The Project Gutenberg eBook of Römische Geschichte — Buch 4

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Title: Römische Geschichte — Buch 4

Author: Theodor Mommsen

Release date: February 1, 2002 [eBook #3063]
Most recently updated: February 3, 2020

Language: German

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE — BUCH 4 ***

Römische Geschichte

Viertes Buch
Die Revolution

von Theodor Mommsen


The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some (ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek words, nor is there any differentiation between the different accents of ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.

Contents

Viertes Buch—Die Revolution
KAPITEL I. Die untertänigen Landschaften bis zu der Gracchenzeit
KAPITEL II. Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus
KAPITEL III. Die Revolution und Gaius Gracchus
KAPITEL IV. Die Restaurationsherrschaft
KAPITEL V. Die Völker des Nordens
KAPITEL VI. Revolutionsversuch des Marius und Reformversuch des Drusus
KAPITEL VII. Die Empörung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution
KAPITEL VIII. Der Osten und König Mithradates
KAPITEL IX. Cinna und Sulla
KAPITEL X. Die Sullanische Verfassung
KAPITEL XI. Das Gemeinwesen und seine Ökonomie
KAPITEL XII. Nationalität, Religion, Erziehung
KAPITEL XIII. Literatur und Kunst

Viertes Buch
Die Revolution

“Aber sie treiben’s toll;
Ich fürcht’, es breche”.
Nicht jeden Wochenschluß
Macht Gott die Zeche.

Goethe

KAPITEL I.
Die untertänigen Landschaften bis zu der Gracchenzeit

Mit der Vernichtung des Makedonischen Reichs ward die Oberherrlichkeit Roms eine Tatsache, die von den Säulen des Hercules bis zu den Mündungen des Nil und des Orontes nicht bloß feststand, sondern gleichsam als das letzte Wort des Verhängnisses auf den Völkern lastete mit dem ganzen Druck der Unabwendbarkeit und ihnen nur die Wahl zu lassen schien, sich in hoffnungslosem Widerstreben oder in hoffnungslosem Dulden zu verzehren. Wenn nicht die Geschichte von dem ernsten Leser es als ihr Recht fordern dürfte, sie durch gute und böse Tage, durch Frühlings- und Winterlandschaft zu begleiten, so möchte der Geschichtschreiber versucht sein, sich der trostlosen Aufgabe zu entziehen, diesem Kampf der Übermacht mit der Ohnmacht sowohl in den schon zum Römischen Reich gezogenen spanischen Landschaften wie in den noch nach Klientelrecht beherrschten afrikanischen, hellenischen, asiatischen Gebieten in seinen mannigfaltigen und doch eintönigen Wendungen zu folgen. Aber wie unbedeutend und untergeordnet auch die einzelnen Kämpfe erscheinen mögen, eine tiefe geschichtliche Bedeutung kommt ihnen in ihrer Gesamtheit dennoch zu; und vor allem die italischen Verhältnisse dieser Zeit werden erst verständlich durch die Einsicht in den Rückschlag, der von den Provinzen aus auf die Heimat traf.

Außer in den naturgemäß als Nebenländer Italiens anzusehenden Gebieten, wo übrigens auch die Eingeborenen noch keineswegs vollständig unterworfen waren und, nicht eben zur Ehre Roms, Ligurer, Sarder und Korsen fortwährend Gelegenheit zu “Dorftriumphen” lieferten, bestand eine förmliche Herrschaft Roms zu Anfang dieser Periode nur in den beiden spanischen Provinzen, die den größeren östlichen und südlichen Teil der Pyrenäischen Halbinsel umfaßten. Es ist schon früher versucht worden, die Zustände der Halbinsel zu schildern: Iberer und Kelten, Phöniker, Hellenen, Römer mischten sich hier bunt durcheinander; gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend bestanden daselbst die verschiedensten Arten und Stufen der Zivilisation, die altiberische Kultur neben vollständiger Barbarei, die Bildungsverhältnisse phönikischer und griechischer Kaufstädte neben der aufkeimenden Latinisierung, die namentlich durch die in den Silberbergwerken zahlreich beschäftigten Italiker und durch die starke stehende Besatzung gefördert ward. In dieser Hinsicht erwähnenswert sind die römische Ortschaft Italica (bei Sevilla) und die latinische Kolonie Carteia (an der Bai von Gibraltar), die letztere die erste überseeische Stadtgemeinde latinischer Zunge und italischer Verfassung. Italica wurde von dem älteren Scipio, noch ehe er Spanien verließ (548 206), für seine zum Verbleiben auf der Halbinsel geneigten Veteranen gegründet, wahrscheinlich indes nicht als Bürgergemeinde, sondern nur als Marktort ^1; Carteias Gründung fällt in das Jahr 583 (171) und ward veranlaßt durch die Menge der von römischen Soldaten mit spanischen Sklavinnen erzeugten Lagerkinder, welche rechtlich als Sklaven, tatsächlich als freie Italiker aufwuchsen und nun von Staats wegen freigesprochen und in Verbindung mit den alten Einwohnern von Carteia als latinische Kolonie konstituiert wurden. Beinahe dreißig Jahre nach der Ordnung der Ebroprovinz durch Tiberius Sempronius Gracchus (575, 576 179, 178) genossen die spanischen Landschaften im ganzen ungestört die Segnungen des Friedens, obwohl ein paarmal von Kriegszügen gegen die Keltiberer und Lusitaner die Rede ist. Aber ernstere Ereignisse traten im Jahre 600 (154) ein. Unter Führung eines Häuptlings Punicus fielen die Lusitaner ein in das römische Gebiet, schlugen die beiden gegen sie vereinigten römischen Statthalter und töteten ihnen eine große Anzahl Leute. Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem oberen Duero) wurden hierdurch bestimmt, mit den Lusitanern gemeinschaftliche Sache zu machen; so verstärkt vermochten diese ihre Streifzüge bis an das Mittelländische Meer auszudehnen und sogar das Gebiet der Bastulophöniker unweit der römischen Hauptstadt Neukarthago (Cartagena) zu brandschatzen. Man nahm in Rom die Sache ernst genug, um die Absendung eines Konsuls nach Spanien zu beschließen, was seit 559 (195) nicht geschehen war, und ließ sogar zur Beschleunigung der Hilfsleistung die neuen Konsuln zwei und einen halben Monat vor der gesetzlichen Zeit ihr Amt antreten - es war dies die Ursache, weshalb der Amtsantritt der Konsuln vom 15. März sich auf den 1. Januar verschob und damit derjenige Jahresanfang sich feststellte, dessen wir noch heute uns bedienen. Allein ehe noch der Konsul Quintus Fulvius Nobilior mit seiner Armee eintraf, kam es zwischen dem Statthalter des Jenseitigen Spaniens, dem Prätor Lucius Mummius, und den jetzt nach Punicus’ Fall von seinem Nachfolger Kaesarus geführten Lusitanern am rechten Ufer des Tajo zu einem sehr ernsthaften Treffen (601 158). Das Glück war anfangs den Römern günstig; das lusitanische Heer ward zersprengt, das Lager genommen. Allein, teils bereits vom Marsch ermüdet, teils in der Unordnung des Nachsetzens sich auflösend, wurden sie von den schon besiegten Gegnern schließlich vollständig geschlagen und büßten zu dem feindlichen Lager das eigene sowie an Toten 9000 Mann ein. Weit und breit loderte jetzt die Kriegsflamme auf. Die Lusitaner am linken Ufer des Tajo warfen sich unter Anführung des Kaukaenus auf die den Römern untertänigen Keltiker (in Alentejo) und nahmen ihre Stadt Conistorgis weg. Den Keltiberern sandten die Lusitaner die dem Mummius abgenommenen Feldzeichen zugleich als Siegesbotschaft und als Mahnung zu; und auch hier fehlte es nicht an Gärungsstoff. Zwei kleine, den mächtigen Arevakern (um die Quellen des Duero und Tajo) benachbarte Völkerschaften Keltiberiens, die Beller und Titther, hatten beschlossen, in eine ihrer Städte, Segeda, sich zusammenzusiedeln. Während sie mit dem Mauerbau beschäftigt waren, ward ihnen dieser römischerseits untersagt, da die Sempronischen Ordnungen den unterworfenen Gemeinden jede eigenmächtige Städtegründung verböten, und zugleich die vertragsmäßig schuldige, aber seit längerer Zeit nicht verlangte Leistung an Geld und Mannschaft eingefordert. Beiden Befehlen weigerten die Spanier den Gehorsam, da es sich nur um Erweiterung, nicht um Gründung einer Stadt handle, die Leistungen aber nicht bloß suspendiert, sondern von den Römern erlassen seien. Darüber erschien Nobilior im Diesseitigen Spanien mit einem fast 30000 Mann starken Heer, unter dem auch numidische Reiter und zehn Elefanten sich befanden. Noch standen die Mauern der neuen Stadt nicht vollständig; die meisten Segedaner unterwarfen sich. Allein die entschlossensten flüchteten mit Weib und Kind zu den mächtigen Arevakern und forderten sie auf, mit ihnen gegen die Römer gemeinschaftliche Sache zu machen. Die Arevaker, ermutigt durch den Sieg der Lusitaner über Mummius, gingen darauf ein und wählten einen der flüchtigen Segedaner, Karus, zu ihrem Feldherrn. Am dritten Tag nach seiner Wahl war der tapfere Führer eine Leiche, aber das römische Heer geschlagen und bei 6000 römische Bürger getötet - der Tag des 23. August, das Fest der Volkanalien, blieb seitdem den Römern in schlimmer Erinnerung. Doch bewog der Fall ihres Feldherrn die Arevaker, sich in ihre festeste Stadt Numantia (Garray, eine Legua nördlich von Soria am Duero) zurückzuziehen, wohin Nobilior ihnen folgte. Unter den Mauern der Stadt kam es zu einem zweiten Treffen, in welchem die Römer anfänglich durch ihre Elefanten die Spanier in die Stadt zurückdrängten, aber dabei infolge der Verwundung eines der Tiere in Verwirrung gerieten und durch die abermals ausrückenden Feinde eine zweite Niederlage erlitten. Dieser und andere Unfälle, wie die Vernichtung eines zur Herbeirufung von Zuzugmannschaft ausgesandten römischen Reiterkorps, gestalteten die Angelegenheiten der Römer in der diesseitigen Provinz so ungünstig, daß die Festung Okilis, wo die Kasse und die Vorräte der Römer sich befanden, zum Feinde übertrat und die Arevaker daran denken konnten, freilich ohne Erfolg, den Römern den Frieden zu diktieren. Einigermaßen wurden indes diese Nachteile aufgewogen durch die Erfolge, die Mummius in der südlichen Provinz erfocht. So geschwächt auch durch die erlittene Niederlage sein Heer war, gelang es ihm dennoch, mit demselben den unvorsichtig sich zerstreuenden Lusitanern am rechten Tajoufer eine Niederlage beizubringen und, übergehend auf das linke, wo die Lusitaner das ganze römische Gebiet überrannt, ja bis nach Afrika gestreift hatten, die südliche Provinz von den Feinden zu säubern. In die nördliche sandte das folgende Jahr (602 152) der Senat außer beträchtlichen Verstärkungen einen andern Oberfeldherrn an der Stelle des unfähigen Nobilior, den Konsul Marcus Claudius Marcellus, der schon als Prätor 586 (168) sich in Spanien ausgezeichnet und seitdem in zwei Konsulaten sein Feldherrntalent bewährt hatte. Seine geschickte Führung und mehr noch seine Milde änderte die Lage der Dinge schnell: Okilis ergab sich ihm sofort, und selbst die Arevaker, von Marcellus in der Hoffnung bestärkt, daß ihnen gegen eine mäßige Buße Friede gewährt werden würde, schlossen Waffenstillstand und schickten Gesandte nach Rom. Marcellus konnte sich nach der südlichen Provinz begeben, wo die Vettonen und Lusitaner sich dem Prätor Marcus Atilius zwar botmäßig erwiesen hatten, solange er in ihrem Gebiet stand, allein nach seiner Entfernung sofort wieder aufgestanden waren und die römischen Verbündeten heimsuchten. Die Ankunft des Konsuls stellte die Ordnung wieder her, und während er in Corduba überwinterte, ruhten auf der ganzen Halbinsel die Waffen. Inzwischen ward in Rom über den Frieden mit den Arevakern verhandelt. Es ist bezeichnend für die inneren Verhältnisse Spaniens, daß vornehmlich die Sendlinge der bei den Arevakern bestehenden römischen Partei die Verwerfung der Friedensvorschläge in Rom durchsetzten, indem sie vorstellten, daß, wenn man die römisch gesinnten Spanier nicht preisgeben wolle, nur die Wahl bleibe, entweder jährlich einen Konsul mit entsprechendem Heer nach der Halbinsel zu senden oder jetzt ein nachdrückliches Exempel zu statuieren. Infolgedessen wurden die Boten der Arevaker ohne entscheidende Antwort verabschiedet und die energische Fortsetzung des Krieges beschlossen. Marcellus sah sich demnach genötigt, im folgenden Frühjahr (603 151) den Krieg gegen die Arevaker wieder zu beginnen. Indes sei es nun, wie behauptet wird, daß er den Ruhm, den Krieg beendigt zu haben, seinem bald zu erwartenden Nachfolger nicht gönnte, sei es, was vielleicht wahrscheinlicher ist, daß er gleich Gracchus in der milden Behandlung der Spanier die erste Bedingung eines dauerhaften Friedens sah - nach einer geheimen Zusammenkunft des römischen Feldherrn mit den einflußreichsten Männern der Arevaker kam unter den Mauern von Numantia ein Traktat zustande, durch den die Arevaker den Römern sich auf Gnade und Ungnade ergaben, aber unter Verpflichtung zu Geldzahlung und Geiselstellung in ihre bisherigen vertragsmäßigen Rechte wiedereingesetzt wurden.

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^1 Italica wird durch Scipio das geworden sein, was in Italien forum et conciliabulum civium Romanorum hieß; ähnlich ist später Aquae Sextiae in Gallien entstanden. Die Entstehung überseeischer Bürgergemeinden beginnt erst später mit Karthago und Narbo; indes ist es merkwürdig, daß in gewissem Sinne doch auch dazu schon Scipio den Anfang machte.

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Als der neue Oberfeldherr, der Konsul Lucius Lucullus, bei dem Heere eintraf, fand er den Krieg, den zu führen er gekommen war, bereits durch förmlichen Friedensschluß beendigt, und seine Hoffnung, Ehre und vor allem Geld aus Spanien heimzubringen, schien vereitelt. Indes dafür gab es Rat. Auf eigene Hand griff Lucullus die westlichen Nachbarn der Arevaker, die Vaccäer, an, eine noch unabhängige keltiberische Nation, die mit den Römern im besten Einvernehmen lebte. Auf die Frage der Spanier, was sie denn gefehlt hätten, war die Antwort: der Überfall der Stadt Cauca (Coca, acht Leguas westlich von Segovia); und als die erschreckte Stadt mit schweren Geldopfern die Kapitulation erkauft zu haben meinte, rückten römische Truppen in sie ein und knechteten oder mordeten die Einwohnerschaft ohne jeglichen Vorwand. Nach dieser Heldentat, die etwa 20000 wehrlosen Menschen das Leben gekostet haben soll, ging der Marsch weiter. Weit und breit standen die Dörfer und Ortschaften leer oder schlossen, wie das feste Intercatia und die Hauptstadt der Vaccäer, Pallantia (Palencia), dem römischen Heere ihre Tore. Die Habsucht hatte in ihren eigenen Netzen sich gefangen; keine Gemeinde fand sich, die mit dem treubrüchigen Feldherrn eine Kapitulation hätte abschließen mögen, und die allgemeine Flucht der Bewohner machte nicht bloß die Beute karg, sondern auch das längere Verweilen in diesen unwirtlichen Gegenden fast unmöglich. Vor Intercatia gelang es einem angesehenen Kriegstribun, dem Scipio Aemilianus, leiblichem Sohn des Siegers von Pydna und Adoptivenkel des Siegers von Zama, durch sein Ehrenwort, da das des Feldherrn nichts mehr galt, die Bewohner zum Abschluß eines Vertrages zu bestimmen, infolgedessen das römische Heer gegen Lieferung von Vieh und Kleidungsstücken abzog. Aber die Belagerung von Pallantia mußte wegen Mangels an Lebensmitteln aufgehoben werden, und das römische Heer ward auf dem Rückmarsch von den Vaccäern bis zum Duero verfolgt. Lucullus begab sich darauf nach der südlichen Provinz, wo der Prätor Servius Sulpicius Galba in demselben Jahr von den Lusitanern sich hatte schlagen lassen; beide überwinterten nicht fern voneinander, Lucullus im turdetanischen Gebiet, Galba bei Conistorgis, und griffen im folgenden Jahr (604 150) gemeinschaftlich die Lusitaner an. Lucullus errang an der Gaditanischen Meerenge einige Vorteile über sie. Galba richtete mehr aus, indem er mit drei lusitanischen Stämmen am rechten Ufer des Tajo einen Vertrag abschloß und sie in bessere Wohnsitze überzusiedeln verhieß, worauf die Barbaren, die der gehofften Äcker wegen, 7000 an der Zahl, sich bei ihm einfanden, in drei Abteilungen geteilt, entwaffnet und teils als Sklaven weggeführt, teils niedergehauen wurden. Kaum ist je mit gleicher Treulosigkeit, Grausamkeit und Habgier Krieg geführt worden wie von diesen beiden Feldherren, die dennoch durch ihre verbrecherisch erworbenen Schätze der eine der Verurteilung, der andre sogar der Anklage entging. Den Galba versuchte der alte Cato noch in seinem fünfundachtzigsten Jahr, wenige Monate vor seinem Tode, vor der Bürgerschaft zur Verantwortung zu ziehen; aber die jammernden Kinder des Generals und sein heimgebrachtes Gold erwiesen dem römischen Volke seine Unschuld.

Nicht so sehr die ehrlosen Erfolge, die Lucullus und Galba in Spanien erreicht hatten, als der Ausbruch des Vierten Makedonischen und des Dritten Karthagischen Krieges im Jahre 605 (149) bewirkte, daß man die spanischen Angelegenheiten zunächst wieder den gewöhnlichen Statthaltern überließ. So verwüsteten denn die Lusitaner, durch Galbas Treulosigkeit mehr erbittert als gedemütigt, unaufhörlich das reiche turdetanische Gebiet. Gegen sie zog der römische Statthalter Gaius Vetilius (607/08 147/48) 2 und schlug sie nicht bloß, sondern drängte auch den ganzen Haufen auf einen Hügel zusammen, wo derselbe rettungslos verloren schien. Schon war die Kapitulation so gut wie abgeschlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie einst als Bube ein tapferer Verteidiger seiner Herde gegen die wilden Tiere und Räuber, so jetzt in ernsteren Kämpfen ein gefürchteter Guerillachef und einer der wenigen, die dem treulosen Überfall Galbas zufällig entronnen waren, seine Landsleute warnte, auf römisches Ehrenwort zu bauen und ihnen Rettung verhieß, wenn sie ihm folgen wollten. Sein Wort und sein Beispiel wirkten; das Heer übertrug ihm den Oberbefehl. Viriathus gab der Masse seiner Leute den Befehl, sich in einzelnen Trupps auf verschiedenen Wegen nach dem bestimmten Sammelplatz zu begeben; er selber bildete aus den bestberittenen und zuverlässigsten Leuten ein Korps von 1000 Pferden, womit er den Abzug der Seinigen deckte. Die Römer, denen es an leichter Kavallerie fehlte, wagten nicht, unter den Augen der feindlichen Reiter sich zur Verfolgung zu zerstreuen. Nachdem Viriathus zwei volle Tage hindurch mit seinem Haufen das ganze römische Heer aufgehalten hatte, verschwand auch er plötzlich in der Nacht und eilte dem allgemeinen Sammelplatz zu. Der römische Feldherr folgte ihm, fiel aber in einen geschickt gelegten Hinterhalt, in dem er die Hälfte seines Heeres verlor und selber gefangen und getötet ward; kaum rettete der Rest der Truppen sich an die Meerenge nach der Kolonie Carteia. Schleunigst wurden vom Ebro her 5000 Mann spanischer Landsturm zur Verstärkung der geschlagenen Römer gesandt; aber Viriathus vernichtete das Korps noch auf dem Marsch und gebot in dem ganzen karpetanischen Binnenland so unumschränkt, daß die Römer nicht einmal wagten, ihn dort aufzusuchen. Viriathus, jetzt als Herr und König der sämtlichen Lusitaner anerkannt, verstand es, das volle Gewicht seiner fürstlichen Stellung mit dem schlichten Wesen des Hirten zu vereinigen. Kein Abzeichen unterschied ihn von dem gemeinen Soldaten; von der reichgeschmückten Hochzeitstafel seines Schwiegervaters, des Fürsten Astolpa im römischen Spanien, stand er auf, ohne das goldene Geschirr und die kostbaren Speisen berührt zu haben, hob seine Braut auf das Roß und ritt mit ihr zurück in seine Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als denselben Teil, den er auch jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an der hohen Gestalt und an dem treffenden Witzwort erkannte der Soldat den Feldherrn, vor allem aber daran, daß er es in Mäßigkeit und in Mühsal jedem der Seinigen zuvortat, nie anders als in voller Rüstung schlief und in der Schlacht allen voran focht. Es schien, als sei in dieser gründlich prosaischen Zeit einer der Homerischen Helden wiedergekehrt; weit und breit erscholl in Spanien der Name des Viriathus, und die tapfere Nation meinte endlich in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der Fremdherrschaft zu brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge im nördlichen wie im südlichen Spanien bezeichneten die nächsten Jahre seiner Feldherrnschaft. Den Prätor Gaius Plautius (608/09 146) wußte er, nachdem er dessen Vorhut vernichtet hatte, hinüber auf das rechte Tajoufer zu locken und ihn dort so nachdrücklich zu schlagen, daß der römische Feldherr mitten im Sommer in die Winterquartiere ging - später ward dafür gegen ihn die Anklage wegen Entehrung der römischen Gemeinde vor dem Volk erhoben und er genötigt, die Heimat zu meiden. Desgleichen wurde das Heer des Statthalters - es scheint, der diesseitigen Provinz - Claudius Unimanus vernichtet, das des Gaius Negidius überwunden und weithin das platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen Bergen erhoben sich Siegeszeichen, die mit den Insignien der römischen Statthalter und mit den Waffen der Legionen geschmückt waren; bestürzt und beschämt vernahm man in Rom von den Siegen des Barbarenkönigs. Zwar übernahm jetzt ein zuverlässiger Offizier die Führung des Spanischen Krieges, der zweite Sohn des Siegers von Pydna, der Konsul Quintus Fabius Maximus Aemilianus (609 145). Allein die krieggewohnten, eben von Makedonien und Afrika heimgekehrten Veteranen aufs neue in den verhaßten Spanischen Krieg zu senden, wagte man schon nicht mehr; die beiden Legionen, die Maximus mitbrachte, waren neu geworben und nicht viel minder unzuverlässig als das alte, gänzlich demoralisierte spanische Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder für die Lusitaner günstig ausgefallen waren, hielt der einsichtige Feldherr den Rest des Jahres seine Truppen in dem Lager bei Urso (Osuna südöstlich von Sevilla) zusammen, ohne die angebotene Feldschlacht zu liefern, und nahm erst im folgenden (610 144), nachdem im kleinen Krieg seine Truppen kampffähig geworden waren, wieder das Feld, wo er dann die Überlegenheit zu behaupten vermochte und nach glücklichen Waffentaten nach Corduba ins Winterlager ging. Als aber an Maximus’ Stelle der feige und ungeschickte Prätor Quinctius den Befehl übernahm, erlitten die Römer wiederum eine Niederlage über die andere und schloß ihr Feldherr sich wieder mitten im Sommer in Corduba ein, während Viriathus’ Scharen die südliche Provinz überschwemmten (611 143). Sein Nachfolger, des Maximus Aemilianus Adoptivbruder Quintus Fabius Maximus Servilianus, mit zwei frischen Legionen und zehn Elefanten nach der Halbinsel gesendet, versuchte, in das lusitanische Gebiet einzudringen, allein nach einer Reihe nichts entscheidender Gefechte und einem mühsam abgeschlagenen Sturm auf das römische Lager sah er sich genötigt, auf das römische Gebiet zurückzuweichen. Viriathus folgte ihm in die Provinz; da aber seine Truppen nach dem Brauch spanischer Insurgentenheere plötzlich sich verliefen, mußte auch er nach Lusitanien zurückkehren (612 142). Im nächsten Jahre (613 141) ergriff Servilianus wieder die Offensive, durchzog die Gegenden am Baetis und Anas und besetzte sodann, in Lusitanien einrückend, eine Menge Ortschaften. Eine große Zahl der Insurgenten fiel in seine Hand; die Führer - es waren deren gegen 500 - wurden hingerichtet, den aus römischem Gebiet zum Feinde Übergegangenen die Hände abgehauen, die übrige Masse in die Sklaverei verkauft. Aber der Spanische Krieg bewährte auch hier seine tückische Unbeständigkeit. Das römische Heer ward nach all diesen Erfolgen bei der Belagerung von Erisane von Viriathus angegriffen, geworfen und auf einen Felsen gedrängt, wo es gänzlich in der Gewalt der Feinde war. Viriathus indes begnügte sich, wie einst der Samnitenfeldherr in den Caudinischen Pässen, mit Servilianus einen Frieden abzuschließen, worin die Gemeinde der Lusitaner als souverän und Viriathus als König derselben anerkannt ward. Die Macht der Römer war nicht mehr gestiegen als das nationale Ehrgefühl gesunken; man war in der Hauptstadt froh, des lästigen Krieges entledigt zu sein, und Senat und Volk gaben dem Vertrage die Ratifikation. Allein des Servilianus leiblicher Bruder und Amtsnachfolger Quintus Servilius Caepio war mit dieser Nachgiebigkeit wenig zufrieden und der Senat schwach genug, anfangs den Konsul zu heimlichen Machinationen gegen den Viriathus zu bevollmächtigen und bald ihm den offenen, unbeschönigten Bruch des gegebenen Treuworts wenigstens nachzusehen. So drang Caepio in Lusitanien ein und durchzog das Land bis zu dem Gebiet der Vettonen und Callaeker; Viriathus vermied den Kampf mit der Übermacht und entzog sich durch geschickte Bewegungen dem Gegner (614 140). Als aber im folgenden Jahre (615 139) nicht bloß Caepio den Angriff erneuerte, sondern auch das in der nördlichen Provinz inzwischen verfügbar gewordene Heer unter Marcus Popillius in Lusitanien erschien, bat Viriathus um Frieden unter jeder Bedingung. Er ward geheißen, alle aus dem römischen Gebiet zu ihm übergetretenen Leute, darunter seinen eigenen Schwiegervater, an die Römer auszuliefern; es geschah, und die Römer ließen dieselben hinrichten oder ihnen die Hände abhauen. Allein es war damit nicht genug; nicht auf einmal pflegten die Römer den Unterworfenen anzukündigen, was über sie verhängt war. Ein Befehl nach dem andern, und immer der folgende unerträglicher als die vorhergehenden, erging an die Lusitaner, und schließlich ward sogar die Auslieferung der Waffen von ihnen gefordert. Da gedachte Viriathus abermals des Schicksals seiner Landsleute, die Galba hatte entwaffnen lassen, und griff aufs neue zum Schwert, aber zu spät. Sein Schwanken hatte in seiner nächsten Umgebung die Keime des Verrats gesät; drei seiner Vertrauten, Audas, Ditalko und Minucius aus Urso, verzweifelnd an der Möglichkeit, jetzt noch zu siegen, erwirkten von dem König die Erlaubnis, noch einmal mit Caepio Friedensunterhandlungen anzuknüpfen, und benutzten sie, um gegen Zusicherung persönlicher Amnestie und weiterer Belohnungen das Leben des lusitanischen Helden den Fremden zu verkaufen. Zurückgekehrt in das Lager, versicherten sie den König des günstigsten Erfolgs ihrer Verhandlungen und erdolchten die Nacht darauf den Schlafenden in seinem Zelte. Die Lusitaner ehrten den herrlichen Mann durch eine Totenfeier ohnegleichen, bei der zweihundert Fechterpaare die Leichenspiele fochten; höher noch dadurch, daß sie den Kampf nicht aufgaben, sondern an die Stelle des gefallenen Helden den Tautamus zu ihrem Oberfeldherrn ernannten. Kühn genug war auch der Plan, den dieser entwarf, den Römern Sagunt zu entreißen; allein der neue Feldherr besaß weder seines Vorgängers weise Mäßigung noch dessen Kriegsgeschick. Die Expedition scheiterte völlig, und auf der Rückkehr ward das Heer bei dem Übergang über den Baetis angegriffen und genötigt, sich unbedingt zu ergeben. Also, weit mehr durch Verrat und Mord von Fremden wie von Eingeborenen als durch ehrlichen Krieg, ward Lusitanien bezwungen.

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2 Die Chronologie des Viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es steht fest, daß Viriathus’ Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datiert (App. Hisp. 61; Liv. 52; Oros. hist. 5, 4) und daß er 615 (130) umkam (Diod. Vat. p. 110 u. a. m.); die Dauer seines Regiments wird auf acht (App. Hisp. 63), zehn (Iust. 44, 2), elf (Diod. p. 597), fünfzehn (Liv. 54; Eutr. 4, 16; Oros. hist. 5, 4; Flor. epit. 1, 33) und zwanzig Jahre (Vell. 2, 90) berechnet. Der erste Ansatz hat deswegen einige Wahrscheinlichkeit, weil Viriathus’ Auftreten sowohl bei Diodor (p. 591; Vat. p. 107 108) wie auch bei Orosius (hist. 5, 4) an die Zerstörung von Korinth angeknüpft wird. Von den römischen Statthaltern, mit denen sich Viriathus schlug, gehören ohne Zweifel mehrere der nördlichen Provinz an, da Viriathus zwar vorwiegend, aber nicht ausschließlich in der südlichen tätig war (Liv. 52); man darf also nicht nach der Zahl dieser Namen die Zahl der Jahre seiner Feldherrnschaft berechnen.

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Während die südliche Provinz durch Viriathus und die Lusitaner heimgesucht ward, war nicht ohne deren Zutun in der nördlichen bei den keltiberischen Nationen ein zweiter, nicht minder ernster Krieg ausgebrochen. Viriathus’ glänzende Erfolge bewogen im Jahre 610 (144) die Arevaker, gleichfalls gegen die Römer sich zu erheben, und es war dies die Ursache, weshalb der zur Ablösung des Maximus Aemilianus nach Spanien gesandte Konsul Quintus Caecilius Metellus nicht nach der südlichen Provinz ging, sondern gegen die Keltiberer sich wandte. Auch gegen sie bewährte er, namentlich während der Belagerung der für unbezwinglich gehaltenen Stadt Contrebia, dieselbe Tüchtigkeit, die er bei der Überwindung des makedonischen Pseudophilipp bewiesen hatte; nach zweijähriger Verwaltung (611, 612 143, 142) war die nördliche Provinz zum Gehorsam zurückgebracht. Nur die beiden Städte Termantia und Numantia hatten noch den Römern die Tore nicht geöffnet; auch mit diesen aber war die Kapitulation fast schon abgeschlossen und der größte Teil der Bedingungen von den Spaniern erfüllt. Als es jedoch zur Ablieferung der Waffen kam, ergriff auch sie eben wie den Viriathus jener echt spanische Stolz auf den Besitz des wohlgeführten Schwertes, und es ward beschlossen, unter dem kühnen Megaravicus den Krieg fortzusetzen. Es schien eine Torheit; das konsularische Heer, dessen Befehl 613 (141) der Konsul Quintus Pompeius übernahm, war viermal so stark als die gesamte waffenfähige Bevölkerung von Numantia. Allein der völlig kriegsunkundige Feldherr erlitt unter den Mauern beider Städte so harte Niederlagen (613, 614 141, 140), daß er endlich es vorzog, den Frieden, den er nicht erzwingen konnte, durch Unterhandlungen zu erwirken. Mit Termantia muß ein definitives Abkommen getroffen sein; auch den Numantinern sandte der römische Feldherr ihre Gefangenen zurück und forderte die Gemeinde unter dem geheimen Versprechen günstiger Behandlung auf, sich ihm auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Numantiner, des Krieges müde, gingen darauf ein, und der Feldherr beschränkte in der Tat seine Forderungen auf das möglichst geringe Maß. Gefangene, Überläufer, Geiseln waren abgeliefert und die bedungene Geldsumme größtenteils gezahlt, als im Jahre 615 (139) der neue Feldherr Marcus Popillius Laenas im Lager eintraf. Sowie Pompeius die Last des Oberbefehls auf fremde Schultern gewälzt sah, ergriff er, um sich der in Rom seiner wartenden Verantwortung für den nach römischen Begriffen ehrlosen Frieden zu entziehen, den Ausweg, sein Wort nicht etwa bloß zu brechen, sondern zu verleugnen und, als die Numantiner kamen, um die letzte Zahlung zu machen, ihren und seinen Offizieren ins Gesicht den Abschluß des Vertrages einfach in Abrede zu stellen. Die Sache ging zur rechtlichen Entscheidung an den Senat nach Rom; während dort darüber verhandelt ward, ruhte vor Numantia der Krieg und beschäftigte sich Laenas mit einem Zug nach Lusitanien, wo er die Katastrophe des Viriathus beschleunigen half, und mit einem Streifzug gegen die den Numantinern benachbarten Lusonen. Als endlich vom Senat die Entscheidung kam, lautete sie auf Fortsetzung des Krieges - man beteiligte sich also von Staats wegen an dem Bubenstreich des Pompeius. Mit ungeschwächtem Mut und erhöhter Erbitterung nahmen die Numantiner den Kampf wieder auf; Laenas focht unglücklich gegen sie und nicht minder sein Nachfolger Gaius Hostilius Mancinus (617 137). Aber die Katastrophe führten weit weniger die Waffen der Numantiner herbei als die schlaffe und elende Kriegszucht der römischen Feldherrn und die Folge derselben, die von Jahr zu Jahr üppiger wuchernde Liederlichkeit, Zuchtlosigkeit und Feigheit der römischen Soldaten. Das bloße, überdies falsche Gerücht, daß die Kantabrer und Vaccäer zum Entsatz von Numantia heranrückten, bewog das römische Heer, ungeheißen in der Nacht das Lager zu räumen, um sich in den sechzehn Jahre zuvor von Nobilior angelegten Verschanzungen zu bergen. Die Numantiner, von dem Aufbruch in Kenntnis gesetzt, drängten der fliehenden Armee nach und umzingelten sie; es blieb nur die Wahl, mit dem Schwert in der Hand sich durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern gestellten Bedingungen Frieden zu schließen. Mehr als der Konsul, der persönlich ein Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt war, bewirkte Tiberius Gracchus, der als Quästor im Heere diente, durch sein von dem Vater, dem weisen Ordner der Ebroprovinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den Keltiberern, daß die Numantiner sich mit einem billigen, von allen Stabsoffizieren beschworenen Friedensvertrag genügen ließen. Allein der Senat rief nicht bloß den Feldherrn sofort zurück, sondern ließ auch nach langer Beratung bei der Bürgerschaft darauf antragen, den Vertrag zu behandeln wie einst den caudinischen, das heißt, ihm die Ratifikation zu verweigern und die Verantwortlichkeit dafür auf diejenigen abzuwälzen, die ihn geschlossen hatten. Von Rechts wegen hätten dies sämtliche Offiziere sein müssen, die den Vertrag beschworen hatten; allein Gracchus und die übrigen wurden durch ihre Verbindungen gerettet; Mancinus allein, der nicht den Kreisen der höchsten Aristokratie angehörte, ward bestimmt, für eigene und fremde Schuld zu büßen. Seiner Insignien entkleidet, ward der römische Konsular zu den feindlichen Vorposten geführt, und da die Numantiner ihn anzunehmen verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als nichtig anzuerkennen, stand der ehemalige Oberfeldherr, im Hemd und die Hände auf den Rücken gebunden, einen Tag lang vor den Toren von Numantia, Freunden und Feinden ein klägliches Schauspiel. Jedoch für Mancinus’ Nachfolger, seinen Kollegen im Konsulat, Marcus Aemilius Lepidus, schien die bittere Lehre völlig verloren. Während die Verhandlungen über den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff er unter nichtigen Vorwänden, eben wie sechzehn Jahre zuvor Lucullus, das freie Volk der Vaccäer an und begann in Gemeinschaft mit dem Feldherrn der jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618 136). Ein Senatsbeschluß befahl ihm, von dem Krieg abzustehen; nichtsdestoweniger setzte er, unter dem Vorwand, daß die Umstände inzwischen sich geändert hätten, die Belagerung fort. Dabei war er als Soldat gerade so schlecht wie als Bürger; nachdem er so lange vor der großen und festen Stadt gelegen hatte, bis ihm in dem rauhen feindlichen Land die Zufuhr ausgegangen war, mußte er mit Zurücklassung aller Verwundeten und Kranken den Rückzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner die Hälfte seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht zu früh abgebrochen hätten, das schon in voller Auflösung begriffene römische Heer wahrscheinlich ganz vernichtet haben würden. Dafür ward denn dem hochgeborenen General bei seiner Heimkehr eine Geldbuße auferlegt. Seine Nachfolger Lucius Furius Philus (618 136) und Quintus Calpurnius Piso (619 135) hatten wieder gegen die Numantiner Krieg zu führen, und da sie eben gar nichts taten, kamen sie glücklich ohne Niederlage heim. Selbst die römische Regierung fing endlich an einzusehen, daß man so nicht länger fortfahren könne; man entschloß sich, die Bezwingung der kleinen spanischen Landstadt außerordentlicherweise dem ersten Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus, zu übertragen. Die Geldmittel zur Kriegführung wurden ihm freilich dabei mit verkehrter Kargheit zugemessen und die verlangte Erlaubnis, Soldaten auszuheben, sogar geradezu verweigert, wobei Koterieintrigen und die Furcht, der souveränen Bürgerschaft lästig zu werden, zusammengewirkt haben mögen. Indes begleitete ihn freiwillig eine große Anzahl von Freunden und Klienten, unter ihnen sein Bruder Maximus Aemilianus, der vor einigen Jahren mit Auszeichnung gegen Viriathus kommandiert hatte. Gestützt auf diese zuverlässige Schar, die als Feldherrnwache konstituiert ward, begann Scipio das tief zerrüttete Heer zu reorganisieren (620 134). Vor allen Dingen mußte der Troß das Lager räumen - es fanden sich bis 2000 Dirnen und eine Unzahl Wahrsager und Pfaffen von allen Sorten -, und da der Soldat zum Fechten unbrauchbar war, mußte er wenigstens schanzen und marschieren. Den ersten Sommer vermied der Feldherr jeden Kampf mit den Numantinern; er begnügte sich, die Vorräte in der Umgegend zu vernichten und die Vaccäer, die den Numantinern Korn verkauften, zu züchtigen und zur Anerkennung der Oberhoheit Roms zu zwingen. Erst gegen den Winter zog Scipio sein Heer um Numantia zusammen; außer dem numidischen Kontingent von Reitern, Fußsoldaten und zwölf Elefanten unter Anführung des Prinzen Jugurtha und den zahlreichen spanischen Zuzügen waren es vier Legionen, überhaupt eine Heermasse von 60000 Mann, die eine Stadt mit einer waffenfähigen Bürgerschaft von höchstens 8000 Köpfen einschloß. Dennoch boten die Belagerten oftmals den Kampf an; allein Scipio, wohl erkennend, daß die vieljährige Zuchtlosigkeit nicht mit einem Schlag sich ausrotten lasse, verweigerte jedes Gefecht, und wo es dennoch bei den Ausfällen der Belagerten dazu kam, rechtfertigte die feige, kaum durch das persönliche Erscheinen des Feldherrn gehemmte Flucht der Legionäre diese Taktik nur zu sehr. Nie hat ein Feldherr seine Soldaten verächtlicher behandelt als Scipio die numantinische Armee; und nicht bloß mit bitteren Reden, sondern vor allem durch die Tat bewies er ihr, was er von ihr halte. Zum erstenmal führten die Römer, wo es nur auf sie ankam, das Schwert zu brauchen, den Kampf mit Hacke und Spaten. Rings um die ganze Stadtmauer von reichlich einer halben deutschen Meile im Umfang ward eine doppelt so ausgedehnte, mit Mauern, Türmen und Gräben versehene zwiefache Umwallungslinie aufgeführt und auch der Duerofluß, auf dem den Belagerten anfangs noch durch kühne Schiffer und Taucher einige Vorräte zugekommen waren, endlich abgesperrt. So mußte die Stadt, die zu stürmen man nicht wagte, wohl durch Hunger erdrückt werden, um so mehr, als es der Bürgerschaft nicht möglich gewesen war, sich während des letzten Sommers zu verproviantieren. Bald litten die Numantiner Mangel an allem. Einer ihrer kühnsten Männer, Retogenes, schlug sich mit wenigen Begleitern durch die feindlichen Linien durch, und seine rührende Bitte, die Stammesgenossen nicht hilflos untergehen zu lassen, war wenigstens in einer der Arevakerstädte, in Lutia, von großer Wirkung. Bevor aber die Bürger von Lutia sich entschieden hatten, erschien Scipio, benachrichtigt von den römisch Gesinnten in der Stadt, mit Übermacht vor ihren Mauern und zwang die Behörden, ihm die Führer der Bewegung, vierhundert der trefflichsten Jünglinge, auszuliefern, denen sämtlich auf Befehl des römischen Feldherrn die Hände abgehauen wurden. Die Numantiner, also der letzten Hoffnung beraubt, sandten an Scipio, um über die Unterwerfung zu verhandeln, und riefen den tapferen Mann an, der Tapferen zu schonen; allein als die rückkehrenden Boten meldeten, daß Scipio unbedingte Ergebung verlange, wurden sie von der wütenden Menge zerrissen, und eine neue Frist verfloß, bis Hunger und Seuchen ihr Werk vollendet hatten. Endlich kam in das römische Hauptquartier eine zweite Botschaft, daß die Stadt jetzt bereit sei, auf Gnade und Ungnade sich zu unterwerfen. Als demnach die Bürgerschaft angewiesen wurde, am folgenden Tag vor den Toren zu erscheinen, bat sie um einige Tage Frist, um denjenigen Bürgern, die den Untergang der Freiheit nicht zu überleben beschlossen hätten, Zeit zum Sterben zu gestatten. Sie ward ihnen gewährt, und nicht wenige benutzten sie. Endlich erschien der elende Rest vor den Toren. Scipio las fünfzig der Ansehnlichsten aus, um sie in seinem Triumphe aufzuführen; die übrigen wurden in die Sklaverei verkauft, die Stadt dem Boden gleichgemacht, ihr Gebiet unter die Nachbarstädte verteilt. Das geschah im Herbst 621 (133), fünfzehn Monate nachdem Scipio den Oberbefehl übernommen hatte.

Mit Numantias Fall war die hier und da noch sich regende Opposition gegen Rom in der Wurzel getroffen; militärische Spaziergänge und Geldbußen reichten aus, um die römische Oberherrschaft im ganzen diesseitigen Spanien zur Anerkennung zu bringen.

Auch im jenseitigen ward durch die Überwindung der Lusitaner die römische Herrschaft befestigt und ausgedehnt. Der Konsul Decimus Iunius Brutus, der an Caepios Stelle trat, siedelte die kriegsgefangenen Lusitaner an in der Nähe von Sagunt und gab ihrer neuen Stadt Valentia (Valencia) gleich Carteia latinische Verfassung (616 138); er durchzog ferner (616-618 138-136) in verschiedenen Richtungen die iberische Westküste und gelangte zuerst von den Römern an das Gestade des Atlantischen Meers. Die von ihren Bewohnern, Männern und Frauen, hartnäckig verteidigten Städte der dort wohnenden Lusitaner wurden durch ihn bezwungen, und die bis dahin unabhängigen Callaeker nach einer großen Schlacht, in der ihrer 50000 gefallen sein sollen, mit der römischen Provinz vereinigt. Nach Unterwerfung der Vaccäer, Lusitaner und Callaeker war jetzt mit Ausnahme der Nordküste die ganze Halbinsel wenigstens dem Namen nach den Römern untertan. Eine senatorische Kommission ging nach Spanien, um im Einvernehmen mit Scipio das neugewonnene Provinzialgebiet römisch zu ordnen, und Scipio tat, was er konnte, um die Folgen der ehr- und kopflosen Politik seiner Vorgänger zu beseitigen, wie denn zum Beispiel die Kaukaner, deren schmachvolle Mißhandlung durch Lucullus er neunzehn Jahre zuvor als Kriegstribun mit hatte ansehen müssen, von ihm eingeladen wurden, in ihre Stadt zurückzukehren und sie wiederaufzubauen. Es begann wiederum für Spanien eine leidlichere Zeit. Die Unterdrückung des Seeraubes, der auf den Balearen gefährliche Schlupfwinkel fand, durch Quintus Caecilius Metellus’ Besetzung dieser Inseln im Jahre 631 (123) war dem Aufblühen des spanischen Handels ungemein förderlich, und auch sonst waren die fruchtbaren und von einer dichten, in der Schleuderkunst unübertroffenen Bevölkerung bewohnten Inseln ein wertvoller Besitz. Wie zahlreich schon damals die lateinisch redende Bevölkerung auf der Halbinsel war, beweist die Ansiedelung von 3000 spanischen Latinern in den Städten Palma und Pollentia (Pollenza) auf den neugewonnenen Inseln. Trotz mancher schwerer Mißstände bewahrte die römische Verwaltung Spaniens im ganzen den Stempel, den die catonische Zeit und zunächst Tiberius Gracchus ihr aufgeprägt hatten. Das römische Grenzgebiet zwar hatte von den Überfällen der halb oder gar nicht bezwungenen Stämme des Nordens und Westens nicht wenig zu leiden. Bei den Lusitanern namentlich tat die ärmere Jugend regelmäßig sich in Räuberbanden zusammen und brandschatzte in hellen Haufen die Landsleute oder die Nachbarn, weshalb noch in viel späterer Zeit die einzeln gelegenen Bauernhöfe in dieser Gegend festungsartig angelegt und im Notfall verteidigungsfähig waren; und es gelang den Römern nicht, diesem Räuberwesen in den unwirtlichen und schwer zugänglichen lusitanischen Bergen ein Ende zu machen. Aber die bisherigen Kriege nahmen doch mehr und mehr den Charakter des Bandenunfugs an, den jeder leidlich tüchtige Statthalter mit den gewöhnlichen Mitteln niederzuhalten vermochte, und trotz dieser Heimsuchung der Grenzdistrikte war Spanien unter allen römischen Gebieten das blühendste und am besten organisierte Land; das Zehntensystem und die Mittelsmänner waren daselbst unbekannt, die Bevölkerung zahlreich und die Landschaft reich an Korn und Vieh.

In einem weit unleidlicheren Mittelzustand zwischen formeller Souveränität und tatsächlicher Untertänigkeit befanden sich die afrikanischen, griechischen und asiatischen Staaten, welche durch die Kriege der Römer gegen Karthago, Makedonien und Syrien und deren Konsequenzen in den Kreis der römischen Hegemonie gezogen worden waren. Der unabhängige Staat bezahlt den Preis seiner Selbständigkeit nicht zu teuer, indem er die Leiden des Krieges auf sich nimmt, wenn es sein muß; der Staat, der die Selbständigkeit eingebüßt hat, mag wenigstens einen Ersatz darin finden, daß der Schutzherr ihm Ruhe schafft vor seinen Nachbarn. Allein diese Klientelstaaten Roms hatten weder Selbständigkeit noch Frieden. In Afrika bestand zwischen Karthago und Numidien tatsächlich ein ewiger Grenzkrieg. In Ägypten hatte zwar der römische Schiedsspruch den Sukzessionsstreit der beiden Brüder Ptolemaeos Philometor und Ptolemaeos des Dicken geschlichtet; allein die neuen Herren von Ägypten und von Kyrene führten nichtsdestoweniger Krieg um den Besitz von Kypros. In Asien waren nicht bloß die meisten Königreiche, Bithynien, Kappadokien, Syrien, gleichfalls durch Erbfolgestreitigkeiten und dadurch hervorgerufene Interventionen der Nachbarstaaten innerlich zerrissen, sondern es wurden auch vielfache und schwere Kriege geführt zwischen den Attaliden und den Galatern, zwischen den Attaliden und den bithynischen Königen, ja zwischen Rhodos und Kreta. Ebenso glimmten im eigentlichen Hellas die dort landüblichen zwerghaften Fehden, und selbst das sonst so ruhige makedonische Land verzehrte sich in dem inneren Hader seiner neuen demokratischen Verfassungen. Es war die Schuld der Herrscher wie der Beherrschten, daß die letzte Lebenskraft und der letzte Wohlstand der Nationen in diesen ziellosen Fehden vergeudet ward. Die Klientelstaaten hätten einsehen müssen, daß der Staat, der nicht gegen jeden, überhaupt nicht Krieg führen kann und daß, da der Besitzstand und die Machtstellung all dieser Staaten tatsächlich unter römischer Garantie stand, ihnen bei jeder Differenz nur die Wahl blieb, entweder mit den Nachbarn in Güte sich zu vergleichen oder die Römer zum Schiedsspruch aufzufordern. Wenn die achäische Tagsatzung von Rhodiern und Kretern um Bundeshilfe gemahnt ward und ernstlich über deren Absendung beratschlagte (601 153), so war dies einfach eine politische Posse; der Satz, den der Führer der römisch gesinnten Partei damals aufstellte, daß es den Achäern nicht mehr freistehe, ohne Erlaubnis der Römer Krieg zu führen, drückte, freilich mit übelklingender Schärfe, die einfache Wahrheit aus, daß die Souveränität der Dependenzstaaten eben nur eine formelle war und jeder Versuch, dem Schatten Leben zu verleihen, notwendig dahin führen mußte, auch den Schatten zu vernichten. Aber ein Tadel, schwerer als der gegen die Beherrschten, ist gegen die herrschende Gemeinde zu richten. Es ist für den Menschen wie für den Staat keine leichte Aufgabe, in die eigene Bedeutungslosigkeit sich zu finden; des Machthabers Pflicht und Recht ist es, entweder die Herrschaft aufzugeben oder durch Entwicklung einer imponierenden materiellen Überlegenheit die Beherrschten zur Resignation zu nötigen. Der römische Senat tat keines von beidem. Von allen Seiten angerufen und bestürmt, griff der Senat beständig ein in den Gang der afrikanischen, hellenischen, asiatischen, ägyptischen Angelegenheiten, allein in einer so unsteten und schlaffen Weise, daß durch diese Schlichtungsversuche die Verwirrung gewöhnlich nur noch ärger ward. Es war die Zeit der Kommissionen. Beständig gingen Beauftragte des Senats nach Karthago und Alexandreia, an die achäische Tagsatzung und die Höfe der vorderasiatischen Herren; sie untersuchten, inhibierten, berichteten, und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht selten ohne Wissen und gegen den Willen des Senats verfahren. Es konnte geschehen, daß Kypros, welches der Senat dem Kyrenäischen Reich zugeschieden hatte, nichtsdestoweniger bei Ägypten blieb; daß ein syrischer Prinz den Thron seiner Vorfahren bestieg unter dem Vorgeben, ihn von den Römern zugesprochen erhalten zu haben, während in der Tat ihm derselbe vom Senate ausdrücklich abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von Rom entkommen war; ja daß die offenkundige Ermordung eines römischen Kommissars, der im Auftrag des Senats vormundschaftlich das Regiment von Syrien führte, gänzlich ungeahndet hinging. Die Asiaten wußten zwar sehr wohl, daß sie nicht imstande seien, den römischen Legionen zu widerstehen; aber sie wußten nicht minder, wie wenig der Senat geneigt war, den Bürgern Marschbefehl nach dem Euphrat oder dem Nil zu erteilen. So ging es in diesen entlegenen Landschaften zu wie in der Schulstube, wenn der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment brachte die Völker zugleich um die Segnungen der Freiheit und um die der Ordnung. Für die Römer selbst aber war diese Lage der Dinge insofern bedenklich, als sie die Nord- und Ostgrenze gewissermaßen preisgab. Ohne daß Rom unmittelbar und rasch es zu verhindern vermochte, konnten hier, gestützt auf die außerhalb des Bereiches der römischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Gegensatz gegen die schwachen römischen Klientelstaaten, Reiche sich bilden von einer für Rom gefährlichen und früher oder später mit ihm rivalisierenden Machtentwicklung. Allerdings schirmte hiergegen einigermaßen der überall zerspaltene und nirgends einer großartigen staatlichen Entwicklung günstige Zustand der angrenzenden Nationen; aber dennoch erkennt man namentlich in der Geschichte des Ostens sehr deutlich, daß in dieser Zeit die Phalanx des Seleukos nicht mehr und die Legionen des Augustus noch nicht am Euphrat standen.

Diesem Zustand der Halbheit ein Ende zu machen war hohe Zeit. Das einzig mögliche Ende aber war die Verwandlung der Klientelstaaten in römische Ämter, was um so eher geschehen konnte, als ja die römische Provinzialverfassung wesentlich nur die militärische Gewalt in der Hand des römischen Vogts zusammenfaßte und Verwaltung und Gerichte in der Hauptsache den Gemeinden blieben oder doch bleiben sollten, also, was von der alten politischen Selbständigkeit überhaupt noch lebensfähig war, sich in der Form der Gemeindefreiheit bewahren ließ. Zu verkennen war die Notwendigkeit dieser administrativen Reform nicht wohl; es fragte sich nur, ob der Senat dieselbe verzögern und verkümmern, oder ob er den Mut und die Macht haben werde, das Notwendige klar einzusehen und energisch durchzuführen.

Blicken wir zunächst auf Afrika. Die von den Römern in Libyen gegründete Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf dem Gleichgewicht des Nomadenreiches Massinissas und der Stadt Karthago. Während jenes unter Massinissas durchgreifendem und klugem Regiment sich erweiterte, befestigte und zivilisierte, ward auch Karthago durch die bloßen Folgen des Friedensstandes wenigstens an Reichtum und Volkszahl wieder, was es auf der Höhe seiner politischen Macht gewesen war. Die Römer sahen mit übelverhehlter, neidischer Furcht die, wie es schien, unverwüstliche Blüte der alten Nebenbuhlerin; hatten sie bisher den beständig fortgesetzten Übergriffen Massinissas gegenüber derselben jeden ernstlichen Schutz verweigert, so fingen sie jetzt an, offen zu Gunsten des Nachbarn zu intervenieren. Der seit mehr als dreißig Jahren zwischen der Stadt und dem König schwebende Streit über den Besitz der Landschaft Emporia an der Kleinen Syrte, einer der fruchtbarsten des karthagischen Gebiets, ward endlich (um 594 160) von römischen Kommissarien dahin entschieden, daß die Karthager die noch in ihrem Besitz verbliebenen emporitanischen Städte zu räumen und als Entschädigung für die widerrechtliche Nutzung des Gebiets 500 Talente (860000 Taler) an den König zu zahlen hätten. Die Folge war, daß Massinissa sofort sich eines anderen karthagischen Bezirks an der Westgrenze des karthagischen Gebiets, der Stadt Tusca und der großen Felder am Bagradas, bemächtigte; den Karthagern blieb nichts übrig, als abermals in Rom einen hoffnungslosen Prozeß anhängig zu machen. Nach langem und ohne Zweifel absichtlichem Zögern erschien in Afrika eine zweite Kommission (597 157); als aber die Karthager auf einen, ohne genaue vorgängige Untersuchung der Rechtsfrage von derselben zu fällenden Schiedsspruch nicht unbedingt kompromittieren wollten, sondern auf eingehender Erörterung der Rechtsfrage bestanden, kehrten die Kommissare ohne weiteres wieder zurück nach Rom. Die Rechtsfrage zwischen Karthago und Massinissa blieb also unerledigt; aber die Sendung führte eine wichtigere Entscheidung herbei. Das Haupt dieser Kommission war der alte Marcus Cato gewesen, damals vielleicht der einflußreichste Mann im Senat und als Veteran aus dem Hannibalischen Kriege noch von dem vollen Pönerhaß und der vollen Pönerfurcht durchdrungen. Betroffen und mißgünstig hatte dieser mit eigenen Augen den blühenden Zustand der Erbfeinde Roms, die üppige Landschaft und die wogenden Gassen, die gewaltigen Waffenvorräte in den Zeughäusern und das reiche Flottenmaterial geschaut; schon sah er im Geiste einen zweiten Hannibal all diese Hilfsmittel gegen Rom verwenden. In seiner ehrlichen und mannhaften, aber durchaus bornierten Weise kam er zu dem Ergebnis, daß Rom nicht eher sicher sein werde, als bis Karthago vom Erdboden verschwunden sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese Ansicht sofort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Männer der Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kümmerlichen Politik mit großem Ernst und entwickelten die Blindheit der Besorgnisse vor einer Kaufstadt, deren phönikische Bewohner mehr und mehr der kriegerischen Künste und Gedanken sich entwöhnten, und die vollkommene Verträglichkeit der Existenz dieser reichen Handelsstadt mit der politischen Suprematie Roms. Selbst die Umwandlung Karthagos in eine römische Provinzialstadt wäre ausführbar, ja, verglichen mit dem gegenwärtigen Zustand, den Phönikern selbst vielleicht nicht unwillkommen gewesen. Indes Cato wollte eben nicht die Unterwerfung, sondern den Untergang der verhaßten Stadt. Seine Politik fand, wie es scheint, Bundesgenossen teils an den Staatsmännern, die geneigt waren, die überseeischen Gebiete in unmittelbare Abhängigkeit von Rom zu bringen, teils und vor allem an dem mächtigen Einfluß der römischen Bankiers und Großhändler, denen nach der Vernichtung der reichen Geld- und Handelsstadt die Erbschaft derselben zufallen mußte. Die Majorität beschloß, bei der ersten passenden Gelegenheit - eine solche abzuwarten forderte die Rücksicht auf die öffentliche Meinung - den Krieg mit Karthago oder vielmehr die Zerstörung der Stadt zu bewirken.

Die gewünschte Veranlassung fand sich rasch. Die erbitternden Rechtsverletzungen von Seiten Massinissas und der Römer brachten in Karthago den Hasdrubal und den Karthalo an das Regiment, die Führer der Patriotenpartei, welche, ähnlich der achäischen, zwar nicht daran dachte, gegen die römische Suprematie sich aufzulehnen, aber wenigstens die den Karthagern vertragsmäßig zustehenden Rechte gegen Massinissa, wenn nötig mit den Waffen, zu verteidigen entschlossen war. Die Patrioten ließen vierzig der entschiedensten Anhänger Massinissas aus der Stadt verbannen und das Volk schwören, ihnen unter keiner Bedingung je die Rückkehr zu gestatten; zugleich bildeten sie zur Abwehr gegen die von Massinissa zu erwartenden Angriffe aus den freien Numidiern ein starkes Heer unter Arkobarzanes, dem Enkel des Syphax (um 600 154). Massinissa indes war klug genug, jetzt nicht zu rüsten, sondern sich wegen des streitigen Gebiets am Bagradas unbedingt dem Schiedsspruch der Römer zu unterwerfen; und so konnte man römischerseits mit einigem Schein behaupten, daß die karthagischen Rüstungen gegen die Römer gerichtet sein müßten, und auf sofortige Entlassung des Heeres und Vernichtung der Flottenvorräte dringen. Der karthagische Rat wollte einwilligen, allein die Menge verhinderte die Ausführung des Beschlusses, und die römischen Boten, die diesen Bescheid nach Karthago überbracht hatten, schwebten in Lebensgefahr. Massinissa sandte seinen Sohn Gulussa nach Rom, um über die fortdauernden Vorbereitungen Karthagos für den Land- und den Seekrieg Bericht zu erstatten und die Kriegserklärung zu beschleunigen. Nachdem noch einmal eine Gesandtschaft von zehn Männern es bestätigt hatte, daß in Karthago in der Tat gerüstet werde (602 152), verwarf der Senat zwar die unbedingte Kriegserklärung, die Cato begehrte, beschloß aber in geheimer Sitzung, daß der Krieg erklärt sein solle, wenn die Karthager sich nicht dazu verstehen würden, ihr Heer zu entlassen und ihr Flottenmaterial zu verbrennen. Inzwischen hatte in Afrika der Kampf bereits begonnen. Massinissa hatte die von den Karthagern verbannten Leute unter Geleitschaft seines Sohnes Gulussa nach der Stadt zurückgesandt. Da die Karthager diesen die Tore schlossen, auch von den abziehenden Numidiern einige erschlugen, setzte Massinissa seine Truppen in Bewegung, und auch die karthagische Patriotenpartei machte sich kampffertig. Indes Hasdrubal, der an die Spitze ihrer Armee trat, war einer der gewöhnlichen Heerverderber, wie die Karthager sie zu Feldherren zu nehmen pflegten; im Feldherrnpurpur einherstolzierend wie ein Theaterkönig und seines stattlichen Bauches auch im Lager pflegend, war der eitle und schwerfällige Mann wenig geeignet, den Helfer zu machen in einer Bedrängnis, die vielleicht selbst Hamilkars Geist und Hannibals Arm nicht mehr hätten abwenden können. Vor den Augen des Scipio Aemilianus, der, damals Kriegstribun in der spanischen Armee, an Massinissa gesandt worden war, um seinem Feldherrn afrikanische Elefanten zuzuführen, und der bei dieser Gelegenheit von einem Berge herab “wie Zeus vom Ida” der Schlacht zuschaute, lieferten die Karthager und die Numidier sich ein großes Treffen, in welchem jene, obwohl durch 6000, von unzufriedenen Hauptleuten Massinissas ihnen zugeführte numidische Reiter verstärkt und an Zahl dem Feinde überlegen, dennoch den kürzeren zogen. Nach dieser Niederlage erboten sich die Karthager gegen Massinissa zu Gebietsabtretungen und Geldzahlungen, und Scipio versuchte auf ihr Anhalten, einen Vertrag zustande zu bringen; allein an der Weigerung der karthagischen Patrioten, die Überläufer auszuliefern, scheiterte das Friedensgeschäft. Hasdrubal aber, eng eingeschlossen von den Truppen des Gegners, wurde genötigt, alles zu bewilligen, was dieser forderte: Auslieferung der Überläufer, Rückkehr der Verbannten, Abgabe der Waffen, Abzug unter dem Joch, Zahlung von jährlich 100 Talenten (155000 Talern) für die nächsten fünfzig Jahre; und selbst dieser Vertrag wurde von den Numidiern nicht gehalten, sondern der entwaffnete Rest des karthagischen Heeres auf der Heimkehr von ihnen zusammengehauen.

Die Römer, die sich wohl gehütet hatten, den Krieg selbst durch zeitige Dazwischenkunft zu verhindern, hatten jetzt, was sie wünschten: einen brauchbaren Kriegsgrund - denn die Bestimmungen des Vertrags, nicht gegen römische Bundesgenossen noch außerhalb der eigenen Grenzen Krieg zu führen, waren jetzt allerdings von den Karthagern übertreten worden - und einen bereits im voraus geschlagenen Gegner. Schon wurden die italischen Kontingente nach Rom gemahnt und die Schiffe zusammenberufen; jeden Augenblick konnte die Kriegserklärung da sein. Die Karthager boten alles auf, den drohenden Schlag abzuwenden. Die Führer der Patriotenpartei, Hasdrubal und Karthalo, wurden zum Tode verurteilt und eine Gesandtschaft nach Rom geschickt, um auf sie die Verantwortung zu wälzen. Allein, zugleich trafen Boten von Utica, der zweiten Stadt der libyschen Phöniker, dort ein, welche Vollmacht hatten, ihre Gemeinde den Römern völlig zu eigen zu geben - mit dieser zuvorkommenden Unterwürfigkeit verglichen, schien es fast Trotz, daß die Karthager sich begnügt hatten, die Hinrichtung ihrer angesehensten Männer unverlangt anzuordnen. Der Senat erklärte, daß die Entschuldigung der Karthager unzureichend befunden sei; auf die Frage, was denn genügen werde, hieß es, das sei den Karthagern ja bekannt. Freilich konnte man es wissen, was die Römer wollten; allein es schien doch wieder unmöglich zu glauben, daß nun wirklich für die liebe Heimatstadt die letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen karthagische Sendboten, diesmal ihrer dreißig und mit unbeschränkter Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war bereits der Krieg erklärt (Anfang 605 149) und das doppelte Konsularheer eingeschifft; doch versuchten sie noch jetzt, den Sturm durch vollständige Unterwerfung zu beschwören. Der Senat beschied sie, daß Rom bereit sei, der karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre städtische Freiheit und ihr Landrecht, ihr Gemeinde- und Privatvermögen zu garantieren, wofern sie den soeben nach Sizilien abgegangenen Konsuln binnen Monatsfrist in Lilybäon 300 Geiseln aus den Kindern der regierenden Familien stellen und die weiteren Befehle erfüllen würden, die ihnen die Konsuln nach ihrer Instruktion würden zugehen lassen. Man hat den Bescheid zweideutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals klarblickende Männer selbst unter den Karthagern hervorhoben. Daß alles, was man nur begehren konnte, garantiert ward mit einziger Ausnahme der Stadt, und daß keine Rede davon war, die Einschiffung der Truppen nach Afrika zu sistieren, zeigte sehr deutlich, was man beabsichtigte; der Senat verfuhr mit furchtbarer Härte, aber den Anschein der Nachgiebigkeit gab er sich nicht. Indes man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich kein Staatsmann, der die haltlose städtische Menge entweder zum vollen Widerstand oder zur vollen Resignation zu bewegen vermocht hätte. Als man zugleich das entsetzliche Kriegsdekret und die erträgliche Geiselforderung vernahm, fügte man zunächst sich dieser und hoffte weiter, weil man den Mut nicht hatte es auszudenken, was es heiße, sich der Willkür eines Todfeindes im voraus zu unterwerfen. Die Konsuln sandten die Geiseln von Lilybäon zurück nach Rom und beschieden die karthagischen Boten, das weitere in Afrika zu vernehmen. Ohne Widerstand geschah die Landung und wurden die geforderten Lebensmittel verabfolgt. Als im Hauptquartier von Utica die gesamte Gerusia von Karthago erschien, um die weiteren Befehle entgegenzunehmen, begehrten die Konsuln zunächst die Entwaffnung der Stadt. Auf die Frage der Karthager, wer sie sodann auch nur gegen ihre eigenen Ausgewanderten, gegen die auf 20000 Mann angeschwollene Armee des dem Todesurteil durch die Flucht entronnenen Hasdrubal beschützen solle, ward ihnen erwidert, daß dies die Sorge der Römer sein werde. Gehorsam erschien demnach der Rat der Stadt vor den Konsuln mit allem Flottenmaterial, allen Kriegsvorräten der öffentlichen Zeughäuser, allen im Privatbesitz befindlichen Waffen - man zählte 3000 Wurfgeschütze und 200000 volle Rüstungen - und fragte an, ob noch weiteres begehrt werde. Da erhob sich der Konsul Lucius Marcius Censorinus und eröffnete dem Rat, daß in Gemäßheit der vom Senat erlassenen Instruktion die bisherige Stadt zerstört werden müsse, den Bewohnern aber freistehe, sich wo sie sonst wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens zwei deutsche Meilen vom Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser fürchterliche Befehl rüttelte in den Phönikern die ganze, soll man sagen hochherzige oder wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die Tyrier gegen Alexander und später die Juden gegen Vespasian bewiesen. Beispiellos wie die Geduld war, mit der diese Nation Knechtschaft und Druck zu ertragen vermochte, ebenso beispiellos war jetzt, wo es sich nicht um Staat und Freiheit handelte, sondern um den eigenen, geliebten Boden der Vaterstadt und die altgewohnte teure Meeresheimat, die rasende Empörung der kaufmännischen und seefahrenden Bevölkerung. Von Hoffnung und Rettung konnte nicht die Rede sein; der politische Verstand gebot ohne Frage auch jetzt sich zu fügen - aber die Stimme der wenigen, welche mahnten, das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, verscholl wie der Ruf des Fährmanns im Orkan in dem brausenden Wutgeheul der Menge, die in ihrem wahnsinnigen Toben teils an den Beamten der Stadt sich vergriff, welche zur Auslieferung der Geiseln und Waffen geraten hatten, teils die unschuldigen Träger der Botschaft, so viele von ihnen überhaupt heimzukehren gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten ließ, teils die zufällig in der Stadt verweilenden Italiker zerriß, um wenigstens an diesen die Rache vorwegzunehmen für die Vernichtung der Heimat. Man beschloß nicht sich zu wehren; wehrlos wie man war, verstand sich dies von selbst. Die Tore wurden geschlossen, auf die von Wurfgeschossen entblößten Mauerzinnen Steine geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal, den Tochtersohn Massinissas, übertragen, die Sklaven sämtlich frei erklärt. Das Emigrantenheer unter dem flüchtigen Hasdrubal, das mit Ausnahme der von den Römern besetzten Städte an der Ostküste, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus und Achulla und der Stadt Utica, das ganze karthagische Gebiet innehatte und für die Verteidigung eine unschätzbare Stütze bot, ward ersucht, der Gemeinde seinen Beistand in dieser höchsten Not nicht zu versagen. Zugleich versuchte man, in echt phönikischer Weise die grenzenloseste Erbitterung unter dem Mantel der Demut versteckend, den Feind zu täuschen. Es ging eine Botschaft an die Konsuln, um dreißigtägigen Waffenstillstand zur Absendung einer Gesandtschaft nach Rom zu erbitten. Die Karthager wußten wohl, daß die Feldherrn diese einmal schon abgeschlagene Bitte weder gewähren wollten noch konnten; allein die Konsuln wurden dadurch bestärkt in der natürlichen Voraussetzung, daß nach dem ersten Ausbruch der Verzweiflung die gänzlich wehrlose Stadt sich fügen werde, und verschoben deshalb den Angriff. Die kostbare Zwischenzeit ward benutzt, um Wurfgeschütze und Rüstungen herzustellen; Tag und Nacht ward ohne Unterschied des Alters und Geschlechts an Maschinen und Waffen gezimmert und gehämmert; um Balken und Metall zu erlangen, wurden die öffentlichen Gebäude niedergerissen; um die für die Wurfgeschütze unentbehrlichen Sehnen herzustellen, schoren die Frauen sich das Haar; in unglaublich kurzer Zeit waren die Mauern und die Männer wieder bewehrt. Daß dies alles geschehen konnte, ohne daß die wenige Meilen entfernten Konsuln etwas davon erfuhren, ist nicht der am wenigsten wunderbare Zug in dieser wunderbaren, von einem wahrhaft genialen, ja dämonischen Volkshaß getragenen Bewegung. Als endlich die Konsuln, des Wartens müde, aus dem Lager bei Utica aufbrachen und bloß mit Leitern die nackten Mauern ersteigen zu können meinten, fanden sie mit Staunen und Schrecken die Zinnen aufs neue mit Katapulten gekrönt und die große volkreiche Stadt, welche man gleich einem offenen Flecken zu besetzen gehofft hatte, fähig und bereit, sich bis auf den letzten Mann zu verteidigen.

Karthago war sehr fest durch die Natur seiner Lage 3 wie durch die Kunst seiner gar oft auf den Schutz ihrer Mauern angewiesenen Bewohner. In den weiten Tunesischen Golf, den westlich Kap Farina, östlich Kap Bon begrenzen, springt in der Richtung von Westen nach Osten eine Landspitze vor, die an drei Seiten vom Meer umflossen ist und nur gegen Westen mit dem Festland zusammenhängt. Diese Landspitze, an der schmalsten Stelle nur etwa eine halbe deutsche Meile breit und im ganzen flach, erweitert sich wieder gegen den Golf und endigt hier in den beiden Höhen von Dschebel-Khawi und Sidi bu Said, zwischen denen die Fläche von El Mersa sich ausdehnt. Auf dem südlichen, mit der Höhe von Sidi bu Said abschließenden Teil derselben lag die Stadt Karthago. Der ziemlich steile Abfall jener Höhe gegen den Golf und dessen zahlreiche Klippen und Untiefen gaben an der Golfseite der Stadt natürliche Festigkeit, und es genügte hier eine einfache Umwallung. Dagegen auf die Mauer an der West- oder Landseite, wo die Natur keinen Schutz bot, war alles verwendet, was die damalige Befestigungskunst vermochte. Sie bestand, wie die kürzlich aufgedeckten, mit der Beschreibung des Polybios genau übereinstimmenden Überreste gezeigt haben, aus einer Außenmauer von 6½ Fuß Dicke und an diese hinterwärts, wahrscheinlich in ihrer ganzen Ausdehnung, angelehnten ungeheuren Kasematten, welche durch einen 6 Fuß breiten bedeckten Gang von der Außenmauer getrennt waren und, die jede reichlich 3 Fuß breiten Vorder- und Hintermauern nicht gerechnet, eine Tiefe von 11 Fuß hatten 4. Dieser ungeheure, durchaus aus mächtigen Quadern zusammengefügte Wall erhob sich in zwei Stockwerken, die Zinnen und die mächtigen vier Stockwerke hohen Türme ungerechnet, zu einer Höhe von 45 Fuß 5 und gewährte in dem untern Stockwerke der Kasematten Stallung und Futtermagazine für 300 Elefanten, in dem oberen Pferdeställe, Magazin- und Kasernenräume 6. Der Burghügel, die Byrsa (syrisch birtha = Burg), ein verhältnismäßig bedeutender Fels von 188 Fuß Höhe und an der Unterfläche einem Umfang von reichlich 2000 Doppelschritten 7, griff in diese Mauer an ihrem südlichen Ende ein, ähnlich wie die Felswand des Kapitols in den römischen Stadtwall. Die obere Fläche desselben trug den gewaltigen, auf einem Unterbau von sechzig Stufen ruhenden Tempel des Heilgottes. Die Südseite der Stadt bespülte teils der seichte Tunesische See im Südwesten, den eine von der karthagischen Halbinsel südwärts auslaufende schmale und niedrige Landzunge 8 fast gänzlich von dem Golfe schied, teils im Südosten der offene Golf. An dieser letzten Stelle befand sich der Doppelhafen der Stadt, ein Werk von Menschenhand: der äußere oder der Handelshafen, ein längliches, die schmale Seite dem Meere zuwendendes Viereck, von dessen nur 70 Fuß breiter Mündung nach beiden Seiten breite Kais am Wasser sich hinzogen, und der innere kreisrunde Kriegshafen, der Kothon 9, mit der das Admiralhaus tragenden Insel in der Mitte, in den man durch den äußeren gelangte. Zwischen beiden ging die Stadtmauer durch, die, von der Byrsa ostwärts sich wendend, die Landzunge und den Außenhafen aus-, dagegen den Kriegshafen einschloß, so daß die Einfahrt in den letzteren gleich einem Tor verschließbar gedacht werden muß. Unweit des Kriegshafens lag der Marktplatz, der durch drei enge Straßen mit der nach der Stadtseite offenen Burg verbunden war. Nördlich von und außerhalb der eigentlichen Stadt hatte der ziemlich beträchtliche, schon zu jener Zeit großenteils mit Landhäusern und wohlbewässerten Gärten gefüllte Raum der heutigen El Mersa, damals Magalia genannt, eine eigene, an die Stadtmauer sich anlehnende Umwallung. Auf der gegenüberliegenden Spitze der Halbinsel, dem Dschebel-Khawi bei dem heutigen Dorfe Qamart, lag die Gräberstadt. Diese drei, die Alt-, die Vor- und die Gräberstadt, füllten zusammen die ganze Breite der Landspitze an ihrer dem Golf zugewandten Seite aus und waren nur zugänglich auf den beiden Hauptstraßen nach Utica und Tunes über jene schmale Landzunge, die zwar nicht mit einer Mauer geschlossen war, aber doch für die unter dem Schutze der Hauptstadt und wieder zu deren Schutz sich aufstellenden Heere die vorteilhafteste Stellung darbot.

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3 Der Zug der Küste ist im Laufe der Jahrhunderte so verändert worden, daß man an der alten Stätte die ehemaligen Lokalverhältnisse nur unvollkommen wiedererkennt. Den Namen der Stadt bewahrt das Kap Kartadschena, auch von dem dort befindlichen Heiligengrab Ras Sidi bu Said genannt, die in den Golf hineinragende östliche Spitze der Halbinsel und ihr höchster 393 Fuß über dem Meere gelegener Punkt.

4 Die von C. E. Beulé (Fouilles à Carthage. Paris 1861) mitgeteilten Tiefmaße sind in Metern und in griechischen Fuß (1 = 0,309):

Außenmauer

2 Meter = 6½ Fuß

Korridor

9 Meter = 6 Fuß

Vordermauer der Kasematten

1 Meter = 3¼Fuß

Kasemattensäle

4,2 Meter = 14 Fuß

Hintermauer der Kasematten

1 Meter = 3¼Fuß

Gesamttiefe der Mauer

10,1 Meter = 33 Fuß

oder, wie Diodor (p. 522) angibt, 22 Ellen (1 griechische Elle = 1½ Fuß), während Livius (bei Oros. bist. 4, 22) und Appian (Pun. 95), die eine andere, minder genaue Stelle des Polybios vor Augen gehabt zu haben scheinen, die Mauertiefe auf 30 Fuß ansetzen. Die dreifache Mauer Appians, über die bisher durch Florus (epit. 1, 31) eine falsche Vorstellung verbreitet war, ist die Außenmauer, die Vorder- und die Hintermauer der Kasematten. Daß dies Zusammentreffen nicht zufällig ist und wir hier in der Tat die Überreste der berühmten karthagischen Mauer vor uns haben, wird jedem einleuchten; N. Davis’ Einwürfe (Carthage and her remains. 1861, S. 370f.) zeigen nur, daß gegen die wesentlichen Ergebnisse Beulés auch mit dem besten Willen wenig auszurichten ist. Nur muß man festhalten, daß die alten Berichterstatter die Angaben, um die es sich handelt, sämtlich nicht von der Burgmauer geben, sondern von der Stadtmauer an der Landseite, von der die Mauer an der Südseite des Burghügels ein integrierender Teil war (Gros. bist. 4, 22). Dazu stimmt, daß die Ausgrabungen auf dem Burghügel gegen Osten, Norden und Westen nirgends Spuren von Befestigungen, dagegen an der Südseite eben jene großartigen Mauerreste gezeigt haben. Es ist kein Grund vorhanden, dieselben als Überreste einer besonderen, von der Stadtmauer verschiedenen Burgbefestigung anzusehen; weitere Grabungen in entsprechender Tiefe - das Fundament der an der Byrsa aufgefundenen Stadtmauer liegt 56 Fuß unter dem heutigen Boden - werden vermutlich längs der ganzen Landseite gleiche oder doch ähnliche Fundamente zu Tage fördern, wenn auch wahrscheinlich da wo die ummauerte Vorstadt Magalia sich an die Hauptmauer anlehnte, die Befestigung entweder von Haus aus schwächer gewesen oder früh vernachlässigt worden ist. Wie lang die Mauer im ganzen war, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen; doch ergibt sich, da 300 Elefanten hier Stallung fanden und auch deren Futtermagazine und vielleicht noch andere Räumlichkeiten sowie die Tore in Anrechnung zu bringen sind, schon hieraus eine sehr ansehnliche Längenentwicklung. Daß die innere Stadt, in deren Mauer die Byrsa einbegriffen war, zumal im Gegensatz zu der besonders ummauerten Vorstadt Magalia zuweilen selber Byrsa genannt wird (App. Pun. 117; Nepos bei Serv. Aen. 1, 368), ist leicht begreiflich.

5 So rechnet Appian a.a.O.; Diodor gibt, wahrscheinlich mit Einrechnung der Zinnen, die Höhe auf 40 Ellen oder 60 Fuß. Der erhaltene Überrest ist noch 12-16 Fuß (4-5 Meter) hoch.

6 Die bei der Ausgrabung zu Tage gekommenen hufeisenförmigen Säle haben eine Tiefe von 14, eine Breite von 11 griechischen Fuß; die Weite der Eingänge wird nicht angegeben. Ob diese Maße und die Verhältnisse des Korridors ausreichen, um in ihnen Elefantenställe zu erkennen, bleibt durch genauere Ermittlung festzustellen. Die Zwischenmauern, die die Säle voneinander scheiden, haben die Dicke von 1,1 Meter = 3½ Fuß.

7 Oros. hist. 4, 22. Reichlich 2000 Schritte oder - wie Polybios gesagt haben wird - 16 Stadien sind ungefähr 3000 Meter. Der Burghügel, auf dem jetzt die Kirche des hl. Ludwig steht, mißt oben etwa 1400, auf der halben Höhe etwa 2600 Meter im Umkreis (Beule, Fouilles, S. 22); auf den unteren Umfang wird jene Angabe recht gut auskommen.

8 Sie trägt jetzt das Fort Goletta.

9 Daß dieses phönikische Wort das kreisförmig ausgegrabene Bassin bezeichnet, zeigt sowohl Diod. 3, 44 wie die Bedeutung Becher, in der die Griechen dasselbe verwenden. Es paßt also nur auf den inneren Hafen Karthagos, und davon brauchen es auch Strabon (17, 2, 14; wo es eigentlich für die Admiralinsel gesetzt ist) und Festus (v. cothones p. 37). Appian (Pun. 127) bezeichnet nicht ganz genau den viereckigen Vorhafen des Kothon als Teil desselben.

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Die schwierige Arbeit, eine so wohlbefestigte Stadt zu bezwingen, wurde noch dadurch erschwert, daß teils die Hilfsmittel der Hauptstadt selbst und des noch immer 800 Ortschaften umfassenden und von der Emigrantenpartei größtenteils beherrschten Gebietes, teils die zahlreichen mit Massinissa verfeindeten Stämme der ganz oder halb freien Libyer den Karthagern gestatteten, sich nicht auf die Verteidigung der Stadt zu beschränken, sondern zugleich ein zahlreiches Heer im Felde zu halten, welches bei der verzweifelten Stimmung der Emigranten und der Brauchbarkeit der leichten numidischen Reiterei von den Belagerern nicht außer acht gelassen werden durfte.

Es hatten somit die Konsuln eine keineswegs leichte Aufgabe zu lösen, als sie nun doch sich genötigt sahen, die Belagerung regelrecht zu beginnen. Manius Manilius, der das Landheer befehligte, schlug sein Lager der Burgmauer gegenüber, während Lucius Censorinus mit der Flotte an dem See sich aufstellte und dort auf der Landzunge die Operationen begann. Die karthagische Armee unter Hasdrubal lagerte an dem andern Ufer des Sees bei der Festung Nepheris, von wo aus sie den zum Holzfällen für den Maschinenbau ausgeschickten römischen Soldaten ihre Arbeit erschwerte und namentlich der tüchtige Reiterführer Himilkon Phameas den Römern viele Leute tötete. Indes stellte Censorinus auf der Landzunge zwei große Sturmböcke her und brach mit ihnen Bresche an dieser schwächsten Stelle der Mauer; der Sturm indes mußte, da es Abend geworden, verschoben werden. In der Nacht gelang es den Belagerten, einen großen Teil der Bresche zu füllen und durch einen Ausfall die römischen Maschinen so zu beschädigen, daß sie am nächsten Tage nicht weiterarbeiten konnten. Dennoch wagten die Römer den Sturm; allein sie fanden die Bresche und die nächsten Mauerabschnitte und Häuser stark besetzt und gingen so unvorsichtig vor, daß sie mit starkem Verlust zurückgeschlagen wurden und noch weit größere Nachteile erlitten haben würden, wenn nicht der Kriegstribun Scipio Aemilianus, den Ausgang des tolldreisten Angriffs vorhersehend, seine Leute vor den Mauern zusammengehalten und mit ihnen die Flüchtenden aufgenommen hätte. Noch viel weniger richtete Manilius gegen die unbezwingliche Burgmauer aus. So zog die Belagerung sich in die Länge. Die durch die Sommerhitze im Lager erzeugten Krankheiten, die Abreise des fähigeren Feldherrn Censorinus, endlich die Verstimmung und Untätigkeit Massinissas, der begreiflicherweise die Römer sehr ungern die längst begehrte Beute für sich selber nehmen sah, und der bald darauf (Ende 605 149) erfolgte Tod des neunzigjährigen Königs brachten die Offensivoperationen der Römer völlig ins Stocken. Sie hatten genug zu tun, um ihre Schiffe gegen die karthagischen Brander und ihr Lager gegen die nächtlichen Überfälle zu schützen und durch Anlegung eines Hafenkastells und Streifzüge in die Umgegend Nahrung für Menschen und Pferde zu beschaffen. Zwei gegen Hasdrubal gerichtete Expeditionen blieben beide ohne Erfolg, ja die erste hätte bei der schlechten Führung auf dem schwierigen Terrain fast mit einer förmlichen Niederlage geendigt. So ruhmlos dieser Krieg für den Feldherrn wie für das Heer verlief, so glänzend tat der Kriegstribun Scipio darin sich hervor. Er war es, der bei dem Nachtsturm der Feinde auf das römische Lager, mit einigen Reiterschwadronen ausrückend und den Feind in den Rücken fassend, ihn zum Umkehren nötigte. Auf dem ersten Zug nach Nepheris machte er nach dem Flußübergang, der wider seinen Rat stattgefunden hatte und fast das Verderben des Heeres geworden wäre, durch einen verwegenen Seitenangriff dem rückkehrenden Heer Luft und befreite eine schon verloren gegebene Abteilung durch seinen aufopfernden Heldenmut. Während die übrigen Offiziere, der Konsul vor allem, durch ihre Wortlosigkeit die zu Unterhandlungen geneigten Städte und Parteiführer zurückschreckten, gelang es Scipio, einen der tüchtigsten von diesen, Himilkon Phameas, mit 2200 Reitern zum Übertritt zu bestimmen. Endlich, nachdem er, den Auftrag des sterbenden Massinissa erfüllend, unter dessen drei Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, das Reich geteilt hatte, führte er in Gulussa einen seines Vaters würdigen Reiterführer dem römischen Heer zu und half damit dem bisher empfindlich gefühlten Mangel an leichter Reiterei ab. Sein feines und doch schlichtes Wesen, das mehr an seinen leiblichen Vater erinnerte als an den, dessen Namen er trug, bezwang auch den Neid, und im Lager wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf allen Lippen. Selbst Cato, der nicht freigebig mit seinem Lobe war, wandte wenige Monate vor seinem Tode - er starb am Ende des Jahres 605 (149), ohne den Wunsch seines Lebens, die Vernichtung Karthagos, erfüllt gesehen zu haben - auf den jungen Offizier und seine unfähigen Kameraden die Homerische Zeile an: “Einzig er ist ein Mann, die andern sind wandelnde Schatten ^10.”

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^10 Οιος πέπυται, τοί δέ σκιαί αίσσουσιν.

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Über diese Vorgänge war der Jahresschluß und damit der Kommandowechsel herangekommen: ziemlich spät erschien der Konsul Lucius Piso (606 148) und übernahm den Oberbefehl des Landheeres so wie Lucius Mancinus den der Flotte. Indes, hatten die Vorgänger wenig geleistet, so geschah nun gar nichts. Statt mit der Belagerung Karthagos oder der Überwindung der Armee Hasdrubals beschäftigte Piso sich damit, die kleinen phönikischen Seestädte anzugreifen und auch dies meist ohne Erfolg, wie zum Beispiel Clupea ihn zurückschlug und er von Hippon Diarrhytos, nachdem er den ganzen Sommer davor verloren hatte und das Belagerungsgerät ihm zweimal verbrannt worden war, schimpflich abziehen mußte. Neapolis ward zwar genommen; aber die Plünderung der Stadt gegen das gegebene Ehrenwort war auch dem Fortgang der römischen Waffen nicht sonderlich günstig. Der Mut der Karthager stieg. Ein numidischer Scheik Bithyas ging mit 800 Pferden zu ihnen über; karthagische Gesandte konnten es versuchen, mit den Königen von Numidien und Mauretanien, ja, mit dem falschen Philippos von Makedonien Verbindungen einzuleiten. Vielleicht mehr die inneren Zerwürfnisse - Hasdrubal der Emigrant verdächtigte den gleichnamigen Feldherrn, der in der Stadt befehligte, wegen seiner Verwandtschaft mit Massinissa und ließ ihn im Rathause erschlagen - als die Tätigkeit der Römer verhinderten eine für Karthago noch günstigere Wendung der Dinge. So griff man in Rom, um dem besorglichen Stand der afrikanischen Angelegenheiten Wandel zu schaffen, zu der außerordentlichen Maßregel, dem einzigen Mann, der bis jetzt von den libyschen Feldern Ehre heimgebracht hatte und den sein Name selbst für diesen Krieg empfahl, dem Scipio, statt der Ädilität, um die er eben sich bewarb, mit Beseitigung der entgegenstehenden Gesetze vor der Zeit das Konsulat und durch besonderen Beschluß die Führung des Afrikanischen Krieges zu übertragen. Er traf (607 147) in Utica in einem Augenblick ein, wo viel auf dem Spiel stand. Der römische Admiral Mancinus, von Piso mit der nominellen Fortsetzung der Belagerung der Hauptstadt beauftragt, hatte eine steile, von dem bewohnten Bezirk weit entlegene und kaum verteidigte Klippe an der schwer zugänglichen Seite der Außenstadt Magalia besetzt und fast seine gesamte, nicht zahlreiche Mannschaft dort vereinigt, in der Hoffnung, von hier aus in die Außenstadt eindringen zu können. In der Tat waren die Angreifer schon einen Augenblick innerhalb der Tore derselben gewesen, und schon war der Lagertroß in der Hoffnung auf Beute in Masse herbeigeströmt, als sie wieder auf die Klippe zurückgedrängt wurden und ohne Zufuhr und fast abgeschnitten in der größten Gefahr schwebten. So fand Scipio die Lage der Dinge. Kaum angekommen, entsandte er die mitgebrachte Mannschaft und die Miliz von Utica zu Schiff nach dem bedrohten Punkt, und es gelang, dessen Besatzung zu retten und die Klippe selbst zu behaupten. Nachdem diese Gefahr abgewendet schien, begab der Feldherr sich in das Lager Pisos, um das Heer zu übernehmen und nach Karthago zurückzuführen. Hasdrubal aber und Bithyas benutzten seine Abwesenheit, um ihr Lager unmittelbar an die Stadt zu rücken und den Angriff auf die Besatzung der Klippe von Magalia zu erneuern; indes auch jetzt erschien Scipio mit dem Vortrab der Hauptarmee zeitig genug, um dem Posten abermals Beistand zu leisten. Danach begann von neuem und ernstlicher die Belagerung. Vor allen Dingen säuberte Scipio das Lager von der Masse des Trosses und der Marketender und zog die erschlafften Zügel der Disziplin wieder mit Strenge an. Bald nahmen auch die militärischen Operationen einen lebhafteren Gang. Bei einem nächtlichen Angriff auf die Außenstadt gelangten von einem Turme aus, der den Mauern an Höhe gleich vor denselben stand, die Römer auf die Zinnen und öffneten ein Pförtchen, durch das das ganze Heer eindrang. Die Karthager gaben die Außenstadt und das Lager vor den Toren auf und übertrugen den Oberbefehl über die auf 30000 Mann sich belaufende städtische Besatzung an Hasdrubal. Der neue Kommandant bewies seine Energie zuvörderst dadurch, daß er sämtliche römische Gefangenen auf die Mauerzinnen bringen und sie vor den Augen des Belagerungsheeres nach grausamen Martern in die Tiefe stürzen ließ; und als hierüber Stimmen des Tadels sich erhoben, wurde auch gegen die Bürger die Schreckensherrschaft eingeführt. Scipio inzwischen suchte, nachdem er die Stadt auf sich selber beschränkt hatte, ihr den Verkehr nach außen hin völlig abzuschneiden. Er selbst nahm sein Hauptquartier auf dem Erdrücken, durch den die karthagische Halbinsel mit dem Festland zusammenhängt, und schlug hier trotz der vielfachen Versuche der Karthager, den Bau zu stören, ein großes, diesen Rücken in seiner ganzen Breite schließendes Lager, das die Stadt nach der Landseite hin vollständig absperrte. Indes liefen noch immer Proviantschiffe in den Hafen ein, teils kühne Kauffahrer, die der hohe Gewinn lockte, teils Schiffe des Bithyas, der von Nepheris am Ende des Tunesischen Sees aus jeden günstigen Fahrwind benutzte, um Lebensmittel nach der Stadt zu bringen; wie auch daselbst die Bürgerschaft schon litt, die Besatzung war noch hinreichend versorgt. Scipio zog deshalb von der Landzunge zwischen See und Golf in den letzteren hinein einen Steindamm von 96 Fuß Breite, um damit die Hafenmündung zu sperren. Die Stadt schien verloren, als das Gelingen dieses anfangs von den Karthagern als unausführbar verspotteten Unternehmens offenbar ward. Aber eine Überraschung machte die andere wett. Während die römischen Arbeiter an dem Damm schanzten, wurde auch im karthagischen Hafen zwei Monate lang Tag und Nacht gearbeitet, ohne daß selbst die Überläufer zu sagen wußten, was die Belagerten beabsichtigten. Plötzlich, als eben die Römer mit der Verbauung des Hafeneingangs fertig waren, segelten aus demselben Hafen fünfzig karthagische Dreidecker und eine Anzahl Boote und Kähne hinaus in den Golf -die Karthager hatten, während die Feinde die alte Hafenmündung gegen Süden sperrten, durch einen in östlicher Richtung gezogenen Kanal sich einen neuen Ausgang geschaffen, welcher bei der Tiefe des Meeres an dieser Stelle unmöglich gesperrt werden konnte. Hätten die Karthager, statt mit dem Paradezug sich zu begnügen, sofort sich mit Entschlossenheit auf die halbabgetakelte und völlig unvorbereitete römische Flotte gestürzt, so war diese verloren; als sie am dritten Tage wiederkehrten, um die Seeschlacht zu liefern, fanden sie die Römer gerüstet. Der Kampf verlief ohne Entscheidung; bei der Rückfahrt aber stopften sich die karthagischen Schiffe so sehr in und vor der Hafenmündung, daß der dadurch entstandene Schaden einer Niederlage gleichkam. Scipio richtete nun seine Angriffe auf den äußeren Hafenkai, welcher außerhalb der Stadtmauern lag und nur durch einen vor kurzem angelegten Erdwall notdürftig geschützt war. Die Maschinen wurden auf der Landzunge aufgestellt und eine Bresche war leicht gemacht; aber mit beispielloser Unerschrockenheit griffen die Karthager, die Untiefen durchwatend, das Belagerungszeug an, verjagten die Besatzungsmannschaft, welche so ins Laufen kam, daß Scipio seine eigenen Reiter auf sie einhauen lassen mußte, und zerstörten die Maschinen. Auf diese Weise gewannen sie Zeit, die Bresche zu schließen. Scipio stellte indes die Maschinen wieder her und schoß die Holztürme der Feinde in Brand, wodurch er den Kai und damit den Außenhafen in seine Gewalt bekam. Ein der Stadtmauer an Höhe gleichkommender Wall wurde hier aufgeführt, und es war jetzt endlich die Stadt von der Land- wie von der Seeseite vollständig abgesperrt, da man nur durch den äußeren in den inneren Hafen gelangte. Um die Blockade vollständig zu sichern, ließ Scipio das Lager bei Nepheris, das jetzt Diogenes befehligte, von Gaius Laelius angreifen; durch eine glückliche Kriegslist ward es erobert und die ganze dort versammelte zahllose Menschenmasse getötet oder gefangen. Darüber war der Winter herangekommen, und Scipio stellte die Operationen ein, es dem Hunger und den Seuchen überlassend, das Begonnene zu vollenden. Wie furchtbar die Gewaltigen des Herrn inzwischen an dem Vernichtungswerk gearbeitet hatten, während Hasdrubal freilich fortfuhr zu prahlen und zu prassen, zeigte sich, so wie im Frühling 608 (146) das römische Heer zum Angriff gegen die innere Stadt überging. Hasdrubal ließ den Außenhafen anzünden und machte sich bereit, den auf den Kothon erwarteten Sturm abzuschlagen; aber Laelius gelang es, weiter aufwärts die von der ausgehungerten Besatzung kaum noch verteidigte Mauer zu übersteigen und so bis an den inneren Hafen vorzudringen. Die Stadt war erobert, aber der Kampf noch keineswegs zu Ende. Die Angreifer besetzten den an den kleinen Hafen anstoßenden Markt und drangen in den drei schmalen, von diesem nach der Burg zu führenden Straßen langsam vor - langsam, denn von den gewaltigen bis zu sechs Stockwerken hohen Häusern mußte eines nach dem andern erstürmt werden; auf den Dächern oder auf über die Straße gelegten Balken drang der Soldat von einem dieser festungsähnlichen Gebäude in das benachbarte oder gegenüberstehende vor und stieß nieder, was darin ihm vorkam. So verflossen sechs Tage, schreckliche für die Bewohner der Stadt und auch für die Angreifer voll Not und Gefahr; endlich langte man vor dem steilen Burgfelsen an, auf den sich Hasdrubal und die noch übrige Mannschaft zurückgezogen hatten. Um einen breiteren Aufweg zu bekommen, befahl Scipio, die eroberten Straßen anzuzünden und den Schutt zu planieren, bei welcher Veranlassung eine Menge in den Häusern versteckter kampfunfähiger Personen elend umkamen. Da endlich bat der auf der Burg zusammengedrängte Rest der Bevölkerung um Gnade. Das nackte Leben ward ihnen zugestanden und sie erschienen vor dem Sieger, 30000 Männer und 25000 Frauen, nicht der zehnte Teil der ehemaligen Bevölkerung. Einzig die römischen Überläufer, 900 an der Zahl, und der Feldherr Hasdrubal mit seiner Gattin und seinen beiden Kindern hatten sich in den Tempel des Heilgottes geworfen: für sie, für die desertierten Soldaten wie für den Mörder der römischen Gefangenen, gab es keinen Vertrag. Aber als nun, dem Hunger erliegend, die entschlossensten unter ihnen den Tempel anzündeten, ertrug Hasdrubal es nicht, dem Tode ins Auge zu sehen; einzeln entrann er zu dem Sieger und bat kniefällig um sein Leben. Es ward ihm gewährt; aber wie seine Gattin, die mit ihren Kindern unter den übrigen auf dem Tempeldach sich befand, ihn zu den Füßen Scipios erblickte, schwoll ihr das stolze Herz über diese Schändung der teuren untergehenden Heimat und den Gemahl mit bitteren Worten erinnernd, seines Lebens sorglich zu schonen, stürzte sie erst die Söhne und dann sich selber in die Flammen. Der Kampf war zu Ende. Der Jubel im Lager wie in Rom war grenzenlos; nur die Edelsten des Volkes schämten im stillen sich der neuesten Großtat der Nation. Die Gefangenen wurden größtenteils zu Sklaven verkauft; einzelne ließ man im Kerker verkommen; die vornehmsten, Bithyas und Hasdrubal, wurden als römische Staatsgefangene in Italien interniert und leidlich behandelt. Das bewegliche Gut, soweit es nicht Gold und Silber war oder Weihgeschenk, ward den Soldaten zur Plünderung preisgegeben; von den Tempelschätzen ward die in besseren Zeiten von Karthago aus den sizilischen Städten weggeführte Beute diesen zurückgestellt, wie zum Beispiel der Stier des Phalaris den Akragantinern; das übrige, fiel an den römischen Staat.

Indes noch stand die Stadt zum bei weitem größten Teil. Es ist glaublich, daß Scipio die Erhaltung derselben wünschte; wenigstens richtete er deswegen noch eine besondere Anfrage an den Senat. Scipio Nasica versuchte noch einmal, die Forderungen der Vernunft und der Ehre geltend zu machen; es war vergebens. Der Senat befahl dem Feldherrn, die Stadt Karthago und die Außenstadt Magalia dem Boden gleich zu machen, desgleichen alle Ortschaften, die es bis zuletzt mit Karthago gehalten; sodann über den Boden Karthagos den Pflug zu führen, um der Existenz der Stadt in Form Rechtens ein Ende zu machen, und Grund und Boden auf ewige Zeiten zu verwünschen, also daß weder Haus noch Kornfeld je dort entstehen möge. Es geschah wie befohlen war. Siebzehn Tage brannten die Ruinen; als vor kurzem die Überreste der karthagischen Stadtmauer aufgegraben wurden, fand man sie bedeckt mit einer vier bis fünf Fuß tiefen, von halb verkohlten Holzstücken, Eisentrümmern und Schleuderkugeln erfüllten Aschenlage. Wo die fleißigen Phöniker ein halbes Jahrtausend geschafft und gehandelt hatten, weideten fortan römische Sklaven die Herden ihrer fernen Herren. Scipio aber, den die Natur zu einer edleren als zu dieser Henkerrolle bestimmt hatte, sah schaudernd auf sein eigenes Werk, und statt der Siegesfreude erfaßte den Sieger selber die Ahnung der solcher Untat unausbleiblich nachfolgenden Vergeltung.

Es blieb noch übrig, für die künftige Organisation der Landschaft die Einrichtungen zu treffen. Die frühere Weise, mit den gewonnenen überseeischen Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen, ward nicht ferner beliebt. Micipsa und seine Brüder behielten im wesentlichen ihr bisheriges Gebiet mit Einschluß der kürzlich am Bagradas und in Emporia den Karthagern entrissenen Distrikte; die lange genährte Hoffnung, Karthago zur Hauptstadt zu erhalten, ward für immer vereitelt; dafür verehrte ihnen der Senat die karthagischen Büchersammlungen. Die karthagische Landschaft, wie die Stadt sie zuletzt besessen hatte, das heißt der schmale, Sizilien zunächst gegenüberliegende Küstenstrich von Afrika, vom Tuscafluß (bei Thabzaca) bis Thaenae (der Insel Kerkena gegenüber), ward eine römische Provinz. Im Binnenland, wo die übergriffe Massinissas die karthagische Herrschaft fortwährend weiter beschränkt hatten und schon Bulla, Zama, Aquae den Königen gehörten, blieb den Numidiern, was sie besaßen. Allein die sorgfältige Regulierung der Grenze zwischen der römischen Provinz und dem auf drei Seiten dieselbe einschließenden numidischen Königreich zeugte davon, daß Rom gegen sich keineswegs dulden werde, was es gegen Karthago verstattet hatte; wogegen der Name der neuen Provinz, Africa, andererseits darauf hinzudeuten schien, daß Rom die gegenwärtig abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte. Die Oberverwaltung der neuen Provinz übernahm ein römischer Statthalter, dessen Sitz Utica wurde. Einer regelmäßigen Grenzverteidigung bedurfte dieselbe nicht, da das verbündete Numidische Reich sie überall von den Bewohnern der Wüste schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im ganzen mit Milde. Diejenigen Gemeinden, die seit Anfang des Krieges auf seiten der Römer gestanden hatten - es waren dies nur die Seestädte Utica, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus, Achulla, Usalis und die Binnenstadt Theudalis -, behielten ihre Mark und wurden Freistädte; dasselbe Recht empfing die neugegründete Gemeinde der Überläufer. Das Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica verschenkten Striches, und das der übrigen zerstörten Ortschaften ward römisches Domanialland, welches man durch Verpachtung verwertete. Die übrigen Ortschaften verloren gleichfalls dem Rechte nach ihr Bodeneigentum und ihre städtischen Freiheiten; doch wurde ihnen ihr Acker und ihre Verfassung bis auf weitere Anordnung der römischen Regierung vorläufig als widerruflicher Besitz gelassen und zahlten die Gemeinden für die Nutzung des römisch gewordenen Bodens jährlich nach Rom eine ein für allemal normierte Abgabe (stipendium), welche sie dann ihrerseits mittels einer Vermögenssteuer von den einzelnen Abgabepflichtigen wiedereinzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei dieser Zerstörung der ersten Handelsstadt des Westens waren die römischen Kaufleute, welche, sowie Karthago in Asche lag, scharenweise nach Utica strömten und von dort aus nicht bloß die römische Provinz, sondern auch die bis dahin ihnen verschlossenen numidischen und gätulischen Landschaften auszubeuten begannen.

Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand auch Makedonien aus der Reihe der Nationen. Die vier kleinen Eidgenossenschaften, in die die Weisheit des römischen Senats das alte Königreich zerstückelt hatte, konnten in sich und untereinander nicht zum Frieden kommen; wie es in dem Lande zuging, zeigt ein einzelner, zufällig erwähnter Vorfall in Phakos, wo der gesamte Regierungsrat einer dieser Eidgenossenschaften auf Anstiften eines gewissen Damasippos ermordet wurde. Weder die Kommissionen, die der Senat abordnete (590 164), noch die nach griechischer Sitte von den Makedoniern herbeigerufenen fremden Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio Aemilianus (603 151), vermochten einen leidlichen Zustand herzustellen. Da erschien plötzlich in Thrakien ein junger Mann, der sich Philippos nannte, den Sohn des Königs Perseus, welchem er auffallend glich, und der syrischen Laodike. Seine Jugend hatte er in der mysischen Stadt Adramytion verlebt; hier behauptete er die sicheren Beweise seiner hohen Abstammung erhalten zu haben. Mit diesen hatte er, nach einem vergeblichen Versuch, in seinem Heimatland sich geltend zu machen, sich an seiner Mutter Bruder, König Demetrios Soter von Syrien, gewandt. Es fanden sich in der Tat einige Männer, die dem Adramytener glaubten oder zu glauben vorgaben und den König bestürmten, den Prinzen entweder in sein angeerbtes Reich wiedereinzusetzen oder ihm die Krone Syriens abzutreten; worauf Demetrios, um dem tollen Treiben ein Ende zu machen, den Prätendenten festnahm und den Römern zuschickte. Indes der Senat achtete des Menschen so wenig, daß er ihn in einer italischen Stadt konfinierte, ohne ihn auch nur ernstlich bewachen zu lassen. So war er nach Milet entflohen, wo die städtischen Behörden ihn abermals aufgriffen und bei römischen Kommissarien anfragten, was sie mit dem Gefangenen machen sollten. Diese rieten, ihn laufen zu lassen; es geschah. Jetzt versuchte er denn weiter in Thrakien sein Glück; und wunderbarerweise fand er hier Anerkennung und Unterstützung, nicht bloß bei den thrakischen Barbarenfürsten Teres, dem Gemahl seiner Vaterschwester, und Barsabas, sondern auch bei den klugen Byzantiern. Mit thrakischer Unterstützung drang der sogenannte Philipp in Makedonien ein, und obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er doch bald einen Sieg über das makedonische Aufgebot in der Odomantike jenseits des Strymon und darauf einen zweiten diesseits des Flusses, der ihm den Besitz von ganz Makedonien verschaffte. So apokryphisch seine Erzählung klang und so entschieden es feststand, daß der echte Philippos Perseus’ Sohn achtzehn Jahre alt in Alba gestorben und dieser Mensch nichts weniger als ein makedonischer Prinz, sondern der adramytenische Walker Andriskos sei, so war man doch in Makedonien der Königsherrschaft zu sehr gewohnt, um nicht mit der Legitimitätsfrage sich rasch abzufinden und gern in das alte Gleis wiedereinzulenken. Schon kamen Boten von den Thessalern, daß der Prätendent in ihr Gebiet eingerückt sei; der römische Kommissar Nasica, der in der Erwartung, daß das erste ernste Wort dem törichten Beginnen ein Ende machen werde, vom Senat ohne Soldaten nach Makedonien gesandt worden war, mußte die achäische und pergamenische Mannschaft aufbieten und mit den Achäern Thessalien gegen die Übermacht, soweit es anging, schirmen, bis (605? 149) der Prätor Juventius mit einer Legion erschien. Dieser griff mit seiner geringen Streitmacht die Makedonier an; allein er selber fiel, sein Heer ging fast ganz zugrunde und Thessalien geriet zum größten Teil in die Gewalt des falschen Philippos, der sein Regiment hier und in Makedonien in grausamer und übermütiger Weise handhabte. Endlich betrat ein stärkeres römisches. Heer unter Quintus Caecilius Metellus den Kampfplatz und drang, unterstützt durch die pergamenische Flotte, in Makedonien ein. Zwar behielten in dem ersten Reitergefecht die Makedonier die Oberhand; allein bald traten Spaltungen und Desertionen im makedonischen Heer ein, und der Fehler des Prätendenten, sein Heer zu teilen und die eine Hälfte nach Thessalien zu detachieren, verschaffte den Römern einen leichten und entscheidenden Sieg (606 148). Philippos flüchtete nach Thrakien zu dem Häuptling Byzes, wohin Metellus ihm folgte und nach einem zweiten Sieg seine Auslieferung erlangte.

Die vier makedonischen Eidgenossenschaften hatten sich dem Prätendenten nicht freiwillig unterworfen, sondern waren lediglich der Gewalt gewichen. Nach der bisher befolgten Politik lag also kein Grund vor, den Makedoniern den Schatten von Selbständigkeit zu nehmen, den die Schlacht von Pydna ihnen noch gelassen hatte; dennoch wurde das Reich Alexanders jetzt auf Befehl des Senats von Metellus in eine römische Provinz verwandelt. Sehr deutlich ward es hier, daß die römische Regierung ihr System geändert und das Klientel- durch das Untertanenverhältnis zu ersetzen beschlossen hatte; und darum wurde die Einziehung der vier makedonischen Eidgenossenschaften in dem ganzen Kreise der Klientelstaaten als ein gegen alle gerichteter Schlag empfunden. Die früher nach den ersten römischen Siegen von Makedonien abgerissenen Besitzungen in Epeiros, die Ionischen Inseln und die Häfen Apollonia und Epidamnos, welche bisher zu dem italischen Beamtensprengel gehört hatten, wurden jetzt wieder mit Makedonien vereinigt, so daß dasselbe, wahrscheinlich schon um diese Zeit, im Nordosten bis jenseits Skodra reichte, wo Illyricum begann. Ebenso fiel die Schutzherrlichkeit, die Rom über das eigentliche Griechenland in Anspruch nahm, von selbst dem neuen Statthalter von Makedonien zu. So erhielt Makedonien die Einigkeit zurück und auch ungefähr wieder die Grenzen, wie es sie in seiner blühendsten Zeit gehabt; aber es war nicht mehr ein einiges Reich, sondern eine einige Provinz, mit kommunaler und selbst wie es scheint landschaftlicher Organisation, jedoch unter einem italischen Vogt und Schatzmeister, deren Namen auch wohl auf den Landesmünzen neben dem der Landschaft erscheinen. Als Steuer blieb die alte mäßige Abgabe, wie Paullus sie angeordnet hatte, eine Summe von 100 Talenten (155000 Talern), die in festen Beträgen auf die einzelnen Gemeinden umgelegt war. Dennoch vermochte das Land seiner alten ruhmreichen Dynastie noch nicht zu vergessen. Wenige Jahre nach der Besiegung des falschen Philippos pflanzte ein anderer angeblicher Perseussohn, Alexander, am Nestos (Karasu) die Fahne der Insurrektion auf und hatte in kurzer Zeit 1600 Mann vereinigt; allein der Quästor Lucius Tremellius ward des Aufstandes ohne Mühe Herr und verfolgte den fliehenden Prätendenten bis nach Dardanien (612 142). Dies aber ist auch die letzte Regung des stolzen makedonischen Nationalsinns, der zwei Jahrhunderte zuvor in Hellas und Asien so große Dinge vollbracht hatte; seitdem ist von den Makedoniern kaum etwas anderes zu berichten, als daß sie fortfuhren, von dem der definitiven Provinzialorganisation der Landschaft (608 146) an ihre tatenlosen Jahre zu zählen.

Fortan waren es die Römer, denen die Verteidigung der makedonischen Nord- und Ostgrenzen, das heißt der Grenze der hellenischen Zivilisation gegen die Barbaren, oblag. Sie ward von ihnen mit unzulänglichen Streitkräften und im ganzen nicht mit der gebührenden Energie geführt; doch ist zunächst für diesen militärischen Zweck die große Egnatische Chaussee angelegt worden, welche schon zu Polybios’ Zeit von den beiden Haupthäfen an der Westküste, Apollonia und Dyrrhachion, quer durch das Binnenland nach Thessalonike, später noch weiter bis an den Hebros (Maritza) lief ^11. Die neue Provinz ward die natürliche Basis teils für die Züge gegen die unruhigen Dalmater, teils für die zahlreichen Expeditionen gegen die nordwärts der griechischen Halbinsel ansässigen illyrischen, keltischen und thrakischen Stämme, die später in ihrem geschichtlichen Zusammenhang darzustellen sein werden.

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^11 Als Handelsstraße zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meer, als diejenige nämlich, in deren Mitte die kerkyräischen Weinkrüge den thasischen und lesbischen begegnen, kennt diese Straße schon der Verfasser der pseudo-aristotelischen Schrift ‘Von den merkwürdigen Dingen’. Auch heute noch läuft dieselbe wesentlich in gleicher Richtung von Durazzo, die Berge von Bagora (Kandavisches Gebirge) am See von Ochrida (Lychnitis) durchschneidend, über Monastir nach Saloniki.

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Mehr als Makedonien hatte das eigentliche Griechenland sich der Gunst der herrschenden Macht zu erfreuen; und die Philhellenen Roms mochten wohl der Ansicht sein, daß daselbst die Nachwehen des Perseischen Krieges im Verschwinden und die Verhältnisse überhaupt auf dem Wege zum Besseren seien. Die verbissensten Aufhetzer der jetzt herrschenden Partei, Lykiskos der Ätoler, Mnasippos der Böoter, Chrematas der Akarnane, der schandbare Epeirote Charops, dem selbst ehrenhafte Römer ihr Haus verboten, stiegen einer nach dem andern ins Grab; ein anderes Geschlecht wuchs heran, in dem die alten Erinnerungen und die alten Gegensätze verblaßt waren. Der römische Senat meinte die Zeit des allgemeinen Vergebens und Vergessens gekommen und entließ im Jahre 604 (150) die noch übrigen der seit siebzehn Jahren in Italien konfinierten achäischen Patrioten, deren Freigebung die achäische Tagsatzung nicht aufgehört hatte zu fordern. Dennoch irrte man sich. Wie wenig es den Römern mit all ihrem Philhellenentum gelungen war, den hellenischen Patriotismus innerlich zu versöhnen, offenbarte sich in nichts so deutlich wie in der Stellung der Griechen zu den Attaliden. König Eumenes II. war als Römerfreund in Griechenland im höchsten Grade verhaßt gewesen; kaum aber war zwischen ihm und den Römern eine Verstimmung eingetreten, als er in Griechenland plötzlich populär ward; wie früher von Makedonien erwartete der hellenische Euelpides den Erlöser aus der Fremdherrschaft jetzt von Pergamon. Vor allen Dingen aber stieg in der sich selbst überlassenen hellenischen Kleinstaaterei zusehends die soziale Zerrüttung. Das Land verödete, nicht durch Krieg und Pest, sondern durch die immer weiter um sich greifende Abneigung der höheren Stände, mit Frau und Kindern sich zu plagen; dafür strömte wie bisher das verbrecherische oder leichtsinnige Gesindel vorwiegend nach Griechenland, um daselbst den Werbeoffizier zu erwarten. Die Gemeinden versanken in immer tiefere Verschuldung und in ökonomische Ehr- und die daranhängende Kreditlosigkeit; einzelne Städte, namentlich Athen und Theben, griffen in ihrer Finanznot geradezu zum Räuberhandwerk und plünderten die Nachbargemeinden aus. Auch der innere Hader in den Bünden, zum Beispiel zwischen den freiwilligen und den gezwungenen Mitgliedern der Achäischen Eidgenossenschaft, war keineswegs beigelegt. Wenn die Römer, wie es scheint, glaubten, was sie wünschten, und der augenblicklich herrschenden Ruhe vertrauten, so sollten sie bald erfahren, daß die jüngere Generation in Hellas um nichts besser und um nichts klüger als die ältere war. Die Gelegenheit, um mit den Römern Händel anzufangen, brach man geradezu vom Zaune.

Um einen schmutzigen Handel zu bedecken, warf um das Jahr 605 (149) der zeitige Vorstand der Achäischen Eidgenossenschaft, Diäos, auf der Tagsatzung die Behauptung hin, daß die den Lakedaemoniern als Glied der Achäischen Eidgenossenschaft von dieser zugestandenen Sonderrechte, die Befreiung von der achäischen Kriminaljurisdiktion und das Recht, Sondergesandtschaften nach Rom zu schicken, ihnen keineswegs von den Römern gewährleistet seien. Es war eine freche Lüge; allein die Tagsatzung glaubte natürlich, was sie wünschte, und da sich die Achäer bereit zeigten, ihre Behauptungen mit den Waffen in der Hand wahrzumachen, gaben die schwächeren Spartaner vorläufig nach, oder vielmehr diejenigen, deren Auslieferung von den Achäern begehrt ward, verließen die Stadt, um als Kläger vor dem römischen Senat aufzutreten. Der Senat antwortete wie gewöhnlich, daß er eine Kommission zur Untersuchung der Sache senden werde; allein statt dieses Bescheides berichteten die Boten, in Achaia wie in Sparta und beide falsch, daß der Senat zu ihren Gunsten entschieden habe. Die Achäer, die wegen der soeben in Thessalien geleisteten Bundeshilfe gegen den falschen Philippos sich mehr als je in bundesgenössischer Gleichheit und politischer Gewichtigkeit fühlten, rückten im Jahre 606 (148) unter ihrem Strategen Damokritos in Lakonike ein; vergeblich mahnte, von Metellus aufgefordert, eine nach Asien durchpassierende römische Gesandtschaft, Frieden zu halten und die Kommissarien des Senats zu erwarten. Eine Schlacht ward geliefert, in der bei 1000 Spartaner fielen, und Sparta hätte genommen werden können, wenn Damokritos nicht als Offizier ebenso untüchtig gewesen wäre wie als Staatsmann. Er ward abgesetzt, und sein Nachfolger Diäos, der Anstifter all dieses Unfugs, setzte den Krieg eifrig fort, während er gleichzeitig den gefürchteten Kommandanten von Makedonien der vollen Botmäßigkeit der Achäischen Eidgenossenschaft versichern ließ. Darüber erschien die lange erwartete römische Kommission, an ihrer Spitze Aurelius Orestes; nun ruhten die Waffen und die achäische Tagsatzung versammelte sich in Korinth, um ihre Eröffnungen entgegenzunehmen. Sie waren unerwarteter und unerfreulicher Art. Die Römer hatten sich entschlossen, die unnatürliche und usurpierte Einreihung Spartas unter die achäischen Staaten wiederaufzuheben und überhaupt gegen die Achäer durchzugreifen. Schon einige Jahre zuvor (591 163) hatten dieselben die ätolische Stadt Pleuron aus ihrem Bund entlassen müssen; jetzt wurden sie angewiesen auf sämtliche seit dem Zweiten Makedonischen Krieg gemachte Erwerbungen, das heißt auf Korinth, Orchomenos, Argos, Sparta im Peloponnes und Herakleia am Ota, zu verzichten und ihren Bund wieder auf den Bestand am Ende des Hannibalischen Krieges zurückzuführen. Wie dies die achäischen Abgeordneten vernahmen, stürmten sie sofort auf den Markt, ohne die Römer auch nur auszuhören, und teilten die römischen Forderungen der Menge mit, worauf der regierende und der regierte Pöbel einhellig beschloß, zu allervörderst sämtliche in Korinth anwesende Lakedämonier festzusetzen, da ja Sparta dies Unglück über sie gebracht habe. Die Verhaftung erfolgte denn auch in der tumultuarischsten Weise, so daß Lakonername oder Lakonerschuhe als hinreichende Einsperrungsgründe erschienen: ja man drang sogar in die Wohnungen der römischen Gesandten, um die dorthin geflüchteten Lakedaemonier festzunehmen, und es fielen gegen die Römer harte Reden, obgleich man an ihrer Person sich nicht vergriff. Indigniert kehrten dieselben heim und führten bittere, selbst übertriebene Beschwerde im Senat; dennoch beschränkte sich dieser mit derselben Mäßigung, die all seine Maßregeln gegen die Griechen bezeichnet, zunächst auf Vorstellungen. In der mildesten Form und der Genugtuung für die erlittenen Beleidigungen kaum erwähnend, wiederholte Sextus Iulius Caesar auf der Tagsatzung in Aegion (Frühling 607 147) die Befehle der Römer. Aber die Leiter der Dinge in Achaia, an ihrer Spitze der neue Strateg Kritolaos (Strateg Mai 607 bis Mai 608 147/46), zogen als staatskluge und in der höheren Politik wohlbewanderte Leute daraus bloß den Schluß, daß die römischen Angelegenheiten gegen Karthago und Viriathus sehr schlecht stehen müßten, und fuhren fort, die Römer zugleich zu prellen und zu beleidigen. Caesar ward ersucht, zur Ausgleichung der Sache eine Zusammenkunft von Abgeordneten der streitenden Teile in Tegea zu veranstalten; es geschah, allein nachdem Caesar und die lakedämonischen Gesandten daselbst lange vergeblich auf die Achäer gewartet hatten, erschien endlich Kritolaos allein und zeigte an, daß lediglich die allgemeine Volksversammlung der Achäer in dieser Sache kompetent sei und dieselbe erst auf der Tagsatzung, das heißt in sechs Monaten, erledigt werden könne. Caesar ging darauf nach Rom zurück; die nächste Volksversammlung der Achäer aber erklärte auf Kritolaos’ Antrag förmlich den Krieg gegen Sparta. Auch jetzt noch machte Metellus einen Versuch, den Zwist in Güte beizulegen, und schickte Gesandte nach Korinth; allein die lärmende Ekklesia, größtenteils bestehend aus dem Pöbel der reichen Handels- und Fabrikstadt, übertobte die Stimme der römischen Gesandten und zwang sie, die Rednerbühne zu verlassen. Kritolaos’ Erklärung, daß man die Römer wohl zu Freunden, aber nicht zu Herren wünsche, ward mit unsäglichem Jubel aufgenommen, und als die Mitglieder der Tagsatzung sich ins Mittel legen wollten, schützte der Pöbel den Mann seines Herzens und beklatschte die Stichwörter von dem Landesverrat der Reichen und der notwendigen Militärdiktatur sowie die geheimnisvollen Winke über die nahe bevorstehende Schilderhebung unzähliger Völker und Könige gegen Rom. Von welchem Geist die Bewegung beseelt war, zeigten die beiden Beschlüsse, daß bis zum hergestellten Frieden alle Klubs permanent sein und alle Schuldklagen ruhen sollten. Man hatte also Krieg, ja sogar auch wirkliche Bundesgenossen: die Thebaner und Böoter nämlich und ferner die Chalkidenser. Schon zu Anfang des Jahres 608 (146) rückten die Achäer in Thessalien ein, um Herakleia am Öta, das in Gemäßheit des Senatsbeschlusses sich von der Achäischen Eidgenossenschaft losgesagt hatte, wieder zum Gehorsam zu bringen. Der Konsul Lucius Mummius, den der Senat nach Griechenland zu senden beschlossen hatte, war noch nicht eingetroffen; demnach übernahm es Metellus mit den makedonischen Legionen, Herakleia zu schützen. Als dem achäisch-thebanischen Heer das Anrücken der Römer gemeldet ward, war von Schlagen nicht mehr die Rede; man ratschlagte einzig, wie es wohl gelingen möchte, den sicheren Peloponnes wieder zu erreichen; eiligst machte die Armee sich davon und versuchte nicht einmal, die Stellung bei den Thermopylen zu halten. Metellus indes beschleunigte die Verfolgung und erreichte und schlug das griechische Heer bei Skarpheia in Lokris. Der Verlust an Gefangenen und Toten war beträchtlich; von Kritolaos ward nach der Schlacht nie wieder eine Kunde vernommen. Die Trümmer der geschlagenen Armee irrten in einzelnen Trupps in den hellenischen Landschaften umher und baten überall umsonst um Aufnahme; die Abteilung von Paträ ward in Phokis, das arkadische Elitenkorps bei Chäroneia aufgerieben; ganz Nordgriechenland wurde geräumt, und von dem Achäerheer und der in Masse flüchtenden Bürgerschaft von Theben gelangte nur ein geringer Teil in den Peloponnes. Metellus suchte durch die möglichste Milde die Griechen zum Aufgeben des sinnlosen Widerstandes zu bestimmen und befahl zum Beispiel, alle Thebaner mit Ausnahme eines einzigen laufen zu lassen; seine wohlgemeinten Versuche scheiterten nicht an der Energie des Volkes, sondern an der Desperation der um ihren eigenen Kopf besorgten Führer. Diäos, der nach Kritolaos’ Fall wieder den Oberbefehl übernommen hatte, berief alle Waffenfähigen auf den Isthmos und befahl, 12000 in Griechenland geborene Sklaven in das Heer einzustellen; die Reichen wurden zu Vorschüssen angehalten und unter den Friedensfreunden, soweit sie nicht durch Bestechung der Schreckensherren ihr Leben erkauften, durch Blutgerichte aufgeräumt. Der Kampf ging also fort und in dem gleichen Stile. Die achäische Vorhut, die 4000 Mann stark unter Alkamenes bei Megara stand, verlief sich, sowie sie die römischen Feldzeichen gewahrte. Die Hauptmacht auf dem Isthmos wollte Metellus eben angreifen lassen, als der Konsul Lucius Mummius mit wenigen Begleitern im römischen Hauptquartier eintraf und das Kommando übernahm. Inzwischen boten die Achäer, ermutigt durch einen gelungenen Angriff auf die allzu unvorsichtigen römischen Vorposten, der römischen um das Doppelte überlegenen Armee bei Leukopetra auf dem Isthmos die Schlacht an. Die Römer zögerten nicht sie anzunehmen. Gleich zu Anfang rissen die achäischen Reiter in Masse aus vor der sechsfach stärkeren römischen Reiterei; die Hopliten standen dem Feinde, bis ein Flankenangriff des römischen Elitenkorps auch in ihre Reihen Verwirrung brachte. Damit war der Widerstand zu Ende. Diäos floh in seine Heimat, tötete sein Weib und nahm selber Gift; die Städte unterwarfen sich sämtlich ohne Gegenwehr, und sogar das unbezwingliche Korinth, in das einzurücken Mummius drei Tage zauderte, weil er einen Hinterhalt besorgte, ward ohne Schwertstreich von den Römern besetzt.

Die neue Regelung der griechischen Verhältnisse ward in Gemeinschaft mit einer Kommission von zehn Senatoren dem Konsul Mummius übertragen, der sich in dem eroberten Lande im ganzen ein gesegnetes Andenken erwarb. Zwar war es, gelind gesagt, eine Torheit, daß er seiner Kriegs- und Siegestaten wegen den Namen des “Achaikers” annahm und dem Hercules Sieger dankerfüllt einen Tempel erbaute; allein als Verwalter erwies er, der nicht in aristokratischem Luxus und aristokratischer Korruption aufgewachsen, sondern ein “neuer Mann” und verhältnismäßig unbemittelt war, sich gerecht und mild. Es ist eine rednerische Übertreibung, daß von den Achäern bloß Diäos, von den Böotern bloß Pytheas umgekommen seien; in Chalkis namentlich fielen arge Greuel vor; im ganzen ward aber doch in den Strafgerichten Maß gehalten. Den Antrag, die Statuen des Begründers der achäischen Patriotenpartei, des Philopömen, umzustürzen, wies Mummius zurück; die den Gemeinden auferlegten Geldbußen wurden nicht für die römische Kasse, sondern für die geschädigten griechischen Städte bestimmt, größtenteils auch später erlassen und das Vermögen derjenigen Hochverräter, die Eltern oder Kinder hatten, nicht von Staats wegen verkauft, sondern diesen überwiesen. Nur die Kunstschätze wurden aus Korinth, Thespiä und anderen Städten weggeführt und teils in der Hauptstadt, teils in den Landstädten Italiens aufgestellt ^12, einzelne Stücke auch den isthmischen, delphischen und olympischen Tempeln verehrt. Auch in der definitiven Organisation der Landschaft im allgemeinen waltete die Milde. Zwar wurden, wie es die Provinzialverfassung mit sich brachte, die Sondereidgenossenschaften, vor allem die achäische, als solche aufgelöst, die Gemeinden isoliert und durch die Bestimmung, daß niemand in zweien derselben zugleich Grundbesitz erwerben dürfe, der Zwischenverkehr gehemmt. Ferner wurden, wie es schon Flamininus versucht hatte, die demokratischen Stadtverfassungen durchaus beseitigt und in jeder Gemeinde einem aus den Vermögenden gebildeten Rat das Regiment in die Hand gegeben. Auch wurde jeder Gemeinde eine feste, nach Rom zu entrichtende Abgabe auferlegt und sie sämtlich dem Statthalter von Makedonien in der Art untergeordnet, daß diesem als oberstem Militärchef auch in Verwaltung und Gerichtsbarkeit eine Oberleitung zustand und er zum Beispiel wichtigere Kriminalprozesse zur Entscheidung an sich ziehen konnte. Dennoch blieb den griechischen Gemeinden die “Freiheit”, das heißt eine, freilich durch die römische Hegemonie zum Namen zusammengeschwundene, formelle Souveränität, welche das Eigentum an Grund und Boden und das Recht eigener Verwaltung und Gerichtsbarkeit in sich schloß ^13. Einige Jahre später ward sogar nicht bloß ein Schatten der alten Eidgenossenschaften wieder gestattet, sondern auch die drückende Beschränkung in der Veräußerung des Grundbesitzes beseitigt.

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^12 Aus den sabinischen Ortschaften, aus Parma, ja aus Italica in Spanien sind noch mehrere mit Mummius’ Namen bezeichnete Basen bekannt, die einst solche Beutegaben trugen.

^13 Die Frage, ob Griechenland im Jahre 608 (146) römische Provinz geworden sei oder nicht, läuft in der Hauptsache auf einen Wortstreit hinaus. Daß die griechischen Gemeinden durchgängig “frei” blieben (CIG 1543, 15; Caes. civ. 3, 5; App. Mithr. 58; Zonar. 9, 31), ist ausgemacht; aber nicht minder ist es ausgemacht, daß Griechenland damals von den Römern “in Besitz genommen ward” (Tac. arm. 14, 21; 1. Makk. 8, 9,10); daß von da an jede Gemeinde einen festen Zins nach Rom entrichtete (Paus. 7, 16, 6; vgl. Cic. prov. 3, 5), die kleine Insel Gyaros zum Beispiel jährlich 150 Drachmen (Strab. 10, 485); daß die “Ruten und Beile” des römischen Statthalters fortan auch in Griechenland schalteten (Polyb. 38, 1 c; vgl. Cic. Verr. 1. 1, 21, 55) und derselbe die Oberaufsicht über die Stadtverfassungen (CIG 1543) sowie in gewissen Fällen die Kriminaljurisdiktion (CIG 1543; Plut. Cim. 2) fortan ebenso übte wie bis dahin der römische Senat; daß endlich die makedonische Provinzialära auch in Griechenland im Gebrauch war. Zwischen diesen Tatsachen ist keineswegs ein Widerspruch oder doch kein anderer als derjenige, welcher überhaupt in der Stellung der freien Städte liegt, welche bald als außerhalb der Provinz stehend (z. B. Suet. Caes. 25; Colum. 11, 3, 26), bald als der Provinz zugeteilt (z. B. los. ant. lud. 14, 4, 4) bezeichnet werden. Der römische Domanialbesitz in Griechenland beschränkte sich zwar auf den Korinthischen Acker und etwa einige Stücke von Euböa (CIG 5879) und eigentliche Untertanen gab es dort gar nicht; allein darum konnte dennoch, wenn man auf das tatsächlich zwischen den griechischen Gemeinden und dem makedonischen Statthalter bestehende Verhältnis sieht, ebenso wie Massalia zur Provinz Narbo, Dyrrhachion zur Provinz Makedonien, auch Griechenland zu der makedonischen Provinz gerechnet werden. Es finden sich sogar noch viel weitergehende Fälle: Das Cisalpinische Gallien bestand seit 655 (89) aus lauter Bürger- oder latinischen Gemeinden und ward dennoch durch Sulla Provinz; ja in der caesarischen Zeit begegnen Landschaften, die ausschließlich aus Bürgergemeinden bestehen und die dennoch keineswegs aufhören, Provinzen zu sein. Sehr klar tritt hier der Grundbegriff der römischen provincia hervor; sie ist zunächst nichts als das “Kommando” und alle Verwaltungs- und Jurisdiktionstätigkeit des Kommandanten sind ursprünglich Nebengeschäfte und Korollarien seiner militärischen Stellung.

Andererseits muß dagegen, wenn man die formelle Souveränität der freien Gemeinden ins Auge faßt, zugestanden werden, daß durch die Ereignisse des Jahres 608 (146) Griechenlands Stellung staatsrechtlich sich nicht änderte: es waren mehr faktische als rechtliche Verschiedenheiten, daß statt der Achäischen Eidgenossenschaft jetzt die einzelnen Gemeinden Achaias als tributäre Klientelstaaten neben Rom standen und daß seit Einrichtung der römischen Sonderverwaltung in Makedonien diese anstatt der hauptstädtischen Behörden die Oberaufsicht über die griechischen Klientelstaaten übernahm. Man kann demnach, je nachdem die tatsächliche oder die formelle Auffassung überwiegt, Griechenland als Teil des Kommandos von Makedonien ansehen oder auch nicht; indes wird der ersteren Auffassung mit Recht das Übergewicht eingeräumt.

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Strengere Behandlung aber traf die Gemeinden, Theben, Chalkis und Korinth. Es läßt sich nichts dawider erinnern, daß die ersten beiden entwaffnet und durch Niederreißung ihrer Mauern in offene Flecken umgewandelt wurden; dagegen bleibt die durchaus unmotivierte Zerstörung der ersten Handelsstadt Griechenlands, des blühenden Korinth, ein düsterer Schandfleck in den Jahrbüchern Roms. Auf ausdrücklichen Befehl des Senats wurden die korinthischen Bürger aufgegriffen, und was dabei nicht umkam, in die Sklaverei verkauft, die Stadt selbst nicht etwa bloß ihrer Mauern und ihrer Burg beraubt, was, wenn man einmal dieselbe nicht dauernd besetzen wollte, allerdings nicht zu vermeiden war, sondern dem Boden gleichgemacht und in den üblichen Bannformen jeder Wiederanbau der öden Stätte untersagt, das Gebiet derselben zum Teil an Sikyon gegeben unter der Auflage, anstatt Korinths die Kosten des isthmischen Nationalfestes zu bestreiten, größtenteils aber zu römischem Gemeinland erklärt. Also erlosch der “Augapfel von Hellas”, der letzte köstliche Schmuck des einst so städtereichen griechischen Landes. Fassen wir aber die ganze Katastrophe noch einmal ins Auge, so muß die unparteiische Geschichte es anerkennen, was die Griechen dieser Zeit selbst unumwunden eingestanden, daß an dem Kriege selbst nicht die Römer die Schuld trugen, sondern daß die unkluge Treubrüchigkeit und die schwächliche Tollkühnheit der Griechen die römische Intervention erzwangen. Die Beseitigung der Scheinsouveränität der Bünde und alles damit verknüpften unklaren und verderblichen Schwindels war ein Glück für das Land und das Regiment des römischen Oberfeldherrn von Makedonien, wieviel es auch zu wünschen übrig ließ, immer noch bei weitem besser als die bisherige Wirr- und Mißregierung der griechischen Eidgenossenschaften und der römischen Kommissionen. Der Peloponnes hörte auf, die große Söldnerherberge zu sein; es ist bezeugt und begreiflich, daß überhaupt mit dem unmittelbaren römischen Regiment Sicherheit und. Wohlstand einigermaßen zurückkehrten. Das Themistokleische Epigramm, daß der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde von den damaligen Hellenen nicht ganz mit Unrecht angewandt auf den Untergang der griechischen Selbständigkeit. Die ungemeine Nachsicht, welche Rom auch jetzt noch gegen die Griechen bewies, tritt erst recht in das Licht, wenn man sie mit dem gleichzeitigen Verfahren derselben Behörden gegen die Spanier und die Phöniker zusammenhält; Barbaren grausam zu behandeln schien nicht unerlaubt, aber wie später Kaiser Traianus hielten es auch die Römer dieser Zeit “für hart und barbarisch, Athen und Sparta den noch übrigen Schatten von Freiheit zu entreißen”. Um so schärfer kontrastiert mit dieser allgemeinen Milde die empörende, selbst von den Schutzrednern der karthagischen und der numantinischen Katastrophe gemißbilligte Behandlung von Korinth, welche durch die auf den Gassen von Korinth gegen die römischen Abgeordneten ausgestoßenen Schmähreden auch nach römischem Völkerrecht nichts weniger als gerechtfertigt ward. Und doch ging sie keineswegs hervor aus der Brutalität eines einzelnen Mannes, am wenigsten des Mummius, sondern war eine vom römischen Rat erwogene und beschlossene Maßregel. Man wird nicht irren, wenn man darin das Werk der Kaufmannspartei erkennt, die in dieser Epoche schon neben der eigentlichen Aristokratie anfängt, in die Politik einzugreifen, und die in Korinth einen Handelsnebenbuhler beseitigt hat. Wenn die römischen Großhändler bei der Regulierung Griechenlands mit zureden gehabt haben, so begreift man, weshalb das Strafgericht eben gegen Korinth gerichtet ward und weshalb man nicht bloß die Stadt vernichtete, wie sie war, sondern auch die Ansiedlung an dieser für den Handel so überaus günstigen Stätte für die Zukunft verbot. Für die auch in Hellas sehr zahlreichen römischen Kaufleute ward der Mittelpunkt fortan das peloponnesische Argos; wichtiger aber für den römischen Großhandel ward Delos, das, schon seit 586 (168) römischer Freihafen, einen guten Teil der Geschäfte von Rhodos an sich gezogen hatte und nun in ähnlicher Weise in die korinthischen eintrat. Diese Insel blieb für längere Zeit der Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem Westen gehenden Waren ^14.

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^14 Ein merkwürdiger Beleg dafür ist die Benennung der feinen griechischen Bronze- und Kupferwaren die in der ciceronischen Zeit ohne Unterschied “korinthisches” oder “delisches Kupfer” genannt werden. Die Bezeichnung ist in Italien begreiflicherweise nicht von den Fabrikations-, sondern von den Exportplätzen hergenommen (Plin. nat. 34, 2, 9); womit natürlich nicht geleugnet wird, daß dergleichen Gefäße auch in Korinth und Delos selbst fabriziert wurden.

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Unvollständiger als in der nur durch schmale Meere von Italien getrennten afrikanischen und makedonisch-hellenischen Landschaft entwickelte sich die römische Herrschaft in dem dritten entfernteren Weltteil.

In Vorderasien war durch die Zurückdrängung der Seleukiden das Reich von Pergamon die erste Macht geworden. Nicht geirrt durch die Traditionen der Alexandermonarchien, einsichtig und kühl genug, um auf das Unmögliche zu verzichten, verhielten die Attaliden sich ruhig und strebten nicht, ihre Grenzen zu erweitern noch der römischen Hegemonie sich zu entziehen, sondern den Wohlstand ihres Reiches, soweit die Römer es erlaubten, zu fördern und die Künste des Friedens zu pflegen. Doch entgingen sie darum der Eifersucht und dem Argwohn Roms nicht. Im Besitz der europäischen Küste der Propontis, der Westküste Kleinasiens und des kleinasiatischen Binnenlandes bis zur kappadokischen und kilikischen Grenze, in enger Verbindung mit den syrischen Königen, von denen Antiochos Epiphanes († 590 164) durch die Hilfe der Attaliden auf den Thron gelangt war, hatte König Eumenes II. durch seine bei dem immer tieferen Sinken Makedoniens und Syriens nur noch ansehnlicher erscheinende Macht selbst den Begründern derselben Bedenken eingeflößt; es ist schon erzählt worden, wie der Senat darauf bedacht war, nach dem Dritten Makedonischen Krieg diesen Bundesgenossen durch unfeine diplomatische Künste zu demütigen und zu schwächen. Die an sich schon schwierigen Verhältnisse der Herren von Pergamon zu den ganz und halb freien Handelsstädten innerhalb ihres Reichs und zu den barbarischen Nachbarn an dessen Grenzen wurden durch diese Verstimmung der Schutzherren noch peinlicher verwickelt. Da es nicht klar war, ob nach dem Friedensvertrag von 565 (189) die Taurushöhen in der pamphylischen und pisidischen Landschaft zum Syrischen oder zum Pergamenischen Reich gehörten, leisteten die tapferen Selger, es scheint unter nomineller Anerkennung der syrischen Oberhoheit, den Königen Eumenes Il. und Attalos II. langjährigen und energischen Widerstand in den schwer zugänglichen Gebirgen Pisidiens. Auch die asiatischen Kelten, welche eine Zeitlang unter Zulassung der Römer unter pergamenischer Botmäßigkeit gestanden hatten, fielen von Eumenes ab und begannen im Einverständnis mit dem Erbfeind der Attaliden, dem König Prusias von Bithynien, um 587 (167) plötzlich gegen ihn Krieg. Der König hatte keine Zeit gehabt, Mietstruppen zu dingen; all seine Einsicht und Tapferkeit konnte nicht verhindern, daß sie die asiatische Miliz schlugen und das Gebiet überschwemmten; wir kennen bereits die eigentümliche Vermittlung, zu der die Römer auf Eumenes’ Bitte sich herbeiließen. Sowie er indes Zeit gefunden hatte, mit Hilfe seiner wohlgefüllten Kasse eine kampffähige Armee aufzustellen, trieb er auch die wilden Scharen schnell zurück über die Grenze seines Reiches; und obwohl Galatien ihm verloren blieb und seine hartnäckig fortgesetzten Versuche, dort die Hände im Spiel zu behalten, durch römischen Einfluß vereitelt wurden ^15, hinterließ er dennoch trotz aller offenen Angriffe und geheimen Machinationen, die seine Nachbarn und die Römer gegen ihn gerichtet hatten, bei seinem Tode (um 595 159) das Reich in ungeschmälertem Bestand. Sein Bruder Attalos II. Philadelphos († 616 138) wies den Versuch des Königs Pharnakes von Pontos, sich der Vormundschaft über Eumenes’ unmündigen Sohn zu bemächtigen, mit römischer Hilfe zurück und regierte anstatt seines Neffen wie Antigonos Doson als Vormund auf Lebenszeit. Gewandt, tüchtig, fügsam, ein echter Attalide, verstand er es, den argwöhnischen Senat von der Nichtigkeit der früher gehegten Besorgnisse zu überzeugen. Die antirömische Partei beschuldigte ihn, daß er sich dazu hergebe, das Land für die Römer zu hüten und jede Beleidigung und Erpressung von ihnen sich gefallen lasse; indes konnte er, des römischen Schutzes sicher, in die syrischen, kappadokischen und bithynischen Thronstreitigkeiten entscheidend eingreifen. Auch aus dem gefährlichen bithynischen Krieg, den König Prusias II., der Jäger genannt (572 ? - 605 182-149), ein Regent, der alle barbarischen und alle zivilisierten Laster in sich vereinigte, gegen ihn begann, rettete ihn die römische Intervention - freilich erst, nachdem er selbst in seiner Hauptstadt belagert und eine erste Mahnung der Römer von Prusias unbefolgt gelassen, ja verhöhnt worden war (598-600 156-154). Allein mit der Thronbezeigung seines Mündels Attalos III. Philometor (616-621 133-133) trat an die Stelle des friedlichen und mäßigen Bürgerkönigtums ein asiatisches Sultanregiment, unter dem es zum Beispiel vorkam, daß der König, um des unbequemen Rats seiner väterlichen Freunde sich zu entledigen, sie im Palast versammeln und erst sie, sodann ihre Frauen und Kinder von seinen Lanzknechten niedermachen ließ; nebenher schrieb er Bücher über den Gartenbau, zog Giftkräuter und bossierte in Wachs, bis ein plötzlicher Tod ihn abrief. Mit ihm erlosch das Geschlecht der Attaliden. In solchem Fall konnte nach dem wenigstens für die Klientelstaaten Roms gültigen Staatsrecht der letzte Regent testamentarisch über die Sukzession verfügen. Ob der Gedanke, das Reich den Römern zu vermachen, dem letzten Attaliden durch den wahnwitzigen Groll gegen seine Untertanen eingegeben worden war, der ihn bei Lebzeiten gepeinigt hatte, oder ob hierin bloß eine weitere Anerkennung der tatsächlichen Oberlehnsgewalt Roms lag, ist nicht zu entscheiden. Das Testament lag vor ^16; die Römer traten die Erbschaft an und die Frage über das Land und den Schatz der Attaliden fiel in Rom als neuer Erisapfel unter die hadernden politischen Parteien. Aber auch in Asien entzündete dies Königstestament den Bürgerkrieg. Im Vertrauen auf die Abneigung der Asiaten gegen die bevorstehende Fremdherrschaft trat ein natürlicher Sohn Eumenes’ II., Aristonikos in Leukä, einer kleinen Hafenstadt zwischen Smyrna und Phokäa, als Kronprätendent auf. Phokäa und andere Städte fielen ihm zu; indes von den Ephesiern, die in dem festen Anschluß an Rom die einzige Möglichkeit erkannten, ihre Privilegien sich zu erhalten, zur See auf der Höhe von Kyme geschlagen, mußte er in das Binnenland flüchten. Schon glaubte man ihn verschollen; da erschien er plötzlich wieder an der Spitze der neuen “Bürger der Sonnenstadt” ^17, das heißt der von ihm in Masse zur Freiheit gerufenen Sklaven, bemächtigte, sich der lydischen Städte Thyateira und Apollonis sowie eines Teils der attalischen Ortschaften und rief Scharen thrakischer Lanzknechte unter seine Fahnen. Der Kampf ward ernsthaft. Römische Truppen standen in Asien nicht; die asiatischen Freistädte und die Kontingente der Klientelfürsten von Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien, Pontos, Armenien konnten des Prätendenten sich nicht erwehren; er drang mit gewaffneter Hand in Kolophon, Samos, Myndos ein und gebot schon fast über das gesamte väterliche Reich, als am Ende des Jahres 623 (131) ein römisches Heer in Asien landete. Dessen Feldherr, der Konsul und Oberpontifex Publius Licinius Crassus Mucianus, einer der reichsten und zugleich einer der gebildetsten Männer Roms und als Redner wie als Rechtskenner gleich ausgezeichnet, schickte sich an, den Prätendenten in Leukä zu belagern, ließ aber während der Vorbereitungen dazu von dem allzu gering geschätzten Gegner sich überraschen und schlagen und ward selbst von einem thrakischen Haufen gefangen. Den Triumph aber, den Oberfeldherrn Roms als Gefangenen zur Schau zu stellen, gönnte er einem solchen Feinde nicht; er reizte die Barbaren, die ihn ergriffen hatten, ohne ihn zu kennen, ihm den Tod zu geben (Anfang 624 130), und erst als Leiche ward der Konsular erkannt. Mit ihm, wie es scheint, fiel König Ariarathes von Kappadokien. Indes ward Aristonikos nicht lange nach diesem Siege von Crassus’ Nachfolger Marcus Perpenna überfallen, sein Heer zersprengt, er selbst in Stratonikeia belagert und gefangen und bald darauf in Rom hingerichtet. Die Unterwerfung der letzten, noch Widerstand leistenden Städte und die definitive Regulierung der Landschaft übernahm nach Perpennas plötzlichem Tode Manius Aquillius (625 129). Man verfuhr ähnlich wie im karthagischen Gebiet. Der östliche Teil des Attalidenreichs ward den Klientelkönigen überwiesen, um die Römer von dem Grenzschutz und damit von der Notwendigkeit einer stehenden Besatzung in Asien zu befreien; Telmissos kam an die lykische Eidgenossenschaft; die europäischen Besitzungen in Thrakien wurden zu der Provinz Makedonien geschlagen; das übrige Gebiet ward als neue römische Provinz eingerichtet, der gleich der karthagischen nicht ohne Absicht der Name des Weltteils beigelegt ward, in, dem sie lag. Die Steuern, die nach Pergamon gezahlt worden waren, wurden dem Lande erlassen und dasselbe mit gleicher Milde behandelt wie Hellas und Makedonien. So ward der ansehnlichste kleinasiatische Staat eine römische Vogtei.

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^15 Mehrere vor kurzem (SB München, 1860, S. 180f.) bekannt gewordene Schreiben der Könige Eumenes II. und Attalos II. an den Priester von Pessinus, welcher durchgängig Attis heißt (vgl. Polyb. 22, 20), erläutern diese Verhältnisse sehr anschaulich. Das älteste derselben und das einzige datierte, geschrieben im 34. Regierungsjahre des Eumenes am siebten Tage vor dem Ende des Gorpiäos, also 590/91 der Stadt (164/63), bietet dem Priester militärische Hilfe an, um den (sonst nicht bekannten) Pesongern von ihnen besetztes Tempelland zu entreißen. Das folgende, ebenfalls noch von Eumenes, zeigt den König als Partei in der Fehde zwischen dem Priester von Pessinus und dessen Bruder Aiorix. Ohne Zweifel gehörten beide Handlungen des Eumenes zu denjenigen, die in den Jahren 590f. (164) in Rom zur Anzeige kamen als Versuche desselben, sich in die gallischen Angelegenheiten auch fernerhin zu mengen und dort seine Parteigenossen zu stützen (Polyb. 31, 6, 9; 32, 3, 5). Dagegen geht aus einem der Schreiben seines Nachfolgers Attalos hervor, wie sich die Zeiten geändert und die Wünsche herabgestimmt hatten. Der Priester Attis scheint auf einer Zusammenkunft in Apameia von Attalos abermals die Zusage bewaffneter Hilfe erhalten zu haben; nachher aber schreibt ihm der König, daß in einem deswegen abgehaltenen Staatsrat, dem Athenäos (sicher der bekannte Bruder des Königs), Sosandros, Menogenes, Chloros und andere Verwandte (αναγκαίοι) beigewohnt hätten, nach langem Schwanken endlich die Majorität dem Chloros dahin beigetreten sei, daß nichts geschehen dürfe, ohne die Römer vorher zu befragen; denn selbst wenn ein Erfolg erreicht werde, setzte man sich dem Wiederverlust und dem bösen Verdacht aus, “den sie auch gegen den Bruder” (Eumenes II.) “gehegt hätten”.

^16 In demselben Testament gab der König seiner Stadt Pergamon die “Freiheit”, das heißt die δημοκρατία, das städtische Selbstregiment. Laut einer merkwürdigen, kürzlich dort gefundenen Urkunde (Römisches Staatsrecht, Bd. 3, 3. Aufl., S. 726) beschloß nach Eröffnung des Testaments, aber vor dessen Bestätigung durch die Römer der also konstituierte Demos den bisher vom Bürgerrecht ausgeschlossenen Klassen der Bevölkerung, insbesondere den im Zensus aufgeführten Paröken und den in Stadt und Land wohnhaften Soldaten, auch den Makedoniern, das städtische Bürgerrecht zu verleihen, um also ein gutes Einverständnis in der gesamten Bevölkerung herbeizuführen. Offenbar wollte die Bürgerschaft, indem sie die Römer vor die vollendete Tatsache dieser umfassenden Ausgleichung stellte, vor dem eigentlichen Eintreten der römischen Herrschaft sich gegen dieselbe in Verfassung setzen und den fremden Gebietern die Möglichkeit nehmen, die Rechtsverschiedenheiten innerhalb der Bevölkerung zur Sprengung der Gemeindefreiheit zu benutzen.

^17 Diese seltsamen “Heliopoliten” sind, nach der mir von einem Freunde geäußerten wahrscheinlichen Meinung, so zu fassen, daß die befreiten Sklaven als Bürger einer umgenannten oder auch vielleicht für jetzt nur gedachten Stadt Heliopolis sich konstituierter, die ihren Namen von dem in Syrien hochverehrten Sonnengott empfing.

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Die zahlreichen andern Kleinstaaten und Städte Vorderasiens, das Königreich Bithynien, die paphlagonischen und gallischen Fürstentümer, die lykische und die pamphylische Eidgenossenschaft, die Freistädte Kyzikos und Rhodos blieben in ihren bisherigen beschränkten Verhältnissen bestehen.

Jenseits des Halys befolgte Kappadokien, nachdem König Ariarathes V. Philopator (591 - 624 136 - 130), hauptsächlich durch Hilfe der Attaliden, sich gegen seinen von Syrien unterstützten Bruder und Nebenbuhler Holophernes behauptet hatte, wesentlich die pergamenische Politik, sowohl in der unbedingten Hingebung an Rom als in der Richtung auf hellenische Bildung. Durch ihn drang diese ein in das bis dahin fast barbarische Kappadokien und freilich auch sogleich ihre Auswüchse, wie der Bakchosdienst und das wüste Treiben der wandernden Schauspielertruppen, der sogenannten “Künstler”. Zum Lohn der Treue gegen Rom, die dieser Fürst in dem Kampfe gegen den pergamenischen Prätendenten mit seinem Leben bezahlt hatte, ward sein unmündiger Erbe Ariarathes VI. nicht nur gegen die von dem König von Pontos versuchte Usurpation durch die Römer geschirmt, sondern ihm auch der südöstliche Teil des Attalidenreiches gegeben, Lykaorien nebst der östlich daran grenzenden, .in älterer Zeit zu Kilikien gerechneten Landschaft.

Endlich im fernen Nordosten Kleinasiens gelangte “Kappadokien am Meer” oder kurzweg der “Meerstaat”, Pontos, zu steigender Ausdehnung und Bedeutung. Nicht lange nach der Schlacht von Magnesia hatte König Pharnakes I. sein Gebiet weit über den Halys bis nach Tios an, der bithynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des reichen Sinope sich bemächtigt, das aus einer griechischen Freistadt dieser Könige Residenz ward. Zwar hatten die durch diese Übergriffe gefährdeten Nachbarstaaten, König Eumenes II. an ihrer Spitze, deswegen Krieg gegen ihn geführt (571-575 183-179) und unter römischer Vermittlung das Versprechen von ihm erzwungen, Galatien und Paphlagonien zu räumen; allein der Verlauf der Ereignisse zeigt, daß Pharnakes sowie sein Nachfolger Mithradates V. Euergetes (598 ? - 634 156 - 120), treue Bundesgenossen Roms im Dritten Punischen Krieg sowie in dem gegen Aristonikos, nicht bloß jenseits des Halys sitzen geblieben sind, sondern auch der Sache nach die Schutzherrlichkeit über die paphlagonischen und galatischen Dynasten behalten haben. Nur unter dieser Voraussetzung ist es erklärlich, wie Mithradates, angeblich wegen seiner tapferen Taten im Kriege gegen Aristonikos, in der Tat für beträchtliche an den römischen Feldherrn gezahlte Summen, von demselben nach Auflösung des Attalischen Reiches Großphrygien empfangen konnte. Wie weit andererseits gegen den Kaukasus und die Euphratquellen das :Pontische Reich sich um diese Zeit erstreckte, ist nicht genau zu bestimmen; doch scheint es den westlichen Teil von Armenien um Enderes und Diwirigi oder das sogenannte Klein-Armenien als abhängige Satrapie umfaßt zu haben, während Groß -Armenien und Sophene eigene unabhängige Reiche bildeten.

Wenn also auf der kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das Regiment führte und, so vieles auch ohne und gegen seinen Willen geschah, doch den Besitzstand im ganzen bestimmt, so blieben dagegen die weiten Strecken jenseits des Taurus und des oberen Euphrat bis hinab zum Niltal in der Hauptsache sich selber überlassen. Zwar der der Regulierung des Ostens von 565 (189) zugrunde gelegte Satz, daß der Halys die Ostgrenze der römischen Klientel bilden solle, ward vom Senat nicht eingehalten und trug auch die Unhaltbarkeit in sich selber. Der politische Horizont ist Selbsttäuschung so gut wie der physische; wenn dem Staate Syrien die Zahl der ihm gestatteten Kriegsschiffe und Kriegselefanten im Friedensvertrag selbst normiert ward, wenn das syrische Heer auf Befehl des römischen Senats das halb gewonnene Ägypten räumte, so lag da in die vollständige Anerkennung der Hegemonie und der Klientel. Darum gingen denn auch die Thronstreitigkeiten in Syrien wie in Ägypten zur Beilegung an die römische Regierung. Dort stritten nach Antiochos Epiphanes’ Tode (590 164) der als Geisel in Rom lebende Sohn Seleukos des vierten, Demetrios, später Soter genannt, und des letzten Königs Antiochos Epiphanes unmündiger Sohn Antiochos Eupator um die Krone; hier war von den beiden seit 584 (170) gemeinschaftlich regierenden Brüdern der ältere Ptolemaeos Philometor (573-608 146-131) durch den jüngeren Ptolemaeos Euergetes II. oder den Dicken († 637 117) aus dem Lande getrieben worden (590 164) und, um seine Herstellung zu erwirken, persönlich in Rom erschienen. Beide Angelegenheiten ordnete der Senat lediglich auf diplomatischem Wege und wesentlich nach Maßgabe des römischen Vorteils. In Syrien ward Antiochos Eupator mit Beseitigung des besser berechtigten Demetrios als König anerkannt und mit der Führung der Vormundschaft über den königlichen Knaben der römische Senator Gnaeus Octavius vom Senat beauftragt, welcher, wie begreiflich, durchaus im römischen Interesse regierte, die Kriegsflotte und das Elefantenheer dem Friedensvertrag von 565 (189) gemäß reduzierte und im besten Zuge war, den militärischen Ruin des Landes zu vollenden. In Ägypten ward nicht bloß Philometors Herstellung bewirkt, sondern auch, teils um dem Bruderzwist ein Ziel zu setzen, teils um die noch immer ansehnliche Macht Ägyptens zu schwächen, Kyrene vom Reich getrennt und Euergetes mit demselben abgefunden. “Könige sind, wen die Römer wollen”, schrieb nicht lange nachher ein jüdischer Mann, “und wen sie nicht wollen, den verjagen sie von Land und Leuten”. Allein dies war für lange Zeit das letzte Mal, daß der römische Senat in den Angelegenheiten des Ostens mit derjenigen Tüchtigkeit und Tatkraft auftrat, welche er in den Verwicklungen mit Philippos, Antiochos und Perseus durchgängig bewährt hatte. Der innerliche Verfall des Regiments wirkte am spätesten, aber wirkte doch endlich auch zurück auf die Behandlung der auswärtigen Angelegenheiten. Das Regiment ward unstet und unsicher; man ließ die eben erfaßten Zügel erschlaffen und beinahe wieder fahren. Der vormundschaftliche Regent von Syrien ward in Laodikeia ermordet; der zurückgewiesene Prätendent Demetrios entfloh aus Rom und bemächtigte sich unter dem dreisten Vorgeben, daß der römische Senat ihn dazu bevollmächtigt habe, nach Beseitigung des königlichen Knaben der Regierung seines väterlichen Reiches (592 162). Bald nachher brach zwischen den Königen von Ägypten und Kyrene Krieg aus über den Besitz der Insel Kypros, welche der Senat zuerst dem älteren, sodann dem jüngeren zugeschieden hatte, und im Widerspruch mit der neuesten römischen Entscheidung blieb dieselbe schließlich bei Ägypten. So wurde die römische Regierung, in der Fülle ihrer Macht und während des tiefsten inneren und äußeren Friedens daheim, von den ohnmächtigen Königen des Ostens mit ihren Dekreten verhöhnt, ihr Name gemißbraucht, ihr Mündel und ihr Kommissar ermordet. Als siebzig Jahre zuvor die Illyriker in ähnlicher Weise sich an römischen Abgeordneten vergriffen, hatte der damalige Senat dem Ermordeten auf dem Marktplatz ein Denkmal errichtet und mit Heer und Flotte die Mörder zur Verantwortung gezogen. Der Senat dieser Zeit ließ dem Gnaeus Octavius gleichfalls ein Denkmal setzen, wie die Sitte der Väter es vorschrieb; aber statt Truppen nach Syrien einzuschiffen, ward Demetrios als König des Landes anerkannt - man war ja jetzt so mächtig, daß es überflüssig schien, die Ehre zu wahren. Ebenso blieb nicht bloß Kypros trotz des entgegenstehenden Senatsbeschlusses bei Ägypten, sondern als nach Philometors Tode (608 146) Euergetes ihm nachfolgte und dadurch das geteilte Reich wiederum vereinigt ward, ließ der Senat auch dies ungehindert geschehen. Nach solchen Vorgängen war der römische Einfluß in diesen Landschaften tatsächlich gebrochen und entwickelten sich die Verhältnisse daselbst zunächst ohne Zutun der Römer; doch ist des weiteren Verlaufs der Dinge wegen es notwendig, auch jetzt den näheren und selbst den ferneren Osten nicht völlig aus den Augen zu verlieren.

Wenn in dem allerseits abgeschlossenen Ägypten der Status quo sich so leicht nicht verschob, so gruppierten dagegen in Asien dies- und jenseits des Euphrat während und zum Teil infolge dieser momentanen Stockung der römischen Oberleitung die Völker und Staaten sich wesentlich anders. Jenseits der großen iranischen Wüste hatten nicht lange nach Alexander dem Großen am Indus das Reich von Palimbothra unter Tschandragupta (Sandrakottos), am oberen Oxus der mächtige baktrische Staat, beide aus einer Mischung der nationalen Elemente und der östlichsten Ausläufer hellenischer Zivilisation sich gebildet. Westwärts von diesen begann das Reich Asien, das noch unter Antiochos dem Großen zwar geschmälert, aber immer noch ungeheuer vom Hellespont bis zu den medischen und persischen Landschaften sich erstreckte und das ganze Stromgebiet des Euphrat und Tigris in sich schloß. Noch jener König hatte seine Waffen bis jenseits der Wüste in das Gebiet der Parther und Baktrier getragen; erst unter ihm hatte der gewaltige Staat angefangen sich aufzulösen. Nicht bloß Vorderasien war infolge der Schlacht von Magnesia verloren worden; auch die gänzliche Lösung der beiden Kappadokien und der beiden Armenien, des eigentlichen Armenien im Nordosten und der Landschaft Sophene im Südwesten, und ihre Verwandlung in selbständige Königreiche aus syrischen Lehnsfürstentümern, gehört dieser Zeit an. Von diesen Staaten gelangte namentlich Großarmenien unter den Artaxiaden bald zu einer ansehnlichen Stellung. Vielleicht noch gefährlichere Wunden schlug dem Reiche seines Nachfolgers Antiochos Epiphanes (579-590 175-164) törichte Nivellierungspolitik. So richtig es auch war, daß sein Reich mehr einem Länderbündel als einem Staate glich und daß die Verschiedenheiten der Nationalitäten und der Religionen der Untertanen der Regierung die wesentlichsten Hindernisse bereitete, so war doch der Plan, hellenisch-römische Weise und hellenisch-römischen Kultus überall in seinem Lande einzuführen und seine Völker in politischer wie in religiöser Hinsicht auszugleichen unter allen Umständen eine Torheit, auch abgesehen davon, daß dieser karikierte Joseph II. persönlich einem solchen gigantischen Beginnen nichts weniger als gewachsen war und durch Tempelplünderung im großartigsten Maßstab und die tollste Ketzerverfolgung seine Reformen in der übelsten Weise einleitete. Die eine Folge hiervon war, daß die Bewohner der Grenzprovinz gegen Ägypten, die Juden, sonst bis zur Demütigkeit fügsame und äußerst tätige und betriebsame Leute, durch den systematischen Religionszwang zur offenen Empörung gedrängt wurden (um 587 167). Die Sache kam an den Senat, und da derselbe eben damals teils gegen Demetrios Soter mit gutem Grund erbittert war, teils eine Verbindung der Attaliden und Seleukiden besorgte, überhaupt aber die Herstellung einer Mittelmacht zwischen Syrien und Ägypten im Interesse Roms lag, so machte er keine Schwierigkeit, die Freiheit und Autonomie der insurgierten Nation sofort anzuerkennen (um 593 161). Indes geschah doch von Rom für die Juden nur, was man tun konnte, ohne sich selber zu bemühen; trotz der Klausel des zwischen den Römern und den Juden abgeschlossenen Vertrags, die den Juden, im Fall sie angegriffen würden, den Beistand Roms versprach, und trotz des an die Könige von Syrien und Ägypten gerichteten Verbots, ihre Truppen durch das jüdische Land zu führen, blieb es natürlich lediglich jenen selbst überlassen, der syrischen Könige sich zu erwehren. Mehr als die Briefe ihrer mächtigen Verbündeten tat für sie die tapfere und umsichtige Leitung des Aufstandes durch das Heldengeschlecht der Makkabäer und die innere Zerrissenheit des Syrischen Reiches: während des Haders zwischen den syrischen Königen Tryphon und Demetrios Nikator ward den Juden die Autonomie und Steuerfreiheit förmlich zugestanden (612 142) und bald darauf sogar das Haupt des Makkabäerhauses, Simon, des Mattathias Sohn, von der Nation wie von dem syrischen Großkönig als Hochpriester und Fürst Israels förmlich anerkannt ^18 (615 139).

