Persönlichkeit.

Die Hellenen, ihrer körperlichen und geistigen Überlegenheit über die Barbaren sich bewußt, breiten sich, Städte gründend, weit über die Grenzen des Mutterlandes aus. Die Ansiedlungen an den Küsten des Ägäischen Meeres genügen nicht mehr, Milet allein sendet gegen 80 Kolonien aus.

750–550.

Ionische, dorische, achäische Kolonien

an den pontischen Küsten und im westlichen Teile des Mittelmeers.

Ionier von Milet gründen Abȳdos und Lampsăkos am Hellespont, Kyzĭkos an der Propontis, Sinōpe und Trapĕzūs an der Südküste des Schwarzen Meeres, Olbia, Istros, Odessos an der Westecke, Pantikapaion und Theodosia auf der Krim (Chersonēsus Taurica), Tanais am Asowschen Meer (Palus Mäotis), Phasis und Dioskurias an der Ostküste des Schwarzen Meeres. Zu Naukrătis in Ägypten gemeinsame Kolonie der kleinasiatischen Griechen.

Dorier von Megara gründen Chalkēdon und Byzantion (659) am Bosporus, Herakleia an der Südküste des Schwarzen Meeres, Megăra (Tochterstadt Selinūs) auf Sicilien.

Ionier von Chalkis auf Euböa besiedeln die Chalkidike mit mehr als 30 Städten, darunter Olynthos (Poteidaia korinthische Niederlassung), gründen Kyme (Cumae) in Campanien (Tochterstadt Neapolis), Naxos auf Sicilien (Tochterstädte Leontini und Katăna), Zankle (später Messana) und gegenüber auf dem Festlande Rhegion.

Dorier von Korinth gründen 734 Syrakūs, später Kerkyra, Dorier von Sparta 708 Tarent; Dorier von Rhodos Gela; und[32] Akrăgas auf Sicilien; Dorier von Thera Kyrēne (um 630) und Barka in Afrika.

Achäer gründen Sybăris, Kroton, Metapontion, Lokrer das epizephyrische Lokri in Unteritalien (Groß-Griechenland).

Am weitesten nach Westen gehen die Ionier von Phokäa; ihre Kolonien sind Massalia (600) an der gallischen Küste, Mainăke im südlichen Spanien, Alalia auf Korsika. Als die Küste Kleinasiens unter persische Herrschaft kam (s. S. 18), verließen die Phokäer ihre Stadt und segelten zuerst nach Korsika; von dort vertrieben (S. 14), gründeten sie Elĕa in Unteritalien.

Infolge dieser Kolonisation griechische Kultur über einen großen Teil der Mittelmeerküsten verbreitet. Lebhafter Seeverkehr und Eintausch von Rohprodukten gegen die Erzeugnisse der griechischen Kunst und Industrie. An die Stelle der Naturalwirtschaft tritt nach und nach die Geldwirtschaft.

Spartas Hegemonie in der Peloponnes.

In älterer Zeit Argos der bedeutendste Staat. König Pheidon von Argos leitet die Festfeier zu Olympia (748, nach anderer Ansicht erst 668), ordnet Maß und Gewicht (dem babylonischen (S. 20) entsprechend, Vermittler die Phöniker), läßt zuerst in Ägina Münzen prägen. Bald aber erhebt sich Sparta zu höherer Macht durch die Eroberung der argivischen Landschaft Kynuria und Messeniens. Argos seitdem für immer mit Sparta verfeindet.

Um 740.

Erster Messenischer Krieg. Tapfere Gegenwehr der Messenier unter ihrem Könige Aristodēmos, namentlich auf der Bergfeste Ithōme. Ein Teil ihres Landes wird von den Spartanern in Besitz genommen, das übrige zinspflichtig.

708.

Die aus Sparta infolge von Zwistigkeiten auswandernden Parthenier gründen Tarent. Seitdem Auswanderung in Sparta verboten. Um diese Zeit Beschränkung des spartanischen Königtums durch die vergrößerte Macht der Ephoren, welche fortan jährlich von der Spartiatengemeinde erwählt werden.

Um 640.

Zweiter Messenischer Krieg. Aristomĕnes Held der Messenier; 11 Jahre lang wird die Feste Eira verteidigt. Der athenische (?) Sänger Tyrtaios begeistert die Spartaner durch seine Marschlieder. Nach dem Fall von Eira flüchten viele Messenier nach Unteritalien (Rhegion); die nicht auswandernden werden Heloten. Von Rhegion aus besetzen später (um 500) Nachkommen der Ausgewanderten die Stadt Zankle auf Sicilien, die dann den Namen Messana erhält.

Um 600.

Aufschwung Korinths unter dem Tyrannen Periander, dem Sohne des Kypsĕlos, der um 650 die[33] Adelsherrschaft der Bakchiaden gestürzt hat. Entfaltung der Seemacht; Korinth wird erste Handelsstadt Griechenlands. Zu der älteren korinthischen Kolonie auf Kerkyra kommen unter Kypselos hinzu Leukas und Ambrakia, unter Periander Epidamnos und Apollonia an der illyrischen Küste, Poteidaia auf der Halbinsel Chalkidĭke. Perianders Neffe Psammetich wird 582 gestürzt, die Aristokratie hergestellt.

In Megăra um 630 Tyrannis des Theagĕnes, nach dessen Sturz Parteikämpfe (der Dichter Theognis um 540), endlich siegt die Aristokratie.

In Sikyon um 600 Tyrannis des Kleisthĕnes, welcher die Genossen der delphischen Amphiktyonie zum ersten heiligen Kriege gegen die phokischen Städte Krisa und Kirrha (Hafenstadt) vereinigt. Beide Städte zerstört, ihr Gebiet dem pythischen Apollon geweiht. Nach Kleisthenes’ Tode wird die Aristokratie hergestellt.

Auch in Milet, Ephesos u. a. Koloniestädten herrschen um dieselbe Zeit vorübergehend Tyrannen, in Mytilene auf Lesbos waltet um 600 der weise Pittăkos als Äsymnet. Vergl. S. 37.

Um 550.

Sparta vereinigt die peloponnesischen Staaten (außer Argos und Achaja) zum peloponnesischen Bunde unter seiner Hegemonie. Die Griechenstädte an der Westküste Kleinasiens stehen unter lydischer (S. 15), seit 545 unter persischer Herrschaft (S. 18). Auch die Inseln Cypern, Chios, Lesbos werden den Persern untertan; Samos erst 522 nach dem Sturz des mächtigen Tyrannen Polykrates.

Athens Emporkommen.

Nach Kodros’ Tode (S. 28) wird das Königtum eingeschränkt, aber nicht beseitigt; Adelsherrschaft der Eupatriden (S. 26). Den Königen treten erwählte Beamte zur Seite; seit 683 werden jährlich neun Archonten erwählt. Der erste, Archon epōny̆mos, führt den Vorsitz und wacht über das Familien- und Erbrecht; der zweite, Basileus, bringt die früher den Königen obliegenden Opfer dar, hütet das heilige Recht und leitet den Areopag; der dritte, Polemarchos, ist Heerführer und Gerichtsherr für die Metöken und Fremden, die andern sechs, Thesmotheten genannt, leiten die bürgerliche Gerichtsbarkeit. Die Oberaufsicht über das gesetzliche Verhalten der Bürger führt der Areopag, der auf dem Areshügel vor der Burg (Akropŏlis) sich versammelnde Gerichtshof, aus früheren Archonten gebildet; er richtet auch über die schwersten Verbrechen, Mord und Brandstiftung.

Um 632.

Aufstand Kylons, der sich, unterstützt von seinem Schwiegervater Theagĕnes von Megara, an der Spitze[34] des über die Bedrückung der Adligen (s. u.) empörten Volkes der Akropolis bemächtigt. Er wird von dem Archon Megăkles, aus dem Geschlecht der Alkmäoniden, vertrieben, seine an den Altären Schutz suchenden Anhänger werden ermordet. Wegen dieses Frevels Verbannung der Alkmäoniden. Der Priester Epimenĭdes aus Phaistos auf Kreta berufen, um die Stadt durch Sühnopfer zu reinigen,

Um 620.

Gesetzgebung Drakons. Die bestehenden Übelstände nicht beseitigt. Die Adelsherrschaft bleibt; geschriebene Gesetze, aber sehr hart; das Recht von den adligen Richtern auch weiterhin nicht selten gebeugt; seit Einführung der Geldwirtschaft Geld nur gegen hohe Zinsen ausgeliehen; daher wachsende Unzufriedenheit der ärmeren Bürger, besonders über das strenge Schuldrecht. Solon, aus Kodros’ Geschlecht stammend, 594 zum ersten Archon erwählt, erhält Vollmacht, durch neue Anordnungen Frieden zu stiften. Er war dadurch zu Ansehen gelangt, daß er die Wiedereroberung der von den Megarern besetzten Insel Salamis bewirkte; auch hatte auf seinen Antrieb Athen am heiligen Kriege teilgenommen, und das delphische Orakel war ihm deshalb günstig gesinnt.

594.

Gesetzgebung Solons. 1. Entlastung der ärmeren Bürger (Seisachtheia): die auf dem Grundbesitz haftenden Schulden werden aufgehoben, alle Schuldsklaven in Freiheit gesetzt, Schuldknechtschaft für die Zukunft verboten Festsetzung eines Höchstmaßes von Grundbesitz, damit das attische Land nicht in den Besitz weniger Reicher komme, Abzahlung anderer Schulden erleichtert durch Herabsetzung des Münzfußes; 100 Drachmen neuen Geldes = 73 älteren; das euböische Talent, der persischen Goldwährung entsprechend tritt an die Stelle des äginetischen (S. 32).[13]

2. Bestimmung der bürgerlichen Pflichten und Rechte nach dem Ertrage des Grundbesitzes. Die Bürger werden in vier Klassen geteilt: 1. Pentakosiomedimnen, deren Güter 500 Scheffel Getreide bezw. Maß Öl und Wein oder mehr bringen; 2. Ritter, 300–500 Scheffel; 3. Zeugiten, d. h. die mit einem Gespann wirtschaften, 150–300 Scheffel; 4. Thēten, die ärmeren. Nach der Absicht des Gesetzgebers sollten alle Bürger Grundbesitz haben; bei steigender Bedeutung des Geldbesitzes wurde der[35] Ertrag des Getreides in Geld umgerechnet und danach die Klasseneinteilung bestimmt.

Die Mitglieder der drei ersten Klassen dienen im Kriege als Hoplīten (schwerbewaffnete Fußsoldaten), die der zwei ersten Klassen auch als Reiter; für die Ausrüstung der Flotte bestand schon eine Einteilung der Bürger in 48 Naukrarien. Die Theten sollen nur zur Verteidigung des Landes als Leichtbewaffnete oder (seit Themistokles) zur Bemannung der Flotte aufgeboten werden. Eine regelmäßige Besteuerung der Vollbürger gab es nicht, die Ämter wurden umsonst verwaltet, die Staatsausgaben durch den Ertrag der Bergwerke, die Strafgelder, das Kopfgeld der Metöken, d. h. der eingewanderten Kaufleute und Handwerker, durch Markt- und Hafenzölle bestritten. Außerordentliche Steuern wurden in Zeiten der Not auf Volksbeschluß nach den Vermögensklassen erhoben, die vierte war steuerfrei.

3. An der Spitze des Staates bleiben die neun Archonten, jährlich erwählt aus den Bürgern der ersten Vermögensklasse. Neu eingerichtet wird der Rat der Vierhundert, jährlich erwählt aus den über 30 Jahre alten Bürgern der drei ersten Klassen. Die Volksversammlung (Ekklesia) besteht aus allen über 20 Jahre alten Bürgern. Sie erwählt die Beamten und entscheidet über die durch Vorbeschluß des Rates an sie gebrachten Angelegenheiten. Zur Entscheidung wichtigerer Prozesse werden Geschworenengerichte aus der richtenden Bürgerschaft, der Heliaia (Gesamtzahl 6000) gebildet. Der Areopag behält seine Gerichtsbarkeit und Oberaufsicht über das Privatleben der Bürger sowie über das gesamte Staatsleben.

Diese Verfassung wird als Timokratie bezeichnet; erst später entstand durch Aufhebung der Klassenunterschiede volle Demokratie. Ausgeschlossen von politischen Rechten blieben auch später die Schutzverwandten (Metöken), die vor Gericht eines Bürgers als Vertreter bedurften, und die sehr zahlreichen Sklaven, die jedoch durch Gesetz und Sitte gegen Mißhandlung geschützt waren.

Solon gab auch Gesetze für das bürgerliche Leben (Familienrecht, Strafrecht, Beschränkung des Luxus, Schutz des Ackerbaues und der Ölbaumzucht, Sorge für die körperliche Ausbildung der Jünglinge in den 3 Gymnasien: Akademie, Lykeion, Kynosarges). Nach Vollendung der Gesetzgebung verließ er Athen auf 10 Jahre und unternahm Reisen nach Ägypten, Cypern, Kleinasien. Rechtfertigung seiner Maßnahmen in seinen Elegieen.

Neue Parteiungen in Athen. Den Grundbesitzern in der Ebene (Pediäer) treten gegenüber die handeltreibenden Küstenbewohner (Parăler) und die ärmeren Gebirgsbewohner (Diakrĭer), letztere geführt von Peisistrătos, der trotz der Gegenbemühungen[36] Solons immer mehr Anhang gewinnt und sich zuletzt der Akropolis bemächtigt.

560–527.

Peisistrătos, Tyrann von Athen.

Auswanderung von athenischen Adligen, zum Teil nach der thrakischen Chersŏnēs, unter des älteren Miltiădes Führung. Solon † 559, wahrscheinlich in Athen, nach anderen in Soloi auf Cypern (Unterredung mit Kroisos in Sardes?).

Peisistrătos regiert in Athen innerhalb der Formen der solonischen Verfassung, die er nicht aufhebt. Er versteht es, das Volk Archonten wählen zu lassen, welche ihm genehm sind. Zweimal durch Bündnis der Gegenparteien vertrieben, gewinnt er zuletzt eine dauernde Herrschaft. Die durch Solon zurückgeführten Alkmāoniden (S. 34) gehen abermals in die Verbannung, da ihr Führer Megăkles (an der Spitze der Parăler) sich gegen Peisistrătos nicht behaupten kann. Er erhöht das auswärtige Ansehen Athens: Sigeion am Eingang in den Hellespont athenische Kolonie, Schutzherrschaft über Delos, Befreundung mit den Tyrannen Lygdămis von Naxos und Polykrătes von Samos. Er erweitert und schmückt die Stadt Athen durch Bauten (der große Zeustempel bleibt unvollendet), baut eine Wasserleitung, ordnet die Feier der Panathenäen und der Dionysien (die Dithyramben des Thespis Anfänge der Tragödie), zieht Dichter an seinen Hof, z.B. Simonides, Anakreon, läßt die homerischen Gesänge schriftlich aufzeichnen und ordnen. Er vererbt die Herrschaft auf seinen Sohn

527–510.

Hippĭas. Dieser herrscht gemäßigt im Sinne des Vaters, bis sein Bruder Hipparchos von Harmodios und Aristogeiton aus Privatrache am Panathenäenfest ermordet wird (514). Hippias übt grausame Vergeltung, wird von dem ausgewanderten Adel (Kleisthĕnes an der Spitze der Alkmäoniden) in Verbindung mit einem spartanischen Heere unter Kleomĕnes vertrieben (510). Er begibt sich nach Sigeion und sucht später Hilfe beim Perserkönige Dareios.

509.

Gesetzgebung des Kleisthĕnes (Sohn des Megăkles, Enkel des Kleisthĕnes von Sikyon); die solonische Verfassung wird in demokratischem Sinne weiter gebildet. Die 4 Vermögensklassen bleiben bestehen, an Stelle der 4 alten Phylen (S. 26) treten zehn Phylen (Bezirke), deren Unterabteilungen die Demen (Ortsgemeinden) sind. Dadurch soll der Einfluß des Adels gebrochen und das Wiederaufleben der früheren Parteien verhindert werden. Jede Phyle wählt jährlich 50 Mitglieder in den Rat, dessen Zahl also von 400 auf 500 erhöht wird. Die 10 Abteilungen des Rats wechseln in der Geschäftsleitung ab, so daß das Amtsjahr nach dem Wechsel der 50 Ratsvorsteher (Prytanen) in 10 Prytanieen zerfällt. Die Besetzung der meisten Ämter wird fortan durch das Los ent[37]schieden, nach Vorwahl durch die Phylen; durch Abstimmung erwählt wurden die Archonten und die 10 Feldherrn. Für alle Ämter war eine Prüfung in bezug auf das bürgerliche Verhalten vor dem Amtsantritt und Rechenschaft nach Ablauf des Amtsjahres vorgeschrieben. Die Volksversammlung hat nach wie vor die Entscheidung über Gesetze, Bündnisse, Krieg und Frieden.

508.

Die Eupatriden unter Führung des Archon Isagŏras rufen abermals die Spartaner zu Hilfe, um die Durchführung dieser Staatsordnung zu hindern. Kleisthĕnes flüchtet, die Akropolis wird den Spartanern überliefert. Aber ein Aufstand des athenischen Volks zwingt den König Kleomĕnes zum Abzug. Die adligen Parteiführer werden hingerichtet; Kleisthĕnes zurückberufen.

507.

Ein Feldzug der Spartaner gegen Athen unter den Königen Kleomĕnes und Demarātos scheitert infolge des plötzlichen Abzugs der Korinther und der Uneinigkeit der spartanischen Könige. Die mit Sparta verbündeten Böoter und Chalkidier von Euböa werden von den Athenern geschlagen. Diese erobern einen Teil von Euböa, wo 4000 Bauerngüter an ärmere attische Bürger (Kleruchen) verteilt werden. So gewinnt Athen nach Befestigung seiner inneren Verfassung auch Ansehen nach außen.

Damit nicht eine Tyrannis wiederkehre, ordnet Kleisthĕnes den Ostrakismos an: die Volksversammlung ist befugt, mittels geheimer Abstimmung durch Tonscherben (Ostrăka) die Verbannung eines die Freiheit gefährdenden Bürgers zu beschließen; doch müssen 6000 Stimmen abgegeben sein.

Auch in den westgriechischen Städten herrschen zeitweise Tyrannen: Phalăris in Akrăgas (Agrigentum) um 570, Anaxĭlas in Rhegion 494. Zu besonderem Ansehen gelangt Syrakus unter der Herrschaft Gelons (seit 485), der mit Theron von Akragas befreundet ist. Die unteritalischen Städte behaupten sich gegen Angriffe der einheimischen Völkerschaften; die Bürger von Kroton zerstören 510 die reiche Nachbarstadt Sybaris.

Entwickelung der Kultur. Baukunst und bildende Kunst besonders zur Ausschmückung der Tempel geübt (dorische, später ionische Säulen, Weihgeschenke aus Erz, Marmor, Gold und Elfenbein). Erhalten sind namentlich der Tempel von Pästum am Tyrrhenischen Meer und die Skulpturen des Athenetempels zu Ägina (aus der Zeit um 510, jetzt in München).

Zu hoher Blüte entfaltete sich die Dichtkunst; bei den Ioniern namentlich die Elegie: Kallīnos von Ephĕsos um 670, Mimnermos von Kolŏphon um 600, Tyrtaios und Solon von[38] Athen, auch Theognis von Megara (S. 33) dichtete in ionischem Dialekt;

bei den Doriern der lyrische Chorgesang: Terpander von Lesbos um 676 in Sparta, Alkmān von Sardes um 650 ebendaselbst, Stesichŏros von Himera um 600, Arion von Lesbos, Freund des Periander, Iby̆kos von Rhegion um 550;

bei den Äŏlern der lyrische Einzelgesang: Alkaios und Sappho von Lesbos um 600; der Ionier Anakrĕon von Teos um 540. Jambische Spottgedichte des Archilŏchos von Paros (um 650) und Hippōnax von Ephesos (um 540). Die Vollendung der lyrischen Dichtung in mannigfaltigen Formen zeigt sich in Simonĭdes von Keos und Pindăros von Theben, beide zur Zeit der Perserkriege.

Anfänge der Philosophie (zunächst Naturforschung) und der Himmels-, Erd- und Völkerkunde bei den Ioniern: Thales von Milet (s. S. 15). Herakleitos von Ephesos um 500: »Alles ist in ewigem Wechsel«. Pythagŏras von Samos wandert um 530 nach Kroton aus (Bund der Pythagoreer), Xenophănes von Kolophon um dieselbe Zeit nach Elĕa in Unteritalien (seine Schüler Parmenides, Zeno). Hekataios von Milet um 510.

In späterer Überlieferung werden als die sieben Weisen dieser Zeit genannt: Thales von Milet, Bias von Priēne, Pittăkos von Mytilene, Periander von Korinth, Cheilon von Sparta, Kleobūlos von Lindos, Solon von Athen.

§ 3. Perserkriege und Blütezeit Athens.

500–449.

Perserkriege.

500–494.

Aufstand der ionischen Griechen gegen die Perser (s. S. 20). Der von Athen und Eretrĭa ihnen geleistete Beistand ist die Veranlassung zu dem Versuch der Perser, auch das europäische Griechenland zu unterwerfen.

492.

Erster Zug der Perser unter Mardonios.

Das Landheer unterwirft das Küstenland von Thrakien, die Flotte die Insel Thasos. König Alexander von Makedonien erkennt die persische Hoheit an. Dann aber erleidet das Landheer große Verluste im Kampf mit den Thrakern, und ein großer Teil der Flotte wird am Vorgebirge Athōs durch Sturm vernichtet; dies bestimmt den Mardonios zur Rückkehr.

An der thrakischen Küste werden feste Plätze angelegt als Stützpunkt für spätere Feldzüge; Byzanz, Sēstos, Abdēra erhalten persische Besatzungen.[39]

491.

Persische Herolde, welche Erde und Wasser als Zeichen der Unterwerfung verlangen, werden in Sparta und Athen getötet. Die Kykladen und Ägīna dagegen, auch manche Gemeinden des Festlandes versprechen dem Perserkönige Unterwerfung. Der spartanische König Kleomĕnes zwingt die Ägineten, den Athenern Geiseln zu stellen.

490.

Zweiter Zug der Perser unter Datis und Artaphernes, dem jungen Neffen des Dareios.

Eine große Flotte (nach Herodot 600 Trieren) durchfährt das Ägäische Meer, landet auf Naxos, dann auf Euböa, wo die Stadt Eretria zerstört wird, dann an der Ostküste von Attika. Hippias (S. 36) im Gefolge des Artaphernes. Das athenische Heer, 9000 Hopliten und außerdem leichtbewaffnete Sklaven (eine tüchtige Reiterei nur bei den Thessalern), geführt vom Polemarchos und den 10 Feldherrn, unter welchen Aristides und der vor den Persern aus der Chersones (S. 36, 20) geflüchtete (jüngere) Miltiades, lagert mehrere Tage dem Feinde gegenüber in verschanzter Stellung. Durch 1000 Platäer verstärkt, greift es, ohne die Ankunft der Spartaner abzuwarten, unter Führung des Miltiădes an und siegt in der

490. (Sept.)

Schlacht bei Marăthon.

Der Plan der Perser, Athen von der Seeseite zu überraschen, wird durch schleunigen Rückmarsch des Heeres nach der Stadt vereitelt. Die persische Flotte kehrt nach Kleinasien zurück. Hippias stirbt auf Lemnos.

489.

Unglücklicher Zug des Miltiădes gegen Paros. Verwundet nach Athen zurückgekehrt, wird er von Xanthippos angeklagt und zur Erlegung der Kosten des Unternehmens (50 Talente) verurteilt, welche sein Sohn Kimon nach dem Tode des Vaters zahlt.

Parteikämpfe in Athen; 487 Wahl der Archonten durch das Los eingeführt, 485 Xanthippos durch Ostrakismos verbannt, 483 der bedächtige und am Althergebrachten hängende Aristides. Themistokles erhält dadurch freie Hand zur Durchführung seines Planes, Athen zur ersten Seemacht Griechenlands zu machen. Schon 493 hatte er als Archon die Befestigung des Hafens Piraieus durchgesetzt; jetzt werden, zunächst um gegen Ägina Krieg zu führen, auf seinen Antrag die bisher zur Austeilung an die Bürger bestimmten Einkünfte aus den Silberbergwerken von Laurion dazu verwendet, die Flotte bis auf 200 Trieren zu bringen. Die bisherigen Naukrarien (S. 35) werden aufgehoben und durch die Einrichtung der Trierarchie ersetzt. Der Staat liefert die Schiffe; den wohlhabenderen Bürgern liegt ihre Ausrüstung als Staatsleistung (Liturgie) ob; dafür erhält[40] der Trierarch die Anführung des von ihm ausgerüsteten Schiffes. Die Theten zum Flottendienst herangezogen,

480.

Dritter Zug der Perser unter König Xerxes.

Große Rüstungen, das Landheer sammelt sich schon 481 bei Kritalla in Kappadokien, von dort führt Xerxes es nach Sardes. Zwei Schiffbrücken über den Hellespont geschlagen, für die Flotte Kanal bei Akanthos gegraben, um das Vorgebirge Athos zu vermeiden. Im Frühjahr 480 Aufbruch von Sardes; Demaratos, der abgesetzte König von Sparta, und Peisistratos, Sohn des Hippias, begleiten den König. Musterung des Heeres bei Doriskos in Thrakien, nach Herodots übertreibender Angabe 1700000 Mann Fußvolk, 80000 Reiter und zahlreicher Troß; eine Flotte von 1207 Trieren.

Nachdem die Griechen den Plan, den Paß von Tempe zu verteidigen, aufgegeben haben, durchzieht das persische Heer Thessalien, ohne Widerstand zu finden. Die Thessăler und die böotischen Städte, mit Ausnahme von Platää und Thespiä, senden dem Könige Zeichen der Unterwerfung. Argos, Achaja und das westliche Mittelgriechenland nehmen am Kampfe gegen ihn nicht teil.

480. (Juli.)

Schlacht bei Thermopylä.

Der spartanische König Leonĭdas an der Spitze von etwa 6000 Schwerbewaffneten (Hopliten) (darunter 300 Spartiaten, 1000 lakedämonische Periöken und 700 Thespier) verteidigt 2 Tage lang den Engpaß, während 1000 Phokier den Fußpfad über den Kallidrŏmos bewachen. Die Perser, durch den Verräter Ephialtes auf diesen Pfad geführt, vertreiben die Phokier und kommen dem griechischen Heere in den Rücken. Leonidas befiehlt den Periöken und den Bundesgenossen, nach Hanse zu gehen und stirbt mit den noch übrigen Spartiaten und Thespiern, welche sich weigern, ihn zu verlassen, den Heldentod. Bekannte Grabschrift des Simonides. (S. Schillers »Spaziergang«). Die gezwungen (?) mit Leonidas fechtenden Thebaner strecken die Waffen, werden teils niedergemacht, teils auf des Königs Befehl gebrandmarkt nach Theben zurückgeschickt.

Zu gleicher Zeit unentschiedene Seegefechte bei Artemision, einem Vorgebirge und Tempel an der Nordspitze von Euböa. Dreitägige Kämpfe; Verluste der Perser namentlich durch den Untergang der um die Südspitze von Euböa herum entsandten Schiffe. Auf die Kunde von der Einnahme des Passes von Thermopy̆lä zieht die hellenische Flotte sich zurück nach der Bucht von Salămis. Das peloponnesische Landheer beginnt am Isthmos den Bau einer Schutzmauer.

Xerxes durchzieht Mittelgriechenland. Die Lokrer und Dorier unterwerfen sich. Das Gebiet der Phokier wird ver[41]wüstet, die gegen Delphi geschickte Truppe soll durch Gewittersturm zurückgeschreckt worden sein. Böotien wird als Freundesland behandelt, nur Thespiä und Platää werden zerstört.

Die Athener verlassen ihre Stadt, nur die Akropolis bleibt besetzt. Die waffenfähigen Bürger besteigen die Flotte, die »hölzerne Mauer«; Greise, Frauen und Kinder werden mit der beweglichen Habe nach Salămis, Ägina und Troizen gebracht. Den Verbannten wird die Rückkehr gestattet. Die Akropolis wird von den Persern erstürmt; Zerstörung der Stadt Athen.

480. (Ende Sept.)

Seeschlacht bei Salămis.

Die vereinigte hellenische Flotte (378 Trieren, 7 Fünfzigruderer) steht unter dem Oberbefehl des Spartaners Eurybiădes. Uneinigkeit im Kriegsrat; der athenische Feldherr Themistŏkles bewirkt durch eine geheime Botschaft an Xerxes, daß die Griechen in der Meerenge zwischen Salamis und Attika von der persischen Flotte eingeschlossen werden. Xerxes schaut von dem Berge Ägāleos dem Kampfe zu. Glänzender Sieg der Griechen. Aristides, von Ägina herbeigeeilt, nimmt während des Flottenkampfes die von den Persern besetzte kleine Insel Psyttaleia, macht viele vornehme Gefangene.

Die persische Flotte sammelt sich in der Bucht von Phalēron, Xerxes beschließt den Rückzug. In Thessalien bleibt Mardonios mit einem großen Teil des Heeres zurück. Xerxes erreicht nach großen, durch Seuchen und Mangel an Lebensmitteln verursachten Verlusten den Hellespont, wo er die Flotte findet, die das Heer übersetzt, da die Brücke vom Sturm zerstört worden ist.

Die griechische Flotte, statt, wie Themistokles wollte, die persische zu verfolgen, wendet sich gegen die Inseln, belagert Andros vergeblich und löst sich beim Eintritt des Winters auf. Rückkehr der Athener nach ihrer Stadt, deren Wiederaufbau sofort begonnen wird.

480.

Schlacht bei Himera,

Sieg der sicilischen Griechen unter Gelon von Syrakus und Theron von Akragas (S. 37) über die mit Persien verbündeten Karthager. Diese sollen den Frieden durch Zahlung von 2000 Talenten erkauft haben; sie bleiben im Besitz ihrer sicilischen Städte (Panormos, Soloeis, Motye).

479.

Nachdem Mardonios den Athenern durch Alexander von Makedonien (s. S. 38) vergebens einen Sonderfrieden angeboten hat, rückt er, verstärkt durch griechische Bundesgenossen (Thessăler, Böoter, Lokrer, Phokier) in Attika ein. Die Athener retten sich wieder nach Salămis. Was in der Stadt aufgebaut worden, wird von den Persern von neuem[42] zerstört. Endlich rückt die ganze peloponnesische Streitmacht (30000 Hopliten und zahlreiche Leichtbewaffnete) über den Isthmos vor, Mardonios geht zurück und nimmt eine vorteilhafte Stellung in Böotien am Asōpos ein. Mehr als 10000 Athener, Platäer und Thespier vereinigen sich mit dem peloponnesischen Heere. Anführer der gesamten Streitmacht (angeblich 110000 Mann, doch keine Reiterei) war Pausanïas (Regent in Sparta für den unmündigen Sohn des Leonidas).

479. (Sept.)

Schlacht bei Platää.

Nach längerem Zaudern entschließt sich Pausanias zum Kampfe. Glänzender Sieg, Mardonios fällt. Die Griechen erobern das persische Lager; von der reichen Beute wird den Göttern der Zehnte geweiht.[14] Das griechische Heer rückt vor Theben, die Häupter der persischen Partei werden ausgeliefert und auf dem Isthmos hingerichtet.

Die hellenische Flotte unter dem Oberbefehl des Spartanerkönigs Leotychĭdas (die athenischen Schiffe unter Xanthippos) eröffnet den Angriffskrieg gegen die Perser, der mit Unterbrechungen bis 445 dauert. Der persische Flottenführer Mardontes, den kleinasiatischen Griechen in seinem Heere mißtrauend, wagt nicht, die ihm bei Samos angebotene Seeschlacht anzunehmen. Er läßt dieser Insel gegenüber bei dem Vorgebirge Mykăle die Schiffe aufs Land ziehen und verschanzt sich. Die Griechen landen und siegen in der

479. (Ende Sept.)

Schlacht bei Mykăle,

nehmen das Lager und stecken die persischen Schiffe in Brand. Mehrere Inselstädte (namentlich Samos, Lesbos und Chios), dann die Küstenstädte Kleinasiens, auch das hergestellte Milet (S. 20), werden als Bundesgenossen aufgenommen. Die Peloponnesier fahren nach Hause zurück, die Athener und Ionier erobern Sēstos (S. 38).

Wiederaufbau der Stadt Athen; sie wird trotz des Einspruchs der Peloponnesier mit einer starken Mauer von vergrößertem Umfang (60 Stadien) umgeben. List des Themistokles, der als Gesandter nach Sparta geht.

478.

Unter Anführung des Spartaners Pausanĭas vertreibt die vereinigte Flotte der Peloponnesier, Athener und Ionier persische Besatzungen von der Insel Cypern, fährt dann nach Byzanz und befreit diese Stadt. Hochmut des[43] Pausanias gegen die Bundesgenossen, er tritt mit dem persischen Hofe in geheime Verbindung. Das gewinnende Auftreten der Anführer der Athener, Aristides und Kimon, hat nach Abberufung des Pausanias durch die Ephoren zur Folge, daß die Führung (Hegemonie) zur See von Sparta auf Athen übergeht,

477.

Gründung des attischen Seebundes.

Die Insel- und Küstenstädte des Ägäischen Meeres schließen ein dauerndes Bündnis mit Athen; die größeren stellen Schiffe zum Kampf gegen die Perser, die kleineren zahlen Geldbeiträge. Organisation des Bundes durch Aristides. Bundeskasse im Apollotempel zu Delos.

Themistokles, bei den olympischen Spielen 476 von den versammelten Hellenen geehrt, gerät bei den Athenern allmählich in Mißgunst, wird 470 durch den Ostrakismos verbannt und geht nach Argos. Dort wird er der Teilnahme an den fortgesetzten hochverräterischen Umtrieben des Pausanias verdächtig. Dieser, von den Ephoren mit Verhaftung bedroht, rettet sich in Sparta in den Tempel der Athene und stirbt durch Hunger (468). Themistokles muß aus Argos fliehen, geht nach Kerkȳra, dann nach Epīrus, endlich nach Susa zum Perserkönig Artaxerxes (s. S. 21), dem er seine Dienste anbietet. Er erhält eine fürstliche Schenkung in Kleinasien, stirbt (460) zu Magnesia (am Maiandros).

Fortsetzung des Angriffskriegs gegen die Perser unter Führung Kimons, des Sohnes des Miltiades (S. 39). Er erobert mit der Bundesflotte die noch von den Persern besetzt gehaltenen Plätze an der thrakischen Küste, namentlich Eïon an der Strymonmündung, besetzt die Insel Skyros (die Gebeine des Theseus von dort nach Athen gebracht), unterwirft die vom Bunde abgefallene Insel Naxos, besiegt Flotte und Landheer der Perser in der

466.

Doppelschlacht am Eurymĕdon

in Pamphylien. Darauf vertreibt er die Perser von der thrakischen Chersŏnēs, stellt die athenische Kolonie daselbst wieder her und unterwirft die abtrünnige Insel Thasos. — Bauten in Athen; Stoa Poikile am Markt mit Wandgemälden von Polygnōtos, Befestigung der Akropolis, Bau der langen Mauern nach dem Peiraieus und nach Phalēron.

464.

Erdbeben in Sparta, Aufstand der unterdrückten Messenier und Heloten. Die Spartaner bitten Athen um Hilfe; sie wird auf Kimons Antrag gewährt. Aber bald schicken die Spartaner aus Argwohn das athenische Hilfsheer zurück. Dadurch beleidigt, treten die Athener in ein Bündnis mit Argos. Mit Mühe unterdrücken die Spartaner 455 den Aufstand (dritter Messenischer Krieg) (S. 44).[44]

In Athen erhebt sich gegen Kimons Politik, die auf gutes Einvernehmen mit Sparta, Fortsetzung des Kriegs gegen Persien und Mäßigung der Demokratie im Sinne Solons gerichtet ist, die demokratische Partei, geleitet von Ephialtes und Perikles, dem Sohne des Xanthippos (S. 39).

461.

Beschränkung des Areopags; ein Gesetz des Ephialtes entzieht ihm die altherkömmliche Oberaufsicht über die bürgerliche Ordnung und die Staatsverwaltung und läßt ihm nur die richterliche Tätigkeit. Zugleich Ausdehnung der Volksgerichtsbarkeit; auf Perikles’ Antrag wird den Heliasten (S. 35) ein Richtersold aus der Staatskasse gewährt. Kimon durch Ostrakismos verbannt.

Weitere Maßregeln der durch den Areopag nicht mehr gehemmten demokratischen Partei: Einführung des Ratssoldes und des Schaugeldes (Theorikon) für die Theateraufführungen an Festtagen; das Archontat wird auch der dritten Vermögensklasse zugänglich. Einschätzung in die Vermögensklassen nicht mehr nach dem Grundbesitz, sondern nach dem Gesamtvermögen.

459.

Fortsetzung des Krieges gegen Persien; eine athenische Flotte fährt nach Cypern und leistet dann den aufständischen Ägyptern unter Inaros Hilfe (S. 21). Das Unternehmen endet 455 unglücklich; die Athener, auf einer Nilinsel eingeschlossen, müssen sich ergeben. Zwiespalt der Griechen untereinander kommt den Persern zustatten.

459–445.

Kriege der Peloponnesier und Böoter gegen Athen.

Athen nimmt das benachbarte Megara in seine Symmachie auf, befestigt den Hafen. Korinth und Ägina dadurch bedroht, erklären den Krieg. Seesieg der Athener bei der Insel Kekryphaleia. Nunmehr kommt ein spartanisches Heer 457 den Doriern in Mittelgriechenland (S. 28) gegen einen Angriff der Phokier zu Hilfe; die Athener verlegen ihm den Rückweg, werden aber bei Tanăgra in Böotien von den Spartanern besiegt. Die Spartaner kehren nach Hause zurück; die Athener dringen abermals in Böotien ein, siegen bei Oinophy̆ta über die Thebaner und gewinnen die andern böotischen Städte, die Phokier und die opuntischen Lokrer zu Bundesgenossen. Ägina muß sich nach langer Belagerung unterwerfen (456), die Kriegsschiffe ausliefern und dem attischen Seebunde beitreten.

455.

Die attische Flotte unter Tolmides umfährt die Peloponnes, verbrennt die spartanische Schiffswerft bei Gytheion, landet an den Küsten von Ätolien und Sikyon, siedelt die Messenier (S. 43), welchen die Spartaner freien Abzug aus[45] Ithome bewilligen, in Naupaktos am Eingang in den Korinthischen Meerbusen an.

454.

Verlegung der Bundeskasse von Delos nach Athen. Die Bundesgenossen, zu regelmäßigen Beiträgen verpflichtet (jährlich 460 Talente) und der Gerichtshoheit Athens unterworfen, werden tatsächlich zu Untertanen. Athen ist Hauptstadt eines ansehnlichen Insel- und Küstenreiches, welches nach den erhaltenen Tributlisten in 5 Provinzen geteilt war: Hellespont, Thrakien, Ionien, Karien, Inseln.

453.

Seezug des Perikles von dem megarischen Hafen Pagä aus, die Achäer schließen sich dem athenischen Bunde an; ein Angriff auf Öniadä (an der akarnanischen Küste) mißlingt. Aussöhnung zwischen Perikles und Kimon, welcher aus der Verbannung zurückberufen wird. Durch Kimons Einfluß kommt 451 ein Waffenstillstand zwischen Athen und Sparta zustande.

Neuer Seezug gegen die Perser. Kimon fährt mit 200 Schiffen nach Cypern, sendet 60 davon nach Ägypten, stirbt aber während der Belagerung von Kition an einer Krankheit. Seine Truppen erringen in der

449.

Doppelschlacht bei Salamis auf Cypern einen glänzenden Sieg über die persische (d. h. phönikisch-kilikische) Flotte und die am Lande befindlichen feindlichen Truppen, kehren dann aber nach Hause zurück. Alsbald erneut sich der Krieg in Mittel-Griechenland.

447.

Schlacht bei Koroneia; Sieg der von Athen abgefallenen Böoter. Gleich darauf Einfall eines spartanischen Heeres in Attika, um einen Aufstand auf Euböa gegen Athen zu unterstützen. Perikles bewirkt durch Bestechung des spartanischen Königs Pleistoanax den Abzug des Heeres, unterwirft darauf Euböa, ist aber zum Frieden und zum Verzicht auf die Landhegemonie bereit.

445.

Dreißigjähriger Friede zwischen Athen und Sparta.

Gegenseitige Anerkennung der peloponnesischen und der athenischen Bundesgenossenschaft.

Um diese Zeit (jedenfalls nach Kimons Tode) finden auch Friedensverhandlungen zwischen Athen und Persien statt, eine athenische Gesandtschaft unter Kallias geht nach Susa. Doch wird kein förmlicher Friede geschlossen, man begnügt sich mit stillschweigender Anerkennung des Besitzstandes. Die Athener geben Cypern auf und schicken den aufständischen Ägyptern keine weitere Hilfe. Später erzählte man von einem Kimonischen Frieden, in welchem der Perserkönig die Unabhängigkeit der kleinasiatischen Griechen anerkannt und versprochen haben soll, kein Kriegsschiff mehr ins Ägäische Meer zu schicken.[46]

Folgen der Perserkriege: 1. Die politische Freiheit der Griechen in Asien und Europa ist gesichert gegen die Machtansprüche des persischen Despotismus. 2. Die griechische Kultur entfaltet sich zu ihrer höchsten Blüte in Gewerbtätigkeit und Handel, Kunst und Wissenschaft, besonders in Athen, während Sparta zurückbleibt.

444–429

Nachdem Thukydĭdes (Sohn des Melesias, nicht der gleichnamige Geschichtschreiber), eine Zeitlang Führer der kimonischen Partei, durch den Ostrakismos verbannt ist, beginnt die Blütezeit Athens unter der Verwaltung des Perikles, welcher, obwohl niemals Archon, den Staat durch seinen Einfluß als Redner in der Volksversammlung und in amtlicher Eigenschaft als Strateg, als Finanzvorsteher und Vorsteher der öffentlichen Bauten leitet.

Unbestrittene Herrschaft Athens im Gebiet seines Seebundes; nur Samos versucht 441 einen Aufstand. Verstärkung der Kolonie auf der thrakischen Chersones (S. 36, 43), Flottenfahrt des Perikles nach dem Schwarzen Meere zur Unterstützung der dortigen Griechenstädte Sinōpe, Amīsos, Pantikapaion (letztere wichtig für den Getreidehandel nach Athen). Neue Kolonien Thurii in Unter-Italien, an der Stelle des zerstörten Sybăris (443), und Amphipŏlis am Strymon (437). — Vollendung der Befestigung Athens durch eine dritte lange Mauer (parallel mit der nach dem Peiraieus führenden, s. S. 43). Neubau der Hafenstadt Peiraieus, Tempel zu Eleusis, in Athen das Odeion neben dem vergrößerten Dionysostheater am Südabhang der Akropolis, in der Nähe das noch gut erhaltene Theseion.

Prachtbauten auf der Akropolis: Der Parthĕnon, von Iktīnos und Kallikrătes erbaut, von dem Bildhauer Pheidĭas mit dem Standbild der Göttin Athene aus Gold und Elfenbein, an den Außenseiten mit Marmorskulpturen geschmückt;[15] die Karyatidenhalle des Erechtheion; die Propyläen, als Eingangstor von Mnesĭkles erbaut; daneben die Pinakŏthek mit Wandgemälden von Polygnōtos. Tempel der Athena Nike. Auf dem freien Platz vor den beiden Tempeln das große eherne Standbild der Athene Promăchos von Pheidias, welcher auch nach Olympia berufen wurde, um dort das Standbild des Zeus aus Gold und Elfenbein aufzurichten.

Athen jetzt der Brennpunkt des wirtschaftlichen Lebens in Hellas. Handel nach allen Plätzen des Mittelmeeres. Großindustrie durch Sklaven betrieben. Bedeutende Ausfuhr von Erzeugnissen des Gewerbefleißes, Einfuhr von Getreide, Schiffsbauholz und Rohstoffen aller Art.[47]

Blüte der dramatischen Dichtung: Die drei Tragiker Aischy̆los (526–455, die Perser 472, die Oresteia 458, eine Trilogie), Sŏphŏkles (496–405, Antigone 441, Ödipus auf Kolōnos), Euripĭdes (480–406, Medeia 431. Iphigeneia in Tauris 412). Etwas später entfaltet sich die Komödie; besonders bedeutend sind die politischen Komödien des Aristophănes in der Zeit des Peloponnesischen Krieges (die Ritter 424, die Wolken 423, der Friede 421, die Vögel 414). Dramatische Aufführungen fanden statt an den Diony̆sosfesten (kleine Dionysien oder Lenäen, große Dionysien); die Ausstattung des Chores war eine den reicheren Bürgern obliegende Liturgie (vgl. S. 39).

Geschichtschreibung: Herodot von Halikarnaß (484–424?), Teilnehmer an der Koloniegründung in Thurii; Thukydĭdes von Athen (470–400?).

Philosophie: Anaxagŏras von Klazomĕnä, Lehrer des Perikles (Empedŏkles in Akragas. Demokritos in Abdēra, um 450). Protagŏras von Abdera, neben Gorgias von Leontini und Prodikos von Keos der berühmteste unter den Sophisten, welche als Lehrer der Weisheit und der Redekunst auftraten. Sokrătes von Athen (469–399), Gegner der Sophisten. Ihrer subjektiven Richtung (der Mensch ist das Maß der Dinge) stellt er das Streben nach objektivem, begriffsmäßigem Wissen entgegen.

§ 4. Peloponnesischer Krieg. (431–404 v. Chr.)

Nach kurzer Friedenszeit erneuert sich die Feindschaft der auf Athens politisches und wirtschaftliches Übergewicht eifersüchtigen aristokratischen Peloponnesier gegen die attische Demokratie; es beginnt ein fast dreißigjähriger, für Griechenland verderblicher Krieg.

Veranlassungen: 1. Einmischung Athens in den Krieg, welcher zwischen Kerkyra und Korinth wegen der Kolonie Epidamnos (S. 33) entstanden war.[16] Die Athener erklären sich für Kerkyra und nehmen (zunächst mit 10 Schiffen) teil an der Schlacht bei Sybŏta (432) zwischen den Korinthern und Kerkyräern, in der die Korinther erst Sieger sind, sich aber nach dem Erscheinen weiterer 20 attischer Trieren zurück[48]ziehen. 2. Die Bewohner von Poteidaia (S. 33) fallen vom athenischen Bunde ab (432), werden von Korinth unterstützt, aber von den Athenern geschlagen und in ihrer Stadt belagert.

Die Korinther, unterstützt durch Beschwerden der Megărer, welche von allen attischen Häfen und Märkten ausgeschlossen worden waren, und der Ägineten, klagen gegen die Athener in Sparta. Die Volksversammlung der Spartiaten erklärt, daß die Athener die Verträge gebrochen haben, worauf die peloponnesische Tagsatzung Kriegsbereitschaft beschließt.

Streitkräfte beider Parteien: Achaja und Argos bleiben zunächst neutral; mit den Peloponnesiern verbündet: die Megărer, Böoter, opuntischen Lokrer, Phokier.— Selbständige Bundesgenossen der Athener: Platää, Naupaktos, Kerkyra, Zakynthos, Chios, Lesbos, die Thessăler und Akarnanen. Flotte von 300 Trieren, Bürgerheer von 29000 Hopliten, Staatsschatz von 6000 Talenten, Jahrestribut aus dem Bundesgebiet 600 Talente.

Perikles behauptet sein Ansehen gegen alle Anfeindungen (Anklagen gegen Pheidias, Anaxagoras, gegen seine Gemahlin Aspasia, endlich gegen ihn selbst wegen der Verwaltung des Staatsschatzes). Sein Kriegsplan: Verteidigung in der befestigten Stadt, Angriff mit der Flotte.

431.

Der Archidamische Krieg. 431–421. Der Krieg beginnt mit einem Überfall von Platää durch die Thebaner, welche zurückgeschlagen werden. Darauf Einfall der Peloponnesier in Attika unter dem Spartanerkönig Archidāmos. Verwüstung des Landes. Die Landbewohner flüchten in die befestigte Stadt Athen oder lagern zwischen den langen Mauern. Die athenische Flotte verheert die Küsten der Peloponnes und nimmt Ägina in Besitz; das Gebiet von Megăra von dem Landheer verwüstet.

430.

Zweiter Einfall der Peloponnesier, in Athen bricht die Pest aus (der Arzt Hippokrătes aus Kōs). Perikles verheert mit der Flotte die Küste von Argolis, wird im Rechenschaftsprozeß verurteilt, aber für das nächste Jahr wieder zum Feldherrn erwählt.

429.

Die Athener nehmen Poteidaia ein; ihre Flotte unter Phormion ist siegreich im korinthischen Meerbusen bei Naupaktos.

Perikles stirbt an der Pest. An die Spitze der demokratischen Partei tritt Kleon, der »Gerber«, d. i. Besitzer einer durch Sklaven betriebenen Lederwarenfabrik, an die Spitze der aristokratischen Nikĭas.

428.

Dritter Einfall der Peloponnesier, dann Abfall der Stadt Mytilēne auf Lesbos vom athenischen See[49]bunde (Methymna bleibt den Athenern treu). Die Spartaner belagern Platää.

427.

Während des vierten Einfalls der Peloponnesier in Attika wird Mytilēne auf Lesbos von der athenischen Flotte zur Übergabe gezwungen. Die athenische Volksversammlung beschließt auf Kleons Antrag, alle Bürger von Mytilēne, am andern Tage jedoch, nur die Aristokraten hinrichten zu lassen. Über tausend werden getötet, die Mauern der Stadt geschleift, die Äcker der Insel, mit Ausnahme des Gebiets von Methymna, an attische Bürger verteilt.

Die Spartaner nehmen Platää ein, die letzten 225 tapferen Verteidiger der Stadt werden hingerichtet. — Blutige Parteikämpfe in Kerkyra, wo zuletzt mit Hilfe Athens die Demokraten Sieger bleiben.

426.

Glückliche Kämpfe der Athener unter Demosthĕnes in Akarnanien gegen die von den Peloponnesiern unterstützten Ambrakioten.

425.

Fünfter Einfall der Peloponnesier. Demosthenes, mit einer nach Sicilien (S. 50) bestimmten Flotte aussegelnd, landet in Messenien und besetzt die verfallene Burg von Pylos. Die Peloponnesier (Brasĭdas) besetzen die gegenüberliegende Insel Sphakteria, werden aber durch die athenische Flotte abgeschnitten. Der von spartanischen Gesandten in Athen angebotene Friede auf Kleons Antrag verworfen. Kleon und Demosthenes erobern Sphakteria; 292 Hopliten, darunter 120 Spartiaten, werden nach Athen gebracht. Die Athener drohen diese hinzurichten, wenn ein neuer Einfall in Attika geschehe.

424.

Die Insel Kythēra von den Athenern unter Nikias besetzt. Von Kythēra und von Pylos aus beunruhigen sie fortwährend das lakonische Gebiet. Ihr Landheer bei Delion in Böotien von den Böotern geschlagen (Sokrates von Alkibiades gerettet).

Brasĭdas, der durch Böotien und Thessalien nach Makedonien und Thrakien gezogen ist, bringt die dortigen Küstenstädte zum Abfall von Athen, nimmt auch Amphipŏlis ein. Der athenische Feldherr Thukydĭdes (der Geschichtschreiber), der mit einem Geschwader bei Thasos lag und diesen Verlust nicht hatte verhindern können, wird deshalb verbannt. Nach abermals vergeblichen Friedensverhandlungen senden die Athener Kleon nach Thrakien. Er wird in der

422.

Schlacht bei Amphipŏlis

von Brasidas geschlagen und fällt auf der Flucht, Brasidas stirbt an seinen Wunden.[50]

421.

Friede des Nikĭas,

geschlossen auf 50 Jahre. Beide Teile geben die Gefangenen und die Eroberungen heraus, doch wird diese Bestimmung nur unvollständig ausgeführt. Schon nach drei Jahren bricht der Krieg wieder aus, da Alkibiădes die Athener beredet, dem Bündnis beizutreten, welches Argos mit anderen peloponnesischen Staaten (Elis und Mantineia) geschlossen hatte, um dem drückenden Übergewicht Spartas entgegenzutreten.

Die vereinigten Argiver und Athener werden in der

418.

Schlacht bei Mantineia

geschlagen. Die Spartaner stellen durch diesen Sieg ihre Herrschaft über die Peloponnes wieder her. In Athen bekämpfen sich die Parteien des Nikias und Alkibiădes; durch Anwendung des Ostrakismos wird nur der unruhige Hyperbŏlos verbannt.

416.

Die Athener nehmen Mēlos und töten alle Bürger der Insel.

415–413.

Unternehmung der Athener gegen Syrakus.

Syrakus, nach dem Siege bei Himĕra über die Karthager (S. 41) aufblühend unter der milden Herrschaft Hierons (Bruder des Gelon) seit 466 mit demokratischer Verfassung, steht an der Spitze der sicilischen Griechenstädte.

427.

Hilfsgesuch der Stadt Leontini (der Redner und Sophist Gorgias) bei den Athenern gegen Syrakus; eine athenische Flotte wird nach Rhegion gesandt, doch gelingt es den Athenern nicht, sich auf Sicilien festzusetzen. Der Syrakusaner Hermokrătes vermittelt 424 Frieden unter den sicilischen Städten.

416.

Hilfsgesuch der Stadt Egesta und der vertriebenen Leontiner gegen Selinus und Syrakus, bei den Athenern von Alkibiădes befürwortet, von Nikias widerraten. Eine Flotte von 134 Trieren fährt unter Anführung von Alkibiădes, Nikias und Lamăchos nach Sicilien. Nachdem Naxos und Katăna besetzt sind, wird Alkibiades zurückgerufen, abwesend angeklagt wegen Teilnahme an Religionsfreveln, die kurz vor Abfahrt der Flotte begangen waren (Verstümmelung der Hermen. Verspottung der eleusinischen Mysterien). Er flieht nach Argos, wird abwesend zum Tode verurteilt, seine Güter werden eingezogen. Hierauf begibt er sich, um Rache an Athen zu nehmen, nach Sparta.

414.

Die Athener erfechten einen Sieg vor Syrakus und beginnen mit Erfolg die Belagerung der Stadt, wobei Lamăchos fällt. Die Spartaner schicken auf Alkibiades’ Antrieb ein kleines Geschwader unter Gylippos den Syrakusanern[51] zu Hilfe. Die Athener werden zurückgedrängt, leiden durch Krankheit und Mangel. Nikias der Lage nicht gewachsen.

413.

Sie erhalten Verstärkung aus Athen (73 Trieren, 5000 Hopliten) unter Demosthĕnes, werden aber bei einem nächtlichen Angriff auf die Höhen von Epipŏlä besiegt. Der Abmarsch beschlossen, verzögert durch abergläubische Bedenken des Nikias wegen einer Mondfinsternis (27. August). Unglückliche Seeschlacht in dem von den Feinden gesperrten Hafen von Syrakus; das zu Lande abziehende Heer wird am Flusse Assinăros teils niedergemacht, teils gefangen. Nikĭas und Demosthĕnes in Syrakus hingerichtet, 7000 Gefangene in die Steinbrüche gesteckt, wo viele elend umkommen, oder als Sklaven verkauft.

413. (März.)

Auf Alkibiădes’ Rat halten die Spartaner, gereizt durch eine Landung attischer Schiffe in Lakonien, den Flecken Dekeleia in Attika besetzt. Von dort aus machen sie (unter König Agis) oft wiederholte Streifzüge. Die dauernde Besetzung wirksamer als die früheren vorübergehenden Einfälle, Die letzten 9 Jahre des Peloponnesischen Krieges heißen deshalb der

413–404.

Dekeleïsche Krieg.

Bedrängnis der Athener, Flucht vieler Sklaven, Geldnot des Staates. Die aristokratische Partei kommt wieder zu Ansehen. Einsetzung einer neuen Behörde von 10 Vorberatern. Ordnung der Finanzen; die Tribute der Bundesgenossen werden in Hafenzölle umgewandelt. Neue Rüstungen.

Alkibiădes bewirkt den Abfall von Chios, Erythrä, Klazomĕnä und Milēt vom athenischen Bunde. Er bringt ein Bündnis zustande zwischen den Spartanern, die sich bereit erklären, dem Perserkönig alle ihm ehemals untertänigen Griechenstädte wieder zu überlassen, und dem persischen Satrapen Tissaphernes in Sardes, der den Spartanern Hilfsgelder zahlt.

412.

Eine neue athenische Flotte erscheint an der ionischen Küste; die Peloponnesier werden im Landkampf bei Milēt geschlagen, aber die Einnahme der Stadt wird durch das Erscheinen syrakusischer Schiffe (unter Hermokrates) gehindert. Die athenische Flotte, wieder auf 104 Schiffe gebracht, ankert vor Samos. Alkibiădes, von den Spartanern angefeindet und beargwöhnt, begibt sich zu Tissaphernes, auf den er bald großen Einfluß gewinnt. Zugleich knüpft er Unterhandlungen mit den Oligarchen (Gegnern der Demokratie) im athenischen Heere an.

411. (März.)

Verfassungsänderung in Athen,

von der oligarchischen Partei (Antĭphon, Theramĕnes) gewaltsam durchgesetzt. Rat von 400 Mit[52]gliedern eingesetzt, die Volksversammlung auf 5000 Bürger beschränkt, alle Staatsbesoldungen, mit Ausnahme des Soldes der im Heere dienenden Bürger, werden abgeschafft. Friedensverhandlungen mit Sparta. Aber das Heer bei Samos weigert sich, die Verfassungsänderung anzuerkennen, erwählt neue Feldherren (Thrasybūlos) und ruft Alkibiades zurück. Dieser übernimmt den Oberbefehl, weigert sich aber, die Flotte gegen die Oligarchen nach Athen zu führen, und verlangt, daß sie vor dem Feinde bleibe. In Athen wird auch ohne Eingreifen des Heeres die Oligarchie nach kurzer Dauer gestürzt, der alte Rat der 500 wieder eingesetzt, bald auch der Zutritt aller Bürger zur Volksversammlung wieder hergestellt.

Die Spartaner brechen jede Verbindung mit Tissaphernes ab und schließen ein Bündnis mit Pharnabāzos, dem Satrapen von Bithynien. Aber die peloponnesische Flotte (unter Mindăros) wird von den Athenern in zwei

411.

Seegefechten bei Abȳdos geschlagen und schließlich unter Alkibiădes’ Oberbefehl vernichtet in der

410.

Doppelschlacht bei Kyzĭkos (Mindaros † im Landkampf an der Küste). Alkibiădes sichert die athenische Herrschaft auf der thrakischen Chersones, erobert Chalkēdon, schließt Vertrag mit Pharnabazos, erobert endlich auch die von dem Spartaner Klearchos verteidigte, für die Getreidezufuhr aus den Pontusländern wichtige Stadt Byzanz (409).

408.

Alkibiădes kehrt nach Athen zurück.

Seine Verurteilung wird widerrufen, die Athener ernennen ihn zum unumschränkten Feldherrn zu Wasser und zu Lande. Er schützt mit seinem Heere den langentbehrten Festzug nach Eleusis, fährt dann an der Spitze der athenischen Flotte wieder nach Kleinasien. Dort hatte unterdessen der Spartaner Lysander den Oberbefehl erhalten, und des persischen Königs Dareios II. jüngerer Sohn Kyros, Freund der Spartaner, war Satrap in Sardes geworden. Während Alkibiădes sich an einer Belagerung von Phokäa beteiligt, wird die von seinem Unterfeldherrn Antiochos befehligte Flotte von Lysander in dem

407.

Seetreffen bei Notion im Golf von Ephĕsos geschlagen. Wegen dieses unverschuldeten Unglücks wird Alkibiădes von den Athenern des Oberbefehls entsetzt. Er zieht sich nach der thrakischen Chersones zurück.

Der neue spartanische Nauarch (Admiral) Kallikratĭdas schließt die athenische Flotte unter Konon im Hafen von Mytilene ein. Die Athener rüsten mit äußerster Anstrengung eine neue Flotte aus; diese schlägt die Peloponnesier in der großen[53]

406. (Sept.)

Seeschlacht bei den Arginusen,

kleinen Inseln an der Küste Kleinasiens, südöstlich von Lesbos; von 120 peloponnesischen Schiffen entkommen nur 43. Aber die siegreichen Feldherren werden in Athen angeklagt, weil sie die Schiffbrüchigen bei dem nach der Schlacht eingetretenen Sturm nicht gerettet und die Leichen nicht bestattet haben; 6 von ihnen, die sich dem Gericht stellen, werden zum Tode verurteilt. Vergeblicher Widerspruch des Sokrates, der am zweiten Verhandlungstage Vorsteher der Prytanen (S. 36) war, gegen das abgekürzte (summarische) Gerichtsverfahren. Lysander, wiederum Anführer der spartanischen Flotte, vernichtet die athenische Flotte in der

405. (August.)

Schlacht bei Aigospotamoi (Ziegenflüsse), Lampsăkos am Hellespont gegenüber. Nur Konon rettet sich mit wenigen Schiffen. Niedermetzelung von 3000 gefangenen Athenern. Lysander vernichtet die athenische Herrschaft über die Küsten und Inseln, richtet überall oligarchische Verfassungen ein, die durch spartanische Statthalter (Harmosten) überwacht werden, erscheint dann mit seiner Flotte vor dem Peiraieus, während die Landtruppen unter den beiden spartanischen Königen Agis und Pausanias Athen von der Landseite einschließen. Unterhandlungen durch Theramĕnes. Endlich bewirkt der Hunger die

404. (Frühjahr.)

Übergabe Athens, Ende des Krieges.

Die Mauern des Peiraieus und die langen Mauern zwischen Stadt und Häfen werden niedergerissen. Anerkennung der spartanischen Hegemonie, Verzicht auf alle auswärtigen Besitzungen, Auslieferung der Kriegsschiffe bis auf 12. Nach Annahme dieser Friedensbedingungen wird unter Lysanders Einfluß die Neuordnung des Staates dreißig Männern der oligarchischen Partei (Tyrannen) übertragen.

Folgen des peloponnesischen Krieges: 1. Fortdauernde Zersplitterung der Griechen, Beginn ihres politischen Niedergangs, erfolgreiche Einmischung Persiens. 2. Sparta ist mit persischer Hilfe wiederum im Besitze der Hegemonie, aber durch Auflösung der altspartanischen Zucht entartet. 3. Athen, die Siegerin über den Nationalfeind, ist gedemütigt, hat jedoch noch Kraft zu neuer Erhebung und bleibt die geistige Hauptstadt Griechenlands.

§ 5. Makedoniens Emporkommen.

Da Sparta seine Hegemonie gegen die Abneigung der anderen Staaten, besonders gegen das aufstrebende Theben nicht behaupten kann, erheben sich neue Kriege unter den griechischen[54] Staaten, bis sie der Herrschaft Makedoniens untertan werden, welches unter den Königen Perdikkas II. (454–413) und Archelāos (413–399) allmählich erstarkt war, dann unter Thronstreitigkeiten zu leiden hatte bis zum Regierungsantritt Philipps 359.

404–403.

Herrschaft der Dreißig in Athen.

Sie nehmen eine spartanische Besatzung in die Akropolis auf, verhängen Verbannung und Hinrichtung über mißliebige Bürger, die von Angebern (Sykophanten) angeklagt sind. Theramenes, der als Mitglied der Dreißig zur Mäßigung rät, wird auf Betreiben des leidenschaftlichen Kritias ebenfalls hingerichtet. Darauf sammelt Thrasybūlos in Theben die aus Athen entflohenen Anhänger der Demokratie, besetzt mit ihnen die Bergfeste Phyle im Parnēsgebirge, schlägt die Truppen der Dreißig und bemächtigt sich der Hafenstadt Munychia (403); Kritias fällt. An Stelle der 30 wählen die Bürger in Athen 10 gemäßigtere Oligarchen. Unter Vermittelung des Spartanerkönigs Pausanĭas kommt ein Vergleich zwischen diesen und Thrasybūlos zustande. Die vereinigten Bürger ziehen gegen Eleusis, wo die meisten der Dreißig getötet werden, dann wird Amnestie verkündigt.

403.

Herstellung der Demokratie; neue Aufzeichnung der Gesetze unter dem Archon Eukleides. Bald werden auch die Besoldungen und Schaugelder (S. 44) wieder eingeführt, erstere sogar vermehrt durch den Volksversammlungssold.

401.

Aufstand des von Sparta unterstützten Kyros (S. 21) gegen König Artaxerxes Mnemon. Alkibiădes, welcher schon im Jahre 404 den König hatte warnen wollen, war auf der Reise zu ihm in Phrygien auf Betreiben Lysanders getötet worden. 13000 griechische Söldner kämpfen für Kyros in der Schlacht bei Kunaxa (unweit Babylon); mühsamer Rückzug unter Führung des Atheners Xenophon. Nicht ganz 10000 erreichen bei Trapezūs das Schwarze Meer, die meisten treten bei dem spartanischen Feldherrn Thibron (s. u.) in Dienst.

399.

Sokrates in Athen zum Tode verurteilt und durch Gift hingerichtet. Sein Schüler Platon erhebt die Philosophie zur umfassenden Wissenschaft.

399–394.

Krieg der Spartaner gegen Persien, gehemmt durch Zwiespalt unter den Griechen.

Der persische Satrap Tissaphernes will die griechischen Städte Kleinasiens für ihren Anschluß an die Sache des Kyros züchtigen. Die Spartaner kommen den Städten zu Hilfe, erst unter Thibron, dann unter Derkyllĭdas, endlich unter dem König Agesilaos. Dieser dringt 396 siegreich in Asien vor,[55] schlägt am Paktōlos die Reiter des Tissaphernes, der auf Befehl des Großkönigs von seinem Nachfolger Tithraustes hingerichtet wird. Aber Athen, Theben, Korinth, Argos verbünden sich, durch persisches Geld unterstützt, gegen Sparta, dessen Harmosten sich überall verhaßt gemacht hatten.

395.

Lysander fällt bei Haliartos (in Böotien) im Kampf gegen die Thebaner.

394.

Seeschlacht bei Knidos; die spartanische Flotte wird von der persischen, von dem Athener Konon geführten Flotte besiegt. Vertreibung der Harmosten aus den griechischen Städten Kleinasiens. Agesilāos, aus Asien zurückberufen, zieht durch Thrakien, Makedonien und Thessalien, schlägt die Verbündeten in der

394.

Schlacht bei Koroneia (im westl. Böotien)

und gelangt in die Peloponnes zurück. Konon stellt mit persischem Gelde die 2 langen Mauern zwischen Athen und dem Peiraieus wieder her. Darauf Landkrieg in der Gegend von Korinth, das den Zugang zur Peloponnes beherrscht; die athenischen Peltasten Iphikrătes bringen den Spartanern schwere Verluste bei.

Der Spartaner Antalkĭdas gewinnt die Gunst des persischen Satrapen Tiribazos; Sparta sendet nochmals eine Flotte nach der asiatischen Küste aus, die aber vor der athenischen unter Thrasybūlos zurückweicht. Endlich entscheidet der Perserkönig; die griechischen Staaten nehmen die von ihm gestellten Bedingungen an.

387.

Friede des Antalkĭdas. Die Griechenstädte Kleinasiens, sowie die Inselstadt Klazomĕnä und Cypern werden den Persern preisgegeben. Die Athener behalten nur die Herrschaft über Lemnos, Imbros und Skyros, alle übrigen Staaten und Inseln sollen selbständig sein. Messenien jedoch bleibt unter spartanischer Herrschaft. Gewalttätiges Auftreten der Spartaner zur Durchführung dieser Bestimmungen.

379–362.

Krieg zwischen Theben und Sparta,

veranlaßt durch die Besetzung der Kadmeia (383). Ein spartanisches Heer war gegen die Stadt Olynthos gesandt, welche ihre Hegemonie über die kleineren Städte der Halbinsel Chalkidĭke nicht aufgeben wollte. Phöbĭdas, mit einer zweiten Abteilung nachgesandt, besetzt die Kadmeia, die Burg von Theben, im Einverständnis mit der aristokratischen Partei daselbst. Olynth wird 379 von den Spartanern erobert.

379.

Thebanische Flüchtlinge, die in Athen Aufnahme gefunden haben, befreien von dort aus unter Führung[56] des Pelopĭdas ihre Vaterstadt und nötigen, unter Mitwirkung des Epameinondas, die Spartaner zum Abzug aus der Kadmeia.

378.

Die spartanischen Könige Kleombrŏtos und Agesilāos ziehen gegen Theben zu Felde, kämpfen aber ohne Erfolg. Der Versuch eines spartanischen Unterfeldherrn, sich des Peiraieus zu bemächtigen, veranlaßt die Athener zum Bündnis mit Theben. Darauf gründen sie den zweiten athenischen Seebund (Chios, Lesbos, Rhodos, Byzanz, Euböa, Kerkyra, chalkidische Städte, Kykladen; keine Kleruchieen in bundesgenössischem Gebiet, geringere Geldbeiträge). Seesiege des Chabrias (bei Naxos) und Timotheos (bei Leukas) über die peloponnesische Flotte. Olynth wird wieder selbständig. Sparta und Athen als Vertreter ihrer Bundesgenossen schließen 371 Frieden; Theben aber weigert sich, seine Hegemonie über Böotien aufzugeben, soll von den Spartanern dazu gezwungen werden.

371.

Schlacht bei Leuktra.

Der spartanische König Kleombrotos von Epameinondas besiegt. Schiefe Schlachtordnung, Pelopĭdas mit der heiligen Schar auf dem linken Flügel bringt durch sein Vordringen den Kampf zur Entscheidung.

370.

Angriff der Thebaner auf Sparta. Spartas Hegemonie wird durch den Abfall der Arkăder und die von Epameinondas angeordnete Befreiung der Messenier schwer erschüttert. Gründung der Städte Megalopŏlis in Arkadien und Messēne am Fuß der Berges Ithōme. Die offene Stadt Sparta wird von Agesilaos erfolgreich verteidigt; ein athenisches Heer kommt den Spartanern zu Hilfe; Rückzug der Thebaner.

369–367.

Epameinondas zieht noch zweimal nach der Peloponnes, um den erlangten Einfluß zu sichern; Pelopidas bekämpft in Thessalien den Tyrannen Alexander von Pherā und schlichtet einen Thronstreit in Makedonien, wird auf dem Rückweg unweit Pherä gefangen genommen, aber von Epameinondas befreit.

367.

Gesandte der griechischen Staaten gehen nach Susa; Thebens Versuch, einen Vertrag auf Grund der vom Perserkönige gutgeheißenen Vorschläge zustande zu bringen, mißlingt.

364.

Pelopidas fällt im Kampfe gegen den Tyrannen von Pherä bei Kynoskephălä; Epameinondas unternimmt mit einer neugebildeten Flotte eine Fahrt bis Byzanz, um der athenischen Seemacht entgegenzutreten. Unterdessen neue Streitigkeiten in der Peloponnes; Epameinondas unternimmt einen vierten Zug dorthin.[57]

862.

Schlacht bei Mantineia,

Epameinondas fällt als Sieger im Kampfe gegen die Spartaner und ihre Bundesgenossen (darunter 6000 Athener). Damit endet die kurze Zeit der thebanischen Hegemonie (371 bis 362).

Friedensvertrag unter den griechischen Staaten, doch treten die Spartaner nicht bei, da sie die Unabhängigkeit Messeniens nicht anerkennen wollen. Agesilāos geht nach Ägypten zur Unterstützung der Aufständischen gegen die Perser (s. S. 21), deren Flotte der Athener Chabrĭas befehligt. Agesilāos stirbt auf der Rückfahrt (360).

359–336.

Philipp, König von Makedonien,

Sohn des Königs Amyntas, war von Pelopidas als Geisel auf 3 Jahre nach Theben gebracht worden und hatte dort griechische Bildung und Kriegskunst kennen gelernt. Er wird, 23 Jahre alt, nach dem Tode seines älteren Bruders Perdikkas, König von Makedonien. Tapfer und staatsklug befestigt er seinen Thron in dem von Parteikämpfen zerrissenen Lande, sichert die Grenzen gegen die unruhigen Nachbarvölker (Päŏner, Illyrier) und richtet ein stehendes Heer ein (Phalanx). Hauptwaffe die Sarissa, ein 5 m langer Speer. Dann beginnt er die Ausbreitung seiner Herrschaft an der thrakischen Küste und greift in das Bundesgebiet der Athener ein, die er durch schlaue Unterhandlungen täuscht.

357–356.

Philipp erobert Amphipŏlis (reiche Goldbergwerke in der Nähe), Pydna, Poteidaia, schließt Bündnis mit Olynth. Athen unterdessen bedrängt durch Abfall der Bundesgenossen. Chios, Kos, Rhodos, Byzanz sagen sich vom Seebunde los. Nach kraftloser Kriegführung (Chabrias † im Hafen von Chios) erkennt Athen 355 auf Antrag des Eubūlos ihre Selbständigkeit an. Der Seebund fortan unbedeutend. Eubūlos Vertreter der Friedenspolitik; die Überschüsse der Staatsverwaltung werden auf seinen Antrag der Festgelderkasse (S. 54) überwiesen.

355–346.

(Zweiter) Heiliger Krieg gegen die Phokier,

die wegen Benutzung des dem delphischen Gotte geweihten Landes von Kirrha (s. S. 33) von den Amphiktyonen zu einer hohen Geldstrafe verurteilt waren. Die Thebaner übernehmen die Eintreibung dieser Geldstrafe, die Phokier aber bemächtigen sich der Schätze des delphischen Tempels, verstärken sich durch Söldner und verteidigen sich längere Zeit mit Erfolg.

352.

Onomarchos, Feldherr der Phokier, fällt in Thessalien im Kampfe gegen Philipp, welcher von den mit[58] Theben verbündeten Thessălern zu Hilfe gerufen war. Ein athenisches Heer hindert durch Besetzung des Passes von Thermopy̆lä Philipp am Einmarsch in Mittel-Griechenland; die Phokier behaupten sich noch weiter.

Philipp wendet sich wieder nach Thrakien und greift Olynth an. Demosthĕnes, seit 351 (erste Philippika) Führer des nationalen Widerstandes gegen die drohende makedonische Macht, veranlaßt Hilfssendungen der Athener nach Olynth.

348.

Philipp erobert Olynth

durch Verrat, zerstört diese Stadt sowie eine große Zahl kleinerer Orte auf der Halbinsel Chalkidike und verkauft die Einwohner als Sklaven.

346.

Friede zwischen Philipp und den Athenern auf Antrag des Philokrătes. Demosthenes und Äschines Gesandte an Philipp. Dieser zieht, abermals von den Thessalern und Thebanern zu Hilfe gerufen, nach Phokis und gewährt dem phokischen Feldherrn Phalaikos und seinen Söldnern freien Abzug.

346.

Philipp unterwirft die Phokier,

zerstört ihre Städte, wird an ihrer Stelle in den Amphiktyonenbund aufgenommen. In Athen Unwille über sein gewaltsames Vordringen; Demosthenes’ Rede vom Frieden.

344.

Philipp tritt an die Spitze des thessalischen Bundes, unterstützt Argos, Messenien, Elis gegen Sparta. Demosthenes’ zweite Philippika.

343.

Philipp bringt Epirus und einen Teil von Euböa in Abhängigkeit. Äschines, von Demosthenes wegen seines Verhaltens bei der Gesandtschaft angeklagt, wird freigesprochen.

342–341.

Philipp dringt in Thrakien bis zum Pontos vor, gründet Philippopolis am Hebros, unterstützt die Stadt Kardia in ihrem Streit mit den athenischen Kolonisten der thrakischen Chersones (S. 46). Die nationale Partei in Athen (Demosthenes’ dritte Philippika) bringt ein Bündnis hellenischer Staaten (Megarer, Korinther, Euböer, Achäer, Akarnanen u. a.) unter Athens Leitung gegen Philipp zustande.

340.

Philipp belagert vergeblich Perinthos und Byzanz. Die Athener erklären ihm den Krieg, schicken zwei Flotten mit Hilfstruppen (unter Chares und Phokion) nach Byzanz und erzwingen die Aufhebung der Belagerung.

339–338.

(Dritter) Heiliger Krieg gegen Amphissa, nachdem die Amphiktyonen, auf Veranstaltung des[59] von Philipp bestochenen Äschines, die Lŏkrer von Amphissa wegen Aneignung eines dem delphischen Gotte geheiligten Ackers in Strafe genommen hatten. Philipp, von den Amphiktyonen mit der Ausführung des Beschlusses beauftragt, besetzt die Stadt Elateia, welche den Zugang zu Böotien beherrscht. Große Bestürzung in Griechenland. Die Athener rüsten Flotte und Landheer; Demosthenes bringt ein Bündnis mit Theben zustande. Philipp zerstört Amphissa und besiegt die verbündeten Athener, Thebaner, Phokier, Korinther, Achäer in der

338. (Aug.)

Schlacht bei Chaironeia.

Sein Sohn Alexander entscheidet die Schlacht durch Vernichtung der heiligen Schar der Thebaner. Philipp straft die Thebaner hart (Aufhebung der Hegemonie über Böotien, Rückkehr der Verbannten, makedonische Besatzung in der Burg Kadmeia); den Athenern bewilligt er einen günstigen Frieden. Er rückt in die Peloponnes ein, nimmt den Spartanern einen großen Teil ihres Gebietes und gibt es den Messeniern, Argivern und Arkadern.

Makedonische Hegemonie. Auf einer Nationalversammlung zu Korinth, an der nur die Spartaner nicht teilnehmen, läßt sich Philipp zum unumschränkten Heerführer der Griechen gegen die Perser wählen. Im übrigen behalten die griechischen Staaten ihre Selbständigkeit; eine Bundesversammlung (Synedrion) zu Korinth soll ihre Streitigkeiten schlichten.

§ 6. Alexander der Große.

Philipp, der bereits Truppen nach Asien gesandt hat, um den Krieg gegen die Perser zu beginnen, wird 336 von Pausanias, einem seiner Leibwächter, ermordet. Ihm folgt sein von Aristotĕles gebildeter zwanzigjähriger Sohn

336–323.

Alexander der Große.

Er zieht mit Heeresmacht nach Korinth (Diogenĕs) und läßt sich die Machtstellung seines Vaters übertragen, sichert dann die Nordgrenze seines Reiches durch einen Zug gegen die Triballer, Geten und Illyrier, wobei er die Donau überschreitet. Auf die Nachricht von einer Erhebung der Griechen erscheint er 335 zum zweitenmal in Griechenland, schlägt die Thebaner, zerstört Theben mit Ausnahme der Kadmeia, der Tempel und des Hauses des Dichters Pindar (522–422), und läßt die Einwohner als Sklaven verkaufen. Die Athener unterwerfen sich und erhalten Verzeihung. Antipăter bleibt als Reichsverweser in Makedonien zurück.[60]

334.

Zug Alexanders gegen Persien.

Alexander fährt mit 30000 Fußsoldaten und 5000 Reitern (Feldherren Perdikkas, Kleitos, Parmenion, Hephaistion, Kratĕros, Ptolemaios, Antigŏnos) bei Abȳdos über den Hellespont, schlägt die persischen Satrapen und Memnon, den Führer der griechischen Söldner des Dareios, in der

334. (Mai.)

Schlacht am Granīkos,

einem kleinen Flusse in Troas. Rettung Alexanders durch Kleitos.

Alexander zieht südwärts, erklärt die griechischen Städte und Inseln für frei von der persischen Herrschaft (S. 55), erobert Milet und Halikarnassos. Weiterer Marsch durch Karien und Lykien, dann nordwärts in das Innere; Aufenthalt zu Gordion in Phrygien, wo Verstärkungen seines Heeres eintreffen; er löst den gordischen Knoten mit dem Schwert.

333.

Zug durch Kappadokien nach Kilikien, Erkrankung in Tarsos (Bad im Flusse Kydnos, der Arzt Philippos); durch die syrischen Pforten nach der Küstenstadt Myriandros in Syrien. Unterdes ist König Dareios III. (Kodomannos) mit einem großen Heere vom Euphrat herangezogen und den Makedoniern in den Rücken gekommen. Auf die Kunde hiervon kehrt Alexander um und erficht über die Perser in der

333. (Nov.)

Schlacht bei Issos

an der Küste von Kilikien einen glänzenden Sieg. Dareios entkommt, seine Mutter, Gemahlin und Kinder fallen in die Hände des Siegers.

Um die persische Seemacht aufzulösen, erobert Alexander Syrien und Phönikien (7monatige Belagerung der Inselstadt Tyros) dringt dann in Ägypten ein, wird in Memphis als Befreier begrüßt. Gründung der Stadt Alexandreia in trefflich gewählter Lage. Zug durch die libysche Wüste nach der Oase Siwah zum Orakel des Zeus Ammon. Von Ägypten zieht Alexander 331 zurück nach Tyros, dann durch Syrien zum Euphrat, den er bei Thapsakos überschreitet, dann durch Mesopotamien. Jenseits des Tigris schlägt er mit 47000 Mann das vielfach überlegene Heer der Perser in der

331. (Okt.)

Schlacht bei Gaugamēla oder Arbēla

nicht weit von den Ruinen von Ninive. Während Dareios nach Medien entflieht, wendet sich Alexander nach Süden, zieht, ohne Widerstand zu finden, in Babylon ein, nimmt darauf Susa, dringt durch die persischen Pässe, zieht als Sieger in Persepŏlis und Pasargădä ein. Verbrennung des Königspalastes der Achämeniden in Persepolis,[61]

330.

Alexander zerstört das Perserreich.

Dareios flieht weiter nach Osten; Alexander zieht in Agbatana ein, gelangt dann durch die kaspischen Pässe nach Parthien. Dareios wird in der Nähe von Hekatompylos von dem Satrapen Bessos ermordet, der nach Baktrien entweicht und den Königstitel annimmt. Die Leiche des Königs auf Alexanders Befehl feierlich in Pasargadä bestattet. In Hyrkanien unterwerfen sich dem Sieger die noch übrigen griechischen Söldner des Dareios. Alexander zieht weiter durch Areia nach Drangiana; hier wird in Prophthasia die Verschwörung des Philōtas entdeckt. Er wird vom Heere verurteilt und hingerichtet, sein Vater Parmenion wird auf Alexanders Befehl in Agbatana getötet. Dann Zug durch Arachosien bis zum Fuße des Paropamīsos (Hindukusch).

329.

Alexander überschreitet den Paropamisos und dringt in Baktrien ein; Bessos wird ihm ausgeliefert und hingerichtet. Dann Zug durch Sogdiana bis zum Jaxartes (Sir Darja), wo er an der Grenze gegen die Skythen die Stadt Alexandreia Eschăte gründet. Durch einen gefährlichen Aufstand unter Spitamĕnes wird er längere Zeit in diesen Gegenden festgehalten. In Marakanda (jetzt Samarkand) ersticht er im Jähzorn den Kleitos 328. In Baktra Vermählung mit Roxane, der Tochter eines baktrischen Fürsten. Alexander beginnt orientalische Kleidung und Lebensweise anzunehmen. Verurteilung seines Jugendgefährten Kallisthĕnes, der dies mißbilligte.

327–325.

Zug Alexanders nach Indien.

Mit seinem durch asiatische Truppen ansehnlich verstärkten Heere gelangt Alexander unter harten Kämpfen mit den Bergvölkern zum Indus, überschreitet den Strom und betritt das Fünfstromland (Pendschab). Vereint mit dem indischen Fürsten von Taxila (Taxĭles), der sich ihm unterwirft, besiegt er in der

326.

Schlacht am Hydaspes

den Pōros, der gefangen, großmütig behandelt und als Vasall wieder in seine Herrschaft eingesetzt wird.

Gründung der Städte Nikäa und Bukephăla. Alexander rückt nach Osten bis zum Hyphăsis vor. Hier weigern sich die Makedonier weiter zu marschieren; Alexander entschließt sich zur Umkehr, führt aber seinen Vorsatz, den Ozean zu erreichen, durch. Bau einer großen Flotte, auf der ein Teil des Heeres den Hydaspes hinab in den Akesĭnes einfährt, während der andere (mit 200 Elefanten) am Flußufer entlang marschiert. Kampf mit den Mallern; Alexanders tollkühne Tapferkeit und schwere Verwundung. Nach seiner Genesung setzt er Marsch[62] und Fahrt fort und gelangt zum Einfluß der vereinigten Pendschabströme in den Indus.

325.

Fahrt und Zug den Indus hinunter. Kratĕros tritt mit einem Teile des Heeres auf dem näheren Wege nach Westen den Rückzug nach Persien an, Alexander marschiert und fährt mit dem andern Teile bis zum Indus-Delta. Hier läuft die Flotte unter Nearchos in den Indischen Ozean ein (Ebbe und Flut). Nearchos fährt die Küste nach Westen entlang in den Persischen Meerbusen, während Alexander mit dem Landheer durch das wüste Gedrosien (Belutschistan) zieht. Nach beschwerlichem Marsche kommt er in Karmanien an, trifft mit Kratĕros zusammen und später an der Küste mit Nearchos, der dann weiter fahren und die Mündung des Euphrat und Tigris erkunden muß. Damit ist der Seeweg von Babylon nach Indien erforscht.

324. (Jan.)

Rückkehr Alexanders nach Persien und Strafgericht über habsüchtige und grausame Statthalter, die den König und sein Heer für verloren gehalten hatten. Ankunft in Susa. Hier enthüllt Alexander seinen großen Plan, den Orient zu hellenisieren, Sieger und Besiegte zu einer Nation zu verschmelzen und ein großes makedonisch-persisches Weltreich zu gründen. Er vermählt sich mit Stateira, der älteren Tochter des Königs Dareios III., sein Feldherr Hephästion mit der jüngeren; viele Offiziere des Heeres und über 10000 Soldaten nehmen asiatische Frauen. Große Pläne zur Eröffnung neuer Handelswege (Umfahrt Arabiens), zum Bau von Verkehrsstraßen für die mehr als 70 in allen Provinzen des Reiches gegründeten griechischen Städte. Alexander beansprucht als Nachfolger des »Großkönigs« göttliche Verehrung.

324. (Juli.)

Aufstand des makedonischen Heeres in Opis am Tigris, durch Alexanders Mut und Klugheit beschwichtigt. Entlassung der reich belohnten Veteranen unter Kratĕros nach Makedonien, während Antipăter von dort neue Truppen herbeiführen soll. — Zug nach Agbatana, wo Hephästion stirbt. Im Lager unweit Babylon erscheinen vor Alexander zahlreiche Gesandtschaften aus Griechenland, Italien und Afrika (Karthago). Von Babylon aus wird eine Erforschung des Euphrat unternommen.

323. (Juni.)

Tod Alexanders des Großen

in dem zur Hauptstadt des neuen Weltreichs bestimmten Babylon.

In Griechenland erheben sich 330 die Spartaner unter ihrem Könige Agis III., Antipăter besiegt sie in der blutigen Schlacht bei Megalopŏlis. Gleich darauf in Athen Prozeß des Äschines gegen Ktesiphon, welcher 336 einen Ehrenkranz für Demosthenes[63] beantragt hatte. Äschines geht nach der glänzenden Verteidigungsrede des Demosthenes in die Verbannung nach Rhodos. Neue Aufregung 324, als Alexanders Schatzmeister Harpălos nach Griechenland flüchtet und Alexander das Gebot verkünden läßt, ihn als Gott zu verehren und die Verbannten wieder aufzunehmen. Demosthenes, fälschlich angeklagt wegen Veruntreuung der dem Harpalos abgenommenen Gelder, wird nun verbannt, kehrt aber bald zurück und bewirkt, als die Kunde von Alexanders Tode kommt, in Gemeinschaft mit Leosthĕnes und Hypereides eine Erhebung der Griechen unter Athens Führung,

323–322.

Lamischer Krieg.

Die Hellenen kämpfen anfangs glücklich unter Leosthĕnes und schließen Antipăter in Lamia ein, doch wird er durch ein von Leonnātos herangeführtes Entsatzheer befreit. Auch Kratĕros mit den Veteranen Alexanders kommt ihm zu Hilfe; beide vereinigt siegen bei Krannon in Thessalien (322). Das griechische Heer zerstreut sich, die Staaten unterwerfen sich einzeln. Die Athener müssen eine makedonische Besatzung in Munychia aufnehmen und die demokratische Verfassung beschränken (Phokion und Demādes an der Spitze des Staats), das Bürgerrecht wird an einen Census geknüpft. Demosthenes flüchtig, nimmt auf der Insel Kalaurĭa (an der Küste von Argŏlis) Gift (322).

§ 7. Hellenistische Zeit.

323–301.

Kämpfe der Diadochen (Nachfolger Alexanders).

Diese langen und verwickelten Kämpfe, die unmittelbar nach Alexanders Tode ausbrechen, zerstören das kaum gegründete makedonisch-persische Weltreich, führen aber das von Alexander begonnene Werk der Hellenisierung des Orients, der Ausbreitung griechischer Kultur und Sprache, in anderer Weise erfolgreich weiter.

Perdikkas wird 323 zum Reichsverweser ernannt für die regierungsunfähigen »Könige«, Alexanders Halbbruder Philipp Arrhidaios († 317) und seinen nachgeborenen Sohn von der Roxane, Alexander († 311). Die Verwaltung Makedoniens und seiner Nebenländer führen Antipăter und Kratĕros. Auch die übrigen Feldherren erhalten Statthalterschaften, namentlich Ptolemaios: Ägypten; Antigŏnos: Groß-Phrygien, Pamphylien und Lykien; Eumĕnes, Alexanders Geheimschreiber: Paphlagonien und Kappadokien, die er noch erobern soll; Leonnātos († 322): das hellespontische Phrygien; Lysimachos: Thrakien. Der Plan des Perdikkas, sich selbst zum Könige zu[64] machen, bewirkt ein Bündnis der meisten übrigen Feldherren gegen ihn; er wird auf einem Zuge gegen Ptolemaios von seinen eigenen Truppen getötet.

321.

Antipăter Reichsverweser, neue Verteilung der Statthalterschaften, wobei namentlich Seleukos die Satrapie Babylon erhält. Krieg zwischen Antigŏnos und Eumĕnes.

319.

Polysperchon Reichsverweser, gelangt zu keinem Ansehen. In den fortdauernden Kämpfen siegt Antigŏnos in Kleinasien über Eumĕnes; Kassander, Antipaters Sohn, gewinnt die Herrschaft in Makedonien, läßt Alexanders Mutter Olympias töten und vermählt sich mit Alexanders Schwester Thessalonīke, gründet ihr zu Ehren eine bald aufblühende Handelsstadt (jetzt Saloniki).

Da Antigŏnos das ganze Reich unter seine Botmäßigkeit bringen will, so entsteht ein.

315–301.

Krieg zwischen Antigŏnos und den übrigen Statthaltern.

Antigŏnos und sein Sohn Demetrĭos Poliorkētes (der Städtebelagerer) nehmen 306 den Königstitel an. Diesem Beispiele folgen Ptolemaios, Seleukos, Lysimachos, Kassander.[17]

Demetrios belagert 304 vergeblich die feste Stadt Rhodos, sucht dann sich in Griechenland festzusetzen.

301.

Schlacht bei Ipsos (in Phrygien).

Antigŏnos fällt, sein Sohn Demetrĭos entflieht und führt mehrere Jahre lang ein abenteuerliches Freibeuterleben.

In Asien für die nächste Zeit Friede; in Europa dauern die Kämpfe fort. Nach Kassanders Tode (297) bemächtigt sich Demetrios der Herrschaft in Makedonien, wird aber 287 vertrieben und stirbt als Gefangener in der Gewalt des Seleukos in Syrien. Sein Sohn Antigŏnos Gonātas behauptet sich nach wechselvollen Kämpfen im Besitz Makedoniens.

Aus dem Weltreich Alexanders d. Gr. sind drei große Monarchien entstanden (Ägypten, Syrien, Makedonien), in denen Griechisch die Sprache des Hofes, der Regierung und der Gebildeten ist. Daneben mehrere kleinere Monarchien, griechische Freistädte und im Osten halbgriechische Staaten (S. 65ff).

1. Ägypten unter den Ptolemäern.
323–285.

Ptolemaios I. Lagi (d. h. Sohn des Lagos), auch Sotēr genannt, weil er den Rhodiern Hilfe brachte,[65] sorgt für gute Verwaltung, herrscht auch über Cypern, setzt in Kyrene seinen Stiefsohn Magas ein.

285–247.

Ptolemaios II. Philadelphos gründet in der Hauptstadt Alexandrīa das Museum und die Bibliothek, gewinnt im Kriege gegen das Seleukidenreich Phönikien, Cölesyrien und die Südküste Kleinasiens.

247–221.

Ptolemaios III. Euergĕtes (der Wohltäter) behauptet noch den Umfang des Reiches, fördert Wissenschaften und Künste. Mit Ptolemaios IV. Philopātor (221–205) beginnt der Verfall; unter Ptolemaios V. Epiphănes (205–181) beginnt die Abhängigkeit von den Römern, doch erst 30 v. Chr. wird Ägypten römische Provinz.

2. Syrien unter den Seleukiden.
321–281.

Seleukos I. Nikātor herrscht weithin nach Osten bis zu den durch Alexander festgesetzten Grenzen; nur das Indusland wird aufgegeben (S. 16). Viele griechische Städte gegründet (Seleukeia am Tigris, Edessa, Hekatompylos); Residenz Seleukeia neben Antiochīa am Orontes. Durch den Sieg bei Ipsos gewinnt er einen großen Teil Kleinasiens, erweitert dies Gebiet 281 durch den Sieg in der Koros-Ebene (im hellespontischen Phrygien) über Lysimăchos, fällt aber bald darauf durch Mörderhand.

281–261.

Antiochos I. Soter schlägt die Gallier zurück (s. S. 66), behauptet noch den Umfang des Reiches. Unter Antiochos II. Theos (261–248) entstehen selbständige Königreiche in Baktrien und Parthien.

222–187.

Antiochos III. der Große kämpft gegen Ägypten, gegen die Parther und Baktrer, wird 190 von den Römern gedemütigt, behält aber immer noch ein ansehnliches Reich.

167–130.

Befreiungskampf der Juden unter Führung der Makkabäer (Mattathias und seine Söhne) gegen Antiochos IV. Epiphănes und dessen Nachfolger. Palästina wird ein unabhängiger Priesterstaat, seit 63 unter römischem Schutze.

83.

Tigrānes, König von Armenien, macht dem durch das Vordringen der Parther geschwächten Seleukidenreiche ein Ende.

64.

Syrien wird römische Provinz.

Das Reich der Parther, die unter den Arsakiden (250 vor Chr. bis 226 nach Chr.) alle Länder zwischen Euphrat und Indus erobern, bildet im Orient einen Damm erst gegen den Hellenismus, dann gegen die Römerherrschaft.[66]

3. Die kleinasiatischen Länder.

a) Bithynien, das sich 298 von dem thrakischen Reich des Lysimachos losriß; Residenz Nikomedeia, gegründet um 264 von König Nikomedes I. Nikomedes III. setzt 74 die Römer zu Erben ein.

b) Das pergamenische Reich unter den Attaliden mit der Hauptstadt Pergămon in Mysien,[18] nach Lysimachos’ Tode 281 selbständig, aufblühend unter König Attălos I. († 197), der die Galater (s. u.) zurückschlug und die Bibliothek gründete, und seinem Sohne Eumenes II. († 159), dem treuen Bundesgenossen der Römer. Attalos III. setzt 133 die Römer zu Erben ein.

c) Die griechischen Seestädte, namentlich Sinōpe, Herakleia am Pontus, Lampsăkos, Smyrna, Ephesos, Rhodos.

d) Der Bundesstaat der Galăter, gegründet von gallischen Heerhaufen, welche 280 in Makedonien und Griechenland einbrachen, dann den Hellespont überschritten und sich in Phrygien niederließen; drei Stämme (Tolistobojer, Tektosagen, Trokmer) unter je 4 Tetrarchen; Hauptstädte Ankȳra (Angora) und Pessinūs.

e) Kappadokien, Pontus, Armenien, drei Königreiche unter einheimischen Dynastien, welche ebenso wie die Galăter nur zum Teil griechische Kultur annahmen.

4. Makedonien unter den Antigoniden.

Antigonos Gonātas (277–239) beruhigt das durch die Thronkämpfe und den Einfall der Gallier verwüstete Land, gibt die Ansprüche auf Herrschaft über Griechenland nicht auf. Sein zweiter Nachfolger Antigonos Doson (229–220) befestigt diese Herrschaft aufs neue (s. S. 68); Philipp V. (220–179) muß 197 darauf verzichten. Perseus (179–168) wird von den Römern entthront; 146 wird Makedonien römische Provinz.

5. Die altgriechischen Länder.

In Italien (Großgriechenland) behaupten sich die Griechenstädte, besonders Tarent, Thurii, Metapont, Lokri, öfters vom Mutterlande her unterstützt (338 Archidamos von Sparta, Sohn des Agesilaos, 330 Alexander von Epirus, Bruder der Olympias), gegen Angriffe der Lukaner und Bruttier; ebenso in Gallien Massalia gegen die einheimischen Stämme. Später treten sie unter römische Schutzherrschaft, Massalia erst 125 v. Chr.[67]

Syrakus behauptet nach Abwehr des athenischen Angriffs (S. 50) noch lange eine bedeutende Stellung.

406–367.

Dionysios I., Tyrann nach glücklicher Abwehr der Karthager. Er vereinigt die sicilischen Griechenstädte unter seiner oft grausamen Herrschaft, unterwirft auch Rhegion und Kroton, bekämpft noch dreimal die Karthager. Auf Veranlassung seines Schwagers Dion verweilt der athenische Philosoph Platon eine Zeitlang an seinem Hofe. Ihm folgt sein Sohn

367–344.

Dionysios II., anfangs unter Leitung des Dion und Platon. Er wird 357 von Dion vertrieben, wendet sich nach Lokri, kehrt 346 zurück, wird 344 von dem korinthischen Feldherrn Timoleon besiegt und nach Korinth gesandt, wo er noch einige Jahre als Privatmann lebt.

339.

Timoleon, der Befreier Siciliens, schlägt die Karthager am Flusse Krimīsos.

317–289.

Agathŏkles, Tyrann von Syrakus, bekämpft die Karthager in Afrika, erkennt aber schließlich ihre Herrschaft über den Westen Siciliens an.

278–276.

Pyrrhos, König von Epirus, schützt die sicilischen Städte gegen Angriffe der Karthager.

270–215.

Hieron II., König von Syrakus, schließt mit den Römern ein Bündnis. Unter seiner milden Regierung blüht die Stadt wieder auf.

212.

Syrakus von den Römern erobert, wird zinspflichtige Provinzialstadt.

In Athen kommt während des Kampfes gegen Kassander (S. 64) die demokratische Partei noch einmal zur Herrschaft; Phokion wird 318 zum Giftbecher verurteilt. Bald aber muß Athen sich der makedonischen Macht wieder unterwerfen. Demetrios von Phalēron regiert als Statthalter Kassanders, wird 307 von Demetrios Poliorkētes vertrieben. Nach der Schlacht bei Ipsos versucht Athen seine Freiheit wieder herzustellen, wird aber 294 dem Demetrios Poliorkētes als König von Makedonien untertan.

266–263.

Befreiungskrieg der Athener unter Glaukon und Chremonides, doch ohne Erfolg.

229.

König Antigonos Doson zieht, auf Verwendung des Aratos (s. S. 68), die makedonische Besatzung zurück. Athen ist fortan selbständig, aber ohne politische Macht, es bleibt jedoch Sitz der Bildung und Gelehrsamkeit.

Theben, von Kassander wieder hergestellt (vgl. S. 59), sendet 278 zusammen mit Athen, Phokis, Lokris und den Ätolern ein Heer zur Verteidigung des Thermopylenpasses gegen die durch Makedonien vordringenden Gallier (S. 66); diese erobern den Paß, kehren aber um nach einer Niederlage bei Delphi.[68] Thessalien, Euböa, Korinth sind um diese Zeit makedonisch. Die vollständige Unterwerfung Griechenlands unter die makedonische Herrschaft verhindert der um

280.

erweiterte Ätolische Bund und der zur selben Zeit erneuerte Achäische Bund.

Letzterer gelangt zu ansehnlicher Macht durch den von Arātos bewirkten Beitritt der Städte Sikyon und Korinth; aus Korinth wird 243 die makedonische Besatzung vertrieben. Bald schließen sich Megara, Megalopolis, Argos u. a. peloponnesische Städte dem Achäischen Bunde an. Verfassung des Bundes: An der Spitze ein jährlich gewählter Feldherr (Strategos), ihm zur Seite ein Kanzler (Grammateus) und ein Rat von 10 Demiurgen; in den Bundesversammlungen (zu Ägion) dürfen alle über 30 Jahre alten Bürger der verbündeten Städte erscheinen, jede Stadt hat eine Stimme. Ähnlich ist die Verfassung des Ätolischen Bundes, zu welchem auch Lokris, Phokis, Teile von Akarnanien und Thessalien gehören.

In Sparta, das unter der Herrschaft einer reichen Oligarchie entartet ist, büßt der junge König Agis IV. den Versuch, die lykurgischen Einrichtungen herzustellen, mit dem Leben (241). Besseren, aber nur vorübergehenden Erfolg hat der gleiche Versuch des Königs Kleomĕnes III., welcher die Ephoren überfallen und töten läßt, 80 Oligarchen verbannt und eine Verfassungsreform durchsetzt (226). Aber unheilvoll ist die Feindschaft zwischen Sparta und dem Achäischen Bunde. Arātos ruft den makedonischen König Antigŏnos Doson herbei und übergibt ihm die Burg von Korinth. Die Spartaner werden in der

221.

Schlacht bei Sellasĭa

geschlagen; Kleomĕnes flieht, stirbt 220 in Ägypten. Antigonos rückt in Sparta ein und stellt dort die Herrschaft der Oligarchen wieder her. Die makedonische Oberhoheit wird durch Abschluß eines makedonisch-hellenischen Bundes befestigt. Dagegen erhebt sich ein neuer Krieg von Seiten des Ätolischen Bundes, mit welchem die Spartaner sich verbinden; die Peloponnes wird furchtbar verwüstet (220–217).

Nach kurzer Friedenszeit abermals Krieg (211–205) der mit Rom verbündeten Ätōler und Spartaner gegen Philipp V. von Makedonien; dieser behauptet die Herrschaft über Thessalien, Euböa, Phokis, Lokris, Korinth. Im dritten Kriege (200–197) schließt sich auch der Achäische Bund den Feinden Philipps an.

197.

Aufhebung der makedonischen Herrschaft über Griechenland. Die Römer walten fortan als Schiedsrichter über den griechischen Staaten.[69]

192.

Philopoimen, Feldherr des Achäischen Bundes, bringt Sparta zum Anschluß an den Bund, nachdem der von ihm bekämpfte Tyrann Nabis gefallen ist. Bald schließen auch Elis und Messenien sich an; die Freundschaft mit Rom wird aufrecht erhalten.

189.

Die Ätoler wegen feindlicher Erhebung gegen Rom bestraft.

183.

Philopoimen von den abtrünnigen Messeniern gefangen und getötet; der Achäische Bund durch Streitigkeiten zerrüttet.

167.

Tausend angesehene Achäer werden zur Verantwortung nach Rom gefordert.

146.

Krieg des Achäischen Bundes gegen Rom, veranlaßt durch Klagen der Spartaner gegen den Bund. Der Bundesfeldherr Kritolāos wird von Q. Caecilius Metellus bei Skarpheia am Malischen Meerbusen besiegt, sein Nachfolger Diaios von L. Mummius bei Leukopĕtra auf dem Isthmos.

146.

Korinth von den Römern erobert und zerstört.

Die griechischen Staaten werden zum Teil tributpflichtig; sie behalten ihre eigene Verfassung und Verwaltung, stehen aber fortan unter der Aufsicht des römischen Statthalters von Makedonien.

27.

Einrichtung der römischen Provinz Achaja (Peloponnes, Mittel-Griechenland, Thessalien und Epirus).

§ 8. Griechische Kunst und Wissenschaft.

Das in Griechenland frühzeitig entwickelte Geistesleben (S. 28 f., 37 f.), welches in Athen zu Perikles’ Zeit zu hoher Blüte gelangte (S. 46), hat auch nachher noch mannigfaltige und bedeutende Erscheinungen aufzuweisen.

In der bildenden Kunst sind berühmte Zeitgenossen des Pheidias Myron von Eleutherä in Böotien (Diskobolos) und Polykleitos von Argos (Hera in Argos); Schüler des Pheidias Alkamĕnes und Paionios (Skulpturen in Olympia). Dann folgen Skopas von Paros (Mausoleum zu Halikarnaß 350, Niobegruppe) und Praxitĕles von Athen (Hermes zu Olympia); in Alexanders Zeit der Erzgießer Lysippos von Sikyon. Nach den Diadochenkämpfen die pergamenische Kunstschule (Zeusaltar zu Pergamon, der sterbende Fechter) und die rhodische Kunstschule (Laokoongruppe, farnesischer Stier).

Als Maler ragen hervor Zeuxis von Herakleia, Parrhasios von Ephesos (beide in Athen zu Sokrates’ Zeit), Apelles von Kos in Alexanders Zeit.

In Athen entfaltete sich Philosophie, Geschichtschreibung und Beredsamkeit zur höchsten Blüte; Platon von Athen[70] (427–347) und seine Nachfolger (Akademiker) lehrten in der Akademie, Aristoteles von Stageira, Lehrer Alexanders des Großen (388–322), lehrte im Lykeion; seine Schüler die Peripatetiker. Um 300 gründete Zenon von Kition in der Stoa (Halle) die Schule der Stoiker, Epikūros von Samos die Schule der Epikureer. Diese vier Philosophenschulen erhalten sich bis weit in die römische Kaiserzeit hinein.

Geschichtschreiber: Xenophon von Athen, Ephŏros von Kyme, Theopompos von Chios († um 320), Timaios von Tauromenion († um 250). Redner: Antĭphon, Lysias, Isokrătes († 338), Demosthenes († 322), Äschines, Hypereides, Lykurgos.

Dichter der neuern Komödie: Philēmon und Menander um 300 zu Athen.

In Alexandria um 270 die Dichter Kallimachos von Kyrene, Theokrit von Syrakus, Apollonios, der später in Rhodos lebte; der Mathematiker Eukleides um 300, der Geograph Eratosthĕnes um 240, die Grammatiker Zenodotos um 280, Aristarchos um 180 (Erklärung des Homer).

Für die Aufnahme der griechischen Bildung bei den Römern waren besonders wirksam der Stoiker Panaitios von Rhodos und der Geschichtschreiber Polybios von Megalopolis, beide mit dem jüngeren Scipio befreundet (um 146). Nachblüte der griechischen Literatur und Kunst in der römischen Kaiserzeit.

E. Die Römer.

Italia,[19] ursprünglich Name des südlichsten Teils der Halbinsel, wird allmählich Gesamtname. Ursprünglich von sehr verschiedenen Völkerschaften bewohnt, gelangt Italien durch die Machtausbreitung der Stadt Rom zu nationaler und politischer Einheit, ohne die landschaftlichen Unterschiede zu verlieren.

Als älteste Einwohner erscheinen in Ober-Italien westlich die Ligŭrer, östlich die Venĕter, beides illyrische Stämme. Ihnen verwandt sind in Unter-Italien die Japyger. Die Mitte der Halbinsel bewohnen westlich die Latiner und Ausoner (Latium und Campanien), östlich die Umbrer und die sabellischen Stämme, welche sich erobernd ausbreiten: nach Latium dringen die Aequer und Volsker vor, in südlicher Richtung die Samniten und Lucaner, im Stammlande bleiben die Sabiner.

Höhere Kultur entwickelt sich zuerst bei den Etruskern oder Tyrrhenern (etrusk. Rasenna), die in Etrurien und in der[71] mittleren Po-Ebene wohnen, unter phönikischem Einfluß (s. S. 13). Sie gründen Städte und stehen seit etwa 750 v. Chr. in lebhaftem Handelsverkehr mit Karthagern und Griechen. In den Gräbern (Gewölbebauten) bei Tarquinii, Caere, Clusium, Bononia (jetzt Bologna) haben sich bedeutende Reste ihrer Kultur erhalten: Wandmalereien, Goldschmuck, Waffen, Tongefäße. Sie dringen um 600 v. Chr. erobernd vor nach Latium und Campanien, werden aber gehemmt durch die selbständige Entwickelung Roms und verlieren seit 438 Campanien an die vordringenden Sabeller. In die Po-Ebene dringen um diese Zeit keltische Stämme von Norden her ein; nach ihnen heißt dieses Land fortan Gallia cisalpina.

In Latium bestand in alter Zeit ein Bund von 30 Gemeinden mit jährlichem Bundesfest auf dem Albanerberge zu Ehren des höchsten Gottes Juppiter; Vorort war Alba longa, auf halber Höhe des Berges gelegen. Rom, als Grenzplatz gegen die Etrusker gegründet, verstärkt durch Aufnahme von Sabinern, erhebt sich zur herrschenden Stadt. An der Spitze der Latiner unterwirft es die andern Völker Italiens nach und nach und wird dann Mittelpunkt eines Weltreiches. Die ältere Geschichte Roms ist in der Überlieferung sagenhaft ausgeschmückt.

§ 1. Zeit der Königsherrschaft. (753–510.)

Gründungssage: König Numĭtor von Alba longa, Nachkomme des mit trojanischen Flüchtlingen in Latium gelandeten Aenēas, wird von seinem Bruder Amulĭus des Thrones beraubt, sein Sohn getötet, seine Tochter Rea Silvia, damit das Geschlecht des Numĭtor aussterbe, unter die vestalischen Jungfrauen aufgenommen. Die Zwillinge Romŭlus und Remus, Söhne der Rea Silvia und des Kriegsgottes Mars, befiehlt Amulĭus in den über die Ufer getretenen Tiber zu werfen. Die Kinder werden gerettet, von einer Wölfin gesäugt und von dem königlichen Hirten Faustŭlus auferzogen. Zu Jünglingen herangewachsen, machen Romulus und Remus an der Spitze anderer Hirten Jagd- und Beutezüge. Remus wird gefangen und vor Numitor geführt, dieser erkennt seine Enkel. Sie töten den Amulius, setzen Numitor wieder als König ein und gründen mit seiner Erlaubnis an der Stelle des Tiberufers, wo sie einst ausgesetzt wurden, eine Stadt. Bei dem Streit darüber, wer sie nach seinem Namen nennen und beherrschen soll, wird Remus getötet; Romulus, alleiniger König, gründet die Stadt Roma auf dem Hügel Palatinus. Als Gründungstag galt seit Varro (1 Jahrh. vor Chr.) der 21. April (Fest der Hirtengöttin Pales) des Jahres 753 v. Chr.

Romulus, kriegerischer König, nimmt Flüchtlinge aus anderen Städten auf (Asyl auf dem Mons Capitolinus), erwählt[72] einen Senat von 100 Mitgliedern. Raub der Sabinerinnen beim Fest der Consualia; deshalb Krieg mit den Nachbarstädten Caenina, Antemnae, Crustumerium (Romulus gewinnt die ersten spolia opima) und mit den Sabinern, deren König Titus Tatius sich durch den Verrat der Tarpeia des Burgfelsens bemächtigt. Die Schlacht zwischen Römern und Sabinern wird durch die geraubten Sabinerinnen unterbrochen. Vereinigung der Römer und Sabiner zu einem Staate unter gemeinschaftlicher Regierung des Romulus und Tatius bis zu des letzteren Tode. Romulus führt Kriege gegen die Etruskerstädte Fidenae und Veii. Er wird während eines Gewitters zu den Göttern entrückt und fortan als Gott Quirīnus verehrt.

Numa Pompilius, aus Cures, nach einjährigem Interregnum von den Römern aus den Sabinern erwählt. Friedlicher König, Ordner des römischen Gottesdienstes, nach dem Rat der Camene Egerĭa, seiner Gemahlin. Janustempel, ein in Kriegszeiten geöffnetes Tor zwischen den beiden Ansiedelungen auf dem Palatinus und Quirinalis, am Fuße der gemeinschaftlichen Burg auf dem Capitol. Einsetzung der Pontifices, Augŭres, Flamĭnes, Salii, Fetiales, virgines Vestales.

Tullus Hostilius, kriegerischer König. Krieg mit Veii und Fidenae, Verrat des Diktators von Alba, Mettius Fuffetius, der von Pferden gevierteilt wird. Alba longa zerstört (Horatier und Curiatier), die Bewohner siedeln nach Rom über.

Ancus Marcius, Enkel des Numa, zugleich friedlicher und kriegerischer König (»et Numae et Romuli memor«). Er stellt die von seinem Vorgänger vernachlässigten gottesdienstlichen Ordnungen wieder her und verpflanzt die Einwohner kleiner latinischer Ortschaften nach Rom, gilt deshalb als Begründer der Plebs (S. 74). Befestigung des Ianiculum, Bau der Pfahlbrücke (pons sublicius) über den Tiber. Gründung der Hafenstadt Ostĭa.

Tarquinius Priscus, aus der etruskischen Stadt Tarquinii mit seiner Gemahlin Tanaquil nach Rom eingewandert (ihm wird griechische Abstammung von dem Bakchiaden Demaratus aus Korinth zugeschrieben), wird Vormund der Söhne des Ancus und zum römischen Könige gewählt. Er beginnt den Bau des Juppitertempels auf dem Kapitol, der Kloaken (Abzugsgräben für die Niederungen zwischen den Hügeln der Stadt) der Stadtmauer und des Circus maximus. Der Senat wird auf 300 Mitglieder gebracht (patres minorum gentium). Verdoppelung der Zahl der Ritter; der Augur Attus Navius widersetzt sich der Bildung neuer Rittercenturien. Kriege gegen Sabiner und Latiner. Nach Ermordung des Tarquinius durch die Söhne des Ancus wird durch die List der Tanaquil König

Servius Tullius, Sohn der Sklavin Ocrisia und eines Gottes, von Tanaquil infolge eines Wunderzeichens königlich[73] erzogen, Schwiegersohn des Tarquinius. Krieg gegen Veii, Aufnahme Roms in den latinischen Bund. Bau der Ringmauer um die 7 Hügel der Stadt (Palatinus, Capitolinus, Aventinus, Caelius, Esquilinus, Viminalis, Quirinalis), Einrichtung des Census und der Centurieneinteilung (s. S. 74). Servius Tullius wird ermordet von seinem Schwiegersohn

Tarquinius Superbus, den die Sage als grausamen Despoten darstellt. Er befragt den Senat nicht und zwingt das Volk zu Frondiensten beim Bau des kapitolinischen Tempels; er unterwirft sich den latinischen Bund, bemächtigt sich durch die List und den Verrat seines Sohnes Sextus der Stadt Gabii. Er erwirbt die sibyllinischen Bücher, sendet aber seine Söhne auch zum delphischen Orakel, wohin sie ihr Vetter L. Iunius Brutus begleitet, der den Spruch des Orakels am besten versteht. Während der Belagerung von Ardĕa Frevel des Sextus Tarquinius gegen Lucretia, die Gemahlin des L. Tarquinius Collatinus. Diese tötet sich selbst; Brutus ruft vor ihrem Leichnam das Volk in Rom zu den Waffen und wiegelt das Heer gegen den König auf, der die Tore der Stadt verschlossen findet und in die Verbannung geht.

Die letzten drei Könige gehören einer etruskischen Dynastie an; durch ihre Vertreibung wird Rom wieder eine latinische Stadt.

Religion. Die altitalischen Götter wurden nicht wie die griechischen menschenähnlich gedacht, sondern als unsichtbare Gewalten; Tempel und Götterbilder wurden allmählich eingeführt unter griechischem Einfluß, zuerst bei den Etruskern. Janus, Saturnus, Juppiter, Mars (Quirinus), Juno, Vesta, Ceres, Minerva sind italische Gottheiten, die später mit griechischen Göttern gleichgestellt wurden; ihre Verehrung wurde von besonderen Priestern geleitet (drei Flamines: Dialis, Martialis, Quirinalis: zwölf Salii, Diener des Mars, Träger der heiligen Schilde, ancilia; sechs Vestalinnen). Neben diesen Hauptgöttern viele andere, die als Beschützer des Landbaues an bestimmten Festen und heiligen Stätten verehrt wurden: Pales, Consus, Ops, Faunus, Silvanus, Terminus, Feronia, Flora, Pomona, Vertumnus u. a. Als Beschützer des Hauses und der Vorräte wurden die Lares und Penates angerufen. Auch sittliche Begriffe wurden als Götter gedacht und verehrt: Fides, Pietas, Honor, Virtus, Fortuna, Concordia.

Den Willen der Götter erforschten die Augŭres aus Himmelszeichen (Donner und Blitz), Vogelflug (Auspicien) und anderen Zeichen; aus Etrurien kamen die Haruspĭces hinzu, die namentlich aus den Eingeweiden der Opfertiere weissagten. Besondere Priester hatten die im kapitolinischen Tempel aufbewahrten sibyllinischen Bücher aufzuschlagen. Die Aufsicht über den gesamten Götterdienst, auch über die von einzelnen[74] Geschlechtern und Genossenschaften (z. B. den fratres Arvales) dargebrachten Opfer hatten die Pontifices; ihnen lag daher auch die Ordnung des Kalenders ob. Verträge mit fremden Völkern unter heiligen Gebräuchen zu schließen und zu lösen war die Aufgabe der Fetiales.

Älteste Verfassung: Das Bürgerrecht umfaßt commercium, conubium, suffragium, honores (Berechtigung zu Ämtern). Die Hausväter (patres) mit ihren nächsten Angehörigen (patricii) bilden die Bürgergemeinde (populus) und zugleich die Kriegerschaft (Quintes). Sie sind eingeteilt in drei Stämme (tribus), die Ramnes, Tities und Luceres, jeder Stamm in 10 curiae, jede Curie in 10 gentes (Geschlechter). Die vom Könige zu einer Mitteilung oder Befragung berufene Bürgergemeinde der Patrizier bildet die comitia curiata. Der von ihnen erwählte König übt die Befehlsgewalt (Imperium) als oberster Priester, Richter und Heerführer aus. Beratend steht ihm zur Seite der Senat (Rat der Ältesten); er bestellt, wenn das Königtum erledigt ist, aus seiner Mitte den interrex, alle 5 Tage wechselnd. Die außerhalb der Geschlechter stehenden Schutzverwandten, welche einen Beschützer (patronus) haben müssen, heißen diesem gegenüber clientes (Hörige, von cluēre). Ihre Nachkommen, vermehrt durch Einwohner der im Kriege unterworfenen latinischen Nachbargemeinden, bilden allmählich eine Gemeinde der Nichtbürger (plebs oder plebes, verwandt mit pleo, plenus, die Menge). Sie sind ohne politische Rechte. Ihre erste Ansiedelung auf dem Aventinus.

Die Änderung dieser Verfassung beginnt mit der Heranziehung der Plebejer zum Kriegsdienst durch die dem Servius Tullius zugeschriebene Heeres- und Steuerverfassung. Er bildet 18 Reitercenturien und 80 Centurien schwerbewaffnete Fußsoldaten; Besitzmaß 20 Morgen Land, nach späterem Ansatz in Geld 100000 As.[20] Zu dieser ersten Klasse der Bürger treten vier weitere hinzu, 90 Centurien mit leichterer Bewaffnung, ohne Panzer, dem geringeren Besitz entsprechend; 2 besondere Centurien bilden die Schmiede und Zimmerleute (fabri), ebenso[75] die Hornbläser und Trompeter (cornicines et tubicines); die Armen ohne Grundbesitz (proletarii) bilden als Ersatzmannschaft eine große Centurie. Gesamtzahl 193 Centurien.

In der Volksversammlung (comitia centuriata) fortan Abstimmung der Bürger nach Centurien. Die Begüterten haben also mit 98 Stimmen stets das Übergewicht über die anderen 95 Centurien.

Das Fußvolk bildet 2 Legionen für den Felddienst (centuriae iuniorum) und 2 für die Stadtverteidigung (centuriae seniorum). Behufs der Aushebung und Entrichtung der Kriegssteuer (tributum) wird Stadt und Gebiet in eine Anzahl von Quartieren (tribus) geteilt. Alle 4, später alle 5 Jahre findet eine neue Einschätzung (census) der Bürger nach dem Vermögen statt; sie schließt mit einem Reinigungsopfer (lustrum). Die nicht in Tribus aufgenommenen Einwohner ohne Bürgerrecht sind vom Kriegdienst frei und zahlen ein Schutzgeld (aerarii).

Diese Kriegsverfassung, getragen von Sittenstrenge und bürgerlicher Zucht, machte die Römer ihren Nachbarn überlegen.

§ 2. Rom als Republik.

510. (?)

Vertreibung der Tarquinier.

An die Spitze des Staates treten 2 consŭles, auf ein Jahr gewählt; die ersten waren L. Iunius Brutus und L. Tarquinius Collatinus. Der letztere, als Verwandter der vertriebenen Königsfamilie beim Volke unbeliebt, wird bald ersetzt durch P. Valerius Poplicŏla, den ersten consul suffectus, der sich durch die lex Valeria de provocatione die Gunst des Volkes sicherte.

Die consŭles üben während ihres Amtsjahres die früher den Königen zustehende Gewalt aus: imperium und auspicia publica, d. h. Befragung der Götter von Staats wegen. Für gewisse Opfer, welche früher die Könige dargebracht hatten, wird ein Priester als rex sacrificulus bestellt und dem pontĭfex maximus untergeordnet. Jeder Konsul kann die Maßnahmen des andern durch das ius intercedendi unwirksam machen. Gehilfen der Konsuln für Kriminalgerichtsbarkeit und Verwaltung des Staatsschatzes (aerarium) sind die 2 quaestores. Die Konsuln haben als äußere Zeichen ihrer Amtsgewalt den Amtssessel (sella curulis) und das Obergewand mit Purpurstreif (toga praetexta); ihnen schreiten vorauf 12 lictores, welche in Rutenbündeln (fasces) Beile (secures) tragen, doch nicht im Stadtgebiet, weil in Friedenszeit die obrigkeitliche Gewalt der Konsuln durch das Berufungsrecht beschränkt ist. Nach der lex[76] Valeria de provocatione[21] steht es dem zum Tode oder zu körperlicher Züchtigung verurteilten Bürger frei, die Entscheidung der Volksversammlung, der comitia centuriata, anzurufen.

Hauptrechte dieser Volksversammlung sind die Beamtenwahl, die Gesetzgebung und die Entscheidung über Krieg und Frieden. Bei der Abstimmung haben die 6 alten, vorwiegend patrizischen Rittercenturien das Vorstimmrecht (centuriae praerogativae). Sind die Centurien der ersten Klasse (S. 74 f.) mit den Rittern einig, so werden die übrigen Klassen nicht befragt. Die comitia curiata verlieren ihre frühere Bedeutung, doch bleibt ihnen das Recht, die gewählten Konsuln zu bestätigen (lex curiata de imperio).

Der Senat, früher nur aus Patriziern bestehend, wird durch zugeschriebene Plebejer (daher die Formel: patres (et) conscripti) ergänzt, und zwar aus den Rittern, d. h. den Reichen. Der Senatsbeschluß (senatūs consultum) ist für die Konsuln maßgebend, hat aber nicht Gesetzeskraft. Zur Zeit besonderer Gefahr tritt an die Spitze des Staates ein Dictator, ohne Mitwirkung der Bürgerschaft, aber mit Beirat des Senats von einem der Konsuln ernannt (dictatorem dicere). Die Konsuln sind ihm untergeordnet; er ernennt seinen Gehilfen, den magister equitum; beide dürfen ihr Amt nicht länger als sechs Monate führen.

509.

Verschwörung junger Patrizier zur Herstellung des Königtums. Der Konsul L. Junius Brutus läßt seine eigenen Söhne als Teilnehmer an der Verschwörung hinrichten. Darauf Krieg mit den Etruskern von Veii und Tarquinii; Brutus fällt im Zweikampf mit Aruns Tarquinius vor der Schlacht am Walde Arsia. An seine Stelle wird zuerst Sp. Lucretius, nach dessen Tode M. Horatius gewählt, welcher den in der Königszeit erbauten Tempel des Juppiter Capitolinus weiht.

508.

Unglücklicher Krieg der Römer gegen den etruskischen König Porsenna von Clusium; sie müssen den Frieden durch Gebietsabtretung und Entwaffnung erkaufen. Römische Sagen von Horatius Cocles, dem tapferen Verteidiger der Tiberbrücke, von dem Heldenmute des Mucius Scaevola und der Cloelia. Die weiter in Latium vorrückenden Etrusker werden vor Aricia von den Latinern und ihren Bundesgenossen, den Griechen aus Cumae (unter Aristodemos), geschlagen und können sich auf dem linken Tiberufer nicht behaupten. Rom erlangt bald seine frühere Machtstellung wieder. König Tarquinius stirbt in Cumae.[77]

Vielleicht in dieser Zeit schon Handelsvertrag zwischen Rom und Karthago. Die Küstenstädte bis Terracina unter Roms Oberhoheit (S. 82).

496.

Sagenhafter Sieg der Römer über die Latiner und Tarquinius am See Regillus (bei Tusculum); der Dictator Aulus Postumius siegt mit Hilfe der Dioskuren (Kastor und Pollux), denen alsbald ein Tempel in Rom errichtet wird.

494.

Auswanderung der Plebejer auf den Heiligen Berg (secessio plebis in Montem sacrum).

Die Plebejer waren durch häufigen Kriegsdienst, durch das strenge Schuldrecht, welches auch die Person des Schuldners in die Gewalt des Gläubigers gab, und durch Verweigerung eines Anteils am Gemeindelande (ager publicus) in Not geraten. Sie wollen eine neue Stadt gründen, werden aber durch Vermittelung des Patriziers Menenius Agrippa zur Rückkehr bewogen. Darauf Erlaß der drückendsten Schulden, Einsetzung besonderer plebejischer Beamter: Die Volkstribunen (tribuni plebis, anfangs 2, dann 5, endlich 10) sind unverletzlich (sacro-sancti) und haben das Recht des Schutzes (ius auxilii) für jeden Plebejer gegen Unbill eines Beamten. Daraus entwickelt sich ein Verbietungsrecht (Veto, ius intercedendi) gegen Senatsbeschlüsse und Befehle der Beamten; nur gegen das imperium militare, also gegen den Dictator und gegen die Konsuln außerhalb der Stadt gilt der tribunicische Einspruch nicht. Ferner haben sie das Recht, Widerstrebende zu verhaften (ius prensionis) und das Recht, mit der von ihnen vertretenen Gemeinde zu verhandeln (ius agendi cum plebe). Damit hängt die Einrichtung der comitia tributa zusammen: Versammlungen der Plebejer nach den Wohnbezirken (tribus). Man unterschied 4 tribus urbanae, 17 rusticae; bei wachsendem Gebiet wurde die Zahl bis auf 35 erhöht. Jede Tribus hat in den Komitien eine Stimme, innerhalb der Tribus wird nach Köpfen (virītim) gestimmt.

Als Gehilfen stehen den Tribunen 2 Volksädilen (aediles plebis) zur Seite; sie üben Polizeigerichtsbarkeit, namentlich über den Marktverkehr, und verwahren die schriftlich aufgezeichneten Volksbeschlüsse (plebiscīta) im Tempel der Ceres am Abhang des Aventin.

493.

Der Konsul Spurius Cassius erneuert das Bündnis zwischen Rom und den latinischen Städten auf Grund der Gleichberechtigung (foedus aequum). Erst allmählich gewinnt Rom die Hegemonie über die Latiner wieder. Fortwährende Fehden mit Etruskern, Sabinern, Äquern, Volskern.[78]

Im Innern dauern die Kämpfe zwischen Patriziern und Plebejern fort; letztere streben auch nach politischer Gleichberechtigung. Einen Versuch zur Beseitigung des Tribunats macht der Patrizier

491.

Cn. Marcius Coriolanus, der während einer Hungersnot vorschlägt, den Plebejern Getreide aus Staatsmitteln nur gegen Verzichtleistung auf das Tribunat zu bewilligen. Von den Tribunen vor die comitia tributa gefordert, erscheint Coriolan nicht, wird abwesend verbannt, geht zu den Volskern, führt sie gegen Rom, gibt aber auf das ernste Wort seiner Mutter Veturia und auf die Bitten seiner Gemahlin Volumnia den Kampf gegen die Vaterstadt auf.

486.

Spurius Cassius, zum dritten Male Konsul, beantragt das erste Ackergesetz (lex agraria): Verteilung von Gemeindeland an bedürftige Plebejer und latinische Bundesgenossen. Die Patrizier und die reichen Plebejer vereinigen sich gegen ihn; er wird nach Ablauf seines Amtsjahres verurteilt und hingerichtet.

479.

Das Geschlecht der Fabier (gens Fabia), aus welchem mehrere Jahre nacheinander immer ein Konsul erwählt war, zerfällt mit den anderen patrizischen Geschlechtern; der Konsul Kaeso Fabius befürwortet die Ackerverteilung an die Plebejer. Auszug der Fabier mit ihren Klienten (zusammen 306), um den Krieg gegen die Etrusker zu führen; sie werden am Bache Cremĕra überfallen und fast sämtlich vernichtet.

471.

Die Plebejer erhalten durch den Gesetzvorschlag des Volkstribunen Volĕro Publilius das Recht, ihre Beamten fortan in den Tributkomitien zu wählen (lex Publilia: ut plebei magistratus tributis comitiis fierent).

462.

Antrag des Volkstribunen C. Terentilius Arsa auf Ernennung einer Kommission zur schriftlichen Aufzeichnung der Gesetze. Heftiger Widerstand der Patrizier. L. Quinctius Cincinnatus, 458 zum Dictator gewählt, befreit ein von den Äquern am Berge Algidus eingeschlossenes römisches Heer und zwingt die Feinde, unter dem Joch durchzugehen.

451.

Decemvirn zur Aufzeichnung der Gesetze.

(Decemviri consulari potestate legibus scribundis), mit zeitweiliger Aufhebung des Konsulats, des Tribunats und des Provocationsrechts. Die Gesetze werden vom Volke angenommen, in zehn Erztafeln eingegraben und auf dem Forum aufgestellt. Da noch ein Nachtrag nötig erscheint, so werden 450 noch einmal Decemvirn (davon drei Plebejer) ernannt, welche noch zwei Tafeln hinzufügen. Die in den Zwölftafelgesetzen[79] enthaltenen Bestimmungen über Familienrecht, Erbrecht, Schuldrecht usw. sind bleibende Grundlagen des römischen Rechts geworden (Liv. III, 34: fons omnis publici privatique iuris).

449.

Zweite secessio plebis,

veranlaßt durch Gewalttaten der Decemvirn, die nach Vollendung der Gesetzgebung ihr Amt nicht sogleich niederlegten. Ungerechter Richterspruch des Appius Claudius über Virginia, die infolgedessen von ihrem Vater auf dem Forum getötet wird. Neugewählte Konsuln, L. Valerius und M. Horatius, vermitteln den Ausgleich durch drei Gesetze (leges Valeriae Horatiae): 1. Gleichstellung der Beschlüsse der Tributkomitien (plebiscita) mit denen der Centuriatkomitien (ut quod tributim plebs iussisset, populum teneret). 2. Herstellung des Provocationsrechts. 3. Herstellung der Unverletzlichkeit des Volkstribunen, welche auch auf die Ädilen und die Richter über Privatklagen (decemviri litibus iudicandis) ausgedehnt wird.

445.

Gesetz des Tribunen Canuleius, welches die Ehen zwischen Patriziern und Plebejern für gültig erklärt (lex Canuleia de conubio): die Kinder folgen fortan dem Stande des Vaters (nicht mehr der pars deterior). Dagegen wird der zweite Antrag der Tribunen, daß auch Plebejer zu Konsuln gewählt werden dürfen, abgelehnt. Es findet ein Vergleich statt: an Stelle der Konsuln können einige der jährlich erwählten Legionsanführer (in der Regel 6) mit konsularischer Gewalt ausgestattet werden (tribuni militum consulari potestate): hierzu sind auch Plebejer berechtigt.

443.

Einsetzung der Censur, eines neuen patrizischen Amtes. Die zwei Censoren werden in den Centuriatkomitien erwählt, alle 4 oder 5 Jahre; doch wird ihre Amtsdauer auf 18 Monate beschränkt, so daß das Amt in der Zwischenzeit ruht. Befugnisse der Censoren: 1. Abhaltung des Census; die Bürger werden in die Klassen und Centurien eingeordnet (discriptio classium et centuriarum), die Ritter gemustert (recognitio equitum), die Senatsliste wird von ihnen aufgestellt (lectio senatus): 2. Verwaltung des Staatseigentums; die Abgaben vom Gemeindelande (vectigalia) und die Zölle (portoria) werden verpachtet, die Ausführung von Bauten (Tempeln, Heerstraßen (via Appia des Ap. Claudius Caecus), Wasserleitungen) an Unternehmer verdungen; 3. in Verbindung mit dem Census Aufsicht über die Sitten (regimen morum: senatu movere, equum adimere, tribu movere et aerarium facere; nota censoria). Durch diese letztere Befugnis gelangt das Amt der Censur zu einer hohen moralischen und politischen Bedeutung.[80]

439.

Spurius Maelius, ein reicher Plebejer, der während einer Teuerung Getreide zu geringem Preise abgibt, wird beschuldigt, nach der Königsherrschaft zu streben, und von C. Servilius Ahāla, dem Magister equitum des achtzigjährigen Dictators L. Quinctius Cincinnātus, auf der Straße erschlagen.

421.

Die Zahl der Quästoren, denen die Verwaltung der Staatskasse (aerarium) obliegt, auf 4 vermehrt; die Plebejer erhalten Zutritt zu diesem Amte.

396.

Ein erster großer Erfolg in den Nachbarfehden ist die Eroberung der Etruskerstadt Veii durch den Dictator M. Furius Camillus. Er wird aber wegen ungerechten Verfahrens bei Verteilung der Beute angeklagt und geht in die Verbannung. Die Macht der Etrusker, durch den Einbruch der Gallier (Kelten) und den Seesieg der Syrakusaner unter Hieron I. (S. 50) bei Cumae schon 474 geschwächt, ist seitdem gebrochen.

Einfall der Gallier (Senonen) in Latium,

veranlaßt durch Teilnahme römischer Gesandter an dem Kampfe der Etrusker von Clusium gegen dieselben.

388. (18. Juli.)

Schlacht an der Allia,

einem Bache, der 15 km nördlich von Rom in den Tiber fließt. Niederlage und Flucht der Römer auf das rechte Tiberufer, wodurch die Stadt preisgegeben wird.

Das von den Einwohnern verlassene Rom (nur der Mons Capitolinus bleibt besetzt) wird von den Galliern (unter Brennus) eingenommen, geplündert und niedergebrannt. Vergeblich versuchen sie, das Kapitol zu ersteigen, die Gänse der Juno; M. Manlius Capitolinus. Nach 7monatiger Einschließung des Burgfelsens wird der Abzug der Gallier durch Gold erkauft. Nach der römischen Sage verbietet der aus der Verbannung zurückgerufene Camillus als Dictator das Abwägen des Goldes (Vae victis!) und vertreibt die Feinde. — Rückkehr der Bewohner. Der Plan, nach Veii auszuwandern, wird von Camillus vereitelt. Rascher, aber unregelmäßiger Aufbau der Stadt, die bald wieder in ihrer alten gebietenden Machtstellung dasteht, nachdem Camillus die Äquer, Volsker, Etrusker besiegt hat.

Ausgleich der Stände, Entstehung der Nobilität.

Der Ständekampf beginnt aufs neue; die reicheren Plebejer streben nach Gleichberechtigung und Zutritt zu den Staatsämtern, die ärmeren nach Erleichterung des Schuldrechts und Anteil am Gemeindeland.

384.

Der Patrizier M. Manlius Capitolinus, der mit seinem Vermögen plebejische Schuldner löst, wird[81] beschuldigt, nach der Königswürde zu streben, als Hochverräter verurteilt und vom Tarpejischen Felsen herabgestürzt.

366.

L. Sextius Lateranus, erster plebejischer Konsul, nach zehnjährigem Kampfe um die von ihm und C. Licinius Stolo als Volkstribunen beantragten Gesetze (leges Liciniae Sextiae), welche anordnen: 1. Erleichterung der Schuldner durch Abzug der gezahlten Zinsen vom Kapital, dessen Rest dann binnen drei Jahren in gleichen Raten zu zahlen ist; 2. Niemand soll mehr als 500 Morgen Gemeindeland in Besitz haben; 3. Aufhebung der tribuni militum consulari potestate; einer der Konsuln soll unbedingt Plebejer sein.

Als neues patrizisches Amt wird die Prätur eingerichtet zur Leitung der Rechtspflege, die bisher den Konsuln oblag. Der Prätor, von 6 Liktoren begleitet, ist auch Stellvertreter der Konsuln, wenn sie von Rom abwesend sind. Später außer dem praetor urbanus ein praetor inter peregrinos (für die Ausländer) eingesetzt. Ferner treten den plebejischen Ädilen zwei kurulische Ädilen zur Seite; sie üben gemeinsam mit ihnen die Markt- und Straßenpolizei und veranstalten die öffentlichen Festspiele, namentlich die ludi Romani alljährlich im September (cura annonae, cura urbis, cura ludorum); in der Führung dieses Amtes wechseln Patrizier und Plebejer Jahr um Jahr ab.

Nach und nach werden alle Ämter den Plebejern zugänglich, die Censur 351, die Prätur 337. Auch zu den Priesterkollegien der Pontifices und Augures erhalten die Plebejer Zutritt (300 lex Ogulnia).

Nach diesem Ausgleich entwickelt sich allmählich ein neuer Gegensatz zwischen dem Amtsadel (Optimates, Nobiles), der die Patrizier und reicheren Plebejer umfaßt, und dem Bürgerstande (Plebs im späteren Sinne). Doch kann sich der Amtsadel (ius imaginum) nicht so schroff wie der bisher geltende Geburtsadel gegen den Bürgerstand abschließen, sondern ergänzt sich fortwährend durch Aufnahme neuer Mitglieder (homines novi). Durch Volkswahl gelangt der Bewerber (candidatus) zu den Ämtern, durch das Vertrauen der Censoren in den Senat. Reihenfolge der Ämter: Quästor, Ädil, Prätor, Konsul, Censor. Über das gesetzmäßige Alter s. S. 96.

Der Senat leitet namentlich die auswärtige Politik und die Finanzverwaltung. Die oberste Entscheidung in der Gesetzgebung und bei Kriminalprozessen steht nach wie vor bei den Komitien, und zwar sowohl bei den Centuriat- wie bei den Tribut-Komitien, welche alle Bürger, Patrizier und Plebejer, jedoch mit verschiedener Abstimmungsordnung, umfassen. Hinsichtlich des Wahlrechts bleibt der Unterschied, daß die magistratus maiores (Konsuln, Prätoren, Censoren) in den Centuriat-Komitien,[82] die magistratus minores (Ädilen und Quästoren) sowie die Volkstribunen in den Tribut-Komitien gewählt werden.

Die Volkstribunen erscheinen fortan nicht mehr in so scharfem Gegensatz zum Senat wie während des Ständekampfes; sie nehmen an seinen Sitzungen teil, berufen ihn auch bisweilen.

Der Not der armen Plebejer, die auch nach den Licinischen Gesetzen wiederkehrt, wird durch Ackerverteilungen und Gründung von Bürgerkolonien nach glücklich geführten Kriegen abgeholfen. Aufhebung der Schuldknechtschaft durch das Gesetz des Konsuls C. Poetelius 326.

Im Jahre 287 secessio plebis auf den Janiculus. Durch die lex Hortensia werden die plebiscita (S. 77) der concilia plebis den populiscita der Centuriat-Komitien gleichgestellt.

Umgestaltung der Heeresverfassung, hauptsächlich von Camillus veranlaßt. Die Legion wird in 30 Manipel zu je 2 Centurien eingeteilt, ihre Aufstellung in drei Treffen (hastati, principes, triarii) gegliedert. Die so zusammengesetzte Schlachtordnung übertrifft die alte Phalanx bedeutend an Beweglichkeit. Die Bewaffnung gleichmäßiger als nach der servianischen Ordnung. Die Stoßlanze (hasta) wird bald auf das dritte Treffen (triarii) beschränkt; die beiden vorderen Treffen erhalten einen kürzeren Wurfspeer (pilum); gemeinsam für alle Schwerbewaffneten sind Schwert, Schild, Helm und Panzer. Die Legion zählt in der Regel 4200 Mann, darunter 1200 Leichtbewaffnete (velĭtes) ohne Panzer, mit leichtem Schild, Lederhelm und leichten Wurfspeeren; dazu kommen 300 Reiter. Zwei Legionen, begleitet von Truppen der Bundesgenossen, bilden gewöhnlich ein konsularisches Heer.

367–349.

Wiederholte Kämpfe mit den Galliern, welche sich in Ober-Italien (Gallia cisalpina) bleibend niedergelassen haben und von dort häufig Einfälle in Mittel-Italien machen. Zweikämpfe des T. Manlius Torquatus und M. Valerius Corvus mit gallischen Kriegern.

348.

Erster Handelsvertrag zwischen Rom und Karthago,[22]

in welchem Rom als Vorort der mittelitalischen Westküste erscheint.

§ 3. Unterwerfung Italiens.

343–341.

Erster Samnitenkrieg.

Veranlassung: Die Sidicīner in Teānum und die Campāner in Capua, beide Nachkommen ausgewanderter sam[83]nitischer Volksstämme, suchen Schutz bei den Römern gegen ihre eigenen Stammgenossen, die Samniten des Gebirges, welche in dem eigentlichen Samnium eine Eidgenossenschaft bildeten und von dort aus in immer neuen Schwärmen die Ebene (Campania) brandschatzten.

Nach römischer Überlieferung erfechten die Römer drei Siege, doch wird ein Vergleich geschlossen, welcher den Römern Capua, den Samniten Teanum überliefert. Die Samniten werden zu diesem Vergleiche bestimmt durch einen Krieg mit Tarent, die Römer durch den

340–338.

Krieg der Latiner,

welche sich gegen Roms Hegemonie auflehnen und vollständige Gleichstellung mit den Römern verlangen: ein Konsul und der halbe Senat sollen Latiner sein. Capua und die Volsker mit den Latinern verbündet, die Samniten mit den Römern.

Kampf in Campanien; der Konsul T. Manlius Torquatus läßt seinen Sohn hinrichten, weil er dem Verbot zuwider sich in einen Zweikampf eingelassen, und siegt, von den Samniten unterstützt, in einer Schlacht unweit des Vesuv; Opfertod des andern Konsuls P. Decius Mus. Entscheidungsschlacht bei Trifanum unweit Minturnae, Sieg des Manlius über die Latiner und Campaner.

Auflösung des latinischen Bundes. Den latinischen Städten wird gegenseitiges Commercium und Conubium untersagt, sie müssen einzeln mit Rom Verträge schließen und Land abtreten (so Tibur und Praeneste); einige erhalten römisches Bürgerrecht (so Lanuvium und Aricia). Die Volskerstadt Antium wird römische Kolonie; mit den Schnäbeln der erbeuteten Schiffe dieser Stadt wird die Rednerbühne auf dem Forum Romanum geziert (daher rostra genannt). Capua und andere Städte Campaniens erhalten römisches Bürgerrecht ohne Stimmrecht.

Bald jedoch wird den nunmehr abhängigen Latinern Anteil an den römischen Eroberungen gewährt; Cales und Fregellae werden als latinische Kolonien eingerichtet.

326–304.

Zweiter Samnitenkrieg.

Veranlassung: Übergriffe der Römer am Liris, namentlich die Einrichtung der Kolonie Fregellae; ferner die Besetzung der Griechenstadt Palaeapolis (neben Neapolis) durch Q. Publilius Philo (den ersten Prokonsul).

Bündnis der Römer mit den Apŭlern und Lukanern; zum erstenmal überschreiten römische Heere den Apennin. Die Römer sind zu Anfang des Krieges im Vorteil. Aber

321.

Niederlage in den Caudinischen Pässen. Die beiden Konsuln werden, als sie der apulischen[84] Stadt Luceria von Campanien aus zu Hilfe eilen wollen, von dem samnitischen Heerführer Gavius Pontius in den furculae Caudinae eingeschlossen und zur Ergebung genötigt. Sie beschwören einen Friedensvertrag; 600 römische Ritter bleiben als Geiseln zurück, das Heer darf unter dem Joch abziehen. Der römische Senat verweigert die Anerkennung dieses Vertrages und liefert die Konsuln den Samniten aus, welche sie nicht annehmen.

Die Samniten erobern Luceria und Fregellae. Durch äußerste Kraftanstrengung gewinnen die Römer wieder die Oberhand. Im Jahre 319 soll der Konsul L. Papirius Cursor Luceria wiedererobert, die römischen Geiseln befreit und die samnitische Besatzung unter das Joch geschickt haben; 314 wird Luceria römische Kolonie.

312.

Bau der Via Appia, einer großen Heerstraße von Rom nach Capua durch die pomptinischen Sümpfe, begonnen von dem Censor Appius Claudius Caecus. Derselbe legt auch die erste Wasserleitung (aqua Appia) in Rom an.

310.

Sieg des Konsuls Q. Fabius Maximus Rullianus über die zu spät sich erhebenden Etrusker und Marser am Vadimonischen See.

