The Project Gutenberg eBook of Das Wirken der Seele: Ideen zu einer organischen Psychologie

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Title: Das Wirken der Seele: Ideen zu einer organischen Psychologie

Author: Rudolf Eisler

Release date: February 18, 2011 [eBook #35318]

Language: German

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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS WIRKEN DER SEELE: IDEEN ZU EINER ORGANISCHEN PSYCHOLOGIE ***






[Seite 1] Das Wirken der Seele
 
Ideen zu einer organischen Psychologie

Von

DR. RUDOLF EISLER

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LEIPZIG
Alfred Kröner Verlag
1909

[Seite 2] Druck von Oscar Brandstetter in Leipzig.

[Seite 3] Vorwort.

Die vorliegende Arbeit[A] enthält die Grundzüge einer organisch-teleologischen Psychologie, deren systematischen Ausbau sich der Verfasser für eine spätere Zeit vorbehält. Es wird hier versucht, zu zeigen, wie sich eine konsequente Durchführung des psychologischen „Voluntarismus“, für den das Streben und Wollen, die zielsetzende Tätigkeit der Psyche (als des „Innenseins“ des Organismus) das Dynamische, das innerste Triebwerk des Seelenlebens ist, gestalten muß, wenn dieser Voluntarismus im guten Sinne des Wortes monistisch und evolutionistisch gefärbt ist, d. h. wenn er bei vollster Anerkennung der Eigenkraft des Psychischen einer Durchbrechung des geschlossenen Naturzusammenhanges nirgends Raum gewährt, und wenn er die innere, durch äußere Faktoren mitbedingte Entwicklungsarbeit der Psyche gebührend berücksichtigt. Wenn auch naturgemäß so manches schon Bekannte gebracht werden mußte, so hofft der Verfasser doch, durch seine Schrift nicht bloß weiteren Kreisen, sondern auch dem Psychologen, Biologen und Philosophen manche Anregungen bieten zu können[B].

Wien, April 1909.

Dr. Rudolf Eisler.

[Seite 4] Inhalt.


[Seite 5] I. Die Psyche und ihr Verhältnis zum Physischen.

Die Zeiten, da man unter der Seele eine immaterielle, einfache, unzerstörbare Substanz hinter dem Bewußtsein und dessen Modifikationen verstand, scheinen nun doch vorüber zu sein. Zwar fehlt es gerade in jüngster Zeit nicht an einer dualistischen Reaktion nicht bloß gegen den Materialismus, sondern auch gegen die „Identitätstheorie“ und jeden sonstwie gearteten „Monismus“, aber erstens ist diese Reaktion nur ein neuer Vorstoß des alten Seelenglaubens, und zweitens weist sie vielfach Konzessionen gegenüber der monistischen Ansicht auf, welche bezeugen, daß es mit der metaphysischen Hypothese der absolut einfachen, dem Leibe völlig selbständig gegenüberstehenden und von ihm trennbaren Seelensubstanz rapid zu Ende geht.

Die psychologische „Aktualitätstheorie“ mag sich mancher Einseitigkeiten und Übertreibungen schuldig gemacht haben, wie wir weiter unten zeigen werden. Aber das nimmt ihr keinesfalls das außerordentliche Verdienst, an Stelle der „transzendenten“, aller Erfahrung sich entziehenden Seelensubstanz mit besonderen „Vermögen“ und Tätigkeiten das konkrete Bewußtsein als Inbegriff und Zusammenhang von Erlebnissen selbst gesetzt zu haben. Mit vollem Recht betont diese Aktualitätstheorie[1] zweierlei. Erstens, daß die psychischen Vorgänge, die Bewußtseinserlebnisse als solche weder Schein noch bloße Erscheinung sind, sondern volle Wirklichkeit und Wirksamkeit haben, so daß also das Psychische nicht aus unerfahrbaren, hinter und unter den Bewußtseinserlebnissen stehenden Prozessen besteht. Zweitens, daß das Psychische nichts starr Substantielles, Ruhendes, sondern „aktuell“ ist, daß es nicht Zustand einer absolut beharrenden, unveränderlichen Substanz ist, sondern in einem Zusammenhang von Vorgängen, von lebendigen Prozessen besteht, in welchen nichts sich absolut gleichbleibt. Die psychischen Gebilde sind nicht Dinge, sondern fließende Resultate beständiger Aktionen und Reaktionen, sie sind in einem unaufhörlichen [Seite 6] Flusse begriffen und bilden die Momente einer fortlaufenden Entwicklung und Entfaltung, deren Konstanz in erster Linie formaler Art ist. Die Seele ist hiernach keine „Substanz“ im Sinne des naturwissenschaftlichen Substanzbegriffs. Dieser ist durch die Beschaffenheit des Inhalts der „äußeren“, sinnlich vermittelten Erfahrung gefordert; er dient zu deren objektiven Vereinheitlichung, zur Setzung fester Ansatzpunkte für die Anschauung und das Denken der Objekte. Für die Psychologie aber ist der abstrakte Substanzbegriff ohne Nutzen, er ist hier überflüssig, weil das Zentrum, um das sich die psychischen Erlebnisse gruppieren, unmittelbar im Subjektmoment gegeben ist, und er ist sogar schädlich, weil er den konkreten Tatbestand des Erlebens leicht zugunsten eines unbekannten, mit hypothetischen oder fiktiven Kräften und Eigenschaften ausgestatteten Seelendinges verfälscht, dem Reichtum der Bewußtseinsmannigfaltigkeit nicht genügt, der im Widerspruche zu der vorgeblichen „Einfachheit“ der Seelensubstanz steht, und endlich die Wechselbeziehungen zwischen Psychischem und Physischem zu einem Rätsel macht. Denn alle Versuche, die „Wechselwirkung“ zwischen der einfachen Seelensubstanz und dem Körper verständlich zu machen, scheitern teils an der Heterogenität beider Wirklichkeitsglieder, teils an der Durchbrechung, welche hier das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität und das Prinzip der Erhaltung der physischen Energie erleiden[2].

Übrigens gilt das meiste des hier Gesagten auch für jene Annahme, wonach das Psychische zwar nicht Zustand einer unbekannten Seelensubstanz, aber doch ein vom Physischen absolut verschiedenes, trennbares und eigenartiges Geschehen ist, das mit jenem in Wechselwirkung steht. Erstens läßt sich nicht, wie dies von mancher Seite geschieht, das Psychische in genau demselben Sinne wie das Physische als eine „Energie“ auffassen; denn es ist unräumlich[3], unmassenhaft und entbehrt auch sonst der Eigenschaften, welche eine physikalisch-chemische Arbeitsleistung ermöglichen. Ist es aber keine Energie im physikalischen Sinne, läßt es sich seiner Natur nach weder aus physischer Energie gewinnen noch in solche umsetzen, schon weil es keinen Bestandteil des Inhalts der äußeren Erfahrung bildet, ist ferner nicht einzusehen, wie ein immaterielles Geschehen Bewegung erzeugen oder auch nur der Richtung nach abändern und wie Bewegung, Druck und Stoß, kurz mechanische Kraft, auf ein Immaterielles, Unräumliches einwirken kann, dann ist die Annahme eines solchen, dem Physischen als selbständiges Geschehen gegenüberstehenden Psychischen, auch abgesehen von anderen Schwierigkeiten, schon suspekt. Ein Psychisches kann [Seite 7] auf ein Physisches nicht wahrhaft einwirken, ohne daß die Menge der physikalisch-chemischen Energie einen Zuwachs erhält, und umgekehrt kann das Physische, Materielle nicht auf das Seelische eine Wirkung ausüben, ohne daß physische Energie verloren geht. Es müßte denn neben der normalen Art physischer Wirksamkeit noch eine zweite geben, welche das Energieprinzip intakt läßt — eine undurchführbare und vor allem ganz unnötige Annahme.

Nun könnte man glauben, es bleibe nur noch der materialistische Ausweg, das Psychische mit dem Physischen zu identifizieren oder es als „Funktion“ desselben zu bestimmen. Dem ist aber nicht so. Der Materialismus ist als Dogma eine unhaltbare Theorie und was er Richtiges enthält, die strenge Koordination zwischen psychischen und physiologischen Vorgängen, bietet auch der nicht materialistische Monismus, von dem gleich die Rede sein wird. In keiner seiner Abarten ist der Materialismus haltbar, aus Gründen, die hier nur angedeutet werden können. Das „Psychische“, d. h. irgendein beliebiges „Erleben“, wie die Empfindung eines Tones, die Vorstellung einer Gestalt, das Gefühl einer Lust oder Unlust, eine Begierde oder ein Abscheu, ein Willensentschluß, ein Urteilsakt u. dgl., ist ein subjektiver, auf ein Subjekt, ein Ich unmittelbar sich beziehender, in physikalischen Ausdrücken nicht beschreibbarer Vorgang, der etwas anderes ist als der Inhalt oder Gegenstand des Erlebens, das objektive Raumgebilde, an welchem Bewegung und Energie auftritt. Es ist einfach absurd, zu behaupten, ein Schmerz etwa „sei nichts als Bewegung“; denn wir meinen ja mit Schmerz, Lust, Wille u. dgl. qualitativ etwas ganz Bestimmtes, Erlebbares, was sich ohne weiteres von einer Bewegung, von einem räumlichen Geschehen unterscheidet. Psychische Erlebnisse sind weder stoffliche Substanzen, die von anderen gleichsam ausgeschieden werden könnten, noch physische Vorgänge, sie sind nicht Objekte des Erlebens, sondern das subjektive Erleben selbst in dessen unmittelbarem Auftreten. Das Psychische ist kein wäg- oder räumlich meßbares, mechanische Arbeit verrichtendes Etwas, keine „Nervenschwingung“ u. dgl., mag es auch mit einer solchen untrennbar verknüpft sein. Es hat mit Massen und Massenbewegungen nichts zu tun, es kann nicht eine „Eigenschaft“ unter materiellen Eigenschaften bilden, es geht nicht in die mathematischen Formeln für physikalisch-chemische Vorgänge ein. Aber auch nicht eine kausale Funktion, eine Wirkung physiologischer Prozesse kann das Psychische, das subjektive Erleben sein. Erkenntnistheoretisch nicht, weil das Physische als solches schon durch ein Subjekt und dessen psychisches Erleben [Seite 8] (Empfinden, Vorstellen, Wollen) bedingt und im besten Falle nur die von einem Bewußtsein qualitativ abhängige „Erscheinung“ eines „An sich“ ist, das nicht selbst physisch ist, wenn es auch den objektiven „Grund“ für das Auftreten physischer Phänomene abgibt. Aber auch aus methodologischen Gründen kann das Psychische nicht die Wirkung des Physischen, Physiologischen sein, ganz abgesehen von seiner Ungleichartigkeit gegenüber dem letzteren. Physiologische Prozesse sind physikalisch-chemischer Art, soweit sie vom Standpunkte der „äußeren“ Erfahrung betrachtet werden. Die methodische Konsequenz erfordert es, den einmal eingenommenen Standpunkt bis zum Ende und ausnahmslos festzuhalten. Es ergibt sich daraus die Geschlossenheit der physischen Kausalität, wonach jeder physische Vorgang, auch im Organismus, immer wieder nur einen physischen Vorgang zur Wirkung und zur Ursache haben kann, sollen nicht, was die Einheit und Vollständigkeit der Erfahrung und Erkenntnis beeinträchtigt, die Standpunkte fortwährend miteinander vermengt und vertauscht werden. Der Materialismus leidet also an demselben Fehler wie der Dualismus, wenn er ein Bewirktwerden des Psychischen durch Physisches, etwa durch Gehirnprozesse annimmt, ganz abgesehen davon, daß ganz und gar nicht abzusehen ist, wie aus rein Objektivem und Materiellem etwas „Subjektives“, „Immaterielles“ (im guten Sinne des Wortes) entstehen oder hervorgehen kann. Auch ist hier, wie beim Dualismus, das Gesetz der Konstanz der Energie, welches die Anwendung des apriorischen Kausalprinzips auf die äußere Erfahrung ist, ein festes Bollwerk gegen alle Auffassung des Psychischen, des Bewußtseins als kausaler Funktion physiologischer Prozesse.

Meint man nun, gewiß sei das Psychische im Bewußtsein vom Physiologischen verschieden, aber das sei nur Schein oder Erscheinung, in Wirklichkeit oder „an sich“ sei das Erleben doch nur physischer Art, so ist darauf zu erwidern, daß hier das richtige Verhältnis geradezu umgedreht wird. Das Physische kann zwar kein Schein, wohl aber „objektive Erscheinung“ sein, denn es ist durch das erkennende Subjekt, durch ein Psychisches also, qualitativ bedingt. Aber das Psychische (Geistige) als solches, das Bewußtsein im weitesten Sinne, kann nicht bloße Erscheinung sein. Denn damit etwas „erscheint“, ist schon ein psychisches Erleben (Erkennen) notwendig, durch das, und ein Subjekt, für welches es erscheint. Ein Physisches, das nicht schon zugleich psychisch ist, kann sich also gar nicht „erscheinen“, nicht irgendwie „erfassen“. Kann es sich aber erleben, erkennen, dann ist es eben nicht mehr rein physisch und hat eigenartige Erlebnisse, eben [Seite 9] das Psychische: Empfindung, Vorstellung usw., das unmittelbar und sicher da ist. An der Existenz psychischer Erlebnisse in uns können wir nicht im geringsten zweifeln; daß wir fühlen wollen, denken usw., muß auch für den größten Skeptiker, der das Dasein der Körper in Frage stellt, evident sein. Es gibt kein unmittelbareres und gewisseres Sein als das Bewußtsein; es ist nicht bloße Erscheinung, sondern die Urbedingung aller Erscheinungsmöglichkeit; es setzt sich selbst logisch voraus, ist völlig unableitbar[4].

Mit der Wendung: „eigentlich“ ist das Psychische nur eine Nervenschwingung, ist es also nichts. So wie der Dualist geht auch der Materialist hinter die Erfahrung zurück, indem er das unmittelbare Erlebnis, das wir als unbefangene Beurteiler selbst das Psychische nennen, transzendiert. Das gleiche tut natürlich der Vertreter der „Philosophie des Unbewußten“, wenn er das psychische Wirken in das absolut Unbewußte verlegt. Ein Unbewußtes absoluter Art, das zugleich psychisch sein soll, ist ein Unding, ein „unbewußter Geist“, ist eine contradictio in adjecto, denn „Bewußtsein“ und „psychisch“ sind ja zwei Bezeichnungen für ein Geschehen, von dem man gar nichts wissen könnte, wäre es nicht im Erleben gegeben. In der Tat sind die „unbewußte Vorstellung“ und der „unbewußte Wille“ nur Entlehnungen aus dem Bewußtsein, das „Unbewußte“ hat in diesem sein Vorbild, ist nur eine metaphysische Kopie und Verdoppelung desselben.

Zwischen Materialismus und Dualismus schwankt jene Lehre, nach welcher das Psychische, das Bewußtsein nur ein „Epiphänomen“ des Physiologischen ist[5]. Das Seelische ist hiernach nicht selbst physisch, es ist auch nicht eine Wirkung des Physischen, sondern eine Art Schatten, welcher das physiologische Geschehen im Zentralnervensystem begleitet, in steter „Abhängigkeit“ von diesem, aber ohne eigene Wirksamkeit. Im Menschen, der einen lebenden Automaten darstellt, vollzöge sich alles ganz genau so, wie es sich vollzieht, auch wenn es kein Bewußtsein gäbe. Dieses kommt nur auf einer bestimmten Stufe der organischen Entwicklung zum Physiologischen hinzu (als ein „surajoutée“), man weiß nicht wie und woher und wozu. Denn einen Einfluß auf das organische Getriebe soll es ja nicht haben, und aus dem Physischen soll es ja nicht entstehen, da es diesem nur parallel geht. Es schwebt durchaus in der Luft und erscheint als biologisch nutzlos und schon vom Standpunkte des Darwinismus wegen dieser Zwecklosigkeit als genetisch unbegreiflich[6]. Daß man sich gegen eine solche Form des „psycho-physischen Parallelismus“ energisch gewandt hat, ist durchaus in der Ordnung. Ebensowenig wie das Prinzip der Stetigkeit [Seite 10] und die Kausalität es zuläßt, daß aus Bewegungen durch bloße Komplikation etwas ganz Neues, das Bewußtsein, entsteht, ebensowenig kann dieses plötzlich, bei den Organismen, aus dem Nichts zum Physischen hinzukommen. Es müßte denn das Erzeugnis eines Schöpfers sein, eine Annahme, die kaum als eine wissenschaftliche gelten kann, ganz einerlei, ob man für sich nun an einen Gott glaubt oder nicht.

Ein neben dem physischen einhergehendes, ohne innere Verbindung mit demselben ablaufendes psychisches Geschehen, das gleichwohl in steter Korrelation zu ihm steht, obzwar es selbst „inkausal“ ist und auch vom Physischen keine Wirkungen empfängt, ist nicht das, was die Psychologie und die Biologie von dem Begriffe des Seelischen mit Recht fordern können. Dieser Begriff muß den Tatsachen der Erfahrung möglichst gerecht werden und sie möglichst umfassend erklären können. Und er muß deshalb auch in rationeller Beziehung zum Begriff des Physischen, bzw. Physiologischen stehen.

Ist nun das Psychische nicht der Zustand oder die Tätigkeit eines transzendenten Seelenwesens, auch nicht die bloße Funktion oder Erscheinung des Physischen, des Nervensystems, ist es weder selbst ein physischer Prozeß, noch ein neben diesem einhergehender Vorgang, was ist es denn, was kann es denn noch sein?

Jedenfalls ist das Psychische, da es nicht das Erzeugnis eines rein Materiellen sein kann, ein Prinzip des Seins, ein „Urgeschehen“. Es ist mindestens ebenso primär, ursprünglich wie das Physische. Wie Subjekt und Objekt Korrelate sind, die getrennt nicht bestehen, sondern zu einer und derselben Erfahrung als deren beide Seiten, Glieder, Beziehungspunkte gehören, ohne daß das eine ein Produkt des andern ist, so erweisen sich auch Psychisches und Physisches als untrennbare, nur in der Abstraktion unterscheidbare und voneinander abzulösende „Seiten“ der Gesamterfahrung. Diese ist die ursprüngliche Einheit, die „Identität“ des Psychischen und Physischen. Die Verschiedenheit beider „Seiten“ bedingt einen, vom metaphysischen durchaus zu sondernden empirischen (phänomenalen) Dualismus auf Grundlage eines ebenso empirischen Monismus. In der Abstraktion und zwecks begrifflicher Verarbeitung des Erfahrungsinhalts müssen wir von zwei „Seiten“ des Geschehens sprechen. Die eine ist das Physische, die andere das Psychische. Sehen wir nämlich davon ab, daß die Inhalte der Sinneswahrnehmung und des diese verarbeitenden Denkens in konkreter Wirklichkeit zu einem Subjekt, einem „Bewußtsein überhaupt“, einem Erleben gehören, behandeln wir diese Inhalte, die Objekte der Erfahrung, als von aller Individualität [Seite 11] (Subjektivität) unabhängige, selbständige, gesetzlich miteinander verknüpfte, in raum-zeitlich-kausalen Relationen zueinander stehende Dinge und Eigenschaften, die wir in mathematischen Formeln quantitativ festlegen, dann ergibt sich jene Auffassungsweise, die wir „äußere“ Erfahrung und „mittelbare“ Erkenntnis nennen, deren Gegenstand das Physische, Körperliche, Materielle ist. Dieses besteht also, ungeachtet des „Idealismus“, den die Erkenntniskritik für die Objekte der Erfahrung als solche statuiert, nicht aus psychischen Erlebnissen, sondern wird von diesen methodisch unterschieden. Das Psychische hingegen ergibt sich aus einer anderen „Auffassungsweise“ der Erfahrung, nämlich sofern diese in voller Unmittelbarkeit und Konkretheit, ohne jede Abstraktion und Hypostasierung, ohne „Objektivierung“ hingenommen und gedacht wird. Das Erfahren, Erleben selbst in allen seinen Momenten und Elementen (Empfindung, Vorstellung, Wollen, Denken usw.), als unmittelbarer subjektiver Prozeß, als Bewußtsein, für ein Ich-Gegeben-Sein, als unmittelbarste Aktion und Reaktion eines Subjekts ist das Psychische. Ein und derselbe Tatbestand also, ein Erlebnisganzes bildet den Ausgangspunkt für zwei verschiedene Betrachtungsweisen, für den „empirischen Dualismus“, der, philosophisch gedeutet, zu irgendeiner Art des Monismus, wenn auch nicht zum Materialismus führt, wofern man sich nur der Korrelation beider Seiten der Gesamterfahrung bewußt bleibt[7].

Gehen wir vom menschlichen Organismus als einem Teil unserer Erfahrung, oder, noch besser, geradezu von unserem eigenen Ich aus. Erfasse ich mich mittels der Sinne und denke ich mich als ein Objekt unter Objekten, abstrahiere ich von dem Umstand, daß das, was ich sinnlich an mir vorfinde, zu meinem Ich, Subjekt, Bewußtsein zugehört, denke ich es methodisch als System von Bewegungen oder Energien selbständiger, miteinander in Wechselwirkung stehender Elemente um, dann bin ich für mein eigenes wie für das fremde Erkennen ein Physisches, ein Körper (Leib) mit körperlichen Vorgängen, ein Raumding unter gleichartigen Dingen. Ich finde dann an mir nichts als ausgedehnte Masse, Bewegungen der Glieder, der Muskeln, Nervenschwingungen, kurz, physikalisch-chemische Prozesse, die miteinander in durchgängigem Zusammenhang stehen, ohne daß irgendwo die kausale Verkettung eine Lücke zeigt. Vom Standpunkt der „äußeren“ Erfahrung, welcher der der Naturwissenschaft ist, bin ich, wie jeder andere Organismus, nichts als bewegte Materie, ein Komplex physikalisch-chemischer Energien, kurz, ganz so, wie der Materialismus es lehrt. Aber dieser Materialismus ist völlig einseitig. Denn sobald ich den Standpunkt [Seite 12] der äußeren mit dem der „inneren“ (unmittelbaren) Erfahrung vertausche, ändert sich das Bild. Jetzt bin ich nicht mehr bewegte Materie oder Energiekomplex, sondern ein lebendiges, empfindendes, fühlendes, wollendes, denkendes Subjekt, ein einheitlicher Zusammenhang von Erlebnissen, die als solche — mögen sie auch Körper und Bewegungen zum Inhalt oder Gegenstand haben — weder Körper noch Bewegungen sind. Ich habe Erlebnisse von Farben, Tönen, Ausdehnung usw., aber das subjektive Erleben als solches, das Auftreten oder Erzeugen von Vorstellungen, Gefühlen usw. ist nicht selbst farbig, tönend, ausgedehnt, schwer u. dgl., sondern intensiv, klar, lebhaft, deutlich usw., es muß anders beschrieben und bestimmt werden als das Physische, als der objektivierte und hypostasierte Erfahrungsinhalt. Ebendasselbe also, was von dem einen Gesichtspunkt als Körper sich darstellt, erscheint, ist in seinem unmittelbaren „Für-sich-Sein“, als erlebendes Subjekt, eine „Seele“, ein psychischer Zusammenhang. Insofern das Physische als solches ein Abstraktionsprodukt ist und von den Formen der Anschauung und des Denkens abhängig ist, kann es als „Erscheinung“ bestimmt werden. Das Psychische (Geistige) hingegen, das die Bedingung der Erkenntnisformen, ja der Zusammenhang von Erkenntnisfunktionen (neben anderen) selbst ist, das ferner niemals direktes Objekt eines fremden Erkennens sein kann, ist nicht bloße Erscheinung (im Kantischen Sinne), sondern (mindestens relativ) ein „An sich“ des Organismus, jedenfalls aber das mehr unmittelbare, mehr konkrete, vollere Sein oder Geschehen.

Die „Identitätstheorie“, wonach Psychisches und Physisches zwei „Seiten“, „Attribute“, „Erscheinungen“, „Aspekte“ eines und desselben Wesens bilden, kann in realistischer oder auch in mehr oder weniger idealistischer Weise formuliert werden. Wir glauben nun, daß die realistische Identitätstheorie mit ihrer Annahme eines an sich unbekannten Wesens, dessen Äußerungen oder Seiten das Psychische und Physische darstellen, immerhin durchführbar ist, halten sie aber doch entweder für einen „agnostischen“ Verzicht auf eine weitere Vereinheitlichung der Erkenntnis oder aber, wenn sie als der Weisheit letzter Ausspruch gilt, für halb-dualistisch und in manche Schwierigkeiten verwickelnd. Wir ziehen es daher vor, den Monismus idealistisch (oder besser „ideal-realistisch“) zu fassen, indem wir sagen: Was an sich, für sich, unmittelbar erfaßt psychisch ist, das ist der objektiven Erscheinung nach, mittelbar erkannt, methodisch verarbeitet physisch. Der äußeren, körperlichen Organisation „entspricht“ die innere, seelische Organisation; erstere ist die „Erscheinung“, der „Ausdruck“, [Seite 13] die „Objektivation“ der letzteren, diese das „An sich“, das „Innensein“ jener, so aber, daß beide nur aus der einheitlichen Gesamterfahrung, in der sie untrennbar sind, herausgehoben sind. Diese und das beiden Betrachtungsweisen Gemeinsame (Entwicklung, Differenzierung, Intensität und andere Eigenschaften) ist das „Identische“ der beiden Daseinsweisen[8]. Seele und Leib sind demnach nicht zwei trennbare Dinge, nicht zwei Substanzen, aber es ist auch nicht die Seele mit dem Körper, dieser mit der Seele identisch. Sondern je nach der Betrachtungsweise ist dasselbe Wirkliche, der „Organismus“, durchweg „Seele“ oder durchweg „Körper“. Und weil dem so ist, weil Psychisches und Physisches Korrelate sind, die sich auf dasselbe Wesen beziehen, besteht zwischen ihnen vollkommene Harmonie, „entspricht“ jedem psychischen ein physisches (physiologisches) Geschehen und umgekehrt, ohne daß eine wahre Wechselwirkung zwischen ihnen zu bestehen braucht. So genommen, verliert der „psychophysische Parallelismus“ alles Mystische und Unbegreifliche, denn jetzt handelt es sich nicht mehr um zwei fremd einander gegenüberstehende und doch in genauer Übereinstimmung befindliche, selbständige Seins-Reihen, sondern nur um eine Wirklichkeit, die von zwei Gesichtspunkten aus betrachtet und denkend verarbeitet wird[9].

