The Project Gutenberg eBook of Im Gold- und Silberland, by Mark Twain
This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook.
Title: Im Gold- und Silberland
Author: Mark Twain
Illustrator: Albert Richter
Release Date: April 16, 2021 [eBook #65089]
Language: German
Character set encoding: UTF-8
Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK IM GOLD- UND SILBERLAND ***

Anmerkungen zur Transkription

Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so markiert.

Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches.

Mark Twains ausgewählte humoristische Schriften

Illustriert von H. Schrödter und Albert Richter

Fünfter Band:

Im Gold- und Silberland

Signet

Stuttgart 1910 / Verlag von Robert Lutz


Im Gold- und Silberland

Von

Mark Twain

Illustriert von Albert Richter

Neunte Auflage

Signet

Stuttgart 1910 / Verlag von Robert Lutz


Alle Rechte vorbehalten.

Druck von A. Bonz’ Erben
Stuttgart.


[5]

Inhalt.

Im Gold- und Silberland.
I.
Seite
Kapitel 1–24 7–163
II.
Nabobs in Nevada 165
Buck Fanshaws Begräbnis 173
Die angesehensten Bürger-Schwurgerichte 184
Der große Zeitungsroman 191
Belehrendes 200
Von Virginia nach San Francisco 204
Goldgräber 215
Erdbeben 220
Am Bettelstabe 228
Tom Quarz 235
Die Vorlesung 247
Anhang.
Aus meiner Knabenzeit 255
Ritters Geschichte 278
Der Mann, der bei Gadsbys abstieg 301
Die Geschichte des Invaliden 308

[7]

Im Gold- und Silberland.
I.

Erstes Kapitel.

In dem vorhergehenden Bande[1] habe ich den Leser über die Prärieen, das Felsengebirge und durch die Alkaliwüste in die Hauptstadt des damals neu errichteten Territoriums Nevada, nach der Stadt Carson geführt. Es war eine ›hölzerne‹ Stadt; ihre Einwohnerzahl betrug zweitausend. Die Hauptstraße bestand aus einer Reihe kleiner, weißer Bretterhäuschen mit Kaufläden, zu hoch, um darauf zu sitzen, aber für alle sonstigen Erfordernisse kaum hoch genug. Dieselben standen hart aneinandergebaut, als mangelte es an Raum auf der mächtigen Ebene. Den Gehweg bildeten Bretter, die mehr oder minder locker waren und beim Darauftreten gerne klapperten. Mitten in der Stadt, den Läden gegenüber, befand sich die, allen Städten jenseits des Felsengebirges angeborene ›Plaza‹ – ein großer, offener, ebener Platz mit einem Freiheitsbaum in der Mitte, sehr geeignet zu öffentlichen Versteigerungen, Pferdemärkten und Volksversammlungen, sowie zum Absteigeplatz der Fuhrleute.[8] Zwei andere Seiten der Plaza waren von Läden, Bureaus und Ställen eingefaßt. Der übrige Teil der Stadt lag ziemlich zerstreut.

[1] Band IV: »Leben auf dem Mississippi – Nach dem fernen Westen.«

Auf der Poststation und auf dem Wege zum Gouverneur wurden wir verschiedenen Bürgern vorgestellt, darunter einem Herrn Harris, der sich zu Pferde befand. Derselbe begann ein Gespräch, unterbrach sich jedoch mit der Bemerkung: »Ich muß Sie auf einen Augenblick um Entschuldigung bitten; dort drüben steht der Zeuge, der geschworen hat, ich sei bei der Beraubung der kalifornischen Post beteiligt gewesen – eine ganz unverschämte Einmischung, da ich mit dem Menschen gar nicht bekannt bin.«

Darauf ritt er hin und machte dem Betreffenden Vorhalt mit einem sechsläufigen Revolver, wogegen sich dieser mit dem seinigen entschuldigte. Als die Pistolen leer waren, nahm der Unbekannte sein Geschäft (er flickte sich seine Peitschenschnur) wieder auf, während Herr Harris mit höflichem Bückling an uns vorbei nach Hause ritt. Er hatte eine Kugel durch den einen Lungenflügel und mehrere in die Hüften bekommen, und die kleinen Blutströme, die dem Pferd über die Flanken liefen, gaben dem Tier ein ganz malerisches Aussehen. Ich habe später, so oft[9] ich Harris nach jemand schießen sah, immer wieder an jenen ersten Tag in Carson denken müssen.

Weiter sahen wir an diesem Tage nichts, denn es war zwei Uhr, und nach Landessitte brach jetzt der tägliche ›Washoe-Zephyr‹ los. Mit demselben kam eine aufsteigende Staubwehe, etwa von der Größe der Vereinigten Staaten, welche Nevadas Hauptstadt unsern Blicken entzog. Indes gab es dabei doch mancherlei zu sehen, was für Neuangekommene nicht ganz uninteressant war; denn die mächtige Staubwolke war dicht betüpfelt mit Dingen, die den höheren Luftschichten fremd sind, lebenden und toten, die zwischen den sich fortwälzenden Staubwirbeln hin und her flatterten, gingen und kamen, auftauchten und wieder verschwanden – mit Hüten, Hühnern und Sonnenschirmen, die hoch oben am Himmel hinsegelten; mit Decken, Blechschildern, Salbeigestrüpp und Schindeln, die etwas tiefer hin flogen; noch weiter unten mit Strohmatten und Büffellederröcken; mit Schaufeln und Kohlenkasten in der nächsten Luftschicht; Glasthüren, Katzen und kleinen Kindern in der folgenden; zerbrochenen Bretterzäunen, leichten Einspännern und Schubkarren in der nächsten; und zu unterst, bis zu höchstens dreißig oder vierzig Fuß Höhe über dem Boden, wehte ein Wirbelsturm auswandernder Dächer und leerer Bauplätze hin.

Es war wirklich etwas zu sehen dabei. Ich hätte noch mehr sehen können, wäre ich imstande gewesen, mir die Augen staubfrei zu halten.

Aber in allem Ernst, ein Washoe-Wind ist durchaus keine Kleinigkeit. Er bläst schwächliche Häuser um, nimmt gelegentlich Schindeldächer mit, rollt Blechdächer zusammen wie Notenhefte, weht dann und wann eine Postkutsche um und verschüttet die Reisenden; und als die Ursache der vielen Kahlköpfe dort zu Lande hört man überall angeben, der Wind wehe den Leuten die Haare vom Kopfe, während sie himmelwärts nach ihren[10] Hüten schauen. Die Straßen der Stadt bieten an Sommernachmittagen meist ein recht belebtes Bild, da stets eine Menge Leute Jagd auf ihre entweichenden Hüte machen, wie Stubenmädchen auf eine Spinne.

Der Washoe-Zephyr (Washoe ist ein beliebter Spitzname für Nevada) ist eigentlich ein recht schriftmäßiger Wind, insofern kein Mensch weiß, ›von wannen er kommt‹, d. h. wo er entsteht. Er kommt geradeswegs über die Berge aus Westen, aber jenseits der Kammhöhe, auf der andern Seite drüben, ist nichts von ihm zu entdecken. Er wird vermutlich auf der Höhe des Gebirges eigens hergestellt und fliegt von dort aus; er ist zur Sommerszeit ein recht pünktlicher Wind. Seine Geschäftsstunden währen von zwei Uhr nachmittags bis zum nächsten Morgen um dieselbe Stunde, und wer sich während dieser zwölf Stunden auf eine Reise wagt, muß mit dem Winde rechnen, will er nicht ein paar Meilen leewärts von seinem Ziel anlangen. Und doch ist das erste, worüber sich ein Besucher aus Washoe in S. Francisco beklagt, daß dort die Seewinde so heftig wehen. So ist der Mensch nun einmal!

Den Staatspalast des Gouvernements von Nevada entdeckten wir in einem einstöckigen weißen Bretterhause, das im Innern zwei kleine Zimmer enthielt und an der Stirnseite – der Großartigkeit halber – einen auf Stützen ruhenden Dachstock hatte; es zwang dem Bürger Hochachtung ab und erfüllte den Indianer mit Ehrfurcht. Die unlängst eingetroffenen richterlichen Beamten des Territoriums, der Ober- und der Hilfsrichter, und was sonst zur Regierungsmaschinerie gehörte, waren weniger glänzend untergebracht. Sie wohnten rings umher in Privathäusern zur Miete und hatten ihre Amtslokale in ihren Schlafstuben. Mein Bruder, (›Mr. Secretary‹) und ich schlugen unser Quartier in dem ›Ranch‹ einer würdigen französischen Dame auf. Sie hieß Bridget O’Flannigan und gehörte zur Gefolgschaft[11] Sr. Excellenz des Gouverneurs. In seinen guten Tagen, als er Oberbefehlshaber der hauptstädtischen Polizei in New York war, hatte sie ihn gekannt und wollte ihn nun in seinem Mißgeschick als Gouverneur von Nevada auch nicht verlassen. Unsere Stube lag im unteren Stock und ging auf die Plaza hinaus, und nachdem wir unser Bett, einen kleinen Tisch, zwei Stühle, den feuerfesten Schrank der Regierung und das Konversationslexikon darin untergebracht hatten, war immer noch Raum genug für einen Besuch vorhanden – vielleicht sogar für zwei, aber nicht ohne Dehnung der Wände. Uebrigens konnten die Wände eine solche vertragen – wenigstens die Zwischenwände, denn sie bestanden lediglich aus einer einzigen Schicht groben Baumwollstoffes, der von einer Zimmerdecke zur andern ausgespannt war. Dies war die Regel in Carson, eine Zwischenwand anderer Art bildete eine seltene Ausnahme. Wenn man in seinem dunkeln Zimmer stand, die Zimmernachbarn dagegen Licht brannten, so erzählten die Schatten an dem Tuch oft merkwürdige Geheimnisse! Sehr häufig waren diese Zwischenwände aus zusammengehefteten alten Mehlsäcken hergestellt; dann war der Unterschied zwischen der gemeinen Herde und der Aristokratie nur der, daß die gemeine Herde schmucklose Säcke hatte, während die Wände des Aristokraten durch rudimentäre Fresken, d. h. rote und blaue Mühlenzeichen auf den Säcken, Staunen erregten. Gelegentlich verschönerten die besseren Stände auch ihr Sackleinen durch Aufkleben von Holzschnitten aus Harpers Wochenschrift; nicht selten verstiegen sich die Wohlhabenden und Gebildeten sogar bis zu Spucknäpfen und andern Beweisen eines kostspieligen und üppigen Geschmackes. Wir besaßen einen Teppich und ein Waschbecken von echtem Steingut. Infolgedessen wurden wir von den übrigen Insassen des Ranchs der Dame O’Flannigan rücksichtslos gehaßt. Als wir gar noch einen bemalten Fenstervorhang von Wachsleinwand dazu anschafften,[12] waren wir einfach unseres Lebens nicht mehr sicher. Um Blutvergießen zu verhüten, zog ich eine Treppe höher und schlug mein Quartier bei den titellosen Plebejern in einer der vierzehn weißen, schmalen Bettstellen aus Fichtenholz auf, die in zwei langen Reihen in dem einzigen Zimmer standen, welches das zweite Stockwerk bildete.

Sie waren eine lustige Gesellschaft, die vierzehn. Meist hatten sie sich aus freien Stücken dem Gouverneur angeschlossen. Als sie in New York und San Francisco zu seiner Gefolgschaft stießen, hatten sie sich gesagt, daß sie bei der Balgerei um Aemtchen und sonstige im Territorium abfallende Brocken nichts zu verlieren, vielmehr vernünftigerweise eher vielleicht etwas zu gewinnen hätten. Sie hießen im Volksmund ›die irische Brigade‹, obwohl sich unter der ganzen Umgebung des Gouverneurs nur vier oder fünf Irländer befanden. Die gutmütige Excellenz war sehr verdrießlich über das Gerede, das seine Leibgarde hervorrief – besonders, als sich das Gerücht verbreitete, es seien bezahlte Meuchelmörder, die er sich mitgebracht habe, um erforderlichen Falles die demokratischen Wahlstimmen in der Stille zu vermindern!

Frau O’Flannigan gab ihnen Kost und Wohnung für je zehn Dollars die Woche, und sie gaben dagegen fröhlich ihre Schuldverschreibungen. Sie waren damit völlig zufrieden. Dagegen fand Bridget bald, daß uneinlösbare Schuldscheine doch keine genügende Sicherheit für eine Fremdenpension in Carson City bilden. So lag sie nun dem Gouverneur in den Ohren, für die ›Brigade‹ eine Beschäftigung aufzutreiben. Sie sowohl als die Leute selbst setzten ihm so lange zu, bis er in eine gelinde Verzweiflung geriet und schließlich die Brigade antreten ließ. »Meine Herren,« redete er sie an, »ich habe eine einträgliche und ersprießliche Thätigkeit für Sie ausgesonnen – eine Thätigkeit, welche Ihnen Erholung inmitten herrlicher Landschaften[13] gewähren und Ihnen ununterbrochen Gelegenheit verschaffen wird, Ihren Geist durch Beobachtung und Studium zu bereichern. Ich wünsche die Möglichkeit der Anlegung einer Eisenbahn von Carson aus nach Westen bis zu einem gewissen Punkte festzustellen. Beim Zusammentritt der Legislatur werde ich dafür sorgen, daß das erforderliche Gesetz durchgeht und eine entsprechende Summe bewilligt wird.«

»Wie, eine Eisenbahn über die Sierra Nevada?«

»Jawohl, – und Sie sollen zu diesem Zweck die Gegend ostwärts bis zu einem gewissen Punkte untersuchen!«

Er machte die einen zu Vermessern, die andern zu Kettenträgern u. s. w.; dann ließ er sie los in die Wüste. Das war eine Erholung, daß es eine Art hatte! Erholungsfußtouren, auf denen sie die Meßketten durch Sand und Salbeigestrüpp schleppten unter einer schwülen Sonne und zwischen Ochsengerippen, Cayoten und Taranteln. Es war die reinste, höchste Romantik! Sie betrieben die Vermessung sehr langsam, sehr bedächtig, sehr sorgfältig. Während der ersten Woche kehrten sie alle Abende staubbedeckt, fußkrank, müde und hungrig, aber höchst vergnügt zurück. Sie brachten einen großen Vorrat ungeheurer haariger Spinnen – Taranteln – mit, die sie im oberen Zimmer des Ranch in zugedeckte Biergläser einsperrten. Nach Verlauf der ersten Woche mußten sie im freien Feld kampieren, denn sie waren tüchtig nach Osten vorgerückt. Sie erkundigten sich sehr eifrig nach der Lage jenes im unklaren gelassenen ›gewissen Punktes‹, ohne jedoch Aufschluß darüber zu erhalten. Endlich, auf eine besonders dringende Anfrage: »Wie weit östlich?« telegraphierte Gouverneur Nye zurück: »Bis zum atlantischen Ozean, Ihr Teufelsbraten! – über den schlagt eine Brücke und macht, daß ihr hinüber kommt!«

Darauf hin kamen die bestaubten Packesel zurück, die nun einen Bericht einreichten und ihre Arbeit einstellten. Der Gouverneur[14] nahm die Sache fortwährend höchst gemütlich; er meinte, da Frau Flannigan sich wegen des Unterhalts der Brigade doch in jedem Falle irgendwie an ihn halten werde, so wolle er sich mit den Jungens auch so viel Spaß machen, als möglich; er gedenke, setzte er mit freundlichem Augenzwinkern hinzu, sie mit ihren Vermessungen bis nach Utah hinein zu schicken und dann an Brigham zu telegraphieren, er solle sie wegen Grenzverletzung hängen lassen.

Die Vermesser brachten immer noch mehr Taranteln mit, so daß wir schließlich eine ganze Menagerie auf Brettern und Fenstersimsen im Zimmer aufgestellt hatten. Manche von diesen Spinnen konnten ihre haarigen muskulösen Beine über eine gewöhnliche Untertasse auseinander sperren; und wenn ihre Gefühle verletzt wurden oder man ihrer Würde zu nahe trat, so mußte man sie nach ihrem Ausdruck für die heillosesten Halunken im ganzen Tierreich halten. Bei jeder noch so leisen Berührung ihrer gläsernen Gefängnisse waren sie in einem Augenblick auf den Beinen und kampfgerüstet. In der ersten Nacht nach der Rückkehr der Brigade wehte wie gewöhnlich ein wütender Zephyr, der um Mitternacht das Dach eines benachbarten Stalles fortblies, so daß eine Ecke desselben krachend durch unsern Ranch hereingefahren kam. Es erfolgte ein gleichzeitiges Erwachen, eine geräuschvolle Musterung der Brigade im Dunkeln und ein allgemeines Stolpern und Uebereinanderpurzeln in dem schmalen Gange zwischen den Bettreihen. Mitten in dem Getümmel fuhr Bob H.– aus seinem gesunden Schlafe auf und stieß dabei mit dem Kopfe ein Brett herunter. Im selben Augenblick schrie er:

»Reißt aus, Jungens, die Taranteln sind los!«

Einen gräßlicheren Alarmruf hätte es nicht geben können. Niemand wagte mehr das Zimmer zu verlassen aus Furcht, auf eine Tarantel zu treten. Jeder tappte nach einem Koffer oder[15] einem Bett und schwang sich hinauf. Dann folgte die eigentümlichste Stille – eine Stille gräßlicher Spannung, voll Erwartung, Hoffnung, Furcht. Es war pechfinster, und um das Schauspiel der vierzehn zu genießen, wie sie in höchst mangelhafter Toilette ängstlich auf Koffern und Betten hockten, mußte man sich schon mit der Einbildungskraft behelfen, denn zu sehen war schlechterdings nichts. Dann folgten gelegentlich kleine Unterbrechungen der Stille; man konnte an der Stimme erkennen, wer sprach und wo der Betreffende sich befand; auch vermochte man zu unterscheiden, aus welcher Richtung die sonstigen Geräusche kamen, die einer der armen Dulder durch sein Herumtappen oder eine Aenderung seiner Körperlage verursachte. Die ab und zu vernehmbaren Stimmen waren nicht sehr gesprächig – man hörte nur ein schwaches ›Au!‹ gefolgt von einem tüchtigen Aufstampfen; dann wußte man, daß der betreffende Herr einen haarigen Teppich oder sonst etwas dergleichen auf der Haut gespürt und daraufhin einen Satz aus dem Bette auf den Stubenboden gemacht hatte. Darnach wieder tiefe Stille. Jetzt rief eine nach Luft schnappende Stimme:

»Mi-mir krabbelt etwas hinten am Hals hinauf!« Alle Augenblicke konnte man einen halbunterdrückten Schrei, ein schwaches Strampeln und ein angstvolles ›ach, Herrgott!‹ vernehmen – zum Zeichen, daß einer sich vor etwas zurückzog, was ihm wie eine Tarantel vorkam, und zwar ohne Zeitverlust. Nun schrie auf einmal hinten in der Ecke eine Stimme laut und wild auf:

»Ich hab’ ihn! Ich hab’ ihn!« (Hierauf Pause, während der die Verhältnisse sich vermutlich änderten.) »Nein, er hat mich! O, geht denn gar niemand und holt eine Laterne?«

In dem Augenblick erschien die Laterne in den Händen der Frau O’Flannigan. Nachdem diese aus dem Bett gestiegen und Licht gemacht, hatte sie trotz ihrer Begier, sich von der Größe[16] des durch das feindliche Dach angerichteten Schadens zu überzeugen, wohlweislich nicht unterlassen, eine angemessene Weile zu warten, bevor sie oben nachsah, ob der Wind jetzt fertig oder noch mehr Unthaten vorhabe.

Die Scenerie, welche sich enthüllte, als plötzlich der Schein der Laterne ins Zimmer strahlte, war malerisch und wäre vielleicht manchen Leuten komisch vorgekommen, für uns war sie es nicht. Wir saßen zwar in höchst wunderlicher Stellung und in einem nicht minder wunderlichen Aufzug auf Kisten, Koffern und Betten herum, allein wir hatten viel zu große Angst und fühlten uns zu unbehaglich, um etwas Komisches darin zu finden; so war denn nirgends auch nur der Schein eines Lächelns zu bemerken. Was mich betrifft, so kann ich mir nichts Aergeres vorstellen als die Pein, die ich während der wenigen Minuten voll angstvoller Spannung im Dunkeln, umgeben von diesen kriechenden, blutgierigen Taranteln, erduldet hatte. In kaltem Todesschweiß war ich von Bett zu Bett, von Kiste zu Kiste gehüpft, und so oft ich an etwas Stacheligem streifte, bildete ich mir bereits ein, ich spüre die Fänge.

Ich ginge lieber in den Krieg, als dieses Vorkommnis noch einmal mitzumachen. Es war übrigens niemand zu Schaden gekommen. Derjenige welcher glaubte, eine Tarantel ›habe ihn‹, irrte sich gründlich – er hatte sich nur die Finger in einen Kistenspalt geklemmt. Von den entwichenen Taranteln wurde keine jemals mehr gesehen; es waren zehn oder zwölf gewesen. Wir durchsuchten das Zimmer mit Licht von oben bis unten, jedoch ohne Erfolg. Dann gingen wir wohl zu Bette? O nein! Alles Gold der Welt hätte uns nicht dazu gebracht. Wir blieben die Nacht vollends auf, spielten ›Cribbage‹ und hielten scharfe Ausschau nach dem Feinde.


[17]

Zweites Kapitel.

Es war Ende August, der Himmel war wolkenlos und das Wetter prachtvoll. Im Laufe einiger Wochen hatte mich das merkwürdige neue Heimatland wunderbar bezaubert, und ich nahm mir vor, meine Rückkehr nach den ›Staaten‹ einige Zeit aufzuschieben. Ich hatte mich völlig daran gewöhnt, einen schadhaften Schlapphut, ein blaues Wollhemd und die Hosen in den Stiefelschäften zu tragen und war stolz auf den Mangel von Rock, Weste und Hosenträgern. Es war mir so rüpelhaft und ›großschnäuzig‹ zu Mute (wie der Historiker Josephus sich in seinem schönen Kapitel über die Zerstörung des Tempels ausdrückt). Ein so schönes und romantisches Leben konnte es nicht wieder geben, davon war ich fest überzeugt. Ich war zwar Regierungsbeamter, allein das diente nur zum äußeren Glanz. Das Amt war eine reine Sinekure. Ich hatte nichts zu thun und bezog keinen Gehalt. Ich war Privatsekretär Sr. Majestät des Sekretärs und für zwei gab es noch nicht Schreiberei genug. So widmete ich meine Zeit dem Vergnügen in Gesellschaft von Johnny K.–, dem jungen Sohn eines Nabobs in Ohio, der sich hier zu seiner Erholung aufhielt. Er fand diese auch. Wir hatten von der wundersamen Schönheit des Tahoe-Sees reden hören und schließlich trieb uns die Neugier, denselben in Augenschein zu nehmen. Drei oder vier Mitglieder der Brigade waren dort gewesen, hatten ein paar Holzschläge an seinen Ufern abgegrenzt und in ihrem Lager einen Vorrat von Lebensmitteln zurückgelassen. Wir schnallten uns ein paar wollene Decken auf den Rücken, nahmen jeder eine Axt und machten uns auf – denn wir wollten uns auch einen Waldranch oder so etwas anlegen und vornehme Leute werden.

[18]

Wir waren zu Fuß. Der Leser wird es vorteilhafter finden, zu reiten. Man sagte uns, es sei elf Meilen Weges. Lange marschierten wir auf ebenem Boden, dann klommen wir mühsam einen vielleicht tausend Fuß hohen Berg hinauf und hielten Umschau. Kein See da. Wir stiegen auf der andern Seite wieder hinunter, gingen über die Thalmulde hinüber und quälten uns noch einen Berg hinauf, der uns drei- bis viertausend Fuß hoch vorkam, um abermals Umschau zu halten. Noch immer kein See. Müde und schweißtriefend setzten wir uns nieder und mieteten uns ein paar Chinesen, um die Leute zu verfluchen, die uns zum besten gehabt hatten. Nach dieser Erfrischung nahmen wir unsern Marsch mit erneuter Kraft und Entschlossenheit abermals auf. Zwei oder drei Stunden schleppten wir uns noch weiter, bis endlich mit einemmal der See vor uns lag – eine herrliche blaue Wasserfläche, sechstausend dreihundert Fuß über dem Meeresspiegel und von einer Kette schneebedeckter Berggipfel umrahmt, die sich noch volle dreitausend Fuß höher auftürmten. Es war ein riesiges Oval von reichlich achtzig bis hundert Meilen Umfang. Wie er so dalag, während die Schattenbilder der Berge sich herrlich auf seiner stillen Oberfläche wiederspiegelten, war ich überzeugt, daß es sicherlich auf der ganzen Erde kein schöneres Bild geben könne.

Wir fanden den kleinen Kahn, welcher der Brigade gehörte, und fuhren ohne Zeitverlust über eine tiefe Einbuchtung des Sees auf die Meßstangen zu, welche das Lager bezeichneten. Ich ließ Johnny rudern – nicht aus Scheu vor der Anstrengung, sondern weil mir übel davon wird, wenn ich beim Arbeiten rückwärts fahre. Dagegen steuerte ich. Nach einer Fahrt von drei Meilen langten wir gerade mit Einbruch der Nacht an dem Lager an; todmüde und mit einem wahren Wolfshunger stiegen wir ans Land. In einer Höhlung unter den Felsen fanden wir die Vorräte und das Kochgeschirr und nun setzte ich mich trotz[19] meiner Erschöpfung auf einen Felsblock und beaufsichtigte die Zurüstungen, während Johnny Holz sammelte und das Essen bereitete. Mancher, der so viel geleistet hatte, wie ich, hätte sich wohl vor allem nach Ruhe gesehnt.

Es gab ein köstliches Essen – warmes Brot, gebratenen Speck und schwarzen Kaffee. Und die Einsamkeit, die uns umgab, war ebenfalls köstlich. Drei Meilen entfernt befand sich eine Sägemühle mit einigen Arbeitern, außerdem gab es im ganzen weiten Umkreis des Sees keine fünfzehn menschliche Wesen. Als die Dunkelheit herabsank und die Sterne herauf kamen, so daß der gewaltige Spiegel wie ein Juwelenschmuck strahlte, schmauchten wir beschaulich unsere Pfeifen in der feierlichen Stille und vergaßen alle Sorgen und Schmerzen. Als es Zeit war, breiteten wir unsere Decken über den warmen Sand zwischen zwei großen Felsstücken und schliefen bald ein, unbekümmert um die Ameisen, welche in langer Reihe uns in die Kleider krochen und uns bis auf die Haut untersuchten. Den Schlaf, der uns umfing, vermochte nichts zu stören, denn wir hatten ihn redlich verdient, und wenn unser Gewissen uns irgend welcher Sünden beschuldigte, so mußte es das Gericht für diese Nacht unter allen Umständen vertagen. Der Wind erhob sich gerade, als uns das Bewußtsein[20] schwand, und das Anprallen der Brandung am Ufer lullte uns in Schlummer.

Es ist nachts stets sehr kalt am Rande dieses Sees, allein wir waren gut mit Decken versehen, die uns hinreichend wärmten. Die ganze Nacht rührten wir kein Glied; in aller Morgenfrühe erwachten wir noch in derselben Lage, die wir abends eingenommen, um sofort aufzuspringen, gründlichst erfrischt, frei von Unbehagen und zum Uebersprudeln voll von neuer Spannkraft. So etwas stärkt über alle Begriffe. Heute wären wir mit zehn so hundemüden Leuten fertig geworden, wie wir tags zuvor waren. In unserer Zeit brauchen viele Menschen ihrer Gesundheit wegen Wasser- und Terrainkuren und gehen in fremde Länder. Drei Monate Lagerleben am Tahoe-See würde einer ägyptischen Mumie ihre urzeitliche Lebenskraft wieder geben, und einen Appetit bekäme sie dadurch wie ein Alligator. Damit meine ich natürlich nicht die ältesten und die trockensten Mumien, sondern die frischeren. Die Luft da oben in den Wolken ist gar rein und schön, gar frisch und köstlich. Und warum auch nicht? – Ist es doch dieselbe, welche die Engel atmen. Ich glaube, man würde die entsetzlichste Müdigkeit, die man sich überhaupt vorstellen kann, in einer Nacht auf dem Sande am Ufer dieses Sees sicher wegschlafen. Nicht unter einem Dach, sondern unter freiem Himmel. Es regnet dort im Sommer selten oder nie. Ich kenne jemand, der sterbenskrank dorthin ging; aber es wurde nichts mit dem Sterben. Als ein Gerippe kam er an und konnte sich kaum auf den Füßen halten; er hatte keinen Appetit und that nichts als Traktätchen lesen und über die Zukunft grübeln. Drei Monate darauf schlief er regelmäßig im Freien, aß dreimal am Tage so viel in ihn hineinging und pürschte zur Erholung dreitausend Fuß hoch im Gebirge dem Wilde nach. Dabei war er kein Gerippe mehr, sondern hatte ein beträchtliches Gewicht aufzuweisen. Das ist kein Hirngespinst,[21] es ist die reine Wahrheit. Er hatte an der Schwindsucht gelitten. Ich empfehle seine Erfahrung vertrauensvoll anderen Gerippen zur Nachahmung.

Ich begnügte mich wiederum mit der Oberaufsicht über die Küche. Sofort nach dem Frühstück stiegen wir ins Boot und ruderten drei Meilen am Seegestade entlang; dann stiegen wir aus. Die Stelle gefiel uns, deshalb nahmen wir etwa dreihundert Morgen davon in Besitz und schnitten unser Merkzeichen in einen Baum. Es war ein Bestand von gelben Fichten – ein dichter Wald von Bäumen, hundert Fuß hoch und bis auf fünf Fuß im Durchmesser über der Wurzel. Wir mußten unser Besitztum jedoch einzäunen, anders konnten wir es nicht behaupten, d. h. wir mußten da und dort einen Baum fällen, und zwar so, daß dadurch eine Art Einfriedigung mit ziemlich weiten Lücken entstand. Wir fällten jeder drei Bäume, fanden jedoch, daß es eine so herzbrechende Arbeit war, daß wir beschlossen, es dabei bewenden zu lassen; sicherten sie unser Eigentum – gut und schön, wenn nicht – nun so mochte es durch die Lücke auslaufen und von dannen fließen; tot quälen wollten wir uns nicht um ein paar elende Morgen Land. Tags darauf kamen wir zurück, um ein Haus aufzuschlagen; denn ein Haus war gleichfalls notwendig, wenn wir unsern Besitz behaupten wollten.[2] Wir beschlossen, ein tüchtiges Blockhaus zu bauen, das den Neid der Jungen von der Brigade erregen sollte. Als wir jedoch den ersten Klotz gehauen und zurecht gezimmert hatten, kam es uns unnötig vor, soviel Sorgfalt darauf zu verwenden, und wir beschlossen, es aus dünnen Stämmchen zu erbauen. Indessen sahen wir uns nach dem Zuhauen und Abputzen zweier Stämmchen zur Anerkennung der Thatsache genötigt, daß selbst eine[22] noch bescheidenere Architektur dem Gesetze Genüge thun würde, worauf wir beschlossen, unser Haus aus Reisig zu errichten. Wir widmeten dieser Arbeit den folgenden Tag, leisteten jedoch soviel im Herumsitzen und Schwatzen, daß wir erst um die Mitte des Nachmittags ein halbwegs fertiges Ding zu stande gebracht hatten. Während einer von uns Strauchwerk abhieb, mußte der andere unsern Bau bewachen, wir würden ihn sonst am Ende nicht wiedergefunden haben, wenn wir ihm beide den Rücken kehrten. Er hatte eine gar so starke Familienähnlichkeit mit dem ihn umgebenden Buschwerk. Wir waren indes damit zufrieden.

[2] Um Regierungsland unentgeltlich zu bekommen, mußte ein Ansiedler in gewisser Zeit ein Blockhaus gebaut und sonstige Arbeiten auf dem von ihm beanspruchten Boden verrichtet haben.

So waren wir nun Landbesitzer, in aller Form installiert und unter dem Schutze des Gesetzes. Wir beschlossen deshalb, unsern Wohnsitz auf unserem eigenen Grund und Boden aufzuschlagen und uns jenes großen Gefühls der Unabhängigkeit zu erfreuen, das nur eine solche Erfahrung verleihen kann. Spät am folgenden Nachmittag fuhren wir nach einer herrlichen und langen Rast von dem Lager der Brigade weg, samt allen Vorräten und Kochgeschirren, die wir fortbringen konnten, und zogen gerade mit Einbruch der Nacht das Boot auf unserem eigenen Landungsplatze an den Strand.

Wenn es irgend ein glücklicheres Leben giebt, als dasjenige, welches wir von nun an zwei oder drei Wochen lang in unserer Waldhütte führten, so muß das eine Sorte Leben sein, die ich weder aus Büchern, noch aus eigener Erfahrung kennen gelernt habe. Wir sahen während der ganzen Zeit außer uns selbst kein lebendes Wesen und vernahmen keine anderen Töne als diejenigen, welche Wind und Wellen hören ließen, das Seufzen der Fichten und dann und wann den fernen Donner einer Lawine. Der Wald um uns war dicht und kühl, der Himmel über uns erstrahlte in wolkenlosem Sonnenschein, der breite See vor uns war je nach der Stimmung der Natur bald klar wie[23] Kristall, bald von einem Lufthauch leicht gekräuselt und bald schwarz und sturmbewegt. Die ihn im Kreise überragenden Bergkuppen aber, mit Waldesgrün bekleidet, von Bergrutschen zerrissen, durch Schluchten und Thäler gespalten und mit Hauben glitzernden Schnees bedeckt, bildeten den passenden Rahmen und Abschluß zu dem herrlichen Bilde. Die Aussicht war stets fesselnd, bezaubernd, entzückend; nie wurde das Auge müde zu schauen, bei Nacht oder Tag, bei Ruhe oder Sturm; es kannte nur einen Schmerz, nämlich, daß es nicht ununterbrochen schauen durfte, sondern bisweilen sich zum Schlafe schließen mußte.

Wir schliefen im Sande, hart am Rande des Wassers, zwischen zwei schützenden Felsblöcken, die dafür sorgten, daß die stürmischen Nachtwinde uns nichts anhaben konnten. Ohne Schlafmittel schliefen wir stets ein und mit dem ersten Tagesgrauen waren wir wieder auf und liefen gleich um die Wette, um unser überschäumendes Kraftgefühl und unsere übermütige Laune etwas herabzustimmen, d. h. Johnny lief – und ich hielt indessen seinen Hut. Während wir dann nach dem Frühstück die Friedenspfeife schmauchten, beobachteten wir, wie die Berggipfel auf ihrer hohen Warte sich in den Glanz der Sonne kleideten. Wir folgten dem Licht auf seinem Siegespfade, wie es zwischen den Schatten herabschoß und die in den Banden der Finsternis liegenden Felszacken und Wälder in Freiheit setzte. Wir sahen die farbigen Bilder auf dem Wasser immer größer und heller werden, bis jede kleine Einzelheit von Wald, Bergwand und Felszinne hineingewoben war und das Zauberwerk vollständig fertig vor uns lag. Dann ging es ans ›Geschäft‹, d. h. an das Herumtreiben im Boote.

Wir befanden uns am Nordufer. Hier waren die Felsen auf dem Grunde grau oder weiß. Dadurch kommt die wunderbare Durchsichtigkeit des Wassers zu vollerer Geltung als sonst irgendwo auf dem See. Gewöhnlich ruderten wir etwa hundert[24] Ellen weit hinaus vom Ufer, dann legten wir uns im Sonnenschein auf die Sitzbretter und ließen das Boot treiben, wohin es wollte. Selten sprachen wir ein Wort; das hätte nur die Sabbatstille unterbrochen und uns in den Träumen gestört, die wir unserer üppigen Ruhe und Trägheit verdankten. Das Ufer war allenthalben durch tiefe Buchten und Baien ausgezackt, die von schmalen Sandbänken begrenzt wurden; wo der Sand endete, stiegen die schroffen Bergwände in den Himmelsraum auf, wie eine ungeheure, fast senkrechte Mauer, die dicht mit hochragenden Fichten bewachsen ist.

So eigentümlich klar war das Wasser, daß es an Stellen, wo die Tiefe bloß zwanzig bis dreißig Fuß betrug, den Grund mit einer Deutlichkeit erkennen ließ, welche die Täuschung hervorrief, als schwämme das Boot in der Luft. Ja, dies war sogar an Stellen von achtzig Fuß Tiefe der Fall.

Jeder kleine Kiesel war deutlich sichtbar, jede gefleckte Forelle, jede Handbreit Sand. Oft, wenn wir mit dem Gesicht nach unten da lagen, tauchte ein granitner Block, scheinbar so groß wie eine Dorfkirche, blitzschnell vom Grunde nach der Oberfläche zu herauf, bis er plötzlich unsere Gesichter zu berühren drohte und wir dem Antrieb, nach einem Ruder zu greifen und die Gefahr abzuwenden, nicht zu widerstehen vermochten. Aber das Boot schwamm weiter, der Block senkte sich wieder, und wir konnten sehen, daß er, als wir uns genau über ihm befanden, immer noch zwanzig bis dreißig Fuß unter der Oberfläche gewesen sein mußte. In diesen großen Tiefen war das Wasser nicht mehr bloß einfach durchsichtig, sondern geradezu leuchtend und strahlend. Alle durch dasselbe gesehenen Gegenstände zeigten sich nicht nur in allgemeinen Umrissen, sondern bis zur kleinsten Einzelheit, mit solchem Glanz und solcher Klarheit, wie dies nicht der Fall gewesen sein würde, hätte man sie durch eine Luftschicht von derselben Tiefe hindurch gesehen. Der ganze[25] Raum da unten kam uns so leer und luftig vor, und wir hatten so lebhaft das Gefühl, hoch darüber, mitten im Nichts hinzuschwimmen, daß wir diese Ausflüge im Boote unsere ›Luftballon-Reisen‹ nannten.

Wir fischten fleißig, fingen aber im Durchschnitt kaum einen Fisch in der Woche. Wir konnten Forellen zu Tausenden unter uns durch den leeren Raum hinschwimmen oder an Sandbänken auf dem Grunde schlafen sehen, aber anbeißen wollten sie nicht – vielleicht, daß sie die Angelschnur zu deutlich unterscheiden konnten. Oftmals lasen wir uns eine Forelle aus, die wir gerne haben wollten und ließen ihr den Köder mit unermüdlicher Geduld achtzig Fuß tief drunten dicht vor der Nase baumeln; aber sie schüttelte denselben nur verdrießlich ab und nahm eine andere Stellung ein.

Gelegentlich badeten wir, doch war das Wasser, obwohl es so sonnig aussah, ziemlich frisch. Manchmal ruderten wir hinaus nach dem ›blauen Wasser‹, eine oder zwei Meilen vom Ufer. Das Wasser war dort ganz dunkelblau wie Indigo wegen der ungeheuren Tiefe. Der amtlichen Messung zufolge ist der See in der Mitte 1525 Fuß tief!

Bisweilen streckten wir uns an müßigen Nachmittagen auf den Sand hin und lasen bei einer Pfeife ein paar alte abgegriffene Erzählungen. Abends am Lagerfeuer spielten wir zur Herzstärkung ›Euchre‹ und ›Seven Up‹, und zwar mit so fettigen und schäbigen Karten, daß nur eine den ganzen Sommer fortgesetzte Bekanntschaft mit ihnen es ermöglichte, bei gehöriger Aufmerksamkeit das Kreuz-Aß vom Schellen-Buben zu unterscheiden.

In unserm ›Hause‹ schliefen wir niemals; das kam uns gar nicht in den Sinn; überdies hatten wir es ja nur gebaut, um das Anrecht auf Grund und Boden zu erhalten, und das genügte. Zuviel zumuten wollten wir ihm nicht.

[26]

Allmählich begannen unsere Lebensmittel knapp zu werden; wir kehrten deshalb ins alte Lager zurück, um neue Vorräte zu holen. Wir waren den ganzen Tag fort und kamen erst mit Einbruch der Nacht ziemlich müde und hungrig wieder heim. Während Johnny die Hauptmasse der Lebensmittel zu späterem Gebrauch in unser Haus trug, schaffte ich den Brotlaib, etliche Schinken und den Kaffeetopf ans Ufer, stellte die Sachen an einem Baum ab, zündete ein Feuer an und ging dann nach dem Boote zurück, um die Bratpfanne zu holen. Unterwegs hörte ich einen Schrei von Johnny, und als ich aufblickte, sah ich mein Feuer über die ganze Umgegend hingaloppieren. Johnny befand sich jenseits desselben und mußte durch die Flammen hindurchlaufen, um das Seeufer zu gewinnen; dann standen wir hilflos da und beobachteten die Verwüstung, die der Brand anrichtete.

Der Boden war mit einer hohen Schicht trockener Fichtennadeln bedeckt, die bei der ersten Berührung mit dem Feuer aufflammten wie Schießpulver. Es war merkwürdig anzusehen, mit wie rasender Eile die gewaltige Flammensäule sich fortbewegte. Mein Kaffeetopf war dahin und alles andere mit ihm. Nach anderthalb Minuten ergriff das Feuer einen dichten Busch trockenen Manzanita-Gesträuchs von sechs bis acht Fuß Höhe, und nun wurde das Brausen, Zischen und Prasseln geradezu fürchterlich. Die durchdringende Hitze trieb uns in das Boot, wo wir, wie durch einen Zauber gefesselt, verblieben.

Binnen einer halben Stunde war alles vor unseren Augen ein rasendes und blendendes Flammenmeer. Das Feuer brauste an den nächsten Hügelkämmen empor, überstieg dieselben und verschwand in den jenseitigen Schluchten, um dann plötzlich auf ferneren und höheren Bergrücken abermals zum Vorschein zu kommen, wo es eine noch gewaltigere Helle ausstrahlte und dann wieder untertauchte. Dann flammte es wieder auf, höher[27] und immer höher am Bergeshang, sandte Glutströme wie Plänklerketten da und dorthin aus, die sich dann in rotglühenden Schlangenlinien zwischen fernen Bergwänden, Klippen und Schlünden hinwälzten, bis die hoch aufragenden Gebirgsstöcke, so weit das Auge reichte, von roten Lavabächen überzogen waren, die einem verschlungenen Netzwerk glichen. Weithin über dem Wasser erstrahlten die Felshörner und Bergkuppen in grellrotem Glanz, und das Firmament droben flammte in einer wahren Höllenglut!

Dieses Schauspiel wiederholte sich Zug für Zug in dem glühenden Spiegel des Sees! Beide Bilder waren erhaben, beide schön, doch zeigte das Spiegelbild im See eine staunenswerte Farbenpracht, welche das Auge noch unwiderstehlicher fesselte und entzückte.

Vier lange Stunden saßen wir in uns versunken und regungslos da; wir dachten weder an Speise noch Trank und fühlten keine Ermüdung. Um elf Uhr hatte der Brand unsern Gesichtskreis überschritten und allmählich lagerte sich das Dunkel wieder über die Landschaft.

Jetzt meldete sich der Hunger; aber es gab nichts zu essen. Die Lebensmittel waren ohne Zweifel sämtlich gekocht und gebraten; doch nahmen wir sie nicht in Augenschein. Wir waren wieder heimat- und besitzlose Wandervögel. Unser Zaun war fort, unser Haus verbrannt und nicht einmal versichert gewesen. Unser Fichtenwald war gehörig versengt, die abgestorbenen Bäume sämtlich verbrannt und die weiten Strecken Manzanita-Gebüsch weggefegt. Unsere Decken indes befanden sich an unserem gewohnten Schlafplatz auf dem Sande; so legten wir uns denn nieder und schliefen ein. Am nächsten Morgen brachen wir wieder nach dem alten Lager auf, aber während wir noch eine weite Strecke vom Ufer entfernt waren, brauste ein gewaltiger Sturm heran, so daß wir nicht zu landen wagten. So schöpfte ich denn die Wasserstürze aus, die uns ins Boot schlugen, während[28] Johnny mit Macht durch die Wogen ruderte, bis wir drei oder vier Meilen jenseits des Lagers eine gute Landungsstelle erreicht hatten. Der Sturm blies immer stärker, und es wurde uns immer klarer, daß wir besser thäten, das Boot auf gut Glück auf den Strand laufen zu lassen, als uns der Gefahr auszusetzen, in hundert Faden tiefem Wasser zu versinken. So fuhren wir denn aufs Land zu, hohe, weiße Wellenkämme hinter uns; ich saß hinten auf dem letzten Brette und lenkte die Spitze des Bootes nach dem Ufer hin. Im Augenblick, als dasselbe aufstieß, kam eine Welle über den Stern herüber, welche Mannschaft und Ladung ans Ufer spülte und uns dadurch viele Mühe und Not ersparte. Den ganzen Tag über zitterten wir hinter einem Felsblock vor Frost und froren auch die ganze Nacht hindurch. Am Morgen hatte sich der Sturm gelegt und wir ruderten ohne jeden überflüssigen Aufenthalt nach dem Lager. Wir waren dermaßen ausgehungert, daß wir den ganzen Rest des Proviants der Brigade aufaßen; dann machten wir uns nach Carson auf, um ihnen zu beichten und sie um Absolution zu bitten. Gegen Zahlung des Schadens wurde dieselbe gewährt.

Wir machten später noch manchen Ausflug nach dem See und bestanden haarsträubende Abenteuer, bei denen wir nur mit knapper Not davonkamen. Aber die Geschichte schweigt darüber.


[29]

Drittes Kapitel.

Ich kam jetzt zu dem festen Entschluß, mir ein Reitpferd anzuschaffen. Nie hatte ich, außer im Zirkus, eine so tolle, freie, prächtige Reitkunst gesehen, wie sie diese malerisch gekleideten Mexikaner, Kalifornier und mexikanisierten Amerikaner in Carson Tag für Tag zum besten gaben. Wie die ritten! Nur ein klein wenig nach vorn gebeugt, fegten sie durch die Straßen wie der Wind; die breite Krempe ihres Schlapphutes stand kerzengerade in die Höhe, und sie schwangen die lange Riata über dem Kopfe. Eine Minute darauf waren sie nur noch ein Staubwölkchen, weit draußen in der Wüste. Beim Traben waren sie stolz und anmutig auf dem Pferde, als wären sie mit demselben verwachsen und hopsten nicht auf und nieder nach der albernen Manier der Reitschulen. Ich hatte bald ein Pferd von einer Kuh unterscheiden gelernt und brannte vor Begier, noch mehr zu können; ich war entschlossen, mir ein Pferd zu kaufen. Während dieser Gedanke mir im Kopf herumschwirrte, kam der Auktionator auf einem schwarzen Tiere über die Plaza gejagt, es war höckerig und eckig wie ein Kamel und auch ebenso häßlich; allein es wurde versteigert: »zum drittenmal zweiundzwanzig – Pferd, Sattel und Zügel für zweiundzwanzig Dollars, meine Herren!« und da konnte ich kaum widerstehen.

Ein unbekannter Mann (wie sich später zeigte, war es der Bruder des Auktionators) bemerkte meine sehnsüchtigen Blicke und meinte, es sei doch für den Preis ein ganz respektables Pferd; der Sattel, fügte er bei, sei allein das Geld wert. Es war ein spanischer Sattel mit gewichtigen ›Tapidaros‹ und mit dem plumpen Ueberzug von Sohlenleder unaussprechlichen Namens.[30] Ich sagte, ich hätte halb und halb Lust zu bieten. Darauf sah mich der Mensch mit seinen stechenden Augen an, als wollte er prüfen, wes Geistes Kind ich sei; doch ließ ich jeden Verdacht fallen, als er sprach, denn sein Wesen war voll argloser Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit.

»Ich kenne dieses Pferd, – kenne es genau,« sagte er, »Sie sind ein Fremder dem Anschein nach, und so können Sie vielleicht meinen, es sei ein amerikanisches Pferd, aber ich versichere Sie, das ist nicht der Fall. Es ist durchaus nichts dergleichen; es ist – entschuldigen Sie, wenn ich leise spreche, es sind noch mehr Leute um den Weg – es ist ohne den allermindesten Zweifel ein echter mexikanischer Stöpsel!« Ich wußte allerdings nicht, was ein echter mexikanischer Stöpsel war, allein es lag etwas so Besonderes in der Art, wie der Mann das sagte, daß ich mir im stillen gelobte, ich müsse einen echten mexikanischen Stöpsel haben, und sollte es mein Leben gelten. »Hat es sonst noch Vorzüge?« forschte ich mit unsicherer Stimme, indem ich meine Ungeduld nach Kräften zu bemeistern suchte.

Er faßte mit einem Finger in die Tasche meines Wollhemdes, zog mich beiseite und flüsterte mir mit Nachdruck ins Ohr: »Er ist im Bocken jedem über in ganz Amerika!«

»Zum dritten, zum dritten, zum drittenmal – vierundzwanzig ein halb Dollars meine Her–«

»Siebenundzwanzig!« schrie ich wie toll.

»Gehört Ihnen!« erklärte der Auktionator, und damit übergab er mir den echten mexikanischen Stöpsel.

Ich vermochte kaum meinen Jubel zurückzuhalten, bezahlte[31] das Geld und stellte das Tier in den benachbarten Mietstall ein, damit es etwas zu fressen bekomme und sich ausruhe. Am Nachmittag nahm ich das Geschöpf mit auf die Plaza, wo ein paar Leute es an Kopf und Schwanz festhielten, während ich aufstieg. Sobald sie losließen, stellte der Gaul seine vier Füße dicht zusammen, senkte den Rücken und wölbte ihn dann wieder plötzlich, so daß er mich drei oder vier Fuß hoch in die Luft hinauf schnellte! Ich kam ganz senkrecht wieder herunter, mitten in den Sattel, flog aber augenblicklich wieder in die Höhe und wäre fast auf den hohen Sattelknopf gekommen, schoß dann ein drittesmal empor und kam jetzt auf den Hals des Gaules zu sitzen – alles im Verlauf von drei oder vier Sekunden. Nun bäumte er sich und stand fast kerzengerade auf den Hinterbeinen, während ich mich verzweifelt an seinen mageren Hals anklammerte und so in den Sattel zurückrutschte. Kaum stand er wieder auf allen Vieren, so hob er sofort die Hinterbeine und stellte sich auf die Vorderbeine, während er mit jenen ausschlug, als wollte er dem Himmel eins versetzen. Sodann begann er abermals[32] Flugübungen mit mir anzustellen. Als ich das drittemal emporschnellte, hörte ich, wie ein Fremder sagte: »O, aber der kann einmal bocken!«

Ich schwebte noch in der Luft, als jemand dem Gaul einen schallenden Hieb mit einem Lederriemen gab, und als ich wieder herunterkam, war der echte mexikanische Stöpsel nicht mehr da. Ein junger Kalifornier jagte ihm nach, fing ihn ein und fragte, ob er einen Ritt mit ihm machen dürfe. Ich gestattete ihm diesen Hochgenuß. Er bestieg den Echten und flog ebenfalls einmal in die Höhe, rannte ihm aber, wie er herunterkam, die Sporen in die Rippen, worauf der Gaul davonging wie ein Telegramm. Er schwebte über drei Zäune wie ein Vogel und verschwand auf der Straße nach dem Washoe-Thal.

Ich ließ mich mit einem Seufzer auf einen Stein nieder und suchte unwillkürlich mit der einen Hand die Stirn, mit der andern den Magen. Ich glaube, ich hatte noch nie die Unzulänglichkeit der menschlichen Maschinerie so gründlich erkannt, – denn ich hätte mindestens eine oder zwei Hände mehr haben sollen, um sie noch an andere Stellen halten zu können. Keine Feder kann beschreiben, wie ich zusammengeschüttelt war. Keine Einbildungskraft reicht hin, um[33] sich vorzustellen, wie ich gänzlich aus dem Leim gegangen, innerlich und äußerlich zerrissen, zerfahren und durch und durch gerüttelt war. Es hatte sich indes eine teilnehmende Schar um mich gesammelt, und ein Mann von ältlichem Aussehen spendete mir den Trost:

»Fremder, Sie sind hereingefallen. Jedermann in diesem Neste kennt dieses Pferd. Jedes Kind, jeder Indianer hätte Ihnen sagen können, daß es bocken würde; es ist im Bocken der schlimmste Teufel in ganz Amerika. Hören Sie, was ich sage. Ich bin Curry, der alte Curry, der alte Abe Curry. Der Gaul ist ein echter mexikanischer Stöpsel durch und durch und dazu noch ein ungewöhnlich niederträchtiger. Ei, Sie Tausendsapperlot, wenn Sie es gescheit angegriffen hätten, so hätten Sie vielleicht ein amerikanisches Pferd für weit weniger kriegen können, als Sie für die elende, alte, fremde Krake bezahlt haben.«

Ich sagte keine Silbe, aber ich nahm mir im stillen vor, falls der Bruder des Auktionators während meines Aufenthalts im Lande zu Grabe getragen werden sollte, alle andern Vergnügungen zu verschieben, um dieses Begräbnis nicht zu versäumen.

Nach einem Galopp von sechzehn Meilen kamen der kalifornische Jüngling und der echte mexikanische Stöpsel wieder in die Stadt gejagt. Die Schaumflocken flogen um sie herum, wie um das Flugwasser, das vor einem Wirbelsturm dahertreibt. Mit einem letzten Satz, den sie über einen Schubkarren und einen Chinesen weg machten, warfen sie vor dem Ranch Anker.

Dieses Keuchen und Schnauben! Wie die roten Nüstern des Pferdes arbeiteten und seine wilden Augen blitzten! Aber war der störrische Gaul etwa geduckt? Nein, wahrhaftig nicht. Seine Herrlichkeit der ›Sprecher des Hauses‹ glaubte das und wollte auf ihm nach dem Kapitol (Regierungsgebäude) reiten. Allein sogleich machte das Geschöpf einen Satz über einen Haufen[34] Telegraphenstangen weg, halb so hoch wie eine Kirche, und den Weg nach dem Kapitol – eine und dreiviertel Meilen – flog es anstatt zu laufen, d. h. es sauste schnurgerade über alles hinweg, indem es Zäune und Gräben den Krümmungen der Straße vorzog. Als der Sprecher nach dem Kapitol gelangte, war er weit mehr in der Luft gewesen, als auf dem Pferderücken und meinte, ihm sei zu Mute, als habe er die Tour auf einem Kometen gemacht.

Abends kam der Sprecher zu Fuß nach Hause und ließ den ›Echten‹ hinter einem Steinwagen angebunden stehen. Tags darauf überließ ich das Tier dem Sekretär des Hauses zu einem Ritt nach der sechs Meilen entfernten Silbergrube von Dana; auch er kam (um sich Bewegung zu machen) zu Fuß zurück und ließ das Pferd angebunden stehen. Ich mochte den Gaul leihen, wem ich wollte, alle kamen zu Fuß zurück, alle meinten, es fehle ihnen sonst an der nötigen Bewegung. Trotzdem borgte ich ihn fortwährend jedem, der ihn haben wollte; ich dachte, wenn der Gaul sich dabei einen Schaden thäte, könnte ich ihn dem Betreffenden aufhalsen, oder er bräche das Genick, dann müsse mir der Reiter den Wert ersetzen. Es passierte ihm jedoch nicht das geringste. Er lieferte Stückchen, die noch nie ein Pferd geleistet hat, ohne Hals und Bein zu brechen; aber er kam immer mit heiler Haut davon. Tag für Tag unternahm er Sachen, die man sonst für unmöglich hielt, setzte aber alles durch. Manchmal verrechnete er sich allerdings ein klein wenig und brachte den Reiter in Schaden; aber ihm selbst wurde nie ein Haar gekrümmt. Natürlich hatte ich längst den Versuch gemacht, ihn zu verkaufen, doch fand dieses naive Unternehmen sehr wenig Anklang. Vier Tage lang raste der Auktionator auf ihm in den Straßen auf und ab, wobei er die Leute auseinanderjagte, den Verkehr störte und Kinder zu Boden ritt, ohne irgend ein Gebot zu erhalten – wenigstens kein anderes als die achtzehn[35] Dollars, die ein von ihm gedungener, notorisch vermögensloser Bummler bot. Die Leute lachten nur in aller Freundlichkeit, bezwangen aber ihre Kauflust, falls eine solche überhaupt bei ihnen vorlag. Darauf behändigte mir der Auktionator seine Rechnung und zog den Gaul vom Markte zurück. Nun suchten wir denselben aus freier Hand loszuschlagen, indem wir ihn mit Verlust gegen ausrangierte Grabsteine, altes Eisen, Mäßigkeitstraktätchen – kurz gegen irgend welche Ware in Tausch anboten. Allein die Eigentümer so schöner Sachen waren auf ihrer Hut und aus dem Geschäft wurde nichts. Nie mehr machte ich den Versuch, den Gaul zu reiten. Für einen Menschen, wie ich, der nur über Brüche und andere innere Schäden u. dgl. zu klagen hatte, reichte das Gehen zur Bewegung vollständig hin. Endlich versuchte ich ihn zu verschenken, aber auch das verfing nicht. Die Leute meinten, an der Meeresküste seien die Erdbeben billig genug zu haben, – sie wollten sich nicht selber eins anschaffen. Zuletzt verfiel ich darauf, ihn dem Gouverneur zum Gebrauch für die Brigade anzubieten. Im ersten Augenblick leuchtete sein Gesicht vor Begier auf, nahm aber bald wieder einen gleichgültigeren Ausdruck an, – er meinte, die Sache wäre denn doch gar zu durchsichtig.

Gerade um diese Zeit brachte der Inhaber des Mietstalles mir seine Rechnung für sechswöchige Pflege des Gauls – Stallraum fünfzehn Dollars, Heu zweihundertfünfzig! Der echte mexikanische Stöpsel hatte eine Tonne Heu gefressen, und der Mann behauptete, wenn er ihm den Willen gelassen hätte, würde er wohl hundert Tonnen aufgefressen haben.

Ich will hier in allem Ernste bemerken, daß der gewöhnliche Preis des Heus während dieses und eines Teils des folgenden Jahres wirklich zweihundertfünfzig Dollars die Tonne betrug. Im vergangenen Jahre hatte die Tonne bisweilen fünfhundert Dollars in Gold gekostet, und im Winter vorher[36] war der Artikel so knapp, daß kleine Vorräte gelegentlich achthundert Dollars die Tonne eingebracht hatten! Die Folgen lassen sich leicht erraten: Die Leute trieben ihr Vieh hinaus und überließen es dem Hungertode; noch ehe der Frühling ins Land kam, waren die Thäler von Carson und Eagle mit den Leichnamen der Tiere förmlich übersäet. Jeder alte Ansiedler wird dies bestätigen. Ich ermöglichte es, die Mietstallrechnung zu zahlen, und noch am selben Tage schenkte ich den ›echten mexikanischen Stöpsel‹ einem vorüberziehenden Auswanderer aus Arkansas.


[37]

Viertes Kapitel.

Nevada bildete ursprünglich einen Teil von Utah unter dem Namen Carson County, und es war das eine recht ansehnliche ›Grafschaft‹. In einigen Thälern gab es Heu in Masse und dies zog ganze Kolonieen mormonischer Viehzüchter und Farmer dorthin. Von Kalifornien aus kamen auch vereinzelt kleine Scharen rechtgläubiger Amerikaner herüber, allein die beiden Klassen von Ansiedlern waren einander nicht sehr hold. Es herrschte so gut wie gar kein freundlicher Verkehr unter ihnen, jeder Teil blieb für sich. Die Mormonen waren bedeutend in der Ueberzahl und genossen außerdem den Vorzug eines besonderen Schutzes von seiten der mormonischen Regierung des Territoriums. Deshalb konnten sie sich erlauben, hochmütig, ja selbst gebieterisch gegen ihre Nachbarn aufzutreten.

Im Jahre 1858 wurden in Carson County Silberadern entdeckt, und damit gewannen die Verhältnisse ein anderes Ansehen. Kalifornier strömten in Scharen herein und das amerikanische Element bildete bald die Mehrheit. Die Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber Brigham Young[3] und Utah wurde aufgehoben und von den Bürgern eine provisorische Territorial-Regierung für Washoe eingerichtet. Gouverneur Roop war der erste und einzige höhere Beamte. Nach Ablauf der erforderlichen Zeit beschloß der Kongreß die Organisation des ›Territoriums Nevada‹, worauf Präsident Lincoln den Gouverneur Nye an Roops Stelle schickte. Um jene Zeit betrug die Bevölkerung des Territoriums ungefähr zwölf- bis fünfzehntausend[38] Seelen und wuchs mit reißender Schnelligkeit; man beutete eifrig die Silbergruben aus und errichtete Pochwerke für das Silbererz; Geschäfte aller Art entstanden und gediehen von Tag zu Tag mehr.

[3] Das langjährige Staatsoberhaupt der Mormonen.

Die Bewohner waren froh, eine gesetzmäßige, geordnete Regierung zu besitzen; dagegen waren sie nicht besonders erbaut davon, die Gewalt an Fremde aus weit entlegenen Staaten übertragen zu sehen – eine höchst natürliche Empfindung. Sie meinten, man hätte die Beamten aus ihrer eigenen Mitte wählen sollen – aus den hervorragenden Bürgern, die sich ein Recht auf solche Beförderung erworben hätten, die die Gefühle der Bevölkerung teilten und mit den Bedürfnissen des Territoriums gründlich vertraut wären. Dieser Gesichtspunkt war zweifellos völlig berechtigt. Ueberdies waren die neuen Beamten ›Auswanderer‹, und schon deshalb brachte man ihnen von keiner Seite Liebe und Hochachtung entgegen. Die neue Regierung wurde also mit beträchtlicher Kälte aufgenommen, sie kam nicht nur als fremder Eindringling, sondern war auch außerdem arm. Es verlohnte sich nicht einmal, sie zu rupfen – höchstens für die elendesten der kleinen Aemterhascher und Stellenjäger. Jedermann wußte, daß der Kongreß nur zwanzigtausend Papier-Dollars jährlich für ihren Unterhalt ausgesetzt hatte – ungefähr gerade genug, um ein Quarz-Pochwerk einen Monat lang in Betrieb zu erhalten. Auch war allgemein bekannt, daß das Geld für das erste Jahr noch in Washington lag und daß es lange dauern und manche Schwierigkeit machen werde, bis man es zu sehen bekäme. Carson City war zu unliebenswürdig und zu klug, um dem fremden Wechselbalg etwa mit unschicklicher Hast ein Konto zu eröffnen.

Es liegt etwas Tragikomisches in den Kämpfen, unter denen eine neugeborene Territorial-Regierung sich ihren Platz in dieser Welt erobert; die unsrige hatte einen sehr schweren[39] Stand. Das Organisations-Gesetz und die Instruktionen des Staatsdepartements schrieben vor, daß binnen der und der Zeit eine gesetzgebende Versammlung gewählt und deren Sitzungen an dem und dem Tag eröffnet werden sollten. Gesetzgeber zu bekommen war nicht schwer, selbst für drei Dollars Taggeld, obwohl Kost und Wohnung fünftehalb Dollars betrug, denn Würde und Ansehen haben in Nevada ihren Reiz so gut wie anderswo, und es gab eine Menge beschäftigungsloser patriotischer Seelen; aber eine Halle für die Versammlungen zu beschaffen, das war nicht so leicht geschehen. Carson lehnte höflich ab, einen Saal mietfrei herzugeben oder der Regierung auf Kredit zu überlassen. Als jedoch Curry von der Schwierigkeit hörte, trat er ganz allein vor, nahm das Staatsschiff auf seine Schultern, trug es über die Sandbank und machte es wieder flott. Ich meine unsern Curry – den alten Curry – den alten Abe Curry. Ohne ihn hätte die Gesetzgebung ihre Sitzungen in der Wüste abhalten müssen. Er bot sein großes, massives Gebäude, dicht neben der Stadtgrenze, mietfrei an, was freudig angenommen wurde. Dann baute er eine Pferdebahn von der Stadt nach dem Kapitol, auf der er die Gesetzgeber gratis beförderte. Ferner lieferte er fichtene Bänke und Stühle für dieselben und ließ die Fußböden mit Sägspänen belegen, welche Teppich und Spucknapf zugleich vorstellten. Ohne Curry wäre die Regierung in den Windeln gestorben. Zur Trennung des Senats vom Repräsentantenhaus ließ der Sekretär eine Zwischenwand von Sackleinwand beschaffen, welche drei Dollars und vierzig Cents kostete; allein die Vereinigten Staaten lehnten deren Bezahlung ab. Auf den Einwurf, daß ja die ›Instruktionen‹ die Bezahlung eines reichlichen Mietpreises für einen Versammlungssaal gestatten, und daß Herrn Currys Freigebigkeit dem Vaterland diese Summe erspart habe, erklärten die Vereinigten Staaten, das ändere nichts an der Sache; die drei Dollars und[40] vierzig Cents würden an dem Sekretärs-Gehalt von achtzehnhundert Dollars in Abzug gebracht werden – und so geschah es auch!

Eine der Hauptschwierigkeiten, mit welchen die neue Regierung anfänglich zu kämpfen hatte, bildeten die Drucksachen. Der Sekretär war eidlich zur Befolgung seiner geschriebenen Instruktionen verpflichtet, welche zwei Dinge mit unfehlbarer Bestimmtheit von ihm verlangten, nämlich:

1. Die täglichen Berichte über die Verhandlungen beider Häuser drucken zu lassen und

2. bei dieser Arbeit für den Satz anderthalb Dollars pro Tausend und für den Druck anderthalb Dollars pro Ries in Staatsnoten zu zahlen.

Es war keine Kunst, zu schwören, daß man diesen beiden Vorschriften nachkommen wolle, aber mehr als eine derselben wirklich auszuführen, war völlig unmöglich. Als die Staatsnoten bis auf vierzig Cents für den Dollar gefallen waren, forderten die Druckereien allerdings anderthalb Dollars für das Tausend und ebensoviel für das Ries, aber in Gold. Laut seiner Instruktion hatte der Sekretär aber einen von der Regierung ausgegebenen Papierdollar jedem anderen von ihr ausgegebenen Dollar gleich zu achten. Der Druck der Berichte wurde deshalb abgebrochen. Daraufhin erteilten die Vereinigten Staaten dem Sekretär eine ernste Rüge wegen Nichtbeachtung seiner Instruktionen und ermahnten ihn, bessere Wege zu wandeln. Er ließ deshalb einiges drucken und schickte die Rechnung nach Washington unter genauer Auseinandersetzung der hohen Preise im Territorium und machte dabei besonders auf einen gedruckten Marktbericht aufmerksam, woraus man ersehen möge, daß sogar die Tonne Heu zweihundertfünfzig Dollars koste. Hierauf antworteten die Vereinigten Staaten damit, daß sie die Drucksachen-Rechnung von dem unglücklichen Sekretärs-Gehalt abzogen, wobei[41] sie außerdem mit würdevollem Ernst beifügten, er werde in seinen Instruktionen vergebens nach einer Anweisung suchen, Heu zu kaufen!

Auf der ganzen Welt ist nichts in eine so undurchdringliche Finsternis gehüllt, wie der Verstand eines Kontrolleurs im Schatzamt der Vereinigten Staaten. Selbst die Feuerflammen des Jenseits vermöchten kaum einen matten Schimmer in seinem Hirn zu verbreiten. Damals war nichts imstande, ihm begreiflich zu machen, wie es kam, daß zwanzigtausend Dollars in Nevada, wo alle Waren ungeheuer hoch im Preise standen, nicht soweit reichten wie in den anderen Territorien, wo in der Regel eine außerordentliche Billigkeit herrschte. Er war ein Beamter, der stets nur sein Augenmerk auf die kleinen Ausgaben richtete. Wie oben bereits bemerkt, benützte der Sekretär des Territoriums seine Schlafstube als Amtszimmer und rechnete dem Staat dafür keinen Mietzins an, obwohl dies in seinen Instruktionen vorgesehen war und er ganz gut seinen Vorteil daraus hätte ziehen können (was ich augenblicklich gethan haben würde, wäre ich selbst Sekretär gewesen.) Allein die Vereinigten Staaten zollten dieser Hingebung niemals Anerkennung. Ich muß wirklich annehmen, mein Vaterland habe sich geschämt, einen Menschen in seinem Dienst zu haben, der sich so wenig auf seinen Vorteil verstand. Diese oft erwähnten ›Instruktionen‹ (wir lasen gewöhnlich ein Kapitel daraus jeden Morgen als geistige Turnübung und am Sabbat in der Sonntagsschule ein paar Kapitel, denn sie beschäftigten sich mit allem möglichen unter der Sonne und enthielten neben anderem statistischen Material auch viele höchst schätzbare Abschnitte religiösen Inhalts) schrieben vor, daß den Mitgliedern der Gesetzgebung Federmesser, Briefcouverts, Federn und Schreibpapier geliefert werden sollten. Der Sekretär schaffte daher diese Artikel an und besorgte deren Verteilung. Die Federmesser kosteten drei Dollars das Stück. Da eines[42] zu viel da war, so gab der Sekretär dasselbe dem Schriftführer des Repräsentantenhauses. Die Vereinigten Staaten bemerkten hierauf, der Schriftführer sei kein ›Mitglied‹ des Hauses und zogen die drei Dollars nach Gewohnheit dem Sekretär am Gehalt ab.