309.

Erstes Erscheinen einer römischen Kriegsflotte bei der Belagerung der campanischen Stadt Nuceria.

305.

Bovianum, Hauptwaffenplatz der Samniten, eingenommen.

304.

Friede; die Samniten erlangen gleich ihren sabellischen Bundesgenossen Freiheit innerhalb ihrer Stammesgrenzen; Erneuerung der alten Verträge zu gleichem Recht (foedus aequum).

Zur Befestigung ihrer Herrschaft legen die Römer wiederum mehrere Kolonien und neue Heerstraßen an, so Narnia in Umbrien (spätere via Flaminia) und Alba Fucentia am Lacus Fucĭnus (spätere via Valeria).

298–290.

Dritter Samnitenkrieg.

Die Samniten schließen mit den Lukanern ein Bündnis, um einen letzten Kampf für Italiens Unabhängigkeit zu wagen. Neue Erhebung der Etrusker und Umbrer.

Der Konsul L. Cornelius Scipio[23] nötigt 298 die Lukaner, dem Bündnis mit Samnium zu entsagen. Die Samniten stellen[85] mit äußerster Kraftanstrengung drei Heere ins Feld, eins zur Verteidigung ihres Gebiets, das zweite für Campanien; das dritte führt ihr Feldherr Gellius Egnatius durch das marsische und umbrische Gebiet nach Etrurien. Gallische Stämme schließen sich dem Bündnis der Italiker gegen Rom an. Große Rüstungen in Rom. Die Konsuln Q. Fabius Maximus Rullianus und P. Decius Mus rücken mit 60000 Mann nach Umbrien vor.

295.

Entscheidungsschlacht bei Sentinum, Todesweihe des jüngeren P. Decius Mus.

Die Umbrer unterwerfen sich, die Etrusker bitten um Frieden und werden Rom Untertan; die Samniten kämpfen weiter, werden aber 293 bei Aquilonia besiegt. Endlich erneuert der Konsul M’. Curius Dentatus das Bündnis mit ihnen; sie behalten ihr Gebiet, lassen aber fortan den Römern freie Hand, ihre Herrschaft im übrigen Italien zu befestigen.

Abermals Kolonien gegründet: Minturnae und Sinuessa im Gebiet der Aurunker (römische Bürgerkolonien), Hatria in Picenum, Venusia in Apulien (latinische Kolonien). Die Sabiner müssen römisches Bürgerrecht ohne Stimmrecht annehmen. Gegen die Gallier wird 283 die Bürgerkolonie Sena Gallica in Umbrien eingerichtet. Der Schutz, welchen Rom der von Lukanern und Bruttiern angegriffenen Griechenstadt Thurii gewährt, führt herbei den

282–272.

Krieg mit Tarent.

Veranlassung: Ältere Verträge mit Tarent, der reichsten und mächtigsten Griechenstadt in Unter-Italien, untersagten den Römern, mit Kriegsschiffen über das Lacinische Vorgebirge bei Kroton hinauszufahren. Trotzdem erscheint eine nach der umbrischen Küste bestimmte römische Kriegsflotte im Hafen von Tarent. Die Tarentiner greifen sie an, nehmen fünf Schiffe, vertreiben die römische Besatzung aus Thurii. Römische Gesandte, welche Genugtuung verlangen, werden in Tarent beschimpft; darauf Kriegserklärung.

Die Tarentiner rufen den König Pyrrhos von Epirus zu Hilfe; dieser schickt zuerst seinen Feldherrn Milon mit 3000 Epiroten nach Tarent (281), im folgenden Jahre landet er selbst mit einem aus Epiroten, Makedonen, Griechen bestehenden Söldnerheere von 25000 Mann und 20 Elefanten in Italien. Strenges militärisches Auftreten des Königs in Tarent; die Bürger werden zum Kriegsdienst gezwungen.

280.

Schlacht bei Herakleia (am Meerbusen von Tarent); die römische Manipularordnung erliegt dem Angriff der makedonischen Phalanx und der Elefanten. Die Griechenstädte, die Bruttier, Lukaner und Samniten schließen[86] sich Pyrrhos an. Er bietet den Römern Frieden an; sein Gesandter Kineas wird abgewiesen (Rede des blinden Konsulars Appius Claudius im Senat). Pyrrhos rückt durch Campanien bis Anagnia vor, kehrt aber um, da die Bundesgenossen der Römer diesen treu bleiben. C. Fabricius Gesandter an Pyrrhos wegen Auswechselung der Gefangenen.

279.

Schlacht bei Asculum in Apulien;

Pyrrhos siegt wiederum, doch mit großen Verlusten. Er folgt einem Hilferuf der von den Karthagern bedrängten Syrakusaner (S. 67), läßt nur eine Besatzung in Tarent zurück. Kriegsbündnis zwischen Rom und Karthago, doch lehnen die Römer die Landung einer karthagischen Flotte in Italien ab und bekämpfen allein die Griechenstädte. Pyrrhos kehrt 276 nach Tarent zurück. Als er den Samniten Hilfe bringen will, wird er von M’. Curius Dentatus in der

275.

Schlacht bei Beneventum

völlig geschlagen und kehrt nach Epirus zurück († 272 in Argos). Erst nach seinem Tode überliefert Milon Stadt und Burg von Tarent den Römern unter der Bedingung freien Abzugs. Die Tarentiner müssen Waffen und Schiffe ausliefern und die Mauern niederreißen, behalten aber ihre eigene Stadtverwaltung.

Nach Tarents Fall Unterwerfung der Samniten, Lukaner und Bruttier. Alle müssen Teile ihres Gebiets abtreten und Kolonien aufnehmen (Beneventum und Aesernia in Samnium). Im J. 270 Einnahme von Rhegium, welches 10 Jahre in den Händen aufständischer campanischer Soldaten gewesen war, die jetzt mit dem Tode bestraft werden. Italien (bis zum Apennin) geeinigt unter römischer Herrschaft. Verlängerung der Via Appia(S. 84) von Capua über Venusia und Tarent bis Brundisium. In bezug auf das Verhältnis der unterworfenen Gemeinden zu Rom sind zu unterscheiden:

1. Municipien (municipia), d. h. Gemeinden mit beschränktem römischem Bürgerrecht (civitas sine suffragio et iure honorum). Sie haben also commercium und conubium, römische Rechtsprechung und römischen Kriegsdienst.

2. Kolonien (coloniae), d. h. römische Festungen. Viele unterworfene Orte müssen einen Teil ihrer Ländereien abtreten. Dieses Land wird an römische Bürger verteilt, die ihr volles Bürgerrecht behalten und fortan in der Kolonie die herrschende Gemeinde, gleichsam die Patrizier, bilden, während die alten Einwohner zu Insassen ohne politische Rechte herabsinken. Die Rechtspflege wird in den Municipien wie in den Kolonien durch Präfekten (praefecti iure dicundo) ausgeübt, welche der praetor urbanus (s. S. 81) ernennt.[87]

3. Verbündete (socii, civitates foederatae), deren Verhältnis zu Rom durch Verträge geordnet ist. Sie haben eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit und sind vom Dienst in der Legion befreit, müssen dagegen Hilfstruppen oder Schiffe stellen. Tribut wird nicht von ihnen gefordert. Am meisten begünstigt sind die Latiner, sie können unter gewissen Bedingungen römisches Bürgerrecht erwerben und werden zusammen mit römischen Bürgern in latinische Kolonien ausgesandt.

§ 4. Die Punischen Kriege.

264–241.

Erster Punischer Krieg. Kampf um Sicilien.

(Die frühere Geschichte der Karthager oder Punier siehe S. 131, 41, 67.)

Karthago mit seiner oligarchischen Verfassung, welche der Bürgergemeinde geringen Einfluß gewährt und die Untertanen durch Tributforderung drückt, und mit seinen Söldnerheeren ist trotz seines Reichtums im Nachteil gegen Rom, wo gleichmäßigere Verteilung der bürgerlichen Rechte und allgemeine Verpflichtung zum Kriegsdienst besteht.

Veranlassung: Die Mamertiner, d. h. Marsmänner, ehemalige campanische Söldner des Agathŏkles (S. 67), hatten sich der Stadt Messana bemächtigt. Sie werden von König Hiero II. von Syrakus bekriegt. Ein Teil von ihnen ruft die Karthager, ein anderer die Römer zu Hilfe. Der römische Senat schwankt, die Bürgerschaft beschließt, den Mamertinern Hilfe zu gewähren. Eine römische Kriegsflotte, meist aus Schiffen der süditalischen Bundesgenossen bestehend, setzt Truppen von Rhegium nach Messana über; die karthagische Besatzung wird aus der Burg vertrieben.

264.

Die Karthager und Hiero von Syrakus belagern die Römer in Messana, müssen aber zurückweichen. Hiero schließt sich bald den vordringenden Römern an. Nach Eroberung der Stadt Agrigentum (Akrăgas, s. S. 32) 262 beschließen die Römer den Bau einer großen Kriegsflotte. Sie bauen Schiffe mit fünf Ruderreihen (Pentēren) nach dem Muster eines gestrandeten karthagischen Kriegsschiffs.

260.

Erster Seesieg der Römer unter C. Duilius bei Mylae, westlich von Messana, mit Hilfe der Enterbrücken. Zum Andenken an den Sieg die columna rostrata auf dem Forum errichtet.

256.

Nach einem zweiten Seesiege bei Eknomos an der Südküste Siciliens landen die Konsuln M. Atilius Regulus und L. Manlius Volso an der afrikanischen Küste. Die Karthager, durch Verwüstung ihres Gebiets erschreckt,[88] bitten um Frieden; Regulus stellt zu hohe Forderungen, wird 255 bei Tunes geschlagen und gefangen.

Fortsetzung des Krieges in Sicilien; die Römer erobern Panormus und behaupten es durch einen Sieg des Konsuls L. Caecilius Metellus (251), der bei seinem Triumph in Rom über 100 Elefanten aufführt.

Friedensgesandtschaft der Karthager nach Rom. Nach der römischen Legende soll Regulus die Annahme des Friedens widerraten haben und in Karthago unter Martern getötet worden sein. Die Römer nehmen den Seekrieg wieder auf, belagern aber vergeblich die starke karthagische Seefestung Lilybaeum. Der Konsul P. Claudius Pulcher (die heiligen Hühner) wird in der

249.

Seeschlacht bei Drepăna

von den Karthagern geschlagen. Darauf in den nächsten Jahren nur Landkrieg auf der Westseite Siciliens. Der karthagische Feldherr Hamilkar, genannt Barkas (d. h. der Blitz), verteidigt sich 6 Jahre mit Erfolg gegen die Römer, erst auf dem Berge Eirkte (Monte Pellegrino bei Palermo), dann auf dem Eryx bei Drepana, beunruhigt auch durch Kaper die Küsten Italiens. Durch das Zusammentreten reicher Bürger in Rom wird endlich aus Privatmitteln eine neue Flotte gebaut. Mit dieser erringt der Konsul C. Lutatius Catulus den entscheidenden

241.

Seesieg bei den Agatischen Inseln

(gegenüber Lilybaeum) über die karthagische Flotte unter Hanno.

Friede: 1. Die Karthager verzichten auf ganz Sicilien. 2. Sie zahlen 3200 Talente (16½ Mill. Mark) Kriegsentschädigung in zehn Jahren. — Der größere, westliche Teil Siciliens wird die erste römische Provinz unter der Verwaltung eines Prätors; der kleinere südöstliche Teil bleibt unter der Hoheit des mit Rom verbündeten Königs Hiero von Syrakus.

238.

Karthago in großer Gefahr durch den Aufstand der Söldner und der libyschen Untertanen, welcher endlich von Hamilkar unterdrückt wird. Die Römer benutzen dies, um von den Karthagern die Abtretung von Sardinien und Zahlung von 1200 Talenten zu erzwingen. Die Insel wird mit dem früher etruskischen Korsika zu einer Provinz vereinigt. Doch besetzen die Römer nur die Küsten dieser Inseln; die Gebirgsbewohner im Inneren werden gelegentlich bekriegt, um Sklaven zu erbeuten.

236.

Hamilkar beginnt Eroberungen in Spanien, um neues Gebiet für Karthago zu gewinnen; sein Schwiegersohn Hasdrubal, Nachfolger im Oberbefehl, gründet 227 Neu-Karthago (Cartagena).[89]

229–228.

Krieg der Römer gegen die seeräuberischen Illyrier von Skodra. Eine römische Flotte beschützt die Griechenstädte Kerkyra, Apollonia, Epidamnos; die Königin Teuta muß Tribut zahlen und Gebiet abtreten.

225–222.

Die Römer unterwerfen Nord-Italien, Gallia cisalpina, gereizt durch einen Einfall gallischer Stämme in Etrurien. Diese werden bei Telamon an der etruskischen Küste vernichtet. Der Konsul Cn. Cornelius Scipio besiegt die Bojer und Cenomanen und erobert 222 Mediolanum (Mailand), die Hauptstadt der Insŭbrer. Zur Sicherung des neuen Gebietes werden die latinischen Kolonien Placentia, Cremona, Mutĭna angelegt. Die schon früher gebaute Heerstraße nach Spoletium wird weiter geführt über den Apennin bis an das Adriatische Meer, dann die Küste entlang bis Arimĭnum (Via Flaminia). Weitere Maßregeln zur Befestigung ihrer Herrschaft im cisalpinischen Gallien unterbricht der

218–201.

Zweite Punische Krieg.

Ursachen: Eifersucht der Römer auf die durch Erwerbungen in Spanien neu aufblühende Macht Karthagos; Bestreben des Hauses Barkas, an Rom Rache zu nehmen.

Veranlassung: Die Eroberung der mit Rom verbündeten spanischen Stadt Saguntum (Murviedro, nördlich von Valencia) durch Hannibal, den Sohn Hamilkars, 219. Eine römische Gesandtschaft fordert in Karthago Hannibals Auslieferung; diese wird verweigert, obgleich ein großer Teil des karthagischen Senats der Machtstellung der Familie Barkas abgeneigt ist. Darauf Kriegserklärung der Römer.

Den römischen Kriegsplan, mit dem Hauptheere von Sicilien aus eine Landung in Afrika zu machen, während ein zweites Heer die karthagischen Truppen in Spanien beschäftigen soll, vereitelt

218.

Hannibals kühner Zug nach Italien auf dem Landwege. Er überschreitet nach Zurücklassung genügender Truppen in Spanien unter seinem Bruder Hasdrubal, die östlichen Pyrenäen mit 50000 Mann Fußvolk, 9000 Reitern, 37 Elefanten und durchzieht das südliche Gallien. Der römische Konsul P. Cornelius Scipio, welcher auf der Fahrt nach Spanien in Massilia angelegt hatte, kann Hannibals Übergang über den Rhodănus (Rhône) nicht hindern, kehrt nach Italien zurück, sendet aber seinen Bruder Cn. Scipio mit dem Hauptteil des Heeres nach Spanien. Hannibal zieht am Rhodanus aufwärts bis zum Nebenfluß Isăra (Isère), dann östlich durch die Gebiete der Allobrŏger und Ceutronen, überschreitet kämpfend die Alpen (Paß des Mont Genèvre oder des Kleinen St. Bernhard) und gelangt nach unsäglichen Mühen mit nur 26000 Mann und wenigen Elefanten nach Ober-Italien.[90]

218. (Sept.)

Reitertreffen am Ticinus, linkem Nebenfluß des Po. Scipio verwundet, wird durch seinen 17jährigen Sohn, den späteren »Africanus«, gerettet. Verstärkt durch aufständische Gallier (S 89), schlägt Hannibal in der

218. (Dez.)

Schlacht an der Trebia (rechtem Nebenfluß des Po) den andern Konsul Tib. Sempronius Longus, der, aus Sicilien zurückberufen, die beiden vereinigten römischen Heere befehligte.

Hannibal befördert den nationalen Aufstand der cisalpinischen Gallier, entläßt alle gefangenen römischen Bundesgenossen, überschreitet den Apennin und vernichtet ein römisches Heer von 30000 Mann unter dem Konsul C. Flaminius in der

217.

Schlacht am Trasimenischen See. Schrecken in Rom; man rüstet sich aber zur Verteidigung der Stadt. Q. Fabius Maximus zum Dictator ernannt. Hannibal wendet sich nach Osten, um den Abfall der römischen Bundesgenossen allgemein zu machen, zieht durch Picenum nach Apulien. Fabius folgt ihm in gemessener Entfernung, eine Schlacht vermeidend (daher Cunctator, der Zauderer, genannt). Als Hannibal, wieder den Apennin überschreitend, nach Campanien vordringt, hindert Fabius ihn nicht an der Plünderung der reichen Landschaft, verlegt ihm aber den Rückweg bei Casilīnum am Volturnus. Hannibal gewinnt durch eine List freie Bahn und kehrt nach Apulien zurück.

Die römische Bürgerschaft, mit Fabius’ Kriegführung unzufrieden, gibt dem magister equitum M. Minucius, der bei Gerunium glückliche Gefechte gegen die Karthager besteht, als zweitem Dictator einen unabhängigen Oberbefehl über die Hälfte des Heeres. Er greift Hannibal an, wird geschlagen und nur durch Fabius vor vollständiger Vernichtung gerettet.

Zu Konsuln des Jahres 216 werden der als Feldherr bewährte L. Aemilius Paullus von der Optimatenpartei und der unfähige C. Terentius Varro von der Volkspartei erwählt, um mit einem Heere von 86000 Römern und Bundesgenossen Hannibal zu vernichten. Varro greift an dem Tage, wo er den Oberbefehl hat, unvorsichtig an.

216.

Schlacht bei Cannae (in Apulien, am Aufidus), furchtbare Niederlage der Römer; gegen 50000 werden getötet, darunter mehr als 80 Männer senatorischen Ranges und der Konsul L. Aemilius Paullus, die übrigen werden gefangen oder zersprengt. Varro rettet sich mit einer kleinen Schar nach Venusia und sammelt allmählich einen Rest von 10000 Mann.

In demselben Jahre wird auch eine nach dem cisalpinischen Gallien geschickte Legion vernichtet. Der Abfall von Capua,[91] die Lossagung der Samniten, Lukaner, Bruttier und vieler unteritalischer Städte vom römischen Bündnis ist die unmittelbare Folge der Schlacht bei Cannae.

Bewundernswürdige Haltung des römischen Senats. Die Trauer um die Gefallenen wird auf 30 Tage beschränkt, Hannibals Gesandten, welche die Lösung der Gefangenen anbieten, der Eintritt in die Stadt verboten; mit Heranziehung aller irgend Waffenfähigen, selbst Sklaven, wird ein neues Heer gebildet und zum Teil mit alten Beutestücken aus den Tempeln bewaffnet. Der Prätor M. Claudius Marcellus, schon im gallischen Kriege erprobt, und der Dictator M. Junius Pera verteidigen die römischen Stellungen bei Neapolis, Cumae und Nola. Hannibal bezieht Winterquartiere in Capua. Karthago schließt Bündnis mit Philipp V. von Makedonien und Hieronymus, dem Enkel und Nachfolger des Königs Hiero in Syrakus (S. 88).

215.

Wendung des Krieges zugunsten der Römer. Hannibal, bei Nola von Marcellus zurückgeschlagen, geht nach Apulien und gibt den Angriffskrieg auf. Aus Karthago erhält er, mit Ausnahme einer Sendung von 4000 Mann, keine Unterstützung. Die Römer dagegen bringen ihre Kriegsmacht bald auf 21 Legionen; ihre Flotte beherrscht von Lilybaeum aus das Meer und macht öfters Landungen an der afrikanischen Küste. Hannibals Hoffnung auf Zuzug aus Spanien wird vereitelt durch den

218–206.

Krieg der Römer gegen die Karthager in Spanien.

Die Feldherrn P. und Cn. Cornelius Scipio besiegen Hasdrubal, Hannibals Bruder, 216 am Ibērus (Ebro) und dringen bis in das Gebiet des Baetis (Guadalquivir) vor, wo sie sich unter wechselvollen Kämpfen bis 211 im ganzen siegreich behaupten. Zugleich bedrängen sie durch ihren Bundesgenossen Syphax, König von Westnumidien, die Karthager in Afrika. Das Bündnis mit Philipp von Makedonien bringt dem Unternehmen Hannibals ebenfalls keine Hilfe.

215–205.

Erster Makedonischer Krieg,

von den Römern mit geringen Streitkräften glücklich geführt. Der unentschlossene König Philipp wagt nicht, die versprochene Landung in Italien auszuführen. Die Römer bringen gegen ihn ein Bündnis griechischer Staaten zustande (die Ätōler an der Spitze), dem sich illyrische und thrakische Häuptlinge, sowie König Attălos von Pergamon anschließen.

214–210.

Krieg in Sicilien (Belagerung von Syrakus),

durch Marcellus zugunsten der Römer entschieden. Nach Vernichtung des karthagischen Entsatzheeres unter Himilko[92] durch Niederlagen und Seuchen in den sumpfigen Niederungen des Anāpos wird trotz tapferer Verteidigung (Archimēdēs)

212.

Syrakus erobert und geplündert.

In Italien nimmt Hannibal die Stadt Tarent ein, mit Ausnahme der Burg, und kämpft glücklich in Lukanien.

211.

Unglück der Römer in Spanien. Beide Scipionen werden von den Karthagern und ihrem Verbündeten Massinissa, Sohn des Königs von Ostnumidien (selbst König 208), geschlagen und getötet; ihre Truppen weichen nach Norden über den Ebro zurück.

Hannibal greift das römische Belagerungsheer vor Capua an, wird aber zurückgeschlagen. Um die Römer zur Aufhebung der Belagerung zu bewegen, rückt er gerade auf Rom los und schlägt am Anio ein Lager auf (Hannibal ad portas!), geht aber nach Verwüstung der Umgegend, da die Römer zur Verteidigung bereit sind, nach Unter-Italien zurück, ohne seinen Zweck erreicht zu haben.

Capua muss sich den Römern ergeben, welche über die Stadt ein furchtbares Strafgericht ergehen lassen (viele Bürger als Sklaven verkauft, 53 Senatoren enthauptet, die Selbstständigkeit der Gemeinde vernichtet). Hannibals Angriff auf Rhegium und auf die Burg von Tarent mißlingt; seine italischen Bundesgenossen beginnen ihn zu verlassen.

210.

Der junge P. Cornelius Scipio (Sohn und Neffe der in Spanien gefallenen Brüder) wird als Prokonsul nach Spanien geschickt; er geht 209 über den Ebro und erobert Neukarthago, während in Italien Q. Fabius Maximus Tarent wiedergewinnt.

208.

Marcellus fällt in einem Reitertreffen bei Venusia. Ausharren der Römer trotz der durch die Dauer des Krieges sich fühlbar machenden Erschöpfung der Kräfte. Zwölf latinische Kolonien erklären sich außer stande, fernerhin Geld und Mannschaften zu liefern, 18 andere dagegen halten treu zu Rom.

In Spanien dringt Scipio siegreich bis zum Süden vor, kämpft aber bei Baecula ohne Entscheidung mit Hasdrubal und kann ihn nicht hindern, über die (westlichen) Pyrenäen zu gehen, um seinem Bruder Hannibal Hilfe zuzuführen.

207.

Hasdrubal, in Ober-Italien angelangt, ruft die cisalpinischen Gallier aufs neue zu den Waffen. Große Rüstungen in Rom (23 Legionen auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen), um die Gefahr abzuwehren. Gegen Hasdrubal wird der Konsul M. Livius Salinator, gegen Hannibal der[93] Konsul C. Claudius Nero gesendet. Dieser entschließt sich, während Hannibal ihm gegenüber in Apulien lagert, zu einem Eilmarsch mit 7000 Mann auserlesener Truppen und vereinigt sich mit seinem Amtsgenossen. Beide Konsuln siegen in der

207.

Schlacht bei Sena Gallica, nicht weit vom Flusse Metaurus. Hasdrubal fällt. Auf die Nachricht von dieser Niederlage (die Römer werfen den karthagischen Vorposten den Kopf des Hasdrubal zu) zieht Hannibal nach dem Bruttierlande zurück.

206.

Die Karthager räumen Gades (Cadix), ihre letzte Besitzung in Spanien.

205.

Scipio, zum Konsul erwählt, bereitet in Sicilien einen Zug nach Afrika vor. Mago, Hannibals jüngster Bruder, landet mit den Trümmern des spanischen Heeres der Karthager bei Genua und ruft die Ligurer zu den Waffen. Sofort werden drei römische Heere gegen ihn aufgeboten.

204.

Scipios Landung in Afrika. Den Kern seines Heeres bilden die Reste des einst bei Cannae besiegten Heeres (2 Legionen). Mit ihm vereinigt sich Massinissa, der von den Karthagern und dem jetzt mit ihnen verbündeten Syphax (Gemahl der Karthagerin Sophonĭba) aus seinem Reiche vertrieben war.

203.

Scipio schlägt die Karthager und Numider durch nächtlichen Überfall (das Lager in Brand gesteckt) und bedroht Karthago. Syphax wird in der Nähe seiner Hauptstadt Cirta (Constantine) von einer römischen Heeresabteilung unter C. Laelius und den numidischen Reitern unter Massinissa besiegt und gefangen. Friedensunterhandlungen ohne Ergebnis. Die Karthager rufen Hannibal und Mago nach Afrika zurück; Mago stirbt auf der Überfahrt. Hannibal schifft sich in Kroton ein, nachdem er die italischen Soldaten, die ihm nicht folgen wollen, hat niedermachen lassen, und landet bei Leptis. Nach einer fruchtlosen persönlichen Unterhandlung zwischen Scipio und Hannibal kommt es zur

202.

Entscheidungsschlacht bei Zama,

in der das karthagische Heer geschlagen und vernichtet wird. Hannibal flüchtet nach Hadrumētum.

201.

Scipio gewährt den Karthagern Frieden unter folgenden Bedingungen: 1. Abtretung der spanischen Besitzungen und der Inseln des Mittelmeeres. 2. Übergabe des numidischen Reiches an Massinissa. 3. Zahlung eines jährlichen Tributs von 200 Talenten (etwa 1 Mill. Mark) fünfzig Jahre lang. 4. Auslieferung und Verbrennung aller Kriegs[94]schiffe bis auf 10. 5. Verbot, ohne Erlaubnis der Römer irgendwo Krieg zu führen. — P. Cornelius Scipio, der den Beinamen Africanus erhält, feiert in Rom einen glänzenden Triumph (Syphax).

Die italischen Bundesgenossen Hannibals werden zu bedeutenden Gebietsabtretungen verurteilt: in diesen Gebieten werden Kolonien gegründet (Puteoli, Salernum, Croton, Vibo); das Gebiet von Capua bleibt ager publicus. Nach einer nochmaligen Erhebung der cisalpinischen Gallier und der Ligurer wird

200–191.

Ober-Italien nach schwerem Kampfe wieder unterworfen. Wiederherstellung der Kolonien Placentia, Cremona, Mutina; Via Aemilia von Ariminum bis Placentia; Kolonie Aquileia an der Nordostgrenze.

Folgen des zweiten Punischen Krieges: 1. Durch den glücklichen Ausgang des Kampfes, bei welchem der Bestand des römischen Staats gefährdet war, ist die nationale Einigung und Unabhängigkeit Italiens unter Roms Herrschaft sichergestellt. 2. Rom gewinnt außeritalische Provinzen und beschreitet, durch keinen ebenbürtigen Gegner mehr gehindert, die Bahn zur Weltherrschaft.

§ 5. Ausbreitung der römischen Herrschaft.

In Spanien werden 197 zwei Provinzen eingerichtet: Hispania citerior (Tarraconensis) und Hispania ulterior (Baetica). Doch bedarf es noch oft wiederholter Feldzüge (195 der Konsul M. Porcius Cato), um die römische Herrschaft zu befestigen.

Durch Unterwerfung der griechischen Länder des Ostens entsteht ein mächtiges, zweisprachiges Reich, welches die Mittelmeerländer zu einer großen Einheit zusammenschließt.

200–197.

Zweiter Makedonischer Krieg.

Veranlassung: Makedonische Söldner hatten bei Zama gegen die Römer gekämpft. Außerdem bitten König Attălos von Pergămon und die Städte Rhodos und Athen die Römer um Hilfe gegen Philipp, der im Bunde mit Antiochos III. von Syrien Ägypten bekriegt und auch sie schwer bedrängt.

Zwei römische Legionen unter P. Sulpicius Galba landen in Illyrien bei Apollonia. Die römische Flotte schützt den Peiraieus und bedroht Euböa. Philipp, vor Athen zurückgeschlagen, wird gezwungen, Mittel-Griechenland zu verlassen. Erfolglose Kriegführung der Römer in Illyrien; die Flotte versucht vergebens eine Landung auf der Halbinsel Chalkidike.[95] Aber der Konsul T. Quinctius Flamininus (198) gewinnt, nach Umgehung der festen Stellung Philipps, Epirus, besetzt dann Phokis und Böotien und siegt endlich in der

197.

Schlacht bei Kynoskephălae in Thessalien.

Friede: Philipp muß die Hegemonie über Griechenland sowie überhaupt alle Besitzungen außerhalb des eigentlichen Makedoniens aufgeben und in 10 Jahren 1000 Talente zahlen; ferner darf er nur 5000 Soldaten und 5 Kriegsschiffe halten und nur mit römischer Erlaubnis Krieg führen. — Bei den Isthmischen Spielen läßt Flamininus den Senatsbeschluß verkünden, welcher die bisher Philipp untertänigen griechischen Staaten für frei erklärt. Die meisten treten in den Achäischen Bund; die Römer beschränken die Herrschaft des Tyrannen Nabis von Sparta, lassen sie aber als Gegengewicht gegen den Achäischen Bund bestehen (s. S. 69).

195.

Die oligarchische Partei in Karthago, wo auf Hannibals Anregung eine demokratische Reform der Verfassung stattgefunden hat, verdächtigt diesen beim römischen Senat, der seine Auslieferung verlangt. Hannibal flüchtet nach Tyrus, von da zum König Antiochos.

192–189.

Krieg mit Antiochos III. von Syrien.

Antiochos, herbeigerufen von den mit Roms Schutzherrschaft unzufriedenen Ätōlern, eröffnet den Krieg mit einer Landung in Thessalien. Von da geht er nach Euböa. Die meisten Griechen, namentlich der Achäische Bund, bleiben den Römern treu, mit denen sich auch Philipp von Makedonien, Eumĕnes von Pergamon und Rhodos verbinden. Landung des Konsuls M’. Acilius Glabrio in Epirus und Marsch nach Thessalien.

191.

Schlacht bei Thermopylae. Der Konsular und Besieger der Spanier, M. Porcius Cato, welcher als Kriegstribun im römischen Heere dient, überrumpelt die Ätoler auf dem Bergpfade des Ephialtes (S. 40), der Konsul Acilius nimmt den Hauptpaß und zersprengt das Heer des Antiochos, der mit wenigen Truppen nach Chalkis entkommt und sich dort nach Ephĕsus einschifft.

190.

Eine rhodische Flotte besiegt die von Hannibal geführte Flotte des Königs an der Mündung des Eurymedon (s. S. 43), die römische Flotte siegt am Vorgebirge Myonnesos unweit Ephesus. Das römische Landheer unter L. Cornelius Scipio, welchen sein Bruder Scipio Africanus als Legat begleitet, marschiert durch Makedonien und Thrakien, setzt über den Hellespont und schlägt den Antiochos bei Magnesia am Sipy̆los, nicht weit von Smyrna.[96]

189.

Friedensschluß: Antiochos tritt Kleinasien bis zum Taurusgebirge ab, zahlt in zwölf Jahren 15000 Talente (über 70 Mill. Mark) Kriegskosten, liefert seine Kriegsschiffe bis auf zehn aus. Hannibal entflieht nach Bithynien zum Könige Prusias, tötet sich dort 183 durch Gift.

In Rom glänzender Triumph des L. Cornelius Scipio, der den Beinamen Asiaticus annimmt. Der Senat beschließt, vor der Hand keine unmittelbaren Besitzungen in Asien zu erwerben, verteilt die abgetretenen Länder an die Bundesgenossen, namentlich an Eumĕnes von Pergamon und die Rhodier, und nimmt die griechischen Städte Asiens in Schutz gegen die Galăter (189 Zug des Konsuls Cn. Manlius Volso von Ephĕsus aus). In Griechenland werden die Ätōler besiegt und unterworfen, die übrigen Staaten behalten vorläufig ihre Selbständigkeit. Die inneren Zwistigkeiten dauern unter den Griechen fort, der römische Senat wird als Schiedsrichter angerufen,

186.

Senatus consultum de bacchanalibus gegen die Ausartung griechischer Götterdienste.

184.

M. Porcius Cato (234–149) strenger Censor in Rom, bekämpft als Vertreter altrömischer Sittenstrenge die zugleich mit der griechischen Bildung sich ausbreitenden Laster der Nobilität (ambitio, avaritia, luxuria), erbaut nach griechischem Vorbilde die erste Säulenhalle am Forum, Basilica Porcia. P. Cornelius Scipio Africanus, mit seinem Bruder L. Scipio von zwei Volkstribunen angeklagt wegen willkürlicher Verwendung der von Antiochos gezahlten Gelder, schlägt durch sein Ansehen den Prozeß nieder, verläßt dann Rom und stirbt 183 auf seinem Landgute zu Liternum in Campanien.

180.

Lex Villia annalis, beantragt von dem Tribunen L. Villius, zur Beschränkung der Ämtersucht (ambitio). Sie setzt ein bestimmtes Alter für die kurulischen Ämter fest: nach zehnjährigem Kriegsdienst Ädilität im 37. Lebensjahre, Prätur im 40., Konsulat im 43. Von der Bewerbung um die Ädilität waren Unvermögende schon dadurch ausgeschlossen, daß die Kosten für die öffentlichen Spiele (ludi Romani, ludi plebei, Megalesia, Cerealia, Floralia) größtenteils von den Ädilen selbst getragen wurden.

171–168.

Dritter Makedonischer Krieg.

Philipps V. Sohn Perseus will Makedoniens Macht über Griechenland herstellen; König Eumĕnes von Pergamon verklagt ihn in Rom. Die römische Kriegführung in Thessalien anfangs erfolglos, so daß unter den Griechen sich Neigung zum Abfall zeigt; dann aber dringt L. Aemilius Paullus, Sohn des bei Cannae gefallenen Konsuls, nachdem er die Manns[97]zucht im Heere hergestellt hat, in Makedonien ein und gewinnt die entscheidende

168.

Schlacht bei Pydna.

Perseus entflieht zu Schiff, ergibt sich dann auf der Insel Samothrake den Römern. Glänzender Triumph des Aemilius Paullus. Die nach Rom gebrachte Beute ist so bedeutend, daß fortan den Bürgern das Tributum (s. S. 75) erlassen werden kann.

Makedonien wird noch nicht zur Provinz gemacht, sondern in 4 von Rom abhängige Bezirke aufgelöst, die untereinander weder commercium noch conubium haben; ebenso Illyrien nach Besiegung des Königs Genthios, eines Bundesgenossen des Perseus, in 3 Bezirke. Über Epirus wird ein grausames Strafgericht verhängt (70 Städte zerstört, die Einwohner als Sklaven verkauft); die griechischen Staaten werden in das Verhältnis der Untertänigkeit herabgedrückt. 1000 vornehme Achäer werden zur Untersuchung nach Rom geführt (unter ihnen der Geschichtschreiber Polybios) und dann 16 Jahre in italischen Städten in Gewahrsam gehalten. Die alten Bundesgenossen der Römer, Eumĕnes von Pergamon und die Rhodier, welche im Kriege eine vermittelnde Stellung hatten einnehmen wollen, werden gedemütigt und den letzteren ihre Besitzungen auf dem Festlande abgenommen. In einem zwischen Syrien und Ägypten ausgebrochenen Kriege schreitet der Senat zum Schutze der Ptolemäer ein. Der römische Gesandte C. Popillius Laenas (168) befiehlt dem König Antiochus IV. von Syrien vor Alexandrīa in herrischer Weise den Rückzug.

149–146.

Dritter Punischer Krieg.

Veranlassung: Streitigkeiten der Karthager mit König Massinissa, der ihr Gebiet schmälert; sie bekämpfen ihn ohne römische Erlaubnis. Der Senat beschließt Krieg auf Betreiben des greisen M. Porcius Cato: Ceterum censeo Carthaginem esse delendam († 149).

Zwei konsularische Heere landen bei Utĭca; die Karthager unterwerfen sich, liefern Schiffe und Waffen aus. Als aber gefordert wird, daß sie ihre Stadt verlassen und sich 2 Meilen vom Meere neu anbauen sollen, entschließen sie sich zu verzweifeltem Widerstande. Mit äußerster Anstrengung aller Bewohner Karthagos wird eine neue Kriegsrüstung zustande gebracht, Tag und Nacht werden Waffen geschmiedet, im inneren Hafen wird eine neue Flotte gebaut. Ein Sturm der Römer wird zurückgeschlagen. Belagerung Karthagos.

147.

P. Cornelius Scipio Aemilianus, Sohn des L. Aemilius Paullus, durch Adoption Enkel des Scipio[98] Africanus[24] erhält den Oberbefehl. Er schließt die Stadt von der Land- und Seeseite vollständig ein.

146.

Einnahme und Zerstörung Karthagos.

Sechstägiger Straßenkampf und 17tägiger Brand. Die überlebenden Einwohner werden als Sklaven verkauft.

Das Land vom Tuscafluß, gegenüber der Insel Galatha, bis zur kleinen Syrte wird unter dem Namen Africa römische Provinz (Hauptstadt Utĭca). Das übrige Land kommt an das verbündete Königreich Numidien. Glänzender Triumph Scipios, der den Beinamen Africanus (minor) erhält.

146.

Makedonien wird römische Provinz

nach Besiegung des Andriskos, der sich für einen Sohn des Perseus ausgibt, durch Q. Caecilius Metellus.

140.

Einnahme und Zerstörung von Korinth

nach einem kurzen Kriege des Achäischen Bundes gegen die Römer. Der Konsul L. Mummius siegt bei Leukopetra, besetzt Korinth und zerstört es auf Befehl des Senats. Die Kunstschätze werden nach Rom geschickt, sämtliche Einwohner als Sklaven verkauft. Das Gebiet der Stadt wird teils an Sikyon gegeben, teils für römisches Gemeindeland erklärt.

Die anderen griechischen Städte werden im allgemeinen mit Milde behandelt, doch sind sie dem in Thessalonike residierenden Statthalter von Makedonien untergeordnet (s. S. 69).

Die ersten vier Provinzen (Sicilia, Sardinia nebst Corsica, Hispania citerior und ulterior) wurden anfänglich von Prätoren verwaltet, so daß es mit dem Praetor urbanus und dem Praetor inter peregrinos (seit 241), welche stets in Rom blieben, 6 jährlich erwählte Prätoren gab. Später wird es üblich, daß alle Prätoren während des Amtsjahres in Rom bleiben als Vorsitzende der aus Senatoren gebildeten Gerichtshöfe (quaestiones perpetuae). Im nächsten Jahre gehen dann die Prätoren als Proprätoren, begleitet von Quästoren als Finanzbeamten, in die ihnen durch das Los zugefallenen Provinzen; doch werden in solche Provinzen, wo noch Krieg zu führen ist, in der Regel die Prokonsuln gesandt. Neben der Ver[99]waltung steht den Prokonsuln und Proprätoren die höchste Militär- und Justizgewalt zu.

149.

Einsetzung des Gerichtshofs über Erpressungen (de repetundis) zur Abstellung der aus den Provinzen kommenden Klagen.

Im Jahre 146 bestanden acht Provinzen, außer den vier oben genannten noch Gallia cisalpina, Illyricum, Africa, Macedonia. Die Einrichtung einer Provinz wird in der Regel von dem erobernden Feldherrn und einer Kommission von 10 Senatoren vorgenommen. Die Provinzen sind im Gegensatz zu Italien steuerpflichtige Gebiete. Doch behalten einige Städte auf Grund eines Vertrages (civitates foederatae), andere auf Grund eines Senats- oder Volksbeschlusses (civitates liberae et immunes) Steuerfreiheit, eigene Gerichtsbarkeit und Verwaltung durch selbstgewählte Behörden (divide et impera!).[25] Die Abgaben der Provinz [Grundsteuer (tributum); Pacht- und Weidegelder von Staatsländereien (vectigal, scriptura); Hafenzölle (portoria)] werden an Abgabenpächter (publicani) verpachtet, meist Gesellschaften von römischen Bürgern aus dem Ritterstande (ordo equester, S. 102), von denen viele auch als Bankiers (negotiatores) und Großkaufleute (mercatores) in der Provinz Handelsgeschäfte trieben. Dem Amtsadel (ordo senatorius) waren Geld und Handelsgeschäfte untersagt; er legte sein Geld in Ländereien an, die durch Sklaven bearbeitet wurden.

In Italien bleibt der Gegensatz zwischen römischen Bürgern und Bundesgenossen; die Municipien (S. 86) erhalten nach und nach römisches Bürgerrecht. Die Herrschaft der Nobilität mit ihrem regelmäßigen Ämterwechsel ist so befestigt, daß Ernennung von Dictatoren lange Zeit nicht mehr vorkommt. Seit 153 v. Chr. treten die Konsuln ihr Amt stets am 1. Januar an (früher am 1. März). In Zeiten der Gefahr überträgt der Senat ihnen diktatorische Gewalt durch den Beschluß: Videant consules, ne quid detrimenti respublica capiat.

Zunehmende Verweichlichung und Genußsucht in Rom seit dem Ende des zweiten Punischen Krieges. Beginn des Großkapitalismus und der Latifundienwirtschaft. Vergebliche Bestrebungen von Männern wie M. Porcius Cato Censorius (234–149).[100]

§ 6. Bürgerliche Unruhen.

153–133.

Unterwerfung Spaniens.

Wiederholte Einfälle der freien Lusitaner (in Portugal) in die südliche Provinz. Ihr Feldherr Viriāthus, in mehreren Schlachten siegreich, wird 139 durch Verräter aus seiner Umgebung ermordet. In der nördlichen Provinz ist die Stadt Numantia (unweit Soria am oberen Duero) Mittelpunkt des Widerstandes. Endlich erhält den Oberbefehl P. Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (minor), der die Mannszucht im Heere wiederherstellt und nach 15monatiger Einschließung die Stadt aushungert. Verzweifelte Verteidigung.

133.

Übergabe und Zerstörung von Numantia.

Scipios Beiname Numantinus. Seit dem Fall von Numantia ist ganz Spanien, mit Ausnahme der nördlichen Bergvölker, der römischen Herrschaft unterworfen.

135–132.

Erster Sklavenkrieg.

Aufstand der mißhandelten Sklaven in Sicilien unter dem Syrer Eunūs, der sich König Antiochos nennt, glücklich gegen mehrere römische Heere kämpft, endlich aber gefangen und mit einer großen Anzahl Aufständischer hingerichtet wird.

133–121.

Gracchische Unruhen,

hervorgerufen durch die auf gewaltsame Weise betriebenen politischen und sozialen Reformen der Brüder Tiberius und Gaius Sempronius Gracchus.

Fortwährende Vermehrung der großen, durch Sklaven bewirtschafteten Güter (Latifundia). Billiges Getreide aus den Provinzen. Dadurch schmilzt der freie Bauernstand zusammen; viele arme Bürger ziehen nach Rom, gelockt durch die Aussicht auf Getreidespenden und Wahlbestechungen. Deshalb stellt

133.

Tib. Sempronius Gracchus, durch seine Mutter Cornelia Enkel des Siegers von Zama, als Volkstribun den Antrag auf Erneuerung des in Vergessenheit geratenen Licinischen Ackergesetzes (S. 81), doch sollen außer den 500 Morgen für zwei Söhne noch je 250 vom Gemeindeland von den Besitzern behalten und für die auf dem zurückzugebenden Lande ausgeführten Bauten und Anlagen Entschädigungen gezahlt werden. Aus dem dadurch frei gewordenen Gemeindeland sollen unveräußerliche Bauerngüter von je 30 Morgen gebildet und zur Bewirtschaftung gegen einen mäßigen Erbzins an arme Bürger verteilt werden. Nachdem Tib. Gracchus den Volkstribunen M. Octavius, der dagegen beharrlich Einspruch erhebt, durch Volksbeschluß widerrechtlich hat ab[101]setzen lassen, wird das Gesetz vom Volke angenommen; mit seiner Ausführung werden beauftragt: Tib. Gracchus, sein Schwiegervater Appius Claudius und sein Bruder C. Gracchus (tresviri agris dandis assignandis).

133.

Tod des Königs Attălos III. von Pergămon, der sein Reich (fortan römische Provinz Asia) und seine Schätze den Römern hinterläßt (S. 66).

Tib. Gracchus beantragt gegen das bestehende Herkommen, wonach der Senat über auswärtige Angelegenheiten entscheidet, beim Volke, den pergamenischen Schatz an die neuen Landbesitzer behufs Anschaffung des nötigen Inventars zu verteilen.

Vorbereitung weiterer volkstümlicher Gesetze (Abkürzung der Dienstzeit, Ausdehnung des Provokationsrechtes u. a.).

Tib. Gracchus will sich entgegen dem bestehenden Gesetz für das folgende Jahr wieder zum Tribunen wählen lassen, wird aber mit 300 seiner Anhänger von den Optimaten unter Führung des P. Cornelius Scipio Nasica auf dem Forum erschlagen. Die Konsuln des folgenden Jahres schreiten gegen die Volkspartei (populares) mit Hinrichtungen und Verbannungen ein, die beschlossene Ackerverteilung aber kommt zur Ausführung.

131.

Der Volkstribun C. Papirius Carbo setzt, um den Einfluß der Optimaten auf die Tributkomitien zu brechen, schriftliche geheime Abstimmung in denselben durch (lex tabellaria), welche für die Wahlen schon seit 139 angeordnet war. Seinen weiteren Vorschlägen tritt P. Cornelius Scipio Aemilianus (Gemahl der Sempronia, Schwester der Gracchen, S. 98), entgegen; auch hemmt er die weitere Tätigkeit der tresviri agris dandis assignandis, indem er bewirkt, daß ihnen die richterliche Entscheidung über streitiges Land entzogen wird.

129.

Am Tage nach einer aufgeregten Verhandlung wird Scipio in seinem Hause tot (ermordet?) gefunden.

125.

Der Konsul M. Fulvius Flaccus, welcher im Sinne der gracchischen Partei beantragt, den italischen Bundesgenossen römisches Bürgerrecht zu gewähren, wird vom Senat der von gallischen Stämmen bedrängten Stadt Massilia (S. 66) zu Hilfe geschickt. Bald darauf werden, um den Landweg von Italien nach Spanien zu sichern, römische Kolonien in Aquae Sextiae und Narbo gegründet, zur Sicherung des Seeverkehrs werden die Balearischen Inseln besetzt.

121.

Gallia Narbonensis römische Provinz (Massilia civitas foederata).

123.

Gaius Sempronius Gracchus erneuert als Volkstribun das Ackergesetz seines Bruders und knüpft daran eine Reihe von Gesetzen, welche die Herrschaft der Opti[102]maten zu stürzen bestimmt sind. Er gewinnt die Menge der ärmeren Bürger für sich, indem er die persönliche Freiheit sichert (lex Sempronia de civibus Romanis: ne de capite civium Romanorum iniussu populi iudicaretur), den Kriegsdienst erleichtert (lex militaris) und Getreideverkauf von Staats wegen an die Bürger zu billigem Preise anordnet (lex frumentaria). Für 122 wird er auf Grund eines Gesetzes, welches bei Mangel an Bewerbern um das Tribunat dem Volke freie Wahl gestattet, wieder zum Tribunen gewählt.

Durch die lex iudiciaria überträgt C. Gracchus die Besetzung der Geschworenengerichte (quaestiones perpetuae, S. 98) vom Senatorenstand (ordo senatorius) auf den Ritterstand (ordo equester). Dieser umfaßte die reicheren Bürger, welche als Besitzer eines Vermögens von mindestens 400 000 sestertii (70 000 Mark) zum Kriegsdienst zu Pferde eingeschätzt waren; die Senatoren aber waren seit 129 gesetzlich verpflichtet, mit ihrem Eintritt in den Senat aus den Rittercenturien auszuscheiden. Die einflußreichen Mitglieder der Geldaristokratie (publicani und negotiatores, S. 99) saßen also fortan auch über Senatoren zu Gericht.

Auch die Besetzung der Statthalterschaften in den Provinzen wird (durch die lex de provinciis) der freien Verfügung des Senats entzogen; die Provinz Asia wird durch die Anordnung, daß die Verpachtung der Abgaben in Rom durch die Censoren geschehen soll, der Habsucht der publicani aus dem Ritterstande ausgeliefert. Um die Ackerverteilung zu fördern, wird Aussendung von Kolonien durch Volksbeschluß angeordnet (lex de coloniis deducendis). Während Gracchus von Rom abwesend ist, um die Gründung der Kolonie Iunonia an der Stelle des zerstörten Karthago zu leiten, tritt der Tribun M. Livius Drusus mit Gegenvorschlägen, besonders die Gründung von Kolonien in Italien betreffend, auf und wird vom Senat unterstützt

Der Antrag des Gracchus, den Latinern volles Bürgerrecht, den übrigen Italikern latinisches Recht zu bewilligen (lex de civitate sociis danda), kommt bei dem vereinigten Widerstande der Optimaten und eines großen Teiles der Bürgerschaft nicht zur Annahme. Gracchus wird für das Jahr 121 nicht wieder zum Tribunen erwählt.

121.

Bürgerkampf in der Stadt, veranlaßt durch einen von einem Anhänger des Gracchus verübten Mord. Die Volkspartei besetzt den Aventin, der Senat erteilt dem Konsul L. Opimius durch das Senatus consultum ultimum (S. 99) Vollmacht zu Gewaltmaßregeln. Der Aventin wird von Bewaffneten erstürmt, C. Gracchus und M. Fulvius werden auf der Flucht erschlagen. Gegen 3000 Anhänger des Gracchus werden bei der folgenden Untersuchung verhaftet und getötet.[103]

Herstellung der Senatsherrschaft; die Kolonien (außer Narbo) kommen nicht zur Ausführung. Das verteilte Gemeindeland wird 111 durch Volksbeschluß in zinsfreies Eigentum umgewandelt, kann also von reicheren Bürgern wieder angekauft werden.

§ 7. Marius und Sulla.

Die Behauptung des zu ansehnlicher Ausdehnung gelangten römischen Reiches macht immer wieder Kriege notwendig, deren Führung durch die inneren Parteikämpfe beeinflußt wird.

111–105.

Jugurthinischer Krieg. Jugurtha, Enkel Massinissas, hatte seine Vettern und Miterben Adherbal und Hiempsal aus dem Besitz Numidiens vertrieben und getötet. Der Krieg gegen ihn wird anfangs von bestochenen Anführern nachlässig geführt; ein Sieg des Caecilius Metellus (Numidicus) am Flusse Muthul ist nicht entscheidend. C. Marius, Unterfeldherr des Q. Caecilius Metellus, aus niederem Stande, Sohn eines Bauern aus der Gegend von Arpinum, 107 zum Konsul erwählt, nötigt Jugurtha, zum Könige Bocchus von Mauretanien zu fliehen. Von diesem erlangt der optimatische Quästor L. Cornelius Sulla durch geschickte Unterhandlungen die Auslieferung des Feindes. Jugurtha wird in Rom im Triumph aufgeführt, dann im Gefängnis (Tullianum) getötet. Numidien wird zwischen Bocchus und Jugurthas Halbbruder Gauda, dem letzten noch lebenden Enkel Massinissas, geteilt.

113–101.

Krieg gegen die Cimbern und Teutonen.

Der germanische Stamm der Cimbern, von Norden her aus der Chersonesus Cimbrica (Schleswig und Jütland) auswandernd, dringt in die Alpengegenden ein, schlägt 113 bei Noreja (in Kärnten) den Konsul Cn. Papirius Carbo, wendet sich darauf nach Westen dem Rhein zu, überschreitet diesen Strom und schlägt 109 in Gallien den Konsul M. Junius Silanus. Große Niederlage zweier römischer Heere 105 bei Arausio (Orange) an der Rhone. Schrecken in Rom; die Volkspartei setzt für 104 die Erwählung des Marius zum Konsul durch; er wird auch in den folgenden Jahren wiedergewählt und rüstet sich, während die Cimbern nach Spanien ziehen, in der Provinz Gallia Narbonensis zur Abwehr.

Die Cimbern, nach Gallien zurückgekehrt, vereinigen sich mit dem gleichfalls germanischen Volke der Teutonen und mit helvetischen (keltischen) Stämmen, namentlich den Tigurinern. Einbruch in Italien beschlossen; die Cimbern und Tiguriner ziehen nach Kärnten, um von Norden her die Alpen zu überschreiten; die Teutonen mit den Ambronen, der Kernschar der[104] Cimbern, ziehen durch die römische Provinz an Marius’ Lager vorüber, um die Pässe der Westalpen zu erreichen.

102.

Schlacht bei Aquae Sextiae (Aix in der Provence, s. S. 101); Marius vernichtet in gewaltigem Kampfe die Teutonen und Ambronen. Dann zieht er über die Alpen dem optimatischen Konsul Q. Lutatius Catulus zu Hilfe, der vor den Cimbern in die Gegend am oberen Po zurückgewichen war.

101.

Schlacht bei Vercellae (nördlich am oberen Po), Sieg der beiden Konsuln; das Hauptverdienst gebührt Marius.

Man erwartet von ihm, daß er die Herrschaft der Optimaten stürze. Im Jahre 100 zum sechsten Male Konsul, tritt er in Verbindung mit den Führern der Volkspartei, dem Prätor C. Servilius Glaucia und dem Volkstribunen L. Saturninus, entzweit sich aber bald mit ihnen und unterdrückt schließlich, der Aufforderung des Senats Folge leistend, die von ihnen erregten Unruhen mit Waffengewalt, geht dann auf einige Zeit nach der Provinz Asia.

91.

Zur Versöhnung der Parteien beantragt der Volkstribun M. Livius Drusus: 1. Rückgabe der Geschworenengerichte (S. 102) an den Senat, der aber durch 300 Mitglieder des Ritterstandes vermehrt werden soll; 2. Ackerverteilung und ein neues Getreidegesetz. Heftige Erörterungen darüber im Senat. Als er dann den Italikern die Erteilung des Bürgerrechts in Aussicht stellt, gilt er wie C. Gracchus als Aufrührer und wird durch Meuchelmord beseitigt. Die Italiker aber erheben sich nun zum Kriege gegen Rom.

91–88.

Marsischer oder Bundesgenossenkrieg.

Corfinium im Gebirgslande, östlich vom Fucinus-See, wird zur Hauptstadt des neuen Staates bestimmt; dort soll ein Senat von 500 Mitgliedern aus allen italischen Stämmen tagen; zwei Konsuln treten an die Spitze. Aber die Latiner, Etrusker und Umbrer halten zu Rom; es kommt nicht zu großen Entscheidungskämpfen, da der Antrag des Konsuls L. Julius Caesar, den treu gebliebenen Bundesgenossen das Bürgerrecht zu verleihen, bald dahin erweitert wird, daß es allen Abgefallenen, die sich binnen 60 Tagen melden, gewährt werden soll (lex Plautia Papiria, von zwei Volkstribunen des Jahres 89 vorgeschlagen). Damit wird die Bevölkerung Italiens zur Teilnahme an der Weltherrschaft Roms zugelassen. Die nach Annahme dieser Anträge noch Widerstrebenden werden von Sulla und anderen Feldherrn nach und nach besiegt. Ein auswärtiger Feind erhebt sich, und durch neuen inneren Hader kommt der römische Staat in die größte Gefahr.[105]

88–84.

Erster Mithradatischer Krieg.

Gleichzeitig Bürgerkrieg zwischen Optimaten und Volkspartei.

Mithradates VI., König von Pontus (S. 66), hatte seine Herrschaft bis nach Kolchis und dem Kimmerischen Bosporus (Krim) ausgedehnt, den König von Bithynien vertrieben und war dann in der römischen Provinz Asia als Befreier aufgetreten. Auf seinen in Ephesus erlassenen Befehl werden alle in der Provinz sich aufhaltenden Italiker ermordet.

In Rom beantragt der Volkstribun P. Sulpicius Verteilung der Neubürger in alle 35 Tribus und Übertragung des Oberbefehls gegen Mithradates an Marius. Sulla, als Konsul des Jahres 88 entschlossen, sich den Oberbefehl nicht entreißen zu lassen, führt seine 6 Legionen von Nola aus gegen Rom und erstürmt die Stadt. Sulpicius auf der Flucht getötet, Marius entkommt über Minturnae nach Afrika. Sulla stellt die alte, um 241 abgeschaffte Stimmordnung der Servianischen Verfassung für die Centuriatkomitien wieder her und bestimmt, daß fortan in der Bürgerschaft über keinen Antrag ohne Vorbeschluß des Senats abgestimmt werden darf.

87.

Nachdem Sulla zur Kriegführung gegen Mithradates abgereist ist, beruft der aus der Volkspartei erwählte Konsul L. Cornelius Cinna den flüchtigen Marius zurück und beginnt mit ihm eine revolutionäre Schreckensherrschaft in Rom. Viele Optimaten werden getötet, ihr Vermögen eingezogen. Marius, zum siebenten Male Konsul 86, stirbt zu Anfang des Jahres; Cinna führt seine Willkürherrschaft weiter, wird 84 in Ancona getötet, als er die Flotte gegen Sulla führen will.

Mithradates’ Feldherr Archelaos hat inzwischen einen großen Teil Griechenlands zum Abfall von der römischen Herrschaft gebracht. Sulla schlägt ihn in Böotien, nimmt 86 nach längerer Belagerung Athen ein, schlägt Mithradates’ Truppen nochmals bei Chaironeia und 85 bei Orchomenos, geht dann nach Asien hinüber.

84.

Friede mit Mithradates zu Dardănos in Troas; er muß die besetzten Gebiete (die Provinz Asia, die Königreiche Bithynien und Paphlagonien) räumen, alle Kriegsschiffe ausliefern und 3000 Talente zahlen. Darauf wendet sich Sulla gegen das Heer der Volkspartei, welches 86 nach Asien gekommen war, aber nichts ausgerichtet hatte; die Soldaten fallen ihm zu, der Anführer C. Flavius Fimbria tötet sich selbst.

83.

Sulla landet mit etwa 40000 Mann in Brundisium, sichert den Bundesgenossen das volle Bürgerrecht zu, schlägt in mehreren Treffen, unterstützt von dem jungen[106] Cn. Pompeius, der ihm ein Heer von Freiwilligen zuführt, die Heere der Volkspartei.

82.

Sulla nimmt Rom ohne Widerstand ein, schlägt die Samniten, welche noch immer das Bürgerrecht verschmähen, in einer Schlacht am Kollinischen Tor, verhängt über aufständische Städte ein Strafgericht. In Rom verfügt er als Dictator blutige Verfolgung der Marianischen Partei; es werden Proskriptionslisten aufgestellt; die Zahl der Geächteten steigt auf 4700. Ihre Güter werden eingezogen und die Sklaven freigelassen, ihre Kinder von allen Ämtern ausgeschlossen. Nach Beendigung des Bürgerkrieges folgen Landanweisungen an die Veteranen des Heeres; in die besiegten italischen Städte (Faesulae, Praeneste, Pompeii u. a.) werden ganze Kolonien geschickt. Seine Unterfeldherrn besiegen die Marianer in Spanien, Sicilien und Afrika. Pompeius, aus Afrika 81 zurückkehrend, zieht im Triumph in Rom ein und wird von Sulla mit dem Beinamen Magnus begrüßt.

Gesetzgebung Sullas (leges Corneliae) zur Befestigung der Optimatenherrschaft: 1. Der an Zahl sehr zusammengeschmolzene Senat wird durch 300 von den Tributkomitien erwählte Mitglieder ergänzt; für die Zukunft wird der Eintritt in den Senat gesetzlich an die Bekleidung der Quästur geknüpft. Die Zahl der jährlich von den Tributkomitien zu erwählenden Quästoren wird auf 20 erhöht. Das Amt der Censur mit seiner Befugnis, alle fünf Jahre die Senatsliste neu aufzustellen, hört tatsächlich auf. Die von C. Gracchus dem Ritterstande übertragenen Geschwornengerichte werden dem Senat zurückgegeben.

2. Die Komitien behalten das Recht, Gesetze zu bestätigen und Beamte zu wählen; den Priesterkollegien (S. 81) wird das Recht der Selbstergänzung zurückgegeben. Die im J. 88 versuchte Wiederherstellung der Servianischen Stimmordnung wird aufgegeben.

3. Das Recht der Volkstribunen, Gesetzvorschlage an die Komitien zu bringen, wird an die Genehmigung des Senats geknüpft; Mißbrauch ihres Einspruchsrechts wird mit schweren Geldbußen bedroht; wer das Tribunat bekleidet, ist zur Übernahme anderer Ämter unfähig.

4. Die Zahl der stehenden Gerichtshöfe (quaestiones perpetuae, S. 98) wird vermehrt, daran schließt sich die Vermehrung der Prätoren auf 8 und eine umfassende Kriminalgesetzgebung.

81.

Sulla läßt Konsuln wählen, führt aber selbst als Dictator die Regierung weiter. Für das Jahr 80 läßt er sich selbst und seinen Waffengenossen Q. Metellus (Sohn des Numidicus, S. 103) zu Konsuln erwählen, und bahnt so den Übergang zur verfassungsmäßigen Ordnung an.[107]

79.

Sulla legt freiwillig die Dictatur nieder und tritt ins Privatleben zurück († 78).

§ 8. Pompeius und Cäsar.

Die Sullanische Staatsordnung gewinnt keinen festen Bestand, da der Senat auf die Dauer nicht imstande ist, den Ehrgeiz einzelner Machthaber zu zügeln.

Pompeius bekämpft 77–72 in Spanien den Marianer Q. Sertorius, der sich dort eine unabhängige Herrschaft gegründet hat, schließlich aber durch Verschworene ermordet wird. Bei der Rückkehr 71 vernichtet er flüchtige Scharen aufständischer Sklaven, die unter Führung des Thrakers Spartăcus seit 73 Italien stark beunruhigt hatten, aber von M. Licinius Crassus bereits besiegt worden waren (2. Sklavenkrieg, s. S. 100).

70.

Umsturz der Sullanischen Verfassung. Die Konsuln Pompeius und Crassus stellen die von Sulla beschränkte tribunicische Gewalt wieder her. Auf Antrag des Prätors L. Aurelius Cotta werden die Gerichte fortan zu gleichen Teilen aus Senatoren, Rittern und Männern des Bürgerstandes gebildet. Auch werden wieder Censoren erwählt; bei Aufstellung der Senatsliste werden 64 von Sulla ernannte Senatoren ausgestoßen. Der Volksgunst verdankt Pompeius zweimalige Übertragung des Oberbefehls in den damals entstandenen Kriegen.

78–67.

Krieg gegen die Seeräuber. Seit Zerstörung Karthagos war die römische Kriegsflotte vernachlässigt. Erpressungen der Statthalter in Asien trugen dazu bei, daß das Unwesen des Seeraubes den Handelsverkehr auf dem ganzen Mittelmeer gefährdete. Die italischen Küstenstädte von ihnen gebrandschatzt, eine römische Flotte vor Ostia geschlagen. Kreta und Cilicien Hauptsitze der Seeräuber. Nachdem im J. 103 ein Teil Ciliciens zur Provinz gemacht war, besetzt der Prokonsul P. Servilius Vatia 78–75 auch die westlich angrenzenden Landschaften Pamphylien, Pisidien, Isaurien und zerstört viele Seeräuberstädte, Kreta wird nach längeren Kämpfen 67 zur Provinz gemacht (bald mit Cyrenaica vereinigt). Da indes das Piratenunwesen noch fortdauert, so erhält

67.

Pompeius auf Antrag des Volkstribunen A. Gabinius (lex Gabinia) auf drei Jahre den unumschränkten Oberbefehl über das ganze Mittelmeer und über alle Küsten desselben bis 10 Meilen (75 km) landeinwärts; alle Staatskassen, alle Hilfsmittel der Provinzen und der Schutzstaaten werden ihm zur unbedingten Verfügung gestellt. Pompeius säubert[108] mit 120000 Mann und 500 Schiffen in drei Monaten (durch 2 kurze Feldzüge) erst das westliche, dann das östliche Mittelmeer, nimmt viele Seeräuber gefangen und siedelt sie meist landeinwärts an (Pompeiopolis, bisher Soloi, in Cilicien).

74–64.

Dritter Mithradatischer Krieg.

Gegen den König von Pontus hatte der Proprätor L. Licinius Murena 83–81 einen zweiten Krieg geführt, um ihn zu völliger Ausführung des Friedens zu Dardanos zu zwingen. Nach Sullas Tode erhebt sich Mithradates von neuem, verbündet mit seinem Schwiegersohn Tigranes von Armenien, der dem Reiche Syrien (S. 65) ein Ende macht. Mithradates besetzt Bithynien, das König Nikomedes den Römern vermacht hatte (S. 66), wird aber von dem Prokonsul L. Licinius Lucullus 72 bei Kabira geschlagen und aus seinem Reiche vertrieben. Lucullus siegt 69 auch über Tigranes bei Tigranokerta und besetzt die Landschaft Kommagēne am oberen Euphrat, wird aber 68 bei dem Zuge durch die armenischen Berge gegen die Hauptstadt Artaxăta durch Meuterei seiner Soldaten zur Umkehr genötigt. Alle Erfolge gehen verloren; Mithradates kehrt in sein Reich zurück. Lucullus vom Senat zurückgerufen.

66.

Pompeius erhält den Oberbefehl in Asien auf Antrag des Tribunen C. Manilius (Ciceros Rede de imperio Cn. Pompei oder pro lege Manilia). Er schließt ein Bündnis mit den Parthern, besiegt Mithradates in einer nächtlichen Schlacht am Flusse Lykos, verfolgt ihn bis zum Phasis und wendet sich dann nach Armenien. Bei Artaxata unterwirft sich Tigranes; er bleibt König von Armenien, muß aber auf alle Eroberungen verzichten und 6000 Talente Kriegskosten zahlen.

65.

Pompeius kämpft mit den kriegerischen Bergvölkern im Kaukasus, gibt aber die weitere Verfolgung des nach der Taurischen Chersones (Krim) geflüchteten Mithradates auf und zieht nach Pontus, von da nach Syrien.

64–63.

Einrichtung des asiatischen Römerstaates durch Pompeius.

Neue Provinzen: 1. Pontus, bestehend aus Bithynien, der Küste von Paphlagonien und dem westlichen Teil des früheren Reiches des Mithradates. 2. Syria, zunächst nur das Küstenland, vom Meerbusen von Issus bis Damaskus, später bedeutend erweitert. Neugeordnet wird die schon bestehende Provinz Cilicia (mit Pamphylien und Isaurien, S. 107). Die asiatischen Provinzen sind vielfach durchbrochen und umgeben von unabhängigen Stadtgebieten, sowie von fürstlichen und priesterlichen (Pessinūs, Komana) Herrschaften unter römischer Ober[109]hoheit. Von den Vasallenkönigen sind die bedeutendsten der König von Kappadokien und der König Deiotărus von Galatien (S. 66). In Palästina setzt Pompeius nach Einnahme Jerusalems und des Tempels den von seinem Bruder Aristobulos vertriebenen Makkabäer Hyrkanos als Hohenpriester und dem römischen Volke tributpflichtigen Herrscher ein.

63.

Auf die Nachricht, daß Mithradates sich in Pantikapaion infolge des Aufstandes seines Sohnes Pharnăces den Tod gegeben, zieht Pompeius wieder nach Pontus; er bestätigt den Pharnăces im Besitz des bosporanischen Reiches.

61.

Pompeius, nach Italien zurückgekehrt, entläßt in Brundisium sein Heer und kommt als Privatmann nach Rom. Einige Monate später zweitägiger prachtvoller Triumph.

66–63.

Catilinarische Verschwörung.

Bund der Volkspartei mit den Anhängern des verschuldeten Patriziers L. Sergius Catilina, welche durch gewaltsamen Umsturz des Staates und Schuldentilgung (tabulae novae) Besitz und Macht zu erlangen hoffen.

Die erste Verschwörung im J. 66, nach welcher die Konsuln des J. 65 ermordet, darauf Crassus (S. 107) zum Dictator, C. Julius Cäsar[26] zum magister equitum erhoben werden sollen, kommt wegen Unschlüssigkeit einiger Teilnehmer und sonstiger Hindernisse nicht zur Ausführung. Für das Jahr 63 soll die Erwählung des Catilina und des C. Antonius zu Konsuln durchgesetzt werden, aber nur der letztere wird gewählt; sein Amtsgenosse wird der als Redner und Anwalt beliebte, bisher keiner Partei vollständig angehörige M. Tullius Cicero.[27] Dieser sichert dem verschuldeten Antonius durch eigene Ver[110]zichtleistung im voraus die einträgliche Statthalterschaft Makedonien zu und macht ihn dadurch den Verschworenen abwendig.

Cicero verhindert während seines Konsulates mehrere Anträge der Volkspartei, namentlich ein weitgehendes Ackergesetz, überwacht die Anschläge der Verschwörung und vereitelt den Versuch Catilinas, bei der Konsulwahl für 62 die Mitbewerber und ihn selbst, den die Wahl leitenden Konsul, zu ermorden. Der Senat, von der Bildung eines aufständischen Heeres unter G. Manlius in Etrurien unterrichtet, erteilt den Konsuln Vollmacht zur Rettung des Staates (S. 99). Catilinas Plan, Cicero in seinem Hause ermorden zu lassen, wird ebenfalls verraten und mißlingt. Cicero enthüllt die Verschwörung in der Senatssitzung am 8. Nov. 63 (erste Catilinarische Rede); Catilina verläßt darauf die Stadt und geht zu dem Heere nach Etrurien. Seine Mitverschworenen, der Prätor Lentulus, Cethegus, Gabinius u. a., lassen sich mit den Gesandten der Allobreger (in der provincia Narbonensis) in Verhandlungen ein; diese werden bei der Abreise von Rom angehalten; auf Grund der bei ihnen gefundenen schriftlichen Beweise wird am 5. Dez. im Senat über die Verschworenen Gericht gehalten. Der Senat beschließt trotz Cäsars Gegenrede, durch Cicero (vierte Catilinarische Rede) und M. Porcius Cato (Urenkel des M. Porcius Cato Censorius) bestimmt, die fünf Verhafteten hinrichten zu lassen; das Urteil wird am Abend des 5. Dez. im Tullinanum vollzogen. Cicero vom Volke als pater patriae begrüßt.

Mit der Kriegführung gegen das Catilinarische Heer wird der Konsul C. Antonius beauftragt. Dessen Legat M. Petreius schlägt den Catilina bei Pistoria (62). Catilina und 3000 seiner Anhänger fallen.

61.

Cäsar gewinnt seinen ersten Kriegsruhm als Proprätor in der Provinz Hispania ulterior, verzichtet aber nach seiner Rückkehr (60) auf den Triumph, um als Bewerber um das Konsulat auftreten zu können.

Die Weigerung des Senats, die von Pompeius beantragte Ackerverteilung an seine Veteranen zu bewilligen und seine in Asien getroffenen Anordnungen zu bestätigen, führt einen vollständigen Bruch zwischen Pompeius und den Optimaten herbei. Die drei mächtigsten Männer Roms verbinden sich zu gegenseitiger Unterstützung:

60.

Das erste Triumvirat, Pompeius, Cäsar und Crassus.

59.

Cäsar Konsul, bringt die von Pompeius gewünschten Anträge an die Komitien: sie werden trotz des Widerstandes, den der andere Konsul M. Calpurnius Bibulus leistet, vom Volke angenommen. Die Freundschaft zwischen Cäsar und Pompeius wird durch Vermählung des lezteren mit Cäsars Tochter Julia befestigt.[111]

Auf Antrag des Tribunen P. Vatinius erhält Cäsar durch Volksbeschluß die Statthalterschaft von Gallia cisalpina und Illyricum auf 5 Jahre; auf Pompeius’ Antrag fügt der bestürzte Senat noch Gallia Narbonensis (S. 101) hinzu. Die Ausführung des Ackergesetzes wird einer Kommission übertragen, an deren Spitze Pompeius und Crassus stehen. Ehe Cäsar in seine Provinzen abgeht, wird

58.

Catos und Ciceros Entfernung aus Rom auf Cäsars Betreiben durchgesetzt von dem durch Adoption aus einem Patrizier zum Plebejer gemachten Volkstribunen P. Clodius, Nachkommen des App. Claudius Caecus. Cato wird durch Volksbeschluß beauftragt, die den Römern durch Testament des Königs von Ägypten zugewiesene Insel Cypern zu übernehmen. Cicero wird geächtet, weil er römische Bürger ohne gerichtliches Urteil habe hinrichten lassen; er geht nach Thessalonike in Makedonien.

58–51.

Eroberung Galliens durch Cäsar.

Gallien bewohnt von keltischen Stämmen, die sich zu Gauverbänden vereinigt haben (im N. die Belger, im S. die Aquitaner, in der Mitte die Äduer, Arverner, Sequaner mit ihren Genossen). Zur Ausgleichung der Streitigkeiten jährliche Landtage im Gebiet der Carnuten unter Leitung der Priester (Druiden). Die Arverner und Sequaner aber haben im Streit mit den Äduern germanische Stämme, Sueben unter dem König Ariovist, herbeigerufen und ihnen Land abtreten müssen. Cäsar schützt, indem er zunächst für die Sicherheit der römischen Provinz sorgt, die Gallier in ihren Wohnsitzen.

58.

Cäsar siegt über die in Gallien einbrechenden Helvetier bei Bibracte (unweit Autun), dann über den Germanenfürsten Ariovist nordöstlich von Vesontio (Besançon), in der Gegend von Mülhausen im Elsaß.

57.

Unterwerfung der meisten belgischen Volksstämme nach einem schwer errungenen Siege über die Nervier am Flusse Sabis (Sambre). Im Süden vergeblicher Versuch, durch Besetzung von Octodurus (Martigny in Wallis) den Alpenübergang über den Paß des Großen St. Bernhard zu sichern.

56.

Unterwerfung der Seestaaten, namentlich der Venĕter, in Arĕmorĭca (Bretagne und Normandie) durch schwere Kämpfe Cäsars zu Lande und zur See. Im Süden unterwirft der Legat P. Crassus, Sohn des Triumvirs, die Aquitaner.

55.

Cäsar treibt die germanischen Stämme der Usipĕter und Tenktĕrer über den Rhein zurück. Übergang[112] über den Strom auf einer Pfahlbrücke (in der Gegend von Neuwied). Rückkehr nach 18tägigem Verweilen auf dem rechten Ufer.

Erste Überfahrt nach Britannien mit 2 Legionen, Landung nordöstlich von Dover, doch baldige Rückkehr. Cäsars Legaten unterwerfen die nördlichsten gallischen Küstenvölker, die Morĭner und Menapier.

54.

Zweite Überfahrt nach Britannien mit 5 Legionen. Der Äduer Dumnorix, der die Mitfahrt verweigert, wird getötet. Cäsar landet, dringt in das Innere vor, überschreitet die Themse, kämpft glücklich gegen die britischen Kelten unter Cassivellaunus. Unterdessen Angriff auf sein Schiffslager; er kehrt zurück, nachdem Cassivellaunus sich unterworfen und Geiseln gestellt hat.

Im Winter Aufstand mehrerer gallischer Völkerschaften, veranlaßt von dem Trevĕrer Indutiomārus. Die Eburonen unter Ambiorix vernichten 15 römische Kohorten (unter Sabinus und Cotta) bei Aduatŭca und bestürmen mit den Nerviern das Winterlager des Legaten Q. Tullius Cicero (Bruder des Redners), der tapfer standhält und von Cäsar befreit wird. Indutiomārus fällt bei einem Angriff auf das Winterlager des T. Labienus.

53.

Labienus unterwirft die Trevĕrer, Cäsar überschreitet zum zweiten Male den Rhein, um die Sueben abzuwehren. Nach der Rückkehr Strafgericht über die Eburonen.

52.

Allgemeiner Aufstand der Gallier unter dem Arverner Vercingetŏrix. Cäsar erobert Cenăbum (Orléans) und Avarĭcum (Bourges), entsendet den Legaten T. Labienus zur Besetzung von Lutetia Parisiorum (Paris), belagert aber vergeblich Gergovia (in der Nähe von Clermont in der Auvergne). Aufstand der bisher ihm treu ergebenen Äduer. Cäsar vereinigt sich wieder mit Labienus, schließt Vercingetorix in Alesia (Alise Sainte-Reine nordwestlich von Dijon) ein. Harter Kampf gegen ein großes, aus allen Teilen Galliens zusammengebrachtes Entsatzheer, welches zurückgeschlagen wird. Vercingetorix muß sich ergeben (6 Jahre später in Rom hingerichtet). Bestrafung der Aufständischen.

51.

Vollendung der Unterwerfung des transalpinischen Galliens, welches Cäsar mit 10 über das ganze Land verteilten Legionen im Gehorsam erhält.

Ergebnisse und weltgeschichtliche Bedeutung der achtjährigen Kämpfe Cäsars: 1. Das römische Reich wird durch die Unterwerfung des großen Keltenlandes erweitert und gegen Angriffe der nordischen Völker gesichert. 2. Die Ausbreitung des römischen Handels (Massilia) und der griechisch-römischen[113] Kultur über West- und Mitteleuropa wird durch Erschließung Galliens, Britanniens und Germaniens wesentlich gefördert. 3. Cäsar gewinnt ein ihm ergebenes, kriegsgeübtes Heer, um die notwendig gewordene Umgestaltung der römischen Republik in eine Monarchie durchzuführen.

Während diese großartigen Erfolge Cäsars den alten Kriegsruhm des Pompeius in Schatten stellen, bemüht sich dieser vergebens, in Rom die von P. Clodius erregten Unruhen der Volkspartei zu unterdrücken. Doch wird im J. 57 die Zurückberufung Ciceros durchgesetzt, und die beiden Tribunen T. Annius Milo und P. Sestius treten mit bewaffneten Anhängern den Scharen des in Cäsars Diensten stehenden Clodius entgegen.

56.

Erneuerung des Triumvirats zu Lucca (in Etrurien). Cäsar, Pompeius und Crassus vereinigen sich dort mit ihren Anhängern (über 200 Senatoren). Infolge der getroffenen Verabredungen werden für das J. 55 mit Anwendung von Gewalt als Konsuln durchgesetzt Pompeius und Crassus. Durch Volksbeschluß erhält dann auf 5 Jahre Pompeius die Statthalterschaft beider Spanien, Crassus die von Syrien, während Cäsars Oberbefehl in Gallien auf weitere 5 Jahre verlängert wird. Die Optimaten müssen sich diesen Beschlüssen fügen.

53.

Crassus unternimmt einen Kriegszug gegen die Parther (S. 65), wird aber bei Carrhae in Mesopotamien von ihnen geschlagen und bald darauf bei einer Verhandlung getötet. Sein Heer nahezu aufgerieben, römische Feldzeichen von den Parthern erbeutet (S. 123).

Pompeius bleibt in Rom, erbaut dort das erste steinerne Theater, veranstaltet glänzende Spiele, läßt seine spanischen Provinzen durch Legaten verwalten.

52.

Clodius getötet bei einem Zusammenstoß mit der Bande des Milo auf der Via Appia. Aufstand in Rom bei der Leichenfeier für Clodius, die Curia Hostilia in Brand gesteckt. Pompeius, zum alleinigen Konsul erwählt (consul sine collega), stellt die Ruhe wieder her. Auf Grund der von ihm beantragten Gesetze de ambitu und de vi wird Milo trotz Ciceros Verteidigungsrede verurteilt und geht in die Verbannung. Cicero als Prokonsul Statthalter von Cilicien (51–50) und damit wieder aus Rom entfernt.

Pompeius, seit dem Tode der Julia (54) dem Cäsar entfremdet, heiratet die Tochter des Optimaten Q. Metellus Scipio, der für die letzten 5 Monate des Jahres 52 sein Mitkonsul wird. Er läßt sich die Statthalterschaft in Spanien auf 5 Jahre erneuern.

Verhandlungen im Senat (51–50) über die durch widersprechende Bestimmungen unlösbar verwickelte Frage, ob Cäsar seine Statthalterschaft am 1. März 49 oder erst Ende 49 nieder[114]zulegen habe. Cäsars Gegner bestehen, um ihn zu stürzen, auf dem früheren Termin, wollen auch einen Volksbeschluß, der ihm gestattete, sich abwesend um das Konsulat (für das Jahr 48) zu bewerben, nicht anerkennen. Cäsar fügt sich dem Verlangen, daß er zwei Legionen (darunter eine früher von Pompeius entliehene) zum Partherkrieg abgebe, läßt aber durch den ihm gleich Clodius ergebenen Volkstribunen C. Scribonius Curio die Forderung stellen, daß er und Pompeius gleichzeitig am 1. März 49 den Oberbefehl niederlegen sollen.

vor Chr 49–46.

Bürgerkrieg zwischen Cäsar und den Optimaten.

49. (1. Jan.)

Der Senat erklärt nach Abweisung wiederholter Vermittelungsvorschläge Cäsar für einen Reichsfeind (hostis), wenn er nicht innerhalb einer bestimmten kurzen Frist seine Provinzen an die ernannten Nachfolger übergebe und sein Heer entlasse. Ein zweiter Senatsbeschluß (7. Jan.) gibt den Konsuln und Prokonsuln Vollmacht zu außerordentlichen Maßregeln (S. 99). Die Cäsar ergebenen Volkstribunen fliehen zu ihm nach Ravenna.

Cäsar geht mit einer Legion über den Bach Rubico, die Grenzscheide zwischen seiner Provinz und Italien, und beginnt damit den Bürgerkrieg.

Große Bestürzung in Rom. Pompeius, dessen Rüstungen erst begonnen haben, entweicht mit den Konsuln und einem Teile des Senats (darunter Cicero) nach Capua, dann nach Brundisium (Staatskasse in Rom zurückgelassen). Cäsar zieht durch Umbrien und Picenum, zwingt, durch 2 nachgekommene und 3 neugebildete Legionen verstärkt, den L. Domitius in Corfinium zur Übergabe und rückt vor Brundisium. Pompeius entkommt mit der Flotte nach Dyrrhachium. Cäsar ordnet den Bau neuer Schiffe an und wendet sich zunächst nach Rom; dort beschwichtigt er die Besorgnis vor Wiederkehr der Greuel des ersten Bürgerkrieges. Großmütiges Verfahren gegen seine Feinde.

49.

Cäsar geht auf dem Landwege nach Spanien zur Bekämpfung der Legaten des Pompeius: ein Teil seines Heeres belagert Massilia. Die Legaten L. Afranius und M. Petreius werden bei Ilerda, nördlich vom Ebro, zur Übergabe gezwungen, ihr Heer wird aufgelöst.

M. Terentius Varro, der in Hispania ulterior den Oberbefehl führt, zieht sich nach Gades zurück und ergibt sich ohne Kampf, da die meisten Städte der Provinz sich für Cäsar erklären. Als dieser nach Italien zurückmarschiert, unterwirft sich ihm die ausgehungerte und mit Erstürmung bedrohte Stadt Massilia. Während dieser Zeit hat sein Legat C. Scribonius[115] Curio Sicilien unterworfen. Derselbe setzt nach Afrika über, siegt erst bei Utĭca, wird aber von Iuba, König von Numidien, der sich für Pompeius erklärt hatte, am Bagradasfluß geschlagen und fällt.

Cäsar wird (abwesend) in Rom von dem Prätor M. Aemilius Lepidus zum Dictator ernannt, legt aber die Dictatur nach 11 Tagen nieder, nachdem er für das Jahr

48.

zum Konsul erwählt ist (zusammen mit P. Servilius Isauricus), während der nach dem Osten geflüchtete Teil des Senats (in Thessalonike) dem Pompeius und allen Beamten des letzten Jahres die Amtsgewalt verlängert.

Landung Cäsars an der Küste von Epirus; er rückt nach Illyrien vor und nimmt die Städte Oricum und Apollonia ein. Sein Legat M. Antonius kann erst nach einigen Monaten mit dem anderen Teil des Heeres folgen, da die pompejanische Flotte das Meer beherrscht. Cäsar schließt das Heer des Pompeius bei Dyrrhachium ein, aber seine Verschanzungen werden durchbrochen. Cäsar, geschlagen und zum Rückzug gezwungen, geht nach Thessalien, wohin ihm Pompeius folgt. Cato und Cicero bleiben in Dyrrhachium zurück. In der thessalischen Ebene kommt es zur

48. (9. Aug.)

Schlacht bei Pharsālus.

Cäsar schlägt mit etwa 22000 Mann das mehr als doppelt so starke Heer des Pompeius und zersprengt es vollständig. 20000 Pompejaner strecken die Waffen, Pompeius flieht nach der Küste, geht zu Schiff über Lesbos nach Ägypten. Dort wird er bei der Landung auf Befehl des Ministers des jungen Königs Ptolemäus XII. ermordet. Cäsar landet mit 4000 Mann in Alexandria.

In Rom wird dem Sieger Cäsar die Dictatur auf unbestimmte Zeit (wie früher Sulla, S. 106), das Konsulat auf 5 Jahre, die tribunicische Gewalt auf Lebenszeit übertragen. Er nimmt das Konsulat erst wieder für das Jahr 46 an und sendet den M. Antonius als seinen Stellvertreter (magister equitum) nach Rom.

48–47.

Alexandrinischer Krieg.

Aufstand der Einwohner von Alexandrīa, unterstützt durch das seit Zurückführung des Königs Ptolemäus Aulētes (55) dort befindliche römische Besatzungsheer. Cäsar, in der Königsburg belagert, gerät in die größte Gefahr, aus der ihn nur seine Verwegenheit rettet. Er läßt die ägyptische Flotte in Brand stecken, wobei ein Teil der Stadt in Feuer aufgeht, auch die berühmte alexandrinische Bibliothek (s. S. 65). Er verläßt die Stadt, nachdem er sich den Besitz der den Hafen beherrschenden Leuchtturminsel Pharos gesichert hat, und schlägt mit Hilfe eines aus Asien herbeigekommenen Ent[116]satzheeres das ägyptische Heer am Nil. Der junge König Ptolemäus ertrinkt auf der Flucht. Die Regierung wird, unter römischer Oberhoheit, seiner Schwester Kleopatra und ihrem jüngsten Bruder übergeben, in Alexandrīa bleibt eine römische Besatzung. Cäsar geht nach Kleinasien und beendet in einem fünftägigen Feldzug (veni, vidi, vici) den

47.

Krieg gegen Pharnăces,

Sohn des Mithradates (s. S. 109), welcher Pontus, Klein-Armenien und Kappadokien besetzt hatte. Cäsar besiegt ihn bei Zela und zwingt ihn zur Rückkehr in sein bosporanisches Reich, wo er bald umkommt. Ordnung der asiatischen Verhältnisse. Deiotărus (S. 109), der bei Pharsalus gegen Cäsar gefochten hatte, verliert den größten Teil seiner Herrschaft.

Rückkehr Cäsars nach Rom. Cicero, von ihm begnadigt und ehrenvoll behandelt, zieht sich auf sein Tusculanum zurück, bleibt aber sein Gegner. Nach Beschwichtigung eines Aufstandes der in Campanien stehenden Legionen unternimmt Cäsar den

46.

Krieg in Afrika

gegen die Pompejaner (Cn. und Sextus Pompeius, Q. Metellus Scipio, Cato, Labienus, Petreius, König Iuba). Er landet bei Hadrumētum, gerät in Gefahr, da der größte Teil der Truppen infolge eines Sturmes erst später eintrifft, führt dann den Krieg mit Vorsicht gegen die an Zahl überlegenen Feinde, siegt endlich in der blutigen Schlacht bei Thapsus. Cato tötet sich in Utĭca, um den Untergang der Republik nicht zu überleben, daher »Uticensis« genannt. Labienus und Sextus Pompeius entkommen nach Spanien. — Ein Teil Numidiens wird von Cäsar mit der Provinz Afrika vereinigt, der andere an König Bocchus von Ost-Mauretanien gegeben.

Rückkehr Cäsars nach Rom, wo er vier Triumphe feiert (Gallien, Ägypten, Pharnăces, Afrika). Bewirtung des Volkes an 22000 Tischen, prächtige Festspiele, Geld- und Getreidespenden. Cäsars Dictatur wird zunächst auf 10 Jahre, später auf Lebenszeit (dictator perpetuus) verlängert. Er beginnt die Neuordnung des zerrütteten Staatswesens: Census der Bürgerschaft; Beschränkung der Zahl derer, welche regelmäßig Getreidespenden empfangen, auf 150000; Bestimmungen über die Verfassung der Bürgerstädte (lex Iulia municipalis); Herstellung des Senats; Ackerverteilung an die Veteranen. Verbesserung des Kalenders mit Hilfe des alexandrinischen Astronomen Sosigĕnes. Das Jahr 46 wird durch Einschaltung um 67 Tage verlängert; an Stelle des bisher üblichen Mondjahres mit Schaltmonaten tritt das Sonnenjahr von 365¼ Tagen (alle 4 Jahre ein Schaltjahr).[117]

Nochmals erheben sich in Spanien die Söhne des Pompeius und Cäsars früherer Legat Labienus; Cäsar siegt nach hartnäckigem Widerstande in der

45.

Schlacht bei Munda (in der südlichen Provinz, zwischen Cordŭba und Gades), setzt dann in Rom als Dictator und Imperator (letzterer Titel früher nur zeitweise von siegreichen Feldherren bis zum Tage des Triumphes geführt) sein großartiges Reformwerk fort. Die alten Formen der republikanischen Verfassung behält er bei, in der Tat aber waltet Cäsar als Alleinherrscher. Als Pontifex maximus hat er die Oberaufsicht über das Religionswesen, als Inhaber der tribunicia potestas das Vorschlagsrecht bei der Gesetzgebung und das Ansehen eines unverletzlichen Vertreters und Beschützers des Volkes. Den Komitien bleibt die Bestätigung der Gesetze als ein nur formelles Recht; ihr Wahlrecht wird durch das Vorschlagsrecht des Dictators sehr beschränkt. Der Senat, auf 900 Mitglieder vermehrt, wird wieder, wie zur Königszeit, zu einem nur beratenden Reichsrat. Die oberste Gerichtsgewalt steht, ebenfalls wie in der Königszeit, dem Alleinherrscher zu (Prozesse des Ligarius und Deiotărus, bei welchen Cicero als Anwalt auftritt).

Großartige Bauten in Rom (Basilica Iulia an der Südseite des Forums; die Nordseite wird erweitert durch das Forum Iulium mit dem Tempel der Venus Genetrix). Gründung einer öffentlichen Bibliothek. Neue Provinzialordnung zum Schutz der Provinzen gegen die Willkür der Statthalter; Gründung von Kolonien in den Provinzen, Karthago und Korinth hergestellt. Luxusgesetze, Kriminalgesetzgebung.

Durch weitgehende Ehrenbeschlüsse (Bildsäulen von ihm in allen Tempeln, seine Statue neben denen der sieben Könige, Münzen mit seinem Bildnis (S. 74, Anm.), Feier seines Geburtstages am 12. des Monats Quinctilis, der nun Iulius genannt wurde, alle fünf Jahre Spiele ihm zu Ehren u. a.) wird Cäsars Alleinherrschaft beim Volke unbeliebt. Das von M. Antonius am Lupercalienfeste (15 Februar 44) ihm öffentlich angebotene Königsdiadem weist er zurück. Während der Vorbereitungen zu einem Rachekrieg gegen die Parther (S. 113), welcher die Ostgrenze des Reichs sichern soll, bildet sich unter den Senatoren eine Verschwörung (C. Cassius Longinus, M. Iunius Brutus, C. Trebonius, Decimus Brutus, L. Tillius Cimber, P. Servilius Casca u. a.).

44. (15. März.)

Ermordung Cäsars in der Senats-Sitzung,

die an jenem Tage zufällig in der an das Theater des Pompeius anstoßenden Curia Pompeia gehalten wurde. Cäsar fällt, von 23 Stichen durchbohrt, an der Bildsäule des Pompeius nieder.[118]

§ 9. Untergang der Republik.

Für kurze Zeit übernimmt der Senat wieder die Staatsleitung. Er verfügt zugleich die Aufrechterhaltung der Gesetze Cäsars und Straflosigkeit (Amnestie) für dessen Mörder. Allein das Volk der Hauptstadt, aufgeregt durch die Leichenrede des Consuls M. Antonius, verübt Gewalttaten gegen die Verschworenen. Die Häupter der Verschwörung verlassen Rom, um in die ihnen (noch von Cäsar selbst) angewiesenen Provinzen zu gehen: M. Brutus nach Makedonien, Cassius nach Syrien, Decimus Brutus nach Gallia cisalpina.

In Rom maßt sich M. Antonius (Konsul mit P. Cornelius Dolabella) im Besitz der testamentarischen Bestimmungen Cäsars, unter dem Vorwande, den letzten Willen des Dictators auszuführen, eine unumschränkte Gewalt an, ändert die Verteilung der Provinzen, läßt sich namentlich die Provinz Gallia cisalpina durch Volksbeschluß zuerteilen. Dagegen tritt der 19jähr. C. Octavius (geb. 63), der Großneffe und Adoptivsohn Cäsars, daher fortan C. Julius Cäsar Octavianus genannt, in Verbindung mit dem Senat. Bei den Soldaten beliebt, sammelt er zahlreiche Veteranen Cäsars um sich und bestimmt 2 Legionen des Antonius, sich unter seinen Befehl zu stellen. Durch die einander entgegengesetzten Bestrebungen der Machthaber wird das römische Reich in neue Bürgerkriege gestürzt.

44–43.

Gegen Antonius, der den Decimus Brutus in Mutĭna belagert und ihm seine Provinz entreißen will, werden auf Betreiben Ciceros (die Philippischen Reden) die beiden Konsuln Hirtius und Pansa ausgesandt, mit ihnen der junge Octavian als Proprätor (Mutinensischer Krieg). Beide Konsuln fallen; Dec. Brutus verfolgt den besiegten Antonius nach Gallia transalpina. Octavian aber führt das ganze Heer nach Rom, erzwingt vom Senat seine Erwählung zum Konsul, Widerruf der Amnestie für die Verschworenen und ihre Verurteilung. Hierauf zieht er zum Schein gegen Antonius, mit dem er schon geheime Unterhandlungen angeknüpft hatte. Auf einer Zusammenkunft bei Bononia wird das

43. (Nov.)

zweite Triumvirat

geschlossen zwischen Antonius, Octavian und M. Ämilius Lepidus (Statthalter in Gallia Narbonensis). Die drei Machthaber (tresviri reipublicae constituendae) lassen ihre angemaßte Gewalt von den Komitien auf 5 Jahre bestätigen und beginnen ihre Herrschaft mit grausamen Proskriptionen: 130 Senatoren und 2000 Männer vom Ritterstande werden geächtet und größtenteils getötet (u. a. Cicero und sein Bruder Quintus, S. 112), ihr Vermögen eingezogen. Darauf[119]

43–42.

Krieg gegen die republikanische Partei.

Antonius und Octavianus ziehen gegen M. Brutus und C. Cassius, welche in Makedonien und Syrien eine bedeutende Kriegsmacht gesammelt hatten. In der (ersten)

42.

Schlacht bei Philippi

in Thrakien besiegt Antonius, welcher den rechten Flügel befehligt, den linken Flügel des republikanischen Heeres unter Cassius, während Octavian vor den Truppen des Brutus zurückweichen muß. Auf die falsche Nachricht von einer Niederlage des Brutus läßt sich Cassius durch einen Sklaven töten. Brutus, 20 Tage später in einer zweiten Schlacht von Antonius geschlagen, tötet sich selbst.

Antonius brandschatzt die Provinzen Asien und Syrien und folgt dann der Königin Kleopatra (S. 116), die er nach Tarsus vorgefordert hatte, nach Ägypten. Währenddessen nimmt Octavian in Italien die den Veteranen versprochenen Ackerverteilungen vor; L. Antonius, Bruder des Triumvir, der ihm dabei entgegentritt, wird in Perusia belagert und muß sich ergeben. M. Antonius landet mit einem Heere bei Brundisium; es kommt in Brundisium zu einem Vergleich, nach welchem die Verwaltung des Reiches so geteilt wird, daß

40.

Octavian den Westen, Antonius den Osten (Grenzlinie geht durch Illyrien), Lepidus Afrika erhält. Sextus Pompeius, der sich von Sicilien aus eine Seeherrschaft über die italischen Inseln gegründet hatte (sein Bruder Cn. bei Munda †), wird (36) von M. Vipsanius Agrippa, dem Unterfeldherrn Octavians, bei Mylae besiegt. Lepidus, der nun auf Sicilien Anspruch erhebt, verliert nach einem kurzen Feldzuge auch Afrika an Octavian, ihm bleibt nur die Würde eines Pontifex maximus.

Octavian sorgt für friedliche Verwaltung Italiens, bekämpft aber auch, um Norditalien zu sichern, die Dalmatier und Pannonier, erobert 35 die Stadt Siscia an der Save.

Antonius, mit Octavians Schwester Octavia vermählt, unternimmt 38 und 37 wenig erfolgreiche Züge gegen die Parther, schwelgt dann in Ägypten am Hofe der Kleopatra, zieht 34 gegen Armenien und führt den König Artavasdes als Gefangenen in Alexandria im Triumph auf, verschenkt endlich römische Provinzen an seine Kinder mit der Kleopatra und schickt der Octavia den Scheidebrief. Octavian läßt in Rom durch Volksbeschluß dem Antonius den Oberbefehl entziehen und an Kleopatra den Krieg erklären.

31–30.

Krieg zwischen Octavian und Antonius.

Während Antonius und Kleopatra lange in Ephĕsos, Samos, Athen und Patrae (in Achaja) verweilen, vollendet[120] Octavian seine Rüstungen und setzt das Landheer nach Epirus über; seine 250 Schiffe starke, von Agrippa geführte Flotte besiegt die an Zahl der Schiffe überlegene Flotte des Antonius und der Kleopatra in der

31. (2. Sept.)

Seeschlacht bei Actium.

Kleopatra flieht mit ihren Schiffen, ehe die Schlacht entschieden ist; Antonius folgt ihr. Sein Landheer ergibt sich nach 7 Tagen dem Octavian ohne Kampf.

30.

Octavian geht nach Asien, wo er sein 4. Konsulat antritt, kehrt zur Beschwichtigung einer Meuterei der Veteranen auf kurze Zeit nach Italien zurück, begabt sich dann wieder zu seinem Heere und führt es durch Syrien nach Ägypten. Antonius, von seinen Truppen verlassen, tötet sich auf die falsche Nachricht vom Tode der Kleopatra. Diese tötet sich bald darauf durch Gift, als sie sieht, daß Octavian sie nur schont, um sie in Rom im Triumph aufzuführen. Octavian macht Ägypten zur römischen Provinz, ordnet dann die Verhältnisse in Vorderasien und kehrt 29 im Monat Sextilis (nachher ihm zu Ehren Augustus genannt) nach Rom zurück. Dreitägiger Triumph, der Janustempel geschlossen (vgl. S. 72).

Alleinherrschaft Octavians, in der von Cäsar begründeten Weise, jedoch so, daß die Dictatur ersetzt wird durch das von ihm anfangs ständig bekleidete Konsulat, dann durch das allgemeine prokonsularische Imperium. Das römische Reich, nach Beendigung der Bürgerkriege im Frieden aufblühend, schützt noch mehrere Jahrhunderte lang unter der Herrschaft der Kaiser die Kulturvölker des Altertums gegen die Angriffe der Barbaren.

§ 10. Kunst und Literatur bei den Römern.

Die Anfänge nationaler Baukunst und Dichtung bei Etruskern und Latinern entwickeln sich erst durch die Bekanntschaft mit griechischer Kultur zu höherer Blüte. Griechischer Baustil erscheint in den Tempeln und Säulenhallen, mit welchen Rom sich schmückte, als es zur Großstadt heranwuchs. Griechische Statuen wurden nach Eroberung griechischer Städte (Tarent 272, Syrakus 212, Korinth 146) zahlreich nach Rom gebracht; seit 146 arbeiteten viele griechische Künstler in Rom. Drei griechische Philosophen (Karneades, Diogenes, Kritolaos) 156 als athenische Gesandte in Rom.

Anfänge der römischen Literatur: Gottesdienstliche Lieder der Salii (S. 73) und Fratres arvales, religiöse und geschichtliche Aufzeichnungen der Priester (libri pontificum, fasti consulares und triumphales), Erklärungen der Zwölf-Tafelgesetze (S. 78 f). Volkstümliche Bühnendarstellungen werden zuerst 364[121] erwähnt als Bestandteil der Festspiele (ludi scaenici). Griechische Tragödien und Komödien in lateinischer Bearbeitung brachte Livius Andronīcus, ein Grieche aus Tarent, seit 240 in Rom zur Aufführung, nach ihm Cn. Naevius aus Campanien, der auch nationale Stoffe dramatisch darstellte (fabulae praetextae) und den ersten Punischen Krieg in einem Epos (in saturnischen Versen) besang; ferner Q. Ennius aus Rudiä in Calabrien († 169), der ebenfalls in einem Epos in Hexametern (Annales) die Geschichte Roms bis auf seine Zeit darstellte, befreundet mit Scipio Africanus maior. Erhalten sind die Bearbeitungen griechischer Komödien von T. Maccius Plautus († 184) und P. Terentius († 159).

Die ältesten römischen Geschichtschreiber (Annalisten) schrieben griechisch. Als erster Schriftsteller in lateinischer Prosa ist M. Porcius Cato († 149, Origines, de re rustica, Reden) zu nennen. Besonders gepflegt wurde die Rechtsgelehrsamkeit (Sex. Aelius Catus, Konsul 198, Q. Mucius Scaevola augur, Konsul 117, Lehrer Ciceros) und die Beredsamkeit (C. Gracchus † 121, L. Licinius Crassus † 91, M. Antonius † 87, Q. Hortensius † 50). Die nationalen Altertümer erforschte M. Terentius Varro (116–27, de lingua Latina, antiquitates rerum humanarum et divinarum). Als Geschichtschreiber ragen hervor C. Iulius Cäsar († 44) und C. Sallustius Crispus († 34). Den Reichtum und die Schönheit der lateinischen Sprache entfaltet besonders M. Tullius Cicero († 43) als Redner und philosophischer Schriftsteller (Tusculanae disputationes, de officiis u. a.). Als Dichter sind in Ciceros Zeit zu nennen T. Lucretius Carus († 55), Verfasser eines philosophischen Lehrgedichts de rerum natura, und der Lyriker C. Valerius Catullus († 54).

§ 11. Kaiserzeit bis zum Untergang des weströmischen Reiches.

>(Von 31 vor Chr. bis 476 nach Chr.)

vor nach Chr.
31–68.

Das Julisch-claudische Herrscherhaus.

31–14.

Cäsar Octavianus Augustus.

Der Beiname Augustus (der Erlauchte, Erhabene), den ihm (27 vor Chr.) der Senat erteilte, ist auf seine Nachfolger übergegangen und ebenso wie Princeps, Cäsar, Imperator, zum Titel der römischen Herrscher geworden.[28][122]

Augustus beschränkt den Senat auf 600 Mitglieder und knüpft die Senatorwürde an einen hohen Census (1 Million Sest. = etwa 180000 M.). Das Konsulat bleibt bestehen, wird anfangs von Augustus ständig, später von ihm und seinen Nachfolgern noch bisweilen bekleidet, gilt aber nur als Ehrenamt und wird in seiner Dauer verkürzt, zuletzt in der Regel auf 2 Monate. Auch die andern republikanischen Ämter bleiben, doch mit beschränktem Geschäftskreis; die Censur wird von den Kaisern übernommen, wie sie schon Cäsar unter dem Titel Praefectus morum ausgeübt hatte. Dem Senat bleibt ein gewisser Anteil an der Herrschergewalt.

Die kaiserliche Herrschaft beruht auf dem Heerbefehl, der tribunicischen Gewalt und der obersten Gerichtsgewalt. Seit dem Tode des Lepidus (13) war Augustus auch Pontifex maximus. Einflußreiche kaiserliche Beamte sind der Praefectus urbi (Polizeipräsident) und die beiden Praefecti praetorio (Befehlshaber der aus 9 Kohorten bestehenden kaiserlichen Garde). Einteilung Roms in 14, Italiens in 11 regiones. Einrichtung einer Reichspost (cursus publicus) für die von Staats wegen reisenden Beamten. Schutz der Provinzen gegen die Übergriffe der Beamten. Fürsorge für die Armen. Ansiedelung unbemittelter Bürger in Kolonien.

27.

Neue Einteilung der Provinzen in senatorische, d. h. völlig beruhigte, welche ohne Kriegsheer von Prokonsuln und Proprätoren verwaltet werden können und vom Senat verliehen werden (Africa, Asia, Achaja, Illyricum, Macedonia, Sicilia, Creta und Cyrenaica, Bithynia, Sardinia, Hispania Baetica), und in kaiserliche, die Augustus durch Legaten an der Spitze von Legionen verwalten läßt und daher selber verteilt: (Hispania Tarraconensis, Lusitania, die vier gallischen: Narbonensis, Lugdunensis, Aquitania und Belgica mit Germania superior et inferior, Syria, Cilicta, Cyprus, Aegyptus). In dieser Teilung ist später mehreres geändert worden. Alle nach 27 vor Chr. begründeten Provinzen fielen dem Kaiser zu. Zwei Staatskassen, das vom Senat verwaltete aerarium (Einnahmen aus den senatorischen Provinzen) und fiscus (Einnahmen aus den kaiserlichen Gütern und Provinzen). Das Heer auf 25 Legionen (etwa 250000 Mann) gebracht. Dazu eine starke Flotte in Misenum und Ravenna.

Blütezeit der römischen Literatur. C. Cilnius Maecenas († 8 vor Chr.), Freund des Augustus, Gönner und Beschützer der Dichter: P. Vergilius Maro (70–19 vor Chr.). Q. Horatius Flaccus (65–8 vor Chr.). Die Elegiker Albius Tibullus, S. Propertius und P. Ovidius Naso (9 nach Chr. nach Tomi am Pontus Euxīnus (Constanza i. d. Dobrudscha) verbannt, † 17). Der Geschichtschreiber T. Livius (59 vor Chr. bis 17[123] nach Chr.) gibt dem römischen Volke eine ausführliche Gesamtdarstellung seiner Geschichte. Der Architekt Vitruvius, die Juristen M. Antistius Labeo und C. Ateius Capito.

Familie des Augustus.

C. Julius Cäsar Octavianus Augustus, geb. 63 v. Chr., †14 n. Chr.
Gemahlinnen: 1. Claudia.   2. Scribonia.        3. Livia, Mutter des
                               |                Tiberius u. Drusus,
                               |                Söhne v. Tiberius
                               |                 Claudius Nero.
                      Iulia, †14 n. Chr.
Gem.: 1. Marcellus,   2. M. Vipsanius Agrippa.    3. Tiberius.
     Sohn d. Octavia.    †12 v. Chr.
  †23 v. Chr.                  |
                               |
-----------------------------------------------------------------------
Gaius Cäsar.  Lucius Cäsar. Agrippina.   Julia.       Agrippa Postumus.
†4 n. Chr.   †2 n. Chr.   †33 n. Chr. †28 n. Chr.  †14 n. Chr.

In der ersten Hälfte der Regierung des Augustus ist sein Schwiegersohn Agrippa seine Hauptstütze. Census in allen Provinzen, Vermessung des Reiches durch Agrippa, Bauten in Rom: Forum Augusti, Thermae Agrippae mit dem Pantheon, Tempel des Apollo, des Mars und der Venus. Wiederherstellung der verfallenen Heiligtümer und Wiederbelebung der alten Religiosität. Agrippas Söhne Gaius Cäsar und Lucius Cäsar werden 17 vor Chr. von Augustus adoptiert. Ihre Mutter Iulia heiratet in dritter Ehe den Stiefsohn des Augustus, Tiberius, wird aber schließlich wegen ihrer Sittenlosigkeit verbannt. Nach dem Tode seiner beiden ältesten Enkel adoptiert Augustus den Tiberius und bezeichnet ihn als Nachfolger.

27–25.

Augustus ordnet persönlich die Verhältnisse der gallischen und spanischen Provinzen. Unterwerfung der Cantabrer und Asturer. Lugdunum (Lyon) Hauptstadt in Gallien, Tarraco und Corduba Hauptstädte in Spanien.

22–19.

Augustus ordnet persönlich die Verhältnisse des römischen Asiens. Der Partherkönig Phraates gibt auf die Nachricht von seiner Ankunft in Syrien die bei der Niederlage des Crassus (S. 113) erbeuteten römischen Feldzeichen zurück. Durch Tiberius wird Tigrānes in sein Reich Armenien wieder eingesetzt.

Nach Rom zurückgekehrt erläßt Augustus Gesetze zur Bekämpfung des Luxus und der Ehelosigkeit (lex Iulia sumptuaria, lex Iulia de maritandis ordinibus).

15.

Tiberius und Drusus, die Stiefsöhne des Kaisers, unterwerfen die Alpenvölker und das Gebiet zwischen den Alpen und der Donau; Einrichtung der Provinzen Raetia (Hauptort Augusta Vindelicorum, jetzt Augsburg) und Noricum (Kärnten und Steiermark). Schon einige Jahre früher war von Makedonien aus das untere Donaugebiet Mösien unterworfen worden.[124]

12–9.

Tiberius unterwirft Pannonien (das südwestliche Ungarn). Damit ist die Donaugrenze des Reiches festgestellt; sie wird ebenso wie die Rheingrenze durch Standlager der Legionen, aus denen später Städte geworden sind, beschützt. Standlager am Rhein: Moguntiacum (Mainz), Civitas Ubiorum (später Colonia Agrippinensis, Köln), Castra vetera (Xanten), Standlager an der Donau: Regina castra (Regensburg), Batava castra (Passau), später auch Vindobona (Wien) und Juvavum (Salzburg).

12–9.

Drusus unternimmt vom Rhein aus vier Feldzüge in das innere Germanien, das erstemal zur See, vom lacus Flevo (Zuyder-See) in die Emsmündung hinein, dann zu Lande die Lippe aufwärts (Castell Aliso bei Haltern), dann von Mainz aus gegen die Chatten, zuletzt von Mainz bis zur Elbe. Er stirbt auf dem Rückmarsch infolge eines Sturzes mit dem Pferde.

8–7.

Tiberius, sein Nachfolger im Oberbefehl, bringt einen Teil der germanischen Völkerschaften auf dem rechten Rheinufer zur Anerkennung der römischen Oberhoheit. Er zieht sich dann (6) nach Rhodus zurück und kommt erst 7 Jahre später nach Verbannung seiner Gemahlin Julia wieder nach Rom.

Christus geboren vier oder sechs Jahre vor dem Beginn unserer Zeitrechnung.[29]

Das Christentum, langsam sich ausbreitend im römischen Reiche, entfaltet nach dem Untergange desselben seine weltbezwingende Macht.

nach Chr. 4–5.

Tiberius, in den letzten Jahren der Regierung des Augustus schon beinahe Mitregent, durchzieht von neuem das nördliche Germanien, besiegt die Langobarden an der unteren Elbe. Römische Statthalter verwalten das Gebiet zwischen Rhein und Elbe. Der unter Tiberius’ Anführung schon begonnene Angriff auf das suebische Reich des Marbod (in Böhmen) wird unterbrochen (6–9) durch einen gefährlichen Aufstand der illyrischen und pannonischen Völkerschaften.

9.

Drei römische Legionen unter P. Quinctilius Varus werden im Teutoburger Walde von dem Cheruskerfürsten Arminius vernichtet. Germanien bis zum Rhein befreit, Tiberius aber sichert die Rheingrenze.[125]

14.

Augustus stirbt in Nola im 76. Lebensjahre. Eine von ihm selbst verfaßte Übersicht seiner Taten (Res gestae divi Augusti) ist in einer Tempelinschrift zu Ancyra (Angora) in Galatien erhalten (monumentum Ancyranum).

14–37.

Tiberius (vollständig: Tiberius Claudius Nero), des Augustus Stief- und Adoptivsohn, geb. 42, tüchtiger Herrscher, jedoch hart und argwöhnisch. Das Recht der Beamtenwahlen und die Bestätigung der Gesetze wird von den Komitien auf den Senat übertragen. Die an republikanischen Erinnerungen festhaltende Aristokratie wird in strenger Abhängigkeit gehalten, besonders durch Anklagen de maiestate (die auch schon zur Zeit der Republik vorkamen) bei der kleinsten Beleidigung des Fürsten; Belohnung der Angeber (delatores). Gute Verwaltung in den Provinzen.

14–16.

Drei Feldzüge des Neffen des Tiberius, Drusus Cäsar Germanicus, (von Köln aus) über den Rhein gegen die Germanen, der zweite und dritte mit einer Flottenfahrt in die Emsmündung verbunden. Beim zweiten wird die Stätte der Niederlage des Varus berührt; beim dritten Sieg der Römer auf dem Campus Idisiaviso jenseits der Weser über Arminius, aber keine Unterwerfung des Landes. Die Flotte bei der Rückkehr durch Sturm zerstreut.

17.

Germanicus, von Tiberius abgerufen und nach dem Orient gesandt, setzt in Armenien einen König ein, macht Kappadokien zur römischen Provinz, gerät in Syrien mit dem Statthalter L. Calpurnius Piso in Streit. Sein Tod im 34. Lebensjahr (19 in Antiochia an Gift?) in Rom sehr beklagt.

In Deutschland Krieg zwischen Armin und Marbod, letzterer aus seinem Reiche vertrieben, findet bei den Römern Aufnahme († zu Ravenna). Armin wird von seinen eigenen Verwandten, die ihn des Strebens nach der Königsherrschaft beschuldigen, 37 Jahre alt, getötet (21).

23.

L. Aelius Seianus, Befehlshaber der Prätorianer (S. 122), erhebt sich zum übermächtigen Günstling des alternden Kaisers, der 27 seinen Aufenthalt dauernd auf der Insel Capreae (Capri) nimmt. Sejan vergiftet Drusus, den einzigen Sohn des Kaisers, und bewirkt die Verbannung der Agrippina, Witwe des Germanicus.

31.

Sturz Sejans; nach ihm werden viele Senatoren als Teilnehmer an seiner Verschwörung hingerichtet. Macro, nunmehr Praefectus praetorio, bleibt von der Willkür des mißtrauischen Kaisers abhängig.

37–68.

Das Claudische Herrscherhaus, durch Adoption mit dem Julischen verbunden:[126]

Tiberius Claudius Nero.      Nero Claudius Drusus.
   †37 n. Chr.                         †9 v. Chr.
      |                     _____________|_________
      |                    |                       |
Drusus †23   Drusus Germanicus.    Tib. Claudius Nero.
n. Chr.          †19 n. Chr.                 †54.
                 Gem. Agrippina.               |
        ___________|________                   |
       |                    |              Octavia, Britanniens.
  Agrippina d. j.,       Caligula.
       |                   †41.
       |
  L. Domitius (Nero)
   †68.
37–41.

Caligula (Gaius Cäsar Germanicus),

der jüngste Sohn des Germanicus, von den Soldaten als Knabe Caligula (Stiefelchen) benannt, zeigt sich bald als grausamer (oderint, dum metuant!), jeder Schranke spottender Despot. Schwelgerei, Selbstvergötterung, unnütze Feldzüge nach der Rheingrenze und der gallischen Küste. Nach seiner Ermordung durch die Prätorianer wird von diesen zum Imperator ausgerufen sein Oheim

41–54.

Claudius (Tiberius Claudius Nero Germanicus),

jüngerer Bruder des Germanicus, ein wohlmeinender, aber schwacher Fürst, beherrscht von Günstlingen und von seinen Gemahlinnen: 1. der sittenlosen Messalina und, nachdem er diese (48) hat töten lassen, 2. der herrschsüchtigen Agrippina, Tochter des Germanicus.

43.

Beginn der Eroberung Britanniens unter dem Oberbefehl des A. Plautius (dessen Legat T. Flavius Vespasianus); der südliche Teil wird römische Provinz.

Unter Claudius’ Regierung werden außerdem folgende Provinzen eingerichtet: in Afrika Mauretania, im Orient Lycia und Thracia. Iudaea, von 40 vor Chr. bis 6 nach Chr. und dann wieder 41–44 nach Chr. abhängiges Königreich, wird wieder zur Provinz Syrien gezogen.

Agrippina überredet den Claudius, den L. Domitius, ihren Sohn aus früherer Ehe, zu adoptieren (bei der Adoption erhält er den Namen Nero) und zum Thronfolger zu ernennen an Stelle seines eigenen Sohnes Britannicus (von der Messalina), dessen Schwester Octavia zur Gemahlin Neros bestimmt wird. Als Neros Adoption den Kaiser gereut, vergiftet ihn Agrippina.

54–68.

Nero (Nero Claudius Cäsar Drusus Germanicus),

von den Prätorianern zum Imperator ausgerufen, in den ersten Jahren geleitet von dem Praefectus praetorio Afranius Burrus und seinem Lehrer L. Annaeus Seneca.

Er vergiftet (55) seinen Stiefbruder Britannicus, mit dessen Erhebung zum Imperator ihm Agrippina gedroht hatte, läßt (59) seine Mutter Agrippina selbst töten, verstößt seine Gemahlin Octavia, die er später ebenfalls töten läßt, und heiratet Poppaea Sabina, die Gemahlin Othos. Ausschweifungen und Grausamkeiten; er tritt öffentlich im Wettkampf als Wagen[127]lenker, Schauspieler und Sänger auf. Kriechende Unterwürfigkeit des Senats,

61.

Aufstand in Britannien, von Suetonius Paulinus unterdrückt.

58–63.

Krieg gegen die Parther und Armenier. Nach Einnahme und Zerstörung von Artaxăta bringt Domitius Corbŭlo in Armenien den König Tiridates zur Anerkennung der römischen Oberhoheit.

64.

Eine sechstägige und bald darauf eine nochmalige dreitägige Feuersbrunst (nach unbegründetem Gerücht auf Neros Befehl angelegt) zerstört einen großen Teil der Stadt Rom. Nero beschuldigt die Juden und die Christengemeinde Roms der Brandstiftung und verhängt grausame Strafen über sie (erste Christenverfolgung). Großartige Neubauten in Rom, breitere Straßen. Der Kaiserpalast wird vom Palatin bis über den Esquilin ausgedehnt (domus aurea).

65.

Verschwörung des C. Calpurnius Piso entdeckt, viele Hinrichtungen; Seneca genötigt, sich selbst zu töten.

68.

Aufstand in Gallien (C. Julius Vindex) und im diesseitigen Spanien, dessen Statthalter, der 73jährige Sulpicius Galba, zum Imperator ausgerufen wird. Nero, erst kürzlich von einer großen Kunstreise nach Griechenland zurückgekehrt, flieht und tötet sich auf dem Landgute eines seiner Freigelassenen in der Nähe von Rom.

Das Reich wird nach dieser verderblichen Regierung abermals durch Bürgerkriege zerrüttet:

68–69. Juni–Jan.

Galba (Servius Sulpicius Galba),

der sich bald durch unzeitige Strenge und Sparsamkeit verhaßt macht. Die Prätorianer ermorden ihn und erheben an seiner Stelle

69. Jan.–Apr.

Otho (Marcus Salvius Otho),

einen ehemaligen Günstling Neros. Schon vorher war von den Legionen am Rhein zum Imperator ausgerufen

69. Apr.–Dez.

Vitellius (Aulus Vitellius),

der, nachdem seine Legaten den Otho bei Bedriacum (östlich von Cremona) besiegt haben und dieser sich selbst getötet hat, in Rom einrückt und die Stadt zum Schauplatze seiner Prasserei und Verschwendung macht. Er wird bei einem Straßenkampf in Rom umgebracht.

69–96.

Die drei Flavier:

69–79.

Vespasianus (Titus Flavius Vespasianus),

besonders auf Betreiben des Statthalters von Syrien, Licinius Mucianus, zum Imperator ausgerufen, während er in[128] Palästina seit 66 gegen die aufständischen Juden Krieg führt. Er übergibt seinem Sohne Titus den Oberbefehl und kommt nach längerem Aufenthalt in Alexandrīa nach Rom, wo inzwischen Vitellius durch das siegreiche Eindringen der Donauarmee (Antonius Primus) beseitigt ist. — Wiederherstellung der Mannszucht im Heere, der Ordnung in den Finanzen. Der Kaiser gibt das Beispiel strengerer und einfacher Sitte, sorgt für öffentlichen Unterricht von Staats wegen (Grammatik und Rhetorik).

69–71.

Aufstand der Batāver unter Claudius Civīlis,

einem ihrer Häuptlinge aus fürstlichem Geschlecht. Die Aufständischen geben anfangs vor, nicht gegen das römische Reich, sondern gegen Vitellius und für Vespasianus zu kämpfen. Dadurch gelingt es ihnen, einen Teil der römischen Soldaten für sich zu gewinnen. Civilis schlägt die Römer wiederholt und dringt, durch beutelustige rechtsrheinische Germanen unterstützt, weit in Gallien vor. Ein großer Teil der gallischen Völkerschaften fällt ihm zu; es tritt der Plan hervor, ein unabhängiges gallisches Reich zu gründen. Nachdem aber die Herrschaft Vespasians in Rom befestigt ist, macht Petilius Cerialis, begünstigt durch die unter den verbündeten Völkern ausgebrochenen Zwistigkeiten, dem Aufstand ein Ende und unterwirft ganz Gallien wieder der römischen Herrschaft.

70. (Septbr.)

Titus erobert und zerstört Jerusalem nach langer, hartnäckiger Verteidigung. Schreckliches Strafgericht über die zum Osterfest dort zusammengekommenen Juden. Triumphbogen in Rom errichtet im Anschluß an andere Bauten Vespasians (Templum Pacis; Amphitheatrum Flavium, auch Colosseum genannt).

78.

Gn. Iulius Agricola, Schwiegervater des Geschichtschreibers Tacitus, wird Statthalter in Britannien. Dem Vespasian folgt sein Sohn

79–81.

Titus (Titus Flavius Vespasianus),

der die ihm entgegengebrachten Befürchtungen durch milde und sorgsame Regierung glänzend widerlegt (»amor et deliciae generis humani«).

79.

Ausbruch des Vesuvs. Herculanĕum durch Lava, Pompeii durch Asche und Schlamm verschüttet (Ausgrabungen seit 1719 und 1748). Tod des älteren Plinius, Anführers der römischen Flotte in Misenum. — Dem Titus folgt sein ihm unähnlicher Bruder

81–96.

Domitianus (Titus Flavius Domitianus),

der mit der Zeit immer mehr zum habsüchtigen und grausamen Despoten wird.[129]

84.

Feldzug gegen die Chatten. Im Anschluß daran wird der großartige Grenzwall (limes) zwischen dem mittleren Rhein und der oberen Donau (von Rheinbrohl bis Kehlheim) begonnen. Eins der dazu gehörenden Kastelle ist in der Saalburg wieder erstanden. Das dahinter liegende Land als Zehntland (agri decumates) mit der Provinz Germania superior (Hauptstadt Moguntiacum, Mainz) verbunden.

81–84.

Glückliche Feldzüge des Agricola in Britannien, die römische Herrschaft bis nach Schottland hinein ausgedehnt.

86–90.

Erfolgloser Krieg gegen die Dacier; Domitian soll vom Könige Decebălus den Frieden erkauft haben.

96.

Domitian durch eine Palastverschwörung ermordet.

96–192.

Nerva und seine Adoptivfamilie:

96–98.

Nerva (Marcus Cocceius Nerva),

ein 64 jähriger Senator, durch die Mörder Domitians und den Senat auf den Thron erhoben, stellt die Majestätsprozesse ab, ruft die Verbannten zurück, vermindert die Abgaben, legt den Grund zur Einrichtung der Alimentatio, d. h. Staatsunterstützung zur Erziehung der Kinder, in Italien. Er adoptiert und ernennt zu seinem Mitregenten und Nachfolger

98–117.

Trajan (Marcus Ulpius Traianus),

Statthalter der Provinz Germania superior, geboren 53 in der römischeu Kolonie Italica in Spanien, den ersten Nicht-Italiker auf dem Throne der Cäsaren. Trefflicher Regent und Feldherr. Großartige Bauten in Rom (Forum Traiani); Straßen und Häfen in den Provinzen, der Hauptteil des germanischen Grenzwalls gebaut.

101–107.

Unterwerfung des Landes Dacien (Rumänien und Siebenbürgen). Die römischen Legionen dringen aus Mösien und Pannonien (Kolonie Sirmium an der Save) über die Donau vor, erstürmen Sarmizegethusa, die Hauptstadt des Decebălus; eine steinerne Brücke wird (unterhalb Orsova) über die Donau gebaut. Decebalus unterwirft sich (102), doch wird 105 neuer Krieg nötig; 107 wird das Land römische Provinz. Ansiedlung zahlreicher Kolonisten, von denen die heutigen Rumänen abstammen. Darstellung des Krieges auf den Reliefs der Trajanssäule in Rom.

105.

Einrichtung der römischen Provinz Arabia durch den Statthalter von Syrien, A. Cornelius Palma, (das Land östlich und südlich von Damaskus und Judäa, bis zum Roten Meere; Hauptstadt Petra).

114–116.

Krieg Trajans gegen die Parther.

Der Neffe des Partherkönigs Chosroës wird aus Armenien vertrieben. Armenia, Mesopotamia, Assyria römische[130] Provinzen. Trajan erobert Seleucia und Ktesiphon am Tigris, fährt zu Schiff den Tigris hinunter bis zum Persischen Meerbusen, setzt bei den Parthern einen Vasallenkönig ein, stirbt auf der Rückkehr in Cilicien.

117–138.

Hadrian (Publius Aelius Hadrianus),

von seinem Verwandten Trajan adoptiert. Friedliebend, auf sorgsame Verwaltung des Reiches bedacht, gelehrt und kunstliebend. Er gibt die neuen Provinzen Armenia, Mesopotamia und Assyria wieder auf, so daß der Euphrat die östliche Grenze des Reiches bildet, stellt in Mösien und Dacien die Ruhe wieder her, regiert in Rom in gutem Einverständnis mit dem Senat.

Rundreisen durch die Provinzen des Reiches (121–126, 129–134), um überall die Wohlfahrt zu fördern; sein Günstling und Begleiter Antinous; längerer Aufenthalt in Athen, wo er einen neuen Stadtteil anlegt und den Zeustempel (S. 36) vollendet. In Rom erbaut er den Doppeltempel der Venus und Roma; sein großes Grabmal Mausoleum Hadriani, jetzt die Engelsburg. Seine Villa bei Tibur (Tivŏli) mit prächtigen Gartenanlagen. In Britannien Grenzwall gegen die Picten und Scoten (von Newcastle bis zum Solwaybusen).

Sammlung der Edikte früherer Prätoren (Edictum perpetuum) durch den Rechtsgelehrten Salvius Iulianus; daran knüpft sich die weitere Ausbildung der Rechtsgelehrsamkeit, welche für den inneren Bestand des großen Reiches von der höchsten Bedeutung war.

132–135.

Aufstand der Juden wegen Anlegung der Kolonie Aelia Capitolina an der Stelle des zerstörten Jerusalem. Ihr Anführer Bar-Kochba. Verzweifelter Kampf; Niederlage und Zerstreuung der Juden. Eine christliche Gemeinde sammelt sich bald wieder an der heiligen Stätte; der Name Jerusalem wird später wieder hergestellt.

138–161.

Antoninus Pius (Titus Aurelius Antoninus Pius),

von Hadrian adoptiert. Friedliche, segensreiche Regierung, jedoch die Grenzen des Reiches kräftig gegen die Angriffe der Barbaren geschützt. Zweiter Grenzwall in Britannien (vom Forth zum Clyde). Gemäß der von Hadrian festgesetzten Erbfolgeordnung folgt ihm sein Neffe

161–180.

Marcus Aurelius Antoninus, weiser und tätiger Regent, hochgebildet (Schüler des Redners Cornelius Fronto), stoischer Philosoph, bis 169 gemeinschaftlich mit seinem Adoptivbruder, dem ausschweifenden Lucius Verus.

162–165.

Krieg gegen die Parther, unter Oberleitung des L. Verus, der sich aber bald in Antiochia dem Wohlleben hingibt, während seine Legaten den Krieg glücklich[131] führen. Ein Teil Mesopotamiens wird wieder römische Provinz (S. 130).

166–180.

Krieg mit den Markomannen und Quaden (in Böhmen).

Marcus Aurelius kämpft mit wechselndem Glück gegen die immer von neuem andringenden Barbaren. Während eines kurzen Friedens mit ihnen Besiegung des aufständischen Avidius Cassius in Syrien, 175. Triumph in Rom 176; der Senat errichtet dem Kaiser eine Reiterstatue, die noch heute das Kapitol schmückt. Ehe es dem Kaiser gelingt, die Grenze des Reiches an der Donau völlig zu sichern, stirbt er in Vindobŏna (Wien). Ihm folgt sein entarteter Sohn

180–192.

Commodus,

der mit den Germanen Frieden schließt und sich in Rom, die Regierung meist den Praefectis praetorio (S. 122) überlassend, Ausschweifungen und seinem immer mehr hervortretenden Hange zu Grausamkeiten hingibt. Er wird endlich von seiner Umgebung ermordet.

Silbernes Zeitalter der römischen Literatur.

Philosophische Schriften und Briefe des Stoikers L. Annaeus Seneca († 65); sein Neffe M. Annaeus Lucanus verfaßt ein Epos Pharsalia. Epigramme des Martialis, Satiren des Persius und Iuvenalis. M. Fabius Quintilianus Lehrer der Rhetorik, Verfasser der Institutio oratoria. Ein Werk umfassender Gelehrsamkeit ist die Naturalis historia des C. Plinius Secundus († 79). Briefsammlung seines Neffen, des jüngeren Plinius, welcher mit dem Geschichtschreiber Cornelius Tacitus († 117), dem hervorragendsten Schriftsteller dieser Zeit, befreundet war; Tacitus’ Germania 98, Plinius Statthalter in Bithynien 111. — Kaiserbiographien des C. Suetonius.

Nachblüte der griechischen Literatur.

Unter Augustus der Geograph Strabo aus Amaseia in Pontus, der Altertumsforscher Dionysios von Halikarnaß, beide in Rom. Unter Trajan und Hadrian der Philosoph und Geschichtschreiber Plutarchos von Chaironeia, der Perieget Pausanias. Um 150 der Geograph Ptolemaios zu Alexandrīa, um 180 der Satiriker Lukianos von Samosata, um 220 der Geschichtschreiber Cassius Dio.

Ausbreitung des Christentums.

Wirksamkeit der Apostel im ersten Jahrhundert. Paulus predigt in Antiochia (42), in Athen und Korinth (53), in Ephesos (55), wird 61 nach Rom geführt, erleidet dort gleichwie Petrus den Märtyrertod. Verfolgungen im zweiten und dritten Jahrhundert können die zahlreichen christlichen Ge[132]meinden nicht ausrotten; das Beispiel der Märtyrer (Ignatius Bischof von Antiochia 115, Polykarpos Bischof von Smyrna 167 und viele andere) wirkt erhebend. Christliche Schriftsteller: Clemens, Bischof von Rom (um 90), Clemens in Alexandria (200), Tertullianus in Karthago (200), Origenes in Alexandria (230), Cyprianus in Karthago (230), Lactantius in Nicomedia (300), Eusebios, Bischof von Cäsarea (330), Augustinus, Bischof von Hippo Regius (354–430), s. S. 141.

193–284.

Zeit der Soldatenkaiser.

Der Mangel einer festen Erbfolge stürzt das römische Reich oftmals in Verwirrung; dennoch behauptet es sich noch lange gegen die andringenden Barbaren. Nach den kurzen Regierungen der von den Prätorianern erhobenen Kaiser Pertinax und Didius Iulianus folgt der von den illyrischen Legionen zum Kaiser ausgerufene Statthalter von Pannonien

193–211.

Septimius Severus,

welcher vom Senat anerkannt wird und sich gegen die anderen Prätendenten (Pescennius Niger im Orient, Clodius Albinus in Britannien und Gallien) behauptet. Umwandlung der bisher aus Italikern bestehenden Prätorianer in eine aus allen Provinzlegionen sich ergänzende Truppe. Verbesserung der Rechtspflege (die Juristen Papinianus, Ulpianus, Paulus). Erfolgreicher Krieg gegen die Parther, ihre Hauptstadt Ktesiphon 197 zerstört; die Provinz Mesopotamien wiederhergestellt. (Hauptstädte Edessa und Nisibis). Zug nach Britannien 208; der Grenzwall Hadrians wiederhergestellt. Septimius stirbt in Eburācum (York). Sein Sohn

211–217.

Caracalla (M. Aurelius Antoninus)

ermordet seinen Bruder und Mitregenten Geta mit Tausenden seiner Anhänger, darunter Papinianus. Durch die Constitutio Antoniniana 212 Erteilung des römischen Bürgerrechts an alle freien Provinzialen. Aber auch von der Grausamkeit und Habsucht des Kaisers werden die Provinzen in weitem Umfange betroffen (das Blutbad in Alexandrīa 215).

Caracalla bekämpft 213 die Alamannen jenseits des Grenzwalls, 214 die Goten an der unteren Donau, greift 216 die Parther an, wird in Mesopotamien auf Anstiften des Praefectus praetorio Macrinus ermordet. Dieser, vom Heere zum Nachfolger erwählt, erkauft von den Parthern den Frieden. Die Soldaten rufen zum Imperator aus den 14jährigen Varius Avitus Bassianus, genannt

218–222.

Elagabălus, Sonnenpriester zu Emĕsa in Syrien, der für einen Sohn Caracallas ausgegeben wird. Macrinus, bei Antiochia besiegt, wird in Kleinasien verhaftet und hingerichtet. Elagabalus überläßt sich in Rom den schänd[133]lichsten Ausschweifungen; die Regierung führt seine Großmutter Julia Maesa, Schwester der Mutter Caracallas. Er wird von den Prätorianern ermordet; ihm folgt sein Vetter

222–235.

Alexander Severus,

von den besten Absichten beseelt, aber schwankend und nicht energisch, geleitet von seiner Mutter Julia Mamaea, Tochter der Julia Maesa, und von den Rechtsgelehrten Domitius Ulpianus und Julius Paulus. Seine Maßregeln zur Herstellung der Mannszucht im Heere veranlassen Empörungen; bei einer derselben wird Ulpianus, der Befehlshaber der Prätorianer, ermordet.

226.

Infolge der Auflösung des Partherreiches unter den Arsakiden (S. 65) und Stiftung des Neupersischen Reichs (Dynastie der Sassaniden) erwächst dem römischen Reiche ein neuer gefährlicher Feind im Orient, doch wird im Kriege (231–33) die Reichsgrenze vorerst noch behauptet, Nach Ermordung des Alexander Severus am Rhein erheben die Soldaten auf den Thron ihren Feldherrn

235–238.

Maximinus Thrax,

einen Thraker von außerordentlicher Größe und Stärke. Siegreicher Zug über den Rhein, dann nach der untern Donau. Unterdessen wird in Afrika zum Imperator ausgerufen der 80jährige Senator Gordianus I., der seinen Sohn Gordianus II. zum Mitregenten ernennt, bald aber sich selbst tötet, nachdem der Sohn in Afrika kämpfend gefallen. Maximinus, vom Senat für abgesetzt erklärt, wird bei der Belagerung von Aquileia von den Soldaten getötet. — Die Prätorianer erheben Gordians I. Enkel, Gordianus III., auf den Thron. Dieser wird nach glücklicher Beendigung eines Krieges gegen die Neuperser 244 ermordet auf Veranlassung des Praefectus praetorio Philippus Arabs, eines Mannes von semitischer Abkunft, welcher 248 das tausendjährige Bestehen des römischen Reiches feiert, 249 von den mösischen Legionen unter ihrem Feldherrn Decius besiegt und getötet wird. Unter diesem Kaiser

250.

Allgemeine Christenverfolgung, nachdem man längere Zeit die Christen hatte gewähren lassen. Decius schlägt die Goten, welche Thrakien plündern, verliert aber Sieg und Leben, als er sie nach der Donau hin verfolgt (251). Die Legionen erwählen den Feldherrn Gallus, unter dessen ebenfalls kurzer Regierung die Pest in mehreren Provinzen des Reiches wütet. Er wird 253 ermordet von dem gegen die Goten siegreichen Aemilianus, dieser nach kaum 4 Monaten von

253–260.

Valerianus,

der seinen Sohn Gallienus zum Mitregenten annimmt. Beide kämpfen gegen die fortwährend erneuten Einfälle[134] germanischer Heerhaufen, namentlich der Franken in Gallien und Spanien, der Alamannen in Ober-Italien (bei Mailand besiegt), der Goten in die Balkan-Halbinsel und Kleinasien. Unglücklicher Feldzug des Valerianus gegen die Perser; er wird bei Edessa geschlagen, gefangen und (als 70jähriger Greis) bis zu seinem Tode von dem König Sapores als Sklave umhergeschleppt. Gegen ihn und seinen Sohn

260–268.

Gallienus

tritt eine große Anzahl von Gegenkaisern auf, während die Barbaren ihre Einfälle in das römische Gebiet fortsetzen. Längere Zeit behaupten sich Postumus in Gallien und Odaenathus (aus Palmȳra) in Syrien. Letzterer wird von Gallienus als Mitregent für den Orient anerkannt; nach seiner Ermordung (267) herrscht seine Gemahlin Zenobia in Palmȳra. Gallienus wird vor Mediolanum, wo er den Prätendenten Aureŏlus belagert, von Verschwörern ermordet. Diese erheben auf den Thron

268–270.

Claudius II.,

einen erfahrenen Feldherrn, der nach Hinrichtung des Aureolus die Alamannen am Gardasee, die Goten bei Naissus in Mösien (an der Morawa) besiegt. Ihm folgt

270–275.

Aurelianus, der Hersteller des Reiches (Restitutor orbis). Er schließt mit den Goten Frieden, indem er die Provinz Dacien aufgibt. Die Donau von jetzt ab Reichsgrenze; der größte Teil der römischen Kolonisten wird nach Mösien zurückversetzt. Aurelian vertreibt die abermals in Italien eingedrungenen Alamannen und Markomannen und beginnt zum Schutze Roms vor den Barbaren den Bau einer neuen Stadtmauer, welche die erweiterte Kaiserstadt umfaßt. Er unterwirft Syrien, belagert und zerstört Palmyra (273), nimmt Zenobia gefangen und erobert Ägypten wieder. Nachdem er so den Orient unterworfen, wendet er sich gegen Tetricus in Gallien, der, bei Châlons besiegt, sich ergibt. Nach kurzem Aufenthalt in Rom reist er wieder in die östlichen Provinzen, wird aber unweit Byzanz von Verschwörern ermordet. Auf Ansuchen des Heeres ernennt der Senat in Rom zum Augustus den 75jährigen Senator

275–276.

Tacitus,

der die Alanen und Goten, welche in Kleinasien eingefallen waren, schlägt, aber bald von den Soldaten ermordet wird.

276–282.

Probus

schlägt am Rhein die Franken und Alamannen, an der Donau die Burgunder, Vandalen und Goten zurück, stellt den Grenzwall (limes) zwischen Rhein und Donau wieder her, fördert den Weinbau in Gallien, am Rhein und an der[135] Mosel, sichert auch Syrien und Mesopotamien gegen die Perser. Starke Ansiedelung von Barbaren in den Grenzgebieten des Reiches. Als er in Pannonien die Soldaten zu Kanal- und Wegebauten nötigt, wird er bei Sirmium von ihnen erschlagen,

282–284.

Carus

besiegt an der unteren Donau die Sarmaten und dringt, während der germanische Grenzwall mit den agri decumates an die Alamannen verloren geht, erfolgreich gegen die Perser vor, stirbt aber bald nach der Einnahme von Ktesiphon (vom Blitze erschlagen?). Das heimkehrende Heer wählt in Chalkēdon zum Kaiser den Feldherrn

284–305.

Diocletianus,

welcher dem römischen Reiche eine neue Verfassung gibt auf Grund der unbeschränkten Monarchie. Der Senat verliert allen Einfluß auf die Regierung, Rom nicht mehr Wohnsitz des Kaisers. Strenges Hofceremoniell nach orientalischer Art. Der Kaiser trägt das Diadem, läßt sich mit Dominus anreden. Neuordnung der Verwaltung, die Provinzen verkleinert und an Zahl vermehrt (101 Provinzen, in 12 Diöcesen geordnet; auch Italien in Provinzen geteilt). Steigender Abgabendruck. Zum Mitregenten (mit dem Titel Augustus) ernennt Diocletian, indem er sich außer der allgemeinen Oberleitung die Regierung des Ostens vorbehält (Residenz Nicomedia in Bithynien), seinen Waffengefährten Maximianus (Residenz Mediolanum, Mailand).

293.

Diocletian ernennt zwei Cäsaren: 1. Constantius Chlorus, der seine Gemahlin Helĕna, eine Christin, verstoßen und die Stieftochter Maximians heiraten muß; er erhält die Verwaltung von Gallien, Britannien und Spanien (Residenzen Augusta Treverorum (Trier) und Eburācum (York)), während Maximianus die Verwaltung von Italien und Afrika behält; 2. Galerius, welcher Diocletians Schwiegersohn wird und die Verwaltung von Illyricum (mit Makedonien und Griechenland, Residenz Sirmium a. d. Save) übernimmt.

Die vier Regenten sorgen im Einverständnis miteinander für die Verwaltung und den Grenzschutz, Diocletian selbst namentlich in Ägypten, Galerius am Euphrat gegen die Perser. Der Tigris als Grenzfluß festgesetzt. Edictum de pretiis 301 zur Abstellung des Wuchers. Glänzende Bauten in Trier.

303.

Allgemeine Christenverfolgung, durch Constantius in seinen Provinzen gemildert.

305.

Diocletian († 313 in Salona in Dalmatien) und Maximian danken ab, Constantius und Galerius[136] werden Augusti; letzterer setzt die Christenverfolgung fort. Die beiden nach seinem Vorschlag von Diocletian ernannten Cäsaren kommen nicht zu Ansehen; in den westlichen Provinzen übernimmt 306 Constantinus, Sohn des Constantius und der Helena, nach dem Tode des Vaters die Regierung, in Rom erheben die Prätorianer Maxentius, den Sohn Maximians.

312.

Nach Galerius’ Tode Krieg zwischen Maxentius und Konstantin; dieser dringt in Italien ein und siegt bei Turin und bei Saxa rubra unweit Rom (hoc signo vince!); Maxentius ertrinkt auf der Flucht im Tiber. Konstantin erkennt Licinius an, welchen Galerius zum Mitregenten des Ostens ernannt hatte, und erläßt 313 in Mailand ein Edikt zum Schutze der Christen. Nach einiger Zeit entsteht Krieg zwischen den beiden Herrschern; Licinius, 323 in zwei Schlachten, bei Adrianopel und bei Chalkēdon, besiegt, ergibt sich und wird 325 hingerichtet.

328–337.

Konstantin der Große Alleinherrscher.

Das Christentum wird vom Staate anerkannt und dem Heidentum gegenüber begünstigt.

325.

Erste allgemeine Kirchenversammlung (ökumenisches Konzil), unter Vorsitz des Kaisers zu Nicaea in Bithynien. Der Arianismus, d. h. die Lehre des Arius, ehemaligen Presbyters in Alexandria, von der Gott dem Vater nur ähnlichen Natur Christi wird verworfen; die Lehre des Athanasius (späteren Bischofs von Alexandria) von der Gott dem Vater gleichen Natur Christi wird durch das Symbŏlum Nicaenum zum Dogma der Kirche erhoben.

330.

Konstantin erwählt Byzantium unter dem Namen Constantinopolis zur Hauptstadt. Die Reichsverwaltung wird auf den von Diocletian geschaffenen Grundlagen abschließend geordnet; Einteilung in 4 Präfekturen (Oriens, Illyricum, Italia, Galliae), mit 14 Diöcesen und 117 Provinzen. Strenge Rangordnung der Beamten, 7 Minister bekleiden die obersten Hofämter, Staatsrat (consistorium principis), Trennung der Zivil- und Militärgewalt. Neue Abgabenordnung. Abschaffung der Prätorianer. Verminderung der Truppenzahl der Legionen, dafür Erhöhung der Anzahl der Legionen auf 175. Den Oberbefehl führen 2 Kronfeldherren (magistri militum), 5 magistri der Reiterei und des Fußvolkes, unter ihnen stehen die Comites und Duces (Grafen und Herzoge).

Konstantin empfängt kurz vor seinem Tode die Taufe und teilt die Verwaltung des Reiches unter seine drei Söhne als Augusti und zwei Neffen als Cäsaren. Nachdem er in Nikomedia gestorben ist, werden die beiden Cäsaren getötet. Die[137] drei Augusti geraten bald in Streit: Constantinus II. wird 340 bei Aquileia erschlagen, als er gegen Constans, der in Italien herrscht, zu Felde zieht. Constantius II. schützt den Osten gegen die Perser, vereinigt nach Constans’ Tode 350 das ganze Reich. Sein Vetter Julianus besiegt als Statthalter Galliens 357 die Alamannen bei Argentoratum (Straßburg) und bekämpft erfolgreich die Franken; die Soldaten rufen ihn 361 zum Kaiser aus. Constantius stirbt auf dem Zuge gegen ihn.