Jedem psychischen Vorgang entspricht ein physiologischer Prozeß, und umgekehrt hat jeder physiologische Vorgang in einem psychischen Geschehen mehr oder weniger bewußter Art sein Korrelat. Es besteht also eine wechselseitige Abhängigkeit beider Daseinsweisen voneinander, die aber nicht direkt kausal ist, sondern „funktionell“ im Sinne der Mathematik, wiewohl man sich populär und im einzelnen auch der kausalen Ausdrucksweise bedienen kann, wenn man sich nur der Laxheit derselben bewußt bleibt. Die Fälle scheinbar echter Wechselwirkung zwischen Leib und Seele erklären sich wie folgt. Es gibt außer den vollbewußten, apperzipierten psychischen Vorgängen „unterbewußte“ und für sich allein, gesondert überhaupt nicht gewußte, nicht bemerkte, nicht „apperzipierte“ (keineswegs aber absolut unbewußte, apsychische) Prozesse und Elemente von solchen, die sich zum Teil zu dem vereinigen und in dem aufgehen, was wir das dunkle „Lebensgefühl“ nennen. An diesem partizipieren jene psychischen Teilvorgänge, die den vegetativen Lebensprozessen parallel gehen, ohne ins Licht des eigentlichen, des klaren Selbstbewußtseins zu fallen. Die Abhängigkeit des geistigen Lebens, des Denkens z. B., vom „leiblichen“ bedeutet nun, streng genommen, nicht eine kausale Beeinflussung des Geistigen durch das Körperliche als solches, sondern durch [Seite 14] jene „Innenseite“ desselben, die in Form mehr oder weniger dunkler Empfindungen, dumpfer Gefühle und Strebungen u. dgl. auftritt. Das „Leibliche“ wirkt also, wenn man will, auf das Seelische ein, aber schon als Bestandteil des Psychischen, als ein Seelisches niederer Ordnung, als eine Provinz der psychischen Organisation[10]. In diesem Sinne ist es wahr, daß z. B. Verdauungsbeschwerden einen Einfluß auf die Denktätigkeit, die Stimmung usw. ausüben; aber nicht die physikalisch-chemischen Vorgänge im Magen sind die Ursachen der psychischen Depression, sondern die diesen Vorgängen entsprechenden „Innenzustände“, bzw. diese Vorgänge vom Standpunkt der inneren Erfahrung aufgefaßt. Ebenso sind Störungen des Gehirns, die durch Läsion desselben bedingt sind, nur insofern die Ursachen geistiger Erkrankung, als sie zugleich, an sich, Störungen unbewußter psychischer Prozesse, Dispositionen und Verbindungsmöglichkeiten sind, an die sich die eigentliche Geistesstörung knüpft. So wie der Leib nur als Psychisches auf den Geist einwirkt, mit dem zusammen er einen Teil der seelischen Gesamtorganisation bildet, so wirkt die Seele auf den Leib wahrhaft nur, sofern dieser ein „Innensein“ hat, d. h. als unmittelbares Erlebnis, nicht wie er als Komplex von Atomen und Energien abstrakt aufgefaßt und bestimmt wird. Nur die unmethodische willkürliche Vertauschung der Standpunkte, die ja gewiß bequem ist, verführt zu dem Glauben, es könne etwa der Wille eine Bewegung kausal beeinflussen. In Wahrheit geschieht folgendes: ein von Empfindungen oder Vorstellungen ausgehender Willensimpuls hat zur Folge eine Veränderung in Muskelempfindungen u. dgl., kurz, eine Art Umlagerung von Bewegungsvorstellungen. Die Willenshandlung beginnt psychisch mit dem Antrieb und endet in Muskel- und ähnlichen Empfindungen, und dem geht parallel eine physische Reihe, welche mit Gehirnprozessen beginnt und in einer Bewegung etwa des Armes endigt. Auf diese Weise geht der Willensimpuls tatsächlich der angeführten Bewegung zeitlich voran; aber gleichwohl fallen innere Willenshandlung und äußere Gesamtbewegung zeitlich zusammen, indem je einem Moment der ersteren ein Moment der letzteren zugeordnet ist[11]. In der Bewegung kommt der Wille zum sichtbaren und meßbaren Ausdruck, er ist der innere Grund der Bewegung, aber nicht die phänomenale „Ursache“ derselben, welche in einem Nervenprozesse zu suchen ist, gemäß dem Prinzip der geschlossenen Naturkausalität und dem der Konstanz der Energie. Der Willensvorgang ist der Grund, daß die objektive Erscheinung einer Körperbewegung für ein Subjekt auftritt, und insofern kann man sagen, die Körperbewegung [Seite 15] ist durch das Psychische „bedingt“, sie würde ohne dieses nicht auftreten, da sie ja nur die „Außenseite“ desselben ist. In Wahrheit wirkt die Seele immer nur auf ein Glied oder Element ihrer Organisation und dies erscheint objektiv als Wechselwirkung zwischen Bestandteilen der körperlichen Organisation. Alles physiologische Geschehen läßt sich insofern als ein Zeichen für einen psychischen Vorgang auffassen; ja der gesamte Körperliche Organismus bildet geradezu ein System der Ausdrucksbewegungen, in welchen sich mehr oder weniger bewußte oder unterbewußte, höhere oder niedere psychische Zustände und Vorgänge verraten, manifestieren.

Wir verstehen nun, warum und inwiefern das Psychische an ein Nervensystem und dessen Funktionen, bzw. an organische Substanz, an Substanz überhaupt „gebunden“ ist. Nicht weil es ein Produkt dieser Substanz ist, sondern weil es das „Innensein“ derselben bildet, weil das Subjektive als materielles Sein und Geschehen erscheint oder unter entsprechenden Bedingungen (Anwesenheit eines wahrnehmenden Subjekts usw.) erscheinen kann und muß. Da höheres Geistesleben nur auf der Basis eines niederen, sinnlichen, teilweise schon „mechanisierten“ Seelenlebens erwächst, so ist es begreiflich, daß dieses höhere, entwickeltere, differenzierte Geistesleben auch in Form einer differenzierteren Materie erscheint und demnach an ein Nervensystem, beim Menschen sogar an ein Großhirn gebunden ist, während das Seelische in niederer Form auch nur niedere, weniger organisierte Substanz zum Korrelat hat. Diese substantiellen „Träger“ des Seelischen sind erkenntnistheoretisch und naturphilosophisch als „Objektivationen“ einer Organisation, einer „Struktur“, eines Seins zu betrachten, das aus der Wirksamkeit des Seelenlebens auf sich selbst, in aktiver und reaktiver Anpassung auf die Umwelt, durch Übung und Vererbung und andere Faktoren hervorgegangen ist. Die Seele „baut“ sich ihren Leib selbst, nicht durch mystische Formung des Körpers, sondern durch Selbstorganisation, die den Ausgangspunkt und die Basis für höhere Entwicklungen bildet und objektiv als mehr oder weniger differenzierte Materie mit entsprechenden, physischen, physiologischen Funktionen erscheint. In diesem Sinne ist der Leib in Wahrheit die verkörperte und teilweise mechanisierte Seele, diese die lebendige, aktive „Form“, die „Entelechie“ des Leibes, in dem sie sich objektiviert und stabilisiert. Jedes psychische Geschehen ist also insofern zugleich physisch, als es in einer physischen Erscheinung zum „Ausdruck“ kommt und es hat [Seite 16] Physisches zur Folge, insofern es der innere Grund einer Veränderung in den physischen Phänomenen, die den Organismus betreffen, ist. Direkte, phänomenale, exakt-meßbare, naturwissenschaftliche Ursache einer organisch-physischen Veränderung ist stets wieder ein physischer Vorgang im Organismus als Reaktion auf einen äußeren Reiz. Indem dieser den Organismus erregt, bedeutet diese „Erregung“ zweierlei: vom Standpunkt der äußeren Erfahrung eine Auslösung physischer Energie, vom Standpunkt der inneren Erfahrung ein inneres „Verspüren“ und einen „Antrieb“ zur Tätigkeit. Die äußere Handlung, die daraus resultieren kann, ist der objektive Ausdruck der inneren, psychischen Aktion oder Reaktion, die an sich nichts Physisches, Materielles bewirken kann. Es muß dies wiederholt betont werden, damit die zuweilen schwer zu vermeidende laxere Ausdrucksweise eines Bewirktwerdens physischer Vorgänge durch psychische nicht mißverstanden, nicht im metaphysisch-ontologischen Sinne genommen und dann etwa gar der Vorwurf des Selbstwiderspruches erhoben wird. —

Wir sind nun so weit, daß wir auch der Einseitigkeit der extremen Aktualitätstheorie begegnen können. Wenn diese die Seele (das Ich) für ein bloßes „Bündel“ von Vorstellungen, für einen bloßen „Komplex“ von elementaren Zuständen und Vorgängen, für ein bloßes „Summationsphänomen“ erklärt (Hume, Mill, Mach u. a.), so besteht die Einseitigkeit hier darin, daß nur auf die Vielheit und Mannigfaltigkeit der seelischen Teilinhalte geachtet wird. Wenn wir nämlich auf diese Vielheit achten, d. h. Teile apperzeptiv aus dem Zusammenhang des Erlebens herausheben, dann entgeht uns leicht der Einheitscharakter des Erlebens, oder wir werden wenigstens geneigt, ihn zu unterschätzen. Wir verfallen dann geradeso in Einseitigkeit wie die Dualisten, welche die Einheit des Ich hypostasieren, vom Erleben abtrennen und zu einer vom Leibe gesonderten Seelensubstanz machen. Die Einheit des Erlebens ist also weder Schein noch ein selbständiges Wesen, sie ist weder ein bloßes Summationsphänomen, noch eine transzendente Wesenheit, sondern sie ist so real wie das Bewußtsein überhaupt es ist, sie ist eine im Bewußtsein, in der Fülle der Erlebnisse sich entfaltende und erhaltende Einheit, eine aktive Einheitsfunktion, kurz das, was wir ein „Subjekt“ nennen. Das Subjekt hat mit der Substanz die Konstanz und Identität gemein, ohne die Starrheit jener zu teilen, ohne einen dinghaften Charakter zu besitzen. Das Subjekt ist kein einzelner Bewußtseinsinhalt, [Seite 17] sondern die aktive Form und das lebendig Formende des Bewußtseins, es besteht nicht neben der Mannigfaltigkeit der Erlebnisse, sondern in ihnen, in ihrem inneren Zusammenhange, der mehr als eine Summe oder ein Aggregat ist. Und die Erlebnisse, die Bewußtseinszustände, sind nicht vor und ohne das Subjekt da, sondern immer schon Abhängige, Aktionen und Reaktionen eines wenn auch noch so primitiven Subjektmoments, eines „primären Ichs“ (Jodl), um das als Zentrum, als Ausgangs- und Quellpunkt sie sich gruppieren. Die Seele ist also das in der Mannigfaltigkeit der Bewußtseins-Erlebnisse sich identisch setzende, erhaltende und entwickelnde Subjekt, eine gegliederte, organisierte Einheit in der Vielheit, ein aktiv-reaktives Einheitsprinzip — nicht transzendenter, wohl aber, als Bedingung alles Erlebens, „transzendentaler“ Art (im Kantischen Sinne). Die Seele ist also dem Bewußtsein immanent, sie ist das aktive und reagierende Bewußtsein selbst, das sich inhaltlich stets nur in einem Zusammenhang von Erlebnissen („empirisches Ich“) findet, stets aber über jeden Bestandteil, jedes Moment dieses Zusammenhanges hinausragt als ein formales, synthetisches Prinzip, nicht als ein Wesen mit unbekannten Eigenschaften[12]. Das Wesen der Seele ergibt sich vielmehr aus den Grundtätigkeiten, in denen sie ihre Natur bekundet. Diese Grundtätigkeiten sind es, worauf die Mannigfaltigkeit psychischer Prozesse zurückführt, und aus den Gesetzen jener, aus der konstanten Wirkungsweise, Funktion derselben sind die typischen Zusammenhänge, Verbindungen und Gebilde des Bewußtseins wenigstens formal zu erklären. Man muß also von der Oberfläche der Bewußtseinsvorgänge auf das innerste Getriebe derselben zurückgehen, wobei man teilweise zu relativ „Unbewußtem“, d. h. Ungewußtem gelangt, nicht aber zu einem absolut und wahrhaft Unbewußtem, prinzipiell Nicht-Erlebbaren. Eine absolut „subjektlose“ Psychologie, die alles aus der bloßen Verbindung absolut selbständiger Elemente erklären will, spottet ihrer selbst und weiß nicht wie. Sie führt zur Verdinglichung jener „Elemente“, die nur als Glieder eines einheitlichen Zusammenhanges Existenz und Wirksamkeit haben, aus denen also das „Subjektmoment“ nie herauszudestillieren ist. Einheit und Vielheit, Subjekt und Inhalt des Bewußtseins sind untrennbare, schon ursprünglich, wenn auch noch undifferenziert bestehende Seiten des Erlebens, des Bewußtseins, die auseinander nicht oder nur scheinbar abzuleiten sind. Schon im [Seite 18] primitivsten Seelenleben muß eine „Subjektivität“, wenn auch noch ohne Abhebung von einer Objektenwelt, bestehen, welche in ihren Erlebnissen sich findet, sich bejaht, sich setzt und erhält, als einfache „Trieb-Seele“ mit wenig veränderlichem Inhalt, meist mit äußerst geringen Entwicklungsmöglichkeiten. Aus solchen primitiven „Seelen“ haben sich, durch das Zusammenwirken innerer und äußerer Faktoren, nicht zum wenigsten aber durch aktive Anpassung, die hochorganisierten Seelen der Menschen gebildet, als Subjekte höherer Ordnung, aber wesensverwandt mit den der untermenschlichen Seelen.


[Seite 19] II. Die psychische Kausalität.

Wir hörten bisher, daß die Seele nicht im metaphysischen Sinne auf den Leib (als Materie oder Energiekomplex) einwirkt, sondern daß sie in Wahrheit, genau gesprochen, stets nur auf sich selbst wirkt und von sich selbst Wirkungen empfängt, so aber, daß alle Wirkungen körperlich irgendwie zum Ausdruck kommen, wobei eine Wechselwirkung zwischen dem Nervensystem (und dessen Funktionen) und dem übrigen Organismus besteht. Jedes psychische Geschehen hat sein physiologisches Gegenstück, seine physische „Seite“. Infolge des Zurückwirkens der seelischen Organisation auf sich selbst, das seinen physiologischen Ausdruck hat, ist es verständlich, warum an den Veränderungen, an der Entwicklung des Organismus psychische Faktoren beteiligt sind, ohne daß sie den physischen Zusammenhang durchbrechen, also ohne daß irgend einmal an Stelle physikalisch-chemischer Ursachen von leiblichen Prozessen rein psychische Ursachen treten.

Gibt es aber überhaupt eine psychische Kausalität, wird man fragen, oder haben am Ende jene recht, welche das Psychische als „inkausal“, als ohne wirksame Eigenschaft bestimmen und behaupten, nur das Physische bzw. Physiologische könne wirken bzw. als wirkend gedacht werden? Die Vertreter des „psychophysischen Materialismus“ sind der Meinung, das Psychische, das Bewußtsein — wenigstens soweit es objektiviert, aus dem unmittelbaren, konkreten Erleben methodisch herausgehoben werde (Münsterberg[13]) — sei ein „Epiphänomen“, eine schattenhafte „Begleiterscheinung“, ein „Nebenerfolg“ der Nervenprozesse, es habe keine Aktivität und Kraft, keinen ureigenen, inneren Zusammenhang, keine Eigenkausalität, sondern es bestehe aus Verbindungen, deren Ursache oder Grundlage einzig und allein der raum-zeitliche Zusammenhang der Gehirnprozesse sei. Es gibt hiernach keine wahre psychische Tätigkeit, was wir so nennen ist nichts als die Summe von „Spannungsempfindungen“ u. dgl. Empfindungen und Vorstellungen verbinden sich dann miteinander, wenn auch die entsprechenden Gehirnprozesse sich miteinander verbinden, und alle Veränderungen und Störungen im Ablauf des Bewußtseins sind nur Spiegelungen zerebraler Modifikationen.

[Seite 20] Eine solche Auffassung ist aber unhaltbar. So wenig ein einzelner physischer Vorgang einen psychischen bewirken oder auf ihn einwirken kann, ebensowenig kann eine Verbindung physischer Vorgänge eine psychische Verbindung bewirken. Und ebensowenig als ein Bewußtseinsvorgang die bloße „Erscheinung“ eines physischen Geschehens sein kann, ist es denkbar, daß der Zusammenhang eines seelischen Geschehens nur der Widerschein eines physischen Kausalnexus ist. Alles was gegen diese Art Abhängigkeit des Psychischen vom Physischen spricht, spricht auch gegen diesen Spezialfall, vor allem der Umstand, daß das Seelische nicht bloße Erscheinung eines Geschehens sein kann, das des Seelischen ganz ermangelt, dem also die Bedingung des Sich-erscheinen-könnens durchaus abgeht. Auch läßt sich der psychische Zusammenhang nicht aus der bloßen Verbindung der Nervenprozesse erklären, ableiten. Ich mag noch so eifrig und genau in das Getriebe der Hirnprozesse hineinschauen können, so werde ich, wenn ich nicht die schon damit verknüpften Bewußtseinsvorgänge erlebt habe und kenne, diese und deren Beschaffenheit nicht zu erkennen vermögen; denn die Qualität, die das Psychische als solches konstituiert, das eigenartige Erleben eines Tones, einer Farbe, einer Lust, eines Zornes usw. liegt keineswegs im Nervenvorgang, ist aus ihm nimmer herauszulesen, zu erraten. Und ebenso werden wir zwar aus raum-zeitlichen Verbindungen von Gehirnprozessen Schlüsse auf psychische Zusammenhänge ziehen, manches an diesen aus jenen begreiflich machen können, aber den Schlüssel zum Verständnis des seelischen Zusammenhanges, der spezifischen psychischen Verbindungen und Gebilde, geben die physiologischen Zusammenhänge nicht. Das Physiologische dient zur Erklärung des Psychischen in der Regel nur da, wo eine Gemeinsamkeit von Modifikationen beider statthat, wie Ausfallserscheinungen, Hemmungen, Störungen verschiedener Art, Simultaneität oder Sukzession u. dgl. Das Qualitative, Spezifische der psychischen Verbindung ist nur psychologisch, nicht physiologisch zu verstehen, wofern man nicht, was oft der Fall ist, unbewußt schon das Psychische voraussetzt oder psychische Zustände und Zusammenhänge in das Physiologische hineinträgt.

Die Auffassung des Psychischen als „inkausal“ ist nur dann begreiflich, wenn man sich die unberechtigte Verdinglichung der Empfindungen und Vorstellungen seitens der „Assoziationspsychologie“ und die Einseitigkeit des psychologischen „Atomismus“ (oder der „atomistischen Psychologie“) vor Augen hält.

Schon Herbart hat den folgenschweren Fehler begangen, die psychischen Elemente — bei ihm die Vorstellungen — als [Seite 21] selbständige Wesenheiten aufzufassen, die miteinander konkurrieren, um die Vorherrschaft im Bewußtsein kämpfen, einander hemmen und verdrängen; in ihrem Zusammen- und Gegeneinanderwirken werden sie zu Kräften, ja zu einer Art lebendiger Dinge, die mit Tendenzen ausgestattet sind. Ähnlich sind für die Assoziationspsychologen die Empfindungen oft selbständige Elemente, die primär nebeneinander bestehen, miteinander in Verbindung treten usw., kurz, kausale Faktoren, aus deren Wirken das seelische Leben abgeleitet wird.

Diese Auffassung ist die Reaktion gegen die ältere „Vermögenspsychologie“. Diese stattet die substantielle (bzw. dynamische) Seele mit spezifischen Kräften, Vermögen, Tätigkeiten aus, welche das Bewußtsein erzeugen und Bewußtseinsverbindungen herstellen. Ähnlich wirkt das „Unbewußte“ Ed. v. Hartmanns als Agens hinter dem Bewußtsein und ist das eigentlich und einzig Aktive, Kausale im Ablauf des Seelischen.

Wenn man nun, mit Recht, sich nicht zu einer solchen Vermögenspsychologie bekennen will, zugleich aber einsieht, daß „reine Empfindungen“ nicht primäre, selbständige, absolute Wirklichkeiten, sondern in gewissem Sinne Abstraktions- und Zerlegungsprodukte sind, Glieder eines einheitlichen Zusammenhanges, dann kann man leicht dazu gelangen, diesen psychischen Elementen alles Wirken, alle Kausalität abzusprechen und sie bloß dem Physiologischen zuzuerkennen, wie es Münsterberg tut[14].

Aber hier vermischt sich Wahrheit mit Irrtum. Richtig ist: 1. Es gibt keine psychische Kausalität und Aktivität hinter und neben den Bewußtseinsvorgängen, keine transzendenten Vermögen oder Kräfte, wenigstens kommen sie für die Psychologie nicht in Betracht; 2. Empfindungen als isolierte, aus der Einheit des Seelenlebens herausgehobene Elemente, als Abstraktionsgebilde sind ohne Wirksamkeit, weil ohne absolute, konkrete Wirklichkeit. Verfehlt ist aber unseres Erachtens die Abtrennung der Psychologie als einer „objektivierenden“ Wissenschaft, welche es mit inkausalen, physiologisch zu erklärenden Abstraktionsgebilden zu tun hat, von den „subjektivierenden“ Geisteswissenschaften, welche das konkrete, wirkliche, „stellungnehmende“ Subjekt und dessen Aktionen zum Gegenstande haben. Die Psychologie will entschieden das Psychische, d. h. das wirkliche Erleben des Subjekts in dessen Zusammenhange erforschen, nicht Abstrakta, nicht Objektivierungen, mit denen es die Physik und Physiologie zu tun hat[15]. Die abstrakten Empfindungen sind nicht das Psychische, nicht der Gegenstand der Psychologie, sondern höchstens Hilfsmittel zur Erkenntnis des Psychischen. Die völlige Abstrahierung und [Seite 22] Verselbständigung der Empfindungen verfälscht und tötet das Seelenleben, sie wird dem Tatbestande der inneren, unmittelbaren Erfahrung nicht gerecht. Nicht erst in den einzelnen Geisteswissenschaften und in der Philosophie brauchen wir die geistige, psychische Kausalität, schon in der Psychologie müssen wir sie berücksichtigen, sonst erreichen wir den Zweck dieser Wissenschaft: das Verständnis des Seelenlebens in seiner Gesetzlichkeit, nicht. Mag auch — und das ist der haltbare Kern der Münsterbergschen Ausführungen — die Psychologie wie jede Gesetzeswissenschaft nicht das unmittelbare Erlebnis in seiner vollen individuellen Bestimmtheit erfassen, sondern es mehr oder weniger begrifflich umschreiben und logisch verarbeiten, so entfällt hier doch, im Unterschiede von den Naturwissenschaften, die Notwendigkeit einer Abstraktion vom erlebenden Subjekt und dessen Zuständen und Akten. Gerade die Beziehung der Erlebnisse zum Subjekt ist es, was sie zu psychischen Vorgängen macht, ohne diese Beziehung haben wir nur fiktive Wesenheiten oder aber, bei konsequenter Objektivierung, physische Inhalte vor uns.

Doch genug darüber, bleiben wir bei der psychischen Kausalität und sehen wir, wie sie zu denken ist. Da wir die metaphysische Hypothese einer an sich unbewußten Seelensubstanz ablehnen müssen, so entfallen für uns die „Seelenvermögen“, kraft deren der Geist im Bewußtsein wirkt. Diejenigen, welche erklären, von einer Tätigkeit, Aktivität der Seele neben den Bewußtseinsvorgängen, den Vorstellungen, Gefühlen usw. sei nichts zu finden, haben nicht unrecht. Aber die Folgerung, es gebe überhaupt keine psychische Aktivität, ist falsch. Diese Aktivität besteht, zwar nicht hinter und neben den Einzelerlebnissen, wohl aber in einem Zusammenhange der Erlebnisse und ist durch besondere Gefühle charakterisiert, so daß das Ich unmittelbar davon Kunde hat, daß und wann es tätig ist. Aus der bloßen Summe von Empfindungen, die sich passiv miteinander verbinden, besteht die Bewußtseinsaktivität nicht, wenn sie auch nur in und an dem Verlaufe des Erlebens zu konstatieren ist. Der eigenartige Zusammenhang und Ablauf von Erlebnissen, der als psychische Tätigkeit und Wirksamkeit sich abhebt, ist ebenso real wie die einzelnen Momente und Elemente des Erlebens, ebenso primär, ja in gewissem Sinne ursprünglicher. Denn erst die psychische Analyse, die durch die bestimmt gerichtete Aufmerksamkeit an dem einheitlichen Bewußtseinszusammenhange willkürlich oder unwillkürlich bewerkstelligt wird, hebt aus demselben Momente und Elemente heraus, die in Wahrheit niemals isoliert und selbständig vorkommen, sondern Glieder des Zusammenhanges [Seite 23] bilden, von ihm untrennbar sind. Die psychische Tätigkeit entfaltet und manifestiert sich in einer Mannigfaltigkeit von Momenten, existiert nicht ohne diese und neben diesen Momenten; aber umgekehrt haben diese Momente auch keine Existenz außerhalb des Tätigkeitszusammenhanges, aus dem sie sich herausheben und für sich fixieren lassen.