Ein Weißer berechnete für das Kleinmachen einer Ladung Brennholz drei bis vier Dollars; der Sekretär war so scharfsinnig, sich zu sagen, daß die Vereinigten Staaten nimmermehr soviel dafür zahlen würden; er ließ daher eine Ladung Bureauholz von einem Indianer für anderthalb Dollars klein machen. Er fertigte die übliche Quittung dafür aus, aber ohne Unterschrift; statt dessen fügte er einfach die Bemerkung bei, ein Indianer habe die Arbeit besorgt, und zwar ganz gut und zufriedenstellend; derselbe habe aber in Ermangelung der erforderlichen Kenntnisse die Quittung nicht unterschreiben können. Der Sekretär durfte die anderthalb Dollars bezahlen. Er hatte gemeint, vom Staate Anerkennung für seine Sparsamkeit und Ehrlichkeit zu ernten, weil er die Arbeit zum halben Preis besorgen ließ und keine angebliche Unterschrift des Indianers auf die Quittung setzte. Allein man sah die Sache in einem andern Lichte an. Man war bei der Regierung zu sehr daran gewöhnt, in allen denkbaren, öffentlichen Stellungen Dollarsdiebe zu haben, um der Erklärung auf der Quittung den geringsten Glauben beizumessen. Das nächstemal dagegen, als der Indianer Holz für uns hackte, lehrte ich ihn, am Ende der Quittung ein Kreuz zu machen. Das Zeichen stand so wacklig auf den Beinen, als wäre es ein Jahr lang betrunken gewesen, ich ›bezeugte‹ es jedoch, und nun ging es ganz ordnungsmäßig durch. Die Vereinigten Staaten sagten kein Wort darüber. Ich bedauerte bloß, daß ich die Quittung nicht gleich für tausend Ladungen Holz ausgestellt hatte anstatt für eine einzige. In meinem Vaterlande teilt die Regierung an die ehrliche Einfalt Rüffel aus,[43] während sie die geriebene Schurkenhaftigkeit hätschelt, und ich glaube wirklich, ich würde mich zu einem ganz geschickten Spitzbuben entwickelt haben, wäre ich ein oder zwei Jahre im Staatsdienste verblieben.

Es war eine nette Vereinigung von Souveränen, diese erste gesetzgebende Versammlung Nevadas. Sie legten Steuern auf bis zum Betrag von dreißig- oder vierzigtausend Dollars und bewilligten Ausgaben im Belauf von fast einer Million. Und doch hatten sie, wie alle andern Körperschaften dieser Art, ihre zeitweiligen kleinen Anwandlungen von Sparsamkeit. Ein Mitglied schlug vor, durch Abschaffung des Kaplans der Nation drei Dollars täglich zu ersparen. Und doch brauchte dieser kurzsichtige Mann den Kaplan nötiger als irgend ein anderer, denn während des Morgengebetes hatte er meist seine Füße auf dem Pult und verzehrte rote Rüben.

Zwei Monate tagte die Versammlung und erteilte die ganze Zeit nichts als Konzessionen zur Anlegung von Chausseen und Erhebung von Wegegeld. Als sie auseinanderging, schätzte man, daß wohl auf jeden Bürger drei solche Konzessionen kämen. Und man bezweifelte, ob, falls der Kongreß dem Territorium nicht noch einen Längengrad zulegen würde, Platz genug für die Unterbringung aller der Straßen vorhanden sein werde, deren Enden allenthalben wie Fransen über die Grenzlinie hinaushingen.

Das Frachtgeschäft hatte bald einen so gewaltigen Umfang angenommen, daß über plötzlich erworbenes Vermögen in Chausseen beinahe dieselbe Aufregung herrschte, wie über die wunderbar reichen Silberminen.


[44]

Fünftes Kapitel.

Nach und nach bekam ich auch das Silberfieber. Mutungsgesellschaften brachen Tag für Tag nach den Bergen auf, wo sie reiche, silberführende Adern und Quarzlager entdeckten und in Besitz nahmen. Das war ja ganz offenbar der Weg zum Glück. In der großen Grube ›Gould and Curry‹ galt zur Zeit unseres Eintreffens der Quadratfuß drei- oder vierhundert Dollars; zwei Monate darauf war er auf achthundert Dollars gestiegen; die ›Ophir-Grube‹ war das Jahr zuvor kaum eine Kleinigkeit wert gewesen, und jetzt wurde dort der Fuß mit nahezu viertausend Dollars bezahlt. Es ließ sich keine Grube nennen, die nicht in kurzer Zeit erstaunlich im Wert gestiegen wäre. Alle Welt sprach von diesen Wunderdingen. Man mochte kommen wohin man wollte, vom frühen Morgen bis spät in die Nacht hinein hörte man nichts anderes. Tom so und so hatte von der ›Amanda Smith‹ ein Stück für 40 000 Dollars verkauft – und hatte nicht einen Cent besessen, als er vor sechs Monaten die Schicht in Angriff nahm. John Jones hatte die Hälfte seines Anteils an der Grube ›Bald Eagle und Mary Ann‹ für 65,000 Dollars verkauft und war nun nach den Staaten gereist, um seine Familie zu holen. Die Witwe Brewster war in der Grube ›Golden Fleece‹ auf reichhaltiges Erz gestoßen und hatte zehn Fuß für 18 000 Dollars verkauft – und doch war sie im letzten Frühjahr, als Sing-Sing-Tommy ihren Mann umbrachte, nicht einmal imstande gewesen, sich einen Krepphut anzuschaffen. Die Besitzer der Grube ›Last Chance‹ hatten eine ›Lehmscheide‹ gefunden und wußten, daß sie einer Silberschicht auf der Spur waren, so daß ein Fuß davon, der gestern noch[45] ein Spottgeld wert war, heute den Wert eines Backsteinhauses hatte. Schäbige Anteilbesitzer, denen man gestern im ganzen Lande nirgends einen Schnaps geborgt hätte, brüllten heute im Champagnerrausch und sahen sich von Schwärmen warmer Freunde umgeben in einer Stadt, wo sie aus jahrelangem Mangel an Uebung nicht mehr gewußt hatten, wie man es macht, jemand zu grüßen oder ihm die Hand zu schütteln. Johnny Morgan, ein gemeiner Landstreicher, war eines Morgens in der Gosse mit 100,000 Dollars Vermögen aufgewacht, und zwar infolge der Entscheidung eines Prozesses über die Grube ›Lady Franklin and Rough and Ready.‹ Dergleichen Nachrichten tönten uns Tag aus Tag ein immer lauter in den Ohren, und immer höher loderte die Aufregung rings um uns empor.

Ich hätte gar kein Mensch sein müssen, um nicht auch toll zu werden wie die andern. Tag für Tag kamen ganze Karrenladungen von gediegenen Silberbarren aus den Pochwerken herein, ein Anblick, der bewies, daß das tolle Gerede um mich her nicht aus der Luft gegriffen war. Ich glaubte daran und wurde einer der allertollsten.

Alle paar Tage traf die Kunde von der Entdeckung einer nagelneuen Bergwerksregion ein. Sofort wimmelte es in den[46] Zeitungen von Berichten über ihren Reichtum, und die ganze überschüssige Bevölkerung stürzte fort, um davon Besitz zu nehmen. Die Krankheit steckte mir jetzt gehörig in den Knochen; eben noch hatte der Zulauf der Grube ›Esmeralda‹ gegolten, und nun fing ›Humboldt‹ an, mit lautem Geschrei die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Humboldt, Humboldt! so hieß jetzt das Losungswort, und unverzüglich füllte ›Humboldt‹, die neueste von den neuen, die reichste von den reichen, die wunderbarste von den wunderbaren Entdeckungen im Silbergebiet, zwei Spalten in den Tagesblättern, während ›Esmeralda‹ sich mit einer begnügen mußte. Ich war eben im Begriffe gewesen, nach der ›Esmeralda‹ aufzubrechen, ließ mich aber von der Strömung ablenken und machte mich nun nach dem ›Humboldt‹ fertig.


Sechstes Kapitel.

Jetzt hieß es flink sein! Wir verloren denn auch keine Zeit. Unsere Gesellschaft bestand aus vier Personen: einem sechzigjährigen Grobschmied, zwei jungen Advokaten und meiner Wenigkeit. Nachdem wir einen Wagen und zwei elende, alte Gäule gekauft, luden wir achtzehnhundert Pfund Lebensmittel, sowie unsere Bergmannsgeräte auf und fuhren an einem kalten Dezembernachmittage von Carson City ab. Die Pferde waren so alt und schwach, daß wir bald herausgefunden hatten, es würde wohl besser sein, wenn einer oder zwei von uns ausstiegen und den Weg zu Fuß fortsetzten. Es ging auch besser. Bald aber fanden wir, daß es noch besser sein werde, wenn auch ein dritter ausstiege. So war es denn auch. Ich hatte freiwillig das Amt des Fuhrmannes übernommen, obwohl ich[47] vorher noch nie mit einem angeschirrten Pferde gefahren war und mancher in solcher Lage sich gerne hierauf berufen hätte, um eine derartige Verantwortlichkeit abzulehnen. Allein nach einer kurzen Weile ergab es sich, daß es wohl ratsam wäre, wenn auch der Fuhrmann ausstiege und zu Fuß ginge. Damit verzichtete ich auf diese Stellung, zu der ich nie wieder gelangen sollte. Noch vor Ablauf einer Stunde fanden wir, daß es nicht nur besser, sondern unbedingt notwendig war, immer abwechselnd zu zweien den Wagen von hinten durch den Sand zu schieben, so daß die schwachen Pferde kaum noch etwas zu thun hatten, als die Zunge nicht heraushängen zu lassen und nicht zwischen die Räder zu kommen. Es hat vielleicht sein Gutes, wenn man von Anfang an weiß, was einem bevorsteht und sich mit seinem Schicksal versöhnen kann. Wir hatten das unsrige an einem einzigen Nachmittag kennen gelernt. Es war klar, daß wir zweihundert Meilen weit durch den Sand waten würden und den Wagen samt den Pferden vorwärts schieben müßten. So fügten wir uns denn in die Umstände, und mit dem Fahren war es aus.

Nach einem Weg von sieben Meilen lagerten wir uns in der Wüste. Der junge Clagett, jetzt Mitglied des Kongresses für Montana, schirrte die Pferde aus, fütterte und tränkte sie; Oliphant und ich schnitten Salbeiholz, machten Feuer und holten[48] Wasser zum Kochen, und der alte Herr Ballou besorgte das Kochen selbst. Diese Teilung der Arbeit und diese Bestimmung der Dienstleistungen für jeden einzelnen hielten wir während der ganzen Reise fest. Da wir kein Zelt hatten, schliefen wir in der freien Ebene unter unseren Decken. Die Ermüdung verschaffte uns festen Schlaf.

Wir brauchten zu der Reise von zweihundert Meilen fünfzehn Tage, oder vielmehr eigentlich nur dreizehn, denn einmal hielten wir irgendwo zwei Tage an, um die Pferde ausruhen zu lassen. Hätten wir diese hinten am Wagen angebunden, so würden wir sicherlich den Weg in zehn Tagen zurückgelegt haben; allein wir dachten daran erst, als es zu spät war, und schoben den Wagen samt den Pferden immer weiter, während wir uns die halbe Mühe hätten ersparen können. Leute, die uns begegneten, rieten uns, gelegentlich die Pferde in den Wagen zu setzen, allein Herr Ballou, durch dessen eisengepanzerten Ernst kein spitziges Wort durchdrang, meinte, das würde nicht gehen, die Lebensmittel würden in Gefahr kommen, weil die Pferde von langer Entbehrung ›bituminös‹ geworden seien. Der Leser wird mich entschuldigen, wenn ich dies nicht übersetze. Was Herr Ballou meinte, wenn er ein langes Wort gebrauchte, blieb allemal ein Geheimnis zwischen ihm und seinem Schöpfer. Er war einer der besten, gutmütigsten Menschen, die je eine niedere Lebenssphäre zierten – die Sanftmut und Einfalt selbst, und die Uneigennützigkeit ebenfalls. Obwohl mehr als zweimal so alt als der älteste von uns andern, that er doch deshalb niemals wichtig und verlangte niemals ein Vorrecht oder eine Ausnahmestellung. Er verrichtete dieselbe Arbeit wie ein junger Mann und leistete seinen Teil an der Unterhaltung von dem allgemeinen Standpunkte jeden Alters aus, nicht von der anmaßenden, Ehrfurcht heischenden Gipfelhöhe von sechzig Jahren. Die einzige auffallende Eigentümlichkeit an ihm war seine Vorliebe[49] für lange Wörter, die er um ihrer selbst willen liebte und gebrauchte, ganz unbekümmert um ihre Beziehung zu dem Gedanken, den er auszudrücken beabsichtigte. Stets ließ er seine gewichtigen Silben mit behaglicher Unkenntnis ihrer Bedeutung fallen, so daß dieselben niemals etwas Anstößiges haben konnten. Dabei war sein Benehmen so natürlich und einfach, daß man immer wieder in Versuchung geriet, in seinen großartigen Phrasen einen Inhalt zu suchen, während sie wirklich ganz und gar nichts bedeuteten. War ein Wort recht lang, großartig und vollklingend, so reichte dies hin, ihm die Liebe des alten Mannes zu gewinnen; er ließ es dann in seinen Reden irgendwo an der möglichst unpassendsten Stelle einfließen und freute sich daran, als hätte er die tiefsinnigste Wahrheit ausgesprochen.

Wir breiteten immer alle vier unsern ganzen Vorrat an Decken zusammen auf dem gefrorenen Boden aus und legten uns Seite an Seite schlafen. Da Oliphant einsah, daß unser dummer, hochbeiniger Hund viel tierische Wärme in sich habe, ließ er ihn zwischen sich und Herrn Ballou mit ins Bett kriechen und zog den warmen Rücken des Hundes an seine Brust, was er höchst behaglich fand. Aber während der Nacht fing der Köter an sich zu strecken und sich unter wohlgefälligem Knurren gegen Ballous Rücken zu stemmen und ihn fortzuschieben. Wenn er sich recht warm und gemütlich fühlte, trommelte er wohl auch im Uebermaß des Wohlgefühls voll Dankbarkeit und Glück dem Alten mit den Pfoten auf dem Rücken herum; ein andermal, wenn er von der Jagd träumte, zerrte er den alten Mann hinten an den Haaren und bellte ihm ins Ohr. Ballou beklagte sich zuletzt sehr sanftmütig über diese Beweise von Zuthunlichkeit und schloß seinen Vortrag mit der Bemerkung, so ein Hund sei kein Tier, das zu müden Leuten ins Bett passe, denn er sei ›meretriciös in seinen Bewegungen‹ und zu ›organisch in seinen Gefühlen‹. Wir warfen den Hund hinaus.

[50]

Es war eine harte, mühselige Reise, die aber trotzdem ihre Lichtseite hatte, denn wenn nach Tagesschluß unser Wolfshunger mit einem warmen Mahl von gebratenem Speck, Brot, Syrup und schwarzem Kaffee gestillt war, fanden wir bei einer Pfeife, ein paar Liedern und Geschichten am abendlichen Lagerfeuer, in der stillen Einsamkeit der Wüste eine frohe, sorgenfreie Erholung, welche uns als der höchste Gipfel irdischer Seligkeit erschien. Eine solche Lebensweise übt auf alle Menschen einen mächtigen Zauber aus, gleichviel, ob sie aus der Stadt oder vom Lande stammen. Wir sind die Abkömmlinge wüstendurchziehender Araber, und endlose Zeiträume stetig fortschreitender Kulturentwicklung waren nicht imstande, den Wandertrieb in uns auszurotten. Niemand von uns wird leugnen, daß ihn bei dem Gedanken an ein Nachtlager draußen im Freien stets ein Wonnegefühl durchbebt. Einmal wanderten wir fünfundzwanzig Meilen an einem Tag und ein andermal in der großen amerikanischen Wüste vierzig Meilen und dann noch einmal zehn, mithin im ganzen fünfzig, innerhalb dreiundzwanzig Stunden, ohne uns Zeit zum Essen, Trinken oder Ausruhen zu gönnen. Wenn man einen Wagen samt zwei Pferden fünfzig Meilen weit geschoben hat, ist es ein solcher Hochgenuß sich auszustrecken und dem Schlafe zu überlassen, wäre es auch auf steinigem und gefrorenem Boden, daß einem die Wonne für den Augenblick nicht zu teuer erkauft scheint.

Wir lagerten zwei Tage in der Nähe des Sees, in welchem sich der Humboldtfluß verliert. Unsere Versuche, das stark alkalische Wasser des Sees zu benutzen, fielen höchst kläglich aus. Es hinterließ einen bitteren, ganz abscheulichen Geschmack im Munde und ein höchst unangenehmes Brennen im Magen; es war, als tränke man starke Lauge. Wir thaten Syrup hinein, aber das machte es nur ganz wenig besser. Wir fügten eine Essiggurke hinzu, aber das Alkali schmeckte vor, und so war es[51] zum Trinken nicht zu brauchen. Kaffee von diesem Wasser war das niederträchtigste Gebräu, das ein Mensch je erfunden hat. Er schmeckte wirklich noch abscheulicher als das unverbesserte Wasser selbst. Herr Ballou, der das Getränk gebraut hatte, fühlte sich verpflichtet, es herauszustreichen und zu verteidigen und trank deshalb in kleinen Schlückchen eine halbe Tasse davon aus, wobei er es fertig brachte, ihm eine zeitlang ein schwaches Lob zu singen; schließlich aber schüttete er den Rest weg und erklärte offen und frei, der Kaffee sei ›zu technisch‹. Bald nachher fanden wir eine Quelle mit brauchbarem, frischem Wasser, worauf wir uns ohne weitere Verdrießlichkeiten und Störungen zur Ruhe legten.


Siebentes Kapitel.

Vom See aus reisten wir eine kurze Strecke den Humboldtfluß entlang. Leute, die an den riesig breiten Mississippi gewöhnt sind, gewöhnen sich auch allmählich daran, mit dem Wort ›Fluß‹ den Begriff großartiger Wasserfülle zu verbinden. Infolgedessen fühlen sich solche Leute recht enttäuscht, wenn sie am Ufer des Carson oder Humboldt stehen und finden, daß ein Fluß in Nevada ein kränkliches Bächlein ist, das in allen Punkten ein Seitenstück zum Eriekanal bildet, nur daß der Kanal zweimal so lang und viermal so tief ist. Es ist eine der angenehmsten und gesündesten Leibesübungen, am Humboldtfluß entlang zu laufen, so lange hinüber und herüber zu springen, bis man tüchtig erhitzt ist, und ihn dann trocken zu trinken.

Am fünfzehnten Tage hatten wir den zweihundert Meilen langen Marsch vollendet und hielten bei heftigem Schneesturm[52] unsern Einzug in Unionville. Die ›Stadt‹ bestand aus elf Hütten und einem Freiheitsbaum. Sechs von den Hütten standen in einer Reihe am Rande einer tiefen Schlucht, und die andern fünf ihnen gerade gegenüber. Auf beiden Seiten der Schlucht stiegen öde Bergwälle so hoch zum Himmel empor, daß das Dörfchen gleichsam tief unten auf dem Grund einer Erdspalte lag. Es war auf der Höhe dieser Berge immer schon lange Tag, bevor unten die Dunkelheit wich und Unionville sichtbar wurde.

Wir bauten uns eine kleine, rohe Hütte in der Erdspalte und deckten dieselbe mit Sackleinwand; eine Ecke ließen wir für den Abzug des Rauches offen, allein des Nachts purzelte gelegentlich das Vieh dort herein, so daß unser Hausgeräte Schaden litt und wir im Schlafe gestört wurden. Es war sehr kalt und Brennholz nur spärlich vorhanden. Indianer schleppten Gestrüpp und Buschholz mehrere Meilen weit auf dem Rücken herbei; konnten wir einen solchen beladenen Indianer fangen, so war es gut; konnten wir keinen fangen, – dies war übrigens die Regel, nicht die Ausnahme – so froren wir eben und fügten uns darein.

Ich gestehe ohne Beschämung, daß ich erwartet hatte, das Silber werde allenthalben massenhaft auf dem Boden herumliegen und man könne es auf den Berggipfeln in der Sonne blinken sehen. Natürlich sagte ich nichts davon, denn ein inneres Gefühl flüsterte mir zu, ich könne doch am Ende eine übertriebene Vorstellung von der Sache haben und mich, wenn ich meine Gedanken verriete, lächerlich machen. Doch zweifelte ich nicht im geringsten, daß ich binnen einem oder zwei Tagen, spätestens in einer Woche, Silber genug auflesen werde, um ganz hübsch reich zu sein – und so beschäftigte sich meine Einbildungskraft bereits eifrig mit Plänen zur Verwendung des Geldes. Bei der ersten schicklichen Gelegenheit schlenderte ich sorglos von der[53] Hütte weg, behielt aber die andern Jungen im Auge, und wenn ich dann meinte, sie beobachteten mich, blieb ich stehen und betrachtete den Himmel; sobald jedoch niemand da war oder acht gab, floh ich von dannen, als hätte ich einen Diebstahl auf dem Gewissen und hielt in meinem Lauf nicht eher inne, als bis ich weit außer Gesichts- und Rufweite war. Dann ging ich ans Suchen in fieberhafter Aufregung, denn ich war voll gespannter Erwartung und meiner Sache fast ganz sicher. Ich kroch auf dem Boden umher, hob Steinbrocken auf und untersuchte sie, indem ich den Staub abblies oder sie an meinen Kleidern rieb und mit hoffnungsvoller Gier musterte. Nicht lange, so fand ich einen glänzenden Brocken, und mir hüpfte das Herz. Hinter einem Felsblock versteckt polierte und prüfte ich ihn mit nervöser Hast und einem Entzücken, welches selbst bei Erfüllung aller meiner Hoffnungen nicht ganz berechtigt gewesen wäre. Je genauer ich meinen Brocken untersuchte, desto fester war ich überzeugt, den Weg zum Glück gefunden zu haben. Ich bezeichnete mir den Ort und nahm meine Probe mit. Auf und nieder suchte ich die zerklüftete Bergflanke ab mit immer regerem Interesse und immer mehr von Dankbarkeit durchdrungen, daß ich nach dem ›Humboldt‹ gekommen war und zwar zu rechter Zeit. Dieses heimliche Suchen nach den verborgenen Schätzen des Silberlandes versetzte mich in die höchste Verzückung, die ich je im Leben[54] empfunden. Es war ein wahrer Taumel schwelgerischen Genusses. Nicht lange nachher entdeckte ich im Bett eines seichten Baches einen Bodensatz glänzend gelber Schuppen. Mir blieb fast der Atem aus. Eine Goldgrube! Und ich war in meiner Einfalt mit Silber zufrieden gewesen! Vor Aufregung glaubte ich fast, meine überzeugte Einbildungskraft täusche mich. Dann packte mich die Furcht, man könnte mich beobachten und mein Geheimnis erraten. Vorsichtig ging ich im Kreis um die Stelle herum und stieg spähend auf einen Hügel. Ich war allein. Kein lebendes Wesen weit und breit. Nun kehrte ich zu meinem Fundort zurück, indem ich mich gegen eine mögliche Enttäuschung wappnete; aber meine Befürchtung war unbegründet – die glänzenden Schuppen waren noch immer da. Ich machte mich daran, sie auszuschöpfen; eine Stunde lang plagte ich mich an den Windungen des Baches hinab und plünderte sein Bett, bis die sinkende Sonne dem weiteren Suchen ein Ende machte, und ich mich beladen mit Schätzen heimwärts wandte. Als ich so dahinschritt, konnte ich mich nicht enthalten, meine Aufregung über den Brocken Silbererz zu belächeln, da doch ein edleres Metall mir schier vor der Nase lag. In dieser kurzen Zeit war das erstere in meiner Achtung so tief gesunken, daß ich ein- oder zweimal auf dem Punkte stand, es wegzuwerfen.

Während die Jungen ihren gewöhnlichen Hunger entwickelten, konnte ich nichts essen. Auch reden konnte ich nicht. Ich weilte im Land der Träume in weiter Ferne. Ihre Unterhaltung war für meine Phantasie etwas störend und ärgerte mich gewissermaßen. Ich verachtete die lumpigen und alltäglichen Dinge, von denen sie schwatzten. Allmählich fing das Gerede aber an, mir Spaß zu machen. Es hatte einen eigenen, komischen Reiz, ihnen zuzuhören, wie sie über ihre ärmlichen, kleinen Ersparnisse Pläne machten und über mögliche Verluste und Verlegenheiten seufzten, während doch eine Goldgrube dicht vor der Hütte lag,[55] die unser volles Eigentum war und die ich ihnen nur zu zeigen brauchte. Die unterdrückte Heiterkeit begann mir bald das Herz abzudrücken. Es war nicht leicht, dem Antrieb zu widerstehen, in hellem Jubel loszuplatzen und alles zu offenbaren, aber ich widerstand. Ich nahm mir vor, die große Neuigkeit gelassen durch meine Lippen träufeln zu lassen, dabei so ruhig und heiter auszusehen wie ein Sommermorgen, und die Wirkung auf ihren Gesichtern zu beobachten.

Ich fragte: »Wo seid ihr alle gewesen?«

»›Muten‹ gegangen.«

»Was habt ihr gefunden?«

»Nichts.«

»Nichts? Was haltet ihr von der Gegend?«

»Kann’s jetzt noch nicht sagen,« erwiderte Herr Ballou, der ein alter Goldgräber war und auch in Silbergruben beträchtliche Erfahrungen besaß.

»Nun, haben Sie sich denn nicht irgend eine Art Meinung gebildet?«

»Ja, gewissermaßen schon. Es scheint freilich nicht übel hier, aber man hat die Sache überschätzt. Siebentausend-Dollars-Lager sind wohl selten. Die Sheba-Grube mag immerhin reich sein, aber sie gehört uns nicht, und überdies ist das Gestein so voll von schlechten Metallen, daß alle Wissenschaft der Welt nichts damit anfangen kann. Wir werden hier nicht verhungern, aber ich fürchte, wir werden auch nicht reich werden.«

»Sie halten also die Aussicht für ziemlich gering?«

»So ist’s.«

»Nun, dann thäten wir wohl besser daran, heim zu gehen, nicht wahr?«

»O, jetzt noch nicht – natürlich. Wir wollen’s doch zuerst noch ein bißchen versuchen.«

»Setzen wir einmal den Fall – es ist eine bloße Annahme[56] – wißt ihr – setzen wir einmal den Fall, ihr könntet ein Lager finden, welches, sagen wir hundertfünfzig Dollars per Tonne gäbe – würde euch das genügen?«

»Probieren Sie’s mal mit uns!« schrie die ganze Gesellschaft.

»Oder nehmen wir an – selbstverständlich wiederum eine Vermutung – nehmen wir an, wir fänden eine Ader, wo die Tonne zweitausend Dollars Ausbeute giebt – würde euch das genügen?«

»Halt – was meinen Sie? Auf was steuern Sie los? Steckt ein Geheimnis hinter dem allem?«

»Erhitzt euch nicht. Ich sage gar nichts. Ihr wißt ja ganz genau, daß es hier keine reichen Gruben giebt – natürlich, denn ihr seid ja überall herumgestreift und habt gesucht. Das wäre jedem klar, wenn er sich hier umgesehen hätte. Gesetzt den Fall nun, es käme einer und spräche: ›Ach was, eine Zweitausend-Dollars-Ader ist doch rein gar nichts, wo doch gleich da drüben, angesichts dieser Hütte ganze Haufen von gediegenem Gold und Silber liegen – ganze Berge davon, genug, um euch alle in vierundzwanzig Stunden zu reichen Leuten zu machen.‹ Na, was würdet ihr dazu sagen?«

»Ich würde sagen, der ist so verrückt wie ein Tollhäusler!« sagte der alte Ballou, der aber trotzdem vor Erregung ganz wild wurde.

»Meine Herren!« versetzte ich, »ich sage gar nichts – ich bin ja nicht herum gewesen, wie Sie wissen, und weiß deshalb natürlich nichts – aber ich bitte nur um das eine, werfen Sie einmal einen Blick auf das hier zum Beispiel und sagen Sie mir, was Sie davon halten!« Damit schüttete ich meinen Schatz vor ihnen aus.

Voll Begier stürzte alles darauf los und steckte die Köpfe unter der brennenden Kerze zusammen. Dann sagte der alte Ballou:

[57]

»Was ich davon halte? Ich halte davon, daß es nichts ist als ein Haufen Granitabfall und gemeines, glitzerndes Katzengold, wovon der Morgen nicht zehn Cents wert ist!«

So schwand mein Traum dahin; so schmolz mein Reichtum, so stürzte mein Luftschloß zusammen, und ich blieb als ein geschlagener Mann zurück.

Ich zog die Moral aus der Geschichte mit dem bekannten Sprichwort: »Es ist nicht alles Gold, was glänzt.« Herr Ballou meinte, ich könnte noch weiter gehen und zu den Schätzen meines Wissens den Satz legen, daß nichts Gold sei, was glänze. So lernte ich denn ein für allemal, daß Gold im Naturzustande nichts ist als ein schwärzliches, unansehnliches Ding und daß nur Metalle gemeiner Art durch prahlerisches Glitzern die Bewunderung des Unerfahrenen erregen. Trotzdem unterschätze ich nach wie vor, gleich der übrigen Welt, echte Goldmenschen und verherrliche Katzengoldmenschen. Die Alltagsmenschennatur kann sich einmal darüber nicht erheben.


Achtes Kapitel.

Mit dem Geschäft des Silbergrabens wurden wir nur zu bald vertraut. Wir gingen mit Herrn Ballou ›muten‹. Zwischen Salbeibüschen, Felsen und Schneehaufen kletterten wir an den Berghängen hinauf, bis wir vor Erschöpfung umfallen wollten, fanden aber kein Silber und ebensowenig Gold. So ging es Tag für Tag. Da und dort stießen wir auf Löcher, die man ein paar Meter tief in die Abhänge getrieben und dann offenbar wieder aufgegeben hatte, und hie und da trafen wir auf ein oder zwei Leute, die noch emsig[58] gruben. Aber Silber kam nirgends zum Vorschein. Diese Löcher waren die Ansätze von Stollen, die Hunderte von Fuß in den Berg getrieben werden sollten, um eines Tags auf die verborgene Schicht zu stoßen, in der das Silber steckte. Eines Tags! Das schien in weiter Ferne zu liegen, und die Sache sah sehr hoffnungslos und trübselig aus. Tag um Tag mühten wir uns ab, kletterten herum und suchten, und dabei wurden wir jüngeren Genossen der aussichtslosen Plackerei immer mehr überdrüssig. Endlich machten wir hoch oben auf dem Berge unter einer überhängenden Felswand Halt. Ballou schlug einige Stücke mit dem Hammer ab, prüfte sie lange und aufmerksam mit einem kleinen Augenglase, worauf er sie wegwarf und noch mehr abschlug; dann meinte er, dieses Gestein sei Quarz, und Quarz sei die Steinart, in der das Silber enthalten sei. Enthalten sei! Ich hatte gemeint, es werde wenigstens außen daran kleben, wie eine Art Ueberzug. Er schlug noch mehr Stücke los, um sie gründlich zu untersuchen, wobei er das betreffende Stück hie und da mit der Zunge benetzte und durch das Glas betrachtete. Schließlich rief er aus: »Wir haben es!«

Unsere Neugier war sofort aufs höchste gespannt. Das Gestein war rein und weiß an der Bruchstelle, und querdurch zog sich ein faseriger, blauer Faden. In diesem kleinen Faden, meinte er, stecke Silber, aber gemischt mit unedlen Metallen, mit Blei, Antimon und anderem Quark, auch seien daran ein paar Tüpfelchen Gold sichtbar. Mit großer Anstrengung brachten wir es dahin, ein paar kleine, gelbe Fleckchen zu erkennen, von denen sich annehmen ließ, daß vielleicht ein paar Tonnen davon einen Golddollar geben könnten. Wir waren gerade nicht entzückt; aber Ballou meinte, es gebe noch schlechtere Erzlager als dieses auf der Welt. Er hob das, was er das ›reichste Stück Gestein‹ nannte, auf, um seinen Wert durch die sog. Feuerprobe zu bestimmen. Dann gaben wir der Grube den Namen ›Bergkönig[59]‹ (Bescheidenheit ist bei der Namengebung in den Bergwerken kein hervorstechender Zug), und Herr Ballou schrieb nachstehende Bekanntmachung auf, von der er sich eine Abschrift aufhob, um sie in die Bücher des Syndikus der Bergwerke in der Stadt eintragen zu lassen.

Bekanntmachung.

Wir, die Unterzeichneten, belegen drei Stücke, jedes von dreihundert Fuß, (und eins für die Entdeckung) an dieser silberhaltigen Quarzschicht nach Norden und nach Süden von diesem Anschlag, mit allen Einsenkungen, Verzweigungen und Winkeln, Biegungen und Krümmungen, und dazu fünfzig Fuß breit Boden auf jeder Seite zur Bearbeitung derselben.

Wir setzten unsere Namen darunter und versuchten uns in die Stimmung zu bringen, als sei nun unser Glück gemacht. Aber als wir die Sache mit Herrn Ballou durchsprachen, war uns höchst zweifelhaft zu Mute. Dieser Quarz an der Oberfläche, meinte er, sei nicht alles, was unsere Mine enthalte, vielmehr erstrecke sich die Wand oder Schicht, der wir den Namen ›Bergkönig‹ gegeben hatten, Hunderte und aber Hunderte von Fuß in die Erde hinab. Sie sei wie der Randstein eines Straßenpflasters, behalte ungefähr dieselbe Dicke, etwa zwanzig Fuß, bis hinab in die Eingeweide der Erde und sei vollständig verschieden von dem Gestein, das sie rings umgebe; sie bleibe für sich und behalte stets ihren besondern Charakter, einerlei wie tief sie in die Erde hineingehe oder wie weit sie sich längs der Berge und Thäler oder quer über dieselben erstrecke; sie könne eine Meile tief und zehn Meilen lang sein, und man möge über oder unter der Erde hineinbohren wo man wolle, so würde man Gold und Silber darin finden, aber nicht in dem geringeren Gestein, in das sie eingebettet sei. Unten in der großen Tiefe der Schicht, fuhr er fort, stecke ihr Reichtum, und mit der Tiefe nehme derselbe stetig zu. Deshalb müßten wir statt hier an[60] der Oberfläche zu arbeiten einen Schacht einsenken, bis wir an die reichen Stellen kämen – so etwa hundert Fuß tief – oder unten vom Thal aus einen langen Stollen in den Bergabhang treiben und die Ader tief unter der Erde anzapfen. Das eine wie das andere war offenbar die Arbeit von Monaten, denn wir konnten täglich nur ein paar Fuß, ungefähr fünf oder sechs, ausbohren oder wegsprengen. Aber das war noch nicht alles. Er sagte, wenn das Erz herausgeschafft sei, müsse es nach einem entfernten Pochwerke gebracht werden, damit es zermahlen und das Silber durch einen langwierigen und kostspieligen Prozeß ausgeschieden werde. Eine Ewigkeit schien zwischen uns und unserm Glück zu liegen!

Aber wir gingen ans Werk. Wir beschlossen einen Schacht einzusenken. So kletterten wir denn eine Woche lang auf den Berg, beladen mit Hacken, Drillbohrern, Meißeln, Schaufeln, Brechstangen, Fäßchen Sprengpulver und Rollen Lunte und arbeiteten mit aller Macht. Anfangs war der Fels bröckelig und locker; was wir mit den Spitzhacken abschlugen, schaufelten wir heraus, und das Loch machte ganz hübsche Fortschritte; aber allmählich wurde das Gestein fester, und nun kamen Meißel und Brechstange an die Arbeit. Bald aber that nichts mehr seine Wirkung außer dem Sprengpulver. Das war die mühseligste Arbeit! Während einer von uns den eisernen Drillbohrer an seine Stelle hielt, schlug ein anderer mit einem achtpfündigen Schmiedehammer drauf – das reinste Nägeleinschlagen in großem Maßstabe. Binnen einer bis zwei Stunden erreichte der Bohrer eine Tiefe von zwei bis drei Fuß und hatte ein Loch von ein paar Zoll Durchmesser gemacht. Dann legten wir die Pulverladung, steckten eine halbe Elle Lunte hinein, schütteten Sand und Kies darauf und stampften es fest; zuletzt zündeten wir die Lunte an und liefen weg. Kamen wir dann nach der Explosion, bei der Steine und Rauch in die Luft flogen, zurück, so fanden[61] wir ungefähr einen Scheffel von dem harten, widerspenstigen Quarz herausgesprengt, kein bißchen mehr. Nach einer Woche hatte ich genug davon. Ich verzichtete; Clagett und Oliphant desgleichen. Unser Schacht war erst zwölf Fuß tief. Wir kamen überein, daß nur ein Stollen uns zum Ziele führen könne.

So gingen wir den Berg hinunter und arbeiteten dort eine Woche lang. Nach Verlauf derselben hatten wir einen Stollen ausgesprengt, in dem sich ungefähr ein Oxhoft unterbringen ließ, und waren zu der Ueberzeugung gekommen, daß wir noch um etwa neunhundert Fuß tiefer graben müßten, um auf die silberhaltige Schicht zu stoßen. Ich verzichtete auch jetzt wieder, und die andern Jungen hielten es nur noch einen Tag länger aus. Wir stimmten überein, daß ein Stollen nichts für uns tauge. Wir brauchten eine bereits ›aufgeschlossene‹ Schicht. Solche gab es aber im ganzen Lager nicht.

Den ›Bergkönig‹ ließen wir für jetzt liegen.

Mittlerweile füllte sich der Platz mit Leuten, und unsere Humboldt-Bergwerke riefen eine immer größere Aufregung hervor. Auch wir fielen der Seuche zum Opfer und strengten jeden Nerv an, um immer mehr ›Fuß‹ zu erwerben. Wir muteten[62] herum und nahmen neue Stücke in Besitz, an die wir unsere Bekanntmachungen anschlugen und die wir mit hochtrabenden Namen belegten. Wir vertauschten eine Anzahl von unseren ›Fuß‹ gegen ›Fuß‹ in fremden Grubenteilen. Bald hatten wir namhafte Anteile am ›Grauen Adler‹, an der ›Columbiana‹, der ›Münzfiliale‹, der ›Mary Jane‹, dem ›Universum‹, der ›Simson und Delila‹, der ›Schatztruhe‹, der ›Golkonda‹, der ›Sultanin‹, dem ›Bumerang‹, der ›Großen Republik‹, dem ›Großmogul‹ und noch fünfzig weiteren ›Gruben‹, die nie eine Schaufel oder eine Spitzhacke gefühlt hatten. Wir besaßen nicht weniger als dreißigtausend ›Fuß‹ pro Mann in den ›reichsten Gegenden der Erde‹, wie die verruchte Schwindlersprache es nannte – und konnten den Fleischer nicht bezahlen. Wir waren ganz toll vor Aufregung, trunken vor Glück, begraben unter Bergen künftigen Reichtums, voll hochmütigen Mitleids mit den Millionen, die sich im Schweiß ihres Angesichts abmühten, weil sie unsere wundervolle Schlucht nicht kannten – aber unser Kredit beim Viktualienhändler stand schlecht. Es war die seltsamste Lebenslage, die man sich vorstellen kann – der Festschmaus eines Bettlers. Im Distrikt geschah nichts, man legte keine Grube an, ließ keine Pochwerke arbeiten, man produzierte nichts und nahm nichts ein – im ganzen Lager war nicht soviel Geld zu finden, daß man hätte in einem Städtchen des Ostens einen Bauplatz dafür kaufen können; und doch würde ein Fremder geglaubt haben, er wandle unter lauter geschwollenen Millionären. Mutende Gesellschaften schwärmten mit dem ersten Tagesgrauen hinaus aus der Stadt und mit Einbruch der Nacht wieder herein, beladen mit Beute – Steinbrocken. Nichts als Steinbrocken. Jedermann hatte alle Taschen voll davon; in jeder Hütte war der Fußboden damit besät, mit Zetteln beklebt standen sie reihenweise auf den Wandsimsen.


[63]

Neuntes Kapitel.

Allenthalben begegnete ich Leuten, welche tausend bis dreißigtausend Fuß in unaufgeschlossenen Silbergruben besaßen, von denen jeder einzelne Fuß ihrer Ueberzeugung nach binnen kurzem fünfzig bis tausend Dollars gelten mußte; und das waren oft genug Leute, die in der ganzen Welt keine fünfundzwanzig Dollars ihr eigen nannten. Man mochte treffen wen man wollte, so hatte er seine neue Grube anzupreisen und seine ›Proben‹ bereit, und bei der ersten Gelegenheit drängte er einen unfehlbar in die Ecke und bot einem an, ›aus bloßer Gefälligkeit, nicht um etwas zu verdienen‹, ein paar Fuß im ›Goldenen Zeitalter‹ oder ›Sarah Jane‹ oder irgend sonst einer unbekannten Schatzkammer herzugeben, wenn er nur so viel dafür bekäme, um sich eine ordentliche Mahlzeit leisten zu können. Dabei mußte man sich verpflichten, es nicht weiter zu sagen, daß er einem das Anerbieten zu so spottbilligem Preise gemacht habe, da er sich lediglich ›aus Freundschaft zu diesem Opfer bereit erklärte‹. Dann pflegte er ein Stück Gestein aus der Tasche zu fischen, sich geheimnisvoll umzusehen, (als fürchte er, man könne ihm auflauern und ihn berauben, wenn man ihn über dem Besitz solchen Reichtums ertappe), mit dem Steinbrocken an seine Zunge zu tippen, ein Vergrößerungsglas darüber zu halten und auszurufen:

»Sehen Sie mal her! Gerade hier in dem roten Fleck! Sehen Sie! Sehen Sie die goldenen Punkte? Und den Streifen Silber? Das ist vom ›Onkel Abe‹. Davon sind hunderttausend Tonnen in Aussicht. Direkt in Aussicht, merken Sie wohl! Und wenn wir bis auf die rechte Stelle hinunterkommen[64] und die Ader gediegen wird, dann ist des Reichtums kein Ende. Sehen Sie sich die Probe an! Ich verlange nicht, daß Sie mir glauben. Sehen Sie sich nur die Probe an!«

Dann langte er regelmäßig ein fettiges Papier heraus, worin bezeugt war, das betreffende Stück habe in der Feuerprobe den Beweis geliefert, daß es Gold und Silber im Verhältnis von so und so viel hundert oder tausend Dollars per Tonne enthalte. Ich wußte damals noch nicht, daß man gewohnt war, das reichste Stück aus einer Ausgrabung zum Probieren herauszusuchen. Sehr oft war dieses Stück von nicht mehr als Nußgröße der einzige Brocken in einer ganzen Tonne, der überhaupt ein Metallteilchen enthielt, und doch erhob es nach dem Probierzeugnis Anspruch darauf, den Durchschnittswert der Tonne Geröll, woraus es stammte, zu repräsentieren.

Dieses Probiersystem war es, das die Menschheit im Humboldt-County verrückt gemacht hatte. Auf die Autorität solcher Probierzeugnisse hin schwärmten die dortigen Zeitungskorrespondenten vor Begeisterung über Gestein, das vier- bis siebentausend Dollars die Tonne wert sein sollte.

Wir rührten weder unsern Stollen, noch unsern Schacht je wieder an. Warum? Weil wir nun das wahre Geheimnis des Erfolges beim Silbergraben entdeckt zu haben meinten – es bestand darin, daß man nicht selbst im Schweiß seines Angesichts und mit seiner Hände Arbeit nach Silber grub, sondern die Erzschichten an die dummen Sklaven der Arbeit verkaufte und ihnen das Graben überließ! –

Vor meinem Weggang von Carson hatte ich zusammen mit dem Sekretär von verschiedenen Mitbesitzern der ›Esmeralda‹ eine Anzahl Fuß gekauft. Wir hatten sofortige Gegenleistung in ungemünztem Gold oder Silber erwartet, wurden aber statt dessen mit regelmäßig und ständig wiederkehrenden Zubußen – d. h. Geldforderungen zum Ausbau der genannten Gruben –[65] heimgesucht. Diese Zubußen waren dermaßen drückend geworden, daß es notwendig erschien, sich persönlich Einblick in die Sache zu verschaffen. Ich beschloß deshalb eine Pilgerfahrt nach Carson und von dort nach Esmeralda. Nachdem ich mir ein Pferd gekauft, brach ich in Begleitung des Herrn Ballou und eines Herrn Ollendorff auf. Dieser letztere war ein Preuße – aber nicht jener Mensch, der mit seinen Grammatiken fremder Sprachen mit ihren unaufhörlichen Wiederholungen von Fragen, die weder jemals vorgekommen sind, noch jemals in irgend einer Unterhaltung zwischen menschlichen Wesen vorzukommen Aussicht haben, der Welt so viel Leiden zugefügt hat. Wir ritten zwei oder drei Tage lang durch einen Schneesturm, bis wir vor Honey Lake Smiths einsam gelegenem Wirtshause am Carsonflusse ankamen. Es war ein zweistockiges Blockhaus auf einem kleinen Hügel, inmitten eines weiten Wüstenbeckens, durch das sich der dürftige Carson trübselig hinwindet. Dicht bei dem Hause standen die aus Backsteinen erbauten Ställe der Ueberlandpost. Mehrere Meilen rundum fand man sonst kein Gebäude. Gegen Sonnenuntergang trafen ungefähr zwanzig Heuwagen ein, die sich rings um das Haus aufstellten; sämtliche Fuhrleute kamen zum Abendessen herein – eine sehr, sehr rohe[66] Bande. Auch ein oder zwei Postillone der Ueberlandpost waren da, und außerdem ein halbes Dutzend Strolche und Landstreicher; das Haus war demnach wohl gefüllt. Nach dem Essen gingen wir hinaus und besuchten ein kleines Indianerlager in der Nachbarschaft. Die Indianer waren aus irgend einem Grunde in großer Aufregung, sie packten ein und eilten so schnell als möglich fortzukommen. »In kurz Zeit Menge Wasser,« sagten sie und gaben uns mit Hilfe von Zeichen zu verstehen, daß nach ihrer Meinung eine Ueberschwemmung im Anzug sei. Das Wetter war vollkommen klar, auch befanden wir uns nicht in der Regenzeit. Das unbedeutende Flüßchen hatte höchstens zwei Fuß Wasser; seine Oberfläche war nicht breiter als eine schmale Dorfgasse und seine Ufer kaum höher als ein Mannskopf. Wo sollte also eine Ueberschwemmung herkommen? Wir sprachen noch eine Weile darüber und gelangten zu dem Schlusse, es werde wohl eine List der Indianer sein, die für ihren eiligen Abzug sicherlich einen triftigeren Grund haben müßten, als die Furcht vor Ueberschwemmung bei maßloser Trockenheit.

Um sieben Uhr abends legten wir uns im zweiten Stockwerk zu Bette, – in den Kleidern (unsrer Gewohnheit gemäß) und alle drei in ein Bett; denn jeder verwendbare Raum auf dem Fußboden, auf Stühlen u. s. w. war besetzt, und trotzdem gab es kaum Platz genug für alle Gäste des Wirtshauses. Nach einer Stunde weckte uns ein großer Lärm; wir sprangen aus dem Bett, stiegen über die in Reihen auf dem Boden schnarchenden Fuhrleute hinweg und gelangten so nach den Vorderfenstern der Stube. Ein einziger Blick enthüllte uns im Scheine des Mondlichts ein merkwürdiges Bild. Der vielgewundene Carson war voll bis zum Rande, wild rasten und schäumten seine Wasser – mit wütender Geschwindigkeit schossen sie um die scharfen Biegungen und brachten auf der Oberfläche ein Chaos von Stämmen, Strauchwerk und allerhand Unrat mit. Eine Einsenkung,[67] die früher das Bett des Flusses gebildet hatte, war schon beinahe voll, und an mehreren Stellen begann das Wasser über das Hauptufer hinauszuspülen. Die Leute rannten hin und her, um Vieh und Wagen dicht an das Haus zu bringen, denn die Bodenerhebung, auf der es stand, dehnte sich vorne nur etwa dreißig und an der Hinterseite vielleicht hundert Fuß weit aus. Hart neben dem vorerwähnten alten Flußbett stand ein kleiner Stall aus Baumstämmen, in welchem unsere Pferde untergebracht waren. An dieser Stelle stieg das Wasser zusehends so rasch, daß nach wenigen Minuten ein Wildbach an dem Stall vorbeibrüllte, der fortwährend höher an dem Gebälk emporschwoll. Da wurde uns auf einmal klar, daß diese Flut mehr sei, als ein bloßes Schaustück zur Kurzweil. Sie drohte Verderben, und zwar nicht nur dem kleinen Blockstall, sondern auch den Gebäuden der Ueberlandpost, dicht am Hauptflusse, denn die Wellen waren jetzt über die Ufer gestiegen, so daß sie die Grundmauern umspülten und in die anstoßende große Heuscheune eindrangen. Wir rannten hinunter und befanden uns bald mitten in einem Haufen aufgeregter Menschen und geängsteter Tiere. Bis an die Kniee wateten wir in den Stall und banden die Pferde los; beim Herauswaten ging uns das Wasser schon bis zu den Hüften, so rasch war es gestiegen. Dann stürzten alle wie ein Mann nach der Scheune und machten sich daran, die mächtigen Bündel Heu herauszuwerfen, die dann nach dem höher gelegenen Hause hinaufgewälzt wurden. Inzwischen hatte man entdeckt, daß ein Postillon der Ueberlandpost, Namens Owens, fehlte; ein Mann lief bis zu den Schenkeln im Wasser in den Stall hinein, fand den Vermißten schlafend und weckte ihn, worauf er wieder hinauswatete. Aber Owens war duselig und schlief wieder ein; jedoch nur auf ein paar Minuten; denn als er sich im Bett umdrehte, kam seine herabhängende Hand in Berührung mit dem kalten Wasser! Dieses[68] ging schon bis zur Höhe der Matratze! Fast brusttief watete er heraus, und schon im nächsten Augenblick schmolzen die Backsteine zusammen wie Zucker; das mächtige Gebäude stürzte ein und war im Nu weggespült.

Um elf Uhr schaute nur noch das Dach des kleinen Stalles aus dem Wasser heraus, und unser Wirtshaus war eine Insel im Weltmeer. Soweit das Auge im Mondlicht schauen konnte, war keine Wüste mehr zu erblicken, sondern nur noch eine weite, schimmernde Wasserfläche. Die Indianer hatten richtig prophezeit; aber woher hatten sie ihre Kunde erhalten? Ich weiß keine Antwort darauf.

Acht Tage und ebenso viele Nächte blieben wir mit jener sonderbaren Gesellschaft zusammengepfercht. Fluchen, Trinken und Kartenspiel bildeten die Tagesordnung, die nur gelegentlich der Abwechslung halber durch eine Rauferei unterbrochen wurde. Schmutz und Ungeziefer – doch davon schweige ich lieber; es genüge zu sagen, daß beides in geradezu unbegreiflicher Masse vorhanden war.

Zwei Leute in der Gesellschaft – doch dieses Kapitel ist schon lang genug.


Zehntes Kapitel.

Zwei Leute in der Gesellschaft waren mir ganz besonders widerwärtig. Der eine war ein kleiner Schwede von ungefähr fünfundzwanzig Jahren, der nur ein einziges Lied konnte, das er in einem fort sang. Den Tag über waren wir sämtlich in einem einzigen, kleinen, zum Ersticken dunstigen Schenkzimmer zusammengepfercht, und so gab es vor der Musik dieses[69] Menschen kein Entrinnen. Mitten durch all das Lästern, Whiskeysaufen, Stoßen und Zanken tönte sein langweiliger Gesang ohne irgend welche Abwechslung in der gleichen einförmigen Weise, so daß ich zuletzt gerne den Tod erlitten hätte, um dieser Marter zu entgehen. Der andere war ein stämmiger Raufbold, ›Arkansas‹ geheißen; im Gürtel trug er zwei Revolver, aus dem Stiefel sah ihm ein Bowiemesser heraus; er war stets betrunken und auf der Suche nach Händeln, doch fürchtete man ihn so sehr, daß ihm niemand den Gefallen thun wollte, mit ihm anzubinden. Durch allerlei kleine Kriegslisten suchte er bald diesen bald jenen zu einer beleidigenden Bemerkung zu verlocken, und hie und da leuchtete sein Gesicht freudig auf, wenn er meinte, er habe eine Rauferei gehörig eingefädelt; aber unfehlbar vereitelte sein Opfer alle Bemühungen, und dann gab er jedesmal eine Enttäuschung kund, die schier pathetisch war. Den Wirt, Johnson, einen bescheidenen, gutmütigen Menschen, nahm Arkansas bald als vielversprechenden Gegenstand aufs Korn und ließ ihm eine Zeitlang Tag und Nacht keine Ruhe. Am vierten Morgen betrank sich Arkansas und paßte auf eine gute Gelegenheit. Bald darauf kam Johnson, gemütlich vom Whiskey angeheitert, herein und begann:

»Ich glaube, die Wahl in Pennsylvanien –«

Arkansas erhob warnend den Finger, worauf Johnson inne hielt. Der andere richtete sich unsicher auf und trat ihm schwankend gegenüber mit den Worten:

»Wa-was wissen Sie vo-von Pennsylvanien? Antworten Sie mir. Wa-was wissen Sie von Pennsylvanien?«

»Ich wollte bloß sagen –«

»Sie wollten bloß sagen – Sie! Sie wollten bloß sagen – was wollten Sie sagen? Das ist’s! Das will ich wissen. Ich will wissen, wa-was Sie (Schlucken) von Pennsylvanien wissen, weil Sie sich so verdammt breit damit machen. Antworten Sie mir darauf!«

[70]

»Herr Arkansas, wenn Sie mir erlauben wollten –«

»Wer hindert Sie denn? Bringen Sie keine Sticheleien gegen mich vor – lassen Sie das sein. Kommen Sie nicht mit großthuerischen Redensarten und Fluchen und Schwören wie ein Verrückter herein – lassen Sie das gefälligst bleiben. Denn ich lasse mir das nicht gefallen. Wenn Sie sich mit mir schießen wollen, heraus mit der Schlüsselbüchse! Ich bin dabei! Heraus damit!«

Johnson flüchtete rückwärts in eine Ecke, wohin Arkansas drohend folgte. »Aber ich habe ja gar nichts gesagt, Herr Arkansas!« rief der Wirt. »Sie lassen einen ja nicht ausreden. Ich wollte bloß sagen, daß es in Pennsylvanien nächste Woche eine Wahl geben wird – das war alles – das war das einzige, was ich sagen wollte; ich will nicht gesund hier stehen, wenn es nicht so war.«

»Gut, aber warum sagten Sie das nicht gleich? Was kamen Sie so geschwollen herein und versuchten Spektakel anzufangen?«

»Aber ich bin doch gar nicht geschwollen hereingekommen, Herr Arkansas, ich wollte ja nur –«

»Ich bin also ein Lügner? Nicht wahr? Beim Geist des gr-großen Cäsar –«

»Aber bitte, Herr Arkansas, ich habe so etwas durchaus nicht sagen wollen; ich will gleich tot sein, wenn ich daran gedacht habe. Die Jungens werden Ihnen alle bezeugen, daß ich stets gut von Ihnen gesprochen und Sie höher geachtet habe als irgend jemand im Hause. Fragen Sie ’mal Smith. Ist es nicht so, Smith? Habe ich nicht erst gestern abend gesagt, wenn ihr einen feinen Herrn haben wollt, der es immer und unter allen Umständen ist und bleibt, so seht euch den Arkansas an? Sie können jeden von den Herren hier fragen, ob das nicht genau meine Worte sind. Kommen Sie jetzt, Herr Arkansas,[71] wir wollen einen Schluck nehmen – wir wollen uns die Hände schütteln und ein Tröpfchen trinken. Kommen Sie her, alle miteinander, ich traktiere! Kommt her, Bill, Tom, Bob, Scotty – kommt her. Ihr sollt alle mit mir und Arkansas, meinem alten Arkansas – meinem prächtigen, alten Arkansas, einen Kleinen trinken. Geben Sie mir noch ’mal die Hand. Seht ihn an, Jungens – nur einmal seht ihn an. Da steht der weiseste Mann in ganz Amerika – und wer das leugnet, der hat’s mit mir zu thun, damit Punktum. Geben Sie mir die alte Tatze noch einmal.«

Sie umarmten sich. Dies geschah von seiten des Wirtes mit trunkener Zärtlichkeit, welche von Arkansas, der um den Preis eines Schnapses wiederum seine Beute aus den Händen lassen mußte, mit lässiger Gleichgültigkeit hingenommen wurde. In seinem Glück darüber, daß er der Schlachtbank entronnen, war der Wirt so thöricht, noch weiter fortzuschwatzen, statt der Gefahr aus dem Wege zu gehen. Dies hatte zur Folge, daß Arkansas bald darauf wieder gefährliche Blicke nach ihm zu werfen begann und sagte:

»Wirt, wollen Sie ge-gefälligst diese Be-Bemerkung noch einmal machen, wenn es Ihnen beliebt?«

»Ich sagte zu Scotty, mein Vater sei über achtzig Jahre alt gewesen, als er starb.«

»War das alles, was Sie sagten?«

»Ja, das war alles.«

»Sagten Sie weiter nichts als das?«

»Nein, nichts weiter.«

Ein unbehagliches Schweigen folgte. Arkansas spielte einen[72] Augenblick mit seinem Glase, die Ellbogen auf den Schenktisch gestützt. Dann kratzte er sich nachdenklich mit dem linken Stiefel am rechten Schienbein, während das unheildrohende Schweigen noch fortdauerte. Auf einmal schlenderte er mit verdrießlicher Miene nach dem Ofen zu, schob in grober Weise zwei oder drei Leute mit der Schulter aus ihren behaglichen Stellungen weg, machte sich’s bequem und gab einem schlafenden Hund einen Fußtritt, daß er heulend unter eine Bank fuhr; darauf spreizte er seine langen Beine auseinander, nahm die Schöße seines aus einer Pferdedecke gemachten Rockes unter die Arme und schickte sich an, sich die Hinterseite zu wärmen. Nach einem Weilchen begann er für sich zu brummen, und bald darauf schlotterte er an den Schenktisch zurück und sagte:

»Wirt, was soll das heißen, daß Sie alte Persönlichkeiten zusammenkratzen und sich mit Ihrem Vater groß machen? Paßt Ihnen unsere Gesellschaft nicht? Hm? Wenn Ihnen diese Gesellschaft nicht recht ist, so thäten wir vielleicht besser, zu gehen. Ist das Ihre Meinung? Wollen Sie darauf hinaus?«

»Ei, du meine Güte, Arkansas, ich habe an so etwas gar nicht gedacht. Meine Eltern –«

»Wirt, fiedeln Sie mir nicht solches Zeug vor. Lassen Sie das. Wenn Sie durchaus Spektakel haben müssen, frisch heraus damit (Schlucken) – aber scharren Sie nicht vergangene, alte Dinge aus dem Boden auf, um sie Leuten in die Zähne zu werfen, die Frieden zu halten wünschen, wenn es halbwegs geht. Was ist denn überhaupt heut’ morgen mit Ihnen los? Noch nie habe ich einen Menschen gesehen, der sich so aufspielte!«

»Arkansas, ich habe mir wirklich nichts Schlimmes dabei gedacht, aber ich will’s sein lassen, wenn es Ihnen unangenehm ist. Ich glaube, meine Schnäpse sind mir in den Kopf gestiegen, und dann die Ueberschwemmung und daß ich so viele Leute zu füttern habe und sorgen muß, daß –«

[73]

»Also das ist’s, was Ihnen im Kopf herumgeht? Sie wollen uns los sein, he? Ist’s nicht so? Heraus damit!«

»Bitte, so seien Sie doch vernünftig, Arkansas. Sie wissen ja doch, daß ich nicht der Mann darnach bin, um –«

»Wollen Sie mir drohen, he? Beim Himmel, der Mann muß erst geboren werden, der mich ins Bockshorn jagt. Probier’s nur nicht, mir so aufzuspielen, mein Lämmchen. – Ich kann viel vertragen, aber das vertrag’ ich nicht. Komm hervor hinter dem Schenktisch da, daß ich dich Mores lehre. Du willst uns vertreiben, du schleichender, heimtückischer Hund. Geh heraus hinter dem Schenktisch da! Ich will dich lehren, einen Biedermann mit Bramarbasieren zu quälen und mit hochmütigen Blicken zu reizen, der dir immer alles zu lieb gethan hat!«

»Bitte, Arkansas, nicht schießen, bitte! Wenn’s zu Blutvergießen kommt –«

»Hören Sie, meine Herren? Hören Sie, wie er von Blutvergießen spricht? Also Blut willst du sehen, nicht wahr, du wütender Mordgeselle! Du hast dir vorgenommen, heut’ morgen jemand umzubringen! Das hab’ ich gleich gewußt. Mich hast du auf dem Korn, nicht wahr? Mir willst du an den Hals, nicht wahr? Aber ich will dir schon zuvorkommen, du diebischer Niggersohn mit schwarzem Herzen und weißer Leber! Heraus mit deiner Schlüsselbüchse!«

Damit begann Arkansas zu feuern, während der Wirt in heller Todesangst über Bänke, Menschen und alles, was ihm im Weg stand, wegsetzte. Inmitten des tollen Getümmels fuhr der Wirt krachend durch eine Glasthüre, und als Arkansas ihm nachsprang, erschien plötzlich die Frau des Wirtes in der Thüröffnung und trat dem Raufbold mit einer Schere entgegen. Die Frau war großartig in ihrer Wut. Erhobenen Hauptes und blitzenden Auges stand sie einen Augenblick da, dann rückte sie mit gezückter Waffe vor. Verblüfft hielt der Schurke inne[74] und trat einen Schritt zurück. Sie folgte ihm, trieb ihn Schritt für Schritt bis in die Mitte der Schenkstube und gab ihm hier vor der verwunderten Menge, die sich um sie sammelte und sie mit starrem Staunen betrachtete, eine solche Tracht Zungenhiebe, wie sie vielleicht noch nie einem eingeschüchterten und gründlich beschämten Prahlhans zu teil geworden sind. Als sie zu Ende war und sich als Siegerin zurückzog, erzitterte das Haus von Beifallsgebrüll und jedermann bestellte in einem Atem ›Schnaps für die ganze Gesellschaft‹.

Die Lektion war völlig genügend. Die Schreckensherrschaft war vorüber, Arkansas’ Macht für immer gebrochen. Während der ganzen Zeit, die wir noch auf unserer Insel in Gefangenschaft verbringen mußten, saß einer stets geduckt beiseite, mengte sich nie in einen Streit, ließ nie eine Prahlerei hören und nahm geduldig die Beleidigungen hin, die ihm die Menge, welche bisher vor ihm zu Kreuz gekrochen, jetzt unaufhörlich zuschleuderte – und dies war Arkansas.


Am fünften oder sechsten Morgen verlief sich das Wasser vom Lande wieder, aber die Strömung im alten Flußbett war immer noch hoch und reißend, und keine Möglichkeit hinüberzukommen. Am achten Tage ging sie immer noch zu hoch, als daß man ganz ohne Gefahr hätte übersetzen können; allein das Leben in der Schenke war bei der Unsauberkeit, Trunkenheit und Rauflust der Gäste nicht länger auszuhalten, und so machten wir einen Versuch, fortzukommen. Bei heftigem Schneesturm schifften wir uns in einem Kahne ein, nahmen die Sättel mit an Bord und zogen die Pferde im Schlepptau an den Halftern hinter uns drein. Der Preuße Ollendorff befand sich vorn am Bug mit einem Ruder, Ballou ruderte in der Mitte und ich saß im Stern und hielt die Halfter. Als die Pferde den Grund verloren und zu schwimmen anfingen, wurde Ollendorff ängstlich;[75] er fürchtete, die Pferde könnten uns vom Ziel abbringen, und es war klar, daß, falls es uns nicht gelang, an einer gewissen Stelle zu landen, wir, von der Strömung fortgerissen, unfehlbar in den Hauptarm des Carson treiben würden, der zurzeit einen kochenden Strudel bildete. Ein solches Mißgeschick würde aller Wahrscheinlichkeit nach unsern Tod bedeutet haben; denn wir wären mit unserm Kahn in den See geschwemmt worden oder umgestürzt und ertrunken. Wir mahnten Ollendorff, seine fünf Sinne zusammenzuhalten und sich vorsichtig zu betragen, aber es nutzte nichts. In dem Augenblick, als das Boot ans Ufer stieß, that er einen Sprung, so daß das Fahrzeug umschlug und in dem zehn Fuß tiefen Wasser herumwirbelte. Ollendorff erfaßte einen Strauch, an dem er sich ans Ufer zog, während Ballou und ich hinüberschwimmen mußten, wobei uns unsere Ueberzieher sehr hinderlich waren. Aber wir hielten uns an dem Kahn fest, und obwohl wir beinahe den Carson hinabgespült worden wären, gelang es uns zuletzt doch, das Boot ans Ufer zu schieben und sicher zu landen. Wir waren zwar durchkältet und durchnäßt, aber doch in Sicherheit. Die Pferde halfen sich gleichfalls ans Land; aber unsere Sättel waren natürlich verloren. Wir banden die Tiere an Salbeibüsche fest, wo sie vierundzwanzig Stunden ausharren mußten. Dann schöpften wir das Boot aus und schafften darin für sie Futter und wollene Decken hinüber, während wir selbst noch einmal in dem Wirtshause übernachteten, ehe wir uns abermals auf die Reise wagten.

Am nächsten Morgen, als wir mit neuen Sätteln und sonstigen Ausrüstungsgegenständen aufbrachen, schneite es immer noch wie rasend. Wir stiegen auf und ritten ab. Der Schnee bedeckte den Boden so hoch, daß keine Spur von der Straße erkennbar war, und der Schnee fiel so dicht, daß wir nicht mehr als hundert Schritt weit vor uns sehen konnten, sonst hätten[76] wir an den Bergketten unsere Richtung erkennen können. Die Sache sah bedenklich aus; allein Ollendorff erklärte, er habe einen Instinkt so fein wie ein Kompaß und wäre im stande, schnurgerade auf Carson City zuzureiten, und die Linie genau einzuhalten. Bei der geringsten Abweichung von derselben würde ihn sein Instinkt so sicher warnen wie einen Sünder sein Gewissen. Glücklich und zufrieden folgten wir seiner Spur. Eine halbe Stunde lang haspelten wir uns ziemlich mühselig weiter, dann aber trafen wir auf eine neue Fährte, und Ollendorff rief stolz:

»Ich wußte es ja, daß ich so unfehlbar bin wie ein Kompaß, Jungens! Hier sind wir genau in den Fußspuren von jemand, der uns den Weg zeigen wird, ohne daß wir uns anzustrengen brauchen. Wir wollen uns eilen, damit wir uns der Gesellschaft da vorne anschließen können.«

Nun ließen wir die Pferde so stark traben, als es in dem tiefen Schnee anging; und nicht lange, so schien es, als kämen wir den vor uns Reitenden näher; denn die Spuren wurden deutlicher. Eilig strebten wir vorwärts, und nach Verlauf einer Stunde sahen die Spuren noch neuer und frischer aus – nur waren wir überrascht, daß die Zahl der Reisenden fortwährend zuzunehmen schien. Wir konnten uns nicht denken, wie eine so große Gesellschaft zu solcher Zeit in diese Einöde käme, bis einer von uns meinte, es müsse wohl eine Kompagnie Soldaten vom Fort sein. Zufrieden mit dieser Lösung des Rätsels, ritten wir noch etwas rascher weiter; sie konnten ja nicht mehr fern sein. Aber die Spuren vermehrten sich noch immer, so daß wir schon anfingen zu glauben, die Abteilung Soldaten müsse sich auf unerklärliche Weise zu einem Regiment vermehrt haben – Ballou behauptete, es seien schon mindestens fünfhundert daraus geworden. Auf einmal hielt er an und sagte: »Jungens, das sind ja unsere eigenen Spuren! Mehr als zwei Stunden lang[77] sind wir wahrhaftig wie in einem Zirkus immer wieder rundum geritten, hier außen in der öden Wüste! Bei Gott, das ist ja ganz ›hydraulisch‹!«

Dann wurde der alte Mann wild und fing an zu schimpfen. Er gab Ollendorff allerhand schlimme Namen, sagte, in seinem Leben hätte er keinen solchen dämlichen Pinsel gesehen wie ihn, und machte zum Schluß die ganz besonders giftige Bemerkung, er wisse nicht einmal so viel wie ein Logarithmus!

Wir waren richtig unseren eigenen Spuren gefolgt. Ollendorff samt seinem inneren Kompaß fiel von nun an in Ungnade. Am Schlusse unseres mühseligen Rittes befanden wir uns wieder am Ufer des Baches, während sich drüben durch das Schneetreiben hindurch in matten Umrissen das Wirtshaus zeigte. Noch überlegten wir, was nun zu thun sei, da landete der junge Schwede mit dem Kahn und schlug seinen Weg zu Fuß nach Carson City ein, immer denselben langweiligen Singsang herleiernd. Eine Minute darauf war er nur noch undeutlich sichtbar und versank dann in dem weißen Meer der Vergessenheit. Man hörte nie wieder von ihm. Ohne Zweifel verlor er die ruhige Besinnung, verirrte sich, sank vor Ermüdung in Schlaf und fiel so dem Tode in die Arme. Möglicherweise folgte er auch unsern verräterischen Spuren, bis er vor Erschöpfung zusammenbrach.

Inzwischen fuhr die Ueberlandpost durch den jetzt rasch fallenden Bach; es war ihre erste Fahrt nach Carson seit dem Eintritt der Ueberschwemmung. Ohne Zeitverlust folgten wir den von ihr gezogenen Furchen und trabten lustig voran, denn wir setzten volles Vertrauen in die Lokalkenntnis des Postillons. Unsere Pferde konnten es zwar mit dem frischen Gespann der Post nicht aufnehmen, so daß wir diese bald aus dem Gesicht verloren, doch hatte dies nichts zu bedeuten, denn die tiefen Einschnitte, die die Räder machten, dienten uns als Wegweiser. Mittlerweile war es drei Uhr nachmittags geworden, und es[78] mußte bald Nacht werden. Das geschieht aber dort zu Lande nicht mittelst einer allmählich stärker werdenden Dämmerung, sondern geht so plötzlich vor sich, wie wenn eine Kellerthür zugeschlagen wird. Der Schnee fiel noch immer gleich dicht, so daß wir keine fünfzehn Schritte vor uns sehen konnten; aber ringsum vermochten wir durch den Schimmer des weißen Schneebettes die glatten, zuckerhutförmigen Erhöhungen zu erkennen, in welche sich die Salbeibüsche verwandelt hatten; die beiden schmalen Rinnen dicht vor uns aber waren die mehr und mehr sich füllenden und langsam verschwindenden Wagengeleise.