361–363.

Iulianus, genannt Apostăta, weil er als Anhänger der heidnischen Philosophie (Schule der Cyniker) das Christentum verläßt und eine Wiederherstellung des heidnischen Götterdienstes in gereinigter Form versucht. Er muß bald einen Krieg gegen die Perser beginnen, besiegt sie bei Ktesiphon, stirbt aber auf dem Rückzuge an einer Wunde. Die Soldaten erheben zum Kaiser den Christen Iovianus, der mit den Persern Frieden schließt, aber schon 364 stirbt.

364–375.

Valentinianus, in Nicaea erwählt, ebenfalls Christ, teilt abermals das Reich, ernennt seinen Bruder Valens, einen Arianer, zum Mitregenten für den Osten; beide um gute Verwaltung des Reiches bemüht. Herabsetzung der Steuern. Edikt gegen die Schenkungen an den Klerus und die Kirche. Religiöse Duldung auch gegen die Heiden geübt. Die Regierung des Westens übernimmt 375 Valentinians Sohn Gratianus, schon vorher Mitregent.

375.

Beginn der Völkerwanderung (s. S. 140). Nachdem Valens bei Adrianopel (378) gegen die Westgoten gefallen ist, erhebt Gratianus den Spanier

379–395.

Theodosius zum Mitregenten und übergibt ihm die Verwaltung des Ostens. Theodosius schreitet mit wachsender Entschiedenheit gegen das Heidentum ein. Gratian fällt 383 im Kampfe gegen den in Britannien von den Soldaten erhobenen Maximus; Theodosius erkennt diesen als Herrscher des Westens an, doch soll Italien dem Bruder Gratians, Valentinian II., verbleiben. Als Maximus dennoch in Italien eindringt, wird er 388 von den Truppen des Theodosius in Aquileia getötet. Gute Reichsverwaltung, glänzende Bauten in Konstantinopel. 381 Konzil zu Konstantinopel. Die athanasianische Lehre als allein berechtigt anerkannt.

390.

Aufstand in Thessalonike, von Theodosius grausam bestraft; 7000 Menschen im Cirkus getötet. Deshalb schließt der Bischof Ambrosius von Mailand den Kaiser von der christlichen Kommunion aus, bis er (8 Monate später) öffentlich Buße getan hat.

392.

Allgemeines Verbot der heidnischen Opfer, die sich auf dem Lande länger halten als in den Städten; die Heiden werden in dieser Zeit pagani genannt. Letzte Feier der Spiele zu Olympia (s. S. 30).[138]

394.

Theodosius siegt bei Aquileia über den Franken Arbogast, der Valentinian II. gestürzt und getötet und einen Schattenkaiser ernannt hat. Das römische Reich nochmals vereinigt.

395.

Bleibende Reichsteilung nach Theodosius’ Tode. Sein älterer Sohn

Arcadius erhält das oströmische Reich (395–1453), auch byzantinisches oder griechisches Kaisertum genannt; Hauptstadt: Byzanz oder Konstantinopel.

Honorius, der jüngere Sohn, erhält das weströmische Reich (395–476); Hauptstadt Rom, seit 402 Ravenna kaiserliche Residenz. Die Grenze bildet etwa die Verlängerung der Linie Budapest-Draumündung.

Beide Reiche werden durch das Eindringen germanischer Völker gefährdet; der größte Ansturm wendet sich gegen das weströmische.

395–423.

Honorius, anfangs unter Vormundschaft des Vandalen Stilicho, unfähig, das Reich zu schützen.

425–455.

Valentinian III., lange unter Vormundschaft seiner Mutter Placidia, sieht sich auf den unsicheren Besitz Italiens beschränkt. Auf ihn folgen in schnellem Wechsel ohnmächtige Kaiser, die teils von dem Sueben Ricimer († 472), dem Anführer der germanischen Soldtruppen, teils vom oströmischen Kaiser ernannt werden. Zuletzt wird

476.

Romulus Augustus, der Sohn eines Feldherrn Orestes aus Pannonien, von den Truppen seines Vaters auf den Thron erhoben, jedoch von Odovakar, dem Anführer der germanischen Truppen, abgesetzt. Odovakar beherrscht Italien, dem Namen nach unter Oberhoheit des oströmischen Kaisers Zeno, der ihm den Titel eines Patricius verleiht und die Verwaltung der Diöcese Italien überträgt.[139]

II. Mittlere Geschichte

A. Vom Beginn der Völkerwanderung bis zum Vertrage von Verdun. 375–843.

§ 1. Völkerwanderung.

In den Kulturkreis des Altertums dringen die Germanen mit frischer Volkskraft ein, zunächst vieles zerstörend. Bald aber gründen sie neue Staaten, in welche die antike Kultur aufgenommen wird. Der Schauplatz der Geschichte erweitert sich über ganz Europa; es scheiden sich romanische und germanische Staaten; im Osten treten die Slaven hinzu.

Sitze germanischer Volksstämme um 375 nach Chr.

Ostgoten im südlichen Rußland, Westgoten in Dacien (östl. Ungarn, Rumänien), Vandalen in Pannonien (südwestl. Ungarn), Sueben in Mähren, Böhmen und Bayern, Burgunder am Neckar und Main, Alamannen am Oberrhein, ripuarische Franken zu beiden Seiten des Niederrheins (bei Köln), salische Franken in Belgien und an den Rheinmündungen, Sachsen von der Elbe bis fast an den Rhein, Thüringer in Mitteldeutschland, Langobarden an der untern Elbe, Friesen an der Nordseeküste.

Religion und Staatswesen der Germanen:

Verehrung der Götter auf Bergen oder in heiligen Hainen; keine Tempel und Götterbilder. Wodan der Himmelsgott, Donar der Donnergott, Ziu der Kriegsgott. Glaube an ein Fortleben der Helden nach dem Tode in Walhalla.

Keine Städte; die Volksstämme teilen sich nach der Lage der vereinzelten Wohnstätten in Gaue. Unvollkommener Ackerbau, meist den Hörigen (Unfreien) überlassen. Jagd und Krieg die Hauptbeschäftigung der Freien.

Die Versammlung der Freien entscheidet über Krieg und Frieden und schwere Rechtsfälle; sie wählt Gauvorsteher (Richter) und für den Kriegsfall Herzöge, meist aus den Edlen, die aber keinen geschlossenen Stand mit besonderen Vorrechten bilden. Kampflustige Freie schließen sich als Gefolge, zur Treue verpflichtet, an hervorragende Edle an.[140]

Größere Kriege führen zur Ausbildung des Königtums, welches während der Völkerwanderung bei den meisten germanischen Völkern durchdringt. Grenzkriege mit den Römern am Rhein und an der Donau; germanische Heerscharen oft in römischem Solde. Die Goten, welche um 180 von der Weichsel nach der unteren Donau vordringen, sind bis 270 gefährliche Feinde des römischen Reiches; dann meist friedliches Verhältnis. Eine Schar christlicher (arianischer) Westgoten unter dem Bischof Ulfila wird 348 in Mösien angesiedelt; Ulfilas Bibelübersetzung das erste Schriftwerk in gotischer Sprache; er stirbt 381 in Konstantinopel.

375.

Anfang der Völkerwanderung.

Die Hunnen, ein mongolisches, nomadisches Reitervolk, unterwerfen, nachdem sie etwa 372 die Wolga überschritten und die nichtgermanischen Alanen besiegt haben, das Ostgotenreich (am Dnjepr, König Ermanarich aus dem Geschlechte der Amăler) und stürzen sich dann auf die Westgoten. Der heidnische Teil der Westgoten unter Athanarich zieht sich nach Siebenbürgen und in die Karpathen zurück, der christliche unter Fritigern und Alaviv erhält von Kaiser Valens Sitze in Mösien und Thrakien zugesichert. Streitigkeiten mit den römischen Beamten nach dem Übergang über die Donau führen zum Kampf, die Goten dringen verwüstend vor.

378.

Schlacht bei Adrianopel. Valens besiegt und getötet.

Sein Nachfolger Theodosius schließt Frieden mit den Westgoten, welche gegen Sold und Wohnsitze in Mösien und Thrakien als foederati die Grenze des römischen Reiches schützen sollen. Das Reich der Hunnen breitet sich in den Ländern nördlich der Donau aus.

395.

Alarich, König der Westgoten, verwüstet, da nach Theodosius’ Tode Arcadius den Sold nicht zahlt, Makedonien, Illyrien und Griechenland und dringt bis in die Peloponnes vor. Stilicho, Feldherr des weströmischen Reiches, kommt dem oströmischen zu Hilfe, schließt die Westgoten am Gebirge Pholoë in Arkadien ein, läßt sie aber entkommen. Alarich zieht nach Illyrien, wird vom Kaiser Arcadius zum Dux von Illyricum orientale ernannt. Das Vordringen der germanischen Völker richtet sich nun gegen das weströmische Reich.

401.

Alarichs erster Einfall in Italien, Stilicho tritt ihm entgegen. Schlacht bei Pollentia (402); Alarich kehrt nach Illyrien zurück.

405.

Germanische Heerhaufen, namentlich Ostgoten unter Radagais, fallen in Italien ein, werden aber von Stilicho mit Hilfe der rheinischen Legionen bei Fäsulä besiegt[141] und durch Kampf und Hunger aufgerieben. Die Rheingrenze seitdem verloren.

406.

Heerhaufen von Vandalen, Sueben und Alanen ziehen aus den Donauländern unter hartem Kampf mit den Franken über den Rhein und brechen dann 409 in Spanien ein. Die Vandalen besetzen den südlichen Teil (Andalusien = Vandalicia), die Alanen den Südwesten (Lusitanien), die Sueben den Nordwesten (Gallaecia).

Um dieselbe Zeit breiten sich die salischen Franken im nördlichen Gallien aus; die Burgunder setzen sich am mittleren Rhein fest, Worms ihre Hauptstadt.

408.

Stilicho gestürzt und auf Befehl des Kaisers Honorius ermordet. Alarichs zweiter Einfall in Italien, er belagert Rom, zieht aber gegen Lösegeld ab. Da der kaiserliche Hof zu Ravenna sich weigert, den Goten Landbesitz in Noricum zu gewähren, rückt Alarich zum zweiten Male vor Rom (409) und erzwingt vom Senate die Ernennung des Stadtpräfekten Attălus zum Gegenkaiser. Alarich belagert Honorius vergeblich in Ravenna, entzweit sich mit Attalus, setzt ihn ab und rückt zum dritten Male vor Rom.

410.

Einnahme und Plünderung Roms durch Alarich. Er zieht darauf nach Unteritalien, um nach Sicilien und von da nach Afrika überzusetzen, stirbt aber unterwegs (im Busento bei Cosenza begraben).

410–415.

Athaulf, Alarichs Schwager, führt die Westgoten nach Gallien, vermutlich infolge eines Übereinkommens mit dem Kaiser Honorius zur Bekämpfung der dort eingedrungenen Germanen. Er vermählt sich in Narbo 414 mit Placidia, Schwester des Honorius, wird aber bald darauf von dem kaiserlichen Feldherrn Constantius angegriffen, zieht nach Spanien, erobert Barcelona, wird dort ermordet. Sein Bruder

415–419.

Wallia schließt wiederum Vertrag mit Honorius, sendet Placidia zurück und kämpft für die Römer gegen Vandalen, Alanen und Sueben. Ihm wird das südliche Gallien unter römischer Hoheit abgetreten.

415–711.

Westgotenreich in Südgallien und Spanien, bald von Rom unabhängig. Hauptstadt Tolosa (Toulouse), später Toledo.

429.

König Genserich führt die Vandalen aus Spanien nach Afrika hinüber, herbeigerufen von dem abtrünnigen römischen Statthalter Bonifatius, der nachher vergeblich die Eingedrungenen bekämpft. Augustinus, Bischof von Hippo Regius, † 430 während der Belagerung dieser Stadt durch die Vandalen. Karthago, die Hauptstadt der römischen Provinz, wird erst 439 von ihnen erobert.[142]

429–534.

Vandalenreich in Afrika.

Die Vandalen (Arianer) gründen eine Seemacht und beginnen die Küsten und Inseln des Mittelmeeres zu plündern. Ihre früheren Wohnsitze in Spanien werden von den Westgoten in Besitz genommen.

443.

Die Burgunder, unter ihrem König Gundahar, von dem römischen Feldherrn Aëtius mit Hilfe hunnischer Söldner besiegt, erhalten Wohnsitze an der oberen Rhone und Saône. Die Alamannen breiten sich (an Stelle der Burgunder) über die frühere römische Provinz Germania superior (Elsaß) und die Schweizer Ebene aus.

449.

Britannien besetzt von Sachsen, Angeln und Jüten, die von den Briten gegen die räuberischen Stämme der nördlichen Gebirge (Picten und Scoten) zu Hilfe gerufen werden. Sie setzen (nach der Sage unter den Führern Hengist und Horsa) nach Britannien über und gründen dort 7 Staaten: Kent, Sussex, Wessex, Essex, Ostangeln, Mercia, Northumbria. Die christlichen Briten werden teils nach der Westseite der Insel (Wales, Sagen von König Artus) gedrängt, teils siedeln sie nach der Küstenlandschaft Aremorica (Bretagne) in Gallien über.

451.

Attila (Etzel), König der Hunnen, bricht verheerend in Gallien ein; in seinem Gefolge auch die Heerscharen der ihm unterworfenen germanischen Völker, Ostgoten, (Attila gotisch = Väterchen) Gepiden, Heruler, Rugier u. a. Er belagert vergeblich Orléans (Civitas Aureliani).

451.

Schlacht auf den Katalaunischen Feldern (nach Catalaunum, d. i. Châlons-sur-Marne, das Schlachtfeld selbst näher bei Troyes). Attila von dem römischen Heer unter Aëtius und den Westgoten (mit Hilfstruppen der Burgunder, Franken u. a.) in gewaltigem Kampfe besiegt, geht über den Rhein zurück.

452.

Attila zieht nach Italien, zerstört Aquileia, dessen Bewohner in die Lagunen flüchten (Entstehung der Stadt Venedig). Er verwüstet die Po-Ebene, bedroht Rom, kehrt aber um auf Bitten einer Gesandtschaft, an deren Spitze der römische Papst Leo I. steht.

453.

Attila stirbt in Pannonien; nach seinem Tode Zerfall des Hunnenreiches. Die bisher den Hunnen unterworfenen germanischen Völker werden frei; die Gepiden begründen ein Reich in Dacien, die Ostgoten in Pannonien.

Vordringen slavischer Völker in die von den Germanen verlassenen Gebiete bis zur Elbe.

455.

Rom nach Ermordung Valentinians III. 14 Tage lang von den Vandalen geplündert, welche Eudoxia, die Witwe Valentinians, herbeigerufen haben soll. Die Vandalen[143] beherrschen die Nordküste Afrikas bis Kyrēne und die Inseln des westlichen Mittelmeeres.

476.

Odovakar, Anführer von Herŭlern und anderen Germanen in römischem Solde, wird nach Absetzung des letzten weströmischen Kaisers Herrscher in Italien (vgl. S. 138).

Gründung des Frankenreiches in Gallien.
486.

Der Merowinger Chlodwig (Chlodovech), König der salischen Franken (481–511), besiegt bei Soissons den römischen Statthalter Syagrius und vernichtet dadurch den letzten Rest des weströmischen Reiches.

496.

Chlodwig besiegt die Alamannen im Elsaß (nicht bei Zülpich, wo früher ein Kampf zwischen Alamannen und ripuarischen Franken stattgefunden hatte). Chlodwig gelobt in der Schlacht, Christ zu werden, nimmt mit seinem Volke die katholische Lehre an, wird in Reims vom Bischof Remigius getauft.

500.

Chlodwig besiegt die Burgunder bei Dijon, doch behauptet König Gundobad seine Herrschaft. Durch List und Gewalt macht Chlodwig sich zum Alleinherrscher aller Franken, s. unten und S. 145 ff.

493–553.

Ostgotenreich in Italien.

Theoderich der Große, christlicher König der Ostgoten, führt nach Übereinkunft mit dem oströmischen Kaiser Zeno, der ihm den Rang eines Patricius (S. 138) und Konsuls verlieh, sein Volk aus Pannonien nach Italien, siegt über Odovakar am Isonzo 489, belagert ihn in Ravenna, läßt ihn 493 nach Einnahme der festen Stadt hinrichten. Er sorgt in Italien für Erhaltung der römischen Kultur und friedliches Zusammenleben von Römern und Goten. Seine Regierung für Italien eine Zeit des Glückes und Wohlstandes. Sein Minister Cassiodorius schreibt die Geschichte der Goten und verkündet Gesetze in lateinischer Sprache. Doch bleibt der Zwiespalt zwischen beiden Nationen, da die Goten Arianer sind. Boëthius und Symmachus 525 hingerichtet wegen geheimer Verbindungen mit dem oströmischen Kaiser.

Theoderich schließt Frieden mit den Vandalen, welche ihre Raubzüge gegen Italien aufgeben, nimmt die Alamannen und Westgoten gegen die wachsende Macht des Frankenreiches in Schutz, waltet als Friedenshort und Völkerhirt unter seinen germanischen (arianischen) Stammverwandten.

507.

Chlodwig besiegt die Westgoten bei Voullon oder Voullé (unweit Poitiers) und besetzt ihr Land bis zur Garonne: in Arles behaupten sie sich mit Hilfe der Ostgoten. Theoderich vereinigt die Provence mit seinem Reiche[144] und übernimmt die vormundschaftliche Regierung für seinen Enkel Amalarich, den Sohn des bei Voullon gefallenen Westgotenkönigs Alarich II.

526.

Theoderich † zu Ravenna; sein Grabmal dort erhalten. In den deutschen Heldenliedern erscheint er als Dietrich von Bern (Verona).

Das Westgotenreich behauptet sich in Spanien (Hauptstadt Toledo) bis 711. Gegen das Vandalenreich und das Ostgotenreich erhebt sich die wieder erstarkte Macht des oströmischen Kaisertums.

534.

Belisar, Feldherr des oströmischen Kaisers Justinian (S. 147), zerstört das Vandalenreich in Afrika.

Verfall des Vandalenreichs seit Genserichs Tode (477). Den letzten König Gelimer nimmt Belisar gefangen.

535–553.

Vernichtungskrieg Justinians gegen das Ostgotenreich.

Veranlassung: Amalaswintha, Tochter Theoderichs d. Gr., 526–534 Regentin für ihren unmündigen Sohn Athalarich, wird nach dessen Tode ermordet von Theodahad, den sie zum Mitregenten angenommen hat. Kaiser Justinian tritt als ihr Rächer auf.

535–540.

Belisar erobert zuerst Sicilien, dann Neapel, bekämpft Vitigis, den die Ostgoten an Stelle Theodahads zum König erwählt haben, erobert Rom und führt Vitigis als Gefangenen nach Konstantinopel. Während er dann im Osten des Reichs die Perser bekämpft, erobern die Ostgoten unter König Totila den größten Teil Italiens wieder.

544–549.

Belisar, aufs neue nach Italien gesandt, kämpft mit wechselndem Erfolge gegen Totila. Nach Belisars zweiter Abberufung wird Rom von Totila wieder erobert.

552.

Narses, Belisars Nachfolger, siegt mit germanischen Hilfstruppen über Totila bei Tagīnä (in Umbrien, nicht weit von Sentinum); Totila fällt. Teja, der letzte Ostgotenkönig, fällt im Verzweiflungskampfe am Mons lactarius (in der Nähe des Vesuv); die Reste seines Heeres erhalten freien Abzug.

553.

Scharen von Franken und Alamannen, welche über die Alpen in Italien eindringen, werden von Narses zurückgeschlagen, die letzten am Volturnus vernichtet. Italien wird Provinz des oströmischen Reiches (Exarchat). Narses erster Exarch, sein Sitz in Ravenna.

568–774.

Langobardenreich in Italien.

Alboin, König der seit etwa 500 in Pannonien ansässigen Langobarden, zerstört mit Hilfe der Avaren, eines den Hunnen verwandten, asiatischen Volkes, welches bis zur[145] Donau vorgedrungen ist, das Reich der Gepiden (566) und führt bald darauf (568) sein Volk nach Italien, vielleicht von Narses, der am byzantinischen Hof in Ungnade gefallen war, herbeigerufen. Pavīa (Ticīnum), erst nach dreijähriger Belagerung erobert, wird Hauptstadt seines Reiches. Unter seinen Nachfolgern werden langobardische Herzogtümer in Friaul, Spoleto, Benevent gegründet. Unter oströmischer Herrschaft bleiben nur Venedig, Ravenna, Neapel, und Kalabrien.

Die Bischöfe von Rom wissen ihrem Gebiete, dem Patrimonium Petri, die Unabhängigkeit zu sichern (später Berufung auf eine Schenkung Konstantins in den um die Mitte des 9. Jahrh. entstandenen, gefälschten pseudo-isidorischen Dekretalen).

589.

Authari (Sohn Klephs), der 3. König des Langobardenreiches, vermählt mit Theodelinde, Tochter des Bayernherzogs Garibald, durch deren Einfluß der Übertritt der Langobarden vom Arianismus zur katholischen Lehre bewirkt wird. Gleichzeitig vollzieht sich dieselbe Umwandlung im spanischen Westgotenreich, welches 585 durch Unterwerfung des Suebenreiches erweitert ist.

590–604.

Gregor I. (der Große), Bischof von Rom, befestigt das Ansehen des Papsttums. (Pápa, d. h. Vater, früher der Name jedes christlichen Bischofs, bald dem Nachfolger Petri ausschließlich beigelegt.) — Sendung von Glaubensboten zu den Angelsachsen nach England (597), der Abt Augustinus begründet das Erzbistum Canterbury. — Ausbreitung der Klöster; Mönchsregel des h. Benedikt von Nursia, der 529 das Mutterkloster des Benediktiner-Ordens auf dem Monte Cassino in Kampanien gründete. Nach dem Untergang des weströmischen Reiches ist die römische Kirche von größter Bedeutung für die Erhaltung und Fortbildung der aus dem Altertum überlieferten Kultur.

§ 2. Frankenreich unter den Merowingern.

(Vgl. S. 143.)

511.

Nach Chlodwigs Tode erste Teilung (doch nicht völlige Gebietstrennung) des Frankenreiches. Seine vier Söhne herrschen gemeinsam, aber mit gesondertem Hofhalt zu Metz, Orléans, Paris, Soissons.

531–532.

Das Reich der Thüringer wird von Theoderich, dem ältesten der Brüder, durch den Sieg bei Scheidungen, das der Burgunder von den jüngeren Söhnen Chlodwigs: Chlodomer, Childebert, Chlotar, erobert.

Der nördliche Teil Thüringens (bis zur Unstrut) fällt an die Sachsen als Bundesgenossen der Franken in dem Kriege; in das Maingebiet, welches ebenfalls zum alten Thüringerreich gehörte, ziehen fränkische Ansiedler ein (Ostfranken).[146]

Nach dem Untergang des ostgotischen Reiches Erwerbung der Provence (536); auch die Bayern (entstanden aus Vereinigung der Markomannen und Quaden (S. 131) mit anderen Volks-Stämmen) schließen sich dem Frankenreiche an; sie behalten aber ihr heimisches Herzogsgeschlecht, die Agilolfinger.

558–561.

Das Frankenreich wieder vereinigt unter Chlotar I., Chlodwigs jüngstem Sohn, der seine Brüder überlebt. Nach seinem Tode zweite Teilung, zuerst in vier, dann in drei Reichsteile: Austrasien, Neustrien, Burgund. Es folgt eine Zeit der Zerrüttung; Brunhild, eine westgotische Königstochter, veranlaßt ihren Gemahl Sigibert von Austrasien zum Kriege gegen seinen Bruder Chilperich von Neustrien, der ihre Schwester verstoßen und sich mit Fredegunde vermählt hat. Chilperich ermordet 584, darauf Kampf der Adelsparteien.

613–628.

Zweite Wiedervereinigung des ganzen Frankenreiches durch Chlotar II. von Neustrien, Sohn der Fredegunde. Brunhild gefangen, gemartert und zu Tode geschleift.

Verfassung des Frankenreiches: Das Land ist in Gaue (pagi) eingeteilt, deren Vorsteher die vom König ernannten Grafen (comites) sind; die Gaue zerfallen in Hundertschaften (centenae). Jede Hundertschaft hat ihre Gerichtsstätte, Malberg genannt, wo unter Leitung ihres Vorstehers (centenarius) oder des Grafen die Freien zum Gerichtstag (Ding) erscheinen. Das Volksrecht aufgezeichnet als lex Salica (schon unter Chlodwig) und lex Ripuaria; das Deutsche war Volkssprache, aber nicht Schriftsprache. Altgermanisches Gerichtsverfahren: Eideshelfer, Zweikampf, Gottesurteile durch siedendes Wasser oder glühendes Eisen. Totschlag kann durch Wergeld gesühnt werden. Oberstes Gericht das Hofgericht des Königs.

Stände des Volkes: Freie, Halbfreie oder Hörige (liti) und Unfreie (Leibeigene). Die Mitglieder des königlichen Gefolges (antrustiones) haben das dreifache Wergeld der Freien. Freie, die sich in den Schutz eines Mächtigeren oder des Königs begeben, sind dessen Vasallen. Sie empfangen von ihm Grundbesitz zum Nießbrauch; daraus entwickelt sich in der karolingischen Zeit das Lehnswesen (beneficium oder feudum, das Lehngut, im Gegensatz zum Eigengut, allodium).

Die aus römischer Zeit vorhandenen Städte behalten eine gewisse Bedeutung als Bischofsitze; die Einwohner sind aber meistens Halbfreie oder Unfreie. Die zahlreichen Kirchengüter erhalten allmählich Befreiung von der Gerichtsbarkeit der Grafen (Immunität); ein von dem Bischof oder Abt erwählter Schutzherr (advocatus, Vogt) übt dann die Gerichtsbarkeit.

Zum Kriegsdienst sind alle Freien verpflichtet (Heerbann); die Vasallen ziehen unter Führung ihres Beschützers (senior) zu Felde, die übrigen unter Führung des Grafen. In Reichsteilen, die früher selbständig waren (Aquitanien, Bretagne,[147] Bayern, Thüringen), hat der Herzog (dux) den Oberbefehl über den Heerbann mehrerer Grafschaften. Bei der jährlichen Heeresmusterung (Märzfeld, später Maifeld) versammelt der König die Großen zu Beratungen (placita) und verkündet mit ihrer Zustimmung Gesetze.

Die wichtigsten Hofämter sind: Seneschall, Marschall (comes stabuli), Kämmerer, Mundschenk, Kanzler, Pfalzgraf (comes palatii oder palatinus). Der Majordomus, ursprünglich Vorsteher der königlichen Hofhaltung, gewinnt allmählich die größte Macht als Stellvertreter des bald hier, bald dort residierenden Königs.

Unter Chlotar II. hat jeder der drei großen Reichsteile einen eigenen Majordomus; unter seinem Sohne Dagobert kommt Pippin (der Ältere) zu besonderem Ansehen in Austrasien. Dessen Enkel Pippin (der Mittlere) macht sich durch den

687.

Sieg bei Testri (unweit St. Quentin) über den Majordomus von Neustrien zum Majordomus des ganzen Frankenreiches.

Sein Sohn Karl Martel gilt, obgleich er noch nicht den Königstitel annahm, als Begründer der Dynastie, welche das entartete Haus der Merowinger verdrängte.

§ 3. Das oströmische Reich.

Nach Attilas Tode (S. 142) Aufhören der Bedrängnis durch die Hunnen. Das wieder erstarkende Reich bewahrt unter despotischen, aber oft von ihrer Umgebung abhängigen Herrschern noch Jahrhunderte lang die griechische Kultur.

527–565

Justinian I. läßt durch seinen Minister Tribonianus aus den Gesetzen früherer Kaiser und den Schriften früherer Rechtsgelehrter ein umfassendes Gesetzbuch, Corpus iuris civilis, zusammenstellen. Teile desselben: 1. Institutiones, 2. Pandectae oder Digesta, 3. Codex Justinianeus, 4. Novellae später hinzugefügt.

532.

Nika-Aufstand in Konstantinopel, veranlaßt durch die Parteien der Rennbahn, die sich mit dem Schlachtruf Nika gegen die Regierung erheben, aber bald unter sich uneinig werden. Die Blauen, von Belisars Truppen unterstützt, siegen über die Grünen. Ein großer Teil der Stadt durch Brand zerstört, dann schöner wiederhergestellt. Großartige Prachtbauten, z.B. 25 neue Kirchen, darunter die Sophienkirche.

Kriege gegen die Germanen (s.S. 144); Afrika und Italien für die oströmische Herrschaft wiedergewonnen. Im Osten Bedrängnis durch die Perser, welche in Syrien eindringen. Blüte des Sassanidenreiches (S. 133) unter König Kosru I., die alt[148]persische Masdareligion (S. 17) herrscht dort in neuer Kraft. Die Donaugrenze wird mit Mühe geschützt gegen Einfälle der Bulgaren und slavischen Stämme; zu deren Bekämpfung wird das mongolische Volk der Avaren gewonnen, welches seine Wohnsitze in den Steppen an der Donau und Theiß nimmt, wo früher die Hunnen hausten.

Unter den folgenden Kaisern Verfall des Reiches. Italien geht größtenteils verloren (S. 145); Bulgaren und Serben siedeln sich südlich der Donau an, doch unter Oberhoheit des Reiches.

627.

Heraklios II. besiegt die Perser bei den Ruinen von Ninive, verliert aber bald darauf Syrien und Ägypten durch das erobernde Vordringen der Araber. Der übrige Bestand des Reiches ist gesichert.

668–675.

Unter Kaiser Konstantin IV. Abwehr der wiederholten Angriffe der Araber auf Konstantinopel (das griechische Feuer).

726.

Leo III. verbietet nach abermaliger Abwehr der Araber den Bilderdienst. Dadurch werden langdauernde kirchliche Streitigkeiten veranlaßt; die Parteien der Bilderdiener und Bilderstürmer bekämpfen einander, bis die Kaiserin Irene 787 den Bilderdienst wiederherstellt. Nach ihrem Tode erneuter Streit: Leo V., siegreich gegen die Bulgaren, verbietet 815 den Bilderdienst, wird 820 von Verschwörern ermordet; endlich entscheidet 842 die Kaiserin Theodora zu Gunsten des Bilderdienstes.

§ 4. Mohammed und das Kalifat.

Die Arăber, lange Zeit durch die Natur ihres Landes vom Völkerverkehr ferngehalten, erheben sich unter der Einwirkung einer neuen Religion aus der Stammverfassung zur Gründung einer Reichsmacht. Diese tritt in Kampf gegen das christliche Europa.

Mohammed, geb. 571 zu Mekka, aus dem Stamme Kureïsch, lernt auf Handelsreisen nach Syrien die jüdische und die christliche Religion kennen, zieht sich öfters in die Einsamkeit zurück, tritt dann unter seinem Stamme als Prophet auf. Hauptsatz seiner Lehre, des Islâm: Es ist nur ein Gott (Allah), und Mohammed sein Prophet. Die Gläubigen (Moslemin) sind zu Gebeten, Fasten, Almosen, Wallfahrten verpflichtet; Gerechtigkeit die Haupttugend. Vielweiberei gestattet. Glaube an Vorherbestimmung (Fatalismus), sinnliche Vorstellungen vom Fortleben im Paradiese.

622.

Mohammeds Flucht (Hedschra) von Mekka nach Medina Anfang einer neuen Zeitrechnung bei den Völkern, die den Islam annehmen.[149]

630.

Mohammeds Rückkehr; er reinigt die Káaba, das alte Heiligtum in Mekka, von Götzenbildern. Bald ganz Arabien ihm untertan. Er stirbt 632, sein Grab in Medīna. Seine Nachfolger die Kalifen:

632–634.

Abu Bekr, Schwiegervater des Propheten. Entstehung des 114 Suren umfassenden Koran, der später ergänzt wird durch Aufzeichnung mündlich überlieferter Aussprüche des Propheten (die Sunna). Spaltung der Gläubigen in Sunniten, welche diese anerkennen, und Schiiten, welche sie verwerfen und Ali, den Schwiegersohn Mohammeds, als dessen einzig rechtmäßigen Nachfolger betrachten. (Die Perser z. B. sind Schiiten, die Türken Sunniten.)

634–644.

Omar, Begründer der arabischen Herrschaft im Orient: 1. Zerstörung des Neupersischen Reiches der Sassaniden; der Feldherr Saad zieht 636 als Sieger in Ktesiphon ein.

2. Dem oströmischen Reiche entreißt Omar Syrien und Palästina (Damaskus 635, Jerusalem 637); sein Feldherr Amru erobert Ägypten (Alexandria 641). Gründung der Städte Kairo und Basra (am Schatt el Arab). Die erobernden Araber nehmen vieles von der persischen und griechischen Kultur an, machen aber ihre Religion und Sprache zur herrschenden.

Innere Kriege unter den beiden folgenden Kalifen; Othman wird 656 in einem Aufstande zu Medina ermordet, Ali, Mohammeds Schwiegersohn, 661 durch Verschwörer.

661–750.

Die Omaijaden.

Muawija, Urenkel des Omaija, eines Verwandten Mohammeds, gründet eine sunnitische Dynastie, verlegt die Residenz von Medina nach Damaskus. Seine Feldherrn belagern Konstantinopel vergeblich; in Kleinasien beginnen langdauernde Kämpfe, da das byzantinische Reich starken Widerstand leistet. Nordafrika wird von den Arabern gewonnen; 697 zerstören sie Karthago.

711.

Der Feldherr Tarik setzt nach Spanien über, herbeigerufen von Graf Julian, dem Statthalter von Ceuta, gegen den Westgotenkönig Roderich. Er landet bei dem nach ihm benannten Berge Dschebel al-Tarik (Gibraltar) und vernichtet durch die siebentägige Schlacht am Guadalete und Saladofluß bei Xeres de la Frontera das Westgotenreich. Nur ein kleines christliches Königreich Asturien behauptet sich im Norden der Halbinsel.

717.

Konstantinopel wiederum vergeblich belagert; dagegen wird das Indusland, Baktrien, Sogdiana dem Islam unterworfen. Im Innern häufige Kämpfe mit den Anhängern Alis; Entfaltung der Künste und Wissenschaften, namentlich unter Welid I. (705–715), welcher die prachtvolle Moschee zu Damaskus baut.

750.

Merwan II. wird in der blutigen Schlacht am Zab (Nebenfluß des Tigris) besiegt von Abul Abbas, [150]der das Geschlecht der Omaijaden ausrottet; nur Abdurrahman entkommt nach Spanien und gründet dort ein selbständiges Kalifat in Cordova. Hier wie in Granada (Alhambra) großartige Baudenkmäler aus jener Zeit erhalten.

750–1258.

Die Abbassiden.

Neue Residenz Bagdad; glänzende Regierung Harun al Raschids 786–809, von den Dichtern gepriesen. Blüte des Handels, der Architektur und der Wissenschaften (Philosophie, Mathematik, Geographie, Naturforschung, Medizin) unter seinem Sohne Mamun 813–833. Bagdad, Damaskus, Mekka, Kairo Mittelpunkte der arabischen Kultur. Die Nachfolger haben mit Aufständen zu kämpfen.

§ 5. Frankenreich unter den Karolingern.

Karl Martel (der Hammer, Majordomus 714–741) unterwirft die unbotmäßigen Großen des Reiches, bekämpft die Friesen und Sachsen, sichert das Frankenreich gegen die vordringenden Araber durch die siebentägige

732.

Schlacht zwischen Tours und Poitiers.

Er regiert seit 737 ohne König, seine beiden Söhne Karlmann und Pippin setzen 743 wieder einen König (Childerich III.) ein. Karlmann tritt 747 von der Regierung zurück.

751–768.

Pippin, König der Franken,

nachdem Childerich III. unter Zustimmung des Papstes Zacharias durch die zu Soissons versammelten fränkischen Großen abgesetzt und in ein Kloster geschickt ist. Pippin wird auf den Schild erhoben, dann von den Bischöfen gesalbt. 753 Kriegszug gegen die Sachsen.

754.

Papst Stephan II., der als Schutzflehender erscheint, wiederholt zu St. Denys (bei Paris) die Salbung an Pippin und seinen Söhnen. Pippin zieht darauf nach Italien und drängt den Langobardenkönig Aistulf zurück, welcher Rom seinem Reiche einverleiben will. Pippin bestätigt den Papst in dem Besitz des Ducats von Rom (Kirchenstaat, S. 145) und erweitert ihn durch Schenkung des Exarchats Ravenna und der Pentapolis (Gebiet von Ancona und Rimini). Er beansprucht für sich und erhält vom Papst den Titel Patricius von Rom (S. 138, 143).

719–754.

Bonifatius, der Apostel der Deutschen.

Im inneren Deutschland hatten in der Merowingerzeit irische und fränkische Missionare, gestützt auf die aus römischer Zeit her bestehenden Bistümer in Basel, Konstanz, Straßburg, Augsburg, Mainz, Trier, Köln, an mehreren Orten Kirchen und Klöster gegründet: Columba und Gallus um 610 bei den Alamannen am Bodensee (Kloster St. Gallen), Pirmin[151] (Kloster Reichenau), Emmeram in Regensburg, Kilian in Würzburg, Rupert in Salzburg u. a.

Bonifatius (sein ursprünglicher Name Winfried), ein Angelsachse aus Wessex, erhält 719 in Rom von Papst Gregor II. den Auftrag, in den noch heidnischen Gegenden Deutschlands das Christentum zu verkündigen. Er predigt zuerst in Gemeinschaft mit seinem Landsmann Wilibrord, dem Bischof von Utrecht, in Friesland, wendet sich dann nach Ostfranken, Thüringen, Hessen, Bayern. Bei Geismar in Hessen fällt er die Wodanseiche. Seit 722 Bischof, 732 Erzbischof ohne bestimmten Bischofsitz, bringt er alle neu gegründeten Bistümer (Salzburg, Regensburg, Freising, Passau, Würzburg, Eichstätt, Erfurt, letzteres bald zu Mainz gezogen) und Klöster (Fritzlar, Fulda, Ohrdruf) in strenge Abhängigkeit vom römischen Stuhle. Auch im westlichen Teile des Frankenreichs ordnet er die verfallenen kirchlichen Einrichtungen wieder. Er wird 748 Erzbischof von Mainz, 755 bei einer letzten Missionsreise von den heidnischen Friesen bei Dokkum erschlagen; begraben in Fulda.

768–814.

Karl der Große,

anfangs gemeinschaftlich mit seinem Bruder Karlmann regierend, nach dessen Tode 771 Alleinherrscher. Karlmanns Söhne fliehen zu Desiderius, dem König der Langobarden, dessen Tochter Desiderata Karl geheiratet, dann verstoßen hatte. Zur Sicherung der Reichsgrenze beginnt Karl die langwierigen Sachsenkriege; durch die Unterwerfung der noch heidnischen Sachsen (geteilt in Westfalen, Engern, Ostfalen, Nordalbinger) wird die Einigung der deutschen Volksstämme im Frankenreiche vollendet.

772.

Erster Sachsenkrieg. Maifeld zu Worms, von da aus Zug gegen die Engern. Eroberung der Eresburg (Stadtberge an der Diemel), Zerstörung der Irminsul, eines heiligen Denkmals.

773–774.

Zug nach Italien; Zerstörung des Langobardenreiches.

Da Papst Hadrian I. sich weigert, Karlmanns Söhne zu Königen der Franken zu krönen, besetzt Desiderius die Pentapolis und bedroht Rom. Karl als Patricius von Rom kommt dem Papst zu Hilfe. Einnahme von Pavīa nach langwieriger Belagerung; Desiderius in ein Kloster gebracht. Karl krönt sich mit der eisernen Krone der Langobarden und wird König von Italien (Langobardenreich, also Nord- und Mittel-Italien; Süd-Italien bleibt teils im Besitz der Byzantiner, teils selbständig unter dem Herzog von Benevent). Karl bestätigt dem Papst die Schenkung seines Vaters.

775–777.

Fortsetzung des Sachsenkrieges: 775 Zug von Düren aus nach Westfalen, Eroberung der Sigiburg (Hohensyburg am Einfluß der Lenne in die Ruhr). 776[152] von Worms aus Wiederherstellung der von den Sachsen zerstörten Eresburg und Zug bis zur Lippe, 777 Maifeld in Paderborn.

778.

Zug nach Spanien, veranlaßt durch ein Hilfsgesuch des Emirs von Saragossa gegen den Kalifen von Cordŏva. Pamplona erobert, Saragossa belagert. Beim Rückzuge überfallen die Basken im Tal Roncesvalles die Nachhut des Heeres. Tod des in der Sage gefeierten Helden Roland. Infolgedessen die spanischen Eroberungen verloren.

Inzwischen neue Erhebung der Sachsen unter Widukind. Karl siegt 779 bei Bocholt an der Aa (nördlich von Wesel), zieht 780 von der Eresburg aus nach Lippspringe und von da bis zur Elbe. Die Sachsen unterwerfen sich, Einführung des Christentums.

781.

Zug nach Italien, Zusammenkunft mit dem Papste in Rom.

782.

Abermals Aufstand der Sachsen unter Widukind. Sie vernichten ein fränkisches Heer, welches mit ihnen zusammen die wendischen Sorben bekämpfen soll, am Berge Süntel. Deshalb Strafgericht zu Verden an der Aller, 4500 Sachsen getötet. 783 infolge dieser Bluttat neuer, furchtbarer Aufstand. Karl siegt erst bei Detmold, dann an der Hase, dringt bis zur Elbe verwüstend vor. 785 unterwirft sich Widukind und wird Christ.

Einführung der fränkischen Grafschaftsverfassung in Sachsen. Anfänge des städtischen Lebens knüpfen sich an die nach und nach gegründeten Bischofsitze: Bremen, Münster, Paderborn, später Osnabrück, Verden, Minden; unter Ludwig dem Frommen Hildesheim und Halberstadt.

787.

Zug nach Italien; Herzog Arichis von Benevent unterwirft sich.

788.

Aufhebung des Herzogtums Bayern nach zweimaliger Auflehnung des Herzogs Tassilo; dieser wird in ein Kloster geschickt.

789.

Krieg gegen die Slaven (Wenden); Karl zieht von Köln aus durch Sachsen, überschreitet die Elbe, besiegt den Stamm der Wilzen, dringt bis zur Peene vor.

791.

Krieg gegen die Avaren (S. 148), welche Tassilo unterstützt hatten; Zug von Regensburg aus bis zur Raab.

794.

Karl und sein gleichnamiger ältester Sohn unterdrücken einen neuen Aufstand der Sachsen, mit zwei getrennten Heeren eindringend. Fernere Züge 795–799, viele Sachsen hinweggeführt und in fränkischem Gebiet angesiedelt.

795.

Karls Sohn Ludwig bekämpft die Mauren, gründet bis 811 die spanische Mark (Barcelona 801 erobert).[153]

796.

Karls Sohn Pippin erstürmt den Königsring (Hauptlager) der Avaren zwischen Donau und Theiß. Das Land zwischen Enns und Raab wird als Avarische Mark mit deutschen Ansiedlern besetzt, Salzburg 798 zum Erzbistum erhoben, ebenso um dieselbe Zeit Köln.

800. 25. Dezbr.

Karl erneuert das weströmische Kaisertum.

Papst Leo III., von Verwandten seines Vorgängers Hadrian bei einem Aufstande mißhandelt und verjagt, sucht Schutz bei Karl im Lager zu Paderborn (799). Karl läßt ihn mit bewaffnetem Geleit nach Rom zurückführen, begibt sich zunächst nach Aachen, dann nach der Nordseeküste, um eine Flotte und befestigte Küstenplätze einzurichten zur Abwehr der seeräuberischen Normannen, zieht dann nach Italien und wird am Weihnachtsfest 800 in der Peterskirche zu Rom vom Papste als römischer Kaiser gekrönt. Gesandte des Kalifen Harun al Raschid begrüßen ihn 801 in Ivrea, Gesandte des oströmischen Reiches 802 in Aachen.

804.

Letzter Feldzug gegen die Sachsen; Karl zieht von Aachen aus nach Lippspringe, hält dort das Maifeld ab, dringt dann bis zur unteren Elbe (bei Harburg) vor.

806.

Karl der Jüngere besiegt den slavischen Stamm der Sorben (zwischen Elbe und Saale); Grenzfesten werden bei Magdeburg und Halle angelegt. Sorbische Mark gegründet.

808.

Karl der Jüngere bekämpft jenseits der Elbe die Dänen; ihr König Götrik befestigt das Danewerk (westlich von Schleswig) zum Schutz seiner Grenze, wird 810, als der Kaiser selbst gegen ihn zieht, von seinen Untertanen ermordet. 811 Friede mit seinem Nachfolger Hemming an der Eider. Bei diesen Expeditionen werden Hamburg und Itzehoe und nördlich von der Eider die Dänische Mark angelegt.

811.

Maifeld zu Aachen; dann besichtigt der Kaiser die in Boulogne zur Abwehr der Normannen gerüstete Flotte.

813.

Nach dem Tode der beiden älteren Söhne Karl und Pippin krönt Karl zu Aachen seinen jüngsten Sohn Ludwig als Nachfolger. Er stirbt daselbst, 72 Jahre alt, am 28. Januar 814. Sein Grab in dem von ihm dort erbauten Münster.

Grenzen des Frankenreiches: Ebro — Raab, Eider — Garigliano. Grenzmarken: die spanische und bretonische (S. 142) im Westen, die avarische und sorbische im Osten, die sächsische und dänische im Norden. Während seiner ganzen Regierung sorgt Karl d. Gr. für Gesetzgebung und Verwaltung. Aufzeichnung der noch ungeschriebenen Volksrechte (lex Saxonum); die in den verschiedenen Reichsteilen geltenden älteren Volksrechte der Franken, Westgoten, Burgunder, Alamannen, Bayern,[154] Langobarden werden ergänzt durch die Capitularia, die bei den Versammlungen der geistlichen und weltlichen Großen (Placita, Conventus generales) verkündet werden. Aufsicht über die von den Bischöfen, Gaugrafen und Markgrafen (marchiones) geführte Verwaltung durch die Königsboten (missi regis, missi dominici); die Herzogswürde ist abgeschafft. Bei wachsender Ausbildung des Lehnswesens ruht doch die Hauptkraft des Heeres noch auf dem Heerbann der Freien; die ärmeren Freien werden geschützt gegen die Versuche der Großen, sie gewaltsam zu abhängigen Lehnsträgern zu machen.

Zur Förderung der Bildung im Frankenreiche werden ausländische Geistliche berufen, besonders der Angelsachse Alcuin, Abt von Tours. Hofschule zur Ausbildung tüchtiger Beamten; zahlreiche Klosterschulen (Fulda, St. Gallen). Paul, Warnefrieds Sohn (Paulus Diacŏnus) Geschichtschreiber der Langobarden; der Franke Einhard, Verfasser der Vita Carŏli imperatoris. Karl d. Gr. selbst bemüht sich um die Grammatik der deutschen Sprache, gibt den Monaten und den Winden deutsche Namen, läßt die alten Heldenlieder sammeln. Sorge für den Landbau (Capitulare de villis). Anlage eines Kanals von der Donau zum Main, 793 in Regensburg angeordnet, aber nicht vollendet. Residenzen des Herrschers die Pfalzen (palatia) zu Aachen, Ingelheim, Worms, Nimwegen, Heristal, Diedenhofen, Attigny u. a.

814–840.

Ludwig der Fromme. Die Reichsverwaltung wird zunächst in der von Karl d. Gr. begründeten Weise weitergeführt, doch wird der Einfluß der Geistlichen überwiegend. Ludwig läßt sich 816 in Reims nochmals vom Papste Stephan IV. krönen; sein ältester Sohn Lothar, schon 817 zum Mitregenten ernannt, übernimmt die Verwaltung Italiens und wird 823 in Rom zum Kaiser gekrönt.

826.

Taufe des Dänenkönigs Harald zu Mainz; der Mönch Ansgar von Corvey predigt das Christentum in Dänemark, dann auch in Schweden.

830.

Empörung der drei älteren Söhne, Lothar, Pippin und Ludwig, als der Kaiser die früher beschlossene Reichsteilung abändert zu Gunsten des jüngsten Sohnes Karl (aus zweiter Ehe mit Judith, die aus dem alamannischen Geschlecht der Welfen stammte). Eine Reichsversammlung zu Nimwegen setzt den Kaiser wieder in volle Macht ein.

831.

Gründung des Erzbistums Hamburg; Ansgar erster Erzbischof.

833.

Zweite Empörung der Söhne. Der Kaiser, auf dem Lügenfelde bei Colmar im Elsaß von seinem Heere verlassen, wird gefangen und von Lothar zu öffentlicher Kirchenbuße in Soissons genötigt, bald aber von Ludwig und Pippin befreit und wieder auf den Thron gesetzt.[155]

838.

Pippin †, Ludwig erhebt sich gegen den Vater, der jetzt an Lothar eine Stütze findet.

840.

Ludwig der Fromme † auf einer Rheininsel bei Ingelheim; der Zwist der Söhne dauert fort.

841.

Schlacht bei Fontenay (unweit Auxerre an der Yonne); Ludwig und Karl siegen über Lothar.

Sie befestigen ihr Bündnis 842 durch die Eide zu Straßburg, in welchen die Scheidung der deutschen und französischen Sprache im Frankenreiche deutlich hervortritt.

843.

Vertrag zu Verdun, Teilung des Reiches.

Kaiser Lothar erhält Italien und Mittelfranken, begrenzt östlich vom Rhein, westlich von Rhone, Saône, Maas und Schelde, mit den Hauptstädten Rom und Aachen;

Ludwig der Deutsche erhält Ostfranken, das rechtsrheinische Land, dazu auf dem linken Rheinufer die Gaue von Mainz, Worms, Speier (propter vini copiam).

Karl der Kahle erhält Westfranken (Neustrien, Aquitanien, Burgund).

In Ludwigs Reich überwiegt die germanische, in Karls Reich die romanische Bevölkerung. So entwickeln sich fortan Deutschland und Frankreich als nationale Staaten. Die Ostfranken nennen ihre Sprache im Gegensatz zu der römischen Sprache der gelehrten Geistlichkeit die deutsche, d. h. die volkstümliche; allmählich werden die deutschredenden Stämme als Deutsche vereinigt.

B. Vom Vertrage zu Verdun bis zum Beginn der Kreuzzüge. 843–1096.

§ 1. Italien und Deutschland.

843–875.

Karolinger[30] in Italien.

Lothar regiert bis 855, nach ihm sein ältester Sohn Ludwig II. als Kaiser bis 875; er herrscht über Italien; von den beiden jüngeren Söhnen erhält Lothar II. das Gebiet[156] von der Nordsee bis zur Rhone und Saône (Lothari regnum, Lothringen), Karl den südlichen Teil. Die nordafrikanischen Araber (Sarazenen), seit 827 im Besitze Siciliens, beunruhigen durch Seezüge die Küsten Italiens. Rom gesichert durch die aurelianische Mauer (S. 134); Papst Leo IV. läßt auch den Stadtteil auf dem rechten Tiberufer (Peterskirche und Vatikan) ummauern.

Papst Nikolaus I. (858–867), gestützt auf die pseudo-isidorischen Dekretalen (S. 145) (Bischof Isidor von Sevilla, um 600, hatte zuerst päpstliche Entscheidungen gesammelt), bringt die päpstliche Macht gegenüber den Bischöfen und den karolingischen Herrschern zu hohem Ansehen, kann aber die durch dogmatische Streitigkeiten veranlaßte Loslösung der griechisch-katholischen Kirche von der Oberhoheit Roms nicht verhindern. Der Patriarch Photius in Konstantinopel tritt 863 dem päpstlichen Bann entgegen; völlige Trennung der beiden Kirchen erst 1054.

Die Slavenapostel Methodius und Cyrillus, 863 aus Thessalonich nach Mähren berufen, erkennen Roms Oberhoheit an; von Mähren aus verbreitet sich das Christentum um 900 nach Böhmen und Polen.

875.

Karl der Kahle von Frankreich gewinnt in Rom die Kaiserkrone, † 877 (Karl II.).

843–911.

Karolinger in Deutschland.

843–876.

Ludwig der Deutsche führt Grenzkriege gegen die Slaven (Abodriten in Mecklenburg, Sorben, Czechen), setzt in Mähren den Herzog Rastislav ein.

845.

Hamburg zerstört von den Normannen, die schon mehrmals die friesische Küste heimgesucht hatten; das Erzbistum wird nach Bremen verlegt. Die ferneren Raubzüge der Normannen richten sich gegen das westfränkische Reich.

870.

Vertrag zu Mersen (an der Maas) mit Karl dem Kahlen; nach dem Tode der beiden jüngeren Söhne Lothars I. wird deren Erbe zwischen Deutschland und Frankreich geteilt. Der germanische Teil (Friesland, Lothringen, Elsaß) kommt an Deutschland, der romanische (Flandern, Brabant, Verdun, Burgund, Provence) an Frankreich.

874.

Swatopluk, Fürst von Mähren, zur Huldigung genötigt.

876–887.

Karl der Dicke regiert zuerst gemeinsam mit seinen älteren Brüdern Karlmann und Ludwig. Letzterer weist durch den Sieg bei Andernach am Rhein 876 Karls des Kahlen Ansprüche auf Lothringen zurück. Karl zieht 879 und 881 nach Italien, erlangt 881 in Rom die Kaiserkrone (Karl III.) wird 884 auch in Westfranken zum König gewählt. So vereinigt[157] er noch einmal Karls des Großen Monarchie mit Ausnahme von Niederburgund (Rhônegebiet), wo 879 Boso von Vienne, Schwiegersohn Kaiser Ludwigs II., zum König erwählt war (Hauptstadt Arles, daher der Name Arelatisches Reich). Aber er verliert bald sein Ansehen, weil er den Paris belagernden Normannen ein Lösegeld von 7000 Pfund Silber bewilligt und Burgund verpfändet; er wird von den zu Tribur (südöstlich von Mainz auf dem rechten Rheinufer) versammelten Fürsten des ostfränkischen Reiches abgesetzt und stirbt bald darauf. Hochburgund (Westschweiz und Franche-Comté) wird 888 ein selbständiges Reich unter dem Welfen Rudolf.

887–899.

Arnulf von Kärnten, Sohn Karlmanns, schlägt die Normannen bei Löwen an der Dyle 891 und kämpft im Bunde mit dem finnischen Reitervolke der Magyaren (Ungarn), das vom Ural her in die früheren Wohnsitze der Avaren eingedrungen ist, gegen Swatopluk von Mähren, dessen slavisches Reich nach seinem Tode (894) zerfällt. Arnulf zieht zweimal nach Italien, wird 896 in Rom zum Kaiser gekrönt, stirbt aber, ehe er sein Reich befestigen kann. Ihm folgt sein sechsjähriger Sohn

899–911.

Ludwig das Kind unter Leitung des Erzbischofs Hatto von Mainz. Furchtbare Verheerung Deutschlands durch die Raubzüge der Magyaren; wiederholt durchziehen sie Bayern (907 Herzog Luitpold, Stammvater der Wittelsbacher samt seinem Heer vernichtet), Thüringen und Sachsen. Zugleich innere Fehden: Graf Adalbert von Babenberg kämpft gegen die in Franken und Hessen begüterten Konradiner; er wird besiegt und vor seiner Burg hingerichtet.

In verschiedenen Reichsteilen erhebt sich wieder das durch Karl den Großen beseitigte Stammesherzogtum; es bilden sich die Stammherzogtümer Sachsen, Franken, Bayern, Schwaben, Lothringen. Nach Ludwigs Tode lehnt der greise Otto der Erlauchte, Herzog von Sachsen, die Königskrone ab und lenkt die Wahl der Großen auf den mit den Karolingern nahe verwandten Konradiner

911–918.

Konrad I. von Franken. Einfälle der Dänen, Slaven und Magyaren. Konrad kämpft vergeblich um die Anerkennung der Königsgewalt, namentlich gegen Heinrich, Ottos des Erlauchten Sohn, seit 912 Herzog von Sachsen. Lothringen wendet sich dem westfränkischen Reiche zu, Elsaß bleibt mit Schwaben verbunden.

In Italien, welches von Raubzügen der Magyaren und der Araber heimgesucht wird, hat nach Arnulfs Tode Berengar von Friaul ein Königtum begründet, er erlangt 915 auch die Kaiserwürde. Gegen ihn tritt 922 Rudolf II. von Hochburgund auf, gegen diesen Hugo von Niederburgund. Rudolf II. schließt[158] 933 Vertrag mit Hugo, der zum König von Italien gekrönt, auf Niederburgund verzichtet; vereinigtes Reich Burgund (Hauptstadt Arles) 933–1033. Dagegen gewinnt das italische Königtum keinen festen Bestand; Hugo wird 945 von Berengar von Ivrea vertrieben; Hugos Sohn Lothar, mit Rudolfs II. Tochter Adelheid (deren zweiter Gemahl Otto der Große) vermählt, sucht nach dem Tode seines Schwiegervaters vergebens dessen Reich wiederzugewinnen, † 950. Das Papsttum ist in dieser Zeit in tiefem Verfall, abhängig von streitenden römischen Adelsparteien.

919–1024. Sächsische Könige und Kaiser.

           Heinrich I. †936.
________________|_______________________________________
Thankmar   Otto I. †973  Heinrich,                Brun,
 †938.       |           Herzog v. Bayern †955.   Erzb. v.
_____________|_________  ________|___________     Köln.
  Lindolf  Otto II. †983.   Heinrich d. Zänker,
   †957      |              Herzog v. Bayern †995.
           __|__                   __|__
          Otto III.    Heinrich II. †1024.
           †1002.

Auf Wunsch des sterbenden Konrad und auf Betreiben Eberhards, seines Bruders, wird zu Fritzlar an der Eder von den Franken und Sachsen erwählt

919–936.

Heinrich I., der Begründer des Deutschen Reiches.

Er nötigt durch Kriegszüge die Herzöge Burkhard von Schwaben und Arnulf von Bayern zur Anerkennung seiner Oberhoheit, schließt 924 mit den Magyaren (Ungarn) einen 9jährigen Waffenstillstand, welcher gegen Tribut Sachsen und Thüringen sicher stellt, bringt 925 durch einen Kriegszug über den Rhein Lothringen wieder zum Reiche; Herzog Giselbert wird sein Schwiegersohn.

In Sachsen sorgt er für Befestigung älterer Ortschaften (Merseburg, Goslar) und Anlage neuer Burgen (Quedlinburg); die Sachsen gewöhnen sich allmählich an städtisches Leben und an Reiterdienst im Kriege.

928.

Glückliche Kämpfe gegen die Wenden; Brennabor, Stadt der Heveller, im Winter erobert; im Lande der Daleminzier die Feste Meißen gegründet.

929.

Zug nach Prag, Herzog Wenzel von Böhmen zur Huldigung genötigt. Währenddessen Aufstand der nördlichen Wenden; sie werden von den sächsischen Grafen Bernhard und Thietmar bei Lenzen (unweit Dömitz an der Elbe) geschlagen.

932.

Unterwerfung der Wenden in der Lausitz.

933.

Sieg Heinrichs über die Ungarn an der Unstrut (bei Riade); Sachsen fortan vor ihnen gesichert.

934.

Zug gegen die Dänen unter König Gorm; Wiederherstellung der Grenzmark zwischen Eider und Schlei, später Mark Schleswig genannt.[159]

936.

Heinrich † zu Memleben an der Unstrut, begraben in dem von ihm gegründeten Münster zu Quedlinburg. Ihm folgt sein mit der angelsächsischen Königstochter Editha vermählter Sohn

936–973.

Otto I., der Grosse. Krönung in Aachen durch den Erzbischof von Mainz; die Herzöge verwalten dabei die Hofämter: Giselbert von Lothringen Kämmerer, Eberhard von Franken Truchseß, Hermann von Schwaben Mundschenk, Arnulf von Bayern Marschall. Otto, erst 24 Jahre alt, sucht die Selbständigkeit der Herzöge zu beschränken.

937.

Einfall der Ungarn in Franken; von Otto zurückgeschlagen ziehen sie nach Westen, verheeren große Strecken von Frankreich und Burgund, dringen auch in Italien ein.

938.

Aufstand des zu einer Strafe verurteilten Frankenherzogs Eberhard in Gemeinschaft mit Ottos Halbbruder Thankmar, der in der Eresburg getötet wird. Eberhard unterwirft sich und erhält Verzeihung; Otto schlägt einen Einfall der Ungarn in Sachsen zurück und zieht dann nach Bayern gegen die Söhne des Herzogs Arnulf († 937), die ihm Huldigung verweigern; er setzt Arnulfs Bruder Berthold als Herzog, einen der Söhne als Pfalzgrafen in Bayern ein zur Ausübung der höchsten Gerichtsbarkeit und Aufsicht über die königlichen Besitzungen und Einkünfte im Lande.

939.

Abermaliger Aufstand Eberhards in Gemeinschaft mit Ottos jüngerem Bruder Heinrich und dessen Schwager Herzog Giselbert von Lothringen. Eberhard fällt im Kampfe bei Andernach, Giselbert ertrinkt auf der Flucht im Rhein; Heinrich entkommt nach Frankreich, kehrt aber bald zurück und erhält Verzeihung.

940.

König Ludwig IV. von Frankreich, mit Giselberts Witwe vermählt, versucht Lothringen an sich zu reißen. Otto dringt mit Heeresmacht in Frankreich ein bis zur Seine, sichert Lothringen dem deutschen Reiche. Er gibt dieses Herzogtum 944 an Konrad den Roten (Ahnherrn des fränkisch-salischen Königshauses), der sein Schwiegersohn wird. Zum Herzog von Bayern ernennt er nach Bertholds Tode 947 seinen Bruder Heinrich, zum Herzog von Schwaben 950 seinen Sohn Liudolf; Franken und Sachsen behält er selbst.

Hermann Billung, Markgraf gegen die nördlichen Wenden und Dänen, erhält später die Herzogsgewalt in Sachsen. Die Mark an der mittleren Elbe verwaltet Markgraf Gero, unter dessen Schutze im Wendenlande die Bistümer Havelberg und Brandenburg gegründet werden.

946.

Zweiter Zug Ottos nach Frankreich bis Rouen, diesmal zur Unterstützung König Ludwigs IV.,[160] besonders gegen Hugo, den Herzog von Francien (beide seine Schwäger).

Die bedeutende Machtstellung, welche Otto errungen hat, legt es dem tatkräftigen Herrscher nahe, nun auch in die zerrütteten Verhältnisse Italiens einzugreifen.

951.

Erster Zug nach Italien (über den Brennerpaß) gegen Berengar von Ivrea (S. 158). Otto befreit und heiratet (in zweiter Ehe) die burgundische Königstochter Adelheid (s. S. 158). Er empfängt in Pavia die Huldigung der italischen Großen, Berengar unterwirft sich ihm als Vasall.

953.

Liudolf von Schwaben und sein Schwager Konrad von Lothringen empören sich gegen den König und verbinden

954.

sich mit den Ungarn, die durch Bayern und Franken bis nach Lothringen streifen. Sie werden nach hartem Kampfe besiegt und verlieren ihre Herzogtümer, sind fortan dem Könige getreu.

955. 10. Aug.

Sieg Ottos über die Ungarn auf dem Lechfelde bei Augsburg. Konrad, für den König kämpfend, fällt in der Schlacht. Die bayrische Ostmark (aus der später das Herzogtum Österreich hervorgeht) wird wiederhergestellt. Das Herzogtum Bayern geht nach dem Tode Heinrichs 955 auf dessen Sohn über (Heinrich der Zänker), in Schwaben regiert Heinrichs Schwiegersohn Burkhard; Lothringen verwaltet Ottos jüngster Bruder, Erzbischof Brun von Köln. Ottos Sohn Wilhelm ist Erzbischof von Mainz. So suchte Otto das Reich zu festigen, indem er die Herzogtümer seinen Verwandten gab. Zur Beaufsichtigung und Beschränkung der herzoglichen Gewalt setzte er überall Pfalzgrafen ein, die das Königsgut verwalteten.

Okt.

Zug Ottos gegen die Wenden, Sieg an der Recknitz (in Mecklenburg) im Verein mit Markgraf Gero.

957.

Liudolf zieht im Auftrage des Vaters nach Italien gegen Berengar, besiegt ihn, stirbt aber vor der Rückkehr.

961–965.

Zweiter Zug Ottos nach Italien, da Papst Johann XII. um Hilfe gegen Berengar bittet.

962. 2. Febr.

Kaiserkrönung Ottos I. in Rom. Während Kaiser Otto in der Lombardei gegen Berengar kämpft, versucht Papst Johann XII. sich der kaiserlichen Schutzherrschaft zu entziehen. Otto kehrt mit Heeresmacht nach Rom zurück (Nov. 963); der Papst entflieht und wird abgesetzt. Otto zieht wieder nach Oberitalien; Berengar unterwirft sich und wird als Gefangener nach Bayern gesandt, stirbt 966 in Bamberg. Inzwischen wird der von Otto eingesetzte Papst Leo VIII. aus Rom vertrieben; Otto zieht zum dritten Mal dorthin und sendet den Gegenpapst Benedikt V. als Gefangenen nach Hamburg.[161]

965.

Rückkehr des Kaisers nach Deutschland. Fürstentag in Ingelheim; dann in Köln Zusammenkunft mit seiner Schwester Gerberga, der Königin von Frankreich, und ihrem Sohne, König Lothar. Er begibt sich nach Sachsen und teilt nach dem Tode Geros dessen Gebiet in sechs Marken, die später in drei zusammengezogen werden: Nordmark (Altmark) an der mittleren Elbe, Ostmark (Lausitz) weiter südlich die Mark Meißen. Der Tod des Erzbischofs Brun veranlaßt den Kaiser 966 zu einem abermaligen Zuge nach Köln; er ordnet die Verhältnisse in Lothringen und hält dann einen Reichstag zu Worms.

966–972.

Dritter Zug nach Italien (über Chur und den Septimerpaß). Ottos Sohn, Otto II. (geb. 955), schon 961 als deutscher König gekrönt, empfängt in Rom die Kaiserkrone. Die Huldigung der Herzöge von Capua und Benevent (s. S. 152) gibt Anlaß zu Feldzügen nach Apulien gegen die oströmische Herrschaft. 968 Synode zu Ravenna; dort wird die Gründung des Erzbistums Magdeburg und der Bistümer Merseburg, Zeitz, Meißen beschlossen. Der Kaiser residiert längere Zeit in Pavia, schickt nach abermaligen Kämpfen in Apulien Gesandte nach Konstantinopel; 972 wird in Rom die Vermählung seines Sohnes Otto mit der oströmischen Prinzessin Theophano gefeiert. Apulien und Calabrien, Neapel und Salerno bleiben unter oströmischer, Capua und Benevent unter deutscher Herrschaft.

972.

Rückkehr nach Deutschland; Synode in Ingelheim, Fürstentag in Frankfurt. Im März 973 ist der Kaiser in Magdeburg, dann in Quedlinburg und Merseburg; er stirbt am 7. Mai 973 in Memleben, wird im Dom zu Magdeburg neben seiner ersten Gemahlin Editha bestattet.

Verfassung des deutschen Reiches: Wahlkönigtum; die Königsmacht beruht auf bedeutenden Reichsgütern in allen Teilen des Reiches, besonders in Franken und Sachsen, zu deren Verwaltung der König Pfalzgrafen ernennt. Keine feste Residenz; der König ordnet überall die wichtigen Angelegenheiten persönlich. Oberste Beamte sind die Herzöge, dem Könige ebenso zur Lehnstreue verpflichtet wie die ihnen untergeordneten Grafen und kleineren Vasallen. Da diese jedoch starke partikularistische Gelüste zeigen, so sucht der Kaiser die Reichseinheit später auf die Kirche zu gründen. Er stützt sich auf die nur von ihm ernannten Erzbischöfe und Bischöfe, welche bedeutende Reichslehen empfangen und nun einen neuen geistlichen Beamtenstand bilden, dessen Lehen nicht erblich sind. Diese vom Könige eingesetzten geistlichen Fürsten erweisen sich als bessere Stützen des Reiches, als die nach Erblichkeit der Lehen strebenden weltlichen Fürsten. Die Zahl der unabhängigen Freien ist vermindert; der Heerbann tritt allmählich[162] zurück gegen das Lehnsaufgebot. Die Städte sind noch unbedeutend. Das Kaisertum gibt den deutschen Königen als obersten Herrschern über das römische Reich deutscher Nation Anspruch auf Oberhoheit über die benachbarten Länder und Schutzherrschaft über die Kirche.

973–983.

Otto II. erhält die von seinem Vater begründete Kaisermacht aufrecht. 974 Zug gegen Dänemark bis zum Danewerk, 976 Absetzung des aufständischen Herzogs Heinrich des Zänkers von Bayern. Bayern wird verkleinert durch Abtrennung des Herzogtums Kärnten mit der Mark Verona, sowie durch Errichtung einer Mark im Nordgau, nördlich von Regensburg. Die früher schon errichtete Mark Österreich erhält der Babenberger (s.S. 157) Luitpold. Herzog Boleslav von Böhmen huldigt 978 zu Magdeburg.

978.

König Lothar von Frankreich überfällt den Kaiser in Aachen, versucht Lothringen zu erobern, verzichtet aber darauf, nachdem Otto mit Heeresmacht bis Paris vorgedrungen ist.

980–983

Krieg in Italien. Der Kaiser dringt von Rom aus nach Unter-Italien vor, siegt 982 über die Griechen und Sarazenen am Kap Colonne, südlich von Cotrone (Kroton), muß aber nach einer vernichtenden Niederlage bei Squillace an der Küste von Calabrien umkehren. Reichstag zu Verona. Ottos dreijähriger Sohn zum König gewählt.

983.

Aufstand der Dänen und Wenden; Hamburg und die Bistümer Havelberg, Brandenburg, Zeitz zerstört. Otto II. stirbt in Rom 28 Jahre alt, wird in der Peterskirche begraben.

983–1002.

Otto III., beim Tode des Vaters 3 Jahre alt. Heinrichs des Zänkers Anspruch auf die Vormundschaft, ja sogar auf die Krone, wird zurückgewiesen, doch erhält er Bayern zurück. Ottos Mutter, die Griechin Theophano, herrscht in Deutschland, seine Großmutter Adelheid in Italien. Wachsende Selbständigkeit der Großen des Reiches, doch wird der Reichsfriede erhalten. Nach Theophanos Tode (991) führen Adelheid und der Erzbischof Willigis von Mainz die Regierung, bis der junge Fürst 995 sie selbst übernimmt.

996.

Otto III. wird in Rom durch den von ihm eingesetzten deutschen Papst Gregor V. gekrönt, befreundet sich mit Adalbert von Prag und Erzbischof Gerbert von Reims, der bald nach Deutschland kommt und in Magdeburg Ottos Lehrer wird.

997.

Adalbert von den heidnischen Preußen erschlagen.

998–999.

Ottos zweiter Zug nach Rom, Gerbert als Papst eingesetzt (Silvester II.); Ottos Plan, als Kaiser in Rom seinen Wohnsitz zu nehmen und von hier aus die Christenheit als einen theokratischen Universalstaat zu beherrschen.[163]

1000.

Ottos III. Wallfahrt zum Grabe des heiligen Adalbert in Gnesen, wo er in Gemeinschaft mit Herzog Boleslav von Polen ein Erzbistum errichtet: dann nach Aachen zum Grabe Karls d. Gr. Von da reist er nach Rom.

1001.

Papst Silvester II. verleiht dem Ungarnfürsten Stephan dem Heiligen, der sein Volk zum Christentum bekehrt, die Königskrone (Stephanskrone). Otto III., durch Aufstand aus Rom vertrieben, begibt sich mit dem Papste nach Ravenna, versucht vergebens Rom wiederzuerobern.

1002.

Otto † in Paterno (am Fuße des Sorakte), in Aachen bestattet. Silvester kehrt nach Rom zurück.

1002–1024.

Heinrich II. (der Heilige), Herzog von Bayern, Sohn Heinrichs des Zänkers und der Schwester König Rudolfs III. von Burgund, zu Mainz zum König erwählt und gekrönt, im Gegensatz zu Otto III. eine nüchterne, praktische Herrschernatur. Er stellt das erschütterte Ansehen der Kaisergewalt wieder her und behauptet das deutsch-italische Reich.

1004.

Erster Zug nach Italien gegen Arduin von Ivrea. Heinrich unterwirft Ober-Italien und wird in Pavia zum König von Italien gekrönt.

1004–1018.

Kriege gegen Boleslav Chrobry (der Kühne) von Polen, der Böhmen aufgeben muß, aber die Lausitz behält. Die Wenden im Havellande bleiben unabhängig.

1007.

Gründung des Bistums Bamberg. Förderung der von dem französischen Kloster Cluny ausgehenden, auf strengste mönchische Zucht und eine Erneuerung und Vertiefung des religiösen Lebens gerichteten Reform des Mönchtums. Die Bischöfe dienen, wie unter Otto I., der geordneten Reichsverwaltung.

1014.

Zweiter Zug nach Italien, Heinrich in Rom zum Kaiser gekrönt. Arduin gibt den Widerstand auf († 1015).

1016–1018.

Kämpfe und Verhandlungen Heinrichs, um sein Erbrecht auf Burgund zur Anerkennung zu bringen.

1022.

Dritter Zug nach Italien. Heinrich unterwirft Benevent, Capua, Salerno, wird beim Kampfe gegen die Griechen in Apulien von den nach einem Zuge nach Jerusalem dort unlängst eingewanderten Normannen unterstützt.

1023.

Fürstentag zu Aachen, dann Zusammenkunft mit König Robert von Frankreich zu Ivois am Chiers (Nebenfluß der Maas, südöstlich von Sedan).

1024.

Tod des Kaisers in der Pfalz zu Grona (bei Göttingen). Sein Grab im Dom zu Bamberg.[164]

1024–1125 Fränkische oder salische Kaiser.

             Otto der Grosse †973
                           |
Konrad der Rote †955.   Luitgard.
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                       |
                     Konrad II. †1039.
                     Gem. Gisela.
                       |
                     Heinrich III. †1056.
                     Gem. Agnes von Poitou.
                       |
                     Heinrich IV. †1106.
_______________________|___________________________
Konrad       Heinrich V. †1125. Agnes, Gem.
†1101.                          Friedrich von Büren,
                                Herzog von Schwaben.

Königswahl durch die Fürsten aller Stämme auf der Rheinebene zwischen Mainz und Worms (bei Kamba). Die Wahl richtet sich auf die beiden Konrade, Brudersöhne, Urenkel Konrads des Roten (S. 159); nach kurzem Schwanken wird der ältere erwählt.

1024–1039.

Konrad II. unternimmt nach der Krönung zu Mainz einen Umritt durch das Reich (Aachen, Nimwegen, Dortmund, Hildesheim, Goslar, Magdeburg, Augsburg, Konstanz, Basel, Straßburg, Worms), hält dann einen Fürstentag in Tribur.

1026.

Zug nach Italien, Krönung zum lombardischen König, Kaiserkrönung zu Rom 1027 in Gegenwart Knuds des Großen, Königs von England und Dänemark, und Rudolfs III. von Burgund. In Apulien huldigen ihm die Fürsten von Benevent, Capua, Salerno. Rückkehr über Ravenna und Verona. Unterdessen Fürstenerhebung in Deutschland. In Ulm unterwirft sich ihm sein Stiefsohn Ernst, Herzog von Schwaben, welcher Ansprüche auf Burgund erhoben hatte, weil seine Mutter Gisela eine Nichte des kinderlosen Königs Rudolf III. war. Er kommt in Haft nach der Burg Giebichenstein bei Halle, wird nach einiger Zeit begnadigt, dann aber geächtet, weil er sich weigert, seinen Freund Werner von Kiburg zu bekämpfen; beide fallen 1030 in einem Gefecht im Schwarzwald.

1030.

Einfall der Polen unter Herzog Miesco; sie verwüsten das Land zwischen Elbe und Saale, werden von dem Grafen Dietrich von Wettin vertrieben. Der Kaiser unternimmt zunächst einen Zug nach Ungarn, um die bayrischen Marken gegen Einfalle zu sichern, zieht dann 1031 nach Polen. Miesco muß die Lausitz zurückgeben, huldigt dem Kaiser 1033 zu Merseburg.

1033

Burgund mit dem deutschen Reiche vereinigt. Konrad gewinnt das arelatische Königreich (S. 158) nach dem Tode Rudolfs III. durch drei Feldzüge gegen den[165] Grafen Odo von Champagne, Neffen Rudolfs III, nach Abschluß eines Bündnisses mit König Heinrich I. von Frankreich. In Zürich und Genf huldigen ihm die burgundischen Großen.

1035

Konrad verlobt zu Bamberg seinen Sohn Heinrich, Herzog von Bayern (später auch von Schwaben) mit der Tochter Knuds von Dänemark und überläßt diesem die Mark Schleswig; die Eider wieder Reichsgrenze.

1037–1038.

Zweiter Zug nach Italien. Die Erblichkeit der kleineren Lehen wird für Italien durch Gesetz festgestellt. Der Normanne Rainulf wird mit der Grafschaft Aversa in Campanien belehnt.

1039.

Konrad † in Utrecht, begraben in dem von ihm gegründeten Dom zu Speier. Er war einer der bedeutendsten Herrscher des Mittelalters, reich an Erfolgen. Gegen die großen Vasallen suchte er ein Gegengewicht in den Inhabern der kleinen Lehen, für deren Erblichkeit er eintrat. Von den neu ernannten Kirchenfürsten verlangte er eine Abgabe. Ihm folgt sein schon als Knabe in Aachen zum König gekrönter Sohn

1039–1056.

Heinrich III. Hohe Machtstellung des Kaisertums. König Heinrich ist beim Beginn seiner Regierung Herzog von Bayern, Schwaben und Franken, setzt aber später in Bayern und Schwaben wieder andere Herzöge ein. In Sachsen ist die Kaiserpfalz zu Goslar oft sein Wohnsitz.

1041.

Unterwerfung des Herzogs Bretislav von Böhmen.

1042.

Zug nach Burgund, Herstellung des Landfriedens daselbst im Anschluß an die in Frankreich verkündete Treuga Dei (s. S. 169).

1042–1044.

In Ungarn wird König Peter, von Heinrich durch drei Feldzüge wieder eingesetzt, ein Vasall des Reiches. Vergrößerung der bayrischen Ostmark bis zur Leitha. Die Lehnshoheit über Ungarn wird nicht lange behauptet.

1046.

Zug nach Italien. Heinrich läßt durch die Synode zu Sutri drei gleichzeitige, der Simonie (Verkauf geistlicher Ämter) schuldige Päpste absetzen, ernennt einen Deutschen (Clemens II.), der ihn zum Kaiser krönt, und weiterhin noch drei deutsche Päpste, belehnt Drogo, Sohn des Normannen Tankred von Hauteville, mit Apulien.

1048.

Oberlothringen wird nach Absetzung des Herzogs Gottfried an den elsässischen Grafen Gerhard, Stammvater des lothringischen Herzogshauses, gegeben.

1055.

Zweiter Zug nach Italien; die Markgräfin Beatrix von Tuscien, mit welcher sich Gottfried vermählt[166] hat, um in Italien neue Macht zu gewinnen, muß dem Kaiser nach Deutschland folgen. Unterdrückung einer Fürstenverschwörung; Gottfried unterwirft sich dem Kaiser.

1056.

Sieg der Wenden über ein sächsisches Heer bei Pritzlava an der Havelmündung. Heinrich, erst 39 Jahre alt, auf der Burg Bodfeld im Harz. Ihm folgt sein 6jähriger, bereits 1054 zu Aachen gekrönter Sohn.

1056–1106.

Heinrich IV. Seine Mutter Agnes von Poitou, Reichsverweserin, gibt Schwaben an ihren Schwiegersohn Rudolf von Rheinfelden, Kärnten an Berthold von Zähringen, Bayern an den sächsischen Grafen Otto von Nordheim. Die Macht der Fürsten erhebt sich bald gegen das Kaisertum.

1062.

Entführung des jungen Königs von Kaiserswert nach Köln durch Erzbischof Anno von Köln, der die Erziehung des Königs übernimmt, aber bald seinen Einfluß mit Erzbischof Adalbert von Bremen teilen muß. König Heinrich, 1065 mündig erklärt, entfernt auf Verlangen der Fürsten Adalbert aus seiner Umgebung, richtet alsbald seinen Unwillen gegen die sächsischen Großen.

1070.

Otto von Nordheim, eines Mordanschlags auf den König angeklagt, verliert das Herzogtum Bayern; es kommt an seinen Schwiegersohn Welf, den Sohn des Markgrafen Azzo von Este und der letzten Welfin, der nach dem Aussterben des Mannsstammes eine neue Linie des Welfenhauses (S. 154) begründet. Magnus, Sohn des Sachsenherzogs Ordulf, wird als Bundesgenosse Ottos in Haft gehalten.

1073.

Aufstand der Sachsen gegen die von Heinrich in ihrem Lande angelegten Burgen; Flucht Heinrichs von der Harzburg, demütigender Friede zu Gerstungen, Zerstörung der Harzburg. Heinrich findet Hilfe bei den Bürgern von Worms und mehreren Fürsten, besiegt die Sachsen an der Unstrut 1075. Bald aber gerät er in Streit mit

1073–1085.

Papst Gregor VII. (Hildebrand), aus einer Bauernfamilie in Toskana stammend, aufgewachsen in Rom unter dem Einfluß der von dem französischen Kloster Cluny (westlich der Saône, unweit Mâcon) ausgehenden streng kirchlichen Richtung. Er hatte als Archidiakonus und Kanzler unter fünf Päpsten die weltlichen Geschäfte des römischen Stuhles geleitet. Unter seinem Einfluß erließ 1059 Nikolaus II. das Dekret über die Papstwahl durch die Kardinäle.

Gregors Ziel ist die von allen Cluniazensern angestrebte Erhebung der Kirche über die Staaten, des Papsttums über das Kaisertum. Er gebietet strenge Durchführung des Cölibats (Ehelosigkeit) der Geistlichen, verbietet die von Heinrich ebenso wie von Konrad II. geübte Simonie (Geldzahlung für den[167] Empfang eines geistlichen Amtes. Apostelgesch. 8, 18) und die Laieninvestitur (kein Bischof oder Abt soll die Belehnung mit Ring und Stab aus Laienhand empfangen).

1076.

Heinrich läßt den Papst durch eine Synode deutscher Bischöfe in Worms für abgesetzt erklären; darauf spricht Gregor gegen ihn den Bann aus. Ein Fürstentag zu Tribur erklärt den König für abgesetzt, wenn er nicht binnen Jahresfrist sich vom Banne löse.

1077. Januar.

Heinrich büßt vor dem Papst in Canossa, einem Schlosse bei Reggio nell’ Emilia, der Markgräfin Mathilde von Tuscien, Tochter der Beatrix, gehörig (S. 165). Der Papst löst ihn vom Banne unter der Bedingung, daß er in seinem Streit mit den Fürsten die Entscheidung des Papstes anerkenne. Heinrich bleibt in Oberitalien, verhindert die Reise des Papstes nach Deutschland. Die Fürsten wählen Rudolf von Schwaben zum deutschen König.

1077–1080.

Krieg in Deutschland zwischen Heinrich IV. und seinem Schwager Rudolf, letzterer wird in der Schlacht an der Elster 1080 tödlich verwundet; sein Herzogtum Schwaben hat Friedrich von Hohenstaufen, Heinrichs Schwiegersohn, bereits 1079 erhalten.

1081.

Heinrich, zum zweiten Mal gebannt, zieht nach Italien, erobert Rom 1084, wird durch den von ihm erhobenen Gegenpapst Clemens III. zum Kaiser gekrönt. Gregor in der Engelsburg belagert, durch die ihm treu ergebenen Normannen unter Robert Guiscard befreit, stirbt 1085 in Salerno. Seine letzten Worte »Dilexi iustitiam et odi iniquitatem, propterea morior in exilio«.

Deutschland durch Bürgerkrieg zerrüttet. Kaiser Heinrich erobert 1084 Augsburg, zieht dann nach Metz, läßt 1085 durch eine Synode zu Mainz den Gottesfrieden für das ganze Reich verkünden. In Sachsen bekämpft er den Gegenkönig Hermann von Salm, welcher 1088 abdankt; die Sachsen unterwerfen sich nach Anerkennung ihrer alten Rechte.

1090–1097.

Heinrich kämpft in Italien gegen die Markgräfin Mathilde und Papst Urban II. Abfall seines Sohnes Konrad († 1101). In Deutschland ist Herzog Welf von Bayern Führer der päpstlichen Partei. Der Kaiser verweilt fast machtlos in Italien, während Urban II. als Gebieter der ganzen Christenheit auftritt und das große Unternehmen des ersten Kreuzzuges (S. 173) ins Werk setzt. Nach Aussöhnung mit Herzog Welf kehrt der Kaiser nach Deutschland zurück, stellt den Landfrieden zum Schutze der Bürger und Bauern wieder her und besetzt die Bistümer nach seinem Ermessen. Aber die Bischöfe fast immer auf der Seite seiner Gegner.

1104.

Empörung seines zweiten Sohnes Heinrich, der ihn in der Burg Böckelheim (an der Nahe) gefangen[168] setzt und zur Verlesung eines Sündenbekenntnisses und Abdankung zwingt (Fürstentag zu Ingelheim). Der Kaiser entflieht nach Lüttich, wo er 1106 stirbt, während das deutsche Bürgertum für ihn zum Kriege rüstet; die Leiche erst 1111 vom Bann gelöst und im Dom zu Speier beigesetzt.

1106–1125.

Heinrich V., durch die päpstliche Partei zum Thron gelangt, aber entschlossen, sein Herrscherrecht zu behaupten. Nachdem er die Grenzländer des Reiches im Westen und Osten (Lothringen und Böhmen) durch Feldzüge gesichert hat, zieht er nach Rom, nimmt den Papst Paschālis II. gefangen, erzwingt die Kaiserkrönung und das Recht der Investitur (1111). Sobald aber der Kaiser Italien verlassen hat, erklärt ein zu Rom im Lateran versammeltes Konzil den Vertrag für erzwungen und nichtig; ein zweites Konzil zu Vienne spricht den Bann über Heinrich aus.

Neuer Aufstand der Sachsen unter ihrem Herzog Lothar von Supplinburg, der die Billunger (S. 159) beerbt hatte; die Erzbischöfe von Mainz und Köln u. a. Fürsten schließen sich an. Sieg der Sachsen am Welfesholze bei Mansfeld 1115. Friedrich und Konrad von Staufen verteidigen die Sache des Kaisers, während dieser zum zweiten Mal nach Italien zieht, dort die der Kirche vererbten Mathildischen Güter in Besitz nimmt und einen Gegenpapst aufstellt (1118). Der Investiturstreit wird nach langen Verhandlungen mit dem Papste Calixtus II. beendigt durch das

1122.

Wormser Konkordat: Kirchliche Wahl der Bischöfe und Äbte für Deutschland in Gegenwart des Kaisers oder seiner Abgesandten, kaiserliche Belehnung vor der Weihe, aber nicht mit Ring und Stab, sondern mit dem Scepter; für Italien und Burgund die gleiche Belehnung erst nach erfolgter Wahl und Weihe. Die geistlichen Fürsten bleiben Lehnsträger des Reiches; sie erscheinen auch fernerhin vielfach als treue Stützen der kaiserlichen Macht.

Die Verbindung Deutschlands mit Italien, trotz der vielfachen Kämpfe segensreich für beide Länder, aber in Italien mehr und mehr als Fremdherrschaft empfunden, dauert fort. Handel und Gewerbe entfalten sich in den aufblühenden Städten, z. B. Worms, Köln, Augsburg u. a. m. (S. 190). Kunst und Wissenschaft, von der Kirche gefördert, tragen in Deutschland noch römisches Gepräge, entwickeln sich aber selbständig. Romanischer Baustil: Dome zu Mainz und Speier, Kaiserpfalz zu Goslar. Der kunstsinnige Bischof Bernward von Hildesheim († 1022). Dichtung und Geschichtschreibung in lateinischer Sprache: das Waltharilied, Roswitha von Gandersheim, Widukind von Corvey, Lambert von Hersfeld u. a. Die Volkssprache wird erst allmählich zur Schriftsprache.[169]

§ 2. Frankreich.

843–987.

Karolinger in Frankreich.

Karl der Kahle behauptet sich mit Mühe gegen die aufständischen Großen, erlangt 875 in Italien den Kaisertitel, † 877. Sein Enkel Ludwig III. besiegt 881 die Normannen bei Saulcourt (Ludwigslied in deutscher Sprache). Karl der Dicke machtlos gegen sie; nach seiner Absetzung (S. 157) wird Graf Odo von Paris, der sich bei der Verteidigung von Paris gegen die Normannen tapfer gezeigt hat, zum König erwählt, † 898. Eine Gegenpartei erwählt 893 Karl den Einfältigen, Bruder Ludwigs III., der nach Odos Tode allgemein anerkannt wird. Durch ihn erhalten normannische Scharen, die bereit sind, das Christentum anzunehmen, 912 feste Wohnsitze in dem oft von ihnen heimgesuchten Küstenlande. Rolf, getauft Robert, erster Herzog der Normandie, herrscht als Vasall des französischen Königs auch über die Bretagne.

Häufige Empörungen gegen das schwache Königtum; Karls Sohn Ludwig IV. (d’Outre-mer genannt, weil er nach England geflüchtet war) wird von Herzog Hugo von Francien, dem Neffen Odos, bedrängt, von Otto I. von Deutschland unterstützt (S. 159). Letzte Karolinger: Lothar († 986). Ludwig V. (Fainéant) † 987.

987–1328.

Capetinger.

Hugo Capet, Sohn Hugos von Francien, von den Großen erwählt, dann in Reims gekrönt, bringt das Königtum wieder zu Ansehen. Er hat den Vasallen gegenüber noch keine bedeutende Macht, hält aber die Lehnshoheit fest. Seine Nachfolger Robert, Heinrich I., Philipp I., († 1108) wissen die Erblichkeit des Königtums zu wahren. Heinrich I. gibt das Herzogtum Burgund (Hauptstadt Dijon, zu unterscheiden von dem mit Deutschland vereinigten Königreich Burgund, S. 164) seinem jüngeren Bruder Robert als Lehen. Zur Sicherung des Landfriedens verkündet der Klerus (zuerst 1040 in Aquitanien) die Treuga Dei, den Gottesfrieden, einen von der Kirche gebotenen Stillstand aller Fehden während der kirchlichen Festzeiten und der zweiten Hälfte jeder Woche (von Mittwoch Abend bis Montag früh).

§ 3. England und der Norden.

827–1066.

England unter sächsischen Königen.

827.

Egbert von Wessex vereinigt die sieben Reiche (S. 142) als erster König von England. Einfälle und Ansiedlungen der heidnischen Normannen (Dänen). Sein Enkel[170]

871–901.

Alfred der Große bekämpft glücklich die Dänen und stellt die alte Grafschaftsverfassung wieder her; das Grafschaftsgericht unter Leitung des vom König ernannten Ealdorman, dessen Stellvertreter der shirgerefa (sherif). Blüte des Reiches noch unter seinem Sohne und seinem Enkel, dann Verfall und neue Bedrängnis durch die Dänen.

1002.

Ermordung der Dänen auf englischem Boden an einem Tage (dänische Vesper), auf Befehl König Ethelreds II. Infolge davon neue Rachezüge der Dänen nach England und endlich

1016–1042.

dänische Herrschaft über England unter Knud dem Grossen (S. 164), der als Sieger Milde übt und in Dänemark das Christentum zum Siege bringt († 1035), und unter seinen Söhnen Harald I. und Hardiknud.

1042–1066.

Das Regiment der angelsächsischen Könige wiederhergestellt. Eduard der Bekenner, Sohn Ethelreds, aus der Normandie zurückgekehrt, begünstigt die Normannen an seinem Hofe, die aber von seinem Schwiegervater Godwin vertrieben werden. Sein Feldherr Siward besiegt Macbeth, der sich in Schottland nach der Ermordung des Königs Duncan des Thrones bemächtigt hat (1054). Duncans Sohn Malcolm nimmt Schottland von Eduard zu Lehen. Nach Eduards Tode wird Harald II., Godwins Sohn, zum König ausgerufen, verliert aber Thron und Leben in der

1066.

Schlacht bei Hastings (spr. Hēstings) gegen Wilhelm den Eroberer, Herzog von der Normandie, der sich in Westminster zum König von England krönen läßt. König Malcolm von Schottland schließt mit ihm Vertrag.

Dänemark, Norwegen, Schweden bestehen seit Anfang des 11. Jahrhunderts als christliche Königreiche (Olaf der Heilige in Norwegen † 1030) nebeneinander, noch oft von wildem Streit erfüllt. Am meisten kommt Dänemark empor unter dem Neffen Knuds d. Gr. Svend Estridson († 1076) und dessen Söhnen.

Fernere Staatengründungen der Normannen:

1. Schwedische Waräger fahren über die Ostsee; ihr Fürst Rurik gründet 862 durch Vereinigung slavischer Stämme das russische Reich (Hauptstadt Nowgorod, dann Kiew). Rußland entwickelt sich unter den Ruriks (862–1598) als slavischer Staat im Anschluß an das oströmische Reich. Großfürst Wladimir der Große, vermählt mit der Tochter eines oströmischen Kaisers, führt 988 das Christentum nach griechischer Lehre ein.

2. Norwegische Wikinger kommen um 860 nach Island, 983 nach Grönland (Erich der Rote), um 1000 nach der Küste Nordamerikas (Vinland). Diese Niederlassungen von den Eskimos[171] zerstört. Bestand hat dagegen der Freistaat auf der Insel Island. Hier werden um 1100, als das Christentum bereits eingeführt ist, die nordischen Götter- und Heldensagen in der poetischen oder Lieder-Edda aufgezeichnet (ergänzt durch die jüngere prosaische Edda von dem Isländer Snorri Sturluson um 1230). Island wird 1262 mit Norwegen vereinigt.

3. Der Normannenstaat in Unteritalien, um 1020 von christlichen Normannen aus der Normandie gegründet (vgl. S. 163), nimmt italienische und arabische Kultur an. Bald treten sie in enge Beziehungen zum Papst. Von Robert Guiskard (S. 167) wird das ganze unteritalische Festland, von seinem Bruder Roger Sicilien den Sarazenen entrissen. Herzog Roger wird 1130 vom Papste in Palermo als König von Neapel und Sicilien gekrönt.

§ 4. Die Pyrenäische Halbinsel.

955–1031.

Kalifat von Cordŏva, gegründet von dem Omaijaden Abdurrahman (s. S. 150). Glänzendste Zeit im 10. Jahrh. (Abdurrahman III, Hakem II., der Feldherr Almansur). Das volkreiche Cordŏva Sitz der Wissenschaften und Künste.

1031.

Auflösung des Kalifats von Cordŏva in eine Menge kleiner Herrschaften. Die Morabethen aus Mauretanien zu Hilfe gerufen, stellen sich mit Erfolg dem Andrängen der Christen entgegen (1086 Schlacht bei Salaka unweit Badajoz) und reißen dann die Herrschaft des mohammedanischen Spaniens an sich.

Christliche Reiche: Asturien, seit Alfons III. († 910) bis zum Duero reichend, nach der neuen Residenz auch Königreich Leon genannt, mit dem Grenzgebiet Kastilien, das seinen Namen von den gegen die Araber errichteten Kastellen hat. Navarra, ursprünglich fränkische Grafschaft, seit 905 Königreich, erweitert durch Eroberung der Landschaft Aragon am oberen Ebro. Barcelona, ebenfalls fränkische Grafschaft (S. 152), seit etwa 900 unabhängig unter einer erblichen Dynastie.

1035.

Sancho III., der Große, König von Navarra, auch über Kastilien herrschend, teilt sein Reich unter seine Söhne. Der zweite, welcher Kastilien erhält, gewinnt bald auch Leon hinzu; der dritte erhält Aragon als Königreich. Daher fortan die drei Königreiche Navarra, Kastilien, Aragon, daneben die Markgrafschaft Barcelona (Katalonien).

König Alfons VI. von Kastilien, Enkel Sanchos d. Gr., erobert 1085 Toledo; der kastilische Ritter Rodrigo Diaz, von den Arabern Cid, d. h. Herr, genannt, erobert 1094 Valencia, doch fällt es nach seinem Tode wieder in die Hände der Araber.[172]

§ 5. Der Osten.

867–1057.

Das oströmische Reich unter der makedonischen Dynastie.

Basilius I. (867–886), durch Ermordung seines Vorgängers Michael III. auf den Thron gelangt, regiert kraftvoll, wehrt die Araber in Kleinasien und zur See ab, mildert den Steuerdruck, verbessert die Rechtspflege. Seine beiden Nachfolger Leo VI. und Konstantin VII. Porphyrogennetos Beschützer der Wissenschaften. Nikëphoros II. (963–969) kämpft glücklich gegen Araber und Bulgaren; Basilius II. (976–1025) unterwirft die Bulgaren in blutigen Kämpfen.

1043.

Die Serben, ein im 7. Jahrhundert eingewandertes slavisches Volk, machen sich unabhängig von Ostrom; Königreich Serbien bis 1458.

1057–1204.

Haus der Komnenen.

Alexius I. (1081–1118) tritt dem von der Donau her vordringenden türkischen Stamme der Petschenegen erfolgreich entgegen. Den Seldschuken (s. u.) kann Kleinasien nicht wieder entrissen werden.

Das Kalifat von Bagdad gerät seit 861 durch Emporkommen von Teilfürsten in Verfall. Die Abbassiden werden von den Anführern ihrer türkischen Leibwache abhängig.

935.

Die aus Persien stammenden Bujiden reißen die Würde des Emir al Omra (Fürst der Fürsten) an sich; der Kalif bleibt nur noch geistliches Oberhaupt

969.

Ägypten sondert sich ab als eigenes Kalifat unter den Fatimiden (Schiiten, vergl. S. 149). Kairo glänzende Hauptstadt, Syrien bald hinzuerobert.

998–1030.

Sultan Mahmud, Herrscher des Gasnavidenreichs, gewinnt die früher von den Samaniden (unter Oberhoheit der Kalifen) beherrschten Gebiete um Buchara und Samarkand, dringt erobernd nach Indien vor. An seinem Hofe zu Gasna (in Afghanistan) der persische Dichter Firdusi und der arabische Philosoph Ibn Sina (Avicenna), Erklärer des Aristoteles.

1058.

Togrulbeg, Sultan der seldschukischen, aus der Bucharei stammenden Türken, befreit den Kalifen von der Übermacht der Bujiden. Er vererbt die Würde des Emir al Omra auf seinen Neffen Alp Arslan und dessen Sohn Malekschah; dieser stellt die Einheit des Kalifenreiches wieder her, entreißt den Fatimiden Syrien, den Gasnaviden Buchara und Samarkand, residiert zu Ispahan.

1092.

Nach Malekschahs Tode Teilung der Seldschukenherrschaft; besondere Sultanate in Iran, Karman[173] (östliches Persien), Aleppo, Damaskus, Iconium. Trotzdem wird der Bestand des Kalifats durch die nun folgenden Angriffe der Christen nicht wesentlich erschüttert.

Bagdad bleibt glänzender Herrschersitz bis zum Eindringen der Mongolen (S. 195).

C. Das Zeitalter der Kreuzzüge. (1096–1270).

§ 1. Die Kreuzzüge.

Veranlassung: Die Wallfahrten der Christen nach dem heiligen Grabe (die Kirche über demselben erbaut von Helĕna, der Mutter Konstantins d. Gr.) werden gestört, seitdem die Fatimiden, und mehr noch seitdem die Seldschuken über Palästina herrschen. Mißhandlungen der Pilger, Hilferufe des bedrängten byzantinischen Reiches; das neu erstarkte Papsttum schenkt ihnen Gehör und ruft mit Benutzung der asketisch angeregten und zugleich kriegerischen Stimmung im Abendlande eine großartige Völkerbewegung hervor.

1095.

Papst Urban II. ruft auf den Kirchenversammlungen zu Piacenza und zu Clermont in der Auvergne die Gläubigen zum Kreuzzug auf; allgemeine Begeisterung. (Gott will es!). Der Eremit Peter von Amiens predigt in Frankreich mit großem Erfolge das Kreuz. Die von ihm und dem Ritter Walter Senzaveir (Habenichts) geführten Scharen gelangen unter großen Verlusten nach Kleinasien und werden dort im Kampfe aufgerieben, andere gehen schon in Ungarn und Bulgarien zugrunde.

1096–1099.

Erster Kreuzzug. Königreich Jerusalem. Anführende Fürsten: Gottfried von Bouillon, Herzog von Nieder-Lothringen; seine Brüder Balduin und Eustachius; Robert, Herzog der Normandie, Sohn Wilhelms des Eroberers; Robert von Flandern; Stephan von Blois; Raimund, Graf von Toulouse; Hugo von Vermandois, Bruder Philipps I., Königs von Frankreich; Boëmund von Tarent, Sohn Robert Guiscards; sein Neffe Tankred. Sie führen über 200000 Krieger, meist Franzosen und Normannen, nach dem Orient. Der Bischof Adhemar von Puy, der in Clermont zuerst sich das Kreuz anheftete, nimmt als päpstlicher Legat am Zuge Teil († 1098).

Die Fürsten ziehen auf verschiedenen Wegen (Gottfried von Bouillon die Donau abwärts, Raimund von Toulouse durch Oberitalien und Dalmatien, die Nordfranzosen und Normannen von Apulien aus zur See) nach Konstantinopel; sie leisten mit[174] Ausnahme Raimunds dem Kaiser Alexius Komnenus den Lehnseid für die zu erobernden Länder und werden auf griechischen Schiffen übergesetzt.

1097.

Nicäa, von den Kreuzfahrern belagert, ergibt sich dem griechischen Kaiser. Sieg der Kreuzfahrer bei Doryläum über den Sultan von Iconium. Balduin trennt sich vom Hauptheere, zieht über den Euphrat und erwirbt sich die Herrschaft in Edessa.

1097–1098. Okt. Juni.

Das Hauptheer belagert lange vergeblich Antiochīa am Orontes, endlich verrät ein armenischer Renegat die Stadt an Boemund von Tarent.

1098.

Kerboga, Emir von Mosul, rückt mit einem ungeheuren Heere heran und belagert in Antiochīa die durch Krankheit und Mangel erschöpften Kreuzfahrer. Siegreicher Ausfall der Christen (die heilige Lanze!), das Heer der Seldschuken wird in die Flucht geschlagen und zerstreut. Lange Rast und Streitigkeiten der Kreuzfahrer in Antiochīa.

1099.

Zug an der Küste entlang nach Jerusalem. Am 7. Juni erblicken die Kreuzfahrer (nur noch 21500 kampffähige Krieger) die heilige Stadt, welche im J. 1098 den Seldschuken durch die Fatimiden wieder entrissen worden war. Nach fünfwöchiger Belagerung.

15. Juli.

Erstürmung Jerusalems. Furchtbares Blutbad, Wallfahrt nach der Kirche des heiligen Grabes.

Das christliche Königreich Jerusalem wird als Lehnsstaat nach französischem Vorbild eingerichtet; kleinere Lehnsstaaten: das Fürstentum Antiochīa, die Grafschaften Edessa und Tripolis. Sammlung der Gesetze in den Assises du royaume de Jérusalem. Zwei Patriarchen, in Jerusalem und in Antiochīa.

Gottfried von Bouillon, Beschützer des heiligen Grabes. Er besiegt den Sultan von Ägypten bei Askalon 1099; † 1100. Sein Bruder Balduin I. nimmt den Königstitel an. Akkon, Tripolis, Beirut, Sidon mit Hilfe der Pisaner und Genuesen erobert, etwas später Tyrus mit Hilfe der Venetianer.

Auf Balduin I. († 1118) folgen Balduin II. († 1131), Fulco von Anjou († 1143), unter dem das Königreich Jerusalem die größte Ausdehnung gewinnt, Balduin III. († 1162), Amalrich († 1173), Balduin IV. († 1184), Balduin V. (unmündig, † 1186), Guido von Lusignan († 1195) s. S. 175.

1147–1149.

Zweiter Kreuzzug. Ohne Erfolg. Veranlassung: Eroberung Edessas durch Imadeddin Zenki, Emir von Mosul (1144), und nochmals durch dessen Sohn Nureddin (1146). Abt Bernhard von Clairvaux predigt das Kreuz.

Konrad III. von Deutschland und Ludwig VII. von Frankreich brechen, jener von Regensburg, dieser etwas später von[175] Metz aus, nach Palästina auf. Sie ziehen nacheinander durch Ungarn nach Kleinasien. Das deutsche Heer dringt bis Doryläum vor, erleidet aber durch Mangel und Kämpfe mit dem Sultan von Iconium schwere Verluste. Die nach Nicäa Entkommenen kehren zum Teil heim; mit den übrigen schließt sich Konrad dem Zuge des französischen Heeres an der Küste entlang an, kehrt aber zur Herstellung seiner Gesundheit nochmals nach Konstantinopel zurück. Ludwig fährt mit dem französischen Adel zu Schiffe nach Antiochīa. Das übrige Heer setzt den Weg zu Lande fort, wobei es durch Hunger und feindliche Angriffe vollends aufgerieben wird. Konrad kommt 1148 zur See nach dem Heiligen Lande und macht zusammen mit den Franzosen einen vergeblichen Angriff auf Damaskus.

1189–1192.

Dritter Kreuzzug. Eroberung von Akkon.

Veranlassung: Saladin, Sohn des Kurden Ejub, Gründer der Dynastie der Ejubiden in Ägypten, erobert Nureddins Reich, schlägt die Christen in der blutigen Schlacht bei Hittin (Tiberias) am See Genezareth, erobert Jerusalem 1187. Die christlichen Einwohner großmütig behandelt, König Guido von Lusignan und viele Ritter geraten in Gefangenschaft.

Kaiser Friedrich I., der als Jüngling am zweiten Kreuzzug teilgenommen hatte, tritt als Greis im Frühjahr 1189 den Zug von Regensburg aus an, zieht durch Ungarn, erzwingt den Durchzug durch das griechische Kaiserreich, bleibt den Winter in Adrianopel, setzt 1190 nach Kleinasien über, erobert Iconium und zieht nach Cilicien; dort ertrinkt er (10. Juni) im Kalykadnus (Saleph). Sein Sohn, Herzog Friedrich von Schwaben, führt einen Teil der Pilger (viele kehren um) über Tarsus, Antiochīa und Tyrus nach Akkon. Er stirbt 1191 während der Belagerung dieser Stadt, welche der frei gewordene König Guido leitet.

Richard Löwenherz, König von England, und Philipp II. Augustus, König von Frankreich, fahren zur See, Richard von Marseille, Philipp von Genua aus nach dem Heiligen Lande (1190); Beteiligung von Genua, Pisa und Venedig. Nach längerem Aufenthalt in Sicilien kommen die beiden Könige vor Akkon an, welches Lusignan schon fast zwei Jahre belagerte. Die Stadt wird nun schnell zur Übergabe gezwungen (Juli 1191).

Philipp, mit Richard entzweit, kehrt nach Frankreich zurück. Heldentaten und Grausamkeiten Richards, der zweimal vor Jerusalem umkehren muß. Waffenstillstand mit Saladin (1192): der Küstenstrich von Joppe bis Akkon wird an die Christen abgetreten, der Besuch der heiligen Orte gestattet. Cypern wird von Richard, der es 1191 erobert hatte, an Guido von Lusignan zu Lehen gegeben, der seine Würde als »König von Jerusalem« an Heinrich von Champagne überläßt.[176]

Richard leidet auf der Rückkehr Schiffbruch bei Aquileja, wird trotz seiner Verkleidung bei Wien erkannt, von Herzog Leopold VI. von Österreich, den er vor Akkon tödlich beleidigt hatte, festgenommen und an Kaiser Heinrich VI. ausgeliefert. Dieser hält ihn in der Feste Trifels (westlich von Landau in der Pfalz) gefangen und gibt ihn erst nach 13 Monaten gegen ein Lösegeld von 100000 Mark Silbers und Lehnshuldigung frei.

1202–1204.

Vierter Kreuzzug.

Lateinisches Kaisertum 1204–1261.

Auf Anregung des Papstes Innocenz III. (1198–1216) (Kreuzpredigt des Fulco von Neuilly) unternehmen mächtige französische Barone zusammen mit dem Grafen Balduin von Flandern und dem Markgrafen Bonifacius von Montferrat einen Kreuzzug, der ursprünglich gegen Ägypten gerichtet war. Die Kreuzfahrer übernehmen für die Venetianer (Doge Heinrich Dandolo), zum Teil als Preis der Überfahrt, die Eroberung von Zara in Dalmatien.

Auf Bitten des byzantinischen Prinzen Alexius für seinen Vater, den entthronten Kaiser Isaak Angelus, fahren die Kreuzfahrer auf der venetianischen Flotte nach Konstantinopel, nehmen die Stadt ein und setzen Alexius und seinen Vater auf den Thron (1203). Aber die Erfüllung der eingegangenen Bedingungen (Vereinigung der griechischen Kirche mit der römischen, Zahlung bedeutender Geldsummen) scheitert an dem Widerstande der Bevölkerung. Streitigkeiten, bei denen die Stadt in Brand gerät. Zweite Einnahme der Stadt; Plünderung, wobei viele Werke der alten Kunst zugrunde gehen (1204).

Errichtung des Lateinischen Kaisertums (Balduin Kaiser). Viele Küstenstriche und Inseln kommen an die Venetianer; Korfu, Zante, Kandia, ein großer Teil von Morea (Peloponnes). Gewaltiges Aufblühen des venetianischen Handels. Der Markgraf von Montferrat wird König von Thessalonich, französische Herzöge in Athen, Theben, Achaja; Villehardouin, der Geschichtschreiber des Kreuzzuges, Marschall des Reiches.

Ein griechisches Kaisertum behauptet sich in Nicäa, ein zweites in Trapezunt am Schwarzen Meere. Von Nicäa aus macht Michael Paläolŏgus 1261, von Genua unterstützt, dem Lateinischen Kaisertum ein Ende. Er erkennt 1274 die Suprematie des Papstes an. Aber der griechische Klerus und das Volk gegen die Ansprüche der Päpste. Schon 1280 wurde diese Union wieder gelöst (S. 218).

1212.

Kinderkreuzzug. Tausende von Knaben und Mädchen aus Frankreich und Deutschland ziehen nach Marseille und Genua; viele kommen unterwegs um, manche werden zur Rückkehr genötigt, andere in Alexandria als Sklaven verkauft.[177]

1217.

Kreuzzug des Königs Andreas II. von Ungarn; er versucht von Akkon aus vorzudringen, doch ohne Erfolg.

Neue Pilgerscharen, die sich in Akkon sammeln, unternehmen einen Angriff auf Ägypten, erobern Damiette 1219, müssen es aber 1221 wieder räumen.

1228–1229.

Fünfter Kreuzzug. Jerusalem auf kurze Zeit wiedergewonnen.

Friedrich II., römischer Kaiser, wegen verzögerter Erfüllung seines Versprechens, einen Kreuzzug zu unternehmen, im päpstlichen Banne, fährt zur See nach Akkon, erhält von dem ägyptischen Sultan Elkâmil durch Vertrag Jerusalem (wo er sich krönt[31]) und Nazareth, sowie die Landstriche von da bis zur Küste, nebst Sidon.

1244.

Jerusalem durch die Chowaresmier (S. 195) im Dienste des Sultans von Ägypten erobert und den Christen auf immer verloren.

1248–1254.

Sechster Kreuzzug. Ohne Erfolg.

Ludwig IX., der Heilige, König von Frankreich, fährt zur See nach Cypern und verweilt dort den Winter. Um die Sarazenenherrschaft in ihrem Hauptsitze Ägypten zu vernichten, fährt er im Frühjahr 1249 nach Damiette und nimmt die Stadt ein. Auf dem Zuge nach Kairo wird Ludwig geschlagen, von Damiette abgeschnitten und mit dem ganzen französischen Heere gefangen (April 1250). Die Ausführung des Friedensvertrages, wonach der König gegen Räumung von Damiette und bedeutendes Lösegeld frei kommen soll, gefährdet vorübergehend der Sturz der Ejubiden (S. 175) durch die Mamelucken. Ludwig fährt nach Palästina, befestigt während eines fast vierjährigen Aufenthalts Akkon und andere Küstenstädte, kehrt 1254 nach Frankreich zurück.

1268.

Antiochīa von dem Sultan Bibars von Ägypten erobert.

1270.

Siebenter Kreuzzug. Ohne Erfolg.

Ludwig IX. fährt zur See nach Tunis, wo ihn und einen großen Teil des Heeres Krankheit hinwegrafft.

1291.

Akkon wird von den Mamelucken erstürmt, die letzten Besitzungen in Palästina (Tyrus, Beirut, Sidon) werden von den Christen geräumt.

Folgen der Kreuzzüge: 1. Erhöhtes Ansehen der Kirche und des Papsttums. 2. Ausbildung des Rittertums, welches sowohl für den Staat wie für das gesellschaftliche Leben hohe[178] Bedeutung erlangt. 3. Aufschwung des Seehandels und Entwickelung der Städte, zunächst in Italien (Venedig und Genua). 4. Fortschreiten der geistigen Bildung durch die im Orient gewonnenen neuen Anschauungen und Kenntnisse (besonders der Philosophie des Aristoteles, Geographie und Naturkunde).

Stützen der kirchlichen Macht, zugleich Förderer des Ackerbaues, der Künste und Wissenschaften sind die neugebildeten Mönchsorden: Cistercienser 1098 (Citeaux unweit Dijon), Prämonstratenser 1120 (Prémontré bei Laon), die Bettelorden der Dominikaner 1216, Franziskaner 1223 (Franz von Assisi in Umbrien) und Augustiner 1244. Ausbildung der Scholastik (Philosophie im Dienste der Kirche) durch die beiden Dominikaner Albertus Magnus (Albert von Bollstädt in Schwaben, lehrte in Paris und Köln, † 1280) und Thomas von Aquino (lehrte in Paris, Köln, Rom, Neapel, † 1274).

Die kräftigsten Vorkämpfer der christlichen Staaten im Orient waren

Die geistlichen Ritterorden.

1. Tempelherren oder Templer (so genannt nach ihrem nahe der Stelle des salomonischen Tempels gelegenen Ordenshause in Jerusalem), hervorgegangen aus einem 1118 geschlossenen Bunde 8 französischer Ritter (Hugo de Payens). Zu den drei Mönchsgelübden (Armut, Keuschheit, Gehorsam) wird die Verpflichtung zum Kampfe gegen die Ungläubigen hinzugefügt. Weißer Mantel, rotes Kreuz. Der Orden wird 1291 nach Cypern verlegt, 1312 auf dem Konzil zu Vienne durch Papst Clemens V. aufgehoben.

2. Johanniter, entstanden aus der Brüderschaft des Hospitals des heiligen Johannes in Jerusalem, welches Kaufleute aus Amalfi um 1048 gestiftet hatten. Die Brüderschaft wird erweitert nach dem ersten Kreuzzuge, dann nach dem Vorbild der Templer zum Ritterorden umgestaltet (Raimund Dupuis). Schwarzer Mantel, weißes Kreuz. Der Orden wird verlegt nach Cypern 1291, nach Rhodus 1310, nach Malta 1526, wo er bis 1798 seinen Sitz hat (daher Malteser genannt).

3. Deutscher Orden, aus einer bei der Belagerung von Akkon 1190 gestifteten Brüderschaft für Krankenpflege[32] zum ritterlichen Orden umgewandelt 1198. Weißer Mantel, schwarzes Kreuz. Ordenssitz in Akkon. Unter dem Hochmeister Hermann von Salza wird 1226 der Orden von dem polnischen Herzog Konrad von Masovien zur Bekämpfung der heidnischen Preussen eingeladen, von Kaiser Friedrich II. dazu bevollmächtigt und im Besitz des Landes Kulm sowie der künftigen Eroberungen[179] bestätigt. Hermann Balk, erster Landmeister in Preußen, welches durch blutige Kämpfe 1230–1283 unterworfen wird. Im Jahre 1291 wird der Sitz des Hochmeisters nach Venedig, 1309 nach Marienburg, 1457 nach Königsberg verlegt. 1525 wird das Ordensland weltliches Herzogtum. Die katholisch bleibenden Ritter behaupten sich im Besitz der deutschen Güter; Sitz ihres Hochmeisters zu Mergentheim in Franken. Der Orden wird 1809 aufgehoben.

In allen drei Orden: Ritter, Priester, dienende Brüder.

§ 2. Deutschland und Italien.

1125–1137.

Lothar von Sachsen, gewählt auf Betreiben der Erzbischöfe von Mainz und Köln, (er läßt seine Wahl vom Papst bestätigen) im Gegensatz zu den Neffen Heinrichs V., Friedrich und Konrad von Staufen. Er bekämpft sie mit Hilfe seines Schwiegersohnes Heinrichs des Stolzen, Herzogs von Bayern, aus dem Welfenhause (S. 166). Konrad läßt sich in Italien zum König krönen, wird aber bald von seinen Anhängern verlassen; Friedrich verteidigt sein Herzogtum Schwaben; beide unterwerfen sich erst 1135.

1130.

Lothar entscheidet bei einer zwiespältigen Papstwahl für Innocenz II., zieht dann 1131 nach Dänemark und benutzt einen Thronstreit daselbst, um den König Magnus zum Vasallen des Reiches zu machen; dann 1132 Zug nach Italien.

1133.

Lothar, in Rom von Innocenz II. zum Kaiser gekrönt, nimmt die Allodien der Markgräfin Mathilde von Tuscien († 1115) vom Papste zu Lehen, kehrt nach Deutschland zurück, ohne den Gegenpapst Anaklet, der sich auf die Normannen stützt (S. 171), aus Rom vertrieben zu haben.

1136–1137.

Zweiter Zug nach Italien. Lothar vertreibt den Normannenfürsten Roger II. auf kurze Zeit vom italischen Festlande, stirbt auf dem Rückwege in Bayern, nachdem er Heinrich dem Stolzen die Mathildischen Güter und das Herzogtum Sachsen übertragen hat.

Unter Lothars Regierung erfolgreicher Wiederbeginn der deutschen Kolonisation im Norden und Osten des Reiches. Drei Fürstenhäuser, welche dafür viel geleistet haben, verdanken ihm ihre Einsetzung: die Schauenburger in Holstein, die Wettiner in Meissen, die Askanier in Brandenburg (Albrecht der Bär 1134, Markgraf der Nordmark, (Altmark)). Bei den wendischen Pommern predigt Bischof Otto von Bamberg 1124 und 1127 das Christentum.

1138–1254.

Haus der Hohenstaufen (Staufer), [180]nach der Burg Staufen in Schwaben benannt.

1188–1152.

Konrad III., von der dem sächsischen Hause feindlichen Partei ohne Beteiligung der Sachsen und Bayern gewählt.

Kampf der Welfen gegen die Staufer (letztere auch Waiblinger genannt nach der Burg Waiblingen in Schwaben). In Italien heißen die Parteinamen Guelfen und Ghibellinen.

König Konrad spricht über Heinrich den Stolzen die Acht aus und verleiht das Herzogtum Sachsen an Albrecht den Bären, Bayern an Leopold IV., Markgrafen von Österreich. Während des Kampfes stirbt Heinrich der Stolze 1139. Die sächsischen Großen halten zu seinem 10jährigen Sohne Heinrich; in Bayern und Schwaben kämpft sein Bruder Welf VI. für seinen Neffen.

1140.

Schlacht bei Weinsberg (unweit Heilbronn), Sieg Konrads über Welf VI., die Stadt muß sich ergeben. (Die treuen Weiber von Weinsberg).

Nach dem Tode Leopolds von Österreich kommt Bayern an seinen Bruder Heinrich Jasomirgott,[33] welcher Gertrud, Heinrichs des Stolzen Witwe, heiratet (1142). Des letzteren Sohn Heinrich der Löwe erhält Sachsen zurück. Albrecht der Bär entsagt seinen Ansprüchen auf das Herzogtum Sachsen, erhält seine anhaltischen Besitzungen zurück, regiert in der Nordmark und (seit Pribislavs Tode 1150) im Havellande als Markgraf von Brandenburg (S. »Anhang«).

1147.

Während Konrad III. den zweiten Kreuzzug nach Palästina unternimmt, herrscht in Italien große Verwirrung. Der Mönch Arnold von Brescia im Kampf mit dem Papst. In Rom eine Republik gegründet, der Papst vertrieben. In Norddeutschland Wendenkreuzzug: Heinrich der Löwe gegen den Obotritenfürsten Niklot, dessen Söhne später das Christentum annehmen; Albrecht der Bär und Konrad von Wettin gegen den Pommernfürsten Ratibor, der 1149 sich zum Christentum bekennt. Seitdem deutsche Einwanderung in Mecklenburg und Pommern, welche deutsche Reichsländer werden.

Konrad III. empfiehlt zum Nachfolger seinen Neffen Friedrich von Schwaben, der von den Fürsten einstimmig in Frankfurt gewählt, dann in Aachen gekrönt wird. Im Gegensatz zu Lothar und Konrad III. zeigt er dem Papst seine Wahl nur an.

1152–1190.

Friedrich I., Barbarossa, durch Tapferkeit und Gerechtigkeit hervorragend. Reichstag zu Merseburg 1152, Entscheidung des dänischen Thronstreits: Svend wird König von Dänemark als Vasall des Reiches.[181]

Welfen.

Welf IV.,
Hz. v. Bayern, †1101.
     |
Heinrich d. Schwarze,
Hz. v. Bayern, †1126.
Gem. Wulfhild, T. des Magnus Billung.
     _________|__________________
     |                     |     |
Heinrich der Stolze,  Welf VI.  Judith, Gem. v. Friedrich Hz.
Hz. v. Bayern u.      †1191.                   v. Schwaben,
Sachsen, †1139.                                †1147.
Gem. Gertrud, T.
Lothars v. Sachsen.
     |
Heinrich der Löwe
Herzog v. Sachsen u. Bayern, †1195.
   ____|__________________
   |                     |
Otto IV.,           Wilhelm
 †1218.                |
1. Gem. Beatrix        |
2. Maria            Otto das Kind,
v. Brabant          erster Hz. v.
                    Braunschweig-Lüneburg.

Hohenstaufen (Staufer).

Friedrich, Herzog von Schwaben, †1105.
Gem. Agnes, Tochter Kaiser Heinrichs IV.
 _____________|_________________
|                               |
Friedrich Hz.          Konrad III.,
v. Schwaben, †1147.   †1152.
     |
Friedrich I., Barbarossa
   †1190.
  ___|__________________________________________
 |                                |            |
Heinrich VI.,              Friedrich        Philipp
†1197.                    Hz. v. Schwaben  von Schwaben
Gem. Konstanze.            †1191.          †1208.
   |                                 ________|___________
Friedrich II.,                      Beatrix,         Beatrix,
†1250.                             Gem. Otto IV.    Gem. Ferdinand III.
   |                                                 von Kastilien.
 ________________________________________________________      |____
|              |               |                  |      |          |
Heinrich, Konrad IV.,        Margarete, †1270, Enzio,  Manfred, Alfons X.
†1242.   †1254.             Gem. Albrecht      †1272. †1266.    von
               |              von Thüringen.              |     Kastilien.
               |             __|__________                |
            Konradin        Friedrich.  Diezmann.     Constantia,
            †1268.                                  Gem. Peter III. von
                                                    Aragon.

[182]

Friedrichs Hauptbestreben ist, das Ansehen des Kaisertums wiederherzustellen. Daher Streit mit den zu mächtigen Republiken gewordenen lombardischen Städten. Sechs Züge nach Italien, bei welchen das deutsche Rittertum seine Kraft entfaltet.

1154–1155.

Erster Zug. Friedrich zerstört einige kleine Orte, die sich ihm widersetzen, und wird in Rom von Hadrian IV. zum Kaiser gekrönt. Tapferer Kampf Heinrichs des Löwen gegen die aufständischen Römer. Arnold von Brescia (Schüler des Scholastikers Abälard), der gegen die weltliche Herrschaft der Geistlichen und den Güterbesitz der Kirche aufgetreten war, wird verurteilt und verbrannt.

Auf dem Rückwege von Rom erstürmt Otto von Wittelsbach den Engpaß im Etschtale bei Verona.

1156.

Heinrich der Löwe erhält auch Bayern zurück. Österreich bleibt im Besitze der Babenberger (S. 162) als ein auch in weiblicher Linie erbliches Herzogtum.

Gegenüber der welfischen Machtstellung in Sachsen und Bayern stützt die kaiserliche Macht sich auf die Stammgüter in Schwaben und auf die von den Saliern ererbten Güter in Franken, außerdem auf bedeutende Reichsgüter in anderen Landschaften, besonders in der Rheingegend. Das »goldene Mainz« Mittelpunkt des Handels und Verkehrs. Die Verwaltung dieser Güter werden Ministerialen übertragen, d. h. den Gehülfen (ministri) der Ritter und freien Herren, die ursprünglich unfrei gewesen waren, dann aber infolge ihrer gehobenen Stellung sich mehr und mehr von ihren hörigen Standesgenossen abhoben und schließlich den freien Rittern gleich geachtet wurden. Kaiserliche Pfalzen zu Hagenau (im Elsaß), Trifels und Kaiserslautern (in der Rheinpfalz), Ingelheim, Gelnhausen, Aachen, Dortmund, Goslar, Tilleda (am Kyffhäuser), Nürnberg u. a. Die Pfalzgrafschaft am Rhein überträgt Friedrich 1156 seinem Halbbruder Konrad, der die Burg Heidelberg gründet.

1156

vermählt Friedrich sich mit Beatrix, der Erbin von Hochburgund.

1157.

Zug Friedrichs über die Oder nach Polen. Herzog Boleslav IV. unterwirft sich, räumt um 1163 seinen Neffen besondere Fürstentümer in Schlesien ein; seitdem deutsche Einwanderung in dieses Land.

Sept.

Reichstag zu Würzburg; es erscheinen Gesandtschaften aus dem byzantinischen Reich, aus England, Dänemark, Ungarn, Italien, Burgund. Auf dem Reichstage zu Besançon (Okt.) huldigen die burgundischen Großen. Der Kanzler des Kaisers, Graf Rainald von Dassel, tritt gegen den Kardinal Roland von Siena auf, welcher auf Grund eines[183] päpstlichen Schreibens die Kaiserkrone für ein päpstliches Lehen (beneficium) erklärt.

1158.

Fürstentag zu Regensburg; Herzog Wladislav von Böhmen erhält von Friedrich die Königskrone.

1158–1162.

Zweiter Zug nach Italien. Die lombardischen Städte, auch Mailand, unterwerfen sich. Reichstag auf den Ronkalischen Feldern (bei Piacenza), die kaiserlichen Hoheitsrechte über die Städte in Oberitalien auf Grund des römischen Rechts festgestellt. Die Mailänder empören sich von neuem. Streit des Kaisers mit dem Papste über die kaiserlichen Rechte in Rom. Krieg gegen Mailand, das sich nach längerer Belagerung ergeben muß. Auf Befehl des Kaisers wird

1162.

Mailand zerstört durch die Einwohner der Nachbarstädte.

1159–1177.

Kirchenspaltung. Papst Alexander III. (Roland von Siena) von der Mehrzahl der Kardinale gewählt, Viktor IV. von der kaiserlich gesinnten Minderheit. Friedrich entscheidet auf dem Konzil zu Pavia (Rainald, Erzbischof von Köln) für Viktor. Alexander III., im Bunde mit den lombardischen Städten, spricht über den Kaiser den Bann aus, sieht sich aber genötigt, nach Frankreich zu entweichen.

1163.

Dritter Zug. Der Kaiser ohne Heer. Er bestätigt die Anordnungen seines Kanzlers Rainald. Bald neue Unruhen in Italien, Alexander III. kehrt nach Rom zurück.

1166–1168.

Vierter Zug. Paschalis III., Viktors Nachfolger, wird von Friedrich nach Rom geführt; Alexander entflieht nach Benevent, findet Schutz im Normannenreich (S. 171). Unterdessen stellen die Lombarden Mailand wieder her, erbauen Alessandria (dem Papste zu Ehren benannt) und besetzen die Alpenpässe. Der Kaiser, dessen Heer durch eine in Rom ausgebrochene Seuche fast aufgerieben war, entkommt nur mit Mühe nach Deutschland.

Fehde zwischen Heinrich dem Löwen, der seine Herzogsgewalt über Mecklenburg und Pommern ausgedehnt hat, und den ihm feindlichen Fürsten (den Erzbischöfen von Magdeburg und Bremen, Albrecht dem Bären, Otto von Meißen, Ludwig dem Eisernen von Thüringen u. a.). Der Kaiser schlichtet den Streit zu Gunsten Heinrichs des Löwen, bringt aber durch Vertrag mit dem kinderlosen Welf VI. die welfischen Stammgüter in Schwaben (Altorf und Ravensburg) an sich, um seine Hausmacht zu vermehren. Heinrich der Löwe unternimmt eine Wallfahrt nach Jerusalem (1172).

1174–1178.

Fünfter Zug Friedrichs nach Italien. Er belagert [184]vergeblich das feste Alessandria. Heinrich der Löwe verweigert auf den Anruf des Kaisers die Heeresfolge (Zusammenkunft in Partenkirchen oder Chiavenna). Der Kaiser greift die Lombarden an, wird aber in der

1176.

Schlacht bei Legnano besiegt. Unterhandlungen und Waffenstillstand mit Alexander III. und den lombardischen Städten.

1177.

Aussöhnung zwischen Kaiser und Papst in Venedig. Alexander III. wird durch Erzbischof Christian von Mainz im Auftrage des Kaisers nach Rom zurückgeführt. Friedrich ordnet die Verhältnisse Italiens, empfängt 1178 in Arles die burgundische Krone, kehrt dann nach Deutschland zurück, um seinen Vetter Heinrich den Löwen zu demütigen.

1180.

Heinrich der Löwe geächtet und seiner Lehen verlustig erklärt, nachdem er auf viermalige Vorladung nicht erschienen ist. Friedrich zieht mit Heeresmacht gegen ihn, dringt 1181 durch Sachsen bis Lübeck vor und nimmt diese Stadt ein, darauf unterwirft sich Heinrich der Löwe zu Erfurt. Er behält seinen Allodialbesitz von mütterlicher Seite, Braunschweig und Lüneburg, muß aber auf drei Jahre in die Verbannung gehen, begibt sich nach England zu seinem Schwiegervater König Heinrich II.

Teilung des Herzogtums Sachsen. Westfalen kommt größtenteils an das Erzbistum Köln; die Grafen von Holstein, Schwerin, Oldenburg, Teklenburg u. a. werden reichsunmittelbar; ebenso die Stadt Lübeck, während Hamburg den Grafen von Holstein, Bremen seinem Erzbischof noch Untertan bleibt.[34]

Das östliche Sachsen (Wittenberg und Lauenburg) mit der Herzogswürde erhält Bernhard von Askanien, Sohn Albrechts des Bären; Bayern (ohne Steiermark, welches selbständiges Herzogtum wird, bald aber an Österreich kommt) erhält Otto von Wittelsbach († 1183).

1183.

Friede mit den lombardischen Städten zu Konstanz. Die meisten beanspruchten Rechte (namentlich freie Wahl der Stadtobrigkeit, Consules) werden ihnen gegen Anerkennung der Oberhoheit des deutschen Reiches zugestanden.

1184.

Glänzendes Reichsfest in der Rheinebene bei Mainz; der Kaiser erteilt seinen beiden ältesten Söhnen den Ritterschlag. Einheit und Macht des deutschen Reiches überall anerkannt.[185]

1184–1186.

Sechster (friedlicher) Zug nach Italien. Der Kaiser vermählt in Mailand seinen schon längst zum deutschen König gewählten 21jährigen Sohn Heinrich mit Konstanze, der Erbin des Normannenreiches in Unteritalien.

1189–1190.

Friedrichs Kreuzzug und Tod (s. S. 175). Sein Sohn Heinrich Reichsverweser. Heinrich der Löwe, der bei des Kaisers Aufbruch abermals auf 3 Jahre das Reich hatte verlassen müssen, kehrt eigenmächtig aus England zurück. Da im Nov. 1189 König Wilhelm II. von Sicilien gestorben ist, so beeilt sich König Heinrich, mit Heinrich dem Löwen einen Vertrag zu schließen. Mittlerweile kommt die Nachricht von Kaiser Friedrichs Tode nach Deutschland.

1190–1197.

Heinrich VI., ein staatskluger, hochgebildeter Fürst, aber streng und rücksichtslos.

1191.

Erster Zug nach Italien. Heinrich empfängt die Kaiserkrone in Rom und zieht nach Neapel, um das Erbe seiner Gemahlin Konstanze dem Normannen Tankred von Lecce zu entreißen. Vergebliche Belagerung von Neapel. Krankheiten in seinem Heere zwingen den Kaiser zur Rückkehr nach Deutschland. Dort

1192–1194.

neuer Krieg mit Heinrich dem Löwen, der den Vertrag nicht gehalten hat. Den Krieg beendet ein Vergleich, welcher erleichtert wird durch die Freigebung von Heinrichs des Löwen Schwager, Richard Löwenherz von England (s. S. 176). Heinrich der Löwe stirbt 1195 zu Braunschweig.

1194.

Zweiter Zug nach Italien; das Königreich beider Sicilien unterworfen, Krönung zu Palermo. Kaiserliche Herrschaft über ganz Italien, deutsche Statthalter in Tuscien, Ancona, Spoleto.

1196.

Reichstag zu Würzburg. Der Plan Heinrichs, Deutschland (vereinigt mit dem Königreich beider Sicilien) zum Erbreich zu machen, wogegen ebenso alle Lehen, auch in weiblicher Linie, erblich werden sollen, scheitert an dem Widerstande der geistlichen und weltlichen Fürsten.

1197.

Dritter Zug Heinrichs nach Italien. Er unterdrückt eine Verschwörung mit grausamer Härte. Inmitten großartiger Pläne (Eroberung des oströmischen Reiches, Gründung einer Weltherrschaft, Kreuzzug) stirbt er, erst 32 Jahre alt, plötzlich in Messina. Sein Sohn Friedrich, noch nicht 3 Jahre alt, schon vor seiner Taufe von den deutschen Fürsten zum Nachfolger seines Vaters ernannt.

In Deutschland Doppelwahl;[186]

1198–1208.

Philipp von Schwaben (jüngster Sohn Friedrich Barbarossas).

1198–1215.

Otto IV. von Braunschweig (Sohn Heinrichs des Löwen).

1198–1215.

Thronkrieg zwischen Staufern und Welfen.[35]

Otto IV. von Papst Innocenz III. anerkannt, von seinem durch den Papst gebannten Gegenkönig Philipp besiegt und fast auf Braunschweig beschränkt.

1208.

Philipp wird zu Bamberg ermordet von dem bayrischen Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach (Privatrache). Darauf wird Otto IV., der sich mit Philipps junger Tochter verlobt, allgemein anerkannt und von Papst Innocenz III. in Rom 1209 zum Kaiser gekrönt, nachdem er dem päpstlichen Stuhle die Mathildischen Güter (S. 179) überlassen und andere Zugeständnisse gemacht hat. Bald aber gerät er in Streit mit dem Papste, welcher im Verein mit der staufischen Partei in Deutschland gegen ihn 1212 als König aufstellt seinen Mündel Friedrich, Sohn Heinrichs VI. Friedrich verspricht, Sicilien, das die Kurie als ein päpstliches Lehen ansah, nie mit dem Reich zu vereinigen.

1214.

Otto IV., als Bundesgenosse Englands von Philipp II. Augustus von Frankreich bei Bouvines (unweit Lille) besiegt (S. 193), zieht sich in seine Erblande zurück († 1218 auf der Harzburg).

Hohes Ansehen des Papsttums unter Innocenz III. (1198 bis 1216), der als Statthalter Christi auf Erden auch zwischen Frankreich und England (S. 193), in Aragon und Portugal, Ungarn und den skandinavischen Reichen als Schiedsrichter auftritt. Herstellung des Kirchenstaats, Krieg gegen die Ketzer in Südfrankreich (S. 191), Einsetzung der Inquisition auf dem Laterankonzil zu Rom 1215.

Blüte der ritterlichen Dichtkunst in Deutschland: Heinrich von Veldeke, Hartmann von Aue; Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide am Hofe des Landgrafen Hermann von Thüringen († 1217) auf der Wartburg. Schriftliche Aufzeichnung des Nibelungenliedes.

1212(15)–1250.

Friedrich II., zugleich König beider Sicilien, der geistig bedeutendste Fürst des Mittelalters, leidenschaftlich, mehr Italiener als Deutscher (in Sicilien geboren, von seiner italienischen Mutter erzogen), entschiedener Gegner der geistlichen Herrschaft.

Er wird von einem Teile der Fürsten 1212 in Frankfurt zum König gewählt, verleiht 1214 die Pfalzgrafschaft am Rhein (S. 182) dem Herzog Ludwig I. von Bayern, dem Sohne[187] Ottos von Wittelsbach, und bestätigt dem König Waldemar II. von Dänemark den Besitz der Länder jenseits der Elbe und Elde (Holstein und Mecklenburg), welche dieser während des deutschen Thronstreits an sich gerissen hatte.

1215.

Friedrich II. allgemein anerkannt und zu Aachen gekrönt. Er gelobt einen Kreuzzug und verläßt Deutschland 1220, nachdem er die Wahl seines jungen Sohnes Heinrich zum römischen König erreicht hat.

1220.

Kaiserkrönung Friedrichs II. in Rom nach erneutem Versprechen eines Kreuzzugs; darauf ordnet er die Verhältnisse des sicilischen Reiches. In Deutschland Erzbischof Engelbert von Köln Reichsverweser († 1225), dann König Heinrich.

1223.

Waldemar II. von Dänemark wird von dem Grafen Heinrich von Schwerin gefangen genommen und nach Deutschland geführt. Hermann von Salza, Hochmeister des Deutschen Ordens, vermittelt im Auftrage des Kaisers seine Freilassung, die erst 1225 gegen hohes Lösegeld und Verzicht auf die deutschen Gebiete erfolgt.

1226.

Der Kaiser bevollmächtigt den Deutschen Orden zur Eroberung Preußens (S. 178). Reichstag zu Cremona, Streitigkeiten mit den lombardischen Städten.

1227.

Das in Apulien versammelte Kreuzheer löst sich auf wegen Ausbruchs der Pest. Ludwig, Landgraf von Thüringen, Gemahl der heiligen Elisabeth, stirbt. Papst Gregor IX. (1227–41) spricht den Bann über den Kaiser aus.

1227.

Schlacht bei Bornhöved in Holstein. Waldemar II., der Sieger, besiegt von den Grafen von Holstein und Schwerin, Herzog Albert von Sachsen, dem Erzbischof von Bremen und den Bürgern von Lübeck und Hamburg. Das Land bis zur Eider für Deutschland gerettet.

1228–1229.

Kreuzzug Friedrichs II. (S. 177). Nach der Rückkehr vertreibt er die in sein italisches Reich eingedrungenen päpstlichen Truppen (Schlüsselsoldaten genannt).

1230.

Friede mit dem Papste zu San Germano, Aufhebung des Bannes. Gesetzgebung Friedrichs II. für das unteritalische Reich (Constitutio Monarchiae Siculae); geordnete Verwaltung und Rechtspflege; auf den Landtagen erscheinen neben dem Adel Vertreter der Städte; direkte und indirekte Steuern eingeführt; Beamtentum, Söldnerheer und Flotte geschaffen; staatliche Universität in Neapel gegründet.

1231.

In Deutschland wird die Landeshoheit der geistlichen und weltlichen Fürsten über ihre Gebiete befestigt durch die von Friedrich II. genehmigten Beschlüsse des Reichstags zu Worms.[188]

1233.

Der Dominikaner Konrad von Marburg, Beichtvater der Landgräfin Elisabeth von Thüringen (1207–1231), welcher in Deutschland als Ketzerrichter auftrat, wird erschlagen; aber ein Kreuzheer besiegt und vernichtet 1234 die der Ketzerei beschuldigten Stedinger Bauern in Oldenburg.

1235.

Friedrich II. kommt wegen Empörung seines Sohnes Heinrich nach Deutschland, schickt ihn als Gefangenen nach Italien († 1242), erläßt auf dem Reichstag zu Mainz ein Landfriedensgesetz (erste Veröffentlichung eines Reichsgesetzes auch in deutscher Sprache) und verleiht dem Welfen Otto, Neffen Ottos IV., das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg.

1236.

Siegreicher Kampf Friedrichs gegen die lombardischen Städte, in welchen die Partei der Guelfen herrscht. Sein Verbündeter der grausame Ezzelino da Romano, Markgraf von Verona, an der Spitze der Ghibellinen. Der Kaiser zieht noch einmal nach Deutschland, um Herzog Friedrich den Streitbaren von Österreich wegen Empörung zu strafen und die Wahl seines zweiten Sohnes Konrad zum römischen König durchzusetzen.

1237.

Glänzender Sieg Friedrichs über die Lombarden bei Cortenuova. Seine zu weit gehenden Forderungen vereiteln jedoch die völlige Unterwerfung der Lombardei. Sein Sohn Enzio mit der Erbin von Sardinien vermählt, über das die Kurie die Lehnshoheit beanspruchte. Papst Gregor IX. beschuldigt ihn der Ketzerei und bannt ihn 1239 abermals. Er dringt 1240 vor bis in die Nähe Roms, wendet sich dann nach Ancona und belagert Faenza.

1241.

Seesieg seines Sohnes Enzio bei Elba über die genuesische Flotte, viele zum Konzil nach Rom fahrende Geistliche gefangen. Gregor IX. †. Sein Nachfolger Innocenz IV. verhandelt mit dem Kaiser, entflieht aber 1244 nach Genua und weiter nach Lyon. (Bedrohung Deutschlands durch die Mongolen, s. S. 195).

1245.

Absetzung des Kaisers durch Beschluß des Konzils zu Lyon. Innocenz IV. erneuert den Bann gegen ihn und fordert die deutschen Fürsten zu einer Neuwahl auf. Die Bettelmönche (Franziskaner und Dominikaner) predigen das Kreuz gegen ihn.

1246–1247.

Heinrich Raspe, Landgraf von Thüringen, Schwager der heiligen Elisabeth, der sie mit ihren Kindern von der Wartburg vertrieb, als Gegenkönig anfangs siegreich gegen Konrad, Friedrichs Sohn, dann aber bei Ulm zurückgeschlagen, stirbt 1247 auf der Wartburg. Mit ihm erlischt das landgräfliche Haus von Thüringen, dessen östlicher Teil mit der Markgrafschaft Meißen vereinigt wird; aus dem westlichen geht die Landgrafschaft Hessen hervor.[189]

1247–1256.

Wilhelm von Holland, zweiter Gegenkönig, der jedoch kein Ansehen in Deutschland erlangt.

Friedrich kämpft 1248 in Italien anfangs glücklich, wird aber vor Parma zurückgeschlagen. Sein Sohn Enzio gerät 1249 beim Kampfe gegen Bologna in Gefangenschaft († nach 23jähriger Haft im Kerker). Der Kanzler Petrus von Vinea wird wegen geheimer Verhandlungen mit dem Papste als Verräter geblendet, † 1249.

1250.

Friedrich stirbt zu Fiorentino (in Apulien) in den Armen seines Sohnes Manfred. Ihm folgt in Deutschland sein Sohn

1250–1254.

Konrad IV. (Gegenkönig Wilhelm von Holland), der aber schon 1251 nach Italien zieht, um gemeinsam mit Manfred um das unteritalische Erbreich zu kämpfen. Er erobert 1253 Neapel, stirbt aber im folgenden Jahre am Fieber.

1256.

Wilhelm von Holland fällt im Kampfe gegen die Friesen.

1256–1273.

Interregnum in Deutschland.

Graf Richard von Cornwallis, Bruder Heinrichs III. von England, Schwager Kaiser Friedrichs II., von einem Teil der Fürsten erwählt, in Aachen gekrönt, kommt nur am Rhein zur Anerkennung († 1272). Alfons X. von Kastilien, Enkel des Hohenstaufen Philipp von Schwaben, von andern Fürsten gewählt, kommt nie nach Deutschland.

Verfall des deutschen Reiches. Die Reichsgüter (S. 182) werden teils von den Fürsten in Besitz genommen, teils reichsfreier Besitz von Rittern, Städten und Klöstern. Fehden und Raubrittertum namentlich am Rhein und in Schwaben. 1254 Stiftung des rheinischen Bundes (ausgehend von den Städten Mainz und Worms; die Erzbischöfe von Mainz, Trier, Köln, mehrere Bischöfe, Grafen und Städte schließen sich an) zur Wahrung des Landfriedens und Beseitigung ungerechter Zölle.

Befestigung der Landeshoheit in den größeren fürstlichen Gebieten: die Wittelsbacher in Bayern und der Rheinpfalz (Residenz Heidelberg, S. 186), die Welfen in Braunschweig-Lüneburg (S. 188), die Askanier in Sachsen-Wittenberg und Sachsen-Lauenburg, Anhalt und Brandenburg (S. 180, 184), die Wettiner in Meißen und Thüringen (S. 188). In den östlichen Landschaften Fortschreiten der deutschen Kolonisation (S. 179).