Die Existenz einer psychischen Kausalität, das wollen wir hier betonen, unterliegt keinem berechtigten Zweifel. Ist doch das Wirken des Ichs, die psychische Kausalität geradezu das Ur- und Vorbild aller Kausalität. Tätigkeit, Kausalität, Kraft wird von uns nicht als Bestandteil der Außenwelt erlebt, wahrgenommen, sondern das Objektive, der Wahrnehmungsinhalt wird kausal gedeutet, d. h. es wird auf ihn die Kategorie des Wirkens angewendet, die durch den raum-zeitlichen Zusammenhang des Objektiven nur ausgelöst wird, im übrigen aber der Funktion und Gesetzlichkeit des Denkens entspringt, die am unmittelbarsten im und am eigenen Erleben, am eigenen Ich sich betätigt. In und mit der Kategorie des Wirkens „introjizieren“ wir in die Objekte der Sinneswahrnehmung ein Analogon der Eigentätigkeit des Ichs, d. h. wir fassen gewisse äußere Zusammenhänge als Manifestationen innerer Verknüpfungen auf, jenen analog, welche wir in unserem Wollen und Tun unmittelbar setzen und erleben. So wie in uns alles Tun motiviert ist, in einem andern, vorangehenden Tun, Erleben seinen Grund hat, so ist auch das objektive, physische Geschehen für uns begründet, verursacht, und so wie wir innerlich aktiv und reaktiv sind, so erscheinen uns auch die Außendinge als mit Kräften begabt, vermöge deren sie wirken, einander beeinflussen; kurz, sie sind uns insofern tätige „Subjekte“, bei denen wir nur später, auf höherer Kulturstufe und in der exakten, quantitativen Wissenschaft, von aller inneren Qualität, von allem „Für-sich-Sein“ absehen[16]. Weit entfernt also, daß die psychische Kausalität nicht existiert oder nur die Erscheinung, das Epiphänomen der physiologischen Kausalität ist, erweist sich gerade die physische Kausalität erkenntniskritisch als schon abhängig von der Gesetzlichkeit des Subjekts und dessen ureigenem Wirken.

Nur wenn man die primäre Wirksamkeit der einheitlichen Psyche, des aktiven und reagierenden Bewußtseinssubjekts verkennt, verfällt man dem Irrtum, aus den psychischen Elementen selbständige Kräfte zu machen. Alle Momente, Faktoren, Elemente des Bewußtseins können wirken, Kraft entfalten nur insofern, als sie eben Glieder des Ich-Zusammenhanges sind; sie sind nicht die primären, vollen Ursachen des [Seite 24] psychischen Geschehens, sondern Teilursachen, Anlässe u. dgl., während die einheitliche Psyche das primär und eigentlich in ihnen Wirksame, der tiefste Untergrund und oberste Grund der psychischen Verbindungen ist. Natürlich nicht als unbeschränkte, selbstherrliche Macht, sondern in Abhängigkeit von der Umwelt und deren Reizen und in verschiedenem Maße der Bezogenheit auf die Einflüsse dieser. Die Psyche wirkt aktiv und reaktiv, aber nicht allein und isoliert, sondern im Verein mit äußeren Faktoren, durch die der Ablauf der Bewußtseinsvorgänge mannigfach bestimmt, modifiziert wird. So wenig die Psyche absolut „passiv“ ist, so wenig ist ihre „Spontaneität“ absoluter Art; gleichwohl sind in ihr Tun und Erleiden, aktiver und passiver Bewußtseinsverlauf wohl unterschieden. Von den psychischen Zuständen, in denen wir von momentanen Reizen und Einflüssen außer und in uns direkt abhängig sind und triebartig auf sie reagieren, sondern sich mehr oder weniger scharf die geistigen Akte ab, in welchen die Totalität, die ganze Wucht des Ichs, der charakterisierte, in die fernste Vergangenheit zurückreichende Zusammenhang der Erlebnisse energisch zum Ausdruck gelangt, so daß der momentane Reiz zurücktritt oder unwirksam wird.

Die Geschlossenheit der psychischen Kausalität, auf die wir hier gleich zu sprechen kommen, darf nicht mißverstanden werden[17]. Sie ist, methodologisch, eine Forderung des um Konsequenz des einmal eingenommenen Betrachtungsstandpunktes besorgten Denkens und das Gegenstück zur Lückenlosigkeit des physischen Kausalzusammenhanges. Psychische Vorgänge gehen ureigentlich immer wieder nur aus psychischen Vorgängen hervor und haben, direkt und genau genommen, immer wieder nur psychische Vorgänge (die objektiv als Bewegungen oder Energien sich darstellen) zur Folge; physische Ursachen oder Wirkungen als solche gehören nicht in die Reihe psychischer Zusammenhänge. Aber das bedeutet nicht etwa, daß die Seele alle ihre Erlebnisse aus sich allein heraus entwickelt, und daß die Umwelt nicht in den Ablauf des psychischen Geschehens eingreift. Vielmehr ist ein beständiger Wechsel aktiver und reaktiver (passiver), bewußter und unterbewußter (relativ unbewußter) Vorgänge vorhanden, so daß das Wirken der „äußeren“ Faktoren und des „Leibes“ fortwährend das spontane, aktive Wirken der Psyche durchkreuzt und durchzieht, und erst dieser Gesamtzusammenhang psychischer Erlebnisse ist absolut „geschlossen“. Die Umwelt wirkt aber auf die Psyche nicht als Komplex von Bewegungen oder Energien ein, sondern als das „An sich“ dieser Vorgänge, das vielleicht selbst ein Psychisches niederster Stufe, jedenfalls aber [Seite 25] nicht selbst physisch ist. Hält man daran fest, dann kann man keinen Widerspruch zwischen der Geschlossenheit der psychischen Kausalität und dem unleugbaren Einflusse der „Naturkausalität“ auf die Psyche, auf das Bewußtsein finden. Auch ist hier von keinem „Dualismus“ die Rede. Denn die psychische Kausalität, die in verschiedenen Formen, je nach ihrer Richtung, auftritt — als sinnliche und geistige, logische, ethische usw. Kausalität, ist das unmittelbar erfaßte Wirken derselben Organisation, die objektiv als der Leib eines Lebewesens, des Menschen erscheint. Die Wirksamkeit des leiblichen Organismus bzw. des Nervensystems ist nur die Sichtbarwerdung, die „Objektivation“ des Wirkens der Seele in allen ihren „Provinzen“ und „Phasen“.

Psychische Vorgänge und Zustände sind also Ursachen anderer nur insoweit, als sie Modifikationen der einheitlichen Psyche sind. Weil die Seele im Moment 1 so beschaffen ist, so agiert oder reagiert, ist sie im Moment 2, 3 ... so beschaffen, so agierend oder reagierend. Die Einheit der Psyche — nicht einer unbekannten Seelensubstanz, sondern des „primären Ichs“ — ist der rote Faden, der durch den gesamten Bewußtseinsverlauf sich zieht, ohne von ihm real abtrennbar zu sein[18]. Nicht die psychischen Elemente sind das Agierende, sie kommen nicht von selbst zusammen, erzeugen nicht das Denken usw., sondern die Psyche, das Ich, das Subjekt ist der tätige Faktor, der spontan oder triebhaft synthetisch wirkt, psychische Gebilde erzeugt, Bewußtseinszusammenhänge bestimmter Art erstellt. Und die Gesetze, welche die Psychologie zu erkunden sucht, sind nicht fremde Mächte, welche das seelische Geschehen äußerlich determinieren, sondern nur Formeln für das konstante, permanente Auswirken der Psyche, der Subjekt-Aktionen. Aus diesen Aktionen (bzw. Reaktionen) die bunte Mannigfaltigkeit des Seelenlebens nicht aprioristisch zu deduzieren, was unmöglich ist, wohl aber begreiflich zu machen, ist die Aufgabe einer sich selbst und ihr Ziel verstehenden Psychologie, die von Metaphysik freizuhalten ist, wenn sie auch schließlich in eine solche mündet und außerdem erkenntnistheoretischer Voraussetzungen nicht entraten kann.

Eine solche Psychologie wird den psychischen „Mechanismus“, soweit er besteht, anerkennen. Aber sie wird erstens den Versuch unternehmen, die lebendige Triebkraft dieses Mechanismus zur Erklärung desselben heranzuziehen und zweitens wird sie nicht dem vergeblichen Bemühen sich unterziehen, aus dem bloßen und fertigen Mechanismus, aus dem mehr oder weniger automatisch gewordenen „Spiel der Vorstellungen“ das gesamte Seelenleben abzuleiten, wie es die Assoziationspsychologie [Seite 26] oft unternimmt. Der Mangel dieser ist es, daß sie nicht bis zur psychischen Kraft, zur psychischen Dynamik vordringt, daß sie nicht das wahre Agens der psychischen Zusammenhänge erfaßt, sondern statt dessen bald das Gehirn, bald die Empfindungen heranzieht, und daß sie die mechanisierten nicht von den primären, aktiv-reaktiven Bewußtseinsprozessen scharf genug unterscheidet. Sie verdinglicht Elemente, die nur als Glieder des einen Bewußtseinszusammenhanges bestehen, macht sie zu selbständigen Kräften und unternimmt schließlich auch oft den vergeblichen Versuch, die nicht-intellektuellen Funktionen des Bewußtseins, besonders den Willen, aus bloßen Empfindungen u. dgl. zu konstruieren. So ist sie im schlechten Sinne des Wortes psychologischer Intellektualismus, während diejenige Psychologie, welche dem vollen Tatbestand des Seelenlebens möglichst gerecht zu werden sucht, voluntaristisch ist.

Der Betrachtung der Rolle des Willens im Seelenleben uns zuwendend, verweisen wir bezüglich weiterer mit der psychischen Kausalität zusammenhängender Fragen (Erhaltung bzw. Wachstum psychischer Energie u. dgl.) auf den letzten Abschnitt.

Hier sollte nur gegenüber allen Versuchen, die Existenz einer psychischen Kausalität zu leugnen, gezeigt werden, wie es nicht möglich ist, durch bloße außerpsychische, physiologische Zusammenhänge die simultanen und sukzessiven Verbindungen psychischer Vorgänge zu erklären. Diese Verbindungen sind qualitativ von ihren Elementen und Momenten verschieden, sie sind auf bloße Abhängigkeiten in der Zeit nicht zurückzuführen, und durch den Nachweis der ihnen entsprechenden Verbindungen von Nervenprozessen keineswegs schon erklärt. Im Denken, Wollen und Handeln erleben wir „unmittelbar“, „anschaulich“, d. h. nicht erst durch abstrakte Konstruktion und Projektion, Zusammenhänge kausaler Art, ein stetiges Hervorgehen der Folgen aus ihren Gründen, eine innere Motivierung und Determination zu bestimmten Aktionen und Reaktionen. Und wo uns die Zwischenglieder solcher Kausalzusammenhänge im klaren Bewußtsein nicht vorliegen, da suchen wir mit Recht methodisch nach solchen; und wie die Physik es vermeidet, physische Vorgänge aus nicht-physischen abzuleiten, so muß die im guten Sinne positivistische, nicht-metaphysische Psychologie die gesuchten Zwischenglieder als psychische Faktoren annehmen, als welche sie sich in der Tat oft auch empirisch erweisen. Wissen wir auch nicht immer, wie wir es vermögen, kausal zu sein, wodurch unser Wollen und Handeln Wirkungen hervorbringt, so wissen wir doch wenigstens, daß wir wirken und Wirkungen erleiden, daß unsere Erlebnisse miteinander zusammenhängen [Seite 27] und einander hervorrufen, wobei natürlich der Einfluß der Faktoren der Umwelt nicht zu übersehen ist. So kompliziert die Verhältnisse des Seelenlebens sind, so ist es doch sehr möglich, aus der Mannigfaltigkeit individueller Modifikationen typische, regelmäßige, sowohl innerhalb einer Individualpsyche als auch bei einer Vielheit von Individuen konstant wiederkehrende Abfolgen und Verbindungen herauszuheben. Wir können eben die Individualseelen gleichsam als Vertreter eines gemeinsamen Typus, des „Psychischen überhaupt“, ansehen und die Kausalzusammenhänge, welche wir bei allen Individuen konstatieren, gehören zum Wesen des allgemein Psychischen. So gibt es typische Zusammenhänge in den Gemütsbewegungen, den Willenshandlungen, den Denkprozessen, in der Reproduktion und Assoziation von Vorstellungen usw. Und auch die Abweichungen von dem Allgemeinen sind solcher Art, daß sie sich vielfach wieder zu speziellen Typen vereinigen lassen. Die Existenz einer psychischen Kausalität, eines psychischen Wirkens und Gewirktwerdens, ist aber keineswegs an das Auftreten allgemeingültiger Zusammenhänge gebunden. Auch da, wo es solche vielleicht nicht gibt (— man denke etwa an die historische Kausalität —) sind die betreffenden psychischen Vorgänge Modifikationen des Subjekts, die durcheinander bedingt sind und auseinander in bestimmter Abfolge hervorgehen. Um die psychische Kausalität, den Kausalnexus der psychischen Aktionen und Reaktionen, der sich von der Kausalität der objektivierten Erfahrungsinhalte durch den Standpunkt der Betrachtung und Erkenntnis unterscheidet, kommt man nicht herum.


[Seite 28] III. Der Wille als psychischer Motor.

Das Wesen des psychologischen Intellektualismus ist es, in den intellektuellen Prozessen und deren Elementen, also im Denken, Vorstellen oder in den Empfindungen den Ausgangspunkt, die Grundlage, den Kern alles Seelenlebens zu erblicken. Gefühl und Wille sind hiernach sekundär, abgeleitet, sie sind Produkte, Seiten, Reflexe, Abhängige des Intellektuellen oder bloße Komplexe von Empfindungen. Einen spezifischen Willen gibt es hiernach nicht; was wir so nennen, ist eine Summe von Vorstellungen, Empfindungen, ev. auch Gefühlen, verbunden mit ausgeführten oder ideell antizipierten Bewegungen; entwickelt hat sich der Wille, nach dieser „heterogenetischen“ Theorie, aus Reflexen, die später kompliziert, bewußter wurden. Eine eigentliche Willenskraft, die mehr ist als „ideomotorische“ oder Bewegungsvorstellung plus Spannungsempfindungen u. dgl., haben wir nicht anzunehmen. Während die ältere Psychologie intellektualistischer Richtung aus Akten des Denkens, des Urteilens, Schließens, kurz aus der Reflexion psychische Vorgänge ableitete, die entweder viel zu einfach oder primitiv sind, als daß sie mit bewußter Überlegung u. dgl. etwas zu tun haben können (z. B. Instinkte), oder aber überhaupt nicht intellektueller Art sind (z. B. Affekte), spricht der neuere Intellektualismus oft von angeborenen (ererbten) Vorstellungen, die unbewußt oder bewußt das Handeln leiten, von Urteilen u. dgl. schon auf niedriger Bewußtseinsstufe, von Empfindungen der Muskeln, Sehnen usw. als Willensgrundlagen. Der psychologische Intellektualismus verkennt die Ursprünglichkeit und Wirksamkeit des Gefühls- und Willenlebens, er übersieht dessen fundamentale Rolle, dessen Einfluß nicht bloß auf das äußere Handeln, sondern auf den Intellekt und das Vorstellen selbst. Und da sich einer genaueren Erforschung des Seelenlebens der Wille geradezu als das zentrale Agens des psychischen Geschehens enthüllt, so gibt uns die intellektualistische Psychologie ein einseitiges und verzerrtes Bild vom seelischen Erleben und dessen innerem Zusammenhang. Wie ein bloßes Vorstellen, Empfinden oder Denken sich [Seite 29] in ein Wollen verwandeln oder ein solches erzeugen kann, ohne daß schon von Anfang an ein willensartiger Impuls, ein Streben bestand, ist unerfindlich, ebenso wie aus bloßen mechanischen Reflexen ein Willensentscheid sich entwickeln konnte. So wenig das Psychische aus dem Physischen, das Subjektive aus dem Objektiven, das Ich aus dem Nicht-Ich abzuleiten ist, so wenig ist es einzusehen, daß und wie aus absolut Willenlosem jemals so etwas wie Streben, Trieb, Willensimpuls hervorgehen konnte. Und so wenig ein psychischer Vorgang einem physischen, einer Bewegung gleichgesetzt werden kann, so unmöglich ist es für jeden Unbefangenen, fast möchten wir sagen, Unverdorbenen, den lebendigen Prozeß des Wollens bloßem Empfinden, Vorstellen u. dgl. gleichzusetzen. Ist doch das Wollen geradezu das Sicherste, was das Ich in sich selbst finden kann, so daß man mit Recht sagen kann: volo, ergo sum. Im Wollen erfaßt sich das Ich am unmittelbarsten, es setzt sich selbst wollend und unterscheidet von sich, von seinem Eigenwillen die fremden Willen, die ihm als Objekte seines Wahrnehmens erscheinen und seinen Willen kreuzen und hemmen. Der Wille ist das Konstanteste im Ich, er ist der Einheitspunkt, um den sich das Erleben bewegt, von dem es ausgeht und zu dem es gravitiert. Wollen, Ziele setzen und anstreben, ist ein so prononzierter Akt des Subjekts, daß man eher zweifeln kann, ob es Empfindungen oder Vorstellungen im Sinne des psychologischen Atomismus gibt als an der Existenz dieses Wollens[19].

Damit ist schon angedeutet, daß der Wille keine metaphysische, transzendente Potenz hinter dem Bewußtsein ist. Von einem solchen Willen können wir absolut nichts wissen, was wir vom Willen aussagen, ist unserem bewußten Erleben entnommen. Der Wille ist keine geheimnisvolle Kraft, die wir erst erschließen müssen, sondern das Konstante, Allgemeine im konkreten Wollen, das sich denkend und praktisch betätigt, das um sich und seine Ziele deutlich weiß oder sie dumpf fühlt, das jedenfalls durch unmittelbares Erleben und psychische Analyse in uns zu finden ist. Ein Voluntarismus im Sinne Schopenhauers oder Ed. v. Hartmanns ist also für die Psychologie unbrauchbar. Und zwar auch aus folgendem Grunde.

Für die „autogenetische“ Willenstheorie, wie sie vorzüglich Wundt vertritt, ist der Wille zwar etwas Primäres und Spezifisches, aber nicht ein einfaches Bewußtseinselement analog den Empfindungen. Weder ist daher, wie manche Psychologen glauben, das Bewußtsein eine Verbindung dreier Vermögen, Funktionen usw.: Vorstellung (Empfindung), Gefühl und Wille, noch gibt es einen absolut einfachen, „blinden“, [Seite 30] intelligenzlosen Willen neben und vor dem übrigen Bewußtsein, eine Willenstätigkeit neben und gesondert von dem übrigen Erleben. So wenig aus einer reinen Empfindung oder Vorstellung ein Wollen hervorgehen kann, so wenig kann aus einem absolut einfachen, blinden Willen der Intellekt entstehen. Vor einem solchen extremen („alogischen“) Voluntarismus müssen wir uns nicht minder hüten wie vor dem, die Eigenart des Willens verkennenden Intellektualismus. Die Psychologie hat den Willen so zu nehmen, wie er sich im Erleben wirklich darstellt und wie er demgemäß auch begrifflich zu bestimmen ist.

Hierbei muß sie sich aber hüten, sich das Wollen gleichsam hinwegzuanalysieren. So wie die Einheit des Ichs leicht dem Beobachter sich entzieht, der durch die analytisch gewonnenen Elemente des Erlebens gefesselt wird, so kann die analytische Betrachtung des Wollens leicht die Täuschung erzeugen, als ob der Wille nur aus Empfindungen, Vorstellungen, höchstens auch noch Gefühlen bestände, obzwar es auf der Hand liegt, daß aus der Zusammensetzung solcher Elemente noch nicht das Wollen herauskommt, das zwar nichts Einfaches, aber doch kein „Summationsphänomen“ ist. Bei der Analyse des Willensaktes darf nicht vergessen werden, neben den Momenten desselben auch wieder das Ganze, den eigenartigen Gesamtverlauf zu apperzipieren; erst dann rekonstruieren wir psychologisch das wirkliche Erlebnis, ohne es zu verfälschen. Es zeigt sich dann klipp und klar, daß „Wollen“ ein Prozeß, ein Bewußtseinsverlauf ist, der als solcher ganz eigenartig, spezifisch, unvergleichbar ist, sich aber in Momente sondert, sondern läßt, welche wir als Empfindungen, Vorstellungen, Gefühle ... bezeichnen und für sich untersuchen können. Das „Ich will“ ist der Ausdruck für ein Verhalten des Ichs, welches nicht neben dem Vorstellen usw. herläuft, sondern in sich Momente, Elemente, Faktoren enthält, sich in solche zerlegen läßt, die in Vorgängen, deren Willenscharakter abgeschwächt oder zurückgedrängt ist, als spezifisches Vorstellen, Fühlen usw. auftreten. Es gibt verschiedene Formen und Entwicklungsstufen des Willens, vom dumpfen Trieb und Streben angefangen bis zum komplizierten Wahlakt, aber nirgends findet sich konkret-empirisch ein „reiner“ Wille, der absolut empfindungs- und gefühlsfrei wäre. Mit dem Fühlen hängt der Wille am innigsten zusammen, ohne daß er aber nur eine Summe von (selbständigen) Gefühlen ist. Vielmehr ist das Gefühl ursprünglich stets schon ein Willensmoment, die Einleitung, Begleitung, Endigung einer Willensfunktion. Der vollständige, primäre Vorgang ist der Willensvorgang mit seinen [Seite 31] Momenten und Seiten; das Gefühl ist entweder ein solches Moment oder aber abgeschwächte, gehemmte Wollung, die auf einen eigentlichen, vollen Willen wirken und von ihm Wirkungen empfangen kann.

Der volle, ungebrochene psychische Vorgang ist ein Willensvorgang, mit den Momenten des Empfindens, Vorstellens, Fühlens, Strebens, kurz, das, was Fouillée[20] treffend als „processus appétitif“ bezeichnet hat. Zu unterscheiden sind zwei Stufen des Willens: Triebwille (Trieb) und Willkür; ersterer ist der einfache, eindeutig bestimmte, letzterer der kompliziertere, aktivere, bewußtere Wille. Der Triebwille ist als Ausgangspunkt der gesamten Seelenentwicklung sowohl onto- als phylogenetisch aufzufassen. Alle äußeren Anzeichen sprechen dafür, und seine Natur ist eine solche, daß sich sowohl die progressive als die regressive Entwicklung des Bewußtseins aus ihr verstehen läßt. Im Vereine mit dem „Willkürwillen“ durchzieht der Triebwille das gesamte Seelenleben des Menschen, in den verschiedensten Formen und Richtungen findet er sich hier und seine Herrschaft ist eine um so größere, je mehr wir uns dem Tierischen nähern.

Nach der einen Seite hat sich der Trieb zum Reflexvorgang, nach der andern, durch Komplikation der Motive, zum Willkürlichen entwickelt[21]. Dies hat in vortrefflicher Weise Wundt ausgeführt, dem wir uns hierin nur anschließen können. Mit ihm müssen wir es ablehnen, aus dem seelenlosen Reflex das Willensleben genetisch abzuleiten, da so etwas wie „Tendenz“, Erstreben schon von Anfang an den Lebewesen eigen gewesen sein muß, sollten jemals wollende Wesen im höheren Sinne aus ihnen werden. Ein absolut willenloser Zustand ist weder psychologisch noch auch biologisch denkbar. Letzteres deshalb nicht, weil ohne einen wirklichen Trieb zur Selbsterhaltung, zum Selbstschutze, zur Abwehr feindlicher An- und Eingriffe, zur Aufsuchung, Festhaltung und Verarbeitung günstiger Lebensbedingungen und Erhaltungsfaktoren, ein Bestehen und Fortschreiten des Lebens, der Lebewesen kaum möglich gewesen wäre. Ein indifferentes, bloß empfindendes Lebewesen würde nicht auf Reize so reagiert haben, wie es unverkennbar schon die niedrigsten Organismen tun. Ohne Bedürfnis und triebmäßige Befriedigung desselben, ohne Impulse zur Nahrung, Bewegung usw. sind die Tatsachen der Biologie nicht wahrhaft verständlich; denn nicht bloß die äußeren physikalisch-chemisch beschreibbaren Lebenserscheinungen, Lebensäußerungen wollen wir in der Biologie und organischen Naturphilosophie erkennen, auch ihren inneren Grund, ihre innere Dynamik, ihr Triebwerk suchen wir zu erforschen. Will man nun die Unklarheiten und [Seite 32] metaphysischen oder sonstigen überflüssigen Annahmen des „Vitalismus“ vermeiden, auf unbekannte, ad hoc erdachte und konstruierte „Lebenskräfte“ (Entelechien, Dominanten u. dgl.) Verzicht leisten, will man ferner die Geschlossenheit der Naturkausalität auch auf dem Gebiete des Organischen festhalten, dann bleibt nichts übrig, als die Biophysik und Biochemie durch eine Biopsychik zu ergänzen (nicht zu verdrängen) und einzusehen, daß psychische Regungen niederer und höherer Art, Strebungen eindeutiger und komplizierter Form, Tendenzen zur Erhaltung der organischen Einheit und Triebe und Wollungen, die daraus als Konsequenzen fließen, Mittel zum obersten Zweck sind — direkt und indirekt die Lebensvorgänge regieren und modifizieren, so aber, daß diese an sich psychischen Gestaltungen und Regulierungen objektiv als ein System physischer Prozesse erscheinen, die bei den niedersten Lebewesen noch an die gesamte Plasmamasse, bei höheren aber an ein besonderes Organ, das Nervensystem und schließlich das Gehirn gebunden sind. Mit voller Berücksichtigung des Anteils äußerer Faktoren und der ungewollten Neben- und Nachwirkungen des Wollens („Heterogonie der Zwecke“) müssen wir doch mit Wundt den Willen (Trieb usw.) als innerstes teleologisches Agens des Lebens, als Schöpfer biotischer Zweckmäßigkeit ansprechen. Von diesem Standpunkte läßt sich der Mechanismus des Lebens als Werkzeug und zugleich als Niederschlag des Lebenswillens und dessen Funktionen ansehen, als äußere „Hülle“, deren Inneres den Willen als Motor, als sich selbst verwirklichende und entfaltende Kraft birgt.