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^18 Von ihm rühren die Münzen her mit der Aufschrift “Shekel Israel” und der Jahreszahl des “heiligen Jerusalem” oder “der Erlösung Sions”. Die ähnlichen mit dem Namen Simons, des Fürsten (Nessi) Israel, gehören nicht ihm, sondern dem Insurgentenführer Bar Kochba unter Hadrian.

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Folgenreicher noch als diese Insurrektion der Israeliten war die gleichzeitig und wahrscheinlich aus gleicher Ursache entstandene Bewegung in den östlichen Landschaften, wo Antiochos Epiphanes die Tempel der persischen Götter nicht minder leerte wie den von Jerusalem und dort den Anhängern des Ahuramazda und des Mithra es nicht besser gemacht haben wird wie hier denen des Jehova. Wie in Judäa, nur in weiterem Umfang und in großartigeren Verhältnissen, war das Ergebnis eine Reaktion der einheimischen Weise und der einheimischen Religion gegen den Hellenismus und die hellenischen Götter; die Träger dieser Bewegung waren die Parther und aus ihr entsprang das große Partherreich. Die “Parthwa” oder Parther, die als eine der zahllosen in das große Perserreich aufgegangenen Völkerschaften früh, zuerst im heutigen Khorasan südöstlich vom Kaspischen Meere begegnen, erscheinen schon seit 500 (250) unter dem skythischen, das heißt turanischen Fürstengeschlecht der Arsakiden als ein selbständiger Staat, der indes erst ein Jahrhundert später aus seiner Dunkelheit hervortrat. Der sechste Arsakes, Mithradates I. (579? - 618? 175-136), ist der eigentliche Gründer der parthischen Großmacht. Ihm erlag das an sich weit mächtigere, aber teils durch die Fehden mit den skythischen Reiterscharen von Turan und mit den Staaten am Indus, teils durch innere Wirren bereits in allen Fugen erschütterte Baktrische Reich. Fast gleiche Erfolge errang er in den Landschaften westlich von der großen Wüste. Das Syrische Reich war eben damals, teils infolge der verfehlten Hellenisierungsversuche des Antiochos Epiphanes, teils durch die nach dessen Tode eintretenden Sukzessionswirren, aufs tiefste zerrüttet und die inneren Provinzen im vollen Zuge, sich von Antiocheia und der Küstenlandschaft abzulösen; in Kommagene zum Beispiel, der nördlichsten Landschaft Syriens an der kappadokischen Grenze, machte der Satrap Ptolemaeos, auf dem entgegengesetzten Ufer des Euphrat im nördlichen Mesopotamien oder der Landschaft Osrhoene der Fürst von Edessa, in der wichtigen Provinz Medien der Satrap Timarchos sich unabhängig; ja der letztere ließ sich vom römischen Senat seine Unabhängigkeit bestätigen und herrschte, gestützt auf das verbündete Armenien, bis hinab nach Seleukeia am Tigris. Unordnungen dieser Art waren im Asiatischen Reiche in Permanenz, sowohl die Provinzen unter ihren halb oder ganz unabhängigen Satrapen in ewigem Aufstand als auch die Hauptstadt mit ihrem gleich dem römischen und dem alexandrinischen zuchtlosen und widerspenstigen Pöbel. Die gesamte Meute der Nachbarkönige, Ägypten, Armenien, Kappadokien, Pergamon, mengte unaufhörlich sich in die Angelegenheiten Syriens und nährte die Erbfolgestreitigkeiten, so daß der Bürgerkrieg und die faktische Teilung der Herrschaft unter zwei oder mehr Prätendenten fast zur stehenden Landplage ward. Die römische Schutzmacht, wenn sie die Nachbarn nicht aufstiftete, sah untätig zu. Zu allem diesem drängte von Osten her das neue Partherreich, nicht bloß mit seiner materiellen Macht, sondern auch mit dem ganzen Übergewicht seiner nationalen Sprache und Religion, seiner nationalen Heer- und Staatsverfassung auf die Fremdlinge ein. Es ist hier noch nicht der Ort dies regenerierte Kyrosreich zu schildern; es genügt im allgemeinen, daran zu erinnern, daß, so mächtig auch in ihm noch der Hellenismus auftritt, dennoch der parthische Staat, verglichen mit dem der Seleukiden, auf einer nationalen und religiösen Reaktion beruht und die alte iranische Sprache, der Magierstand und der Mithrasdienst, die orientalische Lehnsverfassung, die Reiterei der Wüste und Pfeil und Bogen hier zuerst dem Hellenismus wieder übermächtig entgegentraten. Die Lage der Reichskönige diesem allem gegenüber war in der Tat beklagenswert. Das Geschlecht der Seleukiden war keineswegs so entnervt wie zum Beispiel das der Lagiden, und einzelnen derselben mangelte es nicht an Tapferkeit und Fähigkeit; sie wiesen auch wohl den einen oder den andern jener zahllosen Rebellen, Prätendenten und Intervenienten in seine Schranken zurück; aber es fehlte ihrer Herrschaft so sehr an einer festen Grundlage, daß sie dennoch der Anarchie nicht auch nur vorübergehend zu steuern vermochten. Das Ergebnis war denn, was es sein mußte. Die östlichen Landschaften Syriens unter ihren unbeschützten oder gar aufrührerischen Satrapen gerieten unter parthische Botmäßigkeit; Persien, Babylonien, Medien wurden auf immer vom Syrischen Reiche getrennt; der neue Staat der Parther reichte zu beiden Seiten der großen Wüste vom Oxus und Hindukusch bis zum Tigris und zur Arabischen Wüste, wiederum gleich dem Perserreich und all den älteren asiatischen Großstaaten eine reine Kontinentalmonarchie und wiederum eben gleich dem Perserreich in ewiger Fehde begriffen einerseits mit den Völkern von Turan, andererseits mit den Okzidentalen. Der Syrische Staat umfaßte außer der Küstenlandschaft höchstens noch Mesopotamien und verschwand, mehr noch infolge seiner inneren Zerrüttung als seiner Verkleinerung, auf immer aus der Reihe der Großstaaten. Wenn die mehrfach drohende gänzliche Unterjochung des Landes durch die Parther unterblieb, so ist dies nicht der Gegenwehr der letzten Seleukiden, noch weniger dem Einfluß Roms zuzuschreiben, sondern vielmehr den vielfältigen inneren Unruhen im Partherreiche selbst und vor allem den Einfällen der turanischen Steppenvölker in dessen östliche Landschaften.

Diese Umwandlung der Völkerverhältnisse im inneren Asien ist der Wendepunkt in der Geschichte des Altertums. Auf die Völkerflut, die bisher von Westen nach Osten sich ergossen und in dem großen Alexander ihren letzten und höchsten Ausdruck gefunden hatte, folgt die Ebbe. Seit der Partherstaat besteht, ist nicht bloß verloren, was in Baktrien und am Indus etwa noch von hellenischen Elementen sich erhalten haben mochte, sondern auch das westliche Iran weicht wieder zurück in das seit Jahrhunderten verlassene, aber noch nicht verwischte Geleise. Der römische Senat opfert das erste wesentliche Ergebnis der Politik Alexanders und leitet damit jene rückläufige Bewegung ein, deren letzte Ausläufer im Alhambra von Granada und in der Großen Moschee von Konstantinopel endigen. Solange noch das Land von Ragä und Persepolis bis zum Mittelmeer dem König von Antiochia gehorchte, erstreckte auch Roms Macht sich bis an die Grenze der großen Wüste; der Partherstaat, nicht weil er so gar mächtig war, sondern weil er seinen Schwerpunkt fern von der Küste, im inneren Asien fand, konnte niemals eintreten in die Klientel des Mittelmeerreiches. Seit Alexander hatte die Welt den Okzidentalen allein gehört und schien der Orient für diese nur zu sein, was später Amerika und Australien für die Europäer wurden; mit Mithradates I. trat dieser wieder ein in den Kreis der politischen Bewegung. Die Welt hatte wieder zwei Herren.

Es ist noch übrig, auf die maritimen Verhältnisse dieser Zeit einen Blick zu werfen, obwohl darüber sich kaum etwas anderes sagen läßt, als daß es nirgends mehr eine Seemacht gab. Karthago war vernichtet, Syriens Kriegsflotte vertragsmäßig zugrunde gerichtet, Ägyptens einst so gewaltige Kriegsmarine unter seinen gegenwärtigen schlaffen Regenten in tiefem Verfall. Die kleineren Staaten und namentlich die Kaufstädte hatten wohl einige bewaffnete Fahrzeuge, aber sie genügten nicht einmal für die im Mittelmeere so schwierige Unterdrückung des Seeraubs. Mit Notwendigkeit fiel diese Rom zu als der führenden Macht im Mittelmeer. Wie ein Jahrhundert zuvor die Römer eben hierin mit besonderer und wohltätiger Entschiedenheit aufgetreten waren und namentlich im Osten ihre Suprematie zunächst eingeführt hatten durch die zum allgemeinen Besten energisch gehandhabte Seepolizei, ebenso bestimmt bezeichnet die vollständige Nichtigkeit derselben schon im Beginn dieser Periode den furchtbar raschen Verfall des aristokratischen Regiments. Eine eigene Flotte besaß Rom nicht mehr; man begnügte sich, wenn es nötig schien, von den italischen, den kleinasiatischen und den sonstigen Seestädten Schiffe einzufordern. Die Folge war natürlich, daß das Flibustierwesen sich organisierte und konsolidierte. Zu dessen Unterdrückung geschah nun wohl, wenn nicht genug, so doch etwas, soweit die unmittelbare Macht der Römer reichte, im Adriatischen und Tyrrhenischen Meer. Die gegen die dalmatischen und ligurischen Küsten in dieser Epoche gerichteten Expeditionen bezweckten namentlich die Unterdrückung des Seeraubs in den beiden italischen Meeren; aus gleichem Grunde wurden im Jahre 631 (123) die Balearischen Inseln besetzt. Dagegen in den mauretanischen und den griechischen Gewässern blieb es den Anwohnern und den Schiffern überlassen, mit den Korsaren auf die eine oder die andere Weise sich abzufinden, da die römische Politik daran festhielt sich um diese entfernteren Gegenden so wenig wie irgend möglich zu kümmern. Die zerrütteten und bankerotten Gemeinwesen in den also sich selbst überlassenen Küstenstaaten wurden hierdurch natürlich zu Freistätten der Korsaren; und an solchen fehlte es namentlich in Asien nicht. Am ärgsten sah es in dieser Hinsicht aus auf Kreta, das durch eine glückliche Lage und die Schwäche oder Schlaffheit der Großstaaten des Westens und Ostens allein unter allen griechischen Ansiedlungen seine Unabhängigkeit bewahrt hatte; die römischen Kommissionen kamen und gingen freilich auch auf dieser Insel, aber richteten hier noch weniger aus als selbst in Syrien und Ägypten. Fast schien es aber, als habe das Schicksal den Kretern die Freiheit nur gelassen um zu zeigen, was herauskomme bei der hellenischen Unabhängigkeit. Es war ein schreckliches Bild. Die alte dorische Strenge der Gemeindeordnungen war ähnlich wie in Tarent umgeschlagen in eine wüste Demokratie, der ritterliche Sinn der Bewohner in eine wilde Rauf- und Beutegier; ein achtbarer Hellene selbst bezeugt es, daß allein auf Kreta nichts für schimpflich gelte, was einträglich sei, und noch der Apostel Paulus führt billigend den Spruch eines kretischen Dichters an: “Lügner sind all, Faulranzen, unsaubere Tiere die Kreter.” Die ewigen Bürgerkriege verwandelten trotz der römischen Friedensstiftungen auf der alten “Insel der hundert Städte” eine blühende Ortschaft nach der andern in Ruinenhaufen. Ihre Bewohner durchstreiften als Räuber die Heimat und die Fremde, die Länder und die Meere; die Insel ward der Werbeplatz für die umliegenden Königreiche, seit dieser Unfug im Peloponnes nicht mehr geduldet ward, und vor allem der rechte Sitz der Piraterie, wie denn zum Beispiel um diese Zeit die Insel Siphnos durch eine kretische Korsarenflotte völlig ausgeraubt ward. Rhodos, das ohnehin von dem Verlust seiner Besitzungen auf dem Festland und den seinem Handel zugefügten Schlägen sich nicht zu erholen vermochte, vergeudete seine letzten Kräfte in den Kriegen, die es zur Unterdrückung der Piraterie gegen die Kreter zu führen sich genötigt sah (um 600 150) und in denen die Römer zwar zu vermitteln suchten, indes ohne Ernst und, wie es scheint, ohne Erfolg.

Neben Kreta fing bald auch Kilikien an, für diese Flibustierwirtschaft eine zweite Heimat zu werden; und es war nicht bloß die Ohnmacht der syrischen Herrscher, die ihr hier Vorschub tat: der Usurpator Diodotos Tryphon, der sich vom Sklaven zum König Syriens aufgeschwungen hatte (608-615 146-139), förderte, um durch Korsarenhilfe seinen Thron zu befestigen, in seinem Hauptsitz, dem Rauhen oder westlichen Kilikien, mit allen Mitteln von oben herab die Piraterie. Der ungemein gewinnbringende Verkehr mit den Piraten, die zugleich die hauptsächlichsten Sklavenfänger und Sklavenhändler waren, verschaffte ihnen bei dem kaufmännischen Publikum, sogar in Alexandreia, Rhodos und Delos eine gewisse Duldung, an der selbst die Regierungen wenigstens durch Passivität sich beteiligten. Das Übel ward so ernsthaft, daß der Senat um 611 (143) seinen besten Mann, Scipio Aemilianus, nach Alexandreia und Syrien sandte, um an Ort und Stelle zu ermitteln, was sich dabei tun lasse. Allein diplomatische Vorstellungen der Römer machten die schwachen Regierungen nicht stark; es gab keine andere Abhilfe als geradezu eine Flotte in diesen Gewässern zu unterhalten, wozu es wieder der römischen Regierung an Energie und Konsequenz gebrach. So blieb eben alles beim alten, die Piratenflotte die einzige ansehnliche Seemacht im Mittelmeere, der Menschenfang das einzige daselbst blühende Gewerbe. Die römische Regierung sah den Dingen zu, die römischen Kaufleute aber standen als die besten Kunden auf dem Sklavenmarkt mit den Piratenkapitänen als den bedeutendsten Großhändlern in diesem Artikel auf Delos und sonst in regem und freundlichem Geschäftsverkehr.

Wir haben die Umgestaltung der äußeren Verhältnisse Roms und der römisch-hellenischen Welt überhaupt in ihren Umrissen von der Schlacht bei Pydna bis auf die Gracchenzeit, vom Tajo und vom Bagradas zum Nil und zum Euphrat begleitet. Es war eine große und schwierige Aufgabe, die Rom mit dem Regimente dieser römisch-hellenischen Welt übernahm; sie ward nicht völlig verkannt, aber keineswegs gelöst. Die Unhaltbarkeit des Gedankens der catonischen Zeit, den Staat auf Italien zu beschränken und außerhalb Italiens nur durch Klientel zu herrschen, ward von den leitenden Männern der folgenden Generation wohl begriffen und wohl die Notwendigkeit eingesehen, an die Stelle dieses Klientelregiments eine die Gemeindefreiheiten wahrende, unmittelbare Herrschaft Roms zu setzen. Allein statt diese neue Ordnung fest, rasch und gleichmäßig durchzuführen, wurden einzelne Landschaften eingezogen, wo eben Gelegenheit, Eigensinn, Nebenvorteil und Zufall dazu führten, wogegen der größere Teil des Klientelgebiets entweder in der unerträglichen Halbheit seiner bisherigen Stellung verblieb oder gar, wie namentlich Syrien, sich gänzlich dem Einfluß Roms entzog. Aber auch das Regiment selbst ging mehr und mehr auf in einem schwächlichen und kurzsichtigen Egoismus. Man begnügte sich von heute auf morgen zu regieren und nur eben die laufenden Geschäfte notdürftig zu erledigen. Man war gegen die Schwachen der strenge Herr - als die Stadt Mylasa in Karien dem Publius Crassus Konsul 623 (131) zur Erbauung eines Sturmbocks einen andern Balken als den verlangten sandte, ward der Vorstand der Stadt deswegen ausgepeitscht; und Crassus war kein schlechter Mann und ein streng rechtlicher Beamter. Dagegen ward die Strenge da vermißt, wo sie an ihrem Platz gewesen wäre, wie gegen die angrenzenden Barbaren und gegen die Piraten. Indem die Zentralregierung auf jede Oberleitung und jede Übersicht der Provinzialverhältnisse Verzicht tat, gab sie dem jedesmaligen Vogt nicht bloß die Interessen der Untertanen, sondern auch die des Staates vollständig preis. Die spanischen Vorgänge, unbedeutend an sich, sind hierfür belehrend. Hier, wo die Regierung weniger als in den übrigen Provinzen sich auf die bloße Zuschauerrolle beschränken konnte, wurde nicht bloß von den römischen Statthaltern das Völkerrecht geradezu mit Füßen getreten und durch eine Wort- und Treulosigkeit sondergleichen, durch das frevelhafteste Spiel mit Kapitulationen und Verträgen, durch Niedermetzelung untertäniger Leute und Mordanstiftung gegen die feindlichen Feldherren die römische Ehre dauernd im Kote geschleift, sondern es ward auch gegen den ausgesprochenen Willen der römischen Oberbehörde Krieg geführt und Friede geschlossen und aus unbedeutenden Vorfällen; wie zum Beispiel dem Ungehorsam der Numantiner, durch eine seltene Vereinigung von Verkehrtheit und Verruchtheit eine für den Staat verhängnisvolle Katastrophe entwickelt. Und das alles geschah, ohne daß in Rom auch nur eine ernstliche Bestrafung deswegen verfügt ward. Über die Besetzung der wichtigsten Stellen und die Behandlung der bedeutendsten politischen Fragen entschieden nicht bloß die Sympathien und Rivalitäten der verschiedenen Senatskoterien mit, sondern es fand selbst schon das Gold der auswärtigen Dynasten Eingang bei den Ratsherren von Rom. Als der erste, der mit Erfolg versuchte, den römischen Senat zu bestechen, wird Timarchos genannt, der Gesandte des Königs Antiochos Epiphanes von Syrien († 590 164); bald wurde die Beschenkung einflußreicher Senatoren durch auswärtige Könige so gewöhnlich, daß es auffiel, als Scipio Aemilianus die im Lager vor Numantia ihm von dem König von Syrien zugekommenen Gaben in die Kriegskasse einwarf. Durchaus ließ man den alten Grundsatz fallen, daß der Lohn der Herrschaft einzig die Herrschaft und die Herrschaft ebensosehr eine Pflicht und eine Last wie ein Recht und ein Vorteil sei. So kam die neue Staatswirtschaft auf, welche von der Besteuerung der Bürger absah und dagegen die Untertanenschaft als einen nutzbaren Besitz der Gemeinde teils von Gemeinde wegen ausbeutete, teils der Ausbeutung durch die Bürger überlieferte; nicht bloß wurde dem rücksichtslosen Geldhunger des römischen Kaufmanns in der Provinzialverwaltung mit frevelhafter Nachgiebigkeit Spielraum gestattet, sondern es wurden sogar die ihm mißliebigen Handelsrivalen durch die Heere des Staats aus dem Wege geräumt und die herrlichsten Städte der Nachbarländer nicht der Barbarei der Herrschsucht, sondern der weit scheußlicheren Barbarei der Spekulation geopfert. Durch den Ruin der älteren, der Bürgerschaft allerdings schwere Opfer auferlegenden Kriegsordnung grub der am letzten Ende doch nur auf seinem militärischen Übergewicht ruhende Staat sich selber die Stütze ab. Die Flotte ließ man ganz eingehen, das Landkriegswesen in der unglaublichsten Weise verfallen. Die Bewachung der asiatischen und afrikanischen Grenzen wurde auf die Untertanen abgewälzt und was man nicht von sich abwälzen konnte, wie die italische, makedonische und spanische Grenzverteidigung, in der elendesten Weise verwaltet. Die besseren Klassen fingen an so sehr aus dem Heere zu verschwinden, daß es schon schwer hielt, für die spanischen Heere die erforderliche Anzahl von Offizieren aufzutreiben. Die immer steigende Abneigung namentlich gegen den spanischen Kriegsdienst in Verbindung mit der von den Beamten bei der Aushebung bewiesenen Parteilichkeit nötigten im Jahre 602 (152) zum Aufgeben der alten Übung, die Auswahl der erforderlichen Anzahl Soldaten aus der dienstpflichtigen Mannschaft dem freien Ermessen der Offiziere zu überlassen, und zu deren Ersetzung durch das Losen der sämtlichen Dienstpflichtigen - sicher nicht zum Vorteil des militärischen Gemeingeistes und der Kriegstüchtigkeit der einzelnen Abteilungen. Die Behörden, statt mit Strenge durchzugreifen, erstreckten die leidige Volksschmeichelei auch hierauf mit: wenn einmal ein Konsul für den spanischen Dienst pflichtmäßig strenge Aushebungen veranstaltete, so machten die Tribune Gebrauch von ihrem verfassungsmäßigen Recht, ihn zu verhaften (603, 616 151,138); und es ward schon bemerkt, daß Scipios Ansuchen, ihm für den Numantinischen Krieg die Aushebung zu gestatten, vom Senat geradezu abgeschlagen ward. Schon erinnern denn auch die römischen Heere vor Karthago oder Numantia an jene syrischen Armeen, in denen die Zahl der Bäcker, Köche, Schauspieler und sonstigen Nichtkombattanten die der sogenannten Soldaten um das Vierfache überstieg; schon geben die römischen Generale ihren karthagischen Kollegen in der Heerverderbekunst wenig nach und werden die Kriege in Afrika wie in Spanien, in Makedonien wie in Asien regelmäßig mit Niederlagen eröffnet; schon schweigt man still zu der Ermordung des Gnaeus Octavius, schon ist Viriathus’ Meuchelmord ein Meisterwerk der römischen Diplomatie, schon die Eroberung von Numantia eine Großtat. Wie völlig der Begriff von Volks- und Mannesehre bereits den Römern abhanden gekommen war, zeigte mit epigrammatischer Schärfe die Bildsäule des entkleideten und gebundenen Mancinus, welche dieser selbst, stolz auf seine patriotische Aufopferung, in Rom sich setzen ließ. Wohin man den Blick auch wendet, findet man Roms innere Kraft wie seine äußere Macht in raschem Sinken. Der in Riesenkämpfen gewonnene Boden wird in dieser Friedenszeit nicht erweitert, ja nicht einmal behauptet. Das Weltregiment, schwer zu erringen, ist schwerer noch zu bewahren; jenes hatte der römische Senat vermocht, an diesem ist er gescheitert.

KAPITEL II.
Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus

Ein volles Menschenalter nach der Schlacht von Pydna erfreute der römische Staat sich der tiefsten, kaum hie und da an der Oberfläche bewegten Ruhe. Das Gebiet dehnte über die drei Weltteile sich aus; der Glanz der römischen Macht und der Ruhm des römischen Namens waren in dauerndem Steigen; aller Augen ruhten auf Italien, alle Talente, aller Reichtum strömten dahin: eine goldene Zeit friedlicher Wohlfahrt und geistigen Lebensgenusses schien dort beginnen zu müssen. Mit Bewunderung erzählten sich die Orientalen dieser Zeit von der mächtigen Republik des Westens, “die die Königreiche bezwang fern und nah, und wer ihren Namen vernahm, der fürchtete sich; mit den Freunden und Schutzbefohlenen aber hielt sie guten Frieden. Solche Herrlichkeit war bei den Römern, und doch setzte keiner die Krone sich auf und prahlte keiner im Purpurgewand; sondern wen sie Jahr um Jahr zu ihrem Herrn machten, auf den hörten sie, und war bei ihnen nicht Neid noch Zwietracht.”

So schien es in der Ferne; in der Nähe sahen die Dinge anders aus. Das Regiment der Aristokratie war im vollen Zuge, sein eigenes Werk zu verderben. Nicht als wären die Söhne und Enkel der Besiegten von Cannae und der Sieger von Zama so völlig aus der Art ihrer Väter und Großväter geschlagen; es waren weniger andere Menschen, die jetzt im Senate saßen, als eine andere Zeit. Wo eine geschlossene Zahl alter Familien festgegründeten Reichtums und ererbter staatsmännischer Bedeutung das Regiment führt, wird sie in den Zeiten der Gefahr eine ebenso unvergleichlich zähe Folgerichtigkeit und heldenmütige Opferfähigkeit entwickeln wie in den Zeiten der Ruhe kurzsichtig, eigensüchtig und schlaff regieren - zu dem einen wie dem andern liegen die Keime im Wesen der Erblichkeit und der Kollegialität. Der Krankheitsstoff war längst vorhanden, aber ihn zu entwickeln bedurfte es der Sonne des Glückes. In Catos Frage, was aus Rom werden solle, wenn es keinen Staat mehr zu fürchten haben werde, lag ein tiefer Sinn. Jetzt war man so weit: jeder Nachbar, den man hätte fürchten mögen, war politisch vernichtet, und von den Männern, welche unter der alten Ordnung der Dinge, in der ernsten Schule des Hannibalischen Krieges erzogen waren und aus denen der Nachklang jener gewaltigen Zeit bis in ihr spätestes Alter noch widerhallte, rief der Tod einen nach dem andern ab, bis endlich auch die Stimme des letzten von ihnen, des alten Cato, im Rathaus und auf dem Marktplatz verstummte. Eine jüngere Generation kam an das Regiment, und ihre Politik war eine arge Antwort auf jene Frage des alten Patrioten. Wie das Untertanenregiment und die äußere Politik unter ihren Händen sich gestalteten, ist bereits dargelegt worden. Womöglich noch mehr ließ man in den inneren Angelegenheiten das Schiff vor dem Winde treiben; wenn man unter innerem Regiment mehr versteht als die Erledigung der laufenden Geschäfte, so ward in dieser Zeit überhaupt in Rom nicht regiert. Der einzige leitende Gedanke der regierenden Korporation war die Erhaltung und womöglich Steigerung ihrer usurpierten Privilegien. Nicht der Staat hatte für sein höchstes Amt ein Anrecht auf den rechten und den besten Mann, sondern jedes Glied der Kamaraderie ein angeborenes, weder durch unbillige Konkurrenz der Standesgenossen noch durch Übergriffe der Ausgeschlossenen zu verkürzendes Anrecht auf das höchste Staatsamt. Darum steckte die Clique zu ihrem wichtigsten politischen Ziel sich die Beschränkung der Wiederwahl zum Konsulat und die Ausschließung der “neuen Menschen”; es gelang denn auch in der Tat, jene um das Jahr 603 (151) gesetzlich untersagt zu erhalten ^1 und auszureichen mit einem Regiment adliger Nullitäten. Auch die Tatenlosigkeit der Regierung nach außen hin hängt ohne Zweifel mit dieser gegen die Bürgerlichen ausschließenden und gegen die einzelnen Standesglieder mißtrauischen Adelspolitik zusammen. Man konnte gemeine Leute, deren Adelsbrief ihre Taten waren, von den lauteren Kreisen der Aristokratie nicht sicherer fern halten, als indem man überhaupt es keinem gestattete, Taten zu verrichten; auch würde dem bestehenden Regiment der allgemeinen Mittelmäßigkeit selbst ein adliger Eroberer Syriens oder Ägyptens schon unbequem gewesen sein. Allerdings fehlte es auch jetzt an einer Opposition nicht, und sie war sogar bis zu einem gewissen Grade erfolgreich. Man verbesserte die Rechtspflege. Die Administrativjurisdiktion, wie der Senat sie entweder selbst oder gelegentlich durch außerordentliche Kommissionen über die Provinzialbeamten ausübte, reichte anerkanntermaßen nicht aus; es war eine für das ganze öffentliche Leben der römischen Gemeinde folgenreiche Neuerung, daß im Jahre 605 (149) auf Vorschlag des Lucius Calpurnius Piso eine ständige Senatorenkommission (quaestio ordinaria) niedergesetzt ward, um die Beschwerden der Provinzialen gegen die vorgesetzten römischen Beamten wegen Gelderpressung in gerichtlichen Formen zu prüfen. Man suchte die Komitien von dem übermächtigen Einfluß der Aristokratie zu emanzipieren. Die Panazee auch der römischen Demokratie war die geheime Abstimmung in den Versammlungen der Bürgerschaft, welche zuerst für die Magistratswahlen durch das Gabinische (615 139), dann für die Volksgerichte durch das Cassische (617 137), endlich für die Abstimmung über Gesetzvorschläge durch das Papirische Gesetz (623 131) eingeführt ward. In ähnlicher Weise wurden bald nachher (um 625 129) die Senatoren durch Volksbeschluß angewiesen, bei dem Eintritt in den Senat ihr Ritterpferd abzugeben und also auf den bevorzugten Stimmplatz in den achtzehn Ritterzenturien zu verzichten. In diesen auf die Emanzipation der Wählerschaft von dem regierenden Herrenstand gerichteten Maßregeln mochte die Partei, die sie veranlaßte, vielleicht den Anfang zu einer Regeneration des Staates erblicken; in der Tat ward dadurch in der Nichtigkeit und Unfreiheit des gesetzlich höchsten Organs der römischen Gemeinde auch nicht das mindeste geändert, ja dieselbe allen, die es anging und nicht anging, nur noch handgreiflicher dargetan. Ebenso prahlhaftig und ebenso eitel war die förmliche Anerkennung der Unabhängigkeit und Souveränität der Bürgerschaft, welche ihr durch die Verlegung ihres Versammlungsplatzes von der alten Dingstatt unter dem Rathaus auf den Marktplatz zuteil ward (um 609 145).

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^1 Im Jahre 537 (217) wurde das die Wiederwahl zum Konsulat beschränkende Gesetz auf die Dauer des Krieges in Italien (also bis 551 203) suspendiert (Liv. 27, 6). Nach Marcellus’ Tode 546 (208) aber sind Wiederwahlen zum Konsulat, wenn die abdizierenden Konsuln von 592 (162) nicht mitgerechnet werden, überhaupt nur vorgekommen in den Jahren 547, 554, 560, 579, 585, 586, 591, 596, 599, 602 (207, 200, 194, 175, 169, 168, 163, 158, 155, 152); also nicht öfter in diesen sechsundfünfzig als zum Beispiel in den zehn Jahren 401-410 (353-344). Nur eine von diesen, und eben die letzte, ist mit Verletzung des zehnjährigen Intervalls erfolgt; und ohne Zweifel ist die seltsame Wahl des Marcus Marcellus, Konsul 588 (166) und 599 (155), zum dritten Konsulat für 602 (152), deren nähere Umstände wir nicht kennen, die Veranlassung der gesetzlichen Untersagung der Wiederwahl zum Konsulat überhaupt (Liv. ep. 56) geworden; zumal da dieser Antrag, als von Cato unterstützt (p. 55 Jordan), vor 605 (149) eingebracht worden sein muß.

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Aber diese Fehde der formalen Volkssouveränität gegen die tatsächlich bestehende Verfassung war zum guten Teil scheinhafter Art. Die Parteiphrasen prasselten und klirrten; von den Parteien selbst war in den wirklich und unmittelbar praktischen Angelegenheiten wenig zu spüren. Das ganze siebente Jahrhundert hindurch bildeten die jährlichen Gemeindewahlen zu den bürgerlichen Ämtern, namentlich zum Konsulat und zur Zensur, die eigentlich stehende Tagesfrage und den Brennpunkt des politischen Treibens; aber nur in einzelnen seltenen Fällen waren in den verschiedenen Kandidaturen auch entgegengesetzte politische Prinzipien verkörpert; regelmäßig blieben dieselben rein persönliche Fragen und war es für den Gang der Angelegenheiten gleichgültig, ob die Majorität der Wahlkörper dem Cäcilier oder dem Cornelier zufiel. Man entbehrte also dessen, was die Übelstände des Parteilebens alle überträgt und vergütet, der freien und gemeinschaftlichen Bewegung der Massen nach dem als zweckmäßig erkannten Ziel, und duldete sie dennoch alle lediglich zum Frommen des kleinen Spiels der herrschenden Koterien.

Es war dem römischen Adligen verhältnismäßig leicht, die Ämterlaufbahn als Quästor und Volkstribun zu betreten, aber die Erlangung des Konsulats und der Zensur war auch ihm nur durch große und jahrelange Anstrengungen möglich. Der Preise waren viele, aber der lohnenden wenige; die Kämpfer liefen, wie ein römischer Dichter einmal sagt, wie in einer an den Schranken weiten, allmählich mehr und mehr sich verengenden Bahn. Das war recht, solange das Amt war, wie es hieß, eine “Ehre”, und militärische, politische, juristische Kapazitäten wetteifernd um die seltenen Kränze warben; jetzt aber hob die tatsächliche Geschlossenheit der Nobilität den Nutzen der Konkurrenz auf und ließ nur ihre Nachteile übrig. Mit wenigen Ausnahmen drängten die den regierenden Familien angehörenden jungen Männer sich in die politische Laufbahn, und der hastige und unreife Ehrgeiz griff bald zu wirksameren Mitteln, als nützliche Tätigkeit für das gemeine Beste war. Die erste Bedingung für die öffentliche Laufbahn wurden mächtige Verbindungen; dieselbe begann also nicht wie sonst im Lager, sondern in den Vorzimmern der einflußreichen Männer. Was sonst nur Schutzbefohlene und Freigelassene getan, daß sie ihrem Herrn am frühen Morgen aufzuwarten kamen und öffentlich in seinem Gefolge erschienen, das übertrug sich jetzt auf die neue vornehme Klientel. Aber auch der Pöbel ist ein großer Herr und will als solcher respektiert sein. Der Janhagel fing an, es als sein Recht zu fordern, daß der künftige Konsul in jedem Lumpen von der Gasse das souveräne Volk erkenne und ehre und jeder Bewerber bei seinem “Umgang” (ambitus) jeden einzelnen Stimmgeber bei Namen begrüße und ihm die Hand drücke. Bereitwillig ging die vornehme Welt ein auf diesen entwürdigenden Ämterbettel. Der richtige Kandidat kroch nicht bloß im Palast, sondern auch auf der Gasse und empfahl sich der Menge durch Liebäugeleien, Nachsichtigkeiten, Artigkeiten von feinerer oder gröberer Qualität. Der Ruf nach Reformen und die Demagogie wurden dazu vernutzt, sich bei dem Publikum bekannt und beliebt zu machen; und sie wirkten um so mehr, je mehr sie nicht die Sache angriffen, sondern die Person. Es ward Sitte, daß die bartlosen Jünglinge vornehmer Geburt, um sich glänzend in das öffentliche Leben einzuführen, mit der unreifen Leidenschaft ihrer knabenhaften Beredsamkeit die Rolle Catos weiterspielten und aus eigener Machtvollkommenheit sich womöglich gegen einen recht hochstehenden und recht unbeliebten Mann zu Anwälten des Staats aufwarfen; man ließ es geschehen, daß das ernste Institut der Kriminaljustiz und der politischen Polizei ein Mittel für den Ämterbewerb ward. Die Veranstaltung oder, was noch schlimmer war, die Verheißung prachtvoller Volkslustbarkeiten war längst die gleichsam gesetzliche Vorbedingung zur Erlangung des Konsulats; jetzt begannen auch schon, wie das um 595 (159) dagegen erlassene Verbot bezeugt, die Stimmen der Wähler geradezu mit Geld erkauft zu werden. Vielleicht die schlimmste Folge des dauernden Buhlens der regierenden Aristokratie um die Gunst der Menge war die Unvereinbarkeit dieser Bettler- und Schmeichlerrolle mit derjenigen Stellung, welche der Regierung den Regierten gegenüber von Rechts wegen zukommt. Das Regiment ward dadurch aus einem Segen für das Volk zum Fluch. Man wagte es nicht mehr, über Gut und Blut der Bürger zum Besten des Vaterlandes nach Bedürfnis zu verfügen. Man ließ die Bürgerschaft sich an den gefährlichen Gedanken gewöhnen, daß sie selbst von der vorschußweisen Entrichtung direkter Abgaben gesetzlich befreit sei - nach dem Kriege gegen Perseus ist kein Schoß mehr von der Gemeinde gefordert worden. Man ließ lieber das Heerwesen verfallen, als daß man die Bürger zu dem verhaßten überseeischen Dienst zwang; wie es den einzelnen Beamten erging, die die Konskription nach der Strenge des Gesetzes durchzuführen versuchten, ist schon gesagt worden.

In verhängnisvoller Weise verschlingen sich in dem Rom dieser Zeit die zwiefachen Mißstände einer ausgearteten Oligarchie und einer noch unentwickelten, aber schon im Keime vom Wurmfraß ergriffenen Demokratie. Ihren Parteinamen nach, welche zuerst in dieser Periode gehört werden, wollten die “Optimaten” den Willen der Besten, die “Popularen” den der Gemeinde zur Geltung bringen; in der Tat gab es in dem damaligen Rom weder eine wahre Aristokratie noch eine wahrhaft sich selber bestimmende Gemeinde. Beide Parteien stritten gleichermaßen für Schatten und zählten in ihren Reihen nur entweder Schwärmer oder Heuchler. Beide waren von der politischen Fäulnis gleichmäßig ergriffen und in der Tat beide gleich nichtig. Beide waren mit Notwendigkeit in den Status quo gebannt, da weder hüben noch drüben ein politischer Gedanke, geschweige denn ein politischer Plan sich fand, der über diesen hinausgegangen wäre, und so vertrugen denn auch beide sich miteinander so vollkommen, daß sie auf jeden Schritt sich in den Mitteln wie in den Zwecken begegneten und der Wechsel der Partei mehr ein Wechsel der politischen Taktik als der politischen Gesinnung war. Das Gemeinwesen hätte ohne Zweifel gewonnen, wenn entweder die Aristokratie statt der Bürgerschaftswahlen geradezu einen erblichen Turnus eingeführt oder die Demokratie ein wirkliches Demagogenregiment aus sich hervorgebracht hätte. Aber diese Optimaten und diese Popularen des beginnenden siebenten Jahrhunderts waren die einen für die andern viel zu unentbehrlich, um sich also auf Tod und Leben zu bekriegen; sie konnten nicht bloß nicht einander vernichten, sondern, wenn sie es gekonnt hätten, hätten sie es nicht gewollt. Darüber wich denn freilich politisch wie sittlich das Gemeinwesen immer mehr aus den Fugen und ging seiner völligen Auflösung entgegen.

Es ging denn auch die Krise, durch welche die römische Revolution eröffnet ward, nicht aus diesem dürftigen politischen Konflikt hervor, sondern aus den ökonomischen und sozialen Verhältnissen, welche die römische Regierung wie alles andere lediglich gehen ließ und welche also Gelegenheit fanden, den seit langem gärenden Krankheitsstoff jetzt ungehemmt mit furchtbarer Raschheit und Gewaltsamkeit zu zeigen. Seit uralter Zeit beruhte die römische Ökonomie auf den beiden ewig sich suchenden und ewig hadernden Faktoren, der bäuerlichen und der Geldwirtschaft. Schon einmal hatte die letztere im engsten Bunde mit dem großen Grundbesitz Jahrhunderte lang gegen den Bauernstand einen Krieg geführt, der mit dem Untergang zuerst der Bauernschaft und demnächst des ganzen Gemeinwesens endigen zu müssen schien, aber ohne eigentliche Entscheidung abgebrochen ward infolge der glücklichen Kriege und der hierdurch möglich gemachten umfänglichen und großartigen Domanialaufteilung. Es ward schon früher gezeigt, daß in derselben Zeit, welche den Gegensatz zwischen Patriziern und Plebejern unter veränderten Namen erneuerte, das unverhältnismäßig anschwellende Kapital einen zweiten Sturm gegen die bäuerliche Wirtschaft vorbereitete. Zwar der Weg war ein anderer. Ehemals war der kleine Bauer ruiniert worden durch Vorschüsse, die ihn tatsächlich zum Meier seines Gläubigers herabdrückten; jetzt ward er erdrückt durch die Konkurrenz des überseeischen und insonderheit des Sklavenkorns. Man schritt fort mit der Zeit; das Kapital führte gegen die Arbeit, das heißt gegen die Freiheit der Person, den Krieg, natürlich wie immer in strengster Form Rechtens, aber nicht mehr in der unziemlichen Weise, daß der freie Mann der Schulden wegen Sklave ward, sondern von Haus aus mit rechtmäßig gekauften und bezahlten Sklaven; der ehemalige hauptstädtische Zinsherr trat auf in zeitgemäßer Gestalt als industrieller Plantagenbesitzer. Allein das letzte Ergebnis war in beiden Fällen das gleiche: die Entwertung der italischen Bauernstellen, die Verdrängung der Kleinwirtschaft zuerst in einem Teil der Provinzen, sodann in Italien durch die Gutswirtschaft; die vorwiegende Richtung auch dieser in Italien auf Viehzucht und auf Öl- und Weinbau; schließlich die Ersetzung der freien Arbeiter in den Provinzen wie in Italien durch Sklaven. Eben wie die Nobilität deshalb gefährlicher war als das Patriziat, weil jene nicht wie dieses durch eine Verfassungsänderung sich beseitigen ließ, so war auch diese neue Kapitalmacht darum gefährlicher als die des vierten und fünften Jahrhunderts, weil gegen sie mit Änderungen des Landrechts nichts auszurichten war.

Ehe wir es versuchen, den Verlauf dieses zweiten großen Konflikts von Arbeit und Kapital zu schildern, wird es notwendig, über das Wesen und den Umfang der Sklavenwirtschaft hier einige Andeutungen einzuschalten. Wir haben es hier nicht zu tun mit der alten, gewissermaßen unschuldigen Feldsklaverei, wonach der Bauer entweder zugleich mit seinem Knechte ackert oder auch, wenn er mehr Land besitzt, als er bewirtschaften kann, denselben entweder als Verwalter oder auch unter Verpflichtung zur Ablieferung eines Teils vom Ertrag gewissermaßen als Pächter über einen abgeteilten Meierhof setzt; solche Verhältnisse bestanden zwar zu allen Zeiten - um Comum zum Beispiel waren sie noch in der Kaiserzeit die Regel -, allein als Ausnahmezustände bevorzugter Landschaften und milde verwalteter Güter. Hier ist die Großwirtschaft mit Sklaven gemeint, welche im römischen Staat wie einst im karthagischen aus der Übermacht des Kapitals sich entwickelte. Während für den Sklavenbestand der älteren Zeit die Kriegsgefangenschaft und die Erblichkeit der Knechtschaft ausreichten, beruht diese Sklavenwirtschaft, völlig wie die amerikanische, auf systematisch betriebener Menschenjagd, da bei der auf Leben und Fortpflanzung der Sklaven wenig Rücksicht nehmenden Nutzungsweise die Sklavenbevölkerung beständig zusammenschwand und selbst die stets neue Massen auf den Sklavenmarkt liefernden Kriege das Defizit zu decken nicht ausreichten. Kein Land, wo dieses jagdbare Wild sich vorfand, blieb hiervon verschont; selbst in Italien war es keineswegs unerhört, daß der arme Freie von seinem Brotherrn unter die Sklaven eingestellt ward. Das Negerland jener Zeit aber war Vorderasien 2, wo die kretischen und kilikischen Korsaren, die rechten gewerbsmäßigen Sklavenjäger und Sklavenhändler, die Küsten Syriens und die griechischen Inseln ausraubten, wo mit ihnen wetteifernd die römischen Zollpächter in den Klientelstaaten Menschenjagden veranstalteten und die Gefangenen unter ihr Sklavengesinde untersteckten - es geschah dies in solchem Umfang, daß um 650 (100) der König von Bithynien sich unfähig erklärte, den verlangten Zuzug zu leisten, da aus seinem Reich alle arbeitsfähigen Leute von den Zollpächtern weggeschleppt seien. Auf dem großen Sklavenmarkt in Delos, wo die kleinasiatischen Sklavenhändler ihre Ware an die italischen Spekulanten absetzten, sollen an einem Tage bis zu 10000 Sklaven des Morgens ausgeschifft und vor Abend alle verkauft gewesen sein - ein Beweis zugleich, welche ungeheure Zahl von Sklaven geliefert ward und wie dennoch die Nachfrage immer noch das Angebot überstieg. Es war kein Wunder. Bereits in der Schilderung der römischen Ökonomie des sechsten Jahrhunderts ist es dargelegt worden, daß dieselbe wie überhaupt die gesamte Großwirtschaft des Altertums auf dem Sklavenbetriebe ruht. Worauf immer die Spekulation sich warf, ihr Werkzeug war ohne Ausnahme der rechtlich zum Tier herabgesetzte Mensch. Durch Sklaven wurden großenteils die Handwerke betrieben, so daß der Ertrag dem Herrn zufiel. Durch die Sklaven der Steuerpachtgesellschaft wurde die Erhebung der öffentlichen Gefälle in den untern Graden regelmäßig beschafft. Ihre Hände besorgten den Grubenbau, die Pechhütten und was derart sonst vorkommt; schon früh kam es auf, Sklavenherden nach den spanischen Bergwerken zu senden, deren Vorsteher sie bereitwillig annahmen und hoch verzinsten. Die Wein- und Olivenlese wurde in Italien nicht von den Leuten auf dem Gut bewirkt, sondern einem Sklavenbesitzer in Akkord gegeben. Die Hütung des Viehs ward allgemein durch Sklaven beschafft; der bewaffneten, häufig berittenen Hirtensklaven auf den großen Weidestrecken Italiens ist bereits gedacht worden, und dieselbe Art der Weidewirtschaft ward bald auch in den Provinzen ein beliebter Gegenstand der römischen Spekulation - so war zum Beispiel Dalmatien kaum erobert (599 155), als die römischen Kapitalisten anfingen, dort in italischer Weise die Viehzucht im großen zu betreiben. Aber in jeder Beziehung weit schlimmer noch war der eigentliche Plantagenbau, die Bestellung der Felder durch eine Herde nicht selten mit dem Eisen gestempelter Sklaven, welche mit Fußschellen an den Beinen unter Aufsehern des Tags die Feldarbeiten taten und nachts in dem gemeinschaftlichen, häufig unterirdischen Arbeiterzwinger zusammengesperrt wurden. Diese Plantagenwirtschaft war aus dem Orient nach Karthago gewandert und scheint durch die Karthager nach Sizilien gelangt zu sein, wo, wahrscheinlich aus diesem Grunde, die Plantagenwirtschaft früher und vollständiger als in irgendeinem anderen Gebiet der römischen Herrschaft durchgebildet auftritt 3. Die Leontinische Feldmark von etwa 30 000 Jugera urbaren Landes, die als römische Domäne von den Zensoren verpachtet wurde, finden wir einige Dezennien nach der Gracchenzeit geteilt unter nicht mehr als 84 Pächter, von denen also durchschnittlich auf jeden 360 Jugera kamen und unter denen nur ein einziger Leontiner, die übrigen fremde, meistens römische Spekulanten waren. Man sieht hieraus, mit welchem Eifer die römischen Spekulanten hier in die Fußstapfen ihrer Vorgänger traten und welche großartigen Geschäfte mit sizilischem Vieh und sizilischem Sklavenkorn die römischen und nichtrömischen Spekulanten gemacht haben werden, die mit ihren Hutungen und Pflanzungen die schöne Insel bedeckten. Italien indes blieb von dieser schlimmsten Form der Sklavenwirtschaft für jetzt noch wesentlich verschont. Wenngleich in Etrurien, wo die Plantagenwirtschaft zuerst in Italien aufgekommen zu sein scheint und wo sie wenigstens vierzig Jahre später in ausgedehntestem Umfange bestand, höchstwahrscheinlich schon jetzt es an Arbeiterzwingern nicht fehlte, so ward doch die italische Ackerwirtschaft in dieser Zeit noch überwiegend durch freie Leute oder doch durch ungefesselte Knechte, daneben durch Akkordierung größerer Arbeiten an Unternehmer betrieben. Recht deutlich zeigt sich der Unterschied des italischen Sklavenwesens von dem sizilischen darin, daß bei dem sizilischen Sklavenaufstand 619-622 (135-1 S2) allein die Sklaven der nach italischer Weise lebenden mamertinischen Gemeinde sich nicht beteiligten.

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2 Auch damals wurde es geltend gemacht, daß die Menschenrasse daselbst durch besondere Dauerhaftigkeit sich vorzugsweise zum Sklavenstand eigne. Schon Plautus (Trip. 542) preist “den Syrerschlag, der mehr verträgt als ein andrer sonst”.

3 Auch die hybrid griechische Benennung des Arbeitshauses (ergastulum von εργάζομαι nach Analogie von stabulum, operculum) deutet darauf, daß diese Wirtschaftsweise aus einer Gegend des griechischen Sprachgebiets und in einer noch nicht hellenisch durchgebildeten Zeit den Römern zukam.

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Das Meer von Jammer und Elend, das in diesem elendesten aller Proletariate sich vor unsern Augen auftut, mag ergründen, wer den Blick in solche Tiefen wagt; es ist leicht möglich, daß mit denen der römischen Sklavenschaft verglichen die Summe aller Negerleiden ein Tropfen ist. Hier kommt es weniger auf den Notstand der Sklavenschaft selbst an als auf die Gefahren, die sie über den römischen Staat brachte und auf das Verhalten der Regierung denselben gegenüber. Daß dies Proletariat weder durch die Regierung ins Leben gerufen war noch geradezu von ihr beseitigt werden konnte, leuchtet ein; es hätte dies nur geschehen können durch Heilmittel, die noch schlimmer gewesen wären als das Übel. Der Regierung lag nur ob, teils die unmittelbare Gefahr für Eigentum und Leben, womit das Sklavenproletariat die Staatsangehörigen bedrohte, durch eine ernstliche Sicherheitspolizei abzuwenden, teils auf die möglichste Beschränkung des Proletariats durch Hebung der freien Arbeit hinzuwirken. Sehen wir, wie die römische Aristokratie diesen beiden Aufgaben nachkam.

Wie die Polizei gehandhabt ward, zeigen die allerorts ausbrechenden Sklavenverschwörungen und Sklavenkriege. In Italien schienen die wüsten Vorgänge, wie sie in den unmittelbaren Nachwehen des Hannibalischen Krieges vorgekommen waren, sich jetzt zu erneuern; auf einmal mußte man in der Hauptstadt 150, in Minturnae 450, in Sinuessa gar 4000 Sklaven aufgreifen und hinrichten lassen (621 133). Noch schlimmer stand es begreiflicherweise in den Provinzen. Auf dem großen Sklavenmarkt zu Delos und in den attischen Silbergruben hatte man um dieselbe Zeit die aufständischen Sklaven mit den Waffen zu Paaren zu treiben. Der Krieg gegen Aristonikos und seine kleinasiatischen “Sonnenstädter” war wesentlich ein Krieg der Besitzenden gegen die empörten Sklaven. Am ärgsten aber stand es natürlicherweise in dem gelobten Lande des Plantagensystems, in Sizilien. Die Räuberwirtschaft war daselbst, zumal im Binnenlande, längst ein stehendes Übel; sie fing an, sich zur Insurrektion zu steigern. Ein reicher und mit den italischen Herren in industrieller Exploitierung seines lebendigen Kapitals wetteifernder Pflanzer von Enna (Castrogiovanni), Damophilos, ward von seinen erbitterten Feldsklaven überfallen und ermordet; worauf die wilde Schar in die Stadt Enna strömte und dort derselbe Vorgang in größerem Maßstab sich erneuerte. In Masse erhoben die Sklaven sich gegen ihre Herren, töteten oder knechteten sie und riefen an die Spitze des schon ansehnlichen Insurgentenheeres einen Wundermann aus dem syrischen Apameia, der Feuer zu speien und zu orakeln verstand, bisher als Sklave Eunus genannt, jetzt als Haupt der Insurgenten Antiochos der König der Syrer. Warum auch nicht? Hatte doch wenige Jahre zuvor ein anderer syrischer Knecht, der nicht einmal ein Prophet war, in Antiocheia selbst das königliche Stirnband der Seleukiden getragen. Der tapfere “Feldherr” des neuen Königs, der griechische Sklave Achäos, durchstreifte die Insel, und nicht bloß die wilden Hirten strömten von nah und fern unter die seltsamen Fahnen - auch die freien Arbeiter, die den Pflanzern alles Üble gönnten, machten mit den empörten Sklaven gemeinschaftliche Sache. In einer anderen Gegend Siziliens folgte ein kilikischer Sklave, Kleon, einst in seiner Heimat ein dreister Räuber, dem gegebenen Beispiel und besetzte Akragas, und da die Häupter miteinander sich vertrugen, gelang es ihnen nach manchen geringeren Erfolgen zuletzt, den Prätor Lucius Hypsaeus selbst mit seiner größtenteils aus sizilischen Milizen bestehenden Armee gänzlich zu schlagen und sein Lager zu erobern. Hierdurch kam fast die ganze Insel in die Gewalt der Aufständischen, deren Zahl nach den mäßigsten Angaben sich auf 70000 Waffenfähige belaufen haben soll; die Römer sahen sich genötigt, drei Jahre nacheinander (620-622 134-132) Konsuln und konsularische Heere nach Sizilien abzusenden, bis nach manchen unentschiedenen, ja zum Teil unglücklichen Gefechten endlich mit der Einnahme von Tauromenion und von Enna der Aufstand überwältigt war. Vor der letzteren Stadt, in die sich die entschlossenste Mannschaft der Insurgenten geworfen hatte, um sich in dieser unbezwinglichen Stellung zu verteidigen, wie sich Männer verteidigen, die an Rettung wie an Begnadigung verzweifeln, lagerten die Konsuln Lucius Calpurnius Piso und Publius Rupilius zwei Jahre hindurch und bezwangen sie endlich mehr durch den Hunger als durch die Waffen 4.

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4 Noch jetzt finden sich vor Castrogiovanni, da, wo der Aufgang am wenigsten jäh ist, nicht selten römische Schleuderkugeln mit dem Namen des Konsuls von 621 (133): L. Piso L. f. cos.

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Das waren die Ergebnisse der Sicherheitspolizei, wie sie von dem römischen Senat und dessen Beamten in Italien und den Provinzen gehandhabt ward. Wenn die Aufgabe, das Proletariat zu beseitigen, die ganze Macht und Weisheit der Regierung erfordert und nur zu oft übersteigt, so ist dagegen die polizeiliche Niederhaltung desselben für jedes größere Gemeinwesen verhältnismäßig leicht. Es stände wohl um die Staaten, wenn die besitzlosen Massen ihnen keine andere Gefahr bereiteten, als wie sie auch droht von Bären und Wölfen; nur der Ängsterling und wer mit der albernen Angst der Menge Geschäfte macht, prophezeit den Untergang der bürgerlichen Ordnung in Sklavenaufständen oder Proletariatinsurrektionen. Aber selbst dieser leichteren Aufgabe der Bändigung der gedrückten Massen ward von der römischen Regierung trotz des tiefsten Friedens und der unerschöpflichen Hilfsquellen des Staats keineswegs genügt. Es war dies ein Zeichen ihrer Schwäche; aber nicht ihrer Schwäche allein. Von Rechts wegen war der römische Statthalter verpflichtet, die Landstraßen rein zu halten und die aufgegriffenen Räuber, wenn es Sklaven waren, ans Kreuz schlagen zu lassen; natürlich, denn Sklavenwirtschaft ist nicht möglich ohne Schreckensregiment. Allein in dieser Zeit war in Sizilien wohl auch mitunter, wenn die Straßen allzu unsicher wurden, von dem Statthalter eine Razzia veranstaltet, aber um es mit den italischen Pflanzern nicht zu verderben, wurden die gefangenen Räuber von der Behörde in der Regel an ihre Herren zu gutfindender Bestrafung abgegeben; und diese Herren waren sparsame Leute, welche ihren Hirtenknechten, wenn sie Kleider begehrten, mit Prügel antworteten und mit der Frage, ob denn die Reisenden nackt durch das Land zögen. Die Folge solcher Konnivenz war denn, daß nach Überwältigung des Sklavenaufstandes der Konsul Publius Rupilius alles, was lebend in seine Hände kam, es heißt über 20000 Menschen, ans Kreuz schlagen ließ. Es war freilich nicht länger möglich, das Kapital zu schonen.

Unendlich schwerer zu gewinnende, freilich auch unendlich reichere Früchte verhieß die Fürsorge der Regierung für Hebung der freien Arbeit und folgeweise für Beschränkung des Sklavenproletariats. Leider geschah in dieser Beziehung schlechterdings gar nichts. In der ersten sozialen Krise hatte man gesetzlich dem Gutsherrn vorgeschrieben, eine nach der Zahl seiner Sklavenarbeiter abgemessene Anzahl freier Arbeiter zu verwenden. Jetzt ward auf Veranlassung der Regierung eine punische Schrift über den Landbau, ohne Zweifel eine Anweisung zur Plantagenwirtschaft nach karthagischer Art, zu Nutz und Frommen der italischen Spekulation ins Lateinische übersetzt -das erste und einzige Beispiel einer von dem römischen Senat veranlaßten literarischen Unternehmung! Dieselbe Tendenz offenbart sich in einer wichtigeren Angelegenheit oder vielmehr in der Lebensfrage für Rom, in dem Kolonisierungssystem. Es bedurfte nicht der Weisheit, nur der Erinnerung an den Verlauf der ersten sozialen Krise Roms, um zu begreifen, daß gegen ein agrikoles Proletariat die einzige ernstliche Abhilfe in einem umfassenden und regularisierten Emigrationssystem bestand, wozu die äußeren Verhältnisse Roms die günstigste Gelegenheit darboten. Bis gegen das Ende des sechsten Jahrhunderts hatte man in der Tat dem fortwährenden Zusammenschwinden des italischen Kleinbesitzes durch fortwährende Gründung neuer Bauernhufen entgegengewirkt. Es war dies zwar keineswegs in dem Maße geschehen, wie es hätte geschehen können und sollen; man hatte nicht bloß das seit alten Zeiten von Privaten okkupierte Domanialland nicht eingezogen, sondern auch weitere Okkupationen neugewonnenen Landes gestattet und andere sehr wichtige Erwerbungen, wie namentlich das Gebiet von Capua, zwar nicht der Okkupation preisgegeben, aber doch auch nicht zur Verteilung gebracht, sondern als nutzbare Domäne verwertet. Dennoch hatte die Landanweisung segensreich gewirkt, vielen der Notleidenden Hilfe und allen Hoffnung gegeben. Allein, nach der Gründung von Luna (577 177) findet sich, außer der vereinzelt stehenden Anlage der picenischen Kolonie Auximum (Osimo) im Jahre 597 (157), von weiteren Landanweisungen auf lange hinaus keine Spur. Die Ursache ist einfach. Da seit der Besiegung der Boier und Apuaner außer den wenig lockenden ligurischen Tälern neues Gebiet in Italien nicht gewonnen ward, war daselbst kein anderes Land zu verteilen als das verpachtete oder okkupierte Domanialland, dessen Antastung der Aristokratie begreiflicherweise jetzt ebensowenig genehm war wie vor dreihundert Jahren. Das außerhalb Italien! gewonnene Gebiet zur Verteilung zu bringen, schien aber aus politischen Gründen unzulässig; Italien sollte das herrschende Land bleiben und die Scheidewand zwischen italischen Herren und dienenden Provinzialen nicht fallen. Wenn man nicht die Rücksichten der höheren Politik oder gar die Standesinteressen beiseite setzen wollte, blieb der Regierung nichts übrig, als dem Ruin des italischen Bauernstandes zuzusehen, und also geschah es. Die Kapitalisten fuhren fort, die kleinen Besitzer auszukaufen, auch wohl, wenn sie eigensinnig blieben, deren Äcker ohne Kaufbrief einzuziehen, wobei es begreiflich nicht immer gütlich abging - eine besonders beliebte Weise war es, dem Bauer, während er im Felde stand, Weib und Kinder vom Hofe zu stoßen und ihn mittels der Theorie der vollendeten Tatsache zur Nachgiebigkeit zu bringen. Die Gutsbesitzer fuhren fort, statt der freien Arbeiter sich vorwiegend der Sklaven zu bedienen, schon deshalb, weil diese nicht wie jene zum Kriegsdienst abgerufen werden konnten, und dadurch das freie Proletariat auf das gleiche Niveau des Elends mit der Sklavenschaft herabzudrücken. Sie fuhren fort, durch das spottwohlfeile sizilische Sklavenkorn das italische von dem hauptstädtischen Markt zu verdrängen und dasselbe auf der ganzen Halbinsel zu entwerten. In Etrurien hatte die alte einheimische Aristokratie im Bunde mit den römischen Kapitalisten schon im Jahre 520 (184) es so weit gebracht, daß es dort keinen freien Bauern mehr gab. Es konnte auf dem Markt der Hauptstadt laut gesagt werden, daß die Tiere ihr Lager hätten, den Bürgern aber nichts geblieben sei als Luft und Sonnenschein und daß die, welche die Herren der Welt hießen, keine Scholle mehr ihr eigen nennten. Den Kommentar zu diesen Worten lieferten die Zählungslisten der römischen Bürgerschaft. Vom Ende des Hannibalischen Krieges bis zum Jahre 595 (159) ist die Bürgerzahl in stetigem Steigen, wovon die Ursache wesentlich zu suchen ist in den fortdauernden und ansehnlichen Verteilungen von Domanialland; nach 595 (159), wo die Zählung 328000 waffenfähige Bürger ergab, zeigt sich dagegen ein regelmäßiges Sinken, indem sich die Liste im Jahre 600 (154) auf 324000, im Jahre 607 (147) auf 322000, im Jahre 623 (131) auf 319000 waffenfähige Bürger stellt - ein erschreckendes Ergebnis für eine Zeit tiefen inneren und äußeren Friedens. Wenn das so fortging, löste die Bürgerschaft sich auf in Pflanzer und Sklaven und konnte schließlich der römische Staat, wie es bei den Parthern geschah, seine Soldaten auf dem Sklavenmarkt kaufen.

So standen die äußeren und inneren Verhältnisse Roms, als der Staat eintrat in das siebente Jahrhundert seines Bestandes. Wohin man auch das Auge wandte, fiel es auf Mißbräuche und Verfall; jedem einsichtigen und wohlwollenden Mann mußte die Erwägung sich aufdrängen, ob denn hier nicht zu helfen und zu bessern sei. Es fehlte an solchen in Rom nicht; aber keiner schien mehr berufen zu dem großen Werk der politischen und sozialen Reform als der Lieblingssohn des Aemilius Paullus, der Adoptivenkel des großen Scipio, der dessen glorreichen Afrikanernamen nicht bloß kraft Erb-, sondern auch kraft eigenen Rechtes trug, Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (570-625 184-129). Gleich seinem Vater war er ein maßvoller, durch und durch gesunder Mann, nie krank am Körper und nie unsicher über den nächsten und notwendigen Entschluß. Schon in seiner Jugend hatte er sich ferngehalten von dem gewöhnlichen Treiben der politischen Anfänger, dem Antichambrieren in den Zimmern der vornehmen Senatoren und den gerichtlichen Deklamationen. Dagegen liebte er die Jagd - als Siebzehnjähriger hatte er, nachdem er den Feldzug gegen Perseus unter seinem Vater mit Auszeichnung mitgemacht hatte, als Belohnung dafür sich freie Pirsch in dem seit vier Jahren unberührten Wildhag der Könige von Makedonien erbeten - und vor allen Dingen wandte er gern seine Muße auf wissenschaftlichen und literarischen Genuß. Durch die Fürsorge seines Vaters war er früh in diejenige echte griechische Bildung eingeführt worden, welche über das geschmacklose Hellenisieren der gemeinen Halbbildung hinaushob; durch seine ernste und treffende Würdigung des Echten und des Schlechten in dem griechischen Wesen und durch sein adliges Auftreten imponierte dieser Römer den Höfen des Ostens, ja sogar den spottlustigen Alexandrinern. Seinen Hellenismus erkannte man vor allem in der feinen Ironie seiner Rede und in seinem klassisch reinen Latein. Obwohl nicht eigentlich Schriftsteller, zeichnete er doch wie Cato seine politischen Reden auf - sie wurden gleich den Briefen seiner Adoptivschwester, der Mutter der Gracchen, von den späteren Literatoren als Meisterstücke mustergültiger Prosa geschätzt - und zog mit Vorliebe die besseren griechischen und römischen Literaten in seinen Kreis, welcher plebejische Umgang ihm freilich nicht wenig verdacht ward von denjenigen Kollegen im Senat, die auf ihre edle Geburt als einzige Auszeichnung angewiesen waren. Ein sittlich fester und zuverlässiger Mann, galt sein Wort bei Freund und Feind; er mied Bauten und Spekulationen und lebte einfach; dafür handelte er in Geldangelegenheiten nicht bloß ehrlich und uneigennützig, sondern auch mit einer dem kaufmännischen Sinn seiner Zeitgenossen seltsam dünkenden Zartheit und Liberalität. Er war ein tüchtiger Soldat und Offizier; aus dem Afrikanischen Krieg brachte er den Ehrenkranz heim, der wegen Rettung gefährdeter Bürger mit eigener Lebensgefahr erteilt zu werden pflegte, und beendete den Krieg als Feldherr, den er als Offizier begonnen hatte; an wirklich schwierigen Aufgaben sein Feldherrngeschick zu erproben, boten die Umstände ihm keine Gelegenheit. Scipio war so wenig wie sein Vater eine geniale Natur - davon zeugt schon seine Vorliebe für Xenophon, den nüchternen Militär und korrekten Schriftsteller -, aber ein rechter und echter Mann, der vor andern berufen schien, dem beginnenden Verfall durch organische Reformen zu wehren. Um so bezeichnender ist es, daß er es nicht versucht hat. Zwar half er, wo und wie er konnte, Mißbräuche abstellen und verhindern und arbeitete namentlich hin auf Verbesserung der Rechtspflege. Hauptsächlich durch seinen Beistand vermochte Lucius Cassius, ein tüchtiger Mann von altväterischer Strenge und Ehrenhaftigkeit, gegen den heftigsten Widerstand der Optimaten, sein Stimmgesetz durchzubringen, welches für die noch immer den wichtigsten Teil der Kriminaljurisdiktion umfassenden Volksgerichte die geheime Abstimmung einführte. Ebenso zog er, der die Knabenanklagen nicht hatte mitmachen mögen, in seinen reifen Jahren selbst mehrere der schuldigsten Männer der Aristokratie vor die Gerichte. In gleichem Geiste hat er als Feldherr vor Karthago und vor Numantia die Weiber und die Pfaffen zu den Toren des Lagers hinausgejagt und das Soldatengesindel wieder zurück gezwungen unter den eisernen Druck der alten Heereszucht, als Zensor (612 142) unter der vornehmen Welt der glattkinnigen Manschettenträger aufgeräumt und mit ernsten Worten die Bürgerschaft ermahnt, an den rechtschaffenen Sitten der Väter treulich zu halten. Aber niemand, und er selber am wenigsten, konnte es verkennen, daß die Verschärfung der Rechtspflege und das vereinzelte Dazwischenfahren nicht einmal Anfänge waren zur Heilung der organischen Übel, an denen der Staat krankte. An diese hat Scipio nicht gerührt. Gaius Laelius (Konsul 614 140), Scipios älterer Freund und sein politischer Lehrmeister und Vertrauter, hatte den Plan gefaßt, die Einziehung des unvergebenen, aber vorläufig okkupierten italischen Domaniallandes vorzuschlagen und durch dessen Aufteilung der zusehends verfallenden italischen Bauernschaft Hilfe zu bringen; allein er stand von dem Vorschlag ab, als er sah, welchen Sturm er zu erregen im Begriff war, und ward fortan “der Verständige” genannt. Auch Scipio dachte also. Er war von der Größe des Übels völlig durchdrungen und griff, wo er nur sich selber wagte, mit ehrenwertem Mut ohne Ansehen der Person rücksichtslos an und durch; allein er hatte sich auch überzeugt, daß dem Lande nur zu helfen sei um den Preis derselben Revolution, die im vierten und fünften Jahrhundert aus der Reformfrage sich entsponnen hatte, und ihm schien, mit Recht oder mit Unrecht, das Heilmittel schlimmer als das Übel. So stand er mit dem kleinen Kreis seiner Freunde zwischen den Aristokraten, die ihm seine Befürwortung des Cassischen Gesetzes nie verziehen, und den Demokraten, denen er doch auch nicht genügte noch genügen wollte, während seines Lebens einsam, nach seinem Tode gefeiert von beiden Parteien, bald als Vormann der Aristokratie, bald als Begünstiger der Reform. Bis auf seine Zeit hatten die Zensoren bei der Niederlegung ihres Amtes die Götter angerufen, dem Staat größere Macht und Herrlichkeit zu verleihen; der Zensor Scipio betete, daß sie geneigen möchten, den Staat zu erhalten. Sein ganzes Glaubensbekenntnis liegt in dem schmerzlichen Ausruf.

Aber wo der Mann verzagte, der zweimal das römische Heer aus tiefem Verfall zum Siege geführt hatte, da getraute sich ein tatenloser Jüngling, zum Retter Italiens sich aufzuwerfen. Er hieß Tiberius Sempronius Gracchus (591-621 163-133). Sein gleichnamiger Vater (Konsul 577, 591; Zensor 585 177, 163;169) war das rechte Musterbild eines römischen Aristokraten. Die glänzende, nicht ohne Bedrückung der abhängigen Gemeinden zuwege gebrachte Pracht seiner ädilizischen Spiele hatte ihm schweren und verdienten Tadel vom Senat zugezogen, während er durch sein Einschreiten in dem leidigen Prozeß gegen die persönlich ihm verfeindeten Scipionen sein ritterliches und wohl auch sein Standesgefühl, durch sein energisches Auftreten gegen die Freigelassenen in seiner Zensur seine konservative Gesinnung betätigte und als Statthalter der Ebroprovinz durch Tapferkeit und vor allem durch Gerechtigkeit sich um sein Vaterland ein bleibendes Verdienst und zugleich in den Gemütern der unterworfenen Nation ein dauerndes Gedächtnis in Ehrfurcht und Liebe erwarb.

Seine Mutter Cornelia war die Tochter des Siegers von Zama, welcher ebenjenes hochherzigen Dazwischentretens wegen den bisherigen Gegner sich zum Schwiegersohn erkoren hatte, sie selbst eine hochgebildete und bedeutende Frau, die nach dem Tode ihres viel älteren Gemahls die Hand des Königs von Ägypten zurückgewiesen hatte und im Andenken an den Gemahl und den Vater die drei ihr gebliebenen Kinder erzog. Der ältere von den beiden Söhnen, Tiberius, war eine gute und sittliche Natur, sanften Blicks und ruhigen Wesens, wie es schien, zu allem andern eher bestimmt als zum Agitator der Massen. Mit allen seinen Beziehungen und Anschauungen gehörte er dem Scipionischen Kreise an, dessen feine griechische und nationale Durchbildung er und seine Geschwister teilten. Scipio Aemilianus war zugleich sein Vetter und seiner Schwester Gemahl; unter ihm hatte Tiberius als Achtzehnjähriger die Erstürmung Karthagos mitgemacht und durch seine Tapferkeit das Lob des strengen Feldherrn und kriegerische Auszeichnungen erworben. Daß der tüchtige junge Mann die Anschauungen über den Verfall des Staats an Haupt und Gliedern, wie sie in diesem Kreise gangbar waren, die Gedanken namentlich über die Hebung des italischen Bauernstandes mit aller Lebendigkeit und allem Rigorismus der Jugend in sich aufnahm und steigerte, ist begreiflich; waren es doch nicht bloß die jungen Leute, denen das Zurückweichen des Laelius vor der Durchführung seiner Reformideen nicht verständig erschien, sondern schwach. Appius Claudius, der gewesene Konsul (611 143) und Zensor (618 136), einer der angesehensten Männer des Senats, tadelte mit all der gewaltsamen Leidenschaftlichkeit, die in dem Geschlecht der Claudier erblich war und blieb, daß der Scipionische Kreis den Plan der Domänenaufteilung so rasch wieder habe fallen lassen; um so bitterer, wie es scheint, weil er mit Scipio Aemilianus bei der Bewerbung um die Zensur in persönliche Konflikte gekommen war. Ebenso sprach Publius Crassus Mucianus sich aus, der derzeitige Oberpontifex, als Mensch und Rechtsgelehrter im Senat wie in der Bürgerschaft allgemein verehrt. Sogar dessen Bruder Publius Mucius Scaevola, der Begründer der wissenschaftlichen Jurisprudenz in Rom, schien dem Reformplan nicht abgeneigt, und seine Stimme war von um so größerem Gewicht, als er gewissermaßen außerhalb der Parteien stand. Ähnlich dachte Quintus Metellus, der Überwinder Makedoniens und der Achäer, mehr aber noch als seiner Kriegstaten halber geachtet als ein Muster alter Zucht und Sitte in seinem häuslichen wie in seinem öffentlichen Leben. Tiberius Gracchus stand diesen Männern nahe, namentlich dem Appius, dessen Tochter er, und dem Mucianus, dessen Tochter sein Bruder zum Weib genommen hatte; es war kein Wunder, daß der Gedanke sich in ihm regte, den Reformplan selber wiederaufzunehmen, sobald er sich in einer Stellung befinden werde, die ihm verfassungsmäßig die Initiative gestatte. Persönliche Motive mochten ihn hierin bestärken. Der Friedensvertrag, den Mancinus 617 (147) mit den Numantinern abschloß, war wesentlich Gracchus’ Werk; daß der Senat ihn kassiert hatte, daß der Feldherr deswegen den Feinden ausgeliefert worden und Gracchus mit den übrigen höheren Offizieren dem gleichen Schicksal nur durch die größere Gunst, deren er bei der Bürgerschaft genoß, entgangen war, konnte den jungen rechtschaffenen und stolzen Mann nicht milder stimmen gegen die herrschende Aristokratie. Die hellenischen Rhetoren, mit denen er gern philosophierte und politisierte, der Mytilenäer Diophanes, der Kymäer Gaius Blossius, nährten in seiner Seele die Ideale, mit denen er sich trug; als seine Absichten in weiteren Kreisen bekannt wurden, fehlte es nicht an billigenden Stimmen, und mancher öffentliche Anschlag forderte den Enkel des Afrikaners auf, des armen Volkes, der Rettung Italiens zu gedenken.

Am 10. Dezember 620 (134) übernahm Tiberius Gracchus das Volkstribunat. Die entsetzlichen Folgen der bisherigen Mißregierung, der politische, militärische, ökonomische, sittliche Verfall der Bürgerschaft lagen eben damals nackt und bloß jedermann vor Augen. Von den beiden Konsuln dieses Jahres focht der eine ohne Erfolg in Sizilien gegen die aufständischen Sklaven und war der andere, Scipio Aemilianus, seit Monaten beschäftigt, eine kleine spanische Landstadt nicht zu besiegen, sondern zu erdrücken. Wenn es noch einer besonderen Aufforderung bedurfte, um Gracchus’ Entschluß zur Tat werden zu lassen, sie lag in diesen, jedes Patrioten Gemüt mit unnennbarer Angst erfüllenden Zuständen. Sein Schwiegervater versprach Beistand mit Rat und Tat, man durfte hoffen auf die Unterstützung des Juristen Scaevola, der kurz vorher zum Konsul für 621 (133) erwählt worden war. So beantragte Gracchus gleich nach Antritt seines Amtes die Erlassung eines Ackergesetzes, das in gewissem Sinn nichts war als eine Erneuerung des Licinisch-Sextischen vom Jahre 387 der Stadt (367). Es sollten danach die sämtlichen okkupierten und von den Inhabern ohne Entgelt benutzten Staatsländereien - die verpachteten, wie zum Beispiel das Gebiet von Capua, berührte das Gesetz nicht - von Staats wegen eingezogen werden, jedoch mit der Beschränkung, daß der einzelne Okkupant für sich 500 und für jeden Sohn 250, im ganzen jedoch nicht über 1000 Morgen zu bleibendem und garantiertem Besitz solle behalten oder dafür Ersatz in Land in Anspruch nehmen dürfen. Für etwaige, von den bisherigen Inhabern vorgenommene Verbesserungen, wie Gebäude und Pflanzungen, scheint man Entschädigung bewilligt zu haben. Das also eingezogene Domanialland sollte in Lose von 30 Morgen zerschlagen und diese teils an Bürger, teils an italische Bundesgenossen verteilt werden, nicht als freies Eigentum, sondern als unveräußerliche Erbpacht, deren Inhaber das Land zum Feldbau zu benutzen und eine mäßige Rente an die Staatskasse zu zahlen sich verpflichteten. Ein Kollegium von drei Männern, die als ordentliche und stehende Beamte der Gemeinde angesehen und jährlich von der Volksversammlung gewählt wurden, ward mit dem Einziehungs- und Aufteilungsgeschäft beauftragt, wozu später noch der wichtige und schwierige Auftrag kam, rechtlich festzustellen, was Domanialland und was Privateigentum sei. Die Aufteilung war demnach angelegt als auf unbestimmte Zeit fortgehend, bis daß die sehr ausgedehnten und schwer festzustellenden italischen Domänen reguliert sein würden. Mit dem Licinisch-Sextischen Gesetz verglichen waren neu in dem Sempronischen Ackergesetz teils die Klausel zu Gunsten der beerbten Besitzer, teils die für die neuen Landstellen beantragte Erbpachtgutsqualität und Unveräußerlichkeit, teils und vor allem die regulierte und dauernde Exekutive, deren Fehlen in dem älteren Gesetz hauptsächlich bewirkt hatte, daß dasselbe ohne nachhaltige praktische Anwendung geblieben war.

Den großen Grundbesitzern, die jetzt wie vor drei Jahrhunderten ihren wesentlichen Ausdruck fanden im Senat, war also der Krieg erklärt, und seit langem zum erstenmal stand wieder einmal ein einzelner Beamter in ernsthafter Opposition gegen die aristokratische Regierung. Sie nahm den Kampf auf in der für solche Fälle hergebrachten Weise, die Ausschreitungen des Beamtentums durch dieses selbst zu paralysieren. Ein Kollege des Gracchus, Marcus Octavius, ein entschlossener und von der Verwerflichkeit des beantragten Domanialgesetzes ernstlich überzeugter Mann, tat Einspruch, als dasselbe zur Abstimmung gebracht werden sollte; womit verfassungsmäßig der Antrag beseitigt war. Gracchus sistierte nun seinerseits die Staatsgeschäfte und die Rechtspflege und legte seine Siegel auf die öffentlichen Kassen; man nahm es hin - es war unbequem, aber das Jahr ging ja doch auch zu Ende. Gracchus, ratlos, brachte sein Gesetz zum zweitenmal zur Abstimmung; natürlich wiederholte Octavius seinen Einspruch, und auf die flehentliche Bitte seines Kollegen und bisherigen Freundes, ihm die Rettung Italiens nicht zu wehren, mochte er erwidern, daß darüber, wie Italien gerettet werden könne, eben die Ansichten verschieden, sein verfassungsmäßiges Recht aber, gegen den Antrag des Kollegen seines Veto sich zu bedienen, außer allem Zweifel sei. Der Senat machte jetzt den Versuch, Gracchus einen leidlichen Rückzug zu eröffnen; zwei Konsulare forderten ihn auf, die Angelegenheit in der Kurie weiterzuverhandeln, und eifrig ging der Tribun hierauf ein. Er suchte in diesen Antrag hineinzulegen, daß der Senat damit die Domanialaufteilung im Prinzip zugestanden habe; allein weder lag dies darin, noch war der Senat irgend geneigt, in der Sache nachzugeben; die Verhandlungen endigten ohne jedes Resultat. Die verfassungsmäßigen Wege waren erschöpft. In früheren Zeiten hatte man unter solchen Verhältnissen es sich nicht verdrießen lassen, den gestellten Antrag für dies Jahr zur Ruhe zu legen, aber in jedem folgenden ihn wiederaufzunehmen, bis der Ernst des Forderns und der Druck der öffentlichen Meinung den Widerstand brachen. Jetzt lebte man rascher. Gracchus schien auf dem Punkte angelangt, wo er entweder auf die Reform überhaupt verzichten oder die Revolution beginnen mußte; er tat das letztere, indem er mit der Erklärung vor die Bürgerschaft trat, daß entweder er oder Octavius aus dem Kollegium ausscheiden müsse, und diesem ansann, die Bürger darüber abstimmen zu lassen, welchen von ihnen sie entlassen wollten. Octavius weigerte sich natürlich, auf diesen wunderlichen Zweikampf einzugehen; die Interzession war eben dazu da, solchen Meinungsverschiedenheiten der Kollegen Raum zu gewähren. Da brach Gracchus die Verhandlung mit dem Kollegen ab und wandte sich an die versammelte Menge mit der Frage, ob nicht der Volkstribun, der dem Volk zuwiderhandle, sein Amt verwirkt habe; und die Versammlung, längst gewohnt, zu allen an sie gebrachten Anträgen ja zu sagen und größtenteils zusammengesetzt aus dem vom Lande hereingeströmten und bei der Durchführung des Gesetzes persönlich interessierten agrikolen Proletariat, bejahte fast einstimmig die Frage. Marcus Octavius ward auf Gracchus’ Befehl durch die Gerichtsdiener von der Tribunenbank entfernt und hierauf unter allgemeinem Jubel das Ackergesetz durchgebracht und die ersten Teilungsherren ernannt. Die Stimmen fielen auf den Urheber des Gesetzes nebst seinem erst zwanzigjährigen Bruder Gaius und seinem Schwiegervater Appius Claudius. Eine solche Familienwahl steigerte die Erbitterung der Aristokratie. Als die neuen Beamten sich wie üblich an den Senat wandten, um ihre Ausstattungs- und Taggelder angewiesen zu erhalten, wurden jene verweigert und ein Taggeld angewiesen von 24 Assen (10 Groschen). Die Fehde griff immer weiter um sich und ward immer gehässiger und persönlicher. Das schwierige und verwickelte Geschäft der Abgrenzung, Einziehung und Aufteilung der Domänen trug den Hader in jede Bürgergemeinde, ja selbst in die verbündeten italischen Städte. Die Aristokratie hatte es kein Hehl, daß sie das Gesetz vielleicht, weil sie müsse, sich gefallen lassen, der unberufene Gesetzgeber aber ihrer Rache nimmermehr entgehen werde; und die Ankündigung des Quintus Pompeius, daß er den Gracchus an demselben Tage, wo er das Tribunat niederlege, in Anklagestand versetzen werde, war unter den Drohungen, die gegen den Tribun fielen, noch bei weitem nicht die schlimmste. Gracchus glaubte, wahrscheinlich mit Recht, seine persönliche Sicherheit bedroht und erschien auf dem Markt nicht mehr ohne eine Gefolge von drei- bis viertausend Menschen, worüber er selbst von dem der Reform an sich nicht abgeneigten Metellus im Senat bittere Worte hören wußte. Überhaupt, wenn er gemeint hatte, mit Durchbringung seines Ackergesetzes am Ziele zu sein, so hatte er jetzt zu lernen, daß er erst am Anfang stand. Das “Volk” war ihm zu Dank verpflichtet; aber er war ein verlorener Mann, wenn er keinen anderen Schirm mehr hatte als diese Dankbarkeit des Volkes, wenn er demselben nicht unentbehrlich blieb und durch andere und weitergreifende Vorschläge neue und immer neue Interessen und Hoffnungen an sich knüpfte. Ebendamals war durch das Testament des letzten Königs von Pergamon den Römern Reich und Vermögen der Attaliden zugefallen; Gracchus beantragte bei dem Volk, den pergamenischen Schatz unter die neuen Landbesitzer zur Anschaffung des erforderlichen Beschlags zu verteilen und vindizierte überhaupt, gegen die bestehende Übung, der Bürgerschaft das Recht, über die neue Provinz definitiv zu entscheiden. Weitere populäre Gesetze, über Abkürzung der Dienstzeit, über Ausdehnung des Provokationsrechts, über die Aufhebung des Vorrechts der Senatoren, ausschließlich als Zivilgeschworene zu fungieren, sogar über die Aufnahme der italischen Bundesgenossen in den römischen Bürgerverband, soll er vorbereitet haben; wie weit seine Entwürfe in der Tat gereicht haben, läßt sich nicht entscheiden, gewiß ist nur, daß Gracchus seine einzige Rettung darin sah, das Amt, das ihn schützte, von der Bürgerschaft auf ein zweites Jahr verliehen zu erhalten, und daß er, um diese verfassungswidrige Verlängerung zu bewirken, weitere Reformen in Aussicht stellte. Hatte er anfangs sich eingesetzt, um das Gemeinwesen zu retten, so wußte er jetzt schon, um sich zu retten, das Gemeinwesen aufs Spiel setzen. Die Bezirke traten zusammen zur Wahl der Tribunen für das nächste Jahr, und die ersten Abteilungen gaben ihre Stimmen für Gracchus; aber die Gegenpartei drang mit ihrem Einspruch schließlich wenigstens insoweit durch, daß die Versammlung unverrichteter Sache aufgelöst und die Entscheidung auf den folgenden Tag verschoben ward. Für diesen setzte Gracchus alle Mittel in Bewegung, erlaubte und unerlaubte: er zeigte sich dem Volke im Trauergewand und empfahl ihm seinen unmündigen Knaben; für den Fall, daß die Wahl abermals durch Einspruch gestört werden würde, traf er Vorkehrungen, den Anhang der Aristokratie mit Gewalt von dem Versammlungsplatz vor dem Kapitolinischen Tempel zu vertreiben. So kam der zweite Wahltag heran; die Stimmen fielen wie an dem vorhergehenden und wieder erfolgte der Einspruch; der Auflauf begann. Die Bürger zerstreuten sich; die Wahlversammlung war faktisch aufgehoben; der Kapitolinische Tempel ward geschlossen; man erzählte sich in der Stadt, bald daß Tiberius die sämtlichen Tribunen abgesetzt habe, bald daß er ohne Wiederwahl sein Amt fortzuführen entschlossen sei. Der Senat versammelte sich im Tempel der Treue, hart bei dem Jupitertempel; die erbittertsten Gegner des Gracchus führten in der Sitzung das Wort; als Tiberius die Hand nach der Stirn bewegte, um in dem wilden Getümmel dem Volke zu erkennen zu geben, daß sein Leben bedroht sei, hieß es, er fordere schon die Leute auf, sein Haupt mit der königlichen Binde zu schmücken. Der Konsul Scaevola ward angegangen, den Hochverräter sofort töten zu lassen; als der gemäßigte, der Reform an sich keineswegs abgeneigte Mann das ebenso unsinnige wie barbarische Begehren unwillig zurückwies, rief der Konsular Publius Scipio Nasica, ein harter und leidenschaftlicher Aristokrat, die Gleichgesinnten auf, sich zu bewaffnen, wie sie könnten, und ihm zu folgen. Von den Landleuten war zu den Wahlen fast niemand in die Stadt gekommen; das Stadtvolk wich scheu auseinander, als es die vornehmen Männer mit Stuhlbeinen und Knütteln in den Händen zornigen Auges heranstürmen sah; Gracchus versuchte, von wenigen begleitet, zu entkommen. Aber er stürzte auf der Flucht am Abhang des Kapitols und ward von einem der Wütenden - Publius Satureius und Lucius Rufus stritten sich später um die Henkerehre - vor den Bildsäulen der sieben Könige am Tempel der Treue durch einen Knüttelschlag auf die Schläfe getötet; mit ihm dreihundert andere Männer, keiner durch Eisenwaffen. Als es Abend geworden war, wurden die Körper in den Tiberfluß gestürzt; vergebens bat Gaius, ihm die Leiche seines Bruders zur Bestattung zu vergönnen. Solch einen Tag hatte Rom noch nicht erlebt. Der mehr als hundertjährige Hader der Parteien während der ersten sozialen Krise hatte zu keiner Katastrophe geführt, wie diejenige war, mit der die zweite begann. Auch den besseren Teil der Aristokratie mochte schaudern; indes man konnte nicht mehr zurück. Man hatte nur die Wahl, eine große Zahl der zuverlässigsten Parteigenossen der Rache der Menge preiszugeben oder die Verantwortung der Untat auf die Gesamtheit zu übernehmen; das letztere geschah. Man hielt offiziell daran fest, daß Gracchus die Krone habe nehmen wollen, und rechtfertigte diesen neuesten Frevel mit dem uralten des Ahala; ja man überwies sogar die weitere Untersuchung gegen Gracchus’ Mitschuldige einer besonderen Kommission und ließ deren Vormann, den Konsul Publius Popillius, dafür sorgen, daß durch Blutsentenzen gegen eine große Anzahl geringer Leute der Bluttat gegen Gracchus nachträglich eine Art rechtlichen Gepräges aufgedrückt ward (622 132). Nasica, gegen den vor allen anderen die Menge Rache schnaubte und der wenigstens den Mut hatte, sich offen vor dem Volke zu seiner Tat zu bekennen und sie zu vertreten, ward unter ehrenvollen Vorwänden nach Asien gesandt und bald darauf (624 130) abwesend mit dem Oberpontifikat bekleidet. Auch die gemäßigte Partei trennte sich hierin nicht von ihren Kollegen. Gaius Laelius beteiligte sich bei den Untersuchungen gegen die Gracchaner; Publius Scaevola, der die Ermordung zu verhindern gesucht hatte, verteidigte sie später im Senat; als Scipio Aemilianus nach seiner Rückkehr aus Spanien (622 132) aufgefordert ward, sich öffentlich darüber zu erklären, ob er die Tötung seines Schwagers billige oder nicht, gab er die wenigstens zweideutige Antwort, daß, wofern er nach der Krone getrachtet habe, er mit Recht getötet worden sei.

Versuchen wir über diese folgenreichen Ereignisse zu einem Urteil zu gelangen. Die Einrichtung eines Beamtenkollegiums, das dem gefährlichen Zusammenschwinden der Bauernschaft durch umfassende Gründung neuer Kleinstellen aus dem gesamten, dem Staat zur Verfügung stehenden italischen Grundbesitz entgegenzuwirken hatte, war freilich kein Zeichen eines gesunden volkswirtschaftlichen Zustandes, aber unter den obwaltenden politischen und sozialen Verhältnissen zweckmäßig. Die Aufteilung der Domänen ferner war an sich keine politische Parteifrage; sie konnte bis auf die letzte Scholle durchgeführt werden, ohne daß die bestehende Verfassung geändert, das Regiment der Aristokratie irgend erschüttert ward. Ebensowenig konnte hier von einer Rechtsverletzung die Rede sein. Anerkanntermaßen war der Eigentümer des okkupierten Landes der Staat; der Inhaber konnte als bloß geduldeter Besitzer in der Regel nicht einmal den gutgläubigen Eigentumsbesitz sich zuschreiben, und wo er ausnahmsweise es konnte, stand ihm entgegen, daß gegen den Staat nach römischem Landrecht die Verjährung nicht lief. Die Domänenaufteilung war keine Aufhebung, sondern eine Ausübung des Eigentums; über die formelle Rechtsbeständigkeit derselben waren alle Juristen einig. Allein damit, daß die Domänenaufteilung weder der bestehenden Verfassung Eintrag tat noch eine Rechtsverletzung in sich schloß, war der Versuch, diese Rechtsansprüche des Staats jetzt durchzuführen, politisch noch keineswegs gerechtfertigt. Was man wohl in unsern Tagen erinnert hat, wenn ein großer Grundherr rechtlich ihm zustehende, aber tatsächlich seit langen Jahren nicht erhobene Ansprüche plötzlich in ihrem ganzen Umfang geltend zu machen beginnt, konnte mit gleichem und besserem Rechte auch gegen die Gracchische Rogation eingewendet werden. Unleugbar hatten diese okkupierten Domänen zum Teil seit dreihundert Jahren sich in erblichem Privatbesitz befunden; das Bodeneigentum des Staats, das seiner Natur nach überhaupt leichter als das des Bürgers den privatrechtlichen Charakter verliert, war an diesen Grundstücken so gut wie verschollen und die jetzigen Inhaber durchgängig durch Kauf oder sonstigen lästigen Erwerb zu diesen Besitzungen gelangt. Der Jurist mochte sagen was er wollte; den Geschäftsleuten erschien die Maßregel als eine Expropriation der großen Grundbesitzer zum Besten des agrikolen Proletariats; und in der Tat konnte auch kein Staatsmann sie anders bezeichnen. Daß die leitenden Männer der catonischen Epoche nicht anders geurteilt hatten, zeigt sehr klar die Behandlung eines ähnlichen, zu ihrer Zeit vorgekommenen Falles. Das im Jahre 543 (211) zur Domäne geschlagene Gebiet von Capua und den Nachbarstädten war in den folgenden unruhigen Zeiten tatsächlich größtenteils in Privatbesitz übergegangen. In den letzten Jahren des sechsten Jahrhunderts, wo man vielfältig, besonders durch Catos Einfluß bestimmt, die Zügel des Regiments wieder straffer anzog, beschloß die Bürgerschaft, das campanische Gebiet wieder an sich zu nehmen und zum Besten des Staatsschatzes zu verpachten (582 172). Dieser Besitz beruhte auf einer nicht durch vorgängige Aufforderung, sondern höchstens durch Konnivenz der Behörden gerechtfertigten und nirgends viel über ein Menschenalter hinaus fortgesetzten Okkupation; dennoch wurden die Inhaber nicht anders als gegen eine im Auftrag des Senats von dem Stadtprätor Publius Lentulus ausgeworfene Entschädigungssumme aus dem Besitz gesetzt (ca. 589 165) 5. Weniger bedenklich vielleicht, aber doch auch nicht unbedenklich war es, daß für die neuen Landlose Erbpachtqualität und Unveräußerlichkeit festgestellt ward. Die liberalsten Grundsätze in bezug auf die Verkehrsfreiheit hatten Rom groß gemacht, und es vertrug sich sehr wenig mit dem Geist der römischen Institutionen, daß diese neuen Bauern von oben herab angehalten wurden, ihr Grundstück in einer bestimmten Weise zu bewirtschaften, und daß für dasselbe Retraktrechte und alle der Verkehrsbeschränkung anhängenden Einschnürungsmaßregeln festgestellt wurden.

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5 Die bisher nur aus Cicero (leg. agr. 2, 31, 82; vgl. Liv. 42, 2, 19) teilweise bekannte Tatsache wird jetzt durch die Fragmente des Licinianus (p. 4) wesentlich vervollständigt. Die beiden Berichte sind dahin zu vereinigen, daß Lentulus die Possessoren gegen eine von ihm festgesetzte Entschädigungssumme expropriierte, bei den wirklichen Grundeigentümern aber nichts ausrichtete, da er sie zu expropriieren nicht befugt war und sie auf Verkauf sich nicht einlassen wollten.

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Man wird einräumen, daß diese Einwürfe gegen das Sempronische Ackergesetz nicht leicht wogen. Dennoch entscheiden sie nicht. Jene tatsächliche Expropriation der Domänenbesitzer war sicher ein großes Übel; aber sie war dennoch das einzige Mittel, um einem noch viel größeren, ja den Staat geradezu vernichtenden, dem Untergang des italischen Bauernstandes, wenigstens auf lange hinaus zu steuern. Darum begreift man es wohl, warum die ausgezeichnetsten und patriotischsten Männer auch der konservativen Partei, an ihrer Spitze Gaius Laelius und Scipio Aemilianus, die Domänenaufteilung an sich billigten und wünschten.

Aber wenn der Zweck des Tiberius Gracchus wohl der großen Majorität der einsichtigen Vaterlandsfreunde gut und heilsam erschienen ist, so hat dagegen der Weg, den er einschlug, keines einzigen nennenswerten und patriotischen Mannes Billigung gefunden und finden können. Rom wurde um diese Zeit regiert durch den Senat. Wer gegen die Majorität des Senats eine Verwaltungsmaßregel durchsetzte, der machte Revolution. Es war Revolution gegen den Geist der Verfassung, als Gracchus die Domänenfrage vor das Volk brachte; Revolution auch gegen den Buchstaben, als er das Korrektiv der Staatsmaschine, durch welches der Senat die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmäßig beseitigte, die tribunizische Interzession durch die mit unwürdiger Sophistik gerechtfertigte Absetzung seines Kollegen nicht bloß für jetzt, sondern für alle Folgezeit zerstörte. Indes nicht hierin liegt die sittliche und politische Verkehrtheit von Gracchus’ Tun. Für die Geschichte gibt es keine Hochverratsparagraphen; wer eine Macht im Staat zum Kampf aufruft gegen die andere, der ist gewiß ein Revolutionär, aber vielleicht zugleich ein einsichtiger und preiswürdiger Staatsmann. Der wesentliche Fehler der Gracchischen Revolution liegt in einer nur zu oft übersehenen Tatsache: in der Beschaffenheit der damaligen Bürgerversammlungen. Das Ackergesetz des Spurius Cassius und das des Tiberius Gracchus hatten in der Hauptsache denselben Inhalt und denselben Zweck; dennoch war das Beginnen beider Männer nicht weniger verschieden als die ehemalige römische Bürgerschaft, welche mit den Latinern und Hernikern die Volskerbeute teilte, und die jetzige, die die Provinzen Asia und Africa einrichten ließ. Jene war eine städtische Gemeinde, die zusammentreten und zusammen handeln konnte; diese ein großer Staat, dessen Angehörige in einer und derselben Urversammlung zu vereinigen und diese Versammlung entscheiden zu lassen ein ebenso klägliches wie lächerliches Resultat gab. Es rächte sich hier der Grundfehler der Politie des Altertums, daß sie nie vollständig von der städtischen zur staatlichen Verfassung oder, was dasselbe ist, von dem System der Urversammlungen zum parlamentarischen fortgeschritten ist. Die souveräne Versammlung Roms war, was die souveräne Versammlung in England sein würde, wenn statt der Abgeordneten die sämtlichen Wähler Englands zum Parlament zusammentreten wollten: eine ungeschlachte, von allen Interessen und allen Leidenschaften wüst bewegte Masse, in der die Intelligenz spurlos verschwand; eine Masse, die weder die Verhältnisse zu übersehen noch auch nur einen eigenen Entschluß zu fassen vermochte; eine Masse vor allem, in welcher, von seltenen Ausnahmefällen abgesehen, unter dem Namen der Bürgerschaft ein paar hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt zufällig aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. Die Bürgerschaft fand sich in den Bezirken wie in den Hundertschaften durch ihre faktischen Repräsentanten in der Regel ungefähr ebenso genügend vertreten wie in den Kurien durch die daselbst von Rechts wegen sie repräsentierenden dreißig Gerichtsdiener; und eben wie der sogenannte Kurienbeschluß nichts war als ein Beschluß desjenigen Magistrats, der die Gerichtsdiener zusammenrief, so war auch der Tribus- und Zenturienbeschluß in dieser Zeit wesentlich nichts als ein durch einige obligate Jaherren legalisierter Beschluß des vorschlagenden Beamten. Wenn aber in diesen Stimmversammlungen, den Komitien, sowenig man es auch mit der Qualifikation genau nahm, im ganzen doch nur Bürger erschienen, so war dagegen in den bloßen Volksversammlungen, den Kontionen, platz- und schreiberechtigt, was nur zwei Beine hatte, Ägypter und Juden, Gassenbuben und Sklaven. In den Augen des Gesetzes bedeutete allerdings ein solches Meeting nichts; es konnte nicht abstimmen noch beschließen. Allein tatsächlich beherrschte dasselbe die Gasse und schon war die Gassenmeinung eine Macht in Rom und kam etwas darauf an, ob diese wüste Masse bei dem, was ihr mitgeteilt ward, schwieg oder schrie, ob sie klatschte und jubelte oder den Redner auspfiff und anheulte. Nicht viele hatten den Mut, die Haufen anzuherrschen, wie es Scipio Aemilianus tat, als sie wegen seiner Äußerung über den Tod seines Schwagers ihn auszischten: Ihr da, sprach er, denen Italien nicht Mutter ist sondern Stiefmutter, ihr habt zu schweigen! Und da sie noch lauter tobten: ihr meint doch nicht, daß ich die losgebunden fürchten werde, die ich in Ketten auf den Sklavenmarkt geschickt habe?

Daß man der verrosteten Maschine der Komitien sich für die Wahlen und für die Gesetzgebung bediente, war schon übel genug. Aber wenn man diesen Massen, zunächst den Komitien und faktisch auch den Kontionen, Eingriffe in die Verwaltung gestattete und dem Senat das Werkzeug zur Verhütung solcher Eingriffe aus den Händen wand; wenn man gar diese sogenannte Bürgerschaft aus dem gemeinen Säckel sich selber Äcker samt Zubehör dekretieren ließ; wenn man einem jeden, dem die Verhältnisse und sein Einfluß beim Proletariat die Gelegenheit gab, die Gassen auf einige Stunden zu beherrschen, die Möglichkeit eröffnete, seinen Projekten den legalen Stempel des souveränen Volkswillens aufzudrücken, so war man nicht am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, nicht bei der Demokratie angelangt, sondern bei der Monarchie. Darum hatten in der vorigen Periode Cato und seine Gesinnungsgenossen solche Fragen nie an die Bürgerschaft gebracht, sondern lediglich sie im Senat verhandelt. Darum bezeichnen Gracchus’ Zeitgenossen, die Männer des Scipionischen Kreises, das Flaminische Ackergesetz von 522 (232), den ersten Schritt auf jener verhängnisvollen Bahn, als den Anfang des Verfalles der römischen Größe. Darum ließen dieselben den Urheber der Domanialteilung fallen und erblickten in seinem schrecklichen Ende gleichsam einen Damm gegen künftige ähnliche Versuche, während sie doch die von ihm durchgesetzte Domanialteilung selbst mit aller Energie festhielten und nutzten - so jammervoll standen die Dinge in Rom, daß redliche Patrioten in die grauenvolle Heuchelei hineingedrängt wurden, den Übeltäter preiszugeben und die Frucht der Übeltat sich anzueignen. Darum hatten auch die Gegner des Gracchus in gewissem Sinne nicht unrecht, als sie ihn beschuldigten, nach der Krone zu streben. Es ist für ihn viel mehr eine zweite Anklage als eine Rechtfertigung, daß dieser Gedanke ihm selber wahrscheinlich fremd war. Das aristokratische Regiment war so durchaus verderblich, daß der Bürger, der den Senat ab- und sich an dessen Stelle zu setzen vermochte, vielleicht dem Gemeinwesen mehr noch nützte, als er ihm schadete. Allein dieser kühne Spieler war Tiberius Gracchus nicht, sondern ein leidlich fähiger, durchaus wohlmeinender, konservativ patriotischer Mann, der eben nicht wußte, was er begann, der im besten Glauben, das Volk zu rufen, den Pöbel beschwor und nach der Krone griff, ohne selbst es zu wissen, bis die unerbittliche Konsequenz der Dinge ihn unaufhaltsam drängte in die demagogisch-tyrannische Bahn, bis mit der Familienkommission, den Eingriffen in das öffentliche Kassenwesen, den durch Not und Verzweiflung erpreßten weiteren “Reformen”, der Leibwache von der Gasse und den Straßengefechten der bedauernswerte Usurpator Schritt für Schritt sich und andern klarer hervortrat, bis endlich die entfesselten Geister der Revolution den unfähigen Beschwörer packten und verschlangen. Die ehrlose Schlächterei, durch die er endigte, richtet sich selber, wie sie die Adelsrotte richtet, von der sie ausging; allein die Märtyrerglorie, mit der sie Tiberius Gracchus’ Namen geschmückt hat, kam hier wie gewöhnlich an den unrechten Mann. Die besten seiner Zeitgenossen urteilten anders. Als dem Scipio Aemilianus die Katastrophe gemeldet ward, sprach er die Worte Homers: “Also verderb’ ein jeder, der ähnliche Werke vollführt hat!” Und als des Tiberius jüngerer Bruder Miene machte, in gleicher Weise aufzutreten, schrieb ihm die eigene Mutter: “Wird denn unser Haus des Wahnsinns kein Ende finden? Wo wird die Grenze sein? Haben wir noch nicht hinreichend uns zu schämen, den Staat verwirrt und zerrüttet zu haben?” So sprach nicht die besorgte Mutter, sondern die Tochter des Überwinders der Karthager, die noch ein größeres Unglück kannte und erfuhr als den Tod ihrer Kinder.

KAPITEL III.
Die Revolution und Gaius Gracchus

Tiberius Gracchus war tot; indes seine beiden Werke, die Landaufteilung wie die Revolution, überlebten ihren Urheber. Dem verkommenen agrikolen Proletariat gegenüber konnte der Senat wohl einen Mord wagen, aber nicht diesen Mord zur Aufhebung des Sempronischen Ackergesetzes benutzen; durch den wahnsinnigen Ausbruch der Parteiwut war das Gesetz selbst weit mehr befestigt als erschüttert worden. Die reformistisch gesinnte Partei der Aristokratie, welche die Domanialteilung offen begünstigte, an ihrer Spitze Quintus Metellus, eben um diese Zeit (623 131) Zensor, und Publius Scaevola, gewann in Verbindung mit der Partei des Scipio Aemilianus, die der Reform wenigstens nicht abgeneigt war, selbst im Senat für jetzt die Oberhand, und ausdrücklich wies ein Senatsbeschluß die Teilherren an, ihre Arbeiten zu beginnen. Nach dem Sempronischen Gesetz sollten dieselben jährlich von der Gemeinde ernannt werden, und es ist dies auch wahrscheinlich geschehen; allein bei der Beschaffenheit ihrer Aufgabe war es natürlich, daß die Wahl wieder und wieder auf dieselben Männer fiel und eigentliche Neuwahlen nur stattfanden, wo ein Platz durch den Tod sich erledigte. So trat für Tiberius Gracchus in dieselbe ein der Schwiegervater seines Bruders Gaius, Publius Crassus Mucianus; und als dieser 624 (130) gefallen und auch Appius Claudius gestorben war, leiteten das Teilungsgeschäft in Gemeinschaft mit dem jungen Gaius Gracchus zwei der tätigsten Führer der Bewegungspartei, Marcus Fulvius Flaccus und Gaius Papirius Carbo. Schon die Namen dieser Männer bürgen dafür, daß man das Geschäft der Einziehung und Aufteilung des okkupierten Domaniallandes mit Eifer und Nachdruck angriff, und in der Tat fehlt es auch dafür nicht an Beweisen. Bereits der Konsul des Jahres 622 (132), Publius Popillius, derselbe, der die Blutgerichte gegen die Anhänger des Tiberius Gracchus leitete, verzeichnet auf einem öffentlichen Denkmal sich als “den ersten, der auf den Domänen die Hirten aus- und dafür die Bauern eingewiesen habe”, und auch sonst ist es überliefert, daß sich die Aufteilung über ganz Italien erstreckte und überall in den bisherigen Gemeinden die Zahl der Bauernstellen vermehrt ward - denn nicht durch Gründung neuer Gemeinden, sondern durch Verstärkung der bestehenden die Bauernschaft zu heben, war die Absicht des Sempronischen Ackergesetzes. Den Umfang und die tiefgreifende Wirkung dieser Aufteilungen bezeugen die zahlreichen in der römischen Feldmesserkunst auf die Gracchischen Landanweisungen zurückgehenden Einrichtungen; wie denn zum Beispiel eine gehörige und künftigen Irrungen vorbeugende Marksteinsetzung zuerst durch die Gracchischen Grenzgerichte und Landaufteilungen ins Leben gerufen zu sein scheint. Am deutlichsten aber reden die Zahlen der Bürgerliste. Die Schätzung, die im Jahre 623 (131) veröffentlicht ward und tatsächlich wohl Anfang 622 (132) stattfand, ergab nicht mehr als 319000 waffenfähige Bürger, wogegen sechs Jahre später (629 125) statt des bisherigen Sinkens sich die Ziffer auf 395000, also um 76000 hebt - ohne allen Zweifel lediglich infolge dessen, was die Teilungskommission für die römische Bürgerschaft tat. Ob dieselbe auch bei den Italikern die Bauernstellen in demselben Verhältnis vermehrt hat, läßt sich bezweifeln; auf alle Fälle war das, was sie erreichte, ein großes und segensreiches Resultat. Freilich ging es dabei nicht ab ohne vielfache Verletzung achtbarer Interessen und bestehender Rechte. Das Teilherrenamt, besetzt mit den entschiedensten Parteimännern und durchaus Richter in eigener Sache, ging mit seinen Arbeiten rücksichtslos und selbst tumultuarisch vor; öffentliche Anschläge forderten jeden, der dazu imstande sei, auf über die Ausdehnung des Domaniallandes Nachweisungen zu geben; unerbittlich wurde zurückgegangen auf die alten Erdbücher und nicht bloß neue und alte Okkupation ohne Unterschied wieder eingefordert, sondern auch vielfältig wirkliches Privateigentum, über das der Inhaber sich nicht genügend auszuweisen vermochte, mitkonfisziert. Wie laut und großenteils begründet auch die Klagen waren, der Senat ließ die Aufteiler gewähren: es war einleuchtend, daß, wenn man einmal die Domanialfrage erledigen wollte, ohne solches rücksichtsloses Durchgreifen schlechterdings nicht durchzukommen war. Allein es hatte dies Gewährenlassen doch seine Grenze. Das italische Domanialland war nicht lediglich in den Händen römischer Bürger; große Strecken desselben waren einzelnen bundesgenössischen Gemeinden durch Volks- oder Senatsbeschlüsse zu ausschließlicher Benutzung zugewiesen, andere Stücke von latinischen Bürgern erlaubter- oder unerlaubterweise okkupiert worden. Das Teilungsamt griff endlich auch diese Besitzungen an. Nach formalem Rechte war die Einziehung der von Nichtbürgern einfach okkupierten Stücke unzweifelhaft zulässig, nicht minder vermutlich die Einziehung des durch Senatsbeschlüsse, ja selbst des durch Gemeindebeschlüsse den italischen Gemeinden überwiesenen Domaniallandes, da der Staat damit keineswegs auf sein Eigentum verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden eben wie an Private nur auf Widerruf verlieh. Allein die Beschwerden dieser Bundes- oder Untertanengemeinden, daß Rom die in Kraft stehenden Abmachungen nicht einhalte, konnten doch nicht, wie die Klagen der durch das Teilungsamt verletzten römischen Bürger, einfach beiseite gelegt werden. Rechtlich mochten jene nicht besser begründet sein als diese; aber wenn es in diesem Falle sich um Privatinteressen von Staatsangehörigen handelte, so kam in Beziehung auf die latinischen Possessionen in Frage, ob es politisch richtig sei, die militärisch so wichtigen und schon durch zahlreiche rechtliche und faktische Zurücksetzungen Rom sehr entfremdeten latinischen Gemeinden noch durch diese empfindliche Verletzung ihrer materiellen Interessen aufs neue zu verstimmen. Die Entscheidung lag in den Händen der Mittelpartei; sie war es gewesen, die nach der Katastrophe des Gracchus im Bunde mit seinen Anhängern die Reform gegen die Oligarchie geschützt hatte, und sie allein vermochte jetzt in Vereinigung mit der Oligarchie der Reform eine Schranke zu setzen. Die Latiner wandten sich persönlich an den hervorragendsten Mann dieser Partei, Scipio Aemilianus, mit der Bitte, ihre Rechte zu schützen; er sagte es zu, und wesentlich durch seinen Einfluß ^1 ward im Jahre 625 (129) durch Volksschluß der Teilkommission die Gerichtsbarkeit entzogen und die Entscheidung, was Domanial- und was Privatbesitz sei, an die Zensoren und in deren Vertretung an die Konsuln gewiesen, denen sie nach den allgemeinen Rechtsbestimmungen zukam. Es war dies nichts anderes als eine Sistierung der weiteren Domanialaufteilung in milder Form. Der Konsul Tuditanus, keineswegs gracchanisch gesinnt und wenig geneigt, mit der bedenklichen Bodenregulierung sich zu befassen, nahm die Gelegenheit wahr, zum illyrischen Heer abzugehen und das ihm aufgetragene Geschäft unvollzogen zu lassen; die Teilungskommission bestand zwar fort, aber da die gerichtliche Regulierung des Domaniallandes stockte, blieb auch sie notgedrungen untätig. Die Reformpartei war tief erbittert. Selbst Männer wie Publius Mucius und Quintus Metellus mißbilligten Scipios Zwischentreten. In anderen Kreisen begnügte man sich nicht mit der Mißbilligung. Auf einen der nächsten Tage hatte Scipio einen Vortrag über die Verhältnisse der Latiner angekündigt; am Morgen dieses Tages ward er tot in seinem Bette gefunden. Daß der sechsundfünfzigjährige in voller Gesundheit und Kraft stehende Mann, der noch den Tag vorher öffentlich gesprochen und dann am Abend, um seine Rede für den nächsten Tag zu entwerfen, sich früher als gewöhnlich in sein Schlafgemach zurückgezogen hatte, das Opfer eines politischen Mordes geworden ist, kann nicht bezweifelt werden; er selbst hatte kurz vorher der gegen ihn gerichteten Mordanschläge öffentlich erwähnt. Welche meuchelnde Hand den ersten Staatsmann und den ersten Feldherrn seiner Zeit bei nächtlicher Weile erwürgt hat, ist nie an den Tag gekommen, und es ziemt der Geschichte weder die aus dem gleichzeitigen Stadtklatsch überlieferten Gerüchte zu wiederholen noch den kindischen Versuch anzustellen, aus solchen Akten die Wahrheit zu ermitteln. Nur daß der Anstifter der Tat der Gracchenpartei angehört haben muß, ist einleuchtend: Scipios Ermordung war die demokratische Antwort auf die aristokratische Blutszene am Tempel der Treue. Die Gerichte schritten nicht ein. Die Volkspartei, mit Recht fürchtend, daß ihre Führer, Gaius Gracchus, Flaccus, Carbo, schuldig oder nicht, in den Prozeß möchten verwickelt werden, widersetzte sich mit allen Kräften der Einleitung einer Untersuchung; und auch die Aristokratie, die an Scipio ebensosehr einen Gegner wie einen Verbündeten verlor, ließ nicht ungern die Sache ruhen. Die Menge und die gemäßigten Männer standen entsetzt; keiner mehr als Quintus Metellus, der Scipios Einschreiten gegen die Reform gemißbilligt hatte, aber von solchen Bundesgenossen schaudernd sich abwandte und seinen vier Söhnen befahl, die Bahre des großen Gegners zur Feuerstätte zu tragen. Die Leichenbestattung ward beschleunigt; verhüllten Hauptes ward der Letzte aus dem Geschlecht des Siegers von Zama hinausgetragen, ohne daß jemand zuvor des Toten Antlitz hätte sehen dürfen, und die Flammen des Scheiterhaufens verzehrten mit der Hülle des hohen Mannes zugleich die Spuren des Verbrechens.

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^1 Hierher gehört ein Rede contra legem iudiciariam Ti. Gracchi, womit nicht, wie man gesagt hat, ein Gesetz über Quästionengerichte gemeint ist, sondern das Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: ut triumviri iudicarent, qua publicus ager, qua privatus esset (Liv. ep. 28; oben S. 95).

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Die Geschichte Roms kennt manchen genialeren Mann als Scipio Aemilianus, aber keinen, der an sittlicher Reinheit, an völliger Abwesenheit des politischen Egoismus, an edelster Vaterlandsliebe ihm gleich kommt; vielleicht auch keinen, dem das Geschick eine tragischere Rolle zugewiesen hat. Des besten Willens und nicht gemeiner Fähigkeiten sich bewußt, war er dazu verurteilt, den Ruin seines Vaterlandes vor seinen Augen sich vollziehen zu sehen und jeden ernstlichen Versuch einer Rettung, in der klaren Einsicht, nur übel damit ärger zu machen, in sich niederzukämpfen; dazu verurteilt, Untaten wie die des Nasica gutheißen und zugleich das Werk des Ermordeten gegen seine Mörder verteidigen zu müssen. Dennoch durfte er sich sagen, nicht umsonst gelebt zu haben. Er war es, wenigstens ebensosehr wie der Urheber des Sempronischen Gesetzes, dem die römische Bürgerschaft einen Zuwachs von gegen 80000 neuen Bauernhufen verdankte; er war es auch, der diese Domanialteilung hemmte, als sie genützt hatte, was sie nützen konnte. Daß es an der Zeit war, damit abzubrechen, ward zwar damals auch von wohlmeinenden Männern bestritten; aber die Tatsache, daß auch Gaius Gracchus auf diese nach dem Gesetz seines Bruders zu verteilenden und unverteilt gebliebenen Besitzungen nicht ernstlich zurückkam, spricht gar sehr dafür, daß Scipio im wesentlichen den richtigen Moment traf. Beide Maßregeln wurden den Parteien abgezwungen, die erste der Aristokratie, die zweite den Reformfreunden; beide bezahlte ihr Urheber mit seinem Leben. Es war Scipio beschieden, auf manchem Schlachtfeld für sein Vaterland zu fechten und unverletzt heimzukehren, um dort den Tod von Mörderhand zu finden; aber er ist in seiner stillen Kammer nicht minder für Rom gestorben, als wenn er vor Karthagos Mauern gefallen wäre.

Die Landaufteilung war zu Ende; die Revolution ging an. Die revolutionäre Partei, die in dem Teilungsamt gleichsam eine konstituierte Vorstandschaft besaß, hatte schon bei Scipios Lebzeiten hier und dort mit dem bestehenden Regiment geplänkelt; namentlich Carbo, eines der ausgezeichnetsten Rednertalente dieser Zeit, hatte als Volkstribun 623 (131) dem Senat nicht wenig zu schaffen gemacht, die geheime Abstimmung in den Bürgerschaftsversammlungen durchgesetzt, soweit es nicht bereits früher geschehen war, und sogar den bezeichnenden Antrag gestellt, den Volkstribunen die Wiederbewerbung um dasselbe Amt für das unmittelbar folgende Jahr freizugeben, also das Hindernis, an dem Tiberius Gracchus zunächst gescheitert war, gesetzlich zu beseitigen. Der Plan war damals durch den Widerstand Scipios vereitelt worden; einige Jahre später, wie es scheint nach dessen Tode, wurde das Gesetz, wenn auch mit beschränkenden Klauseln, wieder ein- und durchgebracht 2. Die hauptsächliche Absicht der Partei ging indes auf Reaktivierung des faktisch außer Tätigkeit gesetzten Teilungsamts: unter den Führern ward der Plan ernstlich besprochen, die Hindernisse, die die italischen Bundesgenossen derselben entgegenstellten, durch Erteilung des Bürgerrechts an dieselben zu beseitigen, und die Agitation nahm vorwiegend diese Richtung. Um ihr zu begegnen, ließ der Senat 628 (126) durch den Volkstribun Marcus Iunius Pennus die Ausweisung sämtlicher Nichtbürger aus der Hauptstadt beantragen und trotz des Widerstandes der Demokraten, namentlich des Gaius Gracchus, und der durch diese gehässige Maßregel hervorgerufenen Gärung in den latinischen Gemeinden ging der Vorschlag durch. Marcus Fulvius Flaccus antwortete im folgenden Jahr (629 125) als Konsul mit dem Antrag, den Bürgern der Bundesgemeinden die Gewinnung der römischen Bürgerrechte zu erleichtern und auch denen, die sie nicht gewonnen, gegen Straferkenntnisse die Provokation an die römischen Komitien einzuräumen; allein er stand fast allein - Carbo hatte inzwischen die Farbe gewechselt und war jetzt eifriger Aristokrat, Gaius Gracchus abwesend als Quästor in Sardinien - und scheiterte an dem Widerstand nicht bloß des Senats, sondern auch der Bürgerschaft, die der Ausdehnung ihrer Privilegien auf noch weitere Kreise sehr wenig geneigt war. Flaccus verließ Rom, um den Oberbefehl gegen die Kelten zu übernehmen; auch so durch seine transalpinischen Eroberungen den großen Plänen der Demokratie vorarbeitend, zog er zugleich sich damit aus der üblen Lage heraus, gegen die von ihm selber aufgestifteten Bundesgenossen die Waffen tragen zu müssen. Fregellae, an der Grenze von Latium und Kampanien am Hauptübergang über den Liris inmitten eines großen und fruchtbaren Gebiets gelegen, damals vielleicht die zweite Stadt Italiens und in den Verhandlungen mit Rom der gewöhnliche Wortführer für die sämtlichen latinischen Kolonien, begann infolge der Zurückweisung des von Flaccus eingebrachten Antrags den Krieg gegen Rom - seit hundertfünfzig Jahren der erste Fall einer ernstlichen, nicht durch auswärtige Mächte herbeigeführten Schilderhebung Italiens gegen die römische Hegemonie. Indes gelang es diesmal noch, den Brand, ehe er andere bundesgenössische Gemeinden ergriff, im Keime zu ersticken; nicht durch die Überlegenheit der römischen Waffen, sondern durch den Verrat eines Fregellaners, des Quintus Numitorius Pullus, ward der Prätor Lucius Opimius rasch Meister über die empörte Stadt, die ihr Stadtrecht und ihre Mauern verlor und gleich Capua ein Dorf ward. Auf einem Teil ihres Gebietes ward 630 (124) die Kolonie Fabrateria gegründet; der Rest und die ehemalige Stadt selbst wurden unter die umliegenden Gemeinden verteilt. Das schnelle und furchtbare Strafgericht schreckte die Bundesgenossenschaft, und endlose Hochverratsprozesse verfolgten nicht bloß die Fregellaner, sondern auch die Führer der Volkspartei in Rom, die begreiflicherweise der Aristokratie als an dieser Insurrektion mitschuldig galten. Inzwischen erschien Gaius Gracchus wieder in Rom. Die Aristokratie hatte den gefürchteten Mann zuerst in Sardinien festzuhalten gesucht, indem sie die übliche Ablösung unterließ und sodann, da er ohne hieran sich zu kehren dennoch zurückkam, ihn als einen der Urheber des Fregellanischen Aufstandes vor Gericht gezogen (629-630 125-124). Allein die Bürgerschaft sprach ihn frei, und nun hob auch er den Handschuh auf, bewarb sich um das Volkstribunat und ward in einer ungewöhnlich zahlreich besuchten Wahlversammlung zum Volkstribun auf das Jahr 631 (123) ernannt. Der Krieg war also erklärt. Die demokratische Partei, immer arm an leitenden Kapazitäten, hatte neun Jahre hindurch notgedrungen so gut wie gefeiert; jetzt war der Waffenstillstand zu Ende und es stand diesmal an ihrer Spitze ein Mann, der redlicher als Carbo und talentvoller als Flaccus in jeder Beziehung zur Führerschaft berufen war.

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2 Die Restriktion, daß die Kontinuierung nur statthaft sein solle, wenn es an anderen geeigneten Bewerbern fehle (App. civ. 1, 21), war nicht schwer zu umgehen. Das Gesetz selbst scheint nicht den älteren Ordnungen anzugehören (Römisches Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 473), sondern erst von den Gracchanern eingebracht zu sein.

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Gaius Gracchus (601-633 153-121) war sehr verschieden von seinem um neun Jahre älteren Bruder. Wie dieser war er gemeiner Lust und gemeinem Treiben abgewandt, ein durchgebildeter Mann und ein tapferer Soldat; er hatte vor Numantia unter seinem Schwager und später in Sardinien mit Auszeichnung gefochten. Allein an Talent, Charakter und vor allem an Leidenschaft war er dem Tiberius entschieden überlegen. An der Klarheit und Sicherheit, mit welcher der junge Mann sich später in dem Drang der verschiedenartigsten, zur praktischen Durchführung seiner zahlreichen Gesetze erforderlichen Geschäfte zu bewegen wußte, erkannte man die echte staatsmännische Begabung, wie an der leidenschaftlichen bis zum Tode getreuen Hingebung, mit der seine näheren Freunde an ihm hingen, die Liebefähigkeit dieses adligen Gemütes. Der Energie seines Wollens und Handelns war die durchgemachte Leidensschule, die notgedrungene Zurückhaltung während der letzten neun Jahre zugute gekommen; nicht mit geminderter, nur mit verdichteter Glut flammte in ihm die tief in die innerste Brust zurückgedrängte Erbitterung gegen die Partei, die das Vaterland zerrüttet und ihm den Bruder ermordet hatte. Durch diese furchtbare Leidenschaft seines Gemütes ist er der erste Redner geworden, den Rom jemals gehabt hat; ohne sie würden wir ihn wahrscheinlich den ersten Staatsmännern aller Zeiten beizählen dürfen. Noch unter den wenigen Trümmern seiner aufgezeichneten Reden sind manche selbst in diesem Zustande von herzerschütternder Mächtigkeit 3, und wohl begreift man, daß, wer sie hörte oder auch nur las, fortgerissen ward von dem brausenden Sturm seiner Worte. Dennoch, sosehr er der Rede Meister war, bemeisterte nicht selten ihn selber der Zorn, so daß dem glänzenden Sprecher die Rede trübe oder stockend floß. Es ist das treue Abbild seines politischen Tuns und Leidens. In Gaius’ Wesen ist keine Ader von der Art seines Bruders, von jener etwas sentimentalen und gar sehr kurzsichtigen und unklaren Gutmütigkeit, die den politischen Gegner mit Bitten und Tränen umstimmen möchte; mit voller Sicherheit betrat er den Weg der Revolution und strebte er nach dem Ziel der Rache. “Auch mir”, schrieb ihm seine Mutter, “scheint nichts schöner und herrlicher, als dem Feinde zu vergelten, wofern dies geschehen kann, ohne daß das Vaterland zugrunde geht. Ist aber dies nicht möglich, da mögen unsere Feinde bestehen und bleiben, was. sie sind, tausendmal lieber, als daß das Vaterland verderbe.” Cornelia kannte ihren Sohn; sein Glaubensbekenntnis war eben das Gegenteil. Rache wollte er nehmen an der elenden Regierung, Rache um jeden Preis, mochte auch er selbst, ja das Gemeinwesen darüber zugrunde gehen - die Ahnung, daß das Verhängnis ihn so sicher ereilen werde wie den Bruder, trieb ihn nur sich zu hasten, gleich dem tödlich Verwundeten, der sich auf den Feind wirft. Die Mutter dachte edler; aber auch den Sohn, diese tiefgereizte, leidenschaftlich erregte, durchaus italienische Natur hat die Nachwelt mehr noch beklagt als getadelt, und sie hat recht daran getan.

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3 So die bei der Ankündigung seiner Gesetzvorschläge gesprochenen Worte: “Wenn ich zu euch redete und von euch begehrte, da ich von edler Herkunft bin und meinen Bruder um euretwillen eingebüßt habe und nun niemand weiter übrig ist von des Publius Africanus und des Tiberius Gracchus Nachkommen als nur ich und ein Knabe, mich für jetzt feiern zu lassen, damit nicht unser Stamm mit der Wurzel ausgerottet werde und ein Sprößling dieses Geschlechts übrig bleibe: so möchte wohl solches mir von euch bereitwillig zugestanden werden.”

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Tiberius Gracchus war mit einer einzelnen Administrativreform vor die Bürgerschaft getreten. Was Gaius in einer Reihe gesonderter Vorschläge einbrachte, war nichts anderes als eine vollständig neue Verfassung, als deren erster Grundstein die schon früher durchgesetzte Neuerung erscheint, daß es dem Volkstribun freistehen solle, sich für das folgende Jahr wiederwählen zulassen. Wenn hiermit für das Volkshaupt die Möglichkeit einer dauernden und den Inhaber schützenden Stellung gewonnen war, so galt es weiter, demselben die materielle Macht zu sichern, das heißt die hauptstädtische Menge - denn daß auf das nur von Zeit zu Zeit nach der Stadt kommende Landvolk kein Verlaß war, hatte sich sattsam gezeigt - mit ihren Interessen fest an den Führer zu knüpfen. Hierzu diente zuvörderst die Einführung der hauptstädtischen Getreideverteilung. Schon früher war das dem Staat aus den Provinzialzehnten zukommende Getreide oftmals zu Schleuderpreisen an die Bürgerschaft abgegeben worden. Gracchus verfügte, daß fortan jedem persönlich in der Hauptstadt sich meldenden Bürger monatlich eine bestimmte Quantität - es scheint 5 Modii (5/6 preuß. Scheffel) -aus den öffentlichen Magazinen verabfolgt werden solle, der Modius zu 6 1/3 As (2½ Groschen) oder noch nicht die Hälfte eines niedrigen Durchschnittspreises; zu welchem Ende durch Anlage der neuen Sempronischen Speicher die öffentlichen Kornmagazine erweitert wurden. Diese Verteilung, welche folgeweise die außerhalb der Hauptstadt lebenden Bürger ausschloß und notwendig die ganze Masse des Bürgerproletariats nach Rom ziehen mußte, sollte das hauptstädtische Bürgerproletariat, das bisher wesentlich von der Aristokratie abgehangen hatte, in die Klientel der Führer der Bewegungspartei bringen und damit dem neuen Herrn des Staats zugleich eine Leibwache und eine feste Majorität in den Komitien gewähren. Zu mehrerer Sicherheit hinsichtlich dieser wurde ferner die in den Zenturiatkomitien noch bestehende Stimmordnung, wonach die fünf Vermögensklassen in jedem Bezirk nacheinander ihre Stimmen abgaben, abgeschafft; statt dessen sollten in Zukunft sämtliche Zenturien durcheinander in einer jedesmal durch das Los festzustellenden Reihenfolge stimmen. Wenn diese Bestimmungen wesentlich darauf hinzielten, durch das hauptstädtische Proletariat dem neuen Staatsoberhaupt die vollständige Herrschaft über die Hauptstadt und damit über den Staat, die freieste Disposition über die Maschine der Komitien und die Möglichkeit zu verschaffen, den Senat und die Beamten nötigenfalls zu terrorisieren, so faßte doch der Gesetzgeber daneben allerdings auch die Heilung der bestehenden sozialen Schäden mit Ernst und Nachdruck an. Zwar die italische Domänenfrage war in gewissem Sinne abgetan. Das Ackergesetz des Tiberius und selbst das Teilungsamt bestanden rechtlich noch fort; das von Gaius durchgebrachte Ackergesetz kann nichts neu festgesetzt haben als die Zurückgabe der verlorenen Gerichtsbarkeit an die Teilherren. Daß hiermit nur das Prinzip gerettet werden sollte und die Ackerverteilung wenn überhaupt, doch nur in sehr beschränktem Umfang wiederaufgenommen ward, zeigt die Bürgerliste, die für die Jahre 629 (125) und 639 (115) genau dieselbe Kopfzahl ergibt. Unzweifelhaft ging Gaius hier deshalb nicht weiter, weil das von römischen Bürgern in Besitz genommene Domanialland wesentlich bereits verteilt war, die Frage aber wegen der von den Latinern benutzten Domänen nur in Verbindung mit der sehr schwierigen über die Ausdehnung des Bürgerrechts wiederaufgenommen werden durfte. Dagegen tat er einen wichtigen Schritt hinaus über das Ackergesetz des Tiberius, indem er die Gründung von Kolonien in Italien, namentlich in Tarent und vor allem in Capua, beantragte, also auch das von Gemeinde wegen verpachtete, bisher von der Aufteilung ausgeschlossene Domanialland zur Verteilung mitheranzog, und zwar nicht zur Verteilung nach dem bisherigen, die Gründung neuer Gemeinden ausschließenden Verfahren, sondern nach dem Kolonialsystem. Ohne Zweifel sollten auch diese Kolonien die Revolution, der sie ihre Existenz verdankten, dauernd verteidigen helfen. Bedeutender und folgenreicher noch war es, daß Gaius Gracchus zuerst dazu schritt, das italische Proletariat in den überseeischen Gebieten des Staats zu versorgen, indem er an die Stätte, wo Karthago gestanden, 6000 vielleicht nicht bloß aus den römischen Bürgern, sondern auch aus den italischen Bundesgenossen erwählte Kolonisten sendete und der neuen Stadt Iunonia das Recht einer römischen Bürgerkolonie verlieh. Die Anlage war wichtig, aber wichtiger noch das damit hingestellte Prinzip der überseeischen Emigration, womit für das italische Proletariat ein bleibender Abzugskanal und in der Tat eine mehr als provisorische Hilfe eröffnet, freilich aber auch der Grundsatz des bisherigen Staatsrechts aufgegeben ward, Italien als das ausschließlich regierende, das Provinzialgebiet als das ausschließlich regierte Land zu betrachten.

Zu diesen auf die große Frage hinsichtlich des Proletariats unmittelbar bezüglichen Maßregeln kam eine Reihe von Verfügungen, die hervorgingen aus der allgemeinen Tendenz, gegenüber der altväterischen Strenge der bestehenden Verfassung gelindere und zeitgemäßere Grundsätze zur Geltung zu bringen. Hierher gehören die Milderungen im Militärwesen. Hinsichtlich der Länge der Dienstzeit bestand nach altem Recht keine andere Grenze, als daß kein Bürger vor vollendetem siebzehnten und nach vollendetem sechsundvierzigsten Jahre zum ordentlichen Felddienst pflichtig war. Als sodann infolge der Besetzung Spaniens der Dienst anfing stehend zu werden, scheint zuerst gesetzlich verfügt zu sein, daß, wer sechs Jahre hintereinander im Felde gestanden, dadurch zunächst ein Recht erhalte auf den Abschied, wenngleich dieser vor der Wiedereinberufung den Pflichtigen nicht schützte; später, vielleicht um den Anfang dieses Jahrhunderts, kam der Satz auf, daß zwanzigjähriger Dienst zu Fuß oder zehnjähriger zu Roß überhaupt vom weiteren Kriegsdienst befreie 4. Gracchus erneuerte die vermutlich öfter gewaltsam verletzte Vorschrift, keinen Bürger vor dem begonnenen achtzehnten Jahr in das Heer einzustellen, und beschränkte auch, wie es scheint, die zur vollen Befreiung von der Militärpflicht erforderliche Zahl von Feldzügen; überdies wurde den Soldaten die Kleidung, deren Betrag ihnen bisher am Solde gekürzt worden war, fortan vom Staat unentgeltlich geliefert.

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4 So möchte die Angabe Appians (Hisp. 78), daß sechsjähriger Dienst berechtige, den Abschied zu fordern, auszugleichen sein mit der bekannteren des Polybios (6, 19), über welche Marquardt (Handbuch, Bd. 6, S. 381) richtig urteilt. Die Zeit, wo beide Neuerungen aufkamen, läßt sich nicht weiter bestimmen, als daß die erste wahrscheinlich schon im Jahre 603 (K. W. Nitzsch, Die Gracchen, S. 231), die zweite sicher schon zu Polybios’ Zeit bestand. Daß Gracchus die Zahl der gesetzlichen Dienstjahre herabsetzte, scheint aus Asconius (Corn. p. 68) zu folgen; vgl. Plut. Tib. Gracch. 16; Dio fr. 83; 7 Bekker.

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Hierher gehört ferner die mehrfach in der Gracchischen Gesetzgebung hervortretende Tendenz, die Todesstrafe wo nicht abzuschaffen, doch noch mehr, als es schon geschehen war, zu beschränken, die zum Teil selbst in der Militärgerichtsbarkeit sich geltend macht. Schon seit Einführung der Republik hatte der Beamte das Recht verloren, über den Bürger die Todesstrafe ohne Befragung der Gemeinde zu verhängen außer nach Kriegsrecht; wenn dies Provokationsrecht des Bürgers bald nach der Gracchenzeit auch im Lager anwendbar und das Recht des Feldherrn, Todesstrafen zu vollstrecken, auf Bundesgenossen und Untertanen beschränkt erscheint, so ist wahrscheinlich die Quelle hiervon zu suchen in dem Provokationsgesetz des Gaius Gracchus. Aber auch das Recht der Gemeinde, die Todesstrafe zu verhängen oder vielmehr zu bestätigen, ward mittelbar, aber wesentlich dadurch beschränkt, daß Gracchus diejenigen gemeinen Verbrechen, die am häufigsten zu Todesurteilen Veranlassung gaben, Giftmischerei und überhaupt Mord, der Bürgerschaft entzog und an ständige Kommissionsgerichte überwies, welche nicht wie die Volksgerichte durch Einschreiten eines Tribuns gesprengt werden konnten und von denen nicht bloß keine Appellation an die Gemeinde ging, sondern deren Wahrsprüche auch so wenig wie die der althergebrachten Zivilgeschworenen der Kassation durch die Gemeinde unterlagen. Bei den Bürgerschaftsgerichten war es, namentlich bei den eigentlich politischen Prozessen, zwar auch längst Regel, daß der Angeklagte auf freiem Fuß prozessiert und ihm gestattet ward, durch Aufgebung seines Bürgerrechts wenigstens Leben und Freiheit zu retten; denn die Vermögensstrafe so wie die Zivilverurteilung konnten auch den Exilierten noch treffen. Allein vorgängige Verhaftung und vollständige Exekution blieben hier wenigstens rechtlich möglich und wurden selbst gegen Vornehme noch zuweilen vollzogen, wie zum Beispiel Lucius Hostilius Tubulus, Prätor 612 (142), der wegen eines schweren Verbrechens auf den Tod angeklagt war, unter Verweigerung des Exilrechts festgenommen und hingerichtet ward. Dagegen die aus dem Zivilprozeß hervorgegangenen Kommissionsgerichte konnten wahrscheinlich von Haus aus Freiheit und Leben des Bürgers nicht antasten und höchstens auf Verbannung erkennen - diese, bisher eine dem schuldig befundenen Mann gestattete Strafmilderung, ward nun zuerst zur förmlichen Strafe. Auch dieses unfreiwillige Exil ließ gleich dem freiwilligen dem Verbannten das Vermögen, soweit es nicht zur Befriedigung der Ersatzforderungen und in Geldbußen daraufging.

Im Schuldwesen endlich hat Gaius Gracchus zwar nichts geneuert; doch behaupten sehr achtbare Zeugen, daß er den verschuldeten Leuten auf Minderung oder Erlaß der Forderungen Hoffnung gemacht habe, was, wenn es richtig ist, gleichfalls diesen radikal populären Maßregeln beizuzählen ist.

Während Gracchus also sich lehnte auf die Menge, die von ihm eine materielle Verbesserung ihrer Lage teils erwartete, teils empfing, arbeitete er mit gleicher Energie an dem Ruin der Aristokratie. Wohl erkennend, wie unsicher jede bloß auf das Proletariat gebaute Herrschaft des Staatsoberhauptes ist, war er vor allem darauf bedacht, die Aristokratie zu spalten und einen Teil derselben in sein Interesse zu ziehen. Die Elemente einer solchen Spaltung waren vorhanden. Die Aristokratie der Reichen, die sich wie ein Mann gegen Tiberius Gracchus erhoben hatte, bestand in der Tat aus zwei wesentlich ungleichen Massen, die man einigermaßen der Lords- und der Cityaristokratie Englands vergleichen kann. Die eine umfaßte den tatsächlich geschlossenen Kreis der regierenden senatorischen Familien, die der unmittelbaren Spekulation sich fernhielten und ihre ungeheuren Kapitalien teils in Grundbesitz anlegten, teils als stille Gesellschafter bei den großen Assoziationen verwerteten. Den Kern der zweiten Klasse bildeten die Spekulanten, welche als Geschäftsführer dieser Gesellschaften oder auf eigene Hand die Groß- und Geldgeschäfte im ganzen Umfang der römischen Hegemonie betrieben. Es ist schon dargestellt worden, wie die letztere Klasse namentlich im Laufe des sechsten Jahrhunderts allmählich der senatorischen Aristokratie an die Seite trat und, wie die gesetzliche Ausschließung der Senatoren von dem kaufmännischen Betrieb durch den von dem Vorläufer der Gracchen Gaius Flaminius veranlaßten Claudischen Volksschluß, eine äußere Scheidewand zwischen den Senatoren und den Kauf- und Geldleuten zog. In der gegenwärtigen Epoche beginnt die kaufmännische Aristokratie unter dem Namen der “Ritterschaft” einen entscheidenden Einfluß auch in politischen Angelegenheiten zu üben. Diese Bezeichnung, die ursprünglich nur der diensttuenden Bürgerreiterei zukam, übertrug sich allmählich, wenigstens im gewöhnlichen Sprachgebrauch, auf alle diejenigen, die als Besitzer eines Vermögens von mindestens 400000 Sesterzen zum Roßdienst im allgemeinen pflichtig waren, und begriff also die gesamte senatorische und nichtsenatorische vornehme römische Gesellschaft. Nachdem indes nicht lange vor Gaius Gracchus die Inkompatibilität des Sitzes in der Kurie und des Reiterdienstes gesetzlich festgestellt und die Senatoren also aus den Ritterfähigen ausgeschieden waren, konnte der Ritterstand, im großen und ganzen genommen, betrachtet werden als im Gegensatz zum Senat die Spekulantenaristokratie vertretend, obwohl die nicht in den Senat eingetretenen, namentlich also die jüngeren Glieder der senatorischen Familien nicht aufhörten, als Ritter zu dienen und also zu heißen, ja die eigentliche Bürgerreiterei, das heißt die achtzehn Ritterzenturien, infolge ihrer Zusammensetzung durch die Zensoren, fortfuhren, vorwiegend aus der jungen senatorischen Aristokratie sich zu ergänzen.

Dieser Stand der Ritter, das heißt wesentlich der vermögenden Kaufleute, berührte vielfältig sich unsanft mit dem regierenden Senat. Es war eine natürliche Antipathie zwischen den vornehmen Adligen und den Männern, denen mit dem Gelde der Rang gekommen war. Die regierenden Herren, vor allem die besseren von ihnen, standen der Spekulation ebenso fern, wie die politischen Fragen und Koteriefehden den Männern der materiellen Interessen gleichgültig waren. Jene und diese waren namentlich in den Provinzen schon öfter hart zusammengestoßen; denn wenn auch im allgemeinen die Provinzialen weit mehr Grund hatten, sich über die Parteilichkeit der römischen Beamten zu beschweren als die römischen Kapitalisten, so ließen doch die regierenden Herren vom Senat sich nicht dazu herbei, den Begehrlichkeiten und Unrechtfertigkeiten der Geldmänner auf Kosten der Untertanen so durchaus und unbedingt die Hand zu leihen, wie es von jenen begehrt ward. Trotz der Eintracht gegen einen gemeinschaftlichen Feind, wie Tiberius Gracchus gewesen war, klaffte zwischen der Adels- und Geldaristokratie ein tief gehender Riß; und geschickter als sein Bruder erweiterte ihn Gaius, bis das Bündnis gesprengt war und die Kaufmannschaft auf seiner Seite stand. Daß die äußeren Vorrechte, durch die späterhin die Männer von Ritterzensus von der übrigen Menge sich unterschieden - der goldene Fingerreif statt des gewöhnlichen eisernen oder kupfernen und der abgesonderte und bessere Platz bei den Bürgerfesten -, der Ritterschaft zuerst von Gaius Gracchus verliehen worden sind, ist nicht gewiß, aber nicht unwahrscheinlich. Denn aufgekommen sind sie auf jeden Fall um diese Zeit, und wie die Erstreckung dieser bisher im wesentlichen senatorischen Privilegien auf den von ihm emporgehobenen Ritterstand ganz in Gracchus’ Art ist, so war es auch recht eigentlich sein Zweck, der Ritterschaft den Stempel eines zwischen der senatorischen Aristokratie und der gemeinen Menge in der Mitte stehenden, ebenfalls geschlossenen und privilegierten Standes aufzudrücken; und ebendies haben jene Standesabzeichen, wie gering sie an sich auch waren und wie viele Ritterfähige auch ihrer sich nicht bedienen mochten, mehr gefördert als manche an sich weit wichtigere Verordnung. Indes die Partei der materiellen. Interessen, wenn sie dergleichen Ehren auch keineswegs verschmäht, ist doch dafür allein nicht zu haben. Gracchus erkannte es wohl, daß sie zwar dem Meistbietenden von Rechts wegen zufällt, aber es auch eines hohen und reellen Gebotes bedurfte; und so bot er ihr die asiatischen Gefälle und die Geschworenengerichte.

Das System der römischen Finanzverwaltung, sowohl die indirekten Steuern wie auch die Domanialgefälle durch Mittelsmänner zu erheben, gewährte an sich schon dem römischen Kapitalistenstand auf Kosten der Steuerpflichtigen die ausgedehntesten Vorteile. Die direkten Abgaben indes bestanden entweder, wie in den meisten Ämtern, in festen, von den Gemeinden zu entrichtenden Geldsummen, was die Dazwischenkunft römischer Kapitalisten von selber ausschloß, oder, wie in Sizilien und Sardinien, in einem Bodenzehnten, dessen Erhebung für jede einzelne Gemeinde in den Provinzen selbst verpachtet ward und wobei also regelmäßig die vermögenden Provinzialen, und sehr häufig die zehntpflichtigen Gemeinden selbst, den Zehnten ihrer Distrikte pachteten und dadurch die gefährlichen römischen Mittelsmänner von sich abwehrten. Als sechs Jahre zuvor die Provinz Asia an die Römer gefallen war, hatte der Senat sie im wesentlichen nach dem ersten System einrichten lassen. Gaius Gracchus 5 stieß diese Verfügung durch einen Volksschluß um und belastete nicht bloß die bis dahin fast steuerfreie Provinz mit den ausgedehntesten indirekten und direkten Abgaben, namentlich dem Bodenzehnten, sondern er verfügte auch, daß diese Hebungen für die gesamte Provinz und in Rom verpachtet werden sollten - eine Bestimmung, die die Beteiligung der Provinzialen tatsächlich ausschloß und die in der Mittelsmännerschaft für Zehnten, Hutgeld und Zölle der Provinz Asia eine Kapitalistenassoziation von kolossaler Ausdehnung ins Leben rief. Charakteristisch für Gracchus’ Bestreben, den Kapitalistenstand vom Senat unabhängig zu machen, ist dabei noch die Bestimmung, daß der völlige oder teilweise Erlaß der Pachtsumme nicht mehr, wie bisher, vom Senat nach Ermessen bewilligt werden, sondern unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich eintreten solle. Wenn hier dem Kaufmannsstand eine Goldgrube eröffnet und in den Mitgliedern der neuen Gesellschaft ein selbst der Regierung imponierender Kern der hohen Finanz, ein “Senat der Kaufmannschaft” konstituiert ward, so ward denselben zugleich in den Geschworenengerichten eine bestimmte öffentliche Tätigkeit zugewiesen. Das Gebiet des Kriminalprozesses, der von Rechts wegen vor die Bürgerschaft gehörte, war bei den Römern von Haus aus sehr eng und ward, wie bemerkt, durch Gracchus noch weiter verengt; die meisten Prozesse, sowohl die wegen gemeiner Verbrechen als auch die Zivilsachen, wurden entweder von Einzelgeschworenen oder von teils stehenden, teils außerordentlichen Kommissionen entschieden. Bisher waren jene und diese ausschließlich aus dem Senat genommen worden; Gracchus überwies sowohl in den eigentlichen Zivilprozessen wie bei den ständigen und nichtständigen Kommissionen die Geschworenenfunktionen an den Ritterstand, indem er die Geschworenenlisten nach Analogie der Ritterzenturien aus den sämtlichen ritterfähigen Individuen jährlich neu formieren ließ und die Senatoren geradezu, die jungen Männer der senatorischen Familien durch Festsetzung einer gewissen Altersgrenze von den Gerichten ausschloß 6. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Geschworenenwahl vorwiegend auf dieselben Männer gelenkt ward, die in den großen kaufmännischen Assoziationen namentlich der asiatischen und sonstigen Steuerpächter die erste Rolle spielten, eben weil diese ein sehr nahes eigenes Interesse daran hatten, in den Gerichten zu sitzen; und fielen also die Geschworenenliste und die Publikanensozietäten in ihren Spitzen zusammen, so begreift man um so mehr die Bedeutung des also konstituierten Gegensenats. Die wesentliche Folge hiervon war, daß, während bisher es nur zwei Gewalten im Staate gegeben hatte, die Regierung als verwaltende und kontrollierende, die Bürgerschaft als legislative Behörde, die Gerichte aber zwischen beiden geteilt waren, jetzt die Geldaristokratie nicht bloß auf der soliden Basis der materiellen Interessen als festgeschlossene und privilegierte Klasse sich zusammenfand, sondern auch als richtende und kontrollierende Gewalt in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie sich fast ebenbürtig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kaufleute gegen den Adel mußten fortan in den Wahrsprüchen der Geschworenen einen nur zu praktischen Ausdruck finden; vor allen Dingen in den Rechenschaftsgerichten der Provinzialstatthalter hatte der Senator nicht mehr wie bisher von seinesgleichen, sondern von Großhändlern und Bankiers die Entscheidung zu erwarten über seine bürgerliche Existenz. Die Fehden zwischen den römischen Kapitalisten und den römischen Statthaltern verpflanzten sich aus der Provinzialverwaltung auf den bedenklichen Boden der Rechenschaftsprozesse. Die Aristokratie der Reichen war nicht bloß gespalten, sondern es war auch dafür gesorgt, daß der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck fand.

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5 Daß er und nicht Tiberius der Urheber dieses Gesetzes ist, zeigt jetzt Fronto in den Briefen an Verus z.A. Vgl. Gracchus bei Gell. 11, 10; Cic. rep. 3, 29 und Verr. 3, 6, 12; Vell. 2. 6.

6 Die zunächst durch diese Veränderung des Richterpersonals veranlaßte neue Gerichtsordnung für die ständige Kommission wegen Erpressungen besitzen wir noch zum großen Teil: sie ist bekannt unter dem Namen des Servilischen oder vielmehr Acilischen Repetundengesetzes.

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Mit den also bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem Kaufmannsstand, ging Gracchus an sein Hauptwerk, an den Sturz der regierenden Aristokratie. Den Senat stürzen hieß einerseits durch gesetzliche Neuerungen eine wesentliche Kompetenz ihm entziehen, andererseits durch Maßregeln mehr persönlicher und transitorischer Art die bestehende Aristokratie zugrunde richten. Gracchus hat beides getan. Vor allem die Verwaltung hatte bisher dem Senat ausschließlich zugestanden; Gracchus nahm sie ihm ab, indem er teils die wichtigsten Administrativfragen durch Komitialgesetze, das heißt tatsächlich durch tribunizische Machtsprüche entschied, teils in den laufenden Angelegenheiten den Senat möglichst beschränkte, teils selbst in der umfassendsten Weise die Geschäfte an sich zog. Die Maßregeln der ersten Gattung sind schon erwähnt: der neue Herr des Staats disponierte, ohne den Senat zu fragen, über die Staatskasse, indem er durch die Getreideverteilung den öffentlichen Finanzen eine dauernde und drückende Last aufbürdete, über die Domänen, indem er Kolonien nicht wie bisher nach Senats- und Volks-, sondern allein nach Volksschluß aussandte, über die Provinzialverwaltung, indem er die vom Senat der Provinz Asia gegebene Steuerverfassung durch ein Volksgesetz umstieß und eine durchaus andere an deren Stelle setzte. Eines der wichtigsten unter den laufenden Geschäften des Senats, die willkürliche Feststellung der jedesmaligen Kompetenz der beiden Konsuln, wurde ihm zwar nicht entzogen, aber der bisher dabei geübte indirekte Druck auf die höchsten Beamten dadurch beschränkt, daß der Senat angewiesen ward, diese Kompetenzen festzustellen, bevor die betreffenden Konsuln gewählt seien. Mit beispielloser Tätigkeit endlich konzentrierte Gaius die verschiedenartigsten und verwickeltsten Regierungsgeschäfte in seiner Person: Er selbst überwachte die Getreideverteilung, erlas die Geschworenen, gründete trotz des gesetzlich an die Stadt ihn fesselnden Amtes persönlich die Kolonien, regulierte das Wegewesen und schloß die Bauverträge ab, leitete die Senatsverhandlungen, bestimmte die Konsulwahlen - kurz er gewöhnte das Volk daran, daß in allen Dingen ein Mann der erste sei, und verdunkelte die schlaffe und lahme Verwaltung des senatorischen Kollegiums durch sein kräftiges und gewandtes persönliches Regiment.

Noch energischer als in die Verwaltung griff Gracchus ein in die senatorische Gerichtsallmacht. Daß er die Senatoren als Geschworene beseitigte, ward schon gesagt; dasselbe geschah mit der Jurisdiktion, die der Senat als oberste Verwaltungsbehörde sich in Ausnahmefällen gestattete. Bei scharfer Strafe untersagte er, wie es scheint in dem erneuerten Provokationsgesetz 7, die Niedersetzung außerordentlicher Hochverratskommissionen durch Senatsbeschluß, wie diejenige gewesen war, welche nach seines Bruders Ermordung über dessen Anhänger zu Gericht gesessen hatte. Die Summe dieser Maßregeln ist, daß der Senat die Kontrolle ganz verlor und von der Verwaltung nur behielt, was das Staatshaupt ihm zu lassen für gut befand. Indes diese konstitutiven Maßregeln genügten nicht; auch der gegenwärtig regierenden Aristokratie wurde unmittelbar zu Leibe gegangen. Ein bloßer Akt der Rache war es, daß dem zuletzt erwähnten Gesetz rückwirkende Kraft beigelegt und dadurch derjenige Aristokrat, den nach Nasicas inzwischen erfolgtem Tode der Haß der Demokraten hauptsächlich traf, Publius Popillius, genötigt ward, das Land zu meiden. Merkwürdigerweise ging dieser Antrag nur mit achtzehn gegen siebzehn Stimmen in der Bezirksversammlung durch - ein Zeichen, was wenigstens in Fragen persönlichen Interesses noch der Einfluß der Aristokratie bei der Menge vermochte. Ein ähnliches, aber weit minder zu rechtfertigendes Dekret, den gegen Marcus Octavius gerichteten Antrag, daß, wer durch Volksschluß sein Amt verloren habe, auf immer unfähig sein solle, einen öffentlichen Posten zu bekleiden, nahm Gaius zurück auf Bitten seiner Mutter und ersparte sich damit die Schande, durch die Legalisierung einer notorischen Verfassungsverletzung das Recht offen zu verhöhnen und an einem Ehrenmann, der kein bitteres Wort gegen Tiberius gesprochen und nur der Verfassung und seiner Pflicht, wie er sie verstand, gemäß gehandelt hatte, niedrige Rache zu nehmen. Aber von ganz anderer Wichtigkeit als diese Maßregeln war Gaius’ freilich wohl schwerlich zur Ausführung gelangter Plan, den Senat durch 300 neue Mitglieder, das heißt ungefähr ebenso viele als er bisher hatte, zu verstärken und diese aus dem Ritterstand durch Komitien wählen zu lassen - eine Pairskreierung im umfassendsten Stil, die den Senat in die vollständigste Abhängigkeit von dem Staatsoberhaupt gebracht haben würde.

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7 Dies und das Gesetz ne quis iudicio circumveniatur dürften identisch sein.

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Dies ist die Staatsverfassung, welche Gaius Gracchus entworfen und während der beiden Jahre seines Volkstribunats (631, 632 123, 122) in ihren wesentlichsten Punkten durchgeführt hat, soweit wir sehen, ohne auf irgendeinen nennenswerten Widerstand zu stoßen und ohne zur Erreichung seiner Zwecke Gewalt anwenden zu müssen. Die Reihenfolge, in der die Maßregeln durchgebracht sind, läßt in der zerrütteten Überlieferung sich nicht mehr erkennen, und auf manche naheliegende Frage müssen wir die Antwort schuldig bleiben; es scheint indes nicht, daß uns mit dem Fehlenden sehr wesentliche Momente entgangen sind, da über die Hauptsachen vollkommen sichere Kunde vorliegt und Gaius keineswegs wie sein Bruder durch den Strom der Ereignisse weiter und weiter gedrängt ward, sondern offenbar einen wohl überlegten, umfassenden Plan in einer Reihe von Spezialgesetzen im wesentlichen vollständig realisierte.

Daß nun Gaius Gracchus keineswegs, wie viele gutmütige Leute in alter und neuer Zeit gemeint haben, die römische Republik auf neue demokratische Basen stellen, sondern vielmehr sie abschaffen und in der Form eines durch stehende Wiederwahl lebenslänglich und durch unbedingte Beherrschung der formell souveränen Komitien absolut gemachten Amtes, eines unumschränkten Volkstribunats auf Lebenszeit, anstatt der Republik die Tyrannis, das heißt nach heutigem Sprachgebrauch die nicht feudalistische und nicht theokratische, die napoleonisch absolute Monarchie einführen wollte, das offenbart die Sempronische Verfassung selbst mit voller Deutlichkeit einem jeden, der Augen hat und haben will. In der Tat, wenn Gracchus, wie seine Worte deutlich und deutlicher seine Werke es sagen, den Sturz des Senatsregiments bezweckte, was blieb in einem Gemeinwesen, das über die Urversammlungen hinaus und für das der Parlamentarismus nicht vorhanden war, nach dem Sturz des aristokratischen Regiments für eine andere politische Ordnung möglich als die Tyrannis? Träumer, wie sein Vorgänger einer war, und Schwindler, wie sie die Folgezeit heraufführte, mochten dies in Abrede stellen; Gaius Gracchus aber war ein Staatsmann, und wenn auch die Formulierung, die der große Mann für sein großes Werk bei sich selber aufstellte, uns nicht überliefert und in sehr verschiedener Weise denkbar ist, so wußte er doch unzweifelhaft, was er tat. Sowenig die beabsichtigte Usurpation der monarchischen Gewalt sich verkennen läßt, so wenig wird, wer die Verhältnisse übersieht, den Gracchus deswegen tadeln. Eine absolute Monarchie ist ein großes Unglück für die Nation, aber ein minderes als eine absolute Oligarchie; und wer der Nation statt des größeren das kleinere Leiden auferlegt, den darf die Geschichte nicht schelten, am wenigsten eine so leidenschaftlich ernste und allem Gemeinen so fernstehende Natur wie Gaius Gracchus. Allein nichtsdestoweniger darf sie es nicht verschweigen, daß durch die ganze Gesetzgebung desselben eine Zwiespältigkeit verderblichster Art geht, indem sie einerseits das gemeine Beste bezweckt, andererseits den persönlichen Zwecken, ja der persönlichen Rache des Herrschers dient. Gracchus war ernstlich bemüht, für die sozialen Schäden eine Abhilfe zu finden und dem einreißenden Pauperismus zu steuern; dennoch zog er zugleich durch seine Getreideverteilungen, die für alles arbeitsscheue hungernde Bürgergesindel eine Prämie werden sollten und wurden, ein hauptstädtisches Gassenproletariat der schlimmsten Art absichtlich groß. Gracchus tadelte mit den bittersten Worten die Feilheit des Senats und deckte namentlich den skandalösen Schacher, den Manius Aquillius mit den kleinasiatischen Provinzen getrieben, mit schonungsloser und gerechter Strenge auf 8. Aber es war desselben Mannes Werk, daß der souveräne Pöbel der Hauptstadt für seine Regierungssorgen sich on der Untertanenschaft alimentieren ließ. Gracchus mißbilligte lebhaft die schändliche Ausplünderung der Provinzen und veranlaßte nicht bloß, daß in einzelnen Fällen mit heilsamer Strenge eingeschritten ward, sondern auch die Abschaffung der durchaus unzureichenden senatorischen Gerichte, vor denen selbst Scipio Aemilianus, um die entschiedensten Frevler zur Strafe zu ziehen, sein ganzes Ansehen vergeblich eingesetzt hatte. Dennoch überlieferte er zugleich durch die Einführung der Kaufmannsgerichte die Provinzialen mit gebundenen Händen der Partei der materiellen Interessen und damit einer noch rücksichtsloseren Despotie, als die aristokratische gewesen war, und führte in Asia eine Besteuerung ein, gegen welche selbst die nach karthagischem Muster in Sizilien geltende Steuerverfassung gelind und menschlich heißen konnte - beides, weil er teils der Partei der Geldmänner, teils für seine Getreideverteilungen und die sonstigen den Finanzen neu aufgebürdeten Lasten neuer und umfassender Hilfsquellen bedurfte. Gracchus wollte ohne Zweifel eine feste Verwaltung und eine geordnete Rechtspflege, wie zahlreiche durchaus zweckmäßige Anordnungen bezeugen; dennoch beruht sein neues Verwaltungssystem auf einer fortlaufenden Reihe einzelner, nur formell legalisierter Usurpationen; dennoch zog er das Gerichtswesen, das jeder geordnete Staat, soweit irgend möglich, zwar nicht über die politischen Parteien, aber doch außerhalb derselben zu stellen bemüht sein wird, absichtlich mitten in den Strudel der Revolution. Allerdings fällt die Schuld dieser Zwiespältigkeit in Gaius Gracchus’ Tendenzen zu einem sehr großen Teil mehr auf die Stellung als auf die Person. Gleich hier an der Schwelle der Tyrannis entwickelt sich das verhängnisvolle sittlich-politische Dilemma, daß derselbe Mann zugleich, man möchte sagen, als Räuberhauptmann sich behaupten und als der erste Bürger den Staat leiten soll; ein Dilemma, dem auch Perikles, Caesar, Napoleon bedenkliche Opfer haben bringen müssen. Indes ganz läßt sich Gaius Gracchus’ Verfahren aus dieser Notwendigkeit nicht erklären; es wirkt daneben in ihm die verzehrende Leidenschaft, die glühende Rache, die, den eigenen Untergang voraussehend, den Feuerbrand schleudert in das Haus des Feindes. Er selber hat es ausgesprochen, wie er über seine Geschworenenordnung und ähnliche auf die Spaltung der Aristokratie abzweckende Maßregeln dachte; Dolche nannte er sie, die er auf den Markt geworfen, damit die Bürger - die vornehmen, versteht sich - mit ihnen sich untereinander zerfleischen möchten. Er war ein politischer Brandstifter; nicht bloß die hundertjährige Revolution, die von ihm datiert, ist, soweit sie eines Menschen Werk ist, das Werk des Gaius Gracchus, sondern vor allem ist er der wahre Stifter jenes entsetzlichen, von oben herab beschmeichelten und besoldeten hauptstädtischen Proletariats, das durch seine aus den Getreidespenden von selber folgende Vereinigung in der Hauptstadt teils vollständig demoralisiert, teils seiner Macht sich bewußt ward und mit seinen bald pinselhaften, bald bübischen Ansprüchen und seiner Fratze von Volkssouveränität ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem römischen Gemeinwesen lastend nur mit diesem zugleich unterging. Und doch - dieser größte der politischen Verbrecher ist auch wieder der Regenerator seines Landes. Es ist kaum ein konstruktiver Gedanke in der römischen Monarchie, der nicht zurückreichte bis auf Gaius Gracchus. Von ihm rührt der wohl in gewissem Sinne im Wesen des althergebrachten Kriegsrechts begründete, aber in dieser Ausdehnung und in dieser praktischen Anwendung doch dem älteren Staatsrecht fremde Satz her, daß aller Grund und Boden der untertänigen Gemeinden als Privateigentum des Staats anzusehen sei - ein Satz, der zunächst benutzt ward, um dem Staat das Recht zu vindizieren, diesen Boden beliebig zu besteuern, wie es in Asien, oder auch zur Anlegung von Kolonien zu verwenden, wie es in Afrika geschah, und der späterhin ein fundamentaler Rechtssatz der Kaiserzeit ward. Von ihm rührt die Taktik der Demagogen und Tyrannen her, auf die materiellen Interessen sich stützend die regierende Aristokratie zu sprengen, überhaupt aber durch eine strenge und zweckmäßige Administration anstatt des bisherigen Mißregiments die Verfassungsänderung nachträglich zu legitimieren. Auf ihn gehen vor allem zurück die Anfänge einer Ausgleichung zwischen Rom und den Provinzen, wie sie die Herstellung der Monarchie unvermeidlich mit sich bringen mußte; der Versuch, das durch die italische Rivalität zerstörte Karthago wiederaufzubauen und überhaupt der italischen Emigration den Weg in die Provinzen zu eröffnen, ist das erste Glied in der langen Kette dieser folgen- und segensreichen Entwicklung. Es sind in diesem seltenen Mann und in dieser wunderbaren politischen Konstellation Recht und Schuld, Glück und Unglück so ineinander verschlungen, daß es hier sich wohl ziemen mag, was der Geschichte nur selten ziemt, mit dem Urteil zu verstummen.

