The Project Gutenberg eBook of Charaktere und Schicksale

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Title: Charaktere und Schicksale

Author: Hermann Heiberg

Release date: July 17, 2004 [eBook #12927]
Most recently updated: December 15, 2020

Language: German

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Charaktere und Schicksale

Roman von Hermann Heiberg

Berlin 1901

„Du darfst nicht böse werden, wenn ich es sage, lieber Friedrich! Aber daß du überhaupt auf solche Dinge Wert legst, ist mir bei deinen sonstigen Anschauungen unverständlich. Du bemühst dich darum, Kommerzienrat zu werden, und jetzt gerätst du sogar für unsere Margarete auf ehrgeizige Gedanken. Was sollen wir mit einem Schwiegersohn aus diesen Kreisen! — Ja, wenn er etwas wäre und besäße!“

Die Frau, die diese Worte an ihren Mann richtete, war die Gattin des Buchdruckereibesitzers und Zeitungsinhabers Friedrich Andreas Knoop. Sie saß ihrem Mann beim ersten Frühstück gegenüber, und schenkte ihm, während ihrer Rede, nicht nur den Kaffee in seine Tasse ein, sondern schob ihm auch — umsichtig für ihn besorgt — den Rahmguß und die Zuckerdose näher.

Während er sich aus beiden bediente, sagte er:

„Du hast recht, und du hast unrecht, Fanny! Vom allgemeinen, vernünftigen Standpunkt aus betrachtet, verrät ein Hinschielen nach Orden oder anderen Auszeichnungen keinen besonders erhabenen Geist Der in sich gefertigte, den tieferen Inhalt der Dinge erfassende Mensch legt auf solche Aeußerlichkeiten nicht nur keinen Wert, sondern überläßt das Haschen danach denen, die glauben, daß sie dadurch in der Welt irgend ein Spürchen mehr werden! Aber es giebt auch einen anderen Standpunkt! Von diesem aus lächelt man zwar im stillen über solchen Firlefanz, verschmäht ihn aber nicht, sondern thut etwas zu seiner Erlangung, weil eben andere ihm eine Bedeutung beilegen. Daraus erwachsen für den Geschäftsmann in der Welt der Aeußerlichkeiten mancherlei erhebliche, indirekte und direkte materielle Vorteile.“

„Ich glaube es nicht, Friedrich. Ich glaube, ein Wertlegen auf Titel und Orden entspringt allezeit einer gewissen Eitelkeit, deren sich ein wirklich ernsthafter Mann nicht schuldig machen sollte!“

„Na, und wenn's wirklich so wäre, — ist die Befriedigung unsrer Eitelkeit nicht auch etwas? Woraus besteht unser Dasein? Wir sollen uns Glücksmomente verschaffen; wir sollen uns zum Ausgleich für die mit dem Leben verbundenen Unfreundlichkeiten dasjenige für unsere Sinne herbeiholen, wodurch sie aufgerichtet werden, wodurch wir zu irgend einer edlen oder angenehmen Gemütserhebung gelangen!“

Auf diese an sich durchaus verständige Betrachtung entgegnete Frau Knoop nichts; sie warf aber einen freundlichen Blick zu ihrem Manne hinüber. Wenn sie jemanden in solcher Weise anblickte, empfing das eine, überhaupt nur eine Thätigkeit ausübende Auge einen etwas stechenden Ausdruck, und das erloschene andere schien wesentlich stärker hervorzutreten.

Friedrich Knoop stammte aus der nordischen Landschaft Dithmarschen. Sein
Vater war dort Mühlenbesitzer gewesen, und Frau Fanny war aus der
nordischen Landschaft Schwansen, woselbst sich ihr Vater als Pastor im
Amte befunden hatte.

Knoop hatte sich zufolge großer Energie und Umsicht zu einem sehr reichen Mann emporgeschwungen, stand im sechzigsten Lebensjahr, und besaß zwei Kinder: die erwähnte Margarete und einen Sohn, der zur Zeit in England war, um sich für die einstige Uebernahme des väterlichen Geschäfts noch weiter auszubilden.

Die Eheleute saßen, während sie sprachen, in einem Salon, der nach einem Garten führte und sich in einem hinteren Quergebäude befand, das zu einem mächtigen, in der Hauptstraße befindlichen Karree gehörte, in dem sich sowohl die Geschäfts- wie auch diese Wohnräume des Chefs der Firma befanden.

Ihre Unterredung wurde unterbrochen, weil die Tochter des Hauses ins
Frühstückszimmer trat.

Sie ging mit ruhig elastischem Schritt ihren Eltern näher, küßte beide auf die Wangen und sagte nach einer vorherigen Erkundigung nach deren Nachtruhe und Befinden:

„Du weißt doch, Papa, daß heute Baron von Klamm kommt, um sich von dir das Geschäft zeigen zu lassen. Um halb zwölf Uhr hat er sich angemeldet. Es paßt dir doch?“

„Ja, mein Kind. Ich werde bereit sein. — Sage übrigens einmal, wie kommt er dazu? Hat er wirklich Interesse für dergleichen, oder hat er Nebenzwecke?“

Margarete lächelte und entgegnete:

„Das glaube ich allerdings, Papa! Zudem aber ist er, wie mir scheint, wirklich ein Mann, der für alles Tüchtige Sinn, und an allem Freude hat. Unter den vielen jungen Leuten ist er in der That der einzige, mit dem man sich unterhalten kann. Er ist sehr anregend.“

„Bitte, verguck' dich nur nicht in einen solchen Adligen, Grete!“ fiel Frau Fanny ein. „Welchen Ausgang kann das haben! Er will doch schwerlich arbeiten, sondern sich nur von Papa ernähren lassen!“

„Das glaube ich nicht, Mutter!“

„Er ist doch nichts! Was hat er überhaupt bisher getrieben? Wer sind die Eltern? Wenn es nach mir ginge, würde Papa ihm nicht eher unser Haus öffnen, bevor er sich sehr genau nach ihm erkundigt hat.“

„Kann ja geschehen, Fanny!“ fiel Knoop phlegmatisch ein.

„Hm — aber du willst ihn doch schon empfangen?“

„Allerdings, aber ohne Verbindlichkeit für Weiteres. — Auch, wenn er euch seinen Besuch macht! Nicht wahr, Grete, das will er!?“

Grete nickte.

„Ja, er bat um die Erlaubnis, euch aufwarten zu dürfen. Er möchte gern bei uns verkehren.“

„Hast du Christine von Holm über ihn befragt?“ schob die Frau ein.

Christine von Holm war die Tochter des Ehepaars, bei denen Margarete in einer Abendgesellschaft Baron von Klamm kennen gelernt hatte.

„Was sagt sie, was weiß sie von ihm?“

„Die wissen nichts. Sie haben ihn auf einem Ball beim Kommerzienrat
Kügelchen kennen gelernt.

„Vielleicht vermag der Näheres zu sagen! Papa könnte sich ja dort nach ihm erkundigen.

„Ist er kein Gentleman, so brauchen wir ihn nicht einzuladen.“

„Ich werde schon zutreffende Erkundigungen über ihn einziehen, Kinder. Vorderhand werde ich mir heute selbst ein Urteil zu bilden suchen. Also rege dich nicht vor der Zeit unnötig auf, gute Frau Fanny.“

Bei diesen Worten suchte Knoop das Auge seiner Gattin, und sie zog ein schelmisches Gesicht. Grete aber bemerkte:

„Ich fragte Hauptmann von Uelzen nach ihm. Er sagte, die Klamms stammten aus Sachsen. Er sei ursprünglich österreichischer Offizier und dann einige Zeit im Ausland gewesen.

„Er halte sich hier seit anderthalb Jahren auf und suche eine
Thätigkeit, verkehre in den besten Kreisen, und mache immer den
Eindruck, daß er gut bei Kasse sei.“

„Nun wohl! Sehr schön! Sorge also für ein gutes Frühstück, Fanny, und empfangt ihn artig. Wir sehen dann weiter. — Ich muß jetzt —“

Knoop sah nach der Uhr und stand — im übrigen bedächtig im Wesen — rasch auf, legte die Serviette beiseite, schob den Stuhl mit einem ihm anhaftenden, starken Ordnungssinn unter den Tisch. Dann streichelte er, gutmütig lächelnd, Frau und Tochter die Wangen, warf auch noch beim Fortgehen ein Scherzwort hin und verließ das Zimmer.

Vor dem Garten- und Frühstückssalon befand sich ein schöner, heller Flur, der in Marmor ausgeführt war. Von ihm führten seitlich Thüren in die verschiedenen unteren Gemächer. Nach oben vermittelte eine in der Höhe durch eine Gallerie verbundene Marmortreppe den Auftritt. Dort befand sich ein großer Tanzsaal mit Nebenstuben, und dort lagen die Schlafräume, während sich unten die Wohn- und Gesellschaftszimmer ausdehnten.

Von ihnen führte eine Thür, zu der nur der Herr des Hauses einen Schlüssel besaß, in den Flügel links. Diesen betrat nun auch Herr Knoop, durchschritt die Räume, die vom Hofe Licht empfingen, und begab sich in sein vorn nach der Straße belegenes Kontor.

„Morgen! Morgen!“ erfolgte wiederholt, und fand Erwiderung, während er den Korridor durchmaß.

Redakteure der Zeitungen begaben sich eben grade in ihre Gemächer; der
Faktor, mit Korrekturen in der Hand, kam aus der Druckerei, um eine
Erkundigung im Hauptkontor beim Geschäftsführer einzuziehen, und in des
Chefs Vorzimmer standen und saßen bereits mehrere Personen, die auf sein
Erscheinen warteten.

„Morgen, Herr Knoop!“ erfolgte abermals ehrerbietig im Ton, und wurde durch Kopfnicken beantwortet. Dabei streifte der Chef mit kurzem, scharfem Blick die Anwesenden, gab seinem herbeieilenden Faktotum Auftrag, die draußen Wartenden noch zu bescheiden. Er wolle erst die Post durchsehen, und ließ sich sogleich an seinem Schreibtisch nieder. —

Das zweifenstrige Zimmer war sehr gediegen ausgestattet und mit allen praktischen Bequemlichkeiten der Neuzeit versehen. Elektrische Klingelfäden führten bis an das Pult des Chefs. Verschiedene weiße Knöpfe waren dort zu sehen und besaßen sämtlich Aufschriften. Sie gaben an, wer erscheinen sollte, wenn sich der Finger zum Druck auf ihre Flächen legte. Accidenzfaktor, Zeitungsfaktor, Magazinverwalter, Prokurist, Hausmeister, Kontordiener hatten verantwortlichere Stellungen im Knoopschen Geschäft inne und wurden nicht selten in das Kontor des Chefs befohlen, um seine Wünsche entgegenzunehmen. —

Unter den vielen Briefen, die Herr Friedrich Knoop zu öffnen und zu lesen hatte, und die meist mit Bemerkungen versehen, von ihm in Mappen gethan und vom Büreaudiener den Geschäfts-Abteilungsvorständen überbracht wurden, befanden sich heute auch zwei Privatschreiben, die seine Aufmerksamkeit besonders in Anspruch nahmen.

Das eine war von seinem älteren Bruder, einem zurückgekommenen
Kaufmann, der sich gegenwärtig als Agent in Braunschweig aufhielt.

In diesem Brief standen folgende Worte:

„Ich frage Dich, Friedrich, zum letztenmal, ob Du mir helfen willst. Wenn Du diesmal meine Zeilen auch nicht beantwortest, mußt Du gewärtig sein, daß die Zeitungen berichten, welche Ursachen daran Schuld waren, daß Theodor Knoop zu einem verzweiflungsvollen Schritt seine Zuflucht nahm. Gedenke unserer verstorbenen Eltern, gedenke, daß unsere Mutter uns beide unter ihrem Herzen trug, und überlege, ob ich nicht wenigstens — was auch immer gewesen sein mag — einer Erwiderung wert bin.“ —

Herr Friedrich Knoop zog die breite Stirn in dem runden, mit einem
Vollbart umrahmten Gesicht in Falten. Auch erhob er sich und ging — er
war mittelgroß, stark beleibt und gedrungen — eine Weile in seinem
Kontor auf und ab. Das geschah, wenn ihn etwas stark beschäftigte.

Endlich setzte er sich wieder. Er hatte seinen Entschluß gefaßt, und las nun den zweiten, ihn auch sehr beschäftigenden Brief, der keine Unterschrift trug und durch eine Schreibmaschine hergestellt war, noch einmal durch. Er lautete:

„Sehr geehrter Herr!

Es wird Sie dieser Tage — ich hörte es in dem Wiener Café von Bauer zufällig — ein Baron von Klamm besuchen. Da ich ihn sehr genau kenne, so erlaube ich mir, Sie vor ihm zu warnen. Er ist durchaus unzuverlässig!

Denken Sie diesmal nicht: Anonyme Zuschriften gehören, ohne beachtet zu werden, ins Feuer.

M.P.“

Nachdem Herr Knoop diese beiden Briefe in seinem Pulte verschlossen hatte, klingelte er. Er übergab neben anderen Anweisungen dem Faktotum und Büreaudiener Adolf, einem Mann, der dadurch auffiel, daß er runde, stählerne Ohrringe trug, die Mappen, und hieß ihn auch, die draußen Wartenden nach der Reihe ihres Eintreffens ins Zimmer treten zu lassen.

Zuerst erschien ein fremder Setzer. Er bat um Arbeit, und wurde von Herrn Knoop zum Accidenzfaktor gesandt. Nach ihm kam eine sauber gekleidete Frau und bat um einen Vorschuß für die Familie. Ihr Mann arbeitete im Papierlager, war fleißig und gewissenhaft.

Sie brauchte das Geld für ihren Sohn, der lange krank gewesen war und nun überseeisch sein Glück versuchen sollte.

Herr Friedrich Knoop ging an den Geldschrank, nahm zwei Geldstücke heraus und sagte:

„Hier, Frau Bendler! Ich schenke Ihnen das! Vorschüsse gebe ich nur in äußersten Fällen! Das wissen Sie! Und ein andermal lassen Sie Ihren Mann kommen und dergleichen vorbringen. Die Frauen will ich nicht anhören. Da könnten alle heranlaufen, und ich hätte eine schöne Last —“

„Gottes Segen, Herr Knoop, und vielen Dank noch! Und nehmen Sie't man nich für unjut, Herr Knoop! Mein Mann — Sie kennen ihm — is bei so wat mal zu schanierlich —“

„Na ja, das mag sein! Aber! Entweder — oder in Zukunft! Und nun Adieu! Mög' es Ihnen gut gehen! Grüßen Sie Ihren Sohn Franz. Hoffentlich gelingt's ihm in Brasilien!“

Nachdem sich die Frau entfernt hatte, erschien der Agent einer
Papierfabrik.

Er machte ein Angebot auf Zeitungspapier.

Herr Knoop trat ans Fenster, ließ das hellere Licht auf den ihm überreichten Probebogen fallen, betrachtete ihn aufmerksam und sagte, während er auch noch nach Art der Erfahrenen, die Flächen des Stoffes zwischen Zeigefinger und Daumen rieb, wie die Zahlungsbedingungen für 500 Ballen sein würden.

Nachdem er darauf Antwort empfangen, ersuchte er den Agenten, ihm das Angebot nochmals schriftlich zu machen, und in dem Schreiben zu bemerken, daß die Fabrik unbedingte Gewähr für ihre Angaben übernehmen würde.

„Jawohl! Ganz gut! Wenn Gewicht, Fabrikat und Färbung nach dieser
Vorlage geliefert werden können, denke ich, gelangen wir zu einem
Abschluß!“ entschied Herr Knoop in einem kurzen Ton.

Hierauf noch ein Knopfnicken und ein verbindliches Handreichen, und eine andere Persönlichkeit trat in das Gemach.

Ein älteres, unmodisch gekleidetes Fräulein, mit an die Stirnseiten vorgekämmtem Haar und einem Strickbeutel über dem Arm, erschien und erörterte, daß sie sich die Erlaubnis nähme.

„Nun ja! Bitte! Was ist's denn? Womit kann ich dienen?“ stieß Herr Knoop heraus.

„Mein Name ist Charlotte von Oderkranz. Ich lebe von einer kleinen
Fideikommiß-Einnahme und habe noch eine Nichte zu ernähren.

„Sie hat ihr Lehrerin-Examen gemacht und sucht eine Stellung als
Gouvernante oder im Fall als Gesellschafterin.

„Hier, bitte, Herr Zeitungseigentümer, ihre Photographie!“

Während dieser Worte nestelte sie den Beutel auf, und zog das Bild eines jungen, ungewöhnlich schönen Mädchens hervor.

Herr Knoop hatte die Antragstellern schon ersuchen wollen, von Einzelheiten abzusehen — seine Zeit sei gemessen — aber sein Blick wurde doch von dieser Photographie allzusehr gefesselt.

„Und was soll ich thun?“ nahm Herr Knoop, schon unwillkürlich zuvorkommender im Ton, das Wort.

„Ja, ich möchte, da wir in unseren Mitteln sehr beschränkt sind, bitten, — bitten, daß Sie diese Annonce einigemal in den Täglichen Nachrichten zu einem ermäßigten Preise aufzunehmen die Güte hätten. Das ist's, das ist's! Wir haben sie auch möglichst kurz gefaßt. — Bitte, möchten Sie sie einmal lesen, Herr Eigentümer?“

„Ein junges Mädchen aus angesehenem Hause, mit Lehrerinnen-Zeugnissen versehen, und mit allen Hausarbeiten vertraut, besonders musikalisch, wünscht eine Stellung als Gouvernante, Repräsentationsdame oder Gesellschafterin. Offerten an die Expedition der Täglichen Nachrichten unter Ch.v.O.“

Während Herr Knoop den Inhalt studierte, fiel ihm ein, daß es seit lange seiner Tochter Margaretes höchster Wunsch war, eine derartige Gefährtin zu besitzen.

Infolgedessen sagte er, kurz entschlossen:

„Bitten Sie doch Ihr Fräulein Nichte, mich morgen vormittag etwa um diese Zeit hier in meinem Kontor zu besuchen. Ich kann ihr vielleicht, ohne daß wir eine Anzeige erlassen, dienlich sein!

„Wenn aber nicht, so will ich Ihren Wunsch erfüllen! Ich werde die
Annonce wiederholt in Zwischenräumen ohne Kosten für Sie, aufnehmen.“

„O, sehr, sehr gütig, Herr Eigentümer,“ stieß die alte Dame, glücklich überrascht, heraus. „Nehmen Sie innigsten Dank! Und Ileisa wird Ihrem Wunsch genau nachkommen. Ich werde sie selbst herführen.“

„O, nein, nein! Das ist ja nicht nötig, mein Fräulein. Was wollen Sie sich bemühen“ — fiel Herr Knoop, höflich bestimmt, ein und erwartete, daß die Antragstellern erfreut zustimmen würde. Aber es geschah nicht, es malte sich vielmehr in ihren Zügen eine mißtrauische Enttäuschung.

Auch sprach sie mit starker Betonung:

„Meine Nichte macht stets nur in meiner Begleitung Besuche bei Herren.
Sie ist so erzogen —“

„Gut denn — gu — ut denn!“ bestätigte Herr Knoop, sich in die Wünsche der Alten fügend, mit einem überlegenen Lächeln.

„Wenn Sie Furcht haben, es könne Ihrem Fräulein Nichte etwas geschehen.
— Oder — oder — jawohl — jawohl — daß es eben passender für eine junge
Dame ist —: Völlig einverstanden! Also um zehn Uhr oder später, wie es
Ihnen gefällt. Bis zwölf Uhr bin ich in meinem Kontor!“

So sprach Herr Knoop. Die Alte aber, die nichts erwidert hatte, wandte sich während des Fortgehens noch einmal um, ergriff seine Hand und sagte zartfühlend:

„Verzeihen Sie, wenn ich — wenn ich — Es war ja so nicht gemeint! — Und nochmals innigsten Dank.“

Dann ging sie. Herr Knoop aber trat, angenehm berührt, und zunächst noch im Nachdenken über diesen Besuch, an seinen Schreibtisch.

Hier begab er sich an die Beantwortung verschiedener Geschäftsbriefe, deren Erwiderungen er, bevor er sie in die Umschläge steckte, auch noch auf einer auf einem Nebentisch stehenden Kopierpresse eigenhändig abklatschte.

Inzwischen war die Zeit so weit vorgerückt, daß es von dem Turm der nahegelegenen Kirche zwölf schlug, und fast in demselben Augenblick erschien auch schon der in seiner dunkelblauen Dienerlivree mit den silbernen Knöpfen steckende Adolf und überreichte Herrn Knoop mit etwas zweifelnder Miene eine Visitenkarte.

„Soll ich ihm 'reinlassen oder jleich abweisen?“ fügte er, während Herr
Knoop diese studierte, hinzu.

„Nein! Im Gegenteil! Ich werde ihm selbst öffnen, du kannst inzwischen hinten fragen, ob etwas zu besorgen ist,“ erwiderte Herr Knoop und entließ den, seinen dicken, mit den beringten Ohren versehenen Kopf bewegenden Alten.

Nachdem er gegangen, zog Herr Knoop das anonyme Schreiben hervor und ließ es, — weil er das Gefühl hatte, sicherlich einem sehr gewandten, nicht leicht zu durchschauenden Weltmann gegenüberstehen, — nochmals auf sich wirken.

Alsdann trat er Herr von Klamm gegenüber und nötigte ihn, mit artiger
Zuvorkommenheit, näher zu treten.

Herr von Klamm machte einen äußerst vorteilhaften Eindruck. Er besaß bei einem angenehm gemessenen Wesen vollendete Manieren, und verstärkt wurde noch das sich für ihn in Herrn Knoop regende Interesse, als er nach Erledigung der Einleitungsworte eingehend über seine Absichten sprach.

„Die Einrichtung Ihres Geschäfts kennen zu lernen, ist mir von doppeltem Wert, sehr verehrter Herr Knoop. Es interessiert mich an sich, und ich verbinde damit, offen gestanden, einen Zweck.

„Ich möchte unter Umständen den Versuch machen, in einem solchen Unternehmen eine Thätigkeit zu finden. Erlauben Sie mir, Ihnen kurz zu sagen, wer ich bin:

„Mein Vater besaß eine Gutsherrschaft in der Nähe von Bautzen. Diese
ging nach seinem Tode in den Besitz meiner Mutter über, die aus den
Erträgnissen eines aus der Verwertung desselben hervorgegangenen
Vermögens existiert.

„Ich wurde als junger Mensch von meinen Eltern in die Kadettenanstalt in Dresden gethan, und bin sodann in Wien in österreichische Militärdienste getreten. Nachdem ich wegen einer Meinungsverschiedenheit mit meinem Vorgesetzten den Abschied genommen, war ich in gleicher Eigenschaft als Soldat einige Jahre im Ausland und habe mich, von dort zurückgekehrt, in den großen europäischen Städten auf verschiedenen, mich interessierenden Gebieten, namentlich auch schriftstellerisch und journalistisch versucht, und bin endlich, nach längerem Aufenthalt in Wien und Dresden, hier seit reichlich einem Jahre in dem mich besonders anziehenden Berlin gestrandet.

„Gewiß, ich begreife, daß man Persönlichkeiten, die häufig in ihren
Lebensbeschäftigungen wechseln, ein gewisses Mißtrauen entgegenträgt.
Indessen hat mich stets ein ausgeprägter Sinn für alles Wissenswerte
geleitet, und ganz besondere Umstände führten die eingetretenen
Ortsveränderungen herbei.

„Auch darf ich der Wahrheit gemäß behaupten, daß ich, war ich auch einmal leichtlebig, in allen ernsten und Ehrensachen stets äußerst genau verfahren habe.

„Letzteres erwähne ich, weil ich Sie gegebenen Falles zu fragen mir erlauben möchte, ob Sie mir nicht eine Thätigkeit in Ihrem vielverzweigten Geschäft anweisen könnten.

„Ich führe — ich darf es behaupten — eine gewandte Feder!

„Und noch eins gleich! Sie haben vielleicht ein anonymes Schreiben erhalten! Ich bitte, daß Sie mich es lesen lassen, um die Verleumdungen zu widerlegen.“

Herr Knoop hatte, wie erwähnt, dieser inhaltreichen, in einem außerordentlich freimütigen Ton vorgetragenen Rede unter den vorteilhaftesten Eindrücken zugehört.

Als Herr von Klamm aber den letzten Satz sprach, meldete sich ein gewisses Mißtrauen. Sicher! Keiner, der Beste, — so überlegte Herr Knoop — konnte sich vor Verdächtigungen schützen, aber die Wirkung solcher konnte auf andere niemals eine günstige sein! Im übrigen entsprach er dem Wunsch, den Baron Klamm geäußert hatte.

Während Baron Klamm das Schreiben prüfte, trat ein verächtlicher
Ausdruck in sein Antlitz. Dann sagte er, während er den Brief Herrn
Knoop mit kavaliermäßiger Artigkeit wieder überreichte:

„Ich danke Ihnen, und ich bitte, daß Sie die immer gleichlautende
Niederträchtigkeit in den Ofen werfen. Und hier!“ fuhr er fort, zog ein
Schriftstück aus der Tasche und unterbreitete es Herrn Knoop.

„Ich bitte freundlichst, daß Sie dies Ihrer Beachtung würdigen.“

Herr Knoop nahm das ihm Gebotene, entfaltete es und las die nachstehenden Worte:

„Herr Alfred, Baron von Klamm-Gleichen, war, nachdem er den überseeischen Dienst verlassen hatte, während einer längeren Zeit mein Privatsekretär. Als solcher hat er sich seiner Aufgaben in vorzüglichster Weise entledigt, und kann ich Herrn von Klamm als eine durchaus vertrauenswürdige, in jeder Beziehung tadellose Persönlichkeit aufs Wärmste empfehlen.

Meine besten Wünsche für sein Wohlergehen begleiten ihn.

Fürst Alexander von Kroy.“

„Und weshalb trennten Sie sich von dem Fürsten, wenn die Frage erlaubt ist, Herr Baron?“ warf Herr Knoop hin, während er mit einer verbindlichen Geste das Schriftstück in die Hände Herrn von Klamms zurücklegte.

„Ich wünschte den Fürsten zu verlassen, weil ich mich verlobt und den Besitz meiner Braut mit Zustimmung meiner Schwiegereltern selbst zu verwalten die Absicht hatte.“

„Hm. — Und das hat sich nicht nach Ihren Voraussetzungen vollzogen?“

„Nein! Meine Braut starb kurz vor der Hochzeit. Inzwischen war die Stellung anderweitig besetzt, und überdies — ich habe mich neuerdings wieder verlobt, und warte nur des Augenblicks, heiraten zu können — paßte dann das alles nicht mehr zusammen.“

Herr Knoop bewegte nach diesen Worten den Kopf mit der Miene einer Person, die einer Rede mit großem Interesse zugehört hat und sich durch ihren Inhalt durchaus befriedigt fühlt.

Dann sagte er:

„Glauben Sie zu wissen, wenn ich fragen darf, wer den anonymen Brief geschrieben hat, Herr Baron? Ich komme darauf zurück, weil Sie das Eintreffen eines solchen schon voraussetzten!“

„Gewiß! Allerdings, Herr Knoop! Ich vermute, daß die Urheberin dieser und ähnlicher Verdächtigungen, mit denen ich seit Jahresfrist verfolgt werde, eine jetzt in Dresden lebende Dame der vornehmen Gesellschaft ist, der ich den Hof machte, von der ich mich aber zurückzog, weil ich ihren Charakter zur rechten Zeit durchschaute. Seitdem übt sie diese Infamien gegen mich mit einer vollendeten Geschicklichkeit aus, weiß mich, wo ich mich befinde, mit ihren Kundschaftern zu umstellen, und Personen, zu denen ich in Beziehung trat oder treten will, vor mir zu warnen.“

„Hm! So! Das ist ja eine sehr fatale Sache. Und dann noch gegen solche
Bosheiten wehrlos zu sein! Ich bedaure Sie aufrichtig, Herr von Klamm.
Das muß ja eine ganz miserable Person sein, die fortgesetzt an einem
Nebenmenschen — es sei vorgefallen was will — derart Rache übt. Ich habe
kein Verständnis für solche Charaktere —“

„Und doch sind sie weit verbreiteter, als man glaubt. Man begreift bisweilen nicht, weshalb Personen plötzlich eine andere Haltung annehmen. Man schiebt ihnen, wenn keine Erklärungen erfolgen, Launen zu. In Wirklichkeit hat irgend ein Mißgünstiger ein Minierwerk begonnen, und mit Erfolg! — Ich bin überzeugt, daß es Leute giebt, die aus purem Neid jahraus, jahrein, ohne Aufhören täglich an der Untergrabung des Ansehens anderer arbeiten, die sich dabei noch weit raffinierterer Mittel bedienen, als meine einstige Freundin. So geschickt auch solche anonymen Briefe abgefaßt sind, der vornehm und der einsichtsvoll Urteilende wird sie stets als ein Produkt niedriger Motive betrachten, und sie in die Rumpelkammer werfen.“

Herr Knoop pflichtete wiederum durch eine Kopfbewegung bei, dann sagte er:

„Und Ihr Fräulein Braut, Herr Baron? Sie lebt auch in Dresden?“

„Ja, Herr Knoop! Sie bleibt dort, bis wir heiraten können —“

„Nun, jedenfalls bitte ich, meine beste Gratulation entgegen zu nehmen, Herr von Klamm. Im übrigen! Wenn es Ihnen jetzt gefällig ist, mit mir einen Gang durch mein Geschäft anzutreten? Nachdem konveniert Ihnen vielleicht ein kleines Frühstück bei uns! Meine Frau und Tochter werden sich über Ihren Besuch sehr freuen.“

Baron von Klamm verbeugte sich mit kavaliermäßiger Höflichkeit.

„Ich danke verbindlichst, Herr Knoop. Sie kommen meinen Wünschen zuvor!
Ich wollte soeben auch diese Vergünstigung von Ihnen erbitten —“

Zunächst betraten die Herren das Vorzimmer. Von dort nahmen sie den Weg in die Setzersäle, und zwar zuerst in diejenigen, in welchen die täglich in einer sehr starken Auflage erscheinende Tageszeitung hergestellt wurde. Zahlreiche Arbeiter standen an Pulten mit kleinen Kästen.

Herr von Klamm war erstaunt, mit welcher Fingerfertigkeit die Leute arbeiteten, wie einige eifrig, ohne aufzusehen, oder wie andere, noch Geschultere, gleichsam spielend, ihre Thätigkeit ausübten. Ferner überraschte ihn, wie geschickt und exakt die Metteure, diejenigen, die den fertigen Satz für die Druckpressen vorbereiteten, ihr Werk handhabten.

Zwischen ihnen durch wandelte der Faktor, der Anweisungen erteilte, den Setzern ein neues Manuskript überwies, oder, an sein Pult zurückkehrend, das durch kleine Boten eben aus der Redaktion herbeigebrachte Material zu gleichen Zwecken vorzubereiten begann.

Das war ein Bild emsigen Arbeitsfleißes!

„Im übrigen für die Beschäftigten ein sehr undankbares Geschäft, von aller menschlichen Thätigkeit das undankbarste!“ erörterte Herr Knoop, während sie die oben belegenen, teils dem Zeitungssatz, teils den Accidenzarbeiten dienenden Säle betraten.

„Sobald das von den Setzern mühsam geförderte Werk seine Bestimmung in den Maschinen erfüllt hat, wird es wieder zerstört. Die Buchstaben erhalten von neuem ihren Platz in den Schriftkästen, und von neuem beginnt, was am Abend abermals aufgelöst wird.“

„Und so fort und so fort, bis die Lettern durch den Druck der Maschinen so abgenutzt sind, daß sie keine genügenden Dienste mehr leisten können.

„Der Maschinist,“ ergänzte Herr Knoop, als sie nach geraumer Zeit vermittelst Fahrstuhl zur Besichtigung der Druckpressen die Souterrainräume erreicht und betreten hatten — „hat geholfen, etwas Bleibendes herzustellen. Das Ergebnis seiner Arbeitsmühen hat Bestand, oft Jahrhunderte lang. Der Setzer ist — obschon ein weit größerer Künstler — lediglich ein Handlanger.“

Baron Klamm fragte, weshalb eine Anzahl Maschinen still ständen, während sich andere von dem schnurrenden Geräusch der Transmissionsriemen begleitet, und von Bogenfängerinnen bedient, in unruhiger Bewegung befanden.

„Die außer Thätigkeit gesetzten Maschinen warten der Arbeit für die
Zeitung; diese hier drucken komplizierteren Satz,“ erwiderte Herr Knoop,
und nötigte nunmehr seinen Besuch aus den von dem Geruch des
Maschinenöls und der Druckerschwärze erfüllten Räumen in den
Papierlagerkeller einzutreten.

Endlich durchschritten die Herren auch noch die Gelasse der Buchbinderei und der Stereotypie, bis sie dann wieder in die Parterrelokalitäten gelangten und sich nach einem Besuch in den Redaktionsgemächern und Kontoren, in denen ebenfalls ein zahlreiches Personal emsig bei der Arbeit war, in die Familienwohnung begaben.

„Wie viele Menschen beschäftigen Sie, Herr Knoop?“ fragte Baron Klamm, der seiner Bewunderung über dieses großartige Räderwerk und über die überall herrschende Strenge Ordnung Ausdruck verlieh.

„Zweihundertundachtzig Personen erhalten Wochen- oder Monatslohn im Jahr bei mir!“ erwiderte Herr Knoop, löste die Brille von den Augen, bewegte, während er Antwort erteilte und mit einem seidenen Tuch die Gläser wischte, mit einem Ausdruck berechtigter Selbstbefriedigung das Haupt.

„Und ich habe alles selbst geschaffen,“ ergänzte er. „Mit Kleinem habe ich begonnen. Das ist mein Stolz! Gewiß! Es giebt noch umfangreichere Etablissements, aber dies ist auch etwas!“

Und nach kurzer Pause fuhr er fort:

„Ich habe auch eine Idee, wie ich Ihnen — wenn es wirklich in der That in Ihrer Absicht liegt — eine Thätigkeit anbieten könnte, Herr von Klamm. Allerdings müßten Sie sich in den Geschäftsrahmen hineinfügen, wie jeder andere!“

Die Rede wurde unterbrochen, weil Frau Knoop mit lebhaft zuvorkommender
Miene ins Zimmer trat, und nun die Vorstellung erfolgte.

Gleich darauf erschien auch Margarete, ein brünettes junges Mädchen, mit etwas bürgerlichen Zügen, aber schönen, sogar blendenden Farben, vollendetem Wuchs, und mit einer angenehm wirkenden freimütigen Lebendigkeit.

Nach kurzem Plaudern traten sie in den Speisesalon, in dem ein blitzend sauberer Frühstückstisch mit äußerst einladenden Gerichten gedeckt war.

Neben Portwein, Thee und kräftigen Bieren, präsentierte das Hausmädchen auch Champagner, dem Baron Klamm kräftig zusprach, während sich Herr Knoop auf ein sehr kleines Quantum beschränkte, und die Damen überhaupt auf Wein verzichteten.

„Auf Ihr und auf das Wohl Ihres Fräulein Braut,“ begann Herr Knoop, ergriff das Glas, und stieß mit dem Baron an.

Er sah wohl, daß Margarete aufmerkte, und daß auch seine Frau überrascht wurde.

Nach Aufhebung der Tafel, und nach allerlei anregenden Gesprächen, die
Klamm mit Margarete führte, für die er ein lebhaftes Interesse an den
Tag legte, begleitete Herr Knoop den Gast auf die Straße. Er machte
ohnehin stets um diese Zeit einen Spaziergang und besuchte eine
Weinstube.

Dies letzte Zusammensein benutzte Herr Knoop, um Herrn von Klamm mit den für ihn in Betracht gezogenen Plänen bekannt zu machen.

„Ueberlegen Sie,“ warf er hin, „ob Sie Lust und Neigung haben würden, in die Redaktion einzutreten, um für eine von mir neu zu errichtende Rubrik: „Hof und Gesellschaft“ Thätigkeit und Verantwortung zu übernehmen.

„Sie müßten — ich würde Sie dazu in den Stand setzen — an all
dergleichen Veranstaltungen teilnehmen, in Klubs eintreten,
Festlichkeiten besuchen, Personalien über besonders hervorragende
Persönlichkeiten zu erlangen suchen, und das alles in einer anziehenden
Form in die Täglichen Nachrichten bringen.“

Zu Herrn Knoops Enttäuschung stimmte Baron Klamm nicht so lebhaft zu, wie er erwartet hatte.

„Sehr vortrefflich — sehr dankbar, Herr Knoop. Ich verkenne Ihre gütigen
Absichten für mich keineswegs. Ich bin Ihnen außerordentlich verbunden.

„Aber wenn ich ganz offen sein darf: — ich möchte am liebsten eine Kontorthätigkeit ausüben, in der mir die Aufgabe würde, für die immer noch größere Ausdehnung des Geschäftes zu wirken, die Auflage der Zeitung und die Anzeigen zu vermehren, Verbindungen anknüpfen, die der Druckerei Aufträge zuführen, und insofern auch der Redaktion in die Hand arbeiten, als ich ihr die Thüren zu den Ministerien und höheren Behörden öffnen helfe.

„Einblicke in das Getriebe eines Geschäfts, wie das Ihrige, habe ich nämlich schon empfangen. Eben daraus ist der Wunsch in mir rege geworden, mich in Zukunft vorzugsweise auf diesem Gebiet zu versuchen.“

So sprach Herr von Klamm, und Herr Knoop, für den dieses Mitglied des Adels plötzlich in ein völlig anderes Licht gerückt wurde, erhob nicht ohne starke Beifälligkeit das Haupt.

„Hm — hm — so — so! Das sind Ihre Pläne, Herr von Klamm. Gewiß, auch das läßt sich hören. Freilich, etwas drängt sich mir dabei auf. Sie glauben, daß Sie sich in all diese, Ihnen doch in der Praxis noch fremden Dinge würden hineinarbeiten können?

„Gewiß, gewiß! Das ist ja auch zu machen, und wenn die Saat gut war, weshalb sollte nicht kräftiger Weizen aufgehen? Es ist aber noch ein Umstand da! Mein Sohn ist draußen, um sich noch in unserm Geschäft weiter zu bilden. Nach übersehbarer Frist wird er zurückkehren. Dann sollte ihm eben das obliegen, was Sie im Auge haben. — Ich bin also grade bezüglich einer solchen Thätigkeit, wie Sie sie planen, in Zukunft versehen!

„Sie verstehen. — Hier liegt eine Schwierigkeit, Ihren Absichten
Vorschub zu leisten, schon von vorneherein!“

„Ich glaube nicht, Herr Knoop,“ fiel Klamm mit imponierender Entschiedenheit ein. „In einem Geschäft, wie das Ihrige, können Sie ein halbes Dutzend Leute gebrauchen, wie Ihr Herr Sohn einer ist, und wie ich es hoffentlich mit Ihrer Unterstützung sein werde! Warum wollen Sie nicht ein Geschäft in allergrößtem Stil aufbauen? Sie wollen doch nicht stehen bleiben! Für jede Abteilung denke ich mir, müßte eine Persönlichkeit thätig sein, die, mit einem besonderen Maß von Intelligenz und Machtvollkommenheit ausgerüstet, sich eben diesem Geschäftszweig mit besonderer Energie widmet! Die Mehrkosten würden sich nicht gleich, aber mit der Zeit sicher einbringen.“

„Den Wert Ihrer Ausführungen verkenne ich nicht,“ entgegnete Herr Knoop. „Aber Sie urteilen und ziehen Ihre Schlüsse zu sehr auf Grund von Vorstellungen. Alle Geschäfte setzen sich mehr oder minder aus Kleinwerk zusammen. Für jeden Erfolg sind ausnahmslos Abgaben zu entrichten. Geschäftsausdehnungen müssen sich langsam vollziehen! Man muß die Betriebskapitalien prüfen, man hat in Kreditgewährung mit Vorsicht zu verfahren! Ohne solche giebt's keine Kundschaft. — Man darf nichts beginnen, wobei man Gefahr läuft, die Kräfte und den Ueberblick zu verlieren.

„Langsam, bedächtig nimmt der Gebirgsbote täglich seine Tagestouren.
Wollte er sie laufen, würde er bald zusammenbrechen!“

Die Herren waren bei ihrem Gespräch vom Wege ganz abgekommen. Sie befanden sich, ohne darauf geachtet zu haben, im Tiergarten und hielten nun, aufschauend, still, und wanderten, auch ferner denselben Gegenstand erörternd, auf dem nämlichen Pfade in die innere Stadt zurück. Erst beim Wrangelbrunnen trennten sie sich, nachdem vorher noch für einen der nächsten Tage eine neue Zusammenkunft verabredet worden war, mit warmem Händedruck. Herr Knoop begab sich in die Behrenstraße, in eine von ihm täglich besuchte Weinstube, und Herr von Klamm fuhr mit der Pferdebahn nach der Bellealliancestraße.

Hier befand sich ein alter, hochstöckiger Bau, der von mehreren Parteien bewohnt wurde, und diesen betrat Herr von Klamm.

Zur Rechten, im Flügel, drei Treppen hoch, zog er an einer Klingel, und nach kurzen Worten wurde ihm von einer gebückten, trotz einfacher Kleidung sehr vornehm aussehenden Dame geöffnet.

„Ach du, mein lieber Junge,“ stieß sie in glücklich gehobenem Ton heraus und schritt ihm in ein zweifenstriges, mit sauberen Mietmöbeln besetztes Wohnzimmer voran.

Nachdem Klamm seiner Mutter Wange sanft gestreichelt hatte, und sie sich beide gesetzt hatten, sagte er auf ihre stark belebte Frage:

„Nun? Nun? Wie ist's ausgefallen, Alfred? Du kommet doch von Herrn
Koop?“

„Knoop, Mama — nicht Koop,“ berichtigte Klamm.

„Es verlief alles gut, aber ich bin doch mit mir sehr unzufrieden. Ich habe eine Unwahrheit gesagt, die ich vielleicht — hätte vermeiden können. Ich schäme mich, daß es geschehen ist. Was bleibt von dem Menschen, wenn er sich zur Erreichung seiner Zwecke inkorrekter Mittel bedient!“

„Was ist's denn, Alfred! Lasse mich alles wissen! Vielleicht kannst du noch wieder gut machen,“ fiel die alte Dame, liebevoll sprechend, ein.

„Ich tastete hin, ob nicht auch Herr Knoop möglicherweise den üblichen
Verleumdungsbrief von Frau von Krätz erhalten habe.“

„Es war der Fall! Sie hat ihn geschrieben! Er ließ mich das immer gleichlautende Schriftstück lesen.

„Und gleich entging mir nicht, daß sich ein starkes Vorurteil gegen meine Person in ihm bereits festgesetzt hatte.“

„Er nahm an, daß ich ein bloßer Abenteurer sei, der sich in sein Haus eindrängen wolle, um seine Tochter zu heiraten. Da griff ich zu dem Mittel, das ihn von vornherein eines anderen belehrte, warf hin, daß ich verlobt wäre, und gab ihm auch den Eindruck, daß wir wohlsituiert seien.“

„Im Nu veränderte das die Sachlage. So glaubte er mir! So war ich im stande, das durch das Schreiben hervorgerufene Mißtrauen zu zerstreuen.“

„Ich war gezwungen, so zu handeln! Es hilft doch nichts! Ich muß vorwärts, ich muß etwas finden, wenn wir nicht in schwerste Not geraten sollen!“

Klamm ließ, nachdem er gesprochen hatte, unwillkürlich das Haupt sinken und schaute trübe vor sich hin. Die alte Frau aber überkam ebenfalls ein Gefühl der Bedrückung.

„Erzähle weiter, Alfred!“ hub sie dann, sich fassend, an.

Klamm that ihr Bescheid. Er berichtete über alles, was vorgefallen war, und schloß:

„Ich bin überzeugt, daß ich eine Stellung bei Herrn Knoop erhalte. Die Frage ist nur, wie lange ich ohne Entgelt arbeiten muß. Woher sollen wir für die nächsten Wochen die Mittel nehmen?

„Ah!“ fuhr er beschwert fort, schnellte empor und maß das Gemach mit
Schritten, die seine Erregung bekundeten.

„Wenn ich die Schurken, die uns um alles betrogen haben, aber auch die
Person, die mich mit ihrem Haß verfolgt, mich dadurch bisher an meinen
Erfolgen gehindert hat, — hier hätte, ich könnte ihnen die Seele aus dem
Leibe reißen.

„Da muß man fortwährend Komödie spielen, und sogar zu Unwahrheiten die Zuflucht nehmen, um sich nur zu schützen, um blos eine Existenz zu finden!“

„Beruhige dich, lieber Alfred, du kannst später erklären, daß uns gewissenlose Menschen um unser Vermögen gebracht haben, daß die Verlobung zurückgegangen sei. — Der Himmel wird's dir nicht anrechnen!“

„Ja, ich kann's, und ich hoffe auf seine Nachsicht, aber ich werde es, wenn auch alles gut verläuft, schwer überwinden, mich mit einer Unwahrheit eingeführt zu haben. Ich schäme mich vor mir selbst. Es liegt wie ein Makel auf mir!“

„Es giebt größere Vergehen, mein Junge! Mehr werden täglich Unwahrheiten gesprochen, als sich Riegel auf den Dächern befinden, und die Welt hebt sich doch nicht aus den Angeln.

„Dich entlasten die Umstände: du handelst im Zwang — um den Wirkungen einer Infamie zu begegnen. Giebt's denn gar kein Mittel, Frau von Krätz zu besänftigen! Das heißt, wenn sie es wirklich ist. Hältst du es für ausgemacht, daß sie die Briefschreiberin?“

„Wer könnte es sonst sein, Mama. Alles deutet darauf hin. Sie hat es mir nicht verziehen, daß ich mich noch kurz vor der Verlobung mit ihr besonnen. Sie rächt sich mit der Unversöhnlichkeit einer Frau, und scheut selbst solche Mittel der Vergeltung nicht. Natürlich, absolute Beweise habe ich für meine Annahme nicht. Wenn ich die hätte, würde ich schon lange gehandelt haben. Und eben, ihr nicht beikommen zu können, ist das schlimmste von allem Unglück.“

Klamm ballte die Hände, und seine Augen funkelten.

Noch einmal sprach die erfahrene Frau besänftigend auf ihren Sohn ein.
Dann sagte sie:

„Noch etwas, Alfred! Ich habe noch die Ringe und den Schmuck von meiner
Mutter. Nimm heute alles mit und veräußere es. Das giebt uns
Lebensunterhalt für die nächste Zeit!

„Du kannst dann auch deine Hotelwohnung beibehalten und dich in der
Gesellschaft bewegen, bis dir deine Pläne bei Herrn Knoop gelingen.“

„Wie? Du bist noch in Besitz von Schmuck, Mama!? Das ist ja eine ausrichtende Nachricht — du sagtest es mir nicht.“

„Ich that's nicht, um dir's vorzuenthalten, sondern für den alleräußersten Fall.“

Sie sprach's mit liebevollem Blick, und er küßte sie. Dann besah er den
Inhalt des kleinen Kästchens, das sie aus der Kommode hervorholte.

Bevor Klamm von seiner Mutter Abschied nahm, sagte sie:

„Es ist eigentlich verkehrt, daß wir nicht zusammen wohnen, Alfred.
Könntest du nicht ein Logis für uns beide dort mieten? Hier unter diesen
Menschen ist's nicht angenehm! Meine Wirtin ist neugierig und
zudringlich, die übrige Umgebung stößt mich sehr ab.“

„Ich nahm nur erstmal, was sich bot, Mama. Alle Wohnungen in den besseren Vierteln kosten das Dreifache.“

„Ich blieb nur im Hotel, weil ich dem Wirt noch verschuldet bin. — Ich mußte und muß dort vorläufig wohnen! Ich will indessen heute mit dem Besitzer sprechen. Vielleicht läßt sich deine Uebersiedelung machen. Ich würde nur zu glücklich sein, dich bei mir zu haben. Vielleicht gelingen auch meine Pläne bei Herrn Knoop rascher, als ich annehme. Habe ich erst ein festes Einkommen, miete ich für uns eine Wohnung im Westen.

„Ach, Mama — wäre ich erst so weit, wie anders würde mir zu Mute sein!“

Nach diesen Worten schlang der Mann seinen Arm um die Gestalt der zartgebauten Dame, versprach am folgenden Tage wiederzukommen und stieg eilend die Treppe herab.

* * * * *

Als am folgenden Vormittag Fräulein von Oderkranz mit ihrer Nichte im Vorraum des Privatkontors des Herrn Knoop eintrat, glich dieses, bezüglich der Fülle der Wartenden, dem Sprechzimmer eines vielbeschäftigten Arztes. Alle Plätze waren besetzt, und Adolf mußte Sessel aus dem Hauptkontor holen, damit wenigstens die Damen nicht zu stehen brauchten. Als sie nach einstündigem Warten endlich vorgelassen wurden, entschuldigte sich Herr Knoop, seiner Art nach, mit kurzen, knappen Worten, und die Unterredung nahm auch bald die Wendung, daß er der jungen Dame seine Absicht aussprach, sie für seine Tochter Margarete zu verpflichten.

„Natürlich setze ich voraus, daß Sie sich gegenseitig gefallen, und um dieses festzustellen, erlaube ich mir den Vorschlag, daß Sie uns den heutigen Tag schenken. Am Abend lasse ich Sie dann in meinem Wagen nach Hause fahren,“ schloß der Chef des Hauses.

Nach diesen Worten richtete Herr Knoop einen auffordernden Blick auf die beiden Damen, dem Fräulein Ileisa auch mit gehobener Miene begegnete, während bei ihrer Tante eine deutliche Enttäuschung darüber hervortrat, daß nicht auch an sie eine solche Einladung gerichtet wurde.

Wenigstens deutete Herr Knoop in solcher Weise den spröden Ausdruck in den Gesichtszügen des Fräulein von Oderkranz.

Es drängte sich ihm auch gleich der Gedanke auf, daß die alte Dame möglicherweise später mit allerlei sehr wenig bequemen Ansprüchen lästig fallen könne, und er nahm deshalb gleich das Wort und sagte:

„Ich hoffe, mein Fräulein, daß Sie meinem Vorschlag zustimmen. Ueberhaupt darf ich gleich bemerken, daß ich bei einem Inkrafttreten unserer Pläne voraussetzen muß, daß unsere künftige Hausgenossin ihre bisherigen Beziehungen in dem Sinne löst, daß sie lediglich zu uns hält. Mit ihrem Eintritt in unser Haus haben wir nur mehr mit ihr zu thun. Natürlich schließt das gelegentliche Besuche bei Ihnen nicht aus!“

Diese Rede war so deutlich und enttäuschend, daß Fräulein von Oderkranz zunächst erbleichte und unwillkürlich die Augen schloß. Dennoch faßte sie sich ebenso rasch wieder, wußte sich sogar durch ihre Worte und eine seine steife Würde das Uebergewicht zu verschaffen und sagte:

„Da ich Mutterstelle bei Ileisa vertrete, hatte ich nur den wohl begreiflichen Wunsch, mich Ihren verehrten Damen vorzustellen. Einen weiteren Anspruch habe ich nicht erhoben, und werde ich nicht erheben, Herr Knoop! Sie dürfen darüber völlig beruhigt sein!“

„Vortrefflich, vortrefflich! Also ganz einig!“ entgegnete Herr Knoop, wiederum seinerseits in einem Ton, als ob er ihre gereizte Stimmung und die Lehre, die sie ihm hatte erteilen wollen, garnicht herausgefühlt habe.

Ileisa aber fiel ausgleichend ein:

„Ich werde heute gleich fragen, liebe Tante, wann den Damen dein Besuch angenehm ist. Der gütigen Aufforderung des Herrn Knoop folge ich natürlich mit größtem Dank!“

Auf diese Rede nickte das Fräulein notgedrungen. Auch knöpfte sie ihren unmodischen Mantel zusammen, trat Herrn Knoop näher und sagte:

„Ja, den allergrößten Dank schulden wir Ihnen, Herr Knoop, daß Sie selbst meiner Nichte zur Erlangung einer Stellung die Hand bieten wollen.

„Lassen Sie mich denn hoffen, daß sich alles nach gegenseitigen Wünschen vollziehen möge, und empfehlen Sie mich, ich bitte, einstweilen Ihren verehrten Damen!“

Nach diesen in einem zwar gezwungenen, aber vollendet höflichen Tone gesprochenen Worten, reichte sie Herrn Knoop die Hand, drückte sodann Ileisa die Rechte und entfernte sich.

Ileisa aber sagte, nachdem die alte Dame gegangen war:

„Meine Tante ist etwas empfindlich, Herr Knoop. Sehen Sie es ihr, ich bitte, nach. Sie lebte früher in so reichlichen Verhältnissen, daß ihr die Einfügung in andere, leider jetzt sehr beschränkte, außerordentlich schwer wird. Im Grunde ist sie eine vornehme, wahrhaft edeldenkende Natur.“

„Habe ich auch so aufgefaßt!“ bestätigte Herr Knoop in einem derb gemütlichen Ton, und von Ileisas Wesen angenehm berührt. Auch bat er sie dann gleich, mit ihm in die Wohnung zu treten, und machte sie dort mit seinen Damen bekannt.

* * * * *

Sechs Monate waren vergangen. Fräulein von Oderkranz befand sich als Gesellschafterin im Knoopschen Hause. Aber auch Herr von Klamm war ein Mitglied des Knoopschen Geschäftes geworden. Er schrieb Zeitungsartikel, für die er die Fähigkeit in sich fühlte, und übte nach anderer Richtung eine Thätigkeit au, die dem Unternehmen nutzbringend war. — Der Kontrakt, der zwischen ihm und Herrn Knoop abgeschlossen, besaß nur zwei Paragraphen:

„Herr von Klamm tritt vom heutigen Tage mit einem Monatsgehalt von 450 Mark und unter gegenseitiger vierteljährlicher Kündigung zunächst probeweise in das Geschäft des Herrn Friedrich Knoop in Berlin, ein.

Genannter übernimmt fortan einen zwischen ihnen festgestellten Teil der
Theater-, Konzert- und Kunstkritiken, und wird eventuell auch unter der
Zustimmung des Herrn Chefredakteurs, Doktor Strantz, andere in den
Rahmen der Täglichen Nachrichten passende Beiträge liefern.

Zur Vorbereitung einer gleichzeitig in Aussicht genommenen
geschäftlichen Thätigkeit wird sich Herr von Klamm mit den übrigen
Zweigen des Unternehmens bekannt machen und schon jetzt bemüht sein, der
Firma Verbindungen zuzuführen.“

Außerordentlich überrascht war Herr Knoop von dem Ideenreichtum seines Mitarbeiters, nachdem sich dieser in das Geschäft eingearbeitet hatte. Bald regte er an, daß man sich um eine Druckarbeit in den Ministerien, bald um eine solche bei großen Instituten und angesehenen Geschäften bewerbe. Auch wies er auf auswärtige Firmen hin, denen man feste Kontrakte bezüglich der Aufnahme von ständigen Inseraten für die Täglichen Nachrichten anbieten solle.

Wenn irgendwo ein neues Unternehmen ins Leben trat, sann er sofort darüber nach, ob dieses nicht irgend einen von der Druckerei zu befriedigenden Bedarf haben könne. Auch trieb er die Redaktion an, Fühlung mit den bedeutenden Tagespersönlichkeiten zu suchen, um durch eine Verbindung mit ihnen den Täglichen Nachrichten fortdauernd interessanten Stoff zuzuführen.

Arbeitskraft und unermüdliche Regsamkeit reichten sich die Hand. Er war gegenwärtig die Triebfeder im Geschäft. Bald hier, bald dort hielt er Rücksprache, und immer wußte er bisher die ihm weniger Wohlgesinnten durch sein gewandtes Wesen gefügiger zu machen.

Weniger ihm Wohlgesinnte waren bereits recht viele vorhanden.

Teils wirkte der Aerger, daß ein bisher so gering Eingeweihter und Erfahrener so Tüchtiges leistete, bald machte sich ein sehr starker Neid geltend.

Es stieg die unruhige Befürchtung in dem Personal auf, daß Klamm bald da sitzen oder dort ein anderer sitzen werde, wo der Betreffende selbst bisher sein unbeschränktes Herrschertum ausgeübt hatte. Der Chefredakteur, Doktor Strantz, sowie der erste Disponent im Hauptkontor und der Geschäftsführer in der Expeditionsabteilung waren schon, ohne daß sie noch die Maske gelüstet hatten, seine erklärten Gegner.

Immer wieder regte sich bei ihnen die Ueberlegung, wie es eigentlich möglich sei, daß ein früherer Offizier, daß dieses in der Welt hin und her verschlagene Mitglied der Gesellschaft, daß dieser mit geschäftlichen Dingen doch bisher nur sehr oberflächlich vertraute Lebemann eine solche intelligente Regsamkeit, solche Umsicht, und überdies eine solche Gleichgültigkeit gegen seine bisherigen gesellschaftlichen Beziehungen zum Ausdruck brachte.

Aber sie zogen aus diesen Umständen nicht den Schluß, daß es eben Ausnahmen giebt, daß tüchtige Menschen sich energisch aufzuraffen vermögen, daß sie das kräftig abthun, was sich ihnen nur durch die Verhältnisse aufgedrängt hat, sondern sie suchten nach irgend einem unlauteren Grunde.

Bei Gelegenheit einer monatlich einmal stattfindenden Zusammenkunft der Redaktions- und Geschäftsmitglieder wußte der Chefredakteur, Doktor Strantz, ein Mann mit einem ungewöhnlich hageren Gesicht und langem Vollbart, bereits das Allerneueste zu berichten, daß nämlich schon ein fester Kontrakt zwischen Herrn Knoop und Klamm zu stande gekommen sei. Demzufolge solle Klamm nicht nur Stellvertreter des Chefs werden, sondern auch die Hauptzügel in der Redaktion in die Hand bekommen. Ihrer aller Stellung sei gefährdet, seitdem dieser Herr in das Geschäft eingetreten sei.

In dem Hinterzimmer eines mit alten, guten Bildern geschmückten Bierlokals in der Kronenstraße saßen sie beisammen, und von kaum etwas anderem wurde geredet, als über Herrn von Klamm.

„Was er wohl sonst treibe?“ warf einer der Herren, ein Herr Krammhöver, nach solchen längeren, stark mißfälligen und abfälligen Aeußerungen hin.

„Er wäre ihm,“ bemerkte er, „schon zweimal abends nachgegangen. Da sei er in ein Haus in der Kurfürstenstraße eingetreten. Er, Krammhöver, habe durch die großen Spiegelscheiben der Haus- und Hinterthür beobachtet, daß Klamm in eine Gartenwohnung hinaufgestiegen sei. Ob er aber dort logiere oder eine ‚Freundin‘ besitze, wisse er nicht.“

Darauf hatte keiner etwas zu sagen, aber die Rede gefiel. Niemandem war bekannt, wo Klamm wohnte. Ueberhaupt hielt er sich nicht mit Reden, und noch weniger mit Offenherzigkeiten auf. Er kam, griff gleich ein, arbeitete oder machte Besuche, und blieb als letzter abends im Geschäft.

„Ob er wohl bei Knoops im Hause verkehre?“

Darauf konnte Doktor Strantz antworten.

„Und ob! Es sei in den nächsten Tagen beim Chef wieder ein Ball, und er, Strantz, habe von Adolf gehört, daß Klamm den Tanz leiten und überhaupt dort alles in die Hand nehmen solle.“

„Und Sie sind nicht eingeladen?“

Strantz zog abfällig die Lippen.