Weit entfernt, daß der Wille ein Entwicklungsprodukt von mechanischen Reflexen ist, lassen sich umgekehrt die Reflexe und automatischen Vorgänge am besten als Residuen ursprünglicher Willensprozesse betrachten. Wir sehen ja täglich, wie durch Übung Tätigkeiten, die erst vollbewußt und willkürlich waren, mit der Zeit immer triebmäßiger werden, bis sie schließlich (Klavierspielen, Gehen, manuelle Fertigkeiten u. dgl.) „mechanisiert“, automatisch geworden sind, d. h. mit einem Minimum von Bewußtsein und Willensimpuls leicht und eindeutig bestimmt ablaufen[22]. Und so finden wir auch phylogenetisch, durch Vergleichung verschiedener Entwicklungsstufen miteinander, ein Hervorgehen von Reflexen und Automatismen aus Trieb- und Willkürhandlungen, die durch Übung (und Mitübung) abgekürzt, eindeutig, minderbewußt wurden und schließlich auf dem Wege der Vererbung als Reflexdispositionen auftreten. Eine Art Entseelung findet so statt, durch die Arbeit erspart wird und die auch durch die größere Bestimmtheit und [Seite 33] Leichtigkeit der Handlung vielfach außerordentlich zweckmäßig, erhaltungsgemäß wirkt. Freilich darf man sich auch die Reflexe nicht als absolut „apsychisch“ vorstellen; sind auch ihre Antriebe vielfach nur unterbewußt oder für sich überhaupt nicht bewußt, nicht apperzipierbar, so weist doch vieles darauf hin, daß sie nicht fehlen, wenigstens nicht als Bestandteil des organischen Gesamttriebsystems, ganz abgesehen davon, daß Reflexe nun auch in den Dienst eigentlicher Willensakte gestellt, vom Willen beherrscht werden können. Jedenfalls reihen sich auch die Reflexe in den Zusammenhang von Willenstendenzen des Lebewesens ein, sie werden von ihm eingeschlossen und gehören zu ihm als Wirkungen, Nachwirkungen des Willens.

Der Wille ist also nicht ein Aggregat willenloser Zustände, sondern eine ursprüngliche und spezifische Richtung des Bewußtseins, die sich in Momente und Elemente gliedern läßt[23]. Nicht nur für die beobachtende Analyse tritt der Wille als konkrete Wollung in solche Elemente auseinander, er hat sich auch im Laufe der Entwicklung differenziert und kompliziert. Im ursprünglichen, primitiven Trieb sondern sich Empfindung, Gefühl und Streben noch keineswegs scharf voneinander ab, sondern sie sind, wie wir noch jetzt an vielen unserer Triebhandlungen ersehen können, vielmehr zur Einheit verschmolzen. Die Empfindung, die unlust- oder lustbetont ist und in eine Tendenz zur Entfernung des Unangenehmen oder zur Festhaltung des Angenehmen mündet, ist mit allen ihren Konsequenzen nur ein undeutliches Glied des einheitlichen Triebvorganges, während auf höheren Stufen der Entwicklung Empfindung, Vorstellung, Gefühl deutlicher hervortreten und größere Selbständigkeit, wenn auch keine isolierte Existenz haben. Aber auch der komplizierteste Willkürwille ist von dem primitiven Willen, dem Trieb, nur graduell unterschieden, indem er, statt eindeutig, durch einen oder wenige Reize bestimmt, ausgelöst zu sein, einen „Kampf der Motive“, einen Konflikt verschiedener Willensrichtungen (Wahl), Überlegung, Reflexion u. dgl. voraussetzt, im übrigen aber geradeso Tendenz zur Verwirklichung eines Zieles ist. Der Trieb ist reaktiver, der Willkürwille aber aktiver Wille, indem der letztere, von der Umwelt relativ unabhängig, aus dem selbstbewußten, formal permanenten Ich entspringt und eine Grundrichtung des Lebens zum Ausdruck bringt, die für das individuelle Ich charakteristisch, der Umwelt gegenüber etwas Selbständiges, Initiatorisches ist. Natürlich ist auch die Willkürhandlung nicht gesetzlos, sondern ebenso kausal bestimmt wie alles Geschehen. Aber die Kausalität und Gesetzlichkeit, die hier in Frage steht, ist psychischer Art, sie ist keine äußere Macht über den Willen und das Ich, sondern nur die Konstanz [Seite 34] und Regelmäßigkeit, die Identität und Einheit des wollend sich betätigenden Subjekts. Daher ist die Notwendigkeit der Willenskausalität, wie sie im Handeln, Denken, kurz in allen psychischen Akten sich darstellt, durchaus mit einer Freiheit des Willens, des Subjekts vereinbar, die nichts anderes ist, als Autonomie, Eigengesetzlichkeit, Eigenrichtung des Willens. Der wohlverstandene Indeterminismus und der wohlverstandene Determinismus sind demnach nur Seiten des „Autodeterminismus“[24].

Wenn nun der Voluntarismus im Willen das Dynamische, das innerste Triebwerk des Seelenlebens erblickt, wenn ihm der Wille Ausgangspunkt aller seelischen Entwicklung ist und er in allen psychischen Erlebnissen den direkten oder indirekten, lebendigen oder mechanisierten, selbstbewußt-planmäßigen oder minderbewußt-triebhaften Einfluß des Willens findet, wenn er endlich das Empfinden, Vorstellen, Denken, kurz, die Intelligenz als untrennbar und abhängig vom Willenszusammenhange ansieht, so wird dies nicht mehr dahin mißverstanden werden, als ob es einen gleichsam nackten Willen als einfache Qualität und Kraft hinter den Erlebnissen gebe. Sondern der Satz: der Wille ist das dynamische Prinzip des Bewußtseins, bedeutet nur, daß das Bewußtsein insofern Aktivität und Reaktivität aufweist, als es selbst willensartig, willensdurchzogen, selbst wollend, strebend ist, als in ihm Impulse walten, welche dem Erlebnisverlauf die Direktive geben, Impulse, die teilweise in muskuläre Vorgänge münden, die also objektiv sich als Bewegungen darstellen, so daß das Motorische die objektivierte Äußerung des Willens ist. Daß bloße Muskelempfindungen, Bewegungsvorstellungen u. dgl. noch nicht Wille sind, sehen wir leicht, wenn wir den Zustand, in dem wir uns einfach eine Bewegung unseres Leibes vorstellen, mit demjenigen vergleichen, in welchem wir die vorgestellte Bewegung auch anstreben, wollen; auch die Gefühlsbetonung der Bewegungsvorstellung ist noch nicht das Willensphänomen, sondern dazu gehört noch eine besondere „Stellungnahme“ seitens des Subjekts, die in der Besonderheit des Bewußtseinsverlaufes zum Ausdruck kommt[25]. Es muß wiederholt betont werden, daß „Wollen“ zwar kein einfacher, elementarer Zustand hinter und neben dem übrigen Erleben, aber auch keine bloße Summation von willenlosen Vorgängen ist.

Der Voluntarismus, mag er nun in extremer oder gemäßigterer Form auftreten, bestreitet wesentlich zweierlei: 1. die Möglichkeit, aus bloßen intellektuellen Prozessen das Seelenleben befriedigend zu erklären, 2. den Aufbau der geistigen Gebilde durch bloße „Assoziation“; die Aktivität des Bewußtseins wird [Seite 35] von der Assoziationspsychologie oft verkannt oder ungenügend zur Geltung gebracht.

Was das Verhältnis des Intellekts zum Willen anbelangt, so ist folgendes zu sagen. Eine reine, willenlose Intelligenz, ein teilnahmsloses Vorstellen und Denken ist uns nirgends gegeben. Mag das Willensmoment noch so abgeschwächt sein, mag es sich dem klaren Bewußtsein entziehen, weil es während des Funktionierens nicht selbst zur Apperzeption gelangt, gänzlich fehlt es nie. Schon die primitiven Sinneswahrnehmungen sind gefühlsbetont und mit irgendeinem Grade des Strebens behaftet, das in gewissen Fällen (z. B. bei hohen Intensitäten) stark hervortreten kann; außerdem bringen wir vielfach den Sinnesreizen Tendenzen zur Perzeption entgegen, wir suchen Empfindungen (Licht, Töne usw.) auf, haben ein Bedürfnis nach Betätigung unserer Sinnesorgane, ein „funktionelles Bedürfnis“ bestimmter Art[26]. Das neutrale, „indifferente“ Wahrnehmen ist schon ein Grenzfall, ein Entwicklungsprodukt, keineswegs das Primäre, wo Empfinden oder Wahrnehmen und Streben viel inniger vereint sind, wo also die Wahrnehmung durchaus „appetitiv“, triebhaft ist, was auch biologisch wohl begründet ist. Denn die Sinneswahrnehmung steht zunächst völlig im Dienste des Selbsterhaltungswillens, der die Sinnesreize teils aufsucht, teils vermeidet und der also eine Auswahl unter ihnen trifft.

Diese auswählende, auslesende Tätigkeit der Psyche ist nun überhaupt von fundamentaler Bedeutung. Wir zeigen dies zunächst an der Tatsache der Apperzeption[27] im allgemeinen, die besonders durch Wundt in ihrer Wichtigkeit erkannt wurde, so daß fortan der Assoziationspsychologie eine „Apperzeptionspsychologie“ entgegentreten konnte. Unter der „Apperzeption“ ist nun nichts anderes zu verstehen als eine Leistung des Willens, des Willens zur Bewußtheit insbesondere. Je nachdem der Wille Trieb- oder Willkürwille ist, haben wir passive (reaktive) oder aktive Apperzeption vor uns, ohne daß beide voneinander schroff geschieden sind. Die Apperzeption ist also nicht, wie man zuweilen gemeint hat, ein mystisches, metaphysisches Vermögen, ein Akt hinter und vor dem Bewußtsein, sondern eine Leistung im und am Bewußtsein, an den Erlebnissen. Apperzeption ist Fixierung von Erlebnisinhalten durch den Willen, Festhaltung, Bevorzugung, Auswahl eines Bewußtseinsbestandteiles, der dadurch vor anderen momentan ausgezeichnet wird, indem er klarer, deutlicher, selbständiger, bewußter wird. Das Apperzipierte ist gleichsam im „Blickpunkt“ des Erlebens. Durch diese Klarwerdung eines Erlebnisses tritt dasselbe aus dem Gesamtzustande des Subjekts schärfer hervor, das übrige tritt entsprechend zurück, ist minder bewußt oder unterbewußt. [Seite 36] Diese Bevorzugung kann ein Erlebnis zunächst triebhaft erzwingen, indem es aus irgendeinem Grunde (Intensität, Gefühlston usw.) die Aufmerksamkeit, d. h. den Erlebniswillen auf sich zieht und das übrige verdrängt. Geht aber ein bestimmter Erlebniswille, eine Erwartung, ein Suchen u. dgl. voraus, ist die Aufmerksamkeit schon im vornherein auf einen zu gewärtigenden Inhalt eingestellt, dann findet eine aktive Apperzeption statt, hinter der die konzentrierte aktive Energie des Ichs steckt. In jedem Falle wird aber ein Inhalt dadurch apperzipiert, nicht bloß perzipiert, daß er in möglichst günstige, zweckmäßige Beziehung zum auffassenden oder verarbeitenden psychisch-physischen Organ gebracht wird, indem alles Störende, Beeinträchtigende durch den Willen abgewiesen, gehemmt, zurückgedrängt wird. In verschiedenen Gefühlen und Empfindungen (der Muskeln usw.) kommt dieser Zustand der „Spannung“ zum Ausdruck, ohne mit ihnen identisch zu sein; denn wir verspüren unweigerlich das Triebhafte bzw. das Willkürliche im Aufmerken und Apperzipieren — Vorgänge, die nur Momente und Seiten eines einheitlichen Geschehens bilden. Das physiologische Korrelat der Apperzeption kann entweder die Funktion bestimmter Gehirnpartien sein oder in einer erhöhten Energie, in einem besonderen Grade eines bestimmten Zusammenwirkens von Gehirnprozessen bestehen.

Auf die passive oder reaktive Apperzeption kommen wir noch weiter unten zu sprechen. Zunächst haben wir von der aktiven Apperzeption zu sprechen, um das Verhältnis des Willens zum Intellekt klarzulegen und der Einseitigkeit des Assoziationismus entgegenzutreten.

Betrachten wir das Denken (den aktiven Intellekt) näher seiner subjektiven psychischen Seite nach, so sehen wir, daß es sich vom bloßen Vorstellen, von bloß assoziativen Verbindungen unmittelbar in der Art des Erlebens unterscheidet. Das Denken erweist sich, kurz gesagt, subjektiv als eine Willenstätigkeit[28]. Ein willenloses Denken, ein willensfreier Intellekt existiert nicht, oder nur in der Abstraktion. Denken als Prozeß ist innere Handlung im Unterschiede von der „Praxis“, lebendige Aktion, aktive Ich-Leistung. Ohne Antriebe, Motive zum Denken, ohne ein zu erreichendes Denkziel, dem ein Interesse uns nachgehen läßt, käme es zu keinem wirklichen Denken und Erkennen. Der Wille ist dem Denken „immanent“, aber nicht, wie oft erklärt wird, weil Wille nur eine Eigenschaft, eine Richtung des Denkens ist, sondern weil das Wollen ein primäres Moment der Denkhandlung, die subjektive Bedingung und Grundlage, die innerste Triebkraft des Denkens, dieses also eine Betätigung, eine Richtung des Willens, [Seite 37] des „Denkwillens“ ist. Denken ist eine geistige Arbeit an einem Materiale (Vorstellungen, Begriffe, Urteile), aktive Formung und Gliederung, die zu oberst dem Willen zur Einheit Genüge tut, ihm entspringt. Ich denke nur, weil ich Inhalte geistig beherrschen, durchdringen, zusammenhängend-einheitlich erfassen will, abgesehen von anderen Motiven, etwa praktischen. Der Wille setzt das Denken in Bewegung, gibt ihm Anstoß und Richtung. Durch die aktive Apperzeption wird nur das im Bewußtsein fixiert und mit anderem ebenso Fixierten zusammengehalten, vereinigt, was in der Richtung des Denkwillens liegt oder zu liegen scheint; alles andere wird zurückgedrängt, vernachlässigt. Indem ich denke, wähle ich unter meinen zur Disposition stehenden Vorstellungen und Vorstellungsdispositionen jene, welche meinem so und so bestimmten Denkwillen entsprechen oder wenigstens zu entsprechen scheinen. Natürlich muß mir ein Material von Inhalten zur Verfügung stehen, welches nicht selbst erst durch mein Denken geschaffen wird, und von diesem Material gehen Anregungen aus, welche mich — teilweise triebhaft — in meinem konkreten, speziellen Denken bestimmen; ich „richte“ mich nach dem Inhalte meiner Erlebnisse, auch wenn ich noch so aktive („freie“) Geistesarbeit verrichte, ich verfahre nicht willkürlich im Sinne ungebundener, gesetzloser, absoluter Freiheit. Der Denkwille hat seine eigene feste Gesetzlichkeit, die er anerkennt, anerkennen muß, will er sein Ziel erreichen, so daß die Denkgesetze zwar nicht mechanische, aber teleologische Notwendigkeit besitzen, indem sie der „Autonomie des Denkwillens“ entspringen. — Intellekt und Wille sind nicht zwei gesonderte Vermögen oder Kräfte, sondern was wir Intellekt, Verstand, bzw. Vernunft nennen, ist der rein geistig sich betätigende Wille selbst; das Denken, die sich betätigende Vernunft ist Willenshandlung. Die Wechselwirkung zwischen Intellekt und Wille besteht darin, daß einerseits das Erstreben, Wollen bestimmter Inhalte einen Einfluß auf das Denken ausübt und daß dieses von der Energie und Richtung des Willens abhängig ist, und daß anderseits das Denken und dessen Produkte (Urteile, Begriffe) den Willen, der insofern „Vernunftwille“ ist, zu motivieren, zu leiten vermag; der Vernunftwille wiederum kann einen (hemmenden, mäßigenden) Einfluß auf Triebe, Leidenschaften u. dgl. ausüben. So lassen sich also Wille und Intellekt als wechselseitige Abhängige, als einander bestimmende Momente und Faktoren anerkennen, ohne daß auf der einen Seite ein intelligenzloser Wille, auf der andern ein willensfreier Intellekt zu stehen braucht.

Unter dem Einflusse der aktiven Apperzeption entstehen nun u. a. die Denkgebilde, als eine Form der „apperzeptiven [Seite 38] Verbindungen“ (Wundt). Ein Begriff z. B. ist nicht eine bloße Assoziation von Vorstellungen, sondern ein Denkgebilde, bei dem die Apperzeption nur bestimmte, logisch zweckmäßige Elemente von Erlebnissen festhält, heraushebt und einheitlich zusammenfaßt. Begriffe entstehen nie passiv, ganz von selbst, auch die empirisch fundierten Begriffe sind, subjektiv angesehen, Denkgebilde, Produkte aktiver Geistesbetätigung. So verhält es sich auch mit dem Urteil. Dieses ist keine assoziative Abfolge von Vorstellungen, sondern eine aktive Synthese auf Grundlage einer Analyse des Erlebnisses, ein Akt der In-Beziehung-Setzung, die niemals von selbst dem Subjekt gegeben ist. Beziehen, Vergleichen, Zerlegen, Verbinden usw. sind nicht fertige Bewußtseinsinhalte, sondern Ich-Betätigungen, die an einem Materiale stattfinden, ohne in diesem schon vorzuliegen. Die Tätigkeit des denkenden Subjekts schwebt aber nicht in absolut freier Willkür über diesem Material, sondern gehört zu eben demselben Bewußtsein, dessen Inhalt jenes bildet; sie ist eine „Form“ des Bewußtseins, eine Art des Zusammenhanges, die sich unmittelbar als „aktiv“ charakterisiert und von anderen Arten abhebt. Die apperzeptive Tätigkeit läßt sich zwar von dem apperzipierten Inhalt unterscheiden und begrifflich fixieren, bildet aber in Wirklichkeit ein mit diesem Inhalt zur Einheit verbundenes Ganzes.

Gedanken sind also Gebilde aktiver Geistestätigkeit, welche den Willen zum Motor hat. Das Denken benutzt das durch Assoziation gelieferte Vorstellungsmaterial, es ist aber nicht selbst bloße Assoziation. Während bei dieser Vorstellung auf Vorstellung folgt, in bunter Reihe, durch Ähnlichkeit, Berührung in Raum und Zeit usw. hervorgetrieben, erweist sich das Denken als ein den Verlauf der Vorstellungen hemmender, regulierender Prozeß, der zu bestimmten Zusammenhängen führt, durch welche dem Ablauf des Vorstellens ein gewisser Abschluß zuteil wird. Die Gesetzlichkeit des Denkens ist aus bloßen „Assoziationsgesetzen“ nicht abzuleiten, nicht zu begreifen, sie ist anderer Art als die des „Spieles der Einbildungskraft“, das um so leichter und besser von statten geht, je unbeherrschter das Vorstellen ist. Das Denken hingegen, besonders das streng logische Denken bedeutet Disziplin, Planmäßigkeit, Zwecksamkeit im Geistesleben. Nicht bloß das Denken, auch die aktiv gestaltende, Normen befolgende, beachtende Phantasie ist mehr als bloße Assoziation. Durch eine Art „schöpferischer Synthese“ entstehen im Denken und in der aktiven Phantasie seelische Gebilde, die sich zwar in Elemente zerlegen lassen, welche zum Aufbau der Gebilde beitragen, die aber diesen Elementen [Seite 39] und ihrer bloßen Summe gegenüber qualitativ etwas Neues, Spezifisches darstellen. —

Was nun die Assoziation selbst betrifft, so hat die Assoziationspsychologie meistens nicht nur den Fehler begangen, aus jener alles ableiten zu wollen, sondern auch noch den, daß sie die Assoziation nicht richtig aufgefaßt hat. Wir sprachen schon von der unzulässigen Verdinglichung der Vorstellungen und Empfindungen und von der Ausstattung dieser mit Kräften gegenseitiger Anziehung. Es gibt aber im konkreten Erleben keine selbständigen, reinen Empfindungen und Vorstellungen, die sich von selbst, ganz unabhängig von einem erlebenden Subjekt, miteinander verbinden. Eine Vorstellung ist kein beseeltes Wesen, welches von einem andern, einer zweiten Vorstellung einen Anstoß zum Wiederauftreten im Bewußtsein empfangen kann. Sondern alle Assoziation ist nur dadurch möglich, daß Vorstellungen usw. Abhängige eines erlebenden Subjekts, Momente und Glieder bzw. Seiten eines einheitlichen Zusammenhanges sind, durch den sie ebenso bedingt sind, wie sie ihn selbst mit konstituieren. Die Assoziationen schweben nicht in der Luft, sind nicht Beziehungen zwischen Objekten, sondern Formen des Zusammenhanges von Erlebnissen im Subjekt und durch den jeweiligen Zustand desselben bedingt. Sowohl die allgemeine, als die besondere, individuelle Natur des erlebenden Subjekts kommt in den Assoziationen, in anderer Weise als in den (aktiven) Apperzeptionsverbindungen, zum Ausdruck, so daß die Assoziationen zwar gesetzlich, aber keineswegs eindeutig bestimmt sind.

Nun ist das Subjekt in zentralster Selbstunterscheidung von den Objekten Wille, zunächst als triebhaft, dann aber vorzugsweise als aktiv wollend. Daher ist die Assoziation durch den Willen, durch das Streben bedingt[29]. Es „assoziieren“ sich also nicht reine Vorstellungen miteinander, sondern willensbehaftete Erlebnisse des einheitlichen Subjekts. In der Einheit des erlebenden Subjekts bzw. des Strebens sind die Assoziationen letzten Endes gegründet, aus ihr fließen sie. Die Assoziation besteht darin, daß durch „triebhafte“ Einwirkung auf die Apperzeption Erlebnisse einander ins Bewußtsein rufen („reproduzieren“) und mit ihnen Zusammenhänge bilden, die bald durch innere, bald durch mehr äußerliche Beziehungen bedingt sind, so aber, daß das Willenselement nie fehlt. Die Assoziation ist, wie dies Wundt erkannt hat, ein Triebvorgang, wenn auch ein solcher, wo das Moment des Strebens vielfach in den Hintergrund des Bewußtseins tritt. Dies ist wohl begreiflich, wenn man an die durch Übung erzielte „Mechanisierung“ [Seite 40] des Bewußtseins, der Willens- und Triebhandlung denkt. Assoziation ist in der Tat relativ mechanisierte Geistesarbeit, und das um so mehr, je weniger das Triebmoment, das manchmal ziemlich stark hervortreten kann, zurücktritt, ohne aber je ganz zu fehlen (vgl. Fouillée a. a. O.). Erlebnisse, die irgendwie zur Einheit im Ich zusammengehen können — bei verschiedenen Individuen in verschiedener Weise — haben die Tendenz, sich zu „assoziieren“, d. h. sie assoziieren sich, sofern nicht äußere oder innere störende, hemmende, ablenkende Faktoren (z. B. der Denkwille) ins Spiel treten. Die Vorstellungen assoziieren sich aber nicht direkt und von selbst, sondern nur so, daß sie auf das Streben einwirken, (als Momente desselben) und dieses zur Reproduktion (Erneuerung) anderer Vorstellungen anregen, reizen, aus dessen Natur heraus, die auf Einheit geht.

Vorstellungen sind keine Dinge oder Kräfte, die, wenn sie dem Ich nicht präsent sind, irgendwo unbewußt lauern, bis sie wieder ins Bewußtsein treten können. Nimmt man von der Vorstellung das Bewußtsein weg, dann hebt man sie selbst auf, denn sie ist nur eine besondere Form, eine Modifikation des Bewußtseins (im weitesten Sinne), welches nicht neben den Erlebnissen einhergeht, zu ihnen hinzukommt, sondern ein Ausdruck für das Gemeinsame aller Erlebnisse, eben das Erleben (Erlebtwerden) ist. Es gibt also keine absolut unbewußten Vorstellungen und die Reproduktion, mit der die Assoziation verbunden ist, ist keine Hervorholung der Vorstellungen aus dem Unbewußten ins Licht des Bewußtseins. Jede „reproduzierte“ Vorstellung ist vielmehr ein neues, besonderes Erlebnis, das inhaltlich zwar einem früheren Erlebnis sehr ähnlich ist, trotzdem aber, abgesehen von mehr oder weniger erheblichen Abweichungen, funktionell nicht mit dem alten Erlebnis zusammenfällt. Freilich muß die Reproduktion der Vorstellungen Bedingungen haben, durch die sie ermöglicht wird. Diese Bedingungen sind, objektiv-physisch betrachtet, „Spuren“, potentielle Energien bzw. molekulare Umlagerungen im Zentralnervensystem, im Gehirn. Und bei der Assoziation dürften infolge von „Bahnungen“ u. dgl. zusammengehörige, früher irgendwie verbunden gewesene Partien oder Funktionsanlagen in Tätigkeit treten, indem die Erregung der einen Partie oder der einen Funktionsanlage eine Erregung bestimmter anderer Bestandteile nach sich zieht. Psychologisch aber kann natürlich nicht von Molekularumlagerungen u. dgl. gesprochen werden. Gleichwohl ist man berechtigt, von funktionellen Dispositionen zur Reproduktion von Vorstellungen u. dgl. zu reden. Es sind das nicht bestimmte, unbewußt [Seite 41] existierende, bereitliegende Inhalte, sondern Nachwirkungen früherer Erlebnisse in der psychischen Organisationseinheit, Tendenzen der Psyche zur Erneuerung von Erlebnissen unter bestimmten Anregungen, Antrieben, welche von gewissen anderen Erlebnissen (gefühlsbetonten Wahrnehmungen oder Vorstellungen) ausgehen. So zeigt sich auch die Erinnerung und die Fähigkeit dazu, das Gedächtnis, als ein nicht rein intellektuelles, sondern volitionelles Phänomen, dessen physiologisches Korrelat wohl in der Aufspeicherung potentieller Energie im Gehirn und deren Übergehen in aktuelle Energie besteht. Psychische „Dispositionen“ sind also nicht selbst Vorstellungen, sondern nur „Bereitschaften“ zu solchen, es sind psychische Potenzen als das Innensein der Gehirndispositionen. So verhält es sich auch mit den sog. Anlagen, die nichts anderes sind als ursprüngliche, ererbte, angeborene psycho-physische Dispositionen, im Unterschiede von den individuell erworbenen Dispositionen und Fertigkeiten. Alle Dispositionen, ererbte und erworbene, sind Resultate der Übung, als solche stehen sie zur Richtung des geringsten Widerstandes, der kleinsten Kraftaufwendung in Beziehung, haben also eine ökonomische Bedeutung, aus der sich auch die ihnen eigene Tendenz oder Strebung begreift. Sind die Dispositionen einerseits Nachwirkungen von Willens- und Triebhandlungen, inneren und äußeren, so üben sie anderseits einen außerordentlichen Einfluß auf die Weiterentwicklung des Seelenlebens aus, sie werden zur Grundlage neuer und höherer, reicherer geistiger Prozesse und zugleich mitbestimmend für die Richtung, welche diese nehmen.