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8 Auf diesen Handel um den Besitz von Phrygien, welches nach der Einziehung des Attalischen Reiches von Manius Aquillius den Königen von Bithynien und von Pontos zu Kauf geboten und von dem letzteren durch Mehrgebot erstanden ward, bezieht sich ein noch vorhandenes längeres Redebruchstück des Gracchus. Er bemerkt darin, daß von den Senatoren keiner umsonst sich um die öffentlichen Angelegenheiten bekümmere, und fügt hinzu: in Beziehung auf das in Rede stehende Gesetz (über die Verleihung Phrygiens an König Mithradates) teile der Senat sich in drei Klassen: solcher, die dafür seien, solcher, die dagegen seien, und solcher, die stillschwiegen - die ersten seien bestochen von König Mithradates, die zweiten von König Nikomedes, die dritten aber seien die feinsten, denn diese ließen sich von den Gesandten beider Könige bezahlen und jede Partei glauben, daß in ihrem Interesse geschwiegen werde.

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Als Gracchus die von ihm entworfene neue Staatsverfassung wesentlich vollendet hatte, legte er Hand an ein zweites und schwierigeres Werk. Noch schwankte die Frage hinsichtlich der italischen Bundesgenossen. Wie die Führer der demokratischen Partei darüber dachten, hatte sich sattsam gezeigt; sie wünschten natürlich die möglichste Ausdehnung des römischen Bürgerrechts, nicht bloß, um die von den Latinern okkupierten Domänen zur Verteilung bringen zu können, sondern vor allem, um mit der ungeheuren Masse der Neubürger ihre Klientel zu verstärken, um die Komitialmaschine durch immer weitere Ausdehnung der berechtigten Wählerschaft immer vollständiger in ihre Gewalt zu bringen, überhaupt um einen Unterschied zu beseitigen, der mit dem Sturz der republikanischen Verfassung ohnehin jede ernstliche Bedeutung verlor. Allein hier stießen sie auf Widerstand bei ihrer eigenen Partei und vornehmlich bei derjenigen Bande, die sonst bereitwillig zu allem, was sie verstand und nicht verstand, ihr souveränes Ja gab; aus dem einfachen Grunde, daß diesen Leuten das römische Bürgerrecht sozusagen wie eine Aktie erschien, die ihnen Anspruch gab auf allerlei sehr handgreifliche direkte und indirekte Gewinnanteile, sie also ganz und gar keine Lust hatten, die Zahl der Aktionäre zu vermehren. Die Verwerfung des Fulvischen Gesetzes im Jahre 629 (125) und der daraus entsprungene Aufstand der Fregellaner waren warnende Zeichen sowohl, der eigensinnigen Beharrlichkeit der die Komitien beherrschenden Fraktion der Bürgerschaft als auch des ungeduldigen Drängens der Bundesgenossen. Gegen das Ende seines zweiten Tribunats (632 122) wagte Gracchus, wahrscheinlich durch übernommene Verpflichtungen gegen die Bundesgenossen gedrängt, einen zweiten Versuch; in Gemeinschaft mit Marcus Flaccus, der, obwohl Konsular, um das früher von ihm ohne Erfolg beantragte Gesetz jetzt durchzubringen, wiederum das Volkstribunat übernommen hatte, stellte er den Antrag, den Latinern das volle Bürger-, den übrigen italischen Bundesgenossen das bisherige Recht der Latiner zu gewähren. Allein der Antrag stieß auf die vereinigte Opposition des Senats und des hauptstädtischen Pöbels; welcher Art diese Koalition war und wie sie focht, zeigt scharf und bestimmt ein aus der Rede, die der Konsul Gaius Fannius vor der Bürgerschaft gegen den Antrag hielt, zufällig erhaltenes Bruchstück. “So meint ihr also”, sprach der Optimat, “wenn ihr den Latinern das Bürgerrecht erteilt, eben wie ihr jetzt dort vor mir steht, auch künftig in der Bürgerversammlung oder bei den Spielen und Volkslustbarkeiten Platz finden zu können? Glaubt ihr nicht vielmehr, daß jene Leute jeden Fleck besetzen werden?” Bei der Bürgerschaft des fünften Jahrhunderts, die an einem Tage allen Sabinern das Bürgerrecht verlieh, hätte ein solcher Redner wohl mögen ausgezischt werden: die des siebenten fand seine Gründe ungemein einleuchtend und den von Gracchus ihr gebotenen Preis der Assignation der latinischen Domänen weitaus zu niedrig. Schon daß der Senat es durchsetzte, die sämtlichen Nichtbürger vor dem entscheidenden Abstimmungstag aus der Stadt weisen zu dürfen, zeigte das Schicksal, das dem Antrag selbst bevorstand. Als dann vor der Abstimmung ein Kollege des Gracchus, Livius Drusus, gegen das Gesetz einschritt, nahm das Volk dieses Veto in einer Weise auf, daß Gracchus nicht wagen konnte, weiterzugehen oder gar dem Drusus das Schicksal des Marcus Octavius zu bereiten.

Es war, wie es scheint, dieser Erfolg, der dem Senat den Mut gab, den Sturz des siegreichen Demagogen zu versuchen. Die Angriffsmittel waren wesentlich dieselben, mit denen früher Gracchus selbst operiert hatte. Gracchus’ Macht ruhte auf der Kaufmannschaft und dem Proletariat, zunächst auf dem letzteren, das in diesem Kampf, in welchem militärischer Rückhalt beiderseits nicht vorhanden war, gleichsam die Rolle der Armee spielte. Es war einleuchtend, daß der Senat weder der Kaufmannschaft noch dem Proletariat ihre neuen Rechte abzuzwingen mächtig genug war; jeder Versuch, die Getreidegesetze oder die neue Geschworenenordnung anzugreifen, hätte, in etwas plumperer oder etwas zivilisierterer Form, zu einem Straßenkrawall geführt, dem der Senat völlig wehrlos gegenüberstand. Allein es war nicht minder einleuchtend, daß Gracchus selbst und diese Kaufleute und Proletarier einzig zusammengehalten wurden durch den gegenseitigen Vorteil, und daß sowohl die Männer der materiellen Interessen ihre Posten als der eigentliche Pöbel sein Brotkorn ebenso von jedem andern zu nehmen bereit waren wie von Gaius Gracchus. Gracchus’ Institutionen standen, für den Augenblick wenigstens, unerschütterlich fest mit Ausnahme einer einzigen: seiner eigenen Oberhauptschaft. Die Schwäche dieser lag darin, daß in Gracchus’ Verfassung zwischen Haupt und Heer schlechterdings ein Treuverhältnis nicht bestand und in der neuen Verfassung wohl alle anderen Elemente der Lebensfähigkeit vorhanden waren, nur ein einziges nicht: das sittliche Band zwischen Herrscher und Beherrschten, ohne das jeder Staat auf tönernen Füßen steht. In der Verwerfung des Antrags, die Latiner in den Bürgerverband aufzunehmen, war es mit schneidender Deutlichkeit zu Tage gekommen, daß die Menge in der Tat niemals für Gracchus stimmte, sondern immer nur für sich; die Aristokratie entwarf den Plan, dem Urheber der Getreidespenden und Landanweisungen auf seinem eigenen Boden die Schlacht anzubieten. Es versteht sich von selbst, daß der Senat dem Proletariat nicht bloß das gleiche bot, was Gracchus ihm an Getreide und sonst zugesichert hatte, sondern noch mehr. Im Auftrag des Senats schlug der Volkstribun Marcus Livius Drusus vor, den Gracchischen Landempfängern den auferlegten Zins zu erlassen und ihre Landlose für freies und veräußerungsfähiges Eigentum zu erklären; ferner, statt in den überseeischen, das Proletariat zu versorgen in zwölf italischen Kolonien, jede von 3000 Kolonisten, zu deren Ausführung das Volk die geeigneten Männer ernennen möge; nur Drusus selbst verzichtete - im Gegensatz gegen das Gracchische Familienkollegium - auf jegliche Teilnahme an diesem ehrenvollen Geschäft. Als diejenigen, die die Kosten dieses Plans zu tragen hätten, wurden vermutlich die Latiner genannt, denn anderes okkupiertes Domanialland von einigem Umfang als das von ihnen benutzte scheint nicht mehr in Italien vorhanden gewesen zu sein. Auch finden sich einzelne Verfügungen des Drusus, wie die Bestimmung, daß dem latinischen Soldaten nur von seinem vorgesetzten latinischen, nicht von dem römischen Offizier Stockprügel sollten zuerkannt werden dürfen, die allem Anschein nach den Zweck hatten, die Latiner für andere Verluste zu entschädigen. Der Plan war nicht von den feinsten. Die Konkurrenzunternehmung war allzu deutlich, allzu sichtlich das Bestreben, das schöne Band zwischen Adel und Proletariat durch weitere gemeinschaftliche Tyrannisierung der Latiner noch enger zu ziehen, die Frage allzu nahe gelegt, wo denn auf der Halbinsel, nachdem die italischen Domänen in der Hauptsache schon weggegeben waren - auch wenn man die gesamten, den Latinern überwiesenen konfiszierte -, das für zwölf neu zu bildende, zahlreiche und geschlossene Bürgerschaften erforderliche, okkupierte Domanialland eigentlich belegen sein möge, endlich Drusus’ Erklärung, daß er mit der Ausführung seines Gesetzes nichts zu tun haben wolle, so verwünscht gescheit, daß sie beinahe herzlich albern war. Indes für das plumpe Wild, das man fangen wollte, war die grobe Schlinge eben recht. Es kam hinzu und war vielleicht entscheidend, daß Gracchus, auf dessen persönlichen Einfluß alles ankam, eben damals in Afrika die karthagische Kolonie einrichtete und sein Stellvertreter in der Hauptstadt, Marcus Flaccus, durch sein heftiges und ungeschicktes Auftreten den Gegnern in die Hände arbeitete. Das “Volk” ratifizierte demnach die Livischen Gesetze ebenso bereitwillig wie früher die Sempronischen. Es vergalt sodann dem neuesten Wohltäter wie üblich dadurch, daß es dem früheren einen mäßigen Tritt versetzte und, als dieser sich für das Jahr 633 (121) zum drittenmal um das Tribunat bewarb, ihn nicht wiederwählte; wobei übrigens auch noch Unrechtfertigkeiten des von Gracchus früher beleidigten wahlleitenden Tribuns vorgekommen sein sollen. Damit brach die Grundlage seiner Machthaberschaft unter ihm zusammen. Ein zweiter Schlag traf ihn durch die Konsulwahlen, die nicht bloß im allgemeinen gegen die Demokratie ausfielen, sondern durch welche in Lucius Opimius der Mann, der als Prätor 629 (125) Fregellae erobert hatte, an die Spitze des Staates gestellt ward, eines der entschiedensten und am wenigsten bedenklichen Häupter der strengen Adelspartei, ein Mann fest entschlossen, den gefährlichen Gegner bei erster Gelegenheit zu beseitigen. Sie fand sich bald. Am 10. Dezember 632 (122) hörte Gracchus auf, Volkstribun zu sein; am 1. Januar 633 (121) trat Opimius sein Amt an. Der erste Angriff traf wie billig die nützlichste und die unpopulärste Maßregel des Gracchus, die Wiederherstellung von Karthago. Hatte man bisher die überseeischen Kolonien nur mittelbar durch die lockenderen italischen angegriffen, so wühlten jetzt afrikanische Hyänen die neugesetzten karthagischen Grenzsteine auf, und die römischen Pfaffen bescheinigten auf Verlangen, daß solches Wunder und Zeichen ausdrücklich warnen solle vor dem Wiederaufbau der gottverfluchten Stätte. Der Senat fand dadurch sich in seinem Gewissen gedrungen, ein Gesetz vorschlagen zu lassen, das die Ausführung der Kolonie Iunonia untersagte. Gracchus, der mit den andern zur Anlegung derselben ernannten Männern eben damals die Kolonisten auslas, erschien an dem Tag der Abstimmung auf dem Kapitol, wohin die Bürgerschaft berufen war, um mit seinem Anhang die Verwerfung des Gesetzes zu bewirken. Gewalttätigkeiten wünschte er zu vermeiden, um den Gegnern nicht den Vorwand, den sie suchten, selbst an die Hand zu geben; indes hatte er nicht wehren können, daß ein großer Teil seiner Getreuen, der Katastrophe des Tiberius sich erinnernd und wohl bekannt mit den Absichten der Aristokratie, bewaffnet sich einfand, und bei der ungeheuren Aufregung auf beiden Seiten waren Händel kaum zu vermeiden. In der Halle des Kapitolinischen Tempels verrichtete der Konsul Lucius Opimius das übliche Brandopfer; einer der ihm dabei behilflichen Gerichtsdiener, Quintus Antullius, herrschte, die heiligen Eingeweide in der Hand, die “schlechten Bürger” an, die Halle zu räumen, und schien sogar an Gaius selbst Hand legen zu wollen; worauf ein eifriger Gracchaner das Schwert zog und den Menschen niederstieß. Es entstand ein furchtbarer Lärm. Gracchus suchte vergeblich zum Volk zu sprechen und die Urheberschaft der gotteslästerlichen Mordtat von sich abzulehnen; er lieferte den Gegnern nur einen formalen Anklagegrund mehr, indem er, ohne dessen in dem Getümmel gewahr zu werden, einem eben zum Volk sprechenden Tribun in die Rede fiel, worauf ein verschollenes Statut aus der Zeit des alten Ständehaders die schwerste Strafe gesetzt hatte. Der Konsul Lucius Opimius traf seine Maßregeln, um den Aufstand zum Sturz der republikanischen Verfassung, wie man die Vorgänge dieses Tages zu bezeichnen beliebte, mit bewaffneter Hand zu unterdrücken. Er selbst durchwachte die Nacht im Kastortempel am Markte; mit dem frühesten Morgen füllte das Kapitol sich mit kretischen Bogenschützen, Rathaus und Markt mit den Männern der Regierungspartei, den Senatoren und der ihnen anhängigen Fraktion der Ritterschaft, welche auf Geheiß des Konsuls sämtlich bewaffnet und jeder von zwei bewaffneten Sklaven begleitet sich eingefunden hatten. Es fehlte keiner von der Aristokratie; selbst der ehrwürdige, hochbejahrte und der Reform wohlgeneigte Quintus Metellus war mit Schild und Schwert erschienen. Ein tüchtiger und in den spanischen Kriegen erprobter Offizier, Decimus Brutus, übernahm das Kommando der bewaffneten Macht; der Rat trat in der Kurie zusammen. Die Bahre mit der Leiche des Gerichtsdieners ward vor der Kurie niedergesetzt; der Rat gleichsam überrascht, erschien in Masse an der Tür, um die Leiche in Augenschein zu nehmen, und zog sich sodann wieder zurück, um das weitere zu beschließen. Die Führer der Demokratie hatten sich vom Kapitol in ihre Häuser begeben; Marcus Flaccus hatte die Nacht damit zugebracht, zum Straßenkrieg zu rüsten, während Gracchus es zu verschmähen schien, mit dem Verhängnis zu kämpfen. Als man am andern Morgen die auf dem Kapitol und dem Markt getroffenen Anstalten der Gegner erfuhr, begaben beide sich auf den Aventin, die alte Burg der Volkspartei in den Kämpfen der Patrizier und Plebejer. Schweigend und unbewaffnet ging Gracchus dorthin; Flaccus rief die Sklaven zu den Waffen und verschanzte sich im Tempel der Diana, während er zugleich seinen jüngeren Sohn Quintus in das feindliche Lager sandte, um womöglich einen Vergleich zu vermitteln. Dieser kam zurück mit der Meldung, daß die Aristokratie unbedingte Ergebung verlange; zugleich brachte er die Ladung des Senats an Gracchus und Flaccus, vor demselben zu erscheinen und wegen Verletzung der tribunizischen Majestät sich zu verantworten. Gracchus wollte der Vorladung folgen, allein Flaccus hinderte ihn daran und wiederholte stattdessen den ebenso verkehrten wie schwächlichen Versuch, solche Gegner zu einem Vergleich zu bestimmen. Als statt der beiden vorgeladenen Führer bloß der junge Quintus Flaccus abermals sich einstellte, behandelte der Konsul die Weigerung jener, sich zu stellen, als den Anfang der offenen Insurrektion gegen die Regierung; er ließ den Boten verhaften und gab das Zeichen zum Angriff auf den Aventin, indem er zugleich in den Straßen ausrufen ließ, daß dem, der das Haupt des Gracchus oder des Flaccus bringe, die Regierung dasselbe buchstäblich mit Gold aufwiegen werde, sowie daß sie jedem, der vor dem Beginn des Kampfs den Aventin verlasse, volle Straflosigkeit gewährleiste. Die Reihen auf dem Aventin lichteten sich schnell; der tapfere Adel im Verein mit den Kretern und den Sklaven erstürmte den fast unverteidigten Berg und erschlug, wen er vorfand, bei 250 meist geringe Leute. Marcus Flaccus flüchtete mit seinem ältesten Sohn in ein Versteck, wo sie bald nachher aufgejagt und niedergemacht wurden. Gracchus hatte, als das Gefecht begann, sich in den Tempel der Minerva zurückgezogen und wollte hier sich mit dem Schwerte durchbohren, als sein Freund Publius Laetorius ihm in den Arm fiel und ihn beschwor, womöglich sich für bessere Zeiten zu erhalten. Gracchus ließ sich bewegen, einen Versuch zu machen, nach dem andern Ufer des Tiber zu entkommen; allein den Berg hinabeilend stürzte er und verstauchte sich den Fuß. Ihm Zeit zum Entrinnen zu geben, warfen seine beiden Begleiter, Marcus Pomponius an der Porta Trigemina unter dem Aventin, Publius Laetorius auf der Tiberbrücke, da wo einst Horatius Cocles allein gegen das Etruskerheer gestanden haben sollte, den Verfolgern sich entgegen und ließen sich niedermachen; so gelangte Gracchus, nur von seinem Sklaven Euporus begleitet, in die Vorstadt am rechten Ufer des Tiber. Hier im Hain der Furrina fand man später die beiden Leichen; es schien, als habe der Sklave zuerst dem Herrn und dann sich selber den Tod gegeben. Die Köpfe der beiden gefallenen Führer wurden der Regierung, wie befohlen, eingehändigt, auch dem Überbringer des Kopfes des Gracchus, einem vornehmen Mann, Lucius Septumuleius, der bedungene Preis und darüber ausgezahlt, dagegen die Mörder des Flaccus, geringe Leute, mit leeren Händen fortgeschickt. Die Körper der Getöteten wurden in den Fluß geworfen, die Häuser der Führer zur Plünderung der Menge preisgegeben. Gegen die Anhänger des Gracchus begann der Prozeßkrieg im großartigsten Stil; bis 3000 derselben sollen im Kerker aufgeknüpft worden sein, unter ihnen der achtzehnjährige Quintus Flaccus, der an dem Kampf nicht teilgenommen hatte und wegen seiner Jugend und seiner Liebenswürdigkeit allgemein bedauert ward. Auf dem Freiplatz unter dem Kapitol, wo der nach wiederhergestelltem innerem Frieden von Camillus geweihte Altar und andere, bei ähnlichen Veranlassungen errichtete Heiligtümer der Eintracht sich befanden, wurden diese kleinen Kapellen niedergerissen und aus dem Vermögen der getöteten oder verurteilten Hochverräter, das bis auf die Mitgift ihrer Frauen hin konfisziert ward, nach Beschluß des Senats von dem Konsul Lucius Opimius ein neuer glänzender Tempel der Eintracht mit dazugehöriger Halle errichtet - allerdings war es zeitgemäß, die Zeichen der alten Eintracht zu beseitigen und eine neue zu inaugurieren über den Leichen der drei Enkel des Siegers von Zama, die nun alle, zuerst Tiberius Gracchus, dann Scipio Aemilianus, endlich der jüngste und gewaltigste von ihnen, Gaius Gracchus, von der Revolution verschlungen worden waren. Der Gracchen Andenken blieb offiziell geächtet; nicht einmal das Trauergewand durfte Cornelia um den Tod ihres letzten Sohnes anlegen. Allein die leidenschaftliche Anhänglichkeit, die gar viele im Leben für die beiden edlen Brüder und vornehmlich für Gaius empfunden hatten, zeigte sich in rührender Weise auch nach ihrem Tode in der fast religiösen Verehrung, die die Menge ihrem Andenken und an den Stätten, wo sie gefallen waren, allen polizeilichen Vorkehrungen zum Trotz fortfuhr zu zollen.

KAPITEL IV.
Die Restaurationsherrschaft

Das neue Gebäude, das Gaius Gracchus aufgeführt hatte, war mit seinem Tode eine Ruine. Wohl war sein Tod wie der seines Bruders zunächst nichts als ein Akt der Rache; allein es war doch zugleich ein sehr wesentlicher Schritt zur Restauration der alten Verfassung, daß aus der Monarchie, eben da sie im Begriff war, sich zu begründen, die Person des Monarchen beseitigt ward; und in diesem Falle um so mehr, weil nach der Katastrophe des Gaius und dem gründlichen Opimischen Blutgericht im Augenblick schlechterdings niemand vorhanden war, der, sei es durch Blutsverwandtschaft mit dem gefallenen Staatsoberhaupt, sei es durch überwiegende Fähigkeit, auch nur zu einem Versuch, den erledigten Platz einzunehmen, sich legitimiert gefühlt hätte. Gaius war ohne Kinder aus der Welt gegangen, und auch Tiberius’ hinterlassener Knabe starb, bevor er zu seinen Jahren kam; die ganze sogenannte Volkspartei war buchstäblich ohne irgendeinen auch nur namhaft zu machenden Führer. Die Gracchische Verfassung glich einer Festung ohne Kommandanten; Mauern und Besatzung waren unversehrt, aber der Feldherr fehlte, und es war niemand vorhanden, der an den leeren Platz sich hätte setzen mögen als eben die gestürzte Regierung.

So kam es denn auch. Nach Gaius Gracchus’ erblosem Abgang stellte das Regiment des Senats gleichsam von selber sich wieder her; und es war dies um so natürlicher, als dasselbe von dem Tribun nicht eigentlich formell abgeschafft, sondern nur durch die von ihm ausgehenden Ausnahmehandlungen tatsächlich zunichte gemacht worden war. Dennoch würde man sehr irren, wenn man in dieser Restauration nichts weiter sehen wollte als ein Zurückgleiten der Staatsmaschine in das alte, seit Jahrhunderten befahrene und ausgefahrene Geleise. Restauration ist immer auch Revolution; in diesem Falle aber ward nicht so sehr das alte Regiment restauriert als der alte Regent. Die Oligarchie erschien neu gerüstet in dem Heerzeug der gestürzten Tyrannis; wie der Senat den Gracchus mit dessen eigenen Waffen aus dem Felde geschlagen hatte, so fuhr er auch fort, in den wesentlichsten Stücken mit der Verfassung der Gracchen zu regieren, allerdings mit dem Hintergedanken, sie seiner Zeit wo nicht ganz zu beseitigen, doch gründlich zu reinigen von den der regierenden Aristokratie in der Tat feindlichen Elementen. Fürs erste reagierte man wesentlich nur gegen die Personen, rief den Publius Popillius nach Kassierung der ihn betreffenden Verfügungen aus der Verbannung zurück (633 121) und machte den Gracchanern den Prozeßkrieg; wogegen der Versuch der Volkspartei, den Lucius Opimius nach Niederlegung seines Amtes wegen Hochverrats zur Verurteilung zu bringen, von der Regierungspartei vereitelt ward (634 120). Es ist für den Charakter dieser Restaurationsregierung bezeichnend, wie die Aristokratie an Gesinnungstüchtigkeit fortschritt. Gaius Carbo, einst Bundesgenosse der Gracchen, hatte seit langem sich bekehrt und noch kürzlich als Verteidiger des Opimius seinen Eifer und seine Brauchbarkeit bewiesen. Aber er blieb der Überläufer; als gegen ihn von den Demokraten die gleiche Anklage wie gegen Opimius erhoben ward, ließ ihn die Regierung nicht ungern fallen, und Carbo, zwischen beiden Parteien sich verloren sehend, gab sich mit eigener Hand den Tod. So erwiesen die Männer der Reaktion in Personenfragen sich als lautere Aristokraten. Dagegen die Getreideverteilungen, die Besteuerung der Provinz Asia, die Gracchische Geschworenen- und Gerichtsordnung griff die Reaktion zunächst nicht an und schonte nicht bloß die Kaufmannschaft und das hauptstädtische Proletariat, sondern huldigte, wie bereits bei der Einbringung der Livischen Gesetze, so auch ferner diesen Mächten und vor allem dem Proletariat noch weit entschiedener, als die Gracchen dies getan hatten. Es geschah dies nicht bloß, weil die Gracchische Revolution in den Gemütern der Zeitgenossen noch lange nachzitterte und ihre Schöpfungen schützte: die Hegung und Pflegung wenigstens der Pöbelinteressen vertrug sich in der Tat aufs vollkommenste mit dem eigenen Vorteil der Aristokratie, und es ward dabei nichts weiter geopfert als bloß das gemeine Beste. Alle diejenigen Maßregeln, die von Gaius Gracchus zur Förderung des öffentlichen Wohls getroffen waren, eben den besten, freilich begreiflicherweise auch den unpopulärsten Teil seiner Gesetzgebung, ließ die Aristokratie fallen. Nichts wurde so rasch und so erfolgreich angegriffen wie der großartigste seiner Entwürfe: der Plan, zunächst die römische Bürgerschaft und Italien, sodann Italien und die Provinzen rechtlich gleichzustellen und, indem also der Unterschied zwischen bloß herrschenden und zehrenden und bloß dienenden und arbeitenden Staatsangehörigen weggeräumt ward, zugleich durch die umfassendste und systematischste Emigration, die die Geschichte kennt, die soziale Frage zu lösen. Mit der ganzen Verbissenheit und dem ganzen grämlichen Eigensinn der Altersschwäche drängte die restaurierte Oligarchie den Grundsatz der abgelebten Geschlechter, daß Italien das herrschende Land und Rom in Italien die herrschende Stadt bleiben müsse, der Gegenwart aufs neue auf. Schon bei Lebzeiten des Gracchus war die Zurückweisung der italischen Bundesgenossen eine vollendete Tatsache und war gegen den großen Gedanken der überseeischen Kolonisation ein sehr ernsthafter Angriff gerichtet worden, der die nächste Ursache zu Gracchus’ Untergang geworden war. Nach seinem Tode wurde der Plan der Wiederherstellung Karthagos mit leichter Mühe von der Regierungspartei beseitigt, obgleich die einzelnen daselbst schon verteilten Landlose den Empfängern geblieben sind. Zwar daß der demokratischen Partei auf einem andern Punkte eine ähnliche Gründung gelang, konnte sie nicht wehren: im Verlauf der Eroberungen jenseits der Alpen, welche Marcus Flaccus begonnen hatte, wurde daselbst im Jahre 636 (118) die Kolonie Narbo (Narbonne) begründet, die älteste überseeische Bürgerstadt im Römischen Reiche, welche trotz vielfacher Anfechtungen der Regierungspartei, trotz des geradezu auf Aufhebung derselben vom Senat gestellten Antrags dennoch, geschützt wahrscheinlich durch die beteiligten kaufmännischen Interessen, dauernden Bestand gehabt hat. Indes abgesehen von dieser, in ihrer Vereinzelung nicht sehr bedeutenden Ausnahme gelang es der Regierung, die Landanweisung außerhalb Italiens durchgängig zu verhindern.

In gleichem Sinne wurde die italische Domanialfrage geordnet. Die italischen Kolonien des Gaius, vor allem Capua, wurden aufgehoben und, soweit sie bereits zur Ausführung gekommen waren, wieder aufgelöst; nur die unbedeutende tarentinische blieb in der Art bestehen, daß die neue Stadt Neptunia der bisherigen griechischen Gemeinde an die Seite trat. Was durch die nichtkoloniale Assignation von den Domänen bereits verteilt war, blieb den Empfängern; die darauf von Gracchus im Interesse des Gemeinwesens gelegten Beschränkungen, Erbzins und Veräußerungsverbot, hatte bereits Marcus Drusus aufgehoben. Dagegen die noch nach Okkupationsrecht besessenen Domänen, welche außer dem von den Latinern genutzten Domanialland zum größten Teil bestanden haben werden in dem gemäß des Gracchischen Maximum den Inhabern gebliebenen Grundbesitz, war man entschlossen, den bisherigen Okkupanten definitiv zuzuwenden und auch die Möglichkeit künftiger Aufteilung abzuschneiden. Freilich waren es zunächst diese Ländereien, aus denen die 36000 von Drusus verheißenen neuen Bauernhufen hätten gebildet werden sollen; allein man sparte sich die Untersuchung, wo denn unter dem Monde diese Hunderttausende von Morgen italischen Domaniallands belegen sein möchten, und legte das Livische Kolonialgesetz, das seinen Dienst getan, stillschweigend zu den Akten - nur etwa die kleine Kolonie von Scolacium (Squillace) mag auf das Koloniengesetz des Drusus zurückgehen. Dagegen wurde durch ein Gesetz, das im Auftrag des Senats der Volkstribun Spurius Thorius durchbrachte, das Teilungsamt im Jahre 635 (119) aufgehoben und den Okkupanten des Domaniallandes ein fester Zins auferlegt, dessen Ertrag dem hauptstädtischen Pöbel zugute kam - es scheint, indem die Kornverteilung zum Teil darauf fundiert ward: noch weitergehende Vorschläge, vielleicht eine Steigerung der Getreidespenden, wehrte der verständige Volkstribun Gaius Marius ab. Acht Jahre später (643 111) geschah der letzte Schritt, indem durch einen neuen Volksschluß ^1 das okkupierte Domanialland geradezu umgewandelt ward in zinsfreies Privateigentum der bisherigen Okkupanten. Man fügte hinzu, daß in Zukunft Domanialland überhaupt nicht okkupiert, sondern entweder verpachtet werden oder als gemeine Weide offenstehen solle; für den letzteren Fall ward durch Feststellung eines sehr niedrigen Maximum von zehn Stück Groß- und fünfzig Stück Kleinvieh dafür gesorgt, daß nicht der große Herdenbesitzer den kleinen tatsächlich ausschließe - verständige Bestimmungen, in denen die Schädlichkeit des übrigen längst aufgegebenen Okkupationssystems nachträglich offizielle Anerkennung fand, die aber leider erst getroffen wurden, als dasselbe den Staat bereits wesentlich um seine Domanialbesitzungen gebracht hatte. Indem die römische Aristokratie also für sich selber sorgte und was von okkupiertem Lande noch in ihren Händen war, sich in Eigentum umwandeln ließ, beschwichtigte sie zugleich die italischen Bundesgenossen dadurch, daß sie denselben an dem von ihnen und namentlich von ihrer munizipalen Aristokratie genutzten latinischen Domanialland zwar nicht das Eigentum verlieh, aber doch das ihnen durch ihre Privilegien verbriefte Recht daran ungeschmälert wahrte. Die Gegenpartei war in der üblen Lage, daß in den wichtigsten materiellen Fragen die Interessen der Italiker denen der hauptstädtischen Opposition schnurstracks entgegenliefen, ja jene mit der römischen Regierung eine Art Bündnis eingingen und gegen die ausschweifenden Absichten mancher römischen Demagogen bei dem Senat Schutz suchten und fanden.

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^1 Er ist großenteils noch vorhanden und bekannt unter dem jetzt seit dreihundert Jahren fortgepflanzten falschen Namen des Thorischen Ackergesetzes.

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Während also die restaurierte Regierung es sich angelegen sein ließ, die Keime zum Bessern, die in der Gracchischen Verfassung vorhanden waren, gründlich auszureuten, blieb sie den nicht zum Heil des Ganzen von Gracchus erweckten feindlichen Mächten gegenüber vollständig ohnmächtig. Das hauptstädtische Proletariat blieb bestehen in anerkannter Zehrberechtigung; die Geschworenen aus dem Kaufmannsstand ließ der Senat gleichfalls sich gefallen, so widerwärtig auch dieses Joch eben dem besseren und stolzeren Teil der Aristokratie fiel. Es waren unwürdige Fesseln, die die Aristokratie trug; aber wir finden nicht, daß sie ernstlich dazu tat, sich derselben zu entledigen. Das Gesetz des Marcus Aemilius Scaurus von 632 (122), das wenigstens die verfassungsmäßigen Beschränkungen des Stimmrechts der Freigelassenen einschärfte, war für lange Jahre der einzige, sehr zahme Versuch der senatorischen Regierung, ihren Pöbeltyrannen wieder zu bändigen. Der Antrag, den der Konsul Quintus Caepio siebzehn Jahre nach Einführung der Rittergerichte (648 106) einbrachte auf Zurückgabe der Prozesse an senatorische Geschworene, zeigte, was die Regierung wünschte, aber auch, was sie vermochte, wenn es sich nicht darum handelte, Domänen zu verschleudern, sondern einem einflußreichen Stande gegenüber eine Maßregel durchzusetzen: sie fiel damit durch 2. Zu einer Emanzipation der Regierung von ihren unbequemen Machtgenossen kam es nicht; wohl aber trugen diese Maßregeln dazu bei, das niemals aufrichtige Einverständnis der regierenden Aristokratie mit der Kaufmannschaft und dem Proletariat noch ferner zu trüben. Beide wußten sehr genau, daß der Senat alle Zugeständnisse nur aus Angst und widerwillig gewährte; weder durch Dankbarkeits- noch durch Vorteilsrücksichten an die Herrschaft des Senats dauernd gefesselt, waren beide sehr bereit, jedem anderen Machthaber, der ihnen mehr oder auch nur das gleiche bot, dieselben Dienste zu leisten, und hatten nichts dagegen, wenn sich eine Gelegenheit gab, den Senat zu schikanieren oder zu hemmen. So regierte die Restauration weiter mit den Wünschen und Gesinnungen der legitimen Aristokratie und mit der Verfassung und den Regierungsmitteln der Tyrannis. Ihre Herrschaft ruhte nicht bloß auf den gleichen Basen wie die des Gracchus, sondern sie war auch gleich schlecht, ja noch schlechter befestigt; sie war stark, wo sie mit dem Pöbel im Bunde zweckmäßige Institutionen umstieß, aber den Gassenbanden wie den kaufmännischen Interessen gegenüber vollkommen machtlos. Sie saß auf dem erledigten Thron mit bösem Gewissen und geteilten Hoffnungen, den Institutionen des eigenen Staates grollend und doch unfähig, auch nur planmäßig sie anzugreifen, unsicher im Tun und Lassen außer, wo der eigene materielle Vorteil sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die eigene wie die entgegengesetzte Partei, des inneren Widerspruchs, der kläglichsten Ohnmacht, des gemeinsten Eigennutzes, ein unübertroffenes Ideal der Mißregierung.

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2 Das zeigt, wie bekannt, der weitere Verlauf. Man hat dagegen geltend gemacht, daß bei Valerius Maximus Quintus Caepio Patron des Senats genannt werde; allein teils beweist dies nicht genug, teils paßt, was daselbst erzählt wird, schlechterdings nicht auf den Konsul des Jahres 648 (106), und es muß hier eine Irrung sein, sei es nun im Namen oder in den berichteten Tatsachen.

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Es konnte nicht anders sein; die gesamte Nation war in intellektuellem und sittlichem Verfall, vor allem aber die höchsten Stände. Die Aristokratie vor der Gracchenzeit war wahrlich nicht überreich an Talenten und die Bänke des Senats vollgedrängt von feigem und verlottertem adligen Gesindel; indes es saßen doch in demselben auch Scipio Aemilianus, Gaius Laelius, Quintus Metellus, Publius Crassus, Publius Scaevola und zahlreiche andere achtbare und fähige Männer, und wer einigen guten Willen mitbrachte, konnte urteilen, daß der Senat in der Unrechtfertigkeit ein gewisses Maß und ein gewisses Dekorum in dem Mißregiment einhalte. Diese Aristokratie war gestürzt und sodann wiederhergestellt worden; fortan ruhte auf ihr der Fluch der Restauration. Hatte die Aristokratie früher regiert schlecht und recht und seit mehr als einem Jahrhundert ohne jede fühlbare Opposition, so hatte die durchgemachte Krise wie ein Blitz in dunkler Nacht ihr den Abgrund gezeigt, der vor ihren Füßen klaffte. War es ein Wunder, daß fortan der Groll immer und, wo sie es wagte, der Schrecken das Regiment der altadligen Herrenpartei bezeichnete? daß die Regierenden noch unendlich schroffer und gewaltsamer als bisher gegen die nichtregierende Menge als festgeschlossene Partei zusammenstanden? daß die Familienpolitik jetzt, eben wie in den schlimmsten Zeiten des Patriziats, wiederum sich griff und zum Beispiel die vier Söhne und (wahrscheinlich) die zwei Neffen des Quintus Metellus, mit einer einzigen Ausnahme lauter unbedeutende, zum Teil ihrer Einfalt wegen berufene Leute, innerhalb fünfzehn Jahren (631-645 123-109) sämtlich zum Konsulat, mit Ausnahme eines einzigen auch zum Triumph gelangten, von den Schwiegersöhnen und so weiter zu schweigen? daß, je gewalt- und grausamer einer der Ihrigen gegen die Gegenpartei aufgetreten war, er desto entschiedener von ihnen gefeiert, dem echten Aristokraten jeder Frevel, jede Schamlosigkeit verziehen ward? daß die Regierenden und die Regierten nur darin nicht zwei kriegführenden Parteien glichen, daß in ihrem Krieg kein Völkerrecht galt? Es war leider nur zu begreiflich, daß, wenn die alte Aristokratie das Volk mit Ruten schlug, diese restaurierte es mit Skorpionen züchtigte. Sie kam zurück; aber sie kam weder klüger noch besser. Nie hat es bis auf diese Zeit der römischen Aristokratie so vollständig an staatsmännischen und militärischen Kapazitäten gemangelt wie in dieser Restaurationsepoche zwischen der Gracchischen und der Cinnanischen Revolution. Bezeichnend dafür ist der Koryphäe der senatorischen Partei dieser Zeit, Marcus Aemilius Scaurus. Der Sohn hochadliger, aber unvermögender Eltern und darum genötigt, Gebrauch zu machen von seinen nicht gemeinen Talenten, schwang er sich auf zum Konsul (639 115) und Zensor (645 109), war lange Jahre Vormann des Senats und das politische Orakel seiner Standesgenossen und verewigte seinen Namen nicht bloß als Redner und Schriftsteller, sondern auch als Urheber einiger der ansehnlichsten in diesem Jahrhundert ausgeführten Staatsbauten. Indes wenn man näher zusieht, laufen seine vielgefeierten Großtaten darauf hinaus, daß er als Feldherr einige wohlfeile Dorftriumphe in den Alpen, als Staatsmann mit seinem Stimm- und Luxusgesetz einige ungefähr ebenso ernsthafte Siege über den revolutionären Zeitgeist erfocht, sein eigentliches Talent indes darin bestand, ganz ebenso zugänglich und bestechlich zu sein wie jeder andere ehrenwerte Senator, aber mit einiger Schlauheit den Augenblick, wo die Sache bedenklich zu werden anfing, zu wittern und vor allem durch seine vornehme und ehrwürdige Erscheinung vor dem Publikum den Fabricius zu agieren. In militärischer Hinsicht finden sich zwar einige ehrenvolle Ausnahmen tüchtiger Offiziere aus den höchsten Kreisen der Aristokratie; die Regel aber war, daß die vornehmen Herren, wenn sie an die Spitze der Armeen treten sollten, schleunigst aus den griechischen Kriegshandbüchern und den römischen Annalen zusammenlasen, was nötig war, um einen militärischen Diskurs zu führen und sodann im Feldlager im besten Fall das wirkliche Kommando einem niedrig geborenen Offizier von erprobter Fähigkeit und erprobter Bescheidenheit übergaben. In der Tat, wenn ein paar Jahrhunderte zuvor der Senat einer Versammlung von Königen glich, so spielten diese ihre Nachfahren nicht übel die Prinzen. Aber der Unfähigkeit dieser restaurierten Adligen hielt völlig die Waage ihre politische und sittliche Nichtswürdigkeit. Wenn nicht die religiösen Zustände, auf die zurückzukommen sein wird, von der wüsten Zerfahrenheit dieser Zeit ein treues Spiegelbild böten und ebenso die äußere Geschichte in dieser Epoche die vollkommene Schlechtigkeit des römischen Adels als einen ihrer wesentlichsten Faktoren aufwiese, so würden die entsetzlichsten Verbrechen, die in den höchsten Kreisen Roms Schlag auf Schlag zum Vorschein kamen, allein denselben hinreichend charakterisieren.

Die Verwaltung war nach innen und nach außen, was sie sein konnte unter einem solchen Regiment. Der soziale Ruin Italiens griff mit erschreckender Geschwindigkeit um sich; seit die Aristokratie das Auskaufen der Kleinbesitzer sich gesetzlich hatte erlauben lassen, und in ihrem neuen Übermut das Austreiben derselben immer häufiger sich selbst erlaubte, verschwanden die Bauernstellen wie die Regentropfen im Meer. Wie mit der politischen die ökonomische Oligarchie mindestens Schritt hielt, zeigt die Äußerung, die ein gemäßigt demokratischer Mann, Lucius Marcius Philippus, um 650 (100) tat, daß es in der ganzen Bürgerschaft kaum 2000 vermögende Familien gebe. Den praktischen Kommentar dazu lieferten abermals die Sklavenaufstände, welche in den ersten Jahren des Kimbrischen Krieges alljährlich in Italien ausbrachen, so in Nuceria, in Capua, im Gebiet von Thurii. Diese letzte Zusammenrottung war schon so bedeutend, daß gegen sie der städtische Prätor mit seiner Legion hatte marschieren müssen und dennoch nicht durch Waffengewalt, sondern nur durch tückischen Verrat der Insurrektion Herr geworden war. Auch das war eine bedenkliche Erscheinung, daß an der Spitze derselben kein Sklave gestanden hatte, sondern der römische Ritter Titus Vettius, den seine Schulden zu dem wahnsinnigen Schritt getrieben hatten, seine Sklaven frei und sich zu ihrem König zu erklären (650 104). Wie gefährlich die Anhäufung der Sklavenmassen in Italien der Regierung erschien, beweisen die Vorsichtsmaßregeln hinsichtlich der Goldwäschereien von Victumulae, die seit 611 (143) für Rechnung der römischen Regierung betrieben wurden: die Pächter wurden zuerst verpflichtet, nicht über 5000 Arbeiter anzustellen, später der Betrieb durch Senatsbeschluß gänzlich eingestellt. Unter einem Regiment wie dem gegenwärtigen war in der Tat alles zu fürchten, wenn, wie dies sehr möglich war, ein Heer von Transalpinern in Italien eindrang und die großenteils stammverwandten Sklaven zu den Waffen rief.

Verhältnismäßig mehr noch litten die Provinzen. Man versuche sich vorzustellen, wie es in Ostindien aussehen würde, wenn die englische Aristokratie wäre, was in jener Zeit die römische war, und man wird eine Vorstellung der Lage von Sizilien und Asia haben. Die Gesetzgebung, indem sie der Kaufmannschaft die Kontrolle der Beamten übertrug, nötigte diese, gewissermaßen gemeinschaftliche Sache mit jener zu machen und durch unbedingte Nachgiebigkeit gegen die Kapitalisten in den Provinzen sich unbeschränkte Plünderungsfreiheit und Schutz vor der Anklage zu erkaufen. Neben diesen offiziell und halboffiziell angestellten Räubern plünderten Land- und Seepiraten die sämtlichen Landschaften des Mittelmeers. Vor allem in den asiatischen Gewässern trieben die Flibustier es so arg, daß selbst die römische Regierung sich genötigt sah, im Jahre 652 (102) eine wesentlich aus den Schiffen der abhängigen Kaufstädte gebildete Flotte unter dem mit prokonsularischer Gewalt bekleideten Prätor Marcus Antonius nach Kilikien zu entsenden. Diese brachte nicht bloß eine Anzahl Korsarenschiffe auf und nahm einige Felsennester aus, sondern die Römer richteten hier sich sogar für die Dauer ein und besetzten zur Unterdrückung des Seeraubs in dem Hauptsitz desselben, dem rauhen oder westlichen Kilikien, feste militärische Positionen, was der Anfang war zur Einrichtung der seitdem unter den römischen Ämtern erscheinenden Provinz Kilikien 3. Die Absicht war löblich und der Plan an sich zweckmäßig entworfen; nur bewies leider der Fortbestand und die Steigerung des Korsarenunwesens in den asiatischen Gewässern und speziell in Kilikien, mit wie unzulänglichen Mitteln man von der neu genommenen Stellung aus die Piraterie bekämpfte.

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3 Vielfältig wird angenommen, daß die Einrichtung der Provinz Kilikien erst erfolgte nach der kilikischen Expedition des Publius Servilius 676 f. (78), allein mit Unrecht; denn schon 662 (92) finden wir Sulla (App. Mithr. 57; civ. 1, 77; Aur. Vict. 75), 674 und 675 (80 79) Gnaeus Dolabella (Cic. Verr. 1, 16 44) als Statthalter von Kilikien, wonach nichts übrig bleibt, als die Einrichtung der Provinz in das Jahr 652 (102) zu setzen. Hierfür spricht ferner, daß in dieser Zeit die Züge der Römer gegen die Korsaren, wie zum Beispiel die balearischen, ligurischen, dalmatischen, regelmäßig gerichtet erscheinen auf Besetzung der Küstenpunkte, von wo der Seeraub ausging; natürlich, denn da die Römer keine stehende Flotte hatten, war das einzige Mittel, dem Seeraub wirksam zu steuern, die Besetzung der Küsten. Übrigens ist daran zu erinnern, daß der Begriff der provincia nicht unbedingt Besitz der Landschaft in sich schließt, sondern an sich nichts ist als ein selbständiges militärisches Kommando; es ist sehr möglich, daß die Römer zunächst in dieser rauhen Landschaft nichts nahmen als Station für Schiffe und Mannschaft.

Das ebene Ostkilikien blieb bis auf den Krieg gegen Tigranes bei dem Syrischen Reich (App. Syr. 48); die ehemals zu Kilikien gerechneten Landschaften nördlich des Tauros, das sogenannte kappadokische Kilikien und Kataonien gehörten jenes seit der Auflösung des Attalischen Reiches (Iust. 37, 1; oben S. 62), dieses wohl schon seit dem Frieden mit Antiochos zu Kappadokien.

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Aber nirgends kam die Ohnmacht und die Verkehrtheit der römischen Provinzialverwaltung in so nackter Blöße zu Tage wie in den Insurrektionen des Sklavenproletariats, welche mit der Restauration der Aristokratie zugleich in den vorigen Stand wieder eingesetzt zu sein schienen. Jene aus Aufständen zu Kriegen anschwellenden Schilderhebungen der Sklavenschaft, wie sie eben um das Jahr 620 (134) als eine und vielleicht die nächste Ursache der Gracchischen Revolution aufgetreten waren, erneuern und wiederholen sich in trauriger Einförmigkeit. Wieder gärte es wie dreißig Jahre zuvor in der gesamten Sklavenschaft im Römischen Reiche. Der italischen Zusammenrottungen ward schon gedacht. In den attischen Silberbergwerken standen die Grubenarbeiter auf, besetzten das Vorgebirge Sunion und plünderten längere Zeit hindurch von dort aus die Umgegend; an anderen Orten zeigten sich ähnliche Bewegungen. Vor allem war wieder der Hauptsitz dieser fürchterlichen Vorgänge Sizilien mit seinen Plantagen und den dort zusammenströmenden kleinasiatischen Sklavenhorden. Es ist charakteristisch für die Größe des Übels, daß ein Versuch der Regierung, den schlimmsten Unrechtfertigkeiten der Sklavenhalter zu steuern, die nächste Ursache der neuen Insurrektion ward. Daß die freien Proletarier in Sizilien wenig besser daran waren als die Sklavenschaft, hatte schon ihr Verhalten zu dem ersten Aufstand gezeigt; nach der Besiegung desselben nahmen die römischen Spekulanten ihre Revanche und steckten die freien Provinzialen massenweise unter die Sklavenschaften ein. Infolge einer hiergegen im Jahre 650 (204) vom Senat erlassenen scharfen Verfügung setzte der damalige Statthalter von Sizilien, Publius Licinius Nerva, in Syrakus ein Freiheitsgericht nieder, das in der Tat mit Ernst durchgriff; in kurzer Zeit war in achthundert Prozessen gegen die Sklavenbesitzer entschieden und die Zahl der anhängig gemachten Sachen immer noch im Steigen. Die erschreckten Plantagenbesitzer stürmten nach Syrakus, um von dem römischen Statthalter die Sistierung solcher unerhörten Rechtspflege zu erzwingen; Nerva war schwach genug, sich terrorisieren zu lassen und die prozeßbittenden Unfreien mit barschen Worten anzuweisen, daß sie sich des lästigen Verlangens von Recht und Gerechtigkeit zu begeben und augenblicklich zu denen zurückzukehren hätten, die sich ihre Herren nennten. Die Abgewiesenen rotteten statt dessen sich zusammen und gingen in die Berge. Der Statthalter war auf militärische Maßregeln nicht gefaßt und selbst der elende Landsturm der Insel nicht sogleich zur Hand; weshalb er ein Bündnis abschloß mit einem der bekanntesten Räuberhauptleute auf der Insel und durch das Versprechen eigener Begnadigung ihn bewog, die aufständischen Sklaven durch Verrat den Römern in die Hand zu spielen. Dieses Schwarmes ward man also Herr. Allein einer anderen Bande entlaufener Sklaven gelang es, dafür eine Abteilung der Besatzung von Enna (Castrogiovanni) zu schlagen, und dieser erste Erfolg verschaffte den Insurgenten, was sie vor allem bedurften, Waffen und Zulauf. Das Heergerät der gefallenen und flüchtigen Gegner gab die erste Grundlage für ihre militärische Organisation, und bald war die Zahl der Insurgenten auf viele Tausende angeschwollen. Diese Syrer in der Fremde schienen bereits, gleich ihren Vorgängern, sich nicht unwürdig, von Königen regiert zu werden wie ihre Landsleute daheim und - den Lumpenkönig der Heimat bis auf den Namen parodierend - stellten sie den Sklaven Salvius an ihre Spitze als König Tryphon. In dem Strich zwischen Enna und Leontinoi (Lentini), wo diese Haufen ihren Hauptsitz hatten, war das offene Land ganz in den Händen der Insurgenten und Morgantia und andere ummauerte Städte schon von ihnen belagert, als mit den eiligst zusammengerafften sizilischen und italischen Scharen der römische Statthalter das Sklavenheer vor Morgantia überfiel. Er besetzte das unverteidigte Lager; allein die Sklaven, obwohl überrascht, hielten stand, und wie es zum Gefecht kam, wich der Landsturm der Insel nicht bloß beim ersten Anprall, sondern, da die Sklaven jeden, der die Waffen wegwarf, ungehindert entkommen ließen, benutzten die Milizen fast ohne Ausnahme die gute Gelegenheit, ihren Abschied zu nehmen, und das römische Heer lief vollständig auseinander. Hätten die Sklaven in Morgantia mit ihren Genossen vor den Toren gemeinschaftliche Sache machen wollen, so war die Stadt verloren; sie zogen es indes vor, von ihren Herren gesetzmäßig die Freiheit geschenkt zu nehmen und halfen ihnen durch ihre Tapferkeit die Stadt retten, worauf sodann der römische Statthalter das den Sklaven von den Herren feierlich gegebene Freiheitsversprechen als widerrechtlich erzwungen von Rechts wegen kassierte.

Während also im Innern der Insel der Aufstand in besorglicher Weise um sich griff, brach ein zweiter aus auf der Westküste. An der Spitze stand hier Athenion. Er war, eben wie Kleon, einst ein gefürchteter Räuberhauptmann in seiner Heimat Kilikien gewesen und von dort als Sklave nach Sizilien geführt worden. Ganz wie seine Vorgänger versicherte er sich der Gemüter der Griechen und Syrer vor allem durch Prophezeiungen und anderen erbaulichen Schwindel; aber kriegskundig und einsichtig wie er war, bewaffnete er nicht, wie die übrigen Führer, die ganze Masse der ihm zuströmenden Leute, sondern bildete aus den kriegstüchtigen Mannschaften ein organisiertes Heer, während er die Masse zu friedlicher Beschäftigung anwies. Bei der strengen Mannszucht, die in seinen Truppen jedes Schwanken und jede unbotmäßige Regung niederhielt, und der milden Behandlung der friedlichen Landbewohner und selbst der Gefangenen errang er rasche und große Erfolge. Die Hoffnung, daß die beiden Führer sich veruneinigen würden, schlug den Römern auch diesmal fehl; freiwillig fügte sich Athenion dem weit minder fähigen König Tryphon und erhielt damit die Einigkeit unter den Insurgenten. Bald herrschten diese so gut wie unumschränkt auf dem platten Lande, wo die freien Proletarier wieder mehr oder minder offen mit den Sklaven hielten; die römischen Behörden waren nicht imstande, gegen sie das Feld zu nehmen, und mußten sich begnügen, mit dem sizilischen und dem eiligst herangezogenen afrikanischen Landsturm die Städte zu schützen, welche sich in der beklagenswertesten Verfassung befanden. Die Rechtspflege stockte auf der ganzen Insel, und es regierte einzig das Faustrecht. Da kein Ackerbürger sich mehr vor das Tor, kein Landmann sich in die Stadt wagte, brach die fürchterlichste Hungersnot herein, und die städtische Bevölkerung dieser sonst Italien ernährenden Insel mußte von den römischen Behörden mit Getreidesendungen unterstützt werden. Dazu drohten überall im Innern die Verschwörungen der Stadtsklaven und vor den Mauern die Insurgentenheere, wie denn selbst Messana um ein Haar von Athenion erobert worden wäre. So schwer es der Regierung fiel, während des ernsten Kimbrischen Krieges eine zweite Armee ins Feld zu stellen, sie konnte doch nicht umhin, im Jahre 651 (103) ein Heer von 14000 Römern und Italikern, umgerechnet die überseeischen Milizen, unter dem Prätor Lucius Lucullus nach der Insel zu entsenden. Das vereinigte Sklavenheer stand in den Bergen oberhalb Sciacca und nahm die Schlacht an, die Lucullus anbot. Die bessere militärische Organisation gab den Römern den Sieg: Athenion blieb für tot auf der Walstatt, Tryphon mußte sich in die Bergfestung Triokala werfen; die Insurgenten berieten ernstlich, ob es möglich sei, den Kampf länger fortzusetzen. Indes die Partei, die entschlossen war, auszuharren bis auf den letzten Mann, behielt die Oberhand; Athenion, der in wunderbarer Weise gerettet worden war, trat wieder unter die Seinigen und belebte den gesunkenen Mut; vor allem aber tat Lucullus unbegreiflicherweise nicht das geringste, um seinen Sieg zu verfolgen, ja er soll absichtlich die Armee desorganisiert und sein Feldgerät verbrannt haben, um die gänzliche Erfolglosigkeit seiner Amtsführung zu bedecken und von seinem Nachfolger nicht in Schatten gestellt zu werden. Mag dies wahr sein oder nicht, sein Nachfolger Gaius Servilius (652 102) erlangte nicht bessere Resultate, und beide Generale sind später ihrer Amtsführung wegen kriminell belangt und verurteilt worden, was freilich auch durchaus kein sicherer Beweis für ihre Schuld ist. Athenion, der nach Tryphons Tode (652 102) den Oberbefehl allein übernommen hatte, stand siegreich an der Spitze eines ansehnlichen Heeres, als im Jahre 653 (101) Manius Aquillius, der das Jahr zuvor unter Marius im Teutonenkriege sich ausgezeichnet hatte, als Konsul und Statthalter die Führung des Krieges übernahm. Nach zweijährigen harten Kämpfen - Aquillius soll mit Athenion persönlich gefochten und ihn im Zweikampf getötet haben - schlug der römische Feldherr endlich die verzweifelte Gegenwehr nieder und überwand die Insurgenten in ihren letzten Schlupfwinkeln durch Hunger. Den Sklaven auf der Insel wurde das Waffentragen untersagt und der Friede zog wieder auf ihr ein, das heißt die neuen Peiniger wurden abgelöst von den altgewohnten; wie denn namentlich der Sieger selbst unter den zahlreichen und energischen Räuberbeamten dieser Zeit eine hervorragende Stelle einnimmt. Für wen es aber noch eines Beweises bedurfte, wie das Regiment der restaurierten Aristokratie im Innern beschaffen war, den konnte man auf die Entstehung wie auf die Führung dieses zweiten fünfjährigen Sizilischen Sklavenkrieges verweisen.

Wo man aber auch hinsehen mochte in dem weiten Kreis der römischen Verwaltung, es traten dieselben Ursachen und dieselben Wirkungen hervor. Wenn der sizilische Sklavenkrieg zeigt, wie wenig die Regierung auch nur der einfachsten Aufgabe, das Proletariat niederzuhalten, gewachsen war, so offenbarten die gleichzeitigen Ereignisse in Afrika, wie man jetzt in Rom es verstand, Klientelstaaten zu regieren. Um dieselbe Zeit, wo der Sizilische Sklavenkrieg ausbrach, ward auch vor den Augen der erstaunten Welt das Schauspiel aufgeführt, daß gegen die gewaltige Republik, die die Königreiche Makedonien und Asien mit einem Schlag ihres schweren Armes zerschmettert hatte, ein unbedeutender Klientelfürst nicht mittels Waffen, sondern mittels der Erbärmlichkeit ihrer regierenden Herren eine vierzehnjährige Usurpation und Insurrektion durchzuführen vermochte.

Das Königreich Numidien dehnte vom Flusse Molochat sich aus bis an die Große Syrte, so daß es einerseits grenzte an das Mauretanische Reich von Tingis (das heutige Marokko), andererseits an Kyrene und Ägypten, und den schmalen Küstenstrich der römischen Provinz Africa westlich, südlich und östlich umschloß; es umfaßte außer den alten Besitzungen der numidischen Häuptlinge den bei weitem größten Teil desjenigen Gebiets, welches Karthago in den Zeiten seiner Blüte in Afrika besessen hatte, darunter mehrere bedeutende altphönikische Städte wie Hippo regius (Bona) und Groß-Leptis (Lebidah), überhaupt den größten und besten Teil des reichen nordafrikanischen Küstenlandes. Nächst Ägypten war ohne Frage Numidien der ansehnlichste unter allen römischen Klientelstaaten. Nach Massinissas Tode (605 149) hatte Scipio unter dessen drei Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, die väterliche Herrschaft in der Art geteilt, daß der erstgeborene die Residenz und die Staatskasse, der zweite den Krieg, der dritte die Gerichtsbarkeit übernahm. Jetzt regierte nach dem Tode seiner beiden Brüder wieder allein Massinissas ältester Sohn Micipsa 4, ein schwacher, friedlicher Greis, der lieber als mit Staatsangelegenheiten sich mit dem Studium der griechischen Philosophie beschäftigte. Da seine Söhne noch nicht erwachsen waren, führte tatsächlich die Zügel der Regierung ein illegitimer Neffe des Königs, der Prinz Jugurtha. Jugurtha war kein unwürdiger Enkel Massinissas. Er war ein schöner Mann und ein gewandter und mutiger Reiter und Jäger; seine Landsleute hielten den klaren und einsichtigen Verwalter in hohen Ehren, und seine militärische Brauchbarkeit hatte er als Führer des numidischen Kontingents vor Numantia unter Scipios Augen erwiesen. Seine Stellung im Königreich und der Einfluß, dessen er durch seine zahlreichen Freunde und Kriegskameraden bei der römischen Regierung genoß, ließen es König Micipsa ratsam erscheinen, ihn zu adoptieren (634 120) und in seinem Testament zu verordnen, daß des Königs beide älteste leibliche Söhne Adherbal und Hiempsal und sein Adoptivsohn Jugurtha selbdritt, ebenso wie er selbst mit seinen beiden Brüdern, zu gesamter Hand das Reich erben und regieren sollten. Zu größerer Sicherheit wurde diese Verfügung unter die Garantie der römischen Regierung gestellt. Bald nachher, im Jahre 636 (118) starb König Micipsa. Das Testament trat in Kraft; allein die beiden Söhne Micipsas, mehr noch als der schwache ältere Bruder der heftige Hiempsal, gerieten bald mit ihrem Vetter, den sie als Eindringling in die legitime Erbfolge ansahen, so heftig zusammen, daß der Gedanke an eine Gesamtregierung der drei Könige aufgegeben werden mußte. Man versuchte eine Realteilung durchzuführen; allein die hadernden Könige vermochten über die Landes- und Schatzquoten sich nicht zu einigen, und die Schutzmacht, der hier von Rechts wegen das entscheidende Wort zustand, bekümmerte wie gewöhnlich um diese Angelegenheit sich nicht. Es kam zum Bruch; Adherbal und Hiempsal mochten das Testament des Vaters als erschlichen bezeichnen und Jugurthas Miterbrecht überhaupt bestreiten, wogegen Jugurtha auftrat als Prätendent auf das gesamte Königreich. Noch während der Verhandlungen über die Teilung ward Hiempsal durch gedungene Meuchelmörder aus dem Wege geschafft; zwischen Adherbal und Jugurtha kam es zum Bürgerkriege, in dem ganz Numidien Partei nahm. Mit seinen minder zahlreichen, aber besser geübten und besser geführten Truppen siegte Jugurtha und bemächtigte sich des gesamten Reichsgebiets unter den grausamsten Verfolgungen gegen die seinem Vetter anhängenden Häupter. Adherbal rettete sich nach der römischen Provinz und ging von da nach Rom, um dort Klage zu führen. Jugurtha hatte es erwartet und sich darauf eingerichtet, der drohenden Intervention zu begegnen. Er hatte im Lager von Numantia noch mehr von Rom kennengelernt als die römische Taktik: der numidische Prinz, eingeführt in die Kreise der römischen Aristokraten, war zugleich eingeweiht worden in die römischen Koterieintrigen und hatte an der Quelle studiert, was man römischen Adligen zumuten könne; schon damals, sechzehn Jahre vor Micipsas Tode, hatte er illoyale Unterhandlungen über die numidische Erbfolge mit vornehmen römischen Kameraden gepflogen und hatte Scipio ihn ernstlich erinnern müssen, daß es fremden Prinzen anständiger sei, mit dem römischen Staat als mit einzelnen römischen Bürgern Freundschaft zu halten. Jugurthas Gesandte erschienen in Rom, nicht bloß mit Worten ausgerüstet; daß sie die richtigen diplomatischen Überzeugungsmittel gewählt hatten, bewies der Erfolg. Die eifrigsten Vertreter von Adherbals gutem Recht überzeugten in unglaublicher Geschwindigkeit sich davon, daß Hiempsal seiner Grausamkeit halber von seinen Untertanen umgebracht worden und daß der Urheber des Erbfolgkrieges nicht Jugurtha sei, sondern Adherbal. Selbst die leitenden Männer im Senat erschraken vor dem Skandal; Marcus Scaurus suchte zu steuern; es war umsonst. Der Senat überging das Geschehene mit Stillschweigen und verfügte, daß die beiden überlebenden Testamentserben das Reich zu gleichen Teilen erhalten und zur Verhütung neuen Haders die Teilung durch eine Kommission des Senats vorgenommen werden solle. Sie kam; der Konsular Lucius Opimius, bekannt durch seine Verdienste um die Beseitigung der Revolution, hatte die Gelegenheit wahrgenommen, den Lohn für seinen Patriotismus einzuziehen, und sich an die Spitze dieser Kommission stellen lassen. Die Teilung fiel durchaus zu Jugurthas Gunsten und nicht zum Nachteil der Kommissarien aus; die Hauptstadt Cirta (Constantine) mit ihrem Hafen Rusicade (Philippeville) kam zwar an Adherbal, allein eben dadurch ward ihm der fast ganz aus Sandwüsten bestehende östliche Teil des Reiches, Jugurtha dagegen die fruchtbare und bevölkerte Westhälfte (das spätere Sitifensische und Cäsariensische Mauretanien) zu teil.

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4 Der Stammbaum der numidischen Fürsten ist folgender:

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Es war arg; bald kam es noch schlimmer. Um mit einigem Schein im Wege der Verteidigung Adherbal um seine Hälfte bringen zu können, reizte Jugurtha denselben zum Kriege; indes da der schwache Mann, durch die gemachten Erfahrungen gewitzigt, Jugurthas Reiter sein Gebiet ungehindert brandschatzen ließ und sich begnügte, in Rom Beschwerde zu führen, begann Jugurtha, ungeduldig über diese Weitläufigkeiten, auch ohne Vorwand den Krieg. In der Gegend des heutigen Philippeville ward Adherbal vollständig geschlagen und warf sich in seine nahe Hauptstadt Cirta. Während die Belagerung ihren Fortgang nahm und Jugurthas Truppen mit den in Cirta zahlreich ansässigen und bei der Verteidigung der Stadt lebhafter als die Afrikaner selbst sich beteiligenden Italikern täglich sich herumschlugen, erschien die von dem römischen Senat auf Adherbals erste Beschwerden abgeordnete Kommission; natürlich junge unerfahrene Menschen, wie die Regierung damals sie zu gewöhnlichen Staatssendungen regelmäßig verwandte. Die Gesandten verlangten, daß Jugurtha sie als von der Schutzmacht an Adherbal abgeordnet in die Stadt einlasse, überhaupt aber den Kampf einstelle und ihre Vermittlung annehme. Jugurtha schlug beides kurzweg ab und die Gesandten zogen schleunigst heim wie die Knaben, die sie waren, um an die Väter der Stadt zu berichten. Die Väter hörten den Bericht an und ließen ihre Landsleute in Cirta eben weiter fechten, solange es ihnen beliebte. Erst als im fünften Monat der Belagerung ein Bote des Adherbal durch die Verschanzungen der Feinde sich durchschlich, und ein Schreiben des Königs voll der flehentlichsten Bitten an den Senat kam, raffte derselbe sich auf und faßte wirklich einen Beschluß - nicht etwa den Krieg zu erklären, wie die Minorität es verlangte, sondern eine neue Gesandtschaft zu schicken, aber eine Gesandtschaft mit Marcus Scaurus an der Spitze, dem großen Bezwinger der Taurisker und der Freigelassenen, dem imponierenden Heros der Aristokratie, dessen bloßes Erscheinen genügen werde, den ungehorsamen König auf andere Gedanken zu bringen. In der Tat erschien Jugurtha, wie geheißen, in Utica, um mit Scaurus zu verhandeln; endlose Debatten wurden gepflogen; als endlich die Konferenz geschlossen ward, war nicht das geringste Resultat erreicht. Die Gesandtschaft ging, ohne den Krieg erklärt zu haben, nach Rom zurück und der König wieder ab zur Belagerung von Cirta. Adherbal sah sich aufs Äußerste gebracht und verzweifelte an der römischen Unterstützung; die Italiker in Cirta, der Belagerung müde und für ihre eigene Sicherheit fest vertrauend auf die Furcht vor dem römischen Namen, drängten überdies zur Übergabe. So kapitulierte die Stadt. Jugurtha gab Befehl, seinen Adoptivbruder unter grausamen Martern hinzurichten, die sämtliche erwachsene männliche Bevölkerung der Stadt aber, Afrikaner wie Italiker, über die Klinge springen zu lassen (642 112).

Ein Schrei der Entrüstung ging durch ganz Italien. Die Minorität des Senats selbst und alles, was nicht Senat war, verdammten einmütig diese Regierung, für die die Ehre und das Interesse des Landes nichts zu sein schienen als verkäufliche Artikel; am lautesten die Kaufmannschaft, die durch die Hinopferung der römischen und italischen Kaufleute in Cirta am nächsten getroffen worden war. Die Majorität des Senats sträubte sich zwar auch jetzt noch; sie appellierte an die Standesinteressen der Aristokratie und setzte alle Hebel der kollegialischen Geschäftsverschleppung in Bewegung, um den lieben Frieden noch ferner zu bewahren. Indes als der für 643 (111) gewählte Volkstribun Gaius Memmius, ein tätiger und beredter Mann, sofort nach Antritt seines Amtes den Handel öffentlich zur Sprache brachte und die schlimmsten Sünder zu gerichtlicher Verantwortung ziehen zu wollen drohte, ließ der Senat es geschehen, daß der Krieg an Jugurtha erklärt ward (642/43 112/11). Es schien ernst zu werden. Jugurthas Gesandte wurden, ohne vorgelassen zu sein, aus Italien ausgewiesen; der neue Konsul Lucius Calpurnius Bestia, der, unter seinen Standesgenossen wenigstens, durch Einsicht und Tätigkeit sich auszeichnete, betrieb die Rüstungen mit Energie; Marcus Scaurus selbst übernahm eine Befehlshaberstelle in der afrikanischen Armee; in kurzer Zeit stand ein römisches Heer auf afrikanischem Boden und rückte, am Bagradas (Medscherda) hinaufmarschierend, ein in das Numidische Königreich, wo die vor dem Sitz der königlichen Macht entlegensten Städte, wie Groß-Leptis, bereits freiwillig ihre Unterwerfung einsandten, während König Bocchus von Mauretanien, obwohl seine Tochter mit Jugurtha vermählt war, doch den Römern Freundschaft und Bündnis antrug. Jugurtha selbst verlor den Mut und sandte Boten in das römische Hauptquartier, um Waffenstillstand zu erbitten. Das Ende des Kampfes schien nahe und kam noch schneller, als man dachte. Der Vertrag mit König Bocchus scheiterte daran, daß der König, unbekannt mit den römischen Sitten, diesen den Römern vorteilhaften Vertrag umsonst abschließen zu können gemeint und deshalb versäumt hatte, seinen Boten den marktgängigen Preis römischer Bündnisse mitzugeben. Jugurtha kannte allerdings die römischen Institutionen besser und hatte nicht versäumt, seine Waffenstillstandsanträge durch die gehörigen Begleitgelder zu unterstützen; indes auch er hatte sich getäuscht. Nach den ersten Verhandlungen ergab es sich, daß im römischen Hauptquartier nicht bloß der Waffenstillstand feil sei, sondern auch der Friede. Die königliche Schatzkammer war noch von Massinissas Zeiten her wohl gefüllt; rasch war man handelseinig. Der Vertrag ward abgeschlossen, nachdem der Form halber derselbe dem Kriegsrat vorgelegt und nach einer unordentlichen und möglichst summarischen Verhandlung dessen Zustimmung erwirkt worden war. Jugurtha unterwarf sich auf Gnade und Ungnade; der Sieger aber übte Gnade und gab dem König sein Reich ungeschmälert zurück gegen eine mäßige Buße und die Auslieferung der römischen Oberläufer und der Kriegselefanten (643 111), welche letztere der König großenteils später wiedereinhandelte durch Verträge mit den einzelnen römischen Platzkommandanten und Offizieren.

Auf die Kunde davon brach in Rom abermals der Sturm los. Alle Welt wußte, wie der Friede zustande gekommen war; selbst Scaurus also war zu haben, nur um einen höheren als den gemeinen senatorischen Durchschnittspreis. Die Rechtsbeständigkeit des Friedens ward im Senat ernstlich angefochten; Gaius Memmius erklärte, daß der König, wenn er wirklich unbedingt sich unterworfen habe, sich nicht weigern könne, in Rom zu erscheinen und man ihn demnach vorladen möge, um hinsichtlich der durchaus irregulären Friedensverhandlungen durch Vernehmung der beiden paziszierenden Teile den Tatbestand festzustellen. Man fügte sich der unbequemen Forderung; rechtswidrig aber, da der König nicht als Feind kam, sondern als unterworfener Mann, ward demselben zugleich sicheres Geleit zugestanden. Daraufhin erschien der König in der Tat in Rom und stellte sich zum Verhör vor dem versammelten Volke, das mühsam bewogen ward, das sichere Geleit zu respektieren und den Mörder der cirtensischen Italiker nicht auf der Stelle zu zerreißen. Allein kaum hatte Gaius Memmius die erste Frage an den König gerichtet, als einer seiner Kollegen kraft seines Veto einschritt und dem Könige befahl zu schweigen. Auch hier also war das afrikanische Gold mächtiger als der Wille des souveränen Volkes und seiner höchsten Beamten. Inzwischen gingen im Senat die Verhandlungen über die Gültigkeit des soeben abgeschlossenen Friedens weiter und der neue Konsul Spurius Postumius Albinus nahm eifrig Partei für den Antrag, denselben zu kassieren, in der Aussicht, daß dann der Oberbefehl in Afrika an ihn kommen werde. Dies veranlaßte einen in Rom lebenden Enkel Massinissas, den Massiva, seine Ansprüche auf das erledigte Numidische Reich bei dem Senat geltend zu machen; worauf Bomilkar, einer der Vertrauten des Königs Jugurtha, den Konkurrenten seines Herrn, ohne Zweifel in dessen Auftrag, meuchlerisch aus dem Wege schaffte und, da ihm dafür der Prozeß gemacht ward, mit Hilfe Jugurthas aus Rom entfloh. Dies neue, unter den Augen der römischen Regierung verübte Verbrechen bewirkte wenigstens so viel, daß der Senat nun den Frieden kassierte und den König aus der Stadt auswies (Winter 643/44 111/10). Der Krieg ging also wieder an, und der Konsul Spurius Albinus übernahm den Oberbefehl (644 110). Allein das afrikanische Heer war bis in die untersten Schichten hinab in derjenigen Zerrüttung, wie sie einer solchen politischen und militärischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloß von Disziplin war die Rede nicht mehr und die Plünderung der numidischen Ortschaften, ja des römischen Provinzialgebiets während der Waffenruhe das Hauptgeschäft der römischen Soldateska gewesen, sondern es hatten auch nicht wenige Offiziere und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche Einverständnisse angeknüpft mit dem Feinde. Daß ein solches Heer im Felde nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha auch diesmal vom römischen Obergeneral die Untätigkeit kaufte, wie dies später gegen denselben gerichtlich geltend gemacht ward, so tat er wahrlich ein übriges. Spurius Albinus also begnügte sich damit, nichts zu tun; dagegen sein Bruder, der nach seiner Abreise interimistisch den Oberbefehl übernahm, der ebenso tolldreiste als unfähige Aulus Postumius, kam mitten im Winter auf den Gedanken, durch einen kühnen Handstreich sich der Schätze des Königs zu bemächtigen, die in der schwer zugänglichen und schwer zu erobernden Stadt Suthul (später Calama, jetzt Guelma) sich befanden. Das Heer brach dahin auf und erreichte die Stadt; allein die Belagerung war erfolg- und aussichtslos, und als der König, der eine Zeitlang mit seinen Truppen vor der Stadt gestanden, in die Wüste ging, zog der römische Feldherr es vor, ihn zu verfolgen. Dies eben hatte Jugurtha beabsichtigt; durch einen nächtlichen Angriff, wobei die Schwierigkeiten des Terrains und Jugurthas Einverständnisse in der römischen Armee zusammenwirkten, eroberten die Numidier das römische Lager und trieben die großenteils waffenlosen Römer in der vollständigsten und schimpflichsten Flucht vor sich her. Die Folge war eine Kapitulation, deren Bedingungen: Abzug des römischen Heeres unter dem Joch, sofortige Räumung des ganzen numidischen Gebiets, Erneuerung des vom Senat kassierten Bündnisvertrages, von Jugurtha diktiert und von den Römern angenommen wurden (Anfang 645 109).

Dies war denn doch zu arg. Während die Afrikaner jubelten und die plötzlich eröffnende Aussicht auf den kaum noch für möglich gehaltenen Sturz der Fremdherrschaft zahlreiche Stämme der freien und halbfreien Wüstenbewohner unter die Fahnen des siegreichen Königs führte, brauste in Italien die öffentliche Meinung hoch auf gegen die ebenso verdorbene wie verderbliche Regierungsaristokratie und brach los in einem Prozeßsturm, der, genährt durch die Erbitterung der Kaufmannschaft, eine Reihe von Opfern aus den höchsten Kreisen des Adels wegraffte. Auf den Antrag des Volkstribuns Gaius Mamilius Limetanus ward trotz der schüchternen Versuche des Senats, das Strafgericht abzuwenden, eine außerordentliche Geschworenenkommission bestellt zur Untersuchung des in der numidischen Sukzessionsfrage vorgekommenen Landesverrats, und ihre Wahlsprüche sandten die beiden bisherigen Oberfeldherren, Gaius Bestia und Spurius Albinus, ferner den Lucius Opimius, das Haupt der ersten afrikanischen Kommission und nebenbei den Henker des Gaius Gracchus, außerdem zahlreiche andere weniger namhafte schuldige und unschuldige Männer der Regierungspartei in die Verbannung. Daß indes diese Prozesse einzig darauf hinausliefen, durch Aufopferung einiger der am meisten kompromittierten Personen die aufgeregte öffentliche Meinung namentlich der Kapitalistenkreise zu beschwichtigen, und daß dabei von einer Auflehnung des Volkszorns gegen das recht- und ehrlose Regiment selbst nicht die leiseste Spur vorhanden war, zeigt sehr deutlich die Tatsache, daß an den schuldigsten unter den Schuldigen, an den klugen und mächtigen Scaurus nicht bloß niemand sich wagte, sondern daß er eben um diese Zeit zum Zensor, ja sogar unglaublicherweise zu einem der Vorstände der außerordentlichen Hochverratskommission erwählt ward. Um so weniger ward auch nur der Versuch gemacht, der Regierung in ihre Kompetenz zu greifen, und es blieb lediglich dem Senat überlassen, dem numidischen Skandal in der für die Aristokratie möglichst gelinden Weise ein Ende zu machen; denn daß dies an der Zeit war, mochte wohl selbst der adligste Adlige anfangen zu begreifen.

Der Senat kassierte zunächst auch den zweiten Friedensvertrag - den Oberbefehlshaber, der ihn abgeschlossen, dem Feinde auszuliefern, wie dies noch vor dreißig Jahren geschehen war, schien nach den neuen Begriffen von der Heiligkeit der Verträge nicht ferner nötig -, und die Erneuerung des Krieges ward diesmal allen Ernstes beschlossen. Man übergab den Oberbefehl in Afrika zwar wie natürlich einem Aristokraten, aber noch einem der wenigen vornehmen Männer, die militärisch und sittlich der Aufgabe gewachsen waren. Die Wahl fiel auf Quintus Metellus. Er war wie die ganze mächtige Familie, der er angehörte, seinen Grundsätzen nach ein starrer und rücksichtsloser Aristokrat, als Beamter ein Mann, der es zwar sich zur Ehre rechnete, zum Besten des Staats Meuchelmörder zu dingen, und was Fabricius gegen Pyrrhos tat, vermutlich als unpraktische Donquichotterie verlacht haben würde, aber doch ein unbeugsamer, weder der Furcht noch der Bestechung zugänglicher Verwalter und ein einsichtiger und erfahrener Kriegsmann. In dieser Hinsicht war er auch von seinen Standesvorurteilen so weit frei, daß er sich zu seinen Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte, sondern den trefflichen Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen seiner musterhaften Mannszucht und als Urheber eines veränderten und verbesserten Exerzierreglements in militärischen Kreisen geschätzt ward, und den tapferen, von der Pike emporgedienten latinischen Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und anderen fähigen Offizieren begleitet, erschien Metellus im Laufe des Jahres 645 (109) als Konsul und Oberfeldherr bei der afrikanischen Armee, die er in einem so zerrütteten Zustand antraf, daß die Generale bisher nicht gewagt hatten, sie auf das feindliche Gebiet zu führen und sie niemand fürchterlich war als den unglücklichen Bewohnern der römischen Provinz. Streng und rasch wurde sie reorganisiert und im Frühling des Jahres 646 (108) 5 führte Metellus sie über die numidische Grenze. Wie Jugurtha der veränderten Lage der Dinge inne ward, gab er sich verloren und machte, noch ehe der Kampf begann, ernstlich gemeinte Vergleichsanträge, indem er schließlich nichts weiter begehrte, als daß man ihm das Leben zusichere. Indes Metellus war entschlossen und vielleicht selbst angewiesen, den Krieg nicht anders zu beendigen als mit der unbedingten Unterwerfung und der Hinrichtung des verwegenen Klientelfürsten; was auch in der Tat der einzige Ausgang war, der den Römern genügen konnte. Jugurtha galt seit dem Sieg über Albinus als der Erlöser Libyens von der Herrschaft der verhaßten Fremden; rücksichtslos und schlau, wie er, und unbeholfen, wie die römische Regierung war, konnte er jederzeit auch nach dem Frieden wieder in seiner Heimat den Krieg entzünden; die Ruhe war nicht eher gesichert und die Entfernung der afrikanischen Armee nicht eher möglich, als wenn König Jugurtha nicht mehr war. Offiziell gab Metellus ausweichende Antworten auf die Anträge des Königs; insgeheim stiftete er die Boten desselben auf, ihren Herrn lebend oder tot an die Römer auszuliefern. Indes wenn der römische General es unternahm, mit dem Afrikaner auf dem Gebiet des Meuchelmordes zu wetteifern, so fand er hier seinen Meister; Jugurtha durchschaute den Plan und rüstete sich, da er nicht anders konnte, zur verzweifelten Gegenwehr. Jenseits des völlig öden Gebirgszugs, über den der Weg der Römer in das Innere führte, erstreckte sich in der Breite von vier deutschen Meilen bis zu dem dem Gebirgszug parallel laufenden Flusse Muthul eine weite Ebene, welche bis auf die unmittelbare Nachbarschaft des Flusses wasser- und baumlos war und nur durch einen mit niedrigem Gestrüpp bedeckten Hügelrücken in der Quere durchsetzt ward. Auf diesem Hügelrücken erwartete Jugurtha das römische Heer. Seine Truppen standen in zwei Massen: die eine, ein Teil der Infanterie und die Elefanten, unter Bomilkar da, wo der Rücken auslief gegen den Fluß, die andere, der Kern des Fußvolks und die gesamte Reiterei, höher hinauf gegen den Gebirgszug, verdeckt durch das Gestrüpp. Aus dem Gebirge debouchierend, erblickten die Römer den Feind in einer ihre rechte Flanke vollständig beherrschenden Stellung und hatten, da sie auf dem kahlen und wasserlosen Gebirgskamm unmöglich verweilen konnten und den Fluß notwendig erreichen mußten, die schwierige Aufgabe zu lösen, durch die vier Meilen breite, ganz offene Ebene, unter den Augen der feindlichen Reiter und selber ohne leichte Kavallerie, an den Strom zu gelangen. Metellus entsandte ein Detachement unter Rufus in gerader Richtung an den Fluß, um daselbst ein Lager zu schlagen; die Hauptmasse marschierte aus den Debouchés des Gebirges in schräger Richtung durch die Ebene auf den Hügelrücken zu, um den Feind von demselben herunterzuwerfen. Indes dieser Marsch in der Ebene drohte das Verderben des Heeres zu werden, denn während numidische Infanterie im Rücken der Römer die Gebirgsdefileen besetzte, wie diese sie räumten, sah sich die römische Angriffskolonne auf allen Seiten von den feindlichen Reitern umschwärmt, die von dem Hügelrücken herab angriffen. Das stete Anprallen der feindlichen Schwärme hinderte den Vormarsch, und die Schlacht drohte sich in eine Anzahl verwirrter Detailgefechte aufzulösen; während gleichzeitig Bomilkar mit seiner Abteilung das Korps unter Rufus festhielt, um es zu hindern, der schwer bedrängten römischen Hauptarmee zu Hilfe zu eilen. Jedoch gelang es Metellus und Marius mit ein paar tausend Soldaten, den Fuß des Hügelrückens zu erreichen; und das numidische Fußvolk, das die Höhen verteidigte, lief trotz der Überzahl und der günstigen Stellung fast ohne Widerstand davon, als die Legionäre im Sturmschritt den Berg hinauf angriffen. Ebenso schlecht hielt sich das numidische Fußvolk gegen Rufus; es ward bei dem ersten Angriff zerstreut und die Elefanten in dem durchschnittenen Terrain alle getötet oder gefangen. Spät am Abend trafen die beiden römischen Heerhaufen, jeder für sich Sieger und jeder besorgt um das Schicksal des andern, zwischen den beiden Walplätzen zusammen. Es war eine Schlacht, die für Jugurthas ungemeines militärisches Talent ebenso zeugte wie für die unverwüstliche Tüchtigkeit der römischen Infanterie, welche allein die strategische Niederlage in einen Sieg umgewandelt hatte. Jugurtha sandte nach der Schlacht einen großen Teil seiner Truppen heim und beschränkte sich auf den kleinen Krieg, den er gleichfalls mit Gewandtheit leitete. Die beiden römischen Kolonnen, die eine von Metellus geführt, die andere von Marius, der, obwohl von Geburt und Rang der geringste, seit der Schlacht am Muthul unter den Korpschefs die erste Stelle einnahm, durchzogen das numidische Gebiet, besetzten die Städte und machten, wo eine Ortschaft die Tore nicht gutwillig geöffnet hatte, die erwachsene männliche Bevölkerung nieder. Allein die ansehnlichste unter den Städten im östlichen Binnenland, Zama, leistete den Römern ernsthaften Widerstand, den der König nachdrücklich unterstützte. Sogar ein Überfall des römischen Lagers gelang ihm, und die Römer sahen sich endlich genötigt, die Belagerung aufzuheben und in das Winterquartier zu gehen. Der leichteren Verpflegung wegen verlegte Metellus dasselbe, unter Zurücklassung von Besatzungen in den eroberten Städten, in die römische Provinz und benutzte die Waffenruhe, um wieder Unterhandlungen anzuknüpfen, indem er sich geneigt zeigte, dem König einen erträglichen Frieden zu bewilligen. Jugurtha ging darauf bereitwillig ein; bereits hatte er sich anheischig gemacht, 200000 Pfund Silber zu entrichten, ja sogar seine Elefanten und 300 Geiseln schon abgeliefert, ebenso 3000 römische Überläufer, die sofort niedergemacht wurden. Gleichzeitig aber wurde des Königs vertrautester Ratgeber, Bomilkar, der nicht mit Unrecht besorgte, daß, wenn es zum Frieden käme, Jugurtha ihn als den Mörder des Massiva den römischen Gerichten überliefern werde, von Metellus gewonnen und gegen Zusicherung der Straflosigkeit für jenen Mord und großer Belohnungen zu dem Versprechen bewogen, den König den Römern lebendig oder tot in die Hände zu liefern. Indes weder jene offizielle Verhandlung noch diese Intrige führte zu dem gewünschten Resultat. Als Metellus mit dem Ansinnen herausrückte, daß der König persönlich sich als Gefangener zu stellen habe, brach dieser die Unterhandlungen ab; Bomilkars Verkehr mit dem Feinde ward entdeckt und derselbe festgenommen und hingerichtet. Es soll keine Schutzrede sein für diese diplomatischen Kabalen niedrigster Art; aber die Römer hatten allen Grund, danach zu trachten, sich der Person ihres Gegners zu bemächtigen. Der Krieg war auf dem Punkt angelangt, wo man ihn weder weiterführen noch aufgeben konnte. Wie die Stimmung in Numidien war, beweist zum Beispiel der Aufstand der bedeutendsten unter den Römern besetzten Städten Vaga 6 im Winter 646/47 (108/07), wobei die gesamte römische Besatzung, Offiziere und Gemeine, niedergemacht wurde mit Ausnahme des Kommandanten Titus Turpilius Silanus, welcher später wegen Einverständnisses mit dem Feinde, ob mit Recht oder Unrecht, läßt sich nicht sagen, von dem römischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet ward. Die Stadt wurde von Metellus am zweiten Tage nach dem Abfall überrumpelt und der ganzen Strenge des Kriegsgerichts preisgegeben; allein wenn die Gemüter der leicht erreichbaren und verhältnismäßig fügsamen Anwohner des Bagradas also gestimmt waren, wie mochte es da aussehen weiter landeinwärts und bei den schweifenden Stämmen der Wüste? Jugurtha war der Abgott der Afrikaner, die in ihm den doppelten Brudermörder gern übersahen über dem Retter und Rächer der Nation. Zwanzig Jahre nachher mußte ein numidisches Korps, das für die Römer in Italien focht, schleunigst nach Afrika zurückgesandt werden, als in den feindlichen Reihen Jugurthas Sohn sich zeigte: man mag daraus schließen, was er selber über die Seinen vermochte. Wie war ein Ende des Krieges abzusehen in Landschaften, wo die vereinigten Eigentümlichkeiten der Bevölkerung und des Bodens einem Führer, der sich einmal der Sympathien der Nation versichert hat, es gestatten, den Krieg in endlosen Kleingefechten fortzuspinnen oder auch gar ihn eine Zeitlang schlafen zu legen, um ihn im rechten Augenblick mit neuer Gewalt wiederzuerwecken?

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5 In der spannenden und geistreichen Darstellung dieses Krieges von Sallust ist die Chronologie mehr als billig vernachlässigt. Der Krieg ging im Sommer 649 (105) zu Ende (c. 114); wenn also Marius seine Kriegführung als Konsul 647 (107) begann, so führte er dort das Kommando in drei Kampagnen. Allein die Erzählung schildert nur zwei, und mit Recht. Denn eben wie Metellus allem Anschein nach zwar schon 645 (109) nach Afrika ging, aber, da er spät eintraf (c. 37, 44) und die Reorganisation des Heeres Zeit kostete (c. 44), seine Operationen erst im folgenden Jahr begann, trat auch Marius, der gleichfalls in Italien längere Zeit sich mit Kriegsvorbereitungen aufhielt (c. 84), entweder als Konsul 647 (107) spät im Jahre und nach beendigtem Feldzug oder auch erst als Prokonsul 648 (106) den Oberbefehl an; so daß also die beiden Feldzüge des Metellus 646, 647 (108, 107) die des Marius 648, 649 (106, 105) fallen. Dazu paßt, daß Metellus erst im Jahre 648 (106) triumphierte (Eph. epigr. IV, S. 257). Dazu paßt ferner, daß die Schlacht am Muthul und die Belagerung von Zama nach dem Verhältnis, in dem sie zu Marius’ Bewerbung um das Konsulat stehen, notwendig in das Jahr 646 (108) gesetzt werden müssen. Von Ungenauigkeiten ist der Schriftsteller auf keinen Fall freizusprechen; wie denn Marius sogar noch 649 (105) bei ihm Konsul genannt wird.

Die Verlängerung des Kommandos des Metellus, die Sallustius (62, 10) berichtet, kann sich nach dem Platze, an dem sie steht, nur beziehen auf das Jahr 647 (107); als im Sommer 646 (108) auf Grund des Sempronischen Gesetzes die Provinzen der für 647 (107) zu wählenden Konsuln festzusetzen waren, bestimmte der Senat zwei andere Provinzen und ließ also Numidien dem Metellus. Diesen Senatsschluß stieß das 72, 7 erwähnte Plebiszit um. Die folgenden in den besten Handschriften beider Familien lückenhaft überlieferten Worte sed Paulo …. decreverat: ea res frustra fuit müssen entweder die den Konsuln vom Senat bestimmten Provinzen genannt haben - etwa sed paulo [ante uti consulibus Italia et Gallia provinciae essent senatus] decreverat - oder, nach der Ergänzung der Vulgathandschriften: sed Paulo [ante senatus Metello Numidiam] decreverat.

6 Jetzt Bedschah an der Medscherda.

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Als Metellus im Jahre 647 (107) wieder ins Feld rückte, hielt Jugurtha ihm nirgends stand: bald tauchte er da auf, bald an einem andern, weit entfernten Punkt; es schien, als würde man ebenso leicht Herr werden über die Löwen wie über diese Reiter der Wüste. Eine Schlacht ward geschlagen, ein Sieg gewonnen; aber was man mit dem Sieg gewonnen hatte, war schwer zu sagen. Der König war verschwunden in die unabsehliche Weite. Im Innern des heutigen Beilek von Tunis, hart am Saum der großen Wüste, lag in quelliger Oase der feste Platz Thala 7; dorthin hatte Jugurtha sich zurückgezogen mit seinen Kindern, seinen Schätzen und dem Kern seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst abzuwarten. Metellus wagte es, durch eine Einöde, wo das Wasser auf zehn deutsche Meilen in Schläuchen mitgeführt werden mußte, dem König zu folgen; Thala ward erreicht und fiel nach vierzigtägiger Belagerung; allein nicht bloß vernichteten die römischen Überläufer mit dem Gebäude, in dem sie nach Einnahme der Stadt sich selber verbrannten, zugleich den wertvollsten Teil der Beute, sondern, worauf mehr ankam, der König Jugurtha war mit seinen Kindern und seiner Kasse entkommen. Numidien zwar war so gut wie ganz in den Händen der Römer; aber statt daß man damit am Ziele gestanden hätte, schien der Krieg nur über ein immer weiteres Gebiet sich auszudehnen. Im Süden begannen die freien gätulischen Stämme der Wüste auf Jugurthas Ruf den Nationalkrieg gegen die Römer. Im Westen schien König Bocchus von Mauretanien, dessen Freundschaft die Römer in früherer Zeit verschmäht hatten, jetzt nicht abgeneigt, mit seinem Schwiegersohn gegen sie gemeinschaftliche Sache zu machen: er nahm ihn nicht bloß bei sich auf, sondern rückte auch, mit den eigenen zahllosen Reiterscharen Jugurthas Haufen vereinigend, in die Gegend von Cirta, wo Metellus sich im Winterquartier befand. Man begann zu unterhandeln; es war klar, daß er mit Jugurthas Person den eigentlichen Kampfpreis für Rom in Händen hielt. Was er aber beabsichtigte, ob den Römern den Schwiegersohn teuer zu verkaufen oder mit dem Schwiegersohn gemeinschaftlich den Nationalkrieg aufzunehmen, wußten weder die Römer noch Jugurtha und vielleicht der König selbst nicht; derselbe beeilte sich auch keineswegs, aus seiner zweideutigen Stellung herauszutreten. Darüber verließ Metellus die Provinz, die er durch Volksbeschluß genötigt worden war, seinem ehemaligen Unterfeldherrn, dem jetzigen Konsul Marius abzutreten und dieser übernahm für den nächsten Feldzug 648 (106) den Oberbefehl. Er verdankte ihn gewissermaßen einer Revolution. Im Vertrauen auf die von ihm geleisteten Dienste und nebenher auf die ihm zuteil gewordenen Orakel hatte er sich entschlossen, als Bewerber um das Konsulat aufzutreten. Wenn die Aristokratie die ebenso verfassungsmäßige wie sonst vollkommen gerechtfertigte Bewerbung des tüchtigen, durchaus nicht oppositionell gesinnten Mannes unterstützt hätte, so würde dabei nichts herausgekommen sein als die Verzeichnung eines neuen Geschlechts in den konsularischen Fasten; statt dessen wurde der nicht adlige Mann, der die höchste Gemeinwürde für sich begehrte, von der ganzen regierenden Kaste als ein frecher Neuerer und Revolutionär geschmäht - vollkommen wie einst der plebejische Bewerber von den Patriziern behandelt worden war, nur jetzt ohne jeden formalen Rechtsgrund -, der tapfere Offizier mit spitzen Reden von Metellus verhöhnt - Marius möge mit seiner Kandidatur warten, hieß es, bis Metellus’ Sohn, ein bartloser Knabe, mit ihm sich bewerben könne - und kaum im letzten Augenblick aufs ungnädigste entlassen, um für das Jahr 647 (107), als Bewerber um das Konsulat in der Hauptstadt aufzutreten. Hier vergalt er das erlittene Unrecht seinem Feldherrn reichlich, indem er vor der gaffenden Menge die Kriegführung und Verwaltung des Metellus in Afrika in einer ebenso unmilitärischen wie schmählich unbilligen Weise kritisierte, ja sogar es nicht verschmähte, dem lieben, ewig von geheimen, höchst unerhörten und höchst unzweifelhaften Konspirationen der vornehmen Herren munkelnden Pöbel das platte Märchen aufzutischen, daß Metellus den Krieg absichtlich verschleppe, um so lange wie möglich Oberbefehlshaber zu bleiben. Den Gassenbuben leuchtete dies vollkommen ein; zahlreiche, aus guten und schlechten Ursachen der Regierung mißwollende Leute, namentlich die mit Grund erbitterte Kaufmannschaft, verlangten nichts Besseres als eine solche Gelegenheit, die Aristokratie an ihrer empfindlichsten Stelle zu verletzen; er wurde nicht bloß mit ungeheurer Majorität zum Konsul gewählt, sondern ihm auch, während sonst nach dem Gesetze des Gaius Gracchus die Entscheidung über die jedesmaligen Kompetenzen der Konsuln dem Senat zustand, unter Umstoßung der vom Senat getroffenen Verfügung, die den Metellus an seiner Stelle ließ, durch Beschluß der souveränen Komitien der Oberbefehl im Afrikanischen Krieg übertragen. Demgemäß trat er im Laufe des Jahres 647 (107) an Metellus’ Stelle und führte das Kommando in dem Feldzuge des folgenden Jahres; allein die zuversichtliche Verheißung, es besser zu machen als sein Vorgänger und den Jugurtha an Händen und Füßen gebunden schleunigst nach Rom abzuliefern, war leichter gegeben als erfüllt. Marius schlug sich herum mit den Gätulern; er unterwarf einzelne noch nicht besetzte Städte; er unternahm eine Expedition nach Capsa (Gafsa) im äußersten Südosten des Königreichs, welche die von Thala an Schwierigkeit noch überbot, nahm die Stadt durch Kapitulation und ließ trotz des Vertrages alle erwachsenen Männer darin töten - freilich das einzige Mittel, den Wiederabfall der fernliegenden Wüstenstadt zu verhüten; er griff ein am Fluß Molochath, der das numidische Gebiet vom mauretanischen schied, belegenes Bergkastell an, in das Jugurtha seine Kasse geschafft hatte, und erstürmte, eben als er schon am Erfolg verzweifelnd von der Belagerung abstehen wollte, durch den Handstreich einiger kühner Kletterer glücklich das unbezwingliche Felsennest. Wenn es bloß darauf angekommen wäre, durch dreiste Razzias das Heer abzuhärten und dem Soldaten Beute zu schaffen oder auch Metellus’ Zug in die Wüste durch eine noch weiter greifende Expedition zu verdunkeln, so konnte man diese Kriegführung gelten lassen; in der Hauptsache ward das Ziel, worauf alles ankam und das Metellus mit fester Konsequenz im Auge behalten hatte, die Gefangennehmung des Jugurtha, dabei völlig beiseite gesetzt. Der Zug des Marius nach Capsa war ein ebenso zweckloses wie der des Metellus nach Thala ein zweckmäßiges Wagnis; die Expedition aber an den Molochath, welche an, wo nicht in das mauretanische Gebiet streifte, war geradezu zweckwidrig. König Bocchus, in dessen Hand es lag, den Krieg zu einem für die Römer günstigen Ausgang zu bringen oder ihn ins Endlose zu verlängern, schloß jetzt mit Jugurtha einen Vertrag ab, in dem dieser ihm einen Teil seines Reiches abtrat, Bocchus aber versprach, den Schwiegersohn gegen Rom tätig zu unterstützen. Das römische Heer, das vom Fluß Molochath wieder zurückkehrte, sah sich eines Abends plötzlich umringt von ungeheuren Massen mauretanischer und numidischer Reiterei; man mußte fechten, wo und wie die Abteilungen eben standen, ohne daß eine eigentliche Schlachtordnung und ein leitendes Kommando sich hätten durchführen lassen, und sich glücklich schätzen, die stark gelichteten Truppen auf zwei voneinander nicht weit entfernten Hügeln vorläufig für die Nacht in Sicherheit zu bringen. Indes die arge Nachlässigkeit der von ihrem Siege trunkenen Afrikaner entriß ihnen die Folgen desselben; sie ließen sich von den während der Nacht einigermaßen wiedergeordneten römischen Truppen beim grauenden Morgen im tiefen Schlafe überfallen und wurden glücklich zerstreut. Darauf setzte das römische Heer in besserer Ordnung und mit größerer Vorsicht den Rückzug fort; allein noch einmal wurde es auf demselben von allen vier Seiten zugleich angefallen und schwebte in großer Gefahr, bis der Reiterobrist Lucius Cornelius Sulla zuerst die ihm gegenüberstehenden Reiterhaufen auseinanderstäubte und von deren Verfolgung rasch zurückkehrend sich weiter auf Jugurtha und Bocchus warf, da wo sie persönlich das römische Fußvolk im Rücken bedrängten. Also ward auch dieser Angriff glücklich abgeschlagen; Marius brachte sein Heer zurück nach Cirta und nahm daselbst das Winterquartier (648/49 106/05). Es ist wunderlich, aber freilich begreiflich, daß man römischerseits um die Freundschaft des Königs Bocchus, die man anfangs verschmäht, sodann wenigstens nicht eben gesucht hatte, jetzt, nachdem er den Krieg begonnen hatte, anfing sich aufs eifrigste zu bemühen, wobei es den Römern zustatten kam, daß von mauretanischer Seite keine förmliche Kriegserklärung stattgefunden hatte. Nicht ungern trat König Bocchus zurück in seine alte zweideutige Stellung; ohne den Vertrag mit Jugurtha aufzulösen oder diesen zu entlassen, ließ er mit dem römischen Feldherrn sich ein auf Verhandlungen über die Bedingungen eines Bündnisses mit Rom. Als man einig geworden war oder zu sein schien, erbat sich der König, daß Marius zum Abschluß des Vertrages und zur Übernahme des königlichen Gefangenen den Lucius Sulla an ihn absenden möge, der dem König bekannt und genehm sei teils von der Zeit her, wo er als Gesandter des Senats am mauretanischen Hofe erschienen war, teils durch Empfehlungen der nach Rom bestimmten mauretanischen Gesandten, denen Sulla unterwegs Dienste geleistet hatte. Marius war in einer unbequemen Lage. Lehnte er die Zumutung ab, so führte dies wahrscheinlich zum Bruche; nahm er sie an, so gab er seinen adligsten und tapfersten Offizier einem mehr als unzuverlässigen Mann in die Hände, der, wie männiglich bekannt, mit den Römern und mit Jugurtha doppeltes Spiel spielte, und der fast den Plan entworfen zu haben schien, an Jugurtha und Sulla sich vorläufig nach beiden Seiten hin Geiseln zu schaffen. Indes der Wunsch, den Krieg zu Ende zu bringen, überwog jede andere Rücksicht, und Sulla verstand sich zu der bedenklichen Aufgabe, die Marius ihm ansann. Dreist brach er auf, geleitet von König Bocchus’ Sohn Volux, und seine Entschlossenheit wankte selbst dann nicht, als sein Wegweiser ihn mitten durch das Lager des Jugurtha führte. Er wies die kleinmütigen Fluchtvorschläge seiner Begleiter zurück und zog, des Königs Sohn an der Seite, unverletzt durch die Feinde. Dieselbe Entschiedenheit bewährte der kecke Offizier in den Verhandlungen mit dem Sultan und bestimmte ihn endlich, ernstlich eine Wahl zu treffen. Jugurtha ward aufgeopfert. Unter dem Vorgeben, daß alle seine Begehren bewilligt werden sollten, wurde er von dem eigenen Schwiegervater in einen Hinterhalt gelockt, sein Gefolge niedergemacht und er selbst gefangengenommen. So fiel der große Verräter durch den Verrat seiner Nächsten. Gefesselt brachte Lucius Sulla den listigen und rastlosen Afrikaner mit seinen Kindern in das römische Hauptquartier; damit war nach siebenjähriger Dauer der Krieg zu Ende. Der Sieg ging zunächst auf den Namen des Marius; seinem Triumphalwagen schritt in königlichem Schmuck und in Fesseln König Jugurtha mit seinen beiden Söhnen vorauf, als der Sieger am 1. Januar 650 (104) in Rom einzog; auf seinen Befehl starb der Sohn der Wüste wenige Tage darauf in dem unterirdischen Stadtgefängnis, dem alten Brunnenhaus am Kapitol, dem “eisigen Badgemach”, wie der Afrikaner es nannte, als er die Schwelle überschritt, um daselbst sei es erdrosselt zu werden, sei es umzukommen durch Kälte und Hunger. Allein es ließ sich nicht leugnen, daß Marius an den wirklichen Erfolgen den geringsten Anteil hatte, daß Numidiens Eroberung bis an den Saum der Wüste das Werk des Metellus, Jugurthas Gefangennahme das des Sulla war und zwischen beiden Marius eine für einen ehrgeizigen Emporkömmling einigermaßen kompromittierende Rolle spielte. Marius ertrug es ungern, daß sein Vorgänger den Namen des Siegers von Numidien annahm; er brauste zornig auf, als König Bocchus später ein goldnes Bildwerk auf dem Kapitol weihte, welches die Auslieferung des Jugurtha an Sulla darstellte; und doch stellten auch in den Augen unbefangener Urteiler die Leistungen dieser beiden des Marius Feldherrnschaft gar sehr in Schatten, vor allem Sullas glänzender Zug in die Wüste, der seinen Mut, seine Geistesgegenwart, seinen Scharfsinn, seine Macht über die Menschen vor dem Feldherrn selbst und vor der ganzen Armee zur Anerkennung gebracht hatte. An sich wäre auf diese militärischen Rivalitäten wenig angekommen, wenn sie nicht in den politischen Parteikampf eingegriffen hätten; wenn nicht die Opposition durch Marius den senatorischen General verdrängt gehabt, nicht die Regierungspartei Metellus und mehr noch Sulla mit erbitternder Absichtlichkeit als die militärischen Koryphäen gefeiert und dem nominellen Sieger vorgezogen hätte - wir werden auf die verhängnisvollen Folgen dieser Verhetzungen in der Darstellung der inneren Geschichte zurückzukommen haben.

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7 Die Örtlichkeit ist nicht wiedergefunden. Die frühere Annahme, daß Thelepte (bei Feriana, nördlich von Capsa) gemeint sei, ist willkürlich und die Identifikation mit einer auch heute Thala genannten Örtlichkeit östlich von Capsa auch nicht gehörig begründet.

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Im übrigen verlief diese Insurrektion des numidischen Klientelstaats, ohne weder in den allgemeinen politischen Verhältnissen noch auch nur in denen der afrikanischen Provinz eine merkliche Veränderung hervorzubringen. Abweichend von der sonst in dieser Zeit befolgten Politik ward Numidien nicht in eine römische Provinz umgewandelt; offenbar deshalb, weil das Land nicht ohne eine die Grenzen gegen die Wilden der Wüste deckende Armee zu behaupten und man keineswegs gemeint war, in Afrika ein stehendes Heer zu unterhalten. Man begnügte sich deshalb, die westlichste Landschaft Numidiens, wahrscheinlich den Strich vom Fluß Molochath bis zum Hafen von Saldae (Bougie) - das spätere Mauretanien von Caesarea (Provinz Algier) - zu dem Reich des Bocchus zu schlagen und das darum verkleinerte Königreich Numidien auf den letzten noch lebenden legitimen Enkel Massinissas, Jugurthas an Körper und Geist schwachen Halbbruder Gauda, zu übertragen, welcher bereits im Jahre 646 (108) auf Veranlassung des Marius seine Ansprüche bei dem Senat geltend gemacht hatte 8. Zugleich wurden die gätulischen Stämme im inneren Afrika als freie Bundesgenossen unter die mit den Römern in Vertrag stehenden unabhängigen Nationen aufgenommen.

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8 Sallusts politisches Genregemälde des jugurthinischen Krieges, in der sonst völlig verblaßten und verwaschenen Tradition dieser Epoche das einzige in frischen Farben übriggebliebene Bild, schließt mit Jugurthas Katastrophe, seiner Kompositionsweise getreu, poetisch, nicht historisch; und auch anderweitig fehlt es an einem zusammenhängenden Bericht über die Behandlung des Numidischen Reiches. Daß Gauda Jugurthas Nachfolger ward deuten Sallust (c. 64) und Dio Cassius (fr. 79, 4 Bekk.) an und bestätigt eine Inschrift von Cartagena (Orelli 630), die ihn König und Vater Hiempsals II. nennt. Daß im Westen die zwischen Numidien einer- und dem römischen Afrika und Kyrene andererseits bestehenden Grenzverhältnisse unverändert blieben, zeigt Caesar (civ. 2, 38), Bell. Afr. 43, 77 und die spätere Provinzialverfassung. Dagegen liegt es in der Natur der Sache und wird auch von Sallust (c. 97; 102; 111) angedeutet, daß Bocchus’ Reich bedeutend vergrößert ward; womit es unzweifelhaft zusammenhängt, daß Mauretanien, ursprünglich beschränkt auf die Landschaft von Tingis (Marokko), in späterer Zeit sich erstreckt auf die Landschaft von Caesarea (Provinz Algier) und die von Sitifis (westliche Hälfte der Provinz Constantine). Da Mauretanien zweimal von den Römern vergrößert ward, zuerst 649 (105) nach Jugurthas Auslieferung, sodann 708 (46) nach Auflösung des Numidischen Reiches, so ist wahrscheinlich die Landschaft von Caesarea bei der ersten, die von Sitifis bei der zweiten Vergrößerung hinzugekommen.

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Wichtiger als diese Regulierung der afrikanischen Klientel waren die politischen Folgen des Jugurthinischen Krieges oder vielmehr der Jugurthinischen Insurrektion, obgleich auch diese häufig zu hoch angeschlagen worden sind. Allerdings waren darin alle Schäden des Regiments in unverhüllter Nacktheit zu Tage gekommen; es war jetzt nicht bloß notorisch, sondern sozusagen gerichtlich konstatiert, daß den regierenden Herren Roms alles feil war, der Friedensvertrag wie das Interzessionsrecht, der Lagerwall und das Leben der Soldaten; der Afrikaner hatte nicht mehr gesagt als die einfache Wahrheit, als er bei seiner Abreise von Rom äußerte, wenn er nur Geld genug hätte, mache er sich anheischig, die Stadt selber zu kaufen. Allein das ganze äußere und innere Regiment dieser Zeit trug den gleichen Stempel teuflischer Erbärmlichkeit. Für uns verschiebt der Zufall, daß uns der Krieg in Afrika durch bessere Berichte näher gerückt ist als die anderen gleichzeitigen militärischen und politischen Ereignisse, die richtige Perspektive; die Zeitgenossen erfuhren durch jene Enthüllungen eben nichts, als was jedermann längst wußte und jeder unerschrockene Patriot längst mit Tatsachen zu belegen imstande war. Daß man für die nur durch ihre Unfähigkeit aufgewogene Niederträchtigkeit der restaurierten Senatsregierung jetzt einige neue, noch stärkere und noch unwiderleglichere Beweise in die Hände bekam, hätte dennoch von Wichtigkeit sein können, wenn es eine Opposition und eine öffentliche Meinung gegeben hätte, mit denen die Regierung genötigt gewesen wäre sich abzufinden. Allein dieser Krieg hatte in der Tat nicht minder die Regierung prostituiert als die vollständige Nichtigkeit der Opposition offenbart. Es war nicht möglich, schlechter zu regieren als die Restauration in den Jahren 637-645 (117-109) es tat, nicht möglich, wehrloser und verlorener dazustehen, als der römische Senat im Jahre 645 (109) stand; hätte es in Rom eine wirkliche Opposition gegeben, das heißt eine Partei, die eine prinzipielle Abänderung der Verfassung wünschte und betrieb, so mußte diese notwendig jetzt wenigstens einen Versuch machen, den restaurierten Senat zu stürzen. Er erfolgte nicht; man machte aus der politischen eine Personenfrage, wechselte die Feldherren und schickte ein paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute in die Verbannung. Damit stand es also fest, daß die sogenannte Popularpartei als solche weder regieren konnte, noch regieren wollte; daß es in Rom schlechterdings nur zwei mögliche Regierungsformen gab, die Tyrannis und die Oligarchie; daß, solange es zufällig an einer Persönlichkeit fehlte, die, wo nicht bedeutend, doch bekannt genug war, um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die ärgste Mißwirtschaft höchstens einzelne Oligarchen, aber niemals die Oligarchie gefährdete; daß dagegen, sowie ein solcher Prätendent auftrat, nichts leichter war, als die morschen kurulischen Stühle zu erschüttern. In dieser Hinsicht war das Auftreten des Marius bezeichnend, eben weil es an sich so völlig unmotiviert war. Wenn die Bürgerschaft nach Albinus’ Niederlage die Kurie gestürmt hätte, es wäre begreiflich, um nicht zu sagen in der Ordnung gewesen; aber nach der Wendung, die Metellus dem Numidischen Krieg gegeben hatte, konnte von schlechter Führung, geschweige denn von Gefahr für das Gemeinwesen wenigstens in dieser Beziehung nicht mehr die Rede sein; und dennoch gelang es dem ersten besten ehrgeizigen Offizier, das auszuführen, womit einst der ältere Africanus der Regierung gedroht, und sich eines der vornehmsten militärischen Kommandos gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen der Regierung zu verschaffen. Die öffentliche Meinung, nichtig in den Händen der sogenannten Popularpartei, ward zur unwiderstehlichen Waffe in der Hand des künftigen Königs von Rom. Es soll damit nicht gesagt werden, daß Marius beabsichtigte, den Prätendenten zu spielen, am wenigsten damals schon, als er um den Oberbefehl von Afrika bei dem Volke warb; aber mochte er begreifen oder nicht begreifen, was er tat, es war augenscheinlich zu Ende mit dem restaurierten aristokratischen Regiment, wenn die Komitialmaschine anfing, Feldherren zu machen oder, was ungefähr dasselbe war, wenn jeder populäre Offizier imstande war, in legaler Weise sich selbst zum Feldherrn zu ernennen. Ein einziges neues Element trat in diesen vorläufigen Krisen auf; es war das Hineinziehen der militärischen Männer und der militärischen Macht in die politische Revolution. Ob Marius’ Auftreten unmittelbar die Einleitung sein werde zu einem neuen Versuch, die Oligarchie durch die Tyrannis zu verdrängen, oder ob dasselbe, wie so manches Ähnliche, als vereinzelter Eingriff in die Prärogative der Regierung ohne weitere Folgen vorübergehen werde, ließ sich noch nicht bestimmen; wohl aber war es vorauszusehen, daß, wenn diese Keime einer zweiten Tyrannis zur Entwicklung gelangten, in derselben nicht ein Staatsmann, wie Gaius Gracchus, sondern ein Offizier an die Spitze treten werde. Die gleichzeitige Reorganisation des Heerwesens, indem zuerst Marius bei der Bildung seiner nach Afrika bestimmten Armee von der bisher geforderten Vermögensqualifikation absah und auch dem ärmsten Bürger, wenn er sonst brauchbar war, als Freiwilligen den Eintritt in die Legion gestattete, mag von ihrem Urheber aus rein militärischen Rücksichten veranstaltet worden sein; allein darum war es nichtsdestoweniger ein folgenreiches politisches Ereignis, daß das Heer nicht mehr, wie ehemals, aus denen, die viel, nicht einmal mehr wie in der jüngsten Zeit aus denen, die etwas zu verlieren hatten, gebildet ward, sondern anfing sich zu verwandeln in einen Haufen von Leuten, die nichts hatten als ihre Arme und was der Feldherr ihnen spendete. Die Aristokratie herrschte im Jahre 650 (104) ebenso unumschränkt wie im Jahre 620 (134); aber die Zeichen der herannahenden Katastrophe hatten sich gemehrt, und am politischen Horizont war neben der Krone das Schwert aufgegangen.

KAPITEL V.
Die Völker des Nordens

Seit dem Ende des sechsten Jahrhunderts beherrschte die römische Gemeinde die drei großen von dem nördlichen Kontinent in das Mittelmeer hineinragenden Halbinseln, wenigstens im ganzen genommen; denn freilich innerhalb derselben fuhren im Norden und Westen Spaniens, in den Ligurischen Apenninen und Alpentälern, in den Gebirgen Makedoniens und Thrakiens die ganz- oder halbfreien Völkerschaften fort, der schlaffen römischen Regierung zu trotzen. Ferner war die kontinentale Verbindung zwischen Spanien und Italien wie zwischen Italien und Makedonien nur in der oberflächlichsten Weise hergestellt und die Landschaften jenseits der Pyrenäen, der Alpen und der Balkankette, die großen Stromgebiete der Rhone, des Rheins und der Donau lagen wesentlich außerhalb des politischen Gesichtskreises der Römer. Es ist hier darzustellen, was römischerseits geschah, um nach dieser Richtung hin das Reich zu sichern und zu arrondieren und wie zugleich die großen Völkermassen, die hinter jenem gewaltigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten, anfingen, an die Tore der nördlichen Gebirge zu pochen und die griechisch-römische Welt wieder einmal unsanft daran zu mahnen, daß sie mit Unrecht meine, die Erde für sich allein zu besitzen.

Fassen wir zunächst die Landschaft zwischen den Westalpen und den Pyrenäen ins Auge. Die Römer beherrschten diesen Teil der Küste des Mittelmeers seit langem durch ihre Klientelstadt Massalia, eine der ältesten, treuesten und mächtigsten der von Rom abhängigen bundesgenössischen Gemeinden, deren Seestationen, westlich Agathe (Agde) und Rhode (Rosas), östlich Tauroention (Ciotat), Olbia (Hyères?), Antipolis (Antibes) und Nikäa (Nizza), die Küstenfahrt wie den Landweg von den Pyrenäen zu den Alpen sicherten und deren merkantile und politische Verbindungen weit ins Binnenland hineinreichten. Eine Expedition in die Alpen oberhalb Nizza und Antibes gegen die ligurischen Oxybier und Dekieten ward im Jahre 600 (154) von den Römern teils auf Ansuchen der Massalioten, teils im eigenen Interesse unternommen und nach heftigen und zum Teil verlustvollen Gefechten dieser Teil des Gebirges gezwungen, den Massalioten fortan stehende Geiseln zu geben und ihnen jährlichen Zins zu zahlen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß um diese Zeit zugleich in dem ganzen von Massalia abhängigen Gebiete jenseits der Alpen der nach dem Muster des massaliotischen daselbst aufblühende Wein- und Ölbau im Interesse der italischen Gutsbesitzer und Kaufleute untersagt ward ^1. Einen ähnlichen Charakter finanzieller Spekulation trägt der Krieg, der wegen der Goldgruben und Goldwäschereien von Victumulae (in der Gegend von Vercelli und Bard und im ganzen Tal der Dora Baltea) von den Römern unter dem Konsul Appius Claudius im Jahre 611 (143) gegen die Salasser geführt ward. Die große Ausdehnung dieser Wäschereien, welche den Bewohnern der niedriger liegenden Landschaft das Wasser für ihre Äcker entzog, rief erst einen Vermittlungsversuch, sodann die bewaffnete Intervention der Römer hervor; der Krieg, obwohl die Römer auch ihn wie alle übrigen dieser Epoche mit einer Niederlage begannen, führte endlich zu der Unterwerfung der Salasser und der Abtretung des Goldbezirkes an das römische Ärar. Einige Jahrzehnte später (654 100) ward auf dem hier gewonnenen Gebiet die Kolonie Eporedia (Ivrea) angelegt, hauptsächlich wohl, um durch sie den westlichen wie durch Aquileia den östlichen Alpenpaß zu beherrschen. Einen ernsteren Charakter nahmen diese alpinischen Kriege erst an, als Marcus Fulvius Flaccus, der treue Bundesgenosse des Gaius Gracchus, als Konsul 629 (125) in dieser Gegend den Oberbefehl übernahm. Er zuerst betrat die Bahn der transalpinischen Eroberungen. In der vielgeteilten keltischen Nation war um diese Zeit, nachdem der Gau der Biturigen seine wirkliche Hegemonie eingebüßt und nur eine Ehrenvorstandschaft behalten hatte, der effektiv führende Gau in dem Gebiet von den Pyrenäen bis zum Rhein und vom Mittelmeer bis zur Westsee der Arverner 2, und es erscheint danach nicht gerade übertrieben, daß er bis 180000 Mann ins Feld zu stellen vermocht haben soll. Mit ihnen rangen daselbst die Häduer (um Autun) um die Hegemonie als ungleiche Rivalen; während in dem nordöstlichen Gallien die Könige der Suessionen (um Soissons) den bis nach Britannien hinüber sich erstreckenden Völkerbund der Belgen unter ihrer Schutzherrschaft vereinigten. Griechische Reisende jener Zeit wußten viel zu erzählen von der prachtvollen Hofhaltung des Arvernerkönigs Luerius, wie derselbe, umgeben von seinem glänzenden Clangefolge, den Jägern mit der gekoppelten Meute und der wandernden Sängerschar, auf dem silberbeschlagenen Wagen durch die Städte seines Reiches fuhr, das Gold mit vollen Händen auswerfend unter die Menge, vor allen aber das Herz des Dichters mit dem leuchtenden Regen erfreuend - die Schilderungen von der offenen Tafel, die er in einem Raume von 1500 Doppelschritten ins Gevierte abhielt und zu der jeder des Wegs Kommende geladen war, erinnern lebhaft an die Hochzeitstafel Camachos. In der Tat zeugen die zahlreichen noch jetzt vorhandenen arvernischen Goldmünzen dieser Zeit dafür, daß der Arvernergau zu ungemeinem Reichtum und einer verhältnismäßig hoch gesteigerten Zivilisation gediehen war. Flaccus’ Angriff traf indes zunächst nicht auf die Arverner, sondern auf die kleineren Stämme in dem Gebiet zwischen den Alpen und der Rhone, wo die ursprünglich ligurischen Einwohner mit nachgerückten keltischen Scharen sich vermischt hatten und eine der keltiberischen vergleichbare keltoligurische Bevölkerung entstanden war. Er focht (629, 630 125, 124) mit Glück gegen die Salyer oder Salluvier in der Gegend von Aix und im Tal der Durance und gegen ihre nördlichen Nachbarn, die Vocontier (Dept. Vaucluse und Drôme), ebenso sein Nachfolger Gaius Sextius Calvinus (631, 632 123, 122) gegen die Allobrogen, einen mächtigen keltischen Clan in dem reichen Tal der Isère, der auf die Bitte des landflüchtigen Königs der Salyer, Tutomotulus, gekommen war, ihm sein Land wiedererobern zu helfen, aber in der Gegend von Aix geschlagen wurde. Da die Allobrogen indes nichtsdestoweniger sich weigerten, den Salyerkönig auszuliefern, drang Calvinus’ Nachfolger Gnaeus Domitius Ahenobarbus in ihr eigenes Gebiet ein (632 122). Bis dahin hatte der führende keltische Stamm dem Umsichgreifen der italischen Nachbarn zugesehen; der Arvernerkönig Betuhus, jenes Luerius’ Sohn, schien nicht sehr geneigt, des losen Schutzverhältnisses wegen, in dem die östlichen Gaue zu ihm stehen mochten, in einen bedenklichen Krieg sich einzulassen. Indes als die Römer Miene machten, die Allobrogen auf ihrem eigenen Gebiet anzugreifen, bot er seine Vermittlung an, deren Zurückweisung zur Folge hatte, daß er mit seiner gesamten Macht den Allobrogen zu Hilfe erschien; wogegen wieder die Häduer Partei ergriffen für die Römer. Auch die Römer sandten auf die Nachricht von der Schilderhebung der Arverner den Konsul des Jahres 633 (121) Quintus Fabius Maximus, um in Verbindung mit Ahenobarbus dem drohenden Sturm zu begegnen. An der südlichen Grenze des allobrogischen Kantons, am Einfluß der Isère in die Rhone, ward am 8. August 633 (121) die Schlacht geschlagen, die über die Herrschaft im südlichen Gallien entschied. König Betuitus, wie er die zahllosen Haufen der abhängigen Clans auf der über die Rhone geschlagenen Schiffbrücke an sich vorüberziehen und gegen sie die dreimal schwächeren Römer sich aufstellen sah, soll ausgerufen haben, daß dieser ja nicht genug seien, um die Hunde des Keltenheeres zu sättigen. Allein Maximus, ein Enkel des Siegers von Pydna, erfocht dennoch einen entscheidenden Sieg, welcher, da die Schiffbrücke unter der Masse der Flüchtenden zusammenbrach, mit der Vernichtung des größten Teils der arvernischen Armee endigte. Die Allobrogen, denen ferner Beistand zu leisten der Arvernerkönig sich unfähig erklärte und denen er selber riet, mit Maximus ihren Frieden zu machen, unterwarfen sich dem Konsul, worauf derselbe, fortan der Allobrogiker genannt, nach Italien zurückging und die nicht mehr ferne Beendigung des arvernischen Krieges dem Ahenobarbus überließ. Dieser, auf König Betuitus persönlich erbittert, weil er die Allobrogen veranlaßt habe, sich dem Maximus und nicht ihm zu ergeben, bemächtigte sich in treuloser Weise der Person des Königs und sandte ihn nach Rom, wo der Senat den Bruch des Treuworts zwar mißbilligte, aber nicht bloß den verratenen Mann festhielt, sondern auch befahl, den Sohn desselben, Congonnetiacus, gleichfalls nach Rom zu senden. Dies scheint die Ursache gewesen zu sein, daß der fast schon beendigte arvernische Krieg noch einmal aufloderte und es bei Vindalium (oberhalb Avignon) am Einfluß der Sorgue in die Rhone zu einer zweiten Entscheidung durch die Waffen kam. Sie fiel nicht anders aus als die erste; es waren diesmal hauptsächlich die afrikanischen Elefanten, die das Keltenheer zerstreuten. Hierauf bequemten sich die Arverner zum Frieden und die Ruhe war in dem Keltenland wiederhergestellt 3.

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^1 Wenn Cicero, indem er dies den Africanus schon im Jahre 625 (129) sagen läßt (rep. 3, 9), nicht einen Anachronismus sich hat zu Schulden kommen lassen, so bleibt wohl nur die im Text bezeichnete Auffassung möglich. Auf Norditalien und Ligurien bezieht diese Verfügung sich nicht, wie schon der Weinbau der Genuaten im Jahre 637 (117) beweist; ebensowenig auf das unmittelbare Gebiet von Massalia (Just. 43, 4; Poseid. fr. 25 Müller; Strab. 4, 179). Die starke Ausfuhr von Öl und Wein aus Italien nach dem Rhonegebiet im siebenten Jahrhundert der Stadt ist bekannt.

2 In der Auvergne. Ihre Hauptstadt, Nemetum oder Nemossus, lag nicht weit von Clermont.

3 Die Schlacht bei Vindalium stellen zwar der Livianische Epitomator und Orosius vor die an der Isara; allein auf die umgekehrte Folge führen Florus und Strabon (4, 191), und sie wird bestätigt teils dadurch, daß Maximus nach dem Auszug des Livius und Plinius (nat. 7, 50) die Gallier als Konsul besiegte, teils besonders durch die Kapitolinischen Fasten, nach denen nicht bloß Maximus vor Ahenobarbus triumphierte, sondern auch jener über die Allobrogen und den Arvernerkönig, dieser nur über die Arverner. Es ist einleuchtend, daß die Schlacht gegen Allobrogen und Arverner früher stattgefunden haben muß als die gegen die Arverner allein.

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Das Ergebnis dieser militärischen Operationen war die Einrichtung einer neuen römischen Provinz zwischen den Seealpen und den Pyrenäen. Die sämtlichen Völkerschaften zwischen den Alpen und der Rhone wurden von den Römern abhängig und, soweit sie nicht nach Massalia zinsten, vermutlich schon jetzt den Römern tributär. In der Landschaft zwischen der Rhone und den Pyrenäen behielten die Arverner zwar die Freiheit und wurden nicht den Römern zinspflichtig; allein sie hatten den südlichsten Teil ihres mittel- oder unmittelbaren Gebiets, den Strich südlich der Cevennen bis an das Mittelmeer und den oberen Lauf der Garonne bis nach Tolosa (Toulouse), an die Römer abzutreten. Da der nächste Zweck dieser Okkupationen die Herstellung einer Landverbindung zwischen Spanien und Italien war, so wurde unmittelbar nach der Besetzung gesorgt für die Chaussierung des Küstenweges. Zu diesem Ende wurde von den Alpen zur Rhone der Küstenstrich in der Breite von 1/5 bis 3/10 deutschen Meile den Massalioten, die ja bereits eine Reihe von Seestationen an dieser Küste besaßen, überwiesen mit der Verpflichtung, die Straße in gehörigem Stand zu halten; wogegen von der Rhone bis zu den Pyrenäen die Römer selbst eine Militärchaussee anlegten, die von ihrem Urheber Ahenobarbus den Namen der Domitischen Straße erhielt. Wie gewöhnlich verband mit dem Straßenbau sich die Anlage neuer Festungen. Im östlichen Teil fiel die Wahl auf den Platz, wo Gaius Sextius die Kelten geschlagen hatte und wo die Anmut und Fruchtbarkeit der Gegend wie die zahlreichen kalten und warmen Quellen zur Ansiedelung einluden; hier entstand eine römische Ortschaft, die “Bäder des Sextius”, Aquae Sextiae (Aix). Westlich von der Rhone siedelten die Römer in Narbo sich an, einer uralten Keltenstadt an dem schiffbaren Fluß Atax (Aude) in geringer Entfernung vom Meere, die bereits Hekatäos nennt und die schon vor ihrer Besetzung durch die Römer als lebhafter an dem britannischen Zinnhandel beteiligter Handelsplatz mit Massalia rivalisierte. Aquae erhielt nicht Stadtrecht, sondern blieb ein stehendes Lager 4; dagegen Narbo, obwohl gleichfalls wesentlich als Wacht- und Vorposten gegen die Kelten gegründet, ward als “Marsstadt” römische Bürgerkolonie und der gewöhnliche Sitz des Statthalters der neuen transalpinischen Keltenprovinz oder, wie sie noch häufiger genannt wird, der Provinz Narbo.

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4 Aquae ward nicht Kolonie, wie Livius (ep. 61) sagt, sondern Kastell (Strab. 4, 180; Vell. 1, 15; J. N. Madvig, Opuscula academica. Bd. 1. Kopenhagen 1834, S. 303). Dasselbe gilt von Italica und vielen anderen Orten - so ist zum Beispiel Vindonissa rechtlich nie etwas anderes gewesen als ein keltisches Dorf, aber dabei zugleich ein befestigtes römisches Lager und eine sehr ansehnliche Ortschaft.

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Die Gracchische Partei, welche diese transalpinischen Gebietserwerbungen veranlaßte, wollte offenbar sich hier ein neues und unermeßliches Gebiet für ihre Kolonisationspläne eröffnen, das dieselben Vorzüge darbot wie Sizilien und Afrika und leichter den Eingeborenen entrissen werden konnte als die sizilischen und libyschen Äcker den italischen Kapitalisten. Der Sturz des Gaius Gracchus machte freilich auch hier sich fühlbar in der Beschränkung der Eroberungen und mehr noch der Stadtgründungen; indes wenn die Absicht nicht in vollem Umfang erreicht ward, so ward sie doch auch nicht völlig vereitelt. Das gewonnene Gebiet und mehr noch die Gründung von Narbo, welcher Ansiedelung der Senat vergeblich das Schicksal der karthagischen zu bereiten suchte, blieben als unfertige, aber den künftigen Nachfolger des Gracchus an die Fortsetzung des Baus mahnende Ansätze stehen. Offenbar schützte die römische Kaufmannschaft, die nur in Narbo mit Massalia in dem gallisch-britannischen Handel zu konkurrieren vermochte, diese Anlage vor den Angriffen der Optimaten.

Eine ähnliche Aufgabe wie im Nordwesten war auch gestellt im Nordosten von Italien; sie ward gleichfalls nicht ganz vernachlässigt, aber noch unvollkommener als jene gelöst. Mit der Anlage von Aquileia (571 183) kam die Istrische Halbinsel in den Besitz der Römer; in Epirus und dem ehemaligen Gebiet des Herrn von Skodra geboten sie zum Teil bereits geraume Zeit früher. Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins Binnenland hinein, und selbst an der Küste beherrschten sie kaum dem Namen nach den unwirtlichen Ufersaum zwischen Istrien und Epirus, der in seinen wildverschlungenen, weder von Flußtälern noch von Küstenebenen unterbrochenen, schuppenartig aneinandergereihten Bergkesseln und in der längs des Ufers sich hinziehenden Kette felsiger Inseln Italien und Griechenland mehr scheidet als zusammenknüpft. Um die Stadt Delminium (an der Cettina bei Trigl) schloß sich hier die Eidgenossenschaft der Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh waren wie ihre Berge: während die Nachbarvölker bereits zu reicher Kulturentwicklung gelangt waren, kannte man in Dalmatien noch keine Münze und teilte den Acker, ohne daran ein Sondereigentum anzuerkennen, von acht zu acht Jahren neu auf unter die gemeinsässigen Leute. Land- und Seeraub waren die einzigen bei ihnen heimischen Gewerbe. Diese Völkerschaften hatten in früheren Zeiten in einem losen Abhängigkeitsverhältnis zu den Herren von Skodra gestanden und waren insofern mitbetroffen worden von den römischen Expeditionen gegen die Königin Teuta und Demetrios von Pharos; allein bei dem Regierungsantritt des Königs Genthios hatten sie sich losgemacht und waren dadurch dem Schicksal entgangen, das das südliche Illyrien in den Sturz des Makedonischen Reiches verflocht und es von Rom dauernd abhängig machte. Die Römer überließen die wenig lockende Landschaft gern sich selbst. Allein die Klagen der römischen Illyrier, namentlich der Daorser, die an der Narenta südlich von den Dalmatern wohnten, und der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren kontinentale Stationen Tragyrion (Trau) und Epetion (bei Spalato) von den Eingeborenen schwer zu leiden hatten, nötigten die römische Regierung, an diese eine Gesandtschaft abzuordnen und, da diese die Antwort zurückbrachte, daß die Dalmater um die Römer weder bisher sich gekümmert hätten noch künftig kümmern würden, im Jahre 598 (156) ein Heer unter dem Konsul Gaius Marcius Figulus dorthin zu senden. Er drang in Dalmatien ein, ward aber wieder zurückgedrängt bis auf das römische Gebiet. Erst sein Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599 (155) die große und feste Stadt Delminium, worauf die Eidgenossenschaft sich zum Ziel legte und sich bekannte als den Römern untertänig. Indes war die arme und nur oberflächlich unterworfene Landschaft nicht wichtig genug, um als eigenes Amt verwaltet zu werden; man begnügte sich, wie man es schon für die wichtigeren Besitzungen in Epirus getan, sie von Italien aus mit dem diesseitigen Keltenland zugleich verwalten zu lassen; wobei es wenigstens als Regel auch dann blieb, als im Jahre 608 (146) die Provinz Makedonien eingerichtet und deren nordöstliche Grenze nördlich von Skodra festgestellt worden war 5.

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5 3, 49. Die Pirusten in den Tälern des Drin gehörten zur Provinz Makedonien, streiften aber hinüber in das benachbarte Illyricum (Caes. Gall. 5, 1).

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Aber ebendiese Umwandlung Makedoniens in eine von Rom unmittelbar abhängige Landschaft gab den Beziehungen Roms zu den Völkern im Nordosten größere Bedeutung, indem sie den Römern die Verpflichtung auferlegte, die überall offene Nord- und Ostgrenze gegen die angrenzenden barbarischen Stämme zu verteidigen; und in ähnlicher Weise ging nicht lange darauf (621 133) durch die Erwerbung des bisher zum Reich der Attaliden gehörigen Thrakischen Chersones (Halbinsel von Gallipoli) die bisher den Königen von Pergamon obliegende Verpflichtung, die Hellenen hier gegen die Thraker zu schützen, gleichfalls auf die Römer über. Von der zwiefachen Basis aus, die das Potal und die makedonische Landschaft darboten, konnten die Römer jetzt ernstlich gegen das Quellgebiet des Rheins und die Donau vorgehen und der nördlichen Gebirge wenigstens insoweit sich bemächtigen, als die Sicherheit der südlichen Landschaften es erforderte. Auch in diesen Gegenden war damals die mächtigste Nation das große Keltenvolk, welches der einheimischen Sage zufolge aus seinen Sitzen am westlichen Ozean sich um dieselbe Zeit südlich der Hauptalpenkette in das Potal und nördlich derselben in die Landschaften am oberen Rhein und an der Donau ergossen hatte. Von ihren Stämmen saßen auf beiden Ufern des Oberrheins die mächtigen, reichen und, da sie mit den Römern nirgends sich unmittelbar berührten, mit ihnen in Frieden und Vertrag lebenden Helvetier, die damals vom Genfer See bis zum Main sich erstreckend die heutige Schweiz, Schwaben und Franken innegehabt zu haben scheinen. Mit ihnen grenzten die Boier, deren Sitze das heutige Bayern und Böhmen gewesen sein mögen 6. Südöstlich von ihnen begegnen wir einem anderen Keltenstamm, der in der Steiermark und Kärnten unter dem Namen der Taurisker, später der Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter dem der Karner auftritt. Ihre Stadt Noreia (unweit St. Veit nördlich von Klagenfurt) war blühend und weitbekannt durch die schon damals in dieser Gegend eifrig betriebenen Eisengruben; mehr noch wurden eben in dieser Zeit die Italiker dorthin gelockt durch die dort zu Tage gekommenen reichen Goldlager, bis die Eingeborenen sie ausschlossen und dies Kalifornien der damaligen Zeit für sich allein nahmen. Diese zu beiden Seiten der Alpen sich ergießenden keltischen Schwärme hatten nach ihrer Art vorwiegend nur das Flach- und Hügelland besetzt; die eigentliche Alpenlandschaft und ebenso das Gebiet der Etsch und des unteren Po war von ihnen unbesetzt und in den Händen der früher dort einheimischen Bevölkerung geblieben, welche, ohne daß über ihre Nationalität bis jetzt etwas Sicheres zu ermitteln gelungen wäre, unter dem Namen der Räter in den Gebirgen der Ostschweiz und Tirols, unten dem der Euganeer und Veneter um Padua und Venedig auftreten, so daß an diesem letzten Punkt die beiden großen Keltenströme fast sich berühren und nur ein schmaler Streif eingeborener Bevölkerung die keltischen Cenomaner um Brescia von den keltischen Karnern in Friaul scheidet. Die Euganeer und Veneter waren längst friedliche Untertanen der Römer; dagegen die eigentlichen Alpenvölker waren nicht bloß noch frei, sondern machten auch von ihren Bergen herab regelmäßig Streifzüge in die Ebene zwischen den Alpen und dem Po, wo sie sich nicht begnügten zu brandschatzen, sondern auch in den eingenommenen Ortschaften mit fürchterlicher Grausamkeit hausten und nicht selten die ganze männliche Bevölkerung bis zum Kinde in den Windeln niedermachten - vermutlich die tatsächliche Antwort auf die römischen Razzias in den Alpentälern. Wie gefährlich diese rätischen Einfälle waren, zeigt, daß einer derselben um das Jahr 660 (94) die ansehnliche Ortschaft Comum zugrunde richtete. Wenn bereits diese auf und jenseits der Alpenkette sitzenden keltischen und nichtkeltischen Stämme vielfach sich gemischt haben mögen, so ist die Völkermengung, wie begreiflich, noch in viel umfassenderer Weise eingetreten in den Landschaften an der unteren Donau, wo nicht, wie in den westlicheren, die hohen Gebirge als natürliche Scheidewände dienen. Die ursprünglich illyrische Bevölkerung, deren letzter reiner Überrest die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war durchgängig wenigstens im Binnenland stark gemengt mit keltischen Elementen und die keltische Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl überall eingeführt. Zunächst an die Taurisker schlossen sich die Japyden, die auf den Julischen Alpen im heutigen Kroatien bis hinab nach Fiume und Zeng saßen, ein ursprünglich wohl illyrischer, aber stark mit Kelten gemischter Stamm. An sie grenzten im Litoral die schon genannten Dalmater, in deren rauhe Gebirge die Kelten nicht eingedrungen zu sein scheinen; im Binnenland dagegen waren die keltischen Skordisker, denen das ehemals hier vor allem mächtige Volk der Triballer erlegen war und die schon in den Keltenzügen nach Delphi eine Hauptrolle gespielt hatten, an der unteren Save bis zur Morawa im heutigen Bosnien und Serbien um diese Zeit die führende Nation, die weit und breit nach Mösien, Thrakien und Makedonien streifte und von deren wilder Tapferkeit und grausamen Sitten man sich schreckliche Dinge erzählte. Ihr Hauptwaffenplatz war das feste Segestica oder Siscia an der Mündung der Kulpa in die Save. Die Völker, die damals in Ungarn, Siebenbürgen, Rumänien, Bulgarien saßen, blieben für jetzt noch außerhalb des Gesichtskreises der Römer; nur mit den Thrakern berührte man sich an der Ostgrenze Makedoniens in den Rhodopegebirgen.

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6 “Zwischen dem Herkynischen Walde (d. h. hier wohl der Rauhen Alb), dem Rhein und dem Main wohnten die Helvetier”, sagt Tacitus (Germ. 28), “weiterhin die Boier.” Auch Poseidonios (bei Strabon 7, 293) gibt an, daß die Boier zu der Zeit, wo sie die Kimbrer abschlugen, den Herkynischen Wald bewohnten, d. h. die Gebirge von der Rauhen Alb bis zum Böhmerwald. Wenn Caesar sie “jenseits des Rheines” versetzt (Gall. 1, 5), so ist dies damit nicht im Widerspruch, denn da er hier von helvetischen Verhältnissen ausgeht, kann er sehr wohl die Landschaft nordöstlich vom Bodensee meinen; womit vollkommen übereinstimmt, daß Strabon die ehemals boische Landschaft als dem Bodensee angrenzend bezeichnet, nur daß er nicht ganz genau als Anwohner des Bodensees die Vindeliker daneben nennt, da diese sich dort erst festsetzten, nachdem die Boier diese Striche geräumt hatten. Aus diesen ihren Sitzen waren die Boier von den Markomannen und anderen deutschen Stämmen schon vor Poseidonios’ Zeit, also vor 650 (100) vertrieben; Splitter derselben irrten zu Caesars Zeit in Kärnten umher (Caes. Gall. 1, 5) und kamen von da zu den Helvetiern und in das westliche Gallien; ein anderer Schwarm fand neue Sitze am Plattensee, wo er dann von den Geten vernichtet ward, die Landschaft aber, die sogenannte “boische Einöde”, den Namen dieses geplagtesten aller keltischen Völker bewahrte. Vgl. 2, 193 A.

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Es wäre für eine kräftigere Regierung, als die damalige römische es war, keine leichte Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen Gebiete eine geordnete und ausreichende Grenzverteidigung einzurichten; was unter den Auspizien der Restaurationsregierung für den wichtigen Zweck geschah, genügt auch den mäßigsten Anforderungen nicht. An Expeditionen gegen die Alpenbewohner scheint es nicht gefehlt zu haben; im Jahre 636 (118) ward triumphiert über die Stöner, die in den Bergen oberhalb Verona gesessen haben dürften; im Jahre 659 (95) ließ der Konsul Lucius Crassus die Alpentäler weit und breit durchstöbern und die Einwohner niedermachen, und dennoch gelang es ihm nicht, derselben genug zu erschlagen, um einen Dorftriumph feiern und mit seinem Rednerruhm den Siegerlorbeer paaren zu können. Allein da man es bei derartigen Razzias bewenden ließ, die die Eingeborenen nur erbitterten, ohne sie unschädlich zu machen, und, wie es scheint, nach jedem solchen Überlauf die Truppen wieder wegzog, so blieb der Zustand in der Landschaft jenseits des Po im wesentlichen, wie er war.

Auf der entgegengesetzten Grenze in Thrakien scheint man sich wenig um die Nachbarn bekümmert zu haben; kaum daß im Jahre 651 (103) Gefechte mit den Thrakern, im Jahre 657 (97) andere mit den Mädern in den Grenzgebirgen zwischen Makedonien und Thrakien erwähnt werden.

Ernstlichere Kämpfe fanden statt im illyrischen Land, wo über die unruhigen Dalmater von den Nachbarn und den Schiffern auf der Adriatischen See beständig Beschwerde geführt ward; und an der völlig offenen Nordgrenze Makedoniens, welche nach dem bezeichnenden Ausdruck eines Römers so weit ging als die römischen Schwerter und Speere reichten, ruhten die Kämpfe mit den Nachbarn niemals. Im Jahre 619 (135) ward ein Zug gemacht gegen die Ardyäer oder Vardäer und die Pleräer oder Paralier, eine dalmatische Völkerschaft in dem Litoral nördlich der Narentamündung, die nicht aufhörte, auf dem Meer und an der gegenüberliegenden Küste Unfug zu treiben; auf Geheiß der Römer siedelten sie von der Küste weg im Binnenland, der heutigen Herzegowina, sich an und begannen den Acker zu bauen, verkümmerten aber in der rauben Gegend bei dem ungewohnten Beruf. Gleichzeitig ward von Makedonien aus ein Angriff gegen die Skordisker gerichtet, die vermutlich mit den angegriffenen Küstenbewohnern gemeinschaftliche Sache gemacht hatten. Bald darauf (625 129) demütigte der Konsul Tuditanus in Verbindung mit dem tüchtigen Decimus Brutus, dem Bezwinger der spanischen Callaeker, die Japyden und trug, nachdem er anfänglich eine Niederlage erlitten, schließlich die römischen Waffen tief nach Dalmatien hinein bis an den Kerkafluß, 25 deutsche Meilen abwärts von Aquileia; die Japyden erscheinen fortan als eine befriedete und mit Rom in Freundschaft lebende Nation. Dennoch erhoben zehn Jahre später (635 119) die Dalmater sich aufs neue, abermals in Gemeinschaft mit den Skordiskern. Während gegen diese der Konsul Lucius Cotta kämpfte und dabei, wie es scheint, bis Segestica vordrang, zog gegen die Dalmater sein Kollege, der ältere Bruder des Besiegten von Numidien, Lucius Metellus, seitdem der Dalmatiker genannt, überwand sie und überwinterte in Salona (Spalato), welche Stadt fortan als der Hauptwaffenplatz der Römer in dieser Gegend erscheint. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß in diese Zeit auch die Anlage der Gabinischen Chaussee fällt, die von Salona in östlicher Richtung nach Andetrium (bei Much) und von da weiter landeinwärts führte. Mehr den Charakter des Eroberungskrieges trug die Expedition des Konsuls des Jahres 539 (115), Marcus Aemilius Scaurus, gegen die Taurisker 7; er überstieg, der erste unter den Römern, die Kette der Ostalpen an ihrer niedrigsten Senkung zwischen Triest und Laibach und schloß mit den Tauriskern Gastfreundschaft, wodurch der nicht unwichtige Handelsverkehr gesichert ward, ohne daß doch die Römer, wie eine förmliche Unterwerfung dies nach sich gezogen haben würde, in die Völkerbewegungen nordwärts der Alpen hineingezogen worden wären.

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7 Galli Karni heißen sie in den Triumphalfasten, Ligures Taurisci (denn so ist statt des überlieferten Ligures et Cauristi zu schreiben) bei Victor.

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Von den fast verschollenen Kämpfen mit den Skordiskern ist durch einen kürzlich in der Nähe von Thessalonike zum Vorschein gekommenen Denkstein aus dem Jahr Roms 636 (118) ein auch in seiner Vereinzelung deutlich redendes Blatt wieder zum Vorschein gekommen. Danach fiel in diesem Jahr der Statthalter Makedoniens Sextus Pompeius bei Argos (unweit Stobi am oberen Axios oder Vardar) in einer diesen Kelten gelieferten Schlacht; und nachdem dessen Quästor Marcus Annius mit seinen Truppen herbeigekommen und der Feinde einigermaßen Herr geworden war, brachen bald darauf dieselben Kelten in Verbindung mit dem König der Mäder (am oberen Strymon) Tipas in noch größeren Massen abermals ein, und mit Mühe erwehrten sich die Römer der andringenden Barbaren 8. Die Dinge nahmen bald eine so drohende Gestalt an, daß es nötig wurde, konsularische Heere nach Makedonien zu entsenden 9. Wenige Jahre darauf wurde der Konsul des Jahres 640 (114), Gaius Porcius Cato, in den serbischen Gebirgen von denselben Skordiskern überfallen und sein Heer vollständig aufgerieben, während er selbst mit wenigen schimpflich entfloh; mühsam schirmte der Prätor Marcus Didius die römische Grenze. Glücklicher fochten seine Nachfolger Gaius Metellus Caprarius (641, 642 113, 112), Marcus Livius Drusus (642, 643 112, 111), der erste römische Feldherr, der die Donau erreichte, und Quintus Minucius Rufus (644-647 110-107), der die Waffen längs der Morawa ^10 trug und die Skordisker nachdrücklich schlug. Aber nichtsdestoweniger fielen sie bald nachher, im Bunde wieder mit den Mädern und den Dardanern, in das römische Gebiet und plünderten sogar das delphische Heiligtum; erst da machte Lucius Scipio dem zweiunddreißigjährigen Skordiskerkrieg ein Ende und trieb den Rest hinüber auf das linke Ufer der Donau ^11. Seitdem beginnen an ihrer Stelle die ebengenannten Dardaner (in Serbien) in dem Gebiet zwischen der Nordgrenze Makedoniens und der Donau die erste Rolle zu spielen.

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8 Der Quästor von Makedonien M. Annius P. f., dem die Stadt Lete (Aivati, 4 Stadien nordwestlich von Thessalonike) im Jahre 29 der Provinz, der Stadt 636 (118) diesen Denkstein setzte (SIG 247), ist sonst nicht bekannt; der Prätor Sex. Pompeius, dessen Fall darin erwähnt wird, kann kein anderer sein als der Großvater des Pompeius, mit dem Caesar stritt, der Schwager des Dichters Lucilius. Die Feinde werden bezeichnet als Γαλατών έθνος. Es wird hervorgehoben, daß Annius aus Schonung gegen die Provinzialen es unterließ, ihre Kontingente aufzubieten und mit den römischen Truppen allein die Barbaren zurücktrieb. Allem Anschein nach hat Makedonien schon damals eine faktisch stehende römische Besatzung erfordert.

9 Ist Quintus Fabius Maximus Eburnus, Konsul 638 (116) nach Makedonien gegangen (CIG 1534; A. Zumpt, Commentationes epigraphicae. Bd. z. Berlin 1854, S. 167), so muß auch er dort einen Mißerfolg erlitten haben, da Cicero (Pis. 16, 38) sagt: ex (Macedonia) aliquot praetorio imperio, consulari quidem nemo rediit, qui incolumis fuerit, quin triumpharit; denn die für diese Epoche vollständige Triumphalliste kennt nur die drei makedonischen Triumphe des Metellus 643 (111), des Drusus 644 (110) und des Minucius 648 (106).

^10 Da nach Frontinus (grom. 2, 4, 3), Velleius und Eutrop die von Minucius besiegte Völkerschaft die Skordisker waren, so kann es nur ein Fehler von Florus sein, daß er statt des Margos (Morawa) den Hebros (die Maritza) nennt.

^11 Von dieser Vernichtung der Skordisker, während die Mäder und Dardaner zum Vertrag zugelassen wurden, berichtet Appian (Ill. 5), und in der Tat sind seitdem die Skordisker aus dieser Gegend verschwunden. Wenn die schließliche Überwältigung im 32. Jahr από τής πρώτης εις Κελτούς πείρας stattgefunden hat, so scheint dies von einem zweiunddreißigjährigen Krieg zwischen den Römern und den Skordiskern verstanden werden zu müssen, dessen Beginn vermutlich nicht lange nach der Konstituierung der Provinz Makedonien (608 146) fällt und von dem die oben verzeichneten Waffenereignisse (636-647 118-107) ein Teil sind. Daß die Überwindung kurz vor dem Ausbruch der italischen Bürgerkriege, also wohl spätestens 663 (91) erfolgt ist, geht aus Appians Erzählung hervor. Sie fällt zwischen 650 (104) und 656 (98), wenn ihr ein Triumph gefolgt ist, denn vor- und nachher ist das Triumphalverzeichnis vollständig; indes ist es möglich, daß es aus irgendeinem Grund zum Triumph nicht kam. Der Sieger ist weiter nicht bekannt; vielleicht ist es kein anderer als der Konsul des Jahres 671 (83), da dieser infolge der cinnanisch-marianischen Wirren füglich verspätet zum Konsulat gelangt sein kann.

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Indes diese Siege hatten eine Folge, welche die Sieger nicht ahnten. Schon seit längerer Zeit irrte ein “unstetes Volk” an dem nördlichen Saum der zu beiden Seiten der Donau von den Kelten eingenommenen Landschaft. Sie nannten sich die Kimbrer, das heißt die Chempho, die Kämpen oder, wie ihre Feinde übersetzten, die Räuber, welche Benennung indes allem Anschein nach schon vor ihrem Auszug zum Volksnamen geworden war. Sie kamen aus dem Norden und stießen unter den Kelten zuerst, soweit bekannt, auf die Boier, wahrscheinlich in Böhmen. Genaueres über die Ursache und die Richtung ihrer Heerfahrt haben die Zeitgenossen aufzuzeichnen versäumt ^12 und kann auch durch keine Mutmaßung ergänzt werden, da die derzeitigen Zustände nördlich von Böhmen und dem Main und östlich vom unteren Rheine unseren Blicken sich vollständig entziehen. Dagegen dafür, daß die Kimbrer und nicht minder der ihnen später sich anschließende gleichartige Schwarm der Teutonen ihrem Kerne nach nicht der keltischen Nation angehören, der die Römer sie anfänglich zurechneten, sondern der deutschen, sprechen die bestimmtesten Tatsachen: das Erscheinen zweier kleiner gleichnamiger Stämme, allem Anschein nach in den Ursitzen zurückgebliebener Reste, der Kimbrer im heutigen Dänemark, der Teutonen im nordöstlichen Deutschland in der Nähe der Ostsee, wo ihrer schon Alexanders des Großen Zeitgenosse Pytheas bei Gelegenheit des Bernsteinhandels gedenkt; die Verzeichnung der Kimbrer und Teutonen in der germanischen Völkertafel unter den Ingävonen neben den Chaukern; das Urteil Caesars, der zuerst die Römer den Unterschied der Deutschen und der Kelten kennen lehrte und die Kimbrer, deren er selbst noch manchen gesehen haben muß, den Deutschen beizählt; endlich die Völkernamen selbst und die Angaben über ihre Körperbildung und ihr sonstiges Wesen, die zwar auf die Nordländer überhaupt, aber doch vorwiegend auf die Deutschen passen. Andererseits ist es begreiflich, daß ein solcher Schwarm, nachdem er vielleicht Jahrzehnte auf der Wanderschaft sich befunden und auf seinen Zügen an und in dem Keltenland ohne Zweifel jeden Waffenbruder, der sich anschloß, willkommen geheißen hatte, eine Menge keltischer Elemente in sich schloß; so daß es nicht befremdet, wenn Männer keltischen Namens an der Spitze der Kimbrer stehen oder wenn die Römer sich keltisch redender Spione bedienen, um bei ihnen zu kundschaften. Es war ein wunderbarer Zug, dessengleichen die Römer noch nicht gesehen hatten; nicht eine Raubfahrt reisiger Leute, auch nicht ein “heiliger Lenz” in die Fremde wandernder junger Mannschaft, sondern ein wanderndes Volk, das mit Weib und Kind, mit Habe und Gut auszog, eine neue Heimat sich zu suchen. Der Karren, der überall bei den noch nicht völlig seßhaft gewordenen Völkern des Nordens eine andere Bedeutung hatte als bei den Hellenen und den Italikern und auch von den Kelten durchgängig ins Lager mitgeführt ward, war hier gleichsam das Haus, wo unter dem übergespannten Lederdach neben dem Gerät Platz sich fand für die Frau und die Kinder und selbst für den Haushund. Die Südländer sahen mit Verwunderung diese hohen schlanken Gestalten mit den tiefblonden Locken und den hellblauen Augen, die derben stattlichen Frauen, die den Männern an Größe und Stärke wenig nachgaben, die Kinder mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundert die flachsköpfigen Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegswesen war wesentlich das der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr, wie einst die italischen, barhäuptig und bloß mit Schwert und Dolch fochten, sondern mit kupfernen, oft reichgeschmückten Helmen und mit einer eigentümlichen Wurfwaffe, der Materis; daneben war das große Schwert geblieben und der lange schmale Schild, neben dem man auch wohl noch einen Panzer trug. An Reiterei fehlte es nicht; doch waren die Römer in dieser Waffe ihnen überlegen. Die Schlachtordnung war wie früher eine rohe, angeblich ebensoviel Glieder tief wie breit gestellte Phalanx, deren erstes Glied in gefährlichen Gefechten nicht selten die metallenen Leibgürtel mit Stricken zusammenknüpfte. Die Sitten waren rauh. Das Fleisch ward häufig roh verschlungen. Heerkönig war der tapferste und womöglich der längste Mann. Nicht selten ward, nach Art der Kelten und überhaupt der Barbaren, Tag und Ort des Kampfes vorher mit dem Feinde ausgemacht, auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein einzelner Gegner zum Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf machten Verhöhnungen des Feindes durch unschickliche Gebärden und ein entsetzliches Gelärm, indem die Männer ihr Schlachtgebrüll erhoben und die Frauen und Kinder durch Rufpauken auf die ledernen Wagendeckel nachhalfen. Der Kimbrer focht tapfer - galt ihm doch der Tod auf dem Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes würdig war -, allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste Bestialität und verhieß auch wohl im voraus den Schlachtgöttern, darzubringen, was der Sieg in die Gewalt der Sieger geben würde. Dann wurden die Geräte zerschlagen, die Pferde getötet, die Gefangenen aufgeknüpft oder nur aufbehalten, um den Göttern geopfert zu werden. Es waren die Priesterinnen, greise Frauen in weißen linnenen Gewändern und unbeschuht, die wie Iphigeneia im Skythenland diese Opfer vollzogen und aus dem rinnenden Blut des geopferten Kriegsgefangenen oder Verbrechers die Zukunft wiesen. Wieviel von diesen Sitten allgemeiner Brauch der nordischen Barbaren, wieviel von den Kelten entlehnt, wie viel deutsches Eigen sei, wird sich nicht ausmachen lassen; nur die Weise, nicht durch Priester, sondern durch Priesterinnen das Heer geleiten und leiten zu lassen, darf als unzweifelhaft deutsche Art angesprochen werden. So zogen die Kimbrer hinein in das unbekannte Land, ein ungeheures Knäuel mannigfaltigen Volkes, das um einen Kern deutscher Auswanderer von der Ostsee sich zusammengeballt hatte, nicht unvergleichbar den Emigrantenmassen, die in unseren Zeiten ähnlich belastet und ähnlich gemischt und nicht viel minder ins Blaue hinein übers Meer fahren; ihre schwerfällige Wagenburg mit der Gewandtheit, die ein langes Wanderleben gibt, hinüberführend über Ströme und Gebirge, gefährlich den zivilisierteren Nationen wie die Meereswoge und die Windsbraut, aber wie diese latinisch und unberechenbar, bald rasch vordringend, bald plötzlich stockend oder seitwärts und rückwärts sich wendend. Wie ein Blitz kamen und trafen sie; wie ein Blitz waren sie verschwunden, und es fand sich leider in der unlebendigen Zeit, in der sie erschienen, kein Beobachter, der es wert gehalten hätte, das wunderbare Meteor genau abzuschildern. Als man später anfing, die Kette zu ahnen, von welcher diese Heerfahrt, die erste deutsche, die den Kreis der antiken Zivilisation berührt hat, ein Glied ist, war die unmittelbare und lebendige Kunde von derselben lange verschollen.

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^12 Denn der Bericht, daß an den Küsten der Nordsee durch Sturmfluten große Landschaften weggerissen und dadurch die massenhafte Auswanderung der Kimbrer veranlaßt worden sei (Strab. 7, 293), erscheint zwar uns nicht wie denen, die ihn aufzeichneten, märchenhaft, allein ob er auf Überlieferung oder Vermutung sich gründet, ist doch nicht zu entscheiden.