Nun waren jene Salbeibüsche alle von derselben Höhe, drei oder vier Fuß hoch, und sie standen alle etwa sieben Fuß auseinander, soweit das Auge reichte; jeder derselben war jetzt ein bloßer Schneehaufen; in jeder Richtung, die man einschlagen mochte, bewegte man sich wie in einem gut angelegten Obstgarten durch eine rechts und links von einer Reihe dieser Schneehaufen eingefaßte Gasse – eine Gasse von der gewöhnlichen Breite einer Landstraße, in der Mitte sauber und eben, und an den Seiten ganz natürlich ansteigend. Bisher war uns das noch gar nicht eingefallen. Nun stelle man sich einmal vor, wie es uns eiskalt überlief, als uns tief in der Nacht der Gedanke kam, wir möchten vielleicht jetzt, da die schwache Spur der Wagenräder längst begraben und unsern Blicken entzogen war, in einer bloßen Allee von Salbeibüschen, meilenweit weg von der Straße hin irren und immer weiter von derselben abkommen. Wäre uns ein Eisklumpen über den nackten Rücken gerutscht, es hätte eine behagliche Empfindung sein müssen, verglichen mit diesem Gefühl. Das seit einer Stunde schläfrig gewordene Blut regte sich plötzlich wieder und schoß uns verzweifelt durch die Adern. Alle in Schlummer versunkenen Kräfte des Geistes und Körpers flammten auf. Sofort waren wir wach und munter, aber nur um vor Angst und Bestürzung zu zittern und zu[79] klappern. Unverzüglich machten wir Halt, stiegen von den Pferden, und bückten uns tief, um nach den Spuren der Straße zu suchen. Vergeblich; denn eine Bodenvertiefung, die nicht zu erkennen war, wenn man sich vier oder fünf Fuß über derselben befand, ließ sich erst recht nicht wahrnehmen, wenn man sie fast mit der Nase berührte.


Elftes Kapitel.

Es kam uns zwar vor, als befänden wir uns auf einer Straße; aber das war noch kein Beweis. Denn als wir nach verschiedenen Richtungen hinschritten, zog jeder von uns aus den regelmäßigen Reihen von Schneehaufen und den dazwischen hinlaufenden Wegen den unumstößlichen Schluß, daß er den richtigen Weg gefunden und die beiden andern sich geirrt hätten. Wir waren kalt und steif und die Pferde ermüdet.[80] In unserer verzweifelten Lage beschlossen wir, ein Feuer aus Salbeibüschen anzumachen und bei demselben bis zum Morgen zu kampieren. Dies war das Vernünftigste, weil, falls wir von der richtigen Straße abgekommen waren und der Schneesturm noch einen Tag anhielt, kaum noch eine Rettung blieb, wofern wir weiter ritten.

Wir waren alle einig darüber, daß ein Lagerfeuer uns noch am ehesten am Leben erhalten könnte, und so machten wir uns ohne Aufschub daran, ein solches herzustellen. Da wir keine Zündhölzchen finden konnten, versuchten wir es mit den Pistolen. Zwar hatte keiner von der Gesellschaft dies jemals probiert, aber wir glaubten, es werde sich ganz bequem machen lassen, denn wir hatten des öfteren davon in Büchern gelesen und verließen uns nun darauf mit derselben vertrauensvollen Einfalt wie auf jenen anderen Bücherschwindel, der von Indianern und verirrten Jägern erzählt, die sich durch Reiben von zwei dürren Holzstücken Feuer verschaffen.

Auf den Knieen drängten wir uns in dem tiefen Schnee aneinander; die Pferde steckten ihre Nasen zusammen und beugten ihre Köpfe geduldig über uns, und so fuhren wir in unserem wichtigen Experiment fort, während die federigen Flocken herunterwirbelten und uns in eine Gruppe weißer Statuen verwandelten. Wir brachen Zweige von einem Salbeibusch, säuberten einen kleinen Platz vom Schnee und häuften das Holz auf, es mit unsern Leibern schützend. Dies nahm zehn bis fünfzehn Minuten in Anspruch, und nun setzte Ollendorff unter allgemeiner Stille und atemloser, ängstlicher Spannung seinen Revolver daran, drückte ab und – fort flog unser Holzhäufchen in alle Winde.

Das war recht betrübend, aber es verblaßte vor einem noch größeren Schrecken – die Pferde waren fort. Ich war damit betraut gewesen, die Zügel zu halten, hatte sie aber in der Aufregung des Pistolenexperiments unversehens fallen lassen, und[81] die frei gewordenen Tiere waren in dem Unwetter davongelaufen. Sie aufsuchen zu wollen, wäre verlorene Mühe gewesen; ihre Fußtritte brachten kein Geräusch hervor und man konnte ihnen auf zwei Ellen nahe sein, ohne sie zu sehen. So gaben wir sie denn auf und verwünschten die Bücher mit ihren Lügen, in denen steht, daß Pferde in Zeiten der Not, Schutz und Gesellschaft suchend, bei ihrem Herrn bleiben.

Wir waren schon vorher elend genug daran gewesen, nun fühlten wir uns noch viel verlassener. Geduldig, doch ohne Hoffnung brachen wir noch einmal Reisig ab und schichteten es auf, worauf es der Preuße abermals in alle Winde schoß. Offenbar war das Feueranmachen mit einem Pistol eine Kunst, die Uebung und Erfahrung erforderte, und eine Wüste um Mitternacht und bei Schneegestöber war nicht der Ort zur Erlangung dieser Fertigkeit. Wir gaben diesen Versuch auf und wandten uns zu dem andern. Ein jeder von uns nahm zwei Hölzer und machte sich daran, sie aneinander zu reiben. Nach Ablauf einer halben Stunde waren wir vor Kälte ganz erstarrt und die Hölzer nicht minder. Bitter verwünschten wir Indianer, Jäger und Bücher, die uns mit ihrem einfältigen Rate bethört hatten, und fragten uns, was nun zunächst zu thun sei. In diesem entscheidenden Augenblicke entdeckte Ballou in einer Tasche, die er bisher ganz übersehen hatte, vier Zündhölzchen. Wären es Goldbarren gewesen, sie würden uns, verglichen damit, als ein ärmlicher, wertloser Glücksfund vorgekommen sein. Man glaubt nicht, wie prächtig sich ein Zündholz unter solchen Umständen ausnimmt, wie lieblich und kostbar und von welch erhabener Schönheit umflossen es dem Auge erscheint. Voll hoher Hoffnungen sammelten wir nochmals Reisig, und als der Alte sich anschickte, das erste Hölzchen in Brand zu setzen, sahen wir ihm mit einem Interesse zu, das ganze Druckseiten nicht genügend zu schildern vermöchten. Hoffnungsvoll brannte das Zündhölzchen[82] einen Augenblick lang und ging dann aus. Wäre es eine Menschenseele gewesen, man hätte ihr Erlöschen nicht tiefer betrauern können. Das nächste Hölzchen blitzte nur auf, um sogleich wieder zu ersterben. Das dritte blies der Wind gerade in dem Augenblick aus, als es Erfolg verhieß. Enger als je drückten wir uns nun zusammen und entwickelten eine peinliche Aufmerksamkeit, als Ballou mit unserer letzten Hoffnung über sein Hosenbein strich. Das Hölzchen fing Feuer, brannte zuerst blau und kümmerlich, flackerte dann aber zu einer kräftigen Flamme auf. Der alte Herr schützte sie mit der Hand und bückte sich langsam damit. Jeder von uns war mit ganzer Seele bei seinem Thun, Blut und Atem stockten uns. Endlich ergriff die Flamme die Hölzer, teilte sich allgemach mehreren mit – zögerte – gewann wieder etwas mehr Kraft – zögerte nochmals – behielt fünf herzbrechende Minuten lang das Leben – um dann wie die Seele eines Sterbenden noch einmal aufzuflackern und zu erlöschen.

Mehrere Minuten lang sprach keiner ein Wort. Ein feierliches Schweigen herrschte. Selbst der Wind hielt verstohlen inne mit seinem Wehen, und machte nicht mehr Geräusch als die fallenden Schneeflocken, so daß eine unheilverkündende Stille entstand. Endlich begann man mit gepreßter Stimme sich auszusprechen, und es zeigte sich bald, daß einer wie der andere von uns in seinem Innern fest überzeugt war, diese Nacht sei unsere letzte in diesem Leben. Ich hatte im stillen gehofft, der einzige zu sein, der diese Empfindung hätte. Als die andern ruhig ebenfalls diese Ueberzeugung bekannten, klang es wie Grabgeläute. Ollendorff sagte: »Brüder, laßt uns zusammen sterben! Und laßt uns hinübergehen ohne ein bitteres Gefühl gegen einander. Laßt Vergangenes vergeben und vergessen sein. Ich weiß, ihr grollet mir, weil ich schuld daran war, daß gestern der Kahn umschlug und weil ich gescheit sein wollte und euch[83] im Kreise im Schnee herumführte – aber ich meinte es gut, verzeiht mir. Ich gestehe offen, daß ich auf Ballou böse war, weil er mich geschimpft und einen Logarithmus genannt hatte; was das ist, weiß ich nicht; es muß aber wohl etwas sein, das in Amerika für ungehörig und unehrenvoll gilt; es ist mir kaum einen Augenblick aus dem Sinn gekommen und hat mich sehr gekränkt – aber lassen wir das, ich vergebe Ihnen von ganzem Herzen, Herr Ballou, und –«

Der arme Ollendorff brach zusammen und Thränen liefen ihm die Wange herunter. Aber nicht ihm allein; denn ich brach ebenfalls in Weinen aus und Ballou nicht minder. Als Ollendorff wieder reden konnte, erteilte er mir Vergebung für verschiedenes, was ich ihm gethan und gesagt hatte. Dann zog er seine Schnapsflasche heraus und erklärte, ob er nun sterben oder am Leben bleiben möge, nie werde er wieder einen Tropfen anrühren. Der Hoffnung auf das Leben habe er gänzlich entsagt und, obwohl schlecht vorbereitet, wolle er sich doch demütig in sein Schicksal ergeben. Allerdings wünschte er noch eine kleine Frist, aber nicht aus irgend welchem selbstsüchtigen Grunde, sondern um seinen Sinn gründlich zu ändern, sich der Pflege der Armen zu weihen, Kranke zu warten und der Welt Mäßigkeit zu predigen, damit sein Leben zu einem heilsamen Beispiel für die Jugend werde und er es zuletzt mit dem tröstlichen Gedanken beschließen dürfe, daß er nicht umsonst gelebt habe. Seine Umkehr solle gleich in diesem Augenblick beginnen, hier im Angesicht des Todes, da ihm keine Zeit mehr gewährt sei, sich zum Wohl und Heil der Menschheit zu bethätigen – und damit schleuderte er die Whiskyflasche fort.

Ballou machte Bemerkungen ähnlichen Inhalts und begann die ›Umkehr‹, deren Fortsetzung er nicht erleben sollte, damit, daß er das alte Kartenspiel wegwarf, welches unsere Gefangenschaft während der letzten Tage behaglich, ja überhaupt erträglich gemacht[84] hatte. Nie habe er gewerbsmäßig gespielt, sagte er, aber er sei überzeugt, daß die Beschäftigung mit den Karten unsittlich und schädlich sei, und wer ganz rein und tadellos sein wolle, derselben entsagen müsse, »und deshalb,« so fuhr er mit seinem steten wunderlichen Gebrauch von Fremdwörtern fort, »fühle ich mich jetzt bei diesem Akt schon in größerer Sympathie mit jenen zu gänzlicher und obsoleter Reform notwendigen spirituellen Saturnalien.« Dieser Silbenfall rührte ihn tiefer, als irgend ein verständlicher Satz des besten Redners es vermocht hätte; der alte Mann schluchzte mit einer Wehmut, die nicht ohne Beimischung einer gewissen Befriedigung war.

Meine eigenen Bemerkungen waren in demselben Tone gehalten wie die meiner Kameraden, und ich weiß, daß die Gefühle, aus denen sie entsprungen, tief empfundene und aufrichtige waren. Wir meinten es alle aufrichtig und waren tief erschüttert und voll heiligen Ernstes; sahen wir uns doch ohne jede Hoffnung im Angesichte des Todes. Ich warf meine Pfeife weg mit der Empfindung, mich dadurch endlich von einem verhaßten Laster frei gemacht zu haben, das mich mein Lebtag beherrscht hat. Während ich noch sprach, überwältigte mich der Gedanke an das Gute, das ich in der Welt hätte thun können und an das noch größere Gute, das ich von nun an aus höherem Antriebe und mit besseren Zielen und Leitsternen hätte thun können, wären mir nur noch ein paar Jahre beschieden gewesen – und meine Thränen flossen wieder. Wir umschlangen uns mit den Armen und erwarteten die Schläfrigkeit, die dem Tode des Erstarrens voranzugehen pflegt. Sie stahl sich gar bald über uns, und wir sagten einander ein letztes Lebewohl. Ein behaglicher Traumzustand wob sich um meine schwindelnden Sinne, während die Schneeflocken meinen nunmehr besiegten Körper mit einem Leichentuche bedeckten. Das Bewußtsein schwand. Der Kampf des Lebens war vorüber.


[85]

Zwölftes Kapitel.

Ich weiß nicht, wie lange ich mich in dem Zustand völligen Vergessens befand, aber es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Allmählich erwachte ich wieder einigermaßen zum Bewußtsein, und es stellte sich ein immer heftigeres, quälendes Schmerzgefühl in den Gliedern, ja im ganzen Körper ein. Mir schauderte, durch mein Gehirn schoß der Gedanke: Das ist der Tod, das ist das Jenseits.

Auf einmal erhob sich neben mir etwas Weißes und eine grämliche Stimme sagte:

»Will einer der Herren mir gefälligst einen Tritt vor den Hintern geben?«

Es war Ballou – wenigstens war es ein struppiger Schneemann mit Ballous Stimme.

Ich erhob mich, und wer schildert mein Erstaunen, als ich im Morgengrauen keine zwanzig Schritte von uns weg die Brettergebäude einer Poststation erblickte und dabei unter einem offenen Schuppen unsere Pferde noch mit Sattel und Zaum!

Eine gewölbte Schneewehe zerbarst jetzt, aus der Ollendorff auftauchte; und alle drei saßen wir nun da und starrten die Gebäude an, ohne ein Wort zu sagen. Wir hatten auch in der That nichts zu sagen. Wir standen wie die Ochsen am Berge. Die ganze Situation war so peinlich lächerlich und demütigend, daß sie sich nicht in Worte fassen läßt.

Die Freude unserer Herzen über unsere Rettung war vergiftet, ja fast zerstört. Nicht lange, so wurden wir immer verdrießlicher und mürrischer; dann klopften wir, ärgerlich über einander, ärgerlich über uns selber, ärgerlich über alles mögliche,[86] mit finsteren Blicken den Schnee von unseren Kleidern und wateten in ungeselligem Gänsemarsch zu unseren Gäulen hin, nahmen ihnen die Sättel ab und suchten im Posthause Obdach.

Ich habe kaum eine Einzelheit dieses seltsamen und abgeschmackten Abenteuers übertrieben. Es trug sich fast genau so zu. Wir hatten uns wirklich in einer Schneewehe gelagert und hielten uns für hoffnungslos verloren, während sich keine zwanzig Schritte weit von uns ein bequemes Wirtshaus befand.

Zwei ganze Stunden lang saßen wir im Posthause, jeder einzeln für sich in seine ärgerlichen Gedanken vertieft. Das Geheimnis war enthüllt, wir wußten jetzt ganz gut, warum die Pferde uns verlassen hatten. Sie waren gescheiter gewesen als wir, hatten sich ohne Zweifel schon nach wenigen Augenblicken unter dem schützenden Schuppen befunden, von dort aus jedenfalls alle unsere Bekenntnisse und Klagelieder mit angehört und sich nicht schlecht darüber gefreut.

Nach dem Frühstück wurde uns besser zu Mute und die Lust am Leben kam bald zurück. Die Welt nahm sich wieder heiter aus und das Dasein war uns lieb und wert. Auf einmal überkam mich ein Gefühl des Unbehagens und der Unruhe. Es bohrte und nagte immer stärker an mir ohne Unterlaß. Ach, meine Wiedergeburt war nicht vollständig, ich war zu keinem neuen Leben erwacht – ich fühlte Lust zum Rauchen!

Ich widerstand mit aller Kraft, aber das Fleisch war schwach.[87] Einsam wanderte ich fort und kämpfte eine ganze Stunde lang mit mir selbst. Ich rief mir meine guten Vorsätze in Erinnerung und hielt mir selbst eine ausführliche Predigt voll überzeugender Kraft, voll schwerer Vorwürfe. Aber es war alles umsonst. Bald sah ich mich zwischen den Schneewehen herumschleichen und nach meiner weggeworfenen Pfeife suchen. Nach langem Forschen entdeckte ich sie endlich und verkroch mich, um mich im Verborgenen daran zu erfreuen.

Eine gute Weile blieb ich in meinem Versteck hinter der Scheune und legte mir die Frage vor, wie mir wohl zu Mute sein würde, falls meine tapferern, stärkerern, gesinnungstüchtigern Kameraden mich in dieser meiner Erniedrigung antreffen sollten. Endlich zündete ich mir die Pfeife an und kein menschliches Wesen kann sich niedriger und gemeiner vorkommen als ich mir damals erschien. Ich schämte mich meiner eigenen erbärmlichen Gesellschaft. In fortwährender Angst vor Entdeckung kam ich auf den Gedanken, die andere Seite der Scheune könnte vielleicht etwas mehr Sicherheit bieten, und so schlich ich mich um die Ecke. Als ich mit brennender Pfeife um dieselbe bog, kam Ollendorff mit seiner Flasche an den Lippen um die andere Ecke, und zwischen uns saß, ohne uns zu bemerken, Ballou, tief versunken in ein Spielchen ›Solitaire‹, mit seinen alten fettigen Karten!

Das hieß denn doch die Abgeschmacktheit bis aufs äußerste treiben! Wir schüttelten uns die Hände und gelobten uns, nie mehr von ›Umkehren‹ und ›Beispielen für das heranwachsende Geschlecht‹ zu reden.

Unsere Poststation lag am Rande einer Wüste von sechsundzwanzig Meilen Länge. Hätten wir uns am Abend vorher derselben eine halbe Stunde früher genähert, so würden wir lautes Rufen und Pistolenschießen vernommen haben, denn man erwartete einige Schaftreiber mit ihren Herden, die sich rettungslos[88] verirren mußten, falls sie nicht durch den Schall geleitet würden. Während unseres Aufenthalts auf der Station trafen drei von den Viehtreibern ganz erschöpft von ihren Irrfahrten ein, von zwei anderen aber hörte man nie wieder etwas.

Rechtzeitig langten wir in Carson an, wo wir uns Erholung gönnten. Hierdurch, sowie durch die Vorbereitungen zu unserer Reise nach Esmeralda wurden wir eine Woche festgehalten, was uns die Möglichkeit verschaffte, dem Prozeß zwischen Hyde und Morgan wegen des großen Erdrutsches beizuwohnen – eine Episode, die noch heutzutage in Nevada berühmt ist. Nach den notwendigen einleitenden Worten will ich diese eigentümliche Angelegenheit ganz so erzählen, wie sie sich zutrug.


Dreizehntes Kapitel.

In den Thälern von Carson, Eagle und Washoe sind die Berge sehr hoch und steil, und so beginnen, wenn der Schnee im Frühling schnell schmilzt und das warme obere Erdreich feucht und weich wird, die verderbenbringenden Erdrutsche. Der Leser kann nicht wissen, was ein Erdrutsch ist, wenn er nicht hier in der Gegend gelebt hat und gesehen, wie eines schönen Morgens die ganze Seite eines Berges gleichsam abgeblättert unten im Thale liegt, so daß nichts als eine ungeheure, baumlose, abschreckend kahle Wand am Bergeshange übrig bleibt, um das Andenken an den Vorfall lebendig zu erhalten.

General Buncombe war als Anwalt der Vereinigten Staaten nach Nevada verschickt worden. Dieser Territorialbeamte betrachtete sich gleichzeitig als Sachwalter für Privatpersonen und[89] strebte sehr eifrig nach einer Gelegenheit zur Bethätigung dieser Eigenschaft, teils aus reinem Wohlgefallen daran, teils weil sein Gehalt als Staatsbeamter eines Territoriums sehr mager war. Nun pflegten die älteren Bewohner eines neuen Territoriums auf die übrige Welt mit gelassenem, wohlwollendem Mitleid herabzusehen, d. h. solange man ihnen nicht in den Weg kommt; tritt man ihnen in den Weg, so wird man angeschnauzt. Bisweilen auch ziehen sie die Neulinge durch allerhand Streiche und Scherze auf.

Eines Morgens erschien Dick Hyde vor General Buncombes Thür in Carson City zu Pferde im tollsten Lauf und stürzte zu ihm hinein, ohne sich nur Zeit zum Anbinden seines Pferdes zu lassen. Er befand sich in großer Aufregung und bat den General, einen Prozeß für ihn zu führen, für den er fünfhundert Dollars bekäme, falls er ihm den Sieg erstritte. Dann ließ er[90] sich unter wilden Geberden und einer Flut gotteslästerlicher Flüche über seine Beschwerdepunkte aus. Es sei so ziemlich allgemein bekannt, sagte er, daß er seit etlichen Jahren im Distrikt Washoe eine Farm oder nach der gewöhnlichen Bezeichnung einen Rancho mit ganz gutem Erfolg bewirtschafte, und ebenso, daß Tom Morgan unmittelbar über ihm auch einen Rancho besitze. Unglücklicherweise habe nun ein solcher verhaßter und gefürchteter Erdrutsch stattgefunden, wodurch Morgans Rancho: Zäune, Hütten, Vieh, Scheunen, alles miteinander auf seinen Rancho herabgestürzt sei und sein Eigentum etwa achtunddreißig Fuß hoch vollständig zugedeckt habe. Morgan sei im Besitz des herabgerutschten Landes und weigere sich, es zu räumen. Er machte geltend, daß er in seiner eigenen Hütte sitze und niemand in der seinigen störe; die Hütte stehe auf demselben Erdreich und demselben Grundstück, wo sie immer gestanden, und er wolle den sehen, der ihn zwinge auszuziehen.

»Und als ich ihn daran erinnerte,« fuhr Hyde weinend fort, »daß er gerade doch auf meinem Rancho sitze und daß er rechtswidrig in denselben eingebrochen sei, hatte er die höllische Unverschämtheit, mich zu fragen, warum ich denn nicht in meinem Rancho geblieben sei, um den Besitz zu behaupten, als ich ihn hätte kommen sehen. Verrückter Faselhans, warum ich nicht geblieben bin? – bei Gott, als ich das Geprassel hörte und den Berg hinaufsah, war es gerade, als käme die ganze Welt den Hang herunter gepoltert und gekollert – Splitter und Holzstöße, Donner und Blitz, Hagel und Schnee, Bündel Heu und Stroh und fürchterliche Staubwolken! – Bäume kamen holterdipolter durch die Luft, Felsblöcke so groß wie ein Haus flogen aus einer Höhe von tausend Fuß und zerkrachten dann in zehn Millionen Stücke; Ochsen und Kühe, das Inwendige nach außen gekehrt, den Kopf voran, die Schwänze zwischen den Zähnen, kamen herunter gesaust – und mitten in dieser ganzen verkehrten[91] und zertrümmerten Welt sitzt dieser verfluchte Morgan auf seinem Gartenthürpfosten und fragt, warum ich nicht geblieben sei, und meinen Besitz behauptet habe! Meiner Seel’! Ich warf nur einen einzigen Blick auf die Bescherung, und in drei Sätzen war ich aus dem Bezirk.

»Aber was mich wurmt, das ist, daß dieser Morgan sich darauf herumtreibt und von dem Rancho nicht fort will – sagt, er gehöre ihm und er behalte ihn – es gefalle ihm besser da unten, als oben am Berg. Zum Tollwerden! Na, ich war die beiden letzten Tage her so verdreht, daß ich nicht einmal den Weg in die Stadt finden konnte. Bin nach dem Umherlaufen in Feld und Wald ganz erschöpft; – einen Tropfen zu trinken, General? Aber jetzt bin ich hier und jetzt wird prozessiert. Sie haben’s gehört.«

Die Empörung des Generals kannte keine Grenzen. In seinem ganzen Leben, meinte er, sei ihm noch kein so anmaßender Mensch vorgekommen, wie dieser Morgan. Ein Prozeß, fuhr er fort, sei eigentlich ganz überflüssig; Morgan hätte keinen Schein von Recht, auf seinem jetzigen Platze zu bleiben – kein Mensch auf der ganzen Welt würde ihm das zugestehen, kein Sachwalter seine Sache führen, kein Richter ihn anhören. Hyde erwiderte, da sei er im Irrtum – die ganze Stadt gebe Morgan recht, Hal Brayton, ein sehr tüchtiger Anwalt, hätte seine Sache übernommen, und da Gerichtsferien wären, so sollte sie vor einem Schiedsmann verhandelt werden. Der frühere Gouverneur Roop wäre bereits zu diesem Amt ernannt worden und würde heute um zwei Uhr nachmittags in einem großen, öffentlichen Saal nahe beim Hotel die Verhandlungen eröffnen.

Der General war außer sich vor Staunen. Er hätte, sagte er, stets geglaubt, die Menschen in diesem Territorium müßten verrückt sein; jetzt wisse er es ganz gewiß. »Aber,« fuhr er fort, »nur ruhig Blut und Zeugen gesammelt; denn der Sieg[92] ist uns so sicher, als wäre das Urteil bereits gesprochen.« Hyde trocknete seine Thränen und zog ab.

Um zwei Uhr wurde das Schiedsgericht eröffnet und Roop thronte mit so ehrfurchtgebietender Feierlichkeit unter seinen Sheriffs, den Zeugen und den Zuschauern, daß einige seiner Mitwisser schier Angst hatten, er habe am Ende nicht begriffen, daß es sich nur um einen Scherz handle. Eine unheimliche Stille herrschte, denn beim leisesten Geräusch sprach der Richter den ernsten Befehl aus: »Ruhe vor Gericht,« was die Sheriffs sofort wie ein Echo wiederholten. Kurz darauf drängte sich der General, beide Arme voll Gesetzbücher, durch die Menge und an sein Ohr schlug der Befehl des Richters: »Platz für den Herrn Anwalt der Vereinigten Staaten,« die erste achtungsvolle Anerkennung seiner hohen offiziellen Würde, die ihm bislang zu teil geworden war, und bei der es ihm behaglich durch alle Glieder prickelte.

Die Zeugen wurden aufgerufen; Gesetzgeber, hohe Regierungsbeamte, Bauern, Bergleute, Chinesen, Neger. Dreiviertel derselben waren von dem Beklagten Morgan aufgerufen, aber umsonst; ihr Zeugnis lautete ausnahmslos zu Gunsten des Klägers Hyde. Jeder neue Zeuge brachte nur neue Beweise dafür bei, wie abgeschmackt es sei, jemandes Eigentum deshalb zu beanspruchen, weil die eigene Farm darauf gerutscht sei. Dann hielten Morgans Advokaten ihre Reden, die erbärmlich matt ausfielen, sie thaten in Wirklichkeit nichts für den Sieg ihres Schutzbefohlenen. Jetzt erhob sich mit triumphierender Miene der General und nahm einen leidenschaftlichen Anlauf. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, klopfte auf die Gesetzbücher, schrie, brüllte und heulte, zitierte alle Sprachen und Schriftsteller, Poesie, Sarkasmen, Statistik, Geschichte, Pathetisches, Volkstümliches, Lächerliches, und schloß mit einem großen Schlachtruf für Redefreiheit, Preßfreiheit, Unterrichtsfreiheit, den[93] ruhmreichen amerikanischen Adler und die Grundsätze ewiger Gerechtigkeit. (Beifall.)

Als der General sich niederließ, war er im Innersten überzeugt, daß wenn auf günstige Zeugenaussagen, eine großartige Rede und auf die gläubigen und bewundernden Gesichter ringsum das mindeste zu geben sei, Morgan verloren sein müsse. Exgouverneur Roop stützte sein Haupt einige Augenblicke sinnend in die Hand, während die Menge auf seine Entscheidung wartete, dann erhob er sich und dachte gebeugten Hauptes abermals nach. Darauf ging er mit langen Schritten hin und her, das Kinn in der Hand, während die Menge immer noch harrte. Endlich kehrte er auf seinen Thron zurück, setzte sich und begann in gewichtigem Tone:

»Meine Herren, ich fühle die große Verantwortlichkeit, die heute auf mir ruht. Dies ist kein gewöhnlicher Fall. Im Gegenteil, es ist der großartigste und bedeutsamste, den je ein Mensch zu entscheiden berufen wurde. Meine Herren, ich habe aufmerksam die Zeugenaussagen angehört und bemerkt, daß ihr Gewicht, ihr überwältigendes Gewicht zu Gunsten des Klägers Hyde spricht. Ich habe ferner mit hohem Interesse den Bemerkungen der Sachwalter zugehört, namentlich die meisterhafte und unwiderlegbare Logik des hochverehrlichen Anwalts, welcher den Kläger vertritt. Aber, meine Herren, lassen wir uns in einem so feierlichen Augenblick nicht von bloß menschlichem Zeugnis, menschlichem Scharfsinn und menschlichen Begriffen von Gerechtigkeit beeinflussen. Meine Herren, es steht uns Erdenwürmern sehr übel an, uns in die Beschlüsse des Himmels einzumischen. Für mich liegt es klar auf der Hand, daß der Himmel in seiner unerforschlichen Weisheit den Rancho des Angeklagten nicht ohne Grund von der Stelle gerückt hat. Wir sind nur Geschöpfe Gottes und müssen uns seinem Willen fügen. Wenn es dem Himmel beliebt hat, den Beklagten Morgan auf so merkwürdige[94] und wunderbare Weise zu begünstigen, wenn der Himmel, unzufrieden mit der Lage von Morgans Rancho an der Bergflanke, denselben nach einer für seinen Besitzer bequemeren und vorteilhafteren Gegend befördern wollte, so steht es uns armen Eintagsfliegen nicht zu, die Gesetzmäßigkeit des Verfahrens in Frage zu ziehen oder nach der Ursache zu forschen, die dabei maßgebend war. Nein, der Himmel hat die Ranchos geschaffen, und es ist das Vorrecht des Himmels, sie anders zu ordnen, mit ihnen zu experimentieren, sie nach Belieben dahin oder dorthin zu schieben. Wir haben uns ohne Murren zu unterwerfen. Ich sage es euch zur Warnung, daß die unheiligen Hände, Köpfe und Zungen der Menschen sich mit diesem Ereignis nicht befassen dürfen. Meine Herren, der Wahrspruch des Gerichtshofs lautet, daß der Kläger Richard Hyde seines Ranchos durch die Heimsuchung Gottes verlustig gegangen ist! Und von dieser Entscheidung giebt es keine Berufung.«

Buncombe packte seine Ladung Bücher zusammen und stürzte damit aus dem Gerichtssaal, ganz außer sich vor Entrüstung. Er hieß Roop laut einen Narren, einen schwärmerischen Troddel. In seinem Eifer suchte er ihn bei Nacht nochmals auf, machte ihm Vorstellungen wegen seines ungereimten Wahrspruchs und bat ihn inständig, doch einmal eine halbe Stunde in der Stube auf und ab zu gehen und nachzudenken, ob sich der Spruch denn nicht irgendwie abändern lasse. Schließlich gab Roop nach und stand auf. Dritthalb Stunden lief er im Zimmer hin und her, bis er plötzlich mit strahlendem Gesicht ausrief, jetzt sei es ihm klar geworden, daß der Rancho unter dem Rancho Morgans noch immer Hyde gehöre und daß dieser noch gerade soviel Anrecht auf denselben habe wie vorher; deshalb sei er der Meinung, daß Hyde berechtigt sei, sich ihn darunter herauszugraben und –

Der General wartete nicht bis er ausgeredet hatte, er war[95] stets ungeduldigen und jähzornigen Temperaments gewesen. – Es dauerte zwei Monate, bis die Thatsache, daß man nur Spaß mit ihm getrieben, sich durch den harten Diamantfels seines Begriffsvermögens hindurch gebohrt hatte.


Vierzehntes Kapitel.

Als wir endlich nach Esmeralda abritten, bekam unsere Gesellschaft einen Zuwachs in der Person des Kapitäns John Nye, eines Bruders des Gouverneurs. Er hatte ein gutes Gedächtnis und die Zunge saß ihm am rechten Fleck; das sind Eigenschaften, welche der Unterhaltung ein ewiges Leben verleihen. Während der ganzen hundertzwanzig Meilen unserer Reise ließ der Kapitän das Gespräch nie matt werden oder stocken. Außer seiner Unterhaltungsgabe besaß er noch zwei ganz besondere Vorzüge. Der eine bestand in seiner außerordentlichen Anstelligkeit, die ihm zu allem und jedem Geschick verlieh, vom Abstecken einer Eisenbahn oder der Organisierung einer politischen Partei bis herab zum Annähen eines Knopfes, zum Beschlagen eines Pferdes, zum Einrichten eines gebrochenen Beins oder zum Setzen einer Henne. Der andere bestand in der Fähigkeit, sich jederzeit der Bedürfnisse, Verlegenheiten und Schwierigkeiten seiner Mitmenschen anzunehmen und mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit und Geschwindigkeit Abhilfe zu schaffen, weshalb er stets leerstehende Betten in überfüllten Gasthäusern und eine Fülle von Vorräten in den leersten Speisekammern fand. Und endlich, wo er Mann, Weib oder Kind in einem Lager, einer Schenke oder mitten in der Wüste begegnete, immer kannte er entweder die Leute persönlich oder er war mit einem Verwandten[96] derselben bekannt gewesen. Ein solcher Reisegefährte war uns bis dahin noch nicht vorgekommen.

Ich kann nicht unterlassen, hier eine Probe von der Art mitzuteilen, wie er Schwierigkeiten beseitigte. Am zweiten Reisetag langten wir sehr müde und hungrig vor einem kleinen ärmlichen Wirtshaus in der Wüste an, wo man uns sagte, das Haus sei voll, Lebensmittel seien nicht vorhanden, kein Heu oder Gerste für die Pferde da – wir müßten weiter gehen. Wir andern wollten eilig weiter, solange es noch hell war, da der Kapitän aber darauf bestand eine Weile Halt zu machen, stiegen wir ab und traten ein. Kein einziges Gesicht bot uns Willkommen. Der Kapitän ließ seine Zauberkünste spielen und hatte binnen zwanzig Minuten folgendes zustande gebracht: in drei Fuhrleuten alte Bekannte gefunden, entdeckt, daß er mit der Mutter des Wirts in die Schule gegangen, in dessen Frau eine Dame wieder erkannt, deren durchgegangenes Pferd er einst in Kalifornien aufgehalten und ihr dadurch das Leben gerettet hatte, einem Kinde sein zerbrochenes Spielzeug ausgebessert und damit die Gunst von dessen Mutter gewonnen, dem Hausknecht beim Aderlaß eines Pferdes geholfen, und einem andern Pferde, welches das Würgen hatte, etwas verschrieben, die ganze Gesellschaft dreimal am Schenktisch des Wirtes frei gehalten, eine neuere Zeitungsnummer, als irgend jemand sie seit einer Woche zu Gesicht bekommen hatte, zum Vorschein gebracht, sich hingesetzt und sie den höchst gespannten Zuhörern vorgelesen. Das Ergebnis aber war in Summa folgendes: Der Hausknecht fand Futter in Fülle für unsere Pferde, wir bekamen ein Abendessen von Forellen mit nachfolgender überaus gemütlicher Unterhaltung, wir erhielten gute Betten, fanden des andern Morgens ein überraschend feines Frühstück und bei unserm Abgang jammerte alle Welt, daß wir schon fort wollten. Der Kapitän hatte einige schlimme Eigenschaften, allein er besaß auch ungemein[97] schätzenswerte Züge, die er dagegen in die Wagschale werfen konnte.

Esmeralda war in vielen Beziehungen ein zweites Humboldt, jedoch bereits etwas weiter entwickelt. Die Bergwerksanteile, für die wir Zuschüsse bezahlt hatten, waren völlig wertlos, wir gaben sie auf. Der bedeutendste lag auf einem Hügel von vierzehn Fuß Höhe, in den die schlauen Direktoren einen Stollen trieben, um auf die silberhaltige Ader zu kommen. Derselbe würde siebzig Fuß lang geworden sein, um dann die Ader in einer Tiefe zu treffen, die man mit einem zwölf Fuß tiefen Schacht erreicht hätte. Die Herren Direktoren lebten von den ›Zubußen‹. Sie spürten durchaus kein Verlangen, jene Ader zu finden; denn sie wußten wohl, daß sie so wenig Silber enthielt wie eine Trottoirplatte.

Wir belegten verschiedene Parzellen, auf denen wir Schachte und Stollen in Angriff nahmen, ohne aber je einen solchen fertig zu machen. Auf jeder derselben mußten wir eine gewisse Arbeit geleistet haben, um als Inhaber zu gelten, widrigenfalls jeder andere nach Ablauf von zehn Tagen unser Eigentum in Besitz nehmen konnte. Stets jagten wir neuen Parzellen nach, auf denen wir etwas Weniges arbeiteten, um dann auf einen Käufer zu warten, der sich aber niemals einstellte. Nie fanden wir Erz, das mehr als fünfzig Dollars die Tonne gegeben hätte, und da die Pochwerke für die Verarbeitung des Erzes und Ausscheidung des Silbers genau ebensoviel verlangten, schmolz uns das Geld aus der Tasche fortwährend weg, ohne daß anderes dafür kam. Wir bewohnten eine kleine Hütte, in der wir eigene Küche führten, und hatten im ganzen ein saures, wenn auch hoffnungsvolles Leben, – denn wir hörten keinen Augenblick auf, ein Vermögen für uns und einen plötzlich sich einstellenden Käufer für unsern Besitz zu erwarten.

Zuletzt, als das Pfund Mehl auf einen Dollar stieg und[98] Geld auf die beste Sicherheit hin nicht unter acht Prozent monatlich zu haben war (mir fehlte es überdies an der Sicherheit), ließ ich den Bergbau fahren und widmete mich dem Pochwerkbetrieb, d. h. ich wurde gewöhnlicher Taglöhner in einem Quarzpochwerk für zehn Dollars die Woche außer der Kost.


Fünfzehntes Kapitel.

Ich hatte bereits erfahren, was für eine langwierige, harte und traurige Aufgabe es ist, das ersehnte Erz aus den Eingeweiden der Erde herauszuscharren, nun wurde ich inne, daß das Herausscharren erst die halbe Arbeit war, und daß die andere trübselige und mühselige Hälfte darin bestand, das Silber aus dem Erz herauszuziehen. Von sechs Uhr des Morgens bis zum Dunkelwerden dauerte die Arbeit. Gestein losschlagen und in die ›Batterie‹ schaufeln, in der es durch sechs von Dampf getriebene gewaltige Stampfen zerrieben und durch zuströmendes Wasser in einen festen Brei verwandelt wurde; Quecksilber, Steinsalz und andere Chemikalien je nach Bedürfnis in die ›Amalgamierpfannen‹ schütten, wo das erstere sich mit den Gold- und Silberteilen verbinden mußte; die Rinnen und die groben Decken reinigen, durch welche das Wasser aus der Pfanne abfloß, damit die winzigen Teilchen der Edelmetalle nicht verloren würden, die sich darin ablagerten – so ging die Plackerei ununterbrochen fort, und bei alledem fand ein Drittel des in einer Tonne Gestein enthaltenen Edelmetalls seinen Weg bis ans Ende der Rinnen in der Schlucht, so daß es später nochmals verarbeitet werden mußte. Gab es sonst nichts zu thun, so konnte man immer Sand durchwerfen, d. h. man konnte den[99] getrockneten Sand, der durch die Rinnen in die Schlucht gespült worden war, zusammenschaufeln und gegen einen aufrechtstehenden Drahtschirm werfen, um ihn von Kieseln zu befreien und ihn so zu nochmaliger Verarbeitung vorzubereiten. Ohne dieses Sanddurchwerfen ging es in keinem Pochwerk ab, trotz der Verschiedenheit der angewandten Methoden. Von allen Erholungen der Welt ist aber dies Sanddurchwerfen an einem heißen Tage und mit einer langstieligen Schaufel am wenigsten begehrenswert.

Zum Schluß der Woche wurde die Maschine angehalten und wir wuschen auf, d. h. wir holten den Brei aus den Pfannen und Batterien und spülten den Schmutz geduldig hinweg, bis nur noch die angesammelte Masse von Quecksilber samt den darin eingeschlossenen Schätzen übrig war, welche wir in Form fester Schneeballen zum Zweck der Besichtigung zu glänzenden prächtigen Haufen aufschichteten. Dabei kostete mich meine Unerfahrenheit einen schönen goldenen Ring, in den das Quecksilber eindrang wie Wasser in einen Schwamm, so daß er völlig zerstört wurde. In einer eisernen Retorte wurde durch Verdampfung das Quecksilber aus diesen Kugeln entfernt, der Dampf aber in einen Eimer geleitet, wo bei der Abkühlung das sehr kostspielige Quecksilber wieder seine natürliche Form erhielt. In der Retorte lag dann das Ergebnis unserer Wochenarbeit vor uns, ein Klumpen, zweimal so groß wie ein Mannskopf, von reinem, weißem Silber, das wie Rauhfrost aussah. Der Klumpen wurde schließlich eingeschmolzen und in eine Barrenform gegossen.

Von jedem Barren wurde ein Eckchen abgeschnitten für die ›Feuerprobe‹ – ein ganz interessantes Verfahren. Dieses Eckchen wird so dünn wie Papier ausgehämmert und auf einer Wage von solcher Feinheit und Empfindlichkeit gewogen, daß, wenn man auf ein Stückchen Papier von bestimmtem Gewicht mit einem groben, weichen Bleistift seinen Namen schreibt und es dann abermals wägt, die Wage deutlich ein höheres Gewicht[100] anzeigt. Dann wird ein wenig Blei gleichfalls gewogen, mit der Silberflocke zusammengerollt, und die beiden bei großer Hitze in der sogenannten ›Kapelle‹ geschmolzen, einem kleinen Gefäße aus gepreßter Knochenasche in Gestalt einer Obertasse. Die unedlen Metalle oxydieren und werden samt dem Blei von der Kapelle aufgesogen. Ein Kügelchen, aus vollkommen reinem Gold und Silber bestehend, bleibt zurück, und wenn der Wardein dieses wägt und den Abgang notiert, erkennt er, wieviel unedles Metall der Barren enthält. Jetzt hat er das Gold von dem Silber zu scheiden. Dazu wird das Kügelchen flach und dünn gehämmert und einige Zeit in einem Ofen mit Rotglühhitze behandelt. Nach der Abkühlung rollt man es wie einen Federkiel zusammen und erhitzt es in einem Glasgefäß mit Salpetersäure, welche das Silber auflöst, so daß das Gold rein zurückbleibt und für sich gewogen werden kann. Durch Zugießen von Salzwasser erhält das Silber wieder seine feste Form, worauf nichts mehr zu thun übrig bleibt, als dieses zu wiegen; dann kennt man das Verhältnis der verschiedenen in dem Barren enthaltenen Metalle, den der Wardein nun mit einem Stempel versieht, der seinen Wert bezeichnet.

Das Geschäft eines Wardeins war sehr einträglich, und deshalb befaßten sich auch gelegentlich Leute damit, denen es an der wissenschaftlichen Befähigung fehlte. Es war einmal ein Wardein, der aus allen Proben, die man ihm brachte, so reiche Resultate heraus bekam, daß er binnen kurzem fast das ganze Geschäft monopolisiert hatte. Aber wie alle Leute, die Erfolg haben, wurde er ein Gegenstand des Neides und des Verdachtes. Die andern Wardeine verschworen sich gegen ihn und zogen zum Beweise, daß sie es ehrlich meinten, einige angesehene Bürger ins Geheimnis. Dann schickten sie dem glücklichen Geschäftsmann einen Fremden mit einem Stückchen Schleifstein, den er prüfen sollte. Nach Verlauf einer Stunde brachte er heraus,[101] daß eine Tonne dieses Gesteins 1284,40 Dollars an Silber und 366,36 Dollars an Gold geben müsse.

Die ganze Geschichte kam sofort in die Zeitung und der beliebte Wardein machte sich binnen zwei Tagen aus dem Staube.

Ich will hier beiläufig bemerken, daß ich in der Silbermühle nur eine Woche blieb. Ich erklärte meinem Arbeitgeber, ohne Lohnerhöhung könne ich nicht länger bleiben. Mir gefalle zwar das Quarzmehlmachen, ja ich sei ganz bezaubert davon; nie zuvor hätte ich zu einer Beschäftigung in so kurzer Zeit eine so zärtliche Neigung gewonnen; nichts gäbe, wie es mir scheine, der geistigen Thätigkeit einen solchen Schwung, als eine Batterie zu füttern und Sand durch einen Drahtschirm zu werfen, und nichts sporne die sittlichen Eigenschaften eines Menschen so an, als Silber ausschmelzen und Decken waschen – trotzdem fühle ich mich genötigt, um Lohnerhöhung zu bitten.

Er sagte, er zahle mir zehn Dollars wöchentlich und das sei doch eine ganz hübsche runde Summe. Wieviel ich denn wolle?

Ich erwiderte, etwa viermal hunderttausend Dollars monatlich nebst der Kost sei alles, was ich in Anbetracht der schweren Zeiten vernünftiger Weise verlangen könne.

Man wies mich aus dem Hause. Und doch, wenn ich auf[102] jene Tage zurückblicke und mir die maßlos schwere Arbeit, die ich in jenem Pochwerk verrichtete, ins Gedächtnis zurückrufe, bedauere ich nur, ihm nicht siebenmalhunderttausend abverlangt zu haben. Um die volle Kraft und Bedeutung des über ihn verhängten Fluches zu verstehen: ›Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen‹ hätte Adam aus dem Garten Eden von Rechts wegen geradeswegs in ein Quarzpochwerk gehen sollen.


Nicht lange nachher war es die geheimnisvolle, wunderbare ›Zementgrube‹, die mir, gleich der übrigen Bevölkerung, den Verstand verrückte, so daß ich nur auf eine Gelegenheit lauerte, mich bei deren Aufspürung beteiligen zu können.


Sechzehntes Kapitel.

Irgendwo in der Nachbarschaft des Monosees, nahm man an, müsse Whitemans wunderbare Zementgrube liegen. Alle Augenblicke hieß es, Whiteman sei in totenstiller Nacht verstohlen und in Verkleidung durch Esmeralda gekommen; dann gab es jedesmal eine tolle Aufregung, denn natürlich steuerte er seiner geheimnisvollen Grube zu, und da galt es, ihm zu folgen. Kaum drei Stunden nach Tagesanbruch waren dann alle Pferde, Maultiere und Esel in der Nachbarschaft aufgekauft, geliehen oder gestohlen, und die halbe Ortsgemeinde befand sich auf Whitemans Spuren unterwegs nach den Bergen. Allein Whiteman pflegte sich tagelang wie zwecklos in den Bergschluchten herumzutreiben, bis den Bergleuten die Lebensmittel ausgingen und sie wieder nach Hause gehen mußten. Ich habe[103] es erlebt, daß es um elf Uhr nachts in einem großen Bergmannslager hieß, Whiteman sei soeben vorbei gekommen, und daß schon zwei Stunden darauf die sonst so stillen Straßen von Menschen und Tieren wimmelten. Einer wie der andere bestrebte sich dann, die Sache recht geheim zu halten, flüsterte aber trotzdem wenigstens einem Nachbar zu, Whiteman sei durchgekommen. Und lange vor Tagesanbruch – das letztemal mitten im tiefen Winter – ging dann die Hetzjagd los, das Lager war verlassen und die gesamte Bevölkerung auf der Suche nach Whiteman.

Der Sage zufolge waren bei der ersten Einwanderung vor länger als zwanzig Jahren drei junge Deutsche, Brüder, nachdem sie auf der Ebene bei einem von Indianern angerichteten Gemetzel mit dem Leben davongekommen, zu Fuß durch die Wüste gewandert, und hatten in der Hoffnung, Kalifornien zu erreichen, bevor sie vor Hunger umkamen, einfach die Richtung nach Westen eingeschlagen. Als sie eines Tages in einer Bergschlucht ausruhten, bemerkte einer von ihnen eine eigentümliche Zementader, die mit Klumpen eines schmutziggelben Metalls wie gespickt war. Sie sahen, daß es Gold sei und daß sich hier an einem einzigen Tage ein Vermögen erwerben lasse. Die Ader war etwa so breit wie eine Trottoirplatte und reichlich zwei Drittel derselben bestand aus reinem Gold. Jedes Pfund des wunderbaren Zements hatte einen Wert von nahezu zweihundert Dollars. Die Brüder nahmen so viel mit als sie tragen konnten, verwischten alle Spuren der Ader, machten eine rohe Zeichnung von der Oertlichkeit und den Hauptmerkmalen ihrer Umgebung und brachen wieder nach Westen auf. Aber ihre Not wuchs. Auf ihren Irrfahrten fiel der eine Bruder und brach das Bein; die andern mußten ihn in der Wildnis sterben lassen. Der zweite gab ermüdet und von Hunger erschöpft bald nachher die weitere Wanderung auf und legte sich gleichfalls[104] zum Sterben nieder. Der dritte erreichte nach zwei oder drei Wochen voll unglaublicher Entbehrungen, entkräftet, körperlich- und gemütskrank, die Niederlassungen Kaliforniens. Seinen Zement hatte er bis auf ein paar Bruchstücke weggeworfen, aber diese genügten, um alle Welt in die tollste Aufregung zu versetzen. Er selbst wollte indes mit der Zementgegend nichts mehr zu schaffen haben und ließ sich nicht bewegen, jemand dorthin zu führen. Er war ganz zufrieden, als Taglöhner auf einer Farm arbeiten zu können. Jedoch überließ er Whiteman seine Zeichnungen und beschrieb ihm die Zementregion so gut er es vermochte. Damit übertrug er den Fluch auf ihn – denn als ich Whiteman zufällig in Esmeralda einen Augenblick sah, hatte er der verlorenen Grube unter Hunger, Durst, Armut und Krankheit ganze zwölf oder dreizehn Jahre nachgespürt. Manche glaubten, er habe sie gefunden, die meisten waren aber entgegengesetzter Meinung. Ich sah ein Stück Zement, so groß wie meine Faust, das Whiteman von dem jungen Deutschen bekommen haben sollte, und das war in der That recht verführerischer Natur. Klumpen von Jungferngold saßen darin so dicht wie die Rosinen in einem Napfkuchen. Eine einzige Woche lang eine solche Grube ausbeuten zu dürfen, würde einem Menschen mit vernünftigen Wünschen genügen.

Ein neuer Geschäftsfreund von uns, ein Herr Higbie, kannte Whiteman von Ansehen recht gut, und ein anderer von unseren Freunden, ein Herr van Dorn, war nicht nur mit ihm bekannt, sondern hatte auch das Versprechen von ihm bekommen, er solle zu rechter Zeit im stillen einen Wink erhalten, damit er sich der nächsten Zementexpedition anschließen könne. Diesen Wink hatte van Dorn versprochen auf uns auszudehnen. Eines Abends nun kam Higbie sehr aufgeregt herein und sagte, er glaube ganz sicher, daß er oben in der Stadt Whiteman erkannt habe; er sei verkleidet und stelle sich betrunken. Nach einem Weilchen traf[105] van Dorn ebenfalls ein und bestätigte die Nachricht; wir versammelten uns nun in unserer Hütte, steckten die Köpfe zusammen und berieten flüsternd unsere Pläne.

Um kein Aufsehen zu erregen, sollten wir die Stadt nach Mitternacht in zwei oder drei kleineren Abteilungen ruhig verlassen und uns im Morgengrauen auf der Wasserscheide über dem Monosee, acht bis neun Meilen weit entfernt, treffen. Der Aufbruch sollte ganz geräuschlos vor sich gehen und unterwegs kein lautes Wort gesprochen werden. Diesmal, meinten wir, wisse man in der Stadt nichts von Whitemans Anwesenheit und ahne nichts von dessen Vorhaben. Um neun Uhr ging unser Konklave auseinander, worauf wir uns eifrig und in tiefem Geheimnis an die Vorbereitungen machten. Um elf Uhr sattelten wir unsere Pferde, banden sie mit ihren langen Riatas oder Lassos fest und brachten dann eine Speckseite und einen Sack Bohnen, ein Säckchen Kaffee, etwas Zucker, hundert Pfund Mehl in Säckchen, ein paar Blechtassen, einen Kaffeetopf, eine Bratpfanne und einige sonstige notwendige Gegenstände herbei. Dies alles wurde dem Handpferd auf den Rücken geladen; wer aber das Packen nicht von einem spanischen Sachverständigen gelernt hat, soll nur alle Hoffnung aufgeben, es durch natürliches Geschick fertig zu bekommen. Higbie besaß wohl einige Erfahrung darin, aber ein Meister war er nicht. Nachdem er die Sachen auf dem Packsattel aufgeschichtet hatte, schnürte er sie mit dem Strick zusammen, machte hier und da einen Knoten und zog manchmal so fest an, daß dem Tier die Flanken einsanken und es nach Atem schnappte; dabei wurde jedesmal der Strick an einer anderen Stelle locker. Vollkommen brachten wir die Ladung nicht fest, schließlich mochte es aber doch zur Not gehen; so brachen wir denn auf, einer immer dicht hinter dem andern, ohne ein Wort zu sprechen. Es war eine dunkle Nacht. Wir hielten uns in der Mitte der Straße und schritten langsam an[106] den Hüttenreihen vorüber; so oft einer der Bergleute unter seine Thür trat, zitterte ich vor Furcht, daß das Licht uns bescheinen und Neugier erregen könnte. Aber es ereignete sich nichts. Wir begannen den langen gewundenen Weg aus der Schlucht hinaufzusteigen; bald wurden die Hütten seltener und die Strecken zwischen ihnen immer länger, so daß ich schließlich etwas freier atmete und mir nicht mehr ganz wie ein Dieb und Mörder vorkam.

Ich ritt zu hinterst und führte das Packpferd. Als der Anstieg steiler wurde, wollte diesem seine Last nicht mehr behagen; manchmal versuchte es an seiner Riata zu zerren, so daß eine Verzögerung entstand. In der Finsternis verlor ich meine Gefährten aus den Augen. Ich wurde ängstlich und schmeichelte und drohte dem Gaul so lange, bis er zu traben anfing; allein jetzt erschreckte ihn das Klappern der Blechtassen und Pfannen und er setzte sich in Lauf. Da seine Riata um meinen Sattelknopf geschlungen war, riß er mich vom Sattel, worauf die beiden Tiere munter ohne mich weiterliefen. Doch blieb ich nicht allein – die locker gewordene Ladung des Packpferdes purzelte herunter und fiel dicht neben mich. Es war[107] fast unmittelbar vor der letzten Hütte. Ein Bergmann trat heraus mit dem Ruf: »Holla«.

Ich war dreißig Schritt von ihm weg und wußte, daß er mich nicht sehen konnte, da es im Schatten des Berges sehr dunkel war. So blieb ich ruhig liegen. Ein zweiter Kopf erschien im Licht unter der Hüttenthür und bald schritten die beiden Leute auf mich zu. Zehn Schritt von mir blieben sie stehen und der eine machte: »Bst! Horch!«

Wäre ich vor den Dienern der Gerechtigkeit geflohen und ein Preis auf meinen Kopf gesetzt gewesen, ich hätte mich in keiner traurigeren Lage befinden können. Jetzt schien mir, daß die Leute sich auf einen Felsblock setzten, obwohl ich nicht genau zu unterscheiden vermochte, was sie thaten. Der eine sagte:

»Ich habe ein Geräusch vernommen, es war ganz deutlich. Dort herum muß es gewesen sein!«

Ein Stein sauste an meinem Kopfe vorbei. Ich drückte mich so flach in den Staub wie eine Postmarke und dachte bei mir, wenn er das nächstemal ein klein wenig besser ziele, könne er wohl noch ein Geräusch zu hören bekommen. In meinem Innern verfluchte ich jetzt die heimlichen Expeditionen. Dies sollte meine letzte sein, und hätten auch die Sierras so viele Zementadern, wie der menschliche Körper Rippen. Nun sagte der eine von den Männern:

»Ich will dir was sagen. Walch wußte, was er sagte, als er heute behauptete, er hätte Whiteman gesehen. Ich habe Pferde gehört – das war das Geräusch. Ich laufe spornstreichs hinunter zu Walch!«

Sie gingen, und ich war froh. Wohin sie gingen, war mir einerlei, wenn sie nur gingen. Mochten sie immerhin Walch aufsuchen; je eher, desto besser. Sobald sie die Thür der Hütte schlossen, tauchten meine Gefährten aus der Dunkelheit auf, sie hatten die Pferde aufgefangen und gewartet, bis die Luft rein[108] war. Wir legten die Ladung dem Packpferd wieder auf und machten uns auf den Weg; mit Tagesanbruch erreichten wir die Wasserscheide und vereinigten uns mit van Dorn. Dann wanderten wir hinab in das Becken des Sees und hier fühlten wir uns sicher genug, um Halt zu machen und das Frühstück zu kochen, denn wir waren müde, schläfrig und hungrig. Drei Stunden darauf zog die ganze Bevölkerung von Esmeralda in langem Gänsemarsch über die Wasserscheide und verbreitete sich um den See herum, wo wir sie allmählich aus den Augen verloren.

Ob mein Unfall dies veranlaßt hatte oder nicht, haben wir nie erfahren, eins aber war sicher – das Geheimnis war heraus und Whiteman wollte sich diesmal auf das Suchen nach der Zementgrube nicht einlassen, was uns bitter verdroß.

Wir hielten Rat und beschlossen, aus unserm Mißgeschick den möglichsten Nutzen zu ziehen und eine Woche Ferien an den Ufern des seltsamen Sees zu verleben. Derselbe wird bald Mono, bald das ›Tote Meer von Kalifornien‹ genannt. Er ist eine der wunderlichsten Schrullen der Natur, aber kaum jemals schon in Büchern erwähnt und höchst selten besucht, weil er abseits von der gewöhnlichen Heerstraße liegt und überdies so schwer zu erreichen ist, daß meist nur Leute, die an die stärksten Strapazen gewöhnt sind, die Beschwerlichkeit eines Ausflugs dahin auf sich nehmen mögen.

Am Morgen des zweiten Tages zogen wir nach einer entfernten[109] und besonders wildromantischen Stelle am Seeufer, wo ein Bach mit frischem, eiskaltem Wasser aus dem Berge hervorsprudelte und sich in den See ergoß, und schlugen dort ein regelrechtes Lager auf. Von dem zehn Meilen weiter weg wohnenden Besitzer eines einsamen Ranchos mieteten wir ein großes Boot und zwei Schrotflinten. An Behagen und Zerstreuung konnte es uns nun nicht fehlen und bald waren wir mit dem See und allen seinen Eigentümlichkeiten gründlich bekannt.


Siebzehntes Kapitel.

Der Monosee liegt in einer toten, stillen, baumlosen, entsetzlichen Wüste, achttausend Fuß über der Meeresfläche, und ist von Bergen umschlossen, die ihn um zweitausend Fuß überragen und deren Gipfel stets in Wolken gehüllt sind. Diese feierliche, schweigende, von keinem Segel belebte Wasserfläche, an einem der einsamsten Orte auf Erden, bietet nur wenige anmutige und malerische Züge. Es ist eine einförmig graue Wasserfläche von etwa hundert Meilen Umfang, mit zwei Inseln[110] in der Mitte, die nichts sind als erstarrte, blasige und rissige Lava, die mit einer Kruste von Bimsstein und einer grauen Aschenschicht bedeckt ist – dem Leichentuch des erloschenen Vulkans, dessen ungeheuren Krater der See ausgefüllt hat.

Dieser ist zweihundert Fuß tief, und seine trüben Wasser sind so stark mit Alkali geschwängert, daß, wenn man das allerschmutzigste Kleidungsstück auch nur ein- oder zweimal hineintaucht und auswringt, man es so rein findet, als ob es durch die Hände der geschicktesten Waschfrau gegangen wäre. Die Wascharbeit machte uns während unseres dortigen Aufenthaltes nicht viel Mühe. Wir banden die schmutzige Wäsche der Woche einfach hinten an unser Boot und fuhren eine Viertelmeile weit, und die Sache war bis auf das Auswringen fertig. Wenn wir uns von dem Wasser auf die Köpfe schütteten und ein paarmal darauf rieben, so gab es drei Zoll hohen weißen Schaum. An wunden Stellen oder bei aufgesprungener Haut erzeugt das Wasser begreiflicherweise unerträgliche Schmerzen.

Im Monosee giebt es weder Fische noch Frösche, noch Schlangen noch Quappen, kurz nichts, was sonst einen See belebt. Auf der Oberfläche schwimmen Millionen wilder Enten und Seemöven, dagegen existiert unter derselben kein lebendes Wesen, ausgenommen ein weißer, haariger, halbzolllanger Wurm, der einem Stückchen ausgefransten Faden gleicht. In einer Gallone Wasser mögen fünfzehntausend solcher Würmer enthalten sein. Von ihnen erhält das Wasser die erwähnte grauweiße Farbe. Dann giebt es dort eine Fliege, ziemlich ähnlich unserer Hausfliege, die sich ans Ufer setzt, um die Würmer zu fressen, die an den Strand gespült werden. Man kann jeder Zeit um den See herum einen zolltiefen, sechs Fuß breiten Gürtel von Fliegen sehen – also einen Gürtel von Fliegen, der hundert Meilen lang ist. Wirft man einen Stein unter sie, so schwärmen sie auf, wie eine dichte Wolke. Man kann sie so lange unter[111] Wasser halten, wie man will, sie machen sich nichts daraus, und bilden sich sogar, wie es scheint, noch etwas darauf ein. Läßt man sie los, so schnellen sie an die Oberfläche, sind trocken wie ein Bericht aus dem Patentamt und wandeln so unbekümmert von dannen, als wären sie eigens zu dem Zwecke dressiert, der Menschheit auf ihre Weise eine belehrende Unterhaltung zu gewähren. Die Vorsehung läßt nichts planlos geschehen. Ein jedes Ding hat seinen Nutzen, seine bestimmte Rolle und seinen gehörigen Platz im Haushalt der Natur: die Enten fressen die Fliegen, die Fliegen die Würmer, die Indianer alle drei, die Wildkatzen fressen die Indianer, die weißen Leute fressen die Wildkatzen – und so ist alles zur Zufriedenheit geordnet.

Der Monosee liegt in gerader Linie hundert Meilen vom Meere, von welchem ihn zwei oder drei Bergketten trennen, und doch kommen jedes Jahr Tausende von Seemöven dahin, um ihre Eier zu legen und ihre Jungen aufzuziehen. Man könnte ebensogut Seemöven in Kansas erwarten; und in diesem Zusammenhang wollen wir einen andern Zug der Weisheit der Natur betrachten. Da die Inseln im See nur aus mit Asche und Bimsstein bedeckten Lavamassen bestehen und weder einen Baum noch sonst etwas Brennbares hervorbringen, und da Möveneier keiner Seele das mindeste nützen, wenn sie nicht gekocht sind, so hat die Natur auf der größeren Insel für eine nieversiegende Quelle siedenden Wassers gesorgt, in der man seine Eier binnen vier Minuten so hart kochen kann wie das härteste Wort, das ich in den ganzen letzten fünfzehn Jahren habe fallen lassen. Keine zehn Fuß weit von der kochenden Quelle befindet sich eine solche von reinem kaltem Wasser, das angenehm und gesund ist. So bekommt man auf dieser Insel Kost und Wäsche frei, und wenn die Natur noch weiter gegangen wäre und einen echten amerikanischen Hotelkellner geliefert hätte, der grob und ungefällig ist und stolz darauf, weder über die[112] Abgangszeit und die Route der Eisenbahnzüge noch über sonst irgend etwas Auskunft geben zu können – ich würde mir kein angenehmeres Kosthaus wünschen. Ein halbes Dutzend kleiner Bergwasser fließen in den Monosee, nicht ein einziger Bach dagegen verläßt denselben, trotzdem nimmt er anscheinend weder zu noch ab, und was er mit seinem Ueberfluß an Wasser thut, bleibt ein dunkles Geheimnis.

In der Nachbarschaft des Monosees giebt es bloß zwei Jahreszeiten, nämlich den Abzug des einen Winters und die Ankunft des nächsten. Mehr als einmal habe ich in Esmeralda nach glühender Hitze – um acht Uhr morgens zeigte das Thermometer neunzig Grad – vierzehn Zoll hohen Schnee fallen sehen, so daß dasselbe Thermometer bis neun Uhr abends auf vierundvierzig Grad an geschützten Orten fiel. Unter günstigen Umständen schneit es in der kleinen Stadt Mono wenigstens einmal in jedem Monat des Jahres. So unbeständig ist daselbst die Witterung, daß eine Dame es kaum wagen kann, einen Ausgang zu machen, ohne ihren Fächer in der einen, ihre Schneeschuhe in der andern Hand mitzunehmen. Und wenn die Einwohner zur Feier des Nationalfestes am vierten Juli einen Umzug veranstalten, so schneit es ihnen gewöhnlich auf die Köpfe.


Achtzehntes Kapitel.

Etwa um sieben Uhr an einem sengend heißen Morgen – es war jetzt Hochsommer – nahmen Higbie und ich das Boot und brachen zu einer Entdeckungsreise nach den beiden Inseln auf. Schon oft hatten wir uns danach gesehnt, uns jedoch durch die Furcht vor Stürmen abschrecken lassen; denn[113] diese waren häufig und stark genug, um ein gewöhnliches Ruderboot wie das unsrige ohne große Schwierigkeit umzustürzen, und, einmal umgeworfen, war selbst der tüchtigste Schwimmer dem Tod verfallen; denn das giftige Wasser hätte ihm wie Feuer die Augen ausgefressen und das Innere verbrannt, wenn die Flut über ihn ging. Man sagte, es sei in gerader Linie bis zu den Inseln zwölf Meilen weit – eine lange und heiße Ruderfahrt, aber der Morgen war so ruhig und sonnig und der See so glatt, so glashell und totenstill, daß wir der Versuchung nicht zu widerstehen vermochten.

So füllten wir denn zwei große Feldflaschen mit Wasser (wo die angeblich auf der großen Insel befindliche Quelle liege, wußten wir nicht) und brachen auf. Unter Higbies kräftiger Hand schoß das Boot rasch vorwärts; trotzdem hatten wir am Ziele das Gefühl, als hätten wir eher fünfzehn als zwölf Meilen weit gerudert.

Wir legten an der großen Insel an und stiegen ans Land. Als wir das Wasser in unseren Flaschen versuchten, war es durch die Sonne ungenießbar geworden. Wir gossen es aus und suchten nach der Quelle; denn der Durst nimmt rasch zu, sobald man nichts hat, um ihn zu löschen. Die Insel war ein langer, mäßig hoher Aschenhügel, nichts als Bimsstein und graue Asche, in die wir bei jedem Schritte knietief einsanken, und über den ganzen Kamm des Hügels zog sich eine dräuende Wand von versengten und verbrannten Felsen hin. Als wir von oben über diese Mauer hinabstiegen, fanden wir nichts als ein seichtes, ausgedehntes Becken, das mit Asche wie mit einem Teppich bedeckt war, aus welchem hie und da ein Fleckchen feinen, weißen Sandes hervorschaute. An einzelnen Stellen quollen malerische Dampfstrahlen aus Ritzen hervor, zum Beweise, daß, obwohl dieser alte Krater sich zur Ruhe gesetzt hatte, ihm doch das Feuer im Ofen noch nicht ganz ausgegangen war. Dicht bei[114] einem dieser Dampfstrahlen stand der einzige Baum der Insel, eine kleine Fichte von zierlicher Gestalt und untadeligem Ebenmaß, die im saftigsten Grün erglänzte, denn der unaufhörlich durch ihre Zweige strömende Dampf hielt sie stets feucht. Sie stach so seltsam von ihrer toten, unheimlichen Umgebung ab, diese kräftige, schöne Verbannte, wie ein heiterer Geist in einem Trauerhause.

Wir suchten allenthalben nach der Quelle, wir durchschritten die ganze Länge der Insel (zwei bis drei Meilen) und gingen zweimal quer über dieselbe, geduldig Aschenhügel erklimmend, von denen wir auf der andern Seite sitzend wieder hinabrutschten, wobei erstickende Wolken grauen Staubes aufgerührt wurden. Allein wir fanden nichts als Einsamkeit, Asche und beängstigendes Schweigen. Zuletzt bemerkten wir, daß sich ein Wind erhoben hatte, und nun vergaßen wir unsern Durst über einer Sorge von größerer Wichtigkeit, – da der See ruhig gewesen war, hatten wir uns keine Mühe gegeben, das Boot festzumachen. Wir eilten zu einem Punkte zurück,[115] von dem aus man unseren Landungsplatz überschaute und siehe da – keine Worte vermögen unsern Schreck zu schildern: das Boot war weg. Ein zweites Boot gab es auf dem ganzen See nicht. Unsere Lage war keine behagliche, sie war vielmehr geradezu entsetzlich. Wir waren Gefangene auf einem öden Eilande, obendrein ganz nahe bei Freunden, die zur Zeit völlig außer stande waren, uns zu helfen. Die Vorstellung, daß wir weder Nahrung noch Wasser hatten, machte die Sache noch unbehaglicher. Aber bald erblickten wir das Boot. Etwa fünfzig Schritt vom Ufer trieb es langsam dahin, geschaukelt von schaumgekrönten Wellen. Es trieb und trieb immer weiter, aber stets in der gleichen Entfernung vom Lande. Wir hielten am Ufer immer Schritt mit ihm und warteten auf einen günstigen Zufall. Nach Verlauf einer Stunde näherte sich das Boot einem kleinen Vorgebirge; Higbie lief dorthin und stellte sich am äußersten Rande sprungbereit auf. Wenn es mißlang, war alle Hoffnung für uns dahin. Das Boot trieb jetzt stetig dem Strande zu, aber die Frage war, ob es auch nahe genug herantreiben würde, um es von jenem Punkte aus erreichen zu können. Als es Higbie bis auf dreißig Schritte nahe kam, glaubte ich vor Aufregung meinen eigenen Herzschlag zu hören. Während das Boot dann langsam heranschwamm und nur noch ein paar Schritte außer unserem Bereiche war, meinte ich, das Herz stehe mir still; wie es dann aber gar an ihm vorbeikam und davonzuschwimmen begann, und er selbst immer noch wie eine Bildsäule dastand, fühlte ich wirklich, daß mein Herz nicht mehr schlug. Aber im nächsten Augenblick that er einen großen Sprung, der ihn in das Hinterteil des Bootes brachte, und ich stieß ein Freudengeschrei aus, daß die Einöde weithin wiederhallte.