Der Begriff der Richtung (dessen Bedeutung von R. Goldscheid[30] betont wurde) ist überhaupt für die Psychologie wichtig. Er ist hier wie in der Naturwissenschaft unentbehrlich, weil der Qualitäts- und der Intensitätsbegriff nicht ausreichen, um gewisse Unterschiede in den psychischen Vorgängen festzulegen. In erster Linie und primär ist die „Richtung“ im Seelischen ein Modus des Willens, dessen Wirksamkeit verschieden ist, je nach dem Ziele, auf das der Wille gerichtet, eingestellt ist. Mit gutem Sinne können wir z. B. von einer Richtung des Vorstellungsverlaufes sprechen, die entweder von momentanen, triebartigen Impulsen oder aber vom zweckbewußten Willen (Denkwillen) abhängig ist. Der Wille beeinflußt die Richtung der Erlebnisse, die Art des Ablaufes, des zeitlichen Zusammenhanges, des (relativen) Abschlusses derselben, abgesehen davon, daß der Aufmerksamkeitswille verschieden gerichtet sein kann, indem er bald auf das eigene subjektive Erleben, bald auf die objektiven Inhalte desselben sich lenkt. Der Wille als solcher ist, in Beziehung auf seinen Zielpunkt, [Seite 42] ein (dynamisches) „Gerichtetsein“, dessen direkte oder indirekte, totale oder partielle Objektivierung die Richtung der psychischen Energie der Gehirn- und Nervenprozesse ist. Für den Unterschied zwischen Trieb und Willkür (Wahl) mechanisierter (automatischer) und aktiver Geistesfunktion ist die Unterscheidung eindeutig und mehrdeutig bestimmter Richtung von Wichtigkeit, z. B. für das Problem der Willensfreiheit. —

Es würde den Rahmen dieser Arbeit weit übersteigen, sollte der Anteil des Willens an den seelischen Geschehnissen im einzelnen aufgezeigt werden. Es genügt, wenn wir dartun konnten, daß sowohl im niederen, einfachen, wie im höheren, komplizierten Seelen- und Geistesleben der Wille in verschiedener Form und Richtung das zentral Wirksame, die innerste Energie des Bewußtseins ist, und daß der vollständige, unabgekürzte, ungehemmte psychische Vorgang eine Willenshandlung ist. Erst durch Abschwächung, Abstumpfung des Strebens und Fühlens, des Appetitiven und Affektiven kommt das verhältnismäßige „rein“ Intellektuelle, das neutrale Wahrnehmen, Vorstellen und Denken zustande, teilweise aber selbst wieder unter dem Einfluß des Willens, nämlich des Kulturwillens, der eine möglichste Beherrschung, Zurückdrängung des Triebhaften, Affektiven mit sich bringt.


[Seite 43] IV. Der Zweck im Seelischen.

Während in früheren Perioden der wissenschaftlichen Forschung die Idee des Zweckes und der Zweckmäßigkeit, kurz, die Teleologie meist in der Form eines Gegensatzes zum Kausalitätsbegriff oder aber so auftrat, daß in der Natur zwei Arten von Ursächlichkeiten, die kausale und die finale, nebeneinander, ohne innere Verbindung walten sollten, ist es ein Postulat unserer Zeit — das aber schon bei älteren Denkern, besonders bei Leibniz sich geltend machte — die Teleologie so zu fassen, daß sie zu der kausalen Betrachtungsweise in keinen Widerspruch gerät, vielmehr mit ihr aufs beste harmoniert. Von einer „transzendenten“ Teleologie, wonach Gott oder die Natur den Dingen bestimmte Zwecke gesetzt hat, denen diese unbewußt oder bewußt nachgehen, will man mit Recht, wenigstens innerhalb der empirischen Wissenschaft, nichts wissen. Anderseits ist den noch immer in großer Zahl vorhandenen Gegnern aller Teleologie entgegenzuhalten, daß man in der Biologie und in den Geisteswissenschaften ohne Teleologie nicht auskommt. Nur muß das eine immanente, eine „Auto-Teleologie“ (Pauly) sein, welche Ziele und Zwecke nicht als Wesenheiten außerhalb der lebenden, handelnden Wesen, sondern als etwas diesen Innerliches, Immanentes, von ihnen selbst Gesetztes, Erstrebtes, Verwirklichtes bestimmt und den Einfluß äußerer, nicht-teleologischer, rein kausaler Faktoren gebührend würdigt. Finalität und Kausalität schließen einander nicht aus, sondern sind, wie wir gleich sehen werden, nur zwei Betrachtungsweisen bzw. Phasen einer und derselben Reihe des Geschehens, ohne daß deshalb, wie manche meinen, etwa die Finalität nur subjektiv, nur ein „Regulativ“ für unser Erkennen sein muß.

Wo wir innerhalb der empirischen Wissenschaft kein Seelisches annehmen dürfen oder, besser, nicht anzunehmen brauchen, beim Anorganischen, und überall da, wo wir nicht in der Lage sind, mit Sicherheit bestimmte psychische Handlungen einfühlend zu erkennen, da sind wir berechtigt, bloß von einer „regulativen“ und heuristischen Anwendung des Zweckbegriffes [Seite 44] zu sprechen, d. h. die Dinge so anzusehen, als ob sie einem Zwecke dienten, um leichter zu kausalen Reihen zu kommen und diese besser zu verstehen. Aber das ist nicht der einzige zulässige Gebrauch, den man von der Teleologie machen darf, und zwar nicht erst in der Metaphysik, sondern schon in der Biologie, Psychologie und in den Geisteswissenschaften. Hier ist es vielfach oft die Idee des Zweckes, die erst Einheit in die Erfahrung bringt, diese erst „konstituiert“ und das Geschehen erst sinnvoll, bedeutsam macht. Aber auch hier ist die „Finalität“ nur eine Seite oder Phase desselben Geschehens, das zugleich sich kausal beschreiben läßt. „Konstitutiv“ ist der Zweckbegriff hier aber schon deshalb, weil wir, während Zwecksamkeit, Finalität in das Physische zunächst nur hineingelegt wird, sie an uns selbst, in unserem seelischen Verhalten unmittelbar erleben oder setzen und sie ebenso als ein allem Seelischen unmittelbar Anhaftendes ansehen müssen, als ein Charakteristikon des Psychischen selbst[31].

In der Tat, der Zweckbegriff, der formal unserem beziehenden Denken entspringt, hat sein Ur- und Vorbild im eigenen Erleben des Subjekts. Dieses ist selbst durch und durch ein Zwecke-setzendes, „zielstrebiges“ Wesen und es ist tätig, um diesen seinen Zwecken zu genügen, um sie zu verwirklichen, aus der Potenz in die Aktivität überzuführen. Das Subjekt ist ein Zwecke-objektivierendes Wesen. Sein ganzes Tun ist ein Inbegriff von Mitteln zur Realisation von Zwecken, zur Erreichung von Zielen. Zunächst ist aber zu zeigen, wie das möglich ist, ohne daß das Kausalitätsgesetz durchbrochen, außer Geltung gesetzt wird.

Ein einfaches Beispiel für eine Zwecktätigkeit ist die Handlung, bei der ich den Arm ausstrecke, um ein Buch zu ergreifen. Psychologisch geht folgendes vor: ich habe ein Ziel in Gestalt einer Vorstellung vor Augen, die „Lust“ dazu und das Streben nach dessen Erreichung, welches sich in Bewegungsempfindungen u. dgl. umsetzt und schließlich zu jenem psychischen Zustande führt, welcher mit dem Besitze des Buches verbunden ist. Dieselbe Reihe ist nun auch rein kausal beschreibbar. Zuerst war meine Armbewegung „Mittel“ zur Besitzergreifung des Buches, diese aber „Zweck“ meiner Handlung; jetzt ist die Handlung (das Ausstrecken des Armes) „Ursache“ des Ergreifens und Festhaltens des Buches und zwar sowohl psychisch (als unmittelbares Erlebnis von Empfindungen und Vorstellungen) wie physisch (als objektiv-physikalisch aufgefaßte Bewegung). Was bei der einen Betrachtungsweise Mittel und Zweck ist, ist für die andere Ursache und Wirkung. Der Zweck ist nichts als die im Erleben antizipierte, die vorstellend erstrebte Wirkung, die reale [Seite 45] Wirkung ist der aktualisierte Zweck, ohne daß sie stets genau mit diesem übereinstimmt. Die oft gestellte Frage: wie kann etwas, was noch nicht da ist, was der Zukunft angehört, Ursache eines Geschehens sein, beantwortet sich dahin, daß nicht die reale Wirkung selbst Ursache des Handelns ist, sondern die Vorstellung der Wirkung, des Resultates und zwar als Inhalt oder Motiv des Willens. Zweck ist soviel wie Willensziel, Willensinhalt, nicht etwas selbständig Existierendes und Wirksames. Der Zweck wirkt nur im und durch den Willen, dieser ist als psychischer Vorgang die Ursache von Handlungen, durch welche das Gewollte, der Zweck, verwirklicht wird. Das Eigenartige der Zwecksamkeit, das „Wozu“ ist kein besonderes Geschehen, dem physisch etwas parallel geht, sondern liegt schon im Zusammenhange des Wollens, der allein sein physiologisches Gegenstück hat. Das Subjekt will etwas, und zwar weil es ein anderes will usf. Dies führt zu einem ganzen System von Wollungen, deren jede auf die andere so bezogen ist, daß eine aus der andern mit innerer Notwendigkeit erfolgt, einer Notwendigkeit, die final und kausal zugleich ist, je nachdem wir in der Ordnung der Reihen vorgehen. Dieses System von Zwecksetzungen, in welchem jeder Zweck wieder Mittel für einen anderen Zweck sein kann, ist nicht bloß formal zur Einheit verknüpfbar, sondern erweist sich bei gehöriger Selbstbesinnung und vergleichender Betrachtung fremden Seelenlebens als einheitlich gerichtet, indem es dem obersten subjektiven Zweck, der Erhaltung und Betätigung der Einheit des Subjekts, also dem Einheitswillen sich unterordnet. Dieser Einheitswille, der Wille zur Bewahrung der Ich-Einheit in aller Mannigfaltigkeit der Erlebnisse, ist der oberste Grund, dem das seelische Handeln entfließt, das Motiv der Motive. Indem nun die Psyche in ein solches System von Wollungen oder Zielsetzungen sich auseinanderlegt, ist sie so recht eine „Entelechie“ (im Sinne noch mehr des Leibniz als des Aristoteles), eine sich von innen aus aktiv-reaktiv entfaltende, entwickelnde Subjektivität, ein „Organismus“, dessen Objektivation oder Ausdruck der leibliche Organismus ist[32].

Wenn der Neo-Lamarckismus so sehr die Wirksamkeit psychischer Faktoren und die Geltung einer „Auto-Teleologie“ betont, so ist er durchaus im Rechte, vorausgesetzt, daß er nicht die Bedeutung äußerer Faktoren (Milieu, Auslese usw.) vernachlässigt. In der Tat: wollen wir das Leben nicht bloß äußerlich in dessen Erscheinungen beschreiben, sondern es in seinem inneren Wirken verstehen, wollen wir die Zweckmäßigkeit der Lebensprozesse und deren Produkte begreifen, so können [Seite 46] wir nicht umhin, auf die Bedürfnisse zurückzugreifen, die durch Anregung des Strebens zu lebensnützlichen Reaktionen verschiedenster Art führen. Es gibt zweifellos eine aktive Anpassung, bei welcher der Organismus, seinen durch den Wechsel der äußeren Bedingungen erregten Bedürfnissen folgend, so tätig ist, daß diesen Bedürfnissen Genüge getan wird, bis, durch Übung und Vererbung festgewordener Übungsresultate, eine größere Harmonie des Baues und der Funktionen des Organismus mit dem Naturmilieu erreicht ist. Die erreichte Zweckmäßigkeit ist also ein Resultat der psychischen, zielstrebigen Einwirkung des Organismus auf sich selbst, die, wir wissen bereits warum — ihr physisches, physiologisches Korrelat hat. Die Zielstrebigkeit ist aber nur zum geringeren Teil direkt auf Realisierung von bestimmten Vorstellungsinhalten gerichtet, vielfach und primär ist sie nur triebhafte Reaktion zur Abstellung von Unlust oder Gewinnung von Lust nach einer bestimmten Richtung, Tendenz zur Herstellung des gestörten Gleichgewichts, zur Entfernung störender Reize u. dgl. Das objektiv Zweckmäßige ist zwar durch das zielstrebige Verhalten des Organismus bedingt, aber keineswegs ein direktes Resultat desselben, sondern das Produkt einer Komplikation von Faktoren und einer ganzen Reihe von Zielstrebigkeiten und Handlungen.

Es mußte dies betont werden, weil es auch für die Psychologie als solche, nicht bloß für die Biologie gilt. Auch hier müssen wir von den primären Zielstrebigkeiten und Zwecksetzungen jene Folgen und Nebenwirkungen unterscheiden, die, indem sie irgendwie in die Richtung der individuellen Zielstrebigkeit hineinpassen, später selbst finalen Charakter erlangen, ohne daß vorher auch nur im geringsten an sie gedacht worden wäre. Für die individuelle, wie für die soziale, kulturelle Entwicklung ist dieses Prinzip der „Heterogonie der Zwecke“ (Wundt) von nicht geringer Bedeutung, es erklärt uns die beständige Steigerung, das Wachstum geistiger Werte, und es zeigt uns, wie es das Wesen des Geistes ist, Kausalität in Finalität zu verwandeln, bzw. in deren Dienst zu nehmen.

Das Umgekehrte ist nun die Verwandlung von Finalität in Kausalität. Wir meinen damit freilich nicht, als ob je im Seelenleben die Finalität verloren ginge und an ihre Stelle reine, mechanische Kausalität träte. Wir wissen bereits, daß die „Mechanisierung“, von der in der Psychologie die Rede ist, nur eine Abkürzung und ein Eindeutig-Werden von Willenshandlungen ist, keine absolute Entseelung. Aber Tatsache ist es, daß Handlungen, welche ursprünglich mit mehr oder weniger Bewußtseinsklarheit auf ein bestimmtes Ziel gerichtet waren, später durch das, was wir „Gewöhnung“ nennen, rein triebmäßig [Seite 47] und schließlich ganz automatisch, ohne Richtung auf ein bewußtes Ziel verlaufen können, so daß sie uns als bloße Wirkungen psycho-physischer Antezedentien erscheinen. Nur insofern diese Handlungen Glieder des teleologischen Zusammenhanges der Gesamtpsyche sind, haben sie jetzt finalen Charakter, nicht aber für sich genommen. Oder wenn man will, läßt sich diese Art psychischer Kausalität als Grenzfall psychischer Finalität ansehen, als stabilisierte Zielstrebigkeit. Der psychische „Mechanismus“ ist, weit entfernt die Quelle der geistigen Finalität zu sein, schon nur ein Spezialfall, eine Phase und ein Niederschlag der Finalität, die nach zwei Richtungen sich entfaltet: einerseits zur vollbewußten aktiven Zwecktätigkeit im Denken, Wollen und Gestalten, anderseits zum seelischen Automatismus. Zugleich bleibt der Satz bestehen, daß die psychische Kausalität im allgemeinen Sinne durch eine Betrachtungsweise desselben Zusammenhanges gegeben ist, der sonst als finaler Zusammenhang sich darstellt, und zwar am unmittelbarsten sich darstellt.

Daß die Psychologie nicht umhin kann, die Teleologie des Seelenlebens zu berücksichtigen, ist bisher hauptsächlich von jenen Psychologen betont worden, welche biologische Gesichtspunkte in ihre Wissenschaft hineintragen. In der Tat: so wichtig und notwendig es ist, die biologischen Prozesse schließlich auch psychologisch zu interpretieren, psychische Faktoren zum Verständnis von Lebensvorgängen verschiedener Art heranzuziehen, so unumgänglich ist auch die Erklärung fundamentaler psychischer Funktionen durch Rekurrierung auf biotische Momente. Es ist dies ganz natürlich, denn das Seelenleben ist auch ein Ausschnitt, bzw. eine Seite des Lebens schlechthin, und das Leben ist qualitativ eine Manifestation seelischer Faktoren. Wir übertragen also nicht etwa in äußerlicher Form, durch künstliche Analogien, biologische Gesichtspunkte auf das Seelische, sondern dieses hat an sich selbst, vermöge seiner Identität mit dem Leben die Eigenschaften desselben. Daher gelten die von der Entwicklungstheorie verwandten Momente: Anpassung, Kampf ums Dasein, Auslese, Übung, Korrelation, Vererbung usw. auch für die Psychologie. Freilich muß man sich hier vor Einseitigkeiten hüten, wie sie etwa die extreme Selektionstheorie aufweist, und man muß der spezifischen Beschaffenheit des Psychischen als solchen gebührend Rechnung tragen.

Der teleologische Charakter des Seelenlebens hängt aufs innigste damit zusammen, daß dasselbe etwas Organisches, kein Aggregat selbständiger Elemente, kein äußerlich verbundenes Ganzes, sondern eine innerlich zusammenhängende Einheit[33] ist, die in lebendiger Wechselwirkung mit ihren Gliedern [Seite 48] steht. Diese Glieder sind ebenso durch das Ganze bedingt, wie das Ganze durch die Teile; es sind ja beide nur Abstraktionen aus dem konkreten Zusammenhang, der zugleich Einheit und Mannigfaltigkeit ist. Die Seele ist, das muß aller mechanistischen Psychologie gegenüber entschieden betont werden, eine sich in der Mannigfaltigkeit ihrer Modifikationen entfaltende und entwickelnde aktuale Organisation und hat alle Eigenschaften einer solchen. Was Herbart von der metaphysischen, einfachen Seelensubstanz lehrte, die sich wie alle „Realen“ gegenüber Störungen ständig zu erhalten strebt, gilt auch, nur noch viel plausibler, von der gegliederten Seeleneinheit, die im Erlebniszusammenhange, nicht hinter diesem besteht und tätig ist. Die Zielstrebigkeit, die das Psychische charakterisiert, äußert sich in verschiedener Weise, so aber, daß das Streben nach Erhaltung und Durchsetzung, sowie nach Steigerung, Bereicherung, Potenzierung der Subjekt-Einheit sowohl das Primärste als auch das Letzte und Höchste ist, was die Psyche als solche, als Individuum unter anderen, im Reagieren und Agieren bestimmt. Die Psyche ist von Natur aus so geartet, daß sie Störungen, die sie erleidet, zu beseitigen, daß sie alles Neue sich, dem Grundbestande ihrer Modifikationen einzuordnen strebt, Widersprüche, soweit ihr diese zum mehr oder minder klaren Bewußtsein kommen, nicht duldet. Und wie sie sich selbst als Ganzes im Konflikte mit der physischen und psychischen Umwelt zu erhalten strebt, so hat die Psyche auch die Tendenz, alles für sie und ihre Einheit und Entwicklung Förderliche möglichst festzuhalten, zu erhalten. Nicht die Vorstellungen für sich allein haben einen Selbsterhaltungstrieb, sondern die Psyche, das erlebende Subjekt ist es, welches Teile seiner Erlebnisse gegenüber andern triebmäßig oder willkürlich begünstigt und sie so anderen gegenüber sich behaupten läßt, wobei natürlich die Möglichkeit der Konkurrenz verschiedener Tendenzen nicht zu übersehen ist, die sich aber schließlich irgendwie der Einheitstendenz des Ganzen einordnen müssen, soll das Seelenleben „normal“, intakt oder wenigstens im relativen Gleichgewicht bleiben. Daß Vorstellungen usw. im Bewußtsein herrschend werden u. dgl., ist gewiß kausal bedingt, wir können häufig die Faktoren aufzeigen, welche die Erhaltung, Fixierung, Begünstigung von Erlebnissen zur notwendigen Folge haben, aber zugleich liegt hier eine Finalität vor, da diese Erhaltung im Dienste der psychischen Zielstrebigkeit steht, so daß der psychische Zusammenhang durch einen Zweck bestimmt ist; die kausale Notwendigkeit ist hier also auch teleologische Notwendigkeit. Das ganze logische Denken z. B. läßt dies deutlich erkennen, denn der „reine Denkzweck“ ist zugleich der Grund, [Seite 49] aus dem die Bildung bestimmter Urteile und Schlüsse erfolgt, und im Erkenntnisprozesse wieder sind die Kategorien Mittel zur Herstellung eines objektiv-einheitlichen Zusammenhanges, zur Konstituierung von objektiver Erfahrung und von Erfahrungsobjekten[34]. Die Gesetze des Denkens und Erkennens fließen gewiß aus dem Wesen der „Sachen“, sind nicht bloß individuell-subjektiv, nicht relativ, aber sie sind auch nicht in der Luft schwebende Wesenheiten, existieren nicht an sich, sondern gehören zum „Bewußtsein überhaupt“, sind Forderungen des auf reine Erkenntnis gerichteten Willens, der nur durch sie seinen Zweck: die Erkenntnis, die Erfassung der Wahrheit und Wirklichkeit, erreichen kann und daher sich selbst bindet, um so bewußter und entschiedener, je mehr er die Tauglichkeit der einzelnen Denk- und Erkenntnismittel im Fortschritte der wissenschaftlichen Entwicklung und als an der Erfahrung sich bewährend einsieht....

Der teleologische Charakter des Seelenlebens tritt schlagend in dem zutage, was man Interesse benannt und oft auch schon bei der Erklärung psychischer Prozesse verwertet hat. Was in irgendeiner bemerkbaren Beziehung zum Willen und damit zur Zielstrebigkeit der Psyche steht, daran nimmt diese Interesse, d. h. sie erfaßt es willig, reiht es leicht dem Zusammenhang ihrer Erlebnisse ein, verweilt triebmäßig oder willkürlich bei ihm, beschäftigt sich mit ihm. Interesse erweckt etwas, wenn es tauglich ist, die psychische Organisation irgendwie zu fördern, irgendwelche Bedürfnisse des Subjekts zu befriedigen. Je nach der Art der Bedürfnisse und Zwecke, für die etwas geeignet sein kann, gibt es verschiedene Richtungen des Interesses, verschiedene Arten des Interessanten, welches wieder allgemein oder individuell, für die Psyche überhaupt oder für bestimmt geartete Subjekte erregend sein kann. Daher die Relativität und Wandelbarkeit des Interesses, je nach der „Stimmung“, den vorangegangenen Erlebnissen, der Beschäftigung usw., kurz, je nach den jeweilig vorherrschenden Tendenzen und Zielsetzungen, denen Erlebnisse und deren Gegenstände begegnen. Je mehr wir uns für etwas interessieren, desto mehr ist unsere seelische Energie einem Inhalt zugewandt, desto mehr „Seelenkraft“ ist an dessen Verarbeitung beteiligt, desto besser und nachhaltiger wird der Inhalt vom Ich aufgenommen und verwertet. Daher die große Bedeutung des Interesses für die Aufmerksamkeit und Apperzeption, für das Gedächtnis und die Erinnerung, für die Richtung unseres Denkens und Handelns. Das Interesse selbst aber ist ohne die allgemeine und spezielle Finalität der Psyche nicht zu verstehen, denn es ist nur der gefühlsmäßige Ausdruck für dieselbe, ein Moment derselben, nicht etwa ein selbständiges [Seite 50] „Seelenvermögen“. Die „interessierte“ Seele ist nur die nach einer bestimmten Richtung besonders erregte, an einem Erlebnis besonderen Anteil, besondere Lust nehmende Seele, für die in irgendeinem Ausmaße das Erlebnis bedeutsam ist. Das Interesse ist es, was die Psyche eine Auslese unter den ihr sich in Fülle darbietenden Eindrücken treffen und sie nur dasjenige assimilieren läßt, was auf Dispositionen, in „Bereitschaft liegende“ Bewußtseinszustände bestimmter Art stößt. Solche Dispositionen, welche für die Richtung des Interesses bedeutsam sind, sind auch überall da vorhanden, wo sog. „funktionelle Bedürfnisse“ bestehen, d. h. Tendenzen bestimmter Organe oder Seelenpartien zur Betätigung der ihnen gemäßen Funktionen. Ein Beispiel dafür ist der „Lichthunger“, der uns nach längerem Verweilen im Dunkeln befällt, der Bewegungsdrang nach längerer Ruhe, die Lust am Hören von Klängen, am Reden, an Phantasiespielen usw. Im Spiel und in der Kunst kommen funktionelle Bedürfnisse stark zur Geltung[35]. Daher auch die teleologische Bedeutung von Spiel und Kunst, welche nicht bloß eine wohltätige Kraftentladung in der Psyche bewirken, sondern auch durch die Übung bestimmter, sonst vernachlässigter psychischer Systeme und Organe subjektiv zweckmäßig sind[36]. Uninteressiert sind wir beim ästhetischen Genuß nur insofern, als wir nicht auf irgendeinen Nutzen, auf irgendwelche Gütererlangung ausschauen, aber willen- und interesselos sind wir keineswegs, sondern ein „Wille zur Schau“, zum reichen und dabei harmonischen Erleben besteht, der im und durch das ästhetische Erleben befriedigt wird, genau so, wie das Spiel in gewissem Sinne Selbstzweck ist....