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Dies heimatlose Volk der Kimbrer, das bisher von den Kelten an der Donau, namentlich den Boiern verhindert worden war, nach Süden vorzudringen, durchbrach diese Schranke infolge der von den Römern gegen die Donaukelten gerichteten Angriffe, sei es nun, daß die Donaukelten die kimbrischen Gegner zu Hilfe riefen gegen die vordringenden Legionen, oder daß jene durch den Angriff der Römer verhindert wurden, ihre Nordgrenzen so wie bisher zu schirmen. Durch das Gebiet der Skordisker einrückend in das Tauriskerland, näherten sie im Jahre 641 (113) sich den Krainer Alpenpässen, zu deren Deckung der Konsul Gnaeus Papirius Carbo auf den Höhen unweit Aquileia sich aufstellte. Hier hatten siebzig Jahre zuvor keltische Stämme sich diesseits der Alpen anzusiedeln versucht, aber auf Geheiß der Römer den schon okkupierten Boden ohne Widerstand geräumt; auch jetzt erwies die Furcht der transalpinischen Völker vor dem römischen Namen sich mächtig. Die Kimbrer griffen nicht an; ja sie fügten sich, als Carbo sie das Gebiet der Gastfreunde Roms, der Taurisker, räumen hieß, wozu der Vertrag mit diesen ihn keineswegs verpflichtete, und folgten den Führern, die ihnen Carbo gegeben hatte, um sie über die Grenze zu geleiten. Allein diese Führer waren vielmehr angewiesen, die Kimbrer in einen Hinterhalt zu locken, wo der Konsul ihrer wartete. So kam es unweit Noreia im heutigen Kärnten zum Kampf, in dem die Verratenen über den Verräter siegten und ihm beträchtlichen Verlust beibrachten; nur ein Unwetter, das die Kämpfenden trennte, verhinderte die vollständige Vernichtung der römischen Armee. Die Kimbrer hätten sogleich ihren Angriff gegen Italien richten können; sie zogen es vor, sich westwärts zu wenden. Mehr durch Vertrag mit den Helvetiern und den Sequanern als durch Gewalt der Waffen eröffneten sie sich den Weg auf das linke Rheinufer und über den Jura und bedrohten hier einige Jahre nach Carbos Niederlage abermals in nächster Nähe das römische Gebiet. Die Rheingrenze und das zunächst gefährdete Gebiet der Allobrogen zu decken, erschien 645 (109) im südlichen Gallien ein römisches Heer unter Marcus Iunius Silanus. Die Kimbrer baten, ihnen Land anzuweisen, wo sie friedlich sich niederlassen könnten - eine Bitte, die sich allerdings nicht gewähren ließ. Der Konsul griff statt aller Antwort sie an; er ward vollständig geschlagen und das römische Lager erobert. Die neuen Aushebungen, welche durch diesen Unfall veranlaßt wurden, stießen bereits auf so große Schwierigkeit, daß der Senat deshalb die Aufhebung der vermutlich von Gaius Gracchus herrührenden, die Verpflichtung zum Kriegsdienst der Zeit nach einschränkenden Gesetze bewirkte. Indes die Kimbrer, statt ihren Sieg gegen die Römer zu verfolgen, sandten an den Senat nach Rom, die Bitte um Anweisung von Land zu wiederholen, und beschäftigten sich inzwischen, wie es scheint, mit der Unterwerfung der umliegenden keltischen Kantone. So hatten vor den Deutschen die römische Provinz und die neue römische Armee für den Augenblick Ruhe; dagegen stand ein neuer Feind auf im Keltenland selbst. Die Helvetier, die in den steten Kämpfen mit ihren nordöstlichen Nachbarn viel zu leiden hatten, fühlten durch das Beispiel der Kimbrer sich gereizt, gleichfalls im westlichen Gallien sich ruhigere und fruchtbarere Sitze zu suchen, und hatten vielleicht schon, als die Kimbrerscharen durch ihr Land zogen, sich dazu mit ihnen verbündet; jetzt überschritten unter Divicos Führung die Mannschaften der Tougener (unbekannter Lage) und der Tigoriner (am See von Murten) den Jura ^13 und gelangten bis in das Gebiet der Nitiobrogen (um Agen an der Garonne). Das römische Heer unter dem Konsul Lucius Cassius Longinus, auf das sie hier stießen, ließ sich von den Helvetiern in einen Hinterhalt locken, wobei der Feldherr selber und sein Legat, der Konsular Lucius Piso, mit dem größten Teil der Soldaten ihren Tod fanden; der interimistische Oberbefehlshaber der Mannschaft, die sich in das Lager gerettet hatte, Gaius Popillius, kapitulierte auf Abzug unter dem Joch gegen Auslieferung der Hälfte der Habe, die die Truppen mit sich führten, und Stellung von Geiseln (647 107). So bedenklich standen die Dinge für die Römer, daß in ihrer eigenen Provinz eine der wichtigsten Städte, Tolosa, sich gegen sie erhob und die römische Besatzung in Fesseln schlug.

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^13 Die gewöhnliche Annahme, daß die Tougener und Tigoriner mit den Kimbrern zugleich in Gallien eingerückt seien, läßt sich auf Strabon 7, 293 nicht stützen und stimmt wenig zu dem gesonderten Auftreten der Helvetier. Die Überlieferung über diesen Krieg ist übrigens in einer Weise trümmerhaft, daß eine zusammenhängende Geschichtserzählung, völlig wie bei den Samnitischen Kriegen, nur Anspruch machen kann auf ungefähre Richtigkeit.

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Indes da die Kimbrer fortfuhren, sich anderswo zu tun zu machen und auch die Helvetier vorläufig die römische Provinz nicht weiter belästigten, hatte der neue römische Oberfeldherr Quintus Servilius Caepio volle Zeit, sich der Stadt Tolosa durch Verrat wieder zu bemächtigen und das alte und berühmte Heiligtum des Keltischen Apollon von den darin aufgehäuften ungeheuren Schätzen mit Muße zu leeren - ein erwünschter Gewinn für die bedrängte Staatskasse, nur daß leider die Gold- und Silberfässer auf dem Wege von Tolosa nach Massalia der schwachen Bedeckung durch einen Räuberhaufen abgenommen wurden und spurlos verschwanden; wie es hieß, waren die Anstifter dieses Überfalles der Konsul selbst und sein Stab (648 106). Inzwischen beschränkte man sich gegen den Hauptfeind auf die strengste Defensive und hütete mit drei starken Heeren die römische Provinz, bis es den Kimbrern gefallen würde, den Angriff zu wiederholen. Sie kamen im Jahre 649 (105) unter ihrem König Boiorix, diesmal ernstlich denkend an einen Einfall in Italien. Gegen sie befehligte am rechten Rhoneufer der Prokonsul Caepio, am linken der Konsul Gnaeus Mallius Maximus und unter ihm, an der Spitze eines abgesonderten Korps, sein Legat, der Konsular Marcus Aurelius Scaurus. Der erste Angriff traf diesen: er ward völlig geschlagen und selbst gefangen in das feindliche Hauptquartier gebracht, wo der kimbrische König, erzürnt über die stolze Warnung des gefangenen Römers, sich nicht mit seinem Heer nach Italien zu wagen, ihn niederstieß. Maximus befahl darauf seinem Kollegen, sein Heer über die Rhone zu führen; widerwillig sich fügend erschien dieser endlich bei Arausio (Orange) am linken Ufer des Flusses, wo nun die ganze römische Streitmacht dem Kimbrerheer gegenüberstand und ihm durch ihre ansehnliche Zahl so imponiert haben soll, daß die Kimbrer anfingen zu unterhandeln. Allein die beiden Führer lebten im heftigsten Zerwürfnis. Maximus, ein geringer und unfähiger Mann, war als Konsul seinem stolzeren und besser geborenen, aber nicht besser gearteten prokonsularischen Kollegen Caepio von Rechts wegen übergeordnet; allein dieser weigerte sich, ein gemeinschaftliches Lager zu beziehen und gemeinschaftlich die Operationen zu beraten, und behauptete nach wie vor sein selbständiges Kommando. Vergeblich versuchten Abgeordnete des römischen Senats eine Ausgleichung zu bewirken; auch eine persönliche Zusammenkunft der Feldherren, welche die Offiziere erzwangen, erweiterte nur den Riß. Als Caepio den Maximus mit den Boten der Kimbrer verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff, die Ehre ihrer Unterwerfung allein zu gewinnen, und warf mit seinem Heerteil allein sich schleunigst auf den Feind. Er ward völlig vernichtet, so daß auch das Lager dem Feinde in die Hände fiel (6. Oktober 649 105); und sein Untergang zog die nicht minder vollständige Niederlage der zweiten römischen Armee nach sich. Es sollen 80000 römische Soldaten und halb soviel von dem ungeheuren und unbehilflichen Troß gefallen, nur zehn Mann entkommen sein - so viel ist gewiß, daß es nur wenigen von den beiden Heeren gelang, sich zu retten, da die Römer mit dem Fluß im Rücken gefochten hatten. Es war eine Katastrophe, die materiell und moralisch den Tag von Cannae weit überbot. Die Niederlagen des Carbo, des Silanus, des Longinus waren an den Italikern ohne nachhaltigen Eindruck vorübergegangen. Man war es schon gewohnt, jeden Krieg mit Unfällen zu eröffnen; die Unüberwindlichkeit der römischen Waffen stand so unerschütterlich fest, daß es überflüssig schien, die ziemlich zahlreichen Ausnahmen zu beachten. Die Schlacht von Arausio aber, das den unverteidigten Alpenpässen in erschreckender Weise sich nähernde Kimbrerheer, die sowohl in der römischen Landschaft jenseits der Alpen als auch bei den Lusitanern aufs neue und verstärkt ausbrechende Insurrektion, der wehrlose Zustand Italiens rüttelten furchtbar auf aus diesen Träumen. Man gedachte wieder der nie völlig vergessenen Keltenstürme des vierten Jahrhunderts, des Tages an der Allia und des Brandes von Rom; mit der doppelten Gewalt zugleich ältester Erinnerung und frischester Angst kam der Gallierschreck über Italien; im ganzen Okzident schien man es inne zu werden, daß die Römerherrschaft anfange zu wanken. Wie nach der Cannensischen Schlacht wurde durch Senatsbeschluß die Trauerzeit abgekürzt ^14. Die neuen Werbungen stellten den drückendsten Menschenmangel heraus. Alle waffenfähigen Italiker mußten schwören, Italien nicht zu verlassen; die Kapitäne der in den italischen Häfen liegenden Schiffe wurden angewiesen, keinen dienstpflichtigen Mann an Bord zu nehmen. Es ist nicht zu sagen, was hätte kommen mögen, wenn die Kimbrer sogleich nach ihrem Doppelsieg durch die Alpenpforten in Italien eingerückt wären. Indes sie überschwemmten zunächst das Gebiet der Arverner, die mühsam in ihren Festungen der Feinde sich erwehrten, und zogen bald von da, der Belagerung müde, nicht nach Italien, sondern westwärts gegen die Pyrenäen.

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^14 Hierher gehört ohne Zweifel das Fragment Diodors Vat. p. 122.

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Wenn der erstarrte Organismus der römischen Politik noch aus sich selber zu einer heilsamen Krise gelangen konnte, so mußte sie jetzt eintreten, wo durch einen der wunderbaren Glücksfälle, an denen die Geschichte Roms so reich ist, die Gefahr nahe genug drohte, um alle Energie und allen Patriotismus in der Bürgerschaft aufzurütteln, und doch nicht so plötzlich hereinbrach, daß diesen Kräften kein Raum geblieben wäre, sich zu entwickeln. Allein es wiederholten sich nur ebendieselben Erscheinungen, die vier Jahre zuvor nach den afrikanischen Niederlagen eingetreten waren. In der Tat waren die afrikanischen und die gallischen Unfälle wesentlich gleicher Art. Es mag sein, daß zunächst jene mehr der Oligarchie im ganzen, diese mehr einzelnen Beamten zur Last fielen; allein die öffentliche Meinung erkannte mit Recht in beiden vor allen Dingen den Bankrott der Regierung, welche in fortschreitender Entwicklung zuerst die Ehre des Staats und jetzt bereits dessen Existenz in Frage stellte. Man täuschte sich damals so wenig wie jetzt über den wahren Sitz des Übels, allein jetzt so wenig wie damals brachte man es auch nur zu einem Versuch, an der rechten Stelle zu bessern. Man sah es wohl, daß das System die Schuld trug; aber man blieb auch diesmal dabei stehen, einzelne Personen zur Verantwortung zu ziehen - nur entlud freilich über den Häuptern der Oligarchie dies zweite Gewitter sich mit um so viel schwereren Schlägen, als die Katastrophe von 649 (105) die von 645 (109) an Umfang und Gefährlichkeit übertraf. Das instinktmäßig sichere Gefühl des Publikums, daß es gegen die Oligarchie kein Mittel gebe als die Tyrannis, zeigte sich wiederum, indem dasselbe bereitwillig einging auf jeden Versuch namhafter Offiziere, der Regierung die Hand zu zwingen und unter dieser oder jener Form das oligarchische Regiment durch eine Diktatur zu stürzen.

Zunächst war es Quintus Caepio, gegen den die Angriffe sich richteten; mit Recht, insofern die Niederlage von Arausio zunächst durch seine Unbotmäßigkeit herbeigeführt war, auch abgesehen von der wahrscheinlich gegründeten, aber nicht erwiesenen Unterschlagung der tolosanischen Beute; indes trug zu der Wut, die die Opposition gegen ihn entwickelte, wesentlich auch das bei, daß er als Konsul einen Versuch gewagt hatte, den Kapitalisten die Geschworenenstellen zu entreißen. Um seinetwillen ward der alte ehrwürdige Grundsatz, auch im schlechtesten Gefäß die Heiligkeit des Amtes zu ehren, gebrochen und, während gegen den Urheber des cannensischen Unglückstages der Tadel in die stille Brust verschlossen worden war, der Urheber der Niederlage von Arausio durch Volksbeschluß des Prokonsulats entsetzt und - was seit den Krisen, in denen das Königtum untergegangen, nicht wieder vorgekommen war - sein Vermögen von der Staatskasse eingezogen (649? 105). Nicht lange nachher wurde derselbe durch einen zweiten Bürgerschluß aus dem Senat gestoßen (650 104). Aber dies genügte nicht; man wollte mehr Opfer und vor allem Caepios Blut. Eine Anzahl oppositionell gesinnter Volkstribune, an ihrer Spitze Lucius Appuleius Saturninus und Gaius Norbanus, beantragten im Jahre 651 (103) wegen des in Gallien begangenen Unterschleifs und Landesverrats ein Ausnahmegericht niederzusetzen; trotz der faktischen Abschaffung der Untersuchungshaft und der Todesstrafe für politische Vergehen wurde Caepio verhaftet und die Absicht unverhohlen ausgesprochen, das Todesurteil über ihn zu fällen und zu vollstrecken. Die Regierungspartei versuchte, durch tribunizische Interzession den Antrag zu beseitigen; allein die einsprechenden Tribune wurden mit Gewalt aus der Versammlung verjagt und bei dem heftigen Auflauf die ersten Männer des Senats durch Steinwürfe verletzt. Die Untersuchung war nicht zu verhindern und der Prozeßkrieg ging im Jahre 651 (103) seinen Gang wie sechs Jahre zuvor; Caepio selbst, sein Kollege im Oberbefehl Gnaeus Malbus Maximus und zahlreiche andere angesehene Männer wurden verurteilt; mit Mühe gelang es einem mit Caepio befreundeten Volkstribun, durch Aufopferung seiner eigenen bürgerlichen Existenz den Hauptangeklagten wenigstens das Leben zu retten ^15.

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^15 Die Amtsentsetzung des Prokonsuls Caepio, mit der die Vermögenseinziehung verbunden war (Liv. ep. 67), ward wahrscheinlich unmittelbar nach der Schlacht von Arausio (6. Oktober 649 105) von der Volksversammlung ausgesprochen. Daß zwischen der Absetzung und der eigentlichen Katastrophe einige Zeit verstrich, zeigt deutlich der im Jahre 650 (104) gestellte, auf Caepio gemünzte Antrag, daß Amtsentsetzung den Verlust des Sitzes im Senat nach sich ziehen solle (Ascon. Corn. 78). Die Fragmente des Licinianus (p. 10: Cn. Manilius ob eandem causam quam et Caepio L. Saturnini rogatione e civitate est cito [?] eiectus; wodurch die Andeutung bei Cicero (De orat. 2, 28,125) klar wird, lehren jetzt, daß ein von Lucius Appuleius Saturninus vorgeschlagenes Gesetz diese Katastrophe herbeigeführt hat. Es ist dies offenbar kein anderes als das Appuleische Gesetz über die geschmälerte Majestät des römischen Staates (Cic. De orat. 2, 25, 107; 49, 201) oder, wie der Inhalt desselben schon früher (Bd. 2, S. 193 der ersten Auflage [Orig.]) bestimmt ward, Saturninus’ Antrag auf Niedersetzung einer außerordentlichen Kommission zur Untersuchung der während der kimbrischen Unruhen vorgekommenen Landesverrätereien. Die Untersuchungskommission wegen des Goldes von Tolosa (Cic. nat. deor. 3, 30, 74) entsprang in ganz ähnlicher Weise aus dem Appuleischen Gesetz, wie die dort weiter genannten Spezialgerichte über eine ärgerliche Richterbestechung aus dem Mucischen von 613 (141), die über die Vorgänge mit den Vestalinnen aus dem Peducäischen von 641 (113), die über den Jugurthinischen Krieg aus dem Mamilischen von 644 (110). Die Vergleichung dieser Fälle lehrt auch, daß von dergleichen Spezialkommissionen, anders als von den ordentlichen, selbst Strafen an Leib und Leben erkannt werden konnten und erkannt worden sind. Wenn anderweitig der Volkstribun Gaius Norbanus als derjenige genannt wird, der das Verfahren gegen Caepio veranlaßte und dafür später zur Verantwortung gezogen ward (Cic. De orat. 2, 40, 167; 48, 199; 4, 200. part. 30, 105 u. a. St.), so ist dies damit nicht in Widerspruch; denn der Antrag ging, wie gewöhnlich, von mehreren Volkstribunen aus (Rhet. Her. 1, 14, 24; Cic. De orat. 2, 47, 197), und da Saturninus bereits tot war, als die aristokratische Partei daran denken konnte, Vergeltung zu üben, hielt man sich an den Kollegen. Was die Zeit dieser zweiten und schließlichen Verurteilung Caepios anlangt, so ist die gewöhnliche, sehr unüberlegte Annahme, welche dieselbe in das Jahr 650 (95), zehn Jahre nach der Schlacht von Arausio setzt, bereits früher zurückgewiesen worden. Sie beruht lediglich darauf, daß Crassus als Konsul, also 659 (95) für Caepio sprach (Cic. Brut. 44,162); was er aber offenbar nicht als dessen Sachwalter tat, sondern als Norbanus wegen seines Verfahrens gegen Caepio im Jahre 659 (95) von Publius Sulpicius Rufus zur Verantwortung gezogen ward. Früher wurde für diese zweite Anklage das Jahr 650 (104) angenommen; seit wir wissen, daß sie aus einem Antrag des Saturninus hervorging, kann man nur schwanken zwischen dem Jahr 651 (103), wo dieser zum ersten (Plut. Mar. 14; Oros. hist. 5, 17; App. 1, 28; Diod. p. 608, 631) und 654 (100), wo er zum zweiten Male Volkstribun war. Ganz sicher entscheidende Momente finden sich nicht, aber die sehr überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht für das erstere Jahr, teils weil dies den Unglücksfällen in Gallien näher steht, teils weil in den ziemlich ausführlichen Berichten über Saturninus’ zweites Tribunat Quintus Caepio des Vaters und der gegen diesen gerichteten Gewaltsamkeiten nicht gedacht wird. Daß die infolge der Urteilssprüche wegen der unterschlagenen tolosanischen Beute an den Staatsschatz zurückgezahlten Summen von Saturninus im zweiten Tribunat für seine Kolonisationspläne in Anspruch genommen werden (Vir. ill. 73, 5 und dazu Orelli ind. legg. p. 137), ist an sich nicht entscheidend und kann überdies leicht durch Verwechslung von dem ersten afrikanischen auf das zweite allgemeine Ackergesetz des Saturninus übertragen worden sein.

Daß späterhin, als Norbanus belangt ward, dies eben auf Grund des von ihm mitveranlaßten Gesetzes geschah, ist eine dem römischen politischen Prozeß dieser Zeit gewöhnliche Ironie (Cic. Brut. 89, 305) und darf etwa nicht zu dem Glauben verleiten, als sei das Appuleische Gesetz schon, wie das spätere Cornelische, ein allgemeines Hochverratsgesetz gewesen.

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Wichtiger als diese Maßregel der Rache war die Frage, wie der gefährliche Krieg jenseits der Alpen ferner geführt und zunächst, wem darin die Oberfeldherrnschaft übertragen werden sollte. Bei unbefangener Behandlung war es nicht schwer, eine passende Wahl zu treffen. Rom war zwar im Vergleich mit früheren Zeiten an militärischen Notabilitäten nicht reich; allein es hatten doch Quintus Maximus in Gallien, Marcus Aemilius Scaurus und Quintus Minucius in den Donauländern, Quintus Metellus, Publius Rutilius Rufus, Gaius Marius in Afrika mit Auszeichnung kommandiert; und es handelte sich ja nicht darum, einen Pyrrhos oder Hannibal zu schlagen, sondern den Barbaren des Nordens gegenüber die oft erprobte Überlegenheit römischer Waffen und römischer Taktik wieder in ihr Recht einzusetzen, wozu es keines genialen, sondern nur eines strengen und tüchtigen Kriegsmanns bedurfte. Allein es war eben eine Zeit, in der alles eher möglich war als die unbefangene Erledigung einer Verwaltungsfrage. Die Regierung war, wie es nicht anders sein konnte und wie schon der jugurthinische Krieg gezeigt hatte, in der öffentlichen Meinung so vollständig bankrott, daß ihre tüchtigsten Feldherren in der vollen Siegeslaufbahn weichen mußten, sowie es einem namhaften Offizier einfiel, sie vor dem Volk herunterzumachen und als Kandidat der Opposition von dieser sich an die Spitze der Geschäfte stellen zu lassen. Es war kein Wunder, daß, was nach den Siegen des Metellus geschehen war, gesteigert sich wiederholte nach den Niederlagen des Gnaeus, Mallius und Quintus Caepio. Abermals trat Gaius Marius trotz des Gesetzes, das das Konsulat mehr als einmal zu übernehmen verbot, auf als Bewerber um das höchste Staatsamt und nicht bloß ward er, während er noch in Afrika an der Spitze des dortigen Heeres stand, zum Konsul ernannt und ihm der Oberbefehl in dem Gallischen Krieg übergeben, sondern es ward ihm auch fünf Jahre hintereinander (650-654 104-100) wieder und wieder das Konsulat übertragen, in einer Weise, welche aussah wie ein berechneter Hohn gegen den eben in Beziehung auf diesen Mann in seiner ganzen Torheit und Kurzsichtigkeit bewährten exklusiven Geist der Nobilität, aber freilich auch in den Annalen der Republik unerhört und in der Tat mit dem Geiste der freien Verfassung Roms schlechterdings unverträglich war. Namentlich in dem römischen Militärwesen, dessen im Afrikanischen Krieg begonnene Umgestaltung aus einer Bürgerwehr in eine Söldnerschar Marius während seines fünfjährigen, durch die Not der Zeit mehr noch als durch die Klauseln seiner Bestallung unumschränkten Oberkommandos fortsetzte und vollendete, sind die tiefen Spuren dieser inkonstitutionellen Oberfeldherrnschaft des ersten demokratischen Generals für alle Zeit sichtbar geblieben.

Der neue Oberfeldherr Gaius Marius erschien im Jahre 650 (164) jenseits der Alpen, gefolgt von einer Anzahl erprobter Offiziere, unter denen der kühne Fänger des Jugurtha, Lucius Sulla, bald sich abermals hervortat, und von zahlreichen Scharen italischer und bundesgenössischer Soldaten. Zunächst fand er den Feind, gegen den er geschickt war, nicht vor. Die wunderlichen Leute, die bei Arausio gesiegt hatten, waren inzwischen, wie schon gesagt ward, nachdem sie die Landschaft westlich der Rhone ausgeraubt hatten, über die Pyrenäen gestiegen und schlugen sich eben in Spanien mit den tapferen Bewohnern der Nordküste und des Binnenlandes herum; es schien, als wollten die Deutschen ihr Talent, nicht zuzugreifen, gleich bei ihrem ersten Auftreten in der Geschichte beweisen. So fand Marius volle Zeit, einesteils die abgefallenen Tektosagen zum Gehorsam zurückzubringen, die schwankende Treue der untertänigen gallischen und ligurischen Gaue wieder zu befestigen und innerhalb wie außerhalb der römischen Provinz von den gleich den Römern durch die Kimbrer gefährdeten Bundesgenossen, wie zum Beispiel von den Massalioten, den Allobrogen, den Sequanern, Beistand und Zuzug zu erlangen; andrerseits durch strenge Mannszucht und unparteiische Gerechtigkeit gegen Vornehme und Geringe das ihm anvertraute Heer zu disziplinieren und durch Märsche und ausgedehnte Schanzarbeiten - insbesondere die Anlegung eines später den Massalioten überwiesenen Rhonekanals zur leichteren Herbeischaffung der von Italien dem Heer nachgesandten Transporte - die Soldaten für die ernstere Kriegsarbeit tüchtig zu machen. Auch er verhielt sich in strenger Defensive und überschritt nicht die Grenzen der römischen Provinz. Endlich, es scheint im Laufe des Jahres 651 (103), flutete der Kimbrenstrom, nachdem er in Spanien an dem tapferen Widerstand der eingeborenen Völkerschaften, namentlich der Keltiberer sich gebrochen hatte, wieder zurück über die Pyrenäen und von da, wie es scheint, am Atlantischen Ozean hinauf, wo alles den schrecklichen Männern sich unterwarf, von den Pyrenäen bis zur Seine. Erst hier, an der Landesgrenze der tapferen Eidgenossenschaft der Belgen, trafen sie auf ernstlichen Widerstand; allein eben auch hier, während sie im Gebiet der Veliocasser (bei Rouen) standen, kam ihnen ansehnlicher Zuzug. Nicht bloß drei Quartiere der Helvetier, darunter die Tigoriner und Tougener, welche früher an der Garonne gegen die Römer gefochten hatten, gesellten, wie es scheint um diese Zeit, sich zu den Kimbrern, sondern es stießen auch zu ihnen die stammverwandten Teutonen unter ihrem König Teutobod, welche durch uns nicht überlieferte Fügungen aus ihrer Heimat an der Ostsee hierher an die Seine verschlagen waren ^16. Aber auch die vereinigten Scharen vermochten den tapferen Widerstand der Belgen nicht zu überwältigen. Die Führer entschlossen sich daher, mit der also angeschwollenen Menge den schon mehrmals beratenen Zug nach Italien nun allen Ernstes anzutreten. Um nicht mit dem bisher zusammengeraubten Gut sich zu schleppen, wurde dasselbe hier zurückgelassen unter dem Schutz einer Abteilung von 6000 Mann, aus denen später nach mancherlei Irrfahrten die Völkerschaft der Aduatuker an der Sambre erwachsen ist. Indes sei es wegen der schwierigen Verpflegung auf den Alpenstraßen, sei es aus anderen Gründen, die Massen lösten sich wieder auf in zwei Heerhaufen, von denen der eine, die Kimbrer und Tigoriner, über den Rhein zurück und durch die schon im Jahre 641 (113) erkundeten Pässe der Ostalpen, der andere, die neuangelangten Teutonen, die Tougener und die schon in der Schlacht von Arausio bewährte kimbrische Kernschar der Ambronen, durch das römische Gallien und die Westpässe nach Italien eindringen sollte. Diese zweite Abteilung war es, die im Sommer 652 (102) abermals ungehindert die Rhone überschritt und am linken Ufer derselben mit den Römern den Kampf nach fast dreijähriger Pause wieder aufnahm. Marius erwartete sie in einem wohlgewählten und wohlverproviantierten Lager am Einfluß der Isère in die Rhone, in welcher Stellung er die beiden einzigen damals gangbaren Heerstraßen nach Italien, die über den Kleinen Bernhard und die an der Küste, zugleich den Barbaren verlegte. Die Teutonen griffen das Lager an, das ihnen den Weg sperrte; drei Tage nacheinander tobte der Sturm der Barbaren um die römischen Verschanzungen, aber der wilde Mut scheiterte an der Überlegenheit der Römer im Festungskrieg und an der Besonnenheit des Feldherrn. Nach hartem Verlust entschlossen sich die dreisten Gesellen, den Sturm aufzugeben und am Lager vorbei fürbaß nach Italien zu marschieren. Sechs Tage hintereinander zogen sie daran vorüber, ein Beweis mehr noch für die Schwerfälligkeit ihres Trosses als für ihre ungeheure Zahl. Der Feldherr ließ es geschehen ohne anzugreifen; daß er durch den höhnischen Zuruf der Feinde, ob die Römer nicht Aufträge hätten an ihre Frauen daheim, sich nicht irren ließ, ist begreiflich, aber daß er dies verwegene Vorbeidefilieren der feindlichen Kolonnen vor der konzentrierten römischen Masse nicht benutzte um zu schlagen, zeigt, wie wenig er seinen ungeübten Soldaten vertraute. Als der Zug vorüber war, brach auch er sein Lager ab und folgte dem Feinde auf dem Fuß, in strenger Ordnung und Nacht für Nacht sich sorgfältig verschanzend. Die Teutonen, die der Küstenstraße zustrebten, gelangten längs der Rhone hinabmarschierend bis in die Gegend von Aquae Sextiae, gefolgt von den Römern. Beim Wasserschöpfen stießen hier die leichten ligurischen Truppen der Römer mit der feindlichen Nachhut, den Ambronen, zusammen; das Gefecht ward bald allgemein; nach heftigem Kampf siegten die Römer und verfolgten den weichenden Feind bis an die Wagenburg. Dieser erste glückliche Zusammenstoß erhöhte dem Feldherrn wie den Soldaten den Mut; am dritten Tage nach demselben ordnete Marius auf dem Hügel, dessen Spitze das römische Lager trug, seine Reihen zur entscheidenden Schlacht. Die Teutonen, längst ungeduldig, mit ihren Gegnern sich zu messen, stürmten sofort den Hügel hinauf und begannen das Gefecht. Es war ernst und langwierig; bis zum Mittag standen die Deutschen wie die Mauern; allein die ungewohnte Glut der provencalischen Sonne erschlaffte ihre Sehnen und ein blinder Lärm in ihrem Rücken, wo ein Haufen römischer Troßbuben aus einem waldigen Versteck mit gewaltigem Geschrei hervorrannte, entschied vollends die Auflösung der schwankenden Reihen. Der ganze Schwarm ward gesprengt und, wie begreiflich in dem fremden Lande, entweder getötet oder gefangen; unter den Gefangenen war der König Teutobod, unter den Toten eine Menge Frauen, welche, nicht unbekannt mit der Behandlung, die ihnen als Sklavinnen bevorstand, teils auf ihren Karren in verzweifelter Gegenwehr sich hatten niedermachen lassen, teils in der Gefangenschaft, nachdem sie umsonst gebeten, sie dem Dienst der Götter und der heiligen Jungfrauen der Vesta zu widmen, sich selber den Tod gegeben hatten (Sommer 652 102).

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^16 Diese Darstellung beruht im wesentlichen auf dem verhältnismäßig zuverlässigsten Livianischen Bericht in der Epitome (67, wo zu lesen ist: reversi in Galliam in Vellocassis se Teutonis coniunxerunt) und bei Obsequens, mit Beseitigung der geringeren Zeugnisse, die die Teutonen schon früher, zum Teil, wie App. Celt. 13, schon in der Schlacht von Noreia, neben den Kimbrern auftreten lassen. Damit sind verbunden die Notizen bei Caesar (Gall. 1, 33; 2, 4 u. 29), da mit dem Zug der Kimbrer in die römische Provinz und nach Italien nur die Expedition von 652 (102) gemeint sein kann.

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So hatte Gallien Ruhe vor den Deutschen; und es war Zeit, denn schon standen deren Waffenbrüder diesseits der Alpen. Mit den Helvetiern verbündet, waren die Kimbrer ohne Schwierigkeit von der Seine in das obere Rheintal gelangt, hatten die Alpenkette auf dem Brennerpaß überschritten und waren von da durch die Täler der Eisack und Etsch hinabgestiegen in die italische Ebene. Hier sollte der Konsul Quintus Lutatius Catulus die Pässe bewachen; allein der Gegend nicht völlig kundig und fürchtend, umgangen zu werden hatte er sich nicht getraut, in die Alpen selbst vorzurücken, sondern unterhalb Trient am linken Ufer der Etsch sich aufgestellt und für alle Fälle den Rückzug auf das rechte durch Anlegung einer Brücke sich gesichert. Allein als nun die Kimbrer in dichten Scharen aus den Bergen hervordrangen, ergriff ein panischer Schreck das römische Heer und Legionäre und Reiter liefen davon, diese geradeswegs nach der Hauptstadt, jene auf die nächste Anhöhe, die Sicherheit zu gewähren schien. Mit genauer Not brachte Catulus wenigstens den größten Teil seines Heeres durch eine Kriegslist wieder an den Fluß und über die Brücke zurück, ehe es den Feinden, die den oberen Lauf der Etsch beherrschten und schon Bäume und Balken gegen die Brücke hinabtreiben ließen, gelang, diese zu zerstören und damit dem Heer den Rückzug abzuschneiden. Eine Legion indes hatte der Feldherr auf dem anderen Ufer zurücklassen müssen und bereits wollte der feige Tribun, der sie führte, kapitulieren, als der Rottenführer Gnaeus Petreius von Atina ihn niederstieß und mitten durch die Feinde auf das rechte Ufer der Etsch zu dem Hauptheer sich durchschlug. So war das Heer und einigermaßen selbst die Waffenehre gerettet; allein die Folgen der versäumten Besetzung der Pässe und des übereilten Rückzugs waren dennoch sehr empfindlich. Catulus mußte auf das rechte Ufer des Po sich zurückziehen und die ganze Ebene zwischen dem Po und den Alpen in der Gewalt der Kimbrer lassen, so daß man die Verbindung mit Aquileia nur zur See noch unterhielt. Dies geschah im Sommer 652 (102), um dieselbe Zeit, wo es zwischen den Teutonen und den Römern bei Aquae Sextiae zur Entscheidung kam. Hätten die Kimbrer ihren Angriff ununterbrochen fortgesetzt, so konnte Rom in eine sehr bedrängte Lage geraten; indes ihrer Gewohnheit, im Winter zu rasten, blieben sie auch diesmal getreu und um so mehr, als das reiche Land, die ungewohnten Quartiere unter Dach und Fach, die warmen Bäder, die neuen reichlichen Speisen und Getränke sie einluden, es sich vorläufig wohl sein zu lassen. Dadurch gewannen die Römer Zeit, ihnen mit vereinigten Kräften in Italien zu begegnen. Es war keine Zeit, was der demokratische General sonst wohl getan haben würde, den unterbrochenen Eroberungsplan des Keltenlandes, wie Gaius Gracchus ihn mochte entworfen haben, jetzt wieder aufzunehmen; von dem Schlachtfeld von Aix wurde das siegreiche Heer an den Po geführt und nach kurzem Verweilen in der Hauptstadt, wo er den ihm angetragenen Triumph bis nach völliger Überwindung der Barbaren zurückwies, traf auch Marius selbst bei den vereinigten Armeen ein. Im Frühjahr 653 (101) überschritten sie, 50000 Mann stark, unter dem Konsul Marius und dem Prokonsul Catulus wiederum den Po und zogen gegen die Kimbrer, welche ihrerseits flußaufwärts marschiert zu sein scheinen, um den mächtigen Strom an seiner Quelle zu überschreiten. Unterhalb Vercellae unweit der Mündung der Sesia in den Po ^17, ebenda, wo Hannibal seine erste Schlacht auf italischem Boden geschlagen hatte, trafen die beiden Heere aufeinander. Die Kimbrer wünschten die Schlacht und sandten, ihrer Landessitte gemäß, zu den Römern, Zeit und Ort dazu auszumachen: Marius willfahrte ihnen und nannte den nächsten Tag - es war der 30. Juli 653 (101) - und das Raudische Feld, eine weite Ebene, auf der die überlegene römische Reiterei einen vorteilhaften Spielraum fand. Hier stieß man auf den Feind, erwartet und doch überraschend; denn in dem dichten Morgennebel fand sich die kimbrische Reiterei im Handgemenge mit der stärkeren römischen, ehe sie es vermutete, und ward von ihr zurückgeworfen auf das Fußvolk, das eben zum Kampfe sich ordnete. Mit geringen Opfern ward ein vollständiger Sieg erfochten und die Kimbrer vernichtet. Glücklich mochte heißen, wer den Tod in der Schlacht fand, wie die meisten, unter ihnen der tapfere König Boiorix; glücklicher mindestens als die, die nachher verzweifelnd Hand an sich selbst legten oder gar auf dem Sklavenmarkt in Rom den Herrn suchen mußten, der dem einzelnen Nordmannen die Dreistigkeit vergalt, des schönen Südens begehrt zu haben, ehe denn es Zeit war. Die Tigoriner, die auf den Vorbergen der Alpen zurückgeblieben waren, um den Kimbrern später zu folgen, verliefen sich auf die Kunde von der Niederlage in ihre Heimat. Die Menschenlawine, die dreizehn Jahre hindurch von der Donau bis zum Ebro, von der Seine bis zum Po die Nationen alarmiert hatte, ruhte unter der Scholle oder fronte im Sklavenjoch; der verlorene Posten der deutschen Wanderungen hatte seine Schuldigkeit getan; das heimatlose Volk der Kimbrer mit seinen Genossen war nicht mehr.

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^17 Man hat nicht wohl getan, von der Überlieferung abweichend das Schlachtfeld nach Verona zu verlegen; wobei übersehen ward, daß zwischen den Gefechten an der Etsch und dem entscheidenden Treffen ein ganzer Winter und vielfache Truppenbewegungen liegen, und daß Catulus nach ausdrücklicher Angabe (Plut. Mar. 24) bis auf das rechte Poufer zurückgewichen war. Auch die Angaben, daß am Po (Hier. chron. a. Abr.) und daß da, wo Stilicho später die Geten schlug, d. h. bei Cherasco am Tanaro, die Kimbrer geschlagen wurden, führen, obwohl beide ungenau, doch viel eher nach Vercellae als nach Verona.

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Über den Leichen haderten die politischen Parteien Roms ihren kümmerlichen Hader weiter, ohne um das große Kapitel der Weltgeschichte sich zu bekümmern, davon hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte, ohne auch nur Raum zu geben dem reinen Gefühl, daß an diesem Tage Roms Aristokraten wie Roms Demokraten ihre Schuldigkeit getan hatten. Die Rivalität der beiden Feldherren, die nicht bloß politische Gegner, sondern auch durch den so verschiedenen Erfolg der beiden vorjährigen Feldzüge militärisch gespannt waren, kam sofort nach der Schlacht zum widerwärtigsten Ausbruch. Catulus mochte mit Recht behaupten, daß das Mitteltreffen, das er befehligte, den Sieg entschieden habe und daß von seinen Leuten einunddreißig, von den Marianern nur zwei Feldzeichen eingebracht seien - seine Soldaten führten sogar die Abgeordneten der Stadt Parma durch die Leichenhaufen, um ihnen zu zeigen, daß Marius tausend geschlagen habe, Catulus aber zehntausend. Nichtsdestoweniger galt Marius als der eigentliche Besieger der Kimbrer, und mit Recht; nicht bloß, weil er kraft seines höheren Ranges an dem entscheidenden Tage den Oberbefehl geführt hatte und an militärischer Begabung und Erfahrung seinem Kollegen ohne Zweifel weit überlegen war, sondern vor allem, weil der zweite Sieg von Vercellae in der Tat nur möglich geworden war durch den ersten von Aquae Sextiae. Allein in der damaligen Zeit waren es weniger diese Erwägungen, die den Ruhm von den Kimbrern und Teutonen Rom errettet zu haben ganz und voll an Marius’ Namen knüpften, als die politischen Parteirücksichten. Catulus war ein feiner und gescheiter Mann, ein so anmutiger Sprecher, daß der Wohllaut seiner Worte fast wie Beredsamkeit klang, ein leidlicher Memoirenschreiber und Gelegenheitspoet und ein vortrefflicher Kunstkenner und Kunstrichter; aber er war nichts weniger als ein Mann des Volkes und sein Sieg ein Sieg der Aristokratie. Die Schlachten aber des groben Bauern, welcher von dem gemeinen Volke auf den Schild gehoben war und das gemeine Volk zum Siege geführt hatte, diese Schlachten waren nicht bloß Niederlagen der Kimbrer und Teutonen, sondern auch Niederlagen der Regierung; es knüpften daran sich noch ganz andere Hoffnungen als die, daß man wieder ungestört jenseits der Alpen Geldgeschäfte machen oder diesseits den Acker bauen könne. Zwanzig Jahre waren verstrichen, seit Gaius Gracchus’ blutende Leiche den Tiber hinabgetrieben war; seit zwanzig Jahren ward das Regiment der restaurierten Oligarchie ertragen und verwünscht; immer noch war dem Gracchus kein Rächer, seinem angefangenen Bau kein zweiter Meister erstanden. Es haßten und hofften viele, viele von den schlechtesten und viele von den besten Bürgern des Staats; war der Mann, der diese Rache und diese Wünsche zu erfüllen verstand, endlich gefunden in dem Sohn des Tagelöhners von Arpinum? Stand man wirklich an der Schwelle der neuen, vielgefürchteten und vielersehnten zweiten Revolution?

KAPITEL VI.
Revolutionsversuch des Marius und Reformversuch des Drusus

Gaius Marius ward, eines armen Tagelöhners Sohn, geboren im Jahre 599 (155) in dem damals arpinatischen Dorfe Cereatae, das später als Cereatae Marianae Stadtrecht erhielt und noch heute den Namen “Mariusheimat” (Casamare) trägt. Beim Pfluge war er aufgekommen, in so dürftigen Verhältnissen, daß sie ihm selbst zu den Gemeindeämtern von Arpinum den Zugang zu verschließen schienen; er lernte früh, was er später noch als Feldherr übte, Hunger und Durst, Sonnenbrand und Winterkälte ertragen und auf der harten Erde schlafen. Sowie das Alter es ihm erlaubte, war er in das Heer eingetreten und hatte in der schweren Schule der Spanischen Kriege sich rasch zum Offizier emporgedient; in Scipios Numantinischem Kriege zog er, damals dreiundzwanzigjährig, des strengen Feldherrn Augen auf sich durch die saubere Haltung seines Pferdes und seiner Waffen wie durch seine Tapferkeit im Gefecht und sein ehrbares Betragen im Lager. Er war heimgekehrt mit ehrenvollen Narben und kriegerischen Abzeichen und mit dem lebhaften Wunsch, in der rühmlich betretenen Laufbahn sich einen Namen zu machen; allein unter den damaligen Verhältnissen konnte zu den politischen Ämtern, die allein zu höheren Militärstellen führten, auch der verdienteste Mann nicht gelangen ohne Vermögen und ohne Verbindungen. Beides ward dem jungen Offizier zuteil durch glückliche Handelsspekulationen und durch die Verbindung mit einem Mädchen aus dem altadligen Geschlecht der Julier; so gelangte er unter großen Anstrengungen und nach vielfachen Mißerfolgen im Jahre 639 (115) bis zur Prätur, in welcher er als Statthalter des jenseitigen Spaniens seine militärische Tüchtigkeit aufs neue zu bewähren Gelegenheit fand. Wie er sodann der Aristokratie zum Trotz im Jahre 647 (107) das Konsulat übernahm und als Prokonsul (648, 649 106, 105) den Afrikanischen Krieg beendigte, wie er, nach dem Unglückstag von Arausio zur Oberleitung des Krieges gegen die Deutschen berufen, unter viermal vom Jahre 650 (104) bis zum Jahre 653 (101) wiederholter, in den Annalen der Republik beispielloser Erneuerung des Konsulats, die Kimbrer jenseits, die Teutonen diesseits der Alpen überwand und vernichtete, ist bereits erzählt worden. In seinem Kriegsamt hatte er sich gezeigt als einen braven und rechtschaffenen Mann, der unparteiisch Recht sprach, über die Beute mit seltener Ehrlichkeit und Uneigennützigkeit verfügte und durchaus unbestechlich war; als einen geschickten Organisator, der die einigermaßen eingerostete Maschine des römischen Heerwesens wieder in brauchbaren Stand gesetzt hatte; als einen fähigen Feldherrn, der den Soldaten in Zucht und doch bei guter Laune erhielt und zugleich im kameradschaftlichen Verkehr seine Liebe gewann, dem Feinde aber kühn ins Auge sah und zur rechten Zeit sich mit ihm schlug. Eine militärische Kapazität im eminenten Sinn war er, soweit wir urteilen können, nicht; allein die sehr achtungswerten Eigenschaften, die er besaß, genügten unter den damals bestehenden Verhältnissen vollkommen, um ihm den Ruf einer solchen zu verschaffen, und auf diesen gestützt war er in einer beispiellos ehrenvollen Weise eingetreten unter die Konsulare und die Triumphatoren. Allein er paßte darum nicht besser in den glänzenden Kreis. Seine Stimme blieb rauh und laut, sein Blick wild, als sähe er noch Libyer oder Kimbrer vor sich und nicht wohlerzogene und parfümierte Kollegen. Daß er abergläubisch war wie ein echter Lanzknecht, daß er zur Bewerbung um sein erstes Konsulat sich nicht durch den Drang seiner Talente, sondern zunächst durch die Aussagen eines etruskischen Eingeweidebeschauers bestimmen ließ, und bei dem Feldzug gegen die Teutonen eine syrische Prophetin Martha mit ihren Orakeln dem Kriegsrat aushalf, war nicht eigentlich unaristokratisch; in solchen Dingen begegneten sich damals wie zu allen Zeiten die höchsten und die niedrigsten Schichten der Gesellschaft. Allein unverzeihlich war der Mangel an politischer Bildung; es war zwar löblich, daß er die Barbaren zu schlagen verstand, aber was sollte man denken von einem der verfassungsmäßigen Etikette so unkundigen Konsul, daß er im Triumphalkostüm im Senat erschien! Auch sonst hing die Rotüre ihm an. Er war nicht bloß - nach aristokratischer Terminologie - ein armer Mann, sondern, was schlimmer war, genügsam und ein abgesagter Feind aller Bestechung und Durchstecherei. Nach Soldatenart war er nicht wählerisch, aber becherte gern, besonders in späteren Jahren; Feste zu geben verstand er nicht und hielt einen schlechten Koch. Ebenso übel war es, daß der Konsular nur Lateinisch verstand und die griechische Konversation sich verbitten mußte; daß er bei den griechischen Schauspielen sich langweilte, mochte hingehen - er war vermutlich nicht der einzige -, aber daß er sich zu seiner Langenweile bekannte, war naiv. So blieb er zeit seines Lebens ein unter die Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt von den empfindlichen Stichelworten und dem empfindlicheren Mitleiden seiner Kollegen, das wie diese selber zu verachten er denn doch nicht über sich vermochte. Nicht viel weniger wie außerhalb der Gesellschaft stand Marius außerhalb der Parteien. Die Maßregeln, die er in seinem Volkstribunat (635 119) durchsetzte, eine bessere Kontrolle bei der Abgabe der Stimmtäfelchen zur Abstellung der argen dabei stattfindenden Betrügereien und die Verhinderung ausschweifender Anträge auf Spenden an das Volk, tragen nicht den Stempel einer Partei, am wenigsten den der demokratischen, sondern zeigen nur, daß ihm Unrechtfertigkeit und Unvernunft verhaßt waren; und wie hätte auch ein Mann wie dieser, Bauer von Geburt und Soldat aus Neigung, von Haus aus revolutionär sein können? Die Anfeindungen der Aristokratie hatten ihn zwar später in das Lager der Gegner der Regierung getrieben, und rasch sah er sich hier auf den Schild gehoben zunächst als Feldherr der Opposition und demnächst vielleicht bestimmt zu noch höheren Dingen. Allein es war dies weit mehr die Folge der zwingenden Gewalt der Verhältnisse und des allgemeinen Bedürfnisses der Opposition nach einem Haupte als sein eigenes Werk; hatte er doch seit seinem Abgang nach Afrika 647/48 (107/06) kaum vorübergehend auf kurze Zeit in der Hauptstadt verweilt. Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 653 (101) kam er, Sieger wie über die Kimbrer so über die Teutonen, nach Rom zurück, um den verschobenen Triumph nun zwiefach zu feiern, entschieden der erste Mann in Rom und doch zugleich politischer Anfänger. Es war unwidersprechlich ausgemacht, nicht bloß daß Marius Rom gerettet habe, sondern daß er der einzige Mann sei, der Rom habe retten können; sein Name war auf allen Lippen; die Vornehmen erkannten seine Leistungen an; bei dem Volk war er populär wie keiner vor oder nach ihm, populär durch seine Tugenden wie durch seine Fehler, durch seine unaristokratische Uneigennützigkeit nicht minder wie durch seine bäurische Derbheit; er hieß der Menge der dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den Göttern wurden ihm Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn dem Bauernsohn der Kopf mitunter schwindelte von all der Herrlichkeit, wenn er seinen Zug von Afrika ins Kettenland den Siegesfahrten des Dionysos von Erdteil zu Erdteil verglich und sich für seinen Gebrauch einen Becher - keinen von den kleinsten - nach dem Muster des Bakchischen fertigen ließ. Es war ebensoviel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser taumelnden Begeisterung des Volkes, die wohl einen Mann von kälterem Blut und gereifterer politischer Erfahrung zu irren vermocht hätte. Marius’ Werk schien seinen Bewunderern keineswegs vollendet. Schwerer als die Barbaren lastete auf dem Lande die elende Regierung; ihm, dem ersten Manne Roms, dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition kam es zu, Rom zum zweitenmal zu retten. Zwar war ihm, dem Bauer und Soldaten, das hauptstädtische politische Treiben fremd und unbequem; er sprach so schlecht, wie er gut kommandierte, und bewies den Lanzen und Schwertern der Feinde gegenüber eine weit festere Haltung als gegen die klatschende oder zischende Menge; aber auf seine Neigung kam wenig an. Hoffnungen binden. Seine militärische und politische Stellung war von der Art, daß, wenn er mit seiner ruhmvollen Vergangenheit nicht brechen, die Erwartungen seiner Partei, ja der Nation nicht täuschen, seiner eigenen Gewissenspflicht nicht untreu werden wollte, er der Mißverwaltung der öffentlichen Angelegenheiten steuern und dem Restaurationsregiment ein Ende machen mußte, und wenn er nur die inneren Eigenschaften eines Volkshauptes besaß, so konnte er dessen, was zum Volksführer ihm abging, allerdings entraten.

Eine furchtbare Waffe hielt er in der Hand in der neu organisierten Armee. Bis auf seine Zeit hatte man von dem Grundgedanken der Servianischen Verfassung, die Aushebung lediglich auf die vermögenden Bürger zu beschränken und die Unterschiede der Waffengattungen allein nach den Vermögensklassen zu ordnen, wohl schon manches nachlassen müssen: es war das zum Eintritt in das Bürgerheer verpflichtende Minimalvermögen von 11000 Assen (300 Talern) herabgesetzt worden auf 4000 (115 Taler; 2, 345); es waren die älteren sechs in den Waffengattungen unterschiedenen Vermögensklassen beschränkt worden auf drei, indem man zwar wie nach der Servianischen Ordnung die Reiter aus den vermögendsten, die Leichtbewaffneten aus den ärmsten Dienstpflichtigen auslas, aber den Mittelstand, die eigentliche Linieninfanterie unter sich nicht mehr nach dem Vermögen, sondern nach dem Dienstalter in die drei Treffen der Hastaten, Principes und Triarier ordnet. Man hatte ferner schon längst die italischen Bundesgenossen in sehr ausgedehntem Maße zum Kriegsdienst mitherangezogen, indes auch hier, ganz wie bei der römischen Bürgerschaft, die Militärpflicht vorzugsweise auf die besitzenden Klassen gelegt. Nichtsdestoweniger ruhte das römische Militärwesen bis auf Marius im wesentlichen auf jener uralten Bürgerwehrordnung. Allein für die veränderten Verhältnisse paßte dieselbe nicht mehr. Die besseren Klassen der Gesellschaft zogen teils vom Heerdienst mehr und mehr sich zurück, teils schwand der römische und italische Mittelstand überhaupt zusammen; dagegen waren einesteils die beträchtlichen Streitmittel der außeritalischen Bundesgenossen und Untertanen verfügbar geworden, andererseits bot das italische Proletariat, richtig verwandt, ein militärisch wenigstens sehr brauchbares Material. Die Bürgerreiterei, die aus der Klasse der Wohlhabenden gebildet werden sollte, war im Felddienst schon vor Marius tatsächlich eingegangen. Als wirklicher Heerkörper wird sie zuletzt genannt in dem spanischen Feldzug von 614 (140), wo sie den Feldherrn durch ihren höhnischen Hochmut und ihre Unbotmäßigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen beiden ein von den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher Gewissenlosigkeit geführter Krieg ausbricht. Im Jugurthinischen Krieg erscheint sie schon nur noch als eine Art Nobelgarde für den Feldherrn und fremde Prinzen; von da an verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich die Ergänzung der Legionen mit gehörig qualifizierten Pflichtigen schon im gewöhnlichen Lauf der Dinge schwierig, so daß Anstrengungen, wie sie nach der Schlacht von Arausio nötig waren, unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften über die Dienstpflicht wohl in der Tat materiell unausführbar gewesen sein würden. Andererseits wurden schon vor Marius, namentlich in der Kavallerie und der leichten Infanterie, die außeritalischen Untertanen, die schweren Berittenen Thrakiens, die leichte afrikanische Reiterei, das vortreffliche leichte Fußvolk der bebenden Ligurer, die Schleuderer von den Balearen, in immer größerer Anzahl auch außerhalb ihrer Provinzen bei den römischen Heeren mitverwendet; und zugleich drängten sich, während an qualifizierten Bürgerrekruten Mangel war, die nichtqualifizierten ärmeren Bürger ungerufen zum Eintritt in die Armee, wie denn bei der Masse des arbeitslosen oder arbeitsscheuen Bürgergesindels und bei den ansehnlichen Vorteilen, die der römische Kriegsdienst abwarf, die Freiwilligenwerbung nicht schwierig sein konnte. Es war demnach nichts als eine notwendige Konsequenz der politischen und sozialen Umwandlung des Staats, daß man im Militärwesen überging von dem System des Bürgeraufgebots zu dem Zuzug- und Werbesystem, die Reiterei und die leichten Truppen wesentlich aus den Kontingenten der Untertanen bildete, wie denn für den kimbrischen Feldzug schon bis nach Bithynien Zuzug angesagt ward, für die Linieninfanterie aber zwar die bisherige Dienstpflichtordnung nicht aufhob, allein daneben jedem freigeborenen Bürger den freiwilligen Eintritt in das Heer gestattete, was zuerst Marius 647 (107) tat.

Hierzu kam die Nivellierung innerhalb der Linieninfanterie, die gleichfalls auf Marius zurückgeht. Die römische Weise aristokratischer Gliederung hatte bis dahin auch innerhalb der Legion geherrscht. Die vier Treffen der Leichten, der Hastaten, der Principes, der Triarier oder, wie man auch sagen kann, der Vorhut, der ersten, zweiten und dritten Linie hatten bis dahin jedes seine besondere Qualifikation nach Vermögens- oder Dienstalter und großenteils auch verschiedene Bewaffnung, jedes seinen ein für allemal bestimmten Platz in der Schlachtordnung, jedes seinen bestimmten militärischen Rang und sein eigenes Feldzeichen gehabt. Alle diese Unterschiede fielen jetzt über den Haufen. Wer überhaupt als Legionär zugelassen ward, bedurfte keiner weiteren Qualifikation, um in jeder Abteilung zu dienen; über die Einordnung entschied einzig das Ermessen der Offiziere. Alle Unterschiede der Bewaffnung fielen weg und somit wurden auch alle Rekruten gleichmäßig geschult. Ohne Zweifel in Verbindung damit stehen die vielfachen Verbesserungen, die in der Bewaffnung, dem Tragen des Gepäcks und ähnlichen Dingen von Marius herrühren und ein rühmliches Zeugnis ablegen von der Einsicht desselben in das praktische Detail des Kriegshandwerks und seiner Fürsorge für die Soldaten; vor allem aber das neue, von dem Kameraden des Marius im Afrikanischen Krieg, Publius Rutilius Rufus (Konsul 649 105), entworfene Exerzierreglement; es ist bezeichnend, daß dasselbe die militärische Ausbildung des einzelnen Mannes beträchtlich steigerte und wesentlich sich anlehnte an die in den damaligen Fechterschulen übliche Ausbildung der künftigen Gladiatoren. Die Gliederung der Legion ward eine gänzlich andere. An die Stelle der 30 Fähnlein (manipuli) schwerer Infanterie, die - jedes zu zwei Zügen (centuriae) von je 60 Mann in den beiden ersten und je 30 Mann im dritten Treffen - bisher die taktische Einheit gebildet hatten, traten 10 Haufen (cohortes), jeder mit eigenem Feldzeichen und jeder zu sechs, oft auch nur zu fünf Zügen von je 100 Mann; so daß, obgleich gleichzeitig durch Einziehung der leichten Infanterie der Legion 1200 Mann erspart wurden, dennoch die Gesamtzahl der Legion von 4200 auf 5000 bis 6000 Mann stieg. Die Sitte, in drei Treffen zu fechten, blieb bestehen, allein wenn bisher jedes Treffen einen eigenen Truppenkörper gebildet hatte, so war es in Zukunft dem Feldherrn überlassen, die Kohorten, über die er disponierte, in die drei Linien nach Ermessen zu verteilen. Den militärischen Rang bestimmte einzig die Ordnungsnummer der Soldaten und der Abteilungen. Die vier Feldzeichen der einzelnen Legionsteile, der Wolf, der mannköpfige Stier, das Roß, der Eber, die bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei Treffen der schweren Infanterie waren vorgetragen worden, verschwanden; dafür traten die Fähnlein der neuen Kohorten ein und das neue Zeichen, das Marius der gesamten Legion verlieh, der silberne Adler. Wenn also innerhalb der Legion jede Spur der bisherigen bürgerlichen und aristokratischen Gliederung verschwand und unter den Legionären fortan nur noch rein soldatische Unterschiede vorkamen, so hatte sich dagegen schon einige Jahrzehnte früher aus zufälligen Anlässen eine bevorzugte Heeresabteilung neben den Legionen entwickelt: die Leibwache des Feldherrn. Bis dahin hatten ausgesuchte Mannschaften aus den bundesgenössischen Kontingenten die persönliche Bedeckung des Feldherrn gebildet; römische Legionäre oder gar freiwillig sich erbietende Mannschaften zum persönlichen Dienst bei dem selben zu verwenden, widerstritt der strengen Gebundenheit des gewaltigen Gemeinwesens. Aber als der Numantinische Krieg ein beispiellos demoralisiertes Heer großgezogen hatte und Scipio Aemilianus, der berufen ward, dem wüsten Unwesen zu steuern, es nicht bei der Regierung hatte durchsetzen können, völlig neue Truppen unter die Waffen zu rufen, ward es ihm wenigstens gewährt, außer einer Anzahl von Mannschaften, die ihm die abhängigen Könige und Freistädte des Auslandes zur Verfügung stellten, aus freiwilligen römischen Bürgern eine persönliche Bedeckungsmannschaft von 500 Mann zu bilden. Diese Kohorte, teils aus den besseren Ständen, teils aus der niederen persönlichen Klientel des Feldherrn hervorgegangen und daher bald die der Freunde, bald die des Hauptquartiers (praetoriani) genannt, hatte den Dienst in diesem (praetorium), wofür sie vom Lager- und Schanzdienst frei war, und genoß höheren Sold und größeres Ansehen.

Diese vollständige Revolution der römischen Heerverfassung scheint allerdings wesentlich aus rein militärischen Motiven hervorgegangen und überhaupt weniger das Werk eines einzelnen, am wenigsten eines berechnenden Ehrgeizigen, als die vom Drang der Umstände gebotene Umgestaltung unhaltbar gewordener Einrichtungen gewesen zu sein. Es ist wahrscheinlich, daß die Einführung des inländischen Werbesystems durch Marius ebenso den Staat militärisch vom Untergang gerettet hat, wie manches Jahrhundert später Arbogast und Stilicho durch Einführung des ausländischen ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten. Nichtsdestoweniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich eine vollständige politische Revolution. Die republikanische Verfassung ruhte zumeist darauf, daß der Bürger zugleich Soldat, der Soldat vor allem Bürger war; es war mit ihr zu Ende, sowie ein Soldatenstand sich bildete. Hierzu mußte schon das neue Exerzierreglement führen mit seiner dem Kunstfechter abgeborgten Routine; der Kriegsdienst ward allmählich Kriegshandwerk. Weit rascher noch wirkte die wenn auch beschränkte Zuziehung des Proletariats zum Militärdienst, besonders in Verbindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur mit sehr soliden republikanischen Institutionen verträgliches arbiträres Belohnungsrecht seiner Soldaten einräumten und dem tüchtigen und glücklichen Soldaten eine Art Anrecht gaben, vom Feldherrn einen Teil der beweglichen Beute, vom Staat ein Stück des gewonnenen Ackers zu heischen. Wenn der ausgehobene Bürger und Bauer in dem Kriegsdienst nichts sah als eine für das gemeine Beste zu übernehmende Last und im Kriegsgewinn nichts als einen geringen Entgelt für den ihm aus dem Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren Verlust, so war dagegen der geworbene Proletarier nicht bloß für den Augenblick allein angewiesen auf seinen Sold, sondern auch für die Zukunft mußte er, den nach der Entlassung kein Invaliden-, ja nicht einmal ein Armenhaus aufnahm, wünschen, zunächst bei der Fahne zu bleiben und diese nicht anders zu verlassen als mit Begründung seiner bürgerlichen Existenz. Seine einzige Heimat war das Lager, seine einzige Wissenschaft der Krieg, seine einzige Hoffnung der Feldherr - was hierin lag, leuchtet ein. Als Marius nach dem Treffen auf dem Raudischen Feld zwei Kohorten italischer Bundesgenossen ihrer tapferen Haltung wegen in Masse das Bürgerrecht auf dem Schlachtfeld selbst verfassungswidrig verlieh, rechtfertigte er später sich damit, daß er im Lärm der Schlacht die Stimme der Gesetze nicht habe unterscheiden können. Wenn einmal in wichtigeren Fragen das Interesse des Heers und des Feldherrn in verfassungswidrigem Begehren sich begegneten, wer mochte dafür stehen, daß alsdann nicht noch andere Gesetze über dem Schwertergeklirr nicht würden vernommen werden? Man hatte das stehende Heer, den Soldatenstand, die Garde; wie in der bürgerlichen Verfassung, so standen auch in der militärischen bereits alle Pfeiler der künftigen Monarchie: es fehlte einzig an dem Monarchen. Wie die zwölf Adler um den Palatinischen Hügel kreisten, da riefen sie dem Königtum; der neue Adler, den Gaius Marius den Legionen verlieh, verkündete das Reich der Kaiser.

Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß Marius einging auf die glänzenden Aussichten, die seine militärische und politische Stellung ihm eröffnete. Es war eine trübe, schwere Zeit. Man hatte Frieden, aber man ward des Friedens nicht froh; es war nicht mehr wie einst nach dem ersten gewaltigen Anprall der Nordländer auf Rom, wo nach überstandener Krise im frischen Gefühl der Genesung alle Kräfte sich neu geregt, wo sie in üppiger Entfaltung das Verlorene rasch und reichlich ersetzt hatten. Alle Welt fühlte, daß, mochten auch tüchtige Feldherren noch aber und abermals das unmittelbare Verderben abwehren, das Gemeinwesen darum nur um so sicherer zu Grunde gehe unter dem Regiment der restaurierten Oligarchie; aber alle Welt fühlte auch, daß die Zeit nicht mehr war, wo in solchen Fällen die Bürgerschaft sich selber half, und daß nichts besser ward, solange des Gaius Gracchus Platz leer blieb. Wie tief die Menge die nach dem Verschwinden jener beiden hohen Jünglinge, welche der Revolution das Tor geöffnet hatten, zurückgebliebene Lücke empfand, freilich auch wie kindisch sie nach jedem Schatten des Ersatzes griff, beweist der falsche Sohn des Tiberius Gracchus, welcher, obwohl die eigene Schwester der beiden Gracchen ihn auf offenem Markte des Betruges zieh, dennoch einzig seines usurpierten Namens wegen vom Volke für 655 (99) zum Tribun gewählt ward. In demselben Sinne jubelte die Menge dem Gaius Marius entgegen; wie sollte sie nicht? Wenn irgendeiner, schien er der rechte Mann; war er doch der erste Feldherr und der populärste Name seiner Zeit, anerkannt brav und rechtschaffen und selbst durch seine von dem Parteitreiben entfernte Stellung zum Regenerator des Staats, empfohlen - wie hätte nicht das Volk, wie hätte er selbst nicht sich dafür halten sollen! Die öffentliche Meinung war so entschieden wie möglich oppositionell; es ist bezeichnend dafür, daß die Besetzung der in den höchsten geistlichen Kollegien erledigten Stellen durch die Bürgerschaft anstatt durch die Kollegien selbst, die die Regierung noch im Jahre 609 (145) durch Anregung der religiösen Bedenken in den Komitien zu Fall gebracht hatte, im Jahre 650 (104) auf den Antrag des Gnaeus Domitius durchging, ohne daß der Senat es hätte wagen können, sich auch nur ernstlich zu widersetzen. Durchaus schien es nur an einem Haupte zu fehlen, das der Opposition einen festen Mittelpunkt und ein praktisches Ziel gab; und dies war jetzt in Marius gefunden.

Zur Durchführung seiner Aufgabe bot sich ihm ein doppelter Weg: Marius konnte die Oligarchie zu stürzen versuchen als Imperator an der Spitze der Armee oder auf dem für konstitutionelle Änderungen verfassungsmäßig bezeichneten Weg; dorthin wies seine eigene Vergangenheit, hierin der Vorgang des Gracchus. Es ist sehr begreiflich, daß er den ersteren Weg nicht betrat, vielleicht nicht einmal die Möglichkeit dachte, ihn zu betreten. Der Senat war oder schien so macht- und ratlos, so verhaßt und verachtet, daß Marius gegen ihn kaum einer anderen Stütze als seiner ungeheuren Popularität zu bedürfen, nötigenfalls aber trotz der Auflösung des Heeres sie in den entlassenen und ihrer Belohnungen harrenden Soldaten zu finden meinte. Es ist wahrscheinlich, daß Marius, im Hinblick auf Gracchus’ leichten und scheinbar fast vollständigen Sieg und auf seine eigenen, denen des Gracchus weit überlegenen Hilfsmittel, den Umsturz einer vierhundertjährigen, mit dem nach komplizierter Hierarchie geordneten Staatskörper und der mannigfaltigsten Gewohnheiten und Interessen innig verwachsenen Verfassung für weit leichter hielt, als er war. Aber selbst wer tiefer in die Schwierigkeiten des Unternehmens hineinsah, als es Marius wahrscheinlich tat, mochte erwägen, daß das Heer, obwohl im Übergang begriffen von der Bürgerwehr zur Söldnerschar, doch während dieses Übergangszustandes noch keineswegs zum blinden Werkzeug eines Staatsstreiches sich schickte und daß ein Versuch, die widerstrebenden Elemente durch militärische Mittel zu beseitigen, die Widerstandsfähigkeit der Gegner wahrscheinlich gesteigert haben würde. Die organisierte Waffengewalt in den Kampf zu verwickeln, mußte auf den ersten Blick überflüssig, auf den zweiten bedenklich erscheinen: man war eben am Anfang der Krise und die Gegensätze von ihrem letzten, kürzesten und einfachsten Ausdruck noch weit entfernt.

Marius entließ also der bestehenden Ordnung gemäß nach dem Triumph sein Heer und schlug den von Gaius Gracchus vorgezeichneten Weg ein, vermittels der Übernahme der verfassungsmäßigen Staatsämter die Oberhauptschaft im Staate an sich zu bringen. Er fand sich damit angewiesen auf die sogenannte Volkspartei und in deren damaligen Führern um so mehr seine Bundesgenossen, als der siegreiche General die zur Gassenherrschaft erforderlichen Gaben und Erfahrungen durchaus nicht besaß. So gelangte die demokratische Partei nach langer Nichtigkeit plötzlich wieder zu politischer Bedeutung. Sie hatte in dem langen Interim von Gaius Gracchus bis auf Marius sich wesentlich verschlechtert. Wohl war das Mißvergnügen über das senatorische Regiment jetzt nicht geringer als damals; aber manche der Hoffnungen, die den Gracchen ihre treuesten Anhänger zugeführt hatten, war inzwischen als Illusion erkannt worden und die Ahnung inzwischen manchem aufgegangen, daß diese Gracchische Agitation auf ein Ziel hinausliefe, wohin ein sehr großer Teil der Mißvergnügten keineswegs zu folgen willig war; wie denn überhaupt in dem zwanzigjährigen Hetzen und Treiben gar viel verschliffen und vergriffen war von der frischen Begeisterung, dem felsenfesten Glauben, der sittlichen Reinheit des Strebens, die die Anfangsstadien der Revolutionen bezeichnen. Aber wenn die demokratische Partei nicht mehr war, was sie unter Gaius Gracchus gewesen, so standen die Führer der Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter ihrer Partei, als Gaius Gracchus hoch über derselben gestanden hatte. Es lag dies in der Natur der Sache. Bis wieder ein Mann auftraf, der es wagte, wie Gaius Gracchus nach der Staatsoberhauptschaft zu greifen, konnten die Führer nur Lückenbüßer sein: entweder politische Anfänger, die ihre jugendliche Oppositionslust austobten und sodann, als sprudelnde Feuerköpfe und beliebte Sprecher legitimiert, mit mehr oder minder Geschicklichkeit ihren Rückzug in das Lager der Regierungspartei bewerkstelligten; oder auch Leute, die an Vermögen und Einfluß nichts zu verlieren, an Ehre gewöhnlich nicht einmal etwas zu gewinnen hatten, und die aus persönlicher Erbitterung oder auch aus bloßer Lust am Lärmschlagen sich ein Geschäft daraus machten, die Regierung zu hindern und zu ärgern. Der ersten Gattung gehörten zum Beispiel an Gaius Memmius und der bekannte Redner Lucius Crassus, die ihre in den Reihen der Opposition gewonnenen oratorischen Lorbeern demnächst als eifrige Regierungsmänner verwerteten. Die namhaftesten Führer der Popularpartei aber um diese Zeit waren Männer der zweiten Gattung: sowohl Gaius Servilius Glaucia, von Cicero der römische Hyperbolos genannt, ein gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschämtester Straßenberedsamkeit, aber wirksam und selbst gefürchtet wegen seiner drastischen Witze, als auch sein besserer und fähigerer Genosse Lucius Appuleius Saturninus, der selbst nach den Berichten seiner Feinde ein feuriger und eindringlicher Sprecher war und wenigstens nicht von gemein eigennützigen Motiven geleitet ward. Ihm war als Quästor die in üblicher Weise ihm zugefallene Getreideverwaltung durch Beschluß des Senats entzogen worden, weniger wohl wegen fehlerhafter Amtsführung als um das eben damals populäre Amt lieber einem der Häupter der Regierungspartei, dem Marcus Scaurus, als einem unbekannten, keiner der herrschenden Familien angehörigen jungen Manne zuzuwenden. Diese Kränkung hatte den aufstrebenden und lebhaften Mann in die Opposition gedrängt; und er vergalt als Volkstribun 651 (103) das Empfangene mit Zinsen. Ein ärgerlicher Handel hatte damals den anderen gedrängt. Er hatte die von den Gesandten des Königs Mithradates in Rom bewirkten Bestechungen auf offenem Markt zur Sprache gebracht - diese den Senat aufs höchste kompromittierenden Enthüllungen hätten fast dem kühnen Tribun das Leben gekostet. Er hatte gegen den Besieger Numidiens Quintus Metellus, als derselbe sich für 652 (102) um die Zensur bewarb, einen Auflauf erregt und denselben auf dem Kapitol belagert gehalten, bis die Ritter ihn nicht ohne Blutvergießen befreiten; des Zensors Metellus Vergeltung, die schimpfliche Ausstoßung des Saturninus wie des Glaucia aus dem Senat bei Gelegenheit der Revision des Senatorenverzeichnisses, war nur gescheitert an der Schlaffheit des dem Metellus zugegebenen Kollegen. Er hauptsächlich hatte jenes Ausnahmegericht gegen Caepio und dessen Genossen trotz des heftigsten Widerstrebens der Regierungspartei, er gegen dieselben die lebhaft bestrittene Wiederwahl des Marius zum Konsul für 652 (102) durchgesetzt. Saturninus war entschieden der energischste Feind des Senats und der tätigste und beredteste Führer der Volkspartei seit Gaius Gracchus, freilich auch gewalttätig und rücksichtslos wie keiner vor ihm, immer bereit, in die Straße hinabzusteigen und statt mit Worten den Gegner mit Knütteln zu widerlegen.

Solcher Art waren die beiden Führer der sogenannten Popularpartei, die mit dem siegreichen Feldherrn jetzt gemeinschaftliche Sache machten. Es war natürlich; die Interessen und die Zwecke gingen zusammen, und auch schon bei Marius’ früheren Bewerbungen hatte wenigstens Saturninus aufs entschiedenste und erfolgreichste für ihn Partei genommen. Sie wurden sich dahin einig, daß für 654 (100) Marius um das sechste Konsulat, Saturninus um das zweite Tribunat, Glaucia um die Prätur sich bewerben sollten, um im Besitz dieser Ämter die beabsichtigte Staatsumwälzung durchzuführen. Der Senat ließ die Ernennung des minder gefährlichen Glaucia geschehen, aber tat, was er konnte, um Marius’ und Saturninus’ Wahl zu hindern oder doch wenigstens jenem in Quintus Metellus einen entschlossenen Gegner als Kollegen im Konsulat an die Seite zu setzen. Von beiden Parteien wurden alle Hebel, erlaubte und unerlaubte, in Bewegung gesetzt; allein es gelang dem Senat nicht, die gefährliche Verschwörung im Keim zu ersticken. Marius selbst verschmähte es nicht, Stimmenbettel, es heißt sogar auch Stimmenkauf zu betreiben; ja als in den tribunizischen Wahlen neun Männer von der Liste der Regierungspartei proklamiert waren und auch die zehnte Stelle bereits einem achtbaren Mann derselben Farbe, Quintus Nunnius, gesichert schien, ward dieser von einem wüsten Haufen, der vorzugsweise aus entlassenen Soldaten des Marius bestanden haben soll, angefallen und erschlagen. So gelangten die Verschworenen, freilich auf die gewaltsamste Weise, zum Ziel. Marius wurde gewählt als Konsul, Glaucia als Prätor, Saturninus als Volkstribun für 654 (109): nicht Quintus Metellus, sondern ein unbedeutender Mann, Lucius Valerius Flaccus, erhielt die zweite Konsulstelle; die verbündeten Männer konnten daran gehen, ihre weiter beabsichtigten Pläne ins Werk zu setzen und das 633 (121) unterbrochene Werk zu vollenden.

Erinnern wir uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit welchen Mitteln er sie verfolgt hatte. Es galt, die Oligarchie nach innen wie nach außen zu brechen, also teils die vom Senat völlig abhängig gewordene Beamtengewalt in ihre ursprünglichen souveränen Rechte wiedereinzusetzen und die Ratsversammlung aus der regierenden wieder in eine beratende Behörde umzuwandeln, teils der aristokratischen Gliederung des Staats in die drei Klassen der herrschenden Bürger-, der italischen Bundesgenossen- und der Untertanenschaft durch allmähliche Ausgleichung dieser mit einem nichtoligarchischen Regiment unverträglichen Gegensätze ein Ende zu machen. Diese Gedanken nahmen die drei verbündeten Männer wieder auf in den Kolonialgesetzen, die Saturninus als Volkstribun teils schon früher (651 103) eingebracht hatte, teils jetzt (654 100) einbrachte ^1. Schon in jenem Jahre war zunächst zu Gunsten der Marianischen Soldaten, der Bürger nicht bloß, sondern, wie es scheint, auch der italischen Bundesgenossen, die unterbrochene Verteilung des karthagischen Gebiets wieder aufgenommen und jedem dieser Veteranen ein Landlos von 100 Morgen oder etwa dem fünffachen Maß eines gewöhnlichen italischen Bauernhofs in der Provinz Africa zugesichert worden. Jetzt ward für die römisch-italische Emigration nicht bloß das bereits zur Verfügung stehende Provinzialland in weitester Ausdehnung in Anspruch genommen, sondern auch mittels der rechtlichen Fiktion, daß den Römern durch die Besiegung der Kimbrer das gesamte von diesen besetzte Gebiet von Rechts wegen erworben sei, alles Land der noch unabhängigen Keltenstämme jenseits der Alpen. Zur Leitung der Landanweisungen wie der zu diesem Behuf etwa nötig erscheinenden weiteren Maßregeln ward Gaius Marius berufen; die unterschlagenen, aber von den schuldigen Aristokraten erstatteten oder noch zu erstattenden Tempelschätze von Tolosa wurden zur Ausstattung der neuen Landempfänger bestimmt. Dieses Gesetz nahm also nicht bloß die Eroberungspläne jenseits der Alpen und die transalpinischen und überseeischen Kolonisationsentwürfe, wie Gaius Gracchus und Flaccus sie entworfen hatten, im ausgedehntesten Umfang wieder auf, sondern indem es die Italiker neben den Römern zur Emigration zuließ und doch ohne Zweifel die sämtlichen neuen Gemeinden als Bürgerkolonien einzurichten vorschrieb, machte es einen Anfang, die so schwer durchzubringenden und doch unmöglich auf die Länge abzuweisenden Ansprüche der Italiker auf Gleichstellung mit den Römern zu befriedigen. Zunächst aber wurde, wenn das Gesetz durchging und Marius zur selbständigen Ausführung dieser ungeheuren Eroberungs- und Aufteilungspläne berufen ward, tatsächlich derselbe bis zur Realisierung jener Pläne oder vielmehr, bei der Unbestimmtheit und Schrankenlosigkeit derselben, auf zeit seines Lebens Monarch von Rom; wozu denn vermutlich, wie Gracchus das Tribunat, so Marius das Konsulat alljährlich sich erneuern zu lassen gedachte. überhaupt ist bei der sonstigen Übereinstimmung der für den jüngeren Gracchus und für Marius entworfenen politischen Stellungen in allen wesentlichen Stücken oder zwischen dem landanweisenden Tribun und dem landanweisenden Konsul darin ein sehr wesentlicher Unterschied, daß jener eine rein bürgerliche, dieser daneben eine militärische Stellung einnehmen sollte: ein Unterschied, der zwar mit, aber doch keineswegs allein aus den persönlichen Verhältnissen hervorging, unter denen die beiden Männer an die Spitze des Staates getreten waren.

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^1 Es ist nicht möglich, genau zu unterscheiden, was dem ersten und was dem zweiten Tribunat des Saturninus angehört; um so weniger, als derselbe in beiden offenbar dieselben Gracchischen Tendenzen verfolgte. Das afrikanische Ackergesetz setzt die Schrift ‘De viris illustribus’ (73, 1) mit Bestimmtheit in 651 (103): und es pafft dies auch zu der erst kurz vorher erfolgten Beendigung des Jugurthinischen Krieges. Das zweite Ackergesetz gehört unzweifelhaft in das Jahr 654 (100). Das Majestäts- und das Getreidegesetz sind nur vermutungsweise jenes in 651 (103), dieses in 654 (100) gesetzt worden.

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Wenn also das Ziel beschaffen war, das Marius und seine Genossen sich vorgesteckt hatten, so fragte es sich weiter um die Mittel, durch welche man den voraussichtlich hartnäckigen Widerstand der Regierungspartei zu brechen gedachte. Gaius Gracchus hatte seine Schlachten geschlagen mit dem Kapitalistenstand und dem Proletariat. Seine Nachfolger versäumten zwar nicht, auch diesen entgegenzukommen. Den Rittern ließ man nicht bloß die Gerichte, sondern ihre Geschworenengewalt wurde ansehnlich gesteigert teils durch eine verschärfte Ordnung für die den Kaufleuten vor allem wichtige stehende Kommission wegen Erpressungen seitens der Staatsbeamten in den Provinzen, welche Glaucia, wahrscheinlich in diesem Jahr, durchbrachte, teils durch das wohl schon 651 (103) auf Saturninus’ Antrag niedergesetzte Spezialgericht über die während der kimbrischen Bewegung in Gallien vorgekommenen Unterschlagungen und sonstigen Amtsvergehen. Zum Frommen des hauptstädtischen Proletariats ferner ward der bisher bei den Getreideverteilungen für den römischen Scheffel zu entrichtende Schleuderpreis von 6 1/3 As herabgesetzt auf eine bloße Rekognitionsgebühr von 5/6 As. Indes obwohl man das Bündnis mit den Rittern und dem hauptstädtischen Proletariat nicht verschmähte, so ruhte doch die eigentlich zwingende Macht der Verbündeten wesentlich nicht darauf, sondern auf den entlassenen Soldaten der Marianischen Armee, welche ebendeshalb in den Kolonialgesetzen selbst in so ausschweifender Weise bedacht worden waren. Auch hierin tritt der vorwiegend militärische Charakter hervor, der hauptsächlich diesen Revolutionsversuch von dem voraufgehenden unterscheidet.

Man ging also ans Werk. Das Getreide- und das Kolonialgesetz stießen bei der Regierung, wie begreiflich, auf die lebhafteste Gegenwehr. Man bewies im Senat mit schlagenden Zahlen, daß jenes die öffentlichen Kassen bankrott machen müsse; Saturninus kümmerte sich nicht darum. Man erwirkte gegen beide Gesetze tribunizische Interzession; Saturninus ließ weiterstimmen. Man zeigte den die Abstimmung leitenden Beamten an, daß ein Donnerschlag vernommen worden sei, durch welches Zeichen nach altem Glauben die Götter befahlen, die Volksversammlung zu entlassen; Saturninus bemerkte den Abgesandten, der Senat werde wohl tun, sich ruhig zu verhalten, sonst könne gar leicht nach dem Donner der Hagel folgen. Endlich trieb der städtische Quästor Quintus Caepio, vermutlich der Sohn des drei Jahre zuvor verurteilten Feldherrn 2 und gleich seinem Vater ein heftiger Gegner der Popularpartei, mit einem Haufen ergebener Leute die Stimmversammlung mit Gewalt auseinander. Allein die derben Soldaten des Marius, die massenweise zu dieser Abstimmung nach Rom geströmt waren, sprengten, rasch zusammengerafft, wieder die städtischen Haufen, und so gelang es, auf dem wiedereroberten Stimmfeld die Abstimmung über die Appuleischen Gesetze zu Ende zu führen. Der Skandal war arg; als es indes zur Frage kam, ob der Senat der Klausel des Gesetzes genügen werde, daß binnen fünf Tagen nach dessen Durchbringung jeder vom Rat bei Verlust seiner Ratsherrnstelle auf getreuliche Befolgung des Gesetzes einen Eid abzulegen habe, leisteten diesen Eid die sämtlichen Senatoren mit einziger Ausnahme des Quintus Metellus, der es vorzog, die Heimat zu verlassen. Nicht ungern sahen Marius und Saturninus den besten Feldherrn und den tüchtigsten Mann unter der Gegenpartei durch Selbstverbannung aus dem Staate scheiden.

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2 Dahin führen alle Spuren. Der ältere Quintus Caepio war 648 (106) Konsul, der jüngere 651 (103) oder 654 (100) Quästor, also jener um oder vor 605 (149), dieser um 624 (130) oder 627 (117) geboren; daß jener starb, ohne Söhne zu hinterlassen (Strab. 4, 188), widerspricht nicht, denn der jüngere Caepio fiel 664 (90) und der ältere, der im Exil zu Smyrna sein Leben beschloß, kann gar wohl ihn überlebt haben.

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Man schien am Ziel; dem schärfer Sehenden mußte schon jetzt das Unternehmen als gescheitert erscheinen. Die Ursache des Fehlschlagens lag wesentlich in der ungeschickten Allianz eines politisch unfähigen Feldherrn und eines fähigen, aber rücksichtslos heftigen, und mehr von Leidenschaft als von staatsmännischen Zwecken erfüllten Demagogen von der Gasse. Man hatte sich vortrefflich vertragen, solange es sich nur noch um Pläne handelte; als es dann aber zur Ausführung kam, zeigte es sich sehr bald, daß der gefeierte Feldherr in der Politik nichts war als eine Inkapazität; daß sein Ehrgeiz der des Bauern war, der den Adligen an Titeln erreichen und womöglich überbieten möchte, nicht aber der des Staatsmannes, der regieren will, weil er dazu in sich die Kraft fühlt; daß jedes Unternehmen, welches auf seine politische Persönlichkeit gebaut war, auch unter den sonst günstigsten Verhältnissen notwendig an ihm selber scheitern mußte.

Er wußte weder seine Gegner zu gewinnen noch seine Partei zu bändigen. Die Opposition gegen ihn und seine Genossen war an sich schon ansehnlich genug; denn nicht bloß die Regierungspartei in Masse gehörte dazu, sondern auch der große Teil der Bürgerschaft, der mit eifersüchtigen Blicken den Italikern gegenüber über seinen Sonderrechten Wache hielt; durch den Gang aber, den die Dinge nahmen, wurde noch die gesamte begüterte Klasse zu der Regierung hinübergedrängt. Saturninus und Glaucia waren von Haus aus Herren und Diener des Proletariats und darum keineswegs auf gutem Fuße mit der Geldaristokratie, die zwar nichts dagegen hatte, mittels des Pöbels dem Senat einmal Schach zu bieten, aber Straßenaufläufe und arge Gewalttätigkeiten nicht liebte. Schon in Saturninus’ erstem Tribunat hatten dessen bewaffnete Rotten mit den Rittern sich herumgeschlagen; die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum Tribun für 654 (100) stieß, zeigt deutlich, wie klein die ihm günstige Partei war. Es wäre Marius’ Aufgabe gewesen, der bedenklichen Hilfe dieser Genossen sich nur mit Maßen zu bedienen und männiglich zu überzeugen, daß sie nicht bestimmt seien zu herrschen, sondern ihm, dem Herrscher, zu dienen. Da er das gerade Gegenteil davon tat und die Sache ganz das Ansehen gewann, als handle es sich nicht darum, einen intelligenten und kräftigen Herrn, sondern die reine Kanaille ans Regiment zu bringen, so schlossen dieser gemeinsamen Gefahr gegenüber die Männer der materiellen Interessen, zum Tode erschrocken über das wüste Wesen, sich wieder eng an den Senat an. Während Gaius Gracchus, wohl erkennend, daß mit dem Proletariat allein keine Regierung gestürzt werden kann, vor allen Dingen bemüht gewesen war, die besitzenden Klassen auf seine Seite zu ziehen, fingen diese seine Fortsetzer damit an, die Aristokratie mit der Bourgeoisie zu versöhnen.

Aber noch rascher als die Versöhnung der Feinde führte den Ruin des Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche unter dessen Urhebern Marius’ mehr als zweideutiges Auftreten notwendigerweise hervorrief. Während die entscheidenden Anträge von seinen Genossen gestellt, von seinen Soldaten durchgefochten wurden, verhielt Marius sich vollständig leidend, gleich als ob der politische Führer nicht ebenso wie der militärische, wenn es zum Hauptangriff geht, überall und vor allen einstehen müßte mit seiner Person. Aber es war damit nicht genug; vor den Geistern, die er selber gerufen, erschrak er und nahm Reißaus. Als seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein ehrlicher Mann nicht billigen konnte, ohne die aber freilich das angestrebte Ziel sich nicht erreichen ließ, versuchte er in der üblichen Weise politisch-moralischer Konfusionäre sich von der Teilnahme an jenen Verbrechen reinzuwaschen und zugleich das Ergebnis derselben sich zunutze zu machen. Es gibt ein Geschichtchen, daß der General einst in zwei verschiedenen Zimmern seines Hauses in dem einen mit dem Saturninus und den Seinen, in dem anderen mit den Abgeordneten der Oligarchie geheime Unterhandlungen gepflogen habe, dort über das Losschlagen gegen dem Senat, hier über das Einschreiten gegen die Revolte, und daß er unter einem Vorwand, wie er der Peinlichkeit der Situation entsprach, zwischen beiden Konferenzen ab und zu gegangen sei - ein Geschichtchen, so sicherlich erfunden und so sicher treffend wie nur irgendein Einfall des Aristophanes. Offenkundig ward die zweideutige Stellung des Marius bei der Eidesfrage, wobei er anfangs Miene machte, den durch die Appuleischen Gesetze geforderten Eid der bei ihrer Durchbringung vorgekommenen Formfehler halber selbst zu verweigern und dann denselben unter den Vorbehalt schwor, wofern die Gesetze wirklich rechtsbeständig seien; ein Vorbehalt, der den Eid selber aufhob, und den natürlich sämtliche Senatoren in ihren Schwur gleichfalls aufnahmen, so daß durch diese Weise der Beeidigung die Gültigkeit der Gesetze nicht gesichert, sondern vielmehr erst recht in Frage gestellt ward.

Die Folgen dieses unvergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten Feldherrn entwickelten sich rasch. Saturninus und Glaucia hatten nicht deswegen die Revolution unternommen und dem Marius die Staatsoberhauptschaft verschafft, um sich von ihm verleugnen und aufopfern zu lassen; wenn Glaucia, der spaßhafte Volksmann, bisher den Marius mit den lustigsten Blumen seiner lustigen Beredsamkeit überschüttet hatte, so dufteten die Kränze, welche er jetzt ihm wand, keineswegs nach Rosen und Violen. Es kam zum vollständigen Bruch, womit beide Teile verloren waren; denn weder stand Marius fest genug, um allein das von ihm selbst in Frage gestellte Kolonialgesetz zu halten und der ihm darin bestimmten Stellung sich zu bemächtigen, noch waren Saturninus und Glaucia in der Lage, das für Marius begonnene Geschäft auf eigene Rechnung fortzuführen. Indes die beiden Demagogen waren so kompromittiert, daß sie nicht zurückkonnten und nur die Wahl hatten, ihre Ämter in gewöhnlicher Weise niederzulegen und damit ihren erbitterten Gegnern sich mit gebundenen Händen zu überliefern oder nun selber nach dem Szepter zu greifen, dessen Gewicht sie freilich fühlten nicht tragen zu können. Sie entschlossen sich zu dem letzteren; Saturninus wollte für 655 (99) abermals um das Volkstribunat als Bewerber auftreten, Glaucia, obwohl Prätor und erst nach zwei Jahren wahlfähig zum Konsulat, um dieses sich bewerben. In der Tat wurden die tribunizischen Wahlen durchaus in ihrem Sinne entschieden und Marius’ Versuch, den falschen Tiberius Gracchus an der Bewerbung um das Tribunat zu hindern, diente nur dazu, dem gefeierten Mann zu beweisen, was seine Popularität jetzt noch wert war; die Menge sprengte die Tür des Gefängnisses, in dem Gracchus eingesperrt saß, trug ihn im Triumph durch die Straßen und wählte ihn mit großer Majorität zu ihrem Tribun. Die wichtigere Konsulnwahl suchten Saturninus und Glaucia durch das im vorigen Jahr erprobte Mittel zur Beseitigung unbequemer Konkurrenzen in die Hand zu bekommen; der Gegenkandidat der Regierungspartei, Gaius Memmius, derselbe, der elf Jahre zuvor gegen sie die Opposition geführt hatte, wurde von einem Haufen Gesindel überfallen und mit Knütteln erschlagen. Aber die Regierungspartei hatte nur auf ein eklatantes Ereignis der Art gewartet, um Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte den Konsul Gaius Marius auf, einzuschreiten, und dieser gab in der Tat sich dazu her, das Schwert, das er von der Demokratie erhalten und für sie zu führen versprochen hatte, nun für die konservative Partei zu ziehen. Die junge Mannschaft ward schleunigst aufgeboten, mit Waffen aus den öffentlichen Gebäuden ausgerüstet und militärisch geordnet; der Senat selbst erschien bewaffnet auf dem Markt, an der Spitze sein greiser Vormann Marcus Scaurus. Die Gegenpartei war wohl im Straßenlärm überlegen, aber auf einen solchen Angriff nicht vorbereitet; sie mußte nun sich wehren, wie es ging. Man erbrach die Tore der Gefängnisse und rief die Sklaven zur Freiheit und unter die Waffen; man rief - so heißt es wenigstens - den Saturninus zum König oder Feldherrn aus; an dem Tage, wo die neuen Volkstribune ihr Amt anzutreten hatten, am 10. Dezember 654 (100), kam es auf dem Großen Markte zur Schlacht, der ersten, die, seit Rom stand, innerhalb der Mauern der Hauptstadt geliefert worden ist. Der Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft. Die Popularen wurden geschlagen und hinaufgedrängt auf das Kapitol, wo man ihnen das Wasser abschnitt und sie dadurch nötigte, sich zu ergeben. Marius, der den Oberbefehl führte, hätte gern seinen ehemaligen Verbündeten und jetzigen Gefangenen das Leben gerettet; laut rief Saturninus der Menge zu, daß alles, was er beantragt, im Einverständnis mit dem Konsul geschehen sei; selbst einem schlechteren Mann, als Marius war, mußte grauen vor der ehrlosen Rolle, die er an diesem Tage spielte. Indes er war längst nicht mehr Herr der Dinge. Ohne Befehl erklimmte die vornehme Jugend das Dach des Rathauses am Markt, in das man vorläufig die Gefangenen eingesperrt hatte, deckte die Ziegel ab und steinigte sie mit denselben. So kam Saturninus um mit den meisten der namhafteren Gefangenen. Glaucia ward in einem Versteck gefunden und gleichfalls getötet. Ohne Urteil und Recht starben an diesem Tage vier Beamte des römischen Volkes. ein Prätor, ein Quästor, zwei Volkstribune und eine Anzahl anderer bekannter und zum Teil guten Familien angehöriger Männer. Trotz der schweren und blutigen Verschuldungen, die die Häupter auf sich geladen hatten, durfte man dennoch sie bedauern; sie fielen wie die Vorposten, die das Hauptheer im Stich läßt und sie nötigt, im verzweifelten Kampf zwecklos unterzugehen.

Nie hatte die Regierungspartei einen vollständigeren Sieg erfochten, nie die Opposition eine härtere Niederlage erlitten als an diesem 10. Dezember. Es war das wenigste, daß man sich einiger unbequemer Schreier entledigt hatte, die jeden Tag durch Gesellen von gleichem Schlag ersetzt werden konnten; schwerer fiel ins Gewicht, daß der einzige Mann, der damals imstande war, der Regierung gefährlich zu werden, sich selber öffentlich und vollständig vernichtet hatte; am schwersten, daß die beiden oppositionellen Elemente, der Kapitalistenstand und das Proletariat, gänzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgingen. Zwar das Werk der Regierung war dies nicht; teils die Macht der Verhältnisse, teils und vor allem die grobe Bauernfaust seines unfähigen Nachtreters hatten wieder aufgelöst, was unter Gaius Gracchus’ gewandter Hand sich zusammenfügte; allein im Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung oder Glück der Regierung zum Siege verhalf. Eine kläglichere Stellung ist kaum zu erdenken, als wie sie der Held von Aquae und Vercellae nach jener Katastrophe einnahm - nur um so kläglicher, weil man nicht anders konnte, als sie mit dem Glanze vergleichen, der nur wenige Monate zuvor denselben Mann umgab. Weder auf aristokratischer noch auf demokratischer Seite gedachte weiter jemand des siegreichen Feldherrn bei der Besetzung der Ämter; der Mann der sechs Konsulate konnte nicht einmal wagen, sich 656 (98) um die Zensur zu bewerben. Er ging fort in den Osten, wie er sagte, um ein Gelübde dort zu lösen, in der Tat, um nicht von der triumphierenden Rückkehr seines Todfeindes, des Quintus Metellus, Zeuge zu sein; man ließ ihn gehen. Er kam wieder zurück und öffnete sein Haus; seine Säle standen leer. Immer hoffte er, daß es wieder Kämpfe und Schlachten geben und man seines erprobten Armes abermals bedürfen werde; er dachte sich im Osten, wo die Römer allerdings Ursache genug gehabt hätten, energisch zu intervenieren, Gelegenheit zu einem Kriege zu machen. Aber auch dies schlug ihm fehl wie jeder andere seiner Wünsche; es blieb tiefer Friede. Und dabei fraß der einmal in ihm aufgestachelte Hunger nach Ehren, je öfter er getäuscht ward, immer tiefer sich ein in sein Gemüt; abergläubisch wie er war, nährte er in seinem Busen ein altes Orakelwort, das ihm sieben Konsulate verheißen hatte, und sann in finsteren Gedanken, wie es geschehen möge, daß dies Wort seine Erfüllung und er seine Rache bekomme, während er allen, nur sich selbst nicht, unbedeutend und unschädlich erschien.

Folgenreicher noch als die Beseitigung des gefährlichen Mannes war die tiefe Erbitterung gegen die sogenannten Popularen, welche die Schilderhebung des Saturninus in der Partei der materiellen Interessen zurückließ. Mit der rücksichtslosesten Härte verurteilten die Rittergerichte jeden, der zu den oppositionellen Ansichten sich bekannte; so ward Sextus Titius mehr noch als wegen seines Ackergesetzes deswegen verdammt, weil er des Saturninus Bild im Hause gehabt hatte; so Gaius Appuleius Decianus, weil er als Volkstribun das Verfahren gegen Saturninus als ein ungesetzliches bezeichnet hatte. Sogar für ältere, von den Popularen der Aristokratien zugefügte Unbill wurde nun nicht ohne Aussicht auf Erfolg vor den Rittergerichten Genugtuung gefordert. Weil Gaius Norbanus acht Jahre zuvor in Gemeinschaft mit Saturninus den Konsular Quintus Caepio ins Elend getrieben hatte, wurde er jetzt (659 95) auf Grund seines eigenen Gesetzes des Hochverrats angeklagt, und lange schwankten die Geschworenen - nicht, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig, sondern ob sein Bundesgenosse oder sein Feind, Saturninus oder Caepio ihnen hassenswerter erscheine, bis sie denn doch zuletzt für Freisprechung sich entschieden. War man auch der Regierung an sich nicht geneigter als früher, so erschien doch nun, seit man sich, wenn auch nur einen Augenblick, am Rande der eigentlichen Pöbelherrschaft befunden hatte, jedem, der etwas zu verlieren hatte, das bestehende Regiment in einem anderen Licht es war notorisch elend und staatsverderberisch, aber die kümmerliche Furcht vor dem noch elenderen und noch staatsverderblicheren Regiment der Proletarier hatte ihm einen relativen Wert verliehen. So ging jetzt die Strömung, daß die Menge einen Volkstribun zerriß, der es gewagt hatte, die Rückkehr des Quintus Metellus zu verzögern, und daß die Demokraten anfingen, ihr Heil zu suchen in dem Bündnis mit Mördern und Giftmischern, wie sie zum Beispiel des verhaßten Metellus durch Gift sich entledigten, oder gar in dem Bündnis mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von ihnen schon flüchteten an den Hof des Königs Mithradates, der im stillen zum Krieg rüstete gegen Rom.

Auch die äußeren Verhältnisse gestalteten für die Regierung sich günstig. Die römischen Waffen waren in der Zeit vom Kimbrischen bis auf den Bundesgenossenkrieg nur wenig, überall aber mit Ehren tätig. Ernstlich gestritten wurde nur in Spanien, wo während der letzten für Rom so schweren Jahre die Lusitaner (649f. 105) und die Keltiberer sich reit ungewohnter Heftigkeit gegen die Römer aufgelehnt hatten; hier stellten in dem Jahre 656-661 (98-93) der Konsul Titus Didius in der nördlichen und der Konsul Publius Crassus in der südlichen Provinz mit Tapferkeit und Glück nicht bloß das Obergewicht der römischen Waffen wieder her, sondern schleiften auch die wiederspenstigen Städte und versetzten, wo es nötig schien, die Bevölkerung der festen Bergstädte in die Ebenen. Daß um dieselbe Zeit die römische Regierung auch wieder des ein Menschenalter hindurch vernachlässigten Ostens gedachte und energischer, als seit langem erhört war, in Kyrene, Syrien, Kleinasien auftrat, wird später darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn der Revolution war das Regiment der Restauration so fest begründet, so populär gewesen. Konsularische Gesetze lösten die tribunizischen, Freiheitsbeschränkungen die Fortschrittsmaßregeln ab. Die Kassierung der Gesetze des Saturninus verstand sich von selbst; die überseeischen Kolonien des Marius schwanden zusammen zu einer einzigen winzigen Ansiedelung auf der wüsten Insel Korsika. Als der Volkstribun Sextus Titius, ein karikierter Alkibiades, der im Tanz und Ballspiel stärker war als in der Politik und dessen hervorragendstes Talent darin bestand, nachts auf den Straßen die Götterbilder zu zerschlagen, das Appuleische Ackergesetz im Jahre 655 (99) wieder ein- und durchbrachte, konnte der Senat das neue Gesetz unter einem religiösen Vorwand kassieren, ohne daß jemand dafür einzustehen auch nur versucht hätte; den Urheber straften, wie schon erwähnt ward, die Ritter in ihren Gerichten. Das Jahr darauf (656 98) machte ein von den beiden Konsuln eingebrachtes Gesetz die übliche vierundzwanzigtägige Frist zwischen Ein- und Durchbringung eines Gesetzvorschlags obligatorisch und verbot, mehrere verschiedenartige Bestimmungen in einen Antrag zusammenzufassen; wodurch die unvernünftige Ausdehnung der legislatorischen Initiative wenigstens etwas beschränkt und offenbare Überrumpelungen der Regierung durch neue Gesetze abgewehrt wurden. Immer deutlicher zeigte es sich, daß die Gracchische Verfassung, die den Sturz ihres Urhebers überdauert hatte, jetzt, seit die Menge und die Geldaristokratie nicht mehr zusammengingen, in ihren Grundfesten schwankte. Wie diese Verfassung geruht hatte auf der Spaltung der Aristokratie, so schien die Zwiespältigkeit der Opposition sie zu Falle bringen zu müssen. Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, um das unvollkommene Restaurationswerk von 633 (121) zu vollenden, um dem Tyrannen endlich auch seine Verfassung nachzusenden und die regierende Oligarchie in den Alleinbesitz der politischen Gewalt wiedereinzusetzen.

Es kam alles an auf die Wiedergewinnung der Geschworenenstellen. Die Verwaltung der Provinzen, die hauptsächliche Grundlage des senatorischen Regiments, war von den Geschworenengerichten, namentlich von der Kommission wegen Erpressungen, in dem Maße abhängig geworden, daß der Statthalter die Provinz nicht mehr für den Senat, sondern für den Kapitalisten- und Kaufmannsstand zu verwalten schien. Wie bereitwillig immer die Geldaristokratie der Regierung entgegenkam, wenn es um Maßregeln gegen die Demokraten sich handelte, so unnachsichtlich ahndete sie jeden Versuch, sie in diesem ihrem wohlerworbenen Recht freiesten Schaltens in den Provinzen zu beschränken. Einzelne derartige Versuche wurden jetzt gemacht; die regierende Aristokratie fing wieder an, sich zu fühlen und eben ihre besten Männer hielten sich verpflichtet, der entsetzlichen Mißwirtschaft in den Provinzen wenigstens für ihre Person entgegenzutreten. Am entschlossensten tat dies Quintus Mucius Scaevola, gleich seinem Vater Publius Oberpontifex und im Jahre 659 (95) Konsul, der erste Jurist und einer der vorzüglichsten Männer seiner Zeit. Als prätorischer Statthalter (um 656 98) von Asia, der reichsten und gemißhandeltsten unter allen Provinzen, statuierte er in Gemeinschaft mit seinem älteren, als Offizier, Jurist und Geschichtschreiber ausgezeichneten Freunde, dem Konsular Publius Rutilius Rufus, ein ernstes und abschreckendes Exempel. Ohne einen Unterschied zwischen Italikern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen zu machen, nahm er jede Klage an und zwang nicht bloß die römischen Kaufleute und Staatspächter wegen erwiesener Schädigungen, vollen Geldersatz zu leisten, sondern, als einige ihrer angesehensten und rücksichtslosesten Agenten todeswürdiger Verbrechen schuldig befunden wurden, ließ er diese, taub gegen alle Bestechungsanträge, ans Kreuz schlagen wie Rechtens. Der Senat billigte sein Verfahren und setzte sogar seitdem den Statthaltern von Asia es in die Instruktion, daß sie sich die Verwaltungsgrundsätze Scaevolas zum Muster nehmen möchten; allein die Ritter, wenn sie gleich an den hochadligen und vielvermögenden Staatsmann selber sich nicht wagten, zogen seine Gefährten vor Gericht, zuletzt (um 662 92) sogar den angesehensten derselben, seinen Legaten Publius Rufus, der nur durch Verdienste und anerkannte Rechtschaffenheit, nicht durch Familienanhang verteidigt war. Die Anklage, daß dieser Mann sich in Asia habe Erpressungen zuschulden kommen lassen, brach zwar fast zusammen unter ihrer eigenen Lächerlichkeit wie unter der Verworfenheit des Anklägers, eines gewissen Apicius; allein man ließ dennoch die willkommene Gelegenheit, den Konsular zu demütigen, nicht vorübergehen, und da dieser, die falsche Beredsamkeit, die Trauergewänder, die Tränen verschmähend, sich kurz, einfach und sachlich verteidigte und den souveränen Kapitalisten die begehrte Huldigung stolz verweigerte, ward er in der Tat verurteilt und sein mäßiges Vermögen zur Befriedigung erdichteter Entschädigungsansprüche eingezogen. Der Verurteilte begab sich in die angeblich von ihm ausgeplünderte Provinz und verlebte daselbst, von sämtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen und zeit seines Lebens gefeiert und beliebt, in literarischer Muße die ihm noch übrigen Tage. Und diese schmachvolle Verurteilung war wohl der ärgste, aber keineswegs der einzige Fall der Art. Mehr vielleicht noch als solcher Mißbrauch der Justiz gegen Männer fleckenlosen Wandels, aber neuen Adels erbitterte es die senatorische Partei, daß der reinste Adel nicht mehr genügte, die etwaigen Flecken der Ehrlichkeit zuzudecken. Kaum war Rufus aus dem Lande, als der angesehenste aller Aristokraten, seit zwanzig Jahren der Vormann des Senats, der siebzigjährige Marcus Scaurus, wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward; nach aristokratischen Begriffen ein Sacrilegium, selbst wenn er schuldig war. Das Anklägeramt fing an von schlechten Gesellen gewerbsmäßig betrieben zu werden und nicht Unbescholtenheit, nicht Rang, nicht Alter schützte mehr vor den frevelhaftesten und gefährlichsten Angriffen. Die Erpressungskommission ward aus einer Schutzwehr der Provinzialen ihre schlimmste Geißel; der offenkundige Dieb ging frei aus, wenn er nur seine Mitthebe gewähren ließ und sich nicht weigerte, einen Teil der erpreßten Summen den Geschworenen zufließen zu lassen; aber jeder Versuch, den billigen Forderungen der Provinzialen auf Recht und Gerechtigkeit zu entsprechen, reichte hin zur Verurteilung. Die römische Regierung schien in dieselbe Abhängigkeit von dem kontrollierenden Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst das Richterkollegium in Karthago den dortigen Rat gehalten hatte. In furchtbarer Weise erfüllte sich Gaius Gracchus’ ahnungsvolles Wort, daß mit dem Dolche seines Geschworenengesetzes die vornehme Welt sich selber zerfleischen werde.

Ein Sturm auf die Rittergerichte war unvermeidlich. Wer in der Regierungspartei noch Sinn dafür hatte, daß das Regieren nicht bloß Rechte, sondern auch Pflichten in sich schließt, ja wer nur noch edleren und stolzeren Ehrgeiz in sich empfand, mußte sich auflehnen gegen diese erdrückende und entehrende politische Kontrolle, die jede Möglichkeit, rechtschaffen zu verwalten, von vornherein abschnitt. Die skandalöse Verurteilung des Rutilius Rufus schien eine Aufforderung, den Angriff sofort zu beginnen, und Marcus Livius Drusus, der im Jahre 663 (91) Volkstribun war, betrachtete dieselbe als besonders an sich gerichtet. Der Sohn des gleichnamigen Mannes, der dreißig Jahre zuvor zunächst den Gaius Gracchus gestürzt und später auch als Offizier durch die Unterwerfung der Skordisker sich einen Namen gemacht hatte, war Drusus, gleich seinem Vater, streng konservativ gesinnt und hatte diese seine Gesinnung bereits in dem Aufstand des Saturninus tatsächlich bewährt. Er gehörte den Kreisen des höchsten Adels an und war Besitzer eines kolossalen Vermögens; auch der Gesinnung nach war er ein echter Aristokrat - ein energisch stolzer Mann, der es verschmähte, mit den Ehrenzeichen seiner Ämter sich zu behängen, aber auf dem Totenbette es aussprach, daß nicht bald ein Bürger wiederkommen werde, der ihm gleich sei; ein Mann, dem das schöne Wort, daß der Adel verpflichtet, die Richtschnur seines Lebens ward und blieb. Mit der ganzen ernsten Leidenschaft seines Gemütes hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit und Feilheit des vornehmen Pöbels; zuverlässig und sittenstreng war er bei den geringen Leuten, denen seine Tür und sein Beutel immer offenstanden, mehr geachtet als eigentlich beliebt und trotz seiner Jugend durch die persönliche Würde seines Charakters von Gewicht im Senat wie auf dem Markte. Auch stand er nicht allein. Marcus Scaurus hatte den Mut, bei Gelegenheit seiner Verteidigung in dem Prozeß wegen Erpressungen den Drusus öffentlich aufzufordern, Hand zu legen an die Reform der Geschworenenordnung; er sowie der berühmte Redner Lucius Crassus waren im Senat die eifrigsten Verfechter, vielleicht die Miturheber seiner Anträge. Indes die Masse der regierenden Aristokratie dachte keineswegs wie Drusus, Scaurus und Crassus. Es fehlte im Senat nicht an entschiedenen Anhängern der Kapitalistenpartei, unter denen namentlich sich bemerkbar machten der derzeitige Konsul Lucius Marcius Philippus, der wie früher die Sache der Demokratie, so jetzt die des Ritterstandes mit Eifer und Klugheit verfocht, und der verwegene und rücksichtslose Quintus Caepio, den zunächst die persönliche Feindschaft gegen Drusus und Scaurus zu dieser Opposition bestimmte. Allein gefährlicher als diese entschiedenen Gegner war die feige und faule Masse der Aristokratie, die zwar die Provinzen lieber allein geplündert hätte, aber am Ende auch nicht viel dawider hatte, mit den Rittern die Beute zu teilen, und, statt den Ernst und die Gefahren des Kampfes gegen die übermütigen Kapitalisten zu übernehmen, es viel billiger und bequemer fand, sich von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch einen Fußfall oder auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen. Nur der Erfolg konnte zeigen, wieweit es gelingen werde, diese Masse mit fortzureißen, ohne die es nun einmal nicht möglich war, zum Ziele zu gelangen.

Drusus entwarf den Antrag, die Geschworenenstellen den Bürgern vom Ritterzensus zu entziehen und sie dem Senat zurückzugeben, welcher zugleich durch Aufnahme von 300 neuen Mitgliedern in den Stand gesetzt werden sollte, den vermehrten Obliegenheiten zu genügen; zur Aburteilung derjenigen Geschworenen, die der Bestechlichkeit sich schuldig gemacht hätten oder schuldig machen würden, sollte eine eigene Kriminalkommission niedergesetzt werden. Hiermit war der nächste Zweck erreicht, die Kapitalisten ihrer politischen Sonderrechte zu berauben und sie für die verübte Unbill zur Verantwortung zu ziehen. Indes Drusus’ Anträge und Absichten beschränkten sich hierauf keineswegs; seine Vorschläge waren keine Gelegenheitsmaßregeln, sondern ein umfassender und durchdachter Reformplan. Er beantragte ferner, die Getreideverteilung zu erhöhen und die Mehrkosten zu decken durch die dauernde Emission einer verhältnismäßigen Zahl von kupfernen plattierten neben den silbernen Denaren, sodann das gesamte noch unverteilte italische Ackerland, also namentlich die Kampanische Domäne, und den besten Teil Siziliens zur Ansiedlung von Bürgerkolonisten zu bestimmen; endlich ging er gegen die italischen Bundesgenossen die bestimmtesten Verpflichtungen ein, ihnen das römische Bürgerrecht zu verschaffen. So erschienen denn hier von aristokratischer Seite ebendieselben Herrschaftsstützen und ebendieselben Reformgedanken, auf denen Gaius Gracchus’ Verfassung beruht hatte - ein seltsames und doch sehr begreifliches Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung, daß, wie die Tyrannis gegen die Oligarchie, so diese gegen die Geldaristokratie sich stützte auf das besoldete und gewissermaßen organisierte Proletariat; hatte die Regierung früher die Ernährung des Proletariats auf Staatskosten als ein unvermeidliches Übel hingenommen, so dachte Drusus jetzt dasselbe, wenigstens für den Augenblick, gegen die Geldaristokratie zu gebrauchen. Es war nur in der Ordnung, daß der bessere Teil der Aristokratie, ebenwie ehemals auf das Ackergesetz des Tiberius Gracchus, so jetzt bereitwillig einging auf alle diejenigen Reformmaßregeln, die, ohne die Oberhauptsfrage zu berühren, nur darauf abzweckten, die alten Schäden des Staats auszuheilen. In der Emigrations- und Kolonisationsfrage konnte man zwar so weit nicht gehen wie die Demokratie, da die Herrschaft der Oligarchie wesentlich beruhte auf dem freien Schalten über die Provinzen und durch jedes dauernde militärische Kommando gefährdet ward; die Gedanken, Italien und die Provinzen gleichzustellen und jenseits der Alpen zu erobern, vertrugen mit den konservativen Prinzipien sich nicht. Allein die launischen und selbst die kampanischen Domänen so wie Sizilien konnte der Senat recht wohl aufopfern, um den italischen Bauernstand zu heben und dennoch die Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch hinzukam, daß man künftigen Agitationen nicht wirksamer vorbeugen konnte als dadurch, daß alles irgend verfügbare Land von der Aristokratie selbst zur Aufteilung gebracht ward und für künftige Demagogen, nach Drusus’ eigenem Ausdruck, nichts zu verteilen übrig blieb als der Gassenkot und das Morgenrot. Ebenso war es für die Regierung, mochte dies nun ein Monarch sein oder eine geschlossene Anzahl herrschender Familien, ziemlich einerlei, ob halb oder ganz Italien zum römischen Bürgerverband gehörte; und daher mußten wohl beiderseits die reformierenden Männer sich in dem Gedanken begegnen, durch zweckmäßige und rechtzeitige Erstreckung des Bürgerrechts die Gefahr abzuwenden, daß die Insurrektion von Fregellae in größerem Maßstab wiederkehre, nebenher auch an den zahl- und einflußreichen Italikern sich Bundesgenossen für ihre Pläne suchen. So scharf in der Oberhauptsfrage die Ansichten und Absichten der beiden großen politischen Parteien sich schieden, so vielfach berührten sich in den Operationsmitteln und in den reformistischen Tendenzen die besten Männer aus beiden Lagern; und wie Scipio Aemilianus ebenso unter den Widersachern des Tiberius Gracchus wie unter den Förderern seiner Reformbestrebungen genannt werden kann, so war auch Drusus der Nachfolger und Schüler nicht minder als der Gegner des Gaius. Die beiden hochgeborenen und hochsinnigen jugendlichen Reformatoren waren sich ähnlicher, als es auf den ersten Blick schien und auch persönlich beide nicht unwert, über dem trüben Nebel des befangenen Parteitreibens in reineren und höheren Anschauungen sich mit dem Kern ihrer patriotischen Bestrebungen zu begegnen.

Es handelte sich um die Durchbringung der von Drusus entworfenen Gesetze, von denen übrigens der Antragsteller, ebenwie Gaius Gracchus, den bedenklichen Vorschlag, den italischen Bundesgenossen das römische Bürgerrecht zu verleihen, vorläufig zurückhielt und zunächst nur das Geschworenen-, Acker- und Getreidegesetz vorlegte. Die Kapitalistenpartei widerstand aufs heftigste und würde bei der Unentschlossenheit des größten Teils der Aristokratie und der Haltlosigkeit der Komitien ohne Frage die Verwerfung des Geschworenengesetzes durchgesetzt haben, wenn es allein zur Abstimmung gekommen wäre. Drusus faßte deshalb seine sämtlichen Anträge in einen einzigen zusammen; und indem also alle bei den Getreide- und Landverteilungen interessierten Bürger genötigt wurden, auch für das Geschworenengesetz zu stimmen, gelang es durch sie und durch die Italiker, welche mit Ausnahme der in ihrem Domanialbesitz bedrohten großen Grundbesitzer, namentlich der umbrischen und etruskischen, fest zu Drusus standen, das Gesetz durchzubringen - freilich erst, nachdem Drusus den Konsul Philippus, der nicht aufhörte zu widerstreben, hatte verhaften und durch den Büttel in den Kerker abführen lassen. Das Volk feierte den Tribun als seinen Wohltäter und empfing ihn im Theater mit Aufstehen und Beifallklatschen; allein die Abstimmung hatte den Kampf nicht so sehr entschieden als auf einen anderen Boden verlegt, da die Gegenpartei den Antrag des Drusus mit Recht als dem Gesetz von 656 (98) zuwiderlaufend und deshalb als nichtig bezeichnete. Der Hauptgegner des Tribuns, der Konsul Philippus, forderte den Senat auf, aus diesem Grunde das Livische Gesetz als formwidrig zu kassieren; allein die Majorität des Senats, erfreut, die Rittergerichte los zu sein, wies den Antrag zurück. Der Konsul erklärte darauf auf offenem Markte, daß mit einem solchen Senat zu regieren nicht möglich sei und er sich nach einem anderen Staatsrat umsehen werde; er schien einen Staatsstreich zu beabsichtigen. Der Senat, von Drusus deswegen berufen, sprach nach stürmischen Verhandlungen gegen den Konsul ein Tadels- und Mißtrauensvotum aus; allein im geheimen begann sich in einem großen Teil der Majorität die Angst vor der Revolution zu regen, mit der sowohl Philippus als ein großer Teil der Kapitalisten zu drohen schien. Andere Umstände kamen hinzu. Einer der tätigsten und angesehensten unter Drusus’ Gesinnungsgenossen, der Redner Lucius Crassus, starb plötzlich wenige Tage nach jener Senatssitzung (September 663 91). Die von Drusus mit den Italikern angeknüpften Verbindungen, die er anfangs nur wenigen seiner Vertrautesten mitgeteilt hatte, wurden allmählich ruchbar, und in das wütende Geschrei über Landesverrat, das die Gegner erhoben, stimmten viele, vielleicht die meisten Männer der Regierungspartei mit ein; selbst die edelmütige Warnung, die er dem Konsul Philippus zukommen ließ, bei dem Bundesfest auf dem Albanerberg vor den von den Italikern ausgesandten Mördern sich zu hüten, diente nur dazu, ihn weiter zu kompromittieren, indem sie zeigte, wie tief er in die unter den Italikern gärenden Verschwörungen verwickelt war. Immer heftiger drängte Philippus auf Kassation des Livischen Gesetzes; immer lauer ward die Majorität in der Verteidigung desselben. Bald erschien die Rückkehr zu den früheren Verhältnissen der großen Menge der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als der einzige Ausweg, und der Kassationsbeschluß wegen formeller Mängel erfolgte. Drusus, nach seiner Art streng sich bescheidend, begnügte sich daran zu erinnern, daß der Senat also selbst die verhaßten Rittergerichte wiederherstelle, und begab sich seines Rechtes, den Kassationsbeschluß durch Interzession ungültig zu machen. Der Angriff des Senats auf die Kapitalistenpartei war vollständig abgeschlagen, und willig oder unwillig fügte man sich abermals in das bisherige Joch. Aber die hohe Finanz begnügte sich nicht gesiegt zu haben. Als Drusus eines Abends auf seinem Hausflur die wie gewöhnlich ihn begleitende Menge eben verabschieden wollte, stürzte er plötzlich vor dem Bilde seines Vaters zusammen; eine Mörderhand hatte ihn getroffen und so sicher, daß er wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der Täter war in der Abenddämmerung verschwunden, ohne daß jemand ihn erkannt hatte, und eine gerichtliche Untersuchung fand nicht statt; aber es brauchte derselben nicht, um hier jenen Dolch zu erkennen, mit dem die Aristokratie sich selber zerfleischte. Dasselbe gewaltsame und grauenvolle Ende, das die demokratischen Reformatoren weggerafft hatte, war auch dem Gracchus der Aristokratie bestimmt. Es lag darin eine tiefe und traurige Lehre. An dem Widerstand oder an der Schwäche der Aristokratie scheiterte die Reform, selbst wenn der Versuch zu reformieren aus ihren eigenen Reihen hervorging. Seine Kraft und sein Leben hatte Drusus darangesetzt, die Kaufmannsherrschaft zu stürzen, die Emigration zu organisieren, den drohenden Bürgerkrieg abzuwenden; er sah noch selbst die Kaufleute unumschränkter regieren als je, sah alle seine Reformgedanken vereitelt und starb mit dem Bewußtsein, daß seid jäher Tod das Signal zu dem fürchterlichsten Bürgerkrieg sein werde, der je das schöne italische Land verheert hat.

KAPITEL VII.
Die Empörung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution

Seitdem mit Pyrrhos’ Überwindung der letzte Krieg, den die Italiker für ihre Unabhängigkeit geführt hatten, zu Ende gegangen war, das heißt seit fast zweihundert Jahren, hatte jetzt das römische Prinzipat in Italien bestanden, ohne daß es selbst unter den gefährlichsten Verhältnissen ein einziges Mal in seiner Grundlage geschwankt hätte. Vergeblich hatte das Heldengeschlecht der Barleiden, vergeblich die Nachfolger des großen Alexander und der Achämeniden versucht, die italische Nation zum Kampf aufzurütteln gegen die übermächtige Hauptstadt; gehorsam war dieselbe auf den Schlachtfeldern am Guadalquivir und an der Medscherda, am Tempepaß und am Sipylos erschienen und hatte mit dem besten Blute ihrer Jugend ihren Herren die Untertänigkeit dreier Weltteile erfechten helfen. Ihre eigene Stellung indessen hatte sich wohl verändert, aber eher verschlechtert als verbessert. In materieller Hinsicht zwar hatte sie sich im allgemeinen nicht zu beklagen. Wenn auch der kleine und der mittlere Grundbesitzer durch ganz Italien infolge der unverständigen römischen Korngesetzgebung litt, so gediehen dafür die größeren Gutsherren und mehr noch der Kaufmanns- und Kapitalistenstand, da die Italiker hinsichtlich der finanziellen Ausbeutung der Provinzen im wesentlichen denselben Schutz und dieselben Vorrechte genossen wie die römischen Bürger und also die materiellen Vorteile des politischen Übergewichts der Römer großenteils auch ihnen zugute kamen. Überhaupt waren die wirtschaftlichen und sozialen Zustände Italiens nicht zunächst abhängig von den politischen Unterschieden; es gab vorzugsweise bundesgenössische Landschaften, wie Etrurien und Umbrien, in denen der freie Bauernstand verschwunden war, andere, wie die Abruzzentäler, in denen derselbe noch leidlich und zum Teil fast unberührt sich erhalten hatte - ähnlich wie sich gleiche Verschiedenheit auch in den verschiedenen römischen Bürgerdistrikten nachweisen läßt. Dagegen die politische Zurücksetzung ward immer herber, immer schroffer. Wohl fand ein förmlicher unverhüllter Rechtsbruch wenigstens in Hauptfragen nicht statt. Die Kommunalfreiheit, welche unter dem Namen der Souveränität den italischen Gemeinden vertragsmäßig zustand, wurde von der römischen Regierung im ganzen respektiert; den Angriff, den die römische Reformpartei im Anfang der agrarischen Bewegung auf die den besser gestellten Gemeinden verbrieften römischen Domänen machte, hatte nicht bloß die streng konservative sowie die Mittelpartei in Rom ernstlich bekämpft, sondern auch die römische Opposition selbst sehr bald aufgegeben. Allein die Rechte, welche Rom als der führenden Gemeinde zustanden und zustehen mußten, die oberste Leitung des Kriegswesens und die Oberaufsicht über die gesamte Verwaltung, wurden in einer Weise ausgeübt, die fast ebenso schlimm war, als wenn man die Bundesgenossen geradezu für rechtlose Untertanen erklärt hätte. Die zahlreichen Milderungen des furchtbar strengen römischen Kriegsrechts, welche im Laufe des siebenten Jahrhunderts in Rom eingeführt wurden, scheinen sämtlich auf die römischen Bürgersoldaten beschränkt geblieben zu sein; von der wichtigsten, der Abschaffung der standrechtlichen Hinrichtungen, ist dies gewiß und der Eindruck leicht zu ermessen, wenn, wie dies im Jugurthinischen Krieg geschah, angesehene latinische Offiziere nach Urteil des römischen Kriegsrats enthauptet wurden, dem letzten Bürgersoldaten aber im gleichen Fall das Recht zustand, an die bürgerlichen Gerichte Roms Berufung einzulegen. In welchem Verhältnis die Bürger und die italischen Bundesgenossen zum Kriegsdienst angezogen werden sollten, war vertragsmäßig wie billig unbestimmt geblieben; allein während in früherer Zeit beide durchschnittlich die gleiche Zahl Soldaten gestellt hatten, wurden jetzt, obwohl das Bevölkerungsverhältnis wahrscheinlich eher zu Gunsten als zum Nachteil der Bürgerschaft sich verändert hatte, die Forderungen an die Bundesgenossen allmählich unverhältnismäßig gesteigert, so daß man ihnen teils den schwereren und kostbareren Dienst vorzugsweise aufbürdete, teils jetzt regelmäßig auf einen Bürger zwei Bundesgenossen aushob. Ähnlich wie die militärische Oberleitung wurde die bürgerliche Oberaufsicht, welche mit Einschluß der davon kaum zu trennenden obersten Administrativjurisdiktion die römische Regierung stets und mit Recht über die abhängigen italischen Gemeinden sich vorbehalten hatte, in einer Weise ausgedehnt, daß die Italiker fast nicht minder als die Provinzialen sich der Willkür eines jeden der zahllosen römischen Beamten schutzlos preisgegeben sahen. In Teanum Sidicinum, einer der angesehensten Bundesstädte, hatte ein Konsul den Bürgermeister der Stadt an dem Schandpfahl auf dem Markt mit Ruten stäupen lassen, weil seiner Gemahlin, die in dem Männerbad zu baden verlangte, die Munizipalbeamten nicht schleunig genug die Badenden ausgetrieben hatten und ihr das Bad nicht sauber erschienen war. Ähnliche Auftritte waren in Ferentinum, gleichfalls einer Stadt besten Rechts, ja in der alten und wichtigen latinischen Kolonie Cales vorgefallen. In der latinischen Kolonie Venusia war ein freier Bauersmann von einem durchpassierenden jungen, amtlosen römischen Diplomaten wegen eines Spaßes, den er sich über dessen Sänfte erlaubt hatte, angehalten, niedergeworfen und mit dem Tragriemen der Sänfte zu Tode gepeitscht worden. Dieser Vorfälle wird um die Zeit des fregellanischen Aufstandes gelegentlich gedacht; es leidet keinen Zweifel, daß ähnliche Unrechtfertigkeiten häufig vorkamen und ebensowenig, daß eine ernstliche Genugtuung für solche Missetaten nirgends zu erlangen war, wogegen das nicht leicht ungestraft verletzte Provokationsrecht wenigstens Leib und Leben des römischen Bürgers einigermaßen schützte. Es konnte nicht fehlen, daß infolge dieser Behandlung der Italiker seitens der römischen Regierung die Spannung, welche die Weisheit der Ahnen zwischen den latinischen und den sonstigen italischen Gemeinden sorgfältig unterhalten hatte, wenn nicht verschwand, so doch nachließ. Die Zwingburgen Roms und die durch die Zwingburgen in Gehorsam erhaltenen Landschaften lebten jetzt unter dem gleichen Druck; der Latiner konnte den Picenter daran erinnern, daß sie beide in gleicher Weise “den Beilen unterworfen” seien; die Vögte und die Knechte von ehemals vereinigte jetzt der gemeinsame Haß gegen den gemeinsamen Zwingherrn.

Wenn also der gegenwärtige Zustand der italischen Bundesgenossen aus einem leidlichen Abhängigkeitsverhältnis umgeschlagen war in die drückendste Knechtschaft, so war zugleich denselben jede Aussicht auf Erlangung besseren Rechts genommen worden. Schon mit der Unterwerfung Italiens hatte die römische Bürgerschaft sich abgeschlossen und die Erteilung des Bürgerrechts an ganze Gemeinden vollständig aufgegeben, die an einzelne Personen sehr beschränkt. Jetzt ging man noch einen Schritt weiter: bei Gelegenheit der die Erstreckung des römischen Bürgerrechts auf ganz Italien bezweckenden Agitation in den Jahren 628, 632 (126, 122) griff man das Übersiedlungsrecht selbst an und wies geradezu die sämtlichen in Rom sich aufhaltenden Nichtbürger durch Volks- und Senatbeschluß aus der Hauptstadt aus - eine ebenso durch ihre Illiberalität gehässige wie durch die vielfach dabei verletzten Privatinteressen gefährliche Maßregel. Kurz, wenn die italischen Bundesgenossen zu den Römern früher gestanden hatten teils als bevormundete Brüder, mehr beschützt als beherrscht und nicht zu ewiger Unmündigkeit bestimmt, teils als leidlich gehaltene und der Hoffnung auf die Freilassung nicht völlig beraubte Knechte, so standen sie jetzt sämtlich ungefähr in gleicher Untertänigkeit und gleicher Hoffnungslosigkeit unter den Ruten und Beilen ihrer Zwingherren und durften höchstens als bevorrechtete Knechte sich es herausnehmen, die von den Herren empfangenen Fußtritte an die armen Provinzialen weiterzugeben.

Es liegt in der Natur solcher Zerwürfnisse, daß sie anfangs, zurückgehalten durch das Gefühl der nationalen Einheit und die Erinnerung gemeinschaftlich überdauerter Gefahr, leise und gleichsam bescheiden auftreten, bis allmählich der Riß sich erweitert und zwischen den Herrschern, deren Recht lediglich ihre Macht ist, und den Beherrschten, deren Gehorsam nicht weiter reicht als ihre Furcht, das unverhohlene Gewaltverhältnis sich offenbart. Bis zu der Empörung und Schleifung von Fregellae im Jahre 629 (125), die gleichsam offiziell den veränderten Charakter der römischen Herrschaft konstatierte, trug die Gärung unter den Italikern nicht eigentlich einen revolutionären Charakter. Das Begehren nach Gleichberechtigung hatte allmählich sich gesteigert von stillem Wunsch zu lauter Bitte, nur um, je bestimmter es auftrat, desto entschiedener abgewiesen zu werden. Sehr bald konnte man erkennen, daß eine gutwillige Gewährung nicht zu hoffen sei, und der Wunsch, das Verweigerte zu ertrotzen, wird nicht gefehlt haben; allein Roms damalige Stellung ließ den Gedanken, diesen Wunsch zur Tat zu machen, kaum aufkommen. Obwohl das Zahlenverhältnis der Bürger und Nichtbürger in Italien sich nicht gehörig ermitteln läßt, so kann es doch als ausgemacht gelten, daß die Zahl der Bürger nicht sehr viel geringer war als die der italischen Bundesgenossen und auf ungefähr 400000 waffenfähige Bürger mindestens 500000, wahrscheinlich 600000 Bundesgenossen kamen ^1. Solange bei einem solchen Verhältnis die Bürgerschaft einig und kein nennenswerter äußerer Feind vorhanden war, konnte die in eine Unzahl einzelner Stadt- und Gaugemeinden zersplitterte und durch tausendfache öffentliche und Privatverhältnisse mit Rom verknüpfte italische Bundesgenossenschaft zu einem gemeinschaftlichen Handeln nimmermehr gelangen und mit mäßiger Klugheit es der Regierung nicht fehlen, die schwierigen und grollenden Untertanenschaften teils durch die kompakte Masse der Bürgerschaft, teils durch die sehr ansehnlichen Hilfsmittel, die die Provinzen darboten, teils eine Gemeinde durch die andere zu beherrschen. Darum verhielten die Italiker sich ruhig, bis die Revolution Rom zu erschüttern begann; sowie aber diese ausgebrochen war, griffen auch sie ein in das Treiben und Wogen der römischen Parteien, um durch die eine oder die andere die Gleichberechtigung zu erlangen. Sie hatten gemeinschaftliche Sache gemacht erst mit der Volks-, sodann mit der Senatspartei und bei beiden gleich wenig erreicht. Sie hatten sich überzeugen müssen, daß zwar die besten Männer beider Parteien die Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer Forderungen anerkannten, daß aber diese besten Männer, Aristokraten wie Populare, gleich wenig vermochten, bei der Masse ihrer Partei diesen Forderungen Gehör zu verschaffen. Sie hatten es mitangesehen, wie die begabtesten, energischsten, gefeiertsten Staatsmänner Roms in demselben Augenblick, wo sie als Sachwalter der Italiker auftraten, sich von ihren eigenen Anhängern verlassen gefunden hatten und deshalb gestürzt worden waren. In all den Wechselfällen der dreißigjährigen Revolution und Restauration waren Regierungen genug ein- und abgesetzt worden, aber wie auch das Programm wandelbar sein mochte, die kurzsichtige Engherzigkeit saß ewig am Steuer. Vor allem die neuesten Vorgänge hatten es deutlich offenbart, wie vergeblich die Italiker die Berücksichtigung ihrer Ansprüche von Rom erwarteten. Solange sich die Begehren der Italiker mit denen der Revolutionspartei gemischt hatten und bei dieser an dem Unverstand der Massen gescheitert waren, konnte man sich noch dem Glauben überlassen, als sei die Oligarchie nur den Antragstellern, nicht dem Antrag selbst feindlich gesinnt gewesen, als sei noch eine Möglichkeit vorhanden, daß der intelligentere Staat die mit dem Wesen der Oligarchie verträgliche und dem Senat heilsame Maßregel seinerseits aufnehmen werde. Allein die letzten Jahre, in denen der Senat wieder fast unumschränkt regierte, hatten über die Absichten auch der römischen Oligarchie eine nur zu leidige Klarheit verbreitet. Statt der gehofften Milderungen erging im Jahre 659 (95) ein konsularisches Gesetz, das den Nichtbürgern aufs strengste untersagte, des Bürgerrechts sich anzumaßen, und die Kontravenienten mit Untersuchung und Strafe bedrohte - ein Gesetz, das eine große Anzahl der angesehensten und bei der Gleichberechtigungsfrage am meisten interessierten Personen aus den Reihen der Römer in die der Italiker zurückwarf und das in seiner juristischen Unanfechtbarkeit und staatsmännischen Wahnwitzigkeit vollkommen auf einer Linie steht mit jener berühmten Akte, welche den Grund legte zur Trennung Nordamerikas vom Mutterland, und denn auch ebenwie diese die nächste Ursache des Bürgerkrieges ward. Es war nur um so schlimmer, daß die Urheber dieses Gesetzes keineswegs zu den verstockten und unverbesserlichen Optimaten gehörten, sondern keine anderen waren als der kluge und allgemein verehrte, freilich, wie Georg Grenville, von der Natur zum Rechtsgelehrten und vom Verhängnis zum Staatsmann bestimmte Quintus Scaevola, welcher durch seine ebenso ehrenwerte als schädliche Rechtlichkeit erst den Krieg zwischen Senat und Rittern und dann den zwischen Römern und Italikern mehr als irgendein zweiter entzündet hat, und der Redner Lucius Crassus, der Freund und Bundesgenosse des Drusus und überhaupt einer der gemäßigtsten und einsichtigsten Optimaten. Inmitten der heftigen Gärung, die dies Gesetz und die daraus entstandenen zahlreichen Prozesse in ganz Italien hervorriefen, schien den Italikern noch einmal der Stern der Hoffnung aufzugehen in Marcus Drusus. Was fast unmöglich gedünkt hatte, daß ein Konservativer die reformatorischen Gedanken der Gracchen aufnehmen und die Gleichberechtigung der Italiker durchfechten werde, war nun dennoch eingetreten; ein hocharistokratischer Mann hatte sich entschlossen, zugleich die Italiker von der sizilischen Meerenge bis an die Alpen hin und die Regierung zu emanzipieren und all seinen ernsten Eifer, all seine zuverlässige Hingebung an diese hochherzigen Reformpläne zu setzen. Ober wirklich, wie erzählt wird, sich an die Spitze eines Geheimbundes gestellt hat, dessen Fäden durch ganz Italien liefen und dessen Mitglieder sich eidlich 2 verpflichteten, zusammenzustehen für Drusus und die gemeinschaftliche Sache, ist nicht auszumachen; aber wenn er auch nicht zu so gefährlichen und in der Tat für einen römischen Beamten unverantwortlichen Dingen die Hand geboten hat, so ist es doch sicher nicht bei allgemeinen Verheißungen geblieben und sind, wenngleich vielleicht ohne und gegen seinen Willen, auf seinen Namen hin bedenkliche Verbindungen geknüpft worden. Jubelnd vernahm man in Italien, daß Drusus unter Zustimmung der großen Mehrheit des Senats seine ersten Anträge durchgesetzt habe; mit noch größerem Jubel feierten alle Gemeinden Italiens nicht lange darauf die Genesung des plötzlich schwer erkrankten Tribuns. Aber wie Drusus’ weitere Absichten sich enthüllten, wechselten die Dinge; er konnte nicht wagen, das Hauptgesetz einzubringen; er mußte verschieben, mußte zögern, mußte bald zurückweichen. Man vernahm, daß die Majorität des Senats unsicher werde und von ihrem Führer abzufallen drohe; in rascher Folge lief durch die Gemeinden Italiens die Kunde, daß das durchgebrachte Gesetz kassiert sei, daß die Kapitalisten unumschränkter schalteten als je, daß der Tribun von Mörderhand getroffen, daß er tot sei (Herbst 663 91).

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^1 Diese Ziffern sind den Zensuszahlen der Jahre 639 (115) und 684 (70) entnommen; waffenfähige Bürger zählte man in jenem Jahr 394336, in diesem 910000 (nach Phlegon fr. 13 Müller, welchen Satz Clinton und dessen Ausschreiber fälschlich auf den Zensus von 668 (86) beziehen; nach Liv. ep. 98 wurden - nach der richtigen Lesung - 900000 Köpfe gezählt). Die einzige zwischen diesen beiden bekannte Zählungsziffer, die des Zensus von 668 (86), der nach Hieronymus 463000 Köpfe ergab, ist wohl nur deshalb so gering ausgefallen, weil er mitten in der Krise der Revolution stattfand. Da ein Steigen der Bevölkerung Italiens in der Zeit von 639 (115) bis 684 (70) nicht denkbar ist, und selbst die Sullanischen Landanweisungen die Lücken, die der Krieg gerissen, höchstens gedeckt haben können, so darf der Überschuß von reichlich 500000 Waffenfähigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte Aufnahme der Bundesgenossen zurückgeführt werden. Indes ist es möglich und sogar wahrscheinlich, daß in diesen verhängnisvollen Jahren der Gesamtstand der italischen Bevölkerung vielmehr zurückging; rechnet man das Gesamtdefizit auf 100000 Waffenfähige, was nicht übertrieben erscheint, so kommen für die Zeit des Bundesgenossenkrieges in Italien auf zwei Bürger drei Nichtbürger.

2 Die Eidesformel ist erhalten (bei Diod. Vat. p. 128); sie lautet: “Ich schwöre bei dem Kapitolinischen Jupiter und bei der römischen Vesta und bei dem angestammten Mars und bei der zeugenden Sonne und bei der nährenden Erde und bei den göttlichen Gründern und Mehrern (den Penaten) der Stadt Rom, daß mir Freund sein soll und Feind sein soll, wer Freund und Feind ist dem Drusus; ingleichen daß ich weder meines eigenen noch des Lebens meiner Kinder und meiner Eltern schonen will, außer insoweit es dem Drusus frommt und den Genossen dieses Eides. Wenn ich aber Bürger werden sollte durch das Gesetz des Drusus, so will ich Rom achten als meine Heimat und Drusus als den größten meiner Wohltäter. Diesen Eid will ich abnehmen so vielen meiner Mitbürger, als ich vermag; und schwöre ich recht, so gehe es mir wohl, schwöre ich falsch, so gehe es mir übel!”

Indes wird man Wohltun, diesen Bericht mit Vorsicht zu benutzen; er rührt entweder her aus den gegen Drusus von Philippus gehaltenen Reden (worauf die sinnlose, von dem Auszugmacher der Eidesformel vorgesetzte Überschrift ‘Eid des Philippus’ zu führen scheint) oder im besten Fall aus den später über diese Verschwörung in Rom aufgenommenen Kriminalprozeßakten; und auch bei der letzteren Annahme bleibt es fraglich, ob diese Eidesformel aus den Inkulpaten heraus- oder in sie hineininquiriert ward.

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Die letzte Hoffnung, durch Vertrag die Aufnahme in den römischen Bürgerverband zu erlangen, ward den Italikern mit Marcus Drusus zu Grabe getragen. Wozu dieser konservative und energische Mann unter den günstigsten Verhältnissen seine eigene Partei nicht hatte bestimmen können, dazu war überhaupt auf dem Wege der Güte nicht zu gelangen. Den Italikern blieb nur die Wahl, entweder geduldig sich zu fügen oder den Versuch, der vor fünfunddreißig Jahren durch die Zerstörung von Fregellae im Keim erstickt worden war, noch einmal und womöglich mit gesamter Hand zu wiederholen und mit den Waffen sei es Rom zu vernichten und zu beerben, sei es wenigstens die Gleichberechtigung mit Rom zu erzwingen. Es war dieser letztere Entschluß freilich ein Entschluß der Verzweiflung; wie die Sachen lagen, mochte die Auflehnung der einzelnen Stadtgemeinden gegen die römische Regierung gar leicht noch hoffnungsloser erscheinen als der Aufstand der amerikanischen Pflanzstädte gegen das Britische Imperium; allem Anschein nach konnte die römische Regierung mit mäßiger Aufmerksamkeit und Tatkraft dieser zweiten Schilderhebung das Schicksal der früheren bereiten. Allein war es etwa minder ein Entschluß der Verzweiflung, wenn man stillsaß und die Dinge über sich kommen ließ? Wenn man sich erinnerte, wie die Römer ungereizt in Italien zu hausen gewohnt waren, was war jetzt zu erwarten, wo die angesehensten Männer in jeder italischen Stadt mit Drusus in einem Einverständnis gestanden hatten oder haben sollten - beides war hinsichtlich der Folgen ziemlich dasselbe -, das geradezu gegen die jetzt siegreiche Partei gerichtet und füglich als Hochverrat zu qualifizieren war? Allen denen, die an diesem Geheimbund teilgehabt, ja allen, die nur der Teilhaberschaft verdächtigt werden konnten, blieb keine andere Wahl, als den Krieg zu beginnen oder ihren Nacken unter das Henkerbeil zu beugen. Es kam hinzu, daß für eine allgemeine Schilderhebung durch ganz Italien der gegenwärtige Augenblick noch verhältnismäßig günstige Aussichten darbot. Wir sind nicht genau darüber unterrichtet, inwieweit die Römer die Sprengung der größeren italischen Eidgenossenschaften durchgeführt hatten; es ist indes nicht unwahrscheinlich, daß die Marser, die Paeligner, vielleicht sogar die Samniten und Lucaner damals noch in ihrer alten, wenn auch politisch bedeutungslos gewordenen, zum Teil wohl auf bloße Fest- und Opfergemeinschaft zurückgeführten Gemeindebünden zusammenstanden. Immer fand die beginnende Insurrektion jetzt noch an diesen Verbänden einen Stützpunkt; wer aber konnte sagen, wie bald die Römer ebendarum dazu schreiten würden, auch sie zu beseitigen? Der Geheimbund ferner, an dessen Spitze Drusus gestanden haben sollte, hatte sein wirkliches oder gehofftes Haupt an ihm verloren, aber er selber bestand und gewährte für die politische Organisation des Aufstandes einen wichtigen Anhalt, während die militärische daran anknüpfen konnte, daß jede Bundesstadt ihr eigenes Heerwesen und erprobte Soldaten besaß. Andrerseits war man in Rom auf nichts ernstlich gefaßt. Man vernahm wohl davon, daß unruhige Bewegungen in Italien stattfänden und die bundesgenössischen Gemeinden miteinander einen auffallenden Verkehr unterhielten; aber statt schleunigst die Bürger unter die Waffen zu rufen, begnügte das regierende Kollegium sich damit, in herkömmlicher Art die Beamten zur Wachsamkeit zu ermahnen und Spione auszusenden, um etwas Genaueres zu erfahren. Die Hauptstadt war so völlig unverteidigt, daß ein entschlossener marsischer Offizier Quintus Pompaedius Silo, einer von den vertrautesten Freunden des Drusus, den Plan entworfen haben soll, an der Spitze einer Schar zuverlässiger, unter den Gewändern Schwerter führender Männer sich in dieselbe einzuschleichen und sich ihrer durch einen Handstreich zu bemächtigen. Ein Aufstand bereitete also sich vor; Verträge wurden geschlossen, die Rüstungen still und tätig betrieben, bis endlich, wie gewöhnlich noch etwas früher, als die leitenden Männer beabsichtigt hatten, durch einen Zufall die Insurrektion zum Ausbruch kam. Der römische Prätor mit prokonsularischer Gewalt Gaius Servilius, durch seine Kundschafter davon benachrichtigt, daß die Stadt Asculum (Ascoli) in den Abruzzen an die Nachbargemeinden Geiseln sende, begab sich mit seinem Legaten Fonteius und wenigem Gefolge dorthin und richtete an die eben zur Feier der großen Spiele im Theater versammelte Menge eine donnernde Drohrede. Der Anblick der nur zu bekannten Beile, die Verkündigung der nur zu ernst gemeinten Drohungen warf den Funken in den seit Jahrhunderten aufgehäuften Zunder des erbitterten Hasses; die römischen Beamten wurden im Theater selbst von der Menge zerrissen und sofort, gleich als gelte es, durch einen furchtbaren Frevel jede Brücke der Versöhnung abzubrechen, die Tore auf Befehl der Obrigkeit geschlossen, die sämtlichen in Asculum verweilenden Römer niedergemacht und ihre Habe geplündert. Wie die Flamme durch die Steppe lief die Empörung durch die Halbinsel. Voran ging das tapfere und zahlreiche Volk der Marser in Verbindung mit den kleinen, aber kernigen Eidgenossenschaften in den Abruzzen, den Paelignern, Marrucinern, Frentanern und Vestinern; der schon genannte tapfere und kluge Quintus Silo war hier die Seele der Bewegung. Von den Marsern wurde zuerst den Römern förmlich abgesagt, wonach späterhin dem Krieg der Name des marsischen blieb. Dem gegebenen Beispiel folgten die samnitischen und überhaupt die Masse der Gemeinden vom Liris und den Abruzzen bis hinab nach Kalabrien und Apulien, so daß bald in ganz Mittel- und Süditalien gegen Rom gerüstet ward. Die Etrusker und Umbrer dagegen hielten zu Rom, wie sie bereits früher mit den Rittern zusammengehalten hatten gegen Drusus. Es ist bezeichnend, daß in diesen Landschaften seit alten Zeiten die Grund- und Geldaristokratie übermächtig und der Mittelstand gänzlich verschwunden war, wogegen in und an den Abruzzen der Bauernstand sich reiner und frischer bewahrt hatte als irgendwo sonst in Italien; der Bauern- und überhaupt der Mittelstand also war es, aus dem der Aufstand wesentlich hervorging, wogegen die munizipale Aristokratie auch jetzt noch Hand in Hand ging mit der hauptsächlichen Regierung. Danach ist es auch leicht erklärlich, daß in den aufständischen Distrikten einzelne Gemeinden und in den aufständischen Gemeinden Minoritäten festhielten an dem römischen Bündnis; wie zum Beispiel die Vestinerstadt Pinna für Rom eine schwere Belagerung aushielt und ein im Hirpinerland gebildetes Loyalistenkorps unter Minatus Magius von Aeclanum die römischen Operationen in Kampanien unterstützte. Endlich hielten fest an Rom die am besten gestellten bundesgenössischen Gemeinden, in Kampanien, Nola und Nuceria, und die griechischen Seestädte Neapolis und Rhegion, desgleichen wenigstens die meisten latinischen Kolonien, wie zum Beispiel Alba und Aesernia - ebenwie im Hannibalischen Kriege die latinischen und die griechischen Städte im ganzen für die sabellischen gegen Rom Partei genommen hatten. Die Vorfahren hatten Italiens Beherrschung auf die aristokratische Gliederung gegründet und mit geschickter Abstufung der Abhängigkeiten die schlechter gestellten Gemeinden durch die besseren Rechts, innerhalb jeder Gemeinde aber die Bürgerschaft durch die Munizipalaristokratie in Untertänigkeit gehalten. Erst jetzt, unter dem unvergleichlich schlechten Regiment der Oligarchie, erprobte es sich vollständig, wie fest und gewaltig die Staatsmänner des vierten und fünften Jahrhunderts ihre Werksteine ineinandergefügt hatten; auch diese Sturmflut hielt der vielfach erschütterte Bau noch aus. Freilich war damit, daß die besser gestellten Städte nicht auf den ersten Stoß von Rom ließen, noch keineswegs gesagt, daß sie auch jetzt, wie im Hannibalischen Kriege, auf die Länge und nach schweren Niederlagen ausdauern würden, ohne in ihrer Treue gegen Rom zu schwanken; die Feuerprobe war noch nicht überstanden.

Das erste Blut war also geflossen und Italien in zwei große Heerlager auseinandergetreten. Zwar fehlte, wie wir sahen, noch gar viel an einer allgemeinen Schilderhebung der italischen Bundesgenossenschaft; dennoch hatte die Insurrektion schon eine vielleicht die Hoffnungen der Führer selbst übertreffende Ausdehnung gewonnen, und die Insurgenten konnten ohne Übermut daran denken, der römischen Regierung ein billiges Abkommen anzubieten. Sie sandten Boten nach Rom und machten sich anheischig, gegen Aufnahme in den Bürgerverband die Waffen niederzulegen; es war vergebens. Der Gemeinsinn, der so lange in Rom vermißt worden war, schien plötzlich wiedergekehrt zu sein, nun es sich darum handelte, einem gerechten und jetzt auch mit ansehnlicher Macht unterstützten Begehren der Untertanen mit starrer Borniertheit in den Weg zu treten. Die nächste Folge der italischen Insurrektion war, ähnlich wie nach den Niederlagen, die die Regierungspolitik in Afrika und Gallien erlitten hatte, die Eröffnung eines Prozeßkrieges, mittels dessen die Richteraristokratie Rache nahm an denjenigen Männern der Regierung, in denen man, mit Recht oder Unrecht, die nächste Ursache dieses Unheils sah. Auf den Antrag des Tribuns Quintus Varius ward trotz des Widerstandes der Optimaten und trotz der tribunizischen Interzession eine besondere Hochverratskommission, natürlich aus dem mit offener Gewalt für diesen Antrag kämpfenden Ritterstand, niedergesetzt zur Untersuchung der von Drusus angezettelten und, wie in Italien so auch in Rom, weitverzweigten Verschwörung, aus der die Insurrektion hervorgegangen war und die jetzt, da halb Italien in Waffen stand, der gesamten erbitterten und erschreckten Bürgerschaft als unzweifelhafter Landesverrat erschien. Die Urteile dieser Kommission räumten stark auf in den Reihen der senatorischen Vermittlungspartei; unter andern namhaften Männern ward Drusus’ genauer Freund, der junge talentvolle Gaius Cotta, in die Verbannung gesandt, und mit Not entging der greise Marcus Scaurus dem gleichen Schicksal. Der Verdacht gegen die den Reformen des Drusus geneigten Senatoren ging soweit, daß bald nachher der Konsul Lupus aus dem Lager an den Senat berichtete über die Verbindungen, die zwischen den Optimaten in seinem Lager und dem Feinde beständig unterhalten würden; ein Verdacht, der sich freilich bald durch das Aufgreifen marsischer Spione als unbegründet auswies. Insofern konnte der König Mithradates nicht mit Unrecht sagen, daß der Hader der Faktionen ärger als der Bundesgenossenkrieg selbst den römischen Staat zerrüttete. Zunächst indes stellte der Ausbruch der Insurrektion und der Terrorismus, den die Hochverratskommission übte, wenigstens einen Schein her von Einigkeit und Kraft. Die Parteifehden schwiegen; die fähigen Offiziere aller Farben, Demokraten wie Gaius Marius, Aristokraten wie Lucius Sulla, Freunde des Drusus wie Publius Sulpicius Rufus, stellten sich der Regierung zur Verfügung; die Getreideverteilungen wurden, wie es scheint, um diese Zeit durch Volksbeschluß wesentlich beschränkt, um die finanziellen Kräfte des Staates für den Krieg zusammenzuhalten, was um so notwendiger wir, als bei der drohenden Stellung des Königs Mithradates die Provinz Asia jeden Augenblick in Feindeshand geraten und damit eine der Hauptquellen des römischen Schatzes versiegen konnte; die Gerichte stellten mit Ausnahme der Hochverratskommission nach Beschluß des Senats vorläufig ihre Tätigkeit ein; alle Geschäfte stockten und man dachte an nichts als an Aushebung von Soldaten und Anfertigung von Waffen.

Während also der führende Staat in Voraussicht des bevorstehenden schweren Krieges sich straffer zusammennahm, hatten die Insurgenten die schwierigere Aufgabe zu lösen, sich während des Kampfes politisch zu organisieren. In dem inmitten der marsischen, samnitischen, marrucinischen und vestinischen Gaue, also im Herzen der insurgierten Landschaften belegenen Gebiete der Päligner, in der schönen Ebene an dem Pescarafluß ward die Stadt Corfinium auserlesen zum Gegen-Rom oder zur Stadt Italia, deren Bürgerrecht den Bürgern sämtlicher insurgierter Gemeinden erteilt ward; hier wurden in entsprechender Größe Markt und Rathaus abgesteckt. Ein Senat von fünfhundert Mitgliedern erhielt den Auftrag, die Verfassung festzustellen, und die Oberleitung des Kriegswesens. Nach seiner Anordnung erlas die Bürgerschaft aus den Männern senatorischen Ranges zwei Konsuln und zwölf Prätoren, die ebenwie Roms zwei Konsuln und sechs Prätoren die höchste Amtsgewalt in Krieg und Frieden .übernahmen. Die lateinische Sprache, die damals schon bei den Marsern und Picentern die landübliche war, blieb in offiziellem Gebrauch, aber es trat ihr die samnitische als die im südlichen Italien vorherrschende gleichberechtigt zur Seite und beider bediente man sich abwechselnd auf den Silbermünzen, die man nach römischen Mustern und nach römischem Fuß auf den Namen des neuen italischen Staates zu schlagen anfing, also das seit zwei Jahrhunderten von Rom ausgeübte Münzmonopol ebenfalls ihm aneignend. Es geht aus diesen Bestimmungen hervor, was sich freilich schon von selbst versteht, daß die Italiker jetzt nicht mehr sich Gleichberechtigung von den Römern zu erstreiten, sondern diese zu vernichten oder zu unterwerfen und einen neuen Staat zu bilden gedachten. Aber es geht daraus auch hervor, daß ihre Verfassung nichts war als ein reiner Abklatsch der römischen oder, was dasselbe ist, die altgewohnte, bei den italischen Nationen seit undenklicher Zeit hergebrachte Politik: eine Stadtordnung statt einer Staatskonstitution, mit Urversammlungen von gleicher Unbehilflichkeit und Nichtigkeit, wie die römischen Komitien es waren, mit einem regierenden Kollegium, das dieselben Elemente der Oligarchie in sich trug wie der römische Senat, mit einer in gleicher Art durch eine Vielzahl konkurrierender höchster Beamten ausgeübten Exekutive - es geht diese Nachbildung bis in das kleinste Detail hinab, wie zum Beispiel der Konsul- oder Prätortitel des höchstkommandierenden Magistrats auch von den Feldherren der Italiker nach einem Siege vertauscht wird mit dem Titel Imperator. Es ändert sich eben nichts als der Name, ganz wie auf den Münzen der Insurgenten dasselbe Götterbild erscheint und nur die Beschrift nicht Roma, sondern Italia lautet. Nur darin unterscheidet, nicht zu seinem Vorteil, sich dies Insurgenten-Rom von dem ursprünglichen, daß das letztere denn doch eine städtische Entwicklung gehabt und seine unnatürliche Zwischenstellung zwischen Stadt und Staat wenigstens auf natürlichem Wege sich gebildet hatte, wogegen das neue Italia gar nichts war als der Kongreßplatz der Insurgenten und durch eine reine Legalfiktion die Bewohner der Halbinsel zu Bürgern dieser neuen Hauptstadt gestempelt wurden. Bezeichnend aber ist es, daß hier, wo die plötzliche Verschmelzung einer Anzahl einzelner Gemeinden zu einer neuen politischen Einheit den Gedanken einer Repräsentativverfassung im modernen Sinn so nahelegte, doch von einer solchen keine Spur, ja das Gegenteil sich zeigt 3 und nur die kommunale Organisation in einer noch widersinnigeren Weise als bisher reproduziert wird. Vielleicht nirgends zeigt es sich so deutlich wie hier, daß dem Altertum die freie Verfassung unzertrennlich ist von dem Auftreten des souveränen Volkes in eigener Person in den Urversammlungen oder von der Stadt, und daß der große Grundgedanke des heutigen republikanisch-konstitutionellen Staates: die Volkssouveränität auszudrücken durch eine Repräsentantenversammlung, dieser Gedanke, ohne den der freie Staat ein Unding wäre, ganz und vollkommen modern ist. Selbst die italische Staatenbildung, obwohl sie in den gewissermaßen repräsentativen Senaten und in dem Zurücktreten der Komitien dem freien Staat der Neuzeit sich nähert, hat doch weder als Rom noch als Italia jemals die Grenzlinie zu überschreiten vermocht.

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3 Selbst aus unserer dürftigen Kunde, worunter Diodor (p. 538) und Strabon (5, 4, 2) noch das Beste geben, erhellt dies sehr bestimmt; wie denn zum Beispiel der letztere ausdrücklich sagt, daß die Bürgerschaft die Beamten wählte. Daß der Senat von Italia in anderer Weise gebildet werden und andere Kompetenz haben sollte als der römische, ist wohl behauptet, aber nicht bewiesen worden. Man wird bei der ersten Zusammensetzung natürlich für eine einigermaßen gleichmäßige Vertretung der insurgierten Städte gesorgt haben; allein daß die Senatoren von Rechts wegen von den Gemeinden deputiert werden sollten, ist nirgends überliefert. Ebensowenig schließt der Auftrag an den Senat, die Verfassung zu entwerfen, die Promulgation durch den Beamten und die Ratifikation durch die Volksversammlung aus.

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So begann wenige Monate nach Drusus’ Tode im Winter 663/64 (91/90) der Kampf, wie eine der Insurgentenmünzen ihn darstellt, des sabellinischen Stiers gegen die römische Wölfin. Beiderseits rüstete man eifrig; in Italia wurden große Vorräte an Waffen, Zufuhr und Geld aufgehäuft; in Rom bezog man aus den Provinzen, namentlich aus Sizilien, die erforderlichen Vorräte und setzte für alle Fälle die lange vernachlässigten Mauern in Verteidigungszustand. Die Streitkräfte waren einigermaßen gleich gewogen. Die Römer füllten die Lücken in den italischen Kontingenten teils durch gesteigerte Aushebung aus der Bürgerschaft und aus den schon fast ganz romanisierten Bewohnern der Keltenlandschaften diesseits der Alpen, von denen allein bei der kampanischen Armee 10000 dienten 4, teils durch die Zuzüge der Numidier und anderer überseeischer Nationen, und brachten mit Hilfe der griechischen und kleinasiatischen Freistädte eine Kriegsflotte zusammen 5. Beiderseits wurden, ohne die Besatzungen zu rechnen, bis 100000 Soldaten mobil gemacht 6 und an Tüchtigkeit der Mannschaft, an Kriegstaktik und Bewaffnung standen die Italiker hinter den Römern in nichts zurück. Die Führung des Krieges war für die Insurgenten wie für die Römer deswegen sehr schwierig, weil das aufständische Gebiet sehr ausgedehnt und eine große Zahl zu Rom haltender Festungen in demselben zerstreut war; so daß einerseits die Insurgenten sich genötigt sahen, einen sehr zersplitternden und zeitraubenden Festungskrieg mit einer ausgedehnten Grenzdeckung zu verbinden, andrerseits die Römer nicht wohl anders konnten, als die nirgends recht zentralisierte Insurrektion in allen insurgierten Landschaften zu bekämpfen. Militärisch zerfiel das insurgierte Land in zwei Hälften: in der nördlichen, die von Picenum und den Abruzzen bis an die kampanische Nordgrenze reichte und die lateinisch redenden Distrikte umfaßte, übernahmen italischerseits der Marser Quintus Silo, römischerseits Publius Rutilius Lupus, beide als Konsuln, den Oberbefehl; in der südlichen, welche Kampanien, Samnium und überhaupt die sabellisch redenden Landschaften in sich schloß, befehligte als Konsul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius Mutilus, als römischer Konsul Lucius Iulius Caesar. Jedem der beiden Oberfeldherrn standen auf italischer Seite sechs, auf römischer fünf Unterbefehlshaber zur Seite, so daß ein jeder von diesen in einem bestimmten Bezirk den Angriff und die Verteidigung leitete, die konsularischen Heere aber die Bestimmung hatten, freier zu agieren und die Entscheidung zu bringen. Die angesehensten römischen Offiziere, wie zum Beispiel Gaius Marius, Quintus Catulus und die beiden im Spanischen Krieg erprobten Konsulare Titus Didius und Publius Crassus, stellten für diese Posten den Konsuln sich zur Verfügung; und wenn man auf Seiten der Italiker nicht so gefeierte Namen entgegenzustellen hatte, so bewies doch der Erfolg, daß ihre Führer den römischen militärisch in nichts nachstanden.

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4 Die Schleuderbleie von Asculum beweisen, daß auch im Heere des Strabo die Gallier sehr zahlreich waren.

5 Wir haben noch einen römischen Senatsbeschluß vom 22. Mai 676 (78), welcher dreien griechischen Schiffskapitänen von Karystos, Klazomenä und Miletos für die seit dem Beginn des Italischen Krieges (664 90) geleisteten treuen Dienste bei ihrer Entlassung Ehren und Vorteile zuerkennt. Gleichartig ist die Nachricht Memnons, daß von Herakleia am Schwarzen Meer für den Italischen Krieg zwei Trieren aufgeboten und dieselben im elften Jahre mit reichen Ehrengaben heimgekehrt seien.

6 Daß diese Angaben Appians nicht übertrieben ist, beweisen die Schleuderbleie von Asculum, die unter anderen die fünfzehnte Legion nennen.

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Die Offensive in diesem durchaus dezentralisierten Krieg war im ganzen auf seiten der Römer, tritt aber auch hier nirgends mit Entschiedenheit auf. Es fällt auf, daß weder die Römer ihre Truppen zusammennahmen, um einen überlegenen Angriff gegen die Insurgenten auszuführen, noch die Insurgenten den Versuch machten, in Latium einzurücken und sich auf die feindliche Hauptstadt zu werfen; wir sind indes mit den beiderseitigen Verhältnissen zu wenig bekannt; um zu beurteilen, ob und wie man anders hätte handeln können und inwieweit die Schlaffheit der römischen Regierung einer- und die lose Verbindung der föderierten Gemeinden andrerseits zu diesem Mangel an Einheit in der Kriegführung beigetragen haben. Es ist begreiflich, daß bei diesem System es wohl zu Siegen und Niederlagen kam, aber sehr lange nicht zu einer endgültigen Erledigung; nicht minder aber auch, saß von einem solchen Krieg, der in eine Reihe von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald gesondert, bald kombiniert operierender Korps sich auflöste, aus unserer beispiellos trümmerhaften Überlieferung ein anschauliches Bild sich nicht herstellen läßt.