Bei dem Mangel geordneter Rechtsprechung von Reichs wegen gewinnt das von dem sächsischen Schöffen Eike von Repgow um 1230 aufgezeichnete Rechtsbuch, der Sachsenspiegel, bald große Verbreitung; in ähnlicher Weise wird das in Oberdeutschland geltende Land- und Lehnsrecht um 1276 im Schwabenspiegel aufgezeichnet. In Westfalen entwickeln sich[190] aus den alten Grafschaftsgerichten die Femgerichte; der Erzbischof von Köln Oberstuhlherr, Freischöffen im ganzen Reiche.

Allmähliches Aufblühen der Städte: sie streben, zum Teil auf frühere kaiserliche Privilegien gestützt, nach Selbstregierung durch den von den Bürgern erwählten Rat. Worms und Köln treten schon unter Heinrich IV. und V. hervor. Die Bürger von Köln behaupten ihre Rechte im Streit gegen den Erzbischof 1258–1271 und in der Schlacht bei Worringen 1288, die Bürger von Straßburg siegen über den Bischof 1262 bei Hausbergen. Diese und andere bischöfliche Städte (Worms, Speier, Augsburg, Regensburg) werden gleich den früher von königlichen Beamten (Burggrafen oder Vögten) regierten Städten (Frankfurt, Aachen, Dortmund, Lübeck, Goslar, Nürnberg, Ulm u. a.) allmählich zu freien Reichsstädten. Andere bleiben unter bischöflicher oder fürstlicher Hoheit (Mainz, Magdeburg, Würzburg, München, Braunschweig, Stralsund u. a.), erlangen aber doch bedeutende Rechte zur Sicherung ihres Handels und Gewerbefleißes.

Aufblühen der Baukunst. Den romanischen Rundbogenstil (Dome zu Mainz, Worms, Speier und Bamberg; Wartburg) verdrängt allmählich der zuerst von den Arabern angewandte sog. gotische Spitzbogenstil: Dom zu Köln 1248 vom Erzbischof Konrad von Hochstaden an Stelle eines älteren Doms gegründet; Erwin von Steinbach beginnt 1277 die Westfront des Münsters zu Straßburg.

1266–1268.

Untergang des staufischen Herrscherhauses in Italien.

Manfred verteidigt das Königreich beider Sicilien zuerst als Reichsverweser für Konradin, den in Deutschland zurückgebliebenen Sohn Konrads IV., seit 1258 als König. Er fällt 1266 in der Schlacht bei Benevent im Kampfe gegen Karl von Anjou, Bruder Ludwigs IX. von Frankreich, welchem der Papst das Königreich zu Lehen gegeben hat.

Konradin geht 1267 mit Friedrich von Baden (als Sohn der babenbergischen Erbtochter von Österreich auch Friedrich von Österreich genannt) nach Italien. Er wird 1268 bei Tagliacozzo (nahe dem Logo di Celano, Fuciner-See) geschlagen und auf Befehl Karls von Anjou in Neapel hingerichtet.

Die Grausamkeit des Königs erregt Unruhen in Sicilien.

1282. 30. März.

Sicilianische Vesper, so genannt, weil der Aufstand am Ostermontag gegen Abend ausbrach. Ermordung aller Franzosen in Palermo, dann in ganz Sicilien, angestiftet von dem Ghibellinen Johann von Procida. König Pedro III. von Aragon, Schwiegersohn Manfreds, vereinigt Sicilien mit seinem Reiche; Karl von Anjou behält das Königreich Neapel.[191]

§ 3. Frankreich.

Allmähliches Erstarken des Königtums. Die Macht der Capetinger ist noch auf ihr Herzogtum Francien (Isle de France und Orléanais) beschränkt, doch halten sie die Lehnshoheit über die großen Vasallen fest.

Philipp I. (1060–1108) mit Gregor VII. in Streit wegen der Hoheitsrechte über die Bischöfe, während des ersten Kreuzzuges im Bann wegen Verstoßung seiner Gemahlin, vererbt doch die königlichen Rechte auf seinen Sohn Ludwig VI. (1108–1137). Dieser bringt mit Hilfe des staatsklugen Abtes Suger von St.-Denis die königliche Gerichtsbarkeit über die Vasallen zu Ansehen und fördert die Städte. Veredlung des Rittertums durch die Kreuzzüge; Aufblühen der ritterlichen Dichtkunst (Troubadours in der Provence, Trouvères in Nordfrankreich). Ludwig VII. (1137–1180) unternimmt den zweiten Kreuzzug (S. 174f.), läßt sich von seiner Gemahlin Eleonore von Aquitanien scheiden; diese heiratet Heinrich II. Plantagenet, König von England, der dadurch Poitou, Guyenne und Gascogne u. a.m. erhält.

1180–1223.

Philipp II. Augustus. Dritter Kreuzzug mit Richard Löwenherz (S. 175f.). Siegreiche Kriege gegen England nach der Rückkehr (S. 193); Mehrung der Königsmacht.

1209–1229.

Albigenserkriege in Südfrankreich, veranlaßt durch die Predigten der Cistercienser und Dominikaner (S. 178) gegen die kirchlichen Sekten der Katharer (in Deutschland Ketzer genannt) und Waldenser (Petrus Waldus zu Lyon 1173). Graf Raimund VI. von Toulouse nimmt sich der Bedrängten an, welche grausam verfolgt werden (Einwohnerschaft des erstürmten Béziers, 20000 Seelen, umgebracht), muß vor Simon von Montfort zurückweichen, gewinnt aber schließlich seine Besitzungen wieder. Philipp II., Augustus, vermeidet die Einmischung in den Krieg; sein Sohn Ludwig VIII. (1223–1226) folgt dem Hilferuf Amalrichs von Montfort gegen Raimund VII., stirbt aber vor Beendigung des Kriegszuges. Die päpstliche Inquisition vollendet die gewaltsame Bekehrung der Albigenser.

1226–1270.

Ludwig IX., der Heilige, anfangs unter Vormundschaft seiner Mutter Blanka von Kastilien. Raimund VII. unterwirft sich 1229; die Grafschaft Toulouse mit der Krone vereinigt, ebenso andere Provinzen durch Vertrag oder Erbanfall. Friedliche Regierung, Verbot der Fehden, Fürsorge für die Rechtspflege; Gottesurteile abgeschafft; die Gerichtsbarkeit der großen Vasallen beschränkt durch die Oberaufsicht der königlichen Gerichte (Parlamente). Aufblühen der[192] Universität Paris. Ludwigs Kaplan Robert von Sorbon gründet die Sorbonne, berühmt als Hauptsitz der theologischen Studien. Sechster und siebenter Kreuzzug (S. 177).

§ 4. England.

1066–1154.

Normannische Könige.

1066–1087.

Wilhelm I., der Eroberer, Sohn Roberts II, des Teufels, vollendet in blutigen Kämpfen die Unterwerfung der Angelsachsen und richtet den normannischen Lehnsstaat ein, aber mit Beibehaltung der angelsächsischen Grafschaftseinteilung und Gerichtsverfassung. Aufzeichnung der Rechtsverhältnisse und Abgaben der Grundbesitzer im Domesdaybook (von domus dei): Ritterlehen, Kirchengüter, städtischer Besitz, freie Bauerngüter, Höfe der Unfreien. Zwei Volksstämme und zwei Sprachen, die sächsische und die französische, bestehen noch lange Zeit in England nebeneinander; König und Adel sind französische Normannen.

Wilhelms I. ältester Sohn Robert erbt die Normandie; in England folgen die jüngeren Söhne, zuerst Wilhelm II., dann Heinrich I., welcher 1106 auch die Normandie in Besitz nimmt. Ihm folgt sein Schwestersohn Stephan von Blois, gegen welchen Heinrichs Tochter Mathilde, vermählt mit dem Grafen Gottfried von Anjou, Erbansprüche erhebt. Langwierige Kämpfe; endlich wird Mathildens Sohn Heinrich von Anjou als Thronfolger anerkannt.

1154–1399.

Haus Anjou-Plantagenet.[36]

1154–1189.

Heinrich II. besitzt große französische Lehen: 1. Normandie und Bretagne als Erbe der normannischen Könige, 2. Anjou, Maine, Touraine von seinem Vater, 3. durch Heirat mit Eleonore (1152, s. S. 191) Poitou, Guyenne und Gascogne, also im ganzen mehr als halb Frankreich.

1164.

Reform der Rechtspflege durch die Beschlüsse von Clarendon, namentlich werden die Vorrechte der Geistlichen beschränkt. Deswegen Streit mit dem Erzbischof Thomas Becket von Canterbury, welcher von Anhängern des Königs 1170 ermordet wird.

1171.

Kriegszug nach Irland, die Fürsten der Insel unterwerfen sich der englischen Lehnshoheit. Durch einen Aufstand wird ein Teil wieder selbständig.

1174.

Heinrichs Buße am Grabe des auf sein Anstiften ermordeten Erzbischofs; seine aufständischen Söhne[193] müssen sich unterwerfen. Die Gerichtsbarkeit über die Geistlichen wird durch Verträge mit Papst Alexander III. geregelt.

1189–1199.

Richard Löwenherz, in ritterlichen Kämpfen hervorragend, aber ohne Mäßigung. Kreuzzug, Gefangenschaft in Deutschland (S. 176), dann Kriege mit Philipp II. Augustus von Frankreich. Richards Bruder

1199–1216.

Johann (ohne Land) läßt seinen Neffen Arthur von der Bretagne, der ihm den Thron streitig macht, ermorden, wird deshalb als französischer Vasall (S. 192) von Philipp II. vor den französischen Lehnsgerichtshof geladen, verliert 1204 die Normandie, bald auch die übrigen französischen Lehen bis auf Guyenne an die Krone Frankreich. — Streit mit Papst Innocenz III. über die Wahl eines Erzbischofs von Canterbury (1205). England mit dem Interdikt, Johann mit dem Bann belegt. Der König unterwirft sich dem Papst und leistet ihm den Lehnseid (1213). Während er dann von La Rochelle aus die verlorenen Gebiete in Frankreich zurückzuerobern versucht, werden seine Verbündeten, der Graf von Flandern und Otto IV. von Deutschland, bei Bouvines geschlagen (1214 s. S. 186). Aufstand der großen Vasallen; sie erzwingen auf der Wiese Runnymede bei Windsor die Bewilligung der

1215.

Magna charta libertatum, Grundlage der englischen Verfassung: Freie Wahl der Bischöfe und Äbte durch die Geistlichen; Erblichkeit der Lehen; Steuern anstatt der Lehnsdienste (Schildgeld) und Hilfsgelder sollen nur mit Zustimmung der Prälaten und Barone erhoben werden; jeder Freie soll nur von seinesgleichen nach Landesrecht gerichtet werden; die Städte sollen ihre Privilegien behalten und die Kaufleute freien Verkehr haben.

1216–1272.

Heinrich III., anfangs unter Vormundschaft des Grafen Wilhelm von Pembroke. Ein französisches Heer, das in England gelandet war, wird zum Abzug genötigt. Vertrag mit Frankreich 1259; Guyenne als englischer Besitz anerkannt.

Öftere Streitigkeiten mit den zum Parlament versammelten Baronen; das Land bedrückt durch die Geldforderungen päpstlicher Legaten, um Heinrichs jüngstem Sohn Edmund die Herrschaft über Neapel und Sicilien zu verschaffen. Simon von Montfort, Graf von Leicester (spr. Lester), nimmt 1264 den König gefangen, beruft 1265 auch Vertreter der Grafschaften (zwei Ritter aus jeder Grafschaft) und der Städte zum Parlament, wird aber bei Evesham von dem Kronprinzen Eduard besiegt. Der König befreit; darauf erneute Bestätigung der Magna charta. In dieser Zeit allmähliche Vermischung und Ausgleichung der Angelsachsen und Normannen.[194]

§ 5. Die Pyrenäische Halbinsel.

Fortdauernde Kämpfe zwischen Christen und Mohammedanern. König Alfons VI. von Kastilien überträgt dem Grafen Heinrich von Burgund 1095 die Grafschaft Portugal (zwischen Minho und Duero) als Lehen. Heinrichs Sohn Alfons macht sich von der Lehnspflicht frei und nennt sich 1140 König von Portugal. Deutsche Kreuzfahrer aus den Rheinlanden, welche zur See nach Palästina ziehen, helfen 1147 zur Eroberung von Lissabon.

1118.

König Alfons I. von Aragon vertreibt die Araber aus Saragossa. Durch die Vermählung seiner Nichte mit dem Markgrafen von Barcelona werden 1137 die Länder Aragon und Katalonien vereinigt.

1157.

Kastilien geschwächt durch Abtrennung von Leon. Dem erneuten Anstürmen der Araber treten die drei bald darauf gegründeten Ritterorden von Alcántara (am Tajo), Calatrāva (am Guadiana), San Jago di Compostella (in Galicien) erfolgreich entgegen.

1212.

Großer Sieg der vereinigten Könige und Ritter bei Tolosa (in der Sierra Morena).

1230.

Ferdinand III. vereinigt Leon wieder mit Kastilien, erobert 1236 Cordova, 1248 Sevilla. Sein Sohn Alfons X., der Weise (S. 189) erweitert sein Reich auf Kosten der Mauren. Selbst Philosoph und Astronom (seine Verbesserung der Ptolemäischen Planetentafeln), ist er ein eifriger Förderer der Wissenschaften; Universität Salamanca. Alfons 1282 abgesetzt, † 1284 als Flüchtling bei den Mauren in Sevilla.

1238.

Jakob I. von Aragon erobert Valencia, bald darauf vertreibt Alfons III. von Portugal die Araber aus Algarbe. Nur in Andalusien behauptet sich das arabische Königreich Granāda bis 1492.

§ 6. Der Osten.

Das oströmische Reich ist unter den letzten Komnenen (S. 172) durch Thronstreitigkeiten geschwächt; die Bulgaren machen sich 1186 unabhängig. Das 1204 von den Kreuzfahrern errichtete Lateinische Kaisertum (S. 176) gewinnt keinen festen Bestand; griechische Sprache und Sitte behauptet sich. Unter dem Hause der Paläologen seit 1261 bleibt das Reich von dem Ansturm der Mongolen verschont, wird aber bald danach von den Türken bedrängt.

1206.

Die Mongolen erheben am Amur den Stammfürsten Temudschin zu ihrem Oberhaupt, Tschingis Chan [195]† 1226. Er beginnt große Eroberungszüge, unterwirft Nord-China und vernichtet nach Westen zu das Reich der Chowaresmier, welche seit 1150 die meisten seldschuckischen Sultanate und das frühere Gasnavidenreich (S. 172) erobert hatten. Sein Sohn Oktai macht Karakorum zum Herrschersitz. Sein Enkel Kublai Chan (1260–1294) begründet in China die mongolische Dynastie Jüan (1280–1367), sucht auch Japan zu erobern (S. 220). An Kublais Hofe in Peking der venezianische Reisende Marco Polo (S. 221).

1237.

Temudschins Enkel Batu dringt vom Chanat Kiptschak (Reich der Goldenen Horde) aus erobernd in Rußland ein. Moskau und Kiew verbrannt, dann Zug durch Polen und Angriff auf Schlesien. Ein deutsches Ritterheer unter Heinrich dem Frommen, Herzog von Liegnitz, tritt den Mongolen entgegen.

1241.

Schlacht bei Wahlstatt (Liegnitz). Die Mongolen, obwohl Sieger, ziehen nach Südosten ab durch Ungarn, nehmen ihre Wohnsitze im Chanat Kiptschak; Hauptstadt Sarai (Gouv. Astrachan). Rußland bleibt ihnen Untertan bis 1480.

1258.

Vernichtung des Kalifats durch die asiatischen Mongolen, welche Bagdad zerstören. Ihrem Vordringen nach Syrien treten die Mamelucken (S. 177) entgegen. Das große Reich der Mongolen, welche größtenteils den Islam annehmen, löst sich in einzelne Chanate auf; China wird 1368 durch Taitsu, einen buddhistischen Priester, von der Mongolenherrschaft befreit. Mit ihm beginnt die Dynastie der Ming (1368–1644).

D. Vom Ende der Kreuzzüge bis zur Entdeckung Amerikas. (1270–1492.)

§ 1. Deutschland.

1273–1347.

Könige und Kaiser aus verschiedenen Häusern.

1273–1291.

Rudolf I., Graf von Habsburg, reich begütert im Aargau und am Vierwaldstättersee, Landgraf im Elsaß, wird in Frankfurt von den sieben angesehensten Reichsfürsten zum römischen König gewählt, besonders auf Betreiben seines Verwandten, des Burggrafen Friedrich III. von Nürnberg (aus dem Hause Hohenzollern). Krönung zu Aachen, erster Reichstag 1274 zu Nürnberg; Beschluß, das Reichsgut zurückzufordern. Doch kommt dieser Beschluß nur in geringem Maße zur Ausführung; der König sieht sich auf Vergrößerung seiner Hausmacht angewiesen.[196]

1276.

Krieg gegen Ottokar, König von Böhmen, welcher nach dem Aussterben der Babenberger (1246) Österreich in Besitz genommen, von den Ungarn Steiermark wieder erobert, Kärnten und Krain durch Erbschaft erworben hatte. Ottokar wird geächtet, unterwirft sich, erneuert aber bald den Krieg.

1278.

Sieg Rudolfs auf dem Marchfelde (bei Dürnkrut), Ottokar fällt. Vergleich mit dem Vormunde seines Sohnes Wenzel. Dieser behält Böhmen, später bekommt er auch Mähren zurück. Bildung der habsburgischen Hausmacht: Österreich, Steiermark und Krain kommen als Reichslehen an die Söhne Rudolfs, Kärnten an Graf Meinhard von Tirol, seinen Schwager.

1281.

Rudolf verkündet Landfriedensordnungen in Bayern, Franken und am Rhein. In Schwaben leisten Graf Eberhard von Württemberg und Markgraf Rudolf von Baden (Stammburg Zähringen bei Freiburg im Breisgau) der Absicht des Königs, das Herzogtum Schwaben wiederherzustellen, erfolgreich Widerstand.

1289.

Feldzug nach Burgund; die Freigrafschaft (Franche-Comté, Hauptstadt Besançon) für das deutsche Reich wiedergewonnen. Die Provence und Avignon bleiben im Besitz Karls von Anjou (S. 190).

1290.

Rudolf residiert zu Erfurt, schlichtet Streitigkeiten in Thüringen, läßt 29 Raubritter enthaupten und 66 Burgen brechen.

1291.

Rudolf † zu Speier. Zum Nachfolger wird nicht sein Sohn Albrecht gewählt, sondern auf Betreiben des Erzbischofs von Mainz, Gerhard v. Eppstein, ein mit diesem verwandter, minder mächtiger Graf,

1292–1298.

Adolf von Nassau. Dieser will den Streit zwischen Landgraf Albrecht dem Entarteten von Thüringen und seinen Söhnen Friedrich und Diezmann (S. 181) benutzen, um die Mark Meißen als erledigtes Reichslehen einzuziehen, wird aber, ehe er dies durchführen kann, durch eine von Erzbischof Gerhard v. Eppstein berufene Fürstenversammlung abgesetzt und fällt in der Schlacht bei Göllheim (am Donnersberge) im Kampfe gegen den nun zum Throne berufenen

1298–1308.

Albrecht I. von Österreich, Sohn Rudolfs I. Papst Bonifacius VIII. verweigert ihm die Anerkennung; Albrecht schließt ein Bündnis mit König Philipp IV. von Frankreich und demütigt die vier rheinischen Kurfürsten (Mainz, Trier, Köln, Pfalz), indem er 1301 zu Gunsten der Städte die willkürlichen Rheinzölle aufhebt.

1303.

Aussöhnung mit dem Papste, dessen Recht auf Bestätigung der deutschen Königswahl Albrecht anerkennt. Gleich darauf Sturz der päpstlichen Macht (S. 207),[197] doch unternimmt Albrecht keinen Zug nach Italien, sondern versucht Böhmen für seine Hausmacht zu gewinnen. Das von ihm nach Meißen entsandte Heer wird 1307 von Friedrich und Diezmann bei Lucka unweit Altenburg geschlagen.

1308.

Albrecht wird von seinem Neffen Johann (Parricīda), dem er sein Erbe vorenthielt, zwischen Aar und Reuß, nahe bei der Habsburg ermordet. Die Königswahl lenkt der Erzbischof von Trier auf seinen Bruder:

1308–1313.

Heinrich VII., Graf von Luxemburg. Dieser stellt die Rheinzölle zu Gunsten der Fürsten wieder her. Den Söhnen Albrechts bestätigt er den Besitz ihrer Lehen, erkennt aber 1309 die Schweizer Waldstätte als reichsunmittelbar an.

Entstehung der Schweizer Eidgenossenschaft.

Schon in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts treten die Waldorte dem Bestreben der Grafen von Habsburg, die mit der Grafschaft verbundene Vogtei zu einer vollständigen Landeshoheit über sie auszubilden, entgegen. König Heinrich (S. 187) erteilt 1231 einen Freibrief für Uri, Kaiser Friedrich II. 1240 für Schwyz. König Rudolf erkennt den Freibrief für Uri an, ernennt in Schwyz nur einheimische Amtleute. Gleich nach seinem Tode, am 1. August 1291, schließen die drei Waldorte Uri, Schwyz, Unterwalden zur Erhaltung ihrer Freiheit einen ewigen Bund, fügen sich aber zunächst noch der Herrschaft König Albrechts.

Die von der Volksdichtung ausgeschmückte Erzählung, welche die Tatsache des allmählichen Erringens der Reichsunmittelbarkeit der Waldstätte auf ein kurzes Zeitmaß zusammendrängt, erscheint erst nach und nach sich ausbildend in Chroniken des 15. Jahrhunderts und steht vielfach in Widerspruch mit den Urkunden. Weder der Schwur auf dem Rütli (1307, Werner Stauffacher, Walter Fürst, Arnold vom Melchtal), noch die Vertreibung der Vögte am 1. Januar 1308 ist historisch verbürgt. Ein Landvogt Geßler hat weder in Uri noch in Küßnacht regiert. Die Sage vom Apfelschuß findet sich auch in Norwegen, Island, Dänemark, am Rhein und in England; sie ist eine allgemein germanische Sage. Das älteste Lied von Tell stammt aus der Zeit der burgundischen Kriege (1477); die uns geläufige Tradition gibt erst der Chronist Tschudi (um 1550).

1310.

Heinrichs VII. Sohn Johann wird König von Böhmen, gewählt durch die böhmischen Stände entgegen den Ansprüchen der Habsburger (der Mannesstamm der Prschemysliden in Böhmen war 1306 ausgestorben, Johann heiratet den letzten weiblichen Sproß); dadurch erhalten die Luxemburger eine Hausmacht. Seitdem Gegensatz zwischen den Habsburgern und Luxemburgern.[198]

1310–1313.

Heinrichs VII. Römerzug. Er wird von den Ghibellinen (Dante, 1302 aus Florenz verbannt) herbeigerufen, schlichtet die Parteikämpfe in Mailand (die Visconti hier seit 1277), unterwirft Brescia, wird in Genua und Pisa freudig aufgenommen, in Rom zum Kaiser gekrönt, belagert aber vergeblich die guelfisch gesinnte Stadt Florenz und stirbt auf dem Zuge gegen Neapel.

In dieser Zeit bringt König Philipp IV. von Frankreich die Freigrafschaft Burgund (S. 196) durch Heirat an sich und zwingt den Erzbischof von Lyon zur Huldigung.

1314–1347.}

Ludwig der Bayer (Haus Wittelsbach).

1314–1330.}

Friedrich von Österreich, Sohn Albrechts. Doppelwahl durch Parteiung der Fürsten; beide Könige sind Enkel Rudolfs von Habsburg. Friedrichs Macht wird geschwächt durch den

1315.

Sieg der Schweizer Eidgenossen am Berge Morgarten über Leopold von Österreich, Friedrichs Bruder. Darauf bestätigt der von der luxemburgischen Partei gewählte Herzog Ludwig von Oberbayern, der kurz vorher (1313) die Österreicher bei Gammelsdorf a. d. Isar besiegt hatte, den Waldstätten ihre Reichsunmittelbarkeit.

1322.

Schlacht bei Ampfing oder Mühldorf. Friedrich von Österreich geschlagen (Sage von Schweppermann) und als Gefangener nach der Burg Trausnitz geführt.

1324.

Papst Johann XXII., in Avignon (s. S. 207) unter französischem Einfluß, mischt sich in den Thronstreit und spricht den Bann über Ludwig aus, doch bleibt derselbe unwirksam, da durch die sittliche Entartung des päpstlichen Hofes in Avignon das Ansehen des Papsttums überhaupt gesunken ist.

Ludwig gibt die durch Aussterben der Askanier 1320 erledigte Mark Brandenburg (S. 179) seinem Sohne Ludwig, mit dem er später Margarete Maultasch, Erbin von Tirol und Kärnten, vermählt, nachdem diese ihre Ehe mit einem Sohne Johanns von Böhmen getrennt hat. Kärnten kommt, ehe die Vermählung stattfindet, an die Herzöge von Österreich (1335). Tirol wird von Margarete Maultasch nach dem Tode ihres zweiten Gemahls Ludwig doch dem Hause Habsburg vermacht (S. 200).

1325.

Friedrich wird gegen Verzichtleistung auf den Thron in Freiheit gesetzt, stellt sich wieder als Gefangener, wird von Ludwig als Mitkönig anerkannt, stirbt 1330.

1327–1330.

Ludwigs Römerzug. Er wird in Rom zum Kaiser gekrönt, stellt einen Gegenpapst auf, kann aber die kaiserlichen Herrschaftsrechte nur wenig zur Geltungbringen,[199] In Deutschland Streitigkeiten mit den Fürsten. Frankreich und dem Papste gegenüber einigen sich endlich die Kurfürsten zur Unterstützung Ludwigs:

1338.

Der Kurverein zu Rense (am Rhein, oberhalb Koblenz) erklärt jeden rechtmäßig gewählten deutschen König auch ohne päpstliche Krönung für den rechtmäßigen römischen Kaiser.

Ludwigs eigenmächtiges Verfahren zur Vergrößerung seiner Hausmacht (Brandenburg, Tirol, Holland) führt im Verein mit päpstlichen und französischen Umtrieben 1346 zur Wahl eines Gegenkönigs: Karl a. d. Hause Luxemburg, Sohn des bei Crecy im Kampfe für Frankreich gefallenen Königs Johann von Böhmen (S. 208). Kaiser Ludwig † 1347 (auf der Bärenjagd bei München), Karl wird allgemein anerkannt.

1347–1437.

Luxemburgische Kaiser.

1347–1378.

Karl IV., ein staatskluger Fürst, gelehrt und kunstsinnig. Die bayrische Partei stellt 1349 den Grafen Günther von Schwarzburg als Gegenkönig auf; doch stirbt dieser schon nach wenigen Monaten. In Brandenburg tritt, von Karl begünstigt, der falsche Waldemar gegen die bayrischen Markgrafen auf. (S. Anhang.) 1350 Aussöhnung mit den Wittelsbachern.

1349–50.

Pest (schwarzer Tod) in Deutschland und in fast ganz Europa. Erbitterte Verfolgungen der durch Verleihen von Geld gegen Zinsen reich gewordenen Juden. Sie sollten die Brunnen vergiftet haben. Umzüge der Geißler (Flagellanten).

Karls Hauptsorge ist auf sein Erbland Böhmen gerichtet. Er zieht deutsche Ansiedler heran, baut in Prag den Dom und die Burg Hradschin, stiftet daselbst 1348 nach dem Muster von Paris (S. 192) eine Universität mit vier Fakultäten, die erste in Deutschland. Durch Verträge mit den schlesischen Fürsten (S. 182) vollendet er die schon von seinem Vater angebahnte Vereinigung Schlesiens mit Böhmen; auch die Lausitz kommt zu Böhmen.

1353.

Zutritt Berns zur Eidgenossenschaft, welche nun, immer noch zum deutschen Reich gehörig, Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern, Zürich, Glarus, Zug und Bern (die sogenannten 8 alten Orte) umfaßt.

1354–1355.

Erster Zug Karls IV. nach Italien. Während der Abwesenheit der Päpste in Avignon hatte Cola di Rienzi sich zum »Volkstribunen« gemacht und die altrömische Republik wieder aufgerichtet (S. 211). Karl empfängt die Huldigung der lombardischen Städte, verweilt aber in Rom nur einen Tag, um die Kaiserkrone zu empfangen.[200]

1356.

Goldene Bulle,[37] Reichsgrundgesetz, beschlossen auf zwei Reichstagen zu Nürnberg und Metz. Die Kaiserwahl wird endgültig den 7 Kurfürsten übertragen, welche sie schon seit längerer Zeit tatsächlich ausübten;[38] drei geistliche: 1. Erzbischof von Mainz (Erzkanzler für Deutschland), 2. Erzbischof von Trier (Erzkanzler für Burgund), 3. Erzbischof von Köln (Erzkanzler für Italien); vier weltliche: 4. König von Böhmen (Erzschenk), 5. Pfalzgraf bei Rhein (Erztruchseß), 6. Herzog von Sachsen-Wittenberg (Erzmarschall), 7. Markgraf von Brandenburg (Erzkämmerer).

Die Kurfürstentümer, welche im Mannesstamme auf den Erstgeborenen forterben und gewisse Regalien erhalten (Privilegium de non appellando, Münzrecht, Bergwerks- und Salzhoheit, Judenzoll u. a. m.), sollen unteilbar sein. Bestimmungen über den Landfrieden; den Städten wird die Bildung besonderer Städtebündnisse und die Aufnahme von Pfahlbürgern (die in der Stadt nicht ansässig sind) untersagt.

1363.

Österreich erwirbt Tirol durch Vertrag mit Margarete Maultasch.

1365.

Karl IV. reist nach Avignon, um den Papst zur Rückkehr nach Rom zu bewegen, und läßt sich in Arles krönen, um die Oberhoheit über die tatsächlich an Frankreich gekommenen burgundischen Gebiete festzuhalten (S. 196, 198).

1368.

Zweiter Römerzug. Karl IV. führt Papst Urban V. nach Rom, aber bald nach seinem Abzuge kehrt der Papst nach Avignon zurück.

1373.

Durch den Vertrag zu Fürstenwalde überläßt Otto der Finne (Faule), der letzte bayrische Markgraf von Brandenburg, die Mark gegen ein Jahrgehalt an Karl IV.

Städtebünde.

Die Hanse. Verbindungen deutscher Kaufleute im Auslande, namentlich zu Wisby auf der Insel Gotland und in London schon im 12. Jahrhundert, haben Handelsbündnisse ihrer Heimatstädte zur Folge. 1241 Bündnis zwischen Lübeck und Hamburg. Um 1294 tritt Lübeck an die Spitze eines Bundes von Seestädten an der Nord- und Ostseeküste (von Bremen bis Reval), denen sich zahlreiche norddeutsche Binnenstädte (Köln, Osnabrück, Braunschweig, Magdeburg, Berlin, Thorn, Breslau[201] u. a.) anschließen, später auch die niederländischen Seestädte (Kampen, Deventer u. a.) Zweck des Bundes: Sicherung der Straßen zu Wasser und zu Lande, Erwerbung und Erhaltung von Handelsprivilegien im Auslande. Hansetage meist zu Lübeck gehalten. Auswärtige Niederlassungen (Kontore) zu Brügge, London, Bergen, Nowgorod. In Wisby, Stockholm, Kopenhagen, Malmö, Riga zahlreiche deutsche Kaufleute ansässig. Jährlicher Markt zur Zeit des Heringsfangs an der Küste von Schonen. Einteilung des Bundes in 3 Drittel, im 16. Jahrhundert in 4 Quartiere mit den Vororten Lübeck, Köln, Braunschweig, Danzig.

1361–1362.

Krieg gegen Waldemar IV., König von Dänemark, welcher Wisby eingenommen und geplündert hatte. Die Kriegsflotte der Hanse hat anfangs Erfolge, wird aber vor Helsingborg geschlagen. Ihr Führer, der Lübecker Bürgermeister Johann Wittenborg, wird deshalb angeklagt und in Lübeck hingerichtet.

1367–1370.

Zweiter Krieg; Waldemar IV. flüchtet aus seinem Reiche. Kopenhagen, Helsingör u. a. Städte erobert. Im Frieden zu Stralsund 1370 wird die Küste von Schonen auf 15 Jahre an die Hanse abgetreten; auch verspricht der dänische Reichsrat, den Nachfolger Waldemars nur mit Zustimmung der Städte zu erwählen. Bis ins 16. Jahrhundert behauptet der Hansebund die Handelsherrschaft über Skandinavien, Rußland, England. Da er sich aber nicht an einen starken Staat anlehnte, so zerfiel er, als die nordischen Staaten mehr und mehr erstarkten. Die im Binnenlande gelegenen deutschen Städte wurden durch ihre Landesfürsten teilweise zum Austritt aus der Hanse gezwungen, wie z. B. Berlin durch Kurfürst Friedrich II.

Im Innern zeigt sich in den Hansestädten, in welchen der Großhandel die Gewerbtätigkeit übertrifft, das Festhalten an der aristokratischen Regierung des sich selbst ergänzenden Rats, während in den süddeutschen Städten die nach Zünften geordneten Handwerker bedeutenden Anteil an der meist jährlichen Neuwahl des Rats erhalten. Zunftkämpfe in Ulm 1292, Speier 1327, Straßburg 1332, Regensburg 1334, Augsburg 1368; in Nürnberg behaupten die Patrizier 1349 das Übergewicht, ebenso in Köln 1370, doch siegen dort die Zünfte 1396.

Nicht von gleicher Dauer wie der Hansebund waren die süddeutschen Städtebündnisse, welche die Selbständigkeit der Städte gegen die Fürsten und die Reichsritter sichern sollten: der 1254 geschlossene rheinische Bund (S. 189) öfters von seiten der Städte erneuert; der schwäbische Städtebund, zuerst 1331, dann wiederum 1376 geschlossen, namentlich gegen den Grafen von Württemberg Eberhard den Greiner (d. h. Zänker), auch der Rauschebart genannt.[202]

Adelsbündnisse in Schwaben, Franken und am Rhein gegen Fürsten und Städte gerichtet (der Löwenbund, der St. Georgsbund, die Schlegler).

1377–1389.

Süddeutscher Städtekrieg.

1377.

Sieg der schwäbischen Städte (Vorort Ulm) bei Reutlingen über Eberhards Sohn Ulrich. Der schwäbische Städtebund vom Kaiser anerkannt.

1378.

Tod Karls IV., nachdem er seine Länder unter seine drei Söhne so geteilt hat, daß Wenzel Böhmen und Schlesien (später fällt ihm auch Luxemburg zu), Sigismund die Mark Brandenburg, Johann die Lausitz erhält. In Mähren herrschen 2 Neffen Karls, Jobst und Prokop als Markgrafen. Zum deutschen König war schon gewählt worden

1378–1400.

Wenzel, Karls IV. ältester Sohn.

1381.

Der schwäbische Städtebund vereinigt sich mit den rheinischen und schließt bald auch ein Bündnis mit einem Teil der Schweizer Eidgenossenschaft.

1384.

Wenzel bringt einen Landfrieden auf vier Jahre zustande (Fürstentag zu Heidelberg), doch beginnen die Fehden, sobald er nach Böhmen zurückgekehrt ist, aufs neue. Herzog Leopold III. von Österreich bekriegt im Bunde mit dem süddeutschen Adel die Eidgenossen. Das Ritterheer wird in der

1386.

Schlacht bei Sempach (Arnold Winkelried?) gänzlich geschlagen, ebenso 1388 in der Schlacht bei Näfels. Die Herzöge von Österreich verzichten auf die Unterwerfung der Schweiz.

1388.

Erneuerung des Städtekrieges. Eberhard der Greiner siegt über die schwäbischen Städte bei Döffingen (wo sein einziger Sohn Ulrich fällt), Pfalzgraf Ruprecht über die rheinischen bei Worms.

1389.

Landfriede zu Eger, von König Wenzel verkündet. Die Städte behalten ihre Reichsfreiheit, müssen aber auf Sonderbündnisse verzichten.

1400.

Wenzel, in Böhmen durch Härte (der Generalvikar des Erzbischofs von Prag, Johann von Nepomuk, Beichtvater der Gemahlin Wenzels, in die Moldau gestürzt) und Trägheit verhaßt, aus Anlaß innerer Zerwürfnisse wiederholt gefangen gesetzt, wird von den am Königsstuhl bei Rense versammelten rheinischen Kurfürsten der deutschen Königswürde entsetzt. Er stirbt 1419 als König von Böhmen.

1400–1410.

Ruprecht von der Pfalz vermag selbst bei seiner Partei kaum das königliche Ansehen zur Geltung zu bringen.

1401.

Unglücklicher Zug Ruprechts nach Italien. Das deutsche Heer wird bei Brescia geschlagen von[203] Johann Galeazzo Visconti, den König Wenzel zum erblichen Herzog von Mailand ernannt hatte (1395) (S. 198).

1409.

Infolge der hussitischen Streitigkeiten (s. S. 204) in Prag und einer Veränderung der Universitätsstatuten zu Gunsten der czechischen Nation verlassen die deutschen Professoren und Studenten die Universität Prag und gehen meist nach Leipzig, wo Friedrich der Streitbare von Meißen (S. 204) eine Universität stiftet.

1409.

Konzil zu Pisa, berufen zur Wiederherstellung der kirchlichen Einheit (seit 1378 zwei Päpste, einer in Rom, einer in Avignon). Der vom Konzil erwählte Papst Alexander V. vermag die beiden anderen nicht zur Abdankung zu nötigen.

1410–1437.

Sigismund, Wenzels Bruder, Markgraf von Brandenburg und König von Ungarn (als Gemahl der Tochter König Ludwigs des Großen, S. 217), gewählt besonders auf Betreiben des Burggrafen Friedrich VI. von Nürnberg, doch nur durch drei Kurstimmen, während die anderen für Jobst von Mähren abgegeben werden und Wenzel als dritter noch Ansprüche auf die Krone erhebt. Jobst † 1411; darauf zweite Wahl einstimmig für Sigismund. Dieser zieht nach Italien und einigt sich mit Papst Johann XXIII., Alexanders V. Nachfolger, über die Berufung eines allgemeinen Konzils nach einer deutschen Stadt.

1414–1418.

Kirchenversammlung zu Konstanz, zahlreich besucht von Fürsten und Prälaten, hat eine dreifache Aufgabe zu lösen: 1. Beseitigung der Kirchenspaltung (causa unionis), 2. Verbesserung der kirchlichen Zustände (causa reformationis), 3. Abstellung der Ketzerei (causa fidei).

Von der Reformpartei wird die Abstimmung nach Nationen (deutsche, franz., engl., italien., je eine Kuriatstimme) durchgesetzt. Papst Johann XXIII., der persönlich erschienen war, wird zu öffentlicher Abdankung bewogen, entflieht dann aber mit Hilfe des Herzogs Friedrich von Österreich. Dieser, in die Acht erklärt, muß sich unterwerfen. Das Konzil spricht auf Antrag Gersons, des Kanzlers der Pariser Universität, den Grundsatz aus, daß das Konzil über dem Papste stehe; Johann XXIII. wird abgesetzt, Gregor XII. in Rom verzichtet freiwillig.

Inzwischen ist der Tscheche Johann Hus, Professor in Prag, Anhänger der Lehren des Engländers Wycliffe (S. 312, Verwerfung des Ablasses, der Ohrenbeichte, der Transsubstantiation), seit 1412 im Bann, im Vertrauen auf das von Sigismund ihm gewährte sichere Geleit in Konstanz erschienen; er wird als Ketzer verurteilt.

1415. 6. Juli.

Hus verbrannt, 1416 sein Freund Hieronymus von Prag. Sigismund reist nach Spanien, um Benedikt XIII., der sich von Avignon nach der[204] Burg Peniscola (unweit Valencia) zurückgezogen hat, zur Abdankung zu bewegen. Dies mißlingt, aber die spanische Geistlichkeit sagt sich von Benedikt los. Sigismund reist über Paris nach England, um zwischen Frankreich und England Frieden zu vermitteln (S. 209), doch ohne Erfolg. Nach seiner Rückkehr 1417 Beratung über die Kirchenverbesserung (Beschränkung der päpstlichen Willkür in der Verleihung kirchlicher Ämter, Aufhebung drückender Abgaben, Besserung des Lebens der Geistlichen).

Dem Verlangen der Reformpartei, daß diese Verbesserung vor der Wahl eines neuen Papstes zum Abschluß komme, treten die Anhänger des Papsttums in den romanischen Nationen, verstärkt durch die Spanier als fünfte Nation, entgegen. Der neugewählte Papst Martin V. (Kardinal Colonna, S. 211) bringt drei Konkordate, mit den Deutschen, Engländern und Romanen, zum Abschluß, die aber nicht zur Abstellung der Mißbräuche führen.

1415.

Sigismund überträgt in Konstanz dem Burggrafen Friedrich VI. von Nürnberg, als Belohnung für wichtige, ihm und dem Reiche geleistete Dienste die Mark Brandenburg mit der Kur- und Erzkämmererwürde (Belehnung 1417).

1423.

Sigismund belehnt Friedrich den Streitbaren, Markgrafen von Meißen, aus dem Hause Wettin (s. S. 179, 203) mit dem Kurfürstentum Sachsen-Wittenberg, nach dem Aussterben der dort regierenden Askanier (S. 189). In Sachsen-Lauenburg regieren Askanier noch bis 1689, dann kommt das Land an Hannover.

1419–1436.

Hussitenkrieg. Entrüstung der Böhmen über Hus’ Hinrichtung. Seine Anhänger, Hussiten, auch Utraquisten genannt (weil sie das Abendmahl sub utraque specie, Brot und Wein, auch für die Laien verlangen), wollen die Ausübung ihrer vom Konzil verworfenen Lehre mit Gewalt durchsetzen. König Wenzel sucht zu vermitteln; nach seinem Tode 1419 Aufstand in Prag. Ziska, Anführer der Hussiten. Sigismund, Erbe der böhmischen Krone, wird zwar in Prag gekrönt, muß aber das Land bald verlassen. Die 1421 in Böhmen eindringenden Reichstruppen werden zurückgeschlagen, Sigismunds Heer wird 1422 bei Deutsch-Brod vernichtet. Verheerende Züge der Hussiten in die umliegenden Länder (Österreich, Bayern, Franken, Sachsen, Schlesien, Lausitz, Brandenburg); öftere Niederlagen der gegen sie aufgebotenen Reichsheere.

1431–1449.

Konzil zu Basel, zur Wiederherstellung des Friedens und zur Durchführung der kirchlichen Reformen berufen. Durch Gesandte des Konzils wird ein Vergleich mit[205] den gemäßigten Hussiten (Kalixtinern, Utraquisten) geschlossen: Prager Kompaktaten 1433; die Taboriten, (Tabor, Stadt in Böhmen), welche den Vergleich nicht annehmen, werden bei Böhmisch-Brod 1434 besiegt, Sigismund zieht 1436 in Prag ein.

Während dieser Bedrängnis des deutschen Reiches im Osten erhebt sich im Westen die Macht der französischen Herzöge von Burgund, welche ansehnliche deutsche Reichslehen an sich bringen. Philipp der Kühne (S. 208) verschafft seinem zweiten Sohne die Nachfolge in Brabant und Limburg; sein Enkel Philipp der Gute erbt diese Länder und außerdem 1428 die Grafschaften Holland, Seeland, Hennegau, bald auch Luxemburg. Auch das Herzogtum Lothringen kommt nach dem Aussterben des Mannesstammes (S. 165) 1431 an eine französische Dynastie, da die Erbin sich mit René von Anjou, Graf von Provence, Titularkönig von Neapel (S. 211) vermählt.

Im Innern des deutschen Reiches Verwirrung, Fehden und Selbsthilfe. Bei der herrschenden Rechtsunsicherheit erlangen die Femgerichte (S. 190) für einige Zeit große Bedeutung.

1438–1740.

Kaiser aus dem Hause Habsburg.

1438–1439.

Albrecht II., der tatkräftige Schwiegersohn Sigismunds, dem er auch in Böhmen und Ungarn folgt, stirbt nach der Rückkehr von einem Türkenzuge.

1440–1493.

Friedrich III. von Steiermark, (Vetter Albrechts), der letzte in Rom (1452) gekrönte deutsche Kaiser. Ein durchaus unfähiger Herrscher, läßt er sich durch seinen Ratgeber Aeneas Silvius Piccolomini (später Papst Pius II.) bewegen, in dem Streit zwischen dem Baseler Konzil und Papst Eugen IV. auf die Seite des Papstes zu treten. Die von dem Konzil beschlossenen kirchlichen Reformen werden durch das Wiener Konkordat 1448 vereitelt; das Konzil löst sich auf 1449.

Bürgerkrieg in der Schweiz 1440–1450; Zürich mit Österreich verbündet. Auf Kaiser Friedrichs Bitte schickt Karl VII. von Frankreich den Dauphin (als König Ludwig XI.) mit den zügellosen Scharen der Armagnacs gegen Basel. Heldentod von 1600 Eidgenossen bei St. Jakob 1444. Die Armagnacs plündern darauf im Elsaß, bis der Kurfürst von der Pfalz sie vertreibt. Friede der Schweizer mit Frankreich. Das Haus Habsburg verliert seine letzten Besitzungen in der Schweiz; es behält seine Besitzungen im Elsaß und in Schwaben (Vorder-Österreich).

Fehden im deutschen Reiche, denen der Kaiser untätig zusieht. In Sachsen Bruderkrieg zwischen Kurfürst Friedrich dem Sanftmütigen und seinem Bruder Wilhelm (1446–50); im Anschluß daran der Prinzenraub: Ritter Kunz von Kaufungen[206] entführt 1455 die beiden Söhne Friedrichs aus dem Schloß zu Altenburg, wird aber von Köhlern im Walde gefangen. Der Erzbischof von Köln führt Krieg gegen die Stadt Soest (Soester Fehde 1444–1449), Kurfürst Albrecht Achilles von Brandenburg gegen Nürnberg (1449–1453), Pfalzgraf Friedrich der Siegreiche gegen den Erzbischof von Mainz, den Grafen von Württemberg und den Markgrafen von Baden (Pfälzer Fehde 1462). Zur Herstellung des Friedens in Deutschland ist der schwäbische Bund förderlich, 1488 auf Betreiben des Kaisers von Fürsten, Rittern und Städten geschlossen.

Um 1450.

Johann Gutenberg (in Mainz) erfindet die Buchdruckerkunst. (Johann Fust, Peter Schöffer.)

In Böhmen Parteikämpfe während der Unmündigkeit des jungen Königs Ladislaus Postumus (Sohn Albrechts II.), für den Friedrich III. die Vormundschaft führt. Georg Podiebrad wird 1452 zum Reichsverweser, 1458 nach Ladislaus’ Tode zum König gewählt, aber als Utraquist angefeindet († 1471). Matthias Corvinus wird König von Ungarn (S. 218), besetzt die Nebenländer Mähren, Schlesien, Lausitz; schließt 1478 Frieden mit Georgs Nachfolger Wladislav (Sohn Kasimirs IV. von Polen).

1474–1475.

Karl der Kühne von Burgund, durch Verpfändung im Besitz der habsburgischen Teile des Elsaß, dringt in das Erzbistum Köln ein, um den abgesetzten Erzbischof zurückzuführen, belagert Neuß, wird aber durch das Anrücken eines Reichsheeres unter Friedrich III. und durch den Angriff der Schweizer auf Héricourt zum Abzug bewogen.

1476.

Karl der Kühne stürzt sich, nachdem er sich Lothringens bemächtigt und den Herzog Renatus vertrieben hat, auf die Schweizer, wird bei Granson und bei Murten geschlagen.

1477.

Karl der Kühne fällt im Kampfe gegen den zurückgekehrten Herzog von Lothringen vor Nancy; seine Tochter Maria vermählt sich mit Friedrichs III. Sohn, Erzherzog Maximilian. Dieser gewinnt dadurch die Niederlande und die Freigrafschaft Burgund (S. 198) für die habsburgische Hausmacht, verteidigt diese Erwerbung im Kriege gegen Ludwig XI. von Frankreich, der die burgundischen Städte in der Picardie und das Herzogtum Burgund als erledigte Mannslehen einzieht.

1490.

Friedrich III., von Matthias Corvinus aus Wien vertrieben (1485), wird nach dessen Tode († 1490) von seinem Sohn Maximilian zurückgeführt.

1491.

Wladislav IV. von Böhmen, nach Corvinus’ Tode auch König von Ungarn, sichert im Frieden zu Preßburg dem Hause Habsburg die Nachfolge zu.[207]

   Albrecht II. †1439.
   Gem. Elisabeth, Tochter Sigismunds.
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   |                                |
   Elisabeth,                        Ladislaus Postumus,
   Gem. Kasimir IV. von Polen.    †1457.
                      |
                Wladislav,
1471 König v. Böhmen, 1490 König v. Ungarn.
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           |                         |
   Ludwig II. †1526.                 Anna,
Gem. Maria v. Österreich.            Gem. Ferdinand I.

§ 2. Frankreich.

1270–1285.

Philipp III., der Kühne (le Hardi), vermählt seinen

1285–1314.

Sohn Philipp IV., den Schönen (le Bel), mit Johanna, Erbin von Navarra. Kampf mit Papst Bonifacius VIII., der dem König die Besteuerung der französischen Geistlichkeit untersagt. Der Papst wird 1313 in Anagni von Verschwörern gefangen genommen, doch von seinen Anhängern befreit, stirbt bald darauf.

1309.

Papst Clemens V., vorher Bischof von Bordeaux, verlegt die päpstliche Residenz nach Avignon (an der Rhone); das Papsttum von Frankreich abhängig (Babylonische Gefangenschaft (1309–1377)).

1312.

Aufhebung des Tempelherrnordens durch Clemens V., auf Antrieb des nach den Schätzen und Gütern des Ordens lüsternen Königs. In Paris werden 54 Ritter verurteilt und verbrannt, zuletzt auch der Großmeister Jakob von Molay (1314). Erwerbung burgundischer Gebiete (s. S. 198). Auf Philipp IV. folgen hintereinander seine drei Söhne Ludwig X., Philipp V., Karl IV., dann nach dem salischen Gesetz, welches die Frauen von der Thronfolge ausschließt[39] (Beschluß der Reichsstände von 1317), das

1328–1498.

Haus Valois (Nebenlinie der Capetinger).

1328–1350.

Philipp VI., Sohn Karls von Valois, eines Bruders Philipps IV. Gegen ihn erhebt Ansprüche auf den französischen Thron Eduard III. von England, als Sohn einer Tochter Philipps IV., daher

1339–1453.

mehr als hundertjähriger Krieg zwischen Frankreich und England.

1340.

Seesieg der Engländer bei Sluys, dem Hafenort von Brügge. Die flandrischen Städte, geleitet von Jakob von Artevelde, mit ihnen verbündet.[208]

1346.

Sieg der Engländer bei Crécy in der Picardie, Anwendung von Geschützen; Tod des blinden Königs Johann von Böhmen (S. 199). Calais erobert 1347

1350–1364.

Johann II., der Gute.

1356.

Sieg des Schwarzen Prinzen (Sohn Eduards III.) bei Maupertuis unweit Poitiers. Johann 4 Jahre lang in England Gefangener. Währenddessen in Frankreich Verwirrung und furchtbare innere Kämpfe, da der junge Dauphin[40]

als Statthalter nicht durchzugreifen vermag.

1357–1358.

Aufstand in Paris, geleitet von Etienne Marcel, dem Vorsteher der Innungen (prévôt des marchands), der mit Karl dem Bösen, König von Navarra, in Verbindung tritt.

1358.

Bauernkrieg mit furchtbaren Greueltaten, Jacquerie genannt nach dem Anführer Guillaume Caillet, mit dem Beinamen Jacques Bonhomme, welcher dann zum Spottnamen des französischen niederen Volks wurde. Der Adel schart sich um den Dauphin; nach Unterwerfung der Bauern wird auch der Aufstand in Paris blutig unterdrückt.

1360.

Friede mit England zu Bretigny (bei Chartres): Eduard III. verzichtet auf die französische Krone und erhält Poitou, Guyenne und Gascogne als unabhängigen Besitz ohne Lehnspflicht (S. 192).

1363.

Johann gibt das Herzogtum Burgund seinem jüngeren Sohn Philipp dem Kühnen (burgundische Nebenlinie der Valois). Dieser legt durch seine Heirat mit der Erbtochter des Grafen von Flandern den Grund zur Herrschaft des burgundischen Hauses in den Niederlanden (S. 205).

1364–1380.

Karl V., der Weise. Beruhigung der inneren Verhältnisse, dann Erneuerung des Krieges; die meisten früheren (S. 192) englischen Besitzungen in Frankreich werden wiedergewonnen.

Ritter Bertrand du Guesclin, seit 1370 Connétable von Frankreich, siegreich gegen die Engländer.

1380–1422.

Karl VI., verfällt in Wahnsinn, seine Oheime, die Herzoge von Orléans und Burgund, Reichsverweser, 2 Parteien: Burgund und Orléans (Armagnacs) (S. 205).

1407.

Der Herzog von Orléans wird auf Befehl des Herzogs Johann von Burgund ermordet. Die dadurch veranlaßten Parteikämpfe erleichtern das abermalige Vordringen der Engländer.[209]

1415.

Sieg Heinrichs V., Königs von England, bei Azincourt (unweit Crécy), darauf Eroberung der Normandie.

1419.

Johann von Burgund auf der Brücke von Montereau durch die Begleiter des Dauphin Karl (Duchâtel) ermordet. Johanns Sohn Philipp schließt deshalb mit Beistimmung der Königin Isabeau mit den Engländern den Vertrag von Troyes; Heinrich V. heiratet Katharina, Tochter Karls VI., und wird als Regent und Nachfolger auf dem Thron Frankreichs anerkannt, † 1422.

Unter Johann und seinem Sohne Philipp dem Guten erreicht das burgundische Herzogshaus den Gipfel seiner Macht. Blüte des Handels, der Gewerbe und der Künste in den flandrischen Städten, besonders in Brügge und Gent (die Maler Hubert und Johann van Eyck um 1420). Philipp bemächtigt sich der Erbschaft der Gräfin Jakobäa von Holland (S. 205).

1422–1461.

Karl VII., zunächst nur südlich von der Loire anerkannt, im Norden der minderjährige Heinrich VI., König von England, geb. 1421.

1429.

Johanna d’Arc (geb. 1412 in Domremy an der Maas), genannt die Jungfrau von Orléans, weil sie dieser Stadt Entsatz bringt. Die Engländer und Burgunder zurückgetrieben, Karl VII. in Reims gekrönt. Johanna 1430 bei Compiègne von den Burgundern gefangen, den Engländern ausgeliefert, 1431 in Rouen von einem geistlichen Gerichtshof als Zauberin und Ketzerin verurteilt und verbrannt. Das ungerechte Urteil wird später (1456) auf Befehl des Papstes widerrufen. Ihre Seligsprechung durch Papst Leo XIII. 1894.

1435.

Friede zu Arras zwischen Karl VII. und Philipp von Burgund. Die Engländer verlieren schließlich alle französischen Besitzungen außer Calais (S. 236), ihr Feldherr Talbot † 1453 in dem Treffen bei Castillon. Errichtung der Ordonnanz-Kompanien, Anfang der stehenden Heere.

1461–1483.

Ludwig XI. bricht durch Klugheit und Treulosigkeit die Macht der großen Vasallen, welche gegen ihn die Ligue du bien public schließen (Herzöge von Burgund, Bretagne, Orléans, Anjou, Nemours, Bourbon, Grafen von Charollais u. a.) und legt den Grund zur unumschränkten Monarchie. Nach dem Tode Karls des Kühnen (1477, s. S. 206) zieht er das Herzogtum Burgund als erledigtes Lehen ein, während die andern Besitzungen des Herzogs an Deutschland kommen; nach dem Tode Renés von Anjou (1480) werden Anjou, Maine und die Provence mit den Kronländern vereinigt.

1483–1498.

Karl VIII. gewinnt die Bretagne durch Vermählung mit der Tochter des letzten Herzogs (S. 235), zieht 1494 nach Italien, um die Ansprüche des Hauses Anjou auf das Königreich Neapel geltend zu machen (S. 190). Er[210] erobert das Königreich, wird aber durch ein Bündnis zwischen dem Papste, dem Kaiser, dem Herzog von Mailand, Venedig und Spanien zum Rückzuge genötigt.

§ 3. Italien.

Entwickelung selbständiger Staaten seit dem Sinken der deutschen Kaisermacht (1250).

Mailand, seit Kaiser Heinrich VII. (1310) unter den Visconti als kaiserlichen Statthaltern, seit 1395 als Herzögen (S. 203). Nach dem Aussterben der Visconti bemächtigt sich der von den Mailändern in Sold genommene Condottiere Franz Sforza der Herrschaft und wird 1450 Herzog von Mailand.

Die Grafen von Savoyen, deren Ahnherr Graf Humbert Weißhand 1032 mit Burgund unter die Herrschaft der deutschen Könige kam, seit etwa 1050 durch Heirat auch im Besitz von Piemont, erhalten 1416 von Kaiser Sigismund die Herzogswürde. Die Markgrafen von Este (S. 166) werden 1452 von Friedrich III. zu Herzögen von Modena und Reggio erhoben; Papst Paul II. belehnt sie 1471 mit dem Herzogtum Ferrara.

Venedig, seit 697 durch Vereinigung der Inselgemeinden ein Staat unter einem Dogen (dux), seit etwa 1000 Beherrscherin des Adriatischen Meeres, wächst während der Kreuzzüge an Macht und Ansehen (s. S. 176, 178). Nach Beendigung der Seekriege mit Genua (1381) ist Venedig Herrin des Mittelmeeres und des Levantehandels. Sein Festlandsgebiet erstreckt sich über Padua und Verona bis Brescia; seine Seemacht stützt sich auf den Besitz von Dalmatien, Kandia und Korfu. Verfassung streng aristokratisch. 1172 Einsetzung des großen Rates (450 bis 500 Mitglieder), dann des kleinen Rates (Signoria), der die Macht des Dogen noch mehr beschränkt. 1298 Schließung des großen Rates, die Namen der ratsfähigen Familien (Nobili) werden in dem Goldenen Buch verzeichnet. Zur Unterdrückung von Verschwörungen 1310 der Rat der Zehn eingerichtet; Hinrichtung des Dogen Marino Falieri 1355. Seit 1539 ernennt der Rat der Zehn die drei Staatsinquisitoren, deren strenge Herrschaft aber erst 1583 beginnt.

Genua, seit Herstellung des griechischen Kaisertums (1261) im Orient mächtig, nach dem Siege über Pisa (1284) auch im Besitz der Inseln Sardinien, Korsika, Elba, dann aber durch die Kriege mit Venedig und innere Unruhen geschwächt, seit 1396 bald von Frankreich, bald von Mailand abhängig.

Florenz, seit 1282 mit demokratischer Verfassung (die Priori delle arti bilden die Signoria), öfters durch Parteikämpfe erschüttert, gewinnt allmählich die Herrschaft über die Landschaft Toskana; Pisa erst 1429 unterworfen. Seit 1400 gelangt[211] das Geschlecht der Medici zu hohem Ansehen und fürstlicher Stellung. Johann von Medici, reicher Bankier, Begründer der Macht des Hauses. Sein Sohn Cosĭmo, der Vater des Vaterlandes, († 1464), Beschützer der Künste (Brunelleschi, Ghiberti, Donatello u. a.), Begründer der platonischen Akademie und der mediceischen Bibliothek. Unter dessen Enkel Lorenzo (il Magnifico, † 1492) die glänzendste Zeit für Florenz.

Entfaltung der italienischen Literatur durch die drei florentinischen Dichter Dante Alighieri († 1321), Petrarca († 1374), Boccaccio († 1375). Von Petrarca besonders angeregt entwickelt sich das erneute Studium der Wissenschaft und Poesie des Altertums (Humanismus), gefördert durch griechische Gelehrte, die nach der Eroberung Konstantinopels (S. 218) aus dem byzantinischen Reiche vor den Türken geflohen waren. Hand in Hand damit geht der Aufschwung der bildenden Kunst (Renaissance) zuerst in Florenz, dann in Rom (Peterskirche).

Der Kirchenstaat, in der Langobardenzeit begründet, durch die von Karl d. Gr. bestätigte Schenkung Pippins (s. S. 150) und andere Erwerbungen erweitert, seit Innocenz III. vom deutschen Reiche völlig unabhängig. Zerrüttung durch Adelskämpfe (die Orsini und Colonna), während die Päpste in Avignon residieren (1309–1376). Cola di Rienzi tritt 1347 als Volkstribun auf, wird vertrieben, kehrt 1354 als päpstlicher Senator zurück, wird aber durch Volksaufstand getötet (S. 199). Herstellung der Einheit der Kirche durch das Konzil zu Konstanz (S. 203f.), des Kirchenstaats erst durch Papst Nikolaus V. (1447 bis 1455), der als Freund der Wissenschaften die vatikanische Bibliothek begründet.

In Neapel Haus Anjou bis 1435. Sicilien 1282–1295 mit Aragon verbunden (S. 190), dann unter einer Nebenlinie des aragonischen Hauses, seit 1409 wieder bei Aragon, dessen König Alfons V. 1435–1442 auch Neapel erobert. Glänzende Hofhaltung, Pflege des Humanismus (Laurentius Valla). Nach Alfons’ Tode (1458) kommt Neapel ohne Sicilien an seinen natürlichen Sohn Ferdinand I. und dessen Nachkommen; in Sicilien aragonische Dynastie bis 1504. Von 1504–1713 Neapel und Sicilien bei Spanien (S. 235).

§ 4. England.

1272–1307.

Eduard I., Sohn Heinrichs III. (S. 193), unterwirft Wales vollständig (Prinz von Wales, Titel seines ältesten Sohnes und fortan jedes Thronerben), mischt sich als Lehnsherr in die schottischen Thronstreitigkeiten, beruft Vertreter der Grafschaften und Städte zum Parlament; Anfang des Unterhauses.

1307–1327.

Eduard II., von den Schotten geschlagen, muß Robert Bruce als schottischen König anerkennen.[212] Er wird auf Anstiften der Königin und ihres Günstlings Mortimer vom Parlament abgesetzt und später auf grausame Weise ermordet. Ihm folgt der tatkräftige

1327–1377.

Eduard III. König David Bruce von Schottland als Gefangener in London, gegen Lösegeld freigelassen. Seit 1371 Haus Stuart in Schottland; Robert II., 1371–1390, Tochtersohn von Robert Bruce, nicht mehr lehnsabhängig von England. — Trennung des englischen Parlaments in Oberhaus und Unterhaus. Steuerbewilligungsrecht und Petitionsrecht des Unterhauses. Ausbildung des Selfgovernment in den Grafschaften (das Friedensrichteramt). Krieg mit Frankreich s. S. 207. Geoffrey Chaucer, Begründer der englischen Literatur, † 1400.

1377–1399.

Richard II., Enkel Eduards III. Die Bestrebungen des Reformators Wycliffe (Prof. in Oxford, 1382 abgesetzt, vgl. S. 203) werden vereitelt durch den gefährlichen Aufstand der Bauern unter Wat Tyler 1381. Richard zur Abdankung genötigt von seinem Vetter Heinrich von Lancaster, † im Gefängnis.

1399–1461.

Haus Lancaster (Nebenlinie des Hauses Plantagenet).

1399–1413.

Heinrich IV., Enkel Eduards III. Kämpfe gegen Empörungen des hohen Adels (Heinrich Percy); der König behauptet sich im Bunde mit der Kirche. Grausame Verfolgung der Anhänger Wycliffes.

1413–1422.

Heinrich V., als Prinz der Genosse wüster Gesellen, als König energisch und tapfer. Aufstand der Lollharden (Anhänger Wycliffes) unterdrückt. Krieg in Frankreich s. S. 209.

1422–1461.

Heinrich VI., beim Regierungsantritt unmündig, später von Günstlingen geleitet, kann den Übermut des Adels nicht im Zaum halten. Unglücklicher Ausgang des Krieges in Frankreich. Sein Vetter Richard von York, zweimal wegen Krankheit des Königs zum Protektor des Reiches erwählt, erhebt zuerst 1452 offen Anspruch auf die Krone. Gegen ihn die Königin Margarete (aus dem Hause Anjou) und der Herzog von Somerset († 1454).

1459–1485.

Bürgerkrieg in England; Parteien der Roten Rose (Lancaster) und der Weißen Rose (York). Richard von York bei Wakefield besiegt und getötet 1460. Dennoch behauptet sich seine Partei im Felde und ruft 1461 in London seinen Sohn Eduard zum König aus.

Die Familien Lancaster, York und Tudor.

            Eduard III. †1377.
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Eduard,               Lionel           Johann von Gent,         Edmund,
(der Schwarze Prinz)  Hz. v. Clarence  Hz. v. Lancaster, Hz. v. York,
†1376.               †1368.          †1399.                   †1402.
 |                    |            ____|__________
Richard II.,          |           |               |
abgesetzt 1399,       |      Heinrich IV.        John Bedford.
†1400.                |        †1413              |
                      |           |               |
                      |           |               |
                      |    Heinrich V.  John Bedford.
                      |    †1422 Gem. Kath.       |
                      |     v. Frankreich         |
                      |           |               |
                    Seine    Heinrich VI.        Margarete.
                    Urenkelin  -- 1461,          Gem. Edm. Tudor
                    Anna       ermordet          (Sohn v. Owen Tudor
                    Mortimer,   1471.            u. Kath. v.
|                   Gem. v.        |             Frankreich,
                    Richard v. Eduard,           Witwe
                    Cambridge  Prinz v. Wales,   Heinrichs V.).
                               ermordet 1471.           |
                                                        |
                                                Heinrich VII. †1509.
                                                Tudor.
                                      ___________|________
                                     |                    |
                            Heinrich VIII.        Margarete,
                            †1547.            Gem. Jakob IV. Stuart
                             |                v. Schottland.
                          ___|________________________________
                         |                   |                |
                  Maria die            Elisabeth        Eduard VI.
                  Katholische †1558.       †1603.          †1553.


              Edmund,
              Hz. v. York,
              1402.
       ________|_______
      |                |
    Eduard,          Richard,
    Hz. v. York      Gr. v. Cambridge.
                 Gem. Anna Mortimer.
                       |
        _________________________
       Richard, Hz. v. York, 1460
        ________|________
       |                 |
 Eduard IV.      Richard III.
 1483      (Hz. v. Gloucester)
  |              1485
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Elisabeth,          Eduard V.  Richard.
Gem. Heinr. Tudor.  ermord.           ermord.
                    1483              1483
1461–1485.

Haus York (Nebenlinie des Hauses Plantagenet).

1461–1483.

Eduard IV. sichert seine Herrschaft durch die Siege bei Towton 1461 und Hexham 1464, nimmt[213] Heinrich VI. gefangen, doch wird er 1470 von Margarete und Graf Warwick (dem »Königsmacher«), der früher das meiste zu seiner Erhebung beigetragen hatte, vertrieben und Heinrich VI. wieder auf den Thron gesetzt. Eduard IV. kehrt bald zurück, besiegt das Haus Lancaster bei Barnet (Warwick †) und Tewkesbury 1471 und rottet es fast aus; nur Heinrich Tudor entkommt. König Heinrich VI. im Tower ermordet 1471.[214]

1483.

Eduard V., Sohn Eduards IV., mit seinem jungen Bruder Richard im Tower erstickt auf Befehl seines Oheims, des grausamen Richard von Gloucester (spr. Gloster), welcher den Thron besteigt als

1483–1485.

Richard III. Er wird bei Bosworth 1485 besiegt von einem Sprößling des Hauses Lancaster, Heinrich Tudor, Grafen von Richmond, welcher durch seine Heirat mit Elisabeth von York, Tochter Eduards IV., die Ansprüche beider Häuser vereinigt. Nach Beendigung der blutigen Adelskriege erstarkt das Königtum unter dem Hause Tudor (1485–1603).

§ 5. Die Pyrenäische Halbinsel.

Den vier christlichen Königreichen steht noch immer das durch Ackerbau und Kunstfleiß blühende arabische (maurische) Königreich Granāda gegenüber (S. 194).

Navarra, 1285–1329 mit Frankreich vereinigt (s. S. 207), 1425–1431 mit Aragon, bleibt ein unbedeutendes Grenzland.

König Pedro III. von Aragon (S. 190) unterstützt die Sicilianische Vesper, gewährt 1283, um die Kriegskosten zu bestreiten, den Reichsständen (Cortes) große Rechte durch das Privilegium von Saragossa. Pedro IV. erhöht 1348 die Macht des Königtums und erobert die Balearen, bewilligt aber die Einsetzung eines Oberrichters (Justicia), der Streitigkeiten zwischen König und Reichsständen zu entscheiden hat.

Alfons XI. von Kastilien besiegt 1340 die Araber, bringt aber den Krieg nicht zu Ende. Zwiespalt unter seinen Söhnen Pedro dem Grausamen und Heinrich von Trastamara; letzterer findet bei Aragon Hilfe und vertreibt mit französischen Söldnern den Gegner. Pedro wird 1367 durch einen Kriegszug des Schwarzen Prinzen (S. 208) zurückgeführt, aber nach Erneuerung des Kampfes 1369 besiegt und getötet. Heinrich herrscht darauf bis 1379 in Freundschaft mit Frankreich. Sein Sohn Johann I. versucht vergebens 1385 Portugal zu erobern. Unter Johann II. tritt der Connétable Alvaro de Luna der großen Macht des Adels entgegen, wird aber 1453 gestürzt. Johanns Tochter Isabella vermählt sich 1469 mit Ferdinand, dem Thronfolger von Aragon, wird 1474 Königin von Kastilien.[215]

1479–1516.

Ferdinand II., der Katholische, von Aragon. Vereinigung der beiden Reiche Kastilien und Aragon, doch regiert Isabella in Kastilien selbständig. Die Großmeisterwürde der drei Ritterorden (S. 194) wird mit der Krone vereinigt, die Willkür des Adels durch Erneuerung des Friedensbundes der Städte (Hermandad) eingeschränkt. Mit päpstlicher Genehmigung Erneuerung der Inquisition (S. 186) zur Verfolgung der Ketzer, besonders gegen die Moriscos (Nachkommen der Mauren, span. Moros) und Juden gerichtet. Der Dominikaner Torquemada 1483 zum Großinquisitor ernannt; Tausende zum Feuertode verurteilt (Autos da fé).

1492.

Eroberung von Granada; der letzte König Abdallah (Boabdil) zieht sich nach Afrika zurück.

Portugal im Aufblühen unter der unecht burgundischen Dynastie seit 1385. Unter König Johann I. wird Ceuta erobert 1415; sein Sohn Heinrich der Seefahrer fördert die Entdeckungsfahrten längs der afrikanischen Küste. 1455 wird Cap Verde erreicht, 1482 die Kongomündung: an dieser Fahrt nahm der um die Nautik und Geographie (sein Globus in Nürnberg) sehr verdiente Nürnberger Kaufmann Martin Behaim teil, Freund des Columbus und Magelhães, († 1506 in Lissabon). 1487 umfährt Bartolomeo Diaz das Cabo tormentoso, von König Johann II. Cabo de boã esperanza (Kap der guten Hoffnung) genannt.

§ 6. Der Norden und Osten.

Dänemark, seit Knud dem Großen (S. 170) ein christliches Reich, entfaltet seine Seemacht unter Waldemar I., der 1168 Rügen erobert, und Waldemar II., dem Sieger, der 1219 Estland gewinnt, auch bis 1227 über Holstein und den angrenzenden Teil von Mecklenburg herrscht (S. 187). Dann folgen schwächere Könige; erst Waldemar IV. beseitigt die innere Zerrüttung. Er überläßt 1346 Estland dem Deutschen Orden, gewinnt 1360 von Schweden die Landschaft Schonen zurück, muß dann vor der Seemacht der deutschen Hanse weichen (S. 201).

Margareta, Tochter Waldemars IV., Gemahlin Hakons VI. von Norwegen, regiert seit 1375 in Dänemark für ihren unmündigen Sohn Olaf († 1387), nach Hakons Tode 1380 auch in Norwegen, wird 1388 von einem Teil des schwedischen Adels zur Regentin Schwedens erwählt. Sie besiegt ihren Gegner Albrecht von Mecklenburg (seit 1364 König von Schweden), dessen Anhänger sich mit Hilfe der seeräuberischen Vitalienbrüder noch einige Jahre in Stockholm behaupten, bis die deutsche Hanse dagegen einschreitet.[216]

1397.

Kalmarische Union. Die Stände der drei Reiche beschließen zu Kalmar die Vereinigung unter einem gemeinsamen Wahlkönigtum. Margareta regiert mit hohem Ansehen, † 1412.

1409–1435.

Krieg um Schleswig. Dieses Herzogtum, schon seit 1326 nach der sogen. Waldemarschen Konstitution, nach der es nie wieder mit Reich und Krone von Dänemark vereinigt werden sollte, größtenteils im erblichen Besitz der deutschen Grafen von Holstein (aus dem Hause Schauenburg, S. 179), 1386 von Margareta dem Grafen Gerhard VI. zu Lehen gegeben, wird von seinen Söhnen mit Hilfe der Hanse behauptet gegen Margaretas Nachfolger Erich VII.

1460.

König Christian I. von Dänemark (aus dem Hause der Grafen von Oldenburg, Schwestersohn Adolfs VIII. von Holstein) wird von den Ständen von Schleswig-Holstein nach dem Aussterben des Schauenburgischen Hauses zum Herzog erwählt, nachdem er die Waldemarsche Konstitution beschworen hat. Personal-Union mit Dänemark bis 1863.

Als Unionskönig kann Christian I. die Herrschaft über Schweden gegen den dort erwählten Reichsvorsteher Sten Sture nicht behaupten, doch wird unter seinem Nachfolger Johann die Union der drei Reiche wieder hergestellt.

1500.

Schlacht bei Hemmingstedt; die Dithmarschen, wie die Stedinger (S. 188), eine Art Bauernrepublik unter dem Schutze des Stiftes Bremen, behaupten ihre Freiheit gegen das dänisch-holsteinische Adelsheer.

Rußland, nach dem Tode Wladimirs des Großen (S. 170) in mehrere Fürstentümer geteilt unter Oberhoheit des Großfürsten von Kiew, kommt 1237 unter die Herrschaft der Mongolen (S. 195). Der Chan der »Goldenen Horde« ernennt den Großfürsten und die Teilfürsten, empfängt von ihnen Tribut. Um 1330 wird Moskau Residenz des Großfürsten, als Kiew von den Litauern erobert worden ist.

1480.

Iwan III., der Große, Zar von Großrußland, Begründer der einheitlichen Monarchie, macht der Mongolenherrschaft ein Ende, nachdem er 1478 die mit der deutschen Hanse verbündete Republik Nowgorod unterworfen hat.

Polen, seit etwa 840 unter Fürsten aus dem Hause der Piasten, christlich seit 965, oft in Kampf mit dem deutschen Reiche, mit den heidnischen Preußen (später dem Deutschen Orden) und mit Rußland. An Stelle der Teilfürstentümer begründet Wladislaw Lokietek 1320 ein einheitliches Königtum, Residenz Krakau.

1333–1370.

Kasimir der Große, trefflicher Regent, sorgt für den Bauernstand, gründet Städte, zieht deutsche[217] Ansiedler herbei. Ihm folgt sein Schwestersohn Ludwig der Große (s. unten) von Ungarn († 1382); dessen Tochter Hedwig vermählt sich 1386 mit dem bisher noch heidnischen Großfürsten Jagello von Litauen. Seitdem Polen und Litauen vereinigt unter den Jagellonen 1386–1572. Ludwigs zweite Tochter Maria, Erbin von Ungarn, mit dem deutschen König Sigismund vermählt (S. 203).

Preußen wird 1230–1283 in langem Kampfe von dem Deutschen Orden (s. S. 178f.) erobert; durch den Anschluß des in Livland vom Bischof von Riga gegründeten Schwertbrüderordens (1237) erweitert sich das Ordensgebiet über Kurland, Livland, Estland hin. Königsberg 1255 gegründet; seit 1309 die Marienburg Sitz des Hochmeisters. Blüte des Ordens unter Winrich von Kniprode (1351–1382), dann allmählicher Verfall. Verhängnisvoll für den Orden wurde die Vereinigung Litauens mit Polen 1386.

1410.

Schlacht bei Tannenberg, Sieg der Polen über den Orden. Heinrich von Plauen verteidigt die Marienburg, schließt als Hochmeister den noch günstigen ersten Frieden zu Thorn, wird aber 1413 von den Ordensrittern abgesetzt. Unzufriedenheit des Landadels und der Städte mit der Ordensherrschaft, sie treten in Verbindung mit Polen. Neuer Krieg 1454, König Kasimir II. erobert 1457 die Marienburg und behauptet sie in heftigem Kampfe 1460; der Hochmeister zieht sich nach Königsberg zurück.

1466.

Zweiter Friede zu Thorn: Westpreußen mit Ermeland an Polen abgetreten, Ostpreußen bleibt dem Orden als polnisches Lehen.

In Livland behauptet ein Teil des Ordens unter dem Landmeister Wolter von Plettenberg (1494–1535) seine Unabhängigkeit gegen Rußland.

Ungarn gegen Ende des 9. Jahrhunderts von den Magyaren (S. 158, 160) in Besitz genommen, bis 1301 unter dem Regentenhause der Arpaden. Einführung des Christentums durch Herzog Geisa und seinen Sohn Stephan den Heiligen, ersten König von Ungarn (S. 163). Einwanderung zahlreicher Deutscher, namentlich in Siebenbürgen unter König Geisa II. um 1150. Bildung einer mächtigen Aristokratie (Magnaten). Die Goldene Bulle, dem Könige Andreas II. 1222 nach seiner Rückkehr von einem Kreuzzuge (S. 177) abgenötigt, bildet die Grundlage der Privilegien des ungarischen Adels.

Nach dem Erlöschen der Arpaden regiert in Ungarn das Haus Anjou (1308–1382), Blütezeit unter Ludwig dem Großen (1342–1382, s. oben), der 1370 auch den polnischen Thron besteigt.

Unter König Sigismund, Ludwigs d. Gr. Schwiegersohn aus dem Hause Luxemburg (1387–1437), beginnender Verfall[218] des Reiches. Albrecht von Österreich 1438–1439, dann 1440 Wladislaw III. von Polen gewählt, der bei Varna 1444 gegen die Türken fällt, darauf Albrechts unmündiger Sohn Ladislaus Postumus (vgl. S. 206). Der Reichsverweser Johann Hunyadi besiegt die Türken bei Belgrad 1456; sein Sohn Matthias Corvinus wird zum König erwählt. Nach dessen glänzender Regierung (1458–1490) wird Ungarn unter Wladislaw, dem Sohn Kasimirs IV. von Polen, mit Böhmen vereinigt und dem Erzherzog Maximilian (S. 206) die Nachfolge zugesichert.

Reich der Osmanischen Türken, um 1300 durch Osman I. in Kleinasien begründet. Sein Sohn Urchan erobert 1330 Nicäa, bildet aus dem Knabenzins unterworfener christlicher Völker das Fußvolk der Janitscharen, unternimmt Landungen an der europäischen Küste. Murad I. macht Adrianopel 1365 zu seiner Residenz, unterwirft Bulgarien (S. 194).

1389.

Sieg Murads über die Serben auf dem Amselfelde bei Kossova; Serbien wird tributpflichtig (S. 172).

1396.

Sieg Bajazets I. bei Nikopoli an der Donau über ein großes Kreuzheer ungarischer, deutscher und französischer Ritter unter Führung König Sigismunds. Seitdem Schrecken des türkischen Namens im christlichen Abendlande.

Die weitere Entfaltung der osmanischen Macht wird vorübergehend gehemmt durch eine neue Erhebung der Mongolen in Asien unter Timur Lenk, welcher in gewaltigem Siegeszuge Persien (bei Ispahan 70000 Köpfe erschlagener Feinde zusammengeschichtet), das Indusland, Syrien, Kleinasien unterwirft. Bagdad zerstört. Hauptstadt seines Reiches Samarkand.

1402.

Schlacht bei Angora in Kleinasien; Bajazet besiegt und gefangen.

Nach Timurs Tode (1405) zerfällt sein Reich; die Osmanen stellen ihre Herrschaft in Kleinasien und der griechischen Halbinsel wieder her. Erste Belagerung von Konstantinopel 1422.

Die Donaugrenze wird von den Ungarn heldenmütig verteidigt. Öftere Verhandlungen der oströmischen Kaiser mit den Päpsten über Herstellung der kirchlichen Einheit (S. 176); die Beschlüsse des (in Ferrara 1438 eröffneten) Unionskonzils zu Florenz 1439 werden in Konstantinopel von der Geistlichkeit und dem Volke nicht angenommen. Papst Eugen IV. läßt das Kreuz predigen gegen die Türken, aber die Schlacht bei Varna (s. oben) lähmt den Kriegseifer. Sultan Mohammed II. macht dem oströmischen Reiche ein Ende durch die

1453.

Eroberung Konstantinopels.

29. Mai.

Tapfere Verteidigung durch den letzten Kaiser Konstantin XII. und den Genuesen Giustiniani. Griechische Gelehrte flüchten nach Italien (s. S. 211).[219]

Athen wird 1456 von den Türken besetzt, die Halbinsel Morea 1460 verwüstet. In Albanien leistet Georg Castriota (Skanderbeg) tapferen Widerstand, † 1467. Bosnien und die Walachei werden 1462–1464 unterworfen, bald auch Albanien. Belgrad (S. 218) bleibt noch bis 1521 (s. unten) ungarische Grenzfeste.

1463–1479.

Seekrieg der Venetianer gegen die Türken; sie behalten Kandia, Korfu und mehrere Plätze in Morea, verpflichten sich aber zur Tributzahlung, um ihren Handel zu behalten.

1480.

Rhodus von den Johannitern rühmlich verteidigt. Sultan Bajazet II. überläßt 1489 den Venetianern die Insel Cypern (Katharina Cornaro, Gemahlin des letzten Fürsten aus dem Hause Lusignan, s. S. 175), vertreibt sie aber 1500 aus Morea. Kriegszug nach der Moldau 1497.

Sultan Selim I. unterwirft 1515–1517 Mesopotamien, Syrien und Ägypten. Die Ausbreitung der Türkenherrschaft versperrt die alten Handelswege nach Indien.

Die von den Türken dem christlichen Europa drohende Gefahr steigert sich unter Sultan Soliman II., der 1521 Belgrad erobert (vgl. S. 230).

In Persien erst 1505 die Mongolenherrschaft beseitigt und eine einheimische Dynastie wieder eingesetzt. Begründung des neupersischen Reiches. 1582–1627 regiert der Schah Abbas der Große. Residenz Ispahan.

In Indien begründet Baber, ein Nachkomme Timurs, 1525 das Reich des Großmogul; Hauptstadt Delhi. Blüte dieses Reiches unter Dschelaleddin Mohammed (Akbar) 1556–1605.

In China unter der Ming-Dynastie (1368–1644) wird die bis 1911 noch geltende Regierungsform ausgebildet. Der Kaiser, »der Sohn des Himmels«, besitzt unumschränkte Gewalt über alle Untertanen, ist geistliches Oberhaupt, höchster Richter und Anführer im Kriege. Er genießt abgöttische Verehrung (Kotau). Strenges Zeremoniell. Gelbe Kleidung äußeres Zeichen seiner Würde. Der Nachfolger von ihm aus seinen Söhnen gewählt, falls diese fehlen, aus den nächsten Verwandten. Dem Kaiser stehen Minister zur Seite, auf deren Anregung und Verantwortung er die Gesetze erläßt. In Wirklichkeit jedoch ist die Regierung des Reiches der Mitte in eine Willkürherrschaft der Provinzvorstände (Vizekönige) ausgeartet.

Japan, wohin um die Mitte des 6. Jahrhunderts nach Chr. von China aus (über Korea) der Buddhismus und zugleich chinesische Civilisation gekommen, wird aus einem Geschlechterstaat in einen Beamtenstaat nach chinesischem Muster umgewandelt. Der Mikado wird unumschränkter Herrscher des[220] Reiches. Hauptstadt Kioto. Der Großkanzler (Daijo Daijin) und die Minister führen die Regierung des Landes, die Provinzen von Statthaltern verwaltet. Alle Beamten mit erblichem Landbesitz ausgestattet. Einzelne Familien sichern sich den erblichen Besitz der wichtigsten Ämter. So bildet sich ein Hausmeiertum aus. Der Mikado von den Ministern, die Provinzialstatthalter von den Großgrundbesitzern in den Provinzen, d. h. von den Ministern allmählich bei Seite geschoben. Militär- und Zivilgewalt getrennt. Der Oberfeldherr des aus den Hörigen der mächtigsten Geschlechter hervorgegangenen Soldatenstandes, der Shogun, bringt schließlich auch das Amt des Großkanzlers in seinen Besitz. Nach langen erbitterten Kämpfen fällt das Shogunat, d. h. der Inbegriff aller Regierungsgewalt, der Familie der Minamoto zu. Der Kaiser in Kioto in strenger Abhängigkeit gehalten, bleibt nur im Besitz gewisser Ehrenrechte. Residenz der Shogune in Kamakura.

1275.

Vergebliche Expedition des Mongolenfürsten Kublai-Chans zur Unterwerfung Japans. Eine zweite Flotte gleichfalls zurückgeschlagen, durch einen Taifun völlig vernichtet (S. 195). Gegen Ende des 15. Jahrhunderts werden die Militärgouverneure in den Provinzen (Shugo) nach Beseitigung der Statthalter unabhängige Territorialherren (Daimyo).[221]

III. Neuere Geschichte.

A. Von der Entdeckung Amerikas bis zum Westfälischen Frieden. (1492–1648.)

§ 1. Erfindungen, Entdeckungen u. Kolonien.

Drei noch dem Mittelalter angehörige Erfindungen, die mit dem Beginn der neueren Zeit zu allgemeinerer Anwendung kommen, sind auf die Umgestaltung der Welt von großem Einfluß gewesen. 1. Der Kompaß (um 1310 durch Flavio Gioja von Amalfi erfunden?), fördert Sicherheit der Schiffahrt und ermöglicht die Entdeckungsfahrten. 2. Das Schießpulver, wahrscheinlich aus Asien (China, Indien, Arabien) nach Europa gekommen, nach einer unhaltbaren Überlieferung erfunden durch den Mönch Berthold Schwarz zu Freiburg im Breisgau (1354?), jedenfalls um die Mitte des 14. Jahrhunderts in Europa zuerst angewendet. Durch diese Erfindung eine allmähliche Umgestaltung des Kriegswesens und der Untergang des Rittertums herbeigeführt (S. 226). 3. Die Buchdruckerkunst (S. 206), allgemeiner verbreitet, seitdem sich nach der Eroberung von Mainz (1462 in der Pfälzer Fehde, s. S 206) die Gehilfen Fusts in verschiedene Länder zerstreut hatten, das wichtigste Mittel zur Verbreitung geistiger Bildung, Förderung des Humanismus und der Reformation.

1492.

Entdeckung Amerikas durch Columbus.

Cristoforo Columbo (er selbst nannte und schrieb sich, seit er Spanier geworden, stets Cristobal Colon), aus Genua, seit seiner frühesten Jugend Seefahrer, will einen westlichen Seeweg nach Indien und namentlich nach der Wunderinsel Zipangu (Japan) suchen, welche der Venetianer Marco Polo (Reisen von 1271–1295, S. 206) in dem Buche Mirabilia mundi beschrieben hatte. Vom Könige von Portugal abgewiesen, tritt Colon 1486 in den Dienst der Königin Isabella von Kastilien (S. 214). Erst nach der Einnahme Granādas werden notdürftige Mittel für das große Unternehmen beschafft. Vertrag mit Colon, dem der Adel, die erbliche Würde eines Admirals und Vizekönigs und ⅒ der Einkünfte der neuen Länder zugestanden werden. Er unternimmt 4 Reisen.

Erste Reise 1492. Abfahrt von Palos mit 3 kleinen Schiffen am 3. Aug. 1492, von den Kanarischen Inseln am 6. September.[222] Am 12. Oktober Landung auf Guanahani (San Salvador), einer von den Bahama-Inseln. Entdeckung von Cuba und Haïti; erste Kolonie Española auf Haïti gegründet.

Zweite Reise 1493–1496 von Cadiz aus. Entdeckung der Kleinen Antillen und der Insel Jamaika; Niederwerfung des Aufstandes in Española.

Dritte Reise 1498–1500. Trinidad und das Festland von Südamerika[41] (die Mündung des Orinoko) entdeckt; dann Fahrt nach Española. Colon, als Ausländer, auch durch Härte und nicht abzuleugnende Habsucht verhaßt, wird bei Hofe angeklagt. Bobadilla, mit Vollmacht als Oberrichter nach der Kolonie gesendet, schickt ihn in Ketten nach Spanien. Dort wird Colon sofort in Freiheit gesetzt und mit Auszeichnung behandelt, behält auch die Admiralswürde, wird aber als Statthalter durch Ovando ersetzt.

Vierte Reise 1502–1504. Küste von Honduras entdeckt, Schiffbruch, trauriger Aufenthalt bei den Wilden auf Jamaika, endlich Rückkehr von Haïti aus.

Columbus stirbt in Valladolid 1506, ohne zu wissen, daß er einen neuen Erdteil entdeckt hat; er hielt jene Länder für Teile Asiens (Indien). Sein Sohn Diego Colon, 1509 Admiral und Vizekönig von Española († 1526). Die Admiralswürde vererbt sich auf seinen Enkel und Urenkel.

Der gelehrte Florentiner Amerigo Vespucci gibt nach mehreren Fahrten mit den Portugiesen nach Südamerika (die Küste von Venezuela durch den Spanier Hojeda entdeckt) Karten und Beschreibungen der neu entdeckten Länder heraus. Nach ihm, nicht durch ihn erhält der neue Erdteil den Namen Amerika.

1498.

Seeweg nach Ostindien von Vasco da Gama entdeckt. Die Portugiesen behalten die schon seit längerer Zeit von ihnen verfolgte Richtung der Entdeckungsfahrten (S. 215) bei; Vasco da Gama landet um Weihnachten 1497 an der Costa Natal, dann in Melinde; von da gelangt er unter Führung eines arabischen Lotsen nach Calicut an der Küste Malabar.

1500.

Brasilien entdeckt von Cabral, dessen Schiffe bei der zweiten Fahrt nach Indien in die westliche Meeresströmung geraten; er landet dann in Calicut und Cotschin.

1505–1515.

Begründung portugiesischer Kolonien in Asien durch die Vizekönige Almeida und Albuquerque.[223] Hauptort Goa, andere Ansiedlungen in Diu, Malakka, Ceylon, Macao (der Dichter Camoëns 1555).

1513.

Der Spanier Balboa dringt vom Meerbusen von Darien aus zum Stillen Ozean vor.

1515.

Der Spanier Diaz de Solis erreicht die La Plata-Mündung.

1519–1522.

Erste Erdumsegelung unter Ferdinand Magalhães (spr. Magaliängs), einem in spanische Dienste getretenen Portugiesen. Durchfahrt nach dem Stillen Ozean durch die Magalhãesstraße. Er selbst wird 1521 auf einer der Philippineninseln erschlagen (S. 215).

1519–1521.

Eroberung von Mexiko durch Hernan Cortez. Dieser segelt mit 600 spanischen Soldaten von Cuba nach dem Hafenort Veracruz, wo er seine Schiffe versenkt. Dann marschiert er mit den Tlaskalanern verbündet auf Mexiko, die Residenz des Königs der Azteken, Montezuma, der ihn in die Stadt einläßt. Er nimmt den König in seinem Palast gefangen. Infolgedessen Aufstand der Mexikaner, Tod Montezumas. Die Spanier verlassen die Stadt, nächtlicher Kampf auf einem der Dämme des Sees, furchtbare Verluste (Noche triste). Sieg der Spanier. Von Tlaskala, wohin er sich zurückgezogen, kehrt Cortez bald mit Verstärkungen vor die Hauptstadt zurück. Einnahme von Mexiko nach hartnäckigem Belagerungskampf 1521. Der König Guatmotzin hingerichtet. Cortez anfangs unumschränkter Statthalter von »Neuspanien«, dann auf die militärische Oberleitung beschränkt, entdeckt Kalifornien 1535, stirbt in Spanien 1547.

1532.

Eroberung von Peru durch Pizarro.

Die »Conquistadoren« (Eroberer) finden in dem silberreichen Peru, wie in Mexiko, eine schon lange bestehende einheimische Kultur vor. Adelsherrschaft bei den Inkas, die sich »Söhne der Sonne« nannten. Sonnentempel in der Hauptstadt Cuzko, reich mit Gold geschmückt. Pizarro nimmt den König Atahualpa vor seinem Heere gefangen und läßt ihn, nachdem er ein ungeheueres Lösegeld von ihm erpreßt hat, hinrichten. Gründung von Lima 1535, Fehden zwischen den spanischen Anführern. Pizarros Nebenbuhler Almagro, aus Chile zurückgekehrt, wird 1538 von ihm besiegt und hingerichtet, er selbst von dessen Freunden 1541 in einem Aufstande erschlagen. Die Krone übernimmt die Verwaltung des Landes 1548.

Drei spanische Vizekönigreiche: Mexiko, Peru, Neu-Granada, später ein viertes für das La Plata-Gebiet; für die westindischen Inseln das Generalkapitanat Cuba.

China und Japan werden den Portugiesen im 16. Jahrh. gleichfalls geöffnet (Ningpo, Macao), später auch den Spaniern[224] und Niederländern (Formosa). Der Handelsverkehr mit Europa von den Daimyo in Japan (S. 220) sehr begünstigt. Das Christentum (schon Papst Clemens V. hatte 1307 ein Erzbistum in Peking und 1313 ein Bistum in Zeitun eingerichtet) (S. 195), findet in China (Jesuiten Franz Xaver, Ruggieri) und ebenso in Japan schnell Verbreitung.

Folgen der Entdeckungen.

1. Die Ausbreitung des Christentums und der europäischen Kultur über die ganze Erde ist ermöglicht. 2. Aufschwung von Handel und Gewerbe durch die Verwertung der überseeischen Erzeugnisse, Sinken des Geldwertes durch die Ausbeutung der Gold- und Silberbergwerke in Südamerika. 3. Bereicherung der Wissenschaften, besonders der Geographie und Naturkunde. 4. Im europäischen Staatensystem kommen die Seemächte durch den Besitz von Kolonien zu besonderer Geltung. Spanien und Portugal treten jedoch am Ende des 16. Jahrh. zurück gegen die Niederlande und England. 5. Auswanderung aus den übervölkerten Teilen Europas nach Amerika.

§ 2. Die Reformation in Deutschland.

1493–1519.

Maximilian I. zieht nicht mehr zur Krönung nach Rom, nennt sich »erwählter römischer Kaiser«.

1495.

Reform der Reichsverfassung durch die Beschlüsse des Reichstags zu Worms: Ewiger Landfriede, Reichssteuer (gelangt nicht zu bleibender Einführung), Reichskammergericht (erst in Frankfurt, dann in Speier, seit 1693 in Wetzlar). Besserung der Rechtsprechung durch Annahme des römischen Rechts (S. 147), welches seit Friedrich I. (S. 183) noch immer als kaiserliches Recht galt.

Auf den Reichstagen werden, nachdem die Berufung der Reichsstädte (seit 1487) üblich geworden ist, die kaiserlichen Vorschläge in 3 Kollegien beraten: Kurfürsten, Fürsten (geistliche und weltliche), Reichsstädte. Der Kaiser verkündet die Beschlüsse im Reichsabschied.

1512.

Reichstag zu Köln, Einteilung des deutschen Reiches in 10 Landfriedenskreise:

1. der österreichische, 2. bayrische, 3. schwäbische, 4. fränkische (Maingebiet, Burggrafschaft Nürnberg), 5. oberrheinische (Lothringen, Hessen u. a.), 6. kurrheinische (Mainz, Trier, Köln, Pfalz), 7. burgundische (Niederlande), 8. westfälische, 9. niedersächsische (Braunschweig, Lüneburg, Lauenburg, Holstein, Mecklenburg u. a.), 10. obersächsische (Sachsen, Brandenburg, Pommern u. a.).

Böhmen (mit seinen Nebenländern Mähren, Schlesien, Lausitz) und die Schweiz bleiben außerhalb der Kreisver[225]fassung; das Ordensland Preußen steht unter polnischer Oberhoheit (S. 217).

Wenig erfolgreiche Teilnahme Maximilians an den italienischen Kriegen (S. 285, 239); Mailand kommt an Frankreich, die Schweiz wird tatsächlich unabhängig vom deutschen Reiche, da den Eidgenossen (seit 1501 dreizehn Orte, außerdem die »zugewandten Orte«) Freiheit von Reichssteuern und vom Reichskammergericht zugestanden wird (S. 260).

Bildung der habsburgischen Hausmacht. Durch Verträge und Heiraten gewinnt Maximilian seinem Hause die Herrschaft über Spanien mit seinen Nebenländern, sowie über Böhmen und Ungarn.

Maximilian I.,        Maria         Ferdinand,        Isabella,
Kaiser,               v. Burgund,   K. v. Aragon,     K. v. Kastilien,
†1519.                †1482.         †1516.              †1504
|____________________________|         |__________________|
             |                                   |
 Philipp der Schöne,          Johanna die Wahnsinnige,
 Erzhz. v. Österr., †1506.          K. v. Aragon u. Kast., †1555.
 |___________________________________________________|
                                    |
 Karl V. (I.), †1558,            Ferdinand I., †1564,
 Gem. Isabella v. Portugal               Gem. Anna von Ungarn.
             |                                   |
 Philipp II., K. v. Spanien.      Maximilian II., Kaiser,
 †1598.                                 †1576.

Maximilians Sohn, Erzherzog Philipp, heiratet Johanna, die Erbin der spanischen Monarchie (Aragon, Kastilien, Neapel [s. S. 235] und die amerikanischen Kolonien), nimmt 1504 den Titel König von Kastilien an, stirbt aber, ehe sein Anspruch mit dem Recht König Ferdinan/ds auf die Regentschaft über Kastilien ausgeglichen ist (S. 241).

Philipps ältester Sohn Karl, 1516 König des vereinigten Spaniens, erbt 1519 von Maximilian die habsburgischen Erblande (Österreich, Steiermark, Kärnten, Krain, Vorderösterreich am Oberrhein, Tirol) und die Niederlande, überträgt die ersteren 1521 bezw. 1522 an seinen Bruder Ferdinand. Dieser heiratet Anna, Schwester Ludwigs II., des letzten Königs von Böhmen und Ungarn (dessen Gemahlin Maria ist Ferdinands Schwester) und erwirbt 1526 die Herrschaft über Böhmen und Ungarn (S. 207, 230).

Die Umbildung des Rechts unter dem beherrschenden Einfluß des römischen (S. 224) bewirkt in Deutschland allmählich eine Stärkung der fürstlichen Gewalt. Das römische Recht, das der jetzt allgemein durchgeführten Geld Wirtschaft mehr entspricht als das der früheren Naturalwirtschaft angepaßte deutsche Recht, mißt den Landesherren unumschränkte Gewalt zu (S. 183), schließt das Volk und den Adel von der Teilnahme an der Rechtsprechung und Verwaltung aus und überträgt diese den römisch gebildeten Juristen. So bildet sich im Laufe der Zeit überall der fürstliche Absolutismus aus, wie ihn in Italien Friedrich II.[226] begründete (S. 187). In Deutschland werden die Fürsten nach und nach absolute Territorialherren, deren Selbständigkeit die Kaiser nicht zu bezwingen vermögen. Unter dem Einfluß des römischen Rechts wird auch die Erstgeburtserbfolge und die Aufhebung der Landesteilungen allmählich durchgeführt, z. B. für Brandenburg in der Constitutio Achillea von 1473, für Bayern 1506 usw.

An die Stelle des alten ritterlichen Lehnsaufgebots tritt das Söldnerheer (Landsknechte), das weniger durch den Fahneneid als durch die Soldzahlung an die Fürsten gekettet (vgl. S. 229), die sicherste Stütze des Absolutismus wird. Der Unterhalt dieser stehenden Heere durch Steuern aufgebracht, deren Bewilligung den Landständen (Vertretung der Geistlichkeit, der Vasallen und Städte) vorbehalten bleibt.

Das Rittertum verliert den militärischen Vorrang seit der Einführung der Feuerwaffen an die Landsknechte und die bürgerliche Artillerie. Die Burgen gewähren keinen sicheren Schutz mehr. Infolge der veralteten Art der Bewirtschaftung (Dreifelderwirtschaft) ist der Ackerbau unrentabel geworden, zumal im Verhältnis zu den städtischen Erwerbszweigen. Hierdurch und durch die fortgesetzten Erbteilungen der Adelsgüter verschlechtert sich auch die materielle Lage der Ritter. Daher Erhöhung der Leistungen und Abgaben der Bauern, die infolge der Bevölkerungszunahme auch vielfach die Hufen teilen müssen, da sie von jedem gewerblichen Betrieb der Bürger ausgeschlossen sind. In den Städten blühen Handel und Gewerbe. Ansammlung großer Kapitalien in den Händen der patrizischen Geschlechter, z. B. der Welser und Fugger in Augsburg (S. 234). Blüte der Kunst und Literatur. Pflege des Meistergesanges (Hans Sachs in Nürnberg). In den Städten geordnete Verwaltung, Sorge für Unterricht, Arme und Kranke, während der fürstliche Staat für die Volkswohlfahrt wenig leistet, weil es ihm an Beamten fehlt.

Aufblühen der Wissenschaften und Künste in Deutschland, angeregt durch den von Italien aus sich verbreitenden Humanismus (S. 211). Deutsche Humanisten: Johann v. Dalberg, 1483 Kanzler der Universität Heidelberg und Bischof von Worms, Konrad Celtis, 1497 Prof. in Wien, Wilibald Pirkheimer, Ratsherr in Nürnberg, Konrad Peutinger in Augsburg, Johann Reuchlin, Prof. in Tübingen, 1482 mit Graf Eberhard in Italien, 1502 Richter des schwäbischen Bundes (S. 206), gerät 1510 mit den Dominikanern von Köln in Streit über die Religionsbücher der Juden: viele Humanisten nehmen an dem Streit teil, namentlich der Ritter Ulrich von Hutten, als Mitverfasser der Epistolae obscurorum virorum 1516. Erasmus von Rotterdam, bekannt durch seine satirische Schrift Laus stultitiae, gibt 1516 das griechische Neue Testament heraus.[227]

Nikolaus Kopernikus (geb. zu Thorn 1473, Domherr zu Frauenburg am Frischen Haff, † 1543), angeregt durch die Schriften des Astronomen Johannes Müller von Königsberg in Franken (Regiomontanus, 1471 in Nürnberg, † 1476), begründet die richtige Lehre vom Sonnensystem, Seine Nachfolger Joh. Kepler aus Württemberg († 1630) und Galilei aus Pisa († 1642).

Blüte der bildenden Künste namentlich in Nürnberg: der Holzschnitzer Veit Stoß († 1533), der Bildhauer Adam Kraft († 1507), der Erzgießer Peter Vischer († 1529), der Maler Albrecht Dürer (geb. 1471, † 1528); in Augsburg die Maler Hans Holbein, Vater und Sohn, † 1524 im Elsaß, bezw. 1543 in London.

Auch die Baukunst strebte die Wiedergeburt der griechisch-römischen Bauweise im Anschluß an die erhaltenen Baudenkmäler an (Renaissancestil) (S. 211). In Deutschland vermischte sich der antike Stil vielfach mit nationalen, der Gotik entlehnten Elementen, z.B. Türmchen und Erkern. (Heidelberger Schloß.)

1517.

Beginn der Reformation durch Luther.

Martin Luther, geb. 10. Nov. 1483 in Eisleben, Sohn eines Bergmanns, studiert seit 1501 in Erfurt, geht 1505 ins Augustinerkloster daselbst, wird 1508 Professor an der Universität Wittenberg, 1511 in Angelegenheiten seines Ordens nach Rom geschickt. Da der Dominikaner Johann Tetzel im Auftrage des Erzbischofs Albrecht von Mainz Ablaß verkaufend umherzieht, schlägt Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Sätze (Thesen) gegen den Mißbrauch des Ablasses an die Tür der Schloßkirche zu Wittenberg.

1518.

In der Schweiz Beginn der Reformation durch Ulrich Zwingli in Zürich, veranlaßt durch den Ablaßkrämer Bernardin Samson.

Luther, vor den Kardinal Thomas de Vio aus Gaëta (Cajetanus) nach Augsburg gefordert, weigert sich zu widerrufen, appelliert an den Papst.[42] Vermittelung durch den päpstlichen Kämmerer v. Miltitz (Gespräch zu Altenburg). Luther geschützt von Kurfürst Friedrich dem Weisen von Sachsen (Ernestinische Linie des Hauses Wettin), während Herzog Georg (Albertinische Linie) ihm abgeneigt bleibt.[43] Philipp Melanchthon[228] (Schwarzerd), ein Verwandter Reuchlins, geb. 1497 zu Bretten in Baden, seit 1518 als Professor in Wittenberg, Luthers Mitarbeiter († 1560).

1519.

Disputation zu Leipzig; Joh. Eck, Prof. zu Ingolstadt, gegen Karlstadt (Andreas Bodenstein aus Karlstadt) und Luther. Letzterer bekennt, daß Papst und Konzilien nicht unfehlbar seien, und daß sich in Hussens Lehre viel Wahres finde. Das war der Bruch mit Rom. Eck reist darauf nach Rom und erwirkt eine päpstliche Verdammungsbulle gegen 41 Artikel aus Luthers Schriften.

1520.

Luther veröffentlicht 3 reformatorische Schriften: 1. An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung, 2. Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche, 3. Von der Freiheit eines Christenmenschen, verbrennt die päpstlichen Dekretalen und die Bannbulle vor dem Elstertore zu Wittenberg.

1519–1556.

Karl V., Enkel Maximilians, abwesend gewählt von den in Frankfurt versammelten Kurfürsten, 1520 in Aachen gekrönt. Friedrich der Weise hatte die Kaiserkrone wegen hohen Alters abgelehnt.

1521. 18. April

Reichstag zu Worms. Luther verteidigt seine Lehre vor dem Kaiser, der ihm das freie Geleit hält. Doch wird er in die Reichsacht erklärt und auf Befehl Friedrichs des Weisen aus Vorsicht auf die Wartburg gebracht. Das Wormser Edikt verbietet alle Neuerungen. — Luther beginnt die Bibelübersetzung (vollendet 1534). Er kehrt auf die Nachricht von Karlstadts Unordnungen nach Wittenberg zurück (Frühjahr 1522) und predigt gegen die Bilderstürmer, richtet dann den Gottesdienst mit deutscher Predigt und Abendmahl unter beiderlei Gestalt in Kursachsen ein. Die Ausbreitung der Reformation in Deutschland wird dadurch gefördert, daß Karl V. bald nach Spanien zurückkehrt und dann durch Kriege mit Franz I. von Frankreich in Anspruch genommen ist.

1522–1523.

Reichstag zu Nürnberg. Die Durchführung des Wormser Edikts für unmöglich erklärt. Die Berufung eines Konzils verlangt.

1522–1523.

Ritterkrieg im Rheinlande. Franz von Sickingen an der Spitze eines Ritterbundes gegen die geistlichen Fürstentümer, belagert vergeblich Trier, wird in seiner Burg Landstuhl (bei Kaiserslautern) eingeschlossen und fällt. Sein Freund Ulrich von Hutten stirbt als Flüchtling auf der Insel Ufnau im Zürchersee.

1524–1525.

Bauernkrieg in Schwaben und Franken, begleitet von furchtbaren Greueln. Die 12 Artikel der Bauern fordern Wahl der Pfarrer durch die Gemeinde, Beschränkung der Abgabe des Zehnten auf den Kornzehnt, Aufhebung der[229] Leibeigenschaft, Freiheit der Jagd und des Fischfanges u. a. Luther ermahnt anfangs zum Frieden, schreibt dann heftig »wider die mördischen und raubischen Bauern«. Die Aufständischen werden geschlagen (namentlich bei Königshofen a. d. Tauber) und blutig bestraft. — Die Wiedertäufer in Thüringen mit den Bauern verbündet; sie werden bei Frankenhausen geschlagen, ihr Führer Thomas Münzer mit 25 anderen Anführern in Mühlhausen in Thüringen hingerichtet.

1525.

Kurfürst Friedrich der Weise †. Ihm folgt sein Bruder Johann der Beständige (1525–1532). Reformation in Preußen. Hochmeister Albrecht von Brandenburg wird Herzog in Preußen unter polnischer Lehnshoheit.

Luthers Vermählung mit Katharina von Bora. Kirchenvisitation in Sachsen, Sorge für die Schulen, Katechismus 1529.

1521–1526.

Erster Krieg Karls V. gegen Franz I. von Frankreich. Karl erhebt Ansprüche auf Mailand und das Herzogtum Burgund (S. 206), Franz auf das spanische Navarra und auf Neapel (S. 235). Die Franzosen werden aus Mailand vertrieben, welches Franz Sforza (S. 210) 1522 erhält. Der französische Connétable Karl von Bourbon geht zu Karl V. über. Mißglückter Einfall der Franzosen in Italien (1523–1524, auf dem Rückzuge fällt Bayard, S. 235), darauf Einfall der Kaiserlichen in das südliche Frankreich. Franz I. geht über den Mont Cenis, nimmt Mailand wieder.

1525.

Schlacht bei Pavīa, Sieg der Spanier unter Pescara und der deutschen Landsknechte unter Georg von Frundsberg; Franz I. gefangen.

1526.

Friede zu Madrid. Franz entsagt allen Ansprüchen auf Mailand und Neapel, sowie der Lehnshoheit über Flandern und Artois, willigt in die Herausgabe des Herzogtums Burgund, stellt seine Söhne als Geiseln. Gleichzeitig zeichnet er einen feierlichen Protest gegen den Frieden auf, läßt sich dann vom Papst von seinem Eide lösen und erklärt die in Madrid beschworenen Bedingungen als erzwungen für nichtig. Papst Clemens schließt (Mai 1526) mit Frankreich, Venedig, Florenz und Mailand die Heilige Liga von Cognac gegen Karl V.

1526.

Erster Reichstag zu Speier. Die Evangelischen, an der Spitze Kurfürst Johann der Beständige von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen, erwirken einen der Ausbreitung der neuen Lehre günstigen Reichsabschied.

1527–1529.

Zweiter Krieg zwischen Karl V. und Franz I. Das kaiserliche (nicht bezahlte und aufrührerische) Heer unter dem Connétable von Bourbon nimmt Rom mit[230] Sturm, Bourbon fällt, der Papst wird in der Engelsburg belagert (1527), doch erfolgt bald die Aussöhnung mit dem Hofe zu Madrid. Vergeblicher Einfall der Franzosen in Neapel.

1529.

Damenfriede zu Cambrai. Margarete von Österreich, Tante Karls, und Luise von Savoyen, Mutter des Königs von Frankreich. Letzterer zahlt 2 Millionen Kronen und entsagt den Ansprüchen auf Italien. Karl verspricht seine Ansprüche auf Burgund für jetzt nicht geltend zu machen und entläßt die französischen Prinzen.

1529.

Zweiter Reichstag zu Speier, wo Ferdinand (S. 225) und die katholische Partei infolge der siegreichen Machtstellung des Kaisers energischer auftreten. Der Reichstagsbeschluß von 1526 wird aufgehoben. Strenge Durchführung des Wormser Edikts in den evangelischen Territorien beschlossen. Hiergegen protestieren die evangelischen Stände (daher Protestanten genannt). Darauf Religionsgespräch zu Marburg zwischen Luther und Zwingli. Einigung über 14 Artikel, doch nicht über die Lehre vom Abendmahl.

1526–1532.

Krieg mit den Türken. Sultan Soliman II., welcher 1522 die Johanniter (S. 219) aus Rhodus vertrieben hat, fällt in Ungarn ein; König Ludwig II. von Ungarn und Böhmen † in der Schlacht bei Mohacz (1526). Eine Partei des ungarischen Adels wählt Ferdinand, Karls Bruder, die andere Johann Zapolya von Siebenbürgen, zu dessen Schutze Soliman abermals erscheint, jedoch Wien vergeblich belagert (1529).

1530.

Karl V. in Bologna gekrönt; letzte Krönung eines deutschen Kaisers durch den Papst.

Glänzender Reichstag zu Augsburg unter persönlichem Vorsitz des Kaisers. Überreichung der von Melanchthon verfaßten Augsburgischen Konfession (Confessio Augustana). Der Reichsabschied gebietet die Aufhebung aller Neuerungen. Deshalb

Dez.

Schmalkaldischer Bund der meisten protestantischen Fürsten und Reichsstädte.

1531.

Treffen bei Kappel; die Züricher von den katholischen Waldkantonen geschlagen, Zwingli †, doch behauptet sich seine Lehre.

Karl V. läßt seinen Bruder Ferdinand in Köln zum römischen König wählen und in Aachen krönen. Der Kurfürst von Sachsen protestiert im Namen der Evangelischen dagegen. Infolge der von neuem drohenden Türkengefahr kommt zustande der

1532.

Religionsfriede zu Nürnberg. Den Protestanten wird bis zu einem allgemeinen Konzil freie Religionsübung zugestanden.[231]

Soliman II. fällt verheerend in Ungarn ein. Heldenmütige Verteidigung von Güns. Ein großes Reichsheer sammelt sich bei Wien, Soliman geht zurück. Karl V. reist wieder nach Spanien.

1534–1535.

Unruhen der Wiedertäufer in Münster (Jan Matthys aus Harlem, dann Johann Bockelson aus Leyden, »König von Zion«).

1534.

Landgraf Philipp von Hessen führt den 1519 vom schwäbischen Bunde vertriebenen (lutherischen) Herzog Ulrich von Württemberg in sein Herzogtum zurück, mit welchem der Kaiser seinen Bruder Ferdinand belehnt hatte. Dieser verzichtet im Frieden zu Kadan auf den ferneren Besitz Württembergs, wird dafür von den Evangelischen als römischer König anerkannt. Landgraf Philipp leistet darauf dem Bischof von Münster Hilfe zur Unterwerfung der Stadt; Johann von Leyden nebst anderen Anführern grausam hingerichtet.

Württemberg, Pommern, Anhalt und mehrere Reichsstädte treten dem Schmalkaldischen Bunde bei (1536).

1535.

Karls V. Zug gegen Tunis (Seeräuber Chaireddin Barbarossa). Tunis erobert und alle Christensklaven befreit.

1536–1538.

Dritter Krieg zwischen Karl V. und Franz I., letzterer erneuert seine Ansprüche auf Mailand nach dem Tode des Herzogs Franz Sforza. Er verbündet sich mit Soliman II., der Ungarn bedrängt und durch seine Flotte die Küste Italiens plündern läßt.

1538.

Waffenstillstand zu Nizza auf Grund des Besitzstandes. Darauf reist Karl V., um einen Aufruhr in seiner Geburtsstadt Gent zu bekämpfen, durch Frankreich, wo er von Franz I. ausgezeichnet empfangen wird.

Einführung der Reformation im Herzogtum Sachsen (Herzog Georg † 1539), im Kurfürstentum Brandenburg (1539), im Herzogtum Mecklenburg (1540).

1540.

Der Jesuiten-Orden, von dem Spanier Ignatius von Loyōla 1534 gestiftet zur Ausbreitung der katholischen Lehre, wird von Papst Paul III. bestätigt.

1541.

Reformation in Genf durch Johann Calvin. Jean Cauvin aus Noyon in der Picardie, geb. 1509, tritt 1532 in Paris als Reformator auf, findet Schutz bei Margarete von Navarra, Schwester Franz’ I. (S. 236). Aus Frankreich 1534 vertrieben, lebt Calvin abwechselnd in Basel, Genf, Straßburg, von 1541 bis zu seinem Tode 1564 in Genf. Die Anhänger Zwinglis schließen sich ihm allmählich an. Calvinische Kirchenverfassung: Die Gemeinde von den erwählten Geistlichen und Ältesten (Presbyterium) regiert, mehrere Gemeinden durch die Synode; strenge Kirchenzucht. Der Arzt Servet 1553 als Irrlehrer (De trinitatis erroribus) verbrannt.[232]

1541.

Verlängerung des Religionsfriedens auf dem Reichstag zu Regensburg in Gegenwart Karls V.

Soliman II. setzt in Ofen einen türkischen Pascha ein. Karls V. unglücklicher Zug nach Algier.

1542.

Vertreibung des Herzogs Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel durch den Schmalkaldischen Bund.

1542–1544.

Vierter Krieg Karls V. gegen Franz I., der wiederum mit Soliman II. verbündet ist. Der Kaiser unterwirft den Herzog von Cleve, der sich an Frankreich angeschlossen hat, und dringt bis Soissons vor.

1544.

Friede zu Crespy (spr. Crépi): Der Herzog von Orléans, zweiter Sohn des französischen Königs, soll eine kaiserliche Prinzessin heiraten und Mailand erhalten. Da er aber schon 1545 stirbt, so bleibt Mailand dem Kaiser, der es seinem Sohne Philipp zu Lehen gibt.

1545.

Hermann von Wied, Erzbischof von Köln, welcher Melanchthon zu sich berufen hatte, um in seinem Erzstift die Reformation einzuführen, wird vom Kaiser verwarnt und sucht Hilfe beim Schmalkaldischen Bunde.

1545–1563.

Kirchenversammlung zu Trient (Tridentum) in Tirol, von den Protestanten nicht beschickt, vom Papste zweimal vertagt. Kirchliche Reformen, zugleich genauere Feststellung der katholischen Lehre.

1546.

18. Febr. Tod Luthers in Eisleben.

1546–1547.

Schmalkaldischer Krieg. Karl V. will die reichsständische Selbständigkeit in Deutschland brechen und zugleich im Bunde mit dem Papste, der ihm Geld und Truppen sendet, die kirchliche Einheit wiederherstellen. Die Häupter des Schmalkaldischen Bundes, Johann Friedrich, Kurfürst von Sachsen, und Landgraf Philipp von Hessen werden in die Acht erklärt. Herzog Moritz von Sachsen, Philipps Schwiegersohn, schließt sich der Sache des Kaisers an.

1546.

Unentschlossene Kriegführung der Verbündeten an der Donau. Johann Friedrich wird durch einen Einfall des Herzogs Moritz in sein Land zur Rückkehr veranlaßt. Die süddeutschen Protestanten (Ulm, Augsburg, Straßburg, Herzog Ulrich von Württemberg u. a.) unterwerfen sich, Hermann von Wied wird aus Köln vertrieben. Karl V. zieht mit seinem aus Spaniern (Herzog Alba) und Italienern gebildeten Heere nach Sachsen, geht über die Elbe, schlägt in der

1547. 24. April.

Schlacht bei Mühlberg (auf der Lochauer Heide, bei Torgau) den Kurfürsten von Sachsen, nimmt ihn gefangen und zieht als Sieger in Wittenberg ein. Vergleich unter Vermittelung Joachims II. von Brandenburg. Die Kurwürde und die Kurländer kommen an die[233] Albertinische Linie des Hauses Wettin (Herzog Moritz); die Ernestinische Linie behält nur die thüringischen Gebiete (Weimar, Jena, Eisenach, Gotha u. a., S. 227). Philipp von Hessen unterwirft sich in Halle und wird, obgleich sich Moritz und Joachim II. für seine Freiheit verbürgt hatten, gefangen gehalten.

1548.

Auf dem Reichstag zu Augsburg dekretiert der Kaiser, da das Tridentiner Konzil vom Papste nach Bologna verlegt ist, das Interim, welches den Protestanten aufgezwungen werden soll. Einstweilen wird ihnen die Priesterehe und das Abendmahl unter beiderlei Gestalt zugestanden. Sonst soll Lehre und Kirchenverfassung im wesentlichen katholisch bleiben. Die Stadt Magdeburg, als Mittelpunkt des Widerstandes in die Reichsacht erklärt, wird vom Kurfürsten Moritz von Sachsen 1550–51 belagert, unterwirft sich ihm, ohne Glaubenszwang zu erleiden. Moritz, erbittert über die Behandlung seines Schwiegervaters und besorgt für seine Stellung und die »Libertät« aller deutschen Fürsten, rüstet heimlich gegen den Kaiser und nötigt ihn, nach Abschluß eines Bündnisses mit Heinrich II. von Frankreich, zur

1552.

Flucht aus Innsbruck. Das in Trient wieder versammelte Konzil vertagt sich und tritt erst 1562 wieder zusammen. In Passau tritt ein Fürstentag zusammen. König Ferdinand vermittelt den

Passauer Vertrag: Das Interim abgeschafft. Freilassung Philipps von Hessen, der Religionsfriede soll auf dem nächsten Reichstage festgestellt werden. Auch Kurfürst Johann Friedrich wird freigelassen.

1552.

Karl V. zieht mit Heeresmacht gegen Heinrich II. von Frankreich, welcher als Moritz’ Verbündeter die lothringischen Bistümer Metz, Toul und Verdun besetzt hat. Vergebliche Belagerung von Metz, welches Franz von Guise mit Erfolg verteidigt. Frankreich bleibt im Besitz der drei Bistümer, während das Herzogtum Lothringen nach wie vor beim deutschen Reiche bleibt.

1553.

Moritz siegt bei Sievershausen (unweit Hannover) über seinen bisherigen Verbündeten Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach (der den Passauer Vertrag nicht anerkennen will), wird aber tödlich verwundet.

Karl V. zieht sich verstimmt nach den Niederlanden zurück, überläßt die Herstellung des Friedens in Deutschland seinem Bruder Ferdinand.

1555.

Augsburger Religionsfriede. Die Landesherren und freien Städte, welche sich zur Augsburgischen Konfession bekennen, erhalten Religionsfreiheit und das Recht, in ihren Gebieten die Konfession ihrer Untertanen zu bestimmen: cuius regio, eius religio. Den andersgläubigen Untertanen soll[234] das Recht auszuwandern gewahrt bleiben. Zu Gunsten der katholischen Kirche geistlicher Vorbehalt (Reservatum ecclesiasticum), daß geistliche Reichsstände, welche protestantisch werden, Amt, Gebiet und Einkünfte verlieren sollen (S. 232). Die Evangelischen fügen sich dieser Bestimmung gegen eine Deklaration, daß evangelische Untertanen geistlicher Reichsstände bei ihrer Religion gelassen werden sollen. Die Reformierten sind von dem Frieden ausgeschlossen.

Wirkungen der Reformation.

Die von Deutschland ausgehende religiöse Bewegung führt in den meisten europäischen Ländern 1. zur Abschaffung kirchlicher Mißbräuche und Vertiefung des religiösen Lebens, 2. zu erhöhter Pflege der von den Fesseln der Kirche befreiten Wissenschaften, Verbesserung des Schulwesens, Verbreitung geistiger Bildung, 3. zur Stärkung der Gewalt der Territorialfürsten und durch den Gegensatz der Konfessionen zu politischen Kämpfen, in denen das europäische Staatensystem sich ausbildet.

Luthers Lehre verbreitet sich nach Dänemark, Schweden, Norwegen und den Ostseeprovinzen, Calvins Lehre (die reformierte Kirche) nach Frankreich, den Niederlanden, Schottland; in Deutschland findet sie namentlich im Kurfürstentum Pfalz (Heidelberger Katechismus 1563), in Hessen und Bremen Eingang.

Hebung des Wohlstandes in Deutschland, namentlich in den oberdeutschen Reichsstädten; die Kaufmannshäuser Fugger und Welser in Augsburg. Aufblühen der deutschen Literatur: Hans Sachs († 1576) in Nürnberg, Joh. Fischart in Straßburg († 1591); das protestantische Kirchenlied. Die Maler Lukas Kranach, Vater und Sohn, in Wittenberg, später in Weimar († 1553 bezw. 1586).

1550.

Abdankung Karls V. in Brüssel. Die Krone Spanien (mit den Kolonien), dazu Neapel, Mailand, Freigrafschaft Burgund und die Niederlande kommen an seinen Sohn Philipp, die Kaiserwürde an seinen Bruder Ferdinand I. (s. S. 225). Karl lebt in der Nähe des Klosters S. Just (in Estremadura, nördlich vom Tajo) als Privatmann (nicht Mönch), stirbt 1558.

§ 3. Frankreich.

1498–1589.

Häuser Orléans und Angoulême.

Nebenlinien des Hauses Valois (s. S. 208), deren Zusammenhang mit der Hauptlinie die folgende Stammtafel darstellt.[235]

Karl V. (dritter K. aus dem Hause Valois) †1380.
___________________|_______________________
Karl VI. †1422.            Ludwig, Hz. v. Orléans.
            |               Gem. Valentine Visconti.
            |               ______|__________________
Karl VII. †1461.           Karl, Hz.      Johann, Graf
            |               v. Orléans.    v. Angoulême.
            |                     |                 |
Ludwig XI. †1483.         Ludwig XII.     Karl, Graf v. Angoulême.
            |              †1515. Gem. Anna v.   Gem. Louise v. Savoyen.
            |              d. Bretagne, Witwe       |
            |              Karls VIII.              |
            |                  |                    |
Karl VIII. †1498.         Claudia.              Franz I. †1547.
Gem. Anna v. d. Bretagne.  _____________________________
                                        |
                           Heinrich II. †1559.
                           Gem. Katharina v. Medici.
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|                     |          |               |                |          |
Franz II.         Elisabeth, Karl IX.        Heinrich III.      Franz,      Margarete,
†1560. Gem.       Gem.       †1574.         (Hz. v. Anjou)      Hz. v.     Gem.
Maria Stuart.     Philipp II.                K. v. Polen.       Alençon.   Heinrich IV.
                  K. v. Spanien.             †1589.

Die französische Monarchie, nach Zeiten schwerer Erschütterung wieder erstarkt, beginnt schon unter Karl VIII. (S. 209) eine gegen Italien gerichtete Eroberungspolitik, doch ohne dauernden Erfolg.

1498–1515.

Ludwig XII. heiratet Anna von der Bretagne, Karls VIII. Witwe, um dieses Herzogtum bei der Krone zu erhalten, macht Ansprüche auf Mailand als Enkel von Valentine Visconti, verjagt den Herzog Ludovico Moro (aus dem Hause Sforza, s. S. 211), der, als er nach Mailand zurückkehrt, gefangen wird (1500).

1501.

Ludwig XII. erobert im Bunde mit Ferdinand dem Katholischen, König von Aragon, das Königreich Neapel. Spanier und Franzosen bald uneinig, die letzteren von dem spanischen Feldherrn Gonsalvo de Cordŏva am Garigliano geschlagen (1504). Ludwig XII. verzichtet auf Neapel, behauptet aber die Schutzherrschaft über Genua. Neapel und Sicilien bis 1713 in spanischem Besitz. Gonsalvo erster Vizekönig.

1508.

Teilnahme Ludwigs an der Liga zu Cambrai gegen Venedig, aber Papst Julius II., Ferdinand der Katholische und Venedig verbinden sich 1511 zur Heiligen Liga, um die Franzosen aus Italien zu vertreiben. Diese führen den Krieg unter Gaston de Foix, Neffen Ludwigs XII., anfangs glücklich, nehmen 1512 Brescia mit Sturm (Bayard, der Ritter ohne Furcht und Tadel, S. 229), schlagen mit Hilfe von 5000 deutschen Landsknechten das spanisch-päpstliche Heer bei Ravenna, werden aber 1513 von den Schweizern bei Novāra geschlagen und räumen Italien.

1515–1547.

Franz I.

1515.

Er erobert Mailand wieder durch den glänzenden Sieg über die Schweizer bei Marignano.[236]

1520.

Zusammenkunft mit Heinrich VIII. von England (Camp du drap d’or) in der Nähe von Calais.

Kriege mit Karl V. (s. S. 229–232): Mailand verloren. Künste und Wissenschaften werden gefördert durch den Verkehr mit Italien. Schloßbauten: der Louvre in Paris.

Erhöhung der königlichen Macht durch ein Konkordat mit dem Papste (1516), welches die Wahl der Bischöfe und Äbte im wesentlichen dem König überläßt; dagegen Wiedereinführung der Annaten (Gebühren für die Bestätigung durch den Papst in der Höhe eines Jahreseinkommens) und Verzichtleistung auf den Grundsatz des Konstanzer und Baseler Konzils, daß ein allgemeines Konzil über dem Papste stehe (s. S. 203). Verfolgung der Protestanten und grausame Hinrichtungen.

1547–1559.

Heinrich II. Wachsende Macht der Guisen, eines Nebenzweiges des Hauses Lothringen, (Franz, Herzog von Guise, und Karl, der »Kardinal von Lothringen«). Verfolgung der Protestanten in Frankreich, aber Unterstützung der deutschen Protestanten. 1552 Metz, Toul, Verdun gewonnen, Krieg mit Karl V. (s. S 233).

1556–1559.

Krieg mit Philipp II. von Spanien. Die Franzosen von den Spaniern (mit Hilfe der Engländer) bei St. Quentin 1557 und durch den Grafen Egmont bei Gravelingen 1558 geschlagen. Franz von Guise nimmt Calais, die letzte Besitzung der Engländer in Frankreich (S. 209).

1559.

Im Frieden zu Cateau Cambrésis geben die Franzosen alle Eroberungen, außer Calais, heraus. Philipp II. heiratet Elisabeth, älteste Tochter Heinrichs II. Auf Heinrich II., der an einer Turnierwunde stirbt, folgen hintereinander seine drei schwachen Söhne.

1559–1560.

Franz II., erster Gemahl der Maria Stuart von Schottland, einer Nichte der Guisen. Verfolgung der Protestanten, grausame Hinrichtungen (Chambres ardentes). Des Königs Mutter Katharina von Medici mit den Guisen verbündet, während die Prinzen aus dem Hause Bourbon, Anton, König von Navarra,[44] und Ludwig von Condé, sich der Protestanten annehmen.

1560–1574.

Karl IX., 10 Jahre alt, ebenfalls unter der Leitung seiner Mutter Katharina von Medici,[237]

1562–1598.

Hugenottenkriege.[45]

Die Verletzung eines den Reformierten gewährten Toleranzedikts durch Franz von Guise (Blutbad zu Vassy in der Champagne 1562) und grausame Verfolgungen in mehreren Städten veranlassen eine bewaffnete Erhebung der Reformierten unter Führung des Prinzen von Condé und des Admirals Coligny. Sie erkämpfen in drei Kriegen (bis 1570) das Zugeständnis bedingter Religionsfreiheit, welches durch Einräumung von 4 Sicherheitsplätzen (namentlich der Hafenstadt La Rochelle) gewährleistet wird.

1572. 23.–24. Aug.

Die Bartholomäusnacht oder Pariser Bluthochzeit. Bei Gelegenheit der Vermählung Heinrichs von Bourbon und Navarra, der nach Condés Tode an die Spitze der Hugenotten getreten war, mit der Schwester des Königs Karl IX., Margarete von Valois, zuerst ein Mordanschlag auf Coligny gemacht, dann Ermordung aller in Paris anwesenden Hugenotten, geleitet von Heinrich von Guise und der Königin-Mutter Katharina von Medici. Heinrich von Navarra rettet sein Leben durch Übertritt zur katholischen Kirche. In der Hauptstadt werden über 2000, in ganz Frankreich gegen 20000 Hugenotten ermordet. Diese Bluttat entzündet den vierten Krieg (1572–1573). La Rochelle, von Herzog Heinrich von Anjou, Bruder des Königs Karl IX., belagert, verteidigt sich tapfer (Graf Montgomery). Die Wahl des Herzogs von Anjou zum König von Polen bewirkt einen Vergleich.

Karl IX. stirbt 1574. Sein Bruder, der aus Polen entweicht, wird König von Frankreich als

1574–1589.

Heinrich III. Der fünfte Krieg, während dessen Heinrich von Navarra wieder zum reformierten Glauben übertritt, wird 1576 unter Bedingungen beendigt, die für die Hugenotten günstiger sind als die früheren Friedensschlüsse. Daher Unzufriedenheit der strengen Katholiken; die Heilige Ligue beabsichtigt im Bunde mit Philipp II. Vernichtung der reformierten Partei und Erhebung der Guisen auf den Thron. Der König erklärt sich aus Furcht vor der Ligue zum Haupt derselben und verbietet den reformierten Gottesdienst in ganz Frankreich.

Daher nochmals drei Kriege, der letzte (1585–1589) genannt Krieg der drei Heinriche (Heinrich III. von Valois, Heinrich von Navarra, Heinrich von Guise). In Paris bildet sich die Ligue der Sechzehn, welche die Absetzung des[238] schwachen Königs bezweckt. Volksaufstand, Tag der Barrikaden 12. Mai 1588. Heinrich III. entflieht nach Blois, wohin er die Reichsstände (États-généraux) zusammenruft. Da er bei diesen keinen Beistand gegen die Ligue findet, läßt er den Herzog Heinrich von Guise und dessen Bruder, den Kardinal Ludwig, ermorden. Aufstand der Katholiken, an dessen Spitze sich der Bruder der Ermordeten, Herzog Karl von Mayenne, stellt. Heinrich III. flieht zu Heinrich von Navarra in das Lager der Hugenotten, wird vor Paris, in St. Cloud, von dem Mönch Jakob Clément ermordet (1589).

1589–1792.

Haus Bourbon (stammt ab von einem jüngeren Sohne Ludwigs IX., des Heiligen).

1589–1610.

Heinrich IV. Die katholische Partei verweigert ihm die Anerkennung. Heinrich IV. siegt über Karl von Mayenne bei Ivry 1590, belagert aber vergeblich Paris, welches von Mayenne und dem Herzog von Parma (s. S. 243) entsetzt wird. Erst nachdem Heinrich in St.-Denis abermals seinen Übertritt zur katholischen Kirche erklärt hat, öffnet ihm Paris die Tore (1594). Darauf Aufhebung des päpstlichen Bannes, Friede mit Philipp II. von Spanien. Die Religionskriege werden beendet durch das

1598.

Edikt von Nantes, welches den Reformierten gleiche bürgerliche Rechte mit den Katholiken gibt, aber keineswegs vollständig freie Religionsübung. Es gestattet den reformierten Kultus den Edelleuten mit selbständiger Gerichtsbarkeit (seigneurs hauts justiciers) und den Bürgern in einer bestimmten Anzahl von Städten und Flecken, untersagt ihn aber in allen bischöflichen und erzbischöflichen Städten, am Hofe des Königs, in Paris, sowie im Umkreise von 5 Meilen um die Hauptstadt. Die Reformierten werden zu öffentlichen Ämtern zugelassen und behalten ihre Sicherheitsplätze. Das Edikt wird erst nach langer Weigerung von den Parlamenten (d. h. höchsten Gerichtshöfen) registriert.

Heinrichs IV. Minister, der Herzog von Sully, trifft Maßregeln zur Wiederherstellung des zerrütteten Wohlstandes und der Finanzen. Förderung des Ackerbaues und Gewerbes, des Seehandels; Kolonien in Kanada (Quebec 1608). Der König beabsichtigt, als Verbündeter der protestantischen Union in den Jülich-Cleveschen Erbstreit (S. 252) einzugreifen, wird aber von dem Fanatiker Franz Ravaillac in Paris ermordet. Sein Sohn

1610–1643.

Ludwig XIII., 9 Jahre alt. Regentschaft seiner Mutter Maria von Medici. Sully vom Amte entfernt; an die Spitze der Geschäfte tritt der Italiener Concini (Maréchal d’Ancre), nach dessen Ermordung 1617 der Herzog von Luynes, endlich der große Staatsmann Kardinal Richelieu[239] (Armand-Jean du Plessis, geb. 1585 in Poitou, 1607 Bischof von Luçon, 1616 Staatssekretär, 1622 Kardinal, † 1642). Von 1624–1642 verwaltet Richelieu eigentlich allein das Reich; nur einmal (11. Nov, 1630, journée des dupes) glaubt Maria von Medici ihn gestürzt zu haben, doch beherrscht er von da an den König sicherer als je.

Richelieus Ziel ist die Erhebung Frankreichs zur ersten Macht Europas und die Begründung der Allgewalt des Königs. Er bricht die Macht des Adels, macht die Krone unabhängig von den Reichsständen, die nicht mehr berufen werden, besiegt die Hugenotten (Belagerung und Einnahme von La Rochelle 1628), welche fortan nicht mehr eine bewaffnete politische Partei, sondern eine geduldete Sekte sind. Unruhen, erregt von Gaston von Orléans, Bruder des Königs, enden mit dem vollständigen Siege Richelieus; die Königin-Mutter wird verbannt, Gaston entflieht nach Lothringen, versucht vergebens gewaltsame Rückkehr mit Hilfe des Herzogs von Montmorency, des Statthalters von Languedoc; dieser wird 1632 in Toulouse hingerichtet.

1633.

Das Herzogtum Lothringen (vgl. S. 206, 233) von französischen Truppen besetzt (bis 1659). Der Dreißigjährige Krieg bietet Gelegenheit, Frankreichs Macht auf Kosten Deutschlands zu erhöhen.

Richelieu legt den Grund zur Machtstellung Ludwigs XIV. Frankreich verdankt ihm die Segnungen einer geordneten Verwaltung und das Aufblühen seiner klassischen Literatur. Stiftung der französischen Akademie 1635, der maßgebenden Behörde in Sachen der Sprache und des Stils; Corneilles Cid 1636.

§ 4. Italien.

Das Herzogtum Mailand ist seit 1556 (s. S. 234) ein Nebenland von Spanien, dem Namen nach deutsches Reichslehen. In Mantua herrscht seit 1328 das Haus Gonzaga; nach dessen Aussterben der Mantuanische Erbfolgekrieg 1628–1631. Richelieu zieht persönlich gegen die Kaiserlichen zu Felde und setzt die Ansprüche der französischen Nebenlinie Nevers auf das Herzogtum durch.

Glänzender Hof der Herzöge von Ferrara (S. 210). Nach dem Tode Alfons’ II. 1597 wird Ferrara als päpstliches Lehen mit dem Kirchenstaate vereinigt; Modena und Reggio verbleiben einer Nebenlinie des Hauses Este.

Parma und Piacenza früher zu Mailand gehörig, 1512 vom Papst Julius II. für den Kirchenstaat in Besitz genommen, bilden seit 1545 ein selbständiges Herzogtum im Besitz des Hauses Farnese bis 1731.

Venedig ist 1508 gefährdet durch die Liga von Cambrai (Papst Julius II., Kaiser Maximilian I., Ludwig XII., Ferdinand[240] der Katholische); doch wendet sich der Krieg bald gegen Frankreich (S. 235). Während der folgenden Kriege ist Venedig meist mit Karl V. verbündet. Gegenüber dem Vordringen der Türken schließt es sich an Spanien an, muß aber trotz des mit den Spaniern gemeinsam erfochtenen Sieges bei Lepanto (S. 242) 1573 den Türken Cypern abtreten; es behält von seinem Inselbesitz nur Kandia und die Ionischen Inseln.

Genua macht sich 1529 unter dem Dogen Andrea Doria, welcher der Republik eine neue Verfassung gibt, frei von der französischen Schutzherrschaft (S. 235). Verschwörung desFiesco 1547. Giannettino Doria, der Neffe des Dogen, wird ermordet, Andrea Doria muß flüchten. Schon sind die Verschworenen im Besitz fast der ganzen Stadt, als Fiesco durch Zufall ertrinkt. Rückkehr des Dogen, Wiederherstellung der Verfassung.

Die Herzöge von Savoyen, welche auch Piemont besitzen (S. 210), sind unter den einheimischen Fürsten von Nord-Italien die mächtigsten. Doch verlieren sie 1536 das Waadtland an Bern und geraten während der Kriege Frankreichs mit Karl V. und Philipp II. in Bedrängnis. Nach dem Frieden von Cateau-Cambrésis (1559, S. 236) wird Emanuel Philibert in sein Herzogtum zurückgeführt.

In Florenz wird 1494 Pietro von Medici, Lorenzos Sohn, weil er mit dem erobernd vordringenden Karl VIII. von Frankreich (S. 209 f.) einen Vertrag geschlossen hatte, vertrieben. Haupt der demokratischen Partei der Dominikaner Savonarōla. Er bewirkt auf kurze Zeit eine Wendung zur Sittenstrenge, verfällt aber dem päpstlichen Bann und wird 1498 hingerichtet. Infolge des Sieges der Heiligen Liga (S. 235) werden 1512 die Medici wiedereingesetzt. Zweite Vertreibung 1527, die Republik auf kurze Zeit wiederhergestellt. Karl V. setzt 1531 Alessandro von Medici als erblichen Herzog ein. Dessen Nachfolger Cosimo vereinigt die Republik Siena mit seinem Gebiete und wird 1569 vom Papst Pius V. zum Großherzog von Toskana erhoben (bestätigt von Kaiser Rudolf II. 1576). Unter Cosimos II. Regierung lehrt in Florenz Galileo Galilei, der 1633 von der Inquisition in Rom gezwungen wird, das Kopernikanische Sonnensystem abzuschwören († 1642 in Arcetri bei Florenz).

Die Päpste dieser Zeit sind mit Erfolg bestrebt, den Kirchenstaat zu vergrößern und ihr geistliches Ansehen zu erhöhen.

1492–1502.

Alexander VI. aus dem Hause Borgia, durch Ausschweifungen berüchtigt; sein Sohn Cesar Borgia herrscht grausam in der Romagna.

1503–1513.

Julius II., kriegerisch und kunstliebend, beginnt den Neubau der Peterskirche, beruft dazu den Baumeister Bramante, den Bildhauer Michelangelo (an Julius’ II. Grab Statue des Moses) und den Maler Raffael nach Rom.[241]

1513–1521.

Leo X., Sohn Lorenzos von Medici (S. 211), kunstliebend und gelehrt.

1521–1523.

Hadrian VI., aus Utrecht, früher Lehrer Karls V., auf Abstellung kirchlicher Mißbräuche bedacht.

1523–1534.

Clemens VII., Neffe Lorenzos von Medici, klug, aber nicht tatkräftig.

1555–1559.

Paul IV., streng kirchlich, hat 1542 als Kardinal unter Paul III. die Herstellung der Inquisition (S. 186) und die Einrichtung des Index librorum prohibitorum bewirkt.

1572–1585.

Gregor XIII. ordnet 1582 den verbesserten Kalender an (Ausfall des Schaltjahres am Ende des Jahrhunderts, mit Ausnahme jedes vierten Jahrhunderts).

1575–1590.

Sixtus V. unterdrückt das Räubertum im Kirchenstaat; Vollendung der Peterskirche.

Neapel ist von 1504–1713 ein Nebenland Spaniens (s. S. 235). Der Aufstand des Fischers Tommaso Aniello, genannt Masaniello (1647), wird schnell unterdrückt.

Blütezeit der italienischen Kunst und Literatur.

Maler: Leonardo da Vinci († 1519), Raffael Santi († 1520), Antonio Allegri, genannt Correggio († 1534), Michelangelo Buonarotti († 1564), zugleich Bildhauer und Architekt, Tizian († 1576), Paul Veronese († 1588). Musiker: Palestrina († 1594). Dichter: Ariosto († 1533), Torquato Tasso († 1595). Unter den Prosaschriftstellern ragt hervor der Politiker Macchiavelli († 1527 in Florenz: Il Principe, Buch vom Fürsten).

§ 5. Pyrenäische Halbinsel und Niederlande,

1479–1516.

Ferdinand der Katholische, König von Aragon, übernimmt 1504 nach dem Tode seiner Gemahlin Isabella (S. 215) die Regierung in Kastilien für seine abwesende Tochter Johanna, Gemahlin des Erzherzogs Philipp von Österreich (S. 225). Philipp und Johanna kommen 1506 nach Kastilien; Ferdinand tritt in einem Vertrage die Regentschaft an Philipp ab, aber bald darauf stirbt dieser plötzlich 1506. Johanna, schon früher schwermütig, verfällt in Wahnsinn, lebt im Schlosse Tordesillas in Haft bis zu ihrem Tode (1555). Ferdinand übernimmt wieder die Regentschaft, erweitert 1512 das Reich Aragon durch Eroberung des kleinen Königreichs Navarra; nur der nördlich von den Pyrenäen gelegene Teil desselben bleibt dem französischen Grafen Jean d’Albret (S. 236). Befestigung der Monarchie in dem nunmehr vereinigten Königreich Spanien mit Hilfe des staatsklugen Kardinals Ximenez.

1516–1556.

Karl I. (als deutscher Kaiser Karl V., s. S. 228) begründet nach Niederwerfung eines Aufstandes in[242] Kastilien (1521) die unbeschränkte Königsgewalt in Spanien; die Cortes fortan ohne Bedeutung. Durch Erwerbung großer Gebiete in Amerika (S. 223) gelangt Spanien zu hoher Machtstellung.

1556–1598.

Philipp II., viermal vermählt, mit: 1. Maria von Portugal (Mutter des Don Carlos), 2. Maria der Katholischen von England (S. 246), 3. Elisabeth von Valois (S. 236), 4. Anna, Tochter Maximilians II. Unter seinem starren Despotismus erschöpfen sich die Kräfte des spanischen Reiches.