„Ja, natürlich! Habe aber abgelehnt; bin kein Freund von derartigen großen Abfütterungen!“ warf er hin, und weckte durch diese, seiner Eitelkeit entspringende Antwort (er hatte keine Aufforderung erhalten) einen natürlichen Neid bei den fünf übrigen Mitgliedern der Redaktion.

Die Geschäfts-Disponenten wurden überhaupt zu solchen Vergnügungen nicht geladen. Sie erhielten Aufforderungen zu kleinen Mittagessen, woselbst sie Gleichgestellte fanden, und bei denen es dann sehr gemütlich herging. —

Während in solcher Weise über Klamm in dem Wirtshaus „Zur gemütlichen
Ecke“ verhandelt wurde, saßen die Knoopschen Familienmitglieder beim
Abendbrot und unterhielten sich gleichfalls über dieselbe
Persönlichkeit.

Wie immer erging sich Herr Knoop in ein uneingeschränktes Lob über ihn. Er habe am vorgestrigen Tage der Buchdruckerei einen Auftrag von über 50000 Mark zugeführt. Eines der großen Versandgeschäfte habe einen illustrierten Katalog in einer ganz beträchtlichen Höhe bestellt. Auch habe er durch eine besondere Einrichtung in der Inseratenabteilung den Anzeigespalten der Täglichen Nachrichten eine erhebliche Vermehrung zugeführt. Am legten Sonntag hätten zwei Bogen mehr gedruckt werden müssen.

Das sei eine Inseratenfülle gewesen, wie sie in einem solchen Umfange kaum zur Weihnachtszeit vorkomme. Es sei unglaublich, was Klamm alles austüftle, wie er den Leuten beizukommen wisse, wie er Bedürfnisse ausspüre oder anzuregen wisse.

„Wie geht's denn mit ihm und dem Personal jetzt? Kann er sich mit ihnen stellen?“ warf die in alles eingeweihte Frau des Hauses hin. Sie sah überhaupt weiter als die meisten, nahm die Dinge niemals, wie sie erschienen, sondern wie sie sich ihr durch ihr kluges Nachdenken darstellten.

„Er thut, als ob er Unwillfährigkeit und Gegnerschaft gar nicht bemerkt. Es gehört eben auch zu seinen hervorragenden Eigenschaften, daß er sich zu beherrschen, zu verstecken weiß —“

„Verstecken!“ sagst du, Friedrich! Der Ausdruck stimmt mit der Warnung, die dir bei seinem ersten Besuch wurde!“

Nun meldete sich bei Frau Fanny doch wieder die Frau. Wenn Mütter sehen, daß Männer, auf die sie für ihre Töchter rechnen, diese nicht bevorzugen, haben sie stets eine starke Neigung, ihnen etwas am Zeuge zu flicken. Sie bauen sich dadurch Brücken, um ihrer Enttäuschung besser Herr zu werden.

Die beiden jungen Mädchen waren nur Zuhörende, sie äußerten sich nicht. Sie versteckten sich ebenfalls. Beide hatte eine stille, aber leidenschaftliche Liebe für Klamm erfaßt. Grete schwieg darüber, weil sie zu stolz war, davon zu reden, und Ileisa hütete sich zufolge ihrer Stellung, für Klamm irgendwelches Interesse an den Tag zu legen. Sie hatte genügend beobachtet, wie sehr Frau Knoop enttäuscht war, daß Klamm für Margarete verloren schien.

„Weißt du, was mir auffällig ist,“ äußerte kurz darauf die Frau des
Hauses.

„Hm?“ warf Herr Knoop, der eben nach der Abendzeitung der Täglichen
Nachrichten gegriffen hatte, zerstreut hin.

„Ja nun! Daß Klamm nie von seiner Braut spricht, daß er sie noch immer nicht vorgestellt hat. Sie muß entweder ein Bild der Häßlichkeit sein, oder es muß sonst etwas vorliegen, was nicht ganz richtig ist. Sonst kann ich mir sein Verhalten absolut nicht erklären.“

„I was,“ fiel Herr Knoop, gleich stark betonend ein. „Er hat ja wiederholt erklärt, daß sie schwer erkrankt sei, daß darin der Grund zu suchen wäre, daß er sie uns bisher noch nicht habe zuführen können.“

„Ich bat ihn aber schon wiederholt, einmal ihr Bild mitzubringen,“ bestätigte Margarete, die nun auch hervortrat.

„Niemals hat er Wort gehalten. — Nicht wahr, Ileisa?“ fügte sie hinzu und wandte sich zu der eifrig über ihre Arbeit gebückten Hausgenossin. „Du warst dabei!“

Die beiden jungen Mädchen, die sich vortrefflich verbanden, ja, ganz in einander aufgingen, duzten sich schon seit längerer Zeit und besprachen — mit Ausnahme ihrer geheimen Liebe — alles miteinander, was sie irgend anging.

Ileisa betätigte nur mit leichtem Kopfneigen, aber weil ihre Gedanken und Sinne durch dieses Gespräch schon stark angeregt worden waren, wußte sie den Ausdruck einer starken Befangenheit äußerlich nur sehr schwer zu unterdrücken. Sie ließ deshalb die Stickerei, an der sie arbeitete, wie zufällig aus ihrer Hand fallen, bückte sich danach, und wußte dadurch den Anwesenden ihre Gesichtszüge bis zur Wiederbeherrschung ihres Innern zu entziehen.

„Ich bin begierig, ob Klamms Braut unsere Einladung nicht auch selbst
beantworten wird. Ich gab Herrn von Klamm auf seinen Wunsch die
Einladungskarte. Wir wissen ja noch nicht einmal, wie sie mit Vor- und
Zunamen heißt. Danach will ich ihn doch bei erster Gelegenheit fragen.“

Das Gespräch empfing eine Unterbrechung, weil Adolf eintrat und Herrn
Knoop ein Schreiben überreichte.

Schon während er es entgegennahm, verfinsterten sich die Züge des Chefs des Hausen in einer Art, daß Frau Fanny, die bei Briefen stets ängstlich die Mienen ihres Mannes beobachtete, gleich besorgt das Wort nahm.

„Etwas Unangenehmes, Friedrich?“ fragte sie.

„Ah — ah!“ stieß der Mann heraus und knirschte mit den Zähnen. „Wieder von Theodor! Immer Theodor!“ Aber als er dann gar die Zuschrift gelesen hatte, zitterten seine Hände vor Erregung.

„Ach — die ewige, unglückliche Plage,“ seufzte Frau Fanny, ohne auf
Ileisas Anwesenheit Rücksicht zu nehmen. „Was hat er denn nun abermals?
Hast du ihm nicht erst neulich wieder Geld gesandt?“

Knoop verneinte erst stumm. Dann sagte er:

„Ich habe ihm auf seine drei letzten Briefe gar nicht geantwortet. Thäte ich es, würde ich ja noch weniger Ruhe haben. Freilich, jetzt geht er bis an die äußerste Grenze. Nun — nun — droht er! Wahrhaftig! Wäre er nicht mein — mein — Bruder, so würde ich ihn auf Grund dieser Zeilen der Staatsanwaltschaft überliefern.“

„Lies vor, Friedrich! Wir haben ja vor Ileisa keine Geheimnisse. Wir wissen, daß sie das, was sie für sich zu behalten hat, sicher in sich verschließt!“

„Sie dürfen dessen versichert sein, gnädige Frau!“ bestätigte Ileisa, das Auge frei aufschlagend, in einem einfachen, Vertrauen erweckenden Tone.

Und Herr Knoop las:

„Wenn ich nicht bis übermorgen vormittag zehn Uhr einen Postrestantebrief (Hauptpostamt Unter den Linden) mit dreitausend Mark unter T.K. vorfinde, geschieht etwas! Was aus dem Verzweiflungsakt entsteht, ist mir gleichgültig. Ich habe dann wenigstens ein Obdach! Falls Du aber diese Kleinigkeit Deinem weniger vom Glück begünstigten Bruder zuwendest, ihm dadurch wieder zu einer dauernden, menschenwürdigen Existenz verhilfst, so wird er nicht nur alle Kränkungen vergessen, sondern Dich niemals wieder behelligen. Nun entscheide!

Dein Bruder

Theodor Knoop.“

„Schick' ihm das Geld,“ drängte Frau Fanny. „Was liegt dir an ein paar tausend Mark, wenn du Ruhe bekommst!“

Unwillkürlich sah Ileisa empor.

Wenn sie ihrer Tante einmal einen Teil einer solchen Summe würde bringen, ihr dadurch die Kargheit ihres Daseins vermindern könne, welche Seligkeit mußte das sein! Sie liebte die alte Dame, die mit einer schrankenlosen Selbstentäußerung für sie seit ihren Kinderjahren gesorgt hatte, mit den zärtlichsten Gefühlen. Und gegenwärtig wandten sich ihre Gedanken ihr besonders zu, weil sie sie so lange nicht gesehen hatte.

Sie kam sich so undankbar, so gefühllos vor, daß sie nicht den Weg zu ihr fand. Es berührte sie schwer, obschon sie nicht Schuld trug. Sie war gebunden; sie hatte Knoops versprechen müssen, ihre ganze Aufmerksamkeit den neuen Verhältnissen zuzuwenden, alte Beziehungen völlig außer acht zu lassen. Wohlan!

Aber daß Knoops nicht einmal bisher Anlaß genommen hatten, sich um die alte Dame zu bekümmern, sie ein einziges Mal einzuladen, fand sie grausam, ließ eine wirkliche Herzensbildung vermissen.

Herr Knoop aber erwiderte auf die Rede seiner Frau:

„Es ist ja nicht das Geld, Fanny! Ich würde gewiß die 3000 Mark geben, und wenn es sich um das dreifache handelte. Aber sowie ich ihm wieder die Hand biete, nimmt die frühere schamlose Zupferei kein Ende.

„25000 Mark stehen schon auf deinem Konto in meinen Büchern.

„Das ist ein Posten! Und einmal muß doch alles ein Ende haben, wenn alles ohne jeden Nutzen war!

„Ja, wenn er wirklich ein ordentlicher Mensch, wenn ihm wirklich geholfen würde, gleich würde ich nochmals 10000 Mark opfern!

„Aber er verthut es in Schlemmereien, mit Frauenzimmern und im Spiel. Er ist eben leider, zu meinem großen Schmerz, eine verlumpte Persönlichkeit, die am besten die Erde deckte.“

„Was willst du denn thun?“

„Wieder gar nichts!“

„Aber wenn er dir, — uns nachstellt. Ich fürchte mich! Solche Menschen — wir lesen es doch täglich in den Zeitungen — greifen im Affekt zum Aeußersten. — Sie laden in der Verzweiflung eine Schußwaffe.“

„Er schleicht sich in das Papierlager und legt Feuer an,“ fiel Margarete ein. „Ich traue ihm alles zu!

„Wenn du ihm mit dem Bemerken es sei ganz unbedingt das letzte Mal, die 3000 Mark schickst, nimmst du uns wenigstens die Angst, Papa. Wir haben dann die Sicherheit, daß dergleichen wenigstens nicht geschieht. — Mache Bedingungen, lasse ihn ein Schriftstück unterschreiben, daß er sich für immer abgefunden erklärt!“

Aber Herr Knoop verneinte.

„Ich will nicht, ich kann nicht. Es muß kommen, wie es muß. Unzählige Male war's schon das letzte Mal. Nach sechs Monaten kommt er doch wieder und hat neue Gründe! Und die Sprache, die er schon wiederholt gegen mich geführt hat! Es ist ohne Gleichen! Nein, nein! Ich bin mit ihm fertig. Ich betrachte ihn längst nicht mehr als zu mir gehörig!“

Nun sagten die Damen nichts, aber Frau Fanny nahm sich vor, doch noch einmal vor'm Schlafengehen auf ihren Mann einzusprechen. Sie wollte es thun, obschon eine gewisse, entschiedene Art sie bisher stets belehrt hatte, daß mit ihm schwer etwas anzufangen war. —

* * * * *

Der Abend, an welchem der Ball bei Knoops stattfinden sollte, war herangekommen. Während in den Seitenflügeln: in dem Kontor und den übrigen Räumen noch die Arbeitslichter flammten und die Scheiben in den großen Gebäuden von oben bis unten erhellten, fuhren Equipagen auf Equipagen vor das Portal des Wohnhauses des Herrn Friedrich Knoop.

Und er und die Familie standen in ihren durch mächtige strahlende
Kronenerleuchteten Gemächern, und warteten vorn bei der Eingangsthür der
Gäste, bis sich alle mit Ordensbändern geschmückten Herren, und alle in
ihren kostbaren Gewändern einherrauschenden Damen eingefunden hatten.

Nur Herr von Klamm fehlte noch. Er fehlte, obschon er die Anordnungen übernommen hatte. Freilich, seine eigentliche Thätigkeit nahm erst ihren Anfang nach dem Abendessen. Aber seine Anwesenheit beim Erscheinen der Gäste, war doch von Herrn Knoop vorausgeht worden, und sein Ausbleiben begann ihn zu beunruhigen.

„Er ist sicher noch im Kontor!“ erklärte Margarete. „Er sagte neulich, er habe grade am Ballabend noch ziemlich spät im Geschäft zu thun, werde sich aber nach Möglichkeit einrichten.“

Als er noch immer nicht erschien, sandte Herr Knoop Adolf zu ihm.

Herr Knoop lasse freundlichst bitten, daß Herr von Klamm sogleich komme.
Man wolle zu Tisch gehen.

Indessen war es überflüssig! Grade trat er durch die Mittelthür ein, sprach Herrn Knoop seine Entschuldigung aus und richtete seine scharfbeobachtenden Augen auf seine Umgebung.

„Die Sendung nach Frankfurt an der Oder wäre in der That nicht abgegangen, wenn ich nicht noch nachgetrieben hätte, Herr Knoop,“ erklärte er. „Ich hatte die Absendung unbedingt versprochen; es war eine geschäftliche Pflichtsache. Auch wollte ich gern die Abendpost noch einsehen. Es war viel da und Eiliges. — Eine große Bestellung vom Reichstagbüreau ist eingelaufen.“

So begründete er seine Verspätung, küßte Frau Knoop die Hand, begrüßte
Margarete mit warmherziger Vertraulichkeit, und warf einen forschenden
Blick zu Ileisa hinüber, die sich nicht weitab mit einem Offizier
unterhielt. —

Endlich ging's zu Tisch. Klamm führte die Tochter eines hohen Beamten im Ministerium. Herr Knoop hatte es so gewünscht, und es war auch richtig so. Klamm wußte die Menschen für sich einzunehmen, und es war klug, nichts zu versäumen, sich dieser Familie Gunst zu erwerben. Von dem Wohlwollen des Herrn Ministerialdirektors hing die Entscheidung über die Vergebung sehr umfangreicher Druckaufträge ab.

Bei Tisch warfen zwei Personen wiederholt forschende, von Eifersucht keineswegs freie Blicke zu ihm hinüber: Margarete und Ileisa!

Und Klamm bemerkte es jedesmal, wenn sie hinüberschauten, und jedesmal begegnete er ihnen mit irgend einer Aufmerksamkeit, indem er entweder das Glas erhob und ihnen zutrank, oder einen Ausdruck stillen Einverständnisses in seinen Augen erscheinen ließ.

Als seine Tischnachbarin, Fräulein von Wiedenfuhrt, dies einmal bemerkte, redete sie Klamm auf die beiden Damen an:

„Wie Fräulein Knoop sei? Sie habe sie nur einigemale bei Bazaren, wo sie zusammen gewirkt, gesehen. Ob sie ein liebenswürdiges, junges Mädchen wäre?“

„Fräulein Knoop ist eine jener tadellosen jungen Damen, an denen man nur bemängeln könnte, daß sie etwas kleinbürgerlich sind. Ihre Natürlichkeit, ihre Gradheit, ihr ungemein rechtschaffener Charakter verschmähen es, irgend welche Schminke zu gebrauchen Und doch würde ihre Anziehungskraft durch eine Milderung dieser Hausbackenheit um vieles gewinnen.“

„Also Sentiments haben Sie für die Tochter Ihres Chefs nicht, Herr von
Klamm? Dann ist ja noch Hoffnung für die vielen, die ihr Auge mit
Sehnsucht auf Sie richten!“ warf das junge Mädchen neckisch hin.

„Glauben Sie wirklich, daß sich jetzt noch jemand aus Ihren Kreisen für mich interessiert?“ gab Klamm auf diese, der verstandesmäßigen Richtung des Fräuleins entsprechende, Rede zurück.

„Ich bin Prokurist in einer Buchdruckerei geworden. Das ist eigentlich so unerhört, daß man die Pflicht hat, von meiner Existenz auf Erden Abstand zu nehmen.“

„Es würde so sein, wenn Sie nicht eben Herr von Klamm wären,“ fiel die Dame mit ehrlicher Anerkennung ein. „Es giebt Ausnahmemenschen, denen alles wohl ansteht, zu denen infolgedessen auch jeder — und wenn er sich noch so sehr sträubt — Stellung nehmen muß. Jüngst wurde Ihr Artikel über gesellschaftliche Arten und Unarten in den Täglichen Nachrichten vielfach besprochen. Ich kann Ihnen verraten, daß er allen ausnehmend gefallen hat, natürlich abgesehen von jenen jungen Zweibeinigen in Frack und Lackschuhen, die alles besser wissen, nur das Allernächstliegende nicht merken, daß sie nämlich recht lächerliche und überflüssige Erscheinungen in der Schöpfung sind.“

„Im übrigen! Wir sind noch nicht am Ende. Sie wollten mir auch noch etwas über das schöne Fräulein von Oderkranz sagen.“

Klamm zuckte die Achseln. „Wenn ich ehrlich sein soll, so läßt mich meine Menschenkenntnis bisher in Stich. Ich weiß nicht sicher, wie sie ist. Ich vermute nur, daß mein Urteil zutrifft. Ich sehe, daß sie sich erstaunlich zu fügen weiß, zu schweigen, ihr eigentliches Wesen zu verbergen versteht. Ganz präzise gefaßt, würde ich sagen:

„Sie besitzt die Kunst, mit ihren Eigenschaften zu ökonomisieren, immer nur das zu geben und zu thun, was am Platz ist. Und doch — und doch —“

„Nun?“

„Ja, und doch gewinnt man keine rechte Beziehung zu ihr, und doch kann man ihr nicht näher kommen.“

„Was vermuten Sie denn?“

„Alles!“ betonte Klamm beinahe feurig. „Ich glaube, daß sich in diesem Mädchen alle jene Eigenschaften finden, die einen Mann in der Ehe glücklich zu machen im stande sind. Sie ist weiblich, sittlich, häuslich, treu und arbeitsam, daneben voll Tiefe und Wärme, und nicht minder voll Begeisterung für alles Schöne und Gute, sofern ihr Gelegenheit geboten wird, es zu bethätigen. Auf ihr ruht aber die Bürde der Abhängigkeit.“

„Ah! Sie schwärmen ja gewaltig, Herr von Klamm. Fast könnte man glauben,
Sie legten eine unfreiwillige Beichte ab.“

Die junge Dame sprach die Worte in einem von Eifersucht nicht freiem
Tone.

„Sie irren durchaus, gnädiges Fräulein! Wenn ich überhaupt meiner Passion nachgeben dürfte — ich werde nämlich sicher niemals heiraten — so würde ich eines Tages ein gewisses Haus betreten, dort nach dem Ministerialdirektor von Wiedenfuhrt fragen, und ihn bitten, bei seiner überaus schönen und überaus klugen Fräulein Tochter Margot ein gutes Wort für mich einzulegen.“

Kaum, nachdem Klamm so gesprochen hatte, erhob das junge Mädchen den
Kopf und sah Klamm mit einem durchdringenden Blick an.

„Daß auch Sie, Herr von Klamm“ — begann sie steif im Ton — „zu den Leuten gehören, die selbst in ernsten Augenblicken fade Spielereien treiben, hätte ich nicht gedacht. Ich bin heute um eine Erfahrung reicher geworden.“

„Aber mein Fräulein — mein gnädiges Fräulein“ — fiel Klamm nicht wenig überrascht, ja, bestürzt ein. „Ich bitte! Welche Sprache! Wodurch gab ich Ihnen Anlaß, so mit mir ins Gericht zu gehen?“

„Sie werden eher begreifen, wenn ich Ihnen mitteile,“ fuhr sie unbeirrt fort, „daß man allgemein davon spricht, daß Sie verlobt sind und alles daran setzen, diese Verlobung mit einem armen Mädchen rückgängig zu machen, deshalb nämlich, um Fräulein Knoop zu heiraten. So spielen Sie also nun jedenfalls mit dreien: mit Ihrer Braut, mit Fräulein Knoop, mit Fräulein von Oderkranz, und wenn ich natürlich Ihre an mich gerichteten Worte als einen, wenn auch recht ungeschickt gewählten Scherz betrachte — mit mir!“

Klamm erschrak. Unversehens that sich vor ihm ein bisher gar nicht vermuteter Abgrund auf. Aber noch mehr! Ehe er etwas zu entgegnen vermochte, fuhr die junge Dame fort:

„Ich will ganz offen sein! Ich will alles sagen, Herr von Klamm. Neulich hat mein Vater einen anonymen Brief empfangen, in dem er vor Ihnen gewarnt wird.“

„Ah! Die alte Infamie einer mich rachsüchtig verfolgenden
Persönlichkeit!“ fiel Klamm, nachlässig verächtlich im Ton, ein.

„Das schreckt mich nicht, gnädiges Fräulein. Ich wäre im stande, Ihnen den Wortlaut dieses Schriftstücks — es hat nämlich immer den gleichen Inhalt — aus dem Kopfe wiederzugeben. Anders aber ist es mit dem, was Sie sonst äußerten. Hier bedarf es dringend der Aufklärung. Ich bitte, daß Sie mir einmal nächstens eine Unterredung gewähren.

„Ich weiß bestimmt, daß Sie dann anders urteilen werden.“

Da Klamm in einem sehr gemessenen Tone, da er wie ein Mann sprach, der um seine Ehre ficht, so gewann er das Spiel.

Schon begann sich in ihr die Reue zu regen, sich so haben hinreißen zu lassen. Aber es reizte sie auch nicht wenig, von ihm selbst zu erfahren, was Wahrheit, was Geschwätz war; es schmeichelte ihr, daß er sie zu seiner Vertrauten machen wollte.

Aber an diesem Abend geschah noch etwas, das Klamm mindestens ebenso sehr zum Nachdenken Anlaß gab.

Die Tafel war aufgehoben, schon hatte die Musik den Gästen zu einer Reihe von Tänzen aufgespielt. Eben sollte ein Kotillon getanzt werden, den Herr von Klamm einen anwesenden Offizier deshalb zu leiten gebeten hatte, weil er dessen Ehrgeiz: in der Gesellschaft bei solchen Gelegenheiten eine Hauptrolle zu spielen, Rechnung tragen wollte. Aber er hatte auch die Absicht, dadurch Zeit und Gelegenheit zu finden, sich mit Ileisa zu beschäftigen.

Er forderte sie zu diesem Tanz auf, wählte einen entfernteren Eckplatz, woselbst ein ruhiges Plaudern eher möglich war, und sagte, nachdem er eben mit ihr eine Runde gemacht hatte:

„Sie machen alles vortrefflich, gnädiges Fräulein! Auch eben zeigten Sie sich wieder als Meisterin.“

„Das möchte ich, ohne Komplimente, Ihnen sagen, Herr von Klamm —“

„So beschäftigen wir uns also gegenseitig mit einander, ohne daß wir es uns eingestanden haben —“

Er sah sie bei diesen Worten mit einem werbenden Blick an. Er that's, obschon ihm grade die Unterredung mit seiner Tischdame heute hätte eine Zurückhaltung auferlegen sollen. Aber auch ihm geschah's, daß häufig das menschliche Ich grade dann zu einer Auflehnung gegen die bedachte Mutter Vernunft gelangt, wo es am allerwichtigsten ist, auf ihre Stimme zu hören.

Er fand Ileisa heute schöner denn je. Sie war auch an diesem Abend der
Mittelpunkt. Jedermann drängte sich zu ihr, und auch dadurch wurden des
Mannes Sinne angefacht.

Bisher war ihm niemand in den Weg getreten. In das stille Knoopsche Haus traten wenige ein, nur bei solchen Gelegenheiten wurden die Staatszimmer geöffnet.

Statt auszuweichen, gab ihm Ileisa einen Blick zurück, der sein Inneres in Aufruhr versetzte. Dann sagte sie kurz, bestimmt:

„Ja, Herr von Klamm!“

Diese Antwort riß Klamm fort.

Er überflog ihre Gestalt mit seinen Augen. Er sah, wie sich unter dem seidenen Ballmieder die Büste hob und senkte. Er umfing mit seinen Blicken all die Reize, die ihr die Natur verschwenderisch verliehen hatte, und forschte noch einmal in ihren Augen, in Augen, in denen eine versteckte Glut loderte.

Dann sprach er entschlossen:

„Wohlan denn, da es so ist, da wir uns verstehen, ja, da wir uns einig sind, so wollen wir Kameraden werden, gemeinsam unser Ziel verfolgen. Es bedarf keiner Erklärung, warum es sich handelt. — Nicht wahr, Fräulein von Oderkranz?“

Und indem er die Stimme dämpfte, dasselbe in einem weichen Tone wiederholte, sich zu ihr drängte mit seinem Ich: „Nicht wahr, Fräulein Ileisa?“

Abermals vernahm er ein festes Ja und fühlte, als er nach ihrer Hand tastete, einen Gegendruck, der ihm das Blut durch die Adern jagte.

„Wann und wo wollen wir uns morgen sprechen?“ ergänzte Klamm, indem er um der Umgebung willen seinen Mienen einen durchaus gleichgültigen Ausdruck verlieh.

„Ich werde bitten, ehestens meine Tante besuchen zu dürfen. Wird mir dies erlaubt, so werde ich an einem Ihnen noch schriftlich mitzuteilenden Tage gegen ein Uhr auf dem Potsdamer Platz am Rundteil sein können.“

Als Herr von Klamm eben antworten wollte, stand Margarete Knoop vor ihnen.

„Darf ich stören?“ fragte sie mit künstlicher Schelmerei im Ton. Sie hatte beide seit langem beobachtet und schon große Qualen empfunden. Auch sie hatte sich vorgenommen, heute einmal mit allem zwischen sich und Klamm aufzuräumen.

„Bitte, kommen Sie nach Beendigung des Kotillons eine Weile in den
Wintergarten,“ bat sie, während er mit ihr tanzte.

„Sie müssen mir bei der Bowle behilflich sein.“

„Zu Ihrem Befehl, gnädiges Fräulein,“ betätigte Klamm und zog sie unwillkürlich fester an sich.

Er stand zwischen drei Feuern.

Seine Tischnachbarin beargwöhnte ihn, nachdem er sich unvorsichtigerweise in ihre Hand begeben hatte. Ileisa gegenüber hatte er sich von seinen bisher zurückgedrängten Gefühlen fortreißen lassen.

Nun kam ihm Margarete in solcher Weise entgegen! —

Als sie später nebeneinander standen und Moselwein in eine Punschbowle füllten, sagte Klamm:

„Ich stehe unter dem Eindruck, daß Sie auch sonst noch über mich zu befehlen wünschen. Darf ich fragen, womit Ihnen Ihr gehorsamer Diener zu willen sein kann?“

„Ja, Herr von Klamm! Ich muß endlich einmal eine Frage an Sie richten. Es muß um Ihretwillen geschehen, da ich auch heute wiederholt in einer mich ärgernden Weise angesprochen bin:

„Wie heißt Ihr Fräulein Braut? Woher stammt sie? Weshalb führen Sie sie nicht uns und der Gesellschaft zu? Ist sie wirklich krank? Und wollen Sie sich, wie man sagt, wieder entloben?

„Nicht Neugierde treibt mich, ich betone dies. Die angeführten Gründe und das warme Interesse, das ich für Sie empfinde, lassen mich sprechen.“ —

Schon wollte Klamm antworten, er wollte ihr bekennen, wie es stand und wodurch die Unwahrheit hervorgerufen worden war. Aber dann wählte er doch einen anderen Weg, den, zu dem ihn bei Fräulein von Wiedenfuhrt die Umstände getrieben, den er auch Ileisa vorgeschlagen hatte.

„Zuerst meinen aufrichtig empfundenen Dank, gnädiges Fräulein,“ entgegnete er. „Und um alles nach Ihren Wünschen zu erledigen, bitte ich Sie, in eine zeugenlose Unterredung zwischen uns zu willigen. Hier — heute — ist nicht der Ort, Ihnen alles zu erklären. Ich muß weit ausholen.

„Also, ich bitte. — Wann wollen Sie mir diese Vergünstigung gewähren?“

„Sonnabend mittag bin ich allein in unserer Wohnung. Meine Mutter will dann Besuche machen!

„Wohlan! Abgemacht!“ Sie reichten sich die Hand.

„Aber bitte, gehen Sie jetzt, ich sehe verschiedene unserer Gäste kommen,“ betonte sie, und Klamm verneigte und entfernte sich. —

* * * * *

Gegen Mitternacht, während sich die Gäste bei Knoops im vollen Genießen befanden, wurde draußen an der Hausthürklingel der Villa gezogen. Als Adolf öffnete, trat ihm ein hochaufgeschossener, hagerer Mann mit wüsten Augen, krankhaft geröteten, scharf hervortretenden Backenknochen und einem unangenehm wirkenden rotbraunen Halbbackenbart entgegen. Er fragte, im übrigen wie ein Gentleman gekleidet, mit hohem Zylinder und Pelz versehen, in einem kurzen Tone, nach Herrn Knoop. Als Adolf entgegnete, es sei Gesellschaft im Hause — es werde sich Herr Knoop jetzt unter keinen Umständen sprechen lassen, — erwiderte er:

„Sagen Sie nur, daß es sich um höchstens fünf Minuten, daß es sich aber um eine sehr wichtige und eilige Geschäftsangelegenheit handle. Sie können hinzufügen, daß ich noch diese Nacht Berlin verlassen müsse, daß ich deshalb jetzt komme.

„Wo kann ich mich solange aufhalten, bis Herr Knoop kommt?“ schloß er, indem er durch solche Frage ohne Weiteres seinen Willen zur Geltung zu bringen suchte.

„Ist hier nicht ein Gemach, wo ich warten kann?“ Adolf zeigte, durch die Sicherheit, mit der jener austrat, nachgiebig gemacht, auf ein kleines, einfenstriges Kabinett zur Rechten.

In dieses trat dann auch der Fremde ein, während sich Adolf rasch in den
Tanzsaal begab.

Knoop unterhielt sich eben mit Klamm, sie beredeten noch eine kleine
Ueberraschung für die Gäste.

„Ein Fremder? Ein Fremder um diese Zeit? Was will er?“

Adolf berichtete, was er wußte.

„Bitte, begleiten Sie mich, Herr von Klamm,“ entschied Knoop rasch entschlossen. „Da es sich um Geschäftliches handelt, sind Sie ja ebenso sehr interessiert —“

Unter solchen Worten schritt Knoop voran, und wenige Augenblicke später traten sie in das erwähnte Kabinett.

„Ah! du!“ stieß Knoop ebenso enttäuscht wie zornig heraus. „Nun dringst du gar nachts unter einer Lüge in mein Haus! Nein, nein — gieb dir keine Mühe! Ich habe nichts zu hören —“

„Du erregst dich zu deinem eigenen Nachteil, Friedrich,“ fiel Theodor
Knoop mit eiserner Ruhe ein.

„Ich frage, da ich Berlin verlassen muß, da ich eine Antwort auf meine Zeilen nicht empfing, ob du meiner Bitte entsprechen willst? Ich erkläre mit meinem Ehrenwort, daß ich dich nie wieder belästigen werde. Ich will dir einen schriftlichen Verzicht ausstellen.“

„Sehr gnädig! Du thust wirklich, als ob du Ansprüche zu erheben hättest, während du ganz dasselbe jedesmal beschworen hast. Was nach solchen Erfahrungen ein Ehrenwort aus deinem Munde bedeutet —“

„Ah,“ preßte Theodor Knoop in ergrimmtem Tone heraus, und seine Augen funkelten.

„Immer bleibst du doch derselbe eingebildete Hochhinaus, der du schon als Knabe warst, hältst dich für hundertfach besser, als andere, giebst schöne Lehren und teilst weise Sprüche aus, während du — —“

„Nun, ja — ja — ja — es mag sein, daß du vieles mit Recht an mir auszusetzen hast. Wir geben uns eben darin nichts nach; und weil dem so ist, habe ich ja schon seit langen Jahren vorgeschlagen, daß wir auseinander bleiben. Du aber kommst immer wieder, und natürlich immer dann, wenn du Geld von mir erpressen willst —

„Ich aber erkläre dir, daß ich mich auf nichts mehr einlasse! Ein
Vermögen, das ich dir nach und nach hingab, ist zwecklos verschleudert.
Es würden die Tausende auch in den Sand geworfen sein, die du heute
verlangst. —

„So das ist mein letztes Wort; wir haben nichts mehr miteinander zu sprechen. — Ich muß dich ersuchen, mich nicht ferner mehr zu belästigen. Es ist höchste Zeit, daß ich zu meinen Gästen zurückkehre.“ —

Theodor Knoop, ein Mann mit einem tückischen Auge und kaltem Ausdruck in den Zügen, überlegte, was er thun sollte.

Er hatte diesen Weg eingeschlagen, weil er dadurch die ihm einzig noch bleibende Möglichkeit erkannte, von seinem Bruder etwas zu erreichen. Nun hatte er aber, statt den Bittenden zu spielen, seinem Bruder Beleidigungen ins Gesicht geschleudert. Ungeschickter hätte er es nicht anfangen können, ihn zur Hergabe von Geld zu bewegen.

Und da griff er zu dem letzten Mittel. Indem er rasch seines Bruders
Begleiter musterte und zu diesem, zu Klamm, sich wendete, sagte er:

„Ich bitte Sie, mein Herr, ein gutes Wort für mich einzulegen. Ich wiederhole, daß ich durch dieses Geld zu einer dauernd soliden Existenz gelange. Bisher verfolgte mich das Unglück; — mein Bruder rechnet niemals dieses hinein, er spricht immer nur von meinem Leichtsinn, weil er nie die Verhältnisse geprüft hat. Soll ich denn wirklich zu einem Verzweiflungsakt getrieben werden? Ich frage: Ist derjenige, der sich durch seine Schuld in einer schweren Lebensbedrängnis befindet, weniger bemitleidenswert, als der unschuldig Leidende? Und wenn, ist nicht ein Unterschied zwischen Fremden und Brüdern?“

Und wieder zu seinem ungeduldig nach der Thürklinke greifenden Bruder:

„Gewiß! Ich war wiederholt ausfallend gegen dich, Friedrich. Es war aber Verzweiflung — es war nicht persönlich. Dir ist alles geglückt, du bist von der Natur anders veranlagt, so wurde es dir leichter, den glatten Weg zu gehen. Ich bitte, ich flehe dich an: Gieb mir das erbetene Geld! Sage, daß ich es mir morgen holen lassen darf. — Helfen Sie, mein Herr, diese Sache zwischen uns zu einem friedlichen Abschluß zu bringen!“

Herr von Klamm hatte bisher nur den stummen Zuhörer gespielt. Es war um so mehr geschehen, weil er in dem Manne, der hier nächtlich eingedrungen war, einen nach der Beschreibung seiner Mutter nicht zu verkennenden Komplizen derjenigen Geschäftsleute zu erkennen glaubte, durch die seine Mutter, während seines Aufenthaltes im Ausland um ihr Hab' und Gut gekommen war. Es war eine ganze Bande gewesen, die es in der raffinierteren Weise verstanden hatte, sie auszurauben.

So zog er nun die Achseln und sagte:

„Ich wurde von Herrn Knoop ersucht, ihn zu begleiten. Er nahm an, daß es sich um Geschäfte handle. In Herrn Knoops Privatangelegenheiten habe ich kein Recht einzugreifen; es würde, wie ich vermute, auch durchaus gegen seinen Willen sein.“

„Ich gebe aber nochmals zu bedenken, daß ich Ihnen allen für alle Zeiten entrückt werde. Ich will mich nach Südamerika einschiffen. Ohne Geld vermag ich es nicht, ich weiß es mir nicht anders zu verschaffen —“

„Wohlan, so will ich das Billet für dich kaufen,“ sprach Herr Knoop plötzlich entschlossen. „Herr von Klamm wird dich auf das Schiff begleiten, und dir auch noch etwas Zehrungsgeld einhändigen. Ein Schriftstück unterzeichnest du vorher, daß du mir so und so viel schuldig geworden.

„Bist du damit einverstanden, so melde dich morgen vormittag elf Uhr zur näheren Rücksprache bei mir.“

„Und wie viel würdest du mir bewilligen, Friedrich?“ forschte der Mann lauernd.

„Ich sagte es ja schon. Den Betrag für die Ueberfahrt und eine Summe in angemessener Höhe für den Anfang, keinen Pfennig mehr, und auch nur dann, wenn das Geld dafür verwendet wird. Und nun nochmals. — Adieu! Ich kann und will hier nicht länger verweilen —“

„Gieb mir 3000 Mark ohne Bedingung, ich wiederhole mit meinem Eidschwur, daß ich nicht wiederkommen will, Friedrich. Weise es mir zu der angegebenen Zeit an.“

„Nein, es bleibt, wie ich angab! Ich lasse mich nur nochmals bewegen, etwas zu thun, wenn du Deutschland verläßt. Es geschieht vorzugsweise auch um meiner Damen willen, die endlich Ruhe für mich herbeiwünschen.“

Noch einen Augenblick schwankte Theodor Knoop. Dann sprach er einen rauhen Dank, nickte kurz, griff nach seinem Hut und entfernte sich unter der nochmaligen Wiederholung der Zeitstunde, die für den folgenden Tag zwischen ihnen verabredet war.

Mit äußerlich sorglosen Mienen traten dann auch die beiden Herren wieder unter die Gäste. Niemand sah ihren Gesichtern an, was sich eben hinter den Thüren vollzogen hatte.

Man hatte sie bisher auch kaum vermißt, nur von Ileisa war bemerkt worden, daß sie sich mit beschäftigten Mienen beide plötzlich entfernt hatten.

* * * * *

Als Klamm am nächsten Morgen erwachte, hatte er es schwer, seine Gedanken zu ordnen, insbesondere das Für und Wider, das sich ihm nüchtern aufdrängte, vernunftgemäß zu scheiden.

Nun war der Augenblick gekommen, wo er eine bündige Erklärung abgeben mußte. Sollte er eingestehen, daß er gar nicht verlobt sei? Und wenn, welche Gründe für seine Behauptung sollte er angeben? Die wirklichen!? Er sah Herrn Knoops Miene und stand davon ab. Andererseits widerstrebte es ihm, an einer Lüge festzuhalten und gar noch eine neue auszusprechen. Fräulein von Wiedenfuhrt konnte er die Wahrheit bekennen, sie, die Fernerstehende, würde seine Handlungsweise eher begreiflich finden. Gab er Margarete zu, daß er Falsches berichtet, so konnte er ihr wenigstens nicht eröffnen, weshalb er so gehandelt hatte. Er mußte ein anderes Motiv angeben. Und wiederum, wenn er das that, mußte er auch Fräulein von Wiedenfuhrt ein gleiches sagen. Der Zufall konnte spielen. Wie würde er dastehen, wenn er der einen diesen, der anderen einen völlig anderen Grund mitteilte, und sie davon erführen?

Es gab, sagte sich Klamm, Zeiten, in denen den Himmel für den einzelnen voll klaffender Spalten war.

So erging es jetzt ihm, und nur einen Ort gab es, wo er vielleicht Rat und Trost finden konnte, bei ihr, seiner weisen, voll inniger Liebe für ihn erfüllten Mutter. Ihr beschloß er sich anzuvertrauen. Ihr wollte er alles mitteilen, wollte hören, wie sie entschied, und danach zu handeln suchen.

Vorläufig bestand aber die nächste, ernste Tagesaufgabe darin, mit
Theodor Knoop zu konferieren. Da zu diesem Zweck noch eine vorherige
Rücksprache zwischen ihm und dem Chef verabredet worden war, beeilte
sich Klamm, baldmöglichst von seiner in der Kurfürstenstraße belegenen
Wohnung nach den in der Zimmerstraße befindlichen Knoopschen
Geschäftsräumen zu gelangen. —

Klamm fand Herrn Knoop allerdings nicht in der gewohnten, guten Laune, Feste lassen nur zu häufig einen schlechten Geschmack auf der Zunge zurück. So erging's dem Chef. Er sollte nun wieder für seinen Bruder Theodor, den unverbesserlichen Taugenichts, in die Tasche greifen. Auch beschäftigte seine Gedanken ein Brief, den er von seinem Sohne Arthur erhalten hatte. Der wollte durchaus jetzt schon nach Berlin zurück. Er mochte im Auslande nicht mehr bleiben. Und wenn er wiederkehrte, wie würde sich das Verhältnis zu Klamm stellen? Das ging Herrn Knoop nicht minder durch den Kopf.

Von all dem gelangte, während der Unterredung mit Klamm, etwas zum
Ausdruck.

Natürlich! Gehandelt mußte deshalb doch werden! Das gegebene Wort mußte eingelöst werden. Die Reise nach Chile kostete, das hatte Herr Knoop schon nachgesehen, etwa 1000 Mark. Dieser Summe wollte er noch 1500 hinzufügen.

Am nächsten Tage sollte Klamm mit Theodor nach Hamburg reisen. — Das
Dampfschiff ging von dort abends ab.

„Wenn Sie, verehrter Herr von Klamm, den Eindruck gewinnen, daß mein Bruder die Reise nur vorgiebt, daß es lediglich darauf abgesehen ist, mir wieder Geld abzunehmen,“ erörterte Knoop, „so lösen Sie kein Bildet, sondern händigen ihm die Hälfte, nämlich 1250 Mark unter der Bedingung aus, daß er vorher das hier von mir schon heute morgen ausgefertigte Schriftstück unterschreibt.

„Dann bringe ich eben dieses Opfer noch ein- und zum letztenmal.

„Und nun noch zu etwas anderem, bester Herr von Klamm! Es muß das einmal zwischen uns erörtert werden,“ fuhr Herr Knoop ernst geschäftig fort, und seine Mienen und seine dann folgenden Worte versetzten Klamm in eine starke Unruhe:

„Als Sie mir damals näher traten, erklärten Sie, daß Sie — ich habe Sie nicht danach gefragt, Herr von Klamm — verlobt seien.

„Es wird nun von allen Seiten darüber gesprochen, daß Sie Ihr Fräulein Braut mit einem sehr auffallenden Geheimnis umgeben, nie von ihr reden, sie nicht zeigen. Einige behaupten, Sie wollten die Verbindung wieder lösen, Sie hätten sie sogar schon wieder gelöst.

„Es ist mir sehr peinlich, uns allen, daß wir immer wieder auf diese Angelegenheit angeredet werden. Ich möchte Sie daher freundschaftlich bitten, mir Ihr Vertrauen zu schenken, mir offen und ehrlich zu erklären, wie die Dinge stehen.

„Ich hoffe, Sie erkennen darin keine unbescheidene Zudringlichkeit, sondern nur den wohl begreiflichen Wunsch, Klarheit zu gewinnen.

„Also ich bitte: Sprechen Sie, und seien Sie versichert, daß ich Ihre Erklärungen so entgegennehmen werde, wie es unseren Beziehungen entspricht!“

Was ging nicht alles durch Klamms Inneres bei dieser Rede! —

So völlig unerwartet kam ihm diese Aufforderung. Während er noch vor einer Stunde hatte die Dinge nach seinen Gedanken lenken wollen, wurde er nun plötzlich durch die Umstände zu einer Entscheidung gedrängt. Es galt jetzt: Wahrheit oder fernere Verschleierung, volle oder halbe Wahrheit!

Klamm entschied sich ohne Besinnen für die Wahrheit, jedoch für diese mit einer Einschränkung.

Zufolgedessen sagte er:

„Wohlan, Herr Knoop! Da Sie mich fragen, da Sie mich Ihrer Freundschaft versichern, mit anderen Worten, Ihrer Nachsicht und Ihrer ferneren guten Gesinnungen, so sei es bekannt:

„Ich bin gar nicht verlobt!“

Nur das sprach Klamm vorläufig, und richtete einen ruhigen Blick auf seinen Chef.

Zu Klamms sehr starker Enttäuschung erschien aber nicht der erwartete Ausdruck in den Zügen des Herrn Knoop, sondern es malte sich darin eine ganz gewaltige Befremdung. Ja, noch mehr! Es erschien ein Zug von äußerstem Unbehagen und einer beinahe mit Entrüstung vermochten Strenge.

„Wie? Was? Sie waren und sind gar nicht verlobt? Und dabei geben Sie uns seit dreiviertel Jahren fortwährend Antwort auf unsere Fragen, befördern Grüße und gar Einladungsbriefe an Ihre Braut? Ich muß gestehen, Herr von Klamm, daß diese Erklärung mich äußerst befremdet, und ich werde mich nicht eher beruhigen können, als bis Sie mir nähere, mich hoffentlich befriedigende Aufklärung gen zu geben vermögen. —

„Was in aller Welt gab Ihnen Anlaß, mir ohne Not das vorzusprechen, und die Unwahrheit bis zum heutigen Tage fortzusetzen?“

„Ich vermag Ihnen den Grund nicht zu sagen, Herr Knoop. Ich kann Ihnen nur erklären, daß ganz bestimmte Verhältnisse mich dazu drängten, Umstände, deren Zwang Sie, könnte ich reden, anerkennen würden. Möge Ihnen das genügen, und seien Sie, ich bitte, statt Richter, wie Sie es versprachen: mein nachsichtiger Freund!

„Es wäre ja ein Leichtes für mich gewesen, Ihre Frage so zu beantworten, daß mich gar kein Vorwurf getroffen hätte. Ich hätte Ihnen ja nur sagen können, daß ich die Verlobung wieder aufgehoben habe. Ich hasse aber die Lüge, und sie ohne Not noch einmal anzuwenden, wäre eine verwerfliche Handlung gewesen!“

„Hm — hm — Das klingt sehr ehrenfest, Herr von Klamm! Aber es befriedigt mich, offen gestanden, nicht. Ich muß sogar in Anbetracht des Verhältnisses, in dem wir zu einander stehen, die Bedingung für ein ferneres Zusammenbleiben stellen, daß Sie sich mir rückhaltlos eröffnen. Es geht nicht anders. Es ist absolut erforderlich!

„Bedenken Sie, daß ich vor Ihnen gewarnt wurde. Versetzen Sie sich in meine Lage und fragen Sie sich, ob ich anders handeln kann.

„Und wenn doch — ist jetzt einmal mein Vertrauen erschüttert worden — und es liegt Ihnen die Aufgabe ob, es wieder herzustellen.“ —

„Ist die Sache wirklich so tragisch zu nehmen, Herr Knoop?

„Was liegt vor? Ich habe erwähnt, daß ich verlobt sei! — Ich hatte einen Grund dafür! Ich habe dann nie wieder darüber gesprochen, bin aber, obschon ich auswich, obschon ich immer deutlich an den Tag legte, daß ich der Fragen gern entgehen möge, unzählige Male von Ihrer Umgebung darauf angeredet worden. Ja, aus Ihrem Hause ist die Sache auch in die Oeffentlichkeit gebracht. Ich habe mit niemandem als mit Ihnen das einzige Mal gesprochen. Nun erkläre ich auf Ihre Frage, daß ich nicht verlobt bin, daß ich seinerzeit einen wichtigen Grund hatte, mich als gebunden auszugeben.

„Gewiß, damit wird die Unwahrheit nicht beseitigt, aber es ist wohl anzunehmen, daß ich wirklich unter einem Zwange handelte. An diesen, bitte ich Sie, nun zu glauben.

„Aber Sie wollen nicht! Sie erklären, mich sogar fallen lassen zu müssen, wenn ich nicht mein Geheimnis preisgebe. Aber noch mehr, Herr Knoop! Sie führen sogar jenen ruchlosen Brief an! Obschon Sie mich nun fast ein Jahr geprüft haben, wollen Sie nicht nach Ihren Erfahrungen in einem für mich günstigen, sondern ungünstigen Sinne entscheiden!“

„Ich kann nicht anders, Herr von Klamm, soviel Sie auch zu Ihrer Entlastung anführen. Ich muß darauf begehen, daß Sie meine Frage beantworten:

„Aus welchem Grunde erklärten Sie mir unaufgefordert, daß Sie verlobt seien, während dies eine bewußte Unwahrheit war?“

„Ich vermag dennoch Ihrem Ersuchen nicht nachzukommen, Herr Knoop. Ich darf Sie nochmals bitten, sich mit meiner Erklärung zu begnügen und Nachsicht zu üben!

„Wenn aber nicht — so muß ich mich, so unendlich schmerzlich es mir ist — Ihrem Willen fügen und das wieder verlassen, was ich mit auszubauen redlich bestrebt war, von dem ich gehofft hatte, — daß ich dadurch einen neuen dauernden Lebensinhalt finden werde.

„Ich darf und will mich auch nicht beklagen. Ich beging ein Unrecht und muß dafür büßen! Wann wünschen Sie, daß ich aus dem Geschäft austrete!?“

„Ich werde Ihnen darüber noch Mitteilung zukommen lassen, Herr von
Klamm! Zunächst richte ich die Frage an Sie, ob Sie auch jetzt noch die
Angelegenheit mit meinem Bruder zu übernehmen, die Güte haben wollen?“

„Jawohl! Ich bin dazu bereit, Herr Knoop!“

„Ich danke Ihnen! Weiteres dann nachher bei seinem Besuch! Guten Morgen,
Herr von Klamm.“

„Guten Morgen, Herr Knoop!“

Als Klamm in sein Kontor getreten, war es sein erstes, ein Briefchen an
Margarete Knoop zu schreiben.

Es war sehr kurz gefaßt und lautete:

„Hochverehrtes Fräulein!

  Verzeihen Sie, wenn ich Sie bitte, von einer Unterredung in meinen
  Angelegenheiten abzugehen. Zufolge einer zwischen Ihrem Herrn Vater
  und mir eben stattgehabten Auseinandersetzung würde eine solche nur
  Peinlichkeiten für uns beide mit sich führen.

  Nehmen Sie im voraus meinen verbindlichsten Dank für die gute
  Gesinnung entgegen, die ich trotzdem ferner von Ihnen und Ihrer Frau
  Mutter zu erbitten wage.

Ihr sehr ergebener

Alfred, Freiherr von Klamm.“

Klamm geriet noch einmal ins Zögern, bevor er diesen Brief von Adolf hinübertragen ließ. Wer ihm das diesen Morgen gesagt hätte! Und doch ging es nicht anders, und doch war es nun das Richtige, reine Bahn zu schaffen. Es waren einmal die Dinge aus dem Gleis geraten. Wo das Vertrauen verloren gegangen war, so sagte sich Klamm, da gab's keine Nadeln und keinen Zwirn zum wiederzusammenheften. Höchstens konnte die Zeit, die alles klärte, auch darin einstmals eine Aenderung wieder herbeiführen.

Und einen Gewinn trug er davon, wenn er Knoops verließ: er konnte sich unter weit günstigeren Umständen Ileisa nähern, sie, wie er nach den gestrigen Vorgängen annehmen zu können glaubte, für sich gewinnen. —

Grade ihre Art und ihr Wesen hatten ihn noch mehr bestrickt, hatten die
Funken, die in ihm glühten, angefacht. Einmal wieder den Geschäften
abgewendet, war das frühere, lebendige Interesse für Frauen und
Frauenschönheit wieder in ihm wach geworden.

Oft enttäuscht, fand er — wie er hoffte — in ihr endlich das Ideal seiner Vorstellungen. Er konnte es nicht erwarten, in ihre Nähe zu gelangen. — Auch an Fräulein von Wiedenfuhrt richtete er — infolge der veränderten Sachlage — noch an diesem Morgen einen Brief:

„Erlauben Sie, mein hochverehrtes Fräulein!“ — schrieb er — „daß ich einmal später um die Erlaubnis bitte, Ihnen in der zwischen uns beredeten Angelegenheit nähere Aufklärungen zu geben. Es hat sich unerwartet etwas zwischen mein Wollen und Können gestellt. Nur so viel heute von Ihrem Ihnen aufrichtig ergebenen

Alfred, Freiherrn von Klamm.“

Eben hatte die Rücksprache mit Theodor Knoop stattgefunden. Es war die Abrede getroffen, daß die Herren am nächsten Morgen nach Hamburg reisen sollten. Im legten Augenblick hatte sich Herr Knoop bereit gefunden, seinem Bruder außer den Ueberfahrtskosten die Summe von zweitausend Mark, also einen größeren Betrag, als er ursprünglich beabsichtigt, zu bewilligen. Er war dem geschmeidigen Wesen Theodors, seinen Versicherungen und Schwüren, daß er nie wieder etwas von sich hören lassen, daß er nie aus Chile zurückkehren werde, erlegen.

Bevor sie sich zum Fortgehen anschickten, ersuchte aber Klamm noch Herrn
Knoop um eine Unterredung.

Zu diesem Zweck traten sie in Klamms Arbeitszimmer, und hier begann letzterer:

„Ich muß Ihnen eine Eröffnung machen, Herr Knoop. Ich muß Sie dennoch bitten, daß Sie mich von meiner Zusage entbinden, mit Ihrem Herrn Bruder nach Hamburg zu reisen, überhaupt mit ihm in Berührung zu treten.

„Es hat sich mir nämlich als unzweifelhaft ergeben, daß Ihr Herr Bruder zu einer Gruppe von Personen gehört, die vor Jahren meine Mutter durch falsche Vorspiegelungen um ihr ganzes Vermögen gebracht haben. Wir haben den Gaunern, die sich falsche Namen beigelegt hatten, bisher nicht auf die Spur kommen können. Nun ist einer entdeckt.

„Meine Mutter hat ihn mir so oft beschrieben, daß ich schon gestern gleich stutzig wurde, als ich ihn sah. Eine Unterredung, die ich heute morgen mit ihr hatte, und der eben stattgehabte abermalige Vergleich erhärten die Gewißheit seiner Identität.

„Wenn ich Ihnen nicht den Eklat ersparen möchte, würde ich sogleich seine Verhaftung veranlagen. Ich sehe davon ab, aber Sie werden begreifen, daß ich mit ihm nicht in Berührung treten will! Es thut mir außerordentlich leid, aber ich kann nicht anders handeln!“

„Hm — hm,“ stieß Herr Knoop enttäuscht und höchst unangenehm berührt, heraus. „Das ist ja sehr fatal!

„Sollten Sie sich aber nicht doch irren! Sollte wirklich mein Bruder Sie geschädigt haben? Sie stehen doch bisher nur unter einer Vermutung. Und ich bitte, noch etwas sagen zu dürfen: Sie erklärten mir doch bei unserer ersten Konferenz damals, daß Ihre Frau Mutter vermögend sei. Wie habe ich es zu verstehen, daß nun mein Bruder sie um ihr ganzes Vermögen gebracht haben soll?“

Klamm fühlte sich stark betroffen. Das war abermals eine Folge seiner damaligen Äußerungen.

Was sollte er darauf entgegnen? Da ihm aber zum Besinnen keine Zeit gegeben war, sagte er rasch und ohne äußere Verlegenheit:

„Sie scheinen zu glauben, daß ich nur nach einem Vorwande suche, mich meiner Zusage zu entziehen, Herr Knoop. Ich versichere Sie, daß ich mich in der Person Ihres Herrn Bruders nicht irre. Schon fiel es mir gestern abend auf, wie er gleich bei der Nennung meines Namens zusammenzuckte. Was ferner den Widerspruch zwischen meinen damaligen und heutigen Erklärungen anbetrifft, so hängen sie mit jenem Umstande zusammen, über den ich nicht sprechen kann, und um dessen willen Sie wünschen, daß ich Ihr Geschäft wieder verlasse. Ich vermag mich auch jetzt nicht zu erklären.“

„Mir aber werden Sie es nachfühlen, Herr von Klamm, daß mich alle diese
Dinge äußerst stutzig machen müssen.

„Wenn auch alles günstig für Sie liegt, ich habe — ich wiederhole es — das Vertrauen verloren, und da Sie abermals verweigern, Erklärungen zu geben, so meine ich allerdings, daß eine Trennung zwischen uns nicht mehr zu umgehen ist.“

„Und was soll mit Ihrem Herrn Bruder geschehen?“ wandte Klamm, nachdem er eine resignierende Miene angenommen hatte, ein.

„Ja — ja — das weiß ich nicht,“ ging's zaudernd aus des Mannes Munde. „Ich — ich kann's Ihnen ja nicht verdenken, wenn Sie wirklich einen Schuldigen zur Rechenschaft ziehen wollen! Ich befinde mich in einer sehr bösen Lage. Immerhin ist's doch mein Bruder; immerhin handelt es sich doch um die Ehre und das Ansehen meines Hauses. — Seine völlige Entfernung aus Deutschland wäre also die glücklichste Lösung.“ —

Klamm bewegte den Kopf mit einem bitteren Ausdruck. Dann sagte er:

„Nun, da es sich um Ihre Angelegenheit handelt, Herr Knoop, wünschen
Sie, daß Nachsicht geübt wird. Es liegt ein Gaunerstreich vor, der
einer Familie das Vermögen kostete, der mich gezwungen hat, aus meinen
Lebensbahnen herauszutreten, ja, ich kann es sagen, der ein indirekter
Grund ist, daß ich Ihnen etwas Unzutreffendes sagte, — daß ich an ein
Mädchen gebunden sei!

„Aber diese Sache wollen Sie im Sande verlaufen lassen? Mich wollen Sie um eines ungünstigen Scheines willen — wollen mich trotz Ihrer anderweitigen Erfahrungen — abthun!“

„Sie haben doch selbst das Anerbieten gemacht, Herr von Klamm! Sie haben erklärt, Sie wollten um meinetwillen den Eklat vermeiden.“

„Gewiß, ich wurde von meiner anständigen Gesinnung geleitet. Nachdem Sie mich aber interpellierten, wie es geschehen ist, entzogen Sie mir eine gleiche Rücksicht. Die Dinge dieser Welt müssen, sollen sie einen Ausgleich finden, auf Gegenseitigkeit beruhen.“

„Sie haben recht und unrecht, Herr von Klamm! Aber jedenfalls hat — ich wiederhole Gesagtes — das gute Einvernehmen zwischen uns durch die Umstände einen Bruch erlitten.

„Ich schlage Ihnen vor: Trennen wir uns in Frieden! Verschärfen wir den Riß nicht durch eine Fortsetzung solcher Gespräche. Ich mache Ihnen den Vorschlag, daß Sie noch einige Zeit bleiben, um alles abzuwickeln, und daß wir dann von einander scheiden. Es trifft sich, daß mein Sohn aus dem Ausland zurückkehren will! So kann er an Ihre Stelle treten!“

„Ah —“ ging's langgedehnt über die Lippen Klamms, und er wollte hinzufügen: „Nun ist mir alles verständlich!“

Aber er sprach nicht mehr. Nur noch eine Verneigung erfolgte, aus der hervorging, daß er sich mit Herrn Knoops Vorschlägen einverstanden erklärte. —

Er erfuhr auch nicht, in welcher Weise sich Herr Knoop mit seinem Bruder auseinandergesetzt hatte. Er sah nur nach einer geraumen Weile Theodor Knoop aus dem Hause treten und die Straße hinabschreiten.

* * * * *

Klamm und Ileisa, die sich an einer von ihnen schriftlich vereinbarten
Stelle in der Bellevuestraße getroffen hatten, wanderten durch den
Tiergarten und nahmen die Richtung nach Charlottenburg.