Der erste Sturm traf selbstverständlich die in den insurgierten Landschaften zu Rom haltenden Festungen, die schleunigst ihre Tore schlossen und die bewegliche Habe vom Lande hereinschafften. Silo warf sich auf die Zwingburg der Marser, das feste Alba, Mutilus auf die im Herzen Samniums angelegte Latinerstadt Aesernia: dort wie hier trafen sie auf den entschlossensten Widerstand. Ähnliche Kämpfe mögen im Norden um Firmum, Hatria, Pinna, im Süden um Luceria, Benevent, Nola, Paestum getobt haben, bevor und während die römischen Heere sich an den Grenzen der insurgierten Landschaft aufstellten. Nachdem die Südarmee unter Caesar in der größtenteils noch zu Rom haltenden kampanischen Landschaft sich im Frühjahr 664 (90) gesammelt und Capua mit seinem für die Finanzen Roms so wichtigen Domanialgebiet sowie die bedeutenderen Bundesstädte mit Besatzung versehen hatte, versuchte sie zur Offensive überzugehen und den kleineren, nach Samnium und Lucanien unter Marcus Marcellus und Publius Crassus vorausgesandten Abteilungen zu Hilfe zu kommen. Allein Caesar ward von den Samniten und den Marsern unter Publius Vettius Scato mit starkem Verlust zurückgewiesen, und die wichtige Stadt Venafrum trat hierauf über zu den Insurgenten, denen sie die römische Besatzung in die Hände lieferte. Durch den Abfall dieser Stadt, die auf der Heerstraße von Kampanien nach Samnium lag, war Aesernia abgeschnitten, und die bereits hart angegriffene Festung sah sich jetzt ausschließlich auf den Mut und die Ausdauer ihrer Verteidiger und ihres Kommandanten Marcellus angewiesen. Zwar machte ein Streifzug, den Sulla mit derselben kühnen Verschlagenheit wie vor Jahren den Zug zu Bocchus glücklich zu Ende führte, den bedrängten Aeserninern für einen Augenblick Luft; allein dennoch wurden sie nach hartnäckiger Gegenwehr gegen Ende des Jahres durch die äußerste Hungersnot gezwungen zu kapitulieren. Auch in Lucanien ward Publius Crassus von Marcus Lamponius geschlagen und genötigt, sich in Grumentum einzuschließen, das nach langer und harter Belagerung fiel. Apulien und die südlichen Landschaften hatte man ohnehin gänzlich sich selbst überlassen müssen. Die Insurrektion griff um sich; wie Mutilus an der Spitze der samnitischen Armee in Kampanien einrückte, übergab die Bürgerschaft von Nola ihm ihre Stadt und lieferte die römische Besatzung aus, deren Befehlshaber auf Mutilus’ Befehl hingerichtet, die Mannschaft in die siegreiche Armee untergesteckt ward. Mit einziger Ausnahme von Nuceria, das fest an Rom hielt, ging ganz Kampanien bis zum Vesuv den Römern verloren; Salernum, Stabiae, Pompeii, Herculaneum erklärten sich für die Insurgenten; Mutilus konnte in das Gebiet nördlich vom Vesuv vorrücken und mit seiner samnitisch-lucanischen Armee Acerrae belagern. Die Numidier, die in großer Zahl bei Caesars Armee standen, fingen an, scharenweise zu Mutilus überzugehen oder vielmehr zu Oxyntas, dem Sohne Jugurthas, der bei der Übergabe von Venusia den Samniten in die Hände gefallen war und nun im königlichen Purpur in den Reihen der Samniten erschien, so daß Caesar sich genötigt sah, das ganze afrikanische Korps in die Heimat zurückzuschicken. Mutilus wagte sogar einen Sturm auf das römische Lager; allein er ward abgeschlagen, und die Samniten, denen bei dem Abzug die römische Reiterei in den Rücken gefallen war, ließen bei 6000 Tote auf dem Schlachtfeld. Es war der erste namhafte Erfolg, den in diesem Kriege die Römer errangen; das Heer rief den Feldherrn zum Imperator aus, und in der Hauptstadt fing der tief gesunkene Mut wieder an sich zu heben. Zwar ward nicht lange darauf die siegreiche Armee bei einem Flußübergang von Marius Egnatius angegriffen und so nachdrücklich geschlagen, daß sie bis Teanum zurückweichen und dort wieder organisiert werden mußte; indes gelang es den Anstrengungen des tätigen Konsuls, sein Heer noch vor Einbruch des Winters wieder in kriegsfähigen Zustand zu setzen und seine alte Stellung wieder einzunehmen unter den Mauern von Acerrae, das die samnitische Hauptarmee unter Mutilus fortfuhr zu belagern.

Gleichzeitig hatten die Operationen auch in Mittelitalien begonnen, wo der Aufstand von den Abruzzen und der Landschaft am Fuciner See aus in gefährlicher Nähe die Hauptstadt bedrohte. Ein selbständiges Korps unter Gnaeus Pompeius Strabo ward ins Picenische gesandt, um, auf Firmum und Falerio gestützt, Asculum zu bedrohen; die Hauptmasse dagegen der römischen Nordarmee stellte unter dem Konsul Lupus sich auf an der Grenze des latinischen und des marsischen Gebietes, wo an der Valerischen und der Salarischen Chaussee der Feind der Hauptstadt am nächsten stand; der kleine Fluß Tolenus (Turano), der zwischen Tibur und Alba die Valerische Straße schneidet und bei Rieti in den Velino fällt, schied die beiden Heere. Ungeduldig drängte der Konsul Lupus zur Entscheidung und überhörte den unbequemen Rat des Marius, die des Dienstes ungewohnte Mannschaft erst im kleinen Krieg zu üben. Zunächst ward ihm die 10000 Mann starke Abteilung des Gaius Perpenna vollständig geschlagen. Der Oberfeldherr entsetzte den geschlagenen General seines Kommandos und vereinigte den Rest des Korps mit dem unter Marius’ Befehl stehenden, ließ sich aber dadurch nicht abhalten, die Offensive zu ergreifen und in zwei teils von ihm selbst, teils von Marius geführten Abteilungen auf zwei nicht weit voneinander geschlagenen Brücken den Tolenus zu überschreiten. Ihnen gegenüber stand Publius Scato mit den Marsern; er hatte sein Lager an der Stelle geschlagen, wo Marius den Bach überschritt, allein ehe der Übergang stattfand, sich mit Hinterlassung der bloßen Lagerposten von dort weggezogen und weiter flußaufwärts eine verdeckte Stellung genommen, in welcher er das römische Korps unter Lupus unvermutet während des Übergehens angriff und es teils niedermachte, teils in den Fluß sprengte (11. Juni 664 90). Der Konsul selbst und 8000 der Seinen blieben. Es konnte kaum ein Ersatz heißen, daß Marius, Scatos Abmarsch endlich gewahrend, über den Fluß gegangen war und nicht ohne Verlust der Feinde deren Lager besetzt hatte. Doch zwang dieser Flußübergang und gleichzeitig von dem Feldherrn Servius Sulpicius über die Paeligner erfochtener Sieg die Marser, ihre Verteidigungslinie etwas zurückzunehmen, und Marius, welcher nach Beschluß des Senats als Höchstkommandierender an Lupus’ Stelle trat, verhinderte wenigstens, daß der Feind weitere Erfolge errang. Allein Quintus Caepio, der bald darauf ihm gleichberechtigt zur Seite gesetzt ward, weniger wegen eines glücklich von ihm bestandenen Gefechtes, als weil er den damals in Rom tonangebenden Rittern durch seine heftige Opposition gegen Drusus sich empfohlen hatte, ließ sich von Silo durch die Vorspiegelung, ihm sein Heer verraten zu wollen, in einen Hinterhalt locken und ward mit einem großen Teil seiner Mannschaft von den Marsern und Vestinern zusammengehauen. Marius, nach Caepios Fall wiederum alleiniger Oberbefehlshaber, hinderte durch seinen zähen Widerstand den Gegner, die errungenen Vorteile zu benutzen, und drang allmählich tief in das marsische Gebiet ein. Die Schlacht versagte er lange; als er endlich sie lieferte, überwand er seinen stürmischen Gegner, der unter anderen Toten den Hauptmann der Marruciner Herius Asinius auf der Walstatt zurückließ. In einem zweiten Treffen wirkten Marius’ Heer und das zur Südarmee gehörige Korps des Sulla zusammen, um den Marsern eine noch empfindlichere Niederlage beizubringen, die ihnen 6000 Mann kostete; die Ehre dieses Tages aber blieb dem jüngeren Offizier, denn Marius hatte zwar die Schlacht geliefert und gewonnen, aber Sulla den Flüchtigen den Rückzug verlegt und sie aufgerieben.

Während also am Fuciner See heftig und mit wechselndem Erfolg gefochten ward, hatte auch das picenische Korps unter Strabo unglücklich und glücklich gestritten. Die Insurgentenchefs Gaius Iudacilius aus Asculum, Publius Vettius Scato und Titus Lafrenius hatten mit vereinten Kräften dasselbe angegriffen, es geschlagen und gezwungen, sich nach Firmum zu werfen, wo Lafrenius den Strabo belagert hielt, während Iudacilius in Apulien einrückte und Canusium, Venusia und die sonstigen dort noch zu Rom haltenden Städte zum Anschluß an die Aufständischen bestimmte. Allein auf der römischen Seite bekam Servius Sulpicius durch seinen Sieg über die Paeligner freie Hand, um in Picenum einzurücken und Strabo Hilfe zu bringen. Lafrenius ward, während von vorn Strabo ihn angriff, von Sulpicius in den Rücken gefaßt und sein Lager in Brand gesteckt; er selber fiel, der Rest seiner Truppen warf sich in aufgelöster Flucht nach Asculum. So vollständig hatte im Picenischen die Lage der Dinge sich geändert, daß wie vorher die Römer auf Firmum, so jetzt die Italiker auf Asculum sich beschränkt sahen und der Krieg also sich abermals in eine Belagerung verwandelte.

Endlich war im Laufe des Jahres zu den beiden schwierigen und vielgeteilten Kriegen im südlichen und mittleren Italien noch ein dritter in der nördlichen Landschaft gekommen, indem die für Rom so gefährliche Lage der Dinge nach den ersten Kriegsmonaten einen großen Teil der umbrischen und einzelne etruskische Gemeinden veranlaßt hatte, sich für die Insurrektion zu erklären, so daß es nötig geworden war, gegen die Umbrer den Aulus Plotius, gegen die Etrusker den Lucius Porcius Cato zu entsenden. Hier indes stießen die Römer auf einen weit minder energischen Widerstand als im marsischen und samnitischen Land und behaupteten das entschiedenste Übergewicht im Felde.

So ging das schwere erste Kriegsjahr zu Ende, militärisch wie politisch trübe Erinnerungen und bedenkliche Aussichten hinterlassend. Militärisch waren beide Armeen der Römer, die marsische wie die kampanische, durch schwere Niederlagen geschwächt und entmutigt, die Nordarmee genötigt, vor allem auf die Deckung der Hauptstadt bedacht zu sein, die Südarmee bei Neapel in ihren Kommunikationen ernstlich bedroht, da die Insurgenten ohne viele Schwierigkeit aus dem marsischen oder samnitischen Gebiet hervorbrechen und zwischen Rom und Neapel sich festsetzen konnten; weswegen man es notwendig fand, wenigstens eine Postenkette von Cumae nach Rom zu ziehen. Politisch hatte die Insurrektion während dieses ersten Kampfjahres nach allen Seiten hin Boden gewonnen, der Obertritt von Nola, die rasche Kapitulation der festen und großen latinischen Kolonie Venusia, der umbrisch-etruskische Aufstand waren bedenkliche Zeichen, daß die römische Symmachie in ihren innersten Fugen wanke und nicht imstande sei, diese letzte Probe auszuhalten. Schon hatte man der Bürgerschaft das Äußerste zugemutet, schon, um jene Postenkette an der latinisch-kampanischen Küste zu bilden, gegen 6000 Freigelassene in die Bürgermiliz eingereiht, schon von den noch treugebliebenen Bundesgenossen die schwersten Opfer gefordert; es war nicht möglich, die Sehne des Bogens noch schärfer anzuziehen, ohne alles aufs Spiel zu setzen. Die Stimmung der Bürgerschaft war unglaublich gedrückt. Nach der Schlacht am Tolenus, als der Konsul und die zahlreichen mit ihm gefallenen namhaften Bürger von dem nahen Schlachtfeld nach der Hauptstadt als Leichen zurückgebracht und daselbst bestattet wurden, als die Beamten zum Zeichen der öffentlichen Trauer den Purpur und die Ehrenabzeichen von sich legten, als von der Regierung an die hauptstädtischen Bewohner der Befehl erging, in Masse sich zu bewaffnen, hatten nicht wenige sich der Verzweiflung überlassen und alles verloren gegeben. Zwar war die schlimmste Entmutigung gewichen nach den von Caesar bei Acerrae, von Strabo im Picenischen erfochtenen Siegen; auf die Meldung des ersteren hatte man in der Hauptstadt den Kriegsrock wieder mit dem Bürgerkleid vertauscht, auf die des zweiten die Zeichen der Landestrauer abgelegt; aber es war doch nicht zweifelhaft, daß im ganzen die Römer in diesem Waffengang den kürzeren gezogen hatten, und vor allen Dingen war aus dem Senat wie aus der Bürgerschaft der Geist entwichen, der sie einst durch alle Krisen des Hannibalischen Krieges hindurch zum Siege getragen hatte. Man begann den Krieg wohl noch mit dem gleichen trotzigen Übermut wie damals, aber man wußte ihn nicht wie damals damit zu endigen; der starre Eigensinn, die zähe Konsequenz hatten einer schlaffen und feigen Gesinnung Platz gemacht. Schon nach dem ersten Kriegsjahr wurde die äußere und innere Politik plötzlich eine andere und wandte sich zur Transaktion. Es ist kein Zweifel, daß man damit das Klügste tat, was sich tun ließ; aber nicht weil man, durch die unmittelbare Gewalt der Waffen genötigt, nicht umhin konnte, sich nachteilige Bedingungen gefallen zu lassen, sondern weil das, worum gestritten ward, die Verewigung des politischen Vorranges der Römer vor den übrigen Italikern, dem Gemeinwesen selber mehr schädlich als förderlich war. Es trifft im öffentlichen Leben wohl, daß ein Fehler den anderen ausgleicht; hier machte, was der Eigensinn verschuldet hatte, die Feigheit gewissermaßen wieder gut. Das Jahr 664 (90) hatte begonnen mit der schroffsten Zurückweisung des von den Insurgenten angebotenen Vergleichs und mit der Eröffnung eines Prozeßkrieges, in welchem die leidenschaftlichsten Verteidiger des patriotischen Egoismus, die Kapitalisten, Rache nahmen an allen denjenigen, die im Verdacht standen, der Mäßigung und der rechtzeitigen Nachgiebigkeit das Wort geredet zu haben. Dagegen brachte der Tribun Marcus Plautius Silvanus, der am 10. Dezember desselben Jahres sein Amt antrat, ein Gesetz durch, das die Hochverratskommission den Kapitalistengeschworenen entzog und anderen, aus der freien, nicht ständisch qualifizierten Wahl der Distrikte hervorgegangenen Geschworenen anvertraute; wovon die Folge war, daß diese Kommission aus einer Geißel der Moderierten zu einer Geißel der Ultras ward und sie unter anderen ihren eigenen Urheber Quintus Varius, dem die öffentliche Stimme die schlimmsten demokratischen Greueltaten, die Vergiftung des Quintus Metellus und die Ermordung des Drusus, schuld gab, in die Verbannung sandte. Wichtiger als diese seltsam offenherzige politische Palinodie war die veränderte Richtung, die man in der Politik gegen die Italiker einschlug. Genau dreihundert Jahre waren verflossen, seit Rom zum letzten Male sich hatte den Frieden diktieren lassen müssen; Rom war jetzt wieder unterlegen, und da es den Frieden begehrte, war derselbe nur möglich wenigstens durch teilweises Eingehen auf die Bedingungen der Gegner. Mit den Gemeinden, die bereits in Waffen sich erhoben hatten, um Rom zu unterwerfen und zu zerstören, war die Fehde zu erbittert geworden, als daß man in Rom es über sich gewonnen hätte, ihnen die verlangten Zugeständnisse zu machen; und hätte man es getan, sie wären vielleicht jetzt von der anderen Seite zurückgewiesen worden. Indes wenn den bis jetzt noch treugebliebenen Gemeinden die ursprünglichen Forderungen unter gewissen Einschränkungen gewährt wurden, so ward damit teils der Schein freiwilliger Nachgiebigkeit gerettet, teils die sonst unvermeidliche Konsolidierung der Konföderation verhindert und damit der Weg zu ihrer Überwindung gebahnt. So taten denn die Pforten des römischen Bürgertums, die der Bitte so lange verschlossen geblieben waren, jetzt plötzlich sich auf, als die Schwerter daran pochten; jedoch auch jetzt nicht voll und ganz, sondern selbst für die Aufgenommenen in widerwilliger und kränkender Weise. Ein von dem Konsul Lucius Caesar 7 durchgebrachtes Gesetz verlieh das römische Bürgerrecht den Bürgern aller derjenigen italischen Bundesgemeinden, die bis dahin noch nicht Rom offen abgesagt hatten; ein zweites der Volkstribune Marcus Plautius Silvanus und Gaius Papirius Carbo setzte jedem in Italien verbürgerten und domizilierten Mann eine zweimonatliche Frist, binnen welcher es ihm gestattet sein solle, durch Anmeldung bei einem römischen Beamten das römische Bürgerrecht zu gewinnen. Indes sollten diese Neubürger, ähnlich den Freigelassenen, im Stimmrecht in der Art beschränkt sein, daß von den fünfunddreißig Bezirken sie nur in acht, wie die Freigelassenen nur in vier, eingeschrieben werden konnten; ob die Beschränkung persönlich oder, wie es scheint, erblich war, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Diese Maßregel bezog sich zunächst auf das eigentliche Italien, das nördlich damals noch wenig über Ancona und Florenz hinausreichte. In dem Kettenland diesseits der Alpen, das zwar rechtlich Ausland war, aber in der Administration wie in der Kolonisierung längst als Teil Italiens galt, wurden sämtliche latinische Kolonien behandelt wie die italischen Gemeinden. Im übrigen war hier diesseits des Po der größte Teil des Bodens nach Auflösung der alten keltischen Stammgemeinden zwar nicht nach dem munizipalen Schema organisiert, stand aber doch im Eigentum römischer, meist in Marktflecken (fora) zusammenwohnender Bürger. Die nicht zahlreichen bundesgenössischen Ortschaften diesseits des Po, namentlich Ravenna, sowie die gesamte Landschaft zwischen dem Po und den Alpen ward infolge eines von dem Konsul Strabo im Jahre 665 (89) eingebrachten Gesetzes nach italischer Stadtverfassung organisiert, so daß die hierzu sich nicht eignenden Gemeinden, namentlich die Ortschaften in den Alpentälern, einzelnen Städten als abhängige und zinspflichtige Dörfer zugelegt wurden, diese neuen Stadtgemeinden aber nicht mit dem römischen Bürgertum beschenkt, sondern durch die rechtliche Fiktion, daß sie latinische Kolonien seien, mit denjenigen Rechten bekleidet, welche bisher den latinischen Städten geringeren Rechts zugestanden hatten. Italien endigte also damals tatsächlich am Po, während die transpadanische Landschaft als Vorland behandelt ward. Hier, nördlich vom Po, gab es außer Cremona, Eporedia und Aquileia keine Bürger- oder latinische Kolonien, und es waren auch die einheimischen Stämme hier keineswegs, wie südlich vom Po, verdrängt worden. Die Abschaffung der keltischen Gau- und die Einführung der italischen Stadtverfassung bahnte die Romanisierung des reichen und wichtigen Gebietes an; es war dies der erste Schritt zu der langen und folgenreichen Umgestaltung des gallischen Stammes, im Gegensatz zu dem und zu dessen Abwehr einstmals Italien sich zusammengefunden hatte, in Genossen ihrer italischen Herren.

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7 Das Julische Gesetz muß in den letzten Monaten des Jahres 664 (90) erlassen sein, da während der guten Jahreszeit Caesar im Felde stand; das Plautische ist wahrscheinlich, wie in der Regel die tribunizischen Anträge, unmittelbar nach dem Amtsantritt der Tribune, also Dezember 664 (90) oder Januar 665 (89) durchgebracht worden.

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So ansehnlich diese Zugeständnisse waren, wenn man sie vergleicht mit der seit mehr als hundertfünfzig Jahren festgehaltenen starren Abgeschlossenheit der römischen Bürgerschaft, so schlossen sie doch nichts weniger als eine Kapitulation mit den wirklichen Insurgenten ein, sondern sollten teils die schwankenden und mit dem Abfall drohenden Gemeinden festhalten, teils möglichst viele Überläufer aus den feindlichen Reihen herüberziehen. In welchem Umfang diese Gesetze, namentlich das wichtigste derselben, das des Caesar, zur Anwendung gekommen sind, läßt sich nicht genau sagen, da wir den Umfang der Insurrektion zur Zeit der Erlassung des Gesetzes nur im allgemeinen anzugeben vermögen. Die Hauptsache war auf jeden Fall, daß die bisher latinischen Gemeinden, sowohl die Überreste der alten latinischen Eidgenossenschaft, wie Tibur und Praeneste, als auch besonders die latinischen Kolonien, mit Ausnahme der wenigen zu den Insurgenten übergegangenen, dadurch eintraten in den römischen Bürgerverband. Außerdem fand das Gesetz Anwendung auf die treugebliebenen Bundesstädte in Etrurien und besonders in Süditalien, wie Nuceria und Neapolis. Daß einzelne bisher besonders bevorzugte Gemeinden über die Annahme des Bürgerrechts schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken trug, seinen bisherigen Vertrag mit Rom, der den Bürgern Freiheit vom Landdienst und ihre griechische Verfassung, vielleicht auch überdies Domanialnutzungen garantierte, gegen das beschränkte Neubürgerrecht hinzugeben, ist begreiflich; es ist wahrscheinlich aus den dieser Anstände wegen geschlossenen Vergleichen herzuleiten, daß diese Stadt, sowie auch Rhegion und vielleicht noch andere griechische Gemeinden in Italien, selbst nach dem Eintritt in den Bürgerverband ihre bisherige Kommunalverfassung und die griechische Sprache als offizielle unverändert beibehalten haben. Auf alle Fälle ward infolge dieser Gesetze der römische Bürgerverband außerordentlich erweitert durch das Aufgehen von zahlreichen und ansehnlichen von der sizilischen Meerenge bis zum Po zerstreuten Stadtgemeinden in denselben, außerdem die Landschaft zwischen dem Po und den Alpen durch die Erteilung des besten bundesgenössischen Rechts gleichsam mit der gesetzlichen Anwartschaft auf das volle Bürgerrecht beliehen.

Gestützt auf diese Konzessionen an die schwankenden Gemeinden nahmen die Römer mit neuem Mute den Kampf auf gegen die aufständischen Distrikte. Man hatte von den bestehenden politischen Institutionen so viel niedergerissen, als notwendig schien, um die Ausbreitung des Brandes zu hindern; die Insurrektion griff fortan wenigstens nicht weiter um sich. Namentlich in Etrurien und Umbrien, wo sie erst im Beginn war, wurde sie wohl mehr noch durch das Julische Gesetz als durch den Erfolg der römischen Waffen so auffallend rasch überwältigt. In den ehemaligen latinischen Kolonien, in der dicht bewohnten Polandschaft eröffneten sich reiche und jetzt zuverlässige Hilfsquellen; mit diesen und mit denen der Bürgerschaft selbst konnte man daran gehen, den jetzt isolierten Brand zu bewältigen. Die beiden bisherigen Oberbefehlshaber gingen nach Rom zurück, Caesar als erwählter Zensor, Marius, weil man seine Kriegführung als unsicher und langsam tadelte und den sechsundsechzigjährigen Mann für altersschwach erklärte. Sehr wahrscheinlich war dieser Vorwurf unbegründet; Marius bewies, indem er täglich in Rom auf dem Turnplatz erschien, wenigstens seine körperliche Frische, und auch als Oberbefehlshaber scheint er in dem letzten Feldzug im ganzen die alte Tüchtigkeit bewährt zu haben; aber glänzende Erfolge, mit denen allein er nach seinem politischen Bankrott sich hätte in der öffentlichen Meinung rehabilitieren können, hatte er nicht erfochten, und so ward der gefeierte Degen zu seinem bitteren Kummer jetzt auch als Offizier ohne Umstände zu dem alten Eisen geworfen. An Marius’ Stelle trat bei der marsischen Armee der Konsul dieses Jahres Lucius Porcius Cato, der mit Auszeichnungen in Etrurien gefochten hatte, an Caesars bei der kampanischen der Unterfeldherr Lucius Sulla, dem man einige der wesentlichsten Erfolge des vorigen Feldzugs verdankte; Gnaeus Strabo behielt, jetzt als Konsul, das mit so großem Erfolg von ihm geführte Kommando im picenischen Gebiet.

So begann der zweite Feldzug 665 (89), den noch im Winter die Insurgenten eröffneten durch den kühnen, an den großartigen Gang der Samnitischen Kriege erinnernden Versuch, einen marsischen Heerhaufen von 15000 Mann der in Norditalien gärenden Insurrektion zu Hilfe nach Etrurien zu senden. Allein Strabo, durch dessen Bereich er zu passieren hatte, verlegte ihm den Weg und schlug ihn vollständig; nur wenige gelangten zurück in die weit entfernte Heimat. Als dann die Jahreszeit den römischen Heeren gestattete, die Offensive zu ergreifen, betrat Cato das marsische Gebiet und drang unter glücklichen Gefechten in demselben vor, allein er fiel in der Gegend des Fuciner Sees bei einem Sturm auf das feindliche Lager, wodurch die ausschließliche Oberleitung der Operationen in Mittelitalien auf Strabo überging. Dieser beschäftigte sich teils mit der fortgesetzten Belagerung von Asculum, teils mit der Unterwerfung der marsischen, sabellischen und apulischen Landschaften. Zum Entsatz seiner bedrängten Heimatstadt erschien vor Asculum Iudacilius mit dem picentischen Aufgebot und griff die belagernde Armee an, während gleichzeitig die ausfallende Besatzung sich auf die römischen Linien warf. Es sollen an diesem Tage 75000 Römer gegen 60000 Italiker gefochten haben. Der Sieg blieb den Römern, doch gelang es dem Iudacilius, mit einem Teil des Entsatzheeres sich in die Stadt zu werfen. Die Belagerung nahm ihren Fortgang; sie war langwierig 8 durch die Festigkeit des Platzes und die verzweifelte Verteidigung der Bewohner, welche fochten in Erinnerung an die schreckliche Kriegserklärung innerhalb ihrer Mauern. Als Iudacilius endlich nach mehrmonatlicher tapferer Verteidigung die Kapitulation herankommen sah, ließ er die Häupter der römisch gesinnten Fraktion der Bürgerschaft unter Martern umbringen und gab sodann sich selbst den Tod. So wurden die Tore geöffnet und die römischen Exekutionen lösten die italischen ab: alle Offiziere und alle angesehenen Bürger wurden hingerichtet, die übrigen mit dem Bettelstab ausgetrieben, sämtliches Hab und Gut von Staats wegen eingezogen. Während der Belagerung und nach dem Fall von Asculum durchzogen zahlreiche römische Korps die benachbarten aufständischen Landschaften und bewogen eine nach der anderen zur Unterwerfung. Die Marruciner fügten sich, nachdem Servius Sulpicius sie bei Teate (Chieti) nachdrücklich geschlagen hatte. In Apulien drang der Prätor Gaius Cosconius ein, nahm Salapia und Cannae und belagerte Canusium. Einen samnitischen Heerhaufen, der unter Marius Egnatius der unkriegerischen Landschaft zu Hilfe kam und in der Tat die Römer zurückdrängte, gelang es dem römischen Feldherrn bei dem Übergang über den Aufidus zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres mußte in den Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Römer drangen wieder vor bis nach Venusia und Rubi und wurden Herren von ganz Apulien. Auch am Fuciner See und am Majellagebirg, in den Hauptsitzen der Insurrektion, stellten die Römer ihre Herrschaft wieder her; die Marser ergaben sich an die Unterfeldherren Strabos, Quintus Metellus Pius und Gaius Cinna, die Vestiner und Paeligner im folgenden Jahr (666 88) an Strabo selbst; die Insurgentenhauptstadt Italia ward wieder die bescheidene pälignische Landstadt Corfinium; die Reste des italischen Senats flüchteten auf samnitisches Gebiet.

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8 Schleuderbleie mit dem Namen der Legion, die sie warf, auch wohl mit Verwünschungen der “entlaufenen Sklaven” - demnach römische - oder mit der Aufschrift entweder: “triff die Picenter” oder “triff den Pompeius” -jene römische, diese italische - finden sieh von jener Zeit her noch jetzt zahlreich in der Gegend von Ascoli.

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Die römische Südarmee, welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand, hatte gleichzeitig die Offensive ergriffen und war eingedrungen in das vom Feind besetzte südliche Kampanien. Stabiae ward von Sulla selbst erobert und zerstört (30. April 665 89), Herculaneum von Titus Didius, der indes, es scheint bei diesem Sturm, selber fiel (11. Juni). Länger widerstand Pompeii. Der samnitische Feldherr Lucius Cluentius kam herbei, der Stadt Entsatz zu bringen, allein er ward von Sulla zurückgewiesen, und als er, durch Keltenscharen verstärkt, seinen Versuch wiederholte, hauptsächlich durch den Wankelmut dieser unzuverlässigen Gesellen so vollständig geschlagen, daß sein Lager erobert und er selbst mit dem größten Teil der Seinigen auf der Flucht nach Nola zu niedergehauen ward. Das dankbare römische Heer verlieh seinem Feldherrn den Graskranz, mit welchem schlichten Zeichen nach Lagerbrauch der Soldat geschmückt wurde, der durch seine Tüchtigkeit eine Abteilung seiner Kameraden gerettet hatte. Ohne mit der Belagerung Nolas und den anderen von den Samniten noch besetzten kampanischen Städte sich aufzuhalten, rückte Sulla sofort in das innere Land ein, wo der Hauptherd der Insurrektion war. Die rasche Eroberung und fürchterliche Bestrafung von Aeclanum verbreitete Schrecken in der ganzen hirpinischen Landschaft; sie unterwarf sich, noch ehe der lucanische Zuzug herankam, der zu ihrem Beistand sich in Bewegung setzte, und Sulla konnte ungehindert vordringen, bis in das Gebiet der samnitischen Eidgenossenschaft. Der Paß, wo die samnitische Landwehr unter Mutilus ihn erwartete, wurde umgangen, die samnitische Armee im Rücken angegriffen und geschlagen; das Lager ging verloren, der Feldherr rettete sich verwundet nach Aesernia. Sulla rückte vor die Hauptstadt der samnitischen Landschaft Bovianum und zwang sie durch einen zweiten, unter ihren Mauern erfochtenen Sieg zu kapitulieren. Erst die vorgerückte Jahreszeit machte hier dem Feldzug ein Ende.

Es war der vollständigste Umschwung der Dinge. So gewaltig, so siegreich, so vordringend die Insurrektion den Feldzug des Jahres 665 (89) begonnen hatte, so tiefgebeugt, so überall geschlagen, so völlig hoffnungslos ging sie aus demselben hervor. Ganz Norditalien war beruhigt. In Mittelitalien waren beide Küsten völlig in römischer Gewalt, die Abruzzen fast vollständig, Apulien bis auf Venusia, Kampanien bis auf Nola in den Händen der Römer und durch die Besetzung des hirpinischen Gebietes die Verbindung gesprengt zwischen den beiden einzigen noch in offener Gegenwehr beharrenden Landschaften, der samnitischen und der lucanisch-brettischen. Das Insurrektionsgebiet glich einer erlöschenden ungeheuren Brandstätte; überall traf das Auge auf Asche und Trümmer und verglimmende Brände, hie und da loderte noch zwischen den Ruinen die Flamme empor, aber man war des Feuers überall Meister und nirgends drohte mehr Gefahr. Es ist zu bedauern, daß wir die Ursachen dieses plötzlichen Umschwunges in der oberflächlichen Überlieferung nicht mehr genügend erkennen. So unzweifelhaft Strabos und mehr noch Sullas geschickte Führung und namentlich die energischere Konzentrierung der römischen Streitkräfte, die raschere Offensive wesentlich dazu beigetragen hat, so mögen doch neben den militärischen auch politische Unruhen bei dem beispiellos raschen Sturz der Insurgentenmacht im Spiel gewesen sein; es mag das Gesetz des Silvanus und Carbo seinen Zweck, Abfall und Verrat der gemeinen Sache in die Reihen der Feinde zu tragen, erfüllt haben, es mag, wie so oft, unter die lose verknüpften aufständischen Gemeinden das Unglück als Apfel der Zwietracht gefallen sein. Wir sehen nur - und es deutet auch dies auf eine sicher unter heftigen Konvulsionen erfolgte innerliche Auflösung der Italia -, daß die Samniten, vielleicht unter Leitung des Marsers Quintus Silo, der von Haus aus die Seele des Aufstandes gewesen und nach der Kapitulation der Marser landflüchtig zu dem Nachbarvolk gegangen war, jetzt sich eine andere, rein landschaftliche Organisation gaben und, nachdem die “Italia” überwunden war, es unternahmen, als “Safinen” oder Samniten den Kampf noch weiter fortzusetzen 9. Das feste Aesernia ward aus der Zwingburg der letzte Hort der samnitischen Freiheit; ein Heer sammelte sich von angeblich 30000 Mann zu Fuß und 1000 zu Pferd und ward durch Freisprechung und Einordnung von 20000 Sklaven verstärkt; fünf Feldherren traten an dessen Spitze, darunter als der erste Silo und neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen sah man nach zweihundertjähriger Pause die Samnitenkriege aufs neue beginnen und das entschlossene Bauernvolk abermals, ganz wie im fünften Jahrhundert, nachdem die italische Konföderation gescheitert war, noch einen Versuch machen, seine landschaftliche Unabhängigkeit auf eigene Faust von Rom zu ertrotzen. Allein dieser Entschluß der tapfersten Verzweiflung änderte in der Hauptsache nicht viel; es mochte der Bergkrieg in Samnium und Lucanien noch einige Zeit und einige Opfer fordern, die Insurrektion war nichtsdestoweniger schon jetzt wesentlich zu Ende.

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9 Dieser Epoche müssen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mutil in oskischer Schrift angehören; denn solange die Italia von den Insurgenten festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveräne Macht Münzen mit dem eigenen Namen schlagen.

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Allerdings war inzwischen eine neue Komplikation eingetreten, indem die asiatischen Verwicklungen es zu einer gebieterischen Notwendigkeit gemacht hatten, an König Mithradates von Pontos den Krieg zu erklären und für das nächste Jahr (666 88) den einen Konsul und eine konsularische Armee nach Kleinasien zu bestimmen. Wäre dieser Krieg ein Jahr früher zum Ausbruch gekommen, so hätte die gleichzeitige Empörung des halben Italiens und der wichtigsten Provinz dem römischen Staat eine ungeheure Gefahr bereitet. Jetzt, nachdem in dem raschen Sturz der italischen Insurrektion das wunderbare Glück Roms sich abermals bewährt hatte, war dieser neu beginnende asiatische Krieg, trotzdem daß er mit dem verendenden italischen sich verschlang, doch nicht eigentlich bedrohlicher Art, um so weniger, als Mithradates in seinem Übermut die Aufforderung der Italiker, ihnen unmittelbaren Beistand zu leisten, von der Hand wies, aber freilich immer noch in hohem Grade unbequem. Die Zeiten waren nicht mehr, wo man einen italischen und einen überseeischen Krieg unbedenklich nebeneinander führte; die Staatskasse war nach zwei Kriegsjahren bereits vollständig erschöpft, die Bildung einer neuen Armee neben den bereits im Felde stehenden schien kaum ausführbar. Indes man half sich wie man konnte. Der Verkauf der seit alter Zeit auf und an der Burg freigebliebenen Plätze an die Baulustigen, woraus 9000 Pfund Gold (2½ Mill. Taler) gelöst wurden, lieferte die erforderlichen Geldmittel. Eine neue Armee ward nicht gebildet, sondern die in Kampanien unter Sulla stehende bestimmt, nach Asien sich einzuschiffen, sobald der Stand der Dinge im südlichen Italien es ihr gestatten würde sich zu entfernen; war bei den Fortschritten der im Norden unter Strabo operierenden Armee voraussichtlich bald geschehen konnte.

So begann der dritte Feldzug 666 (88) unter günstigen Aussichten für Rom. Strabo dämpfte den letzten Widerstand, der noch in den Abruzzen geleistet ward. In Apulien machte Cosconius’ Nachfolger Quintus Metellus Pius, der Sohn des Überwinders von Numidien und an energisch konservativer Gesinnung wie an militärischer Begabung seinem Vater nicht ungleich, dem Widerstand ein Ende durch die Einnahme von Venusia, wobei 3000 Bewaffnete gefangen genommen wurden. In Samnium gelang zwar Silo die Wiedereinnahme von Bovianum; allein in einer Schlacht, die er dem römischen General Mamercus Aemilius lieferte, siegten die Römer, und was wichtiger war als der Sieg selbst, unter 6000 Toten, die die Samniten auf der Walstatt ließen, war auch Silo. In Kampanien wurden die kleineren Ortschaften, die die Samniten noch besetzt hielten, von Sulla ihnen entrissen und Nola umstellt. Auch in Lucanien drang der römische Feldherr Aulus Gabinius ein und errang nicht geringe Erfolge; allein nachdem er bei einem Angriff auf das feindliche Lager gefallen war, herrschte der Insurgentenführer Lamponius mit den Seinen wiederum fast ungestört in der weiten und öden lucanisch-brettischen Landschaft. Er machte sogar einen Versuch sich Rhegions zu bemächtigen, den indes der sizilische Statthalter Gaius Norbanus vereitelte. Trotz einzelner Unfälle näherte man sich unaufhaltsam dem Ziel; der Fall von Nola, die Unterwerfung von Samnium, die Möglichkeit, ansehnliche Streitkräfte für Asien verfügbar zu machen, schienen nicht mehr fern, als die Wendung der Dinge in der Hauptstadt der fast schon erstickten Insurrektion unvermutet Luft machte.

Rom war in fürchterlicher Gärung. Drusus’ Angriff auf die Rittergerichte und sein durch die Ritterpartei bewirkter jäher Sturz, sodann der zweischneidige Varische Prozeßkrieg hatten die bitterste Zwietracht gesät zwischen Aristokratie und Bourgeoisie sowie zwischen den Gemäßigten und den Ultras. Die Ereignisse hatten der Partei der Nachgiebigkeit vollständig recht gegeben: was sie beantragt hatte, freiwillig zu verschenken, das hatte man mehr als halb gezwungen zugestehen müssen; allein die Art, wie dies Zugeständnis erfolgt war, trug eben wie die frühere Weigerung den Charakter des eigensinnigen und kurzsichtigen Neides. Statt allen italischen Gemeinden das gleiche Recht zu gewähren, hatte man die Zurücksetzung nur anders formuliert. Man hatte eine große Anzahl italischer Gemeinden in den römischen Bürgerverband aufgenommen, aber was man verlieh, wieder mit einem ehrenrührigen Makel behaftet, die Neu- neben die Altbürger ungefähr wie die Freigelassenen neben die Freigeborenen gestellt. Man hatte die Gemeinden zwischen dem Po und den Alpen durch das Zugeständnis des latinischen Rechts mehr gereizt als befriedigt. Man hatte endlich einem ansehnlichen und nicht dem schlechtesten Teil der Italiker, sämtlichen wieder unterworfenen insurgierten Gemeinden, nicht bloß das Bürgerrecht vorenthalten, sondern sogar ihre ehemaligen, durch den Aufstand vernichteten Verträge ihnen nicht wieder rechtlich verbrieft, höchstens im Gnadenweg und auf beliebigen Widerruf dieselben erneuert ^10. Die Zurücksetzung im Stimmrecht verletzte um so tiefer, als sie bei der damaligen Beschaffenheit der Komitien politisch sinnlos war und die scheinheilige Fürsorge der Regierung für die unbefleckte Reinheit der Wählerschaft jedem Unbefangenen lächerlich erscheinen mußte; all jene Beschränkungen aber waren insofern gefährlich, als sie jeden Demagogen dazu einluden, durch Aufnahme der mehr oder minder gerechten Forderungen der Neubürger sowohl wie der vom Bürgerrecht ausgeschlossenen Italiker seine anderweitigen Zwecke durchzusetzen. Wenn somit die heller sehende Aristokratie diese halben und mißgünstigen Konzessionen ebenso unzulänglich finden mußte wie die Neubürger und die Ausgeschlossenen selbst, so vermißte sie ferner schmerzlich in ihren Reihen die zahlreichen und vorzüglichen Männer, die die Varische Hochverratskommission ins Elend gesandt hatte und die zurückzurufen deswegen nur noch schwieriger war, weil sie nicht durch Volks-, sondern durch Geschworenengerichte verurteilt worden waren; denn sowenig man Bedenken trug, einen Volksschluß auch richterlicher Natur durch einen zweiten zu kassieren, so erschien doch die Kassation eines Geschworenenverdikts durch das Volk eben der besseren Aristokratie als ein sehr gefährliches Beispiel. So waren weder die Ultras noch die Gemäßigten mit dem Ausgang der italischen Krise zufrieden. Aber von noch tieferem Grolle schwoll das Herz des alten Mannes, der mit erfrischten Hoffnungen in den Italischen Krieg gezogen und daraus unfreiwillig zurückgekommen war, mit dem Bewußtsein, neue Dienste geleistet und dafür neue schwerste Kränkungen empfangen zu haben, mit dem bitteren Gefühle, von den Feinden nicht mehr gefürchtet, sondern geringgeschätzt zu werden, mit jenem Wurm der Rache im Herzen, der sich aufnährt an seinem eigenen Gifte. Auch von ihm galt, was von den Neubürgern und den Ausgeschlossenen: unfähig und unbehilflich wie er sich erwiesen hatte, war doch sein populärer Name in der Hand eines Demagogen ein furchtbares Werkzeug.

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^10 Dediticiis, sagt Licinianus (p. 15) unter dem Jahre 667 (87), omnibus [ci]vita[sJ data; qui polliciti mult[aJ milia militum vix XV … cobortes miserunt worin der Livianische Bericht (ep. 80: Italicis populis a senatu civltas data est) in teilweise schärferer Fassung wiedererscheint. Dediticii sind nach römischem Staatsrecht diejenigen peregrinischen Freien (Gaius inst. 13-15, 25; Ulp. 20, 14; 22, 2), die den Römern untertan geworden und zu keinem Bündnis zugelassen worden sind. Sie behalten nicht bloß Leben, Freiheit und Eigentum, sondern können auch in Gemeinden mit eigener Verfassung konstituiert sein. Απόλιδες, nullius certae civitatis cives (Ulp. 20, 14; vgl. Dig. 48, 19, 17, 1), sind nur die durch rechtliche Fiktion den dediticii gleichgestellten Freigelassenen (ii qui dediticiorum numero sunt, nur mißbräuchlich und bei besseren Schriftstellern selten geradezu dediticii genannt: Gaius inst. 1, 12; Ulp. 1, 14; Paul. 4, 12, 6) ebenso wie die verwandten liberti Latini Juniani. Aber die dediticii sind dennoch dem römischen Staate gegenüber insofern rechtlos, als nach römischem Staatsrecht jede Dedition notwendig unbedingt ist (Polyb. 21,1; vgl. 20, 9 u.10; 36, 2) und alle ihnen ausdrücklich oder stillschweigend zugestandenen Rechte nur precario, also auf beliebigen Widerruf zugestanden werden (App. Hisp. 44), der römische Staat also, was er auch gleich oder später über seine Deditizier verhängen mag, niemals gegen sie eine Rechtsverletzung begehen kann. Diese Rechtlosigkeit hört erst auf durch Abschließung eines Bündnisvertrages (Liv. 34, 57). Darum erscheinen deditio und foedus als staatsrechtlich sich ausschließende Gegenstände (Liv. 4, 30; 28, 34; Cod. Theod. 7, 13, 16 und dazu Gothofr.), und nichts anderes ist auch der den Juristen geläufige Gegensatz der Quasideditizier und der Quasilatiner, denn die Latiner sind eben die Föderierten im eminenten Sinn (Cic. Balb. 24, 54).

Nach dem älteren Staatsrecht gab es, mit Ausnahme der nicht zahlreichen, infolge des Hannibalischen Krieges ihrer Verträge verlustig erklärten Gemeinden, keine italischen Deditizier; noch in dem Plautischen Gesetz von 664/65 (90/89) schloß die Bezeichnung: qui foederatis civitatibus adscripti fuerunt (Cic. Arch. 4, 7) wesentlich alle Italiker ein. Da nun aber unter den dediticii, die 667 (87) nachträglich das Bürgerrecht empfingen, doch nicht füglich bloß die Brettier und Picenter verstanden sein können, so wird man annehmen dürfen, daß alle Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt und nicht nach dem Plautisch-Papirischen Gesetz das Bürgerrecht erworben hatten, als Deditizier behandelt oder, was dasselbe ist, daß ihre durch die Insurrektion von selbst kassierten Verträge (darum qui foederati fuerunt in der angeführten Ciceronischen Stelle) ihnen bei der Ergebung nicht rechtlich erneuert wurden.

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Mit diesen Elementen politischer Konvulsionen verband sich der rasch fortschreitende Verfall der ehrbaren Kriegssitte und der militärischen Disziplin. Die Keime, welche die Einstellung der Proletarier in das Heer in sich trug, entwickelten sich mit erschreckender Geschwindigkeit während des demoralisierenden Insurgentenkriegs, der jeden waffenfähigen Mann ohne Unterschied zum Dienst zuzulassen nötigte und der vor allem unmittelbar in das Hauptquartier wie in das Soldatenzelt die politische Propaganda trug. Bald zeigten sich die Folgen in dem Erschlaffen aller Bande der militärischen Hierarchie. Während der Belagerung von Pompeii ward der Befehlshaber des Sullanischen Belagerungskorps, der Konsular Aulus Postumius Albinus, von seinen Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem Feinde verraten zu sein glaubten, mit Steinen und Knütteln erschlagen; und der Oberbefehlshaber Sulla begnügte sich, die Truppen zu ermahnen, durch tapferes Verhalten vor dem Feind die Erinnerung an diesen Vorgang auszulöschen. Die Urheber dieser Tat waren die Flottensoldaten, von jeher die am mindesten achtbare Truppe: bald folgte eine vorwiegend aus dem Stadtpöbel ausgehobene Abteilung der Legionäre dem gegebenen Beispiel. Angestiftet von einem der Helden des Marktes, Gaius Titius, vergriff sie sich an dem Konsul Cato. Durch einen Zufall entging derselbe diesmal dem Tode; Titius aber ward zwar festgesetzt, indes nicht bestraft. Als Cato dann bald darauf wirklich in einem Gefechte umkam, wurden seine eigenen Offiziere, namentlich der jüngere Gaius Marius, ob mit Recht oder mit Unrecht ist nicht auszumachen, als die Urheber seines Todes bezeichnet.

Zu dieser beginnenden politischen und militärischen kam die vielleicht noch entsetzlichere ökonomische Krise, die im Verfolg des Bundesgenossenkrieges und der asiatischen Unruhen über die römischen Geldmänner hereingebrochen war. Die Schuldner, unfähig, auch nur die Zinsen zu erschwingen, und dennoch von ihren Gläubigern unerbittlich gedrängt, hatten bei dem beikommenden Gerichtsvorstand, dem Stadtprätor Asellio, teils Aufschub erbeten, um ihre Besitzungen verkaufen zu können, teils die alten verschollenen Zinsgesetze wieder hervorgesucht und nach der vor Zeiten festgestellten Vorschrift den vierfachen Betrag der dem Gesetz zuwider gezahlten Zinsen von den Gläubigern eingeklagt. Asellio gab sich dazu her, das tatsächlich bestehende Recht durch dessen Buchstaben zu beugen, und instruierte in gewöhnlicher Weise die verlangten Zinsklagen; worauf die verletzten Gläubiger unter Leitung des Volkstribuns Lucius Cassius sich auf dem Markt zusammentaten und den Prätor, da er eben in priesterlichem Schmuck ein Opfer darbrachte, vor dem Tempel der Eintracht überfielen und erschlugen - eine Freveltat, wegen deren nicht einmal eine Untersuchung stattfand (665 89). Andererseits ging in den Schuldnerkreisen die Rede, daß der leidenden Menge nicht anders geholfen werden könne als durch “neue Rechnungsbücher”, das heißt durch gesetzliche Vernichtung der Forderungen sämtlicher Gläubiger an sämtliche Schuldner. Es war genau wieder wie während des Ständestreits: wieder machten die Kapitalisten im Bunde mit der befangenen Aristokratie der gedrückten Menge und der zur Mäßigung des starren Rechtes mahnenden Mittelpartei den Krieg und den Prozeß; wieder stand man an dem Rande desjenigen Abgrundes, in den der verzweifelte Schuldner den Gläubiger mit sich hinabreißt; nur war seitdem an die Stelle der einfach bürgerlichen und sittlichen Ordnung einer großen Ackerstadt die soziale Zerrissenheit einer Kapitale vieler Nationen und diejenige Demoralisation getreten, in der der Prinz mit dem Bettler sich begegnet; nur waren alle Mißverhältnisse breiter, schroffer, in grauenhafter Weise großartiger geworden. Indem der Bundesgenossenkrieg all die gärenden politischen und sozialen Elemente in der Bürgerschaft gegeneinander rüttelte, legte er den Grund zu einer neuen Revolution. Zum Ausbruch brachte sie ein Zufall.

Der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus war es, der im Jahre 666 (88) bei der Bürgerschaft die Anträge stellte, jeden Senator, der über 2000 Denare (600 Taler) schulde, seiner Ratsstelle verlustig zu erklären; den durch unfreie Geschworenengerichte verurteilten Bürgern die Rückkehr in die Heimat freizugeben; die Neubürger durch sämtliche Distrikte zu verteilen und ingleichen den Freigelassenen Stimmrecht in allen Distrikten zu gestatten. Es waren Vorschläge, die aus dem Munde dieses Mannes zum Teil wenigstens überraschten. Publius Sulpicius Rufus (geboren 630 124) verdankte seine politische Bedeutung weniger seiner adligen Geburt, seinen bedeutenden Verbindungen und seinem angeerbten Reichtum als seinem ungemeinen Rednertalent, worin von den Altersgenossen keiner ihm gleichkam; die mächtige Stimme, die lebhaften, zuweilen an Theateraktion streifenden Gebärden, die üppige Fülle seines Wortstroms ergriffen auch wen sie nicht überzeugten. Seiner Parteistellung nach stand er von Haus aus auf der Seite des Senats, und sein erstes politisches Auftreten (659 95) war die Anklage des der Regierungspartei tödlich verhaßten Norbanus gewesen. Unter den Konservativen gehörte er zu der Fraktion des Crassus und Drusus. Was ihn zunächst veranlaßte, sich für das Jahr 666 (88) um das Volkstribunat zu bewerben und um dessentwillen seinen patrizischen Adel abzulegen, wissen wir nicht; doch scheint es dadurch, daß auch er, wie die gesamte Mittelpartei, von den Konservativen als Revolutionär verfolgt worden war, noch keineswegs Revolutionär geworden zu sein und keineswegs einen Umsturz der Verfassung im Sinne des Gaius Gracchus beabsichtigt zu haben. Eher mag er, als der einzige aus dem Varischen Prozeßsturm unversehrt hervorgegangene namhafte Mann der Partei des Crassus und Drusus, sich berufen gefühlt haben, das Werk des Drusus zu vollenden und die noch bestehenden Zurücksetzungen der Neubürger schließlich zu beseitigen, wozu er des Tribunats bedurfte. Noch aus seinem Tribunat werden mehrere Handlungen von ihm erwähnt, die das gerade Gegenteil demagogischer Absichten verraten - so hinderte er durch sein Einschreiten einen seiner Kollegen, die auf Grund des Varischen Gesetzes ergangenen Geschworenenurteile durch Volksschluß zu kassieren; und als der gewesene Ädil Gaius Caesar verfassungswidrig sich mit Überspringung der Prätur um das Konsulat für 667 (87) bewarb, wie es heißt in der Absicht, sich später die Führung des Asiatischen Krieges übertragen zu lassen, trat, entschlossener und schärfer als irgendein anderer, Sulpicius ihm entgegen. Ganz im Sinne des Drusus also forderte er von sich wie von andern zunächst und vor allem die Einhaltung der Verfassung. Aber freilich vermochte er ebensowenig wie Drusus das Unverträgliche zu vereinigen und die von ihm beabsichtigte, an sich verständige, aber von der ungeheuren Mehrzahl der Altbürgerschaft auf gütlichem Wege niemals zu erlangende Verfassungsänderung in strenger Form Rechtens durchzusetzen. Der Bruch mit der mächtigen Familie der Iulier, unter denen namentlich der Bruder des Gaius, der Konsular Lucius Caesar, im Senat sehr einflußreich war, und mit der derselben anhängenden Fraktion der Aristokratie hat ohne Zweifel auch wesentlich mitgewirkt und den zornmütigen Mann durch persönliche Erbitterung über die ursprüngliche Absicht hinausgeführt. Aber der Charakter der von ihm eingebrachten Anträge ist doch von der Art, daß sie keineswegs die Persönlichkeit und die bisherige Parteistellung ihres Urhebers verleugnen. Die Gleichstellung der Neubürger mit den Altbürgern war nichts als die teilweise Wiederaufnahme der von Drusus entworfenen Anträge zu Gunsten der Italiker und wie diese nur die Erfüllung der Vorschriften einer gesunden Politik. Die Zurückrufung der durch die Varischen Geschworenen Verurteilten opferte zwar den Grundsatz der Unverletzlichkeit des Geschworenenwahrspruchs, für den Sulpicius eben noch selbst mit der Tat eingestanden war, aber sie kam zunächst wesentlich den eigenen Parteigenossen des Antragstellers, den gemäßigten Konservativen, zugute, und es läßt sich von dem stürmischen Mann recht wohl begreifen, daß er bei seinem ersten Auftreten eine solche Maßregel entschieden bekämpfte und dann, ergrimmt über den Widerstand, auf den er traf, sie selber beantragte. Die Maßregel gegen die Überschuldung der Senatoren war ohne Zweifel herbeigeführt durch die Bloßlegung der trotz alles äußeren Glanzes tief zerrütteten ökonomischen Lage der regierenden Familien bei Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war zwar peinlich, aber an sich doch im wohlverstandenen Interesse der Aristokratie, wenn, wie dies die Folge des Sulpicischen Antrags sein mußte, alle Individuen aus dem Senat ausschieden, die nicht vermochten, ihre Passiva rasch zu liquidieren, und wenn das Koteriewesen, das in der Überschuldung vieler Senatoren und ihrer dadurch herbeigeführten Abhängigkeit von den reichen Kollegen seinen hauptsächlichen Halt fand, durch die Beseitigung des notorisch feilen Senatorengesindels gedämpft ward - womit natürlich nicht geleugnet werden soll, daß Rufus eine den Senat so schroff und gehässig prostituierende Säuberung der Kurie, wie er sie vorschlug, ohne seine persönlichen Zerwürfnisse mit den herrschenden Koteriehäuptern sicher niemals beantragt haben würde. Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Freigelassenen hatte unzweifelhaft zunächst den Zweck, den Antragsteller zum Herrn der Gasse zu machen; an sich aber war sie weder unmotiviert noch mit der aristokratischen Verfassung unvereinbar. Seitdem man angefangen hatte, die Freigelassenen zum Militärdienst mit hinzuzuziehen, war ihre Forderung des Stimmrechts insofern gerechtfertigt, als Stimmrecht und Dienstpflicht stets Hand in Hand gegangen waren. Vor allen Dingen aber kam bei der Nichtigkeit der Komitien politisch sehr wenig darauf an, ob in diesen Sumpf noch eine Kloake mehr sich entleerte. Die Möglichkeit, mit den Komitien zu regieren, ward für die Oligarchie eher gesteigert als gemindert durch die unbeschränkte Zulassung der Freigelassenen, welche ja zu einem sehr großen Teil von den regierenden Familien persönlich und ökonomisch abhängig waren und richtig verwandt eben ein Mittel für die Regierung abgeben konnten, die Wahlen gründlicher noch als bisher zu beherrschen. Wider die Tendenzen der reformistisch gesinnten Aristokratie lief diese Maßregel allerdings wie jede andere politische Begünstigung des Proletariats; allein sie war auch für Rufus schwerlich etwas anderes, als was das Getreidegesetz für Drusus gewesen war: ein Mittel, um das Proletariat auf seine Seite zu ziehen und mit dessen Hilfe den Widerstand gegen die beabsichtigten, wahrhaft gemeinnützigen Reformen zu brechen. Es ließ sich leicht voraussehen, daß dieser nicht gering sein, daß die bornierte Aristokratie und die bornierte Bourgeoisie ebendenselben stumpfsinnigen Neid wie vor dem Ausbruch der Insurrektion jetzt nach ihrer Überwindung betätigen, daß die große Majorität aller Parteien die im Augenblick der furchtbarsten Gefahr gemachten halben Zugeständnisse im stillen oder auch laut als unzeitige Nachgiebigkeit bezeichnen und jeder Ausdehnung derselben sich leidenschaftlich widersetzen werde. Drusus’ Beispiel hatte gezeigt, was dabei herauskam, wenn man konservative Reformen allein im Vertrauen auf die Senatsmajorität durchzusetzen unternahm; es war vollkommen erklärlich, daß sein Freund und Gesinnungsgenosse verwandte Absichten in Opposition gegen diese Mehrheit und in den Formen der Demagogie zu realisieren versuchte. Rufus gab demnach sich keine Mühe, durch den Köder der Geschworenengerichte den Senat für sich zu gewinnen. Besseren Rückhalt fand er bei den Freigelassenen und vor allem an dem bewaffneten Gefolge - dem Bericht seiner Gegner zufolge bestand es aus 3000 gedungenen Leuten und einem “Gegensenat” von 600 jungen Männern aus der besseren Klasse -, mit dem er in den Straßen und auf dem Markte erschien. Seine Anträge stießen denn auch auf den entschiedensten Widerstand bei der Majorität des Senats, welche zunächst, um Zeit zu gewinnen, die Konsuln Lucius Cornelius Sulla und Quintus Pompeius Rufus, beide abgesagte Gegner der Demagogie, bewog, außerordentliche religiöse Festlichkeiten anzuordnen, während deren die Volksversammlungen ruhten. Sulpicius antwortete mit einem heftigen Auflauf, bei welchem unter anderen Opfern der junge Quintus Pompeius, der Sohn des einen und Schwiegersohn des anderen Konsuls, den Tod fand und das Leben der beiden Konsuln selbst ernstlich bedroht ward - Sulla soll sogar nur dadurch gerettet worden sein, daß Marius ihm sein Haus öffnete. Man mußte nachgeben; Sulla verstand sich dazu, die angekündigten Festlichkeiten abzusagen, und die Sulpicischen Anträge gingen nun ohne weiteres durch. Allein es war damit ihr Schicksal noch keineswegs gesichert. Mochte auch in der Hauptstadt sich die Aristokratie geschlagen geben, so gab es jetzt - zum erstenmal seit dem Beginn der Revolution - noch eine andere Macht in Italien, die nicht übersehen werden durfte: die beiden starken und siegreichen Armeen des Prokonsuls Strabo und des Konsuls Sulla. War auch Strabos politische Stellung zweideutig, so stand Sulla, obwohl er der offenbaren Gewalt für den Augenblick gewichen war, nicht bloß mit der Senatsmajorität in vollem Einvernehmen, sondern war auch, unmittelbar nachdem er die Festlichkeiten abgesagt hatte, abgegangen nach Kampanien zu seiner Armee. Den unbewaffneten Konsul durch die Knüttelmänner oder die wehrlose Hauptstadt durch die Schwerter der Legionen zu terrorisieren, lief am Ende auf dasselbe hinaus; Sulpicius setzte voraus, daß der Gegner, jetzt wo er konnte, Gewalt mit Gewalt vergelten und an der Spitze seiner Legionen nach der Hauptstadt zurückkehren werde, um den konservativen Demagogen mitsamt seinen Gesetzen über den Haufen zu werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla wünschte den Krieg gegen Mithradates ebensosehr, wie ihm grauen mochte vor dem hauptstädtischen politischen Brodel; bei seinem originellen Indifferentismus und seiner unübertroffenen politischen Nonchalance hat es große Wahrscheinlichkeit, daß er den Staatsstreich, den Sulpicius erwartete, keineswegs beabsichtigte und daß er, wenn man ihn hätte gewähren lassen, nach der Einnahme von Nola, dessen Belagerung ihn noch beschäftigte, unverweilt sich mit seinen Truppen nach Asien eingeschifft haben würde. Indes wie dem auch sein mag, Sulpicius entwarf, um den vermuteten Streich zu parieren, den Plan, Sulla den Oberbefehl abzunehmen, und ließ zu diesem Ende mit Marius sich ein, dessen Name noch immer hinreichend populär war, um einen Antrag, den Oberbefehl im Asiatischen Kriege auf ihn zu übertragen, der Menge plausibel erscheinen zu lassen, und dessen militärische Stellung und Kapazität für den Fall eines Bruches mit Sulla eine Stütze werden konnte. Die Gefahr, die darin lag, den alten, ebenso unfähigen als rach- und ehrsüchtigen Mann an die Spitze der kampanischen Armee zu stellen, mochte Sulpicius nicht übersehen und ebensowenig die arge Abnormität, einem Privatmann ein außerordentliches Oberkommando durch Volksschluß zu übertragen; aber eben Marius’ erprobte staatsmännische Unfähigkeit gab eine Art Garantie dafür, daß er die Verfassung nicht ernstlich würde gefährden können, und vor allem war Sulpicius’ eigene Lage, wenn er Sullas Absichten richtig beurteilte, eine so bedrohte, daß dergleichen Rücksichten kaum mehr in Betracht kamen. Daß der abgestandene Held selbst bereitwillig jedem entgegenkam, der ihn als Condottiere gebrauchen wollte, versteht sich von selbst; nach dem Oberbefehl nun gar in einem asiatischen Krieg gelüstete sein Herz seit vielen Jahren und nicht weniger vielleicht danach, einmal gründlich abzurechnen mit der Senatsmajorität. Demnach erhielt auf Antrag des Sulpicius durch Beschluß des Volkes Gaius Marius mit außerordentlicher höchster oder sogenannter prokonsularischer Gewalt das Kommando der kampanischen Armee und den Oberbefehl in dem Krieg gegen Mithradates, und es wurden, um das Heer von Sulla zu übernehmen, zwei Volkstribune in das Lager von Nola abgesandt.

Die Botschaft kam an den unrechten Mann. Wenn irgend jemand berufen war, den Oberbefehl im Asiatischen Kriege zu führen, so war es Sulla. Er hatte wenige Jahre zuvor mit dem größten Erfolge auf demselben Kriegsschauplatz kommandiert: er hatte mehr als irgendein anderer Mann beigetragen zur Überwältigung der gefährlichen italischen Insurrektion; ihm als Konsul des Jahres, in welchem der Asiatische Krieg zum Ausbruch kam, war in der hergebrachten Weise und mit voller Zustimmung seines ihm befreundeten und verschwägerten Kollegen das Kommando in demselben übertragen worden. Es war ein starkes Ansinnen, einen unter solchen Verhältnissen übernommenen Oberbefehl nach Beschluß der souveränen Bürgerschaft von Rom abzugeben an einen alten militärischen und politischen Antagonisten, in dessen Händen die Armee, niemand mochte sagen zu welchen Gewaltsamkeiten und Verkehrtheiten, mißbraucht werden konnte. Sulla war weder gutmütig genug, um freiwillig einem solchen Befehl Folge zu leisten, noch abhängig genug, um es zu müssen. Sein Heer war, teils infolge der von Marius herrührenden Umgestaltungen des Heerwesens, teils durch die von Sulla gehandhabte sittlich lockere und militärisch strenge Disziplin, wenig mehr als eine ihrem Führer unbedingt ergebene und in politischen Dingen indifferente Lanzknechtschar. Sulla selbst war ein blasierter, kalter und klarer Kopf, dem die souveräne römische Bürgerschaft ein Pöbelhaufen war, der Held von Aquae Sextiae ein bankrotter Schwindler, die formelle Legalität eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne Besatzung und mit halbverfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden konnte als Nola. In diesem Sinne handelte er. Er versammelte seine Soldaten - es waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann - und setzte ihnen die von Rom angelangte Botschaft auseinander, nicht vergessend, ihnen anzudeuten, daß der neue Oberfeldherr ohne Zweifel nicht dieses Heer, sondern andere, neu gebildete Truppen nach Kleinasien führen werde. Die höheren Offiziere, immer noch mehr Bürger als Militärs, hielten sich zurück, und nur ein einziger von ihnen folgte dem Feldherrn gegen die Hauptstadt; allein die Soldaten, die nach früheren Erfahrungen in Asien einen bequemen Krieg und unendliche Beute zu finden hofften, brausten auf; in einem Nu waren die beiden von Rom gekommenen Tribune zerrissen und von allen Seiten erscholl der Zuruf, daß der Feldherr sie auf Rom zu führen möge. Unverweilt brach der Konsul auf, und unterwegs seinen Gleichgesinnten Kollegen an sich ziehend, gelang er in raschen Märschen, wenig sich kümmernd um die von Rom ihm entgegeneilenden Abgesandten, die ihn aufzuhalten versuchten, bis unter die Mauern der Hauptstadt. Unerwartet sah man Sullas Heersäulen sich aufstellen an der Tiberbrücke und am Collinischen und Esquilinischen Tore und sodann zwei Legionen in Reih’ und Glied, ihre Feldzeichen voran, den Befriedeten Mauerring überschreiten, jenseits dessen das Gesetz den Krieg gebannt hatte. So viel schlimmer Hader, so viele bedeutende Fehden waren innerhalb dieser Mauern zum Austrag gekommen, ohne daß ein römisches Heer den heiligen Stadtfrieden gebrochen hätte; jetzt geschah es, zunächst um der elenden Frage willen, ob dieser oder jener Offizier berufen sei, im Osten zu kommandieren. Die einrückenden Legionen gingen vor bis auf die Höhe des Esquilin; als die von den Dächern heranregnenden Geschosse und Steine die Soldaten unsicher machten und sie zu weichen anfingen, erhob Sulla selbst die flammende Fackel und, mit Brandpfeilen und Anzündung der Häuser drohend, brachen die Legionen sich Bahn bis auf den Esquilinischen Marktplatz (unweit S. Maria Maggiore). Hier wartete ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius zusammengeraffte Mannschaft und warf die zuerst eindringenden Kolonnen durch die Überzahl zurück. Aber von den Toren kam denselben Verstärkung; eine andere Abteilung der Sullaner machte Anstalt, auf der Suburastraße die Verteidiger zu umgehen; sie mußten zurück. Am Tempel der Tellus, wo der Esquilin anfängt sich gegen den Großen Marktplatz zu senken, versuchte Marius noch einmal sich zu setzen; er beschwor Senat und Ritter und die gesamte Bürgerschaft, den Legionen sich entgegenzuwerfen. Aber er selbst hatte dieselben aus Bürgern in Lanzknechte umgeschaffen; sein eigenes Werk wandte sich gegen ihn; sie gehorchten nicht der Regierung, sondern ihrem Feldherrn. Selbst als die Sklaven unter dem Versprechen der Freiheit aufgefordert wurden, sich zu bewaffnen, erschienen ihrer nicht mehr als drei. Es blieb den Führern nichts übrig, als eiligst durch die noch unbesetzten Tore zu entrinnen; nach wenigen Stunden war Sulla unumschränkter Herr von Rom. Diese Nacht brannten die Wachfeuer der Legionen auf dem Großen Marktplatz der Hauptstadt.

Die erste militärische Intervention in den bürgerlichen Fehden hatte es zur vollen Evidenz gebracht, sowohl daß die politischen Kämpfe auf dem Punkt angekommen waren, wo nur noch offene und unmittelbare Gewalt die Entscheidung gibt, als auch daß die Gewalt des Knüttels nichts ist gegen die Gewalt des Schwertes. Es ist die konservative Partei gewesen, die das Schwert zuerst gezogen und an der denn auch jenes ahnungsvolle Wort des Evangeliums über den, der zuerst das Schwert erhebt, seinerzeit sich erfüllt hat. Für jetzt triumphierte sie vollständig und durfte ihren Sieg nach Belieben selber formulieren. Von selbst verstand es sich, daß die Sulpicischen Gesetze als von Rechts wegen nichtig bezeichnet wurden. Ihr Urheber und seine namhaftesten Anhänger hatten sich geflüchtet; sie wurden, zwölf an der Zahl, von dem Senat als Vaterlandsfeinde zur Fahndung und Hinrichtung ausgeschrieben. Publius Sulpicius ward infolgedessen bei Laurentum ergriffen und niedergemacht und das an Sulla gesandte Haupt des Tribuns nach dessen Anordnung auf dem Markt auf ebenderselben Rednerbühne zur Schau gestellt, wo er selbst noch wenige Tage zuvor in voller Jugend- und Rednerkraft gestanden hatte. Die anderen Geächteten wurden verfolgt; auch dem alten Gaius Marius waren die Mörder auf den Fersen. Wie der Feldherr auch die Erinnerung an seine glorreichen Tage durch eine Kette von Erbärmlichkeiten getrübt haben mochte, jetzt, wo der Retter des Vaterlandes um sein Leben lief, war er wieder der Sieger von Vercellae und mit atemloser Spannung vernahm man in ganz Italien die Ereignisse seiner wundersamen Flucht. In Ostia hatte er ein Fahrzeug bestiegen, um nach Afrika zu segeln; allein widrige Winde und Mangel an Vorräten zwangen ihn, am Circeischen Vorgebirg zu landen und auf gut Glück in die Irre zu gehen. Von wenigen begleitet und keinem Dach sich anvertrauend, gelangte der greise Konsular zu Fuß, oft vom Hunger gepeinigt, in die Nähe der römischen Kolonie Minturnae an der Mündung des Garigliano. Hier zeigten sich in der Ferne die verfolgenden Reiter; mit genauer Not ward das Ufer erreicht, und ein dort liegendes Handelsschiff entzog ihn seinen Verfolgern; allein die ängstlichen Schiffer legten bald wieder an und suchten das Weite, während Marius am Strande schlief. In dem Strandsumpf von Minturnae, bis zum Gürtel in den Schlamm versunken und das Haupt unter einem Schilfhaufen verborgen, fanden ihn seine Verfolger und lieferten ihn ab an die Stadtbehörde von Minturnae. Er ward ins Gefängnis gelegt und der Stadtbüttel, ein kimbrischer Sklave, gesandt, ihn hinzurichten; allein der Deutsche erschrak vor dem blitzenden Auge seines alten Besiegers und das Beil entsank ihm, als der General mit seiner gewaltigen Stimme ihn anherrschte, ob er der Mann sei, den Gaius Marius zu töten. Als man dies vernahm, ergriff die Beamten von Minturnae die Scham, daß der Retter Roms größere Ehrfurcht finde bei den Sklaven, denen er die Knechtschaft, als bei den Mitbürgern, denen er die Freiheit gebracht hatte; sie lösten seine Fesseln, gaben ihm Schiff und Reisegeld und sandten ihn nach Aenaria (Ischia). Die Verbannten mit Ausnahme des Sulpicius fanden in diesen Gewässern sich allmählich zusammen; sie liefen am Eryx und bei dem ehemaligen Karthago an, allein die römischen Beamten wiesen sie in Sizilien wie in Afrika zurück. So entrannen sie nach Numidien, dessen öde Stranddünen ihnen einen Zufluchtsort für den Winter gewährten. Allein der König Hiempsal II., den sie zu gewinnen hofften und der auch eine Zeitlang sich die Miene gegeben hatte, mit ihnen sich verbinden zu wollen, hatte es nur getan, um sie sicher zu machen, und versuchte jetzt, sich ihrer Personen zu bemächtigen. Mit genauer Not entrannen die Flüchtlinge seinen Reitern und fanden vorläufig eine Zuflucht auf der kleinen Insel Kerkina (Kerkena) an der tunesischen Küste. Wir wissen es nicht, ob Sulla seinem Glücksstern auch dafür dankte, daß es ihm erspart blieb, den Kimbrersieger töten zu lassen; wenigstens scheint es nicht, daß die minturnensischen Beamten bestraft worden sind.

Um die vorhandenen Übelstände zu beseitigen und künftige Umwälzungen zu verhüten, veranlaßte Sulla eine Reihe neuer gesetzlicher Bestimmungen. Für die bedrängten Schuldner scheint nichts geschehen zu sein, als daß man die Vorschriften über das Zinsmaximum einschärfte ^11; außerdem wurde die Ausführung einer Anzahl von Kolonien angeordnet. Der in den Schlachten und Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr zusammengeschwundene Senat ward ergänzt durch die Aufnahme von 300 neuen Senatoren, deren Auswahl natürlich im optimatischen Interesse getroffen ward. Endlich wurden hinsichtlich des Wahlmodus und der legislatorischen Initiative wesentliche Änderungen vorgenommen. Die alte Servianische Stimmordnung der Zenturiatkomitien, nach der die erste Steuerklasse mit einem Vermögen von 100000 Sesterzen (7600 Talern) oder darüber allein fast die Hälfte der Stimmen inne hatte, trat wieder an die Stelle der im Jahre 513 (241) eingeführten, das Übergewicht der ersten Klasse mildernden Ordnungen. Tatsächlich ward damit für die Wahl der Konsuln, Prätoren und Zensoren ein Zensus eingeführt, der die nicht Wohlhabenden vom aktiven Wahlrecht der Sache nach ausschloß. Die legislatorische Initiative wurde den Volkstribunen dadurch beschränkt, daß jeder Antrag fortan von ihnen zunächst dem Senat vorgelegt werden mußte und erst, wenn dieser ihn gebilligt hatte, an das Volk gelangen konnte.

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^11 Klar ist es nicht, was das “Zwölftelgesetz’, der Konsuln Sulla und Rufus von 666 (88) in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste Annahme bleibt aber, darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (357) zu sehen, so daß der höchste erlaubte Zinsfuß wieder 1/12 des Kapitals für das zehnmonatliche oder 10 Prozent für das zwölfmonatliche Jahr ward.

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Diese durch den Sulpicischen Revolutionsversuch hervorgerufenen Verfügungen desjenigen Mannes, der darin als Schild und Schwert der Verfassungspartei aufgetreten war, des Konsuls Sulla, tragen einen ganz eigentümlichen Charakter. Sulla wagte es, ohne die Bürgerschaft oder Geschworene zu fragen, über zwölf der angesehensten Männer, darunter fungierende Beamte und den berühmtesten General seiner Zeit, das Todesurteil zu verhängen und öffentlich zu diesen Ächtungen sich zu bekennen, eine Verletzung der altheiligen Provokationsgesetze, die selbst von sehr konservativen Männern, wie zum Beispiel von Quintus Scaevola, strengen Tadel erfuhr. Er wagte es, eine seit anderthalb Jahrhunderten bestehende Wahlordnung umzustoßen und den seit langem verschollenen und verfemten Wahlzensus wiederherzustellen. Er wagte es, das Recht der Legislation seinen beiden uralten Faktoren, den Beamten und den Komitien, tatsächlich zu entziehen und es auf eine Behörde zu übertragen, die zu keiner Zeit formell ein anderes Recht in dieser Hinsicht besessen hatte als das, dabei um Rat gefragt werden zu können. Kaum hatte je ein Demokrat in so tyrannischen Formen Justiz geübt, mit so rücksichtsloser Kühnheit an den Fundamenten der Verfassung gerüttelt und gemodelt wie dieser konservative Reformator. Sieht man aber auf die Sache statt auf die Form, so gelangt man zu sehr verschiedenen Ergebnissen. Revolutionen sind nirgends und am wenigsten in Rom beendigt worden, ohne eine gewisse Zahl von Opfern zu fordern, welche, in mehr oder minder der Justiz abgeborgten Formen, die Schuld, überwunden zu sein, gleichsam als ein Verbrechen büßen. Wer sich erinnert an die prozessualischen Konsequenzen, wie sie die siegende Partei nach dem Sturz der Gracchen und des Saturninus gezogen hatte, der fühlt sich geneigt, dem Sieger vom Esquilinischen Markt das Lob der Offenheit und der relativen Mäßigung zu erteilen, indem er einmal ohne viel Umstände das, was Krieg war, auch als Krieg nahm und die geschlagenen Männer als rechtlose Feinde in die Acht erklärte; zweitens die Zahl der Opfer möglichst beschränkte und wenigstens das widerliche Wüten gegen die geringen Leute nicht gestattete. Eine ähnliche Mäßigung zeigt sich in den politischen Organisationen. Die Neuerung hinsichtlich der Gesetzgebung, die wichtigste und scheinbar durchgreifendste, brachte in der Tat nur den Buchstaben der Verfassung mit dem Geist derselben in Einklang. Die römische Legislation, wo jeder Konsul, Prätor oder Tribun jede beliebige Maßregel bei der Bürgerschaft beantragen und ohne Debatte zur Abstimmung bringen konnte, war von Haus aus unvernünftig gewesen und mit der steigenden Nullität der Komitien es immer mehr geworden; sie ward nur ertragen, weil faktisch der Senat sich das Vorberatungsrecht vindiziert hatte und regelmäßig den ohne solche Vorberatung zur Abstimmung ge langenden Antrag erstickte durch politische oder religiöse Interzession. Diese Dämme hatte die Revolution fortgeschwemmt; infolgedessen fing nun jenes absurde System an, seine Konsequenzen vollständig und jedem mutwilligen Buben den Umsturz des Staats in formell legaler Weise möglich zu machen. Was war unter solchen Umständen natürlicher, notwendiger, im rechten Sinne konservativer, als die bisher auf Umwegen realisierte Legislation des Senats jetzt förmlich und ausdrücklich anzuerkennen? Etwas Ähnliches gilt von der Erneuerung des Wahlzensus. Die ältere Verfassung ruhte durchaus auf demselben; auch die Reform von 513 (241) hatte die Bevorzugung der Vermögenden nur beschränkt. Aber seit diesem Jahr war eine ungeheure finanzielle Umwandlung eingetreten, welche eine Erhöhung des Wahlzensus wohl rechtfertigen konnte. Auch die neue Timokratie änderte also den Buchstaben der Verfassung nur, um dem Geiste derselben treu zu bleiben, indem sie zugleich dem schändlichen Stimmenkauf samt allem, was daran hing, in der möglichst milden Form zu wehren wenigstens versuchte. Endlich die Bestimmungen zu Gunsten der Schuldner, die Wiederaufnahme der Kolonisationspläne gaben den redenden Beweis, daß Sulla, wenn er auch nicht gemeint war, Sulpicius’ leidenschaftlichen Anträgen beizupflichten, doch eben wie er und wie Drusus, wie überhaupt alle heller sehenden Aristokraten, den materiellen Reformen an sich geneigt war; wobei nicht übersehen werden darf, daß er diese Maßregel nach dem Siege und durchaus freiwillig beantragte. Wenn man hiermit verbindet, daß Sulla die hauptsächlichen Fundamente der Gracchischen Verfassung bestehen ließ und weder an den Rittergerichten noch an den Kornverteilungen rüttelte, so wird man das Urteil gerechtfertigt finden, daß die Sullanische Ordnung von 666 (86) an dem seit dem Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status quo wesentlich festhielt und nur teils die dem bestehenden Regiment zunächst Gefahr drohenden überlieferten Satzungen zeitgemäß änderte, teils den vorhandenen sozialen Übeln nach Kräften abzuhelfen suchte, soweit beides sich tun ließ, ohne die tieferliegenden Schäden zu berühren. Energische Verachtung des konstitutionellen Formalismus in Verbindung mit einem lebendigen Gefühl für den inneren Gehalt der bestehenden Ordnungen, klare Einsichten und löbliche Absichten bezeichnen durchaus diese Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit, wie denn namentlich sehr viel guter Wille dazu gehörte, um zu glauben, daß die Feststellung des Zinsmaximums den verwirrten Kreditverhältnissen aufhelfen und daß das Vorberatungsrecht des Senats sich gegen die künftige Demagogie widerstandsfähiger erweisen werde als bisher das Interzessionsrecht und die Religion.

In der Tat stiegen an dem reinen Himmel der Konservativen sehr bald neue Wolken auf. Die asiatischen Verhältnisse nahmen einen immer drohenderen Charakter an. Schon hatte der Staat dadurch, daß die Sulpicische Revolution den Abgang des Heeres nach Asien verzögert hatte, den schwersten Schaden erlitten; die Einschiffung konnte auf keinen Fall länger verschoben werden. Inzwischen hoffte Sulla teils in den Konsuln, die nach der neuen Wahlordnung gewählt würden, teils besonders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen Insurrektion beschäftigten Armeen Garanten gegen einen neuen Sturm auf die Oligarchie in Italien zurückzulassen. Allein in den Konsularkomitien fiel die Wahl nicht auf die von Sulla aufgestellten Kandidaten, sondern neben Gnaeus Octavius, einem allerdings streng optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius Cornelius Cinna, der zur entschiedensten Opposition gehörte. Vermutlich war es hauptsächlich die Kapitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem Urheber des Zinsgesetzes vergalt. Sulla nahm die unbequeme Wahl mit der Erklärung hin, daß es ihn freue, die Bürger von ihrer verfassungsmäßigen Wahlfreiheit Gebrauch machen zu sehen, und begnügte sich, beiden Konsuln den Schwur abzunehmen auf treue Beobachtung der bestehenden Verfassung. Von den Armeen kam es vornehmlich auf die Nordarmee an, da die kampanische größten teils nach Asien abzugehen bestimmt war. Sulla ließ durch Volksschluß das Kommando über jene auf seinen treuergebenen Kollegen Quintus Rufus übertragen und den bisherigen Feldherrn Gnaeus Strabo in möglichst schonender Weise zurückrufen, um so mehr als dieser der Ritterpartei angehörte und seine passive Haltung während der Sulpicischen Unruhen der Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt hatte. Rufus traf bei dem Heer ein und übernahm an Strabos Stelle den Oberbefehl; allein wenige Tage nachher ward er von den Soldaten erschlagen und Strabo trat wieder zurück in das kaum abgegebene Kommando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiß ist es, daß er ein Mann war, zu dem man solcher Tat sich versehen konnte, der die Früchte der Untat erntete und die wohlbekannten Urheber nur mit Worten strafte. Für Sulla war Rufus’ Beseitigung und Strabos Feldherrnschaft eine neue und ernste Gefahr; doch tat er nichts, um diesem das Kommando abzunehmen. Als bald darauf sein Konsulat zu Ende ging, sah er sich einerseits von seinem Nachfolger Cinna gedrängt, endlich nach Asien abzugehen, wo seine Anwesenheit allerdings dringend not tat, andererseits von einem der neuen Tribune vor das Volksgericht geladen; es war dem blödesten Auge klar, daß ein neuer Sturm gegen ihn und seine Partei sich vorbereitete und daß die Gegner seine Entfernung wünschten. Sulla hatte die Wahl, mit Cinna, vielleicht mit Strabo es zum Bruche zu treiben und abermals auf Rom zu marschieren, oder die italischen Angelegenheiten gehen zu lassen, wie sie konnten und mochten und nach einem andern Weltteil sich zu entfernen. Sulla entschied sich - ob mehr aus Patriotismus oder mehr aus Indifferenz, wird nie ausgemacht werden - für die letztere Alternative, übergab das in Samnium zurückbleibende Korps dem zuverlässigen und kriegskundigen Quintus Metellus Pius, der an Sullas Stelle den prokonsularischen Oberbefehl in Unteritalien übernahm, die Leitung der Belagerung von Nola dem Proprätor Appius Claudius und schiffte im Anfang des Jahres 667 (87) mit seinen Legionen nach dem hellenischen Osten sich ein.

KAPITEL VIII.
Der Osten und König Mithradates

Die atemlose Spannung, in welcher die Revolution mit ihrem ewig sich erneuernden Feuerlärm und Löschruf die römische Regierung erhielt, war die Ursache, daß dieselbe die Provinzialverhältnisse überhaupt aus den Augen verlor, am meisten aber die des asiatischen Ostens, dessen ferne und unkriegerische Nationen nicht so unmittelbar wie Afrika, Spanien und die transalpinischen Nachbarn der Beachtung der Regierung sich aufdrängten. Nach der Einziehung des Attalischen Königreiches, die mit dem Ausbruch der Revolution zusammenfällt, ist ein volles Menschenalter hindurch kaum irgendeine ernstliche Beteiligung Roms an den orientalischen Angelegenheiten nachzuweisen, mit Ausnahme der durch die maßlose Dreistigkeit der kilikischen Piraterie den Römern abgedrungenen Einrichtung der Provinz Kilikien im Jahre 652 (102), welche der Sache nach auch nichts weiter war als die Anordnung einer bleibenden Station für eine kleine römische Heer- und Flottenabteilung in den östlichen Gewässern. Erst nachdem die Marianische Katastrophe im Jahre 654 (100) die Restaurationsregierung einigermaßen konsolidiert hatte, begann die römische Regierung aufs neue den Ereignissen im Osten einige Aufmerksamkeit zuzuwenden.

In vieler Hinsicht waren die Verhältnisse noch, wie wir dreißig Jahre zuvor sie verließen. Das Reich Ägypten mit seinen beiden Nebenländern Kyrene und Kypros löste mit dem Tode Euergetes II. (637 117) teils rechtlich, teils tatsächlich sich auf. Kyrene kam an den natürlichen Sohn desselben, Ptolemaeos Apion, und trennte sich auf immer von dem Hauptland. Um die Herrschaft in diesem haderten die Witwe des letzten Königs, Kleopatra († 665 89), und dessen beide Söhne Soter II. Lathyros († 673 81) und Alexander I. († 666 88), was die Ursache ward, daß auch Kypros auf längere Zeit von Ägypten sich schied. Die Römer griffen in die Wirren nicht ein; ja als ihnen im Jahre 658 (96) das Kyrenische Reich durch das Testament des kinderlosen Königs Apion anfiel, schlugen sie diesen Erwerb zwar nicht geradezu aus, aber überließen doch die Landschaft im wesentlichen sich selbst, indem sie die griechischen Städte des Reiches, Kyrene, Ptolemais, Berenike, zu Freistädten erklärten und denselben sogar die Nutzung der königlichen Domänen überwiesen. Die Oberaufsicht des Statthalters von Africa über dieses Gebiet war bei dessen Entlegenheit noch weit mehr eine bloß nominelle als die des Statthalters von Makedonien über die hellenischen Freistädte. Die Folgen dieser Maßregel, die ohne Zweifel nicht aus dem Philhellenismus, sondern lediglich aus der Schwäche und Nachlässigkeit der römischen Regierung hervorging, waren wesentlich dieselben, die unter gleichen Verhältnissen in Hellas eingetreten waren: Bürgerkriege und Usurpation zerrissen die Landschaft so, daß, als dort zufällig im Jahre 668 (86) ein höherer römischer Offizier erschien, die Einwohner ihn dringend ersuchten, ihre Verhältnisse zu ordnen und ein dauerhaftes Regiment bei ihnen zu begründen.

Auch in Syrien war es in der Zwischenzeit nicht viel anders, am wenigsten besser geworden. Während des zwanzigjährigen Erbfolgekrieges der beiden Halbbrüder Antiochos Grypos († 658 96) und Antiochos von Kyzikos († 659 95), der sich nach dem Tode derselben auf ihre Söhne forterbte, ward das Reich, um das man stritt, fast zu einem eitlen Namen, in dem die kilikischen Seekönige, die Araberscheichs der syrischen Wüste, die Fürsten der Juden und die Magistrate der größeren Städte in der Regel mehr zu sagen hatten als die Träger des Diadems. Inzwischen setzten im westlichen Kilikien die Römer sich fest und ging das wichtige Mesopotamien definitiv über an die Parther.

Die Monarchie der Arsakiden hatte, hauptsächlich infolge der Einfälle turanischer Stämme, um die Zeit der Gracchen eine gefährliche Krise durchzumachen gehabt. Der neunte Arsakide, Mithradates II. oder der Große (630 ? - 667 ? 124 ? 87 ?), hatte dem Staat zwar seine überwiegende Stellung in Innerasien zurückgegeben, die Skythen zurückgeschlagen und gegen Syrien und Armenien die Grenze des Reiches vorgeschoben, allein gegen das Ende seines Lebens lähmten neue Unruhen sein Regiment; und während die Großen des Reiches, ja der eigene Bruder Orodes gegen den König sich auflehnten und endlich dieser Bruder ihn stürzte und töten ließ, erhob sich das bis dahin unbedeutende Armenien. Dieses Land, das seit seiner Selbständigkeitserklärung in die nordöstliche Hälfte oder das eigentliche Armenien, das Reich der Artaxiaden, und die südwestliche oder Sophene, das Reich der Zariadriden, geteilt gewesen war, wurde durch den Artaxiaden Tigranes (regierte seit 660 94) zum erstenmal zu einem Königreich vereinigt, und teils diese Machtverdoppelung, teils die Schwäche der parthischen Herrschaft machten es dem neuen König von ganz Armenien möglich, nicht bloß aus der Klientel der Parther sich zu lösen und die früher an sie abgetretenen Landschaften zurückzugewinnen, sondern sogar das Oberkönigtum von Asien, wie es von den Achämeniden auf die Seleukiden und von diesen auf die Arsakiden übergegangen war, an Armenien zu bringen.

In Kleinasien endlich bestand die Länderteilung, wie sie nach der Auflösung des Attalischen Reiches unter römischer Einwirkung festgestellt worden war, noch wesentlich ungeändert. In dem Zustande der Klientelstaaten, der Königreiche Bithynien, Kappadokien, Pontus, der Fürstentümer Paphlagoniens und Galatiens, der zahlreichen Städtebünde und Freistädte, war eine äußerliche Änderung zunächst nicht wahrzunehmen. Innerlich hatte dagegen der Charakter der römischen Herrschaft allerdings überall sich wesentlich umgestaltet. Teils durch die bei jedem tyrannischen Regiment naturgemäß eintretende stetige Steigerung des Druckes, teils durch die mittelbare Einwirkung der römischen Revolution - man erinnere sich an die Einziehung des Bodeneigentums in der Provinz Asien durch Gaius Gracchus, an die römischen Zehnten und Zölle und an die Menschenjagden, die die Zöllner daselbst nebenbei betrieben - lastete die schon von Haus aus schwer erträgliche römische Herrschaft in einer Weise auf Asien, daß weder die Königskrone noch die Bauernhütte daselbst mehr sicher war vor Konfiskation, daß jeder Halm für den römischen Zehntherrn zu wachsen, jedes Kind freier Eltern für die römischen Sklavenzwinger geboren zu werden schien. Zwar ertrug der Asiate in seiner unerschöpflichen Passivität auch diese Qual; allein es waren nicht Geduld und Überlegung, die ihn ruhig tragen hießen, sondern der eigentümlich orientalische Mangel der Initiative, und es konnten in diesen friedlichen Landschaften, unter diesen weichlichen Nationen wunderbare, schreckhafte Dinge sich ereignen, wenn einmal ein Mann unter sie trat, der es verstand, das Zeichen zu geben.

Es regierte damals im Reiche Pontus König Mithradates VI. mit dem Beinamen Eupator (geb. um 624 130, gest. 691 63), der sein Geschlecht von väterlicher Seite im sechzehnten Glied auf den König Dareios Hystaspes’ Sohn, im achten auf den Stifter des Pontischen Reiches, Mithradates I., zurückführte, von mütterlicher den Alexandriden und Seleukiden entstammte. Nach dem frühen Tode seines Vaters Mithradates Euergetes, der in Sinope von Mörderhand fiel, war er um 634 (120) als elfjähriger Knabe König genannt worden; allein das Diadem brachte ihm nur Not und Gefahr. Die Vormünder, ja, wie es scheint, die eigene, durch des Vaters Testament zur Mitregierung berufene Mutter standen dem königlichen Knaben nach dem Leben; es wird erzählt, daß er, um den Dolchen seiner gesetzlichen Beschützer sich zu entziehen, freiwillig in das Elend gegangen sei und sieben Jahre hindurch, Nacht für Nacht die Ruhestätte wechselnd, ein Flüchtling in seinem eigenen Reiche, ein heimatloses Jägerleben geführt habe. Also ward der Knabe ein gewaltiger Mann. Wenngleich unsere Berichte über ihn im wesentlichen auf schriftliche Aufzeichnungen der Zeitgenossen zurückgehen, so hat nichtsdestoweniger die im Orient blitzschnell sich bildende Sage den mächtigen König früh geschmückt mit manchen der Züge ihrer Simson und Rustem; aber auch diese gehören zum Charakter ebenwie die Wolkenkrone zum Charakter der höchsten Bergspitzen: die Grundlinien des Bildes erscheinen in beiden Fällen nur farbiger und phantastischer, nicht getrübt noch wesentlich geändert. Die Waffenstücke, die dem riesengroßen Leibe des Königs Mithradates paßten, erregten das Staunen der Asiaten und mehr noch der Italiker. Als Läufer überholte er das schnellste Wild; als Reiter bändigte er das wilde Roß und vermochte mit gewechselten Pferden an einem Tage 25 deutsche Meilen zurückzulegen; als Wagenlenker fuhr er mit sechzehn und gewann im Wettrennen manchen Preis - freilich war es gefährlich, in solchem Spiel dem König obzusiegen. Auf der Jagd traf er das Wild im vollen Galopp vom Pferde herab, ohne zu fehlen; aber auch an der Tafel suchte er seinesgleichen - er veranstaltete wohl Wettschmäuse und gewann darin selber die für den derbsten Esser und für den tapfersten Trinker ausgesetzten Preise - und nicht minder in den Freuden des Harems, wie unter anderm die zügellosen Billets seiner griechischen Mätressen bewiesen, die sich unter seinen Papieren fanden. Seine geistigen Bedürfnisse befriedigte er im wüstesten Aberglauben -Traumdeuterei und das griechische Mysterienwesen füllten nicht wenige der Stunden des Königs aus - und in einer rohen Aneignung der hellenischen Zivilisation. Er liebte griechische Kunst und Musik, das heißt er sammelte Pretiosen, reiches Gerät, alte persische und griechische Prachtstücke - sein Ringkabinett war berühmt -, hatte stets griechische Geschichtschreiber, Philosophen, Poeten in seiner Umgebung und setzte bei seinen Hoffesten neben den Preisen für Esser und Trinker auch welche aus für den drolligsten Spaßmacher und den besten Sänger. So war der Mensch; der Sultan entsprach ihm. Im Orient, wo das Verhältnis des Herrschers und der Beherrschten mehr den Charakter des Natur- als des sittlichen Gesetzes trägt, ist der Untertan hündisch treu und hündisch falsch, der Herrscher grausam und mißtrauisch. In beiden ist Mithradates kaum übertroffen worden. Auf seinen Befehl starben oder verkamen in ewiger Haft wegen wirklicher oder angeblicher Verräterei seine Mutter, sein Bruder, seine ihm vermählte Schwester, drei seiner Söhne und ebenso viele seiner Töchter. Vielleicht noch empörender ist es, daß sich unter seinen geheimen Papieren im voraus aufgesetzte Todesurteile gegen mehrere seiner vertrautesten Diener vorfanden. Ebenso ist es echt sultanisch, daß er späterhin, nur um seinen Feinden die Siegestrophäen zu entziehen, seine beiden griechischen Gattinnen, seine Schwestern und seinen ganzen Harem töten ließ und den Frauen nur die Wahl der Todesart freigab. Das experimentale Studium der Gifte und Gegengifte betrieb er als einen wichtigen Zweig der Regierungsgeschäfte und versuchte, seinen Körper an einzelne Gifte zu gewöhnen. Verrat und Mord hatte er von früh auf von jedermann und zumeist von den Nächsten erwarten und gegen jedermann und zumeist gegen die Nächsten üben gelernt, wovon denn die notwendige und durch seine ganze Geschichte belegte Folge war, daß all seine Unternehmungen schließlich mißlangen durch die Treulosigkeit seiner Vertrauten. Dabei begegnen wohl einzelne Züge von hochherziger Gerechtigkeit; wenn er Verräter bestrafte, schonte er in der Regel diejenigen, welche nur durch ihr persönliches Verhältnis zu dem Hauptverbrecher mitschuldig geworden waren; allein dergleichen Anfälle von Billigkeit fehlen bei keinem rohen Tyrannen. Was Mithradates in der Tat auszeichnet unter der großen Anzahl gleichartiger Sultane, ist seine grenzenlose Rührigkeit. Eines schönen Morgens war er aus seiner Hofburg verschwunden und blieb Monate lang verschollen, so daß man ihn bereits verloren gab; als er zurückkam, hatte er unerkannt ganz Vorderasien durchwandert und Land und Leute überall militärisch erkundet. Von gleicher Art ist es, daß er nicht bloß überhaupt ein redefertiger Mann war, sondern auch den zweiundzwanzig Nationen, über die er gebot, jeder in ihrer Zunge Recht sprach, ohne eines Dolmetschers zu bedürfen - ein bezeichnender Zug für den regsamen Herrscher des sprachenreichen Ostens. Denselben Charakter trägt seine ganze Regententätigkeit. Soweit wir sie kennen - denn von der inneren Verwaltung schweigt unsere Überlieferung leider durchaus -, geht sie auf wie die eines jeden anderen Sultans im Sammeln von Schätzen, im Zusammentreiben der Heere, die wenigstens in seinen früheren Jahren gewöhnlich nicht der König selbst, sondern irgendein griechischer Condottiere gegen den Feind führt, in dem Bestreben, neue Satrapien zu den alten zu fügen; von höheren Elementen, Förderung der Zivilisation, ernstlicher Führerschaft der nationalen Opposition, eigenartiger Genialität finden sich, in unserer Überlieferung wenigstens, bei Mithradates keine bewußten Spuren, und wir haben keinen Grund, auch nur mit den großen Regenten der Osmanen, wie Muhamed II. und Suleiman waren, ihn auf eine Linie zu stellen. Trotz der hellenischen Bildung, die ihm nicht viel besser sitzt als seinen Kappadokiern die römische Rüstung, ist er durchaus ein Orientale gemeinen Schlags, roh, voll sinnlichster Begehrlichkeit, abergläubisch, grausam, treu- und rücksichtslos, aber so kräftig organisiert, so gewaltig physisch begabt, daß sein trotziges Umsichschlagen, sein unverwüstlicher Widerstandsmut häufig wie Talent, zuweilen sogar wie Genie aussieht. Wenn man auch in Anschlag bringt, daß während der Agonie der Republik es leichter war, Rom Widerstand zu leisten als in den Zeiten Scipios oder Traians, und daß nur die Verschlingung der asiatischen Ereignisse mit den inneren Bewegungen Italiens es Mithradates möglich machte, doppelt so lange als Jugurtha den Römern zu widerstehen, so bleibt es darum doch nicht minder wahr, daß bis auf die Partherkriege er der einzige Feind ist, der im Osten den Römern ernstlich zu schaffen gemacht, und daß er gegen sie sich gewehrt hat wie gegen den Jäger der Löwe der Wüste. Aber mehr als solchen naturkräftigen Widerstand sind wir nach dem, was vorliegt, auch nicht berechtigt, in ihm zu erkennen.

Indes wie man immer über die Individualität des Königs urteilen möge, seine geschichtliche Stellung bleibt in hohem Grade bedeutsam. Die Mithradatischen Kriege sind zugleich die letzte Regung der politischen Opposition von Hellas gegen Rom und der Anfang einer auf sehr verschiedenen und weit tieferen Gegensätzen beruhenden Auflehnung gegen die römische Suprematie, der nationalen Reaktion der Asiaten gegen die Okzidentalen. Wie Mithradates selbst so war auch sein Reich ein orientalisches, die Polygamie und das Haremwesen herrschend am Hofe und überhaupt unter den Vornehmen, die Religion der Landesbewohner wie die offizielle des Hofes vorwiegend der alte Nationalkult; der Hellenismus daselbst war wenig verschieden von dem Hellenismus der armenischen Tigraniden und der Arsakiden des Partherreichs. Es mochten die kleinasiatischen Griechen einen kurzen Augenblick für ihre politischen Träume an diesem König einen Halt zu finden meinen; in der Tat ward in seinen Schlachten um ganz andere Dinge gestritten, als worüber auf den Feldern von Magnesia und Pydna die Entscheidung fiel. Es war nach langer Waffenruhe ein neuer Gang in dem ungeheuren Zweikampf des Westens und des Ostens, welcher von den Kämpfen bei Marathon auf die heutige Generation sich vererbt hat und vielleicht seine Zukunft ebenso nach Jahrtausenden zählen mag wie seine Vergangenheit.

So offenbar indes in dem ganzen Sein und Tun des kappadokischen Königs das fremdartige und unhellenische Wesen hervortritt, so schwierig ist es, das hier obwaltende nationale Element bestimmt anzugeben, und kaum wird es je gelingen, in dieser Hinsicht über Allgemeinheiten hinaus und zu einer wirklichen Anschauung zu gelangen. In dem ganzen Kreis der antiken Zivilisation gibt es keinen Bezirk, in welchem so zahlreiche, so verschiedenartige, so seit fernster Zeit mannigfaltig verschlungene Stämme neben- und durcheinander geschoben und wo demzufolge die Verhältnisse der Nationalitäten weniger klar wären wie in Kleinasien. Die semitische Bevölkerung setzt sich von Syrien her in ununterbrochenem Zuge nach Kypros und Kilikien fort, und es scheint ihr ferner auch an der Ostküste in der karischen lydischen Landschaft der Grundstock der Bevölkerung anzugehören, während die nordwestliche Spitze von den Bithynern, den Stammverwandten der europäischen Thraker, eingenommen wird. Dagegen das Binnenland und die Nordküste sind vorwiegend von indogermanischen, am nächsten den iranischen verwandten Völkerschaften erfüllt. Von der armenischen und der phrygischen Sprache ^1 ist es ausgemacht, von der kappadokischen höchstwahrscheinlich, daß sie zunächst an das Zend grenzten; und wenn von den Mysern angegeben wird, daß bei ihnen lydische und phrygische Sprache sich begegneten, so bezeichnet dies eben eine semitisch-iranische, etwa der assyrischen vergleichbare Mischbevölkerung. Was die zwischen Kilikien und Karien sich ausbreitenden Landschaften, namentlich die lykische, anlangt, so mangelt es, trotz der gerade hier in Fülle vorhandenen Überreste einheimischer Sprache und Schrift, bis jetzt über dieselbe noch an gesicherten Ergebnissen, und es ist nur wahrscheinlich, daß diese Stämme eher den Indogermanen als den Semiten zuzuzählen sind. Wie dann überall dieses Völkergewirre sich zuerst ein Netz griechischer Kaufstädte, sodann der durch das kriegerische wie das geistige Übergewicht der griechischen Nation ins Leben gerufene Hellenismus gelegt hat, ist in seinen Umrissen bereits früher auseinandergesetzt worden.

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^1 Die als phrygisch angeführten Wörter Βαγαίος = Zeus und der alte Königsname Μάνις sind unzweifelhaft richtig auf das zendische bagha = Gott und das deutsche Mannus, indisch Manus zurückgeführt worden. Chr. Lassen in: ZDMG, 10, 1888, S. 329f.

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In diesen Gebieten herrschte König Mithradates und zwar zunächst in Kappadokien am Schwarzen Meer oder der sogenannten pontischen Landschaft, da wo, am nordöstlichen Ende Kleinasiens gegen Armenien zu und mit diesem in steter Berührung, sich die iranische Nationalität vermutlich minder gemischt als irgendwo sonst in Kleinasien behauptet hatte. Nicht einmal der Hellenismus war hier tief eingedrungen. Mit Ausnahme der Küste, wo mehrere ursprünglich griechische Ansiedlungen bestanden, namentlich die bedeutenden Handelsplätze Trapezus, Amisos und vor allem die Geburts- und Residenzstadt Mithradats und die blühendste Stadt des Reiches, Sinope, war das Land noch in einem sehr primitiven Zustand. Nicht als hätte es wüst gelegen; vielmehr wie die pontische Landschaft noch heute eine der lachendsten der Erde ist, in der Getreidefelder mit Wäldern von wilden Obstbäumen wechseln, war sie ohne Zweifel auch zu Mithradates’ Zeit wohl bebaut und verhältnismäßig auch bevölkert. Allein eigentliche Städte gab es daselbst kaum, sondern nur Burgen, die den Ackerleuten als Zufluchtsstätten und dem König als Schatzkammern zur Aufbewahrung der eingehenden Steuern dienten, wie denn allein in Kleinarmenien fünfundsiebzig solcher kleiner königlicher Kastelle gezählt wurden. Wir finden nicht, daß Mithradates wesentlich dazu getan hätte, das städtische Wesen in seinem Reiche emporzubringen; und wie er gestellt war, in tatsächlicher, wenn auch vielleicht ihm selbst nicht völlig bewußter Reaktion gegen den Hellenismus, begreift sich dies wohl. Um so tätiger erscheint er, gleichfalls in ganz orientalischer Weise, bemüht, sein Reich, das schon nicht klein war, wenn auch der Umfang desselben wohl übertrieben auf 500 deutsche Meilen angegeben wird, nach allen Seiten hin zu erweitern: am Schwarzen Meer wie gegen Armenien und gegen Kleinasien finden wir seine Heere, seine Flotten und seine Botschafter tätig. Nirgends aber bot sich ihm ein so freier und so weiter Spielraum wie an den östlichen und den nördlichen Gestaden des Schwarzen Meeres, auf deren damalige Zustände hier einen Blick zu werfen nicht unterlassen werden darf, so schwierig oder vielmehr unmöglich es ist, ein wirklich anschauliches Bild davon zu geben. An dem östlichen Ufer des Schwarzen Meeres, das bisher fast unbekannt erst durch Mithradates der allgemeineren Kunde aufgeschlossen ward, wurde die kolchische Landschaft am Phasis (Mingrelien und Imereti) mit der wichtigen Handelsstadt Dioskurias den einheimischen Fürsten entrissen und verwandelt in eine pontische Satrapie. Folgenreicher noch waren seine Unternehmungen in den nördlichen Landschaften 2. Die weiten hügel- und waldlosen Steppen, die sich nördlich vom Schwarzen Meer, vom Kaukasus und von der Kaspischen See hinziehen, sind ihrer Naturbeschaffenheit zufolge, namentlich wegen der zwischen dem Klima von Stockholm und von dem von Madeira schwankenden Temperaturdifferenz und der nicht selten eintretenden und bis zu 22 Monaten und länger anhaltenden absoluten Regen- und Schneelosigkeit, für den Ackerbau und überhaupt für feste Ansiedlung wenig geeignet und waren dies immer, wenngleich vor zweitausend Jahren die klimatischen Verhältnisse vermutlich etwas weniger ungünstig standen, als dies heutzutage der Fall ist 3. Die verschiedenen Stämme, die der Wandertrieb in diese Gegenden geführt hatte, fügten sich diesem Gebot der Natur und führten und führen zum Teil noch jetzt ein wanderndes Hirtenleben, indem sie mit ihren Rinder- oder häufiger noch mit ihren Roßherden Wohn- und Weideplätze wechselten und ihr Gerät auf Wagenhäusern sich nachführten. Auch die Bewaffnung und Kampfweise richtete sich hiernach: die Bewohner dieser Steppen fochten großenteils beritten und immer aufgelöst, mit Helm und Panzer von Leder und lederüberzogenem Schild gerüstet, gewaffnet mit Schwert, Lanze und Bogen - die Vorfahren der heutigen Kosaken. Den ursprünglich hier ansässigen Skythen, die mongolischer Rasse und in Sitte und Körpergestalt den heutigen Bewohnern Sibiriens verwandt gewesen zu sein scheinen, hatten sich, von Osten nach Westen vorrückend, sarmatische Stämme nachgeschoben, Sauromaten, Roxolaner, Jazygen, die gemeiniglich für slawischer Abkunft gehalten werden, obwohl diejenigen Eigennamen, welche man ihnen zuzuschreiben befugt ist, mehr mit medischen und persischen sich verwandt zeigen und vielleicht jene Völker vielmehr dem großen Zendstamme angehört haben. In entgegengesetzter Richtung fluteten thrakische Schwärme, namentlich die Geten, die bis zum Dnjestr gelangten; dazwischen drängten sich, wahrscheinlich als Ausläufer der großen germanischen Wanderung, deren Hauptmasse das Schwarze Meer nicht berührt zu haben scheint, am Dnjepr sogenannte Kelten, ebendaselbst die Bastarner, an der Donaumündung die Peukinen. Ein eigentlicher Staat bildete sich nirgends; es lebte jeder Stamm unter seinen Fürsten und Ältesten für sich. Zu all diesen Barbaren in scharfem Gegensatz standen die hellenischen Ansiedlungen, welche zur Zeit des gewaltigen Aufschwungs des griechischen Handels, namentlich von Miletos aus, an diesen Gestaden gegründet worden waren, teils als Emporien, teils als Stationen für den wichtigen Fischfang und selbst für den Ackerbau, für welchen, wie schon gesagt ward, das nordwestliche Gestade des Schwarzen Meeres im Altertum minder ungünstige Verhältnisse darbot, als dies heutzutage der Fall ist; für die Benutzung des Bodens zahlten hier die Hellenen, wie die Phöniker in Libyen, den einheimischen Herren Schoß und Grundzins. Die wichtigsten dieser Ansiedlungen waren die Freistadt Chersonesos (unweit Sevastopol), auf dem Gebiet der Skythen in der Taurischen Halbinsel (Krim) angelegt und unter nicht vorteilhaften Verhältnissen durch ihre gute Verfassung und den Gemeingeist ihrer Bürger in mäßigem Wohlstand sich behauptend; ferner auf der gegenüberliegenden Seite der Halbinsel an der Straße von dem Schwarzen in das Asowsche Meer Pantikapäon (Kertsch), seit dem Jahre 457 (297) Roms regiert von erblichen Bürgermeistern, später bosporanische Könige genannt, den Archäanaktiden, Spartokiden und Pärisaden. Der Getreidebau und der Fischfang im Asowschen Meer hatten die Stadt schnell zur Blüte gebracht. Ihr Gebiet umfaßte in der Mithradatischen Zeit noch die kleinere Osthälfte der Krim mit Einschluß der Stadt Theodosia und auf dem gegenüberliegenden asiatischen Kontinent die Stadt Phanagoria und die Sindische Landschaft. In besseren Zeiten hatten die Herren von Pantikapäon zu Lande die Völker an der Ostküste des Asowschen Meeres und das Kubantal, zur See mit ihrer Flotte das Schwarze Meer beherrscht; allein Pantikapäon war nicht mehr, was es gewesen war. Nirgends empfand man tiefer als an diesen fernen Grenzposten den traurigen Rückgang der hellenischen Nation. Athen in seiner guten Zeit ist der einzige Griechenstaat gewesen, der hier die Pflichten der führenden Macht erfüllte, die allerdings auch den Athenern durch ihren Bedarf pontischen Getreides besonders nahegelegt wurden. Von dem Sturz der attischen Seemacht an blieben diese Landschaften im ganzen sich selbst überlassen. Die griechischen Landmächte sind nie dazu gelangt, ernstlich hier einzugreifen, obwohl Philippos, der Vater Alexanders, und Lysimachos einigemal dazu ansetzten; und auch die Römer, auf welche mit der Eroberung Makedoniens und Kleinasiens die politische Verpflichtung überging, hier, wo die griechische Zivilisation dessen bedurfte, ihr starker Schild zu sein, vernachlässigten völlig das Gebot des Vorteils wie der Ehre. Der Fall von Sinope, das Sinken von Rhodos vollendeten die Isolierung der Hellenen am Nordgestade des Schwarzen Meeres. Ein lebendiges Bild ihrer Lage den schweifenden Barbaren gegenüber gibt uns eine Inschrift von Olbia (unweit der Dnjeprmündung bei Očakov), die nicht allzulange vor der Mithradatischen Zeit gesetzt zu sein scheint. Die Bürgerschaft muß dem Barbarenkönig nicht bloß jährlichen Zins an sein Hoflager schicken, sondern ihm auch, wenn er vor der Stadt lagert oder auch nur vorbeizieht, eine Verehrung machen, in ähnlicher Weise auch geringere Häuptlinge, ja zuweilen den ganzen Schwarm der Barbaren mit Geschenken abfinden, und es geht ihr übel, wenn die Gabe zu geringfügig erscheint. Die Stadtkasse ist bankrott, und man muß die Tempelkleinode zum Pfand setzen. Inzwischen drängen draußen vor den Toren sich die Stämme der Wilden: das Gebiet wird verwüstet, die Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja, was das ärgste ist, die schwächeren der barbarischen Nachbarn, die Skythen, suchen, um vor dem Andrang der wilderen Kelten sich selber zu bergen, der ummauerten Stadt sich zu bemächtigen, so daß zahlreiche Bürger dieselbe verlassen und man schon daran denkt, sie ganz aufzugeben.

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2 Sie sind hier zusammengefaßt, da sie freilich zum Teil erst zwischen den ersten und den zweiten, zum Teil aber doch schon vor den ersten Krieg mit Rom fallen (Memn. 30; Iust. 38, 7 a. E.; App. Mithr. 13; Eutr. 5, 5) und eine Erzählung nach der Zeitfolge sich hier nun einmal schlechterdings nicht durchführen läßt. Auch das neu gefundene Dekret von Chersonesos hat in dieser Hinsicht keinen Aufschluß gegeben. Danach ist Diophantos zweimal gegen die taurischen Skythen gesandt worden; aber daß die zweite Schilderhebung derselben mit dem Beschluß des römischen Senats zu Gunsten der skythischen Fürsten in Verbindung steht, erhellt aus der Urkunde nicht und ist nicht einmal wahrscheinlich.

3 Es hat viele Wahrscheinlichkeit, daß die ungemeine Trockenheit, die vornehmlich jetzt den Ackerbau in der Krim und in diesen Gegenden überhaupt erschwert, sehr gesteigert worden ist durch das Schwinden der Wälder des mittleren und südlichen Rußland, die ehemals bis zu einem gewissen Grad die Küstenlandschaft gegen den austrocknenden Nordostwind schützten.

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Diese Zustände fand Mithradates vor, als seine makedonische Phalanx den Kamm des Kaukasus überschreitend hinabstieg in die Täler des Kuban und Terek und gleichzeitig seine Flotte in den Gewässern der Krim sich zeigte. Kein Wunder, daß auch hier überall, wie es schon in Dioskurias geschehen war, die Hellenen den pontischen König mit offenen Armen empfingen und in dem Halbhellenen und seinen griechisch gerüsteten Kappadokiern ihre Befreier sahen. Es zeigte sich, was Rom hier versäumt hatte. Den Herren von Pantikapäon waren ebendamals die Tributforderungen zu unerschwinglicher Höhe gesteigert worden; die Stadt Chersonesos sah sich von dem König der auf der Halbinsel hausenden Skythen, Skiluros, und dessen fünfzig Söhnen hart bedrängt; gern gaben jene ihre Erbherrschaft, diese die lang bewahrte Freiheit hin, um ihr letztes Gut, ihr Hellenentum, zu retten. Es war nicht umsonst. Mithradates’ tapfere Feldherren Diophantos und Neoptolemos und seine disziplinierten Truppen wurden leicht mit den Steppenvölkern fertig. Neoptolemos schlug sie in der Straße von Pantikapäon teils zu Wasser, teils im Winter auf dem Eise; Chersonesos wurde befreit, die Burgen der Taurier gebrochen und durch zweckmäßig angelegte Festungen der Besitz der Halbinsel gesichert. Gegen die Reuxinaler oder, wie sie später heißen, die Roxolaner (zwischen Dnjepr und Don), die den Tauriern zu Hilfe herbeikamen, zog Diophantos; ihrer 50000 flohen vor seinen 6000 Phalangiten und bis zum Dnjepr drangen die pontischen Waffen 4. So erwarb Mithradates hier sich ein zweites, mit dem pontischen verbundenes und gleich diesem wesentlich auf eine Anzahl griechischer Handelsstädte gegründetes Königreich, das Bosporanische genannt, das die heutige Krim mit der gegenüberliegenden asiatischen Landspitze umfaßte und jährlich 200 Talente (314000 Taler) und 180000 Scheffel Getreide in die königlichen Kassen und Magazine lieferte. Die Steppenvölker selbst vom Nordabhang des Kaukasus bis zur Donaumündung traten wenigstens zum großen Teil in Klientel oder in Vertrag mit dem pontischen König und boten ihm, wenn nicht andere Hilfe, doch wenigstens einen unerschöpflichen Werbeplatz für seine Armeen.

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4 Das kürzlich aufgefundene Ehrendekret der Stadt Chersonesos für diesen Diophantos (SIG 252) bestätigt die Überlieferung durchaus. Es zeigt uns die Stadt in nächster Nähe - den Hafen von Balaklava müssen die Taurer, Simferopol die Skythen damals in der Gewalt gehabt haben -, bedrängt teils von den Taurern an der Südküste der Krim, teils und vor allem von den Skythen, die das ganze Innere der Halbinsel und das angrenzende Festland in der Gewalt haben; es zeigt uns ferner, wie der Feldherr des Königs Mithradates nach allen Seiten hin der Griechenstadt Luft macht die Taurer niederschlägt und in ihrem Gebiet eine Zwingburg (wahrscheinlich Eupatorion) errichtet, die Verbindung zwischen den westlichen und den östlichen Hellepen der Halbinsel herstellt, im Westen die Dynastie des Skiluros, im Osten den Skythenfürsten Saumakos überwältigt, die Skythen bis auf den Kontinent verfolgt und endlich sie mit den Reuxinalern - so heißen hier, wo sie zuerst auftreten, die späteren Roxolaner - in der großen Feldschlacht besiegt, deren auch die schriftliche Überlieferung gedenkt. Eine formelle Unterordnung der Griechenstadt unter den König scheint nicht stattgefunden zu haben; Mithradates erscheint nur als schützender Bundesgenosse, der gegen die als unbesiegbar geltenden (τούς ανυποστάτους δοκούντασ ειμεν) Skythen für die Griechenstadt die Schlachten schlägt, welche wahrscheinlich zu ihm ungefähr in dem Verhältnis gestanden hat wie Massalia und Athen zu Rom. Die Skythen dagegen in der Krim werden Untertanen (υπάκοιοι) des Mithradates.

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Während also gegen Norden die bedeutendsten Erfolge gelangen, griff der König zugleich um sich gegen Osten und gegen Westen. Wichtiger als die Einziehung Kleinarmeniens, das durch ihn aus einer abhängigen Herrschaft zum integrierenden Teil des Pontischen Reiches ward, war die enge Verbindung, in die er mit dem König von Großarmenien trat. Er gab dem Tigranes nicht bloß seine Tochter Kleopatra zur Gemahlin, sondern er war es auch wesentlich, durch dessen Unterstützung Tigranes sich der Herrschaft der Arsakiden entwand und ihre Stelle in Asien einnahm. Es scheint zwischen beiden eine Verabredung in der Art getroffen zu sein, daß Tigranes Syrien und das innere Asien, Mithradates Kleinasien und die Küsten des Schwarzen Meeres zu besetzen übernahmen unter Zusage gegenseitiger Unterstützung, und ohne Zweifel war es der tätigere und fähigere Mithradates, der dies Abkommen hervorrief, um sich den Rücken zu decken und einen mächtigen Bundesgenossen zu sichern.

In Kleinasien endlich richtete der König die Blicke auf das binnenländische Paphlagonien - die Küste gehörte seit langem zum Poptischen Reich - und auf Kappadokien 5. Auf jenes machte man pontischerseits Ansprüche als durch Testament des letzten der Pylämeniden vermacht an den König Mithradates Euergetes; wogegen freilich legitime oder illegitime Prätendenten und das Land selbst protestierten. Was Kappadokien anlangt, so hatten die pontischen Herrscher nicht vergessen, daß dies Land und Kappadokien am Meer einst zusammengehört hatten, und trugen sich fortwährend mit Reunionsideen. Paphlagonien ward von Mithradates besetzt in Gemeinschaft mit König Nikomedes von Bithynien, mit dem er das Land teilte. Als der Senat dagegen Einspruch erhob, fügte sich Mithradates demselben, während Nikomedes einen seiner Söhne mit dem Namen Pylämenes ausstattete und unter diesem Titel die Landschaft an sich behielt. Noch schlimmere Wege ging die Politik der Verbündeten in Kappadokien. König Ariarathes VI. ward ermordet durch Gordios, es hieß im Auftrage, jedenfalls im Interesse des Schwagers, des Ariarathes Mithradates Eupator; sein junger Sohn Ariarathes wußte den Übergriffen des Königs von Bithynien nur zu begegnen vermittels der zweideutigen Hilfe seines Oheims, für welche dieser dann ihm ansann, dem flüchtig gewordenen Mörder seines Vaters die Rückkehr nach Kappadokien zu gestatten. Es kam hierüber zum Bruch und zum Krieg; jedoch als beide Heere zur Schlacht sich gegenüberstanden, begehrte der Oheim zuvor eine Zusammenkunft mit dem Neffen und stieß dabei den unbewaffneten Jüngling mit eigener Hand nieder. Gordios, der Mörder des Vaters, übernahm hierauf im Auftrage Mithradats die Regierung; und obwohl die unwillige Bevölkerung sich gegen ihn erhob und den jüngeren Sohn des letzten Königs zur Herrschaft berief, vermochte dieser doch Mithradats überlegenen Streitkräften keinen dauernden Widerstand zu leisten. Der baldige Tod des von dem Volke auf den Thron gesetzten Jünglings gab dem pontischen König um so mehr freie Hand, als mit diesem das kappadokische Regentenhaus erlosch. Als nomineller Regent ward, ebenwie in Bithynien geschehen war, ein falscher Ariarathes proklamiert, unter dessen Namen Gordios als Statthalter Mithradats das Reich verwaltete. Gewaltiger als seit langem ein einheimischer Monarch herrschte König Mithradates am nördlichen wie am südlichen Gestade des Schwarzen Meeres und weit in das innere Kleinasien hinein. Die Hilfsquellen des Königs für den Krieg zu Lande und zu Wasser schienen unermeßlich. Sein Werbeplatz reichte von der Donaumündung bis zum Kaukasus und dem Kaspischen Meer; Thraker, Skythen, Sauromaten, Bastarner, Kolchier, Iberer (im heutigen Georgien) drängten sich unter seine Fahne; vor allem rekrutierte er seine Kriegsscharen aus den tapferen Bastarnern. Für die Flotte lieferte ihm die kolchische Satrapie außer Flachs, Hanf, Pech und Wachs das trefflichste, vom Kaukasus herabgeflößte Bauholz; Steuermänner und Offiziere wurden in Phönikien und Syrien gedungen. In Kappadokien, hieß es, sei der König eingerückt mit 600 Sichelwagen, 1000 Pferden und 8000 Mann zu Fuß; und er hatte für diesen Krieg bei weitem noch nicht aufgeboten, was er aufzubieten vermochte. Bei dem Mangel einer römischen oder sonst namhaften Seemacht beherrschte die pontische Flotte, gestützt auf Sinope und die Häfen der Krim, das Schwarze Meer ausschließlich.

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5 Die Chronologie der folgenden Ereignisse ist nur ungefähr zu bestimmen. Um 640 (114) etwa scheint Mithradates Eupator tatsächlich die Regierung angetreten zu haben; Sullas Intervention fand 662 (92) statt (Liv. ep. 70), womit die Berechnung der Mithradatischen Kriege auf einen Zeitraum von dreißig Jahren (662-691 92-63) zusammenstimmt (Plin. nat. 7, 26, 97). In die Zwischenzeit fallen die paphlagonischen und kappadokischen Sukzessionshändel, mit denen die von Mithradates, wie es scheint, in Saturninus’ erstem Tribunat 651 (103) in Rom versuchte Bestechung (Diod. 631) wahrscheinlich schon zusammenhängt. Marius, der 655 (99) Rom verließ und nicht lange im Osten verweilte, traf Mithradates schon in Kappadokien und verhandelte mit ihm wegen seiner Übergriffe (Cic. Brut. 1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war also damals schon ermordet.

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Daß der römische Senat seine allgemeine Politik, die mehr oder minder von ihm abhängigen Staaten niederzuhalten, auch gegen den pontischen geltend machte, beweist sein Verhalten bei dem Thronwechsel nach dem plötzlichen Tode Mithradates V. Dem unmündigen Knaben, der ihm folgte, wurde das dem Vater für seine Teilnahme an dem Kriege gegen Aristonikos oder vielmehr für sein gutes Geld verliehene Großphrygien genommen und diese Landschaft dem unmittelbar römischen Gebiet hinzugefügt 6. Aber nachdem dieser Knabe dann zu seinen Jahren gelangt war, bewies derselbe Senat gegen dessen allseitige Übergriffe und gegen diese imposante Machtbildung, deren Entwicklung vielleicht einen zwanzigjährigen Zeitraum ausfüllt, völlige Passivität. Er ließ es geschehen, daß einer seiner Klientelstaaten sich militärisch zu einer Großmacht entwickelte, die über hunderttausend Bewaffnete gebot; daß er in die engste Verbindung trat mit dem neuen, zum Teil durch seine Hilfe an die Spitze der innerasiatischen Staaten gestellten Großkönig des Ostens; daß er die benachbarten asiatischen Königreiche und Fürstentümer unter Vorwänden einzog, die fast wie ein Hohn auf die schlecht berichtete und weit entfernte Schutzmacht klangen; daß er endlich sogar in Europa sich festsetzte und als König auf der Taurischen Halbinsel, als Schutzherr fast bis an die makedonisch-thrakische Grenze gebot. Wohl ward über diese Verhältnisse im Senat verhandelt; aber wenn das hohe Kollegium sich in der paphlagonischen Erbangelegenheit schließlich dabei beruhigte, daß Nikomedes sich auf seinen falschen Pylämenes berief, so war dasselbe offenbar nicht so sehr getäuscht als dankbar für jeden Vorwand, der ihm das ernstliche Einschreiten ersparte. Inzwischen wurden die Beschwerden immer zahlreicher und dringender. Die Fürsten der taurischen Skythen, die Mithradates aus der Krim verdrängt hatte, wandten sich um Hilfe nach Rom; wer von den Senatoren irgend noch der traditionellen Maximen der römischen Politik gedachte, mußte sich erinnern, daß einst unter so ganz anderen Verhältnissen der Übergang des Königs Antiochos nach Europa und die Besetzung des thrakischen Chersones durch seine Truppen das Signal zu dem Asiatischen Krieg geworden war, und mußte begreifen, daß die Besetzung des taurischen durch den pontischen König jetzt noch viel weniger geduldet werden konnte. Den Ausschlag gab endlich die faktische Reunion des Königreichs Kappadokien, wegen welcher überdies Nikomedes von Bithymen, der auch seinerseits durch einen andern falschen Ariarathes Kappadokien in Besitz zu nehmen gehofft hatte und durch den pontischen Prätendenten den seinigen ausgeschlossen sah, nicht ermangelt haben wird, die römische Regierung zur Intervention zu drängen. Der Senat beschloß, daß Mithradates die skythischen Fürsten wiedereinzusetzen habe - so weit war man durch die schlaffe Regierungsweise aus den Bahnen der richtigen Politik gedrängt, daß man jetzt, statt die Hellenen gegen die Barbaren, umgekehrt die Skythen gegen die halben Landsleute unterstützen mußte. Paphlagonien wurde abhängig erklärt und der falsche Pylämenes des Nikomedes angewiesen, das Land zu räumen. Ebenso sollte der falsche Ariarathes des Mithradates aus Kappadokien weichen und, da die Vertreter des Landes die angebotene Freiheit ausschlugen, durch freie Volkswahl ihm wiederum ein König gesetzt werden. Die Beschlüsse klangen energisch genug; nur war es übel, daß man, statt ein Heer zu senden, den Statthalter von Kilikien, Lucius Sulla, mit der Handvoll Leute, die er daselbst gegen die Räuber und Piraten kommandierte, anwies, in Kappadokien zu intervenieren. Zum Glück vertrat im Osten die Erinnerung an die ehemalige Energie der Römer besser ihr Interesse als ihr gegenwärtiges Regiment und ergänzte die Energie und Gewandtheit des Statthalters, was der Senat an beiden vermissen ließ. Mithradates hielt sich zurück und begnügte sich, den Großkönig Tigranes von Armenien, der den Römern gegenüber eine freiere Stellung hatte als er, zu veranlassen, Truppen nach Kappadokien zu senden. Sulla nahm rasch seine Mannschaft und die Zuzüge der asiatischen Bundesgenossen zusammen, überstieg den Taurus und schlug den Statthalter Gordios samt seinen armenischen Hilfstruppen aus Kappadokien hinaus. Dies wirkte. Mithradates gab in allen Stücken nach; Gordios mußte die Schuld der kappadokischen Wirren auf sich nehmen und der falsche Ariarathes verschwand; die Königswahl, die der pontische Anhang vergebens auf Gordios zu lenken versucht hatte, fiel auf den angesehenen Kappadokier Ariobarzanes. Als Sulla im Verfolg seiner Expedition in die Gegend des Euphrat gelangte, in dessen Wellen damals zuerst römische Feldzeichen sich spiegelten, fand bei dieser Gelegenheit auch die erste Berührung statt zwischen den Römern und den Parthern, welche letztere infolge der Spannung zwischen ihnen und Tigranes Ursache hatten, den Römern sich zu nähern. Beiderseits schien man zu fühlen, daß etwas darauf ankam bei dieser ersten Berührung der beiden Großmächte des Westens und des Ostens, dem Anspruch auf die Herrschaft der Welt nichts zu vergeben; aber Sulla, kecker als der parthische Bote, nahm und behauptete in der Zusammenkunft den Ehrenplatz zwischen dem König von Kappadokien und dem parthischen Abgesandten. Mehr als durch seine Siege im Osten mehrte Sullas Ruhm sich durch diese vielgefeierte Konferenz am Euphrat; der parthische Gesandte büßte später seinem Herrn dafür mit dem Kopfe. Indes für den Augenblick hatte diese Berührung keine weitere Folge. Nikomedes unterließ es im Vertrauen auf die Gunst der Römer, Paphlagonien zu räumen; aber die gegen Mithradates gefaßten Senatsbeschlüsse wurden ferner vollzogen, die Wiederherstellung der skythischen Häuptlinge von ihm wenigstens zugesagt; der frühere Status quo im Osten schien wiederhergestellt (662 92).

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6 Ein vor kurzem in dem Dorfe Aresli südlich von Synnada gefundener Senatsbeschluß vom Jahre 638 (116) (Viereck, sermo Graecus quo senatus Romanus usus sit, S. 51) bestätigt sämtliche, von dem König bis zu seinem Tode getroffenen Anordnungen und zeigt also, daß Großphrygien nach dem Tode des Vaters nicht bloß dem Sohn genommen ward, was auch Appian berichtet, sondern damit geradezu unter römische Botmäßigkeit kam.

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So hieß es; in der Tat war von einer ernstlichen Zurückführung der früheren Ordnung der Dinge wenig zu verspüren. Kaum hatte Sulla Asien verlassen, als König Tigranes von Großarmenien über den neuen König von Kappadokien, Ariobarzanes, herfiel, ihn vertrieb und an seiner Stelle den pontischen Prätendenten Ariarathes wiedereinsetzte. In Bithynien, wo nach dem Tode des alten Königs Nikomedes Il. (um 663 91) dessen Sohn Nikomedes III. Philopator vom Volk und vom römischen Senat als rechtmäßiger König anerkannt worden war. trat dessen jüngerer Bruder Sokrates als Kronprätendent auf und bemächtigte sich der Herrschaft. Es war klar, daß der eigentliche Urheber der kappadokischen wie der bithynischen Wirren kein anderer als Mithradates war, obwohl er sich jeder offenkundigen Beteiligung enthielt. Jedermann wußte, daß Tigranes nur handelte auf seinen Wink: in Bithynien aber war Sokrates mit pontischen Truppen eingerückt und des rechtmäßigen Königs Leben durch Mithradates’ Meuchelmörder bedroht. In der Krim gar und den benachbarten Landschaften dachte der pontische König nicht daran zurückzuweichen und trug vielmehr seine Waffen weiter und weiter.

Die römische Regierung, von den Königen Ariobarzanes und Nikomedes persönlich um Hilfe angerufen, schickte nach Kleinasien zur Unterstützung des dortigen Statthalters Lucius Cassius den Konsular Manius Aquillius, einen im Kimbrischen und im Sizilischen Krieg erprobten Offizier, jedoch nicht als Feldherrn an der Spitze einer Armee, sondern als Gesandten, und wies die asiatischen Klientelstaaten und namentlich den Mithradates an, nötigenfalls mit gewaffneter Hand Beistand zu leisten. Es kam eben wie zwei Jahre zuvor. Der römische Offizier vollzog dem ihm gewordenen Auftrag mit Hilfe des kleinen römischen Korps, über das der Statthalter der Provinz Asia verfügte, und des Aufgebots der Phryger und der Galater; König Nikomedes und König Ariobarzanes bestiegen wieder ihre schwankenden Throne; Mithradates entzog sich zwar der Aufforderung, Zuzug zu gewähren, unter verschiedenen Vorwänden, allein er leistete nicht bloß den Römern keinen offenen Widerstand, sondern der bithynische Prätendent Sokrates wurde sogar auf sein Geheiß getötet (664 90).

Es war eine sonderbare Verwicklung. Mithradates war vollkommen überzeugt, gegen die Römer in offenem Kampfe nichts ausrichten zu können und es nicht zum offenen Bruch und zum Kriege mit ihnen kommen lassen zu dürfen. Wäre er nicht also entschlossen gewesen, so fand sich kein günstigerer Augenblick, den Kampf zu beginnen, als der gegenwärtige: eben damals, als Aquillius in Bithymen und Kappadokien einrückte, stand die italische Insurrektion auf dem Höhepunkt ihrer Macht und konnte selbst den Schwachen Mut machen, gegen Rom sich zu erklären; dennoch ließ Mithradates das Jahr 664 (90) ungenutzt verstreichen. Aber nichtsdestoweniger verfolgte er so zäh wie rührig seinen Plan, in Kleinasien sich auszubreiten. Diese seltsame Verbindung der Politik des Friedens um jeden Preis mit der der Eroberung war allerdings in sich unhaltbar und beweist nur aufs neue, daß Mithradates nicht zu den Staatsmännern rechter Art gehörte und weder zum Kampf zu rüsten wußte wie König Philippos noch sich zu fügen wie König Attalos, sondern in echter Sultansart ewig hin- und hergezogen ward zwischen begehrlicher Eroberungslust mit dem Gefühl seiner eigenen Schwäche. Aber auch so läßt sich sein Beginnen nur begreifen, wenn man sich erinnert, daß Mithradates in zwanzigjähriger Erfahrung die damalige römische Politik kennengelernt hatte. Er wußte sehr genau, daß die römische Regierung nichts weniger als kriegslustig war, ja daß sie, im Hinblick auf die ernstliche Gefahr, die jeder berühmte General ihrer Herrschaft bereitete, in frischer Erinnerung an den Kimbrischen Krieg und Marius, den Krieg womöglich noch mehr fürchtete als er selbst. Daraufhin handelte er. Er scheute sich nicht, in einer Weise aufzutreten, die jeder energischen und nicht durch egoistische Rücksichten gefesselten Regierung hundertfach Ursache und Anlaß zur Kriegserklärung gegeben haben würde; aber er vermied sorgfältig den offenen Bruch, der den Senat in die Notwendigkeit dazu versetzt hätte. Sowie Ernst gezeigt ward, wich er zurück, vor Sulla wie vor Aquillius; er hoffte unzweifelhaft darauf, daß nicht immer energische Feldherren ihm gegenüberstehen, daß auch er so gut wie Jugurtha auf seine Scaurus und Albinus treffen würde. Es muß zugestanden werden, daß diese Hoffnung nicht unverständig war, obwohl freilich eben Jugurthas Beispiel auch wieder gezeigt hatte, wie verkehrt es war, die Bestechung eines römischen Heerführers und die Korruption einer römischen Armee mit der Überwindung des römischen Volkes zu verwechseln. So standen die Dinge zwischen Frieden und Krieg und ließen ganz dazu an, noch lange sich in gleicher Art weiterzuschleppen. Aber dies zuzulassen war Aquillius’ Absicht nicht, und da er seine Regierung nicht zwingen konnte, Mithradates den Krieg zu erklären, so bediente er sich dazu des Königs Nikomedes. Dieser, ohnehin in die Hand des römischen Feldherrn gegeben und überdies noch für die abgelaufenen Kriegskosten und die dem Feldherrn persönlich zugesicherten Summen sein Schuldner, konnte sich dem Ansinnen desselben, mit Mithradates den Krieg zu beginnen, nicht entziehen. Die bithynische Kriegserklärung erfolgte; aber selbst als Nikomedes’ Schiffe den pontischen den Bosporus sperrten, seine Truppen in die pontischen Grenzdistrikte einrückten und die Gegend von Amastris brandschatzten, blieb Mithradates noch unerschüttert bei seiner Friedenspolitik; statt die Bithyner über die Grenze zu werfen, führte er Klage bei der römischen Gesandtschaft und bat dieselbe, entweder vermitteln oder ihm die Selbstverteidigung gestatten zu wollen. Allein er ward von Aquillius dahin beschieden, daß er unter allen Umständen sich des Krieges gegen Nikomedes zu enthalten habe. Das freilich war deutlich. Genau dieselbe Politik hatte man gegen Karthago angewendet; man ließ das Schlachtopfer von der römischen Meute überfallen und verbot ihm, gegen dieselbe sich zu wehren. Auch Mithradates erachtete sich verloren, ebenwie die Karthager es getan hatten; aber wenn die Phöniker sich aus Verzweiflung ergaben, so tat dagegen der König von Sinope das Gegenteil und rief seine Truppen und Schiffe zusammen - “Wehrt nicht”, so soll er gesagt haben, “auch wer unterliegen muß, dennoch sich gegen den Räuber?” Sein Sohn Ariobarzanes erhielt Befehl, in Kappadokien einzurücken; es ging noch einmal eine Botschaft an die römischen Gesandten, um ihnen anzuzeigen, wozu die Notwehr den König gezwungen habe, und eine letzte Erklärung von ihnen zu fordern. Sie lautete, wie zu erwarten war. Obwohl weder der römische Senat noch König Mithradates noch König Nikomedes den Bruch gewollt hatten, Aquillius wollte ihn und man hatte Krieg (Ende 665 80).

Mit aller ihm eigenen Energie betrieb Mithradates die politischen und militärischen Vorbereitungen zu dem ihm aufgedrungenen Waffengang. Vor allen Dingen knüpfte er das Bündnis mit König Tigranes von Armenien fester und erlangte von ihm das Versprechen eines Hilfsheeres, das in Vorderasien einrücken und Grund und Boden daselbst für König Mithradates, die bewegliche Habe für König Tigranes in Besitz nehmen sollte. Der parthische König, verletzt durch das stolze Verhalten Sullas, trat wenn nicht gerade als Gegner, doch auch nicht als Bundesgenosse der Römer auf. Den Griechen war der König bemüht, sich in der Rolle des Philippos und des Perseus, als Vertreter der griechischen Nation gegen die römische Fremdherrschaft darzustellen. Pontische Gesandte gingen an den König von Ägypten und an den letzten Überrest des freien Griechenlands, den kretensischen Städtebund, und beschworen sie, für die Rom auch schon die Ketten geschmiedet, jetzt im letzten Augenblick einzustehen für die Rettung der hellenischen Nationalität; es war dies wenigstens auf Kreta nicht ganz vergeblich, und zahlreiche Kretenser nahmen Dienste im pontischen Heer. Man hoffte auf die sukzessive Insurrektion der kleineren und kleinsten Schutzstaaten, Numidiens, Syriens, der hellenischen Republiken, auf die Empörung der Provinzen, vor allem des maßlos gedrückten Vorderasiens. Man arbeitete an der Erregung eines thrakischen Aufstandes, ja an der Insurgierung Makedoniens. Die schon vorher blühende Piraterie wurde jetzt als willkommene Bundesgenossin überall entfesselt, und mit furchtbarer Raschheit erfüllten bald Korsarengeschwader, pontische Kaper sich nennend, weithin das Mittelmeer. Man vernahm mit Spannung und Freude die Kunde von den Gärungen innerhalb der römischen Bürgerschaft und von der zwar überwundenen, aber doch noch lange nicht unterdrückten italischen Insurrektion. Unmittelbare Beziehungen indes mit den Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden nicht; nur wurde in Asien ein römisch bewaffnetes und organisiertes Fremdenkorps gebildet, dessen Kern römische und italische Flüchtlinge waren. Streitkräfte gleich denen Mithradats waren seit den Perserkriegen in Asien nicht gesehen worden. Die Angaben, daß er, das armenische Hilfsheer ungerechnet, mit 250000 Mann zu Fuß und 40 000 Reitern das Feld nahm, daß 300 pontische Deck- und 100 offene Schiffe in See stachen, scheinen nicht allzu übertrieben bei einem Kriegsherrn, der über die zahllosen Steppenbewohner verfügte. Die Feldherrn, namentlich die Brüder Neoptolemos und Archelaos, waren erfahrene und umsichtige griechische Hauptleute; auch unter den Soldaten des Königs fehlte es nicht an tapferen todverachtenden Männern, und die gold- und silberblinkenden Rüstungen und reichen Gewänder der Skythen und Meder mischten sich lustig mit dem Erz und Stahl der griechischen Reisigen. Ein einheitlicher militärischer Organismus freilich hielt diese buntscheckigen Haufen nicht zusammen - auch die Armee des Mithradates war nichts als eine jener ungeheuerlichen asiatischen Kriegsmaschinen, wie sie oft schon, zuletzt, genau ein Jahrhundert zuvor, bei Magnesia einer höheren militärischen Organisation unterlegen waren; immer aber stand doch der Osten gegen die Römer in Waffen, während auch in der westlichen Hälfte des Reichs es nichts weniger als friedlich aussah. So sehr es an sich für Rom eine politische Notwendigkeit war, Mithradates den Krieg zu erklären, so war doch gerade dieser Augenblick so übel gewählt wie möglich, und auch aus diesem Grunde ist es sehr wahrscheinlich, daß Manius Aquillius zunächst aus Rücksichten auf seine eigenen Interessen den Bruch zwischen Rom und Mithradates eben jetzt herbeigeführt hat. Für den Augenblick hatte man in Asien keine anderen Truppen zur Verfügung als die kleine römische Abteilung unter Lucius Cassius und die vorderasiatischen Milizen, und bei der militärischen und finanziellen Klemme, in der man daheim sich infolge des Insurrektionskrieges befand, konnte eine römische Armee im günstigsten Fall nicht vor dem Sommer 666 (88) in Asien landen. Bis dahin hatten die römischen Beamten daselbst einen schweren Stand; indes hoffte man, die römische Provinz decken und sich behaupten zu können, wo man stand: das bithynische Heer unter König Nikomedes in seiner im vorigen Jahr eingenommenen Stellung auf paphlagonischem Gebiet zwischen Amastris und Sinope, weiter rückwärts in der bithynischen, galatischen, kappadokischen Landschaft die Abteilungen unter Lucius Cassius, Manius Aquillius, Quintus Oppius, während die bithynisch-römische Flotte fortfuhr, den Bosporus zu sperren.

Mit dem Beginn des Frühjahrs 666 (88) ergriff Mithradates die Offensive. An einem Nebenfluß des Halys, dem Amnias (bei dem heutigen Tesch köpri), stieß der pontische Vortrab, Reiterei und Leichtbewaffnete, auf die bithynische Armee und sprengte dieselbe trotz ihrer sehr überlegenen Zahl im ersten Anlauf so vollständig auseinander, daß das geschlagene Heer sich auflöste und Lager und Kriegskasse den Siegern in die Hände fielen. Es waren hauptsächlich Neoptolemos und Archelaos, denen der König diesen glänzenden Erfolg verdankte. Die weiter zurückstehenden, noch viel schlechteren asiatischen Milizen gaben hierauf sich überwunden, noch ehe sie mit dem Feinde zusammenstießen; wo Mithradates’ Feldherren sich ihnen näherten, stoben sie auseinander. Eine römische Abteilung ward in Kappadokien geschlagen; Cassius suchte in Phrygien mit dem Landsturm das Feld zu halten, allein er entließ ihn wieder, ohne mit ihm eine Schlacht wagen zu mögen, und warf sich mit seinen wenigen zuverlässigen Leuten in die Ortschaften am oberen Mäander, namentlich nach Apameia; Oppius räumte in gleicher Weise Pamphylien und schloß in dem phrygischen Laodikeia sich ein; Aquillius ward im Zurückweichen am Sangarios im bithynischen Gebiet eingeholt und so vollständig geschlagen, daß er sein Lager verlor und sich in die römische Provinz nach Pergamon retten mußte; bald war auch diese überschwemmt und Pergamon selbst in den Händen des Königs, ebenso der Bosporus und die daselbst befindlichen Schiffe. Nach jedem Sieg hatte Mithradates sämtliche Gefangene der kleinasiatischen Miliz entlassen und nichts versäumt, die von Anfang an ihm zugewandten nationalen Sympathien zu steigern. Jetzt war die ganze Landschaft bis zum Mäander mit Ausnahme weniger Festungen in seiner Gewalt; zugleich erfuhr man, daß in Rom eine neue Revolution ausgebrochen, daß der gegen Mithradates bestimmte Konsul Sulla, statt nach Asien sich einzuschiffen, gegen Rom marschiert sei, daß die gefeiertsten römischen Generale sich untereinander Schlachten lieferten um auszumachen, wem der Oberbefehl im Asiatischen Kriege gebühre. Rom schien eifrigst bemüht, sich selber zugrunde zu richten; es ist kein Wunder, daß, wenngleich Minoritäten auch jetzt noch überall zu Rom hielten, doch die große Masse der Kleinasiaten den Pontikern zufiel. Die Hellenen und die Asiaten vereinigten sich in dem Jubel, der den Befreier empfing; es ward üblich, den König, in dem wie in dem göttlichen Indersieger Asien und Hellas sich abermals zusammenfanden, zu verehren unter dem Namen des neuen Dionysos. Die Städte und Inseln sandten, wo er hinkam, ihm Boten entgegen, “den rettenden Gott” zu sich einzuladen, und festlich gekleidet strömte die Bürgerschaft vor die Tore, ihn zu empfangen. Einzelne Orte lieferten die bei ihnen verweilenden römischen Offiziere gebunden an den König ein, so Laodikeia den Kommandanten der Stadt Quintus Oppius, Mytilene auf Lesbos den Konsular Manius Aquillius 7. Die ganze Wut des Barbaren, der den, vor dem er gezittert hat, in seine Macht bekommt, entlud sich über den unglücklichen Urheber des Krieges. Bald zu Fuß an einen gewaltigen berittenen Bastarner angefesselt, bald auf einen Esel gebunden und seinen eigenen Namen abrufend ward der bejahrte Mann durch ganz Kleinasien geführt und, als endlich das arme Schaustück wieder am königlichen Hof in Pergamon anlangte, auf Befehl des Königs, um seine Habgier, die eigentlich den Krieg veranlaßt habe, zu sättigen, ihm geschmolzenes Gold in den Hals gegossen, daß er unter Qualen den Geist aufgab. Aber es blieb nicht bei diesem rohen Hohn, der allein hinreicht, seinen Urheber auszustreichen aus der Reihe der adligen Männer. Von Ephesos aus erließ König Mithradates an alle von ihm abhängigen Statthalter und Städte den Befehl, an einem und demselben Tage sämtliche in ihrem Bezirk sich aufhaltende Italiker, Freie und Unfreie, ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters zu töten und bei schwerer Strafe keinem der Verfemten zur Rettung behilflich zu sein, die Leichen der Erschlagenen den Vögeln zum Fraß hinzuwerfen, die Habe einzuziehen und sie zur Hälfte an die Mörder, zur Hälfte an den König abzuliefern. Die entsetzlichen Befehle wurden mit Ausnahme weniger Bezirke, wie zum Beispiel der Insel Kos, pünktlich vollzogen und achtzig-, nach anderen Berichten hundertundfünfzigtausend wenn nicht unschuldige, so doch wehrlose Männer, Frauen und Kinder mit kaltem Blut an einem Tage in Kleinasien geschlachtet - eine grauenvolle Exekution, bei welcher die gute Gelegenheit, der Schulden sich zu entledigen und die dem Sultan zu jedem Henkerdienst bereite asiatische Schergenwillfährigkeit wenigstens ebensosehr mitgewirkt haben wie das vergleichungsweise edle Gefühl der Rache. Politisch war diese Maßregel nicht bloß ohne jeden vernünftigen Zweck - denn der finanzielle ließ auch ohne diesen Blutbefehl sich erreichen, und die Kleinasiaten waren selbst durch das Bewußtsein der ärgsten Blutschuld nicht zum kriegerischen Eifer zu treiben -, sondern sogar zweckwidrig, indem sie einerseits den römischen Senat, soweit er irgend noch der Energie fähig war, zur ernstlichen Kriegführung zwang, andererseits nicht bloß die Römer traf, sondern ebensogut des Königs natürliche Bundesgenossen, die nichtrömischen Italiker. Es ist dieser ephesische Mordbefehl durchaus nichts als ein zweckloser Akt der tierisch blinden Rache, welcher nur durch die kolossalen Proportionen, in denen hier der Sultanismus auftritt, einen falschen Schein von Großartigkeit erhält.

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7 Die Urheber der Gefangennehmung und Auslieferung des Aquillius traf fünfundzwanzig Jahre später die Vergeltung, indem sie nach Mithradates’ Tode dessen Sohn Pharnakes an die Römer übergab.

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Überhaupt ging des Königs Sinn hoch; aus Verzweiflung hatte er den Krieg begonnen, aber der unerwartet leichte Sieg, das Ausbleiben des gefürchteten Sulla ließen ihn übergehen zu den hochfahrendsten Hoffnungen. Er richtete sich häuslich in Vorderasien ein; der Sitz des römischen Statthalters, Pergamon, ward seine neue Hauptstadt; das alte Reich von Sinope wurde als Statthalterschaft an des Königs Sohn Mithradates zur Verwaltung übergeben; Kappadokien, Phrygien, Bithymen wurden organisiert als pontische Satrapien. Die Großen des Reichs und des Königs Günstlinge wurden mit reichen Gaben und Lehen bedacht und sämtlichen Gemeinden nicht bloß die rückständigen Steuern erlassen, sondern auch Steuerfreiheit auf fünf Jahre zugesichert - eine Maßregel, die ebenso verkehrt war wie die Ermordung der Römer, wenn der König dadurch sich die Treue der Kleinasiaten zu sichern meinte.

Freilich füllte des Königs Schatz ohnehin sich reichlich durch die unermeßlichen Summen, die aus dem Vermögen der Italiker und anderen Konfiskationen einkamen; wie denn z. B. allein auf Kos 800 Talente (1250000 Taler), welche die Juden dort deponiert hatten, von Mithradates weggenommen wurden. Der nördliche Teil von Kleinasien und die meisten dazu gehörigen Inseln waren in des Königs Gewalt; außer einigen kleinen paphlagonischen Dynasten gab es hier kaum einen Bezirk, der noch zu Rom hielt; das gesamte Ägäische Meer ward beherrscht von seinen Flotten. Nur der Südwesten, die Städtebünde von Karien und Lykien und die Stadt Rhodos widerstanden ihm. In Karien ward zwar Stratonikeia mit den Waffen bezwungen; Magnesia am Sipylos aber bestand glücklich eine schwere Belagerung, bei welcher Mithradates’ tüchtigster Offizier Archelaos geschlagen und verwundet ward. Rhodos, der Zufluchtsort der aus Asien entkommenen Römer, unter ihnen des Statthalters Lucius Cassius, wurde von Mithradates zu Wasser und zu Lande mit ungeheurer Übermacht angegriffen. Aber seine Seeleute, so mutig sie unter den Augen des Königs ihre Pflicht taten, waren ungeschickte Neulinge, und es kam vor, daß rhodische Geschwader vielfach stärkere pontische überwanden und mit erbeuteten Schiffen heimkehrten. Auch zu Lande rückte die Belagerung nicht vor; nachdem ein Teil der Arbeiten zerstört worden war, gab Mithradates das Unternehmen auf und die wichtige Insel sowie das gegenüberliegende Festland blieben in den Händen der Römer.

Aber nicht bloß die asiatische Provinz wurde, hauptsächlich infolge der zur ungelegensten Zeit ausbrechenden Sulpicischen Revolution, fast unverteidigt von Mithradates besetzt, sondern derselbe richtete schon den Angriff auch gegen Europa. Bereits seit dem Jahre 662 (92) hatten die Grenznachbarn Makedoniens gegen Norden und Osten ihre Einfälle mit auffallender Heftigkeit und Streitigkeit erneuert; in den Jahren 664, 665 (90, 89) überrannten die Thraker. Makedonien und ganz Epeiros und plünderten den Tempel von Dodona. Noch auffallender ist es, daß damit noch einmal der Versuch verbunden ward, einen Prätendenten auf den makedonischen Thron in der Person eines gewissen Euphenes aufzustellen. Mithradates, der von der Krim aus Verbindungen mit den Thrakern unterhielt, war all diesen Vorgängen schwerlich fremd. Zwar erwehrte sich der Prätor Gaius Sentius mit Hilfe der thrakischen Dentheleten dieser Eingedrungenen; allein es dauerte nicht lange, daß ihm mächtigere Gegner kamen. Mithradates hatte, fortgerissen von seinen Erfolgen, den kühnen Entschluß gefaßt, wie Antiochos den Krieg um die Herrschaft über Asien in Griechenland zur Entscheidung zu bringen, und zu Lande oder zur See den Kern seiner Truppen dorthin dirigiert. Sein Sohn Ariarathes drang von Thrakien aus in das schwach verteidigte Makedonien ein, unterwegs die Landschaft unterwerfend und in pontische Satrapien einteilend. Abdera, Philippi wurden Hauptstützpunkte der pontischen Waffen in Europa. Die pontische Flotte, geführt von Mithradates’ bestem Feldherrn Archelaos, erschien im Ägäischen Meer, wo kaum ein römisches Segel zu finden war. Delos, der Stapelplatz des römischen Handels in diesen Gewässern, ward besetzt und bei 20000 Menschen, größtenteils Italiker, daselbst niedergemetzelt; Euböa erlitt ein gleiches Schicksal; bald waren östlich vom Malfischen Vorgebirg alle Inseln in Feindes Hand; man konnte weitergehen zum Angriff auf das Festland selbst. Zwar den Angriff, den die pontische Flotte von Euböa aus auf das wichtige Demetrias machte, schlug Bruttius Sura, der tapfere Unterfeldherr des Statthalters von Makedonien, mit seiner Handvoll Leute und wenigen zusammengerafften Schiffen ab und besetzte sogar die Insel Skiathos: aber er konnte nicht verhindern, daß der Feind im eigentlichen Griechenland sich festsetzte. Auch hier wirkte Mithradates nicht bloß mit den Waffen, sondern zugleich mit der nationalen Propaganda. Sein Hauptwerkzeug für Athen war ein gewisser Aristion, seiner Geburt nach ein attischer Sklave, seines Handwerks ehemals Schulmeister der Epikurischen Philosophie, jetzt Günstling Mithradats; ein vortrefflicher Peisthetäros, der durch die glänzende Karriere, die er bei Hof gemacht, den Pöbel zu blenden und ihm mit Aplomb zu versichern verstand, daß aus dem seit beiläufig sechzig Jahren in Schutt liegenden Karthago die Hilfe für Mithradates schon unterwegs sei. Durch solche Reden des neuen Perikles ward es erreicht, daß die wenigen Verständigen aus Athen entwichen, der Pöbel aber und ein paar toll gewordene Literaten den Römern förmlich absagten. So ward aus dem Exphilosophen ein Gewaltherrscher, der, gestützt auf seine pontische Söldnerbande, ein Schand- und Blutregiment begann, und aus dem Peiräeus ein pontischer Landungsplatz. Sowie Mithradats Truppen auf dem griechischen Kontinent standen, fielen die meisten der kleinen Freistaaten ihnen zu: Achäer, Lakonen, Böoter, bis hinauf nach Thessalien. Sura, nachdem er aus Makedonien einige Verstärkung herangezogen hatte, rückte in Böotien ein, um dem belagerten Thespiä Hilfe zu bringen, und schlug sich bei Chäroneia in dreitägigen Gefechten mit Archelaos und Aristion; aber sie führten zu keiner Entscheidung und Sura mußte zurückgehen, als die pontischen Verstärkungen aus dem Peloponnes sich näherten (Ende 666, Anfang 667 88, 87).

So gebietend war die Stellung Mithradats vor allem zur See, daß eine Botschaft der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte, einen Landungsversuch in Italien zu machen; allein ihre Sache war damals bereits verloren und der König wies das Ansinnen zurück.

Die Lage der römischen Regierung fing an bedenklich zu werden. Kleinasien und Hellas waren ganz, Makedonien zum guten Teil in Feindeshand; auf der See herrschte ohne Nebenbuhler die pontische Flagge. Dazu kam die italische Insurrektion, die, im ganzen zu Boden geschlagen, immer noch in weiten Gebieten Italiens unbestritten die Herrschaft führte; dazu die kaum beschwichtigte Revolution, die jeden Augenblick drohte, wiederum und furchtbarer emporzulodern; dazu endlich die durch die inneren Unruhen in Italien und die ungeheuren Verluste der asiatischen Kapitalisten hervorgerufene fürchterliche Handels- und Geldkrise und der Mangel an zuverlässigen Truppen. Die Regierung hätte dreier Armeen bedurft, um in Rom die Revolution niederzuhalten, in Italien die Insurrektion völlig zu ersticken und in Asien Krieg zu führen; sie hatte eine einzige, die des Sulla, denn die Nordarmee war unter dem unzuverlässigen Gnaeus Strabo nichts als eine Verlegenheit mehr. Die Wahl unter jenen drei Aufgaben stand bei Sulla; er entschied sich, wie wir sahen, für den asiatischen Krieg. Es war nichts Geringes, man darf vielleicht sagen eine große patriotische Tat, daß in diesem Konflikt des allgemeinen vaterländischen und des besonderen Parteiinteresses das erstere die Oberhand behielt und Sulla trotz der Gefahren, die seine Entfernung aus Italien für seine Verfassung und für seine Partei nach sich zog, dennoch im Frühling 667 (87) landete an der Küste von Epeiros. Aber er kam nicht, wie sonst römische Oberfeldherrn im Osten aufzutreten pflegten. Daß sein Heer von fünf Legionen oder höchstens 30000 Mann 8 wenig stärker war als eine gewöhnliche Konsulararmee, war das wenigste. Sonst hatte in den östlichen Kriegen eine römische Flotte niemals gefehlt, ja ohne Ausnahme die See beherrscht; Sulla, gesandt, um zwei Kontinente und die Inseln des Ägäischen Meeres wiederzuerobern, kam ohne ein einziges Kriegsschiff. Sonst hatte der Feldherr eine volle Kasse mit sich geführt und den größten Teil seiner Bedürfnisse auf dem Seeweg aus der Heimat bezogen; Sulla kam mit leeren Händen - denn die für den Feldzug von 666 (88) mit Not flüssig gemachten Summen waren in Italien draufgegangen - und sah sich ausschließlich angewiesen auf Requisitionen. Sonst hatte der Feldherr seinen einzigen Gegner im feindlichen Lager gefunden und hatten dem Landesfeind gegenüber seit der Beendigung des Ständekampfes die politischen Faktionen ohne Ausnahme zusammengestanden; unter Mithradates’ Feldzeichen fochten namhafte römische Männer, große Landschaften Italiens begehrten, mit ihm in Bündnis zu treten, und es war wenigstens zweifelhaft, ob die demokratische Partei das rühmliche Beispiel, das Sulla ihr gegeben, befolgen und mit ihm Waffenstillstand halten werde, solange er gegen den asiatischen König focht. Aber der rasche General, der mit all diesen Verlegenheiten zu ringen hatte, war nicht gewohnt, vor Erledigung der nächsten Aufgabe um die ferneren Gefahren sich zu bekümmern. Da seine an den König gerichteten Friedensanträge, die im wesentlichen auf die Wiederherstellung des Zustandes vor dem Kriege hinausliefen, keine Annahme fanden, so rückte er, wie er gelandet war, von den epeirotischen Häfen bis nach Böotien vor, schlug hier am Thilphossischen Berge die Feldherren der Feinde, Archelaos und Aristion, und bemächtigte sich nach diesem Siege fast ohne Widerstand des gesamten griechischen Festlandes mit Ausnahme der Festung Athen und des Peiräeus, wohin Aristion und Archelaos sich geworfen hatten und die durch einen Handstreich zu nehmen mißlang. Eine römische Abteilung unter Lucius Hortensius besetzte Thessalien und streifte bis in Makedonien; eine andere unter Munatius stellte vor Chalkis sich auf, um das unter Neoptolemos auf Euböa stehende feindliche Korps abzuwehren; Sulla selbst bezog ein Lager bei Eleusis und Megara, von wo aus er Griechenland und den Peloponnes beherrschte und die Belagerung der Stadt und des Hafens von Athen betrieb. Die hellenischen Städte, wie immer von der nächsten Furcht regiert, unterwarfen sich den Römern auf jede Bedingung und waren froh, wenn sie mit Lieferungen von Vorräten und Mannschaft und mit Geldbußen schwerere Strafen abkaufen durften. Minder rasch gingen die Belagerungen in Attika vonstatten. Sulla sah sich genötigt, in aller Form das schwere Belagerungszeug zu rüsten, wozu die Bäume der Akademie und des Lykeion das Holz liefern mußten. Archelaos leitete die Verteidigung ebenso kräftig wie besonnen; er bewaffnete seine Schiffsmannschaft, schlug also verstärkt die Angriffe der Römer mit überlegener Macht ab und machte häufige und nicht selten glückliche Ausfälle. Zwar die zum Entsatz herbeirückende pontische Armee des Dromichätes ward unter den Mauern Athens nach hartem Kampf, bei dem namentlich Sullas tapferer Unterfeldherr Lucius Licinius Murena sich hervortat, von den Römern geschlagen; aber die Belagerung schritt darum nicht rascher vor. Von Makedonien aus, wo die Kappadokier inzwischen sich definitiv festgesetzt hatten, kam reichliche und regelmäßige Zufuhr zur See, die Sulla nicht imstande war, der Hafenfestung abzuschneiden; in Athen gingen zwar die Vorräte auf die Neige, doch konnte bei der Nähe der beiden Festungen Archelaos mehrfache Versuche machen, Getreidetransporte nach Athen zu werfen, die nicht alle mißlangen. So verfloß in peinlicher Resultatlosigkeit der Winter 667/68 (87/86). Wie die Jahreszeit es erlaubte, warf Sulla sich mit Ungestüm auf den Peiräeus; in der Tat gelang es, durch Geschütze und Minen einen Teil der gewaltigen Perikleischen Mauern in Bresche zu legen, und sofort schritten die Römer zum Sturm; allein er ward abgeschlagen, und als er wiederholt ward, fanden sich hinter den eingestürzten Mauerteilen halbmondförmige Verschanzungen errichtet, aus denen die Eindringenden sich von drei Seiten beschossen und zur Umkehr gezwungen sahen. Sulla hob darauf die Belagerung auf und begnügte sich mit einer Blockade. In Athen waren inzwischen die Lebensmittel ganz zu Ende gegangen; die Besatzung versuchte eine Kapitulation zustande zu bringen, aber Sulla wies ihre redefertigen Boten zurück mit dem Bedeuten, daß er nicht als Student, sondern als General vor ihnen stehe und nur unbedingte Unterwerfung annehme. Als Aristion, wohl wissend, welches Schicksal dann ihm bevorstand, damit zögerte, wurden die Leitern angelegt und die kaum noch verteidigte Stadt erstürmt (1. März 668 86). Aristion warf sich in die Akropolis, wo er bald darauf sich ergab. Der römische Feldherr ließ die Soldateska in der eroberten Stadt morden und plündern und die angeseheneren Rädelsführer des Abfalls hinrichten; die Stadt selbst aber erhielt von ihm ihre Freiheit und ihre Besitzungen, sogar das wichtige Delos zurück und ward also noch einmal gerettet durch ihre herrlichen Toten.