Krieg mit Frankreich (S. 236). Blutige Verfolgung der Moriskos und der Protestanten in Spanien; die Schrecken der Inquisition (S. 215) dauern fort. Zwist zwischen dem König und seinem Erben Don Carlos; dieser wird verhaftet und stirbt im Gefängnis 1568. Über die Türken, welche 1565 vergeblich die dem Johanniterorden (S. 178) gehörige Insel Malta angreifen (tapfere Verteidigung durch den Großmeister La Valette), erficht Don Juan d’ Austria, Karls I. (V.) natürlicher Sohn, den großen

1571.

Seesieg bei Lepanto (Naupaktos, S. 44). In demselben Jahre werden die Philippinen-Inseln in Besitz genommen (1898 an die Union abgetreten).

1568–1648.

Freiheitskrieg der Niederlande.

Veranlassung: Die seit Karls V. Abdankung an Spanien gekommenen niederländischen Provinzen (S. 225) waren seit alter Zeit im Besitz bedeutender Privilegien; die Stände (Staaten, États) hatten Steuern und Truppen zu bewilligen. Aber Druck der spanischen Besatzungen, Strafedikte gegen die Ketzer, die geplante Gründung neuer Bistümer, Furcht vor Einführung der spanischen Inquisition bewirken unter der Statthalterin Margarete von Parma (1559–1567), der Halbschwester des Königs Philipp II. (ihr Ratgeber Bischof Granvella), heftige Erregung. Bund des Adels (Kompromiß zu Breda) zur Verteidigung der Privilegien. Im Staatsrat sind Graf Egmont, Statthalter von Flandern, und Wilhelm von Nassau-Oranien[46], Statthalter von Holland und Seeland, um Erhaltung des Friedens bemüht.

1566.

Überreichung einer Bittschrift an die Statthalterin in Brüssel durch 300 Vertreter des niederen Adels (Geusen, Bettler, ihr Parteiname, entstanden durch den verächtlichen Ausruf des Grafen von Barlaimont: Ce n’est qu’un tas de gueux). Volksunruhen, veranlaßt durch calvinische Prediger; Bildersturm und Plünderung der Kirchen. Egmont und Wilhelm von Oranien treten diesen Unordnungen entgegen.[243]

Obwohl die Ruhe schließlich wiederhergestellt war, wird

1567.

Herzog Alba mit einem spanischen Heere über Genua, Savoyen, Burgund nach den Niederlanden gesandt. Wilhelm von Oranien entflieht nach Nassau. Tausende von Niederländern verlassen ihr Vaterland. Alba übernimmt die Regierung; der von ihm in Brüssel eingesetzte Gerichtshof arbeitet entsetzlich, vom Volk als »Blutrat« bezeichnet.

1568.

Hinrichtung der Grafen Egmont und Hoorn.

Wilhelm von Oranien macht mit Flüchtlingen und deutschen Söldnern, die er in Nassau um sich gesammelt hat, einen Einfall in die Niederlande, wird aber von Alba zurückgeschlagen.

Die willkürlichen, von Alba auferlegten Steuern (der 10te Pfennig von jeder verkauften Ware, der 100ste vom Vermögen) erregen einen neuen Aufstand. Einnahme von Briel (an der Maasmündung) durch die Wassergeusen 1572. Schnelle Ausbreitung des Aufstandes, besonders in den nördlichen Provinzen, wo Wilhelm von Oranien nach seiner Rückkehr aus Deutschland an die Spitze tritt. Herzog Alba wird auf seinen eigenen Antrag 1573 zurückberufen.

Sein Nachfolger Luis de Requesens siegt zwar 1574 auf der Mooker Heide, wo zwei Brüder des Prinzen von Oranien fallen, belagert aber Leyden vergeblich (Durchstechung der Deiche, Gründung der Universität) und kann des Aufstandes nicht Herr werden († 1576). Plünderungen der Städte Antwerpen, Mastricht, Gent u. a. durch die königlichen Truppen führen die

1576.

Pazifikation von Gent herbei, einen Vertrag aller Provinzen, durch welchen sie sich, ungeachtet der religiösen und nationalen Unterschiede, vereinigen, um die spanischen Soldaten aus dem Lande zu treiben.

Der neue Statthalter Don Juan d’Austria, Philipps II. Halbbruder, wird von den meisten Provinzen nicht anerkannt, doch entsteht unter ihnen bald Uneinigkeit. Ihm folgt Alexander Farnese von Parma, Margaretes Sohn (1578–1592), ein staatskluger Fürst und trefflicher Feldherr. Dieser unterwirft unter dem Versprechen der Herstellung ihrer alten politischen Freiheiten die südlichen, katholischen Provinzen (Belgien). Die sieben nördlichen, überwiegend calvinischen (Holland, Seeland, Utrecht, Geldern, Overyssel, Groningen, Friesland) schließen

1579.

die Utrechter Union, sagen sich 1581 gänzlich von Spanien los und übertragen die Leitung Wilhelm von Oranien. Nach dessen Ermordung zu Delft 1584 durch den Fanatiker Balthasar Gerard tritt sein Sohn, der 17jährige[244] Moritz von Oranien, an die Spitze. Kriegsglück Alexanders von Parma, Einnahme von Antwerpen 1585. Die den Holländern geleistete englische Hilfe (Leicester Statthalter) bestimmt Philipp zur Ausrüstung der Armāda, welche, angeführt vom Herzog Medina Sidonia, furchtbaren Stürmen und der Tapferkeit der Engländer erliegt (1588). Seitdem Niedergang der spanischen Seeherrschaft. Moritz erobert Breda 1590, dann Nimwegen und Groningen, die Spanier erobern 1604 nach dreijähriger Belagerung Ostende. Endlich wird unter König

1598–1621.

Philipp III.

1609.

ein zwölfjähriger Waffenstillstand geschlossen. Unter dem schwachen, von Günstlingen beherrschten Könige sinkt Spaniens Macht und Wohlstand weiter, namentlich auch infolge der Austreibung von 500000 Moriskos. Nach Ablauf des Waffenstillstandes mit den Niederländern wird der Kampf wieder aufgenommen, bis unter König

1621–1665.

Philipp IV. die Republik der Niederlande im Westfälischen Frieden 1648 (s. S. 260) die Anerkennung ihrer Unabhängigkeit von seiten Spaniens und des Deutschen Reiches erlangt.

In dem aufblühenden neuen Staate fehlt es nicht an inneren Parteiungen; der oranischen Partei steht die Generalstaaten-Partei gegenüber, den strengen Calvinisten (Gomarianern) die gemäßigten (Arminianer). Die Synode zu Dordrecht verurteilt 1619 den verdienten Staatsmann Olden Barneveld, welcher Moritz von Oranien entgegengetreten war, zum Tode; Hugo Grotius, zur Haft verurteilt, flieht 1621 nach Frankreich (sein Buch de iure belli ac pacis Grundlage des Völkerrechts, 1635 schwedischer Gesandter in Paris, † 1645). Die Statthalterwürde wird 1650 aufgehoben, 1672 wiederhergestellt.

    Wilhelm I. von Nassau-Oranien,
                †1584.
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  |                             |
Moritz,                Friedrich Heinrich,
†1625.                      †1647.
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                   |                        |
               Wilhelm II.,       Luise Henriette, †1667.
                 †1650.           Gem. Friedrich Wilhelm
                   |                   v. Brandenburg.
                   |                        |
               Wilhelm III.,           Friedrich I.
                 †1702.               von Preußen.

Aufschwung der niederländischen Seemacht: Ostindische Kompagnie 1602 gegründet, Neu-Amsterdam (New York, S. 270) 1612, Batavia auf Java 1619, Kapstadt 1651, Ceylon besetzt 1656, 1634–54 auch Brasilien. Tasman umfährt Australien (Neu-Holland) 1642.

Blüte der Wissenschaften auf der Universität Leyden (gegr. 1575). Der Philosoph Baruch Spinoza geb. zu Amsterdam 1632, † 1677.[245]

Blüte der Malerei (Rembrandt † 1669, Ruysdael † 1682, Hobbema † 1709), der Dichtkunst (Vondel † 1679) und Musik (Roland de Lattre [Orlandus Lassus] † 1594 in München).

In den spanischen Niederlanden die Maler Rubens, geb. in Siegen 1577, † in Antwerpen 1640; van Dyk † 1641; Teniers der Ältere † 1649, Teniers der Jüngere † 1690; Snyders † 1657.

Auch in Spanien Blüte der Literatur (Cervantes † 1616, Lope de Vega † 1635, Calderon † 1681) und Malerei (Velasquez † 1660, Murillo † 1682), aber das Volk verarmt und unwissend; Gewerbfleiß, Handel und Seemacht im Niedergang begriffen.

Portugal im Besitz ansehnlicher Kolonien, blühend unter Emanuel dem Großen (1495–1521). Sein Urenkel Sebastian fällt 1578 in der unglücklichen Schlacht bei Alkassar in Marokko. Philipp II. von Spanien erhebt Erbansprüche als Sohn einer Tochter Emanuels, nimmt 1580 das Land in Besitz. Als spanische Provinz (1580–1640) verliert Portugal einen großen Teil seiner Kolonien (Molukken, Sunda-Inseln, Ceylon) an die Niederländer. 1640 Erhebung gegen die spanische Herrschaft; eine fast unblutige Revolution erhebt das Haus Braganza (König Johann IV.) auf den Thron, das ihn bis 1910 behauptet.

§ 6. England und Schottland.

1485–1603.

Haus Tudor (s. s. 213).

1485–1509.

Heinrich VII. erhöht das Ansehen der Krone, indem er dem Adel verbietet, bewaffnetes Gefolge zu halten (Gerichtshof der Sternkammer gegen Aufruhrversuche) und die Finanzen ordnet. Er versucht ganz Irland zu unterwerfen (S. 192). Seine Tochter Margarete vermählt mit Jakob IV., König von Schottland (aus dem Hause Stuart, s. S. 212).

1509–1547.

Heinrich VIII., grausam und tyrannisch. Er ist sechsmal vermählt, nämlich mit: 1. Katharina von Aragon, Schwester der »wahnsinnigen« Johanna (S. 225), Witwe seines Bruders Arthur, Mutter von Maria der Katholischen (geschieden). 2. Anna Boleyn, Mutter der Elisabeth (hingerichtet). 3. Johanna Seymour († nach der Geburt ihres Sohnes Eduard VI.). 4. Anna von Cleve (geschieden). 5. Katharina Howard (hingerichtet). 6. Katharina Parr (überlebt den König). Die verweigerte Scheidung von der ersten Gemahlin (Kardinal Wolsey, gestürzt 1529) wird für den anfangs streng katholischen König (Defensor fidei) Grund zur Trennung der englischen Kirche vom Papsttum (1531). Der König kirchliches Oberhaupt. Blutige Verfolgung aller den Suprematseid Verweigernden (der Kanzler Thomas More † 1535); Einziehung vieler Klöster, aber Beibehaltung katholischer Lehren (die 6 Artikel).[246]

Stammtafel der Familien Tudor und Stuart (S. 213):

    Heinrich VII. †1509.
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 |                             |                    |
 Heinrich VIII.              Margarete,           Maria,
 †1547.                     Gem. Jakob IV.       Gem. Hz.
    |                        v. Schottland.       v. Suffolk
Maria d. Katholische            |                    |
 †1558.                     Jakob V.                |
Elisabeth †1603.            v. Schottland        Franziska,
Eduard VI. †1553.           †1542.              Gem. Henry Gray.
                             Gem. Maria                   |
                             v. Guise.              Johanna Gray
                                 |                  †1554.
                         Maria (Stuart) †1587.
                         Gem. Darnley.
                                 |
                         Jakob VI. v. Schottland †1625.
1547–1553.

Eduard Vl., 10 Jahre alt. Die Regierung geleitet von dem Protektor Herzog von Somerset, dann von Graf Warwick, Herzog von Northumberland. Nun erst finden die Lehren der Reformation in England Eingang. Gründung der episkopalen Hochkirche (High Church). Book of common prayer und Glaubensbekenntnis in 42 Artikeln, verfaßt von Thomas Cranmer, Erzbischof von Canterbury.

1553–1558.

Maria die Katholische, »die Blutige«. Northumberlands Versuch, Johanna Gray, die Gemahlin seines Sohnes, auf den Thron zu setzen, mißlingt; alle drei werden hingerichtet. Maria vermählt sich mit Philipp II. von Spanien, dem aber keine Regierungsrechte zugestanden werden. Wiederherstellung der katholischen Religion. Grausame Verfolgung der Protestanten, Erzbischof Cranmer und viele andere verbrannt. Calais an Frankreich verloren (s. S. 236).

1558–1603.

Elisabeth. Wiederherstellung der anglikanischen Kirche (Episkopalkirche), protestantische Lehre mit Beibehaltung der katholischen Hierarchie und teilweise des Kultus. Glaubensbekenntnis die 39 Artikel. Zahlreiche Dissenters (Presbyterianer, Puritaner). Handel und Schiffahrt entwickeln sich, besonders seit der Vernichtung der Armada. Entdeckungsreisen (Franz Drake, zweite Erdumsegelung 1577 bis 1580, S. 223). Ansiedelungen in Nordamerika, Walther Raleigh gründet die Kolonie Virginia 1584. Ostindische Kompagnie 1600. Die Kaufleute der deutschen Hanse werden 1598 aus ihrem Hause in London, dem Stalhof, vertrieben, erhalten es jedoch später noch einmal zurück. — Unter Elisabeths Regierung lebt der große dramatische Dichter William Shakespeare (1564 bis 1616 und der Philosoph Franz Bacon von Verulam, 1561 bis 1626).

1587. 8. Febr.

Hinrichtung der Königin Maria Stuart.

Maria Stuart, Tochter Jakobs V. von Schottland und der Maria von Guise (S. 236), Urenkelin Heinrichs VII. von England, geb. 1542, zuerst vermählt mit[247] Franz II. von Frankreich († 1560), nimmt nach dem Tode der Königin Maria der Katholischen den Titel Königin von England an. Nach dem Tode ihres Gemahls Franz übernimmt sie die Regierung in Schottland (1561). Streit mit den schottischen Calvinisten. (John Knox, in Genf mit Calvin befreundet, † 1572). Maria heiratet ihren Vetter Heinrich Darnley, der ihren Günstling Riccio ermorden läßt (1566) und dann unter Mitwissenschaft der Königin von Bothwell ermordet wird (1567). Maria heiratet gleich darauf in dritter Ehe den Mörder Bothwell. Aufstand der Schotten, Maria gefangen, ihr und Darnleys einjähriger Sohn Jakob als König anerkannt. Maria entflieht nach England (1568). Hier wird sie bis 1587 gefangen gehalten und zuletzt in Fotheringhay wegen Teilnahme an Verschwörungen gegen das Leben Elisabeths hingerichtet.

1588.

Krieg mit Spanien, Vernichtung der spanischen Armada (130 große Schiffe) durch Seegefechte im Kanal und durch Stürme an den Küsten von Schottland und Irland (S. 244). Eine englische Flotte (unter Graf Essex und Admiral Howard) erobert 1596 Cadiz und kehrt mit reicher Beute zurück. Graf Essex, Günstling der Königin, wird darauf nach Irland gesandt, um den Aufstand dort zu dämpfen, kehrt eigenmächtig zurück, wird wegen Empörung hingerichtet (1601). Die von Spanien unterstützten katholischen Iren 1601 besiegt. Irland damit endgültig unterworfen (S. 245, 192). Nach Elisabeths Tode folgt in England als Erbe des Hauses Tudor das in Schottland (S. 212) seit 1371 regierende

1603–1649 (1714).

Haus Stuart. Personal-Union zwischen England und Schottland.

1603–1625.

Jakob I. (als König von Schottland Jakob VI.), Sohn der Maria Stuart, in Schottland calvinisch erzogen, bekennt sich dann zur anglikanischen Kirche. Das Fehlschlagen der Hoffnungen, welche die Katholiken auf ihn als Sohn der Maria Stuart gesetzt hatten, bewirkt die sogenannte Pulververschwörung (1605). Doch wird der Plan, König und Parlament in die Luft zu sprengen, noch rechtzeitig vereitelt. Streitigkeiten mit dem Parlament wegen der schlechten Finanzwirtschaft des Königs und der geplanten Vermählung des Thronfolgers mit einer spanischen Infantin.

1625–1649.

Karl I., Gemahl der katholischen Henriette von Frankreich, strebt nach unumschränkter Gewalt des Königtums. Geldverlegenheiten nötigen ihn zur Erhöhung des »Tonnen- und Pfundgeldes«, einer Steuer für ein- und ausgeführte Waren, und dann nach vergeblicher Auflösung von zwei Parlamenten zur Bewilligung der Bitte um Recht (Petition of Right 1628) gegen willkürliche Besteuerung und Verhaftung[248] englischer Bürger. Karls Günstling, der Herzog von Buckingham, wird ermordet, als er in Portsmouth den Befehl über die zum Entsatz von La Rochelle (s. S. 239) bestimmte Flotte übernehmen will.

Nach Auflösung des dritten Parlaments (1629) regiert Karl 11 Jahre lang willkürlich ohne Parlament. Seine Ratgeber Lord Strafford, früher Mitglied der Oppositionspartei im Unterhause, und Erzbischof Laud. Willkürliche Erhebung des »Schiffsgeldes«, einer Geldabfindung der Seestädte für die Stellung von Schiffen zum Küstenschutz; John Hampden verweigert die Zahlung dieser Abgabe, wird gerichtlich dazu verurteilt. Dieser Prozeß ruft große Aufregung hervor. Auswanderung bedrückter Puritaner (John Milton ihr Dichter † 1674) nach den amerikanischen Kolonien, Boston gegründet 1630.

1637.

Der unkluge Versuch, die Liturgie und Verfassung der englischen Episkopalkirche in Schottland einzuführen, bewirkt offenen Aufruhr und einen förmlichen Bund der Schotten (Covenant) zum Schutze der religiösen und politischen Rechte und Freiheiten ihres Landes. Um Geld zum Kriege gegen die Schotten zu erlangen, beruft der König (April 1640) ein Parlament. Dieses bewilligt nichts, sondern erneuert die alten Beschwerden. Ein kleines, durch freiwillige Spenden und Darlehen der königlich Gesinnten aufgebrachtes Heer marschiert gegen die Schotten, wird aber zurückgeschlagen.

1640. Nov.

Karl beruft von neuem ein Parlament. Dieses, das sogenannte Lange Parlament, wird bald mächtiger als der König. Der Minister Strafford, vom Unterhause vor dem Oberhause angeklagt, wird trotz seiner glänzenden Verteidigung verurteilt und hingerichtet. Erzbischof Laud verhaftet und später ebenfalls hingerichtet. Ein Aufstand der katholischen Irländer vermehrt den Unwillen des englischen Volkes. Der Versuch des Königs, 5 Häupter der Opposition persönlich im Parlament zu verhaften, bringt den Aufruhr in London zum Ausbruch (1642). Parteinamen der Kavaliere (Royalisten) und der Rundköpfe (Republikaner). Karl verläßt London und geht nach York.

1642–1649.

Bürgerkrieg in England; den Truppen des Königs tritt ein Parlamentsheer entgegen. Der König, anfangs siegreich, beruft das Parlament nach Oxford (1644), wo sich 83 Lords und 165 Mitglieder des Unterhauses einfinden. Dagegen Vereinigung der Schotten mit dem englischen Parlamentsheere. Die Königlichen werden bei Marstonmoor (der Reiterführer Cromwell) und 1645 bei Naseby geschlagen. Karl, in Oxford belagert, flieht zu den Schotten, die ihn an das englische Parlament ausliefern (Januar 1647).[249]

Während des Bürgerkrieges wird die Episkopalkirche in England aufgehoben; gegen die Presbyterianer aber, die zum Vergleich mit dem Könige geneigt sind, erhebt sich die Partei der Independenten, an ihrer Spitze Oliver Cromwell. Sie erlangen das Übergewicht im Heere und bemächtigen sich auch des gefangenen Königs. Cromwell schlägt die jetzt zu Gunsten Karls in England einfallenden Schotten bei Preston und verjagt seine presbyterianischen Gegner aus dem Parlament (1648). Das nunmehrige Rumpfparlament (Rump-Parliament) setzt den König ab und läßt ihn durch einen Gerichtshof verurteilen.

1049.

30. Jan. Karl I. zu Whitehall in London hingerichtet.

Abschaffung des Oberhauses. England wird Republik, geleitet von dem Parlament und einem Staatsrat von 42 Mitgliedern.

§ 7. Der Norden und Osten.

Christian II. von Dänemark (1513–23) versucht Schweden zu unterwerfen (vgl. S. 216), aber das Stockholmer Blutbad (1520) führt die vollständige Auflösung der skandinavischen Union herbei. Aufstand der Talbewohner (Dalkarlar) unter Gustav Wasa (geb. 1496, als Geisel nach Dänemark geführt 1518, flüchtet 1519 nach Lübeck, kehrt 1520 insgeheim zurück). Er wird 1521 zum Reichsverweser, 1523 zum König erwählt, nimmt Stockholm ein mit Hilfe der hansischen, von Lübeck und Danzig gestellten Kriegsflotte.

1523–1654.

Haus Wasa in Schweden. Unter Gustav I. Wasa (1523–1560) Einführung der Reformation. Der Thron erblich; die Handelsprivilegien der deutschen Hanse werden bald beschränkt, schließlich aufgehoben (S. 201, 246).

1561.

Auflösung des deutschen Ordensstaates in Kurland, Livland und Estland (S. 217). Der größte Teil seines Gebiets kommt an Polen, Estland an Schweden; der letzte Landmeister Gotthard Kettler wird als Herzog von Kurland polnischer Vasall.

Gustav Wasas ältester, geisteskranker Sohn Erich XIV. wird 1568 entthront von seinem Bruder Johann III. Dessen Sohn Sigismund katholisch und seit 1587 König von Polen, wird in Schweden 1598 verdrängt von seinem Oheim Karl IX., dem jüngsten Sohne Gustavs I. Dieser ordnet die zerrüttete Verwaltung des Landes und behauptet gegen Polen den Besitz Estlands. Sein Sohn

1611–1632.

Gustav II. Adolf gewinnt im Kriege mit Rußland Karelien und Ingermanland (1617), im Kriege[250] mit Polen (S. 256), Livland (1621), schließt 1629 unter Richelieus Vermittelung mit Polen Waffenstillstand, um den Krieg in Deutschland (S. 256) zu beginnen. Ihm folgt, zuerst unter Vormundschaft des Reichsrats, seine Tochter

1632–1654.

Christine, gelehrt, aber ohne Lust für die Regierungsgeschäfte. Sie dankt 1654 ab zu Gunsten ihres Vetters Karl Gustav von Pfalz-Zweibrücken (Sohn einer Schwester Gustav Adolfs), wird dann katholisch, stirbt in Rom 1689.

Dänemark und Norwegen bleiben bis 1815 vereinigt. Schon unter Christian II., Schwager Kaiser Karls V., dringt die Reformation in Dänemark ein. Christian von seinem Oheim, dem Herzog von Schleswig-Holstein, verdrängt, der als Friedrich I. (1523–1533) mit Hülfe Lübecks den dänischen Thron besteigt und die Reformation begünstigt.

1534–1536.

Die Grafenfehde: Jürgen Wullenwever, protestantischer Bürgermeister von Lübeck, unterstützt den Grafen Christoph von Oldenburg gegen Friedrichs I. Sohn Christian III. Dieser aber behauptet die Herrschaft in Dänemark (1534–1559) und führt die Reformation vollständig durch. Wullenwever vom Erzbischof von Bremen verhaftet, an den Herzog von Braunschweig ausgeliefert, 1537 in Wolfenbüttel hingerichtet.

1559–1588.

Friedrich II. beginnt seine Regierung mit der Unterwerfung der Dithmarschen (S. 216), führt

1563–1570

im Bunde mit Lübeck Krieg gegen Schweden, beschränkt die Privilegien der Hansa.

1588–1648.

Christian IV., nimmt am 30jährigen Kriege teil (s. S. 255). Im Frieden zu Brömsebro 1645 werden von ihm an Schweden die Provinzen Jämtland und Herjedalen, die Inseln Gotland und Ösel abgetreten, auch wird den schwedischen Schiffen Freiheit vom Sundzoll zugestanden.

Polen gewinnt unter den Jagellonen (1386–1572) seine größte Ausdehnung (Ostsee, Karpathen, Schwarzes Meer), doch schon in dieser Zeit entwickelt sich durch die Privilegien des zahlreichen Adels der Keim des Verfalls. Seit 1572 ist Polen Wahlreich. Einführung des liberum veto auf den Reichstagen. Wahlkönige: Heinrich von Anjou (s. S. 237), Stephan Bathŏry von Siebenbürgen, dann (1587–1668) 3 Könige aus dem Hause Wasa: Sigismund III. † 1632, Wladislaw IV. † 1648, Johann Kasimir (dankt ab 1668).

Rußland unter Iwan IV., dem Schrecklichen (1533 bis 1584) vergrößert durch Eroberung der Reiche Kasan und Astrachan; der Kosakenhetman Jermak beginnt 1581 die Eroberung Sibiriens. Nach dem Aussterben des Hauses Rurik mit Iwans IV. Sohn Feodor I. 1598 (Feodors jüngerer Bruder[251] Demetrius war von Boris Godunow [Zar von 1598–1605] umgebracht worden) mehrjähriger Thronstreit; 1605–1606 regiert der von Polen unterstützte falsche Demetrius, dem dann noch zwei andere folgen. Ein Reichstag zu Moskau erhebt 1613 Michael Romanow auf den Thron, dessen Haus bis 1762 regiert.

Das Reich der osmanischen Türken erreicht seine höchste Blüte unter Soliman II. (1520–1566), dem Zeitgenossen Kaiser Karls V. (vgl. S. 230–232). Er stirbt in Ungarn bei der Belagerung der von Zriny tapfer verteidigten Feste Szigeth (1566). Unter seinen Nachfolgern beginnt der Verfall, namentlich infolge der Unbotmäßigkeit der Janitscharen.

In China kommt die Dynastie der Mandschu oder Tsing zur Regierung (1644 bis jetzt noch). Im 17. Jahrh. der größte Teil der Dsungarei, ganz Turkestan und Tibet erobert. Auch den Russen, Franzosen und Engländern (Kanton) Handelsverkehr gestattet (S. 223f.).

Japan wird nach Abschaffung des Shogunats (1573–1603) dem Mikado nach und nach wieder Untertan. Ende des mehr als 500jährigen Bürgerkrieges. Begünstigung des Christentums. Unglücklicher Eroberungskrieg gegen Korea 1598.

1603.

Das Shogunat wird vom Mikado der Familie Tokugawa erblich übertragen. Ihre Residenz Tokio. Seitdem 250jähriger Friede und hohe Kulturentwickelung. Seiden- und Baumwollenindustrie, Aufschwung der Porzellanfabrikation. Unter den Tokugawa (1603–1867) Abschließung Japans gegen das Ausland. Fernhaltung der Fremden. 1614 die fremden Priester für Landesfeinde erklärt und Ausrottung des Christentums befohlen; grausame Verfolgungen. Erst seit dem Niedergang der Tokugawa-Herrschaft Handelsbeziehungen mit Europa und Amerika angeknüpft und von 1854 an einzelne Häfen geöffnet.

§ 8. Deutschland, Dreißigjähriger Krieg.

1556–1564.

Ferdinand I., seit 1526 König von Böhmen und Ungarn; doch muß er die größere Hälfte Ungarns den Türken überlassen. Unter ihm und seinem Nachfolger Friedenszeit in Deutschland, aber die Ostseeprovinzen (S. 249) und die Niederlande (S. 242ff.) gehen dem Deutschtum verloren. Während die Protestanten sich durch theologische Streitigkeiten entzweien (Haß der strengen Lutheraner an der 1548 eröffneten Universität Jena gegen den »Kryptocalvinismus« Melanchthons), befestigt sich der Katholizismus durch das eifrige Wirken der Jesuiten (S. 231) und das Tridentinum[252] (S. 232). Beginn der Gegenreformation in Österreich, Bayern und den geistlichen Fürstentümern.

1564–1576.

Maximilian II., mild und den Protestanten zugetan, denen er in seinen Erblanden freie Religionsübung gestattet. Doch wird Herzog Johann Friedrich von Sachsen-Gotha, der im Bunde mit dem gewalttätigen Reichsritter v. Grumbach die Länder seines Vaters (S. 232 f.) wiederzugewinnen trachtet, 1566 geächtet und bis an seinen Tod (1595) in Österreich gefangen gehalten (Grumbachsche Händel).

1576–1612.

Rudolf II., von den Jesuiten erzogen, gelehrt, aber unfähig zu regieren. Die Astronomen Tycho de Brahe (aus Schonen, † 1601) und Kepler (S. 227) an seinem Hofe in Prag.

Im Reiche nehmen Streitigkeiten überhand. Sonderung der Lutheraner von den Reformierten durch die Konkordienformel, 1580 zuerst in Sachsen verkündet, aber nicht von allen lutherischen Landeskirchen angenommen. Auf den Reichstagen Streit über den geistlichen Vorbehalt (S. 234). Der Kurfürst von Köln Gebhard Truchseß von Waldburg 1583 vertrieben, weil er zum Protestantismus übertritt. In Straßburg 1592 zwiespältige Bischofswahl; der von den Protestanten gewählte Administrator muß 1604 zurücktreten. Die Reichsstadt Donauwörth, vom Kaiser in die Acht erklärt, weil das Volk eine katholische Prozession gestört hatte, wird von Maximilian von Bayern, der die Acht vollstreckt (1607), besetzt und mit Bayern vereinigt. Deshalb

1608.

Gründung der protestantischen Union; Oberhaupt der reformierte Kurfürst Friedrich IV. von der Pfalz;

1609.

Katholische Liga, Oberhaupt Herzog Maximilian von Bayern. Beide Fürsten sind Wittelsbacher (S. 200, Anm. 2); Sachsen bleibt der Union fern.

1609–1014.

Jülich-Clevescher Erbfolgestreit. Johann Sigismund von Brandenburg und Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg nehmen das Land als das Erbe ihrer Gemahlinnen nach dem Tode des letzten Herzogs Johann Wilhelm gemeinsam in Besitz und werden von der Union gegen den vom Kaiser gesandten Erzherzog Leopold Wilhelm geschützt. Später entzweien sie sich, Wolfgang Wilhelm wird katholisch und ruft die Hilfe der Liga und Spaniens an. Johann Sigismund tritt zur reformierten Lehre über und findet Rückhalt an Holland und Heinrich IV. von Frankreich († 1610, S. 238), doch wird ein Krieg vermieden.

Vertrag zu Xanten 1614: Cleve, Mark und Ravensberg kommen an Brandenburg, Jülich und Berg an Pfalz-Neuburg. Spanische und holländische Besatzungen bleiben noch längere Zeit, erst 1666 wird der Vertrag vollständig ausgeführt.[253]

Kaiser Rudolf, von seinem Bruder Matthias gezwungen, ihm Ungarn, Mähren und Österreich zu überlassen, gibt den Böhmen, um sie für sich zu gewinnen, den

1609.

Majestätsbrief. Dieser gestattet allen Bewohnern Böhmens den Anschluß an die »utraquistische«, auf entschieden protestantischem Standpunkt stehende Böhmische Konfession von 1575 und erlaubt den 3 Ständen der Herren, Ritter und königlichen Städte den Bau von Kirchen. Der zugleich abgeschlossene, vom Kaiser anerkannte ständische Vergleich gibt diese Erlaubnis auch den Untertanen auf den königlichen Gütern.

1611.

Rudolf verliert auch die Herrschaft über Böhmen, stirbt 1612 machtlos in Prag.

1612–1619.

Matthias verschafft, da er kinderlos ist und seine Brüder Verzicht leisten, seinem streng katholischen, von den Jesuiten erzogenen Vetter Ferdinand, Herzog von Steiermark, Kärnten und Krain, die Nachfolge auch in Böhmen und Ungarn, trotz des Widerwillens der protestantischen Stände.

1618–1648.
Der Dreißigjährige Krieg.

Versuch des Hauses Habsburg, im Bunde mit der katholischen Kirche die Machtstellung des Kaisertums zu erhöhen. In den drei ersten Abschnitten des Krieges überwiegt die religiöse Parteiung; aus dem Aufstand in Böhmen entwickelt sich ein großer Kampf des katholischen Europa gegen das protestantische. Zuletzt führen Schweden und Frankreich im Kampf gegen das Haus Habsburg Eroberungskriege auf deutschem Boden.

1. Böhmisch-pfälzischer Krieg 1618–1623.

Veranlassung: Schließung der utraquistischen Kirche in Braunau im Gebiet des dortigen Abts und Niederreißung der Kirche in Klostergrab im Sprengel des Erzbischofs von Prag, also in Gebieten geistlicher Stände, welche nach Auffassung der Protestanten kraft der böhmischen Landesverfassung als königliche Güter zu betrachten waren. Versammlung der 1609 mit Zustimmung des Kaisers eingesetzten Defensoren und der protestantischen Stände.

1618. 23. Mai.

Aufstand in Prag; an der Spitze steht Graf Matthias von Thurn. Die Statthalter Martinitz und Slawata und der Geheimschreiber Fabricius werden aus den Fenstern der kaiserlichen Burg hinausgestürzt, kommen aber mit dem Leben davon. Die Aufständischen übertragen die Regierung Böhmens an 30 Direktoren. Aus Italien kommt Graf Ernst von Mansfeld zu Hilfe, gesandt vom Herzog von Savoyen; aus Schlesien zieht Markgraf Johann Georg von Jägerndorf herbei.

1619.

Kaiser Matthias stirbt; Graf Thurn zieht gegen Wien. Die österreichischen, meist protestantischen[254] Stände stellen drohende Forderungen an Ferdinand, der durch die Ankunft einiger Truppen aus der gefährlichsten Lage gerettet wird. Thurn wird durch eine ungünstige Wendung des Krieges in Böhmen zum Abzug bewogen. Ferdinand begibt sich nach Frankfurt, wird dort von den drei geistlichen Kurfürsten und den Gesandten von Pfalz, Sachsen, Brandenburg zum Kaiser gewählt.

1619–1637.

Ferdinand II. Unterdessen sprechen die Böhmen seine Absetzung als König von Böhmen aus und wählen den jungen Friedrich V., Kurfürsten von der Pfalz, Oberhaupt der Union und der deutschen Calvinisten, Schwiegersohn Jakobs I., Königs von England.

Graf Thurn zum zweitenmal vor Wien, mit Bethlen Gabor, Fürsten von Siebenbürgen, vereinigt (Nov. 1619). Kälte, Mangel und der Einfall eines kaiserlichen Parteigängers in Ungarn bewirken den Rückzug.

Ferdinand verbündet sich mit seinem Jugendfreunde Maximilian, Herzog von Bayern, dem Haupt der katholischen Liga, welcher ihm die österreichischen Stände unterwerfen hilft, mit Spanien (Spinŏla bricht in die Kurpfalz ein) und mit dem lutherischen Kurfürsten Johann Georg von Sachsen, welcher die Lausitz und Schlesien wieder unterwirft. Maximilian von Bayern zieht mit dem Heere der Liga (Tilly) nach Böhmen, vereinigt sich mit dem kaiserlichen Feldherrn Buquoi. Beide siegen in der

1620. 8. Nov.

Schlacht auf dem Weißen Berge bei Prag über Friedrichs V., vom Fürsten Christian von Anhalt geführte Truppen. Friedrich, der »Winterkönig«, entflieht nach Holland, wird vom Kaiser trotz kurfürstlichen Protestes geächtet, ebenso Christian von Anhalt und der Markgraf von Jägerndorf. Strenges Walten der Sieger in Böhmen; die Häupter des Aufstandes hingerichtet, viele Güter eingezogen, der Protestantismus ausgerottet. Gewaltsame Gegenreformation auch in Österreich und (weniger hart) in Schlesien.

Die protestantische Union löst sich auf, als die Kriegsgefahr näher rückt. Das Kurfürstentum Pfalz wird in Vollstreckung der Reichsacht von Maximilians Feldherrn Tilly mit Hilfe spanischer Truppen unter Spinŏla erobert. Heidelberg erstürmt, die Bibliothek (Palatina) nach Rom gebracht. Tilly, 1622 bei Wiesloch von Mansfeld geschlagen, siegt bald darauf bei Wimpfen über den Markgrafen von Baden-Durlach, bei Höchst über Christian von Braunschweig, Administrator des Bistums Halberstadt.

1623.

Tilly dringt nach Westfalen vor, siegt bei Stadtlohn abermals über Christian, bleibt mit seinen Truppen im niedersächsischen Kreise zum Schutz der geistlichen Gebiete. Herzog Maximilian erhält auf dem Fürstentag zu Regensburg[255] die pfälzische Kurwürde und die Oberpfalz, Sachsen die Lausitz (zunächst als Pfand).

2. Dänisch-niedersächsischer Krieg 1625–1629.

Christian IV., König von Dänemark (S. 250) und Herzog von Holstein, als Oberster des niedersächsischen Kreises (S. 224) an der Spitze der Protestanten, von Holland und England zur Wiedereinsetzung Friedrichs V. angetrieben, aber unzureichend unterstützt.

Albrecht von Wallenstein (eig. Waldstein) geb. 1583 in Böhmen, aus utraquistischer Familie, aber katholisch erzogen, 1619 Oberst, 1623 Fürst, 1625 Herzog von Friedland, wird kaiserlicher Obergeneral über ein von ihm selbst errichtetes, durch ein Raubsystem zu erhaltendes Söldnerheer.

1626.

Wallenstein schlägt Mansfeld bei der Dessauer Brücke, verfolgt ihn durch Schlesien und Mähren nach Ungarn, wo sich Mansfeld mit Bethlen Gabor vereinigt, aber von diesem keine Hilfe erhält. Mansfeld stirbt in Bosnien. (»Imperatorem decet stantem mori!«)

1626. Aug.

Tilly schlägt Christian IV. bei Lutter am Barenberge in Braunschweig. Tilly und Wallenstein erobern Holstein (1627), Wallenstein allein Schleswig und Jütland. Er besetzt Mecklenburg, wird vom Kaiser 1628 mit diesem Herzogtum belehnt und zum General des Baltischen und Ozeanischen Meeres ernannt. Er zwingt den Herzog von Pommern zur Unterwerfung, erhält aber von den Hansestädten keine Schiffe und belagert vergebens Stralsund (1628), dessen Bürger sich mit dänischer und schwedischer Hilfe zehn Wochen lang tapfer verteidigen. Sein Unterfeldherr Arnim zieht darauf mit 15000 Mann nach Westpreußen, um die Polen gegen Gustav Adolf (S. 250) zu unterstützen.

1629.

Friede zu Lübeck zwischen dem Kaiser und Christian IV. Dieser erhält seine Länder zurück, entsagt aber jeglicher Teilnahme an den deutschen Streitigkeiten. Ferdinand II. erläßt das

Restitutionsedikt: 1. Auf Grund des geistlichen Vorbehaltes (S. 234) sollen die seit dem Passauer Vertrage 1552 von protestantischen Fürsten in Besitz genommenen geistlichen Güter herausgegeben werden. Dies betrifft 2 Erzbistümer: Magdeburg und Bremen; 12 Bistümer: Minden, Verden, Halberstadt, Lübeck, Ratzeburg, Meißen, Merseburg, Naumburg (diese drei werden jedoch dem Kurfürsten von Sachsen ausnahmsweise belassen), Brandenburg, Havelberg, Lebus und Kammin, außerdem viele Klöster und Stifter. 2. Nur die Bekenner der Augsburgischen Konfession sollen freie Religionsübung [256]haben, alle anderen »Sekten« — also auch die Reformierten — sollen aufhören. — Anfang rücksichtsloser Ausführung des Resitutionsedikts durch die Truppen der Liga und Wallensteins.

1630.

Kurfürstentag zu Regensburg.

Die katholischen Kurfürsten, gestützt auf die lauten Klagen aller Reichsstände über die von Wallensteins Truppen verübten Grausamkeiten und Erpressungen, erlangen vom Kaiser Ferdinand II. die Absetzung Wallensteins.

3. Schwedischer Krieg 1630–1635.
1630. Juni

Gustav II. Adolf, König von Schweden, landet auf der Insel Usedom.

Zwecke und Gründe seiner Einmischung: Schutz der unterdrückten Protestanten; Wiedereinsetzung der Herzöge von Mecklenburg, seiner Verwandten; Sicherung seiner Herrschaft gegen die mit dem Kaiser verbündete polnische Linie des Hauses Wasa (s. S. 250); Besorgnis vor der Begründung einer kaiserlichen Seemacht auf der Ostsee.

Damalige Machtstellung Schwedens: Finnland, Karelien, Ingermanland, Estland, Livland (S. 249 f.), gehörten zu Gustav Adolfs Reiche, Kurland stand unter schwedischem Einfluß. Es lag für einen ehrgeizigen Monarchen nahe, an die Erwerbung von Preußen und Pommern zu denken, welche das Baltische Meer völlig unter den beherrschenden Einfluß Schwedens gebracht hätte.

Nach der Eroberung der Inseln Usedom, Wollin und Rügen besetzt Gustav Adolf Stettin, schließt ein Bündnis mit Herzog Bogislaw XIV., vertreibt die kaiserlichen Truppen aus Pommern. Subsidienvertrag mit Frankreich (Richelieu). Er rückt an der Oder vor, wo ihm Tilly entgegentritt (1631), wendet sich nach Mecklenburg, dann zur Oder zurück, nimmt die Stadt Frankfurt ein. Inzwischen hat Tilly Magdeburg zu belagern begonnen. Gustav Adolf unterhandelt mit seinem Schwager Georg Wilhelm, Kurfürsten von Brandenburg, der Bedenken trägt, vom Kaiser abzufallen; endlich wird ihm die Festung Spandau eingeräumt. Weitere Unterhandlungen mit Kurfürst Johann Georg von Sachsen, der neutral zu bleiben versucht. Währenddessen

1631.

(10./20. Mai.) Eroberung Magdeburgs durch Tilly. Der Sturm geleitet von Pappenheim. Furchtbares Blutbad und Plünderung durch die zügellosen Soldaten Tillys. Durch eine plötzlich an verschiedenen Stellen ausbrechende Feuersbrunst wird die Stadt Magdeburg mit Ausnahme des Domes in Asche gelegt (nicht auf Tillys Befehl).

Tilly will den Kurfürsten von Sachsen zum Anschluß an den Kaiser zwingen. Johann Georg ruft Schwedens Hilfe an.

1631. 7. / 17.Sept.

Schlacht bei Leipzig oder Breitenfeld. Zuerst werden die Sachsen von Tilly in die Flucht geschlagen, dann glänzender Sieg Gustav Adolfs.[257]

Die Sachsen unter Arnim, dem früheren Unterfeldherrn Wallensteins, rücken in Böhmen ein und nehmen Prag. Gustav Adolf zieht durch Thüringen und Franken nach dem Rhein (über Erfurt, Würzburg, Hanau, Frankfurt). Die Pfalz erobert. Mainz besetzt, hier Winterquartiere.

Wallenstein, vom Kaiser wieder zum Kommando und unbeschränkten Oberbefehl über alle kaiserlichen Truppen berufen, wirbt ein neues Heer und vertreibt (Mai 1632) die Sachsen aus Böhmen. Gustav Adolf zieht nach Nürnberg und siegt über Tilly bei Rain am Lech (5./15. April). Tilly, tödlich verwundet, stirbt in Ingolstadt.

Gustav Adolf nimmt Augsburg ein, belagert vergeblich Maximilian in Ingolstadt, zwingt München zur Übergabe. Wallenstein von Maximilian zu Hilfe gerufen.

1632. Juli–Sept.

Festes Lager bei Nürnberg. Gustav Adolf und Wallenstein lagern einander 7 Wochen gegenüber. Ein Angriff der Schweden auf Wallensteins Verschanzungen wird blutig zurückgeschlagen. Darauf rückt Gustav Adolf gegen die Donau, Wallenstein nach Sachsen. Auf den Hilferuf des Kurfürsten kommt Gustav Adolf in Eilmärschen herbei, vereinigt sich mit Bernhard von Weimar und greift, als er hört, daß Wallenstein von Leipzig aus Pappenheim nach Nordwesten abgesandt hat, die Kaiserlichen (etwa 18000 gegen 20000 Schweden) an.

6./16. Nov.

Schlacht bei Lützen. Gustav Adolf fällt. Pappenheim, der, schnell zurückgerufen, von 3 Uhr ab mit seinen Reitern an der Schlacht teilgenommen hatte, war kurz vor dem König tödlich verwundet worden. Der Sieg der Schweden wird durch Bernhard von Weimar vollendet.

Bernhard, Gustav Horn und Banér erhalten den Befehl über die schwedischen Heere. Die politische Leitung übernimmt der schwedische Reichskanzler Axel Oxenstierna; er schließt den Heilbronner Bund: Schweden an der Spitze der 4 oberdeutschen Reichskreise (Baden, Württemberg, Hessen-Kassel, die süddeutschen Reichsstädte).

1633.

Zug Bernhards’ von Weimar nach Franken. Er läßt sich von dem schwedischen Kanzler mit den Bistümern Würzburg und Bamberg als Herzogtum Franken belehnen und besetzt die Oberpfalz.

Wallenstein rückt aus Böhmen nach Schlesien vor, nimmt bei Steinau an der Oder ein schwedisches Korps gefangen, kehrt dann aber nach Böhmen zurück und weigert sich, dem Kurfürsten Maximilian von Bayern abermals zu Hilfe zu kommen, obgleich Regensburg (14. Nov.) von Bernhard von Weimar besetzt ist. Spannung zwischen Wallenstein und dem kaiserlichen Hofe. Die ihm feindliche ligistisch-spanische Partei will ihn vom Oberbefehl entfernen. Wallenstein führt geheime Unter[258]handlungen mit den Sachsen, Schweden und Franzosen. Er beabsichtigt, sich durch sein Heer (Revers der Obersten in Pilsen) eine unabhängige Stellung zu verschaffen, den Kaiser von der Herrschaft der spanischen Partei zu befreien und den Reichsfrieden herzustellen.

Der Wiener Hof macht ihm die Hauptführer der Truppen (Gallas, Piccolomini, Aldringen, Maradas, Colloredo) abwendig; Ilow, Terzka, Kinsky bleiben Wallenstein treu. Ein kaiserliches Patent vom 18. Februar 1634 erklärt Wallenstein für abgesetzt, weil »er eine Konspiration anzuspinnen sich angemaßt, Uns und Unser hochlöbliches Haus von unserem Erbkönigreich, Land und Leuten zu vertreiben«. Wallenstein verläßt Pilsen und zieht nach Eger, wohin auch Bernhard von Weimar und Arnim kommen sollen.

1634. 25. Febr.

Wallenstein ermordet zu Eger auf Veranstaltung des irischen Obersten Butler, der mit Gallas und Piccolomini im Einverständnis war. Der Kaiser hat den Mord nicht befohlen, aber die Mörder mit Ehren und Reichtümern belohnt.

6./16. Sept.

Schlacht bei Nördlingen, Sieg der mit einem spanischen Hilfskorps vereinigten Kaiserlichen (unter Ferdinand, des Kaisers Sohn, und Gallas) und Bayern (Johann von Werth) über die Schweden unter Horn und Bernhard von Weimar. Die süddeutschen Protestanten suchen Hilfe bei Frankreich.

1635.

Friede zu Prag, zwischen dem Kaiser und dem Kurfürsten von Sachsen: 1. Der Kurfürst von Sachsen erhält die Lausitz erblich, das Erzbistum Magdeburg für seinen zweiten Sohn August auf Lebenszeit. 2. Die geistlichen Güter (s. S. 255) sollen den protestantischen Besitzern auf 40 Jahre verbleiben. 3. Gemeinsame Bekämpfung der Schweden und ihrer Bundesgenossen. — Brandenburg und andere protestantische Reichsstände treten diesem Frieden bei; einige aber bleiben dem Bündnis mit Schweden treu.

4. Schwedisch-französischer Krieg 1635–1648.

Frankreich, durch Richelieus Politik mit Schweden eng verbündet (S. 256), erklärt dem Kaiser, bald auch dem König von Spanien den Krieg. Subsidienvertrag mit Bernhard von Weimar, welcher sich, da er infolge der Schlacht bei Nördlingen sein Herzogtum Franken verloren hat, im Elsaß einen neuen Staat zu erobern sucht. Einnahme von Breisach 1638. Nach seinem Tode 1639 bemächtigt sich Frankreich seines Heeres und seiner Eroberungen.

1636.

Sieg der Schweden (nachdem sie fast bis an die Ostsee zurückgedrängt gewesen waren) unter Banér bei Wittstock über das kaiserlich-sächsische Heer.

1637.

Kaiser Ferdinand II. †. Sein Sohn[259]

1037–1657.

Ferdinand III., zum Frieden geneigt. Das pommersche Herzoghaus erlischt (1637).

1640.

Georg Wilhelm †. Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg (der Große Kurfürst, 1640–1688. S. auch Anhang):

1641.

Friedensverhandlungen in Hamburg, ein Kongreß verabredet.

1642.

Zweite Schlacht bei Leipzig (Breitenfeld), Banérs Nachfolger Torstenson siegt über die Kaiserlichen unter Erzherzog Leopold Wilhelm und Piccolomini, dringt darauf durch Böhmen nach Mähren vor. Die feindliche Haltung des auf Schwedens Erfolge eifersüchtigen Dänenkönigs Christian IV. (S. 255) veranlaßt ihn zur Umkehr.

1643. Sept.

Torstenson zieht in Eilmärschen durch Schlesien, Sachsen, Braunschweig nach dem Norden, erobert Holstein und Schleswig, rückt in Jütland ein.

Unterdessen dringen die Franzosen in Schwaben vor, werden aber bei Tuttlingen von einem österreichisch-bayrischen Heere (unter Mercy und Johann von Werth) geschlagen.

1644.

Die Gesandten der Krieg führenden Staaten versammeln sich in Münster und Osnabrück; langwierige Vorverhandlungen. Der Marschall Turenne und der 23jährige Herzog von Enghien, später Prinz Condé, erhalten den Oberbefehl über die französischen Truppen. Sie zwingen die Bayern zum Rückzug und erobern einen großen Teil der Rheinlande (Worms, Mainz, Bingen u. a. Städte).

1645. Jan.

Ein den Dänen zu Hilfe gesandtes kaiserliches Heer unter Gallas wird von Torstenson aus Holstein zurückgetrieben und bei Magdeburg fast vernichtet. Glänzender Sieg Torstensons über die Kaiserlichen

März.

bei Jankau (in Böhmen), worauf er, mit dem siebenbürgischen Fürsten Rakoczy verbündet, Mähren erobert und bis nahe vor Wien rückt.

Turenne, von Mercy und Johann von Werth bei Mergentheim (in Franken) geschlagen, siegt mit Condé vereinigt bei Allerheim (unweit Nördlingen).

Friede zwischen Schweden und Dänemark zu Brömsebro (s. S. 250).

Nach dem Mißlingen der Belagerung von Brünn geht Torstenson nach Böhmen zurück und legt wegen Krankheit den Oberbefehl nieder, welchen Wrangel erhält.

1646.

Schweden und Franzosen rücken in Bayern ein, zwingen den Kurfürsten Maximilian (1647), einen Waffenstillstand zu schließen.

1648.

Zweiter Einfall der Schweden und Franzosen in Bayern, nachdem Maximilian den Waffenstillstand gekündigt hat; furchtbare Verheerung des Landes. Der schwe[260]dische General Königsmark nimmt die Kleinseite von Prag auf dem linken Moldauufer ein.

1648.

Westfälischer Friede. Unterhandlungen von 1645 bis 1648 zu Münster mit den Franzosen, zu Osnabrück mit den Schweden. Der kaiserliche Gesandte Graf Trautmannsdorf.

A. Entschädigungen.

1. Schweden erhält als Reichslehen: Vorpommern mit Stettin, Rügen, Usedom und Wollin, die bisher mecklenburgische Stadt Wismar und die Bistümer Bremen (nicht die Stadt) und Verden (spr. Fērden) als weltliche Herzogtümer, dazu 5 Millionen Taler.

2. Frankreich erhält den Besitz der schon 1552 (s. S. 233) gewonnenen lothringischen Bistümer Metz, Toul und Verdun bestätigt; der Streit mit dem seit 1634 vertriebenen Herzog von Lothringen bleibt unerledigt (bis 1659, vgl. S. 262). Im Elsaß erhält es die österreichische Landgrafschaft (S. 195), den Sundgau und die Landvogtei über 10 Reichsstädte; diese Städte selbst verbleiben dem Reiche, ebenso Stadt und Bistum Straßburg. Auf dem rechten Rheinufer erhält Frankreich die Stadt Breisach und das Besatzungsrecht von Philippsburg.

3. Bayern bleibt im Besitz der Oberpfalz, Sachsen im Besitz der Lausitz; Brandenburg erhält Hinterpommern mit dem Bistum Kammin, die Bistümer Halberstadt und Minden und die Anwartschaft auf das Erzbistum Magdeburg (erworben 1680, S. 258). Hessen-Kassel erhält die Abtei Hersfeld und einen Teil der Grafschaft Schauenburg, Mecklenburg die Bistümer Schwerin und Ratzeburg, Braunschweig-Lüneburg ein Anrecht auf das Bistum Osnabrück, wo bis 1803 abwechselnd ein katholischer und ein evangelischer Bischof regiert.

B. Weltliche Reichsangelegenheiten.

1. Allgemeine Amnestie und Wiedereinsetzung in den Stand von 1618, doch bleibt die bayrische Linie des Hauses Wittelsbach im Besitz der Kurwürde; für die pfälzische wird eine neue, achte Kurwürde errichtet. 2. Den Reichsständen wird im Verhältnis zum Kaiser die Landeshoheit (Superioritas territorialis) zuerkannt, namentlich das Recht, Bündnisse unter sich und mit Auswärtigen, außer gegen Kaiser und Reich, zu schließen. 3. Die Republik der Niederlande (S. 244) und die Schweiz (S. 225) werden als unabhängig vom Reiche anerkannt.

C. Geistliche Angelegenheiten.

1. Der Augsburger Religionsfriede wird bestätigt und auf die Reformierten ausgedehnt. 2. In betreff der geistlichen Güter und der Religionsübung wird der 1. Januar 1624 (Annus normalis) als maßgebend festgesetzt.[261]

Frankreich und Schweden garantieren den Frieden. Ihre Truppen verlassen erst 1650 nach Abzahlung der Kriegsentschädigungen das deutsche Gebiet.

Folgen des Dreißigjährigen Krieges.

1. Deutschland ist verwüstet und kommt nur langsam wieder empor. Das Deutsche Reich ist nach außen ohnmächtig, im Innern geschwächt durch die Selbständigkeit der vielen kleinen Staaten. Sinken der Städte, der Hansebund ist aufgelöst.[47]

2. Die Religionsfreiheit ist für Deutschland und dadurch auch für das übrige Europa gesichert. 3. Frankreich und Schweden gelangen zu besonderem Ansehen im europäischen Staatensystem.

Der brandenburgisch-preußische Staat beginnt sich zu entfalten. Er übernimmt fortan in Deutschland den Schutz der vom Kurfürsten von Sachsen preisgegebenen protestantischen Sache.

B. Vom Westfälischen Frieden bis zur französischen Revolution. (1648–1789.)

§ 1. Frankreich.

1643–1715.

Ludwig XIV., beim Tode seines Vaters Ludwig XIII. (S. 238) 5 Jahre alt, zunächst unter Vormundschaft seiner Mutter Anna, Tochter Philipps III. von Spanien; die Regierung leitet der Kardinal Mazarin.

1648–1653.

Unruhen der Fronde, veranlaßt durch den Widerstand des Pariser Parlaments gegen Mazarins Verordnungen. Eine unzufriedene Adelspartei schließt sich dem Widerstand an; Prinz Condé, anfangs für die Regierung kämpfend, entzweit sich ebenfalls mit Mazarin; dieser geht 1651 für kurze Zeit in die Verbannung. 1652 Kampf zwischen Condé und Turenne, der die königlichen Truppen befehligt, im Faubourg St. Antoine; Condé dringt in die Stadt Paris ein, wird aber bald beim Volke unbeliebt. Der Hof kehrt nach Paris zurück, Condé entweicht nach Spanien. Mazarin befestigt das Ansehen der Monarchie.

1648.

Frankreichs Erwerbungen im Westfälischen Frieden s. S. 260.

Der 1635 ausgebrochene Krieg mit Spanien (Sieg Condés bei Rocroy 1643) wird beendet durch den[262]

1659.

Pyrenäischen Frieden:[48] 1. Frankreich erhält die Grafschaft Roussillon (im NO. der Pyrenäen) und mehrere Plätze in Artois und Flandern. 2. Der Herzog von Lothringen, Spaniens Verbündeter, wird in sein Herzogtum wieder eingeführt, muß jedoch den Franzosen eine Heerstraße von Metz nach dem Elsaß zugestehen. 3. Prinz Condé kehrt zurück; Ludwig XIV. heiratet Maria Theresia, älteste Tochter Philipps IV. von Spanien, welche jedoch ihren Erbansprüchen entsagt.

1661.

Tod Mazarins. Ludwigs Selbstregierung (1661 bis 1715), ohne Reichsstände (États généraux), ohne Beachtung der Einsprüche des Pariser Parlaments, nach persönlicher Willkür (L’État c’est moi). Colbert Finanzminister, Förderung der Gewerbtätigkeit und des Handels durch das Merkantilsystem (Schutzzölle zur Abwehr ausländischer Erzeugnisse, Verbesserung der Wege, Kanalbauten). Kolonien auf den Kleinen Antillen, in Canada, Cayenne, Louisiana, Pondichery. Große Handels- und Kriegsflotte. Louvois Kriegsminister; starkes stehendes Heer. Vauban genialer Festungsbaumeister.

Um Frankreichs Ansehen vor dem übrigen Europa zur Geltung zu bringen, unternimmt Ludwig XIV. eine Reihe von Eroberungskriegen gegen die Nachbarstaaten.

1667–1668.

Raubkrieg gegen Spanien (Devolutionskrieg). Nach dem Tode Philipps IV. (1665) erhebt Ludwig XIV., gestützt auf das in einigen belgischen Provinzen geltende Devolutionsrecht, wonach die Töchter erster Ehe ein den Söhnen zweiter Ehe vorangehendes Erbrecht haben, Ansprüche auf die spanischen Niederlande. Turenne erobert einen Teil von Flandern und Hennegau, Condé besetzt die nicht verteidigte Freigrafschaft Burgund (Franche-Comté). Die von dem holländischen Ratspensionär Jan de Witt zustande gebrachte Tripelallianz (England, Holland, Schweden) führt den Frieden zu Aachen herbei: Frankreich erhält eine Anzahl von Grenzstädten, darunter Lille, welches von Vauban zu einer starken Festung umgeschaffen wird, gleichwie das 1662 von England (S. 270) erworbene Dünkirchen.

1672–1678.

Raubkrieg gegen Holland. Ludwig XIV. schließt Bündnisse und Subsidienverträge mit England (S. 270), Schweden und mehreren deutschen Reichsfürsten (besonders den geistlichen Fürsten von Köln und Münster), vertreibt den Herzog Karl IV. von Lothringen 1670. Verbündeter der niederländischen Republik ist Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (s. S. 244).[263]

Schnelle Eroberung eines großen Teiles der Niederlande (Turenne, Condé, der König an der Spitze von über 100000 Mann). Die Brüder de Witt, Führer der aristokratisch-republikanischen Partei, in einem Aufstande vom Volke getötet; Wilhelm III. von Oranien an die Spitze der Republik gestellt. Die Öffnung der Schleusen rettet die Provinz Holland und die Stadt Amsterdam.

Kurfürst Friedrich Wilhelm schließt mit Kaiser Leopold (S. 265) ein Bündnis gegen Frankreich, wird aber von dem kaiserlichen Feldherrn Montecuccoli in seinen Truppenbewegungen gehemmt. Turenne, in Westfalen vordringend, nötigt ihn 1673 zu einem Frieden, den Ludwig XIV. in Vossem (unweit Löwen) bestätigt: Der Kurfürst erhält das von den Franzosen besetzte Land Cleve (S. 252) zurück mit Ausnahme der Festungen Wesel und Rees.

Auch Spanien nimmt an dem Kriege teil. 1674 erfolgt die Kriegserklärung des Deutschen Reiches an Frankreich. Ludwig XIV. besetzt die Franche-Comté; Condé kämpft gegen den Prinzen von Oranien in der unentschiedenen Schlacht bei Seneffe (südlich von Brüssel), Turenne gegen den kaiserlichen General Bournonville bei Enzheim im Elsaß. Kurfürst Friedrich Wilhelm erscheint mit 20000 Mann im Elsaß, kann sich aber mit Bournonville nicht einigen über gemeinsames Vordringen; beide werden von Turenne zum Rückzug über den Rhein genötigt. Friedrich Wilhelm, durch den Einfall der mit Ludwig XIV. verbündeten Schweden in sein Land zurückgerufen, besiegt die Schweden in der

1675 (18./28. Juni).

Schlacht bei Fehrbellin (Derfflinger). In demselben Jahre (Juli) fällt Turenne bei Sasbach in Baden. Die Franzosen gehen über den Rhein zurück, dringen aber bald wieder vor. Friedrich Wilhelm erobert bis 1679 Stettin und ganz Schwedisch-Pommern nebst Rügen, treibt die Schweden auch aus Preußen bis nach Livland zurück.

1678–1679.

Friede zu Nimwegen: 1. Die Republik der Niederlande erhält ihr ganzes Gebiet zurück gegen das Versprechen der Neutralität. 2. Spanien tritt an Frankreich die Franche-Comté und abermals Grenzplätze seines niederländischen Gebiets ab (u. a. Valenciennes und Cambrai). 3. Der Kaiser tritt Freiburg an Frankreich ab, welches das Besatzungsrecht von Philippsburg (S. 260) aufgibt. 4. Lothringen wird dem Herzog Karl V. unter sehr beschränkenden Bedingungen zurückgegeben; da er diese nicht annimmt, bleibt es von den Franzosen besetzt. Den vom Kaiser und Reich preisgegebenen Kurfürsten von Brandenburg zwingt Ludwig XIV. zu dem

1679.

Frieden zu Saint Germain en Laye, in welchem dieser den Schweden fast alle seine Eroberungen[264] in Pommern (Stettin, Stralsund, Rügen) herausgeben muß. Bald darauf Bündnis des gegen den Kaiser erbitterten Kurfürsten[49]

mit Frankreich, bis 1685.

Infolge der Schwäche des Deutschen Reiches steigt der Übermut Ludwigs XIV. so weit, daß er 1680 Reunionskammern in Metz, Breisach, Besançon, Tournay einsetzt. Diese französischen Gerichtshöfe untersuchen und entscheiden, was jemals zu den in den letzten vier Friedensschlüssen an Frankreich abgetretenen Ländern und Plätzen gehört hat. Der König vollstreckt mit seinen Truppen die Reunionsbeschlüsse, indem er zu der Gewalttat mitten im Frieden den Hohn einer Rechtsform fügt.

1681. 30. Sept.

Die Franzosen besetzen Straßburg im Einverständnis mit dem Bischof Franz Egon von Fürstenberg. Einfall in die spanischen Niederlande 1683. Besetzung von Luxemburg und Trier 1684. Diesen Rechtsverletzungen tritt das Deutsche Reich nur mit leeren Protesten entgegen; schließlich wird 1684 zu Regensburg ein zwanzigjähriger Waffenstillstand mit Ludwig XIV. abgeschlossen, wonach er alle bis zum 1. August 1681 besetzten Gebiete, dazu auch Straßburg behält.

1684.

Eine französische Flotte bombardiert Genua, um es für seine Verbindung mit Spanien zu strafen.

1685.

Aufhebung des Edikts von Nantes (s. S. 238). Die Ausübung des reformierten Bekenntnisses in Frankreich wird untersagt, die Erziehung der Kinder in der katholischen Religion befohlen, die Auswanderung verboten. Über 50000 Familien entkommen indes nach Holland, England, Brandenburg. Die Protestanten im Elsaß behalten die ihnen zugesicherte Religionsfreiheit.

1688–1697.

Raubkrieg gegen Deutschland (Pfälzischer Krieg). Nach dem Tode des Kurfürsten Karl von der Pfalz (1685), dessen Schwester Elisabeth Charlotte (Liselotte) mit dem Herzog Philipp von Orléans, Bruder Ludwigs XIV., vermählt war, erhebt Frankreich gegenüber der Linie Pfalz-Neuburg Ansprüche auf einen großen Teil des Landes. Im Erzbistum Köln will Ludwig XIV. die Wahl des Straßburger Bischofs Wilhelm von Fürstenberg gegen den Prinzen Clemens von Bayern durchsetzen. Bündnis zu Augsburg 1686 gegen Frankreich zwischen dem Kaiser, Spanien, Schweden und den bedeutendsten Reichsfürsten, nach der in England 1688 erfolgten Thronveränderung (S. 271) zu der Großen Allianz erweitert, der England, Holland und Savoyen beitreten.[265]

Die französischen Heere rücken in die Rheinlande ein (Sept. 1688). Furchtbare Verheerung der Pfalz durch Mélac auf Befehl von Louvois (März-Juni 1689); die Städte Heidelberg, Mannheim, Speier, Worms und Hunderte von kleineren Orten verbrannt. Das deutsche Reichsheer erobert Mainz und Bonn, kann aber am Oberrhein die Franzosen nicht vertreiben; der Markgraf Ludwig von Baden erobert Heidelberg wieder, hält sich dann aber meist allzu vorsichtig hinter seiner festen Verteidigungsstellung bei Heilbronn.

In den Niederlanden siegt der Marschall von Luxembourg bei Fleurus 1690, Steenkerken 1692, Neerwinden 1693, doch behauptet Wilhelm III. durch zähe Ausdauer das Feld. Eine französische Landung in Irland zu Gunsten des vertriebenen Jakob II. hat nur vorübergehenden Erfolg (s. S. 272).

1692.

Seesieg der verbündeten englischen und holländischen Flotte über die französische bei La Hougue (Ostseite der Halbinsel Cotentin).

1697.

Friede zu Ryswyk (spr. Reisweik, Dorf beim Haag): 1. Frankreich behält die im Elsaß besetzten Gebiete, gibt aber Freiburg zurück (S. 263); die pfälzische Erbschaftssache wird einem Schiedsgericht übergeben. 2. Der Herzog von Lothringen wird vollständig wieder eingesetzt (S. 263). 3. Spanien erhält Luxemburg zurück, tritt aber einige Grenzgebiete seiner Niederlande ab. 4. Wilhelm III. wird als König von England anerkannt.

Blüte der französischen Literatur im Zeitalter Ludwigs XIV. Corneille († 1684), Racine († 1699), Molière († 1673), La Fontaine († 1695), Boileau († 1711), Bossuet († 1704), Fléchier († 1710), Fénelon († 1715).

Ludwigs Hofleben in Versailles, Marly, Trianon das Vorbild der europäischen Höfe. Bauten, Luxus, Maitressen (La Vallière, Montespan, Fontange). Nach dem Tode seiner Gemahlin Maria Theresia von Spanien († 1683) vermählt sich Ludwig insgeheim mit Françoise d’ Aubigné, Witwe des Dichters Scarron, die er zur Marquise von Maintenon erhebt. Seitdem Frömmelei am Hofe. Die Finanzen geraten nach Colberts Tode (1683) in Unordnung, zunehmende Willkürherrschaft im Innern. Beginn des wirtschaftlichen Niedergangs.

§ 2. Deutschland.

1658–1705.

Leopold I. (Sohn Ferdinands III.), mehr auf die Mehrung der habsburgischen Hausmacht bedacht, als auf die Wiederaufrichtung des geschwächten Deutschen Reiches. Unter den Reichsfürsten ragt Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst von Brandenburg (1640–1688) hervor als Verteidiger der Selbständigkeit Deutschlands, während andere,[266] namentlich die drei geistlichen Kurfürsten zu gegenseitigem Schutze mit Frankreich 1658 den Rheinbund schließen (aufgelöst 1667).

Seit 1663 dauernder Reichstag zu Regensburg, von den Gesandten der 8 Kurfürsten, der 33 geistlichen, der 61 weltlichen Fürsten (dazu 2 Kurien der Prälaten, 4 Kurien der Reichsgrafen) und der 51 Reichsstädte gebildet. Für Religionssachen getrennte Beratung, Corpus Catholicorum und Corpus Evangelicorum. Neben dem Reichskammergericht in Wetzlar (S. 224) gilt auch der Reichshofrat zu Wien als oberstes Gericht. Kriegswesen und Finanzen in schlechtem Zustande, weil alles von der Bewilligung der so zahlreichen Reichsstände abhängt. Doch kämpfen die Reichstruppen tapfer mit in den von Österreich mit Nachdruck geführten Türkenkriegen.

1664.

Sieg des kaiserlichen Feldherrn Montecuccoli über die Türken bei St. Gotthard an der Raab. Darauf Friedensschluß; die größere Hälfte von Ungarn bleibt unter türkischer Hoheit (vgl. S. 232). Eine Verschwörung ungarischer Magnaten gegen die habsburgische Herrschaft wird 1670 entdeckt und bestraft; Aufstand unter Führung des Grafen Tököly 1678; dieser ruft die Türken zu Hilfe.

1683.

Belagerung Wiens durch die Türken. Heldenmütige Verteidigung, geleitet durch Rüdiger von Starhemberg. Glücklicher Entsatz durch die Schlacht am Kahlen Berge; Sieg des vereinigten deutschen und polnischen Heeres unter Karl V. von Lothringen und dem Polenkönig Johann Sobieski. 1684 Beitritt Venedigs zum Kriegsbündnis gegen die Türkei.

1686.

Ofen erobert von kaiserlichen und brandenburgischen Truppen. Sieg Karls von Lothringen bei Mohacz.

1687.

Der Reichstag zu Preßburg überträgt dem österreichischen Mannesstamm die erbliche Thronfolge in Ungarn.

1691.

Sieg des Markgrafen Ludwig von Baden bei Slankamen unweit Peterwardein, des Prinzen Eugen von Savoyen bei Zenta an der Theiß 1697.

1699.

Friede zu Karlowitz: Ungarn und Siebenbürgen kommen an Österreich, türkisch bleibt nur das Gebiet von Temesvar. Morea kommt an Venedig, Asow an Rußland.

Standeserhöhungen deutscher Fürsten am Ende des 17. und am Anfang des 18. Jahrhunderts:

1692.

1. Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg (Haus der Welfen, s. S. 184) erhält als Kurfürst von Hannover die neunte Kurwürde.

1697.

2. Friedrich August I., Kurfürst von Sachsen, wird nach dem Tode Johann Sobieskis zum König von Polen erwählt als August II. (der Starke).[267]

3. Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (1688 bis 1713), Sohn des Großen Kurfürsten, nimmt

1701. 18. Jan.

mit Zustimmung des Kaisers (S. 272) den Titel König in Preußen (Friedrich I.) an und krönt sich in Königsberg.

Wiederherstellung des Geisteslebens in Deutschland nach der Zerrüttung des Dreißigjährigen Krieges:

Paul Gerhard († 1676), Ph. J. Spener († 1705), A.H. Franke (gründet 1698 das Waisenhaus in Halle). Der Philosoph, Mathematiker und Geschichtsforscher G.W. Leibniz (geb. 1646 zu Leipzig, 1676 in Hannover, 1700 in Berlin, † 1716 in Hannover). Chr. Thomasius in Halle († 1728) hält zuerst deutsche Vorlesungen, bekämpft die Hexenprozesse und die Anwendung der Folter.

§ 3. Der Norden und Osten.

Schweden, durch den Besitz bedeutender Nebenländer (S. 256, 260) fast rund um die Ostsee ausgedehnt, ist seit dem Dreißigjährigen Kriege die erste Macht des Nordens.

1654–1718.

Haus Pfalz-Zweibrücken (s. S. 250).

1655–1660.

Schwedisch-Polnischer Krieg.

Karl X. Gustav (1654–1660) beginnt Krieg mit Polen, weil Johann Kasimir (aus der katholischen Linie des Hauses Wasa) ihn ebenso wenig anerkennen will, wie früher Sigismund III. Gustav Adolf (S. 250). Er dringt von Pommern her in Polen ein, nimmt Warschau und Krakau; Johann Kasimir flüchtet nach Schlesien. Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg sieht sich genötigt, im Vertrage zu Königsberg 1656 sein Herzogtum Preußen von Schweden, wie bisher von Polen (S. 229), zu Lehen zu nehmen; dazu erhält er das Bistum Ermeland. In Polen Aufstand gegen die Schweden. Karl Gustav und Friedrich Wilhelm gewinnen die dreitägige

1656 (Juli).

Schlacht bei Warschau gegen die Polen.

Um sich die weitere Hilfe des Kurfürsten von Brandenburg zu sichern, gesteht Karl Gustav diesem in dem Vertrage zu Labiau die Souveränität (lehnsfreie Herrschaft) über Ostpreußen und Ermeland zu. Allein es erklären sich gegen Schweden: Rußland, Dänemark, der Kaiser Leopold I. und bald auch der Kurfürst von Brandenburg, dem Polen im Vertrage zu Wehlau 1657 ebenfalls die Souveränität über Ostpreußen (ohne Ermeland) zusichert. Die Schweden werden bald aus Polen zurückgedrängt, nur Polnisch-Preußen bleibt von ihnen besetzt. Karl Gustav greift Dänemark an und erzwingt durch schnelles Vordringen (Übergang über die gefrorenen Belte, Januar 1658) den[268]

1658.

Frieden zu Roeskild: Dänemark tritt den südlichen Teil der skandinavischen Halbinsel (Schonen, Halland, Blekingen), das Stift Dronthjem und die Insel Bornholm an Schweden ab.

Noch in demselben Jahre zweiter Angriff Karl Gustavs, aber die belagerte Hauptstadt Kopenhagen verteidigt sich tapfer. Eine holländische Flotte (die Holländer Handelsrivalen der Schweden) kommt zu Hilfe; kaiserliche, polnische und brandenburgische Truppen vertreiben die Schweden aus Holstein und Schleswig. Die Brandenburger besetzen unter Führung des Kurfürsten die Insel Alsen. Karl X. hebt die Belagerung von Kopenhagen auf, stirbt bald darauf zu Gotenburg. Ihm folgt sein minderjähriger Sohn Karl XI. (1660–1697).

1660.

Friede zu Olīva (Kloster bei Danzig).

Johann Kasimir entsagt allen Ansprüchen auf den schwedischen Thron, sowie auf Livland und Estland; der Herzog von Kurland wird als polnischer Vasall wieder eingesetzt. Die Souveränität Preußens wird von Schweden und Polen bestätigt.

Gleich darauf Friede zu Kopenhagen mit Dänemark; der Roeskilder Frieden bestätigt, aber Dronthjem und Bornholm an Dänemark zurückgegeben.

In Dänemark wird gleich nach dem Frieden von dem der Adelsherrschaft überdrüssigen dritten Stande (Bürger) und der Geistlichkeit dem Könige Friedrich III. (1648–1670) eine ganz unumschränkte Gewalt übertragen. Im Anschluß daran erklärt das Königsgesetz 1665 Dänemark für ein Erbreich in männlicher und weiblicher Linie; es gilt aber nicht für die Herzogtümer Schleswig-Holstein, welche auch ihren eigenen Landtag behalten. Das Herzogtum Oldenburg 1667 nach dem Aussterben der dort regierenden Linie (S. 216) mit Dänemark vereinigt.

Auch in Schweden übertragen die Stände, der übermäßigen Gewalt des Reichsrats müde, 1682 dem großjährig gewordenen Könige Karl XI. eine fast unumschränkte Gewalt.

In Polen dagegen ist seit der Einführung der Wahlmonarchie 1572 (S. 250) die königliche Macht zum Schatten herabgesunken, der Staat ist tatsächlich eine Adelsrepublik. Der aus dem Senat (Bischöfe, Woiwoden, Kastellane) und den gewählten Landboten (Abgeordnete des Adels) bestehende Reichstag übt alle Gewalt aus. Das liberum veto, d. h. das Recht jedes einzelnen Mitgliedes, einen Reichstagsbeschluß durch seinen Einspruch ungültig zu machen, führt zu Bestechung, Gewalttat und schließlich fast zur Anarchie; nur selten kommt ein Beschluß zustande.

Nach Johann Kasimirs, des letzten der 3 katholischen Wasas Abdankung blutige Thronstreitigkeiten; dann regiert Johann[269] Sobieski 1674–1696, der den kriegerischen Adel durch Feldzüge gegen die Türken (vgl. S. 266) an sich fesselt. Ihm folgt August II. von Sachsen 1697–1733; Friede mit den Türken zu Karlowitz.

Rußland unter dem Hause Romānow (1613–1762) wachsend an Macht und Ansehen. Michael Romānow (1613 bis 1645) kämpft zwar unglücklich gegen Polen, ordnet aber die innere Verwaltung. Sein Sohn Alexei (1645–1676) gewinnt die Länder am Dnjepr (Smolensk und Kiew) von Polen zurück, unterwirft Sibirien bis zum äußersten Osten und das Amurland (S. 250) und fängt an, europäische Kultur in Rußland zu verbreiten. Nach dem Tode seines ältesten Sohnes Feodor (1682) werden von den Strelitzen, der adligen Leibwache des Zaren, dessen beide Brüder Iwan und Peter unter Vormundschaft ihrer älteren Schwester Sophia zu Zaren ausgerufen. Peter in Preobraschensk (bei Moskau) mit militärischen Übungen beschäftigt; aus seinen Spielgefährten (Poteschnie) wird später die Garde des Heeres gebildet. Sophia, die ihn vom Thron ausschließen will, wird 1689 in ein Kloster geschickt.

1689–1725.

Peter der Große, regiert als Alleinherrscher, da der geistesschwache Bruder Iwan bis zu seinem Tode (1696) ohne jede Macht bleibt. Er ist der Gründer des russischen Staates.

Peter beginnt seine Reformen mit Hilfe des Schotten Gordon und des Genfers Lefort. Asow erobert 1696 (S. 266). Grausame Bestrafung eines Aufruhrs der Strelitzen. Darauf Reise des Zaren durch Deutschland über Königsberg und Berlin nach Holland, wo er in Zaandam als Schiffszimmermann arbeitet, dann nach England. Anwerbung ausländischer Handwerker, Künstler, Offiziere. Fortsetzung der Reise über Dresden nach Wien; im Begriff nach Venedig abzureisen, wird der Zar durch die Nachricht von einem abermaligen Aufruhr der Strelitzen zurückgerufen. Blutiges Strafgericht; das ganze Korps wird aufgelöst, das Heer nach europäischer Weise gebildet.

Nach Leforts Tode 1699 Menschikow Günstling und Minister des Zaren, bemüht um weitere Einführung der westeuropäischen Kultur in Rußland, doch auch habsüchtig und bestechlich. Peters Entschluß zu dem Kriege gegen Schweden (S. 274) wird entscheidend für Rußlands weiteren Aufschwung.

§ 4. England.

1649–1660.

England Republik (Commonwealth).

Cromwell (s. S. 249) unterwirft nach blutigem Kampfe die über die Hinrichtung des zum Katholizismus hinneigenden Königs Karl erbitterten Iren, dann durch die Siege[270] bei Dunbar (1650) und bei Worcester (spr. u_͡__ustĕr, 1651) das aufständische Schottland (S. 249), von wo er des hingerichteten Königs Sohn, Karl II., vertreibt. In England löst Cromwell das Rumpf-Parlament und das von ihm selbst berufene, aus eifrigen Independenten bestehende Barebone-Parlament auf. Durch das Heer wird

1653–1658.

Cromwell Lord-Protektor der drei Reiche (England, Schottland, Irland). Seine Regierung hält die Ordnung im Innern aufrecht und macht England zur ersten protestantischen Macht in Europa.

1651.

Navigationsakte, welche den Fremden auf ihren eigenen Schiffen nur die Einfuhr eigener Erzeugnisse erlaubt und namentlich den holländischen Zwischenhandel schwer trifft, da die Erzeugnisse der englischen Kolonien nur auf englischen Schiffen nach England gebracht werden dürfen. Daher Krieg mit Holland (1652–1654), aus welchem die Engländer als Sieger hervorgehen. England seitdem die erste Seemacht; Holland tritt mehr zurück (S. 244). Im Kriege mit Spanien (1655–1658) Eroberung Jamaikas und Einnahme von Dünkirchen.

Nach Oliver Cromwells Tode folgt ihm als Protektor sein ihm unähnlicher Sohn Richard Cromwell, der schon nach 8 Monaten abdankt. Zwistigkeiten unter den Befehlshabern des Heeres führen zur

1660.

Herstellung des Königtums. General Monk versammelt ein neues Parlament (Oberhaus und Unterhaus, S. 249), welches auf den Thron ruft Karls I. Sohn, den gewissenlosen, verschwenderischen und ausschweifenden

1660–1685.

Karl II. Herstellung der Episkopalkirche; von der Amnestie werden diejenigen ausgenommen, welche Karl I. zum Tode verurteilt hatten. Cromwells Leiche an den Galgen gehängt. 1662 Dünkirchen an Frankreich verkauft; 1664–1667 abermaliger Seekrieg mit Holland; 1664 New-York (1612 von den Holländern als Neu-Amsterdam gegründet) von den Engländern besetzt. 1666 Pest und große Feuersbrunst in London. 1667 dringt Admiral Ruyter (1607–1676) in die Themse ein.

Der Minister Clarendon 1667 verbannt; das Cabal-Ministerium (Clifford, Arlington, Buckingham, Ashley, Lauderdale) bewegt den König, für französische Jahrgelder aufs neue Krieg gegen Holland (1672–74, s. S. 262) zu führen und zu Gunsten der Katholiken die Indulgenzerklärung zu erlassen. Allgemeine Entrüstung; das Parlament setzt 1673 die Testakte durch, welche jeden Engländer, der ein Amt bekleiden will, zur Anerkennung der Oberhoheit des Königs über die englische Kirche und zu einer Erklärung gegen die katholische Abendmahlslehre[271] zwingt. Der katholische Bruder des Königs, Jakob, Herzog von York, legt sein Amt als Großadmiral nieder. 1674 das Cabal-Ministerium gestürzt, Friede mit Holland.

Neue Streitigkeiten mit dem Parlament, in welchem sich das Verlangen erhebt, den Herzog von York als »Papisten« von der Thronfolge auszuschließen. Unter dem Ministerium Shaftesbury wird 1679 die Habeascorpusakte (Schutz gegen willkürliche Verhaftung) durchgesetzt.

Entstehung der Parteinamen Whigs (Liberale) und Tories (Konservative), ursprünglich Spottnamen, der erstere ein schottischer für Anhänger des Covenants (S. 248), der zweite ein irischer für Anhänger des Papismus.

Die Ausschließungsbill wird im Unterhause von den Whigs durchgesetzt, im Oberhause verworfen. Die Entdeckung einer Verschwörung gegen den König hat strenge Maßregeln gegen die Whigs zur Folge; Lord Will. Russell und Algernon Sidney hingerichtet, der Herzog von Monmouth (natürlicher Sohn des Königs) flüchtet nach Holland. Karl II. stirbt 1685, nachdem er auf dem Totenbette Katholik geworden ist.

1685–1688.

Jakob II., Bruder Karls II., bei der überlieferten Politik seines Hauses verharrend, sucht die unumschränkte Königsgewalt und den Katholizismus in England wieder herzustellen. Monmouth landet in England, wird bei Sedgemoor geschlagen, gefangen und hingerichtet (1685). Blutige Assisen (Gerichtssitzungen), geleitet von dem grausamen und habsüchtigen Oberrichter Jeffreys.

Anstellung von Katholiken unter Erlassung des durch die Testakte verlangten Eides. Dann Aufhebung der Testakte; Religionsfreiheit verkündet. Sieben anglikanische Bischöfe weigern sich, die Indulgenzerklärung zu verkündigen. Prozeß und Freisprechung der Bischöfe. Durch die Geburt eines katholischen Prinzen von Wales (von Jakobs zweiter Gemahlin Maria d’Este, Prinzessin von Modena) wird die Aussicht auf protestantische Thronfolge vereitelt; die beiden Töchter Jakobs aus erster Ehe, Maria und Anna, waren protestantisch. Whigs und Tories wenden sich an Wilhelm von Oranien, Gemahl der Maria, und durch seine Mutter Enkel Karls I. (vgl. die Stammtafel S. 299).

1688. 5. Nov.

Landung Wilhelms, der von Friedrich III. von Brandenburg und andern norddeutschen Fürsten unterstützt wird, in Torbay; das Heer und die ganze Nation fallen ihm zu, Jakob entflieht nach Frankreich.

1689–1702.

Wilhelm III. (und Maria bis 1694), durch Parlamentsakte auf den Thron erhoben. Personalunion zwischen England und Holland. Die Regierung führt Wilhelm III. allein. Das Gesetz der Rechte (Bill of rights 1689) sichert die verfassungsmäßigen Freiheiten der Nation.[272]

Aufstand der katholischen Iren für Jakob, der daselbst landet und fast ein Jahr herrscht. Wilhelm schlägt ihn 1690 am Boynefluß. Teilnahme am Kriege gegen Ludwig XIV., s. S. 264; Englands Seemacht gesichert. 1701 Ordnung der Thronfolge: die katholischen Stuarts ausgeschlossen, erbberechtigt ist das protestantische Haus Hannover (S. 299).

Aufschwung der Literatur und Wissenschaft: Die Dichter Milton († 1674) und Dryden († 1700); der Theosoph Bunyan († 1688); die Philosophen Hobbes († 1679) und Locke († 1704), der Naturforscher Newton († 1722).

1701–1714.

§ 5. Der spanische Erbfolgekrieg.

Philipp III., König von Spanien, †1621.
_________|_________________________________________
Anna,              Philipp IV., †1665.        Maria Anna,
Gem. Ludwig XIII.        |                     Gem. Ferdinand III.
      |                __|_____________________            |
Ludwig XIV.        Maria   Karl II.,        Marg.  Leopold I.,
          |     Theresia.  †1700.         Theresia. †1705.
          |___________|                       |_________|
               |                                     |
               |                                     |
Ludwig, Dauphin, †1711.                     Maria Antonie,
               |                             Gem. Max Emanuel v. Bayern.
               |                                     |
Philipp von Anjou,                           Joseph Ferdinand,
als K. v. Spanien Philipp V.,                †1699,
 †1746.                                     Kurprinz v. Bayern.

Kaiser Leopold I. hatte außer seiner Tochter Maria Antonie zwei Söhne aus dritter Ehe, Joseph I. (Kaiser 1705–1711) und Karl VI. (Kaiser 1711–1740). Er nimmt als Vertreter der deutschen Linie des Hauses Habsburg das spanische Erbe für den zweiten Sohn in Anspruch. Ludwig XIV. dagegen fordert es für seinen zweiten Enkel Philipp von Anjou. Wilhelm III. an der Spitze der Seemächte (England und Holland) schließt mit Ludwig XIV. 1698 einen Teilungsvertrag: Haupterbe soll der Kurprinz Joseph Ferdinand von Bayern sein, Frankreich und Österreich die Nebenländer erhalten. Dagegen setzt Karl II. den Kurprinzen durch Testament zum Erben der gesamten Monarchie ein. Nach dessen plötzlichem Tode 1699 neue Unterhandlungen; endlich unterzeichnet Karl II. ein Testament, welches Philipp von Anjou zum Erben einsetzt. Große Allianz der Seemächte (1701) mit Kaiser Leopold, zunächst um dem Hause Österreich die spanischen Besitzungen in den Niederlanden und in Italien zu verschaffen. Auf Frankreichs Seite stehen die Herzöge von Savoyen und Mantua, die Kurfürsten von Bayern und Köln (zwei Brüder); die übrigen deutschen Reichsstände und Preußen (Friedrich III. von Brandenburg durch den »Krontraktat« die Annahme der Königswürde gestattet) sind mit dem Kaiser verbündet. Portugal tritt der großen Allianz bei, endlich auch Savoyen (1703).[273]

Vier Kriegsschauplätze: Spanien, Italien, Niederlande, Deutschland.

Philipp von Anjou wird in Spanien als König Philipp V. anerkannt. Seine Hauptstütze ist Kastilien.

1701.

Prinz Eugen von Savoyen (1663–1736) als Feldherr Kaiser Leopolds eröffnet den Krieg siegreich in Oberitalien, wird aber 1702 vom Herzog von Vendôme in seinem Vordringen gehemmt.

1703.

Die Bayern fallen als Verbündete Frankreichs in Tirol ein, werden aber zurückgetrieben. Der englische Feldherr Marlborough dringt in den Niederlanden vor.

1704.

Erzherzog Karl landet in Portugal, die Engländer erobern Gibraltar. Prinz Eugen und Marlborough vereinigen sich an der Donau und siegen (unweit Donauwörth) über die Franzosen und Bayern in der

1704.

Schlacht bei Höchstädt und Blindheim. Bayern von den kaiserlichen Truppen besetzt.

1706.

Erzherzog Karl gewinnt auf kurze Zeit Madrid; Marlborough siegt bei Ramillies (nördlich von Namur), Prinz Eugen bei Turin mit Hilfe der Preußen unter Leopold von Dessau. Die Franzosen werden aus Italien verdrängt, Mantua (s. S. 239) von Österreich in Besitz genommen, dann auch Neapel (S. 241).

1708.

Sieg Marlboroughs und Prinz Eugens bei Oudenarde; Lille belagert und genommen. Strenger Winter in Frankreich.

Friedensverhandlungen. Die Verbündeten fordern Herausgabe der spanischen Monarchie an Erzherzog Karl von Österreich, der niederländischen Grenzfestungen an die Holländer, für das Deutsche Reich Wiederherstellung des im Westfälischen Frieden festgesetzten Besitzstandes. Dies alles wird von Ludwig XIV. bewilligt. Aber die Forderung, daß er seinen Enkel Philipp mit französischen Waffen aus Spanien vertreiben soll, bewirkt den Abbruch der Verhandlungen.

Fortgang des Krieges. Die Franzosen aufs neue gedemütigt durch den

1709.

Sieg Prinz Eugens und Marlboroughs bei Malplaquet. Neue Friedensanträge Ludwigs, der sogar Hilfsgelder gegen seinen Enkel zahlen will, während die Verbündeten verlangen, daß er ihn durch seine Heere vertreiben soll.

Der Fall des Whigministeriums in England (1710) und der Tod Kaiser Josephs I. (1711) ändern alle Verhältnisse zu Gunsten Ludwigs XIV. Marlborough abberufen; Erzherzog Karl verläßt Spanien, um die österreichischen Erblande zu übernehmen. England beginnt Friedensverhandlungen (S. 299).[274]

1712.

Kongreß zu Utrecht. Der französische Feldherr Villars siegt bei Denain (an der Schelde) über einen Teil von Prinz Eugens Heer.

1713.

Friede zu Utrecht (ohne Beteiligung Kaiser Karls VI.):

1. Philipp V., Enkel Ludwigs XIV., wird als König von Spanien anerkannt. Die meisten Nebenländer (Niederlande, Mailand, Neapel, Sardinien) sollen Karl VI. zufallen, Sicilien als Königreich dem Herzog von Savoyen.

2. England erhält von Frankreich Neufundland, Neuschottland (Akadien) und die Hudsonsbailänder, von Spanien Gibraltar und Menorka. Anerkennung der protestantischen Thronfolge versprochen (S. 284).

3. Holland erhält das Besatzungsrecht in einigen Grenzfestungen der bisher spanischen Niederlande, Lille wird an Frankreich zurückgegeben.

4. Preußen erlangt Anerkennung des Königstitels und des Besitzes von Neuchâtel und Valengin (aus der oranischen Erbschaft nach Wilhelms III. Tode 1702, vgl. die Stammtafel S. 244), dazu Obergeldern (an der Maas). Es überläßt an Frankreich seine Ansprüche auf das Fürstentum Oranien oder Orange (an der Rhone, S. 242 Anm.).

Karl VI. verweigert seine Zustimmung, der Krieg wird am Rhein weitergeführt. Villars erobert Landau und Freiburg. Darauf

1714.

Friede zu Rastatt und Baden (im Aargau, Schweiz). Karl VI. nimmt die ihm bestimmten Länder an. Österreich gewinnt damit nach der Erwerbung Ungarns unter Leopold I. (S. 266) unter dessen Sohn Karl VI. auch noch die Niederlande und die Herrschaft in Italien. Für das Deutsche Reich wird nur der Friede von Ryswyk bestätigt; Landau bleibt französisch. Die in die Reichsacht erklärten Kurfürsten von Bayern und Köln werden in ihre Würden und Länder wieder eingesetzt.

1700–1721.

§ 6. Der Nordische Krieg.

Peter der Große (S. 269) will Rußland zur Seemacht erheben und Schwedens Herrschaft über die Ostsee (S. 256) brechen. Er schließt unter Vermittelung des livländischen Edelmanns Patkul ein Bündnis mit August dem Starken (S. 266), welcher Livland wieder für Polen beansprucht (S. 249, 268). Friedrich IV. von Dänemark schließt sich an, um das Haus Holstein-Gottorp (jüngere Linie des dänischen Königshauses) aus dem Mitbesitz von Schleswig-Holstein zu verdrängen.

Karl XII., König von Schweden (geb. 1682, reg. 1697 bis 1718), Enkel Karls X. Gustav von Pfalz-Zweibrücken (S. 250),[275] nimmt sich des Herzogs von Holstein-Gottorp, seines Schwagers, an, landet 1700 auf Seeland, bedroht Kopenhagen und erzwingt den Frieden zu Travendal (in Holstein a. d. Trave); Dänemark gibt den Angriff auf. Dann wendet er sich gegen Peter d. Gr. und besiegt mit 8000 Schweden 40000 Russen bei Narwa (in Ingermanland). Sächsische Truppen haben inzwischen Riga belagert. Karl XII. dringt 1701 in Polen ein und verlangt Absetzung Augusts II., zieht 1702 in Warschau ein, siegt bei Klissow und 1703 bei Pultusk über sächsische und polnische Truppen.

1704.

Stanislaus Lesczinski vom polnischen Reichstag zum König gewählt.

Währenddessen legt Peter den Grund zu der neuen Hauptstadt St. Petersburg 1703 und erobert Narwa 1704.

Fortgang des Krieges in Polen und Litauen, Siege Karls XII. bei Punitz 1704 und seines Generals Rehnskjöld bei Fraustadt 1706. Karl dringt durch Schlesien in Sachsen ein und erzwingt den

1706.

Frieden zu Altranstädt (bei Leipzig): 1. August II. entsagt der polnischen Krone und erkennt Stanislaus Lesczinski als König von Polen an. 2. Er gibt das Bündnis mit dem Zaren auf und liefert dessen Bevollmächtigten Patkul aus (welchen Karl grausam hinrichten läßt). 3. Sachsen sorgt den Winter über für Unterhalt und Sold des schwedischen Heeres.

Karl bricht dann gegen den russischen Zaren auf (Sept. 1707), der die Zeit zur Festsetzung an der Ostsee und zur Bildung eines kriegstüchtigen Heeres trefflich benutzt hatte. Der Weg nach Moskau versperrt durch Verwüstung des Landes. Durch den von Rußland abgefallenen Kosakenhetman Mazeppa läßt sich Karl verleiten, über den Dnjepr (1708) nach der Ukraine zu gehen. Vergebliche Belagerung Pultawas; Peter eilt zum Entsatz herbei und schlägt mit überlegener Streitmacht die durch Märsche und Mangel ermatteten Schweden in der

1709 (8. Juli).

Schlacht bei Pultāwa, welche Schwedens Übermacht mit einem Schlage vernichtet. Das schwedische Heer völlig aufgelöst und größtenteils gefangen. Karl flüchtet zu den Türken.

1709–1714.

Karl XII. in der Türkei (Lager bei Bendēr), sucht die Pforte zum Kriege gegen Rußland zu bewegen. Dies gelingt endlich 1711. Peter, verbündet mit dem Fürsten der Moldau, geht über den Dnjestr, wird am Pruth eingeschlossen, erkauft von den Türken durch Bestechung des Großwesirs (auf Rat seiner Gemahlin Katharina) den

1711.

Frieden am Pruth: 1. Asow an die Pforte zurückgegeben (S. 266) 2. Dem Könige von Schweden freie Rückkehr in seine Staaten zugesichert.[276]

Karl XII., über diesen Frieden entrüstet, verweigert starrsinnig die Abreise, wird 1713 von den Türken in seinem Lager bei Bender gefangen genommen und nach Demotika (bei Adrianopel) gebracht. Währenddessen nutzen seine Feinde die Zeit aus. August II. vertreibt den König Stanislaus aus Polen; die Dänen suchen (allerdings vergeblich) die südlichen Provinzen Schwedens zu erobern. Peter der Große nimmt Livland, Estland, Ingermanland, Karelien, Finnland vollständig in Besitz.

Im Haager Konzert (1710) war, um den Krieg von Deutschlands Grenzen fern zu halten, die Neutralität aller deutsch-schwedischen Provinzen, sowie Schleswigs und Jütlands festgesetzt worden. Da aber Karl XII. gegen diesen Vertrag von der Türkei aus protestiert, so nehmen die Dänen dem Herzog von Holstein-Gottorp Schleswig weg und erobern die seit 1648 (S. 260) schwedischen Herzogtümer Bremen und Verden (1712), welche dann gegen eine Geldzahlung dem Kurfürsten von Hannover überlassen werden.

1712. Dez.

Der schwedische General Stenbock besiegt die Dänen bei Gadebusch (in Mecklenburg), rückt dann nach Holstein vor, verbrennt Altona, wird aber (Febr. 1713) von Dänen und Russen bei Tönning a. d. Eider gefangen.

1713.

König Friedrich Wilhelm I. von Preußen (S. 279) schließt sich den Feinden Schwedens an und besetzt Stettin nach Abschluß eines Vertrages mit dem russischen General Menschikow, wonach Stettin und Vorpommern gegen Zahlung von 400000 Talern vorläufig von Preußen beschlagnahmt (sequestriert) werden.

1714.

Karl XII. kehrt endlich in seine Staaten zurück. Abenteuerlicher Ritt durch Ungarn und Deutschland über Wien, Nürnberg, Braunschweig nach Stralsund.

1715.

Belagerung von Stralsund durch preußische, dänische und sächsische Truppen. Der preußische Feldmarschall Fürst Leopold von Dessau erobert die Insel Rügen.

Karl XII. gibt Stralsund auf und kehrt nach Schweden zurück.

1716–1717.

Peters d. Gr. zweite Reise (vgl. S. 269) nach Deutschland, Dänemark, Holland, Frankreich.

Karl XII. unterhandelt mit Peter d. Gr. durch den Freiherrn von Görz, der trotz des Hasses der schwedischen Großen auch an die Spitze der inneren Verwaltung Schwedens gestellt wird. Vor Abschluß der Verhandlungen, die ihm Aussicht auf russische Hilfe geben, beginnt Karl einen neuen Krieg gegen Dänemark, indem er in Norwegen einfällt, wird aber bei der[277]

1718.

Belagerung von Frederikshall durch eine Kugel getötet. Ende des Hauses Pfalz-Zweibrücken (seit 1654) in Schweden.

Der schwedische Reichsrat, schon lange mit Karls Regierung unzufrieden, beruft nicht den Sohn seiner älteren Schwester, Karl Friedrich von Holstein-Gottorp (S. 293), zur Regierung, sondern die jüngere Schwester Ulrike Eleonore und deren Gemahl, Prinz Friedrich von Hessen-Kassel (1720–1751).

Görz wird verurteilt und hingerichtet (1719). Das Königtum wird gänzlich abhängig von dem Reichsrat, dessen nächste Sorge auf Herstellung des Friedens gerichtet ist.

Den Nordischen Krieg beenden die Friedensschlüsse zu Stockholm 1719 mit Hannover, welches Bremen und Verden behält und an Schweden 1 Mill. Taler zahlt; 1720 mit Preußen, welches Stettin, Vorpommern bis an die Peene, die Inseln Usedom und Wollin erhält und 3 Mill. Taler zahlt; zu Friedrichsburg auf Seeland 1720 mit Dänemark, welches alle Eroberungen zurückgibt. Dafür zahlt Schweden 600000 Taler, entsagt der Zollfreiheit im Sunde (s. S. 250) und gibt den Herzog von Holstein-Gottorp preis, dem Dänemark seinen Anteil an Schleswig nimmt. Mit Polen bleibt es bei dem 1719 geschlossenen Waffenstillstand. August der Starke als König anerkannt. Stanislaus Lescynski führt den Königstitel weiter und erhält 1 Mill. Taler (S. 279).

1721.

Friede zu Nystadt zwischen Schweden und Rußland: 1. Schweden tritt an Rußland ab: Livland, Estland, Ingermanland, Karelien und die dazu gehörigen Inseln (Ösel, Dagö u. a.). 2. Rußland gibt Finnland zurück und zahlt 2 Mill. Taler.

Schweden, seiner früheren Machtstellung beraubt, behält doch noch deutsche Gebiete: Wismar, welches erst 1803 durch Verpfändung (1903 endgültig) an Mecklenburg kommt, und Vorpommern nördlich der Peene mit Rügen (1815 an Preußen). Karl Friedrich von Holstein-Gottorp geht nach Rußland, vermählt sich mit Anna, Tochter Peters d. Gr. Sein Sohn ist der Zar Peter III., 1728 in Kiel geboren, Stammvater des russischen Kaiserhauses (S. 293).

Rußland hat sich an Schwedens Stelle zur europäischen Großmacht erhoben und nach langem Ringen die Ostsee erreicht. Peters d. Gr. innere Regierung ist auf Förderung von Handel und Gewerbe, Bergwesen und Forstkultur, Volksbildung, Ordnung der Verwaltung gerichtet. Dem Erbadel setzt er einen Amtsadel zur Seite; 14 Rangstufen der Offiziere und Beamten (Tschin), die oberen adlig. Oberste Behörde der Senat, 1711 an Stelle des früheren Rats der Bojaren errichtet; zur Leitung der Kirche der Heilige Synod 1721 errichtet, dessen Mitglieder[278] der Zar ernennt. Die Zahl der Klöster eingeschränkt. Mönche und Nonnen zu nützlicher Tätigkeit angehalten.

Peters d. Gr. letzte Kriegstat ist eine Heerfahrt gegen Persien und die Eroberung von Derbent (am Kaspischen Meere) 1722; doch wird dieser Küstenstrich 1732 an Persien zurückgegeben. Die Küstenlandschaften am Schwarzen Meere sind noch ganz im Besitz der Türken; den Grenzschutz leistet das Reitervolk der Kosaken in der Ukraine.

§ 7. Deutschland.

Das Deutsche Reich vermag in den europäischen Kriegen das Eindringen fremder Truppen nicht abzuwehren, ist aber selbst nicht Gegenstand des Angriffs. Die letzten habsburgischen Kaiser (S. 272) sind nur auf ihre Hausmacht bedacht; Ausbildung der österreichischen Monarchie.

1711–1740.

Kaiser Karl VI. erwirbt 1714 die spanischen Nebenländer (S. 274). Im Bunde mit Venedig 1715–1718 glücklicher Türkenkrieg. Prinz Eugen siegt 1716 bei Peterwardein, 1717 bei Belgrad. Der Besitz dieser Stadt und eines Teils von Serbien samt der Kleinen Walachei und dem Banat von Temesvar im Frieden zu Passarowitz 1718 bestätigt. Venedig behält Korfu und die eroberten Plätze in Dalmatien und Albanien, verliert Morea (S. 304).

1720.

Ein Versuch Philipps V. von Spanien, die verlorenen Nebenländer (S. 274) wiederzugewinnen, wird durch die 1718 geschlossene Quadrupelallianz (England, Frankreich, Österreich, Holland) vereitelt. Der Herzog von Savoyen muß Sicilien (S. 274) an Österreich überlassen, erhält dafür Sardinien und nimmt den Titel König von Sardinien an.

Kaiser Karl VI., ohne männliche Nachkommen, setzt eine Erbfolgeordnung fest unter dem Titel Pragmatische Sanktion, welche 1. die Unteilbarkeit der zur österreichischen Monarchie gehörigen Länder anordnet, 2. dieselben in Ermangelung männlicher Nachkommen auf Karls Töchter (die älteste Maria Theresia) und deren Nachkommen nach dem Erstgeburtsrecht vererbt, 3. im Fall des Aussterbens dieser Linie die Töchter Josephs I. (vermählt mit Friedrich August II. von Sachsen (in Polen August III.) und Kurfürst Karl Albert von Bayern, S. 282) und deren Nachkommen zu Erben einsetzt.

1725.

Bündnis zwischen Österreich und Spanien zum Schutz der Pragmatischen Sanktion; Gegenbündnis (zu Herrenhausen bei Hannover) zwischen England, Frankreich und Preußen. Doch tritt Preußen bald wieder auf die Seite Karls VI., der 1728 in dem Berliner Vertrag verspricht, nach dem Aussterben des Pfalz-Neuburger Hauses Preußen zum Besitz[279] des Herzogtums Berg (S. 252) zu verhelfen. (In einem geheimen Vertrage versprach Karl VI. 1739 die Erbnachfolge in Jülich und Berg der Linie Pfalz-Sulzbach, aus der auch Karl Theodor 1743 das Erbe antrat.) Auch England erkennt 1731 die Pragmatische Sanktion an.

1733–1735.

Polnischer Thronfolgekrieg.

Von Frankreich geleitet, wählt nach dem Tode Augusts II. von Sachsen 1733 die Mehrheit des polnischen Adels den König Stanislaus Lesczinski, welcher Schwiegervater Ludwigs XV. geworden war, zum zweiten Male (S. 277). Rußland und Österreich lassen von einer Minderheit den Kurfürsten von Sachsen (Augusts II. Sohn) als August III. wählen und halten die Wahl in Polen mit ihren Truppen aufrecht. Dagegen treten Frankreich, Spanien und Sardinien für Stanislaus mit den Waffen ein.

Hauptschauplatz des Krieges Italien, wo Mailand, Neapel und Sicilien erobert werden, die Österreicher also alles bis auf Mantua verlieren. Am Oberrhein kämpft der alte Prinz Eugen († 1736) ohne Glück, nur Herzog Franz Stephan von Lothringen, der spätere Gemahl Maria Theresias, hält die Ehre der kaiserlichen Waffen aufrecht. Lothringen von den Franzosen besetzt. Friedenspräliminarien 1735 und nach weiteren Unterhandlungen

1738.

Friede zu Wien: 1. Stanislaus Lesczinski verzichtet zum zweiten Mal auf den polnischen Thron, erhält als Entschädigung die Herzogtümer Lothringen und Bar, welche nach seinem Tode Frankreich zufallen (Stanislaus † 1766). 2. Der Herzog von Lothringen Franz Stephan, Gemahl der Maria Theresia, wird durch das Großherzogtum Toskana entschädigt, wo 1737 das Haus Medici (S. 240) ausgestorben war. 3. Österreich überläßt Neapel und Sicilien als eine Sekundogenitur (so daß dieses Königreich nicht mit der Krone Spanien vereinigt werden darf) an die spanische Linie des Hauses Bourbon; es erhält dafür Parma und Piacenza (nach dem Aussterben der Farnese (S. 239) 1731 durch Erbschaft an Spanien gekommen). 4. Frankreich garantiert die Pragmatische Sanktion.

1736–1739.

Unglücklicher Türkenkrieg Österreichs (im Bunde mit Rußland, s. S. 295); Friede zu Belgrad: Orsowa, Belgrad, Serbien und die Kleine Walachei den Türken zurückgegeben (S. 278). Temesvar bleibt bei Österreich.

1713–1740.

Friedrich Wilhelm I., König von Preußen, Sohn Friedrichs I. (S. 267) erschließt durch gute Verwaltung und soldatische Zucht die natürlichen Hilfsquellen des Landes und hebt dessen Ertragsfähigkeit (s. Anhang). Bei nur 2½ Mill. Einwohnern hinterläßt er ein vorzügliches Heer von[280] 83000 Mann (Fürst Leopold von Anhalt-Dessau) und einen Staatsschatz von 10 Mill. Talern. Seine Regierung bereitet die künftige Größe Preußens vor.

1740–1786.

Friedrich II., der Große,[50]

vereint die strenge Staatsordnung mit vielseitigen Kulturbestrebungen (S. Anhang): »Der König ist der erste Diener seines Staates« (Schrift Anti-Macchiavell). Kluge Fürsorge für sein Land und Heer, hohe Feldherrnbegabung und politisches Talent wirken zusammen zu großen Erfolgen.

1740. Okt.

Mit dem Tode Karls VI. erlischt der Mannesstamm des Hauses Habsburg. (Stammtafel S. 282). Die deutsche Kaiserwürde bleibt erledigt bis 1742.

1740–1780.

Maria Theresia, Königin von Böhmen und Ungarn, Erzherzogin von Österreich, geb. 1717, vermählt 1736 mit Franz Stephan aus dem Hause Lothringen, seit 1738 Großherzog von Toskana (Mitregent).

1740–1748.

Österreichischer Erbfolgekrieg. Auf das habsburgische Erbe erhebt Anspruch Kurfürst Karl Albert von Bayern, der die Pragmatische Sanktion nicht anerkannt hatte, als Nachkomme einer Tochter Kaiser Ferdinands I. auf Grund eines Testaments von 1547. Er wird unterstützt von Frankreich, welches auch Philipp V. von Spanien und Friedrich August II. von Sachsen (Gemahl der ältesten Tochter Josephs I., S. 278, 282) veranlaßt, Ansprüche zu erheben.

Friedrich II. von Preußen erbietet sich, gegen Anerkennung seiner Ansprüche auf Teile Schlesiens für Österreich zu kämpfen; durch die Zurückweisung seines Anerbietens entsteht noch vor Eröffnung der Feindseligkeiten durch die übrigen Prätendenten der

1740–1742.

Erste Schlesische Krieg.

Preußische Ansprüche auf Teile Schlesiens: 1. Das Fürstentum Jägerndorf war 1523 von der Ansbacher Linie des[281] Hauses Hohenzollern erworben, später (1596) mit Brandenburg vereinigt, aber Fürst Johann Georg wurde 1621 als Anhänger Friedrichs V. von der Pfalz von Kaiser Ferdinand II. in die Acht erklärt und vertrieben (S. 253 f.). 2. Mit dem Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau hatte Kurfürst Joachim II. 1537 eine Erbverbrüderung geschlossen, der jedoch Ferdinand I. als König von Böhmen und Oberlehnsherr widersprochen hatte. Nach dem Aussterben des herzoglichen Hauses der Piasten 1675 setzte sich Österreich in den Besitz ihrer Länder. 1686 entsagte Kurfürst Friedrich Wilhelm den schlesischen Herzogtümern gegen Abtretung des Schwiebuser Kreises und Erteilung einer Anwartschaft auf Ostfriesland. Der Schwiebuser Kreis ward aber Österreich in einem geheimen Vertrag mit dem Kurprinzen wieder zugesichert und von diesem (als Kurfürst Friedrich III.) 1695 wieder zurückgegeben.

1740. (Dez.)

Friedrich besetzt einen großen Teil Schlesiens.

1741.

Einzug Friedrichs in Breslau (3. Jan.), Erstürmung der Festung Glogau (9. März, Erbprinz Leopold von Dessau). Sieg bei Mollwitz (10. April, Feldmarschall Schwerin) über ein österreichisches Heer unter Neipperg, welches aber ungehindert aus Schlesien abzieht. Bündnis mit Frankreich (5. Juni).

Franzosen und Bayern rücken in Österreich ein und besetzen Linz (15. Sept.); Maria Theresia ruft in Preßburg die Hilfe des ungarischen Adels an und läßt durch Neipperg zu Klein-Schnellendorf einen Waffenstillstand mit Preußen schließen (9. Okt.), indem sie Niederschlesien aufgibt. Die Franzosen, Bayern und Sachsen erobern Prag (16. Nov.); Karl Albert läßt sich als König von Böhmen huldigen, wird bald darauf in Frankfurt als

1742–1745.

Karl VII. zum deutschen Kaiser gewählt.

1742.

Die Österreicher rücken in Bayern, die Preußen in Mähren ein. Friedrichs Sieg bei Chotusitz und Czaslau (17. Mai) führt zu dem

Frieden zu Breslau: Österreich tritt an Preußen Ober- und Niederschlesien und die Grafschaft Glatz ab, es behält nur die Fürstentümer Teschen, Troppau und (zum Teil) Jägerndorf.

Österreich führt nun den Krieg gegen Frankreich und Bayern mit mehr Glück; die Franzosen räumen Prag (Dez. 1742), Karl VII. muß aus München entfliehen (Juni 1743). Ein neues französisches Heer wird von König Georg II. von England (1727–1760), der als Bundesgenosse Österreichs die sog. Pragmatische Armee (Engländer, Hannoveraner, Hessen) heranführt, besiegt in der

1743.

Schlacht bei Dettingen (am Main unweit Aschaffenburg). Kaiser Karl VII. lebt als Flüchtling in Frankfurt.[282]

      Deutsche Linie des Hauses Habsburg.

          Ferdinand I. (1556–1564).
  __________________|________________________________________
Maximilian II. (1564–1576). Ferdinand v. Tirol. Karl von Steiermark.
__________________|____________________________       |
Rudolf II.   Matthias     Maximilian.  Albrecht,   Ferdinand II.
(1576–1612). (1612–1619).              Statth.     (1619–1637).
                                       d. span.       |
                                       Niederlande, Ferdinand III.
                                       1595–1621.   (1637–1657).
                                                      |
                                                   Leopold I.
                                                   (1658–1705).
___________________________________________________|___________________
Maria Antonie,         Joseph I. (1705–1711).      Karl VI. (1711–1740).
Gem. Max Em.                  |                         |
v. Bayern.                    |                         |
______|__              _______|________                 |
Joseph Ferdinand,  Maria Josepha,    Maria Amalia,     Maria Theresia
Kurpr. v. Bayern   Gem. August III.  Gem. Karl Albert  (1740–1780).
(†1699).          v. Sachsen-Polen, v. Bayern
                                      (Kais. Karl VII.).


            Haus Lothringen.

Franz I., Großhzg. v. Toskana 1738, deutscher Kaiser 1745–1765.
Gem. Maria Theresia, Tochter Karls VI, des letzten Habsburgers.
_______________________|_______________________
Joseph II.,     Leopold II.,               Ferdinand,
1765–1790.      Großhzg. v. Toskana        Gem. d. Erbin v.
                seit 1765, deutscher       Modena.
                Kaiser 1790–1792.            _______________________
__________________|_____________________________________________    |
Franz II (I.),   Ferdinand, Karl,   Joseph, Johann, Rainer, Ludwig, |
deutscher Kaiser Grhzg. v.  †1847. †1847. Reichs- †1853. †1864. Franz IV.,
1792–1806,       Toskana,    |              verweser                Herzog v.
Kaiser v.        †1824.   Albrecht,        1848–1849,              Modena.
Österreich         |       †1895.          †1859.                   |
1804–1835.       Leopold II., Grhzg. v. Toskana.           Franz V. Ferdinand,
_______|_________________________________   |               1859 vertrieben,
Marie Luise,     Ferdinand I., Franz Karl  Ferdinand IV.,   †1875.
Gem.  1835–1848, †1875.       Gem. Sophie letzter Grhz.
Napoleons I.,                  v. Bayern.  v. Toskana.
Hzgn. v. Parma,                     |      †1908.
†1847.                              |
                                    |
____________________________________|_________________________
Franz Joseph I., Ferdinand       Karl Ludwig, †1896.       Ludwig.
Gem. Elisabeth   Maximilian,     ___|______________________________
v. Bayern,       Ks. v. Mexiko,  Franz Ferdinand,   Otto, †1906.  Ferdinand.
†1898.          †1867.         (Thronfolger).        |
____|___________________         Gem. Sophie,   _____|__________
Gisela,  Rudolf, Valerie,        Hzgn. v.     Karl Franz   Maximilian
Gem.     †1889. Gem. Franz      Hohenberg.   Joseph,      Eugen Ludwig.
Leopold          Salvator,                    präsumpt
von Bayern.      Neffe Ferdinands IV.         Thronerbe.
                                              Gem. Zita v.
                                              Bourbon-Parma.

[283]

        Haus Hohenzollern.

Friedrich Wilhelm der Große Kurfürst (1640–1688)
Gem. Luise Henriette von Oranien †1667.
Friedrich III. (I.) 1688 (1701)–1713.
Friedrich Wilhelm I., 1713–1740.
 ___________|_____________________________
|               |                |        |
Friedrich II., August Wilhelm, Heinrich, Ferdinand,
d. Große,      †1758.          †1802.    †1813.
1740–1786.      |                        _____|_____________
                |                         |                  |
         Friedrich Wilhelm II.,        Louis Ferdinand,  August,
         1786–1797.                    †1806.            †1843.
 _________________|_____________________________________________________
|                                |       |           |           |      |
Friedrich Wilhelm III.,        Ludwig, Wilhelmine, Auguste,   Heinrich, Wilhelm,
1797–1840.                     †1796.  Königin d.  Kurfürstin †1846.   †1851.
Gem. Luise v. Mecklenburg,             Niederl.    v. Hessen,          |
 †1810.                                †1837.      †1841. _____________|__
          |                                              |    |           |
          |                                       Adalbert, Waldemar, Maria,
          |                                       †1873.    †1849.    †1889.
          |                                                          Gem. Max. II.,
          |                                                          K. v. Bayern.
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|                           |                  |               |
Friedrich           Wilhelm I.,           Charlotte,        Karl.
Wilhelm IV.,        1861–1888,            †1860,            †1883.
1840–1861.          1871 deutsch.         Gem. Nikolaus I., Gem. Maria
Gem. Elisabeth      Kaiser,        Ks. v. Russland.  v. S.-Weimar.
v. Bayern.          Gem. Augusta                             |
                    v. Sachs.-Weimar,                        |
                    †1890.                                   |
      _______________|_____                      Friedrich Karl,
     |                     |                     †1885.
Friedrich III.,         Luise,         ___________|_______
†1888,                  Gem. Grhz.    |                   |
als Kronprinz           v. Baden,  Luise Margarete,  Friedr. Leopold,
Friedrich Wilhelm.      †1907.     Gem. Artur.       Gem. Luise Sophie
Gem. Viktoria,                     Hz. v. Connaught. v. Holst-Augustenb.
Princess Royal
v. England,
†1901.
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|                        |             |                    |           |
Wilhelm II.,          Charlotte,    Heinrich,  Viktoria,  Sophie,   Margarete,
seit 1888.            Gem. Erbprinz Gem. Irene Gem. Prinz Gem.      Gem. Prinz
Gem. Auguste Viktoria v. Meiningen. v. Hessen, Adolf v.   Kronprinz Karl v.
v. Holstein-                _________|         Schbg.     v.        Hessen.
Augustenburg.        ______|_______            -Lippe.   Griechenland.
    |               |              |
    |         Waldemar.         Sigismund.
 ___|___________________________________________________________________
|                 |            |          |             |       |       |
Wilhelm,        Eitel        Adalbert. August Wilhelm. Oskar. Joachim. Viktoria
Gem. Cecilie    Friedrich,             Gem. Alexandra                   Luise.
V. Mecklenburg. Gem. Sophie            v. Schl.-Holstein.
      |         Charlotte
      |         v. Oldenburg.
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|               |                  |              |
Wilhelm.   Louis Ferdinand.   Hubertus Karl.   Friedrich


Friedrich Wilhelm III.,
1797–1840.
Gem. Luise v. Mecklenburg,
†1810.
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        |                |                     |
    Alexandrine,       Luise,              Albrecht,
    †1892.             †1870.              †1872.
    Gem. Grh. Paul     Gem. Friedrich,     Gem. Marianne,
    Friedr.v.Meckl.    Prz. d. Niederl.    Przin. d. Niederl.
                                               |
                                           Albrecht,
                                           Regent v. Braunschw.
                                           †1906.
                                               |
                                           Friedr. Heinr.
                                           Joachim Albrecht.
                                           Friedrich Wilhelm.
                                           Gem. Agathe
                                           v. Ratibor
                                           u. Corvey.

[284]

Diese Erfolge Österreichs und dessen Verträge mit Sardinien und Sachsen gegen Preußen machen den König Friedrich für seine neue Erwerbung besorgt. Er schließt abermals ein Bündnis mit Frankreich und Karl VII. und beginnt, nachdem er (1744) Ostfriesland nach dem Aussterben des Fürstenhauses der Cirksena mit seinem Staate vereinigt hat (S. 281), den

1744–1745.

Zweiten Schlesischen Krieg.

Mit 80 000 Mann »kaiserlicher Hilfstruppen« rückt der König durch Sachsen in Böhmen ein, erobert Prag, wird aber bald darauf infolge des Rückzuges der Franzosen, die ihn ohne Beistand lassen, nach Schlesien zurückgedrängt (1744).

1745.

Nach Karls VII. Tode in München entsagt sein Sohn Max Joseph (1745–1777) im Frieden zu Füßen allen Erbansprüchen auf Österreich und verspricht dem Gemahl der Maria Theresia, Franz Stephan, seine Stimme bei der Kaiserwahl.

Die Franzosen unter dem Marschall Moritz von Sachsen, einem Sohne Augusts II. und der Gräfin Aurora Königsmark, dringen nach dem Siege bei Fontenoy in die österreichischen Niederlande ein und erobern Brüssel.

1745.

Friedrichs Siege bei Hohenfriedeberg (in Schlesien, 4. Juni, über Herzog Karl von Lothringen, Bruder Franz Stephans) und bei Soor (im nordöstl. Böhmen, 30. Sept.) beweisen aufs neue die Überlegenheit der preußischen Waffen. Nach einem dritten Siege, den der alte Feldmarschall Leopold von Dessau († 1747) bei Kesselsdorf (unweit Dresden, 15. Dez.) über die Sachsen davonträgt, folgt der

Friede zu Dresden: Bestätigung des Besitzes von Schlesien; Friedrich erkennt den Gemahl Maria Theresias als Kaiser an.

1745–1765.

Franz I. deutscher Kaiser (Haus Lothringen- Toskana 1745–1806).

Beendigung des Österreichischen Erbfolgekriegs: Nachdem die besten englischen Truppen nach England gegen den von Frankreich unterstützten Prätendenten Karl Eduard (S. 299) abberufen sind, vollendet der Marschall Moritz von Sachsen durch den Sieg bei Raucoux 1746 die Eroberung der österreichischen Niederlande. Maria Theresia schließt ein Bündnis mit Elisabeth von Rußland (S. 295), die 1748 Truppen nach Deutschland sendet. Frankreichs Verluste in dem gleichzeitigen Seekriege mit England (S. 299f.) dämpfen die Kriegslust der Franzosen.

1748.

Friede zu Aachen: 1. Österreich tritt Parma und Piacenza an den spanischen Infanten Don Philipp ab (zweite Sekundogenitur der spanischen Bourbons in Italien, S. 279). 2. Gewährleistung Schlesiens für Preußen, der Pragmatischen Sanktion für Österreich, der britischen Thronfolge für das Haus Hannover (S. 272).[285]

Veränderung des europäischen Staatensystems durch den Eintritt Preußens in die Reihe der Hauptmächte. Friedrichs d. Gr. Friedensregierung (s. Anhang) wird ein Vorbild für andere Staaten. — In Sanssouci (1745–1747 erbaut) lebt 1750–1763 Voltaire; auch die Gelehrten Maupertuis, d’Argens, La Mettrie und Algarotti werden herangezogen.

In Österreich durch Maria Theresia Abstellung vieler Mißstände, Hebung der Finanzen, Bildung eines tüchtigen Heeres (Daun). Sparsame Hofhaltung. Sorge für Handel, Industrie und Ackerbau. Erleichterung der Leibeigenschaft. Gründung der Volksschule. Abschaffung der Folter.

In Dresden glänzende Hofhaltung Augusts des Starken († 1733) und Augusts III. († 1763). Italienische Oper, Gründung der Gemälde-Gallerie 1746. Minister Graf Brühl († 1763).

Aufblühen der deutschen Literatur: Albrecht von Haller in Bern, dann in Göttingen (Universität gegr. 1737; † 1777 in Bern). Fr. von Hagedorn in Hamburg († 1754), Gottsched († 1766) und Gellert († 1769) in Leipzig; Gleim in Halberstadt († 1803), Ramler († 1798) und Ewald von Kleist in Berlin († 1759 in Frankfurt a. O.). Klopstock geb. 1724 zu Quedlinburg (1748 der Messias), 1751 in Kopenhagen († 1803 in Hamburg). Lessing geb. 1729 zu Kamenz (Oberlausitz), 1751 in Berlin († 1781 in Braunschweig).

1756–1763.

Siebenjähriger (Dritter Schlesischer) Krieg.

Maria Theresia, seit 1746 mit Rußland verbündet, sucht auch Frankreich zu gewinnen. Fürst Kaunitz (1740–1753 österreichischer Gesandter in Paris, dann Reichskanzler in Wien) bewirkt eine Aussöhnung der Jahrhunderte lang feindseligen (S. 206) Kabinette von Wien und Versailles; die Marquise von Pompadour begünstigt das Bündnis. England, 1750 dem österreichisch-russischen Bündnis angeschlossen, tritt 1755 mit Rußland in besonderen Bund, aber erneute Feindseligkeiten Frankreichs wegen der Besitzungen in Nordamerika veranlassen Georg II., im Jan. 1756 den Vertrag von Westminster mit Preußen abzuschließen. Beide Mächte garantieren sich ihren Besitz. Für den Fall eines Krieges verspricht England Hilfsgelder. Darauf Bündnis zwischen Frankreich (Ludwig XV. 1715–1774) und Österreich (Mai 1756).

Friedrich d. Gr., von den Plänen seiner Feinde unterrichtet, entschließt sich ihnen zuvorkommen und eröffnet den Krieg, ehe die Rüstungen der Gegner beendet sind.

1756.

(29. Aug.) Einfall Friedrichs in Sachsen mit 67000 Mann. Dresden besetzt, das sächsische Heer bei Pirna eingeschlossen. Friedrich zieht mit 24000 Mann den Österreichern entgegen und gewinnt den[286]

1. Okt.

Sieg bei Lobositz (in Böhmen).

16. Okt.

17000 Sachsen ergeben sich als Kriegsgefangene und werden zum Dienst im preußischen Heere gezwungen. Kurfürst Friedrich August II. verläßt die Festung Königstein und entflieht nach Warschau (S. 279).

1757.

Erklärung des Reichskrieges an Preußen; doch bleiben Hannover, Hessen, Braunschweig, Sachsen-Gotha mit Preußen verbunden. Österreich und Rußland (Elisabeth, Tochter Peters d. Gr. 1741–1762) schließen einen. Angriffs- und Teilungsvertrag gegen Preußen (Febr.), ebenso Österreich und Frankreich (Mai). König Adolf Friedrich von Schweden (1751–1771, S. 294) tritt gegen das Versprechen, Pommern zu bekommen, dem Bunde gegen seinen Schwager Friedrich bei; seine Teilnahme am Kriege ist jedoch unbedeutend. Bündnis zwischen Preußen und England; letzteres verpflichtet sich 1758 zur Zahlung von Hilfsgeldern (4 Millionen Taler jährlich).

April.

Die Preußen rücken in vier Heeresabteilungen (über Trautenau, Reichenberg, Nollendorf, Komotau, zusammen 117000 Mann) in Böhmen ein.

6. Mai.

Sieg Friedrichs bei Prag über die Österreicher (Herzog Karl von Lothringen und Browne). Schwerin †.

Friedrich belagert Prag, greift mit einem Teil seines Heeres den zum Einsatz anrückenden Daun an, erleidet aber eine bedeutende

18. Juni.

Niederlage bei Kolin. Prag und ganz Böhmen aufgegeben, Rückzug nach der Lausitz. Die Franzosen dringen bis zur Weser vor.

26. Juli.

Schlacht bei Hastenbeck, Sieg der Franzosen über Friedrichs Verbündete (unter dem Herzog von Cumberland, zweitem Sohne König Georgs II.).

Die Russen (Apraxin) greifen in Ostpreußen den Feldmarschall Lehwaldt mit überlegener Macht an und siegen (30. Aug.) bei Großjägersdorf, gehen aber wegen Verpflegungssorgen und Krankheit der Kaiserin Elisabeth nach der preußisch-polnischen Grenze zurück.

Friedrich läßt die größere Hälfte seines Heeres (unter dem Herzog von Braunschweig-Bevern und General v. Winterfeld) in der Lausitz zurück und zieht mit 25000 Mann nach Thüringen. Winterfeld † im Gefecht bei Moys (unweit Görlitz, 7. Sept.).

8. Sept.

Vertrag zu Kloster Zeven (Herzog von Cumberland und Richelieu), wonach die Franzosen Hannover besetzen. Ein zweites französisches Heer unter Soubise vereinigt sich mit dem Reichsheere, um Sachsen zu befreien.[287] Friedrich zieht diesen Feinden entgegen; General v. Seydlitz mit der Vorhut vertreibt sie (19. Sept.) aus Gotha.

5. Nov.

Sieg Friedrichs bei Roßbach (westlich von der Saale, unweit Merseburg) mit 22000 Mann (die Reiterei unter Seydlitz) über Soubise und das Reichsheer (64000 Mann).

Der Vertrag von Zeven wird von der englischen Regierung verworfen. Herzog Ferdinand von Braunschweig erhält den Oberbefehl gegen die Franzosen. Friedrich zieht in Eilmärschen nach Schlesien, wo die Österreicher den Herzog von Braunschweig-Bevern in der

22. Nov.

Schlacht bei Breslau geschlagen und gefangen hatten.

5. Dez.

Sieg Friedrichs bei Leuthen mit 32000 Mann über 80000 Österreicher (Karl von Lothringen und Daun). Breslau wiedergewonnen.

1758.

Friedrich erobert Schweidnitz, dringt in Mähren ein, belagert Olmütz vergeblich, muß sich, da Daun heranrückt, nach Schlesien zurückziehen. Im Osten Vorrücken der Russen (Fermor), die sich mit den Österreichern zu vereinigen suchen. Im Westen treibt Ferdinand von Braunschweig die Franzosen über den Rhein zurück, schlägt sie in der

23. Juni.

Schlacht bei Krefeld und verteidigt sich dann, durch englische Truppen (8500 Mann) verstärkt, in Westfalen gegen zwei französische Heere.

Die Russen dringen nach Eroberung Ostpreußens bis zur Oder vor und belagern Küstrin. Friedrich läßt einen Heeresteil in Sachsen unter seinem Bruder, dem Prinzen Heinrich, zurück, einen andern in Schlesien unter dem Feldmarschall Keith und zieht gegen die Russen.

25. Aug.

Sieg Friedrichs (Seydlitz) bei Zorndorf (unweit Küstrin) über die Russen (42000 Mann unter Fermor gegen 36000 Preußen).

Die Österreicher rücken nach der Lausitz vor; der König kommt seinem Bruder Heinrich zu Hilfe.

14. Okt.

Niederlage Friedrichs bei Hochkirch (unweit Bautzen) durch Daun. Dennoch behauptet er Sachsen und Schlesien und entsetzt Neiße.

1759.

Herzog Ferdinand von Braunschweig, von den Franzosen unter dem Herzog von Broglie bei Bergen (unweit Frankfurt am Main) zurückgeschlagen (13. April), behauptet, das Wesergebiet durch seinen

1. Aug.

Sieg bei Minden. Erneutes Vorrücken der Russen (Soltykow), sie schlagen den General v. Wedell, dem der König die Vollmacht eines Dictators gegeben hatte, bei Kay unweit Züllichau (23. Juli). Friedrich kann ihre Ver[288]einigung mit den Österreichern unter Laudon nicht hindern. Schwere

12. Aug.

Niederlage Friedrichs bei Kunersdorf (bei Frankfurt a. d. Oder) durch die Österreicher und die im Anfange bereits geschlagenen Russen. Aber Daun mit dem zweiten österreichischen Heere bleibt in der Lausitz stehen, wird von Prinz Heinrich am Vorrücken gehindert. Friedrichs Lager bei Fürstenwalde. Er folgt den in der Richtung auf Glogau abziehenden Russen und wendet sich dann nach Sachsen.

4. Sept.

Dresden von Österreichern und Reichstruppen eingenommen. Der General Schmettau erhält freien Abzug. Friedrich versucht die Stadt wiederzugewinnen; aber das von ihm nach Maxen (unweit Pirna) entsandte Korps des General Finck (12000 Mann) wird von Daun eingeschlossen

20. Nov.

und gefangen. Friedrich behauptet seine Winterquartiere in der Gegend zwischen Freiberg und Meißen.

1760.

Fouqué von Laudon in der

23. Juni.

Schlacht bei Landshut geschlagen und mit 8000 Mann gefangen. Nach vergeblicher Belagerung Dresdens zieht der König nach Schlesien, wo Breslau vom General v. Tauenzien tapfer verteidigt wird.

15. Aug.

Sieg Friedrichs bei Liegnitz über die Österreicher unter Laudon. Er hindert die Vereinigung der Russen mit den Österreichern.

Sept.

Kolberg behauptet sich gegen die belagernden Russen, wird entsetzt durch den raschen Zug des Generals von Werner.

Okt.

Besetzung Berlins durch Russen (Tottleben) und Österreicher. Beim Heranrücken des Königs ziehen sich die Feinde zurück. Darauf blutiger

3. Nov.

Sieg Friedrichs bei Torgau über die Österreicher unter Daun. General v. Zieten entscheidet den Sieg durch Erstürmung der Süptitzer Höhen.

1761.

Friedrich im Lager bei Bunzelwitz (bei Schweidnitz) den vereinigten Österreichern (Laudon) und Russen (Buturlin) gegenüber, die nichts Entscheidendes gegen ihn wagen. Trennung der verbündeten Heere. Schweidnitz wird von den Österreichern, Kolberg von den Russen genommen. Friedrich im Lager bei Strehlen, um Breslau zu decken. In Sachsen behauptet sich Prinz Heinrich, an der Weser Herzog Ferdinand von Braunschweig. Bedrängte Lage Friedrichs, der infolge der Thronbesteigung Georgs III. (1760–1820) auch die englischen Hilfsgelder verliert. Der

1762. 5. Jan.

Tod der Kaiserin Elisabeth von Rußland bringt eine günstige Wendung. Ihr Nachfolger Peter III.[289] (S. 277, 293), ein Verehrer Friedrichs, schließt mit Preußen Frieden, bald darauf ein Bündnis, doch wird dieses durch seine Entthronung und Ermordung (Juli) wieder aufgehoben. Seine Nachfolgerin Katharina II. ruft ihre Truppen von Friedrichs Heer ab, doch tragen die Russen unter Czernitschew noch durch ihre untätige Gegenwart zu dem

21. Juli.

Sieg Friedrichs bei Burkersdorf über die Österreicher bei. Schweidnitz wiedergewonnen. Nachdem Herzog Ferdinand die Franzosen bei Wilhelmsthal unweit Kassel (24. Juni), Prinz Heinrich die Österreicher und Reichstruppen bei Freiberg (29. Okt.) besiegt hat und General v. Kleist bis Nürnberg vorgedrungen ist (29. Nov.), tritt Waffenruhe ein. Da England und Frankreich miteinander Frieden schließen und die französischen Truppen Deutschland räumen, ist auch Maria Theresia zum Frieden geneigt.

1763. 15. Febr.

Friede zu Hubertusburg (Jagdschloß unweit Grimma): Friedrich d. Gr. behält Schlesien, räumt den noch besetzten Teil Sachsens, verspricht seine Kurstimme für die Wahl des Erzherzogs Joseph zum römischen König.

Preußen hat im Siebenjährigen Kriege den Kampf um sein Dasein ruhmvoll bestanden und Deutschland gegen die Angriffe des Auslandes verteidigt. Das gesunkene deutsche Nationalgefühl richtet sich wieder an Friedrichs Heldentum auf.

Durch die Eroberung von Schlesien, die Erwerbung Westpreußens bei der ersten polnischen Teilung (S. 296), — Friedrich nennt sich seitdem König von Preußen — und die Aufrechterhaltung des deutschen Reichssystems gegen die Bestrebungen Kaiser Josephs II. (S. 290f.) wird Preußen eine europäische Großmacht. Alle Welt bewunderte das Resultat, aber das preußische Staatswesen besaß bereits nicht mehr die Zuneigung der Zeitgenossen. — Friedrichs Fürsorge für sein Land, s. Anhang.

1765–1790.

Joseph II., deutscher Kaiser, für die österreichischen Länder bis 1780 nur Mitregent seiner Mutter Maria Theresia und wie sein Vater ohne bedeutenden Einfluß auf die innere Regierung.

1767.

Versuch einer Reform des Reichskammergerichts zu Wetzlar.

1769.

Zusammenkunft mit Friedrich II. in Neiße, der 1770 ein Gegenbesuch in Mährisch-Neustadt folgt.

1778–1779.

Bayrischer Erbfolgekrieg. Veranlassung: Aussterben der bayrischen Kurlinie mit Max Joseph (1777). Karl Theodor, 1743–1799 (S. 279), Kurfürst von der Pfalz und Herzog von Jülich und Berg, als Haupt der älteren[290] Linie des Hauses Wittelsbach (vgl. S. 186) rechtmäßiger Erbe der bayrischen Länder, läßt sich von Kaiser Joseph II. bewegen, alte Ansprüche Österreichs auf Niederbayern und auf Teile der Oberpfalz anzuerkennen.

Vertrag zu Wien (1778, Januar). Besetzung von Niederbayern durch österreichische Truppen. Karl Theodor war kinderlos; mit seinem Erben, dem Herzog Karl von Pfalz-Zweibrücken, tritt Friedrich der Große in Verbindung und ermutigt ihn zum Widerstande gegen die österreichischen Ansprüche.

Friedrich rückt mit Truppen in Böhmen ein; es kommt zu keiner Schlacht.

1779.

Friede zu Teschen: Österreich behält von Bayern nur das Innviertel und willigt in die künftige (1791 erfolgte) Vereinigung der Markgrafschaften Ansbach und Baireuth mit der preußischen Monarchie. Bayern und Pfalz (mit Jülich und Berg, s. S. 252, 279) bleiben vereinigt.

1780–1790.

Joseph II. in Österreich. Auf die durch manche Verbesserungen der Verwaltung für Österreich segensreiche Regierung Maria Theresias (S. 285) folgt das stürmische Vorgehen Josephs. Von dem Ideal eines starken Einheitsstaates erfüllt, strebt er danach, die Macht der bevorrechtigten Stände (Geistlichkeit und Adel) zu brechen, alle provinzielle Selbständigkeit zu beseitigen und Einheit der Verwaltung (Zentralisation) herzustellen. Die deutsche Sprache auch in Ungarn als Amtssprache eingeführt.

1781.

Toleranzedikt zu Gunsten der nicht katholischen Untertanen. Über 700 Klöster aufgehoben, für die noch verbleibenden (mehr als 1300) Staatsaufsicht vorgeschrieben. Beschränkung des Verkehrs der Geistlichkeit mit Rom; der Besuch des jesuitischen Collegium germanicum in Rom verboten (Jesuitenorden 1773 durch Papst Clemens XIV. aufgehoben); landesherrliches Placet für die päpstlichen Erlasse eingeführt. Vergebliche Reise des Papstes Pius VI. nach Wien 1782, um diese Neuerungen abzuwenden.

Aufhebung der Leibeigenschaft, doch bleiben noch manche Dienstverpflichtungen der Bauern bestehen. Reform des Gerichtswesens.

1785.

Kaiser Josephs Plan eines Ländertausches, wonach Karl Theodor ganz Bayern an Österreich abtreten und dafür die österreichischen Niederlande (Belgien) außer Luxemburg und Namur als Königreich Burgund erhalten soll. Frankreich verhält sich gleichgültig, Rußland sucht durch Zureden und Drohungen den bayrischen Thronerben, den Herzog Karl von Pfalz-Zweibrücken, zur Einwilligung zu bewegen. Dieser wendet sich um Hilfe an Friedrich den Großen, welcher noch ein Jahr vor seinem Tode († 1786, 17. Aug.), den[291]

1785.

deutschen Fürstenbund zwischen Preußen, Sachsen, Hannover zustande bringt, dem dann viele kleinere Staaten beitreten nach dem Vorgang »des einstigen Schmalkaldischen« (S. 230ff.).

Damit die deutsche Reichsverfassung und die Dynastien gegen die Pläne des Kaisers sicher gestellt. Ebenso Widerstand gegen Josephs Reformen in den österreichischen Niederlanden und in Ungarn. Die Aufhebung der Verfassung von Brabant bewirkt einen Aufstand der belgischen Provinzen (1789). Joseph, aus dem gemeinschaftlich mit Rußland unternommenen Türkenkriege (S. 297) krank zurückgekehrt, stirbt kinderlos Febr. 1790, nachdem er fast alle Neuerungen wieder aufgehoben hatte.

1786–1797.

Friedrich Wilhelm II., König von Preußen, Neffe Friedrichs d. Gr., nicht von gleicher Tätigkeit und Entschlossenheit wie seine beiden Vorgänger. Die Finanzen des Staates kommen in Unordnung, das Heerwesen verfällt (s. Anhang).

1791.

Ansbach und Bayreuth durch Erbanfall gewonnen.

1790–1792.

Leopold II. Kaiser, Josephs Bruder und Nachfolger, seit 1765 Großherzog von Toskana. Er unterdrückt den Aufstand in Belgien, indem er zugleich die alten Verfassungen und Privilegien wiederherstellt. Manche Reformen Josephs noch von Leopold II. beseitigt, doch bleibt das Toleranzedikt und die Aufhebung der Leibeigenschaft. Durch die Konferenzen in Reichenbach 1790 wird ein Krieg mit Preußen abgewendet, welches mit den Türken und mit Polen Bündnisse geschlossen hatte (Minister v. Hertzberg), um Rußland und Österreich entgegenzuwirken (S. 297). Der Fürstenbund gesprengt. Preußen wieder im Schlepptau der österreichischen Politik.

Entfaltung d. deutschen Literatur u. Wissenschaft.

Winkelmann 1717–1768, Geschichte der Kunst des Altertums 1764. Lessings Laokoon 1766, Hamburgische Dramaturgie 1767, Nathan 1779; Goethes Götz v. Berlichingen 1773, Iphigenie 1787, Hermann und Dorothea 1797; Schillers Räuber 1781, Don Carlos 1787, Glocke und Wallenstein 1799. Kant 1724–1804 in Königsberg i. Pr.; Kritik der reinen Vernunft 1781; F. A. Wolf 1759–1824, Prolegomena ad Homerum 1792.

Klopstock s. S. 285. Lessing 1729 in Kamenz geb., 1760 in Breslau, 1767 in Hamburg, 1770 in Wolfenbüttel, † 1781. Wieland 1772–1813 (geb. 1733), Goethe 1775, Herder 1776 bis 1803 (geb. 1744) in Weimar am Hofe des Herzogs Karl August. Goethe geb. 1749 in Frankfurt a. M., † 1832 in Weimar. Schiller geb. 1759 in Marbach, 1782 Flucht aus Stuttgart, 1785 in Dresden, 1789 in Jena, 1799 in Weimar, † 1805.[292]

Zu nationaler und allgemeiner Bedeutung gelangt auch die deutsche Musik: Seb. Bach in Leipzig († 1750, Matthäuspassion 1729), Händel (geb. in Halle a. Saale, † in London 1759, Messias 1741), Gluck († in Wien 1787), Haydn († in Wien 1809, die Schöpfung 1797), Mozart († in Wien 1791).

Auch an dem Aufschwung der Naturwissenschaften nimmt Deutschland teil. Linné 1741 in Upsala, Jussieu und Buffon in Paris. Euler 1741 in Berlin, 1766 in Petersburg, Blumenbach 1780 in Göttingen; Herschel, 1781 Entdeckung des Planeten Uranus in Greenwich. Celsius 1730 in Upsala, Réaumur in Paris. Galvani 1780 in Bologna, Volta in Pavia. Lavoisier 1794 in Paris hingerichtet. Französische Gradmessung zur Bestimmung des Erdumfangs 1792–1808.

§ 8. Der Norden und Osten.

Dänemark (mit Norwegen), seit Beendigung des Nordischen Krieges im vollständigen Besitz Schleswigs (S. 277), erfreut sich unter Friedrich IV., Christian VI., Friedrich V., Christian VII., (Graf Bernstorff Minister 1751–1770) eines langen inneren und äußeren Friedens. Unter dem schwachen Christian VII. beginnt 1770 der Minister Struensee (geb. in Halle, Arzt in Altona, Reisebegleiter des Königs, Erzieher des Kronprinzen, Günstling der Königin Karoline Mathilde) übereilte Reformen nach dem Vorbild Friedrichs II. und Josephs II. Er wird 1772 durch eine Verschwörung der Adelsaristokratie (Königin-Mutter Juliane Marie) gestürzt und mit seinem Freunde Brandt enthauptet.

Der jüngere Bernstorff (Neffe des vorigen), Minister 1773 bis 1780 und wiederum 1784–1797, beendigt den Streit mit dem Hause Holstein-Gottorp 1773 durch einen Vertrag mit der in Rußland regierenden älteren Linie desselben: Abtretung des Stammlandes Oldenburg (S. 268) an die jüngere Linie, welche im Besitz des Bistums Lübeck (S. 255, Hauptort Eutin) war; dafür ganz Holstein mit Dänemark vereinigt.