Anfänglich stockte das Gespräch. Ileisa legte eine starke Befangenheit, aber auch eine auffallende Unpersönlichkeit in ihrem Wesen an den Tag. Sie sah sich wiederholt scheu um, ob man sie auch beobachte, und betonte zu Klamms Enttäuschung, daß sie nur ihr Wort nicht habe brechen wollen, daß sie sich eigentlich anders entschlossen habe. Von jener versteckten Hingabe, mit der sie ihm an jenem Abend das Herz heiß gemacht und in ihm so berechtigte Hoffnungen erweckt hatte, trat nichts zu Tage. Sie war offenbar durch die letzten Geschehnisse völlig beeinflußt. Sie nickte nur mit ernst stummer Miene, als sie Klamm fragte, ob sie schon wisse, daß er das Knoopsche Geschäft verlassen werde, und löste ihre Zunge erst auf seine eindringlich zuredenden Worte.

Sie erklärte, daß sich Herr Knoop sehr scharf geäußert, daß er alles ausführlich erörtert und auch die vollständige Beipflichtung der Damen gefunden hätte.

Er habe gesagt, daß die Unwahrheiten, die Klamm gesprochen, deshalb so unentschuldbar seien, weil zu deren Aeußerung keine Nötigung vorgelegen habe. Es sei sicher doch etwas mit seiner Vergangenheit nicht in Ordnung. Der anonyme Briefschreiber habe ein Recht gehabt, vor ihm zu warnen. Sein ganzer Lebensgang sei sehr abenteuerlich gewesen, und nicht mit vollendeter Verstellungskunst freimütig hervorgebrachte Worte, sondern Thatsachen wären in solchen Fällen entscheidend. Theodor Knoop habe Klamms Beschuldigungen mit Entrüstung zurückgewiesen. Aber noch mehr! Er habe geäußert: nicht er habe Klamm zu fürchten, sondern Klamm ihn! Er meine in ihm einen früheren bekannten, übel beleumdeten Gelegenheitsmacher entdeckt zu haben, der schon wiederholt wegen sehr bedenklicher Affären von sich reden gemacht habe.

Und nach diesen Mitteilungen geschah auch das, wovor Klamm schon gefürchtet hatte, vor dem er zitterte:

Als er einen versteckteren Weg mit Ileisa beschritt und nun an das letzte Gespräch auf dem Knoopschen Ball anknüpfte, als er weich und eindringlich auf sie einsprach, lösten sich schwere, langsam niedertropfende Thränen aus ihren Augen, die zwar auch ihm, aber ebensosehr ihrer Enttäuschung zu gelten schienen.

Und als sie sich endlich zu fassen wußte, als sie auf sein Zureden die
Sprache wieder gewann, erklärte sie, daß sich in ihr trotz schwerster
Kämpfe ein Mißtrauen gegen ihn eingeschlichen habe, und daß sie es auch
nicht abzustreichen vermöge.

Klamm trafen diese Worte gradezu niederschmetternd. Die Welt um ihn verdüsterte sich. Er sah sich als ein Opfer der Verhältnisse niedergeworfen.

Es wirkte auch nicht, daß er nun Ileisa ein Geständnis über die Hergänge ablegte.

Immer wieder las er in ihrem Angesicht: „Darf ich dir trauen? Bist du nicht trotz deiner Worte doch der, als welchen dich der Briefschreiber und Theodor geschildert haben?“

Namentlich schien auch Margarete auf sie gewirkt zu haben. Sie nahm an, daß er sich nicht zu verteidigen vermöge, und sie sah, daß er für sie für immer verloren war.

Klamm empfing sonst aber auch heute die günstigen Eindrücke, die er während der wiederholten Begegnungen im Knoopschen Hause von Ileisa erhalten hatte.

„Wir lebten,“ berichtete sie auf seine Bitte, ihm von ihrer Jugend und Vergangenheit näheres zu erzählen, „in sehr reichlichen Verhältnissen auf einem meinem Vater gehörigen Gute in Schlesien. Bei einem gelegentlichen, längeren Aufenthalt in Berlin, machte er die Bekanntschaft einer adeligen Abenteuerin, die ihn dermaßen zu umstricken wußte, daß er sich in der Folge oft wochenlang dort aufhielt, und ihr auch, nachdem meine Mutter inzwischen vor Gram über sein Verhalten gestorben war, zuletzt fast sein ganzes Vermögen verschrieb. Nach seinem, in meinem dreizehnten Lebensjahre erfolgten Tode strengte meine, seit meinen Kinderjahren bei uns lebende, nunmehr Mutterstelle bei mir vertretende Tante einen Prozeß gegen die Erbschleicherin an, der aber nur den Ausgang hatte, daß der uns verbliebene Kapitalrest noch mehr geschmälert wurde.

„Dazu traten erhebliche Verluste, die durch Kursrückgänge an Papieren entstanden, sodaß meine Tante nur so viel übrig behielt, um mir eine Erziehung geben und selbst unter den allerbescheidensten Ansprüchen existieren zu können. Meine, durch solche Vorgänge beeinträchtigte Jugend hat mich früh ernst gemacht. Während meines späteren Aufenthaltes in einem Mädchen-Seminar kannte ich nur Arbeit, Einschränkungen und Pflichterfüllung. Vergnügen, Abwechslungen gab es nicht. Aus dem einst frohen, lebenslustigen Kinde wurde ein schwermütig bedrücktes Wesen, das früh zu resignieren lernte, das sein ursprünglich starkes Temperament zu zügeln gezwungen wurde.

„Ich habe zufolge solcher frühen Erlebnisse einen wahren Abscheu vor allem Unsittlichen, vor allem Abweichenden und Extravaganten erhalten. Ich habe erkannt, daß nur die Hingabe an die idealen Dinge dieser Welt einen Menschen glücklich machen kann, daß nur weises Maß und Beschränkungsfähigkeit die Möglichkeit eröffnen, den Konflikten mit dem eigenen Ich und der Außenwelt erfolgreich zu begegnen.

„Meine Tante ist mir darin ein Vorbild. Wenn Sie einen Einblick in diese gute, gerechte, selbstlose Natur empfingen, würden Sie sagen, daß es doch noch Ausnahmemenschen giebt. Ihr will ich nachstreben; um ihr meinen Dank an den Tag zu legen für alles, was sie für mich voll Aufopferung gethan hat. Ich will alles vermeiden, was mich aus den ruhigen Geleisen heraus in ein unstätes, mit Reue und Kämpfen verbundenes Leben hineintreibt. Und sehen Sie! Das mag meine Haltung und meine Entschlüsse auch Ihnen gegenüber rechtfertigen!“

Während sie noch so sprach, waren sie an die Ecke des Salzufers gelangt, und grade wurde der nach dem Brandenburger Thor fahrende Pferdebahnwagen sichtbar. Infolgedessen beschleunigte Ileisa ihren Schritt, äußerte durch Miene und sonstiges Benehmen, daß sie die Gelegenheit zur Rückkehr benutzen wolle und bot Klamm unter hastigen Worten die Hand.

„Verzeihen Sie, wenn ich mich von Ihnen verabschiede. Ich muß zurück; schon ist's über die Zeit. Haben Sie Dank für Ihr Vertrauen; ich werde es Ihnen nicht vergessen! Und möge es Ihnen gut gehen: ich wünsche es von ganzem Herzen! Adieu — Adieu!“

Zu einer Einrede, zu einer neuen Abrede, zu einer Bitte vermochte Klamm überhaupt nicht mehr zu gelangen. Sie that ihn ab für immer. Und so rasch entglitt sie ihm unter einem nochmaligen fast unpersönlichen Kopfneigen, daß er gar nicht zu der Ueberlegung gelangte, daß er den Wagen ebenfalls besteigen und dadurch noch in ihrer Nähe bleiben konnte.

Langsam, mit zerstreuten Gedanken, nahm er den Weg in der Richtung des
Brandenburger Thors zurück.

* * * * *

Herr Knoop war in keineswegs guter Stimmung. Wenn er ehrlich mit sich zu Rate ging, mußte er einräumen, daß er Herrn von Klamm trotz alledem nicht hätte gehen lassen, wenn nicht das unerwartet frühe Zurückkehren seines Sohnes auf seine Entschließung mitgewirkt, ja, daß dieser Umstand den Ausschlag gegeben habe.

Auch wurden ihm seine Aussichten, den Kommerzienrattitel zu erhalten, sehr geschmälert. Er hatte mit Klamm darüber gesprochen und dieser hatte ihm — mit solchen Dingen vertraut — seine Beihilfe zugesagt.

Er kannte Peinlichkeiten, mit denen er, ohne Gefahr mißverstanden oder abgewiesen zu werden, sprechen, und bei denen er die Sache bereden und Interesse dafür erwecken konnte.

Endlich aber hatten die Vorfälle auch sehr störend auf die Pläne eingewirkt, die ihn in den Angelegenheiten seines Bruders geleitet hatten. Da ihm niemand zur Verfügung gewesen war, der Theodor begleiten konnte, war die Unterredung vorläufig ergebnislos verlaufen.

Er hatte ihm einstweilen auf seine Bitten einige hundert Mark gegeben und ihm erklärt, er solle wegen des weiteren noch von ihm beschieden werden. So war die Ausführung in der Schwebe geblieben, und Theodor so bald wie möglich zu beseitigen, war doch mehr als je erforderlich.

Im Geschäft befand sich niemand, mit dem Herr Knoop jemals über seinen Bruder gesprochen hatte. Er war in allen privaten Angelegenheiten sehr verschwiegen. Er neigte gegen Theodor immer wieder zur Nachsicht, weil der Familiensinn sehr stark in ihm ausgeprägt war. Theodor Knoop besaß zudem eine ungewöhnliche Verstellungskunst. Er wußte durch das freimütige Eingeständnis seiner Fehler zu versöhnen, und war sich der Wirkung bewußt.

Im übrigen war noch allerlei, was der Erledigung harrte, und daß Klamm seinen Verstand und sein Nachdenken zu gebrauchen und seinen Vorteil zu nutzen wußte, trat zur Erhärtung der nun einmal eingerissenen Entfremdung noch vor dessen Fortgange zu Tage. —

Er ließ sich durch Adolf am folgenden Vormittag bei Herrn Knoop melden und begann nach gegenseitiger künstlich unbefangener Begrüßung:

„Ich erachte es als zweckmäßig für beide Teile, daß unsere Trennung sobald wie möglich stattfindet, Herr Knoop. Bevor sie jedoch nach unsern übereinstimmenden Wünschen in freundschaftlicher Weise erfolgt, möchte ich Ihnen etwas vortragen, das Sie sicher als berechtigt anerkennen werden.“

„Zuerst darf ich wohl voraussetzen, daß Sie Ihrer Kundschaft und Bekanntschaft meinen Austritt mit einem Zeugnis zur Kenntnis bringen, wie es gerecht ist. Ich habe Ihrem Geschäft die erwarteten Vorteile zugeführt, ich war von morgens bis abends in Ihrem Interesse thätig.

„Ich darf das Verlangen stellen, daß die Motive, die Sie zur Kündigung leiteten, unbedingt zwischen uns bleiben. Wenn Sie sie auch als berechtigte erachten und ich, weil der Schein gegen mich spricht, ihren Entschluß vergehe, so versteckt sich doch thatsächlich hinter ihnen nichts, was den geringsten Tadel gegen mich erwecken könnte. Sie mögen bedenken, daß es so ist, wenn ich Sie auch nicht zu überzeugen vermochte.

„Und ferner: Ich darf von Ihrer bisherigen Kulanz erwarten, daß Sie mir mein volles Gehalt auszahlen!“

„Ich weiß nicht, ob ich mir in einem Viertel- oder Halbjahr schon wieder einen Erwerb werde verschaffen können.“

„Dann noch etwas, Herr Knoop:

„Ich werde Ihnen vielleicht, ja sicher, Konkurrenz machen. Ich spreche das gleich offen aus, damit Sie mich nicht später einer unkorrekten Handlungsweise zeihen!“

Und Knoop erwiderte:

„Gegen Ihren sofortigen Austritt habe ich nichts einzuwenden, Herr von Klamm. Auch bin ich bereit, Ihnen ein ganzes Vierteljahrhonorar und die Hälfte einer weiteren Quartalrate bei meiner Kasse anzuweisen. Mehr bedaure ich nicht bewilligen zu können. Es hätte in Ihrer Hand gelegen, in meinem Geschäft zu bleiben, wenn Sie meiner Bitte um offene Darlegungen Ihrer Handlungsweise entsprochen haben würden. Da Sie es verweigerten, waren Sie — nicht ich — schuld an unserer Trennung. Ueber die inneren Vorgänge, die Ihren Austritt veranlaßten, werde ich nicht sprechen. Das gewünschte Zeugnis werde ich Ihnen ausstellen.“

„Konkurrenz muß sich jeder gefallen lassen. Ich hätte lieber gesehen, Sie hätten auf solche Pläne verzichtet — natürlich — ich bedaure sogar, daß ich Sie nicht in dem Vertrage zwischen uns, dazu verpflichtet habe — aber ich vermag nichts einzuwenden.“

Die Gegenrede war sehr kühl gehalten. Sichtlich kostete es Knoop Mühe, auch nur so zu sprechen.

Und so blieb und wurde dann auch alles.

Schon am folgenden Vormittag machte Klamm den Damen seinen
Abschiedsbesuch, und die Damen ließen sich verleugnen.

Den Redaktionsmitgliedern, die ihm, wie er wußte, meist feindselig gesinnt waren, sandte Klamm nur seine Karte. Von denen im Geschäft, die ihm wohlwollten, die seinen Fortgang bedauerten, verabschiedete er sich persönlich.

Als er am vierten Tage nach der erwähnten Unterredung bei Herrn Knoop nach vorangegangenem Klopfen und „Herein“ eintrat, fand er Theodor Knoop dort, und die Blicke der beiden Männer trafen sich, ohne daß sie einen Gruß wechselten, mit einem Ausdruck von Feindseligkeit.

Klamm ging bei dieser letzten Verabschiedung mit dem Gefühl von dannen, daß er fortan nicht nur in dem Bruder Theodor, den er bisher noch geschont hatte, einen unerbittlichen Gegner haben werde, sondern, daß er sich auch das Wohlwollen des Herrn Knoop vollständig verscherzt habe.

* * * * *

Den ersten Schritt, den Klamm nach seiner Entfernung aus dem Knoopschen
Geschäft unternahm, richtete er ins Polizeipräsidium. Er hatte sich
vorher erkundigt, an wen er sich wenden mußte, und fand auch bei dem
Abteilungschef eine sehr höfliche Aufnahme und ein bereitwilliges Ohr.

Nach eingehender Darlegung der Umstände empfing er die Zusage, daß ihm vorläufig für die nächsten acht Tage ein Geheimpolizist zur Verfügung gestellt werden sollte, der gegen Personen, welche sich bei Klamms Ausgängen durch Verfolgung seiner Schritte verdächtig machen sollten, vorzugehen haben würde.

Aber Klamm traf auch Maßnahmen, um sich über Theodor Knoops
Persönlichkeit eine Gewißheit zu verschaffen.

Da er bei der ersten Konferenz erfahren hatte, daß jener in einem Hotel in der Jägerstraße wohne, fuhr er mit seiner Mutter am nächsten Morgen dorthin, ließ die Droschke in angemessener Entfernung halten und zog bei dem Portier Erkundigung ein, wann Herr Knoop auszugehen pflege.

Er empfing die Antwort, daß ein Herr Knoop dort überhaupt nicht wohne, aber allerdings ein Herr, der zu der von Klamm gemachten Betreibung passe, und sich Ulmer nenne.

Er sei noch auf seinem Zimmer; er wäre während der Zeit, in der er im
Hotel wohne, meist morgens zwischen neun und zehn fortgegangen.

Nach diesen Auskünften begab sich Klamm zu seiner Mutter zurück, um ihr zunächst das Ergebnis dieser Unterredung mitzuteilen.

Ulmer hatte sich Knoop damals nicht genannt. Also in dieser Beziehung gewährte die angestellte Ermittlung keinen Anhalt. Frau von Klamm betätigte wiederholt, daß Knoop bei den damaligen Verkaufsverhandlungen als Agent aufgetreten sei, daß er die Sache in die Wege geleitet, die ungeheuren Vorteile gerühmt und den Wert der statt Geld zu zahlenden Papiere in den Himmel gehoben habe.

Später waren zwei andere Herren, die sich Malch und Wendt genannt, in Aktion getreten. Der große Preis hatte die arglose Dame verführt, sehr rasch ohne mit ihrem damals im Ausland befindlichen Sohne in Verbindung zu treten, abzuschließen. Sie hatte ihn durch den glücklichen Erfolg überraschen wollen, ein Erfolg, der sich allerdings als ein äußerst trauriger Irrtum insofern herausgestellt hatte, als sich die Industriepapiere, die sie neben der kleinen Auszahlungssumme von den Käufern in barem Gelde empfangen, als völlig unverkäuflich, also wertlos herausgestellt hatten.

Reue, Scham und Schmerz hatten sie nach der Entdeckung abgehalten, ihrem Alfred — nunmehr aus diesen andern Gründen, — Mitteilung zu machen, bis er dann aus dem Ausland zurückgekehrt und nichts mehr zu verschleiern gewesen war. Das Gut war seit dem damaligen Verkauf schon wieder dreimal in andere Hände übergegangen. Die als Käufer um jene Zeit genannten Personen waren, da sie sich falscher Namen bedient, nicht mehr zu ermitteln gewesen, und nur ihr Aussehen hatte Frau von Klamm ihrem Sohne immer wieder beschreiben, nur die Namen ihm mitteilen können.

Der Verdacht, der in Klamm aufgestiegen war, hatte sich zur Gewißheit verstärkt, weil Theodor, wie erwähnt, ein äußerst unsicheres Wesen bei der Nennung des Namens Klamm an den Tag gelegt hatte. —

Das Ergebnis dieser an diesem Morgen angestellten Untersuchung verlief völlig nach Voraussetzung. Es gelang Klamm und seiner Mutter, Theodor Knoop, als er aus dem Hotel trat, genügend in Augenschein zu nehmen, und Frau von Klamm vermochte mit unbedingter Sicherheit festzustellen, daß er mit jenem Agenten identisch sei.

Nun konnte Klamm Friedrich Knoops Anstandsgefühl anrufen, wenigstens einen Teil der Veruntreuungen, die sein Bruder an seiner Mutter und an ihm verübt, zurückzuerstatten.

Bei näherer Ueberlegung hatte er sich gesagt, daß es ein übertriebenes Zartgefühl sei, nicht wenigstens den Versuch zu machen, das Ehrgefühl des Bruders anzusprechen.

Im übrigen war Klamms Sinn schwer verdüstert. Ileisas Verhalten hatte — abgesehen von der ungeheuren Enttäuschung — einen gewaltigen Aufruhr in ihm hervorgerufen. Immer wieder hefteten sich die Folgen der Verleumdung an seine Fersen!

Der Austritt aus dem Knoopschen Geschäft würde ihm — wie anderweitige
Erfahrung in solchen Fällen lehrte, — überall zu seinen Ungunsten
ausgelegt werden, und endlich stand er wiederum vor einer leeren
Luftschicht und sollte sich aus dem Nichts Neues herausholen.

Das Selbstvertrauen, das er seiner Mutter und Knoop gegenüber an den Tag gelegt, war in Wirklichkeit stark beeinträchtigt, und erst allmählich entwickelte sich aus dem Unmut, dem Schmerz, der Verbitterung und Enttäuschung, der Entschluß, seinerseits jeden Gedanken an das spröde Mädchen völlig von sich abzuthun und in Zukunft nur seinen Zielen und Erfolgen zu leben!

Zunächst nahm er sich vor, gleich am nächsten Tage nach Dresden zu reisen, bei der Frau, die er einst geliebt, einen Eingang zu ermöglichen und sie auszuforschen. Es hatte sich seiner ein solches Gefühl trotziger Auflehnung bemächtigt, daß er die Ermittlungen der Berliner Polizei nicht abwarten wollte. Vielleicht vermochte er die Maßnahmen der Behörde zu unterstützen, vielleicht ohne sie zum Ziele zu gelangen. Jedenfalls wollte er aus dem bisherigen Zustande des Abwartens heraus! — — —

* * * * *

Am Tage der Ankunft Klamms in Dresden saß in einer reizvoll zurückgelegenen Villa in der Neustadt vormittags eine Dame der vornehmen Gesellschaft in ihrem Kabinett.

In einen seidenen Morgenrock gehüllt, umgeben von Pariser Möbeln und kostbaren Kunstgegenständen, lehnte sie sich in einen weichgepolsterten, mit Damast bezogenen Stuhl zurück, putzte an den Nägeln ihrer weißen, zierlichen Hände und horchte auf den Bericht eines vor ihr gehenden Mannes.

Er war nach Art jener die herrschenden Moden beobachtenden Persönlichkeiten gekleidet, die zwar ein Auge dafür besitzen, was den Leuten der bevorzugten Gesellschaftsklassen gefällt, die aber bei der Wahl der Stoffe und des Schnittes wegen ihres eigenen Mangels an gutem Geschmack für sich selbst allezeit fehlgreifen. Auch besaß er die grobe Gesichtsfarbe und jenen gewissen unsicheren Ausdruck in den Zügen, der dem gewöhnlichen Mann schon Mißtrauen einflößt, die Erfahrenen aber abhält, sich mit ihnen, sofern sie sie nicht für ihre Zwecke durchaus brauchen, überhaupt einzulassen.

„Ich bin hergekommen, um mir fernere Verhaltungsmaßregeln zu erbitten, meine Allergnädigste!“ hub er an. „Es war das von Ihnen befohlen, sobald in Herrn von Klamms Lebenslage eine Aenderung eintreten würde.

„Ich habe zu melden, daß er das Knoopsche Geschäft schon wieder verlassen hat.

„Auch ist allerlei Auffallendes in diesen Tagen geschehen. Er hat mit seiner Mutter zusammen einen Fremden, der in einem Hotel in der Jägerstraße wohnt, versteckt beobachtet. Dieser Fremde ist, wie ich weiß, weil ich ihn persönlich kenne, der Bruder seines bisherigen Chefs. Was aber die gnädige Frau besonders interessieren wird, ist die Nachricht, daß er offenbar mit der Gesellschafterin im Knoopschen Hause ein Verhältnis angeknüpft hat.

„Ich bin ihm gefolgt, während er mit ihr ein Rendezvous im Tiergarten hatte, und schließe aus diesem Umstand wohl nicht mit Unrecht, daß seine Entlassung damit im Zusammenhange steht.“

„Ah — ah! Das sind ja interessante Neuigkeiten, Herr Numick. — Ich muß Näheres, Ausführlicheres hören,“ fiel Frau von Krätz mit lebhaftem Ausblick ein, nötigte ihren Agenten nunmehr zum Sitzen und ließ sich von ihm erzählen. Und er gab zum Besten, was Wirklichkeit war und was er, um den Wert seiner Dienste zu erhöhen und sich dadurch einen größeren Anspruch auf Belohnung zu sichern, ohne Skrupel aus seiner Phantasie hinzufügte.

„Was Sie ferner thun sollen?“ bemerkte dann am Schluß seines Berichtes die Dame.

„Sie sollen mir melden, was Herr von Klamm Neues beginnt oder einleitet, welchen Verkehr er fürder pflegt, besonders aber, ob sich Ihr Verdacht bestätigt, daß er mit dem Fräulein eine ernstliche Beziehung angeknüpft hat.“

Der Ehrenmann verbeugte sich ehrerbietigst. Dann sagte er:

„Und sollen die Briefe wieder abgesandt werden, in denen vor ihm gewarnt wird? Sollen sie denselben Inhalt haben?“

„Nein,“ entgegnete die Dame in einem raschen Ton und ließ einen versöhnlichen Ausdruck in ihren Zügen erscheinen.

„Das will ich überhaupt nicht mehr fortsetzen! Ich bedaure eigentlich sogar, daß es geschehen ist. — Ich bin Ihnen da gefolgt, aber es ist im Grunde nicht mein Geschmack, es ist auch trotz der vorsichtig gehaltenen Fassung sicherlich bei einer Entdeckung keineswegs ohne Gefahr.

„Daß ich diesem Manne eine Strafe für seine Treulosigkeit gegen mich gewünscht habe, ist menschlich, — begreiflich. Er hat mehr als unrecht gegen mich gehandelt. Aber enfin — Was hat mein Vorgehen genützt? Er hat doch seine Zwecke erreicht. Er ist eben einer, dem niemand widersteht. — Nein, nein, das nicht, das will ich unter keinen Umständen fortsetzen! Ich will nur ferner wissen, was er thut und treibt. Hören Sie, Herr Numick?“

Nachdem sie ihn für seine Dienste belohnt, ihm noch etwas hinzugefügt, auf dessen Anwartschaft er in ausführlicher Rede hingewiesen hatte, verließ sie ihn. —

* * * * *

Am Abend eines der nächstfolgenden Tage gab Frau von Krätz ein Fest, einen Maskenball. Alles, was Dresden an bevorzugten Persönlichkeiten besaß, alles, was zur Gesellschaft gehörte, war geladen. Seit einer halben Stunde wogte schon eine buntgekleidete Menschenmenge in den weitläufigen, strahlend erleuchteten Räumen der Villa auf und ab, schwatzte, lachte und trieb jenen lustigen Schabernack, der zu der ausgelassenen Fröhlichkeit einer Karnevalsstimmung gehört. Wundervolle und auch sehr eigenartige, das Auge fesselnde Kostüme waren von den Gästen gewählt.

Da fehlte von bekannten Masken weder ein Pierrot, noch eine Colombine, weder der Tanzbär, noch der Briefträger, weder das Baby, noch die Königin der Nacht.

Aber man sah auch eine besponnene Eau de Cologne-Flasche, die fortwährend ihren duftenden Inhalt spendete, und einen indischen Fürsten, dessen Seidengewand mit Edelsteinen bedeckt war, aus denen fortwährend elektrische Funken sprühten.

Ein Gast trug ein Gewand, das ein Gesicht darstellte, dessen Züge einen unerbittlich kalten Ausdruck besaßen. Auf seinem Rücken war ein Schild befestigt, auf dem geschrieben stand: „Ich bin die öffentliche Meinung.“ Auch erregte eine schlanke Dame Aufsehen, die in weiße Seide gekleidet war und nur ein einziges, großes dunkles Auge, statt deren zwei, und zwar mitten auf der Stirn hatte.

Sie erklärte, daß sie der letzte Nachkomme des Riesen Polyphem sei, mit dem einst Ulysses ein Tänzchen habe bestehen müssen.

Und so fort. Immer war etwas Neues zu sehen. Die Geladenen hatten es an
Anstrengungen ihrer Phantasie und an kräftigen Griffen in ihre
Geldbörsen nicht fehlen lassen.

Die Wirtin, Frau von Krätz, hatte beim Empfang der Gäste keine Maske vorgesteckt, es hing ihr jedoch eine, sichtbar und erkennbar, am Gürtel. Nicht aber mit dieser bedeckte sie — zur besseren Täuschung der sie Ansprechenden — später ihr Angesicht, sondern mit einer anderen, zarten. Auch das Gewand hatte sie rasch in ihrem Ankleidegemach abgestreift und war in ein für diesen Abend nach ihren Ideen angefertigtes Kostüm geschlüpft.

Sie stellte eine Undine dar. Grünes Schilf hing in ihrem Haar. Ihren Leib umspannte ein silberner Gürtel. Silberne Schuhe bedeckten ihre Füße, die Augen in der für die Blicke freien, weißseidenen Maske blickten träumerisch, und mit einem, wie von Mondesglanz durchleuchteten Schilfwedel berührte sie die sich ihr Nahenden und bat sie, sie einmal in ihrem Geisterreich am Undinensee zu besuchen.

„Und wo ist der?“ fragte eine dunkelschwarze Gestalt mit verhülltem
Haupt und fast verhülltem Angesicht.

„Wo? Wenn du fragst, bist du nicht berufen, in meinem Reiche zu erscheinen. Das muß dir dein Herz, dein Verlangen, deine Sehnsucht selbst beantworten!“

„Ich hatte dieses Verlangen, diese Sehnsucht! Aber ich ward betrogen!
Das Reich der Schönheit fand ich, der klugen Kunst, aber nicht das Reich
der Wahrheit. Als ich es einst betrat — fand ich keine engelhafte
Undine, vielmehr eine launenhafte, von Eindrücken abhängige, in der
Liebe Unbeständige, ja, der echten Treue Entbehrende und des Besitzes
Unwerte —“

„So wähltest du den unrechten Pfad, einen, der nicht zu mir führt. Dann wärest du bei einer meiner Schwestern, deren ich viele besitze, die aber nicht zu den reinen Geistern gehören! — Komm zu mir und du wirst erfahren, was eine echte Undine für Schätze zu bieten hat.“ —

Sie nickte und war verschwunden. Er aber folgte ihr durch das Gewühl der Masken, und nachdem er sich in einer versteckten Ecke rasch und geschickt ein Brustschild vorgesteckt hatte, auf dem sich ein Totenkopf und die Worte: „Mitglied der heiligen Inquisition“ befanden, wußte er ihr abermals am Eingang des in der Villa befindlichen Wintergartens zu begegnen. Und nachdem er sie angehalten, sagte er:

„Höre, Undine! Ich bin erschienen, um dich zur Rechenschaft zu ziehen! Du verfolgst durch anonyme, herabsetzende und verdächtigende Briefe einen Ehrenmann, schädigst ihn an seinem Ansehen, seiner Ehre und seinem Fortkommen. Du begehst gemeine, einer edlen Seele unwürdige, verbrecherische Handlungen!

„Herunter mit der Maske der Sanftmut, Tugend und Weiblichkeit! Erkläre, daß du bereust, daß du dein unerhörtes, strafwürdiges Treiben einstellen willst!

„Geschieht es nicht, so ist es mein Wille, hier jetzt laut zu erklären, was du gethan, wer mich hergesandt hat, was meines Amtes ist. Ich werde die Maske abstreifen und dich im Namen des Gesetzes verhaften!

„Nun wähle rasch! Bekennst du, so wirst du mir morgen eine schriftliche Erklärung abzugeben haben, eine, von deren Inhalt dann nichts in die Oeffentlichkeit dringen soll; auch die Strafe wird dir erlassen werden, dir und deinem Helfershelfer — der, nachdem er lange beobachtet und inzwischen überführt wurde, — bereits ein Geständnis abgelegt hat!“

Alles war in raschem Fluß gesprochen und in einem Tone der Entschiedenheit, der Frau von Krätz nicht darüber in Zweifel ließ, daß es sich nicht um einen zufällig auf sie passenden Scherz, sondern um etwas sehr Ernstes, um das wirklich handelte, was ihr schuldbewußtes Inneres belastete.

Völlig entmutigt und geschlagen aber wurde sie, als der Mann, der in der unheimlichen Maske vor ihr stand, die letzten Worte geredet hatte.

Wenn Numick gestanden hatte, half kein Leugnen!

Sie sprach deshalb — rasch entschlossen, jedoch in kluger Berechnung:

„Ob Maskenscherz oder Ernst — ich vermag nicht zu beurteilen, was dich reden läßt, Mitglied der heiligen Vehme!

„Jedenfalls erwarte ich dich morgen mittag zu einer Besprechung in meiner Wohnung. Für jetzt achte das Gastrecht und lasse uns in Frieden ziehen!“

Nach dieser Antwort streckte sie ihm — äußerlich auch jetzt noch mit leichter Unbefangenheit und unter anmutiger Geberde, — die Hand hin und wollte von ihm zurücktreten.

Er aber hielt sie und sprach mit nunmehr unverstellter Stimme:

„Zu Ihnen redete Freiherr, Alfred von Klamm! Er will — eingedenk früherer Beziehungen — Ihrem Wunsch stattgeben. Er wird morgen mittag bei Ihnen erscheinen und die Angelegenheit weiter besprechen!“

„Ah — Klamm — also wirklich — Sie!?“ stieß die Frau in höchstem Erschrecken heraus. Ihre Stimme bebte, auch ihre Gestalt. Sie mußte sich an den Thürpfosten lehnen, um nicht einer Schwäche zu unterliegen. Er aber wußte sie unauffällig zu stützen und flüsterte:

„Ich verlasse jetzt die Villa, damit Sie sich ohne Zwang Ihren Gästen ferner zu widmen vermögen. Im übrigen: Es bleibt bei unserer Abrede! Sie wollen es mir nochmals bestätigen!“

„Ja, auf morgen!“ drang in einem gefügigen Ton an sein Ohr, während er sich nun rasch zurückzog. Grade wälzte sich auch wieder ein Schwarm von Masken heran, der den Wintergarten betreten wollte, aber auch Diener erschienen, die Champagner und andere Getränke darboten. Und sie schob die Maske beiseite, griff nach einem Glase und stürzte den Inhalt hinunter.

Jetzt erst gewann sie wieder die alte Fassung und Sicherheit zurück. —

* * * * *

Mit klopfendem Herzen erwartete Frau von Krätz am folgenden Morgen den Besuch ihres einstigen Anbeters, des Freiherrn von Klamm. Er war während seines früheren Aufenthaltes in Dresden ein täglicher Gast in ihrem Hause gewesen, hatte sich von ihrer Liebenswürdigkeit bestricken lassen und ihr zuletzt einen Antrag gemacht.

Nachdem er aber erfahren und Beweise dafür empfangen hatte, daß sie nach der Zeit noch eine sehr wenig angesehene Persönlichkeit, einen Grafen Dyk, trotz ihrer gegenteiligen Versicherungen in späten Abendstunden bei sich empfangen, sich auch sonst verschiedener, für sie nicht passender Abweichungen schuldig gemacht, hatte er ihr ohne weitere Erklärungen einen Absagebrief geschrieben und auch in der Gesellschaft erklärt, daß er die Beziehungen zu ihr rückgängig gemacht habe.

Auf Nachfragen hatte er erklärt, sie besitze nicht die Eigenschaften, die er bei ihr vorausgesetzt habe. Nachdem wiederum ihr dies bekannt geworden, hatte sie die Schuld auf ihn geladen und ihn des Wortbruchs angeklagt.

Freilich waren ihre erregten Gefühle schon bald wieder einer milderen Auffassung gewichen. Es war nur eine durch ihre leidenschaftliche Liebe zu ihm hervorgerufene Eifersucht geblieben, aber eben die hatte sie verführt, gegen ihn dann in der bekannten Weise vorzugehen. —

Als der Diener ihr das Erscheinen Klamms meldete, befand sie sich in solcher Spannung, daß sie fortwährend die Farbe wechselte. Nur unter Aufbietung aller ihrer Kräfte, vermochte sie ihm mit einem einigermaßen gelassenen Wesen zu begegnen.

Klamm beobachtete, als er ihr gegenübertrat, die Höflichkeit eines Kavaliers, der einer Dame der Gesellschaft zum erstenmal einen formellen Besuch macht. Nachdem er sich vor ihr mit ernster Artigkeit verbeugt hatte, sah er sie mit unpersönlichem Ausdruck an, und sprach zu ihr, die wiederholt zur Dämpfung ihrer Erregung die Hand auf die Brust drückte, in kurzen, scharfabgerissenen Sätzen:

„Wir wollen uns kurz und bündig auseinandersetzen, gnädige Frau. Ich mußte die Verlobung zwischen uns aufheben, weil Sie, gegen Ihre feierliche Ansage, einen zweifelhaften Menschen bei sich empfingen, ja, ihm bis zwei Uhr in der Nacht den Aufenthalt bei Ihnen gestatteten. Ueberdies wurde mir bekannt, daß Sie mir allerlei Beziehungen, die Sie gehabt, verheimlicht hatten. Sie thaten es, obschon ich Sie gebeten, sich rückhaltlos zu äußern, Ihnen bemerkt hatte, daß ich Ihnen nichts nachtragen würde.

„Ich mußte infolgedessen fürchten, mich in unserer Ehe gleichen Abweichungen auszusetzen, und so that ich, was geschehen ist. Ich hob unsere Verlobung auf. Daß es mir nicht leicht wurde, will ich Ihnen bekennen. Ich liebte Sie mit allen zärtlichen Gefühlen eines Mannes.

„Sie haben sich nun dafür in der Ihnen gestern vorgehaltenen Weise gerächt! Sie haben einen Mann, den Sie zu lieben vorgaben, der nur auf Grund Ihrer Handlungen sich so entschließen mußte, derartig verfolgt und verdächtigt, daß er trotz des allerredlichsten Bemühens, heute wiederum vor dem Nichts steht.“

Nach diesen Einleitungsworten schilderte Klamm ihr alle Folgen ihrer Nachstellungen, berichtete ihr über Knoop, sprach von seiner Wirksamkeit und der Lösung seiner Beziehungen. Endlich teilte er ihr auch mit, daß er neuerdings die Berliner Polizei zur Hilfe gerufen, und daß ihm nach Dresden berichtet sei, daß ein gewisser, sehr anrüchiger Numick in ihren Diensten stehe! —

Sie hatte ihn nicht einmal unterbrochen. Als er nun aber geendet, sagte sie weich:

„Und was soll ich zur Sühne thun, Herr von Klamm?“

Nur das sprach sie, und sah ihn mit einem demütigen Blick an.

„Sie müssen das Schriftstück, das ich mitgebracht habe, unterzeichnen. Ueberdies wünsche ich von Ihnen, die Sie eine reiche Frau sind, ein größeres Kapital zur Begründung einer sicheren Existenz. Dieses Kapital werde ich Ihnen verzinsen und nach und nach zurückzahlen. Wohlthaten will ich von Ihnen nicht, ich will aber, daß Sie Ihr Unrecht dadurch gut zu machen suchen, daß Sie mir die Mittel zu meiner Rehabilitierung zur Verfügung stellen.

„Man könnte sagen: es sei den Vorgängen mehr entsprechend, daß ich Sie den Gerichten überlieferte und sie der Verachtung anderer und eigener Verachtung preisgäbe! Aber mir fehlt die Veranlagung zu einem sentimentalen Stolz. Ich habe zu viel gesehen und erfahren, um mich über irgend etwas zu wundern.

„Infolgedessen lehrte mich das Leben, eher zu versuchen, aus dem
Ungünstigen das Günstige herauszuziehen, mit redlichen Mitteln, aber
ohne Hingabe an eine unnützliche Empfindlichkeit oder ein unfruchtbares
Grübeln.

„Ich will schließen, indem ich sage:

„Sie haben in Ihrer Leidenschaft gehandelt. Das mag Sie ein wenig, vielleicht mehr, als sonst eine solche Handlungsweise verurteilt zu werden verdient, entlasten. Ich erwarte nun Ihre Antwort.“

Und Frau von Krätz entgegnete ohne Besinnen:

„Ich bitte, lassen Sie mich das Schriftstück lesen, das ich unterzeichnen soll.“

Er reichte es ihr; es lautete:

„Ich erkläre, daß ich den Freiherrn Alfred von Klamm infolge einer starken Enttäuschung verleumdete. Ich bestätige indessen aus freiem Antriebe, daß ich ihn als einen vollkommenen Kavalier schätzen und lieben lernte, und deshalb mein Vergehen tief bereue.“

Hierauf legte er ein anderes, von ihm entworfenes Aktenstück in ihre
Hände, das folgenden Inhalt besaß:

„Ich, der unterzeichnete Freiherr Alfred von Klamm, bekenne, von der verwitweten Baronin Adelgunde von Krätz, geborene Gräfin Dugos in Dresden, die Summe von…. Mark als Darlehn erhalten zu haben und verpflichtet zu sein, dieses Kapital baldmöglichst, jedenfalls in fünfzehn Jahresraten zurückzuzahlen, auch ihr mit Beginn des nächstfolgenden Jahres dafür vier Prozent, in Vierteljahresraten zahlbar, zu vergüten.“

„Und wie viel wünschen Sie, und wann wünschen Sie das Geld zu haben,
Alfred? Wollen Sie es nicht ohne Schuldschein von mir annehmen?“ fragte
Frau von Krätz, in der Ueberwallung ihrer Gefühle wieder den Ton
früherer Zeiten anschlagend. Ein feuchter Schimmer erschien in ihren
Augen, auch streckte sie ihm ihre kleine Rechte mit demütig flehendem
Ausdruck entgegen.

Klamm aber verneinte stumm.

„Nein, gnädige Frau! Ich nehme von Ihnen nur, was ich nehmen muß, und lediglich um nicht infolge Ihres Vorgehens unterzugehen.

„Ich verspreche Ihnen, daß ich nur bestimmte Personen in das von Ihnen zu unterzeichnende Schriftstück Einsicht nehmen lassen werde.

„Und ferner:

„Ich erbitte das Geld, sobald Sie es flüssig machen können! Und die Summe? Die Summe? Soll das Unternehmen, das ich plane, genügend fundiert werden, brauche ich den Betrag von 100000 Mark!“

„Wohlan! Ich bitte Sie, morgen nachmittag sechs Uhr bei mir zu sein, dann werde ich es Ihnen einhändigen.“ — Und indem sie sich erhob und ihn mit einem liebewarmen Ausdruck anblickte, sagte sie:

„Ich bitte — ich flehe Sie an, vergessen, verzeihen Sie! Sie haben selbst zutreffend die Gründe angeführt, die mich fehlen, straucheln ließen.

„Und nicht wahr? Morgen! Ich gebe Ihnen dann auch die Unterschrift. Und — und Geld! Ich bin ja reich! Ich kann es entbehren. Wollen Sie nicht mehr?“

„Ich danke, gnädige Frau — es genügt.“

Er griff nach seinem Hut und wandte sich von ihr ab.

„Alfred — Alfred!“ stieß die Frau unter schmerzlichem Schluchzen hervor.
„Können Sie wirklich so von mir gehen?“

Einen Augenblick kämpfte Klamm. Dann aber sah er sie, statt ihrem Anruf Folge zu leisten, mit fremdem Ausdruck an, verbeugte sich förmlich und mit einer ablehnenden Bewegung und verließ das Zimmer.

Sie aber warf sich, nachdem er gegangen, in die Sofaecke und weinte sich aus. — Es gab für sie nur einen wahrhaft liebewerten Menschen in der Welt. Er war eben gegangen! —

* * * * *

Während Klamm den Weg zu dem Hotel einschlug, in dem er Wohnung genommen, fühlte er sich in seiner Stimmung sehr gehoben. Er hatte durch sein gewagtes, fast ein wenig abenteuerliches, aber wohlüberlegtes Vorgehen alles erreicht, was er nur wünschen konnte.

Bei seinen Erkundigungen nach Frau von Krätz hatte er zufällig erfahren, daß sie im Begriff stehe, einen Maskenball zu geben, und gleich war in ihm der Gedanke aufgestiegen, sich unter dem von ihm gewählten Domino in ihren Räumen einzufinden.

Freilich wirkte auch gegenwärtig noch etwas auf sein Gemüt und seine
Sinne, das er nicht im entferntesten vorausgesehen.

Die Frau, die er in jener Zeit leidenschaftlich geliebt hatte, war ihm in einem überaus vorteilhaften Lichte erschienen. Ihre Erscheinung und ihr Wesen hatten wieder so sehr auf ihn gewirkt, und die Art ihrer Buße, ihre Weichheit und das neue Bekenntnis ihrer Liebe ihn von neuem derartig für sie eingenommen, daß er — den das Leben so rücksichtslos mitgenommen, — nicht nur bedauerte, nicht in diesen sicheren Hafen eingelaufen zu sein, sondern weislich überlegte, ob nicht doch ein Bündnis mit ihr möglich sei.

Er streifte dann sogleich alle Sorgen ab, die Sorge für sich und seine
Mutter. Aber noch mehr! Er vermochte denen mit der Miene stolzen
Selbstgefühls zu begegnen, die sich über ihn zu stellen gewagt hatten,
die nichts von dem freieren Sinn besaßen, der ihm selbst innewohnte.

Ileisa konnte keinen gerechten Tadel gegen ihn erheben! Er hatte um sie geworben, und sie war ihm — beeinflußt durch ihre Umgebung — als eine völlig andere, als er sich vorgestellt, als sie sich an jenem Abend gegeben, kühl, ja abweisend begegnet.

Es blieb also nur die Dresdner Gesellschaft, mit der er zu rechnen hatte! Und da stutzte freilich Klamm! Die Winde würden von Berlin nach Dresden tragen, daß etwas dort nicht richtig gewesen sei! Und daß er ein Charakterloser sei, wurde dadurch erhärtet, daß er sich nunmehr wieder mit der vereinigte, die er seinerzeit so geschmäht hatte. Auch schlichen sich, nachdem sich diese Ueberlegungen in ihm festgesetzt hatten, die alten Bedenken in seine Seele, ob er mit Adelgunde von Krätz auf die Dauer glücklich werden würde.

Und das, grade das, erfüllte ihn schon bei dem bloßen Gedanken mit Sorge und Bedenken.

Grade der Lebemann, grade der, sagte er sich, der einen tieferen
Einblick in die Gesellschaft gethan, der gesehen hatte, wie äußerlich
und grundsatzlos sie durchweg war, schaute in erster Linie nach einem
Weibe aus, bei dem er sich vor solchen Gefahren geschützt wußte.

Er wollte sich endlich retten aus dem großen Scheinleben. Er wollte unter allen Umständen ein reines Haus haben und mit all dem Eklen, das auf ihn selbst eingedrungen war während seiner Wanderjahre draußen, abschließen.

* * * * *

Nach diesen Ereignissen waren einige Monate vergangen. Während dieser Zeit hatte der Freiherr Alfred von Klamm, schwer erkrankt, in der Villa der Frau von Krätz in Dresden gelegen.

Er hatte gedacht, das Schicksal aber anders entschieden!

Als er am Mittag des nächsten Tages den Weg zu Frau von Krätz genommen, war ihm schon sehr schlecht gewesen. — Eine eigentümliche Mattigkeit hatte in seinen Gliedern gesessen. Kalter Frost war ihm über den Körper gerieselt, und diesem körperlichen Unbehagen hatte sich auch noch eine starke Gemütsbeschwerung hinzugesellt. Trotzdem war er gegangen! Er wünschte, sobald wie möglich, Dresden wieder zu verlassen; er stand unter der Furcht, daß er hier würde ein Krankenlager aufschlagen müssen.

Auch wollte er Begonnenes zu Ende führen! Darum war er doch eben hergekommen! Aber schon nach der ersten Gesprächseinleitung hatte ihn abermals eine solche Schwäche ergriffen, daß er Frau von Krätz um eine Stärkung hatte bitten müssen. Während sie voll angstvoller Besorgnis davon geeilt, war er Zuständen erlegen, die einen solchen Charakter angenommen, daß sie ihn in der Villa hatte betten lassen müssen.

Und die vorläufige Wiedergewinnung seiner Kräfte hatte er auch nur den
verständigen Maßnahmen des Hausarztes der Frau von Krätz zu verdanken.
An ein Ausstehen war nicht zu denken gewesen, weil sich, statt
Besserung, ein Nervenfieber eingestellt hatte.

Zu diesen ungünstigen Verhältnissen gesellten sich noch andere.

Frau von Klamm — die Frau von Krätz sogleich benachrichtigt, und der sie Wohnung in ihrer Villa angeboten hatte, um bei ihrem Sohn zu sein, — war selbst schwer erkrankt. So blieb der Witwe die Sorge für Klamm allein, so wurde sie seine Pflegerin während der ganzen Zeit seines sich Monate hinziehenden Siechtums.

„Ihnen wird er sein Leben verdanken!“ hatte der Arzt wiederholt gegen die Frau des Hauses, und Gleiches hatte er häufig gegen Klamm geäußert, nachdem er sich wieder erholt, nachdem ihm klar geworden, wie krank er gewesen, wer ihm die Samariterdienste geleistet.

Klamms erstes Wort und erster beredter Blick galten auch ihr, und sie kamen aus einem bewegten Herzen.

Er streckte ihr die Hand entgegen und sagte, weich betonend:

„Wie soll ich Ihnen danken?“

Das zweite Wort galt der Frage seiner Mutter: ob sie ihn auch gepflegt habe, wo sie sei?

Nun mußte Frau von Krätz mit der Wahrheit hervortreten! Sie berichtete, daß Frau von Klamm dem Tode nah' daniedergelegen habe, daß sie sich indessen in der Besserung befinde, daß die Nachricht von seiner fortschreitenden Genesung besonders günstig auf sie gewirkt habe.

Ein Ausdruck glückseliger Befriedigung trat in Klamms Züge. Wiederum drückte er Frau Adelgunde die Hand.

Und so vergingen die Tage, und wieder verliefen zwei Wochen, und dann konnte Klamm zum erstenmal anstehen und ihr, die wie eine Schwester an ihm gehandelt, gegenübersitzen.

Während sie, selbst noch bleich von der Pflege, der Sorge und den
Anstrengungen der Nachtwachen, aber mit einer gleichsam vergeistigten
Schönheit vor ihm saß, ihre stillen, liebewarmen Augen auf ihn richtete,
sagte er:

„Ich habe in diesen Tagen der Ruhe und des Nachdenkens immer wieder darüber nachgedacht, wie sehr ich während meiner ganzen Lebenszeit ohne die Unfälle gerechnet habe.

„Immer, wenn ich eben glaubte, mein Spiel zu gewinnen, die Dinge nach meinem Willen lenken zu können, zog am Himmel eine Wetterwolke auf, entlud sich und zerstörte, was ich geplant oder gar schon aufgebaut hatte.

„Ist immer der Charakter auch des Menschen Schicksal? Ich frage mich, ob ich allezeit die Schuld an den Enttäuschungen trug, die mir geworden sind!?

„Vielleicht! Vielleicht deshalb, weil ich mich niemals begnügen konnte, nur eine Nummer zu sein, weil ich — einmal auf dieser Erde, und mit Kräften und Genußsinn versehen, — auch dem Leben etwas abgewinnen, ja, etwas erreichen, erobern, mein Eigentum nennen wollte.“

„Beziehen sich Ihre ersten Worte auch auf das, was Ihnen hier geschah?“ fiel Frau Adelgunde ein.

Sie forschte in seinem Angesicht in einem Gemisch von Schmerz und
Trauer.

„Ja — und nein,“ entgegnete Klamm, und gab ihr durch Mienen und Betonung zurück, was sie, in solche Frage eingekleidet, aus ihrem tiefsten Innern hervorholte.

„Ich will völlig ehrlich gegen Sie sein, wozu es mich stets drängt, obschon diese Art nicht grade immer weise ist, mir gar oft, meist schädlich war.

„Die Wahrheit darf in unserer Welt einmal nicht nackt gehen, sie muß sich verhüllen!

„Ich wollte vor meiner Erkrankung wieder so rasch wie möglich von Ihnen scheiden. Ich wollte mich vor mir selbst behüten. Der Gedanke, Sie nun doch um das zu bitten, was Sie mir einst gewähren wollten — was sich für uns beide zerschlug — scheiterte an der Ueberlegung, daß es Ihnen einmal nicht gegeben sei, nur für einen zu leben, nur einen zu lieben, in eigentlichem Sinne Treue zu üben, sich in der Ehe wirklich anzupassen.

„Ich hatte Furcht vor der Zukunft, und ich hatte Furcht vor der öffentlichen Meinung, die mir, die uns nachsagen würde: ‚Die Charakterlosen schlagen und vertragen sich!‘ Ich wollte endlich auch das unberechtigte Vorurteil zerstreuen, das die Menge beherrscht: daß ein Mann, und besonders ein Adeliger, mit einer stark wechselnden Vergangenheit, sein ernsthafter, sittlicher, auf seinen Namen und seine Ehre das Allerhöchste haltender Mensch sein könne.

„Nur deutsche Einseitigkeit der Auffassungen weist den Schuster an,
Schuster zu bleiben und wenn er auch die Fähigkeit in sich entdeckt, als
Schneider weit Besseres zu leisten.

„Erst wenn diejenigen, die sich allmählich zu dem Rechten durcharbeitete und zugleich Großes wurden, gestorben sind, lobt man ihnen nach, daß sie dem Vorurteil zum Trotz, sich nicht begnügten, etwa bloß Spargel zu stechen, sondern etwas Bedeutendes geschafft zu haben. Und dann: Alles wird bei uns klassifiziert, und in dieser Klasse hat der Mensch höhere Rechte oder hat er sich der Ansprüche auf Vorrechte zu begeben.

„Wie kann ein Adliger in eine Buchdruckerei eintreten? Er muß notwendigerweise aus der Art geschlagen sein!

„So ist es mir ergangen! Und wie ist es wirklich? Ich wollte überhaupt nur eine Thätigkeit aufnehmen, eine, die mich fesselte, die mir Erfolg verhieß, die mich aus dem üblichen Nichtsthun gewisser Lebemänner mit adligen Namen befreite! Nun, da ich — durch harte Umstände bedrängt — aus dem Geschäft wieder so bald ausgetreten bin, wird die öffentliche Meinung mir schuld geben. Und wer Schuld trägt, wissen wir beide allein, Frau Adelgunde!

„Wollen wir es nun trotzdem versuchen, dennoch versuchen, ein Bündnis zu schließen? Wollen Sie meine Frau werden? Können Sie dem Vorurteil begegnen, daß ich nicht als der Freiherr von Klamm auftrete, der als Mann einer sehr reichen Frau lediglich die Zeit stiehlt und im Müßiggang lebt, sondern ein Geschäft, ein Gewerbe betreibt, arbeitet, schafft, fördert, maßvoll lebt, den rechten Lebensgewinn in dem Verkehr mit gleichgesinnten, wertvollen Personen erblickt, die denselben Anschauungen huldigen, so überlegen Sie meinen abermaligen Antrag! Aber gönnen Sie mir auch — verzeihen Sie das viele — das Gelöbnis, daß Sie lediglich mein sein und bleiben wollen, daß Sie“ — Klamm sprach's mit einem sanften, gewinnenden Lächeln — „keine anderen Götter haben wollen, neben mir!“

Adelgunde von Krätz nickte nur und sah Klamm mit einem weichen Blick an. Und dann schnellte sie empor, lehnte sich mit leidenschaftlicher Hingabe an ihn und flüsterte:

„Ja, ja, Lieber! Wie du es willst, so soll und wird es sein!“ —

* * * * *

Nach diesen Geschehnissen waren fast anderthalb Jahre verstrichen. Während dieser Zeit hatte sich für Klamm und Adelgunde sehr viel Bedeutsames ereignet. Frau von Klamm litt nach ihrer Krankheit unter einer Lähmung, und aus den Plänen Klamms, sich gleich wieder eine Thätigkeit zu suchen, war nichts geworden. Die Vorbereitungen zur Hochzeit hatten seine Zeit und Sinne in Anspruch genommen, und später, nach ihrer Hochzeit, waren sie, teils um seine Gesundheit noch zu stärken, teils um Adelgundes Vergnügungsdrang Nahrung zu geben, auf Reisen gegangen.

Frau von Krätz war sehr klug vorgegangen. Bald nach ihrer Verlobung hatte sie zu Klamm gesagt:

„Erlaube mir eine Bitte, mein teurer Alfred! Verfüge schon jetzt über meine Kasse und mein Vermögen, als ob sie dir gehören! Es soll dir auch in Zukunft alles mit gehören, was mein ist! Wir werden nicht in getrennter, sondern in Gütergemeinschaft leben! Ich möchte dich auch gleich über meine Verhältnisse unterrichten! Ich besitze das dir bekannte, von mir verpachtete Gut in der Lausitz, ferner das hiesige schuldenfreie Haus, überdies liegen in der Bank Staatspapiere, die mir allein eine Rente von 80000 Mark im Jahr gewähren. Ich habe nur einen entfernteren Verwandten, der Ansprüche an mich erheben könnte, und ich liebe nur einen Menschen auf der Welt aus voller Seele — und dieser Mensch bist du!“ —

Und ein andermal hatte sie bei seinen sich äußernden, auf die Berliner und Dresdner Gesellschaft beziehenden Bedenken hingeworfen:

„Ach, Lieber! Was sorgst du dich, was sie alle meinen, denken und sagen! Wir schlagen sie ja alle aus dem Felde, wenn wir sie besuchen und ihnen erklären: die Irrtümer hätten sich aufgeklärt, und wir hätten uns dennoch gefunden, wie wir es anfangs gewollt.“ —

„Und Knoops und Ileisa von Oderbruch?“ hatte Klamm hingeworfen.

„Ah, bah, mein Freund! Was hast du auf die Rücksichten zu üben! Sie nahmen dich auf, und du warst ihnen überaus nützlich! Dann gaben sie dir den Laufpaß. Also ignoriere sie fortan. Zudem gehören sie ja gar nicht zur Gesellschaft, kommen also nicht in Betracht. Und das kleine Mädchen, das es so geschickt begonnen hatte, dich zu fangen, deren dann folgende Sprödigkeit nur darauf berechnet war, dich nur noch fester zu binden, lasse erst ganz aus dem Spiel!“

Klamm hatte nichts erwidert, aber grade ihre Bemerkungen hatten ihn wenig angemutet.

Adelgunde besitze, — so sagte er sich — nicht die erhabene Seele, nach der er verlangte. Sie war viel zu sehr Aristokratin und zu sehr verwöhnt, um sich in die Lage der bebürdeten Mitmenschen, und in ihre völlig gleichberechtigten Anforderungen an das Dasein, hineinzuversetzen. Sie beurteilte die Dinge nur richtig und immer nur nachsichtig, sofern sie in ihren Ideenkreis paßten.

Jene göttliche, der gesamten Menschheit zugewendete Anteilnahme, jene Beschränkungsfähigkeit, jene echte Weiblichkeit, die er an eine Frau seiner Wahl stellte, besaß sie nicht.

Und im Zusammenhang mit ihren Aeußerungen über Knoops und Ileisa, die zugleich ihre Eifersucht gegen das junge Mädchen bekundeten, stieg in Klamm die Erinnerung auf, was sie ihm aus dieser Eifersucht angethan hatte!

Auf solche „Gedanken“ geriet nicht einmal ein vornehmer Mensch, viel weniger führte er sie aus. Und endlich und zulegt! Das sah er schon jetzt:

Nicht nur keinen Vorschub würde sie seinem Schaffensdrang leisten, vielmehr ihn zu hindern suchen. Er würde — wenn er nicht die erforderliche Energie entwickelte — nun doch der Müßiggang treibende Mann einer reichen Frau werden!

Schon jetzt begriff Klamm nicht, daß er je hatte glauben können, daß sie sich in bürgerliche Verhältnisse würde hineinfinden, daß sie gar die Gattin eines Geschäftsmannes würde sein wollen. Sie konnte dem Auslugen nach vornehmem Verkehr nicht entsagen, ihre Genußsucht, ihren Ehrgeiz nicht einschränken! Sie hatte anfangs zu allem ja gesprochen, aber sie hatte sich gleich dabei selbst zugeflüstert, daß sie es schon verstehen werde, die Dinge nach ihrem Gefallen zu lenken.

Etwas Ausgleich fand Alfred von Klamm in seinem Innern durch das Urteil, das seine Mutter über Adelgunde fällte.

Sie sagte ihm:

„Jeder hat etwas; jeder hat Berge von Fehlern, aber jeder hat Vorzüge, hat Anlagen, die entwickelt werden können. Deine Frau ist ein temperamentvolles Wesen! Sie ist auch gut, weich und lenksam, obschon sie, sobald es sich um ihr Ich handelt, egoistisch zu überlegen, sehr wohl die ihr mitgebrachte, nicht geringe Klugheit zu ihrem Vorteil zu gebrauchen weiß.