Es dämpfte meine Begeisterung freilich bedeutend, als er mir sagte, daß es ihm ganz gleichgültig gewesen wäre, ob das Boot auf Sprungweite herankam oder nicht; er würde einfach[116] mit geschlossenem Mund und Augen die kurze Strecke durchschwommen haben. In meiner Dummheit hatte ich gar nicht daran gedacht, daß nur bei langem Schwimmen ernstliche Gefahr drohte.

Der See ging hoch und der Sturm nahm zu. Auch wurde es spät – drei oder vier Uhr nachmittags. Ob wir uns nach dem Festlande hin wagen sollten, war eine Frage von Wichtigkeit. Allein der Durst setzte uns dermaßen zu, daß wir uns zu dem Versuche entschlossen; und so machte sich Higbie ans Rudern, während ich das Steuer ergriff. Als wir mühsam eine Meile weit vorwärts gekommen waren, befanden wir uns augenscheinlich in Gefahr; denn der Sturm war viel heftiger geworden, die Wogen hatten Schaumkämme und gingen sehr hoch, der Himmel hing voll schwarzer Wolken, der Wind blies mit großer Wut. Wir wären jetzt umgekehrt, allein wir wagten das Boot nicht zu drehen, denn sobald es in die Tiefe zwischen zwei Wogen geriet, wäre es natürlich umgeschlagen. Unser einziges Heil lag darin, daß wir mit dem Bug gegen die Wellen steuerten. Bei dem fortwährenden Heben und Senken des Bootes war dies ein schweres Stück Arbeit. Wenn zuweilen eines der Ruder von einer Welle erfaßt wurde, und zur Seite geschlagen, so wurde das Boot durch das andere Ruder trotz meines mühsamen Steuerns halb herumgeworfen. Der Gischt durchnäßte uns fortwährend und das Boot schöpfte manchmal Wasser. Wie stark Higbie auch war, so erschöpfte ihn doch allmählich die Anstrengung und er hätte gern den Platz mit mir gewechselt, um ein wenig ausruhen zu können. Allein ich erklärte ihm, daß dies unmöglich sei, denn wurde das Steuer beim Wechseln der Plätze auch nur einen Augenblick los gelassen, so drehte sich das Boot im Kreise, geriet zwischen die Wellen, schlug um, und ehe fünf Minuten vergangen waren, hatten wir hundert Gallonen Lauge im Leibe, die uns so geschwind zerfressen hätte, daß[117] wir nicht einmal bei unserer eigenen Leichenschau hätten zugegen sein können.

Doch alles nimmt schließlich ein Ende. Gerade mit Einbruch der Nacht schossen wir, den Bug voran, ans Land. Higbie ließ sein Ruder fallen, um Hurra zu schreien und ich ließ das meine fallen, um ihm dabei zu helfen; da gab der Sturm dem Boot einen Ruck und – pardauz – schlug es um!

Der Höllenschmerz, den das Alkaliwasser an Beulen, Abschürfungen und aufgerissenen Händen verursachte, war unaussprechlich und nur durch vollständiges Einsalben mit Fett zu lindern; aber trotzdem schmeckte uns Essen, Trinken und Schlaf ganz vortrefflich.

Unter den Eigentümlichkeiten des Monosees hätte ich erwähnen sollen, daß in gewissen Zeiträumen am Rande desselben malerische, turmartige Massen und Gruppen von einem weißlichen, grobkörnigen Gestein stehen, das wie hartgetrockneter Mörtel aussieht. Bricht man ein Stück davon ab, so findet man im Innern der Masse vollkommen wohlgebildete, durch und durch versteinerte Seemöveneier eingelagert. Wie diese wohl dahin kommen? Ich erzähle einfach die Thatsache und überlasse es dem in der Geologie bewanderten Leser, die Nuß nach Belieben zu knacken und das Rätsel zu lösen, wie er will.

Nach einem mehrtägigen Ausflug in die Sierras, wo wir in einem kleinen See am Fuße des schneebedeckten Castle Peak fleißig Forellen angelten, kehrten wir zum Monosee zurück; da wir hier fanden, daß die Aufregung wegen Whitemans Zementgrube für diesmal vorüber war, packten wir auf und kehrten nach Esmeralda zurück. Herr Ballou rekognoszierte eine Weile; dann machte er sich, da ihm die Aussichten nicht gefielen, allein nach Humboldt auf.

In diese Zeit fällt ein kleines Ereignis, das stets ein gewisses Interesse für mich gehabt hat, weil es um ein Haar Anlaß[118] zu meinem Begräbnis gegeben hätte. Zur Zeit eines drohenden Indianerangriffs hatte einer unserer Nachbarn sechs Dosen mit Flintenpulver in der Bratröhre eines alten, abgedankten Kochofens verborgen, der unter freiem Himmel in der Nähe eines Bretterschuppens stand; dies war später aber vollständig vergessen worden. Nun hatten wir uns, um die Wäsche zu besorgen, einen halbzahmen Indianer gemietet, der mit dem Waschzuber sein Quartier unter dem Schuppen aufschlug, während der alte Ofen auf sechs Fuß Entfernung von seiner Nase der Ruhe pflegte. Der Indianer kam schließlich auf den Gedanken, heißes Wasser würde besser sein als kaltes; er ging hinaus, machte Feuer unter dem vergessenen Pulvermagazin, stellte einen Kessel mit Wasser auf und kehrte an seinen Zuber zurück. Bald nachher trat ich in den Schuppen, warf noch mehr Wäsche hin und wollte eben etwas sagen, als der Ofen mit einem gewaltigen Krach aufflog und spurlos verschwand. Volle zweihundert Schritt davon fielen Bruchstücke desselben in den Straßen nieder. Fast ein Drittel des Schuppendachs über unseren Köpfen war zerstört;[119] einer der Ofendeckel schnitt einen kleinen Pfosten vor den Augen des Indianers halb entzwei, sauste zwischen uns durch und schlug ein Loch in die Bretterverschalung. Ich war weiß wie eine Kalkwand, schwach wie ein Kind und keines Lautes mächtig. Der Indianer dagegen verriet weder Angst noch Schreck, nicht einmal Unbehagen. Er hörte einfach mit Waschen auf, beugte sich vor, um den reingefegten Boden einen Augenblick zu betrachten, und sagte dann: »Hm! verdammter Ofen – sehr viel weg!« – worauf er sein Geschäft so gelassen wieder aufnahm, als wäre das Auffliegen bei Oefen etwas ganz Gewöhnliches.


Neunzehntes Kapitel.

Ich komme jetzt zu einer seltsamen Episode – der seltsamsten, wie mir scheint, die ich bisher in meinem trägen, unnützen und sorgenlosen Lebenslauf zu verzeichnen gehabt. Gegen das obere Ende der Stadt zu besaß eine der ›Weite Westen‹ genannte Gesellschaft ein aller Welt bekanntes Quarzlager, aus dessen Schacht Gestein von ziemlich gutem, wenn auch keineswegs außerordentlichem Silbergehalte gefördert wurde. Ich bemerke hier, daß, während dem unerfahrenen Fremden aller Quarz aus einem bestimmten Bezirke gleichartig vorkommt, ein alter Ansässiger jeden Brocken Gestein von dem andern unterscheiden und mit größter Leichtigkeit sagen kann, aus welcher Grube derselbe stammt.

Eine ungewöhnliche Aufregung machte sich plötzlich in der Stadt bemerkbar. Der ›Weite Westen‹ war auf eine reiche Ader gestoßen. Jedermann wollte sich die neue Entwicklung der Dinge ansehen und mehrere Tage lang drängte man sich um den Schacht wie zu einer Volksversammlung. Man sprach, man dachte und[120] träumte von nichts anderem mehr, als von dem reichen Funde. Ein jeder nahm sich eine Probe mit, die er im Mörser zerstampfte und in seinem Hornlöffel ausspülte, und stierte dann sprachlos das wunderbare Ergebnis an. Es war schwarzes, verwittertes, bröckeliges Zeug, das, wenn es auf ein Papier gelegt wurde, eine starke Beimischung von Gold- und gediegenen Silberteilchen aufwies. Higbie brachte eine Handvoll davon in die Hütte mit, und als er es ausgewaschen hatte, spottete sein Staunen jeder Beschreibung. Die Kuxe des ›Weiten Westens‹ stiegen wie auf Adlerflügeln in die Höhe. Wiederholt seien tausend Dollars für den Fuß geboten worden, sagte man, aber ganz vergebens. Ich war tief unglücklich; die Welt kam mir hohl, das Dasein erbärmlich vor. Ich verlor den Appetit und nahm an nichts mehr Anteil. Trotzdem mußte ich Aermster dableiben, um den Jubel der andern mit anzuhören, weil ich kein Geld hatte um fortzukommen. Dem Wegtragen von ›Proben‹ setzte die Gesellschaft bald ein Ziel, und mit Recht; denn von dem Erz hatte jede Handvoll einen erheblichen Wert. Dasselbe wurde ganz so, wie es aus dem Schachte kam, zu einem Dollar per Pfund verkauft und hundertfünfzig Meilen[121] weit über das Gebirge auf Maultieren nach San Francisco geschafft, und dabei rechnete der Käufer noch auf ein gutes Geschäft. Der Faktor erhielt strengen Befehl, außer den eigenen Arbeitern keinem Menschen unter irgend welchen Umständen das Einfahren in die Grube zu gestatten. Ich verblieb bei meinen schwarzen Träumereien, während Higbie ebenfalls fortwährend seinen eigenen Gedanken nachhing; diese waren aber anderer Art. Er grübelte hin und her über das Gestein, prüfte es mit einem Vergrößerungsglase, untersuchte es bei verschiedenem Lichte und von verschiedenen Gesichtspunkten, um nach jedem Versuche im Selbstgespräch stets dieselbe Meinung in der immer gleichen Formel kundzugeben:

»Das ist kein Gestein aus dem ›Weiten Westen‹!«

Um seiner Sache sicher zu sein, war er entschlossen, einen Blick in den Schacht zu thun, und sollte ihm dafür der Garaus gemacht werden. Mir in meiner Niedergeschlagenheit war es einerlei, ob er einen Einblick bekam oder nicht. Nach mehrmaligen vergeblichen, halsbrechenden Versuchen kroch er schließlich auf Händen und Füßen bis an den Rand des Schachts, ergriff, nachdem er schnell um sich geblickt, das Seil und glitt daran in die Tiefe. Als er unten eben im Dunkel eines Seitenganges verschwand, erschien oben am Schachtloch jemand mit dem Rufe: »Hallo!«, er antwortete jedoch nicht und blieb nun ungestört. Nach einer Stunde trat er in die Hütte, glühend heiß und beinahe platzend vor unterdrückter Aufregung.

»Ich wußte es ja! Wir sind reiche Leute! Es ist ein blinder Gang!« rief er in theatralischem Flüsterton.

Mir war, als wankte die Erde unter mir – Zweifel – Ueberzeugung – wiederum Zweifel – Jubel – Hoffnung, Staunen, Glaube, Unglaube, alle denkbaren Empfindungen schossen mir in tollem Wirbel durch Herz und Kopf, und ich war keines Wortes mächtig. Nachdem dieser geistige Erregungszustand[122] kurze Zeit gedauert hatte, rüttelte ich mich zurecht und sagte:

»Sagen Sie es noch einmal.«

»Es ist ein blinder Gang.«

»Donner und Doria. Es ist zum verrückt werden. Ich möchte gleich unser Haus anzünden – oder jemand totschlagen! Wir wollen hinausgehen, wo Platz genug ist, um Hurra zu schreien! Aber, wozu? Es ist viel zu schön, um wahr zu sein!«

»Es ist ein blinder Gang – wette um eine Million! Hängende Wand – Fußwand – Thonumhüllung – alles, was dazu gehört!«

Er schwenkte seinen Hut und stieß ein dreimaliges Freudengeschrei aus; ich schickte nun meinen Zweifel gleichfalls in alle Winde und stimmte aus Leibeskräften mit ein; ich war ja Millionär und scherte mich um keinen Teufel mehr.

Unter einem ›blinden Gang‹ versteht man eine Gesteinsschicht oder Ader, welche nicht zu Tage tritt, auf die man aber beim Treiben eines Stollens oder beim Senken eines Schachts oft zufällig stößt. Higbie kannte das Gestein des ›Weiten Westens‹ so genau, daß er bei jeder Prüfung der neuen Ausgrabungen fester zu der Ueberzeugung gelangte, daß dieses Erz nicht aus der Ader des ›Weiten Westens‹ stammen könne. So war er allein auf den Gedanken gekommen, daß unten im Schacht ein blinder Gang laufe und daß die Leute vom ›Weiten Westen‹ dies selbst nicht ahnten. Er hatte recht. Unten im Schacht fand er, daß der blinde Gang ohne Zusammenhang mit der Ader des ›Weiten Westens‹ diagonal durch diese durchging und seine eigene Umhüllung von Gestein und Thon hatte. Folglich war er öffentliches Eigentum. Da die beiden Erzschichten vollständig von einander abgegrenzt waren, konnte jeder Bergmann leicht unterscheiden, welche zum ›Weiten Westen‹ gehöre und welche nicht. Wir hielten es für zweckmäßig, uns einen einflußreichen[123] Freund zu sichern und holten deshalb noch in jener Nacht den Faktor des ›Weiten Westens‹ in unsere Hütte, um ihm die große Ueberraschung zu offenbaren. Higbie sagte:

»Wir werden von diesem blinden Gange Besitz nehmen; unser Eigentumsrecht feststellen und eintragen lassen und dann der Gesellschaft vom ›Weiten Westen‹ die weitere Ausbeutung von Erzen in diesem Gange untersagen. Sie können Ihrer Gesellschaft in dieser Angelegenheit nicht helfen, niemand kann ihr helfen. Ich werde mit Ihnen in den Schacht anfahren und Ihnen in überzeugender Weise darthun, daß es wirklich ein blinder Gang ist. Nun schlagen wir Ihnen vor: wir nehmen Sie zum Teilhaber an und belegen den blinden Gang im Namen von uns dreien. Was sagen Sie dazu?«

Was sollte jemand sagen, dem eine Gelegenheit geboten wurde, bei der er nur die Hand auszustrecken brauchte, um sich ein Vermögen zu verschaffen, ohne das Geringste zu wagen und ohne jemand unrecht zu thun oder seinen Namen mit dem geringsten Flecken zu verunehren? Er konnte nur sagen: ›Einverstanden!‹

Noch dieselbe Nacht wurde unsere Bekanntmachung angeschlagen und vor zehn Uhr in das Buch des Syndikus eingetragen. Wir belegten jeder zweihundert Fuß, im ganzen sechshundert; das kleinste und doch wertvollste Grubenfeld im ganzen Bezirk, dessen Ausbeutung überdies am wenigsten Mühe machte.

Es wird wohl niemand so unverständig sein, zu glauben, wir hätten in jener Nacht geschlafen. Ich ging mit Higbie um Mitternacht zu Bett, aber nur, um völlig wach da zu liegen, zu träumen und Pläne zu machen. Die ungedielte baufällige Hütte wurde uns zum Palast, die zerrissenen, grauen Wolldecken zu Seidenteppichen; in unserem Hausgerät sahen wir Rosenholz- und Mahagonimöbel. Bei jedem neuen Prachtstück, das an der Oberfläche meiner Zukunftsträume erschien, wälzte ich mich im[124] Bette umher oder schnellte auf, wie von einer elektrischen Batterie getroffen. In abgerissenen Bruchstücken flog die Unterhaltung zwischen uns hin und her.

»Wann gehen Sie nach Hause – nach den Staaten?[4]« fragte Higbie.

[4] ›Staaten‹ – die Staaten im Osten.

»Morgen!« schrie ich, während ich mich ein paarmal umdrehte und dann aufsetzte. »Na – nein, aber spätestens nächsten Monat.«

»Wir wollen mit demselben Dampfer gehen.«

»Einverstanden.«

Pause.

»Mit dem Dampfer vom Zehnten?«

»Ja – nein vom Ersten.«

»Ganz recht.«

Wieder eine Pause.

»Wo werden Sie sich später niederlassen?«

»In San Francisco.«

»Ganz mein Fall.«

Abermals eine Pause.

»Zu hoch, zu viel Kletterei!« sagte Higbie dann.

»Was ist zu hoch?«

»Ich dachte an den Russenhügel – wollte mir dort ein Haus bauen.«

»Zu viel Kletterei? werden Sie sich denn nicht Wagen und Pferde halten?«

»Ach natürlich; daran dachte ich nicht.«

Pause.

»Was für ’ne Art Haus wollen Sie sich bauen?«

»Dachte eben daran. Drei Stock hoch und ein Dachgeschoß.«

»Aber welches Material?«

[125]

»Ja nun, das weiß ich noch nicht genau; vermutlich Backstein.«

»Backstein – Schnack.«

»Warum? Was meinen Sie denn?«

»Vorderseite brauner Sandstein – Fenster französisches Spiegelglas – Billardzimmer hinter dem Speisesaal, Bildsäulen und Gemälde – Grasplatz, zwei Morgen groß, und Strauchwerk dabei – Gewächshaus – ein eiserner Kandelaber am Fuß der Treppe – Schimmel – Landauer und ein Kutscher mit einer Kokarde am Hut.«

»Himmeldonnerwetter!«

Lange Pause, dann fragte ich Higbie:

»Wann gehen Sie nach Europa?«

»Je nun, daran hatte ich noch nicht gedacht. Wann gehen Sie?«

»Im Frühjahr.«

»Wollen den ganzen Sommer fort bleiben?«

»Den ganzen Sommer? Ich bleibe drei Jahre fort.«

»Nein – wirklich in allem Ernst?«

»Ei freilich.«

»Dann geh’ ich mit.«

»Nun, natürlich gehen Sie mit.«

»Nach welchem Teil Europas gehen Sie?«

»Nach allen Teilen. Nach Frankreich, England, Deutschland, Spanien, Italien, der Schweiz, Syrien, Griechenland, Palästina, Arabien, Persien, Aegypten – allenthalben – überall hin.«

»Ich thue mit.«

»Recht so.«

»Das muß aber einen Prachtausflug geben!«

»Vierzig bis fünfzigtausend Dollars wollen wir dran rücken, damit es einer wird.«

Wieder große Pause.

»Higbie, wir sind dem Fleischer sechs Dollars schuldig und er hat gedroht, uns nichts mehr –«

[126]

»Zum Henker mit dem Fleischer!«

»Amen.«

Und so ging es fort. Um drei Uhr fanden wir, daß es mit dem Schlafen doch nichts sei; so standen wir auf, spielten Cribbage und schmauchten unsere Pfeifen, bis es hell wurde. Ich hatte diese Woche das Kochen zu besorgen. Das war mir stets zuwider gewesen – jetzt war es mir ein Greuel.

Die Kunde von unserem Glück hatte sich über die ganze Stadt verbreitet. War die Aufregung zuvor schon groß gewesen, so war sie jetzt noch größer. Froh und glücklich wandelte ich durch die Straßen. Ich hörte von Higbie, dem Faktor wären für sein Drittel an der Grube zweimalhunderttausend Dollars geboten worden. Ich versetzte darauf, zu solch einem Preis zu verkaufen, fiele mir auch nicht ein. Da hatte ich schon eine andere, höhere Vorstellung von der Sache. Mein Preis war eine Million. Und ich glaube erst noch allen Ernstes, hätte man mir diesen Preis geboten, es würde nur die Wirkung gehabt haben, daß ich meinen Anteil behalten hätte, um noch mehr dafür zu bekommen.

Ich fand ein großes Vergnügen daran, reich zu sein. Man bot mir ein Pferd für dreihundert Dollars an gegen ein einfaches[127] Zahlungsversprechen meinerseits ohne jede Bürgschaft. Dies gab mir ein deutlicheres Gefühl als alles andere, daß ich wirklich und zweifellos ein reicher Mann sei. Zahlreiche Beweise ähnlicher Art kamen nach, unter denen ich die Thatsache hervorhebe, daß der Fleischer uns zweimal so viel lieferte als wir bestellten, ohne ein Wort von der Bezahlung zu reden.

Nach den im Bezirke geltenden Vorschriften waren diejenigen, welche eine Erzschicht belegten, oder in Anspruch nahmen, verpflichtet, auf ihrem neuen Eigentum binnen zehn Tagen vom Datum der Belegung ab ein ordentliches Stück Arbeit zu thun, andernfalls war das Eigentum verfallen und jeder, der wollte, konnte hingehen und es für sich nehmen. Wir beschlossen deshalb, am nächsten Tag ans Werk zu gehen. Im Lauf des Nachmittags begegnete ich einem Bekannten Namens Gardiner, der mir mitteilte, Kapitän John Nye liege auf seinem Gute gefährlich krank und seine Frau sei allein nicht im stande, ihm die dringend erforderliche Pflege und Aufmerksamkeit zu widmen. Ich erklärte ihm, wenn er einen Augenblick warten wolle, so würde ich mitgehen, um bei der Pflege des Kranken zu helfen. Ich lief nach der Hütte, um es Higbie zu sagen. Dieser war nicht da, ich ließ deshalb auf dem Tisch einen Zettel für ihn zurück und fuhr ein paar Minuten darauf in Gardiners Wagen aus der Stadt.


[128]

Zwanzigstes Kapitel.

Kapitän Nye litt wirklich schwer an Rheumatismus. Der alte Herr, der sonst die Güte und Liebenswürdigkeit selbst war, konnte in den Anfällen seiner Krankheit recht unangenehm werden. Er gebärdete sich zuweilen ganz rasend. Ich hatte aber selbst einmal gesehen, wie er einen Kranken mit der größten Geduld und Hingebung pflegte und da nun die Reihe an ihn gekommen war, sich pflegen zu lassen, so sollte es mich auch nicht verdrießen. Mochte er weiter toben, wie er wollte, mich störte das nicht im mindesten in meiner Seelenruhe, denn, ob nun meine Hände müßig oder beschäftigt waren, mein Geist war Tag und Nacht unablässig an der Arbeit. Ich änderte und besserte an den Plänen zu meinem Hause und überlegte mir, ob ich das Billardzimmer nicht lieber ins Dachgeschoß, anstatt neben den Speisesaal verlegen solle. Ferner versuchte ich betreffs der Polstermöbel im Salon zu einer Entscheidung zwischen Grün und Blau zu gelangen! Ich gab an sich der letzteren Farbe den Vorzug, fürchtete jedoch, Staub und Sonnenlicht würden ihr zu viel Schaden thun. Sodann war ich zwar entschlossen, den Kutscher in eine bescheidene Livree zu stecken, dagegen noch unschlüssig betreffs des Bedienten. Haben mußte ich einen solchen ganz entschieden; es wäre mir aber lieber gewesen, wenn er ohne Livree hätte anständig erscheinen und seine Obliegenheiten versehen können, weil mir vor so viel Prunk einigermaßen bange war. Und doch fühlte ich, da mein Großvater auch Dienerschaft – aber ohne Livree – gehabt hatte, eine gewisse Neigung, ihn oder doch wenigstens seinen Geist auszustechen. Endlich brachte ich auch die Europareise in ein gehöriges System; die[129] Reisestrecken und die für eine jede derselben bestimmte Zeit – alles wurde erwogen und geordnet; nur eins, nämlich, ob die Reise von Kairo nach Jerusalem per Kamel durch die Wüste, oder lieber zu Wasser nach Beirut gehen sollte, um von dort mit einer Karawane fortgesetzt zu werden, blieb unentschieden. Inzwischen schrieb ich alle Tage an die Freunde in der Heimat, setzte sie von meinen Plänen und Absichten in Kenntnis und wies sie an, sich nach einer hübschen Wohnung für meine Mutter umzusehen und sich über den Mietspreis zu einigen, bis ich käme. Ferner beauftragte ich sie, meinen Anteil an dem Landsitz unserer Familie in Tennessee zu verkaufen und den Ertrag dem Witwen- und Waisenfond des Typographenvereins zu überweisen, dem ich seit lange als eifriges Mitglied angehörte.

Nachdem ich den Kapitän neun Tage lang gepflegt hatte, befand er sich etwas besser, war aber noch sehr schwach. Während des Nachmittags hoben wir ihn auf einen Stuhl und gaben ihm ein alkoholisches Dampfbad, dann machten wir uns daran, ihn wieder zu Bett zu bringen. Dabei mußte äußerst behutsam zu Werke gegangen werden, denn das leiseste Anstreifen verursachte Schmerzen. Gardiner hielt ihn an den Schultern und ich an den Beinen, als ich in einem unglücklichen Augenblicke stolperte, so daß der Kranke schwer auf das Bett fiel und Höllenschmerzen empfand. Er fluchte, wie ich nie in meinem Leben etwas gehört habe, und versuchte in seinem Zorn einen Revolver vom Tische zu reißen, den ich schnell wegnahm. Nun schrie er, ich solle das Haus verlassen und schwur hoch und teuer, wenn er wieder auf den Beinen sei, wolle er mich umbringen, sobald er meiner habhaft würde. Das war nur eine vorübergehende Wut, die nichts zu bedeuten hatte. Ich wußte, daß er es in einer Stunde vergessen, vielleicht sogar bedauern würde, aber im Augenblick ärgerte es mich doch ein wenig, und ich beschloß daher nach Esmeralda zurückzugehen. Da er auf[130] dem Kriegspfade ist, dachte ich, wird er wohl imstande sein, sich selbst zu helfen. So aß ich zu Abend und trat dann, sobald der Mond aufging, meine neun Meilen lange Fußwanderung an.

Als ich auf der Höhe ankam, welche die Stadt überragt, fehlten noch fünfzehn Minuten zu zwölf Uhr. Ich warf einen Blick auf den Hügel jenseits der Schlucht und sah im hellen Mondenschein, wie anscheinend die halbe Bevölkerung des Städtchens sich um den Eingang zur Grube des ›Weiten Westens‹ drängte. Jubelnd hüpfte mein Herz, und ich sagte zu mir selbst: »Heute abend haben sie eine neue Schicht eröffnet und ganz gewiß eine reichere als je.« Ich ging zuerst darauf zu, kehrte mich aber wieder ab, indem ich mir sagte, die Grube würde ja nicht davonlaufen und ich sei für heute nacht genug auf den Bergen herumgeklettert. Ich ging weiter durch die Stadt, und als ich an einer deutschen Bäckerei vorüberkam, stürzte eine Frau heraus und bat mich, doch mit ihr hereinzukommen und ihr beizustehen, ihr Mann habe einen Anfall von Wahnsinn. Ich ging hinein und fand, daß sie recht hatte; der eine Anfall, den er hatte, konnte für hundert gelten. Zwei Deutsche waren drinnen und versuchten ihn zu halten, richteten aber nicht viel aus. Ich lief die Straße ein Stück hinauf und klopfte einen schlafenden Doktor heraus, der halb angekleidet mitging. Alle vier rangen wir dann mit dem Verrückten, gaben ihm Arznei, begossen ihn mit kaltem Wasser und ließen ihn zur Ader, was mehr als eine Stunde dauerte. Die arme deutsche Frau besorgte das Weinen dazu. Als der Kranke endlich ruhig war, zogen der Doktor und ich uns zurück und überließen ihn seinen Freunden.

Es war kurz nach ein Uhr. Als ich müde, aber gut gelaunt durch die Thüre unserer Hütte trat, erblickte ich beim trüben Licht einer Talgkerze Higbie, der am Tische saß und wie blödsinnig auf den Zettel von meiner Hand stierte, den er in seinen Fingern hielt. Er sah bleich, alt und abgemagert aus.[131] Als ich stehen blieb und ihn fragend ansah, richtete er nur einen stumpfsinnigen Blick auf mich. Ich sagte:

»Higbie, was – was ist denn?«

»Wir sind ruiniert – wir haben die Arbeit nicht gethan – der blinde Gang ist anderweitig belegt

Ich hatte genug gehört. Kummervoll und gebrochenen Herzens sank ich auf einen Stuhl. Noch eine Minute zuvor war ich reich gewesen und von Eitelkeit geschwellt, jetzt war ich ein demütiger Bettler. Noch eine Stunde saßen wir da, beschäftigt mit Gedanken, mit eitlen und nutzlosen Vorwürfen gegen uns selbst, mit der unaufhörlichen Frage, warum habe ich nur dies und warum habe ich nur jenes nicht gethan? Aber keiner von uns sprach ein Wort. Endlich begannen die gegenseitigen Mitteilungen, und das Geheimnis klärte sich auf. Higbie hatte sich auf mich, ich mich auf ihn, und wir beide hatten uns auf den Faktor verlassen. Welche Thorheit! Zum erstenmal hatte der gesetzte und stramme Higbie eine wichtige Angelegenheit dem Zufall überlassen und der auf ihn fallenden Verantwortlichkeit nicht voll entsprochen. Ach, er hatte meinen Zettel eben erst zu Gesicht bekommen und war wenige Augenblicke vor mir zum erstenmal, seit wir uns getrennt, wieder in die Hütte getreten. Auch er hatte an jenem verhängnisvollen Nachmittag einen Zettel für mich zurückgelassen. Er war vor das Haus geritten, hatte durch das Fenster geschaut, und da er in Eile war und mich nicht sah, den Zettel durch eine zerbrochene Scheibe in die Hütte geworfen. Hier war derselbe die neun Tage ungestört liegen geblieben, er lautete:

»Versäumen Sie nicht, die Arbeit vor Ablauf der zehn Tage zu thun. W. ist durchgekommen und hat mir einen Wink gegeben. Am Mono-See soll ich ihn treffen, und von dort werden wir heute abend weiter gehen. Diesmal, sagte er, werden wir sie sicher finden.«

[132]

W. bedeutet natürlich Whiteman. Diese dreimal verfluchte Zementader!

So ging es zu. Ein alter Geizhals wie Higbie konnte dem Zauber der Aufregung über den geheimnisvollen Zementunsinn gerade so wenig widerstehen, als er sich des Essens hätte enthalten können, wäre er am Verhungern gewesen.

Monatelang hatte Higbie von dem wunderbaren Zement geträumt und so war er jetzt gegen seine bessere Einsicht fortgegangen und hatte es darauf ankommen lassen, daß ich für die Sicherheit des Besitzes einer Grube sorge, die eine Million unentdeckter Zementadern aufwog. Man hatte die beiden diesmal nicht verfolgt. Neun Tage lang konnten sie ungestört in den Bergschluchten suchen, ohne daß sie die Ader gefunden hätten. Da überfiel ihn auf einmal eine entsetzliche Angst, es möchte irgend etwas dazwischen gekommen sein, wodurch die zur Sicherheit unseres Besitzrechts an dem blinden Gange erforderliche Arbeit verhindert würde, und sofort machte er sich eiligst auf den Heimweg. Er hätte Esmeralda zu rechter Zeit erreicht, wäre ihm nicht unterwegs sein Pferd zusammengebrochen, so[133] daß er einen großen Teil der Strecke zu Fuß zurücklegen mußte. So geschah es, daß wir zu gleicher Zeit von verschiedenen Enden her in die Stadt kamen. Er war indes energischer als ich, denn er ging schnurstracks nach dem ›Weiten Westen‹, anstatt gleich mir vom Wege abzuschweifen, und trotzdem traf er fünf oder zehn Minuten zu spät dort ein. Die ›Bekanntmachung‹ war bereits angeschlagen, die ›Wiederbelegung unanfechtbar vollzogen‹ und die Menge zerstreute sich rasch. Noch bevor er den Platz verließ, erhielt er einige weitere Mitteilungen. Der Faktor war seit der Nacht, wo wir die Grube belegt hatten, nirgends in der Stadt zu sehen gewesen; wie es hieß, war er in einer Sache, bei der sich’s um Leben und Tod handelte, telegraphisch nach Kalifornien berufen worden. Jedenfalls hatte er keine Arbeit gethan, und die wachsamen Augen der Gemeinde hatten hievon Notiz genommen. Um Mitternacht jenes schmerzenreichen Tages wurde daher unsere Erzader ›belegbar‹ und bereits um elf Uhr stand der Berg schwarz von Leuten, die bereit waren, die Wiederbelegung vorzunehmen. Das war die Menschenmenge, die ich gesehen, als ich mir – Dummkopf, der ich war! – eingebildet hatte, man habe einen neuen reichen Gang aufgeschlossen. Als Mitternacht verkündet wurde, schlugen vierzehn Mann, gehörig bewaffnet und bereit, ihr Verfahren zu verteidigen, ihre Bekanntmachung an und verkündeten ihr Besitzrecht an dem blinden Gange unter dem neuen Grubennamen Johnson. Aber der Faktor, unser Geschäftsteilhaber, erschien nun auf einmal mit gespanntem Revolver und erklärte, wenn sein Name nicht mit in die Liste aufgenommen werde, würde er die Gesellschaft Johnson ›ein wenig lichten‹. Er war ein mannhafter, kräftiger, entschlossener Bursche, von dem man wußte, daß er hielt, was er sagte, und so kam es zu einem Vergleich. Sie schrieben ihm hundert Fuß gut, während sie sich selbst die üblichen zweihundert vorbehielten.

[134]

Zufolge der aufregenden Nachricht von einem neuen Erzfunde wandten Higbie und ich am nächsten Morgen der Stadt den Rücken, froh, den Schauplatz unserer Leiden verlassen zu können. Nach einem oder zwei Monaten voll harter Arbeit und Enttäuschung kamen wir noch einmal nach Esmeralda zurück. Da hörten wir, daß die Gesellschaft vom ›Weiten Westen‹ und die Johnsonsche sich zusammengethan hatten, so daß das auf diese Art vereinigte Vermögen fünftausend Fuß oder Kuxe betrug, und daß der Faktor aus Furcht vor einem möglichen langwierigen Rechtsstreit und im Hinblick auf die Schwierigkeiten eines so gewaltigen Besitzes seine hundert Fuß für neunzigtausend Dollars in Gold verkauft und sich in den Osten heimbegeben hatte, um des Geldes froh zu werden. Wenn die Aktien jetzt, da die Gesellschaft fünftausend Anteile zählte, solchen Wert hatten, so schwindelte es mir bei dem Gedanken, was sie wert gewesen sein würden, als es nur unsere ursprünglichen sechshundert waren. Es war derselbe Unterschied wie zwischen einem Haus, das sechshundert, und einem solchen, das fünftausend Menschen gehört. Wir würden Millionäre gewesen sein, hätten wir einen einzigen kurzen Tag mit Hacke und Spaten auf unserem Eigentum gearbeitet und uns so den Besitztitel gesichert! –


Vor einem Jahre erhielt ich von meinem geschätzten und in jeder Weise schätzenswerten einstigen Mitmillionär Higbie aus einem obskuren kleinen Bergmannslager in Kalifornien die Nachricht, er sei nach neun oder zehn Jahren voll Schicksalsschlägen und mühseligen Ringens endlich so weit, um über fünfundzwanzighundert Dollars verfügen zu können und gedenke, nun einen bescheidenen Obsthandel anzufangen. Wie würde ihn ein solcher Gedanke beleidigt haben zur Zeit, da wir in unserer Hütte Pläne zu Europareisen und zu Häusern von braunem Sandstein auf dem Russenhügel schmiedeten!


[135]

Einundzwanzigstes Kapitel.

Was nun thun?

Das war eine wichtige Frage. Ich war mit dreizehn Jahren in die Welt hinausgegangen, um für mich selbst zu sorgen; denn mein Vater hatte für Freunde gutgesagt und hatte uns zwar ein reichliches Erbe an Stolz auf seine Abstammung von einer feinen virginischen Familie und auf deren Verdienste um die Nation hinterlassen, doch fand ich bald, daß ich davon nicht leben könne, sondern dazu gelegentlich ein Stück Brot als Beilage haben müsse. In verschiedenen Berufsarten hatte ich meinen Lebensunterhalt verdient, bis jetzt aber durch meine Leistungen noch bei niemand Staunen erregt. Mir stand eine große Auswahl zur Verfügung, falls ich Arbeit suchte – allein, nachdem ich so reich gewesen war, hatte ich keine Lust dazu. Ich war einmal einen Tag lang Ladenjüngling bei einem Krämer gewesen, hatte aber dabei eine solche Masse Zucker verzehrt, daß der Besitzer mich aller weiteren Dienstleistungen entband und sagte, es wäre ihm lieber, wenn ich bloß als Kunde in seinen Laden käme. Eine Woche lang hatte ich Rechtsgelehrsamkeit studiert, sie aber dann aufgegeben, weil sie zu prosaisch und ledern war. Dann warf ich mich eine kurze Zeit auf das Studium der Grobschmiedekunst, vertrödelte aber mit dem Versuche, die Blasebälge so einzurichten, daß sie von selbst bliesen, so viel Zeit, daß der Meister mich in Ungnaden fortjagte und behauptete, aus mir würde im Leben nichts. Ich trat eine Weile als Gehilfe bei einem Buchhändler ein, aber die Kunden quälten mich dergestalt, daß ich nicht mit Behaglichkeit lesen konnte, und so gab mir der Prinzipal Urlaub, vergaß aber[136] dabei zu sagen, wann derselbe abgelaufen sein sollte. Dann war ich im Sommer eine Zeitlang Gehilfe bei einem Apotheker, aber ich hatte Unglück mit meinen Rezepten, so daß wir mehr Magenpumpen als sonst was absetzten und ich auch dort fort mußte. In dem Gefühl, daß in mir ein zweiter Franklin stecke, hatte ich die Schriftsetzerei leidlich erlernt. Aber bei der ›Union‹ in Esmeralda war keine Stelle offen, und überdies hatte ich immer so langsam gesetzt, daß ich die Lehrlinge nach zwei Jahren um ihre Leistungen beneidete; wenn ich ein Stück Satz übernahm, so pflegte der oberste Setzer anzudeuten, man werde es im Lauf des Jahres wohl einmal brauchen. Als Lotse zwischen St. Louis und New Orleans machte ich meine Sache ganz ordentlich und brauchte mich meiner Leistungen in diesem Berufszweig keineswegs zu schämen; der Lohn betrug zweihundertfünfzig Dollars monatlich bei freier Kost und Wohnung, und ich sehnte mich wirklich danach, wieder hinter dem Steuerrad zu stehen, statt ewig herumzuschweifen. Aber ich hatte mich in der letzten Zeit durch prahlerische Briefe, die ich über meinen blinden Gang und meine Europareise nach Hause gerichtet, so lächerlich gemacht, daß es mir ging, wie schon gar manchem armen enttäuschten Bergmann, der sich selber sagt: »Mit mir ist es jetzt aus und vorbei, und es fällt mir nicht ein, je wieder heimzukehren, um bemitleidet und über die Achsel angesehen zu werden.« Ich war Privatsekretär, Silbergräber und Arbeiter in einem Pochwerke gewesen, hatte es in allen diesen Fächern zu weniger als nichts gebracht und jetzt –

Was sollte nun zunächst geschehen?

Auf Higbies Bitten willigte ich ein, es nochmals mit dem Bergbau zu versuchen. Wir kletterten hoch am Bergeshang hinauf und machten uns an die Arbeit auf einer uns gehörigen kleinen, nichtsnutzigen Parzelle, auf der sich ein Schacht von acht Fuß Tiefe befand. Higbie stieg hinab und arbeitete tapfer mit seiner[137] Spitzhacke, bis er eine Menge Gestein und Erde losgehauen hatte, und dann ging ich hinunter, um es mit einer langstieligen Schaufel, der widerwärtigsten aller menschlichen Erfindungen, herauszuwerfen. Man muß die Schaufel vorwärts schieben und mit dem Knie nachhelfen, bis sie voll ist, und sie dann mit kühnem Schwung über seine linke Schulter entleeren. Ich machte den Schwung und setzte das Geröll genau am Rande des Schachtes ab, von wo es mir samt und sonders wieder auf Kopf und Nacken herabkam. Ohne ein Wort zu sagen, stieg ich heraus, ging nach Hause und beschloß in meinem Innern, lieber zu verhungern, als dieses Scheibenschießen mit Schutt auf meine werte Person vermittelst einer langstieligen Schaufel noch länger zu betreiben. Ich setzte mich in die Hütte und überließ mich dort sozusagen einem gediegenen moralischen Katzenjammer. Nun hatte ich in angenehmeren Tagen zu meinem Vergnügen dann und wann der Hauptzeitung des Territoriums, der ›Daily Territorial Enterprise‹ in Virginia Berichte eingeschickt und war stets überrascht gewesen, wenn sie im Druck erschienen. Die Redakteure waren dabei in meiner Meinung nicht eben gestiegen, denn es wollte mich bedünken, als hätten sie etwas Besseres finden können, um ihre Spalten zu füllen, als meine litterarischen Leistungen. Auf dem Heimweg fand ich im Postbureau einen Brief, den ich zu Hause öffnete. »Heureka!« rief ich aus – ich wußte allerdings nicht, was das heißt, fand aber den Klang des Wortes meiner Stimmung ganz angemessen – es war ein ernstliches Anerbieten von fünfundzwanzig Dollars wöchentlich, falls ich nach Virginia kommen und Lokalredakteur des ›Enterprise‹ werden wollte.

In den Tagen des ›blinden Ganges‹ würde ich den Herausgeber gefordert haben, jetzt hätte ich vor ihm niederfallen und ihn anbeten mögen. Fünfundzwanzig Dollars die Woche – das war ein Kapital – ein Vermögen! Zwar kühlte sich meine[138] Verzückung etwas ab, wenn ich an meine Unerfahrenheit und meinen Mangel an jeder Befähigung für diese Stellung dachte, und mir die Reihe der verfehlten Versuche, etwas aus mir zu machen, vor Augen stellte. Allein wenn ich das Anerbieten ausschlug, so würde ich binnen kurzem nicht mehr mein täglich Brot haben und meinem Nächsten zur Last fallen; einem Menschen aber, der seit seinem dreizehnten Jahre nie eine solche Erniedrigung erlebt hatte, mußte dies notwendig zuwider sein. So wurde ich wohl oder übel Lokalredakteur. Not bricht Eisen. Ich bin fest überzeugt, hätte man mir damals das Anerbieten gemacht, gegen Gehalt den Talmud aus dem hebräischen Original zu übertragen, ich würde es ruhig angenommen und versucht haben, mich für mein Geld möglichst anständig aus der Affaire zu ziehen.

Ich ging hinauf nach Virginia, um meine neue Stellung anzutreten. Für einen Lokalredakteur sah ich recht ruppig aus, das gestehe ich offen; ohne Rock, mit Schlapphut und blauem Wollhemd, die Hosen in den Stiefeln, mit einem Bart, der mir über die halbe Brust herunterhing, und dem üblichen Matrosen-Revolver am Gürtel. Doch verschaffte ich mir einen christlicheren Anzug und gab meinem Revolver den Abschied. Ich hatte niemals Gelegenheit gehabt, jemand tot zu schießen, verspürte auch kein solches mörderisches Gelüste; nur aus Rücksicht auf die allgemeine Anschauung hatte ich das Ding getragen, um nicht unangenehm aufzufallen und zu Bemerkungen Anlaß zu geben. Zu meiner Ueberraschung bemerkte ich jedoch, daß die andern Redakteure, sowie sämtliche Setzer und Drucker Revolver trugen. Ich bat den Chefredakteur und Eigentümer des Blattes, Herrn Goodman, um einige Anweisungen betreffs meiner Pflichten, worauf er mir sagte, ich solle nur durch die ganze Stadt gehen und allerhand Leute über alles mögliche ausfragen, mir die erhaltene Auskunft notieren und sie dann ausführlicher zur Veröffentlichung niederschreiben. Er fügte noch bei:

[139]

»Sagen Sie niemals: ›wir erfahren‹, oder: ›es heißt‹, oder: ›es geht das Gerücht‹, oder: ›wie verlautet‹, sondern rücken Sie vor die rechte Schmiede, verschaffen Sie sich die absoluten Thatsachen und dann reden Sie von der Leber weg und sagen Sie: so und so ist es. Sonst trauen die Leute Ihren Nachrichten nicht. Unumstößliche Gewißheit ist es, was einer Zeitung den festesten und wertvollsten Ruf verschafft.«

Damit hatte ich das Wesen der Sache in nuce, und bis auf den heutigen Tag beschleicht mich, so oft ich sehe, daß ein Berichterstatter seinen Artikel mit ›wie verlautet‹ anfängt, der Verdacht, er habe auf seine Erkundigung nicht Mühe genug verwandt. Freilich, solange ich Lokalredakteur war, habe ich nicht immer nach jener Vorschrift gehandelt, sondern manchmal, wenn Mißwachs an Nachrichten herrschte, der Phantasie die Oberherrschaft über die Thatsachen gelassen. Nie werde ich die Erfahrungen vergessen, die ich an meinem ersten Tage als Berichterstatter machte. Ich wanderte durch die ganze Stadt, fragte alle Welt, bohrte jedermann an, und kein Mensch wußte etwas. Nach fünf Stunden war mein Notizbuch noch immer leer. Ich sprach mit Herrn Goodman darüber. Dieser meinte:

»Ihr Vorgänger Dan pflegte in der sauern Gurkenzeit, wenn’s sonst nichts gab, aus den Heuwagen Kapital zu schlagen. Sind keine Heuwagen vom Felde hereingekommen? Sind welche da, so könnten Sie von wiederaufgenommener Thätigkeit im Heugeschäft sprechen. Das ist zwar nicht besonders aufregend, aber es hilft doch das Blatt füllen und sieht geschäftsmäßig aus.«

Ich durchstreifte die Stadt nochmals und stöberte einen einzigen elenden alten Heuwagen auf, der sich langsam vom Felde hereinbewegte. Aber ich wußte ihn zu fruktifizieren; ich multiplizierte ihn mit sechzehn, ließ ihn aus sechzehn verschiedenen Richtungen her in die Stadt fahren, machte sechzehn besondere Artikelchen über ihn und schlug einen Lärm[140] über das Heu, wie er in Virginia City noch nie erlebt worden war.

Das war ermutigend. Ich hatte zwei Spalten Nonpareille zu füllen, und kam damit ganz nett vorwärts. Gerade als der Stoff wieder zur Neige ging, brachte ein Raufbold in einer Schnapsbude einen Mann um, und abermals kehrte Freude bei mir ein. Niemals in meinem Leben war ich wegen einer Bagatelle wie diese so vergnügt gewesen. Ich sagte zu dem Mörder:

»Mein Herr, Sie sind mir ein Fremder, aber Sie haben mir heute einen Gefallen gethan, den ich Ihnen nie vergessen werde. Wenn ganze Jahre von Dankbarkeit Ihnen einen Ersatz bieten können – sie soll Ihnen zu teil werden. Ich war in Not, und Sie haben mir zu rechter Zeit edelmütig heraus geholfen, als alles dunkel und öde aussah. Zählen Sie mich fortan zu Ihren Freunden; denn ich bin nicht der Mann, der eine Gefälligkeit vergißt.«

Wenn ich das alles nicht wirklich zu ihm sagte, so empfand ich doch wenigstens das Verlangen danach. Ich berichtete über die Mordthat mit einem wahren Heißhunger auf interessante Einzelheiten, und als ich zu Ende war, bedauerte ich nur, daß man nicht meinen Wohlthäter auf der Stelle gehenkt hatte; ich würde ihn gern auch noch verarbeitet haben.

Sodann entdeckte ich ein paar Wagen mit Auswanderern, die sich eben anschickten, auf der Plaza ein Lager zu bilden, und von denen ich erfuhr, daß sie vor kurzem durch feindliches Indianergebiet gekommen und dabei ziemlich übel gefahren waren. Ich machte aus dieser Nachricht alles, was die Umstände erlaubten; wäre ich nicht durch die Anwesenheit der Berichterstatter anderer Blätter in strengen Grenzen gehalten gewesen, so würde ich zweifelsohne den Artikel durch einige Zuthaten noch viel interessanter gemacht haben. Einen Wagen fand ich jedoch, der[141] nach Kalifornien weiter ging und zog bei dessen Besitzer geschickte Erkundigungen ein. Als ich aus seinen kurzen, mürrischen Antworten auf meine Kreuz- und Querfragen ersehen hatte, daß er ganz bestimmt abfahren und am nächsten Tage nicht mehr in der Stadt sein würde, folglich keinen Lärm schlagen konnte, lief ich den anderen Zeitungen den Rang ab, indem ich mir sein Personenverzeichnis abschrieb und seine ganze Gesellschaft unter den Toten und Verwundeten aufführte. Da ich mich in diesem Falle nicht zu beschränken brauchte, ließ ich den Wagen einen Kampf mit den Indianern bestehen, der bis auf den heutigen Tag in der Geschichte nicht seinesgleichen hat.

Meine beiden Spalten waren damit gefüllt. Als ich sie am Morgen durchlas, fühlte ich, daß ich endlich meinen wahren Beruf gefunden hatte. Neuigkeiten, und zwar aufregende Neuigkeiten waren es, was die Zeitung brauchte, und ich fühlte in mir in ganz besonderem Grade die Fähigkeit, solche zu liefern.[142] Herr Goodman meinte, ich stehe als Berichterstatter nicht hinter Dan zurück. Ein höheres Lob wünschte ich mir nicht. Auf diese Ermutigung hin fühlte ich mich stark genug, im Notfall den Interessen des Blattes zuliebe sämtliche Auswanderer auf der Ebene eines grausamen Todes durch meine Feder sterben zu lassen.


Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Sechs Monate, nachdem ich unter die Journalisten gegangen war, begann die große Zeit des Silberlandes, wo es ›flott herging‹, und diese dauerte in unvermindertem Glanze drei Jahre lang. Alle Schwierigkeit, die Spalten mit Lokalnachrichten zu füllen, war nun vorüber; man hatte nur seine liebe Not, wie man die Unmasse von Begebenheiten und Vorkommnissen, die jeden Tag in unser litterarisches Netz gingen, unterbringen sollte trotz der Vergrößerung des Formats. Virginia hatte sich zur lebhaftesten Stadt entwickelt, die es in Amerika je gegeben, wenn man ihr Alter und ihre Einwohnerzahl in Betracht zieht. Die Gehwege wimmelten von Menschen – und zwar dermaßen, daß es meist keine leichte Aufgabe war, durch die Menschenflut hindurchzukommen. Die Fahrstraßen waren nicht minder gedrängt voll von Quarzwagen, Frachtwagen und sonstigen Fuhrwerken in endlosem Zuge. Das Gedränge war derartig, daß kleine Gefährte oft eine halbe Stunde lang warten mußten, bis es ihnen gelang, über die Hauptstraße hinüberzukommen. Vergnügt strahlten alle Gesichter; eine fast wilde Anspannung sprach aus jedem Auge und erzählte von den Plänen zum Geldmachen, die in jedem Gehirn kochten, und von den hochgeschwellten Hoffnungen,[143] die aller Herzen erfüllten. Geld gab es wie Sand am Meer. Jeder einzelne hielt sich für reich, und eine trübselige Miene war nirgends zu sehen. Es gab Milizkompagnien, Spritzenkompagnien, Musikchöre, Banken, Hotels, Theater, liederliche Tanzböden, ›Hurdy-Gurdy-Häuser‹ genannt, weit offenstehende Spielhöllen, politische Klubs, Bürgeraufzüge, Straßenkämpfe, Mordthaten, Leichenbeschauungen, Tumulte, alle fünfzehn Schritt eine Schnapsbrennerei, einen Gemeinderat mit einem Bürgermeister, einen Stadtvermesser, einen Stadtingenieur, einen Direktor des Feuerlöschwesens mit einem ersten, zweiten und dritten Assistenten, einen Polizeidirektor, einen Stadtmarschall und eine starke Polizistenschar, zwei Kollegien von Kuxmaklern, ein Dutzend Brauereien und ein halbes Dutzend Gefängnisse und Polizeistationen in voller Arbeit; auch sprach man davon, eine Kirche zu bauen. Der Aufschwung war großartig in jeglicher Beziehung. Mächtige feuerfeste Backsteinhäuser stiegen in den Hauptstraßen empor, und die hölzernen Vorstädte breiteten sich nach allen Richtungen aus. Für Bauplätze in der Stadt erzielte man ganz erstaunliche Preise.

Die große Combstock-Erzader, reich an Edelmetall, erstreckte sich von Norden nach Süden durch die ganze Länge der Stadt, und ihre sämtlichen Gruben standen im fleißigsten Betriebe. Eine einzige dieser letzteren beschäftigte sechshundertfünfundsiebzig Mann, und bei Wahlen hieß es stets: »wie die Gould & Curry-Grube stimmt, so stimmt die ganze Stadt.« Der Taglohn der Arbeiter betrug vier bis sechs Dollars; sie arbeiteten in drei Schichten oder Abteilungen, und das Sprengen, Hacken und Schaufeln ging Tag und Nacht ohne Unterbrechung fort.

Die Stadt Virginia thronte königlich auf halber Höhe des steil ansteigenden Mount Davidson 7200 Fuß über dem Meeresspiegel und war in der klaren Atmosphäre Nevadas bis auf fünfzig Meilen sichtbar. Ihre Bevölkerung betrug 15,000 bis[144] 18,000 Seelen, und den ganzen Tag über schwärmte die Hälfte dieser kleinen Armee gleich Bienen durch die Straßen, die andere Hälfte dagegen schwärmte hundert und aber hundert Fuß tief unter eben diesen Straßen in den Schachten und Stollen der Combstock-Erzschicht. Oft fühlten wir unsere Stühle beben, während der schwache Knall einer Sprengung aus den Eingeweiden der Erde unter der Redaktion heraufklang.

Der Bergabhang war so steil, daß die ganze Stadt schräg wie ein Dach daran hinaufging. Die Straßen bildeten sämtlich Terrassen, von denen eine immer vierzig bis fünfzig Fuß über der anderen lag. Es war ein mühseliges Klettern selbst in dieser dünnen Atmosphäre, wenn man von der D straße nach der A straße hinaufsteigen mußte, und man kam keuchend und außer Atem oben an. Dagegen brauchte man sich nur umzudrehen, um wie ein Pfeil wieder hinab zu fliegen. Die Luft war in dieser Höhe so dünn, daß einem das Blut stets durch die Haut zu dringen schien, und eine Stecknadelschramme ernstliche Sorgen machen konnte, weil leicht ein gefährlicher Rotlauf daraus entstand. Aber zur Entschädigung dafür waren Schußwunden wunderbar schnell geheilt, und so hatte man wenig Aussicht, sich durch einen Schuß, der dem Gegner nur durch beide Lungen ging, dauernde Genugthuung zu verschaffen; man konnte beinahe sicher annehmen, daß er vor Ablauf des Monats wieder auf dem Damm war und sich nach einem umsah und zwar nicht mit einem Opernglase.

Von Virginias hoher Lage aus überschaute man ein mächtiges, weitumfassendes Panorama von Bergzügen und Wüsten, und ob nun der Tag hell und bewölkt war, ob die Sonne auf- oder unterging oder am Zenith flammte, ob es Nacht war und der Mond am Himmel leuchtete, immer hatte man einen schönen, unvergeßlichen Anblick. Ueber uns ragte der Mount Davidson mit seiner grauen Kuppel empor, während vor und unter uns[145] eine wildzerrissene Schlucht sich öffnete und ein düsteres Thor bildete, durch welches der Blick auf die mattgefärbte, von dem Silberfaden eines Flusses durchzogene Wüste fiel. Die Ufer des Flusses waren mit Bäumen eingefaßt, die sich in der meilenweiten Entfernung nur wie eine zarte Franse ausnahmen. In noch weiterer Ferne erhoben die beschneiten Berge ihre langgezogene Schranke bis zum nebeligen Horizont hin – jenseits eines Landsees, der in der Wüste wie eine vom Himmel gefallene Sonne flammte, obwohl auch er fünfzig Meilen entfernt lag. Man mochte aus seinem Fenster blicken, wohin man wollte, stets bot sich ein bezauberndes Bild. Selten, sehr selten kam es vor, daß Wolken am Himmel standen, dann aber vergoldete, rötete und verklärte die sinkende Sonne dieses weitausgedehnte Landschaftsbild mit einer geradezu verwirrenden Farbenpracht, welche das Auge wie mit Zaubergewalt fesselte und die Seele wie Musik ergriff.


Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Mein Gehalt wurde auf vierzig Dollars die Woche erhöht, aber ich ließ ihn mir selten auszahlen. Ich hatte eine Menge anderer Hilfsquellen; und was bedeuteten zwei Zwanzig-Dollarstücke für einen Mann, der die Tasche voll von solchen Dingern und zugleich blanke Halbdollarstücke in Ueberfülle hatte? Das Berichterstatten war einträglich, und in der ganzen Stadt war jedermann freigebig mit seinem Geld und seinem ›Fuß‹. Die Stadt und der ganze große Bergabhang war von Schachten durchlöchert wie ein Sieb. Es gab mehr Bergwerke als Bergleute. Allerdings lieferten kaum zehn von diesen[146] Bergwerken Erze, die es verlohnt hätte, nach einem Pochwerk zu schaffen, aber jedermann sagte: »Wartet nur, bis der Schacht so weit hinunter kommt, daß die Ader gediegen wird, dann werdet ihr schon sehen!« So war kein Mensch mutlos. Die Gruben waren fast sämtlich taub und ohne allen Gehalt, aber das glaubte damals kein Mensch. Jedermann war fest überzeugt, daß seine kleine taube Parzelle ebensogut an der ›Hauptader‹ sei, wie die ergiebigsten Combstockgruben, und unfehlbar tausend Dollars wert sein werde, sobald der Schacht aufs ›Gediegene komme‹. Die armen Kerls! Sie sollten diesen Tag nie erleben, und es war nur gut, daß sie blind dagegen waren.

So bohrten sich die tausend tauben Schachte Tag für Tag immer tiefer in die Erde, und jedermann war außer sich vor Hoffnung und Glück. Wie sie arbeiteten, prophezeiten, jubelten! Wahrlich, seit die Welt stand, hatte man etwas Aehnliches nicht erlebt. Von diesen Bergwerken – oder vielmehr diesen Löchern über eingebildeten Bergwerken – war ein jedes gesetzlich eingetragen und hatte hübsch mit Illustrationen verzierte Kuxe, und diese Kuxe waren verkäuflich. Mit fieberhafter Gier wurden dieselben Tag für Tag in den Maklerbanken verkauft und gekauft. Man konnte oben am Berge ein bißchen herumscharren, bis man einen Erzgang fand (es war kein Mangel daran), dann eine ›Bekanntmachung‹ mit einem prahlerischen Namen aufstecken, sich ›Anteilscheine‹ drucken lassen und ohne den mindesten greifbaren Beweis dafür, daß die betreffende Grube auch nur einen Pfifferling wert sei, das Papier auf den Markt bringen, wo es für Hunderte, ja Tausende von Dollars verkauft wurde. Geld zu machen, und zwar im Fluge, kostete nicht mehr Mühe, als ein Mittagsmahl zu verzehren. Jedermann besaß ›Fuß‹ in fünfzig verschiedenen tauben Gruben und betrachtete sich als reich. Man denke sich eine Stadt, in der es nicht einen einzigen armen Mann giebt. Man sollte meinen, als Monat auf Monat verging und[147] immer noch keine einzige ›Wildkatzengrube‹ (so wurden alle nicht auf der Mutterader, d. h. der Combstock-Schicht, belegten Parzellen genannt) eine Tonne Erz geliefert hatte, die das Zerstampfen lohnte, die Leute hätten sich nachgerade gefragt, ob sie nicht am Ende doch zu fest an ihre vermeintlichen Reichtümer glaubten, – aber kein Gedanke daran. Sie wühlten die Erde weiter auf, kauften und verkauften und waren glücklich dabei.

Täglich wurden neue Stellen belegt und es herrschte dabei die freundliche Gepflogenheit, schnurstracks nach den Zeitungsredaktionen zu laufen, dem Berichterstatter vierzig oder fünfzig Fuß zu schenken, und ihn damit zur Besichtigung der Grube und zu einer Notiz über dieselbe zu gewinnen. Was man darüber sagte, war ihnen ganz eins, wenn man nur etwas sagte. So sagten wir gewöhnlich mit ein paar Worten, die ›Anzeichen‹ seien gut, aber die Gesteinschicht sei sechs Fuß breit, oder der Fels sähe dem Combstock ähnlich, was auch der Fall war, nur war die Aehnlichkeit nicht so groß, daß man vor Verwunderung darüber auf den Rücken fiel. Versprach das Gestein einigermaßen etwas, so folgten wir der Landessitte, brauchten starke Eigenschaftswörter und priesen dieses Wunder auf dem Gebiete der Silberentdeckung dermaßen, daß uns der Schaum vor den Mund trat. War die Grube schon abgeteuft und bearbeitet, ohne brauchbares Erz aufzuweisen (natürlich war überhaupt kein solches darinnen), so lobten wir den Stollen, über den wir in den höchsten Tönen faselten, ohne aber ein Wort über das Gestein selbst zu verlieren. Oder wir verschwendeten auch eine halbe Spalte voll Lobeserhebungen auf einen Schacht oder ein neues Drahtseil u. dgl., oder auch auf ›das vornehme und thatkräftige Auftreten des Herrn Obersteigers der Grube‹, wiederum ohne über das Gestein die leiseste Silbe zu verlieren; und doch waren jene Leute stets froh, stets befriedigt. Gelegentlich flickten oder lackierten wir unsern Ruf verständiger Prüfung und ernster,[148] höchst genauer Beschreibung dadurch, daß wir für irgend eine alte aufgegebene Parzelle in die Trompete stießen, daß ihr die dürren Knochen hätten rasseln sollen, und dann pflegte irgend jemand dieselbe zu nehmen und sie auf die ihr so verschaffte vergängliche Berühmtheit hin zu verkaufen. Nichts, was die Gestalt einer Bergwerkparzelle trug, war unverkäuflich. Wir bekamen Tag für Tag Geschenke von ›Fuß‹. Brauchten wir hundert Dollars oder so etwas, so verkauften wir ein paar davon; wo nicht, so speicherten wir sie auf, überzeugt, daß sie einst tausend Dollars der Fuß wert werden mußten. Ich hatte meinen Koffer beinahe halb voll von Kuxen. Wenn eine Parzelle Aufsehen auf dem Markte erregte und hoch hinaufging, suchte ich mein Paket durch und sah nach, ob ich von den betreffenden Kuxen etwas hatte; gewöhnlich fand ich auch, was ich suchte.

Ich hatte aber nicht bloß als Gegenleistung für Zeitungsnotizen meine Kuxe geschenkt erhalten. Jedermann trug alle Taschen voll davon, und es war damals geradezu Landessitte, ungebeten kleine Quantitäten an seine Freunde zu verschenken, wie man diesen sonst Obst oder Zigarren anbietet. Höchstens ein ›Danke schön‹ erwartete man dafür, und selbst dazu war man nicht gesetzlich verpflichtet. Flotte Zeiten in der That! Ich dachte, sie würden ewig dauern, aber ich hatte niemals viel von einem Propheten an mir.

Um zu zeigen, welch ein toller Geist in den Köpfen dieser Bergmannsgemeinde spukte, will ich bemerken, daß Parzellen sogar bei Kellerausgrabungen belegt wurden, wenn die Spitzhacke etwas bloßlegte, was einer Quarzader gleich sah. Und das waren nicht etwa Keller in den Vorstädten, sondern mitten im Herzen der Stadt; sofort wurden dann Anteilscheine ausgegeben und auf den Markt geworfen. Man kümmerte sich wenig darum, wem der Keller gehörte, die Ader gehörte dem Finder, und wenn sich nicht die Regierung der Vereinigten Staaten hineinmischte,[149] die damals das Vorrecht auf Edelmetallgruben in Nevada besaß, so nahm man an, daß er wirklich das ausschließliche Recht habe, dieselbe auszubeuten. Nun stelle man sich vor, wie ein Fremder mitten unter den kostbaren Gewächsen unseres Vorgartens eine Stange mit der ›Bekanntmachung‹ aufpflanzt, daß er hier ein Stück Land zu einer Grube belegt habe, und in größter Seelenruhe sich anschickt, den Boden mit Hacke, Schaufel und Sprengpulver wüste zu legen! Das ist aber in Kalifornien häufig vorgekommen. Mitten in einer Hauptgeschäftsstraße Virginias belegte jemand eine Parzelle zu einer Grube und teufte einen Schacht darauf ab. Er gab mir hundert Fuß von derselben, die ich jedoch gegen einen feinen Anzug vertauschte, weil ich befürchtete, es könnte jemand in den Schacht fallen und uns auf Entschädigung verklagen. An einer anderen gleichfalls mitten in einer Straße belegten Parzelle war ich Miteigentümer; und um zu zeigen, wie einfältig die Menschen sein können, erwähne ich, daß die Kuxe der ›East India‹, wie die Grube hieß, sich ganz flott verkauften, obwohl ein alter Stollen unter der Parzelle hinlief, in dem sich jedermann ungehindert mit eigenen Augen überzeugen konnte, daß er keine Quarzschicht oder irgend etwas einer solchen nur von weitem Aehnliches berührte.

Eine Methode, plötzlich zu Reichtum zu gelangen, bestand darin, eine Wildkatzengrube zu ›salzen‹ und dann zu verkaufen, solange die Aufregung dauerte. Das Verfahren war einfach. Der Betreffende belegte eine wertlose Schicht, teufte einen Schacht darauf ab, kaufte eine Wagenladung von reichem Combstock-Erz, ließ einen Teil davon in den Schacht werfen und das Uebrige daneben an der Oberfläche aufschütten. Dann zeigte er sein Besitztum einem Einfaltspinsel, der es ihm um hohen Preis abkaufte. Natürlich war jene Wagenladung reiches Erz alles, was das Opfer bei seinem Kaufe herausschlug.

Ein höchst merkwürdiger Fall von ›Salzung‹ war der,[150] welcher bei der Grube ›Nord-Ophir‹ vorkam. Man behauptete, diese Ader sei eine entfernte Fortsetzung des eigentlichen ›Ophir‹, einer wertvollen Grube auf dem Combstock. Mehrere Tage sprach alle Welt von der reichen Ausbeute im ›Nord-Ophir‹. Es hieß, die Grube gebe vollständig reines Silber in gediegenen Klümpchen. Ich ging mit dem Besitzer an die Stelle und fand einen sechs bis acht Fuß tiefen Schacht und unten an dessen Sohle eine schlecht gesprengte Ader von dunklem, gelblichem, nichts versprechendem Gestein. Ebenso gut hätte man in einem Schleifstein Silber vermuten können. Wir holten eine Pfanne von dem Quark herauf und wuschen ihn in einer Pfütze aus und, wahrhaftig, in dem Bodensatz fanden wir ein halbes Dutzend runder Kügelchen von unzweifelhaftem, gediegenem Silber. Etwas derartiges hatte noch kein Mensch gehört; für die Wissenschaft war diese seltsame Neuigkeit ein völliges Rätsel. Die Anteilscheine stiegen auf fünfundsechzig Dollars für den Fuß und zu diesem Preise kaufte sich der weltberühmte Tragöde Kean Buchanan einen bedeutenden Vorrat davon und beschloß wieder einmal – wie schon so oft – der Bühne zu entsagen. Auf einmal hieß es, die Grube sei ›gesalzen‹ worden, aber nicht etwa nach irgend einer abgedroschenen Methode, sondern in ungewöhnlich kecker, frecher, eigenartiger und schandbarer Weise. Man entdeckte nämlich auf einem der Klümpchen gediegenen Silbers Bruchstücke der Münzumschrift ›United States of America‹, und nun lag es klar am Tage, daß die Grube mit geschmolzenen Halbdollars ›gesalzen‹ worden war. Die so gewonnenen Klümpchen hatte man geschwärzt, bis sie gediegenem Silber im Urzustande glichen und sie dann mit dem losgesprengten Gestein auf dem Boden des Schachtes vermischt. Dies ist buchstäblich wahr. Natürlich fielen die Kuxe sofort auf Null und der Tragöde war ruiniert. Ohne diese Kalamität wäre Mc. Kean Buchanan uns für die Bühne verloren gegangen.


[151]

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Die ›flotten Zeiten‹ gingen inzwischen munter fort. Etwas mehr als zwei Jahre vorher hatten Herr Goodman und ein anderer Setzer sich vierzig Dollars geborgt und waren damit von San Francisco aufgebrochen, um ihr Glück in der neuen Stadt Virginia zu versuchen. Sie fanden dort das ›Territorial Enterprise‹, ein traurig hinsiechendes Wochenblättchen, das nach Atem schnappte und in den letzten Zügen lag. Sie kauften es: Typen, Einrichtung, Kundschaft, alles miteinander für tausend Dollars, die ihnen lang gestundet bleiben sollten. Redaktion, Zeitungsstube, Druckerei, Expedition, Schlafkammer, Wohnzimmer und Küche, alles war in ein Gemach zusammengepreßt, und dies war nicht einmal groß. Die Redakteure und Drucker schliefen auf dem Fußboden, ein Chinese besorgte die Küche, und der Ausschießstein war die allgemeine Speisetafel. Wie anders waren die Verhältnisse jetzt. Das Blatt erschien täglich in großem Format, es wurde mit Dampf gedruckt, fünf Redakteure und dreiundzwanzig Setzer arbeiteten daran, der Abonnementspreis war sechzehn Dollars jährlich, die Einrückungsgebühren waren maßlos hoch, die Spalten stets gedrängt voll. Das Blatt warf monatlich zwischen sechs- und zehntausend Dollars ab und wurde in einem stattlichen feuerfesten Hause redigiert und gedruckt. Tag für Tag wurden fünf bis elf Spalten neuer Anzeigen wegen Ueberhäufung entweder zurückgelegt oder in Extrablättern zusammen veröffentlicht.