Schweden im Innern zerrüttet und geschwächt durch die Zwistigkeiten der den Reichstag beherrschenden Adelsparteien (Hüte für Frankreich, Mützen für Rußland). Die königliche Gewalt unbedeutend unter Friedrich von Hessen-Kassel (1720 bis 1751, S. 277). Unglücklicher Krieg gegen Rußland 1741 bis 1743, beendigt durch den Frieden zu Åbo: 1. Abtretung des südlichen Finnland, der Kymmene-Fluß wird Grenze zwischen Schweden und Rußland, dadurch gesicherte Lage Petersburgs. 2. Prinz Adolf Friedrich von Holstein-Gottorp (S. 293), Verwandter des russischen Kaiserhauses, wird zum Thronfolger in Schweden bestimmt.[293]

Das dänische Königshaus und das Haus Holstein-Gottorp.

Christian I., K. v. Dänemark, † 1481.
 _________________|___________
|                             |
Johann, K. v.     Friedrich I., K. v. Dänemark, † 1533.
Dänemark, † 1513.       |
     |            ______|____________
     |           |                   |
Christian II.,   Christian III., Adolf, Hz. zu Gottorp.
K. v. Dänemark,  K. v. Dänemark,     |
abgesetzt 1523.  † 1559.             |
     ___________|__       Sein Urenkel
    |              |      Christian Albrecht,
Friedrich II.,  Johann,   Stifter der Universität Kiel 1665.
K. v. Dänemark. Hg. zu       _____|________________
|               Sonderburg.  Friedrich IV.,    Christian August,
Königliche Linie        |    Hz. zu. Gottorp.  Bischof v. Lübeck.
bis Friedrich VII.,  ___|_____          |           |
† 1863              |         |         |    _______|_______________________
                 Augustenburger Glücksburger | |                 |          |
                 Linie.         Linie.       | Adolf Friedr., Friedr. Aug., Georg
                                      _______| K. v.         Bischof        Ludwig.
                                     |         Schweden.     v. Lübeck,
                             Karl Friedrich,   Gem. Luise    1773 Hz.
                             Gem. Anna, d.     Ulrike        v. Oldenburg.
                             ält. Tochter      v. Preußen.
                             Peters d. Gr.
                                                      |             |
                          Peter III., † 1762,         |             |
                          Zar von Rußland.        Schwedische      Peter,
                          Gem. Katharina II.       Linie bis 1818. Begründer der
                          v. Anhalt Zerbst, † 1796.                Oldenburger
                               |                                   Linie.
                          Russische Linie.

[294]

1751–1818.

Haus Holstein-Gottorp in Schweden.

Unter Adolf Friedrich (1751–1771) unrühmliche Teilnahme am Siebenjährigen Kriege. Sein Sohn Gustav III. (1771–1792) stürzt durch einen unblutigen Staatsstreich 1772 die Macht des Adels; die Stände (Adel, Geistlichkeit, Bürger, Bauern) beraten fortan nur über die vom König gemachten Vorschläge und haben das Recht des Einspruchs gegen einen Angriffskrieg.

1788–1790.

Krieg gegen Rußland, um die Ostseeprovinzen wiederzugewinnen. Nach dem unentschiedenen Seetreffen bei der Insel Hogland rückt Gustav III. in den an Rußland 1743 abgetretenen Teil Finnlands ein; die Offiziere verweigern ihm den Gehorsam. Er findet Unterstützung in Stockholm und Dalarne; die Stände bewilligen ihm (gegen den Adel) das Recht des Angriffskrieges. Trotz glänzender Waffentaten Gustavs (Seesieg bei Svenskasund 1790) Friede zu Werelä ohne Vorteil für Schweden.

1792.

Gustav III. von Ankarström, einem ehemaligen Offizier, ermordet; Regentschaft eingesetzt für seinen minderjährigen Sohn Gustav IV.

Rußland und Polen.
         Alexei, †1676.
 ____________|_________________________________
|                    |                |        |
Feodor III.,        Iwan V.,        Sophia. Peter der Große,
†1682.              †1696.                  †1725. Gem.
          _________|____                    Katharina I.,
         |              |                   †1727.
   Katharina,       Anna,           ________|________________
   Herzogin v.      †1740.       Alexei,        Anna,     Elisabeth,
   Meckl.-Schwerin.              †1718.         Gem. Karl †1762.
      |                           |             Friedr. v.
   Anna,                      Peter II.,        Holstein-Gottorp.
   Herzogin v. Braunschweig.  †1730.              |
      |                                      Peter III.,
   Iwan VI. bis 1741, † 1764.                 †1762. Gem.
                                                Katharina II.,
                                                † 1796.

Auf Peter den Großen, dessen zur altrussischen Partei neigender Sohn Alexei, vom Vater zum Tode verurteilt, im Gefängnis gestorben war (1718), folgt kraft eines von Peter 1722 erlassenen Gesetzes, welches den jedesmaligen Herrscher zur Ernennung seines Nachfolgers ermächtigte (später durch Paul I. wieder aufgehoben), seine Gemahlin

1725–1727.

Katharina I., geleitet von Fürst Menschikow, (S. 269), der durch seine Herrschsucht sich den Haß der altrussischen Partei zuzieht.

1727–1730.

Peter II., 12 Jahre alt, Enkel Peters d. Gr. Menschikow durch die Familie Dolgoruki gestürzt und nach Sibirien verbannt, wo er 1729 stirbt. Die Residenz nach Moskau zurückverlegt.

1730–1740.

Anna Iwanowna, Nichte Peters d. Gr., von Münnich, Ostermann und ihrem Günstling Biron[295] (eigentlich Bühren) geleitet. Rückkehr des Hofes nach St. Petersburg; Biron herrscht bald unumschränkt und unterdrückt die Dolgoruki; 1737 wird er auf Wunsch der Kaiserin von August III., König von Polen (1733–1763), zum Herzog von Kurland ernannt. Rußlands Einfluß in Polen wird durch den polnischen Thronfolgekrieg (s. S. 279f.) begründet. In dem mit Österreich gemeinschaftlich (s. S. 279) geführten Türkenkrieg wird trotz der Siege des Feldmarschalls Münnich nur Asow wieder gewonnen (S. 275). Auf die Kaiserin Anna folgt ihr Großneffe, der unmündige

1740–1741.

Iwan VI., dessen Mutter Anna von Braunschweig nach dem durch Münnich bewirkten Sturz Birons kurze Zeit die Regierung führt (Biron nach Sibirien). Durch einen Soldatenaufstand erlangt den Thron

1741–1762.

Elisabeth, die jüngste Tochter Peters des Großen. Iwan wird gefangen. Münnich und Ostermann werden nach Sibirien geschickt, Biron kommt zurück. Launenhafte Regierung unter dem Einfluß der Günstlinge; der preußenfreundliche L’Estocq, dem die Kaiserin hauptsächlich den Thron verdankt, wird 1748 durch Bestuschew, den Freund Österreichs, gestürzt, Bestuschew fällt 1758 in Ungnade. Rußlands Teilnahme am Siebenjährigen Kriege s. S. 285–289. Nach Elisabeths Verfügung gelangt ihr Neffe Peter, Herzog von Holstein-Gottorp, zum Thron.

Seit 1762. Haus Holstein-Gottorp in Rußland.

              Peter III., †1762,
              Gem. Katharina II., †1796.
                           |
                    Paul I., †1801.
 ______________________|__________________
Alexander I.,    Konstantin,    Nikolaus I.
   †1825.          †1831.        †1855.
                                Gem. Charlotte v. Preußen,
                                 †1860.
 _________________________________|_________________
Alexander II.,    Konstantin,   Nikolaus,  Michael,
†1881.            †1892.        †1891.     †1909.
Gem. Maximiliane v. Hessen.
 ______|________________________________________________
Alexander III.,    Wladimir,   Alexei,   Sergius,  Paul.
†1894.             †1909. |    †1908.    †1905.       |
Gem. Dagmar v. Dänemark,  |_______________________    |
        |                Kyrill.   Boris.   Andreas.  Demetrius
   _____|__________________________________
   Nikolaus II.,        Georg,    Michael.|
   1894-x               †1899
  Gem. Alix v. Hessen.
        |
      Alexei.
1762.

Peter III. beginnt unvorsichtig ins Werk gesetzte Neuerungen, wird nach 6 Monaten entthront und gefangen gesetzt von seiner Gemahlin (Prinzessin von Anhalt-Zerbst), der energischen und sittenlosen

1762–1796.

Katharina II. Die Brüder Gregor und Alexei Orlow, Günstlinge Katharinas, lassen den Kaiser er[296]drosseln; Iwan VI. wird im Gefängnis zu Schlüsselburg getötet. Münnich, unter Peter III. zurückgekehrt, bleibt in Ansehen († 1767).

Katharina, zugleich auf innere Reformen und auf Erhöhung der Machtstellung Rußlands bedacht, wendet sich bald gegen Polen. Sie fordert und erhält von König August III. Kurland zurück für Biron, der das Herzogtum unter russischem Einfluß verwaltet und auf seinen Sohn vererbt.

Nach dem Tode Augusts III. 1763 setzt Katharina in Verbindung mit Friedrich II. die Wahl ihres Schützlings

1764–1795.

Stanislaus Poniatowski († 1798) zum König von Polen durch. Auf Rußlands und Preußens Betreiben erhalten die Dissidenten (Anhänger der griechischen Kirche und Protestanten) gleiche Rechte mit den Katholiken. Der russenfreundliche Teil des Adels schließt 1767 die Konföderation von Radom, der auch der König beitritt. Dagegen 1768 Bund des national gesinnten Teils des Adels, die Konföderation von Bar »zum Schutze der Religion und Freiheit Polens«. Mißglückter Versuch derselben, den König zu entführen. In dem Bürgerkriege wird der König durch ein russisches Heer gegen die Konföderation von Bar unterstützt. Die Türken erklären als Verbündete dieser Konföderation den Russen den Krieg (1768–1774). Rußlands Erfolge in demselben erregen Preußens und Österreichs Eifersucht. Um eine gleichmäßige Machtvergrößerung der drei Mächte herbeizuführen, erfolgt die

1772.

erste Teilung Polens: 1. Rußland erhält das Land jenseits der Düna und des Dnjepr (110000 qkm). 2. Österreich: Ostgalizien und Lodomirien (70000 qkm); (die Zips schon 1770 besetzt). 3. Preußen: Westpreußen mit Ausnahme von Danzig und Thorn, das Bistum Ermeland und den Netzedistrikt (35000 qkm), vgl. Anhang. Der polnische Reichstag gibt widerstrebend 1773 seine Zustimmung.

1768–1774.

Krieg gegen die Türken. Die türkische Flotte wird von der russischen (unter Alexei Orlow) in der Bucht von Tschesme (der Insel Chios gegenüber) 1770 geschlagen und verbrannt. Während des Krieges Aufstand des Kosaken Pugatschew, der sich für Peter III. ausgibt. Romanzows Erfolge, der die Walachei erobert und den türkischen Großvezier bei Schumla einschließt, bewirken den Frieden von Kutschuck Kainardsche:

1. Rußland erhält Kinburn an der Dnjeprmündung, Jenikale und Kertsch in der Krim, freie Handelsschiffahrt auf allen türkischen Meeren. 2. Die Tataren in der Krim und am Kuban werden für »unabhängig« erklärt. 3. Rückgabe der russischen Eroberungen in der Moldau und Walachei an ihre Fürsten, welche Rußland fortan in Konstantinopel der Pforte gegenüber vertritt.[297]

Reformen in der Verwaltung Rußlands: Neue Einteilung der Gouvernements, Städteordnung, Milderung der Leibeigenschaft, Verwaltung der Kirchengüter durch eine kaiserliche Behörde. An die Stelle des Gregor Orlow tritt Potemkin als mächtiger Günstling der Kaiserin.

1780.

Bewaffnete Seeneutralität, zur Sicherung des Handelsverkehrs während des nordamerikanischen Krieges (s. S. 300f.). Von Rußland angeregt, treten ihr nach und nach bei: Dänemark, Schweden, Preußen, Österreich, Portugal; Spanien und Frankreich erkennen sie an. Dem Beitritt Hollands kommt England durch eine Kriegserklärung zuvor.

Forderungen der bewaffneten Neutralität: 1. Freie Schiffahrt neutraler Schiffe von Hafen zu Hafen und an den Küsten Krieg führender Mächte; 2. Feindliches Eigentum ist frei in neutralen Schiffen mit Ausnahme der Kriegszufuhr; 3. Genaue Bestimmung, was ein blockierter Hafen ist; eine Hafensperre, die nicht durch mehrere Kriegsschiffe in der Nähe des betreffenden Hafens aufrecht erhalten wird, ist ungültig.

1783.

Die Krim wird russische Provinz (Gouvernement Taurien); die christlichen Fürsten von Georgien und Mingrelien (südlich vom Kaukasus) treten unter russischen Schutz.

1787–1792.

Zweiter Türkenkrieg. Bündnis mit Österreich, Zusammenkunft Katharinas und Josephs II. in der neugegründeten Stadt Cherson am Dnjepr (1787). Potemkin erstürmt Oczakow 1788, Suwōrow erstürmt Ismail (am Donaudelta) 1790. Die Österreicher kämpfen anfangs unglücklich, doch erobert General Laudon 1789 Belgrad. Österreich schließt 1791 den Frieden von Sistowa mit den Türken und erhält wenig mehr als Alt-Orsowa (an der Donau, Paß des Eisernen Tores). Rußland erhält 1792 im Frieden zu Jassy das Küstenland am Schwarzen Meere bis zum Dnjestr. An dieser Küste wird 1793 die schnell aufblühende Handelsstadt Odessa gegründet.

1793.

Zweite Teilung Polens. Die Polen hatten den Türkenkrieg Rußlands und Österreichs und die anscheinend günstige Stimmung Preußens zu benutzen gesucht, um ihrer Abhängigkeit von den Nachbarstaaten und den anarchischen inneren Zuständen ein Ende zu machen. Bündnis mit Preußen 1790 (s. S. 291).

Die neue Verfassung von 1791 verwandelt 1. das Wahlreich in ein Erbreich, erklärt den Kurfürsten von Sachsen zum Nachfolger des Königs Stanislaus Poniatowski und den Thron für erblich im sächsischen Hause, überträgt 2. dem Könige und einem Staatsrate die ausübende, einem Reichsrate in zwei Kammern die gesetzgebende Gewalt unter Aufhebung des liberum veto, macht 3. dem Bürger- und Bauernstande einige [298]Zugeständnisse, ermöglicht namentlich den Eintritt in den Adelsstand, dessen Privilegien im übrigen bestätigt werden.

Gegen diese Verfassung tritt unter dem Schutze Rußlands die Konföderation von Targowitz auf. Vordringen eines russischen Heeres in Polen 1791. Tapferer, aber vergeblicher Widerstand unter Fürst Poniatowski, dem Neffen des Königs, und Kosciuszko; beide werden bei Dubienka 1792 geschlagen. Der König tritt der Konföderation von Targowitz bei, die neue Verfassung wird aufgehoben. Preußen verständigt sich mit Rußland und sendet ebenfalls Truppen nach Polen. Auf dem Reichstage zu Grodno wird die Einwilligung der Nation zu den neuen Abtretungen erzwungen:

Rußland nimmt den noch übrigen Teil Litauens, Wolhynien und Podolien (236000 qkm), Preußen nimmt Danzig und Thorn, Posen und Kalisch (Südpreußen) (55000 qkm). Außerdem erzwingt Rußland einen Unionsvertrag, durch welchen es 1. freien Einmarsch seiner Truppen in Polen, 2. die Leitung aller künftigen Kriege, 3. das Bestätigungsrecht aller Verträge Polens mit auswärtigen Mächten erhält.

1794.

Aufstand in Polen, Kosciuszko an der Spitze. Die Russen unter Igelström in Warschau teils niedergemetzelt, teils zur Stadt hinausgeschlagen. Preußische und russische Truppen siegen über Kosciuszko bei Sczekozyn; die Preußen unter Friedrich Wilhelm II. nehmen Krakau, belagern Warschau vergeblich. Suwōrow siegt bei Brzesc und bei Macziejovice, wo Kosciuszko gefangen wird (1797 entlassen); erstürmt dann Praga, die Vorstadt von Warschau.

1795.

Dritte und letzte Teilung Polens. Preußen nimmt Masovien mit Warschau, das Land zwischen Weichsel, Bug und Niemen (Neu-Ostpreußen), einen Teil des Gebiets von Krakau (Neu-Schlesien); Österreich Westgalizien und Krakau; Rußland alles übrige, auch das Herzogtum Kurland. Durch die drei Teilungen erhalten die Mächte etwa folgenden Zuwachs:

Rußland465000qkm(8500 □ Meil.)mit6Mill.Einw.
Österreich115000(2100 □   „   )4
Preußen145000(2700 □   „   )

§ 9. Großbritannien und Nordamerika.

Auf Wilhelm III. (s. S. 271), welcher kinderlos stirbt folgt seine Schwägerin

1702–1714.

Anna, zweite Tochter Jakobs II., unter welcher lange Zeit die Partei der Whigs die Regierung leitet. John Churchill, Herzog von Marlborough, siegreich als Feldherr (S. 273), seine Gemahlin beherrscht den Hof.[299]

1707.

Vereinigung Englands und Schottlands (Großbritannien) durch ein Parlament an Stelle der bisherigen Personal-Union. Schottland nimmt an dem Aufschwung Englands teil.

1710.

Das Whigministerium durch ein Toryministerium (Lord Bolingbroke) ersetzt, dann Friede mit Frankreich nach dem spanischen Erbfolgekrieg. Vergebliche Bemühungen der Tories und der Königin, ihrem Stiefbruder, dem Prätendenten Jakob Eduard, genannt Jakob III., die Thronfolge zu verschaffen. Nach dem Gesetze von 1701 (S. 272) folgt das protestantische Haus Hannover.

1714–1901.

Haus Hannover (s. S. 352).

Jakob I. (Stuart), †1625.
 _________|______________
|                        |
Elisabeth,          Karl I.,
Gem. Friedrichs V.  †1649.
von der Pfalz.         __|________________________________
    |                 |                    |              |
Sophia,            Karl II.,        Maria,           Jakob II.,
Gem. Ernst Augusts †1685           Gem. Wilhelms II. vertrieben 1688,
von Hannover.                       von Oranien.      †1701.
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Georg I.,          Sophie Charlotte, †1705,        |      |
†1727.            Gem. Friedrichs I. v. Preußen.   |      |
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|                     |                            |      |
Georg II.,         Sophie Dorothea, †1757,         |      |
†1760.            Gem. Friedrich Wilhelms I.       |      |
                   von Preußen. ___________________|      |
                               |          ________________|_________
Friedrich          Wilhelm III., verm. Maria,  Anna,    Jakob Eduard,
Ludwig,             †1702.       m.    †1694.  †1714.    Prätendent,
Prinz von                                Gem. Georgs  †1766.
Wales,                                   v. Dänemark.    |
1751.                                               _____|__
                                                    |       |
Georg III.,                               Karl Eduard,  Heinrich,
†1820.                                    Prätendent,   †1807.
                                          †1788.

Unter Georg I. (1714–1727) Herrschaft der Whigs, ebenso unter Georg II. (1727–1760). Der Minister Walpole (bis 1742) sorgt für Erhaltung des Friedens und Förderung des Handels. 1739 Seekrieg gegen Spanien, 1744–1747 gegen Frankreich.

Der von Frankreich unterstützte Versuch des Prätendenten Karl Eduard, die Ansprüche des Hauses Stuart nochmals zur Geltung zu bringen, hat anfangs Erfolg in Schottland, wo die kriegerischen Hochländer sich erheben, wird aber durch den Sieg des Herzogs von Cumberland bei Culloden 1746 vereitelt (S. 284).

1755–1763.

Krieg gegen Frankreich, durch Grenzstreitigkeiten in Nord-Amerika entstanden, zu Lande in Amerika und Deutschland, zur See in allen Weltteilen geführt. Ministerium des älteren Pitt 1757–1761, Bündnis mit Preußen (s. S. 286). Die Engländer sind fast überall im Vorteil gegen die Franzosen.[300]

1759.

Landsieg des englischen Generals Wolfe bei Quebec, Kanada erobert. Seesiege bei Lagos in Portugal und Quibéron.

1760–1820.

Georg III., Enkel Georgs II., zum Frieden geneigt. Frankreich verbündet sich mit Spanien (Bourbonischer Familienpakt 1761); Pitt tritt aus dem Ministerium, weil nicht sofort Krieg an Spanien erklärt wird. Sein Nachfolger Bute sucht den Frieden herbeizuführen, sieht sich aber doch zur Kriegserklärung gegen Spanien genötigt. Die englische Flotte erobert 1762 Martinique, Havanna, Manila; Spaniens Seemacht fast vernichtet.

1763.

Friede zu Paris: 1. Frankreich tritt Louisiana östlich vom Mississippi (seit 1682 französische Kolonie), Kanada und die Insel Cap Breton, sowie seine afrikanischen Besitzungen am Senegal an England ab, erhält seinen Besitz in Ostindien (Pondichery und Chandarnagar) zurück. 2. Spanien erhält Cuba und die Philippinen zurück, tritt Florida an England ab, erhält von Frankreich Louisiana westlich vom Mississippi.

1757–1784.

Eroberung Ostindiens. Die ostindische Kompagnie (S. 246) hatte 1639 Madras, 1664 Bombay erworben, um 1700 Kalkutta angelegt. Robert Clive siegt 1757 bei Plassey über den mit Frankreich verbündeten Nabob von Bengalen und erobert dieses reiche Land. Der Großmogul in Delhi (S. 219) behält nur den Schein der Herrschaft; die indischen Fürsten müssen hohen Tribut zahlen. Clive 1765 abermals nach Indien gesandt, unterdrückt Aufstände und erweitert das englische Gebiet. Warren Hastings, seit 1773 General-Gouverneur, besiegt die Mahratten und den Sultan Hyder Ali von Mysore 1781, unterwirft dadurch den größten Teil von Dekhan.

1784.

East-India-Bill des jüngeren Pitt (Minister 1783 bis 1801); die Kompagnie wird in militärischen und politischen Angelegenheiten einer königlichen Aufsichtsbehörde untergeordnet, behält aber die Verwaltung der ausgedehnten Gebiete in eigner Hand (bis 1858).

1799.

Hyder Alis Sohn Tippu Sahib, der sich nochmals gegen die englische Herrschaft erhoben hat, fällt bei der Erstürmung seiner Hauptstadt Seringapatam.

Durch diese Erfolge ist England zur vorherrschenden See- und Kolonialmacht geworden. Zugleich bedeutende Entwickelung der Industrie, Birmingham und Manchester entwickeln sich als Fabrikstädte, London und Liverpool als Haupthandelsplätze. Einen Verlust erleidet England durch den Abfall seiner nordamerikanischen Kolonien.

1775–1783.

Nordamerikanischer Freiheitskrieg

Das englische Parlament, in welchem die Kolonien nicht vertreten sind, beschließt 1765 die Einführung einer[301] Stempel-Abgabe, 1760 eine Steuer auf Tee, Glas, Papier und Farben. Die Kolonien widersetzen sich einer Besteuerung ohne ihre Zustimmung; im Hafen von Boston wird 1773 eine Teeladung ins Meer geworfen. Die englische Regierung verhängt Hafensperre über Boston und verändert die Verfassung der Kolonie Massachusetts; ein Kongreß von Abgeordneten der Kolonien in Philadelphia 1774 beschließt das Aufhören des Handelsverkehrs mit dem Mutterlande.

1775 erstes Gefecht bei Lexington. Die Engländer, in Boston belagert, räumen diese Stadt im Frühjahr 1776, werden durch 12000 von ihrem Landesherrn verkaufte Hessen und andere deutsche Mietstruppen verstärkt, besetzen Long-Island und die Stadt New-York. George Washington (geb. 1732 in Virginien, † 1799, am Ende des französischen Krieges Oberst) erhält den Oberbefehl und bildet ein Heer.

1776. 4. Juli.

Unabhängigkeits-Erklärung der 13 Vereinigten Staaten.

Washington, von französischen Freiwilligen (Marquis v. Lafayette) begleitet, kämpft zunächst mit wechselndem Erfolge. Der früher preußische Major v. Steuben unterstützt ihn bei der kriegsmäßigen Ausbildung der Truppen.

1777.

General Gates nimmt ein englisches Korps von 6000 Mann bei Saratoga (am Hudson) gefangen.

1778.

Bündnis Frankreichs mit den amerikanischen Freistaaten, abgeschlossen durch Benjamin Franklin (geb. 1706 in Boston, Buchdrucker, Schriftsteller, Erfinder des Blitzableiters, General-Postmeister der Kolonien, seit 1776 Gesandter in Versailles). Bald tritt Spanien dem Bündnis bei; andererseits erklärt England den Krieg an Holland (S. 297).

1779–1782.

Gibraltar von Franzosen und Spaniern vergeblich belagert, von Elliot tapfer verteidigt; dagegen nehmen die Spanier 1782 die Insel Menorka (S. 274).

Seesiege des englischen Admirals Rodney bei S. Vincent 1780 und Dominika 1782. Unentschiedene Seeschlacht zwischen Engländern und Holländern an der Doggerbank in der Nordsee 1781.

1781.

Entscheidung des Landkrieges zu Gunsten der Amerikaner; Washington und Lafayette nehmen ein englisches Korps von 7200 Mann bei Yorktown (in Virginien) gefangen.

1783.

Friede zu Versailles: 1. Anerkennung der Unabhängigkeit der 13 Vereinigten Staaten. Das Western Territory erhalten die Amerikaner, die Schiffahrt auf dem Mississippi bleibt gemeinschaftlich. 2. England tritt an Frankreich in Westindien ab: Tabago; in Afrika: das Gebiet des Senegal;[302]

3. Spanien bleibt im Besitz von Menorka und Florida (S. 300), verzichtet auf Gibraltar (S. 274).

1789–1797.

George Washington, erster Präsident der Vereinigten Staaten (United States of America).

Verfassung des Bundesstaates: Über Krieg und Frieden, Heer und Flotte, Verträge mit fremden Staaten, Münze, Maß und Gewicht, Zölle und Steuern beschließt der Kongreß, bestehend aus Senat und Repräsentantenhaus. Die Einzelstaaten verwalten nur ihre inneren Angelegenheiten. Der Präsident, auf 4 Jahre durch Wahlmänner aus allen Staaten erwählt, ernennt die Beamten und leitet die Regierung nach den Beschlüssen des Kongresses. Gegen dieselben steht ihm ein aufschiebendes Veto zu, bis der Kongreß mit Zweidrittelmajorität entscheidet.

Aufblühen des neuen Staatswesens durch Einwanderung. Vordringen der Ansiedler nach Westen, Cincinnati 1791 gegründet, die Bundeshauptstadt Washington 1793. Auf dem Kapitol hält der Kongreß seine Sitzungen, das Weiße Haus die Amtswohnung des Präsidenten.

1812–1815.

Krieg mit England (S. 331). Die Amerikaner dringen in Kanada ein. Die Engländer treiben sie zurück, besetzen Washington und zerstören das Kapitol, werden aber nach einer Landung bei New-Orleans besiegt (Jan. 1815). Unterdessen bereits (Dez. 1814) Friede zu Gent. Die Eroberungen gegenseitig zurückgegeben.

Die 13 Staaten vermehren sich bis 1821 auf 26; Louisiana, von Spanien 1800 an Frankreich zurückgegeben, wird 1803 von den Vereinigten Staaten durch Kauf erworben, ebenso Florida 1819, Texas und Kalifornien 1848 durch Krieg gegen Mexiko. Alaska 1867 durch Kauf von Rußland, Portorico und die Philippinen 1898 durch Krieg gegen Spanien, 1900 Sandwichinseln annektiert. Jetzt 47 Staaten, 3 Territorien und 1 Bundesdistrikt.

Neuen Machtzuwachs für England bringt die Erschließung der seit 1600 durch Portugiesen, Spanier (Torres) und Holländer (Tasman) entschleierten australischen Inselwelt durch die Entdeckungsreisen von James Cook 1768–1779. Er wird bei der dritten Reise auf Hawaii, der größten der Sandwichinseln, von den Eingeborenen 1779 erschlagen. Andere bisher unbekannte Gebiete werden erschlossen durch die Reisen des Schotten Bruce (Abessinien) und Mungo Park (Nigerstrom).

1788.

Sydney erste englische Kolonie in Australien. Weitere Entfaltung der englischen Literatur und Wissenschaft: Shaftesbury, Pope, Swift, Prior, Defoe, Addison, Steele, (»Tatler«, »Spectator« erste moralische Wochenschriften), Sterne, Fielding, Goldsmith, Richardson, Gray, Sam. Johnson (Macphersons Ossian 1760). Der Naturforscher Robert Boyle († 1691 in London), der Philologe Rich. Bentley in[303] Oxford und Cambridge († 1742), der Philosoph und Geschichtschreiber David Hume in Edinburg († 1776), der Geschichtschreiber Gibbon († 1794); Adam Smith, Prof. in Glasgow, begründet 1776 die Volkswirtschaftslehre. Aufschwung der englischen Malerei: Hogarth († 1764), Joshua Reynolds († 1792), Gainsborough († 1788).

§ 10. Südeuropa.

Portugal, unter den ersten Königen aus dem Hause Braganza (S. 245) wieder zu einiger Macht gelangt, seit dem Besitz Brasiliens 1500 (S. 222) als Kolonialmacht nicht unbedeutend, gerät durch einen 1703 geschlossenen Handelsvertrag in Abhängigkeit von England. Große Macht der Geistlichkeit unter Johann V. (1706–1750); wohltätige Reformen unter Joseph I. (1750–1777) durch den Minister Carvalho, Marquis von Pombal.

1755. 1. Nov.

Lissabon durch Erdbeben größtenteils zerstört, Pombal sorgt für die Wiederherstellung.

1759.

Vertreibung der Jesuiten infolge eines Mordversuchs gegen den König.

1762–1763.

Im Bunde mit England Krieg gegen Spanien. Pombal beruft den Grafen Wilhelm von Schaumburg-Lippe nach Portugal. Dieser organisiert Heer und Flotte. Im Frieden von Paris 1763 gibt Spanien die eroberten Plätze zurück.

Unter der Königin Maria, der Tochter Josephs I. (1777 bis 1792), Wiederherstellung der geistlichen Macht, Pombal vor Gericht gestellt, aber begnadigt, † 1782.

Spanien, seit 1701 unter Königen aus dem Hause Bourbon (S. 274), in der auswärtigen Politik mit Frankreich verbündet, gelangt nicht wieder zu seiner früheren Machtstellung. Unter Karl III. (1759–1788) Reformen des Ministers Aranda, welcher 1767 die Jesuiten vertreibt.

Sardinien, Königreich seit 1720 (S. 278), tritt unter Karl Emanuel I. (1730–1773) im Polnischen Thronfolgekrieg kriegerisch gegen, im Österreichischen Erbfolgekrieg für Österreich auf, erwirbt 1748 durch den Frieden zu Aachen (S. 284), einen Teil des Herzogtums Mailand.

Die Republik Genua hat fortdauernd ihre Unabhängigkeit gegen mächtige Nachbarn (Savoyen, Frankreich, Österreich) zu verteidigen. Die Bewohner der seit Ende des 11. Jahrh. von den Pisanern und Genuesen umstrittenen Insel Korsika, seit 1300 unter genuesischer Herrschaft, empören sich 1729. Nach wechselvollem Kampfe, wobei ein deutscher Abenteurer, Baron Neuhof aus Westfalen, kurze Zeit als König Theodor I. von Korsika auftritt (1736), ruft Genua Frankreichs Hilfe an;[304] die Insel wird 1739 unterworfen. Doch bald neue Kämpfe, seit 1755 Pasquale Paoli an der Spitze. Genua tritt 1768 die Insel an Frankreich ab; Paoli flieht 1769 nach England, versucht 1790–1796 nochmals Korsika zu befreien, † in England 1807.

Venedig kann die frühere Blüte nicht wieder erreichen, doch werden noch ruhmvolle Kriege gegen die Türken geführt:

1645–1669.

Krieg um Kandia (Kreta); die Türken mehrmals von der venetianischen Flotte besiegt; trotz tapferer Verteidigung, welche Morosini leitet, endet der Krieg mit dem Verlust der Insel für Venedig.

1685–1699.

Krieg um Morea (Peloponnes). Venedig mit Kaiser Leopold I. und Polen verbündet (S. 266). Morosini, verstärkt durch deutsche Mietstruppen unter Graf Königsmark, vertreibt die Türken aus Morea, erobert 1687 Athen, bei dessen Belagerung der Mittelbau des Parthenon (S. 46) durch eine venetianische Bombe zerstört wird. Darauf zum Dogen erwählt, kehrt er 1693 auf den Kriegsschauplatz zurück, stirbt aber 1694 in Nauplia. Im Frieden zu Karlowitz (S. 266) bleibt Morea den Venetianern, welche die Halbinsel durch griechische Kolonisten neu bevölkern und bessere Verwaltung einführen.

1715.

Die Türken erobern Morea für immer (vgl. S. 278); nach dem Frieden von Passarowitz 1718 bleibt Venedig immer noch im Besitz eines ansehnlichen Festlandsgebietes (Verona, Brescia, Bergamo, Udine, Istrien, Dalmatien) und der Ionischen Inseln.

Toskana, nach dem Aussterben des Hauses Medici 1737 österreichische Sekundogenitur (S. 279), erfreut sich des Wohlstandes unter dem Großherzog Leopold (1765–1790), dem zweiten Sohne Maria Theresias und nachmaligen Kaiser Leopold II. Diesem folgt sein zweiter Sohn Ferdinand III. (1790 bis 1824).

Parma mit Piacenza und Guastalla seit 1748 spanische Sekundogenitur (S. 284); Modĕna im Besitz des Hauses Este (S. 210); am Hofe des Herzogs Franz III. lebt der Geschichtsforscher Muratori († 1750).

Der Kirchenstaat behauptet sein ansehnliches Gebiet (das alte Latium, Umbrien, die Marken, Ancona, Rimini, Ravenna, Bologna, Ferrara) in gutem Einvernehmen mit Österreich und Spanien.

1773.

Papst Clemens XIV., dem Andringen katholischer Staaten nachgebend, hebt den Jesuiten-Orden auf, nachdem der Ordensgeneral Ricci jede Reform abgelehnt hat (sint, ut sunt, aut non sint).[305]

Neapel mit Sicilien unter Königen aus dem Hause Bourbon (1735–1799, dann wieder 1815–1860). Karl IV., bis 1759 (als Karl III., König von Spanien, S. 303), verbessert die Verwaltung mit Hilfe des Ministers Tanucci, der auch unter Karls Sohn Ferdinand IV. (1759–1825) bis 1777 im Amte bleibt; 1767 Vertreibung der Jesuiten. Nach Tanuccis Sturz führt die Königin Caroline Marie, Tochter der Maria Theresia, die Regierung. Ihr Minister Arcton. 1799 muß der König vor den eindringenden Franzosen nach Sicilien entweichen (S. 317).

§ 11. Frankreich.

1715–1774.

Ludwig XV., Urenkel Ludwigs XIV., dessen Sohn und Enkel vor ihm gestorben waren (S. 349). Während der Minderjährigkeit führt der Herzog Philipp von Orléans, Sohn der Elisabeth Charlotte von der Pfalz († 1721), die Regentschaft; dieser gibt durch seine Ausschweifungen dem Volke ein übles Beispiel († 1723). Mißglückter Versuch des Schotten John Law, durch Gründung einer Bank (1718) und Ausgabe von Papiergeld die zerrütteten Finanzen in Ordnung zu bringen. Gemäßigte Staatsverwaltung des Kardinals Fleury 1726–1743, dann Herrschaft der Buhlerinnen (Marquise von Pompadour 1745–1764, Gräfin Dubarry 1769–1774).

Lothringen erworben 1738 (S. 279); erfolglose Teilnahme am österreichischen Erbfolgekrieg und am Siebenjährigen Krieg, unglücklicher Krieg mit England (S. 299f.). Verlust der Kolonien in Nordamerika (S. 300). Vertreibung der Jesuiten 1761 durch den Minister Choiseul. Opposition des höchsten Gerichtshofs, des Parlaments zu Paris; Aufhebung der Parlamente 1771. Beim Tode des Königs 4000 Mill. Livres Staatsschulden; der Staat heillos zerrüttet.

1774–1792.

Ludwig XVI., dessen redlicher Wille bei dem Mangel an Tatkraft den herannahenden Sturm der Revolution nicht mehr durch schwache Reformversuche zu beschwichtigen vermag. Wiederherstellung der Parlamente 1774. Ludwig XVI., Enkel seines Vorgängers, persönlich ehrbar und sittenrein. Seine Gemahlin Marie Antoinette, Tochter Maria Theresias von Österreich, anfangs beim Volke nicht unbeliebt, wird bald Gegenstand der gehässigsten Verleumdungen, namentlich infolge des anstößigen Halsbandprozesses (Kardinal Rohan, Gräfin Lamotte). Frankreichs Teilnahme am Nordamerikanischen Freiheitskriege (S. 301) verschärft den alten Gegensatz gegen England.

Die französische Literatur im 18. (philosophischen) Jahrhundert ist ein getreues Abbild der Sitten des französischen Hofes und Volkes: Lesage († 1747), Montesquieu († 1755),[306] Voltaire (1694–1778), Rousseau (1712–1778), B. de St-Pierre († 1814), A. Bertin († 1790), Beaumarchais († 1799). Als Maler verdienen Erwähnung: Watteau (Hauptmeister des Rokoko, † 1721), Boucher († 1770), Fragonard († 1806).

C. Vom Beginn der französischen Revolution bis zum Wiener Kongress. (1789–1815.)

§ 1. Die Revolution in Frankreich.

Ursachen: 1. Der auf Vernichtung oder Umbildung des Bestehenden gerichtete Geist des 18. Jahrhunderts. Angriffe französischer Schriftsteller auf Staat und Kirche. Montesquieu (Esprit des lois 1748) und Rousseau (Contrat social 1762) bekämpfen das unbeschränkte Königtum und stellen neue Staatslehren auf. Voltaire (Henriade 1723, Prozeß des Jean Calas 1762) bekämpft die religiöse Unduldsamkeit und das Christentum überhaupt; die Enzyklopädie, ein philosophisches Wörterbuch, 1751–1780 herausgegeben von Diderot und d’Alembert, verbreitet die Lehren der Aufklärung und Freigeisterei.

2. Die großen Mißbräuche im französischen Staatswesen, verschuldet durch die willkürliche und entartete Regierung, während in allen übrigen europäischen Staaten Verbesserungen durchgeführt werden. Seit 1614 die altherkömmlichen Reichsstände (États-généraux) nicht mehr einberufen (s. S. 238). Verfügung über die Freiheit der Untertanen durch willkürliche Verhaftsbefehle (lettres de cachet, Bastille), über ihr Vermögen durch willkürliche Besteuerung. Gegen den Anspruch des Pariser Parlaments, die Eintragung der Steueredikte verweigern zu können, wendet der Hof königliche Thronsitzungen (lits de justice) und Verweisung der Parlamentsmitglieder an. Käuflichkeit der Offizierstellen im Heere, der Sitze in den Parlamenten, der höheren Ämter, aber meist nur für den Adel. Die bevorrechtigten Stände (Adel und Geistlichkeit) sind bei den direkten Abgaben sehr begünstigt, obgleich keineswegs ganz frei von denselben; die Bauern durch Frondienste gedrückt, die Entwickelung von Handel und Gewerbe durch Zunftzwang gehemmt.

Veranlassung: Die ungeheure Staatsschuld. Entstanden durch die Kriege Ludwigs XIV., seine kostspieligen Bauten und seine verschwenderische Hofhaltung, wächst der jährliche Fehlbetrag durch die Verschwendung Ludwigs XV. und die Kosten des nordamerikanischen Krieges unter Ludwig XVI. bis fast auf die Hälfte der jährlichen Einnahme.[307]

Turgots Maßregeln zur Verbesserung der Verwaltung (Aufhebung der Binnenzölle, Abschaffung der Wegefronden und der Zünfte) werden mit seiner Entlassung 1776 aufgegeben. Necker (bis 1781) sucht durch Anleihen und Sparsamkeit zu helfen, Calonne (1783–1787) wirtschaftet sorgloser und beruft zuletzt eine Notabelnversammlung, die keine durchgreifenden Beschlüsse zu fassen wagt. Necker, 1788 wieder berufen, veranlaßt die

1789. 5. Mai.

Berufung der Reichsstände nach Versailles, mit einer doppelten Vertretung des Bürgerstandes (tiers état): Geistlichkeit 300, Adel 300, Bürger 600. Streit über die Art der Beratung und Abstimmung, ob nach Ständen oder nach Köpfen. Bei der Prüfung der Vollmachten verlangen Geistlichkeit und Adel eine getrennte, der Bürgerstand eine gemeinschaftliche Prüfung. Auf Sieyès’ Vorschlag erklären sich die Abgeordneten des Bürgerstandes als Nationalversammlung (Assemblée nationale) und laden die beiden anderen Stände zum Beitritt ein.

20. Juni.

Eid im Ballspielhaus (Jeu de paume). Die Abgeordneten des dritten Standes schwören, sich nicht zu trennen, bis sie dem Lande eine Verfassung gegeben.

23. Juni.

Fruchtlose königliche Sitzung. Der Befehl des Königs, daß die drei Stände getrennt beraten sollen, wird nicht ausgeführt infolge des von Mirabeau[51] erhobenen Widerspruchs. Der König gibt nach; Geistlichkeit und Adel vereinigen sich mit dem dritten Stand. Die Versammlung beginnt eine neue Verfassung für Frankreich zu beraten, wird deshalb bezeichnet als

1789–1791.

Verfassunggebende Versammlung (Assemblée constituante).

Gerüchte von einer beabsichtigten Auflösung der Nationalversammlung und die Entlassung Neckers (11. Juli) veranlassen Unruhen in Paris.

1789. 14. Juli.

Einnahme und Zerstörung der Bastille. Necker zurückberufen, Lafayette Befehlshaber der neuerrichteten Bürgerwehr (Nationalgarde).

Unruhen in den Provinzen, Schlösser und Klöster verwüstet. Viele Adlige verlassen Frankreich. Karl Philipp, Graf von Artois, zweiter Bruder des Königs, an der Spitze der Emigranten, seit 1791 in Koblenz am Hofe des Kurfürsten von Trier.[308]

1789. 4. Aug.

Freiwillige Verzichtleistung (Vicomte de Noailles) der Abgeordneten des Adels auf alle Feudalrechte, der Geistlichkeit auf den Zehnten. Abschaffung des Feudalstaates. Gleichheit der Besteuerung und gleiche Zulassung aller Bürger zu allen öffentlichen Ämtern wird festgesetzt. Öffentliche Werkstätten eingerichtet.

27. Aug.

Erklärung der Menschenrechte (Freiheit, Eigentum, Sicherheit, Widerstand gegen Unterdrückung) auf Lafayettes Antrag.

5. Okt.

Aufstand in Paris, hervorgerufen durch Brotmangel und Gerüchte von einer beabsichtigten Reaktion. Zug der durch Agenten des Herzogs Philipp von Orléans aufgeregten Volksmenge zum König nach Versailles. Die königliche Familie, von Lafayette durch die Nationalgarde gerettet, muß nach Paris übersiedeln, ebenso die Nationalversammlung; 200 Mitglieder scheiden aus. Der Pariser Pöbel beherrscht seitdem die Versammlung.

Die von der Assemblée constituante ausgearbeitete Verfassung überträgt die gesetzgebende Gewalt der Nationalversammlung und gesteht dem König nur ein aufschiebendes Veto zu. Er darf die Versammlung, die Inhaberin der Souveränität, nicht auflösen, ja nicht einmal mit Gesetzesvorschlägen an sie herantreten, geschweige denn ihre Beschlüsse rundweg ablehnen. Er ist vielmehr nur der Vollstrecker dieser Beschlüsse. Da aber den nach Aufhebung der alten Provinzen neu geschaffenen 83 Departements nahezu volle Selbstverwaltung und auch das Recht der Beamtenwahlen verliehen wurde, so war Frankreich in 83 fast souveräne Republiken aufgelöst, in denen es königliche Beamte, d. h. Vollstrecker des königlichen Willens nicht mehr gab. Der König also tatsächlich machtlos.

Die Ausübung des Aktivbürgerrechts an die Entrichtung einer direkten Steuer, ein Alter von 25 Jahren und einjährigen Wohnsitz in der Gemeinde geknüpft. Die aus den Urwahlversammlungen hervorgehenden Wahlmänner wählen die Volksvertreter für eine Legislatur von 2 Jahren, desgleichen die Behörden der Departements und ihrer Distrikte; die Gemeindebeamten und die Richter werden ebenfalls von den Aktivbürgern gewählt. Aufhebung der Parlamente; neue Gerichtsverfassung mit Geschworenengerichten. Abschaffung des Adels, der Titel und Wappen, sowie der Beschränkung der Presse.

Um der Finanznot abzuhelfen, erklärt man die geistlichen Güter für Nationaleigentum und gibt Papiergeld aus (Assignaten, Anweisungen auf den Wert der Nationalgüter). Der Staat übernimmt den Unterhalt der Geistlichen.

Auch die Geistlichen werden fortan von den Aktivbürgern gewählt (Constitution civile du clergé), jedes Departement bildet ein Bistum. Nur ⅓ der Geistlichkeit unterwirft sich[309] der neuen Verfassung durch den geforderten Eid, daher fortan kirchlicher Zwiespalt.

Die Aufregung wird vorübergehend beschwichtigt durch das Verbrüderungsfest (Föderationsfest, 14. Juli 1790), zu welchem Tausende aus den Provinzen nach Paris kommen. Lafayette schwört im Namen sämtlicher Nationalgarden der Nation, dem Gesetz, dem König treu zu sein. Der König gelobt die von der Nationalversammlung beschlossene und von ihm angenommene Verfassung anzuwenden.

Mit diesem Gang der Dinge sind die demokratischen Klubs nicht zufrieden. Ihr Ziel ist die völlige Beseitigung der Monarchie und die Gründung einer Republik. Der zahlreichste und einflußreichste ist der nach seinem Versammlungsort, einem aufgehobenen Jakobinerkloster, genannte Klub der Jakobiner (Robespierre); zu den in einem Franziskanerkloster Sitzung haltenden Cordeliers gehören Danton, Marat, Camille Desmoulins, Hébert; ihnen gegenüber die gemäßigten, am Königtum festhaltenden Feuillants (Lafayette, Bailly).

Verbindung des Hofes mit Mirabeau, der, nachdem die konstitutionelle Monarchie begründet ist, die Revolution hemmen und den Umsturz des Thrones verhindern will. Necker tritt aus dem Ministerium (Sept. 1790), da er die Finanzen nicht in Ordnung zu bringen vermag.

1791 (April).

Mirabeau †. Flucht des Königs (20. Juni). Er wird mit seiner Familie in Varennes (unweit Verdun) angehalten, nach Paris zurückgebracht, suspendiert und eine Zeitlang in den Tuilerien streng bewacht, dann wieder eingesetzt, nachdem er am 14. Sept. den Eid auf die revidierte Verfassung geleistet hat. Die Nationalversammlung löst sich auf, nachdem sie auf Robespierres Antrag beschlossen hat, daß keins ihrer Mitglieder für die folgende Versammlung wählbar sei.

1791–1792. Okt. Sept.

Gesetzgebende Versammlung (Assemblée législative).

745 neue Abgeordnete. Parteien: die rechte Seite (Feuillants) wird täglich schwächer. Die linke, herrschende Seite zerfällt in 1. gemäßigte Republikaner (Ebene, la plaine), darunter die Gruppe der Girondisten, so genannt wegen hervorragender Mitglieder aus Bordeaux, dem Departement der Gironde: Vergniaud, Brissot u. a., meist Anhänger der Föderativ-Republik, 2. Bergpartei (la montagne, les montagnards), Radikale, Anhänger der einen, unteilbaren Republik (une et indivisible).

Der König wird unbeliebt, da er gegen die Beschlüsse über Bestrafung der den Eid verweigernden Priester und über Nötigung der Emigranten zur Rückkehr von seinem Veto Gebrauch macht und auf Hilfe von Österreich hofft.[310]

1792. April.

Ein girondistisches Ministerium (Roland, Dumouriez) nötigt den König, Österreich den Krieg zu erklären. Vermehrte Aufregung, da der Krieg (S. 313ff.) bei dem zerrütteten Zustande des französischen Heerwesens anfangs ungünstig verläuft.

10. Aug.

Aufruhr in Paris, Erstürmung der Tuilerien. Der König flüchtet sich in den Sitzungssaal der Gesetzgebenden Versammlung, sendet an die treue Schweizer-Garde den Befehl, das Feuern einzustellen. Die abziehenden Schweizer vom Volk ermordet. Der König wird wieder suspendiert und als Gefangener in den Temple (früheres Ordenshaus der Tempelherren, S. 207) gebracht.

Berufung eines Nationalkonvents zur Feststellung einer neuen Verfassung.

Sept.

Ermordung von etwa 3000 »Verdächtigen« in den Gefängnissen von Paris, auf Anstiften des Gemeinderates (la Commune) und des Justizministers Danton. Die dadurch eingeschüchterte Bevölkerung wählt nur Radikale in den Convent.

1792–1795.

Nationalkonvent (Convention nationale).

Sept. Okt.

Parteien: Girondisten und Bergpartei.

1792. 21. Sept.

Abschaffung des Königtums, Frankreich wird für eine Republik erklärt.

Dez.

Ludwig XVI. vor dem Konvent angeklagt wegen Verrats an der Freiheit der Nation. Meisterhafte Verteidigungsrede von de Sèze; Robespierre dringt auf Verurteilung des Königs, Vergniaud fordert vergebens Entscheidung durch Volksabstimmung.

1793. Jan.

Die Mehrheit des Konvents erklärt den König für schuldig; bei der Abstimmung über die Strafe stimmen 361, unter ihnen der Herzog Philipp von Orléans (Égalité) unbedingt für den Tod, 360 für Gefängnis, Verbannung oder Aufschub der Todesstrafe.

21. Jan.

Ludwig XVI. hingerichtet. Die Guillotine stand unweit der Tuilerien auf dem Revolutionsplatze, der später Place de la Concorde genannt und mit dem Obelisken von Luxor geziert wurde.

März.

Royalistischer Aufstand in der Vendée südlich von der Loiremündung. Der im Temple gefangen gehaltene Dauphin wird als König Ludwig XVII. ausgerufen. Heftige Kämpfe bis zu Ende des Jahres, endlich siegen die Republikaner (12. Dez. bei Le Mans) und üben blutige Rache.

Im Konvent bekämpfen sich Girondisten und Bergpartei, letztere erlangt das Übergewicht. Die Regierung führt in diktatorischer Weise der aus 9 Mitgliedern bestehende Wohlfahrtsausschuß (Comité du salut public); an der Spitze Danton,[311] später Robespierre. Das Revolutionstribunal (Fouquier-Tinville) eingesetzt als außerordentlicher Gerichtshof zur Verurteilung der »Verdächtigen«. Zwangskurs für die Assignaten, Maximum des Kornpreises beschlossen.

1793. 2. Juni.

Ein von dem Pariser Gemeinderat geleiteter Pöbelaufstand erzwingt vom Konvent die Verhaftung von 32 Girondisten.

Die vom Konvent beschlossene zweite, völlig demokratische Verfassung geht an die Urwählerversammlungen zur Bestätigung, kommt aber nie zur Ausführung.

13. Juli.

Marat von Charlotte Corday, einer Anhängerin der Girondisten, ermordet.

1793–1794.

Schreckensherrschaft in Frankreich.

Robespierre an der Spitze. Revolutionsausschüsse im ganzen Lande. Kommissare des Wohlfahrtsausschusses wüten in den großen Provinzialstädten (Tallien in Bordeaux, Lebon in Arras, Carrier in Nantes, Chalier in Lyon). In Toulon Erhebung der Bürger gegen den Konvent, Aufnahme einer englisch-spanischen Flotte in die vom Konvent geächtete Stadt.

1793. Okt.

Hinrichtung der Königin Marie Antoinette und der verhafteten Girondisten. Schändung der Königsgräber in St. Denis. Einführung des republikanischen Kalenders (Beginn des Jahres und der neuen Zeitrechnung mit dem 22. Sept. 1792; Monate: Vendémiaire, Brumaire, Frimaire; Nivose, Pluviose, Ventose; Germinal, Floréal, Prairial; Messidor, Thermidor, Fructidor). Lyon von einer Revolutionsarmee erobert und zum Teil zerstört (Commune affranchie).

Nov.

Philipp Egalité, der Herzog von Orléans, Bailly u. a. hingerichtet. Abschaffung des christlichen Gottesdienstes, Einrichtung des Kultus der Vernunft.

Dez.

Eroberung der von englischen, spanischen, sardinischen, neapolitanischen Truppen verteidigten Seefestung Toulon, hauptsächlich durch die geschickten Anordnungen des Artillerie-Hauptmanns Napoléon Bonaparte.[52]

Greueltaten der Republikaner in der Vendée.[312]

1794.

Robespierre stürzt seine beiden Gegenparteien, den »ultrarevolutionären« Gemeinderat und die »gemäßigten« Dantonisten. Nach einem mißlungenen Aufstandsversuch werden zuerst die Ultrarevolutionären (Chaumette, Hébert, Cloots u. a.), dann die »Gemäßigten« und »Verderbten« (Danton, Camille Desmoulins u. a.) aufs Blutgerüst geschickt. Robespierre macht dem Vernunftkultus ein Ende und läßt durch den Konvent das Dasein eines höchsten Wesens (Être suprême) anerkennen, dessen Fest im Tuileriengarten er als Oberpriester leitet. Eine Verschwörung unter den Mitgliedern des an Zahl bereits sehr verringerten Konvents führt

1794.

27. Juli (9. Thermidor) den Sturz Robespierres herbei. Im Konvent von Tallien angeklagt und verhaftet, von den Truppen der Commune (S. 310) befreit, wird er im Stadthause nach kurzem Kampfe überwältigt und am folgenden Tage mit 21 seiner Anhänger hingerichtet; am 29. Juli noch 71 hingerichtet, fast die ganze Commune.

1794–1795.

Der Nationalkonvent unter der Herrschaft der Gemäßigteren.

Öffnung der Gefängnisse; gegen den Pöbel und die Jakobiner tritt die Jugend der wohlhabenden Stände (Jeunesse dorée) auf, der Jakobinerklub wird geschlossen, die noch lebenden Girondisten werden in den Konvent zurückberufen. Zwei Pöbelaufstände in Paris (1. April und 20. Mai 1795) zu Gunsten der Jakobiner werden von der Nationalgarde und herbeigerufenen Linientruppen unterdrückt.

1795. 8. Juni.

Tod des schändlich mißhandelten 10jährigen Dauphins (Ludwig XVII.) im Temple.

Aug.

Verkündigung einer neuen (dritten) Verfassung: Die ausübende Gewalt wird einem Direktorium von fünf Personen, die gesetzgebende dem Rate der Alten (250) und dem Rate der Fünfhundert übertragen, doch sollen für diesmal ⅔ der Mitglieder beider Räte aus den Konventsmitgliedern gewählt werden. Gegen diese Wahlbeschränkung erheben sich die von den Royalisten bearbeiteten Pariser Sektionen (Stadtviertel) zum Aufstande. Auf Barras’ Antrag wird General Bonaparte an die Spitze der Truppen des Konvents gestellt.

5. Okt.

Blutiger Sieg in den Straßen von Paris. Darauf Vollziehung der Wahlen, der Konvent löst sich auf.

1795–1799.

Direktorialregierung in Frankreich.

Vergebliche Versuche, die zerrüttete Staatsordnung wieder herzustellen. Den entwerteten Assignaten immer neue hinzugefügt. Unerhörtes Raubsystem in den besetzten oder eroberten Ländern angeordnet, um Geld und Kunstschätze aller[313] Art nach Paris zu bringen. Unterdrückung der Royalisten und der kommunistischen Verschwörung des Gracchus Babeuf (1796).

Wirkungen der französischen Revolution:

l. Frankreich ist nach dem Sturz des unbeschränkten Königtums und nach schweren inneren Kämpfen zu einer freieren, aber noch wenig befestigten Verfassung gelangt. 2. Frankreichs Eroberungslust, genährt durch die Notstände im Innern, gefährdet den Bestand des europäischen Staatensystems. 3. In den übrigen europäischen Staaten (mit Ausnahme Englands) macht sich das Streben nach Einführung freier Verfassungen geltend, doch lehren die zunächst folgenden Kriegszeiten auch den Wert einer starken Monarchie erkennen.

§ 2. Frankreichs Kriege gegen das Ausland.

1792–1797.

Erster Koalitionskrieg.

Veranlassung: Zusammenkunft des Kaisers Leopold II. und des Königs Friedrich Wilhelm II. von Preußen zu Pillnitz bei Dresden (Aug. 1791); auch Vertreter der Emigranten (S. 307) erscheinen dort. Eine gebieterische Erklärung gegen Frankreich wird beschlossen und veröffentlicht. Leopold II. ist noch um Erhaltung des Friedens bemüht, schließt aber (Febr. 1792) mit Preußen ein Verteidigungsbündnis. Sein Sohn und Nachfolger

1792–1806.

Franz II. (als Kaiser von Österreich Franz I. bis 1835) empfängt von Frankreich die Kriegserklärung (S. 310). Der erste Angriff der Franzosen auf das österreichische Belgien mißlingt. Lafayette führt seine Absicht, mit Truppen der Nordarmee dem bedrängten König Ludwig XVI. zu Hilfe zu kommen, nicht aus, wird auf der Flucht (19. Aug.) von den Österreichern ergriffen und als Gefangener nach Olmütz gebracht (1797 entlassen).

1792. 25. Juli.

Drohendes Manifest des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig, welcher mit 80000 Mann Preußen und Österreichern von Koblenz aus langsam in Frankreich einrückt. Die Festungen Longwy und Verdun genommen.

20. Sept.

Treffen bei Valmy; der Herzog von Braunschweig bricht den Kampf ab. Rückzug durch die Champagne.

Im Süden Savoyen und Nizza von den Franzosen besetzt, da der König von Sardinien sich dem Bündnis gegen Frankreich angeschlossen hat.

Okt.

Der französische General Custine dringt über den Rhein vor, erobert Speier, Worms, Mainz und Frankfurt. Nur Frankfurt wird von preußischen und hessischen Truppen bald wieder gewonnen.[314]

Nov.

Der französische General Dumouriez besiegt die Österreicher bei Jemappes und erobert Belgien.

1793.

Nach der Hinrichtung Ludwigs XVI. treten England, Holland, Spanien, Neapel, das Deutsche Reich dem Bündnis gegen Frankreich bei.

März.

Dumouriez, von den Österreichern (unter dem Prinzen Friedrich Josias von Koburg) bei Neerwinden geschlagen, flüchtet mit dem Herzog von Chartres (Ludwig Philipp, Sohn des Herzogs von Orléans) in das österreichische Lager, später nach England.

Juli.

Die Österreicher erobern die Festungen Condé und Valenciennes. Custine, welcher nach Dumouriez’ Flucht in Belgien befehligt, deshalb abgesetzt und bald darauf in Paris hingerichtet.

Die Preußen erobern nach längerer Belagerung Mainz. Der französische General Beauharnais bringt zu spät Hilfe, wird abgesetzt und hingerichtet.

Aug.

Der Konvent verfügt die Aushebung aller Waffenfähigen vom 18.–25. Lebensjahre (levée en masse). Energie des Wohlfahrtsausschusses; Carnot stellt 600000 Mann unter Waffen.

Erfolgreiche Wendung des Krieges für die Franzosen; die Nordarmee (General Jourdan) siegt bei Hondschoote (unweit Dünkirchen) über die Engländer, Hannoveraner und Hessen, bei Wattignies (an der Sambre) über die Österreicher; die Moselarmee (General Hoche) erobert die von General Wurmser besetzten Weißenburger Linien im Elsaß wieder.

1794.

Jourdan siegt bei Fleurus über den Prinzen von Koburg und erobert Belgien.

Die Preußen, zweimal siegreich bei Kaiserslautern in der Rheinpfalz (Mai und Sept., Blüchers Reiterangriffe), gehen dann doch über den Rhein zurück; die Franzosen besetzen die Reichsstädte Aachen und Köln.

1795. Jan.

Der französische General Pichegru erobert Holland. Flucht des Erbstatthalters Wilhelm V. (aus dem Hause Nassau-Diez, welches 1748 dem Hause Nassau-Oranien in der Statthalterwürde gefolgt war) nach England, Begründung der Batavischen Republik (1795–1806). Die Engländer besetzen die holländischen Kolonien Kapland und Ceylon.

April.

Friede zu Basel zwischen Frankreich und Preußen. Öffentliche Bedingungen: 1. Frankreich bleibt bis zum endgültigen Frieden mit dem Deutschen Reich im Besitz des preußischen Gebiets am linken Rheinufer (halb Cleve, Mörs, Obergeldern). 2. Eine Demarkationslinie (vom Main bis nach Schlesien) setzt die Neutralität, des nördlichen Deutsch[315]lands fest. Geheime Bedingung: Für den Fall, daß beim allgemeinen Frieden das linksrheinische Deutschland an Frankreich abgetreten wird, erhält Preußen eine Entschädigung aus rechtsrheinischem Gebiet zugesichert.

Auch Spanien schließt mit Frankreich Frieden zu Basel, indem es seinen Anteil an der Insel San Domingo abtritt; der Minister Godoy erhält den Titel Friedensfürst. Die Verwaltung Spaniens unter Karl IV. (1788–1808) zerrüttet, die Seemacht durch die Engländer fast vernichtet.

1795.

England (Minister William Pitt der Jüngere) verspricht den Österreichern Subsidiengelder. Wurmser und Clerfait halten die Rheinlinie gegen Jourdan und Pichegru.

1796.

Erzherzog Karl von Österreich, Bruder des Kaisers Franz, besiegt den französischen General Jourdan bei Amberg (in der bayrischen Oberpfalz) und Würzburg, wendet sich dann gegen Moreau, der sich durch den Schwarzwald zurückzieht. Zur selben Zeit

Napoleon Bonapartes glänzender Feldzug in Italien. Er besiegt wenige Wochen nach seiner Vermählung mit Josephine, Witwe des Generals Beauharnais (S. 314), von Nizza aus vordringend, die Österreicher bei Millesimo, die Sardinier bei Mondovi und zwingt den König Viktor Amadeus von Sardinien zum Frieden; Abtretung von Savoyen und Nizza an Frankreich. Nach Erstürmung der Addabrücke bei Lodi (10. Mai) zieht er in Mailand ein und erobert die ganze Lombardei bis auf Mantua. Die Herzöge von Parma und Modĕna, der Papst und Neapel erkaufen Waffenstillstand und Frieden durch Geld und Kunstschätze. Papst Pius VI. tritt im Frieden zu Tolentino (Febr. 1797) Avignon und Venaissin, die Romagna und Ancona, Bologna und Ferrara ab.

1796–1797. Juli–Febr.

Belagerung von Mantua. Die Österreicher versuchen, die Festung (General Wurmser) zu entsetzen, werden aber in mehreren Schlachten, namentlich bei Arcole (Nov. 1796) und Rivoli (Jan. 1797) besiegt.

1797. März

Nach dem Falle Mantuas dringt Bonaparte über die Ostalpen vor gegen Wien, während Hoche und Moreau wieder über den Rhein gehen.

Die Bewohner des venetianischen Gebiets erheben sich gegen die Franzosen, in Tirol und Böhmen wird die Bevölkerung unter die Waffen gerufen. Bonaparte, in Gefahr abgeschnitten zu werden, knüpft Unterhandlungen an; Friedenspräliminarien zu Leoben (an der Mur).

Mai.

Bonaparte kehrt nach Oberitalien zurück und erklärt der Republik Venedig den Krieg, besetzt Stadt und Gebiet ohne bedeutenden Widerstand.[316]

In Oberitalien wird die Cisalpinische Republik (Mailand, Modĕna, Ferrara, Bologna, Romagna) eingerichtet; die Republik Genua wird umgewandelt in die Ligurische Republik; beide von Frankreich abhängig.

1797. Sept.

Staatsstreich in Paris, die Royalisten aus dem Rat der Alten und dem Rat der Fünfhundert ausgestoßen, zwei Mitglieder des Direktoriums (Carnot und Barthélemy) zur Deportation verurteilt. Die Republik wird dadurch auf Betreiben des von Bonaparte nach Paris abgesandten Generals Augereau befestigt.

Okt.

Friede zu Campo Formio (bei Udine) zwischen Frankreich und Österreich. öffentliche Bedingungen: 1. Österreich tritt die Lombardei und die Niederlande (Belgien und Luxemburg, S. 274) ab, erhält Venedig und dessen Gebiet, S. 304 (Venetien, Istrien, Dalmatien, aber nicht die Ionischen Inseln). 2. Zur Herstellung des Reichsfriedens und Festsetzung der Entschädigungen tritt ein Kongreß zu Rastatt zusammen. Geheime Bedingung: Österreich willigt in die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich; die beeinträchtigten Fürsten sollen in Deutschland entschädigt werden.

1797–1840.

Friedrich Wilhelm III., König von Preußen (s. Anhang).

1797–1799. Dez. April.

Kongreß zu Rastatt, keine Einigung erzielt.

1798. Febr.

Die Franzosen besetzen und brandschatzen Rom. Errichtung der Römischen Republik. Papst Pius VI. wird als Gefangener nach Valence (an der Rhone) geführt, wo er im folgenden Jahre stirbt.

Agitationen in der Schweiz (Waadtland) gegen die Regierung in Bern. Eindringen der Franzosen.

April.

Der Bund der Eidgenossen wird in die Helvetische Republik (19 gleichberechtigte Kantone, S. 225) umgewandelt; der Bundesschatz (16 Mill. Francs) ausgeliefert; Genf an Frankreich abgetreten.

1798–1799.

Bonapartes Zug nach Ägypten, vorbereitet unter der Maske einer Unternehmung gegen England, dessen Seeherrschaft zu brechen am ersten im Mittelländischen Meere gelingen konnte.

Auslaufen der Flotte aus Toulon (Mai 1798), mit 35000 Mann unter Bonaparte, Berthier, Kléber, Desaix. Die bisher dem Johanniterorden (S. 242) gehörige Insel Malta wird für Frankreich in Besitz genommen. Landung in Ägypten, Einnahme von Alexandrīa. Sieg über die Mamelucken in der Schlacht bei den Pyramiden (21. Juli), darauf die Hauptstadt Kairo besetzt. Desaix dringt nach Oberägypten vor. Französische Gelehrte (Denon, Generaldirektor der Museen, unter ihm die[317] Vendômesäule errichtet) beginnen die Altertümer Ägyptens zu erforschen (S. 4, Anm. 1).

1798. 1. Aug.

Seeschlacht bei Abukir (Nelson). Die französische Flotte von den Engländern fast vernichtet, dem Landheere die Verbindung mit Frankreich abgeschnitten. Kriegserklärung der Türkei an Frankreich.

Bonaparte unterdrückt einen Aufstand in Kairo und zieht darauf nach Syrien, erstürmt Jaffa, kann aber das mit Hilfe von Engländern verteidigte St. Jean d’Acre (Akkon) nicht nehmen. Pest im französischen Heere, Rückzug nach Ägypten; Landung und Niederlage der Türken bei Abukir 1799.

1799–1802.

Zweiter Koalitionskrieg.

Der englische Minister William Pitt (S. 300) gewinnt Österreich, Rußland, Neapel, Portugal, die Türkei zum Bündnis gegen Frankreich. Kaiser Paul von Russland (1796 bis 1801) wird 1798 zum Großmeister des Malteserordens erwählt; eine russisch-türkische Flotte vertreibt die Franzosen von den Ionischen Inseln. Preußen unter Friedrich Wilhelm III. bleibt neutral.

Eröffnung des Krieges Ende 1798 durch einen Einfall der Neapolitaner unter dem österreichischen General Mack in die Römische Republik. Der Einfall wird zurückgeschlagen, der König Ferdinand IV. von Neapel (S. 305) flieht nach Palermo, sein festländisches Gebiet wird von den Franzosen besetzt und in die

1799. Jan.

Parthenopeische Republik verwandelt. Auch der Großherzog Ferdinand III. von Toskana wird verjagt. Der König Karl Emanuel IV. von Sardinien entflieht aus Turin nach der Insel Sardinien, seine festländischen Besitzungen werden in französische Verwaltung genommen und 1802 in Frankreich einverleibt.

März.

Jourdan, von Erzherzog Karl bei Ostrach und bei Stockach (nördlich vom Bodensee) geschlagen, geht über den Rhein zurück.

April.

Auflösung des Kongresses zu Rastatt. Zwei von den abreisenden französischen Gesandten werden von österreichischen Husaren ermordet.

Juni.

Masséna bei Zürich von Erzherzog Karl geschlagen, behauptet aber seine Stellung am Vierwaldstätter See. Inzwischen ist ein russisches Heer unter Suwōrow (geb. 1729) in Italien erschienen und hat sich mit den Österreichern (unter Melas) vereinigt. Die Siege bei Cassano und an der Trebbia bewirken die Auflösung der Cisalpinischen, Römischen und Parthenopeischen Republik. In Neapel grausames Blutvergießen nach der mit Unterstützung Nelsons erfolgten Rückkehr Ferdinands IV.[318]

Ein neues französisches Heer unter Joubert wird bei Novi (15. Aug.) ebenfalls geschlagen; dann muß Suwōrow auf Betreiben des österreichischen Ministers Thugut Italien räumen und über die Alpen ziehen (berühmter Marsch über den St. Gotthardpaß), um sich mit dem zweiten russischen Heere unter Korsakow in der Schweiz zu vereinigen. Aber dieses Heer war, da Erzherzog Karl sich nach dem Rhein gewandt hatte, vor Suwōrows Ankunft von Masséna in der zweiten Schlacht bei Zürich (25. 26. Sept.) geschlagen. Suwōrow gelangt nach weiteren erstaunlich beschwerlichen Märschen und Kämpfen im Okt. in das Rheintal, führt dann voll Erbitterung gegen Österreich sein Heer nach Rußland zurück († 1800).

1799. Okt.

Ein englisch-russisches Heer unter dem Herzog von York (Sohn Georgs III.), welches in Holland gelandet war, wird von den Franzosen zurückgedrängt und durch die Kapitulation bei Alkmar zum Abzug genötigt.

Bonaparte eilt, nachdem er den Befehl in Ägypten an Kléber (ermordet 1800) übertragen hat, mit wenigen Begleitern nach Frankreich zurück, um das Mißgeschick der französischen Waffen wieder gutzumachen. Er stürzt im Einverständnis mit den Direktoren Sieyès und Roger-Ducos und seinem Bruder Lucian Bonaparte, Präsidenten des Rates der Fünfhundert,

9. Nov.

durch den Staatsstreich des 18. Brumaire das Direktorium und treibt am folgenden Tage den Rat der Fünfhundert auseinander.

1799–1804.

Konsularregierung,

Napoléon Bonaparte an der Spitze des Staates als erster Konsul auf 10 Jahre; neben ihm zwei von ihm ernannte Konsuln mit nur beratender Stimme.

Die neue (vierte) Verfassung, von Sieyès entworfen, aber von Napoleon bedeutend verändert, durch Abstimmung von der ganzen Nation angenommen, läßt den Schein einer Republik bestehen, schafft aber in Wirklichkeit eine Militärmonarchie. Ein Senat (80 reich besoldete und wenig beschäftigte Senatoren) ernennt aus den von den Departements eingesandten Namenlisten die Mitglieder der gesetzgebenden Gewalt, die obersten Beamten und Richter. Gesetzgebende Gewalt ohne Vorschlagsrecht: a) Tribunat (100), verhandelt über die Vorschläge der Regierung, ohne abzustimmen; b) Gesetzgebender Körper (300), hat diese Vorschläge ohne Debatte anzunehmen oder abzulehnen. Die ausübende Gewalt hat der erste Konsul, dem ein Staatsrat zur Seite steht. Talleyrand (früher Bischof von Autun, dann im Dienst der Revolution) Minister des Auswärtigen (bis 1807).[319]

Die Verwaltung wird neu geordnet und wieder zentralisiert (S. 308): strenge Abhängigkeit der Präfekten in den Departements und ihrer Unterbeamten von der Regierung in Paris. Ordnung der Finanzen hergestellt; Verbesserung der Rechtspflege, Ausarbeitung eines neuen Gesetzbuches (Code Napoléon 1804).

Die Friedensanträge des ersten Konsuls werden zurückgewiesen, nur Kaiser Paul von Rußland wendet sich von der Koalition ab. Er erneuert die bewaffnete Seeneutralität (S. 297). Denselben Zweck verfolgt die Nordische Konvention zwischen Rußland, Schweden, Dänemark, Preußen (1800), gegen England gerichtet.

1800.

Napoleon führt sein Heer (32000 Mann) über den Großen St. Bernhard (Umgehung des Forts Bard), schlägt die Österreicher unter Melas bei Marengo (14. Juni, Gen. Desaix †, als er Napoleon im kritischen Augenblick noch zu Hilfe kommt) und stellt die Cisalpinische Republik wieder her.

In Deutschland dringt General Moreau unter siegreichen Gefechten bis München vor, schlägt (3. Dez.) die Österreicher nochmals bei Hohenlinden (östlich von München), schließt dann Waffenstillstand zu Steyer.

1801.

Friede zu Lunéville: 1. Kaiser und Reich willigen in die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich; die Fürsten, welche Gebiet verlieren, sollen in Deutschland entschädigt werden. 2. Anerkennung der Batavischen, Cisalpinischen, Ligurischen, Helvetischen Republik. — Deutschland verliert durch diesen Frieden mit Einschluß des belgischen Gebietes (vgl. S. 225, 316) 63000 qkm. (1150 □ Meil.) mit beinahe 3½ Mill. Einwohnern. Die schmachvollen Unterhandlungen über die Entschädigungen ziehen sich 2 Jahre hin.

Toskana endlich wird zu Gunsten des in Parma regierenden spanisch-bourbonischen Herzogs Ludwig I. (S. 284) in ein von Frankreich abhängiges Königreich Etrurien verwandelt. Ferdinand III. von Toskana erhält dafür das vergrößerte Erzbistum Salzburg und die Kurwürde. Ebenso tauscht Herzog Herkules III. von Modena (S. 341) gegen sein Land den Breisgau und die Ortenau ein.

1801–1825.

Alexander I., Kaiser von Russland, nach Ermordung seines Vaters Paul I. durch Verschworene. Aussöhnung Rußlands mit England, Auflösung der Nordischen Konvention.

1801.

Die Franzosen räumen Ägypten; das Heer wird auf englischen Schiffen nach Frankreich zurückgebracht.

Konkordat zwischen dem neuen (S. 316) Papst Pius VII. und der französischen Republik. Der Papst erkennt die Ein[320]ziehung der Kirchengüter an, willigt ein, daß die Erzbischöfe und Bischöfe von der französischen Regierung ernannt werden, und behält sich nur die Bestätigung vor, begnügt sich mit dem Besitz des verkleinerten Kirchenstaats (S. 315).

1802. März.

Friede zu Amiens zwischen Frankreich und England (nach Rücktritt des Ministers Pitt):

1. Herausgabe aller von England gemachten Eroberungen an Frankreich und seine Verbündeten mit Ausnahme von Trinidad, welches Spanien, und Ceylon (S. 314), welches die Batavische Republik abtritt. 2. Malta (von den Engländern 1800 erobert) soll dem Johanniterorden zurückgegeben werden. Infolge dieses Friedens ebenfalls Friede zwischen Frankreich und der Pforte.

Stiftung des Ordens der Ehrenlegion; monarchisches Auftreten Napoleons. Er läßt sich zum Präsidenten der Italienischen (bisher Cisalpinischen) Republik wählen und übernimmt auf Grund einer Volksabstimmung in Frankreich (3½ Millionen Stimmen) das

1802. Aug.

Konsulat auf Lebenszeit. Elba und Piemont werden mit Frankreich vereinigt. Die Helvetische Republik erhält durch die Mediationsakte eine neue Verfassung (1803).

Für die inneren Verhältnisse Deutschlands wird der Friede zu Lunéville nach einem von Frankreich und Rußland festgesetzten Entschädigungsplan zur Ausführung gebracht durch den

1803. Febr.

Reichsdeputations-Hauptschluß zu Regensburg. Von geistlichen Ständen bleiben nur: 1. der bisherige Kurfürst von Mainz, von jetzt ab Kurerzkanzler und Fürst Primas (v. Dalberg), mit einem Gebiet, gebildet aus Überresten des Erzstifts Mainz auf dem rechten Rheinufer, dem Bistum Regensburg und den Städten Regensburg, Aschaffenburg und Wetzlar; 2. der Johanniter- und der Deutschordensmeister. Von den 52 freien Reichsstädten bestehen nur 6 fort, die 3 Hansestädte Lübeck, Hamburg, Bremen, ferner Frankfurt, Augsburg, Nürnberg. Alle übrigen geistlichen Gebiete und Reichsstädte werden zu Entschädigungen verwendet. Die Kurfürstentümer Trier und Köln gehen ein. Vier neue Kurfürstentümer: Hessen-Kassel, Baden, Württemberg, Salzburg.

Hauptsächlichste Entschädigungen: 1. Großherzog von Toskana: Salzburg und Berchtesgaden. 2. Herzog von Modĕna: Breisgau (wofür Österreich die Stifter Trient u. Brixen erhält). 3. Bayern: Bistümer Würzburg, Bamberg, Freising, Augsburg, Abteien und Reichsstädte in Franken und dem östlichen Schwaben. 4. Baden erhält den rechtsrheinischen Teil der Pfalz (Heidelberg, Mannheim) und der Bistümer Straßburg,[321] Speier, Basel, Konstanz. 5. Württemberg: mehrere Klöster und Reichsstädte, besonders Reutlingen, Eßlingen, Heilbronn. 6. Preußen: die Bistümer Münster, Paderborn, Hildesheim, das mainzische Thüringen (Eichsfeld und Erfurt), mehrere Abteien, besonders Quedlinburg, und die Reichsstädte Mühlhausen, Nordhausen, Goslar. 7. Oldenburg: Bistum Lübeck. 8. Hannover: Bistum Osnabrück. 9. Wilhelm von Oranien, Sohn des Erbstatthalters von Holland: Stifter Fulda und Corvey. Im allgemeinen gewinnen die entschädigten Fürsten bedeutend an Gebiet und Untertanen, z.B. erhält Preußen 13000 qkm (240 □ Meilen), für 2600 qkm (48 □ Meilen); die übergroße Zahl der deutschen Kleinstaaten wird vermindert.

§ 3. Machtentfaltung des ersten französischen Kaiserreiches.

1803.

Neuer Bruch zwischen Frankreich und England. England gibt Malta nicht heraus, fordert die Entfernung französischer Truppen aus der Batavischen Republik und der Schweiz, auch Herausgabe von Piemont. Aufenthalt der bourbonischen Prinzen in London. Die Franzosen besetzen Hannover; das Lager bei Boulogne bedroht England mit einer Landung. William Pitt wiederum leitender Minister in England († 1806).

1804.

Verschwörung gegen das Leben des ersten Konsuls entdeckt. Pichegru erdrosselt im Gefängnis gefunden, George Cadoudal hingerichtet, Moreau verbannt, geht nach Amerika. Der Herzog von Enghien (bourbonischer Prinz von der Nebenlinie Condé) wird als an der Verschwörung beteiligt aus Ettenheim in Baden mit Gewalt entführt und auf Napoleons Befehl in Vincennes (bei Paris) erschossen. Tribunat und Senat beschließen die Umwandlung der Republik Frankreich in ein erbliches Kaiserreich; der Beschluß wird durch Volksabstimmung (mit über 3½ Mill. Stimmen) genehmigt.

1804. 2. Dez.

Napoleon krönt sich und seine Gemahlin Josephine Beauharnais in der Kirche Notre-Dame zu Paris, nachdem Papst Pius VII. die Ceremonie der Salbung vollzogen hat.

1804–1814(15).

Napoleon I., Kaiser der Franzosen. Einrichtung eines glänzenden Hofstaates. Großwürdenträger, 18 Maréchaux de l’Empire. Neuer Adel. Senat und gesetzgebender Körper bleiben, aber ohne selbständige Befugnisse, das Tribunat wird 1807 aufgehoben.

1805.

Napoleon, König von Italien. Sein Stiefsohn Eugen Beauharnais, Vizekönig von Italien. Die Ligurische Republik wird in Frankreich einverleibt.[322]

Die Familie Bonaparte.

   Carlo Bonaparte, †1785, Gem. Maria Lätitia Ramolino, †zu Rom 1836.
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Joseph,            Napoléon I.         Lucian,        Elise,
K. v. Neapel 1806, 1804–1814,          F. v. Canino,  Fürstin von
K. v. Span. 1808,  †1821.              †1840.         Piombino,
†als Gr. v.        Gem.                 |             †1820.
Sur-villiers      1. Josephine          |
1844.             Beauharnais,       Karl Lucian,
                  †1814.             F. v. Canino.
                  2. Marie Luise v.
                  Österreich, †1847.
                  (Hzgin. v. Parma.)
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Stiefkinder:                Adoptiert:    Eigenes Kind:
a) Eugen,    b) Hortense,   c) Stephanie, Napoleon (II.),
Vizek. v.    Gem. v. Ludw., Großhzgin.    König v. Rom,
Italien      K. v. Holland, v. Baden,     †als Hz.
(Gem. Przn.  †1837.         †1860.        v. Reichstadt
v. Bayern),                               1832.
†als Hz. v.
Leuchtenberg
1824.
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Josephine   Eugenie         August,      Amalie          Theodelinde   Max,
(Gem. Oskar (Gem. Fürst von Hz. v.       (Gem. Pedro I., (Gem. Gr. v.  Hz. v.
I., König   Hohenzollern-   Leuchtenberg Kaiser          Württemberg)  Leuchtenberg,
von         Hechingen),     (Gem. d.     v.              †1857.        †1852.
Schweden)   †1847.          Kgin. v.     Brasilien),
†1876.                      Portugal).   †1873.
                            †1835.


        Carlo Bonaparte, †1785, Gem. Maria Lätitia Ramolino, †zu Rom 1836.
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         |              |              |               |
Ludwig,         Pauline,      Karoline,      Jérôme,
K. v. Holland   (Gem. Fürst   (Gem. Joachim  K. v. Westf.
(Gem. Hortense, v. Borghese), Murat, K. von  (Gem. Przn.
Stieftochter    †1825.        Nepal),        v. Württemb.),
Napoleons I.).                †1839.         †1860.
†1846.                                         |
   |                                           |
 __|____________                          Jérôme Napoléon, †1891,
|               |                    Gem. Clotilde v. Italien, †1911.
Ludwig,     Karl Ludwig                _____________|_____________
Großhzg. v. (seit dem                 |             |             |
Berg u.     Tode seines          Napoleon Victor,  Louis.   Maria Lätitia,
Cleve,      Bruders gen.         Gem. Clementine            Gem. Amadena,
†1831.      Louis Napoléon)        v. Belgien.              Hz. v. Aosta,
            als Kaiser                                      †1890 (König v.
            Napoléon III.,        Gem. Eugenie Montijo,     Spanien
            1852–1870. †1873.     Gräfin v. Teba.           1870–1873).
                 |____________________|
                       |
                  Napoleon (Prince-Impérial),
                  †1879.

[323]

Napoleons Pläne zur Vernichtung Englands (die Flotte in Brest soll die Landung des Heeres in England decken, die Geschwader in Toulon und Rochefort die englische Flotte nach Westindien locken) werden vereitelt durch Nelsons energische Maßregeln und durch den

1805.

Dritten Koalitionskrieg.

England, Rußland, Österreich und Schweden (Gustav IV., 1792–1809) einigen sich zur Herstellung des europäischen Gleichgewichts. Spanien mit Frankreich verbündet.

Das Lager bei Boulogne wird aufgehoben. Die französischen Heere rücken unter Davout, Soult, Lannes, Ney nach dem Rhein zu gegen Österreich, Napoleon vereingt seine Truppen (200000 Mann) an der oberen Donau. Bernadotte, von Hannover kommend, marschiert durch das neutrale ansbachische Gebiet Preußens. Bayern, Württemberg, Baden verstärken Napoleons Heer. Nach mehreren unglücklichen Treffen wird der österreichische General

1805. Okt.

Mack in Ulm mit 25000 Mann zur Ergebung genötigt und kriegsgefangen.

Der Seekrieg (seit 1803) von England glänzend beendet durch

21. Okt.

Nelsons Seesieg bei Trafalgar unweit Cadiz über die französische und spanische Flotte, welche auf Napoleons bestimmten Befehl aus Cadiz ausgelaufen war. Nelson † (»England expects every man to do his duty«).

Die Franzosen marschieren auf Wien, das Napoleons Schwager Murat ohne Widerstand einnimmt. Erzherzog Karl, der in Italien mit Masséna gekämpft hat, zieht sich über die Ostalpen zurück; ein russisches Heer unter Kutūsow, ein zweites unter Kaiser Alexander rückt heran.

3. Nov.

Bündnis Alexanders mit Friedrich Wilhelm III. zu Potsdam (am Sarge Friedrichs d. Gr.).

2. Dez.

Drei-Kaiser-Schlacht bei Austerlitz (in Mähren). Napoleon siegt über die vereinigten Russen und Österreicher, ehe Erzherzog Karl angekommen ist. Waffenstillstand mit Österreich, Rückzug der Russen.

15. Dez.

Vertrag Preußens, das soeben noch bereit war, der Koalition beizutreten, mit Napoleon zu Schönbrunn (Gesandter Graf Haugwitz). Preußen tritt an Frankreich den rechtsrheinischen Rest von Cleve (Wesel) und Neuchâtel, an Bayern, das Berg an Frankreich überläßt, Ansbach ab, erhält dafür (das den Engländern erst abzuringende) Hannover, schließt mit Frankreich ein Schutz- und Trutzbündnis.

26. Dez.

Friede zu Preßburg: 1. Österreich tritt Venedig nebst Gebiet (S. 316) an das Königreich Italien[324] ab, als dessen König es Napoleon anerkennt. 2. Österreich tritt an Bayern ab: Tirol, Vorarlberg, Burgau, Lindau, ferner die Bistümer Brixen, Trient, Eichstädt, Passau; außerdem erhält Bayern die freie Stadt Augsburg. 3. Von Österreich erhalten Württemberg und Baden die noch übrigen vorderösterreichischen Besitzungen in Oberschwaben, den Breisgau, die Stadt Konstanz u. a., dazu kommen die Gebiete des Deutschen Ordens und der Johanniter (Malteser) in Süddeutschland (Mergentheim, s. S. 179). 4. Bayern und Württemberg werden als Königreiche anerkannt. 5. Österreich erhält als Entschädigung: Salzburg, Berchtesgaden und die Güter des Deutschen Ordens; der Kurfürst von Salzburg bekommt von Bayern Würzburg als Entschädigung. Rußland bleibt im Kriegsstande, ebenso England und Schweden.

1805. Dez.

Das Haus Bourbon in Neapel (S. 305) wird durch eine Verfügung Napoleons aus Schönbrunn (La dynastie de Naples a cessé de régner) entthront. Von Paris aus verfügt er weiter über die unterworfenen Länder.

1806.

Joseph, Napoleons älterer Bruder, wird König von Neapel. Der Hof von Neapel zieht sich nach Palermo zurück. Sicilien ist für Napoleon unerreichbar, da die Engländer das Meer beherrschen.

Joachim Murat, Schwager Napoleons, wird Großherzog von Berg (bisher zu Bayern gehörig, S. 289, 323). Marschall Berthier wird Fürst von Neuchâtel. Louis Bonaparte, Napoleons dritter Bruder, Gemahl seiner Stieftochter Hortense Beauharnais, wird König von Holland (frühere Batavische Republik). Seine Schwestern Elise und Pauline erhalten die Fürstentümer Piombino (mit Lucca und Carrara) und Guastalla.

Juli.

Errichtung des Rheinbundes (s. S. 266).

Napoleon Protektor. Der bisherige Kurerzkanzler des Reiches Fürst Primas des Rheinbundes, die Könige vor Bayern und Württemberg, Großherzöge von Baden, Hessen Darmstadt und Berg, Herzog von Nassau u. a. treten bei. Die andern regierenden deutschen Fürsten schließen sich nach und nach an mit Ausnahme derer von Österreich, Preußen, Braunschweig und Kurhessen.

Viele bis jetzt reichsunmittelbare Fürsten (Fürstenberg, Öttingen, Hohenlohe, Thurn und Taxis, Leiningen, Solms, Sayn-Wittgenstein u. a.), Grafen (Castell, Erbach, Stolberg, Metternich u. a.) und Ritter (Reichsfreiherr vom Stein) werden als Mediatisierte den Rheinbundfürsten untertan; die bisherige Reichsstadt Nürnberg kommt an Bayern, Frankfurt an den Fürsten Primas Dalberg (Großherzog von Frankfurt). Der Rheinbund hat dem französischen Kaiserreich 63000 Mann Truppen zu stellen.[325]

Kaiser Franz, der schon 1804 den Titel Kaiser von Österreich angenommen hatte, legt (6. Aug.) die deutsche Kaiserwürde nieder. Ende des alten Deutschen Reiches.

1806–1807.

Krieg Frankreichs gegen Preußen und Rußland.

Gründe der preußischen Kriegserklärung: Errichtung des Rheinbundes, Wegnahme von Essen und Werden durch den Großh. von Berg; Anerbieten Napoleons an England, Preußen das ihm soeben aufgedrängte Land Hannover wieder abzunehmen, während er Preußen zur Bildung eines norddeutschen Bundes auffordert (den betreffenden Fürsten aber heimlich abrät).

Gefahrvolle Lage Preußens beim Ausbruch des Krieges. Das Heerwesen veraltet (Kanton- und Werbesystem), die Leitung unentschlossen. Keine Bundesgenossen außer Kursachsen, Weimar (Herzog Karl August), Oldenburg, Mecklenburg und dem fernen Rußland; dazu Entzweiung mit England wegen Hannover.

1806. Sept.

Zusammenziehung des preußischen Heeres in Thüringen unter Anführung des Herzogs von Braunschweig (S. 313).

10. Okt.

Die Vorhut der Preußen bei Saalfeld geschlagen, Prinz Louis Ferdinand, Neffe Friedrichs des Großen (geb. 1772), fällt. Das Hauptheer wird in der

14. Okt.

Doppelschlacht bei Jena und Auerstädt vollständig besiegt. Bei Jena kämpft Napoleon selbst gegen den Heeresteil des Fürsten Hohenlohe, bei Auerstädt Marschall Davout gegen den Herzog von Braunschweig und König Friedrich Wilhelm III. Rückzug des geschlagenen Heeres über Magdeburg; die Festung Erfurt ergibt sich am 16. Oktober. Die Reservearmee unter Prinz Eugen von Württemberg wird am 17. Oktober bei Halle von Bernadotte geschlagen. Spandau ergibt sich am 25. Oktober, am 27. zieht Napoleon in Berlin ein. Friedrich Wilhelm III. flüchtet mit der königlichen Familie über Küstrin und Graudenz nach Königsberg.

Hohenlohe kapituliert mit 10000 Mann bei Prenzlau (28. Okt.). Blücher[53] schlägt sich mit 18000 Mann durch bis Lübeck, wird dort von französischer Übermacht besiegt (6. Nov.) und ergibt sich mit dem Rest seiner Truppen (9400 Mann) bei Ratekau (7. Nov.). Sehr bald ergeben sich die Festungen Stettin, [326]Küstrin, Magdeburg, Hameln; dagegen Kolberg (Gneisenau, Schill, Nettelbeck) und Graudenz (Courbière) halten sich tapfer bis zum Frieden.

Ganz Norddeutschland von den Franzosen besetzt. Der bei Auerstädt schwer verwundete Herzog von Braunschweig stirbt als Flüchtling (10. Nov.) zu Ottensen bei Hamburg.

21. Nov.

Von Berlin aus verfügt Napoleon die Kontinentalsperre gegen England. Einmarsch der Franzosen, Bayern und Württemberger in Schlesien, wo nur die Festungen Kosel und Glatz sich behaupten.

Dez.

Napoleon schließt in Posen Frieden und Bündnis mit dem Kurfürsten Friedrich August III. von Sachsen, welcher als König dem Rheinbunde beitritt. Inzwischen sind zwei russische Heere herangekommen; blutige Gefechte bei Pultusk zwischen Russen und Franzosen. Letztere beziehen Winterquartiere an der Weichsel (Napoleon 2. Jan. in Warschau), dringen dann nach Ostpreußen vor.

1807. 7. u. 8. Febr.

Schlacht bei Preußisch-Eylau. Der mörderische Kampf bleibt unentschieden, doch schlagen die Preußen (unter L’Estocq und Scharnhorst) den rechten Flügel der Franzosen zurück. Abermals Winterquartiere. König Friedrich Wilhelm III. geht mit seiner Gemahlin Luise, Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz (geb. 1776) und seinen Kindern nach Memel

26. Mai.

Danzig nach tapferer Verteidigung (Gen. v. Kalkreuth) von den Franzosen genommen. Nach mehreren unentschiedenen Treffen siegt Napoleon in der

14. Juni.

Schlacht bei Friedland über die Russen. Königsberg und das Land bis zum Niemen von Napoleon besetzt. Waffenstillstand. Zusammenkunft Napoleons, Alexanders und Friedrich Wilhelms III. auf dem Niemen. Vergeblicher Versuch der Königin Luise, Napoleon zu milden Friedensbedingungen zu bewegen.

7. u. 9. Juli.

Friede zu Tilsit. A. Rußland erkennt 1. das Herzogtum Warschau (gebildet aus bisher preußischen Gebieten, S. 298) unter dem Könige von Sachsen an. Danzig wird freie Stadt, ein Teil von Neu-Ostpreußen (Bialystock) an Rußland abgetreten. 2. Rußland erkennt Joseph Bonaparte als König von Neapel, Louis Bonaparte als König von Holland, Jérôme Bonaparte als König des neu zu bildenden Königreichs Westfalen, ferner den Rheinbund an. 3. Es nimmt Napoleons Vermittelung zum Frieden mit den Türken an (1806 russische Kriegserklärung an die Türkei wegen Verletzung des Friedens von Jassy, S. 297), Napoleon dagegen die Vermittelung Alexanders zum Frieden mit England. In einem geheimen Artikel verpflichtet sich Alexander, falls England den Frieden nicht annimmt, zu einem Bündnis mit Frankreich gegen England[327] B. Preußen tritt ab: a) zur freien Verfügung Napoleons alle Länder zwischen Rhein und Elbe, b) an Sachsen den Kottbuser Kreis, c) zur Bildung des Herzogtums Warschau alle nach 1772 von Polen gewonnenen Länder, auch Danzig und Gebiet. 2. Es erkennt die drei Brüder Napoleons als Könige an. 3. Alle preußischen Häfen sind bis zum Frieden mit England dem britischen Handel verschlossen. — Über die Rückgabe und Räumung der preußischen Provinzen und Festungen bestimmt der Vertrag zu Königsberg (12. Juli), daß erst alle rückständigen Kriegsentschädigungen von Preußen abgetragen werden müssen.

Die Entschädigungen, nach preußischer Rechnung noch 19 Millionen Franks, nach französischer 154, werden 1808 durch den Vertrag zu Paris auf 140 Millionen festgesetzt; auch wird bestimmt, daß Preußen nur ein Heer von 42 000 Mann halten dürfe. Starke französische Besatzungen bleiben in den Oderfestungen Stettin, Küstrin, Glogau; das übrige Land wird Ende 1808 geräumt. Bis dahin muß der von 5570 auf 2877 □ Meilen verminderte preußische Staat 150000 Franzosen ernähren.

1807. Aug.

Gründung des Königreichs Westfalen (Hauptstadt Kassel) durch eine Verfügung Napoleons, der sich die Hälfte der Domänen vorbehält. Hannover bleibt von den Franzosen besetzt, ebenso die Städte Danzig und Erfurt.

Schweden unter Gustav IV. (1792–1809) verharrt in Feindschaft gegen Frankreich. Stralsund und Rügen werden von französischen Truppen besetzt (1807, Aug.), Finnland von russischen.

Gewalttat der Engländer gegen Dänemark, das aufgefordert war, ein Bündnis zu schließen und seine Flotte den Engländern in Gewahrsam zu geben. Eine englische Flotte beschießt (1807, Sept.) Kopenhagen und führt die dänische Flotte weg. Die Insel Helgoland wird englische Seestation. Bündnis Dänemarks mit Frankreich; Rußland erklärt den Krieg an England.

Portugal, welches, mit England verbündet, dem Kontinentalsystem nicht beitreten will, wird von einem französischen Heere unter Junot besetzt (1807, Nov.). Die königliche Familie flieht nach Brasilien.

In Spanien rücken unter dem Vorwande, die Küsten gegen die Engländer zu schützen, 80000 Franzosen ein. König Karl IV. dankt infolge eines gegen seinen Günstling Godoy (S. 315) ausgebrochenen Aufstandes zu Gunsten seines Sohnes Ferdinand VII. ab (1808, März). Vater und Sohn geraten in Streit, werden von Napoleon nach Bayonne gelockt und gezwungen, dem Throne zu entsagen (Mai). Napoleon ernennt seinen Bruder Joseph zum König von Spanien; an Josephs Stelle wird Murat König von Neapel. Etrurien (S. 319) mit Frankreich vereinigt.[328]

Allgemeiner Aufstand der Spanier; der französische General Dupont wird bei Baylen (in der Sierra Morena) mit 20000 Mann gefangen (1808, Juli). Die Engländer unter Wellesley (geb. 1769, anfangs in holländischen Diensten, dann 1796–1805 Offizier in Ostindien, † 1852) landen in Portugal und zwingen Junot bei Cintra zur Ergebung (Aug.); er wird mit 21000 Mann auf englischen Schiffen nach Frankreich gebracht.

1808–1814.

Krieg Napoleons in Spanien und Portugal.

Napoleon, seit dem Fürstentag zu Erfurt (1808, Okt.), wo ihm 4 Könige und 34 Fürsten und Prinzen aus Deutschland ihre Huldigungen darbringen, enger mit Kaiser Alexander verbündet, eilt selbst mit 150000 Mann nach Spanien, rückt bis Madrid vor, vertreibt (mit Soult) die Engländer aus Spanien, kehrt dann nach Paris zurück (1809, Jan.). Fortdauernder Volkskrieg (Guerilla) der Spanier, von den Engländern unterstützt. Die Festung Saragossa wird nach heldenmütiger Verteidigung (General Palafox) im Februar 1809 von den Franzosen erobert. General Wellesley nötigt den Marschall Soult zum Abzug aus Oporto, wird nach dem Siege über Joseph bei Talavera (1809, Juli) zum Lord Wellington erhoben und leitet die fernere Kriegführung in Spanien mit Ausdauer und Umsicht (S. 331, 337 ff.).

1807–1811.

Neubau des preußischen Staates.

König Friedrich Wilhelm III. beruft den Freiherrn vom Stein[54] als leitenden Minister nach Königsberg. Aufhebung der Erbuntertänigkeit 1807 (9. Okt.), Städteordnung 1808 (19. Nov.). Vereinfachung der Ministerien und Verwaltungbehörden. Auf Verlangen Napoleons Stein entlassen Nov. 1808; dann durch ein Dekret Napoleons aus Madrid geächtet flieht er nach Österreich. Sein Nachfolger v. Hardenberg[55] ordnet die Steuern, führt Gewerbefreiheit ein. Gleichzeitig Neuordnung des Heeres auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht (1814[329] gesetzlich eingeführt) durch Scharnhorst.[56] Seine Mitarbeiter v. Gneisenau, v. Grolmann, v. Boyen, v. Clausewitz u. a.

In Berlin hält Fichte, während noch französische Besatzung dort liegt, seine »Reden an die deutsche Nation«. Friedrich Wilhelm III. kehrt Ende 1809 von Königsberg nach Berlin zurück. 1810, am 19. Juli, Tod der edlen Königin Luise in Hohenzieritz. Errichtung der Berliner Universität (W. v. Humboldt, Fichte, Niebuhr, Savigny, Schleiermacher). 1811 eröffnet F. L. Jahn den ersten Turnplatz in der Hasenheide bei Berlin.

Die Befreiung Deutschlands und Europas von dem französischen Joche wird vorbereitet. (E. M. Arndts Schrift: Geist der Zeit, die Lieder Th. Körners, Fr. Rückerts [Geharnischte Sonette], M. v. Schenkendorfs.) Vergebens versucht Österreich (leitender Minister seit 1805 Graf Stadion) allein diese Befreiung, als Napoleon durch den Kampf in Spanien gehemmt zu sein scheint.

1809.

Krieg gegen Österreich.

Erzherzog Karl, als Befehlshaber des nach Bayern, Erzherzog Johann an der Spitze des nach Italien vorrückenden österreichischen Heeres, fordern die deutschen Völker auf zur Teilnahme an dem Kampfe gegen die französische Herrschaft. Nur Tirol erhebt sich (Andreas Hofer, Speckbacher, Haspinger).

Napoleon greift, namentlich mit deutschen Truppen, den Erzherzog Karl in Bayern an, drängt ihn nach

April.

fünftägigen Gefechten bei Abensberg, Landshut, Eckmühl und Regensburg über die Donau nach

13. Mai.

Böhmen und besetzt Wien zum zweitenmal. Sein Versuch, von der Insel Lobau aus das linke Donauufer zu besetzen, wird vereitelt durch die blutige

21. u. 22. Mai

Schlacht bei Aspern und Eßling. Napoleon zum erstenmal geschlagen von Erzherzog Karl. Er muß über die Donau zurückweichen (Masséna), behauptet aber Wien und vereinigt sich mit dem Vizekönig Eugen, welcher den Erzherzog Johann aus Ober-Italien nach Ungarn verfolgt und bei Raab besiegt hatte. Mit 180000 Mann geht Napoleon wieder über die Donau, schlägt den Erzherzog Karl in der mörderischen

5. u. 6. Juli.

Schlacht bei Wagram und verfolgt ihn nach Mähren. Waffenstillstand zu Znaim. An die Stelle des Grafen Stadion tritt Metternich als leitender Minister Österreichs.[330]

14. Okt.

Friede zu Wien (Schönbrunn): Österreich tritt ein Gebiet von 110000 qkm (2000 □ Meilen) ab: Salzburg und das Innviertel an Bayern, Westgalizien an das Herzogtum Warschau, einen Teil Ostgaliziens an Rußland, die Länder jenseits der Sau nebst Istrien und Dalmatien an Napoleon, der daraus einen neuen Staat der illyrischen Provinzen bildet.

Die Tiroler, welche dreimal die Feinde aus Innsbruck vertrieben hatten (Kämpfe am Berge Isel), kämpfen tapfer weiter, unterliegen aber der Übermacht (Nov.). Hofer wird verraten und (1810, Febr.) von den Franzosen in Mantua erschossen. Tirol bleibt unter bayrischer Herrschaft; Süd-Tirol kommt an das Königreich Italien.

1809. 28. April.

Kühner Zug des preußischen Majors v. Schill, der mit seinem Husarenregiment von Berlin auszieht und die Deutschen zum Freiheitskampf aufruft. Oberst Dörnberg will Jérômes Regierung in Kassel stürzen. Die Nachrichten von Napoleons ersten Siegen vereiteln diese Unternehmung. Dörnberg rettet sich nach Böhmen. Schill kämpft bei Dodendorf (unweit Magdeburg) gegen westfälische Truppen, zieht weiter nach Dömitz (an der unteren Elbe), fällt tapfer kämpfend in Stralsund (31. Mai). 11 seiner Offiziere werden in Wesel kriegsrechtlich erschossen, die gefangenen Soldaten auf Napoleons Befehl zur Zwangsarbeit verurteilt und nach Frankreich geschleppt.

Rachezug des Herzogs Friedrich Wilhelm von Braunschweig gegen die Räuber seines Landes. Er sammelt eine Freischar in Schlesien und Böhmen, zieht durch Sachsen, erstürmt Halberstadt, zieht in Braunschweig ein (31. Juli), muß aber alsbald vor der feindlichen Übermacht weichen, kämpft tapfer bei Oelper, erreicht die Weser bei Elsfleth (unterhalb Bremen), führt seine »schwarze Schar« zu Schiffe nach England. Der Herzog und die meisten seiner Getreuen treten dann in die englisch-deutsche Legion, welche in Spanien kämpft.

März.

König Gustav IV. von Schweden, erbitterter Feind der Revolution und Napoleons, seit 1808 in unglücklichem Kriege mit Rußland, wird durch einen Militäraufstand zur Abdankung gezwungen. Sein Oheim Karl XIII. übernimmt die Regierung, schließt Frieden mit Rußland, indem er Finnland abtritt (S. 277, 327), adoptiert 1810 den französischen Marschall Bernadotte als Thronfolger.

Mai.

Der Kirchenstaat mit Frankreich vereinigt durch Dekret Napoleons von Schönbrunn, weil Papst Pius VII. (S. 319f.) die Forderung, seine Häfen den Engländern zu verschließen, standhaft ablehnt. Er spricht den Bann aus, wird verhaftet und nach Grenoble, von da nach Savona (bei Genua)[331] geführt. Dort lebt er als Gefangener, während Napoleon ein Konzil der Bischöfe seines Reichs nach Paris beruft (1811). In Fontainebleau unterzeichnet Pius (1813, Jan.) ein Konkordat, widerruft es aber bald und wird nach Savona zurückgebracht, wo er bis zu Napoleons Sturz 1814 verbleibt.

1810. April

Napoleon, von Josephine Beauharnais († 1814) geschieden, heiratet Marie Luise, die Tochter des Kaisers Franz I. von Österreich.

Juli.

Abdankung und Flucht des Königs Louis Bonaparte von Holland, der sein Land nicht durch die Kontinentalsperre zugrunde richten will. Holland dem französischen Kaiserreich einverleibt, ebenso bald darauf der Kanton Wallis.

Dez.

Das nördliche Hannover, Oldenburg, die Hansestädte dem französischen Kaiserreich einverleibt zur strengeren Durchführung der Kontinentalsperre.

In Spanien dringen die Marschälle Soult, Viktor, Mortier nach Andalusien vor; vergebliche Belagerung von Cadiz, wo die spanischen Cortes (Landstände) zusammentreten und eine neue Verfassung beschließen (vollendet 1812). Wellington zieht sich auf die befestigten Höhen von Torres Vedras zwischen dem Tejo und der portugiesischen Küste zurück, von wo er 1811 gegen Masséna siegreich vordringt.

1811. März.

Geburt eines Sohnes Napoleons, dem der Titel König von Rom verliehen wird († 1832).

Napoleon I. auf dem Gipfel seiner Macht.

Im Seekriege mit England hat Frankreich (und Holland) nur Verluste. Die Engländer erobern 1806 das Kapland, 1809 Cayenne, Martinique, Senegal, San Domingo, 1810 Guadeloupe, Isle Bourbon, Isle de France, 1811 Java.

Die Vereinigten Staaten, am Handel mit Frankreich durch die englische Flotte gehindert, beginnen 1812 Krieg gegen England, werden aber 1814 durch Besetzung der Hauptstadt Washington zum Frieden genötigt (S. 302).

§ 4. Sturz des ersten französischen Kaiserreichs.

1812.

Krieg Frankreichs gegen Rußland.

Die Weigerung Rußlands, das Kontinentalsystem, welches Napoleon selbst durch käufliche Lizenzen umging, streng durchzuführen, erregt den Unwillen des Gewalthabers. Die Vergrößerung des Herzogtums Warschau durch Westgalizien (S. 330) erfüllt den Kaiser Alexander mit Besorgnis vor einer Wiederherstellung Polens; die Absetzung des Herzogs[332] von Oldenburg, seines nahen Verwandten, (S. 293) wird von ihm als schwere Beleidigung empfunden.

Bündnis Napoleons mit Preußen, welches 20000 Mann, und mit Österreich, welches 30000 Mann zu dem russischen Zuge stellen muß. Schweden (Bernadotte) benutzt die Gelegenheit, um sich von der französischen Abhängigkeit zu befreien und durch ein Bündnis mit Rußland sich Norwegen als Ersatz für Finnland zu sichern. England und die Türkei schließen Frieden mit Rußland; die Türkei tritt im Frieden von Bukarest das Land zwischen Dnjestr und Pruth an Rußland ab.

1812. Mai.

Napoleon wird in Dresden von Kaiser Franz I., König Friedrich Wilhelm III. und den Rheinbundfürsten begrüßt, reist von da über Posen und Thorn nach Königsberg zu seiner Armee, deren Durchzug Preußen schwer belastet. Berlin hat wiederum französische Besatzung.

Die große Armee (über 600000 Mann) vereinigt Franzosen, Deutsche, Italiener, Schweizer, Niederländer, Polen. Beim Vormarsch bilden die Österreicher unter Schwarzenberg, zusammen mit Franzosen und Sachsen unter Reynier, den rechten Flügel, welcher nach Wolhynien vorrückt; die Preußen unter York gehören dem linken Flügel an, welcher unter Macdonalds Oberbefehl nach Livland zieht, um Riga zu belagern. Das Hauptheer überschreitet Ende Juni den Niemen; Napoleon verweilt 18 Tage in Wilna; die Hoffnung der Polen auf Wiederherstellung ihres Staates verwirklicht sich nicht.

Die Russen (260000 Mann in 3 Heeren) weichen kämpfend zurück. Ihre Hauptmacht unter Barclay de Tolly kämpft am 17. August bei Smolensk; die brennende Stadt wird den Franzosen (18. Aug.) überlassen. Unter Kutūsows Oberbefehl

7. Sept.

Schlacht bei Borodinó an der Moskwa: beide Teile erleiden ungeheuere Verluste. Rückzug der Russen in guter Ordnung bis hinter Moskau. Das französische Hauptheer, auf 100000 Mann zusammengeschmolzen, besetzt die von den Einwohnern verlassene Stadt. Napoleon im Kreml.

15.–20. Sept.

Brand von Moskau (der Gouverneur Rostopschin). Plünderung der Stadt unter Schutt und Trümmern; der Kreml wird gegen das Feuer geschützt. Kaiser Alexander lehnt auf Steins Rat Friedensanträge Napoleons ab. Nach fünfwöchigem Aufenthalt in Moskau

19. Okt.

Rückzug aus Rußland, von Napoleon erst nach Südwesten, dann in der Richtung auf Smolensk angetreten, beunruhigt durch das russische Hauptheer unter Kutūsow und zahllose Kosakenschwärme.

6. Nov.

Eintreten der Kälte. Furchtbares Elend durch Hunger und Frost. Fortwährende Gefechte, namentlich bei Krasnoi (Ney) und Borissow (Oudinot).[333]

1812. 26.–28. Nov.

Schrecklicher Übergang über die Beresina.

Brückenbau bei Studienka; Ney und Oudinot wehren am 28. die andringenden Russen auf dem rechten Ufer ab, Viktor auf dem linken, doch fallen Tausende von Nachzüglern den Russen in die Hände. Von da ab völlige Auflösung des Heeres bei erneuter Kälte; Napoleon verläßt das Heer (5. Dez.) und eilt nach Paris. Murat, dann Eugen Beauharnais leiten den Rückzug.

30. Dez.

York schließt zu Tauroggen (nahe der preußischen Grenze) einen Neutralitätsvertrag mit dem russischen General Diebitsch.

Schwarzenberg führt sein Heer fast ohne Verluste nach Galizien zurück (Febr. 1813).

1813 und 1814.

Der deutsche Befreiungskrieg.

1813. 3. Febr.

König Friedrich Wilhelm III. erläßt in Breslau einen Aufruf zur Bildung freiwilliger Jäger-Abteilungen. Begeisterte Erhebung in Preußen. Männer und Jünglinge jedes Standes eilen zu den Waffen.

7. Febr.

Der ostpreußische Landtag zu Königsberg beschließt Ausrüstung von 30000 Mann Linie und Landwehr.

28. Febr.

Bündnis zu Kalisch zwischen Rußland und Preußen. Das russisch-preußische Hauptheer sammelt sich in Schlesien.

Die Franzosen räumen Berlin und Hamburg. Die Herzöge von Mecklenburg sagen sich vom Rheinbund los. Tettenborn mit den Kosaken zieht als Befreier in Hamburg ein (18. März).

17. März.

Aufrufe Friedrich Wilhelms III. »An mein Volk« und »An mein Kriegsheer«; Verordnung zur Errichtung der Landwehr und des Landsturmes. Eisernes Kreuz gestiftet.

27. März.

Dresden wird nach Abzug des Marschall Davout durch Russen und Preußen unter Wittgenstein und Blücher besetzt. Flucht des Königs von Sachsen.

2. April.

Gefecht bei Lüneburg (Johanna Stegen). Der französische General Morand mit 2000 Mann von Russen und Preußen gefangen. Die Erhebung in Bremen wird von General Vandamme unterdrückt.

5. April.

Gefecht bei Möckern (östlich von Magdeburg). Eugen Beauharnais, (S. 329) von Preußen (unter York, Bülow und Borstell) und Russen geschlagen, zieht sich auf das linke Elbufer zurück. Französische Besatzungen behaupten sich in Magdeburg, Stettin, Küstrin, Glogau, Danzig, Modlin, Zamosc.

Napoleon führt ein neugebildetes Heer (120000 Mann) über den Rhein, zieht die Truppen der Rheinbundfürsten an sich,[334] überschreitet den Thüringer Wald, wird beim Vorrücken nach Sachsen von den Russen und Preußen (85000 Mann) angegriffen.

1813. 2. Mai.

Schlacht bei Groß-Görschen oder Lützen. Der Sieg bleibt trotz größerer Verluste den Franzosen. Die Verbündeten ziehen sich über Dresden nach der Lausitz zurück. Scharnhorst, in der Schlacht verwundet, stirbt in Prag (28. Juni).

Napoleon zieht in Dresden ein, führt den aus Prag zurückgekehrten König von Sachsen dorthin zurück.

18. Mai.

Schwedische Truppen unter Führung des Kronprinzen (Bernadotte) landen in Pommern.

20. u. 21. Mai.

Schlacht bei Bautzen. Napoleon erzwingt den Übergang über die Spree und siegt mit großen Verlusten. Die Verbündeten ziehen sich nach Schlesien zurück. Blüchers Reitergefecht bei Haynau (26. Mai).

30. Mai.

Hamburg nach Abzug der Russen von Davout besetzt und furchtbar gebrandschatzt.

4. Juni.

Waffenstillstand zu Poischwitz (bei Striegau) auf sechs Wochen, verlängert bis zum 10. August. Beide Teile erschöpft, erwarten Verstärkung und bewerben sich um Österreichs Bundesgenossenschaft.

14. u. 15. Juni.

Subsidienverträge Englands mit Preußen und Rußland zu Reichenbach.

17. Juni.

Franzosen und Rheinbundtruppen überfallen die Reiterei der Lützowschen Freischar bei Kitzen (unweit Lützen).

Verhandlungen zu Prag. Österreich übernimmt die Vermittelung; Napoleon geht auf Metternichs Bedingungen (Auflösung des Herzogtums Warschau, Rückgabe der illyrischen Provinzen an Österreich, Räumung der preußischen Festungen, der Hansestädte und Oldenburgs) nicht ein.

12. Aug.

Österreich erklärt den Krieg an Frankreich. Die Verbündeten, durch englische Hilfsgelder unterstützt, stellen drei Heere auf:

1. Das Böhmische oder Hauptheer unter Fürst Schwarzenberg: 123000 Österreicher, 75000 Russen unter Wittgenstein, 49000 Preußen unter Kleist. Beim Heere befinden sich die drei verbündeten Monarchen Alexander, Franz, Friedrich Wilhelm.

2. Das Schlesische Heer unter Blücher: 38000 Preußen unter York, 61000 Russen unter Sacken und Langeron; Gneisenau Chef des Generalstabes.

3. Das Nordheer unter dem Kronprinzen Karl Johann von Schweden (Bernadotte): 75000 Preußen unter Bülow und Tauenzien, 30000 Russen unter Winzingerode, 20000 Schweden, 27000 Mann gemischte Truppen (russisch-deutsche[335] Legion, Kosaken, Hannoveraner, Mecklenburger, Hanseatische Legion, Lützowsche Freischar) unter Wallmoden.

Im ganzen 485000 gegen 440000 Franzosen und Rheinbundtruppen.

Napoleon beginnt die Feindseligkeiten mit einem Angriff auf Blücher, der hinter die Katzbach zurückgeht. Indessen rückt Schwarzenberg aus Böhmen gegen Dresden vor. Napoleon eilt dorthin und läßt Macdonald gegen Blücher zurück. Ehe es auf diesen beiden Punkten zur Schlacht kommt, wird Oudinot, dessen Angriff auf Berlin durch Davout von Hamburg aus unterstützt werden sollte, in der

1813. 23. Aug.

Schlacht bei Großbeeren von Bülow geschlagen, während der Kronprinz von Schweden untätig zusieht, Berlin wird durch diesen Sieg vor Einnahme und Plünderung gerettet.

Davout kehrt nach einigen Gefechten gegen die Truppen des Generals Wallmoden (Th. Körner † 26. Aug. bei Gadebusch) nach Hamburg zurück. Ein von Magdeburg gegen Berlin heranziehendes Korps von 9000 Mann wird bei Hagelberg 27. August von der kurmärkischen Landwehr vernichtet.

26. Aug.

Schlacht an der Katzbach. Macdonald, der mit 80000 Mann in Schlesien vorrückt, wird von den Preußen und Russen unter Blücher (später zum Fürsten von Wahlstatt ernannt) entscheidend geschlagen.

Indessen mißglückt der Angriff der Böhmischen Armee auf Dresden. Napoleon erkämpft in der

26. u. 27. Aug.

Schlacht bei Dresden nochmals einen großen Sieg auf deutschem Boden. Doch wird General Vandamme, welcher der Böhmischen Armee den Rückzug abschneiden will, in der

29. u. 30. Aug.

Schlacht bei Kulm und Nollendorf, nicht weit von Teplitz, von Russen und Österreichern geschlagen und durch das rechtzeitige Erscheinen der Preußen in seinem Rücken (General v. Kleist) mit 10000 Mann zur Ergebung genötigt.

6. Sept.

Schlacht bei Dennewitz (unweit Jüterbog).

Marschall Ney, welcher mit 70000 Mann Berlin besetzen soll, von Bülow und Tauenzien geschlagen.

Napoleon zieht nach Bautzen gegen Blücher, der ihm ausweicht, dann gegen die Böhmische Armee, die ihm bei Nollendorf (17. Sept.) erfolgreich Widerstand leistet, dann nochmals gegen Blücher (Gefecht bei Bischofswerda). Blücher gibt dem Feldzug die entscheidende Wendung durch seinen Übergang über die Elbe.[336]

1813. 3. Okt.

Tapferer Kampf des Yorkschen Korps bei Wartenburg gegenüber der Einmündung der Schwarzen Elster. Auch die unter Bernadottes Führung zögernde Nordarmee überschreitet nun die Elbe.

8. Okt.

Vertrag zu Ried zwischen Österreich und Bayern, welches sich vom Rheinbunde lossagt und dem Bündnis gegen Napoleon beitritt. Dafür wird dem König Max Joseph von Bayern (1799–1825) die Erhaltung seines durch Napoleon vergrößerten Gebietes zugesichert.

Als die 3 Hauptheere der Verbündeten eine Vereinigung im Rücken Napoleons versuchen, verläßt dieser Dresden, zieht nach Düben (an der Mulde) gegen Blücher, der ihm ausweicht, versammelt dann seine Truppen bei Leipzig gegen die inzwischen durch die Elbpässe gedrungene Böhmische Armee. Reitergefecht bei Libertwolkwitz (14. Okt.).

16. 18. 19. Okt.

Völkerschlacht bei Leipzig.

Am 16. Okt. unentschiedener Kampf Napoleons gegen die Böhmische Armee (Schwarzenberg) bei Wachau (südl. von Leipzig); Sieg Blüchers bei Möckern (nördl. von Leipzig) über Marmont.

Am 17. Stillstand des Kampfes; Napoleon schickt Friedensanträge an Kaiser Franz, die jedoch wegen ihrer Unzulänglichkeit keine Berücksichtigung finden. Gegen Abend Vereinigung der vier Heere der Verbündeten: die Nordarmee und die russische Reservearmee (unter Bennigsen) schließen den Kreis nördlich, östlich und südlich von Leipzig (die Straße im Westen nach Lindenau nicht besetzt); 255000 gegen 160000 Mann.

Am 18. allgemeiner Angriff und nach neunstündigem Kampfe vollständiger Sieg der Verbündeten. Kampf um Probstheida südlich, Schönfeld an der Parthe und Paunsdorf östlich von Leipzig; bei Paunsdorf gehen die meisten Sachsen und Württemberger zu den Verbündeten über.

Am 19. Erstürmung von Leipzig und Gefangennehmung des Königs von Sachsen. Nach Verlust von mehr als 60000 Mann tritt das geschlagene Heer Napoleons den Rückzug an. Voreilige Zerstörung der Elsterbrücke. Viele Fliehende, unter ihnen der tapfere Fürst Poniatowski, Neffe des letzten polnischen Königs, finden ihren Tod in der Elster.

Auf dem Rückzuge Kampf Napoleons an der Unstrut gegen Yorks Vorhut; Sieg bei Hanau (30. und 31. Okt.) über ein österreichisch-bayrisches Heer unter Wrede.

Unmittelbare Folgen der Schlacht bei Leipzig: Flucht des Königs Jérôme aus Kassel, Ende des Königreichs Westfalen, der Großherzogtümer Frankfurt und Berg. Wiederherstellung der alten Regierungen in Hessen-Kassel, Braunschweig, Hannover, Oldenburg. Die »Zentralverwaltung für die in[337] Deutschland eroberten Länder«, unter dem Freiherrn vom Stein, sorgt in Sachsen, Frankfurt und Berg für die weiteren Rüstungen.

1813. Nov.

Napoleon geht bei Mainz über den Rhein zurück. Württemberg, Hessen-Darmstadt, Baden und die noch übrigen Glieder des Rheinbundes schließen sich den Verbündeten an. Allmählich werden die von den Franzosen besetzten Festungen befreit: Dresden (11. Nov.), Stettin (21. Nov.), Lübeck (5. Dez.), Zamosc, Modlin, Torgau (26. Dez.), Danzig (30. Dez.), Wittenberg (12. Jan. 1814), Küstrin (7. März).

In Glogau, Magdeburg, Hamburg (Davout), Erfurt, Würzburg, Wesel, Mainz halten sich die französischen Besatzungen bis zum Frieden.

Aufstand in Holland (Nov.), die französischen Behörden verjagt. Ein Teil der Nordarmee unter Bülow rückt in Holland ein, während der Kronprinz von Schweden in Holstein einfällt und in einem kurzen Winterfeldzug Dänemark zum Verzicht auf Norwegen zwingt (Friede zu Kiel, Jan. 1814).

Aus Spanien werden die Franzosen, nachdem sie schon 1812 den Süden des Landes und vorübergehend auch Madrid hatten aufgeben müssen, während des Jahres 1813 fast ganz verdrängt. Entscheidender Sieg Wellingtons bei Vittoria (21. Juni).

In Deutschland erfolgt, da Napoleon auf ein von Metternich gemachtes Anerbieten, welches ihm die Alpen- und Rheingrenze verspricht, nicht ernstlich eingeht, am

1. Dez.

der Beschluß, den Krieg energisch weiterzuführen und den Rhein zu überschreiten. Das Hauptheer unter Schwarzenberg geht Ende Dez. bei Basel über den Rhein, um die Hochebene von Langres zu erreichen, das Schlesische Heer unter Blücher in der Neujahrsnacht 1814 bei Mannheim, Kaub und Koblenz.

1814.

Feldzug in Frankreich.

29. Jan.

Um die Vereinigung der verbündeten Heere zu verhindern, greift Napoleon bei Brienne Blücher an, der sich zurückziehen muß, sich aber dann mit Teilen des Hauptheeres (Kronprinz von Württemberg, Wrede) vereinigt und den Kaiser in der

1. Febr.

Schlacht bei La Rothière schlägt und über die Aube zurückdrängt. Darauf wieder Trennung; das Hauptheer soll an der Seine, das Schlesische an der Marne entlang nach Paris vorrücken. Napoleon läßt 40000 Mann gegen Schwarzenberg zurück, wirft sich mit 30000 auf die getrennten Teile des Schlesischen Heeres, schlägt

10.–14. Febr.

sie in vier Treffen bei Champaubert, Montmirail, Château-Thierry und Vauchamps und zwingt Blücher zum Rückzug über Etoges. Dann wendet[338]

1814. 17. u. 18. Febr.

er sich gegen die vorgeschobenen Teile des Hauptheeres und schlägt sie bei Nangis und Montereau; Schwarzenberg ordnet den Rückzug nach Troyes an. Beide Heere der Verbündeten vereinigen sich wieder auf kurze Zeit an der Aube. Mittlerweile waren Bevollmächtigte der Verbündeten mit dem Gesandten Napoleons, Caulaincourt, zu einem

5. Febr. bis 19. März.

Kongreß in Châtillon (an der Seine) zusammengetreten, auf dem man Napoleon den Besitz Frankreichs mit den Grenzen von 1792 zugestanden hätte; allein die Verhandlungen werden infolge seines übermütigen und zweideutigen Benehmens abgebrochen.

Die beiden Heere trennen sich wieder. Das Hauptheer unter Schwarzenberg siegt in der

27. Febr.

Schlacht bei Bar-sur-Aube über Oudinot und Macdonald, rückt aber dann nur langsam vor.

Blücher dringt vor bis in die Nähe von Meaux (an der Marne), wendet sich dann nordwärts und vereinigt sich bei Soissons mit dem Nordheer unter Bülow und Winzingerode, welches inzwischen Holland und Belgien befreit hat. Die vereinigten Heere besiegen Napoleon in der

9. u. 10. März

Schlacht bei Laon, doch ohne ihn vernichten zu können. Er zieht mit 30000 Mann gegen das Hauptheer, welches ihn in der

20. u. 21. März.

Schlacht bei Arcis-sur-Aube besiegt. Unterdes von der spanischen Seite her gleichfalls siegreiches Vordringen Wellingtons gegen Soult. Besetzung von Bordeaux (12. März), wo die königliche Fahne der Bourbons zuerst aufgepflanzt wird.

Napoleon faßt den verwegenen Plan, sich den Verbündeten in den Rücken, nach Lothringen, zu werfen, die Besatzungen der Festungen an sich zu ziehen und die gesamte Bevölkerung zu den Waffen zu rufen. Die Verbündeten senden ihm 8000 Reiter nach, die übrigen Truppen, 170000 Mann, ziehen gegen Paris. Die Marschälle Marmont und Mortier werden bei La Fère Champenoise (25. März) zurückgeschlagen und ziehen sich nach Paris zurück. Die Regentin Marie Luise entflieht nach Blois.

30. März.

Schlacht bei Paris, auf der Ostseite (Pantin, Vincennes), zuletzt Erstürmung des Berges Montmartre auf der Nordseite.

31. März.

Einzug der Verbündeten in Paris, wo der Senat auf Veranstaltung Talleyrands den Kaiser und seine Familie des Thrones für verlustig erklärt. Napoleon war, seiner Hauptstadt zu Hilfe eilend, wenige Stunden zu spät gekommen. Da ihm zu einem verzweifelten Sturme auf Paris[339] die Marschälle den Gehorsam verweigern, entsagt er in Fontainebleau der Krone (6. und 11. April). Er erhält von den Verbündeten die Insel Elba als Fürstentum mit 2 Millionen Franks Einkünften aus Frankreich; 800 seiner alten Soldaten dürfen ihn begleiten. Seine Gemahlin erhält das Herzogtum Parma; beide behalten den kaiserlichen Titel.

1814. 10. April.

Wellington besiegt Soult in der Schlacht bei Toulouse.

4. Mai.

Ankunft Napoleons auf Elba. Rückkehr der Bourbons nach Frankreich. Ludwigs XVI. Bruder, der sich als König

1814–1824.

Ludwig XVIII. nennt, erteilt dem Lande eine der englischen nachgebildete, gemäßigte Verfassung (Charte octroyée: Pairskammer und Deputiertenkammer) und schließt mit den Verbündeten den

1814. 30. Mai.

Ersten Frieden zu Paris: 1. Frankreich nimmt im allgemeinen seine Grenzen von 1792 wieder an (gegen 1790 Vermehrung um 8200 qkm [150 □ Meilen]: Avignon und Venaissin, Teile von Savoyen, Elsaß und Belgien). 2. England gibt die französischen Kolonien zurück mit Ausnahme von Tabago, St. Lucie und Isle de France, behält ferner Malta (S. 320f) und die früher holländischen Kolonien Kapland (S. 331) und Ceylon. 3. Die Verbündeten verzichten auf alle Summen, welche sie als Entschädigung für französische Erpressungen zu fordern haben (!).

Nach dem Pariser Frieden kehrt Papst Pius VII. nach Rom, der König von Sardinien Viktor Emanuel nach Turin, der König von Spanien Ferdinand VII. nach Madrid zurück. In Spanien beginnt, nachdem der König die sehr freisinnige Verfassung der Cortes vom Jahre 1812 verworfen hat, sofort ein grausamer Kampf der unumschränkten Gewalt gegen die liberale Partei. — Pius VII. stellt den Jesuitenorden (s. S. 304) wieder her.

Besuch Kaiser Alexanders und König Friedrich Wilhelms III. in London (Juni 1814), begleitet von ihren siegreichen Feldherren (Blücher); begeisterter Empfang von seiten der englischen Nation.

§ 5. Wiederherstellung des europäischen Staatensystems.

1814–1815. Sept. Juni.

Wiener Kongreß,

unter persönlicher Teilnahme der Kaiser von Österreich und Rußland, der Könige von Preußen, Dänemark, Bayern und Württemberg und vieler deutscher Fürsten. Vertreten sind alle Staaten Europas, mit Ausnahme[340] der Türkei. Die geschäftliche Leitung der Verhandlungen hat der österreichische Staatskanzler Fürst Metternich; für Frankreich weiß Talleyrand als Gesandter Ludwigs XVIII. großen Einfluß zu gewinnen. Streit entsteht namentlich über die künftige Gestaltung Sachsens und Polens, doch ist der Ausgleich schon gefunden, ehe die Nachricht von Napoleons Entweichen aus Elba anlangt.

Hauptbestimmungen der Wiener Kongreßakte
(8. Juni 1815):

1. Österreich erhält seine alten Gebiete zurück: Tirol, Vorarlberg, Kärnten, Krain, Triest, Galizien, Mailand, dazu das 1797 erworbene venetianische Gebiet und das 1805 erworbene Erzbistum Salzburg, tritt aber den Breisgau und seine oberschwäbischen Besitzungen an Baden und Württemberg, Belgien an Holland ab.

2. Preußen erhält zurück: einen Teil des Herzogtums Warschau (Provinz Posen) und Danzig, die alten Besitzungen in Westfalen und am Rhein, auch Neuchâtel. Zur Entschädigung für nicht zurückerhaltene frühere Besitzungen (Ansbach und Baireuth an Bayern, Ostfriesland, Goslar, Hildesheim an Hannover, polnische Gebiete an Rußland) werden die Rheinprovinz und Westfalen außer anderem besonders durch die Herzogtümer Jülich und Berg, die Kurlande Köln und Trier vergrößert, ferner Schwedisch-Pommern mit Rügen und die Hälfte des Königreichs Sachsen hinzugefügt.

3. Bayern wird durch Ansbach und Baireuth, Aschaffenburg, Würzburg und die linksrheinische Pfalz vergrößert; die rechtsrheinische mit Heidelberg und Mannheim bleibt bei Baden (S. 320).

4. Ein Königreich der Niederlande wird gebildet aus der früheren Republik der Niederlande (Holland) und dem früher österreichischen Belgien. König Wilhelm I., Sohn des letzten Erbstatthalters von Holland (S. 314, 321), erhält zum Ersatz für seine nassauischen Stammlande auch das Großherzogtum Luxemburg.

5. Die deutsche Kaiserwürde nicht wiederhergestellt. Der Deutsche Bund tritt an die Stelle des früheren Deutschen Reiches, gebildet von 35 souveränen Fürsten und 4 freien Städten. Grundgesetz die Bundesakte vom 8. Juni 1815, ergänzt durch die Wiener Schlußakte 1820. Oberste Behörde der Bundestag zu Frankfurt a. M., eine Versammlung von Gesandten der Bundesstaaten unter Vorsitz des österreichischen Gesandten. Bundesheer aus Kontingenten der Einzelstaaten; Bundesfestungen: Mainz, Luxemburg, Landau, Ulm, Rastatt. Österreich und Preußen gehören nicht mit ihrem ganzen Gebiet zum Bunde, ersteres nicht mit seinen polnischen, ungarischen[341] und italienischen Gebieten, letzteres nicht mit Preußen und Posen. Bayern, Württemberg, Sachsen (letzteres verkleinert) bleiben Königreiche; dazu kommt das frühere Kurfürstentum Hannover (vergrößert) ebenfalls als Königreich, in Personal-Union mit England (seit 1714, vgl. S. 299). Der König von England ist als König von Hannover, der König von Dänemark als Herzog von Holstein und Lauenburg, der König der Niederlande als Großherzog von Luxemburg am Deutschen Bunde beteiligt.

6. Rußland erhält den größten Teil des Herzogtums Warschau als Königreich Polen. Krakau wird Freistaat unter dem Schutze Rußlands, Österreichs und Preußens.

7. England behält Malta, Helgoland, die ihm früher zugesicherten Kolonien (S. 339) und die Schutzherrschaft über die Republik der 7 Ionischen Inseln (S. 316). Auf Englands Antrag gemeinsame Erklärung der Großmächte gegen den Sklavenhandel.

8. Schweden wird, gemäß dem Kieler Frieden (S. 337), mit Norwegen durch Personal-Union vereinigt; Dänemark wird entschädigt durch Schwedisch-Pommern mit Rügen, wofür es das von Hannover an Preußen abgetretene Lauenburg eintauscht (bis 1689 deutsches Herzogtum, vgl. S. 189, 204, dann mit Hannover vereinigt, 1803 von den Franzosen besetzt).

9. Die 19 Kantone der Schweiz (S. 316) werden durch Genf, Wallis und Neuchâtel (zugleich Kanton und Fürstentum im Besitz der Krone Preußen, S. 274) auf 22 vermehrt, die Bundesverfassung neu geordnet.

10. Wiederherstellung der alten Dynastien in Spanien, Portugal, Sardinien (das durch Genua vergrößert wird) und Toskana. Moděna wird gleich Toskana österreichisches Nebenfürstentum, da die Erbtochter des letzten Herzogs aus dem Hause Este (Herkules III., S. 304) sich mit dem Erzherzog Ferdinand vermählt hat (S. 282). Parma, Piacenza und Guastalla (S. 304) kommen an Napoleons Gemahlin, die Erzherzogin Marie Luise, sollen aber nach ihrem Tode († 1847 als Witwe des Grafen v. Neipperg) an die in Lucca herrschenden Bourbonen zurückfallen. Auch der Kirchenstaat wiederhergestellt, dagegen wird in Neapel Murat (S. 327) als König anerkannt.

Nachrichten von der Mißstimmung in Frankreich gegen die Regierung der Bourbons und von den beim Wiener Kongreß besonders wegen der polnisch-sächsischen Frage ausgebrochenen Streitigkeiten ermutigen Napoleon zur Rückkehr nach Frankreich.

1815. 1. März.

Landung Napoleons bei Cannes mit 7 Schiffen. Schneller Marsch auf Paris. Alle gegen ihn gesandten Truppen, auch Ney mit seinem Korps, gehen zu ihm über. Ludwig XVIII. entflieht nach Gent.[342]

1815. 20. März.

Einzug Napoleons in Paris (les cent jours). Die auf dem Wiener Kongreß vertretenen Staaten erlassen eine gemeinschaftliche Achtserklärung gegen ihn und schließen ein neues Kriegsbündnis.

Mai.

Napoleon macht der liberalen Partei in Frankreich einige Zugeständnisse durch die in einer großen Volks- und Heeresversammlung bei Paris (Maifeld) verkündete Zusatzakte zur Verfassung des Kaiserreichs, in Belgien wird ein preußisches Heer unter Blücher und ein englisch-deutsches unter Wellington gegen ihn zusammengezogen.

Murat, der sich wieder für Napoleon erklärt, wird von den Österreichern bei Tolentino (3. Mai) geschlagen und entflieht nach Frankreich. Ferdinand IV. (aus dem Hause Bourbon) kehrt von Sicilien (S. 304, 324) nach Neapel zurück, nennt sich als »König beider Sicilien« fortan Ferdinand I. († 1825).

16. Juni.

Schlacht bei Ligny. Napoleon, in Belgien vorrückend, schlägt die Preußen trotz tapferer Gegenwehr. Blücher in Lebensgefahr, von seinem Adjutanten Nostiz gerettet. Gneisenau befiehlt den Rückzug nach Wavre. An demselben Tage wird Marschall Ney von Wellington, dessen Truppen erst nach und nach auf dem Kampfplatz erscheinen, bei Quatre-Bras zurückgeschlagen. (Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig †.) Napoleon sendet 32000 Mann unter Grouchy zur Verfolgung des preußischen Heeres ab in der Richtung auf Namur und wendet sich mit über 72000 Mann gegen Wellington.

18. Juni.

Schlacht bei Belle-Alliance (Waterloo). Am Nachmittag ist Wellingtons Heer (24000 Engländer, 13000 Niederländer, 30000 Hannoveraner, Braunschweiger, Nassauer) an mehreren Punkten bereits zum Weichen gebracht, als Blücher mit den Preußen (über 40000) anlangt und den Sieg nach mehrstündigem, erbittertem Kampfe zu Gunsten der Verbündeten entscheidet. Vollständige Niederlage der Franzosen, ihr von Gneisenau verfolgtes Heer wird gänzlich zersprengt. Zur selben Zeit kämpft Grouchy, auf dessen Hilfe Napoleon gerechnet hatte, fruchtlos gegen ein preußisches Korps bei Wavre. Napoleon eilt nach Paris, wo er zu Gunsten seines Sohnes abdankt; dieser ist genötigt, in Österreich zu bleiben († 1832 als Herzog von Reichstadt).

7. Juli.

Zweite Einnahme von Paris. Einzug Blüchers und Wellingtons, bald darauf Rückkehr Ludwigs XVIII., Ankunft der beiden Kaiser und des Königs von Preußen.

Unterdes flüchtet Napoleon nach Rochefort, wo er sich nach vergeblichen Versuchen, nach Amerika zu entkommen, dem britischen Admiral Hotham ausliefert, der ihn an Bord des »Bellérophon« nach England bringt. Von dort wird er, nach[343] gemeinschaftlichem Beschluß der verbündeten Mächte, als Kriegsgefangener nach St. Helena gebracht († 5. Mai 1821. Seine Leiche seit 1840 im Invalidendom zu Paris, S. 353).

1815. 26. Sept.

Auf Kaiser Alexanders Wunsch Stiftung der Heiligen Allianz zur Erhaltung des Friedens in Europa, zunächst zwischen Rußland, Österreich und Preußen; bald schließen sich die übrigen europäischen Staaten an, mit Ausnahme Englands, der Türkei und des Kirchenstaates.

Okt.

Murat, der in Kalabrien gelandet ist, um das Königreich Neapel wiederzuerobern, wird gefangen und kriegsrechtlich erschossen.

20. Nov.

Zweiter Friede zu Paris: 1. Frankreich tritt die Festungen Philippeville und Marienburg an das Königreich der Niederlande, Saarlouis und Saarbrücken an Preußen, Landau an Bayern, den im ersten Pariser Frieden belassenen Teil von Savoyen an das Königreich Sardinien ab. 2. Die Nord- und Ostgrenze Frankreichs mit 17 Festungen bleibt (auf höchstens 5 Jahre) von 150000 Mann verbündeter Truppen auf Kosten Frankreichs besetzt. 3. Frankreich bezahlt 700 Millionen Franks Kriegskosten. Außerdem werden die nach der ersten Einnahme von Paris dort belassenen, von den Franzosen weggeführten Kunstschätze zurückgenommen.

Dem Verlangen deutscher Patrioten, auch des preußischen Staatskanzlers v. Hardenberg, Frankreich wenigstens einen Teil der alten Vorlande des Deutschen Reichs, Lothringen und Elsaß, namentlich Straßburg, wieder abzunehmen und es dadurch seiner Angriffsstellung gegen Deutschland zu berauben, wird auch diesmal nicht entsprochen.

D. Vom Wiener Kongress bis auf unsere Zeit.

§ 1. Neue Erfindungen.

Aufschwung der Gewerbetätigkeit und des Verkehrs, auch politische Annäherung der Nationen durch praktische Anwendung der Naturwissenschaften:

1. Die ersten Versuche, den Dampf als bewegende Kraft zu verwenden, reichen ins 17. Jahrhundert zurück. Die Franzosen schreiben die Erfindung dem Physiker Denis Papin aus Blois (um 1690), die Engländer dem Marquis von Worcester (1663) und dem Kapitän Savery (1698) zu. Benutzung einer Dampfmaschine beim Bergbau durch Newcomen 1706 in Devonshire. Hauptverbesserer der Dampfmaschine, durch dessen Erfindungen[344] es erst möglich wurde, dieselbe in den verschiedensten Gewerben zu verwenden, war James Watt (1769 in Birmingham, † 1819).

2. Versuche mit Dampfschiffen wurden (nach Papins Vorgang 1707) 1774 und 1775 auf der Seine, 1786 durch Symington in Edinburg gemacht. Den ersten regelmäßigen Dampfschiffsverkehr richtete der Amerikaner Fulton 1807 auf dem Hudsonflusse ein, 1818 ging das erste Dampfschiff von New-York nach Liverpool. Dampfschiffahrt auf dem Rhein seit 1825. Hamburg-Amerika-Linie 1847, Norddeutscher Lloyd in Bremen 1857 gegründet.

3. Gewaltige Entwickelung des Landverkehrs durch die Eisenbahnen. Holzbahnen mit Eisenschienen seit 1767 in englischen Bergwerken gebräuchlich. Erfinder der Lokomotive George Stephenson 1814 (in Newcastle am Tyne). Erste größere Eisenbahnlinie für den Personenverkehr Liverpool-Manchester 1830, in Deutschland Nürnberg-Fürth 1835, Leipzig-Dresden 1837, Berlin-Potsdam 1838, Berlin-Hamburg 1845.

4. Den elektrischen Telegraphen erfand 1809 Sömmering in München; den Elektromagnetismus benutzten 1833 Gauß und Weber in Göttingen zuerst für Fernverständigung; die ersten für Verkehrszwecke brauchbaren Apparate baute 1837 Wheatstone in London. Den Schreibtelegraphen erfand Morse in New-York 1837. Erstes unterseeisches Kabel 1851 von Dover nach Calais; erste ozeanische Verbindung 1866 von der Insel Valencia (an der Westküste von Irland) nach Neufundland.

5. Erweiterte Anwendung der elektrischen Kraft: Fernsprecher (Telephon), erfunden 1861 von Philipp Reis in Friedrichsdorf bei Homburg. Elektrische Beleuchtung (1879 Edison in New-York) neben der seit 1814 (zuerst in London, 1826 in Berlin) üblich gewordenen Gasbeleuchtung. Elektrische Eisenbahn (1879 Werner Siemens in Berlin). Drahtlose Telegraphie: Elektrische Wellen im Luftraum, hergestellt und beobachtet 1887 von H. Hertz in Karlsruhe, zu telegraphischen Zwecken seit 1897 benutzt von Marconi u. a.

6. Die Motorwagen (Automobile), seit 1895 in Frankreich beliebt, dann auch in andern Ländern immer mehr eingeführt, fördern schnellen Verkehr, ohne an Schienenwege gebunden zu sein.

7. Motor-Luftschiffahrt, seit 1907 erfolgreich betrieben von Graf Zeppelin (Friedrichshafen am Bodensee), Major v. Parseval (Berlin), Major Groß (Berlin, Militär-Luftschiff). Auch andere Staaten benutzen das lenkbare Luftschiff zu Kriegszwecken, ebenso wie in neuester Zeit auch die Flugmaschine (Aeroplan). Die Gebrüder Wright in Amerika u. a..[345]

§ 2. Verfassungs- und Unabhängigkeitskämpfe.

1817.

Dreihundertjährige Jubelfeier der Reformation. Begründung der Evangelischen Union durch König Friedrich Wilhelm III. von Preußen. Das von deutschen Studenten am 18. Okt. veranstaltete Wartburgfest erregt Befürchtungen wegen »demagogischer Umtriebe« gegen die deutsche Bundesverfassung und die Souveränität der Bundesfürsten.

1818.

Kongreß zu Aachen. Die Großmächte beschließen, die Besatzungstruppen aus Frankreich zurückzuziehen.

Verfassungen (mit Volksvertretung in zwei Kammern, vgl. S. 339) werden 1818 in Sachsen-Weimar, Bayern und Baden, 1819 in Württemberg, 1820 in Hessen-Darmstadt eingeführt; in Preußen 1823 nur Provinzialstände.

1819.