„Aber ist das nicht aller Menschen Art, und kannst du sie dir nicht weiter erziehen?“

„Ich würde aber, ich fühle es, Mutter, mit dem kleinen, pflichttreuen Mädchen im Knoopschen Hause trotz aller Entbehrungen weit glücklicher geworden sein. Ich liebe — ich wiederhole es — die ernste Arbeit; verachte die Uebertreibung. Ich besitze keinen Hang zum fortwährenden Vergnügen, zu reinen Aeußerlichkeiten. Ich bin — obschon ein Adliger — durchaus bürgerlich veranlagt; ich verkehre am liebsten mit ganz einfachen Leuten aus dem Volke!“

Zwischendurch war denn doch Klamm wieder dem liebenswürdigen und aufgeweckten Wesen seiner Frau erlegen. Daß ihre Zärtlichkeit, daß ihre reinen und ehrlichen Gefühle mehr in Blicken, mehr in stummer Hingabe befanden, nahm ihn auch für sie ein.

Sie liebte auch Klamm mit der Tiefe, deren sie fähig war, und wollte sich ihm in allem möglichst fügen. Sie wollte nur nichts von seiner bürgerlichen Richtung, nichts von Geschäften bürgerlicher Art wissen! Hofchef, Theater-Intendant, Ceremonienmeister, Oberstallmeister eines Fürsten konnte er werden. Aber Zeitungsunternehmer, Fabrikant, Kontorkaufmann! Dergleichen mußte er sich aus dem Sinn schlagen! Auch, wenn er wieder in die Armee eintreten wollte, hatte sie nichts dagegen. Aber das wies er wiederum schroff zurück. Er wollte keinerlei solche Abhängigkeit.

Endlich konnte er auch Gutsbesitzer werden, ihre, seine Güter selbst bewirtschaften. Das war nach ihrem Sinn. Dann konnte sie im Sommer auf dem Lande, und im Winter in Dresden leben, die Geselligkeit genießen, und die alte Rolle spielen!

Es hatte sich zunächst auch alles gestaltet, wie sie es gewollt. Die
Umstände waren ihr zur Hilfe gekommen.

Der Pächter auf ihrem Gute Groß-Loschwitz war unerwartet gestorben. Es bedurfte also einer führenden Hand, und dazu hatte sie ihn zum Schluß zu überreden gewußt.

Nach ihrem Aufenthalt im Süden, an den italienischen Spiel- und Vergnügungsorten, in Paris und Berlin, waren sie nach Dresden zurückgekehrt und rüsteten sich mit dem nun eben begonnenen Frühjahr — es war Mai geworden — nach Groß-Loschwitz überzusiedeln. —

* * * * *

Inzwischen waren die Dinge im Knoopschen Hause in Berlin durch eingetretene Umstände stark beeinflußt worden.

Hier, wie anderswo, hatten Zwang der Umstände, Einflüsse von außen und innen und jene Schwäche, die sich aus natürlicher Rücksicht, weichherzigen Anwandlungen und Nützlichkeits-Erwägungen zusammensetzt, bewirkt, daß derselbe Mann, der von allen Knoops bis dahin verabscheut worden war, den für immer aus ihrer Nähe zu entfernen, ihr fortwährendes Sinnen und Trachten gewesen, nunmehr im Hause wieder verkehrte und als berechtigtes Familienmitglied behandelt wurde.

Wenn man auch nicht unbedingt an seine Besserungsschwüre glaubte, auch seinen auf Entlastung von Schuld berechneten Erklärungen über seine Vergangenheit nur ein halbes Ohr schenkte, so hatten doch seine einschmeichelnden Beteuerungen bewirkt, daß von einer dauernd trennenden Auseinandersetzung nicht mehr die Rede war.

Herr Knoop hatte eine Summe gespendet, die Theodor, wie er selbst erklärte, von Sorgen befreite, aber sich auch dazu verstanden, seinem Bruder eine Thätigkeit im Geschäft anzuweisen.

Er hatte die Aufgabe, der Buchdruckerei und der Leitung Kundschaft zuzuführen und empfing dafür eine feste monatliche Zahlung und überdies eine nicht schlecht bemessene Provision.

Herr Knoop überlegte wohlweislich, daß Theodor seine Pflichten sehr bald vernachlässigen würde, wenn nicht ein Nebenreiz zum Verdienen bestand. So sah er wenigstens die Möglichkeit, daß sich sein Bruder an eine ehrliche Thätigkeit gewöhnte. Wo ihn sein Nachdenken und sein Verstand anders belehrten, da traten die Verwandtschaftsgefühle in ihr Recht, auch entschlug er sich nach verständiger Menschenart dem Grübeln über das, was einst kommen „konnte“.

Erreicht war zunächst, daß das unnatürliche Verhältnis zwischen den Brüdern beseitigt worden war, daß er sich der Gewissensbisse enthoben fühlte, die ihm immer doch geblieben wären, wenn er Theodor in der von ihm beabsichtigten Weise fortgeschafft haben würde, und endlich, daß er sich so am besten vor ferneren Schädigungen des Namens Knoop schützte. —

Das nächste wichtigste Ereignis im Hause war die Rückkehr von Arthur
Knoop aus dem Auslande.

An einem Sonntag Morgen holten ihn sein Vater, seine Mutter und
Margarete vom Lehrter Bahnhof ab. Sehr verändert sah er aus, als er den
Seinigen gegenübertrat, und ganz anders, als sie erwartet hatten,
begrüßte er sie.

Er legte das Wesen eines Mannes an den Tag, der es als etwas Kindisches ansieht, Gefühle hervorzukehren.

Er sprach, nachdem er ihnen kaum flüchtig die Hand geboten, wohl aber den mit dem Tragen deines Handgepäcks betrauten Träger deshalb sehr scharf angefahren, weil er bei dem Allzuviel eine lederne Tasche hatte fallen lassen, lediglich von der Zugverspätung. Auch äußerte er gleich beim Verlassen des Perrons, — unliebenswürdig kritisierend — daß die Feder auf Margaretens Hut seinen Beifall nicht habe. Er flocht in recht gemachter Weise englische Laute in seine Reden ein: „No — no — you know — certainly“ und anderes an englischen Einschaltungen ging über seine Lippen. Vor dem Besteigen des Wagens mußte er sich noch eine Cigarette anstecken. Der scharfe Geruch führte für Frau Knoop einen Hustenreiz herbei, und Margarete wehte mit der Hand den Rauch ab.

„Na, seid ihr aber zimperlich,“ entschied Arthur, warf zwar den Rest zum
Fenster hinaus, zog aber ein mißfälliges Gesicht und schüttelte den
Kopf.

Und was draußen in den Straßen sich darstellte, das unterzog er einer fortwährenden, abfälligen Kritik, verglich es mit England und meinte:

„Die guten Deutschen bleiben ewig in den Kinderschuhen stecken.“

Der Eindruck auf seine Familie war, wenn auch ein vermiedener, bei allen ein unbehaglicher. Bei Frau Knoop siegte zwar die Bewunderung über den Sohn. Arthur besaß das Aeußere und die Manieren eines Mannes von Welt. Sie verglich die Zeit, in der er im Kittel und gelben Riemengurt um den kleinen Leib umhergelaufen war, mit dem heutigen Tage, und fühlte sich gehoben durch ihres Sohnes Bildungs- und Anpassungsfähigkeit. Sie glaubte an seinen Wert, weil sie ihn erhoffte. Sie redete sich ein, daß er sein altes, zutrauliches Kinderherz nur verstecke.

Und Herr Knoop sah in ihm den jedenfalls das Leben kräftig anpackenden
Mann, der wußte, was er wollte, der besser fuhr, wenn er sich mit
Weichmütigkeit nicht abgab.

Was ihm nicht gefiel, darüber würde er schon mit ihm sprechen. Anders war's mit Margarete. Sie empfand nicht nur eine starke Enttäuschung, sondern sie wurde auch zu einer energischen Abwehr gedrängt.

Das Gefühl für alles Natürliche, Vernünftige und Gerechte, das im Grunde auch ihrer Mutter eigen war, das bei der nur einen Abbruch erlitt, sofern es sich um ihre Kinder handelte, lehnte sich gegen den kaltherzig abbrechenden Ton auf, den sich ihr Bruder erlaubte.

Wenn er ihre Hutfeder getadelt hatte, so ärgerte sie sich über seinen
Hang, sich der herrschenden thörichten Mode anzuschließen:

„Warum hast du denn deine Beinkleider unten umgelegt? Es ist ja völlig trockenes Wetter!“ warf sie spöttelnd hin.

Und Arthur antwortete:

„Sprich doch nicht so naives Zeug, Grete! Man sollte glauben, du lebtest in Posemuckel oder in einem anderen Nest —“

„Du irrst, Arthur! Ich weiß sehr wohl, daß zahllose Narren mit
aufgekrempelten Beinkleidern umherlaufen, sollte aber meinen, daß sich
Menschen mit geläutertem Geschmack nicht zum Diener solcher
Abgeschmacktheiten machen.“

„Na ja, na ja, liebes Kind! Du bist die Weisheit in Person,“ warf wiederum Arthur hin, und schon hier im Wagen mußten die Eltern zum Frieden ermahnen. —

Die nächsten Tage nach seiner Ankunft benutzte Arthur Knoop, um sich im Geschäft umzusehen, und dort die alten und neuen Angestellten zu begrüßen.

Ueberall, wo er erschien, begegnete man ihm mit einer ausnehmenden Zuvorkommenheit, ja, nicht selten mit äußerster Unterwürfigkeit. Man sah in ihm den Stellvertreter des Herrn Knoop, den künftigen Chef. Und Arthur, mit der tadellosen Erscheinung, der uninteressierten Miene, den kalten Augen und dem nach portugiesischer Art zugespitzten Kinnbart, reichte den Herren in den Geschäftsabteilungen entweder herablassend die Hand, oder machte sich, wenn er ein Gespräch anknüpfte, zum Mittelpunkt der Erörterungen.

Niemals fragte er nach den persönlichen Verhältnissen der Mitarbeiter seines Vaters. Den Unterbeamten und Handlangern nickte er überhaupt nur zu, und behielt in den Unterabteilungen der Druckerei, den Setzersälen, den Maschinensälen und Papierlagerräumen, nach englischem Vorbild den schwarzen Cylinderhut auf dem Kopf.

Nur Adolf behandelte er anders, und auch Theodor, sein Onkel, fand Gnade vor seinen Augen. Theodor wußte ihn zu umschmeicheln, und da es mit vollendeter Meisterschaft geschah, so wußte er Arthur für sich einzunehmen. Arthur fragte, wo sein Onkel abends verkehre, ließ sich erzählen und erklärte, sich ihm häufiger anschließen zu wollen.

Theodor Knoop hatte inzwischen in seiner äußeren Erscheinung sehr gewonnen. Er kleidete sich einfach dunkel, mit großem Geschmack. Er hatte den roten Bart abgeschnitten, die Haarfrisur vorteilhaft verändert und glich nunmehr einem, den vornehmen Kreisen angehörenden Flaneur der Großstadtwelt.

Dieses Wertlegen auf eine ausgewählte Kleidung gefiel Arthur ausnehmend, er zog daraus sogar Schlüsse auf die Würdigkeit seines Onkels. Die Vorurteile, die ihm durch den Inhalt der Briefe von Hause über Theodor geworden, schwanden allmählich mehr. Da Theodor es auch bei gelegentlichen Gesprächen über seine Vergangenheit mit gewohnter großer Klugheit verstand, sich lediglich als Opfer ganz besonders widriger Verhältnisse darzustellen, befestigte er sein Ansehen in den Augen seines Neffen wenigstens gegenwärtig durchaus.

In einer Unterredung mit seinem Vater hatte Arthur die Absicht kund gegeben, die Thätigkeit von Klamm, von dem er sich immer und immer wieder erzählen ließ, der ihm wegen seiner jetzigen Vermögenslage außerordentlich imponierte, aufzunehmen.

Allerdings machte er auch gleich bestimmte Einschränkungen, indem er erklärte, daß er stets um sechs Uhr frei über seine Zeit verfügen und sich überhaupt nicht gleich einem Angestellten binden wolle.

Er huldigte dem Sport nach allen Richtungen, und übte alle Passionen, die zu pflegen in England zum guten Ton gehörten.

Namentlich verstand er es auch, die vorhandenen Kräfte auszunutzen, die Angestellten in jener fortwährenden Spannung zu erhalten, die in ihnen die Befürchtung wach erhielt, daß sie bei irgend einer Unterlassung oder geringerem Eifer ihrer Stellung verlustig gehen könnten. Die Personen waren eben nur für seine Zwecke da, und Geschäft war lediglich Geschäft. Da gab's keine Artigkeiten, keine Rücksichten, sondern nur Dienstbarkeit und Arbeit, wofür bezahlt wurde. Wo die Familie verkehrte, machte er alsbald Besuche, und dem Kutschbock-Diener, der für ihn die Karten abwarf, mußte eine neue Livree angeschafft werden.

Auch ließ er sich in verschiedenen Sportklubs, und namentlich auch in dem so genannten Millionenklub aufnehmen. Er trat auf als der Sohn des Großkaufmanns, des Millionärs.

Und infolge seines Auftretens und seiner Erfolge verwandelte sich auch das anfängliche Unbehagen seiner Eltern bald in ein Gefühl, daß ihn das doch alles gut kleide. Stolz erfüllte ihr Inneres. Die alte Schwäche der Nachsicht des Herrn Knoop gegen seine Familienangehörigen trat in Kraft. Nur Margarete verhielt sich nach wie vor ablehnend gegen seine kalte Art, gegen sein Besserwissen, gegen seinen Egoismus und seine Ueberhebung.

So hörte sie auch mit allergrößtem Mißfallen einem Abendgespräch zu, in dem Arthur bei Erwähnung der Kommerzienrat-Aussicht des Herrn Knoop geringschätzig hinwarf:

„Ach! Das ist ja gar nichts, Vater. Kommerzienrat kann jeder werden, und wenn du es sein wirst, so meinst nur du allein, daß du etwas erreicht hast.

„Du mußt den erblichen Adel erstreben! Das ist etwas für dich und für uns! Und das werde ich einleiten, und in dieser Richtung soll Theodor helfen. Unsere Vorfahren waren ja adlige Dithmarscher Ritter. Daran wollen wir anknüpfen, und wenn du dafür Opfer bringen mußt, du hast ja die Mittel!“

Herrn Knoop gefiel diese Rede ausnehmend. Er, der Sohn eines einfachen Mühlenbesitzers, sollte den erblichen Adel erhalten! Das war Nahrung für seinen Ehrgeiz!

Aber noch eine vernahm, was er sprach, obschon sie dabei saß, als ob sie gar nicht dazu gehöre, ja, als ob sie gar nicht im Zimmer sei: Ileisa!

Und sie dachte, welche geringe Bedeutung und welcher Unwert das war, was man besaß, und welchen ungemessenen Reiz das ausübte, was man nicht hatte.

Sie war eine Baronesse von Oderbruch — und was war sie, und was fing sie damit an? Und diese Leute wollten ihr ehrliches Bürgertum gegen ein „von“ umtauschen und dafür Opfer bringen, deren Inhalt zahllosen unglücklichen Menschen ein glückliches Dasein verschaffen konnte.

Auch ihr gefiel, wie Margarete, manches durchaus nicht an Arthur, aber seine Entschiedenheit, seine Männlichkeit, sein Selbstgefühl flößten ihr einen gewissen Respekt ein.

Sie drängte die Empfindungen für Klamm, die in größter Stärke wieder erwacht waren, nachdem seine Verlobung mit der Witwe in Dresden bekannt geworden, mit aller Kraft zurück. Sie nahm sich vor, Arthur entgegenzukommen ihn zu prüfen, sich allerdings auch nichts zu vergeben. Sie war ihm infolgedessen, als er einmal etwas früher ins Speisegemach getreten war, sie dort allein angetroffen und sie angesprochen hatte, zuvorkommender begegnet, als es sonst in ihrer Art lag.

Aber als er, dadurch kühn gemacht, sich eine Vertraulichkeit gegen sie hatte erlauben wollen, hatte sie mit großer Bestimmtheit im Ton gesagt:

„Sie werden von Ihrem Fräulein Schwester erfahren haben, wer ich bin, Herr Knoop! Ich bitte deshalb, daß Sie mir trotz Ihres Aufenthaltes im Hause, ein Bleiben möglich machen. Ich habe nichts, als mein unbescholtenes Ich! Aber das ist mir so wert, wie irgend jemandem, der sich einer Bedeutung und eines Ansehens in der Welt rühmt.

„Ich rufe den Kavalier in Ihnen an — ich weiß, Sie sind ein Kavalier — und nun — ich bitte — Ihre Eltern und Fräulein Margarete kommen — treten Sie zurück —“

Zwei Tage später, als er abends mit seiner Schwester aus einer Gesellschaft zurückgekehrt war, hatte er die Gelegenheit ergriffen, einmal eingehend über Ileisa zu sprechen. Er fragte sie, was sie nach ihren Beobachtungen von ihr halte.

Und Margarete hatte erwidert:

„Ileisa ist eine vornehme Natur. Ich wüßte nichts an ihr auszusetzen —“

„Aber einen Fehler wird sie doch auch haben,“ fiel der nüchterne Arthur ein.

Margarete dachte nach, dann sagte sie:

„Mutter meint, der Verstand sei doch mehr in ihr ausgebildet, als das
Herz.“

„Na, das ist doch erst recht ein Vorzug —“

„Wohlan, wenn du es so betrachtest — und dann — dann —“

„Nun?“

„Sie glaubt, sie sei im Grunde doch ziemlich adelsstolz. Als du neulich von den Plänen gesprochen hättest, die du für Vater hast, habe sich ein verächtlicher Zug um ihre Mundwinkel gelegt. Als ob sie hätte sagen wollen:

„Ihr Bürgerlichen! Ihr bleibt ja doch Grautiere, wenn ihr euch auch mit der Löwenhaut umhüllt.“

„Na, ja,“ fiel Arthur mit kaltem Lachen ein. „Sie hatte ja damit auch nicht so ganz unrecht. Ich meine, — in den Augen derer trifft's zu, die auf ererbten alten Adel zurückblicken. Die Menge beugt dagegen den Rücken. Bei der Masse giebt's Ansehen. Und auf sie kommt es an. Und den Zutritt zu den vornehmen Kreisen eröffnet das ‚von‘, ja, sichert es. Was will man mehr?“

„Unbegreiflich,“ warf Margarete hin.

„Du, der entsetzlich nüchterne Verstandesmensch, legst auf Dinge solchen
Wert, erörterst gar deren Wert in solcher Weise! Du, für den Erwerb,
Geld, Lebenszweck ist! Ich denke, der Adel soll bestehen in der
Tadellosigkeit unserer Lebensführung, in vornehmer Gesinnung und
Handlungsweise! Mein Bürgerstolz lehnt sich dagegen auf, um des
erkauften Titels oder Ranges willen mit anderen Augen in der
Gesellschaft angesehen zu werden.“

„Ja, ja, du kommst immer mit deiner Kinderstubenmoral und Tugendsamkeit, meine Beste. Das kennt man! Aber mit ihnen wird man höchstens eine kleine Kompastorin auf dem Lande.

„Uebrigens kamen wir von Ileisa ab! Giebt's sonst noch etwas?“

Margarete schüttelte erst den Kopf, dann sagte sie spöttisch:

„Ja, eines giebt es noch, und das wird wenigstens auch in deinen Augen ein sehr starker Mangel sein! Dieses einzige ist: du imponierst ihr gar nicht! Nachdem offenbar sogar ein Herr von Klamm ihr den Hof gemacht — so stark den Hof gemacht, daß er sie heiraten wollte, — versinkt deine Herrlichkeit in nichts!“

„Wie? Herr von Klamm hat sich um sie bemüht?“ fiel Arthur, die starke Enttäuschung, die Margarete ihm bereitet hatte, vorläufig unterdrückend, ein.

„Das ist ja etwas ganz Neues! Das habe ich ja gar nicht erfahren! Woher weißt du's? Hat sie es dir gesagt?“

„Gesagt? Nein, Liebster! Dazu ist sie zu diskret und zartfühlend. Sie wußte ja, daß er mir durchaus nicht gleichgültig war. — Aber ich habe sie im Traume sprechen hören. Es geschah bald, nachdem uns Klamm verlassen hatte. Sie schläft doch neben mir. Die Thür stand an dem Abend offen. Plötzlich hub sie an, seinen Namen zu rufen und sich sehr schwärmerisch auszudrücken.

„Und überdies hat mir Onkel Theodor erzählt, daß sie ein gewisser Numick im Tiergarten mit ihm hat promenieren sehen.

„Es mag Zufall gewesen sein. Aber es ist sehr verdächtig, daß sie mir niemals etwas davon erzählt hat.“ —

„Hm — hm — so — so! Darüber möchte ich wohl etwas Sicheres erfahren? Und namentlich möchte ich wissen, weshalb denn nichts aus der Partie geworden ist?“

Margarete zog die Schultern und holte unwillkürlich Atem, wie jemand, der sich so besser einer Starken Bedrückung entledigt.

Dann sagte sie:

„Ist überhaupt Herr von Klamm zu ergründen? Bei uns eifrig, ja unermüdlich! Ein Adliger aus vornehmer Familie! Ein Mann, mit dem Drang nach Einfachheit, Solidität, bürgerlicher Thätigkeit, nach Erwerb und Erfolg. Und gleichzeitig versteckt, unzuverlässig, unwahr! Der Frau von Krätz, die er nun geheiratet hat, soll er kurz vor der allgemein erwarteten Verlobung plötzlich abgeschrieben haben. Dann hatte er sich — es scheint sicher — an ein anderes armes, junges Mädchen in Dresden gebunden. Die ließ er aber auch, — — und wiederum — nachdem ihn die Not trieb — suchte er die Millionärin auf. Wenn nun noch hinzutritt, daß er Ileisa den Kopf verdreht hat, so steht man ja vor einem Rätsel, es sei denn, daß er eben doch ein Abenteurer ist, daß er hier nur so arbeitete und täuschte, weil er sich mit den geheimen Absichten trug, Papas Kompagnon zu werden, oder ihm das Geschäftliche für damalige eigene Zwecke abzulauschen. Diese Thatsachen haben denn auch, wenn meine Sympathien für ihn nicht abgeschwächt, doch meine Neigung für ihn zum Erlöschen gebracht.“

Arthur hatte nicht ohne Spannung zugehört. Nachdem seine Schwester aber ihre Rede beendet, sagte er mit einer an ihm sonst nicht hervortretenden Lebhaftigkeit:

„Ich muß ihn kennen lernen! Ich möchte mir selbst ein Urteil bilden, möchte der Wahrheit oder den Ursachen seiner Handlungsweise nachspüren. Und Ileisa von Oderbruch — !? Hm — was du sagst — Uebrigens — da fällt mir ein — sie hat ja noch eine Tante. Die wollen wir doch bald einmal einladen.

„Ich möchte sie näher kennen lernen —“

„Mir will wirklich scheinen, daß du für unsere Hausgenossin ein nicht gewöhnliches Interesse hast, Arthur!“ fiel Margarete ein. „Aber ich wiederhole dir: Bei der, grade bei der wirst du kein Glück haben!“

„Na, ich werde dir das Gegenteil beweisen,“ stieß Arthur Knoop heraus, zog sein Etui hervor, entzündete eine Cigarette und blies die Rauchwolken nach der Art stark Erregter aus dem Munde.

Grade waren sie jetzt eben an dem Knoopschen Hause angelangt. Nachdem Arthur seiner Schwester die Thür geöffnet und sich noch versichert hatte, daß das ihrer wartende Mädchen zur Stelle war, nahm er den Weg zurück. Er wollte noch in den Klub und dort einige Nachtstunden verbringen. —

* * * * *

In einem alten Berliner Hause in der Kronenstraße, drei Treppen hoch, zog einige Tage später, um die Zeit zwischen Mittag und Spätnachmittag Ileisa von Oderbruch an der nach früherer Sitte durch eine Messingstange in Bewegung zu setzenden Klingel. Sie wollte ihre Tante, die dort ihre Zimmer besaß, besuchen, wollte endlich einmal wieder nach längerer Zeit dieser einzigen Verwandten, die sie noch auf der Welt hatte, Liebesbeweise an den Tag legen.

Es währte eine Weile, bevor ihr geöffnet wurde. Auch kläffte ein Köter mit den bekannten heiseren Kehllauten, die diesen Vierfüßlern eigen sind.

Als endlich die Thür aufgeklinkt wurde, geschah's nur spaltenweit. Hinter der noch nicht abgehakten Sicherheitskette fragte die Bewohnerin mit einer mürrisch mißtrauischen Stimme, wer da sei, und was man wünsche.

„Ich bin's, ich bin's, liebe Tante,“ betonte Ileisa. Nun flog auch rasch die Thür auf, und unter dem freudenerregten Winseln des Hundes, unter dessen Wedeln und Anspringen, nahmen Tante und Nichte den Weg durch den etwas dunklen Flur ins Wohngemach.

Die alte Dame mit dem kleinen, dürren Körper, den eingefallenen Zügen und den pergamentfarbenen Wangen, legte eine überselige Freude an den Tag, ihre Nichte vor sich zu sehen.

Immer wieder schaute sie ihr ins Angesicht, strich ihr liebevoll die
Hände und stellte Fragen.

Und nachdem dieser erste Freudenausbruch vorüber war, begab sie sich zunächst fort, um eine Tasse Thee zu bereiten.

Nachdem sie alles Erforderliche herbeigeholt, und endlich noch aus einem neben dem Ofen stehenden Blechkasten eine Anzahl selbstgebackener Kuchen hervorgeholt, ließ sie nun auch ihrer Zunge über ihre Person und Angelegenheiten freien Lauf.

Zunächst berichtete sie, daß Mopsi — so hieß der Hund — recht ernstlich krank sei, was um so störender gewesen, weil sie selbst wieder an ihrem alten, bösen Husten gelitten, und sich im Bett habe halten müssen. Dann folgten mitleidige Bemerkungen über das Fußleiden der Aufwärterin, die täglich erschien, um die gröbere Arbeit zu verrichten, und nachdem sie dann auch noch allerlei mehr nachsichtige als anklagende Mitteilungen über den Hauswirt und die Mitbewohner gemacht, gelangte sie auf die Verhältnisse der Familie Knoop.

Sie ließ sich besonders von Arthur erzählen. Und Ileisa sprach aus, was zutraf, aber sie verhehlte auch ihrer Tante nicht, daß er ihr wegen seines kräftigen, weltmännischen Auftretens und seiner Abneigung, sich irgendwie in seiner Eigenart zu verdecken, nicht übel gefalle.

„Und wie stellt sich der Sohn zu dir?“ warf die alte Dame hin.

Ileisa berichtete ihrer Tante, was zwischen ihr und Arthur vorgefallen war.

„Hm — gut so — sehr gut, mein Kind. Du bist nun sicher, daß er sich nichts wieder gegen dich erlauben wird! Noch mehr! Ich glaube, nach deiner Schilderung wirst du in seinen Augen nur gewonnen haben.“

„Es scheint so, allerdings, Tante. Ich hatte ein sehr unpersönliches Wesen von ihm erwartet. Statt dessen redete er mich heute morgen in der liebenswürdigsten Weise an. Es geschah sogar das bisher Unerwartete, daß die Familie sich endlich auch deiner einmal erinnert!“

„Siehst du wohl! Siehst du wohl,“ fiel die Alte ein, machte vergnügte Augen, und ließ einen fast triumphierenden Ausdruck in ihren Zügen erscheinen.

Und gleich fügte sie hinzu:

„Ach, mein süßes Kind, wie würde ich mich freuen, wenn du mit der Zeit aus jeder Abhängigkeit herauskämest, wenn du einen braven, gutsituierten Mann fändest. Es ist mein täglicher Gedanke und mein tägliches Gebet.

„Schade, daß dieser Arthur ein solcher Verstandesmensch ist, das wäre sonst ja alles nach Wunsch! Du die Schwiegertochter des Herrn Knoop! Es wäre erreicht, was ich im geheimen gehofft und erwartet habe, als ich dir riet, eine Stellung anzunehmen. — Uebrigens — was macht denn der Herr von Klamm? Für ihn interessierte ich mich immer außerordentlich. Wenn der in guten Verhältnissen gewesen wäre, hätte ich dir gewünscht, daß du seine Frau geworden wärest.“

Statt zu antworten, stellte Ileisa die eben schon erhobene Theetasse wieder auf den Tisch, veränderte ihre Miene und ließ gedankenvoll das Haupt sinken.

„Ja, ja, Tante — wenn er —“

Dabei löste sich gleichsam als Befreiung versteckten Schmerzes ein langer Seufzer aus ihrer Brust.

„Also du interessiertest dich wirklich ernsthafter für ihn? Du liebtest ihn, meine liebe Ileisa? Ja! Ja! Ich hab' mir's gedacht, ohne daß du mir davon gesprochen hast,“ fiel die alte Dame teilnehmend ein.

„Hatte es einen Sinn und Wert, Tante? Er hatte und war nichts — und was da so plötzlich zum Vorschein gelangte und geschah — ließ mich ja zweifeln, ob er überhaupt ein wirklich vertrauenswerter Mann sei —

„Und nun ist ja auch alles aus, und nichts mehr zu ändern.“

„Gewiß, mein Kind, und sollte sich Herr Arthur Knoop für dich entscheiden, prüfe dich zwar erst, aber dann sei nicht spröde, dann sage nicht nein. Ich halte es für möglich, daß du, grade du ihn sanfter, weicher zu machen verstehen wirst. Und wenn dir das gelingt, so hast du ja auch das, was du jetzt noch an ihm entbehrst. Im übrigen, mein Kind. Es ist eine Thorheit, wenn die jungen Mädchen den Veilchen nachahmen, und eher in demutvoller Bescheidenheit verblühen, als die Augen einmal aufschlagen wollen.

„Wie der Mann, so hat auch die Frau die Pflicht und Aufgabe, die sich für ihr Fortkommen bietenden Gelegenheiten wahrzunehmen. Ein Mädchen ist wirklich nicht unweiblich, wenn sie sich vorhält, daß ohne Entgegenkommen überhaupt im Leben kein Bündnis geschlossen wird!

„Gewiß! Sitte und keinerlei Abweichung von der Tugend! Aber den ihr von Gott verliehenen Verband soll jede Kreatur gebrauchen! Kein Mensch zahlt uns Frauen etwas dafür, daß wir aus lauter sittsamer Prüderie alte Jungfern werden. Im Gegenteil: Wenn wir's geworden, verhöhnt man uns noch dazu!“

Die alte Dame sprach's und seufzte auf.

„Allerdings, oft mit bitterem Unrecht,“ fuhr sie fort. „Man kann sein
Glück auch aus Pflichtdrang für andere verpassen — wie es mir geschah. —
Wie! Was? — Du siehst schon nach der Uhr? Ist's schon so weit, mein
süßes Kind? Nein, nein, ich will dich nicht aufhalten —!

„Wart', ich helfe dir — — Still, Mopsi — still — still! — — Wie meinst du? — Gewiß, ich komme gern, und daß sie mich gar in ihrem Wagen nach Hause bringen wollen, ist ja äußerst liebenswürdig!

„Grüße und danke. — Adieu! Adieu! Auf Wiedersehen, mein liebes Kind!“ —

* * * * *

Acht Tage nach dem vordem Geschilderten hatte Arthur vormittags eine sehr wichtige Beratung mit dem Oberfaktor. Verschiedene größere Firmen in Berlin waren von der zuständigen Behörde aufgefordert worden, Offerten einzureichen. Es handelte sich um die für die allgemeine Volkszählung im Deutschen Reich erforderlichen Zählformulare, deren Ausführung einer mindest bietenden Buchdruckerei übertragen werden sollte. Arthur überlegte mit dem Faktor schon seit Stunden. Die Kosten für das Papier und die gesamte übrige Herstellung wurden wiederholt überschlagen, aber auch Erwägungen angestellt, ob das ungeheure Quantum in der vorgeschriebenen Zeit fertig gestellt werden, ob der jedenfalls mit sehr gedrückten Preisen hervortretenden Konkurrenz so begegnet werden könne, daß ein Nutzen überhaupt zu erzielen sei.

Von großem Vorteil würde es sein, wenn in Erfahrung zu bringen wäre, welche Offerten eine andere, im wesentlichen in Betracht kommende Firma, nämlich die Hohensteinsche Buchdruckerei mache. Sie war die einzige, die bezüglich der gesamten Einrichtungen Gleiches und mehr schaffen und zu mäßigen Sätzen herzustellen vermochte, als das Knoopsche Geschäft.

Während sich noch Arthur und der Faktor unterhielten, zwischendurch Anfragen von Eintretenden beantworteten, auch den sich ihnen zugesellenden Herrn Knoop eben mit der Erklärung beruhigt hatten, daß sich selbst bei dem von ihnen erwogenen Minimalpreis noch ein sehr schöner Nutzen herausstellen werde, trat nach dessen Fortgang Theodor Knoop mit sehr beschäftigter Miene ins Kontor.

Arthur streckte ihm mitten im Redefluß, kurz nickend, die Hand entgegen und warf, als Theodor fragte, ob heute morgen etwas zu besorgen sei, erst nachsinnend und dann von einer praktischen Idee erfaßt, in einem belebten Ton hin:

„Hm — ja. Allerdings!“ Dabei gellte er sich gegen das Pult, zog erst noch vorm Weitersprechen das Cigaretten-Etui hervor, entzündete mit gewohnter Schnelligkeit eine Diubek und stieß den Rauch durch die Nase. Dann ergänzte er, während er die Linke in die Beinkleidertasche schob:

„Könntest du vielleicht an den Faktor der Hohensteinschen Buchdruckerei herankommen und ihn ausforschen, welche Offerte — sie für die Zählkarten einreichen! Da wäre was für dich und für andere zu verdienen.“

Erst zog Theodor die Lippen. Gleich darauf aber trat ein cynischer
Ausdruck in seine Mienen und er stieß heraus:

„Ah! Du meinst, ich soll ihn —“ Hier machte er eine nicht mißzuverstehende Bewegung mit der Hand und lachte unangenehm anzüglich. Arthur aber ging auf diese Auslegung seiner Worte nicht ein; er ließ vielmehr einen abweisenden Ausdruck in seinen Gesichtszügen erscheinen und sagte:

„Nein, du irrst dich! — Wie sollte ich auf so etwas kommen.

„Weißt du, wir sprechen noch über die Sache, über das Wie. — Wo frühstückst du heute? — Hm — Hm — Ich schlage dir vor, daß wir bei Ewest in der Behrenstraße um ein Uhr ein Steak essen. Ich lade dich ein!“

Und ohne Theodors Antwort abzuwarten, da er dessen Zustimmung immer gewiß war, wenn er ihn zu einer Pikanterie einlud, schloß er:

„Also abgemacht! Ein Uhr, rechts im Zimmer mit der geschnitzten Thür. —
Jetzt habe ich hier noch vollauf zu thun.“

Dabei drückte er ihm in jener Art die Hand, durch die man jemanden höflich hinauskomplimentiert.

Nachdem der Onkel gegangen, war Arthur zunächst bemüht, den unvorteilhaften Eindruck dieser Scene bei dem Faktor zu verwischen. Was er gesagt hatte, war ihm in Wirklichkeit im Augenblick so herausgeschlüpft. ‚Dergleichen that man natürlich nicht bei ruhiger Ueberlegung.‘ Er sagte deshalb:

„Gewiß, Karlsen, man hätte es leicht, wenn man etwas von Hohensteins erfahren könnte. Aber natürlich meinte ich nur, daß man dem Faktor vielleicht Fragen stellen könne, aus denen man sich einen Vers zu machen im stande wäre.

„Einen Beamten zu Pflichtvergessenheiten zu verleiten, wie Herr Knoop annahm, kann mir doch nicht beifallen.“

Arthur hatte auch Glück. Karlsen, der Faktor, nahm die Worte, wie sie
Arthur verstanden haben wollte.

Und Arthur war dessen sehr froh!

Es kam ihm jetzt auch noch der Gedanke, daß sein eigener Beamter auf die Idee geraten könne ihn an die Hohensteinsche Buchdruckerei für Geld zu verkaufen!!

Er erschrak förmlich! Und er nahm sich vor, Theodor unter allen
Umständen von Schritten abzulenken, zu denen er in einer unbesonnenen
Anwandlung, in der Sucht, Vorteile zu erringen, den Anlaß gegeben hatte.

Als Onkel und Neffe zur verabredeten Zeit im Ewestschen Restaurant in dem erwähnten Raum beisammensaßen, einen halben Hummer verzehrten und eine Flasche Bocksbeutel dazu tranken, sagte Theodor, sobald er die Gelegenheit als günstig erachtete, in stark belebtem Tone:

„Weißt du, Arthur, wie ich die Sache mit Hohensteins Faktor machen könnte? Wir wollten ja darüber noch reden! — Ich werde mich an ihn heranmachen und fragen, ob er nicht bei uns ins Geschäft eintreten wolle. Verbessern will sich jeder!

„Wenn ich ihn dann heute abend in den Ratskeller bestelle, und nach einigen Flaschen Wein nach meinem Willen habe, dann gehe ich vor!“

Zunächst entgegnete Arthur mit ungekünstelter Ueberraschung:

„Bei uns eintreten? Ich verstehe nicht! Wir können den Mann doch nicht anstellen?“

„Ach, davon ist ja auch nicht die Rede. Das soll ja nur die Einleitung, das Lockmittel, der Vorwand sein. Nachher kriegt er eben seinen Batzen für seine Dienste. Und — und — wie viel hast du mir denn zugedacht, wenn ich euch die Offerte, die Hohensteins machen, herausbringe.“

Diese letzte Aeußerung ärgerte Arthur ausnehmend. Abgesehen davon, daß die Vorschläge, die sein Onkel machte, ein starkes Oppositionsgefühl in ihm erregten, sah er es als einen Mangel an Delikatesse an, daß Theodor, der inzwischen so viel Gutes von der Familie genossen hatte, gleich seinen Vorteil betonte, schon vorher wissen wollte, was für ihn abfiel.

Er sagte deshalb wiederum in seiner unangenehm kalten Art:

„Du hast mich völlig mißverstanden, wenn du annimmst, daß ich jemals die Hand zu dergleichen Vorgehen bieten könnte. Meine Meinung war, daß man versuchte, etwas auf geschickte Art herauszubringen. Aber so was —“

„Na, du sagtest doch, ich und andere könnten verdienen,“ betonte Theodor brüsk. „Das war doch nicht mißzuverstehen!“

„Du hast es aber doch falsch aufgefaßt! Ich meinte, du solltest etwas davon haben, obschon ich — aufrichtig gesagt — eben nicht angenehm berührt war, daß du das in den Vordergrund stelltest, uns das nicht überlassen wolltest. Und wir würden was davon haben, wenn die Wirkung die wäre, daß wir die Lieferung erhielten.“

„Na, ja — Also — du hast dich besonnen! So drehst du's jetzt! Du willst lieber nichts ausgeben. — Darauf kommt's heraus!“ fiel Theodor — zum erstenmal Arthur in einer solchen abfälligen Weise begegnend, ein.

Einen Augenblick wollte sich Arthur hinreißen lassen, das zu thun, was sich Menschen um so eher aufdrängt, wenn sie sich getroffen fühlen. Dann aber beherrschte er sich doch und entgegnete nur in einem überlegenen Tone:

„Du hast recht: Ich habe mich besonnen, daß ich zu derartigen Mitteln nicht greifen will, besonders und unter keinen Umständen zu solchen, wie du sie zu meinem Erstaunen vorschlägst! Aber im Unrecht bist du, wenn du meinst, die Furcht einer Schmälerung des Verdienstes leite mich.

„Wenn die Firma Knoop so dächte, verehrter Onkel, würde sie mit dir doch keine Pakte geschlossen haben —“

„Was soll das nun wieder?“ fiel Theodor ein. „Ich denke, ihr habt hinreichenden Nutzen aus meiner Thätigkeit, und alte Sachen soll man endlich schon deshalb ruhen lassen, weil jeder seine Rechnung mit sich zu machen hat. Wie ich für euch thätig bin, wollte ich dir grade erzählen. Ich wollte dir mitteilen, wie weit ich im Heroldsamt mit der Nobilitierung deines Vaters gekommen. Aber freilich — bei solcher Art vergeht einem die Lust.

„Du denkst immer, verehrter Neffe, daß dir alles ansteht. Andere denken sehr viel anders darüber.“

„Hm — es mag sein, Onkel! Aber entscheidend ist wohl, ob Defekte im Charakter oder nur unsympathische Eigenschaften der Kritik unterliegen. Daß deine Vergangenheit nicht völlig tadellos ist, kannst du doch nicht leugnen, und wenn du vorschlugst, den Faktor bestechen zu wollen, so ist dies nur ein Beleg, daß du es mit Gewissenssachen nicht sehr ernst nimmst. Ueber dir zu Gericht sitzen — kann mir nicht beifallen, aber wenn du einen solchen Ton gegen mich anschlägst, so sage ich dir meine Meinung.“

„Ja, ja, es ist immer dieselbe Geschichte. Dein Vater und du halten sich für Götter, andere aber gehören in den Hades!“

„Gut, zugegeben, daß wir unsere Schwächen haben! Sie überhaupt zu leugnen — da wir Menschen sind — wäre ja eine Lächerlichkeit,“ entgegnete Arthur mit unheimlicher Ruhe.

„Aber du bietest ja selbst die Hand zu dem Ehrgeiz, den du so herbe verdammst. — Eben hobst du noch hervor, daß du wieder Schritte gethan habest. Ich sollte denken, daß du doch so etwas Schlimmes dann nicht darin erkennen kannst. — Im übrigen! Wohin sollen solche Gespräche führen? Sie können schließlich nur den Ausgang einer völligen Entfremdung zwischen dir und uns haben. Und das kann dir doch am wenigsten wünschenswert sein!

„Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe. Lasse also die Dinge ruhen, lasse aber hören, was du aus dem Heroldsamt bringst.“

Nach diesen Worten erhob Arthur das Glas, hielt es seinem Onkel hin, und ließ einen künstlich versöhnlichen Ausdruck in seinem Angesicht erscheinen.

Es wurde Theodor nicht leicht, sich gleich wieder umzustimmen. Er war zu allem, was ihn verächtlich machte, auch noch über die Maßen empfindlich. Er wollte — trotz aller Ueberführung — immer noch ein Opfer der Verhältnisse, und auch zu seiner jetzigen Thätigkeit nur deshalb gedrängt sein, weil er noch unter den Folgen früherer Widerwärtigkeiten litt. Das Wesentliche seiner indessen nun folgenden Mitteilungen ging dahin, daß dem Antrag auf Nobilitierung deshalb an sich näher getreten werden könne, weil es als richtig festgestellt sei, daß die Familie in früheren Jahrhunderten „von Knoop“ gehießen habe. Aber es sei nach den gegebenen Vorschriften erforderlich, pekuniäre Nachweise und Opfer zu bringen, und jedenfalls besser, die Zeit abzuwarten, nachdem sich Herr Knoop als Privatmann vom Geschäft zurückgezogen haben werde.

Einen Gewerbetreibenden mache man zum Kommerzienrat, wenn die Vorbedingungen vorhanden seien, aber eine Nobilitierung sei bei Personen mit offenem Geschäft nicht angebracht.

„Na — und weiter,“ forschte Arthur, nachdem das alles von Theodor erörtert war.

„Ja, sonst nichts! Dein Vater muß nachweisen, daß er standesgemäß leben kann — also etwa eine Million oder mehr besitzt, und er müßte wohl aus dem Geschäft austreten.

„Zudem wird vorausgesetzt, daß er irgend eine Schenkung macht, zum Beispiel an den Deutschen Frauen-Verein vom roten Kreuz oder dergleichen. Ihr würdet gut thun, das Geschäft — ich wollte schon darüber immer einmal mit dir und deinem Vater reden — an eine Aktiengesellschaft zu verkaufen. Dann kann sich dein Vater zurückziehen, und alles ist in Ordnung.“

„Doch nicht! Wo bleibe ich?“ fiel Arthur kritisch ein. „Wenn mein Vater als Geschäftsmann nicht nobilitiert werden kann, so also auch ich nicht! — Und ich will doch eine Thätigkeit behalten, ich will doch noch Geld verdienen —“

„Hm! Weißt du, darüber habe ich auch schon nachgedacht. Du läßt dich zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Aktiengesellschaft machen. Du schwebst sozusagen als Geist über den Wassern. So erreichst auch du deinen Zweck! Sehr häufig fungieren ja Adlige — Grafen und Barone — als Aufsichtsräte. Das hat sich ja eingebürgert und wird nicht moniert! Im Gegenteil!“

Diese Worte gefielen Arthur nicht schlecht.

Er sah sich bereits in seinen jungen Jahren in einer solchen Position. Er war der reiche Privatmann, der sich bei großen Unternehmungen beteiligte, den man auch sonst in Direktionen hineingewählt, der Vertrauensstellungen einnahm, der großes Ansehen genoß und mit verhältnismäßig wenig Arbeit seine Taschen füllte. Der Freiherr Arthur von Knoop — den Freiherrn mußte er erzielen! — war in aller Welt Munde! Ah! Wie das des ehrgeizigen jungen Mannes Inneres entflammte!

Er sagte jedoch, rasch wieder nüchtern geworden, und seinen Zügen einen pessimistischen Ausdruck verleihend:

„Aktiengesellschaft! Aktiengesellschaft! Ja, wenn das so leicht wäre! Gewiß! zu machen ist ja alles! Aber ob man den Preis erhält, den man haben muß!

„Andere Menschen rechnen auch, und erst recht.

„Die ganze Nobilitierungsaffäre scheint mir nicht nur auf sehr schwachen
Füßen zu stehen, sondern in dieser Behandlungsart, bei solchen
Forderungen, ziemlich aussichtslos.“

„Du irrst wieder einmal gründlich,“ fiel Theodor mit abfälliger Betonung ein. „Die Aktiengesellschaft bringe ich sehr rasch zu stande, und wenn ich gut verdiene, so vorteilhaft, daß ihr mehr als zufrieden seid!

„Und wenn's keine Aktiengesellschaft wird, so weiß ich einen Millionär, der darauf reflektiert. Schließlich kann's euch ja gleich sein — woher ihr euer Geld bekommt — und um so eher begegnest du dem Einwand, daß du eine gewerbliche Thätigkeit als künftiger Freiherr betreibst.“

„So — so — da wäre ich begierig,“ fiel Arthur ein, zog die bekannte
Cigarette hervor, entzündete sie mit gewohnter Hast und paffte stark.

„Also — bitte — heraus damit, wenn's gefällig ist —“

„Der Reflektant ist — ich nehme natürlich an, daß ihr nicht selbst verhandelt, sondern mir das überlaßt — Freiherr Alfred von Klamm. Er sucht ein Zeitungs- und Druckerei-Unternehmen zu erwerben —“

„Du meinst?“ fiel Arthur überrascht, aber zunächst nicht ungläubig ein.
Und dann doch gleich wieder abwiegelnd:

„Jedenfalls kannst du aber doch nicht mit ihm verhandeln. Du, den er beschuldigt, daß du ihn und seine Mutter um ihr ganzes Vermögen gebracht hast. Da müßte doch ein anderer vorgehen —“

„Und du glaubst noch immer an diesen Unsinn, Arthur!? Ich muß mich wirklich wundern! Schon aus dem Umstande, daß ich mit ihm in Verbindung treten will, erhellt doch zur Genüge, daß ich ihm seine Behauptungen vollkommen zu widerlegen im Stande bin.

„Ich will davon absehen, daß ich ihn eigentlich wegen schimpflicher
Verleumdung belangen müßte.“

Arthur erhob das Haupt und sah seinen Onkel nicht ohne starken Beifall an. Was sich nicht alles in dessen Kopf gestaltete, und mit welcher cynischen Souveränität er über Felsen und Schluchten wegsetzte. Man mußte es bedauern, daß ein an sich so findiger und gewandter Mensch seine ihm von der Natur verliehenen Gaben nicht in den Dienst solider Dinge stellte!

Nach diesen, auf Theodor gerichteten Betrachtung gen aber gingen auch seine Gedanken wieder zu Klamm.

Er sagte infolgedessen:

„Na, ja — gleichviel! Lassen wir das! Etwas anderes aber ist — und das fällt allein ins Gewicht: Sollte wirklich Klamm, nachdem er in einen solchen Glückstopf gegriffen und sich wieder in die vornehme Gesellschaft eingereiht hat, ein Zeitungs-Unternehmen und eine Buchdruckerei kaufen wollen?“

„Ja,“ betonte Theodor entschieden.

„Er sucht etwas, obschon seine Frau, wie ich erfahren habe, durchaus dagegen ist. Er hat einmal Geschmack an der Publizität gefunden, und die Eitelkeit, als selbst produzierender Mensch und Zeitungsbesitzer die übliche einflußreiche Rolle zu spielen! Frage nur deinen Vater, mit welchem unglaublichen Eifer er bei euch thätig war. Freilich das nur, um bei euch etwas möglichst rasch abzulernen.“

„Ja!“ meinte Arthur und rüstete sich jetzt, rasch nach der Uhr sehend, zum Aufbruch. „Es ist ein ungewöhnlicher Mensch, und ich wiederhole oft Gesagtes: ich möchte ihn gern 'mal kennen lernen. Na, ja! Denkbar ist es ja jetzt — wenn du“ — hier nahm Arthur seinen pessimistischen Ton wieder an — „dir nicht selbst etwas eingebildet, wenn du nicht Möglichkeiten und Hoffnungen als Thatsachen hingestellt hast!

„Jedenfalls will ich noch heute mit meinem Vater sprechen und ihm über alles Mitteilung machen. Du sollst dann alsbald Nachricht haben.“

Hierauf klingelte er, zahlte dem Kellner, ohne von seinem Onkel noch besondere Notiz zu nehmen, und machte sich dann — ihm rasch und flüchtig die Hand drückend — davon.

„Geben Sie mir noch einen Hennessy Cognac vom besten!“ erklärte Theodor, der noch dageblieben war, dem Kellner, und zog die Börse.

Und während dieser forteilte, um das Verlangte herbeizuholen, murmelte
Theodor Knoop:

„So viel ist gewiß! Sobald ich mein Geld bei ihnen für die Adelsgeschichte und den Verkauf des Geschäfts in der Tasche habe, ziehe ich mich von der ruppigen Gesellschaft ein für allemal zurück! Jede kleinste Zuwendung wird einem vorgehalten. Selbst Bezahlungen für geleistete Dienste werden einem auf das Mitleidskonto geschrieben!

„Mit meinem Bruder läßt sich wenigstens noch sprechen! Aber dieser eingebildete Ruppsack und Erz-Egoist Arthur ist mir nachgerade widerlicher, als irgend ein anderer Mensch!

„Bevor ich vorgehe, werde ich mir erst einen Schein über meine Provision ausstellen lassen! Sonst streiten sie mir alles nachher ab.

„Ich hole die Kastanien aus dem Feuer und habe nachher das Nachsehen!

„Und — und — kann ich dem Arthur nachher 'mal eins beibringen, so soll's gewiß geschehen!

„Ich vergesse es nicht, wenn jemand sich einen solchen Ton gegen mich erlaubt!“

Und während er die Friedrichstraße hinabflanierte und den Weg nach der Kanonierstraße nahm, woselbst er in einem kleinen Hotel wohnte, schloß er:

„Wetter! Wie wäre es, wenn ich mir die Preise für die Zählkarten von Knoops verschaffte und durch — hm — hm — vielleicht durch Numick — solche der Hohensteinschen Buchdruckerei offerierte? Da wäre jedenfalls ein Geschäft zu machen. Die sind nicht so zimperlich. — Freilich — freilich — solange ich so noch zu Knoops stehe — ist's wohl besser — Ich könnte hereinfallen und mir alles verderben. —“

* * * * *

Arthur machte an demselben Tage seinem Vater Mitteilung von der
Unterredung mit Theodor.

Sie hatten sich nach Tisch in der Villa im Arbeitszimmer des alten Herrn niedergelassen und schlürften, während sich die Damen zu einem Schläfchen zurückgezogen, eine Tasse Kaffee, und rauchten eine Havanna.

Herr Knoop war in außerordentlich guter Stimmung. Die Aussicht auf das Geschäft mit den Zählkarten machte ihm eine gute Laune. Er hielt den Zuschlag für ziemlich sicher, weil die als äußerst zuverlässig bekannte und bei den Behörden vorteilhaft eingeführte Buchdruckerei schon seit Jahren wiederholt als Sieger bei solchen Konkurrenzen hervorgegangen war. Nicht der Preis allein, sondern die Güte und die Sauberkeit der Ausführung der Ware, deren man bei Knoops sicher war, halfen, wie er wußte, bei der Entscheidung mit.

Arthur hatte ihm von neuem bestätigt, daß ein sehr hübscher Posten, selbst bei der beabsichtigten starken Ermäßigung, abfallen werde. Ueberdies wirkten die Nachrichten und Vorschläge, die Theodor gemacht, sehr erhebend auf Herrn Knoop.

Daß Klamm Käufer sein könne, leuchtete ihm ein. Als Bewerber paßte er ihm ausnehmend. Die Frau besaß bekanntlich Millionen! Infolgedessen würde die Anzahlung, die Knoops fordern mußten, keine Schwierigkeiten haben. Aber auch der Bildung einer Aktiengesellschaft war Herr Knoop, der solchen Plänen bisher ausgewichen war, nicht abgeneigt. Thätigkeit würde ihm, dem späteren Freiherrn von Knoop, nicht fehlen.

Auch Arthur würde sich, bei seinem ausgeprägten Erwerbssinn, der Arbeit nicht entziehen und schon etwas Passendes finden, sofern er nicht in der Aktiengesellschaft Beschäftigung und Vorteile fand.

Nach Theodors Mitteilung stieß ja nur noch der Geschäftsmann in seiner jetzigen Façon im Heroldsamt auf Widerstand.

Eine erheblichere Summe für einen öffentlichen, dem Staat dienenden
Zweck herzugeben, fiel ihm nicht schwer, und er war dazu bereit.

Es lagen starkgewölbte Packete mit Staatspapieren in seinem Geldschrank!
Gegenwärtig hatte alles andere, was ihn sonst beschäftigte, ein
untergeordnetes Interesse. Nur die Ueberlegung, wie seine Frau und
Margarete die Sache auffassen würden, machte ihm noch Sorge.

„Deine Mutter wird freilich nicht sehr einverstanden sein, Arthur,“ erklärte Herr Knoop. „Sie legte schon auf den Kommerzienrat keinen Wert. Und deine Schwester ist erst recht nicht dafür, daß wir das Geschäft aufgeben! Freilich, auf sie kommt nichts an. Aber deine Mutter hat ein Wort mitzureden.“

„Na, was will Mutter denn mehr, als eine so gesicherte Zukunft, Vater!?

„Ihr werdet euch die schon mehrfach von euch gewünschte Villa kaufen, eine angenehme und noch erweiterte Geselligkeit pflegen, im Sommer — da du nicht mehr gebunden bist — ins Bad reisen und so euch in eurem Alter eines ungewöhnlich behaglichen Lebens erfreuen. —

„Grete besitzt wirklich etwas mehr als kleinbürgerliche Anschauungen. Sie gleicht trotz ihrer Jugend alten Leuten, die sich in eine neue, andere Zeit nicht hineinversetzen können.

„Ihr fortwährender Oppositionsdrang ist recht störend und wenig geschmackvoll!“

„Na, sie leidet sonst nicht daran, Arthur! Sie besitzt nur einen stark ausgeprägten Sinn für alles Natürliche. Es ist ein vortreffliches Mädchen. — Schade — schade“ — unterbrach er sich — „daß sich Klamm gebunden hatte. Der wäre ein Mann für sie gewesen. Es mag sein, wie es will — hervorragende Eigenschaften hatte er trotz alledem.“

„Vielleicht, Vater! Aber die Sache war ja aussichtslos, da Klamm Ileisa den Hof machte. Er hat sich für Grete ja gar nicht interessiert —“

„Allerdings! Es scheint so! Sicher aber wäre es anders geworden, wenn wir das fremde junge Mädchen nicht ins Haus genommen hätten. Es war ein Fehler —“

„Wie du so sprichst, Vater! Ich denke, Grete hatte doch einen großen Gewinn von dem Verkehr mit ihr! Und die Dinge mit Klamm sind doch nun abgethan! Er kümmert uns doch nur noch als Reflektant. Und dahin wollen wir wirken. Ich werde Theodor morgen früh gleich mitteilen, daß du einverstanden bist.“

„Nein, nein! Warte doch noch erst, mein Sohn! Erst muß ich mit deiner Mutter nochmal sprechen. Wir wollen nichts überhasten. Besser fahren wir beim Verkauf, wenn die Zählkarten-Angelegenheit durchgeht. Das entscheidet sich ja — wie anzunehmen — in acht Tagen —

„Und dann —“

In diesem Augenblick erschien mit vorsichtigem Schritt Adolf mit der wichtigen Miene und den stählernen Ringen in den Ohren. Er bestellte, daß ein Herr Herrn Knoop senior sogleich dringend zu sprechen wünsche.

„Warte hier — ich komme zurück“ — entschied der alte Herr, erhob sich rasch und elastisch und verließ, von Adolf gefolgt, das Zimmer.

Eine Zeitlang blieb Arthur noch nachdenklich sitzen.

Dann erhob er sich — von einem starken Verlangen nach Ileisa, von der er wußte, daß sie im Wohnzimmer sein werde, erfaßt — und trat, auf dem dicken Teppich unhörbar einherschreitend, in das erwähnte Gemach.

Und da bot sich ihm dann ein Anblick, der ihn berückte:

Ileisa war, während sie mit einer Lektüre beschäftigt, eingeschlafen. Das Buch, in dem sie gelesen hatte, war ihr aus der Hand geglitten. Es ruhte auf ihrem Schoß. Während des Schlummers hatte sie ihre ursprüngliche Stellung verändert. Der Körper war in eine schräge Lage geraten, das Gewand hatte sich verschoben, und ein kleiner Fuß und ein Knöchel, über dem ein wahrhaft vollendetes Ebenmaß der Linien sichtbar wurde, bot sich Arthurs Augen. Aber er überflog auch mit feinen Augen die klassischen Formen ihres üppigen Körpers; er sah, wie sich die Büste in sanfter Regelmäßigkeit hob und senkte, und ihn entzückte der während dieser Bewußtlosigkeit in ihrem Angesicht noch stärker hervortretende, ihr gleichsam angeborene Ausdruck stolzer Gemessenheit.

Nicht trennen konnte er sich von ihrem Anblick, und je stärker es ihn überkam, daß er eigentlich eine Unzartheit begehe, so von ihr unbemerkt, ihre Schönheit auf sich wirken zu lassen, desto mehr verstärkte sich sein Verlangen, in ihrer Nähe zu bleiben.

Ja, noch mehr! Von einer mächtigen Leidenschaft erfaßt, kniete er vor ihr nieder und war eben im Begriff, einen Kuß auf ihre Hand zu drücken, als sie jählings erwachte, sah, was vorging und in höchster Verwirrung emporschnellte.

„Wie — Sie — Herr Knoop?“ stieß sie, während das Rot der Scham in ihr
Angesicht schoß, erschrocken heraus.

„Ja, ich!“ betonte der Mann, „ich, der Ihnen schon lange sagen wollte, daß ich Ihnen gut bin, der ich Sie schon lange bitten wollte, mir Gehör zu schenken!

„Es sei Ihnen gestanden, Fräulein Ileisa — ich liebe Sie, und würde glücklich sein, wenn ich gleiche Empfindungen bei Ihnen voraussetzen dürfte.“

Nach diesen Worten beugte er sich zu dem zunächst fassungslosen jungen Mädchen herab, küßte erst stürmisch ihre Hände und nahm sie, als sie keinen Widerstand leistete, vielmehr in einem Gemisch von andauernder Verwirrung und aufflammender Hingebung den Oberkörper unwillkürlich zu ihm neigte, in seine Arme. Nun küßte er auch ihre Lippen, zwang sie, sich zu erheben, und drängte sich ganz zu ihr.