Die ›Gould & Curry-Gesellschaft‹ stand im Begriffe, ein Riesenpochwerk mit hundert Stampfen zu errichten, dessen Herstellungskosten nicht viel unter einer Million Dollars betrugen.[152] Die Kuxe dieses Bergwerks zahlten schwere Dividenden – ein seltener Fall, der nur bei den zwölf oder fünfzehn Parzellen vorkam, die über der Hauptader, dem Combstock, lagen. Der Direktor dieser Grube wohnte mietfrei in einem schönen Hause, das von der Gesellschaft gebaut und möbliert war. Er fuhr mit stattlichen Pferden, die ihm die Gesellschaft geschenkt hatte, und sein Gehalt betrug zwölftausend Dollars jährlich. Der Direktor einer anderen großen Grube reiste wie ein Fürst herum, hatte einen Jahresgehalt von achtundzwanzigtausend Dollars und beanspruchte später überdies noch auf dem Rechtswege ein Prozent der ganzen Silberausbeute als ihm zukommend.

Geld war in wunderbarer Fülle vorhanden. Es zu verdienen machte keine Mühe, wohl aber, es auszugeben und loszuwerden. Und so traf es sich glücklich, daß gerade während jener Zeit der Draht die Nachricht brachte, daß eine große Sanitätskommission der Vereinigten Staaten gebildet worden sei, welche für die Soldaten und Matrosen der Union, die in den Spitälern des Ostens lagen, Geld brauche. Dieser Nachricht folgte die Kunde auf den Fersen, daß San Francisco sich an dem Werk in großartiger Weise beteiligt habe, ehe das Telegramm auch nur einen Tag alt gewesen sei. Virginia erhob sich wie ein Mann. Ein Sanitätskomitee wurde in aller Eile organisiert, der Präsident desselben bestieg einen leeren Karren in der C straße und versuchte der ungeduldigen und lärmenden Menge begreiflich zu machen, daß die übrigen Mitglieder des Komitees aus Leibeskräften arbeiteten, und daß noch vor Ablauf einer Stunde ein Bureau eingerichtet, Bücher aufgelegt, und das Komitee bereit sein werde, Beiträge anzunehmen. Seine Stimme wurde übertäubt, seine Mitteilung ging in einem unaufhörlichen Jubelgebrüll und dem Verlangen, daß das Geld sofort angenommen werden solle, verloren; die Leute waren wie rasend, sie wollten nicht warten. Der Präsident machte Vorstellungen[153] und suchte zu beweisen, daß das nicht angehe; aber taub gegen alle Bitten drängte sich die Menge an den Wagen, in den sie Goldstücke regnen ließen, worauf alle wieder abtrabten, um noch mehr zu holen. Hände voll Geld erhoben sich aus dem Gedränge. Unterstützt von dieser beredten Gebärdensprache hofften viele sich einen Weg bahnen zu können. Selbst die Chinesen und Indianer wurden von der Aufregung angesteckt und warfen ihre halben Dollars in den Karren, ohne zu wissen oder sich darum zu kümmern, zu welchem Zwecke. Sauber gekleidete Frauen stürzten sich in das Gedränge, kämpften sich mit ihrem Gelde bis zum Karren durch und tauchten dann nach einer Weile mit jämmerlich zerzaustem Anzuge wieder aus der Menge hervor. Es war der wildeste Auflauf, den Virginia jemals gesehen; als zuletzt die Wut nachließ und alle auseinander gingen, hatte keiner mehr einen Pfennig in der Tasche. Um in der eigenen Sprache der Leute zu reden: mit vollem Sacke kamen sie, und ausgebeutelt gingen sie hinweg.

Nun begann das Komitee in systematischer Ordnung zu arbeiten und wochenlang flossen die Beiträge wie ein Strom in seine Kasse. Einzelne Personen und ganze Genossenschaften legten sich eine regelmäßige Steuer für den Sanitätsfonds auf, die sich nach ihren Mitteln abstufte; als aber der berühmte ›Sanitätsmehlsack‹ zu uns kam, gab es einen zweiten großen allgemeinen Ausbruch. Die Geschichte des Sackes ist eigentümlich und interessant. In der kleinen Stadt Austin am Reeseflusse war ein früherer Schulkamerad von mir, Namens Reuel Gridley, Kandidat der demokratischen Partei für die Bürgermeisterstelle. Er kam mit dem republikanischen Gegenkandidaten dahin überein, daß der Unterliegende von dem Sieger mit einem fünfzig Pfund schweren Mehlsack beschenkt werden und denselben auf seiner Schulter nach Hause tragen sollte. Gridley unterlag und erhielt den Mehlsack von dem neuerwählten Bürgermeister. Er lud ihn[154] auf die Schulter und trug ihn gegen zwei Meilen weit von Nieder-Austin nach Ober-Austin, begleitet von einem Musikchor und der ganzen Bevölkerung. Bei seiner Ankunft erklärte er, er brauche das Mehl nicht und fragte, was er nach der Meinung des Volkes am besten damit anfangen könnte. Eine Stimme rief:

»Verkaufen Sie es an den Meistbietenden zu Gunsten des Sanitätsfonds!«

Der Vorschlag wurde ringsum mit lautem Beifall begrüßt, und Gridley stieg auf eine Kiste, um die Rolle eines Auktionators zu übernehmen. Die Gebote gingen rasch in die Höhe, als die Leute sich mehr und mehr für die Sache erwärmten, bis der Sack zuletzt einem Müller zu zweihundertfünfzig Dollars zugeschlagen und dessen Anweisung in Empfang genommen wurde. Man fragte ihn, wo er das Mehl abgeliefert haben wolle, worauf er erwiderte:

»Nirgends, verkauft es noch einmal!«

Jetzt brachen donnernde Jubelrufe los, und[155] die Menge geriet ins richtige Feuer. So stand Gridley bis zum Sonnenuntergang schreiend und schwitzend da, und als die Masse auseinanderging, hatte er den Sack an dreihundert verschiedene Leute verkauft und achttausend Dollars in Gold dafür eingenommen. Und noch immer war der Mehlsack in seinem Besitze.

Als die Nachricht in Virginia eintraf, kam von dort ein Telegramm zurück:

»Schickt euern Mehlsack her!«

Sechsunddreißig Stunden darauf kam Gridley an; im Opernhause wurde eine Nachmittagsversammlung gehalten und die Auktion begann. Aber der Mehlsack war früher gekommen als man erwartete, die Leute waren noch nicht ordentlich ins Feuer geraten, und so schleppte sich der Verkauf matt hin. Bei Einbruch der Nacht hatte man erst fünftausend Dollars in Händen und es herrschte große Niedergeschlagenheit in der Gemeinde.

Indes war man nicht geneigt, die Sache damit ruhen zu lassen und dem Dorfe Austin den Sieg zuzuerkennen.

Bis spät in die Nacht hinein waren die vornehmsten Bürger am Werke, den Feldzug für den nächsten Tag vorzubereiten, und als sie zu Bett gingen, war ihnen wegen des Ergebnisses nicht mehr bange. Um elf Uhr am Vormittag fuhr ein langer Zug offener Wagen, begleitet von lärmenden Musikbanden und geschmückt mit wehenden Fahnen, die C straße hinunter, wo sie bald in Gefahr gerieten, von einer Hurra rufenden Menschenmenge eingeschlossen und am Weiterkommen verhindert zu werden. Im ersten Wagen saß Gridley, welcher den mit goldenen Buchstaben verzierten und schön geschmückten Mehlsack so hielt, daß er recht ins Auge fiel, ferner der Bürgermeister und der Syndikus. Die anderen Wagen enthielten den Stadtrat, Redakteure und Berichterstatter und andere Leute von Ansehen und Bedeutung. Die Menge drängte nach der Ecke der C- und Taylorstraße, in der Erwartung, daß der Verkauf dort beginnen werde;[156] allein sie täuschte sich und erlebte zugleich eine unaussprechliche Ueberraschung; die Kavalkade zog weiter, als käme Virginia überhaupt gar nicht mehr in Betracht und nahm ihren Weg auf die kleine Stadt Gold Hill zu. Telegramme waren nach Gold Hill, Silver City und Dayton vorausgegangen, so daß deren Bevölkerung bereits in fieberhafter Erregung darauf wartete, sich ins Gefecht zu stürzen. Es war ein sehr heißer Tag und furchtbar staubig. Nach Verlauf einer kurzen halben Stunde stiegen wir unter Trommelschlag mit fliegenden Fahnen, von mächtigen Staubwolken umwallt, nach Gold Hill hinab. Die ganze Bevölkerung, Männer, Weiber und Kinder, Chinesen und Indianer waren in der Hauptstraße versammelt, alle Flaggen der Stadt flatterten an den Masten und das Hurrarufen der Menge übertönte den Lärm der Musikbanden. Gridley erhob sich und fragte, wer auf den vaterländischen Sanitäts-Mehlsack das erste Gebot thun wolle. General W. erklärte: »Die Yellow-Jacket-Silberbergbaugesellschaft bietet tausend Dollars in Münze.«

Ein Beifallssturm folgte. Der Telegraph trug die Kunde nach Virginia, binnen fünfzehn Minuten war die ganze Einwohnerschaft auf der Straße versammelt und verschlang die Botschaft; es gehörte nämlich mit zum Programm, daß jeder Drahtbericht auf den Anschlagbrettern sofort bekannt gemacht wurde. Alle paar Minuten erschien ein neues von Gold Hill her telegraphiertes Bulletin, und immer mehr wuchs die Aufregung. Nach Verlauf einer Stunde hatte die schwache Bevölkerung von Gold Hill für den Mehlsack eine Summe gezahlt, welche Virginias höchste Begeisterung erweckte, als das Gesamtergebnis an den Plakatstellen zu lesen war. Nun rückte Gridleys Kavalkade weiter – erfrischt mit Strömen Lagerbiers, welches die Leute in verschwenderischem Maße an die Wagen brachten; nach weiteren drei Stunden hatte die Expedition Silver City und Dayton mit Sturm genommen und befand sich ruhmbedeckt[157] auf dem Heimwege. Das alles war telegraphiert und veröffentlicht worden; als nun die Prozession um halb neun Uhr abends in Virginia einzog und die C straße hinunterkam, war die ganze Bevölkerung auf den Straßen, Fackeln loderten, Flaggen wehten, Musikbanden spielten, Hurra auf Hurra erschütterte die Luft und die Stadt war bereit, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Auktion begann; jedes Gebot wurde mit Beifallsausbrüchen begrüßt, und nach Verlauf von dritthalb Stunden hatte eine Bevölkerung von fünfzehntausend Seelen für einen fünfzig Pfund schweren Mehlsack eine Summe in Gold bezahlt, die in Staatsnoten fünfzigtausend Dollars betragen haben würde. Es kamen ungefähr drei Dollar auf jeden Kopf der Bevölkerung, Weiber und Kinder mitgerechnet. Das Gesamtergebnis würde zweimal so groß gewesen sein, aber die Straßen waren sehr schmal und Hunderte, die gerne mitgeboten hätten, konnten weder bis zum Platz des Auktionators gelangen, noch sich vernehmlich machen. Des Wartens überdrüssig gingen viele lange vor Schluß der Auktion wieder nach Hause. Dies war vielleicht der größte Tag, den Virginia jemals erlebte.

Gridley verkaufte den Sack in Carson City und in verschiedenen kalifornischen Städten; dann nahm er ihn mit nach dem Osten und brachte ihn endlich nach St. Louis, wo ein Sanitätsbazar abgehalten und eine große Summe eingenommen wurde. Um die Begeisterung zu erhöhen, hatte man dort die aus Nevadas Schenkung erzeugten stattlichen Silberbarren ausgestellt. Zuletzt ließ Gridley das Mehl in kleine Kuchen backen, die er einzeln zu hohen Preisen verkaufte. Die Kosten seiner ungeheuren, mühevollen Expedition hatte der treffliche Mann wenn nicht ganz, so doch größtenteils aus eigener Tasche bezahlt.

Als die Mission des Mehlsacks beendet war, schätzte man die Gesamtsumme, für die derselbe verkauft war, auf hundertfünfzigtausend Dollars in Papier. Dies ist wahrscheinlich der[158] einzige Fall, den die Geschichte verzeichnet, in welchem gewöhnliches Brotmehl auf offenem Markte zu dreitausend Dollars das Pfund verkauft worden ist.


Bevor ich diesen Teil meiner Erinnerungen beschließe, will ich noch einer kleinen Episode gedenken. Dieselbe betrifft

meine erste Begegnung mit Artemus Ward.

Dieser berühmte, jetzt verstorbene Komiker und Humorist bereiste damals, als ich in Virginia City Redakteur war, die Städte im fernen Westen, um Vorlesungen zu halten, und kam bei dieser Gelegenheit auch in die genannte Stadt. Ich hatte ihn noch nie gesehen. Er brachte mir Empfehlungsbriefe von gemeinsamen Freunden in San Francisco und lud mich ein, mit ihm zu frühstücken. Im Bereich der Silberminen galt es fast als eine heilige Pflicht, vor solcher Mahlzeit einen Whisky-Cocktail zu trinken. Mit echt kosmopolitischer Gesinnung pflegte sich Artemus stets nach den Sitten des Landes zu richten, in welchem er sich gerade befand; so bestellte er denn auch jetzt drei von den abscheulichen Schnäpsen, Hingston, sein Reisebegleiter, war auch zugegen. Ich sagte, ich wolle lieber keinen Whisky trinken, er würde mir zu sehr zu Kopfe steigen und mich in zehn Minuten so verdreht machen, daß ich keinen klaren Gedanken mehr fassen könne. Mich vor Fremden wie ein Verrückter zu gebärden, sei nicht nach meinem Sinn. Auf Artemus Wards freundliches Zureden trank ich aber dennoch das tückische Gebräu, obgleich mit Widerstreben und in dem Bewußtsein, daß ich etwas thue, was mich alsbald reuen würde.

In kürzester Frist kam es mir vor, als umnebelten sich[159] meine Sinne. Ich wartete daher mit großer Angst auf den Beginn der Unterhaltung und hoffte im stillen, daß sich meine Befürchtung als unbegründet erweisen und ich doch noch bei Verstande sein würde.

Artemus ließ zuerst einige unbedeutende Bemerkungen fallen, nahm dann eine ganz übermenschlich ernste Miene an und hielt folgende erstaunliche Rede:

»Noch etwas möchte ich Sie zuvörderst fragen, ehe ich es vergesse. Sie sind nun schon zwei oder drei Jahre hier in Nevada, im Silberland, und Ihre Stellung bei der Tagespresse hat es natürlich mit sich gebracht, daß Sie in die Bergwerke eingefahren sind, um sich über alle Einzelheiten zu unterrichten; der ganze Silberbergbau wird Ihnen daher genau bekannt sein. Was ich nun gerne wissen möchte, ist – wie die Erzlager eigentlich beschaffen sind. Ich fasse es zum Beispiel so auf – die Ader, welche das Silber enthält, liegt zwischen zwei Granitschichten eingeschlossen, wie das Fleisch in einer belegten Buttersemmel; sie läuft im Erdboden weiter, erstreckt sich aufwärts und ragt in die Höhe wie ein Meilenstein. Nehmen wir nun an, die Ader hätte eine Mächtigkeit – sagen wir – von vierzig Fuß oder achtzig oder auch meinetwegen hundert – und Sie führten einen Schacht senkrecht darauf hinab, oder gingen mit Hilfe eines Stollens, wie man’s nennt, hinunter bis zu einer Tiefe von fünfhundert Fuß oder auch nur zweihundert Fuß, wenn Sie wollen, aber jedenfalls tief hinab – nun wird die Ader immer schmaler, wo die sie einschließenden Granitschichten dichter beisammen sind oder sich einander nähern, wenn man’s so ausdrücken will – das heißt, wenn sie wirklich näher zusammenrücken, was natürlich nicht immer der Fall ist, besonders nicht an Stellen, wo sie der ganzen Natur der Formation nach weiter auseinander gehen als anderwärts, wofür die Geologie bisher vergebens eine Erklärung gesucht hat, obwohl in dieser[160] Wissenschaft alles auf den Beweis hinausläuft, daß bei gleichen Verhältnissen es so sein würde, wenn es nicht wäre, und gewiß nicht so sein würde, wenn es wäre – und dann sind sie es natürlich. Ist das nicht auch Ihre Meinung?«

Ich dachte bei mir selbst:

»Also richtig – ich wußte ja, daß es so kommen würde. Der Whisky hat mich ganz benebelt und keine Auster ist jetzt so schwer von Begriffen wie ich.«

Dann sagte ich laut:

»Ich – ich – vielleicht – wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe macht – hätten Sie wohl die Güte – das noch einmal zu sagen. Ich sollte freilich –«

»O gewiß, mit Vergnügen. Sie sehen, ich bin mit dem Gegenstande gar nicht vertraut und drücke mich daher viel zu undeutlich aus, – aber ich –«

»Nein, nein, – o nein – Sie haben die Sache völlig klar auseinandergesetzt, aber, wissen Sie, der Whisky macht mich etwas verwirrt. Ich verstehe Sie ja im übrigen ganz gut, wenn Sie mir aber die Sache noch einmal vortragen wollten, würde es mir am Ende doch begreiflich werden – diesmal will ich besser acht geben.«

»Das, worauf es mir ankommt,« sagte er, »ist einfach Folgendes: (Er sprach jetzt mit noch weit größerem Nachdruck und betonte die einzelnen Punkte ganz besonders, indem er sie an den Fingern herzählte.) Diese Ader, dieser Streifen, diese Schicht oder wie Sie es nennen wollen, liegt zwischen zwei Lagern von Granit, wie das Fleisch zwischen den beiden Hälften der Buttersemmel. So weit gut. Nun gehen Sie senkrecht hinunter, volle tausend Fuß, vielleicht sogar zwölfhundert Fuß, – darauf kommt es wirklich nicht an – ehe Sie den Stollen hineintreiben, einige Gänge quer über die Ader, andere in Längsrichtung, wo die Sulfurate – ich glaube, man nennt sie Sulfurate, obgleich ich[161] nicht recht weiß, warum man es thut, in Anbetracht dessen, daß, worauf es dem Bergmann hauptsächlich ankommt, nicht so liegt, wie einige behaupten, ohne doch völlig beweisen zu können, daß sie nicht weiterlaufen, solange noch eine Spur oder ein Bruchstück desselben Erzes weder hier noch dort in gleicher Weise enthalten ist; wogegen unter andern Umständen selbst die Unerfahrensten unter uns es nicht entdecken könnten, wenn es wäre, oder es möglicherweise übersehen, wenn es anginge oder den bloßen Gedanken daran mit Hohn zurückweisen würden, wenn man es ihnen auch noch so handgreiflich als solches vor Augen stellte. Habe ich nicht recht?«

Ich sagte mit trübseliger Miene: »Wirklich, Herr Ward, ich muß mich vor mir selber schämen; ich weiß, ich sollte eigentlich alles verstehen, was Sie sagen, aber der abscheuliche Whiskey ist mir so in den Kopf gestiegen, daß jetzt der einfachste Satz über mein Verständnis geht. Ich habe es Ihnen ja vorausgesagt.«

»O, nicht doch, nicht doch – es liegt höchst wahrscheinlich einzig und allein an mir – zwar habe ich lange darüber nachgedacht und glaubte es klar genug –«

»Verlieren Sie, bitte, kein Wort darüber. Sie haben es so anschaulich dargestellt, daß es jedem sonnenklar einleuchten müßte, der nicht mit Blödsinn behaftet ist. Nur der verwünschte Whiskey ist an allem schuld.«

»Bewahre, wo denken Sie hin. Ich will noch einmal ganz von vorn anfangen und Sie werden sehen –«

»Ums Himmels willen, thun Sie das doch ja nicht; ich sage Ihnen, mein Kopf ist in solcher Verfassung, daß ich nicht auf die einfachste Frage Bescheid geben könnte, die man an mich richtet.«

»Seien Sie ganz unbesorgt. Diesmal will ich es so schlicht und deutlich ausdrücken, daß Sie gar nicht umhin können, zu[162] verstehen, was ich meine. Fangen wir ganz von Anfang an.« (Er lehnte sich über den Tisch zu mir herüber, in seinen Mienen war der felsenfeste Vorsatz zu lesen, sich verständlich zu machen, und er hielt den Finger bereit, um seinen Worten beim Aufzählen jedes einzelnen Punktes noch besonderen Nachdruck zu verleihen. Ich selbst beugte mich in peinlicher Erregung weit vor, entschlossen, ihn zu begreifen, oder zu Grunde zu gehen.)

»Sie wissen, daß die Ader, die Schicht, das Ding, welches das Metall enthält, dadurch zum Medium aller andern Kräfte wird, der zunächstliegenden wie der entferntesten Wirkungen, die so beschaffen sind, daß sie die ersteren zu Gunsten der letzteren, oder die letzteren gegen die ersteren, oder alle oder beide beeinflussen, sofern es den relativen Unterschied betrifft, der innerhalb des Radius besteht, von dem aus die verschiedenen Grade der Aehnlichkeit sich entwickeln, in welchen –«

[163]

»Hol’ der Henker meinen Blechschädel,« fuhr ich heraus, »ich mag mich anstrengen wie ich will – aber ich verstehe nicht das Geringste. Je klarer Sie mir die Sache auseinander setzen, um so weniger begreife ich, worauf Sie hinauswollen.«

Jetzt hörte ich ein verdächtiges Geräusch neben mir und als ich mich rasch umwandte, sah ich gerade noch, wie Hingston sich hinter ein Zeitungsblatt duckte und vor Lachen bersten wollte. Ich blickte wieder nach Ward hin – seine feierliche Miene war verschwunden und er lachte gleichfalls.

Da merkte ich, daß er mir einen Streich gespielt hatte, daß ich das Opfer eines Schwindels geworden war. Seine Rede bestand aus einer Reihe an einander gefädelter Sätze, die einzeln ganz verständlich klangen, aber im Zusammenhang auf der Gotteswelt keinen Sinn hatten.

Artemus Ward war einer der besten und umgänglichsten Menschen unter der Sonne. Man behauptet, er habe keine fließende Unterhaltung führen können, aber, wenn ich an obiges Erlebnis zurückdenke, bin ich anderer Meinung.

Dekoration

[165]

Im Gold- und Silberland.
II.

Nabobs in Nevada.

In jener herrlichen Zeit, als es in Nevada flott herging, hatte das Silberland auch seine Nabobs. Einige sind mir noch erinnerlich. Es waren meist sorgenlose, leichtlebige Menschen, aus deren Reichtümern das Gemeinwesen ganz ebenso viel Nutzen zog wie sie selber, in manchen Fällen sogar noch mehr.

Einer der ersten Nabobs, die Nevada erzeugte, trug Diamanten im Werte von sechstausend Dollars am Busen und war unglücklich, daß ihm sein Geld schneller in die Taschen floß, als er es ausgeben konnte. Das Einkommen eines andern belief sich oft auf sechzehntausend Dollars monatlich. Als er zuerst ins Land kam, hatte er in dem nämlichen Bergwerk, aus welchem er später seine Schätze bezog, um einen Tagelohn von fünf Dollars gearbeitet.

Von einem jener Lieblinge des Glücks, die sozusagen über Nacht aus drückender Armut zum größten Ueberfluß gelangten, erzählt man sich, er habe gern ein hohes Staatsamt bekleiden wollen und hunderttausend Dollars dafür geboten, es aber trotzdem nicht erhalten, da seine Politik nicht so vertrauenerweckend war, als sein Konto auf der Bank.

[166]

Auch John Smith darf ich nicht vergessen. Er stammte aus dem niedern Volke, war eine brave, ehrliche, gutmütige Haut und von einer Unwissenheit, die ans Fabelhafte grenzte. Sein kleiner Rancho und ein Ochsengespann brachten ihm genug ein zum Lebensunterhalt; war die Heuernte auch nicht so groß, so wog man ihm doch diesen seltenen Artikel mit Gold auf – er erhielt auf dem Markte für das Fuder 250 bis 300 Dollars. Nach einiger Zeit tauschte Smith mehrere Morgen von seinem Wiesenland gegen eine noch unbearbeitete Silbergrube in Gold Hill ein. Er begann den Abbau und errichtete daneben ein anspruchsloses kleines Pochwerk. Anderthalb Jahre später gab er das Heugeschäft auf, denn seine Grube machte einen besseren Ertrag. Sein Einkommen wurde auf 30,000 Dollars monatlich geschätzt, von manchen sogar auf 60,000 Dollars. Jedenfalls war Smith ein reicher Mann.

Nun ging er auf Reisen. Bei seiner Rückkehr aus Europa[167] konnte er nicht genug von den schönen Schweinen erzählen, die er in England gesehen hatte, von den herrlichen Schafen in Spanien und dem prächtigen Rindvieh in der Umgegend von Rom. Er war ganz voll von den Wundern der alten Welt und gab jedem den Rat, sich auf die Reise zu machen. Man glaube gar nicht, was es für Merkwürdigkeiten auf Erden gebe, sagte er, solange man sich nicht durch den Augenschein davon überzeugt habe.

Während seiner Ueberfahrt setzten die Passagiere einmal einen Preis von fünfhundert Dollars auf denjenigen aus, der am richtigsten riete, wie viele Seemeilen das Schiff in den nächsten vierundzwanzig Stunden zurücklegen würde. Um die Mittagszeit des folgenden Tages übergab jeder dem Zahlmeister ein versiegeltes Couvert, in welchem die Meilenzahl stand. Smith triumphierte im voraus: er hatte den Maschinisten bestochen. Als trotzdem ein anderer den Preis gewann, sagte er: »Halt, das geht nicht mit rechten Dingen zu, mein Anschlag kam der Wirklichkeit um zwei Meilen näher als seiner.«

»Bewahre,« versetzte der Zahlmeister, »Sie haben es von allen am Bord am schlechtesten getroffen, Herr Smith; wir sind 208 Meilen gefahren.«

»Nun ja,« rief Smith, »und ich habe 209 geraten. Sehen Sie sich doch meine Zahlen ordentlich an; eine 2 und zwei 0 sind 200, nicht wahr – dann noch eine 9 (2009) macht zweihundert und neun. Da muß ich denn doch sehr bitten, daß mir der Preis zuerkannt wird.« –


In einer Bergschlucht in unmittelbarer Nähe von Virginia City wohnte ein armer Mexikaner, auf dessen Anwesen eine Quelle am Felsen herabsickerte, die kaum eine halbe Spanne breit war. Für dieses Wässerchen gab ihm die Ophirgesellschaft eine kleine Parzelle von hundert Fuß, welche sich als der ergiebigste[168] Teil des ganzen Bergwerks erwies; vier Jahre nach dem Tausch betrug ihr Marktwert mit Einschluß des Pochwerks 1,500,000 Dollars.

Ein neunzehnjähriger Telegraphist in Virginia wurde dadurch zum reichen Manne, daß er die Depeschen der Grubenbesitzer las, welche ihm durch die Hände gingen und je nach dem Stande der Bergwerksangelegenheiten, durch Vermittlung eines Freundes in San Francisco, Aktien kaufte oder verkaufte. Einmal kündigte eine Privatdepesche aus Virginia einen reichen Fund in einer bedeutenden Grube an, mit der Weisung, die Sache solange geheim zu halten, bis die Unternehmer sich den Besitz von möglichst vielen Anteilscheinen gesichert hätten. Der Telegraphist kaufte sofort einen Kux von 40 Fuß zu 20 Dollars den Fuß, wovon er später die Hälfte zu 800 Dollars den Fuß verkaufte und den Rest um das Doppelte. Nach drei Monaten besaß er ein Vermögen von 150,000 Dollars und hatte seine Telegraphenstelle aufgegeben.

Ein anderer Telegraphenbeamter hatte Amtsgeheimnisse verraten und war deshalb von seinen Vorgesetzten entlassen worden. Er versprach einem wohlhabenden Manne in San Francisco, ihm das Ergebnis eines großen Bergwerksprozesses, der in Virginia geführt wurde, mitzuteilen und zwar nur eine Stunde später als die streitenden Parteien in San Francisco davon privatim Kenntnis erhielten. Hiefür sicherte ihm sein Mitverschworener einen hohen Prozentsatz des Gewinns, welchen er durch rechtzeitigen An- und Verkauf von Aktien zu erzielen dachte. Um den Plan auszuführen, begab sich der verabschiedete Telegraphist, als Fuhrmann verkleidet, nach einer kleinen abgelegenen Telegraphenstation im Gebirge, machte mit dem dortigen Beamten Bekanntschaft, saß Tag für Tag, seine Pfeife rauchend bei ihm im Bureau und klagte, daß sein Gespann zu ermüdet sei und er nicht weiterfahren könne. Zugleich horchte er bei[169] allen Depeschen aus Virginia auf das Ticken des Apparats, bis endlich ein Privattelegramm die Entscheidung des Prozesses verkündete. Sofort telegraphierte er an seinen Verbündeten:

»Kann nicht mehr warten. Werde das Gespann verkaufen und heimgehen.«

Dies war das verabredete Zeichen. Hätte er das Wort ›warten‹ fortgelassen, so würde es den entgegengesetzten Ausgang des Prozesses bedeutet haben. Der Spekulant in San Francisco kaufte nun eine Menge der betreffenden Bergwerksaktien um niedern Preis, bevor die Nachricht öffentlich bekannt wurde und sicherte sich ein Vermögen.

Zahllose Beispiele ähnlicher Art wären noch aus dem Silberlande zu verzeichnen, die angeführten werden jedoch genügen, um dem Leser einen Begriff von den Zuständen in jener flotten Zeit zu geben. Mit den meisten dieser Nabobs bin ich persönlich in Berührung gekommen; sie waren damals hochberühmt, aber jetzt spricht niemand mehr von ihnen, da fast alle wieder rasch in Armut und Dunkelheit zurückgesunken sind.

In Nevada erzählte man sich ein lustiges Abenteuer, das zwei solche Nabobs einmal gehabt haben sollen; ich kann mich für die Wahrheit nicht verbürgen, und gebe es nur wieder, wie ich es gehört habe:

Oberst Jim hatte früher etwas von der Welt gesehen und kannte ihr Thun und Treiben ein wenig, aber Oberst Jack stammte aus den Hinterwäldern, sein Leben war eitel Mühe und Arbeit gewesen und er war nie in eine Stadt gekommen. Urplötzlich reich geworden, beschlossen die beiden nach New York zu reisen; Oberst Jack, um die Sehenswürdigkeiten in Augenschein zu nehmen, und Oberst Jim, um des Freundes arglose Unschuld vor Schaden zu bewahren. Sie kamen bei Nacht nach San Francisco und segelten früh am Morgen ab. Als sie New York erreichten, sagte Oberst Jack:

[170]

»Ich habe all mein Lebtag so viel von Equipagen reden hören, jetzt will ich einmal eine Spazierfahrt machen, einerlei was es kostet. Also vorwärts!«

Oberst Jim winkte eine schöne Kutsche herbei, aber Oberst Jack sagte:

»Wo denkst du hin? ich soll doch nicht etwa bloß so ’ne billige Spritzfahrt machen! Nein, was Ordentliches muß ich haben. Aufs Geld kommt’s mir nicht an, aber es soll das vornehmste Fuhrwerk sein, das sich sehen läßt. Schau, da kommt gerade etwas, wie ich es möchte. Rufe mal den gelben Wagen mit den schönen Bildern an. Sei nur ohne Sorgen – ich trage alle Kosten.«

So stiegen sie denn in den leeren Omnibus.

»Das nenne ich lustig,« rief Oberst Jack. »Kissen und Fenster und Bilder überall. Was wohl die Jungens sagen würden, wenn sie uns so vornehm durch New York kutschieren sähen? Meiner Treu, ich gäbe was drum, mich ihnen so zu zeigen.« Er steckte den Kopf zum Fenster hinaus. »Famos,« rief er dem Kutscher zu, »Herzensjunge, du gefällst mir; fahr nur zu, den ganzen Tag lang meinetwegen. Laß die Pferde laufen; wir wollen’s schon wieder wett machen, verlaß dich drauf!« Der Kutscher streckte die Hand durch das Guckloch nach dem Fahrgeld aus, wie es damals noch Sitte war. Oberst Jack schlug ein und schüttelte sie ihm herzlich.

»Du willst Vorauszahlung, Alterchen,« rief er. »Na, nichts für ungut. Hier hast du etwas, das gar nicht so übel ist.«

Er drückte ihm ein goldenes Zwanzigdollarstück in die Hand, und als der Kutscher sagte, daß er nicht wechseln könne, rief er lustig:

»Laß gut sein, wir wollen’s schon verfahren. Steck’ es nur in die Tasche.« Dann schlug er seinem Gefährten laut klatschend auf das Bein und fuhr vergnügt fort: »Hol’ mich dieser und jener, ich miete das Ding auf die ganze Woche!«

[171]

Jetzt hielt der Omnibus und eine junge Dame stieg ein. Oberst Jack starrte sie erst verwundert an, dann stieß er Oberst Jim mit den Ellenbogen. »Du, sag’ kein Wort,« flüsterte er. »Laß sie mitfahren, wenn sie will. An Platz fehlt’s ja wahrhaftig nicht.«

Das Fräulein zog den Beutel und reichte Oberst Jack ihr Fahrgeld.

»Was soll das?« fragte er.

»Wollen Sie es, bitte, dem Kutscher geben.«

»Behalten Sie Ihr Geld, Verehrteste, Sie dürfen nicht zahlen. Fahren Sie nur mit in unserer Staatskutsche, so lange Sie wollen.«

Das Fräulein drückte sich verwirrt in die Ecke. Jetzt kletterte eine alte Frau mit dem Handkorb herauf und bot ihr Fahrgeld an.

»Setzen Sie sich, gute Frau,« sagte Oberst Jack; »wir lassen Sie gern mitfahren, aber ohne Bezahlung. Machen Sie sich’s nur bequem und thun Sie ganz so, als ob es Ihr Wagen wäre.«

Nach wenigen Minuten waren noch drei Herren, zwei dicke Frauen und mehrere Kinder eingestiegen.

»Nur immer herein, meine Freunde,« rief Oberst Jack, »geniert euch nicht. Hier wird jeder frei gehalten.« Dann flüsterte er Oberst Jim zu: »Ist aber dies New York eine gesellige Stadt! Man sollte so was doch kaum für möglich halten!«

Da er sich hartnäckig weigerte dem Kutscher das Fahrgeld der Passagiere einzuhändigen und jedermann freundlich willkommen hieß, ging den Leuten allmählich ein Licht auf. Sie steckten ihr Geld wieder ein und belustigten sich insgeheim über den Spaß. Es nahmen wohl noch ein halbes Dutzend Fahrgäste Platz. »Kommt nur, kommt,« rief Oberst Jack; »eine Spazierfahrt ist nichts, wenn man nicht Gesellschaft hat.« Dann flüsterte er Oberst Jim wieder leise zu: »Die Freundlichkeit der[172] New Yorker geht doch über die Bäume und wie kaltblütig sie die Sache nehmen – was man nicht alles erlebt!«

Immer mehr Passagiere stiegen ein, alle Plätze waren besetzt und die Männer, welche im Mittelgang standen, hielten sich an den Riemen fest, die von der Decke herabhingen. Leute mit Körben und Bündeln kletterten oben auf das Dach. Ein halb unterdrücktes Gelächter ließ sich von allen Seiten hören.

»Na, wenn eine so himmlische Unverfrorenheit nicht alles übertrifft, was je dagewesen ist, will ich nicht Jack heißen,« flüsterte der Oberst.

Jetzt drängte sich ein Chinese herein.

»Nun wird mir’s aber doch zu bunt,« sagte Oberst Jack. »Halt an, Kutscher. Bitte, bleiben Sie sitzen, meine Damen und Herren, fahren Sie ruhig weiter, es ist alles bezahlt. – Kutscher, rumpeln Sie nur fort mit den Herrschaften, so lange es Ihnen gefällt. Sie müssen wissen, es sind unsere Gäste. Zeigen Sie Ihnen alles, und wenn Sie mehr Geld brauchen, so kommen Sie in das Sankt Nikolas-Hotel und holen Sie Zuschuß. Recht vergnügte Fahrt, meine Herrschaften – empfehle mich Ihnen.«

Als die beiden Kameraden ausstiegen, sagte Oberst Jack:

»Höre Jimmy, daß die Geselligkeit in New York so weit getrieben würde, hätte ich nicht für möglich gehalten. Der Chinese kam so gemütlich hereinspaziert, wie jeder andere; hätten wir länger gewartet, es wären noch ein paar Neger mitgefahren, darauf möchte ich wetten. Weißt du was – heute nacht verrammeln wir aber unsere Thüren ordentlich, sonst wollen vielleicht ein paar von den Herzblättchen herein, um bei uns zu schlafen.«


[173]

Buck Fanshaws Begräbnis.

Irgend jemand hat einmal gesagt, daß sich der Geist, welcher in einer Bürgerschaft herrscht, am besten darnach beurteilen läßt, wen von ihren Gliedern die Gemeinde mit der größten Feierlichkeit zu Grabe trägt.

Zur flotten Zeit in Virginia erwiesen die beiden Hauptklassen der Bevölkerung ihren großen Toten ungefähr die gleiche Ehre. Wer sich durch seine Wohlthaten für das Gemeinwesen den berühmtesten Namen gemacht hatte, erhielt ein ebenso prächtiges Begräbnis, wie der berühmteste Raufbold.

Als Buck Fanshaw das Zeitliche segnete, machte man viel Aufhebens von ihm. Er galt für einen würdigen Vertreter der Bürgerschaft, stand einer großartigen Schankwirtschaft vor und hatte auch ›seinen Mann getötet‹, allerdings nicht im eigenen Streit, sondern um einen Fremden gegen die Angriffe der feindlichen Uebermacht zu schützen. Er hatte ein flottes Weibsbild besessen, von dem er sich auch ohne die Umstände einer Ehescheidung hätte trennen können. Bei der Feuerwehr bekleidete er ein hohes Amt und war ein Held ohne Gleichen in der Politik. Als er starb, ging eine laute Klage durch die ganze Stadt, aber ganz besonders wurde sein Tod in den untersten Schichten der Gesellschaft beweint. Die Totenschau ergab, daß Buck Fanshaw im Fieberwahn einer zehrenden Krankheit Arsenik[174] genommen, sich dann in die Brust geschossen und die Kehle abgeschnitten hatte, worauf er vier Stock hoch aus dem Fenster gesprungen war und den Hals gebrochen hatte. Die Jury (d. h. die Behörde, welche die Totenschau vornimmt) ließ sich durch ihren Kummer die Klarheit des Urteils nicht trüben. Sie that nach längerer Verhandlung den Ausspruch, daß Fanshaws Tod durch eine ›Heimsuchung Gottes‹ verursacht worden sei.

Für die Leichenfeier wurden die großartigsten Vorbereitungen getroffen. Alle Fuhrwerke im Ort waren bestellt, sämtliche Schankwirtschaften kleideten sich in Trauerflor, die Fahnen der Stadt und der Feuerwehr hingen auf Halbmast und die ganze Löschmannschaft zog in Uniform mit schwarzverhüllten Pumpen auf.

Beiläufig muß ich noch bemerken, daß im Silberland jedes Volk der Erde durch irgend einen Abenteurer vertreten ist und jeder dieser Abenteurer das seinem Geburtsort eigentümliche Kauderwelsch mitgebracht hat. Es giebt daher keine reichere, kräftigere und abwechslungsvollere Ausdrucksweise in der ganzen Welt als die in Nevada herrschende Sprache. Selbst Prediger mußten sich entschließen, in diesem Kauderwelsch zur Gemeinde zu sprechen, wollten sie sich verständlich machen. Gewisse Redensarten waren fortwährend in aller Munde und flossen jedem ganz unbewußt über die Lippen, ohne daß sie irgendwelchen Sinn hatten oder den geringsten Bezug auf das Thema, das gerade besprochen wurde.

Nachdem die Totenschau über Buck Fanshaw gehalten worden war, kam die trauernde Bürgerschaft zur Beratung zusammen; denn an der Küste des stillen Ozeans finden bei jeder Gelegenheit Versammlungen statt, um die Volksstimmung öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Man faßte mancherlei Beschlüsse wegen der Bestattung und verschiedene Komitees wurden eingesetzt, unter anderem auch eines, das den Auftrag erhielt, die Leichenpredigt zu bestellen.

[175]

Dies zu besorgen hatte Scotty Briggs übernommen, welcher denn auch rechtzeitig dem Geistlichen seinen Besuch machte. Letzterer, ein zarter, friedliebender junger Mann aus dem Osten, war eben erst auf einem theologischen Seminar flügge geworden und mit den Sitten und Gebräuchen der Bergwerksbevölkerung völlig unbekannt. Wenn er in spätern Jahren seine Unterredung mit Scotty, dem Komiteemitglied, schilderte, verlohnte es sich wohl der Mühe, zuzuhören.

Scotty Briggs war ein kühner Raufbold, dessen Amtstracht bei feierlicher Gelegenheit – wenn er z. B. wie jetzt im Namen des Komitees auftrat – aus einem Feuerwehrhelm und einem scharlachroten Flanellhemde bestand; der Revolver hing ihm vom breiten Ledergürtel herab, den Rock trug er über dem Arm und seine Beinkleider steckten in hohen Stulpenstiefeln. Kein Wunder, daß er von dem blassen jungen Theologen gewaltig abstach. Scotty besaß übrigens, nebenbei gesagt, ein warmes Herz und große Anhänglichkeit an seine Freunde; auch fing er keine Händel an, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. Meist stellte es sich bei Scottys Raufereien heraus, daß er ursprünglich gar nichts mit der Angelegenheit zu thun gehabt und sich nur aus angeborener Gutmütigkeit hineingemischt hatte, um dem Schwächeren beizustehen. Schon seit Jahren waren Buck Fanshaw und Scotty Busenfreunde und hatten einander getreulich geholfen in manchem Kampf und Abenteuer. Man erzählt zum Beispiel, daß sie eines Tages mehrere fremde Burschen im Handgemenge sahen, rasch die Röcke abwarfen und für den gerade unterliegenden Teil eintraten.[176] Als sie sich nach schwer errungenem Sieg umsahen, was aus ihren Schützlingen geworden sei, waren diese längst über alle Berge und hatten die Röcke ihrer Beschützer zu eigenem Gebrauch mitgenommen.

Doch kehren wir zu Scottys Besuch bei dem Prediger zurück. Er hatte eine Trauerbotschaft auszurichten und tiefer Gram sprach aus seinen Zügen. Ohne weiteres nahm er dem Geistlichen gegenüber Platz, stellte seinen Feuerwehrhelm dem Pfarrer dicht vor die Nase, gerade auf eine halbfertig geschriebene Predigt, wischte sich mit einem rotseidenen Sacktuch die Stirn ab und stieß einen schweren Seufzer aus, als passendste Einleitung für sein trübseliges Geschäft. Vor Rührung war ihm zuerst die Kehle wie zugeschnürt und seine Augen wurden feucht; doch bezwang er sich mannhaft und sagte mit wahrer Grabesstimme:

»Sind Sie der Herr, der bei dem frommen Grubenbau hier nebenan zum Schichtmeister bestellt ist?«

»Ob ich der – entschuldigen Sie – ich habe nicht recht verstanden – wie meinen Sie?«

Scotty ließ ein schmerzliches Schluchzen vernehmen und einen noch tieferen Seufzer.

[177]

»Sehen Sie,« sagte er, »wir sitzen in der Klemme und die Jungens glaubten, Sie könnten uns vielleicht heraushelfen, wenn wir Sie ins Schlepptau nehmen. Das heißt, im Fall ich hier an der rechten Schmiede bin und den Obermeister des Hallelujah-Fahrschachts hier nebenan vor mir habe.«

»Ich bin der Hirte, dem die Sorge für die Schafe obliegt, deren Hürde hier in der Nachbarschaft steht.«

»Wer, sagen Sie?«

»Der geistliche Berater einer kleinen Schar von Gläubigen, deren Heiligtum dicht an mein Wohnhaus stößt.«

Scotty kratzte sich hinter den Ohren, überlegte einen Augenblick und sagte dann:

»Da sind Sie mir über. Die Karte kann ich nicht bekennen, Meister. Man muß den Eimer weitergeben.«

»Wie meinen Sie? – Verzeihung, aber ich weiß nicht recht –«

»Mir scheint, wir sind beide noch nicht im richtigen Fahrwasser. Sie haben keine Witterung mit mir und ich habe keine Witterung mit Ihnen. – Die Sache ist nämlich so: Einer von uns Jungens kann nicht mehr im Geschirr gehen und wir möchten für ihn einen ordentlichen Kehraus haben; daher bin ich hier, um jemand aufzutreiben, der uns ein wenig Klingklang dazu macht, damit der Tag noch ein gutes Ende nimmt.«

»Bester Freund, mir wird bei Ihren Worten immer verwirrter zu Sinn. Was Sie sagen, ist mir völlig unklar. Könnten Sie sich nicht etwas einfacher ausdrücken? Anfänglich glaubte ich schon zu verstehen, was Sie wünschen, aber jetzt tappe ich wieder im Dunkeln. Würde es nicht die Angelegenheit wesentlich beschleunigen, wenn Sie sich auf kategorische Angaben der Thatsachen beschränkten, ohne das Verständnis durch Anhäufung von Bildern und Allegorien zu erschweren?«

Eine abermalige Pause und Ueberlegung. Dann bemerkte Scotty:

[178]

»Ich kann wieder nicht bekennen – ich passe.«

»Wie?«

»Sie haben mich übertrumpft, Meister.«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«

»Was Sie zuletzt ausgespielt haben, kann ich nicht stechen, kann auch nicht mit der Farbe bedienen.«

Der Pfarrer lehnte sich verblüfft in seinen Stuhl zurück. Scotty stützte den Kopf auf und versank in tiefes Nachdenken. Bald blickte er jedoch wieder in die Höhe und sagte mit trübseliger Miene, aber doch voll Zuversicht:

»Jetzt hab’ ich’s, so daß Sie’s schlucken können. Wir brauchen einen Predigtmacher – einen Pfarrer.«

»Warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt? Ich bin der Geistliche – der Pfarrer.«

»Bravo, das ist einmal ein Wort! Sie sehen, ich war zuerst gegen die Mauer gerannt und bin nun mit einem Satz hinüber. Schlagen Sie ein!«

Er streckte seine nervige Faust aus, umschloß des Predigers kleine Hand und schüttelte sie in brüderlichem Mitgefühl und herzlichem Vertrauen. »Jetzt ist die Sache in Ordnung, Meister,« fuhr er fort; »fangen wir nun von Frischem an, und wenn ich dabei etwas greine, so achten Sie nicht weiter darauf, denn, wir sind eben in einer argen Klemme, weil einer von den Jungens plötzlich Schicht gemacht hat.«

»Schicht gemacht?«

»Ja, er hat den Eimer umgeworfen, wissen Sie.«

»Ach, Sie meinen, er ist in jenes geheimnisvolle Land gefahren, von dessen Gestaden kein Wanderer jemals wiederkehrt?«

»Nein, er kehrt nicht wieder. Die Rechnung stimmt. Er ist ja tot, Meister.«

»Ja, ja, ich verstehe schon.«

[179]

»Wirklich? Na, ich dachte doch, daß ich Sie irgendwie anhaken könnte. Es ist ganz richtig, er ist wieder tot –«

»Wieder? Ist er denn schon früher einmal gestorben?«

»Früher einmal? Bewahre! Glauben Sie denn, ein Mensch hat neun Leben wie eine Katze? Aber, was gilt die Wette – jetzt ist er ganz und gar tot, der arme Junge; hätte ich nur den Tag nie erlebt. Einen bessern Freund wie Buck Fanshaw giebt es nicht auf der Welt. Ich kannte ihn durch und durch – und wenn ich einen kenne und liebe, mit dem bin ich wie zusammengewachsen, das können Sie mir glauben. Solche Kernmenschen findet man nicht wieder, da kann man lange suchen. Keinen Freund hat Buck Fanshaw je im Stich gelassen. Aber nun ist das alles aus – und vorbei. Er hat ihn doch untergekriegt.«

»Wer denn?«

»Nun, der Tod. – Ja, ja, es hilft nichts, wir müssen ihn aufgeben. Eine arge Welt ist’s doch, in der wir leben, nicht wahr? Aber, Meister, das sag’ ich Ihnen, so einen Ringkämpfer wie den giebt’s nicht zum zweitenmal. Es war eine Lust ihm zuzusehen – bloß seine Fäuste brauchte er und freien Spielraum, dann ging’s drauf und dran. Es war ein ganzer Teufelskerl. Ich sage Ihnen, er hielt sich dran, er blieb nichts schuldig.«

»Wie meinen Sie?«

»Nun, er zahlte heim beim Faustkampf, verstehen Sie – wo’s gerade hinging: auf Schädel, Schultern, Brust! Heiliges Donnerwetter! – entschuldigen Sie dieses Wort, aber ich kann nicht alles so sanft und mild herausbringen. Und nun müssen wir ihn aufgeben, es hilft nichts, die Rechnung stimmt. Wenn Sie uns nun beistehen möchten bei der Verpflanzung –«

»Ich soll die Leichenpredigt halten und der Begräbnisfeier beiwohnen?«

»Begräbnisfeier – ja, ja. Das ist’s, wo wir hinauswollen.[180] Er war sein Lebtag nicht knickerig und bei seiner Bestattung soll nichts abgeknapst werden. Echt silberne Beschläge am Sarg und sechs Trauerfahnen über der Bahre; auf dem Bock ein Neger in feiner Wäsche und den Seidenhut auf dem Kopf – es mag so hoch kommen wie es will. Für Sie, Meister, werden wir auch Sorge tragen, seien Sie nur ganz ruhig. Sie bekommen einen Wagen, und wenn Sie sonst noch was brauchen, nur heraus damit, es soll schon angeschafft werden. Im Trauerhause wird so ein Dingrich aufgerichtet, dahinter können Sie sich stellen. Seien Sie nur nicht bange, sondern blasen Sie in Ihr Horn und bringen Sie unsern Kameraden so glatt durch wie nur möglich. Wer ihn gekannt hat, wird Ihnen sagen, daß er der bravste Kerl in der ganzen Gegend war. Sie können das gar nicht stark genug betonen. Wenn Unrecht geschah, war er außer stande es mit anzusehen. Daß es hier in der Stadt so ruhig und friedlich zugeht, ist hauptsächlich sein Verdienst. Ich war selbst einmal dabei, wie er in einer einzigen Viertelstunde vier Schwindler durchgebläut hat. Wenn es galt, Ordnung zu stiften, sah er sich nicht lange um, wer wohl Hand anlegen könnte, sondern griff selbst zu. Mit den Katholiken wollte er nichts zu thun haben; sein Wahlspruch war: ›Irländer sind ausgeschlossen,‹ aber doch stand er für ihre Rechte ein, als einmal ein paar wüste Kerle sich Bauplätze auf dem katholischen Begräbnisort abstecken wollten. Die mußten gut Reißaus nehmen – ich hab’s mit angesehen.«

»Die Gesinnung war jedenfalls lobenswert, ob die That selbst, lasse ich dahingestellt. Hatte denn der Verstorbene religiöse Ueberzeugungen? Das heißt – fühlte er seine Abhängigkeit von einer höheren Macht und unterwarf er sich ihren Fügungen?«

Abermaliges Nachdenken.

»Jetzt bin ich wieder wie vor den Kopf geschlagen, Meister. Könnten Sie das nicht noch einmal sagen – so recht langsam?«

[181]

»Ich meine nur – um mich ganz klar auszudrücken – hat er je in Verbindung mit irgend einer Gemeinschaft gestanden, die sich dem weltlichen Getriebe fernhielt, sich in Selbstverleugnung übte und im Gehorsam gegen das Sittengesetz?«

»Das war ein Fehlschuß; thun Sie noch einmal Pulver auf die Pfanne.«

»Was sagen Sie?«

»Jedesmal, wenn Sie so loslegen, bleibe ich im Hintertreffen. Sie bekommen die beste Hand und ich habe kein Glück. Mischen wir lieber noch einmal von neuem.«

»Was? Soll ich von vorn anfangen?«

»Ja, das wäre mir gerade recht.«

»Nun denn – war er ein guter Mann und –«

»Halt – das leuchtet mir ein. Warten Sie erst einmal, ehe wir weiter gehen. Ein guter Mann – das will ich meinen; der beste Mann von der Welt, Sie hätten ihn auch lieb haben müssen. Noch beim letzten Wahlgang hat er die Unruhen beschwichtigt, bevor sie recht zum Ausbruch kamen; außer ihm hätte das keiner gekonnt. Vierzehn Männer mußte man in den ersten fünf Minuten vom Platze tragen, so hat er’s ihnen eingetränkt. Er stimmte immer für den Frieden, jeder Aufruhr war ihm ein Greuel und sein Tod ist ein großer Verlust für die Stadt. Es würde die Jungens freuen, wenn Sie ihm die Gerechtigkeit erwiesen, das anzubringen. Schneller laufen konnte er, höher springen, derber treffen und flotter trinken, als irgend jemand auf hundert Meilen in der Runde. Das vergessen Sie nicht, Meister, die Jungens werden es Ihnen hoch anschlagen. Dann können Sie auch noch sagen, daß er seine Mutter nie geschüttelt hat.«

»Warum sollte er denn das thun? das wäre ja entsetzlich.«

»Das meine ich auch, aber es giebt doch Leute, die es thun.«

»Aber doch niemand, der Ehre im Leibe hat!«

[182]

»Doch – welche, die sonst gar nicht so übel sind.«

»Nach meiner Meinung sollte ein Mann, der die Hand gegen seine Mutter zu erheben wagt –«

»Wo denken Sie hin, Meister – da haben Sie ’mal gründlich fehlgeschossen. Was ich sagen will ist, daß er seine Mutter nicht abgeschüttelt hat, sie verstoßen, wissen Sie. Er hat ihr ein Haus zum wohnen gegeben und Ackerland und Geld die Fülle, hat für sie gesorgt und immer nach ihr gesehen. Und als sie die Blattern kriegte, hat er nachts bei ihr gesessen und sie gepflegt – ich will verdammt sein, wenn’s nicht wahr ist. Bitte um Verzeihung – das fuhr mir nur so heraus. Ich wollte Sie nicht kränken, Meister. Sie haben mich anständig behandelt; ich glaube, Sie sind weiß und rein und meinen es ehrlich. Ich habe Gefallen an Ihnen gefunden und jeden, der Sie nicht liebt, will ich durchbläuen, daß er das Aufstehen vergißt. Da, schlagen Sie ein!«

Er schüttelte dem Pfarrer abermals herzlich die Hand und fort war er.


Das Leichenbegängnis fiel ganz so aus, wie die Jungens es sich wünschten. Eine solche Trauerfeier hatte Virginia noch nie erlebt. Alle Geschäfte waren geschlossen, die Blasinstrumente ließen Totenlieder erklingen, die Bahre war schwarz verhängt, die Fahnen auf Halbmast. Bei dem Trauergefolge sah man lange Züge von Militärpersonen, Feuerwehrleuten, Mitglieder geheimer Gesellschaften in Uniform, umflorte Feuerspritzen, Wagen mit Vertretern von Behörden, Bürger in allerlei Fuhrwerken und zu Fuß. Das großartige Gepränge zog Scharen von Zuschauern herbei, von denen die Straßen, Fenster und Dächer wimmelten. Noch lange Jahre nachher kannte man keinen andern Maßstab für die Pracht und Größe einer öffentlichen Schaustellung in Virginia, als den Vergleich mit Buck Fanshaws Begräbnis.

[183]

Scotty Briggs ging als einer der Hauptleidtragenden hinter dem Sarge. Als die Leichenrede zu Ende war und das letzte Gebet für die Seele des Toten verhallt, sagte er mit leiser Stimme und tiefem Gefühl: »Amen. Irländer sind ausgeschlossen.« Dies war des Verstorbenen Lieblingsredensart gewesen und wahrscheinlich wiederholte sie Scotty in diesem Augenblick nur zum ehrenden Gedächtnis für seinen abgeschiedenen Freund.

In späteren Jahren zeichnete sich Scotty Briggs dadurch aus, daß er der einzige unter den Raufbolden Virginias war, der sich für religiöse Belehrung zugänglich erwies. Der Mann, welcher sich aus eigenem Antrieb und angeborenem Edelmut stets der Sache der Schwächeren gegen ihre Feinde angenommen hatte, war gar kein ungeeignetes Glied für die Christengemeinde. Er fand als solches Gelegenheit, die Großmut und Unerschrockenheit seines Charakters auf einem weiteren, fruchtbringenden Felde zu bethätigen. Die Kinder, welche er in der Sonntagsschule unterrichtete, machten raschere Fortschritte als alle übrigen, was gar nicht zu verwundern war, denn er redete mit den kleinen Sprößlingen der Bergleute in einer Sprache, die sie verstanden.

Noch einen Monat vor seinem Tode hatte ich das Glück, zu hören, wie er seiner Klasse die schöne Geschichte von Joseph und seinen Brüdern aus dem Kopf erzählte, ohne dabei ins Buch zu sehen. Ich überlasse es dem Leser, sich einen Begriff von dem Eindruck zu machen, den sie aus dem Munde des eifrigen Lehrers auf die kleinen Schüler hervorbrachte. Sie lauschten seinen Worten in atemloser Spannung und weder er noch sie schienen sich im geringsten bewußt, daß der biblischen Erzählung Gewalt angethan, ihre Heiligkeit entweiht, oder überhaupt ein Verstoß gegen die althergebrachte Sitte begangen werde.


[184]

Die angesehensten Bürger-Schwurgerichte.

In den ersten sechsundzwanzig Gräbern des Kirchhofs von Virginia sind die Leichen von Ermordeten bestattet. Das sagte und glaubte man wenigstens allgemein. Das gewaltthätige Element herrscht in jedem neuen Bergwerksdistrikt vor; erst wenn einer ›seinen Mann getötet‹ hatte, wie die Redensart lautet, konnte er sich Achtung verschaffen. Mord und Totschlag waren daher an der Tagesordnung. Bei einem fremden Ankömmling fragte man nicht danach, ob er geschickt, ehrlich und arbeitsam sei, sondern, ob er schon ›seinen Mann getötet‹ habe. War dies nicht der Fall, so sank er zu der ihm gebührenden niedrigen Stellung herab, aus der er sich mit unbefleckten Händen nur mühsam emporarbeiten konnte. Ein Totschläger dagegen wurde, je nach der Zahl seiner Opfer, mit mehr oder weniger Herzlichkeit bewillkommnet und jeder beeilte sich, seine Bekanntschaft zu machen. Kein Wunder daher, daß so viele strebten, diesen Ruhm zu erwerben. Ich habe selbst zwei junge Leute gekannt, die nur zu diesem Zweck, ohne irgend welche Herausforderung, den Versuch machten, ›ihren Mann zu töten‹ und selbst dabei ums Leben kamen.

Eine Zeitlang standen in Nevada der Anwalt, der Bankier, der Herausgeber der Zeitung, der stärkste Raufbold, der glücklichste Spieler und der Schenkwirt in gleichem Ansehen und[185] nahmen die höchste gesellschaftliche Stellung ein. Wer ein einflußreiches Glied der Gemeinde werden wollte, für den gab es kein wohlfeileres und sichereres Mittel, als mit einer diamantenen Busennadel im Vorhemd hinter dem Schenktisch zu stehen und Whisky zu verkaufen. Der Schenkwirt besaß eine große Macht über die Gemüter; von ihm hing zumeist der Ausfall der Wahlen ab, und ohne seine Unterstützung und Leitung kam kein wichtiges Unternehmen zustande. Wenn der vornehmste Schenkwirt sich herabließ, ein obrigkeitliches Amt anzunehmen oder in den Gemeinderat zu treten, so galt das als eine große Gunst. Daher war denn auch meist der Ehrgeiz der Jugend nicht darauf gerichtet, einen hohen Posten bei der Verwaltung, in der Flotte oder im Heer zu bekleiden, sondern Besitzer einer Schenkwirtschaft zu werden.

Zur höchsten Berühmtheit gelangte also, wer Schenkwirt war und ›seinen Mann getötet‹ hatte. Der Mörder entging meist der ihm gebührenden Strafe, wozu hauptsächlich die Bestimmung beitrug, daß ein Geschworener über den zu verhandelnden Fall in gänzlicher Unwissenheit sein muß, zuvor weder etwas davon gehört, noch gelesen, auch nicht öffentlich seine Meinung geäußert haben darf. In unserm Jahrhundert der Zeitungen und Telegraphen schloß man hierdurch von vornherein jeden gebildeten, rechtschaffenen und verständigen Mann von der Geschworenenbank aus und machte die Schwurgerichte oft zu einem traurigen Possenspiel.

Mir ist ein derartiges Beispiel erinnerlich: Herr B., ein wackerer Bürger, war von einem bekannten Raufbold in übermütiger Laune kalten Blutes umgebracht worden. Natürlich waren alle Tagesblätter voll davon, wer lesen konnte, las die Berichte, wer nicht taub, stumm oder blödsinnig war, sprach darüber. Als es zur Wahl der Geschworenen kam, verwarf man alle tüchtigen, klugen und redlichen Männer; ein sehr angesehener[186] Bankier, ein allgemein beliebter Prediger, ein Kaufmann von anerkannt rechtschaffenem Charakter, der hochachtbare Besitzer einer Quarzgrube, ein Bergwerksdirektor, der den besten Ruf genoß – sie alle wurden von der Liste gestrichen. Jeder einzelne von ihnen versicherte zwar, daß die umlaufenden Gerüchte und Zeitungsartikel sein Urteil nicht dergestalt beeinflußt hätten, daß er außer stande sei, sich auf Grund der Thatsachen und beschworenen Zeugenaussagen eine eigene Ueberzeugung zu bilden, aber das blieb unberücksichtigt. Die Männer waren sämtlich untauglich, da nur völlige Unwissenheit den Geschworenen befähigte, einen gerechten Wahrspruch zu fällen.

Nachdem alle zuerst einberufenen verworfen waren, wählte man zwölf Ersatzmänner, welche beschworen, daß sie von dem Mord, den sich die Indianer der Steppe erzählten und die Steine auf der Gasse zuraunten, weder etwas gehört, noch gelesen, auch[187] nicht darüber gesprochen und ihre Ansicht geäußert hätten. Diese Jury bestand aus zwei Raufbolden, zwei gemeinen Bierbrüdern, drei Schenkwirten, zwei Rancheros, die nicht lesen konnten, und drei Eseln in Menschengestalt, denen die einfachsten Begriffe abgingen. Natürlich verneinten sie die Schuldfrage, das ließ sich nicht anders erwarten.

Wenn man Nevada in seiner ›flotten Zeit‹ schildern und dabei Mord und Totschlag unerwähnt lassen wollte, so könnte man ebenso gut bei einem Bericht über das Mormonentum die Vielweiberei mit Stillschweigen übergehen. Gewaltthätigkeiten waren etwas Alltägliches; der Raufbold stolzierte mit prahlerischer Großthuerei durch die Straßen und wenn er einem seiner bescheidenen Bewunderer vertraulich zunickte, so beglückte diesen der Gruß des berühmten Mannes für den Rest des Tages. In seinem langschößigen Ueberrock, der bis auf die glänzenden Stulpenstiefel herabhing, den Schlapphut auf dem linken Ohr, kam er den Bürgersteig dahergegangen und die kleinen Straßenlümmel machten Seiner Majestät ehrerbietigst Platz. Trat er in eine Trinkstube, so ließ der Kellner die Beamten und Kaufleute warten, um sich ihm dienstfertig zu erweisen. Wer bei dem Gedränge am Schenktisch Ellenbogenstöße von ihm erhielt, sah sich wohl zornig um, bat aber um Entschuldigung,[188] sobald er ihn erkannt hatte. Zum Dank dafür ward ihm dann ein Blick zu teil, bei dem ihm das Blut in den Adern erstarrte. Der Schenkwirt aber eilte strahlenden Angesichts herbei, um den hohen Gast zu befriedigen, auf dessen Kundschaft er stolz war.

Die Namen dieser langschößigen Revolverhelden waren die berühmtesten im ganzen Territorium; Redner, Präsidenten, Kapitalisten und Gesetzgeber genossen, im Vergleich mit ihnen, nur ein mäßiges Ansehen. Leute, wie Sam Brown, Jack Williams, Billy Mulligan, Pächter Bease, den pockennarbigen Jack, den sechsfingerigen Peter u. a. m., kannte man weit und breit; ich könnte eine lange Liste aufzählen. Es waren furchtbare, übermütige Gesellen, die tollkühn jeder Gefahr trotzten.

Um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß ich noch erwähnen, daß sie sich meist unter einander rauften und totschlugen, die friedlichen Bürger aber nur selten belästigten. Einem Menschen das Leben zu nehmen, der nicht zum ›Schützenwild‹ gehörte, wie sie es nannten, und dessen Tod keine neue Perle in ihrem Ruhmeskranz bedeutet hätte, galt für unter ihrer Würde. Sie brachten sich gegenseitig bei dem geringfügigsten Anlaß um und jeder von ihnen hoffte und wartete auch seinerseits auf ein gewaltsames Ende, da es fast für eine Schande galt, anders als ›in den Stiefeln‹ zu sterben.

Daß ein Raufbold es als zu leichte Beute verschmähte, einer Privatperson den Garaus zu machen, davon habe ich selbst ein Beispiel erlebt. Ich saß einmal spät beim Abendessen in einem Speisehaus mit zwei Berichterstattern und einem kleinen Buchdrucker, den ich Brown nennen will – der Name thut nichts zur Sache. Bald darauf trat ein langschößiger Fremder ein und nahm Platz, ohne Browns Hut zu bemerken, der auf dem Stuhle lag. Als der Kleine sofort aufsprang und zu schimpfen begann, lächelte der Fremde nur spöttisch, glättete den[189] Hut wieder und erging sich in wortreichen Entschuldigungen, indem er Brown mit beißendem Hohn beschwor, ihm nicht das Lebenslicht auszublasen. Dieser entledigte sich auf der Stelle seines Rockes und forderte den Gegner zum Kampf heraus, er drohte ihm, überhäufte ihn mit Schmähungen, äußerte Zweifel an seinem Mut, ja, endlich flehte er ihn sogar an, sich mit ihm zu schlagen. Noch immer spöttisch lächelnd, bat uns der Fremde zuerst, in scheinbarer Angst, um unsern Schutz; dann sagte er, plötzlich ernst werdend:

»Nun, wenn Sie denn durchaus darauf bestehen, so wollen wir meinetwegen kämpfen. Aber, ich bitte Sie, meine Herren, stürzen Sie sich nicht blindlings in die Gefahr, um hernach zu klagen, daß ich Sie nicht gewarnt hätte. Ich kann es mit Ihnen allen zusammen aufnehmen, wenn ich erst einmal loslege. Das will ich Ihnen beweisen, und beharrt mein Freund hier dann noch auf seinem Willen, so soll er ihn haben.«

Der Tisch, an welchem wir saßen, war fünf Fuß lang und ungewöhnlich plump und schwer. Der Fremde sagte, wir möchten das Geschirr einen Augenblick festhalten – in einer der Schüsseln lag ein großer Braten. Dann setzte er sich an ein Ende des Tisches, hob es in die Höhe, stellte zwei von den Beinen auf seine Knie, nahm die Tischplatte zwischen die Zähne, und brachte so, ohne die Hände zu gebrauchen, den Tisch mit sämtlichem Gerät darauf in eine wagerechte Linie. Nach dieser Kraftprobe teilte er uns ferner mit, er könne ein Faß voll Nägel mit den Zähnen aufheben, auch biß er aus einem gewöhnlichen Trinkglas ein halbkreisförmiges Stück heraus. Dann zeigte er uns noch auf seiner nackten Brust ein ganzes Netzwerk vernarbter Stich- und Schußwunden und eine gleiche Menge auf seinen Armen und im Gesicht, wobei er uns versicherte, er habe so viele Kugeln im Leibe, daß man eine ganze Kanone daraus gießen könne. Schließlich nannte er uns seinen Namen, bei[190] dessen gefürchtetem Klang uns angst und bange wurde; ich getraue mich nicht, ihn zu veröffentlichen, denn der Mann könnte kommen und mich in Stücke hauen. Als er zuletzt Brown fragte, ob ihn noch immer nach seinem Blute gelüste, überlegte dieser sich die Sache einen Augenblick und dann bat er ihn – mit uns zu Nacht zu speisen.


[191]

Der große Zeitungsroman.

Als es in unserer ›flotten Zeit‹ am herrlichsten zuging, stand auch das Laster im vollsten Flor. Die Branntweinschenken waren überfüllt, desgleichen die Polizeiämter, die Spielhöllen, die Freudenhäuser und die Gefängnisse – ein sicheres Zeichen höchsten Gedeihens in einer Bergwerksgegend – vielleicht auch an andern Orten – denn es beweist, daß der Handel nicht stockt und nirgends Mangel an Geld ist. Nun fehlte zum Höhepunkt unseres Glanzes nur noch ein Ereignis, das gewöhnlich zuletzt kommt, dann aber auch die Herrschaft der flotten Zeit außer aller Frage stellt, nämlich das Erscheinen eines Unterhaltungsblattes. Die neu gegründete ›Wochenschrift des Westens‹ beschäftigte sämtliche litterarisch begabte Persönlichkeiten Virginias als Mitarbeiter und Herr F., ein echter Held der Feder, war der Herausgeber.