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8 Man muß sich erinnern, daß seit dem Bundesgenossenkrieg auf die Legion, da sie nicht mehr von italischen Kontingenten begleitet ist, mindestens nur die halbe Mannzahl kommt wie vordem.

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Über den Epikureischen Schulmeister also hatte man gesiegt; indes Sullas Lage blieb im höchsten Grade peinlich, ja verzweifelt. Mehr als ein Jahr stand er nun im Felde, ohne irgendeinen nennenswerten Schritt vorwärtsgekommen zu sein, ein einziger Hafenplatz spottete all seiner Anstrengungen, während Asien gänzlich sich selbst überlassen, die Eroberung Makedoniens von Mithradates’ Statthaltern kürzlich durch die Einnahme von Amphipolis vollendet war. Ohne Flotte - dies zeigte sich immer deutlicher - war es nicht bloß unmöglich, die Verbindungen und die Zufuhr von den feindlichen und den zahllosen Piratenschiffen zu sichern, sondern auch nur den Peiräeus, geschweige denn Asien und die Inseln wiederzugewinnen; und doch ließ sich nicht absehen, wie man zu Kriegsschiffen gelangen konnte. Schon im Winter 667/68 (87/86) hatte Sulla einen seiner fähigsten und gewandtesten Offiziere, Lucius Licinius Lucullus, in die östlichen Gewässer entsandt, um dort womöglich Schiffe aufzutreiben. Mit sechs offenen Booten, die er von den Rhodiern und andern kleinen Gemeinden zusammengeborgt hatte, lief Lucullus aus; einem Piratengeschwader, das die meisten seiner Boote aufbrachte, entging er selbst nur durch einen Zufall; mit gewechselten Schiffen den Feind täuschend, gelangte er über Kreta und Kyrene nach Alexandreia; allein der ägyptische Hof schlug die Bitte um Unterstützung mit Kriegsschiffen ebenso höflich wie entschieden ab. Kaum irgendwo zeigt sich so deutlich wie hier der tiefe Verfall des römischen Staats, der einst das Angebot der Könige von Ägypten, mit ihrer ganzen Seemacht den Römern beizustehen, dankbar abzulehnen vermocht hatte und jetzt selbst den alexandrinischen Staatsmännern schon bankrott erschien. Zu allem dem kam die finanzielle Bedrängnis; schon hatte Sulla die Schatzhäuser des Olympischen Zeus, des Delphischen Apollon, des Epidaurischen Asklepios leeren müssen, wofür die Götter entschädigt wurden durch die zur Straße eingezogene Halbscheid des thebanischen Gebiets. Aber weit schlimmer als all diese militärische und finanzielle Verlegenheit war der Rückschlag der politischen Umwälzung in Rom, deren rasche, durchgreifende, gewaltsame Vollendung die ärgsten Befürchtungen weit hinter sich gelassen hatte. Die Revolution führte in der Hauptstadt das Regiment; Sulla war abgesetzt, das asiatische Kommando an seiner Stelle dem demokratischen Konsul Lucius Valerius Flaccus übertragen worden, den man täglich in Griechenland erwarten konnte. Zwar hatte die Soldateska festgehalten an Sulla, der alles tat, um sie bei guter Laune zu erhalten; aber was ließ sich erwarten, wo Geld und Zufuhr ausblieben, wo der Feldherr abgesetzt und geächtet, sein Nachfolger im Anmarsch war und zu allem diesem der Krieg gegen den zähen seemächtigen Gegner aussichtslos sich hinspann!

König Mithradates übernahm es, den Gegner aus seiner bedenklichen Lage zu befreien. Allem Anschein nach war er es, der das Defensivsystem seiner Generale mißbilligte und ihnen Befehl schickte, den Feind fördersamst zu überwinden. Schon 667 (87) war sein Sohn Ariarathes aus Makedonien aufgebrochen, um Sulla im eigentlichen Griechenland zu bekämpfen; nur der plötzliche Tod, der den Prinzen auf dem Marsch am Tisäischen Vorgebirg in Thessalien ereilte, hatte die Expedition damals rückgängig gemacht. Sein Nachfolger Taxiles erschien jetzt (668 86), das in Thessalien stehende römische Korps vor sich hertreibend, mit einem Heer von angeblich 100000 Mann zu Fuß und 10000 Reitern an den Thermopylen. Mit ihm vereinigte sich Dromichätes. Auch Archelaos räumte - es scheint, weniger durch Sullas Waffen gezwungen als durch Befehle seines Herrn - den Peiräeus erst teilweise, sodann ganz und stieß in Böotien zu der pontischen Hauptarmee. Sulla, nachdem der Peiräeus mit all seinen vielbewunderten Bauwerken auf seinen Befehl zerstört worden war, folgte der pontischen Armee in der Hoffnung, vor dem Eintreffen des Flaccus eine Hauptschlacht liefern zu können. Vergeblich riet Archelaos, sich hierauf nicht einzulassen, sondern die See und die Küsten besetzt und den Feind hinzuhalten; wie einst unter Dareios und Antiochos, so stürzten auch jetzt die Massen der Orientalen, wie geängstigte Tiere in die Feuersbrunst, sich rasch und blindlings in den Kampf; und törichter als je war dies hier angewandt, wo die Asiaten vielleicht nur einige Monate hätten warten dürfen, um bei einer Schlacht zwischen Sulla und Flaccus die Zuschauer abzugeben. In der Ebene des Kephissos unweit Chäroneia im März 668 (86) trafen die Heere aufeinander. Selbst mit Einschluß der aus Thessalien zurückgedrängten Abteilung, der es geglückt war, ihre Verbindung mit der römischen Hauptarmee zu bewerkstelligen, und mit Einschluß der griechischen Kontingente fand sich das römische Heer einem dreifach stärkeren Feind gegenüber und namentlich einer weit überlegenen und bei der Beschaffenheit des Schlachtfeldes sehr gefährlichen Reiterei, gegen die Sulla seine Flanken durch verschanzte Gräben zu decken nötig fand, sowie er in der Front zum Schutz gegen die feindlichen Streitwagen zwischen seiner ersten und zweiten Linie eine Palisadenkette anbringen ließ. Als die Streitwagen den Kampf zu eröffnen heranrollten, zog sich das erste Treffen der Römer hinter diese Pfahlreihe zurück; die Wagen, an ihr abprallend und gescheucht durch die römischen Schleuderer und Schützen, warfen sich auf die eigene Linie und brachten Verwirrung sowohl in die makedonische Phalanx wie in das Korps der italischen Flüchtlinge. Archelaos zog eilig seine Reiterei von beiden Flanken herbei und schickte sie dem Feinde entgegen, um Zeit zu gewinnen, sein Fußvolk wieder zu ordnen; sie griff mit großem Feuer an und durchbrach die römischen Reihen; allein die römische Infanterie formierte sich rasch in geschlossene Massen und hielt den von allen Seiten auf sie anstürmenden Reitern mutig stand. Inzwischen führte Sulla selbst auf dem rechten Flügel seine Reiterei in die entblößte Flanke des Feindes; die asiatische Infanterie wich, ohne eigentlich zum Schlagen gekommen zu sein, und ihr Weichen brachte Unruhe auch in die Reitermassen. Ein allgemeiner Angriff des römischen Fußvolks, das durch die schwankende Haltung der feindlichen Reiter wieder Luft bekam, entschied den Sieg. Die Schließung der Lagertore, die Archelaos anordnete, um die Flucht zu hemmen, bewirkte nur, daß das Blutbad um so größer ward und, als die Tore endlich sich auftaten, die Römer mit den Asiaten zugleich eindrangen. Nicht den zwölften. Mann soll Archelaos nach Chalkis gerettet haben. Sulla folgte ihm bis an den Euripos; den schmalen Meeresarm zu überschreiten war er nicht imstande.

Es war ein großer Sieg, aber die Resultate waren geringfügig, was wegen des Mangels einer Flotte, teils weil der römische Sieger sich genötigt sah, statt die Besiegten zu verfolgen, zunächst vor seinen Landsleuten sich zu schützen. Die See war noch immer ausschließlich bedeckt von den pontischen Geschwadern, die jetzt selbst westlich vom Malfischen Vorgebirge sich zeigten; noch nach der Schlacht von Chäroneia setzte Archelaos auf Zakynthos Truppen ans Land und machte einen Versuch, auf dieser Insel sich festzusetzen. Ferner war inzwischen in der Tat Lucius Flaccus mit zwei Legionen in Epeiros gelandet, nicht ohne unterwegs durch Stürme und durch die im Adriatischen Meer kreuzenden feindlichen Kriegsschiffe starken Verlust erlitten zu haben; bereits standen seine Truppen in Thessalien; dorthin zunächst mußte Sulla sich wenden. Bei Melitäa am nördlichen Abhang des Othrysgebirges lagerten beide römischen Heere sich gegenüber; ein Zusammenstoß schien unvermeidlich. Indes Flaccus, nachdem er Gelegenheit gehabt hatte sich zu überzeugen, daß Sullas Soldaten keineswegs geneigt war ihren siegreichen Führer an den gänzlich unbekannten demokratischen Oberfeldherrn zu verraten, daß vielmehr seine eigene Vorhut anfing, in das Sullanische Lager zu desertieren, wich dem Kampfe aus, dem er in keiner Hinsicht gewachsen war, und brach auf gegen Norden, um durch Makedonien und Thrakien nach Asien zu gelangen und dort durch Überwältigung Mithradats sich den Weg zu weiteren Erfolgen zu bahnen. Daß Sulla den schwächeren Gegner ungehindert abziehen ließ und, statt ihm zu folgen, vielmehr zurück nach Athen ging, wo er den Winter 668/69 (86/85) verweilt zu haben scheint, ist militärisch betrachtet auffallend; vielleicht darf man annehmen, daß auch hier politische Beweggründe ihn leiteten und er gemäßigt und

Patriotisch genug dachte, um wenigstens so lange, als man doch mit den Asiaten zu tun hatte, gern einen Sieg über die Landsleute zu vermeiden und die erträglichste Lösung der leidigen Verwicklung darin zu finden, wenn die Revolutionsarmee in Asien, die der Oligarchie in Europa mit dem gemeinschaftlichen Feinde stritt.

Mit dem Frühling 669 (85) gab es in Europa wieder neue Arbeit. Mithradates, der in Kleinasien seine Rüstungen unermüdlich fortsetzte, hatte eine, der bei Chäroneia aufgeriebenen an Zahl nicht viel nachstehende Armee unter Dorylaos nach Euböa gesandt; von dort war dieselbe in Verbindung mit den Überbleibseln der Armee des Archelaos über den Euripos nach Böotien gegangen. Der pontische König, der in den Siegen über die bithynische und die kappadokische Miliz den Maßstab fand für die Leistungsfähigkeit seiner Armee, begriff die ungünstige Wendung nicht, die die Dinge in Europa nahmen; schon flüsterten die Kreise der Höflinge von Verrat des Archelaos; peremtorischer Befehl war gegeben, mit der neuen Armee sofort eine zweite Schlacht zu liefern und nun unfehlbar die Römer zu vernichten. Der Wille des Herrn geschah, wo nicht im Siegen, doch wenigstens im Schlagen. Abermals in der Kephissosebene bei Orchomenos, begegneten sich die Römer und die Asiaten. Die zahlreiche und vortreffliche Reiterei der letzteren warf sich ungestüm auf das römische Fußvolk, das zu schwanken und zu weichen begann; die Gefahr ward so dringend, daß Sulla ein Feldzeichen ergriff und mit seinen Adjutanten und Ordonnanzen gegen den Feind vorgehend mit lauter Stimme den Soldaten zurief, wenn man daheim sie frage, wo sie ihren Feldherrn im Stich gelassen hätten, so möchten sie antworten: bei Orchomenos. Dies wirkte; die Legionen standen wieder und überwältigten die feindlichen Reiter, worauf auch die Infanterie mit leichter Mühe geworfen ward. Am folgenden Tage wurde das Lager der Asiaten umstellt und erstürmt; der weitaus größte Teil derselben fiel oder kam in den Kopaischen Sümpfen um; nur wenige, unter ihnen Archelaos, gelangten nach Euböa. Die böotischen Gemeinden hatten den abermaligen Abfall von Rom schwer, zum Teil bis zur Vernichtung zu büßen. Dem Einmarsch in Makedonien und Thrakien stand nichts im Wege: Philippi ward besetzt, Abdera von der pontischen Besatzung freiwillig geräumt, überhaupt das europäische Festland von den Feinden gesäubert. Am Ende des dritten Kriegsjahres (669 85) konnte Sulla Winterquartiere in Thessalien beziehen, um im Frühjahr 670 (84) 9 den asiatischen Feldzug zu beginnen, zu welchem Ende er Befehl gab, in den thessalischen Häfen Schiffe zu bauen.

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9 Die Chronologie dieser Ereignisse liegt, wie alle Einzelheiten überhaupt, in einem Dunkel, das die Forschung höchstens bis zur Dämmerung zu zerstreuen vermag. Daß die Schlacht von Chäroneia, wenn auch nicht an demselben Tage wie die Erstürmung von Athen (Paus. 1, 20), doch bald nachher, etwa im März 668 (86), stattfand, ist ziemlich sicher. Daß die darauf folgende thessalische und die zweite böotische Kampagne nicht bloß den Rest des Jahres 668 (86), sondern auch das ganze Jahr 669 (85) in Anspruch nahmen, ist an sich wahrscheinlich und wird es noch mehr dadurch, daß Sullas Unternehmungen in Asien nicht genügen, um mehr als einen Feldzug auszufüllen. Auch scheint Licinianus anzudeuten, daß Sulla für den Winter 668/69 (86/85) wieder nach Athen zurückging und hier die Untersuchungen und Bestrafungen vornahm; worauf dann die Schlacht von Orchomenos erzählt wird. Darum ist der Übergang Sullas nach Asien nicht 669 (85), sondern 670 (84) gesetzt worden.

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Inzwischen hatten auch die kleinasiatischen Verhältnisse sich wesentlich geändert. Wenn König Mithradates einst aufgetreten war als der Befreier der Hellenen, wenn er mit Förderung der städtischen Unabhängigkeit und mit Steuererlassen seine Herrschaft eingeleitet hatte, so war auf diesen kurzen Taumel nur zu rasch und nur zu bitter die Enttäuschung gefolgt. Sehr bald war er in seinem wahren Charakter hervorgetreten und hatte eine die Tyrannei der römischen Vögte weit überbietende Zwingherrschaft zu üben begonnen, die sogar die geduldigen Kleinasiaten zu offener Auflehnung trieb. Der Sultan griff dagegen wieder zu den gewaltsamsten Mitteln. Seine Verordnungen verliehen den zugewandten Ortschaften die Selbständigkeit, den Insassen das Bürgerrecht, den Schuldnern vollen Schuldenerlaß, den Besitzlosen Äcker, den Sklaven die Freiheit; an 15000 solcher freigelassener Sklaven fochten im Heer des Archelaos. Die fürchterlichsten Szenen waren die Folge dieser von oben herab erfolgenden Umwälzung aller bestehenden Ordnung. Die ansehnlichsten Kaufstädte, Smyrna, Kolophon, Ephesos, Tralleis, Sardeis, schlossen den Vögten des Königs die Tore oder brachten sie um und erklärten sich für Rom ^10. Dagegen ließ der königliche Vogt Diodoros, ein namhafter Philosoph wie Aristion, von anderer Schule, aber gleich brauchbar zur schlimmsten Herrendienerei, im Auftrag seines Herrn den gesamten Stadtrat von Adramytion niedermachen. Die Chier, die der Hinneigung zu Rom verdächtig schienen, wurden zunächst um 2000 Talente (3150000 Taler) gebüßt und, da die Zahlung nicht richtig befunden wurde, in Masse auf Schiffe gesetzt und gebunden, unter Aufsicht ihrer eigenen Sklaven, an die kolchische Küste deportiert, während ihre Insel mit pontischen Kolonisten besetzt ward. Die Häuptlinge der kleinasiatischen Kelten befahl der König sämtlich an einem Tage mit ihren Weibern und Kindern umzubringen und Galatien in eine pontische Satrapie zu verwandeln. Die meisten dieser Blutbefehle wurden auch entweder an Mithradates’ eigenem Hoflager oder im galatischen Lande vollstreckt, allein die wenigen Entronnenen stellten sich an die Spitze ihrer kräftigen Stämme und schlugen den Statthalter des Königs, Eumachos, aus ihren Grenzen hinaus. Daß diesen König die Dolche der Mörder verfolgten, ist begreiflich; sechzehnhundert Menschen wurden als in solche Komplotte verwickelt von den königlichen Untersuchungsgerichten zum Tode verurteilt.

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^10 Es ist kürzlich (Waddington, Zusätze zu Lebas, 3, 136a) der desfällige Beschluß der Bürgerschaft von Ephesos aufgefunden worden. Sie seien, erklären die Bürger, in die Gewalt des “Königs von Kappadokien” Mithradates geraten, erschreckt durch die Masse seiner Streitkräfte und die Plötzlichkeit seines Angriffs; wie aber die Gelegenheit dazu sich darbiete, erklärten sie “für die Herrschaft (ηγεμονία) der Römer und die gemeine Freiheit” ihm den Krieg.

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Wenn also der König durch dies selbstmörderische Wüten seine derzeitigen Untertanen gegen sich unter die Waffen rief, so begannen gleichzeitig die Römer auch in Asien, ihn zur See und zu Lande zu drängen. Lucullus hatte, nachdem der Versuch, die ägyptische Flotte gegen Mithradates vorzuführen, gescheitert war, sein Bemühen, sich Kriegsschiffe zu verschaffen, in den syrischen Seestädten mit besserem Erfolg wiederholt und seine werdende Flotte in den kyprischen, pamphylischen und rhodischen Häfen verstärkt, bis er sich stark genug fand, zum Angriff überzugehen. Gewandt vermied er es, mit überlegenen Streitkräften sich zu messen und errang dennoch nicht unbedeutende Erfolge. Die knidische Insel und Halbinsel wurden von ihm besetzt, Samos angegriffen, Kolophon und Chios den Feinden entrissen.

Inzwischen war auch Flaccus mit seiner Armee durch Makedonien und Thrakien nach Byzantion und von dort, die Meerenge passierend, nach Kalchedon gelangt (Ende 668 86). Hier brach gegen den Feldherrn eine Militärinsurrektion aus, angeblich weil er den Soldaten die Beute unterschlug; die Seele derselben war einer der höchsten Offiziere des Heeres, ein Mann, dessen Name in Rom sprichwörtlich geworden war für den rechten Pöbelredner, Gaius Flavius Fimbria, welcher, nachdem er mit seinem Oberfeldherrn sich entzweit hatte, das auf dem Markt begonnene Demagogengeschäft ins Lager übertrug. Flaccus ward von dem Heer abgesetzt und bald nachher in Nikomedeia unweit Kalchedon getötet; an seine Stelle trat nach Beschluß der Soldaten Fimbria. Es versteht sich, daß er seinen Leuten alles nachsah: in dem befreundeten Kyzikos zum Beispiel ward der Bürgerschaft befohlen, ihre gesamte Habe an die Soldaten bei Todesstrafe auszuliefern und zum warnenden Exempel zwei der angesehensten Bürger sogleich vorläufig hingerichtet. Allein militärisch war der Wechsel des Oberbefehls dennoch ein Gewinn; Fimbria war nicht wie Flaccus ein unfähiger General, sondern energisch und talentvoll. Bei Miletopolis (am Rhyndakos westlich von Brussa) schlug er den jüngeren Mithradates, der als Statthalter der pontischen Satrapie ihm entgegengezogen war, vollständig in einem nächtlichen Überfall und öffnete sich durch diesen Sieg den Weg nach der Hauptstadt sonst der römischen Provinz, jetzt des pontischen Königs, Pergamon, von wo er den König vertrieb und ihn zwang, sich nach dem wenig entfernten Hafen Pitane zu retten, um dort sich einzuschiffen. Eben jetzt erschien Lucullus mit seiner Flotte in diesen Gewässern; Fimbria beschwor ihn, durch seinen Beistand ihm die Gefangennehmung des Königs möglich zu machen. Aber der Optimat war mächtiger in Lucullus als der Patriot; er segelte weiter, und der König entkam nach Mytilene. Auch so war Mithradates’ Lage bedrängt genug. Am Ende des Jahres 669 (85) war Europa verloren, Kleinasien gegen ihn teils im Aufstand begriffen, teils von einem römischen Heer eingenommen und er selbst von diesem in unmittelbarer Nähe bedroht. Die römische Flotte unter Lucullus hatte an der Küste der troischen Landschaft in zwei glücklichen Seegefechten am Vorgebirg Lekton und bei der Insel Tenedos ihre Stellung behauptet; sie zog daselbst die inzwischen nach Sullas Anordnung in Thessalien erbauten Schiffe an sich und verbürgte in ihrer den Hellespont beherrschenden Stellung dem Feldherrn der römischen Senatsarmee für das nächste Frühjahr den sicheren und bequemen Übergang nach Asien.

Mithradates versuchte zu unterhandeln. Unter anderen Verhältnissen zwar hätte der Urheber des ephesischen Mordedikts nie und nimmermehr hoffen dürfen, zum Frieden mit Rom gelassen zu werden; allein bei den inneren Konvulsionen der römischen Republik, wo die herrschende Regierung den gegen Mithradates ausgesandten Feldherrn in die Acht erklärt hatte und daheim gegen seine Parteigenossen in der grauenhaftesten Weise wütete, wo ein römischer General gegen den andern und doch wieder beide gegen denselben Feind standen, hoffte er nicht bloß einen Frieden, sondern einen günstigen Frieden erlangen zu können. Er hatte die Wahl, sich an Sulla oder an Fimbria zu wenden; mit beiden ließ er unterhandeln, doch scheint seine Absicht von Haus aus gewesen zu sein, mit Sulla abzuschließen, der wenigstens in dem Horizont des Königs als seinem Nebenbuhler entschieden überlegen erschien. Sein Feldherr Archelaos forderte nach Anweisung seines Herrn Sulla auf, Asien an den König abzutreten und dafür die Hilfe desselben gegen die demokratische Partei in Rom zu gewärtigen. Aber Sulla, kühl und klar wie immer, wünschte zwar wegen der Lage der Dinge in Italien dringend die schleunige Erledigung der asiatischen Angelegenheiten, schlug aber die Vorteile der kappadokischen Allianz für den ihm in Italien bevorstehenden Krieg sehr niedrig an und war überhaupt viel zu sehr Römer, um in eine so entehrende und so nachteilige Abtretung zu willigen. In den Friedenskonferenzen, die im Winter 669/70 (85/84) zu Delion an der böotischen Küste, Euböa gegenüber, stattfanden, weigerte er sich bestimmt, auch nur einen Fußbreit Landes abzutreten, ging aber, der alten römischen Sitte, die vor dem Kampfe erhobenen Forderungen nach dem Siege nicht zu steigern, aus gutem Grunde getreu, über die früher gestellten Bedingungen nicht hinaus. Er forderte die Rückgabe aller von dem König gemachten und ihm noch nicht wiederentrissenen Eroberungen, Kappadokiens, Paphlagoniens, Galatiens, Bithyniens, Kleinasiens und der Inseln, die Auslieferung der Gefangenen und Überläufer, die Übergabe der achtzig Kriegsschiffe des Archelaos zur Verstärkung der immer noch geringen römischen Flotte, endlich Sold und Verpflegung für das Heer und Ersatz der Kriegskosten mit der sehr mäßigen Summe von 3000 Talenten (4¾ Mill. Taler). Die nach dem Schwarzen Meer weggeführten Chier sollten heimgesandt, den römisch gesinnten Makedoniern ihre weggeführten Familien zurückgegeben, den mit Rom verbündeten Städten eine Anzahl Kriegsschiffe zugestellt werden. Von Tigranes, der streng genommen gleichfalls mit in den Frieden hätte eingeschlossen werden sollen, schwieg man auf beiden Seiten, da an den endlosen Weiterungen, die seine Beiziehung machen mußte, keinem der kontrahierenden Teile gelegen war. Der Besitzstand also, den der König vor dem Kriege gehabt hatte, blieb ihm und es ward ihm keine ehrenkränkende Demütigung angesonnen ^11. Archelaos, deutlich erkennend, daß verhältnismäßig unerwartet viel erreicht und mehr nicht zu erreichen sei, schloß auf diese Bedingungen die Präliminarien und den Waffenstillstand ab und zog die Truppen aus den Plätzen heraus, die die Asiaten noch in Europa innehatten. Allein Mithradates verwarf den Frieden und begehrte wenigstens, daß die Römer auf die Auslieferung der Kriegsschiffe verzichten und ihm Paphlagonien einräumen wollten; indem er zugleich geltend machte, daß Fimbria ihm weit günstigere Bedingungen zu gewähren bereit sei. Sulla, beleidigt durch dies Gleichstellen seiner Anerbietungen mit denen eines amtlosen Abenteurers und bei dem äußersten Maß der Nachgiebigkeit bereits angelangt, brach die Unterhandlungen ab. Er hatte die Zwischenzeit benutzt, um Makedonien wiederzuordnen und die Dardaner, Sinter, Mäder zu züchtigen, wobei er zugleich seinem Heer Beute verschaffte und sich Asien näherte; denn dahin zu gehen war er auf jeden Fall entschlossen, um mit Fimbria abzurechnen. Nun setzte er sofort seine in Thrakien stehenden Legionen sowie seine Flotte in Bewegung nach dem Hellespont. Da endlich gelang es Archelaos, seinem eigensinnigen Herrn die widerstrebende Einwilligung zu dem Traktat zu entreißen; wofür er später am königlichen Hofe als der Urheber des nachteiligen Friedens scheel angesehen, ja des Verrats bezichtigt ward, so daß einige Zeit nachher er sich genötigt sah, das Land zu räumen und zu den Römern zu flüchten, die ihn bereitwillig aufnahmen und mit Ehren überhäuften. Auch die römischen Soldaten murrten; daß die gehoffte asiatische Kriegsbeute ihnen entging, mochte dazu freilich mehr beitragen als der an sich wohl gerechtfertigte Unwille, daß man den Barbarenfürsten, der achtzigtausend ihrer Landsleute ermordet und über Italien und Asien unsägliches Elend gebracht hatte, mit dem größten Teil der in Asien zusammengeplünderten Schätze ungestraft abziehen ließ in seine Heimat. Sulla selbst mag es schmerzlich empfunden haben, daß die politischen Verwicklungen seine militärisch so einfache Aufgabe in peinlichster Weise durchkreuzten und ihn zwangen, nach solchen Siegen sich mit einem solchen Frieden zu begnügen. Indes zeigt sich die Selbstverleugnung und die Einsicht, mit der er diesen ganzen Krieg geführt hat, nur aufs neue in diesem Friedensschluß; denn der Krieg gegen einen Fürsten, dem fast die ganze Küste des Schwarzen Meeres gehorchte und dessen Starrsinn noch die letzten Verhandlungen deutlich offenbarten, nahm selbst im günstigsten Fall Jahre in Anspruch, und die Lage Italiens war von der Art, daß es fast schon für Sulla zu spät schien, um mit den wenigen Legionen, die er besaß, der dort regierenden Partei entgegenzutreten ^12. Indes bevor dies geschehen konnte, war es schlechterdings notwendig, den kecken Offizier niederzuwerfen, der in Asien an der Spitze der demokratischen Armee stand, damit derselbe nicht, wie Sulla jetzt von Asien aus die. italische Revolution zu unterdrücken hoffte, so dereinst ebenfalls von Asien aus derselben zu Hilfe komme. Bei Kypsela am Hebros erreichte Sulla die Nachricht von der Ratifikation des Friedens durch Mithradates; allein der Marsch nach Asien ging weiter. Der König, hieß es, wünsche persönlich mit dem römischen Feldherrn zusammenzutreffen und den Frieden mit ihm zu vereinbaren; vermutlich war dies nichts als ein schicklicher Vorwand, um das Heer nach Asien überzuführen und dort mit Fimbria ein Ende zu machen. So überschritt Sulla, begleitet von seinen Legionen und von Archelaos, den Hellespont; nachdem er am asiatischen Ufer desselben in Dardanos mit Mithradates zusammengetroffen war und mündlich den Vertrag abgeschlossen hatte, ließ er den Marsch fortsetzen, bis er bei Thyateira unweit Pergamon auf das Lager des Fimbria traf. Hart an demselben schlug er das seinige auf. Die Sullanischen Soldaten, an Zahl, Zucht, Führung und Tüchtigkeit den Fimbrianern weit überlegen, sahen mit Verachtung auf die verzagten und demoralisierten Haufen und deren unberufenen Oberfeldherrn. Die Desertionen unter den Fimbrianern wurden immer zahlreicher. Als Fimbria anzugreifen befahl, weigerten die Soldaten sich, gegen ihre Mitbürger zu fechten, ja sogar den geforderten Eid, treulich im Kampf zusammenzustehen, in seine Hände abzulegen. Ein Mordversuch auf Sulla schlug fehl; zu der von Fimbria erbetenen Zusammenkunft erschien Sulla nicht, sondern begnügte sich, ihm durch einen seiner Offiziere eine Aussicht auf persönliche Rettung zu eröffnen. Fimbria war eine frevelhafte Natur, aber keine Memme; statt das von Sulla ihm angebotene Schiff anzunehmen und zu den Barbaren zu fliehen, ging er nach Pergamon und fiel im Tempel des Asklepios in sein eigenes Schwert. Die kompromittiertesten aus seinem Heer begaben sich zu Mithradates oder zu den Piraten, wo sie bereitwillige Aufnahme fanden; die Masse stellte sich unter die Befehle Sullas.

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^11 Die Angabe, daß Mithradates den Städten, die seine Partei ergriffen hatten im Frieden Straflosigkeit ausbedungen habe (Memn. 35), erscheint schon nach dem Charakter des Siegers wie des Besiegten wenig glaublich und fehlt auch bei Appian wie bei Licinianus. Die schriftliche Abfassung des Friedensvertrages ward versäumt, was später zu vielen Entstellungen benutzt ward.

^12 Auch die armenische Tradition kennt den Ersten Mithradatischen Krieg. König Ardasches von Armenien, berichtet Moses von Khorene, begnügte sich nicht mit dem zweiten Rang, der ihm im Persischen (Parthischen) Reich von Rechts wegen zukam, sondern zwang den Partherkönig Arschagan, ihm die höchste Gewalt abzutreten, worauf er in Persien sich einen Palast bauen und daselbst Münzen mit eigenem Bildnis schlagen ließ und den Arschagan zum Unterkönig Persiens, seinen Sohn Dicran (Tigranes) zum Unterkönig Armeniens bestellte, seine Tochter Ardaschama aber vermählte mit dem Großfürsten der Iberer Mihrdates (Mithradates), der von dem Mihrdates, Satrapen des Dareios und Statthalters Alexanders über die besiegten Iberer, abstammte und in den nördlichen Bergen sowie über das Schwarze Meer befahl. Ardasches nahm darauf den König der Lydier Krösos gefangen, unterwarf das Festland zwischen den beiden großen Meeren (Kleinasien) und ging über das Meer mit unzähligen Schiffen, um den Westen zu bezwingen. Da in Rom damals Anarchie war, fand er nirgends ernstlichen Widerstand, aber seine Soldaten brachten einander um und Ardasches fiel von der Hand seiner Leute. Nach Ardasches’ Tode rückte sein Nachfolger Dicran gegen die Armee der Griechen (d. i. der Römer), die jetzt ihrerseits in das armenische Land eindrangen; er setzte ihrem Vordringen ein Ziel, übergab seinem Schwager Mithradates die Verwaltung von Madschag (Mazaka in Kappadokien) und des Binnenlandes nebst einer ansehnlichen Streitmacht und kehrte zurück nach Armenien. Viele Jahre später zeigte man noch in den armenischen Städten Statuen griechischer Götter von bekannten Meistern, Siegeszeichen aus diesem Feldzug.

Man erkennt hier verschiedene Tatsachen des Ersten Mithradatischen Kriegs ohne Mühe wieder, aber die ganze Erzählung ist augenscheinlich durcheinandergeworfen, mit fremdartigen Zusätzen ausgestattet und namentlich durch patriotische Fälschung auf Armenien übertragen. Ganz ebenso wird später der Sieg über Crassus den Armeniern beigelegt. Diese orientalischen Nachrichten sind mit um so größerer Vorsicht aufzunehmen, als sie keineswegs reine Volkssage sind, sondern teils die Nachrichten des Josephus, Eusebius und anderer, den Christen des fünften Jahrhunderts geläufiger Quellen darin mit den armenischen Traditionen verschmolzen, teils auch die historischen Romane der Griechen und ohne Frage auch die eigenen patriotischen Phantasien des Moses dafür ansehnlich in Kontribution gesetzt sind. So schlecht unsere okzidentalische Überlieferung an sich ist, so kann die Zuziehung der orientalischen in diesem und in ähnlichen Fällen, wie zum Beispiel der unkritische Saint-Martin sie versucht hat, doch nur dahin führen, sie noch stärker zu trüben.

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Sulla beschloß, diese beiden Legionen, denen er für den bevorstehenden Krieg doch nicht traute, in Asien zurückzulassen, wo die entsetzliche Krise noch lange in den einzelnen Städten und Landschaften nachzitterte. Das Kommando über dieses Korps und die Statthalterschaft im römischen Asien übergab er seinem besten Offizier Lucius Licinius Murena. Die revolutionären Maßregeln Mithradats, wie die Befreiung der Sklaven und die Kassation der Forderungen, wurden natürlich aufgehoben; eine Restauration, die freilich an vielen Orten nicht ohne Waffengewalt durchgesetzt werden konnte. Die Städte des östlichen Grenzgebiets unterlagen einer durchgreifenden Reorganisation und rechneten seit dem Jahre 670 (84) als dem ihrer Konstituierung. Es ward ferner Gerechtigkeit geübt, wie die Sieger sie verstanden. Die namhaftesten Anhänger Mithradats und die Urheber der an den Italikern verübten Mordtaten traf die Todesstrafe. Die Steuerpflichtigen mußten die sämtlichen von den letzten fünf Jahren her rückständigen Zehnten und Zölle sofort nach Abschätzung bar erlegen; außerdem hatten sie eine Kriegsentschädigung von 20000 Talenten (32 Mill. Talern) zu entrichten, zu deren Eintreibung Lucius Lucullus zurückblieb. Es waren die Maßregeln von furchtbarer Strenge und schrecklichen Folgen; wenn man sich indes des ephesischen Dekrets und seiner Exekution erinnert, so fühlt man sich geneigt, dieselben als eine verhältnismäßig noch gelinde Vergeltung zu betrachten. Daß die sonstigen Erpressungen nicht ungewöhnlich drückend waren, beweist der Betrag der später im Triumph aufgeführten Beute, der an edlem Metall sich nur auf etwa 8 Mill. Taler belief. Die wenigen treugebliebenen Gemeinden dagegen, namentlich die Insel Rhodos, die lykische Landschaft, Magnesia am Mäander wurden reich belohnt; Rhodos erhielt wenigstens einen Teil der nach dem Kriege gegen Perseus ihm entzogenen Besitzungen zurück. Desgleichen wurden die Chier für die ausgestandene Not, die Ilienser für die wahnsinnig grausame Mißhandlung, die ihnen Fimbria wegen der mit Sulla angeknüpften Verhandlungen zugefügt hatte, nach Möglichkeit durch Freibriefe und Vergünstigungen entschädigt. Die Könige von Bithynien und Kappadokien hatte Sulla schon in Dardanos mit dem pontischen König zusammengeführt und sie alle Frieden und gute Nachbarschaft geloben lassen; wobei freilich der stolze Mithradates sich geweigert hatte, den nicht von königlichem Blute stammenden Ariobarzanes, den Sklaven, wie er ihn nannte, persönlich vor sich zu lassen. Gaius Scribonius Curio ward beauftragt, in den beiden von Mithradates geräumten Reichen die Wiederherstellung der gesetzlichen Zustände zu überwachen.

So war man am Ziel. Nach vier Kriegsjahren war der pontische König wieder ein Klient der Römer und in Griechenland, Makedonien und Kleinasien ein einheitliches und geordnetes Regiment wiederhergestellt; die Gebote des Vorteils und der Ehre waren, wo nicht zur Genüge, doch zur Notdurft befriedigt. Sulla hatte nicht bloß als Soldat und Feldherr glänzend sich hervorgetan, sondern die schwere Mittelstraße zwischen kühnem Ausharren und klugem Nachgeben auf seinem von tausendfachen Hindernissen durchkreuzten Gange einzuhalten verstanden. Fast wie Hannibal hatte er gekriegt und gesiegt, um mit den Streitkräften, die der erste Sieg ihm gab, alsbald zu einem zweiten und schwereren Kampfe sich zu schicken. Nachdem er seine Soldaten durch die üppigen Winterquartiere in dem reichen Vorderasien einigermaßen für ihre ausgestandenen Strapazen entschädigt hatte, ging er im Frühjahr 671 (83) auf 1600 Schiffen von Ephesos nach dem Peiräeus und von da auf dem Landweg nach Paträ, wo die Schiffe wiederum bereit standen, um die Truppen nach Brundisium zu führen. Ihm vorauf ging ein Bericht an den Senat über seine Feldzüge in Griechenland und Asien, dessen Schreiber von seiner Absetzung nichts zu wissen schien; es war die stumme Ankündigung der bevorstehenden Restauration.

KAPITEL IX.
Cinna und Sulla

Die gespannten und unklaren Verhältnisse, in denen Sulla bei seiner Abfahrt nach Griechenland im Anfang des Jahres 667 (87) Italien zurückließ, sind früher dargelegt worden: die halb erstickte Insurrektion, die Hauptarmee unter dem mehr als halb usurpierten Kommando eines politisch sehr zweideutigen Generals, die Verwirrung und die vielfach tätige Intrige in der Hauptstadt. Der Sieg der Oligarchie durch Waffengewalt hatte trotz oder wegen seiner Mäßigung vielfältige Mißvergnügte gemacht. Die Kapitalisten, von den Schlägen der schwersten Finanzkrise, die Rom noch erlebt hatte, schmerzlich getroffen, grollten der Regierung wegen des Zinsgesetzes, das sie erlassen, und wegen des Italischen und des Asiatischen Krieges, die sie nicht verhütet hatte. Die Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt, beklagten nicht bloß den Verlust ihrer stolzen Hoffnungen auf Erlangung gleicher Rechte mit der herrschenden Bürgerschaft, sondern auch den ihrer althergebrachten Verträge und ihre neue völlig rechtlose Untertanenstellung. Die Gemeinden zwischen Alpen und Po waren ebenfalls unzufrieden mit den ihnen gemachten halben Zugeständnissen und die Neubürger und Freigelassenen erbittert durch die Kassation der Sulpicischen Gesetze. Der Stadtpöbel litt unter der allgemeinen Bedrängnis und fand es unerlaubt, daß das Säbelregiment sich die verfassungsmäßige Knüttelherrschaft nicht ferner hatte wollen gefallen lassen. Der hauptstädtische Anhang der nach der Sulpicischen Umwälzung Geächteten, der infolge der ungemeinen Mäßigung Sullas sehr zahlreich geblieben war, arbeitete eifrig daran, diesen die Erlaubnis zur Rückkehr zu erwirken; namentlich einige reiche und angesehene Frauen sparten für diesen Zweck keine Mühe und kein Geld. Keine dieser Verstimmungen war eigentlich von der Art, daß sie einen neuen gewaltsamen Zusammenstoß der Parteien in nahe Aussicht stellte; größtenteils waren sie zielloser und vorübergehender Art: aber sie alle nährten das allgemeine Mißbehagen und hatten schon mehr oder minder mitgewirkt bei der Ermordung des Rufus, den wiederholten Mordversuchen gegen Sulla, dem zum Teil oppositionellen Ausfall der Konsul- und Tribunenwahlen für 667 (87). Der Name des Mannes, den die Mißvergnügten an die Spitze des Staats berufen hatten, des Lucius Cornelius Cinna, war bis dahin kaum genannt worden, außer insofern er als Offizier im Bundesgenossenkrieg sich gut geschlagen hatte; über die Persönlichkeit desselben und seine ursprünglichen Absichten sind wir weniger unterrichtet als über die irgendeines andern Parteiführers in der römischen Revolution. Die Ursache ist allem Anschein nach keine andere, als daß dieser ganz gemeine und durch den niedrigsten Egoismus geleitete Gesell weitergehende politische Pläne von Haus aus gar nicht gehabt hat. Es ward gleich bei seinem Auftreten behauptet, daß er gegen ein tüchtiges Stück Geld sich den Neubürgern und der Koterie des Marius verkauft habe, und die Beschuldigung sieht sehr glaublich aus; wäre sie aber auch falsch, so bleibt es nichtsdestoweniger charakteristisch, daß ein derartiger Verdacht, wie er nie gegen Saturninus und Sulpicius geäußert worden war, an Cinna haftete. In der Tat hat die Bewegung, an deren Spitze er sich stellte, ganz den Anschein der Geringhaltigkeit sowohl der Beweggründe wie der Ziele. Sie ging nicht so sehr von einer Partei aus als von einer Anzahl Mißvergnügter ohne eigentlich politische Zwecke und nennenswerten Rückhalt, die hauptsächlich die Rückberufung der Verbannten in gesetzlicher oder ungesetzlicher Weise durchzusetzen sich vorgenommen hatte. Cinna scheint in die Verschwörung nur nachträglich und nur deshalb hineingezogen zu sein, weil die Intrige, die infolge der Beschränkung der tribunizischen Gewalt zur Vorbringung ihrer Anträge einen Konsul brauchte, unter den Konsularkandidaten für 667 (87) in ihm das geeignetste Werkzeug ersah und dann ihn als den Konsul vorschob. Unter den in zweiter Linie erscheinenden Leitern der Bewegung fanden sich einige fähigere Köpfe, so der Volkstribun Gnaeus Papirius Carbo, der durch seine stürmische Volksberedsamkeit sich einen Namen gemacht hatte, und vor allem Quintus Sertorius, einer der talentvollsten römischen Offiziere und in jeder Hinsicht ein vorzüglicher Mann, welcher seit seiner Bewerbung um das Volkstribunat mit Sulla persönlich verfeindet und durch diesen Hader in die Reihen der Mißvergnügten geführt worden war, wohin er seiner Art nach keineswegs gehörte. Der Prokonsul Strabo, obwohl mit der Regierung gespannt, war dennoch weit entfernt, mit dieser Fraktion sich einzulassen.

Solange Sulla in Italien stand, hielten die Verbündeten aus guten Gründen sich still. Als indes der gefürchtete Prokonsul, nicht den Mahnungen des Konsuls Cinna, sondern dem dringenden Stand der Dinge im Osten nachgebend, sich eingeschifft hatte, legte Cinna, unterstützt von der Majorität des Tribunenkollegiums, sofort die Gesetzentwürfe vor, wodurch man übereingekommen war, gegen die Sullanische Restauration von 666 (88) teilweise zu reagieren; sie enthielten die politische Gleichstellung der Neubürger und der Freigelassenen, wie Sulpicius sie beantragt hatte, und die Wiedereinsetzung der infolge der Sulpicischen Revolution Geächteten in den vorigen Stand. In Masse strömten die Neubürger nach der Hauptstadt, um dort mit den Freigelassenen zugleich die Gegner einzuschüchtern und nötigenfalls zu zwingen. Aber auch die Regierungspartei war entschlossen, nicht zu weichen; es stand Konsul gegen Konsul, Gnaeus Octavius gegen Lucius Cinna, und Tribun gegen Tribun; beiderseits erschien man am Tage der Abstimmung großenteils bewaffnet auf dem Stimmplatz. Die Tribune von der Senatspartei legten Interzession ein; als gegen sie auf der Rednerbühne selbst die Schwerter gezückt wurden, brauchte Octavius gegen die Gewalttäter Gewalt. Seine geschlossenen Haufen bewaffneter Männer säuberten nicht bloß die Heilige Straße und den Marktplatz, sondern wüteten auch, der Befehle ihres milder gesinnten Führers nicht achtend, in grauenhafter Weise gegen die versammelten Massen. Der Marktplatz schwamm in Blut an diesem “Octaviustag”, wie niemals vor- oder nachher - auf zehntausend schätzte man die Zahl der Leichen. Cinna rief die Sklaven auf, sich durch Teilnahme an dem Kampf die Freiheit zu erkaufen; aber sein Ruf war ebenso erfolglos wie der gleiche des Marius das Jahr zuvor, und es blieb den Führern der Bewegung nichts übrig, als zu flüchten. Weiter gegen die Häupter der Verschwörung, solange ihr Amtsjahr lief, zu verfahren gab die Verfassung kein Mittel an die Hand. Allein ein vermutlich mehr loyaler als frommer Prophet hatte geweissagt, daß die Verbannung des Konsuls Cinna und der sechs mit ihm haltenden Volkstribune dem Lande Frieden und Ruhe wiedergeben werde; und in Gemäßheit zwar nicht der Verfassung, aber wohl dieses glücklich von den Orakelbewahrern aufgefangenen Götterratschlags wurde durch Beschluß des Senats der Konsul Cinna seines Amtes entsetzt, an seiner Stelle Lucius Cornelius Merula gewählt und gegen die flüchtigen Häupter die Acht ausgesprochen. Die ganze Krise schien damit endigen zu sollen, daß die Zahl der ausgetretenen Männer in Numidien um einige Köpfe sich vermehrte.

Ohne Zweifel wäre auch bei der Bewegung nichts weiter herausgekommen, wenn nicht teils der Senat in seiner gewöhnlichen Schlaffheit es unterlassen hätte, die Flüchtlinge rasch wenigstens zur Räumung Italiens zu nötigen, teils diese in der Lage gewesen wären, zu ihren Gunsten als der Verfechter der Emanzipation der Neubürger gewissermaßen den Aufstand der Italiker zu erneuern. Ungehindert erschienen sie in Tibur, in Praeneste, in allen bedeutenden Neubürgergemeinden Latiums und Kampaniens und forderten und erhielten überall zur Durchführung der gemeinschaftlichen Sache Geld und Mannschaft. So unterstützt zeigten sie sich bei der Belagerungsarmee von Nola. Die Heere dieser Zeit waren demokratisch und revolutionär gesinnt, wo immer nicht der Feldherr durch seine imponierende Persönlichkeit sie an sich selber fesselte; die Reden der flüchtigen Beamten, die überdies zum Teil, wie namentlich Cinna und Sertorius, aus den letzten Feldzügen in gutem Andenken bei den Soldaten standen, machten tiefen Eindruck; die verfassungswidrige Absetzung des popularen Konsuls, der Eingriff des Senats in die Rechte des souveränen Volkes wirkten auf den gemeinen Mann, und den Offizieren machte das Gold des Konsuls oder vielmehr der Neubürger den Verfassungsbruch deutlich. Das kampanische Heer erkannte den Cinna als Konsul an und schwor ihm Mann für Mann den Eid der Treue; es ward der Kern für die von den Neubürgern und selbst den bundesgenössischen Gemeinden herbeiströmenden Scharen. Bald bewegten ansehnliche, wenn auch meistens aus Rekruten bestehende Haufen sich von Kampanien auf die Hauptstadt zu. Andere Schwärme nahten ihr von Norden. Auf Cinnas Einladung waren die das Jahr zuvor Verbannten bei Telamon an der etruskischen Küste gelandet. Es waren nicht mehr als etwa 500 Bewaffnete, größtenteils Sklaven der Flüchtlinge und geworbene numidische Reiter; aber Gaius Marius, wie er das Jahr zuvor mit dem hauptstädtischen Gesindel hatte Gemeinschaft machen wollen, ließ jetzt die Zwinghäuser erbrechen, in denen die Gutsbesitzer dieser Gegend ihre Feldarbeiter zur Nachtzeit einschlossen, und die Waffen, die er diesen bot, um sich die Freiheit zu erfechten, wurden nicht verschmäht. Durch diese Mannschaft und die Zuzüge der Neubürger sowie der von allen Seiten mit ihrem Anhang herbeiströmenden landflüchtigen Leute verstärkt, zählte er bald 6000 Mann unter seinen Adlern und konnte vierzig Schiffe bemannen, die sich vor die Tibermündung legten und auf die nach Rom segelnden Getreideschiffe Jagd machten. Mit diesen stellte er sich dem “Konsul” Cinna zur Verfügung. Die Führer der kampanischen Armee schwankten; die einsichtigeren, namentlich Sertorius, warnten ernstlich vor der allzuengen Gemeinschaft mit einem Manne, der durch seinen Namen an die Spitze der Bewegung geführt werden mußte und doch notorisch ebenso jedes staatsmännischen Handelns unfähig wie von wahnsinnigem Rachedurst gepeinigt war; indes Cinna achtete diese Bedenklichkeiten nicht und bestätigte dem Marius den Oberbefehl in Etrurien und zur See mit prokonsularischer Gewalt.

So zog sich das Gewitter um die Hauptstadt zusammen, und es konnte nicht länger verschoben werden, zu ihrem Schutz die Regierungstruppen heranzuziehen ^1. Aber die Streitkräfte des Metellus wurden in Samnium und vor Nola durch die Italiker festgehalten; Strabo allein war imstande, der Hauptstadt zu Hilfe zu eilen. Er erschien auch und schlug sein Lager am Collinischen Tor; mit seiner starken und krieggewohnten Armee wäre er wohl imstande gewesen, die noch schwachen Insurgentenhaufen rasch und völlig zu vernichten; allein dies schien nicht in seiner Absicht zu liegen. Vielmehr ließ er es geschehen, daß Rom von den Insurgenten in der Tat umstellt ward. Cinna mit seinem Korps und dem des Carbo stellten sich am rechten Tiberufer dem Ianiculum gegenüber auf, Sertorius am linken, Pompeius gegenüber gegen den Servianischen Wall zu. Marius, mit seinem allmählich auf drei Legionen angewachsenen Haufen und im Besitz einer Anzahl von Kriegsschiffen, besetzte einen Küstenplatz nach dem andern, bis zuletzt sogar Ostia durch Verrat in seine Gewalt kam und, gleichsam zum Vorspiel der herannahenden Schreckensherrschaft, der wilden Bande von dem Feldherrn zu Mord und Plünderung preisgegeben ward. Die Hauptstadt schwebte, schon durch die bloße Hemmung des Verkehrs, in großer Gefahr; auf Befehl des Senats wurden Mauern und Tore in Verteidigungszustand gesetzt und das Bürgeraufgebot auf das Ianiculum befehligt. Strabos Untätigkeit erregte bei Vornehmen und Geringen gleichmäßig Befremden und Entrüstung. Der Verdacht, daß er mit Cinna insgeheim unterhandle, lag nahe, war indes wahrscheinlich unbegründet; ein ernstliches Gefecht, das er dem Haufen des Sertorius lieferte, und die Unterstützung, die er dem Konsul Octavius gewährte, als Marius durch Einverständnis mit einem der Offiziere der Besatzung in das Ianiculum eingedrungen war, und durch die es in der Tat gelang, die Insurgenten mit starkem Verlust wieder hinauszuschlagen, bewiesen es, daß er nichts weniger beabsichtigte, als sich den Insurgentenführern anzuschließen oder vielmehr unterzuordnen. Vielmehr scheint seine Absicht gewesen zu sein, der geängsteten hauptstädtischen Regierung und Bürgerschaft seinen Beistand gegen die Insurrektion um den Preis des Konsulats für das nächste Jahr zu verkaufen und damit das Heft des Regiments selber in die Hände zu bekommen. Der Senat war indes nicht geneigt, um dem einen Usurpator zu entgehen, sich dem andern in die Arme zu werfen, und suchte sich anderweitig zu helfen. Den sämtlichen, an dem Aufstand der Bundesgenossen beteiligten italischen Gemeinden, die die Waffen niedergelegt und infolgedessen ihr altes Bündnis eingebüßt hatten, wurde durch Senatsbeschluß nachträglich das Bürgerrecht verliehen 2. Es schien gleichsam offiziell konstatiert werden zu sollen, daß Rom in dem Krieg gegen die Italiker seine Existenz nicht um eines großen Zweckes, sondern um der eigenen Eitelkeit willen eingesetzt hatte: in der ersten augenblicklichen Verlegenheit wurde, um ein paar tausend Soldaten mehr auf die Beine zu bringen, alles aufgeopfert, was in dem Bundesgenossenkrieg um so fürchterlich teuren Preis errungen worden war. In der Tat kamen auch Truppen aus den Gemeinden, denen diese Nachgiebigkeit zugute kam; aber statt der versprochenen vielen Legionen betrug ihr Zuzug im ganzen nicht mehr als höchstens zehntausend Mann. Wichtiger noch wäre es gewesen, mit den Samniten und Nolanern zu einem Abkommen zu gelangen, um die Truppen des durchaus zuverlässigen Metellus zum Schutze der Hauptstadt verwenden zu können. Allein die Samniten stellten Forderungen, die an das Caudinische Joch erinnerten: Rückgabe des den Samniten abgenommenen Beuteguts und ihrer Gefangenen und Überläufer; Verzicht auf die samnitischerseits den Römern entrissene Beute; Bewilligung des Bürgerrechts an die Samniten selbst sowie an die zu ihnen übergetretenen Römer. Der Senat verwarf selbst in dieser Not so entehrende Friedensbedingungen, wies aber den noch den Metellus an, mit Zurücklassung einer kleinen Abteilung alle im südlichen Italien irgend entbehrlichen Truppen schleunigst selber nach Rom zu führen. Er gehorchte; aber die Folge war, daß die Samniten den gegen sie zurückgelassenen Legaten des Metellus Plautius mit seinem schwachen Haufen angriffen und schlugen, daß die nolanische Besatzung ausrückte und die benachbarte, mit Rom verbündete Stadt Abella in Brand steckte; daß ferner Cinna und Marius den Samniten alles bewilligten, was sie begehrten - was lag ihnen an römischer Ehre! -und samnitischer Zuzug die Reihen der Insurgenten verstärkte. Ein empfindlicher Verlust war es auch, daß nach einem für die Regierungstruppen unglücklichen Gefecht Ariminum von den Insurgenten besetzt und dadurch die wichtige Verbindung zwischen Rom und dem Potal, von wo Mannschaft und Zufuhren erwartet wurden, unterbrochen ward. Mangel und Hunger stellten sich ein. Die große volkreiche, stark mit Truppen besetzte Stadt war nur ungenügend mit Vorräten versehen; und namentlich Marius ließ es sich angelegen sein, ihr die Zufuhr mehr und mehr abzuschneiden. Schon früher hatte er den Tiber durch eine Schiffbrücke gesperrt; jetzt brachte er durch die Eroberung von Antium, Lanuvium, Aricia und anderen Ortschaften die noch offenen Landverbindungswege in seine Gewalt und kühlte zugleich vorläufig seine Rache, indem er, wo immer Gegenwehr geleistet worden war, die gesamte Bürgerschaft mit Ausnahme derer, die etwa die Stadt ihm verraten hatten, über die Klinge springen ließ. Ansteckende Krankheiten waren die Folge der Not und räumten in den dicht um die Hauptstadt zusammengedrängten Heermassen fürchterlich auf von Strabos Veteranenheer sollen 11000, von den Truppen des Octavius 6000 Mann denselben erlegen sein. Dennoch verzweifelte die Regierung nicht; und ein glückliches Ereignis für sie war Strabos plötzlicher Tod. Er starb an der Pest 3; die aus vielen Gründen gegen ihn erbitterten Massen rissen seinen Leichnam von der Bahre und schleiften ihn durch die Straßen. Was von seinen Truppen übrig war, vereinigte der Konsul Octavius mit seiner Armee. Nach Metellus’ Eintreffen und Strabos Abscheiden war die Regierungsarmee wieder ihren Gegnern wenigstens gewachsen und konnte am Albaner Gebirge gegen die Insurgenten zum Kampfe sich stellen. Allein die Gemüter der Regierungssoldaten waren tief erschüttert; als Cinna ihnen gegenüber erschien, empfingen sie ihn mit Zuruf, als wäre er noch ihr Feldherr und Konsul; Metellus fand es geraten, es nicht auf die Schlacht ankommen zu lassen, sondern die Truppen in das Lager zurückzuführen. Die Optimaten selbst wurden unsicher und unter sich uneins. Während eine Partei, an ihrer Spitze der ehrenwerte, aber störrige und kurzsichtige Konsul Octavius, sich beharrlich gegen jede Nachgiebigkeit setzte, versuchte der kriegskundigere und verständigere Metellus einen Vergleich zustande zu bringen; aber seine Zusammenkunft mit Cinna erregte den Zorn der Ultras beider Parteien: Cinna hieß dem Marius ein Schwächling, Metellus dem Octavius ein Verräter. Die Soldaten, ohnehin verstört und nicht ohne Ursache der Führung des unerprobten Octavius mißtrauend, sannen Metellus an, den Oberbefehl zu übernehmen, und begannen, da dieser sich weigerte, haufenweise die Waffen wegzuwerfen oder gar zum Feind zu desertieren. Die Stimmung der Bürgerschaft wurde täglich gedrückter und schwieriger. Auf den Ruf der Herolde Cinnas, daß den überlaufenden Sklaven die Freiheit zugesichert sei, strömten dieselben scharenweise aus der Hauptstadt in das feindliche Lager. Dem Vorschlage aber, daß der Senat den Sklaven, die in das Heer eintreten würden, die Freiheit zusichern solle, widersetzte Octavius sich entschieden. Die Regierung konnte es sich nicht verbergen, daß sie geschlagen war und daß nichts übrig blieb, als mit den Führern der Bande womöglich ein Abkommen zu treffen, wie der überwältigte Wanderer es trifft mit dem Räuberhauptmann. Boten gingen an Cinna; allein da sie törichterweise Schwierigkeiten machten, ihn als Konsul anzuerkennen und Cinna während dieser Weiterungen sein Lager hart vor die Stadttore verlegte, so griff das Überlaufen so sehr um sich, daß es nicht mehr möglich war, irgendwelche Bedingungen festzusetzen, sondern der Senat sich einfach dem in die Acht erklärten Konsul unterwarf, indem er nur die Bitte hinzufügte, des Blutvergießens sich zu enthalten. Cinna sagte es zu, aber weigerte sich, sein Versprechen eidlich zu bekräftigen; Marius, ihm zur Seite den Verhandlungen beiwohnend, verharrte in finsterem Schweigen.

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^1 Die ganze folgende Darstellung beruht wesentlich auf dem neu aufgefundenen Bericht des Licinianus, der eine Anzahl früher unbekannter Tatsachen mitteilt und vor allem die Folge und Verknüpfung dieser Vorgänge deutlicher, als bisher möglich war, erkennen läßt.

2 3, 258. Daß eine Bestätigung durch die Komitien nicht stattfand, geht aus Cic. Phil. 12, 11, 27 hervor. Der Senat scheint sich der Form bedient zu haben, die Frist des Plautisch-Papirischen Gesetzes einfach zu verlängern, was ihm nach Herkommen freistand und tatsächlich hinauslief auf Erteilung des Bürgerrechts an alle Italiker.

3 Adflatus sidere wie Livius (nach Obsequens 56) sagt, heißt “von der Pest ergriffen” (Petr. 2; Plin. nat. 2, 41, 108; Liv. 8, 9, 12), nicht “vom Blitz getroffen”, wie die Späteren es mißverstanden haben.

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Die Tore der Hauptstadt öffneten sich. Der Konsul zog ein mit seinen Legionen; aber Marius, spöttisch erinnernd an das Achtgesetz, weigerte sich, die Stadt zu betreten, bevor das Gesetz es ihm gestatte, und eilig versammelten sich die Bürger auf dem Markt, um den kassierenden Beschluß zu fassen. So kam er denn und mit ihm die Schreckensherrschaft. Es war beschlossen, nicht einzelne Opfer auszuwählen, sondern die namhaften Männer der Optimatenpartei sämtlich niedermachen zu lassen und ihre Güter einzuziehen. Die Tore wurden gesperrt; fünf Tage und fünf Nächte währte unausgesetzt die Schlächterei; einzelne Entkommene oder Vergessene wurden auch nachher noch täglich erschlagen und monatelang ging die Blutjagd durch ganz Italien. Der Konsul Gnaeus Octavius war das erste Opfer. Seinem oft ausgesprochenen Grundsatz getreu, lieber den Tod zu leiden als den rechtlosen Leuten das geringste Zugeständnis zu machen, weigerte er auch jetzt sich zu fliehen, und im konsularischen Schmuck harrte er auf dem Ianiculum des Mörders, der nicht lange säumte. Es starben Lucius Caesar (Konsul 644 90), der gefeierte Sieger von Acerrae; sein Bruder Gaius, dessen unzeitiger Ehrgeiz den Sulpicischen Tumult heraufbeschworen hatte, bekannt als Redner und Dichter und als liebenswürdiger Gesellschafter; Marcus Antonius (Konsul 665 99), nach dem Tode des Lucius Crassus unbestritten der erste Sachwalter seiner Zeit; Publius Crassus (Konsul 657 97), der im Spanischen und im Bundesgenossenkrieg und noch während der Belagerung Roms mit Auszeichnung kommandiert hatte: überhaupt eine Menge der angesehensten Männer der Regierungspartei, unter denen von den gierigen Häschern namentlich die reichen mit besonderem Eifer verfolgt wurden. Jammervoll vor allen schien der Tod des Lucius Merula, der sehr wider seinen Wunsch Cinnas Nachfolger geworden war und nun deswegen peinlich angeklagt und vor die Komitien geladen, um der unvermeidlichen Verurteilung zuvorzukommen, sich die Adern öffnete und am Altar des Höchsten Jupiter, dessen Priester er war, nach Ablegung der priesterlichen Kopfbinde, wie es die religiöse Pflicht des sterbenden Flamen mit sich brachte, den Geist aushauchte; und mehr noch der Tod des Quintus Catulus (Konsul 652 102), einst in besseren Tagen in dem herrlichsten Sieg und Triumph der Gefährte desselben Marius, der jetzt für die flehenden Verwandten seines alten Kollegen keine andere Antwort hatte als den einsilbigen Bescheid: “Er muß sterben!” Der Urheber all dieser Untaten war Gaius Marius. Er bezeichnete die Opfer und die Henker - nur ausnahmsweise ward, wie gegen Merula und Catulus, eine Rechtsform beobachtet; nicht selten war ein Blick oder das Stillschweigen, womit er die Begrüßenden empfing, das Todesurteil, das stets sofort vollstreckt ward. Selbst mit dem Tode des Opfers ruhte seine Rache nicht; er verbot, die Leichen zu bestatten; er ließ - worin freilich Sulla ihm vorangegangen war - die Köpfe der getöteten Senatoren an die Rednerbühne auf dem Marktplatz heften; einzelne Leichen ließ er über den Markt schleifen, die des Gaius Caesar an der Grabstätte des vermutlich einst von Caesar angeklagten Quintus Varius noch einmal durchbohren; er umarmte öffentlich den Menschen, der ihm, während er bei Tafel saß, den Kopf des Antonius überreichte, den selber in seinem Versteck aufzusuchen und mit eigener Hand umzubringen er kaum hatte abgehalten werden können. Hauptsächlich seine Sklavenlegionen, namentlich eine Abteilung Ardyäer, dienten ihm als Schergen und versäumten nicht, in diesen Saturnalien ihrer neuen Freiheit die Häuser ihrer ehemaligen Herren zu plündern und was ihnen darin vorkam, zu schänden und zu morden. Seine eigenen Genossen waren in Verzweiflung über dieses wahnsinnige Wüten; Sertorius beschwor den Konsul, demselben um jeden Preis Einhalt zu tun, und auch Cinna war erschrocken. Aber in Zeiten, wie diese waren, wird der Wahnsinn selbst eine Macht; man stürzt sich in den Abgrund, um vor dem Schwindel sich zu retten. Es war nicht leicht, dem rasenden alten Mann und seiner Bande in den Arm zu fallen, und am wenigsten Cinna hatte den Mut dazu; er wählte den Marius vielmehr für das nächste Jahr zu seinem Kollegen im Konsulat. Das Schreckensregiment terrorisierte die gemäßigteren Sieger nicht viel weniger als die geschlagene Partei; nur die Kapitalisten waren nicht unzufrieden damit, daß eine fremde Hand sich dazu herlieh, die stolzen Oligarchen einmal gründlich zu demütigen, und zugleich infolge der umfassenden Konfiskationen und Versteigerungen der beste Teil der Beute an sie kam - sie erwarben in diesen Schreckenszeiten bei dem Volke sich den Beinamen der “Einsäckler”.

Dem Urheber dieses Terrorismus, dem alten Gaius Marius, hatte also das Verhängnis seine beiden höchsten Wünsche gewährt. Er hatte Rache genommen an der ganzen vornehmen Meute, die ihm seine Siege vergällt, seine Niederlagen vergiftet hatte; er hatte jeden Nadelstich mit einem Dolchstich vergelten können. Er trat ferner das neue Jahr noch einmal an als Konsul; das Traumbild des siebenten Konsulates, das der Orakelspruch ihm zugesichert, nach dem er seit dreizehn Jahren gegriffen hatte, war nun wirklich geworden. Was er wünschte, hatten die Götter ihm gewährt; aber auch jetzt noch, wie in der alten Sagenzeit, übten sie die verhängnisvolle Ironie, den Menschen zu verderben durch die Erfüllung seiner Wünsche. In seinen ersten Konsulaten der Stolz, im sechsten das Gespött seiner Mitbürger, stand er jetzt im siebenten belastet mit dem Fluche aller Parteien, mit dem Haß der ganzen Nation; er, der von Haus aus rechtliche, tüchtige, kernbrave Mann, gebrandmarkt als das wahnwitzige Oberhaupt einer ruchlosen Räuberbande. Er selbst schien es zu fühlen. Wie im Taumel vergingen ihm die Tage, und des Nachts versagte ihm seine Lagerstatt die Ruhe, so daß er zum Becher griff, um nur sich zu betäuben. Ein hitziges Fieber ergriff ihn; nach siebentägigem Krankenlager, in dessen wilden Phantasien er auf den kleinasiatischen Gefilden die Schlachten schlug, deren Lorbeer Sulla bestimmt war, am 13. Januar 668 (86) war er eine Leiche. Er starb, über siebzig Jahr alt, im Vollbesitz dessen, was er Macht und Ehre nannte, und in seinem Bette; aber die Nemesis ist mannigfaltig und sühnt nicht immer Blut mit Blut. Oder war es etwa keine Vergeltung, daß Rom und Italien bei der Nachricht von dem Tode des gefeierten Volkserretters jetzt aufatmeten wie kaum bei der Kunde von der Schlacht auf dem Raudischen Feld?

Auch nach seinem Tode zwar kamen einzelne Auftritte vor, die an die Schreckenszeit erinnerten; so machte zum Beispiel Gaius Fimbria, der wie kein anderer bei den Marianischen Schlächtereien seine Hand in Blut getaucht hatte, bei dem Leichenbegängnis des Marius selbst einen Versuch, den allgemein verehrten und selbst von Marius verschonten Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95) umzubringen und klagte dann, als derselbe von der empfangenen Wunde genas, ihn peinlich an, wegen des Verbrechens, wie er scherzhaft sich ausdrückte, daß er sich nicht habe wollen ermorden lassen. Aber die Orgien des Mordens waren doch vorüber. Unter dem Vorwand der Soldzahlung rief Sertorius die Marianischen Banditen zusammen, umzingelte sie mit seinen zuverlässigen keltischen Truppen und ließ sie, nach den geringsten Angaben 4000 an der Zahl, sämtlich niederhauen.

Mit dem Schreckensregiment zugleich war die Tyrannis gekommen. Cinna stand nicht bloß vier Jahre nacheinander (667-670 87-84) als Konsul an der Spitze des Staats, sondern er ernannte auch regelmäßig sich und seine Kollegen, ohne das Volk zu befragen; es war, als ob diese Demokraten die souveräne Volksversammlung mit absichtlicher Geringschätzung beiseite schöben. Kein anderes Haupt der Popularpartei vor- oder nachher hat eine so vollkommen absolute Gewalt in Italien wie in dem größten Teil der Provinzen so lange Zeit hindurch fast ungestört besessen wie Cinna; aber es ist auch keiner zu nennen, dessen Regiment so vollkommen nichtig und ziellos gewesen wäre. Man nahm natürlich das von Sulpicius und später von Cinna selbst beantragte, den Neubürgern und den Freigelassenen gleiches Stimmrecht mit den Altbürgern zusichernde Gesetz wieder auf und ließ dasselbe durch einen Senatsbeschluß förmlich als zu Recht bestehend bestätigen (670 84). Man ernannte Zensoren (668 86), um demgemäß sämtliche Italiker in die fünfunddreißig Bürgerbezirke zu verteilen - eine seltsame Fügung dabei war es, daß infolge des Mangels von fähigen Kandidaten zur Zensur derselbe Philippus, der als Konsul 663 (91) hauptsächlich den Plan des Drusus, den Italikern das Stimmrecht zu verleihen, hatte scheitern machen, jetzt dazu ausersehen ward, sie als Zensor in die Bürgerrollen einzuschreiben. Man stieß natürlich die von Sulla im Jahre 666 (88) begründeten reaktionären Institutionen um. Man tat einiges, um dem Proletariat sich gefällig zu erweisen - so wurden wahrscheinlich die vor einigen Jahren eingeführten Beschränkungen der Getreideverteilung jetzt wiederum beseitigt; so wurde nach dem Vorschlag des Volkstribuns Marcus Iunius Brutus die von Gaius Gracchus beabsichtigte Koloniegründung in Capua im Frühjahr 671 (83) in der Tat ins Werk gesetzt; so veranlaßte Lucius Valerius Flaccus der Jüngere ein Schuldgesetz, das jede Privatforderung auf den vierten Teil ihres Nominalbetrags herabsetzte und drei Viertel zu Gunsten der Schuldner kassierte. Diese Maßregeln aber, die einzigen konstitutiven während des ganzen Cinnanischen Regiments, sind ohne Ausnahme vom Augenblick diktiert; es liegt - und vielleicht ist dies das Entsetzlichste bei dieser ganzen Katastrophe - derselben nicht etwa ein verkehrter, sondern gar kein politischer Plan zu Grunde. Man liebkoste den Pöbel und verletzte ihn zugleich in höchst unnötiger Weise durch zwecklose Mißachtung der verfassungsmäßigen Wahlordnung. Man konnte an der Kapitalistenpartei einen Halt finden und schädigte sie aufs empfindlichste durch das Schuldgesetz. Die eigentliche Stütze des Regiments waren - durchaus ohne dessen Zutun - die Neubürger; man ließ sich ihren Beistand gefallen, aber es geschah nichts, um die seltsame Stellung der Samniten zu regeln, die dem Namen nach jetzt römische Bürger waren, aber offenbar tatsächlich ihre landschaftliche Unabhängigkeit als den eigentlichen Zweck und Preis des Kampfes betrachteten und diese gegen all und jeden zu verteidigen in Waffen blieben. Man schlug die angesehenen Senatoren tot wie tolle Hunde; aber nicht das geringste ward getan, um den Senat im Interesse der Regierung zu reorganisieren oder auch nur dauernd zu terrorisieren, so daß dieselbe auch seiner keineswegs sicher war. So hatte Gaius Gracchus den Sturz der Oligarchie nicht verstanden, daß der neue Herr sich auf seinem selbstgeschaffenen Thron verhalten könne, wie es legitime Nullkönige zu tun belieben. Aber diesen Cinna hatte nicht sein Wollen, sondern der reine Zufall emporgetragen; war es ein Wunder, daß er blieb, wo die Sturmflut der Revolution ihn hingespült hatte, bis eine zweite Sturmflut kam, ihn wiederfortzuschwemmen?

Dieselbe Verbindung der gewaltigsten Machtfülle mit der vollständigsten Impotenz und Inkapazität der Machthaber zeigte die Kriegführung der revolutionären Regierung gegen die Oligarchie, an der denn doch zunächst ihre Existenz hing. In Italien gebot sie unumschränkt. Unter den Altbürgern war ein sehr großer Teil grundsätzlich demokratisch gesinnt; die noch größere Masse der ruhigen Leute mißbilligte zwar die Marianischen Greuel, sahen aber in einer oligarchischen Restauration nichts als die Eröffnung eines zweiten Schreckensregiments der entgegengesetzten Partei. Der Eindruck der Untaten des Jahres 667 (87) auf die Nation insgesamt war verhältnismäßig gering gewesen, da sie vorwiegend doch nur die hauptstädtische Aristokratie betroffen hatten, und ward überdies einigermaßen ausgelöscht durch das darauffolgende dreijährige, leidlich ruhige Regiment. Die gesamte Masse der Neubürger endlich, vielleicht drei Fünftel der Italiker, stand entschieden wo nicht für die gegenwärtige Regierung, doch gegen die Oligarchie.

Gleich Italien hielten zu jener die meisten Provinzen: Sizilien, Sardinien, beide Gallien, beide Spanien. In Africa machte Quintus Metellus, der den Mördern glücklich entkommen war, einen Versuch, diese Provinz für die Optimaten zu halten; zu ihm begab sich aus Spanien Marcus Crassus, der jüngste Sohn des in dem Marianischen Blutbad umgekommenen Publius Crassus, und verstärkte ihn durch einen in Spanien zusammengebrachten Haufen. Allein sie mußten, da sie sich untereinander entzweiten, dem Statthalter der revolutionären Regierung, Gaius Fabius Hadrianus, weichen. Asien war in den Händen Mithradats; somit blieb als einzige Freistatt der verfemten Oligarchie die Provinz Makedonien, soweit sie in Sullas Gewalt war. Dorthin retteten sich Sullas Gemahlin und Kinder, die mit Mühe dem Tode entgangen waren, und nicht wenige entkommene Senatoren, so daß bald in seinem Hauptquartier eine Art von Senat sich bildete. An Dekreten gegen den oligarchischen Prokonsul ließ es die Regierung nicht fehlen. Sulla ward durch die Komitien seines Kommandos und seiner sonstigen Ehren und Würden entsetzt und geächtet, wie das in gleicher Weise auch gegen Metellus, Appius Claudius und andere angesehene Flüchtlinge geschah; sein Haus in Rom wurde geschleift, seine Landgüter verwüstet. Indes damit freilich war die Sache nicht erledigt. Hätte Gaius Marius länger gelebt, so wäre er ohne Zweifel selbst gegen Sulla dorthin marschiert, wohin noch auf seinem Todbette die Fieberbilder ihn führten; welche Maßregeln nach seinem Tode die Regierung ergriff, ward schon erzählt. Lucius Valerius Flaccus der jüngere 4, der nach Marius’ Tode das Konsulat und das Kommando im Osten übernahm (668 86), war weder Soldat noch Offizier, sein Begleiter Gaius Fimbria nicht unfähig, aber unbotmäßig, das ihnen mitgegebene Heer schon der Zahl nach dreifach schwächer als die Sullanische Armee. Man vernahm nacheinander, daß Flaccus, um nicht von Sulla erdrückt zu werden, an ihm vorüber nach Asien abgezogen sei (668 86), daß Fimbria ihn beseitigt und sich selbst an seine Stelle gesetzt habe (Anfang 669 85), daß Sulla Frieden geschlossen habe mit Mithradates (669/70 85/84). Bis dahin hatte Sulla den in der Hauptstadt regierenden Behörden gegenüber geschwiegen; jetzt lief ein Schreiben von ihm an den Senat ein, worin er die Beendigung des Krieges berichtete und seine Rückkehr nach Italien ankündigte; die den Neubürgern erteilten Rechte werde er achten; Strafexekutionen seien zwar unvermeidlich, allein sie würden nicht die Massen, sondern die Urheber treffen. Diese Ankündigung schreckte Cinna aus seiner Untätigkeit auf; wenn er bisher nichts gegen Sulla getan hatte, als daß einige Mannschaft unter die Waffen gestellt und eine Anzahl Schiffe im Adriatischen Meere versammelt worden war, so beschloß er jetzt, schleunigst nach Griechenland überzugehen. Aber andererseits weckte Sullas Schreiben, das den Umständen nach äußerst gemäßigt zu nennen war, in der Mittelpartei Hoffnungen auf eine friedliche Ausgleichung. Die Majorität des Senats beschloß nach dem Vorschlag des älteren Flaccus, einen Sühneversuch einzuleiten und zu dem Ende Sulla aufzufordern, sich unter Verbürgung sicheren Geleits in Italien einzufinden, die Konsuln Cinna und Carbo aber zu veranlassen, bis zum Eingang von Sullas Antwort die Rüstungen einzustellen. Sulla wies die Vorschläge nicht unbedingt von der Hand; er kam zwar natürlich nicht selbst, aber ließ durch Boten erklären, daß er nichts fordere als Wiedereinsetzung der Verbannten in den vorigen Stand und gerichtliche Bestrafung der begangenen Verbrechen, Sicherheit übrigens nicht geleistet begehre, sondern denen daheim zu bringen gedenke. Seine Abgesandten fanden den Stand der Dinge in Italien wesentlich verändert. Cinna hatte, ohne um jenen Senatsbeschluß sich weiter zu bekümmern, sofort nach aufgehobener Sitzung sich zum Heer begeben und die Einschiffung desselben betrieben. Die Aufforderung, in der bösen Jahreszeit sich dem Meer anzuvertrauen, rief unter den schon schwierigen Truppen im Hauptquartier zu Ancona eine Meuterei hervor, deren Opfer Cinna ward (Anfang 670 84), worauf sein Kollege Carbo sich genötigt sah, die schon übergegangenen Abteilungen zurückzuführen und, auf das Aufnehmen des Krieges in Griechenland verzichtend, Winterquartiere in Ariminum zu beziehen. Sullas Anträge aber fanden darum keine bessere Aufnahme: der Senat wies seine Vorschläge zurück, ohne auch nur die Boten nach Rom zu lassen, und befahl ihm kurzweg, die Waffen niederzulegen. Es war nicht zunächst die Koterie der Marianer, welche dies entschiedene Auftreten bewirkte. Eben jetzt, wo es galt, mußte diese Faktion die bisher usurpierte Besetzung des höchsten Amtes abgeben und für das entscheidende Jahr 671 (83) wieder Konsulwahlen veranstalten. Die Stimmen vereinigten hierbei sich nicht auf den bisherigen Konsul Carbo noch auf einen der fähigen Offiziere der bis dahin regierenden Clique, wie Quintus Sertorius oder Gaius Marius den Sohn, sondern auf Lucius Scipio und Gaius Norbanus, zwei Inkapazitäten, von denen keiner zu schlagen, Scipio nicht einmal zu sprechen verstand, und von denen jener nur als der Urenkel des Antiochossiegers, dieser als politischer Gegner der Oligarchie sich der Menge empfahlen. Die Marianer wurden nicht so sehr ihrer Untaten wegen verabscheut als ihrer Nichtigkeit wegen verachtet; aber wenn die Nation nichts von diesen, so wollte sie in ihrer großen Majorität noch viel weniger von Sulla und einer oligarchischen Restauration etwas wissen. Man dachte ernstlich an Abwehr. Während Sulla nach Asien überging, das Heer des Fimbria zum Übertritt bestimmte und dessen Führer durch seine eigene Hand fiel, benutzte die Regierung in Italien die durch diese Schritte Sullas ihr gegönnte weitere Jahresfrist zu energischen Rüstungen: es sollen bei Sullas Landung 100000, später sogar die doppelte Anzahl von Bewaffneten gegen ihn gestanden haben.

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4 Lucius Valerius Flaccus, den die Fasten als Konsul 668 (86) nennen, ist nicht der Konsul des Jahres 654 (100), sondern ein gleichnamiger jüngerer Mann, vielleicht des vorigen Sohn. Einmal ist das Gesetz, das die Wiederwahl zum Konsulat untersagte, von ca. 603 (151) bis 673 (81) rechtlich in Kraft geblieben, und es ist nicht wahrscheinlich, daß dasselbe, war für Scipio Aemilianus und Marius, auch für Flaccus geschah. Zweitens wird nirgends, wo der eine oder der andere Flaccus genannt wird, eines doppelten Konsulats gedacht, auch nicht, wo es notwendig war wie Cic. Flacc. 32, 77. Drittens kann der Lucius Valerius Flaccus, der im Jahre 669 (85) als Vormann des Senats, also als Konsulat in Rom tätig war (Liv. 83), nicht der Konsul des Jahres 668 (86) sein, da dieser damals bereits nach Asien abgegangen und wahrscheinlich schon tot war. Der Konsul 654 (100), Zensor 657 (97), ist derjenige, den Cicero (Att. 8, 3, 6) unter den 667 (87) in Rom anwesenden Konsulaten nennt; er war 669 (85) unzweifelhaft der älteste lebende Altzensor und also geeignet zum Vormann des Senats; er ist auch der Zwischenkönig und der Reiterführer von 672 (82). Dagegen ist der Konsul 668 (86), der in Nikomedeia umkam, der Vater des von Cicero verteidigten Lucius Flaccus (Flacc. 25, 61; vgl. 23, 55; 32, 77).

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Gegen diese italische Macht hatte Sulla nichts in die Waagschale zu legen als seine fünf Legionen, die, auch mit Einrechnung einiger in Makedonien und im Peloponnes aufgebotener Zuzüge, kaum auf 40000 Mann sich belaufen mochten. Allerdings hatte dies Heer in siebenjährigen Kämpfen in Italien, Griechenland und Asien des Politisierens sich entwöhnt und hing seinem Feldherrn, der den Soldaten alles, Schwelgerei, Bestialität, sogar Meuterei gegen die Offiziere, nachsah, nichts verlangte als Tapferkeit und Treue gegen den Feldherrn und für den Sieg die verschwenderischsten Belohnungen in Aussicht stellte, mit allem jenem soldatischen Enthusiasmus an, der um so gewaltiger ist, als dabei die edelsten und die gemeinsten Leidenschaften oft in derselben Brust sich begegnen. Freiwillig schworen nach römischer Sitte die Sullanischen Soldaten sich einander es zu, fest zusammenzuhalten, und freiwillig brachte ein jeder dem Feldherrn seinen Sparpfennig als Beisteuer zu den Kriegskosten. Allein so ansehnlich diese geschlossene Kernschar gegen die feindlichen Massen ins Gewicht fiel, so erkannte doch Sulla sehr wohl, daß Italien nicht mit fünf Legionen bezwungen werden konnte, wenn es im entschlossenen Widerstande einig zusammenhielt. Mit der Popularpartei und ihren unfähigen Autokraten fertig zu werden, wäre nicht schwierig gewesen; aber er sah sich gegenüber und mit dieser vereinigt die ganze Masse derer, die keine oligarchische Schreckensrestauration wollten, und vor allen Dingen die gesamte Neubürgerschaft, sowohl diejenigen, die durch das Julische Gesetz von der Teilnahme an der Insurrektion sich hatten abhalten lassen, als diejenigen, deren Schilderhebung vor wenigen Jahren Rom an den Rand des Verderbens geführt hatte. Sulla übersah vollkommen die Lage der Verhältnisse und war weit entfernt von der blinden Erbitterung und der eigensinnigen Starrheit, die die Majorität seiner Partei charakterisierten. Während das Staatsgebäude in vollen Flammen stand, während man seine Freunde ermordete, seine Häuser zerstörte, seine Familie ins Elend trieb, war er unbeirrt auf seinem Posten verblieben, bis der Landesfeind überwältigt und die römische Grenze gesichert war. In demselben Sinne patriotischer und einsichtiger Mäßigung behandelte er auch jetzt die italischen Verhältnisse und tat, was er irgend tun konnte, um die Gemäßigten und die Neubürger zu beruhigen und um zu verhindern, daß nicht unter dem Namen des Bürgerkrieges der weit gefährlichere Krieg zwischen den Altrömern und den italischen Bundesgenossen abermals emporlodere. Schon das erste Schreiben, das Sulla an den Senat richtete, hatte nichts als Recht und Gerechtigkeit gefordert und eine Schreckensherrschaft ausdrücklich zurückgewiesen; im Einklang damit stellte er nun allen denen, die noch jetzt von der revolutionären Regierung sich lossagen würden, unbedingte Begnadigung in Aussicht und veranlaßte seine Soldaten, Mann für Mann, zu schwören, daß sie den Italikern durchaus als Freunden und Mitbürgern begegnen würden. Die bündigsten Erklärungen sicherten den Neubürgern die von ihnen erworbenen politischen Rechte; so daß Carbo deshalb von jeder italischen Stadtgemeinde sich Geiseln wollte stellen lassen, was indes an der allgemeinen Indignation und an dem Widerspruch des Senats scheiterte. Die Hauptschwierigkeit der Lage Sullas bestand in der Tat darin, daß bei der eingerissenen Wort- und Treulosigkeit die Neubürger allen Grund hatten, wenn nicht an seinen persönlichen Absichten, doch daran zu zweifeln, ob er es vermögen werde, seine Partei zum Worthalten nach dem Siege zu bestimmen.

Im Frühling 671 (83) landete Sulla mit seinen Legionen in dem Hafen von Brundisium. Der Senat erklärte auf die Nachricht davon das Vaterland in Gefahr und übertrug den Konsuln unbeschränkte Vollmacht; aber diese unfähigen Leiter hatten sich nicht vorgesehen und waren durch die seit Jahren in Aussicht stehende Landung dennoch überrascht. Das Heer befand sich noch in Ariminum, die Häfen waren unbesetzt und überhaupt unglaublicherweise in dem ganzen südöstlichen Litoral kein Mann unter den Waffen. Die Folgen zeigten sich bald. Gleich Brundisium selbst, eine ansehnliche Neubürgergemeinde, öffnete ohne Widerstand dem oligarchischen General die Tore und dem gegebenen Beispiel folgte ganz Messapien und Apulien. Die Armee marschierte durch diese Gegenden wie durch Freundesland und hielt, ihres Eides eingedenk, durchgängig die strengste Mannszucht. Von allen Seiten strömten die versprengten Reste der Optimatenpartei in das Lager Sullas. Aus den Bergschluchten Liguriens, wohin er von Afrika sich gerettet hatte, kam Quintus Metellus und übernahm wieder, als Kollege Sullas, das im Jahr 667 (87) ihm übertragene und von der Revolution ihm aberkannte prokonsularische Kommando; ebenso erschien von Afrika her mit einer kleinen Schar Bewaffneter Marcus Crassus. Die meisten Optimaten freilich kamen als vornehme Emigranten mit großen Ansprüchen und geringer Kampflust, so daß sie von Sulla selbst bittere Worte zu hören bekamen über die adligen Herren, die zum Heil des Staates sich wollten retten lassen und nicht einmal dazu zu bringen seien, ihre Sklaven zu bewaffnen. Wichtiger war es, daß schon Überläufer aus dem demokratischen Lager sich einstellten - so der feine und angesehene Lucius Philippus, nebst ein paar notorisch unfähigen Leuten der einzige Konsular, der mit der revolutionären Regierung sich eingelassen und unter ihr Ämter angenommen hatte; er fand bei Sulla die zuvorkommendste Aufnahme und erhielt den ehrenvollen und bequemen Auftrag, die Provinz Sardinien für ihn zu besetzen. Ebenso wurden Quintus Lucretius Ofelia und andere brauchbare Offiziere empfangen und sofort beschäftigt; selbst Publius Cethegus, einer der nach der Sulpicischen Erneute von Sulla geächteten Senatoren, erhielt Verzeihung und eine Stellung im Heer. Wichtiger noch als die einzelnen Übertritte war der der Landschaft Picenum, der wesentlich dem Sohne des Strabo, dem jungen Gnaeus Pompeius, verdankt ward. Dieser, gleich seinem Vater von Haus aus kein Anhänger der Oligarchie, hatte die revolutionäre Regierung anerkannt und sogar in Cinnas Heer Dienste genommen; allein es ward ihm nicht vergessen, daß sein Vater die Waffen gegen die Revolution getragen hatte; er sah sich vielfach angefeindet, ja sogar durch Anklage auf Herausgabe der nach der Einnahme von Asculum von seinem Vater wirklich oder angeblich unterschlagenen Beute mit dem Verlust seines sehr beträchtlichen Vermögens bedroht. Zwar wendete mehr als die Beredsamkeit des Konsulars Lucius Philippus und des jungen Quintus Hortensius der Schutz des ihm persönlich gewogenen Konsuls Carbo den ökonomischen Ruin von ihm ab; aber die Verstimmung blieb. Auf die Nachricht von Sullas Landung ging er nach Picenum, wo er ausgedehnte Besitzungen und von seinem Vater und dem Bundesgenossenkriege her die besten munizipalen Verbindungen hatte und pflanzte in Auximum (Osimo) die Fahne der optimatischen Partei auf. Die meistens von Altbürgern bewohnte Landschaft fiel ihm zu; die junge Mannschaft, welche großenteils mit ihm unter seinem Vater gedient hatte, stellte sich bereitwillig unter den beherzten Führer, der, noch nicht dreiundzwanzigjährig, ebensosehr Soldat wie General war, im Reitergefecht den Seinen voraussprengte und tüchtig mit in den Feind einhieb. Das picenische Freiwilligenkorps wuchs bald auf drei Legionen; den aus der Hauptstadt zur Dämpfung der picenischen Insurrektion ausgesandten Abteilungen unter Cloelius, Gaius Carrinas, Lucius Iunius Brutus Damasippus 5 wußte der improvisierte Feldherr, die unter denselben entstandenen Zwistigkeiten geschickt benutzend, sich zu entziehen oder sie einzeln zu schlagen und mit dem Hauptheer Sullas, wie es scheint in Apulien, die Verbindung herzustellen. Sulla begrüßte ihn als Imperator, das heißt als einen im eigenen Namen kommandierenden und nicht unter, sondern nehmen ihm stehenden Offizier und zeichnete den Jüngling durch Ehrenbezeigungen aus, wie er sie keinem seiner vornehmen Klienten erwies - vermutlich nicht ohne die Nebenabsicht, der charakterlosen Schwäche seiner eigenen Parteigenossen damit eine indirekte Züchtigung zukommen zu lassen.

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5 Nur an diesen kann hier gedacht werden, da Marcus Brutus, der Vater des sogenannten Befreiers, im Jahr 671 (83) Volkstribun war, also nicht im Felde kommandieren konnte.

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Also moralisch und materiell ansehnlich verstärkt gelangten Sulla und Metellus nach Apulien durch die immer noch insurgierten samnitischen Gegenden nach Kampanien. Hierhin wandte sich auch die feindliche Hauptmacht, und es schien die Entscheidung hier fallen zu müssen. Das Heer des Konsuls Gaius Norbanus stand bereits bei Capua, wo eben die neue Kolonie mit allem demokratischen Pomp sich konstituierte; die zweite Konsulararmee rückte ebenfalls auf der Appischen Straße heran. Aber bevor sie eintraf, stand Sulla schon dem Norbanus gegenüber. Ein letzter Vermittlungsversuch, den Sulla machte, führte nur dazu, daß man an seinen Boten sich vergriff. In frischer Erbitterung warfen seine kampfgewohnten Scharen sich auf den Feind; ihr gewaltiger Stoß vom Berge Tifata herab zersprengte den in der Ebene aufgestellten Feind im ersten Anlauf; mit dem Rest seiner Mannschaft warf sich Norbanus in die revolutionäre Kolonie Capua und die Neubürgerstadt Neapolis und ließ dort sich blockieren. Sullas Truppen, bisher nicht ohne Besorgnis ihre schwache Zahl mit den feindlichen Massen vergleichend, hatten durch diesen Sieg das Vollgefühl militärischer Überlegenheit gewonnen; statt mit der Belagerung der Trümmer der geschlagenen Armee sich aufzuhalten, ließ Sulla die Städte umstellen, wo sie sich befanden, und rückte auf der Appischen Straße vor gegen Teanum, wo Scipio stand. Auch ihm bot er, ehe der Kampf begann, noch einmal die Hand zum Frieden; es scheint in gutem Ernste. Scipio, schwach wie er war, ging darauf ein; ein Waffenstillstand ward geschlossen; zwischen Cales und Teanum kamen die beiden Feldherren, beide Glieder des gleichen Adelsgeschlechts, beide gebildet und feingesittet und langjährige Kollegen im Senat, persönlich zusammen; man ließ sich auf die einzelnen Fragen ein; schon war man so weit, daß Scipio einen Boten nach Capua absandte, um die Meinung seines Kollegen einzuholen. Inzwischen mischten sich die Soldaten beider Lager; die Sullaner, von ihrem Feldherrn reichlich mit Geld versehen, machten es den nicht allzu kriegslustigen Rekruten beim Becher leicht begreiflich, daß es besser sei, sie zu Kameraden als zu Feinden zu haben; vergeblich warnte Sertorius den Feldherrn, diesem gefährlichen Verkehr ein Ende zu machen. Die Verständigung, die so nahe geschienen, trat doch nicht ein; Scipio war es, welcher den Waffenstillstand kündigte. Aber Sulla behauptete, daß es zu spät und der Vertrag bereits abgeschlossen gewesen sei; und unter dem Vorwand, daß ihr Feldherr den Waffenstillstand widerrechtlich aufgesagt, gingen Scipios Soldaten in Masse über in die feindlichen Reihen. Die Szene schloß mit einer allgemeinen Umarmung, der die kommandierenden Offiziere der Revolutionsarmee zuzusehen hatten. Sulla ließ den Konsul auffordern, sein Amt niederzulegen, was er tat, und ihn nebst seinem Stab durch seine Reiter dahin eskortieren, wohin sie begehrten; allein kaum in Freiheit gesetzt, legte Scipio die Abzeichen seiner Würde wieder an und begann aufs neue, Truppen zusammenzuziehen, ohne indes weiter etwas von Belang auszurichten. Sulla und Metellus nahmen Winterquartiere in Kampanien und hielten, nachdem ein zweiter Versuch, mit Norbanus sich zu verständigen, gescheitert war, Capua den Winter über blockiert.

Die Ergebnisse des ersten Feldzugs waren für Sulla die Unterwerfung von Apulien, Picenum und Kampanien, die Auflösung der einen, die Besiegung und Blockierung der anderen konsularischen Armee. Schon traten die italischen Gemeinden, genötigt, zwischen ihren zwiefachen Drängern jede für sich Partei zu ergreifen, zahlreich mit ihm in Unterhandlung und ließen sich die von der Gegenpartei erworbenen politischen Rechte durch förmliche Separatverträge von dem Feldherrn der Oligarchie garantieren; Sulla hegte die bestimmte Erwartung und trug sie absichtlich zur Schau, die revolutionäre Regierung in dem nächsten Feldzug niederzuwerfen und wieder in Rom einzuziehen.

Aber auch der Revolution schien die Verzweiflung neue Kräfte zu geben. Das Konsulat übernahmen zwei ihrer entschiedensten Führer, Carbo zum dritten Male und Gaius Marius der Sohn; daß der letztere eben zwanzigjährige Mann gesetzmäßig das Konsulat nicht bekleiden konnte, achtete man so wenig wie jeden anderen Punkt der Verfassung. Quintus Sertorius, der in dieser und in anderen Angelegenheiten eine unbequeme Kritik machte, wurde angewiesen, um neue Werbungen vorzunehmen, nach Etrurien und von da in seine Provinz, das Diesseitige Spanien, abzugehen. Die Kasse zu füllen, mußte der Senat die Einschmelzung des goldenen und silbernen Tempelgeräts der Hauptstadt verfügen; wie bedeutend der Ertrag war, erhellt daraus, daß nach mehrmonatlicher Kriegführung davon noch über 4 Millionen Taler (14000 Pfund Gold und 6000 Pfund Silber) vorrätig waren. In dem beträchtlichen Teile Italiens, der gezwungen oder freiwillig noch zu der Revolution hielt, wurden die Rüstungen lebhaft betrieben. Aus Etrurien, wo die Neubürgergemeinden sehr zahlreich waren, und dem Pogebiet kamen ansehnliche neu gebildete Abteilungen. Auf den Ruf des Sohnes stellten die Marianischen Veteranen in großer Anzahl sich bei den Fahnen ein. Aber nirgends ward zum Kampf gegen Sulla so leidenschaftlich gerüstet wie in dem insurgierten Samnium und einzelnen Strichen von Lucanien. Es war nichts weniger als Ergebenheit gegen die revolutionäre römische Regierung, daß zahlreicher Zuzug aus den oskischen Gegenden ihre Heere verstärkte; wohl aber begriff man daselbst, daß eine von Sulla restaurierte Oligarchie sich die jetzt faktisch bestehende Selbständigkeit dieser Landschaften nicht so gefallen lassen werde wie die schlaffe Cinnanische Regierung; und darum erwachte in dem Kampf gegen Sulla noch einmal die uralte Rivalität der Sabeller gegen die Latiner. Für Samnium und Latium war dieser Krieg so gut ein Nationalkampf wie die Kriege des fünften Jahrhunderts; man stritt nicht um ein Mehr oder Minder von politischen Rechten, sondern um den lange verhaltenen Haß durch Vernichtung des Gegners zu sättigen. Es war darum kein Wunder, wenn dieser Teil des Krieges einen ganz anderen Charakter trug als die übrigen Kämpfe, wenn hier keine Verständigung versucht, kein Quartier gegeben oder genommen, die Verfolgung bis aufs äußerste fortgesetzt ward.

So trat man den Feldzug des Jahres 672 (82) beiderseits mit verstärkten Streitkräften und gesteigerter Leidenschaft an. Vor allem die Revolution warf die Scheide weg; auf Carbos Antrag ächteten die römischen Komitien alle in Sullas Lager befindlichen Senatoren. Sulla schwieg; er mochte denken, daß man im voraus sich selber das Urteil spreche.

Die Armee der Optimaten teilte sich. Der Prokonsul Metellus übernahm es, gestützt auf die picenische Insurrektion, nach Oberitalien vorzudringen, während Sulla von Kampanien aus geradeswegs gegen die Hauptstadt marschierte. Jenem warf Carbo sich entgegen; der feindlichen Hauptarmee wollte Marius in Latium begegnen. Auf der Launischen Straße heranrückend, traf Sulla unweit Signia auf den Feind, der vor ihm zurückwich bis nach dem sogenannten “Hafen des Sacer” zwischen Signia und dem Hauptwaffenplatz der Marianen dem festen Praeneste. Hier stellte Marius sich zur Schlacht. Sein Heer war etwa 40000 Mann stark und er an wildem Grimme und persönlicher Tapferkeit seines Vaters rechter Sohn; aber es waren nicht die wohlgeübten Scharen, mit denen dieser seine Schlachten geschlagen hatte, und noch minder durfte der unerfahrene junge Mann mit dem alten Kriegsmeister sich vergleichen. Bald wichen seine Truppen; der Übertritt einer Abteilung noch während des Gefechts beschleunigte die Niederlage. Über die Hälfte der Marianer waren tot oder gefangen; der Überrest, weder imstande, das Feld zu halten, noch, das andere Ufer des Tiber zu gewinnen, genötigt, in den benachbarten Festungen Schutz zu suchen; die Hauptstadt, die zu verproviantieren man versäumt hatte, unrettbar verloren. Infolgedessen gab Marius dem daselbst befehligten Prätor Lucius Brutus Damasippus den Befehl, sie zu räumen, vorher aber alle bisher noch verschonten angesehenen Männer der Gegenpartei niederzumachen. Der Auftrag, durch den der Sohn die Ächtungen des Vaters noch überbot, ward vollzogen; Damasippus berief unter einem Vorwand den Senat, und die bezeichneten Männer wurden teils in der Sitzung selbst, teils auf der Flucht vor dem Rathaus niedergestoßen. Trotz der vorhergegangenen gründlichen Aufräumung fanden sich doch noch einzelne namhaftere Opfer: so der gewesene Ädil Publius Antistius, der Schwiegervater des Gnaeus Pompeius, und der gewesene Prätor Gaius Carbo, der Sohn des bekannten Freundes und nachherigen Gegners der Gracchen, nach dem Tode so vieler ausgezeichneter Talente die beiden besten Gerichtsredner auf dem verödeten Markt; der Konsular Lucius Domitius und vor allem der ehrwürdige Oberpriester Quintus Scaevola, der dem Dolch des Fimbria nur entgangen war, um jetzt während der letzten Krämpfe der Revolution in der Halle des seiner Obhut anvertrauten Vestatempels zu verbluten. Mit stummem Entsetzen sah die Menge die Leichen dieser letzten Opfer des Terrorismus durch die Straßen schleifen und sie in den Fluß werfen.

Marius’ aufgelöste Haufen warfen sich in die nahen und festen Neubürgerstädte Norba und Praeneste, er selbst mit der Kasse und dem größten Teil der Flüchtlinge in die letztere. Sulla ließ, ebenwie das Jahr zuvor vor Capua, vor Praeneste einen tüchtigen Offizier, den Quintus Ofelia, zurück, mit dem Auftrag, seine Kräfte nicht an die Belagerung der festen Stadt zu vergeuden, sondern sie mit einer weiten Blockadelinie einzuschließen und sie auszuhungern; er selbst rückte von verschiedenen Seiten auf die Hauptstadt zu, welche er wie die ganze Umgegend vom Feinde verlassen fand und ohne Gegenwehr besetzte. Kaum nahm er sich die Zeit, das Volk durch eine Ansprache zu beruhigen und die nötigsten Anordnungen zu treffen; sofort ging er weiter nach Etrurien, um in Verbindung mit Metellus die Gegner auch aus Norditalien zu vertreiben.

Metellus war inzwischen am Fluß Aesis (Esino zwischen Ancona und Sinigaglia), der die picenische Landschaft von der gallischen Provinz schied, auf Carbos Unterfeldherrn Carrinas gestoßen und hatte diesen geschlagen; als Carbo selbst mit seiner überlegenen Armee herbeikam, hatte er das weitere Vordringen aufgeben müssen. Allein auf die Nachricht von der Schlacht am Sacerhafen war Carbo, um seine Kommunikationen besorgt, zurückgegangen bis auf die Flaminische Chaussee, um in deren Knotenpunkt Ariminum sein Hauptquartier zu nehmen und von dort teils die Pässe des Apennin, teils das Potal zu behaupten. Bei dieser rückgängigen Bewegung gerieten nicht bloß verschiedene Abteilungen dem Feinde in die Hände, sondern ward auch von Pompeius Sena gallica erstürmt und Carbos Nachhut in einem glänzenden Reitergefecht zersprengt; indes erreichte Carbo im ganzen seinen Zweck. Der Konsulat Norbanus übernahm im Potal das Kommando; Carbo selbst begab sich nach Etrurien. Aber der Marsch Sullas mit seinen siegreichen Legionen nach Etrurien änderte die Lage der Dinge: bald reichten von Gallien, Umbrien und Rom aus drei Sullanische Heere einander die Hände. Metellus ging mit der Flotte an Ariminum vorbei nach Ravenna und schnitt bei Faventia die Verbindung ab zwischen Ariminum und dem Potal, in das auf der großen Straße nach Placentia er eine Abteilung vorgehen ließ unter Marcus Lucullus, dem Quästor Sullas und dem Bruder seines Flottenführers im Mithradatischen Krieg. Der junge Pompeius und sein Altersgenosse und Nebenbuhler Crassus drangen aus dem Picenischen auf Bergwegen in Umbrien ein und gewannen die Flaminische Straße bei Spoletium, wo sie Carbos Unterfeldherrn Carrinas schlugen und in die Stadt einschlossen; indes gelang es diesem in einer regnerischen Nacht, aus derselben zu entweichen und, wenngleich nicht ohne Verlust, zum Heer des Carbo durchzudringen. Sulla selbst rückte von Rom aus in zwei Heerhaufen in Etrurien ein, von denen der eine an der Küste vorgehend bei Saturnia (zwischen den Flüssen Ombrone und Albegna) das ihm entgegenstehende Korps schlug, der zweite unter Sullas eigener Führung im Clanistal auf die Armee des Carbo traf und ein glückliches Gefecht mit dessen spanischer Reiterei bestand. Aber die Hauptschlacht, die zwischen Carbo und Sulla in der Gegend von Chiusi geschlagen ward, endigte zwar ohne eigentliche Entscheidung, jedoch insofern zu Gunsten Carbos, als Sullas siegreiches Vordringen gehemmt ward. Auch in der Umgegend von Rom schienen die Dinge für die revolutionäre Partei sich günstiger wenden und der Krieg wieder sich hauptsächlich nach dieser Gegend ziehen zu wollen. Denn während die oligarchische Partei alle ihre Kräfte um Etrurien konzentrierte, machte die Demokratie aller Orten die äußerste Anstrengung, um die Blockade von Praeneste zu sprengen. Selbst der Statthalter von Sizilien, Marcus Perpenna, machte sich dazu auf; es scheint indes nicht, daß er nach Praeneste gelangte. Ebensowenig glückte dies dem von Carbo detachierten, sehr ansehnlichen Korps unter Marcius; von den bei Spoletium stehenden feindlichen Truppen überfallen und geschlagen, durch Unordnung, Mangel an Zufuhr und Meuterei demoralisiert, ging ein Teil zu Carbo zurück, ein anderer nach Ariminum, der Rest verlief sich. Ernstliche Hilfe dagegen kam aus Süditalien. Hier brachen die Samniten unter Pontius von Telesia, die Lucaner unter ihrem erprobten Feldherrn Marcus Lamponius auf, ohne daß der Abmarsch ihnen gewehrt worden wäre, zogen im Kampanien, wo Capua noch immer sich hielt, eine Abteilung der Besatzung unter Gutta an sich und rückten also, angeblich 70000 Mann stark, auf Praeneste zu. Sulla selbst kehrte darauf, mit Zurücklassung eines Korps gegen Carbo, nach Latium zurück und nahm in den Engpässen vorwärts Praeneste 6 eine wohlgewählte Stellung, in der er dem Entsatzheer den Weg sperrte. Vergeblich versuchte die Besatzung, Ofelias Linien zu durchbrechen, vergeblich das Entsatzherr Sulla zu vertreiben; beide verharrten unbeweglich in ihren festen Stellungen, selbst nachdem, von Carbo gesendet, Damasippus mit zwei Legionen das Entsatzheer verstärkt hatte. Während aber der Gang des Krieges in Etrurien wie in Latium stockte, kam es im Potal zur Entscheidung. Hier hatte bisher der Feldherr der Demokratie Gaius Norbanus die Oberhand behauptet, den Unterfeldherrn des Metellus, Marcus Lucullus, mit überlegener Macht angegriffen und ihn genötigt, sich in Placentia einzuschließen, endlich sich gegen Metellus selbst gewandt. Bei Faventia traf er auf diesen und griff am späten Nachmittag mit seinen vom Marsch ermüdeten Truppen sofort an; die Folge war eine vollständige Niederlage und die totale Auflösung seines Korps, von dem nur etwa 1000 Mann nach Etrurien zurückkamen. Auf die Nachricht von dieser Schlacht fiel Lucullus aus Placentia aus und schlug die gegen ihn zurückgebliebene Abteilung bei Fidentia (zwischen Piacenza und Parma). Die lucanischen Truppen des Albinovanus traten in Masse über; ihr Führer machte seine anfängliche Zögerung wieder gut, indem er die vornehmsten Offiziere der revolutionären Armee zu einem Bankett bei sich einlud und sie dabei niedermachen ließ; überhaupt schloß, wer irgend nur durfte, jetzt seinen Frieden. Ariminum mit allen Vorräten und Kassen geriet in Metellus’ Gewalt; Norbanus schiffte nach Rhodos sich ein; das ganze Land zwischen Alpen und Apenninen erkannte das Optimatenregiment an. Die bisher dort beschäftigten Truppen konnten sich wenden zum Angriff auf Etrurien, die letzte Landschaft, wo die Gegner noch das Feld behaupteten. Als Carbo im Lager bei Clusium diese Nachrichten erhielt, verlor er die Fassung. Obwohl er eine noch immer ansehnliche Truppenmasse unter seinen Befehlen hatte, entwich er dennoch heimlich aus seinem Hauptquartier und schiffte nach Afrika sich ein. Die im Stich gelassenen Truppen befolgten teils das Beispiel, mit dem der Feldherr ihnen vorangegangen war, und gingen nach Hause, teils wurden sie von Pompeius aufgerieben; die letzten Scharen nahm Carrinas zusammen und führte sie nach Latium zu der Armee von Praeneste. Hier hatte inzwischen nichts sich verändert; und die letzte Entscheidung nahte heran. Carrinas’ Haufen waren nicht zahlreich genug, um Sullas Stellung zu erschüttern; schon näherte sich der Vortrab der bisher in Etrurien beschäftigten Armee der oligarchischen Partei unter Pompeius; in wenigen Tagen zog die Schlinge um das Heer der Demokraten und der Samniten sich zusammen. Da entschlossen sich die Führer desselben, von Praeneste abzulassen und mit gesamter Macht auf das nur einen starken Tagemarsch entfernte Rom sich zu werfen. Militärisch waren sie damit verloren; ihre Rückzugslinie, die Latinische Straße, geriet durch diesen Marsch in Sullas Hand, und wenn sie auch Roms sich bemächtigten, so wurden sie, eingeschlossen in die zur Verteidigung keineswegs geeignete Stadt und eingekeilt zwischen Metellus und Sullas weit überlegene Armeen, darin unfehlbar erdrückt. Aber es handelte sich auch nicht mehr um Rettung, sondern einzig um Rache bei diesem Zug nach Rom, dem letzten Wutausbruch der leidenschaftlichen Revolutionäre und vor allem der verzweifelnden sabellischen Nation. Es war Ernst, was Pontius von Telesia den Seinigen zurief: um der Wölfe, die Italien die Freiheit geraubt hätten, loszuwerden, müsse man den Wald vernichten, in dem sie hausten. Nie hat Rom in einer furchtbareren Gefahr geschwebt als am 1. November 672 (82), als Pontius, Lamponius, Carrinas, Damasippus auf der Latinischen Straße gegen Rom herangezogen, etwa eine Viertelmeile vom Collinischen Tor lagerten. Es drohte ein Tag wie der 20. Juli 365 der Stadt (389) und der 15. Juni 455 n. Chr., die Tage der Kelten und der Vandalen. Die Zeiten waren nicht mehr, wo ein Handstreich gegen Rom ein törichtes Unternehmen war, und an Verbindungen in der Hauptstadt konnte es den Anrückenden nicht fehlen. Die Freiwilligenschar, die aus der Stadt ausrückte, meist vornehme Jünglinge, zerstob wie Spreu vor der ungeheuren Übermacht. Die einzige Hoffnung der Rettung beruhte auf Sulla. Dieser war, auf die Nachricht vom Abmarsch des samnitischen Heeres in der Richtung auf Rom, gleichfalls eiligst aufgebrochen der Hauptstadt zu Hilfe. Den sinkenden Mut der Bürgerschaft belebte im Laufe des Morgens das Erscheinen seiner ersten Reiter unter Balbus; am Mittag erschien er selbst mit der Hauptmacht und ordnete sofort am Tempel der Erykinischen Aphrodite vor dem Collinischen Tor (unweit Porta Pia) die Reihen zur Schlacht. Seine Unterbefehlshaber beschworen ihn, nicht die durch den Gewaltmarsch erschöpften Truppen sofort in den Kampf zu schicken; aber Sulla erwog, was die Nacht über Rom bringen könne, und befahl noch am späten Nachmittag den Angriff. Die Schlacht war hart bestritten und blutig. Der linke Flügel Sullas, den er selbst anführte, wich zurück bis an die Stadtmauer, so daß es notwendig ward, die Stadttore zu schließen; schon brachten Versprengte die Nachricht an Ofelia, daß die Schlacht verloren sei. Allein auf den rechten Flügel warf Marcus Crassus den Feind und verfolgte ihn bis Antemnae, wodurch auch der andere Flügel wider Luft bekam und eine Stunde nach Sonnenuntergang seinerseits ebenfalls zum Vorrücken überging. Die ganze Nacht und noch den folgenden Morgen ward gefochten; erst der Übertritt einer Abteilung von 3000 Mann, die sofort die Waffen gegen die früheren Kameraden wandten, setzte dem Kampf ein Ziel. Rom war gerettet. Die Insurgentenarmee, für die es nirgends einen Rückzug gab, wurde vollständig aufgerieben. Die in der Schlacht gemachten Gefangenen, 3000 bis 4000 an der Zahl, darunter die Generale Damasippus, Carrinas und den schwer verwundeten Pontius, ließ Sulla am dritten Tage nach der Schlacht in das städtische Meierhaus auf dem Marsfeld führen und daselbst bis auf den letzten Mann niederhauen, so daß man in dem nahen Tempel der Bellona, wo Sulla eben eine Senatssitzung abhielt, deutlich das Klirren der Waffen und das Stöhnen der Sterbenden vernahm. Es war eine gräßliche Exekution und sie soll nicht entschuldigt werden; aber es ist nicht gerecht zu verschweigen, daß diese selben Menschen, die dort starben, wie eine Räuberbande über die Hauptstadt und die Bürgerschaft hergefallen waren und sie, wenn sie Zeit gefunden hätten, so weit vernichtet haben würden, als Feuer und Schwert eine Stadt und eine Bürgerschaft zu vernichten vermögen.

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6 Es wird gemeldet, daß Sulla in dem Engpaß stand, durch den Praeneste allein zugänglich war (App. I, 90); und die weiteren Ereignisse zeigen, daß sowohl ihm als dem Entsatzheer die Straße nach Rom offenstand. Ohne Zweifel stand Sulla auf der Querstraße, die von der Latinischen, auf der sie Samniten herankamen, bei Valmontono nach Palestrina abbiegt; in diesem Fall kommunizierte Sulla auf der praenestinischen, die Feinde auf der Launischen oder labicanischen mit der Hauptstadt.

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Damit war der Krieg in der Hauptsache zu Ende. Die Besatzung von Praeneste ergab sich, als die aus den über die Mauer geworfenen Köpfen des Carrinas und anderer Offiziere den Ausgang der Schlacht von Rom erfuhr. Die Führer, der Konsul Gaius Marius und der Sohn des Pontius, stürzten, nachdem ein Versuch zu entkommen ihnen vereitelt war, sich einer in des andern Schwert. Die Menge gab der Hoffnung sich hin und ward durch Cethegus darin bestärkt, daß der Sieger für sie auch jetzt noch Gnade walten lassen werde. Aber deren Zeiten waren vorbei. Je unbedingter Sulla bis zum letzten Augenblick den Übertretenden volle Verzeihung gewährt hatte, desto unerbittlicher erwies er sich gegen die Führer und Gemeinden, die ausgehalten hatten bis zuletzt. Von den praenestinischen Gefangenen, 12000 an der Zahl, wurden zwar außer den Kindern und Frauen die meisten Römer und einzelne Pränestiner entlassen, aber die römischen Senatoren, fast alle Pränestiner und sämtliche Samniten wurden entwaffnet und zusammengehauen, die reiche Stadt geplündert. Es ist begreiflich, daß nach solchem Vorgang die noch nicht übergegangenen Neubürgerstädte den Widerstand in hartnäckigster Weise fortsetzten. So töteten in der latinischen Stadt Norba, als Aemilius Lepidus durch Verrat daselbst eindrang, die Bürger sich untereinander und zündeten selbst ihre Stadt an, um nur ihren Henkern die Rache und die Beute zu entziehen. In Unteritalien war bereits früher Neapolis erstürmt und, wie es scheint, Capua freiwillig aufgegeben worden; Nola aber wurde erst im Jahr 674 (80) von den Samniten geräumt. Auf der Flucht von hier fiel der letzte noch übrige namhafte Führer der Italiker, der Insurgentenkonsul des hoffnungsreichen Jahres 664 (90), Gaius Papius Mutilus, abgewiesen von seiner Gattin, zu der er verkleidet sich durchgeschlichen und bei der er einen Zufluchtsort zu finden gedacht hatte, vor der Tür des eigenen Hauses in Teanum in sein Schwert. Was die Samniten anlangt, so erklärte der Diktator, daß Rom nicht Ruhe haben werde, solange Samnium bestehe, und daß darum der samnitische Name von der Erde vertilgt werden müsse; und wie er diese Worte an den vor Rom und in Praeneste Gefangenen in schrecklicher Weise wahr machte, so scheint er auch noch einen Verheerungszug durch die Landschaft unternommen, Aesernia 7 eingenommen (674? 80) und die bis dahin blühende und bevölkerte Landschaft in die Einöde umgewandelt zu haben, die sie seitdem geblieben ist. Ebenso ward in Umbrien Tuder durch Marcus Crassus erstürmt. Länger wehrten sich in Etrurien Populonium und vor allem das unbezwingliche Volaterrae, das aus den Resten der geschlagenen Partei ein Heer von vier Legionen um sich sammelte und eine zweijährige, zuerst von Sulla persönlich, sodann von dem gewesenen Prätor Gaius Carbo, dem Bruder des demokratischen Konsuls, geleitete Belagerung aushielt, bis endlich im dritten Jahre nach der Schlacht am Collinischen Tor (675 79) die Besatzung gegen freien Abzug kapitulierte. Aber in dieser entsetzlichen Zeit galt weder Kriegsrecht noch Kriegszucht; die Soldaten schrien über Verrat und steinigten ihren allzu nachgiebigen Feldherrn; eine von der römischen Regierung geschickte Reiterschar hieb die gemäß der Kapitulation abziehende Besatzung nieder. Das siegreiche Heer wurde durch Italien verteilt und alle unsicheren Ortschaften mit starken Besatzungen belegt; unter der eisernen Hand der Sullanischen Offiziere verendeten langsam die letzten Zuckungen der revolutionären und nationalen Opposition.

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7 Ein anderer Name kann wohl kaum in der Korruptel Liv. 89 miam in Samnio sich verbergen; vgl. Strab. 5, 3, 10.

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Noch gab es in den Provinzen zu tun. Zwar Sardinien war dem Statthalter der revolutionären Regierung Quintus Antonius rasch durch Lucius Philippus entrissen worden (672 82) und auch das Transalpinische Gallien leistete geringen oder gar keinen Widerstand; aber in Sizilien, Spanien, Africa schien die Sache der in Italien geschlagenen Partei noch keineswegs verloren. Sizilien regierte für sie der zuverlässige Statthalter Marcus Perpenna. Quintus Sertorius hatte im Diesseitigen Spanien die Provinzialen an sich zu fesseln und aus den in Spanien ansässigen Römern eine nicht unansehnliche Armee sich zu bilden gewußt, welche zunächst die Pyrenäenpässe sperrte; er hatte auch hier wieder bewiesen, daß, wo immer man ihn hinstellte, er an seinem Platze und unter all den revolutionären Inkapazitäten er der einzige praktisch brauchbare Mann war. In Africa war der Statthalter Hadrianus zwar, da er das Revolutionieren allzu gründlich betrieb und den Sklaven die Freiheit zu schenken anfing, bei einem durch die römischen Kaufleute von Utica angezettelten Auflauf in seiner Amtswohnung überfallen und mit seinem Gesinde verbrannt worden (672 82); indes hielt die Provinz nichtsdestoweniger zu der revolutionären Regierung, und Cinnas Schwiegersohn, der junge fähige Gnaeus Domitius Ahenobarbus, übernahm daselbst den Oberbefehl. Es war sogar von dort aus die Propaganda in die Klientelstaaten Numidien und Mauretanien getragen worden. Deren legitime Regenten Hiempsal II., des Gauda, und Bogud, des Bocchus Sohn, hielten zwar mit Sulla; aber mit Hilfe der Cinnaner war jener durch den demokratischen Prätendenten Hiarbas vom Thron gestoßen worden, und ähnliche Fehden bewegten das Mauretanische Reich. Der aus Italien geflüchtete Konsul Carbo verweilte auf der Insel Kossyra (Pantellaria) zwischen Afrika und Sizilien, unschlüssig, wie es scheint, ob er nach Ägypten sich flüchten oder in einer der treuen Provinzen versuchen sollte, den Kampf zu erneuern.

Sulla sandte nach Spanien den Gaius Annius und den Gaius Valerius Flaccus, als Statthalter jenen der jenseitigen, diesen der Ebroprovinz. Das schwierige Geschäft, die Pyrenäenpässe mit Gewalt sich zu eröffnen, ward ihnen dadurch erspart, daß der von Sertorius dort hingestellte General durch einen seiner Offiziere ermordet ward und darauf die Truppen desselben sich verliefen. Sertorius, viel zu schwach, um sich im gleichen Kampfe zu behaupten, raffte eilig die nächststehenden Abteilungen zusammen und schiffte in Neukarthago sich ein - wohin, wußte er selbst nicht, vielleicht an die afrikanische Küste oder nach den Kanarischen Inseln, nur irgendwohin, wohin Sullas Arm nicht reiche. Spanien unterwarf hierauf sich willig den Sullanischen Beamten (um 673 81), und Flaccus focht glücklich mit den Kelten, durch deren Gebiet er marschierte, und mit den spanischen Keltiberern (674 80).

Nach Sizilien ward Gnaeus Pompeius als Proprätor gesandt und die Insel, als Pompeius mit 120 Segeln und sechs Legionen sich an der Küste zeigte, von Perpenna ohne Gegenwehr geräumt. Pompeius schickte von dort ein Geschwader nach Kossyra, das die daselbst verweilenden Marianischen Offiziere aufhob; Marcus Brutus und die übrigen wurden sofort hingerichtet, den Konsul Carbo aber hatte Pompeius befohlen, vor ihn selbst nach Lilybäon zu führen, um ihn hier, uneingedenk des in gefährlicher Zeit ihm von ebendiesem Manne zuteil gewordenen Schutzes, persönlich dem Henker zu überliefern (672 82). Von hier weiter beordert nach Afrika, schlug Pompeius die von Ahenobarbus und Hiarbas gesammelten, nicht unbedeutenden Streitkräfte mit seinem allerdings weit zahlreicheren Heer aus dem Felde und gab, die Begrüßung als Imperator vorläufig ablehnend, sogleich das Zeichen zum Sturm auf das feindliche Lager. So ward er an einem Tage der Feinde Herr; Ahenobarbus war unter den Gefallenen; mit Hilfe des Königs Bogud ward Hiarbas in Bulla ergriffen und getötet und Hiempsal in sein angestammtes Reich wiedereingesetzt; eine große Razzia gegen die Bewohner der Wüste, von denen eine Anzahl gätulischer, von Marius als frei anerkannter Stämme Hiempsal untergeben wurden, stellte auch hier die gesunkene Achtung des römischen Namens wieder her; in vierzig Tagen nach Pompeius’ Landung in Afrika war alles zu Ende (674? 80). Der Senat wies ihn an, sein Heer aufzulösen, worin die Andeutung lag, daß er nicht zum Triumph gelassen werden solle, auf welchen er als außerordentlicher Beamter dem Herkommen nach keinen Anspruch machen durfte. Der Feldherr grollte heimlich, die Soldaten laut; es schien einen Augenblick, als werde die afrikanische Armee gegen den Senat revoltieren und Sulla gegen seinen Tochtermann zu Felde ziehen. Indes Sulla gab nach und ließ den jungen Mann sich berühmen, der einzige Römer zu sein, der eher Triumphator (12. März 675 79) als Senator geworden war; ja bei der Heimkehr von diesen bequemen Großtaten begrüßte der “Glückliche”, vielleicht nicht ohne einige Ironie, den Jüngling als den “Großen”.

Auch im Osten hatten nach Sullas Einschiffung im Frühling 671 (83) die Waffen nicht geruht. Die Restauration der alten Verhältnisse und die Unterwerfung einzelner Städte kostete, wie in Italien so auch in Asien, noch manchen blutigen Kampf; namentlich gegen die freie Stadt Mytilene mußte Lucius Lucullus, nachdem er alle milderen Mittel erschöpft hatte, endlich Truppen führen, und selbst ein Sieg im freien Felde machte dem eigensinnigen Widerstand der Bürgerschaft kein Ende.

Mittlerweile war der römische Statthalter von Asien, Lucius Murena, mit dem König Mithradates in neue Verwicklungen geraten. Dieser hatte sich nach dem Frieden beschäftigt, seine auch in den nördlichen Provinzen erschütterte Herrschaft wieder zu befestigen; er hatte die Kolchier beruhigt, indem er seinen tüchtigen Sohn Mithradates ihnen zum Statthalter setzte, dann diesen selbst aus dem Wege geräumt, und rüstete nun zu einem Zug in sein Bosporanisches Reich. Auf die Versicherungen des Archelaos hin, der inzwischen bei Murena eine Freistatt hatte suchen müssen, daß diese Rüstungen gegen Rom gerichtet seien, setzte sich Murena unter dem Vorgeben, daß Mithradates noch kappadokische Grenzdistrikte in Besitz habe, mit seinen Truppen nach dem kappadokischen Komana in Bewegung, verletzte also die pontische Grenze (671 83). Mithradates begnügte sich, bei Murena und, da dies vergeblich war, bei der römischen Regierung Beschwerde zu führen. In der Tat erschienen Beauftragte Sullas den Statthalter abzumahnen; allein er fügte sich nicht, sondern überschritt den Halys und betrat das unbestritten pontische Gebiet, worauf Mithradates beschloß, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Sein Feldherr Gordios mußte das römische Heer festhalten, bis der König mit weit überlegenen Streitkräften herankam und die Schlacht erzwang; Murena ward besiegt und mit großem Verlust bis über die römische Grenze nach Phrygien zurückgeworfen, die römischen Besatzungen aus ganz Kappadokien vertrieben. Murena hatte zwar die Stirn, wegen dieser Vorgänge sich Sieger zu nennen und den Imperatorentitel anzunehmen (672 82); indes die derbe Lektion und eine zweite Mahnung Sullas bewogen ihn doch endlich, die Sache nicht weiterzutreiben; der Friede zwischen Rom und Mithradates ward erneuert (673 81).

Über diese törichte Fehde war die Bezwingung der Mytilenäer verzögert worden; erst Murenas Nachfolger gelang es nach langer Belagerung zu Lande und zur See, wobei die bithynische Flotte gute Dienste tat, die Stadt mit Sturm einzunehmen (675 79).

Die zehnjährige Revolution und Insurrektion war im Westen und im Osten zu Ende; der Staat hatte wieder eine einheitliche Regierung und Frieden nach außen und innen. Nach den fürchterlichen Konvulsionen der letzten Jahre war schon diese Rast eine Erleichterung; ob sie mehr gewähren sollte, ob der bedeutende Mann, dem das schwere Werk der Bewältigung des Landesfeindes, das schwerere der Bändigung der Revolution gelungen war, auch dem schwersten von allen, der Wiederherstellung der in ihren Grundfesten schwankenden sozialen und politischen Ordnung zu genügen vermochte, mußte demnächst sich entscheiden.

KAPITEL X.
Die Sullanische Verfassung

Um die Zeit, als die erste Feldschlacht zwischen Römern und Römern geschlagen ward, in der Nacht des 6. Juli 671 (83), war der ehrwürdige Tempel, den die Könige errichtet, die junge Freiheit geweiht, die Stürme eines halben Jahrtausends verschont hatten, der Tempel des Römischen Jupiter, auf dem Kapitol in Flammen aufgegangen. Es war kein Anzeichen, aber wohl ein Abbild des Zustandes der römischen Verfassung. Auch diese lag in Trümmern und bedurfte eines neuen Aufbaus. Die Revolution war zwar besiegt, aber es fehlte doch viel, daß damit von selber das alte Regiment wieder sich hergestellt hätte. Allerdings meinte die Masse der Aristokratie, daß jetzt nach dem Tode der beiden revolutionären Konsuln es genügen werde, die gewöhnliche Ergänzungswahl zu veranstalten und es dem Senat zu überlassen, was ihm zur Belohnung der siegreichen Armee, zur Bestrafung der schuldigsten Revolutionäre, etwa auch zur Verhütung ähnlicher Ausbrüche weiter erforderlich erscheinen werde. Allein Sulla, in dessen Händen der Sieg für den Augenblick alle Macht vereinigt hatte, urteilte richtiger über die Verhältnisse und die Personen. Die Aristokratie Roms war in ihrer besten Epoche nicht hinausgekommen über ein halb großartiges, halb borniertes Festhalten an den überlieferten Formen; wie sollte das schwerfällige kollegialische Regiment dieser Zeit dazu kommen, eine umfassende Staatsreform energisch und konsequent durchzuführen? Und eben jetzt, nachdem die letzte Krise fast alle Spitzen des Senats weggerafft hatte, war in demselben die zu einem solchen Beginnen erforderliche Kraft und Intelligenz weniger als je zu finden. Wie unbrauchbar durchgängig das aristokratische Vollblut und wie wenig Sulla über dessen Nichtsnutzigkeit im unklaren war, beweist die Tatsache, daß mit Ausnahme des ihm verschwägerten Quintus Metellus er sich seine Werkzeuge sämtlich auslas aus der ehemaligen Mittelpartei und den Überläufern aus dem demokratischen Lager - so Lucius Flaccus, Lucius Philippus, Quintus Ofella, Gnaeus Pompeius. Sulla war die Wiederherstellung der alten Verfassung so sehr Ernst wie nur dem leidenschaftlichsten aristokratischen Emigranten; aber er begriff, wohl auch nicht in dem ganzen und vollen Umfang - wie hätte er sonst überhaupt Hand ans Werk zu legen vermocht? -, aber doch besser als seine Partei, welchen ungeheuren Schwierigkeiten dieses Restaurationswerk unterlag. Als unumgänglich betrachtete er teils umfassende Konzessionen, soweit Nachgiebigkeit möglich war, ohne das Wesen der Oligarchie anzutasten, teils die Herstellung eines energischen Repressiv- und Präventivsystems; und er sah es deutlich, daß der Senat, wie er war, jede Konzession verweigern oder verstümmeln, jeden systematischen Neubau parlamentarisch ruinieren werde. Hatte Sulla schon nach der Sulpicischen Revolution, ohne viel zu fragen, in der einen und der andern Richtung durchgesetzt, was er für nötig erachtete, so war er auch jetzt unter weit schärferen und gespannteren Verhältnissen entschlossen, die Oligarchie nicht mit, sondern trotz der Oligarchen auf eigene Hand zu restaurieren. Sulla aber war nicht wie damals Konsul, sondern bloß mit prokonsularischer, das heißt rein militärischer Gewalt ausgestattet; er bedurfte einer möglichst nahe an den verfassungsmäßigen Formen sich haltenden, aber doch außerordentlichen Gewalt, um Freunden und Feinden seine Reform zu oktroyieren. In einem Schreiben an den Senat eröffnete er demselben, daß es ihm unumgänglich scheine, die Ordnung des Staates in die Hände eines einzigen, mit unumschränkter Machtvollkommenheit ausgerüsteten Mannes zu legen, und daß er sich für geeignet halte, diese schwierige Aufgabe zu erfüllen. Dieser Vorschlag, so unbequem er vielen kam, war unter den obwaltenden Umständen ein Befehl. Im Auftrag des Senats brachte der Vormann desselben, der Zwischenkönig Lucius Valerius Flaccus der Vater, als interimistischer Inhaber der höchsten Gewalt bei der Bürgerschaft den Antrag ein, daß dem Prokonsul Lucius Cornelius Sulla für die Vergangenheit die nachträgliche Billigung aller von ihm als Konsul und Prokonsul vollzogenen Amtshandlungen, für die Zukunft aber das Recht erteilt werden möge, über Leben und Eigentum der Bürger in erster und letzter Instanz zu erkennen, mit den Staatsdomänen nach Gutdünken zu schalten, die Grenzen Roms, Italiens, des Staats nach Ermessen zu verschieben, in Italien Stadtgemeinden aufzulösen oder zu gründen, über die Provinzen und die abhängigen Staaten zu verfügen, das höchste Imperium anstatt des Volkes zu vergeben und Prokonsuln und Proprätoren zu ernennen, endlich durch neue Gesetze für die Zukunft den Staat zu ordnen; daß es in sein eigenes Ermessen gestellt werden solle, wann er seine Aufgabe gelöst und es an der Zeit erachte, dies außerordentliche Amt niederzulegen; daß endlich während desselben es von seinem Gutfinden abhängen solle, die ordentliche höchste Magistratur daneben eintreten oder auch ruhen zu lassen. Es versteht sich, daß die Annahme ohne Widerspruch stattfand (November 672 82), und nun erst erschien der neue Herr des Staates, der bisher als Prokonsul die Hauptstadt zu betreten vermieden hatte, innerhalb der Mauern von Rom. Den Namen entlehnte dies neue Amt von der seit dem Hannibalischen Kriege tatsächlich abgeschafften Diktatur; aber sie außer seinem bewaffneten Gefolge ihm doppelt so viele Liktoren vorausschritten als dem Diktator der älteren Zeit, so war auch in der Tat diese neue “Diktatur zur Abfassung von Gesetzen und zur Ordnung des Gemeinwesens”, wie die offizielle Titulatur lautet, ein ganz anderes als jenes ehemalige, der Zeit und der Kompetenz nach beschränkte, die Provokation an die Bürgerschaft nicht ausschließende und die ordentliche Magistratur nicht annullierende Amt. Es glich dasselbe vielmehr dem der “Zehnmänner zur Abfassung von Gesetzen”, die gleichfalls als außerordentliche Regierung mit unbeschränkter Machtvollkommenheit unter Beseitigung der ordentlichen Magistratur aufgetreten waren und tatsächlich wenigstens ihr Amt als ein der Zeit nach unbegrenztes verwaltet hatten. Oder vielmehr dies neue Amt mit seiner auf einem Volksbeschluß ruhenden, durch keine Befristung und Kollegialität eingeengten absoluten Gewalt war nichts anderes als das alte Königtum, das ja eben auch beruhte auf der freien Verpflichtung der Bürgerschaft, einem aus ihrer Mitte als absolutem Herrn zu gehorchen. Selbst von Zeitgenossen wird zur Rechtfertigung Sullas es geltend gemacht, daß ein König besser sei als eine schlechte Verfassung ^1, und vermutlich ward auch der Diktatortitel nur gewählt um anzudeuten, daß, wie die ehemalige Diktatur eine vielfach beschränkte, so diese neue eine vollständige Wiederaufnahme der königlichen Gewalt in sich enthalte. So fiel denn seltsamerweise Sullas Weg auch hier zusammen mit dem, den in so ganz anderer Absicht Gaius Gracchus eingeschlagen hatte. Auch hier mußte die konservative Partei von ihren Gegnern borgen, der Schirmherr der oligarchischen Verfassung selbst auftreten als Tyrann, um die ewig andringende Tyrannis abzuwehren. Es war gar viel Niederlage in diesem letzten Siege der Oligarchie.

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^1 Satius est uti regibus quam uti malis legibus (Rhet. Her. 2, 22).

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Sulla hatte die schwierige und grauenvolle Arbeit des Restaurationswerkes nicht gesucht und nicht gewünscht; da ihm aber keine andere Wahl blieb, als sie gänzlich unfähigen Händen zu überlassen oder sie selber zu übernehmen, griff er sie an mit rücksichtsloser Energie. Vor allen Dingen mußte eine Feststellung hinsichtlich der Schuldigen getroffen werden. Sulla war an sich zum Verzeihen geneigt. Sanguinischen Temperaments wie er war, konnte er wohl zornig aufbrausen, und der mochte sich hüten, der sein Auge flammen und seine Wangen sich färben sah; aber die chronische Rachsucht, wie sie Marius in seiner greisenhaften Verbitterung eigen war, war seinem leichten Naturell durchaus fremd. Nicht bloß nach der Revolution von 666 (88) war er mit verhältnismäßig großer Milde aufgetreten; auch die zweite, die so furchtbare Greuel verübt und ihn persönlich so empfindlich getroffen hatte, hatte ihn nicht aus dem Gleichgewicht gebracht. In derselben Zeit, so der Henker die Körper seiner Freunde durch die Straßen der Hauptstadt schleifte, hatte er dem blutbefleckten Fimbria das Leben zu retten gesucht und, da dieser freiwillig den Tod nahm, Befehl gegeben, seine Leiche anständig zu bestatten. Bei der Landung in Italien hatte er ernstlich sich erboten, zu vergeben und zu vergessen, und keiner, der seinen Frieden zu machen kam, war zurückgewiesen worden. Noch nach den ersten Erfolgen hatte er in diesem Sinne mit Lucius Scipio verhandelt; die Revolutionspartei war es gewesen, die diese Verhandlungen nicht bloß abgebrochen, sondern nach denselben, im letzten Augenblicke vor ihrem Sturz, die Mordtaten abermals und grauenvoller als je wieder aufgenommen, ja zur Vernichtung der Stadt Rom sich mit dem uralten Landesfeind verschworen hatte. Nun war es genug. Kraft seiner neuen Amtsgewalt erklärte Sulla unmittelbar nach Übernahme der Regentschaft als Feinde des Vaterlands vogelfrei sämtliche Zivil- und Militärbeamte, welche nach dem, Sullas Behauptung zufolge rechtsbeständig abgeschlossenen, Vertrag mit Scipio noch für die Revolution tätig gewesen wären, und von den übrigen Bürgern diejenigen, die in auffallender Weise derselben Vorschub getan hätten. Wer einen dieser Vogelfreien tötete, war nicht bloß straffrei wie der Henker, der ordnungsmäßig eine Exekution vollzieht, sondern erhielt auch für die Hinrichtung eine Vergütung von 12000 Denaren (3600 Tälern); jeder dagegen, der eines Geächteten sich annahm, selbst der nächste Verwandte, unterlag der schwersten Strafe. Das Vermögen der Geächteten verfiel dem Staat gleich der Feindesbeute; ihre Kinder und Enkel wurden von der politischen Laufbahn ausgeschlossen, dennoch aber, insofern sie senatorischen Standes waren, verpflichtet, die senatorischen Lasten für ihren Teil zu übernehmen. Die letzten Bestimmungen fanden auch Anwendung auf die Güter und die Nachkommen derjenigen, die im Kampfe für die Revolution gefallen waren; was noch hinausging selbst über die im ältesten Recht gegen solche, die die Waffen gegen ihr Vaterland getragen hatten, geordneten Strafen. Das Schrecklichste in diesem Schreckenssystem war die Unbestimmtheit der aufgestellten Kategorien, gegen die sofort im Senat remonstriert ward und der Sulla selber dadurch abzuhelfen suchte, daß er die Namen der Geächteten öffentlich anschlagen ließ und als letzten Termin für den Schluß der Ächtungsliste den 1. Juni 673 (81) festsetzte. Sosehr diese täglich anschwellende und zuletzt bis auf 4700 Namen steigende Bluttafel 2 das gerechte Entsetzen der Bürger war, so war doch damit der reinen Schergenwillkür in etwa gesteuert. Es war wenigstens nicht der persönliche Groll des Regenten, dem die Masse dieser Opfer fiel; sein grimmiger Haß richtete sich einzig gegen die Marier, die Urheber der scheußlichen Metzeleien von 667 (87) und 672 (82). Auf seinen Befehl ward das Grab des Siegers von Aquae Sextiae wiederaufgerissen und die Asche desselben in den Anio gestreut, die Denkmäler seiner Siege über Afrikaner und Deutsche umgestürzt und, da ihn selbst sowie seinen Sohn der Tod seiner Rache entrückt hatte, sein Adoptivneffe Marcus Marius Gratidianus, der zweimal Prätor gewesen und bei der römischen Bürgerschaft sehr beliebt war, an dem Grabe des bejammernswertesten der Marianischen Schlachtopfer, des Catulus, unter den grausamsten Martern hingerichtet. Auch sonst hatte der Tod schon die namhaftesten der Gegner hingerafft; von den Führern waren nur noch übrig Gaius Norbanus, der in Rhodos Hand an sich selbst legte, während die Ekklesia über seine Auslieferung beriet; Lucius Scipio, dem seine Bedeutungslosigkeit und wohl auch seine vornehme Geburt Schonung verschafften und die Erlaubnis, in seiner Zufluchtsstätte Massalia seine Tage in Ruhe beschließen zu dürfen; und Quintus Sertorius, der landflüchtig an der mauretanischen Küste umherirrte. Aber dennoch häuften sich am Servilischen Bassin, da wo die Jugarische Gasse in den Marktplatz einmündete, die Häupter der getöteten Senatoren, welche hier öffentlich auszustellen der Diktator befohlen hatte, und vor allem unter den Männern zweiten und dritten Ranges hielt der Tod eine furchtbare Ernte. Außer denen, die für Ehre Dienste in der oder für die revolutionäre Armee ohne viele Wahl, zuweilen wegen eines einem der Offiziere derselben gemachten Vorschusses oder wegen der mit einem solchen geschlossenen Gastfreundschaft, in die Liste eingetragen wurden, traf namentlich jene Kapitalisten, die über die Senatoren zu Gericht gesessen und in Marianischen Konfiskationen spekuliert hatten, “die Einsäckler”, die Vergeltung; etwa sechzehnhundert der sogenannten Ritter 3 waren auf der Ächtungsliste verzeichnet. Ebenso büßten die gewerbsmäßigen Ankläger, die schwerste Geißel der Vornehmen, die sich ein Geschäft daraus machten, die Männer senatorischen Standes vor die Rittergerichte zu ziehen - “Wie geht es nur zu”, fragte bald darauf ein Sachwalter, “daß sie uns die Gerichtsbänke gelassen haben, da sie doch Ankläger und Richter totschlugen?” Die wildesten und schändlichsten Leidenschaften rasten viele Monate hindurch ungefesselt durch Italien. In der Hauptstadt war es ein Keltentrupp, dem zunächst die Exekutionen aufgetragen wurden, und Sullanische Soldaten und Unteroffiziere durchzogen zu gleichem Zweck die verschiedenen Distrikte Italiens; aber auch jeder Freiwillige war ja willkommen, und vornehmes und niederes Gesindel drängte sich herbei, nicht bloß, um die Mordprämie zu verdienen, sondern auch, um unter dem Deckmantel der politischen Verfolgung die eigene Rachsucht oder Habsucht zu befriedigen. Es kam wohl vor, daß der Eintragung in die Ächtungsliste die Ermordung nicht nachfolgte, sondern voranging. Ein Beispiel zeigt, in welcher Art diese Exekutionen erfolgten. In Larinum, einer marianisch gesinnten Neubürgerstadt, trat ein gewisser Statius Albius Oppianicus, der um einer Anklage wegen Mordes zu entgehen in das Sullanische Hauptquartier entwichen war, nach dem Sieg auf als Kommissarius des Regenten, setzte die Stadtobrigkeit ab und sich und seine Freunde an deren Stelle und ließ den, der ihn mit der Anklage bedroht hatte, nebst dessen nächsten Verwandten und Freunden ächten und töten. So fielen unzählige, darunter nicht wenige entschiedene Anhänger der Oligarchie, als Opfer der Privatfeindschaft oder ihres Reichtums; die fürchterliche Verwirrung und die sträfliche Nachsicht, die Sulla wie überall so auch hier gegen die ihm näher Stehenden bewies, verhinderten jede Ahndung auch nur der hierbei mit untergelaufenen gemeinen Verbrechen.

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2 Diese Gesamtzahl gibt Valerius Maximus 9, 2, 1. Nach Appian (civ. 1, 9.5) wurden von Sulla geächtet gegen 40 Senatoren, wozu nachträglich noch einige hinzukamen, und etwa 1600 Ritter; nach Florus (2, 9; daraus Aug. civ. 3, 28) 2000 Senatoren und Ritter. Nach Plutarch (Sull. 31) wurden in den ersten drei Tagen 520, nach Orosius (hist. 5, 21) in den ersten Tagen 580 Namen in die Liste eingetragen. Zwischen all diesen Berichten ist ein wesentlicher Widerspruch nicht vorhanden, da ja teils nicht bloß Senatoren und Ritter getötet wurden, teils die Liste monatelang offenblieb, Wenn an einer anderen Stelle Appian (civ. 1, 103) als von Sulla getötet oder verbannt aufführt fünfzehn Konsulare, 90 Senatoren, 2600 Ritter, so sind hier, wie schon der Zusammenhang zeigt, die Opfer des Bürgerkriegs überhaupt und die Opfer Sullas verwechselt. Die fünfzehn Konsulate sind Quintus Catulus Konsul 652 (102), Marcus Antonius 655 (99), Publius Crassus 657 (97) Quintus Scaevola 659 (95), Lucius Domitius 660 (94), Lucius Caesar 664 (90), Quintus Rufus 666 (88), Lucius Cinna 667-670 (87-84), Gnaeus Octavius 667 (87), Lucius Merula 667 (87), Lucius Flaccus 668 (86), Gnaeus Carbo 669, 670, 672 (85, 84, 82), Gaius Norbanus 671 (83), Lucius Scipio 671 (83), Gaius Marius 672 (82), von denen vierzehn getötet, einer, Lucius Scipio, verbannt wurde. Wenn dagegen der Livianische Bericht bei Eutrop (5, 9) und Orosius (5, 22) als im Bundesgenossen- und Bürgerkrieg weggerafft (consumpti) angibt 24 Konsulare, sieben Prätorier, sechs Ädilizier, 200 Senatoren, so sind hier teils die im Italischen Kriege gefallenen Männer mitgezählt, wie die Konsulare Aulus Albinus, Konsul 655 (99), Titus Didius 656 (98), Publius Lupus 664 (90), Lucius Cato 665 (89), teils vielleicht Quintus Metellus Numidicus, Manius Aquillius, Gaius Marius der Vater, Gnaeus Strabo, die man allenfalls auch als Opfer dieser Zeit ansehen konnte, oder andere Männer, deren Schicksal uns nicht bekannt ist. Von den vierzehn getöteten Konsularen sind drei, Rufus, Cinna und Flaccus, durch Militärrevolten, dagegen acht Sullanische, drei Marianische Konsulate als Opfer der Gegenpartei gefallen. Nach der Vergleichung der oben angegebenen Ziffern galten als Opfer des Marius 50 Senatoren und 1000 Ritter, als Opfer des Sulla 40 Senatoren und 1600 Ritter; es gibt dies einen wenigstens nicht ganz willkürlichen Maßstab zur Abschätzung des Umfangs der beiderseitigen Frevel.

3 Einer von diesen ist der in Ciceros Rede für Publius Quinctius öfter genannte Senator Sextus Alfenus.

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In ähnlicher Weise ward mit dem Beutegut verfahren. Sulla wirkte aus politischen Rücksichten dahin, daß die angesehenen Bürger sich bei dessen Ersteigerung beteiligten; ein großer Teil drängte übrigens freiwillig sich herbei, keiner eifriger als der junge Marcus Crassus. Unter den obwaltenden Umständen war die ärgste Schleuderwirtschaft nicht zu vermeiden, die übrigens zum Teil schon aus der römischen Weise folgte, die vom Staat eingezogenen Vermögen gegen eine Pauschalsumme zur Realisierung zu verkaufen; es kam noch hinzu, daß der Regent teils sich selbst nicht vergaß, teils besonders seine Gemahlin Metella und andere ihm nahestehende vornehme und geringe Personen, selbst Freigelassene und Kneipgenossen, bald ohne Konkurrenz kaufen ließ, bald ihnen den Kaufschilling ganz oder teilweise erließ - so soll zum Beispiel einer seiner Freigelassenen ein Vermögen von 6 Millionen (457000 Talern) für 2000 Sesterzen (152 Taler) ersteigert haben und einer seiner Unteroffiziere durch derartige Spekulationen zu einem Vermögen von 10 Mill. Sesterzen (761000 Talern) gelangt sein. Der Unwille war groß und gerecht; schon während Sollas Regentschaft fragte ein Advokat, ob der Adel den Bürgerkrieg nur geführt habe, um seine Freigelassenen und Knechte zu reichen Leuten zu machen. Trotz dieser Schleuderei indes betrug der Gesamterlös aus den konfiszierten Gütern nicht weniger als 350 Mill. Sesterzen (27 Mill. Taler), was von dem ungeheuren Umfang dieser hauptsächlich auf den reichsten Teil der Bürgerschaft fallenden Einziehungen einen ungefähren Begriff gibt. Es war durchaus ein fürchterliches Strafgericht. Es gab keinen Prozeß, keine Begnadigung mehr; bleischwer lastete der dumpfe Schrecken auf dem Lande, und das freie Wort war auf dem Markte der Haupt- wie der Landstadt verstummt. Das oligarchische Schreckensregiment trug wohl einen anderen Stempel als das revolutionäre; wenn Marius seine persönliche Rachsucht im Blute seiner Feinde gelöscht hatte, so schien Sulla den Terrorismus man möchte sagen abstrakt als zur Einführung der neuen Gewaltherrschaft notwendig zu erachten und die Metzelei fast gleichgültig zu betreiben oder betreiben zu lassen. Aber nur um so entsetzlicher erschien das Schreckensregiment, indem es von der konservativen Seite her und gewissermaßen ohne Leidenschaft auftrat; nur um so unrettbarer schien das Gemeinwesen verloren, indem der Wahnsinn und der Frevel auf beiden Seiten im Gleichgewicht standen.

In der Ordnung der Verhältnisse Italiens und der Hauptstadt hielt Sulla, obwohl er sonst im allgemeinen alle während der Revolution vorgenommenen, nicht bloß die laufenden Geschäfte erledigenden Staatshandlungen als nichtig behandelte, doch fest an dem von ihr aufgestellten Grundsatz, daß jeder Bürger einer italischen Gemeinde damit von selbst auch Bürger von Rom sei; die Unterschiede zwischen Bürgern und italischen Bundesgenossen, zwischen Altbürgern besseren und Neubürgern beschränkteren Rechts waren und blieben beseitigt. Nur den Freigelassenen ward das unbeschränkte Stimmrecht abermals entzogen und für sie das alte Verhältnis wiederhergestellt. Den aristokratischen Ultras mochte dies als eine große Konzession erscheinen; Sulla sah, daß den revolutionären Führern jene mächtigen Hebel notwendig aus der Hand gewunden werden mußten und daß die Herrschaft der Oligarchie durch die Vermehrung der Zahl der Bürger nicht wesentlich gefährdet ward. Aber mit dieser Nachgiebigkeit im Prinzip verband sich das härteste Gericht über die einzelnen Gemeinden in sämtlichen Landschaften Italiens, ausgeführt durch Spezialkommissare und unter Mitwirkung der durch die ganze Halbinsel verteilten Besatzungen. Manche Städte wurden belohnt, wie zum Beispiel die erste Gemeinde, die sich an Sulla angeschlossen hatte, Brundisium, jetzt die für diesen Seehafen so wichtige Zollfreiheit erhielt; mehrere bestraft. Den minder Schuldigen wurden Geldbußen, Niederreißung der Mauern, Schleifung der Burgen diktiert; den hartnäckigsten Gegnern konfiszierte der Regent einen Teil ihrer Feldmark, zum Teil sogar das ganze Gebiet, wie denn dies rechtlich allerdings als verwirkt angesehen werden konnte, mochte man nun sie als Bürgergemeinden behandeln, die die Waffen gegen ihr Vaterland getragen, oder als Bundesstaaten, die dem ewigen Friedensvertrag zuwider mit Rom Krieg geführt hatten. In diesem Falle ward zugleich allen aus dem Besitz gesetzten Bürgern, aber auch nur diesen, ihr Stadt- und zugleich das römische Bürgerrecht aberkannt, wogegen sie das schlechteste latinische empfingen 4. Man vermied also an italischen Untertanengemeinden geringeren Rechts der Opposition einen Kern zu gewähren; die heimatlosen Expropriierten mußten bald in der Masse des Proletariats sich verlieren. In Kampanien ward nicht bloß, wie sich von selbst versteht, die demokratische Kolonie Capua aufgehoben und die Domäne an den Staat zurückgegeben, sondern auch, wahrscheinlich um diese Zeit, der Gemeinde Neapolis die Insel Aenaria (Ischia) entzogen. In Latium wurde die gesamte Mark der großen und reichen Stadt Praeneste und vermutlich auch die von Norba eingezogen, ebenso in Umbrien die von Spoletium. Sulmo in der pälignischen Landschaft ward sogar geschleift. Aber vor allem schwer lastete des Regenten eiserner Arm auf den beiden Landschaften, die bis zuletzt und noch nach der Schlacht am Collinischen Tor ernstlichen Widerstand geleistet hatten, auf Etrurien und Samnium. Dort traf die Gesamtkonfiskation eine Reihe der ansehnlichsten Kommunen, zum Beispiel Florentia, Faesulae, Arretium, Volaterrae. Von Samniums Schicksal ward schon gesprochen; hier ward nicht konfisziert, sondern das Land für immer verwüstet, seine blühenden Städte, selbst die ehemalige latinische Kolonie Aesernia, öde gelegt und die Landschaft der bruttischen und lucanischen gleichgestellt.

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4 Es kam hierbei noch die eigentümliche Erschwerung hinzu, daß das latinische Recht sonst regelmäßig, ebenwie das peregrinische, die Mitgliedschaft in einer bestimmten latinischen oder peregrinischen Gemeinde in sich schloß, hier aber - ähnlich wie bei den späteren Freigelassenen latinischen und deditizischen Rechts (vgl. 3, 258 A.) - ohne ein solches eigenes Stadtrecht auftrat. Die Folge war, daß diese Latiner die an die Stadtverfassung geknüpften Privilegien entbehrten, genau genommen auch nicht testieren konnten, da niemand anders ein Testament errichten kann als nach dem Recht seiner Stadt; wohl aber konnten sie aus römischen Testamenten erwerben und unter Lebenden unter sich wie mit Römern oder Latinern in den Formen des römischen Rechts verkehren.

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Diese Anordnungen über das italische Bodeneigentum stellten teils diejenigen römischen Domanialländereien, welche den ehemaligen Bundesgenossengemeinden zur Nutznießung übertragen waren und jetzt mit deren Auflösung an die römische Regierung zurückfielen, teils die eingezogenen Feldmarken der straffälligen Gemeinden zur Verfügung des Regenten; und er benutzte sie, um darauf die Soldaten der siegreichen Armee ansässig zu machen. Die meisten dieser neuen Ansiedlungen kamen nach Etrurien, zum Beispiel nach Faesulae und Arretium, andere nach Latium und Kampanien, wo unter andern Praeneste und Pompeii Sullanische Kolonien wurden. Samnium wiederzubevölkern lag, wie gesagt, nicht in der Absicht des Regenten. Ein großer Teil dieser Assignationen erfolgte in gracchanischer Weise, so daß die Angesiedelten zu einer schon bestehenden Stadtgemeinde hinzutraten. Wie umfassend die Ansiedelung war, zeigt die Zahl der verteilten Landlose, die auf 120000 angegeben wird; wobei dennoch einige Ackerkomplexe anderweitig verwandt wurden, wie zum Beispiel der Dianentempel auf dem Berg Tifata mit Ländereien beschenkt ward, andere, wie die volaterranische Mark und ein Teil der arretinischen, unverteilt blieben, andere endlich nach dem alten, gesetzlich untersagten, aber jetzt wiederauftauchenden Mißbrauch von Sullas Günstlingen nach Okkupationsrecht eingenommen wurden. Die Zwecke, die Sulla bei dieser Kolonisation verfolgte, waren mannigfacher Art. Zunächst löste er damit seinen Soldaten das gegebene Wort. Ferner nahm er damit den Gedanken auf, in dem die Reformpartei und die gemäßigten Konservativen zusammentrafen und demgemäß er selbst schon im Jahre 666 (88) die Gründung einer Anzahl von Kolonien angeordnet hatte: die Zahl der ackerbauenden Kleinbesitzer in Italien durch Zerschlagung größerer Besitzungen von Seiten der Regierung zu vermehren; wie ernstlich ihm hieran gelegen war, zeigt das erneuerte Verbot des Zusammenschlagens der Ackerlose. Endlich und vor allem sah er in diesen angesiedelten Soldaten gleichsam stehende Besatzungen, die mit ihrem Eigentumsrecht zugleich seine neue Verfassung schirmen würden; weshalb auch, wo nicht die ganze Mark eingezogen ward, wie zum Beispiel in Pompeii, die Kolonisten nicht mit der Stadtgemeinde verschmolzen, sondern die Altbürger und die Kolonisten als zwei in demselben Mauerring vereinigte Bürgerschaften konstituiert wurden. Diese Kolonialgründungen ruhten wohl auch wie die älteren auf Volksschluß, aber doch nur mittelbar, insofern sie der Regent auf Grund der desfälligen Klausel des Valerischen Gesetzes konstituierte; der Sache nach gingen sie hervor aus der Machtvollkommenheit des Herrschers und erinnerten insofern an das freie Schalten der ehemaligen königlichen Gewalt über das Staatsgut. Insofern aber, als der Gegensatz des Soldaten und des Bürgers, der sonst eben durch die Deduktion der Soldaten aufgehoben ward, bei den Sullanischen Kolonien noch nach ihrer Ausführung lebendig bleiben sollte und blieb, und als diese Kolonisten gleichsam das stehende Heer des Senats bildeten, werden sie nicht unrichtig im Gegensatz gegen die älteren als Militärkolonien bezeichnet.

Dieser faktischen Konstituierung einer stehenden Armee des Senats verwandt ist die Maßregel des Regenten, aus den Sklaven der Geächteten über 10000 der jüngsten und kräftigsten Männer auszuwählen und insgesamt freizusprechen. Diese neuen Cornelier, deren bürgerliche Existenz an die Rechtsbeständigkeit der Institutionen ihres Patrons geknüpft war, sollten eine Art von Leibwache für die Oligarchie sein und ihr den städtischen Pöbel beherrschen helfen, auf den nun einmal in der Hauptstadt in Ermangelung einer Besatzung alles ankam.

Diese außerordentlichen Stützen, auf die zunächst der Regent die Oligarchie lehnte, schwach und ephemer wie sie wohl auch ihrem Urheber erscheinen mochten, waren doch die einzig möglichen, wenn man nicht zu Mitteln greifen wollte, wie die förmliche Aufstellung eines stehendes Heeres in Rom und dergleichen Maßregeln mehr, die der Oligarchie noch weit eher ein Ende gemacht haben würden als ,die demagogischen Angriffe. Das dauernde Fundament der ordentlichen Regierungsgewalt der Oligarchie mußte natürlich der Senat sein mit einer so gesteigerten und so konzentrierten Gewalt, daß er an jedem einzelnen Angriffspunkt den nichtorganisierten Gegnern überlegen gegenüberstand. Das vierzig Jahre hindurch befolgte System der Transaktionen war zu Ende. Die Gracchische Verfassung, noch geschont in der ersten Sullanischen Reform von 666, ward jetzt von Grund aus beseitigt. Seit Gaius Gracchus hatte die Regierung dem hauptstädtischen Proletariat gleichsam das Recht der Erneute zugestanden und es abgekauft durch regelmäßige Getreideverteilungen an die in der Hauptstadt domizilierten Bürger; Sulla schaffte dieselben ab. Durch die Verpachtung der Zehnten und Zölle der Provinz Asia in Rom hatte Gaius Gracchus den Kapitalistenstand organisiert und fundiert; Sulla hob das System der Mittelsmänner auf und verwandelte die bisherigen Leistungen der Asiaten in feste Abgaben, welche nach den zum Zweck der Nachzahlung der Rückstände entworfenen Schätzungslisten auf die einzelnen Bezirke umgelegt wurden 5. Gaius Gracchus hatte durch Übergabe der Geschworenenposten an die Männer vom Ritterzensus dem Kapitalistenstand eine indirekte Mitverwaltung und Mitregierung erwirkt, die nicht selten sich stärker als die offizielle Verwaltung und Regierung erwies; Sulla schaffte die Rittergerichte ab und stellte die senatorischen wieder her. Gaius Gracchus oder doch die gracchische Zeit hatte den Rittern einen Sonderstand bei den Volksfesten eingeräumt, wie ihn schon seit längerer Zeit die Senatoren besaßen; Sulla hob ihn auf und wies die Ritter zurück auf die Plebejerbänke 6. Der Ritterstand, als solcher durch Gaius Gracchus geschaffen, verlor seine politische Existenz durch Sulla. Unbedingt, ungeteilt und auf die Dauer sollte der Senat die höchste Macht in Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichten überkommen und auch äußerlich nicht bloß als privilegierter, sondern als einzig privilegierter Stand auftreten.

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5 Daß Sullas Umlage der rückständigen fünf Jahresziele und der Kriegskosten auf die Gemeinden von Asia (App. Mithr. 62 und sonst) auch für die Zukunft maßgebend war, zeigt schon die Zurückführung der Einteilung Asias in vierzig Distrikte auf Sulla (Cassiod. chron. 670) und die Zugrundelegung der sullanischen Repartition bei späteren Ausschreibungen (Cic. Flacc. 14, 32), ferner, daß bei dem Flottenbau 672 (81) die hierzu verwandten Summen an der Steuerzahlung (ex pecunia vectigali populo Romano) gekürzt werden (Cic. Verr. 1, 35, 89). Geradezu sagt endlich Cicero (ad Q. fr. 1, 11, 33), daß die Griechen “nicht imstande waren, von sich aus den von Sulla ihnen auferlegten Zins zu zahlen ohne Steuerpächter”.

6 Überliefert ist es freilich nicht, von wem dasjenige Gesetz erlassen ward, welches die Erneuerung des älteren Privilegs durch das Roscische Theatergesetz 687 (67) nötig machte (Friedländer in Becker, Handbuch, Bd. 4, S. 531), aber nach der Lage der Sache war der Urheber dieses Gesetzes unzweifelhaft Sulla.

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Vor allem mußte zu diesem Ende die Regierungsbehörde ergänzt und selber unabhängig gestellt werden. Durch die letzten Krisen war die Zahl der Senatoren furchtbar zusammengeschwunden. Zwar stellte Sulla den durch die Rittergerichte Verbannten jetzt die Rückkehr frei, wie dem Konsular Publius Rutilius Rufus, der übrigens von der Erlaubnis keinen Gebrauch machte, und dem Freunde des Drusus, Gaius Cotta; allein es war dies ein geringer Ersatz für die Lücken, die der revolutionäre wie der reaktionäre Terrorismus in die Reihen des Senats gerissen hatte. Deshalb wurde nach Sullas Anordnung der Senat außerordentlicherweise ergänzt durch etwa 300 neue Senatoren, welche die Distriktversammlung aus den Männern vom Ritterzensus zu ernennen hatte und die sie, wie begreiflich, vorzugsweise teils aus den jüngeren Männern der senatorischen Häuser, teils aus Sullanischen Offizieren und anderen, durch die letzte Umwälzung Emporgekommenen auslas. Aber auch für die Zukunft ward die Aufnahme in den Senat neu geordnet und auf wesentlich andere Grundlagen gestellt. Nach der bisherigen Verfassung trat man in den Senat ein entweder durch zensorische Berufung, was der eigentliche und ordentliche Weg war, oder durch die Bekleidung eines der drei kurulischen Ämter: des Konsulats, der Prätur oder der Ädilität, an welche seit dem Ovinischen Gesetz von Rechts wegen Sitz und Stimme im Senat geknüpft war; die Bekleidung eines niederen Amtes, des Tribunats oder der Quästur, gab wohl einen faktischen Anspruch auf einen Platz im Senat, insofern die zensorische Auswahl vorzugsweise auf diese Männer sich lenkte, aber keineswegs eine rechtliche Anwartschaft. Von diesen beiden Eintrittswegen hob Sulla den ersteren auf durch die wenigstens tatsächliche Beseitigung der Zensur und änderte den zweiten dahin ab, daß der gesetzliche Eintritt in den Senat statt an die Ädilität an die Quästur geknüpft und zugleich die Zahl der jährlich zu ernennenden Quästoren auf zwanzig 7 erhöht ward. Die bisher den Zensoren rechtlich zustehende, obwohl tatsächlich längst nicht mehr in ihrem ursprünglichen ernstlichen Sinn geübte Befugnis, bei den von fünf zu fünf Jahren stattfindenden Revisionen jeden Senator unter Angabe von Gründen von der Liste zu streichen, fiel für die Zukunft ebenfalls fort; die bisherige faktische Unabsetzbarkeit der Senatoren ward also von Sulla schließlich festgestellt. Die Gesamtzahl der Senatoren, die bis dahin vermutlich die alte Normalzahl von 300 nicht viel überstiegen und oft wohl nicht einmal erreicht hatte, ward dadurch beträchtlich, vielleicht durchschnittlich um das Doppelte erhöht, 8 was auch schon die durch die Übertragung der Geschworenenfunktionen stark vermehrten Geschäfte des Senats notwendig machten. Indem ferner sowohl die außerordentlich eintretenden Senatoren als die Quästoren ernannt wurden von den Tributkomitien, wurde der bisher mittelbar auf den Wahlen des Volkes ruhende Senat jetzt durchaus auf direkte Volkswahl gegründet, derselbe also einem repräsentativen Regiment so weit genähert, als dies mit dem Wesen der Oligarchie und den Begriffen des Altertums überhaupt sich vertrug. Aus einem nur zum Beraten der Beamten bestimmten Kollegium war im Laufe der Zeit der Senat eine den Beamten befehlende und selbstregierende Behörde geworden; es war hiervon nur eine konsequente Weiterentwicklung, wenn das den Beamten ursprünglich zustehende Recht, die Senatoren zu ernennen und zu kassieren, denselben entzogen und der Senat auf dieselbe rechtliche Grundlage gestellt wurde, auf welcher die Beamtengewalt selber ruhte. Die exorbitante Befugnis der Zensoren, die Ratliste zu revidieren und nach Gutdünken Namen zu streichen oder zuzusetzen, vertrug in der Tat sich nicht mit einer geordneten oligarchischen Verfassung. Indem jetzt durch die Quästorenwahl für eine genügende regelmäßige Ergänzung gesorgt ward, wurden die zensorischen Revisionen überflüssig und durch deren Wegfall das wesentliche Grundprinzip jeder Oligarchie, die Inamovibilität und Lebenslänglichkeit der zu Sitz und Stimme gelangten Glieder des Herrenstandes, endgültig konsolidiert.