Ebenso wie das Interesse, bezieht sich auch das Phänomen der Wertung auf die Finalität des erlebenden Subjektes. Was irgendwie zur Befriedigung eines Bedürfnisses zur Erreichung eines Strebenszieles nicht bloß geeignet, sondern auch notwendig, gefordert ist, das ist uns wert, das ist für uns und alle Gleichgerichteten ein Wert. Werten kann also nur ein zielstrebiges Wesen, und die Grundrichtung, die es überhaupt oder jeweils verfolgt, sein Grundwille und alles daraus folgende Streben ist gleichsam das „a priori“ aller Wertung. Erst und nur im bewußten oder unbewußten Hinblick auf einen Zweck ist etwas für uns wertvoll, als Mittel zu einem Zweck, das selbst in anderer Hinsicht ein Zweck sein kann, bis hinauf zum obersten Endzweck, der, als identisch mit dem Inhalt des reinen Grundwillens, an sich, „absolut“ wertvoll[37] ist; die Relativität und Subjektivität der Einzelwerte, deren Abhängigkeit von verschiedenen Verhältnissen, von der Art der psycho-physischen Organisation, vom Milieu, von historischen und sozialen Bedingungen [Seite 51] schließt keineswegs das Bestehen objektiver, intersubjektiver, relativ konstanter Werte und die Absolutheit der obersten Grundwerte der Menschheit für den menschlichen bzw. ideal-menschlichen Grundwillen aus, ein Umstand, der für die Ethik und Sozialphilosophie von höchster Bedeutung ist und der vor allem die Versöhnung zwischen Historismus und Apriorismus ermöglicht, sofern man nur mitten im Geschichtlichen, im menschlichen Entwicklungsprozeß das Apriorische, die in Form von Ideen und Idealen gegebenen, vom Gesamtwillen gesetzten und anerkannten Grundwerte zu finden und die Geschichte als eine, freilich nicht geradlinige und rein rationelle Annäherung an die Verwirklichung und Objektivierung dieser Wertideale zu erkennen weiß[38].

Eine Art Wertung liegt schon in den Gefühlen der Lust und der Unlust vor, welche zweifellos eine teleologische Bedeutung besitzen, die man nur richtig auffassen muß. Denn es ist zu berücksichtigen, daß etwas für bestimmte Partien oder auch für den Gesamtorganismus direkt oder indirekt unzweckmäßig sein kann, was relativ für bestimmte Partien und Funktionen, also im Hinblick auf besondere Tendenzen der Psyche als zweckmäßig empfunden wird und Lust bereitet. Dies festhaltend, kann man ruhig behaupten, daß das Gefühlsleben ebenfalls die Finalität des Subjekts zum Ausdruck bringt, daß lustvolle Gefühle Zeichen, Symptome für Bedürfnisbefriedigungen sind, d. h. für Zustände, die der Psyche in irgendeiner Beziehung und Weise genehm, die für sie irgendwie zweckmäßig sind, während Unlust in der Regel auf das Gegenteil hinweist. Die scheinbare Durchbrechung der Regel erklärt sich eben aus dem Bestehen verschiedener Tendenzen der Psyche und aus dem Konflikte, in welchen dieselben unter Umständen miteinander geraten können. Ferner kann die Erfahrung und Verstandeserwägung das Bewußtsein der üblen Folgen an sich lustvoller Erlebnisse und Handlungen als Gegengewicht gegen diese ins Treffen führen und dies zeigt, daß eben eine Entwicklung des Wertens wie eine solche der seelischen Fähigkeiten überhaupt besteht; wo die Wertvoraussetzungen anders sich gestalten, muß natürlich auch, ungeachtet der Zähigkeit mancher organisch gewordener Wertungen, die Wertung sich modifizieren. Ist doch die Zweckmäßigkeit, auf die das Werten sich bezieht, überhaupt nichts Festes, Starres, sondern ein Werdendes, ein Produkt der Entwicklung. Je nach dem erreichten Entwicklungszustande nimmt das erlebende Subjekt in verschiedener Weise Stellung zu seinen Erlebnissen, wertet es diese, bzw. deren Inhalt verschieden. Stets kommt aber in der Wertung die Natur und Gesetzlichkeit des Subjekts, des einzelnen wie [Seite 52] der Subjektivität schlechthin zum Ausdruck, und diese Gesetzlichkeit ist im Kerne finaler Art[39].

Diese Finalität dürfen wir nicht vergessen, wenn wir vom Wettbewerb der Vorstellungen usw. um die Erhaltung im Seelenleben, im Bewußtsein, im subjektiven und objektiven Geiste sprechen. Ein solcher Wettbewerb besteht zweifellos, aber er ist ebensowenig wie der Daseinskampf in der Natur rein kausal oder mechanisch zu erklären. Denn was bestimmte Bewußtseinsinhalte miteinander streiten läßt, das sind die verschiedenen Tendenzen, die der in mannigfache Verhältnisse gelangende seelische Organismus aufweist, und was bestimmten Vorstellungen, Ideen usw. den Sieg verleiht, das ist das Überwiegen einer Tendenz vor anderen. Es siegt stets das direkt oder indirekt (auf Grund von Urteilen, Vergleichungen) als relativ Wertvollste, für das so und so beschaffene Subjekt relativ Zweckmäßigste, Befundene, sei es im Denken, sei es im Wollen und Handeln („Kampf der Motive“). Es obsiegen im intra- und intersubjektiven geistigen Wettbewerbe schließlich die an der Erfahrung am besten bewährten Ideen (Wissenschaft) und Handlungsweisen (Sitte, Recht, Technik usw.). Der Zweck, die Willensrichtung und die Beziehung auf sie ist also das Ausschlaggebende, nicht die Vorstellung für sich genommen, nicht die blutleere Theorie. Ein Wille, und sei es auch nur ein „reiner“ Denk- und Erkenntniswille ist das aktiv Auslesende, den Wettbewerb Regelnde, Normierende, dem schließlich sich unwesentliche oder störende Tendenzen unterordnen müssen, damit der reine Zweck rein erfüllt wird, was eben nur durch Erhaltung des bestimmt gerichteten Willens in der ganzen Mannigfaltigkeit seiner Betätigungen, also durch das, was wir „Konsequenz“, „Folgerichtigkeit“, Einstimmigkeit mit sich selbst nennen, erreicht wird. Daß innerhalb der Willensgesetzlichkeit das Herrschendwerden gewisser Bewußtseinsinhalte und die Zurückdrängung oder gar Verkümmerung anderer durch das Milieu in dessen verschiedenen Arten (Natur, Rasse, Gesellschaft usw.) mitbedingt ist, steht außer Frage; man denke nur an den Wandel der Lieblingsideen bei verschiedenen Völkern und in verschiedenen Perioden der Geschichte, denke an den Wechsel der Stile, der Moden, der Denkweisen, an das Überwiegen bestimmter Denkmittel, Gefühlsweisen, Willenstendenzen usw.

Es besteht eben im Geistesleben zweierlei Anpassung: einmal eine passive, besser reaktive Anpassung von Erlebnissen (Vorstellungen usw.) an ein physisches oder psychisches Milieu, dann aber auch eine aktive Anpassung des Milieus an die Natur des Seelenlebens. Die passive Anpassung ist [Seite 53] teils indirekter Art, durch eigentliche Selektion, die aber im Seelischen noch weniger belangreich sein dürfte als im Biologischen, teils eine direkte, indem das Milieu durch die von ihm ausgehenden Reize und Einflüsse das Seelenleben der Individuen und Völker in einer zu diesem Milieu in Beziehung stehenden Weise modifiziert. Während auf den niederen Stufen der Geistesentwicklung die passive Anpassung überwiegt, kommt auf den höheren immer mehr die aktive Anpassung zur Geltung. Die ganze Kulturarbeit des Menschen gibt davon Zeugnis, wie sehr es der menschliche Geist versteht, Inhalte seines Erlebens so zu formen, daß sie seinen ureigenen Bedürfnissen, Tendenzen, Zwecken zu entsprechen vermögen. Nicht bloß die Außenwelt wird diesen Zwecken angepaßt, auch das Innenleben, wie es sich besonders im „objektiven Geist“, in Religion, Sitte, Sittlichkeit, Recht, Wissenschaft usw. bekundet, wird aktiv gestaltet, beständig umgeformt, und zwar im ganzen und großen schließlich doch immer wieder in der Richtung, welche die Linie der Realisierung des reinen Menschheitswillens bedeutet, also im Sinne der Kulturidee. Hierbei findet, da die Einheit des Geisteslebens immer wieder nach Selbsterhaltung strebt und bewußte Widersprüche in ihrem Bereiche nicht dauernd erträgt, eine beständige, wenn auch nicht immer gleich merkliche gegenseitige Anpassung der geistigen Gebilde aneinander statt, die aller Einseitigkeit, aller Verkümmerung einzelner Partien des Seelenlebens immer wieder entgegenarbeitet. So gibt es z. B. eine Anpassung zwischen Recht und Wirtschaft, zwischen Glauben und Wissen, zwischen Individualismus und Kollektivismus. Es besteht eine Art Selbstregulierung des Geisteslebens, durch welche Störungen und Einseitigkeiten, welche der Integrität der seelischen Einheit Abbruch zu tun drohen, soweit als möglich aufgehoben werden, und diese Selbstregulierung ist ein Mittel zur Anpassung der Mannigfaltigkeit geistiger Inhalte an die Einheit und Gesetzlichkeit der individuellen und der sozialen Psyche. — Die Bedeutung der aktiven Anpassung im Geistesleben erhellt u. a. aus der Methodik des wissenschaftlichen Erkennens. Denn es findet nicht nur eine (besonders von E. Mach hervorgehobene) Anpassung des Denkens an die Erfahrung statt, sondern auch eine Anpassung der Erfahrung an das Denken, bzw. an den Denkwillen, indem die Erfahrung methodisch so geformt wird, daß sie die allgemeine, „apriorische“ Gesetzlichkeit des Intellekts in ihrer Struktur immer schärfer und ausgedehnter zum Ausdruck bringt. Dies ist nur ein Spezialfall aus der fortschreitenden Rationalisierung des gesamten Lebens, welche triebhaft einsetzt und dann vornehmlich [Seite 54] durch die spontane, autonome, planmäßige, zweckbewußte Arbeit des Geistes, der alle seine Inhalte seinen Forderungen, den Postulaten des Vernunftwillens zu unterwerfen strebt, erfolgt. In der fortschreitenden Vergeistigung der Natur, sowohl der äußeren als auch der inneren Natur des Menschen besteht ja der Sinn aller wahren, vollen Kultur. Durch die reaktive und aktive Formung, welche das Geistesleben beständig an seinen Objekten vornimmt, erzeugt es einen stets zunehmenden Reichtum geistiger Werte und zugleich entwickelt es sich selbst zu immer höheren Daseinsstufen; die Funktion wirkt hier, wie im Biologischen, durch Übung und deren Nachwirkungen sowie durch Vererbung derselben, zu der auch die Tradition gehört, auf die Organisation, von der sie ausgeht, zurück, so daß auch hier ein besonnener „Lamarckismus“ Recht behält.

Wenn es wahr ist, daß alle Entwicklung zwar auch durch äußere Faktoren bedingt und bestimmt ist, aber doch in erster Linie unmittelbar von innen her erfolgt, so gilt dies nun ganz besonders für die seelische Evolution. Dies folgt schon aus der Finalität der Psyche, aus deren Gerichtetsein auf immer neu sich entfaltende Ziele. In unaufhörlicher Bewegung muß ein Seelenleben sein, dessen innerstes Triebwerk wirkliches Streben, wahre Tendenz, also „Wille“ im allgemeinsten Sinne des Wortes ist. Nur die Verbindung von immanenter Teleologie und Voluntarismus ist geeignet, uns die wachsende Zweckmäßigkeit des Psychischen ohne Berufung auf „transzendente“, von außen gesetzte Zwecke oder auf geheimnisvolle Zweckursachen verständlich zu machen. Gewiß sind nicht alle erzielten Resultate von Anfang an Objekt und Inhalt des Willens, gewiß weiß das Subjekt oft nichts oder nur wenig von dem, was es erzeugt und wozu es erwächst, aber wenn es auch wahr ist, daß nur eine Summation, ein fortlaufender Zusammenhang relativ selbständiger Zielstrebungen und Zwecksetzungen die endlich erreichten Zweckmäßigkeiten mit sich bringt, so ist es doch ebenso wahr, daß ohne diese Strebungen, in denen das Wesen des Subjekts, der Psyche zum Ausdruck gelangt, nichts von dem erreicht würde, was tatsächlich gewonnen wird. Mit außerordentlicher Genialität hat insbesondere Leibniz diese Selbstentwicklung der Seele erfaßt und nur den Fehler begangen, die Seele als einfache Substanz, als Monade unter anderen Monaden zu fassen, statt sie als eine, eine Vielheit von „Elementen“ und Momenten einschließende aktuale Organisation zu betrachten, wie wir es heute tun müssen. Es gibt eben nicht ein besonderes, qualitativ unbekanntes Wesen, Seele genannt, sondern die Seele ist der einheitliche, sich von seinen ihn zur Erscheinung bringenden Momenten [Seite 55] und Elementen selbst unterscheidende, abhebende Zusammenhang zielstrebiger Aktionen und Reaktionen, eine sich permanent setzende, durchsetzende, erhaltende, entfaltende „Subjekt-Einheit“ als das „Innensein“ dessen, was objektiv angesehen oder gedacht als physischer Organismus sich darstellt. Insofern diese Einheit aus sich heraus tätig, wirksam ist, Fähigkeiten zu verschiedenen Handlungen besitzt, ist sie im wahrsten Sinne des Wortes eine „Kraft“, während die objektiv-physischen Kräfte uns nur als gedankliche Ausgangspunkte von kausalen Relationen gegeben sind. Jede Seele ist ein sich selbst unmittelbar erfassendes Aktionszentrum, nicht „substantiell“, sondern durch ihr Wirken und ihre Dispositionen dazu. Sie „wirkt“ aber dadurch, daß sie strebend, wollend, also auf Ziele „gerichtet“ ist; ihr Wirken ist also final bestimmt. So kann man die Seele als eine Art Apparat zur Verwirklichung von Zwecken ansehen, freilich als einen lebendigen, aktiven, bewußten Apparat, nicht als einen bloßen Sitz oder ein Reservoir von Kräften.

Wir sehen aus dem Vorangehenden, wie notwendig die teleologische Fundierung der Psychologie ist. Es ist in der Tat ganz und gar unmöglich, die Gesetzlichkeit, die im Seelenleben waltet, zu verstehen, wenn man nicht den Strebungscharakter und damit die Finalität des Psychischen voll berücksichtigt. Die Zielstrebigkeit in ihren verschiedenen Abstufungen und Bewußtseinsgraden beherrscht das gesamte Seelenleben, sie ist die Grundbedingung, die Urvoraussetzung für das Funktionieren desselben. Sie waltet im Wollen direkt, kommt im Gefühlsleben zum Ausdruck und durchsetzt auch die intellektuellen Prozesse, angefangen von der Empfindung und Sinneswahrnehmung bis hinauf zum Denken und Erkennen. Die Grundfunktionen des Bewußtseins und deren Wirkungen stehen alle, direkt oder indirekt, im Dienste der reaktiven Zielstrebigkeit oder der aktiven Zwecksetzung, handle es sich nun um das Gedächtnis, die Phantasie, die Abstraktion, die Übung, die Gewöhnung, die Ermüdung, die Aufmerksamkeit u. dgl. oder um die im Spiel, in der Kunst, im religiösen, sittlichen, sozialen Leben wirksamen Seelenfunktionen. Überall bestehen hier Bedürfnisse, teils materialer, teils formaler Art, Tendenzen der psychischen Organisation und ihrer „Provinzen“, die triebhaft oder mittels des „Vernunftwillens“ zur Erfüllung drängen. Was oft als rein mechanische Reflextätigkeit oder als Resultat unbewußten Wissens und Planens erscheint, wie die Instinkthandlung, ist das fixierte, durch Übung und Vererbung der psychischen Organisation fest einverleibte Resultat von zielstrebigen Reaktionen, die durch allmähliche Anpassung [Seite 56] zu objektiv zweckmäßigen Erfolgen geführt haben. Man muß sich also vor zweierlei hüten: einerseits vor dem Fehler, da, wo schon triebhafte, impulsive, wenn auch sehr beschränkte, nur auf das Allernächste, auf die Entfernung unlustvoller und die Festhaltung lustvoller Reize gerichtete Zielstrebigkeit besteht, bloß das Resultat rein mechanisch-reflektorischer Vorgänge zu erblicken; anderseits aber auch vor dem ebenso gefährlichen Irrtum, einfach organisierten Lebewesen tierischer und pflanzlicher Art schon Denk- und Willensakte zuzuschreiben, die nur in einem komplizierten Bewußtsein möglich sind, die Fähigkeit aktiver Vergleichung, Abstraktion, Überlegung, Wahl voraussetzen oder auch durch eine große Zahl in Bereitschaft stehender Erfahrungen bedingt sind. Schon der Ausdruck „Zielstrebigkeit“ (bekanntlich von K. E. v. Baer eingeführt) ist cum grano salis zu verstehen, sonst kann er leicht Unheil anrichten. Es ist nicht so, als ob es an sich Ziele gäbe, die dem Lebewesen irgendwoher gesteckt sind und auf die es nun unbewußt oder bewußt zustrebt. Wir wissen wenigstens nichts davon, solange wir auf dem Boden der Empirie verbleiben und metaphysischen Theorien innerhalb der empirischen Forschung keinen Raum gönnen. Zielstrebigkeit ist für uns nichts anderes als ein Ausfluß des Lebens selbst; das Ziel ist dem Streben durchaus immanent, es ist durch das erlebende Subjekt selbst „gesetzt“, ist von ihm unabtrennbar. Dieses ist durch und durch Wille zur Erhaltung, Durchsetzung, möglichst auch Steigerung und Entfaltung der eigenen Einheit, nicht aber ist es irgendwoher auf dieses Ziel eingestellt worden. Und alle die Zwecke, die von lebenden Subjekten angestrebt werden, sind nur Konsequenzen aus der primären Zielstrebigkeit, in allmählicher Entwicklung entfaltet und jeweilig modifiziert und modifizierbar durch das Milieu, in welchem das Subjekt lebt. Es muß dies wiederholt betont werden, damit die Gegner aller Teleologie einsehen lernen, daß von irgendwelchen „reaktionären“ Tendenzen in dieser Form der „Auto-Teleologie“ nicht im geringsten die Rede ist. Für eine große Strecke der Finalität ist jedwedes Vorauswissen zweckmäßiger Erfolge unbedingt ausgeschlossen, auch ist die Erreichung solcher Erfolge keineswegs eindeutig bestimmt, nur zu oft finden Irrtümer statt, es bedarf oft einer großen Reihe von Erfahrungen, damit unter den in Bereitschaft stehenden Bedingungen die richtigen Mittel zur Anwendung kommen. Die Kenntnis der richtigen Mittel zum Zweck ist vielfach erst das Produkt langer Entwicklung, die „Zufälligkeit der Mittel“ (Pauly) ist ein nicht genug zu beachtender Umstand, der für die neben der Zweckmäßigkeit stark hervortretende „Dysteleologie“ von hoher Bedeutung [Seite 57] ist. Zielstrebigkeit schließt also noch nicht die richtige Technik der Mittel ein, der Mangel einer solchen freilich nicht die Existenz einer Zielstrebigkeit aus. So sehen wir z. B. eine bestimmt geartete Individualität, einen bestimmt gerichteten Charakter zuweilen sich in der Wahl der diesem Charakter gemäßen Lebensbedingungen (Beruf usw.) vergreifen, weil er sich eben in seinem „dunklen Drange“ des „rechten Weges“ nicht bewußt ist. Mit Recht ist gesagt worden, der Charakter eines Menschen sei dessen Schicksal. Das bedeutet psychologisch: der Grundwille, der das Wesen dieses bestimmten Subjekts ausmacht, leitet bewußt oder impulsiv dessen ganzes Tun und Lassen, wobei nicht auf die äußeren Verhältnisse und deren bestimmenden, teilweise auch zwingenden Einflüsse vergessen werden darf. Die Mittel aber, diesem Grundwillen Genüge zu tun, werden oft nicht richtig gewählt, weil Erfahrung oder Vernunfteinsicht nicht im rechten Maße vorhanden ist, so daß auch diese Faktoren das Geschick des Menschen bestimmen. Das „Dysteleologische“ ist, kurz gesagt, nicht bloß auf Rechnung äußerer Faktoren zu setzen, sondern es entspringt vielfach der Finalität, dem Teleologischen selbst, teils als ungewollter Nebenerfolg, teils infolge der Beschränktheit des Subjekts. An diese Dysteleologie ist in letzter Linie der Konflikt verschiedener oder gegensätzlicher Tendenzen und Zielstrebigkeiten, insbesondere zwischen verschiedenen Subjekten, schuld.


[Seite 58] V. Die psychische Entwicklung.

Wir haben bereits der verschiedenen Faktoren, welche an der Entwicklung des Seelenlebens beteiligt sind, Erwähnung getan. Nun erübrigt uns noch die zusammenfassende Darlegung des Wesens dieser Entwicklung.

Zunächst ist von einer Entwicklung der Psyche als Ganzes zu sprechen. Wir wissen, daß diese Entwicklung eine Entfaltung von innen heraus ist. Damit wurde keineswegs bestritten, daß eine durchgängige Beeinflussung der Psyche durch das äußere Milieu besteht. Direkt und indirekt kommt dieser Einfluß zur Geltung und alle Seelenentwicklung steht, wenn sie auch innerlicher Art ist, zu jenem in Beziehung, paßt sich ihm nach Möglichkeit an und schmiegt sich den waltenden Verhältnissen an. Aber das Milieu wirkt auf die Psyche entsprechend der eigenen Natur dieser. Es wirkt als eine Summe von Reizen, welche in der psychischen Organisation Tendenzen wachruft, die zu bestimmt gerichteten Reaktionen führen, die wieder auf die psychische Organisation zurückwirken; dann erst kann auch die natürliche Auslese einsetzen, welche das Erhaltungsgemäße, Zweckmäßige begünstigt, indem sie zugleich das Untaugliche auszumerzen bestrebt ist. In jedem Falle aber ist die psychische Entwicklung „zielstrebig“, indem zum Wesen der Psyche die Tendenz zur Erhaltung und Durchsetzung der eigenen Einheit gehört, aus welcher Tendenz in Reaktion zu den äußeren Reizen die Entwicklung der Seele mit teleologischer und zugleich kausaler Notwendigkeit erfolgt. Je höher entwickelt die Seele ist, desto mehr wird die Reaktivität derselben zur Aktivität, desto relativ unabhängiger wird sie vom Zwange des Milieu, desto mehr kann sie ihren ureigenen Tendenzen folgen, ihr Milieu selbsttätig modifizieren, ein neues Milieu, einen neuen Wirkungskreis schaffen. Die gesamte Kulturtätigkeit ist nichts anderes als ein aktives Anpassen des Milieu an die Tendenzen, Bedürfnisse, Zwecke, Ideale der menschheitlichen Psyche.

In welcher Hinsicht können wir von der Psyche sagen, daß sie sich entwickelt? In extensiver und intensiv-qualitativer Hinsicht, so aber, daß hier die Extension, das Quantitative [Seite 59] sogleich auch qualitativen Charakter besitzt. Die psychische Entwicklung besteht zunächst darin, daß die Zahl der Erlebnisse des Subjekts wächst, daß der Umfang seines Bewußtseins ein immer größerer wird, sich auf eine immer größere Menge von Vorstellungen, Gefühlen usw. erstreckt. Das gilt sowohl vom Individuum als auch vom „Gesamtgeist“, von der „Kollektivseele“ eines Volkes, einer sozialen Gemeinschaft. Während das Individualsubjekt den Schatz seines Bewußtseins durch Erfahrung, Lernen, eigenes Denken vergrößert, entwickelt sich die Kollektivseele, als das Gemeinsame in einer Vielheit von Einzelseelen und zugleich als der durch Wechselwirkung bedingte einheitliche Zusammenhang dieser, durch Akkumulation von Kollektiverfahrungen und der Produkte des Gemeinschaftswirkens auf allen Gebieten geistiger Betätigung. Was beim Individuum die Vererbung bedeutet, das ist für die Kollektivseele, für den Gesamtgeist die Tradition, durch welche die folgenden Generationen von vornherein in eine Welt geistiger Werte gestellt sind, an die sie anknüpfen und die sie weiter verarbeiten können. Die Tradition stellt einen seelischen Zusammenhang in der Zeit dar, der trotz wiederholten scheinbaren Durchbruchs der geschichtlichen Kontinuität, trotz zeitweiligen Zurücktretens, Vergessenwerdens, Nichtbeachtetseins geistiger Werte zustande kommt. Die Tradition ist die sozialhistorische Art der Vererbung, die Vererbung eine Art Tradition. Das letztere ist ohne weiteres verständlich, wenn wir bedenken, daß freilich fertige Vorstellungen, Gedanken, Wertungen u. dgl. nicht vererbt werden können — weil für solche in der unentfalteten Psyche des Keimes gar kein Organ vorhanden ist, und aus anderen Ursachen — wohl aber psychische Anlagen oder Dispositionen allgemeinster und auch spezieller Art. Vermöge solcher Anlagen, d. h. Tendenzen der primitiven Seelenorganisation zu bestimmt gerichteten Reaktionen und Aktionen, Tendenzen, die freilich erst durch Reize ausgelöst werden müssen, ist die Psyche besser ausgestattet als die früheren Generationen, sie kann sich extensiv und intensiv höher entwickeln, einen komplizierteren und feineren Habitus annehmen. Gewiß wird nicht alles und jegliches, was ein erlebendes Subjekt erlebt hat, vererbt werden. Die „direkte Vererbung erworbener Eigenschaften“ ist keineswegs durch die Neo-Darwinisten aus der Schule Weismanns widerlegt, aber sie darf auch nicht ins Extreme gezogen werden. Vererbbar dürfte nur das sein, was infolge lang wiederholter oder sonstwie nachhaltiger Eindrücke die psychische Struktur erheblicher beeinflußt, modifiziert hat[40]. Insbesondere gehören hierher die Resultate psychischer Übung nach irgendwelcher Richtung hin; diese Resultate bestehen [Seite 60] in der größeren Leichtigkeit und Sicherheit bestimmter Funktionen, bestimmter Bewußtseinsakte oder Koordinationen solcher, die in den von den elterlichen Seelen sich abspaltenden, ablösenden „Seelenkeim“ eingehen, wobei man aber nicht an substantielle Wesenheiten und Modifikationen denken darf. Die Erlebnisse der Subjekte gehen nicht spurlos vorüber, sie wirken auf die psychische Organisation zurück und manches von diesen Wirkungen kommt in den Nachkommen scharf zum Ausdruck. Infolge bald des Zusammenwirkens, bald des einander Entgegenwirkens der Tendenzen väterlicher- und mütterlicherseits in der „Keimpsyche“, sowie des Einflusses äußerer Faktoren ist die psychische wie alle Vererbung natürlich etwas ungemein Kompliziertes, keineswegs etwas eindeutig Bestimmtes. Und da wir bei der Beurteilung dessen, was psychisch ererbt ist, den Einfluß der Nachahmung, Erziehung, des gleichen Milieu usw. nicht vergessen dürfen, so ist es kein Wunder, wenn wir über den Umfang der direkten Vererbung noch recht wenig wissen. Erfahrung und Logik sprechen aber für das Bestehen einer solchen, so sicher es auch ist, daß zur Erwerbung bestimmter psychischer (oder auch physischer) Eigenschaften schon gewisse Prädispositionen nötig sind....