Wir erwarteten große Dinge von unserer Wochenschrift, aber natürlich mußten wir, um sie in Fluß zu bringen, vor allem einen Originalroman haben, zu dessen Abfassung denn auch sofort die besten Kräfte der Gesellschaft aufgeboten wurden. Frau F., eine begabte Schriftstellerin aus der ›Schule der Ueberschwenglichen‹, die sich für Tugend und erhabene Gefühle begeistern, schrieb das erste Kapitel. Sie ließ darin eine reizende blonde Unschuld auftreten, die das Menschenmögliche an Vollkommenheit[192] leistete und nur für Blumen und Verse schwärmte. Auch ein junger, französischer Herzog ward den Lesern vorgestellt, ein Muster der feinsten Bildung, der dem blonden Fräulein sein Herz geschenkt hatte. In der folgenden Woche führte Herr F. einen redegewandten Rechtsgelehrten ein, welcher trachtete, des Herzogs Güter und Geschäfte in Verwirrung zu bringen, ferner eine geistvolle junge Dame aus der höchsten Gesellschaft, die den Herzog zu fesseln suchte und der blonden Unschuld die Eßlust benahm.

Der Verfasser des dritten Kapitels war Herr D., der düsterblickende, blutdürstige Redakteur für Tagesneuigkeiten; er brachte einen geheimnisvollen Rosenkreuzer zum Vorschein, der die Geldmacherei betrieb, um Mitternacht in einer Höhle Beratungen mit dem Teufel pflog und den Helden und Heldinnen das Horoskop stellte. Dabei sagte er Verwickelungen und Unglücksfälle in Menge für die Zukunft voraus, was die Gemüter in eine schauerliche Spannung versetzte. Auch einen maskierten, melodramatischen Bösewicht ließ er auftreten, der um blutigen Sold, in seinen Mantel gehüllt, dem Herzog bei nächtlichem Dunkel mit einem vergifteten Dolch auflauern sollte; ferner einen Irländer, der als Kutscher im Dienst bei der vornehmen Dame stand, nur im Dialekt sprach und als Ueberbringer von Liebesbriefchen an den Herzog verwendet wurde.

Nun traf um diese Zeit ein Fremder in Virginia ein, welcher litterarische Neigungen und ausschweifende Sitten hatte; er sah etwas schäbig aus, schien aber sehr still und anspruchslos. Sein Wesen war so sanft und freundlich und sein Benehmen – mochte er betrunken sein oder nüchtern – so angenehm und rücksichtsvoll, daß, wer mit ihm in Berührung kam, ihm wohlgesinnt sein mußte. Da er um litterarische Arbeit bat und hinlängliche Beweise beibrachte, daß er eine leichte und wohlgeübte Feder führte, beauftragte ihn Herr F., uns bei der Abfassung[193] des Romans zu helfen. Er sollte das nächste Kapitel schreiben und dann kam meines an die Reihe.

Kaum war dies beschlossen, so hatte der Unglücksmensch nichts Eiligeres zu thun, als sich zu betrinken, in sein Quartier zu gehen und sich an die Arbeit zu machen, während in seinem Hirn noch der wüsteste Wirrwarr herrschte. Die Folgen kann man sich denken. Er überflog die Kapitel seiner Vorgänger, fand genug handelnde Personen darin, die ihm gefielen, und beschloß, keine neuen mehr auftreten zu lassen. Mit der heitern Zuversicht, welche der Branntwein seinen Jüngern verleiht, begann er dann in glücklichem Selbstvertrauen sein Werk. Er verheiratete den Kutscher mit der Dame aus der höchsten Gesellschaft, um Skandal zu erregen; dem Herzog gab er die Stiefmutter der blonden Unschuld zur Gattin, das sollte Aufsehen machen; dem Bösewicht verweigerte er den bedungenen Lohn; zwischen dem Teufel und dem Rosenkreuzer schuf er ein Mißverständnis und spielte des Herzogs Güter dem schlauen Advokaten in die Hände. Letzterer mußte sich dann aus Gewissensbissen dem Trunke ergeben, in Delirium Tremens verfallen und sich das Leben nehmen; hierauf brach der Kutscher den Hals, seine Witwe versank in Armut, Kummer und Not und bekam die Schwindsucht; die Blondine ertränkte sich und ließ mit ihren Kleidern am Ufer einen Zettel zurück, worin sie dem Herzog verzieh und die Hoffnung aussprach, er möchte glücklich sein. Der Herzog erkennt nun an dem herkömmlichen Muttermal in Form einer Erdbeere, daß er seine tot geglaubte Mutter geehelicht und seine längst verlorene Schwester in den Tod getrieben hat. Herzog und Herzogin nehmen sich darauf selbst das Leben, um der poetischen Gerechtigkeit Genüge zu thun; die Erde öffnet sich und verschlingt den Rosenkreuzer unter Donner, Blitz und Schwefelgeruch. Schließlich endigt der Verfasser mit dem Versprechen, daß er im nächsten Kapitel eine allgemeine Leichenschau halten,[194] die noch überlebenden Charaktere einer Musterung unterziehen und dem geneigten Leser mitteilen werde, was aus dem Teufel geworden sei.

Das alles las sich merkwürdig glatt und war mit solcher Ernsthaftigkeit geschrieben, daß es einem fast den Atem benahm. Die Mitarbeiter an dem Roman gerieten jedoch darüber in die höchste Wut und es entstand ein unbeschreiblicher Aufruhr. Als der Strom von Schmähungen über den sanften Fremdling hereinbrach, welcher noch halb im Rausch war, blickte er seine Widersacher der Reihe nach schüchtern und verwirrt an, ohne begreifen zu können, was er eigentlich verbrochen habe. Endlich trat nach dem Sturm eine Windstille ein und er konnte zu Worte kommen. In leise flehendem Ton sagte er, was er geschrieben, sei ihm nicht mehr recht erinnerlich, doch habe er sich gewiß alle Mühe gegeben, um den Roman nicht nur spannend und unterhaltend, sondern auch glaubwürdig, belehrend und – man ließ ihn nicht ausreden; von allen Seiten ward er belagert und angefallen, mit Vorwürfen überhäuft und wegen seiner Behauptungen ins Lächerliche gezogen und zu nichte gemacht. Bei jedem Versuch, seine Widersacher zu besänftigen, goß der Fremde nur Oel ins Feuer; erst als er vorschlug, das Kapitel noch einmal zu schreiben, stellte man die Feindseligkeiten ein, die Entrüstung legte sich, es wurde Friede geschlossen und der Besiegte trat den Rückzug nach seiner eigenen Festung an.

[195]

Allein, ehe er dorthin gelangte, unterlag er der Versuchung aufs neue, er betrank sich abermals und seine Phantasie verlor Zaum und Zügel. Nun warf er seine Helden und Heldinnen noch wilder durcheinander als das erstemal, aber auch dieses Machwerk trug wieder den Stempel der ehrlichsten Gesinnung und größten Zuverlässigkeit. Alle handelnden Personen gerieten in die ungewöhnlichste Lage und mußten ganz erstaunliche Dinge sagen und thun. Was der Verfasser alles vorbrachte, läßt sich nicht beschreiben, die Abgeschmacktheit war bis auf die Spitze getrieben und der Blödsinn in ein System gebracht. Auch erklärende Randbemerkungen waren beigefügt, die dem Text an Seltsamkeit nichts nachgaben.

Als Beispiel des Ganzen will ich nur eine Episode mitteilen, die mir erinnerlich ist: Der Anwalt hatte seinen Charakter verändert, er war ein hochherziger, prächtiger Mensch geworden, der Ruhm und Geld besaß und dreiunddreißig Jahre zählte. Die blonde Unschuld entdeckte mit Hilfe des Rosenkreuzers, daß der Herzog sie nur um ihres Reichtums willen zu besitzen trachte, eigentlich aber der Dame aus der höchsten Gesellschaft zugethan sei. Bis ins Innerste verwundet, riß sie die Liebe zu ihm aus ihrem Herzen und goß die ganze Fülle derselben über den Anwalt aus, bei welchem sie ebenso feurige Erwiderung fand. Allein die Eltern erhoben Einspruch; sie wollten einen Herzog zum Schwiegersohn und waren nicht davon abzubringen, wiewohl sie zugaben, daß ihnen nächst dem Herzog der Anwalt am liebsten sei. Da nun aber die Blondine zu kränkeln begann, erschraken die Eltern und beschworen sie, doch den Herzog zu heiraten; alles Zureden war aber umsonst, sie fuhr fort dahinzuwelken. Unter den Umständen hielten die Eltern es für das beste ihr zu sagen, daß, wenn sie nach Jahresfrist noch dabei beharre, den Herzog zu verschmähen, so solle sie mit ihrer Einwilligung des Anwalts Gattin werden. Bei dieser Aussicht[196] färbten sich des Mädchens Wangen wieder und mit der Hoffnung kehrte auch die Gesundheit zurück. Das hatte man erwartet und schritt nun rasch zur Ausführung eines bereits gefaßten Planes. Der Hausarzt mußte der Blondine zur völligen Wiedergenesung eine weite Reise zu Wasser und Land verschreiben, an welcher der Herzog teilnehmen sollte. Die Eltern rechneten darauf, daß des Herzogs stete Gegenwart und des Anwalts Abwesenheit alles zum guten Ende führen werde; denn den Anwalt hatten sie nicht eingeladen.

Sie schifften sich auf einem Dampfer nach Amerika ein; als aber am dritten Tage die Seekrankheit nachließ und sie zum erstenmal bei der Mittagstafel erschienen, da fanden sie zu ihrem Schrecken den Anwalt gemütlich bei Tische sitzen. Das war eine große Verlegenheit, allein der Herzog und seine Reisegesellschaft setzten sich darüber hinweg so gut sie konnten und die Fahrt ging weiter. Etwa zweihundert Meilen von der amerikanischen Küste geriet das Schiff jedoch in Brand; Takelwerk und Masten wurden von den Flammen verzehrt und von der Mannschaft und den Passagieren blieben nur dreißig am Leben, darunter unsere Freunde. Sie trieben einen halben Tag und die ganze Nacht umher, bis am Morgen zwei Walfischfahrer erschienen und Boote aussetzten. Das Wetter war stürmisch und die Einschiffung verursachte große Verwirrung und Aufregung. Der Anwalt that seine Pflicht mit Mannesmut, er half der fast ohnmächtigen Blondine, ihren Eltern und andern seiner Leidensgefährten in das Boot (der Herzog stieg allein hinunter). In diesem Augenblick fiel am andern Ende des Wracks ein Kind ins Wasser, der Anwalt vernahm das Wehgeschrei der Mutter, eilte zu Hilfe und zog im Verein mit andern Rettern das Kind aus den Fluten. Dann lief er zurück, aber es war zu spät – das Boot mit der Blondine war schon abgestoßen. Der Anwalt mußte das zweite Boot besteigen und wurde von dem andern[197] Schiff aufgenommen. Die Wut des Sturmes wuchs, er trieb die Schiffe ins Weite und bald verloren sie einander aus dem Gesicht. Als sich drei Tage später der Wind legte, befand sich das Schiff mit der Blondine siebenhundert Meilen nördlich von Boston und das andere Schiff etwa siebenhundert Meilen südlich von diesem Hafen. Der Kapitän der Blondine ging im Norden des Atlantischen Ozeans auf den Walfischfang und der Kapitän des Anwalts hatte Befehl, im Norden des Stillen Ozeans zu kreuzen.

Fast ein Jahr war vergangen; das eine Schiff befand sich an der Grönländischen Küste, das andere in der Behringsstraße. Der Blondine hatte man eingeredet, daß der Anwalt über Bord gespült worden sei, als er gerade ins Boot steigen wollte. Allmählich begann sie den Bitten des Herzogs und ihrer Eltern Gehör zu geben und sich mit dem Gedanken an die verhaßte Heirat vertraut zu machen. Doch beharrte sie fest darauf, daß die einmal bestimmte Frist eingehalten werde. Der Zeitpunkt rückte immer näher und schon begann man an Bord Vorbereitungen zu der Hochzeit zu treffen, die mitten unter Eisbergen und Walrossen gefeiert werden sollte. Nur noch fünf Tage, dann war alles vorüber. Die Blondine bedachte das mit Seufzen und Weinen. O, wenn der Geliebte ihres Herzens noch lebte, warum eilte er nicht zu ihrer Rettung herbei? –

Ach, er vermochte es nicht, denn er war in diesem Augenblick in der Behringsstraße. Fünftausend Meilen betrug ihre Entfernung von einander quer durch das nördliche Eismeer gemessen und zwanzigtausend Meilen um das Kap Horn herum. Da des Anwalts sämtliche Habe in dem andern Boot geblieben war, hatte er Schiffsdienste thun müssen, um seinen Unterhalt zu verdienen, und war gerade beschäftigt, einen Walfisch anzuspießen. Er schleuderte die Harpune mit aller Kraft, verfehlte jedoch sein Ziel, glitt aus und fiel dem Walfisch in den offenen[198] Schlund. Fünf Tage blieb er besinnungslos in des Walfischs Bauch; als er wieder zu sich kam, sah er das Tageslicht durch ein Loch hereinströmen, welches sich im Rücken des Fisches befand. Die Mannschaft vom Schiff der Blondine hatte den Walfisch erlegt; der Anwalt kletterte heraus und überraschte die Matrosen, als sie gerade den Speck des getöteten Tieres am Schiffsrand hinaufwanden. Er fragte nach dem Namen des Schiffes, eilte an Bord, traf die Hochzeitsgesellschaft am Traualtar und rief mit Donnerstimme: »Halt, nicht weiter – hier bin ich! Komm in meine Arme, Geliebte!« –

In den Anmerkungen, welche dieser erstaunlichen litterarischen Leistung beigefügt waren, suchte der Verfasser zu beweisen, daß der Vorgang keineswegs außerhalb des Bereichs der Möglichkeit liege. Zum Beweis, daß ein Walfisch imstande sei, in fünf Tagen von der Behringsstraße nach der Küste von Grönland zu schwimmen, führte er einen ähnlichen Vorgang aus einem Buch von Charles Reade an, und dafür, daß ein Mensch im Bauche eines Walfischs leben könne, lieferte ihm das Abenteuer des Propheten Jonas ein allbekanntes Beispiel. Habe ein Prophet es drei Tage darin ausgehalten, so würde ein Anwalt es sicherlich fünf Tage ertragen, ohne Schaden zu nehmen.

Der Sturm, der sich nun im Redaktionszimmer erhob, tobte wilder als zuvor; man warf dem Fremden sein Manuskript an den Kopf und jagte ihn mit Schimpf und Schande davon. Inzwischen waren die Angelegenheiten durch seine Schuld so sehr verzögert worden, daß keine Zeit mehr blieb, ein neues Kapitel zu schreiben und so kam das Blatt diese Woche ohne Roman heraus. Der Umstand erschütterte das Vertrauen des Publikums in die ›Wochenschrift des Westens‹ vermutlich so sehr, daß sie ihr gequältes Dasein nur noch mühsam weiter fristete und bevor die nächste Nummer die Presse verließ, eines stillen und friedlichen Todes starb.

[199]

Mit Hilfe eines ansprechenden Titels hoffte man noch mit dem Blatt einen Wiederbelebungsversuch anstellen zu können. Herr F. schlug vor, es den ›Phönix‹ zu nennen, um anzudeuten, daß es aus der Asche in ungeahntem Glanze erstehen werde; statt dessen wählte man jedoch auf Anraten eines schlauen Kopfes den Namen ›Lazarus‹. Da nun aber die Leser in der biblischen Geschichte wenig bewandert waren und den vom Tode erweckten Lazarus mit dem elenden, kranken Bettler verwechselten, der vor des Reichen Thüre lag, wurde der Name zum Gespött in der ganzen Stadt und das brach dem Unternehmen vollends den Hals.


[200]

Belehrendes.

Ich erlaube mir, den geneigten Leser im voraus zu benachrichtigen, daß ich in diesem Kapitel einige statistische Bemerkungen zu machen gedenke, damit er es überschlagen kann, wenn er will.

Im Jahre 1863, zur Zeit unseres höchsten Glanzes, glich Virginia einem wahren Bienenstock, so schwärmte es darin von Menschen und Wagen, doch ließ sich das von ferne schwer erkennen, da die Stadt im Sommer meist in eine dichte Wolke Alkalistaub eingehüllt war. Fuhr man zehn Meilen weit in diesem Staub dahin, so wurden Pferde und Menschen mit einer eintönig blaßgelben Kruste überzogen und im Wagen lag der Staub mindestens drei Zoll hoch, da ihn die Räder aufwühlten und hineinwarfen. Dabei ist dieser Alkalistaub so fein, daß er sogar in das luftdicht verschlossene Glasgehäuse eindringt, in welchem der Wardein seine äußerst empfindlichen Probierwagen aufbewahrt, deren Genauigkeit dadurch beeinträchtigt wird.

Es war damals die Zeit der gewagtesten Spekulationen, doch wurden auch solide Geschäfte in Menge abgeschlossen und es herrschte der großartigste Handelsverkehr. Von Kalifornien aus schaffte man alle Frachtgüter in ungeheuren Wagen über das Gebirge, denen oft eine so lange Reihe von Maultieren zum Vorspann diente, daß es ganz den Anschein hatte, als reiche[201] der große Wagenzug, wie eine endlose Prozession, von Virginia nach Kalifornien hinüber. An dem aufgewirbelten Staub, der sich gleich einer ungeheuren Schlange durch die Wüstengegend wälzte, ließ sich die Richtung der Handelsstraße in dem Territorium leicht erkennen.

Die Lasten wurden die ganze Strecke von hundertfünfzig Meilen auf Transportwagen für den Preis von 100 bis 200 Dollars das Tonnengewicht (2000 Pfd.) nach dem Ort ihrer Bestimmung befördert. Eine einzige Firma in Virginia erhielt monatlich 100 Tonnen Fracht und bezahlte dafür 10,000 Dollars. Im Winter stiegen die Preise noch bedeutend. Alles Edelmetall wurde in Barren mit der Post nach San Francisco geschafft. Ein solcher Barren war meist doppelt so groß wie eine Mulde, wie sie beim Bleiguß benützt wird, und zwischen 1500 und 3000 Dollars wert, je nach der Menge Goldes, die sich im Silber vorfand. Bei größeren Sendungen belief sich der Frachtsatz auf Fünfviertel Dollars für hundert Dollars des wirklichen Metallwerts, bei kleineren auf zwei Dollars. Die Fracht für einen Barren betrug daher im Durchschnitt etwas über 25 Dollars. Es gingen täglich drei Posten hin und her und ich habe oft gesehen, daß die nach Kalifornien bestimmten Postwagen eine Drittel-Tonne in Silberbarren mitnahmen; manchmal teilten die drei Wagen sogar eine Last von zwei Tonnen unter sich, doch waren das nur Ausnahmefälle. Zwei Tonnen Rohsilber machten etwa 40 Barren aus, deren Fracht über 1000 Dollars kostete. Außerdem wurde mit jeder Postkutsche noch viel gewöhnliche Fracht befördert und zwischen fünfzehn bis zwanzig Passagiere, welche ein Personengeld von 25 und 30 Dollars bezahlten.

Die Firma Wells, Fargo und Co., in deren Händen der Postverkehr mit Virginia City lag, hatte demnach einen sehr bedeutenden und einträglichen Geschäftsbetrieb. In anderthalb Jahren wurden, wie mir der langjährige Agent der Firma,[202] Valentin, mitteilte, Silberbarren im Wert von 5,330,000 Dollars befördert.

Von Virginia und Gold Hill aus erstreckt sich in einer Länge von mehreren Meilen die große Combstock-Mine, eine Metallader von fünfzig bis achtzig Fuß Dicke, welche in Felswände eingeschlossen ist. Die Ader ist so breit wie manche Straße von New York. Will man sich einen Begriff davon machen, was das heißt, so braucht man nur zu bedenken, daß in Pennsylvanien ein acht Fuß breites Kohlenlager schon für bedeutend gilt.

Außer dem Virginia über der Erde, einer geschäftigen Stadt mit vielen Straßen und Häusern, gab es demnach noch eine andere, unterirdische Stadt, in der eine zahlreiche Bevölkerung aus und ein ging. Hunderte von Menschen sah man sich dort durch die verworrenen Labyrinthe der Tunnels und Stollen drängen und beim Schein der unruhig flackernden Grubenlichter hierhin und dorthin huschen. Über ihren Häuptern erhoben sich die ungeheuren Balkengerüste, welche die Mauern des ausgehöhlten Combstocks auseinander hielten; die einzelnen Stützen hatten Manneslänge und die Grubenzimmerung ging zu so beträchtlicher Höhe hinauf, daß von unten kein menschliches Auge so weit zu dringen vermochte und sich ihr Ende im Dunkel verlor; sie war zwei Meilen lang, sechzig Fuß breit und höher als der höchste Kirchturm in Amerika. Man kann sich kaum eine Vorstellung davon machen, was es gekostet haben muß, diesen Wald von Bauholz in den Tannenforsten jenseits des Washoe-Sees zu fällen, um ihn für unsinnige Frachtsätze bis nach dem Mount Davidson zu schaffen, auf dessen Höhe sich Virginia City erhebt, das Holz dann zuzuhauen, in den Grubenschacht hinabzulassen und dort zurecht zu zimmern. Wenn zwanzig reiche Kapitalisten ihr Gesamtvermögen zusammenthäten, so würde das kaum ausreichen, um die Zimmerung zu bezahlen, welche zu einer einzigen[203] dieser großen Silberminen gehört. Ein spanisches Sprichwort sagt, man brauche eine Goldgrube zum Betrieb einer Silbergrube und das ist nur zu wahr. Wer nichts besitzt als ein Silberbergwerk, weder Mittel hat es auszubeuten noch Gelegenheit zum Verkauf, der ist der ärmste Bettler von der Welt.

Ich habe von dem unterirdischen Virginia als von einer Stadt gesprochen. Um eine Vorstellung davon zu geben, führe ich nur an, daß die Gould- und Curry-Grube, welche nur eine von vielen anderen ist, Stollen und Tunnels in der Länge von fünf Meilen hatte und 500 Arbeiter beschäftigte. Alles in allem aber betrug die Länge der Straßen jener unterirdischen Stadt einige dreißig Meilen und ihre Bevölkerung 5–6000 Arbeiter. Manche derselben sind in einer Tiefe von 12–1600 Fuß unter den Häusern von Virginia und Gold Hill im Innern der Erde beschäftigt und man bedient sich des elektrischen Stroms, um die Signalglocken anzuschlagen, durch welche der Grubendirektor ihnen Anweisung bei der Arbeit erteilt. Stürzt einmal ein Bergmann in einen 1000 Fuß tiefen Schacht hinab, wie das dort zuweilen vorkommt, so begnügt man sich bei solchem Fall gewöhnlich damit, die Leichenschau zu halten.


[204]

Von Virginia nach San Francisco.

Nun war ich lange genug Berichterstatter bei dem ›Enterprise‹ gewesen und sehnte mich nach Abwechslung. Es befriedigte mich nicht mehr, jährlich einmal nach Carson City zu gehen, um über die Gerichtsverhandlungen zu schreiben und alle drei Monate einmal wegen der Wettrennen und Kürbisausstellungen. Man hatte nämlich im Washoe-County angefangen, Kartoffeln und Kürbisse zu bauen; natürlich gehörte dazu vor allem eine landwirtschaftliche Ausstellung, deren Kosten 10,000 Dollars betrugen, während für 40 Dollars Kürbisse zu sehen waren.

Ich wollte irgendwo anders hin, womöglich nach San Francisco. Was ich eigentlich wollte, wußte ich selber nicht; ich hatte das ›Frühlingsfieber‹ und brauchte wahrscheinlich eine Luftveränderung. Wenn die Bergwerksanteile, welche ich besaß, hunderttausend Dollars wert waren, was nach meiner Ansicht bald der Fall sein mußte, gedachte ich sie zu verkaufen und heimzukehren. Zwar war das eine weit geringere Summe, als ich erwartet hatte, aber füglich konnte ich mich doch anständigerweise damit begnügen, ohne zu fürchten, in Not zu geraten.

Die erste Veränderung verschaffte mir mein Vorgesetzter, Herr Goodman, welcher auf eine Woche verreiste und mich als[205] Hauptredakteur zurückließ. Das war mein Verderben. Den ersten Tag schrieb ich meinen Leitartikel am Morgen. Am zweiten Tag fehlte mir ein Thema und ich verschob die Arbeit bis zum Nachmittag, den dritten Tag nahm ich sie erst am Abend vor und schrieb einen prächtigen Artikel aus der ›Amerikanischen Encyklopädie‹ ab, die eine getreue Freundin der Redakteure im ganzen Lande ist. Am vierten Tage trödelte ich bis Mitternacht und nahm wieder meine Zuflucht zur Encyklopädie. Am fünften Tage zermarterte ich mir das Hirn und ließ die Presse warten, bis ich einen erbitterten Ausfall gegen sechs verschiedene Privatpersonen zu Papier gebracht hatte. Den sechsten Tag arbeitete ich im Schweiße meines Angesichts bis tief in die Nacht hinein und doch kam nichts zu stande; die Zeitung mußte ohne Leitartikel erscheinen. Am siebenten Tage gab ich es von vornherein auf. Am achten kam Herr Goodman wieder und fand sich in sechs Duelle verwickelt. Meine erbitterten Anzüglichkeiten hatten Früchte getragen.

Nur wer selbst einmal Redakteur gewesen ist, weiß, was das heißt. Es ist leicht, aus andern Zeitungen Ausschnitte zu machen oder allerlei Lokalzeug zusammenzuschreiben, wenn man die Thatsachen vor sich hat, aber es ist unendlich schwer, Leitartikel zu verfassen. Die Themas sind schuld daran – das heißt, der häufige Mangel derselben. Tag für Tag plagt und quält man sich, zerbricht sich den Kopf und leidet namenlos – die ganze Welt ist öde und leer und doch müssen die Spalten des Blattes gefüllt werden. Weiß der Redakteur nur, worüber er schreiben soll, so ist seine Arbeit gethan, den Artikel abzufassen ist ein Kinderspiel; aber man stelle sich nur einmal vor, was es heißt, zweiundfünfzig Wochen lang jeden Tag sein Gehirn auszupumpen – der bloße Gedanke daran ist niederschmetternd. Was der Redakteur eines Tageblatts in Amerika im Laufe eines Jahres zusammenschreibt, würde sieben bis acht[206] dicke Bände füllen, in zwanzig Jahren wäre das eine ganze Bibliothek. Was will dagegen die Fruchtbarkeit von Schriftstellern wie Scott, Dickens, Bulwer und Dumas sagen? Ja, wenn sie so massenhaft produziert hätten wie ein Zeitungsredakteur, dann könnte man sie wohl mit Recht anstaunen.

Wie diese Menschen es aushalten, ihre entsetzliche Arbeit und den ungeheuern Verbrauch von Gehirnsubstanz jahraus jahrein fortzusetzen, ist unbegreiflich, denn ihre Beschäftigung besteht nicht etwa in einem mechanischen Zusammentragen von Thatsachen, sie erfordert schöpferische Kraft. Wenn ein Pfarrer allwöchentlich zwei Predigten zu schreiben hat, findet er das auf die Dauer so angreifend, daß er im Sommer zwei Monate Ferien haben muß. Das ist auch ganz in der Ordnung. Aber ein Redakteur schreibt über zehn bis zwanzig Texte jede Woche, zehn bis zwanzig ausführliche Artikel, und fährt das ganze Jahr hindurch ohne Unterbrechung damit fort – eine unerhörte Leistung! Seit ich meine Woche als Redakteur überlebt habe, nehme ich keine Zeitung in die Hand, ohne die langen Spalten des Leitartikels mit Vergnügen zu betrachten und mich im stillen zu wundern, wie zum Henker man es nur fertig bringt.

Herrn Goodmans Rückkehr befreite mich von aller Beschäftigung, denn Berichterstatter wollte ich nicht wieder werden. Wie hätte ich auch als Gemeiner in der Armee dienen können, nachdem ich einmal Feldherr gewesen war? So beschloß ich denn, die Stadt zu verlassen und in die weite Welt zu gehen.

Gerade als dies bei mir feststand, erzählte mir mein Kollege Dan eines Tages beiläufig, er sei von zwei Herren aufgefordert worden, mit nach New York zu gehen, um ihnen beim Verkauf einer reichen Silbergrube zu helfen, die sie in einem neuen Bergwerksdistrikt unserer Gegend entdeckt hatten. Er sollte die Reisekosten vergütet erhalten und ein Dritteil des bei dem Verkauf zu erzielenden Gewinns. Dies Anerbieten, welches mir[207] im höchsten Grade erwünscht gewesen wäre, hatte Dan ausgeschlagen und als ich schalt, daß er mir nicht früher etwas von der Sache gesagt habe, war er höchlich verwundert, daß ich aus Virginia fort wolle; er habe den Herren geraten, sich an Marshall, den Berichterstatter der andern Zeitung, zu wenden.

Ich erkundigte mich nun des Näheren bei Dan, ob es sich auch nicht etwa um einen Schwindel handle und ob die Grube wirklich und wahrhaftig vorhanden sei, worauf er erwiderte, die Herren hätten ihm neun Tonnen des Gesteins gezeigt, das sie mit nach New York nehmen wollten. Er könne getrost versichern, daß er in ganz Nevada noch keine so erzhaltigen Proben gesehen habe; auch für das nötige Bauholz und den Platz zur Errichtung des Pochhammers in der Nähe der Grube sei bereits Sorge getragen. Als ich das hörte, hätte ich Dan am liebsten umgebracht, doch stand ich trotz meines Aergers davon ab, denn vielleicht war noch nicht alle Hoffnung verloren. Dan behauptete das wenigstens; er sagte, die Herren seien jetzt wieder nach ihrer Grube gereist und würden frühestens in zehn Tagen zurückkehren. Er habe versprochen, ihnen nach ihrer Zurückkunft Marshall oder sonst jemand als Bewerber vorzustellen. Er wolle niemand weiter etwas von der Sache sagen, bis sie wieder kämen und dann meine Person in Vorschlag bringen.

Das war eine herrliche Aussicht. Ich legte mich an jenem Abend in fieberhafter Aufregung zu Bette. Bisher war es noch niemand eingefallen, nach dem Osten zu reisen, um eine Silbergrube in Nevada zu verkaufen. Eine Mine, wie sie Dan beschrieb, mußte in New York im Handumdrehen Abnehmer finden und eine fürstliche Summe einbringen. Schlafen konnte ich nicht, meine Einbildungskraft schwelgte in den glänzendsten Luftschlössern.

Dan hatte versprochen, genau acht zu geben, wann die Herren wiederkämen, und so fuhr ich denn am nächsten Tage frohen Mutes mit der Postkutsche nach Kalifornien ab. Es[208] fehlte auch nicht an den Abschiedsfeierlichkeiten für mich, wie sie dort bei der Abreise eines alten Bürgers üblich sind. Wenn man im Westen nur ein halbes Dutzend Freunde hat, so machen sie Lärm genug für hundert, damit es nur nicht so aussieht, als würde man ganz vernachlässigt und müßte ohne Sang und Klang von dannen ziehen.

Nicht ohne Bedauern schied ich von der Stadt, in welcher ich mich meines Lebens gefreut hatte, wie nie zuvor. Mir ahnte wohl, daß ich der winzigen Flagge für immer Lebewohl sagte, die nicht größer als das Taschentuch einer Dame von dem höchsten Gipfel des Mount Davidson herunterwehte, zweitausend Fuß über den Dächern von Virginia. In Wirklichkeit war die Fahne dreißig Fuß lang und zehn Fuß breit.

Wir rollten durch Thal und Ebene dahin, klommen in den Sierras bis zu den Wolken empor und schauten herab auf Kalifornien im Sommerkleide. Will man die kalifornische Landschaft[209] im höchsten Reize sehen, so muß man sie aus der Ferne betrachten. Zwar läßt sich die Erhabenheit und Majestät der Berge von jedem Standpunkt aus bewundern, erst die Ferne aber verleiht ihnen reichere Farben und läßt ihre rauhen, zerrissenen Formen weniger schroff erscheinen. Auch der kalifornische Wald macht sich am besten in der Entfernung; da er meist Baumarten von ein und derselben Familie enthält: Weißtannen und Rottannen, Sprossenfichten und Föhren, so bieten sie von nahe gesehen ein ermüdendes Einerlei; alle strecken ihre starren Arme nach unten und zur Seite, als wollten sie den Menschen immer und immer wieder warnend zurufen: »Bst! hier wird nicht gesprochen – sonst stört ihr jemand.« Auch daß es ewig nach Pech und Terpentin riecht, macht einen trostlosen Eindruck und man wird ganz schwermütig von dem fortwährenden Seufzen und Klagen in den Wipfeln. Schreitet man geräuschlos über den Teppich von zerstampfter gelber Rinde und toten Nadeln, so kommt man sich vor wie ein irrender Geist mit lautlosem Fußtritt. Der ewigen Nadelbüschel wird der Wanderer endlich überdrüssig und sehnt sich nach richtigen, wohlgeformten Blättern; er möchte sich auf Moos und Gras lagern und findet keines, denn überall wo der Boden nicht von Nadeln bedeckt ist, giebt es nur nackten Lehm und Schmutz, was weder für träumerisches Sinnen noch reinliche Kleidung günstig ist. Zwar besitzt Kalifornien auch Grasebenen, doch nehmen sie sich ebenfalls besser in der Entfernung aus, denn die Grashalme sind zwar hoch, stehen aber steif und selbstbewußt da, ungesellig weit von einander, mit Flecken dürren Sandes dazwischen.

Es gehört zu dem Wunderlichsten, was ich kenne, wenn Reisende aus den Staaten Neuenglands über die Lieblichkeit des ›immerblühenden Kaliforniens‹ schwärmen. Sie würden ihre Begeisterung vielleicht mäßigen, wüßten sie, mit wie anbetender Bewunderung alte Kalifornier die Landschaften des Ostens anstaunen.[210] Das glänzende Grün in seiner verschwenderischen Fülle und saftigen Frische, der üppige Reichtum des Laubes mit den mannigfaltigen Blätterformen und Arten erscheint ihnen wie ein Blick ins Paradies im Vergleich zu den staubbedeckten, mißfarbenen Sommergewächsen Kaliforniens. Ueber dies ernste, düstere Land in Entzücken zu geraten, wenn man die Wiesenflächen Neuenglands, seine Eichen-, Ahorn- und Ulmenbäume im Sommerschmuck gesehen hat, oder die vielfarbige Pracht des Herbstes, in der seine Wälder strahlen – wäre einfach lächerlich, wenn es nicht etwas so Rührendes hätte.

Kein Land mit unveränderlichem Klima kann sehr schön sein. Nicht einmal die Tropen sind es, man mag von ihrem Zauber schwärmen so viel man will. Sie berücken uns wohl zuerst, aber der Reiz schwindet allmählich bei dem ewigen Einerlei. Die Natur bedarf des Wechsels, um alle ihre Wunder zu entfalten. In einem Lande, das vier wohl abgegrenzte Jahreszeiten hat, kann es weder Eintönigkeit geben noch Mangel an Schönheit. Jede Jahreszeit birgt dort eine Welt von Freude und Interesse, die sich vor uns enthüllt, sich stufenweise und harmonisch zu immer reicherer Schönheit entwickelt und, wenn man anfängt, sie satt zu bekommen, rechtzeitig verschwindet, um etwas völlig anderem Platz zu machen, das den Naturfreund durch neue Pracht und Herrlichkeit zu bezaubern weiß.


San Francisco ist eine Stadt, in der es sich prächtig lebt; es nimmt sich in gehöriger Entfernung auch stattlich und hübsch aus, von nahe gesehen merkt man aber, daß die Bauart meist altmodisch ist. Viele Straßen bestehen aus verfallenen, rauchgeschwärzten, hölzernen Häusern, und die öden Sandhügel in der nächsten Umgebung fallen gar zu sehr ins Auge. Selbst das heitere Klima macht sich bisweilen angenehmer, wenn man davon liest, als wenn man es persönlich kennen lernt; ein klarer,[211] wolkenloser Himmel verliert mit der Zeit seinen Reiz, doch wenn der ersehnte Regen endlich eintritt, so bleibt er um so länger. Ein Erdbeben ist zwar lustig, doch thut man auch besser daran, es von ferne zu betrachten. Hierüber sind jedoch die Ansichten verschieden.

Das Klima von San Francisco ist, wie gesagt, mild und gleichmäßig; während des ganzen Jahres steht das Thermometer ungefähr auf siebzig Grad F., es wechselt kaum jemals. Sommer und Winter schläft man unter einer leichten Decke und braucht nie ein Moskitonetz. Man trägt keinen Sommeranzug, sondern schwarze Tuchkleider, wenn man sie hat, im August wie im Januar; zieht keinen Ueberrock an und bedarf keines Fächers. In den Sommermonaten ist es zwar oft windig, aber wer das nicht liebt, kann nach Oakland hinübergehen, nur ein paar Meilen weit, wo gar kein Wind weht. In neunzehn Jahren hat es in San Francisco nur zweimal geschneit und selbst dann blieb der Schnee nur lange genug auf dem Boden liegen, daß die Kinder sich verwundert fragen konnten, was das wohl für federiges Zeug sein möchte.

Acht Monate hintereinander ist der Himmel hell und wolkenlos, da fällt kein Tropfen Regen. Wer aber keinen Regenschirm hat, wenn die andern vier Monate kommen, muß sich einen stehlen, denn ohne den geht es nicht. Man braucht ihn nicht etwa nur einen Tag, sondern hundertundzwanzig Tage nacheinander ohne Ausnahme. Will man einen Besuch machen, in die Kirche oder ins Theater gehen, so sieht man nicht nach den Wolken, ob Regen droht oder nicht, man fragt nur den Kalender. Ist es Winter, so regnet es, ist es Sommer, so regnet es nicht, dagegen läßt sich nichts machen. Blitzableiter sind nicht vonnöten, denn es giebt keine Gewitter. Hat man sechs bis acht Wochen lang gehört, wie der Regen gleichförmig und trübselig herniederströmt, dann wünscht man von ganzem[212] Herzen, der Donner möchte einmal durch die schläfrigen Himmelsräume rollen und krachen und brüllen, damit alles lebendig würde, der Blitz möchte das düstere Firmament zerreißen und es nur auf einen einzigen Augenblick mit blendendem Glanz erhellen. Was würde man nicht darum geben, den lieben alten Donner zu hören und zu sehen, wie jemand vom Blitz erschlagen wird! – Und hat man im Sommer vier Monate hindurch den grellen, mitleidslosen Sonnenschein erduldet, so möchte man auf den Knieen um Regen, Hagel, Schnee, Donner und Blitz flehen – um irgend eine Abwechslung in dem trostlosen Einerlei; – sogar mit einem Erdbeben wäre man zufrieden, wenn man nichts Besseres haben kann, und das ist noch am ersten zu bekommen.

San Francisco ist auf Sandhügeln erbaut, aber es sind fruchtbare Sandhügel, die einen reichen Pflanzenwuchs erzeugen. Die seltenen Blumen, welche die Leute im Osten sorgfältig in Treibhäusern und Töpfen ziehen, gedeihen dort das ganze Jahr hindurch unter freiem Himmel in üppiger Fülle: Kallas, Geranien, Passionsblumen, Moosrosen – ich weiß nicht den zehnten Teil von allen Namen. Wenn in New York alles von Schnee und[213] Eis starrt, bedeckt sich der Boden in Kalifornien mit Blumen und Blüten; der Mensch braucht nur alles wachsen zu lassen wie es will, ohne sich hineinzumischen.

Ich habe an einer anderen Stelle von dem ewigen Winter in Mono gesprochen und jetzt eben von dem endlosen Frühling in San Francisco. Reist man nun etwa hundert Meilen in direkter Linie weiter, so kommt man in den fortwährenden Sommer von Sacramento. In San Francisco hat man weder Sommerkleider noch Moskitos, aber in Sacramento ist beides zu finden. Nicht immer und ohne Aufhören, aber im Laufe von zwölf Jahren etwa 143 Monate lang. Der Leser kann sich leicht vorstellen, daß dort immer Blumen blühen, daß die Menschen morgens, mittags und nachts schwitzen, fluchen und ihre beste Lebenskraft damit verbrauchen, sich Luft zuzufächeln. Es ist dort heiß, aber wenn man nach Fort Yuma hinunterkommt, dürfte man es noch heißer finden. Dort steht das Thermometer fast unabänderlich auf 120 Grad F. im Schatten, ausgenommen, wenn es noch höher steigt. Dieser heißeste Ort der Erde ist ein Militärposten der Vereinigten Staaten und seine Bewohner gewöhnen sich so an die schreckliche Hitze, daß sie es ohne dieselbe nicht aushalten können. Die Sage erzählt, daß dort einst ein gottloser Soldat starb und natürlich sofort in den heißesten Winkel der Hölle hinunterfuhr. Und siehe da, am nächsten Tage telegraphierte er zurück, man möge ihm seine Decken schicken! – Die Wahrheit dieser Ueberlieferung ist nicht zu bezweifeln; ich habe selbst die Schenke gesehen, in welcher der Soldat einzukehren pflegte.

In dem beständigen Sommerwetter von Sacramento kann der Reisende um acht oder neun Uhr morgens Rosen pflücken, Erdbeeren und Gefrorenes essen, sich in weiße Leinwand kleiden, nach Luft schnappen und schwitzen. Setzt er sich dann auf die Eisenbahn, so kann er um 12 Uhr den Pelz anziehen, die[214] Schlittschuhe anschnallen und über den gefrorenen Donner-See dahinschweben, 7000 Fuß über dem Thal, zwischen fünfzehn Fuß hohen Schneewehen und in unmittelbarer Nähe der gewaltigen Berggipfel, die ihre eisigen Klippen 10 000 Fuß über der Meeresfläche erheben. In der ganzen westlichen Hemisphäre findet sich nirgends ein so plötzlicher Uebergang. Die Eisenbahn fährt in kühnen Windungen durch die schneebedeckte Gegend 6000 Fuß über dem Meere bis zum Stillen Ozean. Wie ein Vogel aus der Luft schaut man herab auf den ewigen Sommer des Sacramento-Thales, das mit seinen fruchtbaren Feldern, seinen blühenden Bäumen und seinen Silberströmen in den weichen Duft der Atmosphäre eingehüllt ruht. Auf dies köstliche, traumhafte Bild aus dem Feenland blickt der Reisende durch ein furchtbares Thor von Eis und Schnee, durch wilde Klüfte und Abgründe – ein wirkungsvoller Gegensatz, der den Eindruck mächtig erhöht.


[215]

Goldgräber.

Das eben geschilderte Thal des Sacramento war der Schauplatz der ersten und ergiebigsten Goldgräbereien. Noch jetzt sieht man viele Stellen in der Ebene und am Bergabhang, wo die Habgier jener Zeit das Erdreich aufgewühlt und ausgehöhlt hat, um nach Beute zu suchen; solche Verunstaltungen der Gegend findet man in Kalifornien weit und breit. Man kommt auch durch Strecken, wo sich jetzt nur Wiesen und Wälder ausdehnen, wo man kein Haus, kein lebendes Wesen erblickt, nicht einmal die Balken oder Steine eines verfallenen Gebäudes und kein Laut die Sabbatstille umher unterbricht. Da ist es schwer, sich vorzustellen, daß dort vor Jahren ein rasch emporgeblühtes Städtchen gestanden hat, mit zwei- bis dreitausend Einwohnern, die ihre Zeitung, ihre Feuerwehr, eine Musikkapelle, ein Freiwilligenkorps, Gasthäuser, eine Bank und Spielhöllen besaßen, wo Männer aus allen Nationen der Erde mit struppigen Bärten rauchten und fluchten, und wo der Goldstaub, der sich an den Spieltischen anhäufte, mehr wert war, als die Einkünfte eines deutschen Fürstentums.

Das Leben wogte geschäftig hin und her in den Straßen, man verkaufte Bauplätze zu vierhundert Dollars den Fuß, es wurde dort gearbeitet, gelacht, getanzt, Musik gemacht, gezecht, gerauft und Dolch und Revolver gehandhabt. Alles war vorhanden,[216] was zum Blühen und Gedeihen einer neuerstandenen Stadt nötig und förderlich ist, was das Leben schmückt und erfreut – und jetzt sieht man dort nichts als eine verlassene, wüste Einöde, die Menschen sind fort, von den Häusern ist keine Spur geblieben, sogar der Name des Orts vergessen. Nirgends in der Welt sind in unserm Jahrhundert Städte so völlig vom Erdboden verschwunden, wie in den alten Goldgräbergegenden von Kalifornien.

In jenen Tagen aber herrschte ein rastloses Drängen und Treiben, Hasten und Arbeiten unter der eigenartigen, zusammengewürfelten Bevölkerung des damaligen Kalifornien, wie sie sich schwerlich jemals wieder irgendwo beisammen finden wird. Sie bestand aus zweihunderttausend jungen Männern, nicht gezierten, verwöhnten, behandschuhten Schwächlingen, sondern kräftigen, muskelstarken, tapfern und unerschrockenen Leuten, voll Mut und Thatkraft, die mit allen Eigenschaften, welche wahrer Männlichkeit zu Schmuck und Zier gereichen, im vollsten Maße ausgestattet waren, die Auserlesensten unter den Herren der Schöpfung. Man sah dort weder Frauen noch Kinder, noch gebückte, hinfällige Greise, nur junge Riesengestalten mit aufrechtem Gang, hellem Blick, starker Hand und geschmeidigen Gliedern. Ein schönes, ein herrliches Volk, die tapfersten Scharen, welche jemals in die menschenleeren Einöden eines noch unbekannten Landes einzogen. Und wo sind sie nun? – Zerstreut nach allen Enden der Welt, vorzeitig gealtert und verkommen, bei einem Straßenaufruhr ermordet, an gebrochenem Herzen und getäuschten Hoffnungen gestorben – alle dahin, als Opfer auf dem Altar des goldenen Kalbes verblutet. Es ist ein jammervoller Gedanke.

Nur starke, beherzte Männer waren ausgezogen, die Faulen, Schwerfälligen und Trägen hatten sie daheim gelassen; die kann man als Pioniere nicht gebrauchen, dazu gehören Leute von anderm Schrot und Korn. Aber wild ging es damals unter ihnen her. Sie schwelgten in Gold und Branntwein, in Raufereien[217] und beim Fandango und waren unaussprechlich glücklich. Ein wackerer Goldgräber holte sich täglich seine hundert bis tausend Dollars aus dem Boden. Wenn dann die Spielhöllen und andern Vergnügungslokale dafür sorgten, daß er bis zum nächsten Morgen keinen Cent mehr in der Tasche hatte, konnte er noch von Glück sagen. Die Leute kochten sich selbst ihr Gericht Speck mit Bohnen, nähten sich die abgerissenen Knöpfe an und wuschen ihre blauwollenen Hemden. Wer öffentlich mit weißer Wäsche und einem hohen Hut erschien, ward in eine Schlägerei verwickelt, ehe er sich’s versah. In dieser wilden, freien, zügellosen Gesellschaft waren alle Aristokraten verhaßt, auch ließ sich weder ein ganz jugendliches, noch ein weibliches Element dort jemals blicken. Man sagt, die Goldgräber hätten sich oft scharenweise versammelt, wenn es galt, das für sie seltsamste und herrlichste Schauspiel, den Anblick eines Weibes, zu genießen.

In einem ihrer Lager verbreitete sich einmal am Morgen die Nachricht, daß ein Weib angekommen sei. Man hatte aus einem Wagen auf dem Lagerplatz ein Kattunkleid heraushängen sehen – es mochten wohl Auswanderer von der großen Ebene jenseits der Berge hergekommen sein. Alles drängte sich nach dem Wagen, und als man ein wirkliches Kleid im Winde flattern sah, entstand ein großes Geschrei, bis der Auswanderer erschien. Dann hieß es wie aus einem Munde:

»Bringt sie heraus!«

Er erwiderte: »Es ist meine Frau, ihr Herren, sie ist krank, die Indianer haben uns alles geraubt, Geld und Mundvorrat – wir bedürfen der Ruhe.«

»Bringt sie heraus, wir müssen sie sehen!«

»Aber ihr Herren, das arme Ding kann nicht –«

»Bringt sie heraus!«

Als er ihnen endlich den Willen that, schwenkten sie die Hüte in der Luft und brachten ein dreimaliges donnerndes Hoch[218] aus, dann umringten sie sie alle, betrachteten sie, berührten ihre Kleider und horchten auf den Ton ihrer Stimme. Die Frau schien für sie mehr eine Erinnerung aus früherer Zeit, als etwas Wirkliches, Lebendiges zu bedeuten. Zuletzt brachten sie die Summe von 2500 Dollars in Gold zusammen, händigten sie dem Manne ein, schwenkten abermals die Hüte, riefen wieder dreimal Hoch und gingen befriedigt ihrer Wege.


Ich speiste einmal bei einem Herrn, der mir ein Abenteuer erzählte, welches seiner Tochter begegnet war, als die Familie zuerst in San Francisco landete. Die junge Dame selbst erinnerte sich nicht mehr daran, da sie zwei Jahre zählte, als sich diese wahre Geschichte zutrug. Sie waren gerade vom Schiff gekommen und gingen die Straße hinunter, voran die Dienerin mit der Kleinen auf dem Arm. Da trat ihnen ein riesiger Goldgräber entgegen mit großem Bart und breitem Gürtel, der über und über von Waffen starrte. Augenscheinlich kam der Mann soeben von einem längeren Aufenthalt im Gebirge zurück. Er hielt die Dienerin an und betrachtete sie mit Staunen und Wohlgefallen. Nach einer Weile sagte er in ehrerbietigem Ton: »Wahrhaftig, ich glaube, das ist ein Kind!« Dann zog er ein Ledersäckchen aus der Tasche und fuhr zur Wärterin gewandt fort:

»Dieser Sack enthält Goldstaub im Wert von hundertfünfzig Dollars. Lassen Sie mich das Kind einmal küssen und Sie sollen ihn haben.«

Wie sich doch die Zeiten ändern. Hätte ich damals, als ich mit bei Tische saß und die Anekdote anhörte, die doppelte Summe für die Erlaubnis geboten, dies selbe Kind küssen zu dürfen, man würde es mir abgeschlagen haben. Der Preis hatte sich in den siebzehn Jahren, welche seitdem verflossen waren, sehr beträchtlich gesteigert.

[219]

Hier will ich noch erwähnen, daß ich einmal bei meinem Aufenthalt in Star City im Humboldt-Gebirge mit einer Schar von Bergleuten im Gänsemarsch aufmarschiert bin, um durch den Spalt einer Hütte zu sehen, worin ein ganz neues, wunderbares Schauspiel unser wartete, nämlich der Anblick einer wirklichen, lebendigen Frau. Als endlich nach einer halben Stunde geduldigen Harrens die Reihe an mich kam, durch die Spalte zu gucken, stand sie richtig da, die eine Hand in die Seite gestemmt und beschäftigt, mit der andern Pfannkuchen zu stürzen. Sie sah aus, als sei sie hundertfünfundsechzig Jahre alt und hatte keinen Zahn mehr im Munde.


[220]

Erdbeben.

Einige Monate führte ich nun ein wahres Schmetterlingsdasein, wie ich es früher nie gekannt. Ich lebte in süßem Nichtsthun, war niemand verantwortlich und der Geldpunkt machte mir keine Sorgen. Nach den Alkaliwüsten und der öden Salbeigegend von Washoe erschien mir San Francisco wie ein Paradies und ich verliebte mich sterblich in diese Stadt herzlichster Geselligkeit.

Ich wohnte im besten Hotel, trug meine neuen Kleider auf allen Hauptplätzen und Straßen zur Schau, ging jeden Abend in die Oper und lernte von den Klängen der Musik hingerissen zu scheinen, die mein ungeschultes Ohr häufiger verletzten als bezauberten. Wenn ich nicht die gemeine Ehrlichkeit besaß, dies einzugestehen, so bin ich vermutlich in diesem Punkte nicht schlimmer als die meisten meiner Landsleute. Ich besuchte Privatgesellschaften im prächtigsten Ballanzug, that zimperlich, entfaltete meine ganze natürliche Anmut wie ein geborener Stutzer und tanzte Polka und Schottisch mit einem Schritt, der mir eigentümlich ist – mir und dem Känguruh. – Kurz, ich lebte als Schmetterling, wonach ich mich längst gesehnt hatte, und trat wie ein Mann auf, der (voraussichtlich) seine hunderttausend Dollars besaß und wahrscheinlich zu unbeschränktem Ueberfluß gelangen würde, sobald der Verkauf jener Silbermine im Osten[221] zum Abschluß kam. Inzwischen streute ich mein Geld reichlich umher, beobachtete das Steigen und Fallen der Aktien mit lebhaftem Interesse und behielt nebenbei im Auge, was sich in Nevada zutrug.

Dort ereignete sich etwas sehr Wichtiges. Die besitzende Klasse stimmte gegen die Staatsverfassung, aber die Leute, welche nichts zu verlieren hatten, waren in der Majorität und setzten die Annahme der Verfassung durch. Das war ohne Frage ein Unglück, obgleich es anfangs nicht so aussah. Ich schwankte hin und her, berechnete die möglichen Veränderungen des Geldmarktes und entschied mich endlich dafür, nicht zu verkaufen.

Die Aktien stiegen höher und höher und es begann ein tolles Spekulationsfieber. Bankiers, Kaufleute, Advokaten, Aerzte, Handwerker, Tagelöhner, selbst Waschfrauen und Dienstmädchen legten ihre Ersparnisse in Silberkuxen an. Die Spielwut hatte sich der ganzen Bevölkerung bemächtigt. Jede Sonne, die am Morgen aufging, schien beim Untergang auf Bettler, welche reich geworden und auf Reiche, die an den Bettelstab gebracht waren. Die Gould- und Curry-Kuxe stiegen bis auf 6300 Dollars der Fuß; dann nahm die ganze Herrlichkeit plötzlich ein jähes Ende und alle Welt war zu Grunde gerichtet. Ein schrecklicher Schiffbruch! Das Faß hatte den Boden verloren, es blieb kaum ein Tropfen daran hängen. Ich war unter den ersten, die gründlich an den Bettelsack kamen. Meine sämtlichen Aktien konnte ich einfach wegwerfen, sie galten nicht einmal so viel wie das Papier, auf dem sie gedruckt waren. Ich hatte als glücklicher Narr mit dem Geld um mich geworfen und geglaubt, das Mißgeschick könne mich nicht erreichen; jetzt besaß ich keine fünfzig Dollars mehr im Vermögen, nachdem meine Schulden zusammengerechnet und bezahlt waren.

Ich verließ das Hotel, bezog ein sehr bescheidenes Kosthaus, nahm eine Stelle als Zeitungsschreiber an und machte mich an[222] die Arbeit. Noch war mir nicht jede Hoffnung geschwunden, denn ich baute zuversichtlich auf den Verkauf der Silbermine im Osten. Mein Freund Dan ließ jedoch nichts von sich hören; entweder gingen meine Briefe alle verloren, oder sie blieben ohne Antwort.

Eines Tages fühlte ich mich wenig aufgelegt, meine Beschäftigung vorzunehmen und ging nicht ins Bureau. Als ich mich tags darauf wie immer gegen Mittag dort einstellte, fand ich auf meinem Pult ein Briefchen, das schon vierundzwanzig Stunden da gelegen hatte. Es war ›Marshall‹ unterzeichnet und enthielt die Bitte, ihn und seine Gefährten am Abend im Hotel zu besuchen. Sie seien auf der Durchreise nach dem Osten begriffen und wollten am nächsten Morgen absegeln. Es handle sich um eine große Bergwerksspekulation.

So außer mir bin ich in meinem ganzen Leben nicht gewesen. Ich schalt mich einen Thoren, daß ich von Virginia fortgegangen war und einem andern die Sache überlassen hatte, statt sie selbst in die Hand zu nehmen. Ich war wütend, daß ich gerade den einzigen Tag im Jahre aus dem Bureau wegbleiben mußte, an dem ich hätte dort sein sollen. Unter allerlei Selbstvorwürfen[223] trabte ich eine Meile weit bis zum Hafen und kam richtig gerade an als es zu spät war. Das Schiff war bereits abgefahren und unter Segel.

Zunächst tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß vielleicht bei der Spekulation nichts herauskommen würde, jedenfalls ein armseliger Trost; dann nahm ich mein Sklavenjoch wieder auf, entschlossen, mich mit meinen 33 Dollars die Woche zu begnügen und mir die Sache aus dem Sinn zu schlagen.


Einen Monat später genoß ich mein erstes Erdbeben, welches noch lange nachher das ›große Erdbeben‹ genannt wurde. Es war an einem hellen Oktobersonntag, als ich kurz nach 12 Uhr die dritte Straße herunterkam. Um diese Stunde war in dem dicht bebauten und bevölkerten Stadtteil weit und breit nichts in Bewegung als ein Mann im Einspänner hinter mir und ein Omnibus, der langsam eine Nebenstraße herauffuhr. Sonst war alles wie gefegt und es herrschte Sabbatstille. Als ich an einem Bretterhaus um die Ecke bog, hörte ich ein großes Krachen und Poltern, es mußte wohl drinnen eine Prügelei vor sich gehen, da gab es gewiß etwas zu berichten. Bevor ich aber noch die Thür gefunden hatte, kam ein wahrhaft entsetzlicher Stoß; der Boden unter mir schien in wellenförmiger Bewegung, dann folgte ein heftiges Heben und Senken und ein dumpfes, knirschendes Geräusch, als würden Backsteinhäuser aneinander gerieben. Ich fiel gegen das Bretterhaus und verletzte mich am Ellenbogen. Jetzt wußte ich, was das bedeutete und zog aus reinem Reportertrieb meine Uhr heraus, um mir Zeit und Stunde zu merken. In diesem Augenblick erfolgte ein dritter, weit stärkerer Stoß und während ich noch auf dem Pflaster umhertaumelte, bemüht, mich auf den Füßen zu halten, hatte ich einen Anblick sondergleichen: Die ganze Vorderseite eines vierstöckigen Backsteinhauses ging auf wie eine Thür und stürzte mit lautem Geprassel quer[224] über die Straße, daß der Staub aufwirbelte wie eine mächtige Rauchsäule.

Indessen kam der Einspänner herbei – der Mann flog hinunter und schneller als ich es zu berichten vermag, war das Fuhrwerk in kleinen Stücken längs der dreihundert Meter langen Straße umhergestreut. Der Omnibus hielt an, die Pferde drängten rückwärts und bäumten sich, die Fahrgäste strömten zu beiden Seiten heraus und ein dicker Herr, der mit halbem Leibe durch ein Glasfenster gezwängt und darin festgekeilt war, kreischte wie wahnsinnig, als stecke er am Spieß. Aus jeder Hausthür, soweit das Auge reichte, ergoß sich ein Strom menschlicher Wesen, in einem Moment war die ganze Straße, die ich überblicken konnte, von einer dichtgedrängten Menschenmasse bedeckt. Statt der feierlichen Stille herrschte urplötzlich das wildeste Wogen und Treiben.

Das Erdbeben brachte die wunderlichsten Erscheinungen zu Tage. Herren und Damen, die krank waren, oder gerade ihr Mittagschläfchen hielten, oder nach durchschwelgter Nacht der Ruhe pflegten, kamen in den seltsamsten Aufzügen auf die Straße gestürzt, viele nur sehr mangelhaft bekleidet oder auch gar nicht. Angesehene Bürger, die für äußerst streng in betreff der Sonntagsheiligung galten, liefen in Hemdärmeln aus den Schenkstuben heraus, das Billard-Queue noch in der Hand. Aus den Barbierstuben flohen zu Dutzenden Leute mit umgebundenen Servietten, bis unter die Augen eingeseift, auf einer Seite noch die Bartstoppeln, während die andere bereits glatt rasiert war. In einem Hotel kam ein bekannter Redakteur, nur mit dem Hemd auf dem Leibe, die Treppe heruntergelaufen. »Was soll ich thun?« jammerte er, »wohin soll ich gehen?«

»Am besten in einen Kleiderladen,« sagte das Zimmermädchen, dem er begegnete, in heiterer Unbefangenheit.

Pferde brachen aus den Ställen und ein Hund sprang in seiner Angst die Bodenleiter zum Dach hinauf, getraute sich aber[225] dann nicht, wieder denselben Weg zurückzukommen. In der Stadt fiel der Bewurf von so vielen Zimmerdecken herab, daß man große Felder damit hätte bestreuen können. Tagelang standen die Leute noch in Gruppen vor den Häusern, welche in breiten Zickzackrissen von oben bis unten zerborsten waren. Ein hundert Fuß langer Spalt that sich in einer Straße sechs Zoll breit auf und schloß sich dann wieder mit solcher Gewalt, daß die Erde sich an der Stelle wie ein Grabhügel aufwölbte. An einem Gebäude waren drei Schornsteine in der Mitte durchgebrochen und so herumgedreht, daß der Rauch keinen Abzug fand. Eine Dame fühlte plötzlich, daß der Salon, in dem sie saß, zu schwanken begann, gleich darauf sah sie, wie die Wand sich oben an der Decke zweimal aufthat und wieder schloß, wobei ein Backstein herunterfiel, wie ein Zahn aus einem offenen Munde. Eine andere Dame, welche die Treppe hinunter eilte, bemerkte zu ihrem Erstaunen, daß sich ein bronzener Herkules auf seinem Fußgestell zu ihr hinneigte, als wollte er sie mit der Keule erschlagen. Statue und Frau erreichten den Fuß der Treppe zu gleicher Zeit, letztere bewußtlos vor Entsetzen.

In einer der Kirchen warf der erste Stoß drei mächtige Orgelpfeifen herunter. Der Geistliche stand gerade mit emporgehobenen Händen da, um den Gottesdienst zu schließen. »Den Segen wollen wir heute fortlassen,« sagte er kurz – und an der Stelle, wo er gestanden hatte, war nur noch ein leerer Raum.

»Bleibt auf euren Sitzen,« ruft ein Prediger in Oakland nach dem ersten Stoß, »wenn ihr sterben sollt, so findet ihr nirgends einen besseren Platz dazu als hier.« Nach dem dritten Stoß fügte er jedoch hinzu: »Aber draußen ist es auch nicht schlecht,« und verschwand durch eine Hinterthür.

Die Frauen und Mädchen der Stadt erlitten schwere Verluste an Fläschchen mit Essenzen, Wohlgerüchen und allerlei Nippessachen, die das Erdbeben auf Kaminsimsen und Toilettentischen[226] zertrümmerte. Aufgehängte Bilder wurden herabgeworfen, oder – was noch häufiger geschah – vom Erdbeben aus mutwilliger Laune so herumgewirbelt, daß die Gesichter der Wand zugekehrt waren. Von dem Schaukeln und Schwanken der Straßen und Fußböden bekamen viele Tausende die Seekrankheit und fühlten sich noch stundenlang nachher schwach und elend; einige litten sogar tagelang an dem Uebel und ganz verschont blieb kaum einer.

Bald nach diesem Ereignis traf mich ein recht grausamer Schlag. In einer Nummer des ›Enterprise‹, die ich zufällig zur Hand nahm, fiel mein Blick auf folgende Mitteilung:

Nevada-Bergwerke in New York.

Ende Juli brachten die Herren G. M. Marshall, Sheba Hurst und Amos Rose Erzproben aus Gruben im Pine-Wood-Distrikt und am Reese-River nach New York.

Die eine, im Humboldt-County gelegene Grube haben die Eigentümer für den Preis von drei Millionen Dollars verkauft. Zum Betrieb ist bereits ein Kapital von einer Million Dollars eingezahlt worden, und die Maschinen für das große Quarz-Pochwerk, welches sogleich eingerichtet werden soll, sind schon angeschafft. Sämtliche Aktien der Gesellschaft sind vollbezahlt und steuerfrei.

Sheba Hurst, der Entdecker dieser Gruben, hat sich, bevor er seinen Fund veröffentlichte, den Besitz der besten Erzgänge gesichert, sowie den erforderlichen Grund und Boden und das nötige Bauholz. Seine Erzproben ergaben bei der Untersuchung einen außerordentlich reichen Gehalt an Silber und Gold; jedoch ist das Silber vorherrschend. Wir haben die Proben gesehen und uns überzeugt, daß es sich hier um keinen Schwindel handelt und die Gruben jenes Bezirks wirklich sehr wertvoll sind; deshalb vernehmen wir mit Befriedigung, daß sich das New Yorker Kapital bereitwillig an dem Unternehmen beteiligt.

So hatte denn die mir angeborene Einfalt wieder den Sieg davon getragen und ich hatte eine Million verloren.

[227]

Verweilen wir nicht länger bei dieser kläglichen Geschichte. Hätte ich sie erfunden, so wäre es mir ein Leichtes, sie humoristisch auszuschmücken, da sie aber nur allzu wahr ist, vermag ich sie selbst heutigen Tages noch nicht mit leichtem Herzen zu erzählen, trotzdem sie jetzt so weit hinter mir liegt. Ich will nur noch erwähnen, daß ich allen Mut verlor, mich in thörichtem Murren und Seufzen und fruchtlosem Gram verzehrte, darüber meine Pflichten versäumte und als Berichterstatter einer ›flotten‹ Zeitung kaum mehr zu gebrauchen war. Zuletzt nahm mich der Eigentümer des Blattes beiseite und erwies mir eine Wohlthat, deren ich mich noch jetzt voll Ehrerbietung erinnere. Er gab mir Gelegenheit auf die Stelle zu verzichten und rettete mich dadurch vor der Schande, meine Entlassung zu erhalten.


[228]

Am Bettelstabe.

Eine Zeitlang schrieb ich allerlei Litterarisches für die ›Goldene Aera‹ und andere Blätter. C. H. Webb hatte den ›Kalifornier‹ gegründet, ein ganz vortreffliches Wochenblatt, dessen hoher litterarischer Wert jedoch keine Bürgschaft für den Erfolg war. Das Journal siechte dahin und Webb verkaufte es an drei Drucker. Damals wurde Bret Harte für ein Gehalt von 20 Dollars die Woche Redakteur und ich verpflichtete mich für 12 Dollars allwöchentlich einen Artikel beizusteuern. Da der Absatz aber viel zu wünschen übrig ließ, verkauften die Drucker das Journal an den reichen Kapitän Opden, einen sehr angenehmen Herrn, der sich diesen teuern Luxus gestattete, ohne viel nach den Kosten zu fragen. Er bekam indessen das neue Spielzeug bald satt und gab es den Druckern zurück. Nicht lange darauf starb das Blatt eines sanften Todes und ich war wieder ohne Arbeit.

In den nächsten zwei Monaten hatte ich keine andere Beschäftigung, als meinen Bekannten aus dem Wege zu gehen. Ich verdiente keinen Cent, schaffte mir nicht die geringste Kleinigkeit an und bezahlte auch Kost und Wohnung nicht. Dagegen erwarb ich mir eine große Geschicklichkeit, mich überall fortzudrücken. Von einem Hintergäßchen drückte ich mich ins andere; sah ich von fern ein Gesicht, das mir bekannt vorkam, so drückte[229] ich mich; auch zu meinen Mahlzeiten schlich ich gedrückt, aß sie demütig und mit stummer Bitte um Verzeihung für jeden Bissen, den ich meiner großmütigen Wirtin stahl; drückte mich bis Mitternacht herum, jeden Ort vermeidend, wo Helligkeit und Heiterkeit zu finden war und schlich dann zu Bette. Ich kam mir niedriger, erbärmlicher und verächtlicher vor wie ein Wurm. Meine ganze Barschaft bestand in einem silbernen Zehn-Centstück; das hielt ich fest und wollte es um keinen Preis ausgeben, aus Furcht, der Gedanke, daß ich völlig mittellos sei, möchte mich überwältigen. Außer den Kleidern, die ich am Leibe trug, hatte ich alles versetzt und so hing ich denn mit verzweifelter Hartnäckigkeit an meinem letzten Geldstück, das schon ganz abgegriffen war, so oft hatte ich es durch die Finger gleiten lassen.

Das Elend liebt Gesellschaft. Dann und wann stieß ich nachts an irgend einem abgelegenen, schwach erleuchteten Ort mit einem andern Kinde des Unglücks zusammen. Der Mensch sah so schmierig und verkommen, so heimatlos, freundlos und verlassen aus, daß ich mich zu ihm hingezogen fühlte, wie zu einem Bruder. Auch er muß wohl eine ähnliche Empfindung gehabt haben, denn die Anziehung war gegenseitig; wenigstens trafen wir uns allmählich häufiger, wenn auch allem Anschein nach noch immer zufällig. Wir sprachen zwar nicht zusammen, ließen auch nicht merken, daß wir einander wiedererkannten, aber sobald wir uns sahen, schwand die dumpfe Beklommenheit aus unserem Gemüt. Wir taumelten dann beide in gemessener Entfernung befriedigt weiter, freuten uns unserer stummen Genossenschaft und blickten aus dem nächtlichen Schatten verstohlen in die Fenster hinein, nach den freundlichen Lichtern und den Familiengruppen am traulichen Kamin.

Endlich redeten wir einander an und waren seitdem unzertrennlich. Litten wir doch beide fast dieselben Schmerzen. Auch er war Berichterstatter gewesen und hatte seine Stelle eingebüßt;[230] dann war er immer mehr heruntergekommen und unaufhaltsam tiefer und tiefer gesunken – von der Wohnung auf dem Russenhügel zu dem Kosthaus in der Kearney-Straße, von dort zu Dupont und dann in eine Matrosenkneipe. Zuletzt hatte er sich in Warenkisten und leeren Tonnen auf der Werft sein Quartier gesucht. Durch das Zunähen geplatzter Getreidesäcke, die eingeschifft werden sollten, fristete er sich eine Zeit lang notdürftig das Leben; als dieser Verdienst aufhörte, suchte er sich seine Nahrung bald hier bald da, wie es der Zufall gerade fügte. Bei Tage ließ er sich nirgends mehr blicken, denn ein Reporter kennt arm und reich, hoch und niedrig, und kann es bei hellem Tage nicht gut vermeiden, bekannten Gesichtern zu begegnen.

Dieser Bettler – ich will ihn Blücher nennen – war ein prächtiger Mensch, voll Hoffnung, Thatkraft und echter Philosophie. Er war gut belesen und fein gebildet, besaß hellen Verstand und trefflichen Witz. Sein freundliches Wesen und sein großmütiges Herz gaben ihm in meinen Augen ein wahrhaft königliches Ansehen, sein Sitz auf dem Eckstein erschien mir wie ein Thronsessel und sein schäbiger Hut wie eine Krone.