Und sie zu ihm! Von einem heftigen Liebesrausch erfaßt, verharrten sie so eine Weile, ganz sich hingegeben, bis plötzlich nebenan ein Geräusch hörbar wurde, und beide auseinanderflogen.

Aber, als er dann etwas Furchtsames in ihrem Angesicht sich regen sah und den Grund richtig deutete, fand er noch Zeit, ihr hastig zuzuflüstern:

„O nein, nein — fürchte nichts, mein teures Mädchen. Ich meine es ehrlich. Noch heute erkläre ich meine Verlobung mit dir meinen Eltern! Du bist mein — und ich bin dein für immer!“

Noch sah er, welch glückseliger Ausdruck in ihrem Angesicht erschien, wie sich die Büste befreit hob. Dann entschlüpfte sie, er aber schritt seinem zurückkehrenden Vater mit äußerlich gleichmütiger Miene entgegen. —

* * * * *

Nach diesem Zwischenfall trat bei den Verlobten dasselbe ein, was der erste Liebesrausch zunächst nachwirkend stets zur Folge hat.

Eine starke Erregung durchströmte ihre Körper und Seelen, und die
Sehnsucht, jede Trennung zu verkürzen, trat in ihr Recht.

Daneben begannen sich, da beider Verstand nicht schlief, die Ueberlegungen zu regen. Im Gegensatz zu den meisten Brautpaaren, die alles, was den Gegenstand ihrer Neigung betrifft, verherrlichen, die das rechte Augenlicht für Helle und Schatten verlieren, übersannen diese beiden Menschen nüchtern die Folgen, die Vorteile und Nachteile des zwischen ihnen geschlossenen Bündnisses.

Arthur sagte sich, daß die Standes-Erhöhungspläne, die sein Vater und er verfolgten, eine Förderung erfuhren, wenn er in den Zeitungen veröffentlichen konnte, daß er sich mit der Freiin Ileisa von Oderkranz verlobt habe!

Dies klang sehr gut, das machte Eindruck. Und wenn er sie zudem als seine Braut in die Gesellschaft einführte, wenn sie erst die Kleider und den Schmuck trug, die er ihr schenken wollte, wenn ihre große Schönheit noch dadurch gehoben wurde, dann geschah seiner Eitelkeit und seinem Drang, Beachtung und Aufsehen zu erregen, vollste Sättigung. —

Und endlich: Ileisa hatte während ihres Aufenthaltes im Knoopschen Hause bewiesen, wie sehr sie sich zu fügen wußte. So erhielt er eine Frau, die immer des Spruches eingedenk sein werde, daß sich die Frau dem Manne unterzuordnen habe.

Und da sie schließlich sonst auch alle Eigenschaften besaß, die eine Frau zieren, da sie sittlich, gebildet, tüchtig, sich zu beschränken, zu entsagen im Stande war, so mußte er sich darein finden, daß sie nichts besaß.

Daß ihn das doch stark störte, daß das seine Neigung, ihr seine Hand zu reichen, abschwächte, verhehlte er sich in ruhigeren Augenblicken nicht.

Auch die Welt werde fragen, ob sie etwas habe? — Nein! Sie war die Nichte einer sich kümmerlich durchschlagenden adligen Jungfer; sie hatte eine Stellung als Gesellschafterin im Knoopschen Hause inne gehabt!

Aber nun hatten die Umstände einmal eine Entscheidung herbeigeführt, eine, die seiner Schwester und seiner Mutter völlig sympathisch war, die auch, allerdings nach einigem Zögern, Herr Knoop guthieß. —

Nicht ohne Zagen dachte auch Ileisa in den Stunden nüchterner
Betrachtung über ihre Zukunft.

Sie glaubte nicht an die sittliche Kraft der Männer, weil sie ein solches Gegen-Beispiel im Vaterhause gehabt, und sie glaubte an Rücksichten der Männer in der Ehe ebenfalls nicht, weil sie zu häufig das Gegenteil beobachtet und allzuviel darüber gelesen hatte, wie wenig sich deren Beteuerungen mit den späteren Wirklichkeiten deckten. —

Eine volle Befriedigung erfüllte dagegen Fräulein von Oderkranz, ihre Tante. Sie begegnete den Bedenken und Gewissensregungen, die Ileisa erhob, mit denselben besänftigenden Aeußerungen, wie damals, als von dieser Möglichkeit die Rede gewesen.

Inzwischen hatten die Pläne, die Herr Knoop, Vater und Sohn, verfolgten, in der That noch zu starken Auseinandersetzungen mit den beiden Frauen geführt. Herr Knoop hatte nicht mit Unrecht gegen Arthur hervorgehoben, daß er sich mit ihnen, namentlich mit seiner Frau zu verständigen habe.

Frau Knoop hatte gesagt:

„Wir empfangen doch keinerlei Wert und Ansehen durch unser Kleid, sondern lediglich durch die Tadellosigkeit unserer Handlungen.

„Legten deine Vorfahren den Adel ab, so wußten sie sicher, was sie thaten. Sie entäußerten sich gewisser Pflichten und Nötigungen, die sie hemmten und schädigten. Hat es denn irgend einen Vorteil, ein ‚Herr von‘ zu sein, wenn man seine Befriedigung statt in Eitelkeiten, in der Ausbildung des Gemüts und des Sinnes für die idealen Dinge dieser Welt, sowie in der Pflege des Verkehrs mit den Besseren und Gleichgearteten sucht?

„Für Arthur ist's eine Thorheit, ihn in seinem Ehrgeiz zu verstärken, ja, ich fürchte, es kann sein Verderben werden!“

Und Margarete ging noch weiter.

Sie drang in ihren Vater und in ihren Bruder, von der Erstrebung dieser
Aeußerlichkeiten überhaupt abzusehen. Sie hatte ein Bild in Ileisa vor
sich! Was war sie in der Gesellschaft mehr? Erfolg sicherte nur das
Geld. Und Geld besaß ihr Vater. Was wollte er sich möglicherweise dem
Gespött aussetzen?

Letzteres sagte sie ihm jetzt nicht. Ihre Pietät als Tochter hielt sie davon ab, aber in einer Unterredung mit ihrem Bruder brachte sie ihre Ansichten zum Ausdruck.

„Du solltest deinen Ehrgeiz darin suchen, es unserm Vater gleich zu thun. Du solltest durch energische Ausübung deiner dir verliehenen Fähigkeiten etwas Großes, Nützliches zu schaffen und zu fördern suchen! Thatkräftige Männer der Industrie schlugen den Adel aus. Sie wollten, daß man lediglich ihren Namen respektierte, nicht das „von“!

„Du bist Ileisa gar nicht wert! Sie ist viel zu gut für dich!

„Ein Mensch, der ohne Not auf solche Nichtigkeiten etwas giebt, erniedrigt sich selbst; er zeigt, wie ungefestigt sein Charakter ist!“

Und Arthur hatte erwidert:

„Deine zimperliche Weisheit und Tugendhaftigkeit verpflanze, wie ich dir schon früher riet, in ein Pastorenhaus. Du bist und bleibst ein Gänschen, das die Federn eines Paradiesvogels verschmäht, weil es eben nur zum Gänschen Veranlagung hat.“

„Ah — du solltest dich schämen,“ hatte Grete erwidert.

„Um das letzte Wort zu behalten, um einen Deckmantel für deinen Ehrgeiz zu haben, scheust du dich nicht, deine eigene Schwester herabzusetzen —

„Frage nur Ileisa, wie sie über solche Dinge denkt! Ich sprach zufällig noch gestern mit ihr über Eitelkeiten und die üblichen Heucheleien, die gang und gäbe!“

Arthur hatte nichts mehr erwidert, nur die Achseln gezuckt und sich entfernt.

Aber ein zweiter Stachel setzte sich ihm schon vor seiner Heirat mit
Ileisa ins Fleisch.

Sie war erstens eine, die nichts, gar nichts einbrachte, und sie legte auf dasjenige an Aeußerlichkeiten keinen Wert, das ihm sehr, sehr viel, ja, das Höchste war! —

* * * * *

Der Spätherbst war inzwischen gekommen; Frau Adelgunde von Klamm hatte es durchgesetzt, daß ihr Mann sich damit einverstanden erklärt, den Winter in Berlin zu verleben.

Als Aufenthalt hatten sie sich das Parkhotel am Potsdamerplatz ausgesucht. In dieses zogen sie in den ersten Tagen des Oktober ein, und nahmen drei Gemächer in der ersten Etage nach vorn in Besitz.

Dem Sträuben Klamms, der auf dem Lande hatte bleiben wollen, — der sich, weil er seine Stadtpläne nicht verwirklichen konnte — auf die dortige Thätigkeit mit allem Eifer geworfen, — hatte sie entgegengehalten, daß man in seiner Mutter Nähe gelange, daß man der alten Dame die Freude machen müsse.

Frau von Klamm war nach der schweren Krankheit noch immer leidend, aber sie liebte trotzdem Geselligkeit, und sie war besonders glücklich, wenn sie ihren Sohn womöglich täglich sehen und sprechen konnte. —

Theodor Knoop hatte durch einen seiner Helfershelfer, einen gewissen
Schmeidel, bei Herrn von Klamm vorgefragt, ob er das Knoopsche Geschäft
kaufen wolle. Klamm hatte erwidert, daß er nicht abgeneigt sei, wenn die
Offerte von der Familie Knoop selbst an ihn gelange.

Allerdings hatte Frau von Klamm wiederum stärksten Einspruch erhoben, und nicht Schwäche, aber die Fessel, die Klamm angelegt war, weil seine Frau das Geld besaß, hatten ihn bewogen, dem dann inzwischen wirklich eingegangenen Antrag von der Firma Knoop vorläufig noch keine Folge zu geben.

Sehr schwer war's ihm geworden, und starke Kämpfe waren damit verbunden gewesen.

„Du hast ja eine Thätigkeit, mein lieber, teurer Freund! eine
Thätigkeit, die dich befriedigt, die für dich paßt, deinem Stande
angemessen ist,“ hatte sie erörtert. „Weshalb immer wieder auf diese
Pläne zurückkommen! Thu's mir zu Liebe und gieb die Gedanken an!

„Bedenke auch! In welche Nesseln du dich setzest! Du wirst deines Lebens nicht froh werden, wenn du in all das Gezänk verflochten wirst!

„Und nicht ungefährlich ist's bei der starken Konkurrenz, dafür ein solches Kapital zu wagen! Weshalb darauf ausgehen, wo in anderer Weise ohne Fährlichkeiten und Aerger dasselbe zu erreichen ist.“

Klamm hatte nur mit wenigen Worten erwidert.

„Du kannst es nicht vergehen, daß ich grade dafür Neigung besitze, weil du eine Frau, ein Kind der Gesellschaft bist. Ich kann immer nur wiederholen, daß mich grade eine solche Beschäftigung mehr anzieht, als irgend eine andere! Frage den Musikfreund, weshalb er grade die Tonkunst, den Künstler, warum er die Malerei liebt und in deren Förderung sein volles Genüge findet!? Ist es nicht etwas Herrliches, durch die Presse den Sinn für edle Dinge, Fortschritt, das Interesse für Kunst und Wissenschaft zu heben, ein Kulturförderer in bester und auch in wirksamster Weise zu sein?

„Ist es nicht überaus anziehend, auch die praktische Seite des Schrifttums, das Buchdruckereigewerbe und seine Vervollkommnung zu pflegen?“

„Hm — aber nun grade das Knoopsche Unternehmen! Ich würde zu stolz sein, um mich diesen Personen wieder freiwillig zu nähern, dadurch all die alten Dinge aufzurühren, Alfred!“

„In dieser einen Beziehung muß ich dir recht geben, Adelgunde! Ich habe ja auch deshalb erwidert, daß ich die Offerte von der Familie erwarte.

„Aber noch mehr! Ich habe ja bisher noch gar nicht von mir hören lassen —“

„Mag es auch so bleiben, liebster Alfred! Schreibe ab! Beschäftigen wir uns mit anderen Dingen. Zunächst wollen wir einmal unsere Visiten machen, deine und meine Bekannten aussuchen!“

So hatte das Gespräch sein Ende gefunden, und Klamm hatte auch jetzt, bei seiner Anwesenheit in Berlin noch von einer Berührung mit Herrn Knoop völlig Abstand genommen. —

Inzwischen aber hatte Theodor Knoop nicht geruht. Er war nach allen Richtungen thätig gewesen, um das Geschäft vorteilhaft zu verkaufen und den Nobilitierungsplänen weiteren Vorschub zu leisten. Zu dem Verlobungsfest Arthurs mit Ileisa war er mit eingeladen worden, und diese Gelegenheit weicherer Stimmungen hatte er benutzt, um von seinem Bruder einen Provisionsschein zu erhalten. Würde das Geschäft, wie es geplant war, für drei und eine halbe Million verkauft, erhielt er 25000 Mark Vermittlungsgebühr, und erfolgte die Standes-Erhöhung, würden ihm weitere 20000 ausgezahlt.

Er solle aber darüber nicht reden, auch mit Arthur nicht! hatte ihm
Friedrich Knoop auf die Seele gebunden.

Als Klamm sich trotz des Angebots, das ihm durch Theodors Handlanger gemacht worden war, nicht meldete, warf sich Theodor auf die anderweitig vorgesehene Realisierung des Verkaufs des Geschäftes, hielt aber Klamms Mitwirkung dabei doch im Auge.

Er erklärte der Bank, an die er herantrat, daß ein künftiger Leiter in der Person des Herrn von Klamm nicht nur gewonnen sei, sondern daß sich dieser auch mit einem sehr erheblichen Kapital beteiligen werde. Auch Knoops würden Aktien statt Geld nehmen, und Herr Arthur Knoop werde als Aufsichtsrat später thätig sein.

Ueberdies hatte er auch gleich den sogenannten Emissionsplan vorgelegt. Nicht dreieinhalb Millionen, sondern vier Millionen Aktien sollten öffentlich von der Bank aufgelegt und dem Publikum zur Beteiligung angeboten werden. Nach den bisherigen Einnahmen ergab sich dann immer noch, wie er ihnen vorrechnete, eine jährliche Verzinsung von neun bis zehn Prozent.

Wiederholte, sich ziemlich lang hinausziehende Besprechungen endeten mit der Bereitwilligkeit der Bankdirektion, in eine Prüfung des Geschäfts einzutreten. Sie sollte durch zwei der Bank kundige und vertrauenswerte Persönlichkeiten vorgenommen werden. Sie hatten die Aufgabe, die Gebäude, die Maschinen und das gesamte Inventar abzuschätzen und die Bücher des Geschäftes einzusehen.

Ergab sich wirklich ein solcher Nutzen, sollte in ernsthafte
Verhandlungen eingetreten werden.

Unter solchen Umständen mußte aber Theodor nun doch an Klamm herantreten. Daß sich Klamm mit Kapital und seiner Arbeitskraft beteiligen werde, hatte die Bank, die Erkundigungen nach ihm eingezogen, als Vorbedingung hingestellt. Gegen Arthur Knoop hatte sich wegen seiner Jugend Bedenken erhoben; auch ergaben die Ermittelungen, daß er mehr Sportsmann und Lebemann, denn ein eifriger Geschäftsmann sei. —

Bei einer Unterredung, die zwischen Arthur und Theodor stattgefunden, hatte Arthur gedrängt, daß Klamm nunmehr baldigst bestimmte Erklärungen gäbe.

Theodor hatte bisher mitgeteilt, daß Klamm ihm gesagt, daß er in irgend einer Form der Sache näher treten wolle. Er hatte Arthur unter dem Eindruck gelassen, daß er persönlich mit ihm verhandelt habe.

Um nun nicht der Lüge überführt zu werden, mußte er den Gang zu Klamm schon wagen. Er wollte ihm erklären, daß er im besonderen Auftrag des Herrn Knoop komme, und gab sich der Hoffnung hin, dadurch einer unhöflichen Behandlung von seiten Klamms enthoben zu werden.

Ließ sich Klamm, wie er voraussetzte, auf Besprechungen ein, wollte er alles vorbringen, was er den Bankdirektoren und Knoops als thatsächlich bereits erzählt hatte. Theodor hatte auch, wie es schien, Glück. Herr von Klamm ließ, als der Oberkellner bestellte, daß Herr Theodor Knoop im Auftrage des Herrn Friedrich Knoop komme, und bäte, den Herrn Baron sprechen zu dürfen, heraussagen, er werde sich unten im Konversationszimmer einfinden.

„Was wünschen Sie?“ begann Herr von Klamm mit eisiger Miene und Betonung, als er in den erwähnten Salon eintrat und sich Theodor erhob und eine besonders höfliche Verbeugung machte.

Theodor brachte vor, was er zu sagen hatte. Er knüpfte daran an, daß
Herr von Klamm erklärt habe, daß er das Angebot von Knoops in
Ueberlegung ziehen wolle.

„Ja, aber ich muß dennoch ablehnen. — Sie wollen das, da Sie als Beauftragter des Geschäftsinhabers erscheinen, Ihrem Herrn Bruder mitteilen. — Sonst noch etwas?“ schloß Klamm und machte eine Bewegung zum Gehen, die hinreichend bewies, daß er mit dem Besuch ferner zu konferieren nicht wünsche.

Aber Theodor ließ sich nicht abschrecken. Er sagte nun das, was er klüglich zuerst nicht in Vorschlag gebracht, das, was er der Bank aber bereits mitgeteilt hatte.

Er bat Klamm, die Oberleitung zu übernehmen, erzählte, daß ein Kapitalisten-Konsortium die Sache kaufen, in eine Aktiengesellschaft verwandeln und grade ihn als Geschäftsleiter erwählen möchte. Man hoffe, daß sich Klamm auch mit einem Kapitalbetrag des ihm ja sehr bekannten Geschäftes beteiligen werde. Er fügte hinzu, daß sich Knoops ganz zurückziehen wollten.

Höchstens sei der junge Herr Knoop bereit, sich mit in den Aufsichtsrat einzureihen. Klamm überlegte rasch. Bei solcher Sachlage würde Adelgunde vielleicht keine Einwendungen erheben. Einen geringen Teil ihres Kapitals würde sie dann nur riskieren, und sicher würde er ihren Widerstand beseitigen, wenn er lediglich die Stellung des Vorsitzenden des Aufsichtsrates übernähme.

Thatsächlich würde er aber dann schon die Mittel und Wege finden, die
Zügel ganz in seine Hände zu bekommen.

Das klang dann ganz anders! Das stimmte dann mit dem überein, wozu sich auch sonst adlige Personen verstanden. Klamm konnte alle seine Wünsche erfüllen, wenn die Dinge sich so vollzogen.

Er erwiderte in diesem Sinne knapp und kurz und schloß:

„Ich wünsche aber mit der Bank selbst zu verhandeln! Welche ist es? —
Sie werden von dort über meine Entschließungen verständigt werden —“

Hierauf nickte er und machte abermals eine Bewegung, sich zu entfernen.

In Theodor schwoll's auf! Das ging ja alles herrlich! Aber eben nun mußte das Eisen noch gleich ganz geschmiedet werden. Er wollte Alfred überreden, ihm eine feste, prinzipielle Zusage zu erteilen.

Als er jedoch zu diesem Zwecke nochmals anheben wollte, richtete sich
Klamm mit äußerst brüsker Miene empor und sagte:

„Ich muß es ablehnen, mit Ihnen auch über das Allernotwendigste noch ferner zu sprechen. Es geschah überhaupt nur, weil Sie im Auftrage Ihres Herrn Bruders zu kommen erklärten. Wäre das nicht, hätte ich Sie gar nicht empfangen, und ich rate Ihnen dringend, nicht noch einmal den Versuch zu machen, sich mir zu nähern.

„Bedingung für meinen Eintritt ist überhaupt, daß ich nichts — gar nichts mit Ihnen in Zukunft zu thun habe. Solches werde ich auch allen Beteiligten mitteilen. — Adieu!“

Theodor Knoop schoß das Blut in den Kopf, eine rasende Wut ergriff ihn. Statt zu gehen, statt alles hinzunehmen, statt ein erklärend besänftigendes Wort zu sprechen, um sich so den Abgang zu erleichtern sagte er:

„Wohlan, mein Herr! Nach Ihrem Belieben! Ich darf mir aber wohl die
Frage erlauben, was Sie berechtigt, mich in solcher Weise zu beleidigen?

„Sollten es die alten Märchen sein, daß ich Ihre Frau Mutter bei Gutskäufen geschädigt habe, so erkläre ich das für eine Lüge. Ich kann Ihnen nur dringend raten, daß Sie Ihre Verleumdungen nicht fortsetzen! Also nicht Sie haben ein Recht, eine solche Sprache zu führen, sondern ich könnte Sie wegen Ihrer Nachreden, die sich auf völlig vage Vermutungen stützen, zur Rechenschaft ziehen. Ich habe Ihre Frau Mutter nie mit Augen gesehen!“

Theodor hatte seine Rede kaum beendet, als schon ein, mit einer befehlenden, jeden Widerstand aufhebenden Handbewegung begleitetes: „Hinaus! Augenblicklich hinaus!“ in einem so drohend lauten Ton erfolgte, daß es hell durch die unteren Räume des Hotels ertönte, und Anlaß gab, daß sich mehrere nebenan befindliche, beim zweiten Frühstück sitzende Gäste erhoben und herbeieilten, aber auch der Portier unmittelbar darauf mit besorgter Miene den Kopf durch die Thüröffnung steckte.

„Lassen Sie dieses Subjekt niemals wieder vor! Hören Sie, Portier! Er soll mir nicht mehr gemeldet werden!“ befahl Klamm in einem kurz befehlenden, sehr scharfen Ton. Während sich Theodor, zitternd und zähneknirschend vor Wut, entfernte, schritt er auf dem entgegengesetzten Weg zum Außenflur, um sich wieder in sein Zimmer zu begeben.

* * * * *

Nach diesem Vorfall richteten sich zunächst Theodor Knoops Gedanken auf die Ueberlegung, wie er sich — gleichviel ob ihm Vorteile dadurch entgehen würden — an Klamm rächen könne. Je mehr er zugeben mußte, daß Klamms Haltung völlig gerechtfertigt gewesen, desto höher loderte der Ingrimm in ihm auf, desto mehr verschärften sich die Vergeltungsgedanken.

Aber schon am selben Tage dachte er anders! Was scherte ihn das
Wohlwollen oder die Abneigung des Herrn von Klamm! Wenn er nur das
Geschäft machte, nur Geld verdiente! Und nur in dem einen Punkte mußte
er noch handeln! Er mußte für alle Fälle den Bankdirektoren eine
Erklärung geben, weshalb Klamm so sehr gegen ihn eingenommen sei.

Daß Klamm sich gegen Knoops äußern wollte, machte nichts aus. Das waren für jene ja allbekannte, von ihm längst widerlegte Sachen.

Zuletzt rieb sich Theodor Knoop sogar die Hände.

Wie nun? Wenn Klamm ihn — als jener Betrugshandlungen verdächtig — beim
Staatsanwalt denunziert haben würde! Dem war er doch entgangen!

Also den Kopf hoch und leichten Sinnes! Die Unterredung war so vortrefflich wie möglich verlaufen!

Noch an demselben Abend suchte er Arthur im Kontor auf, teilte ihm mit, daß er ihm Gutes zu melden habe, und schlug ihm vor, den grade in Berlin anwesenden Cirkus Renz zu besuchen.

Da Ileisa und Margarete einer Einladung zu Wiedenfuhrts folgen wollten, Arthur also die Stunden nicht, wie sonst, mit seiner Braut verleben konnte, nahm er seines Onkels Vorschlag an und traf die Abrede, daß sie sich im Restaurationsraum vorm Cirkuseingang treffen wollten.

Bevor sich Arthur aber dahin begab, traf zufällig grade die Nachricht
ein, daß der Firma der Zählkarten-Auftrag zuerteilt worden war, ein
Umstand, der Arthur Anlaß gab, sich so gleich zu seinem, hinten im
Wohnhaus befindlichen Vater zu begeben.

Der Bote, der ihm die Nachricht schon vor der offiziellen Mitteilung gebracht und dafür ein vorher versprochenes Trinkgeld erhalten, hatte noch zu erzählen gewußt, daß sich die Offerte der Hohensteinschen Buchdruckerei in allem stets ein weniges unter dem Knoopschen Angebot gehalten habe, daß aber trotzdem der Zuschlag deshalb für die Knoopsche Offizin ausgefallen sei, weil man größeres Vertrauen in ihre Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit setze. Namentlich habe sich auch Herr Wiedenfuhrt für Knoops ausgesprochen.

Das alles regte die beiden Herren sehr an, hob ihre Stimmung ausnehmend, gab aber auch zu der Befremdung und Frage Anlaß, wie es komme, daß die Hohensteinsche Buchdruckerei grade die Sätze von Knoops unterboten habe.

Es machte fast den Eindruck, als ob sie von der Offerte der Firma Knoop
Kenntnis gehabt.

Arthur erinnerte sich seines Gespräches mit Theodor und dem Oberfaktor, und äußerte, daß der letztere sich unmöglich eines Vertrauensbruches schuldig gemacht haben könne.

„Für den trete ich ein!“ betonte er, und Herr Friedrich Knoop Stimmte ihm bei.

Was sie aber beide sonst noch dachten, sprachen sie nicht aus. —

Im übrigen waren sich Vater und Sohn nunmehr einig, daß sie in Theodors
Vorschläge willigen wollten. Es folgte gleich nach der unmittelbar
bevorstehenden Prüfung der von der Bank erwählten Kommission, in deren
Geschäftszimmer eine Zusammenkunft anberaumt und: Kaufpreis,
Zahlungsmodalität, Beteiligung, Direktorium, Aufsichtsrat und
Uebernahmetag festgesetzt werden.

Wenn Klamm, wie Theodor sicher behauptet hatte, eintreten und sich beteiligen wollte, war die Sache sicherlich gemacht! Dann strich Herr Knoop drei und eine halbe Million in die Tasche.

Und dann noch das letzte: die Nobilitierung! Was machte es aus, wenn von den drei und einer halben Million wirklich selbst anderthalb hundert tausend noch abgingen — der Rest war wahrlich ein Resultat, das sich sehen lassen konnte!

Und darin waren sich Vater und Sohn einig. Sobald alles erreicht war, wollten sie Theodor, den Onkel, ein für allemal von sich abthun.

Dafür war Margarete überhaupt schon immer eingetreten.

Sie hatte wiederholt gebeten, daß ihn die Familie so wenig wie möglich ins Haus ziehe, ja, wie damals schon geplant, selbst mit stärkeren Opfern alle Beziehungen zu ihm löse! Sie traute ihm durchaus nicht. Sie glaubte an den Klammschen Güterbetrug!

Und bis zum legten Augenblick — noch am Abend vorher — war sie in ihren
Vater gedrungen, sich von dem Geschäft nicht zu trennen, und sich auf
Standes-Erhöhungspläne nicht einzulassen.

Bei allem aber blieb Herr Friedrich Knoop auf seinem Standpunkt stehen.
Er ereiferte sich durchaus nicht. Er betonte stets mit vollkommener
Ruhe, daß er materiell gar nicht besser fahren könne, als wenn er jetzt
verkaufe.

Ueber eine Million Thaler in sicheren Staatspapieren sei ein Resultat.
Darin müsse er Arthur recht geben.

Und der Adel? Er hieße lieber Freiherr Friedrich von Knoop, als Herr Rentier Knoop! Gewiß, im Grunde sei dergleichen wie so vieles, ein Nichts, ein Schaum, dem nachzujagen, eine Thorheit. Aber man lebe eben in einer Welt der Komödien, und wolle man den absolut Vernünftigen spielen, laufe man geradezu Gefahr, ins Irrenhaus gesperrt zu werden.

Und das wiederum so Vorgebrachte klang denn auch wahrlich nicht so übel! Wie überall das, was die Sinne bestrickt, stets in anderen Farben leuchtet, als die graue Vernunft.

Sie, die Vernunft, mit ihrer rauhen Tugend, paßt in die
Trappistenklöster, aber nicht in die Welt der Bedürfnisse, des
Genießens, des Ehrgeizes. — —

Während sich die Dinge in solcher Weise bei Knoops abspielten, saß am Schluß der Woche abends im Millionen-Klub Alfred von Klamm neben einem ihm bereits aus seiner Dresdner Zeit bekannten, jetzt in Berlin lebenden Freiherrn von Milan, einem früheren Garde-Ulanen-Offizier, der wegen eines Knieleidens hatte seinen Abschied nehmen müssen.

Zu Milan hatte sich Klamm stets sehr hingezogen gefühlt. Er war ein
Mann, der nichts weniger als schablonenhaft zugeschnitten war.

Auch er suchte etwas. Da er nicht ohne Vermögen war, vermochte er auch so zu leben. Er wünschte aber eine ansprechende Thätigkeit zu finden und sich — zu verheiraten.

Während sie einer Flasche Wein zusprachen, warf Milan die Frage nach
Klamms nächsten Plänen und nach — Klamms Gattin hin. Er fragte ihn ohne
Rückhalt, ob er sich in seiner Ehe glücklich fühle.

Sie hatten ihr Inneres einander so häufig geöffnet, daß keinerlei
Unzartheit darin lag.

Klamm ließ einen ernsten Ausdruck in seinen Zügen erscheinen, und sagte:

„Daß ich aus den mehr als bedrängten Verhältnissen herausgekommen bin, daß sich meine teure alte Mama der Sorgen und der Vorwürfe, die sie sich meinetwegen gemacht, entschlagen hat, ist ja ein unschätzbarer Gewinn. Ja, ich muß sagen, daß ich dem Himmel nicht dankbar genug sein kann. Wenn Sie mich aber fragen, lieber Freund, ob ich glücklich bin, so sage ich — nein! Durchaus nicht!

„Immer mehr gelange ich zu der Einsicht, daß der Begriff Glück nicht zu definieren ist. Ein Blinder kann sehr glücklich sein, ein Armer, ein ewig Dienender, Entbehrender. Liebe zu unseren Mitmenschen, die Freude am Kleinen, die Fähigkeit, eines Sonnenstrahls Verschönerungskraft mit den Augen des Naturschwärmers würdigen zu können, Genußfähigkeit und Gesundheit können uns glücklich machen!

„Am wenigsten erzeugt Geld, Besitz an sich, Glück —

„Es muß dem Erdenmenschen immer etwas zu wünschen übrig bleiben, etwas, dem er entweder eifrig nachstrebt, und an dessen Gewinnung er dann Freude erlebt, oder dessen Erfüllung er der alles reifenden Zeit mit geduldigem Wartesinn überläßt.

„Das Furchtbarste ist: der Mann seiner Frau zu sein, in dem Sinne, daß sie das Vermögen hat, man selbst nichts besitzt und deshalb in seinen Bewegungen, Entschlüssen und Handlungen von ihr abhängig ist.

„Und darum antworte ich Ihnen: ich bin nichts weniger als glücklich.“

„Aber Ihre Frau Gemahlin vermag sich doch der besten Eigenschaften zu rühmen. Sie ist bekannt wegen ihrer Liebenswürdigkeit, Klugheit und Herzensgüte! Sie ist, wie ich sicher weiß, eine Sie sogar eifersüchtig liebende Frau, lieber Klamm.“

Klamm bewegte erst leichthin das Haupt, dann sagte er, langsam sprechend:

„Ja, aber wir passen nicht zu einander! Sie kennt und will nur
Vergnügen, und ich — ich habe jeglichen Geschmack daran verloren.

„Meine Frau kann eigentlich keinen Abend mit mir allein sein! Sie musiziert, sie liest, sie plaudert wohl gern einmal über ernstere Dinge, hat Talent für jene und Verstand für diese; aber es muß immer ein Zeuge da sein, der sie bewundert, ihr zuhört, dem sie ihre kleinen Komödien vorspielen kann. Es giebt Personen, die nur glücklich sind, wenn sie jeden Tag als Akteure auftreten, ihre Fähigkeiten vor anderen leuchten lassen können, wenn sie in Lust und Trauerspielen, in Vaudevilles und Singspielen, die sie aufführen, oder zu denen sie sich als Teilnehmer drängen, womöglich die Hauptrolle spielen und zum Schluß laut oder stumm beklatscht werden.

„Solch ein Mensch ist meine Frau. Dazu kommt der verrückte, nicht zu bannende Ehrgeiz, in der allervornehmsten Gesellschaft zu verkehren, sich dieser anzuschließen, deren Modethorheiten oder üble Passionen mitzumachen. Sie würde sich auch — wenn jene es ihr vormachten — einbilden, sie müsse neben mir einen Geliebten haben. Daß sie ohnehin schon dazu manche ernannt hat und immer wieder ernennt, macht sie sich nicht einmal klar. Es ist aber der Fall. Kleine Liebeständeleien mit flotten Offizieren oder Diplomaten, aber auch mit älteren Personen von Distinktion gehören zu ihr, wie früher zu den alten Jungfern die Möpse und Strickbeutel!

„Und nun die Abhängigkeit von ihrem Gelde! Das ist's, mein Freund. Sie hat zwar anfänglich ausgesprochen, daß alles mir so gut gehören solle, wie ihr, aber sie hat die Initiative, das gerichtlich festzusetzen, nicht ergriffen. Und wenn ich bisweilen dachte, ich wollte ihr's nachträglich abgewinnen, stockte ich doch. —

„Weshalb? — Ich habe ein Gefühl, daß ich mich dann erst recht in unlösbare Fesseln schlage — ohne dem aber noch einmal meine Freiheit zurückgewinnen kann —“

„Wie? Mit solchen Gedanken beschäftigen Sie sich, Klamm?“ fiel Milan überrascht ein.

„Nein — und ja! — Ich will jetzt eben versuchen, ob meine Frau mir zu willen sein will. Ich habe die Absicht, eine große Zeitung zu übernehmen, in dieser Richtung zu wirken. Ich habe einmal Sinn für öffentliches Leben, sozialen Fortschritt, Pflege der Kunst und Wissenschaften. Meine Frau aber hat für dergleichen nicht das geringste Interesse. Sie liest nicht einmal eine Zeitung. Und dergleichen ‚Thätigkeit‘ ist ihr viel zu bürgerlich. Das zieht mich ja von Geselligkeit und all den Modelasten ab, an dem sie lediglich Gefallen findet.“

Milan hatte bei Klamms Eingangsworten besonders ausgehorcht. Nach einer näheren Erörterung darüber, sagte er:

„Vielleicht können Sie mir — können wir uns die Hand reichen! Ich teile Ihren Geschmack, ich würde sehr gern die Stellung eines ständigen Mitarbeiters an Ihrer Zeitung übernehmen. Ich habe — wie Sie wissen — schon ziemlich viel geschrieben: Militärisches, National-Oekonomisches und auch Feuilletonistisches. — Vielleicht hat's der Zufall gefügt, daß wir an einer Sache gemeinsam arbeiten können. Das würde mich sehr freuen! Ich möchte auch in die Kammer gewählt werden. Ich habe ja Grundbesitz und bin nicht ohne Einfluß in meinen Kreisen.“

In diesem Sinne festen die beiden Männer ihre Unterredung bis in die
Nacht fort.

Erst um drei Uhr morgens schritten sie zusammen die Friedrichstraße und später die Leipzigerstraße hinab. Und heute etwas gehobener denn seit langer Zeit, stieg Klamm die Hoteltreppen empor, und suchte den Segen des größten Gottes, der sich dem Menschen nähert — den Schlaf. —

* * * * *

Der Abschluß war erfolgt. Herr Friedrich Knoop hatte seine Buchdruckerei und seine Leitung an die Aktiengesellschaft für den von ihm bedungenen Preis verkauft. Die Anzahlung war bereits gemacht, und die Erledigung der übrigen Raten war von der an dem Geschäft beteiligten Bank garantiert worden.

Und Freiherr Alfred von Klamm war als Vorsitzender des Aufsichtsrates
mit der Maßgabe erwählt worden, daß es ihm überlassen sei, für die
Direktionsgeschäfte eine passende Persönlichkeit ausfindig zu machen.
Vorderhand sollte er selbst aber als Direktor eintreten, und im Fall er
Neigung besitze, diese Thätigkeit fortzusetzen, den Vorsitz an eine
andere Persönlichkeit abgeben. Eine starke Enttäuschung hatte die
Familie Knoop dadurch erlitten. Auf Arthur war nicht — wie Friedrich
Knoop und die Damen angenommen und gewünscht hatten — die Wahl gefallen.

Klamm war vor dem Uebergang an die neue Gesellschaft einigemale mit Arthur in Berührung gelangt, hatte jedoch an der Selbstgefälligkeit und der unangenehm wirkenden Sicherheit des sich mit den Händen in den Hosentaschen vor ihm ausstellenden jungen Menschen so wenig Geschmack gefunden, daß er ihn aus der Zahl der Bewerber von vornherein ausgeschieden.

Er wünschte gegebenen Falles völlig neue Bahnen, und hatte sich deshalb auch in der Wahl der Anstellung anderer Beamten das Recht selbständiger Entscheidungen vorbehalten.

Knoops waren auch schon aus dem Wohnhause fortgezogen, Klamm hatte dort seinen Einzug gehalten.

Sonst hatte sich äußerlich zunächst nichts verändert.

Klamm empfing sämtliche Angestellte und versicherte sie, daß jeder, der seine Pflicht, wie bisher, gewissenhaft ausübe, auf seinem Platz bleiben und von ihm bestens beschützt werden werde.

Wo früher Herr Friedrich Knoop in dem Arbeitszimmer mit den zahlreichen
Klingelknöpfen geherrscht, da saß nun — der einst kurzweg Entlassene! —

Und in einem vornehmen Villenbau in der Kurfürstenstraße, den Herr Knoop gekauft hatte, wurden zu gleicher Zeit die Hochzeitsfeierlichkeiten zwischen Arthur und Ileisa vorbereitet. Das Aufgebot war erfolgt, und der Tag der Vermählung bereits festgesetzt.

Zunächst waren die Gemüter auch noch sehr gehoben. Die Erwartung hielt alle in Atem, sie ließ sie zu rechten Nebengedanken nicht gelangen. Herr und Frau Knoop beschäftigte die Sorge, wie sie ihrem Sohn alles möglichst vollkommen herrichten könnten. Sie waren viel unterwegs, prüften, wählten und zogen den Geldbeutel.

Aber auch die beiden jungen Mädchen waren ganz bei der Sache,
und wenn nicht Ileisa die Nadel rührte oder mit Margarete
Aussteuer-Angelegenheiten überlegte, begab sie sich an ihres Verlobten
Arm auf die Suche nach einer Wohnung.

Und der junge Mann kritisierte nach seiner Art das meiste, zeigte aber doch auch dabei den praktischen Sinn, der eine seiner besten Eigenschaften war.

Im übrigen hatte er sich auch schon nach einer neuen Thätigkeit umgesehen.

Sein Vater hatte sich bereit erklärt, ihm und Ileisa den Zinsgenuß einer
Million Mark zu überweisen; eine gleiche Rate sollte Margarete bei ihrer
Hochzeit werden. Den Rest wollten die Alten für sich verwenden.

Kapital wollte Herr Friedrich Knoop nicht hergeben. Sein Sohn und sein künftiger Schwiegersohn sollten der Gefahr entgehen, jemals zu verarmen. Sie sollten sich, falls sie Geld für Geschäftszwecke brauchten, anderweitig umsehen.

Arthur hatte auch keinen Einwand erhoben. Wenn er über eine Rente von 40000 bis 50000 Mark verfügte, dann konnte er „standesgemäß“ existieren.

Es würde sich finden, was er noch that und wie er sich einrichtete.

Als Ileisa einmal bescheiden davon gesprochen hatte, daß er ihr einen
Liebesbeweis an den Tag legen würde, wenn er ihrer Tante eine jährliche
Beihilfe zuwende, hatte er „solches zu überlegen“ versprochen. — Es war
aber sehr bezeichnend gewesen, daß er seinen Vater ersucht hatte, diese
Last zu übernehmen.

Herr Knoop hatte unter der Bedingung ja gesagt, daß die Dame ihm dagegen nach ihrem Tode ihr Vermögen überweise.

Dann vermochte er sich voll oder zum Teil wieder von dem Ausfall zu erholen. Fräulein von Oderkranz konnte noch zwanzig Jahre und länger leben! Es hieß also eine erhebliche Summe verschenken, wenn sie ein hohes Alter erreichte.

Arthur hatte nicht den Mut gehabt, seiner Braut diese „kaufmännischen Pläne“ zu unterbreiten, er hatte nur gesagt, daß er es geordnet habe, daß die alte Dame die von Ileisa gewünschte vierteljährliche Rate erhalte.

Und sie hatte ihn — ahnungslos über die Vorgänge — geküßt und sich bedankt.

Vier Tage vor der Trauung hatte Ileisa noch eine Unterredung mit ihrer
Tante in der früher erwähnten Wohnung.

Fräulein von Oderkranz schaute auf, und auf den knochigen Backen erschien das Rot freudiger Erregung, als Ileisa in einem äußerst geschmackvollen, neuen Radkostüm in dunkelblauem Stoff zu ihr ins Zimmer trat.

„Reizend siehst du aus, mein süßes Kind! Wohl ein Geschenk von Arthur?“ warf sie belebt hin.

„Ja, Tante! Aber nicht nur das! Sechs neue Roben hat er mir auf einmal gekauft, und alles, was irgendwie sonst noch dazu gehört. Und sieh nur, das Geschenk von Vater!“

Hierbei knöpfte sie das Jacket auf und zeigte auf eine Brosche, die einen Saphir in der Mitte barg, der von zahlreichen Brillanten umgeben war. Es blitzte das Geschmeide. Die klassische Büste des schönen Mädchens hob sich unter dem straff geschnittenen Kleide, und ein Ausdruck glücklicher Befriedigung verschönte ihre Züge. Sie hatte, wie sie so dastand, etwas Berückendes.

Unwillkürlich stieß die alte Dame heraus:

„Nun? War's nicht gut, daß wir's so machten? Haben wir nicht alles erreicht? Bist du nicht glücklich?“

Und Ileisa nickte und zwang sich, an etwas zu glauben, was ihr Inneres bestritt, schwatzte aufgeräumt und verließ ihre Tante erst nach geraumer Zeit.

Aber an dem Abend desselben Tages nach dem Zusammensein mit ihrem Verlobten, lagen Schatten auf ihrer Stirn, es wühlte und nagte etwas in ihrem Innern, dessen sie nicht Herr werden konnte.

Bevor sie an diesem Abend zur Ruhe ging, warf sie sich Margarete an den
Hals und weinte und schluchzte bitterlich.

„Was ist, meine einzige Ileisa!“ flüsterte die warmherzige Freundin.

„Ach, Grete! Glaubst du, daß ich deinen Bruder glücklich machen werde?“ sprach sie nach deren wiederholter Aufforderung, ihr ihr Herz auszuschütten, mit verzagender Stimme.

„Seltsam! Je näher der Augenblick kommt, desto mehr ängstige ich mich! Wenn wir nur zu einander passen, Grete. — Natürlich, nur dir sage ich das — und nur zufolge meiner Gewissenhaftigkeit in allen ernsten Dingen. Glaube nicht, daß ich irre geworden bin. Jeder hat ja seine Art. Arthur wird auch manches an mir lieber anders sehen —

„Es ist körperlich — gewiß nur körperlich! Ich erleichtere mich schon durch Aussprechen —“

So belog sie sich selbst, zog in demselben Augenblick zurück, was sie eben betont hatte, und setzte voraus, daß Grete alles so hinnähme, wie es ihr in ihrer wechselnden, durch ihre seelische Bedrückung hervorgerufenen Stimmung wünschenswert war.

Die kluge Margarete schwankte, ob sie Ileisa zurufen sollte: „Was nützt die Verstellung, was nützt das Hinausschieben! Sage noch heute: Ich kann nicht! Ich will nicht! Sei wahr und ehrlich gegen dich und meinen Bruder, dem ich mich niemals zu eigen geben würde.“

Aber dieselben Bedenken, die Ileisa bestimmten, sprachen auch bei ihr.

Was sollte aus ihrer Freundin werden? Stieß sie auch hier zurück, was sich ihr bot, war's sicher für immer aus.

Daß sich ihr Vater, und daß Arthur sich niemals ferner um sie kümmern würden — und wenn sie selbst in höchste Not geriet — wußte sie. Sie wußte es, obschon ihr Vater ein zu beeinflussender Mann war, obschon ihre Mutter ein gutes Herz besaß. Und Arthur? Er würde vielleicht sogar eine boshafte Freude empfinden, wenn die, die ihn verschmäht hatte, unterging.

Sie sprach zu ihrer Freundin:

„Ich las jüngst, daß ein Mann vor der Ehe seiner Tochter riet:

„Nimm dir vor, dem Mann deiner Wahl ein guter Kamerad zu sein! Prüfe, ob er Widerspruch verträgt! Wenn nicht, beherrsche ihn durch Schweigen! Willst du etwas erreichen, was ihm und dir nützlich ist, wähle immer den rechten Augenblick. Darauf kommt alles an. Selbst Teufel haben eine Stelle, wo sie, angefaßt, vergessen, daß sie Engel zu bekämpfen haben! Kannst du nicht in ‚Liebe‘ leben, so erstrebe, es in ‚Frieden‘ zu können. Das ist das A und O der Ehekunst —“

* * * * *

Neun Monate waren nach diesen Ereignissen vergangen.

Ileisa hatte geheiratet, mit Arthur eine Hochzeitsreise gemacht, war zurückgekehrt und nun bereits gewohnt worden, daß sie ihr Mann abends häufig allein ließ. Gegenwärtig waren die alten Knoops nicht in Berlin. Sie hatten sich nach dem Süden begeben, um die Nachwirkungen einer stärkeren Unpäßlichkeit, die sie beide ergriffen hatte, endgültig zu beseitigen.

Die Nobilitierung war noch immer nicht erfolgt, aber Arthur hatte auch noch immer keine Thätigkeit gefunden. Er hatte sich Pferde und Equipagen angeschafft und in auffallende Livreen gekleidete Diener waren angenommen worden.

Im Grunde konnte er sich diesen Luxus neben den vielen anderen Ausgaben nicht leisten, aber er rechnete auf die Einnahme, die ihm durch seine Thätigkeit werden würde.

Theodor Knoop hatte Berlin ebenfalls vorübergehend verlassen. Es hieß, daß er sich zum Vergnügen nach Paris begeben habe. Mit der Provision in der Tasche, die ihm sein Bruder ausgezahlt hatte, konnte er sich wieder einmal auf's Nichtsthun und Wohlleben legen.

Die Haltung Klamms hatte seinen Fortgang beschleunigt. Man hatte ihm erzählt, daß Klamm geäußert hätte, er werde ihm, wenn er sich nicht aus Berlin entferne, wegen alter Unregelmäßigkeiten rücksichtslos zu Leibe gehen.

Ileisa suchte sich durch einen lebhaften Verkehr mit ihrer Tante für das zu entschädigen, was sie in ihrer Ehe entbehrte, und Arthur hinderte sie nicht daran. Wenn ihn sein fortwährender Vergnügungsdrang aus dem Hause trieb, war sie nicht immer allein. Es paßte ihm eine solche „Aja“ vortrefflich.

Viel beschäftigte sie sich auch mit Lektüre und Musik, und setzte aus der Ferne die Beziehungen zu Margarete durch eine regelmäßige Korrespondenz fort. Sie holte sich Wohlgefühl und Erhebungen, wo sie sie fand. Im übrigen war in ihrem Hause alles so neu, so schön, so ausreichend und bequem, daß schon die Freude an dem Besitz ihr anfangs leichter über die Leere weghalf, die sie an der Seite ihres Mannes fand, nachdem seine Leidenschaft abgekühlt und der alte Mensch wieder in ihm eingezogen war.

Arthur war weder warm, noch besonders rücksichtsvoll. Er verkehrte mit ihr, wie mit allen anderen.

Aber er war auch gelegentlich gar schon brutal gegen seine Frau gewesen.

Wenn sie ein einschränkendes Wort über Ausgaben gewagt hatte, die er machen wollte, hörte sie Worte, wie:

„Du sollst es ja nicht bezahlen! Also verdrehe dir deinen Kopf, nicht den meinen! Gewöhne dir überhaupt das Moralisieren ab. Damit hat niemand Glück bei mir!“

Und ein andermal, als sie ihn gefragt, ob er noch immer keine Thätigkeit und keinen Verdienst gefunden, hatte er ihr erwidert:

„Na, hast du's denn noch nicht gut genug? Früher warst du — so viel ich weiß — bei deiner Tante doch nicht so sehr verwöhnt —“

Und als ihr unter Erblassen die Worte entschlüpft waren:

„Ah — wie — unzart, ah, wie —“ hatte er zornsprühend gerufen:

„Nun —? Was denn noch mehr? Was beliebt noch?“

Und: „O, nein — nein — nichts! — Gar nichts!“ war ihm Ileisa, sich erschrocken fügend, in die Rede gefallen, hatte die Hand auf die erregte Brust gedrückt und sich seinem Anblick entzogen. —

„Dieser Schuft, dieser Lump, dieser Theodor,“ hatte grade an einem der letzten Tage Arthur bei Tisch herausgestoßen.

„Du meinst? Ist wieder etwas geschehen?“ hatte Ileisa sanft gefragt.

„Ja, ich meine, wie er uns mit seinen Zusicherungen beschwindelt hat. Nichts regt sich. Von der Nobilitierung schweigt alles. Als ich heute vormittag einen Unterbeamten im Heroldsamt zu sprechen wußte, erklärte der mir, daß die Akten gar nicht wieder behandelt wären. Er glaube nicht, daß dem Antrag Folge gegeben werden würde —“

„So lasse es denn, lieber Arthur! — Wir haben ja alles, was wir wünschen und brauchen! Wenn du auch noch eine Beschäftigung findest, können wir doch wahrhaft mit unserm Schicksal zufrieden sein.“

„Nun kommet du wieder mit deiner Beschäftigung,“ stieß Arthur, aufgeregt und rücksichtslos im Ton, heraus.

„In den letzten Tagen haben mich die im anderen Hause mit diesen Reden schon halbtot geödet. Namentlich entwickelt Margarete darin eine solche bevormundende Beharrlichkeit, daß ich ihr schon erklärt habe, sie möge sich gefälligst um ihre eigenen Kochtöpfe bekümmern, mich aber in Ruhe lassen. Ich werde schon wissen, was ich zu thun habe. —

„Da fällt mir übrigens ein: Sie wünschen, daß wir heute abend zu ihnen zum Abendbrot kommen. Wir treffen uns um acht Uhr dort! Ich kann dich nicht abholen, ich muß heute nachmittag Geschäfte besorgen.“

Ileisa hatte sich schon daran gewöhnt, daß sie eigentlich nur neben ihrem Gatten einherging. Wenn er einmal, entsprechend seinem Verhalten während der Verlobungszeit, wieder ein fügsames und gemütlicheres Wesen hervorkehrte, so mußten sie diese Augenblicke für seine Unpersönlichkeit und Kälte entschädigen, denen allerdings auch alle anderen, die mit ihm in Berührung traten, ausgesetzt waren.

Das waren dann die kleinen lachenden Inseln, die in dem uferlosen Meer auftauchten, auf dem sie sich befand. Es war eben alles so eingetroffen, wie sie es — von Zweifeln während ihrer Brautzeit wiederholt ergriffen — vorhergesehen. Neuerdings kam sie, da mit den alten Knoops auch Margarete wieder zurückgekehrt war, leichter über die Entbehrungen ihres Herzens und die sich in ihr immer mehr festsetzende Bitterkeit fort. — —

* * * * *

Aehnlich, wie bei den jungen Knoops, standen die Dinge bei Klamms, nur mit dem Unterschiede, daß sich Alfred von Klamm auf die Arbeit geworfen, und mit Eifer und mit immer steigenderem Erfolge den Geschäften, der Leitung und der Druckerei zugewendet, hier Ersatz für das zu finden gesucht hatte, was er in seiner Ehe entbehrte.

Es kamen nicht eigentlich Scenen zwischen ihm und Adelgunde vor. Dazu war er zu kavaliermäßig geartet, und dazu war sie eine zu leichtlebige, bequeme Natur. Ueberdies wirkte bei ihr noch die eifersüchtige Liebe nach, die sie für Klamm empfand.

Aber es verging fast keine Woche, in der sie nicht über die eingetretene
Veränderung klagte.

Er war und blieb ein Gegner von Visiten, überflüssigen gesellschaftlichen Rücksichten und all den Nichtigkeiten, die nun einmal für Frau Adelgunde den Mittelpunkt ihrer Gedanken bildeten.

Ihre Toilette, ihre täglichen Ausfahrten, ihre Besuche und jene Sucht, stets einen Hofhalt um sich zu bilden und eine Hauptrolle zu spielen, hielten sie in Atem. Und da Alfred nur immer mit halbem Interesse dabei war, oder deutlich zeigte, welchen starken Zwang er sich auflegen müsse, ihr nachzugehen, da ihn immer nur seine Zeitung, seine Geschäfte, die Politik und öffentliche Vorgänge interessierten, lebte jeder ein Dasein für sich. Jeder legte an den Tag, daß er sich in des anderen Thun und Treiben nicht hineinzuversetzen vermöge.

Was Frau Adelgunde besonders empfand, war der Umstand, daß sich die
bereits angebahnten Beziehungen zu den höchsten Kreisen der Berliner
Gesellschaft schon wieder zu lockern begannen, nachdem ihr Mann die
Leitung übernommen hatte.

Es wurden einmal Unterschiede gemacht! Man bediente sich seiner, wenn man ihn brauchte — eine Zeitung war eine Macht — aber der früheren Gesellschaftsgleichberechtigung geschah Beeinträchtigung. Wenn man auch Herrn von Klamm einlud, wenn er auch zu den Ministerabenden entboten wurde, so nahm man doch von Adelgunde keine Notiz.

Grade das nagte an der lebhaften und ehrgeizigen Frau. Als sie sich einmal mit einem Gesandtschafts-Attaché aus fürstlichem Geblüt in einer Abendgesellschaft begegnete, erklärte sie bei den Erörterungen über Ehrgeiz und Erfolge, sie würde ihre höchste Befriedigung darin gefunden haben, als Mitglied eines Fürstengeschlechtes geboren zu sein.

Und als der Artigkeiten gegen Frauen gewohnte Hofmann ihr erwidert hatte, daß er allerdings glaube, daß kaum eine der Berliner Damen so sehr die Allüren dazu besitze, wie sie, war sie überglücklich.

Sie hatte auch Alfred davon Mitteilung gemacht; sie hatte damit die
Absicht verbunden, ihm zu imponieren. Er aber hatte gesagt:

„Wenn du nur wüßtest, welche Freuden in der Welt ausgestreut liegen und nur aufgehoben zu werden brauchen. Aber du willst nichts dazu thun, um ihrer teilhaftig zu werden.“

„Ach, bitte, Alfred, komm mir nicht wieder mit den Hinweisen auf das Krähen der Hähne und das Brüllen der Rinder auf dem Lande. Ich kann einmal weder etwas Poetisches noch Melodisches darin finden. Ebenso geht mir der Sinn dafür ab, an den Krankenbetten alter Bauerweiber zu sitzen und Christentum zu üben. Ich finde es schrecklich! Und die kindische Freude an vollen Leinenschränken, selbstgemachten Handarbeiten, Einmachen von Früchten und Gurken geht mir nun einmal ebenso sehr ab, wie das Interesse für die langweiligen Zeitungen mit ihrer Kritik, ihren Lügen, ihren Uebertreibungen, ihrem Furchtmachen vor Kriegsgefahr und anderer Sensationsmacherei! Ich kann es ja doch nicht ändern.

„Du sprachst neulich von Wohlthätigkeitsvereinen! Nun ja! In ihnen hat
man wenigstens ein bischen Amüsement, man kommt mit Menschen in
Berührung. Aber dieser Frauenbewegungsübereifer und all das entsetzliche
Reden über die verkannten Rechte unseres Geschlechtes treiben mich zum
Widerstand.

„Ich sage es frei, wie ich es meine. Sehr, sehr viele denken ebenso, wagen es nur nicht auszusprechen.“

„Ja, ja, du bist ein echtes Weltkind, du kannst froh sein, daß du nicht auf Arbeit und Erwerb angewiesen bist, sonst würdest du anders reden, Adelgunde. Und wenn du nur einmal auf dich Einfluß ausüben lassen wolltest! Wenn du dich mit der Natur, mit Kindern und einfachen Leuten abgeben, diese Menschen suchen und ihnen Interesse abzugewinnen dir Mühe geben würdest! Wenn du überhaupt so recht ins Leben hineingreifen und an allem teilnehmen wolltest, dann würdest du erkennen, daß die Freuden, die du dadurch empfängst, mit anderen, die du jetzt schätzest, gar nicht zu vergleichen sind.

„Was meinst du, Adelgunde, wenn wir ein Kind annähmen?

„Ich glaube, die Beschäftigung mit einem solchen würde dich ausfüllen, befriedigen, würde dich von den Nichtigkeiten ablenken, denen du nachgehst und die dich — im Grunde — doch nicht befriedigen —“

„O nein, nein, Monsieur le Baron Alfred,“ wehrte die Frau ohne Empfindlichkeit, mit lustigem Pathos ab, beugte sich zu ihm herab und küßte ihn.

„Ich will kein Kind! Ich bin glücklich, daß uns keins beschert ist! Nur für dich thut es mir leid,“ schränkte sie gutherzig ein. „Aber gar ein fremdes? Na, wie dergleichen ausfallen kann, sieht man doch an zahllosen Beispielen.

„Nein, nein! Es geht ja auch so! Jeder fügt sich dem andern. Ich wäre ja auch ganz glücklich, wenn du nur nicht diese gräßlichen bürgerlichen Passionen hättest, wenn du nur nicht grade auf diese Thätigkeit geraten wärest.

„Wie herrlich war's, als du mit der Pfeife im Munde und mit dem eisenbeschlagenen Feldstock in der Hand über unser Gut schrittest, oder wenn unsere Füchse vor unserem Jagdwagen ungeduldig auf und ab tanzten, wenn wir die Nachbarn besuchten, unsere reizenden kleinen Sommergesellschaften arrangierten, uns auf die Freuden des Winters präparierten, auf unseren Reisen interessante Menschen kennen lernten, so Anregung, Belehrung schöpften, sorglos, fröhlich und befriedigt waren!

„Was hast du jetzt? Verantwortung, Sorgen, Aerger, Abspannung — und
Undank! Ja, ja — Undank! Wie sind sie neulich bei Theobalds über die
Zeitung hergefallen.

„Ich hörte es, ohne daß die Gruppe der Schwätzer es ahnte.

„Mich, liebster Alfred, stellst du allezeit als ein im Grunde verlorenes, lediglich Thorheiten treibendes Wesen hin. Aber mit welchem Recht? Ich habe die Passionen einer Dame! Ich liebe Musik, Lektüre, ich liebe interessante und geistvolle Menschen, und ich bin dir trotz kleiner Gefallsüchtigkeiten so treu, wie nur eine unvollkommene Eva sein kann. Aber ich suche dir auch dein Haus gemütlich zu machen und dich nach Kräften zu pflegen.

„Also laß das Geschelte, schränke deinen langweiligen Lebensernst ein!“

Nach solchen Antworten war Alfred entwaffnet, diese Art versöhnte ihn wieder. Sie weckte alle Zuneigung und weckte seinen Gerechtigkeitssinn, der ihm sagte: wenn selbst den von dem großen Weltgeist regierten, und in den himmlischen Höhen kreisenden Sonnen, Planeten und Monden Mängel anhafteten, erst recht den, von demselben Schöpfer geschaffenen Kreaturen, die sich Menschen nannten, winzige Unvollkommenheiten eigen und nachzusehen seien.