Das extensive Wachstum psychischer Werte ist von teleologischer Bedeutung. Denn der größere Umfang von Vorstellungen usw. ermöglicht ein richtigeres, den mannigfachen Verhältnissen und Modifikationen des Daseins besser angepaßtes Verhalten des Subjekts. „Wissen ist Macht“. Die reicher ausgestattete Psyche verfügt über mehr Mittel zur Selbsterhaltung und Selbstförderung, sie ist dem Zwange von Raum und Zeit viel mehr entrückt, sie kann viel aktiver auftreten. Ohne einen gewissen Vorrat in Bereitschaft stehender Vorstellungen und Begriffe ist kein höheres Wollen, keine Überlegung, keine Planmäßigkeit des Handelns möglich. Teleologisch bedeutsam ist nun auch das intensive Wachstum der Seele. Infolge der Übung ihrer Funktionen und infolge der daraus resultierenden Dispositionen steigert sich die psychische Energie intensiv, sie vermag bei gleichem oder geringerem Kraftaufwande mehr und Besseres zu leisten, kurz, sie gewinnt an Zwecktüchtigkeit. Wir sehen denn auch in der individuellen wie in der kollektiven Evolution der Psyche die Leistungsfähigkeit dieser in vieler Beziehung durch die Vererbung der Übungsresultate sich steigern. Wir konstatieren vielfach eine Steigerung der Bewußtheit durch die Entwicklung, daneben freilich auch eine Herabsetzung der Bewußtheit gewisser Funktionen. Und auch dieses Zurücktreten der Bewußtheit ist zweckmäßig. Die „Abstumpfung“ durch Gewöhnung schützt vor der [Seite 61] Überzahl der die Psyche sonst leicht störenden, verwirrenden, zerrüttenden Reize, sie entlastet die Seele, erspart ihr Arbeit, ermöglicht eine um so stärkere Konzentration in bestimmter Richtung, sie wirkt also entschieden ökonomisch. Zugleich werden durch die „Mechanisierung“ des Bewußtseins die Handlungen sicherer, indem sie viel weniger dem Irrtume ausgesetzt sind. Daher die Treffsicherheit alles „Instinktiven“, die freilich nur für bestimmte, normale, typische Umstände gilt; soll das Seelenleben nicht erstarren, so muß eine Modifizierbarkeit auch der Instinkte möglich sein und tatsächlich besteht sie in großem Ausmaße. Die Verminderung der Bewußtheit ist keine absolute Verarmung des Seelenlebens, wofern sie eben die Anbildung neuer, höherer Bewußtseinsinhalte und die Steigerung der psychischen Energie mitbedingt und ermöglicht. In dem rechten Verhältnis zwischen Bewußtheitssteigerung und Bewußtheitsschwächung liegt das Maximum des für das erlebende Subjekt Zweckmäßigen; dem entspricht das rechte Verhältnis zwischen Trieb- und aktivem Willensleben.

Wundt spricht von einem „Wachstum geistiger Energie“[41] und wir müssen ebenfalls ein solches konstatieren. Zunächst sei bemerkt, daß damit dem Gesetz der Erhaltung physischer Energie kein Abbruch getan wird. Denn es kann bei gleich bleibender Menge physischer Energie die Mannigfaltigkeit psychischer Qualitäten und Werte wachsen. Man muß ferner beachten, daß innerhalb gewisser Grenzen und Normen auch die Energie des Zentralnervensystems — natürlich auf Kosten anderer physikalisch-chemischer Energie im und außerhalb des Organismus — wächst, und zwar durch Ernährung und Übung. An die extensive und intensive Leistungsfähigkeit des Zentralnervensystems ist nun die Steigerung psychischer Energie im intensiven Sinne geknüpft, wie dies besonders Jodl hervorgehoben hat („Wachstum organischer Energie“). Daß innerhalb eines Partialsystems der Vorrat verfügbarer Energie durch Aufnahme von außen und Akkumulation zunehmen kann, ist ja ohne weiteres begreiflich und mit dem Gesetz der Erhaltung der Energie durchaus vereinbar; ebenso auch eine zeitweilige Abnahme an Nervenenergie. Während also ein Teil der Steigerung psychischer Leistungsfähigkeit — die durch ihre Wirkungen, den zu verarbeitenden geistigen Stoff, einigermaßen, wenn auch nicht im physikalisch-exakten Sinne meßbar ist — der Bereitschaft des ersparten Kraftaufwands und der durch die Übung erzielten besseren Richtung und Koordination der Energie zu verdanken ist, haben wir den andern Teil dem Wachstum des Innenseins dessen, was objektiv zerebrale Energie ist, zuzuschreiben. Der qualitativen und intensiven Steigerung dieser [Seite 62] Energie und ihres Organs entspricht das Wachstum der Intensität und der Mannigfaltigkeit von seelischen Werten in deren immer vollkommeneren, bewußteren einheitlichen Zusammenfassung. Hier erscheint — wie u. a. Münsterberg betont — das Prinzip des psycho-physischen Parallelismus nirgends durchbrochen.

Das Wachstum geistiger Werte hängt, wie es wiederum Wundt vortrefflich dargetan hat, mit der „schöpferischen Synthese“ zusammen, die das Bewußtseinswirken charakterisiert; es ist ein Prinzip, welches besagt, „daß die psychischen Elemente durch ihre kausalen Wechselwirkungen und Folgewirkungen Verbindungen erzeugen, die zwar aus ihren Komponenten psychologisch erklärt werden können, gleichwohl aber neue qualitative Eigenschaften besitzen, die in den Elementen nicht enthalten waren, wobei namentlich auch an diese neuen Eigenschaften eigentümliche, in den Elementen nicht vorgebildete Wertbestimmungen geknüpft werden“ (Philos. Studien X, 112f.). Es besteht eine Art „psychische Chemie“, vermöge deren eine Gesamtvorstellung, ein Gesamtgefühl usw. mehr ist als die bloße Summe der Elemente, in welche sich diese psychischen Gebilde zerlegen lassen. Im Verlaufe der individuellen und generellen Entwicklung entstehen so immer neue psychische Qualitäten und Werte, die wohl in den vorangehenden ihren zureichenden Grund haben, aber nicht restlos aus deren Zusammen zu erklären sind. Das Äquivalenzprinzip, welches auf dem Gebiete des Psychischen überall gilt, hat hier überall da, wo es sich um rein Qualitatives handelt, keine Bedeutung. Was diesem Prinzip schöpferischer Energie in der Natur einigermaßen entspricht, das ist die immer neue Entstehung von Formen, insbesondere von organischen Gestaltungen, die auch nicht restlos auf die Summation von Elementen zurückzuführen sind. Die psychische Synthese ist aber nicht ein selbständiges Zusammentreten von Bewußtseinselementen, sondern ein Auftreten neuer Bewußtseinsmodifikationen auf Grundlage des Zusammenhanges anderer, also eine Art Reaktion des erlebenden Subjekts auf seine eigenen Erlebnisse, welche das Material zu neuen Gestaltungen und Gliederungen darbieten; das Subjekt bereichert sich so aus und in sich selbst, es entfaltet und steigert sich in und an seinen eigenen Zuständen, Aktionen und Gebilden[42].

Doch gibt es im seelischen Leben auch ein Analogon zur Erhaltung der Energie im Sinne des Äquivalenzprinzips, also so etwas wie eine Erhaltung psychischer Energie[43]. Nämlich als Parallele zu dem intrazerebralen Verhältnis der Energien, welches derart ist, daß mit der erhöhten Energie bestimmter Partien oder Funktionen die entsprechende Verminderung [Seite 63] der Energie anderer Partien oder Funktionen verbunden sein wird. Wir sehen in der Tat, wie eine Konzentration der Aufmerksamkeit für bestimmte Inhalte eine Schwächung der psychischen Energie für andere Inhalte bedingt, wie ferner die Steigerung gewisser Funktionen, wenn sie einseitig erfolgt, die Schwächung anderer zum Korrelat hat, kurz, wie das Zuströmen psychischer Energie nach einer bestimmten Richtung ein Abfließen solcher Energie von anderen Richtungen mit sich bringt. Die Begrenztheit der einem Subjekt zur Verfügung stehenden psychischen Leistungsfähigkeit hat diese Art von „Energie des Bewußtseins“ zur Folge. Daß damit ein Wachstum seelischer Werte durchaus vereinbar ist, liegt auf der Hand. Selbsterhaltung und Selbstentfaltung gehören beide zusammen zum Wesen der psychischen Organisation, welche eine Erhaltung in der Entwicklung aufweist. Und diese Entwicklung ist eine schöpferische („évolution créatrice“, wie Bergson sich ausdrückt), dabei aber gesetzmäßige, denn sie ist das Gesetz des Seelischen selbst, der Ausdruck des konstanten, unverlierbaren Wesens der Subjektivität. Die Seele „wächst“ so von innen heraus, durch eine Art Entfaltung; sie differenziert sich selbsttätig oder in Reaktion auf die Reize der Umwelt, niemals aber kommt etwas direkt von außen in sie hinein, da psychische Modifikationen nicht direkt übertragbar sind, nicht in der Luft schweben können, nur als Modi eines Subjekts Sinn und Existenz haben. Insofern hat Leibniz durchaus recht, wenn er sagt, die Seele (Monade) habe keine „Fenster“. Sie „spiegelt“ das Universum, konzentriert wie in einem Focus die von der Umwelt erlittenen Eindrücke, aber in der ihr gemäßen Weise, in Bewußtseinszuständen, welche zu den objektiven Momenten in Korrelation stehen, aber mit ihnen nicht identisch sind und ihnen auch nicht qualitativ gleichen.

Von einer Erhaltung des Psychischen ist auch insofern zu reden, als Psychisches weder neu entstehen noch in nichts vergehen kann. Wir müssen die Ewigkeit des Psychischen als Prinzip, als eines Wirklichkeitsfaktors im allgemeinen statuieren. Erstens, weil es das „Innensein“ der Dinge ist, also ein Konstituens des Seins als solchen, und wir den Gedanken einer Entstehung oder Vernichtung des Seins logisch nicht zu konzipieren und durchzuführen vermögen. Zweitens weil das Psychische aus dem Physischen nicht hervorgegangen sein kann, was aus methodologisch-erkenntniskritischen Gründen anzunehmen ist. Ebenso, wie die physische Energie sich im beständigen Wandel der verschiedenen Energieformen ineinander konstant erhält, so bleibt auch das Psychische als solches bestehen, wenn auch die Formen, in denen es jeweilig auftritt, beständig wechseln. [Seite 64] Diese Formen sind äußerst mannigfaltig, keine gleicht der andern völlig, schon durch die wenigstens um ein Differenzial abweichende Stellung jedes Subjekts zur Umwelt müssen die Erlebnisse etwas anders ausfallen, abgesehen von den Komplikationen usw. Doch lassen sich psychische Formen, welche wesentlich miteinander übereinstimmen, zu Typen vereinigen und diese wieder obersten Formen des psychischen Seins unterordnen. Die Art und der Grad des Bewußtseins und des Wollens ist für sie charakteristisch. Es findet eine Entwicklung von niederen, einfacheren, weniger reichen und klaren zu höheren, differenzierteren, klareren, umfassenderen Bewußtseinsformen statt, mit welchen partiell wieder ein Herabsteigen zu niederen, einfacheren Bewußtheitsgraden verbunden ist. Zugleich ist bei den niederen Bewußtseinsformen zwar ein dumpfes „Subjektgefühl“ als vorhanden anzunehmen, nicht aber schon die Existenz eines reflektierten Selbstbewußtseins, ein Bewußtsein des eigenen Ichs in scharfer Abhebung von dessen Erlebnissen und ihren Inhalten, sowie ein Bewußtsein des eigenen Bewußtseins als solchen, welches wir eben als Reflexion, als Wissen, als Selbstbewußtsein im höheren Sinne bezeichnen. Zwar hat es keinen Sinn, von absolut unbewußten psychischen Prozessen zu reden, denn psychisch und bewußt sind eins; wohl aber gibt es relativ unbewußte Vorgänge, d. h. solche, die nicht gesondert, sondern nur als ununterscheidbare Bestandteile eines übergeordneten, allgemeineren Bewußtseinszusammenhanges auftreten, die also „unterbewußt“ sind[44]. Von den bewußten Vorgängen sind aber keineswegs alle auch als solche gewußt, d. h. beachtet und als Bewußtseinsakte auf das Subjekt als dessen Manifestationen bezogen. Das als solches gewußte, das reflektierte Bewußtsein ist eine höhere Stufe des psychischen Lebens, ein Bewußtsein höherer Ordnung, ein potenziertes oder ein auf sich selber sich zurückbiegendes Bewußtsein, welches schon hohe Erinnerungs-, Apperzeptions- und Abstraktionsfähigkeit voraussetzt. Seine relativ höchste Stufe erreicht dieses Bewußtsein im begrifflichen Wissen und in den Urteilen der Psychologie, in der methodisch sicheren und klaren Beurteilung des seelischen Erlebens, in der Analyse und Synthese dessen, was sonst in der Regel nicht Gegenstand, nur Funktion des erlebenden Subjekts ist. Zu diesem Wissen gehört nicht bloß die Bewußtheit des eigenen Vorstellens und Denkens, sondern auch das Wissen um das eigene Wollen und Zwecksetzen, welches dadurch dem impulsiven Triebleben scharf gegenübertritt.

In innigster Verkettung und Durchdringung spielen sich in der entwickelten Seele gewußte und einfach bewußte, unterbewußte und relativ unbewußte Vorgänge ab, einander wechselseitig [Seite 65] beeinflussend. Bedeutsam ist hierbei die Rolle des minder Bewußten. Es macht einen wesentlichen Teil unserer Triebfedern und Motive aus, es ist mitbestimmend für die Richtung unseres Handelns, es gibt unserer Psyche die eigenartige, scheinbar grundlos wechselnde „Stimmung“, die sich über alles ergießt, was wir erleben. Die scheinbar geringfügigsten Eindrücke, die wir gar nicht bemerken, die aber nichtsdestoweniger in uns wirken, indem sie von unserer Umwelt ausgehen, kommen für die Richtung, die Lebhaftigkeit, die Geschwindigkeit, die Frische, den Gefühlston usw. unserer psychischen Reaktionen in Betracht; dazu gehören auch die organischen Empfindungen, die von unserem eigenen Leibe ausgehen und durch ihren Gefühlston das übrige Seelenleben beeinflussen[45], ferner die Empfindungen, die durch die Bewegung und Haltung unseres Körpers ausgelöst werden. Bedeutsam sind insbesondere auch die unterbewußten Nachwirkungen von Erlebnissen, welche kürzere oder längere Zeit in der Seele nachklingen, bis ein bestimmtes Erlebnis, welches zuerst die Seele in einer gewissen Spannung erhielt, sich ausgelebt hat; hierbei kommt es oft entweder zu einem Zusammenwirken zweier oder mehrerer Erlebnisse zu einer verstärkten Resultante, oder aber zu einer Interferenz und Opposition solcher Erlebnisse. Jedenfalls kann man mit Recht von psychischen Wellenzügen und Strömungen sprechen, von einem psychischen Anklingen und Abklingen u. dgl.[46]. Die ganze Vergangenheit der Psyche ist für das jedesmalige neue Erleben in verschiedenem Grade bedeutsam, für ihr Erkennen wie für ihr Fühlen und Wollen. Das, was die Seele reaktiv und aktiv erlebt, durchgemacht hat, das ist sie, das bildet einen wesentlichen Teil ihres Seins; wie sie ist, so wirkt sie, und wie sie wirkt, so ist sie. Das Zentrum, der relativ konstante Kern der Seele, das sind die Dispositionen, die in Form von Gewohnheiten, Fertigkeiten, Neigungen auftreten und die, aus früheren Erlebnissen hervorgegangen, die neuen Erlebnisse formal mitbedingen. Weil diese Dispositionen in der Regel nicht zu klarem Bewußtsein gelangen, weil das „Unterbewußte“ mit seinen Antrieben das ganze Seelenleben trägt und durchsetzt, aus einem stetig wachsenden Ressort aufsteigend, kennt sich das Subjekt nur wenig, wenn es bloß seine klar bewußten Erlebnisse in Betracht zieht. Nur ein Teil der psychischen Vorgänge ist aus klar bewußten Erlebnissen (und auch da nicht restlos) abzuleiten. Wo dies nicht gelingt, ist das Prinzip der Kausalität keineswegs durchbrochen, es gibt auch keine absolut „freisteigenden“ Vorstellungen, absolut unbewußte Assoziationen u. dgl., sondern es besteht ein minderbewußter, relativ unbewußter Untergrund und es gibt unterbewußte Vermittler [Seite 66] von Bewußtseinsprozessen und deren Verbindungen. Eine scharfe psychologische Analyse kann nachträglich solche Zwischenglieder ermitteln, und wir können wohl annehmen, daß sie auch dann vorhanden sind, wenn wir sie nicht zu unterscheiden vermögen.

Differenzierung und Integrierung charakterisieren wie alle Entwicklung so auch die psychische Evolution. Das gilt wie für die Psyche als Ganzes so auch für deren Einzelerlebnisse, phylo- wie ontogenetisch. Ein dumpfes, verworrenes, chaotisches Bewußtsein ist der Ausgangspunkt dieser Entwicklung, die ihren idealen Höhepunkt in der klarsten und umfassendsten Synthese („Integration“) einer reichsten Mannigfaltigkeit scharf unterschiedener („differenzierter“) Inhalte des Bewußtseins erreicht. Ein gutes Beispiel dafür ist das Hervorgehen der mannigfachen Sinne aus einem primitiven Hautsinn, der noch kaum lokalisiert ist. Durch Anpassung an die verschiedenen physikalisch-chemischen Reize verändert und verfeinert sich die psychophysische Organisation dahin, daß nun für jeden Typus des Reizes eine besondere Art des Empfindens besteht, die infolge der Arbeitsteilung auch schärfer ausgeprägt ist. Diese Mannigfaltigkeit von Empfindungsarten vermag das entwickelte Bewußtsein dadurch zu „integrieren“, daß es sie in immer klareren und deutlicheren Vorstellungen zusammenfaßt. Im gleichen Sinne entwickeln sich dann auch die gedanklichen Gebilde, Begriffe und Urteile, indem sie einerseits immer spezieller und bestimmter werden, anderseits immer zweckmäßiger zur Einheit des Denkens und Erkennens zusammengefaßt werden. Die Fähigkeit der Synthese entwickelt, steigert sich parallel damit und zwar in bestimmter „Gesetzlichkeit“, aus welcher die „apriorischen“ Erkenntniskonstanten, die „Formen“ der Erkenntnis entspringen; die Genesis dieser ist also keineswegs, wie man zuweilen geglaubt hat (Spencer u. a.) mit einem empirischen Charakter derselben identisch, was hier nur nebenbei bemerkt sei[47]. Ebenso differenziert und integriert sich das Gefühlsleben, immer speziellere und feinere Gefühlsnuancen verdrängen das anfangs noch arme, rohe Gefühlsleben, zugleich schwächt sich teilweise die ursprüngliche Heftigkeit der Affekte ab. Endlich tritt das ursprünglich äußerst einfache, arme Triebleben in eine Mannigfaltigkeit von Willenstendenzen auseinander, welche die verschiedensten Richtungen haben und doch immer mehr zur Einheit eines obersten „Grundwillens“ verbunden werden. Während also die niedrigste Bewußtseinsstufe ein höchst einfaches, durch einzelne Reize unstetig ausgelöstes, des inneren Zusammenhanges noch entbehrendes „Momentanbewußtsein“ sein muß, finden wir auf den höchsten Stufen der Entwicklung eine allseitige Differenzierung, eine außerordentliche Fülle von Qualitäten, verbunden [Seite 67] mit einer „zentralisierten Organisation“ des Seelischen; an Stelle bloßer Gefühls- und Strebungseinheit tritt die synthetische Einheit des wollenden und denkenden, sich in der Mannigfaltigkeit seiner Inhalte konstant zusammenschließenden Selbstbewußtseins.

Differenzierung und Integrierung sind auch für das Verhältnis des Einzelgeistes zum Gesamtbewußtsein charakteristisch[48]. Ein isolierter, absolut selbständiger Individualgeist ist nirgends zu finden, von Anfang an bildet das Einzelbewußtsein ein Glied eines Zusammenhanges, der durch die Wechselwirkung gleich gearteter Individuen entsteht und sogleich auf die letzteren zurückwirkt. Erst innerhalb des sozialpsychischen Verbandes erfolgt die immer weiter gehende Differenzierung der Individualseelen bzw. bestimmter Gruppen von solchen, eine Differenzierung, die so weit gehen kann, daß ein Gegensatz zum Gesamtgeist entsteht. Aber diese psychische Differenzierung, die durch die Verschiedenheit der Lebensweise, des Berufes, des Milieu, der Erlebnisse usw. erfolgt, ist von einer Integrierung begleitet, indem der gleiche Beruf usw. einen gemeinsamen Berufs- und Korpsgeist erzeugt. Auf die Abtrennung der Individualitäten vom Gesamtbewußtsein folgt eine neue Bindung durch das letztere, ein Gesamtbewußtsein höherer Stufe mit wachsender Bewußtheit des Zusammenhanges, mit Überwiegen des willentlichen Aneinanderschließens und Kooperierens vor dem zuerst rein triebmäßigen Zusammengehörigkeitsgefühl. Auf die, wie Tönnies sagt, vom „Wesenwillen“ beherrschte naturhafte „Gemeinschaft“ folgt die durch mehr äußere Interessen und durch „Willkür“ bedingte „Gesellschaft“, der aber, fügen wir hinzu, sich allmählich weitergreifend und verinnerlichend, eine von einem neuen Wesenwillen beherrschte, kulturelle Gemeinschaft im Denken, Fühlen, Wollen und Handeln sich überlagert. Zwischen Gesamt- und Einzelbewußtsein findet eine beständige Wechselwirkung statt. Einerseits wächst das Einzel-Ich in eine ihm als objektive Macht von Anfang an gegenüberstehende Gesamtheit hinein, durch deren Tendenzen es mehr oder weniger beeinflußt wird, abgesehen von dem Niederschlage kollektiv-psychischen Lebens, welches in Form von Dispositionen vom Individuum ererbt wird; der Gesamtgeist wirkt durch Erziehung, Zwang der Sitte, Nachahmung u. dgl. auf das Individualbewußtsein, in dem er schon partiell der Potenz nach enthalten ist, ein. Die aus dem „Gesamtgeist“ differenzierten „Individualseelen“ modifizieren ihrerseits den Gesamtgeist fortwährend, besonders die „führenden Geister“, welche einerseits der klarste und kräftigste Ausdruck von Tendenzen und Idealen des Gesamtgeistes, anderseits die relativ originellen Neugestalter des Gesamtgeistes sind. Endlich stehen die Gebilde [Seite 68] des Gesamtgeistes: Recht, Wirtschaft, Religion usw. in Wechselwirkung miteinander, und zugleich besteht eine Entwicklung innerhalb jedes dieser Gebilde[49]....