Der russische Staatsrat Kotzebue, der regelmäßige Berichte über die nationalen Bestrebungen in Deutschland an seine Regierung sandte, von dem Studenten Sand aus politischen Gründen in Mannheim ermordet. Ministerkongreß in Karlsbad. Auf Antrag des österreichischen Ministers Metternich wird Zensur für Bücher und Zeitungen, Verbot des Turnens, Beaufsichtigung der Universitäten, Verbot der 1815 in Jena gestifteten deutschen Burschenschaft beschlossen und vom Bundestag in Frankfurt genehmigt. Die Bundesversammlung in Frankfurt wird für die oberste Gesetzgebung in Deutschland erklärt. Zentral-Untersuchungskommission in Mainz eingesetzt, um die Bundesbeschlüsse gegen widerstrebende Bevölkerungen und Regierungen durchzusetzen.

1820.

Wiener Schlußakte (s. S. 340) gegen die landständischen Verfassungen gerichtet, zur Sicherung der Souveränität der deutschen Bundesfürsten.

In Spanien Erhebung der Liberalen für die aufgehobene Verfassung von 1812, welche wiederhergestellt wird (S. 339).

1820.
1821.

Kongreß zu Troppau}

Kongreß zu Laibach} wegen der aufständischen Bewegungen in Neapel und Piemont, wo die Verfassung und alle französischen Einrichtungen nach der Rückkehr der Herrscher wieder aufgehoben worden waren, österreichische Truppen rücken in Neapel und in das Königreich Sardinien ein zur Wiederherstellung des unumschränkten Königtums. Viktor Emanuel von Sardinien dankt ab zu Gunsten seines Bruders Karl Felix.

1822.

Kongreß zu Verona wegen der spanischen und griechischen Unruhen (S. 346f.).[346]

1823.

Französische Truppen (95000 Mann) rücken in Spanien ein, dringen unter dem Neffen Ludwigs XVIII., Herzog von Angoulême, bis Cadiz vor (31. Aug., der Trocadero erstürmt, eine befestigte Landzunge in der Bai von Cadiz) und befreien den dort gefangen gehaltenen König Ferdinand VII. Absolutismus wiederhergestellt. Grausame Reaktion, zahlreiche Hinrichtungen.

1810–1825.

Befreiungskrieg der spanischen Kolonien in Amerika.

Der Beginn des Kampfes gehemmt durch das Erdbeben von Caracas 1812; 1813 zieht Bolivar als Befreier in Caracas ein, muß dann vor den Spaniern nach Neu-Granada entweichen, wird 1819 zum Präsidenten der Bundesrepublik Colombia erwählt, befreit 1822 Quito, 1823–1824 Peru. Chile erklärt sich 1816, Argentina 1817 unabhängig, später auch Paraguay und Uruguay. In Mexiko tritt 1821 Iturbide als Kaiser Augustin I. auf, 1823 wird das Land Bundesrepublik, ebenso die 5 Staaten von Mittel-Amerika. England (Lord Canning leitender Minister Georgs IV.) erkennt zuerst die neuen Freistaaten an und schließt mit ihnen Handelsverträge. Die Vereinigten Staaten von Amerika (Präsident Monroe) erlassen 1823 die Erklärung, keine Einmischung Europas in die politische Gestaltung Amerikas dulden zu wollen (Monroe-Doktrin). Colombia teilt sich 1830 (Bolivar †) in die drei Republiken Neu-Granada (1861 wieder Colombia genannt), Venezuela, Ecuador.

Brasilien, bisher portugiesische Kolonie, wird 1822 unabhängiges Kaisertum unter Dom Pedro I., dem Sohne Johanns VI., letzterer kehrt nach Portugal zurück (vgl. S. 327). Sein jüngerer Sohn Dom Miguel erregt Unruhen in Portugal, um die Cortes zu beseitigen, herrscht nach dem Tode des Vaters (1826) gewalttätig und grausam, wird 1834 von Dom Pedro I. vertrieben. Dieser überläßt die Regierung Brasiliens seinem Sohne Pedro II., in Portugal setzt er seine Tochter Maria da Gloria ein, deren Gemahl Ferdinand von Sachsen-Koburg wird (S. 352). Verfassung vom Jahre 1826, abgeändert 1838.

1821–1829.

Griechischer Befreiungskrieg, vorbereitet durch die Hetärie einen 1814 von griechischen Kaufleuten in Odessa gestifteten Geheimbund zur Befreiung der Griechen von der türkischen Herrschaft. Fürst Alexander Ypsilanti (russischer General und Adjutant Kaiser Alexanders I.) an der Spitze eines Griechenaufstandes in der Moldau und Walachei (März-Juni 1821), wird geschlagen, rettet sich nach Österreich, wird 6 Jahre in Munkacz und Theresienstadt gefangen gehalten, † in Wien 1828.

1821. April.

Aufstand in Morea (Mainoten) und auf den Inseln. Wüten der Türken gegen die Griechen in Konstantinopel. Der Patriarch Gregorios aufgeknüpft.[347]

1822.

Blutbad auf der Insel Chios, die Türken ermorden über 20000 Griechen. Kanaris verbrennt einen Teil der türkischen Flotte an der Küste von Chios. Der tapfere Widerstand der Griechen (Miaulis aus Hydra. Marcus Bozzaris u. a.) erregt überall Teilnahme. Freiwillige (Philhellenen) eilen aus Deutschland, Italien, Frankreich herbei; der englische Dichter Lord Byron landet mit zwei Schiffen bei der bedrohten Festung Missolunghi (1824); der Genfer Bankier Eynard organisiert die Hilfsvereine. Wilhelm Müllers Griechenlieder.

1825.

Mehemed Ali, Pascha von Ägypten, sendet dem Sultan Mahmud II. seinen Sohn Ibrahim zu Hilfe, welcher in Morea grausam wütet. Aussicht auf russische Hilfe für die Griechen erst nach dem Tode des kinderlosen Alexander I. (1. Dez.). Ihm folgt sein Bruder als

1825–1855.

Nikolaus I., Kaiser von Rußland, nach Verzichtleistung des älteren Bruders Konstantin (S. 295).

1826.

Die Türken erobern die heldenmütig verteidigte Festung Missolunghi.

1827.

England, Rußland und Frankreich schließen auf Betreiben des englischen Ministers George Canning ein Bündnis zum Schutze der Griechen.

Juni.

Aufstand der Janitscharen in Konstantinopel; sie werden auf Befehl des Sultans teils getötet, teils nach Asien abgeführt.

20. Okt.

Schlacht bei Navarin.

Die türkische Flotte wird von der englischen, französischen und russischen zerstört (»untoward event«). Französische Truppen landen in Morea, Ibrahim zum Abzug genötigt.

Russische Truppen besetzen 1828 die Donaufürstentümer, General Diebitsch überschreitet 1829 den Balkan und besetzt Adrianopel, während in Asien General Paskjewitsch Kars und Erzerum erobert.

Im Frieden zu Adrianopel 1829 erhält Rußland die Inseln vor der Donaumündung, in Asien das Gebiet von Achalzik südlich vom Kaukasus. Den Donaufürstentümern Serbien, Moldau, Walachei wird das Recht, christliche Statthalter (Hospodare) unter türkischer Oberhoheit zu wählen, bestätigt. Die Türkei erkennt im voraus die Beschlüsse der Londoner Konferenz an, welche 1830 die Unabhängigkeit Griechenlands aussprechen.

Graf Capodistrias (1814–22 russischer Minister) führt vorläufig als Präsident die Verwaltung; er wird 1831 in Nauplĭa, dem Sitz der Regierung, ermordet. Darauf erheben die Schutzmächte (England, Rußland, Frankreich) zum König von Griechenland den Sohn König Ludwigs I. von Bayern, Otto I., welcher 1832–1862 regiert, dann durch einen Aufstand vertrieben wird († 1867). Athen erhebt sich als Residenzstadt zu neuer Bedeutung.[348]

Rußland beginnt, nachdem 1795 Derbent (S. 278) abermals besetzt, 1801 Georgien (S. 297) zur Provinz gemacht, 1813 die Südwestküste des Kaspischen Meeres mit Baku, 1827 Eriwan den Persern entrissen ist, langwierige Kämpfe zur Unterwerfung der Kaukasusvölker.

1829.

In England, wo 1820–1830 Georg IV. regiert, unter dem Ministerium des Herzogs von Wellington nach Aufhebung der Testakte (S. 270) Emanzipation der Katholiken, d. h. Zulassung derselben zum Parlament und zu Staatsämtern. Nach lebhaften Verhandlungen folgt 1832 unter König Wilhelm IV. (1830–1837) die Parlamentsreform; 56 kleine Orte verlieren das Wahlrecht, eine Anzahl von Grafschaften und größeren Städten wählt dafür fortan mehr Vertreter ins Unterhaus.

§ 3. Die Zeit von 1830–1848.

Abermals geht von Frankreich eine Erschütterung der europäischen Verhältnisse aus, die jedoch leichter überwunden wird als die frühere. König Karl X. (1824–1830, Bruder Ludwigs XVI. und XVIII., früher Graf von Artois, s. S. 307) regiert wie sein Bruder, der Talleyrand entlassen, den Marschall Ney zum Tode und alle Mitglieder der Familie Bonaparte nebst den »Königsmördern« zur Verbannung verurteilt hatte, und erregt durch sein Streben nach Herstellung des unbeschränkten Königtums wachsende Mißstimmung, die auch durch einen Erfolg der auswärtigen Politik, die Eroberung des Seeräuberstaates Algier (Juni und Juli 1830) nicht vermindert wird.

1830.

Pariser Julirevolution. Durch das ultraroyalistische Ministerium Polignac wird der König am 25. Juli 1830 zur Unterzeichnung von 5 Ordonnanzen (Verfügungen) bewogen, welche 1. die letzten oppositionellen Kammerwahlen für ungültig erklären, 2. das Wahlgesetz zu einem Privilegium der reichsten Grundbesitzer machen (262 Abgeordnete statt der früheren 430) und 3. die Preßfreiheit aufheben. Diese Verletzung der Verfassung erregt einen Aufstand in Paris. Nach dreitägigem Straßenkampf (27.–29. Juli) ziehen die Truppen sich zurück. Karl X. dankt ab zu Gunsten seines Enkels, des 1820 geborenen Herzogs Heinrich von Bordeaux, Graf von Chambord, dessen Vater, der Herzog von Berry, 1820 (Febr.) ermordet worden war; aber durch Beschluß der Pairs und Deputierten wird auf den Thron erhoben der Sohn Philipp Egalités, Herzog Ludwig Philipp von Orléans aus der jüngeren Linie des Hauses Bourbon (s. S. 349) als

1830–1848.

Ludwig Philipp I., König der Franzosen.

1830.

Belgischer Aufstand. Das vom Wiener Kongreß geschaffene Königreich der Niederlande hat keinen[349] Bestand; die Belgier, durch Sprache, Konfession und Beschäftigung verschieden, fühlen sich unter der holländischen Regierung zurückgesetzt und hoffen auf Frankreichs Hilfe.[350]

 Häuser Bourbon älterer und jüngerer Linie (Orléans).

 Heinrich IV., erster König aus dem Hause Bourbon, †1610.
                      |
          Ludwig XIII., †1643.
                      |___________________...
                      |
         Ludwig XIV., †1715.
                      |
           Ludwig, Dauphin, †1711.
      ________________|_________________
     |                                  |
Ludwig, Hz. v. Bourgogne,    Philipp V., K. v. Spanien,
   †1712.                    Stammvater der Bourbons
     |                    in Spanien, Neapel u. Parma, †1746.
     |
Ludwig XV., †1774.
     |
Ludwig, Dauphin, †1765.
     ______|___________________________________
    |                  |                       |
Ludwig XVI.,        Ludwig XVIII.,        Karl X.,
†1793.              †1824.                †1836.
    |                                        |
Ludwig (XVII.),                           Karl Ferdinand,
†1795.                                    Hz. v. Berry,
                                          †1820.
                                              |
                                          Heinrich V.,
                                          Graf v. Chambord,
                                          †1883.


 Heinrich IV., erster König aus dem Hause Bourbon, †1610.
                     |
         Ludwig XIII., †1643.
                ...__|______________________
                                           |
                 Philipp, Hz. v. Orléans, †1701.
                 Gem. Elisabeth Charlotte v. d. Pfalz, †1721.
                                           |
                         Philipp, Regent, †1723.
                                           |
                                     Ludwig, †1752.
                                           |
                                Ludwig Philipp, †1785.
                                           |
                            L. Philipp (Égalité), †1793.
                                           |
                                Ludwig Philipp,
                                K. d. Franzosen, †1850.
 _____________________________________________________________
|                   |           |        |         |          |
Ferdinand,      Ludwig,   Klementine,  Franz,     Heinrich, Anton,
Hz. v. Orléans, Hz. v.    Gem. August  Hz. v.     Hz. v.    Hz. v.
†1842.          Nemours,  v. Koburg,   Joinville, Aumale,   Montpensier.
  |            †1896.     †1907.       †1900.     †1897.    †1890.
  |              |______________                  |__            |
__|__________________         __|___________         |           |
Ludw. Philipp,     Robert,    Gaston,    Ferdinand, Peter,     Anton,
Graf v. Paris,     Hz. v.    Graf v. Eu. Hz. v.     Hz. v.     Infant v.
†1894.             Chartres.             Alençon.   Penthièvre Spanien.
  |                __|___________                                |
  |                Johann,       |                      _________|__________
  |                Hz. v. Guise. 1. Pedro,  Emanuel,  Alfons. Louis Ferdinand.
  |                              2. Ludwig, Hz. v.
__|__________________________    3. Anton.  Vendôme.
Ludw. Philipp,  Ferdinand,    3 Kinder.
Hz. v. Orléans. Hz. v. Montpensier.         Karl Philipp.
25. Aug.

Aufstand in Brüssel, bald auch im ganzen Lande. Prinz Friedrich, der zweite Sohn König Wilhelms I., wird gezwungen, mit den holländischen Truppen Brüssel zu verlassen; General Chassé behauptet die Citadelle von Antwerpen, indem er die Stadt beschießen läßt. 18. Nov. Unabhängigkeitserklärung des belgischen Nationalkongresses. Provisorische Regierung.

Die Londoner Konferenz der Großmächte (Lord Palmerston englischer Minister) bewirkt Einstellung der Feindseligkeiten und erkennt den neuen Staat an (Jan. 1831), der sich eine freisinnige monarchische Verfassung gibt. Nachdem Ludwig Philipp die auf seinen zweiten Sohn gefallene Königswahl abgelehnt hat, wird zum König der Belgier gewählt

1831–1865.

Leopold I. von Sachsen-Koburg (S. 352), der sich mit einer Tochter Ludwig Philipps vermählt. Fortgang des Kampfes mit Holland bis 1833. Einmarsch eines französischen Heeres. Belagerung und Einnahme der Citadelle von Antwerpen. Friede 1839.

In Deutschland wird 1830 Herzog Karl von Braunschweig vertrieben († 1873 in Genf); sein Bruder Wilhelm übernimmt nach einem Beschluß des Bundestages die Regierung. Unruhen in Sachsen und Kurhessen; in beiden Ländern wird 1831 eine neue Verfassung verkündet, in Hannover 1833.

1830–1831.

Polnischer Aufstand. Erhebung in Warschau (1830, 29. Nov.). Ein Mordversuch gegen den Großfürsten Konstantin, Bruder des Kaisers Nikolaus (S. 347), mißlingt. Provisorische Regierung mit Fürst Adam Czartoryski an der Spitze. Kaiser Nikolaus durch den Reichstag abgesetzt (1831, Jan.). Ein russisches Heer von 118000 Mann unter General Diebitsch dringt in Polen ein; blutige Gefechte bei Grochow (19.–25. Febr. 1831), wo die Polen der russischen Übermacht lange Widerstand leisten, sich aber doch zuletzt auf Praga zurückziehen müssen. Der Aufstand verbreitet sich über Litauen und Podolien. Diebitsch siegt in der Schlacht bei Ostrolenka (26. Mai), stirbt aber bald darauf an der Cholera. Uneinigkeit der Polen, Bluttat der demokratischen Partei in Warschau. Dadurch wird dem neuen russischen Oberfeldherrn Paskjewitsch das Vordringen erleichtert, er erobert Warschau (Sept. 1831). Bald wird der Aufstand im ganzen Lande unterdrückt. Polen verliert die von Kaiser Alexander I. 1815 verliehene Verfassung und wird fortan als russische Provinz mit Strenge regiert.[351]

1831.

Aufstände in Modĕna, Parma und der Romagna, mit österreichischer Hilfe unterdrückt.

1833–1840.

In Spanien Bürgerkrieg nach dem Tode Ferdinands VII. Durch Espartero siegt nach blutigem Kampfe die Verfassungspartei (Christinos) für die unmündige Königin Isabella II. (1833–1868) und deren Mutter Marie Christine (von Neapel) über die »Karlisten«, d. h. die Anhänger des Prinzen Don Carlos (Bruder Ferdinands VII.), welcher 1839 zur Flucht nach Frankreich genötigt wird († 1855 in Triest). Verkündigung einer Verfassung.

1837.

Espartero Regent (1841–1843), dann sein persönlicher Feind Narvaez; dieser ruft die von Espartero vertriebene Königin Marie Christine zurück und verstärkt durch die abgeänderte Verfassung (1845) die königliche Gewalt.

1833.

Aufstandsversuch in Frankfurt a. M. gegen den deutschen Bundestag. Hierdurch und durch das im Jahre vorher von der demokratischen Partei in Rheinbayern veranstaltete Hambacher Fest werden wiederum (S. 345) die Einsetzung politischer Untersuchungskommissionen, Verhaftungen und Verurteilungen herbeigeführt.

1833.

Gründung des deutschen Zollvereins, angeregt durch das preußische Zollgesetz von 1818, welches alle Zollgrenzen im Innern des Landes aufhob und alle Zollstellen an die Grenzen verlegte. Besondere Vereine der kleineren Staaten, namentlich der 1828 gegründete mitteldeutsche Handelsverein haben keinen Bestand. Nach und nach werden Verträge mit Preußen abgeschlossen.

Österreich, wo 1835–1848 Kaiser Ferdinand I. regiert, bleibt ausgeschlossen. Hannover, Braunschweig, Oldenburg, Mecklenburg-Strelitz und Schaumburg-Lippe bilden 1834 den Steuerverein und treten dem deutschen Zollverein erst 1851 bei. Der Zollanschluß der Hansestädte Bremen und Hamburg erfolgt erst 1888.

1837.

Nach dem Tode Wilhelms IV., Königs von England (1830–1837), folgt in Hannover nach dem salischen Gesetze (s. S. 207) sein Bruder Ernst August (1837–1851), welcher die 1833 für Hannover verkündigte Verfassung aufhebt, weil sie ohne seine, des damaligen Thronerben, Zustimmung zustande gekommen sei. Absetzung der 7 dagegen protestierenden Göttinger Professoren (Jakobund Wilhelm Grimm, Dahlmann, Gervinus, Ewald, Albrecht und Weber). Abgeänderte Verfassung 1840.

1837 u. 1838.

Streit der preußischen Regierung mit den Erzbischöfen von Köln und Gnesen-Posen, besonders wegen der konfessionellen Erziehung der Kinder aus gemischten Ehen.[352]

  Georg III.,
  K. v. England u. Hannover,
  †1820.
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|                      |                 |              |
Georg IV.,        Wilhelm IV.,        Eduard,       Ernst August,
K. v. E. u. H.,   K. v. E. u. H.,     Hz. v. Kent,  K. v. Hannover,
†1830.            †1837.              †1820.        †1851.
  |                                    |                |
  |                          Viktoria,              Georg V.,
  |                          K. v. England,         K. v.
  |                          †1901,                 Hannover,
Charlotte,                   Gem. Albert            †1878.
†1817,                       v. Koburg,                |
Gem. Leopold I.              †1861.                 Ernst August,
v. Koburg,                                          Hz. v.
†1865.                                              Cumberland.
                                                  _____|______
                                        Georg Wilhelm.     Ernst August.

                                              Albert,
                                              †1861,
                                              Gem.
                                              Viktoria
                                              v. Engl.,
                                              †1901.
 _______________________________________________|___________________
|
Viktoria,    Eduard VII.,        Alfred,         Arthur,     Leopold
†1901,       †1910.              Hz. v.          Hz. v.      Hz. v. Albany,
Gem.         K. v. England,      Koburg,         Connaught.  †1884.
Friedr. III. Gem. Alexandra      †1900.                         |
v. Preußen.  v. Dänemark.                                    Karl Eduard,
                |                                            Hz. v. Koburg.
          Georg V.,                                             |
          Gem. Mary v. Teck.                                 Johann Leopold.
 _______________|___________________________________
Eduard, Prinz v. Wales; Albert, Heinrich, Georg, Johann.


      Franz,
      Hz. v. Koburg,
      †1806.
 _______|___________________________________________________
|                               |                           |
Ernst I.                   Ferdinand                   Leopold I.,
Hz. v. Koburg,             Gem. Fürstin v. Kohary,     K. d. Belgier,
†1844.                     †1851.                           †1865.
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|                  |        |          |             |       |                     |
Ernst II.,        Albert,   Ferdinand II.,        August,    Leopold II.,        Philipp,
                  †1861,    †1885, G.             Gem.       K. d. Belgier,      G. v.
                  Gem.      Maria da              Klementine †1909.              Flandern,
                  Viktoria  Gloria, K.            v.                             †1905.
                  v. Engl., v. Portugal,          Orléans,
                  †1901.    †1853.                †1907.
       ________________________|__                  |
     |                            |          _______|________
   Pedro V.,        Ludwig I.,              |                |
   K. v.            K. v.                  Philipp,  Ferdinand,
   Portugal,        Portugal,              Prinz v.  1887 Fürst,
   †1861.           †1889.                 Koburg.   1908 K. v.
                       |                              Bulgarien.
                   Karl I.,                           |
                   K. v. Portugal                    1. Boris,
                   †1908.                            Prinz v.
                      |                              Tirnowa.
                      |                              2. Kyrill.
               Manuel II.,
               K. v. Portugal,
               vertrieben 1910.                Albert I.,
                                               K. d. Belgier.
                                          _________|________
                                         |                  |
                                       Leopold.           Karl.

[353]

1840–1861.

Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen, bei seinem Regierungsantritt mit großen Erwartungen begrüßt. Amnestie für politische Vergehen, Freilassung der verhafteten Erzbischöfe von Köln und Gnesen-Posen. 1847 Berufung des ersten vereinigten Landtags nach Berlin (s. Anhang).

1837–1901.

Viktoria, Königin von England, Nichte Wilhelms IV., 1840 vermählt mit Albert von Sachsen-Koburg (prince-consort, † 1861). Vgl. die Stammtafel S. 352. In Irland vergebliche Bestrebungen für den Widerruf (repeal) der seit 1801 bestehenden parlamentarischen Vereinigung mit England (O’Connell, † 1847). In England Bewegung für den Freihandel (Richard Cobden in Manchester); die Abschaffung der beschränkenden Korngesetze wird 1846 erreicht.

Krieg gegen Afghanistan 1839–1842; durch zwei Kriege gegen die Sikhs (1845–1849) wird das Pendschab-Gebiet unterworfen. Krieg gegen China 1810 wegen Verbots der Opiumeinfuhr aus Indien (Opiumkrieg); 1842 werden fünf chinesische Häfen den Europäern geöffnet, der Opiumhandel gestattet, die Insel Hongkong an England abgetreten. In Hinterindien erwirbt England durch Kriege gegen das Reich Birma 1826 die Küste von Arakan und die Landschaft Assam, 1853 das Mündungsgebiet des Irawadi (Pegu), 1886 ganz Birma (s. § 13).

In Frankreich versucht während der Regierung Ludwig Philipps der Neffe Napoleons I., Louis Napoleon,[57] 1836 in Straßburg und 1840 in Boulogne einen Aufstand. Er wird das erstemal auf einem französischen Kriegsschiff nach Amerika geschickt, das zweitemal zu lebenslänglicher Haft verurteilt, entkommt aber 1846 aus der Festung Ham.

1840.

Beginn der Befestigung von Paris unter dem Ministerium Thiers aus Anlaß einer Kriegsgefahr, welche dadurch entstanden war, daß Frankreich sich des aufständischen Mehemed Ali von Ägypten (s. S. 347) gegen den Sultan annahm. Frankreichs Kriegsdrohung gegen Deutschland erregt das Nationalgefühl gewaltig. Nik. Beckers Rheinlied, Schneckenburgers »Wacht am Rhein«. Bündnis der 4 anderen Großmächte; Frankreich gibt nach, an Stelle von Thiers tritt Guizot (Okt. 1840). Mehemed Ali, dessen Sohn Ibrahim die Türken 1839 bei Nisib in Syrien besiegt hatte, muß auf Verlangen Englands (Lord Palmerston) Syrien räumen und behält nur die erbliche Herrschaft über Ägypten unter Oberhoheit der Pforte.[354]

1840. 15. Dez.

Die Überreste Napoleons I., durch den Prinzen von Joinville, dritten Sohn Ludwig Philipps, von St. Helena nach Paris gebracht, werden dort im Dom der Invaliden feierlich beigesetzt.

Langwierige Kriege in Algier (S. 348) zur Eroberung des inneren Landes (Marschall Bugeaud, General aus Napoleons Schule). Abd-el-Kader, Anführer der Araber und Kabylen, wird 1847 gefangen, 1852 nach Kleinasien entlassen.

1846.

Der Freistaat Krakau wird wegen erneuter polnischer Aufstandsversuche durch Beschluß der Schutzmächte (S. 341) dem Kaiserreich Österreich einverleibt.

1847.

Sonderbundskrieg in der Schweiz. Sieben katholische Kantone sagen sich von der Eidgenossenschaft los, werden aber von den Bundestruppen unter General Dufour besiegt. Darauf (1848) Umgestaltung des Staatenbundes (S. 341) souveräner Kantone zu einem Bundesstaat (Föderativrepublik von 25 Staaten, vgl. S. 302). An die Stelle der bisherigen Tagsatzung, in der abwechselnd Zürich, Bern und Luzern Vorort gewesen war, tritt die Bundesversammlung in Bern, bestehend aus 1. Ständerat (44 Vertreter der einzelnen Kantone), 2. Nationalrat (Vertreter der ganzen Schweizer Bevölkerung, nach Maßgabe der Volkszahl gewählt). Die vollziehende Gewalt übt der von der Bundesversammlung gewählte Bundesrat (7 Mitglieder, auf 3 Jahre gewählt). Bundesgericht, einheitliches Militär-, Post-und Münzwesen (s. § 14).

§ 4. Die Revolutionszeit 1848–1852.

In Frankreich führt die Unzufriedenheit mit der Politik des Ministeriums Guizot und den noch bestehenden Beschränkungen des Wahlrechts zur

1848. 22.–24. Febr.

Pariser Februarrevolution. Straßenkampf gegen die Truppen; Barrikaden erbaut. Die Nationalgarde bleibt untätig, die Truppen geben den Kampf bald auf. Ludwig Philipp flieht nach England († 1850). Seine Thronentsagung zu Gunsten seines Enkels, des Grafen von Paris (S. 349), wird nicht beachtet, sondern die Republik proklamiert. Die Deputiertenkammer wählt eine provisorische Regierung. Lamartine als Mitglied derselben hindert Verwüstung und Plünderung. Eine Nationalversammlung wird nach Paris berufen, um die Verfassung der Republik festzustellen. Die Forderungen der Sozialisten (Louis Blanc) führen zur Einrichtung von Nationalwerkstätten in Paris, in denen jedem französischen Bürger vom Staate Arbeit und Lohn geboten werden soll. Diese erweisen sich jedoch bald als kostspielig und zwecklos.[355]

1848. 23.–26. Juni.

Blutiger Straßenkampf in Paris nach Schließung der Nationalwerkstätten. General Cavaignac erhält durch Beschluß der Nationalversammlung diktatorische Gewalt und wirft den Aufstand der Arbeiter nieder (gegen 10000 getötet, viele deportiert).

10. Dez.

Prinz Louis Napoleon (S. 353) wird infolge der Furcht aller Besitzenden vor dem Sozialismus und unter dem Einfluß der Geistlichkeit durch Volksabstimmung (Plebiscit) mit fast 6 Millionen Stimmen zum Präsidenten der französischen Republik erwählt. Seine Regierung findet Beifall, doch weigert sich die Nationalversammlung, die Verfassung abzuändern, welche die Wiederwahl desselben Präsidenten erst nach 4 Jahren gestattet.

1851. 2. Dez.

Staatsstreich Louis Napoleons. Er läßt die angesehensten Mitglieder der Nationalversammlung verhaften, erklärt diese für aufgelöst, fordert wiederum Volksabstimmung, läßt Aufstandsversuche in Paris am 3. und 4. Dez. blutig niederwerfen. Er wird mit mehr als 7 Mill. Stimmen zum Präsidenten auf 10 Jahre erwählt. Am 14. Jan. 1852 verkündet er eine neue, der des ersten Kaiserreiches ähnliche Verfassung (Senat, gesetzgebender Körper, s. S. 318). Feierliche Friedensversicherungen gegenüber den europäischen Staaten, besonders durch eine Rede in Bordeaux (»L’Empire c’est la paix«). Auf Grund eines Senatsbeschlusses und einer dritten Volksabstimmung besteigt er als

1852. 2. Dez.

Napoleon III., Kaiser der Franzosen (1852–1870) den Thron und wird bald von allen Mächten anerkannt.

1848. Frühjahr.

Revolutionäre Bewegungen in Deutschland und Österreich. Eine badische Volksversammlung bei Mannheim (27. Febr.) fordert Preßfreiheit, Schwurgerichte, Vereinsrecht, Volksbewaffnung, deutsches Parlament. Ähnliche Versammlungen finden in Württemberg, Hessen-Darmstadt, Nassau u. a. Staaten statt. Die Regierungen zeigen sich nachgiebig; der Bundestag in Frankfurt hebt die Zensur für Druckschriften auf.

13.–15. März.

Aufstand in Wien. Metternich, seit 1809 leitender Minister Österreichs, wird vertrieben. Bürgerwehr und Studenten herrschen in der Stadt.

18. März.

Straßenkampf in Berlin, obwohl der König Friedrich Wilhelm IV. schon aus freien Stücken eine Verfassung und Preßfreiheit versprochen hatte. Die unbesiegten, aber ermatteten Truppen verlassen auf Befehl des Königs am 19. ihre Stellungen und marschieren aus der Stadt. Bildung einer Bürgerwehr. Berufung einer preußischen Nationalversammlung nach Berlin. Prinz Wilhelm geht auf Befehl seines Bruders nach England.[356]

1848. 20. März.

Infolge wiederholter Unruhen in München dankt König Ludwig I. († 1868) zu Gunsten seines Sohnes Maximilian II. (1848–1864) ab.

15. Mai.

Zweiter Aufstand in Wien, welcher die Einberufung eines österreichischen Reichstags erzwingt. Kaiser Ferdinand I. verläßt Wien und geht nach Innsbruck.

Juni.

Slavenkongreß in Prag, von den Tschechen (Palacki) ausgeschrieben, um die Bestrebungen der slavischen Völker Österreichs gegen das Deutschtum zu vereinigen. Im Anschluß daran tschechische Erhebung in Prag, besiegt durch Fürst Windischgrätz.

31. Okt.

Einnahme des aufständischen Wien durch kaiserliche Truppen (Windischgrätz, Jellachich Ban von Kroatien). Robert Blum, Mitglied des Frankfurter Parlaments, und viele andere werden erschossen. Der Reichstag wird nach Kremsier verlegt. Fürst Felix Schwarzenberg übernimmt das Ministerium.

9. Nov.

Die preußische Nationalversammlung in Berlin wird auf Befehl des Königs (Ministerium Brandenburg-Manteuffel) vertagt und zum 27. Nov. nach Brandenburg berufen.

10. Nov.

General Wrangel rückt, ohne Widerstand zu finden, in Berlin ein. Erklärung des Belagerungszustandes, Entwaffnung der Bürgerwehr. — Da die Nationalversammlung in Brandenburg nicht in beschlußfähiger Zahl zusammenkommt, befiehlt der König

5. Dez.

Auflösung der Nationalversammlung und Verkündigung einer preußischen Verfassung, welche nach Beratung durch die neu zu wählenden Kammern in Gültigkeit treten soll.

1848–1849.

Aufstand in Oberitalien gegen Österreich.

Beginn der Erhebung in Mailand (18. März 1848) die österreichischen Truppen ziehen sich nach der Festung Verona zurück. König Karl Albert von Sardinien (1831–1849), welcher Italien befreien will, wird bei Custozza (25. Juli) von dem Feldmarschall Radetzki vollständig geschlagen. Mailand von den Österreichern wieder eingenommen.

Waffenstillstand bis 20. März 1849, darauf erzwingt Radetzki durch die Siege bei Mortara (21. März) und Novara (23. März) den Frieden. Karl Albert dankt zu Gunsten seines Sohnes Viktor Emanuel (1849–1878) ab. Einnahme von Brescia nach furchtbarem Straßenkampf; Grausamkeit des Generals Haynau gegen die Gefangenen.

In Venedig nach Abzug der österreichischen Besatzung (1848, März) erst provisorische Regierung im Namen des Königs von Sardinien, dann nach der Niederlage des italienischen[357] Heeres Republik (Präsident Manin). Belagerung und Einnahme Venedigs durch die Österreicher (August 1849). Das ganze lombardo-venetianische Königreich ist der Herrschaft Österreichs wieder unterworfen.

1848–1849.

Aufstand der Ungarn gegen Österreich. Die Ungarn (Magyaren) verlangen und erhalten ein eigenes Ministerium (1848, April). Graf Batthyany Ministerpräsident, Kossuth (spr. Kóschūt) Finanzminister. Reichstag in Pest unter Vorsitz des Erzherzogs Stephan als Palatin. Der Widerstand der slavischen Bevölkerung und der Nebenländer der Krone Ungarn (Kroatien, Siebenbürgen) gegen die magyarischen Ansprüche, ihre Forderung politischer Gleichberechtigung werden vom Wiener Hofe unterstützt. Jellachich, zum Ban von Kroatien ernannt, fällt mit Heeresmacht in Ungarn ein; Erzherzog Stephan legt sein Amt nieder. Graf Lamberg, kaiserlicher Statthalter von Ungarn, wird in Pest ermordet (Sept.); der Kaiser verfügt die Auflösung des Reichstages.

Nach Abdankung Ferdinands I. (2. Dez. 1848) besteigt den Thron sein Neffe (S. 282)

Seit 1848.

Franz Joseph I., Kaiser von Österreich. Der ungarische Reichstag erkennt den Thronwechsel nicht an. Fürst Windischgrätz rückt mit einem österreichischen Heere in Ungarn ein. Kossuth zieht sich mit den magyarischen Behörden nach Debreczin zurück, Windischgrätz besetzt Pest (1849, Jan.), besiegt ein ungarisches, von dem polnischen General Dembinski geführtes Heer bei Kapolna (Febr.). In Siebenbürgen ist der polnische General Bern, welchem Kossuth ein Kommando übergeben hatte, siegreich gegen österreichische Truppen und die von diesen zu Hilfe gerufenen Russen. Der ungarische General Görgey überschreitet mit 50000 Mann die Theiß, entsetzt die belagerte Festung Komorn. Windischgrätz von der Regierung in Wien abberufen, Pest geräumt; in Ofen bleibt eine österreichische Besatzung. Infolge der Verkündigung einer

1849. 4. März.

Gesamtverfassung für Österreich, welche die alte ungarische Verfassung aufhebt, spricht auf Kossuths Antrag der Reichstag die Absetzung des Hauses Habsburg-Lothringen aus. Kossuth wird als »Gouverneur« zum Haupt der magyarischen Regierung ernannt. Görgey erstürmt Ofen (21. Mai); Kossuth und der Reichstag halten einen pomphaften Einzug in Pest. Unterdes wird bei einer Zusammenkunft der Kaiser von Österreich und Rußland in Warschau die russische Intervention verabredet und ein gemeinsamer Kriegsplan für die Unterwerfung Ungarns festgestellt.

Ein russisches Heer von 80000 Mann unter Paskjewitsch überschreitet die Karpathen (Juni), ein zweites rückt von der Walachei aus vor, von Westen her die Österreicher unter[358] Haynau. Die magyarische Regierung zieht sich nach Szegedin zurück. Kossuth legt bald darauf die Regierungsgewalt nieder, die Diktatur wird Görgey übertragen. Dieser entschließt

1849. 13. Aug.

sich zur Kapitulation von Vilagos und streckt mit 25000 Mann vor dem russischen General Rüdiger die Waffen. Die meisten andern ungarischen Führer ergeben sich auf Gnade und Ungnade; nur Klapka, der Komorn verteidigt, erhält eine ehrenvolle Kapitulation. Kossuth, Bem, Dembinski retten sich auf türkisches Gebiet. Haynau verhängt über die gefangenen Häupter des Aufstandes ein furchtbares Strafgericht. Graf Batthyany nebst vielen anderen hingerichtet, ihre Güter eingezogen. Aufhebung der ungarischen Verfassung, Siebenbürgen und Kroatien werden von Ungarn getrennt.

Die Gesamtverfassung für Österreich, welche nie wirklich ins Leben getreten war, wird am 31. Dez. 1851 für aufgehoben erklärt.

1848–1850.

Versuche, Deutschland zu einigen.

1848. 31. März.

Mit Zustimmung des Bundestages tritt in Frankfurt am Main ein aus Mitgliedern deutscher Ständeversammlungen gebildetes Vorparlament zusammen und beschließt die Berufung einer deutschen Nationalversammlung zur Feststellung der deutschen Reichsverfassung.

April.

Eine republikanische Erhebung in Baden (Hecker, Struve, Herwegh) wird durch deutsche Bundestruppen schnell unterdrückt.

18. Mai.

Deutsche Nationalversammlung (Parlament) in Frankfurt am Main (Paulskirche). Auf des Präsidenten Heinrich von Gagern Vorschlag wird Erzherzog Johann von Österreich zum Reichsverweser erwählt; der Bundestag löst sich auf. Erzherzog Johann ernennt ein Reichsministerium; doch zeigt sich bald, daß die neu geschaffene Zentralgewalt weder den Einzelstaaten noch dem Auslande gegenüber wirkliche Macht hat.

18. Sept.

Volksaufstand in Frankfurt, veranlaßt durch die Annahme des Waffenstillstandes mit Dänemark (s. S. 362). Zwei Mitglieder der Nationalversammlung, Fürst Lichnowski und General v. Auerswald, von Volkshaufen ermordet.

1849. März.

Vollendung der deutschen Reichsverfassung nach lebhaften Parteikämpfen in der Nationalversammlung (»Großdeutsche«, welche Österreich an der Spitze Deutschlands erhalten wollen, und »Kleindeutsche«, welche Ausschluß Österreichs und engeren Bund unter Preußens [359]Führung anstreben). An der Spitze des Reichs soll ein erblicher Kaiser stehen, neben ihm ein Reichstag, bestehend aus Staatenhaus (zur Hälfte von den Regierungen, zur Hälfte von den Volksvertretungen der Einzelstaaten zu ernennen) und Volkshaus (aus allgemeinen und direkten Wahlen hervorgehend). Kaiserwahl am 28. März.

1849. 3. April.

König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen erklärt die ihm angetragene Würde eines Kaisers der Deutschen nur mit Zustimmung aller deutschen Regierungen annehmen zu können. Endgültige Ablehnung am 28. April, nachdem inzwischen 28 kleinere Staaten zugestimmt haben.

Mai.

Aufstand in Dresden, um die Einführung der Reichsverfassung zu erzwingen, mit preußischer Hilfe niedergeworfen.

In Baden und der bayrischen Pfalz republikanischer Aufstand unter Beteiligung des Heeres. Preußische und deutsche Bundestruppen rücken ein unter dem Oberbefehl des Prinzen Wilhelm von Preußen. Die Aufständischen in mehreren Treffen besiegt, die Festung Rastatt (22. Juli) zur Übergabe gezwungen. Abberufung und Austritt einer großen Zahl Abgeordneter aus der Frankfurter Nationalversammlung. Das »Rumpfparlament«, welches seinen Sitz in Stuttgart nimmt, wird (18. Juni) von der württembergischen Regierung aufgelöst.

Dez.

Erzherzog Johann legt die Würde des Reichsverwesers nieder.

Die Fürsten von Hohenzollern (Hechingen und Sigmaringen) legen die Regierung nieder; ihre Gebiete werden mit Preußen vereinigt.

1850. 6. Febr.

In Preußen wird die revidierte Verfassung von dem Könige und den Kammern feierlich beschworen. Die gesetzgebende Gewalt wird fortan »gemeinschaftlich durch den König und die beiden Häuser des Landtags ausgeübt«. Der König ist unverantwortlich und wird von verantwortlichen Ministern beraten. Jeder Regierungsakt des Königs muß von einem Minister gegengezeichnet sein. An Stelle der »ersten Kammer« tritt 1854 das Herrenhaus, bestehend aus Mitgliedern, welche der König erblich oder auf Lebenszeit ernennt. Das Abgeordnetenhaus geht aus öffentlichen, indirekten Dreiklassenwahlen (Wahlmänner) hervor. Jetzt 433 Mitglieder. Die Legislaturperioden früher dreijährig, seit 1888 fünfjährig. Die Abgeordneten erhalten Tagegelder und Reisekosten.

Preußens Versuch, eine deutsche Union mit Ausschluß Österreichs zu schaffen (General v. Radowitz), gestützt auf den am 26. Mai 1849 mit Sachsen und Hannover geschlossenen [360]Dreikönigsbund, gefördert durch eine Versammlung von Mitgliedern
der früheren erbkaiserlichen Partei des Frankfurter
Parlaments zu Gotha (Juni 1849) und durch den Beitritt der meisten kleineren Staaten, führt zu dem

1850. 20. März.

Erfurter Parlament, welches die Beratung über die Verfassung der deutschen Union schnell zu Ende führt. Darauf

Mai.

Fürstenkongreß zu Berlin, aber keine Einigung, zumal da Sachsen und Hannover sich schon vorher von dem Dreikönigsbund losgesagt und auf Österreichs Betreiben mit Bayern und Württemberg den »Vierkönigsbund« geschlossen haben.

Den preußischen Unionsbestrebungen tritt Österreich nach der Niederwerfung des ungarischen Aufstandes (S. 357f.) entschlossener entgegen durch Berufung einer Konferenz der ihm anhängenden Staaten nach Frankfurt (10. Mai) und Einladung zur

1. Sept.

Wiedereröffnung des Frankfurter Bundestages.

Verfassungskampf im Kurfürstentum Hessen; Kurfürst Friedrich Wilhelm sucht durch seinen Minister Hassenpflug die Verfassung von 1831 zu beseitigen. Wiederholte Auflösung der Ständeversammlung; Kriegszustand über das Land verhängt (7. Sept.). Widerstand der Behörden und Gerichte. Der Kurfürst verläßt das Land und erhält die Hilfe des von Österreich wiederhergestellten, von Preußen und seinen Bundesgenossen nicht beschickten Bundestages zugesagt.

Bruch zwischen Österreich und Preußen, das die Intervention des Bundestages in Hessen nicht dulden will. Kaiser Franz Joseph hat in Bregenz eine Zusammenkunft mit den Königen von Bayern und Württemberg, darauf in Warschau (28. Okt.) mit Kaiser Nikolaus von Rußland, der den preußischen Gesandten Graf Brandenburg zum Nachgeben ermahnt. Bundesexekution gegen Hessen durch bayrische und österreichische Truppen wird in Frankfurt beschlossen. Auch preußische Truppen rücken in Hessen ein, ziehen sich aber nach einem Zusammenstoß der Vorposten bei Bronnzell (8. Nov.) zurück. Friedrich Wilhelm IV. entläßt den Minister v. Radowitz und gibt die Unionsbestrebungen auf.

29. Nov.

Vertrag zu Olmütz (Manteuffel und Schwarzenberg). Preußen fügt sich allen Forderungen Österreichs. Schleswig-Holstein wird den Dänen überlassen, in Hessen die unumschränkte Herrschaft des Kurfürsten wiederhergestellt. Preußen verzichtet auf seine Pläne hinsichtlich der Neugestaltung Deutschlands; für die deutsche Verfassung werden Konferenzen in Dresden anberaumt, welche die

1851.

[361]Wiederherstellung des deutschen Bundes beschließen. Österreich hat in den deutschen Verhältnissen ebenso wie in seinen inneren Kämpfen gegen die nationalen Aufstände gesiegt. Doch hält Preußen den Zollverein (S. 351) aufrecht, welchem nun auch Hannover und Oldenburg beitreten, und begründet allmählich eine preußische Kriegsflotte, indem es mehrere von den 1852 im Auftrage des Bundestages versteigerten Schiffen übernimmt, welche die deutsche Nationalversammlung 1849 als deutsche Flotte gegen Dänemark zusammengebracht hatte (S. 361). Ein Gebiet an der Jahdemündung wird 1853 durch Vertrag mit Oldenburg erworben zur Anlage des Kriegshafens Wilhelmshaven, an der Nordsee.

1848–1850.

Schleswig-Holsteins Erhebung gegen Dänemark.

Veranlassung: »Offener Brief« des Königs Christian VIII. (1839–1848) vom 8. Juli 1846, welcher den Fortbestand der Union der Herzogtümer mit Dänemark trotz des in den beiden Staaten verschiedenen Erbfolgerechts (s. S. 268) verfügt. Ein Aufstand in Kopenhagen (30. März 1848) zwingt seinen Nachfolger Friedrich VII., die Einverleibung Schleswigs in Dänemark auszusprechen. Nach der bis dahin nie bezweifelten Thronfolge mußten die Herzogtümer nach dem Aussterben des Königlichen Mannesstammes an den Herzog Christian von Sonderburg-Augustenburg fallen. Daher Aufstand in den Herzogtümern und Bildung einer provisorischen Landesregierung.

1848. April.

Preußische und andere deutsche Bundestruppen kommen den Schleswig-Holsteinern, welche sich eine Armee neu bilden müssen, zu Hilfe. General v. Wrangel vertreibt die Dänen aus dem Danewerk bei Schleswig (23. April) und dringt bis nach Jütland vor. Aber die Verluste des Ostseehandels durch die dänische Blockade und englisch-russischer Einfluß bewirken den Abschluß eines Waffenstillstandes zu Malmö. Eine »gemeinschaftliche Regierung« wird für die Herzogtümer eingesetzt. Unzufriedenheit mit diesem Waffenstillstand in ganz Deutschland; die Nationalversammlung zu Frankfurt genehmigt ihn nach heftigen Verhandlungen.

1849. März.

Einsetzung einer Statthalterschaft für Schleswig-Holstein durch die deutsche Zentralgewalt.

Bei Eckernförde wird das Linienschiff Christian VIII. in Brand geschossen und die Fregatte Gefion genommen (5. April). Erstürmung der Düppeler Höhen durch bayrische und sächsische Truppen (13. April). Das schleswig-holsteinische Heer, geführt von dem preußischen General v. Bonin, besiegt die Dänen bei Kolding (23. April). Doch wiederum wird die Weiterführung des Krieges durch die Drohungen Englands und Rußlands gelähmt. Die neu gegründete deutsche Flotte liefert den Dänen ein Seetreffen bei Helgoland (5. Juni), ist aber dann genötigt, [362]untätig in der Wesermündung zu bleiben. Das schleswig-holsteinische Heer belagert die Festung Fridericia, erleidet aber durch einen glücklichen Ausfall der Dänen bedeutende Verluste.

1849. Juli.

Waffenstillstand zwischen Preußen und Dänemark; Schleswig soll im Norden von schwedischen, im Süden von preußischen Truppen besetzt und von einer dänisch-preußischen Kommission verwaltet werden. Die schleswig-holsteinische Armee geht über die Eider zurück; Holstein bleibt noch unter der Statthalterschaft. Nach Abschluß des Friedens zwischen Preußen und Dänemark (Juli 1850) werden alle preußischen Offiziere aus der schleswig-holsteinischen Armee abberufen.

1850.

Die von Deutschland verlassenen Schleswig-Holsteiner kämpfen allein weiter. Der ehemalige preußische General v. Willisen übernimmt den Oberbefehl über ihr Heer. Er wird bei Idstedt (24. und 25. Juli) geschlagen, Schleswig von den Dänen besetzt. In dem Gefecht bei Missunde (12. Sept.) werden die Schleswig-Holsteiner ebenfalls besiegt, auch beim Sturm auf Friedrichstadt (4. Okt.) mit Verlust zurückgeschlagen.

Der inzwischen wiederhergestellte deutsche Bund erzwingt unter dem Einfluß Österreichs die Einstellung der Feindseligkeiten. Holstein wird mit preußischer Zustimmung von österreichischen Truppen besetzt (Jan. 1851) und den Dänen gegen das Versprechen »die Rechte der Herzogtümer zu wahren« überlassen (Febr. 1852).

1852. 8. Mai.

Londoner Vertrag (Protokoll), unterzeichnet von den fünf Großmächten, Schweden und Dänemark. Um den Bestand des dänischen Gesamtstaates zu wahren, wird eine neue Thronfolgeordnung für das Königreich Dänemark und die Herzogtümer festgestellt. Prinz Christian von Sonderburg-Glücksburg, Gemahl der Prinzessin Luise von Hessen-Kassel, einer Schwestertochter Christians VIII. von Dänemark, wird zum Erben des kinderlosen Königs Friedrich VII. für die gesamte Monarchie bestimmt. Der Herzog Christian von Augustenburg verspricht, der neuen Erbfolgeordnung in Dänemark nicht entgegentreten zu wollen, überträgt 1863 seine Erbansprüche auf seinen Sohn Friedrich (Vater der Kaiserin Auguste Viktoria).

Die deutsche Nationalität in den Herzogtümern wird von den Dänen fortan schwer bedrückt.

Einwirkung der Revolution von 1848 auf die übrigen europäischen Staaten.

König Karl Albert von Sardinien verleiht seinem Staat im Februar 1848 eine Verfassung, ebenso der Großherzog Leopold II. von Toskana und Papst Pius IX. (1846–1878) dem Kirchenstaat.[363] Sicilien erklärt seinen Abfall vom Königreich Neapel, obgleich König Ferdinand II. daselbst schon im Januar 1848 eine Verfassung verkündigt hat. Nach dem Siege der Schweizertruppen im Straßenkampf zu Neapel (Mai) wird Sicilien mit großer Härte unterworfen (5tägige Beschießung der Stadt Messina im Sept.), darauf die Verfassung des Königreichs wieder aufgehoben. — Papst Pius IX., in dem manche vorübergehend den Schöpfer der Einheit Italiens gesehen hatten, flieht im Nov. 1848, als in Rom sein Minister Rossi ermordet worden war, nach Gaëta. Römische Republik errichtet (Mazzini), welcher sich auch Toskana nach Vertreibung des Großherzogs anschließt. Aber österreichische Truppen besetzen Toskana und die zum Kirchenstaat gehörige Romagna, französische Truppen stellen in Rom die weltliche Herrschaft des Papstes wieder her. Französische Besatzung in Rom.

Spanien und Portugal werden von den Erschütterungen des Jahres 1848 wenig berührt. In Spanien neue Parteikämpfe nach dem Sturz des Ministers Narvaez (S. 351) 1851, der 1856 zurückkehrt und noch öfters die Leitung des Ministeriums übernimmt († 1868, sein Gegner O’Donnell). In Portugal Revision der Verfassung 1852; auf die Königin Maria (S. 346) folgt 1853 ihr Sohn Pedro V., für welchen bis 1855 sein Vater Ferdinand die Regierung führt (S. 352).

Das Königreich der Niederlande erhält im November 1848, Dänemark 1849 eine repräsentative Verfassung. In Schweden bleibt die ständische Verfassung (Adel, Geistlichkeit, Bürger, Bauern) vom Jahre 1809, in Norwegen die repräsentative von 1814. Zweikammersystem in Schweden 1866 eingeführt durch König Karl XV. (1859–1872), Enkel von Karl XIV. Johann (Bernadotte).

In England wird der Versuch der Chartisten, durch eine Massenpetition das allgemeine Wahlrecht einzuführen, durch die entschlossene Haltung der Londoner Bevölkerung (10. April 1848) vereitelt.

§ 5. Kunst und Wissenschaft im 19. Jahrhundert.

Neues Aufblühen der bildenden Künste durch Vereinigung der Künstler aus verschiedenen Nationen in Rom, besonders Carstens aus Schleswig (1792–1798 †), Thorwaldsen aus Kopenhagen (1797, † 1844), der Italiener Canova († 1822), die deutschen Maler Overbeck († 1869), Cornelius († 1867) und Schnorr von Carolsfeld († 1841).

Nachblüte der Malerei in Frankreich während des ersten Kaiserreichs: David († 1825), Horace Vernet, Delaroche, Prudhon, Gérard, Isabey, Mme. Lebrun; in Belgien Wappers, L. Gallait, Alma Tadema (lebt in England).[364]

Französische Maler nach dem ersten Kaisertum: Delacroix, Scheffer, Jugres; der Bildhauer Carpeaux. Maler der neuesten Zeit: Millet, Cabanel († 1889), Meissonier († 1891), Baudry († 1886). In der Schweiz: Calame († 1864).

Kunsttätigkeit in München unter König Ludwig I. (reg. 1825–1848): Cornelius, Kaulbach, v. Schwind, Schwanthaler, v. Klenze. Neuere Münchener Malerschule: Piloty, Makart († in Wien 1884), Piglhein, Defregger, Lenbach († 1904).

In Berlin unter Friedrich Wilhelm III: Schinkel, Gottfr. Schadow, Rauch; unter Friedrich Wilhelm IV.: Cornelius, Kaulbach, Stüler; unter Wilhelm I. und Wilhelm II. Ad. Menzel, Reinhold Begas, Anton v. Werner.

In Dresden: Gottfried Semper († 1879), Rietschel († 1861).

Malerakademie in Düsseldorf: W. Schadow, Bendemann, K. F. Lessing, Achenbach, Camphausen.

Die deutschen Stilisten: Böcklin († 1901), Thoma, Klinger.

Musik: Vollendung der klassischen deutschen Musik (S. 292) durch Beethoven († in Wien 1827). Ausbildung der Oper durch K. M. v. Weber († 1826), Spohr, Cherubini, Spontini, Rossini, Meyerbeer, Auber, Berlioz, Gounod, Bizet, Richard Wagner († 1883), Verdi († 1901). F. Mendelssohns Oratorium Paulus 1836, Elias 1846; Franz Schubert († 1828), Robert Schumann († 1856), Joh. Brahms († 1897).

Dichter des Befreiungskrieges: E. M. Arndt († 1860), Th. Körner († 1813), v. Schenkendorf. — Romantische Schule: A. W. Schlegel, L. Tieck, Heinr. v. Kleist, Ad. v. Chamisso. — Platen, Heine, Rückert, Uhland, Geibel, Scheffel, G. Freytag († 1895), Grillparzer, Hebbel, E. v. Wildenbruch († 1909).

Französische Literatur: Mme. de Staël († 1817), Chateaubriand, Courier, Lamartine, Béranger, Scribe, Victor Hugo, Delavigne, Musset, George Sand, A. Dumas, Augier. Englische Literatur: Byron (s. S. 347), Keats, Shelley, Wordsworth, Walter Scott († 1832), Thomas Moore, Tennyson, Swinburne, Bulwer, Dickens, Thackeray, Meredith, Stevenson, Kipling.

Norwegische Dichter: Ibsen († 1906), Björnson († 1910).

Russische Dichter: Alex. Puschkin († 1837), Turgenjew († 1883), Graf Leo Tolstoi († 1910). (Der Maler Wereschtschagin.)

Geschichtschreibung: In Deutschland Quellensammlung der Monumenta Germaniae, 1819 vom Freiherrn v. Stein begründet; Niebuhr († 1831), Schlosser, Dahlmann, Ranke († 1886), v. Sybel, v. Treitschke († 1896), Mommsen († 1903). In Frankreich: Barante, Guizot, Mignet, Aug. Thierry, Thiers, Tocqueville, Taine. In England: Grote, Buckle, Carlyle, Macaulay.

Altertumsforschung und Sprachwissenschaft: Franz Bopp, Wilh. v. Humboldt († 1835), Gottfr. Hermann, Aug. Böckh, E. Curtius, Th. Mommsen († 1903); H. Schliemann. — Deutsches Altertum: Jakob und Wilhelm Grimm, K. Müllenhoff.[365]

Preußisches Archäologisches Institut in Rom 1829 begründet, 1871 vom Deutschen Reiche übernommen. Deutsches Archäologisches Institut in Athen seit 1874 (vgl. S. 30).

Philosophie: Fichte († 1814 in Berlin), Schelling, Hegel († 1831 in Berlin), Herbart, Schopenhauer, J. S. Mill, Lotze, Wundt.

Protestantische Theologie: Schleiermacher († 1834 in Berlin), Neander, David Strauß (1835 Leben Jesu), Tholuck († 1877 in Halle), Beyschlag († 1901 in Halle), Harnack.

Naturforschung: Laplace († 1827), Ampère, Arago, Cuvier († 1832); Berzelius, Nobel († 1896); Wöhler, J. v. Liebig, Bunsen, Pasteur, Curie (Radium); Alex. v. Humboldt († 1859 in Berlin). Darwin († 1882), Wallace, Virchow, Robert Koch († 1910); Volta, Faraday, Mayer, Helmholtz, Röntgen, Edison.

Astronomie: Gauß, Bessel, Herschel, Leverrier, Schiaparelli.

Erdkunde: Karl Ritter († 1859 in Berlin); die Entdeckungsreisenden Livingstone († 1863), Burton, Baker, Stanley († 1904), Barth, Rohlfs, Schweinfurth, Nachtigal († 1885), Emin Pascha (Schnitzer), Wißmann († 1905). Die Nordpolfahrer Roß († 1856), Parry, Franklin: Nordenskjöld (Umsegelung Asiens), Nansen, Peary; die Südpolfahrer Borchgrevink und Shackleton; der Erforscher Zentralasiens Sven Hedin.

§ 6. Machtentfaltung des zweiten französischen Kaiserreiches.

Napoleon III., 1853 vermählt mit der spanischen Gräfin Eugenie von Montijo und Teba (1856 Geburt des Thronfolgers Louis, † 1879), beschließt, den Plänen Rußlands in der Türkei entgegenzutreten (s. S. 296). Kaiser Nikolaus I., stolz auf seine Erfolge in Ungarn (S. 357f.) und gegenüber Preußen (S. 360), sendet den Fürsten Menschikow nach Konstantinopel und fordert die Schutzherrschaft über alle griechischen Christen im türkischen Reiche; dagegen einigen sich Frankreich und England zur Unterstützung des Sultans.

1853. Juni

Eine französisch-englische Beobachtungsflotte wird am Eingang der Dardanellen, später im Bosporus aufgestellt.

Juli.

80000 Russen gehen über den Pruth und besetzen die Donaufürstentümer.

Sept.

Zusammenkunft des Kaisers Nikolaus mit dem Kaiser von Österreich in Olmütz, dann mit dem König von Preußen in Berlin, doch erreicht er nicht das gewünschte Bündnis, sondern nur Versicherung der Neutralität unter bestimmten Voraussetzungen.

Okt.

Die Pforte erklärt den Krieg an Rußland. Omer Pascha geht bei Widdin über die Donau und be[366]hauptet sich gegen die Russen bei Oltenitza (4. Nov.). Die russische Flotte überfällt und vernichtet ein türkisches Geschwader bei Sinōpe (30. Nov.). Auf die Weigerung des Kaisers, die Donaufürstentümer zu räumen, folgt, nachdem in England ein Whigministerium (Palmerston) ans Ruder gekommen ist, ein Bündnis der Westmächte (Frankreich und England) mit der Türkei (1854, März).

1854–1856.

Krieg der Westmächte gegen Rußland (Krimkrieg).

Der russische Feldherr Paskjewitsch überschreitet die Donau, belagert aber vergeblich Silistria. Frankreich und England schicken Truppen nach der Türkei, welche bei Gallipoli und Varna landen. Österreich, mit Preußen verbündet, verlangt, daß die Russen die Donaufürstentümer räumen; Kaiser Nikolaus befiehlt die Räumung aus »strategischen Gründen« (1854, Juli). Eine zweite französisch-englische Flotte erscheint in der Ostsee, vermag jedoch nichts gegen die Festung Kronstadt auszurichten und nimmt nur die kleine Festung Bomarsund, auf einer der Alands-Inseln.

1854. 14. Sept.

Landung der Franzosen und Engländer (zusammen 55000 Mann unter Marschall St. Arnaud und Lord Raglan) an der Küste der Halbinsel Krim; auch 6000 Türken nehmen an dem Feldzuge teil.

20. Sept.

Schlacht an der Alma, Sieg über die Russen.

1854–1855. Okt. Sept.

Belagerung von Sebastopol, welches die Russen unter Menschikow mit neuen Befestigungen (unter Totlebens Leitung) umgeben, während der Hafen durch Versenkung von Kriegsschiffen gesperrt wird. Nachdem Menschikow Verstärkung erhalten hat, greift er die Verbündeten von neuem an, wird aber nach blutigem Kampfe in der

1854. 5. Nov.

Schlacht bei Inkerman zurückgeschlagen. Langsamer Fortgang der Belagerungsarbeiten während des Winters. Österreich tritt trotz der früheren Dienste Rußlands in Ungarn und gegen Preußen (Dez. 1854) dem Bunde der Westmächte bei und stellt ansehnliche Streitkräfte an der russischen Grenze auf, ohne jedoch wirklich den Krieg zu beginnen. Seitdem Spannung zwischen Rußland und Österreich. Preußen verharrt (trotz Olmütz) in seiner neutralen Stellung, gewinnt damit ein Anrecht auf Rußlands Dank. König Viktor Emanuel II. von Sardinien schließt ein Bündnis mit den Westmächten und schickt 15000 Mann unter Lamarmora nach der Krim. Die Belagerungsarmee wird bis zu 174000 Mann verstärkt (28000 Türken).

1855, 2. März.

Tod Nikolaus’ I., Kaisers von Rußland. Sein Sohn

1855–1881.

Alexander II. läßt die Verteidigung Sebastopols durch Fürst Gortschakow weiterführen. Große [367]Verluste der Belagerer durch Krankheit, Entbehrungen und tägliche Kämpfe. Endlich nach dreitägiger starker Beschießung

1855. 8. Sept.

Erstürmung des Malakowturms durch die Franzosen (unter Pélissier), des Redan durch die Engländer, die aber von den Russen wieder hinausgeschlagen werden.

11. Sept.

Die Russen ziehen sich mittels einer Schiffbrücke in den nördlichen Teil der Festung zurück. Besetzung der Stadt Sebastopol durch die Verbündeten.

In Asien Einnahme der Festung Kars durch die

28. Nov.

Russen.

1856. 30. März.

Friede zu Paris: 1. Rußland tritt die Donaumündungen mit einem kleinen, am linken Ufer der untern Donau gelegenen Teil von Bessarabien ab. 2. Es entsagt der besonderen Schutzherrschaft über die Christen in der Türkei (deren Gleichstellung mit der mohammedanischen Bevölkerung von der Pforte zugesichert wird) und über die Donaufürstentümer (deren Verhältnis später geregelt werden soll). 3. Es gibt Kars zurück und verspricht, am Schwarzen Meere keine Waffenplätze anzulegen und dort nicht mehr Schiffe als die Pforte zu halten. 4. Die Westmächte geben Sebastopol nach Zerstörung der Hafenbauten und Befestigungen an Rußland zurück. — Die Moldau und Walachei werden 1859 vereinigt als Fürstentum Rumänien unter Oberhoheit des türkischen Sultans. Seit 1866 Fürst Karl von Hohenzollern (1881 König).

Das zweite französische Kaiserreich gelangt durch diesen Krieg zu hohem Ansehen in Europa. Zugleich Sorge Napoleons für die innere Verwaltung. Glänzende Bauten in Paris, 1855 Weltausstellung daselbst (nach dem Vorbilde der Weltausstellung in London 1851).

1856–1857.

Zerwürfnis zwischen dem Könige von Preußen und der Schweiz infolge einer Erhebung der königlich gesinnten Partei in Neuchâtel (Neuenburg) gegen die daselbst 1848 eingerichtete republikanische Verfassung (S. 274, 354). Unter französischer Vermittelung wird durch Freilassung der Gefangenen seitens der Schweiz und Verzichtleistung auf Neuchâtel durch den König von Preußen der Streit beigelegt.

1857. Okt.

Wegen schwerer Erkrankung König Friedrich Wilhelms IV. übernimmt sein Bruder Wilhelm, Prinz von Preußen, die Stellvertretung, ein Jahr darauf die Regentschaft.

Dänemark verzichtet auf Verlangen der am Ostseehandel beteiligten Staaten auf die fernere[368] Erhebung des Sundzolls (S. 250) gegen eine Entschädigung von 30 Mill. dän. Talern.

1857–1858.

Aufstand in Ostindien, erst nach furchtbarem Blutvergießen von den Engländern unterdrückt. Die einheimischen Truppen (Sepoys), geführt von dem Großmogul Mohammed Bahadur Schah, verteidigen sich hartnäckig in der alten Residenzstadt Delhi, belagern die Engländer in Lucknow. Delhi wird erstürmt, Lucknow entsetzt. Nach Herstellung der Ruhe wird die Ostindische Kompagnie (S. 300) aufgelöst und die Verwaltung der englischen Krone übertragen; seitdem steht ein Vizekönig an der Spitze des Landes. 1876 nimmt die Königin Viktoria den Titel »Kaiserin von Indien« an.

1857–1860.

Englisch-französischer Krieg gegen China.

Veranlassung: Verletzungen des englisch-chinesischen Handelsvertrages von 1842 seitens der Chinesen führen im Oktober 1856 zu Feindseligkeiten zwischen den Engländern und den chinesischen Behörden von Kanton. Die französische Regierung, welche ebenfalls eine Änderung ihrer Handelsverträge mit China wünscht, schließt sich den englischen Forderungen an.

1857.

Dez. Kanton durch die Verbündeten besetzt.

1858. Juni.

Vertrag von Tientsin, welcher dem europäischen Handel und den Missionen Zutritt in das Innere von China gewährt und stehende Gesandtschaften in der Hauptstadt Peking gestattet.

Da die Ratifikation dieses Vertrages von den Chinesen unter nichtigen Vorwänden hinausgeschoben wird, während die Forts von Taku am Peiho befestigt werden, landen französische und bald auch englische Truppen und dringen (Sept. 1860) gegen Peking vor. Schlacht bei Palikao; der kaiserliche Sommerpalast vor Peking geplündert und verbrannt. Darauf Friede von Peking geschlossen; der Vertrag von Tientsin wird erneuert, China zahlt an England 60 Mill. Franks, an Frankreich 30 Mill. als Entschädigung für die Kriegskosten. Für die auswärtigen Angelegenheiten wird eine besondere Behörde (Tsunglijamen) eingesetzt und dieser auch das von den Europäern geleitete Seezollamt unterstellt.

Japan öffnet sich dem Verkehr mit anderen Staaten williger als China. Handelsverträge mit den Vereinigten Staaten und mit England 1854, mit Rußland 1855, mit Preußen 1861 (ostasiatische Expedition unter Führung des Grafen Eulenburg 1859–62, der auch mit China und Siam Handelsverträge schließt). Seit Anfang 1867 Mikado Mutsuhito (geb. 1852). Widerstand der Großen (Daimios) gegen die Zulassung der Fremden (S. 220, 251), 1868 unterdrückt. Schon 1867 Abdankung[369] des Shoguns (S. 251) und Wiederherstellung der Macht des Kaisers (S. 220); Berufung einer Volksvertretung 1869. Der Mikado verlegt seine Residenz von Kioto nach Tokio. Beginn der neuen Ära für Japan. Regelmäßige Parlamente seit 1890. Viele Einrichtungen europäischer Kultur eingeführt; erste Eisenbahn 1872. Das Heerwesen zuerst nach französischem, dann nach preußischem Muster eingerichtet.

Frankreich nimmt 1862 das Mündungsgebiet des Mekong in Hinterindien in Besitz (Cochinchina). Napoleon III., bemüht, die Kolonialmacht seines Reiches zu entwickeln, ordnet 1865 persönlich die Verhältnisse der Kolonie Algier (S. 348, 354); General Mac-Mahon 1864–1870 Gouverneur daselbst.

Rußland erwirbt 1860 von China das Amurgebiet, unterwirft 1859 die Kaukasusvölker, nimmt 1865–68 Turkestan (Städte Taschkent und Samarkand) in Besitz, verkauft Alaska 1867 für 7 Mill. Dollar an die Vereinigten Staaten von Amerika. Im Innern Aufhebung der Leibeigenschaft 1861 durch weise Maßregeln Kaiser Alexanders II. begonnen.

Polen verliert nach Niederwerfung des Aufstandes von 1863 (S. 372) seine letzten Freiheiten. Seitdem russische Sprache und Gesetze eingeführt (S. 350).

Die nationale Einigung Italiens.

Napoleon III. unterstützt das Königreich Sardinien zu erneutem Angriff auf die Herrschaft Österreichs in Oberitalien (s. S. 356). (Orsinis Attentat und »Testament«.) Graf Cavour, Minister des Königs Viktor Emanuel II., verfolgt zugleich den Plan, den trostlosen Zuständen in den andern italienischen Staaten ein Ende zu machen und Italien politisch zu einigen.

1859.

Krieg Frankreichs und Sardiniens gegen Österreich. Napoleon III. übernimmt selbst den Oberbefehl über die französischen Truppen, zieht nach dem Siege bei Magenta (4. Juni, Gen. Mac-Mahon) zusammen mit Viktor Emanuel in Mailand ein.

24. Juni.

Schlacht bei Solferino (südlich vom Gardasee), 111000 Franzosen und 50000 Sardinier gegen 140000 Österreicher unter Kaiser Franz Joseph. Die feste Stellung der Österreicher wird erstürmt; sie ziehen sich in das Festungsviereck (Mantua, Peschiera, Verona, Legnago) zurück. Der Prinzregent von Preußen zur Hilfeleistung bereit, verlangt aber für sich den Oberbefehl über die gesamte deutsche Streitmacht und völlige Selbständigkeit. Österreich dagegen fordert von ihm Unterordnung unter die Befehle des Bundestages. Zusammenkunft der beiden Kaiser in Villafranca, dann Waffenstillstand von Villafranca (Juli) und (10. Nov.) Friede zu Zürich: 1. Österreich tritt die Lombardei (mit Ausnahme von[370] Mantua und Peschiera) an Napoleon II. ab, der sie an Sardinien gibt. 2. Italien soll einen Staatenbund bilden unter dem Ehrenvorsitz des Papstes. 3. Die während des Krieges vertriebenen Herrscher von Toskana und Modĕna sollen wieder eingesetzt, die aufständischen Legationen (Bologna usw.) dem Papst zurückgegeben werden, aber »ohne fremde Intervention«.

Trotz dieser Bestimmungen des Züricher Friedens werden durch Volksabstimmung

1860.

Toskana, Parma (wo der Herzog gleichfalls hatte fliehen müssen), Modĕna und die päpstlichen Legationen mit der Monarchie Viktor Emanuels vereinigt, wogegen dieser Savoyen und Nizza an Frankreich abtreten muß.

Landung Garibaldis in Sicilien (11. Mai) mit 1000 Freiwilligen, deren Zahl sich schnell vermehrt. Palermo und Messina ohne großen Widerstand eingenommen. Er setzt nach dem Festlande über (20. Aug.); König Franz II. verläßt seine Hauptstadt Neapel und zieht sich mit 40000 Mann hinter den Volturno zurück. Unterdes waren sardinische Truppen in Umbrien und die Marken eingerückt. Der in päpstliche Dienste getretene französische General Lamoricière wird in dem

18. Sept.

Treffen bei Castelfidardo von Cialdini geschlagen.

Der Kirchenstaat mit Ausnahme des Gebietes um Rom (Patrimonium Petri) wird von Viktor Emanuel besetzt, der alsdann in das neapolitanische Gebiet einrückt und sich mit Garibaldi vereinigt. König Franz II. zieht sich mit seinen Truppen nach Gaëta zurück. Belagerung dieser Festung; sie ergibt sich Febr. 1861.

1861. 17. März.

Viktor Emanuel II. König von Italien. Mit Ausnahme von Venetien und dem Gebiet um Rom (Patrimonium Petri) ist die ganze Halbinsel unter einem Scepter vereinigt. Die meisten der vertriebenen Fürsten wenden sich nach Österreich. Tod Cavours 6. Juni 1861.

1862.

Neuer Freischarenzug Garibaldis, um gegen den Willen der Regierung Rom zu befreien. Er wird am Aspromonte, der Südspitze Italiens, verwundet und gefangen, zieht sich dann nach der Insel Caprera (bei Sardinien) zurück.

1864. 15. Sept.

Vertrag zwischen Frankreich und Italien: die Dauer der französischen Besetzung Roms (s. S. 363) auf noch 2 Jahre festgesetzt, zur Hauptstadt Italiens wird Florenz bestimmt; die italienische Regierung übernimmt den Schutz des Patrimonium Petri gegen jeden fremden Einfall.

1861–1867.

Krieg in Mexiko. Der 1861 in den Vereinigten Staaten von Amerika ausgebrochene Bürgerkrieg (s. u. § 18) veranlaßt Napoleon III. zu einem weit[371]ausschauenden Unternehmen. Frankreich verbündet sich mit England und Spanien, um die Republik Mexiko (Präsident Juarez) zur Erfüllung vertragsmäßiger Verpflichtungen gegen Kaufleute dieser Länder zu zwingen. Nach Besetzung der Hafenstadt Veracruz kommt ein Vertrag zustande; die französischen Truppen aber dringen weiter vor. England und Spanien nehmen an dem nun beginnenden Kriege nicht teil.

1863.

Die Franzosen erobern Puebla, dann auch die Hauptstadt Mexiko; eine dorthin berufene Nationalversammlung wählt den Erzherzog Maximilian, Bruder des Kaisers von Österreich (S. 282), zum Kaiser von Mexiko. Dieser erscheint 1864, kämpft gegen die republikanischen Truppen, unterstützt von den Franzosen unter Bazaine, kann aber des Landes nicht Herr werden. Die Vereinigten Staaten, wo mittlerweile der Krieg zu Ungunsten der Südstaaten entschieden ist, schreiten zu Gunsten der Republik ein, nach dem von Monroe (S. 346) ausgesprochenen Grundsatz.

1867.

Abzug der Franzosen aus Mexiko. Kaiser Maximilian setzt allein den Kampf fort, wird nach tapferer Gegenwehr in Queretaro eingeschlossen, durch Verrat gefangen, auf Juarez’ Befehl vor ein Kriegsgericht gestellt und erschossen. Juarez, 1871 als Präsident wiedergewählt, hat mit Parteikämpfen zu ringen, † 1872. Geordnete Zustände stellt der Präsident Porfirio Diaz (1877–1911) her (s. u. § 18).

Napoleons III. Ansehen in Frankreich durch das Fehlschlagen der Expedition nach Mexiko schwer erschüttert; er versucht es durch Einmischung in die deutschen Verhältnisse wiederherzustellen.

§ 7. Deutschlands Einigung durch Preußen.

1861. 26. Febr.

In Österreich wird eine neue Gesamtstaatsverfassung verkündigt (engerer Reichsrat für die deutsch-slavischen Länder, weiterer Reichsrat durch Hinzutritt der ungarischen Abgeordneten für die gemeinsamen Angelegenheiten). Widerstand gegen diese Verfassung besonders von seiten der Ungarn, welche die Wiederherstellung ihrer besonderen Verfassung mit eigenem Ministerium und die politische Wiedervereinigung der seit 1849 abgetrennten Länder Siebenbürgen, Kroatien, Slawonien und der Militärgrenze mit dem Königreich Ungarn verlangen (S. 357 f.)

2. Jan.

In Preußen nach dem Tode Friedrich Wilhelms IV. König Wilhelm I.;[58] Krönung in Königsberg [372]18. Okt. Bald darauf bricht infolge der von der Regierung auf Veranlassung des Königs durchgeführten Verstärkung des Heeres (Kriegsminister v. Roon) ein Verfassungsstreit aus.

1862.

Auflösung des Abgeordnetenhauses. Die oppositionelle Mehrheit kehrt infolge der Neuwahlen verstärkt zurück.

23. Sept.

Ministerpräsident v. Bismarck.[59] Die Verstärkung des Heeres wird aufrecht erhalten; das Staatshaushaltsgesetz kommt in diesem und den nächsten Jahren nicht zustande.

Der Kurfürst von Hessen (S. 360 [III.D§4]) wird genötigt, die vom deutschen Bundestage nunmehr gebilligte Verfassung von 1831 anzuerkennen.

1863.

Aufstand in Polen. Intervention der drei Mächte England, Frankreich, Österreich zu Gunsten der Polen ohne Erfolg. Preußen schließt einen Vertrag mit Rußland und sperrt seine Grenzen für die Aufständischen aufs strengste ab. Damit erwirbt es sich ein weiteres Anrecht auf Rußlands Dank (S. 366 [III.D§6]).

Aug.

Fürstentag zu Frankfurt am Main unter Vorsitz des Kaisers Franz Joseph, zur Beratung einer Reform des Deutschen Bundes (Direktorium von 5 Fürsten und Bundesrat unter Österreichs Vorsitz, Parlament aus Abgesandten der Landtage der Einzelstaaten). Die Beratungen bleiben erfolglos, da Preußen die Beteiligung ablehnt.

Durch die wiederholte Verletzung des Londoner Protokolls, besonders aber durch das dänische Patent vom 30. März 1863 und die in Kopenhagen von den »Eiderdänen« durchgesetzte gemeinsame Verfassung für Dänemark und Schleswig, welche Schleswig mit Dänemark vereinigt, also von Holstein trennt und die Rechte der holsteinischen Stände (S. 362 [III.D§4]) auf ein geringes Maß herabdrückt, wird die seit 1852 gegenüber den Übergriffen der Dänen oft bewährte Geduld des deutschen Bundestages erschöpft; er beschließt (1. Okt. 1863) Bundesexekution gegen Dänemark.[373]

1863. 15. Nov.

Tod Friedrichs VII.; nach dem Londoner Protokoll (S. 362) folgt Christian IX. († 1906). Dieser bestätigt die Gesamtstaatsverfassung. Große Aufregung in Deutschland; man fordert vollständige Trennung Schleswig-Holsteins von Dänemark und sofortige Besetzung des ganzen Landes durch deutsche Bundestruppen. Aber auf Antrag Österreichs und Preußens, welche sich durch das Londoner Protokoll gebunden erklären, bringt der Bundestag nur seinen früheren Beschluß zur Ausführung und läßt 12000 Hannoveraner und Sachsen in die zum Bunde gehörigen Herzogtümer Holstein und Lauenburg einrücken. In Holstein wird Friedrich VIII. von Augustenburg (S. 362) als Herzog ausgerufen.

1864.

Krieg gegen Dänemark.

Österreich und Preußen verlangen (Jan. 1864) die Aufhebung der neuen dänischen Verfassung, weil sie den 1852 übernommenen Verpflichtungen widerspreche. Da Dänemark sich weigert, rücken 37000 Preußen und 23000 Österreicher unter dem Oberbefehl des preuß. Feldmarschalls v. Wrangel in Schleswig ein. Holstein bleibt von den Bundestruppen besetzt. Die Österreicher rücken auf das Danewerk los; die Preußen gehen nach einem vergeblichen Versuch bei Missunde bei Arnis über die Schlei. Darauf Rückzug der dänischen Truppen (35000 Mann) aus dem Danewerk; der größte Teil zieht nach Düppel. General v. Moltke[60] trifft beim Oberkommando der Verbündeten ein. Die Österreicher unter Gablenz dringen nach siegreichem Kampfe bei Översee (6. Febr.) vereint mit einem Teil der Preußen in Jütland ein; die preußischen Hauptkräfte übernehmen die Belagerung der Düppeler Schanzen.

18. Apr.

Die Preußen erstürmen die Düppeler Schanzen (118 Geschütze erobert). Die Dänen ziehen sich nach Alsen, Fünen und Nordjütland zurück, räumen auch die Festung Fridericia.

12. Mai bis 25. Juni.

Waffenruhe, Verhandlungen zu London. Da man sich weder über eine Personal-Union der Herzogtümer mit der Krone Dänemark, noch über eine Teilung Schleswigs nach den Nationalitäten einigen kann (Dänemark hofft vergeblich auf Hilfe von England und Rußland), so sagt Preußen sich von dem durch Dänemark so oft gebrochenen Londoner Protokoll los, und der Krieg beginnt[374] von neuem. — Die Preußen unter General Herwarth von Bittenfeld bewerkstelligen bei Nacht auf Kähnen den

1864. 29. Juni.

Übergang nach der Insel Alsen, schlagen die Dänen auf allen Punkten und treiben sie nach Fünen hinüber. Auch Nordjütland wird von den Verbündeten besetzt.

Zur See hatten am 17. März drei preußische Schiffe bei Jasmund (an der Ostseite von Rügen), am 9. Mai zwei österreichische und drei preußische Schiffe bei Helgoland gegen die Dänen gekämpft; vom 13. bis 17. Juli gelang mit Hilfe der Kanonenboote die Besetzung der Inseln Sylt und Föhr.

20. Juli.

Waffenstillstand, Verhandlungen in Wien.

22. Aug.

Genfer Konvention zum Schutz der Verwundeten und Kranken im Kriege, von den meisten europäischen Staaten unterzeichnet (das Rote Kreuz).

30. Okt.

Friede zu Wien: König Christian IX. von Dänemark tritt die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg an Österreich und Preußen ab.

Die Bundestruppen verlassen Holstein; Österreich und Preußen setzen für die Herzogtümer eine gemeinschaftliche Regierung ein. Mißstimmung darüber in den Herzogtümern und vielfach in Deutschland; man wünscht ein selbständiges Schleswig-Holstein. Österreich begünstigt die Einsetzung des Prinzen Friedrich von Augustenburg; der preußische Minister v. Bismarck verlangt (Febr. 1865) für den Fall, daß zu den in Deutschland vorhandenen Kleinstaaten ein neuer hinzutreten soll: 1. Daß dessen gesamte Streitkräfte ein Teil der preußischen Armee und Flotte werden, 2. Seine Eisenbahnen, sein Post- und Telegraphenwesen unter preußische Leitung kommen, 3. Eintritt der Herzogtümer in den Zollverein und Abtretung einiger militärisch wichtiger Orte, namentlich Friedrichsort an der Kieler Förde und Sonderburg.

Um Streitigkeiten zwischen den Regierungskommissaren der beiden Großmächte fernerhin zu vermeiden, schließen Österreich und Preußen den

1865. 14. Aug.

Vertrag zu Gastein: 1. Beide Mächte behalten die gemeinschaftliche Oberhoheit über beide Herzogtümer; Österreich übernimmt vorläufig die Verwaltung in Holstein, Preußen in Schleswig. Rendsburg soll Bundesfestung, Kiel Bundeshafen werden; die Benutzung dieses Hafens bleibt gemeinschaftlich, doch erhält Preußen dort den Oberbefehl; auch werden ihm zwei Militärstraßen, Telegraphen- und Postlinien durch Holstein zugesichert. 3. Österreich tritt das Herzogtum Lauenburg (S. 341) an Preußen ab gegen Zahlung von 2½ Millionen dänischer Taler.[375] Bald zeigt sich, daß diese Einigung keinen Bestand haben kann. Österreich, entschlossen, eine wesentliche Machtvergrößerung Preußens nicht zuzugeben, verständigt sich mit den deutschen Mittelstaaten; Preußen, welches eine kriegerische Entscheidung der deutschen Frage als unvermeidlich ansieht, tritt mit Italien in Unterhandlung. Es beginnt ein Krieg, der durch das energische Vorgehen der preußischen Heeresmacht schnell zu Ende geführt wird.

1866. Der deutsche Krieg.

Verbündete Preußens: Die kleineren norddeutschen Staaten und Italien (s. S. 379).

Verbündete Österreichs: Bayern, Württemberg, Sachsen, Hannover, Baden, beide Hessen.

Ursache: Das Verlangen der deutschen Nation nach größerer Einheit. Eine Neugestaltung Deutschlands mit starker Bundesgewalt gegenüber den Einzelstaaten war unmöglich, solange sich im Deutschen Bunde zwei Großmächte gegenüberstanden, von welchen die eine größtenteils nicht deutsche Bevölkerung und nicht deutsche Interessen hatte.

Veranlassung: Der Streit über die Zukunft der Herzogtümer Schleswig und Holstein.

1866.
9. April.

Preußen stellt bei dem Bundestage in Frankfurt den Antrag auf Reform der Verfassung des Deutschen Bundes unter Mitwirkung eines aus allgemeinem Wahlrecht hervorgehenden Parlaments.

Die von Frankreich, England und Rußland (24. Mai) angebotene Vermittelung wird vereitelt durch die Forderung Österreichs, daß auf der etwaigen Friedenskonferenz von keiner Gebietsveränderung die Rede sein solle.

Österreich stellt (1. Juni) die Entscheidung der schleswig-holsteinischen Erbfolgefrage dem Deutschen Bunde anheim und läßt durch den Gouverneur v. Gablenz die holsteinische Ständeversammlung einberufen. Preußen erklärt dies für einen Bruch des Gasteiner Vertrages; Gen. v. Manteuffel, Gouverneur von Schleswig, rückt mit Truppen in Holstein ein. Gablenz mit den österreichischen Truppen zieht sich unter Protest zurück.

10. Juni.

Preußen legt den deutschen Regierungen den Entwurf einer neuen bundesstaatlichen Verfassung unter preußischer Leitung mit Ausschluß Österreichs vor. Der Bundestag zu Frankfurt beschließt auf Österreichs Antrag

14. Juni.

Mobilmachung der gesamten Bundesarmee mit Ausnahme der drei preußischen Bundesarmeekorps. Austritt Preußens und Auflösung des Deutschen [376]Bundes.

1866. 15. Juni.

Aufforderung Preußens an Sachsen, Hannover und Kurhessen, von dem Bundesbeschluß zurückzutreten, ihre Truppen auf Friedensfuß zu setzen und sich dem vorgeschlagenen neuen Bunde unter preußischer Leitung anzuschließen. Diese Aufforderung wird abgelehnt.

A. Östlicher (Haupt-) Kriegsschauplatz.
Preußen gegen Österreicher und Sachsen.

Preußen: Erste Armee (Prinz Friedrich Karl) i. d. Lausitz, 93000 M. Elbarmee (General Herwarth v. Bittenfeld) i. d. Provinz Sachsen, 46000 M. Erstes Reserve-Korps (General v. d. Mülbe) bei Berlin, 24000 M. Zweite Armee (Kronprinz Friedrich Wilhelm) in Schlesien, 115000 M.

Österreich: Nordarmee (Feldzeugmeister v. Benedek) in Böhmen und Mähren, 240000 M.

Sächsische Armee (Kronprinz Albert) 24000 M.

16. Juni.

Einmarsch der preußischen Elbarmee in Sachsen. König Johann begleitet seine Truppen nach Böhmen; nur die Festung Königstein bleibt von sächsischen Truppen besetzt.

19. Juni.

Die Elbarmee besetzt Dresden; bei ihrem weiteren Vormarsch bleibt die 1. Division des Korps v. d. Mülbe als Besatzung in Sachsen.

23. Juni.

Die preußische Elb- und die erste Armee überschreiten die österreichische Grenze ohne Gefecht, die zweite Armee folgt am 26. Juni; gemeinsames Ziel Gitschin.

Erstes Zusammentreffen an der Iser: Siegreiche Gefechte der Preußen am 26. Juni bei Podol (Teile der ersten Armee) und bei Hühnerwasser (Teile der Elbarmee); dann gewinnen beide Armeen Anschluß und sind bei Münchengrätz (28. Juni) und Gitschin (29. Juni) siegreich.

Das zur preußischen zweiten Armee gehörige Korps v. Bonin wird am 27. Juni von den Österreichern bei Trautenau geschlagen, aber die preußische Garde dringt siegreich vor bei Soor (28. Juni) und besetzt Königinhof (29. Juni). Vereinigung mit dem Korps des Generals von Steinmetz, welcher drei österreichische Korps bei Nachod (27. Juni), Skalitz (28. Juni), Schweinschädel (29. Juni) zurückgeschlagen hat.

König Wilhelm I. trifft am 1. Juli in Gitschin ein und übernimmt den Oberbefehl über alle preußischen Heere; Chef des Generalstabes General v. Moltke. Es wird beschlossen, mit vereinten Kräften die Österreicher anzugreifen, welche hinter dem Flüßchen Bistritz auf den Höhen von Chlum, im Rücken gedeckt durch die Festung Königgrätz, ihre Aufstellung genommen hatten (206000 Mann mit über 500 Geschützen).[377]

1866. 3. Juli.

Schlacht bei Königgrätz. Harter Kampf der ersten preußischen Armee bei Sadowa und Benatek gegen die Österreicher; große Verluste erleidet die Division des Generals v. Fransecky im Walde von Masloved. Auf dem rechten Flügel kämpft die Elbarmee bei Nechanitz gegen Sachsen und Österreicher. Am Nachmittag kommt die zweite (schlesische) Armee unter dem Kronprinzen nach anstrengendem Marsche von links her den Österreichern in die Flanke; das Gardekorps erstürmt die Höhe von Chlum. Rückzug der Österreicher nach Königgrätz, die Preußen erbeuten 5 Fahnen, 161 Geschütze, machen 20000 Gefangene. Weiterer Rückzug nach Olmütz.

Kaiser Franz Joseph ruft Frankreichs Vermittelung an und tritt Venetien an Napoleon III. ab; der von Frankreich begehrte Waffenstillstand wird jedoch von Preußen und von Italien zurückgewiesen. Ein großer Teil der österreichischen Südarmee wird aus Italien zum Schutze der bedrohten Hauptstadt Wien herangezogen. Die Preußen besetzen Prag (8. Juli) und Brünn (12. Juli); die erste Armee rückt von Brünn aus rasch gegen Wien vor, während die zweite nach dem Treffen bei Tobitschau (15. Juli, General v. Bonin) durch Besetzung von Prerau die Eisenbahnverbindung zwischen Olmütz und Wien abschneidet.

Benedek führt seine Truppen über die Kleinen Karpathen, um Wien auf dem Umwege durch das Waagtal zu erreichen. Das preußische Hauptquartier wird am 18. Juli nach Nikolsburg (südlich der Taya) verlegt. Das Treffen bei Blumenau (unweit Preßburg) am 22. Juli (General v. Fransecky) entscheidet sich bereits zu Gunsten der Preußen, als es um 12 Uhr abgebrochen werden muß infolge der mittlerweile abgeschlossenen fünftägigen Waffenruhe. Darauf

26. Juli.

Waffenstillstand zu Nikolsburg, nachdem ohne Frankreichs Mitwirkung, aber mit Rücksicht auf seine Forderungen, die Friedenspräliminarien unterzeichnet worden sind.

B. Westlicher Kriegsschauplatz.

a) Preußen gegen Hannover und Kurhessen.

Preußische Westarmee: General Vogel v. Falckenstein; sie ist zunächst noch getrennt: Division Goeben bei Minden, Division Manteuffel in Holstein, Division Beyer bei Wetzlar, zusammen 48000 M.

Hannoveraner 21000 M., Kurhessen 8000 M.

1866. 16.–18. Juni.

Die preußische Westarmee besetzt Hannover und Kurhessen.

Abmarsch der hannoverschen Truppen über Göttingen nach Heiligenstadt zur Vereinigung mit den süddeutschen [378]Bundeskorps, die aber nicht erreicht wird. König Georg V. begleitet sein Heer. Die Kurhessen gewinnen durch schleunigen Abmarsch Anschluß an die Süddeutschen, finden im Laufe des Feldzuges als Besatzung von Mainz Verwendung. Kurfürst Friedrich Wilhelm von Hessen kommt als Gefangener nach Stettin.

1866. 27. Juni.

Gefecht bei Langensalza zwischen 20500 Hannoveranern und 8500 Preußen und Koburg-Gothaern (Gen. v. Flies). Die Preußen müssen sich nach 7stündigem, hartem Kampfe zurückziehen; aber durch schnelles Herbeiziehen von Verstärkungen (Generale v. Manteuffel und v. Beyer) wird der Zweck erreicht, der hannoverschen Armee den Weg zu ihren süddeutschen Verbündeten zu verlegen.

29. Juni.

Kapitulation von Laugensalza. Das Heer wird aufgelöst und entwaffnet (mit Ausnahme der Offiziere); König Georg V. begibt sich nach Österreich.

b) Preußen gegen die Süddeutschen.

Die preußische Mainarmee, bisher Westarmee (S. 377) 45000 M. Bei dem später eintreffenden Korps des Großherzogs Friedrich Franz von Mecklenburg-Schwerin die Truppen von Mecklenburg, Sachsen-Altenburg und Braunschweig.

Nach Langensalza erhält die Mainarmee den Auftrag, über Fulda auf Schweinfurt zu marschieren, um die Vereinigung der beiden süddeutschen Korps zu verhindern und zunächst die Bayern zu schlagen.

Für Österreich: Das VII. Bundes-Armeekorps (Bayern-Versammlung bei Schweinfurt) 40000 M. und das VIII. Bundes-Armeekorps (Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt, Nassau und eine österreichische Brigade-Versammlung bei Frankfurt a. M.) 46000 M. Oberbefehl: Prinz Karl von Bayern.

Die Mainarmee besiegt die Bayern bei Dermbach (4. Juli) und an der Fränkischen Saale (Kissingen 10. Juli), die Hessen bei Laufach (13. Juli) und das VIII. Korps bei Aschaffenburg (14. Juli). Dadurch werden die Verbündeten (dauernd getrennt) auf das linke Mainufer gedrängt; am 16. Juli besetzt General v. Falckenstein Frankfurt, von wo sich der Bundestag nach Augsburg geflüchtet hat.

Fortsetzung des Feldzuges unter dem Oberbefehl des Gen. v. Manteuffel. Gefechte bei Tauberbischofsheim gegen die Württemberger und bei Werbach gegen die Badener (24. Juli), bei Roßbrunn gegen die Bayern (26. Juli). Die Bayern behaupten noch die Citadelle von Würzburg, aber das von Leipzig her vorrückende Reservekorps des Großherzogs von Mecklenburg (25000 M.) besetzt Nürnberg (31. Juli). Waffenstillstand am 2. August.[379]

C. Krieg zwischen Österreich und Italien.

Italien zum Bündnis mit Preußen veranlaßt durch die günstige Gelegenheit, Venetien zu gewinnen.

Die österreichische Südarmee (138000 Mann) unter Erzherzog Albrecht sammelt sich bei Verona. Von den Italienern (210000 Mann) rückt ein Korps von Bologna her gegen den Po vor, der größte Teil überschreitet unter Führung des Königs Viktor Emanuel den Mincio, wird aber am 24. Juni bei Custozza geschlagen. Neues Vorgehen der Italiener, nachdem ein großer Teil der österreichischen Truppen zum Schutze Wiens abberufen ist. Die italienische Flotte wird am 20. Juli bei der Insel Lissa von der österreichischen (Admiral Tegethof) geschlagen. Waffenstillstand am 25. Juli.

1866. 23. Aug.

Friede zu Prag zwischen Preußen und Österreich: 1. Der Kaiser von Österreich erkennt die Auflösung des Deutschen Bundes an, gibt seine Zustimmung zu einer Neugestaltung Deutschlands ohne Österreich, erkennt im voraus die in Norddeutschland von Preußen vorzunehmenden Gebietsveränderungen an, bedingt aber dem Königreich Sachsen unveränderten Bestand (als Glied des neuen Norddeutschen Bundes) aus. 2. Österreich überträgt seine Rechte auf Schleswig-Holstein an Preußen, nur soll der nördliche Teil Schleswigs mit Dänemark wieder vereinigt werden, wenn die Bevölkerung den Wunsch dazu durch freie Abstimmung zu erkennen gibt (aufgehoben 1878). 3. Österreich zahlt 20 Millionen Taler Kriegskosten. 4. Preußen bedingt die Übergabe Venetiens an Italien aus.

Schleswig-Holstein, Hannover, Kurhessen, Nassau und die freie Stadt Frankfurt werden mit der preußischen Monarchie vereinigt. Die süddeutschen Staaten und Sachsen müssen einzeln Frieden schließen und Kriegskosten zahlen. — Von den beabsichtigten Gebietsabtretungen der Südstaaten wird in der Hauptsache Abstand genommen (nur Bayern und Hessen müssen Grenzstriche abtreten, jenes Orb und Gersfeld, dieses die eben geerbte Landgrafschaft Hessen-Homburg), weil Napoleon III. Deutschland gegenüber das Verlangen nach einer »Grenzberichtigung« zeigt (s. S. 377).

Zwischen Preußen und den Südstaaten werden Schutz- und Trutzbündnisse geschlossen: Gegenseitige Garantie des Gebiets, die süddeutschen Staaten stellen für den Fall eines Krieges ihre gesamten Streitkräfte unter den Oberbefehl des Königs von Preußen. Das Verlangen Napoleons III. (Abtretung der bayrischen Rheinpfalz und des linksrheinischen Hessen mit Mainz) wird zurückgewiesen.

3. Okt.

Friede zu Wien zwischen Österreich und Italien. Venetien wird mit dem Königreich Italien vereinigt.[380]

1866. 3. Sept.

Beilegung des Verfassungsstreits in Preußen (S. 372) durch ein vom Landtage angenommenes Indemnitätsgesetz wegen der seit 1862 ohne Staatshaushaltsgesetz geführten Verwaltung.

Der Norddeutsche Bund, gebildet von Preußen, den im Kriege mit ihm verbündet gewesenen Staaten, dem Königreich Sachsen und der nördlichen Hälfte des Großherzogtums Hessen. Erster Reichstag des Norddeutschen Bundes 1867 in Berlin; die Verfassung wird vereinbart. Bundesleitung bei der Krone Preußen, welche den Bund völkerrechtlich vertritt, in seinem Namen Krieg erklärt, Frieden und Bündnisse schließt, Gesandte beglaubigt. Die Vertretung der Regierungen bildet der Bundesrat, in dem Preußen 17, die übrigen 21 Bundesglieder zusammen 26 Stimmen haben. Reichstag aus allgemeinen und direkten Wahlen. Einheitliches Heer unter dem Oberbefehl des Königs von Preußen (allgemeine Wehrpflicht), einheitliche Zoll-, Post- und Telegraphenverwaltung. Graf Bismarck Bundeskanzler.

1868.

Deutsches Zollparlament. Abgeordnete aus den süddeutschen Staaten erscheinen im norddeutschen Reichstag, um die durch Vertrag zwischen den Regierungen 1867 angebahnte Wiederherstellung des Zollvereins (S. 361) durchzuführen.

Die preußische Flotte (S. 361) wird zur norddeutschen Kriegsflotte; Kriegshäfen werden in Kiel und Wilhelmshaven angelegt. Bestand der Flotte 1870: 3 Panzerfregatten, 2 Panzerfahrzeuge, 9 Korvetten, 2 Avisos, 22 Kanonenboote.

1867.

Streit über Luxemburg. Napoleon III. unterhandelt, um für Frankreich doch eine Vergrößerung zu gewinnen (S. 379), mit dem König der Niederlande über Abtretung des Großherzogtums Luxemburg an Frankreich gegen eine Geldentschädigung und verlangt, daß die früher zum Deutschen Bunde (S. 341), nicht aber zu dem neuen Norddeutschen Bunde gehörende Festung Luxemburg von der preußischen Besatzung geräumt werde.

Ausgleich durch Beschluß einer Konferenz der Großmächte zu London (Italien als sechste Großmacht anerkannt): 1. Die Neutralität des Großherzogtums wird von den Großmächten gemeinsam gewährleistet; 2. Die preußische Besatzung räumt die Stadt Luxemburg, deren Festungswerke geschleift werden.

Ende des Kirchenstaates. Italienische Freischaren machen mit stillschweigender Gutheißung ihrer Regierung 1867 (Sept.) einen Angriff auf das päpstliche Gebiet. Napoleon III. erklärt den früheren Vertrag (S. 370) für gebrochen und schickt dem Papste Hilfe. Die Freischaren werden bei Mentana geschlagen; ihr[381] Führer Garibaldi wird nach kurzer Haft wiederum nach Caprera entlassen. Rom erhält von neuem eine französische Besatzung (S. 363, 370).

1869. 8. Dez.

Eröffnung des Vatikanischen Konzils in Rom, durch welches das Ansehen des Papsttums nach der Einschränkung seiner weltlichen Herrschaft gesichert und erhöht werden soll. Verkündung des Unfehlbarkeits-Dogmas am 18. Juli 1870. Am 20. Sept. 1870 wird Rom von den italienischen Truppen besetzt, da die französische Besatzung zurückgezogen ist (s. S. 385). Aufhebung des Kirchenstaates. Rom wird Hauptstadt des geeinigten Italiens.

§ 8. Deutsch-französischer Krieg 1870–1871.

Ursache: Die Meinung der Franzosen, daß ihrer Nation auf dem europäischen Festlande eine herrschende Machtstellung zukomme. Letztere hatte die Schwäche der Nachbarstaaten, vor allem Deutschlands zur Voraussetzung. Die Begründung des italienischen Einheitsstaates und die Entstehung eines mächtigen deutschen Bundesreiches erschien den Franzosen wie eine Schmälerung ihres Ruhmes.

Veranlassungen: 1. Die inneren Verlegenheiten der Regierung Napoleons III., welcher, für seinen Thron fürchtend, dem gesetzgebenden Körper (S. 355) erweiterte Rechte zögernd zugesteht; 2. Die Ablehnung der seit 1866 wiederholt verlangten Ausgleichungen für die Vergrößerung Preußens an Land und Macht (S. 379, 380). Der von Napoleon durch Benedetti 1867 schriftlich in Berlin eingereichte Vertragsentwurf, nach welchem Napoleon Luxemburg und Belgien besetzen und dafür Preußen die Aufnahme der süddeutschen Staaten in den Norddeutschen Bund gestatten wollte, war von Bismarck »dilatorisch« behandelt worden.

Vorwand: Die Übertragung der spanischen Krone an den Prinzen von Hohenzollern (s. u. § 16), die in Paris als eine preußische, Frankreich gefährdende Intrige dargestellt wird.

Das durch den französischen Botschafter Benedetti in Ems (9. Juli) an König Wilhelm I. gestellte Verlangen, »dem Prinzen von Hohenzollern die Annahme der spanischen Krone zu verbieten«, wird zurückgewiesen. Nach dem freiwilligen Rücktritt des Prinzen verlangt die französische Regierung eine Erklärung des Königs, »daß er die Bewerbung des Prinzen um die spanische Krone in Zukunft niemals wieder zulassen werde«. König Wilhelm weist den französischen Botschafter ab (13. Juli); Graf Bismarck läßt die Nachricht davon gebende »Emser Depesche« in verkürzter Form alsbald durch die Zeitungen verbreiten. Darauf Kriegserklärung Frankreichs (19. Juli). Die süddeutschen Staaten schließen sich unverzüglich auf Grund der[382] bestehenden Bündnisse (S. 379) der Kriegsrüstung des Norddeutschen Bundes an.

A. Krieg gegen die kaiserliche Armee.

Deutsche Streitkräfte, Oberbefehl König Wilhelm I.

Chef des Generalstabes: General v. Moltke.

Am 31. Juli stehen bereit:

I.Armee (General v. Steinmetz) südlich von Trier, 60000 M.
II.Armee (Prinz Friedrich Karl) südlich von Mainz, 194000 M. einschl. Reserve.
III.Armee (hierbei zwei Bayr. Korps, sowie Württemb. und Badische Div.; Kronprinz von Preußen) zwischen Landau und Speier, 130000 M.

Drei Armeekorps (100000 M.) werden Anfang August zur Verstärkung herangezogen.

Zur Küstenverteidigung: General-Gouverneur Vogel v. Falckenstein, 17. Division und Landwehr.

Zusammen (einschl. aller Besatzungs- und Ersatztruppen) nahezu eine Million Mann.

Feldzugsplan: Eroberung von Paris, auf dem Wege dahin Abdrängen des Feindes von dem reichen Süden in das engere Hinterland des nördlichen Frankreichs. Angreifen unter Zusammenhalten der Kräfte, wo sich der Feind stellt.

Französische Streitkräfte: 300000 M., vorläufig als Rheinarmee unter Oberbefehl des Marschalls Bazaine. Davon stehen:

Marschall Mac-Mahon bei Straßburg mit 100000 M.,

Marschall Bazaine bei Metz mit 150000 M.,

Reserven bei Nancy und im Lager von Châlons-sur-Marne,

zusammen 50000 M. Außerdem können noch 115 Bataillone ins Feld rücken, sobald die Nationalgarde sie im Innern des Landes ersetzt.

Auch der französische Feldzugsplan geht auf überraschenden Angriff aus, wird aber zu langsam ausgeführt.

Eine französische Flotte erscheint in der Ostsee, bald darauf eine zweite in der Nordsee; es kommt aber zu keiner Landung. Die norddeutsche Flotte bewacht die Flußmündungen; 17. Aug. Gefecht der Grille, von 3 Kanonenbooten unterstützt, bei Rügen gegen 8 französische Schiffe. Im Sept. ziehen beide französische Flotten sich zurück. 9. Nov. Kampf des Kanonenboots Meteor bei Havanna gegen ein größeres französisches Schiff, das zum Rückzug in den Hafen genötigt wird. Im Januar 1871 nimmt die Korvette Augusta in der Gironde französische Transportschiffe weg, muß dann aber in einem spanischen Hafen Schutz suchen.

Bismarck erreicht (29. Juli) durch eine aktenmäßige Enthüllung [383]der Anerbietungen Napoleons auf Kosten Süddeutschlands,
Luxemburgs und Belgiens, daß England, Dänemark,
Österreich und Italien neutral bleiben. Rußland tritt diplomatisch für Preußen in Wien ein.

1870. 2. Aug.

Die Franzosen, von Metz her vorrückend, besetzen durch ein Armeekorps in Gegenwart des Kaisers Napoleon die nur von 1500 Mann preußischer Truppen verteidigte Stadt Saarbrücken

4. Aug.

Treffen bei Weißenburg. Die Vorhut der III. Armee (Preußen und Bayern) erstürmt Weißenburg und den stark befestigten Geisberg.

Mac-Mahon vereinigt seine Truppen und erwartet den Feind in starker Stellung, erleidet aber in der

6. Aug.

Schlacht bei Wörth durch das Heer des Kronprinzen Friedrich Wilhelm eine vollständige Niederlage. Mac-Mahon zieht sich auf das befestigte Lager bei Châlons zurück.

Daselbst trifft bald auch Kaiser Napoleon III. ein und überträgt Mac-Mahon den Oberbefehl über die neugebildete Armee.

6. Aug.

Schlacht bei Spichern (Saarbrücken). Teile der I. und II. Armee (Gen. v. Kameke, v. Alvensleben, v. Goeben) erstürmen die stark verschanzten Spicherer Höhen.

Der Kronprinz mit der III. Armee rückt, nach Absendung eines Korps unter General v. Werder zur Belagerung von Straßburg, durch die unverteidigten Pässe des Wasgen-Waldes nach Nancy. Die I. Armee marschiert auf Metz, die II. Armee auf Pont à Mousson mit der Absicht, das französische Heer in und bei Metz von Paris abzuschneiden.

Um dem zuvorzukommen, beschließt Bazaine den Rückzug über Verdun nach Châlons-sur-Marne, zur Vereinigung mit Mac-Mahon und neu herangezogenen Truppen. Napoleon III. eilt voraus nach Châlons. Bazaine nimmt, als ihn unweit Metz die Vorhut der I. Armee angreift, den Kampf auf dem rechten Moselufer an. Durch die

14. Aug.

Schlacht bei Colombey-Nouilly wird deutscherseits der Zweck erreicht, den Abzug des Gegners auf Verdun zu verzögern. Der Abmarsch wird gänzlich vereitelt durch die

16. Aug.

Schlacht bei Vionville — Mars la Tour, in welcher Prinz Friedrich Karl mit Teilen der II. Armee (die Brandenburger unter Gen. v. Alvensleben) die weit überlegenen feindlichen Streitkräfte bei Metz festhält. Verlust 16000 Mann, ebensoviel auf französischer Seite.

Nachdem die übrigen Truppen der I. und II. Armee herangekommen sind, werden die Franzosen in ihren befestigten Stellungen westlich von Metz von neuem angegriffen.[384]

1870 18. Aug.

Schlacht bei Gravelotte-Saint Privat. 180000 Deutsche unter dem Oberbefehl König Wilhelms gegen mindestens ebensoviel Franzosen. Mörderischer Kampf auf dem linken Flügel; die preußische Garde, von den Sachsen unterstützt, erstürmt die Höhen von St. Privat. Verlust der Deutschen 20000, der Franzosen 13000. Bazaines Armee wird in die Festung Metz gedrängt und daselbst eingeschlossen.

Prinz Friedrich Karl leitet die Belagerung von Metz, während die III. Armee (Kronprinz) von Nancy her gegen Châlons vorrückt. Mit ihr wirkt zusammen eine von der II. Armee (die vor Metz bleibt) abgetrennte IV. (Maas-) Armee unter Kronprinz Albert von Sachsen.

Mac-Mahon verläßt, von Napoleon III. begleitet, Châlons und versucht auf dem Umwege über Reims Metz zu erreichen, um sich mit Bazaine zu vereinigen. Dies Unternehmen wird deutscherseits rechtzeitig entdeckt; die III. und IV. Armee schwenken deshalb vom Vormarsch gegen Paris rechts ab; die IV. Armee erreicht die Franzosen an der Maas, greift an und verhindert durch die siegreiche

30. Aug.

Schlacht bei Beaumont den geplanten Entsatzversuch von Metz, drängt auch die Mac-Mahonsche Armee in eine äußerst ungünstige Lage.

Bazaine versucht die Einschließung von Metz zu durchbrechen, wird aber durch die

31. Aug. u. 1. Sept.

Schlacht bei Noisseville zurückgetrieben.

Gleichzeitig wird Mac-Mahon von der III. und IV. deutschen Armee bei Sedan an der Maas eingeschlossen (über 200000 Deutsche gegen 124000 Franzosen).

1. Sept.

Schlacht bei Sedan. Heftiger Kampf der Bayern bei Bazeilles, der Sachsen bei Daigny, der Preußen bei Givonne, Illy und Floing. Die Franzosen werden in die Stadt hineingedrängt. Nach Beginn der Beschießung wird in der Stadt die weiße Fahne aufgezogen. Napoleon III. gibt sich gefangen, verläßt die Stadt am 2. Sept. früh. Zusammentreffen mit Graf Bismarck bei Donchery, wo während der Nacht über die Bedingungen der Übergabe verhandelt war (Moltke, Bismarck, Wimpffen, Mac-Mahon war verwundet).

2. Sept.

Übergabe von Sedan, 39 Generale, über 2300 Offiziere, 83000 Mann (außerdem schon während der Schlacht über 20000 M.) kriegsgefangen, 419 Feld- und 139 Festungsgeschütze erbeutet.

3090 Mann erreichen die belgische Grenze und werden dort entwaffnet; das Korps Vinoy entkommt von Mézières nach Paris.

Zusammenkunft zwischen Kaiser Napoleon III. und König Wilhelm I. in dem Schlosse Bellevue bei Donchery; Napoleon als Kriegsgefangener nach Wilhelmshöhe (bei Kassel) gebracht.[385]

1870. 4. Sept.

Frankreich Republik (Dritte Republik). Provisorische »Regierung der nationalen Verteidigung«: Trochu Präsident und Gouverneur von Paris, Favre Auswärtiges, Gambetta Inneres. Für den Krieg »bis aufs Äußerste« wird die ganze Nation zu den Waffen gerufen, die Flotten werden aus der Nordsee und Ostsee zurückgezogen. Die Kaiserin Eugenie flieht mit ihrem Sohn nach England.

Alle deutschen Truppen, welche bei Sedan gekämpft haben, marschieren gegen Paris und erreichen bis 19. Sept. die Einschließung (S. 387ff.).

B. Krieg gegen die republikanischen Heere.

In zahlreichen Festungen Frankreichs stehen noch kaiserliche Truppen, die sich aber den Geboten der Republik fügen. Nach dem Sturz des Kaisertums zunächst Friedensverhandlungen in Ferières zwischen Bismarck und Favre. Sie bleiben erfolglos, da Frankreich jede Gebietsabtretung verweigert. Thiers bereist die europäischen Höfe, findet aber keine Unterstützung (S. 382f.). Besonders aus England erhält Frankreich starke Zufuhr an Waffen und Munition.

Das Korps des Großherzogs von Mecklenburg (s. S. 378), bisher zum Schutz der deutschen Küste tätig, sichert die Eisenbahnverbindung nach Deutschland durch Einnahme der Festungen Toul und Soissons. Demselben Zwecke dient die nach und nach folgende Einnahme der Festungen Schlettstadt, Verdun (8. Nov.), Diedenhofen, Montmédy, Mézières u. a. Schwieriger Schutz der Etappenstraßen gegen Überfälle französischer Franctireurs. Das besetzte französische Gebiet wird in 4 General-Gouvernements eingeteilt.

27. Sept.

Übergabe von Straßburg nach längerer Belagerung (bei der die wertvolle Bibliothek zerstört wurde) durch preußische und badische Truppen unter Gen. v. Werder. Besatzung von 17000 Mann kriegsgefangen. Die preußische Garde-Landwehr zieht gegen Paris; mit der badischen Division und einigen preußischen Regimentern marschiert Gen. v. Werder durch den Wasgau nach Südwesten (Epinal — Vesoul — Dijon, S. 387ff.).

Gambetta, welcher Paris im Luftballon verlassen hat, übernimmt (9. Okt.) die Diktatur in Tours. Seinem Organisationstalent gelingt es, im Laufe der nächsten vier Monate etwa 800000 M. ins Feld zu stellen: aus Resten der alten Armee, Zuzügen aus Algier, Marinetruppen und durch Massenaufgebot. Es entstehen vier neue Heere; die Loire-Armee bei Orléans, die Westarmee bei Rouen, die Nordarmee bei Lille, die Ostarmee bei Besançon. Eroberung oder Rettung von Paris bleibt Hauptziel des Krieges.[386]

1870. 27. Okt.

Übergabe von Metz (belagert seit 19. August). Nach mehreren vergeblichen Ausfällen ergibt sich Bazaine, durch Hunger gezwungen, mit seiner großen Armee; 6000 Offiziere, 187000 Mann kriegsgefangen, 622 Feld-, 876 Festungsgeschütze erbeutet.

Prinz Friedrich Karl mit der II. Armee marschiert gegen die französische Loire-Armee, General v. Manteuffel mit einer neu eingeteilten I. Armee gegen die französische Nordarmee (S. 387).

a) Der Feldzug an der Loire und gegen Le Mans.
Okt.

Die Loire-Armee (etwa 30000 M. stark und noch nicht kriegsbereit) ergreift in den ersten Oktobertagen von Orléans aus die Offensive auf Paris. Gegen sie marschiert südlich von Paris General v. d. Tann mit dem I. bayrischen Korps und der 22. Division, drängt die Franzosen nach empfindlicher Niederlage bei Artenay (10. Okt.) zurück und besetzt Orléans (11. Okt.).

Nov.

Zweite Offensive der auf 200000 Mann verstärkten Loire-Armee, welche den General v. d. Tann bei Coulmiers (9. Nov.) zum Rückzug auf Artenay und zur Räumung von Orléans nötigt, v. d. Tann gewinnt (nicht verfolgt) Anschluß an den Großherzog von Mecklenburg, tritt in den Verband der diesem unterstellten Armee-Abteilung (50000 M.), welche die Einschließung von Paris gegen Westen und Süden sichern soll. Sie drängt zunächst ein von Westen her anrückendes französisches Korps in beschwerlichem Kleinkriege gegen Freischaren nach Le Mans zurück.

Inzwischen hat die Loire-Armee sich befestigte Stellungen nördlich von Orléans geschaffen; von deutscher Seite aber rückt Prinz Friedrich Karl heran, und der Großherzog von Mecklenburg kommt von Westen her zu gemeinsamem Angriff. Das erneute Vorrücken der Loire-Armee wird durch die

28. Nov.

Schlacht bei Beaune la Rolande (II. Armee) und die

2. Dez.

Schlacht bei Loigny-Poupry (Großherzog von Mecklenburg) rechtzeitig vereitelt.

Nach weiteren harten Kämpfen der beiden deutschen Heere wird Orléans von ihnen besetzt.

Von der Loire-Armee entweicht ein Teil nach Süden, wo General Bourbaki neue Streitkräfte organisiert (vgl. S. 388), der andere wird durch General Chanzy nach Westen zurückgeführt und auch durch Verstärkungen neu gefestigt. Chanzy versucht, über Vendôme auf Paris zu ziehen; dies vereitelt die deutsche Armee-Abteilung durch schwere Kämpfe

7.–10. Dez.

bei Beaugency-Cravant. Chanzy geht hinter die Loir auf Le Mans zurück. Deutsche Erkundungsgefechte: Das Detachement Boltenstern bei Montoire[387] (27. Dez.). Die Regierung von Tours wird nach Bordeaux verlegt. (Gambetta in Bourges.)

1871. Jan.

Die Armee-Abteilung wird aufgelöst und findet teils bei der II. Armee, teils bei Orléans und Paris Verwendung. Prinz Friedrich Karl, unaufhaltsam vorrückend trotz der Winterkälte, vernichtet die Armee des General Chanzy (150000 M.) in der

10.–12. Jan.

Schlacht vor Le Mans (20000 Gefangene). Die deutsche II. Armee bleibt bei Le Mans und an der Loire, das Korps des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin marschiert nach Rouen.

b) Der Feldzug im Norden und Nordwesten Frankreichs.

Um die Einschließung von Paris gegen Truppenansammlungen im Norden Frankreichs zu sichern, rückt die I. Armee, drei preußische Korps unter General v. Manteuffel, von Metz aus in nordwestlicher Richtung vor (S. 386). Sie schlägt die aus Marinetruppen und Mobilgarden gebildete französische Nordarmee in der

1870. 27. Nov.

Schlacht bei Amiens, nimmt diese Stadt ein und besetzt dann Rouen (5. Dez.); die dort auftretende französische Westarmee (S. 385) weicht ernsten Kämpfen aus. Die Nordarmee, von General Faidherbe wieder gesammelt und verstärkt, rückt wieder gegen Amiens vor.

23. u. 24. Dez.

Schlacht an der Hallue (Nebenfluß der Somme). Die Franzosen ziehen sich unter Mangel und Kälte auf Arras zurück. Die Deutschen belagern darauf die Festung Péronne; Faidherbes Versuch, diese zu entsetzen, wird vereitelt durch die Schlacht bei Bapaume (3. Jan. 1871); Péronne ergibt sich 9. Jan. Die bei Rouen verbliebenen Ostpreußen (I. A.-K.) zerstreuen eine Ansammlung der Westarmee durch das Gefecht bei Robert-le-Diable (4. Jan.).

Am 8. Jan. hat für den zum südöstlichen Kriegsschauplatz abberufenen Gen. v. Manteuffel Gen. v. Goeben den Oberbefehl übernommen. Der Plan der Franzosen, über St. Quentin und Reims auf Paris zu marschieren, wird rechtzeitig erkannt; sie werden durch das Gefecht bei Tertry-Poeuilly (18. Jan.) aufgehalten.

1871. 19. Jan.

Schlacht von St. Quentin, in welcher General v. Goeben die Nordarmee entscheidend schlägt. Die Nordfestungen verhindern ausgiebige Verfolgung.

c) Der Feldzug im Osten Frankreichs.
1870 (Okt.).

General v. Werder wendet sich nach der Einnahme von Straßburg (S. 385) gegen die Francti[388]reurs in den Vogesen und die französische Ostarmee in Ober-Elsaß und Burgund, insbesondere um den Heeren vor Paris und Metz die Verbindung nach Deutschland zu sichern. Die Ostarmee will den Abstieg aus den Vogesen bei St. Dié verwehren, wird aber auf Besançon zurückgedrängt. Die badischen Truppen besetzen Dijon (31. Okt.); die aus dem Elsaß nachrückende Landwehr-Division v. Tresckow schließt die Festung Belfort ein (8. Nov.).

Die Franzosen verstärken sich durch Heranziehung der vor Orléans (S. 386) geschlagenen und bei Bourges wieder gesammelten Loire-Truppen; den Oberbefehl übernimmt Gen. Bourbaki. Gen. v. Werder tritt den von Süden her anrückenden Feinden bei Nuits entgegen (18. Dez.), räumt dann aber freiwillig Dijon, um die Belagerung von Belfort zu decken, und vereinigt sein Korps in starker Stellung bei Vesoul (30. Dez.). Bourbaki, von Gambetta getrieben, aber durch mangelnde Ausrüstung der Truppen gehemmt, beginnt seinen Vormarsch. Dijon wird von den unter Garibaldis (S. 370, 381) Befehl stehenden Freischaren besetzt.

1871. 9. Jan.

Treffen bei Villersexel, anfangs glücklich für die Franzosen, aber bei Abbruch des Nachtgefechts ist die Stadt in deutscher Hand.

General v. Werder durchkreuzt die Absicht Bourbakis, ihn von Belfort abzudrängen, durch Abmarsch hinter die Lisaine (Nebenfluß des Doubs) und schiebt sich in einer Stellung Héricourt-Montbéliard zwischen die französische Ostarmee und Belfort.

15.–17. Jan.

Schlacht an der Lisaine. In dreitägigem Kampfe bei strenger Kälte gelingt es den Franzosen (140000 M.) nicht, die deutschen Linien (43000 M., Badener und preußische Landwehr) zu durchbrechen; in voller Auflösung strömt die Ostarmee auf Besançon zurück.

Zu derselben Zeit erreichen die zur Unterstützung gesandten deutschen Truppen (II. und VII. A.-K.) unter General v. Manteuffel die Gegend westlich Vesoul. Auf die Nachricht von Werders Sieg wendet sich Manteuffel sofort südlich nach Besançon; Werder schließt sich diesem Vormarsch an. Weitestes Vordringen einer deutschen Südarmee.

Hierdurch ist für Bourbaki der Rückzug nach Westen oder Süden abgeschnitten; nach seiner Absetzung führt General Clinchant die Ostarmee auf Pontarlier, in der Hoffnung, längs der Grenze zu entkommen. Durch den Jura drängen aber die Deutschen kräftig nach, und unter letzten Gefechten bei La Cluse und Pontarlier tritt die Ostarmee (80000 Mann) auf Schweizer Gebiet (1.–3. Febr.) über und gerät damit in Kriegsgefangenschaft. Nur Teile der Division Cremer entkommen nach Südfrankreich.[389]

Beim Vormarsch auf Belfort (Vesoul) hatte General v. Manteuffel die Brigade v. Kettler gegen Dijon geschickt. Das dort stehende Korps Garibaldi (20000 M.) beschränkt sich darauf, die Angriffe dieser 5 Bataillone am 21. und 23. Januar abzuwehren (Verlust der einzigen deutschen Fahne — aufgefunden unter Leichen). Als Verstärkung für General v. Kettler anrückt, ziehen sich Garibaldis Scharen mit Benutzung der Eisenbahn nach Lyon zurück.

1871. 16. Febr.

Übergabe von Belfort. Selbst während der Schlacht an der Lisaine waren die Angriffsarbeiten nicht unterbrochen worden. Den tapferen Verteidigern (Oberst Denfert) wird freier Abzug gewährt.

d) Belagerung von Paris.

Starke Befestigungen: Ringmauer von 34 km Umfang mit Umwallung, davor ein Gürtel von Forts, namentlich auf der Ost- und Südseite; im Westen der stark befestigte Mont Valérien, im Norden der befestigte Vorort St. Denis, im Osten der steile Mont Avron, »der Schlüssel von Paris«. Besatzung 72000 M. Linien- und Marinetruppen, 115000 M. Mobilgarden aus der Provinz, über 130000 M. Nationalgarde.

Einschließung durch die III. und IV. deutsche Armee (S. 385) in einem Gürtel von 82 km Umfang, anfangs nur 130000 M., bald auf 240000 M. verstärkt. Hauptquartier König Wilhelms in Versailles. Alle Entsatzversuche der französischen Loire- und Nordarmee werden vereitelt, ebenso die zahlreichen Ausfälle der Belagerten.

1870. 21. Okt.

Ausfallgefecht bei La Malmaison (im Westen), General Ducrot wird zurückgeschlagen.

30. Okt.

Erstürmung von Le Bourget (im Nordosten) durch die preußische Garde. Dies Dorf lag unter den Geschützen von 5 Forts und war am 28. Okt. (deutscherseits schwach besetzt) von den Franzosen genommen. Fernere Gefechte bei Le Bourget am 21. Dez. und 13. Jan.

Der ernstlichste Versuch zur Befreiung beginnt am 30. Nov. General Ducrot geht mit 40000 M. auf das linke Marne-Ufer und erobert, unterstützt durch Scheinangriffe anderer Abteilungen im Norden (Epinay) und Südosten (Mont Mesly), die östlich gelegenen Dörfer Brie und Champigny.

2. u. 3. Dez.

Schlacht b. Champigny-Yilliers. Ducrots Truppen, die auf den Anmarsch der Loire-Armee gehofft hatten (S. 386), werden in heftigem Kampfe zurückgeworfen (Württemberger und Sachsen unter dem preußischen General v. Fransecky).

Nachdem sich die Erwartung, Paris durch Hunger zu bezwingen, als falsch erwiesen hat, beginnt am[390]

1870. 27. Dez.

die Beschießung von Paris, zunächst gegen die Ostfront aus verschanzter Stellung, dem Mont Avron gegenüber, der von den Franzosen bald geräumt wird, sodann seit Anfang Januar auch gegen die Südfront, die Nordforts und St. Denis. Infolge des Eingreifens der schweren Artillerie gestaltet sich die Lage der Deutschen erheblich günstiger, weil die Verteidiger die Stellungen im Vor- und Zwischengelände räumen müssen.

1871. 18. Jan.

Erneuerung der deutschen Kaiserwürde im Spiegelsaal des Schlosses zu Versailles, nachdem die süddeutschen Staaten sich zu dauernder Vereinigung mit dem Norddeutschen Bunde bereit erklärt haben und König Ludwig II. von Bayern, der Aufforderung Bismarcks entsprechend, im Namen der Fürsten und freien Städte Deutschlands dem König Wilhelm I. von Preußen die Kaiserwürde angetragen hat.

Wilhelm I. Deutscher Kaiser 1871–1888.
19. Jan.

Schlacht am Mont Valérien (im Westen). Letzter großer Ausfall, bei dem auch die bisher geschonten Nationalgarden Verwendung finden. Die Franzosen nehmen St. Cloud, aber ihr Angriff (90000 M. unter General Trochu) scheitert, bevor er die Hauptstellung der Deutschen erreicht. Die tapferen Verteidiger von St. Cloud, beim Rückzug vergessen, ergeben sich am nächsten Tage.

Da jede Hoffnung auf Entsatz geschwunden ist und die Not der Bevölkerung von Paris bedenklich steigt, wird durch Unterhandlungen zwischen Favre und Bismarck die

28. Jan.

Übergabe von Paris zum Abschluß gebracht. Bedingungen: 1. Übergabe sämtlicher Forts mit dem Kriegsmaterial an die deutschen Truppen, Entwaffnung der Ringmauer. 2. Alle französischen Soldaten in Paris gelten als Kriegsgefangene und werden entwaffnet, mit Ausnahme von 12000 Mann, welche mit der Nationalgarde die Ordnung aufrecht erhalten; für die Verproviantierung sorgen die französischen Behörden. 3. Die Stadt Paris zahlt 200 Millionen Francs Kriegssteuer. 4. Waffenstillstand auf allen Kriegsschauplätzen, mit Ausnahme der Departements Doubs, Jura und Côte d’or, auf drei Wochen, um die Wahlen zu einer französischen Nationalversammlung zu ermöglichen, welche in Bordeaux zusammentreten und über Krieg und Frieden entscheiden soll.

Gambettas Widerstand gegen diese Übereinkunft wird bald gebrochen; er legt sein Amt als Mitglied der Regierung nieder (6. Febr.). Thiers, von der Nationalversammlung in Bordeaux an die Spitze der französischen Regierung gestellt, führt die Unterhandlungen mit Graf Bismarck.[391]

1871. 26. Febr.

Friedenspräliminarien zu Versailles: 1. Frankreich tritt an Deutschland ab: das Elsaß außer Belfort, ferner Deutsch-Lothringen mit Metz und Diedenhofen (Thionville), zusammen 14500 qkm mit 1½ Mill. Einwohnern; 2. Frankreich zahlt in drei Jahren 5 Milliarden Francs Kriegsentschädigung; zur Sicherstellung der Zahlung bleiben die östlichen Départements besetzt.

1. März.

Einzug von 30000 Mann deutscher Truppen in Paris und Besetzung eines Teils der großen Stadt. Nachdem die Friedensbedingungen noch an demselben Tage von der französischen Nationalversammlung angenommen worden sind, wird am 2. März Paris von den Deutschen geräumt. Kaiser Wilhelm verläßt das Hauptquartier Versailles am 7. März und kehrt nach Berlin zurück.

Die Friedensbedingungen werden bestätigt und im einzelnen näher bestimmt (Austausch eines französischen Bezirks bei Belfort gegen einen deutschen in Lothringen) in dem

10. Mai.

Frieden zu Frankfurt a. M. Die drei großen Ergebnisse des blutigen Krieges sind: 1. Das Aufhören der vorherrschenden Machtstellung Frankreichs. 2. Deutschland gewinnt eine sichere Westgrenze. 3. Die seit langen Jahren erstrebte Einigung Deutschlands ist verwirklicht.

14. April.

Der nach Berlin berufene Reichstag genehmigt fast einstimmig folgende Reichsverfassung: 1. An der Spitze des Reiches steht als Deutscher Kaiser der König von Preußen; die Kaiserwürde ist mit der Krone Preußens fortan erblich verbunden. Der Kaiser vertritt das Reich völkerrechtlich, erklärt Krieg und Frieden (mit Zustimmung des Bundesrats), schließt Bündnisse und Verträge, führt den Oberbefehl über die gesamte deutsche Land- und Seemacht. 2. Die Vertretung der 25 Staaten bildet der Bundesrat (im ganzen 58, seit 1911 61 Stimmen: Preußen 17, Bayern 6, Sachsen und Württemberg je 4, Baden, Hessen und Elsaß-Lothringen je 3, Mecklenburg-Schwerin und Braunschweig je 2, die übrigen je 1); den Vorsitz führt der Reichskanzler (der erste: Fürst Bismarck). 3. Die Vertretung der Bevölkerung bildet der zum 21. März 1871 zum erstenmal nach Berlin berufene deutsche Reichstag, bestehend aus 382 (seit Hinzutreten der Elsaß-Lothringischen 397) Abgeordneten, die aus allgemeinen und direkten geheimen Wahlen hervorgehen. Einheitliches Heerwesen mit allgemeiner Wehrpflicht: Im stehenden Heere 7 Jahre; hiervon aktiv bei Kavallerie und reitender Feldartillerie 3 Jahre, sonst seit 1893 2 Jahre; die übrige Zeit in der Reserve. Landwehrpflicht (I. und II. Aufgebot) bis zum vollendeten 39. und Landsturmpflicht bis zum vollendeten 45. Lebensjahre. Das Reich bildet ein Zollgebiet (S. 351). Gemeinsames Post- und Telegraphenwesen, gleichmäßige Verwaltung der Eisen[392]bahnen. Einheitliches Dezimal-, Münz-, Maß- und Gewichtssystem; Einheit des Rechts. Bayern und Württemberg haben sich Sonderrechte, namentlich in der Heeres- und Postverwaltung, vorbehalten.

Das Gebiet des neuen Deutschen Reiches umfaßt 544000 qkm; 1871: 41 Millionen, 1910: rund 65 Millionen (Preußen 40 Mill.) Einwohner. Das Reichsland Elsaß-Lothringen wird seit 1879 von einem Statthalter des Kaisers regiert (Gen. v. Manteuffel bis 1885, Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst bis 1894, Fürst Hohenlohe-Langenburg bis 1907, seitdem Graf v. Wedel). Anfangs im Bundesrat nicht vertreten, erhält es 1911 als 26. selbständiger Bundesstaat 3 Stimmen eingeräumt (S. 397).

Ihre Einkünfte erhalten die Einzelstaaten hauptsächlich aus direkten Steuern und aus der Verwaltung der Eisenbahnen, das Reich aus den Zöllen und indirekten Steuern, sowie aus Beiträgen der Einzelstaaten, soweit erforderlich (Matrikularbeiträge). Das Reich bestreitet die Ausgaben für Heer und Kriegsflotte. Grundlagen der Reichseinheit sind das deutsche Handelsgesetzbuch, schon 1861–65 in den meisten Staaten des Deutschen Bundes eingeführt, das deutsche Strafgesetzbuch von 1870, die Gesetze des Norddeutschen Bundes über Freizügigkeit 1867, die Gewerbeordnung 1869, das Bürgerliche Gesetzbuch (B.G.B.) 1900 u. a. (s. S. 394 ff.).

1871. März-Mai.

Herrschaft der sozialistischen Kommune in Paris. Nach der Kapitulation hatten sich die als Nationalgarde bewaffneten Arbeiter vieler Kanonen bemächtigt und die nordöstlichen Teile der Stadt (namentlich Montmartre und Belleville) fast in Festungen verwandelt. Der Versuch der Linientruppen, ihnen die Kanonen wieder abzunehmen, führt zu einem Aufstand; die Linientruppen räumen die Stadt und die Forts der Südseite. Der von den Aufständischen erwählte Gemeinderat (la Commune) verfügt Erpressungen und Gewaltmaßregeln. Schreckensherrschaft der Sozialisten unter Mitwirkung eines Ausschusses der »Internationale« (s. S. 394). Plünderung der Kirchen, Verhaftung des Erzbischofs Darboy und anderer »Geiseln«; fast alle werden schließlich ermordet. Ein Angriff auf die zum Schutze der jetzt in Versailles tagenden französischen Nationalversammlung vereinigten Truppen mißlingt, hauptsächlich infolge des Geschützfeuers vom Mont Valérien.

6. April.

Zweite Belagerung von Paris, unter Leitung Mac-Mahons, von Süden und Westen her, während die deutschen Truppen unter Beobachtung strenger Neutralität die nördlichen und östlichen Forts besetzt halten. Fort Issy genommen (9. Mai). Endlich dringen die Versailler Truppen in[393] die Stadt ein; verzweifelter Barrikadenkampf (21.–28. Mai). Die Hauptgebäude der Stadt (Tuilerien, Finanzministerium, Polizeipräfektur, Stadthaus u. a.) werden von den Aufständischen in Brand gesteckt, die Vendômesäule (S. 317) zerstört. Blutige Niederwerfung des Aufstandes; gegen 17 000 getötet, 50 000 gefangen; viele später zur Verbannung nach Neu-Kaledonien verurteilt.

1873. Sept.

Die deutschen Truppen verlassen nach beschleunigter Abzahlung der Kriegsentschädigung das französische Gebiet.

§ 9. Das Deutsche Reich seit 1871.

Das Deutsche Reich, als Bundesstaat geeinigt, bewährt sich als Hort des Friedens in Europa. Durch die mächtige Entwickelung der Gewerbetätigkeit und des überseeischen Handels, sowie die Erwerbung von Kolonien (seit 1884, s. § 20) nimmt es den ihm gebührenden Platz unter den Weltmächten ein. Der Aufschwung des wirtschaftlichen Lebens vermehrt die Klassengegensätze und gibt Anlaß zu einer sozialen Gesetzgebung (S. 395), die in anderen Ländern Nachahmung findet.

Bedeutsame Einwirkungen ergeben sich aus Streitigkeiten mit der katholischen Kirche und durch das Anwachsen der Sozialdemokratie, welche mit Hilfe des allgemeinen Wahlrechts den Staat und die Eigentumsverhältnisse umgestalten will (Lassalles Allgemeiner deutscher Arbeiterverein 1863, Internationale Arbeitervereinigung 1864 in London von K. Marx begründet, Gothaer Programm 1875).

1872.

Das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit (S. 381) veranlaßt in Deutschland, der Schweiz und Österreich die Bildung altkatholischer Gemeinden, die sich von der römisch-katholischen Kirche lossagen. Ausweisung des Jesuiten-Ordens aus dem Deutschen Reiche; in Preußen Schulaufsichtsgesetz.

1873–1875.

Kirchengesetze in Preußen (Kultusminister Falk), welchen die katholische Geistlichkeit Widerstand leistet. Die Bischöfe werden nach und nach abgesetzt; erledigte Pfarrämter können nicht wieder besetzt werden. Papst Pius IX. geht auf Verhandlungen nicht ein; sein Nachfolger Leo XIII. (1878–1903) zeigt sich nachgiebiger, gesteht die Anzeigepflicht bei Besetzung der Bistümer und Pfarrämter zu. Fürst Bismarck bewirkt 1880 Milderung der Kirchengesetze, 1886 und 1887 weitere Zugeständnisse, doch bleibt das Aufsichtsrecht des Staates über kirchliche Angelegenheiten.

1872.

Dreikaiserbund, von den drei Kaisern Wilhelm I., Franz Joseph und Alexander II. bei einer Zusammenkunft in Berlin geschlossen zur Aufrechterhaltung des Friedens.[394] Dies Bündnis löste sich infolge des russisch-türkischen Krieges und des Berliner Kongresses (s. S. 401).

1872–1875.

Verwaltungsreform in Preußen; Kreisordnung und Provinzialordnung. Die Kreise und Provinzen erhalten in mancher Hinsicht Selbstverwaltung; den Regierungsbehörden treten Kreistag und Kreisausschuß, Provinziallandtag und Provinzialausschuß zur Seite. Landgemeindeordnung s. S. 396.

1873.

Synodal-Ordnung für die evangelische Kirche in Preußen; 1874 Einführung der bürgerlichen Eheschließung und der Standesregister in Preußen, 1875 im ganzen Deutschen Reiche, 1876 General-Synodalordnung.

1874.

Reichs-Militärgesetz; die Friedenspräsenzstärke festgesetzt auf 401659 Mann, eingeteilt in 18 Armeekorps (14 preußische, 2 bayrische, l sächsisches, l württembergisches). In der Folgezeit wird die Zahl mehrmals erhöht, entsprechend der Zunahme der Bevölkerung; sie beträgt 1911 über 600000 Mann, eingeteilt in 23 Armeekorps (17, 3, 2, 1).

1874. Okt.

Begründung des Weltpostvereins. Auf Anregung der deutschen Reichspostverwaltung (Staatssekretär v. Stephan) einigen sich die europäischen und die meisten außereuropäischen Staaten auf einem Kongreß zu Bern über gemeinsame, dem Verkehr günstige Grundsätze der Postverwaltung.

1878.

Gesetz gegen die Ausschreitungen der Sozialdemokratie, veranlaßt durch zwei Mordversuche auf Kaiser Wilhelm I. der bei dem zweiten schwer verwundet wird. Verbot sozialdemokratischer Vereine und Zeitungen; Ausweisung der Parteiführer und ihrer Agenten aus den größeren Städten. Das Gesetz, zunächst für 2½ Jahre erlassen, dann verlängert, wird 1890 aufgehoben.

1879.

Neuer Zolltarif des Deutschen Reiches, vom Fürsten Bismarck veranlaßt, um durch Erschwerung der Einfuhr ausländischer Erzeugnisse die einheimische Produktion zu schützen und die Einkünfte des Reiches zu erhöhen (Schutzzollpolitik). Hamburg und Bremen, bisher Freihäfen, werden 1881 und 1885 zum Eintritt in die Zollgemeinschaft des Reiches (zum Okt. 1888), mit Vorbehalt eines beschränkten Freihafengebietes, veranlaßt. Seit dem Ende der 70er Jahre Verstaatlichung der Eisenbahnen in Preußen nach und nach durchgeführt (Minister Maybach). Später Betriebsgemeinschaft der preußischen und hessischen Bahnen eingerichtet.

1. Okt.

Die neuen Justizgesetze für das ganze Deutsche Reich (Gerichts-Verfassung, Zivil-Prozeß, Strafprozeß) treten in Kraft. Oberstes Reichsgericht in Leipzig. Bürgerliches Gesetzbuch (S. 396).[395]

1879. 7. Okt.

Infolge der Spannung zwischen Deutschland und Rußland nach dem Berliner Kongreß (S. 401 f.) Schutzbündnis zwischen dem Deutschen Reich und Österreich nach einem Besuch des Fürsten Bismarck in Wien (Graf Andrassy). Italien, durch Eröffnung der Gotthardbahn 1882 mit den nördlichen Ländern besser verbunden, schließt sich 1883 an; Dreibund zur Erhaltung des europäischen Friedens.

1884 Zusammenkunft der 3 Kaiser: Wilhelms I., Franz Josephs und Alexanders III. in Skierniewice in Polen; Neutralitätsvertrag mit Rußland (nach Bismarcks Rücktritt 1890 nicht wieder erneuert).

1881. 19. Nov.

Kaiserliche Botschaft an den Reichstag, betreffend die Gesetzgebung zur Förderung des Wohles der Arbeiter. Darauf 1883 Gesetz über Krankenversicherung, 1884–87 Gesetze über Unfallversicherung. (1908 waren 13 Mill. Reichsangehörige gegen Krankheit, 24 Mill. gegen Unfall versichert, S. 396).

1884.

Gründung deutscher Kolonien in Südwestafrika, Togo, Kamerun, 1885 in Ostafrika und auf den australischen Inseln (s. S. 423 ff.).

1884–85.

Kongo-Konferenz in Berlin unter dem Vorsitz des Fürsten Bismarck (s. S. 410).

Nach dem Tode des unvermählten Herzogs Wilhelm († 1884) ist 1885–1896 Prinz Albrecht von Preußen Regent des Herzogtums Braunschweig, da der erbberechtigte Herzog Ernst August von Cumberland, Sohn Georgs V. (S. 378), seine Ansprüche auf Hannover nicht aufgeben will. Sein Nachfolger 1907 Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg.

1886.

Ansiedlungsgesetz für die Provinzen Posen und Westpreußen zur Stärkung des Deutschtums, erneuert und ergänzt 1898, 1902, zuletzt 1908 mit Einführung eines beschränkten staatlichen Enteignungsrechts. Bis Ende 1907 wurden für über 300 Mill. Mark 335383 ha angekauft und darauf 15751 Ansiedlerstellen angelegt.

1888.

Landwehr- und Landsturmgesetz veranlaßt durch die in Frankreich (Kriegsminister Boulanger) und Rußland stattfindenden Kriegsrüstungen. Fürst Bismarcks Rede im Reichstag 6. Februar: »Wir Deutschen fürchten Gott, sonst nichts auf der Welt«. Der Friede bleibt erhalten.

1888. 9. März.

Tod Kaiser Wilhelms des Großen. Sein Sohn, krank in San Remo, kommt nach Charlottenburg und übernimmt die Regierung.

15. Juni.

Friedrich III., Deutscher Kaiser, König von Preußen †.[396]

Kaiser Wilhelm II. 1888-x.

Fortsetzung der Reichsgesetzgebung zum Wohle der Arbeiter: 1889 Gesetz über Invaliditäts- und Altersversicherung, 1891 Arbeiterschutzgesetz (Sonntagsruhe, Arbeitszeit der Frauen und Kinder beschränkt).

1890. März.

Europäische Arbeiterschutz-Konferenz zu Berlin: Beratung über allgemeine Maßregeln zur Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes.

20. März.

Fürst Bismarck scheidet aus seinen Ämtern als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident. Sein Nachfolger General v. Caprivi bis Okt. 1894, dann Fürst Hohenlohe (vorher Statthalter des Reichslandes); Okt. 1900 Graf Bülow (seit 1905 Fürst).

1890.

Grenzregulierung in Ostafrika zwischen Deutschland und England. Helgoland kommt an Preußen (Kreis Süder-Dithmarschen, s. S. 407). 1894 Abgrenzung des Hinterlandes von Kamerun durch Verträge mit Frankreich und England. Das deutsche Gebiet erreicht von Süden her den Schari und den Tsadsee.

1891.

Handelsverträge mit Österreich, Italien, Belgien, bald auch mit anderen Staaten; Herabsetzung der Zölle, wodurch eine schwierige Lage für die deutsche Landwirtschaft entsteht. In Preußen Fortsetzung der Verwaltungsreform: Landgemeinde-Ordnung (Minister Herrfurth); Reform der Steuern (Finanzminister Miquel).

1895.

Vollendung des Nord-Ostseekanals (von Brunsbüttel an der Elbe nach Holtenau bei Kiel 97 km) nach achtjähriger Bauzeit (Baukosten 156 Mill. Mark). Es folgt 1899 der Dortmund-Ems-Kanal und der Ausbau des Hafens von Emden, 1900 der Elb-Trave-Kanal. Der preußische Landtag genehmigt außer anderem 1905 den Bau eines Kanals vom Rhein (bei Duisburg) zur Weser bis nach Hannover (Mittellandkanal) und eines Großschiffahrtsweges von Berlin nach Stettin. Von Bayern und Elsaß-Lothringen Kanalisierung des Main und der Mosel angeregt. Verbesserungen der Wasserstraßen im Oberlauf des Rheins, der Elbe und Oder von den anliegenden Staaten erwogen. — Für die seit 1907 ausgeführte Erweiterung und Vertiefung des Kaiser-Wilhelms-Kanals sind 223 Mill. Mark bewilligt.

1898.

Pachtvertrag mit China über Kiautschou auf 99 Jahre (s. S. 420, 426).