Ein Abenteuer, das er mir erzählte, hat durch seine Absonderlichkeit mein Mitgefühl aufs höchste erregt und sich unauslöschlich in mein Gedächtnis eingegraben.

Seit zwei Monaten besaß er keinen Heller und war in den dunkeln Straßen beim Schein der matt brennenden freundlichen Lichter umhergeschlichen, bis ihm die Sache zur zweiten Natur wurde. Endlich aber trieb ihn der Hunger an das Tageslicht. Achtundvierzig Stunden hatte er keinen Bissen genossen und konnte das müßige Warten in seinem Versteck nicht länger ertragen. Er schlich durch eine Hintergasse, starrte voll gierigen Verlangens nach den Fenstern der Bäckerläden und hätte sein Leben für ein Stück Brot verkaufen mögen. Der Anblick der Eßwaren verdoppelte seinen Hunger, aber doch war es ihm eine[231] Wohlthat, sie wenigstens zu sehen und sich vorzustellen, wie ihm zu Mute sein würde, wenn er etwas zu essen hätte. Da sah er auf einmal mitten in der Straße einen glänzenden Punkt; er blickte wieder hin – durfte er seinen Augen trauen? Er wandte sich ab und sah dann noch einmal nach der Stelle, um ganz sicher zu sein. Nein, es war keine Sinnestäuschung, die der Hunger erzeugte, sondern Wirklichkeit – da lag ein silbernes Zehn-Centstück. Er schoß darauf zu, hob es auf, starrte es an, nahm es zwischen die Zähne – kein Zweifel, es war echt. Sein Herz jubelte laut, er vermochte kaum ein Jauchzen und Hallelujah zu ersticken. Dann sah er sich um – niemand beobachtete ihn; er warf die Münze wieder hin, wo sie gelegen, trat ein paar Schritte zurück, näherte sich abermals und that, als wisse er nicht, daß sie da sei, damit er noch einmal das Entzücken genießen könne, sie zu finden. Nun betrachtete er sie von verschiedenen Punkten aus, schlenderte, mit den Händen in den Taschen, umher, schaute nach den Ladenschildern, warf dann wieder einen raschen Blick auf das Geldstück und fühlte sich von Wonneschauern durchrieselt. Endlich hob er es auf und ging, es in der Tasche[232] streichelnd, von dannen. Er wählte die menschenleersten Straßen, stand von Zeit zu Zeit in einem Thorweg oder an der Ecke still und zog seinen Schatz heraus, um ihn zu betrachten. In seinem Quartier, einem leeren Geschirrfaß, angelangt, überlegte er bis in die Nacht hinein, was er dafür kaufen solle. Ein schwerer Entschluß. Ihm lag daran, so viel wie möglich zu bekommen. In der Bergmannsschenke, das wußte er, gab man einen Teller voll Bohnen und ein Stück Brot für zehn Cents oder einen Fischkloß mit Zubehör, aber ohne Brot. In Peters Speisehaus konnte er ein Kalbskotelett nebst einigen Rettichen und Brot für zehn Cents haben, oder eine große Tasse Kaffee mit einer Brotschnitte, die aber schändlicherweise oft nur sehr dünn ausfiel.

Um sieben Uhr empfand er einen wahren Wolfshunger, doch hatte er noch keine Entscheidung getroffen. Er machte sich auf den Weg, ging noch immer rechnend die Straße hinauf und kaute an einem Holzstückchen, wie es Leute, die nahe am Verhungern sind, zu thun pflegen. Vor Martins erleuchtetem Restaurant, dem vornehmsten der ganzen Stadt, blieb er stehen; in besseren Tagen hatte er da oft gespeist und Martin kannte ihn gut. Er trat abseits, um aus dem Bereich der Lichter zu kommen, blickte andächtig nach den Wachteln und Beefsteaks im Schaufenster und dachte, vielleicht wären die Zeiten der Märchen noch nicht vorüber, und ein verkleideter Prinz könnte daherkommen und ihn auffordern, einzutreten und zu nehmen, was er wolle. Je mehr er sich in den Gedanken vertiefte, um so hungriger kaute er an dem Holzstückchen.

Da fühlte er plötzlich, daß jemand neben ihm stand und seinen Arm berührte. Er sah auf und erblickte ein Gespenst – das wahre Bild des Hungers. Es war ein baumlanger, hagerer Mensch, in Lumpen gehüllt, Haar und Bart ungeschoren, mit ausgemergeltem Gesicht, eingesunkenen Wangen und Augen, die ihn jammervoll anblickten.

[233]

»Kommen Sie mit mir,« sagte er und hing sich an Blüchers Arm. Als sie eine Stelle erreicht hatten, wo das Licht nur schwach schien und wenige Leute vorüber gingen, blieb er stehen und hob die Hände flehend empor.

»Freund – Fremder, sehen Sie mich an,« stammelte er. »Sie freuen sich Ihres Lebens in Ruhe und Behagen, wie ich einst in meiner guten Zeit. Sie haben dort drinnen herrlich zu Abend gespeist, ein Liedchen gesummt und bei sich gedacht, es ist doch schön auf der Welt. Sie haben nie Not gelitten, Sie wissen nicht was Kummer und Elend ist, Sie kennen den Hunger nicht! – Sehen Sie mich an, Fremder, haben Sie Erbarmen mit einem freundlosen, heimatlosen Menschen. So wahr Gott lebt – seit achtundvierzig Stunden habe ich keinen Bissen gegessen; schauen Sie mir ins Auge, ich lüge nicht. Geben Sie mir nur eine Kleinigkeit, mich vom Hungertode zu retten; was Sie wollen – 25 Cents genügen mir. Thun Sie es, Fremder, ich bitte, ich beschwöre Sie. Ihnen ist es ein Leichtes und mein Leben hängt daran. Ich will vor Ihnen im Staube liegen und den Boden küssen, den Ihr Fuß betritt. Nur 25 Cents! Ich gehe zu Grunde, ich sterbe, ich verhungere. Um des Himmels willen, verlassen Sie mich nicht!«

Blücher war außer sich, bis ins Innerste gerührt und ergriffen. Er überlegte hin und her, dann rief er von einem plötzlichen Gedanken beseelt:

»Ja, so wird es gehen!« Den Arm des Elenden ergreifend, führte er ihn nach Martins Restaurant, ließ ihn dort an einem Marmortisch Platz nehmen, legte den Speisezettel vor ihn hin und sagte:

»Bestellen Sie jetzt was Sie wollen, Freund. Es geht auf meine Rechnung, Herr Martin.«

»Schon gut, Herr Blücher,« versetzte der Speisewirt.

Gegen den Schenktisch gelehnt, sah Blücher zu, wie der[234] Mensch ein Stück Buchweizenkuchen zu 75 Cents nach dem andern heißhungrig verschlang, verschiedene Tassen Kaffee hinunterstürzte und Beefsteaks die Portion zu zwei Dollars verzehrte. Als der Fremde Speisen im Wert von etwa sechs und einem halben Dollar vertilgt hatte und sein Hunger gestillt war, begab sich Blücher nach Peters Speisehaus, kaufte für sein Zehn-Centstück ein Kalbskotelett und ein Stück Brot, machte sich darüber her und schmauste wie ein König.


[235]

Tom Quarz.

Bald darauf traf ich einen früheren Bekannten, der Bergmann in einem der verlassenen Grubendistrikte Kaliforniens war. Ich ging mit ihm zurück und blieb mehrere Monate dort unter den Goldgräbern, welche in der ausgedehnten Hügel- und Waldlandschaft vier bis fünf zerstreute Hütten bewohnen. In der flotten Zeit, ehe die Gruben erschöpft waren, hatte in dieser Einöde eine blühende Stadt mit einer Bevölkerung von zwei- bis dreitausend Menschen gestanden; jetzt war alles spurlos verschwunden – Straßen, Wohnhäuser, Läden – und nur eine Handvoll Bergleute an Ort und Stelle zurückgeblieben, die sich längst in ihre Verbannung gefunden und die Welt vergessen hatten, wie sie von aller Welt verlassen waren.

Einer meiner dortigen Kameraden, der seit achtzehn Jahren sein geplagtes Leben voll Entbehrungen und Enttäuschungen geduldig ertragen hatte, war Dick Baker, ein ernster, schlichter Mann, sechsundvierzig Jahre alt, grau wie eine Ratte, halbwegs gebildet, in schlotteriger mit Lehm beschmutzter Kleidung. Sein Herz aber war von kostbarerem Gold, als er mit seiner Schaufel je zu Tage gefördert hatte, von feinerem Metall als jemals gegraben oder gemünzt worden war.

So oft Baker kein Glück hatte und etwas niedergeschlagen war, pflegte er um den Verlust einer wundervollen Katze zu[236] trauern, die ihm früher gehört hatte. Wenn er von ihrer merkwürdigen Klugheit sprach, so sah man es ihm am Gesicht an, daß er im Innersten seines Herzens überzeugt war, sie müsse menschliche, – ja sogar vielleicht übermenschliche – Eigenschaften besessen haben.

Einmal kam er auch in meinem Beisein auf das Tier zu sprechen.

»Acht Jahre lang,« sagte er, »hatte ich hier eine Katze, die hätte Sie gewiß interessiert. Sie hieß Tom Quarz, war groß und grau und eigentlich ein Kater, mit so viel gesundem Menschenverstand wie irgend einer von uns im Lager. Tom hatte auch ein gewaltiges Selbstgefühl im Leibe, sogar dem Gouverneur von Kalifornien würde er nicht gestattet haben, sich Vertraulichkeiten gegen ihn herauszunehmen. Eine Ratte hatte er sein Lebtag nicht gefangen – war vermutlich zu vornehm dazu. Die einzige Angelegenheit, um die er sich kümmerte, war der Bergbau. Vom Goldgraben verstand er mehr als irgend jemand in der Welt, die Kenntnis war ihm förmlich angeboren, alles wußte er, was die Arbeit auf den Goldfeldern betraf, man konnte ihm gar nichts Neues mehr sagen. Er grub hinter mir und Jim drein, wenn wir die Berge durchsuchten und trabte oft meilenweit mit uns umher. Ein vorzügliches Urteil hatte er über den Boden, wo was zu finden sei; wahrhaftig, mir ist nichts Aehnliches wieder vorgekommen.[237] Wenn wir an die Arbeit gingen, warf er nur einen Blick um sich; mißfielen ihm dann die Anzeichen, so machte er ein Gesicht, das bedeuten sollte: »Na, Freunde, ihr werdet mich wohl entschuldigen,« – dabei hob er die Nase in die Luft und trollte sich nach Hause, ohne noch ein Wort zu sagen. War er aber mit dem Platz einverstanden, so verhielt er sich ruhig, bis die erste Pfanne ausgespült war, dann schlängelte er sich in unsere Nähe und wenn er sechs oder sieben Körner Gold sah, war er zufrieden und die Aussichten schienen ihm gut. Er legte sich nun auf unsere Röcke und fauchte wie ein Dampfboot, sobald wir jedoch auf eine ergiebige Stelle stießen, fuhr er blitzschnell in die Höhe und machte sich ans Besichtigen.

»Jetzt kam die Zeit, wo alle Welt darauf versessen war, das Gold im Gestein, statt in der Erde zu suchen, alle hackten und sprengten nun, anstatt Erde zu schaufeln, jeder wollte einen Schacht graben, statt bloß an der Oberfläche zu kratzen. Jim ließ mir keine Ruhe, wir mußten auch nach Erz im Gestein suchen. Als wir den Schacht anzulegen begannen, machte Tom Quarz große Augen, was zum Henker wir denn vor hätten; solche Bergwerkerei schien ihm unerhört, er war ganz verblüfft und konnte uns nicht begreifen. Daß mein Kater aber genau wußte, worauf wir hinaus wollten, darauf möchte ich wetten; er sah immer aus, als ob er unsere Arbeit für die größte Thorheit hielt. Neumodische Einrichtungen konnte er nun einmal nicht ausstehen und war schwer von seinen alten Gewohnheiten abzubringen. Erst ganz allmählich versöhnte sich Tom Quarz einigermaßen mit dem neuen Betrieb, obwohl er es nie recht einsah, warum wir immer und ewig in den Schacht einfuhren und doch nichts Ordentliches herausholten. Zuletzt kam er selber herunter um zu versuchen, ob er sich’s klar machen könne; aber es verwirrte ihn nur, uns zuzusehen, er ward ärgerlich und die ganze Sache war ihm zuwider, zumal er wußte, daß unsere[238] Ausgaben fortwährend anwuchsen und wir nicht einen Cent verdienten. So legte er sich denn auf einen Pulversack im Winkel, rollte sich zusammen und schlief ein.

»Eines Tages trafen wir in dem Schacht auf so hartes Gestein, daß wir einen Sprengversuch vornehmen mußten, den ersten, seitdem Tom Quarz geboren war. Wir steckten die Lunte an, kletterten heraus und liefen etwa fünfzig Meter weit fort – den Kater aber, der auf seinem Pulversack in festem Schlafe lag, hatten wir richtig vergessen. Eine Minute später sahen wir aus dem Loch eine dicke Rauchsäule aufsteigen, dann that es einen fürchterlichen Krach und etwa vier Millionen Tonnen Steine, Erde, Rauch und Splitter flogen wohl anderthalb Meilen hoch in die Luft; und wahrhaftig, mitten in dem Wirrwarr sauste kopfüber, kopfunter unser alter Tom Quarz mit in die Höhe, schnaubte, nieste und streckte die Klauen aus wie besessen, um sich irgendwo festzuhalten, aber es nützte ihn rein gar nichts.

»Nun vergingen wohl dritthalb Minuten, ohne daß wir was von ihm zu sehen kriegten, dann fing es auf einmal an, Steine und Schmutz zu regnen und auch der Kater fiel herunter,[239] etwa zehn Fuß vor dem Fleck wo wir standen. Na, der sah schön aus; ein erbärmlicheres Geschöpf ist mir all mein Lebtag nicht vorgekommen. Ein Ohr saß ihm im Nacken, der Schwanz stand steif in die Höhe, die Augenwimpern waren abgesengt, der Körper ganz von Pulver und Rauch geschwärzt und mit Schlamm und Schmutz überzogen. Wir starrten ihn an und brachten kein Wort heraus – was hätten auch alle Entschuldigungen jetzt nützen können? – Tom Quarz warf einen Blick voll Ekel auf sich selber, dann aber sah er uns an, als wolle er sagen: »Ihr dünkt euch wohl recht schlau, daß ihr einer Katze, die nichts vom neuen Bergbau versteht, so mitgespielt habt – aber ich sehe die Sache von einem andern Gesichtspunkt an.« Damit machte Tom rechtsumkehrt und marschierte nach Hause, ohne noch weiter ein Wort zu verlieren, das war so seine Art.

»Mögen Sie’s nun glauben oder nicht – von der Zeit an gab es in der ganzen Welt keine Katze, die mehr gegen den Quarzbau eingenommen war wie er. Als er endlich wieder anfing, den Schacht zu befahren, verwunderten wir uns alle über seine Schlauheit. Es war wirklich merkwürdig – kaum, daß wir das Pulver zum Sprengen gelegt hatten und die Lunte anzündeten, so warf er uns einen Blick zu, in dem zu lesen stand: »Nun empfehle ich mich Ihnen ergebenst –« im Nu war er dann zum Loch hinaus und auf einen Baum geklettert, so hoch er konnte. Was sage ich – Schlauheit – das ist gar kein Wort dafür; es war eine förmliche Eingebung.«

»Wissen Sie, Herr Baker,« versetzte ich, »wenn man sich auf den Standpunkt des Katers stellt, scheint mir sein Vorurteil eigentlich ganz begreiflich. Haben Sie denn nie versucht, ihn davon zu heilen?«

»Wo denken Sie hin! Nein, wenn Tom Quarz sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, so blieb er dabei durch dick und dünn. Sie hätten ihn, wer weiß wie oft, in die Luft[240] sprengen können, von seiner verfluchten Abneigung gegen den Quarzbau wäre er doch nicht abzubringen gewesen.«

Während Baker dies beredte Zeugnis für die festen Grundsätze seines alten Freundes ablegte, strahlte sein ganzes Gesicht vor Liebe und Stolz. Die Erinnerung daran wird mir stets unvergeßlich bleiben.

Mein Freund Dick Baker war auch sonst ein Tierfreund. In den Wäldern und Bergen des abgelegenen Winkels von Kalifornien hatte er sich mit den Vögeln und Vierfüßlern, welche dort heimisch sind, innig befreundet. Er war fest davon überzeugt, daß er jede Aeußerung dieser Tiere verstand; ebenso wie jener amerikanische Gelehrte, der unlängst in eingehender Weise über die Sprache der Affen ein Werk geschrieben hat.

Dick Baker stellte in dieser Beziehung ganz bestimmte Behauptungen und Regeln auf. Einige Tiere, meinte er, haben nur geringe Bildung genossen, und bedienen sich daher einer ganz einfachen Ausdrucksweise, ohne Bilder und Gleichnisse; andere dagegen verfügen über einen großen Wortschatz, beherrschen die Sprache vollkommen und haben einen freien, fließenden Vortrag. Diese sprechen gern und viel; sie sind sich ihres Talentes bewußt und wollen es zur Geltung bringen. Nach langer und sorgfältiger Beobachtung war Baker zu der Ueberzeugung gekommen, daß es in der ganzen Tierwelt keinen besseren Redner giebt, als den Blauhäher.[5]

[5] Der amerikanische Blauhäher hat ein viel glänzenderes und buntfarbigeres Gefieder als unser gewöhnlicher Eichelhäher.

»Ja,« sagte er, »hinter einen Blauhäher kommt man nicht so leicht! Man glaubt nicht, was für Stimmungen und Gefühle der hat und wie er sie alle auszudrücken versteht. Dabei spricht er nicht etwa alltägliches Zeug – nein, wie ein Buch – die schönsten Redewendungen strömen ihm nur so heraus. Mit der[241] Sprache versteht er umzuspringen wie keiner; ihm fehlt nie ein Wort, das kommt gar nicht vor; ganz ungesucht fließen sie ihm zu. Und noch was habe ich bemerkt: Kein Vogel, keine Kuh oder sonst ein Geschöpf spricht so fein wie der Blauhäher! Eine Katze meint ihr? Jawohl, die spricht freilich fein – aber laßt sie einmal in Aufregung geraten! Wenn sie sich nachts mit einer andern Katze auf dem Dach rauft, dann hört zu, in was für Ausdrücken sie sich ergeht, – es wird einem übel und weh dabei.

»Man kann den Häher wohl mit einem gewissen Recht zu den Vögeln zählen – weil er Federn hat, vielleicht auch weil er keine Steuern zahlt: aber in anderer Beziehung ist er ganz wie unsereins. Denn sehen Sie, ein Häher hat Triebe und Gaben, Gefühle und Interessen, so gut wie ein Mensch. Ein Häher hat keine strengeren Grundsätze als ein Roßkamm. Er stiehlt, er lügt und betrügt, er hintergeht jeden wo er nur kann, kein noch so feierliches Versprechen ist bindend für ihn. Was Pflichttreue ist, kann man ihm nicht begreiflich machen. Der beste Beweis aber ist, daß ein Häher fluchen und schwören kann, wie kein Lümmel weit und breit! – Eine Katze kann auch fluchen und schwören. Jawohl, das kann sie freilich – aber wenn ein Häher ’mal richtig im Zuge ist, so vermag es keine Macht im Himmel und auf Erden mit ihm aufzunehmen. Im Zanken und Schelten ist er Meister, so derb und flink, daß niemand gegen ihn aufkommt.

»Was ein Mensch kann, das kann ein Blauhäher auch: Er kann weinen, lachen und sich schämen, er kann Schlüsse und Pläne machen und seine Sache verfechten, er liebt Geschwätz und Klatschgeschichten, hat Sinn für Humor, und wenn er einen dummen Streich gemacht hat, so weiß er’s besser als ich und Sie. Kurz, ein Häher ist ähnlich wie ein Mensch – das lass’ ich mir nicht nehmen.

[242]

»Ich will Ihnen übrigens noch eine wahre Geschichte von den Blauhähern erzählen, für die ich mich verbürgen kann.

»Der Vorfall trug sich zu, als ich gerade anfing, die Hähersprache richtig zu verstehen.

»Der letzte Mensch, der außer mir in dieser Gegend wohnte, ist vor sieben Jahren fortgezogen; sein Blockhaus nebenan steht seitdem leer, es hat nur ein großes Zimmer und darüber die rohen Balken und das Bretterdach. An einem Sonntagmorgen saß ich nun einmal mit meiner Katze hier vor der Hütte, sonnte mich, sah nach den blauen Bergen hinüber, hörte das Laub der Bäume rauschen in der Einsamkeit und dachte an meine Heimat draußen in der Welt – seit dreizehn Jahren wußte ich nicht mehr, wie’s dort zuging. Da fliegt ein Häher mit einer Eichel im Schnabel auf das Blockhaus und sagt: ›Oho, was entdecke ich da?‹ Daß ihm bei diesen Worten die Eichel aus dem Schnabel fällt und natürlich vom Dach hinabrollt, kümmert ihn wenig, er ist einzig und allein mit seiner Entdeckung beschäftigt. Es war ein Astloch im Dach. Den Kopf auf die Seite gedreht, kneift er ein Auge zu, schaut mit dem andern in das Loch hinein, sieht dann vergnügt in die Höhe, lüftet die Flügel ein paarmal vor innerm Wohlbehagen und sagt: ›Es sieht aus wie ein Loch, es ist wo ein Loch hingehört, – sollte es am Ende wirklich ein Loch sein?!‹ –

»Er hält den Kopf nach unten, guckt noch einmal hinein, blickt wieder auf, bewegt Flügel und Schwanz vor Freude und sagt: ›Ja, ja, es ist ganz richtig – bin ich ein Glückspilz! – ein prächtiges, ordentliches Loch, gewiß und wahrhaftig!‹ Dann fliegt er auf den Boden, holt die Eichel herauf, wirft den Kopf zurück, und mit dem süßesten Lächeln der Welt läßt er sie hineinfallen. Er scheint zu lauschen, seine Miene wird ernsthafter, und voll komischer Verwunderung sagt er endlich: ›Ich hab’ sie[243] doch nicht fallen hören!‹ Wieder hält er das Auge ans Loch, schaut lange hinein, blickt dann auf und schüttelt den Kopf. Dann versucht er’s von der andern Seite – abermaliges Kopfschütteln. Um das ganze Loch marschiert er herum, besieht sich’s genau und schaut von allen Himmelsgegenden hinein. Umsonst! Nachdenklich sitzt er auf dem Dachfirst und kraut sich den Kopf mit dem rechten Fuß, bis er zuletzt sagt: ›Das geht über meine Begriffe! Das Loch muß wirklich gehörig tief sein! Aber länger kann ich mich nicht zum Narren machen, ich muß an die Arbeit. Die Sache wird schon ihre Richtigkeit haben, ich lasse es eben drauf ankommen.‹

»Er fliegt auf und davon, kommt mit einer zweiten Eichel wieder, läßt sie hineinfallen und hält schnell das Auge ans Loch, um zu sehen, was draus wird – aber zu spät. Wohl eine Minute lang schaut er hinein, dann blickt er seufzend auf: ›Alle Wetter, das ist doch zu toll, das versteh’ ’mal einer! – aber ich probier’s wieder.‹

»Bei der dritten Eichel thut er was er kann, um ihr noch schneller nachzusehen, aber vergebens. ›So ein Loch ist mir noch nicht vorgekommen,‹ sagt er, ›es muß wohl eine ganz neue Art sein, wie ich noch keins gesehen habe.‹

»Nun gerät er in Zorn. Zuerst bezwingt er sich noch, stolziert auf dem Dachfirst auf und ab, schüttelt den Kopf und brummt in sich hinein; dann übermannen ihn die Gefühle und er fängt an zu schimpfen, bis er vor Aerger ordentlich schwarz wird. Noch nie hab’ ich einen Vogel um so einer Kleinigkeit willen in solcher Wut gesehen. Wie er genug gewettert hat, geht er wieder ans Loch, sieht lange hinein und sagt dann: ›’s ist ein dunkles Loch, ein tiefes Loch und ein sehr komisches Loch, aber nun ich einmal angefangen hab’ es zu füllen, will ich’s auch durchsetzen, und wenn’s hundert Jahre dauert.[244]

»Fort fliegt er, und all’ mein Lebtag hab’ ich noch nie einen Vogel so arbeiten sehen wie den. Dritthalb Stunden ging das in einem fort. Eichel auf Eichel warf er ins Loch, kein einzigesmal schaute er mehr hinein, sondern flog nur immer hin und wieder. Ich war so voll Spannung und Aufregung, daß ich nichts anderes sah und dachte.

»Endlich ist er aber doch so abgearbeitet, daß er kaum noch die Flügel regen kann. In Schweiß gebadet kommt er herbeigeflogen, läßt die Eichel hineinfallen und sagt: ›Nun wirst du, denke ich, wohl genug haben, du altes Loch.‹

»Er steckte den Kopf hinein, und wie er wieder aufsieht, ist er ordentlich blaß vor Wut, – Sie können mir’s glauben, lieber Herr! – ›Ausstopfen sollen sie mich und ins Museum stellen,‹ schreit er, ›wenn ich auch nur eine Spur von den Eicheln entdecken kann, eine ganze Familie könnte sich dreißig Jahre davon satt essen, so viel hab’ ich hineingetragen!‹

»Mühsam schleppt er sich auf den Dachfirst, lehnt sich an den Schornstein, überdenkt die Sache und macht dann seinem Herzen Luft. Na, das hätten Sie hören sollen! So was von Schimpfen und Schelten ist mir mein Lebtag nicht vorgekommen!

»Während er im besten Zuge ist, kommt ein anderer Häher vorbeigeflogen, hält an und fragt, was es denn giebt. Sein armer Freund trägt ihm die ganze Sache vor und sagt: ›Wenn du mir’s nicht glauben willst, so geh’ und sieh’ selbst nach, – da drüben ist das Loch!‹

»Das thut der zweite Häher, und wie er alles genau betrachtet hat, kommt er zurück und fragt: ›Wie viele hast du denn eigentlich hineingeworfen?‹ – ›Wenigstens zwei Säcke voll,‹ versetzt jener.

»Der Häher geht abermals zum Loch und sieht hinein – es scheint ihm ganz unerklärlich; auf seinen Ruf kommen noch[245] drei Häher herbei. Alle untersuchen das Loch, lassen sich die Geschichte erzählen und streiten hin und her, als ob ebenso viele Menschen ihre hohlköpfigen Ansichten zum Besten gäben.

»Noch mehr Häher werden herzugerufen, sie kommen in immer größeren Scharen geflogen, bis alles ringsumher ganz blau davon schimmert. Es mögen wohl an die fünftausend gewesen sein, und ein solches Lärmen, Hacken, Krähen und Schimpfen ist noch nie dagewesen. Jeder einzelne Häher hält das Auge ans Loch und alle kramen ihre Meinungen über das rätselhafte Ereignis aus – eine immer unsinniger wie die andere. Dann wird das ganze Haus untersucht. Die Thüre steht halb offen und ein alter Häher, der in die Nähe kommt, guckt zufällig hinein. Nun war’s mit dem Geheimnis auf einmal vorbei: da lagen alle die Eicheln auf dem ganzen Boden umhergestreut. Der Häher schlägt mit den Flügeln und erhebt ein Geschrei: ›Hierher,‹ ruft er, ›kommt alle her, der närrische Kerl hat das ganze Haus mit Eicheln füllen wollen!‹

»Da kamen sie herabgeschossen wie eine blaue Wolke; jeder geht zur Thüre, schaut hinein, und sobald ihm der ganze Unverstand des ersten Hähers klar wird, fällt er rücklings über und will vor Lachen bersten; dann kommt der nächste an die Reihe, guckt hinein und macht es ebenso.

»Hierauf saßen alle wohl über eine Stunde auf dem Hausdach und ringsum in den Bäumen und schüttelten sich vor Lachen, gerade wie die Menschen.


»Der Blauhäher hat viel Sinn für Humor – das lass’ ich mir nicht ausreden. Und ein gutes Gedächtnis hat er auch. Drei Jahre lang kamen Häher aus allen Staaten der Union jeden Sommer angeflogen, um in das Loch hinunterzusehen; auch andere Vögel brachten sie mit. Alle freuten sich an dem Spaß,[246] nur eine alte Eule nicht, die auf einer Forschungsreise nach Naturmerkwürdigkeiten begriffen, unterwegs auch das wunderbare Loch besichtigen wollte. Sie sagte, sie könne nicht einsehen, was für ein Witz dabei sei, – indes die andern Merkwürdigkeiten hatten auch nicht viel Eindruck auf sie gemacht.«


[247]

Die Vorlesung.

Nach meiner Irrfahrt befand ich mich endlich wieder zu Hause in San Francisco ohne Mittel und ohne Beschäftigung. Ich zermarterte mir das Hirn, um einen Plan zu finden, der mich retten könnte und verfiel zuletzt darauf, eine öffentliche Vorlesung zu halten. In fieberhafter Erregung setzte ich mich voll Hoffnung hin und schrieb einen Vortrag nieder. Ich zeigte ihn verschiedenen Freunden, aber sie schüttelten alle die Köpfe und meinten, höchst wahrscheinlich würde niemand kommen, um mir zuzuhören und ich würde beschämt wieder abziehen müssen. Aber selbst im Fall die Vorlesung zu stande käme, müßte sie schmählich mißlingen, da ich ja nie zuvor öffentlich gesprochen hätte. Das machte mich ganz trostlos. Endlich jedoch klopfte mir ein Redakteur vertraulich auf den Rücken und meinte: »Ich will Ihnen was sagen! Mieten Sie den größten Saal in der Stadt und fordern Sie einen Dollar Eintrittsgeld. Bange machen gilt nicht.«

Die Tollkühnheit des Vorschlags reizte mich, umsomehr als viel praktische Weisheit und Weltkenntnis darin lag. Auch ein Theaterbesitzer hielt den Rat für gut und bot mir sein großes neues Opernhaus für fünfzig Dollars an – die Hälfte des gewöhnlichen Preises. Aus reiner Verzweiflung ging ich darauf ein und mietete es auf Kredit – aus triftigen Gründen.[248] In drei Tagen ließ ich nun für 150 Dollars Anzeigen und Zettel drucken und war wohl das verzagteste und geängstetste Menschenkind an der ganzen Küste des Stillen Ozeans. Schlafen konnte ich nicht, das wäre wohl unter solchen Umständen niemand möglich gewesen. Wenn andern Leuten die letzte Zeile meines Anschlagzettels vielleicht scherzhaft erschienen ist, so hatte sie doch für mich einen sehr kläglichen Anstrich; mir war furchtbar beklommen zu Mute, als ich schrieb:

»Die Thüren werden um 7½ Uhr geöffnet.
Um 8 Uhr beginnt das Unheil.«

Der Satz hat manchem seither gute Dienste geleistet. Besitzer von Schaubuden haben ihn mir abgeborgt und einmal fand ich ihn sogar am Schluß einer Anzeige, durch welche den Schulzöglingen der Beginn des neuen Kursus nach den Ferien angekündigt wurde.

Während die drei Tage in peinlicher Erwartung langsam vergingen, wurde ich immer unglücklicher. Ich hatte zweihundert Eintrittskarten an meine persönlichen Bekannten verkauft, aber ich fürchtete, sie würden sämtlich fortbleiben. Meine Vorlesung, die mir zuerst humoristisch vorgekommen war, wurde von Stunde zu Stunde langweiliger und trübseliger, bis auch nicht mehr der Schatten eines Witzes darin zu entdecken war und ich bedauerte, daß ich nicht einen Sarg auf die Bühne bringen und die ganze Geschichte in ein Leichenbegängnis verwandeln konnte.

Zuletzt befiel mich eine solche Höllenangst, daß ich mich entschloß, drei alte Freunde – gutherzige Gemüter und wahre Riesengestalten – aufzusuchen, welche Stimmen besaßen, die dem Brüllen des Sturmwinds glichen.

»Hört einmal,« sagte ich zu ihnen, »ich falle gewiß mit der Sache durch; die Witze sind so tiefsinnig, daß kein Mensch sie verstehen wird. Würdet ihr mir wohl den Gefallen thun, euch ins Parkett zu setzen, um mir Beistand zu leisten?«

[249]

Als sie dies versprochen hatten, ging ich zu der Frau eines bekannten und beliebten Bürgers, die ich bat, mit ihrem Manne in der Loge links von der Bühne Platz zu nehmen, wo alle Welt sie sehen könne. Ich stellte ihr vor, wie sehr ich ihrer Hilfe bedürfe und machte mit ihr aus, ich würde mich jedesmal nach ihr hinwenden und lächeln, zum Zeichen, daß ich einen schwerverständlichen Witz losgelassen hätte; »dann aber grübeln Sie, bitte, nicht lange darüber nach,« fügte ich hinzu, »sondern folgen Sie meinem Wink.«

Sie gab mir ihre Zusage und ich entfernte mich. Auf der Straße begegnete mir ein Mann, den ich noch niemals gesehen hatte. Er war angetrunken und strahlte vor Gutmütigkeit.

»Mein Name ist Sawyer,« sagte er, »Sie kennen mich nicht, doch das ist einerlei. Ich habe keinen Cent in der Tasche, aber wenn Sie wüßten, wie gern ich einmal lachen möchte, so schenkten Sie mir sicherlich ein Billet. Na, was meinen Sie dazu?«

Statt der Antwort fragte ich: »Wie verhält es sich denn mit Ihren Lachmuskeln? Ich meine – platzen Sie leicht heraus oder sind Sie sehr wählerisch in betreff der Späße?«

Meine langsame, gedehnte Sprechweise kam ihm so komisch vor, daß er sogleich einige Proben seiner Lachkunst zum Besten gab; ich sah, es war gerade die Sorte, welche ich brauchte. So schenkte ich ihm denn ein Billet in der Mitte der zweiten Abteilung, für die er alle Verantwortlichkeit übernahm, und belehrte[250] ihn darüber, wie er etwaige, undeutliche Scherze erkennen könne. Als wir uns trennten, kicherte er wohlgefällig über die Neuheit des Planes.

An dem letzten der drei schicksalsschweren Tage aß ich keinen Bissen – ich litt nur Qualen. An diesem Tage sollte der Verkauf der reservierten Logenplätze stattfinden. Als ich mich gegen vier Uhr nachmittags an die Theaterkasse schlich, um zu sehen, ob Eintrittskarten gelöst worden seien, fand ich sie verschlossen – der Billetverkäufer hatte sich entfernt. Ich mußte heftig schlucken, denn das Herz schlug mir bis in den Hals hinauf. »Also, gar nichts verkauft,« sagte ich mir; »das hätte ich vorher wissen können.« Ich dachte in vollem Ernst daran, die Flucht zu ergreifen, Krankheit vorzuschützen, oder einen Selbstmord zu begehen, so erbärmlich war mir zu Mute. Aber natürlich mußte ich mir das alles aus dem Sinn schlagen und meinem Schicksal die Stirne bieten. Es war mir unmöglich, bis halb 7 Uhr zu warten, ich mußte dem Greuel ins Angesicht sehen und damit fertig werden. Aehnliche Gefühle mag ein Mensch haben, der gehängt werden soll.

Um sechs Uhr ging ich auf Nebenwegen nach dem Theater und trat durch eine Hinterthür ein. Ich stolperte an Reihen von Leinwandkoulissen vorüber nach der Bühne und sah den Zuschauerraum düster und stumm, in entsetzlicher Leere vor mir liegen. Darauf zog ich mich wieder in das Dunkel hinter die Koulissen zurück und verharrte dort anderthalb Stunden, in Grauen und Entsetzen versunken; für die ganze übrige Welt war mir jedes Bewußtsein geschwunden.

Plötzlich vernahm ich ein Geräusch, das sich immer mehr steigerte; lauter und lauter wurde das Gemurmel und endete mit einem Krach, in den sich Hochrufe mischten. Der wahrhaft betäubende Lärm erhob sich jetzt ganz in meiner Nähe und ich fühlte, daß mir die Haare zu Berge standen. Nun folgte eine[251] Pause, dann kam ein abermaliges Hoch und gleich darauf ein drittes. Ehe ich noch recht wußte, wie mir geschah, befand ich mich mitten auf der Bühne, vor mir wogte ein Meer von Gesichtern, der helle Glanz der Lichter verwirrte mich und ich zitterte an allen Gliedern vor tödlichem Schrecken. Das ganze Haus war gedrängt voll, selbst die Gänge zwischen den Sitzreihen.

Es dauerte eine volle Minute, bis sich meine Aufregung in Kopf, Herz und Beinen beruhigt hatte und ich meine Selbstbeherrschung einigermaßen wieder gewann. Ich las Wohlwollen und Freundlichkeit in allen Gesichtern, meine Furcht verschwand allmählich und ich begann zu sprechen. Schon nach drei bis vier Minuten fühlte ich mich ganz behaglich und zufrieden. Meine drei Hauptverbündeten waren mit drei Gehilfen zur Hand; sie saßen beieinander im Parkett mit Knotenstöcken bewaffnet und kampfbereit, um beim geringsten Scherzwort zum Angriff zu schreiten. Bei jedem Witz, den ich zum Besten gab, stießen sie mit den Stöcken gewaltig auf den Boden und verzogen den Mund von einem Ohr zum andern. Sawyer, dessen treuherziges Gesicht sich mitten in der zweiten Abteilung rötlich abhob, stimmte in ihr Gelächter ein und das ganze Haus wurde zum Beifall fortgerissen. Selbst die mittelmäßigsten Witze erzielten eine nie geahnte Wirkung.

Nach einer Weile kam ich an eine ernsthafte Stelle, die ich mit großer Salbung vortrug; es war mein Leibstück und die Zuhörerschaft lauschte in atemlosem Schweigen, was mir wohlthuender war als der rauschendste Beifall. Bei dem letzten Wort meiner Einschaltung wandte ich mich zufällig und begegnete dem aufmerksam und erwartungsvoll auf mich gerichteten Auge der Frau K. – Mein neuliches Gespräch mit ihr fiel mir plötzlich ein und wie sehr ich mich auch zusammennahm, ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Sie hielt dies für unser verabredetes Zeichen und brach sogleich in ein wohlklingendes Gelächter aus,[252] von welchem sich die ganze Zuhörerschar anstecken ließ. Die Explosion, die nun erfolgte, bildete den Triumph des ganzen Abends. Ich fürchtete schon, der wackere Sawyer würde vor Lachen ersticken, und die Knotenstöcke arbeiteten, als gälte es Pfähle einzurammen. Mein armes bißchen Pathos war freilich zu Grunde gerichtet; man hielt es in gutem Glauben für einen beabsichtigten Witz und zwar für die Krone der ganzen Unterhaltung. Ich war natürlich klug genug, den Irrtum nicht aufzuklären.

Alle Zeitungen brachten am andern Morgen freundliche Besprechungen; meine Eßlust kehrte zurück und ich hatte Geld in Hülle und Fülle. Ende gut – alles gut.

Dekoration

[253]

Anhang.

Dekoration

[255]

Aus meiner Knabenzeit.

I.

Als ich nach neunundzwanzigjähriger Abwesenheit (1882) meinem Heimatort einen kurzen Besuch machte, fand ich daselbst ebensoviel anders geworden, wie überhaupt am ganzen Mississippi. Die Stadt Hannibal, wie sie früher gewesen, stand mir noch klar und lebhaft im Gedächtnis, ich hätte sie malen können. Ich trat ans Ufer und mir war zu Mute wie einem Menschen aus einer längst begrabenen Generation, der wieder unter den Lebenden wandelt. Ein ähnliches Gefühl müssen, denke ich, die Gefangenen der Bastille gehabt haben, wenn sie nach jahrelanger Kerkerhaft ans Licht des Tages kamen und sich nun in Paris umschauten, wo ihnen alles so fremd und doch so vertraut war.

Wohl sah ich die neuen Häuser – sie standen ja leibhaftig vor mir – aber die Bilder aus alter Zeit, die in meiner Erinnerung lebten, berührte das nicht; durch die festgefügten Mauern hindurch sah ich die alten Häuser, die ehemals an ihrem Platz gestanden, mit größter Deutlichkeit.

Es war Sonntagmorgen und alles lag noch in den Federn. So schritt ich denn durch die leeren Straßen, sah die Stadt nicht wie sie ist, sondern wie sie war und begrüßte im Geist hundert mir wohlbekannte Gegenstände, die vom Erdboden verschwunden[256] waren. Schließlich stieg ich den Holiday-Hügel hinauf, um einen weiten Ueberblick zu gewinnen. Nun lag die ganze Stadt zu meinen Füßen ausgebreitet und ich konnte jedes Gebäude, jede einzelne Oertlichkeit genau bestimmen. Natürlich hatte ich Mühe, meine Rührung zu bemeistern. Ich sagte mir: »Von den Leuten, die ich einst in diesem friedlichen Hafen meiner Kindheit gekannt habe, sind schon viele in den Himmel gegangen, manche aber auch sicherlich nach einem andern Ort der Vergeltung.«

Alles, was ich rings um mich sah, rief meine Knabengefühle wieder wach; ich war überzeugt, ich sei noch ein Knabe und hätte nur einen ungewöhnlich langen Traum gehabt. Allein, sobald ich anfing zu überlegen, schwand diese Vorstellung. »Da drüben stehen etwa fünfzig alte Häuser,« sagte ich zu mir, »und ich brauche nur einzutreten, um überall Männer und Frauen zu finden, die noch in der Wiege lagen oder nicht geboren waren, als ich zuletzt von hier oben hinabschaute, vielleicht sogar eine Großmutter, die damals eine blühende junge Braut war.«

Man hat von jener Anhöhe aus einen unbegrenzten Blick den Fluß hinauf und hinunter und über die großen Waldungen von Illinois; die Aussicht ist wunderschön, fast möchte ich sagen, eine der schönsten am Ufer des Mississippi, aber das ist eine kühne Behauptung, denn die 800 Meilen, die der Fluß von St. Paul nach St. Louis durchläuft, bieten eine ununterbrochene Reihe der reizendsten Landschaftsbilder. Möglich, daß meine Vorliebe für die in Frage stehende Aussicht mein Urteil beeinflußt – ich weiß es nicht gewiß. Jedenfalls gewährte sie mir die vollste Befriedigung, denn sie hatte vor allem andern Lieben und Bekannten, was ich wiedersehen sollte, eines voraus – sie war ganz unverändert. So jung und frisch, so reizend und anmutig sah ich sie vor mir, wie sie je gewesen, während die Gesichter meiner ehemaligen Freunde natürlich alt sein mußten und voller Narben vom Kampf des Lebens. Sie alle trugen[257] wohl Spuren ihrer Niederlagen und Kümmernisse und konnten mein Gemüt nicht erheben.

Ein alter Herr, der auf seinem Morgenspaziergang begriffen war, kam jetzt herbei. Wir tauschten zuerst unsere Bemerkungen über das Wetter aus und gerieten dann auf andere Unterhaltungsstoffe. Sein Gesicht war mir unbekannt; er sagte, er wohne schon 28 Jahre hier am Ort, das war nach meiner Zeit, ich hatte ihn also noch nie gesehen. Ich zog nun allerlei Erkundigungen ein; zuerst fragte ich nach einem meiner Kameraden aus der Sonntagsschule – was wohl aus ihm geworden wäre.

»Er ging mit Ehren von einer Universität im Osten ab, dann zog er in die weite Welt, doch nirgends wollte es ihm glücken; jetzt ist er längst aus aller Gedächtnis geschwunden, man glaubt, er sei gestorben und verdorben.«

»Er war ein begabter Junge, der zu den besten Hoffnungen berechtigte.«

»Jawohl, aber in Erfüllung gegangen sind sie nicht.«

Nun fragte ich nach einem andern meiner Mitschüler, dem klügsten im ganzen Ort.

»Auch seine Studien im Osten waren vom besten Erfolg gekrönt, aber im Leben hat er bei jedem Kampf den kürzeren gezogen; schon vor Jahren ist er irgendwo in den Territorien gestorben – ein gebrochener Mann.«

Ich erkundigte mich nach einem dritten begabten Jungen.

»Dem ist’s gut gegangen, alles gelingt ihm, ich glaube es wird ihm immer glücken.«

Hierauf fragte ich nach einem jungen Mann, der damals gerade in die Stadt gekommen war, um sich in seinem Beruf auszubilden.

»Er hat umgesattelt, ehe er noch fertig war – erst wollte er Advokat werden, dann Mediziner, dann noch etwas anderes. Ein Jahr lang war er fort, kam mit einer jungen Frau wieder,[258] ergab sich dem Trunk, später auch dem Spiel; endlich brachte er seine Frau und zwei kleine Kinder zu ihrem Vater zurück und ging nach Mexiko, sank immer tiefer herunter und starb dort, ohne einen Cent, um das Bahrtuch zu bezahlen, ohne einen Freund, der seiner Leiche folgte.«

»Schade um ihn – es war der gutmütigste Mensch von der Welt, immer heiter und hoffnungsvoll.«

Von einem andern Knaben, den ich nannte, hieß es:

»O, mit dem ist alles in Ordnung; er hat Frau und Kinder und sein gutes Fortkommen.«

Derselbe Bescheid ward mir noch über viele meiner früheren Kameraden.

Nun fragte ich nach drei Mitschülerinnen:

»Die beiden ersten leben hier mit Mann und Kindern, die dritte ist schon lange tot – geheiratet hat sie nicht.«

Mit Herzklopfen nannte ich jetzt den Namen einer meiner frühesten Flammen.

»Der geht’s gut. Sie war dreimal verheiratet. Zwei Männer hat sie begraben, vom dritten ist sie geschieden und ich höre, daß sie jetzt einen alten Menschen nehmen will, der irgendwo draußen in Colorado lebt. Ihre Kinder sind in der ganzen Welt verstreut.«

Auf einige Fragen lautete die Antwort sehr kurz:

[259]

»Im Kriege gefallen.«

Von einem Knaben, nach welchem ich fragte, hieß es:

»Mit dem ist’s seltsam gegangen! Jedermann in der ganzen Stadt wußte, daß der Junge der reinste Strohkopf war, ein Dummrian erster Sorte, ein Esel, der seinesgleichen nicht hatte. Das war allbekannt, kein Mensch zweifelte daran. Und was ist aus ihm geworden? – denken Sie nur: der angesehenste Advokat im ganzen Staate Missouri.«

»Wahrhaftig?!«

»Wie ich Ihnen sage. Es ist die lauterste Wahrheit.«

»Wie läßt sich das aber erklären?«

»Erklären läßt sich’s gar nicht. Man sieht nur daraus, daß die Leute in St. Louis nicht von selbst auf den Gedanken kommen, daß einer ein Hansnarr ist, wenn man’s ihnen nicht zuvor sagt. Eins ist sicher – hätte ich einen Hansnarren zu versorgen, ich schickte ihn gleich mit Dampf nach St. Louis, dort ist der beste Markt für dergleichen Ware. – Was sagen Sie dazu – steht einem nicht der Verstand still, wenn man’s recht bedenkt? Ich muß gestehen, mir ist etwas so Unerhörtes nicht wieder vorgekommen.«

»Freilich, es scheint verwunderlich. Aber, glauben Sie nicht, daß man den Jungen in Hannibal vielleicht falsch beurteilt hat und daß die Leute in St. Louis ihn richtiger zu würdigen wissen?«

»Wo denken Sie hin! Hier kennt man ihn ja von klein auf und tausendmal besser als die Schafsköpfe in St. Louis. Nein, nein, folgen Sie nur meinem Rat und schicken Sie alle Hansnarren nach St. Louis, dort findet die Ware Absatz.«

Ich fragte nun noch nach vielen meiner früheren Bekannten. Sie waren gestorben oder fortgezogen; manche hatten Glück gehabt, andere nichts als Verluste; auf etwa ein Dutzend Fragen erhielt ich die beruhigende Antwort:

[260]

»Die sind wohl auf – wohnen hier – die ganze Stadt ist voll von ihren Kindern.«

»Wie geht’s Fräulein B.?« fragte ich.

»Sie starb vor drei Jahren im Irrenhaus – ist seit dem Tage ihrer Aufnahme dort nicht wieder herausgekommen; es war an keine Heilung zu denken, sie ist immer gestört geblieben.«

Dies bezog sich auf ein entsetzliches Trauerspiel, das sich in meiner frühesten Kindheit zutrug. Sechsunddreißig Jahre im Irrenhaus – bloß weil sich ein paar Thörinnen einen dummen Spaß machen wollten! Ich sehe die leichtfertigen jungen Dinger noch auf den Fußspitzen ins Zimmer schleichen, wo Fräulein B. um Mitternacht lesend bei der Lampe saß. Eins der Mädchen hatte sich das Gesicht mit Mehl gepudert und ein Leintuch umgebunden. Sie glitt dicht zu der Lesenden heran und berührte ihr Opfer an der Schulter. Das Fräulein sah auf, stieß einen Schrei aus und verfiel in Krämpfe. Von dem Schreck hat sie sich nie wieder erholt – sie wurde wahnsinnig. Heutzutage scheint es uns unbegreiflich, daß man noch vor so kurzer Zeit an Gespenster geglaubt haben soll. Aber es war wirklich der Fall.

Nachdem ich nach allen Leuten gefragt hatte, die mir einfielen, erkundigte ich mich zuletzt nach mir selber.

»O, dem ist’s auch geglückt – das ist wieder so ein Beispiel von einem Hansnarren. Hätte man ihn nach St. Louis spediert, er würde es früher zu etwas Ordentlichem gebracht haben.«

Es war doch sehr weise gewesen, daß ich dem offenherzigen alten Herrn gleich anfangs gesagt hatte, mein Name sei Smith.

[261]

II.

Mein Gefährte verließ mich nun, und ich fuhr fort, die alten Häuser der Stadt drunten zu betrachten und mir ihre Bewohner aus vergangenen Tagen ins Gedächtnis zu rufen. Mein Blick fiel jetzt auf Lem Hacketts Elternhaus und ich sah mich in eine Zeitperiode zurückversetzt, in welcher die Menschen mit ihren Erlebnissen nicht der natürlichen und folgerichtigen Entwicklung allgemeiner Gesetze unterworfen zu sein glaubten, sondern den besonderen Anordnungen einer Vorsehung, welche sie strafen oder warnen wollte.

Als ich noch ein kleiner Knabe war, ertrank Lem Hackett – an einem Sonntag. Er fiel aus einem leeren, flachen Boot, in dem er spielte, und da er voll Sünden war, sank er wie ein Ambos bis auf den Grund. Er war im ganzen Städtchen der einzige Knabe, welcher in der darauffolgenden Nacht schlief; wir andern alle waren wach und thaten Buße. Es hätte dazu wahrlich nicht erst der Belehrung bedurft, die uns am Abend von der Kanzel herab zu teil wurde, nämlich, daß Lems Tod die Folge eines besonderen göttlichen Gerichtes sei. In jener Nacht brach ein schreckliches Gewitter aus, das ohne Aufhören bis zum Morgen währte: der Wind wehte heftig, die Fenster zitterten, der Regen fiel klatschend und in Strömen auf die Dächer; jeden Augenblick erhellte ein Blitz mit blendendem Lichte die tintenschwarze Finsternis draußen und auf diesen folgte ein krachender Donnerschlag, der alles in der Nachbarschaft in Splitter und Fetzen zu reißen schien. Zitternd und schaudernd saß ich im Bett und wartete auf den offenbar bevorstehenden Untergang der Welt. Ich fand nichts Ungereimtes darin, daß der Himmel Lem Hacketts wegen einen solchen Höllenlärm machte: es war das meiner Ansicht nach ganz gehörig und in Ordnung. Ich zweifelte keinen Augenblick, daß die Engel versammelt waren,[262] den Tod dieses Knaben erörterten und dem schrecklichen Bombardement unseres Städtchens mit Befriedigung und Billigung zusahen. Eines beunruhigte mich dabei aufs höchste – das war der Gedanke, daß diese Konzentration des himmlischen Interesses auf unser Städtchen unfehlbar die Aufmerksamkeit der überirdischen Beobachter auf Leute unter uns lenken mußte, die sonst der Beobachtung vielleicht Jahre lang entgangen wären. Ich fühlte, daß ich nicht nur zu diesen Leuten gehörte, sondern daß gerade ich am allerwahrscheinlichsten entdeckt werden würde. Diese Entdeckung konnte nur eine Folge haben: daß ich zu Lem ins höllische Feuer käme, noch ehe er dort recht zu sich gekommen und warm geworden war. Ich wußte, daß mir ganz nach Recht und Billigkeit geschähe. Dabei vergrößerte ich fortwährend die Chancen gegen mich, indem ich eine geheime Bitterkeit gegen Lem hegte, weil er diese verhängnisvolle Aufmerksamkeit auf mich gezogen hatte, aber ich konnte einmal nicht anders – dieser sündige Gedanke setzte sich mir zum Trotz in meinem Busen fest. So oft es blitzte, hielt ich den Atem an und glaubte mich verloren. In meinem schrecklichen Elend begann ich in gemeiner Weise auf andere Knaben hinzudeuten und Thaten von ihnen zu erwähnen, die verruchter seien als meine und besonders der Strafe bedürften – und ich versuchte mir einzureden, daß ich das bloß so zufällig thäte und ohne die Absicht, die himmlische Aufmerksamkeit auf sie zu lenken, um mich selbst ihr zu entziehen. Mit tiefem Scharfsinn gab ich diesen Denunziationen die Form betrübter Erinnerungen und linkischer Fürbitten, daß die Sünden jener Knaben nicht heimgesucht werden möchten – »denn sie könnten sie ja möglicherweise bereuen.« »Es ist wohl wahr, (sprach ich in Gedanken,) daß Jim Smith ein Fenster zerbrach und dann leugnete – aber vielleicht that er es nicht in böser Absicht. Und wenn auch Tom Holmes garstigere Worte gebraucht als irgend ein anderer Knabe im[263] Städtchen, so wird er doch vielleicht in sich gehen und bereuen – wenn er das auch nie gesagt hat. Und obwohl es Thatsache ist, daß John Jones einmal an einem Sonntag ein wenig fischte, so fing er ja doch nichts als einen einzigen nutzlosen Schlammbeißer; und das wäre am Ende nicht so schrecklich gewesen, wenn er ihn wieder ins Wasser geworfen hätte, wie er behauptet – was aber leider nicht wahr ist. Schade, daß sie diese schrecklichen Dinge nicht bereuen wollten – vielleicht thun sie es aber noch.«

Während ich so listig die Aufmerksamkeit auf jene armen Burschen lenkte, – die zweifellos im selben Augenblick die himmlische Aufmerksamkeit mir zuwandten, obwohl ich das damals durchaus nicht argwöhnte, – hatte ich achtlos meine Kerze brennen lassen. Die Zeit war nicht danach angethan, daß man selbst geringfügige Vorsichtsmaßregeln hätte vernachlässigen dürfen; es war kein Grund vorhanden, mich selbst noch auffällig zu machen, und so löschte ich denn das Licht aus.

Das war eine lange, lange Nacht – vielleicht die angstvollste, die ich je verbracht habe. Ich litt Folterqualen der Reue über Sünden, von denen ich wußte, daß ich sie begangen hatte, und für andere, bezüglich deren ich nicht so gewiß, aber überzeugt war, daß sie in ein Buch eingetragen worden von einem Engel, der, weiser als ich, so wichtige Dinge nicht dem Gedächtnis anvertraute. Nach und nach kam ich zu der Einsicht, daß ich in einer Beziehung einen thörichten und unheilvollen Irrtum begangen hatte: zweifellos hatte ich dadurch, daß ich die Aufmerksamkeit auf jene andern Knaben lenkte, nicht nur meinen eigenen Untergang sicher beschworen, sondern auch den ihrigen bereits verursacht! – Zweifellos hatte sie mittlerweile der Blitz alle in ihren Betten niedergestreckt! Die Angst und der Schreck, den dieser Gedanke mir einjagte, ließ mir die vorhergehenden Leiden vergleichsweise geringfügig erscheinen.

[264]

Der Stand der Dinge war bedenklich geworden. Ich beschloß, mich der Sünde in jeder Form zu enthalten und fortan ein reines, tadelloses Leben zu führen. Ich wollte pünktlich in der Kirche und Sonntagsschule sein, die Kranken besuchen, Körbe mit Lebensmitteln zu den Armen tragen (bloß um die vorschriftsmäßigen Bedingungen zu erfüllen, obgleich ich wußte, daß bei uns niemand so arm war, daß man mir nicht überall den Korb an den Kopf geschmissen hätte); ich wollte andere Knaben auf den rechten Weg weisen und die daraus sich ergebenden Neckereien in Geduld ertragen; ich wollte nur noch Traktätchen lesen, wollte die Branntweinhöhlen aufsuchen und die Trunkenbolde ermahnen – und schließlich, falls ich dem Schicksal jener entginge, die vorzeitig ›fürs Leben zu gut werden‹, wollte ich als Missionar in ferne Lande ziehen.

Gegen Tagesanbruch legte sich der Sturm und ich schlummerte nach und nach ein, mit einem Gefühl der Verpflichtung gegen Lem Hackett, weil er in dieser jähen Weise in die ewige Qual eingegangen war und so ein weit entsetzlicheres Unheil abgewendet hatte – nämlich meinen eigenen Untergang. Als ich aber des Morgens, vom Schlaf erquickt, aufstand und fand, daß die andern Knaben sämtlich noch am Leben waren, hatte ich ein unbestimmtes Gefühl, die ganze Geschichte möchte doch nur ein falscher Alarm gewesen und der ganze Trubel nur Lem Hacketts und sonst niemands wegen entstanden sein. Die Welt sah so heiter und sicher aus, daß wirklich kein Grund vorhanden schien, ein neues Leben anzufangen. Ich war den Tag über und auch am nächsten Tage etwas gedrückter Stimmung; dann aber kam mir mein Vorsatz zur Besserung allmählich aus dem Sinn, und es war mir wieder ruhig und behaglich zu Mute – bis zum nächsten Sturm.

Dieser Sturm kam drei Wochen später und ich habe mir seinen Zweck nie recht erklären können, denn am Nachmittag[265] jenes Tages war ›Dutchy‹ ertrunken. So nannten wir einen deutschen Jungen aus der Sonntagsschule, der furchtbar tugendhaft war und ein fabelhaftes Gedächtnis hatte, im übrigen sich aber selten zu raten und zu helfen wußte. Eines Sonntags erregte er den Neid der gesamten Dorfjugend und die Bewunderung aller Erwachsenen, denn er sagte dreitausend Bibelsprüche in einem Zuge her, ohne nur einmal zu stocken. Und gleich tags darauf ertrank er jämmerlich.

Das kam nämlich so: Wir badeten alle in einer schlammigen Bucht und wollten versuchen, wer beim Tauchen den Kopf am längsten unter Wasser halten könnte. In der Bucht war ein tiefes Loch, in dem die Böttcher ihre Stäbe zu Faßreifen einzuweichen pflegten. Der Haufen lag etwa zwölf Fuß unter Wasser und wir hielten uns beim Tauchen an den Stäben fest. ›Dutchy‹ benahm sich dabei so ungeschickt, daß er immer mit Spott und Gelächter empfangen wurde, so oft sein Kopf aus der Flut hervorkam. Das verdroß ihn endlich und er bat uns, am Ufer stehen zu bleiben und ganz ehrlich zu zählen, wie lange er es aushalten könne. »Jawohl, ›Dutchy‹, nur zu! – wir verzählen uns nicht,« schrieen wir alle, wechselten dabei aber verstohlene Blicke, die nichts Gutes weissagten.

›Dutchy‹ tauchte unter; wir Jungen aber versteckten uns rasch hinter einem nahen Brombeergebüsch. Wenn ›Dutchy‹, nachdem er sich übermenschlich angestrengt hatte, wieder auf die Oberfläche kam, sollte er den Platz leer finden und keinen Menschen, der ihm Beifall klatschte. Der Gedanke machte uns soviel Spaß, daß wir vor unterdrücktem Lachen zu ersticken meinten. Nach einer Weile guckte einer der Kameraden durch das Gesträuch.

»Hört mal,« sagte er verwundert, »noch ist er nicht wieder oben.«

»Aber, der taucht einmal gut!«

[266]

»Na, um so gelungener ist dann der Spaß!«

Es entstand eine Pause, wir lauschten mit verhaltenem Atem und zuletzt malte sich Furcht und Bangigkeit in allen Mienen. Noch immer lag das Wasser in unbeweglicher Ruhe da. Mit lautklopfendem Herzen schlichen wir ans Ufer zurück und starrten entsetzt bald ins Wasser, bald einander in die bleichen Gesichter.

»Einer von uns muß hinunter, um nachzusehen.«

Das war klar, aber jedem graute davor.

»Das Los soll entscheiden.«

Mit zitternden Händen suchten wir Strohhalme, um das Schicksal zu befragen. Das Los traf mich und ich sprang ins Wasser. Es war so trübe, daß ich nichts sehen konnte, ich fühlte nur unter den Stäben umher und bekam plötzlich eine leblose Hand zu fassen. In tödlichem Schrecken ließ ich sie fahren und rettete mich wieder ans Tageslicht.

Der Knabe war zwischen die Stäbe geraten und da hilflos stecken geblieben. Ich verkündete die entsetzliche Nachricht, doch dachten wir nicht daran, den Ertrunkenen schnell herauszuziehen, damit er vielleicht noch zum Leben erweckt werden könne. Die kleineren Buben schrieen jämmerlich und jeder suchte so rasch wie möglich in seine Kleider zu kommen; wir zogen die ersten besten an, meist das Unterste zu oberst, das Innere nach außen. Dann trabten wir eilig davon und verbreiteten die Unglückskunde, aber keiner von uns kehrte wieder mit um. Wir wollten das Ende des Trauerspiels nicht sehen, wir hatten etwas Wichtigeres zu thun, nämlich ohne einen Augenblick zu verlieren nach Hause zu laufen und ein besseres Leben zu beginnen.

Bald brach die Nacht herein und dann kam das schreckliche und mir ganz unverständliche Gewitter. Es mußte entschieden auf einem Irrtum beruhen, anders ließ es sich nicht erklären. Alle Elemente waren entfesselt, der Sturm raste in blinder Wut,[267] die Blitze zuckten und der Donner tobte wie unsinnig. Ich hatte Mut und Hoffnung völlig verloren; verzweifelnd dachte ich bei mir: »Wenn ein Junge, der dreitausend Bibelsprüche auswendig kann, nicht fromm genug ist, wer soll dann dem Verhängnis entrinnen?«

Natürlich zweifelte ich keinen Augenblick, daß der Sturm einzig und allein Dutchys wegen ausgebrochen sei; daß er, oder irgend ein anderes gleich unbedeutendes Wesen, einer so erhabenen Kundgebung aus der Höhe nicht wert sei, kam mir nicht von fern in den Sinn. Mich beunruhigte nur die Lehre, die ich daraus ziehen mußte. Wenn ›Dutchy‹, trotz all seiner Tugend, nicht Gnade fand, so war es für mich ein ganz vergebliches Bemühen, ein neues Leben anzufangen, ich konnte ja nun und nimmermehr hoffen, so vortrefflich zu werden wie er. Dennoch schien es mir rätlich, den Versuch der Besserung zu machen. Als nun aber Tage voll Sonnenschein und Heiterkeit folgten, hatte ich alle guten Vorsätze vergessen noch ehe ein[268] Monat um war, und fühlte mich in meiner sündhaften Verstocktheit so behaglich wie je zuvor.


Während ich mir jene alten Erlebnisse ins Gedächtnis zurückrief und allerlei Betrachtungen daran knüpfte, war die Frühstücksstunde herbeigekommen. Ich versetzte mich wieder in die Gegenwart zurück und ging den Hügel hinunter.

Auf dem Wege nach dem Hotel kam ich auch an dem Hause vorbei, das wir zu meiner Knabenzeit bewohnten. Seine jetzigen Insassen sind heutzutage nicht mehr wert als ich, aber zu jener Zeit hätten sie mindestens fünfhundert Dollars die Person gegolten. Es waren nämlich Farbige.

Nach dem Frühstück ging ich aus, um einige Sonntagsschulen zu besichtigen und die Leistungen ihrer jetzigen Zöglinge mit denen meiner damaligen Mitschüler zu vergleichen. Die Kinder waren besser gekleidet und sahen sauberer aus als wir vor Zeiten und ihr Anblick rührte mich tief. Es waren ja die Abkömmlinge jener Knaben und Mädchen, die ich vor vielen, vielen Jahren von ganzem Herzen geliebt oder von ganzem Herzen gehaßt hatte; sie saßen jetzt auf deren Plätzen – wo aber waren jene hingekommen?

Ich wollte, der kahlköpfige Inspektor, der zu meiner Zeit ein flachshaariger Sonntagsschüler war, hätte mich nicht erkannt und mich ruhig meine Beobachtungen anstellen lassen. Statt dessen mußte ich nun den Kindern eine Ansprache halten, und für unvorbereitete Reden habe ich gar kein Talent. Ich konnte mich auch im Augenblick durchaus nicht auf das sinnlose Geschwätz besinnen, mit dem die Besucher meine Ohren zu beleidigen pflegten, als ich noch Schüler war. Schade! denn hätte ich so recht salbungsvoll reden können, so würde ich Zeit gewonnen haben, mir die frischen, jungen Gesichter, die da vor mir aufgereiht saßen, noch länger anzusehen.

[269]

Der eigentliche Musterknabe schien mir aber nicht darunter zu sein. Der Musterknabe, den wir damals hatten – mehr als einen hat es nie gegeben – war völlig fehlerlos; fehlerlos im Benehmen, im Anzug, im Lebenswandel, im kindlichen Gehorsam, in äußerer Frömmigkeit; aber im Grunde war er ein eingebildetes Bürschchen und hatte so wenig Grütze im Kopf, daß man ihm ruhig statt des Schädels einen Kürbis hätte aufsetzen können, ohne daß jemand den Unterschied bemerkt hätte. Die Untadeligkeit dieses Jungen war für die ganze Jugend des Städtchens ein immerwährender Vorwurf. Alle Mütter bewunderten ihn und von allen ihren Söhnen wurde er verabscheut. Man hat mir auch gesagt, was aus ihm geworden ist, es war aber das Gegenteil von dem, was ich erwartete, daher will ich alle weiteren Einzelheiten verschweigen und nur erwähnen, daß er sein Glück in der Welt gemacht hat.

Drei Tage lang blieb ich in der Stadt und wachte jeden Morgen mit der Ueberzeugung auf, daß ich noch ein Knabe sei, denn in meinen Träumen waren alle Gesichter wieder jung und sahen gerade so aus, wie in den vergangenen Zeiten. Abends aber, wenn ich zu Bette ging, kam ich mir mindestens hundert Jahre alt vor, denn inzwischen hatte ich mich zur Genüge davon überzeugt, wie jene Gesichter in Wirklichkeit aussahen.

Bis ich mich an den neuen Stand der Dinge gewöhnt hatte, fiel ich immer aus einer Ueberraschung in die andere. Ich begegnete jungen Damen, die sich gar nicht verändert zu haben schienen, aber es stellte sich bald heraus, daß sie die Töchter meiner damaligen Bekannten waren oder auch ihre Enkelinnen. Wenn man uns sagt, daß eine fremde Dame von fünfzig Jahren Großmutter ist, so wundert uns das gar nicht; hat man sie aber als kleines Mädchen gekannt, so scheint es unmöglich. Wie kann ein kleines Mädchen eine Großmutter sein? – Es ist gar nicht leicht, sich die Thatsache klar zu machen, daß wir nicht[270] allein alt werden, sondern unsere Zeitgenossen darin mit uns gleichen Schritt halten.

Die größte Veränderung fand ich bei den Frauen, weit weniger bei den Männern. Diese schienen in dreißig Jahren nicht viel gealtert zu sein; aber ihre Frauen waren alt geworden – wenigstens die braven. Brav zu sein ist sehr angreifend, es erhält nicht jung.

Die Stadt Hannibal hat sich nicht weniger umgewandelt als ihre Bewohner. Sie ist sehr ansehnlich geworden, hat einen Bürgermeister, einen Gemeinderat, Gas- und Wasserleitung und wahrscheinlich Schulden. Die Zahl ihrer Einwohner beträgt 15,000; überall herrscht rege Thätigkeit und Gedeihen; auch das Pflaster ist nicht schlechter wie in andern Städten des Westens und Südens, wo eine gut gepflasterte Straße und bequeme Bürgersteige etwas so Seltenes sind, daß man seinen Augen nicht traut, wenn man sie einmal zu sehen bekommt. Hannibal ist jetzt auch der Knotenpunkt von einem halben Dutzend Eisenbahnlinien und besitzt einen neuen Bahnhof, der 100,000 Dollars gekostet hat. Ich ging auch nach der Bärenbucht, die wahrscheinlich so heißt, weil sich nie ein Bär dorthin verirrt hat; sie ist jetzt mit Bergen von Nutzholz förmlich zugebaut. Dort pflegte ich jeden Sommer regelmäßig ins Wasser zu fallen, aber immer kam irgend ein Mensch vorbei, holte mich heraus, pumpte mir Luft ein und brachte mich wieder auf die Beine. Jetzt ist von der ganzen Bucht nicht mehr so viel übrig, daß jemand darin ertrinken kann.

III.

»Erinnern Sie sich noch, wie Jimmy Finn, der Stadttrunkenbold, im Stockhaus verbrannte?« fragte mich ein Bürger meines Heimatortes, mit dem ich mich in ein Gespräch einließ.