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7 Wieviele Quästoren bis dahin jährlich gewählt wurden, ist nicht bekannt. Im Jahre 487 (267) stellte sich die Zahl auf acht: zwei städtische, zwei Militär- und vier Flottenquästoren; wozu dann die in den Ämtern beschäftigten Quästoren hinzugetreten sind. Denn die Flottenquästuren in Ostia, Cales und so weiter gingen keineswegs ein, und auch die Militärquästoren konnten nicht anderweitig verwendet werden, da sonst der Konsul, wo er als Oberfeldherr auftrat, ohne Quästor gewesen sein würde. Da es nun bis auf Sulla neun Ämter gab, überdies nach Sizilien zwei Quästoren gingen, so könnte er möglicherweise schon achtzehn Quästoren vorgefunden haben. Wie indes auch die Zahl der Oberbeamten dieser Zeit beträchtlich geringer als die ihrer Kompetenzen gewesen und hier stets durch Fristerstreckung und andere Aushilfen Rat geschafft worden ist, überhaupt die Tendenz der römischen Regierung darauf ging, die Zahl der Beamten möglichst zu beschränken, so mag es auch mehr quästorische Kompetenzen gegeben haben als Quästoren, und es kann selbst sein, daß in kleine Provinzen, wie zum Beispiel Kilikien, in dieser Zeit gar kein Quästor ging. Aber sicher hat es doch schon vor Sulla mehr als acht Quästoren gegeben.

8 Von einer festen Zahl der Senatoren kann genau genommen überhaupt nicht die Rede sein. Wenn auch die Zensoren vor Sulla jedesmal eine Liste von 300 Köpfen anfertigten, so traten doch zu dieser immer noch diejenigen Nichtsenatoren hinzu, die nach Abfassung der Liste bis zur Aufstellung der nächsten ein kurulisches Amt bekleideten; und nach Sulla gab es so viele Senatoren, als gerade Quästorier am Leben waren. Wohl aber ist anzunehmen, daß Sulla den Senat auf ungefähr 500 bis 600 Köpfe zu bringen bedacht war; und diese Zahl ergibt sich, wenn jährlich 20 neue Mitglieder von durchschnittlich 30 Jahren eintraten und man die durchschnittliche Dauer der senatorischen Würde auf 25 bis 30 Jahre ansetzt. In einer stark besuchten Senatssitzung der ciceronischen Zeit waren 417 Mitglieder anwesend.

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Hinsichtlich der Gesetzgebung begnügte sich Sulla, die im Jahre 666 (88) getroffenen Bestimmungen wiederaufzunehmen und die legislatorische Initiative, wie sie längst tatsächlich dem Senat zustand, wenigstens den Tribunen gegenüber auch gesetzlich ihm zu sichern. Die Bürgerschaft blieb der formelle Souverän; allein was ihre Urversammlungen anlangt, so schien es dem Regenten notwendig, die Form zwar sorgfältig zu konservieren, aber jede wirkliche Tätigkeit derselben noch sorgfältiger zu verhüten. Sogar mit dem Bürgerrecht selbst ging Sulla in der geringschätzigsten Weise um; er machte keine Schwierigkeit, weder den Neubürgergemeinden es zuzugestehen noch Spanier und Kelten in Masse damit zu beschenken; ja es geschah, wahrscheinlich nicht ohne Absicht, schlechterdings gar nichts für die Feststellung der Bürgerliste, die doch nach so gewaltigen Umwälzungen einer Revision dringend bedurfte, wenn es überhaupt der Regierung noch mit den hieran sich knüpfenden Rechtsbefugnissen Ernst war. Geradezu beschränkt wurde die legislatorische Kompetenz der Komitien übrigens nicht; es war auch nicht nötig, da ja infolge der besser gesicherten Initiative des Senats das Volk ohnehin nicht leicht wider den Willen der Regierung in die Verwaltung, das Finanzwesen und die Kriminaljurisdiktion eingreifen konnte und seine legislative Mitwirkung wesentlich wieder zurückgeführt ward auf das Recht, zu Änderungen der Verfassung ja zu sagen.

Wichtiger war die Beteiligung der Bürgerschaft bei den Wahlen, deren man nun einmal nicht entbehren zu können schien, ohne mehr aufzurütteln, als Sullas obenhin sich haltende Restauration aufrütteln konnte und wollte. Die Eingriffe der Bewegungspartei in die Priesterwahlen wurden beseitigt; nicht bloß das Domitische Gesetz von 650 (104), das die Wahlen zu den höchsten Priesterämtern überhaupt dem Volke übertrug, sondern auch die älteren gleichartigen Verfügungen hinsichtlich des Oberpontifex und des Obercurio wurden von Sulla kassiert und den Priesterkollegien das Recht der Selbstergänzung in seiner ursprünglichen Unbeschränktheit zurückgegeben. Hinsichtlich der Wahlen zu den Staatsämtern aber blieb es im ganzen bei der bisherigen Weise; außer insofern die sogleich zu erwähnende neue Regulierung des militärischen Kommandos allerdings folgeweise eine wesentliche Beschränkung der Bürgerschaft in sich schloß, ja gewissermaßen das Vergebungsrecht der Feldherrnstellen von der Bürgerschaft auf den Senat übertrug. Es scheint nicht einmal, daß Sulla die früher versuchte Restauration der Servianischen Stimmordnung jetzt wiederaufnahm, sei es nun, daß er es überhaupt als gleichgültig betrachtete, ob die Stimmabteilungen so oder so zusammengesetzt seien, sei es, daß diese ältere Ordnung ihm den gefährlichen Einfluß der Kapitalisten zu steigern schien. Nur die Qualifikationen wurden wiederhergestellt und teilweise gesteigert. Die zur Bekleidung eines jeden Amtes erforderliche Altersgrenze ward aufs neue eingeschärft; ebenso die Bestimmung, daß jeder Bewerber um das Konsulat vorher die Prätur, jeder Bewerber um die Prätur vorher die Quästur bekleidet haben müsse, wogegen es gestattet war, die Ädilität zu übergehen. Mit besonderer Strenge wurde, in Hinblick auf die jüngst mehrfach vorgenommenen Versuche, in der Form des durch mehrere Jahre hindurch fortgesetzten Konsulats die Tyrannis zu begründen, gegen diesen Mißbrauch eingeschritten und verfügt, daß zwischen der Bekleidung zweier ungleicher Ämter mindestens zwei, zwischen der zweimaligen Bekleidung desselben Amtes mindestens zehn Jahre verfließen sollten; mit welcher letzteren Bestimmung, anstatt der in der jüngsten ultraoligarchischen Epoche beliebten absoluten Untersagung jeder Wiederwahl zum Konsulat, wieder die ältere Ordnung vom Jahre 412 (342) aufgenommen ward. Im ganzen aber ließ Sulla den Wahlen ihren Lauf und suchte nur die Beamtengewalt in der Art zu fesseln, daß, wen auch immer die unberechenbare Laune der Komitien zum Amte berief, der Gewählte außerstande sein würde, gegen die Oligarchie sich aufzulehnen.

Die höchsten Beamten des Staats waren in dieser Zeit tatsächlich die drei Kollegien der Volkstribune, der Konsuln und Prätoren und der Zensoren. Sie alle gingen aus der Sullanischen Restauration mit wesentlich geschmälerten Rechten hervor; vor allem das tribunizische Amt, das dem Regenten erschien als ein zwar auch für das Senatsregiment unentbehrliches, aber dennoch, als von der Revolution erzeugt und stets geneigt, wieder Revolutionen aus sich zu erzeugen, strenger und dauernder Fesselung bedürftiges Werkzeug. Von dem Rechte, die Amtshandlungen der Magistrate durch Einschreiten zu kassieren, den Kontravenienten eventuell zu brächen und dessen weitere Bestrafung zu veranlassen, war die tribunizische Gewalt ausgegangen; dies blieb den Tribunen auch jetzt, nur daß auf den Mißbrauch des Interzessionsrechts eine schwere, die bürgerliche Existenz regelmäßig vernichtende Geldstrafe gesetzt ward. Die weitere Befugnis des Tribuns, mit dem Volke nach Gutdünken zu verhandeln, teils um Anklagen einzubringen, insbesondere gewesene Beamte vor dem Volk zur Rechenschaft zu ziehen, teils um Gesetze zur Abstimmung vorzulegen, war der Hebel gewesen, durch den die Gracchen, Saturninus, Sulpicius den Staat umgewälzt hatten; sie ward nicht aufgehoben, aber wohl von einer vorgängig bei dem Senat nachzusuchenden Erlaubnis abhängig gemacht 9. Endlich wurde hinzugefügt, daß die Bekleidung des Tribunats in Zukunft zur Übernahme eines höheren Amtes unfähig machen solle - eine Bestimmung, die wie so manches andere in Sullas Restauration wieder auf die altpatrizischen Satzungen zurückkam und, ganz wie in den Zeiten vor der Zulassung der Plebejer zu den bürgerlichen Ämtern, das Tribunat einer- und die kurulischen Ämter andererseits miteinander unvereinbar erklärte. Auf diese Weise hoffte der Gesetzgeber der Oligarchie, der tribunizischen Demagogie zu wehren und alle ehrgeizigen und aufstrebenden Männer von dem Tribunat fernzuhalten, dagegen dasselbe festzuhalten als Werkzeug des Senats, sowohl zur Vermittlung zwischen diesem und der Bürgerschaft, als auch vorkommendenfalls zur Niederhaltung der Magistratur; und wie die Herrschaft des Königs und später der republikanischen Beamten über die Bürgerschaft kaum irgendwo so klar zu Tage tritt wie in dem Satze, daß ausschließlich sie das Recht haben, öffentlich zum Volke zu reden, so zeigt sich die jetzt zuerst rechtlich festgestellte Oberherrlichkeit des Senats am bestimmtesten in dieser von dem Vormann des Volkes für jede Verhandlung mit demselben vom Senat zu erbittenden Erlaubnis.

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9 Darauf gehen die Worte des Lepidus bei Sallust (bist. 1, 41, 11 Dietsch): populus Romanus exutus … iure agitandi, auf die Tacitus (ann. 3, 27) anspielt: statim turbidis Lepidi rogationibus neque multo post tribunis reddita licentia quoquo vellent populum agitandi. Daß die Tribune nicht überhaupt das Recht verloren, mit dem Volke zu verhandeln, zeigt deutlicher als Cic. leg. 3, 4, 10 das Plebiszit de Thermensibus, welches aber auch in der Eingangsformel sich bezeichnet als de senatus sententia erlassen. Daß die Konsuln dagegen auch nach der Sullanischen Ordnung ohne vorgängigen Senatsbeschluß Anträge an das Volk bringen konnten, beweist nicht bloß das Stillschweigen der Quellen, sondern auch der Verlauf der Revolutionen von 667 (87) und 676 (78), deren Führer eben aus diesem Grunde nicht Tribune, sondern Konsuln gewesen sind. Darum begegnen auch in dieser Zeit konsularische Gesetze über administrative Nebenfragen, wie zum Beispiel das Getreidegesetz von 681 (73), für die zu andern Zeiten sicher Plebiszite eingetreten sein würden.

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Auch Konsulat und Prätur, obwohl sie von dem aristokratischen Regenerator Roms mit günstigeren Augen betrachtet wurden als das an sich verdächtige Tribunat, entgingen doch keineswegs dem Mißtrauen gegen das eigene Werkzeug, welches durchaus die Oligarchie bezeichnet. Sie wurden in schonenderen Formen, aber in sehr fühlbarer Weise beschränkt. Sulla knüpfte hier an die Geschäftsteilung an. Zu Anfang dieser Periode bestand dafür die folgende Ordnung. Den beiden Konsuln lag immer noch, wie ehemals der Inbegriff der Geschäfte des höchsten Amtes überhaupt, so jetzt derjenige Inbegriff der höchsten Amtsgeschäfte ob, für welchen nicht gesetzlich besondere Kompetenzen festgestellt waren. Dies letztere war der Fall mit dem hauptstädtischen Gerichtswesen, womit die Konsuln sich nach einer unverbrüchlich festgehaltenen Regel nicht befassen durften, und mit den damals bestehenden überseeischen Ämtern: Sizilien, Sardinien und den beiden Spanien, in denen der Konsul das Kommando zwar führen konnte, aber nur ausnahmsweise führte. Im ordentlichen Lauf der Dinge wurden demnach sechs Spezialkompetenzen, die beiden hauptstädtischen Gerichtsvorstandschaften und die vier überseeischen Ämter unter die sechs Prätoren vergeben, woneben den beiden Konsuln kraft ihrer Generalkompetenz die Leitung der hauptstädtischen nichtgerichtlichen Geschäfte und das militärische Kommando in den festländischen Besitzungen oblag. Da diese Generalkompetenz also doppelt besetzt war, blieb der Sache nach der eine Konsul zur Verfügung der Regierung, und für gewöhnliche Zeiten kam man demnach mit jenen acht höchsten Jahresbeamten vollständig, ja reichlich aus. Für außerordentliche Fälle blieb es ferner vorbehalten, teils die nicht militärischen Kompetenzen zu kumulieren, teils die militärischen über die Endfrist hinaus fortdauern zu lassen (prorogare). Es war nicht ungewöhnlich, die beiden Gerichtsvorstandschaften demselben Prätor zu übertragen und die regelmäßig von den Konsuln zu beschaffenden hauptstädtischen Geschäfte durch den Stadtprätor versehen zu lassen; wogegen es verständigerweise möglichst vermieden ward, mehrere Kommandos in derselben Hand zu vereinigen. Hier half vielmehr die Regel aus, daß im militärischen Imperium es kein Interregnum gab, also dasselbe, obwohl gesetzlich befristet, doch nach Eintritt des Endtermines von Rechts wegen noch so lange fortdauerte, bis der Nachfolger erschien und dem Vorgänger das Kommando abnahm, oder, was dasselbe ist, daß der kommandierende Konsul oder Prätor nach Ablauf seiner Amtszeit, wenn der Nachfolger nicht erschien, an Konsuls oder Prätors Statt weiter fungieren konnte und mußte. Der Einfluß des Senats auf diese Geschäftsverteilung bestand darin, daß es observanzmäßig von ihm abhing, entweder die Regel walten, also die sechs Prätoren die sechs Spezialkompetenzen unter sich verlosen und die Konsuln die festländischen, nichtgerichtlichen Geschäfte besorgen zu lassen, oder irgendeine Abweichung von derselben anzuordnen, etwa dem Konsul ein augenblicklich besonders wichtiges überseeisches Kommando zuzuweisen oder eine außerordentliche militärische und gerichtliche Kommission, zum Beispiel das Flottenkommando oder eine wichtige Kriminaluntersuchung, unter die zur Verteilung kommenden Kompetenzen aufzunehmen und die dadurch weiter nötig werdenden Kumulationen und Fristerstreckungen zu veranlassen - wobei übrigens lediglich die Absteckung der jedesmaligen konsularischen und respektiv prätorischen Kompetenzen, nicht die Bezeichnung der für das einzelne Amt eintretenden Personen dem Senate zustand, die letztere vielmehr durchgängig durch Vereinbarung der konkurrierenden Beamten oder durch das Los erfolgte. Die Bürgerschaft war in der älteren Zeit wohl veranlaßt worden, die in dem Unterlassen der Ablösung enthaltene tatsächliche Verlängerung des Kommandos durch besonderen Gemeindebeschluß zu regularisieren; indes war dies mehr dem Geiste, als dem Buchstaben der Verfassung nach notwendig und bald griff die Bürgerschaft hierbei nicht weiter ein. Im Laufe des siebenten Jahrhunderts traten nun allmählich zu den bestehenden sechs Spezialkompetenzen sechs andere hinzu; die fünf neuen Statthalterschaften von Makedonien, Africa, Asia, Narbo und Kilikien und die Vorstandschaft in dem stehenden Kommissionsgericht wegen Erpressungen. Mit dem immer mehr sich ausdehnenden Wirkungskreise der römischen Regierung trat überdies immer häufiger der Fall ein, daß die Oberbeamten für außerordentliche militärische oder prozessualische Kommissionen in Anspruch genommen wurden. Dennoch wurde die Zahl der ordentlichen höchsten Jahrbeamten nicht vermehrt; und es kamen also auf acht jährlich zu ernennende Beamte, von allem andern abgesehen, mindestens zwölf jährlich zu besetzende Spezialkompetenzen. Natürlich war es nicht Zufall, daß man dies Defizit nicht durch Kreierung neuer Prätorenstellen ein für allemal deckte. Dem Buchstaben der Verfassung gemäß sollten die sämtlichen höchsten Beamten Jahr für Jahr von der Bürgerschaft ernannt werden; nach der neuen Ordnung oder vielmehr Unordnung, derzufolge die entstehenden Lücken wesentlich durch Fristerstreckung ausgefüllt wurden und den gesetzlich ein Jahr fungierenden Beamten in der Regel vom Senat ein zweites Jahr zugelegt, nach Befinden dasselbe aber auch verweigert ward, besetzte die wichtigsten und lukrativsten Stellen im Staate nicht mehr die Bürgerschaft, sondern aus einer durch die Bürgerschaftswahlen gebildeten Konkurrentenliste der Senat. Üblich ward es dabei, da unter diesen Stellen die überseeischen Kommandos als die einträglichsten vor allem gesucht waren, denjenigen Beamten, die ihr Amt entweder rechtlich oder doch tatsächlich an die Hauptstadt fesselte, also den beiden Vorstehern der städtischen Gerichtsbarkeit und häufig auch den Konsuln, nach Ablauf ihres Amtsjahrs ein überseeisches Kommando zu übertragen, was mit dem Wesen der Prorogation sich vertrug, da die Amtsgewalt des in Rom und des in der Provinz fungierenden Oberbeamten wohl anders bezogen, aber nicht eigentlich staatsrechtlich eine qualitativ andere war.

Diese Verhältnisse fand Sulla vor und sie lagen seiner neuen Ordnung zu Grunde. Der Grundgedanke derselben war die vollständige Scheidung der politischen Gewalt, welche in den Bürger-, und der militärischen, welche in den Nichtbürgerdistrikten regierte, und die durchgängige Erstreckung der Dauer des höchsten Amtes von einem Jahr auf zwei, von denen das erstere den bürgerlichen, das zweite den militärischen Geschäften gewidmet ward. Räumlich waren die bürgerliche und die militärische Gewalt allerdings längst schon durch die Verfassung geschieden, und endete jene an dem Pomerium, wo diese begann; allein immer noch hielt derselbe Mann die höchste politische und die höchste militärische Macht in seiner Hand vereinigt. Künftig sollte der Konsul und Prätor mit Rat und Bürgerschaft verhandeln, der Prokonsul und Proprätor die Armee kommandieren, jenem aber jede militärische, diesem jede politische Tätigkeit gesetzlich abgeschnitten sein. Dies führte zunächst zu der politischen Trennung der norditalischen Landschaft von dem eigentlichen Italien. Bisher hatten dieselben wohl in einem nationalen Gegensatz gestanden, insofern Norditalien vorwiegend von Ligurern und Kelten, Mittel- und Süditalien von Italikern bewohnt ward; allein politisch und administrativ stand das gesamte festländische Gebiet des römischen Staates von der Meerenge bis an die Alpen mit Einschluß der illyrischen Besitzungen, Bürger-, latinische und Nichtitalikergemeinden ohne Unterschied, im ordentlichen Laufe der Dinge unter der Verwaltung der in Rom eben fungierenden höchsten Beamten, wie denn ja auch die Kolonialgründungen sich durch dies ganze Gebiet erstreckten. Nach Sullas Ordnung wurde das eigentliche Italien, dessen Nordgrenze zugleich statt des Aesis der Rubico ward, als ein jetzt ohne Ausnahme von römischen Bürgern bewohntes Gebiet, den ordentlichen römischen Obrigkeiten untergeben und daß in diesem Sprengel regelmäßig keine Truppen und kein Kommandant standen, einer der Fundamentalsätze des römischen Staatsrechts; das Keltenland diesseits der Alpen dagegen, in dem schon der beständig fortwährenden Einfälle der Alpenvölker wegen ein Kommando nicht entbehrt werden konnte, wurde nach dem Muster der älteren überseeischen Kommandos als eigene Statthalterschaft konstituiert ^10. Indem nun endlich die Zahl der jährlich zu ernennenden Prätoren von sechs auf acht erhöht ward, stellte sich die neue Geschäftsordnung dahin, daß die jährlich zu ernennenden zehn höchsten Beamten während ihres ersten Amtsjahrs als Konsuln oder Prätoren den hauptstädtischen Geschäften - die beiden Konsuln der Regierung und Verwaltung, zwei der Prätoren der Zivilrechtspflege, die übrigen sechs der reorganisierten Kriminaljustiz - sich widmeten, während ihres zweiten Amtsjahrs als Prokonsuln oder Proprätoren das Kommando in einer der zehn Statthalterschaften: Sizilien, Sardinien, beiden Spanien, Makedonien, Asia, Africa, Narbo, Kilikien und dem italischen Keltenland übernahmen. Die schon erwähnte Vermehrung der Quästorenzahl durch Sulla auf zwanzig gehört ebenfalls in diesen Zusammenhang ^11.

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^10 Für diese Annahme gibt es keinen anderen Beweis, als daß das italische Keltenland eine Provinz in dem Sinne, wo das Wort einen geschlossenen und von einem jährlich erneuerten Statthalter verwalteten Sprengel bedeutet, in den älteren Zeiten ebenso entschieden nicht ist wie allerdings in der caesarischen es eine ist (vgl. Licin. p. 39: Data erat et Sullae provincia Gallia cisalpina).

Nicht viel anders steht es mit der Vorschiebung der Grenze; wir wissen, daß ehemals der Aesis, zu Caesars Zeit der Rubico, das Keltenland von Italien schied, aber nicht, wann die Vorrückung stattfand. Man hat zwar daraus, daß Marcus Terentius Varro Lucullus als Proprätor in dem Distrikt zwischen Aesis und Rubico eine Grenzregulierung vornahm (Orelli 570), geschlossen, daß derselbe wenigstens im Jahre nach Lucullus’ Prätur 679 (75) noch Provinzialland gewesen sein müsse, da auf italischem Boden der Proprätor nichts zu schaffen habe. Indes nur innerhalb des Pomerium hört jedes prorogierte Imperium von selber auf; in Italien dagegen ist auch nach Sullas Ordnung ein solches zwar nicht regelmäßig vorhanden, aber doch zulässig, und ein außerordentliches ist das von Lucullus bekleidete Amt doch auf jeden Fall gewesen. Wir können aber auch nachweisen, wann und wie Lucullus ein solches in dieser Gegend bekleidet hat. Gerade er war schon vor der Sullanischen Reorganisation 672 (82) als kommandierender Offizier eben hier tätig und wahrscheinlich, ebenwie Pompeius, von Sulla mit proprätorischer Gewalt ausgestattet; in dieser Eigenschaft wird er 672 (82) oder 673 (81) (vgl. App. 1, 95) die fragliche Grenze reguliert haben. Aus dieser Inschrift folgt also für die rechtliche Stellung Norditaliens überhaupt nichts und am wenigsten für die Zeit nach Sullas Diktatur. Dagegen ist es ein bemerkenswerter Fingerzeig, daß Sulla das römische Pomerium vorschob (Sen. dial. 10, 14; Dio Cass. 43, 50), was nach römischem Staatsrecht nur dem gestattet war, der nicht etwa die Reichs-, sondern die Stadt-, d. h. die italische Grenze vorgerückt hatte.

^11 Da nach Sizilien zwei, in jede andere Provinz ein Quästor gingen, überdies die zwei städtischen und die zwei den Konsuln bei der Kriegsführung beigeordneten und die vier Flottenquästoren bestehen blieben, so waren hierfür neunzehn Beamte jährlich erforderlich. Die zwanzigste Quästorenkompetenz läßt sich nicht nachweisen.

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Zunächst ward hiermit an die Stelle der bisherigen unordentlichen und zu allen möglichen schlechten Manövern und Intrigen einladenden Ämterverteilung eine klare und feste Regel gesetzt, dann aber auch den Ausschreitungen der Beamtengewalt nach Möglichkeit vorgebeugt und der Einfluß der obersten Regierungsbehörde wesentlich gesteigert. Nach der bisherigen Ordnung ward in dem Reiche rechtlich nur unterschieden die Stadt, welche der Mauerring umschloß, und die Landschaft außerhalb des Pomerium; die neue Ordnung setzte an die Stelle der Stadt das neue, fortan als ewig befriedet dem regelmäßigen Kommando entzogene Italien ^12 und ihm gegenüber das festländische und überseeische Gebiet, das umgekehrt notwendig unter Militärkommandanten steht, die von jetzt an sogenannten Provinzen. Nach der bisherigen Ordnung war derselbe Mann sehr häufig zwei, oft auch mehr Jahre in demselben Amte verblieben; die neue Ordnung beschränkte die hauptstädtischen Ämter wie die Statthalterposten durchaus auf ein Jahr, und die spezielle Verfügung, daß jeder Statthalter binnen dreißig Tagen, nachdem der Nachfolger in seinem Sprengel eingetroffen sei, denselben unfehlbar zu verlassen habe, zeigt sehr klar, namentlich wenn man damit noch das früher erwähnte Verbot der unmittelbaren Wiederwahl des gewesenen Beamten zu demselben oder einem anderen Volksamt zusammennimmt, was die Tendenz dieser Einrichtungen war: es war die alterprobte Maxime, durch die einst der Senat das Königtum sich dienstbar gemacht hatte, daß die Beschränkung der Magistratur der Kompetenz nach der Demokratie, die der Zeit nach der Oligarchie zugute komme. Nach der bisherigen Ordnung hatte Gaius Marius zugleich als Haupt des Senats und als Oberfeldherr des Staates amtiert; wenn er es nur seiner eigenen Ungeschicklichkeit zuzuschreiben hatte, daß es ihm mißlang, mittels dieser doppelten Amtsgewalt die Oligarchie zu stürzen, so schien nun dafür gesorgt, daß nicht etwa ein klügerer Nachfolger denselben Hebel besser gebrauche. Nach der bisherigen Ordnung hatte auch der vom Volke unmittelbar ernannte Beamte eine militärische Stellung haben können; die sullanische dagegen behielt diese ausschließlich denjenigen Beamten vor, die der Senat durch Erstreckung der Amtsfrist in ihrer Amtsgewalt bestätigte. Zwar war diese Amtsverlängerung jetzt stehend geworden; dennoch wurde sie den Auspizien und dem Namen, überhaupt der staatsrechtlichen Formulierung nach auch ferner als außerordentliche Fristerstreckung behandelt. Es war dies nicht gleichgültig. Den Konsul oder den Prätor konnte nur die Bürgerschaft seines Amtes entsetzen; den Prokonsul und den Proprätor ernannte und entließ der Senat, so daß durch diese Verfügung die gesamte Militärgewalt, auf die denn doch zuletzt alles ankam, formell wenigstens vom Senat abhängig wurde.

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^12 Die italische Eidgenossenschaft ist viel älter; aber sie ist ein Staatenbund, nicht, wie das sullanische Italien, ein innerhalb des Römischen Reiches einheitlich abgegrenztes Staatsgebiet.

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Daß endlich das höchste aller Ämter, die Zensur, nicht förmlich aufgehoben, aber in derselben Art beseitigt ward wie ehemals die Diktatur, ward schon bemerkt. Praktisch konnte man derselben allenfalls entraten. Für die Ergänzung des Senats war anderweitig gesorgt. Seit Italien tatsächlich steuerfrei war und das Heer wesentlich durch Werbung gebildet ward, hatte das Verzeichnis der Steuer- und Dienstpflichtigen in der Hauptsache seine Bedeutung verloren; und wenn in der Ritterliste und dem Verzeichnis der Stimmberechtigten Unordnung einriß, so mochte man dies nicht gerade ungern sehen. Es blieben also nur die laufenden Finanzgeschäfte, welche die Konsuln schon bisher verwaltet hatten, wenn, wie dies häufig vorkam, die Zensorenwahl unterblieben war, und nun als einen Teil ihrer ordentlichen Amtstätigkeit übernahmen. Gegen den wesentlichen Gewinn, daß der Magistratur in den Zensoren ihre höchste Spitze entzogen ward, kam nicht in Betracht und tat der Alleinherrschaft des höchsten Regierungskollegiums durchaus keinen Eintrag, daß, um die Ambition der jetzt so viel zahlreicheren Senatoren zu befriedigen, die Zahl der Pontifices und die der Augurn von neun, die der Orakelbewahrer von zehn auf je fünfzehn, die der Schmausherren von drei auf sieben vermehrt ward.

In dem Finanzwesen stand schon nach der bisherigen Verfassung die entscheidende Stimme bei dem Senat; es handelte sich demnach hier um die Wiederherstellung einer geordneten Verwaltung. Sulla hatte anfänglich sich in nicht geringer Geldnot befunden; die aus Kleinasien mitgebrachten Summen waren für den Sold des zahlreichen und stets anschwellenden Heeres bald verausgabt. Noch nach dem Siege am Collinischen Tor hatte der Senat, da die Staatskasse nach Praeneste entführt worden war, sich zu Notschritten entschließen müssen. Verschiedene Bauplätze in der Hauptstadt und einzelne Stücke der kampanischen Domäne wurden feilgeboten, die Klientelkönige, die befreiten und bundesgenössischen Gemeinden außerordentlicherweise in Kontribution gesetzt, zum Teil ihnen ihr Grundbesitz und ihre Zölle eingezogen, anderswo denselben für Geld neue Privilegien zugestanden. Indes der bei der Übergabe von Praeneste vorgefundene Rest der Staatskasse von beiläufig 4 Mill. Talern, die bald beginnenden Versteigerungen und andere außerordentliche Hilfsquellen halfen der augenblicklichen Verlegenheit ab. Für die Zukunft aber ward gesorgt weniger durch die asiatische Abgabenreform, bei der vorzugsweise die Steuerpflichtigen gewannen und die Staatskasse wohl nur nicht verlor, als durch die Wiedereinziehung der kampanischen Domäne, wozu jetzt noch Aenaria gefügt ward, und vor allem durch die Abschaffung der Kornverteilungen, die seit Gaius Gracchus wie ein Krebs an den römischen Finanzen gezehrt hatten.

Dagegen ward das Gerichtswesen wesentlich umgestaltet, teils aus politischen Rücksichten, teils um in die bisherige sehr unzulängliche und unzusammenhängende Prozeßlegislation größere Einheit und Brauchbarkeit zu bringen. Nach der bisherigen Ordnung gingen die Prozesse zur Entscheidung teils an die Bürgerschaft, teils an Geschworene. Die Gerichte, in denen die ganze Bürgerschaft auf Provokation von dem Urteil des Magistrats hin entschied, lagen bis auf Sulla in den Händen in erster Reihe der Volkstribune, in zweiter der Ädilen, indem sämtliche Prozesse, durch die ein Beamter oder Beauftragter der Gemeinde wegen seiner Geschäftsführung zur Verantwortung gezogen ward, mochten sie auf Leib und Leben oder auf Geldbußen gehen, von den Volkstribunen, alle übrigen Prozesse, in denen schließlich das Volk entschied, von den kurulischen oder plebejischen Ädilen in erster Instanz abgeurteilt, in zweiter geleitet wurden. Sulla hat den tribunizischen Rechenschaftsprozeß wenn nicht geradezu abgeschafft, so doch, ebenwie die legislatorische Initiative der Tribune, von der vorgängigen Einwilligung des Senats abhängig gemacht und vermutlich auch den ädilizischen Strafprozeß in ähnlicher Weise beschränkt. Dagegen erweiterte er die Kompetenz der Geschworenengerichte. Es gab damals ein doppeltes Verfahren vor Geschworenen. Das ordentliche, welches anwendbar war in allen nach unserer Auffassung zu einem Kriminal- oder Zivilprozeß sich eignenden Fällen, mit Ausnahme der unmittelbar gegen den Staat gerichteten Verbrechen, bestand darin, daß der eine der beiden hauptstädtischen Gerichtsherren die Sache instruierte und ein von ihm ernannter Geschworener auf Grund dieser Instruktion entschied. Der außerordentliche Geschworenenprozeß trat ein in einzelnen wichtigen Zivil- oder Kriminalfällen, wegen welcher durch besondere Gesetze anstatt des Einzelgeschworenen ein eigener Geschworenenhof bestellt worden war. Dieser Art waren teils die für einzelne Fälle konstituierten Spezialgerichtsstellen; teils die stehenden Kommissionalgerichtshöfe, wie sie für Erpressungen, für Giftmischerei und Mord, vielleicht auch für Wahlbestechung und andere Verbrechen im Laufe des siebenten Jahrhunderts niedergesetzt worden waren; teils endlich die beiden Höfe der Zehnmänner für den Freiheits- und der Hundertundfünf- oder kürzer der Hundertmänner für den Erbschaftsprozeß, auch von dem bei allem Eigentumsstreit gebrauchten Lanzenschaft das Schaftgericht (hasta) genannt. Der Zehnmännerhof (decemviri litibus iudicandis) war eine uralte Institution zum Schutze der Plebejer gegen ihre Herren. Zeit und Veranlassung der Entstehung des Schaftgerichts liegen im Dunkeln, werden aber vermutlich ungefähr dieselben sein wie bei den oben erwähnten wesentlich gleichartigen Kriminalkommissionen. Über die Leitung dieser verschiedenen Gerichtshöfe war in den einzelnen Gerichtsordnungen verschieden bestimmt; so standen dem Erpressungsgericht ein Prätor, dem Mordgericht ein aus den gewesenen Ädilen besonders ernannter Vorstand, dem Schaftgericht mehrere aus den gewesenen Quästoren genommene Direktoren vor. Die Geschworenen wurden wenigstens für das ordentliche wie für das außerordentliche Verfahren in Gemäßheit der Gracchischen Ordnung aus den nichtsenatorischen Männern von Ritterzensus genommen; die Auswahl stand im allgemeinen den Magistraten zu, die die Gerichtsleitung hatten, jedoch in der Weise, daß sie mit dem Antritt ihres Amts die Geschworenenliste ein für allemal aufzustellen hatten und dann das einzelne Geschworenenkollegium aus diesen nicht durch freie Auswahl des Magistrats, sondern durch Losung und durch Rejektion der Parteien gebildet ward. Aus der Volkswahl gingen nur die Zehnmänner für den Freiheitsprozeß hervor.

Sullas Reformen waren hauptsächlich dreifacher Art. Einmal vermehrte er die Zahl der Geschworenenhöfe sehr beträchtlich. Es gab späterhin besondere Geschworenenkommissionen für Erpressung; für Mord mit Einschluß von Brandstiftung und falschem Zeugnis; für Wahlbestechung; ferner für Hochverrat und jede Entehrung des römischen Namens; für die schwersten Betrugsfälle: Testaments- und Münzfälschung; für Ehebruch; für die schwersten Ehrverletzungen, namentlich Realinjurien und Störung des Hausfriedens; vielleicht auch für Unterschlagung öffentlicher Gelder, für Zinswucher und andere Vergehen; und wenigstens die meisten dieser Höfe sind von Sulla entweder vorgefunden oder ins Leben gerufen und von ihm mit einer besonderen Kriminal- und Kriminalprozeßordnung versehen worden. Übrigens blieb es der Regierung unbenommen, vorkommendenfalls für einzelne Gruppen von Verbrechen Spezialhöfe zu bestellen. Folgeweise wurden hierdurch die Volksgerichte im wesentlichen abgeschafft, namentlich die Hochverratsprozesse an die neue Hochverratskommission gewiesen, der ordentliche Geschworenenprozeß bedeutend beschränkt, indem ihm die schwereren Fälschungen und Injurien entzogen wurden. Was zweitens die Oberleitung der Gerichte anlangt, so standen, wie schon erwähnt ward, jetzt für die Leitung der verschiedenen Geschworenenhöfe sechs Prätoren zur Disposition, denen noch für die am meisten in Anspruch genommene Kommission für Mordtaten eine Anzahl anderer Dirigenten zugegeben wurden. In die Geschworenenstellen traten drittens statt der gracchischen Ritter wieder die Senatoren ein.

Der politische Zweck dieser Verfügungen, der bisherigen Mitregierung der Ritter ein Ende zu machen, liegt klar zu Tage; aber ebensowenig läßt es sich verkennen, daß dieselben nicht bloß politische Tendenzmaßregeln waren, sondern hier der erste Versuch gemacht wurde, dem seit den ständischen Kämpfen immer mehr verwilderten römischen Kriminalprozeß und Kriminalrecht wiederaufzuhelfen. Von dieser Sullanischen Gesetzgebung datiert sich die dem älteren Recht unbekannte Scheidung von Kriminal- und Zivilsachen in dem Sinn, den wir noch heute damit verbinden: als Kriminalsache erscheint seitdem, was vor die von dem Prätor geleitete Geschworenenbank gehört, als Zivilsache dasjenige Verfahren, wo der oder die Geschworenen nicht unter prätorischem Vorsitz funktionieren. Die Gesamtheit der Sullanischen Quästionenordnungen läßt sich zugleich als das erste römische Gesetzbuch nach den Zwölf Tafeln und als das erste überhaupt je besonders erlassene Kriminalgesetzbuch bezeichnen. Aber auch im einzelnen zeigt sich ein löblicher und liberaler Geist. So seltsam es von dem Urheber der Proskriptionen klingen mag, so bleibt es darum nichtsdestoweniger wahr, daß er die Todesstrafe für politische Vergehen abgeschafft hat; denn da nach römischer, auch von Sulla unverändert festgehaltener Sitte nur das Volk, nicht die Geschworenenkommission auf Verlust des Lebens oder auf gefängliche Haft erkennen konnte, so kam die Übertragung der Hochverratsprozesse von der Bürgerschaft auf eine stehende Kommission hinaus auf die Abschaffung der Todesstrafe für solche Vergehen, während andererseits in der Beschränkung der verderblichen Spezialkommissionen für einzelne Hochverratsfälle, wie deren eine die Varische im Bundesgenossenkrieg gewesen war; gleichfalls ein Fortschritt zum Besseren lag. Die gesamte Reform ist von ungemeinem und dauerndem Nutzen gewesen und ein bleibendes Denkmal des praktischen, gemäßigten, staatsmännischen Geistes, der ihren Urheber wohl würdig machte, gleich den alten Dezemvirn als souveräner Vermittler mit der Rolle des Gesetzes zwischen die Parteien zu treten.

Als einen Anhang zu diesen Kriminalgesetzen mag man die polizeilichen Ordnungen betrachten, durch welche Sulla, das Gesetz an die Stelle des Zensors setzend, gute Zucht und strenge Sitte wieder einschärfte und durch Feststellung neuer Maximalsätze anstatt der alten längst verschollenen den Luxus bei Mahlzeiten, Begräbnissen und sonst zu beschränken versuchte.

Endlich ist wenn nicht Sullas, doch das Werk der sullanischen Epoche die Entwicklung eines selbständigen römischen Munizipalwesens. Dem Altertum ist der Gedanke, die Gemeinde als ein untergeordnetes politisches Ganze dem höheren Staatsganzen organisch einzufügen, ursprünglich fremd; die Despotie des Ostens kennt städtische Gemeinwesen im strengen Sinne des Worts nicht und in der ganzen hellenisch-italischen Welt fällt Stadt und Staat notwendig zusammen. Insofern gibt es in Griechenland wie in Italien von Haus aus ein eigenes Munizipalwesen nicht. Vor allem die römische Politik hielt mit der ihr eigenen zähen Konsequenz hieran fest; noch im sechsten Jahrhundert wurden die abhängigen Gemeinden Italiens entweder, um ihnen ihre munizipale Verfassung zu bewahren, als formell souveräne Nichtbürgerstaaten konstituiert oder, wenn sie römisches Bürgerrecht erhielten, zwar nicht gehindert, sich als Gesamtheit zu organisieren, aber doch der eigentlich munizipalen Rechte beraubt, so daß in allen Bürgerkolonien und Bürgermunizipien selbst die Rechtspflege und das Bauwesen von den römischen Prätoren und Zensoren verwaltet ward. Das Höchste, wozu man sich verstand, war durch einen von Rom aus ernannten Stellvertreter (praefectus) des Gerichtsherrn wenigstens die dringendsten Rechtssachen an Ort und Stelle erledigen zu lassen. Nicht anders verfuhr man in den Provinzen, außer daß hier an die Stelle der hauptstädtischen Behörden der Statthalter trat. In den freien, das heißt formell souveränen Städten ward die Zivil- oder Kriminaljurisdiktion von den Munizipalbeamten nach den Lokalstatuten verwaltet; nur daß freilich, wo nicht ganz besondere Privilegien entgegenstanden, jeder Römer sowohl als Beklagter wie als Kläger verlangen konnte, seine Sache vor italischen Richtern nach italischem Recht entschieden zu sehen. Für die gewöhnlichen Provinzialgemeinden war der römische Statthalter die einzige regelmäßige Gerichtsbehörde, der die Instruierung aller Prozesse oblag. Es war schon viel, wenn, wie in Sizilien, in dem Fall, daß der Beklagte ein Siculer war, der Statthalter durch das Provinzialstatut gehalten war, einen einheimischen Geschworenen zu geben und nach Ortsgebrauch entscheiden zu lassen; in den meisten Provinzen scheint auch dies vom Gutfinden des instruierenden Beamten abgehangen zu haben.

Im siebenten Jahrhundert ward diese unbedingte Zentralisation des öffentlichen Lebens der römischen Gemeinde in dem einen Mittelpunkt Rom wenigstens für Italien aufgegeben. Seit dies eine einzige städtische Gemeinde war und das Stadtgebiet vom Arnus und Rubico bis hinab zur sizilischen Meerenge reichte, mußte man wohl sich entschließen, innerhalb dieser großen wiederum kleinere Stadtgemeinden zu bilden. So ward Italien nach Vollbürgergemeinden organisiert, bei welcher Gelegenheit man zugleich die durch ihren Umfang gefährlichen größeren Gaue, soweit dies nicht schon früher geschehen war, in mehrere kleinere Stadtbezirke aufgelöst haben mag. Die Stellung dieser neuen Vollbürgergemeinden war ein Kompromiß zwischen derjenigen, die ihnen bis dahin als Bundesstaaten zugekommen war, und derjenigen, die ihnen als integrierenden Teilen der römischen Gemeinde nach älterem Recht zugekommen sein würde. Zugrunde lag im ganzen die Verfassung der bisherigen formell souveränen latinischen oder auch, insofern deren Verfassung in den Grundzügen der römischen gleich ist, die der römischen altpatrizisch-konsularischen Gemeinde; nur daß darauf gehalten ward, für dieselben Institutionen in dem Munizipium andere und geringere Namen zu verwenden als in der Hauptstadt, das heißt im Staat. Eine Bürgerversammlung tritt an die Spitze mit der Befugnis, Gemeindestatute zu erlassen und die Gemeindebeamten zu ernennen. Ein Gemeinderat von hundert Mitgliedern übernimmt die Rolle des römischen Senats. Das Gerichtswesen wird verwaltet von vier Gerichtsherren, zwei ordentlichen Richtern, die den beiden Konsuln, zwei Marktrichtern, die den kurulischen Ädilen entsprechen. Die Zensurgeschäfte, die wie in Rom von fünf zu fünf Jahr sich erneuerten und allem Anschein nach vorwiegend in der Leitung der Gemeindebauten bestanden, wurden von den höchsten Gemeindebeamten, also den beiden ordentlichen Gerichtsherren, mit übernommen, welche in diesem Fall den auszeichnenden Titel der “Gerichtsherren mit zensorischer oder Fünfjahrgewalt” annahmen. Die Gemeindekasse verwalteten zwei Quästoren. Für das Sakralwesen sorgten zunächst die beiden der ältesten latinischen Verfassung allein bekannten Kollegien priesterlicher Sachverständigen, die munizipalen Pontifices und Augurn.

Was das Verhältnis dieses sekundären politischen Organismus zu dem primären des Staates anlangt, so standen im allgemeinen jenem wie diesem die politischen Befugnisse vollständig zu und band also der Gemeindebeschluß und das Imperium der Gemeindebeamten den Gemeindebürger ebenso wie der Volksbeschluß und das konsularische Imperium den Römer. Dies führte im ganzen zu einer konkurrierenden Tätigkeit der Staats- und der Stadtbehörden: Es hatten beispielsweise beide das Recht der Schatzung und Besteuerung, ohne daß bei den etwaigen städtischen Schatzungen und Steuern die von Rom ausgeschriebenen oder bei diesen jene berücksichtigt worden wären; es durften öffentliche Bauten sowohl von den römischen Beamten in ganz Italien als auch von den städtischen in ihrem Sprengel angeordnet werden, und was dessen mehr ist. Im Kollisionsfall wich natürlich die Gemeinde dem Staat und brach der Volksschluß den Stadtschluß. Eine förmliche Kompetenzteilung fand wohl nur in der Rechtspflege statt, wo das reine Konkurrenzsystem zu der größten Verwirrung geführt haben würde; hier wurden im Kriminalprozeß vermutlich alle Kapitalsachen, im Zivilverfahren die schwereren, und ein selbständiges Auftreten der dirigierenden Beamten voraussetzenden Prozesse den hauptstädtischen Behörden und Geschworenen vorbehalten und die italischen Stadtgerichte auf die geringeren und minder verwickelten oder auch sehr dringenden Rechtshändel beschränkt.

Die Entstehung dieses italischen Gemeindewesens ist nicht überliefert. Es ist wahrscheinlich, daß sie in ihren Anfängen zurückgeht auf Ausnahmebestimmungen für die großen Bürgerkolonien, die am Ende des sechsten Jahrhunderts gegründet wurden; wenigstens deuten einzelne, an sich gleichgültige formelle Differenzen zwischen Bürgerkolonien und Bürgermunizipien darauf hin, daß die neue, damals praktisch an die Stelle der latinischen tretende Bürgerkolonie ursprünglich eine bessere staatsrechtliche Stellung gehabt hat als das weit ältere Bürgermunizipium, und diese Bevorzugung kann wohl nur bestanden haben in einer der latinischen sich annähernden Gemeindeverfassung, wie sie späterhin sämtlichen Bürgerkolonien wie Bürgermunizipien zukam. Bestimmt nachweisen läßt sich die neue Ordnung zuerst für die revolutionäre Kolonie Capua, und keinem Zweifel unterliegt es, daß sie ihre volle Anwendung erst fand, als die sämtlichen bisher souveränen Städte Italiens infolge des Bundesgenossenkriegs als Bürgergemeinden organisiert werden mußten. Ob schon das Julische Gesetz, ob die Zensoren von 668 (86), ob erst Sulla das einzelne geordnet hat, läßt sich nicht entscheiden; die Übertragung der zensorischen Geschäfte auf die Gerichtsherren scheint zwar nach Analogie der Sullanischen, die Zensur beseitigenden Ordnung eingeführt zu sein, kann aber auch ebensogut auf die älteste latinische Verfassung zurückgehen, die ja auch die Zensur nicht kannte. Auf alle Fälle ist diese dem eigentlichen Staat sich ein- und unterordnende Stadtverfassung eines der merkwürdigsten und folgenreichsten Erzeugnisse der sullanischen Zeit und des römischen Staatslebens überhaupt. Staat und Stadt ineinanderzufügen hat allerdings das Altertum ebensowenig vermocht, als es vermocht hat, das repräsentative Regiment und andere große Grundgedanken unseres heutigen Staatslebens aus sich zu entwickeln; aber es hat seine politische Entwicklung bis an diejenigen Grenzen geführt, wo diese die gegebenen Maße überwächst und sprengt, und vor allem ist dies in Rom geschehen, das in jeder Beziehung an der Scheide und in der Verbindung der alten und der neuen geistigen Welt steht. In der Sullanischen Verfassung sind einerseits die Urversammlung und der städtische Charakter des Gemeinwesens Rom fast zur bedeutungslosen Form zusammengeschwunden, andererseits die innerhalb des Staates stehende Gemeinde schon in der italischen vollständig entwickelt; bis auf den Namen, der freilich in solchen Dingen die Hälfte der Sache ist, hat diese letzte Verfassung der freien Republik das Repräsentativsystem und den auf den Gemeinden sich aufbauenden Staat durchgeführt.

Das Gemeindewesen in den Provinzen ward hierdurch nicht geändert; die Gemeindebehörden der unfreien Städte blieben vielmehr, von besonderen Ausnahmen abgesehen, beschränkt auf Verwaltung und Polizei und auf diejenige Jurisdiktion, welche die römischen Behörden vorzogen, nicht selbst in die Hand zu nehmen.

Dieses war die Verfassung, die Lucius Cornelius Sulla der Gemeinde Rom gab. Senat und Ritterstand, Bürgerschaft und Proletariat, Italiker und Provinzialen nahmen sie hin, wie sie vom Regenten ihnen diktiert ward, wenn nicht ohne zu grollen, doch ohne sich aufzulehnen; nicht so die Sullanischen Offiziere. Das römische Heer hatte seinen Charakter gänzlich verändert. Es war allerdings durch die Marianische Reform wieder schlagfertiger und militärisch brauchbarer geworden, als da es vor den Mauern von Numantia nicht focht; aber es hatte zugleich sich aus einer Bürgerwehr in eine Schar von Lanzknechten verwandelt, welche dem Staat gar keine und dem Offizier nur dann Treue bewiesen, wenn er verstand, sie persönlich an sich zu fesseln. Diese völlige Umgestaltung des Armeegeistes hatte der Bürgerkrieg in gräßlicher Weise zur Evidenz gebracht: sechs kommandierende Generale, Albinus, Cato, Rufus, Flaccus, Cinna und Gaius Carbo, waren während desselben gefallen von der Hand ihrer Soldaten; einzig Sulla hatte bisher es vermocht, der gefährlichen Meute Herr zu bleiben, freilich nur, indem er allen ihren wilden Begierden den Zügel schießen ließ wie noch nie vor ihm ein römischer Feldherr. Wenn deshalb ihm der Verderb der alten Kriegszucht schuld gegeben wird, so ist dies nicht gerade unrichtig, aber dennoch ungerecht; er war eben der erste römische Beamte, der seiner militärischen und politischen Aufgabe nur dadurch zu genügen imstande war, daß er auftrat als Condottiere. Aber er hatte die Militärdiktatur nicht übernommen, um den Staat der Soldateska untertänig zu machen, sondern vielmehr, um alles im Staat, vor allem aber das Heer und die Offiziere, unter die Gewalt der bürgerlichen Ordnung zurückzuzwingen. Wie dies offenbar ward, erhob sich gegen ihn eine Opposition mit seinem eigenen Stab. Mochte den übrigen Bürgern gegenüber die Oligarchie den Tyrannen spielen; aber daß auch die Generale, die mit ihrem guten Schwert die umgestürzten Senatorensessel wieder aufgerichtet hatten, jetzt ebendiesem Senat unweigerlichen Gehorsam zu leisten aufgefordert wurden, schien unerträglich. Eben die beiden Offiziere, denen Sulla das meiste Vertrauen geschenkt hatte, widersetzten sich der neuen Ordnung der Dinge. Als Gnaeus Pompeius, den Sulla mit der Eroberung von Sizilien und Afrika beauftragt und zu seinem Tochtermanne erkoren hatte, nach Vollzug seiner Aufgabe vom Senat den Befehl erhielt, sein Heer zu entlassen, unterließ er es zu gehorsamen und wenig fehlte an offenem Aufstand. Quintus Ofella, dessen festem Ausharren vor Praeneste wesentlich der Erfolg des letzten und schwersten Feldzuges verdankt ward, bewarb sich in ebenso offenem Widerspruch gegen die neu erlassenen Ordnungen um das Konsulat, ohne die niederen Ämter bekleidet zu haben. Mit Pompeius kam, wenn nicht eine herzliche Aussöhnung, doch ein Vergleich zustande. Sulla, der seinen Mann genug kannte, um ihn nicht zu fürchten, nahm die Impertinenz hin, die Pompeius ihm ins Gesicht sagte, daß mehr Leute sich um die aufgehende Sonne kümmerten als um die untergehende, und bewilligte dem eitlen Jüngling die leeren Ehrenbezeigungen, an denen sein Herz hing. Wenn er hier sich läßlich zeigte, so bewies er dagegen Ofella gegenüber, daß er nicht der Mann war, sich von seinen Marschällen imponieren zu lassen: So wie dieser verfassungswidrig als Bewerber vor das Volk trat, ließ ihn Sulla auf öffentlichem Marktplatz niederstoßen und setzte sodann der versammelten Bürgerschaft auseinander, daß die Tat auf seinen Befehl und warum sie vollzogen sei. So verstummte zwar für jetzt diese bezeichnende Opposition des Hauptquartiers gegen die neue Ordnung der Dinge; aber sie blieb bestehen und gab den praktischen Kommentar zu Sullas Worten, daß das, was er diesmal tue, nicht zum zweitenmal getan werden könne.

Eines blieb noch übrig -vielleicht das schwerste von allem: die Zurückführung der Ausnahmezustände in die neualten gesetzlichen Bahnen. Sie ward dadurch erleichtert, daß Sulla dieses letzte Ziel nie aus den Augen verloren hatte. Obwohl das Valerische Gesetz ihm absolute Gewalt und jeder seiner Verordnungen Gesetzeskraft gegeben, hatte er dennoch dieser exorbitanten Befugnis sich nur bei Maßregeln bedient, die von vorübergehender Bedeutung waren und wo die Beteiligung Rat und Bürgerschaft bloß nutzlos kompromittiert haben würde, namentlich bei den Ächtungen. Regelmäßig hatte er schon selbst diejenigen Bestimmungen beobachtet, die er für die Zukunft vorschrieb. Daß das Volk befragt ward, lesen wir in dem Quästorengesetz, das zum Teil noch vorhanden ist, und von anderen Gesetzen, zum Beispiel dem Aufwandgesetz und denen über die Konfiskation der Feldmarken, ist es bezeugt. Ebenso ward bei wichtigeren Administrativakten, zum Beispiel bei der Entsendung und Zurückberufung der afrikanischen Armee und bei Erteilung von städtischen Freibriefen, der Senat vorangestellt. In demselben Sinn ließ Sulla schon für 673 (81) Konsuln wählen, wodurch wenigstens die gehässige offizielle Datierung nach der Regentschaft vermieden ward; doch blieb die Macht noch ausschließlich bei dem Regenten und ward die Wahl auf sekundäre Persönlichkeiten geleitet. Aber im Jahre darauf (674 80) setzte Sulla die ordentliche Verfassung wieder vollständig in Wirksamkeit und verwaltete als Konsul in Gemeinschaft mit seinem Waffengenossen Quintus Metellus den Staat, während er die Regentschaft zwar noch beibehielt, aber vorläufig ruhen ließ. Er begriff es wohl, wie gefährlich es eben für seine eigenen Institutionen war, die Militärdiktatur zu verewigen. Da die neuen Zustände sich haltbar zu erweisen schienen, und von den neuen Einrichtungen zwar manches, namentlich in der Kolonisierung, noch zurück, aber doch das meiste und wichtigste vollendet war, so ließ er den Wahlen für 675 (79) freien Lauf, lehnte die Wiederwahl zum Konsulat als mit seinen eigenen Verordnungen unvereinbar ab und legte, bald nachdem die neuen Konsuln Publius Servilius und Appius Claudius ihr Amt angetreten hatten, im Anfang des Jahres 675 (79) die Regentschaft nieder. Es ergriff selbst starre Herzen, als der Mann, der bis dahin mit dem Leben und dem Eigentum von Millionen nach Willkür geschaltet hatte, auf dessen Wink so viele Häupter gefallen waren, dem in jeder Gasse Roms, in jeder Stadt Italiens Todfeinde wohnten und der ohne einen ebenbürtigen Verbündeten, ja genau genommen ohne den Rückhalt einer festen Partei sein tausend Interessen und Meinungen verletzendes Werk der Reorganisation des Staates zu Ende geführt hatte, als dieser Mann auf den Marktplatz der Hauptstadt trat, sich seiner Machtfülle freiwillig begab, seine bewaffneten Begleiter verabschiedete, seine Gerichtsdiener entließ und die dichtgedrängte Bürgerschaft aufforderte zu reden, wenn einer von ihm Rechenschaft begehre. Alles schwieg; Sulla stieg herab von der Rednerbühne und zu Fuß, nur von den Seinigen begleitet, ging er mitten durch ebenjenen Pöbel, der ihm vor acht Jahren das Haus geschleift hatte, zurück nach seiner Wohnung.

Die Nachwelt hat weder Sulla selbst noch sein Reorganisationswerk richtig zu würdigen verstanden, wie sie denn unbillig zu sein pflegt gegen die Persönlichkeiten, die dem Strom der Zeiten sich entgegenstemmen. In der Tat ist Sulla eine von den wunderbarsten, man darf vielleicht sagen eine einzige Erscheinung in der Geschichte. Physisch und psychisch ein Sanguiniker, blauäugig, blond, von auffallend weißer, aber bei jeder leidenschaftlichen Bewegung sich rötender Gesichtsfarbe, übrigens ein schöner, feurig blickender Mann, schien er nicht eben bestimmt, dem Staat mehr zu sein als seine Ahnen, die seit seines Großvaters Großvater Publius Cornelius Rufinus (Konsul 464, 477 290, 277), einem der angesehensten Feldherrn und zugleich dem prunkliebendsten Mann der pyrrhischen Zeit, in Stellungen zweiten Ranges verharrt hatten. Er begehrte vom Leben nichts als heiteren Genuß. Aufgewachsen in dem Raffinement des gebildeten Luxus, wie er in jener Zeit auch in den minder reichen senatorischen Familien Roms einheimisch war, bemächtigte er rasch und bebend sich der ganzen Fülle sinnlich geistiger Genüsse, welche die Verbindung hellenischer Feinheit und römischen Reichtums zu gewähren vermochten. Im adligen Salon und unter dem Lagerzelt war er gleich willkommen als angenehmer Gesellschafter und guter Kamerad; vornehme und geringe Bekannte fanden in ihm den teilnehmenden Freund und den bereitwilligen Helfer in der Not, der sein Geld weit lieber seinem bedrängten Genossen als seinem reichen Gläubiger gönnte. Leidenschaftlich huldigte er dem Becher, noch leidenschaftlicher den Frauen; selbst in seinen späteren Jahren war er nicht mehr Regent, wenn er nach vollbrachtem Tagesgeschäft sich zur Tafel setzte. Ein Zug der Ironie, man könnte vielleicht sagen der Bouffonnerie, geht durch seine ganze Natur. Noch als Regent befahl er, während er die Versteigerung der Güter der Geächteten leitete, für ein ihm überreichtes schlechtes Lobgedicht dem Verfasser eine Verehrung aus der Beute zu verabreichen unter der Bedingung, daß er gelobe, ihn niemals wieder zu besingen. Als er vor der Bürgerschaft Ofenas Hinrichtung rechtfertigte, geschah es, indem er den Leuten die Fabel erzählte von dem Ackersmann und den Läusen. Seine Gesellen wählte er gern unter den Schauspielern und liebte es, nicht bloß mit Quintus Roscius, dem römischen Talma, sondern auch mit viel geringeren Bühnenleuten beim Weine zu sitzen; wie er denn auch selbst nicht schlecht sang und sogar zur Aufführung in seinem Zirkel selber Possen schrieb. Doch ging in diesen lustigen Bacchanalien ihm weder die körperliche noch die geistige Spannkraft verloren; noch in der ländlichen Muße seiner letzten Jahre lag er eifrig der Jagd ob, und daß er aus dem eroberten Athen die Aristotelischen Schriften nach Rom brachte, beweist doch wohl für sein Interesse auch an ernsterer Lektüre. Das spezifische Römertum stieß ihn eher ab. Von der plumpen Morgue, die die römischen Großen gegenüber den Griechen zu entwickeln liebten, und von der Feierlichkeit beschränkter großer Männer hatte Sulla nichts, vielmehr ließ er gern sich gehen, erschien wohl zum Skandal mancher seiner Landsleute in griechischen Städten in griechischer Tracht oder veranlaßte seine adligen Gesellen, bei den Spielen selber die Rennwagen zu lenken. Noch weniger war ihm von den halb patriotischen, halb egoistischen Hoffnungen geblieben, die in Ländern freier Verfassung jede jugendliche Kapazität auf den politischen Tummelplatz locken und die auch er wie jeder andere einmal empfunden haben mag; in einem Leben, wie das seine war, schwankend zwischen leidenschaftlichem Taumel und mehr als nüchternem Erwachen, verzetteln sich rasch die Illusionen. Wünschen und Streben mochte ihm eine Torheit erscheinen in einer Welt, die doch unbedingt vom Zufall regiert ward und wo, wenn überhaupt auf etwas, man ja doch auf nichts spannen konnte als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen Zug der Zeit, zugleich dem Unglauben und dem Aberglauben, sich zu ergeben folgte auch er. Seine wunderliche Gläubigkeit ist nicht der plebejische Köhlerglaube des Marius, der von dem Pfaffen für Geld sich wahrsagen und seine Handlungen durch ihn bestimmen läßt; noch weniger der finstere Verhängnisglaube des Fanatikers, sondern jener Glaube an das Absurde, wie er bei jedem von dem Vertrauen auf eine zusammenhängende Ordnung der Dinge durch und durch zurückgekommenen Menschen notwendig sich einstellt, der Aberglaube des glücklichen Spielers, der sich vom Schicksal privilegiert erachtet, jedesmal und überall die rechte Nummer zu werfen. In praktischen Fragen verstand Sulla sehr wohl, mit den Anforderungen der Religion ironisch sich abzufinden. Als er die Schatzkammern der griechischen Tempel leerte, äußerte er, daß es demjenigen nimmermehr fehlen könne, dem die Götter selbst die Kasse füllten. Als die delphischen Priester ihm berichteten, daß sie sich scheuten, die verlangten Schätze zu senden, da die Zither des Gottes hell geklungen, als man sie berührt, ließ er ihnen zurücksagen, daß man sie nun um so mehr schicken möge, denn offenbar stimme der Gott seinem Vorhaben zu. Aber darum wiegte er nicht weniger gern sich in dem Gedanken, der auserwählte Liebling der Götter zu sein, ganz besonders jener, der er bis in seine späten Jahre vor allen den Preis gab, der Aphrodite. In seinen Unterhaltungen wie in seiner Selbstbiographie rühmte er sich vielfach des Verkehrs, den in Träumen und Anzeichen die Unsterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig andere ein Recht, auf seine Taten stolz zu sein; er war es nicht, wohl aber stolz auf sein einzig treues Glück. Er pflegte wohl zu sagen, daß jedes improvisierte Beginnen ihm besser ausgeschlagen sei als das planmäßig angelegte, und eine seiner wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den Schlachten auf seiner Seite gefallenen Leute regelmäßig als null anzugeben, ist doch auch nichts als die Kinderei eines Glückskindes. Es war nur der Ausdruck der ihm natürlichen Stimmung, als er, auf dem Gipfel seiner Laufbahn angelangt und alle seine Zeitgenossen in schwindelnder Tiefe unter sich sehend, die Bezeichnung des Glücklichen, Sulla Felix, als förmlichen Beinamen annahm und auch seinen Kindern entsprechende Benennungen beilegte.

Nichts lag Sulla ferner als der planmäßige Ehrgeiz. Er war zu gescheit, um gleich den Dutzendaristokraten seiner Zeit die Verzeichnung seines Namens in die konsularischen Register als das Ziel seines Lebens zu betrachten; zu gleichgültig und zu wenig Ideolog, um sich mit der Reform des morschen Staatsgebäudes freiwillig befassen zu mögen. Er blieb, wo Geburt und Bildung ihn hinwiesen, in dem Kreis der vornehmen Gesellschaft und machte wie üblich die Ämterlaufbahn durch; Ursache sich anzustrengen hatte er nicht und überließ dies den politischen Arbeitsbienen, an denen es ja nicht fehlte. So führte ihn im Jahre 647 (107) bei der Verlosung der Quästorenstellen der Zufall nach Afrika in das Hauptquartier des Gaius Marius. Der unversuchte hauptstädtische Elegant ward von dem rauben bäurischen Feldherrn und seinem erprobten Stab nicht zum besten empfangen. Durch diese Aufnahme gereizt, machte Sulla, furchtlos und anstellig wie er war, im Fluge das Waffenhandwerk sich zu eigen und entwickelte auf dem verwegenen Zug nach Mauretanien zuerst jene eigentümliche Verbindung von Keckheit und Verschmitztheit, wegen deren seine Zeitgenossen von ihm sagten, daß er halb Löwe, halb Fuchs und der Fuchs in ihm gefährlicher sei als der Löwe. Dem jungen, hochgeborenen, brillanten Offizier, der anerkanntermaßen der eigentliche Beendiger des lästigen Numidischen Krieges war, öffnete jetzt sich die glänzendste Laufbahn; er nahm auch teil am Kimbrischen Krieg und offenbarte in der Leitung des schwierigen Verpflegungsgeschäftes sein ungemeines Organisationstalent; nichtsdestoweniger zogen ihn auch jetzt die Freuden des hauptstädtischen Lebens weit mehr an als Krieg oder gar Politik. In der Prätur, welches Amt er, nachdem er sich einmal vergeblich beworben hatte, im Jahre 661 (93) übernahm, fügte es sich abermals, daß ihm in seiner Provinz, der unbedeutendsten von allen, der erste Sieg über König Mithradates und der erste Vertrag mit den mächtigen Arsakiden sowie deren erste Demütigung gelang. Der Bürgerkrieg folgte. Sulla war es wesentlich, der den ersten Akt desselben, die italische Insurrektion zu Roms Gunsten entschied und dabei mit dem Degen das Konsulat sich gewann; er war es ferner, der als Konsul den Sulpicischen Aufstand mit energischer Raschheit zu Boden schlug. Das Glück schien sich ein Geschäft daraus zu machen, den alten Helden Marius durch diesen jüngeren Offizier zu verdunkeln. Die Gefangennehmung Jugurthas, die Besiegung Mithradats, die beide Marius vergeblich erstrebt hatte, wurden in untergeordneten Stellungen von Sulla vollführt; im Bundesgenossenkrieg, in dem Marius seinen Feldherrnruhm einbüßte und abgesetzt ward, gründete Sulla seinen militärischen Ruf und stieg empor zum Konsulat; die Revolution von 666 (88), die zugleich und vor allem ein persönlicher Konflikt zwischen den beiden Generalen war, endigte mit Marius’ Ächtung und Flucht. Fast ohne es zu wollen war Sulla der berühmteste Feldherr seiner Zeit, der Hort der Oligarchie geworden. Es folgten neue und furchtbarere Krisen, der Mithradatische Krieg, die Cinnanische Revolution: Sullas Stern blieb immer im Steigen. Wie der Kapitän, der das brennende Schiff nicht löscht, sondern fortfährt, auf den Feind zu feuern, harrte Sulla, während die Revolution in Italien tobte, in Asien unerschüttert aus, bis der Landesfeind gezwungen war. Mit diesem fertig, zerschmetterte er die Anarchie und rettete die Hauptstadt vor der Brandfackel der verzweifelnden Samniten und Revolutionäre. Der Moment der Heimkehr war für Sulla ein überwältigender in Freude und in Schmerz; er selbst erzählt in seinen Memoiren, daß er die erste Nacht in Rom kein Auge habe zutun können, und wohl mag man es glauben. Aber immer noch war seine Aufgabe nicht zu Ende, sein Stern in weiterem Steigen. Absoluter Selbstherrscher wie nur je ein König und doch durchaus verharrend auf dem Boden des formellen Rechts, zügelte er die ultrareaktionäre Partei, vernichtete die seit vierzig Jahren die Oligarchie einengende Gracchische Verfassung und zwang zuerst die der Oligarchie Konkurrenz machenden Mächte der Kapitalisten und des hauptstädtischen Proletariats, endlich den im Schoße seines eigenen Stabes erwachsenen Übermut des Säbels wieder unter das neu befestigte Gesetz. Selbständiger als je stellte er die Oligarchie hin, legte die Beamtenmacht als dienendes Werkzeug in ihre Hände, verlieh ihr die Gesetzgebung, die Gerichte, die militärische und finanzielle Obergewalt und gab ihr eine Art Leibwache in den befreiten Sklaven, eine Art Heer in den angesiedelten Militärkolonisten. Endlich, als das Werk vollendet war, trat der Schöpfer zurück von seiner Schöpfung; freiwillig ward der absolute Selbstherrscher wieder einfacher Senator. In dieser ganzen langen militärischen und politischen Bahn hat Sulla nie eine Schlacht verloren, nie einen Schritt zurücktun müssen und ungeirrt von Feinden und Freunden sein Werk geführt bis an das selbstgesteckte Ziel. Wohl hatte er Ursache, seinen Stern zu preisen. Die launenhafte Göttin des Glücks schien hier einmal die Laune der Beständigkeit angewandelt und sie darin sich gefallen zu haben, auf ihren Liebling an Erfolgen und Ehren zu häufen, was er begehrte und nicht begehrte. Aber die Geschichte wird gerechter gegen ihn sein müssen, als er es gegen sich selber war, und ihn in eine höhere Reihe stellen als in die der bloßen Favoriten der Fortuna.

Nicht als wäre die Sullanische Verfassung ein Werk politischer Genialität, wie zum Beispiel die Gracchische und die Caesarische. Es begegnet in ihr, wie dies ja schon das Wesen der Restauration mit sich bringt, auch nicht ein staatsmännisch neuer Gedanke; alle ihre wesentlichsten Momente: der Eintritt in den Senat durch Bekleidung der Quästur, die Aufhebung des zensorischen Rechts, den Senator aus dem Senate zu stoßen, die legislatorische Initiative des Senats, die Verwandlung des tribunizischen Amtes in ein Werkzeug des Senats zur Fesselung des Imperiums, die Erstreckung der Dauer des Oberamts auf zwei Jahre, der Übergang des Kommandos von dem Volksmagistrat auf den senatorischen Prokonsul oder Proprätor, selbst die neue Kriminal- und Munizipalordnung sind nicht von Sulla geschaffene, sondern früher schon aus dem oligarchischen Regiment entwickelte und durch ihn nur regulierte und fixierte Institutionen. Ja selbst die seiner Restauration anhaftenden Greuel, die Ächtungen und Konfiskationen, sind sie, verglichen mit den Taten der Nasica, Popillius, Opimius, Caepio und so weiter, etwas anderes als die rechtliche Formulierung der hergebrachten oligarchischen Weise, sich der Gegner zu entledigen? Über die römische Oligarchie dieser Zeit nun gibt es kein Urteil als unerbittliche und rücksichtslose Verdammung; und wie alles andere, was ihr anhängt, ist davon auch die Sullanische Verfassung vollständig mitbetroffen. Das von der Genialität des Bösen bestochene Lob versündigt sich an dem heiligen Geist der Geschichte; aber daran wird man doch erinnern dürfen, daß weit weniger Sulla die Sullanische Restauration zu verantworten hat als die seit Jahrhunderten als Clique regierende und mit jedem Jahr mehr der greisenhaften Entnervung und Verbissenheit verfallende römische Aristokratie insgesamt, und daß alles, was darin schal, und alles, was darin verrucht ist, am letzten Ende auf diese zurückfällt. Sulla hat den Staat reorganisiert, aber nicht wie der Hausherr, der sein zerrüttetes Gewese und Gesinde nach eigener Einsicht in Ordnung bringt, sondern wie der zeitweilige Geschäftsführer, der seiner Anweisung getreu nachkommt; es ist flach und falsch, in diesem Falle die schließliche und wesentliche Verantwortung von dem Geschäftsherrn ab auf den Verwalter zu wälzen. Man schlägt Sullas Bedeutung viel zu hoch an oder findet vielmehr mit jenen schauderhaften, nie wiedergutzumachenden und nie wiedergutgemachten Proskriptionen, Expropriationen und Restaurationen viel zu leicht sich ab, wenn man sie als das Werk eines zufällig an die Spitze des Staats geratenen Wüterichs ansieht. Adelstaten waren dies und Restaurationsterrorismus, Sulla aber nicht mehr dabei als, mit dem Dichter zu reden, das hinter dem bewußten Gedanken unbewußt herwandelnde Richtbeil. Diese Rolle hat Sulla mit wunderbarer, ja dämonischer Vollkommenheit durchgeführt; innerhalb der Grenzen aber, die sie ihm gezogen, hat er nicht bloß großartig, sondern selbst nützlich gewirkt. Nie wieder hat eine tief gesunkene und stetig tiefer sinkende Aristokratie, wie die römische damals war, einen Vormund gefunden, der so wie Sulla willig und fähig war, ohne jede Rücksicht auf eigenen Machtgewinn für sie den Degen des Feldherrn und den Griffel des Gesetzgebers zu führen. Es ist freilich ein Unterschied, ob ein Offizier aus Bürgersinn das Szepter verschmäht oder aus Blasiertheit es wegwirft; aber in der völligen Abwesenheit des politischen Egoismus - freilich auch nur in diesem einen - verdient Sulla neben Washington genannt zu werden. Aber nicht bloß die Aristokratie, das gesamte Land ward ihm mehr schuldig, als die Nachwelt gern sich eingestand. Sulla hat die italische Revolution, insoweit sie beruhte auf der Zurücksetzung einzelner minder berechtigter gegen andere besser berechtigte Distrikte, endgültig geschlossen und ist, indem er sich und seine Partei zwang, die Gleichberechtigung aller Italiker vor dem Gesetz anzuerkennen, der wahre und letzte Urheber der vollen staatlichen Einheit Italiens geworden - ein Gewinn, der mit endloser Not und Strömen von Blut dennoch nicht zu teuer erkauft war. Aber Sulla hat noch mehr getan. Seit länger als einem halben Jahrhundert war Roms Macht im Sinken und die Anarchie daselbst in Permanenz; denn das Regiment des Senats mit der Gracchischen Verfassung war Anarchie und gar das Regiment Cinnas und Carbos noch weit ärgere Meisterlosigkeit, deren grauenvolles Bild sich am deutlichsten in jenem ebenso verwirrten wie naturwidrigen Bündnis mit den Samniten widerspiegelt, der unklarste, unerträglichste, heilloseste aller denkbaren politischen Zustände, in der Tat der Anfang des Endes. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß das lange unterhöhlte römische Gemeinwesen notwendig hätte zusammenstürzen müssen, wenn nicht durch die Intervention in Asien und in Italien Sulla die Existenz desselben gerettet hätte. Freilich hat Sullas Verfassung so wenig Bestand gehabt wie die Cromwells, und es war nicht schwer zu sehen, daß sein Bau kein solider war; aber es ist eine arge Gedankenlosigkeit, darüber zu übersehen, daß ohne Sulla höchstwahrscheinlich der Bauplatz selbst von den Fluten wäre fortgerissen worden; und auch jener Tadel trifft zunächst nicht Sulla. Der Staatsmann baut nur, was er in dem ihm angewiesenen Kreise bauen kann. Was ein konservativ Gesinnter tun konnte, um die alte Verfassung zu retten, das hat Sulla getan; und geahnt hat er es selbst, daß er wohl eine Festung, aber keine Besatzung zu schaffen vermöge und die grenzenlose Nichtigkeit der Oligarchen jeden Versuch, die Oligarchie zu retten, vergeblich machen werde. Seine Verfassung glich einem in das brandende Meer hineingeworfenen Notdamm; es ist kein Vorwurf für den Baumeister, wenn ein Jahrzehnt später die Wellen den naturwidrigen und von den Geschützten selbst nicht verteidigten Bau verschlangen. Der Staatsmann wird nicht der Hinweisung auf höchst löbliche Einzelformen, zum Beispiel des asiatischen Steuerwesens und der Kriminaljustiz, bedürfen, um Sullas ephemere Restauration nicht geringschätzig abzufertigen, sondern wird darin eine richtig entworfene und unter unsäglichen Schwierigkeiten im großen und ganzen konsequent durchgeführte Reorganisation des römischen Gemeinwesens bewundern und den Retter Roms, den Vollender der italischen Einheit unter, aber doch auch neben Cromwell stellen.

Freilich ist es nicht bloß der Staatsmann, der im Totengericht Stimme hat, und das empörte menschliche Gefühl wird mit Recht sich nie mit dem versöhnen, was Sulla getan oder das andere taten, gelitten hat. Sulla hat seine Gewaltherrschaft nicht bloß mit rücksichtsloser Gewaltsamkeit begründet, sondern dabei auch die Dinge mit einer gewissen zynischen Offenheit beim rechten Namen genannt, durch die er es unwiederbringlich verdorben hat mit der großen Masse der Schwachherzigen, die mehr vor dem Namen als vor der Sache sich entsetzen, durch die er aber allerdings auch dem sittlichen Urteil wegen der Kühle und Klarheit seines Frevels noch empörender erscheint als der leidenschaftliche Verbrecher. Ächtungen, Belohnungen der Henker, Güterkonfiskationen, kurzer Prozeß gegen unbotmäßige Offiziere waren hundertmal vorgekommen, und die stumpfe politische Sittlichkeit der antiken Zivilisation hatte für diese Dinge nur lauen Tadel; aber das freilich war unerhört, daß die Namen der vogelfreien Männer öffentlich angeschlagen und die Köpfe öffentlich ausgestellt wurden, daß den Banditen eine feste Summe ausgesetzt und dieselbe in die öffentlichen Kassenbücher ordnungsmäßig eingetragen ward, daß das eingezogene Gut gleich der feindlichen Beute auf offenem Markt unter den Hammer kam, daß der Feldherr den widerspenstigen Offizier geradezu niederhauen ließ und vor allem Volk sich zu der Tat bekannte. Diese öffentliche Verhöhnung der Humanität ist auch ein politischer Fehler; er hat nicht wenig dazu beigetragen, spätere revolutionäre Krisen im voraus zu vergiften, und noch jetzt ruht deswegen verdientermaßen ein finsterer Schatten auf dem Andenken des Urhebers der Proskriptionen.

Mit Recht darf man ferner tadeln, daß Sulla, während er in allen wichtigen Dingen rücksichtslos durchgriff, doch in untergeordneten, namentlich in Personenfragen sehr häufig seinem sanguinischen Temperament nachgab und nach Neigung oder Abneigung verfuhr. Er hat, wo er wirklich einmal Haß empfand, wie gegen die Marier, ihm zügellos auch gegen Unschuldige den Lauf gelassen und von sich selbst gerühmt, daß niemand besser als er Freunden und Feinden vergolten habe ^13. Er verschmähte es nicht, bei Gelegenheit seiner Machtstellung, ein kolossales Vermögen zu sammeln. Der erste absolute Monarch des römischen Staats, bewährte er den Kernspruch des Absolutismus, daß den Fürsten die Gesetze nicht binden, sogleich an den von ihm selbst erlassenen Ehebruchs- und Verschwendungsgesetzen. Verderblicher aber als diese Nachsicht gegen sich selbst ward dem Staat sein läßliches Verfahren gegen seine Partei und seinen Kreis. Schon seine schlaffe Soldatenzucht, obwohl sie zum Teil durch politische Notwendigkeit geboten war, läßt sich hierher rechnen; viel schädlicher aber noch war die Nachsicht gegen seinen politischen Anhang. Es ist kaum glaublich, was er gelegentlich hinnahm; so zum Beispiel ward dem Lucius Murena für die durch die schlimmste Verkehrtheit und Unbotmäßigkeit erlittenen Niederlagen nicht bloß die Strafe erlassen, sondern auch der Triumph zugestanden; so wurde Gnaeus Pompeius, der sich noch schwerer vergangen hatte, von Sulla noch verschwenderischer geehrt. Die Ausdehnung und die ärgsten Frevel der Ächtungen und Konfiskationen sind wahrscheinlich weniger aus Sullas eigenem Wollen, als aus diesem freilich in seiner Stellung kaum verzeihlicheren Indifferentismus hervorgegangen. Daß Sulla bei seinem innerlich energischen und doch dabei gleichgültigen Wesen sehr verschieden, bald unglaublich nachsichtig, bald unerbittlich streng auftrat, ist begreiflich. Die tausendmal wiederholte Rede, daß er vor seiner Regentschaft ein guter milder Mann, als Regent ein blutdürstiger Wüterich gewesen sei, richtet sich selbst; wenn er als Regent das Gegenteil der früheren Gelindigkeit zeigte, so wird man vielmehr sagen müssen, daß er mit demselben nachlässigen Gleichmut strafte, mit dem er verzieh. Diese halb ironische Leichtfertigkeit geht überhaupt durch sein ganzes politisches Tun. Es ist immer, als sei dem Sieger, eben wie es ihm gefiel, sein Verdienst um den Sieg Glück zu schelten, auch der Sieg selber nichts wert; als habe er eine halbe Empfindung von der Nichtigkeit und Vergänglichkeit des eigenen Werkes; als ziehe er nach Verwalterart das Ausbessern dem Einreißen und Umbauen vor und lasse sich am Ende auch mit einer leidlichen Übertünchung der Schäden genügen.

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^13 Euripides, Medeia, 807:

Es soll mich keiner achten schwächlich und gering,

Gutmütig nicht; ich bin gemacht aus anderm Stoff,

Den Feinden schrecklich und den Freunden liebevoll.

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Wie er nun aber war, dieser Don Juan der Politik war ein Mann aus einem Gusse. Sein ganzes Leben zeugt von dem innerlichen Gleichgewicht seines Wesens; in den verschiedensten Lagen blieb Sulla unverändert derselbe. Es war derselbe Sinn, der nach den glänzenden Erfolgen in Afrika ihn wieder den hauptstädtischen Müßiggang suchen und der nach dem Vollbesitz der absoluten Macht ihn Ruhe und Erholung finden ließ in seiner cumanischen Villa. In seinem Munde war es keine Phrase, daß ihm die öffentlichen Geschäfte eine Last seien, die er abwarf, so wie er durfte und konnte. Auch nach der Resignation blieb er völlig sich gleich, ohne Unmut und ohne Affektation, froh, der öffentlichen Geschäfte entledigt zu sein und dennoch hie und da eingreifend, wo die Gelegenheit sich bot. Jagd und Fischfang und die Abfassung seiner Memoiren füllten seine müßigen Stunden; dazwischen ordnete er auf Bitten der unter sich uneinigen Bürger die inneren Verhältnisse der benachbarten Kolonie Puteoli ebenso sicher und rasch wie früher die Verhältnisse der Hauptstadt. Seine letzte Tätigkeit auf dem Krankenlager bezog sich auf die Beitreibung eines Zuschusses zu dem Wiederaufbau des Kapitolinischen Tempels, den vollendet zu sehen ihm nicht mehr vergönnt war. Wenig über ein Jahr nach seinem Rücktritt, im sechzigsten Lebensjahr, frisch an Körper und Geist, ward er vom Tode ereilt; nach kurzem Krankenlager - noch zwei Tage vor seinem Tode schrieb er an seiner Selbstbiographie - raffte ein Blutsturz ^14 ihn hinweg (676 78). Sein getreues Glück verließ ihn auch im Tode nicht. Er konnte nicht wünschen, noch einmal in den widerwärtigen Strudel der Parteikämpfe hineingezogen zu werden und seine alten Krieger noch einmal gegen eine neue Revolution führen zu müssen; und nach dem Stande der Dinge bei seinem Tode in Spanien und in Italien hätte bei längerem Leben ihm dies kaum erspart bleiben können. Schon jetzt, da von seiner feierlichen Bestattung in der Hauptstadt die Rede war, wurden zahlreiche Stimmen, die bei seinen Lebzeiten geschwiegen hatten, dort gegen die letzte Ehre laut, die man dem Tyrannen zu erweisen gedachte. Aber noch war die Erinnerung zu frisch und die Furcht vor seinen alten Soldaten zu lebendig; es wurde beschlossen, die Leiche nach der Hauptstadt bringen zu lassen und dort die Exequien zu begehen. Nie hat Italien eine großartigere Trauerfeier gesehen. Überall wo der königlich geschmückte Tote hindurchgetragen ward, ihm vorauf seine wohlbekannten Feldzeichen und Rutenbündel, da schlossen die Einwohner und vor allem seine alten Lanzknechte an das Trauergefolge sich an; es schien, als wollte die gesamte Truppe um den Mann, der sie im Leben so oft und nie anders als zum Siege geführt hatte, noch einmal im Tode sich vereinigen. So gelangte der endlose Leichenzug in die Hauptstadt, wo die Gerichte feierten und alle Geschäfte ruhten und zweitausend goldene Kränze, als letzte Ehrengabe der treuen Legionen, der Städte und der näheren Freunde, des Toten harrten. Sulla hatte, dem Geschlechtsgebrauch der Cornelier gemäß, seinen Körper unverbrannt beizusetzen verordnet; aber andere waren besser als er dessen eingedenkt, was vergangene Tage gebracht hatten und künftige Tage bringen mochten - auf Befehl des Senats ward die Leiche des Mannes, der die Gebeine des Marius aus ihrer Ruhe im Grabe aufgestört hatte, den Flammen übergeben. Geleitet von allen Beamten und dem gesamten Senat, den Priestern und Priesterinnen in ihrer Amtstracht und der ritterlich gerüsteten adligen Knabenschar gelangte der Zug auf den großen Marktplatz; auf diesem von seinen Taten und fast noch von dem Klange seiner gefürchteten Worte erfüllten Platz ward dem Toten die Leichenrede gehalten und von dort die Bahre auf den Schultern der Senatoren nach dem Marsfeld getragen, wo der Scheiterhaufen errichtet war. Während er in Flammen loderte, hielten die Ritter und die Soldaten den Ehrenlauf um die Leiche; die Asche des Regenten aber ward auf dem Marsfeld neben den Gräbern der alten Könige beigesetzt, und ein Jahr hindurch haben die römischen Frauen um ihn getrauert.

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^14 Nicht die Phthiriasis, wie ein anderer Bericht sagt; aus dem einfachen Grunde, daß eine solche Krankheit nur in der Phantasie existiert.

KAPITEL XI.
Das Gemeinwesen und seine Ökonomie

Ein neunzigjähriger Zeitraum, vierzig Jahr tiefen Friedens, fünfzig einer fast permanenten Revolution liegen hinter uns. Es ist diese Epoche die ruhmloseste, die die römische Geschichte kennt. Zwar wurden in westlicher und östlicher Richtung die Alpen überschritten und gelangten die römischen Waffen auf der spanischen Halbinsel bis zum Atlantischen Ozean, auf der makedonisch-griechischen bis zur Donau; aber es waren so wohlfeile wie unfruchtbare Lorbeeren. Der Kreis der “auswärtigen Völkerschaften in der Willkür, Botmäßigkeit, Herrschaft oder Freundschaft der römischen Bürgerschaft” ^1 ward nicht wesentlich erweitert; man begnügte sich, den Erwerb einer besseren Zeit zu realisieren und die in loseren Formen der Abhängigkeit an Rom geknüpften Gemeinden mehr und mehr in die volle Untertänigkeit zu bringen. Hinter dem glänzenden Vorhang der Provinzialreunionen verbarg sich ein sehr fühlbares Sinken der römischen Macht. Während die gesamte antike Zivilisation immer bestimmter in dem römischen Staat zusammengefaßt, immer altgemeingültiger in demselben formuliert ward, fingen zugleich jenseits der Alpen und jenseits des Euphrat die von ihr ausgeschlossenen Nationen an, aus der Verteidigung zum Angriff überzugehen. Auf den Schlachtfeldern von Aquae Sextiae und Vercellae, von Chäroneia und Orchomenos wurden die ersten Schläge desjenigen Gewitters vernommen, das über die italisch-griechische Welt zu bringen die germanischen Stämme und die asiatischen Horden bestimmt waren und dessen letztes dumpfes Rollen fast noch bis in unsere Gegenwart hineinreicht. Aber auch in der inneren Entwicklung trägt diese Epoche denselben Charakter. Die alte Ordnung stürzt unwiederbringlich zusammen. Das römische Gemeinwesen war angelegt als eine Stadtgemeinde, welche durch ihre freie Bürgerschaft sich selber die Herren und die Gesetze gab, welche von diesen wohlberatenen Herren innerhalb dieser gesetzlichen Schranken mit königlicher Freiheit geleitet ward, um welche teils die italische Eidgenossenschaft als ein Inbegriff freier, der römischen wesentlich gleichartiger und stammverwandter Stadtgemeinden, teils die außeritalische Bundesgenossenschaft als ein Inbegriff griechischer Freistädte und barbarischer Völker und Herrschaften, beide von der Gemeinde Rom mehr bevormundet als beherrscht, in zweifachem Kreise sich schlossen. Es war das letzte Ergebnis der Revolution - und beide Parteien, die nominell konservative wie die demokratische Partei, hatten dazu mitgewirkt und trafen darin zusammen -, daß von diesem ehrwürdigen Bau, der am Anfang der gegenwärtigen Epoche zwar rissig und schwankend, aber doch noch aufrecht gestanden, am Schluß derselben kein Stein mehr auf dem andern geblieben war. Der souveräne Machthaber war jetzt entweder ein einzelner Mann oder die geschlossene Oligarchie bald der Vornehmen, bald der Reichen. Die Bürgerschaft hatte jeden rechtlichen Anteil am Regiment verloren. Die Beamten waren unselbständige Werkzeuge in der Hand des jedesmaligen Machthabers. Die Stadtgemeinde Rom hatte durch ihre widernatürliche Erweiterung sich selber zersprengt. Die italische Eidgenossenschaft war aufgegangen in die Stadtgemeinde. Die außeritalische Bundesgenossenschaft war im vollen Zug sich in eine Untertanenschaft zu verwandeln. Die gesamte organische Gliederung des römischen Gemeinwesens war zugrunde gegangen und nichts übrig geblieben, als eine rohe Masse mehr oder minder disparater Elemente. Der Zustand drohte in volle Anarchie und in innere und äußere Auflösung des Staats überzugehen. Die politische Bewegung lenkte durchaus nach dem Ziele der Despotie; nur darüber noch ward gestritten, ob der geschlossene Kreis der vornehmen Familien oder der Kapitalistensenat oder ein Monarch Despot sein solle. Die politische Bewegung ging durchaus die zum Despotismus führenden Wege: der Grundgedanke des freien Gemeinwesens, daß die ringenden Mächte gegenseitig sich auf mittelbaren Zwang beschränken, war allen Parteien gleichmäßig abhanden gekommen, und hüben und drüben fingen zuerst die Knüttel, bald auch die Schwerter an, um die Herrschaft zu fechten. Die Revolution, insofern zu Ende, als die alte Verfassung von beiden Seiten als definitiv beseitigt anerkannt und Ziel und Weg der neuen politischen Entwicklung deutlich festgestellt war, hatte doch für diese Reorganisation des Staates selbst bis jetzt nur provisorische Lösungen gefunden; weder die Gracchische noch die Sullanische Konstituierung der Gemeinde trugen einen abschließenden Charakter. Das aber war das Bitterste dieser bitteren Zeit, daß dem klarsehenden Patrioten selbst das Hoffen und das Streben sich versagten. Die Sonne der Freiheit mit all ihrer unendlichen Segensfülle ging unaufhaltsam unter, und die Dämmerung senkte sich über die eben noch so glänzende Welt. Es war keine zufällige Katastrophe, der Vaterlandsliebe und Genie hätten wehren können; es waren uralte soziale Schäden, im letzten Kern der Ruin des Mittelstandes durch das Sklavenproletariat, an denen das römische Gemeinwesen zugrunde ging. Auch der einsichtigste Staatsmann war in der Lage des Arztes, dem es gleich peinlich ist, die Agonie zu verlängern und zu verkürzen. Ohne Zweifel war Rom um so besser beraten, je rascher und durchgreifender ein Despot alle Reste der alten freiheitlichen Verfassung beseitigte und für das bescheidene Maß menschlichen Gedeihens, wofür in dem Absolutismus Raum ist, die neuen Formen und Formeln fand; der innere Vorzug, der der Monarchie unter den gegebenen Verhältnissen gegenüber jeder Oligarchie zukam, lag wesentlich ebendarin, daß ein solcher energisch nivellierender und energisch aufbauender Despotismus von einer kollegialischen Behörde nimmermehr geübt werden konnte. Allein diese kühlen Erwägungen machen keine Geschichte; nicht der Verstand, nur die Leidenschaft baut für die Zukunft. Man mußte eben erwarten, wie lange das Gemeinwesen fortfahren werde, nicht leben und nicht sterben zu können, und ob es schließlich an einer mächtigen Natur seinen Meister und, soweit dies möglich war, seinen Neuschöpfer finden oder in Elend und Schwäche zusammenstürzen werde.

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^1 Exterae nationes in arbitratu dicione potestate amicitiave populi Romani (Lex repetund. v. 1), die offizielle Bezeichnung der nichtitalischen Untertanen und Klienten im Gegensatz der italischen “Eidgenossen und Stammverwandten” (socii nominisve Latini).

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Es bleibt noch übrig, die ökonomische und soziale Seite dieses Verlaufs hervorzuheben, insoweit dies nicht bereits früher geschehen ist.

Der Staatshaushalt ruhte seit dem Anfang dieser Epoche wesentlich auf den Einkünften aus den Provinzen. In Italien ward die Grundsteuer, die hier stets nur neben den ordentlichen Domanial- und anderen Gefällen als außerordentliche Abgabe vorgekommen war, seit der Schlacht von Pydna nicht wieder erhoben, so daß die unbedingte Grundsteuerfreiheit anfing, als ein verfassungsmäßiges Vorrecht des römischen Grundbesitzers betrachtet zu werden. Die Regalien des Staats, wie das Salzmonopol und das Münzrecht, wurden, wenn überhaupt je, so wenigstens jetzt nicht als Einnahmequellen behandelt. Auch die neue Erbschaftssteuer ließ man wieder schwinden oder schaffte sie vielleicht geradezu ab. Demnach zog die römische Staatskasse aus Italien einschließlich des diesseitigen Galliens nichts als teils den Domänenertrag, namentlich von dem kampanischen Gebiet und den Goldgruben im Lande der Kelten, teils die Abgabe von den Freilassungen und den nicht zu eigenem Verbrauch des Einführenden in das römische Stadtgebiet zur See eingehenden Waren, welche beide wesentlich als Luxussteuern betrachtet werden können und allerdings durch die Ausdehnung des römischen Stadt- und zugleich Zollgebiets auf ganz Italien, wahrscheinlich mit Einschluß des diesseitigen Galliens, ansehnlich gesteigert werden mußten.

In den Provinzen nahm der römische Staat zunächst als Privateigentum in Anspruch teils in den nach Kriegsrecht vernichteten Staaten die gesamte Mark, teils in denjenigen Staaten, wo die römische Regierung an die Stelle der ehemaligen Herrscher getreten war, den von diesen innegehaltenen Grundbesitz, kraft welches Rechts die Feldmarken von Leontinoi, Karthago, Korinth, das Domanialgut der Könige von Makedonien, Pergamon und Kyrene, die Gruben in Spanien und Makedonien als römische Domänen galten und, ähnlich wie das Gebiet von Capua, von den römischen Zensoren an Privatunternehmer gegen Abgabe einer Ertragsquote oder einer bestimmten Geldsumme verpachtet wurden. Daß Gaius Gracchus noch weiter ging, das gesamte Provinzialland als Domäne ansprach und zunächst für die Provinz Asia diesen Satz insofern praktisch durchführte, als er den Bodenzehnten, die Hut- und Hafengelder daselbst rechtlich motivierte durch das Eigentumsrecht des römischen Staats an Acker, Wiese und Küste der Provinz, mochten diese nun früher dem König oder Privaten gehört haben, ward bereits früher ausgeführt.

Nutzbare Staatsregalien scheint es in dieser Zeit auch den Provinzen gegenüber noch nicht gegeben zu haben; die Untersagung des Wein- und Ölbaues im Transalpinischen Gallien kam der Staatskasse als solcher nicht zugute. Dagegen wurden direkte und indirekte Steuern in großem Umfang erhoben. Die als vollständig souverän anerkannten Klientelstaaten, also zum Beispiel die Königreiche Numidien und Kappadokien, die Bundesstädte (civitates foederatae) Rhodos, Messana, Tauromenion, Massalia, Gades waren rechtlich steuerfrei und durch ihren Vertrag nur verpflichtet, die römische Republik in Kriegszeiten teils durch regelmäßige Stellung einer festen Anzahl von Schiffen oder Mannschaften auf ihre Kosten, teils, wie natürlich, im Notfall durch außerordentliche Hilfsleistung jeder Art zu unterstützen. Das übrige Provinzialgebiet dagegen, selbst mit Einschluß der Freistädte, unterlag durchgängig der Besteuerung, und nur die mit römischem Bürgerrecht beliehenen Städte, wie Narbo, und die speziell mit der Steuerfreiheit beschenkten Gemeinden (civitates immunes), wie Kentoripa in Sizilien, waren hiervon ausgenommen. Die direkten Abgaben bestanden teils, wie in Sizilien und Sardinien, in einem Anrecht auf den Zehnten 2 der Garben und sonstigen Feldfrüchte wie der Trauben und Oliven, oder, wenn das Land zur Weide lag, einem entsprechenden Hutgeld; teils, wie in Makedonien, Achaia, Kyrene, dem größten Teil von Africa, beiden Spanien, nach Sulla auch in Asia, in einer von jeder einzelnen Gemeinde jährlich nach Rom zu entrichtenden festen Geldsumme (stipendium, tributum), welche zum Beispiel für ganz Makedonien 600000 (183000 Taler), für die kleine Insel Gyaros bei Andros 150 Denare (46 Taler) betrug und allem Anschein nach im ganzen niedrig und geringer war als die vor der römischen Herrschaft entrichtete Abgabe. Jene Bodenzehnten und Hutgelder verdang der Staat gegen Lieferung fester Quantitäten Korn oder fester Geldsummen an Privatunternehmer; dieser Geldabgaben wegen hielt er sich an die einzelnen Gemeinden und überließ es diesen, den Betrag nach den von der römischen Regierung im allgemeinen festgestellten Prinzipien auf die Steuerpflichtigen zu repartieren und von diesen einzuziehen 3. Die indirekten Abgaben bestanden, abgesehen von den untergeordneten Chaussee-, Brücken- und Kanalgeldern, wesentlich in den Zöllen. Die Zölle des Altertums waren, wo nicht ausschließlich doch sehr vorwiegend Hafen-, seltener Landgrenzzölle auf die zur Feilbietung bestimmten ein- und ausgehenden Waren und wurden von jeder Gemeinde in ihren Häfen und ihrem Gebiet nach Ermessen erhoben. Die Römer erkannten dies auch insofern im allgemeinen an, als sich ihr ursprüngliches Zollgebiet nicht weiter erstreckte als der römische Bürgerbezirk, und die Reichsgrenze keineswegs Zollgrenze, ein allgemeiner Reichszoll also unbekannt war; nur auf dem Wege des Staatsvertrages ward in den Klientelgemeinden für den römischen Staat wohl durchaus Zollfreiheit, für den römischen Bürger vielfach wenigstens Zollbegünstigung ausbedungen. Aber in denjenigen Bezirken, die nicht zum Bündnis mit Rom zugelassen waren, sondern in eigentlicher Untertänigkeit standen, auch nicht die Immunität erworben hatten, fielen die Zölle doch selbstverständlich an den eigentlichen Souverän, das heißt an die römische Gemeinde; und infolgedessen wurden einzelne größere Gebiete innerhalb des Reiches als besondere römische Zolldistrikte konstituiert, in welchen die einzelnen verbündeten oder mit Immunität beliehenen Gemeinden als vom römischen Zoll befreit enklaviert wurden. So bildete Sizilien schon seit der karthagischen Zeit einen geschlossenen Zollbezirk, an dessen Grenze von allen aus- und eingehenden Waren eine Abgabe von fünf Prozent vom Wert erhoben ward; so ward an den Grenzen von Asia infolge des Sempronischen Gesetzes eine ähnliche Abgabe von zweieinhalb Prozent erhoben; so ward in ähnlicher Weise die Provinz Narbo, ausschließlich der Feldmark der römischen Kolonie, als römischer Zollbezirk organisiert. Bei dieser Einrichtung mag außer den fiskalischen Zwecken auch die löbliche Absicht mitgewirkt haben, der aus den mannigfaltigen Kommunalzöllen unvermeidlich entstehenden Verwirrung durch gleichmäßige Grenzzollregulierung zu steuern. Zur Erhebung wurden die Zölle gleich den Zehnten ohne Ausnahme an Mittelsmänner verdungen.

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2 Dieser Steuerzehnte, den der Staat von dem Privatgrundeigentum erhebt, ist wohl zu unterscheiden von dem Eigentümerzehnten, den er auf das Dominalland legt. Jener ward in Sizilien verpachtet und stand ein für allemal fest; diesen, insonderheit den des Leontinischen Ackers, verpachteten die Zensoren in Rom und regulierten die zu entrichtende Ertragsquote und die sonstigen Bedingungen nach Ermessen (Cic. Verr. 3, 6, 13; 5, 21, 53; leg. 1, 2, 4; 2, 18, 48). Vgl. mein Römisches Staatsrecht, Bd. 3, S. 730.

3 Das Verfahren war, wie es scheint, folgendes. Die römische Regierung bestimmte zunächst die Gattung und die Höhe der Abgabe: so zum Beispiel ward in Asien auch nach der Sullanisch-Caesarischen Ordnung die zehnte Garbe erhoben (App. civ. 5 4); so steuerten nach Caesars Verordnung die Juden jedes andere Jahr ein Viertel der Aussaat (Ios. ant. Iud. 4, 10, 6; vgl. 2, 5); so ward in Kilikien und Syrien später 5 vom Hundert des Vermögens (App. Syr. 50) und auch in Africa eine, wie es scheint, ähnliche Abgabe entrichtet, wobei übrigens das Vermögen nach gewissen Präsumtionen, z. B. nach der Größe des Bodenbesitzes, der Zahl der Türöffnungen, der Kopfzahl der Kinder und Sklaven abgeschätzt worden zu sein scheint (exactio capitum atque ostiorum, Cic. ad fam. 3, 8, 5, von Kilikien; φόρος επί τή γή καί τοίς σώμασιν, App. Pun. 135, für Africa). Nach dieser Norm wurde von den Gemeindebehörden unter Oberaufsicht des römischen Statthalters (Cic. ad Q. fr. 1, 1, 8; SC. de Asclep. 22, 23) festgestellt, wer steuerpflichtig und was von jedem einzelnen Steuerpflichtigen zu leisten sei (imperata επικεφάλια Cic. Att. 5, I6); wer dies nicht rechtzeitig entrichtete, dessen Steuerschuld ward ebenwie in Rom verkauft, d. h. einem Unternehmer mit einem Zuschlag zur Einziehung übertragen (venditio tributorum Cic. ad fam. 3, 8, 5; ωνάς omnium venditas, ders. Att. 5, 16). Der Ertrag dieser Steuern floß den Hauptgemeinden zu, wie zum Beispiel die Juden ihr Korn nach Sidon zu senden hatten, und aus deren Kassen wurde sodann der festgesetzte Geldbetrag nach Rom abgeführt. Auch diese Steuern also wurden mittelbar erhoben, und der Vermittler behielt je nach den Umständen, entweder einen Teil des Ertrags der Steuer für sich oder setzte aus eigenem Vermögen zu; der Unterschied dieser Erhebung von der anderen durch Publikanen lag lediglich darin, daß dort die Gemeindebehörde der Kontribuablen, hier römische Privatunternehmer den Vermittler machten.

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Hierauf waren die ordentlichen Lasten der römischen Steuerpflichtigen beschränkt, wobei übrigens nicht übersehen werden darf, daß die Erhebungskosten höchst beträchtlich waren und die Kontribuablen unverhältnismäßig mehr zahlten, als die römische Regierung empfing. Denn wenn das System der Steuereinziehung durch Mittelsmänner, namentlich durch Generalpächter, schon an sich von allen das verschwenderischste ist, so ward in Rom noch durch die geringe Teilung der Pachtungen und die ungeheure Assoziation des Kapitals die wirksame Konkurrenz aufs äußerste erschwert.

Zu diesen ordentlichen Belastungen aber kommen noch erstlich die Requisitionen hinzu. Die Kosten der Militärverwaltung trug von Rechts wegen die römische Gemeinde. Sie versah die Kommandanten jeder Provinz mit den Transportmitteln und allen sonstigen Bedürfnissen; sie besoldete und versorgte die römischen Soldaten in der Provinz. Nur Dach und Fach, Holz, Heu und ähnliche Gegenstände hatten die Provinzialgemeinden den Beamten und Soldaten unentgeltlich zu gewähren; ja die freien Städte waren sogar auch von der Wintereinquartierung - feste Standlager kannte man noch nicht - regelmäßig befreit. Wenn der Statthalter also Getreide, Schiffe, Sklaven zu deren Bemannung, Leinwand, Leder, Geld oder anderes bedurfte, so stand es ihm zwar im Kriege unbedingt und nicht viel anders auch in Friedenszeiten frei, solche Lieferungen nach Ermessen und Bedürfnis von den Untertanengemeinden oder den souveränen Klientelstaaten einzufordern, allein dieselben wurden, gleich der römischen Grundsteuer, rechtlich als Käufe oder Vorschüsse behandelt und der Wert von der römischen Staatskasse sogleich oder später ersetzt. Aber dennoch wurden, wenn nicht in der staatsrechtlichen Theorie, so doch praktisch, diese Requisitionen eine der drückendsten Belastungen der Provinzialen; um so mehr, als die Entschädigungsziffer regelmäßig von der Regierung oder gar dem Statthalter einseitig festgesetzt ward. Es begegnen wohl einzelne gesetzliche Beschränkungen dieses gefährlichen Requisitionsrechts der römischen Oberbeamten - so die schon erwähnte Vorschrift, daß in Spanien dem Landmann durch Getreiderequisitionen nicht mehr als die zwanzigste Garbe entzogen und auch hierfür der Preis nicht einseitig ausgemacht werden dürfte; die Bestimmung eines Maximalquantums des von dem Statthalter für seine und seines Gefolges Bedürfnisse zu requirierenden Getreides; die vorgängige Anordnung einer festbestimmten und hochgegriffenen Vergütung für das Getreide, das wenigstens in Sizilien häufig für die Bedürfnisse der Hauptstadt eingefordert ward. Allein durch dergleichen Festsetzungen wurde der Druck jener Requisitionen auf die Ökonomie der Gemeinden und der einzelnen in den Provinzen wohl hier und da gelindert, aber keineswegs beseitigt. In außerordentlichen Krisen steigerte dieser Druck sich unvermeidlich und oft ins Grenzenlose, wie denn auch alsdann die Lieferungen nicht selten in der Form der Strafausschreibung oder in der der erzwungenen freiwilligen Beiträge erfolgten, die Vergütung also ganz wegfiel. So zwang Sulla im Jahre 670/71 (84/83) die kleinasiatischen Provinzialen, die allerdings sich aufs schwerste gegen Rom vergangen hatten, jedem bei ihnen einquartierten Gemeinen vierzigfachen (für den Tag 16 Denare = 3 2/3 Taler), jedem Centurio fünfundsiebzigfachen Sold zu gewähren, außerdem Kleidung und Tisch nebst dem Recht, nach Belieben Gäste einzuladen; so schrieb derselbe Sulla bald nachher eine allgemeine Umlage auf die Klientel- und Untertanengemeinden aus, von deren Erstattung natürlich keine Rede war.

Ferner sind die Gemeindelasten nicht aus den Augen zu lassen. Sie müssen verhältnismäßig sehr ansehnlich gewesen sein 4, da die Verwaltungskosten, die Instandhaltung der öffentlichen Gebäude, überhaupt alle Zivilausgaben von den städtischen Budgets getragen wurden und die römische Regierung lediglich das Militärwesen aus ihrer Kasse zu bestreiten übernahm. Sogar von diesem Militärbudget aber wurden noch beträchtliche Posten auf die Gemeinden abgewälzt - so die Anlage- und Unterhaltungskosten der nichtitalischen Militärstraßen, die der Flotten in den nichtitalischen Meeren, ja selbst zu einem großen Teil die Ausgaben für das Heerwesen, insofern die Wehrmannschaft der Klientelstaaten wie die der Untertanen auf Kosten ihrer Gemeinden innerhalb ihrer Provinz regelmäßig zum Dienst herangezogen wurden und auch außerhalb derselben Thraker in Afrika, Afrikaner in Italien und so weiter an jedem beliebigen Ort immer häufiger anfingen, mitverwendet zu werden. Wenn nur die Provinzen, nicht aber Italien direkte Abgaben an die Regierung entrichtete, so war dies wo nicht politisch, doch finanziell billig, solange als Italien die Lasten und Kosten des Militärwesens allein trug; seit dies aber aufgegeben ward, waren die Provinzialen auch finanziell entschieden überlastet.

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4 Beispielsweise entrichtete in Judäa die Stadt Joppe 26075 römische Scheffel Korn, die übrigen Juden die zehnte Garbe an den Volksfürsten; wozu dann noch der Tempelschoß und die für die Römer bestimmte sidonische Abgabe kamen. Auch in Sizilien ward neben dem römischen Zehnten eine sehr ansehnliche Gemeindeschatzung vom Vermögen erhoben.

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Endlich ist das große Kapitel des Unrechts nicht zu vergessen, durch das die römischen Beamten und Steuerpächter in der mannigfaltigsten Weise die Steuerlast der Provinzen steigerten. Man mochte jedes Geschenk, das der Statthalter nahm, gesetzlich als erpreßtes Gut behandeln, und selbst das Recht zu kaufen ihm durch Gesetz beschränken, seine öffentliche Tätigkeit bot ihm, wenn er unrecht tun wollte, dennoch der Handhaben mehr als genug. Die Einquartierung der Truppen; die freie Wohnung der Beamten und des Schwarmes von Adjutanten senatorischen oder Ritterranges, von Schreibern, Gerichtsdienern, Herolden, Ärzten und Pfaffen; das den Staatsboten zukommende Recht unentgeltlicher Beförderung; die Approbierung und der Transport der schuldigen Naturallieferungen; vor allem die Zwangsverkäufe und die Requisitionen gaben allen Beamten Gelegenheit, aus den Provinzen fürstliche Vermögen heimzubringen; und das Stehlen ward immer allgemeiner, je mehr die Kontrolle der Regierung sich als null erwies und die der Kapitalistengerichte sogar als gefährlich allein für den ehrlichen Beamten. Die durch die Häufigkeit der Klagen über Beamtenerpressung in den Provinzen veranlaßte Einrichtung einer stehenden Kommission für dergleichen Fälle im Jahre 605 (149) und die rasch sich folgenden und die Strafe stets steigernden Erpressungsgesetze zeigen, wie die Flutmesser den Wasserstand, die immer wachsende Höhe des Übels.

Unter all diesen Verhältnissen konnte selbst eine der Anlage nach mäßige Besteuerung effektiv äußerst drückend werden, und daß sie dies war, ist außer Zweifel, wenngleich der ökonomische Druck, den die italischen Kaufleute und Bankiers auf die Provinzen übten, noch weit schwerer auf denselben gelastet haben mag als die Besteuerung mit allen daran hängenden Mißbräuchen.

Fassen wir zusammen, so war die Einnahme, welche Rom aus den Provinzen zog, nicht eigentlich eine Besteuerung der Untertanen in dem Sinn, den wir jetzt damit verbinden, sondern vielmehr überwiegend eine den attischen Tributen vergleichbare Hebung, womit der führende Staat die Kosten des von demselben übernommenen Kriegswesens bestritt. Daraus erklärt sich auch die auffallende Geringfügigkeit des Roh- wie des Reinertrags. Es findet sich eine Angabe, wonach die römische Einnahme, vermutlich mit Ausschluß der italischen Einkünfte und des von den Zehntpächtern in Natur nach Italien abgelieferten Getreides, bis zum Jahr 691 (63) nicht mehr betrug als 200 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler); also nur zwei Drittel der Summe, die der König von Ägypten jährlich aus seinem Lande zog. Nur auf den ersten Blick kann das Verhältnis befremden. Die Ptolemäer beuteten das Niltal aus wie große Plantagenbesitzer und zogen ungeheure Summen aus dem von ihnen monopolisierten Handelsverkehr mit dem Orient; das römische Ärar war nicht viel mehr als die Bundeskriegskasse der unter Roms Schutz geeinigten Gemeinden. Der Reinertrag war wahrscheinlich verhältnismäßig noch geringer. Einen ansehnlichen Überschuß lieferten wohl nur Sizilien, wo das karthagische Besteuerungssystem galt, und vor allem Asia, seit Gaius Gracchus, um seine Getreideverteilung möglich zu machen, daselbst die Bodenkonfiskation und die allgemeine Domanialbesteuerung durchgesetzt hatte; nach vielfältigen Zeugnissen ruhten die römischen Staatsfinanzen wesentlich auf den Abgaben von Asia. Die Versicherung klingt ganz glaublich, daß die übrigen Provinzen durchschnittlich ungefähr so viel kosteten als sie einbrachten; ja diejenigen, welche eine bedeutende Besatzung erforderten, wie beide Spanien, das Jenseitige Gallien, Makedonien, mögen oft mehr gekostet als getragen haben. Im ganzen blieb dem römischen Ärar allerdings in gewöhnlichen Zeiten ein Überschuß, welcher es möglich machte, die Staats- und Stadtbauten reichlich zu bestreiten und einen Notpfennig aufzusammeln; aber auch die für diese Beträge vorkommenden Ziffern, zusammengehalten mit dem weiten Gebiet der römischen Herrschaft, sprechen für die Geringfügigkeit des Reinertrags der römischen Steuern. In gewissem Sinne hat also der alte, ebenso ehrenwerte wie verständige Grundsatz: die politische Hegemonie nicht als nutzbares Recht zu behandeln, ebenwie die römisch-italische so auch noch die provinziale Finanzverfassung beherrscht. Was die römische Gemeinde von ihren überseeischen Untertanen erhob, ward der Regel nach auch für die militärische Sicherung der überseeischen Besitzungen wieder verausgabt; und wenn diese römischen Hebungen dadurch die Pflichtigen schwerer trafen als die ältere Besteuerung, daß sie großenteils im Ausland verausgabt wurden, so schloß dagegen die Ersetzung der vielen kleinen Herren und Heere durch eine einzige Herrschaft und eine zentralisierte Militärverwaltung eine sehr ansehnliche ökonomische Ersparnis ein. Aber freilich erscheint dieser Grundsatz einer besseren Vorzeit in der Provinzialorganisation doch von vornherein innerlich zerstört und durchlöchert durch die zahlreichen Ausnahmen, die man davon sich gestattete. Der hieronisch-karthagische Bodenzehnte in Sizilien ging weit hinaus über den Betrag eines jährlichen Kriegsbeitrags. Mit Recht ferner sagt Scipio Aemilianus bei Cicero, daß es der römischen Bürgerschaft übel anstehe, zugleich den Gebieter und den Zöllner der Nationen zu machen. Die Aneignung der Hafenzölle war mit dem Grundsatz der uneigennützigen Hegemonie nicht vereinbar, und die Höhe der Zollsätze sowie die vexatorische Erhebungsweise nicht geeignet, das Gefühl des hier zugefügten Unrechts zu beschwichtigen. Es gehört wohl schon dieser Zeit an, daß der Name des Zöllners den östlichen Völkerschaften gleichbedeutend mit dem des Frevlers und des Räubers ward; keine Belastung hat so wie diese dazu beigetragen, den römischen Namen besonders im Osten widerwärtig und gehässig zu machen. Als dann aber Gaius Gracchus und diejenige Partei an das Regiment kam, die sich in Rom die populäre nannte, ward die politische Herrschaft unumwunden für ein Recht erklärt, das jedem der Teilhaber Anspruch gab auf eine Anzahl Scheffel Korn, ward die Hegemonie geradezu in Bodeneigentum verwandelt, das vollständige Exploitierungssystem nicht bloß eingeführt, sondern mit unverschämter Offenherzigkeit rechtlich motiviert und proklamiert. Sicher war es auch kein Zufall, daß dabei eben die beiden am wenigsten kriegerischen Provinzen Sizilien und Asia das härteste Los traf.

Einen ungefähren Messer des römischen Finanzstandes dieser Zeit gewähren in Ermangelung bestimmter Angaben noch am ersten die öffentlichen Bauten. In den ersten Dezennien dieser Epoche wurden dieselben in größtem Umfange betrieben, und vor allem die Chausseeanlagen sind zu keiner Zeit so energisch gefördert worden. In Italien schloß sich an die große, vermutlich schon ältere Südchaussee, die als Verlängerung der Appischen von Rom über Capua, Beneventum, Venusia nach den Häfen von Tarent und Brundisium lief, eine Seitenstraße an von Capua bis zur sizilischen Meerenge, ein Werk des Publius Popillius, Konsul 622 (132). An der Ostküste, wo bisher nur die Strecke von Fanum nach Ariminum als Teil der Flaminischen Straße chaussiert gewesen war, wurde die Küstenstraße südwärts bis nach Brundisium, nordwärts über Hatria am Po bis nach Aquileia verlängert und wenigstens das Stück von Ariminum bis Hatria von dem ebengenannten Popillius in dem gleichen Jahr angelegt. Auch die beiden großen etrurischen Chausseen, die Küsten- oder Aurelische Straße von Rom nach Pisa und Luna, an der unter anderem im Jahre 631 (123) gebaut ward, und die über Sutrium und Clusium nach Arretium und Florentia geführte Cassische, die nicht vor 583 (171) gebaut zu sein scheint, dürften als römische Staatschausseen erst dieser Zeit angehören. Um Rom selbst bedurfte es neuer Anlagen nicht; doch wurde die Mulvische Brücke (Ponte Molle), auf der die Flaminische Straße unweit Rom den Tiber überschritt, im Jahre 645 (109) von Stein hergestellt. Endlich in Norditalien, das bis dahin keine andere als die bei Placentia endigende Flaminisch-Ämilische Kunststraße gehabt hatte, wurde im Jahre 606 (148) die große Postumische Straße gebaut, die von Genua über Dertona, wo wahrscheinlich gleichzeitig eine Kolonie gegründet ward, weiter über Placentia, wo sie die Flaminisch-Ämilische Straße aufnahm, Cremona und Verona nach Aquileia führte und also das Tyrrhenische und das Adriatische Meer miteinander verband; wozu noch die im Jahre 645 (109) durch Marcus Aemilius Scaurus hergestellte Verbindung zwischen Luna und Genua hinzukam, welche die Postumische Straße unmittelbar mit Rom verknüpfte. In einer anderen Weise war Gaius Gracchus für das italische Wegewesen tätig. Er sicherte die Instandhaltung der großen Landstraßen, indem er bei der Ackerverteilung längs derselben Grundstücke anwies, auf denen die Verpflichtung der Wegebesserung als dingliche Last haftete; auf ihn ferner oder doch auf die Ackerverteilungskommission scheint, wie die Sitte, die Feldgrenze durch ordentliche Marksteine zu bezeichnen, so auch die der Errichtung von Meilensteinen zurückzugehen; er sorgte endlich für gute Vizinalwege, um auch hierdurch den Ackerbau zu fördern. Aber weit folgenreicher noch war die ohne Zweifel eben in dieser Epoche beginnende Anlage von Reichschausseen in den Provinzen: die Domitische Straße stellte nach langen Vorbereitungen den Landweg von Italien nach Spanien sicher und hing mit der Gründung von Aquae Sextiae und Narbo eng zusammen; die Gabinische und die Egnatische führten von den Hauptplätzen an der Ostküste des Adriatischen Meeres, jene von Salona, diese von Apollonia und Dyrrhachion, in das Binnenland hinein; das unmittelbar nach der Einrichtung der asiatischen Provinz im Jahre 625 (129) von Manius Aquillius angelegte Straßennetz führte von der Hauptstadt Ephesus nach verschiedenen Richtungen bis an die Reichsgrenze - alles Anlagen, über deren Entstehung in der trümmerhaften Überlieferung dieser Epoche keine Angabe zu finden ist, die aber nichtsdestoweniger mit der Konsolidierung der römischen Herrschaft in Gallien, Dalmatien, Makedonien und Kleinasien unzweifelhaft in Zusammenhang standen und für die Zentralisierung des Staats und die Zivilisierung der unterworfenen barbarischen Distrikte von der größten Bedeutung geworden sind.

Wie für die Straßen war man wenigstens in Italien auch für die großen Entsumpfungsarbeiten tätig. So ward im Jahre 594 (160) die Trockenlegung der Pomptinischen Sümpfe, die Lebensfrage für Mittelitalien, mit großem Kraftaufwand und wenigstens vorübergehendem Erfolg angegriffen; so im Jahre 645 (109) in Verbindung mit den norditalischen Chausseebauten zugleich die Entsumpfung der Niederungen zwischen Parma und Placentia bewerkstelligt. Endlich tat die Regierung viel für die zur Gesundheit und Annehmlichkeit der Hauptstadt ebenso unentbehrlichen wie kostspieligen römischen Wasserleitungen. Nicht bloß wurden die beiden seit den Jahren 442 (312) und 492 (262) bereits bestehenden, die Appische und die Anioleitung, im Jahre 610 (144) von Grund aus repariert, sondern auch zwei neue Leitungen angelegt: im Jahre 610 (144) die Marcische, die an Güte und Fülle des Wassers auch später unübertroffen blieb, und neunzehn Jahre nachher die sogenannte Laue. Welche Operationen die römische Staatskasse, ohne vom Kreditsystem Gebrauch zu machen, mittels reiner Barzahlung auszuführen vermochte, zeigt nichts deutlicher als die Art, wie die Marcische Leitung zustande kam: die dazu erforderliche Summe von 180 Mill. Sesterzen (in Gold 13½ Mill. Taler) ward innerhalb dreier Jahre disponibel gemacht und verwandt. Es läßt dies schließen auf eine sehr ansehnliche Reserve des Staatsschatzes, die denn auch schon im Anfang dieser Periode nahe an 6 Mill. Taler betrug und ohne Zweifel beständig im Steigen war.

Alle diese Tatsachen zusammengenommen, lassen allerdings auf einen im allgemeinen günstigen Stand der römischen Finanzen dieser Zeit schließen. Nur darf auch in finanzieller Hinsicht nicht übersehen werden, daß die Regierung während der ersten zwei Drittel dieses Zeitabschnitts zwar glänzende und großartige Bauten ausführte, aber dafür andere wenigstens ebenso notwendige Ausgaben zu machen unterließ. Wie ungenügend sie für das Militärwesen sorgte, ist bereits hervorgehoben worden: in den Grenzlandschaften, ja im Potal plünderten die Barbaren, im Innern hausten selbst in Kleinasien, Sizilien, Italien die Räuberbanden. Die Flotte gar ward völlig vernachlässigt; römische Kriegsschiffe gab es kaum mehr und die Kriegsschiffe, die man durch die Untertanenstädte bauen und erhalten ließ, reichten nicht aus, so daß man nicht bloß schlechterdings keinen Seekrieg zu führen, sondern nicht einmal den Piraten das Handwerk zu legen imstande war. In Rom selbst unterblieben eine Menge der notwendigsten Verbesserungen und namentlich die Flußbauten wurden seltsam vernachlässigt. Immer noch besaß die Hauptstadt keine andere Brücke über den Tiber als den uralten hölzernen Steg, der über die Tiberinsel nach dem Ianiculum führte; immer noch ließ man den Tiber jährlich die Straßen unter Wasser setzen und Häuser, ja nicht selten ganze Quartiere niederwerfen, ohne etwas für die Uferbefestigung zu tun; immer mehr ließ man, wie gewaltig auch der überseeische Handel sich entwickelte, die an sich schon schlechte Reede von Ostia versanden. Eine Regierung, die unter den günstigsten Verhältnissen und in einer Epoche vierzigjährigen Friedens nach außen und innen solche Pflichten versäumt, kann leicht Steuern schwinden lassen und dennoch einen jährlichen Überschuß der Einnahme über die Ausgabe und einen ansehnlichen Sparschatz erzielen; aber eine derartige Finanzverwaltung verdient keineswegs Lob wegen ihrer nur scheinbar glänzenden Ergebnisse, sondern vielmehr dieselben Vorwürfe der Schlaffheit, des Mangels an einheitlicher Leitung, der verkehrten Volksschmeichelei, die auf jedem andern politischen Gebiet gegen das senatorische Regiment dieser Epoche erhoben werden mußten.

Weit schlimmer gestalteten sich natürlich die finanziellen Verhältnisse, als die Stürme der Revolution hereinbrachen. Die neue und, auch bloß finanziell betrachtet, höchst drückende Belastung, die dem Staat aus der durch Gaius Gracchus ihm auferlegten Verpflichtung erwuchs, den hauptstädtischen Bürgern das Getreide zu Schleuderpreisen zu verabfolgen, ward allerdings durch die in der Provinz Asia neu eröffneten Einnahmequellen zunächst wieder ausgeglichen. Nichtsdestoweniger scheinen die öffentlichen Bauten seitdem fast gänzlich ins Stocken gekommen zu sein. So zahlreich die erweislichermaßen von der Schlacht bei Pydna bis auf Gaius Gracchus angelegten öffentlichen Werke sind, so werden dagegen aus der Zeit nach 632 (122) kaum andere genannt als die Brücken-, Straßen und Entsumpfungsanlagen, die Marcus Aemilius Scaurus als Zensor 645 (109) anordnete. Es muß dahingestellt bleiben, ob dies die Folge der Kornverteilungen ist oder, wie vielleicht wahrscheinlicher, die Folge des gesteigerten Sparschatzsystems, wie es sich schickt für ein immer mehr zur Oligarchie erstarrendes Regiment, und wie es angedeutet ist in der Angabe, daß der römische Reservefonds seinen höchsten Stand im Jahre 663 (91) erreichte. Der fürchterliche Insurrektions- und Revolutionssturm in Verbindung mit dem fünfjährigen Ausbleiben der kleinasiatischen Gefälle war die erste nach dem Hannibalischen Krieg wieder den römischen Finanzen zugemutete ernste Probe; sie haben dieselbe nicht bestanden. Nichts vielleicht zeichnet so klar den Unterschied der Zeiten, als daß im Hannibalischen Krieg erst im zehnten Kriegsjahre, als die Bürgerschaft den Steuern fast erlag, der Sparschatz angegriffen, dagegen der Bundesgenossenkrieg gleich von Haus aus auf den Kassenbestand fundiert ward und, als schon nach zwei Feldzügen derselbe bis auf den letzten Pfennig ausgegeben war, man lieber die öffentlichen Plätze in der Hauptstadt versteigerte und die Tempelschätze angriff, als eine Steuer auf die Bürger ausschrieb. Indes der Sturm, so arg er war, ging vorüber; Sulla stellte, freilich unter ungeheuren, namentlich den Untertanen und den italischen Revolutionären aufgebürdeten ökonomischen Opfern, die Ordnung in den Finanzen wieder her und sicherte, indem er die Getreidespenden aufhob, die asiatischen Abgaben aber, wenn auch gemindert, doch beibehielt, dem Gemeinwesen wenigstens in dem Sinn einen befriedigenden ökonomischen Zustand, als die ordentlichen Ausgaben weit unter den ordentlichen Einnahmen blieben.

In der Privatökonomie dieser Zeit tritt kaum ein neues Moment hervor; die früher dargelegten Vorzüge und Nachteile der sozialen Verhältnisse Italiens werden nicht verändert, sondern nur weiter und schärfer entwickelt. In der Bodenwirtschaft sahen wir bereits früher die steigende römische Kapitalmacht den mittleren und kleinen Grundbesitz in Italien sowohl wie in den Provinzen allmählich verzehren, wie die Sonne die Regentropfen aufsaugt. Die Regierung sah nicht bloß zu ohne zu wehren, sondern förderte noch die schädliche Bodenteilung durch einzelne Maßregeln, vor allem durch das zu Gunsten der großen italischen Grundbesitzer und Kaufleute ausgesprochene Verbot der transalpinischen Wein- und Ölproduktion 5. Zwar wirkten sowohl die Opposition als die auf die Reformideen eingehende Fraktion der Konservativen energisch dem übel entgegen: indem die beiden Gracchen die Aufteilung fast des gesamten Domaniallandes durchsetzten, gaben sie dem Staat 80000 neue italische Bauern; indem Sulla 120000 Kolonisten in Italien ansiedelte, ergänzte er wenigstens einen Teil der von der Revolution und von ihm selbst in die Reihen der italischen Bauernschaft gerissenen Lücken; allein dem durch stetigen Abfluß sich leerenden Gefäß ist nicht durch Einschöpfen auch beträchtlicher Massen, sondern nur durch Herstellung eines stetigen Zuflusses zu helfen, welche vielfach versucht ward, aber nicht gelang. In den Provinzen nun gar geschah nicht das Geringste, um den dortigen Bauernstand vor dem Auskaufen durch die römischen Spekulanten zu retten: die Provinzialen waren ja bloß Menschen und keine Partei. Die Folge war, daß mehr und mehr auch die außeritalische Bodenrente nach Rom floß. Übrigens war die Plantagenwirtschaft, die um die Mitte dieser Epoche selbst in einzelnen Landschaften Italiens, zum Beispiel in Etrurien, bereits durchaus überwog, bei dem Zusammenwirken eines energischen und rationellen Betriebs und reichlicher Geldmittel in ihrer Art zu hoher Blüte gelangt. Die italische Weinproduktion vor allem, die teils die Eröffnung gezwungener Märkte in einem Teil der Provinzen, teils das zum Beispiel in dem Aufwandgesetz von 593 (161) ausgesprochene Verbot der ausländischen Weine in Italien auch künstlich förderten, erzielte sehr bedeutende Erfolge; der Amineer und der Falerner fingen an, neben dem Thasier und Chier genannt zu werden, und der “Opimische Wein” vom Jahre 633 (121), der römische Elfer, blieb im Andenken, lange nachdem der letzte Krug geleert war.

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5 3, 170. Damit mag auch die Bemerkung des nach Cato und vor Varro lebenden römischen Landwirts Saserna (bei Colum. 1, 1, 5) zusammenhängen, daß der Wein- und Ölbau sich beständig weiter nach Norden ziehe. Auch der Senatsbeschluß wegen Übersetzung der Magonischen Bücher gehört hierher.

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Von Gewerben und Fabrikation ist nichts zu sagen, als daß die italische Nation in dieser Hinsicht in einer an Barbarei grenzenden Passivität verharrte. Man zerstörte wohl die korinthischen Fabriken, die Depositare so mancher wertvollen gewerblichen Tradition, aber nicht um selbst ähnliche Fabriken zu gründen, sondern um zu Schwindelpreisen zusammenzukaufen, was die griechischen Häuser an korinthischen Ton- oder Kupfergefäßen und ähnlichen “alten Arbeiten” bewahrten. Was von Gewerken noch einigermaßen gedieh, wie zum Beispiel die mit dem Bauwesen zusammenhängenden, trug für das Gemeinwesen deshalb kaum einen Nutzen, weil auch hier bei jeder größeren Unternehmung die Sklavenwirtschaft sich ins Mittel legte; wie denn zum Beispiel die Anlage der Marcischen Wasserleitung in der Art erfolgte, daß die Regierung mit 3000 Meistern zugleich Bau- und Lieferungsverträge abschloß, von denen dann jeder mit seiner Sklavenschar die übernommene Arbeit beschaffte.

Die glänzendste oder vielmehr die allein glänzende Seite der römischen Privatwirtschaft ist der Geldverkehr und der Handel. An der Spitze stehen die Domanial- und die Steuerpachtungen, durch die ein großer, vielleicht der größte Teil der römischen Staatseinnahmen in die Taschen der römischen Kapitalisten floß. Der Geldverkehr ferner war im ganzen Umfang des römischen Staats von den Römern monopolisiert; jeder in Gallien umgesetzte Pfennig, heißt es in einer bald nach dem Ende dieser Periode herausgegebenen Schrift, geht durch die Bücher der römischen Kaufleute, und so war es ohne Zweifel überall. Wie das Zusammenwirken der rohen ökonomischen Zustände und der rücksichtslosen Ausnutzung der politischen Übermacht zu Gunsten der Privatinteressen eines jeden vermögenden Römers eine wucherliche Zinswirtschaft allgemein machte, zeigt zum Beispiel die Behandlung der von Sulla der Provinz Asia 670 (84) auferlegten Kriegssteuer, die die römischen Kapitalisten vorschossen; sie schwoll mit gezahlten und nichtgezahlten Zinsen binnen vierzehn Jahren auf das Sechsfache ihres ursprünglichen Betrags an. Die Gemeinden mußten ihre öffentlichen Gebäude, ihre Kunstwerke und Kleinodien, die Eltern ihre erwachsenen Kinder verkaufen, um dem römischen Gläubiger gerecht zu werden; es war nichts Seltenes, daß der Schuldner nicht bloß der moralischen Tortur unterworfen, sondern geradezu auf die Marterbank gelegt ward. Hierzu kam endlich der Großhandel. Italiens Ausfuhr und Einfuhr waren sehr beträchtlich. Jene bestand vornehmlich in Wein und Öl, womit Italien neben Griechenland fast ausschließlich - die Weinproduktion in der massaliotischen und turdetanischen Landschaft kann damals nur gering gewesen sein - das gesamte Mittelmeergebiet versorgte; italischer Wein ging in bedeutenden Quantitäten nach den Balearischen Inseln und Keltiberien, nach Africa, das nur Acker- und Weideland war, nach Narbo und in das innere Gallien. Bedeutender noch war die Einfuhr nach Italien, wo damals aller Luxus sich konzentrierte und die meisten Luxusartikel, Speisen, Getränke, Stoffe, Schmuck, Bücher, Hausgerät, Kunstwerke, über See eingeführt wurden. Vor allem aber der Sklavenhandel nahm infolge der stets steigenden Nachfrage der römischen Kaufleute einen Aufschwung, dessengleichen man im Mittelmeergebiet noch nicht gekannt hatte und der mit dem Aufblühen der Piraterie im engsten Zusammenhang steht; alle Länder und alle Nationen wurden dafür in Kontribution gesetzt, die Hauptfangplätze aber waren Syrien und das innere Kleinasien. In Italien konzentrierte die überseeische Einfuhr sich vorzugsweise in den beiden großen Emporien am Tyrrhenischen Meer, Ostia und Puteoli. Nach Ostia, dessen Reede wenig taugte, das aber, als der nächste Hafen an Rom, für weniger werthafte Waren der geeignetste Stapelplatz war, zog sich die für die Hauptstadt bestimmte Korneinfuhr, dagegen der Luxushandel mit dem Osten überwiegend nach Puteoli, das durch seinen guten Hafen für Schiffe mit wertvoller Ladung sich empfahl und in der mehr und mehr mit Landhäusern sich füllenden Gegend von Baiae den Kaufleuten einen dem hauptstädtischen wenig nachstehenden Markt in nächster Nähe darbot. Lange Zeit ward dieser letztere Verkehr durch Korinth und nach dessen Vernichtung durch Delos vermittelt, wie denn in diesem Sinne Puteoli bei Lucilius das italische “Klein-Delos” heißt; nach der Katastrophe aber, die Delos im Mithradatischen Kriege betraf, und von der es sich nicht wieder erholt hat, knüpften die Puteolaner direkte Handelsverbindungen mit Syrien und Alexandreia an und entwickelte damit ihre Stadt immer entschiedener sich zu dem ersten überseeischen Handelsplatz Italiens. Aber nicht bloß der Gewinn, der bei der italischen Aus- und Einfuhr gemacht ward, fiel wesentlich den Italikern zu; auch in Narbo konkurrierten sie im keltischen Handel mit den Massalioten, und überhaupt leidet es keinen Zweifel, daß die überall fluktuierend oder ansässig anzutreffende römische Kaufmannschaft den besten Teil aller Spekulationen für sich nahm.

Fassen wir diese Erscheinungen zusammen, so erkennen wir als den hervorstechenden Zug der Privatwirtschaft dieser Epoche die der politischen ebenbürtig zur Seite gehende finanzielle Oligarchie der römischen Kapitalisten. In ihren Händen vereinigt sich die Bodenrente fast des ganzen Italiens und der besten Stücke des Provinzialgebiets, die wucherliche Rente des von ihnen monopolisierten Kapitals, der Handelsgewinn aus dem gesamten Reiche, endlich in Form der Pachtnutzung ein sehr beträchtlicher Teil der römischen Staatseinkünfte. Die immer zunehmende Anhäufung der Kapitalien zeigt sich in dem Steigen des Durchschnittsatzes des Reichtums: 3 Mill. Sesterzen (228000 Taler) war jetzt ein mäßiges senatorisches, 2 Mill. (152000 Taler) ein anständiges Rittervermögen; das Vermögen des reichsten Mannes der Gracchischen Zeit, des Publius Crassus, Konsul 623 131), ward auf 100 Mill. Sesterzen (7½Mill. Taler) geschätzt. Es ist kein Wunder, wenn dieser Kapitalistenstand die äußere Politik vorwiegend bestimmt, wenn er aus Handelsrivalität Karthago und Korinth zerstört, wie einst die Etrusker Alalia, die Syrakusier Caere zerstörten, wenn er dem Senat zum Trotz die Gründung von Narbo aufrecht erhält. Es ist ebenfalls kein Wunder, wenn diese Kapitalistenoligarchie in der inneren Politik der Adelsoligarchie eine ernstliche und oft siegreiche Konkurrenz macht. Es ist aber auch kein Wunder, wenn ruinierte reiche Leute sich an die Spitze empörter Sklavenhaufen stellen und das Publikum sehr unsanft daran erinnert, daß aus dem eleganten Bordell der Übergang zu der Räuberhöhle leicht gefunden ist. Es ist kein Wunder, wenn jeder finanzielle Babelturm mit seiner nicht rein ökonomischen, sondern der politischen Übermacht Roms entlehnten Grundlage bei jeder ernsten politischen Krise ungefähr in derselben Art schwankt wie unser sehr ähnlicher Staatspapierbau. Die ungeheure Finanzkrise, die im Verfolg der italisch-asiatischen Bewegungen 664f. (90) über den römischen Kapitalistenstand hereinbrach, die Bankrotte des Staates und der Privaten, die allgemeine Entwertung der Grundstücke und der Gesellschaftsparten können wir im einzelnen nicht mehr verfolgen; wohl aber lassen im allgemeinen keinen Zweifel an ihrer Art und ihrer Bedeutung ihre Resultate: die Ermordung des Gerichtsherrn durch einen Gläubigerhaufen, der Versuch, alle nicht von Schulden freien Senatoren aus dem Senat zu stoßen, die Erneuerung des Zinsmaximum durch Sulla, die Kassation von 75 Prozent aller Forderungen durch die revolutionäre Partei. Die Folge dieser Wirtschaft war natürlich in den Provinzen allgemeine Verarmung und Entvölkerung, wogegen die parasitische Bevölkerung reisender oder auf Zeit ansässiger Italiker überall im Steigen war. In Kleinasien sollen an einem Tage 80000 Menschen italischer Abkunft umgekommen sein. Wie zahlreich dieselben auf Delos waren, beweisen die noch auf der Insel vorhandenen Denksteine und die Angabe, daß hier 20000 Fremde, meistens italische Kaufleute, auf Mithradates’ Befehl getötet wurden. In Afrika waren der Italiker so viele, daß sogar die numidische Stadt Cirta hauptsächlich durch sie gegen Jugurtha verteidigt werden konnte. Auch Gallien, heißt es, war angefüllt mit römischen Kaufleuten; nur für Spanien finden sich, vielleicht nicht zufällig, dergleichen Angaben nicht. In Italien selbst ist dagegen der Stand der freien Bevölkerung in dieser Epoche ohne Zweifel im ganzen zurückgegangen. Allerdings haben die Bürgerkriege hierzu wesentlich mitgewirkt, welche nach allgemeingehaltenen und freilich wenig zuverlässigen Angaben 100000 bis 150000 Köpfe von der römischen Bürgerschaft, 300000 von der italischen Bevölkerung überhaupt weggerafft haben sollen; aber schlimmer wirkten der ökonomische Ruin des Mittelstandes und die maßlose Ausdehnung der kaufmännischen Emigration, die einen großen Teil der italischen Jugend während ihrer kräftigsten Jahre im Ausland zu verweilen veranlaßte. Einen Ersatz sehr zweifelhaften Wertes gewährte dafür die freie parasitische hellenisch-orientalische Bevölkerung, die als königliche oder Gemeindediplomaten, als Ärzte, Schulmeister, Pfaffen, Bediente, Schmarotzer und in den tausendfachen Ämtern der Industrieritter- und Gaunerschaft in der Hauptstadt, als Händler und Schiffer namentlich in Ostia, Puteoli und Brundisium verweilten. Noch bedenklicher war das unverhältnismäßige Steigen der Sklavenmenge auf der Halbinsel. Die italische Bürgerschaft zählte nach der Schätzung des Jahres 684 (70) 910000 waffenfähige Männer, wobei, um den Betrag der freien Bevölkerung auf der Halbinsel zu erhalten, die in der Schätzung zufällig übergangenen, die Latiner in der Landschaft zwischen den Alpen und dem Po und die in Italien domizilierten Ausländer, hinzu-, die auswärts domizilierten römischen Bürger dagegen abzurechnen sind. Es wird demnach kaum möglich sein, die freie Bevölkerung der Halbinsel höher als auf 6 bis 7 Mill. Köpfe anzusetzen. Wenn die damalige Gesamtbevölkerung derselben der gegenwärtigen gleichkam, so hätte man danach eine Sklavenmasse von 13 bis 14 Mill. Köpfen anzunehmen. Es bedarf indes solcher trüglichen Berechnungen nicht, um die gefährliche Spannung dieser Verhältnisse anschaulich zu machen; laut genug reden die partiellen Sklaveninsurrektionen und der seit dem Beginn der Revolutionen am Schlusse eines jeden Aufstandes erschallende Aufruf an die Sklaven, die Waffen gegen ihre Herren zu ergreifen und die Freiheit sich zu erfechten. Wenn man sich England vorstellt mit seinen Lords, seinen Squires und vor allem seiner City, aber die Freeholders und Pächter in Proletarier, die Arbeiter und Matrosen in Sklaven verwandelt, so wird man ein ungefähres Bild der damaligen Bevölkerung der italischen Halbinsel gewinnen.

Wie im klaren Spiegel liegen die ökonomischen Verhältnisse dieser Epoche noch heute uns vor in dem römischen Münzwesen. Die Behandlung desselben zeigt durchaus den einsichtigen Kaufmann. Seit langer Zeit standen Gold und Silber als allgemeine Zahlmittel nebeneinander, so daß zwar zum Zweck allgemeiner Kassebilanzen ein festes Wertverhältnis zwischen beiden Metallen gesetzlich normiert war, aber doch regelmäßig es nicht freistand, ein Metall für das andere zu geben, sondern je nach dem Inhalt der Verschreibung in Gold oder Silber zu zahlen war. Auf diesem Wege wurden die großen Übelstände vermieden, die sonst an die Aufstellung eines doppelten Wertmetalls unvermeidlich sich knüpfen; die starken Goldkrisen - wie denn zum Beispiel um 600 (150) infolge der Entdeckung der tauriskischen Goldlager das Gold gegen Silber auf einmal in Italien um 33 2/3 Prozent abschlug - wirkten wenigstens nicht direkt auf die Silbermünze und den Kleinverkehr ein. Es lag in der Natur der Sache, daß, je mehr der überseeische Verkehr sich ausdehnte, desto entschiedener das Gold aus der zweiten in die erste Stelle eintrat, was denn auch die Angaben über die Staatskassenbestände und die Staatskassengeschäfte bestätigen; aber die Regierung ließ sich dadurch nicht bewegen, das Gold auch in die Münze einzuführen. Die in der Not des Hannibalischen Krieges versuchte hatte man längst wieder fallen lassen; die wenigen Goldstücke, die Sulla als Regent schlug, sind kaum mehr gewesen als Gelegenheitsmünze für seine Triumphalgeschenke. Nach wie vor zirkulierte als wirkliche Münze ausschließlich das Silber; das Gold ward, mochte es nun, wie gewöhnlich, in Barren umlaufen oder ausländisches oder allenfalls auch inländisches Gepräge tragen, lediglich nach dem Gewicht genommen. Dennoch standen Gold und Silber als Verkehrsmittel gleich, und die betrügliche Legierung des Goldes wurde gleich der Prägung falscher Silbermünzen rechtlich als Münzvergehen betrachtet. Man erreichte hierdurch den unermeßlichen Vorteil, bei dem wichtigsten Zahlmittel selbst die Möglichkeit der Münzdefraude und Münzveruntreuung abzuschneiden. übrigens war die Münzprägung ebenso reichlich wie musterhaft. Nachdem im Hannibalischen Kriege das Silberstück von 1/72 auf 1/84 Pfund reduziert worden war, ist dasselbe mehr als drei Jahrhunderte hindurch vollkommen gleich schwer und gleich fein geblieben; eine Legierung fand nicht statt. Die Kupfermünze wurde um den Anfang dieser Periode völlig zur Scheidemünze und hörte auf, wie früher, im Großverkehr gebraucht zu werden; aus diesem Grunde wurde etwa seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts der As nicht mehr geschlagen und die Kupferprägung beschränkt auf die im Silber nicht füglich herzustellenden Kleinwerte von einem Semis (fast 3 Pfennig) und darunter. Die Münzsorten waren nach einem einfachen Prinzip geordnet und in der damals kleinsten Münze gewöhnlicher Prägung, dem Quadrans (1½ Pfennig), hinabgeführt bis an die Grenze der fühlbaren Werte. Es war ein Münzsystem, das an prinzipieller Verständigkeit der Grundlagen wie an eisern strenger Durchführung derselben im Altertum einzig dasteht und auch in der neueren Zeit nur selten erreicht worden ist. Doch hat auch dies seinen wunden Fleck. Nach einer im ganzen Altertum gemeinen, in ihrer höchsten Entwicklung in Karthago auftretenden Sitte gab auch die römische Regierung mit den guten silbernen Denaren zugleich kupferne, mit Silber plattierte aus, welche gleich jenen genommen werden mußten und nichts waren als ein unserem Papiergeld analoges Zeichengeld mit Zwangskurs und Fundierung auf die Staatskasse, insofern auch diese nicht befugt war, die plattierten Stücke zurückzuweisen. Eine offizielle Falschmünzerei war dies so wenig wie unsere Papiergeldfabrikation, da man die Sache ganz offen betrieb: Marcus Drusus beantragte 663 (91), um die Mittel für seine Kornspenden zu gewinnen, die Emission von einem plattierten auf je sieben silberne, neu aus der Münze hervorgehende Denare; allein nichtsdestoweniger bot diese Maßregel nicht bloß der privaten Falschmünzerei eine bedenkliche Handhabe, sondern sie ließ auch das Publikum absichtlich darüber im ungewissen, ob es Silber- oder Zeichengeld empfange und in welchem Gesamtbetrag das letztere in Umlauf sei. In der bedrängten Zeit des Bürgerkrieges und der großen finanziellen Krise scheint man der Planierung sich so über die Gebühr bedient zu haben, daß zu der Finanzkrise eine Münzkrise sich gesellte und die Masse der falschen und faktisch entwerteten Stücke den Verkehr höchst unsicher machte. Deshalb wurde während des Cinnanischen Regiments von den Prätoren und Tribunen, zunächst von Marcus Marius Gratidianus, die Einlösung des sämtlichen Zeichengeldes durch Silbergeld verfügt und zu dem Ende ein Probierbüro eingerichtet. Inwieweit die Aufrufung durchgeführt ward, ist nicht überliefert; die Zeichengeldprägung selbst blieb bestehen.

Was die Provinzen anlangt, so ward in Gemäßheit der grundsätzlichen Beseitigung der Goldmünze die Goldprägung nirgends, auch in den Klientelstaaten nicht gestattet; so daß die Goldprägung in dieser Zeit nur vorkommt, wo Rom gar nichts zu sagen hatte, namentlich bei den Kelten nordwärts von den Cevennen und bei den gegen Rom sich auflehnenden Staaten, wie denn die Italiker sowohl wie auch Mithradates Eupator Goldmünzen schlugen. Auch die Silberprägung zeigt die Regierung sich bestrebt, mehr und mehr in ihre Hand zu bringen, vornehmlich im Westen. In Afrika und Sardinien mag die karthagische Gold- und Silbermünze auch nach dem Sturz des karthagischen Staats im Umlauf geblieben sein; aber geschlagen wurde daselbst in Edelmetallen weder auf karthagischen noch auf römischen Fuß, und sicher hat sehr bald nach der Besitzergreifung der Römer auch in dem Verkehr beider Landschaften der von Italien eingeführte Denar das Übergewicht erhalten. In Spanien und Sizilien, die früher an Rom gekommen sind und überhaupt eine mildere Behandlung erfuhren, ist zwar unter römischer Herrschaft in Silber geprägt, ja in dem ersteren Lande die Silberprägung erst durch die Römer und auf römischen Fuß ins Leben gerufen worden; aber es sind gute Gründe vorhanden für die Annahme, daß auch in diesen beiden Landschaften wenigstens seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts die provinziale und städtische Prägung sich auf die kupferne Scheidemünze hat beschränken müssen. Nur im Narbonesischen Gallien konnte der altverbündeten und ansehnlichen Freistadt Massalia das Recht der Silberprägung nicht entzogen werden; und dasselbe gilt vermutlich von den illyrischen Griechenstädten Apollonia und Dyrrhachion. Indes beschränkte man doch diesen Gemeinden indirekt ihr Münzrecht dadurch, daß der Dreivierteldenar, der nach Anordnung der römischen Regierung dort wie hier geprägt ward und der unter dem Namen des Victoriatus in das römische Münzsystem aufgenommen worden war, um die Mitte des 7. Jahrhunderts in diesem beseitigt ward; wovon die Folge sein mußte, daß das massaliotische und illyrische Courant aus Oberitalien verdrängt wurde und außer seinem einheimischen Gebiete nur noch etwa in den Alpen- und Donaulandschaften gangbar blieb. So weit war man also bereits in dieser Epoche, daß in der gesamten Westhälfte des römischen Staates der Denarfuß ausschließlich herrschte: denn Italien, Sizilien - von dem es für den Anfang der nächsten Epoche ausdrücklich bezeugt ist, daß daselbst kein anderes Silbergeld umlief als der Denar -, Sardinien, Afrika brauchten ausschließlich römisches Silbergeld, und das in Spanien noch umlaufende Provinzialsilber sowie die Silbermünze der Massalioten und Illyriker war wenigstens auf Denarfuß geschlagen. Anders war es im Osten. Hier, wo die Zahl der seit alter Zeit münzenden Staaten und die Masse der umlaufenden Landesmünze sehr ansehnlich war, drang der Denar nicht in größerem Umfang ein, wenn er auch vielleicht gesetzlich gangbar erklärt ward: vielmehr blieb hier entweder der bisherige Münzfuß, wie zum Beispiel Makedonien noch als Provinz, wenn auch teilweise mit Hinzufügung der Namen von römischen Beamten zu dem der Landschaft, seine attischen Tetradrachmen geschlagen und gewiß wesentlich kein anderes Geld gebracht hat; oder es wurde unter römischer Autorität ein den Verhältnissen entsprechender eigentümlicher Münzfuß neu eingeführt, wie denn bei der Einrichtung der Provinz Asia derselben ein neuer Stater, der sogenannte Cistophorus, von der römischen Regierung geordnet und dieser seitdem von den Bezirkshauptstädten daselbst unter römischer Oberaufsicht geschlagen ward. Diese wesentliche Verschiedenheit des okzidentalischen und des orientalischen Münzwesens ist von der größten geschichtlichen Bedeutung geworden: die Romanisierung der unterworfenen Länder hat in der Annahme der römischen Münze einen ihrer wichtigsten Hebel gefunden, und es ist kein Zufall, daß dasjenige, was wir in dieser Epoche als Gebiet des Denars bezeichnet haben, späterhin zu der lateinischen, dagegen das Gebiet der Drachme späterhin zu der griechischen Reichshälfte geworden ist. Noch heutigentags stellt jenes Gebiet im wesentlichen den Inbegriff der romanischen Kultur dar, während dieses dagegen aus der europäischen Zivilisation sich ausgeschieden hat.

Wie bei solchen ökonomischen Zuständen die sozialen Verhältnisse sich gestalten mußten, ist im allgemeinen leicht zu ermessen, die Steigerung aber des Raffinements, der Preise, des Ekels und der Leere im besonderen zu verfolgen weder erfreulich noch lehrreich. Verschwendung und sinnlicher Genuß war die Losung überall, bei den Parvenus so gut wie bei den Liciniern und Metellern; nicht der feine Luxus gedieh, der die Blüte der Zivilisation ist, sondern derjenige, der in der verkommenden hellenischen Zivilisation Kleinasiens und Alexandreias sich entwickelt hatte, der alles Schöne und Bedeutende zur Dekoration entadelte und auf den Genuß studierte mit einer mühseligen Pedanterie, einer zopfigen Tüftelei, die ihn dem sinnlich wie dem geistig frischen Menschen gleich ekelhaft macht. Was die Volksfeste anlangt, so wurde, es scheint um die Mitte dieses Jahrhunderts, durch einen von Gnaeus Aufidius beantragten Bürgerschluß die in der catonischen Zeit untersagte Einfuhr überseeischer Bestien förmlich wieder gestattet, wodurch denn die Tierhetzen in schwunghaften Betrieb kamen und ein Hauptstück der Bürgerfeste wurden. Um 651 (103) erschienen in der römischen Arena zuerst mehrere Löwen, 655 (99) die ersten Elefanten; 661 (93) ließ Sulla als Prätor schon hundert Löwen auftreten. Dasselbe gilt von den Fechterspielen. Wenn die Altvordern die Bilder großer Schlachten öffentlich ausgestellt hatten, so fingen die Enkel an, dasselbe von ihren Gladiatorenspielen zu tun und mit solchen Haupt- und Staatsaktionen der Zeit sich selber vor den Nachkommen zu verspotten. Welche Summen dafür und für die Begräbnisfeierlichkeiten überhaupt aufgingen, kann man aus dem Testament des Marcus Aemilius Lepidus (Konsul 567, 579 187, 175; † 592 152) abnehmen; derselbe befahl seinen Kindern, da die wahrhafte letzte Ehre nicht in leerem Gepränge, sondern in der Erinnerung an die eigenen und der Ahnen Verdienste bestehe, auf seine Bestattung nicht mehr als 1 Mill. Asse (76000 Taler) zu verwenden. Auch der Bau- und Gartenluxus war im Steigen; das prachtvolle und namentlich wegen der alten Bäume des Gartens berühmte Stadthaus des Redners Crassus († 663 91) ward mit den Bäumen auf 6 Mill. Sesterzen (457000 Taler), ohne diese auf die Hälfte geschätzt, während der Wert eines gewöhnlichen Wohnhauses in Rom etwa auf 60000 Sesterzen (4600 Taler) angeschlagen werden kann 6. Wie rasch die Preise der Luxusgrundstücke stiegen, zeigt das Beispiel der Misenischen Villa, die Cornelia, die Mutter der Gracchen, für 75000 Sesterzen (5700 Taler), Lucius Lucullus, Konsul 680 (74) um den dreiunddreißigfachen Preis erstand. Die Villenbauten und das raffinierte Land- und Badeleben machten Baiae und überhaupt die Umgegend des Golfs von Neapel zum Eldorado des vornehmen Müßiggangs. Die Hasardspiele, bei denen es keineswegs mehr, wie bei dem italischen Knöchelspiel, um Nüsse ging, wurden gemein und schon 639 (115) ein zensorisches Edikt dagegen erlassen. Gazestoffe, die die Formen mehr zeigten als verhüllten, und seidene Kleider fingen an, bei Frauen und selbst bei Männern die alten wollenen Röcke zu verdrängen. Gegen die rasende Verschwendung, die mit ausländischen Parfümerien getrieben ward, stemmten sich vergeblich die Aufwandgesetze. Aber der eigentliche Glanz- und Brennpunkt dieses vornehmen Lebens war die Tafel. Man bezahlte Schwindelpreise - bis 100000 Sesterzen (7600 Taler) - für einen ausgesuchten Koch; man baute mit Rücksicht darauf und versah namentlich die Landhäuser an der Küste mit eigenen Salzwasserteichen, um Seefische und Austern jederzeit frisch auf die Tafel liefern zu können; man nannte es schon ein elendes Diner, wenn das Geflügel ganz und nicht bloß die erlesenen Stücke den Gästen vorgelegt wurden und wenn diesen zugemutet ward, von den einzelnen Gerichten zu essen und nicht bloß zu kosten; man bezog für schweres Geld ausländische Delikatessen und griechischen Wein, der bei jeder anständigen Mahlzeit wenigstens einmal herumgereicht werden mußte. Vor allem bei der Tafel glänzte die Schar der Luxussklaven, die Kapelle, das Ballett, das elegante Mobiliar, die goldstrotzenden oder gemäldeartig gestickten Teppiche, die Purpurdecken, das antike Bronzegerät, das reiche Silbergeschirr. Hiergegen zunächst richteten sich die Luxusgesetze, die häufiger (593, 639, 665, 673 161, 115, 89, 82) und ausführlicher als je ergingen: eine Menge Delikatessen und Weine wurden darin gänzlich untersagt, für andere nach Gewicht und Preis ein Maximum festgesetzt, ebenso die Quantität des silbernen Tafelgeschirrs gesetzlich beschränkt, endlich allgemeine Maximalbeträge der Kosten der gewöhnlichen und der Festtagsmahlzeit vorgeschrieben, zum Beispiel 593 (161) von 10 und 100 (17½ Groschen und 5½ Taler), 673 (81) von 30 und 300 Sesterzen (1 Taler, 22 Groschen und 17 Taler). Zur Steuer der Wahrheit muß leider hinzugefügt werden, daß von allen vornehmen Römern nicht mehr als drei, und zwar keineswegs die Gesetzgeber selber, diese staatlichen Gesetze befolgt haben sollen; auch diesen dreien aber beschnitt nicht das Gesetz des Staates den Küchenzettel, sondern das der Stoa. Es lohnt der Mühe, einen Augenblick noch bei dem trotz all dieser Gesetze steigenden Luxus im Silbergerät zu verweilen. Im sechsten Jahrhundert war silbernes Tafelgeschirr mit Ausnahme des althergebrachten silbernen Salzfasses eine Ausnahme; die karthagischen Gesandtschaften spotteten darüber, daß sie in jedem Hause, wo man sie eingeladen, dasselbe silberne Tafelgerät wiedergefunden hätten. Noch Scipio Aemilianus besaß nicht mehr als 32 Pfund (800 Taler) an verarbeitetem Silber; sein Neffe Quintus Fabius (Konsul 633 121) brachte es zuerst auf 1000 (25 000 Taler), Marcus Drusus (Volkstribun 633 121) schon auf 10000 Pfund (250000 Taler); in Sullas Zeit zählte man in der Hauptstadt bereits gegen 150 hundertpfündige silberne Prachtschüsseln, von denen manche ihren Besitzer auf die Proskriptionsliste brachte. Um die hierfür verschwendeten Summen zu ermessen, muß man sich erinnern, daß auch die Arbeit schon mit ungeheuren Preisen bezahlt ward, wie denn für ausgezeichnetes Silbergerät Gaius Gracchus den fünfzehn-, Lucius Crassus (Konsul 659 95) den achtzehnfachen Metallwert bezahlte, der letztere für ein Becherpaar eines namhaften Silberarbeiters 100 000 Sesterzen (7600 Taler) gab. So war es verhältnismäßig überall.

Wie es um Ehe und Kinderzeugung stand, zeigen schon die Gracchischen Ackergesetze, die zuerst darauf eine Prämie setzten. Die Scheidung, einst in Rom fast unerhört, war jetzt ein alltägliches Ereignis; wenn bei der ältesten römischen Ehe der Mann die Frau gekauft hatte, so hätte man den jetzigen vornehmen Römern vorschlagen mögen, um zu der Sache auch den Namen zu haben, eine Ehemiete einzuführen. Selbst ein Mann .wie Metellus Macedonicus, der durch seine ehrenwerte Häuslichkeit und seine zahlreiche Kinderschar die Bewunderung seiner Zeitgenossen war, schärfte als Zensor 623 (131) den Bürgern die Pflicht, im Ehestande zu leben, in der Art ein, daß er denselben bezeichnete als eine drückende, aber von den Patrioten pflichtmäßig zu übernehmende öffentliche Last. 7

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6 In dem Hause, das Sulla als junger Mann bewohnte, zahlte er für das Erdgeschoß 3000, der Mieter des obern Stockes 2000 Sesterzen Miete (Plut. Sull. 1), was zu 2/3 des gewöhnlichen Kapitalzinses kapitalisiert, ungefähr den obigen Betrag ergibt. Dies war eine wohlfeile Wohnung. Wenn ein hauptstädtischer Mietzins von 6000 Sesterzen (460 Taler) für das Jahr 629 (125) ein hoher genannt wird (Vell. 1, 10), so müssen dabei besondere Umstände obgewaltet haben.

7 “Wenn wir könnten, ihr Bürger”, hieß es in seiner Rede, würden wir freilich alle von dieser Last uns befreien. Da aber die Natur es so eingerichtet hat, daß weder mit den Frauen sich bequem, noch ohne die Frauen überhaupt sich leben läßt, so ziemt es sich auf dauernde Wohlfahrt mehr zu sehen als auf kurzes Wohlleben.”