Wie Ileisa die Klugheit, die Nüchternheit, den Ordnungssinn und den wenn auch zur Zeit falschen Zielen nachjagenden Ehrgeiz ihres Mannes schätzte, wie sie sich an seinen gelegentlichen, besseren Launen wieder von seiner Herzenskälte aufzurichten suchte, so auch Alfred an der liebenswürdigen Gemütsrichtung seiner Frau.

Und es würden sich diese beiden Ehen, wie so viele tausende andere, die im Grunde nicht glücklich sind, wohl miteinander ein- und ausgelebt haben, wenn nicht Ereignisse eingetreten wären, die so stark auf die Mitglieder eingewirkt hätten, daß ihr Wille und ihre Fertigkeit daran gescheitert wären.

* * * * *

Alfred von Klamm befand sich bei seiner Mutter; sie hatte ihn gebeten, sie zu besuchen. Sie wohnte noch in der Kurfürstenstraße, in der damals von Klamm gemieteten Etage, war wieder hergestellt und nahm an allem, was ihren Sohn und ihre Schwiegertochter betraf, den lebhaftesten Anteil. Sie wünschte ihn zu sprechen, weil sich Adelgunde wieder einmal an sie gewandt hatte, um ihre bei ihrem Manne auf Widerstand stoßenden Pläne durchzusetzen. Er war fast niemals dazu zu bewegen, an den Premieren im Theater teilzunehmen. Nur wenn er selbst einmal eine Kritik über ein neues Stück, oder über die Leistungen eines Künstlers auf anderem Gebiet schreiben wollte, trat seine Abneigung zurück, grade dann einem öffentlichen Konzert oder einer Ausführung beizuwohnen. Für Adelgunde hatte aber just die Teilnahme an den ersten Vorstellungen den allergrößten Reiz. Sie konnte sehen und konnte gesehen werden.

Das Publikum, das für ein Opernplatzbillet bei Gelegenheit des Erscheinens einer Berühmtheit fünfzig bis hundert Mark bezahlte, war dasjenige, was ihr gefiel, mit dem sie sich gleichgestimmt fühlte.

Adelgunde steckte sich in solchen und anderen, mit ihrer Eitelkeit zusammenhängenden Fällen hinter Frau von Klamm, und die gab sich auch in ihrer Herzensgüte dazu her, Alfred zuzureden, seiner Frau entgegenzukommen.

Und oft gelang's ihr auch; aus Gutherzigkeit willigte er ein. Neuerdings hatte sich Adelgunde in den Kopf gesetzt, ihr Gut bei Dresden zu verkaufen. Da sie nun doch in Berlin ferner leben sollte, wollte sie in nicht zu weiter Ferne von der Hauptstadt ein anderes erwerben.

Sie schwelgte schon im voraus in dem Gedanken, dort im Sommer ihre Berliner Bekannten zu empfangen, Feste zu geben, und das Dasein in solcher Weise zu genießen.

Es gehörte zur Befriedigung ihrer Eitelkeit, und sie geriet dadurch in die Lage, mit den adligen Gutsbesitzern der Umgegend in Berührung zu gelangen.

Nur kein Stillstand, keine Einförmigkeit, keine Langeweile! Jeder Tag mußte etwas Besonderes bringen, mußte in seiner Art ein Festtag sein.

Klamm hatte sich zunächst ihren Plänen widersetzt. Es widerstrebte ihm, den Besitz bei Dresden, der so lange Eigentum der Familie gewesen, auf dem auch er gearbeitet und so mancherlei gefördert hatte, zu veräußern.

„Wer weiß, was wir wieder erhalten! Bei Güter- und Pferdekäufen das
Richtige treffen, ist sehr schwer! Wie nun? Wenn wir für schönes Gold
Kupfer einhandeln? Wir wollen doch dein Vermögen zusammenhalten,“ hub er
morgens beim Frühstück an.

„Warum sprichst du immer von ‚meinen‘ Vermögen?“ fiel ihm Adelgunde in die Rede. „Warum sagst du nicht: ‚unser‘ Vermögen?“

„Weil es dein Geld ist, was gewagt werden soll —“

„Du hast doch auch mein Geld — wenn du auf dieser Unterscheidung bestehst — an dem Knoopschen Zeitungsunternehmen gewagt und bist voll Vertrauen! Weshalb sollten wir denn grade hierbei getäuscht werden?

„Andere Menschen kaufen auch Güter und machen einen guten Handel. Es giebt doch zuverlässige Leute und auch Sachverständige. Wir können doch letztere zu Rate ziehen.“

„Hm — Ja, es ist möglich! Aber wer kauft uns den Besitz bei Dresden ab?
Und wenn — wer bezahlt ihn uns so, wie wir ihn schätzen?“

„Das ist denn auch kein Unglück. Wir können ihn ja auch zur Not behalten! Behalten wir ihn doch überhaupt, und erwerben wir uns ein hübsches Gut im Oderbruch oder in noch größerer Nähe von Berlin dazu.“

Aber bei dieser Erörterung war es einstweilen geblieben. Nun sollte Mama
Klamm vorgehen! Freilich wußte Adelgunde nicht, wie ihre Schwiegermutter
die Sache auffassen werde. Sie fürchtete, sie würde auch bei ihr auf
Widerstand stoßen. —

Zu ihrer angenehmen Ueberraschung fand sie Frau von Klamm jedoch durchaus bereit, ihren Wunsch bei Alfred zu unterstützen. Der Dame gefiel der Plan, weil sie auch Vorteile davon haben würde. Sie war auf dem Lande groß geworden und hatte ihre meiste Lebenszeit dort zugebracht. Sie liebte das Land; ja, sie stellte sich bereits vor, daß sie dort ferner mit ihren Kindern leben werde. Sie würden im Sommer ganze Wochen oder Monate dort zubringen, Alfred würde zwar täglich zur Stadt fahren, aber abends zurückkehren. Das Stadtleben zersplitterte. Frau von Klamm war nicht gern in Berlin. Mitten in dem großen Getriebe fühlte sie sich vereinsamt, umsomehr, weil sie wenig Umgang pflegte. Neuerdings hatte sie Fräulein von Oderkranz kennen gelernt und sich ihr etwas genähert. Die alte, kluge, seine Dame hatte ihr ausnehmend gefallen.

Alfred hörte seine Mutter, als sie auf ihn einsprach, ohne Unterbrechung an. Er erhob auch, nachdem sie geendet, keinen Einwand, lächelte nur und sagte:

„Wenn ihr einen Verschwörerbund stiftet, was soll ich dann machen? Ich muß ja wohl ja sagen. Ich habe mich hauptsächlich geweigert, weil ich immer gehofft hatte, daß sich meine Frau mir mehr anpassen werde, daß sie größere Freude an ihrem Hause, an unserm Zusammenleben finden, daß sie ernstere, bessere Dinge über ihre Vergnügungen setzen werde.

„Aber ich erkenne immer mehr, daß in dieser Richtung eine Einwirkung auf sie unmöglich ist. Da ich sehe, daß auch du für den Plan bist, will ich nachgeben. Ich verstehe, daß du dich nach der reinen Luft des Landes sehnst, daß du dorthin wieder zurückkehren möchtest, wo dein eigentlicher Lebensboden ist. Aber damit wir nicht auseinander geraten, damit wir ebenso häufig miteinander verkehren, wie bisher, muß es doch schon ein Gut in nächster Nähe Berlins sein, und das wird viel Geld kosten.“

„Ihr habt ja viel! Wieviel besitzt eigentlich deine Frau?“ wandte Frau von Klamm mit sanfter Beharrlichkeit ein.

„Nun, eine Anzahl Millionen werden wohl herauskommen,“ entgegnete Klamm.
„Aber was will das sagen, wenn so große Summen in verschiedenen
Unternehmungen festgelegt werden!

„Ich gestehe dir, daß ich eigentlich die Absicht hatte, die Leitung und die Druckerei allein käuflich an mich zu bringen, darin Adelgundes Vermögen festzulegen. Meine größeren Pläne, meine eigentlichen Wünsche werden durch den Gutskauf nicht nur beeinträchtigt, sondern vielleicht unmöglich.“

„Ich würde es vermeiden, das Geld deiner Frau in deine Unternehmungen zu verwickeln, Alfred. Du bleibst freier.“

Klamm lächelte bitter.

„Ja, ja!“ betonte er. „Du hast völlig recht. Das ist's ja eben! Sobald es sich um meine Wünsche handelt, tritt immer die Erwägung ein, daß es ihr Geld ist.

„Schließen wir indessen das Gespräch, liebe Mutter. Ich werde Adelgunde und dir — ich wiederhole es — nachgeben, ich werde ein Gut ehestens besehen, und auch sonst alles thun, was deine Wünsche verwirklicht.“

In Frau von Klamms Angesicht erschien ein Ausdruck größter Befriedigung. Sie nickte ihrem Sohn warmherzig zu und schloß, während er sich erhob und zum Fortgehen rüstete:

„Was machen eigentlich Knoops? Ich vergaß immer, dich danach zu fragen. Sind sie zurück, und ist“ — hier lächelte Frau von Klamm gutmütig — „der Bote mit dem Adelsbrief unterwegs oder gar schon angelangt?“

„Ja, sie sind zurück, und auch der berühmte Theodor, der Hallunke, ist, wie ich von einem der Herren in der Redaktion zufällig gehört habe, aus Paris heimgekehrt.

„Er wird wohl die Provision, die ihm sein Bruder für den Zeitungsverkauf zugebilligt hat, schon wieder verthan haben und muß nun neues Futter suchen.

„Dazu gehört die Nobilitierung. Er ist ja der eifrige Vermittler, um der
Familie das ‚von‘ anzuhängen.“

„Und der junge Mann und Frau Ileisa? Hast du sie auch wieder gesehen? Fräulein von Oderkranz äußerte neulich, daß es ihr lebhafter Wunsch sei, daß ihre Kinder mit euch verkehren —“

„Aber besser ist's schon, daß es unterbleibt, Mutter! Dieser Herr Arthur ist mir nichts weniger als sympathisch; namentlich seitdem er sich zum Nichtsthuer herausgebildet hat. Ein Mensch in seinen Jahren ohne Beschäftigung, ohne Erwerb! Es sind mir solche Leute gradezu widerwärtig!

„Um übrigens deine andere Frage zu beantworten: Ja, ich sah sie noch gestern in der Equipage, die er sich angeschafft hat. Er kutschierte selbst, und sie saß neben ihm. Sie sah überaus anziehend aus, und grüßte, als ob niemals etwas zwischen uns vorgefallen wäre!“

Klamm schloß seine Rede mit einem Seufzer. Dann neigte er sich zu seiner
Mutter und küßte sie auf die Wange und verließ das Zimmer.

* * * * *

Der Winter hatte sich in diesem Jahre sehr früh verzogen. Der Frühling war jählings ins Land gestürmt und hatte seine unwiderstehliche Herrschaft angetreten. Plötzlich war's von den Dächern getropft. Der Schnee war rasch und behende zerschmolzen; die Eiszapfen waren ihm mit eilfertiger Auflösungshast gefolgt, und zu allem hatten vergnügt geschwätzige Staare die Musik gemacht. An Bäumen und Gesträuchen waren in einer einzigen Nacht die jungen Triebe erschienen, und ehe sich's die Welt versehen, hatte die Natur ein farbiges Kleid angelegt. Und dem Frühling war ein blütenschwerer Sommer gefolgt. Schon war die Zeit bis Ende September wiederum vorgerückt, und seit Monaten befanden sich Klamms bereits auf dem von ihnen erworbenen, in der Nähe von Berlin belegenen Gut Grünhagen.

Aber es war noch etwas geschehen:

Ihre Nachbarn waren — Knoops geworden. Der Zufall hatte gespielt. Als
an den alten Herrn Knoop die Anforderung ergangen war, sich als
Eigentümer einer umfangreicheren Gutsherrschaft auszuweisen, war
Behrwalde — so hieß das Rittergut — grade zum Verkauf gestellt worden.

Der frühere Besitzer, ein Graf Klöker, war plötzlich gestorben, und die zurückgebliebene Familie hatte sobald wie möglich den Landaufenthalt gegen die Stadt zu vertauschen gewünscht. Da hatte Herr Knoop sogleich zugegriffen, obgleich auch ihn die Nähe der Familie Klamm gehört.

Bei Klamms aber war erst recht ein Mißbehagen eingetreten.

Nachdem Alfred eben die Familie geschäftlich von sich abgeschüttelt hatte, saß sie nun neben ihm, gleichsam Stube an Stube.

Aber nicht nur die Alten, sondern auch die Jungen!

Wie es hieß, blieben Knoops nur für den Sommer und Herbst dort.

Aber da Arthur und die Alten ihre Wohnung in der Stadt schon wieder aufgegeben, erschien die Verwirklichung doch sehr zweifelhaft. Es paßte das, wie man sich erzählte, Arthur so besser. Er stand nun, da seine Frau und seine Familie auf dem Lande wohnten, unter gar keiner Kontrolle mehr. So konnte er seinen Lebemänner-Gewohnheiten voll nachgehen!

Margarete Knoop war über die Ortsveränderung außerordentlich glücklich. Sie hatte den Plan ihres Vaters, ein Gut zu erwerben, mit allen Kräften gefördert.

Mit der Erhebung in den erblichen Freiherrnstand, war es nach Theodors Rückkehr aus Paris plötzlich sehr rasch gegangen. Herr Knoop hatte fünfzigtausend Mark für Zwecke des roten Kreuzes gespendet, zudem dies adlige, große Rittergut erworben, und sich endlich auch der bürgerlichen Thätigkeit begeben.

Da die Familie Knoop in vergangenen Jahrhunderten den Adel besessen und ihn nur freiwillig abgelegt, so waren sonstige vorhandene Schwierigkeiten leichter zu beseitigen gewesen.

Und da war denn in überraschend kurzer Frist, nach ein paar Wochen, die
Nobilitierung erfolgt.

„Na, ja! Es ist doch etwas! Ich sag's noch einmal!“ hatte Herr Baron Friedrich von Knoop in einem sehr gehobenen Tone gegen seine Frau geäußert. „Ich bin doch vom Buchdruckergesellen zum Freiherrn herausgerückt, und habe drei Millionen Mark und reichlich darüber, teils im Kasten, teils in rentablem festem Besitz!

„Und unsere Schwiegertochter stammt aus altem Adel und ist eine treffliche Frau, und unsere Kinder sind von der Natur so veranlagt, daß wir an ihnen sicherlich nur Freude erleben werden.“

Frau von Knoop hatte sich zunächst auch mit der Neueinrichtung der Dinge ziemlich ausgesöhnt, ja, sie hatte Augenblicke, in denen auch sie ihrer Eitelkeit erlag.

Und zu dieser gesellten sich sonstige Befriedigungen. Anders war's mit Margarete. Sie mißbilligte ihres Vaters Ehrgeiz nach wie vor. Sie bedauerte seine Unthätigkeit, die schon allerlei unliebsame Folgen mit sich geführt. Als einzigen wirklichen Gewinn betrachtete sie lediglich die Erwerbung des Gutes, und die Aussicht, dort ferner zu leben. Ihr ging's wie Frau von Klamm! Das Gezwitscher der Vögel in der blauen Luft über den saatengoldenen Feldern klang ihr weit melodischer als der Laut der geflügelten Scharen über den mit geschwärzten Schornsteinen besetzten Dächern der Großstadt.

Die Freiheit und die Unabhängigkeit von dem gesellschaftlichen Zwang mit all seinen Komödien und Unwahrheiten mutete sie an wie eine neue Wunder-Daseinswelt. Da nun auch Ileisa fortan in ihrer Nähe blieb, glaubte sie alles zu besitzen, was ihr Herz ausfüllen konnte.

Nur eines störte sie jeden Tag. Das Verhältnis zu ihrem Bruder wurde immer schlechter. Immer mehr verflachte er, und mit der Annahme der Verflachung und der Arbeitsscheu verstärkten sich seine Empfindlichkeit und sein Mangel an Rücksichten gegen seine Umgebung.

War er früher rauh und rechthaberisch gewesen, so hatte er doch Sinn für Arbeit, Erfolg besessen und Respekt vor seiner Person in allen Kreisen erstrebt.

Jetzt sprach er nur von den gesellschaftlichen Errungenschaften, die ihm, als Mitglied des Adels, immer mehr zufielen. Als ihn ein bisher sehr unnahbares Mitglied des Unionklubs, in dem er aufgenommen war, zu einem Frühstück eingeladen, war ihm diese Auszeichnung dermaßen zu Kopf gestiegen, daß er im Hause mit seiner ganzen gefühllosen Unausstehlichkeit austrat.

„Du thust wirklich, als ob dich die Beachtung, die dir Graf von der Horwitz erwiesen, zu einem Mitglied der Ritter vom schwarzen Adlerorden gemacht habe, Arthur,“ hatte seine Schwester mit verächtlichem Spott hingeworfen. „Wie ist es möglich, daß ein Mensch mit freiem Sinn und Selbstachtung auf solche Nichtigkeiten Wert legen kann! Wo ist die Zeit, in der du noch deinen Ruhm in kräftiger Thätigkeit und deine Erfolge in dem sahst, was unser Vater sein Lebelang unermüdlich schaffte und förderte. Ich sage dasselbe, was ich dir schon früher vorhielt:

„Du läßt dich — ein junger Mann — von ihm ernähren, spielst den großen Herrn, vergeudest dein Geld in Ueberflüssigkeiten, vielleicht gar im Spiel, vernachlässigst deine Frau, deine Eltern und was das Schlimmste ist, machst dich wegen deines eitlen Auftretens zum Gespött bei allen unbefangenen und ernsthaften Men —“

Aber weiter war Margarete nicht gelangt.

Der von ihr so Angegriffene hatte sich wie ein Tobsüchtiger benommen. Die Reitpeitsche, die er zufällig in der Hand gehabt, hatte er gegen seine Schwester erhoben und sie mit wutentstellten Mienen angeschrieen:

„Schweig, unverschämte, dumme Gans, die du immer nur nach deinen jämmerlich hausbackenen Auffassungen Thun und Treiben anderer beurteilst. Was weißt du, welche Zwecke ich verfolge, welchen Plänen ich nachgehe! Und es sei dir zum letztenmal gesagt: deine Unverschämtheiten verbitte ich mir! Wenn du noch einmal so auftrittst — untersage ich dir, unser Haus zu betreten.“

„Vaters Haus meinst du doch wohl! ‚Dein Haus‘ giebt es nicht! Du hast seit deiner Rückkehr von England nur im ersten Jahre gearbeitet und etwas selbst verdient.

„Jetzt bist du ein Tagedieb und verminderst dein Ansehen von Tag zu Tag vor deiner Frau,“ war Margarete unerschrocken fortgefahren.

„Gold glaubte sie zu finden, aber wertloses, ja unedles Metall hat sie erhalten.“

Aber mit diesen Worten hatte sie doch zu viel gewagt. Sie hatte Arthur dermaßen gereizt, daß er sie gepackt und mit einem Ruck auf den Flur gesetzt hatte. Und hier hatte er sie stehen lassen und ihr bei seinem Fortgange zugerufen:

„Wage nicht, jemals wieder über diese Schwelle zu treten“ — und war dann, die Hausthür heftig hinter sich zuschlagend, keuchend vor Wut und Aufregung seiner grade aus dem hinteren Teil des Gartens kommenden Frau entgegengetreten.

Ihr hatte er dasselbe erklärt. Sie habe Margaretes Umgang fortan überhaupt zu meiden, und wenn sie das nicht könne und wolle, werde er Behrwalde wieder verlassen und sich irgendwo anders niederlassen.

„Mit meiner Schwester bin ich ein für allemal fertig. Das werde ich auch noch heute den Eltern mitteilen!“

So hatte er geschlossen, ohne Ileisa zu Wort kommen zu lassen und war, nachdem er stumm und verbissen mit ihr das Mittagessen eingenommen, zur Stadt gefahren.

„Sie möge nicht auf ihn warten! Es werde spät werden. Er habe
Geschäfte!“

Mit dieser Erklärung war er gegangen und hatte auch ihr kaum einen Gruß gegönnt.

* * * * *

Margarete fand ihre Eltern, gleich nach dieser Scene mit ihrem Bruder, im Begriff, ebenfalls zur Stadt zu fahren. Der Wagen stand bereits vor der Thür, Herr Knoop knöpfte mit ungeduldigen Gebärden an seinen Handschuhen und drängte eben seine Frau, sich zu beeilen. Grade kam sie auch aus dem Hause hervor, um in dem eleganten, mit dem Knoopschen Wappen bereits geschmückten, offenen Landauer Platz zu nehmen. Als sie aber Margaretens ansichtig wurde und deren auffallende Blässe und deren verweinte Augen bemerkte, trat sie sogleich besorgt auf sie zu, zog sie, von ihrem Manne begleitet ins Haus, und sprach auf sie ein.

„Was sie habe, was geschehen, warum sie nicht, wie sie beabsichtigt, bei
Ileisa geblieben sei?“ stieß sie beängstigt heraus.

Und Margarete berichtete, und nachdem sie alles mitgeteilt, ja, fast wörtlich wiedergegeben hatte, was zwischen ihr und Arthur vorgefallen war, geriet Herr Knoop in eine ganz ungeheure Aufregung. Er sprach aus, daß er nur bedaure, Arthur nicht gleich fassen, ihn zur Rede stellen und ihn so abkanzeln zu können, daß ihm zu Wiederholungen eines solchen Auftretens die Luft vergehen werde.

Aber auch Margaretens Mutter bemächtigte sich eine große Empörung, der sich eine tiefe Trauer und eine starke Bedrückung hinzugesellte.

Ihre alte Ahnung, daß die in solcher Art herbeigeführte Abweichung von früherer Einfachheit ihrem Manne und ihnen allen nicht zum Segen gereichen, ihnen vielmehr zum Verderben werden würde, erfaßte sie von neuem.

Immer wieder mußte Margarete erzählen, und mit jeder Erneuerung ihrer
Darlegungen verstärkten sich in beiden der Zorn und die Entrüstung über
Arthurs Benehmen.

Erst nach einiger Zeit vermochten sie sich zu besänftigen. Während sich aber Herr Knoop anschicken wollte, nunmehr zur Stadt zu fahren, erklärte Frau Knoop, daß sie sich nicht mehr in der Stimmung befinde, Besuche zu machen. Ueberhaupt sei sie gegen das fortwährende, von ihrem Manne gewünschte Visitenmachen; sie bürdeten sich dadurch ohne Not und Zweck und ohne irgend welche Vorteile Lasten auf.

Das reizte nun aber wiederum Herrn von Knoop dermaßen, daß er sich in den schärfsten Worten gegen seine Frau erging. Das gestörte Gemüt mußte sich an irgend etwas wetzen und austoben.

„Ach Gott,“ seufzte Frau von Knoop unter heißen Thränen. „Wie waren wir doch früher in unserer Villa hinten auf deinem Arbeitshof glücklich! Fast nie kam eine Verstimmung, gar ein böses Wort zwischen uns vor! Und jetzt? Seitdem Arthur aus England wiedergekommen, ist's, als ob ein böser Geist bei uns eingekehrt. Nach unserer Standeserhöhung und nach dem Gutskauf ist erst gar die Freude von uns gewichen.“

Und eben, weil sie das Rechte traf, weil ihre Worte den Thatsachen entsprachen, weil sich der Mann getroffen fühlte, erhöhte sie nunmehr sein Ingrimm.

Er wollte, da sich jetzt doch der Eitelkeitssinn für den Sohn regte,
Arthurs Ansehen retten; er wollte namentlich nicht zugeben, daß ihn der
Sohn beeinflußt habe.

Eine unbändige Heftigkeit kämpfte in seinem Innern mit einer sich regenden, heißen Reue. In diesem Augenblick wünschte er, daß er niemals sein schönes, durch Fleiß und kräftige Pflichterfüllung aufgerichtetes Werk anderen Händen überlassen, daß er, wie seine Frau richtig geäußert, in Arbeit und Einfachheit auch ferner sein Glück gefunden hätte.

Und eben diese Selbstanklage, und diese große, sich unheimlich in seine Seele einschleichende Reue, veranlaßten ihn zu den schwersten Ausfällen gegen seine Familie.

Er sprach in den heftigsten Ausdrücken von Uebertreibungen, und er redete von schnödem Undank! Statt Anerkennung zu empfangen und guter, gerechter Einsicht zu begegnen, daß er — allezeit ein Fleißiger und Bebürdeter — in seinem Alter auf Ruhe, Erholung und Ablösung ein Recht habe, faßten sie beide nur ihre Annehmlichkeiten ins Auge, ergingen sich gegen ihn in Vorwürfen und Anklagen, und verbitterten ihm das Dasein. Ihnen fehle jedes Verständnis dafür, daß sich ein Mann Ansehen und Beachtung in der Welt erwerben solle.

Sie stellten ihn nachgerade als einen Unmündigen hin, der noch wie ein Schulkind belehrt werden müsse. Er wisse aber sehr genau, was er wolle, und sie sollten Gott danken, daß sie sich keinen Wunsch zu versagen brauchten, und überhaupt vom Glück überschüttet seien.

Im übrigen trenne er Berechtigtes von unzutreffenden Sentimentalitäten.

Mit Arthur werde er ein sehr deutliches Wort reden. Er habe einen festen Entschluß gefaßt. Den Inhalt würden sie bald erfahren. —

Hierauf griff er nach Hut und Stock, erklärte, daß er, da er frische
Luft und andere Eindrücke zu seiner Besänftigung gebrauche, allein zur
Stadt fahren wolle, und befahl dem schon mit recht mürrischer Miene auf
dem Bock sitzenden Kutscher, vorwärts zu machen.

Nachdem er sich entfernt hatte, erörterten Mutter und Tochter die
Vorgänge in einer möglichst sanften und sachlichen Weise.

Sie nahmen sich vor, auf Herrn von Knoop nach seiner Rückkehr versöhnlich einzusprechen, aber ihn auch bei der ersten sich dazu bietenden Gelegenheit zu bitten, daß sie ihr Leben anders einrichteten.

Mutter und Tochter hatten schon erfahren, daß man sie im Grunde doch nur als Emporkömmlinge ansah. Bei ihren Besuchen in der Nachbarschaft, auf den Gütern, war man ihnen wohl höflich, aber nichts weniger als sehr zuvorkommend begegnet.

Man ließ sie dafür büßen, daß sie sich einbildeten, sie seien nun schon Gleichberechtigte. Was war ein erkaufter Adel? Mutter und Tochter fühlten eine heiße Scham, um die Gunst so Denkender zu buhlen.

Aber auch in ihrem bisherigen Bekanntenkreis in Berlin hatten sie starke Enttäuschungen erfahren. Dort machte sich der Neid breit. Die angeseheneren Familien, die Knoops ihre Thüren bisher geöffnet, mit ihnen, wenn auch nicht eng, aber doch in sehr freundlicher Weise verkehrt, hatten nun nichts mehr vor jenen voraus!

Jetzt standen Knoops mit Geld und Rang über ihnen! Das paßte ihnen nicht! —

Das Benehmen der jungen Herren gegenüber Margarete war auch ein ganz anderes geworden. Die Gutgearteten, die Absichten auf sie gehabt hatten, zogen sich zurück, weil sie nicht den Eindruck hervorrufen wollten, sie würben nur um die reiche Erbin! Und wiederum drängten sich die auf ihren Geldbeutel Spekulierenden jetzt mehrfach mit solcher Unzartheit an sie heran, daß es sie verletzte.

Herr von Knoop hatte früher seine ihn stark in Anspruch nehmende Thätigkeit gehabt. Er hatte einen Tageszweck besessen. Jetzt langweilte er sich, er beschäftigte sich fortwährend mit seiner Gesundheit und bildete sich zum Hypochonder aus. Infolgedessen war seine Laune meistens keine gute. Er nörgelte um nichts; er quälte seine Umgebung mit Kleinlichkeiten. Und wiederum, wenn die vornehme Gesellschaft in Frage kam, konnte er, trotz eben hervorgehobener Beschwerden, alles, war er zu Opfern stets bereit und befand darauf, daß man den Adligen den Hof mache. Er schalt, wenn seine Familie nicht sehr willig auf seine Aeußerlichkeits-Rücksichten einging, als kleinlich, unsinnig, empfindlich und unliebenswürdig. —

Nach Tisch begab sich Margarete in ihr Zimmer oben im Gutshause und hielt eine Umschau in die sie umgebende Welt.

Behrwalde war ein prachtvoller Besitz, wurde von einem äußerst tüchtigen
Mann verwaltet, und stand infolgedessen in bester Kultur.

Aber auch die Lage des Gutes war eine herrliche. Das in weißer Farbe prangende Herrenhaus war umschlossen von laubreichen, alten Buchen und Linden. Weiter hinab umgaben äußerst wohlerhaltene, von Epheu und Schlinggewächsen meist umzingelte Wirtschaftsgebäude den mächtig geräumigen Gutshof. Hinter den zwei, unten das Gesamtviereck begrenzenden, altertümlich gebauten Thorhäusern bot sich dem Auge ein Blick, der nicht schöner gedacht werden konnte.

Durch Tannen- und Buchenwaldungen unterbrochene grüne Flächen dehnten sich bis zum sanftblauen Horizont aus. Zwischen ihnen tauchten die Silberbänder kleiner Auen auf, und überall erhoben sich Dörfer mit weißschimmernden Mauern, Kirchtürmen und roten Dächern.

Zur Linken, gleich neben dem Schloß, trat man in einen, durch ein vergoldetes Gitterwerk eingefriedigten Park. An ihn stieß der Besitz von Klamms. Zur Rechten befand sich ein großer Gemüsegarten.

Die nie einen Anruf versagende, große Trösterin der Menschen: die Natur, half auch Margarete heute zu einer ruhigeren Auffassung. Ja, als sie das alles vor sich sah, in seiner noch prangenden Schönheit und Fülle, übergossen von goldenem Sonnenlicht, und in solchem stillen Erdfrieden, erfaßte sie gar wieder eine starke Zuversicht.

Sie hoffte, ihren Vater beeinflussen zu können. Sie sah die alten Zeiten zurückkehren, und sie nahm sich vor, auf Ileisa einzuwirken damit sie ihres Mannes Herr werde. —

Unter solcher Vorstellung verließ sie ihr mit Blumen und allerlei kleinen Zierlichkeiten und Kunstgegenständen angefülltes Gemach, und stieg die weißlackierte Treppe hinab. Alle Thüren, Fenster und Treppen im Hause trugen diese schneeweiße Farbe, und erstere waren geschmückt mit Messing-blitzenden Klinken und die Schlösser umgebenden, zierlich gewundenen Einfassungen.

Margarete eilte über den Hof, erreichte das, seine Front dem eben betriebenen, freien Land zuwendende, sogenannte kleine Herrenhaus, in dem früher ein Bruder des verdorbenen Grafen Klöker gewohnt und in dem nunmehr Arthur eingezogen war. Sie fragte den ihr auf dem Flur entgegentretenden Diener nach ihrer Schwägerin.

Er erklärte höflich beflissen, daß sie im Garten sei oder sich ins Dorf begeben habe. Er wolle eilig nachforschen.

Nachdem er sich entfernt hatte, trat Margarete zunächst auf die Veranda, dann aber ins Wohngemach, schaute sich, wie am Vormittag, als Arthur sie überrascht hatte, nach allem um. Dann ging sie gedankenlos, ihrem Impulse folgend, in das daneben befindliche, von Ileisa vorzugsweise bewohnte Kabinett.

Auf der anderen Seite befand sich ein ähnliches, von Arthur ausschließlich benutztes Arbeitszimmer.

Hier fand Margarete auf Ileisas Schreibtisch eine Art von Gedenkbuch mit beschriebenen Blättern, und las — gegen ihren Willen angezogen — was Ileisa dort angezeichnet hatte.

Und so ergriff sie das, was sie fand, daß sie unwillkürlich in einen nebenan gehenden Sessel zurücksank und sich — den Gedanken unterdrückend, daß sie etwas that, wozu ihr das Recht fehlte — völlig in die Lektüre vertiefte.

Es hieß da:

„Alle Vorstellungen über Glück sind ausnahmslos unzutreffend. Nur die
Erfahrungen können uns über dessen Einzelwesen belehren.

„Einer denkt, er werde mit dem Haupt in den Himmel hineinragen, wenn er
seiner Nahrungssorgen entrückt werde, und wird ihm in Fülle, was er vom
Schöpfer erflehte, schreit er nach dem Wechsel zwischen Entbehrung und
Genuß!

„Zum Glück gehören möglichste Unabhängigkeit von anderen, und die
Sättigungen, die unsere ‚Herzen‘ und Gemüter bedürfen.

„Ich bin eine Sklavin geworden, die ich dachte, ich würde alle Fesseln abstreifen. Und mich hungert förmlich nach Liebe!

„Wären nicht zwei Menschen: meine edle Tante und Margarete, würde ich vielleicht schon ins Wasser gesprungen sein.

„Es fließt so lockend jenseits der Wiese vorüber. So tief ist der Au, so rein ist sein Wasser. Da ruht's sich sicher gut. Ich bin so todestraurig, so verzagt, so grenzenlos unbefriedigt. Wer hilft mir — ?“

Als eben Margarete noch weiter lesen wollte, vernahm sie nebenan Geräusch von Schritten, scheuchte infolgedessen hastig empor, warf sich eilig in einen Sessel, der in einem nach dem Garten schauenden Erkerausbau stand, und griff nach einem, auf einem kleinen Tisch liegenden Buch.

Im nächsten Moment stand Ileisa vor ihr. Aber ein Schreck ergriff
Margarete, als sie Ileisa anblickte.

Diese aber eilte auf Margarete zu, fiel vor ihr nieder, und stieß erschüttert heraus:

„Ach, liebe, liebe Margarete, was habe ich eben erlebt —“

Dann folgte ein verzagtes, herzzerreißendes Wimmern, das die mitfühlende und beängstigte Margarete fast ebenso fassungslos machte.

„Um Himmelswillen! Was ist geschehen? Bitte, richte dich auf. So, so! Setze dich hierher. — Ah — ah — meine arme Ileisa,“ rief sie, sich selbst mit Gewalt aufraffend, lief erst noch fort, schloß das Gemach und begab sich dann wieder rasch zu ihrer bedrückten Verwandten.

„Ja! Höre,“ begann Ileisa und strich, tief aufatmend, mit der Hand über die Stirn. „Ich kam vom Dorf zurück, ging über die Landstraße, und wollte eben an der Parkthür zu Klamms vorüberschreiten, als Herr von Klamm von dort herauskam, plötzlich vor mir stand und mich anredete.

„Ich weiß nicht — aber vielleicht weiß ich's doch — weshalb mir das Herz so zitterte. Jedenfalls wurde ich so verwirrt, daß ich ihm keine Antwort stehen konnte. Er legte das als ein körperliches Unbefinden aus, redete teilnehmend auf mich ein, bat, ob ich nicht einen Augenblick in den Park treten, und mich dort — du weißt, gleich rechts auf dem Eichenberg — niederlassen wollte.

„Ich that dann etwas, was ich nicht wollte. Statt sein Anerbieten abzulehnen, ließ ich mich — gradezu wie von einer Hypnose ergriffen — von ihm mitziehen und verwickelte mich mit ihm in ein Gespräch.

„Er erkundigte sich nach Tante, auch flüchtig nach Arthur und eingehend nach dir. Zuletzt berührte er unser früheres Zusammensein. Er erwähnte des Zufalls, daß wir nun doch wieder zu einander gerückt wären und meinte, es mache ihn glücklich, mich wenigstens dann und wann wieder zu sehen.

„Um etwas zu erwidern, entgegnete ich:

„‚Ich danke Ihnen herzlich für Ihr Interesse, Herr Baron, um so mehr, da ich es nicht verdiene. Sie wissen es am besten! Lassen Sie mich Ihnen aber sagen, daß ich glaube, daß es am besten ist, wenn wir uns meiden, uns nur aus der Entfernung schätzen. Ich werde dabei entbehren, gewiß, aber es ist richtiger so, wenigstens für mich.‘

„Diese Antwort wirkte auf Herrn von Klamm ganz anders, als ich erwartet hatte.

„Statt darauf etwas unmittelbar zu entgegnen, ließ er den Kopf sinken, verfiel in Nachdenken und sagte dann:

„‚Es fehlt mir die Zeit, und es ist hier nicht der Ort zu einem Gespräch, an dem ich Ihnen — wie ich möchte — auf Ihre Worte erwidern kann, meine gnädige Frau.

„‚Lassen Sie mich nur das eine bemerken:

„‚Wenn Sie von Entbehrung sprechen, so trifft dies bei mir erst recht zu —‘

„Nach diesen Worten sah er mich mit einem so traurigen Blick an, daß ich am liebsten an ihm herabgeglitten wäre und ihm gedankt hätte, daß er mir noch immer so gut geblieben sei.

„Was aber dann dieser Auseinandersetzung folgte, spottet jeder
Betreibung.

„Klamm hatte mich eben verlassen; er war, als er mir begegnete, im
Begriff gewesen, zur Bahnstation zu gehen, und mußte sich, um nicht den
Zug zu verpassen, sehr beeilen. Ich aber saß noch in Gedanken versunken.
So viel war auf mich eingestürmt, daß ich völlig vergessen hatte, wo ich
mich befand.

„Daran sollte ich aber sehr bald, und sehr unliebsam erinnert werden. Ich hatte während meines Gespräches mit Klamm schon einmal Geräusch hinter den Gebüschen zu hören vermeint, da aber Klamm sich nicht umgesehen, angenommen, daß ich mich doch wohl getäuscht habe.

„Es war aber Frau von Klamm gewesen, die, um ihrem Manne noch etwas zu sagen, ihm gefolgt war, und als sie uns sprechen gehört, stehen geblieben und gehorcht hatte.

„Sie trat nun jählings hervor, stellte sich vor mich auf, maß mich mit hochmütiger Miene und stieß, mit vor Erregung zitternder Stimme, heraus:

„‚Ich war eben Zeuge des Gespräches zwischen Ihnen und meinem Mann. Voller Empörung vernahm ich, daß Sie sich nicht scheuten, ihm Avancen zu machen, mit wohlberechneter Weichmütigkeit äußerten, wie schwer es Ihnen werde, ihm fern zu bleiben! Der Sinn Ihrer Worte war nicht mißzuverstehen, am wenigsten für denjenigen, der frühere Vorkommnisse kennt.

„‚Ich möchte Sie nun sehr ernstlich ersuchen, solche Koketterien mit meinem Gatten nicht ferner zu wiederholen! Ich möchte Sie erinnern, daß wir, Ihre Nachbarn, sehr streng über Ehrbarkeit, Sitte und Ehepflichten denken. Jawohl! Nicht nur ich — sondern auch mein Mann, dem Sie von Entbehrungen sprachen, den Sie — nun doch wieder an sich ziehen möchten.

„‚Bitte, bitte, echauffieren Sie sich nicht! Es ist doch, wie man hört, Ihrem Andrängen zu verdanken, daß Sie sich unmittelbar neben uns angekauft haben! Also Thatsachen sprechen!

„‚Ich fordere Sie auf, dafür zu sorgen, daß Ihr Gatte wieder von hier fortzieht. Erst dann werde ich glauben, daß Ihnen Sittlichkeits- und Ehrgefühl nicht abgeht, daß meine Rede den Zweck erfüllt hat, den ich mit ihr verbinde! Ich will meinen Gatten Ihnen nicht opfern!

„‚So, das habe ich zu sagen. Ich empfehle mich Ihnen —‘“

„Und du? Und du? Was antwortetest du?“ stieß Margarete nach diesem Bericht heraus, biß vor Zorn die Zähne zusammen, und ballte unwillkürlich die Hände.

„Ich that nichts, denn ich konnte nichts thun, Margarete,“ entgegnen Ileisa. „Sie war ja schon fort, als alle die Feuer, die sich in mir entzündet hatten, losbrechen und sie versengen wollten.

„Nachdem ich nur eben wieder Atem gewann, eilte ich, ohne mich aufzuhalten, ins Haus. Ich sehnte mich nach Vereinsamung, Nachdenken und Ruhe. Ich wollte mich hier auf's Sofa werfen und ausweinen — und fand dich!“

„Wohlan,“ erklärte Margarete mit fester Stimme und entschlossener Miene, „so will ich statt deiner antworten, so will ich jetzt zu ihr gehen. Ich will Einlaß fordern, und ihr erklären, was sie ist, was die Welt von ihr sagt, und ihr verbieten, sich ferner herauszunehmen, Personen zu beleidigen, die moralisch so hoch über ihr stehen, daß sie die Augen niederzuschlagen hat. Für dich will ich eintreten! Ich will ihr ins Gesicht schleudern, daß sie die Unehrbare ist, die mit Männern tändelt, die nichts anderes kennt, als Eitelkeiten und Aeußerlichkeiten, daß sie sich wie eine ungebildete Xantippe benimmt, während sie sich rühmt, eine Dame, eine Bevorzugte der Gesellschaft zu sein!“

Nach diesem Ausbruch wollte sich Margarete entfernen. Aber Ileisa hielt
sie zurück, redete auf sie ein, und teilte ihr das Gefühl der
Besonnenheit mit, das sie inzwischen selbst zurückgewonnen. Sie hatte
Einkehr in sich genommen, und ihr gerechtes Ich hatte sich gemeldet.

Wenn schon Herr von Klamm die vergangenen Dinge berührt habe, so hätte sie, erklärte sie, als verheiratete Frau, darauf gar nicht eingehen dürfen. Sie habe sich — unglücklich wie sie wäre — von ihrem Enttäuschungsschmerz fortreißen lassen.

„Ich bin,“ fuhr sie fort, „insofern nicht ohne Schuld. Und Frau von Klamms Ausbruch gegen mich war ein Produkt der Eifersucht. Eifersucht aber weiß nicht, was sie thut; sie darf nicht mit dem gewohnten Maß gemessen werden. Daß aber Frau von Klamm auf einen solchen Mann überhaupt eifersüchtig ist, daß sie ihn für sich, für sich ganz allein behalten will, ist's ihr zu verdenken? Ich würde ebenso fühlen, und vielleicht gar auch so handeln.

„Ach, Margarete! Haben wir Klamm nicht beide geliebt und lieben — wir ihn nicht noch heute?

„Ich wenigstens gestehe es in diesem Augenblick. Ich liebe ihn mit der ganzen Kraft meiner Seele. Ich könnte mein Leben für ihn lassen, ich sehe in ihm ebenso sehr das Ideal eines redlich strebenden Mannes, wie ich in Arthur nur ein Abbild jener erblicke, die nichts anderes kennen als ihr genußsüchtiges Ich, die nichts anderes erstreben, als Aeußerlichkeiten.

„Ach — ach — wer rettet mich, Margarete? Ich bin verloren!“ schloß sie erschüttert, und warf sich ihrer Freundin an die Brust.

Margarete aber sagte, nachdem sie Ileisa von ihrer Brust sanft gelöst hatte:

„Ich weiß, wie vielleicht doch noch alles gut werden kann, Ileisa. Rede einmal fest und unerschrocken mit meinem Bruder. Sage ihm, daß du unglücklich seist, bitte ihn, daß er ein anderer wird, daß er mit dir lebt, dir Wärme und Liebe entgegenträgt, daß du sonst neben ihm verdorrst. Gewiß, ich weiß! Eine einzige solche Unterredung thut's nicht. Aber du mußt es ihn wissen lassen, daß es so in dir aussieht. Und wenn er etwas thun will, was ihn von dir und seinen guten Regungen abzieht, so sprich auf ihn ein und beginne immer von neuem, und suche auf ihn einzuwirken. Ihr seid nun doch einmal verheiratet, und als Frau hast du Pflichten übernommen. Du klagst dich an! Ich weiß nicht, ob mit Recht. Sollen es aber nicht Worte bleiben, so mußt du wenigstens den Versuch machen, und erst, wenn alles vergeblich, wenn du erkennst, daß er weder will noch kann — dann füge dich in das Unvermeidliche.“

Und Ileisa erwiderte weich gestimmt:

„Du sprichst gut und weise, und ich will deinen Rat zu befolgen suchen, meine liebe Margarete. Aber wenn es mir nicht gelingt, auf Arthur einzuwirken, vergiß nicht, daß man eigentlich doch nur lehren kann, wenn man etwas zu sagen hat. Ich aber habe die Zuneigung, die ich für ihn empfand, so gut wie verloren.

„Es ist furchtbar, zu gestehen, aber ich bekenne dir, daß ich eher einen Abscheu vor ihm empfinde, denn die Neigung spüre, mich ihm ferner zu nähern.

„Wir haben eben sehr früh mit einander verspielt — und mein Verdienst nach dieser Erkenntnis war bisher nur das — daß ich duldete und — schwieg.“

Und plötzlich, in einem sie mächtig überwältigenden Gefühl, umschlang sie Margarete und flüsterte:

„Willst du mir versprechen, meine teure Margarete, mich, wenn das Ende doch so wird, wie du es herbeizuführen mir selbst rätst — nicht zu verlassen?

„Was soll ich beginnen? Wohin soll ich mich flüchten? Ich zittere schon, wenn ich mir nur vorstelle, was meine Tante sagen wird, wenn ich mein Glück — so nennt sie meine Ehe, und nannte sie sie, als sie mir vordem stets so eifrig zuredete — wieder von mir gestoßen habe!“

„Ja!“ entgegnete Margarete fest. „Ich werde dir eine Schwester sein im besten Sinne des Wortes, Ileisa, ich werde dich — so lange ich lebe und etwas mein eigen nenne — nie verlassen!“

Es waren, während sie redeten, die Abendschatten schon herangeschlichen und hatten das Gemach verdüstert.

Düster war's draußen und in den Herzen dieser beiden Menschen, die nach ihrer Art redeten und Pläne machten, die wie alle anderen Sterblichen durch Einsätze in die große Daseinslotterie zu gewinnen hofften, und doch verloren, oder — ohne Einsätze — in größerer Geduld — der Zeit und den Umständen vertrauend — aufrecht stehen blieben und sich vor den Lebenszufällen schützten, bis die Zeit auch über ihre kämpfenden Seelen die Schwingen ewiger Ruhe ausbreitete.

* * * * *

In der Knoopschen Aktienbuchdruckerei war ein gewaltiges Hin und Her. Klamm hatte mit Zustimmung der maßgebenden Persönlichkeiten eine Reihe von Veränderungen ins Auge gefaßt, und nunmehr herbeigeführt. Es waren Rotationsmaschinen für die Leitung und Buchdruckmaschinen angeschafft, auch Schneide- und Satiniermaschinen besserer Konstruktion eingestellt worden. Ferner war beschlossen worden, die Zeitung durch ein handlicheres Format, neue Schrift, eine andere Einteilung, Textvermehrung, sowie größere Vielseitigkeit zu verbessern.

Klamm ruhte und rastete nicht, Vervollkommnungen zu erstreben. Natürlich wurden bei der Vermehrung der Arbeit die Kräfte der Angestellten in höherem Maße angestrengt. Es hatten deswegen schon heftige Auseinandersetzungen mit dem noch im Amt befindlichen Chefredakteur stattgefunden. Es bedürfe, wie er erklärte, umfangreicherer Beihilfe und besserer Honorierung! Ueberhaupt lehnte er sich gegen die Zeitungs-Neuerungen auf und behauptete, daß sie dem Blatte nicht zum Nutzen, sondern zum Schaden gereichen würden.

Gegenwärtig handelte es sich um die Herstellung der ersten neuen
Quartalsnummer, und diese stieß auf unerwartete, ganz erhebliche
Schwierigkeiten.

Unten in den Druckräumen schalt der Maschinenmeister mit den Mädchen, die sich bei den neuen Rotationsmaschinen ungeschickt benahmen. Die Folge war, daß sie sämtlich aufsätzig wurden, kehrt machten und davon gingen.

Nun war guter Rat teuer! Woher gleich andere nehmen? Der
Maschinenmeister eilte zu Klamm hinauf und meldete, was geschehen sei.
Er hatte den Kopf völlig verloren. Es schien unmöglich, daß die Zeitung
überhaupt am nächsten Morgen erscheinen konnte.

Um das Unglück voll zu machen, berichtete der Zeitungsfaktor, daß dem
Metteur ein Unglück mit dem im übrigen kaum zu bewältigenden Satz
passiert sei, die Setzer aber, trotz Aufforderung und Bitte,
Ueberstunden nicht machen wollten.

Zunächst schickte Klamm einen Boten zu der ältesten, in der Druckerei schon seit zwei Jahren beschäftigten Bogenfängerin. Der Maschinenmeister wußte zufällig, wo sie wohnte — und ließ ihr vom Direktor bestellen, daß sie so gut sein möge, „rasch einmal heran zu kommen“.

Sodann begab sich Klamm in den Setzersaal und verhandelte mit den
Setzern, die sich bereits die Hände wuschen und fortgehen wollten.

Er bot ihnen eine angemessene Entschädigung, wenn sie nach einer Stunde zurückkehren, und einen Teil der Nacht durcharbeiten wollten.

Nach sehr schwierigen Verhandlungen, bei denen eine bedauerliche Interessenlosigkeit für das Geschäft bei den Angestellten zu Tage trat, gelang es Klamm, deren Zusage zu erreichen.

So war wenigstens diese Schwierigkeit beseitigt. Nun aber galt es auch unten zum Ziele zu gelangen. Klamm hielt Umschau und prüfte, ob nicht im Papierraum Angestellte zu haben seien. Aber die Versuche verliefen hier eben so ungünstig, wie die Prüfung bei dem übrigen Maschinenpersonal. Zwei sonst Beschäftigte waren überhaupt nicht anwesend, weil sie sich krank gemeldet hatten. Die Maschinenmeister selbst erklärten, daß sie zweien Herren nicht dienen könnten. Sie müßten fortwährend nach den Druckpressen sehen, da noch alles nicht recht „eingelenkt“ sei.

Inzwischen war die Zeit immer weiter vorgerückt. Ueberall wurden die
Arbeitskittel bereits ausgezogen, und Klamm lief Gefahr, sich einer
großen Blamage auszusetzen, wenn es nicht gelang, Bedienung für die
Maschinen herbeizuschaffen.

Zum Glück erschien nun das von ihm herbeigerufene Mädchen, eine etwa sechsundzwanzigjährige, robuste Person, in einem schwarzen Mantel und mit federbesetztem Hut.

Sie sah wie eine schlecht kostümierte Nebenfigur auf einer Kleinstadtbühne aus und legte, als Klamm sie anredete, ein recht schnodderiges Wesen an den Tag.

Sie beklagte sich im Berliner Jargon über den Maschinenmeister Schulze, der „die Mächens man immer so behandelte, als ob sie ‚Rakkers‘ wären, die vor 'ne Lehmmühle zu jehen hätten. Det Jeschimpfe höre jar nich uf, nu dafür wär'n sie sich alle einig jeworden, abzujehen. Sie persönlich habe sich auch den Abend schonstens mit ihr Verhältnis verabredet, sie könne nich bei die Maschine arbeiten, und wo die anderen wohnen thäten, det wisse sie man sehr unbestimmt.

„Wiederkommen wollten sie ja alle, aber bloß, um beim Direktor vorstellig zu werden. Sie hätten sich verabredet, am nächsten Morgen, Uhr neune, anzutreten.“

Nach dieser Erklärung ergriff nun aber Klamm das Wort.

Er bot dem Mädchen, wenn sie die Arbeit etwa nach einer Stunde wieder aufnähme, und wenn sie die übrigen Arbeiterinnen mit Droschken herbeizuholen sich verpflichtete, eine erhebliche Belohnung, ihnen allen aber Abendbrot mit Bier, Kaffee in der Nacht, und eine so bedeutende Vergütigung, daß „Christine Munk“ schließlich weich wurde. Das Geld reizte die Person, und um so schwankender wurde sie, da Klamm erklärte, daß er allen fortan den Lohnsatz erhöhen wolle.

Hierauf eilte die Munk fort. Klamm begab sich, nachdem er die Maschinenmeister zum Dableiben verpflichtet hatte, ins Kontor, und von dort in die Redaktion.

Hier sah er nach dem Rechten, wartete dann noch in größter Spannung, ob
Setzer und Mädchen erscheinen würden, und atmete förmlich auf, als er
zunächst die Setzer hinauskommen sah und nun sicher war, daß in den
Sälen oben weiter gearbeitet wurde.

Die Mädchen ließen viel länger auf sich warten. Als der Maschinenmeister endlich über ihr Eintreffen berichtete, hatte er zu melden, daß nur zwei erschienen seien.

„Nun, wohlan! So müssen wir mit angreifen, Schulze! Ich bleibe so lange an der Maschine, bis wir unsere Auflage fertig haben!“ erklärte Klamm, setzte ein kurzes, Adelgunde verständigendes Schreiben auf, sandte einen herbeigeholten Dienstmann damit fort, und begab sich in den Maschinenraum.

Und hier arbeitete er dann ganz ebenso wie das Personal, und wenn er einmal seine Thätigkeit unterbrach, um oben im Setzersaal nachzutreiben, so mußte auch der andere Maschinenmeister so lange mit anfassen.

Endlich nachts zweieinhalb Uhr war die Arbeit gethan. Da das Expeditions-Personal diesmal schon um vier Uhr morgens eintraf, konnten die mit den für die verschiedenen Bahnhöfe bestimmten Zeitungspacketen beladenen Geschäftswagen bereits um sechseinhalb Uhr abfahren.

Trotz aller Hemmnisse und Ungelegenheiten, und trotz der umfangreicheren Auflage war alles ohne irgend welche Verzögerung in der Stadt und an die auswärtigen Abonnenten expediert worden.

Aber Klamm begnügte sich damit nicht.

Nachdem er ein paar Stunden in der ihm überwiesenen, früheren Knoopschen Villa geschlafen hatte, begann er schon wieder seine Thätigkeit, traf allerlei Maßnahmen, wodurch fortan jegliche Hast und Ueberstürzung, aber auch ähnliche Verlegenheiten vermieden wurden.

Er ordnete sowohl in der Redaktion wie in den Setzersälen eine andere Einteilung an, und sah sich nach einem zuverlässigeren Arbeiterpersonal für die Maschinen um.

Die Mädchen hatten ein sehr unzuvorkommendes Wesen hervorgekehrt. Unter der Führung Christine Munks, traten sie, wie sie schon angekündigt hatte, mit so erheblich höheren Lohnforderungen an die Direktion heran, und legten eine so feindselige Gesinnung gegen den Maschinenmeister Schulze an den Tag, daß Klamm sie überhaupt nicht zu behalten beschloß. Es mußte eben vielfach aufgeräumt werden. Er kündigte auch bereits an diesem Tage dem Chefredakteur, Doktor Strantz, der heute, wie früher, sowohl im Geschäft wie in dem „Wirtshaus zur gemütlichen Ecke“ in der Kronenstraße, seine Intriguen gegen ihn fortsetzte, zum nächsten Quartal, und unternahm so gleich Schritte für eine andere Besetzung.

Endlich berief Klamm auch die Vorstände der verschiedenen Abteilungen. Er setzte ihnen auseinander, daß eine größere Anspannung der Kräfte erforderlich sei, ersuchte sie, ihn zu unterstützen, versprach ihnen dagegen Erhöhung ihres Lohnes, und lud sie zudem für den Schluß der Woche zu einer geselligen Zusammenkunft im Leipziger Garten ein.

Um sechs Uhr nachmittags war Klamm erst so weit, daß er sich nach Hause begeben konnte. Als er jedoch im Grünhagener Gutshaus eintraf, fand er in seiner Wohnung weder seine Frau noch die Dienerschaft. Erst nach vergeblichem Klingeln sah er bei weiterem Nachforschen die beiden Mädchen im Nebengebäude im Gespräch mit den Stallknechten.

Der Diener sei, wie sie meldeten, im Auftrage der gnädigen Frau, bereits nachmittags in die Stadt gefahren, sie selbst habe vor einer Stunde gesagt, daß sie den gnädigen Herrn im Geschäft abholen werde.

„Hat denn meine Frau keinen Brief von mir erhalten? Ich hatte nach sechs
Uhr das Essen bestellt?“ warf Klamm sehr unmutig hin.

Die Mädchen verneinten. Es sei ihnen nichts gesagt. Die gnädige Frau oben (Klamms Mutter) habe um zwei Uhr mit Frau von Klamm reichlicher als sonst gefrühstückt, das Essen sei überhaupt abbestellt worden.

Die gnädige Frau habe gesagt, daß sie mit dem gnädigen Herrn in der Stadt speisen werde. Sie wollten nachher das Theater besuchen. So hätten sie verstanden.

Klamm nickte. Er wußte nun genug. Seine Frau hatte, wie ersichtlich, die
Gelegenheit benutzt, um sich einmal wieder ein Vergnügen zu verschaffen,
wie so oft, ohne ihn zu fragen, ihre Pläne gemacht und war trotz seines
Briefes fortgegangen.

Sein Mißvergnügen verstärkte sich, weil er starken Hunger spürte und die Zimmer kalt waren. Er hatte sich grade heute nach den Anstrengungen, die hinter ihm lagen, auf sein Haus und auf Gemütlichkeit gefreut. Und zu haben war natürlich nichts; und wenn doch, dauerte es sehr lange.

Er beschloß deshalb, nach der Stadt zurückzukehren, dort sogleich zu speisen, und seine Frau aufzusuchen. Er nahm an, daß sie Bescheid im Geschäft zurückgelegt hatte.

Er mußte sich in die Sachlage finden, so sehr er sich dagegen sträubte. Schon weil Adelgunde nicht allein abends zurückkehren konnte, mußte er sich auf den Weg machen.

Sie war mit der Bahn gefahren, statt das eigene Fuhrwerk zu benutzen. —

Während Klamm noch sann, regte sich draußen ein Geräusch.

Ein Mietswagen fuhr vor, und diesem entstieg — Adelgunde!

Sie war also, da sie ihn nicht gefunden, wieder zurückgekehrt!

So dachte Klamm, und das freute ihn, das freute ihn sogar so sehr, daß
er Lust hatte, die Droschke zu benutzen, und mit seiner Frau nach
Berlin zu fahren, und dort zu soupieren. Er wußte, daß das ganz in ihrem
Sinne sein werde.

Aber schon war der offenbar schon von ihr vorher abgelohnte Kutscher wieder abgefahren, schon stand sie vor ihm und stieß in einem höchst mißmutigen, sehr unfreundlichen Ton heraus.

„Na, das war eine schöne Enttäuschung — die hättest du mir doch auch ersparen können. Da fahre ich wie in einem Karussel immerfort in der Runde herum, um nun unverrichteter Sache, hungrig, abgespannt und verärgert wieder hier anzukommen.“

Selbst in dem friedfertigsten und selbstlosesten Menschen wird sich ein Gefühl der Entrüstung regen, sobald man ihm Vorwürfe macht, wenn er für seine Handlungsweise ein unbestreitbares Recht besitzt, lediglich Gutes dabei im Auge hatte.

So sagte er mit stark auflehnender Miene: „Ah — lasse doch
Lamentationen, an denen du selbst schuld bist!

„Ich bin der Genarrte! Ich komme höchst abgespannt und sehr hungrig nach Hause, finde niemanden, finde keinen gedeckten Tisch, und erst recht dich nicht, die ich doch von meiner Rückkehr und meinen Wünschen vorzeitig unterrichtet hatte!“ —

Klamm sprach, während er ins Wohnzimmer schritt, und Adelgunde erwiderte, während sie den Mantel löste und ihn auf die Lehne eines Stuhles warf:

„Ich kann doch nicht dafür, daß ich dich nicht traf. Du läßt mich ja gar nicht sprechen, erklären, kommst gleich mit Vorwürfen. Der Zug hatte Verspätung. Als ich mich so rasch wie möglich nach deinem Kontor fahren ließ, warst du schon fortgegangen.“

„Wohlan, Adelgunde! Ich hatte dir aber doch ausdrücklich geschrieben, daß ich zu Tisch kommen werde, daß du mich zwischen sechs und halb sieben erwarten mögest.