Die Entwicklung der Einzel- wie der Gesamtpsyche ist eine „gesetzliche“. Freilich kann hier nicht von Gesetzen im Sinne der Physik, sondern eben nur von Entwicklungsgesetzen, die hier den Charakter typischer Sukzessionen haben, denen die kausal-teleologische Wirksamkeit des Psychischen zugrunde liegt, die Rede sein. Differenzierung und Integrierung, Auseinandertreten des relativ homogenen Erlebens in eine Mannigfaltigkeit gesonderter Bewußtseinsvorgänge und darauf folgende Zusammenfassung zu einheitlichem Zusammenhange — das ist etwas, was die psychische mit der biologischen Entwicklung gemein hat. Ebenso finden wir das Prinzip der „Heterogonie der Zwecke“ schon in der biologischen Sphäre, wo es freilich schon mit psychischen Faktoren zusammenhängt. Charakteristisch für das Psychische ist vor allem die Entwicklung in Gegensätzen, welche vom Kontrastprinzip beherrscht wird und mit der Natur des Gefühls- und Willenlebens zusammenhängt. Dadurch nämlich, daß sich Gefühle und Strebungen zu höchster Stärke und Wirkung ausleben, findet eine Übersättigung und Abstumpfung der Psyche statt, die nun, des Alten überdrüssig, nach Neuem, nach Veränderung ihres Zustandes strebt. Da nun das Bewußtsein des Neuen vorzüglich durch die gegensätzlichen Strebungen, die infolge des Nachlassens der älteren an Kraft gewinnen, konstituiert wird, so ist der Umschlag der Tendenzen ins gerade Gegenteil, der Übergang von einem Extrem zum andern leicht verständlich[50]. Besonders zeigt sich eine solche Entwicklung im geschichtlichen Geistesleben, im Wechsel z. B. von Moden, von künstlerischen Richtungen, von politischen oder religiösen Strömungen. Die Gegensätze folgen einander nicht bloß in der Zeit, sondern auch in einer und derselben Periode ruft das eine Extrem leicht das andere, gegensätzliche hervor, so daß z. B. nüchternste Wirklichkeitsbetrachtung auf der einen Seite mit Mystik und Aberglauben auf der andern in derselben Zeit zusammengehen können. Indem zur Thesis sich sogleich die Antithesis gesellt, fehlt es freilich auch fast nie an einer „mittleren Linie“ der Geistesstimmung, an der Synthese von Extremen, bald in eklektischer Weise, bald aber auch in organischer, schöpferischer Form, die sich dann weiter entwickelt und, wenigstens als Tendenz, den Extremen Konkurrenz macht, wie dies besonders das Beispiel philosophischer Systeme oder Theorien lehrt. Da die Synthese nie absolut, nie vollendet ist, da in den synthetischen Versuchen immer wieder neue Einseitigkeiten vorkommen, kommt das Geistesleben nie zur Ruhe, [Seite 69] sondern mit einer gewissen Periodizität kommen die gleichartigen Tendenzen immer wieder, um freilich immer neue Modifikationen psychischer Gebilde zu erzeugen. Selbsterhaltung im Wechsel hier wie überall! Jene Tendenzen, welche zu ihrer Zeit durch andere verdrängt wurden, kommen wieder auf, wenn die Verhältnisse günstiger geworden, und dies wiederholt sich so lange, bis alle Potenzen der Psyche zur Entfaltung gekommen, bis alles in ihr Angelegte sich verwirklicht hat, bis alle Willensrichtungen und Ideen sich „ausgelebt“ haben. Beharrungs- und Veränderungstendenz wirken hierbei stets zusammen, indem bald mehr die eine, bald mehr die andere überwiegt.


[Seite 70] Anmerkungen.

Zu I.

1 Den Aktualitätsstandpunkt nehmen ein: Spinoza, Hume, Fichte, Schopenhauer, Fechner, Paulsen, Wundt, Joël, J. St. Mill, Spencer, Höffding, Jodl, Jerusalem, Mach, Fouillée, Bergson, Luquet u. a. Nach Wundt ist das geistige Leben „nicht eine Verbindung unveränderter Objekte und wechselnder Zustände, sondern in allen seinen Bestandteilen Ereignis, nicht ruhendes Sein, sondern Tätigkeit, nicht Stillstand, sondern Entwicklung“ (Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele 2[C], S. 495). Die innere Erfahrung ist „ein Zusammenhang von Vorgängen“ (Grundriß der Psychol.).

2 Vgl. meine Schrift „Leib und Seele“, Leipzig 1906.

3 Die reine Zeitlichkeit des psychischen Geschehens, die Stetigkeit desselben, das wir erst zu einer Summe von Elementen veräußerlichen, betont neuerdings H. Bergson.

4 Vgl. Lachelier, Psychologie und Metaphysik; Busse, Geist und Körper, u. a.

5 So Huxley, Ribot u. a.

6 Vgl. die Kritik der Epiphänomen-Theorie bei Fouillée, Der Evolutionismus der Kraft-Ideen, Leipzig 1907; Busse, Geist und Körper.

7 Vgl. Wundt, Grundriß der Psychol. 5, S. 3ff.

8 Vgl. L. W. Stern, Person und Sache I.

9 Eine parallelistische Identitätslehre vertreten in verschiedener Weise: Schopenhauer, Welt als Wille und Vorstellung 1, § 18ff.; Fechner, Zend-Avesta II, 164f.; I, 252f.; Über die Seelenfrage, S. 9ff., 110ff., 220f.; Paulsen, Einleit. in die Philosophie, S. 115; Ebbinghaus, Grundz. der Psychologie I, 42f.; Heymans, Einführung in die Metaphysik, S. 227ff.; Ziehen, Über die allgem. Beziehungen zwischen Gehirn und Seelenleben, 1902; Wundt, Grundriß der Psychol. 5, S. 2ff.; Grundzüge der physiolog. Psychologie, II 4, 648; B. Kern, Das Wesen des menschlichen Seelen- und Geisteslebens, 2; Höffding, Psychologie 2, C. 2; Riehl, Der philos. Kritizismus II 1, 63; Grot, Archiv f. systemat. Philos. IV; Spencer, Princ. of Psychol. I 3, p. 107ff., 627; Fouillée, Der Evolutionismus der Kraft-Ideen, S. 37 u. a.; Koenig, Zeitschr. f. Philosophie und philos. Kritik, Bd. 115; Paulsen, Zeitschr. f. Philosophie, Bd. 115; Heymans, Zeitschr. für Psychol. und Physiol. der Sinnesorgane, 18. Bd. 1898; Münsterberg, Grundzüge der Psychologie I, 435, 492; Riehl, Zur Einführung in die Philos. S. 156ff.; Jodl, Lehrb. d. Psychol. C. 2, § 24; Eisler, Leib und Seele, 1906; B. Erdmann, Wissensch. Hypothesen über Leib und Seele, 1908; Experimentelle Arbeiten zur Bestätigung des Energieprinzips im Organismus; Rubner, Die Quelle der tierischen Wärme, Zeitschrift für Biologie, Bd. 30, 1894; Atwater, Neue Versuche über Stoff-und Kraftwechsel im menschlichen Körper, Ergebnisse der Physiologie, Bd. III,[Seite 71] 1, 1904. Gegen den Parallel. vgl. Busse, Höfler, Wentscher, Erhardt, Bergson u. a.

10 Vgl. meine Schrift „Leib und Seele“, sowie meine Abhandlung „Die Theorie des Panpsychismus“, in: Zeitschr. f. d. Ausbau der Entwicklungswissenschaft I, H. 8.

11 Vgl. B. Kern, Das Wesen des menschlichen Seelen- und Geisteslebens, 1907.

12 Über den Begriff der Seele vgl. Fechner, Über die Seelenfrage, S. 9, 210ff.; Zend-Avesta I, S. XIX; II, 148; Wundt, Logik II 2, 2, S. 245ff.; Grundriß der Psychol. 5, S. 386; Grundzüge der physiol. Psychol. II 4, 633ff.; System d. Philos. 2, S. 372ff., 606; Jodl, Lehrbuch d. Psychol. S. 31; Paulsen, Einleitung in die Philos. 2, S. 136, Höffding, Psychol. 2, S. 16ff.; Ebbinghaus, Grundzüge der Psychologie I, 17f.; Fouillée, Der Evolutionismus der Kraft-Ideen; P. Carus, Soul of Man, S. 419, u. a. Die Seele als Subjekt-Einheit; Sigwart, Logik II 2, 207f.; A. Vannérus, Archiv f. systemat. Philos. I, 1895, S. 363ff. Die Seele als Substanz: L. Busse, Geist und Körper, S. 324ff. Vgl. W. James, Princ. of Psychol. I, 160ff., 342ff., u. a.

Zu II.

13 Nach Münsterberg ist das Psychische als der Gegenstand der Psychologie nichts Reales, sondern ein Abstraktionsprodukt, das Produkt einer Objektivierung, während die Geisteswissenschaften es mit dem konkreten, stellungnehmenden, zwecksetzenden Subjekt und dessen Akten zu tun haben, also „subjektivierend“ verfahren (Grundzüge der Psychol. I, 57f., 62, 202). „Die Einheit des geistigen Lebens ist gar nicht ein Zusammenhang psychologischer Objekte, sondern ein Zusammenhang von Tatsachen, aus denen psychologische Objekte abgeleitet werden können“ (a. a. O. S. 382; vgl. Psychology and Life 1899). Vgl. dagegen Höffding, Philos. Probleme, S. 13; G. Villa, Monist, 1902; Eisler, Zeitschrift für Philosophie und philos. Kritik, Bd. 122, S 80ff.; J. Cohn, Vierteljahrsschr. für wissensch. Philos. Bd. 26.

14 Vgl. auch R. Wahle, Über den Mechanismus des geistigen Lebens, 1906.

15 Die psychische Kausalität ist uns als innerer Zusammenhang unserer Erlebnisse unmittelbar, d. h. ohne daß es erst einer Deutung, Projektion, begrifflich-hypothetischen Ergänzung bedarf, gegeben (vgl. Wundt, Logik I 2, 625ff., System der Philos. 2, S. 291, 593f.). „So erleben wir beständig Verbindungen, Zusammenhänge in uns, während wir den Sinneserregungen Verbindung und Zusammenhang unterlegen müssen.“ „In dem Erlebnis wirken die Vorgänge des ganzen Gemüts zusammen. In ihm ist Zusammenhang gegeben, während die Sinne nur ein Mannigfaltiges von Einzelheiten darbieten. Der einzelne Vorgang ist von der ganzen Totalität des Seelenlebens im Erlebnis getragen, und der Zusammenhang, in welchem er in sich und mit dem Ganzen des Seelenlebens steht, gehört der unmittelbaren Erfahrung an.“ „Alles psychologische Denken behält diesen Grundzug, daß das Auffassen des Ganzen die Interpretation des Einzelnen ermöglicht und bestimmt.... Der erfahrene Zusammenhang des Seelenlebens muß die feste, erlebte und unmittelbar sichere Grundlage der Psychologie bleiben.“ (Dilthey.)

16 Vgl. meine „Einführung in die Erkenntnistheorie“, Leipzig, 1907.

17 Zu dieser Kausalität gehört auch das psychische Innensein der Faktoren, welche auf das erlebende Subjekt einwirken. Insofern hat Simmel mit seiner Bemerkung (Einleit. in die Moralwissenschaft II, 297) nicht unrecht. Vgl. Kreibig, Die Aufmerksamkeit, S. 51.

18 Von diesem primären Subjektmoment ist das entwickelte Selbstbewußtsein wohl zu unterscheiden, welches die Psychologie nicht wie[Seite 72] jenes hinnehmen kann, sondern genetisch erklären muß, soweit es mehr ist als einfache, nicht ableitbare Subjektivität.

Zu III.

19 Über den psychologischen Voluntarismus vgl. Schopenhauer, Welt als Wille und Vorstellung; J. H. Fichte, Psychol. I; Fortlage, System der Psychol. I; Ed. v. Hartmann, Philosophie des Unbewußten, Moderne Psychologie; Bilharz, Metaphys.; Paulsen, Einleit. in die Philos.; Wundt, Logik II 2 2; Grundriß der Psychol. 5; System der Philos. 2; Höffding, Psychol. 2; Tönnies, Gemeinsch. u. Gesellsch.; Rümelin, Reden und Aufsätze I; Losskij, Zeitschr. f. Psychol. d. Sinnesorgane, Bd. 30, 1902; Hughes, Mimik d. Menschen; Goldscheid, Ethik des Gesamtwillens I; J. Ward, Encycl. Brit. XX; L. F. Ward, Pure Sociology; Fouillée, Psychol. des idées-forces I und II; Der Evolutionismus der Kraft-Ideen, S. 10 u. 11; Münsterberg, Grundzüge der Psychologie I; Sigwart, Logik II 2; W. James, Princ. of Psychology; G. Villa, Einleit. in d. Psychologie; W. Jerusalem, Lehrbuch der Psychologie 3; Schellwien, Wille u. Erkenntnis; Nietzsche, Werke, u. a. Auch Dilthey ist hier anzuführen, ferner Joël, Bergson u. a. Vgl. Eisler, Krit. Einführung in die Philosophie, Berlin 1905; Wörterbuch der philos. Begriffe, 3. Aufl., Bd. III; Grundl. d. Philos. d. Geistesleb., 1908.

20 Vgl. L'évolutionisme des idées-forces, deutsch (Der Evolutionismus der Kraft-Ideen). Philosoph.-soziologische Bücherei III. Leipzig 1908, Dr. Werner Klinkhardt.

21 Über Reflexe vgl. Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie, II 4, 582ff.; Grundriß der Psychologie 5, S. 230f.; Th. Ziegler, Das Gefühl 2, S. 215f., 308; Fouillée, Evolutionismus der Kraft-Ideen, S. 40, 325ff., u. a.

22 Über „Mechanisierung“ des Bewußtseins vgl. Wundt, Grundriß der Psychologie 5, S. 229ff.; System der Philosophie 2, S. 571ff.; Höffding, Psychol. 2, S. 67; Jodl, Lehrbuch der Psychol. S. 427f., 432; Fouillée, Der Evolutionismus der Kraft-Ideen, S. 10, u. a.

23 Vgl. Höffding, Natorp, Goldscheid.

24 Vgl. Joël, Der freie Wille, 1909.

25 Gegen Bain, Spencer, Ribot, Sergi u. a.

26 Über funktionelle Bedürfnisse vgl. Döring (Philos. Güterlehre, 1888), Jerusalem u. a.

27 Über Apperzeption und geistige Verarbeitung von Erlebnissen vgl. Wundt, Grundriß der Psychologie 5, S. 249ff.; Grundzüge der physiolog. Psychol. II 4, 266ff.; Külpe, Grundr. d. Psychol., S. 441; James, Princ. of Psychol.; Stout, Analyt. Psychol. II, 112; Jerusalem, Lehrb. d. Psychol. 3, S. 87; Lipps, Leitfaden d. Psychol., S. 63ff., B. Erdmann, Vierteljahrsschrift für wissensch. Philosophie X, 307ff., 340ff., 391ff.; Baldwin, Handbook of Psychol. I, 65; Ed. v. Hartmann, Moderne Psychologie, S. 172, 425, u. a. — Zwischen Apperzeptions- und Assoziationspsychologie soll nach Münsterberg die „Aktionstheorie“ vermitteln, welche fordert, „daß jeder Bewußtseinsinhalt Begleiterscheinung eines nicht nur sensorischen, sondern sensorisch-motorischen Vorganges ist, und somit von den vorhandenen Dispositionen zur Handlung ebensosehr abhängt wie von peripheren und assoziativen Zuführungen“ (Grundzüge der Psychologie I, 549). Vgl. dazu Fouillée, Der Evolutionismus der Kraft-Ideen.

28 Über das Denken als Willenshandlung vgl. Wundt, Grundriß der Psychologie 5, S. 301ff.; Külpe, Grundriß der Psychologie, S. 464 („antizipierende Apperzeption“); Tönnies, Gemeinsch. u. Gesellsch., S. 139f.,[Seite 73] Jerusalem, Lehrbuch der Psychol. 3, S. 103; Kreibig, Die Aufmerksamkeit, S. 3; ferner Nietzsche, Höffding, Paulsen, Fouillée, Sully, Jodl, Baldwin, James, Sigwart („Denkwille“) u. a.

29 Über die Rolle von Gefühl und Streben bei der Assoziation vgl. Horwicz, Psychol. Analysen I, 168f.; Windelband, Präludien, S. 190ff.; Höffding, Psychol. 2, S. 445ff.; Ed. v. Hartmann, Philosophie des Unbewußten I 10, 246f.; Wundt, Vorles. über d. Menschen- u. Tierseele 2, S. 338; System der Philos. 2, S. 583, Fouillée u. a.

30 Der Richtungsbegriff und seine Bedeutung für die Philosophie. Annalen der Naturphilosophie VI, 58ff.

Zu IV.

31 Den teleologischen Gesichtspunkt hat in programmatischer Weise W. Dilthey dargetan (Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie, Sitzungsber. der Kgl. Preuß. Akadem. der Wissenschaften zu Berlin, 1894; Studien zur Grundlegung der Geisteswissenschaften, Sitzungsbericht der Kgl. Akadem. der Wissenschaften 1905, XIV, S. 332ff.). Er ist (wie James u. a.) Gegner der „atomistischen“ Psychologie und will, daß von den inneren Zusammenhängen der Seele in beschreibend-analytischer, konstruktiver Hypothesen sich entschlagender Weise vorgegangen wird, damit die volle Wirklichkeit des Seelenlebens zur Vorstellung gelange. Die Psychologie ist „Beschreibung und Analysis eines Zusammenhangs, welcher ursprünglich und immer als das Leben selbst gegeben ist“. Sie hat „die Regelmäßigkeiten im Zusammenhange des entwickelten Seelenlebens zum Gegenstand“. Sie muß „vom entwickelten Seelenleben ausgehen, nicht aus elementaren Vorgängen dasselbe ableiten“. Nur durch Abstraktion heben wir eine Funktion, eine Verbindungsweise aus einem konkreten Zusammenhang heraus. „Der einzelne Vorgang ist von der ganzen Totalität des Seelenlebens im Erlebnis getragen“. Der erworbene Zusammenhang ist wirksam in jedem psychischen Vorgang. — Der psychische Strukturzusammenhang hat einen „teleologischen Charakter“. „Wo in Lust und Leid die seelische Einheit das ihr Wertvolle erfährt, reagiert sie in Aufmerksamkeit, Auswahl der Eindrücke und Verarbeitung derselben, in Streben, Willenshandlung, Wahl unter ihren Zielen, Aufsuchen der Mittel für ihre Zwecke“ (Das Wesen der Philosophie, in: Die Kultur der Gegenwart I, 6, S. 32ff.). Diese seelische Teleologie hat Dilthey geistesphilosophisch zum Teil ausgeführt. — Zur Teleologie des Seelischen vgl. Spencer, Romanes, James, Baldwin, Dewey, Höffding, Ribot, Fouillée, Bergson, Luquet, Ebbinghaus, Wundt, Jodl, Mach, Jerusalem, Simmel, Groos, L. W. Stern, ferner A. Pauly, Francé, Kohnstamm u. a. Vgl. Kohnstamm, Intelligenz und Anpassung, Annalen der Naturphilosophie 1903; Grundlinien einer biologischen Psychologie, Versamml. deutscher Naturforscher und Ärzte, 1903; Die biologische Sonderstellung der Ausdrucksbewegungen, Journal für Psychologie und Neurologie, 7. Bd. (Unterscheidung von „Teleoklise“, d. h. Zwecktätigkeit und „Expressivität“, Ausdruckstätigkeit als der beiden spezifischen Formen des Lebens). Dazu sei bemerkt, daß auch die Ausdrucksbewegungen auf Zielstrebigkeiten beruhen, indem sie phylogenetisch aus Willens-(Trieb-)Vorgängen (bzw. deren physiologischen Korrelaten) hervorgegangen sind.

32 Die organische Auffassung der Seele wird konsequent von Ebbinghaus durchgeführt. Nach ihm ist die Seele „derselben Art wie das Nervensystem und damit wie der ganze Körper, nämlich ein seine eigene Erhaltung erstrebendes System innerlich erlebter Bildungen und Funktionen.... Diese Selbsterhaltung aber verwirklicht sie in zweifacher Weise. Einmal durch Kampf mit dem, was[Seite 74] uns in äußerer Erscheinung als Außenwelt gegeben ist.... Und zweitens durch Betätigung ihrer bestimmten Eigenart, durch das Ausleben und Sichauswirken der ihr nun einmal verliehenen Kräfte und Anlagen“ (Psychologie, in: Die Kultur der Gegenwart I, 6, S. 195). Den biologischen Standpunkt in der Psychologie vertreten ferner James, Baldwin, Spencer, Romanes, Ribot, G. H. Schneider, Jodl, Jerusalem, Kreibig, Groos, Mach u. a.

33 Wie dies besonders Dilthey, James und neuerdings in geistvoller Weise H. Bergson (Matière et Mémoire; L'évolution créatrice) betont haben.

34 Über den „voluntaristischen Kritizismus“ vgl. meine „Einführung in die Erkenntnistheorie“ 1907.

35 Vgl. Döring, Jerusalem u. a.

36 Vgl. Groos, Spiele der Tiere, und Spiele der Menschen.

37 Vgl. Münsterberg, Philos. der Werte, Leipzig 1908.

38 Goldscheid, Entwicklungswerttheorie, Leipzig 1908, ferner Schriften von Höffding, R. Richter u. a.

39 Teleologische Bedeutung haben die Gefühle nach Spencer, Bain, Ribot, Ebbinghaus, Jerusalem, Jodl, Z. Oppenheimer u. a. — Zum Willen bringen die Gefühle als Symptome (Reaktionen) oder Momente desselben Schopenhauer, Ed. v. Hartmann, Nietzsche, Hamerling, Paulsen, Windelband, Wundt u. a. Nach Wundt sind Gefühle teils Anfangs-, teils Begleitzustände des Wollens.

Zu V.

40 Über psychische Vererbung vgl. Darwin, Ausdr. d. Gemütsbewegungen; Lloyd Morgan, Animal Life and Intelligence, 1890; Galton, Hereditary Genius, 1869; Ribot, L'hérédité, 2. éd. 1882; Wundt, Grundriß der Psychol. 5, S. 342; Sully, Handbuch der Psychologie, S. 55f.; Spencer, Psychologie; Romanes, Die geistige Entwicklung; Lewes, Probl. of Life; L. Wilser, Die Vererbung geistiger Eigenschaften; Baldwin, Handbook of Psychol. 1890f.; Die Entwicklung des Geistes beim Kinde und in der Rasse, 1895; Semon, Mneme 2, 1908, u. a.

41 Grundriß der Psychologie 5, S. 396; System der Philosophie 2, S. 304, 307.

42 Vgl. L. W. Stern, Person und Sache I.

43 Ein Gesetz der Erhaltung psychischer Energie stellt Fouillée auf: „Das Lebewesen ist bemüht, gegenüber den äußeren Hindernissen eine ziemlich konstante Energiemenge zu bewahren; es ersetzt seine Verluste durch seine Erwerbungen und strebt unaufhörlich nach dem Gleichgewicht. Auf seelischem Gebiete zeigt sich diese Tendenz zum Gleichgewicht, zur Selbsterhaltung und zur Erhaltung der durchschnittlichen Energiemenge ebenfalls. Es besteht für das geistige Wachstum wie für die Gehirnzunahme eine Grenze; eine zu stark entfaltete Fähigkeit zieht die Schwächung anderer nach sich“ (Evolutionism. d. Kraft-Ideen, S. 208f.). Es besteht ferner eine quantitative Korrelation, eine Wechselfolge und ein Rhythmus zwischen den verschiedenen Arten der psychischen Energie (ibid.). Vgl. Münsterberg, Grundzüge der Psychol. I; Jodl, Lehrbuch d. Psychologie, S. 88, Grot u. a.

44 Gegner eines absolut Unbewußten sind auch Fechner, Paulsen, Rehmke, Brentano, Sigwart, Höffding, Ziehen, Wundt, Jodl, Fouillée u. a.

45 Das betont u. a. Jodl.

46 Vgl. B. Erdmann, Wiss. Hyp. über Leib und Seele, S. 88ff., Offner, D. Gedächtnis, Berlin 1909, S. 23ff. Daß infolge des organischen Charakters der Psyche eine gewisse Periodizität in ihr besteht, daß Zeiten der Hochspannung[Seite 75] und Produktivität mit solchen der Depression und Erschöpfung in gewisser Gesetzmäßigkeit abwechseln, erscheint plausibel, mag es auch um die nähere Bestimmung dieser Perioden, wie sie H. Swoboda versucht, noch mißlich bestellt sein. Vgl. Swoboda, Die Perioden des menschlichen Organismus in ihrer psychologischen und biologischen Bedeutung, 1904; Studien zur Grundlegung der Psychologie, 1905. Vgl. Fließ, Der Ablauf des Lebens.

47 Vgl. meine „Einführung in die Erkenntnistheorie“, Leipzig 1907.

48 Über das Gesamtbewußtsein und sein Verhältnis zum Einzelbewußtsein vgl. Lazarus, Das Leben der Seele I 2, 333ff.; Wundt, Ethik 2, S. 449, 453, 458ff.; Völkerpsychologie I 1, S. 9ff.; Schäffle, Bau und Leben des sozialen Körpers 2; Baldwin, Das soziale und sittliche Leben; Tarde, Les lois de l'imitation; Le Bon, Psychologie der Massen, deutsch, Leipzig 1907, Klinkhardt.

49 Vgl. meine „Grundlagen der Philos. des Geisteslebens“, 1908.

50 Über die Entwicklung in Gegensätzen vgl. Wundt, Grundriß der Psychologie 5, S. 401f.; Logik II 2, S. 282ff.

[Seite 76] Alfred Kröner Verlag in Leipzig.


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Zu beziehen durch alle Buchhandlungen.

Fußnoten.

A Unter Zugrundelegung der gleichnamigen Abhandlung in der „Zeitschrift für den Ausbau der Entwicklungslehre“, II. Jahrgang. 1908.

B Vgl. Eisler, Krit. Einführ. in die Philos., Berlin 1905; Leib und Seele, Leipzig 1908; Grundlagen der Philos. des Geisteslebens, Leipzig 1908; Wörterbuch der philos. Begriffe, Berlin, 3. Aufl., 1909, sowie die in Vorbereitung befindliche im gleichen Verlage (im Herbste) erscheinende „Geschichte des Monismus“.

C Diese Ziffern bedeuten die Auflage des angeführten Werkes.


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Der Buchtitel "Gemeinverständliche Vorträge und Abhandlungen aus dem Gebiete der Entwickelungslehre" von Ernst Haeckel wird trotz des offensichtlichen Druckfehlers in Entwicklungslehre in der Originalform beibehalten, da dieses Buch auch innerhalb Büchereien teilweise unter diesem Titel geführt wird. (Seite 76, Anzeigen)

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