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Allerdings gab es Ausnahmen. Die landstädtischen Kreise, namentlich die der größeren Gutsbesitzer, hatten die alte ehrenwerte latinische Nationalsitte treuer bewahrt. In der Hauptstadt aber war die catonische Opposition zur Phrase geworden; die moderne Richtung herrschte souverän und, wenn auch einzelne fest und fein organisierte Naturen, wie Scipio Aemilianus, römische Sitte mit attischer Bildung zu vereinigen wußten, war doch bei der großen Menge der Hellenismus gleichbedeutend mit geistiger und sittlicher Verderbnis. Den Rückschlag dieser sozialen Übelstände auf die politischen Verhältnisse darf man niemals aus den Augen verlieren, wenn man die römische Revolution verstehen will. Es war nicht gleichgültig, daß von den beiden vornehmen Männern, die im Jahre 662 (92) als oberste Sittenmeister der Gemeinde fungierten, der eine dem andern öffentlich vorrückte, daß er einer Muräne, dem Stolz seines Fischteichs, bei ihrem Tode Tränen nachgeweint habe, und dieser wieder jenem, daß er drei Frauen begraben und um keine eine Träne geweint habe. Es war nicht gleichgültig, daß im Jahre 593 (161) auf offenem Markt ein Redner folgende Schilderung eines senatorischen Zivilgeschworenen zum besten geben konnte, den der angesetzte Termin in dem Kreise seiner Zechbrüder findet. “Sie spielen Hasard, fein parfümiert, die Mätressen um sie herum. Wie der Nachmittag herankommt, lassen sie den Bedienten kommen und heißen ihn auf der Dingstätte sich umhören, was auf dem Markt vorgefallen sei, wer für und wer gegen den neuen Gesetzvorschlag gesprochen, welche Distrikte dafür, welche dagegen gestimmt hätten. Endlich gehen sie selbst auf den Gerichtsplatz, eben früh genug, um sich den Prozeß nicht selbst auf den Hals zu ziehen. Unterwegs ist in keinem Winkelgäßchen eine Gelegenheit, die sie nicht benutzen, denn sie haben sich den Leib voll Wein geschlagen. Verdrossen kommen sie auf die Dingstätte und geben den Parteien das Wort. Die, die es angeht, tragen ihre Sache vor. Der Geschworene heißt die Zeugen auftreten; er selbst geht beiseite. Wie er zurückkommt, erklärt er alles gehört zu haben und fordert die Urkunden. Ersieht hinein in die Schriften; kaum hält er vor Wein die Augen auf. Wie er sich dann zurückzieht, das Urteil auszufüllen, läßt er zu seinen Zechbrüdern sich vernehmen: ‘Was gehen mich die langweiligen Leute an? Warum gehen wir nicht lieber einen Becher Süßen mit griechischem Wein trinken und essen dazu einen fetten Krammetsvogel und einen guten Fisch, einen veritablen Hecht von der Tiberinsel?’” Die den Redner hörten, lachten; aber war es nicht auch sehr ernsthaft, daß dergleichen Dinge belacht wurden?

KAPITEL XII.
Nationalität, Religion, Erziehung

In dem großen Kampfe der Nationalitäten innerhalb des weiten Umfangs des Römischen Reiches erscheinen die sekundären Nationen in dieser Zeit im Zurückweichen oder im Verschwinden. Die bedeutendste unter allen, die phönikische, empfing durch die Zerstörung Karthagos die Todeswunde, an der sie sich langsam verblutet hat. Die Landschaften Italiens, die ihre alte Sprache und Sitte bis dahin noch gewahrt hatten, Etrurien und Samnium, wurden nicht bloß von den schwersten Schlägen der Sullanischen Reaktion getroffen, sondern die politische Nivellierung Italiens nötigte ihnen auch im öffentlichen Verkehr die lateinische Sprache und Weise auf und drückte die alten Landessprachen herab zu rasch verkümmernden Volksdialekten. Nirgendmehr erscheint im ganzen Umfange des römischen Staates eine Nationalität als befugt, mit der römischen und der griechischen auch nur zu ringen. Dagegen ist extensiv wie intensiv die latinische Nationalität im entschiedensten Aufschwung. Wie seit dem Bundesgenossenkrieg jedes italische Grundstück jedem Italiker zu vollem römischen Eigen zustehen, jeder italische Tempelgott römische Gabe empfangen kann, wie in ganz Italien mit Ausnahme der transpadanischen Landschaft seitdem das römische Recht mit Beseitigung aller anderen Stadt- und Landrechte ausschließlich gilt: so ist damals die römische Sprache auch die allgemeine Geschäfts- und bald gleichfalls die allgemeine Sprache des gebildeten Verkehrs auf der ganzen Halbinsel von den Alpen bis zur Meerenge geworden. Aber sie beschränkte sich schon nicht mehr auf diese natürlichen Grenzen. Die in Italien zusammenströmende Kapitalmasse, der Reichtum seiner Produkte, die Intelligenz seiner Landwirte, die Gewandtheit seiner Kaufleute fand keinen hinreichenden Spielraum auf der Halbinsel; hierdurch und durch den öffentlichen Dienst wurden die Italiker massenweise in die Provinzen geführt. Ihre privilegierte Stellung daselbst privilegierte auch die römische Sprache und das römische Recht, selbst wo nicht bloß Römer miteinander verkehrten; überall standen die Italiker zusammen als festgeschlossene und organisierte Massen, die Soldaten in ihren Legionen, die Kaufleute jeder größeren Stadt als eigene Korporationen, die in dem einzelnen provinzialen Gerichtssprengel domizilierten oder verweilenden römischen Bürger als “Kreise” (conventus civium Romanorum) mit ihrer eigenen Geschworenenliste und gewissermaßen mit Gemeindeverfassung; und wenn auch diese provinzialen Römer regelmäßig früher oder später nach Italien zurückgingen, so bildete sich dennoch allmählich aus ihnen der Stamm einer festen, teils römischen, teils an die römische sich anlehnenden Mischbevölkerung der Provinzen. Daß in Spanien, wo das römische Heer zuerst stehend ward, auch zuerst eigene Provinzialstädte italischer Verfassung, Carteia 583 (171), Valentia 616 (133), später Palma und Pollentia organisiert worden sind, ward bereits erwähnt. Wenn das Binnenland noch wenig zivilisiert war, das Gebiet der Vaccäer zum Beispiel noch lange nach dieser Zeit unter den rauhesten und widerwärtigsten Aufenthaltsorten für den gebildeten Italiker genannt wird, so bezeugen dagegen Schriftsteller und Inschriftsteine, daß schon um die Mitte des siebenten Jahrhunderts um Neukarthago und sonst an der Küste die lateinische Sprache in gemeinem Gebrauch war. In bewußter Weise entwickelte zuerst Gaius Gracchus den Gedanken, die Provinzen des römischen Staats durch die italische Emigration zu kolonisieren, das heißt zu romanisieren, und legte Hand an die Ausführung desselben; und obgleich die konservative Opposition gegen den kühnen Entwurf sich auflehnte, die gemachten Anfänge größtenteils zerstörte und die Fortführung hemmte, so blieb doch die Kolonie Narbo erhalten, schon an sich eine bedeutende Erweiterung des lateinischen Sprachgebiets und noch bei weitem wichtiger als der Merkstein eines großen Gedankens, der Grundstein eines gewaltigen künftigen Baues. Der antike Gallizismus, ja das heutige Franzosentum sind von dort ausgegangen und in ihrem letzten Grunde Schöpfungen des Gaius Gracchus. Aber die latinische Nationalität erfüllte nicht bloß die italischen Grenzen und fing an sie zu überschreiten, sondern sie gelangte auch in sich zu tieferer geistiger Begründung. Wir finden sie im Zuge, eine klassische Literatur, einen eigenen höheren Unterricht sich zu schaffen; und wenn man im Vergleich mit den hellenischen Klassikern und der hellenischen Bildung sich versucht fühlen kann, die schwächliche italische Treibhausproduktion gering zu achten, so kam es doch für die geschichtliche Entwicklung zunächst weit weniger darauf an, wie die lateinische klassische Literatur und die lateinische Bildung, als darauf, daß sie neben der griechischen stand; und herabgekommen wie die gleichzeitigen Hellenen auch literarisch waren, durfte man wohl das Wort des Dichters auch hier anwenden, daß der lebendige Tagelöhner mehr ist als der tote Achill.

Wie rasch und ungestüm aber die lateinische Sprache und Nationalität vorwärts dringt, sie erkennt zugleich die hellenische an als durchaus gleich, ja früher und besser berechtigt und tritt mit dieser überall in das engste Bündnis oder durchdringt sich mit ihr zu gemeinschaftlicher Entwicklung. Die italische Revolution, die sonst alle nichtlatinischen Nationalitäten auf der Halbinsel nivellierte, rührte nicht an die Griechenstädte Tarent, Rhegion, Neapolis, Lokri. Ebenso blieb Massalia, obwohl jetzt umschlossen von römischem Gebiet, fortwährend eine griechische Stadt und eben als solche fest verbunden mit Rom. Mit der vollständigen Latinisierung Italiens ging die steigende Hellenisierung Hand in Hand. In den höheren Schichten der italischen Gesellschaft wurde die griechische Bildung zum integrierenden Bestandteil der eigenen. Der Konsul des Jahres 623 (131), der Oberpontifex Publius Crassus, erregte des Staunen selbst der geborenen Griechen, da er als Statthalter von Asia seine gerichtlichen Entscheidungen, wie der Fall es erforderte, bald in gewöhnlichem Griechisch abgab, bald in einem der vier zu Schriftsprachen gewordenen Dialekte. Und wenn die italische Literatur und Kunst längst unverwandt nach Osten blickten, so begann jetzt auch die hellenische das Antlitz nach Westen zu wenden. Nicht bloß die griechischen Städte in Italien blieben fortwährend zu regem geistigen Verkehr mit Griechenland, Kleinasien, Ägypten und gönnten den dort gefeierten griechischen Poeten und Schauspielern auch bei sich den gleichen Verdienst und die gleichen Ehren; auch in Rom kamen, nach dem von dem Zerstörer Korinths bei seinem Triumph 608 (146) gegebenen Beispiel, die gymnastischen und musischen Spiele der Griechen: Wettkämpfe im Ringen sowie im Musizieren, Spielen, Rezitieren und Deklamieren in Aufnahme ^1. Die griechischen Literaten schlugen schon ihre Fäden bis in die vornehme römische Gesellschaft, vor allem in den Scipionischen Kreis, dessen hervorragende griechische Mitglieder, der Geschichtschreiber Polybios, der Philosoph Panätios, bereits mehr der römischen als der griechischen Entwicklungsgeschichte angehören. Aber auch in anderen, minderhochstehenden Zirkeln begegnen ähnliche Beziehungen. Wir gedenken eines anderen Zeitgenossen Scipios, des Philosophen Kleitomachos, weil in seinem Leben zugleich die gewaltige Völkermischung dieser Zeit sinnlich vor das Auge tritt: ein geborener Karthager, sodann in Athen Zuhörer des Karneades und später dessen Nachfolger in seiner Professur, verkehrte er von Athen aus mit den gebildetsten Männern Italiens, dem Historiker Aulus Albinus und dem Dichter Lucilius, und widmete teils dem römischen Konsul, der die Belagerung Karthagos eröffnete, Lucius Censorinus, ein wissenschaftliches Werk, teils seinen als Sklaven nach Italien geführten Mitbürgern eine philosophische Trostschrift. Hatten namhafte griechische Literaten bisher wohl vorübergehend als Gesandte, Verbannte oder sonstwie ihren Aufenthalt in Rom genommen, so fingen sie jetzt schon an, dort sich niederzulassen; wie zum Beispiel der schon genannte Panätios in Scipios Hause lebte, und der Hexametermacher Archias von Antiocheia im Jahre 652 (102) sich in Rom niederließ und von der Improvisierkunst und von Heldengedichten auf römische Konsulare sich anständig ernährte. Sogar Gaius Marius, der schwerlich von seinem Carmen eine Zeile verstand und überhaupt zum Mäzen möglichst übel sich schickte, konnte nicht umhin, den Verskünstler zu patronisieren. Während also das geistige und literarische Leben wenn nicht die reineren, doch die vornehmeren Elemente der beiden Nationen miteinander in Verbindung brachte, flossen andererseits durch das massenhafte Eindringen der kleinasiatischen und syrischen Sklavenscharen und durch die kaufmännische Einwanderung aus dem griechischen und halbgriechischen Osten die rohesten und stark mit orientalischen und überhaupt barbarischen Bestandteilen versetzten Schichten des Hellenismus zusammen mit dem italischen Proletariat und gaben auch diesem eine hellenische Färbung. Die Bemerkung Ciceros, daß neue Sprache und neue Weise zuerst in den Seestädten aufkommt, dürfte zunächst auf das halbhellenische Wesen in Ostia, Puteoli und Brundisium sich beziehen, wo mit der fremden Ware auch die fremde Sitte zuerst Eingang und von da aus weiteren Vertrieb fand.

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^1 Daß vor 608 (146) keine “griechischen Spiele” in Rom gegeben seien (Tac. ann. 14, 21), ist nicht genau; schon 568 (186) traten griechische “Künstler” (τεχνίται) und Athleten (Liv. 39, 22), 587 (167) griechische Flötenspieler, Tragöden und Faustkämpfer auf (Polyb. 30, 13).

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Das unmittelbare Resultat dieser vollständigen Revolution in den Nationalitätsverhältnissen war allerdings nichts weniger als erfreulich. Italien wimmelte von Griechen, Syrern, Phönikern, Juden, Ägyptern, die Provinzen von Römern; die scharf ausgeprägten Volkstümlichkeiten rieben sich überall aneinander und verschliffen sich zusehends; es schien nichts übrigbleiben zu sollen als der allgemeine Charakter der Vernutzung. Was das lateinische Wesen an Ausdehnung gewann, verlor es an Frische; vor allem in Rom selbst, wo der Mittelstand am frühesten und vollständigsten verschwand und nichts übrig blieb als die großen Herren und die Bettler, beide in gleichem Maße Kosmopoliten. Cicero versichert, daß um 660 (190) die allgemeine Bildung in den launischen Städten höher gestanden habe als in Rom; dies bestätigt die Literatur dieser Zeit, deren erfreulichste, gesundeste und eigentümlichste Erzeugnisse, wie die nationale Komödie und die Lucilische Satire, mit größerem Recht latinisch heißen als römisch. Daß der italische Hellenismus der unteren Schichten in der Tat nichts war als ein zugleich mit allen Auswüchsen der Kultur und mit oberflächlich übertünchter Barbarei behafteter widerwärtiger Kosmopolitismus, versteht sich von selbst; aber auch für die bessere Gesellschaft blieb der feine Sinn des Scipionischen Kreises nicht auf die Dauer maßgebend. Je mehr die Masse der Gesellschaft anfing, sich für das griechische Wesen zu interessieren, desto entschiedener griff sie statt zu der klassischen Literatur vielmehr zu den modernsten und frivolsten Erzeugnissen des griechischen Geistes; statt im hellenischen Sinn das römische Wesen zu gestalten, begnügte man sich mit Entlehnung desjenigen Zeitvertreibs, der den eigenen Geist möglichst wenig in Tätigkeit setzte. In diesem Sinn äußerte der arpinatische Gutsbesitzer Marcus Cicero, der Vater des Redners, daß der Römer, wie der syrische Sklave, immer um so weniger tauge, je mehr er griechisch verstehe.

Diese nationale Dekomposition ist unerquicklich wie die ganze Zeit, aber auch wie diese bedeutsam und folgenreich. Der Völkerkreis, den wir die alte Welt zu nennen gewohnt sind, schreitet fort von der äußerlichen Einigung unter der Machtgewalt Roms zu der inneren unter der Herrschaft der modernen, wesentlich auf hellenischen Elementen ruhenden Bildung. Über den Trümmern der Völkerschaften zweiten Ranges vollzieht sich zwischen den beiden herrschenden Nationen stillschweigend der große geschichtliche Kompromiß; die griechische und die lateinische Nationalität schließen miteinander Frieden. Auf dem Gebiete der Bildung verzichten die Griechen, auf dem politischen die Römer auf ihre exklusive Sprachherrschaft; im Unterricht wird dem Latein eine freilich beschränkte und unvollständige Gleichstellung mit dem Griechischen eingeräumt; andererseits gestattet zuerst Sulla den fremden Gesandten, vor dem römischen Senat ohne Dolmetscher griechisch zu reden. Die Zeit kündigt sich an, wo das römische Gemeinwesen in einen zwiesprachigen Staat übergehen und der rechte Erbe des Thrones und der Gedanken Alexanders des Großen im Westen aufstehen wird, zugleich ein Römer und ein Grieche.

Was schon der Überblick der nationalen Verhältnisse also zeigt, die Unterdrückung der sekundären und die gegenseitige Durchdringung der beiden primären Nationalitäten, das ist im Gebiete der Religion, der Volkserziehung, der Literatur und der Kunst noch im einzelnen genauer darzulegen.

Die römische Religion war mit dem römischen Gemeinwesen und dem römischen Haushalt so innig verwachsen, so gar nichts anderes als die fromme Widerspiegelung der römischen Bürgerwelt, daß die politische und soziale Revolution notwendigerweise auch das Religionsgebäude über den Haufen warf. Der alte italische Volksglaube stürzt zusammen; über seinen Trümmern erheben sich, wie über den Trümmern des politischen Gemeinwesens Oligarchie und Tyrannis, so auf der einen Seite der Unglaube, die Staatsreligion, der Hellenismus, auf der anderen der Aberglaube, das Sektenwesen, die Religion der Orientalen. Allerdings gehen die Anfänge von beiden, wie ja auch die Anfänge der politisch-sozialen Revolution, bereits in die vorige Epoche zurück. Schon damals rüttelte die hellenische Bildung der höheren Kreise im stillen an dem Glauben der Väter; schon Ennius bürgerte die Allegorisierung und Historisierung der hellenischen Religion in Italien ein; schon der Senat, der Hannibal bezwang, mußte die Übersiedlung des kleinasiatischen Kybelekults nach Rom gutheißen und gegen anderen noch schlimmeren Aberglauben, namentlich das bakchische Muckertum, aufs ernstlichste einschreiten. Indes wie überhaupt in der vorhergehenden Periode die Revolution mehr in den Gemütern sich vorbereitete als äußerlich sich vollzog, so ist auch die religiöse Umwälzung im wesentlichen dort erst das Werk der gracchischen und sullanischen Zeit.

Versuchen wir zunächst die an den Hellenismus sich anlehnende Richtung zu verfolgen. Die hellenische Nation, weit früher als die italische erblüht und abgeblüht, hatte längst die Epoche des Glaubens durchmessen und seitdem sich ausschließlich bewegt auf dem Gebiet der Spekulation und Reflexion; seit langem gab es dort keine Religion mehr, sondern nur noch Philosophie. Aber auch die philosophische Tätigkeit des hellenischen Geistes hatte, als sie auf Rom zu wirken begann, die Epoche der produktiven Spekulation bereits weit hinter sich und war in dem Stadium angekommen, wo nicht bloß keine wahrhaft neuen Systeme mehr entstehen, sondern wo auch die Fassungskraft für die vollkommensten der älteren zu schwinden beginnt und man auf die schulmäßige und bald scholastische Überlieferung der unvollkommneren Philosopheme der Vorfahren sich beschränkt; in dem Stadium also, wo die Philosophie, statt den Geist zu vertiefen und zu befreien, vielmehr ihn verflacht und ihn in die schlimmsten aller Fesseln, die selbstgeschmiedeten, schlägt. Der Zaubertrank der Spekulation, immer gefährlich, ist, verdünnt und abgestanden, sicheres Gift. So schal und verwässert reichten die gleichzeitigen Griechen ihn den Römern, und diese verstanden weder ihn zurückzuweisen noch von den lebenden Schulmeistern auf die toten Meister zurückzugehen. Platon und Aristoteles, um von den vorsokratischen Weisen zu schweigen, sind ohne wesentlichen Einfluß auf die römische Bildung geblieben, wenngleich die erlauchten Namen gern genannt, ihre faßlicheren Schriften auch wohl gelesen und übersetzt wurden. So wurden denn die Römer in der Philosophie nichts als schlechter Lehrer schlechtere Schüler. Außer der historisch-rationalistischen Auffassung der Religion, welche die Mythen auflöste in Lebensbeschreibungen verschiedener in grauer Vorzeit lebender Wohltäter des Menschengeschlechtes, aus denen der Aberglaube Götter gemacht habe, oder dem sogenannten Euhemerismus, sind hauptsächlich drei Philosophenschulen für Italien von Bedeutung geworden: die beiden dogmatischen des Epikuros († 484 270) und des Zenon († 491 263) und die skeptische des Arkesilas († 513 241) und Karneades (541-625 231-129) oder mit den Schulnamen der Epikureismus, die Stoa und die Neuere Akademie. Die letzte dieser Richtungen, welche von der Unmöglichkeit des überzeugten Wissens ausging und an dessen Stelle nur ein für das praktische Bedürfnis ausreichendes vorläufiges Meinen als möglich zugab, bewegte sich hauptsächlich polemisch, indem sie jeden Satz des positiven Glaubens wie des philosophischen Dogmatismus in den Schlingen ihrer Dilemmen fing. Sie steht insofern ungefähr auf einer Linie mit der älteren Sophistik, nur daß begreiflicherweise die Sophisten mehr gegen den Volksglauben, Karneades und die Seinen mehr gegen ihre philosophischen Kollegen ankämpften. Dagegen trafen Epikuros und Zenon überein sowohl in dem Ziel einer rationellen Erklärung des Wesens der Dinge als auch in der physiologischen, von dem Begriff der Materie ausgehenden Methode. Auseinander gingen sie, insofern Epikuros, der Atomenlehre Demokrits folgend, das Urwesen als starre Materie faßt und diese nur durch mechanische Verschiedenheiten in die Mannigfaltigkeit der Dinge überführt, Zenon dagegen, sich anlehnend an den Ephesier Herakleitos, schon in den Urstoff eine dynamische Gegensätzlichkeit und eine auf- und niederwogende Bewegung hineinlegt; woraus denn die weiteren Unterschiede sich ableiten: daß im epikureischen System die Götter gleichsam nicht vorhanden und höchstens der Traum der Träume sind, die stoischen Götter die ewig rege Seele der Welt und als Geist, als Sonne, als Gott mächtig über den Körper, die Erde, die Natur; daß Epikuros nicht, wohl aber Zenon eine Weltregierung und eine persönliche Unsterblichkeit der Seele anerkennt; daß das Ziel des menschlichen Strebens nach Epikuros ist das unbedingte, weder von körperlichem Begehren noch von geistigem Streiten aufgeregte Gleichgewicht, dagegen nach Zenon die durch das stetige Gegeneinanderstreben des Geistes und Körpers immer gesteigerte und zu dem Einklang mit der ewig streitenden und ewig friedlichen Natur aufstrebende menschliche Tätigkeit. In einem Punkte aber stimmten der Religion gegenüber alle diese Schulen zusammen: daß der Glaube als solcher nichts sei und notwendig ersetzt werden müsse durch die Reflexion, mochte diese übrigens mit Bewußtsein darauf verzichten, zu einem Resultat zu gelangen, wie die Akademie, oder die Vorstellungen des Volksglaubens verwerfen, wie die Schule Epikurs, oder dieselben teils motiviert festhalten, teils modifizieren, wie die Stoiker taten.

Es war danach nur folgerichtig, daß die erste Berührung der hellenischen Philosophie mit der römischen, ebenso glaubensfesten als antispekulativen Nation durchaus feindlicher Art war. Die römische Religion hatte vollkommen recht, von diesen philosophischen Systemen sowohl die Befehdung wie die Begründung sich zu verbitten, die beide ihr eigentliches Wesen aufhoben. Der römische Staat, der in der Religion instinktmäßig sich selber angegriffen fühlte, verhielt sich billig gegen die Philosophen wie die Festung gegen die Eclaireurs der anrückenden Belagerungsarmee und wies schon 593 (161) mit den Rhetoren auch die griechischen Philosophen aus Rom aus. In der Tat war auch gleich das erste größere Debüt der Philosophie in Rom eine förmliche Kriegserklärung gegen Glaube und Sitte. Es ward veranlaßt durch die Okkupation von Oropos durch die Athener, mit deren Rechtfertigung vor dem Senat diese drei der angesehensten Professoren der Philosophie, darunter den Meister der modernen Sophistik, Karneades, beauftragten (599 155). Die Wahl war insofern zweckmäßig, als der ganz schandbare Handel jeder Rechtfertigung im gewöhnlichen Verstand spottete; dagegen paßte es vollkommen für den Fall, wenn Karneades durch Rede und Gegenrede bewies, daß sich gerade ebenso viele und ebenso nachdrückliche Gründe zum Lobe der Ungerechtigkeit vorbringen ließen wie zum Lobe der Gerechtigkeit, und wenn er in bester logischer Form dartat, daß man mit gleichem Recht von den Athenern verlangen könne, Oropos herauszugeben und von den Römern, sich wieder zu beschränken auf ihre alten Strohhütten am Palatin. Die der griechischen Sprache mächtige Jugend ward durch den Skandal wie durch den raschen und emphatischen Vortrag des gefeierten Mannes scharenweise herbeigezogen; aber diesmal wenigstens konnte man Cato nicht unrecht geben, wenn er nicht bloß die dialektischen Gedankenreihen der Philosophen unhöflich genug mit den langweiligen Psalmodien der Klageweiber verglich, sondern auch im Senat darauf drang, einen Menschen auszuweisen, der die Kunst verstand, Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht zu machen, und dessen Verteidigung in der Tat nichts war als ein schamloses und fast höhnisches Eingeständnis des Unrechts. Indes dergleichen Ausweisungen reichten nicht weit, um so weniger, da es doch der römischen Jugend nicht verwehrt werden konnte, in Rhodos oder Athen philosophische Vorträge zu hören. Man gewöhnte sich, die Philosophie zuerst wenigstens als notwendiges Übel zu dulden, bald auch für die in ihrer Naivität nicht mehr haltbare römische Religion in der fremden Weisheitslehre eine Stütze zu suchen, die als Glauben zwar sie ruinierte, aber dafür doch dem gebildeten Mann gestattete, die Namen und Formen des Volksglaubens anständigerweise einigermaßen festzuhalten. Indes diese Stütze konnte weder der Euhemerismus sein noch das System des Karneades oder des Epikuros. Die Mythenhistorisierung trat dem Volksglauben allzu schroff entgegen, indem sie die Götter geradezu für Menschen erklärte; Karneades zog gar ihre Existenz in Zweifel, und Epikuros sprach ihnen wenigstens jeden Einfluß auf die Geschicke der Menschen ab. Zwischen diesen Systemen und der römischen Religion war ein Bündnis unmöglich; sie waren und blieben verfemt. Noch in Ciceros Schriften wird es für Bürgerpflicht erklärt, dem Euhemerismus Widerstand zu leisten, der dem Gottesdienst zu nahe trete; und von den in seinen Gesprächen auftretenden Akademikern und Epikureern muß jener sich entschuldigen, daß er als Philosoph zwar ein Jünger des Karneades, aber als Bürger und Pontifex ein rechtgläubiger Bekenner des Kapitolinischen Jupiter sei, der Epikureer sogar schließlich sich gefangen geben und sich bekehren. Keines dieser drei Systeme ward eigentlich populär. Die platte Begreiflichkeit des Euhemerismus hat wohl eine gewisse Anziehungskraft auf die Römer geübt, namentlich auf die konventionelle Geschichte Roms nur zu tief eingewirkt mit ihrer zugleich kindischen und altersschwachen Historisierung der Fabel; auf die römische Religion aber blieb er deshalb ohne wesentlichen Einfluß, weil diese von Haus aus nur allegorisierte, nicht fabulierte und es dort nicht wie in Hellas möglich war, Biographien Zeus des ersten, zweiten und dritten zu schreiben. Die moderne Sophistik konnte nur gedeihen, wo, wie in Athen, die geistreiche Maulfertigkeit zu Hause war und überdies die langen Reihen gekommener und gegangener philosophischer Systeme hohe Schuttlagen geistiger Brandstätten aufgeschichtet hatten. Gegen den Epikurischen Quietismus endlich lehnte alles sich auf, was in dem römischen, so durchaus auf Tätigkeit gerichteten Wesen tüchtig und brav war. Dennoch fand er mehr sein Publikum als der Euhemerismus und die Sophistik, und es ist wahrscheinlich dies die Ursache, weshalb die Polizei fortgefahren hat, ihm am längsten und ernstlichsten den Krieg zu machen. Indes dieser römische Epikureismus war nicht so sehr ein philosophisches System als eine Art philosophischen Dominos, unter dem - sehr gegen die Absicht seines streng sittlichen Urhebers - der gedankenlose Sinnesgenuß für die gute Gesellschaft sich maskierte; wie denn einer der frühesten Bekenner dieser Sekte, Titus Albucius, in Lucilius’ Gedichten figuriert als der Prototyp des übel hellenisierenden Römers.

Gar anders stand und wirkte in Italien die stoische Philosophie. Im geraden Gegensatz gegen jene Richtungen schloß sie an die Landesreligion so eng sich an, wie das Wissen sich dem Glauben zu akkommodieren überhaupt nur vermag. An dem Volksglauben mit seinen Göttern und Orakeln hielt der Stoiker insofern grundsätzlich fest, als er darin eine instinktive Erkenntnis sah, auf welche die wissenschaftliche Rücksicht zu nehmen, ja in zweifelhaften Fällen sich ihr unterzuordnen verpflichtet sei. Er glaubte mehr anders als das Volk als eigentlich anderes: der wesentlich wahre und höchste Gott zwar war ihm die Weltseele, aber auch jede Manifestation des Urgottes war wiederum Gott, die Gestirne vor allem, aber auch die Erde, der Weinstock, die Seele des hohen Sterblichen, den das Volk als Heros ehrte, ja überhaupt jeder abgeschiedene Geist eines gewordenen Menschen. Diese Philosophie paßte in der Tat besser nach Rom als in die eigene Heimat. Der Tadel des frommen Gläubigen, daß der Gott des Stoikers weder Geschlecht noch Alter noch Körperlichkeit habe und aus einer Person in einen Begriff verwandelt sei, hatte in Griechenland einen Sinn, nicht aber in Rom. Die grobe Allegorisierung und sittliche Purifizierung, wie sie der stoischen Götterlehre eigen war, verdarb den besten Kern der hellenischen Mythologie; aber die auch in ihrer naiven Zeit dürftige plastische Kraft der Römer hatte nicht mehr erzeugt als eine leichte, ohne sonderlichen Schaden abzustreifende Umhüllung der ursprünglichen Anschauung oder des ursprünglichen Begriffes, woraus die Gottheit hervorgegangen war. Pallas Athene mochte zürnen, wenn sie sich plötzlich in den Begriff des Gedächtnisses verwandelt fand; Minerva war auch bisher eben nicht viel mehr gewesen. Die supranaturalische stoische und die allegorische römische Theologie fielen in ihrem Ergebnis im ganzen zusammen. Selbst aber wenn der Philosoph einzelne Sätze der Priesterlehre als zweifelhaft oder als falsch bezeichnen mußte, wie denn zum Beispiel die Stoiker, die Vergötterungslehre verwerfend, in Hercules, Kastor, Pollux nichts als die Geister ausgezeichneter Menschen sahen, und ebenso das Götterbild nicht als Repräsentanten der Gottheit gelten lassen konnten, so war es wenigstens nicht die Art der Anhänger Zenons, gegen diese Irrlehren anzukämpfen und die falschen Götter zu stürzen; vielmehr bewiesen sie überall der Landesreligion Rücksicht und Ehrfurcht, auch in ihren Schwächen. Auch die Richtung der Stoa auf eine kasuistische Moral und auf die rationelle Behandlung der Fachwissenschaften war ganz im Sinne der Römer, zumal der Römer dieser Zeit, welche nicht mehr wie die Väter in unbefangener Weise Zucht und gute Sitte übten, sondern deren naive Sittlichkeit auflösten in einen Katechismus erlaubter und unerlaubter Handlungen; deren Grammatik und Jurisprudenz überdies dringend eine methodische Behandlung erheischten, ohne jedoch die Fähigkeit zu besitzen, diese aus sich selber zu entwickeln. So inkorporierte diese Philosophie als ein zwar dem Ausland entlehntes, aber auf italischem Boden akklimatisiertes Gewächs sich durchaus dem römischen Volkshaushalt, und wir begegnen ihren Spuren auf den verschiedenartigsten Gebieten. Ihre Anfänge reichen ohne Zweifel weiter zurück; aber zur vollen Geltung in den höheren Schichten der römischen Gesellschaft gelangte die Stoa zuerst durch den Kreis, der sich um Scipio Aemilianus gruppierte. Panätios von Rhodos, der Lehrmeister Scipios und aller ihm nahestehender Männer in der stoischen Philosophie und beständig in seinem Gefolge, sogar auf Reisen sein gewöhnlicher Begleiter, verstand es, das System geistreichen Männern nahe zu bringen, dessen spekulative Seite zurücktreten zu lassen und die Dürre der Terminologie, die Flachheit des Moralkatechismus einigermaßen zu mildern, namentlich auch durch Herbeiziehung der älteren Philosophen, unter denen Scipio selbst den Xenophonteischen Sokrates vorzugsweise liebte. Seitdem bekannten zur Stoa sich die namhaftesten Staatsmänner und Gelehrten, unter anderen die Begründer der wissenschaftlichen Philologie und der wissenschaftlichen Jurisprudenz, Stilo und Quintus Scaevola. Der schulmäßige Schematismus, der in diesen Fachwissenschaften seitdem wenigstens äußerlich herrscht und namentlich anknüpft an eine wunderliche, scharadenhaft geistlose Etymologisiermethode, stammt aus der Stoa. Aber unendlich wichtiger ist die aus der Verschmelzung der stoischen Philosophie und der römischen Religion hervorgehende neue Staatsphilosophie und Staatsreligion. Das spekulative Element, von Haus aus in dem Zenonischen System wenig energisch ausgeprägt und schon weiter abgeschwächt, als dasselbe in Rom Eingang fand, nachdem bereits ein Jahrhundert hindurch die griechischen Schulmeister sich beflissen hatten, diese Philosophie in die Knabenköpfe hinein und damit den Geist aus ihr hinauszutreiben, trat völlig zurück in Rom, wo niemand spekulierte als der Wechsler; es war wenig mehr die Rede von der idealen Entwicklung des in der Seele des Menschen waltenden Gottes oder göttlichen Weltgesetzes. Die stoischen Philosophen zeigten sich nicht unempfänglich für die recht einträgliche Auszeichnung, ihr System zur halboffiziellen römischen Staatsphilosophie erhoben zu sehen, und erwiesen sich überhaupt geschmeidiger, als man es nach ihren rigorosen Prinzipien hätte erwarten sollen. Ihre Lehre von den Göttern und vom Staat zeigte bald eine seltsame Familienähnlichkeit mit den realen Institutionen ihrer Brotherren; statt über den kosmopolitischen Philosophenstaat stellten sie Betrachtungen an über die weise Ordnung des römischen Beamtenwesens; und wenn die feineren Stoiker, wie Panätios, die göttliche Offenbarung durch Wunder und Zeichen als denkbar, aber ungewiß dahingestellt, die Sterndeuterei nun gar entschieden verworfen hatten, so verfochten schon seine nächsten Nachfolger jene Offenbarungslehre, das heißt die römische Auguraldisziplin, so steif und fest wie jeden anderen Schulsatz und machten sogar der Astrologie höchst unphilosophische Zugeständnisse. Das Hauptstück des Systems ward immer mehr die kasuistische Pflichtenlehre. Sie kam dem hohlen Tugendstolz entgegen, bei welchem die Römer dieser Zeit in der vielfach demütigenden Berührung mit den Griechen Entschädigung suchten, und formulierte den angemessenen Dogmatismus der Sittlichkeit, der, wie jede wohlerzogene Moral, mit herzerstarrender Rigorosität im ganzen die höflichste Nachsicht im einzelnen verbindet 2. Ihre praktischen Resultate werden kaum viel höher anzuschlagen sein als daß, wie gesagt, in zwei oder drei vornehmen Häusern der Stoa zuliebe schlecht gegessen ward.

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2 Ein ergötzliches Exempel kann man bei Cicero (off. 3, 12. 13) nachlesen.

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Dieser neuen Staatsphilosophie eng verwandt oder eigentlich ihre andere Seite ist die neue Staatsreligion, deren wesentliches Kennzeichen das bewußte Festhalten der als irrationell erkannten Sätze des Volksglaubens aus äußeren Zweckmäßigkeitsgründen ist. Schon einer der hervorragendsten Männer des Scipionischen Kreises, der Grieche Polybios, spricht es unverhohlen aus, daß das wunderliche und schwerfällige römische Religionszeremoniell einzig der Menge wegen erfunden sei, die, da die Vernunft nichts über sie vermöge, mit Zeichen und Wundern beherrscht werden müsse, während verständige Leute allerdings der Religion nicht bedürften. Ohne Zweifel teilten Polybios’ römische Freunde im wesentlichen diese Gesinnung, wenn sie auch nicht in so kruder und so platter Weise Wissenschaft und Religion sich entgegensetzten. Weder Laelius noch Scipio Aemilianus können in der Auguraldisziplin, an die auch Polybios zunächst denkt, etwas anderes gesehen haben als eine politische Institution; doch war der Nationalsinn in ihnen zu mächtig und das Anstandsgefühl zu fein, als daß sie mit solchen bedenklichen Erörterungen öffentlich hätten auftreten mögen. Aber schon in der folgenden Generation trug der Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95; 3, 221; 336) wenigstens in seiner mündlichen Rechtsunterweisung unbedenklich die Sätze vor, daß es eine zweifache Religion gebe, eine verstandesmäßige philosophische und eine nichtverstandesmäßige traditionelle, daß jene sich nicht eigne zur Staatsreligion, da sie mancherlei enthalte, was dem Volk zu wissen unnütz oder sogar schädlich sei, daß demnach die überlieferte Staatsreligion bleiben müsse, wie sie sei. Nur eine weitere Entwicklung desselben Grundgedankens ist die Varronische Theologie, in der die römische Religion durchaus behandelt wird als ein Staatsinstitut. Der Staat, wird hier gelehrt, sei älter als die Götter des Staats, wie der Maler älter als das Gemälde; wenn es sich darum handelte, die Götter neu zu machen, würde man allerdings wohltun, sie zweckdienlicher und den Teilen der Weltseele prinzipmäßig entsprechender zu machen und zu benennen, auch die nur irrige Vorstellungen erweckenden Götterbilder 3 und das verkehrte Opferwesen zu beseitigen; allein da diese Einrichtungen einmal beständen, so müsse jeder gute Bürger sie kennen und befolgen und dazu tun, daß der “gemeine Mann” die Götter vielmehr höher achten als geringschätzen lerne. Daß der gemeine Mann, zu dessen Besten die Herren ihren Verstand gefangen gaben, diesen Glauben jetzt verschmähte und sein Heil anderswo suchte, versteht sich von selbst und wird weiterhin sich zeigen. So war denn die römische Hochkirche fertig, eine scheinheilige Priester- und Levitenschaft und eine glaubenslose Gemeinde. Je unverhohlener man die Landesreligion für eine politische Institution erklärte, desto entschiedener betrachteten die politischen Parteien das Gebiet der Staatskirche als Tummelplatz für Angriff und Verteidigung; was namentlich in immer steigendem Maße der Fall war mit der Auguralwissenschaft und mit den Wahlen zu den Priesterkollegien. Die alte und natürliche Übung, die Bürgerversammlung zu entlassen, wenn ein Gewitter heraufzog, hatte unter den Händen der römischen Augurn sich zu einem weitläufigen System verschiedener Himmelszeichen und daran sich knüpfender Verhaltungsregeln entwickelt; in den ersten Dezennien dieser Epoche ward sogar durch das Älische und das Fufische Gesetz geradezu verordnet, daß jede Volksversammlung auseinanderzugehen genötigt sei, wenn es einem höheren Beamten einfalle, nach Gewitterzeichen am Himmel zu schauen; und die römische Oligarchie war stolz auf den schlauen Gedanken, fortan durch eine einzige fromme Lüge jedem Volksbeschluß den Stempel der Nichtigkeit aufdrücken zu können. Umgekehrt lehnte die römische Opposition sich auf gegen die alte Übung, daß die vier höchsten Priesterkollegien bei entstehenden Vakanzen sich selber ergänzten, und forderte die Erstreckung der Volkswahl auch auf die Stellen selbst, wie sie für die Vorstandschaften dieser Kollegien schon früher eingeführt war. Es widersprach dies allerdings dem Geiste dieser Körperschaften, aber dieselben hatten kein Recht, darüber sich zu beklagen, nachdem sie ihrem Geiste selbst untreu geworden waren und zum Beispiel der Regierung mit religiösen Kassationsgründen politischer Akte auf Verlangen an die Hand gingen. Diese Angelegenheit ward ein Zankapfel der Parteien. Den ersten Sturm im Jahre 609 (145) schlug der Senat ab, wobei namentlich der Scipionische Kreis für die Verwerfung des Antrags den Ausschlag gab. Aber im Jahre 650 (104) ging sodann der Vorschlag durch mit der früher schon bei der Wahl der Vorstände gemachten Beschränkungen zum Besten bedenklicher Gewissen, daß nicht die ganze Bürgerschaft, sondern nur der kleinere Teil der Bezirke zu wählen habe. Dagegen stellte Sulla das Kooptationsrecht in vollem Umfang wieder her. Mit dieser Fürsorge der Konservativen für die reine Landesreligion vertrug es natürlich sich aufs beste, daß eben in den vornehmsten Kreisen mit derselben offen Spott getrieben ward. Die praktische Seite des römischen Priestertums war die priesterliche Küche; die Augural- und Pontifikalschmäuse waren gleichsam die offiziellen Silberblicke eines römischen Feinschmeckerlebens und manche derselben machten Epoche in der Geschichte der Gastronomie, wie zum Beispiel die Antrittsmahlzeit des Augurs Quintus Hortensius die Pfauenbraten aufgebracht hat. Sehr brauchbar ward auch die Religion befunden, um den Skandal pikanter zu machen. Es war ein Lieblingsvergnügen vornehmer junger Herren, zur Nachtzeit auf den Straßen die Götterbilder zu schänden oder zu verstümmeln. Gewöhnliche Liebeshändel waren längst gemein und Verhältnisse mit Ehefrauen fingen an es zu werden; aber ein Verhältnis zu einer Vestalin war so pikant wie in der Welt des Decamerone die Nonnenliebschaft und das Klosterabenteuer. Bekannt ist der arge Handel des Jahres 640 (114), in welchem drei Vestalinnen, Töchter der vornehmsten Familien, und deren Liebhaber, junge Männer gleichfalls aus den besten Häusern, zuerst vor dem Pontifikalkollegium und, da dies die Sache zu vertuschen suchte, vor einem durch eigenen Volksschluß eingesetzten außerordentlichen Gericht wegen Unzucht zur Verantwortung gezogen und sämtlich zum Tode verurteilt wurden. Solchen Skandal nun konnten freilich gesetzte Leute nicht billigen; aber dagegen war nichts einzuwenden, daß man die positive Religion im vertrauten Kreise albern fand: die Augurn konnten, wenn einer den andern fungieren sah, sich einander ins Gesicht lachen, unbeschadet ihrer religiösen Pflichten. Man gewinnt die bescheidene Heuchelei verwandter Richtungen ordentlich lieb, wenn man die krasse Unverschämtheit der römischen Priester und Leviten damit vergleicht. Ganz unbefangen ward die offizielle Religion behandelt als ein hohles, nur für die politischen Maschinisten noch brauchbares Gerüste; in dieser Eigenschaft konnte es mit seinen zahllosen Winkeln und Falltüren, wie es fiel, jeder Partei dienen und hat einer jeden gedient. Zumeist sah allerdings die Oligarchie ihr Palladium in der Staatsreligion, vornehmlich in der Auguraldisziplin; aber auch die Gegenpartei machte keine prinzipielle Opposition gegen ein Institut, das nur noch ein Scheinleben hatte, sondern betrachtete dasselbe im ganzen als eine Schanze, die aus dem Besitz des Feindes in den eigenen übergehen könne.

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3 Auch in Varros Satire ‘Die Aboriginer’ wurde in spöttischer Weise dargestellt, wie die Urmenschen sich nicht hätten genügen lassen mit dem Gott, den nur der Gedanke erkennt, sondern sich gesehnt hätten nach Götterpuppen und Götterbilderchen.

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Im scharfen Gegensatz gegen dies eben geschilderte Religionsgespenst stehen die verschiedenen fremden Kulte, welche diese Epoche hegte und pflegte und denen wenigstens eine sehr entschiedene Lebenskraft nicht abgesprochen werden kann. Sie begegnen überall, bei den vornehmen Damen und Herren wie in den Sklavenkreisen, bei dem General wie bei dem Lanzknecht, in Italien wie in den Provinzen. Es ist unglaublich, wie hoch hinauf dieser Aberglaube bereits reicht. Als im Kimbrischen Krieg eine syrische Prophetin Martha sich erbot, die Wege und Mittel zur Überwindung der Deutschen dem Senat an die Hand zu geben, wies dieser zwar sie mit Verachtung zurück; aber die römischen Damen und namentlich Marius’ eigene Gemahlin expedierten sie dennoch nach dem Hauptquartier, wo der Gemahl sie bereitwillig aufnahm und mit sich herumführte, bis die Teutonen geschlagen waren. Die Führer der verschiedensten Parteien im Bürgerkrieg, Marias, Octavius, Sulla, trafen zusammen in dem Glauben an Zeichen und Orakel. Selbst der Senat maßte während desselben in den Wirren des Jahres 667 (87) sich dazu verstehen, den Faseleien einer verrückten Prophetin gemäß Anordnungen zu treffen. Für das Erstarren der römisch-hellenischen Religion, wie für das im Steigen begriffene Bedürfnis der Menge nach stärkeren religiösen Stimulantien ist es bezeichnend, daß der Aberglaube nicht mehr, wie in den Bakchenmysterien, anknüpft an die nationale Religion; selbst die etruskische Mystik ist bereits überflügelt; durchaus in erster Linie erscheinen die in den heißen Landschaften des Orients gezeitigten Kulte. Sehr viel hat dazu beigetragen das massenhafte Eindringen kleinasiatischer und syrischer Elemente in die Bevölkerung, teils durch die Sklaveneinfuhr, teils durch den gesteigerten Verkehr Italiens mit dem Osten. Die Macht dieser fremdländischen Religion tritt sehr scharf hervor in den Aufständen der sizilischen, größtenteils aus Syrien herstammenden Sklaven. Eunus spie Feuer, Athenion las in den Sternen; die von den Sklaven in diesen Kriegen geschleuderten Bleikugeln tragen großenteils Götternamen, neben Zeus und Artetuis besonders den der geheimnisvollen von Kreta nach Sizilien gewanderten und daselbst eifrig verehrten Mütter. Ähnlich wirkte der Handelsverkehr, namentlich seitdem die Waren von Berytos und Alexandreia direkt nach den italischen Häfen gingen: Ostia und Puteoli wurden die großen Stapelplätze wie für die syrischen Salben und die ägyptische Leinwand so auch für den Glauben des Ostens. Überall ist mit der Völker- auch die Religionsmengung beständig im Steigen. Von allen erlaubten Kulten war der populärste der der pessinuntischen Göttermutter, der mit seinem Eunuchenzölibat, mit den Schmäusen, der Musik, den Bettelprozessionen und dem ganzen sinnlichen Gepränge der Menge imponierte; die Hauskollekten wurden bereits als eine ökonomische Last empfunden. In der gefährlichsten Zeit des Kimbrischen Krieges erschien der Hohepriester Battakes von Pessinus in eigener Person in Rom, um die Interessen des dortigen, angeblich entweihten Tempels seiner Göttin zu vertreten, redete im besonderen Auftrag der Göttermutter zum römischen Volk und tat auch verschiedene Wunder. Die verständigen Leute ärgerten sich, aber die Weiber und die große Menge ließen es sich nicht nehmen, dem Propheten beim Abzug in hellen Haufen das Geleit zu geben. Gelübde, nach dem Osten zu wallfahrten, waren bereits nichts Seltenes mehr, wie denn selbst Marius also seine Pilgerfahrt nach Pessinus unternahm; ja es gaben schon (zuerst 653 101) römische Bürger sich zu dem Eunuchenpriestertum her. Aber weit populärer noch waren natürlich die unerlaubten und Geheimkulte. Schon zu Catos Zeit hatte der chaldäische Horoskopensteller angefangen, dem etruskischen Eingeweide-, dem marsischen Vogelschauer Konkurrenz zu machen; bald war die Sternguckerei und Sterndeuterei in Italien ebenso zu Hause wie in ihrem traumseligen Heimatland. Schon 615 (139) wies der römische Fremdenprätor die sämtlichen “Chaldäer” an, binnen zehn Tagen Rom und Italien zu räumen. Dasselbe Schicksal traf gleichzeitig die Juden, welche zu ihrem Sabbat italische Proselyten zugelassen hatten. Ebenso hatte Scipio das Lager von Numantia von Wahrsagern und frommen Industrierittern jeder Art zu reinigen. Einige Jahrzehnte später (657 97) sah man sogar sich genötigt, die Menschenopfer zu verbieten. Der wilde Kult der kappadokischen Ma oder, wie die Römer sie nannten, der Bellona, welcher bei den festlichen Aufzügen die Priester das eigene Blut zum Opfer verspritzten, und die düstere ägyptische Götterverehrung beginnen sich zu melden; schon Sulla erschien jene Kappadokierin im Traume, und von den späteren römischen Isis- und Osirisgemeinden führten die ältesten ihre Entstehung bis in die sullanische Zeit zurück. Man war irre geworden, nicht bloß an dem alten Glauben, sondern auch an sich selbst; die entsetzlichsten Krisen einer fünfzigjährigen Revolution, das instinktmäßige Gefühl, daß der Bürgerkrieg noch keineswegs am Ende sei, steigerten die angstvolle Spannung, die trübe Beklommenheit der Menge. Unruhig erklomm der irrende Gedanke jede Höhe und versenkte sich in jeden Abgrund, wo er neue Aus- und Einsichten in die drohenden Verhängnisse, neue Hoffnungen in dem verzweifelten Kampfe gegen das Geschick oder vielleicht auch nur neue Angst zu finden wähnte. Der ungeheuerliche Mystizismus fand in der allgemeinen politischen, ökonomischen, sittlichen, religiösen Zerfahrenheit den ihm genehmen Boden und gedieh mit erschreckender Schnelle: es war, als wären Riesenbäume über Nacht aus der Erde gewachsen, niemand wußte woher und wozu, und ebendieses wunderbar rasche Emporkommen wirkte neue Wunder und ergriff epidemisch alle nicht ganz befestigten Gemüter.

In ähnlicher Weise wie auf dem religiösen Gebiet vollendete sich die in der vorigen Epoche begonnene Revolution auf dem der Erziehung und Bildung. Wie der Grundgedanke des römischen Wesens, die bürgerliche Gleichheit, bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts auch auf diesem Gebiet ins Schwanken gekommen war, ist früher dargestellt worden. Schon zu Pictors und Catos Zeit war die griechische Bildung in Rom weit verbreitet und gab es eine eigene römische Bildung; allein man war doch mit beiden nicht über die Anfänge hinausgelangt. Was man unter römisch-griechischer Musterbildung in dieser Zeit ungefähr verstand, zeigt Catos ‘Encyklopädie’; es ist wenig mehr als die Formulierung des alten römischen Hausvatertums und wahrlich, mit der damaligen hellenischen Bildung verglichen, dürftig genug. Auf wie niedriger Stufe noch im Anfang des siebenten Jahrhunderts der Jugendunterricht in Rom durchgängig stand, läßt aus den Äußerungen bei Polybios sich abnehmen, welcher in dieser einen Hinsicht gegenüber der verständigen privaten und öffentlichen Fürsorge seiner Landsleute die sträfliche Gleichgültigkeit der Römer tadelnd hervorhebt - in den dieser Gleichgültigkeit zu Grunde liegenden tieferen Gedanken der bürgerlichen Gleichheit hat kein Hellene, auch Polybios nicht sich zu finden vermocht.

Jetzt ward dies anders. Wie zu dem naiven Volksglauben der aufgeklärte stoische Supranaturalismus hinzutrat, so formulierte auch in der Erziehung neben dem einfachen Volksunterricht sich eine besondere Bildung, eine exklusive Humanitas und vertilgte die letzten Überreste der alten geselligen Gleichheit. Es wird nicht überflüssig sein, auf die Gestaltung des neuen Jugendunterrichts, sowohl des griechischen wie des höheren lateinischen, einen Blick zu werfen.

Es ist eine wundersame Fügung, daß derselbe Mann, der politisch die hellenische Nation definitiv überwand, Lucius Aemilius Paullus, zugleich zuerst oder als einer der ersten die hellenische Zivilisation vollständig anerkannte als das, was sie seitdem unwidersprochen geblieben ist, die Zivilisation der antiken Welt. Er selber zwar war ein Greis, bevor es ihm gestattet wurde, die Homerischen Lieder im Sinn, hinzutreten vor den Zeus des Pheidias; aber sein Herz war jung genug, um den vollen Sonnenglanz hellenischer Schönheit und die unbezwingliche Sehnsucht nach den goldenen Äpfeln der Hesperiden in seiner Seele heimzubringen; Dichter und Künstler hatten an dem fremden Mann einen ernsteren und innigeren Gläubigen gefunden, als irgendeiner war von den klugen Leuten des damaligen Griechenland. Er machte kein Epigramm auf Homeros oder Pheidias, aber er ließ seine Kinder einführen in die Reiche des Geistes. Ohne die nationale Erziehung zu vernachlässigen, soweit es eine solche gab, sorgte er wie die Griechen für die physische Entwicklung seiner Knaben, zwar nicht durch die nach römischen Begriffen unzulässigen Turnübungen, aber durch Unterweisung in der bei den Griechen fast kunstmäßig entwickelten Jagd, und steigerte den griechischen Unterricht in der Art, daß nicht mehr bloß die Sprache um des Sprechens willen gelernt und geübt, sondern nach griechischer Art der Gesamtstoff allgemeiner höherer Bildung an die Sprache geknüpft und aus ihr entwickelt ward - also vor allem die Kenntnis der griechischen Literatur mit der zu deren Verständnis nötigen mythologischen und historischen Kunde, sodann Rhetorik und Philosophie. Die Bibliothek des Königs Perseus war das einzige Stück, das Paullus aus der makedonischen Kriegsbeute für sich nahm, um sie seinen Söhnen zu schenken. Sogar griechische Maler und Bildner befanden sich in seinem Gefolge und vollendeten die musische Bildung seiner Kinder. Daß die Zeit vorüber war, wo man auf diesem Gebiet sich dem Hellenismus gegenüber bloß ablehnend verhalten konnte, hatte schon Cato empfunden; die Besseren mochten jetzt ahnen, daß der edle Kern römischer Art durch den ganzen Hellenismus weniger gefährdet werde als durch dessen Verstümmelung und Mißbildung: die Masse der höheren Gesellschaft Roms und Italiens machte die neue Weise mit. An griechischen Schulmeistern war seit langem in Rom kein Mangel; jetzt strömten sie scharenweise, und nicht bloß als Sprach-, sondern als Lehrer der Literatur und Bildung überhaupt, nach dem neu eröffneten ergiebigen Absatzmarkt ihrer Weisheit. Griechische Hofmeister und Lehrer der Philosophie, die freilich, auch wenn sie nicht Sklaven waren, regelmäßig wie Bediente 4 gehalten wurden, wurden jetzt stehend in den Palästen Roms; man raffinierte darauf, und es findet sich, daß für einen griechischen Literatursklaven ersten Ranges 200000 Sesterzen (15200 Taler) gezahlt worden sind. Schon 593 (161) bestanden in der Hauptstadt eine Anzahl besonderer Lehranstalten für griechische Deklamationsübung. Schon begegnen einzelne ausgezeichnete Namen unter diesen römischen Lehrern: des Philosophen Panätios ward bereits gedacht; der angesehene Grammatiker Krates von Mallos in Kilikien, Aristarchs Zeitgenosse und ebenbürtiger Rival, fand um 585 (169) in Rom ein Publikum für die Vorlesung und sprachliche und sachliche Erläuterung der Homerischen Gedichte. Zwar stieß diese neue Weise des Jugendunterrichts, revolutionär und antinational wie sie war, zum Teil auf den Widerstand der Regierung; allein der Ausweisungsbefehl, den die Behörden 593 (161) gegen Rhetoren und Philosophen schleuderten, blieb, zumal bei dem steten Wechsel der römischen Oberbeamten, wie alle ähnlichen Befehle ohne nennenswerten Erfolg, und nach des alten Cato Tode ward in seinem Sinne wohl noch öfters geklagt, aber nicht mehr gehandelt. Der höhere Unterricht im Griechischen und in den griechischen Bildungswissenschaften blieb fortan anerkannt als ein wesentlicher Teil der italischen Bildung.

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4 Cicero sagt, daß er seinen gelehrten Sklaven Dionysios rücksichtsvoller behandelt habe als Scipio den Panätios; und in gleichem Sinne hieß es bei Lucilius:

Nützlicher ist mir mein Gaul, mein Reitknecht, Mantel und Zeltdach

Als der Philosoph.

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Aber ihm zur Seite entwickelte sich ein höherer lateinischer Unterricht. Es ist in der vorigen Epoche dargestellt worden, wie der lateinische Elementarunterricht sich innerlich gesteigert hatte; wie an die Stelle der Zwölf Tafeln gleichsam als verbesserte Fibel die lateinische Odyssee getreten war und nun der römische Knabe an dieser Übersetzung, wie der griechische an dem Original, die Kunde und den Vortrag der Muttersprache ausbildete; wie namhafte griechische Sprach- und Literaturlehrer, Andronicus, Ennius und andere mehr, die doch wahrscheinlich schon nicht eigentlich Kinder, sondern heranreifende Knaben und Jünglinge lehrten, es nicht verschmähten, neben der griechischen auch in der Muttersprache zu unterrichten. Es waren das die Anfänge eines höheren lateinischen Unterrichts, aber doch noch ein solcher nicht. Der Sprachunterricht kann den elementaren Kreis nicht überschreiten, solange es an einer Literatur mangelt. Erst als es nicht bloß lateinische Schulbücher, sondern eine lateinische Literatur gab und diese in den Werken der Klassiker des sechsten Jahrhunderts in einer gewissen Abgeschlossenheit vorlag, traten die Muttersprache und die einheimische Literatur wahrhaft ein in den Kreis der höheren Bildungselemente; und die Emanzipation von den griechischen Sprachmeistern ließ nun auch nicht lange auf sich warten. Angeregt durch die Homerischen Vorlesungen des Krates begannen gebildete Römer die rezitativen Werke auch ihrer Literatur, Naevius’ ‘Punischen Krieg’, Ennius’ ‘Chronik’, späterhin auch Lucilius’ Gedichte zuerst einem erlesenen Kreis, dann öffentlich an fest bestimmten Tagen und unter großem Zulauf vorzutragen, auch wohl nach dem Vorgang der homerischen Grammatiker sie kritisch zu bearbeiten. Diese literarischen Vorträge, die gebildete Dilettanten (litterati) unentgeltlich hielten, waren zwar kein förmlicher Jugendunterricht, aber doch ein wesentliches Mittel, die Jugend in das Verständnis und den Vortrag der klassischen lateinischen Literatur einzuführen.

Ähnlich ging es mit der Bildung der lateinischen Rede. Die vornehme römische Jugend, die schon in frühem Alter mit Lob- und gerichtlichen Reden öffentlich aufzutreten angehalten ward, wird es an Redeübungen nie haben fehlen lassen; indes erst in dieser Epoche und infolge der neuen exklusiven Bildung entstand eine eigentliche Redekunst. Als der erste römische Sachwalter, der Sprache und Stoff kunstmäßig behandelte, wird Marcus Lepidus Porcina (Konsul 617 137) genannt; die beiden berühmten Advokaten der marianischen Zeit, der männliche und lebhafte Marcus Antonius (611-667143-87) und der feine, gehaltene Redner Lucius Crassus (614-663 140-91), waren schon vollständig Kunstredner. Die Übungen der Jugend im Sprechen stiegen natürlich an Umfang und Bedeutung, aber blieben doch, eben wie die lateinischen Literaturübungen, wesentlich darauf beschränkt, daß der Anfänger an den Meister der Kunst persönlich sich anschloß und durch sein Beispiel und seine Lehre sich ausbildete.

Förmliche Unterweisung sowohl in lateinischer Literatur als in lateinischer Redekunst gab zuerst um 650 (100) Lucius Aelius Praeconinus von Lanuvium, der “Griffelmann” (Stilo) genannt, ein angesehener, streng konservativ gesinnter römischer Ritter, der mit einem auserlesenen Kreise jüngerer Männer - darunter Varro und Cicero - den Plautus und ähnliches las, auch wohl Entwürfe zu Reden mit den Verfassern durchging oder dergleichen seinen Freunden an die Hand gab. Dies war ein Unterricht; aber ein gewerbmäßiger Schulmeister war Stilo nicht, sondern er lehrte Literatur und Redekunst, wie in Rom die Rechtswissenschaft gelehrt ward, als ein älterer Freund der aufstrebenden jungen Leute, nicht als ein gedungener, jedem zu Gebote stehender Mann. Aber um seine Zeit begann auch der schulmäßige höhere Unterricht im Lateinischen, getrennt sowohl von dem elementaren lateinischen als von dem griechischen Unterricht, und von bezahlten Lehrmeistern, in der Regel freigelassenen Sklaven, in besonderen Anstalten erteilt. Daß Geist und Methode durchaus den griechischen Literatur- und Sprachübungen abgeborgt wurden, versteht sich von selbst; und auch die Schüler bestanden wie bei diesen aus Jünglingen, nicht aus Knaben. Bald schied sich dieser lateinische Unterricht, wie der griechische, in einen zwiefachen Kursus, indem erstlich die lateinische Literatur wissenschaftlich vorgetragen, sodann zu Lob-, Staats- und Gerichtsreden kunstmäßige Anleitung gegeben ward. Die erste römische Literaturschule eröffnete um Stilos Zeit Marcus Saevius Nicanor Postumus, die erste besondere Schule für lateinische Rhetorik um 660 (90) Lucius Plotius Gallus; doch ward in der Regel auch in den lateinischen Literaturschulen Anleitung zur Redekunst gegeben. Dieser neue lateinische Schulunterricht war von der tiefgreifendsten Bedeutung. Die Anleitung zur Kunde lateinischer Literatur und lateinischer Rede, wie sie früher von hochgestellten Kennern und Meistern erteilt worden war, hatte den Griechen gegenüber eine gewisse Selbständigkeit sich bewahrt. Die Kenner der Sprache und die Meister der Rede standen wohl unter dem Einfluß des Hellenismus, aber nicht unbedingt unter dem der griechischen Schulgrammatik und Schulrhetorik; namentlich die letztere wurde entschieden perhorresziert. Der Stolz wie der gesunde Menschenverstand der Römer empörte sich gegen die griechische Behauptung, daß die Fähigkeit, über Dinge, die der Redner verstand und empfand, verständig und anregend in der Muttersprache zu seinesgleichen zu reden, in der Schule nach Schulregeln gelernt werden könne. Dem tüchtigen praktischen Advokaten mußte das gänzlich dem Leben entfremdete Treiben der griechischen Rhetoren für den Anfänger schlimmer als gar keine Vorbereitung erscheinen; dem durchgebildeten und durch das Leben gereiften Manne dünkte die griechische Rhetorik schal und widerlich; dem ernstlich konservativ gesinnten entging die Wahlverwandtschaft nicht zwischen der gewerbmäßig entwickelten Redekunst und dem demagogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der Scipionische Kreis den Rhetoren die bitterste Feindschaft geschworen, und wenn die griechischen Deklamationen bei bezahlten Meistern, zunächst wohl als Übungen im Griechischsprechen, geduldet wurden, so war doch die griechische Rhetorik damit weder in die lateinische Rede noch in den lateinischen Redeunterricht eingedrungen. In den neuen lateinischen Rhetorschulen aber wurden die römischen Jungen zu Männern und Staatsrednern dadurch gebildet, daß sie paarweise den bei der Leiche des Aias mit dem blutigen Schwerte desselben gefundenen Odysseus der Ermordung seines Waffengefährten anklagten und dagegen ihn verteidigten; daß sie den Orestes wegen Muttermordes belangten oder in Schutz nahmen; daß sie vielleicht auch dem Hannibal nachträglich mit einem guten Rat darüber aushalfen, ob er besser tue, der Vorladung nach Rom Folge zu leisten oder in Karthago zu bleiben oder die Flucht zu ergreifen. Es ist begreiflich, daß gegen diese widerwärtigen und verderblichen Wortmühlen noch einmal die catonische Opposition sich regte. Die Zensoren des Jahres 662 (92) erließen eine Warnung an Lehrer und Eltern, die jungen Menschen nicht den ganzen Tag mit Übungen hinbringen zu lassen, von denen die Vorfahren nichts gewußt hätten; und der Mann, von dem diese Warnung kam, war kein geringerer als der erste Gerichtsredner seiner Zeit, Lucius Licinius Crassus. Natürlich sprach die Kassandra vergebens; lateinische Deklamierübungen über die gangbaren griechischen Schulthemen wurden ein bleibender Bestandteil des römischen Jugendunterrichts und taten das Ihrige, um schon die Knaben zu advokatischen und politischen Schauspielern zu erziehen und jede ernste und wahre Beredsamkeit im Keime zu ersticken.

Als Gesamtergebnis aber dieser modernen römischen Erziehung entwickelte sich der neue Begriff der sogenannten “Menschlichkeit”, der Humanität, welche bestand teils in der mehr oder minder oberflächlich angeeigneten musischen Bildung der Hellenen, teils in einer dieser nachgebildeten oder nachgestümperten privilegierten lateinischen. Diese neue Humanität sagte, wie schon der Name andeutet, sich los von dem spezifisch römischen Wesen, ja trat dagegen in Opposition und vereinigte in sich, ebenwie unsere eng verwandte “allgemeine Bildung”, einen national kosmopolitischen und sozial exklusiven Charakter. Auch hier war die Revolution, die die Stände schied und die Völker verschmolz.

KAPITEL XIII.
Literatur und Kunst

Das sechste Jahrhundert ist, politisch wie literarisch, eine frische und große Zeit. Zwar begegnet auf dem schriftstellerischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen ein Mann ersten Ranges; Naevius, Ennius, Plautus, Cato, begabte und lebendige Schriftsteller von scharf ausgeprägter Individualität, sind nicht im höchsten Sinn schöpferische Talente; aber nichtsdestoweniger fühlt man dem Schwung, der Rührigkeit, der Keckheit ihrer dramatischen, epischen, historischen Versuche es an, daß sie ruhen auf den Riesenkämpfen der Punischen Kriege. Es ist vieles nur künstlich verpflanzt, in Zeichnung und Farbe vielfach gefehlt, Kunstform und Sprache unrein behandelt, Griechisches und Nationales barock ineinandergefügt; die ganze Leistung verleugnet den Stempel des schulmäßigen Urspungs nicht und ist unselbständig und unvollkommen; aber dennoch lebt in den Dichtern und Schriftstellern dieser Zeit, wo nicht die volle Kraft, das hohe Ziel zu erreichen, doch der Mut und die Hoffnung, mit den Griechen zu wetteifern. Anders ist es in dieser Epoche. Die Morgennebel sanken; was man im frischen Gefühl der im Kriege gestählten Volkskraft begonnen hatte, mit jugendlichem Mangel an Einsicht in die Schwierigkeit des Beginnens und in das Maß des eigenen Talents, aber auch mit jugendlicher Lust und Liebe zum Werke, das vermochte man nicht weiterzuführen, als teils die dumpfe Schwüle der heraufziehenden revolutionären Gewitter die Luft zu erfüllen begann, teils den Einsichtigeren allmählich die Augen aufgingen über die unvergleichliche Herrlichkeit der griechischen Poesie und Kunst und über die sehr bescheidene künstlerische Begabung der eigenen Nation. Die Literatur des sechsten Jahrhunderts war hervorgegangen aus der Einwirkung der griechischen Kunst auf halb gebildete, aber angeregte und empfängliche Gemüter. Die gesteigerte hellenische Bildung des siebenten rief eine literarische Reaktion hervor, welche die in jenen naiven Nachdichtungsversuchen doch auch enthaltenen Blütenkeime mit dem Winterfrost der Reflexion verdarb und Kraut und Unkraut der älteren Richtung miteinander ausreutete. Diese Reaktion ging zunächst und hauptsächlich hervor aus dem Kreise, der um Scipio Aemilianus sich schloß und dessen hervorragendste Glieder unter der römischen vornehmen Welt außer Scipio dessen älterer Freund und Berater Gaius Laelius (Konsul 614 140) und Scipios jüngere Genossen, Lucius Furius Philus (Konsul 618 136) und Spurius Mummius, der Bruder des Zerstörers von Korinth, unter den römischen und griechischen Literaten der Komiker Terentius, der Satirenschreiber Lucilius, der Geschichtschreiber Polybios, der Philosoph Panätios waren. Wem die Ilias, wem Xenophon und Menandros geläufig waren, dem konnte der römische Homer nicht imponieren und noch weniger die schlechten Übersetzungen Euripideischer Tragödien, wie Ennius sie geliefert hatte und Pacuvius sie zu liefern fortfuhr. Mochten der Kritik gegen die vaterländische Chronik patriotische Rücksichten Schranken stecken, so richtete doch Lucilius sehr spitzige Pfeile gegen “die traurigen Figuren aus den geschraubten Expositionen des Pacuvius”; und ähnliche strenge, aber nicht ungerechte Kritiken des Ennius, Plautus, Pacuvius, all dieser Dichter, “die einen Freibrief zu haben scheinen, schwülstig zu reden und unlogisch zu schließen”, begegnen bei dem feinen Verfasser der am Schlusse dieser Periode geschriebenen, dem Herennius gewidmeten Rhetorik. Man zuckte die Achseln über die Interpolationen, mit denen der derbe römische Volkswitz die eleganten Komödien des Philemon und des Diphilos staffiert hatte. Halb lächelnd, halb neidisch wandte man sich ab von den unzulänglichen Versuchen einer dumpfen Zeit, die diesem Kreise erscheinen mochten etwa wie dem gereiften Manne die Gedichtblätter aus seiner Jugend; auf die Verpflanzung des Wunderbaumes verzichtend, ließ man in Poesie und Prosa die höheren Kunstgattungen wesentlich fallen und beschränkte sich hier darauf, der Meisterwerke des Auslandes sich einsichtig zu erfreuen. Die Produktivität dieser Epoche bewegt sich vorwiegend auf den untergeordneten Gebieten, der leichteren Komödie, der poetischen Miszelle, der politischen Broschüre, den Fachwissenschaften. Das literarische Stichwort wird die Korrektheit, im Kunststil und vor allem in der Sprache, welche, wie ein engerer Kreis von Gebildeten aus dem gesamten Volke sich aussondert, sich ihrerseits ebenfalls zersetzt in das klassische Latein der höheren Gesellschaft und das vulgäre des gemeinen Mannes. “Reine Sprache” verheißen die Terenzischen Prologe; Sprachfehlerpolemik ist ein Hauptelement der Lucilischen Satire; und ebendamit hängt es zusammen, daß die griechische Schriftstellerei der Römer jetzt entschieden zurücktritt. Insofern ist ein Fortschritt zum Besseren allerdings vorhanden; es begegnen in dieser Epoche weit seltener unzulängliche, weit häufiger in ihrer Art vollendete und durchaus erfreuliche Leistungen als vorher oder nachher; in sprachlicher Hinsicht nennt schon Cicero die Zeit des Laelius und des Scipio die goldene des reinen unverfälschten Latein. Desgleichen steigt die literarische Tätigkeit in der öffentlichen Meinung allmählich vom Handwerk zur Kunst empor. Noch im Anfang dieser Periode galt, wenn auch nicht die Veröffentlichung rezitativer Poesien, doch jedenfalls die Anfertigung von Theaterstücken als nicht schicklich für den vornehmen Römer: Pacuvius und Terentius lebten von ihren Stücken; das Dramenschreiben war lediglich ein Handwerk und keines mit goldenem Boden. Um die Zeit Sullas hatten die Verhältnisse sich völlig verwandelt. Schon die Schauspielerhonorare dieser Zeit beweisen, daß auch der beliebte dramatische Dichter damals auf eine Bezahlung Anspruch machen durfte, deren Höhe den Makel entfernte. Damit wurde die Bühnendichtung zur freien Kunst erhoben; und so finden wir denn auch Männer aus den höchsten adligen Kreisen, zum Beispiel Lucius Caesar (Ädil 664 90, † 667 87) für die römische Bühne tätig und stolz darauf, in der römischen “Dichtergilde” neben dem ahnenlosen Accius zu sitzen. Die Kunst gewinnt an Teilnahme und an Ehre; aber der Schwung ist hin im Leben wie in der Literatur. Die nachtwandlerische Sicherheit, die den Dichter zum Dichter macht, und die vor allem bei Plautus sehr entschieden hervortritt, kehrt bei keinem der späteren wieder - die Epigonen der Hannibalskämpfer sind korrekt, aber matt.

Betrachten wir zuerst die römische Bühnenliteratur und die Bühne selbst. Im Trauerspiel treten jetzt zuerst Spezialitäten auf; die Tragödiendichter dieser Epoche kultivierten nicht, wie die der vorigen, nebenbei das Lustspiel und das Epos. Die Wertschätzung dieses Kunstzweiges in den schreibenden und lesenden Kreisen war offenbar im Steigen, schwerlich aber die tragische Dichtung selbst. Der nationalen Tragödie (praetexta), der Schöpfung des Naevius, begegnen wir nur noch bei dem gleich zu erwähnenden Pacuvius, einem Spätling der Ennianischen Epoche. Unter den wahrscheinlich zahlreichen Nachdichtern griechischer Tragödie erwerben nur zwei sich einen bedeutenden Namen. Marcus Pacuvius aus Brundisium (535 - ca. 625 219 bis 129), der in seinen früheren Jahren im Rom vom Malen, erst im höheren Alter vom Trauerspieldichten lebte, gehört seinen Jahren wie seiner Art nach mehr dem sechsten als dem siebenten Jahrhundert an, obwohl seine poetische Tätigkeit in dieses fällt. Er dichtete im ganzen in der Weise seines Landsmanns, Oheims und Meisters Ennius. Sorgsamer feilend und nach höherem Schwunge strebend als sein Vorgänger, galt er günstigen Kunstkritikern später als Muster der Kunstpoesie und des reichen Stils; in den auf uns gekommenen Bruchstücken fehlt es indes nicht an Belegen, die Ciceros sprachlichen und Lucilius’ ästhetischen Tadel des Dichters rechtfertigen; seine Sprache erscheint holpriger als die seines Vorgängers, seine Dichtweise schwülstig und tüftelnd ^1. Es finden sich Spuren, daß er wie Ennius mehr auf Philosophie als auf Religion gab; aber er bevorzugte doch nicht wie dieser die der neologischen Richtung zusagenden sinnliche Leidenschaft oder moderne Aufklärung predigenden Dramen und schöpfte ohne Unterschied bei Sophokles und bei Euripides - von jener entschiedenen und beinahe genialen Tendenzpoesie des Ennius kann in dem jüngeren Dichter keine Ader gewesen sein.

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^1 So hieß es im ‘Paulus’, einem Originalstück, wahrscheinlich in der Beschreibung des Passes von Pythion (2, 296):

Qua vix caprigeno géneri gradilis gréssio est.

Wo kaum

Dem bockgeschlechtigen Geschlecht gangbar der Gang.

Und in einem andern Stück wird den Zuhörern angesonnen, folgende Beschreibung zu verstehen:

Vierfüßig, langsamwandelnd, ackerheimisch, rauh,

Niedrig, kurzköpfig, schlangenhalsig, starr zu schaun,

Und, ausgeweidet, leblos mit lebendigem Ton.

Worauf dieselben natürlich erwidern:

Mit dichtverzäuntem Worte schilderst du uns ab,

Was ratend schwerlich auch der kluge Mann durchschaut;

Wenn du nicht offen redest, wir verstehn dich nicht.

Es erfolgt nun das Geständnis, daß die Schildkröte gemeint ist. übrigens fehlten solche Rätselreden auch bei den attischen Trauerspieldichtern nicht, die deshalb von der Mittleren Komödie oft und derb mitgenommen wurden.

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Lesbarere und gewandtere Nachbildungen der griechischen Tragödie lieferte des Pacuvius jüngerer Zeitgenosse Lucius Accius, eines Freigelassenen Sohn von Pisaurum (584 - nach 651 170-108), außer Pacuvius der einzige namhafte tragische Dichter des siebenten Jahrhunderts. Ohne Zweifel war er, ein auch literarhistorisch und grammatisch tätiger Schriftsteller, bemüht, statt der kruden Weise seiner Vorgänger größere Reinheit in Sprache und Stil in die lateinische Tragödie einzuführen; doch ward auch seine Ungleichheit und Inkorrektheit von den Männern der strengen Observanz, wie Lucilius, nachdrücklich getadelt.

Weit größere Tätigkeit und weit bedeutendere Erfolge begegnen auf dem Gebiete des Lustspiels. Gleich am Anfang dieser Periode erfolgte gegen die gangbare und volksmäßige Lustspieldichtung eine bemerkenswerte Reaktion. Ihr Vertreter Terentius (558-595 196-159) ist eine der geschichtlich interessantesten Erscheinungen in der römischen Literatur. Geboren im phönikischen Afrika, in früher Jugend als Sklave nach Rom gebracht und dort in die griechische Bildung der Zeit eingeführt, schien er von Haus aus dazu berufen, der neuattischen Komödie ihren kosmopolitischen Charakter zurückzugeben, den sie in der Zustutzung für das römische Publikum unter Naevius, Plautus und ihrer Genossen derben Händen einigermaßen eingebüßt hatte. Schon in der Wahl und der Verwendung der Musterstücke zeigt sich der Gegensatz zwischen ihm und demjenigen seiner Vorgänger, den wir jetzt allein mit ihm vergleichen können. Plautus wählt seine Stücke aus dem ganzen Kreise der neueren attischen Komödie und verschmäht die keckeren und populäreren Lustspieldichter, wie zum Beispiel den Philemon, durchaus nicht; Terenz hält sich fast ausschließlich an Menandros, den zierlichsten, feinsten und züchtigsten unter allen Poeten der neueren Komödie. Die Weise, mehrere griechische Stücke zu einem lateinischen zusammenzuarbeiten, wird von Terenz zwar beibehalten, da sie nach Lage der Sache für den römischen Bearbeiter nun einmal unvermeidlich war, aber mit unvergleichlich mehr Geschicklichkeit und Sorgsamkeit gehandhabt. Der Plautinische Dialog entfernte sich ohne Zweifel sehr häufig von seinen Mustern; Terenz rühmt sich des wörtlichen Anschlusses seiner Nachbildungen an die Originale, wobei freilich nicht an eine wörtliche Übersetzung in unserm Sinn gedacht werden darf. Die nicht selten rohe, aber immer drastische Auftragung römischer Lokaltöne auf den griechischen Grund, wie Plautus sie liebte, wird vollständig und absichtlich verbannt, nicht eine Anspielung erinnert an Rom, nicht ein Sprichwort, kaum eine Reminiszenz 2; selbst die lateinischen Titel werden durch griechische ersetzt. Derselbe Unterschied zeigt sich in der künstlerischen Behandlung. Vor allen Dingen erhalten die Schauspieler die ihnen gebührenden Masken zurück und wird für eine sorgfältigere Inszenierung Sorge getragen, so daß nicht mehr wie bei Plautus alles, was dahin und nicht dahin gehört, auf der Straße vorzugehen braucht. Plautus schürzt und löst den Knoten leichtsinnig und lose, aber seine Fabel ist drollig und oft frappant; Terenz, weit minder drastisch, trägt überall, nicht selten auf Kosten der Spannung, der Wahrscheinlichkeit Rechnung und polemisiert nachdrücklich gegen die allerdings zum Teil platten und abgeschmackten stehenden Notbehelfe seiner Vorgänger, zum Beispiel gegen die allegorischen Träume 3. Plautus malt seine Charaktere mit breiten Strichen, oft schablonenhaft, immer für die Wirkung aus der Ferne und im ganzen und groben; Terenz behandelt die psychologische Entwicklung mit einer sorgfältigen und oft vortrefflichen Miniaturmalerei, wie zum Beispiel in den ‘Brüdern’ die beiden Alten, der bequeme städtische Lebemann und der vielgeplackte, durchaus nicht parfümierte Gutsherr, einen meisterhaften Kontrast bilden. In den Motiven wie in der Sprache steht Plautus in der Kneipe, Terenz im guten bürgerlichen Haushalt. Die rüpelhafte Plautinische Wirtschaft, die sehr ungenierten, aber allerliebsten Dirnchen mit den obligaten Wirten dazu, die säbelrasselnden Landsknechte, die ganz besonders launig gemalte Bedientenwelt, deren Himmel der Keller, deren Fatum die Peitsche ist, sind bei Terenz verschwunden oder doch zum Besseren gewandt. Bei Plautus befindet man sich, im ganzen genommen, unter angehendem oder ausgebildetem Gesindel, bei Terenz dagegen regelmäßig unter lauter edlen Menschen; wird ja einmal ein Mädchenwirt ausgeplündert oder ein junger Mensch ins Bordell geführt, so geschieht es in moralischer Absicht, etwa aus brüderlicher Liebe oder um den Knaben vom Besuch schlichter Häuser abzuschrecken. In den Plautinischen Stücken herrscht die Philisteropposition der Kneipe gegen das Haus: überall werden die Frauen heruntergemacht zur Ergötzung aller zeitweilig emanzipierten und einer liebenswürdigen Begrüßung daheim nicht völlig versicherten Eheleute. In den Terenzischen Komödien herrscht nicht eine sittlichere, aber wohl eine schicklichere Auffassung der Frauennatur und des ehelichen Lebens. Regelmäßig schließen sie mit einer tugendhaften Hochzeit oder womöglich mit zweien - ebenwie von Menandros gerühmt wird, daß er jede Verführung durch eine Hochzeit wiedergutgemacht habe. Die Lobreden auf das ehelose Leben, die bei Menandros so häufig sind, werden von seinem römischen Bearbeiter nur mit charakteristischer Schüchternheit wiederholt 4, dagegen der Verliebte in seiner Pein, der zärtliche Ehemann am Kindbett, die liebevolle Schwester auf dem Sterbelager im ‘Verschnittenen’ und im ‘Mädchen von Andros’ gar anmutig geschildert; ja in der ‘Schwiegermutter’ erscheint sogar am Schluß als rettender Engel ein tugendhaftes Freudenmädchen, ebenfalls eine echt Menandrische Figur, die das römische Publikum freilich wie billig auspfiff. Bei Plautus sind die Väter durchaus nur dazu da, um von den Söhnen gefoppt und geprellt zu werden; bei Terenz wird im ‘Selbstquäler’ der verlorene Sohn durch väterliche Weisheit gebessert und, wie er überhaupt voll trefflicher Pädagogik ist, geht in dem vorzüglichsten seiner Stücke, den ‘Brüdern’, die Pointe darauf hinaus, zwischen der allzu liberalen Onkel- und der allzu rigorosen Vatererziehung die rechte Mitte zu finden. Plautus schreibt für den großen Haufen und führt gottlose und spöttische Reden im Munde, soweit die Bühnenzensur es irgend gestattet; Terenz bezeichnet vielmehr als seinen Zweck, den Guten zu gefallen und, wie Menandros, niemand zu verletzen. Plautus liebt den raschen, oft lärmenden Dialog, und es gehört zu seinen Stücken das lebhafte Körperspiel der Schauspieler; Terenz beschränkte sich auf “ruhiges Gespräch”. Plautus’ Sprache fließt über von burlesken Wendungen und Wortwitzen, von Alliterationen, von komischen Neubildungen, aristophanischen Wörterverklitterungen, spaßhaft entlehnten griechischen Schlagwörtern. Dergleichen Capricci kennt Terenz nicht: sein Dialog bewegt sich im reinsten Ebenmaß, und die Pointen sind zierliche epigrammatische und sentenziöse Wendungen. Kein Lustspiel des Terenz ist dem Plautinischen gegenüber, weder in poetischer noch in sittlicher Hinsicht, ein Fortschritt zu nennen. Von Originalität kann bei beiden nicht, aber wo möglich noch weniger bei Terenz, die Rede sein; und das zweifelhafte Lob korrekterer Kopierung wird wenigstens aufgewogen dadurch, daß der jüngere Dichter wohl die Vergnüglichkeit, aber nicht Lustigkeit Menanders wiederzugeben verstand, so daß die dem Menander nachgedichteten Lustspiels des Plautus, wie der ‘Stichus’, die Kästchenkomödie, ‘Die beiden Backchis’, wahrscheinlich weit mehr von dem sprudelnden Zauber des Originals bewahren als die Komödien des “halbierten Menander”. Ebensowenig wie in dem Übergang vom Rohen zum Matten der Ästhetiker, kann der Sittenrichter in dem Übergang von der Plautinischen Zote und Indifferenz zu der Terenzischen Akkommodierungsmoral einen Fortschritt erkennen. Aber ein sprachlicher Fortschritt fand allerdings statt. Die elegante Sprache war der Stolz des Dichters, und ihrem unnachahmlichen Reiz vor allem verdankte er es, daß die feinsten Kunstrichter der Folgezeit, wie Cicero, Caesar, Quintilian, unter allen römischen Dichtern der republikanischen Zeit ihm den Preis zuerkannten. Insofern ist es auch wohl gerechtfertigt, in der römischen Literatur, deren wesentlicher Kern ja nicht die Entwicklung der lateinischen Poesie, sondern die der lateinischen Sprache ist, von den Terenzischen Lustspielen als der ersten künstlerisch reinen Nachbildung hellenischer Kunstwerke eine neue Ära zu datieren. Im entschiedensten literarischen Krieg brach die moderne Komödie sich Bahn. Die Plautinische Dichtweise hatte in dem römischen Bürgerstand Wurzel gefaßt; die Terenzischen Lustspiele stießen auf den lebhaftesten Widerstand bei dem Publikum, das ihre “matte Sprache”, ihren “schwachen Stil” unleidlich fand. Der, wie es scheint, ziemlich empfindliche Dichter antwortete in den eigentlich keineswegs hierzu bestimmten Prologen mit Antikritiken voll defensiver und offensiver Polemik und provozierte von der Menge, die aus seiner ‘Schwiegermutter’ zweimal weggelaufen war, um einer Fechter- und Seiltänzerbande zuzusehen, auf die gebildeten Kreise der vornehmen Welt. Er erklärte, nur nach dem Beifall der “Guten” zu streben, wobei freilich die Andeutung nicht fehlt, daß es durchaus nicht anständig sei, Kunstwerke zu mißachten, die den Beifall der “Wenigen” erhalten hätten. Er ließ die Rede sich gefallen oder begünstigte sie sogar, daß vornehme Leute ihn bei seinem Dichten mit Rat und sogar mit der Tat unterstützten 5. In der Tat drang er durch; selbst in der Literatur herrschte die Oligarchie und verdrängte die kunstmäßige Komödie der Exklusiven das volkstümliche Lustspiel: wir finden, daß um 620 (134) die Plautinischen Stücke vom Repertoire verschwanden. Es ist dies um so bezeichnender, als nach dem frühen Tode des Terenz durchaus kein hervorstechendes Talent weiter auf diesem Gebiet tätig war; über die Komödien des Turpilius († 651 hochbejahrt 103) und andere ganz oder fast ganz verschollene Lückenbüßer urteilte schon am Ende dieser Periode ein Kenner, daß die neuen Komödien noch viel schlechter seien als die schlechten neuen Pfennige.

Daß wahrscheinlich bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts zu der griechisch-römischen Komödie (palliata) die nationale (togata) hinzugetreten war als Abbild zwar nicht des spezifischen hauptstädtischen, aber doch des Tuns und Treibens im latinischen Land, ist früher gezeigt worden. Natürlich bemächtigte die Terenzische Schule rasch sich auch dieser Gattung; es war ganz in ihrem Sinn, die griechische Komödie einerseits in getreuer Übersetzung, andererseits in rein römischer Nachdichtung in Italien einzubürgern. Der Hauptvertreter dieser Richtung ist Lucius Afranius (blüht um 660 90). Die Bruchstücke, die uns von ihm vorliegen, geben keinen bestimmten Eindruck, aber sie widersprechen auch nicht dem, was die römischen Kunstkritiker über ihn bemerken. Seine zahlreichen Nationallustspiele waren der Anlage nach durchaus dem griechischen Intrigenstück nachgebildet, nur daß sie, wie bei der Nachdichtung natürlich ist, einfacher und kürzer ausfielen. Auch im einzelnen borgte er, was ihm gefiel, teils von Menandros, teils aus der älteren Nationalliteratur. Von den latinischen Lokaltönen aber, die bei dem Schöpfer dieser Kunstgattung, Titinius, so bestimmt hervortreten, begegnet bei Afranius nicht viel 6; seine Sujets halten sich sehr allgemein und mögen wohl durchgängig Nachbildungen bestimmter griechischer Komödien nur mit verändertem Kostüm sein. Ein feiner Eklektizismus und eine gewandte Kunstdichtung - literarische Anspielungen kommen nicht selten vor - sind ihm eigen wie dem Terenz; auch die sittliche Tendenz, die seine Stücke dem Schauspiel näherte, die polizeimäßige Haltung, die reine Sprache hat er mit diesem gemein. Als Geistesverwandten des Menandros und des Terenz charakterisieren ihn hinreichend das Urteil der Späteren, daß er die Toga trage wie Menandros sie als Italiker getragen haben würde, und seine eigene Äußerung, daß ihm Terenz über alle andern Dichter gehe.

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2 Vielleicht die einzige Ausnahme ist im ‘Mädchen von Andros’ (4, 5) die Antwort auf die Frage, wie es gehe:

Nun,

Wie wir können, heißt’s ja, da, wie wir möchten, es nicht geht,

mit Anspielung auf die freilich auch einem griechischen Sprichwort nachgebildete Zeile des Caecilius:

Geht’s nicht so, wie du magst, so lebe wie du kannst.

Das Lustspiel ist das älteste der Terenzischen und ward auf Empfehlung des Caecilius von dem Theatervorstand zur Aufführung gebracht. Der leise Dank ist bezeichnend.

3 Ein Seitenstück zu der von Hunden gehetzten, weinend einen jungen Menschen um Hilfe anrufenden Hindin, die Terenz (Phorm. prol. 4) verspottet, wird man in der wenig geistreichen Plautinischen Allegorie von der Ziege und dem Affen (Merc. 2, 1) erkennen dürfen. Schließlich gehen auch dergleichen Auswüchse auf die Euripideische Rhetorik zurück (z. B. Eur. Hek. 90).

4 Micio in den ‘Brüdern’ (I, 1) preist sein Lebenslos und namentlich auch, daß er nie eine Frau gehabt, “was jene (die Griechen) für ein Glück halten”.

5 Im Prolog des ‘Selbstquälers’ läßt er von seinen Rezensenten sich vorwerfen:

Er habe verlegt sich plötzlich auf die Poesie,

Der Freunde Geist vertrauend, nicht aus eignem Drang;

und in dem späteren (594 160) zu den ‘Brüdern’ heißt es:

Denn wenn Mißgünstige sagen, daß vornehme Herrn

Beim Werk ihm helfen und mitschreiben an jedem Stück,

So rechnet dies, was herber Tadel jenen scheint,

Der Dichter zum Ruhm sich: daß den Männern er gefällt,

Die euch und allem Volke wohlgefällig sind,

Die in Kriegsläuften seinerzeit mit Rat und Tat

Hilfreich erprobt ihr all’ und ohne Übermut.

Schon in der ciceronischen Zeit war es allgemeine Annahme, daß hier Laelius und Scipio Aemilianus gemeint seien; man bezeichnete die Szenen die von denselben herrühren sollten; man erzählte von den Fahrten des armen Dichters mit seinen vornehmen Gönnern auf ihre Güter bei Rom und fand es unverzeihlich, daß dieselben für die Verbesserung seiner ökonomischen Lage gar nichts getan hätten. Allein die sagenbildende Kraft ist bekanntlich nirgends mächtiger als in der Literaturgeschichte. Es leuchtet ein, und schon besonnene römische Kritiker haben es erkannt, daß diese Zeilen unmöglich auf den damals 25jährigen Scipio und auf seinen nicht viel älteren Freund Laelius gehen können. Verständiger wenigstens dachten andere an die vornehmen Poeten Quintus Labeo (Konsul 571 183) und Marcus Popillius (Konsul 581 173) und den gelehrten Kunstfreund und Mathematiker Lucius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166); doch ist auch dies offenbar nur Vermutung. Daß Terenz dem Scipionischen Hause nahe stand, ist übrigens nicht zu bezweifeln; es ist bezeichnend, daß die erste Aufführung der ‘Brüder’ und die zweite der ‘Schwiegermutter’ stattfand bei den Begräbnisfeierlichkeiten des Lucius Paullus, die dessen Söhne Scipio und Fabius ausrichteten.

6 Dabei haben vermutlich auch äußerliche Umstände mitgewirkt. Nachdem infolge des Bundesgenossenkrieges alle italischen Gemeinden das römische Bürgerrecht erlangt hatten, war es nicht mehr erlaubt, die Szene eines Lustspiels in eine solche zu verlegen, und mußte der Dichter sich entweder allgemein halten oder untergegangene oder ausländische Orte auswählen. Gewiß hat auch dieser Umstand, der selbst bei der Aufführung der älteren Lustspiele in Betracht kam, auf das Nationallustspiel ungünstig eingewirkt.

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Neu trat in dieser Epoche in das Gebiet der lateinischen Literatur die Posse ein. Sie selbst war uralt; lange bevor Rom stand, mögen Latiums lustige Gesellen bei festlichen Gelegenheiten in den ein für allemal feststehenden Charaktermasken improvisiert haben. Einen festen lokalen Hintergrund erhielten diese Späße an dem lateinischen Schildburg, wozu man die im Hannibalischen Kriege zerstörte und damit der Komik preisgegebene ehemals oskische Stadt Atella ausersah; seitdem ward für diese Aufführungen der Name der “Oskischen Spiele” oder “Spiele von Atella” üblich 7. Aber mit der Bühne 8 und mit der Literatur hatten diese Scherze nichts zu tun; sie wurden von Dilettanten wo und wie es ihnen beliebte aufgeführt, und die Texte nicht geschrieben oder doch nicht veröffentlicht. Erst in dieser Periode überwies man das Atellanenstück an eigentliche Schauspieler 9 und verwandte es, ähnlich wie das griechische Satyrdrama, als Nachspiel namentlich nach den Tragödien; wo es denn nicht fern lag, auch die schriftstellerische Tätigkeit hierauf zu erstrecken. Ob die römische Kunstposse ganz selbständig sich entwickelte oder etwa die in mancher Hinsicht verwandte unteritalische zu ihr den Anstoß gegeben hat ^10, läßt sich nicht mehr entscheiden; daß die einzelnen Stücke durchgängig Originalarbeiten gewesen sind, ist gewiß. Als Begründer dieser neuen Literaturgattung trat in der ersten Hälfte des siebenten Jahrhunderts ^11 Lucius Pomponius aus der latinischen Kolonie Bonoma auf, neben dessen Stücken bald auch die eines andern Dichters, Novius, sich beliebt machten. Soweit die nicht zahlreichen Trümmer und die Berichte der alten Literatoren uns hier ein Urteil gestatten, waren es kurze, regelmäßig wohl einaktige Possen, deren Reiz weniger auf der tollen und locker geknüpften Fabel beruhte als auf der drastischen Abkonterfeiung einzelner Stände und Situationen. Gern wurden Festtage und öffentliche Akte komisch geschildert: ‘Die Hochzeit’, ‘Der erste März’, ‘Pantalon Wahlkandidat’; ebenso fremde Nationalitäten: die transalpinischen Gallier, die Syrer; vor allem häufig erschienen auf den Brettern die einzelnen Gewerbe: der Küster, der Wahrsager, der Vogelschauer, der Arzt, der Zöllner, der Maler, Fischer, Bäcker gingen über die Bühne; die Ausrufer hatten viel zu leiden und mehr noch die Walker, die in der römischen Narrenwelt die Rolle unserer Schneider gespielt zu haben scheinen. Wenn also dem mannigfaltigen städtischen Leben sein Recht geschah, so ward auch der Bauer mit seinen Leiden und Freuden nach allen Seiten dargestellt - von der Fülle dieses ländlichen Repertoires geben eine Ahnung die zahlreichen derartigen Titel, wie zum Beispiel ‘Die Kuh’, ‘Der Esel’, ‘Das Zicklein’, ‘Die Sau’, ‘Das Schwein’, ‘Das kranke Schwein, ‘Der Bauer, ‘Der Landmann, ‘Pantalon Landmann, ‘Der Rinderknecht, ‘Die Winzer, ‘Der Feigensammler’, ‘Das Holzmachen’, ‘Das Behacken, ‘Der Hühnerhof’. Immer noch waren es in diesen Stücken die stehenden Figuren des dummen und des pfiffigen Dieners, des guten Alten, des weisen Mannes, die das Publikum ergötzten; namentlich der erste durfte nicht fehlen, der Pulcinell dieser Posse, der gefräßige, unflätige ausstaffiert häßliche und dabei ewig verliebte Maccus, immer im Begriff, über seine eigenen Füße zu fallen, von allen mit Hohn und mit Prügeln bedacht und endlich am Schluß der regelmäßige Sündenbock - die Titel ‘Pulcinell Soldat, ‘Pulcinell Wirt’, ‘Jungfer Pulcinell’, ‘Pulcinell in der Verbannung, ‘Die beiden Pulcinelle’ mögen dem gutgelaunten Leser eine Ahnung davon geben, wie mannigfaltig es auf der römischen Mummenschanz herging. Obwohl diese Possen, wenigstens seit sie geschrieben wurden, den allgemeinen Gesetzen der Literatur sich fügten und in den Versmaßen zum Beispiel der griechischen Bühne sich anschlossen, so hielten sie doch sich natürlicherweise bei weitem latinischer und volkstümlicher als selbst das nationale Lustspiel; in die griechische Welt begab sich die Posse nur in der Form der travestierten Tragödie ^12 und auch dies Genre scheint erst von Novius und überhaupt nicht sehr häufig kultiviert worden zu sein. Die Posse dieses Dichters wagte sich auch schon, wo nicht bis in den Olymp, doch wenigstens bis zu dem menschlichsten der Götter, dem Hercules; er schrieb einen ‘Hercules Auctionator’. Daß der Ton nicht der feinste war, versteht sich; sehr unzweideutige Zweideutigkeiten, grobkörnige Bauernzoten, Kinder schreckende und gelegentlich fressende Gespenster gehörten hier einmal mit dazu, und persönliche Anzüglichkeiten, sogar mit Nennung der Namen, schlüpften nicht selten durch. Aber es fehlte auch nicht an lebendiger Schilderung, an grotesken Einfällen, schlagenden Späßen, kernigen Sprüchen, und die Harlekinade gewann sich rasch eine nicht unansehnliche Stellung im Bühnenleben der Hauptstadt und selbst in der Literatur.

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7 Es knüpfen sich an diesen Namen seit alter Zeit eine Reihe von Irrtümern. Das arge Versehen griechischer Berichterstatter, daß diese Possen in Rom in oskischer Sprache gespielt worden seien, wird mit Recht jetzt allgemein verworfen; allein es stellt bei genauerer Betrachtung sich nicht minder als unmöglich heraus diese, in der Mitte des latinischen Stadt- und Landlebens stehenden Stücke überhaupt auf das national oskische Wesen zu beziehen. Die Benennung des “Atellanischen Spiels” erklärt sich auf eine andere Weise. Die latinische Posse mit ihren festen Rollen und stehenden Späßen bedurfte einer bleibenden Szenerie; die Narrenwelt sucht überall sich ein Schildburg. Natürlich konnte bei der römischen Bühnenpolizei keine der römischen oder auch nur mit Rom verbündeten latinischen Gemeinden dazu genommen werden, obwohl die togatae in diese zu verlegen gestattet war. Atella aber, das mit Capua zugleich im Jahre 543 (211) rechtlich vernichtet ward, tatsächlich aber als ein von römischen Bauern bewohntes Dorf fortbestand, eignete sich dazu in jeder Beziehung. Zur Gewißheit wird diese Vermutung durch die Wahrnehmung, daß einzelne dieser Possen auch in anderen überhaupt oder doch rechtlich nicht mehr existierenden Gemeinden des lateinisch redenden Gebiets spielen: so des Pomponius Campani, vielleicht auch seine Adelphi und seine Quinquatria in Capua, des Novius milites Pometinenses in Suessa Pometia, während keine bestehende Gemeinde ähnlich gemißhandelt wird. Die wirkliche Heimat dieser Stücke ist also Latium, ihr poetischer Schauplatz die latinisierte Oskerlandschaft; mit der oskischen Nation haben sie nichts zu tun. Daß ein Stück des Naevius († nach 550 200) in Ermangelung eigentlicher Schauspieler von “Atellanenspielern” aufgeführt ward und deshalb personata hieß (Festus u. d. W.), beweist hiergegen in keinem Fall; die Benennung “Atellanenspieler” wird hier proleptisch stehen, und man könnte sogar danach vermuten, daß sie früher “Maskenspieler” (personati) hießen.

Ganz in gleicher Weise erklären sich endlich auch die “Lieder von Fescennium”, die gleichfalls zu der parodischen Poesie der Römer gehören und in der südetruskischen Ortschaft Fescennium lokalisiert wurden, ohne darum mehr zu der etruskischen Poesie gerechnet werden zu dürfen als die Atellanen zur oskischen. Daß Fescennium in historischer Zeit nicht Stadt, sondern Dorf war, läßt sich allerdings nicht unmittelbar beweisen, ist aber nach der Art, wie die Schriftsteller des Ortes gedenken und nach dem Schweigen der Inschriften im höchsten Grade wahrscheinlich.

8 Die enge und ursprüngliche Verbindung, in die namentlich Livius die Atellanenposse mit der Satura und dem aus dieser sich entwickelnden Schauspiel bringt, ist schlechterdings nicht haltbar. Zwischen dem Histrio und dem Atellanenspieler war der Unterschied ungefähr ebenso groß wie heutzutage zwischen dem, der auf die Bühne und dem, der auf den Maskenball geht; auch zwischen dem Schauspiel, das bis auf Terenz keine Masken kannte, und der Atellane, die wesentlich auf der Charaktermaske beruhte, besteht ein ursprünglicher, in keiner Weise auszugleichender Unterschied. Das Schauspiel ging aus von dem Flötenstücke, das anfangs ohne alle Rezitation bloß auf Gesang und Tanz sich beschränkte, sodann einen Text (satura), endlich durch Andronicus ein der griechischen Schaubühne entlehntes Libretto erhielt, worin die alten Flötenlieder ungefähr die Stelle des griechischen Chors einnahmen. Mit der Dilettantenposse berührt sich dieser Entwicklungsgang in den früheren Stadien nirgends.

9 In der Kaiserzeit ward die Atellane durch Schauspieler von Profession dargestellt (Friedländer in Beckers Handbuch, Bd. 6, S. 549). Die Zeit, wo diese anfingen, sich mit ihr zu befassen, ist nicht überliefert, kann aber kaum eine andere gewesen sein als diejenige, in welcher die Atellane unter die regelmäßigen Bühnenspiele eintrat, das heißt die vorciceronische Epoche, (Cic. ad fam. 9, 16). Damit ist nicht im Widerspruch, daß noch zu Livius’ (7, 2) Zeit die Atellanenspieler im Gegensatz der übrigen Schauspieler ihre Ehrenrechte behielten; denn damit, daß Schauspieler von Profession gegen Bezahlung die Atellane mitaufzuführen anfingen, ist noch gar nicht gesagt, daß dieselbe nicht mehr, zum Beispiel in den Landstädten, von unbezahlten Dilettanten aufgeführt ward und das Privilegium also fortwährend anwendbar blieb.

^10 Es verdient Beachtung, daß die griechische Posse nicht bloß vorzugsweise in Unteritalien zu Hause ist, sondern auch manche ihrer Stücke (zum Beispiel unter denen des Sopatros ‘Das Linsengericht, ‘Bakchis’ Freier, ‘Des Mystakos Lohnlakai, ‘Die Gelehrtem, ‘Der Physiolog’) lebhaft an die Atellanen erinnern. Auch muß diese Possendichtung bis in die Zeit hinabgereicht haben, wo die Griechen in und um Neapel eine Enklave in dem lateinisch redenden Kampanien bildeten; denn einer dieser Possenschreiber, Blaesus von Capreae, führt schon einen römischen Namen und schrieb eine Posse ‘Saturnus’.

^11 Nach Eusebius blühte Pomponius um 664 (90); Velleius nennt ihn Zeitgenossen des Lucius Crassus (614-663 140-91) und Marcus Antonius (611-667 143-87). Die erste Ansetzung dürfte um ein Menschenalter zu spät sein; die um 650 100 abgekommene Rechnung nach Victoriaten kommt in seinen ‘Malern’ noch vor, und um das Ende dieser Periode begegnen auch schon die Mimen, welche die Atellanen von der Bühne verdrängten.

^12 Lustig genug mochte sie auch hier sein. So hieß es in Novius’ ‘Phönissen’:

Auf! waffne dich! mit der Binsenkeule schlag ich dich tot!

ganz wie Menanders ‘falscher Herakles’ auftritt.

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Was endlich die Entwicklung des Bühnenwesens anlangt, so sind wir nicht imstande, im einzelnen darzulegen, was im ganzen klar erhellt, daß das allgemeine Interesse an den Bühnenspielen beständig im Steigen war und dieselben immer häufiger und immer prachtvoller wurden. Nicht bloß ward jetzt wohl kaum ein ordentliches oder außerordentliches Volksfest ohne Bühnenspiele begangen, auch in den Landstädten und Privathäusern wurden Vorstellungen gemieteter Schauspielertruppen gewöhnlich. Zwar entbehrte, während wahrscheinlich manche Munizipalstadt schon in dieser Zeit ein steinernes Theater besaß, die Hauptstadt eines solchen noch immer; den schon verdungenen Theaterbau hatte der Senat im Jahre 599 (185) auf Veranlassung des Publius Scipio Nasica wieder inhibiert. Es war das ganz im Geiste der scheinheiligen Politik dieser Zeit, daß man aus Respekt vor den Sitten der Väter die Erbauung eines stehenden Theaters verhinderte, aber nichtsdestoweniger die Theaterspiele reißend zunehmen und Jahr aus Jahr ein ungeheure Summen verschwenden ließ, um Brettergerüste für dieselben aufzuschlagen und zu dekorieren. Die Bühneneinrichtungen hoben sich zusehends. Die verbesserte Inszenierung und die Wiedereinführung der Masken um die Zeit des Terenz hängt wohl ohne Zweifel damit zusammen, daß die Einrichtung und Instandhaltung der Bühne und des Bühnenapparats im Jahre 580 (74) auf die Staatskasse übernommen ward ^13. Epochemachend in der Theatergeschichte wurden die Spiele, welche Lucius Mummius nach der Einnahme von Korinth gab (609 145). Wahrscheinlich wurde damals zuerst ein nach griechischer Art akustisch gebautes und mit Sitzplätzen versehenes Theater aufgeschlagen und überhaupt auf die Spiele mehr Sorgfalt verwandt ^14. Nun ist auch von Erteilung eines Siegespreises, also von Konkurrenz mehrerer Stücke, von lebhafter Parteinahme des Publikums für und gegen die Hauptschauspieler, von Clique und Claque mehrfach die Rede. Dekorationen und Maschinerie wurden verbessert: kunstmäßig gemalte Kulissen und hörbare Theaterdonner kamen unter der Ädilität des Gaius Claudius Pulcher 655 (99) auf ^15, zwanzig Jahre später (675 79) unter der Ädilität der Brüder Lucius und Marcus Lucullus, die Verwandlung der Dekorationen durch Umdrehung der Kulissen. Dem Ende dieser Epoche gehört der größte römische Schauspieler an, der Freigelassene Quintus Roscius († um 692 62 hoch bejahrt), durch mehrere Generationen hindurch der Schmuck und Stolz der römischen Bühne ^16, Sullas Freund und gern gesehener Tischgenosse, auf den noch später zurückzukommen sein wird.

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^13 Bisher hatte der Spielgeber die Bühne und den szenischen Apparat aus der ihm überwiesenen Pauschsumme oder auf eigene Kosten instand setzen müssen und wird wohl nicht oft hierauf viel Geld gewendet worden sein. Im Jahre 580 (174) aber gaben die Zensoren die Einrichtung der Bühne für die Spiele der Ädilen und Prätoren besonders in Verding (Liv. 41, 27); daß der Bühnenapparat jetzt nicht mehr bloß für einmal angeschafft ward, wird zu einer merklichen Verbesserung desselben geführt haben.

^14 Die Berücksichtigung der akustischen Vorrichtungen der Griechen folgt wohl aus Vitr. 5, 5, B. Über die Sitzplätze hat F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 227, XX) gesprochen; doch dürften (nach Plaut. Capt. prol. 11) nur diejenigen, welche nicht capite censi waren, Anspruch auf einen solchen gehabt haben. Wahrscheinlich gehen übrigens zunächst auf diese epochemachenden Theaterspiele des Mummius (Tac. arm. 14, 21) die Worte des Horaz, daß “das gefangene Griechenland den Sieger gefangen nahm”.

^15 Die Kulissen des Pulcher müssen ordentlich gemalt gewesen sein, da die Vögel versucht haben sollen, sich auf die Ziegel derselben zu setzen (Plin nat. 35, 4 23; Val. Max. 2, 4, 6). Bis dahin hatte die Donnermaschinerie darin bestanden, daß Nägel und Steine in einem kupfernen Kessel geschüttelt wurden; erst Pulcher stellte einen besseren Donner durch gerollte Steine her - das nannte man seitdem “Claudischen Donner” (Festus v. Claudiana p. 57).

^16 Unter den wenigen, aus dieser Epoche erhaltenen kleineren Gedichten findet

sich folgendes Epigramm auf diesen gefeierten Schauspieler:

  Constiteram, exorientem Auroram forte salutans,

   Cum subito a laeva Roscius exoritur.

  Pace mihi liceat, caelestes, dicere vestra:

   Mortalis visust pulchrior esse deo.

  Jüngsthin stand ich, die Sonne verehrend eben im Aufgehn:

   Da zur Linken mir, schau! plötzlich geht Roscius auf.

  Zürnet, ihr Himmlischen, nicht, wenn was ich gedacht ich gestehe:

   Schöner fürwahr als der Gott deuchte der Sterbliche mir.

Der Verfasser dieses griechisch gehaltenen und von griechischem Kunstenthusiasmus eingegebenen Epigramms ist kein geringerer Mann als der Besieger der Kimbrer, Quintus Lutatius Catulus, Konsul 652 (102).

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In der rezitativen Poesie fällt vor allem die Nichtigkeit des Epos auf, das im sechsten Jahrhundert unter der zum Lesen bestimmten Literatur entschieden den ersten Platz eingenommen hatte, im siebenten zwar zahlreiche Vertreter fand, aber nicht einen einzigen von auch nur vorübergehendem Erfolg. Aus der gegenwärtigen Epoche ist kaum etwas zu nennen als eine Anzahl roher Versuche, den Homer zu übersetzen und einige Fortsetzungen der Ennianischen Jahrbücher, wie des Hostius ‘Histrischer Krieg’ und des Aulus Furius (um 650 100) ‘Jahrbücher (vielleicht) des Gallischen Krieges’, die allem Anschein nach unmittelbar da fortfuhren, wo Ennius in der Beschreibung des Histrischen Krieges von 576 (178) und 577 (177) aufgehört hatte. Auch in der didaktischen und elegischen Poesie erscheint nirgends ein hervorragender Name. Die einzigen Erfolge, welche die rezitative Dichtkunst dieser Epoche aufzuweisen hat, gehören dem Gebiete der sogenannten Satura an, derjenigen Kunstgattung, die gleich dem Briefe oder der Broschüre jede Form zuläßt und jeden Inhalt aufnimmt, darum auch aller eigentlichen Gattungskriterien ermangelnd, durchaus nach der Individualität eines jeden Dichters sich individualisiert und nicht bloß auf der Grenze von Poesie und Prosa, sondern schon mehr als zur Hälfte außerhalb der eigentlichen Literatur steht. Die launigen poetischen Episteln, die einer der jüngeren Männer des Scipionischen Kreises, Spurius Mummius, der Bruder des Zerstörers von Korinth, aus dem Lager von Korinth an seine Freunde daheim gesandt hatte, wurden noch ein Jahrhundert später gern gelesen; und es mögen dergleichen nicht zur Veröffentlichung bestimmte poetische Scherze aus dem reichen geselligen und geistigen Leben der besseren Zirkel Roms damals zahlreich hervorgegangen sein. Ihr Vertreter in der Literatur ist Gaius Lucilius (606-651 148-103), einer angesehenen Familie der latinischen Kolonie Suessa entsprossen und gleichfalls ein Glied des Scipionischen Kreises. Auch seine Gedichte sind gleichsam offene Briefe an das Publikum, ihr Inhalt, wie ein geistreicher Nachfahre anmutig sagt, das ganze Leben des gebildeten unabhängigen Mannes, der den Vorgängen auf der politischen Schaubühne vom Parkett und gelegentlich von den Kulissen aus zusieht, der mit den Besten seiner Zeit verkehrt als mit seinesgleichen, der Literatur und Wissenschaft mit Anteil und Einsicht verfolgt, ohne doch selbst für einen Dichter oder Gelehrten gelten zu wollen, und der endlich für alles, was im Guten und Bösen ihm begegnet, für politische Erfahrungen und Erwartungen, für Sprachbemerkungen und Kunsturteile, für eigene Erlebnisse, Besuche, Diners, Reisen wie für vernommene Anekdoten sein Taschenbuch zum Vertrauten nimmt. Kaustisch, kapriziös, durchaus individuell hat die Lucilische Poesie doch eine scharf ausgeprägte oppositionelle und insofern auch lehrhafte Tendenz, literarisch sowohl wie moralisch und politisch; auch in ihr ist etwas von der Auflehnung der Landschaft gegen die Hauptstadt, herrscht das Selbstgefühl des rein redenden und ehrenhaft lebenden Suessaners im Gegensatz gegen das große Babel der Sprachmengerei und Sittenverderbnis. Die Richtung des Scipionischen Kreises auf literarische, namentlich sprachliche Korrektheit findet kritisch ihren vollendetsten und geistreichsten Vertreter in Lucilius. Er widmete gleich sein erstes Buch dem Begründer der römischen Philologie, Lucius Stilo, und bezeichnete als das Publikum, für das er schrieb, nicht die gebildeten Kreise reiner und mustergültiger Rede, sondern die Tarentiner, die Brettier, die Siculer, das heißt die Halbgriechen Italiens, deren Lateinisch allerdings eines Korrektivs wohl bedürfen mochte. Ganze Bücher seiner Gedichte beschäftigen sich mit der Feststellung der lateinischen Orthographie und Prosodie, mit der Bekämpfung pränestinischer, sabinischer, etruskischer Provinzialismen, mit der Ausmerzung gangbarer Solözismen, woneben der Dichter aber keineswegs vergißt, den geistlos schematischen Isokrateischen Wort- und Phrasenpurismus zu verhöhnen ^17 und selbst dem Freunde Scipio die exklusive Feinheit seiner Rede in recht ernsthaften Scherzen vorzurücken ^18. Aber weit ernstlicher noch als das reine einfache Latein predigt der Dichter reine Sitte im Privat- und im öffentlichen Leben. Seine Stellung begünstigte ihn hierbei in eigener Art. Obwohl durch Herkunft, Vermögen und Bildung den vornehmen Römern seiner Zeit gleichstehend und Besitzer eines ansehnlichen Hauses in der Hauptstadt, war er doch nicht römischer Bürger, sondern latinischer; selbst sein Verhältnis zu Scipio, unter dem er in seiner ersten Jugend den Numantinischen Krieg mitgemacht hatte und in dessen Hause er häufig verkehrte, mag damit zusammenhängen, daß Scipio in vielfachen Beziehungen zu den Latinern stand und in den politischen Fehden der Zeit ihr Patron war. Die öffentliche Laufbahn war ihm hierdurch verschlossen und die Spekulantenkarriere verschmähte er - er mochte nicht, wie er einmal sagt, “aufhören, Lucilius zu sein, um asiatischer Steuerpächter zu werden”. So stand er in der schwülen Zeit der Gracchischen Reformen und des sich vorbereitenden Bundesgenossenkrieges, verkehrend in den Palästen und Villen der römischen Großen und doch nicht gerade ihr Klient, zugleich mitten in den Wogen des politischen Koterien- und Parteikampfes und doch nicht unmittelbar an jenem und diesem beteiligt; ähnlich wie Béranger, an den gar vieles in Lucilius’ politischer und poetischer Stellung erinnert. Von diesem Standpunkt aus sprach er mit unverwüstlichem gesunden Menschenverstand, mit unversiegbarer guter Laune und ewig sprudelndem Witz hinein in das öffentliche Leben.

Jetzt aber am Fest- und Werkeltag

Den ganzen lieben langen Tag

Auf dem Markte von früh bis Spat

Drängen die Bürger und die sich vom Rat

Und weichen und wanken nicht von der Statt.

Ein Handwerk einzig und allein

Betreiben alle insgemein,

Den andern zu prellen mit Verstand,

Im Lügen zu haben die Vorderhand

Und zu werden im Schmeicheln und Heucheln gewandt.

All’ untereinandern belauern sie sich,

Als läge jeder mit jedem im Krieg ^19.

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^17 Quam lepide λέξεις, compostae ut tesserulae omnes

Arte pavimento atque emblemate vermiculato!

Ei, die niedliche Phrasenfabrik!

Gefügt so zierlich Stück für Stück,

Wie die Stifte im bunten Mosaik.

^18 Der Dichter rät ihm:

Quo facetior videare et scire plus quam ceteri,

Daß du gebildeter als die andern heißest und ein feinerer Mann,

- nicht pertaesum, sondern pertisum zu sagen.

^19 Nunc vero a mane ad noctem, festo atque profesto

Toto itidem pariterque die populusque patresque

Iactare endo foro se omnes, decedere nusquam.

Uni se atque eidem studio omnes dedere et arti:

Verba dare ut acute possint, pugnare dolose,

Blanditia certare, bonun simulare virum se,

Insidias facere ut si hostes sint omnibus omnes.

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Die Erläuterungen zu diesem unerschöpflichen Text griffen schonungslos, ohne die Freunde, ja ohne den Dichter selbst zu vergessen, die Übelstände der Zeit an, das Koteriewesen, den endlosen spanischen Kriegsdienst und was dessen mehr war; gleich die Eröffnung seiner Satiren war eine große Debatte des olympischen Göttersenats über die Frage, ob Rom es noch ferner verdiene, des Schutzes der Himmlischen sich zu erfreuen. Körperschaften, Stände, Individuen wurden überall einzeln mit Namen genannt; die der römischen Bühne verschlossene Poesie der politischen Polemik ist das rechte Element und der Lebenshauch der Lucilischen Gedichte, die mit einer selbst in den auf uns gekommenen Trümmern noch entzückenden Macht des schlagendsten und bilderreichsten Witzes “gleichwie mit gezogenem Schwerte” auf den Feind eindringen und ihn zermalmen. Hier, in dem sittlichen Übergewicht und dem stolzen Freiheitsgefühl des Dichters von Suessa, liegt der Grund, weshalb der feine Venusianer, der in der alexandrinischen Zeit der römischen Poesie die Lucilische Satire wiederaufnahm, trotz aller Überlegenheit im Formgeschick mit richtiger Bescheidenheit dem älteren Poeten weicht als “seinem Besseren”. Die Sprache ist die des griechisch und lateinisch durchgebildeten Mannes, der durchaus sich gehen läßt; ein Poet wie Lucilius, der angeblich vor Tisch zweihundert und nach Tisch wieder zweihundert Hexameter machte, ist viel zu eilig, um knapp zu sein; unnützige Weitläufigkeit, schluderige Wiederholung derselben Wendung, arge Nachlässigkeiten begegnen. häufig; das erste Wort, lateinisch oder griechisch, ist immer das beste. Ähnlich sind die Maße, namentlich der sehr vorherrschende Hexameter behandelt; wenn man die Worte umstellt, sagt sein geistreicher Nachahmer, so würde kein Mensch merken, daß er etwas anderes vor sich habe als einfache Prosa; der Wirkung nach lassen sie sich nur mit unseren Knüttelversen vergleichen 20. Die Terenzischen und die Lucilischen Gedichte stehen auf demselben Bildungsniveau und verhalten sich wie die sorgsam gepflegte und gefeilte literarische Arbeit zu dem mit fliegender Feder geschriebenen Brief. Aber die unvergleichlich höhere geistige Begabung und freiere Lebensanschauung, die der Ritter von Suessa vor dem afrikanischen Sklaven voraus hatte, machten seinen Erfolg ebenso rasch und glänzend, wie der des Terenz mühsam und zweifelhaft gewesen war; Lucilius war sofort der Liebling der Nation und auch er konnte wie Béranger von seinen Gedichten sagen, “daß sie allein unter allen vom Volke gelesen würden”. Die ungemeine Popularität der Lucilischen Gedichte ist auch geschichtlich ein bemerkenswertes Ereignis; man sieht daraus, daß die Literatur schon eine Macht war, und ohne Zweifel würden wir die Spuren derselben, wenn eine eingehende Geschichte dieser Zeit sich erhalten hätte, darin mehrfach antreffen. Die Folgezeit hat das Urteil der Zeitgenossen nur bestätigt; die antialexandrinisch gesinnten römischen Kunstrichter sprachen dem Lucilius den ersten Rang unter allen lateinischen Dichtern zu. Soweit die Satire überhaupt als eigene Kunstform angesehen werden kann, hat Lucilius sie erschaffen und in ihr die einzige Kunstgattung, welche den Römern eigentümlich und von ihnen auf die Nachwelt vererbt worden ist.

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20 Folgendes längere Bruchstück ist charakteristisch für die stilistische und metrische Behandlung, deren Lotterigkeit sich in deutschen Hexametern unmöglich wiedergeben läßt:

Virtus, Albine, est pretium persolvere verum

Queis in versamur, queis vivimu’ rebu potesse;

Virtus est homini scire id quod quaeque habeat res;

Virtus scire homini rectum, utile quid sit, honestum,

Quae bona, guae mala item, quid inutile, turpe, inhonestum;

Virtus quaerendae rei finem scire modumque;

Virtus divitiis pretium persolvere posse;

Virtus id dare quod re ipsa debetur honori,

Hostem esse atque inimicum hominum morumque malorum.

Contra defensorem hominum morumque bonorum,

Hos magni facere, his bene velle, his vivere amicum;

Commoda praeterea patriae sibi prima putare,

Deinde parentum, tertia iam postremaque nostra.

Tugend ist zahlen den rechten Preis

Zu können nach ihrer Art und Weis

Für jede Sach’ in unserm Kreis;

Tugend, zu wissen, was jedes Ding

Mit sich für den Menschen bring’;

Tugend, zu wissen, was nützlich und recht,

Was gut und übel, unnütz und schlecht;

Tugend, wenn man dem Erwerb und Fleiß

Zu setzen die rechte Grenze weiß

Und dem Reichtum den rechten Preis;

Tugend, dem Rang zu geben sein Recht,

Feind zu sein Menschen und Sitten schlecht,

Freund Menschen und Sitten gut und recht;

Vor solchen zu hegen Achtung und Scheu,

Zu ihnen zu halten in Lieb’ und Treu;

Immer zu sehen am ersten Teil

Auf des Vaterlandes Heil,

Sodann auf das, was den Eltern frommt,

Und drittens der eigene Vorteil kommt.

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Von der an den Alexandrinismus anknüpfenden Poesie ist in Rom in dieser Epoche noch nichts zu nennen als kleinere, nach alexandrinischen Epigrammen übersetzte oder ihnen nachgebildete Gedichte, welche nicht ihrer selbst wegen, aber wohl als der erste Vorbote der jüngeren Literaturepoche Roms Erwähnung verdienen. Abgesehen von einigen wenig bekannten und auch der Zeit nach nicht mit Sicherheit zu bestimmenden Dichtern gehören hierher Quintus Catulus (Konsul 622 102) und Lucius Manlius, ein angesehener Senator, der im Jahre 657 (97) schrieb. Der letztere scheint manche der bei den Griechen landläufigen geographischen Märchen, zum Beispiel die delische Latonasage, die Fabeln von der Europa und von dem Wundervogel Phönix zuerst bei den Römern in Umlauf gebracht zu haben; wie es denn auch ihm vorbehalten war, auf seinen Reisen in Dodona jenen merkwürdigen Dreifuß zu entdecken und abzuschreiben, worauf das den Pelasgern vor ihrer Wanderung in das Land der Sikeler und Aboriginer erteilte Orakel zu lesen war - ein Fund, den die römischen Geschichtsbücher nicht versäumten, andächtig zu registrieren.

Die Geschichtschreibung dieser Epoche ist vor allen Dingen bezeichnet durch einen Schriftsteller, der zwar weder durch Geburt noch nach seinem geistigen und literarischen Standpunkt der italischen Entwicklung angehört, der aber zuerst oder vielmehr allein die Weltstellung Roms zur schriftstellerischen Geltung und Darstellung gebracht hat und dem alle späteren Geschlechter und auch wir das Beste verdanken, was wir von der römischen Entwicklung wissen. Polybios (ca. 546 - ca. 627 208-127) von Megalopolis im Peloponnes, des achäischen Staatsmannes Lykortas Sohn, machte, wie es scheint, schon 565 (189) den Zug der Römer gegen die kleinasiatischen Kelten mit und ward später, vielfach namentlich während des Dritten Makedonischen Krieges, von seinen Landsleuten in militärischen und diplomatischen Geschäften verwendet. Nach der durch diesen Krieg in Hellas herbeigeführten Krise wurde er mit den anderen achäischen Geiseln nach Italien abgeführt, wo er siebzehn Jahre (587-604 167-150) in der Konfinierung lebte und durch die Söhne des Paullus in die vornehmen hauptstädtischen Kreise eingeführt ward. Die Rücksendung der achäischen Geiseln führte ihn in die Heimat zurück, wo er fortan den stehenden Vermittler zwischen seiner Eidgenossenschaft und den Römern machte. Bei der Zerstörung von Karthago und von Korinth (608 146) war er gegenwärtig. Er schien vom Schicksal gleichsam dazu erzogen, Roms geschichtliche Stellung deutlicher zu erfassen, als die damaligen Römer selbst es vermochten. Auf dem Platze, wo er stand, ein griechischer Staatsmann und ein römischer Gefangener, seiner hellenischen Bildung wegen geschätzt und gelegentlich beneidet von Scipio Aemilianus und überhaupt den ersten Männern Roms, sah er die Ströme, die so lange getrennt geflossen waren, zusammenrinnen in dasselbe Bett und die Geschichte der Mittelmeerstaaten zusammengehen in die Hegemonie der römischen Macht und der griechischen Bildung. So ward Polybios der erste namhafte Hellene, der mit ernster Überzeugung auf die Weltanschauung des Scipionischen Kreises einging und die Überlegenheit des Hellenismus auf dem geistigen, des Römertums auf dem politischen Gebiet als Tatsachen anerkannte, über die die Geschichte in letzter Instanz gesprochen hatte und denen man beiderseits sich zu unterwerfen berechtigt und verpflichtet war. In diesem Sinne handelte er als praktischer Staatsmann und schrieb er seine Geschichte. Mochte er in der Jugend dem ehrenwerten, aber unhaltbaren achäischen Lokalpatriotismus gehuldigt haben, so vertrat er in seinen späteren Jahren, in deutlicher Einsicht der unvermeidlichen Notwendigkeit, in seiner Gemeinde die Politik des engsten Anschlusses an Rom. Es war das eine höchst verständige und ohne Zweifel wohlgemeinte, aber nichts weniger als hochherzige und stolze Politik. Auch von der Eitelkeit und Kleinlichkeit des derzeitigen hellenischen Staatsmannstums hat Polybios nicht vermocht, sich persönlich völlig frei zu machen. Kaum aus der Konfinierung entlassen, stellte er an den Senat den Antrag, daß er den Entlassenen, jedem in seiner Heimat, den ehemaligen Rang noch förmlich verbriefen möge, worauf Cato treffend bemerkte, ihm komme das vor, als wenn Odysseus noch einmal in die Höhle des Polyphemos zurückkehre, um sich von dem Riesen Hut und Gürtel auszubitten. Sein Verhältnis zu den römischen Großen hat er oft zum Besten seiner Landsleute benutzt, aber die Art, wie er der hohen Protektion sich unterwirft und sich berühmt, nähert sich doch einigermaßen dem Oberkammerdienertum. Durchaus denselben Geist, den seine praktische, atmet auch seine literarische Tätigkeit. Es war die Aufgabe seines Lebens, die Geschichte der Einigung der Mittelmeerstaaten unter der Hegemonie Roms zu schreiben. Vom ersten Punischen Krieg bis zur Zerstörung von Karthago und Korinth faßt sein Werk die Schicksale der sämtlichen Kulturstaaten, das heißt Griechenlands, Makedoniens, Kleinasiens, Syriens, Ägyptens, Karthagos und Italiens zusammen und stellt deren Eintreten in die römische Schutzherrschaft im ursächlichen Zusammenhang dar; insofern bezeichnet er es als sein Ziel, die Zweck- und Vernunftmäßigkeit der römischen Hegemonie zu erweisen. In der Anlage wie in der Ausführung steht diese Geschichtschreibung in scharfem und bewußtem Gegensatz gegen die gleichzeitige römische wie gegen die gleichzeitige griechische Historiographie. In Rom stand man noch vollständig auf dem Chronikenstandpunkt; hier gab es wohl einen bedeutungsvollen geschichtlichen Stoff, aber die sogenannte Geschichtschreibung beschränkte sich - mit Ausnahme der sehr achtbaren, aber rein individuellen und doch auch nicht über die Anfänge der Forschung wie der Darstellung hinausgelangten Schriften Catos - teils auf Ammenmärchen, teils auf Notizenbündel. Die Griechen hatten eine Geschichtsforschung und eine Geschichtschreibung allerdings gehabt; aber der zerfahrenen Diadochenzeit waren die Begriffe von Nation und Staat so vollständig abhanden gekommen, daß es keinem der zahllosen Historiker gelang, der Spur der großen attischen Meister im Geiste und in der Wahrheit zu folgen und den weltgeschichtlichen Stoff der Zeitgeschichte weltgeschichtlich zu behandeln. Ihre Geschichtschreibung war entweder rein äußerliche Aufzeichnung, oder es durchdrang sie der Phrasen- und Lügenkram der attischen Rhetorik, und nur zu oft die Feilheit und die Gemeinheit, die Speichelleckerei und die Erbitterung der Zeit. Bei den Römern wie bei den Griechen gab es nichts als Stadt- oder Stammgeschichten. Zuerst Polybios, ein Peloponnesier, wie man mit Recht erinnert hat, und geistig den Attikern wenigstens ebensofern stehend wie den Römern, überschritt diese kümmerlichen Schranken, behandelte den römischen Stoff mit hellenisch gereifter Kritik und gab zwar nicht eine universale, aber doch eine von den Lokalstaaten losgelöste und den im Werden begriffenen römisch-griechischen Staat erfassende Geschichte. Vielleicht niemals hat ein Geschichtschreiber so vollständig wie Polybios alle Vorzüge eines Quellenschriftstellers in sich vereinigt. Der Umfang seiner Aufgabe ist ihm vollkommen deutlich und jeden Augenblick gegenwärtig; und durchaus haftet der Blick auf dem wirklich geschichtlichen Hergang. Die Sage, die Anekdote, die Masse der wertlosen Chroniknotizen wird beiseite geworfen; die Schilderung der Länder und Völker, die Darstellung der staatlichen und merkantilen Verhältnisse, all die so unendlich wichtigen Tatsachen, die dem Annalisten entschlüpfen, weil sie sich nicht auf ein bestimmtes Jahr aufnageln lassen, werden eingesetzt in ihr lange verkümmertes Recht. In der Herbeischaffung des historischen Materials zeigt Polybios eine Umsicht und Ausdauer, wie sie im Altertum vielleicht nicht wiedererscheinen; er benutzt die Urkunden, berücksichtigt umfassend die Literatur der verschiedenen Nationen, macht von seiner günstigen Stellung zum Einziehen der Nachrichten von Mithandelnden und Augenzeugen den ausgedehntesten Gebrauch, bereist endlich planmäßig das ganze Gebiet der Mittelmeerstaaten und einen Teil der Küste des Atlantischen Ozeans 21. Die Wahrhaftigkeit ist ihm Natur; in allen großen Dingen hat er kein Interesse für diesen oder gegen jenen Staat, für diesen oder gegen jenen Mann, sondern einzig und allein für den wesentlichen Zusammenhang der Ereignisse, den im richtigen Verhältnis der Ursachen und Wirkungen darzulegen ihm nicht bloß die erste, sondern die einzige Aufgabe des Geschichtschreibers scheint. Die Erzählung endlich ist musterhaft vollständig, einfach und klar. Aber alle diese ungemeinen Vorzüge machen noch keineswegs einen Geschichtschreiber ersten Ranges. Polybios faßt seine literarische Aufgabe, wie er seine praktische faßte, mit großartigem Verstand, aber auch nur mit dem Verstande. Die Geschichte, der Kampf der Notwendigkeit und der Freiheit, ist ein sittliches Problem; Polybios behandelt sie, als wäre sie ein mechanisches. Nur das Ganze gilt für ihn, in der Natur wie im Staat; das besondere Ereignis, der individuelle Mensch, wie wunderbar sie auch erscheinen mögen, sind doch eigentlich nichts als einzelne Momente, geringe Räder in dem höchst künstlichen Mechanismus, den man den Staat nennt. Insofern war Polybios allerdings wie kein anderer geschaffen zur Darstellung der Geschichte des römischen Volkes, welches in der Tat das einzige Problem gelöst hat, sich zu beispielloser innerer und äußerer Größe zu erheben ohne auch nur einen im höchsten Sinne genialen Staatsmann, und das auf seinen einfachen Grundlagen mit wunderbarer fast mathematischer Folgerichtigkeit sich entwickelt. Aber das Moment der sittlichen Freiheit waltet in jeder Volksgeschichte und wurde auch in der römischen von Polybios nicht ungestraft verkannt. Polybios’ Behandlung aller Fragen, in denen Recht, Ehre, Religion zur Sprache kommen, ist nicht bloß platt, sondern auch gründlich falsch. Dasselbe gilt überall, wo eine genetische Konstruktion erfordert wird; die rein mechanischen Erklärungsversuche, die Polybios an deren Stelle setzt, sind mitunter geradezu zum Verzweifeln, wie es denn kaum eine törichtere politische Spekulation gibt, als die vortreffliche Verfassung Roms aus einer verständigen Mischung monarchischer, aristokratischer und demokratischer Elemente her- und aus der Vortrefflichkeit der Verfassung die Erfolge Roms abzuleiten. Die Auffassung der Verhältnisse ist überall bis zum Erschrecken nüchtern und phantasielos, die geringschätzige und superkluge Art, die religiösen Dinge zu behandeln, geradezu widerwärtig. Die Darstellung, in bewußter Opposition gegen die übliche, künstlerisch stilisierte griechische Historiographie gehalten, ist wohl richtig und deutlich, aber dünn und matt, öfter als billig in polemische Exkurse oder in memoirenhafte, nicht selten recht selbstgefällige Schilderung der eigenen Erlebnisse sich verlaufend. Ein oppositioneller Zug geht durch die ganze Arbeit; der Verfasser bestimmte seine Schrift zunächst für die Römer und fand doch auch hier nur einen sehr kleinen Kreis, der ihn verstand; er fühlte es, daß er den Römern ein Fremder, seinen Landsleuten ein Abtrünniger blieb und daß er mit seiner großartigen Auffassung der Verhältnisse mehr der Zukunft als der Gegenwart angehörte. Darum blieb er nicht frei von einer gewissen Verstimmtheit und persönlichen Bitterkeit, die in seiner Polemik gegen die flüchtigen oder gar feilen griechischen und die unkritischen römischen Historiker öfters zänkisch und kleinlich auftritt und aus dem Geschichtschreiber- in den Rezensententon fällt. Polybios ist kein liebenswürdiger Schriftsteller; aber wie die Wahrheit und Wahrhaftigkeit mehr ist als alle Zier und Zierlichkeit, so ist vielleicht kein Schriftsteller des Altertums zu nennen, dem wir so viele ernstliche Belehrung verdanken wie ihm. Seine Bücher sind wie die Sonne auf diesem Gebiet; wo sie anfangen, da heben sich die Nebelschleier, die noch die Samnitischen und den Pyrrhischen Krieg bedecken, und wo sie endigen, beginnt eine neue, womöglich noch lästigere Dämmerung.

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21 Dergleichen gelehrte Reisen waren übrigens bei den Griechen dieser Zeit nichts Seltenes. So fragt bei Plautus (Men. 248 vgl. 235) jemand, der das ganze Mittelländische Meer durchschifft hat:

Warum geh’ ich nicht

nach Hause, da ich doch keine Geschichte schreiben will?

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In einem seltsamen Gegensatz zu dieser großartigen Auffassung und Behandlung der römischen Geschichte durch einen Ausländer steht die gleichzeitige einheimische Geschichtsliteratur. Im Anfang dieser Periode begegnen noch einige griechisch geschriebene Chroniken, wie die schon erwähnte des Aulus Postumius (Konsul 603 151), voll übler Pragmatik, und die des Gaius Acilius (schloß in hohem Alter um 612 142); doch gewann unter dem Einfluß teils des catonischen Patriotismus, teils der feineren Bildung des Scipionischen Kreises die lateinische Sprache auf diesem Gebiet so entschieden die Vorhand, daß nicht bloß unter den jüngeren Geschichtswerken kaum ein oder das andere griechisch geschriebene vorkommt 22, sondern auch die älteren griechischen Chroniken ins Lateinische übersetzt und wahrscheinlich vorwiegend in diesen Übersetzungen gelesen wurden. Leider ist nur an den lateinisch geschriebenen Chroniken dieser Epoche außer dem Gebrauch der Muttersprache kaum weiter etwas zu loben. Sie waren zahlreich und ausführlich genug - genannt werden zum Beispiel die des Lucius Cassius Hemina (um 608 146), des Lucius Calpurnius Piso (Konsul 621 188), des Gaius Sempronius Tuditanus (Konsul 625 129), des Gaius Fannius (Konsul 632 122). Dazu kommt die Redaktion der offiziellen Stadtchronik in achtzig Büchern, welche Publius Mucius Scaevola (Konsul 621 133), ein auch als Jurist angesehener Mann, als Oberpontifex veranstaltete und veröffentlichte und damit dem Stadtbuch insofern seinen Abschluß gab, als die Pontifikalaufzeichnungen seitdem, wenn nicht gerade aufhörten, doch wenigstens bei der steigenden Betriebsamkeit der Privatchronisten nicht weiter literarisch in Betracht kamen. Alle diese Jahrbücher, mochten sie nun als Privat- oder als offizielle Werke sich ankündigen, waren wesentlich gleichartige Zusammenarbeitungen des vorhandenen geschichtlichen und quasigeschichtlichen Materials; und der Quellen- wie der formelle Wert sank ohne Zweifel in demselben Maße, wie ihre Ausführlichkeit stieg. Allerdings gibt es in der Chronik nirgends Wahrheit ohne Dichtung, und es wäre sehr töricht, mit Naevius und Pictor zu rechten, daß sie es nicht anders gemacht als Hekatäos und Saxo Grammaticus; aber die späteren Versuche, aus solchen Nebelwolken Häuser zu bauen, stellen auch die geprüfteste Geduld auf eine harte Probe. Keine Lücke der Überlieferung klafft so tief, daß diese glatte und platte Lüge sie nicht mit spielender Leichtigkeit überkleisterte. Ohne Anstoß werden die Sonnenfinsternisse, Zensuszahlen, Geschlechtsregister, Triumphe vom laufenden Jahre bis auf Anno eins rückwärts geführt; es steht geschrieben zu lesen, in welchem Jahr, Monat und Tag König Romulus gen Himmel gefahren ist und wie König Servius Tullius zuerst am 25. November 183 (571) und wieder am 25. Mai 187 (567) über die Etrusker triumphiert hat. Damit steht es denn im besten Einklang, daß man in den römischen Docks den Gläubigen das Fahrzeug wies, auf welchem Aeneas von Ilion nach Latium gefahren war, ja sogar ebendieselbe Sau, welche Aeneas als Wegweiser gedient hatte, wohl eingepökelt im römischen Vestatempel konservierte. Mit dem Lügemut eines Dichters verbinden diese vornehmen Chronikschreiber die langweiligste Kanzlistengenauigkeit und behandeln durchaus ihren großen Stoff mit derjenigen Plattheit, die aus dem Austreiben zugleich aller poetischen und aller historischen Elemente notwendig resultiert. Wenn wir zum Beispiel bei Piso lesen, daß Romulus sich gehütet habe, dann zu pokulieren, wenn er den andern Tag eine Sitzung gehabt; daß die Tarpeia die Burg den Sabinern aus Vaterlandsliebe verraten habe, um die Feinde ihrer Schilde zu berauben: so kann das Urteil verständiger Zeitgenossen über diese ganze Schreiberei nicht befremden, “daß das nicht heiße Geschichte schreiben, sondern den Kindern Geschichten erzählen”. Weit vorzüglicher waren einzelne Werke über die Geschichte der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart, namentlich die Geschichte des Hannibalischen Krieges von Lucius Coelius Antipater (um 633 121) und des wenig jüngeren Publius Sempronius Asellio Geschichte seiner Zeit. Hier fand sich wenigstens schätzbares Material und ernster Wahrheitssinn, bei Antipater auch eine lebendige, wenngleich stark manierierte Darstellung; doch reichte, nach allen Zeugnissen und Bruchstücken zu schließen, keines dieser Bücher weder in markiger Form noch in Originalität an die “Ursprungsgeschichten” Catos, der leider auf dem historischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen Schule gemacht hat. Stark vertreten sind auch, wenigsten der Masse nach, die untergeordneten, mehr individuellen und ephemeren Gattungen der historischen Literatur, die Memorien, die Briefe, die Reden. Schon zeichneten die ersten Staatsmänner Roms selbst ihre Erlebnisse auf: so Marcus Scaurus (Konsul 639 115), Publius Rufus (Konsul 649 105), Quintus Catulus (Konsul 652 102), selbst der Regent Sulla; doch scheint keine dieser Produktionen anders als durch ihren stofflichen Gehalt für die Literatur von Bedeutung gewesen zu sein. Die Briefsammlung der Cornelia, der Mutter der Gracchen, ist bemerkenswert teils durch die musterhaft reine Sprache und den hohen Sinn der Schreiberin, teils als die erste in Rom publizierte Korrespondenz und zugleich die erste literarische Produktion einer römischen Frau. Die Redeschriftstellerei bewahrte in dieser Periode den von Cato ihr aufgedrückten Stempel; Advokatenplädoyers wurden noch nicht als literarische Produktion angesehen, und was von Reden veröffentlicht ward, waren politische Pamphlete. Während der revolutionären Bewegung nahm diese Broschürenliteratur an Umfang und Bedeutung zu, und unter der Masse ephemerer Produkte fanden sich auch einzelne, die, wie Demosthenes’ Philippiken und Couriers fliegende Blätter, durch die bedeutende Stellung ihrer Verfasser und durch ihr eigenes Schwergewicht einen bleibenden Platz in der Literatur sich erwarben. So die Staatsreden des Gaius Laelius und des Scipio Aemilianus, Musterstücke des trefflichsten Latein wie des edelsten Vaterlandsgefühls; so die sprudelnden Reden des Gaius Titius, von deren drastischen Lokal- und Zeitbildern - die Schilderung des senatorischen Geschworenen ward früher mitgeteilt - das nationale Lustspiel manches entlehnt hat; so vor allem die zahlreichen Reden des Gaius Gracchus, deren flammende Worte den leidenschaftlichen Ernst, die baldige Haltung und das tragische Verhängnis dieser hohen Natur im treuen Spiegelbild bewahrten.

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22 Die einzige wirkliche Ausnahme, soweit wir wissen, ist die griechische Geschichte des Gnaeus Aufidius, der in Ciceros (Tusc. 5, 38, 112) Knabenzeit, also um 660 (90) blühte. Die griechischen Memoiren des Publius Rutilius Rufus (Konsul 649 105) sind kaum als Ausnahme anzusehen, da ihr Verfasser sie im Exil zu Smyrna schrieb.

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In der wissenschaftlichen Literatur begegnet in der juristischen Gutachtensammlung des Marcus Brutus, die um das Jahr 600 (150) veröffentlicht ward, ein bemerkenswerter Versuch, die bei den Griechen übliche dialogische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe nach Rom zu verpflanzen und durch eine nach Personen, Zeit und Ort bestimmte Szenerie des Gesprächs der Abhandlung eine künstlerische, halb dramatische Form zu geben. Indes die späteren Gelehrten, schon der Philolog Stilo und der Jurist Scaevola, ließen sowohl in den allgemeinen Bildungs- wie in den spezielleren Fachwissenschaften diese mehr poetische als praktische Methode fallen. Der steigende Wert der Wissenschaft als solcher und das in Rom überwiegende stoffliche Interesse an derselben spiegelt sich deutlich in diesem raschen Abwerfen der Fessel künstlerischer Form. Im einzelnen ist von den allgemein humanen Wissenschaften, der Grammatik oder vielmehr der Philologie, der Rhetorik und der Philosophie, insofern schon gesprochen worden, als dieselben jetzt wesentliche Bestandteile der gewöhnlichen römischen Bildung wurden und dadurch jetzt zuerst von den eigentlichen Fachwissenschaften anfingen sich abzusondern. Auf dem literarischen Gebiet blüht die lateinische Philologie fröhlich auf, im engen Anschluß an die längst sicher gegründete philologische Behandlung der griechischen Literatur. Es ward bereits erwähnt, daß um den Anfang dieses Jahrhunderts auch die lateinischen Epiker ihre Diaskeuasten und Textrevisoren fanden; ebenso ward hervorgehoben, daß nicht bloß der Scipionische Kreis überhaupt vor allem andern auf Korrektheit drang, sondern auch einzelne der namhaftesten Poeten, zum Beispiel Accius und Lucilius, sich mit Regulierung der Orthographie und der Grammatik beschäftigten. Gleichzeitig begegnen einzelne Versuche, von der historischen Seite her die Realphilologie zu entwickeln; freilich werden die Abhandlungen der unbeholfenen Annalisten dieser Zeit, wie die des Hemina ‘über die Zensoren’, des Tuditanus ‘über die Beamten’ schwerlich besser geraten sein als ihre Chroniken. Interessanter sind die Bücher über die Ämter von dem Freunde des Gaius Gracchus, Marcus Iunius, als der erste Versuch, die Altertumsforschung für politische Zwecke nutzbar zu machen 23, und die metrisch abgefaßten Didaskalien des Tragikers Accius, ein Anlauf zu einer Literargeschichte des lateinischen Dramas. Indes jene Anfänge einer wissenschaftlichen Behandlung der Muttersprache tragen noch ein sehr dilettantisches Gepräge und erinnern lebhaft an unsere Orthographieliteratur der Bodmer-Klopstockischen Zeit; auch die antiquarischen Untersuchungen dieser Epoche wird man ohne Unbilligkeit auf einen bescheidenen Platz verweisen dürfen. Derjenige Römer, der die lateinische Sprach- und Altertumsforschung im Sinne der alexandrinischen Meister wissenschaftlich begründete, war Lucius Aelius Stilo um 650 (100). Er zuerst ging zurück auf die ältesten Sprachdenkmäler und kommentierte die Saliarischen Litaneien und das römische Stadtrecht. Er wandte der Komödie des sechsten Jahrhunderts seine besondere Aufmerksamkeit zu und stellte zuerst ein Verzeichnis der nach seiner Ansicht echten Plautinischen Stücke auf. Er suchte nach griechischer Art die Anfänge einer jeden einzelnen Erscheinung des römischen Lebens und Verkehrs geschichtlich zu bestimmen und für jede den “Erfinder” zu ermitteln, und zog zugleich die gesamte annalistische Überlieferung in den Kreis seiner Forschung. Von dem Erfolg, der ihm bei seinen Zeitgenossen ward, zeugen die Widmungen des bedeutendsten dichterischen und des bedeutendsten Geschichtswerkes seiner Zeit, der Satiren des Lucilius und der Geschichtsbücher des Antipater; und auch für die Zukunft hat dieser erste römische Philolog die Studien seiner Nation bestimmt, indem er seine zugleich sprachliche und sachliche Forschung auf seinen Schüler Varro vererbte.

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23 Die Behauptung zum Beispiel, daß die Quästoren in der Königszeit von der Bürgerschaft, nicht vom König ernannt seien, ist ebenso sicher falsch als sie den Parteicharakter an der Stirn trägt.

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Mehr untergeordneter Art war begreiflicherweise die literarische Tätigkeit auf dem Gebiet der lateinischen Rhetorik; es gab hier nichts zu tun als Hand- und Übungsbücher nach dem Muster der griechischen Kompendien des Hermagoras und anderer zu schreiben, woran es denn freilich die Schulmeister, teils um des Bedürfnisses, teils um der Eitelkeit und des Geldes willen, nicht fehlen ließen. Von einem unbekannten Verfasser, der nach der damaligen Weise zugleich lateinische Literatur und lateinische Rhetorik lehrte und über beide schrieb, ist uns ein solches, unter Sullas Diktatur abgefaßtes Handbuch der Redekunst erhalten; eine nicht bloß durch die knappe, klare und sichere Behandlung des Stoffes, sondern vor allem durch die verhältnismäßige Selbständigkeit den griechischen Mustern gegenüber bemerkenswerte Lehrschrift. Obwohl in der Methode gänzlich abhängig von den Griechen, weist der Römer doch bestimmt und sogar schroff alles das ab, “was die Griechen an nutzlosem Kram zusammengetragen haben, einzig damit die Wissenschaft schwerer zu lernen erscheine”. Der bitterste Tadel trifft die haarspaltende Dialektik, diese “geschwätzige Wissenschaft der Redeunkunst”, deren vollendeter Meister, vor lauter Angst, sich zweideutig auszudrücken, zuletzt nicht mehr seinen eigenen Namen auszusprechen wagt. Die griechische Schulterminologie wird durchgängig und absichtlich vermieden. Sehr ernstlich warnt der Verfasser vor der Viellehrerei und schärft die goldene Regel ein, daß der Schüler von dem Lehrer vor allem dazu anzuleiten sei, sich selbst zu helfen; ebenso ernstlich erkennt er es an, daß die Schule Neben-, das Leben die Hauptsache ist, und gibt in seinen durchaus selbständig gewählten Beispielen den Widerhall derjenigen Sachwalterreden, die während der letzten Dezennien in der römischen Advokatenwelt Aufsehen gemacht hatten. Es verdient Aufmerksamkeit, daß die Opposition gegen die Auswüchse des Hellenismus, die früher gegen das Aufkommen einer eigenen lateinischen Redekunst sich gerichtet hatte, nach deren Aufkommen in dieser selbst sich fortsetzt und damit der römischen Beredsamkeit im Vergleich mit der gleichzeitigen griechischen theoretisch und praktisch eine höhere Würde und eine größere Brauchbarkeit sichert.

Die Philosophie endlich ist in der Literatur noch nicht vertreten, da weder sich aus innerem Bedürfnis eine nationalrömische Philosophie entwickelte noch äußere Umstände eine lateinische philosophische Schriftstellerei hervorriefen. Mit Sicherheit als dieser Zeit angehörig sind nicht einmal lateinische Übersetzungen populärer philosophischer Kompendien nachzuweisen; wer Philosophie trieb, las und disputierte griechisch.

In den Fachwissenschaften ist die Tätigkeit gering. So gut man auch in Rom verstand zu ackern und zu rechnen, so fand doch die physikalische und mathematische Forschung dort keinen Boden. Die Folgen der vernachlässigten Theorie zeigen sich praktisch in dem niedrigen Stande der Arzneikunde und einesteils der militärischen Wissenschaften. Unter allen Fachwissenschaften blüht nur die Jurisprudenz. Wir können ihre innerliche Entwicklung nicht chronologisch genau verfolgen; im ganzen trat das Sakralrecht mehr und mehr zurück und stand am Ende dieser Periode ungefähr wie heutzutage das kanonische; die feinere und tiefere Rechtsauffassung dagegen, welche an die Stelle der äußerlichen Kennzeichen die innerlich wirksamen Momente setzt, zum Beispiel die Entwicklung der Begriffe der böswilligen und der fahrlässigen Verschuldung, des vorläufig schutzberechtigten Besitzes, war zur Zeit der Zwölf Tafeln noch nicht, wohl aber in der ciceronischen Zeit vorhanden und mag der gegenwärtigen Epoche ihre wesentliche Ausbildung verdanken. Die Rückwirkung der politischen Verhältnisse auf die Rechtsentwicklung ist schon mehrfach angedeutet worden; sie war nicht immer vorteilhaft. Durch die Einrichtung des Erbschaftsgerichtshofs der Hundertmänner zum Beispiel trat auch in dem Vermögensrecht ein Geschworenenkollegium auf, das gleich den Kriminalbehörden, statt das Gesetz einfach anzuwenden, sich über dasselbe stellte und mit der sogenannten Billigkeit die rechtlichen Institutionen untergrub; wovon unter anderm eine Folge die unvernünftige Satzung war, daß es jedem, den ein Verwandter im Testament übergangen hat, freisteht, auf Kassierung des Testaments vor dem Gerichtshof anzutragen, und das Gericht nach Ermessen entscheidet. Bestimmter läßt die Entwicklung der juristischen Literatur sich erkennen. Sie hatte bisher auf Formulariensammlungen und Worterklärungen zu den Gesetzen sich beschränkt; in dieser Periode bildete sich zunächst eine Gutachtenliteratur, die ungefähr unseren heutigen Präjudikatensammlungen entspricht. Die Gutachten, die längst nicht mehr bloß von Mitgliedern des Pontifikalkollegiums, sondern von jedem, der Befrager fand, zu Hause oder auf offenem Markt erteilt wurden, und an die schon rationelle und polemische Erörterungen und die der Rechtswissenschaft eigentümlichen stehenden Kontroversen sich anknüpften, fingen um den Anfang des siebenten Jahrhunderts an, aufgezeichnet und in Sammlungen bekannt gemacht zu werden; es geschah dies zuerst von dem jüngeren Cato († um 600 150) und von Marcus Brutus (etwa gleichzeitig), und schon diese Sammlungen waren, wie es scheint, nach Materien geordnet 24. Bald schritt man fort zu einer eigentlich systematischen Darstellung des Landrechts. Ihr Begründer war der Oberpontifex Quintus Mucius Scaevola (Konsul 659, † 672 95, 82), in dessen Familie die Rechtswissenschaft wie das höchste Priestertum erblich war. Seine achtzehn Bücher ‘vom Landrecht, welche das positive juristische Material: die gesetzlichen Bestimmungen, die Präjudikate und die Autoritäten teils aus den älteren Sammlungen, teils aus der mündlichen Überlieferung in möglichster Vollständigkeit zusammenfaßten, sind der Ausgangspunkt und das Muster der ausführlichen römischen Rechtssysteme geworden; ebenso wurde seine resümierende Schrift ‘Definitionen’ (όρος) die Grundlage der juristischen Kompendien und namentlich der Regelbücher. Obwohl diese Rechtsentwicklung natürlich im wesentlichen von dem Hellenismus unabhängig vor sich ging, so hat doch die Bekanntschaft mit dem philosophisch-praktischen Schematismus der Griechen im allgemeinen unzweifelhaft auch zu der mehr systematischen Behandlung der Rechtswissenschaft den Anstoß gegeben, wie denn der griechische Einfluß bei der zuletzt genannten Schrift schon im Titel hervortritt. Daß in einzelnen mehr äußerlichen Dingen die römische Jurisprudenz durch die Stoa bestimmt ward, ward schon bemerkt.

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24 Catos Buch führte wohl den Titel ‘De iuris disciplina’ (Gell. 13, 20), das des Brutus den ‘De iure civili’ (Cic. Cluent. 51, 141; De orat. 2, 55, 223); daß es wesentlich Gutachtensammlungen waren, zeigt Cicero (De orat. 2, 33, 142).

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Die Kunst weist noch weniger erfreuliche Erscheinungen auf. In der Architektur, Skulptur und Malerei breitete zwar das dilettantische Wohlgefallen immer allgemeiner sich aus, aber die eigene Übung ging eher rück- als vorwärts. Immer gewöhnlicher ward es bei dem Aufenthalt in griechischen Gegenden, die Kunstwerke sich zu betrachten, wofür namentlich die Winterquartiere der Sullanischen Armee in Kleinasien 670/71 (84/83) epochemachend wurden. Die Kunstkennerschaft entwickelte sich auch in Italien. Mit silbernem und bronzenem Gerät hatte man angefangen; um den Anfang dieser Epoche begann man nicht bloß griechische Bildsäulen, sondern auch griechische Gemälde zu schätzen. Das erste im Rom öffentlich aufgestellte Bild war der Bakchos des Aristeides, den Lucius Mummius aus der Versteigerung der korinthischen Beute zurücknahm, weil König Attalos bis zu 6000 Denaren (1827 Taler) darauf bot. Die Bauten wurden glänzender, und namentlich kam der überseeische, besonders der hymettische Marmor (Cipollin) dabei in Gebrauch - die italischen Marmorbrüche waren noch nicht in Betrieb. Der prachtvolle, noch in der Kaiserzeit bewunderte Säulengang, den der Besieger Makedoniens, Quintus Metellus (Konsul 611 143), auf dem Marsfelde anlegte, schloß den ersten Marmortempel ein, den die Hauptstadt sah; bald folgten ähnliche Anlagen auf dem Kapitol durch Scipio Nasica (Konsul 616 138), nahe dem Rennplatz durch Gnaeus Octavius (Konsul 626 128). Das erste mit Marmorsäulen geschmückte Privathaus war das des Redners Lucius Crassus († 663 91) auf dem Palatin. Aber wo man plündern und kaufen konnte, statt selber zu schaffen, da geschah es; es ist ein schlimmes Armutszeugnis für die römische Architektur, daß sie schon anfing, die Säulen der alten griechischen Tempel zu verwenden, wie zum Beispiel das römische Kapitol durch Sulla mit denen des Zeustempels in Athen geschmückt ward. Was dennoch in Rom gearbeitet ward, ging aus den Händen von Fremden hervor; die wenigen römischen Künstler dieser Zeit, die namentlich erwähnt werden, sind ohne Ausnahme eingewanderte italische oder überseeische Griechen: so der Architekt Hermodoros aus dem kyprischen Salamis, der unter anderm die römischen Docks wiederherstellte und für Quintus Metellus (Konsul 611 143) den Tempel des Jupiter Stator in der von diesem angelegten Halle, für Decimus Brutus (Konsul 616 138) den Marstempel im Flaminischen Circus baute; der Bildhauer Pasiteles (um 665 89) aus Großgriechenland, der für römische Tempel Götterbilder aus Elfenbein lieferte; der Maler und Philosoph Metrodoros von Athen, der verschrieben ward, um die Bilder für den Triumph des Lucius Paullus (587 168) zu malen. Es ist bezeichnend, daß die Münzen dieser Epoche im Vergleich mit denen der vorigen zwar eine größere Mannigfaltigkeit der Typen, aber im Stempelschnitt eher einen Rück- als einen Fortschritt zeigen.

Endlich Musik und Tanz siedelten in gleicher Weise von Hellas über nach Rom, einzig, um daselbst zur Erhöhung des dekorativen Luxus verwandt zu werden. Solche fremdländischen Künste waren allerdings nicht neu in Rom; der Staat hatte seit alter Zeit bei seinen Festen etruskische Flötenbläser und Tänzer auftreten lassen und die Freigelassenen und die niedrigste Klasse des römischen Volkes auch bisher schon mit diesem Gewerbe sich abgegeben. Aber neu war es, daß griechische Tänze und musikalische Aufführungen die stehende Begleitung einer vornehmen Tafel wurden; neu war eine Tanzschule, wie Scipio Aemilianus in einer seiner Reden sie voll Unwillen schildert, in der über fünfhundert Knaben und Mädchen, die Hefe des Volkes und Kinder von Männern in Amt und Würden durcheinander, von einem Ballettmeister Anweisung erhielten, zu wenig ehrbaren Kastagnettentänzen, zu entsprechenden Gesängen und zum Gebrauch der verrufenen griechischen Saiteninstrumente. Neu war es auch - nicht so sehr, daß ein Konsular und Oberpontifex, wie Publius Scaevola (Konsul 621 133), auf dem Spielplatz ebenso bebend die Bälle fing, wie er daheim die verwickeltsten Rechtsfragen löste, als daß vornehme junge Römer bei den Festspielen Sullas vor allem Volke ihre Jockeykünste produzierten. Die Regierung versuchte wohl einmal, diesem Treiben Einhalt zu tun; wie denn zum Beispiel im Jahre 639 (115) alle musikalischen Instrumente mit Ausnahme der in Latium einheimischen einfachen Flöte von den Zensoren untersagt wurden. Aber Rom war kein Sparta; das schlaffe Regiment signalisierte mehr die Übelstände durch solche Verbote, als daß es durch scharfe und folgerichtige Anwendung ihnen abzuhelfen auch nur versucht hätte.

Werfen wir schließlich einen Blick zurück auf das Gesamtbild, das die Literatur und die Kunst Italiens von dem Tode des Ennius bis auf den Anfang der ciceronischen Zeit vor uns entfaltet, so begegnen wir auch hier in Vergleich mit der vorhergehenden Epoche dem entschiedensten Sinken der Produktivität. Die höheren Gattungen der Literatur sind abgestorben oder im Verkümmern, so das Epos, das Trauerspiel, die Geschichte. Was gedeiht, sind die untergeordneten Arten, die Übersetzung und die Nachbildung des Intrigenstücks, die Posse, die poetische und prosaische Broschüre; in diesem letzten, von der vollen Windsbraut der Revolution durchrasten Gebiet der Literatur begegnen wir den beiden größten literarischen Talenten dieser Epoche, dem Gaius Gracchus und dem Gaius Lucilius, die beide über eine Menge mehr oder minder mittelmäßiger Schriftsteller emporragen, wie in einer ähnlichen Epoche der französischen Literatur über eine Unzahl anspruchsvoller Nullitäten Courier und Béranger. Ebenso ist in den bildenden und zeichnenden Künsten die immer schwache Produktivität jetzt völlig null. Dagegen gedeiht der rezeptive Kunst- und Literaturgenuß; wie die Epigonen dieser Zeit auf dem politischen Gebiet die ihren Vätern angefallenen Erbschaften einziehen und ausnutzen, so finden wir sie auch hier als fleißige Schauspielbesucher, als Literaturfreunde, als Kunstkenner und mehr noch als Sammler. Die achtungswerteste Seite dieser Tätigkeit ist die gelehrte Forschung, die vor allem in der Rechtswissenschaft und in der Sprach- und Sachphilologie eigene geistige Anstrengung offenbart. Mit der Begründung dieser Wissenschaften, welche recht eigentlich in die gegenwärtige Epoche fällt, und zugleich mit den ersten geringen Anfängen der Nachdichtung der alexandrinischen Treibhauspoesie kündigt bereits die Epoche des römischen Alexandrinismus sich an. Alles, was diese Epoche geschaffen hat, ist glatter, fehlerfreier, systematischer als die Schöpfungen des sechsten Jahrhunderts; nicht ganz mit Unrecht sahen die Literaten und Literaturfreunde dieser Zeit auf ihre Vorgänger wie auf stümperhafte Anfänger herab. Aber wenn sie die Mangelhaftigkeit jener Anfängerarbeiten belächelten oder beschalten, so mochten doch auch eben die geistreichsten von ihnen sich es gestehen, daß die Jugendzeit der Nation vorüber war, und vielleicht diesen oder jenen doch wieder im stillen Grunde des Herzens die Sehnsucht beschleichen, den lieblichen Irrtum der Jugend abermals zu irren.