„Daß ich, nachdem ich von Mittag vorigen Tages bis jetzt mit geringer Unterbrechung gearbeitet hatte, zu solchen Vergnügungen nicht aufgelegt sein würde, konntest du dir wohl vorstellen. Du denkst aber leider fast immer nur an dich, willst dich mir nicht akkomodieren!“

Adelgunde hatte sich während ihres Mannes Rede in einen Sessel niedergelassen, ihn auch ohne Unterbrechung angehört.

Nun aber hielt es sie nicht ferner, und lang zurückgehaltenes drängte bei dieser Gelegenheit nach Ausdruck.

„Du machst mir die gewohnten, sich in unerträglicher Gleichmäßigkeit wiederholenden Vorwürfe,“ begann sie. „Es geschieht, obschon ich es gut meinte und denke, daß ich wohl auch eine Entschädigung für meine Vereinsamung und dafür verdient hätte, daß du nun gar schon um deiner Zeitungsgeschichten willen die Nächte fortbleibst!

„Ich wollte alles in mir herabdrücken, dir freundlich begegnen, und dich gar aus dem Geschäft abholen!

„Aber da du dich als den Verletzten hinstellst, will ich sprechen!

„Erstens: Ich will nicht mehr hier auf dem Gute wohnen und förmlich verdorren. Der Besitz wurde erworben, damit wir die Sommermonate hier zubrächten, nicht Herbst und Winter, und nicht fortwährend mit deiner Mutter!

„Ich erwarte, daß du mich über deine mir unsympathischen Zeitungs- und Druckgeschichten nicht, wie es schon vielfach geschehen ist, gradezu vernachlässigst. Ich verwünsche den Augenblick, in dem ich dir darin nachgab. Und endlich erwarte ich, daß du für alle Zeiten der koketten Frau nebenan die Absage erteilst, die sie verdient!

„Ich war Zeuge eurer Unterredung, und ich muß gestehen, daß mich dein Liebeswerben empört hat. Es mußte mich doppelt empören, weil du doch erkannt hast, welchen Unwert sie besitzt. Sie gab dir damals einen Korb, und erteilte ihn deshalb, weil sie glaubte, daß dein Glücksstern erloschen sei. Es beweist wenig Selbstgefühl, daß du ihr nach solchen Erfahrungen überhaupt noch einen Blick, geschweige werbende Worte gönnst!

„So, das ist mein Standpunkt, immer derselbe Standpunkt von früher!“

Klamm überlegte, ob und was er auf diese Rede entgegnen sollte.

Dennoch sah er von einer Auseinandersetzung ab und sagte:

„Ich will, mag und kann heute abend mit dir nicht streiten. Du bist nicht sachlich, gerecht und logisch. Es wird sich ein geeigneter Augenblick finden. Ich wünsche, mich in mein Arbeitszimmer zurückzuziehen. Die Mädchen sollen mir etwas bereiten und auf den Tisch setzen. — Nachdem ich gegessen und noch eine Cigarre geraucht habe, werde ich mich ins Bett verfügen. Ich habe Schlaf und Ruhe sehr nötig. Es waren sehr gemütaufregende Stunden mit großer Anspannung —“

Nach diesen Worten zog er die Klingel, durchschritt das Gemach und begab sich in sein Zimmer.

Er machte sich auch daran, selbst Feuer in dem Ofen zu entzünden, gab — da seine Frau sich nicht regte — dem jetzt zurückgekehrten und eintretenden Diener Auftrag, ihm ein Abendbrot möglichst rasch herrichten zu lassen und ihm in seinem Zimmer zu servieren. So bemerkte er auch nicht, daß Adelgunde überhaupt das Haus verließ.

Sie ging über den Gutshof, erreichte den bereits mit Licht versehenen
Herrenstall und befahl dem Kutscher, sogleich anzuspannen.

Alsdann schritt sie in ihr Kabinett, schrieb einen Brief an ihren Mann, den sie vorläufig zu sich steckte, und war schon unterwegs nach Berlin, als es ihn nach beendigtem Mahle trieb, sich nach ihr umzusehen.

Klamm war nicht wenig erstaunt, und geriet in nicht geringe Erregung, als er seine Frau nicht fand, und ihm auf sein Befragen der Diener erklärte, daß die Frau Baronin nach Berlin gefahren sei und auch einen Brief zurückgelassen habe. —

„Einen Brief? Weshalb haben Sie mir den nicht gleich gebracht,“ stieß
Klamm schroff heraus.

„Die gnädige Frau hatte mir befohlen, ihn dem gnädigen Herrn erst auszuhändigen, wenn der gnädige Herr nach der gnädigen Frau fragen würden.“

„So — das ist etwas anderes. Sie können gehen! Ich werde rufen, wenn ich noch etwas brauche.“

Nachdem sich Friedrich entfernt hatte, brach Klamm das Schreiben auf, ließ sich in einen Sessel und las folgendes:

„Ich will in Grünhagen nicht mehr wohnen. Ich will nicht neben der Person noch eine Nacht sein, die sich dort eingenistet hat, um Dich zu umgarnen. Die ganze Gegend weiß es, daß sie höchst unglücklich mit ihrem neugeschaffenen Baron ist. Da wirst sie natürlich die Netze wieder nach Dir aus. — Ich mag und will aber auch nicht — ich wiederhole es — auf dem Lande verdorren und mich tot langweilen. Ich kehre nicht zurück, unter keinen Umständen.

  Ich will aber gern mit Dir in Berlin leben und alles thun, damit Du
  mit mir zufrieden bist.

  Allerdings erwarte ich, daß auch Du Konzessionen machst. So geht es
  nicht weiter.

  Ich werde heute nacht im Askanischen Hof logieren. Der dort uns so
  lange Jahre kennende Wirt wird nichts Auffälliges darin finden.

  Morgen vormittag begebe ich mich in unsere Wohnung und werde alles zum
  Aufenthalt herrichten.

Unsere Sachen bitte ich Dich, von unserem Dienstpersonal sofort einpacken und herbefördern zu lassen. Sie sollen auch selbst bis morgen abend spätestens hier sein.

Dich erwarte ich natürlich schon um Mittag und ich schließe nicht nur mit den Worten Corneilles:

‚Soyons amis‘, sondern sage: Seien wir sogar die alten, die wir einst waren. Es würde darüber glücklich sein, Deine, auch einmal einen Willen und ihre Neigungen besitzende Adelgunde.“

Der erste Gedanke, der Klamm kam, nachdem er diesen Brief gelesen hatte, war: daß Adelgunde seiner Mutter mit keiner Silbe gedacht hatte. Sie entbot die Dienstboten zu sich — seine alte Mama konnte sehen, wo sie blieb und was aus ihr wurde. Daß man ihr das Personal nahm, das für sie kochte und ihr aufwartete, kam gar nicht in Frage.

Klamm ließ das Haupt sinken.

Gab's denn wirklich nur eine einzige auf der Welt, die ein Recht auf seine Liebe und unbedingte Verehrung besaß, sie, seine Mutter, die oben gewiß noch seiner wartete, damit er ihr, wie immer, einen Kuß auf die Wange drücke, und ihr „Gute Nacht“ sage.

Schatten umfingen seine Seele und trieben ihm eine grenzenlose Trauer ins Herz.

Fühlte sich Ileisa nebenan unglücklich, so unglücklich, daß sie schon von tiefen Wassern gesprochen, er, Klamm, hätte sich in diesem Augenblick mit seinem Leibe tief unten in der Erde gewünscht.

Er hielt Umschau! Lag's an ihm? War er zu anspruchsvoll? Waren die Menschen im Grunde gut und umgänglich? Verlangte er zu viel — hatte er etwas vom Philister an sich, der nicht in üblicher Weise mitgehen wollte und konnte. Er mußte diese Frage verneinen.

Er suchte ja grade das Gute bei allen, wennschon ihn seine Veranlagung die Schwächen der Menschen mit solcher Deutlichkeit erkennen ließ.

Befriedigte ihn seine Thätigkeit nicht? Gewiß, sie grade! Aber nicht der
Tand, das Hohle, das beides ihn stets angewidert hatte. —

Hatte er sich wirklich gegen seine Frau versehen? Nein! Ein weiches Gefühl ohne Nebengedanken hatte ihn fortgerissen, Ileisa so zu begegnen, so zu ihr zu sprechen, wie es geschehen war.

Er hatte einmal die Sehnsucht nach Glück durch das Zusammenleben mit einer Frau.

Die Gedanken gingen weiter.

Die gestrigen Vorgänge im Geschäft hatten ihn belehrt, welche Lasten er sich aufgeladen. Nur durch Vorteilszuwendungen hatte er sich die Personen gefügig gemacht. Geld machte alles! Das ekelte ihn an, das empörte ihn, obschon er das Leben so genau kannte.

Er schnellte empor, fuhr sich mit der Hand über die Stirn, schritt ruhelos auf und ab und überlegte, was er thun sollte. Er fragte sich, was er wohl möchte, was ihn doch noch glücklich machen könne! Er wußte es!

Er möchte Ileisa sein Weib nennen. Sie konnte ja schweigen, sich fügen.
Sie hatte ihm weh gethan, aber sie hatte selbst genug darunter gelitten.
Ihr Lebensgang entschuldigte sie. Sie liebte ihn noch; seine Erfahrung
und sein Blick hatten es ihm unwiderlegbar bewiesen.

Was ihm Adelgunde von Arthur schrieb, wußte er sehr wohl. Die Spatzen schwatzten es von den Dächern, daß sie mit ihrem Manne unglücklich sei, aber ringsum war man dagegen ihres Lobes voll. Alle, die mit ihr in Berührung traten, rühmten ihr gütiges, verständiges und sanftes Wesen. Es kam kein unfreundliches Wort über andere über ihre Lippen, ihr Hauswesen besorgte sie musterhaft, in diese neuen Verhältnisse hatte sie sich in überraschender Weise gut hineingelebt, und immer war ihre Hand offen für Bedürftige.

So sprachen die Menschen — und sie redeten, wie es sich mit der Wahrheit deckte.

Und weiter dachte Klamm:

Es würde Klamms Ideal gewesen sein, hier wohnen zu bleiben, wenn er statt Knoops andere Nachbarn würde erhalten können.

Er, Ileisa und seine Mutter! Sie würden in schönster Harmonie leben!

Und das auszubauen, was er in Berlin begonnen, würde ihn nach wie vor,
vollkommen ausfüllen und befriedigen! Nur wäre er gern alleiniger
Besitzer, nicht von anderen abhängig gewesen! Schon hatten sich
Mißhelligkeiten eingestellt.

Vielleicht konnte er mit der Zeit das Geschäft kaufen, die Aktien an sich bringen. — Aber da stockte er doch nun plötzlich, und überhaupt fiel jetzt doch wieder das ganze Gebäude zusammen! Er war ja an Adelgunde gebunden! Sie, sie hatte ja das Geld! Er war ja der abhängige Mann einer reichen Frau. — Das Luftschloß zerfloß, und alles zerrann. — Er besaß ja nichts, gar nichts — und abermals seine Mutter bei ihrem Recht auf ein endliches sorgenloses Alter mit neuen Fährlichkeiten, gar mit Ehescheidungen zu beunruhigen, war ausgeschlossen. — Als Arthur an diesem Tage nach Hause kam, lag ein Billet von seinem Vater auf seinem Schreibtisch, dessen Inhalt lautete:

  „Ich ersuche Dich, morgen früh, bevor Du Dich in die Stadt begiebst,
  bei mir vorzusehen. Ich habe wegen der heutigen Vorkommnisse zwischen
  Dir und Deiner Schwester, aber auch sonst mit Dir zu sprechen!“

Nachdem Arthur diese kurz und kühl gefaßten, sicher nichts Gutes verheißenden Sätze gelesen und nochmals gelesen, schloß er den Brief ein und ging eine Weile nachdenklich auf und ab.

Sodann begab er sich zu seiner Frau, teilte ihr aber von dem Inhalt der Zuschrift nichts mit, war überhaupt den ganzen übrigen Teil des Abends in seinem Wesen verschlossen und legte sich auch sehr frühzeitig schlafen.

Am kommenden Morgen besuchte er zunächst den Pferdestall, machte dann einen Spaziergang ins Dorf, und las nach eingenommenem Frühstück in völlig wiedergewonnener Gemütsruhe die Zeitung. Dann nahm er gemächlichen Schrittes den Weg zu seinem Vater nach dem Hauptgebäude.

Vorm Fortgehen wandte er sich noch einmal zu seiner bereits im Hause schaffenden Frau um und sagte:

„Ich gehe zu den Eltern hinüber. Vielleicht lade ich sie zum Abendessen ein. Sollte es der Fall sein — es kommt auf die Stimmung drüben an — müssen wir noch etwas besorgen. Denke inzwischen einmal darüber nach, was wir geben könnten!“ —

Herr Friedrich Knoop befand sich in seinem Arbeitszimmer im Parterre zur
Linken, als Arthur ihm gegenüber trat.

„Ah so — du! Jawohl!“ betonte Herr Knoop, der sich mit der Durchsicht von Schriftstücken beschäftigt war, legte letztere beiseite, nickte kurz und unzuvorkommend und zeigte auf einen Stuhl.

„Setz' dich! Wir haben länger zu sprechen,“ fuhr er dann in jenem gewissen Ton fort, den er stets angenommen, wenn es sich um sehr ernste Dinge gehandelt hatte.

„Margarete hat uns gestern den Inhalt des Gespräches mitgeteilt, das zwischen ihr und dir stattgefunden hat!

„Ich habe mir infolgedessen vorgenommen, dir einmal meine Meinung zu sagen. Ich wollte es schon früher thun, unterließ es aber, weil ich hoffte, daß du dich selbst noch rechtzeitig besinnen würdest.

„Bitte, bitte, jetzt rede ich — nachher kannst du, wenn du etwas zu erwidern hast, zu Worte kommen,“ unterbrach er sich, als Arthur das Wort nehmen wollte.

„Als du aus England zurückkehrtest, hattest und warst du so wenig wie heute! Ich beschäftigte dich infolgedessen bei mir!

„Wenn du auch keinen Uebereifer entwickeltest, so hattest du doch Sinn für Arbeit und Erwerb, und ich freute mich dessen und sah dir — und wir alle sahen dir deshalb eine starke, wenig erfreuliche Selbstüberhebung nach, die du aus dem Auslande mitgebracht hattet. —

„Dann kamen die neuen Pläne. Dann kam deine Verlobung mit Ileisa. Von der Zeit an ließest du geschäftlich gänzlich nach, hattest eigentlich nur noch Sinn für deine Passionen und vorübergehend für deine Braut.

„Deinen Eltern hast du nicht die geringsten Rücksichten erwiesen, geschweige bist du ihnen mit Wärme oder gar mit Gefühlen der Erkenntlichkeit für ihre vielfache Fürsorge begegnet.

„Du nahmst alles hin, als ob es ganz selbstverständlich wäre, als ob dir in erster Linie alle Vergünstigungen zukämen!

„Aber ich will das noch hingehen lassen, du bist eben noch jung und unreif. Wenn ich mich einmal über deine Mängel beklagte, wies deine Mutter auf die sicher günstigen Wirkungen durch deine Verheiratung hin.

„Da würdest du gefunden, wieder an Arbeit und Erwerb Freude finden, dich von deiner prächtigen Frau beeinflussen lassen, ein anderer werden!

„Aber leider ist nichts eingetroffen. Im Gegenteil! Deine Selbstüberhebung, deine Arbeitsscheu, dein Drang nach Vergnügungen hat zugenommen, deine Pflichtversäumnisse gegen deine Eltern, deine Schwester und gegen deine Frau haben sich vermehrt, und endlich hast du dir angemaßt, deiner dir einmal in bester Absicht zu Herzen redenden Schwerer das Haus zu verbieten, ja, sie sogar auf die Straße gesetzt! Das stößt dem Faß den Boden aus!!

„Nein, nein — nein — bitte sehr! Lasse mich erst aussprechen. Ich wiederhole vorher Gesagtes!

„Ich erkläre dir nun folgendes:

„Wenn du deine Schwester nicht um Verzeihung bittest, wenn du nicht innerhalb vier Wochen Thätigkeit gefunden hast, wenn du dich nicht völlig änderst und ein anderes häusliches Leben beginnst, so ziehe ich — es ist mein fester Wille — die Zuwendungen zurück, die ich dir bisher gewährt habe.

„Es war leider ein Fehler von uns, dir überhaupt in solcher Weise die Hand zu bieten. Es entsprang das derselben Schwäche, der ich mich auch deinem Onkel Theodor gegenüber schuldig gemacht habe. Man soll nach Grundsätzen verfahren, sich niemals von Gefühlen leiten lassen, auch selbst seinen Angehörigen gegenüber nicht!

„Mein Familiensinn ging falsche Wege; es soll aber jetzt anders werden!

„Du kannst dir, wie jeder andere, dein Brot verdienen, und keinesfalls will ich dir ferner — selbst wenn diese Unterredung einen günstigen Erfolg hat — eine so hohe Rente bewilligen. Equipagen und Pferde kannst du wieder abschaffen. Vermagst du später selbst so viel zu verdienen, um sie dir halten zu können, so ist es etwas anderes. —

„So, das habe ich zu sagen, und merke es dir, mein Sohn, ich bleibe eisenfest. Diese Wirtschaft soll ein Ende nehmen — und fügst du dich nicht, magst du deine eigenen Wege gehen!“

„Bist du fertig, Vater?“ begann Arthur in einem völlig unempfindlichen Tone, erhob sich zur größten Ueberraschung des Herrn Knoop, und schob sogar, zum Zeichen des beabsichtigten Gesprächs-Abbruchs, den Stuhl, auf dem er gesessen, wieder auf seinen Platz.

„Schön! Wohlan! Ich entgegne auf deine Worte, daß ich mich schon von heute ab auf meine eigenen Füße stellen und nichts mehr von dir für mich fürder annehmen werde. Ich werde aber auch nicht bei meiner Schwester um Verzeihung nachsuchen; sie hat vielmehr mir ihre ungehörigen Ausfälle abzubitten. Ich vermag nicht zu sagen — und das erhärtet meinen Entschluß — ob ich in vier Wochen schon eine Thätigkeit gefunden habe. Es liegen die Verhältnisse zur Zeit sehr ungünstig, und deshalb waren meine Bemühungen bisher auch nicht von Erfolg gekrönt.

„Daß du für Ileisa materiell eintreten wirst, nehme ich dagegen an. Ich habe sie mit eurer Genehmigung geheiratet, und es war nicht nur eine stillschweigende Voraussetzung, daß mir von dir eine Jahresrente überwiesen würde, sondern sie ist mir von dir ohne mein Ansuchen gewährt worden. Ich hätte mich sonst natürlich noch nicht verheiratet. Sie wirst du also in deiner Weigerung, mir keine Zuwendungen mehr machen zu wollen, nicht einschließen.

„Sonst habe ich noch kurz nachstehendes zu entgegnen:

„Nachdem wir nobilitiert worden, sind uns gewisse Pflichten erwachsen. Das liegt einmal bei richtiger Würdigung der Dinge vor, und sie decken und deckten sich ja auch mit meinen bisherigen Neigungen. Ich möchte diesen nicht entsagen — ich möchte eben der bleiben, der ich einmal bin. Ich habe keine Anlage zum Schürzengatten, der den ganzen Tag um seine Frau herumschwärmt, finde auch keinen Geschmack an Familiensimpeleien, sondern brauche Menschen, Luft, Abwechslungen und Anregungen von draußen.

„Da ich das Geld hatte, war ich berechtigt, so zu leben, wie es geschah. Ich habe ja keine Schulden gemacht. Und endlich: ich habe mich nicht geschaffen, wie ich bin; das ist des Schöpfers Laune und Bestimmung gewesen. Unehrenhafter Handlungen bin ich mir nicht bewußt, meine also, eine solche Entschließung, wie sie mir von dir heute wegen eines bloßen Wortstreits geworden, nicht verdient zu haben.

„Aber es ist ganz gut so. Ich wiederhole, daß ich mich füge. Und weiter habe ich denn auch nichts zu sagen, Vater. Grüße Mutter! Ich siedle schon heute nach Berlin über. Wegen Ileisas erhalte ich wohl noch Nachricht! Guten Morgen!“

Während Arthur, von seinem Vater nicht gehemmt, den Weg über den Gutshof nach der Nebenvilla zurücklegte, hielt er folgendes Selbstgespräch:

„Für die nächsten drei Monate habe ich hinreichend Geld, und für weitere drei Monate habe ich unter allen Umständen den erforderlichen Kredit. In dieser Zeit werde ich etwas finden. Ich will mich gleich ernstlich umsehen. Daß alles so gekommen, ist vielleicht nachteilig für mich, vielleicht auch nicht. Mein Vater hat ja nicht unrecht, aber er hat darin unrecht, daß er gleich das Kind mit dem Bade ausschüttet, daß er so vorgeht! Aber das ist seine Art. Er hat es mit Herrn von Klamm ja auch so gemacht.

„Wenn ich mir selbst eine Selbständigkeit und ein Vermögen erwerbe — so werde ich das wertvolle Gefühl besitzen, nicht der von seinem reichen Vater gnädigst dotierte Sohn zu sein. Es ist nicht das Rechte. Ich habe es schon lange empfunden! Bei allem, was ich that, und was sie drüben natürlich stets überflüssig fanden, sah ich den Vorwurf in ihren Augen. Ein unerträglicher Zustand, ein ganz unerträglicher!

„Und meine Frau — Ileisa? —

„Wir passen nicht zusammen. Sie ist aus der sittsamen ‚Margaretenschule‘, sie ist die Mutter Vernunft, die an der Krankheit schweigender Langeweile und tugendsamer Fügsamkeit leidet.

„Ich brauche ein störriges Pferd, einen lebhaften Araber — eine, die mit mir geht durch Dick und Dünn. — Ich brauche ein elegantes, geistvolles Weib, das gesellschaftlich eine Rolle spielen kann und will. So eine, wie die Frau von Klamm — das wäre eine für mich gewesen.

„Und wenn denn die Sache mit einer Trennung zwischen mir und Ileisa endet — na, dann ist's mir eben sehr recht.

„Ich hatte mich in ihren Körper verliebt — ihre Seele kannte ich wenig.“

Nachdem Arthur seine Wohnung wieder betreten hatte, begab er sich mit Hilfe seines Dieners an ein eifriges Packen, und suchte alles zusammen, was er für sein Junggesellenheim brauchte. Auf die Mitnahme von Möbeln verzichtete er vorläufig. Das alles würde sich später finden! —

Dann rief er seine Frau ins Zimmer, legte ein gelassenes Wesen an den
Tag und sagte:

„Ich möchte dir gegenüber ganz ehrlich und offenherzig sein, ich möchte dir alles sagen und dich auf die Folgen rechtzeitig vorbereiten.

„Ich hatte eben eine Auseinandersetzung mit meinem Vater. Ich werde von
heute nichts mehr von ihm annehmen. Ich will mich — es ist mein fester
Wille, und es ist mir der Anlaß durchaus nicht unwillkommen — auf eigene
Füße stellen. Ich siedle — vorläufig allein — nach Berlin über.

„Von mir oder meinen Eltern wirst du weiteres hören. Sollte aus dem allen eine Trennung zwischen uns hervorgehen — es erscheint mir zweifellos — so weiß ich, — daß dir dadurch kein Herzeleid entstehen wird. Wir haben uns geheiratet, Ileisa, aber wir passen gar nicht für einander! Ich spreche ja nur das aus, was du mir lange selbst hast sagen wollen. So blind bin ich nicht, nicht nachzuempfinden, daß ich dich nicht befriedige, und ich — ich — ich sage es frei — brauche auch eine andere Frau! Die Welt würde — sollte sie mich jetzt sprechen hören — eine solche Auseinandersetzung, eine solche kalte Erklärung entsetzlich finden! Vielleicht — sicher — würde sie — allerdings in gleicher Lage — anders denken, nicht über mich und dich zu Gericht sitzen.

„Wir können friedlich auseinander gehen. Daß du keine materiellen Sorgen haben wirst, versteht sich.

„Wie gesagt — darüber erhältst du noch Mitteilungen.

„Ach, was! Weine doch nicht, Ileisa! Ich weiß, du denkst in diesem Augenblick daran, wie sich deine Tante beunruhigen wird. Du denkst an die Meinung der Welt — an das, was die Leute sagen werden!

„Bin ich kalt — ich bin ein Mensch, der zuerst an sich denkt, ich leugne es nicht — so gehöre ich doch nicht, wie sie, zu der großen verächtlichen Schar der Komödianten. Ich gebe mich unverstellt, allezeit, wie es in mir aussieht, und da niemand mir etwas anderes vorwerfen kann, als daß ich nicht grade so zugeschnitten bin, wie die Menge es nach ihren Launen und ihren Anforderungen verlangt — so habe ich nur ein Achselzucken und stilles Lächeln über ihren Vormundungsdrang.

„So, da hast du mein Bekenntnis!

„Ich beging einen Fehler, einen einzigen! Ich erkenne den Vorwurf darüber als berechtigt an. Ich habe mir das Leben lediglich nach meiner Façon gestaltet. Ich werde ihn ablegen und nicht, um der Welt zu gefallen, sondern weil ich selbst mich nicht behaglich fühle, weil ich nur wieder zu meiner eigentlichen Natur: zur Thätigkeit und zur richtigen Einteilung zwischen Geschäft und Abwechslung zurückkehren will!“

Und als Ileisa nach dieser stummen Rede völlig in sich versunken, die Hände vor ihrem Angesicht, sitzen blieb, wie jemand verharrte, dem man das Letzte an Leben und Trost abgeschnitten, trat er auf sie zu, löste die Schatten von ihren Augen, und sagte:

„Nun, rede doch auch ein Wort! Ich sprach ja nichts, was nicht in deinem
Herzen Widerhall fand!“

So angeredet, löste sich Ileisa aus ihrer Agonie, erhob das Haupt, und sagte in einem bitteren Ton:

„Ja, du hast recht. Du nanntest dich selbst einen Egoisten, und du gabst eben wieder in einer Weise davon Zeugnis, wie wohl sonst kaum ein anderer Mensch es über sich gewinnen würde, Arthur. Und so ist denn auch alles am Platz und gut, und es ist thöricht, daß ich erschüttert bin, daß alles so und so rasch ein Ende genommen. Du hast ja nicht einmal den Versuch gemacht, dich mit mir einzurichten, etwas von der Liebe und Wärme zurückzugewinnen, der du mich früher versichertest.

„Ich weiß mich jedenfalls frei von Schuld, ja, mich trifft nicht einmal ein Vorwurf, nicht alles angewendet zu haben, auf dich einzuwirken!

„Im Anfang habe ich es versucht! Aber mein guter Wille, den ich auch
jetzt grade wieder anwenden wollte, prallt allezeit an deiner Kälte ab.
Daß ich somit erlahme, ist begreiflich. Wo Steine sind, da wächst kein
Samen!“

„Nun wohl! Aber wir sind uns schon heute einig!“ fiel Arthur ein. „Ich verzichte auf eine Erwiderung, da ich dir in der That nichts vorzuwerfen habe, da ich deine Worte gerechtfertigt finde. Ich sage nur: wir haben uns beide geirrt, beide, denn es stand dir ja seinerzeit frei, mir einen abschlägigen Bescheid zu erteilen.

„Ach, da kommt schon Friedrich mit dem Wagen. Karl soll noch meinen
Koffer schließen!“

Nach diesen Worten entfernte sich Arthur mit eiliger Beflissenheit. Ileisa aber ging mit langsamen, schweren Schritten in ihr Zimmer und ließ sich dort in einen Stuhl fallen. —

* * * * *

Arthur war bereits seit einigen Stunden abgefahren. Ileisa hatte während dieser Zeit ihren Gedanken eine geordnete Richtung zu geben versucht, und zuletzt den Entschluß gefaßt, sich dahin zu flüchten, wo sie bisher immer noch in ihrem Leben Trost und Kräftigung für ihre Seele gefunden: ins Freie, in die Natur! —

Diesmal wählte sie aber einen anderen Weg wie jüngst.

Sie wollte unter allen Umständen vermeiden, Adelgunde zu begegnen. Schon bei der bloßen Vorstellung, sie könne ihr wieder gegenübertreten, überlief sie ein angstvolles Gefühl. So nahm sie die Richtung nach einem kleinen Walde, der zu dem Gute gehörte. Man mußte ihn durchschreiten, wenn man zur Eisenbahn wollte.

Während sie noch — alles wieder überdenkend — dahinwandelte, auch übersann, daß sie doch noch heute eine Unterredung mit ihren Schwiegereltern über die Geschehnisse herbeiführen müsse, begegnete ihr eine ältere Frau, die aus dem Dorf gebürtig war und fast täglich bei Klamms Dienstleistungen verrichtete. —

Sie gehörte zu den gutherzigen, aber zugleich schwatzlustigen Personen, denen man lieber ausweicht. Heute nun hatte sie etwas ganz Besonderes zu berichten und nahm, nachdem sie Ileisa ehrerbietig gegrüßt, unaufgefordert das Wort, und sagte eifrig:

„Haben gnädige Frau schon gehört, daß auf der Bahn ein Unglück passiert ist?!“

„Nein, nichts habe ich gehört. Was ist denn geschehen?“

„Ja, eben erzählte es mir der Jäger vom Grafen drüben in Edelmark. Unser
Herr Baron ist noch glücklich davon gekommen, er hat es sogar zuerst
gemerkt und hat gleich vorgebeugt. Er ist während des Fahrens auf das
Trittbrett geklettert und ist nach der Maschine gegangen.

„Da hat der Lokomotivführer den Zug zum Halten gebracht.

„Nu ist man einiges Vieh verunglückt; wären sie noch etwas weiter gefahren, hätte es ein großes Malheur gegeben.“

„So — so —! Das ist ja sehr erfreulich, daß alles so gut abgegangen ist. Wo kam denn Herr von Klamm her? Von Berlin?“ forschte Ileisa. Und gleich fügte sie hinzu:

„War Frau Baronin auch mit im Zug?“

„Ach, nein! Die nicht! Die ist ja schon gestern nach Berlin abgereist, ganz plötzlich! Wissen gnädige Frau das gar nicht?“

Ileisa verneinte. Es bemächtigte sich ihrer eine starke Spannung. Ein ahnendes Gefühl sagte ihr, daß Adelgundens Entfernung mit der Unterredung in Verbindung stehe, die zwischen ihr und Alfred stattgefunden hatte.

„Weshalb ist denn Frau von Klamm so plötzlich abgereist?“ warf sie, im
Ton gelassen, hin.

Die Frau machte eine geheimnisvolle Miene.

„Ich weiß es nicht genau. Ich hörte man, daß sie in der Küche allerlei sprachen. Der gnädige Herr und die gnädige Frau sollen sich mächtig erzürnt haben. — Sie bleibt auch in Berlin, er bleibt aber noch hier. Er kommt gleich; er ist schon unterwegs. Der Jäger sagte es.“

Ileisa hätte noch mehr fragen mögen. Aber es widerstand ihr, die Neugierige zu spielen. Auch beunruhigte sie der Gedanke, daß sie Klamm begegnen könne. Sie fertigte deshalb die Frau mit einigen Worten ab und schlug einen Seitenpfad ein.

Aber nachdem sie kaum fünfzig Schritt gegangen war, kam Klamm ihr entgegen.

Er schritt nachdenklich einher und sah Ileisa erst, als sie eben in den
Nebenweg einbiegen wollte.

Beide waren verwirrt, fast bestürzt. Aber Klamm faßte sich rasch, lüftete den Hut, und sagte in einem warmen Ton:

„Welch ein abermaliger, glücklicher Zufall, gnädige Frau! Wollen Sie nach Hause? Darf ich Sie begleiten?“

Ileisa hätte lieber „nein“ gesagt, aber sie fügte sich, da sie keinen
Ablehnungsgrund fand, und schloß sich Klamm an.

„Ich hörte eben, daß sich ein Eisenbahnunglück ereignet hat,“ nahm
Ileisa das Wort, um das Gespräch gleich auf ein möglichst unpersönliches
Gebiet zu leiten.

Klamm nickte und berichtete.

Wie immer war, was geschehen, von dem Berichterstatter stark übertrieben; aber es bestätigte sich, daß Klamm, da keine Notleine im Coupé gewesen, letzteres geöffnet und bis zur Maschine geklettert war.

„Das können doch auch nur Sie thun,“ stieß Ileisa unwillkürlich heraus. „Ich würde es vor Angst nicht wagen. Andere würden es auch nicht versuchen —“

„Das Gefahrvolle liegt doch nur in der Vorstellung,“ entgegnete Klamm.
„Die Schaffner revidieren doch während der Fahrt die Billete —“

„Ja, die — sie sind's gewohnt,“ meinte Ileisa.

Für Augenblicke stockte das Gespräch. Klamm hatte nichts erwidert, und die junge Frau war gesenkten Hauptes neben ihm hergeschritten.

Nun aber blieb Klamm stehen, sah sich um, ob er mit Ileisa allein sei, und sagte:

„Erinnern Sie sich noch, daß wir schon einmal so neben einander hergingen, gnädige Frau? Sie entwichen mir damals rasch. Sie waren mir nicht wohlgesinnt, und nun, da Ihre guten Gesinnungen zurückgekehrt sind, trotz der Erregung meiner Frau, werden wir durch andere Umstände getrennt.

„Sie werden sich wundern, daß ich auf alte Zeiten zurückkomme. Aber ich habe den heißen Drang nach Aussprache. Ich bitte, gehen wir noch eine Weile hier, machen wir einen kleinen Umweg. Fürchten Sie nichts“ — fügte Klamm bitter lächelnd hinzu — „meine Frau ist in Berlin. Sie wird uns nicht wieder beobachten. —

„Und Sie — Sie? — Ich hörte auf dem Bahnhof, daß Ihr Herr Gemahl zur
Stadt gefahren sei. So wird auch er nicht schmollen können, daß ich die
Gelegenheit ergreife, mich von alten Zeiten wieder mit Ihnen zu
unterhalten — Nicht wahr, Herr von Knoop ist nicht auf dem Gute?“

„Nein — — Und er wird auch“ — Ileisa sprach's, obschon sie es eigentlich nicht wollte, obschon sie es, nachdem es geschehen, schon bereute — „er wird auch nicht mehr zurückkehren —“

„Wie? Er wird nicht mehr zurückkehren?“

„Nein! — Wenigstens nicht zu mir —“

„Gnädige Frau! — Was Sie mir sagen. Bitte, reden Sie. — Schenken Sie mir
Ihr Vertrauen.“

Ileisa zauderte, sie hob die Schultern und atmete tief auf. Aber in der
Ueberlegung, daß ihr Mann ihr ihre Freiheit bereits zurückgegeben,
überwand sie alle Bedenken. Auch drängte es sie, wie ihn, nach
Aussprache, nach Ablösung von der Qual ihres Innern.

„Mein Mann erklärte mir vor einigen Stunden, daß er sich mit seinem Vater überworfen habe, daß er sich auf eigene Füße stellen, aber auch, daß er die Ehe mit mir wieder lösen wolle. —“

„Wie? Das that er? Das ist geschehen? Und die Gründe?“

Ueber Ileisas Angesicht flog ein hartes Lächeln.

„Gründe? Er erklärte mir, daß er mir durchaus nichts vorzuwerfen, daß er aber eingesehen habe, daß wir nicht für einander passen. Er berief sich bei seinen kaltherzigen Erklärungen auf den Umstand, daß ja — auch — ich — ihn nicht liebe — —“

„Und das stimmt mit den Thatsachen überein?“

Statt zu antworten, senkte Ileisa das Haupt, und ihre Hand strich über ihre Augen, aus denen es unaufhaltsam hervortropfte. —

„Ah — Sie arme, liebe Frau,“ flüsterte Klamm weich.

„Wie fühle ich mit Ihnen — doppelt, da ich mich in gleicher Lage befinde.

„Ja, in demselben Vertrauen, das Sie mir geschenkt haben, und das ich ehren werde, bekenne ich Ihnen, daß ich fast vor einer gleichen Entscheidung stehe, insofern schon, als auch ich nicht glücklich bin.

„Seien Sie nicht traurig, wenn sich alles friedlich lösen kann. Sie sind die Bevorzugte. — Ich — ich vermag mich niemals von meiner Frau zu trennen, es sei denn, sie legte diesen Wunsch an den Tag.

„Mein freier Wille ist durch das Gefühl der Dankbarkeit, das ich ihr für ihre aufopfernde Pflege in meiner lebensgefährlichen Krankheit schulde, gebunden. Eben dies Gefühl war's ja auch, das mich damals veranlaßte, ihr meine Hand zu reichen. —

„Ja, gnädige Frau — wir sind beide den falschen Weg gegangen, Sie, indem Sie, statt Ihr Herz sprechen zu lassen, damals Ihrer Umgebung allzu viel Gehör über mich schenkten, und ich, indem ich zu weich an unrechter Stelle war — etwas that, das, ich wußte es, mich einst gereuen würde. Nun ist für mich ein Glück in der Ehe dahin. Selbst meine Arbeit, die mich entschädigen könnte, macht mich nicht froh, weil meine Frau auch auf sie scheel herabsieht, sie mir fortwährend zu verleiden sucht.

„Doch ich spreche von mir; — reden Sie — ich bitte Sie — von sich. Nur das allerwärmste Interesse leitet mich. Ich möchte Sie ja so gern glücklich wissen —“

Er sprach die letzten Worte so weich und herzlich, und seine Empfindungen waren so lebhaft, und seine Gefühle quollen so stark über, daß er ihr näher trat und sie unwillkürlich sanft an sich zog.

Und da neigte sie stumm das Haupt, und weinte sich aus wie ein schluchzendes Kind. —

* * * * *

Inzwischen hatten sehr lebhafte Gespräche zwischen Herrn Knoop und seinen Damen stattgefunden. Die Entschiedenheit, mit der Arthur aufgetreten war, besonders aber die Gleichgültigkeit, mit der er die Zuwendungsfrage behandelt, war Herrn Knoop so überraschend gekommen, daß er zu gar keiner rechten Klarheit gelangen konnte.

Er hatte ja nur zur größeren Wirkung seiner Worte mit der Entziehung der Jahresrente drohen wollen. Nun war durch Arthurs Verzichtleistung, die neben ihrer Unnatürlichkeit sein Herz deshalb so stark berührte, weil sie Arthurs Gemütlosigkeit selbst gegen seine Eltern nur allzu scharf beleuchtete, alles verschoben und auseinander gerissen.

Frau Knoop pflanzte dagegen doch noch Hoffnungen auf. Sie erklärte, daß sie sich von einer Unterredung mit Arthur ein Einlenken verspreche, und daß sie auch Ileisas Einfluß vertraue. Grade dieser Zwischenfall könne vielleicht eine Wandlung in alles bringen. Die Ehegatten würden sich nähern, da nun Arthur materiell von Seiner Frau abhängig werden würde.

„Du wirst ihr doch dasselbe geben, wie ihnen beiden vorher?“ schloß Frau
Knoop ihre Rede.

Bevor Herr Knoop antworten konnte, sagte Margarete:

„Ich fürchte, liebe Eltern, daß die Dinge einen ganz anderen Verlauf nehmen werden, als ihr voraussetzt.

„Ich stehe unter dem Eindruck, daß Arthur deshalb so entschieden hat, weil er so die beste Gelegenheit findet, sich seiner Frau wieder zu entledigen —“

Herr und Frau Knoop sahen ebenso überrascht wie erschrocken empor. Wenn sie sich auch nicht verhehlten, daß die Ehe drunten im Nebenhause keine glückliche sei, so war ihnen doch der Gedanke nie gekommen.

„Wie, das meinst du?“ fiel Frau Knoop, die ihrer Tochter richtigem Instinkt außerordentlich vertraute, höchst beunruhigt ein. „Das wäre ja schrecklich! Hat Arthur in diesem Sinn jemals mit dir gesprochen?

„Du lieber Himmel,“ beendete sie seufzend ihre Rede. „Wenn das nun auch noch käme, wenn das das Ende wäre —“

Margarete überlegte, ob sie noch mehr verraten, ob sie ihren Eltern mitteilen sollte, wie sich Ileisa bereits geäußert hatte!

Aber sie schwieg. Sie wußte, daß sie, wenn sie jetzt redete, damit Ileisas Zukunft gefährden könne. Sie würden jetzt Ileisa die Schuld beimessen. Noch waren ihnen, trotz allem Geschehenen, die Augen nicht weit genug geöffnet. Natürlich! Dem Sohne konnte man es zur Not nachsehen, wenn er sich für andere Frauen interessierte, sein eigenes Weib vernachlässigte, oder gar die Treue brach. Aber sie — sie durfte kein anderes Gefühl, als das des Enttäuschungsschmerzes in sich aufkommen lassen!

Das waren die landläufigen Anschauungen der Menschen, und auch die ihrer
Eltern.

Margarete mußte, um Gutes für Ileisa zu erwirken, nachweisen, daß alle Schuld Arthur zufalle, der in ihren Augen auch ganz allein der Schuldige war.

„Es ist so, glaubt es mir! Er will wieder frei sein! Und daß Ileisa sich nicht die Augen ausweinen wird, dessen bin ich gewiß! Ist das eine Ehe! Wie geht er mit ihr um! Wann ist er einmal abends zu Haus'? Und wenn er mit ihr zusammen ist, spricht er entweder gar nicht, oder redet mit ihr wie mit irgend jemandem, mit dem ihn der Zufall in Berührung gebracht hat.“

„Na, daß Ileisa auf ihn hätte mehr einwirken, daß sie sich auch ihrer
Pflichten besser hätte erinnern können, ist sicher,“ fiel ganz nach
Margaretes Erwartung ihr ihre Mutter in die Rede.

„Gewiß, sie macht keine Scenen, sie ist fügsam, weiß zu schweigen und klagt nicht. Aber das hat ihn vielleicht grade gereizt. Er mit seinem lebhaften Temperament will Anregung —“

„Es mag sein, Mutter, aber wenn Menschen so verschiedene Interessen besitzen, tritt schon von vorneherein eine Entfremdung ein. Ileisa hat eine ernsthafte Lebensauffassung, ist häuslich, sparsam und wirtschaftlich! Musik, Lektüre und Unterhaltungen, die einen tieferen Inhalt besitzen, langweilen Arthur, Gemütswärme und Zuspruch bezeichnet er als Gefühlskomödie, und Pflichten, die er doch auch wahrlich hat, erkennt er nicht an. Was soll denn die arme Ileisa thun?“

Frau Knoop mußte zugeben, daß ihre Tochter recht hatte. Aber aus der schmerzlichen Einsicht entstand keine milde Gesinnung gegen Ileisa, sondern ein bitteres Gefühl, daß jene so viel mehr wert war, als ihr Sohn.

Herr Knoop hatte stark rauchend bisher zugehört, ohne die beiden Frauen zu unterbrechen. Nun aber sagte er:

„Es muß eine faktische Trennung deshalb verhindert werden, weil wir einen öffentlichen Skandal unter allen Umständen zu vermeiden haben. Das wäre Wasser auf die Mühle aller der uns ungünstig gesinnten, von neidischen Gefühlen erfüllten Familien.

„Nein, nein, das darf und soll nicht sein. — Können sie wirklich nicht mit einander leben — ich hoffe, daß Margarete nur nach Eindrücken urteilt, — dann darf nichts an die Oeffentlichkeit dringen.

„Und du urteilst doch nur vorläufig nach Eindrücken? Du antwortetest nicht auf die Frage deiner Mutter, ob Arthur irgend etwas darüber geäußert hat!“

„Nein, aber sie haben beide mir gegenüber nicht verhehlt, daß sie unglücklich sind —“

„Hm — so also doch — — So weit ist Ileisa schon gegangen?“ warf Herr
Knoop betroffen hin.

„Für alle Fälle wollen wir hören, wie die Dinge zwischen den beiden drüben verlaufen sind, was Arthur ihr gesagt hat! Geh' hinüber, Frau! Ileisa soll herkommen! Arthur wird ja jedenfalls heute abend wieder nicht zu Hause sein!“

Frau Knoop erhob auch keinen Einwand. Sie nickte still. So viel Trübes ging durch ihr Inneres, und ein Spruch, den sie einmal gelesen, kam ihr ins Gedächtnis:

  „Nicht Willkür, Ordnung herrscht,
  Wo Sonnen, Monde kreisen!
  Gebannt an der Gesetze Kraft
  Webt, was die Allmacht einst geschafft!
  So sei's ein Vorbild
  Dir, o, Mensch! Weich nicht vom Wege!
  Weich nimmer von Gesetzen ab,
  Die, unbefolgt, selbst Welten stürzt ins Grab!“

Der Zufall wollte es, daß sich Ileisa, von ihrem eigenen drängenden Verlangen nach Aussprache ergriffen, aufgemacht hatte und das Gutshaus betrat, während Frau Knoop zu ihr unterwegs war.

Frau Knoop traf bei ihrer sogleich erfolgenden Rückkehr, ihre Schwiegertochter im Wohnzimmer, und fast gleichzeitig kamen auch Vater und Tochter wieder und betraten das Gemach.

Durch diese Umstände wurde Margarete an ihrer Absicht behindert, Ileisa vor ihrer Unterredung mit ihren Schwiegereltern erst mit einigen Worten vorzubereiten. Sie wollte sie bitten, sich vorsichtig zu äußern, mehr zu hören, als zu reden.

Es ergriff sie eine starke Enttäuschung, als sie nun bereits bei ihrem Eintritt Ileisa thränenüberströmt in den Armen ihrer Schwiegermutter fand.

„Ach, ich bin ganz fassungslos, Mutter. Arthur hat mir vordem erklärt, daß er nicht ferner mehr mit mir leben will,“ stieß Ileisa, von ihrer Erregung fortgerissen, heraus und bestätigte somit früher, als gedacht, was Margarete als wahrscheinlich behauptet hatte. —

Der Abend verlief den Familienmitgliedern in einer grenzenlos bedrückten Stimmung. Frau Knoop saß nach dem Abendbrot wie zerschlagen da. Während sich ihre Hände an einer Arbeit rührten, tropfte es immer wieder aus ihren Augen. Herr Knoop ging bald wortlos, bald aufgeregt sprechend, auf und ab. Immer wieder wurde erörtert, wie man Arthur beikommen könne, und immer wieder gelangten die Beteiligten zu dem Schluß, daß mit ihm nichts anzufangen sein werde. Jedenfalls wollten sie alle — das wurde zum Beschluß erhoben, — vorläufig das Gut nicht verlassen.

Sie wichen so besser allen Fragen aus. Hier auf dem Lande lag der Verkehr weit auseinander, und ein erheblicher oder engerer hatte sich, wie schon erwähnt, überhaupt zu ihrer Enttäuschung nicht entwickelt.

Und auch das Aeußerste wurde bereits ins Auge gefaßt.

Wenn schließlich die Dinge das traurige Ende wirklich nahmen — wenn Arthur auf Scheidung bestand — dann waren Knoops dafür, daß Ileisa mit ihrer Tante Berlin und überhaupt die Provinz verließ.

Dann wollten auch Knoops fortziehen.

Herr Knoop dachte an seine Heimat, an Holstein, wogegen die Frauen durchaus nichts einzuwenden hatten. Wenn ihr Vater sich dort ein Gut kaufte, war's ganz in ihrem Sinne.

Fräulein von Oderkranz und Ileisa konnten vielleicht künftig in Hamburg wohnen. Dann konnten sie sich untereinander leicht erreichen.

So endete dieser Tag, und so wurde wiederum ein erheblicher Teil von dem „großem Glück“ abgebröckelt, das dem Verkauf des Geschäftes und der Nobilitierung hatte folgen sollen. —

* * * * *

Klamm hatte inzwischen gesonnen und gegrübelt, wie er die Dinge lenken könne. Zuletzt war er zu seiner Mutter gegangen, die schon wiederholt nach ihm gefragt hatte. Ihr war von den Dienstboten mitgeteilt worden, daß Adelgunde abgereist sei und nicht wiederkommen werde. Alfred sollte ihr Aufschluß geben. Es lag sonst nicht in ihrer Art, sich vorzudrängen; sie wartete aus Grundsatz ab, bis man sie rief. Was einst Klamm seinem Freunde Milano gesagt hatte, das legte er in dieser Unterredung seiner Mutter dar, er verschwieg ihr auch nicht die zwischen ihm und Ileisa stattgefundene Begegnung, die Scene, die seine Frau ihm gemacht, und das abermalige Zusammentreffen mit der jungen Frau nebenan.

Und sie sagte:

„Ja, dein Fehler ist, daß du dich zu leicht von deinen augenblicklichen Gefühlen beherrschen und Eindrücke zu sehr auf dich wirken läßt. Dein gutes Herz steht in den gegebenen Fällen über kühler Erwägung.

„Ich rate dasselbe, was ich dir immer riet. Schließe einen Kompromiß mit deiner Frau. Wenn ihr nicht zusammenleben könnt, lebt möglichst erträglich ‚nebeneinander‘.

„Ihr seid's nicht allein, denen etwas zu wünschen übrig bleibt.

„Ich bin gar nicht erzürnt, daß deine Frau ohne Abschied fortgegangen ist; sie hat wohl nicht darüber nachgedacht, daß mich das verwundern, mich gar kränken könne. Und daß sie eine Klage um meinetwillen erhoben hat, verüble ich ihr auch nicht. Junge Frauen betrachten meistens die Mütter ihrer Männer ungefähr wie muhamedanische Nebenweiber! Sie wollen ihre Gatten für sich allein haben. Man kann's ihnen wahrlich nicht verdenken und muß den durch ihre Eifersucht hervorgerufenen Mangel an unbefangenem Urteil ihrem krankhaften Eifersuchtsgefühl zu Gute schreiben.“

Klamm hörte seiner Mutter Reden voll Bewunderung zu. Jegliches suchte sie zum Guten zu lenken. Als er davon sprach, daß er Adelgunde den von ihr schon wiederholt selbst erörterten Vorschlag machen wolle, einen Besuch bei einer Freundin in Paris zu machen, äußerte sie ihren Beifall, meinte aber, daß er Adelgunde dazu bringen solle, selbst diesen Wunsch auszusprechen. Es würde sich sonst leicht Mißtrauen in ihr regen.

In solcher Weise von seiner Mutter angesprochen und gestärkt, begab sich Klamm am folgenden Tage in die Stadt-Villa. Es war eben elf Uhr vormittags geworden; Adelgunde hatte sich grade erhoben und saß beim ersten Frühstück, als Klamm zu ihr ins Speisezimmer trat.

Als sie seiner ansichtig wurde, streckte sie ihm ihre Hand liebenswürdig und mit der Miene völliger Unbefangenheit entgegen, und sagte:

„Das ist freundlich von dir, Alfred, sehr freundlich! Nun sehe ich, daß du wieder gut bist! Ich konnte wirklich nicht anders handeln! Natürlich bin ich zu weit gegangen! Ich habe dir Unrecht gethan, insofern, als du ja nicht die Begegnung mit dem koketten Frauenzimmer herbeigeführt hast. Aber im Recht bin ich wiederum auch!

„Und — und — was sagt Mama?! Hast du sie gesprochen? Grade wollte ich ihr schreiben, und mich entschuldigen, daß ich so fortgegangen bin.

„Na, sie weiß es ja auch ohne Worte, daß ich keine böse Absicht damit verband. — Erkläre übrigens! Welch einen fürchterlichen Lärm haben eure Maschinen wieder einmal gemacht. Werden denn nun auch am Tage die schrecklichen Ungeheuer in fortwährende Bewegung gesetzt?“

So sprach sie rasch und lebhaft nacheinander, erschöpfte alles, was sie beschäftigte, auf einmal.

Klamm sah infolgedessen auch davon ab, die Vorgänge ausführlicher zu berühren. Er sagte nur:

„Du erlaubst dir viel, Adelgunde. Was grade deine Sinne kreuzt, das mußt du haben, ohne Rücksicht auf andere. Aber lassen wir das! und höre, was ich meinerseits vorzuschlagen habe.

„Ich möchte unser Gut noch nicht verlassen. Die Witterung ist so milde, und die Landluft so wohlthätig für meine Nerven, daß es thöricht wäre, mich des guten Einflusses zu entziehen. Ich möchte auch mit meiner Mutter die künftigen Dinge feststellen. Sie will nicht in die Stadt zurückziehen. Es ist das auch von Wert! So haben wir stets jemanden, der draußen nach dem Rechten sieht. Du mußt also allein hier wirtschaften, oder du mußt dich überhaupt anderweitig einrichten. —“

„Was heißt das? Wie meinst du das?“ fiel Adelgunde befremdet ein. Und gleich fuhr sie fort:

„Ah, ich weiß! Ich könnte meine Absicht ausführen, meine Freundin, Frau von Stein, in Paris zu besuchen, das wäre eine Idee. — Das heißt,“ unterbrach sie sich wieder, und stockte.

„Nun? Was hast du? Ich finde den Plan sehr gut. Wenn du von Paris zurückkehrst, werde ich auch den Wunsch haben, wieder in die Stadt zu ziehen. — Also alles in Ordnung —“

„Jawohl, Alfred! Ich will nach Paris reisen! Aber nur dann, wenn die Person — die Knoop — nicht draußen wohnen bleibt. Zieht sie es ferner vor, unsere Nachbarin zu sein, trotz meines Verbots, so — so —“

„Du hast es ihr verboten? Was heißt das? Wie kannst du ihr etwas verbieten? —

„Im übrigen ist deine Reizbarkeit gegen die junge Frau ungerechtfertigt. Ich leugne gar nicht, daß ich etwas von ihr halte — viel halte — es wäre unnatürlich, wenn es anders wäre, da ich mich damals mit ihr verloben wollte. Aber ich habe sie doch niemals gesucht. Wir haben Knoops dann einen Besuch gemacht, bei dem wir sie absichtlich nicht zu treffen wußten, und damit war's vorbei.

„Also gieb nun deine Eifersucht auf. Laß Frau von Knoop bleiben oder fortgehen! So viel ich gehört habe und weiß, ziehen die alten Knoops ehestens wieder in die Stadt. So werden die Jungen wohl folgen!“

„Hm, du kannst sie aber auch in der Stadt treffen —“

„Um Himmelswillen, Adelgunde! Nun beschäftigst du dich plötzlich sogar mit dieser Möglichkeit, während du doch eben nur den Wunsch ausgesprochen, sie solle das Gut verlassen. Ich habe keine Lust und Neigung, dir auf all diesen Wegen zu folgen. Ich werde darauf nicht mehr antworten. Kommen wir zu Ende! Ich muß ins Geschäft! Es bleibt also dabei. —“

„Ich muß ins Geschäft! betonst du. — Nicht einmal in so wichtigen Dingen hast du Zeit — hast du Zeit für mich, Alfred! Ach — ich bin unglücklich. — Ich hoffte einen Mann zu heiraten, der mit mir leben würde. Aber seine wirkliche Braut, seine Frau, die er liebt, ist die gräßliche Zeitung, das ewige Hasten und Jagen, der fürchterliche Geruch des Maschinenöls und der Druckerschwärze. Gieb doch diese Beschäftigung auf! Wir wollen wieder nach Dresden ziehen. — Wir wollen die Hälfte des Jahres auf unserm Gute leben. Das waren köstliche Tage. — Gottlob, daß wir es nicht verkauft haben. Dann lösen wir uns auch von dieser fürchterlichen Knoopschen Gesellschaft, von diesen Parvenüs, von dieser koketten Person, die nicht ruhen wird, bis sie dich mir ganz abgewendet hat. —“

So sprach, weinte und schluchzte die junge Frau, und Klamm ging auch diesmal in allergrößter Unbefriedigung von ihr.

Er wußte zwar, daß sie nach Paris reisen, daß er vorläufig Ruhe haben, und den Geschäften wurde leben können, aber es war doch nur ein Aufschub. Wenn sie zurückkehrte, hatten sie von neuem Kompromisse mit einander zu schließen. —

* * * * *

Inzwischen hatte Fräulein von Oderkranz an Ileisa einen Brief gerichtet, in dem sie ihrer Verwunderung und ihrer Enttäuschung Ausdruck verliehen, daß sie so lange nicht bei ihr gewesen sei. Sie sehne sich nicht nur nach einem Wiedersehen, sondern müsse auch noch eine besondere Angelegenheit mit ihr besprechen.

Es beherrsche sie seit Tagen ein Gefühl von Sorge und Angst, dessen sie nicht Herr werden könne. Vielleicht sei's nur körperlich, aber nicht minder unerträglich. Sie möge sie beruhigen und sobald wie möglich kommen.

Ileisa ließ das Schreiben aus der Hand fallen und starrte — tief schwermütig, wie in all diesen Tagen — vor sich hin.

Ihre Tante hatte eine nur zu starke Berechtigung, sich Sorgen hinzugeben.

Ileisa graute vor dem Augenblick, in dem sie ihr alles offenbaren sollte. Sie schwankte sogar, ob es überhaupt nicht besser sei, sie erst schriftlich vorzubereiten. Aber sie verwarf doch diesen Gedanken wieder. Sie würde dadurch die Unruhe, die die von ihr über alles geliebte Verwandte beherrschte, sicher noch vermehren.

So machte sie sich denn sogleich auf den Weg. —

Der Hund kläffte wie immer, und die Thür wurde nur spaltenweise geöffnet, wie stets, nachdem Ileisa die Klingel in der Wohnung ihrer Tante gezogen hatte.

Und wie allezeit schritt die alte Dame unter glücklichen Worten voran, und nötigte ihr Herzenskind, sich niederzulassen, nachdem sie ihr selbst behülflich gewesen, sich von ihrem Mantel zu befreien.

„Gott sei Dank, daß du da bist! Wie ich mich gesehnt und gesorgt habe, kannst du dir nicht denken —“

So begann sie, und eine Fülle von warmherzigen Aeußerungen folgte, bis
Ileisa endlich auch zum Sprechen gelangte.

Sie erklärte — die notwendige Vorsicht übend — vorerst nur, daß keine Einigkeit zwischen Knoops, Vater und Sohn, sei, daß ihr Mann stets aushäusiger, gleichgiltiger und kälter gegen sie werde, und daß sie schmerzensreiche Tage hinter sich habe. —

„Hm — hm — armes, liebes Kind! Aber sei ruhig, das hat bei Männern seine Zeit! Das kommt dann auch wieder,“ tröstete die gute Alte, aber fügte schon gleich hinzu, was sie selbst gegen Arthur vorzubringen hatte. „Ich habe,“ hub sie an, „trotz meiner bescheidenen Mahnung, die zugesagte Vierteljahrsrente nicht empfangen, und gestern schreibt dein Mann mir gar: ich wüßte doch, daß er sie überhaupt gar nicht zu entrichten habe, sondern sein Vater! Nichts weiß ich, und eben darüber wollte ich auch mit dir reden. Wußtest du es, Ileisa?“

„Nein, Tante!“ stieß Ileisa heraus. „Aber wahrlich! Man darf sich bei meinem Manne über nichts wundern!“

Und durch diese Mitteilung innerlich noch mehr gereizt und zum Reden gedrängt, hielt auch Ileisa nunmehr mit ihren Eröffnungen nicht mehr zurück. Sie erklärte rückhaltlos, was vor sich gegangen war, und nur bezüglich Klamms legte sie sich noch Reserve auf.

Und die alte Dame fiel in ihren Sessel zurück, der Atem wollte ihr vor
Erregung stocken.

Also so weit war es schon gekommen! Er drang auf Scheidung!

Und Stunden vergingen, und sie schwanden wie Augenblicke in den
Gesprächen über Gegenwärtiges und Zukünftiges.

Und ganz, wie Ileisa es vorausgesehen, so kam's!