30. Juli.

Fürst Bismarck † in Friedrichsruh.

Das Deutsche Reich erwirbt von Spanien die Karolinen, Marianen und Palau-Inseln, (S. 413).

1900. 1. Jan.

Das Bürgerliche Gesetzbuch tritt für das Deutsche Reich in Kraft.[397]

1900. März.

Erwerbung von Deutsch-Samoa (s. S. 407, 426). Deutschland, England, Frankreich, Rußland, Italien, Amerika, Japan treffen Abmachungen über die »Politik der offenen Tür« in China.

Flottengesetz zum Schutze des deutschen Welthandels (die Transportfähigkeit der deutschen Handelsflotte hat sich von 1876–1909 versiebenfacht). Bis 1917 soll die Kriegsflotte auf 38 Linienschiffe, 14 große, 38 kleine Kreuzer gebracht werden; dazu die Wacht- und Schulschiffe und die seit 1880 ansehnlich vermehrten Kanonen- und Torpedoboote.

1902.

Neuer Zolltarif als Grundlage für fernere Handelsverträge.

1906.

Erhöhung der Reichssteuern und beschleunigte Vermehrung der Kriegsflotte beschlossen.

1908–1909.

Reichsfinanzreform. An die Stelle des Fürsten Bülow tritt 1909 (Juli) Reichskanzler v. Bethmann Hollweg.

1910.

Besuch des Kaisers Nikolaus II. in Potsdam.

Verständigung mit Rußland. Keine der beiden Mächte will sich einer Staatenvereinigung anschließen, die ihre Spitze gegen die andere richtet.

1911. März.

Verfassungs- und Wahlgesetz für Elsaß-Lothringen. Die Staatsgewalt übt der Kaiser durch einen von ihm ernannten Statthalter aus (s. S. 392). Zwei-Kammersystem eingeführt. Die 41 Mitglieder der ersten Kammer werden von dem Kaiser auf Vorschlag des Bundesrats ernannt; die zweite Kammer (60) geht aus allgemeinen direkten Wahlen (an einem Sonntag) mit geheimer Abstimmung hervor.

Aug.

Vertrag mit Rußland über die Abgrenzung der Interessen der beiden Mächte in Persien. Deutschland verfolgt nur Handelsziele: Eisenbahn-, Wegebau-, Schiffahrts-, Telegraphenkonzessionen (s. S. 416, 419).

Nov.

Abkommen mit Frankreich über Marokko und Äquatorialafrika (s. S. 405).

Dez.

Schiffahrtsabgabengesetz. Privatbeamten-Versicherungsgesetz.

1912. 1. Jan.

Die Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911 tritt in Kraft.

§ 10. Österreich-Ungarn.

1867.

Nach dem unglücklichen Kriege mit Preußen und Italien von 1866 (S. 375 ff.) gelingt es dem Reichskanzler Graf Beust (1853–1866 Ministerpräsident in Sachsen), den Verfassungsstreit in Österreich (S. 357 f., 371) durch den[398] Ausgleich mit Ungarn auf der Grundlage des Dualismus beizulegen. Ungarn, mit Siebenbürgen und Kroatien wieder vereinigt (S. 371), erhält einen besonderen Reichstag (in Pest) und ein eigenes Ministerium. Die ungarische Verfassung wird wiederhergestellt. Kaiser Franz Joseph am 8. Juni in Pest als König von Ungarn gekrönt. Die cisleithanischen Länder (nebst Galizien) im Reichsrat (in Wien) vertreten. Zur Beschlußfassung über die gemeinsamen Angelegenheiten (Heerwesen, Finanzen, auswärtige Politik) treten jährliche Abgesandte (Delegationen) aus beiden Reichstagen zusammen. Von den gemeinsamen Ausgaben, soweit sie nicht aus dem Ertrag der Zölle bestritten werden, trägt Österreich zunächst 70%, Ungarn 30%. Ministerpräsident in Österreich Graf Beust (bis 1871), in Ungarn Graf Andrassy (bis 1879).

Der Doppelstaat wird in seiner inneren Entwickelung vielfach gehemmt durch die widerstrebenden Interessen und durch Nationalhaß der Tschechen, Polen und Magyaren gegen die Deutschen. Bemühungen der Tschechen um die Selbständigkeit der böhmischen (Wenzels-) Krone und die Wiederherstellung des sog. Böhmischen Staatsrechts. 1874 Kirchengesetze an Stelle des Konkordats von 1855.

1878.

Besetzung der bis dahin türkischen Provinzen Bosnien und Herzegowina (S. 401) zum Teil nach blutigem Widerstande.

1879.

Das Sandschak Novipazar auf Grund eines Abkommens mit der Türkei besetzt.

1879.

Bündnis mit dem Deutschen Reich, 1883 auch mit Italien (S. 395).

1880.

Taaffes Sprachenverordnung für Böhmen zu Ungunsten des deutschen Elements. Die Universität Prag 1882 in eine deutsche und tschechische Hochschule geteilt.

1890.

Böhmischer Ausgleich. — 1883 magyarisches Schulgesetz in Ungarn. 1887 Kranken- und Unfallversicherung in Österreich. 1891 Krankenversicherung in Ungarn.

1888.

Das Wehrgesetz von 1879 durch ein neues ersetzt. Steigerung der Rekrutenzahl. 1892 Erhöhung der Friedenspräsenz. 1893 Ergänzung zum Landwehrgesetz von 1883. Neue Rekrutenvorlage 1909 bewilligt.

1889 (30. Jan.).

Tod des Kronprinzen Rudolf (geb. 1858).

1897.

Badenis Sprachenverordnungen für Böhmen und Mähren. Obstruktion der Deutschen im Reichsrat bei der Herstellung des Ausgleichs mit Ungarn.

1898 (10. Sept.).

Die Kaiserin Elisabeth in Genf ermordet.

1899.

Aufhebung der Sprachenverordnungen für Böhmen und Mähren.

1901.

Wasserstraßenvorlage zur Verbindung der Donau mit der Elbe und Oder genehmigt.[399]

1906.

Bewilligung eines eigenen Zolltarifs für Ungarn. Damit sind nach heftigen parlamentarischen Kämpfen in beiden Reichshälften die Magyaren der angestrebten Auflösung der Gemeinschaft mit Österreich einen Schritt näher gekommen.

1907.

Reform des Wahlgesetzes für die cisleithanischen Länder.

1908. Okt.

Aufnahme Bosniens und der Herzegowina in den Staatsverband der österreichischen Monarchie. Zunächst bilden die beiden Provinzen (51110 qkm) ein Verwaltungsgebiet für sich. 1910 besondere Verfassung für Bosnien und Herzegowina erlassen. Das Sandschak Novipazar den Türken als Entschädigung zurückgegeben. Kriegsdrohungen in Serbien und Montenegro wegen Vernichtung der groß-serbischen Hoffnungen. Im Febr. 1909 Anerkennung der Annexion durch die Pforte gegen Zahlung von 2½ Mill. türkischen Pfund (60 Mill. Frs.) für die ehemals türkischen Staatsgüter. Infolge der energischen Unterstützung der österreichischen Politik durch das Deutsche Reich lassen die Mächte in Belgrad erklären, daß Serbien auf die Hilfe von Rußland, Frankreich und England nicht zu rechnen habe. Daraufhin stellt Serbien die Rüstungen ein (März 1909); Kronprinz Georg verzichtet zu Gunsten seines Bruders Alexander.

1911.

Stapellauf des ersten österreichisch-ungarischen Dreadnought: Viribus unitis.

§ 11. Rußland.

In Rußland unter Kaiser Alexander II. manche Reformen der Verwaltung (vgl. S. 369); die auswärtige Politik bleibt auf die Balkanhalbinsel, wo das türkische Reich immer schwächer wird, und auf Asien gerichtet.

1877–1878.

Russisch-türkischer Krieg.

Veranlassung: Die Fürsten Nikita von Montenegro und Milan von Serbien beginnen 1876 Krieg gegen die Türkei zur Unterstützung eines in der Herzegowina gegen die türkischen Grausamkeiten ausgebrochenen Aufstandes. Eine Erhebung der Bulgaren wird von den Türken blutig unterdrückt, die Serben werden an der Morawa zurückgeschlagen. Die Großmächte, namentlich Rußland und England, verhandeln mit der Türkei über Reformen der Regierung und Sicherung der christlichen Untertanen. Da die Verhandlungen erfolglos bleiben, erklärt Rußland den Krieg.

Nach Abschluß eines Vertrages mit Rumänien (Fürst Karl von Hohenzollern-Sigmaringen, s. S. 367) geht ein russisches Korps bei Galacz über die Donau und besetzt die Dobrudscha;[400] das Hauptheer, bei welchem Kaiser Alexander II. sich befindet, erzwingt den

1877. 27. Juni.

Übergang über die Donau bei Sistowa. Während ein fliegendes Korps unter General Gurko schnell auf einem unbesetzten Nebenpaß den Balkan überschreitet und durch einen Angriff von Süden her (17.–19. Juli) die türkische Besatzung von dem wichtigen Schipka-Paß vertreibt, macht der eine Hauptteil des Heeres unter dem Großfürsten-Thronfolger Alexander Front nach Osten und verhindert in monatelangen, schweren Kämpfen an den Flüssen Jantra und Lom den von dorther zu befürchtenden Durchbruch eines türkischen Heeres.

Der andere Teil des russischen Heeres nimmt Nikopoli (15. Juli), wird aber vor Plewna (südwestlich von Nikopoli), wo Osman Pascha türkische Streitkräfte gesammelt hat und starke Befestigungen anlegt, blutig zurückgewiesen (20. und 30. Juli) und muß Verstärkungen abwarten.

Währenddessen bestürmt Suleiman Pascha von Süden her mit überlegener Macht, aber vergeblich (Hauptkämpfe am 23. Aug. und 17. Sept.) den Schipka-Paß. Er erhält dann den Oberbefehl über die türkische Ost-Armee am Lom, kann aber Plewna nicht entsetzen.

Eintreffen der Truppen Rumäniens und russischer Verstärkungen vor Plewna. Nach dem Mißlingen eines neuen Gewaltangriffs (7.–12. Sept.) wird zur regelmäßigen Belagerung (Gen. Totleben) geschritten und

10. Dez.

Plewna genommen durch General Skobeleff. Osman Pascha muß sich nach einem vergeblichen Durchbruchsversuch mit 44000 Mann ergeben. Rückkehr der Rumänen in ihr Land, des Kaisers Alexander II. nach Petersburg. Serbien erklärt von neuem den Krieg an die Pforte.

Die russischen Heere rücken vom Balkan aus vor bis nahe an Konstantinopel.

Auf dem asiatischen Kriegsschauplatz werden die Russen zuerst von Muchtar Pascha mehrfach geschlagen, dringen dann aber nach Erstürmung von Kars (18. Nov.) siegreich bis Erzerum vor.

Die Türkei ruft die Vermittelung Englands an, sieht sich aber durch die Bedrohung von Konstantinopel genötigt, sich mit Rußland zu verständigen.

1878. 3. März.

Friede zu San Stefano (unweit Konstantinopel): 1. Montenegro und Serbien, beide durch türkisches Gebiet erheblich vergrößert, werden als unabhängig anerkannt, ebenso Rumänien. 2. Bulgarien, bis zum Ägäischen Meere vergrößert, bleibt der Pforte tributpflichtig, erhält aber einen christlichen Fürsten und eigene Verwaltung; ein russischer Kommissar mit 50000 Mann bleibt auf 2 Jahre im Lande.[401] 3. Die Pforte führt in dem ihr verbleibenden geringen Rest ihrer europäischen Besitzungen (159000 qkm) gewisse Reformen ein. 4. Sie zahlt an Rußland 300 Millionen Rubel und tritt in Asien bedeutende Teile Armeniens, in Europa die Dobrudscha ab; letztere wird von Rußland als Ersatz für den von ihm 1856 abgetretenen und jetzt zurückzunehmenden Teil von Bessarabien (s. S. 367) an Rumänien gegeben.

Widerspruch Englands gegen diese Bedingungen; auch Österreich will Rußlands Übermacht auf der Balkanhalbinsel nicht zugeben. Die Türkei ruft den Schutz Englands an und gibt die Insel Cypern in englische Verwaltung.

Nachdem unter Deutschlands Vermittelung, um einen neuen Krieg zu verhüten, Rußland und England sich über die wichtigsten Streitpunkte vorläufig verständigt haben, tritt unter dem Vorsitz des Fürsten Bismarck zusammen der

1878. 13. Juni bis 13. Juli.

Berliner Kongreß.

Hauptsächlichste Bestimmungen: 1. Montenegro, Serbien und Rumänien werden unabhängig, doch werden die an beide erstere Staaten zu machenden Abtretungen beschränkt, das von Rumänien für Bessarabien einzutauschende Gebiet etwas vergrößert. 2. Das Fürstentum Bulgarien wird auf das Land zwischen Donau und Balkan, jedoch einschließlich Sofia und Gebiet, beschränkt. 3. Der südliche Teil Bulgariens, jedoch nach Westen und Süden erheblich enger begrenzt, bleibt als Provinz Ostrumelien unter der Botmäßigkeit des Sultans, erhält aber eigene Verwaltung unter einem christlichen Generalgouverneur. 4. Die russischen Truppen sollen Ostrumelien und Bulgarien innerhalb 9 Monaten, Rumänien innerhalb eines Jahres räumen. 5. Österreich übernimmt die Besetzung und Verwaltung Bosniens und der Herzegowina. 6. Der Türkei wird die Abtretung eines Teils von Epirus und Thessalien an Griechenland empfohlen. 7. Rußland begnügt sich in Asien mit Batum (als Freihafen), Kars, Adaghan und einigen angrenzenden Gebieten. 8. In der Türkei und allen von ihr losgelösten Staaten soll politische Gleichberechtigung aller Konfessionen herrschen. 9. Der 1841 zwischen den 5 Großmächten und der Pforte abgeschlossene Vertrag (vgl. S. 353), wonach kein Kriegsschiff in die Dardanellen einlaufen darf (bestätigt im Pariser Frieden von 1856, S. 367), wird erneuert. Die Schließung der Dardanellen für fremde Kriegsschiffe wird der Pforte zur Pflicht gemacht.

1872 - 1876

hatte Rußland bereits seine asiatische Provinz Turkestan (Taschkent und Samarkand, S. 369) durch Unterwerfung des Chans von Khiwa, des Emirs von Bochara und des Chans von Kokand (Ferghana) erweitert,[402] 1875 durch Vertrag mit Japan sich den Besitz der Insel Sachalin gesichert.

Nach dem Berliner Kongreß zeigt Rußland (Minister Fürst Gortschakow) feindselige Haltung gegen Deutschland, welches deshalb das bisherige engere Verhältnis zu Rußland (S. 393f.) löst und sich mit Österreich verbündet (S. 395). Kaiser Alexander II., im Begriff, eine Volksvertretung zu berufen, wird 1881 durch Verschwörer (Nihilisten) ermordet.

1881–1894.

Alexander III. (Gem. Dagmar — Maria Feodorowna — von Dänemark) ordnet strenge Maßregeln an gegen das Deutschtum in den Ostseeprovinzen (Russifizierung der Universität Dorpat), schließt trotz des Neutralitätsvertrages mit Deutschland Freundschaft mit Frankreich (S. 395, 404). 1893 Zollkrieg gegen Deutschland, der aber 1894 durch Handelsvertrag beigelegt wird.

1885.

Vertrag mit England über die Nordgrenze von Afghanistan, nachdem Rußland 1884 das Gebiet von Merw besetzt hat. 1887 nimmt Rußland noch Pendschdeh. Bau der Transkaspischen Eisenbahn, 1888 bis Samarkand vollendet. Rußland nimmt dann 1892–1895 den größten Teil des Pamirhochlandes in Besitz, baut die Sibirische Eisenbahn, 1901 bis Wladiwostock vollendet.

Nikolaus II. (Gem. Alix — Alexandra Feodorowna — von Hessen), seit Nov. 1894, stellt bessere Beziehungen zu Deutschland her.

1899.

Kongreß im Haag; auf Rußlands Wunsch wird ein Schiedsgericht für internationale Streitigkeiten eingesetzt.

1904–1905.

Nach dem unglücklichen Verlauf des Krieges gegen Japan (s. S. 422f.) bedrohliche Unruhen im russischen Reiche: Attentate auf Mitglieder der Zarenfamilie (Großfürst Sergius, Oheim des Zaren, † 1905) und andere einflußreiche Persönlichkeiten, Judenverfolgungen, Plünderungen. Der Zar verkündet (19. Aug. 1905) die Berufung einer Duma (Reichsversammlung). In Livland Aufstand der Letten gegen die deutschen Gutsbesitzer.

1906.

Verfassung eingeführt (Reichsrat und Duma). Die erste Duma wird nach stürmischen Verhandlungen aufgelöst, ebenso 1907 die zweite. Reformdekrete der Regierung (Minister Stolypin, 1911 ermordet), namentlich zur Besserung der Lage des Bauernstandes; strenge Maßregeln gegen Polen und Livland. Die dritte Duma 1908 bewilligt eine bedeutende Anleihe.

1910–1911.

Abkommen mit Deutschland über Persien (S. 397).

1911.

Neues Abkommen mit Japan über die Mandschurei (vgl. S. 422f.).

Verständigung (Entente) mit Japan und endgültiger Ausgleich aller durch den Krieg von 1904–1905 bedingten An[403]sprüche ohne Hilfe eines Schiedsgerichts. — Rußland, das mit England noch 1907 die Unantastbarkeit und Unabhängigkeit Persiens verkündet, aber bereits 1909 ein gemeinsames Einschreiten gegen die Regierung des Schah und eine Teilung des Landes in eine russische (Norden) und englische (Süden) Interessenzone vereinbart hat, greift 1911 in die persischen Wirren ein (s. S. 419).

Abschluß einer Militärkonvention mit Bulgarien.

1912.

Rußland erkennt die Unabhängigkeit der Mongolei (s. S. 422) an und gesteht der Regierung in China nur die Aufsicht zu über die auswärtigen Beziehungen des Landes.

§ 12. Die dritte französische Republik.

Frankreich Republik seit 1871; ein Versuch, den Grafen Chambord (S. 349) als König einzusetzen, scheitert an dessen Weigerung, bestimmte Versprechungen zu geben und die Tricolore anzunehmen (1873, Okt.) Gesetz über allgemeine Wehrpflicht 1872. Organisationsgesetz 1873. Frankreich in 18 Regionen eingeteilt, denen je ein Armeekorps entspricht; das 19. in Algier. (1897 Einteilung in 19 Regionen; daher 20. Armeekorps eingerichtet.)

1873–1879.

Präsident Mac-Mahon, Nachfolger von Thiers. Marschall Bazaine, vom Kriegsgericht wegen der Übergabe von Metz zum Tode verurteilt, vom Präsidenten zu zwanzigjähriger Haft begnadigt, entkommt 1874 nach Spanien, stirbt dort 1888. Feststellung der Verfassung 1875: Präsident auf 7 Jahre, Senat, Deputiertenkammer. — Napoleon III. stirbt im Januar 1873 zu Chislehurst in England; sein Sohn fällt 1879 im Kriege der Engländer gegen die Zulukaffern, als Freiwilliger kämpfend.

1879–1887.

Präsident Grévy, 1885 wiedergewählt. Unterrichtsgesetz 1880 zur Beschränkung des Einflusses der Geistlichkeit; Ausweisung der Jesuiten, doch nicht streng durchgeführt. Gambetta Nov. 1881 Ministerpräsident, tritt aber nach zwei Monaten zurück, da die von ihm vorgeschlagene Änderung des Wahlgesetzes (Listenwahl statt Einzelwahl) abgelehnt wird. Starke Heeresrüstung, doch wird der Rachekrieg gegen Deutschland vertagt; der Kriegsminister Boulanger tritt zurück (Mai 1887), Frankreich wendet sich einer weitgreifenden Kolonialpolitik zu. Grévy dankt 1. Dez. 1887 ab.

1883.

Brazza legt die Station Brazzaville am Stanley Pool an und stellt eine Verbindung der Küste mit dem Kongo her. Auf der Kongo-Konferenz 1885 setzt Frankreich die Ausdehnung der bisherigen Kolonie Gabun bis zum rechten Ufer des Kongo durch. Von hier — »Französisch-Kongo« — aus dringen die Franzosen bis zum Tsadsee[404] vor und gewinnen durch Vertrag mit dem Deutschen Reich 1894 das Hinterland von Kamerun bis über den Schari hinaus (Äquatorial-Afrika, S. 396). 1908 die Grenze zwischen Französisch-Kongo, Kamerun und dem Kongostaat endgültig festgelegt.

1881.

Frankreich nimmt Tunis in Besitz, ohne die Proteste der Türkei und die Verstimmung Italiens zu beachten.

1883.

Das Reich Anam in Hinterindien (vgl. S. 369) tritt die Provinz Tonking an Frankreich ab und wird bald darauf französischer Schutzstaat. Frankreich behauptet diese Erwerbung im Kriege gegen China (1884–1885).

1885.

Die Insel Madagaskar kommt unter französische Schutzherrschaft; die Regierung der Königin der malaiischen Hova, Ranavalo Manjaka III., in Tananarivo 1896 aufgehoben.

1887–1894.

Präsident Carnot; Wehrgesetz, Freundschaft mit Rußland. Carnot wird von einem Italiener ermordet, sein Nachfolger Périer dankt Jan. 1895 ab, dann folgt Faure, 1899–1906 Loubet, beide bemüht, die Freundschaft mit Rußland zu erhalten. 1897 Unfallversicherung, 1901 Vereinsgesetz zur Beschränkung der geistlichen Orden und Kongregationen. 1903 Unterrichtsgesetz, Einrichtung weltlicher Volksschulen an Stelle der von Geistlichen geleiteten. 1905 Gesetz über Trennung von Kirche und Staat; deshalb Streit mit der katholischen Kirche. Der Kirchenbesitz wird den Gemeinden überwiesen. Gesetz über Altersunterstützung und Sonntagsruhe. Seit 1906 Präsident Fallières. 1907 und 1911 Winzerunruhen. Die Beziehungen Frankreichs zu England gestalten sich immer enger; das Bündnis mit Rußland bleibt erhalten.

1890.

Frankreichs Herrschaft im Gebiet des mittleren Niger (Sudan), der westlichen und mittleren Sahara von England anerkannt (S. 407) und 1904 erweitert (s. S. 405).

1891.

Tahiti, schon früher französischer Schutzstaat, wird nach dem Tode des englisch-protestantischen Königs Pomare V. französisches Gebiet.

1892.

Behanzin, König von Dahomey, (Ober-Guinea) besiegt. Sein Reich wird französische Kolonie.

1893.

In Hinterindien weiter vordringend nimmt Frankreich einen großen Teil des Reiches Siam in Besitz. 1904 der Menam als Grenze der französischen und englischen Einflußsphäre festgesetzt. 1907 wieder 3 Provinzen an der Grenze von Kambodscha an Frankreich abgetreten.

1898.

Frankreich versucht vom Kongo aus vordringend [405]Faschoda am oberen Nil zu besetzen (General Marchand), wird aber durch Kriegsdrohung Englands und Einmarsch des Gen. Kitchener genötigt, dies aufzugeben.

1905.

Nach Abschluß eines Vertrages mit England (8. April 1904), der alle kolonialen Differenzen aus dem Wege räumt (Frankreich erkennt Englands Herrschaft in Ägypten an, England räumt den Franzosen die Vorherrschaft in Marokko ein u. a. m.), sucht Frankreich die Schutzherrschaft über das Reich Marokko zu erwerben. Widerspruch Deutschlands; Reise Kaiser Wilhelms II. nach Tanger. Eine Konferenz der am Handel mit Marokko beteiligten Staaten in Algeciras (bei Gibraltar) beschließt (Febr. 1906) Reformen für Marokko unter gemeinsamer Aufsicht der in Tanger wohnenden Gesandten. Frankreich erhält eine bevorzugte Stellung in Marokko.

Ein östlicher, an Tunis angrenzender Teil des Reiches Marokko bleibt von den Franzosen besetzt; 1907 besetzen sie auch die Hafenstadt Casablanca und das benachbarte Schauja-Gebiet. Sultan Muley Hafid, seit 1908 von den europäischen Staaten anerkannt, sucht sich ihren Forderungen zu entziehen. 1909 Krieg Spaniens gegen die Rifkabylen. Schwere Kämpfe um Melilla (s. S. 413). Die Häuptlinge unterwerfen sich. Gleichzeitig der Thronprätendent Bu Hamara im Kampfe gegen Muley Hafid. Ersterer besiegt und gefangen. Die Konsuln der Mächte schreiten ein gegen Muley Hafids Grausamkeiten.

1911.

Neue Unruhen in Marokko. Der Sultan, von feindlichen Stämmen in Fez eingeschlossen, ruft Frankreichs Hilfe an. Darauf französische Expedition nach Fez, angeblich zum Schutz der bedrohten Europäer. Der Sultan gerät ganz in die Gewalt der Franzosen. Diese treten ziemlich unbeschränkt im Lande auf. (Juli) Entsendung eines deutschen Kriegsschiffes nach Agadir zur Verteidigung bedrohter deutscher Interessen. Nach schwierigen Unterhandlungen, wobei Frankreich von dem verbündeten England geleitet und unterstützt wird, 4. Nov. Marokkoabkommen zwischen Deutschland und Frankreich: Deutschland verzichtet auf jeden Landerwerb im Scherifenreich (Sus-Provinz), nachdem seine handelspolitischen und wirtschaftlichen Interessen nach Möglichkeit sicher gestellt sind. Frankreich übernimmt das Protektorat in Marokko, tritt von Äquatorial-Afrika ein Gebiet von etwa 300000qkm im Süden und Osten von Kamerun mit Zugang zum Kongo und Ubangi an das Deutsche Reich ab. Das Dreieck zwischen Logone und Schari (12000 qkm) von Deutschland an Frankreich überlassen.

Frankreich erwirbt einen erheblichen Teil der Negerrepublik Liberia. Östlich von Tunis besetzt es die Oase Djanet (zu Tripolis gehörig).[406]

§ 13. England.

England 1837–1901 unter der Königin Viktoria (S. 353) ist hauptsächlich bestrebt, sein ungeheures Kolonialreich zu erhalten und zu erweitern.

1867.

Krieg gegen Negus Theodor von Abessinien. Magdala von Sir Robert Napiers mit indischen Truppen erstürmt; Theodor †. Abessinien wird von den Engländern geräumt.

1869.

Der Suez-Kanal eröffnet, 160 km lang; nach zehnjähriger Bauzeit vollendet unter Leitung des Franzosen Ferdinand de Lesseps (früher franz. Konsul in Kairo). Abkürzung des Seewegs nach Indien, Ostasien, Australien. Jährlich benutzen den Kanal jetzt gegen 4000 Schiffe.

1876.

Die Königin Viktoria nimmt auch den Titel Kaiserin von Indien an. Seitdem nach jedem Thronwechsel besondere Krönungsfeierlichkeiten in Delhi (S. 219).

1877–1881.

Krieg in Afghanistan, um die dem Emir 1869 auferlegte Schutzherrschaft zu erhalten General Roberts besetzt 1879 die Hauptstadt Kabul und dringt bis Kandahar vor (s. S. 419f.).

1877.

Erweiterung des Besitzes in Südafrika. Die Transvaalrepublik, begründet 1848 von holländischen Buren, die aus der Kapkolonie[61] auswanderten, wird dem englischen Kolonialgebiet einverleibt; bald wird auch ein großer Teil des Kaffernlandes englischer Schutzstaat. Unabhängig bleibt der 1854 von England anerkannte Oranje-Freistaat.

1878.

England nimmt Cypern in Verwaltung (S. 401).

1879.

Krieg gegen die Zulukaffern (Cetewayo). Prinz Louis Napoleon † (S. 403).

1881.

Erhebung der Buren gegen die englische Herrschaft und Sieg bei Majubahill. Die Transvaalrepublik (Südafrikanische Republik) wieder hergestellt, doch behält England in dem 1884 geschlossenen Vertrage sich die Genehmigung der Verträge dieses Staates mit anderen Staaten vor.

1882.

Besetzung von Ägypten, veranlaßt durch einen Militäraufstand in Alexandrien unter Arabi Pascha gegen den Khedive Tewfik und durch die Ermordung vieler Europäer; Arabi bei Tel-el-Kebir von Wolseley besiegt und gefangen. Dem Namen nach bleibt die Regierung des dem türkischen Sultan tributpflichtigen Vizekönigs (Khedive); tatsächlich wird Ägypten ein englischer Schutzstaat. Neuordnung der[407] Verwaltung und des Heeres (Baring und Kitchener); Nilstauwerk bei Assuan.

1883–1885.

Aufstand des ägyptischen Sudan gegen die Engländer unter Führung des Mahdi, eines mohammedanischen Propheten. Vernichtung eines ägyptischen Heeres von 11000 Mann (Hicks Pascha) bei El Obeïd. Der englische General Gordon versucht Khartum zu behaupten, wird bei der Eroberung der lange belagerten Stadt von den Truppen des Mahdi getötet (Jan. 1885). Fruchtlose Nilexpedition der Engländer; sie behalten im Sudan nur den Hafen Suakin, verteidigen aber Ägypten mit Erfolg gegen wiederholte Angriffe der Mahdisten (1885–1898). In der Äquatorprovinz (Wadelai) hält sich der deutsche Afrikaforscher Emin Pascha (Dr. Schnitzer) als Statthalter des Khedive, bis er 1889 von Stanley nach der Küste (Bagamoyo) geführt wird. 1893 wird Emin bei einem Versuch, bis zum Kongo vorzudringen, ermordet.

1884.

Britisch Neu-Guinea wird unter englischen Schutz gestellt.

1886.

England erweitert sein indisches Reich durch völlige Unterwerfung von Birma in Hinterindien (S. 353).

1889.

Vertrag mit Deutschland und den Vereinigten Staaten über die Samoa-Inseln.

1890.

Vertrag mit Deutschland über Ostafrika. Das Wituland, Uganda und Sansibar englisch; das deutsche Gebiet zwischen Kilimandscharo und Rovumafluß reicht im Innern bis zu den großen Seen.

Vertrag mit Frankreich über Westafrika: England herrscht im Gebiet des unteren Niger (Nigeria) bis zum Tsadsee. Abgrenzung der englischen und französischen Gebiete gegen das Deutsche Hinterland von Kamerun durch Verträge mit dem Deutschen Reiche 1893 und 1894.

1890–1893.

England erweitert sein Gebiet in Südafrika durch Unterwerfung des Betschuana- und Matabele-Landes. Cecil Rhodes, Leiter der Britischen Südafrika-Gesellschaft, seit 1890 Minister der Kapkolonie, verfolgt noch weitergreifende Pläne, findet aber Widerstand bei den Buren-Republiken (S. 408). Transvaal wehrt einen Einfall englischer Streifscharen (800 Mann) unter Jameson bei Krügersdorp ab (1. Jan. 1896). Jameson gefangen, an England ausgeliefert, zu längerer Haft verurteilt, aber bald begnadigt.

1897.

Die Engländer besetzen Tirah, ein afghanisches Grenzgebiet.

1898.

England gewinnt die Herrschaft über den ägyptischen Sudan zurück; General Kitchener siegt bei Omdurman und erobert Khartum.

1899.

Abermaliger Vertrag über die Samoa-Inseln; sie werden geteilt zwischen Deutschland und den Ver[408]einigten Staaten. England verzichtet auf einen Anteil, erhält dafür bedeutenden Gebietszuwachs im Hinterlande von Togo, außerdem die Tongainseln und die Inseln Choiseul und lsabel (Salomoninseln).

1899–1902.

Krieg Englands gegen die Buren in Südafrika.

Äußerer Anlaß: Zurücksetzung der Ausländer in Transvaal. Die Buren in Transvaal (Präsident Krüger) schließen ein Bündnis mit dem Oranje-Freistaat (Präsident Steijn) und erklären den Engländern den Krieg. Sie dringen in das englische Gebiet Natal ein und führen den Krieg anfangs erfolgreich. Einschließung einer englischen Division in Ladysmith; die Entsatzversuche des Gen. Buller werden (Dez.) bei Colenso und (Jan. 1900) am Spion-Kop abgeschlagen. Ebenso werden englische Truppen, die in den westlichen Teil von Transvaal eingedrungen sind, in Kimberley und Mafeking eingeschlossen.

1900.

Umschwung zu Gunsten der Engländer, nachdem Lord Roberts den Oberbefehl übernommen hat; ihr Heer wird bald auf 100000 Mann gebracht, gegen etwa 45000 Buren. Doch erschwert die weite Ausdehnung des Kriegsschauplatzes die Erfolge. Im Febr. wird Kimberley entsetzt, Gen. Cronje mit 4000 Buren am Modderfluß gefangen. Auch Ladysmith wird von Gen. Buller entsetzt. Roberts mit der Hauptmacht besetzt Blomfontein, Hauptstadt des Oranje Freistaats, dann weiter Johannesburg, Pretoria, Hauptstadt von Transvaal, Middelburg, Lydenburg. Im Rücken des englischen Heeres beginnen die Burenführer de Wet und Olivier einen erfolgreichen Kleinkrieg; in der Kapkolonie erheben sich die Afrikander zu Gunsten der Buren. Präsident Krüger reist nach Europa, um Hilfe zu suchen, wird in Frankreich und den Niederlanden begeistert aufgenommen, erlangt aber keine Einmischung in den Krieg. († 1904 in der Schweiz.)

1901–1902.

Fortdauer des Kleinkrieges. Die Engländer unter Kitchener (über 200000 Mann) versuchen vergeblich die von Botha, de Wet u. a. geführten Streifscharen der Buren einzuschließen, führen aber viele Gefangene, namentlich Frauen und Kinder, hinweg in die durch Stacheldraht eingehegten Konzentrationslager. Andere werden nach Ceylon, Indien, St. Helena gebracht. Unterstützung mit Geldmitteln und Kriegsbedarf aus den Niederlanden, Frankreich und Deutschland reicht nicht aus, um den Buren zum Siege zu verhelfen. Friedensschluß 31. Mai 1902: die Burenstaaten sind aufgehoben: die Buren müssen in die Einverleibung ihrer beiden Staaten in das britische Südafrika willigen; jedoch wird ihnen baldige Selbstverwaltung versprochen (S. 409). Sie erhalten als englische Untertanen zur Herstellung zerstörter Wohnorte eine Beihilfe von 3 Mill. Pfund Sterling (60 Mill. Mark).[409]

1900.

Die englischen Kolonien in Australien (S. 302) werden durch eine Bundesverfassung zu einem Staat (Commonwealth) vereinigt.

Unter der langen Regierung der Königin Viktoria wechseln konservative und liberale Ministerien miteinander. 1843 irische Waffenbill (verbietet Einführung von Waffen nach Irland). 1845 Steuer- und Zollreform. 1869 Aufhebung der irischen Staatskirche. 1881 irische Landbill, vom Minister Gladstone beantragt, um die Mißstände und Unruhen in Irland zu bessern. 1885 Parlamentsreform (vgl. S. 348), nachdem schon 1867 das Wahlrecht erweitert war; Bildung gleichmäßiger Wahlkreise, das Wahlrecht bleibt an den Nachweis einer eigenen, wenn auch gemieteten Wohnung geknüpft (Minimalmietzins 10 Pfund Sterling). Der 1886 mit großer Mehrheit verworfene Antrag Gladstones, für Irland ein eigenes Parlament einzurichten (Home-rule-bill) wird 1893 vom Unterhaus angenommen, vom Oberhaus und dann von den Wählern verworfen. 1897 Haftpflichtgesetz zum Schutze der Arbeiter.

1901–1910. Jan. Mai.

König Eduard VII. (S. 352). Der Minister Chamberlain betreibt einen engeren Anschluß der Kolonien an das Mutterland (Zollbund und Beiträge zur Unterhaltung der Kriegsflotte), tritt aber 1903 zurück. Neue irische Landbill 1903; die Pächter können mit Beihilfe des Staates Landeigentümer werden. Die Einsetzung eines Verwaltungsrats für Irland, 1907 vom Unterhause beschlossen, wird nicht vollzogen, da die Iren Widerspruch erheben und ein eigenes Parlament fordern. 1908 Gesetz über Altersunterstützung. 1909–1910 sozialpolitische Gesetzgebung. Lord Roberts’ Antrag auf Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1909 vom Oberhaus abgelehnt.

1904.

Englisch-französischer Vertrag über Ägypten und Marokko (s. S. 405). Die Neutralität des Suezkanals durch England garantiert.

1904.

Englische Expedition von Indien aus nach Tibet. Lhassa, Residenz des Dalai-Lama, des Oberhauptes der Buddhisten, erreicht. Ergebnis: Tibet darf ohne Englands Zustimmung kein Gebiet an eine fremde Macht abtreten und keine Erlaubnis zur Anlage von Eisenbahnen, Telegraphenlinien und Bergwerken geben.

1909.

Englisch-russisches Abkommen über Persien (s. S. 403). Das englische Parlament genehmigt eine Bundesverfassung für die Südafrikanische Union mit Einschluß der früheren Burenstaaten, welche die 1902 versprochene Selbstregierung 1906 erhielten. Botha Premier-Minister.

Siam tritt die Staaten Kelantan, Trengganu und Kedah (auf Malakka) an England ab.[410]

1910-x.

König Georg V.

1911.

Englisch-amerikanischer Schiedsvertrag. Infolgedessen Revision des englisch-japanischen Bündnisses (s. S. 423).

Japan nähert sich Rußland wieder (s. S. 402).

Durch die radikale Parlamentsbill (Vetobill) des Ministers Asquith wird das Oberhaus fast aller seiner Rechte beraubt; es behält nur ein aufschiebendes Veto.

Während des Krönungsdurbar in Indien (Delhi) wird der alte Herrschersitz Delhi (S. 219, 300, 368) von König Georg V. an Stelle von Kalkutta zur Hauptstadt Indiens erhoben.

Englisch-ägyptische Truppen besetzen den Hafen und das Gebiet von Solum im Osten der Cyrenaica (Tripolis).

§ 14. Holland, Luxemburg, Belgien, Dänemark, Skandinavien, Schweiz.

Das Königreich der Niederlande unter Wilhelm III. 1849 bis 1890 (vgl. S. 340 u. 363). 1873–1879 Krieg gegen den Sultan von Atschin auf Sumatra. Der Widerstand der Atschinesen erst 1895 gebrochen. 1887 Verfassungsrevision. Nach dieser folgt dem König seine Tochter Wilhelmina, bis 1898 unter Vormundschaft der Mutter Emma von Waldeck, seit 1901 mit dem Prinzen Heinrich von Mecklenburg-Schwerin vermählt. 1911 Gesetz über Alters- und Invalidenversicherung.

Das Großherzogtum Luxemburg (S. 380), seit 1842 im deutschen Zollverein, kommt 1890 durch männliche Erbfolge an Adolf, den früheren Herzog von Nassau (S. 379). Ihm folgt 1905 sein Sohn Wilhelm, der letzte männliche erbberechtigte Oranier. Regentin die Großherzogin Maria Anna von Braganza. Thronerbin: Prinzessin Marie (kath.).

Belgien unter Leopold II. (1865–1909, s. S. 350) in friedlicher Entwickelung als Industriestaat, doch nicht ohne Parteikämpfe (Liberale und Klerikale) und Arbeiterunruhen.

1884–1885.
Nov. Febr.

Konferenz zu Berlin unter Vorsitz des Fürsten Bismarck über das durch Stanleys Reise 1876 bis 1877 erschlossene Kongo-Gebiet. Ein neutraler Kongostaat wird gegründet unter der Oberhoheit Leopolds II., Königs der Belgier.

1908.

Der Kongostaat wird Kolonialgebiet des Königreichs Belgien.

1909-x.

König Albert I. Neffe Leopolds II. (S. 352). Gemahlin Elisabeth, Herzogin in Bayern.

1910.

Weltausstellung in Brüssel, zum Teil durch Feuer zerstört.[411]

In Dänemark unter Christian IX. (1863–1906) lange Zeit Zwiespalt zwischen Regierung und Volksvertretung, besonders wegen der Befestigung von Kopenhagen, 1901 beigelegt durch Nachgeben des Königs. Kopenhagen befestigt. Herstellung freundlicher Beziehungen zu Deutschland seit dem Tode der Königin Luise 1898 (S. 362). König Friedrich VIII. seit 1906, vermählt mit Luise von Schweden. Befestigung der Verbindung mit den auswärtigen Besitzungen. 1904 neue Verfassung für Island. Reise des Königs Friedrich VIII. nach Island. Eifrige Pflege der Handels- und Verkehrsbeziehungen. 1903 Dampffähre für Eisenbahnzüge zwischen Warnemünde und Gjedser eröffnet. (Direkte Dampferlinie Kopenhagen-Bangkok.) Entsendung des Prinzen Waldemar zur Krönung des Königs von Siam 1911.

Schweden, 1872–1907 unter Oskar II., Bruder Karls XV. (S. 363), kann die seit 1814 bestehende Personalunion mit Norwegen nicht behaupten. Norwegen sagt sich 1905 los. Prinz Karl von Dänemark, Sohn Friedrichs VIII., Großneffe Oskars II., nennt sich als König von Norwegen Hakon VII. (s. S. 215). Seine Gemahlin Maud, Tochter Eduards VII. von England. In Schweden seit 1907 Gustav V., Gemahlin Viktoria von Baden. 1909 Dampffähre zwischen Trelleborg und Saßnitz (Rügen) eröffnet.

In der Schweiz 1874 Änderung der Bundesverfassung; für neue Gesetze wird der Bundesversammlung (S. 354) die Entscheidung entzogen und Volksabstimmung (Referendum) vorgeschrieben, wenn 8 Kantone oder 30000 Bürger sie verlangen. Ein Gesetz über Kranken- und Unfallversicherung wird 1900 durch Volksabstimmung verworfen, 1912 angenommen.

1905 Internationale Arbeiterschutz-Konferenz in Bern. Durchstich des Simplon 1906 vollendet, neue Eisenbahnverbindung mit Italien, für Frankreich erwünscht seit der Eröffnung der St. Gotthardbahn 1882. Bundespräsident ist seit 1903 Dr. Deucher.

§ 15. Italien.

Italien, seit 1861 einheitliches Königreich unter Viktor Emanuel II. (S. 370, 379, 381).

Dem Papste ist durch das Garantiegesetz von 1870 der Besitz der Peterskirche, des Vatikan- und des Lateranpalastes, dazu ein Jahreseinkommen von über 3 Mill. Francs gesichert; aber der Anspruch auf Herstellung des Kirchenstaats wird von päpstlicher Seite nicht aufgegeben. Aufhebung vieler Klöster, doch bleiben die Ordensgenerale und die geistlichen Seminare in Rom unter dem Schutz des Papstes.

Unter König Humbert (1878–1900) schließt der Minister Robilant 1887 den Dreibund (S. 395), den der Ministerpräsident[412] Crispi, mit Bismarck persönlich befreundet, aufrecht erhält. Sorge für Besserung der Finanzen, Ausbau der Eisenbahnen, Anbau der römischen Campagna, Ausgrabungen und Neubauten in Rom. Der König wird 1900 (Juli) von einem Anarchisten in Monza ermordet.

1885.

Italien nimmt den Hafen Massaua am Roten Meer in Besitz. Erweiterung des Gebiets im Kriege gegen den Negus Negesti Johannes von Abessinien 1887–1889 zur Colonia Eritrea. Neue Kämpfe mit dem Negus Menelik (reg. 1889–1910 in Addis Abeba, seitdem sein Enkel Lidj Jeassu [geb. 1896], zunächst unter Vormundschaft). 1896 Niederlage der Italiener bei Adua, nur Massaua mit dem Küstengebiet (118000 qkm.) wird behauptet.

1887.

Italien erwirbt das Somaligebiet.

1900-x.

Viktor Emanuel III. (Gem. Elena von Montenegro). Der Dreibund wird trotz aller Vorliebe der Italiener für die Franzosen aufrechterhalten. (1909 Begegnung des Königs mit Zar Nikolaus II. in Racconigi.)

1906

Verderblicher Ausbruch des Vesuv.

1907, 28. u. 29. Dez.

Messina und Reggio durch Erdbeben zerstört.

1903.

Papst Leo XIII. † (S. 393). Ihm folgt Pius X., der sich 1907 in einer Allocution und einer Encyclica gegen den Reformkatholizismus und die sog. Modernisten wendet.

1911–1912.

Krieg Italiens gegen die Türkei: Italien, schon lange auf Ausbreitung seiner Macht in Nordafrika bedacht (S. 404), erhält 1901 von Frankreich (und bald darauf auch von England) die Anerkennung seiner Anwartschaft auf Tripolis. Zunächst nur wirtschaftliche Durchdringung des Landes geplant. Infolge des deutsch-französischen Abkommens über Marokko 1911 will Italien seine Entschädigung in Tripolis suchen. Die Stadt Tripolis nach kurzem Bombardement besetzt (Okt.), ebenso Benghasi, Derna und andere Hafenplätze. Im Nov. die unwiderrufliche Besitzergreifung von Tripolis und Cyrenaica verfügt und den Mächten angezeigt. Das Deutsche Reich übernimmt den Schutz der Italiener in der Türkei und der türkischen Untertanen in Italien. Einspruch von Rußland, Frankreich und England gegen eine Blockade der Dardanellen (S. 401). Unterstützung der Türken durch die Araber und die islamitische Welt. Die Eroberung des tapfer verteidigten Hinterlandes (Oasen Ain Zara, Tadjura, Birtobras, Gargaresch) geht nur langsam vorwärts. Im Roten Meer werden Jan. 1912 sieben türkische Kanonenboote durch italienische Torpedobootzerstörer vernichtet. Der Krieg dauert noch fort.[413]

§ 16. Die Pyrenäische Halbinsel.

Spanien: 1868 (Sept.) Aufstand; Königin Isabella II. (S. 351, 363) vertrieben, flüchtet nach Frankreich. Die nach Madrid einberufenen Cortes beschließen, trotz des Widerstandes der republikanischen Partei, eine neue konstitutionell-monarchische Verfassung; Marschall Serrano einstweilen Regent. Nach mehrfachen Verhandlungen mit auswärtigen Fürsten nimmt Prinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen 1870 die spanische Krone an. Nach seinem Rücktritt wird während des deutsch-französischen Krieges der Herzog von Aosta, zweiter Sohn des Königs Viktor Emanuel II. von Italien, von den Cortes zum König gewählt und besteigt als Amadeo I. 1870 (s. a. S. 381) den spanischen Thron. Jedoch fortdauernde Parteikämpfe veranlassen Amadeo schon 1873 zur Abdankung. Dann Bürgerkrieg; gegen die in Madrid eingesetzte republikanische Regierung kämpfen die Anhänger des Don Carlos (Enkel des S. 351 erwähnten). Herstellung der Monarchie 1875; König Alfons XII., Sohn der 1868 vertriebenen Königin Isabella bringt dem Lande Frieden, unterstützt von dem Minister Canovas. Don Carlos entflieht nach Frankreich. Alfons XII. stirbt 1885; für seinen Sohn Alfons XIII. regiert bis 1902 die Mutter Marie Christine von Österreich, unterstützt von dem Minister Sagasta.

1898.

Krieg mit den Vereinigten Staaten von Amerika (S. 418).

1899.

An Deutschland werden gegen eine Geldentschädigung überlassen: die Marianen, Karolinen (schon 1885 von Deutschland besetzt, aber durch Schiedsspruch des Papstes Leo XIII. den Spaniern zuerkannt) und Palau-Inseln (S. 396). Spanien behält von seinem alten Kolonialbesitz nur noch die Kanarischen Inseln, Span. Guinea (Rio Muni, Fernando Po, Corisco), die Küste von Rio de Oro und die 5 Presidios (Ceuta, Velez de la Gomera, Alhucemas, Melilla, Chafarinas) an der Küste von Marokko.

1903 u. 1904.

Sozialistische Aufstände, namentlich in Barcelona; doch bleibt die Monarchie erhalten.

1906.

Vermählung des Königs mit Viktoria Eugenie (Ena) von Battenberg (Nichte Eduards VII. von England). Bombenattentat am Hochzeitstage des Königpaares.

1909.

Tod des Prätendenten Don Carlos.

1909–1910.

Krieg gegen die Rifkabylen in Marokko, die ein 300 km langes, 100 km breites Gebiet vom Kap Tres Forcas, unweit Melilla, bis an die Straße von Gibraltar beherrschen. Blutige Kämpfe um Melilla. Infolge der Truppensendungen nach Afrika schwere Ruhestörungen in Barcelona und ganz Katalonien. Der »Freiheitsapostel« Ferrer trotz vieler Protestkundgebungen hingerichtet.[414]

1910.

Erneuerte Kämpfe um Melilla. 1911 (Jan.) Reise des Königs Alfons XIII. nach Marokko. Endlich (Nov.) Friedensvertrag mit den Kabylen.

Unterdessen und besonders infolge des deutsch-französischen Marokkoabkommens (S. 405) auch manche Reibereien zwischen Spaniern und Franzosen in Marokko. Die Verhandlungen mit Frankreich über die Abgrenzung der spanischen Besitzungen und Rechte in Marokko sind zur Stunde noch nicht abgeschlossen.

Portugal (S. 363) gelangt nach früheren Bürgerkriegen zu ruhigeren Zuständen unter den Königen aus dem Hause Koburg, seit 1853 (S. 352). Doch erhebt sich 1907 eine starke Bewegung gegen den Ministerpräsidenten Franco; am 1. Febr. 1908 wird König Karl I., mit ihm der Kronprinz Ludwig Philipp von Verschwörern erschossen. Sein zweiter Sohn und Nachfolger Manuel II. wird 1910 (Okt.) durch eine Revolution vertrieben, lebt in England. Portugal als Republik von den Mächten anerkannt. Trennung von Kirche und Staat durchgeführt. Bewegungen zu Gunsten der Monarchie mehrfach unterdrückt. Präsident: Manuel d’Arriaga (seit 1911).

§ 17. Die Balkanhalbinsel.

Rumänien (S. 367, 399ff.) nimmt auf fast allen Gebieten einen erfreulichen Aufschwung. Eifrige Sorge des Fürsten Karl für Heer und Landesbefestigungen, Finanzen und Unabhängigkeit des Landes, Handel und Ackerbau, Volksbildung und Gesetzlichkeit. 1881 erklären die Kammern Rumänien als Königreich. König Karl I. erhält gute Beziehungen zum Dreibund, schließt eine Militärkonvention mit Österreich.

In Serbien nimmt Fürst Milan (Obrenowitsch) 1882 den Königstitel an, dankt aber 1889 ab zu Gunsten seines 12jährigen Sohnes Alexander. Dieser erklärt sich bereits 1893 für mündig, wird 1903 samt seiner Gemahlin Draga durch eine Verschwörung ermordet. Milan, von seiner Gemahlin Natalie geschieden, † 1901 in Wien. Seit 1903 Peter I. (Karageorgiewitsch) König von Serbien (s. S. 399).

In Montenegro seit 1860 Fürst Nikita (Nikolaus). Bei der Feier seines Regierungsjubiläums 1910 nimmt er ebenfalls den Königstitel an.

In Bulgarien wird 1879 Prinz Alexander von Battenberg (Hessen), ein Neffe des russischen Kaisers Alexander II. von der Sobranje (Deputiertenkammer) zum Fürsten erwählt.

1885.

Erhebung der Bulgaren gegen die Türken; Ostrumelien (S. 401) vereinigt sich mit dem Fürstentum Bulgarien, gegen Rußlands Willen. Serbien (König Milan) beginnt Krieg gegen Bulgarien. Fürst Alexander besiegt die[415] Serben bei Slivnitza und Pirot (Nov. 1885), schließt aber auf Verlangen Österreichs Frieden. Er wird 1886 von der russischen Partei vertrieben, doch bleibt Ostrumelien mit Bulgarien vereinigt. Sein Nachfolger Ferdinand I. von Koburg-Kohary (S. 352) stützt sich zunächst auf Österreich, wird 1896 auch von Rußland anerkannt. Seine Diplomatie und das Ansehen seines Heeres setzen ihn in den Stand, 1908 die Erhebung Bulgariens (mit Ostrumelien) zu einem von der Türkei völlig unabhängigen Königreich ohne Schwertstreich durchzusetzen. Seitdem entschiedene Anlehnung an Rußland.

Griechenland, seit 1863 unter König Georg I. (v. Dänemark), 1864 durch Abtretung der Ionischen Inseln von seiten Englands (s. S. 341) vergrößert, erhält 1881, da die Großmächte ihr Verlangen an die Türkei (S. 401) erneuern, Thessalien und einen kleinen Teil von Epirus.

1897.

Krieg Griechenlands gegen die Türkei, veranlaßt durch einen Aufstand auf der Insel Kreta gegen die türkische Herrschaft. Die Griechen werden in Thessalien und Epirus geschlagen, müssen Frieden schließen und Kriegskosten zahlen. Kreta erhält auf Verlangen der europäischen Großmächte selbständige Verwaltung unter türkischer Oberhoheit; Prinz Georg von Griechenland Gouverneur bis 1906. Die Nichtbenutzung der Gelegenheit, die Insel Kreta in dem Augenblick anzugliedern, wo Österreich und Bulgarien 1908 Bosnien und Ostrumelien einverleibten, ruft in Griechenland lebhafte Erregung hervor, besonders im Heere. Mehrere Prinzen scheiden 1909 aus Armee und Flotte aus und erhalten mehrjährigen Auslandsurlaub. Auf Kreta (August 1909) überall die griechische Flagge gehißt. Die türkische Oberhoheit bleibt jedoch erhalten.

Das türkische Reich, seit 1878 (russisch-türkischer Krieg, s. S. 399ff.) in seinem europäischen Bestande sehr eingeschränkt (S. 401), hat immer wieder mit Empörungen seiner christlichen Untertanen zu kämpfen.

1895.

Blutige Verfolgung der Armenier und der syrischen Christen; England, Frankreich und Rußland gebieten Einhalt.

1903.

Aufstand in Macedonien, von den Bulgaren unterstützt; Österreich und Rußland nötigen die türkische Regierung zu Reformen, die aber nur halb zur Ausführung kommen. Der Kriegszustand dauert fort.

1908.

Für die Türkei erzwingt ein Militäraufstand (Jungtürken) vom Sultan Abdul Hamid (1876–1909) die Gewährung einer Verfassung (Senat und Deputiertenkammer), die schon 1876 verkündet, aber nach kurzer Zeit wieder aufgehoben worden war. Bosnien (S. 398 f.), Ostrumelien (s. oben) verloren; Novipazar wieder gewonnen (S. 398, 399).[416]

1909.

Sultan Abdul Hamid ebenso wie 1876 sein älterer Bruder Sultan Murad V. abgesetzt. Seitdem Sultan Mohammed V.

1911.

Die türkische Regierung beschränkt die Weiterführung der von Konstaninopel ausgehenden Anatolischen Eisenbahn (Bagdadbahn; ihre Erbauung 1893 durch Georg von Siemens für die deutsche Arbeit [Deutsche Bank] gesichert, zunächst bis Kaisarie gestattet, 1902 einem deutsch-französischen Syndikat übertragen) auf die Strecke El Halif (zwischen Harran und Mosul) bis Bagdad. Später soll Kuweit am Persischen Meerbusen Endpunkt sein. Zweigbahn nach Alexandrette, Anschluß an die Hedschasbahn von Damaskus nach Medina-Mekka und die russisch-persischen Bahnen über Teheran nach Bagdad gesichert (S. 397).

1911–1912.

Italienisch-türkischer Krieg (s. S. 412).

§ 18. Amerika.

Die Vereinigten Staaten von Amerika, deren Gebiet seit 1848 bis zum Stillen Ozean reicht (S. 301 f.), an Volkszahl schnell wachsend durch Einwanderung aus Europa (1860: 31½ Mill. Einwohner), aufblühend durch Handel und großstädtische Industrie, geraten in schwere Gefahr durch Zwiespalt zwischen den Nordstaaten und den Sklaven haltenden Südstaaten. Die Wahl Abraham Lincolns zum Präsidenten der Union von seiten der Nichtsklavenstaaten führt zum

1861–1865.

Bürgerkrieg. Die 11 Südstaaten erklären ihren Austritt (secession) aus der Union und schließen einen Sonderbund. Jefferson Davis Präsident. Sie erklären die Fortdauer der Negersklaverei wegen des Plantagenbaues (Zucker, Reis, Tabak, Baumwolle) für notwendig. Hauptschauplatz des Krieges der zu den Südstaaten gehörige Staat Virginia und das angrenzende Maryland. Die Sonderbundstruppen bedrohen 1861 nach dem Siege bei Bull-Run und 1862 nach der siebentägigen Schlacht bei Richmond die Bundeshauptstadt Washington, werden jedoch wieder zurückgedrängt. Die Unionstruppen erobern 1862 New-Orleans, 1863 Vicksburg am Mississippi.

1863. 1. Jan.

Eine Proklamation Lincolns erklärt alle Sklaven der Südstaaten für frei. Der Südstaatengeneral Lee siegt bei Fredericksburg (Virginia), überschreitet den Grenzfluß Potomac, wird aber bei Gettysburg in Pennsylvanien zurückgeschlagen.

1864.

Der Nordstaatengeneral Grant kämpft gegen Lee in der Wilderness und bei Spotsylvania, belagert ihn dann in der starken Stellung zwischen den Festungen Richmond und Petersburg. Ein zweites Heer der Nordstaaten[417] unter Sherman siegt bei Atlanta im Staate Georgia, dringt bis zur Küste vor nach Savannah, zieht im Frühjahr 1865 gegen Petersburg heran.

1865. April.

General Lee räumt Richmond und Petersburg, kapituliert mit 26000 Mann, bald darauf ergeben sich auch die übrigen Truppen der Südstaaten. Die Union bleibt erhalten, doch fügen die Südstaaten sich nicht bedingungslos.

Präsident Lincoln, der umsichtige Leiter der Union, wird von einem Anhänger der Südstaaten ermordet (14. April); sein Nachfolger Johnson zeigt sich nachgiebiger in der Sklavenfrage und gerät deshalb in Konflikt mit dem Kongreß, welcher die Aufhebung der Sklaverei im ganzen Unionsgebiet als Gesetz verkündet und den Negern Bürgerrecht und Stimmrecht verleiht. Daraus ergeben sich Übelstände, die zur Folge haben, daß unter dem Präsidenten Grant (1869–1877) die Südstaaten in mancher Hinsicht noch unter der Diktatur des Kongresses bleiben.

Aussöhnung erst unter Präsident Hayes (1877–1881), der auch die bei großer Steigerung des Handelsreichtums eingerissene Bestechlichkeit und Ämterjagd bekämpft, unterstützt von dem Deutschen Karl Schurz als Minister des Innern. Sein Nachfolger Garfield, der diese Bestrebungen weiterführt, wird nach wenigen Monaten ermordet (1881).

1867.

Erwerbung des russischen Amerika (Alaska) für 7200000 Dollar.

1869.

Eröffnung der ersten Pacificbahn (Omaha bis San Francisco). Schnellere Verbindung zwischen den Küsten des Atlantischen und des Großen Ozeans.

Auf die Streitigkeiten der mittel- und südamerikanischen Republiken wirkt die Union oft vermittelnd ein, so 1869 bei dem Frieden zwischen Spanien und dem erfreulich aufstrebenden Chile, das 1879–1884 Bolivia und Peru niederwirft, aber 1891 in einen gefährlichen Bürgerkrieg hineingerissen wird. In Brasilien wird 1889 eine Föderativrepublik von 20 Staaten (Vereinigte Staaten von Brasilien) eingerichtet (1888 die Sklaverei plötzlich abgeschafft); Kaiser Pedro II. (S. 346) zieht sich nach Portugal zurück. Seit 1910 Präsident Hermes da Fonseca. Gegenüber den europäischen Staaten nimmt die Union öfters eine feindliche Haltung an; s. Frankreich S. 371. Streit mit England über Schadenersatz, weil während des Bürgerkrieges Kaperschiffe für die Südstaaten in England ausgerüstet waren; ein Schiedsgericht zu Genf entscheidet 1872, daß England über 3 Mill. Pfund Sterling zu zahlen habe.

In der Union stark anwachsende Bevölkerung; 1890: 63 Mill., 1910: 88 Mill. Einwohner. Viele Eisenbahnen gebaut, um das weite Gebiet aufzuschließen (vgl. S. 421). Die Mac Kinley-Bill[418] 1890 erhöht den Zolltarif der Vereinigten Staaten, um die europäische Einfuhr zu beschränken; 1891 Gesetz gegen die Einwanderung unbemittelter Personen.

1896–1901.

Präsident Mac Kinley; die Union beginnt auswärtige Besitzungen zu erwerben, zuerst 1897 die Sandwich-Inseln annektiert (seit 1900 Territorium).

1898.

Krieg gegen Spanien zur Unterstützung der schon 1895 auf Cuba und den seit 1569 spanischen Philippinen (S. 223, 242) ausgebrochenen Aufstände. Die spanische Flotte wird in zwei Seetreffen, bei Cavite (Insel Luzon) und Santiago (Insel Cuba) vernichtet. Im Frieden zu Paris tritt Spanien Puerto Rico und die Philippinen gegen eine Geldentschädigung an die Union ab. Cuba wird eine Republik, muß aber der Union gewisse Aufsichtsrechte und mehrere Flottenstationen einräumen (Insel Guam s. S. 426).

1899.

Bei der Teilung der Samoa-Inseln (S. 407) nimmt die Union Tutuila mit dem Hafen Pago-Pago und die Manuagruppe (203 qkm).

1901–1909.

Präsident Roosevelt, Nachfolger des ermordeten Mac Kinley. Das Deutsche Reich tritt in engere Beziehungen zur Union. Als Deutschland, England und Italien wegen Handelsstörungen mit der Republik Venezuela (Präsident Castro) in Streit geraten und ihre Küste durch Kriegsschiffe blockieren, Vermittlung durch den Vertrag zu Washington (Juli 1903); Venezuela muß bedeutende Entschädigung zahlen.

1903.

Vertrag der Union mit Colombia (S. 346) über Gebietsabtretung zum Ausbau des 1881 von französischen Kapitalisten (Panamagesellschaft, 1889 aufgelöst) begonnenen Panama-Kanals. Da in Colombia sich Widerspruch erhebt, bildet sich eine besondere Republik Panama unter dem Schutze der Vereinigten Staaten. Der Kanal (Schleusenkanal) soll am 1. Jan. 1915 eröffnet werden, wie der Suezkanal neutral und allen Völkern unter den gleichen Bedingungen geöffnet sein.

1906.

San Franzisko durch Erdbeben größtenteils zerstört, doch bald wiederhergestellt.

1907.

Verschärftes Gesetz über die Einwanderung.

Seit 1909.

Präsident Taft, vorher Kriegsminister und Gouverneur der Philippinen, hält das gute Einvernehmen mit dem Deutschen Reiche aufrecht.

1910–1911.

Aufstand in Mexiko. Verschwörung gegen den Präsidenten Porfirio Diaz (S. 371). Die Vereinigten Staaten ziehen Truppen an der Grenze zusammen. Porfirio Diaz dankt 1911 ab. Madero, der Hauptführer der Aufständischen, wird zu seinem Nachfolger gewählt, Ende des Aufstandes. 1912 neue Unruhen.[419]

1911.

Englisch-amerikanischer Schiedsvertrag. Japan (Spannung seit der Besetzung der Sandwich-Inseln und der Philippinen, durch den Bau des Panamakanals noch gesteigert) knüpft wieder freundschaftliche Beziehungen mit den Vereinigten Staaten an.

§ 19. Asien.

In Persien (S. 219), das auf eine fast 2500 Jahre alte Kultur zurückblickt, hat das autokratische Regiment die Entwickelung und die Wohlfahrt des Volkes sehr beeinträchtigt. Von persischen Gebieten sind jedoch bisher nur Georgien, Transkaukasien und ein Teil Armeniens an Rußland verloren gegangen (S. 297, 348).

1906.

Verfassung eingeführt. Doch gerät der Schah Mohammed Ali bald in Streit mit dem Parlament (Medschlis) und löst es auf. Daher Aufstand im Lande.

1909.

England und Rußland als die Nachbarn fordern vom Schah Wiederberufung des Medschlis, Gewährung einer Verfassung und Reform der Verwaltung als Bedingung für die Zulassung einer Anleihe. Diese Einmischung abgelehnt. Einmarsch russischer Truppen in Täbris; englische besetzen Abuscher am Persischen Golf. Straßenkämpfe in Teheran. Mohammed Ali abgesetzt, begibt sich nach Rußland. Der Titel Schah abgeschafft. Seitdem Sultan Ahmed Mirsa (geb. 1897). Regent Ali Reza Chan. Verfassung wiederhergestellt. Schwierigkeit für das Parlament, das Reichsbudget im Gleichgewicht zu halten. Anleihe in Rußland und England genehmigt gegen Verpfändung persischer Zolleinkünfte. England und Rußland grenzen ihre Interessensphären ab (S. 403, vgl. Deutsch-russisches Abkommen über Persien, S. 397). Berufung belgischer Beamten für Zoll- und Postverwaltung, amerikanischer Beiräte für die Ordnung der Finanzen. Der Amerikaner Morgan Shuster Generalschatzmeister. Protest der Jungperser gegen die russisch-englischen Pläne.

1910.

Tod des Regenten. Sein Nachfolger Nasr el Mulk. Landung englischer Truppen am Persischen Golf.

1911.

Rückkehr des Exschahs Mohammed Ali. Im Norden Persiens wechselvolle Kämpfe zwischen seinen Anhängern und den Regierungstruppen. Russisches Ultimatum; u. a. Morgan Shusters Entlassung gefordert. Landung und Vormarsch russischer Truppen von Rescht aus. Alle russischen Forderungen erfüllt. Nordpersien gerät immer mehr in Abhängigkeit von Rußland. Die Wirren dauern fort.

Der Emir von Afghanistan (S. 353) beherrscht trotz des Verlustes weiter Gebiete an Rußland (S. 402) und England[420] (S. 406 f.) noch ein Land von 624000 qkm. — 1893 Vertrag zwischen dem Emir Abdurrhaman und der englischen Regierung, die ihm eine jährliche Rente von etwa 3½ Mill. Mark bewilligt.

1907.

Englisch-russischer Vertrag mit dem Emir Habib Ullah (seit 1901) über die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Besitz- und Rechtsstandes in Afghanistan.

Das Königreich Siam in Hinterindien ist trotz der Begehrlichkeit seiner Nachbarn, England (S. 409) und Frankreich (S. 404), immer noch größer als das Deutsche Reich (600000 qkm, 6½ Mill. Einwohner). König Maha Chulalongkorn (1868 bis 1910) war ein großer Freund Europas und seiner Sitten (sein Besuch bei Bismarck in Friedrichsruh 1897), schuf eine moderne Armee und Flotte, Eisenbahnen und Dampferlinien, richtete Steuer-, Post- und Münzwesen nach europäischem Muster ein und suchte seine Unabhängigkeit durch Verträge mit England und Frankreich sicher zu stellen. Handelsverträge zwischen Siam und Europa seit Mitte des vorigen Jahrhunderts (S. 368, 411). Seit 1910 Maha Wajirawudh Herrscher im Reiche des weißen Elefanten.

China, seit 1842 dem europäischen Handel geöffnet (S. 353), bald auch mit den Vereinigten Staaten in Handelsbeziehungen, nimmt nicht wie Japan (S. 369) an den Fortschritten europäischer Kultur teil; im Volke Haß gegen die Fremden verbreitet. Verlust des Amurgebietes (S. 369).

1894–1895.

Krieg Japans gegen China wegen der Schutzherrschaft über Korea (S. 251). Korea wird unabhängig, Japan gewinnt die Insel Formosa (Taiwan). Die im Frieden zu Schimonoseki durch Li-hung-tschang zugestandene Abtretung der Halbinsel Liau-tung mit dem Hafen Port Arthur wird durch Rußland, Deutschland und Frankreich rückgängig gemacht.

1897. Nov.

Deutschland besetzt das Hafengebiet Kiau-tschou; ein Pachtvertrag mit China auf 99 Jahre wird 1898 geschlossen.

1898.

Rußland besetzt den Hafen Port Arthur an der Einfahrt zum Meerbusen von Petschili, England den gegenüberliegenden Hafen Wei-hai-wei.

1900.

Aufstand in China gegen die Christen und Ausländer (vergl. S. 251), geleitet von weitverzweigten Geheimbünden (Boxer). Zweideutige Haltung der chinesischen Regierung; da sie weder Ordnung noch Genugtuung schafft, vereinigen sich hierzu Deutschland, England, Rußland, Frankreich, Österreich, Italien, Japan und die Vereinigten Staaten. Kriegsschiffe der Verbündeten erscheinen vor der Mündung des Peiho und entsenden eine Schutzwache für die Gesandten nach Peking.[421]

Da die Unruhen fortdauern, zieht der englische Admiral Seymour mit 2000 Mann gegen Peking, muß aber, da die Eisenbahn zerstört ist und starke Scharen ihm entgegentreten, umkehren. Beim Marsch auf Tientsin stete Gefechte, in schwierigster Lage »the Germans to the front«. Inzwischen in Peking der deutsche Gesandte v. Ketteler ermordet (20. Juni).

17. Juni.

Erstürmung der Taku-Forts (S. 368), um eine Landung zu ermöglichen (das deutsche Kanonenboot Iltis). Tientsin nach schweren Kämpfen erobert; Peking erreicht (14. Aug.), die Gesandten befreit. Der Kaiser und die Kaiserinwitwe fliehen nach Sianfu.

20. Sept.

Erstürmung der Peitang-Forts nahe der Küste, Besetzung des Hafens Schan-hai-kwan, für die Russen »Tor zur Mandschurei«.

27. Sept.

Der deutsche Feldmarschall Graf Waldersee übernimmt den Oberbefehl über die verbündeten Truppen (zuletzt 64000 Mann, darunter 19000 Deutsche). Die Amerikaner zurückgerufen; die Russen wenden sich hauptsächlich nach der Mandschurei, um dort den Bau der Eisenbahn zu schützen.

Während des Winters Kriegszüge von Peking und Tientsin aus. Paoting-fu, Hauptstation der Boxer, 19. Okt. besetzt; Erstürmung der Bergfeste Tse-kin-kwa 29. Okt. Russen und Engländer geraten in Streit über den Besitz der Eisenbahn Tientsin-Peking; Waldersee erreicht die Fertigstellung der Bahn bis Mitte Dezember.

1901. März.

Vorrücken der Deutschen bis zur Großen Mauer. 23. April Sieg bei Huolu.

Mai.

Nach Besetzung eines großen Teils der Provinz Petschili und Flucht ihrer Truppen hinter die Große Mauer bewilligt die chinesische Regierung alle Forderungen: Bestrafung der Urheber des Aufruhrs, Befestigung der Gesandtschaftsgebäude in Peking, Schutzwachen der verbündeten Mächte daselbst, Schutz der Eisenbahn von Peking bis zur Küste durch befestigte Plätze mit Garnisonen, Schleifung der Küstenforts, Zahlung von 450 Mill. Taels (1350 Mill. Mark) in 39 Jahren aus den Erträgen der Seezölle, deren Verwaltung von Beamten der verbündeten Mächte geleitet wird (S. 368).

Nach dem Abzug der verbündeten Truppen bleiben größere Besatzungen, namentlich in Tientsin und Schanghai. Prinz Tschun, Bruder des Kaisers von China, überreicht (Sept.) dem Deutschen Kaiser in Potsdam ein Entschuldigungsschreiben wegen Ermordung des Gesandten; diesem in Peking ein Denkmal errichtet.

Die Erschließung Chinas in den folgenden Jahren durch, eine Reihe von Eisenbahnbauten (auch amerikanisches Kapital beteiligt) gefördert. 1906 schon 6300 engl. Meilen in Betrieb. Lebhafter Dampfschiffsverkehr auf den großen Strömen.[422]

1905.

Die Mandschurei an China zurückgegeben (S. 423). »Offene Tür« daselbst allen Mächten garantiert.

1909.

Streitigkeiten mit Rußland und Japan über die Abgrenzung der Rechte in der Mandschurei geregelt. Der Tumenfluß als Grenze zwischen der Mandschurei und Korea festgesetzt. 1911 Pest in der Mandschurei (Charbin).

Das Eindringen der europäischen Kultur und der Vergleich mit Japan erwecken in weiten Kreisen den Wunsch nach zeitgemäßen Reformen. Manche Vizekönige Anhänger dieser Reformpartei, z. B. Juanschikai. Er wird 1909 abgesetzt, weil er die Gleichstellung der Mandschu mit den Chinesen und die Beseitigung ihrer Renten gefordert hatte. 1910 die Abschaffung der Sklaverei von der Regierung verfügt. Vorbereitungen für die Berufung eines Parlaments getroffen. Kaiserlicher Erlaß über die Bildung eines verantwortlichen Ministeriums.

1911.

In den südlichen Provinzen (Kanton) bricht eine Revolution aus. Beseitigung der Mandschudynastie gefordert. Hankau erobert (Eingreifen deutscher Marinetruppen zu Gunsten der Regierung), ebenso Nanking. Dr. Sunyatsen Leiter der Revolutionäre. Juanschikai erhält Vollmacht zu allen ihm geeignet erscheinenden Maßregeln. Kaiserlicher Erlaß verheißt Einführung einer Verfassung und Amnestie. Juanschikai Ministerpräsident. Der Prinzregent Tsaifeng (Kaiser Pu Yi geb. 1906) leistet den Eid auf die Verfassung. Waffenstillstand. In Schanghai Versammlung der Abgeordneten der 14 südlichen Provinzen. Sunyatsen vorläufig zum Präsidenten der »Vereinigten Staaten von China« gewählt. Abfall der Mongolei (S. 403). Juanschikai sucht eine konstitutionelle Monarchie unter den Mandschu zu erhalten. Als die Aufständischen Truppen gegen die nördlichen Provinzen senden, erfolgt die

1912. Febr.

Abdankung der Mandschudynastie (S. 251). China Republik. Juanschikai Präsident.

Japan seit seinem Siege über China (S. 420) die herrschende Macht in Ostasien. Korea gerät immer mehr unter japanischen Einfluß.

1904–1905.

Krieg zwischen Rußland und Japan wegen der beiderseitigen Ansprüche auf Korea und die Mandschurei. Japan seit 1902 mit England verbündet, doch greift England in den Krieg nicht ein. Die japanische Flotte blockiert Port Arthur und Wladiwostok; japanische Landtruppen besetzen einen Teil von Korea, dringen nach der Mandschurei vor, siegen 1. Mai 1904 am Jalufluß. Eine zweite Armee landet auf der Halbinsel Liau-tung und schließt Port Arthur von der Landseite ein. Die russische Flotte versucht die Blockade zu brechen, wird 10. August mit großem Verlust[423] zur Rückkehr genötigt. Verstärkungen des Landheeres kommen auf der Sibirischen Eisenbahn nur langsam heran.

1904. 24.–31. Aug.

Schlacht bei Liau-jang in der Mandschurei. Die Japaner (160000 Mann unter Marschall Ojama) drängen die Russen (Gen. Kuropatkin) in hartnäckigen Kämpfen zurück.

15.–18. Okt.

Schlacht am Flusse Schaho; Kuropatkins Angriffe mißlingen.

1905. 2. Jan.

Port Arthur, von Gen. Stössel verteidigt, kapituliert (Gen. Nogi); über 40000 Mann kriegsgefangen.

24. Febr. bis 10. März.

Schlacht bei Mukden; die Russen müssen nach starken Verlusten (90000 Mann) weichen, behaupten sich aber noch in der Mandschurei.

1905. 27.–28. Mai.

Seeschlacht bei Tschuschima (Insel in der Straße von Korea). Die russische Ostsee-Flotte (16 große Schiffe, 4 kleine Kreuzer) von Admiral Togo annähernd vernichtet.

Juli.

Die Japaner besetzen den südlichen Teil der Insel Sachalin.

1905. 5. Sept.

Friede zu Portsmouth (amerikanische Küstenstadt unweit Boston) unter Vermittlung des Präsidenten Roosevelt. Japan erhält die Schutzherrschaft über Korea, Port Arthur mit umliegendem Gebiet, Sachalin bis zum 50. Breitengrad. Rußland zahlt keine Kriegsentschädigung, behält Wladiwostok und sein Amur-Gebiet. Die Mandschurei soll an China zurückgegeben werden, doch behalten Japan und Rußland ihre dort angelegten Eisenbahnen (s. S. 422).

In den folgenden Jahren macht Japan, dessen Heer überall Bewunderung erweckt hat, weitere Fortschritte auf dem Wege finanzieller Erstarkung und politischer Vorherrschaft auf Korea. 1909 Koreanische Gerichtshoheit, 1910 Polizeigewalt auf Japan übertragen. Fürst Ito, früher Generalresident in Korea, 1909 von einem Koreaner ermordet. 1910 die Annexion Koreas durchgeführt; Kaiser Ytschak dankt ab.

1911.

Bündnis zwischen Rußland und Japan (S. 402 f.). Infolgedessen Revision des englisch-japanischen Bündnisses von 1902 (S. 422). Anknüpfung freundschaftlicher Beziehungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika (S. 419).

§ 20. Entwickelung der deutschen Kolonien.

Gründung s. S. 395. Zweck: Gewinnung von Rohprodukten; Absatzgebiete für den heimischen Handel und Besiedelung. Das Reich stellte auf Nachsuchen die kaufmännischen Niederlassungen unter seinen Schutz, zur Sicherung gegen fremde Herrschaft (Deutsche Schutzgebiete). Die Kolonisation begann an den Küsten und dehnte sich allmählich in das Innere[424] aus; hierfür von größtem Einfluß die Erschließung durch Eisenbahnen und die Wasserversorgung. Sicherung durch Schutzverträge mit den einheimischen Häuptlingen mit Handelsvorteilen, namentlich für europäische Waren. Verwaltung durch Gouverneure mit Bezirksämtern und Stationen; militärische Sicherung durch die Schutztruppen.

Erweiterung der Kolonien (S. 396, 397, 405). Der deutsche Kolonialbesitz ist jetzt über fünfmal größer als das Heimatsgebiet, hat aber kaum ein Viertel der Einwohnerzahl. Am Handelsergebnis der Kolonien (Einfuhr und Ausfuhr) war Deutschland 1910 mit 66,3 v. H. beteiligt. Regelmäßige Seeverbindung durch Hamburg-Amerika- und Woermann-Linie nach der afrikanischen Westküste, Norddeutschen Lloyd (Bremen) und Reichspostdampfer nach Ostafrika, Australien und Ostasien. Telegraphische Verbindung fehlt noch nach den Besitzungen in der Südsee; deutsche Seekabelverbindung schreitet kräftig fort, ist aber nur nach Ostasien von fremden Leitungen unabhängig; besonders nach Ostafrika sind englische Kabel beteiligt. Funkenstationen in allen afrikanischen Kolonien und in Kiautschou.

Deutsche Kolonialgesellschaft in Berlin (Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg), Kolonialinstitut in Hamburg und mehrere Kolonialschulen.

1. Südwestafrika (835100 qkm). Missionsstationen bestanden seit 1860 im Damara- und Namaqualande; das Küstengebiet Angra Pequena wurde 1883 von dem Bremer Kaufmann Lüderitz erworben; 1884 Erweiterung durch Verträge mit den einheimischen Häuptlingen; 1893 der Hafen Swakopmund angelegt.

1894.

Gouverneur Leutwein geht mit der verstärkten Schutztruppe gegen unzuverlässige Häuptlinge vor. Nach den Gefechten bei Naukluft verbündet sich Hendrik Witboi mit den Deutschen und leistet Hilfe bei ferneren Kämpfen, so noch 1903 gegen die Bondelzwarts-Hottentotten.

1904–1906.

Allgemeiner Aufstand gegen die auf weites Gebiet verteilte Schutztruppe. Die Hereros zerstören die Eisenbahn Swakopmund–Windhuk und ermorden viele Ansiedler. Mühsame Kriegführung in dem wasserarmen, vielfach gebirgigen Lande. Die Schutztruppe verteidigt Omaruru und andere Stationen, wird unterstützt durch ein Landungskorps vom Kreuzer Habicht, dann durch das Seebataillon; bald erscheint eine kriegsstarke Division, gebildet aus Freiwilligen des ganzen deutschen Heeres.

1904. 11. u. 12. Aug.

Sieg des Generals v. Trotha am Waterberge; er drängt die Hereros nach Osten in die Kalahariwüste, wo viele umkommen. Darauf allmähliche Unterwerfung des nördlichen Landesteils, aber im Süden erhebt sich nun Witboi gegen die Deutschen.[425]

1905.

Hartnäckige Kämpfe um die Wasserstelle bei Groß-Nabas, dann in den Karasbergen und am Großen Fischfluß; Witboi †. Der deutsche Reichstag bewilligt den Bau der Eisenbahn Lüderitzbucht–Kubub (100km).

1906.

Kämpfe am Oranjefluß; Oberstlt. v. Estorff drängt die Hottentotten nach Osten. Ihr Führer Morenga flüchtet auf englisches Gebiet, versucht 1907 nochmals in das inzwischen unterworfene Land einzudringen, wird in einem Gefecht mit englischen Truppen getötet. Der Reichstag bewilligt 5 Mill. Mark für die Verluste der Ansiedler.

Gesamtbevölkerung 1911: rund 14000 Weiße und 72000 Farbige, also nur 0,1 Einwohner auf l qkm. Jede Selbständigkeit der Häuptlinge hat aufgehört. Regierungssitz: Windhuk. Wassererschließung schreitet fort. Eisenbahnen: 1909 km im Betrieb, 217 km im Bau. Ausfuhr vornehmlich: Diamanten und Kupfererze, ferner Blei, Häute, Straußenfedern und Vieh. Handelsergebnis 1910: Ausfuhr für über 34½ Mill. Mark. Einfuhr für rund 44½ Mill. Mark.

2. Ostafrika (995000 qkm). Verkehr nach Sansibar seit etwa 1860; Landerwerbungen 1884 im Auftrage der Gesellschaft für deutsche Kolonisation durch K. Peters, Jühlke, Graf Pfeil, 1885 vom Sultan von Sansibar anerkannt nach dem Erscheinen deutscher Kriegsschiffe.

1888–1890.

Aufstand der Eingeborenen, veranlaßt durch arabische Sklavenhändler (Buschiri), niedergeworfen durch Kriegszüge des Reichskommissars Major Wißmann unter Mitwirkung von Kriegsschiffen.

1889.

K. Peters dringt nach Uganda vor (Nordufer des Victoria-Nyanza) und schließt dort Verträge; die Ostafrikanische Handelsgesellschaft erwirbt das Wituland (nördlich von Sansibar); beide Gebiete werden 1890 an England überlassen (S. 407).

1905–1906.

Aufstände im Süden durch die Schutztruppe niedergeschlagen.

Gesamtbevölkerung 1911: 4230 Weiße und etwa 10 Mill. Farbige. Gute Häfen, hierunter der Regierungssitz Daressalam und Tanga, welche Ausgangspunkte der beiden Bahnlinien sind (1199 km im Betrieb, die Zentralbahn wird von Tabora nach dem Tanganjika-See weitergeführt). Die Siedelungen am Viktoria-See sind noch auf Karawanenstraßen und die englische Ugandabahn angewiesen. Die Sultane westlich des Sees stehen unter Kaiserlichen Residenten.

Wirtschaftlich maßgebend sind Ackerbau und Viehzucht. Der Hauptertrag wird im Lande verzehrt. Zur Ausfuhr kommen vornehmlich: Kautschuk, Hanf, Häute, Kopra. Handelsergebnis 1910: Einfuhr für fast 38½ Mill. Mark, Ausfuhr für 20¾ Mill. Mark.[426]

3. Kamerun, bisher 495600 qkm mit rund 1450 Weißen und über 2½ Mill. Farbigen, also 5,4 Einw. auf 1 qkm. Regierungssitz Buea, Hafen Duala. Eisenbahnen 160 km im Betrieb, 360 km im Bau. Zur Ausfuhr kommen vornehmlich: Kautschuk, Palmkerne, Kakao, Palmöl, Elfenbein. Handelsergebnis 1910: Ausfuhr für rund 20 Mill. Mark, Einfuhr für rund 25½ Mill. Mark.

1911.

Nordmakas Aufstand (Major Dominik †). Erweiterung usw. durch das Marokkoabkommen (s. S. 405).

4. Togo, 87200 qkm mit rund 360 Weißen und 1 Mill. Farbigen. Regierungssitz und Haupthafen Lome, von wo drei Bahnen ausgehen (im Ganzen 323 km im Betrieb). Vornehmliche Ausfuhr: Palmkerne, Palmöl, Kautschuk, Baumwolle. Handelsergebnis 1910: Ausfuhr für rund 7¼ Mill. Mark, Einfuhr für rund 11½ Mill. Mark.

5. Neu-Guinea, Regierungssitz Rabaul (Neupommern). a) Altes Schutzgebiet, erworben 1884/85: Kaiser Wilhelmsland und Bismarck-Archipel: zusammen 240000 qkm mit rund 750 Weißen und 530000 Farbigen. Friedrich Wilhelmshafen, keine Eisenbahnen. Vornehmliche Ausfuhr: Kopra, Paradiesvögel, Perlmutter, Kakao. Handelsergebnis 1910: Ausfuhr für fast 3¾ Mill. Mark, Einfuhr für fast 4 Mill. Mark; b) Inselgebiet seit 1898 erworben: Ost- und Westkarolinen, Palau, Marianen, Marschall-Inseln, zusammen 2476 qkm mit rund 1000 Weißen und 65000 Farbigen (Insel Guam gehört zur Union).

1910–1911. Dez. Febr.

Aufstand auf Ponape und Dschokadsch (Ostkarolinen) niedergeworfen durch Landungstruppen von 4 deutschen Kriegsschiffen. Vornehmliche Ausfuhr: Phosphat, Kopra, Trepang. Handelsergebnis 1910: Ausfuhr für rund 10 Mill. Mark, Einfuhr für rund 2 Mill. Mark.

6. Samoa-Inseln (2572 qkm) mit 491 Weißen und 40000 Farbigen (1911). Schon 1879 erwarb das Deutsche Reich hier eine Marinestation, um den von Hamburger Kaufleuten begründeten Handel zu schützen. 1889 Vertrag mit England und Nordamerika, um den Parteikämpfen der einheimischen Könige ein Ende zu machen; 1899 Aufhebung des Königtums. Deutschland erwirbt die vier westlichen Inseln (S. 407). Hafenstadt Apia auf der Insel Upolu. Fruchtbares Land; Ausfuhr von Kopra und Kakao. Handelsergebnis 1910: Ausfuhr und Einfuhr für je rund 3½ Mill. Mark. Das Christentum schon seit 1830 eingeführt durch englische Missionare.

7. Kiautschou (550 qkm), 1898 auf 99 Jahre gepachtet, jetzt 1680 Weiße (ohne Truppen) und 162000 Eingeborene. Hafenstadt Tsingtau, gute Handels- und Flottenstation, Ausgangspunkt der nordost-chinesischen Eisenbahnen. Im Hinterlande reiche Steinkohlenlager.[427]

Anhang.

I. Brandenburgisch-preußische Geschichte.

Um 780.

Grenzmarken des deutschen Reiches an der Elbe und Saale zum Schutz gegen die Wenden gegründet von Karl d. Gr. Befestigung und Erweiterung derselben durch die Feldzüge Heinrichs I. (928).

937–965.

Markgraf Gero, von König Otto I. eingesetzt, unterwirft das Wendenland bis zur Oder. Bistümer Havelberg und Brandenburg. Nach Geros Tode Teilung des Gebiets der Mark: Nordmark, Ostmark, Meißen.

983.

Aufstand der Wenden, die Nordmark auf das linke Elbufer beschränkt, Residenz der Markgrafen zu Salzwedel.

1134–1320.

Askanische (anhaltische) Markgrafen.

1134–1170.

Albrecht der Bär, von Kaiser Lothar mit der Nordmark (Altmark) belehnt, erobert die Priegnitz auf dem rechten Elbufer, erwirbt das Havelland durch Vertrag mit dem christlichen Wendenfürsten Pribislav, der ihn zum Erben einsetzt, und nennt sich Markgraf von Brandenburg (S. 179). Wiederherstellung der beiden Bistümer, deutsche Ansiedler namentlich aus den Niederlanden herbeigezogen.

1220–1267.

Johann I. und Otto III., als Brüder gemeinsam regierend, erweitern die Mittelmark durch das Gebiet zu beiden Seiten der unteren Spree (Barnim und Teltow) und gewinnen die Uckermark und Neumark hinzu; Otto III. erwirbt die Oberlausitz durch Vermählung mit der Schwester Ottokars von Böhmen. Viele Städte gegründet: Spandau, Berlin um 1240, Frankfurt a. O., Landsberg u. a.

1166–1309.

Otto IV. (mit dem Pfeil) führt Krieg mit dem Erzbistum Magdeburg, bis er die Erwählung seines jüngeren Bruders Erich zum Erzbischof durchsetzt, erwirbt die Niederlausitz.

1309–1319.

Markgraf Waldemar der Große kämpft rühmlich gegen die Nachbarfürsten (Pommern, Mecklenburg, Meißen), nimmt die Hansestadt Stralsund in Schutz gegen Dänemark und den Fürsten von Rügen.

1320–1324.

Interregnum in der Mark nach dem Erlöschen des askanischen Hauses. Als Verwandte erheben die Herzöge von Sachsen-Wittenberg (S. 184) und die Fürsten von[428] Anhalt Ansprüche, aber Kaiser Ludwig der Bayer zieht das Land als erledigtes Lehen ein (S. 198). Die Lausitz kommt wieder an Böhmen.

1314–1373.

Bayrische Markgrafen.

Ludwig I., Sohn des Kaisers Ludwig des Bayern; gegen ihn 1348–50 der falsche Waldemar (S. 199).

Ludwig II. (der Römer) wird 1356 Kurfürst. Otto (der Faule) tritt 1373 das Land an Kaiser Karl IV. ab.

1373–1415.

Luxemburgische Markgrafen.

Karl IV. vereinigt die Mark mit seinem Königreich Böhmen, ordnet die Verwaltung durch Anlegung des Landbuchs. Residenz Tangermünde. Sein Sohn Sigismund (1378) wird König von Ungarn (1387) und verpfändet die Mark an Jobst von Mähren, die Neumark an den Deutschen Ritterorden. Zerrüttung des Landes durch die Willkürherrschaft des Adels.

1411–1414.

Friedrich VI., Burggraf von Nürnberg, aus dem Hause Hohenzollern, als Statthalter von Sigismund eingesetzt, bricht die Macht des märkischen Raubadels (Dietrich v. Quitzow auf Burg Friesack).

1415–1701.

Kurfürsten aus dem Hause Hohenzollern.

Die schwäbischen Grafen von Zollern (Ahnherr: Burchard von Zolorin, † 1061) seit 1192 Burggrafen von Nürnberg. 1227 Teilung in zwei Linien: die schwäbische behält die Stammgüter Hechingen und Sigmaringen, die fränkische erweitert ihren Besitz zu den Fürstentümern Ansbach und Baireuth.

1415–1440.

Friedrich I., von Kaiser Sigismund als Kurfürst eingesetzt, belehnt zu Konstanz 1417 (S. 204), erkämpft von Pommern die Uckermark, von Mecklenburg die Priegnitz zurück, wendet sich dann wieder seinen fränkischen Fürstentümern zu und bekämpft als Reichsfeldherr die Hussiten. Sein Sohn Johann Statthalter in der Mark, kann sie gegen die Hussiten nicht schützen. Ihm folgt in Brandenburg der zweite Sohn

1440–1470.

Friedrich II. (der Eiserne). Er unterwirft die Städte, namentlich Berlin-Kölln, gründet das Schloß zu Kölln an der Spree, kauft 1455 die Neumark vom Deutschen Orden zurück, erwirbt 1462 von Böhmen einen Teil der Niederlausitz (Kottbus und Peitz).

1470–1486.

Albrecht (Achilles). 1473 Hausordnung (Disposito Achillea). Die Mark soll ungeteilt an den ältesten Sohn fallen, in den fränkischen Fürstentümern nur 2 Regenten. Die schlesischen Herzöge (vgl. S. 182) treten 1482 Krossen und Züllichau an Brandenburg ab. Streit mit Herzog Bogislav X. von Pommern wegen der Lehnshoheit über Pommern.[429]

1486–1499.

Johann (Cicero). Die fränkischen Fürstentümer kommen an seine jüngeren Brüder. Zossen 1490 durch Vertrag mit dem König von Böhmen erworben. Sorge für die Landesverwaltung im Einverständnis mit den Landständen (Vertreter des Adels und der Städte).

1499–1535.

Joachim I. Räubereien des Adels streng bestraft; Universität in Frankfurt a. O. gestiftet 1506. Judenverfolgung 1510. Kammergericht in Berlin. Vertrag zu Grimnitz 1529: Die Herzöge von Pommern erkennen das Erbfolgerecht Brandenburgs an; dieses verzichtet auf die Lehnshoheit. Joachim I. eifriger Gegner der Reformation. Sein Bruder Albrecht, Erzbischof von Mainz und Magdeburg, sendet Tetzel aus (s. S. 227).

1535–1571.

Joachim II. In der Neumark sein Bruder Markgraf Johann von Küstrin.

1537.

Erbverbrüderung mit dem Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau; diesem werden Krossen, Kottbus, Peitz und Zossen zugesagt für den Fall, daß das kurfürstliche Haus aussterbe (vgl. S. 281).

1539.

Einführung der Reformation. Vom König von Polen erlangt Joachim die Mitbelehnung über Preußen. Seine beiden jüngeren Söhne nacheinander evangelische Erzbischöfe in Magdeburg. (S. auch S. 233.)

1190.

Der Deutsche Ritterorden gestiftet bei der Belagerung von Akkon (s. S. 178f.).

1230–1283.

Unterwerfung des Landes Preußen (s. S. 217).

1525.

Umwandlung des Ordensstaates in ein weltliches Herzogtum unter polnischer Oberlehnshoheit; Einführung der Reformation. Erster Herzog der bisherige Hochmeister Albrecht von Brandenburg (aus der Ansbachischen Linie).

1571–1598.

Johann Georg vereint als Kurfürst von Brandenburg wieder die ganze Mark. 1578 die Mitbelehnung über Preußen erneuert (s. o.). Sein Enkel Johann Sigismund vermählt sich mit Anna, der ältesten Tochter des Herzogs Albrecht Friedrich von Preußen, durch ihre Mutter Nichte und Erbin des Herzogs Johann Wilhelm von Jülich (S. 252).

1598–1608.

Joachim Friedrich, seit 1566 Administrator des Erzbistums Magdeburg; diese Würde geht 1598 auf seinen Sohn Christian Wilhelm über. Geraischer Vergleich (1599) mit dem kinderlosen Markgrafen Georg Friedrich aus der fränkischen Linie: Die Mark verbleibt ungeteilt der kurfürstlichen Linie, die Stiefbrüder des Kurfürsten erhalten Ansbach und Baireuth, sein zweiter Sohn das schlesische Fürstentum Jägerndorf (1523 von der fränkischen Linie erworben).[430]

1604.

Der Geheime Rat als oberste Regierungsbehörde eingesetzt. Seit 1605 regiert der Kurfürst mit Zustimmung des Königs von Polen in Preußen als Administrator für den geisteskranken Herzog Albrecht Friedrich.

1608–1619.

Johann Sigismund. Nach dem Tode des Herzogs Johann Wilhelm von Jülich Erbfolgestreit (1609) zwischen Pfalz-Neuburg und Brandenburg. Johann Sigismund tritt 1613 zur reformierten Kirche über.

1614.

Vertrag zu Xanten wegen der jülichschen Erbschaft: Cleve, Mark und Ravensberg an Brandenburg, die ersten Erwerbungen im Westen Deutschlands (s. S. 252).

1618.

Johann Sigismund nach Albrecht Friedrichs Tode Herzog von Preußen.

1619–1640.

Georg Wilhelm, geleitet von dem kaiserlich gesinnten Grafen Adam v. Schwarzenberg. Furchtbare Zerrüttung des Landes im Dreißigjährigen Kriege. Jägerndorf von Kaiser Ferdinand II. eingezogen (S. 280 f.). Gustav Adolf mit der Schwester des Kurfürsten vermählt, zwingt ihn zum Bündnis 1631 (S. 256). Brandenburg tritt dem Prager Frieden bei 1635 (S. 258).

1637.

Erlöschen des pommerschen Herzogshauses. Brandenburg kann trotz kaiserlicher Hilfe sein Erbrecht auf Pommern gegen die Schweden nicht durchsetzen.

1640–1688.

Friedrich Wilhelm der Große Kurfürst erhebt den brandenburgisch-preußischen Staat zu einer europäischen Macht, begründet durch Einschränkung der Rechte der Landstände die unbeschränkte Monarchie (s. auch S. 265).

Als Kurprinz hatte er in den Niederlanden (1634–1638) Staatsverwaltung und Kriegskunst gelernt. Er schützt sein Land durch Waffenstillstandsverträge mit den Schweden, sorgt für den Ackerbau, begründet ein stehendes Heer (miles perpetuus). Seine Gemahlin Luise Henriette von Oranien (s. S. 244).

1648.

Erwerbungen im Westfälischen Frieden: Hinterpommern, Halberstadt, Minden, Magdeburg (s. S. 260). Magdeburg zunächst noch im Besitz des Administrators August von Sachsen, wird 1666 besetzt (der Bürgermeister Otto von Guericke). Postverbindung zwischen den getrennten Landesteilen eingerichtet, ohne Rücksicht auf das Reichspostprivilegium der Fürsten von Thurn und Taxis. Ordnung der Steuern, Accise für die Städte eingeführt. Universität Duisburg 1655 gegründet (1818 aufgehoben), Bibliothek im Schlosse zu Berlin. Friedrich-Wilhelms-Kanal zwischen Oder und Spree 1662–1668 erbaut.

1656.

Sieg bei Warschau über die Polen, im Bunde mit Schweden (s. S. 267).[431]

1657.

Erwerbung von Lauenburg und Bütow in Hinterpommern durch den Vertrag zu Wehlau.

1660.

Friede zu Oliva; das Herzogtum Preußen souverän, d. h. frei von polnischer Lehnshoheit (S. 268). Der Widerstand der preußischen Stände (Hieronymus Roth, v. Kalkstein) wird durch strenge Maßregeln gebrochen.

1672.

Teilnahme am Reichskrieg gegen Frankreich, 1674 Feldzug im Elsaß (s. S. 263).

1675.

Sieg bei Fehrbellin über die Schweden (Prinz Friedrich von Homburg, Feldmarschall Derfflinger, der Stallmeister Froben). Der Kurfürst vertreibt die Schweden aus Pommern, erobert 1677 Stettin, 1678 Rügen und Stralsund, vergilt einen Einfall der Schweden von Livland her durch einen Kriegszug über das Frische und Kurische Haff (Jan. 1679), muß aber fast alle Eroberungen im

1679.

Frieden zu St. Germain en Laye (S. 263 f.) an Schweden zurückgeben und schließt noch 1679 ein Bündnis mit Frankreich.

1683.

Gründung einer Kolonie an der Goldküste von Guinea (Fort Großfriedrichsburg), nachdem eine Kriegsflotte mit Hilfe des Holländers Raule eingerichtet war. Kriegshafen Pillau; Afrikanische Handelsgesellschaft in Emden.

1685.

Bruch mit Frankreich. Aufnahme französischer Protestanten, namentlich in Berlin.

1686.

Vertrag mit Kaiser Leopold I. über Schlesien (S. 281).

1688–1713.

Friedrich III., als König Friedrich I. Das Testament des Großen Kurfürsten, das den Söhnen aus zweiter Ehe Länderbesitz erteilt, wird aufgehoben, da es der von Albrecht Achilles gegebenen Hausordnung und dem Geraischen Vergleich widerspricht.

1688.

Brandenburgische Truppen unterstützen Wilhelms III. von Oranien Zug nach England (S. 271).

Universität Halle gestiftet 1694; ebenda gründet Aug. Herm. Francke das Waisenhaus. Der Schwiebuser Kreis 1695 an den Kaiser zurückgegeben (S. 281). Der Minister Danckelmann, gestürzt 1697. Charlottenburg für des Kurfürsten Gemahlin, die geistvolle Sophie Charlotte von Hannover, angelegt. Ausbau des Schlosses zu Berlin (Schlüter). Akademie der Künste 1696 gegründet, Akademie der Wissenschaften 1700 auf Veranlassung des Philosophen Leibnitz.

1701. 18. Januar

Preußen wird Königreich (s. S. 267). Krönung zu Königsberg, Stiftung des Schwarzen Adlerordens. Anteil am Spanischen Erbfolgekriege (s. S. 272 f.). Streit um die oranische Erbschaft nach dem Tode[432] Wilhelms III. (1702). Preußen erlangt 1702 Mörs und Lingen, Neuchâtel und Valengin. Durch Kauf erworben das Schutzrecht über die Abtei Quedlinburg, Grafschaft Tecklenburg in Westfalen.

1713–1740.

Friedrich Wilhelm I. Strenge Sparsamkeit; der glänzende Hofhalt des Vaters sogleich aufgelöst. Neuordnung der Steuern; auch den Rittergütern wird 1717 eine Abgabe (statt des Lehnsdienstes zum Kriege) auferlegt. Oberste Finanzbehörde das General-Direktorium 1723; unter ihm die Kriegs- und Domänenkammern. Sorge für den Landbau, besonders in Ostpreußen; hier 1732 die aus dem Erzbistum Salzburg vertriebenen Protestanten angesiedelt. Schutz der Bauern gegen Willkür der Gutsherrn und der königlichen Beamten. Sorge für die Volksschulen, 1717 der Grundsatz der allgemeinen Schulpflicht verkündet. Beträchtliche Vermehrung des stehenden Heeres; Kanton-Einteilung des Landes 1733 zum Zwecke der Aushebung; daneben die Anwerbung beibehalten. Die Riesengarde in Potsdam. Fürst Leopold von Anhalt-Dessau (s. auch S. 280).

Teilnahme am Nordischen Kriege (S. 276 f.). Stettin und Vorpommern bis zur Peene erworben 1720; die afrikanische Kolonie 1717 (überlassen 1721) an die Holländer verkauft.

1740–1786.

Friedrich II., der Große (S. 280–291), erwirbt Schlesien 1742, Ostfriesland 1744, Westpreußen 1772 und erhebt seinen Staat zu einer europäischen Großmacht. Friedrichs eifrige Fürsorge für sein Land, um die Wunden der Kriege zu heilen: Verteilung der Vorräte aus den Magazinen, Steuererlaß für einzelne Provinzen; Gründung der Landschaftsbanken, der Bank und der Seehandlung in Berlin. 1766 strenges Steuersystem (Regie meist mit französischen Beamten); viele Verbrauchsgegenstände besteuert, besonders Kaffee und Tabak.

Sorge für die Rechtspflege: die Folter 1740 abgeschafft, neue Gerichtsordnung 1747 (codex Fridericianus, der Justizminister v. Cocceji). Allgemeines preußisches Landrecht (v. Carmer, Suarez) erst 1794 vollendet. Sorge für den Landbau: das Oderbruch urbar gemacht 1746–53, das Netzebruch 1773–80. Sorge für Fabriken in den Städten (1751 Berliner Porzellanmanufaktur), Förderung des Verkehrs durch Kanäle: Plauescher, Finow- und Bromberger Kanal. General-Landschul-Reglement 1763. Erlaß über das Unterrichtswesen 1779. Bauwerke in Berlin (Opernhaus, Dom, Bibliothek) und Potsdam (Sanssouci, Neues Palais). Unermüdliche Tätigkeit des Königs für Verwaltung und Heer (150000 Mann stark); jährliche Reisen in die Provinzen.

1786–1797.

Friedrich Wilhelm II. (S. 291, 297f., 313f.) erwirbt Ansbach und Baireuth 1791, Posen 1793, Südpreußen mit Warschau 1795.[433]

Hertzberg 1791 entlassen. Die drückende Regie aufgehoben. Üppigkeit am Hofe, sorglosere Verwaltung, doch wird der Verkehr durch Anlage von Kunststraßen (Chausseen) gefördert, das Schulwesen durch Einsetzung eines Ober-Schulkollegiums. Religionsedikt des Ministers Wollner 1788. Brandenburger Tor 1789–1793 erbaut.

1797–1840.

Friedrich Wilhelm III. (S. 316 ff.) erwirbt Münster, Paderborn, Hildesheim u. a. 1803 (S. 321), tritt Ansbach ab 1805 (S. 323), alles Land links der Elbe und die polnischen Gebiete 1807 (S. 327), erwirbt halb Sachsen, Schwedisch-Pommern, einen großen Teil Westfalens und der Rheinprovinz 1815 (S. 340).

Aufhebung des Religionsedikts 1797. Große Reformen von 1807–1811 s. S. 328, 329: Die Aufhebung der Erbuntertänigkeit und Feststellung des bäuerlichen Grundbesitzes befreien den Bauernstand; die Aufhebung des Zunftzwanges, Gewöhnung an Selbstverwaltung (Städteordnung) und Einführung der Gewerbefreiheit fördern den Bürgerstand; die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht kommt der sittlichen Erziehung des ganzen Volkes zugute. Einziehung der geistlichen Güter. Einteilung des Staates in 8 Provinzen und 25 Regierungsbezirke 1815. Vereinigung der lutherischen und reformierten Kirche zu einer evangelischen Landeskirche (Union) 1817. Zollgesetz 1818. Neuordnung der Steuern und des Staatsschuldenwesens 1820. Einrichtung der Provinzial-Landtage 1823. Deutscher Zollverein 1833. Gesetz über die Anlage von Eisenbahnen 1838. — Universitäten zu Berlin 1810, Breslau 1811, Bonn 1818; Entwickelung der Gymnasien unter dem Minister v. Altenstein seit 1817; Museum zu Berlin 1830.

1840–1861.

Friedrich Wilhelm IV. (S. 353ff.) erwirbt Hohenzollern 1849 (S. 359), das Jahdegebiet 1853 (S. 361), verzichtet auf Neuchâtel 1857 (S. 367).

Gesetz über die Armenpflege 1842, Gewerbe-Ordnung 1845, Vereinigter Landtag 1847 (S. 353). Neue Gerichtsordnung (Geschworenengerichte) 1849. Verfassung des preußischen Staats 1850 (S. 359). Evangelischer Ober-Kirchenrat 1850. Gründung einer preußischen Kriegsflotte 1853. Sorge für Kunst und Wissenschaft; das Neue Museum in Berlin 1855.

1861–1888.

Wilhelm I., der Große, 1857–1861 Prinz-Regent (S. 367), erwirbt 1866 Schleswig-Holstein, Hannover, Kurhessen, Nassau, Frankfurt (S. 371–380), wird 1871 Deutscher Kaiser (S. 381–393).

Neugestaltung des Heerwesens 1860–1862 (S. 372). Umbildung der preußischen Flotte zu einer deutschen Kriegsflotte seit 1867 (S. 380). Kirchengesetze 1873–1875 (S 393). Verwaltungsreform in den (seit 1. Jan. 1878) 12 Provinzen 1872[434] bis 1875 (S. 394). Ansiedlungsgesetz für Posen und Westpreußen (S. 395). Vollendung des Kölner Doms 1880; Denkmal auf dem Niederwald 1883. Begründung deutscher Kolonien (S. 395).

1888.

Friedrich III. (März bis Juni) als Kronprinz siegreicher Feldherr (S. 375ff., 382ff.).

Seit 1888.

Wilhelm II. (S. 396–397). Vermehrung der deutschen Kolonien. Ausbau der Wasserstraßen in Preußen (S. 396). Fortführung der Gesetzgebung zum Wohle der Arbeiter, Fortsetzung der Verwaltungsreform (S. 396) und der Ansiedlungstätigkeit (S. 395). Förderung des Schulwesens, besonders der technischen Hochschulen. Universität in Münster 1902, Akademie in Posen 1903. Technische Hochschulen in Danzig 1904, Breslau 1909. Denkmäler in der Siegesallee zu Berlin; Neubau des Doms daselbst 1905 vollendet. Bau einer Pfalz in Posen (1910 vollendet). Erweiterungsbauten der Königlichen Museen, Neubau der Königlichen Bibliothek in Berlin. 1910 Gründung der Kaiser-Wilhelms-Gesellschaft in Berlin zur Förderung der Wissenschaften.

II. Die andern Staaten des Deutschen Reiches.

Bayern, altes Stammherzogtum, seit 1180 unter Herzögen aus dem Hause Wittelsbach (S. 184). Herzog Ludwig I. wird 1214 durch Erwerbung der Rheinpfalz auch »Pfalzgraf bei Rhein« (S. 186, 189). Kaiser Ludwig der Bayer. Bayerische Markgrafen in Brandenburg (S. 198–200). Seit dem Hausvertrag von Pavia 1329 Bayern und Pfalz getrennt. Bayern 1392 unter drei Linien geteilt, 1503 wieder vereinigt: weitere Teilungen durch das Primogeniturgesetz 1506 verboten (S. 226).

Herzog Maximilian I., Oberhaupt der katholischen Liga im Dreißigjährigen Kriege (S. 252 ff.), wird 1623 Kurfürst und erwirbt die Oberpfalz (S. 254f.). Maximilian II. Emanuel tapfer in den Türkenkriegen 1683–1688, Statthalter der spanischen Niederlande 1691, aus Bayern vertrieben 1704, wiedereingesetzt 1714, † 1726. Sein Sohn Karl Albert 1742–1745 deutscher Kaiser (S. 280ff.). Maximilian III. Joseph (1745–1777) sorgt für gute Verwaltung, stiftet 1758 die Akademie der Wissenschaften in München; mit ihm stirbt die bisher in Bayern regierende Linie aus. Karl Theodor (1777–1799) vereinigt Pfalz und Bayern (S. 289 ff.), verliert 1797 das linksrheinische Gebiet (S. 316 u. 319).

Maximilian IV. Joseph (1799–1825), seit 1806 König Maximilian I., erwirbt 1803 und 1805 große Gebiete hinzu (S. 320, 324, vgl. S. 340) und tritt 1806 dem Rheinbunde bei (S. 324), erwirbt 1806 Ansbach, 1809 Baireuth, schließt[435] sich vor der Schlacht bei Leipzig dem Bunde gegen Frankreich an (S. 336), erhält 1815 die linksrheinische Pfalz zurück (S. 340). Verfassung des Königreichs 1818. Ludwig I. (1825 bis 1848) fördert Kunst und Wissenschaft: Pinakothek und Glyptothek in München, Walhalla bei Regensburg. Universität Ingolstadt 1826 nach München verlegt. Maximilian II. (1848 bis 1864): Nationalmuseum in München, Historische Kommission bei der Akademie der Wissenschaften. Ludwig II. (1864 bis 1886): Schloßbauten in den bayrischen Alpen, Bühnenfestspielhaus in Baireuth. Für den geisteskranken König Otto (seit 1886) regiert sein Oheim Prinz Luitpold, Bruder Maximilians II.

Sachsen, hervorgegangen aus der Markgrafschaft Meißen (S. 161), einem Vorlande des alten Stammherzogtums Sachsen. Seit 1089 regiert in Meißen das Haus Wettin (S. 179 u. 189). Heinrich der Erlauchte erwirbt 1247 die Landgrafschaft Thüringen, Friedrich der Streitbare (1381–1428) 1423 das Kurfürstentum Sachsen Wittenberg (S. 204), einen Teil des alten Stammherzogtums (S. 184). Er gründet 1409 die Universität Leipzig (S. 203). Kurfürst Friedrich der Sanftmütige (1428 bis 1464, S. 205, 227). Unter seinem Sohn Kurfürst Ernst (1464–1486) Teilung 1485: die Ernestinische Linie (S. 227) erhält Sachsen-Wittenberg mit der daran haftenden Kurwürde und Thüringen, die Albertinische Linie Meißen. Die Kurfürsten Friedrich der Weise (1486–1525), Johann der Beständige (1525–1532) und Johann Friedrich der Großmütige (1532 bis 1547), Luthers Beschützer (S. 227 ff.). Umwandlung 1547, Sachsen-Wittenberg mit der Kurwürde kommt an die Albertinische Linie, S. 232f. (Kurfürst Moritz, Gründer der drei Fürstenschulen zu Meißen, Grimma und Pforta).

Kurfürst Friedrich August I. wird 1697 König von Polen (August II., S. 266), ebenso 1733 sein Sohn Friedrich August II. (August III., S. 279). Kunstpflege in Dresden (S. 285). Friedrich August III. (1763–1827) sorgt für bessere Verwaltung, tritt im Dez. 1806 als König Friedrich August I. dem Rheinbunde bei (S. 326), erhält 1807 das Herzogtum Warschau, wird 1813 nach der Schlacht bei Leipzig als Gefangener nach Preußen geführt, 1815 in die Regierung seines verkleinerten Landes wieder eingesetzt. Verfassung 1831 unter König Anton (1827 bis 1836); ihm folgen Friedrich August II. (1836–1854), Johann (1854–1873), Albert, 1870–71 als Kronprinz ruhmreicher Feldherr (1873–1902), Georg (1902–1904), Friedrich August III. seit 1904.

Württemberg, ursprünglich Grafschaft im alten Stammherzogtum Schwaben, das sich während des Interregnums auflöst. Eberhard der Erlauchte (1265–1325) und sein Nachfolger vergrößern das Gebiet, Eberhard der Greiner (1344 bis 1392) kämpft gegen Ritter und Reichsstädte, Eberhard im[436] Barte stiftet 1477 die Universität Tübingen und wird 1495 Herzog. Ulrich 1519 vom schwäbischen Bunde vertrieben, 1534 durch Philipp von Hessen wieder eingesetzt, führt die Reformation ein; sein Sohn Christoph (1550–1568) sorgt für Kirche und Schule. Verwüstung im Dreißigjährigen Kriege; Mißregierung unter Eberhard Ludwig (1677–1733) und Karl Alexander (1733–1737); Wendung zum Besseren unter dem allerdings despotischen Karl Eugen (1737–1793), der 1770 die Karlsschule gründet. Prinz Eugen von Württemberg (1788 bis 1857) trat früh in russische Kriegsdienste, erprobter Heerführer in den Befreiungskriegen. Herzog Friedrich (1797–1816) wird 1803 Kurfürst (S. 320), 1806 König (S. 324); seine Nachfolger Wilhelm I. (1816–1864), Karl I. (1864–1891), Wilhelm II. seit 1891.

Baden, Markgrafschaft im alten Herzogtum Schwaben. Die Grafen von Zähringen nannten sich seit 1112 Markgrafen von Baden. Teilung 1535 in die beiden Linien Baden-Baden und Baden-Durlach. Ludwig Wilhelm von Baden-Baden (reg. 1677–1707) zeichnet sich als Feldherr in den Türkenkriegen aus, leistet 1693 und 1702–1704 den Franzosen rühmlich Widerstand (S. 265 f.). Karl Friedrich von Baden-Durlach (1738 bis 1811) erbt nach dem Aussterben der andern Linie 1771 deren Besitz, sorgt für gute Verwaltung, erhält 1803 den rechtsrheinischen Teil des früheren Kurfürstentums Pfalz (Heidelberg und Mannheim, S. 320, vgl. S. 340), wird 1806 Großherzog (S. 324). Seine Nachfolger Karl (1811–1818), Ludwig (1818 bis 1830), Leopold (1830–1852), Friedrich I. (1852–1907), ein hervorragender Herrscher und Mitbegründer des Deutschen Reiches. Seit 1907 Friedrich II.

Hessen, ein Teil des alten Herzogtums Franken, kam 1130 an die Landgrafen von Thüringen und bildete nach deren Aussterben 1247 eine eigene Landgrafschaft; erster Landgraf Heinrich v. Brabant, Residenz Kassel. Seine Nachkommen vergrößern das Gebiet. Philipp der Großmütige (1509–1567) Beschützer der Reformation; von seinen Söhnen stammen die beiden Linien Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt; ein Zweig der letzteren regierte 1622–1866 in Hessen-Homburg. Die Landgrafschaft Hessen-Kassel, 1803 zum Kurfürstentum erhoben, wird 1866 mit Preußen vereinigt, ebenso Hessen-Homburg. Landgraf Ludwig X. von Hessen-Darmstadt wird 1806 Großherzog (Ludwig I.), erhält 1815 ein ansehnliches linksrheinisches Gebiet. Großherzog Ludwig III. tritt 1866 einen Grenzstrich an Preußen ab, schließt sich dem Norddeutschen Bunde an. Seine Nachfolger Ludwig IV. (1877–1892), Ernst Ludwig seit 1892.

Mecklenburg. Die Nachkommen des Wendenfürsten Niklot (S. 180) teilen sich 1229 in mehrere Linien; durch Aussterben[437] der jüngeren Linien wird im 15. Jahrhundert das Land wieder vereinigt. Albrecht II. wird 1348 Herzog, erwirbt 1359 die Grafschaft Schwerin. Sein Sohn Albrecht III. 1364–1389 König von Schweden (S. 215). Stiftung der Universität Rostock 1419, Einführung der Reformation 1523–1540. Teilung in die Linien Schwerin und Güstrow 1621. Wallenstein Herzog 1628–1630. Teilung in die Linien Schwerin und Strelitz 1701. Beide Landesteile werden 1815 vom Wiener Kongreß als Großherzogtümer anerkannt. Großherzog Friedrich Franz II. von Mecklenburg-Schwerin Feldherr im Kriege 1870/71. Seit 1897 Friedrich Franz IV. in Schwerin; in Strelitz seit 1904 Adolf Friedrich.

Oldenburg, Grafschaft im alten Herzogtum Sachsen, vergrößert durch Kämpfe mit den Friesen, 1667–1773 mit Dänemark vereinigt, 1773 Herzogtum (s. S. 292), 1810–1813 französisch, 1815 Großherzogtum. Seit 1900 Friedrich August.

Die sächsischen Herzogtümer, entstanden aus dem Erbe, das 1547 der Ernestinischen Linie des Hauses Wettin verblieb. Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar (1604–1639) einer der berühmtesten Helden des Dreißigjährigen Krieges (S. 257f.) Weimar seit 1815 Großherzogtum; Großherzog Karl August 1775–1828, Karl Alexander 1853–1901. Seitdem Wilhelm Ernst. In Sachsen-Altenburg seit 1908 Ernst II.; in Sachsen-Koburg-Gotha seit 1900 Karl Eduard in Sachsen-Meiningen seit 1866 Georg II.

Herzogtum Braunschweig, ein Teil des Gebietes, das 1235 dem Welfenhause verblieb (S. 184, 188). Teilungen der Linien Braunschweig und Lüneburg 1267, 1409, 1635. Das Lüneburger Gebiet 1692 zum Kurfürstentum Hannover erhoben, 1866 mit Preußen vereinigt. Aus der Braunschweiger Linie sind eine Reihe von berühmten Heerführern hervorgegangen: Herzog Christian (1599–1626) kühner Heerführer im Dreißigjährigen Kriege (S. 254f.), Herzog Ferdinand (1721–1792) preußischer Generalfeldmarschall unter Friedrich dem Großen (S. 287ff.), Herzog Karl Wilhelm Ferdinand (1735–1806), Neffe des vorigen, Oberbefehlshaber des preußischen Heeres 1792–1794 (S. 313f.) und 1806 (S. 325f.), Herzog Friedrich Wilhelm (1771–1815), Sohn des letzteren, bekannter Held der Freiheitskriege (S. 330, 342). Mit dessen Sohn. Herzog Wilhelm (1806 bis 1884), starb die Linie aus. Regentschaft s. S. 395.

Herzogtum Anhalt, entstanden aus Grenzmarken des alten Herzogtums Sachsen. Otto der Reiche, Graf von Aschersleben und Ballenstedt, † 1123, sein Sohn Albrecht der Bär (S. 179f.). Von dessen älterem Sohne Otto stammen die Brandenburgischen Askanier (bis 1320), von dem jüngeren Sohne Bernhard die Herzöge von Sachsen-Wittenberg und Sachsen-Lauenburg (ausgestorben 1422 und 1689) und das fürstliche Haus Anhalt, welches sich in mehrere Linien teilt. Hauptteilung 1603:[438] Dessau, Bernburg, Zerbst, Cöthen. Die Linie Zerbst stirbt 1793 aus, Cöthen 1847, Bernburg 1863. Herzogtümer seit 1806 und 1807; zu einem Herzogtum vereinigt 1863. Fürst Christian (1568–1630) s. S. 254. Fürst Leopold (1693–1747) preußischer Feldherr (S. 273, 284), Leopold Friedrich Franz (1751–1817), Begründer des Philanthropins in Dessau 1774, des Parks zu Wörlitz 1796. Seit 1904 Friedrich II.

Fürstentümer Schwarzburg, hervorgegangen aus der alten Landgrafschaft Thüringen. Teilung der Grafschaft Schwarzburg 1599 in die Gebiete Sondershausen und Rudolstadt, Erhebung der Grafen in den Fürstenstand 1697 und 1709. Seit 1909 beide Länder durch Personalunion vereinigt. Fürst Günther von Schw.-Rudolstadt seit 1890.

Fürstentümer Reuß, entstanden aus dem einst zu Thüringen gehörigen Besitz der Reichsvögte von Plauen, Weida und Gera. Teilung 1564, Hauptlinien Greiz und Gera. Erhebung in den Fürstenstand 1778 u. 1790. In Greiz (ä. L.) Fürst Heinrich XXIV. seit 1902, in Gera (j. L.) Fürst Heinrich XIV. seit 1867; Regent für beide Staaten Erbprinz Heinrich XXVII. (j. L.)

Fürstentümer Lippe, Grafschaft im alten Herzogtum Sachsen. Teilung 1603, Linien Detmold und Bückeburg; die letztere erbt 1640 die Grafschaft Schaumburg. Graf Wilhelm von Schaumburg-Lippe († 1777) Erbauer der Festung Wilhelmstein im Steinhuder Meer und Gründer einer berühmten Kriegsschule (s. S. 303). Erhebung in den Fürstenstand 1720 und 1807. In Lippe Fürst Leopold IV. aus der Biesterfelder Linie seit 1904; in Schaumburg-Lippe Fürst Adolf seit 1911.

Fürstentum Waldeck, Grafschaft im alten Herzogtum Sachsen. 1712 Fürstentum. Graf Georg Friedrich v. Waldeck († 1692), Staatsmann und Feldherr im Dienste des Großen Kurfürsten von Brandenburg. Durch Vertrag von 1868 ist die Verwaltung des Landes an Preußen übertragen. Seit 1893 Fürst Friedrich.

Die drei Hansestädte (S. 200 f.), seit 1630 nach dem Aufhören des Hansebundes besonders verbündet, 1815 als Freie Städte Mitglieder des Deutschen Bundes (vgl. S. 320).

Elsaß-Lothringen. Elsaß ein Teil des alten Herzogtums Schwaben; Straßburg 1205 freie Reichsstadt. Die österreichischen Besitzungen im Elsaß kommen 1648 an Frankreich, Straßburg 1681, die letzten noch deutschen Teile des Elsaß 1792. Das ganze Elsaß 1870 wieder gewonnen. Lothringen altes Herzogtum des deutschen Reiches, seit 1431 unter einer französischen Dynastie (S. 205); Metz seit dem 13. Jahrhundert freie Reichsstadt, 1552 von den Franzosen besetzt. Ganz Lothringen 1766 französisch (S. 279), der östliche Teil 1870 wieder gewonnen. Betreffs der Regierung des Landes s. S. 392, 397.[439]

Namen- und Sachregister

B. = Bündnis.
Bl. = Belagerung.
Br. = Brandenburg.
D. = Deutschland.
Dn. = Dänemark,
E. = England.
Erzb.= Erzbischof, Erzbistum.
f. = folgende Seite.
F. = Friede.
Fr. = Frankreich.
Gr. = Große.
Grh. = Großherzog, Großherzogtum.
H. = Haus.
Hz. = Herzog, Herzogtum.
K. = König, Königin.
Kapit. = Kapitulation.
Kf.= Kurfürst, Kurfürstentum.
Kgr. = Königreich.
Ko. = Kongreß, Konferenz.
Konz. = Konzil.
Kr. = Krieg.
Ks. = Kaiser, Kaiserin.
Ö. = Österreich.
P. = Papst.
Pr. = Preußen.
R. = Rußland.
Rchst. = Reichstag.
S. = Schlacht.
Schw. = Schweden.
Sp. = Spanien.
St. = Stammtafel.
V. = Vertrag.
W. = Waffenstillstand.

Fussnoten

[1] Die Entzifferung der Hieroglyphen gelang zuerst dem französischen Gelehrten Champollion 1822 mit Hilfe des 1799 von Napoleons I. Soldaten bei Rosette aufgefundenen Steines, der eine Inschrift aus der Ptolemäerzeit in ägyptischer und griechischer Sprache enthält.

[2] Einunddreißig Dynastien ägyptischer Könige, mit Menes beginnend, bis auf Alexander d. Gr. verzeichnete um 280 v. Chr. der Priester Manĕtho zu Heliopolis (On) in einem griechisch geschriebenen Werke über Ägyptens alte Geschichte.

[3] Herodot, welcher um 450 v. Chr. Ägypten bereiste, nennt die Könige Cheops, Chephren, Mykerinos. Seine Angaben über die ältere Geschichte Ägyptens sind sagenhaft; wertvoll ist seine Schilderung des Landes und der Volkssitten.

[4] Die Entzifferung der Keilschrift begann G. F. Grotefend 1802, indem er in den Inschriften von Persepolis die persischen Königsnamen erkannte. Weitere Fortschritte namentlich durch Rawlinson, welcher 1846 die persische Inschrift von Bagistana (Behistun) (s. S. 20) herausgab.

[5] Die fünfte Dynastie bei Berōssos, der um 280 v. Chr. die Sagen der babylonischen Urzeit (große Flut) und die Königsreihen in einem griechisch geschriebenen Geschichtswerk verzeichnete.

[6] Die Ruinen von Ninive bei Môssul (am Tigris) zuerst 1842 von dem Franzosen Botta, 1845 von dem Engländer Layard erforscht, die Ruinen von Babylon 1853 von Oppert und Rawlinson. Deutsche Ausgrabungen 1886, dann seit 1901.

[7] Mit Nabunâssirs Regierungsantritt 747 v. Chr. beginnt der in dem astronomischen Werke des Alexandriners Ptolemaios (um 150 nach Chr.) erhaltene astronomische Kanon, ein Verzeichnis der Herrscher, die über Babylon regiert haben, bis Antonius Pius, mit genauer Angabe der Regierungszeiten.

[8] Stammtafel der Achämeniden:

                 Tschischpisch.
              _____|      |__________
             |                       |
         Kurusch I.              Anjarâmna.
             |                       |
       Kambudschija I.           Arschâma.
             |                       |
         Kurusch II.             Vischtâspa.
       _____|  |_____                |
      |              |               |
Kambudschija II.  Bardija.     Darijavahusch.

[9] Diese Bezeichnung wahrscheinlich herzuleiten von dem Volk der Graer in Böotien, das bei der Gründung der Kolonie Kyme (Cumä) in Campanien durch Auswanderer aus Chalkis auf Euböa beteiligt gewesen zu sein scheint.

[10] Die 12 Arbeiten: Nemeischer Löwe, lernäische Hydra, erymanthischer Eber, kerynitische Hirschkuh, stymphalische Vögel, Gürtel der Amazonenkönigin Hippoly̆ta, Stall des Augīas, kretischer Stier, Rosse des Diomēdes, Rinder des Geryŏnes, Äpfel der Hesperiden, Kerbĕros.

[11] Nach der Berechnung des alexandrinischen Gelehrten Eratosthĕnes ist die Zerstörung Trojas 1184 v. Chr. zu setzen.

[12] Die nähere Kenntnis dieses griechischen Nationalheiligtums verdanken wir den Ausgrabungen, welche auf Veranstaltung des Deutschen Reiches 1875–81 unter Leitung von E. Curtius daselbst angestellt worden sind.

[13] Attisches Münzwesen: Kleinste Silbermünze der Obŏlos (13 Pf.); 6 Obolen = l Drachme; größere Silbermünze das Tetradrachmon. Gepräge: Pallaskopf, auf der Rückseite Eule und Ölzweig. Goldmünze der Stater, entsprechend dem persischen Dareikos = 20 Drachmen. Größere Summen werden nach Minen zu 100 Drachmen und Talenten berechnet; ein Talent = 6000 Drachmen = 4715 Mark unseres Geldes.

[14] Von dem nach Delphi geweihten goldnen Dreifuß ist das eherne Untergestell erhalten (1856 in Konstantinopel ausgegraben), drei sich umeinander windende Schlangen, darauf die Inschrift, welche die Namen der gegen die Perser verbündeten griechischen Staaten enthält (Thukyd. I, 132).

[15] Die erhaltenen Reste derselben seit 1816 (Lord Elgin) im Britischen Museum zu London.

[16] Die Gemeinde von Epidamnos (späterer Name Dyrrhachium), bedrängt von den aus der Stadt vertriebenen, mit den illyrischen Barbaren verbündeten Adligen, bittet die Mutterstadt Kerkyra vergebens um Hilfe, erhält aber Beistand von Korinth, der Mutterstadt Kerkyras. Deswegen nehmen die Kerkyräer für die aus Epidamnos Vertriebenen Partei, besiegen die Korinther bei Aktion (Actium, 434) und nehmen Epidamnos ein. Korinth und Kerkyra bewerben sich beide um athenische Hilfe.

[17] Seit dieser Zeit wurde es üblich, nach persischer Sitte das Bildnis des Königs auf die Münzen zu prägen. Auf den Münzen Alexanders d. Gr. erscheinen noch nach dem älteren Brauch Götterbilder (Zeus, Athene, Herakles).

[18] Die Bedeutung der Stadt Pergamon bis in die römische Kaiserzeit hinein ist durch die von K. Humann 1870–1886 unternommenen Ausgrabungen in helles Licht getreten. Der von Eumenes II. nach einem abermaligen Siege über die Galater errichtete Zeusaltar war mit Skulpturen geschmückt, welche den Kampf der hellenischen Götter gegen die Giganten darstellen (jetzt im Museum zu Berlin).

[19] Der Name herzuleiten von vitulus = Rinderland, vgl. Böotien.

[20] Römisches Münzwesen: Anfänglich schweres Kupfergeld, 1 As = 1 Pfund Kupfer; seit 268 v. Chr. Silbergeld: Sestertius = 2½ As, Denarius = 10 As; seit 217 v. Chr. Goldmünzen zu 20–100 Sestertien. Nach öfterem Sinken des Münzfußes war seit 217 v. Chr. der Wert des Sestertius 17½ Pf., des Denarius 70 Pf. unseres Geldes, also 100000 As = 7000 Mark. Gepräge der ältesten Kupfermünzen: Vorderteil eines Schiffes und Januskopf; Gepräge der späteren Münzen: Kopf der Göttin Roma, Victoria auf dem Zweigespann. Mit Cäsar beginnt die Sitte, den Kopf des Herrschers auf die Münzen zu prägen, nach griechischem Vorbilde, s. S. 64.

[21] Cic. de rep. 2, 31, 54: ne quis magistratus civem Romanum adversus provocationem necaret neve verberaret.

[22] Polybios setzt diesen Vertrag schon in das erste Jahr der Republik (509), doch hat die auf Livius beruhende Angabe mehr Wahrscheinlichkeit.

[23] Die Inschrift seines noch erhaltenen Sarkophags lautet (in saturnischem Versmaß): Cornéliús Lucius Scipiȯ Barbátus || Gnaivód patre prognátus fórtis vir sapiénsque || quoiús fórma virtutei parisuma (parissima) fúit || consól censȯr aidilis quei fuit apúd vos || Taurásiá Cisaúna Sámnió cépit || subigit omné Loucánam ópsidésque abdoúcit.

[24] Stammtafel:

                P. Cornelius Scipio, †211.
                         |
       __________________|_______________
      |                                 |
P. Cornelius Scipio Africanus    L. Cornelius Scipio
(maior), †183.                    Asiaticus.
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    __|_______________________________
   |                                  |
P. Cornelius Scipio,              Cornelia
Augur 180.                        Gem. Tib. Sempronius Gracchus,
Adoptivsohn:                      Consul 177 und 163.
P. Cornelius Scipio                   |
Aemilianus Africanus (minor)  __________________
Numantinus †129.             |                  |
Gem. Sempronia.               Tib. Sempronius    C. Sempronius
                              Gracchus †133.    Gracchus †121.

[25] Civitates foederatae waren Messana, Tauromenium, Tarrăco, Gades, Athen, Sparta, in Italien Neapolis, Rhegium, Heraclea u. a., civitates liberae et immunes waren Panormus, Segesta, Dyrrhachium, Thessalonike, Amphipolis, Utica, Hadrumetum. Das Gebiet der zerstörten Städte, wie Karthago und Korinth, war ager publicus.

[26] C. Julius Cäsar, geb. 102 v. Chr., 82 als Schwiegersohn Cinnas von Sulla geächtet, dann begnadigt, tut Kriegsdienste bei der Belagerung der aufständischen Stadt Mytilene und in Cilicien unter P. Servilius, tritt nach Sullas Tode in Rom als Redner vor Gericht auf, reist 76 nach Rhodus, um den Rhetor Molo zu hören (unterwegs von Seeräubern gefangen, die er später hinrichten läßt), 68 Quästor in Spanien, 65 Ädil, 63 Pontifex maximus, nachdem das Recht der Komitien, die Priesterkollegien zu wählen (S. 106), wiederhergestellt war.

[27] M. Tullius Cicero, geb. 106 auf einem Gut bei Arpinum, tut 89 Kriegsdienste im marsischen Kriege, hört dann in Rom griechische Philosophen, tritt 80 als Anwalt des S. Roscius zuerst in einer causa publica vor Gericht auf, reist 79–77 nach Athen und Rhodus, 75 Quästor in Sicilien, 70 Ankläger des C. Verres, 69 Ädil, 66 Praetor urbanus.

[28] Als Erbe Cäsars nannte sich der erste Alleinherrscher Imperator Caesar Augustus divi Iuli filius.

[29] Der Abt Dionysius in Rom (532), dessen Berechnung durch das Ansehen der Päpste maßgebend wurde, hat die Regierung des Königs Herodes (40–4 v. Chr.) unrichtig angesetzt. Herodes starb im Jahre 750 Roms: Christi Geburt ist früher.

[30] Stammtafel:

              Karl der Grosse †814
Karl †811    Pippin †810 Ludwig der Fromme †840
______________________________________|____________________
Lothar I. †855 Ludwig der Deutsche †876    Karl d.         |
     |                        |          Kahle †877        |
_____|______________    ______|__________________   _______|___
Ludwig II. Lothar II. Karl  Karlmann  Ludwig Karl  Französische
†875.      v. Lothr.  v.d.   †880.   †882 d. Dicke Karolinger,
           †869.      Provence _|_         †888.   erloschen
                              Arnulf               987.
                              †899.
                               _|_
                         Ludwig das Kind †911.

[31] Friedrichs Nachfolger in der Kaiserwürde führen seitdem den Titel: König von Jerusalem (seit 1806 die Kaiser von Österreich).

[32] Ein deutsches Hospital hatte in Jerusalem seit etwa 1110 bestanden, war aber 1187 mit zu Grunde gegangen.

[33] So genannt von der Beteuerung, die er stets im Mund führte.

[34] Lübeck, zunächst kaiserliche Stadt, erhielt das Privilegium als freie Reichsstadt 1226; Hamburg und Bremen, seit 1473 bisweilen zu Reichstagen berufen, erhielten die ausdrückliche Anerkennung als freie Reichsstädte erst 1510 bezw. 1646.

[35] Vgl. die Lieder Walthers v. d. Vogelweide.

[36] So genannt von dem Ginsterzweig (planta genista), welchen Gottfried von Anjou, Vater Heinrichs II., als Helmzier zu tragen pflegte.

[37] so genannt nach den goldenen Siegelkapseln.

[38] Streitig war das Kurrecht zwischen den beiden sächsischen und den beiden nach dem Tode Ludwigs des Strengen 1294 entstandenen wittelsbachischen Linien. Dasselbe ward nun Sachsen-Wittenberg und Pfalz zuerkannt, Sachsen-Lauenburg und Bayern aber abgesprochen (S. 189).

[39] De terra vero salica in mulierem nulla portio transit, sed hoc virilis sexus acquirit (bezieht sich eigentlich auf Allodialbesitz und weder auf Lehen noch auf die Thronfolge).

[40] Titel des Thronfolgers seit 1349, da der letzte Graf von Vienne sein Gebiet (le Dauphiné) dem französischen Königshause übertrug.

[41] Das Festland von Nord-Amerika hatten schon um 1000 die Normannen (S. 170), dann wieder 1497 John und Sebastian Cabot, gebürtig aus der Nähe von Genua, bez. aus Venedig, seit etwa 1490 in Bristol ansässig, entdeckt.

[42] De Papa male informato ad Papam melius informandum.

[43]

    Friedrich der Sanftmütige.   (S. 205, 204.)
_______________|____________________________
   Ernst.                                Albert.
_____|________________________________    __|__________________
Friedrich der Weise    Johann †1532.    Georg      Heinrich †1541
†1525.         _________|_________      †1539.       __|__
               Johann Friedrich †1554.             Moritz †1553.

[44]

      Jean d’Albret, K. von Navarra † 1516.
                     |
         Henri d’Albret, K. von Navarra,
Gem. Margarete, Schwester Franz’ I. von Frankreich.
                     |
       Jeanne d’Albret, Erbin von Navarra,
          Gem. Anton von Bourbon.
                     |
   Heinrich IV., K. v. Frankreich † 1610.
        Gem. Margarete von Valois.

[45] Hugenotten (Huguenots) soll ein Spottname sein, abgeleitet von König Hugo, einem Gespenst, das nach dem Volksglauben nächtlich die Straßen von Tours durchzog; danach die Protestanten von ihren nächtlichen Zusammenkünften Huguenots genannt. Nach andern ist der Name verdorben aus Eidgenossen.

[46] Geb. 1533 zu Dillenburg in Nassau, besaß durch Erbschaft das souveräne Fürstentum Orange an der Rhone.

[47] Doch bleiben die drei Seestädte Lübeck, Hamburg, Bremen durch ein 1630 geschlossenes Bündnis als Hansestädte vereinigt.

[48] Geschlossen auf einer Insel in dem Grenzfluß Bidassoa, der in den westlichen Pyrenäen entspringt.

[49] Er ließ eine Denkmünze prägen mit der Umschrift: Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor.

[50] Geb. 24. Januar 1712. Strenge Erziehung; Vorliebe des Prinzen für französische Literatur und Musik, Abneigung gegen militärische Übungen, Jagden, Tabakskollegium; der Vater hält ihn daher für untüchtig. Nachdem der Plan einer Vermählung Friedrichs mit einer Tochter Georgs II. von England (S. 299) gescheitert ist, Fluchtversuch 1730 unweit Mannheim, während einer Reise mit dem König. Verhör in Wesel, Kriegsgericht; der Kronprinz kommt als Gefangener nach Küstrin (Katte hingerichtet), arbeitet dort in der Kriegs- und Domänenkammer. 1732 Aussöhnung; der Prinz erhält die Führung eines in Neu-Ruppin stehenden Regiments, heiratet 1733 Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern, lebt dann mit seinen Freunden im Schloß Rheinsberg unweit Ruppin. Briefwechsel mit Voltaire.

[51] Riquetti, Graf von Mirabeau, geb. 1749, † 1791, von seltenem Talent, aber sittenlos, verschuldet, mit seiner Familie zerfallen, gewählt in der Provence als Abgeordneter des dritten Standes.

[52] Napoléon Bonaparte geb. 15. Aug. 1769 in Ajaccio auf Korsika (S. 303f.), 1779 auf der Kriegsschule zu Brienne, dann in Paris, 1785 Leutnant in Valence, 1789–92 meist auf Korsika, wo damals Aufstand gegen die französische Herrschaft war, 1793 Hauptmann, dann in Paris mit den Jakobinern in Beziehung, vor Toulon zum Oberst, nach der Einnahme zum Brigadegeneral der Artillerie befördert, 1794 in Robespierres Sturz verwickelt und verhaftet, aber wieder freigelassen, 1795 wegen Insubordination aus den Listen der Armee gestrichen. »Seine militärische Begabung erhob ihn zum Beherrscher Europas«.

[53] Gebhard Leberecht v. Blücher, geb. 1742 zu Rostock, tritt 1758 bei den schwedischen Husaren in Vorpommern ein, 1760 bei den preußischen Husaren, kämpft mit bei Freiberg 1762, nimmt 1773 als Rittmeister seinen Abschied, tritt 1787 als Major wieder ein, führt 1794 als General sein Regiment bei Kaiserslautern; 1802–1806 kommandierender General in Münster, Okt. 1813 Feldmarschall, † 1819.

[54] Karl Freiherr vom Stein, geb. 1757 zu Nassau, seit 1780 im preußischen Staatsdienst, 1796 Oberpräsident der westfälischen Kammer in Minden, 1804 Finanzminister, Januar 1807 vom König in Ungnaden entlassen, nach dem Tilsiter Frieden zurückberufen. Minister bis 1808, 1812 von Kaiser Alexander nach Petersburg berufen, 1813–14 einflußreich im Hauptquartier der Verbündeten und auf dem Wiener Kongreß, † 1831 zu Kappenberg in Westfalen.

[55] Karl August v. Hardenberg, geb. 1750 zu Essenroda im Hannoverschen, seit 1792 im preußischen Staatsdienst, 1804–06 Minister des Auswärtigen, 1810 Staatskanzler, 1814 in den Fürstenstand erhoben, † 1822.

[56] Gerhard David Scharnhorst, geb. 1755 zu Bordenau im Hannoverschen, seit 1802 preußischer Offizier, 1806 Generalquartiermeister beim Herzog von Braunschweig, in Lübeck gefangen, doch bald ausgewechselt, † 28. Juni 1813 in Prag.

[57] Geb. 1808 zu Paris, Sohn des Königs von Holland Louis Napoleon und der Hortense Beauharnais, folgte 1815 seiner Mutter in die Verbannung und besuchte 8 Jahre das Gymnasium zu Augsburg (S. 365).

[58] Wilhelm, Prinz von Preußen, geb. 22 März 1797 in Berlin, 1806–9 mit den Eltern in Königsberg und Memel, dann wieder in Berlin, 1813 in Breslau, erwirbt 1814 das Eiserne Kreuz in der Schlacht bei Bar-sur-Aube; nach dem Friedensschluß unablässig um die Ausbildung der preußischen Truppen bemüht, 1825 kommandierender General des 3. Armeekorps, 1829 vermählt mit Augusta von Sachsen-Weimar, übernimmt 1838 das Gardekorps, reist im März 1848 nach England, leitet 1849 den Feldzug in Baden, lebt dann in Koblenz als Gouverneur von Rheinland und Westfalen, 1858 Prinz-Regent.

[59] Otto v. Bismarck, geb. 1. April 1815 in Schönhausen bei Stendal, 1847 und 1848 Mitglied des Vereinigten Landtags, 1849 und 1850 der zweiten Kammer, 1851 Gesandter beim deutschen Bundestag in Frankfurt, 1859 Gesandter in St. Petersburg, Mai 1862 in Paris.

[60] Helmut v. Moltke, geb. 1800 zu Parchim, anfangs in dänischen Diensten, dann Hauptmann im preußischen Generalstab, 1835–39 in der Türkei mit geographischen Forschungen und Besserung des türkischen Heerwesens beschäftigt, 1845–46 in Rom als Adjutant des Prinzen Heinrich von Preußen, 1857 an die Spitze des Generalstabs gestellt.

[61] Die Kapkolonie wurde 1601 angelegt und 1795 von den Engländern besetzt (S. 314), dann nach dem Frieden von Amiens zurückgegeben (S. 320) und 1806 von neuem erobert (S. 331).

Anmerkungen zur Transkription

Die folgenden gedruckten Berichtigungen sind in den Text eingeflossen:

Berichtigungen:
Seite16,Zeile16vonobenlies:Agni.
17,4Makedonier.
17,18Hinterindien.
33,18Mytilene.
36,7Soloi.
53,13Aigospotamoi.
173,10untenBoëmund.
283. Der jüngste Sohn des Kronprinzenpaares heißt Friedrich.

Die folgenden angenommenen Fehler wurden ebenfalls korrigiert:

Seitenfüllende Familienstammbäume wurden neben den von ihnen illustrierten Text bewegt und stimmen eventuell nicht mit den originalen Seitenzahlen überein.

Die Scans von S. 171, 173, 265, 282, 283 und 355 waren zum Teil unleserlich, und wurden unter Bezugnahme auf die Ausgabe von 1910 korrigiert. Die Worte "fast 6" auf p. 355 sind Vermutungen.

Das erste Datum auf jeder Seite des Abschnitts "Alten Geschichte" enthält "vor Chr." oder "nach Chr."; alle außer die erste Anmerkung wurden entfernt.

Diakritische Zeichen werden häufig nur benutzt wenn das Wort in fett oder kursiv hervorgehoben wird und werden regelmäßig im Register weggelassen. Registereinträge wurden ansonsten geändert, um dem Text zu entsprechen. Interpunktion im Register wurde ohne Kommentar regularisiert. Andere Unregelmässigkeiten in der Rechtschreibung und Silbentrennung wurden beibehalten.