Ihre Tante drang zunächst auf sie ein, festzuhalten, dennoch nochmals einen Versuch zu machen, mit Arthur in irgend einer Weise zusammenzubleiben. Ihr schwebte das Urteil der Welt vor Augen, sie überlegte auch, daß Ileisa nun ebenso weit wieder sei, wie sie gewesen. Sie zog ferner die materielle Frage in Betracht, besonders aber lehnten sich ihr Stolz, ihr Selbstgefühl gegen diese Art und dieses frühe Ende auf.

Sie erklärte als ihren unumstößlichen Willen, selbst mit Arthur sprechen und in nichts früher willigen zu wollen, bis sie selbst einen unbedingt richtigen Eindruck gewonnen habe. Und wenn wirklich alles an der Unempfindlichkeit dieses auserlesenen Egoisten scheitern sollte, dann wollte sie im Austausch ihrer Zustimmung zur Scheidung wenigstens ihn bindende materielle schriftliche Zusicherungen erlangen.

Ileisa wollte anfänglich ihrer Tante entgegentreten, aber eine nähere Ueberlegung hielt sie doch davon ab. Sie war es sich schuldig, die Dinge nicht ohne eine nähere Erörterung hinzunehmen. Auch waren die materiellen Verhältnisse zu berücksichtigen. Es hieß einen völlig falschen Stolz anwenden, in Armut zurückzukehren, wo die Umstände so lagen, wie hier.

Ueberdies war Ileisa sicher, daß Arthur auf seinem Scheidungsantrag beharren würde, und wiederum hatte auch Ileisa nichts mehr einzuwenden. Nur eine nicht zu bannende Schwermut, Traurigkeit und Oede beherrschte ihr Inneres. Ein Weh um den Verlust ihrer Ehe war nicht mehr vorhanden. Nur wenn sie Klamms gedachte, schwoll ihr Herz auf.

* * * * *

Die Unterredung zwischen Fräulein von Oderkranz und Arthur fand infolge schriftlicher Vereinbarung in der Wohnung der alten Dame statt.

Arthur saß in seinem hochmodernen, schwarzen, eben aus einem Mode-Magazin hervorgegangenen Anzug, mit dem sorgfältig gepflegten Spitzbart und den überaus subtil gepflegten Händen, der ein zwar höfliches, aber sehr gemessenes Wesen hervorkehrenden alten Dame gegenüber. —

„Ich habe die Bitte an Sie gerichtet, mich zu besuchen, weil ich nach den mich tief erschütternden Mitteilungen meiner Nichte aus Ihrem Munde hören — um der Ehre unseres Namens willen — hören möchte, welche Gründe Sie bestimmen, die Ehe wieder lösen zu wollen?“ begann Fräulein von Oderkranz und schob den dürren, in einem altmodischen, braunen Seidenkleide steckenden Körper in steifer Haltung zurück.

Arthur, der neuerdings ein Glas in dem linken Auge trug, ließ es, ohne es mit der Hand zu berühren, mit ausdrucksloser Miene fallen, und sagte ohne jegliche Erregung:

„Ich wundere mich, offen gestanden, verehrte Gnädige, daß Sie grade diese Frage an mich richten. Ich habe doch Ileisa auseinandergesetzt, was mich zu meinem Entschluß veranlaßt. Ich habe eingesehen, daß wir nicht zu einander passen, und meine, daß wir eine gegenseitige Unbequemlichkeit nicht freiwillig fortsetzen wollen.

„Den Anschauungen, in denen Sie auferzogen sind, widerspricht die Lösung einmal geschlossener, ehelicher Bündnisse. Unsere abgeklärteren Begriffe haben uns dahin gebracht, daß wir sagen: man trenne sich ohne Eklat in Frieden und suche, statt sich unpraktischen Sentimentalitäten hinzugeben, die Folgen eines begreiflichen und verzeihlichen Irrtums zu beendigen. Die Ansicht, man nähme Schaden an seiner Ehre und seinem Ansehen, ist nur ein — pardon — künstlich erzeugtes, einer gewissen Schablonen-Anschauung entspringendes Gefühl. Alle verständigen Menschen werden den Entschluß gutheißen. Irrtümer, Lügen und Komödien nicht fortzusetzen, nicht deshalb an unnatürlichen Verhältnissen festzuhalten, weil die Welt darüber die Nase rümpfen könnte.

„Ich will überdies nochmals, auch Ihnen gegenüber betonen, daß ich Ileisa gar nichts vorzuwerfen habe, nicht einmal, daß sie sich neuerdings um Herrn von Klamm recht sehr bemüht, so bemüht hat, daß es an sich eigentlich mit ihren Ehepflichten nicht ganz im Einklang steht. Es ist mir darüber grade gestern berichtet worden. —

„Ich will das nur erwähnen, damit Sie nicht unter dem Eindruck stehen, meine Gnädige, daß Ileisa lediglich die Eigenschaften eines Engels besitzt. Wir sind eben alle Menschen und haben unsere Tugenden und begreiflichen Schwächen.“

„Ich möchte darauf erwidern,“ entgegnete Fräulein von Oderkranz, „daß das unausgefüllte Herz naturgemäß nach Ersatz sucht. Daß Ileisa etwas Unweibliches gethan, daß sie ihre Pflichten gegen Sie versäumt, gar die Treue gegen Sie gebrochen, ist ausgeschlossen! Und was Ihre Ausführungen anbelangt, so möchte ich Ihnen doch auch meinen Standpunkt darlegen, den Standpunkt, den Sie als unpraktische Sentimentalität bezeichnen.

„Die Ehe wird unter sehr ernsten, im Gotteshause stattfindenden
Ceremonien geschlossen. Der Geistliche richtet an beide Beteiligte
Fragen, die, wenn sie sie mit Ja beantworten, ihnen unverbrüchliche
Ehrenpflichten auferlegen, in dem Sinne auch, daß jeder — und sei's ein
Menschenleben hindurch — die Aufgabe hat, erziehlich, sanft und geduldig
auf den anderen einzuwirken, Liebe zu erzeugen und zu kräftigen. Eine
absolute Notwendigkeit tritt ein, eine gradezu heilige Pflicht, wenn die
Ehe mit Kindern gesegnet ist. Gewiß, bequemer ist's, die Ehe als ein
Zeitbündnis zu betrachten. Zwei Kameraden vertragen sich in demselben
Gemach nicht mehr und trennen sich.

„Aber es ist dies doch die allerroheste Anschauung über das, was wir selbst einmal als eins der vornehmsten Sittengesetze aufgestellt haben.

„Es gehört ein grenzenloser Mangel an Pflichtgefühl und rechtschaffener Gesinnung dazu, auch diese menschliche Beziehung lediglich aus dem Gesichtspunkte der Nützlichkeit und Bequemlichkeit zu behandeln. — Sie erachten die Anschauung, daß die Familienehre durch Scheidung nach außen beeinträchtigt wird, als ein künstlich erzeugtes Eitelkeitsgefühl. Ich muß dem widersprechen. Der vornehm geartete, wahrhaft sittliche Mensch hat das natürliche Bestreben, in der Umgebung, in die ihn die Verhältnisse gesetzt haben, nicht nur als eine möglichst tadellose Persönlichkeit zu erscheinen, sondern auch eine solche zu sein.

„Ehre, Anstandsgefühl, moralisches und sittliches Empfinden sind ein
Teil des Blutes gewisser Menschen, und daß sie es besitzen, ziert sie.

„Ernste Pflichten zu üben, statt die Welt als ein lustiges Schlemmerhaus anzusehen, und danach zu leben, ist eine Sache jener Religion, die zwar nichts auf Aeußerlichkeiten, aber desto mehr auf ein musterhaftes, auf Grundsätzen aufgebautes Handeln und Wirken sieht, jenes, das den Eingang in eine bessere Welt vorbereitet.“

„Hm — sehr schön! Ich verstehe Ihren Standpunkt vollkommen, meine Gnädige. Aber schon, da ich ihn nicht teile, bin ich Ihrer Nichte nicht wert.

„Lassen wir alle moralischen Betrachtungen und Ergüsse — ich bitte Sie dringend.

„Lassen Sie uns lieber darüber unterhalten, welche beste Form wir wählen, um das einmal Unabänderliche zu gestalten.“

„Sie übernahmen auch materielle Pflichten gegen meine Nichte. Wie denken
Sie darüber, Herr von Knoop?“

„Mein Vater wird sich darüber mit Ihnen unterhalten, meine Gnädige.“

„Haben Sie denn schon mit ihm Rücksprache genommen?“

„Nein vorläufig im speziellen wenigstens noch nicht. Sie mögen aber beruhigt darüber sein, daß Ihr Fräulein Nichte nicht zu kurz kommt —“

„Das bin ich eben nicht, Herr von Knoop. Nachdem ich nicht einmal die mir gütigst von Ihnen freiwillig zugesagte Rente erhielt, bin ich in Sorge.

„Wann wollen Sie mir eine schriftliche Erklärung von Ihrem Herrn Vater aushändigen, die meine Nichte sichert, die unbedingte Garantie liefert?

„Und welche Jahreszuwendung haben Sie sich gedacht?“

„Ich kann, wie gesagt, darüber Bestimmtes noch nicht äußern, ich wiederhole bereits Gesagtes —“

„Wohlan! Ich erwarte also Ihre Mitteilungen! Und noch eins! Sie nehmen alle Schuld der Ehelösung auf sich — ?“

„Ja — ich nehme die Schuld auf mich. Ich werde Ileisa verlassen, und sie wird auf böswillige Verlassung ‚klagen‘. Das ist der formelle Hergang.“

„Wann darf ich den Besuch Ihres Herrn Vaters erwarten!? — Offen gestanden, bin ich überrascht, daß bei solcher Sachlage Ihre Familie mir nicht die Ehre eines Besuches, nicht einmal einer Benachrichtigung gegönnt hat. —

„Nur Fräulein Margarete hat mir während unserer Bekanntschaft freundliche Rücksichten erwiesen.“

Arthur zog die Lippen. Er wollte nun nichts mehr hören, es ergriff ihn eine gewisse Reizbarkeit. Er erhob sich nach den letzten Worten der Dame und sagte in einem ruhig bestimmten Tone:

„Ich bitte Sie dringend, keine Empfindlichkeiten hervorzukehren, und keine zu erzeugen, meine Gnädige. Es geschieht, wenn Sie so fortfahren, und statt Vorteile, werden Ihnen Nachteile erwachsen.

„Ich gebe Ihnen die bündige Erklärung nochmals, daß Sie über alles benachrichtigt werden, und daß Sie nicht zu kurz kommen sollen. Was ausblieb, wird nachträglich erfüllt werden.“

Damit griff er nach seinem Hut, wehrte mit einer wenig rücksichtsvollen
Bewegung den lästigen Hund von sich ab, und verließ nach formellen
Abschiedsworten das Gemach. —

* * * * *

Zweierlei beschäftigte die Familie von Knoop in Behrwalde außerordentlich. Arthur hatte, nachdem seine Mutter einen vergeblichen Versuch gemacht hatte, ihn zu sprechen, geschrieben, daß er eben vor einer Reise nach England und Frankreich stehe. Er wolle sich dort nach Kapital für ein geplantes großes internationales Unternehmen umsehen.

Er ersuchte seine Mutter in diesem Schreiben, seinen Vater zu veranlassen, Fräulein von Oderkranz die rückständige, von ihm zu zahlen unterlassene Vierteljahrsrate zuzusenden, und sie auch über die Rente zu verständigen, die Ileisa ferner erhalten würde.

Er hoffe, wie man sich auch zu seinen Entschlüssen stelle, daß man
Ileisa nicht beeinträchtigen, vielmehr sie und ihre Tante standesgemäß
befriedigen werde. Da er verzichte, so erwachse seinem Vater ja kein
Nachteil. Leben müsse doch seine Frau, und ohne Sicherstellung werde
Fräulein von Oderkranz in die Trennung nicht willigen.

Zum Schluß war noch die Bitte ausgesprochen, alles in Frieden und
Freundlichkeit zu behandeln. Aendern könne er seine Absichten nicht — es
würde schon die Zeit kommen, wo sich ihm die Seinigen mit anderen
Empfindungen wieder zuwenden würden.

Außerdem beschäftigte die Familie von Knoop ein Gespräch, dem sie tagsvorher während der Eisenbahnfahrt zugehört hatte.

Sie waren mit zwei Herren und zwei Damen zusammen gefahren, die sich, ohne zu wissen, daß sich Knoops mit ihnen zusammen im Coupé befanden, grade über sie unterhalten hatten.

Einer der Mitfahrenden hatte auf die Frage einer der Damen nach den
Gütern und Inhabern der Güter in dieser Gegend, hingeworfen:

„Behrwalde ist von einem früheren Buchdruckereibesitzer Knoop in Berlin erworben worden, nachdem er sich mit seinem, bei den Täglichen Nachrichten erworbenen Reichtum den Adel gekauft hatte.

„Es ist aber davon die Rede, daß er das Gut schon wieder veräußern will, weil sich die Familie in ihren Voraussetzungen getäuscht findet. Sie haben nämlich, als sie hier übersiedelten — so ist mir aus guter Quelle erzählt worden — den Anspruch erhoben, mit den umliegenden adeligen Gutsbesitzerfamilien zu verkehren, während diese ihnen zum Teil nicht einmal die Rücksicht eines Gegenbesuches erwiesen. Der ältere Adel ist gegenüber solchen gekauften ‚Vons‘ zurückhaltend. Dieser Herr Knoop soll schon von vorneherein durch Auftreten und aufdringliche Aeußerlichkeiten starke Opposition erregt haben.

„Wo es angeht und nicht angeht, bringt er unter anderem das neu geschaffene Wappen an, und bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit erzählt er gehobenen Hauptes, daß die Familie eigentlich zu dem ältesten Adel des Nordens gehöre und solchen nur seinerzeit abgelegt habe.

„Sie sollen bereits ganz allein stehen. Die angeseheneren Berliner
Familien, mit denen sie früher verkehrten, haben sich von ihnen
zurückgezogen weil bei ihnen das Protzen- und Strebertum: ‚sich an den
Adel heranzumachen‘, großes Mißfallen erregt hat.“

„Giebt's nicht auch einen jungen Knoop? Ich meine auch von ihm, und in ebenfalls nicht sehr vorteilhafter Weise gehört zu haben,“ hatte der zweite Herr gefragt.

„Ja! Allerdings! Von dem weiß ich noch Positiveres!! Der junge Mensch kam einige Zeit vor dem Verkauf des Geschäfts aus England zurück und spielte sich schon damals in lächerlicher Weise als Grand Seigneur auf. Jetzt gilt er als einer der bekanntesten und nicht grade bestbeleumdeten Berliner Lebemänner, der sich nur mit Sport, Weibern und Spiel beschäftigt. Jetzt eben höre ich, daß er bereits mit seiner erst vor wenigen Jahren geheirateten Frau in Scheidung liegt, und zwar lediglich aus dem Grunde, weil er ihrer überdrüssig geworden ist. Die Frau soll in jeder Richtung tadellos sein! — Na, ja! Es ist der übliche Verlauf der Dinge. Dem Alten ist das Geld in den Kopf gestiegen, und so verleugnet er seine bürgerliche Abstammung und seine Vergangenheit. Und wenn überdies Frauen ihren Ehrgeiz spielen lassen, weiß man, wie es geht. Gewisse Weiber können niemals genug Eitelkeiten treiben, und so verpulvern sie und der junge Tagedieb allmählich das Vermögen. Das Resultat solcher Ambitionen ist dann die Einbuße der Selbstachtung und der gänzliche Verlust dessen, was einst durch Fleiß, Ausdauer und Umsicht erworben ist.“

Margarete hatte sich in eine Ecke gedrückt, damit man die Thränen der
Scham nicht bemerke, die über ihre Wangen rieselten.

Frau von Knoop hätte die Coupéthür öffnen und hinausspringen mögen, und Herrn von Knoop hatte die Zeitung, in der er gelesen — es war sein früheres, eigenes Blatt gewesen — in der Hand gezittert. Wortlos, mit verstörter Miene, war er mit seinen Frauen in die auf der Station seiner wartenden Equipage — die Equipage mit dem eben so abfällig beurteilten Wappen — gestiegen.

So — so — beurteilte man also ihn und seine Angehörigen! Sein ganzes Innere befand sich in Aufruhr, und wenn es in diesem Augenblick möglich gewesen wäre, würde Herr Knoop gleich abgereist sein, Berlin und Behrwalde für alle Zeiten den Rücken gewendet haben. Aber wenn sich das auch so rasch nicht machen ließ, so war doch sein Entschluß unweigerlich gefaßt! Er wollte fort, sobald wie möglich. Er wollte mit Frau und Tochter nach Holstein übersiedeln. Der früher bereits erwogene Gedanke sollte zur Ausführung gebracht werden!

Zu einem Gespräch zwischen ihm und den beiden Damen über den Vorfall kam es nicht. Scham ließ die Lippe verstummen. Aber über seine Absichten äußerte sich Herr von Knoop bereits an diesem Tage, auch warf er hin, wie er es mit Ileisa und ihrer Tante halten wollte. —

Mitten in diese Aufregung platzte abends Theodor Knoop herein.

Ohne vorherige Anmeldung erschien er, und erklärte seinem sich durchaus nicht sehr zuvorkommend gebenden Bruder in dessen Arbeitszimmer, mit wichtig geheimnisvoller Miene, daß er ihm den italienischen Grafentitel verschaffen könne, wenn er 100000 Francs und eine Provision von 25000 daran wenden wollte.

Der Augenblick für ein solches, inzwischen wieder von dem geldgierigen Theodor ausgehecktes Anerbieten konnte allerdings nicht schlechter gewählt sein.

Kurz und rauh, mit schroffer Zurückweisung im Ton, fertigte Herr von
Knoop seinen Bruder ab.

Er solle sich schämen, seine Kräfte und seine Thätigkeit solchen Vermittlungsgeschäften zu widmen. Er solle namentlich ihn ein- für allemal mit derartigen Anerbietungen verschonen. Er habe das Geldausgeben für solche Thorheiten satt, übersatt, und wenn er alles recht bedenke, so sei eben Theodor schuld daran, daß er seinen guten, bürgerlichen Namen, aber auch seinen zufriedenen Sinn für einen elenden Tand dahingegeben.

Nichts, nichts wolle er mehr von solchen Dingen hören, und er erklärte ihm zugleich zum ersten und allerletzten Mal, daß er ferneren Ansprüchen an seinen Geldbeutel — es sei doch diese Offerte wiederum nichts anderes — keinerlei Gehör mehr schenken werde. Es sei überhaupt besser, daß Theodor sich nicht ferner nach Behrwalde herausbemühe, und zudem werde er auch dort bald nicht mehr anzutreffen sein.

Theodor war ebenso überrascht wie aufgebracht, und unterdrückte die Ausbrüche seines Ingrimms nur deshalb, weil es sich herausgestellt hatte, daß sich sein Bruder höchst unglücklich fühlte. Das war Nahrung auf sein rachsüchtiges und neidisches Herz.

So erwähnte er bloß sanftmütig, daß er wohl ein Recht haben würde, sich gegen eine solche Begegnung und Sprache aufzulehnen, aber daß er davon absähe, weil er in Betracht ziehe, daß sein Bruder sichtlich schweren Verdruß und starke Enttäuschungen erlitten habe, und sich deshalb in mißmutiger Stimmung befinde. Was ihn selbst betreffe, so habe er sich doch nur eine Anfrage erlaubt. Es sei ja gut, wenn Friedrich davon nichts hören wolle; er werde ihn sicherlich nicht wieder belästigen. Aber es dränge ihn sein brüderliches Mitgefühl, zu erfahren, was geschehen sei. Vielleicht könne er ihm helfen, raten, nützen, ihn rächen! Er verlange weder Dank, noch Lohn dafür! Er möge ihm doch freundlich gesinnt sein! Sie wären doch Brüder!

Und da erlag denn Friedrich von Knoop abermals wie allezeit den Listen seines Bruders, da stellte sich der alte Vergebungssinn gegen seine Familienmitglieder wieder ein.

Er gab wider seinen Willen in der Folge alles zum besten, was er besser für sich behalten, worin er jedenfalls nicht Theodor hätte einweihen sollen.

Nicht gleich zwar gelangte alles über seine Lippen, aber nach und nach, infolge der sanften Ermunterungen, erheuchelten Teilnahmsäußerungen und klugen Zwischenreden seines Bruders.

Bevor Theodor Behrwalde verließ, wußte er, daß sich das junge Paar wieder trennen wollte, ferner, daß Vater und Sohn auseinander waren, daß Behrwalde wieder verkauft werden solle, und endlich, daß die ganze „Sippe“, wie er seine Verwandten im stillen nannte, tief gedemütigt war, und sich ebenso bedrückt wie unglücklich fühlte.

Und da triumphierte er, einmal darüber, daß jenen ein Stachel im Herzen saß, und dann darüber, daß sich ihm nun doch unerwartet ganz sichere Geschäfte aufthaten, daß es wieder etwas einzuheimsen gab.

Denn Friedrich von Knoop hatte sich auf Theodors Bitten hinreißen lassen, ihm die Veräußerung des Gutes Behrwalde in die Hand zu geben und ihn überdies beauftragt, etwas Passendes in Holstein, in möglichster Nähe von Hamburg auszuspüren. Aber er sollte nur schriftlich mit ihm verkehren, hatte Herr Knoop bereits in Hinblick auf die sicher eintretenden Vorwürfe seiner Damen hingeworfen und zur Bedingung gemacht.

Und als er sich wieder ins Wohngemach begab, erwähnte er nur auf deren nicht unbesorgte Frage, daß sich Theodor lediglich habe Auskünfte über einiges einholen wollen.

Die Reue hatte ihn schon jetzt erfaßt, und sie wirkte derartig nach, daß er an diesem Abend eine noch schlechtere Laune hervorkehrte, als er sie nach den Erlebnissen im Coupé der Eisenbahn an den Tag gelegt. —

Am folgenden Morgen suchte Herr von Knoop seine Gedanken zu ordnen, und es gelang ihm, indem er allerlei Kompromisse mit seiner Vernunft und den Unabänderlichkeiten schloß.

Zunächst suchte er Ileisa auf, und teilte ihr mit, daß er ihr monatlich die Hälfte von dem auskehren wolle, was er ihrem Manne bisher zugewendet habe. Außerdem händigte er ihr die rückständige Rente für ihre Tante ein und ersuchte sie, mit ihrer Verwandten zu sprechen, ob sie nicht mit ihr nach Hamburg übersiedeln wolle. Sie selbst wollten Behrwalde verkaufen, in der Nähe der genannten Stadt auf's Land ziehen, und wünschten natürlich Ileisa in ihrer Nähe zu behalten.

„Na ja,“ schloß er, resigniert sprechend, und indem er wenigstens äußerlich gute Empfindungen gegen seine Schwiegertochter hervorkehrte. „Der Mensch baut sich etwas auf und glaubt unter ein sicheres oder noch besseres Dach zu gelangen. Das Schicksal aber schiebt sich rücksichtslos dazwischen und bestimmt es nach seinem Gefallen.

„Und dann muß man sich eben anders einrichten.

„Deiner Tante bitte ich eine Entschuldigung auszusprechen, daß ich noch nicht bei ihr war, aber es wird ehestens geschehen.

„Auch Mutter und Margarete werden sich baldigst bei ihr sehen lassen.

„Uebrigens,“ beendete er seine Rede: „Hast du einen Brief von Arthur? Er ist ja nach England gereist! Was schreibt er dir?“

„Ja,“ entgegnete Ileisa, und holte gleichzeitig ein Schreiben von ihrem
Manne hervor, das sie ihm mit stummer Miene überreichte. Es lautete ohne
Anrede:

„Ich teile Dir von hier, von Köln aus, mit, daß ich auf längere Zeit, möglicherweise für mehrere Monate, nach London und Paris gehe. An meinen Vater schrieb ich Deinet- und Deiner Tante wegen. Du wirst — ich bin dessen sicher — Zufriedenstellendes von ihm hören. Deine Tante besuchte ich noch vor meiner Abreise und fand sie unter den von ihr angenommenen Voraussetzungen mit unserer Trennung einverstanden. Nach meiner Rückkehr wird die Scheidungsklage schon wesentlich weitergerückt sein, und alles wird sich ohne Verdrießlichkeiten und ohne Aufsehen vollziehen, sofern Du und Deine Tante dem Unabänderlichen zuvorkommend die Hand reichen.

  Noch eins: Gestern abend traf ich zu meiner Ueberraschung im Hotel du
  Nord Frau von Klamm, die denselben Weg nimmt. Wir fahren zusammen!
  Dies unter uns.

Und nun Addio! Ich grüße Dich.

Arthur.“

Herr von Knoop nickte nur und gab Ileisa das Schreiben ohne Bemerkung zurück.

Was er dachte, behielt er für sich; im übrigen wunderte er sich über nichts mehr.

* * * * *

Wieder war eine längere Zeit verstrichen. Während ihres Fortschreitens hatte sich nach dem gewohnten Laufe der Dinge manches, das vorausgesetzt und erhofft worden war, erfüllt, manches Unliebsame den Personen geworden, die der Zufall in diesem engeren Kreise zusammengeführt.

Klamm hatte sich nach Adelgundes Abreise wie ein plötzlich frei gewordener Mensch gefühlt und — nun unbehindert — den Geschäften mit noch größerem Eifer zugewendet.

Statt des Herrn Strantz war Herr von Milan in die Redaktion eingetreten, und dadurch war Klamm ein doppelter Gewinn erwachsen.

Einmal ging Milan durchaus auf Klamms redaktionelle Ideen ein — während
Strantz stets mürrische Einwände erhoben — und überdies war Herr von
Milan im stande gewesen, Klamm eine so erhebliche Summe an Kapital zur
Verfügung zu stellen, daß sich die sichere Auskunft eröffnete, durch ein
Auskaufen verschiedener unbequemer Aktionäre völlig freie Hand zu
erhalten und schließlich gar alleiniger Herr des Geschäftes zu werden.

Verdrießlichkeiten über Verdrießlichkeiten waren Klamm allmählich erwachsen, indem bald einer der Herren vom Aufsichtsrat Klagen über die Haltung des Blattes in wichtigen, grade seine Interessen berührenden Fragen erhoben, bald Aktionäre ihre Ansichten und Meinungen in lästigster Weise hatten zur Geltung bringen wollen. Aber auch persönliche Dinge hatten gespielt und Verstimmungen hervorgerufen. Protektionswesen hatte sich geltend gemacht und Intriguen waren angezettelt. Jeder stellte an Klamm Forderungen, daß er ihm dienlich oder gefällig sein sollte. Sobald er es ablehnte oder ablehnen mußte, die geäußerten Wünsche zu erfüllen, waren ihm Gegner oder gar Feinde erwachsen. — Für alles und jegliches suchte man ihn verantwortlich zu machen, und einige Male hatte er schon, des Nörgelns und der fortwährenden Aergernisse satt, die Flinte ins Korn werfen wollen.

Ein gewaltiges Leben pulsierte auch ferner in dem Geschäft; die Zeitung gewann immer mehr an Beachtung und Einfluß, an Abonnenten und Inserenten.

In der Buchdruckerei hoben sich die Geschäfte derartig, daß an Erweiterungsbauten für die neu einzustellenden Maschinen gedacht werden mußte.

Alle Neuerungen wurden geprüft. Wo sich herausstellte, daß in anderer Weise weniger umständlich gearbeitet, und insbesondere ein größerer Gewinn erzielt werden konnte, setzten die beiden Herren ein. Vielfach förderten und verbesserten sie zufolge ihrer planvollen Ueberlegungen noch das, was der Erfinder ursprünglich ersonnen hatte.

Das gesamte Räderwerk faßte genau ineinander. Wo einmal das Personal zu versagen Gefahr lief, da war bereits im voraus dafür gesorgt, wie Ersatz zu schaffen. Wo Mitarbeiter an Eifer nachließen, da wurden andere berufen. Nirgends Stillstand, überall Regsamkeit und Fortschritt.

Daß die beste Empfehlung und die beste Reklame stets diejenige sei, wirklich Gutes zu leisten, bewahrheitete sich auch hier. Da überdies Klamm für die Zeitung immer ein ganz bestimmtes Lesepublikum im Auge behielt, dessen Geschmack und Wünsche im Laufe der Zeit hatte festgestellt werden können, so gewann er stetig mehr an Terrain.

Adelgunde schrieb höchst zufriedene Briefe aus Paris. Sie verspürte vorläufig gar keine Neigung, zurückzukehren. Sie ermüdete die Geduld ihres Mannes auch nicht durch Eifersüchteleien. Nur anfangs hatte sie den alten Ton angeschlagen. In der letzten Zeit war es sogar einmal vorgekommen, daß sie geschrieben hatte:

„Es kommt mir so vor, daß ich auch in einer Ehe mit Dir glücklich sein könnte, wenn ich fern von Dir wäre.

Ich lebe durch die Illusionen, denen ich mich hingebe, fast glücklicher als vordem, und überdies finde ich Ersatz durch den Verkehr mit anregenden Männern. Du wirst ja nicht eifersüchtig, wenn ich das sage? Du wärest mich gern los? Gelt?“

Diese Worte hatten doch Klamm zum Nachdenken gestimmt, allerdings fühlte er sich dadurch nicht einmal unangenehm berührt.

In solchen Augenblicken gingen dann seine Gedanken zu Ileisa, die nun bereits seit einem halben Jahre mit ihrer Tante nach Hamburg übergesiedelt war, und hier zunächst das Ende des Scheidungsprozesses abwartete.

Sie hatten sich noch vor ihrem Fortgang mehrere Male draußen gesprochen.
Ileisa hatte auch Frau von Klamm wiederholt besucht. Es war beides ohne
Wissen der alten Knoops geschehen. Nur Margarete hatte Kenntnis davon
gehabt, es nicht eben gebilligt, aber auch nicht verhindert.

Sie fühlte ihnen nach, daß sie sich zu begegnen wünschten. Wenn sie einschränkend erklärte, daß sich Ileisa so verhalten müsse, daß sie keinerlei Vorwurf während ihrer noch bestehenden Ehe treffen könne, so geschah's mehr aus einem Rest von Eifersuchtsgefühl, das sie sich zwar nicht selbst zugestehen wollte, das sie aber thatsächlich leitete. —

Die alte Zuneigung für Klamm brach immer noch einmal wieder hervor. Wenn sie auch Ileisa den Mann gönnte, den sie ursprünglich geliebt, so hätte sie ihn doch sich — wäre eine Aussicht dazu gewesen — nicht minder als Gatten gewünscht.

Knoops hatten sich überall verabschiedet. Sie waren bei ihren alten
Freunden und bei denjenigen gewesen, denen sie seinerzeit ihre
Antrittsbesuche gemacht. Nirgends waren sie indessen bei ihren
Rundfahrten ausgestiegen, nur die Karten waren von dem Diener abgegeben
worden.

Sie wollten nicht gefragt werden, weder, wohin sie sich zu begeben die
Absicht hatten, noch, was ihr Fortgehen veranlaßte.

So viel Bitterkeit und so viel Ingrimm gegen die gesamte Gesellschaft saß in ihnen, daß sie diese nicht durch Reden und Erklärungen noch vermehren wollten.

Sie hatten genug von allen, denn fast alle hatten ihnen den Rücken gewendet. Daß es auch an ihnen, vielleicht gar allein an ihnen lag, erkannten die Frauen, nicht aber gab es Herr von Knoop zu. In den Resultaten war's auch gleich. Sie brauchten ja auch die Menschen nicht. Sie waren unabhängig. Fiel's ihnen ein, konnten sie in Afrika wohnen. Frau von Knoop war zudem glücklich, daß es ihr noch in ihrem Alter vergönnt sein sollte, in ihrer Heimat zu leben. —

Arthur hielt sich abwechselnd in Paris, London und Berlin auf. Mit seiner Familie hatte er keinen Verkehr mehr. Nur einmal hatte er in seiner nüchternen Weise geschrieben, daß es ihm gut gehe, und daß er Gleiches von ihnen erhoffe.

Das Verhältnis war nicht schlechter geworden, aber es war auch nicht gut. Es bestand gegenwärtig sozusagen gar keines zwischen ihm und der Familie.

Herr von Knoop entschlug sich — um über Unabänderliches keine neuen Aufregungen herbeizuführen — des Nachdenkens über seinen Sohn. Die Frau resignierte unter Hoffen auf eine wieder eintretende Wandlung der Dinge.

Zwischen ihnen und Ileisa war eine völlige Entfremdung eingetreten.
Knoops schoben in ihrer Verbitterung Ileisa die Verantwortung für das
Geschehene zu, sie gaben ihr, je länger, desto mehr, Schuld an dem
Ausgange der Dinge. Sie beschuldigten sie, daß sie während ihrer Ehe
Beziehungen zu Klamm angeknüpft habe.

Noch hielt Margarete zu Ileisa, aber da sie seit ihrem Fortgang von Behrwalde fortdauernd kränkelte, oft wochenlang bettlägerig war, verminderte sich zunächst die Korrespondenz und sie hatte, da sich Ileisas Stolz gegen die ungerechte Behandlung aufgelehnt, gegenwärtig ganz aufgehört. —

Das nächste bedeutsame Ereignis war die Wiedererkrankung der Frau von Klamm. Ihr Zustand wurde so bedenklich, daß sich Alfred täglich zu ihr herausbegab.

Es war an einem Tage am Ende des Sommers, als er abermals, von Sorge getrieben nach Grünhagen fuhr, um ihr seine liebevollen Empfindungen an den Tag zu legen.

Schon im Flur teilte ihm die Magd mit, daß es heute grade sehr schlecht stehe, und mit zitterndem Herzen trat Klamm zu seiner Mutter ins Schlafgemach und ließ sich an ihrem Bette nieder.

Und sie streckte die Hand aus und sprach mit einem Ausdruck von Verzicht in den kranken Zügen, der dem eindrucksvollen Mann das Innere zerschnitt:

„Sei nicht traurig; weine nicht, mein teurer Alfred. Wir werden allerdings getrennt, aber dir bleiben die Erinnerungen an die guten Stunden, die wir zusammen verleben durften, und ich finde Erlösung. Der Tote ist immer der Glücklichere. Da er keine Seele mehr besitzt, so entbehrt er nichts und leidet auch nicht mehr.

„Ist es nicht das höchste Streben und der Wunsch eines jeden, das zu erreichen?

„Mir wird das Sterben nicht schwer, weil ich mit der Sicherheit davongehe, daß du — soweit ein Mensch sorgenfrei werden kann — es geworden bist. Fandest du insbesondere in deiner Ehe kein Genüge, denke an andere und vergleiche! Sobald wir vergleichen, gelangen wir zu der Einsicht, daß wir es doch noch besser haben, als tausende.

„Ich hätte deine Frau gern noch einmal gesehen, aber sie zu rufen, wird zu spät sein. Grüße sie von mir und sage ihr, daß ich mit wärmsten Gefühlen von ihr Abschied genommen habe.

„So, und nun kann ich nicht mehr sprechen. Küsse mich, mein
Herzensjunge. Gott breite seinen vollsten Segen über dich aus.“

Gegen Morgen war sie dann wirklich verschieden. Aber nach Verlauf von vier Wochen hatte sich etwas gleich Bedeutsames zugetragen.

Es war Klamm ein Brief zugegangen mit folgendem Inhalt:

„Hochverehrter Herr von Klamm!

Ich mache Ihnen die Mitteilung, daß meine Tante gestern nacht gestorben ist, und frage Sie durch diese Zeilen, ob es Ihnen möglich sein würde, nach Hamburg zu kommen, um mir zur Seite zu stehen. Ich bitte darum, weil ich völlig allein bin. Die Familie Knoop hat sich schon seit Wochen nach Madeira begeben, und wenn ich sie auch wirklich erreichen könnte, so würden sie doch deshalb nicht zurückkehren. Auch Margarete ist nach einem Influenzaanfall so leidend — um ihretwillen haben Knoops ihr Gut in Holstein verlassen — daß sie nicht zu mir reisen kann. Sie wäre sonst sicher zu mir geeilt. Ich wage diesen Anspruch an Sie zu erheben, weil Sie mir in Ihrer großen Güte bei unserer letzten Begegnung sagten, daß Sie — wann immer ich Sie riefe — da sein würden.

Ihre Ileisa von Knoop.“

Klamm hatte den Brief in dem Augenblick gelesen, als der auch ferner im
Geschäft verbliebene Adolf ihm einen Herrn aus dem Ministerium gemeldet.

So legte er vorläufig das Schreiben zu anderen, eben von ihm durchgesehenen Korrespondenzen, obschon es ihm noch durch den Sinn ging, daß es besser sei, grade dieses Schriftstück wegzuschließen.

Unter den Ansprüchen, die dann an ihn herantraten, und die ihn Stunden lang und länger als sonst in Atem hielten, blieben die Eingänge auf dem Pulte liegen. Sie wurden auch von Klamm — da er mit einem Lieferanten in der Druckerei zu thun hatte und sich mit diesem in der Nähe in ein Restaurant nach geschehener Rücksprache begab — später nicht entfernt.

Er besorgte selbst die Depesche an Ileisa nach Hamburg, in der er ihr mitteilte, daß er bereits abends abreisen und sie in der Frühe sogleich aussuchen werde.

Klamm hatte, als er gegen fünf Uhr zu Tisch kam, Adelgunde, die zur Beerdigung seiner Mutter nach Berlin zurückgekehrt war, an diesem Tage noch nicht gesehen. Sie stand sehr spät auf, während er stets früh wach und in Thätigkeit war.

„Ich werde heute abend eine Reise antreten,“ warf Klamm, nachdem er seine Frau gelassen gegrüßt, nach bereits verzehrter Suppe hin. „Auch werde ich einige Tage fortbleiben, denke jedoch Ende der Woche zurückzukehren.“

„Ich weiß es — ich weiß alles,“ entgegnete Adelgunde, die ihm schon mit sehr verschlossener Miene gegenüber gesessen, mit ausdruckslosem Gesicht.

„Du weißt es?! Was weißt du?“

„Ich suchte dich in deinem Kontor auf, fand dich nicht, aber einen offen daliegenden Brief von der Person in Hamburg, den ich las —“

„Du liest Briefe ohne Erlaubnis. — Darüber muß ich mich wundern —“

Statt diesmal etwas zu entgegnen, sah Adelgunde ihren Mann erst mit einem kurzen Blick an. Dann legte sie die Serviette beiseite, lehnte sich in ihren Stuhl zurück, bedeckte ihr Angesicht und brach, während sich Thränen aus ihren Augen lösten, in die Worte aus:

„Wie war ich einst glücklich — und wie unglücklich fühle ich mich heute.“

„Ja, wir beide,“ bestätigte Klamm mit müder, trostloser Stimme.

Da der Diener in diesem Augenblick erschien, wußten sie ihre Erregung zu verbergen. Nachdem er aber gegangen, stand Klamm, gleichsam in besserem, mildem Besinnen auf, zog seine Frau auf das Kanapee und sprach:

„Warum peinigen wir uns gegenseitig, Adelgunde? Wollen wir nicht einmal frei mit einander reden, damit wir beide zur Ruhe gelangen können? Du sagst, du seist nicht glücklich. Warum bist du es nicht, da ich dich doch ganz gewähren lasse —“

Sie zog die Schultern wie jemand, der reden möchte, aber die Sprache nicht findet.

Klamm aber fuhr fort:

„Und da du mich nicht mehr liebst, entbehrst du auch nach der Richtung nichts mehr.

„Du kannst mich doch nicht mehr lieben, denn selbst die lebhafteste Empfindung erlischt, wenn sie keine Nahrung empfängt. Ich gestehe zu, daß ich dir nichts biete. Aber ich kann nicht geben, was ich nicht besitze.“

Adelgunde bewegte mit der Miene tiefster Bitterkeit das Haupt. Dann stieß sie heraus:

„Ah! Ich begreife! Da du heute zu ihr reisen willst, nimmst du die
Gelegenheit wahr, mich für immer zu verabschieden.“

Klamm sah seine Frau, mit sanftem Vorwurf im Auge, an.

„Nein!“ entgegnete er dann. „Ich verband mit meiner Bitte gar keine Nebengedanken. Ich wollte nur mit dir überlegen, welchen Modus wir jetzt, nach deiner Rückkehr, nach Mamas Tode, wählen könnten, uns nicht zu trennen, aber nebeneinander ohne Verstimmung einzurichten. Und ferner: Von mir wird der Vorschlag, ganz auseinander zu gehen, niemals gemacht werden.“

„Und weshalb nicht?“

„Meine Dankbarkeit gegen dich verbietet es. Es wäre ein Akt größter
Undankbarkeit —“

„Das verstehe ich nicht. Du könntest, wenn dieses Gefühl so mächtig in dir ist, es doch auch in anderer Weise zum Ausdruck bringen —“

„Zum Beispiel, Adelgunde?“ Klamm sprach freundlich und einlenkend.

„Daß du dich bemüht hättest, mich glücklich zu machen, Alfred —“

„That ich es, thue ich es nicht, Adelgunde?“

„Kann ich mich glücklich fühlen, wenn du eine andere liebst?“

Einen Augenblick zauderte Klamm mit der Antwort, dann erwiderte er:

„Ich lebe doch nicht mit der, von welcher du sprichst. Ich nähere mich ihr niemals. Bei unseren Begegnungen haben uns zwar unsere Gefühle überwältigt, aber dabei ist es geblieben. — Wir haben nicht einmal korrespondiert.“

„Ich glaube dir, Alfred. Aber du liebst sie doch — und mich liebst du nicht —“

Nun zog er die Schultern.

„Wollen wir uns nicht einmal sachlich verständigen, Adelgunde. Ich wiederhole Vorhergesagtes.“

Sie nickte ernst.

„Wohlan, ja, sprich, Alfred.“

„Sage mir erst mit einem unverbrüchlichen Wort der Wahrheit, ob du dir in der Ehe mit mir nichts vorzuwerfen hast? Kamst du keinem Mann in deinen Gedanken, keinem durch deine Handlungen entgegen? Ich fordere von dir dieselbe Wahrhaftigkeit, die ich dir eben bewiesen.“

Erst sah sie ihn forschend, mißtrauisch, aber auch ängstlich an, dann erwiderte sie:

„Du weißt, wie ich bin. — Ich interessiere mich für Männer —“

„Das ist keine richtige Antwort, Adelgunde. Ich frage dich auf Ehre und
Gewissen:

„Interessierst du dich nicht in ungewöhnlich starker Weise für Herrn
Arthur von Knoop. Warst du nicht in Paris wiederholt mit ihm zusammen?
Hat er dir nicht Avancen, ja einen Antrag gemacht? Mir ist das von
mehreren Seiten mitgeteilt —“

Adelgunde zuckte zusammen und statt zu antworten, ließ sie sich neben ihm nieder, umschlang seine Knie, sprach auch jetzt nicht, aber weinte und schluchzte bitterlich.

„Ach, was werde ich hören müssen,“ stieß Klamm heraus. Und dann:

„Sprich, was es auch sei. Ich bitte dich, Adelgunde. Es ist bei dir dein bester Freund auf der Welt trotz alledem! Er wird alles verstehen und sicherlich alles — vergeben können.“

„Nein, nein — nein, das — das kannst du nicht —“

Sie war wie zerschmettert. Als ob die Kräfte versagten, die Glieder zu regieren, dem Körper zu gebieten, so lag sie da.

„Rede — rede — ich bitte dich noch einmal,“ drängte Klamm gütig.

„Du weißt ja alles, Alfred —“

Ein kurzer Laut ging aus Klamms Munde. Dann sprach er:

„Nun wohlan! Aber wenn es so ist, so verstehe ich nicht, daß dir die Trennung von mir so schwer wird. Jetzt brauche ich ja nicht mehr zu fragen, ob du mich noch liebst! Jetzt erweise ich dir ja einen Dienst, wenn ich sage: lösen wir unsere Ehe.“

„Ach, Alfred, ich liebe dich ja doch, liebe dich ja tausendmal mehr, als jeden anderen Menschen, wenn ich mein besseres Ich finde, wenn ich still und ruhig, nicht im Rausch des Vergnügens bin. Aber jetzt, jetzt — nachdem ich die Treue gegen dich verwirkte — bleibt mir ja nichts anderes, als dich zu bitten, daß du — mich — frei giebst.“

„Armes Weib — arme Frau — Ich wollte, ich könnte dir helfen. — Ich wollte, ich könnte dich glücklich machen. Glaubst du, daß ich mit dir fühle, Adelgunde — ?“

„Ja — ja,“ seufzte sie mit immer noch abgewendetem Gesicht. — „Ich glaube alles von dir, was gut, nachsichtig, groß, menschlich und gerecht ist. Grade weil du, obschon auch bisweilen ein irrender Mensch, alle deine Gedanken auf das Ernste, Maßvolle, wahrhaft Gute gerichtet hast, muß ich dich ja lieben, kann ich das Gefühl für dich nicht aus meinem Herzen reißen.“

„Rege dich nicht auf, Adelgunde! Beantworte mir aber noch eine Frage: Ich stelle sie, um zu überlegen, ob ich dir in deinem Sinne zu helfen vermag —“

„Nun ja, ich bitte?“ bestätigte sie und nahm, jetzt ihr Angesicht trocknend, ihm gegenüber im Sofa Platz.

„Ihr wollt euch also heiraten — ?“

„Ich habe ihm noch keine Zusage gegeben. Wie könnte ich —“

„Er drängt dich aber?“

Adelgunde nickte.

„Und du meinst, daß ihr für einander paßt?“

Sie zog die Schultern.

„Ich finde bei ihm gleichen Sinn und gleiche Interessen. Das zieht mich an. Er besitzt eine eiserne Gesundheit, einen unverwüstlichen Gleichmut, einen Cynismus, der mich nicht nur nicht stört, sondern anzieht. Er hat ein vorteilhaftes Aeußeres, er weiß sich in der Gesellschaft zur Geltung zu bringen. Er ist klug und ist geschickt in allen Dingen, die die Kreise, in denen ich leben möchte, schätzen.“

„Hm — aber er ist kalt — sehr kalt, Adelgunde. Wie hat er sich gegen seine Frau benommen —“

„Sie langweilte ihn — sie ist ein Tugendspind — sie ist phlegmatisch, ohne Temperament — sie liebte ja auch dich, nicht ihn.“

Adelgunde wollte noch mehr sagen, sie war im Begriff, einen Ausfall gegen Ileisa zu machen, aber Klamm ließ sie nicht dazu gelangen.

Er sagte:

„Wenn du nun aber dasselbe in der Ehe erlebst, wie Ileisa, Adelgunde —?“

Sie stieß an mit einem herbklingenden Laut. Dann erwiderte sie in einem wehmütig ernsten Ton:

„Gewiß, es kann kommen, daß er auch mich vernachlässigt. Aber habe ich dann weniger, als jetzt?

„Wir leben doch auch nur nebeneinander! Aber Arthur von Knoop wird mich nie in der Ausübung meiner Neigungen hindern, wir werden — ich wiederhole es — in dieser Beziehung völlig harmonieren. Es giebt keine Menschen, die nach der Richtung besser für einander passen.“

„Hm — so wären wir uns denn einig. — Du willst von mir gehen — ?“

„Ich will nicht, du willst, Alfred — und nun muß ich, da ich mich — deiner — unwert gemacht —“

Sie sprach die Worte mit tief herabgesenktem, demütigem Blick, abgebrochen, voll Scham und Zerknirschung. Und Klamm sprach:

„Ich will dir nichts vorwerfen und ich will dir nichts nachtragen. Ich will mich in deine Lage hineinversetzen und denken, ich sei es selbst, dem zu verzeihen wäre. Das ist meine Antwort!

„Ueber alles weitere, über das wann und wie wollen wir uns in völligem Frieden verständigen. — Lasse uns jetzt speisen. Komm! Ich muß noch meine Geschäfte besorgen, packen — ich kann das arme Weib in Hamburg nicht ohne Hilfe lassen. Finde dich darein. — Noch einmal! Komm!“

„Ich kann nichts essen, Alfred! Aber ich will dir danken, du guter, edler Mensch.“

Sie umschlang ihn und küßte ihn wie eine Braut. Und ihn durchzog's, und alle Schauer des Mitleids drangen auf ihn, aber auch jene Empfindungen, die uns trotz alles Kämpfens beschleichen, wenn wir die Liebkosungen einer Frau — dulden, statt ihrer zu begehren.

* * * * *

Klamm saß in der Vorstadt Hamm bei Hamburg Ileisa in dem Wohngemach einer äußerst eleganten und bequem eingerichteten Villa gegenüber. Er war, wie er es beabsichtigt und gemeldet hatte, am Abend abgereist, und hatte sich nach kurzer Morgenruhe in Streits Hotel sogleich nach Hamm aufgemacht.

Das Wesentlichste, das zur Bestattung gehörte, war schon von Ileisa besorgt worden. Nach Ueberwindung der ersten Erschütterung und des ersten Schmerzes, hatte sie sich aufgerafft und die notwendigen Vorkehrungen getroffen.

Klamm war auch schon mit ihr ins Sterbezimmer getreten.

Die alte Dame, deren ganzes Leben eigentlich nur in der Sorge für andere bestanden, und eben doch dieses ihr Schicksal, sanft ergeben, getragen, hatte dagelegen wie eine Schlafende. Ein Ausdruck stillen Friedens hatte ihre Mundwinkel umschwebt; nichts von dem Abstoßenden, das sonst meist der Tod mit sich führt.

Ileisa aber war bei ihrem Anblick in bittre Thränen ausgebrochen, und anfänglich war's Klamm kaum möglich gewesen, sie zu besänftigen.

Später ließ er sich berichten, wodurch der Tod herbeigeführt sei, was der Kranken gefehlt habe.

„Sie hat wohl mehr der Gram getötet, als körperliches Leiden,“ erklärte Ileisa. „Sie konnte es weder überwinden, daß so schnell alles ausgelöscht war, was sie sich als mein Glück gedacht, noch vermochte sie sich mit ihrer feinen Seele, ihrem Stolz und ihrer sittlichen Auffassung darin finden, daß mich Knoops fortan fast ganz wie eine lästige Zugabe ansahen und behandelten, statt als Verwandte, als Opfer der Unbeständigkeit ihres Sohnes.

„Sie warfen und werfen — je länger die Zeit — die Schuld an allem, was eingetreten, auf mich. Sie versetzten sich nicht einen Augenblick in die Lage einer geschiedenen Frau, die zwar nun zu leben hatte, aber naturgemäß in einen menschenscheuen, weltverachtenden und lebensmüden Zustand geraten war.“

„Und Fräulein Margarete?“ fragte Klamm.

„Sie ist so leidend, daß man an ihrer Wiedergenesung zweifelt, ja, sie
ist wohl überhaupt aufgegeben. Sie schleppt sich nur noch als unheilbare
Lungenkranke nach der Influenza, an der sie fortdauernd in schwerster
Weise gelitten, hin. Wenn mich etwas schmerzt, wenn mich etwas außer dem
Hinscheiden meiner Tante traurig macht, so traurig, daß ich jeden Tag
daran denken und mich sorgen muß, so ist es das Schicksal dieser meiner
Freundin. Sie ist ein wahrhaft vortreffliches Mädchen, Sie wissen es,
Herr von Klamm. Und sie war mir wie eine treue Schwester.“

„Hm,“ stieß Klamm nachdenklich heraus. „Wenn ich bedenke, wie glücklich die Familie Knoop war, und was aus ihnen nach Aufgabe ehrlicher Arbeit geworden ist!

„Die Alten voll tiefster Enttäuschung, voll sehnsüchtigen Verlangens nach dem „Einst“, die Tochter sterbend — der Sohn — der Sohn. — Was wissen Sie von ihm, Frau Ileisa?“

„Nichts — gar nichts! Bei dem formellen Scheidungsakt haben wir uns noch einmal gesehen und gesprochen. Da gab er mir die Hand und sagte in seiner kalt nüchternen Weise: ‚Lebe wohl! Möge es dir gut gehen,‘ dann ging er, ohne mich auch nur noch einmal anzusehen. Er behandelte die Angelegenheit ganz wie ein nun einmal nicht zu umgehendes, möglichst rasch zu Ende zu führendes Geschäft. Er ist ein Mensch, der nur sich kennt, der nichts respektiert, aber allerdings auch sich selbst nicht.

„In dieser Hinsicht ist er äußerst objektiv, er ist durchaus nicht im Unklaren über sich. Er giebt der Wahrheit die Ehre, spielt keine Komödien. Und das war's ja auch, das mich seinerzeit anzog, wodurch es kam, daß ich meiner Tante glaubte, die mir zuredete und einbildete, ich könne auf ihn einwirken. Er war anders, als der Durchschnitt. Er besaß Konsequenz und Willen, wennschon er, wie sich herausgestellt hat, lediglich die Pfade bequemer Selbstsucht und Genußsucht beschritt.

„Nachdem er mich abgethan hat, wird er, ich bin dessen sicher, eine möglichst vorteilhafte Partie zu machen suchen. Er will gut leben und höchstens bei Spekulationen einmal seinen Kopf in die Weiche legen!“

Klamm hatte Ileisa mit großer Spannung zugehört. Als sie geendet hatte, sagte er.

„In der letzteren Annahme irren Sie sich durchaus nicht, Frau Ileisa.
Was sie voraussetzen, ist schon unterwegs.“

Und während er den Eindruck in Ileisas Mienen beobachtete, schloß er:

„Arthur von Knoop wird in nicht zu langer Frist — meine Frau heiraten.“

„Wie? Sprechen Sie die Wahrheit?“ brachen die Worte aus dem Munde der
Frau, während ihre Wangen erbleichten, ein eigenes Feuer aber in ihren
Augen aufleuchtete. —

* * * * *

Zwei und einhalb Jahre waren nach den geschilderten Vorgängen verstrichen. Je nach ihrem Thun und Treiben, nach den auf ihr Innenleben von außen einwirkenden Geschehnissen, war den einzelnen das Dasein als ein Wandeln in einer glücklichen Welt oder als eine Last erschienen.

Wo die Anforderungen gering, die erkenntliche Empfindung für des Himmels Zuwendungen lebhafte, wo Pflichtübung und Arbeit die Grundlagen gewesen, hatten sich die Menschen zufrieden gefühlt. Wo die Sucht nach fortwährenden Abwechslungen und Zerstreuungen den Hauptinhalt des Denkens und Handelns gebildet, hatten sich Unbefriedigung und Ueberdruß eingestellt.

Nach ihren Charakteren hatte sich aller Schicksal vollzogen.

Das zielbewußte Streben Klamms hatte seinen Lohn empfangen. Seine Hoffnungen hatten sich erfüllt. Er war Herr des Geschäftes, dem er sein ganzes Interesse von vorneherein zugewendet, geworden, und neben ihm, als seine Frau, lebte Ileisa. Sie ging ganz in ihm auf. Ihr Augenmerk richtete sich von früh bis spät auf ihn und ihre Obliegenheiten. Sie war sein rechter Kamerad und sein bester Freund geworden. Wie er es wollte, so war es gut. Was er vornahm, paßte auch ihr. —

Arthur hatte Frau von Klamm geheiratet und ihr Vermögen eingezogen. Nur ein größerer Teil war auf ihren Wunsch und bestimmten Willen dem Zeitungs- und Druckereigeschäft geblieben; Klamm verzinste es ihr. Das Gut war verkauft. Dagegen hatte Klamm eine Villa in Wannsee erworben, in der sein guter Geschmack und sein praktischer Sinn, von Ileisa unterstützt, einen vollendeten Ausdruck gefunden. Nebenan hatten sich Milans angebaut.

Auch Arthur lebte mit seiner Frau gut. Sie fand an seiner Seite die volle Möglichkeit, das Dasein zu genießen. Sie hatten beide den gleichen Ehrgeiz, eine Rolle zu spielen, und fanden ihre Rechnung. Ihm half sein kalter, und ihr ihr leichter Sinn über das fort, was sich allen Menschen einmal störend in den Weg stellt. Zu Streit und Scenen kam es zwischen ihnen schon deshalb nicht, weil jeder den anderen gewähren ließ. Auch bewahrte ihn sein Egoismus und sein kühles Temperament davor, eine gewisse Grenze jemals zu überschreiten, und Adelgunde besaß doch zu viel sittlichen Fond und soviel Erfahrung, um sich nicht auf Abenteuerlichkeiten einzulassen, die ihren Ruf und ihres Mannes gesellschaftliche Stellung gefährden konnten.

Knoops hatten ihre Tochter Margarete verloren. Nachdem Arthur noch am Grabhügel seiner Schwester gestanden, auch eine Aussöhnung zwischen ihnen stattgefunden, waren sie auf ihr Gut in Holstein zurückgekehrt.

Hier lebten sie mit Nachbarn, die zu ihnen paßten. Unter dem Adel eine Rolle zu spielen, hatte Herr von Knoop völlig aufgegeben. Er suchte sich den Umgang von Personen, die, wie er jetzt, ganz in ihren Interessen für die Landwirtschaft aufgingen, und deren einfacher Sinn zu seinem im Grunde einfachen Naturell, und besonders zu der Richtung seiner Frau paßte. — —

Unter den Briefen, die Alfred von Klamm eines morgens auf seinem Tisch im Frühstückszimmer in der Stadtvilla vorfand, erregte ein Schreiben seine und auch Ileisas Aufmerksamkeit im hohen Grade. Es lautete:

„Hochverehrter Herr von Klamm!

Ich liege seit elf Wochen bereits in Bethanien im Lazaret. Ich habe einen Knochenfraß im Körper, dessen Ende nur der Tod sein kann. Ich bitte Sie flehentlich um Unterstützung! Vergessen Sie Vergangenes, berücksichtigen Sie, ich bitte, dagegen, daß ich indirekt mit Anlaß gewesen bin, daß Sie erreicht haben, was Sie heute — ein Glücklicher nach allen Richtungen — Ihr eigen nennen!

Und um dieser Thatsache und um der edlen Gesinnung willen, die Ihnen eigen, wage ich, Ihnen diese Zeilen zu schreiben.

Der Edle verzeiht, wenn er sieht, daß sein Nebenmensch in Qualen dahinsiecht. Sie sind ein solcher, und ich bin ein armer Elender! Keiner hilft mir!

Mein Neffe Arthur hat mir auf alle meine vielen Briefe nicht geantwortet! Mein reicher Bruder beruft sich auf einen endgültigen Verzichtschein, den ich ihm einst ausstellte. So habe ich niemanden auf der Welt, als meinen einstigen größten Feind! Er wird mich, ich weiß es, nicht umsonst flehen lassen. Weisen Sie mir, ich bitte, hochverehrter Herr von Klamm, wöchentlich eine Summe an, bis ich in die Gruft gesenkt werde. Lange werde ich Ihnen nicht lästig fallen. Der mich behandelnde Arzt, Herr Doktor Ströber, wird Ihnen bestätigen, daß alles strenge Wahrheit, was ich Ihnen sage. Ich lege die Bescheinigung bei.

Ich segne Sie im voraus als Ihr dankbarer

Theodor Knoop.“

„Und was willst du thun?“ warf Ileisa hin und blickte ihren Mann fragend an.

„Ich werde seine Bitte erfüllen! Es giebt nur einen Richter, der das Recht besitzt, zu richten, und er wird ausnahmslos sanft und gütig vergeben. Sollte sein Geschöpf nicht um so mehr ohne Schwanken stets dazu bereit sein?“

Sie sah ihn an. Dann stand sie auf, näherte sich ihm und umschlang ihn. Sie sprach nicht, aber er wußte, was sie sagen wollte, und jenes Gefühl der Selbstachtung durchdrang ihn, das eines der glückseligsten und befriedigendsten ist, die in der menschlichen Brust emporzukeimen vermögen.

End of Project Gutenberg's Charaktere und Schicksale, by Herrmann Heiberg