Es ist doch merkwürdig, wie eine Geschichte im Laufe der[271] Zeit durch das schlechte Gedächtnis der Menschen verfälscht wird! Finn verbrannte nämlich nicht im Stockhaus, sondern starb eines natürlichen Todes in einem Lohfaß, an einer Kombination von Delirium tremens und Selbstverbrennung. Wenn ich sage eines natürlichen Todes, so meine ich damit, daß es für Jimmy Finn ein natürlicher Tod war. Das Stadthausopfer war gar kein Einheimischer, sondern ein armer Fremder, ein harmloser Landstreicher und Schnapssäufer. Ich kenne seinen Fall genauer als sonst jemand; ja, es gab eine Zeit, wo ich mehr davon wußte als mir lieb war und ich mich hütete, davon zu sprechen. Jener Landstreicher wanderte, eine Pfeife im Munde, eines kühlen Abends in den Straßen umher und bat um ein Zündholz; er bekam weder Zündholz noch sonstige Aufmerksamkeiten – im Gegenteil: ein Trupp böser kleiner Buben folgte ihm auf den Fersen und vergnügte sich damit, ihn zu necken und zu ärgern. Ich war auch dabei, aber eine flehentliche Bitte um Schonung, die der Wanderer stellte und mit einem eindringlichen Hinweis auf seine verlassene und freundlose Lage begleitete, rührte den Rest von Schamgefühl und richtiger Empfindung in mir: ich ging fort, holte ihm einige Streichhölzchen und eilte dann nach Hause und zu Bette, schwer belastet im Gewissen und in nicht sehr gehobener Stimmung. Ein paar Stunden später wurde der Mann arretiert und von dem Marschall – ein großer Name für einen Polizeidiener, aber das war sein Titel – in das Stockhaus gesperrt. Um zwei Uhr des Morgens verkündeten die Kirchenglocken Feuer, und alles verließ natürlich die Häuser – ich mit den übrigen. Der Landstreicher hatte seine Zündhölzchen in verderblicher Weise gebraucht: er hatte seinen Strohsack angezündet, und die Flamme hatte die eichene Vertäfelung des Zimmers ergriffen. Als ich den Platz erreichte, standen zweihundert Männer, Frauen und Kinder, von Entsetzen durchdrungen, dicht beisammen und starrten auf die vergitterten Kerkerfenster.[272] Hinter den Eisenstäben, an denen er wie rasend zerrte, stand der Landstreicher und schrie um Hilfe. Er sah aus wie ein schwarzer Fleck, der sich von der Sonne abhebt, so weiß und intensiv war das Licht hinter seinem Rücken. Der Marschall war nicht zu finden, und er besaß den einzigen Schlüssel. Rasch wurde ein Mauerbrecher improvisiert, und der Donner seiner Stöße gegen die Thür tönte so ermutigend, daß die Zuschauer in wildes Jauchzen ausbrachen und die barmherzige That schon gelungen glaubten. Aber dem war nicht so. Die Balken waren zu stark; sie gaben nicht nach. Man sagte, daß der Mann noch im Tode die Eisenstäbe fest umklammert hielt und daß das Feuer ihn in dieser Stellung umhüllte und verzehrte. Ich selbst weiß nichts Bestimmtes darüber.

Ich sah sein Gesicht in jener oben beschriebenen Stellung eine lange Zeit nachher noch jede Nacht; und ich glaubte mich so schuldig an dem Tode des Mannes, als ob ich ihm die Streichhölzchen absichtlich gegeben hätte, damit er sich damit verbrennen sollte. Ich zweifelte nicht im geringsten, daß ich gehängt werden würde, falls etwa meine Beteiligung an dieser Tragödie zu Tage käme. Die Ereignisse und Eindrücke jener Zeit sind unauslöschlich in mein Gedächtnis eingebrannt. Wenn jemand von jener gräßlichen Geschichte sprach, war ich augenblicklich[273] ganz Ohr und lauschte gierig auf jedes Wort, denn ich erwartete und fürchtete stets zu entdecken, daß man mich beargwöhne; so fein und empfindlich war die Wahrnehmungsgabe meines schuldigen Gewissens, daß es oft in den unverfänglichsten Aeußerungen einen Verdacht entdeckte, sogar in Mienen, Gebärden und Blicken, die keine Bedeutung hatten, die mich aber trotzdem mit panischem Schrecken erfüllten und von dannen jagten. Wenn jemand (und wäre es auch höchst sorg- und absichtslos gewesen) die Bemerkung fallen ließ: »Der Mord muß endlich ans Licht kommen,« so machte mich das ganz elend. Für einen Knaben von zehn Jahren trug ich schon ein hübsch gewichtiges Sorgenbündel.

Während dieser ganzen Zeit dachte ich glücklicherweise nicht daran, daß ich die Gewohnheit hatte, im Schlafe zu sprechen. Eines Nachts aber erwachte ich und sah, daß mein Schlafkamerad – mein jüngerer Bruder – aufrecht im Bette saß und mich beim Mondscheine betrachtete. Ich sagte:

»Was hast du denn?« –

»Du plauderst so viel, daß ich nicht schlafen kann.«

Ich richtete mich augenblicklich im Bette auf. Mein Puls stockte und die Haare standen mir zu Berge.

»Was hab’ ich denn gesagt? Rasch – heraus damit – was hab’ ich gesagt?«

»Nichts Besonderes.«

»Das ist eine Lüge – du weißt alles.«

»Alles –? Wovon denn? worüber?«

»Du weißt es recht gut: davon

»Wovon? – ich weiß nicht, wovon du redest. Ich glaube, du bist krank oder nicht bei Sinnen oder sonst ’was. Nun, jedenfalls bist du jetzt wach, und ich will versuchen, ob ich wieder einschlafen kann.«

Er schlief sofort ein, während ich in kaltem Schweiß gebadet[274] dalag. Der Schreck hatte mich beinahe gelähmt und ich war keines andern Gedankens mehr fähig als: ›Wieviel habe ich enthüllt?‹ ›Wieviel weiß er?‹ – Welche Qual war diese Ungewißheit! Nach und nach aber entwickelte sich eine Idee in mir – ich wollte meinen Bruder aufwecken und ihn mit einem unterschobenen Fall auf die Probe stellen. Ich schüttelte ihn wach und sagte:

»Angenommen, ein Mann käme betrunken zu dir –«

»Das ist Unsinn – ich betrinke mich nie.«

»Ich meine nicht dich, du Dummkopf – ich meine den Mann. Angenommen ein Mann käme betrunken zu dir und borgte ein Messer oder einen Tomahawk oder ein Pistol, und du vergäßest ihm zu sagen, daß es geladen sei, und – –«

»Wie kannst du einen Tomahawk laden?«

»Ich meine nicht den Tomahawk und sagte es auch nicht, ich sagte das Pistol. Und nun unterbrich mich nicht fortwährend in dieser Weise, denn die Sache ist ernst. Es ist ein Mann getötet worden.«

»Was! in unserer Stadt?«

»Ja, in unserer Stadt.«

»Nun, fahre fort – ich will kein einziges Wort mehr sagen.«

»Nun also: angenommen, du vergäßest, ihm zu sagen, er solle sorgfältig damit umgehen, weil es geladen sei, und er ginge nun hin und erschösse sich mit jenem Pistol – indem er damit spielt, weißt du, und wahrscheinlich zufällig, da er betrunken ist. Nun, wäre das ein Mord?«

»Nein, – ein Selbstmord.«

»Nein, nein. Ich meinte nicht seine That, sondern deine: wärest du ein Mörder, weil du ihm jenes Pistol gabst?«

Nach tiefem Nachdenken erfolgte die Antwort:

»Nun, es scheint mir, als hätte ich mich dann schuldig[275] gemacht – des Mordes, vielleicht – ja, wahrscheinlich des Mordes, aber ich weiß nicht recht.«

Das machte mich sehr unruhig; indessen war es doch kein entscheidendes Urteil. Ich mußte ihm am Ende die wahre Sachlage erzählen – es schien kein anderer Ausweg vorhanden. Aber ich wollte es vorsichtig thun und begann also:

»Ich habe das vorigemal einen Fall ersonnen, aber jetzt komme ich zu dem wirklichen. Weißt du, wie es kam, daß der Mann im Stockhaus verbrannte?«

»Nein.«

»Hast nicht die geringste Idee davon?«

»Nicht die geringste.«

»Willst auf der Stelle sterben, wenn’s nicht so ist?«

»Ja, will auf der Stelle sterben.«

»Nun, die Sache war so. Der Mann verlangte Streichhölzchen, um seine Pfeife anzuzünden. Ein Knabe holte sie ihm; der Mann zündete mit eben diesen Streichhölzchen das Stockhaus an und verbrannte sich selbst.«

»Ist das so?«

»Ja, es ist so. Glaubst du nun, daß jener Knabe ein Mörder ist?«

»Das kommt darauf an. – Der Mann war betrunken?«

»Ja, er war betrunken.«

»Stark betrunken?«

»Ja.«

»Und der Knabe wußte es?«

»Ja, er wußte es.«

Es folgte eine lange Pause, dann wurde das harte Urteil verkündigt:

»Wenn der Mann betrunken war und der Knabe es wußte, so hat der Knabe jenen Mann ermordet. Das ist sicher.«

Durch alle Fibern meines Körpers schlich sich ein Gefühl,[276] als müßte ich krank und ohnmächtig umsinken; es war mir wie einem Menschen zu Mute, dem sein Todesurteil verkündet wird. Ich wartete, um zu hören, was mein Bruder weiter sagen würde; mir ahnte, was es sein würde, und ich täuschte mich nicht. Er sagte:

»Ich kenne den Knaben.«

Ich hatte nichts zu sagen, und so schwieg ich. Ich schauderte einfach. Dann fügte er hinzu:

»Ja, ehe du die Geschichte halb erzählt hattest, wußte ich ganz genau, wer der Knabe war; es war Ben Coontz!«

Ich raffte mich aus meiner Betäubung empor, wie einer, der vom Tode aufersteht, und sagte verwundert:

»Ei, wie in aller Welt hast du das erraten?«

»Du hast es im Schlafe gesagt.«

Ich dachte bei mir selbst: »Famos! Das ist eine Gewohnheit, die gepflegt werden muß.«

Mein Bruder plapperte unschuldig weiter:

»Als du im Schlafe sprachst, murmeltest du immerwährend etwas von Streichhölzchen, woraus ich nicht klug werden konnte; eben jetzt aber, als du mir von dem Manne und den Streichhölzchen und dem Stockhaus zu erzählen begannst, erinnerte ich mich, daß du Ben Coontz zwei- oder dreimal erwähntest; und so setzte ich mir denn dies und jenes zusammen – siehst du – und wußte so augenblicklich, daß Ben den Mann verbrannt hat.«

Ich lobte seinen Scharfsinn über die Maßen, und er fragte mich dann:

»Willst du ihn dem Gericht überliefern?«

»Nein,« sagte ich; »ich glaube, daß er sich die Lektion zu Herzen nehmen wird. Ich werde natürlich ein Auge auf ihn haben, denn das gehört sich; aber wenn er in sich geht und sich bessert, soll man nie sagen, daß ich ihn verraten habe.«

[277]

»Wie gut du bist!«

»Das nicht, aber ich strebe danach; mehr kann man in dieser Welt nicht thun.«

Und jetzt, da meine Bürde auf andere Schultern gewälzt war, schwanden meine Sorgen und Befürchtungen wie Butter an der Sonne.


[278]

Ritters Geschichte.

Gegen Ende des Jahres 186– brachte ich einige Monate in München zu. Im November war ich bei Fräulein Dahlweiner, Karlsstraße 1 a, in Kost; meine Wohnung aber befand sich ein halbes Stündchen von dort entfernt, im Hause einer Witwe, welche an ledige Herren Zimmer vermietete und wo ich Gelegenheit fand, mich in der deutschen Sprache zu üben.

Eines Tages, während einer Wanderung durch die Stadt, besuchte ich eines der zwei Gebäude, wo die Obrigkeit die Leichname aufbewahrt und überwachen läßt, bis die Aerzte entscheiden, daß sie wirklich tot und nicht scheintot sind. Es war ein schauerlicher Ort, jener geräumige Saal. Mit den Rücken auf schrägen Brettern ausgestreckt, lagen sechsunddreißig Leichname von Erwachsenen in drei langen Reihen – alle mit wachsbleichen, starren Gesichtern, alle in weiße Leintücher gehüllt. An den Seiten des Saales waren tiefe Nischen, wie Bogenfenster, und in jeder lagen marmorbleiche Kinder, im ganzen vierzehn, – gänzlich verborgen und begraben unter Blumen; nur die Gesichter und die gekreuzten Hände waren zu sehen. Jede dieser fünfzig stillen Formen, groß und klein, hatte an einem Finger der rechten Hand einen Ring, von dem ein Draht zur Decke und von da zu einer Glocke in ein Wachtzimmer drüben ging, wo Tag und Nacht ein Wächter saß, um zur Hilfe herbeizueilen,[279] sobald einer von jener bleichen Gesellschaft aus dem Todesschlaf erwachen und eine Bewegung machen sollte – denn jede, selbst die leiseste Bewegung bringt Draht und Glocke in Thätigkeit. Ich versetzte mich unwillkürlich in die Lage solch eines Totenwächters, der in einer stürmischen, finstern Nacht plötzlich aus dem Halbschlummer durch den Klang jenes unheimlichen Signals aufgeschreckt und bis ins tiefste Mark erschüttert wird. Wie – so fragte ich mich – wenn der Wächter beim Anblick des lebendig gewordenen Toten von einem Schlag getroffen würde? – und wenn dann der Mann, der eben noch ein Leichnam gewesen, seinem Totenwärter, der jetzt selbst im Verscheiden ist, liebreich Beistand leistete? Aber ich machte mir Vorwürfe, an einem so feierlichen und traurigen Orte meine Phantasie mit so thörichten Fragen zu beschäftigen, und schlich von dannen.

Am nächsten Morgen erzählte ich der Witwe von meinem Besuch, worauf sie ausrief:

»Kommen Sie mit! Ich habe einen Zimmerherrn, der früher Leichenwärter dort war; der kann Ihnen über alles Auskunft geben.«

Er lag im Bette und sein Kopf war hoch auf Polster gebettet; sein Gesicht war abgezehrt und farblos; seine tief eingesunkenen Augen geschlossen; seine auf der Brust ruhende Hand sah aus wie eine Kralle, so knochig und langfingerig war sie. Die Witwe machte uns mit einander bekannt. Die Augen des Kranken öffneten sich langsam und funkelten grimmig aus ihren Höhlen; er runzelte finster die Stirne, erhob seine magere Hand und winkte uns gebieterisch weg. Die Witwe aber ließ sich dadurch nicht irre machen und sagte ihm, daß ich ein Fremder, ein Amerikaner sei. Das Gesicht des Kranken änderte sofort seinen Ausdruck, hellte sich auf und verriet eine lebhafte Neugierde; – im nächsten Augenblicke waren er und ich allein beisammen.

[280]

Ich begann in schwerfälligem Deutsch; er antwortete in fließendem Englisch; darauf ließen wir die deutsche Sprache fallen.

Dieser Schwindsüchtige und ich wurden gute Freunde. Ich besuchte ihn jeden Tag, und wir plauderten über alles Mögliche – ausgenommen Weiber und Kinder. Sobald jemands Weib oder Kind erwähnt wurde, erfolgte stets dreierlei: in den Augen des Mannes glänzte einen Moment das freundlichste, zärtlichste und liebevollste Licht; im nächsten Augenblick verschwand es und an seiner Stelle erschien jener grimmige Blick, den ich bemerkt hatte, als ich ihm zuerst in die Augen sah; und drittens enthielt er sich von nun an den ganzen Tag über gänzlich der Rede, lag schweigend, geistesabwesend und wie in Gedanken versunken da, nahm von meinem ›Adieu‹ keinerlei Notiz und sah und hörte offenbar nicht, wie ich das Zimmer verließ.

Als ich so zwei Monate lang der tägliche und einzige Vertraute Karl Ritters gewesen war, sagte er eines Tages plötzlich:

»Ich will Ihnen meine Geschichte erzählen!«

Das Bekenntnis eines Sterbenden.

»Ich habe nie weichgegeben, bis jetzt. Nun aber ist’s aus mit mir. Ich muß sterben und zwar bald. Sie bemerkten, daß Sie demnächst wieder an den Mississippi zurückzukehren gedächten;[281] – dies zusammen mit einem seltsamen Erlebnis der letzten Nacht hat mich zu dem Entschluß gebracht, Ihnen meine Geschichte zu erzählen – denn Sie werden nach Napoleon in Arkansas kommen, und ich bitte Sie um meinetwillen, dort anzuhalten und etwas für mich zu thun – Sie werden es gewiß gern thun, wenn Sie meine Erzählung gehört haben.

»Ich werde die Geschichte abkürzen, wo ich kann; es ist notwendig, denn sie ist lang. Sie wissen bereits, wie ich dazu kam, nach Amerika zu gehen und mich in jener einsamen Gegend im Süden niederzulassen; aber Sie wissen nicht, daß ich Weib und Kind hatte. Meine Frau war jung, schön, liebevoll und o! so göttlich gut, tugendhaft und edel! Und unser kleines Mädchen war die Mutter im kleinen. Wir waren die glücklichste aller glücklichen Familien.

»Einstmals in der Nacht – es war gegen das Ende des Krieges – erwachte ich aus einer dumpfen Betäubung und fand, daß ich gebunden und geknebelt und die Luft mit Chloroform geschwängert war! Ich sah zwei Männer im Zimmer, von denen der eine dem andern in heiserem Ton zuflüsterte: ›Ich sagte ihr, ich thue es, wenn sie Lärm mache, und was das Kind anbelangt, so – –‹

»Der andere unterbrach ihn mit leiser, weinerlicher Stimme:

»›Du sagtest, wir wollten sie nur knebeln und berauben, aber nicht umbringen; sonst wäre ich nicht mitgegangen.‹

»›Hör’ auf mit dem Gewinsel,‹ entgegnete der erstere, ›ich mußte ja den Plan ändern, als sie aufwachten; du hast gethan, was du zu ihrem Schutze thun konntest, das laß dir genügen; und nun komm und hilf mir alles durchstöbern.‹

»Beide Männer waren maskiert und trugen grobe, zerlumpte Nigger-Kleider; sie hatten eine Blendlaterne bei sich, bei deren Lichte ich bemerkte, daß dem sanfteren der beiden Räuber der Daumen an der rechten Hand fehlte. Sie[282] suchten eine Weile in meiner ärmlichen Hütte, dann flüsterte der Hauptbandit:

»›Es ist Zeitverschwendung – er soll sagen, wo es versteckt ist. Nimm ihm den Knebel heraus und muntere ihn auf.‹

»›Ganz recht,‹ sagte der andere, ›aber – keine Schläge!‹

»›Also keine Schläge – d. h. wenn er sich ruhig verhält.‹

»Sie näherten sich mir; da ließ sich plötzlich draußen ein Geräusch hören, der Schall von Stimmen und Pferdehufen; die Räuber hielten den Atem an und horchten; der Schall kam immer näher, und endlich hörte man einen Ruf:

»›Heda, in dem Haus! Macht Licht, wir brauchen Wasser.‹

»›Des Hauptmanns Stimme, bei Gott!‹ sagte der größere der beiden Schurken, und beide Räuber flohen durch die Hinterthür.

»Die Fremden riefen noch mehrmals und ritten dann weiter – es schien ein Dutzend Reiter zu sein – und ich hörte nichts mehr.

»Ich bemühte mich aus allen Kräften, konnte mich aber nicht aus meinen Banden freimachen. Ich versuchte zu sprechen, aber der Knebel saß so fest, daß ich keinen Laut von mir geben konnte. Ich lauschte, um meines Weibes oder Kindes Stimme zu hören – lauschte lange und aufmerksam, aber kein Laut kam aus der andern Ecke des Zimmers, wo ihr Bett stand. Dies Schweigen wurde jeden Augenblick schrecklicher, unheilverkündender. Glauben Sie, daß Sie es eine Stunde lang ertragen hätten? Nein? Nun denn, so bemitleiden Sie mich, der ich deren drei auszuhalten hatte. Drei Stunden! – es waren drei Menschenalter! So oft die Uhr schlug, schien es mir, als ob Jahre verflossen wären, seit ich sie das letztemal gehört hatte! Während dieser ganzen Zeit mühte ich mich in meinen Banden ab, und endlich, gegen Tagesanbruch, gelang es mir loszukommen; ich stand auf und streckte meine steifen Glieder. Der Fußboden war mit allerlei Sachen bestreut, welche die Räuber während ihrer Suche nach meinen Ersparnissen umhergeworfen[283] hatten. Der erste Gegenstand, der mir in die Augen fiel, war eines von meinen Papieren, das der rohere der beiden Schurken flüchtig betrachtet und dann weggeworfen hatte. Es trug die Fingerspuren des Mörders in blutiger Farbe! Ich wankte an das andere Ende der Stube. O, da lagen sie, die armen Wehr- und Hilflosen! Ihre Leiden waren zu Ende, das meine hatte erst begonnen.

»Ob ich das Gericht anrief? – Was hilft’s dem durstigen Armen, wenn der König für ihn trinkt? O nein, nein, nein – ich verschmähte die Einmischung des Gesetzes. Die Gesetze und der Galgen konnten diese Schuld nicht sühnen. Ich wollte den Schuldner schon finden und die Schuld eintreiben. Wie das anstellen, fragen Sie, da ich doch weder die Gesichter der Bösewichter gesehen, noch ihre unverstellte Stimme gehört, noch irgend eine Idee hatte, wer sie sein könnten? Nichtsdestoweniger war ich meiner Sache gewiß – ganz gewiß, ganz zuversichtlich – ich hatte eine Spur – eine Spur, auf die Sie vielleicht keinen Wert gelegt hätten – eine Spur, mit der selbst ein Detektiv nichts anzufangen gewußt hätte, weil er das Geheimnis, wie sie zu verwerten sei, nicht erriet. Doch, davon später. Zunächst wollen wir die Dinge in ihrer gehörigen Reihenfolge betrachten. Ein Umstand war vorhanden, der mir gleich zu Anfang einen Fingerzeig in einer bestimmten Richtung gab: Jene zwei Räuber waren offenbar als Landstreicher vermummte Soldaten, und zwar keine Neulinge mehr im Militärdienst, sondern alte Soldaten – wahrscheinlich von der Linie; sie hatten sich ihre militärische Haltung, Gebärden und Benehmen nicht in einem Tage oder Monat, noch in einem Jahr angeeignet. So dachte ich, sagte aber nichts. Und einer von ihnen hatte gesagt: ›Des Hauptmanns Stimme, bei Gott!‹ – es war der, den ich suchte. In einer Entfernung von etwa einer Stunde lagerten mehrere Regimenter Infanterie und zwei Schwadronen Kavallerie. Als ich erfuhr,[284] daß der Hauptmann Blakely von der 3. Schwadron in jener Nacht an unserem Hause vorbeigeritten war, und zwar mit einer Begleitung von zehn Mann, sagte ich nichts, beschloß aber, in jener Schwadron meinen Mann zu suchen. Im Gespräch bezeichnete ich die Räuber absichtlich beständig als Landstreicher, und unter dieser Klasse stellten die Leute nutzlose Nachforschungen an. Keiner außer mir beargwöhnte die Soldaten.

»Mit vieler Mühe flickte ich mir in nächtlicher Arbeit aus verschiedenen Tuchstücken und Kleiderfetzen eine Verkleidung zusammen; im nächsten Städtchen kaufte ich mir eine blaue Staubbrille. Als das Lager endlich aufgehoben und die dritte Schwadron zwanzig Meilen weiter nordwärts nach Napoleon beordert wurde, versteckte ich meinen kleinen Geldvorrat im Gürtel und machte mich in der Nacht auf den Weg. Als die dritte Schwadron in Arkansas ankam, war ich bereits dort; ja, ich war dort, in einem neuen Beruf – als Wahrsager. Ich befreundete mich mit allen dort liegenden Truppen und sagte allen ihre Zukunft voraus; meine Hauptaufmerksamkeit aber widmete ich der dritten Schwadron. Gegen die Leute dieser Schwadron war ich grenzenlos zuvorkommend; sie konnten keine Gefälligkeit von mir verlangen, mir nichts zumuten, dem ich mich nicht willig unterzogen hätte. Ich wurde die geduldige Zielscheibe ihrer oft rohen Späße, und das erhöhte meine Popularität: ich wurde allgemein beliebt.

»Ich entdeckte bald einen Gemeinen, dem ein Daumen fehlte – welche Freude für mich! Und als ich fand, daß ihm allein von allen Angehörigen der Schwadron der rechte Daumen fehlte, verschwand mein letzter Zweifel: ich war überzeugt, daß ich die rechte Spur gefunden hatte. Dieser Mann war ein Deutscher Namens Krüger, es waren neun Deutsche bei der Schwadron. Ich beobachtete Krüger, um seine etwaigen Vertrauten ausfindig zu machen; aber er schien keine besonders vertrauten Freunde[285] zu haben. Von nun an wurde ich sein Vertrauter und gab mir alle Mühe, unsere Intimität so viel als möglich zu befestigen. Manchmal dürstete ich so nach Rache, daß ich mich kaum enthalten konnte, auf die Kniee zu fallen und ihn zu bitten, mir den Mann, der meine Lieben ermordet hatte, zu nennen; aber es gelang mir, meine Zunge im Zaum zu halten. Ich wartete meine Zeit ab und fuhr fort wahrzusagen, wie die Gelegenheit sich bot.

»Mein Geschäftsapparat war sehr einfach: ein bißchen rote Schminke und ein Stückchen weißes Papier. Kam einer zum Wahrsagen, so nahm ich seinen Daumenballen, bemalte ihn, nahm einen Abdruck davon auf dem Papier, studierte diesen in der Nacht und prophezeite am nächsten Morgen des Betreffenden Schicksal. Was ich mir bei diesem Unsinn dachte, fragen Sie? Nun, das Folgende: Als ich noch ein junger Mensch war, kannte ich einen alten Franzosen, der dreißig Jahre lang Gefängniswärter gewesen war, und der mir gesagt hatte, jeder Mensch habe etwas an sich, was sich von der Wiege bis zum Grabe nie ändere – die Linien im Daumenballen; und er hatte weiter gesagt, daß diese Linien sich niemals bei zwei Personen ganz genau gleich vorfänden. Heutzutage photographieren wir den angehenden Verbrecher und hängen sein Bild zum etwaigen späteren Gebrauch in der ›Spitzbubengalerie‹ auf; jener Franzose aber pflegte seiner Zeit von jedem neuangekommenen Gefangenen einen Abdruck des Daumenballens zu nehmen und diesen Abdruck zum späteren Gebrauch aufzubewahren. Er sagte immer, daß Bilder nichts taugen – spätere Verkleidungen könnten sie nutzlos machen. ›Der Daumen ist das einzig sichere,‹ sagte er, ›den kann man nicht verkleiden.‹ Und die Richtigkeit seiner Theorie erwies sich auch an meinen Freunden und Bekannten; seine Theorie hatte stets Erfolg.

»Ich wahrsagte weiter. Jede Nacht schloß ich mich ganz[286] allein ein und studierte die während des Tages erlangten Daumenabdrücke mit einem Vergrößerungsglas. Stellen Sie sich die verzehrende Begierde vor, mit der ich über den labyrinthartigen roten Spiralen brütete; neben mir jenes Papier aus meiner Hütte, das den Abdruck des Daumens und Zeigefingers des Mörders trug, gefärbt mit dem für mich teuersten Blute, das je auf Erden vergossen wurde! Wie oft mußte ich enttäuscht dieselbe Bemerkung wiederholen: ›Werden sie denn nie übereinstimmen?‹

»Endlich aber wurde mein Warten belohnt; mein Lohn bestand in dem Daumenabdruck des 34. Mannes der dritten Schwadron, den ich untersucht hatte – des Gemeinen Franz Adler. Eine Stunde vorher kannte ich weder den Namen des Mörders, noch seine Stimme, Gestalt, Nationalität oder seine Züge; jetzt aber wußte ich das alles und glaubte meiner Sache sicher zu sein.

Daumen-Abdrücke.

»Am nächsten Morgen nahm ich Krüger beiseite, als er dienstfrei war; und an einem Orte, wo uns niemand sehen oder belauschen konnte, sagte ich eindringlich zu ihm:

»›Ein Teil eures Schicksals ist so ernst und bedeutsam, daß ich es für das Beste hielt, es euch insgeheim zu sagen. Ihr und noch einer von eurer Schwadron, dessen Schicksal ich letzte Nacht erforschte, – der Gemeine Adler, – habt eine Frau und ein Kind ermordet! Ihr werdet verfolgt: innerhalb von fünf Tagen werdet ihr beide gemeuchelt werden.‹

»Ganz außer sich vor Schreck fiel er auf die Kniee nieder und stammelte fünf Minuten immer dieselben Worte wie ein[287] Geistesabwesender, und in derselben weinerlichen Weise, deren ich mich von jener Mordnacht her noch so gut erinnerte:

»›Ich that’s nicht – bei meiner Seele, ich that’s nicht; und ich wollte auch ihn davon abhalten – ich wollte es, Gott ist mein Zeuge. Er that es allein.‹

»Das war alles, was ich wissen wollte, und ich wollte mich nun des Elenden entledigen; er klammerte sich jedoch an mich und flehte mich an, ihn vor dem Meuchelmörder zu retten. Er sagte:

»›Ich habe Geld – zehntausend Dollars – versteckt, die Frucht der Dieberei und Plünderung; rettet mich – sagt mir, was ich thun soll, und ihr sollt es haben – bis auf den letzten Pfennig. Zwei Drittel davon gehören meinem Vetter Adler; aber Sie dürfen meinetwegen alles nehmen. Wir versteckten es, sobald wir hieherkamen; aber ich versteckte es gestern an einem neuen Platz, ohne ihm etwas davon zu sagen – er soll es auch nie erfahren. Ich wollte desertieren und das Ganze mitnehmen. Es ist lauter Gold – zu schwer, um es mit sich zu schleppen; aber ein Weib, das ich ins Vertrauen gezogen, sollte mit dem Gelde nachfolgen. Ich hatte mit ihr verabredet, wenn ich keine Gelegenheit fände, ihr das Versteck zu beschreiben, so wollte ich ihr meine silberne Taschenuhr in die Hand gleiten lassen oder sie ihr senden; sie wüßte dann, woran sie wäre. Im Rücken des Uhrgehäuses sei ein Stück Papier, das alles Nötige besage. Hier nehmt die Uhr! Sagt mir, was ich thun soll!‹

»Er wollte mir durchaus seine Uhr aufdrängen, nahm das Papier heraus und erklärte es mir, als plötzlich Adler, etwa ein Dutzend Schritte von uns entfernt, auftauchte. Ich sagte zu dem armen Krüger:

»›Steckt eure Uhr ein, ich will sie nicht. Ihr sollt nicht zu Schaden kommen. Geht jetzt; ich muß Adler wahrsagen. Ich werde euch bald wissen lassen, wie ihr dem Meuchelmörder[288] entgehen könnt. Sagt Adler nichts von der Sache – auch keinem andern.‹

»Der arme Teufel entfernte sich, erfüllt von Furcht und Dankbarkeit. Ich wahrsagte Adler seine Zukunft – absichtlich so ausführlich, daß ich nicht ganz zu Ende kommen konnte; versprach, in der Nacht auf Wache zu ihm zu kommen und ihm den wahrhaft wichtigen Teil seiner Zukunft – den tragischen Teil, sagte ich – zu erzählen; wir müßten deshalb außerhalb des Bereiches von Horchern sein. Es wurde stets eine Feldwache außerhalb der Stadt aufgestellt, – bloß der Disziplin und Form wegen, da kein Feind in der Nähe war.

»Ich erfragte die Losung, und gegen Mitternacht machte ich mich auf den Weg nach der einsamen Gegend, wo Adler auf Posten stehen sollte. Es war so dunkel, daß ich fast auf eine undeutliche Gestalt gestoßen wäre, noch ehe ich ein Wort hervorbringen konnte. Der Anruf des Postens und meine Antwort erfolgten in demselben Augenblick, ich fügte hinzu: ›Ich bin’s – der Wahrsager.‹ Dann schlich ich mich an den Menschen heran und stieß ihm, ohne ein Wort zu sagen, meinen Dolch in das Herz! So, lachte ich, das war der tragische Teil deines Schicksals! Indem er laut aufschrie, griff er nach mir, und meine blaue Brille blieb ihm in der Hand; das Pferd galoppierte davon mit seinem toten Reiter.

»Ich floh durch die Wälder und entkam glücklich, die mich anklagende Brille in des Toten Hand zurücklassend.

»Das war vor fünfzehn oder sechzehn Jahren. Seit dieser Zeit bin ich ziellos in der Welt umhergewandert, manchmal beschäftigt, manchmal müßig, manchmal mit, manchmal ohne Geld, aber immer des Lebens müde und den Tod herbeisehnend, denn meine Mission hienieden war mit jener nächtlichen That beendigt, und das einzige Vergnügen, der einzige Trost und die einzige Genugthuung, die ich in allen jenen langwierigen[289] Jahren hatte, lag in dem täglichen Gedanken: ›Ich habe ihn getötet!‹

»Vor vier Jahren begann meine Gesundheit mich im Stiche zu lassen. Ich war in meiner zwecklosen Weise nach München gewandert. Da ich ohne Geldmittel war, suchte ich Arbeit und fand sie auch, that ein Jahr lang treu meine Pflicht und erhielt die Stelle des Nachtwächters dort in jenem Leichenhause, das Sie kürzlich besuchten. Ich wanderte stundenlang unter jenen starren Leichnamen umher und sah in ihre bleichen Gesichter. Der Ort gefiel mir; er paßte zu meiner Gemütsstimmung. Ich war gerne bei den Toten – war gerne allein mit ihnen; je später die Stunde, desto ergreifender war es; die Stunden nach Mitternacht waren mir die liebsten. Manchmal schraubte ich die Gasflammen tiefer herab; das gab Perspektive, wissen Sie, und die Phantasie bekam freies Spiel; die trüben, im[290] Hintergrund sich verlierenden Reihen der Toten erfüllten mich stets mit seltsamen fesselnden Vorstellungen. Vor zwei Jahren – ich war damals ein Jahr lang dort gewesen – saß ich ganz allein im Wachzimmer (’s war eine stürmische Winternacht), erkältet, fast erstarrt, unbehaglich, und war nahe am Einschlafen; das Heulen des Windes und das Auf- und Zuschlagen ferner Fensterläden drang jeden Augenblick schwächer und schwächer an mein Ohr, als plötzlich jene Totenglocke über meinem Haupt ein Geläute begann, das mir das Blut in den Adern erstarren ließ. Die Erschütterung lähmte mich beinahe, denn es war das erstemal, daß ich die Glocke hörte.

»Ich raffte mich zusammen und eilte in den Leichensaal. Etwa in der Mitte der äußern Reihe saß eine mit Leintüchern umwickelte Gestalt aufrecht da und neigte langsam den Kopf von einer Seite zur andern – ein schauerlicher Anblick! Er hatte mir die Seite zugewandt; ich eilte hinzu und sah ihm ins Gesicht: guter Gott! es war Adler!

»Können Sie erraten, was mein erster Gedanke war? In Worte gebracht folgender: ›Es scheint also, du bist mir doch entkommen; diesmal soll es anders gehen!‹

»Jener Mensch litt offenbar unendliche Schreckensqualen. Stellen Sie sich vor: mitten in der lautlosen Stille aufzuwachen und eine grimme Totengemeinde zu überschauen! Welche Dankbarkeit glänzte in seinem knöchernen weißen Gesicht, als er ein lebendes Wesen vor sich sah! Und wie die Glut dieser stummen Dankbarkeit sich erhöhte, als seine Augen auf die lebenspendenden Stärkungsmittel fielen, die ich in den Händen trug! Und dann stellen Sie sich das Entsetzen vor, das über ihn kam, als ich diese Herzstärkungen wegstellte und höhnend sagte:

»›Sprich doch, Franz Adler – ruf’ diese Toten an. Sie werden dich ohne Zweifel hören und Mitleid mit dir haben; sonst wirst du schwerlich jemand rühren.[291]

»Er versuchte zu sprechen, aber jener Teil des Leintuchs, der seine Kinnladen zusammenhielt, hielt fest und erlaubte es ihm nicht. Er versuchte flehend die Hände zu erheben, aber sie waren ihm auf seiner Brust gekreuzt und zusammengebunden.

»›Rufe doch, Franz Adler!‹ sagte ich, ›daß die Schläfer in den fernen Straßen dich hören und Hilfe bringen. Rufe doch – und verliere ja keine Zeit, denn du hast wenig zu verlieren. Was? Du kannst nicht. Das ist schade; aber es macht nichts, denn es bringt ja doch nicht immer Hilfe. Als ihr, du und dein Vetter, in einer Hütte in Arkansas ein Weib und ein Kind ermordetet – mein Weib war’s und mein Kind! – da riefen sie auch um Hilfe, wie du dich erinnerst; aber es nützte nichts; du erinnerst dich dessen, – nicht wahr? Deine Zähne klappern ja – warum kannst du denn nicht rufen? Mache doch die Bandagen mit den Händen los – dann geht’s. Ah, ich sehe – deine Hände sind gebunden, sie können dir nicht helfen. Wie seltsam sich nach langen Jahren die Dinge wiederholen; denn auch meine Hände waren in jener Nacht gebunden, nicht wahr? Ja, fast ebenso gebunden wie die deinen – wie sonderbar das ist! Ich konnte mich nicht loszerren. Es fiel dir nicht ein, mich loszubinden, und mir fällt es nicht ein, deine Bande zu lösen. Pst! ein Fußtritt! er kommt hier vorüber. Horch, wie nahe er ist! Man kann die Schritte zählen – eins – zwei – drei. Da – es ist gerade da draußen. Jetzt ist es Zeit. Ruf’, Mann, ruf’! – es ist die allereinzige Gelegenheit zwischen dir und der Ewigkeit! Ah, du siehst, daß du zu lange gezögert hast – sie ist vorbei. Da – der Schall erstirbt; es ist aus! Denke daran – denke darüber nach – du hast zum letztenmale den Schall menschlicher Schritte gehört. Wie seltsam es sein muß, einem so gewöhnlichen Schall wie diesem zu lauschen und zu wissen, daß man nie wieder seinesgleichen hören wird!‹

»O, mein Freund, die Todesqual in jenem tücherumhüllten[292] Gesicht zu sehen, war die höchste Wonne für mich! Ich erdachte eine neue Folter und wendete sie an, mit etwas lügenhafter Erfindung als Beihilfe.

»›Der arme Krüger wollte mein Weib und Kind retten, zum Dank leistete ich ihm einen guten Dienst, als Zeit und Gelegenheit kamen. Ich beredete ihn, dich zu berauben, und ich und ein Weib halfen ihm, als er desertierte und brachten ihn in Sicherheit.‹

»Eine Miene des Triumphes gleichsam, und der Ueberraschung glänzte einen Augenblick trübe durch die Angst im Gesichte meines Opfers. Ich war erregt, beunruhigt, und sagte:

»›Was hast du – entkam er denn nicht?‹

»Ein verneinendes Kopfschütteln.

»›Nicht? Was geschah denn?‹

»Die Genugthuung in dem verhüllten Gesicht war noch deutlicher. Der Mann versuchte einige Worte zu murmeln – es gelang ihm nicht; versuchte mit den behinderten Händen etwas auszudrücken – auch das mißlang: wartete einen Augenblick und neigte dann in bedeutsamer Weise sein Haupt gegen den Leichnam, der ihm am nächsten lag.

»›Tot?‹ fragte ich. ›Entkam nicht? – wurde gefangen und erschossen?‹

»Verneinendes Kopfschütteln.

»›Was dann?‹

»Wieder versuchte der Mann etwas mit den Händen zu thun. Ich beobachtete ihn genau, konnte aber seine Absicht nicht erraten; ich beugte mich über ihn und beobachtete ihn noch genauer. Er hatte einen Daumen herumgedreht und zeigte damit auf seine Brust.

»›Ah – erstochen meinst du?‹

»Bejahendes Nicken, von einem so teuflisch-gespensterhaften Lächeln begleitet, daß ein grelles Licht in meinem stumpfen Gehirn aufblitzte und ich rief: –

[293]

»›Hab’ ihn also irrtümlich für dich gehalten und erstochen? denn jener Stoß war nur dir zugedacht.‹

»Der zum zweitenmale dem Tode geweihte Schurke nickte so zufrieden, als seine schwindende Kraft es auszudrücken vermochte. Ich begrub schluchzend das Gesicht in den Händen.

»›O ich Elender!‹ rief ich, ›der ich die mitleidige Seele erschlug, die als Freund zu meinen Lieben stand, als sie hilflos waren, und sie, wenn es möglich gewesen, gerettet hätte! O, ich Elender!‹

»Ich glaubte das dumpfe Gurgeln eines höhnischen Lachens zu hören; ich nahm die Hände vom Gesicht und sah, wie mein Feind auf sein schräges Brett zurücksank.

»Sein Todeskampf währte eine befriedigend lange Zeit: er besaß eine wunderbare Lebenskraft, eine staunenswerte Konstitution. Ich holte mir einen Stuhl und eine Zeitung, setzte mich neben ihn und begann zu lesen. Gelegentlich nahm ich einen Schluck Branntwein: das war notwendig der Kälte wegen; ich that es aber teilweise, weil ich sah, daß er zuerst bei jedem Schluck erwartete, ich würde ihm auch ein wenig davon geben. Ich las laut: hauptsächlich erdichtete Berichte von Leuten, die durch einen Löffel voll Branntwein und ein warmes Bad vom Grabesrand zurückgerissen und dem Leben zurückgegeben wurden. Ja, er hatte einen recht langwierigen, harten Todeskampf – drei Stunden sechs Minuten von der Zeit an, da er die Glocke läutete.

»Die schaurige Kälte des Leichensaales war mir durch Mark und Bein gedrungen; sie verursachte und beschleunigte einen Rückfall in die Krankheit, die mich schon öfter befallen hatte, aber bis zu jener Nacht immer wieder rasch vorüber gegangen war. Jener Mann mordete mein Weib und Kind, und in drei Tagen von heute an werde ich meinen Lieben nachfolgen. Thut nichts – Gott, wie köstlich ist die Erinnerung daran! – ich[294] hatte ihn erfaßt, wie er seinem Grabe entfliehen wollte, und ihn wieder in dasselbe zurückgeworfen.

»Nach jener Nacht war ich eine Woche lang an mein Bett gefesselt; sobald ich aber wieder auf den Beinen war, schlug ich in den Leichenhausbüchern die Adresse des Hauses auf, in dem Adler erkrankt war. Es war eine elende Herberge. Ich dachte, Adler werde als Krügers Vetter dessen Habseligkeiten in Besitz genommen haben. Ich wollte mir womöglich Krügers Uhr verschaffen. Aber während ich krank darniederlag, waren Adlers Sachen verkauft und überallhin zerstreut worden – alle bis auf einige alte Briefe und wertlose Kleinigkeiten. Mittels jener Briefe aber spürte ich einen Sohn Krügers auf – den einzigen Verwandten, den er hinterließ. Er ist jetzt ein Mann von dreißig Jahren, seines Zeichens ein Schuhmacher, ein Witwer mit mehreren kleinen Kindern, und wohnt zu Mannheim, Königsstr. Nr. 14. Ohne ihm einen Grund zu sagen, habe ich seitdem stets zwei Drittel zu seinem Lebensunterhalt beigesteuert.

»Was nun jene Uhr angeht, so hören Sie nur, was für seltsame Dinge geschehen. Ich suchte länger als ein ganzes Jahr mit Mühe und Kosten in ganz Deutschland nach ihr – und fand sie endlich, bekam sie und war unsäglich froh; ich öffnete sie und fand nichts darin. Hätte mir freilich sagen können, daß jenes Stückchen Papier nicht die ganze Zeit hindurch darin bleiben würde. Ich hatte damals die Uhr mitsamt dem Schatz verschmäht – jetzt hätte ich das Geld gerne für Krügers Sohn gehabt.

»In der letzten Nacht fühlte ich, daß ich bald sterben würde. Ich verbrannte alle wertlosen Papiere; und siehe da! aus einem Briefbündel Adlers, das ich vorher nicht genau genug durchforscht hatte, fiel jener langersehnte Zettel! Ich erkannte ihn augenblicklich; er lautete wie folgt:

[295]

»›Pferdestall aus Backsteinen mit steinernem Fundament, Mitte der Stadt, Ecke der Orleansstraße und des Marktplatzes; Ecke gegen das Gerichtshaus zu – vierte Reihe, dritter Stein. Stecke Benachrichtigung dorthin mit der Angabe, wieviele kommen werden.‹

»Da, nehmen Sie’s, und heben Sie es gut auf. Krüger sagte mir, daß jener Stein entfernt werden könne und daß er in der nördlichen Mauer des Gebäudes sei, in der vierten Reihe von oben, der dritte Stein von Westen her. Das Geld sei dahinter versteckt. Er sagte, der Schlußsatz sei eine Finte um irrezuführen, falls das Papier in unrechte Hände geraten sollte. Diese Finte scheint Adler gegenüber ihren Zweck erreicht zu haben.

»Und nun bitte ich Sie, wenn Sie Ihre beabsichtigte Reise den Mississippi hinab thun, dieses versteckte Geld ausfindig zu machen und an Adam Krüger unter der eben erwähnten Adresse zu senden. Es wird ihn zu einem reichen Manne machen, und ich werde sanfter ruhen in meinem Grabe, wenn ich weiß, daß ich mein Möglichstes gethan habe für den Sohn des Mannes, der mein Weib und Kind retten wollte – obgleich meine Hand ihn erschlug, während der Antrieb meines Herzens dahin gegangen wäre, ihn zu beschirmen und ihm dienstlich zu sein.«


»Das war Ritters Geschichte,« sagte ich zu meinen Freunden Rogers und Thompson, mit denen ich bald nach meiner Rückkehr von Europa den Mississippi hinabfuhr. Als ich geendet hatte, folgte eine tiefe, eindrucksvolle Stille, die beträchtliche Zeit dauerte; dann brachen beide in ein wahres Kreuzfeuer von erregten und bewundernden Ausrufen über die seltsamen Episoden der Erzählung aus, das anhielt, bis sie fast ganz außer Atem waren. Dann begannen meine Freunde kühler zu werden und sich unter dem Schutze gelegentlicher Salven in Schweigen und[296] abgrundtiefe Träumerei zurückzuziehen. Etwa zehn Minuten lang herrschte Stillschweigen; dann sagte Rogers träumerisch –:

»Zehntausend Dollars,« und nach einer langen Pause fügte er hinzu: »Zehntausend – ’s ist ein Haufen Geld.«

Gleich darauf fragte Thompson:

»Werden Sie es ihm sogleich senden?«

»Ja,« sagte ich. »Eine seltsame Frage!«

Keine Antwort. Nach einer Weile fragte Rogers zögernd:

»Alles? – Das heißt – ich meinte nur –«

»Gewiß, alles.«

Ich wollte mehr sagen, hielt aber inne, durch einen Ideengang dazu veranlaßt, der in mir auftauchte. Thompson sprach, aber meine Gedanken waren anderswo, und ich erfaßte nicht, was er sagte; doch hörte ich, wie Rogers antwortete:

»Ja, das scheint mir so. Es sollte vollständig genügen, denn ich finde nicht, daß er dabei etwas gethan hat.«

Sogleich fiel Thompson, der Dichter, ein:

»Bei Licht betrachtet, ist es mehr als genügend. Denke nur – fünftausend Dollars. Ei, er könnte das Geld in seinem ganzen Leben nicht ausgeben! Und es könnte ihm leicht schaden, ihn vielleicht zu Grunde richten – das ist wohl zu beachten. Wer weiß, wie lang es dauert, bis er alles durchgebracht hat? Dann macht er seine Bude zu, fängt vielleicht an zu trinken, mißhandelt seine Kinder, gerät auf andere Abwege und sinkt tiefer und tiefer – –«

»Ja, das ist’s,« unterbrach ihn Rogers voller Feuereifer, »ich habe das hundertmal – ja, öfter als hundertmal gesehen. Wenn du einen solchen Mann gänzlich zu Grunde richten willst, brauchst du ihm bloß Geld in die Hand zu geben; ja, gieb ihm nur Geld in die Hand – das ist alles, was dazu gehört; und wenn es ihn nicht herabzieht, ihm alle Würde, alle Selbstachtung u. s. w. raubt, dann kenne ich die menschliche Natur nicht[297] – ist’s nicht so, Thompson? Und selbst wenn wir ihm ein Drittel davon geben; ei, in weniger als sechs Monaten – –«

»Weniger als sechs Wochen, sage lieber,« sagte ich, mich erwärmend und einfallend. »Wenn die dreitausend Dollars nicht in sicheren Händen wären, wo er sie nicht anrühren könnte, so würde er ebensowenig sechs Wochen damit reichen, als – –«

»Natürlich nicht,« sagte Thompson; »ich habe Bücher geschrieben für die Sorte von Leuten; sobald sie ihre Hände auf ein Besitztum legen – auf dreitausend Dollars etwa, oder auf zweitausend – –«

»Ich möchte wissen, was dieser Schuster mit zweitausend Dollars soll?« fiel Rogers ernsthaft ein; »ein Mann, der vielleicht jetzt dort in Mannheim, umgeben von seinesgleichen, ganz zufrieden ist; der sein Brot mit dem Appetit ißt, den Mühe und Fleiß allein geben können, und ehrlich, aufrichtig und reinen Herzens sich seines bescheidenen Daseins freut; und begnadet – ja, ich sage begnadet ist vor all’ den vielen Tausenden, die in Sammet und Seide einhergehen und in dem hohlen, leeren Treiben der Gesellschaft umhergewirbelt werden – aber man führe diesen Mann nur einmal in Versuchung, lege nur fünfzehnhundert Dollars vor ihn hin und – –«

»Fünfzehnhundert Teufel!« rief ich, »fünfhundert würden seine Grundsätze ausrotten, seinen Fleiß lähmen und ihn in den Schnapsladen zerren, von da in die Gosse, von da ins Armenhaus, von da in – –«

»Weshalb uns dieses Verbrechen aufbürden, meine Herren?« unterbrach mich der Poet ernst und flehend. »Er ist glücklich, wo und wie er ist. Jedes Gefühl der Ehre, der Menschenliebe und des hohen, heiligen Wohlwollens ermahnt, bestürmt und befiehlt uns, ihn in Ruhe zu lassen. Das ist echte, wahre Freundschaft.«

Nach einigem weiteren Geplauder wurde es indessen ersichtlich,[298] daß jeder von uns in seinem innersten Herzen einige Zweifel bezüglich dieser Erledigung der Sache hegte. Wir fühlten offenbar alle, daß wir dem armen Schuster irgend etwas senden sollten. Dieser Punkt wurde lange erwogen, und endlich beschlossen, daß wir ihm ein Farbendruckbild senden wollten.

Nun aber, da alles ganz zur Zufriedenheit geordnet schien, tauchte eine neue Schwierigkeit auf: es wurde mir klar, daß die beiden erwarteten, ich werde das Geld zu gleichen Stücken mit ihnen teilen. Das fiel mir gar nicht ein; ich sagte, sie könnten von Glück sagen, wenn sie zusammen die Hälfte bekämen. Rogers sagte darauf:

»Wer würde überhaupt etwas erhalten haben, wenn ich nicht gewesen wäre? Ich machte die erste Andeutung – sonst hätte der Schuster alles bekommen.«

Thompson sagte, daß er in demselben Augenblicke daran gedacht hätte, als Rogers die erste Andeutung machte.

Ich erwiderte, daß mir der Gedanke bald genug und ohne jede Beihilfe gekommen sei. »Ich denke vielleicht langsam,« sagte ich, »aber auch sicher.«

Unsere Erörterung entwickelte sich zu einem Zank, dann zu einem Faustkampf, bei dem wir alle stark mitgenommen wurden. Sobald ich mein Aeußeres wieder einigermaßen präsentabel gemacht hatte, begab ich mich (in recht verdrießlicher Stimmung) aufs Oberdeck. Dort fand ich den Kapitän und redete ihn so freundlich wie möglich folgendermaßen an:

»Ich bin gekommen, um Abschied zu nehmen, Kapitän; ich möchte bei Napoleon landen.«

»Wo landen?«

»Bei Napoleon.«

Der Kapitän lachte, da er aber sah, daß ich nicht zum Scherzen aufgelegt war, fügte er ernster werdend hinzu:

»Ist das Ihr Ernst?«

[299]

»Mein voller Ernst.«

Der Kapitän blickte zum Lotsenhaus hinauf und sagte:

»Er will bei Napoleon landen!«

»Bei Napoleon

»So sagt er.«

»O Geist des großen Cäsar!«

Der Lotse kam auf uns zu, und der Kapitän sagte:

»Onkel, unser guter Freund hier will bei Napoleon landen.«

»Na, da – –«

»Nun, was soll das?« unterbrach ich ihn. »Kann man denn bei Napoleon nicht ans Ufer gehen, wenn man will?«

»Ei, zum Henker, wißt Ihr’s denn nicht? Es giebt kein Napoleon mehr, seit Jahren nicht mehr. Der Arkansas River brach durch, riß alles in Stücke und schwemmte es in den Mississippi!«

»Nahm die ganze Stadt mit? – Banken, Kirchen, Gefängnisse, Zeitungsdruckereien, Gerichtshaus, Theater, Feuerversicherungsgebäude, Mietställe – alles

»Alles. Just das Werk einer Viertelstunde. Ließ weder Haut noch Haar, weder einen Stein oder Balken noch einen Dachziegel übrig – einen Schuppen und einen Kamin aus Backsteinen ausgenommen. Das Boot hier fährt jetzt gerade da, wo die Mitte der Stadt war; dort ist der Kamin – alles, was von Napoleon übrig ist. Diese dichten Wälder zur Rechten waren sonst eine gute Stunde hinter der Stadt. Seht euch einmal um – blickt stromaufwärts – nicht wahr, jetzt erkennt ihr die Gegend nach und nach wieder?«

»Ja, ich erkenne sie jetzt. Das ist das Wunderbarste, was ich je gehört habe – weitaus das Wunderbarste und – Unerwartetste.«

Mittlerweile waren meine Freunde Thompson und Rogers mit ihren Ränzchen und Regenschirmen angekommen und hatten[300] dem Kapitän schweigend zugehört. Thompson drückte mir einen halben Dollar in die Hand und sagte leise:

»Für meinen Anteil an dem Farbendruck.«

Rogers folgte seinem Beispiel.

Ja, es war erstaunlich, den Mississippi zwischen unbevölkerten Ufern und gerade über den Ort sich hinwälzen zu sehen, wo ich vor zwanzig Jahren eine gute, große, behäbige Stadt zu sehen gewohnt war – eine Stadt, die der Hauptort eines umfangreichen und blühenden Bezirks war; eine Stadt, wo ich das hübscheste und liebreizendste Mädchen aus dem ganzen Mississippithal gekannt hatte; – jetzt keine Stadt mehr, verschlungen, verschwunden, eine Beute der Fische! nichts übrig als ein Stück von einem Schuppen und ein verfallender Backsteinschlot!

Und wo sind die zehntausend Dollars?


[301]

Der Mann, der bei Gadsbys abstieg.

Im Winter 1867 ging ich einmal mit meinem originellen Freund Riley, der, wie ich, Zeitungskorrespondent in Washington war, die Pennsylvania-Avenue hinunter. Mitternacht war fast vorüber und ein heftiger Schneesturm blies uns ins Gesicht, als wir beim Schein einer Straßenlaterne einen Mann erblickten, der uns entgegengelaufen kam.

Als er unserer ansichtig wurde, blieb er stehen und rief: »Das trifft sich ja prächtig! Sie sind Herr Riley, nicht wahr?«

Riley besaß mehr Ruhe und Kaltblütigkeit als irgend jemand in der ganzen Republik. Er stand still, betrachtete den Mann von Kopf bis zu Fuß und sagte endlich:

»Mein Name ist Riley! Wünschen Sie vielleicht etwas von mir?«

»Jawohl,« sagte der Mann voller Freude, »und ich bin überglücklich, Sie gefunden zu haben! Ich heiße Lykins und bin Lehrer am Gymnasium in San Francisco; die dortige Postmeisterstelle ist vakant, ich hab’ mich darum beworben, und deshalb bin ich jetzt hier.«

»Ja,« sagte Riley langsam und bedächtig, – »wie Sie ganz richtig bemerken, Herr Lykins, sind Sie jetzt hier! Und haben Sie die Stelle bekommen?«

»Noch nicht, aber ich bin auf dem besten Wege dazu. Das[302] Gesuch, das ich einreichen will, trägt die Unterschriften des Vorstands für Volksunterricht, sowie sämtlicher Lehrer, und noch zweihundert anderer Personen. Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie die Güte hätten, mich zu der betreffenden Zivilbehörde zu begleiten, um meine Ueberweisung auf den Posten ausfertigen zu lassen, denn ich möchte mit dieser Angelegenheit so schnell wie möglich fertig werden, und bald wieder zu Hause sein.«

»Wenn die Sache so dringend ist,« versetzte Riley in einem Ton, aus dem nicht jeder den Spott herausgehört hätte, »so wäre es Ihnen wohl angenehm, wenn wir den Beamten noch heute abend aufsuchten?«

»Jawohl, heute abend auf jeden Fall, ich habe nicht Zeit, mich lange herumzutreiben. Noch heute, ehe ich zu Bette gehe, muß ich die Zusage haben – ich bin kein Mann von Worten, sondern von Thaten!«

»Sehr wohl, – und da sind Sie hier am rechten Platze. – Wann sind Sie angekommen?«

»Gerade vor einer Stunde.«

»Und wann gedenken Sie wieder abzureisen?«

»Morgen abend nach New York und tags darauf nach San Francisco!«

»Ganz recht, – und was wollen Sie morgen den Tag über thun?«

»Nun, da muß ich mich doch mit dem Gesuch und der Ueberweisung zum Präsidenten begeben, um seine Unterschrift zu erhalten, nicht wahr?«

»Jawohl, – das ist ganz richtig, ganz in der Ordnung, – und was dann?«

»Dann gehe ich um zwei Uhr nachmittags in die Senatssitzung und hole mir die Bestätigung, das ist der letzte Schritt.«

»Freilich, – freilich,« sagte Riley wohlbedächtig, »da haben Sie wieder ganz recht! Dann benutzen Sie den Abendzug nach[303] New York und am nächsten Morgen das Dampfboot nach San Francisco.«

»So ist es – ganz wie ich mir die Sache überlegt habe.«

Riley dachte eine Weile nach, dann sagte er:

»Könnten Sie nicht vielleicht einen – oder zwei Tage länger bleiben?«

»Bewahre, das wäre ganz gegen meine Grundsätze; ich kann nicht lange herumbummeln, – ich bin ein Mann der That, wie ich Ihnen schon sagte.«

Mitten im heulenden Sturm und dichtesten Schneewirbel stand Riley einige Sekunden regungslos da, augenscheinlich in tiefes Nachdenken versunken: – dann blickte er auf und sagte:

»Haben Sie wohl je von dem Manne gehört, der eines Tages bei Gadsbys abstieg? – Aber ich sehe schon, daß Sie nichts von ihm wissen!«

Damit drängte er Herrn Lykins gegen ein eisernes Gitter, hielt ihn am Knopfloch fest und – wie Coleridges alter Matrose – bannte er ihn auf die Stelle durch den Blick seines Auges. Dann begann er seine Erzählung, so friedlich und seelenruhig, als lägen wir alle behaglich auf einer blumigen Sommerwiese ausgestreckt, anstatt um Mitternacht vom Wintersturm durchblasen zu werden.

»Ich will Ihnen von dem Mann erzählen: es war zur Zeit des Präsidenten Jackson und Gadsbys das erste Hotel der Stadt. – Eines Morgens um 9 Uhr kam dort ein prächtiger vierspänniger Wagen vorgefahren; auf dem Bock saß ein schwarzer Kutscher und ein wunderschöner großer Hund lief nebenher. Wirt, Kellner und Hausknecht stürzten herbei, den neuen Ankömmling zu empfangen. Dieser, ein Herr aus Tennessee, sprang eiligst heraus, befahl dem Kutscher zu warten, sagte, er habe keine Zeit, erst noch etwas zu essen, – er wolle nur eine kleine Schuldforderung bei der Regierung einkassieren und daher schnell[304] auf das Schatzamt gehen, um das Geld zu holen; dann müsse er direkt wieder nach Tennessee zurück, da er große Eile habe.

Um 11 Uhr abends kam er wieder, ließ die Pferde in den Stall bringen, bestellte ein Zimmer und meinte, er werde die Forderung am nächsten Morgen einkassieren. Dies geschah an einem Mittwoch, den 3. Januar 1834. Am 5. Februar verkaufte er den schönen Wagen und schaffte sich einen billigen, schon gebrauchten an; – er meinte, darin könne er das Geld ebenso gut mitnehmen, und auf vornehmes Aussehen lege er kein Gewicht. Am 11. August verkaufte er das eine Paar Pferde, indem er bemerkte, es sei doch bequemer mit zwei Pferden über das steile Gebirge zu fahren, weil dabei große Vorsicht nötig sei; auch werde das Geld, das er bekäme, nicht zu schwer für einen Zweispänner sein. Am 13. Dezember verkaufte er das dritte Pferd und meinte, jetzt bei dem klaren trockenen Winterwetter seien die Straßen in so gutem Zustand, daß ein Pferd das alte Fuhrwerk schnell genug vorwärts bringen könne. – Am 17. Februar 1835 verkaufte er den alten Wagen und schaffte sich einen leichten[305] Einspänner an, den er billig bekam. Er meinte, die Wege seien jetzt vom Frühlingsregen so aufgeweicht, daß jedes andere Gefährt zu tief einsinken würde, auch habe er schon immer gern versuchen wollen, wie es sich in einem Einspänner über die Berge fahren lasse. – Am 1. August vertauschte er den Einspänner gegen eine kleine Chaise, die schon lange im Gebrauch war, und meinte, er freue sich ordentlich darauf, wie seine lieben Landsleute in Tennessee Mund und Augen aufsperren würden, wenn er in einer Chaise dahercarriolt käme, so etwas hätten sie gewiß ihr Lebtag nicht gesehen.

Am 29. August verkaufte er auch seinen schwarzen Kutscher und meinte, auf seiner Chaise sei ja gar nicht Platz für zwei, da könne er keinen Kutscher brauchen, – es sei ein reiner Glücksfall, daß er einen Käufer gefunden, der dumm genug gewesen, 900 Dollars für einen Neger von so zweifelhafter Qualität zu bezahlen, – er sei den Kerl längst gern los gewesen, habe ihn aber doch nicht um ein Spottgeld hergeben mögen.

Anderthalb Jahre später, am 15. Februar 1837, verkaufte er die Chaise, schaffte sich einen Sattel an und meinte, der Doktor habe ihm schon mehrmals gesagt, wie gut ihm das Reiten bekommen würde, außerdem würde es ja die reinste Thorheit sein, mitten im Winter eine Fahrt durch das Gebirge zu riskieren.

Am 9. April verkaufte er den Sattel und meinte, bei den schmutzigen schlechten Wegen im April sei so ein Sattel doch ein erbärmliches Ding, mit dem alle Augenblicke etwas passieren könne; auf dem Pferderücken fühle er sich noch einmal so sicher, und warum solle er sein Leben unnütz aufs Spiel setzen?

Am 24. April verkaufte er sein Pferd und meinte: ›Heute ist gerade mein siebenundfünfzigster Geburtstag, – ich bin gesund und frisch und kann mir nichts Angenehmeres denken, als eine Fußtour über die Berge, in ihrem jungen Frühlingsgrün; es wäre eine wahre Sünde, wenn ich die Gelegenheit dazu versäumte,[306] um bei dem herrlichen Wetter aufs Pferd zu steigen! Wenn meine Forderung einkassiert ist, kann ja der Hund das kleine Bündel mit Leichtigkeit tragen. Morgen in aller Frühe will ich mich aufmachen und nach einem donnernden Lebewohl bei Gadsbys auf Schusters Rappen nach Tennessee marschieren.‹

Am 22. Juni verkaufte er seinen Hund und meinte: ›Wenn man so im Sommer durch Berg und Wald schweift, ist einem ja ein Hund überall im Wege, er jagt nach Eichhörnchen, bellt Tier und Menschen an, verläuft sich bald hier, bald dort, gerät in Bäche und Pfützen und läßt einen keinen Augenblick die schöne Natur in Ruhe genießen! Wenn ich mein Geld selber trage, ist es ohnehin viel sicherer. Auf einen Hund ist in Geldsachen kein Verlaß, – das weiß man aus Erfahrung! Na, lebt wohl, alte Jungens, – dies ist mein letzter Besuch, – morgen mit dem frühesten bin ich über alle Berge und auf festen Sohlen nach Tennessee unterwegs!‹« –


Es entstand eine Pause, – nur der Wind heulte, und der Schnee fiel in dichten Flocken. Endlich sagte Lykins ungeduldig:

»Nun, und was weiter?«

Riley versetzte:

»Ja, – das war vor dreißig Jahren!«

»Gut, gut, – aber was soll das?« –

»Der alte Herr ist mein guter Freund, er besucht mich jeden Abend, um Abschied zu nehmen. Vor einer Stunde war er bei mir und morgen früh macht er sich nach Tennessee auf – wie gewöhnlich, – er meinte, er werde seine Forderung einkassiert haben und auf und davon sein, ehe solche Nachteulen, wie ich, sich den Schlaf aus den Augen reiben. Er hatte Thränen in den Augen vor Freude, daß er nun bald seine alte Heimat und seine Freunde wiedersehen werde!« –

Es folgte eine abermalige Pause, die der Fremde unterbrach:

[307]

»Ist die Geschichte zu Ende?«

»Ja, das ist alles!«

»Sie war auch lang genug, bei dieser Nachtzeit und in solchem Wetter. Aber was wollen Sie denn damit sagen?«

»O, nichts Besonderes!«

»Ich meine, was soll sie eigentlich bedeuten?«

»Eine besondere Bedeutung hat sie nicht, – ich dachte nur so, daß, wenn Sie nicht in gar zu großer Eile sind, mit Ihrer Anstellung als Postmeister nach San Francisco zurückzukommen, so würde ich Ihnen raten, bei Gadsbys abzusteigen, und sich Zeit zu nehmen. Leben Sie wohl, ich wünsche Ihnen recht viel Glück!«

Dabei wandte sich Riley mit freundlicher Miene zum Gehen und ließ den verblüfften Schullehrer regungslos unter der Straßenlaterne stehen, die ihren hellen Schein auf den von Schneeflocken ganz weißen Mann warf. –

Die Postmeisterstelle hat er aber nie erhalten.


[308]

Die Geschichte des Invaliden.

Ich sehe aus wie ein verheirateter Sechziger; es ist die Folge meiner angegriffenen und durch Leiden mitgenommenen Gesundheit; in Wirklichkeit bin ich Junggeselle und erst einundvierzig Jahre alt. Sie werden es kaum glauben können, daß ich, jetzt einem Schatten gleichend, vor kaum zwei Jahren noch frisch und gesund war – ein Mann von Eisen, ein wahrer Athlet! – und doch ist es die reine Wahrheit. Noch seltsamer aber ist die Art und Weise, wie ich meine Gesundheit einbüßte. Ich verlor sie, weil ich einst in einer Winternacht, während einer Eisenbahnfahrt von fünfzig Meilen, auf eine Kiste mit Gewehren achtgeben half. Ich will Ihnen die ganze Geschichte erzählen.

Ich bin zu Cleveland, Staat Ohio, zu Hause. Vor zwei Jahren kam ich einmal beim Anbruch der Nacht während eines heftigen Schneesturms heim und erfuhr, sobald ich ins Haus trat, daß mein liebster Jugendfreund und Schulkamerad, John B. Hackett, tags vorher gestorben war; sein letzter Wunsch sei gewesen, ich möge seine sterblichen Ueberreste zu seinen armen, alten Eltern nach Wisconsin geleiten. Ich war sehr erschüttert und bekümmert, durfte aber keine Zeit mit Gemütsbewegungen verlieren; ich mußte sogleich aufbrechen. Ich steckte die Karte, auf welcher ›Dekan Levi Hackett, Bethlehem, Wisconsin‹ stand,[309] zu mir und eilte durch den heulenden Sturm der Bahnstation zu. Dort angelangt, fand ich die lange weißtannene Kiste vor, die mir beschrieben worden war. Ich befestigte die Karte mit einigen Stiften daran, überzeugte mich, daß die Kiste sicher in einem Expreßwagen untergebracht wurde, und eilte dann in das Speisezimmer, um mich mit einem belegten Butterbrot und einigen Cigarren zu versorgen. Als ich herauskam, stand meine Sargkiste wieder da und ein junger Mensch machte sich mit einer Karte, einigen Stiften und einem Hammer in der Hand, daran zu schaffen. Ich war erstaunt und verblüfft. Er begann seine Karte anzunageln und ich eilte ziemlich aufgeregt hinaus zu dem Expreßwagen, um eine Erklärung zu verlangen. Aber siehe – da war ja meine Kiste, sie lag im Güterwagen genau auf dem alten Fleck.

[Thatsächlich hatte eine großartige Verwechslung stattgefunden, ohne daß ich etwas davon ahnte. Ich nahm die Kiste mit Gewehren mit, welche jener junge Mann an eine Schützengesellschaft in Peoria in Illinois abliefern sollte, während er mit dem meiner Obhut anvertrauten Leichnam abreiste!]

Ich hatte mich kaum überzeugt, daß meine Kiste da war, als der Kondukteur rief: »Einsteigen!« Ich sprang rasch in den Packwagen und machte mir einen bequemen Sitz auf einem Ballen zurecht. In demselben Wagen fuhr der Güterschaffner, ein biederer Mann in den Fünfzigern, mit offenem, ehrlichem, gutmütigem Gesicht. Er hatte alle Hände voll zu thun. Als der Zug abfuhr, sprang ein Fremder an den Wagen und legte einen Pack mit besonders reifem und kräftigem Limburger Käse auf das eine Ende meiner vermeintlichen Sargkiste. Das heißt, ich weiß jetzt, daß es Limburger Käse war, damals aber war mir der Inhalt des Packets unbekannt. Wir flogen eilig dahin durch die rauhe Nacht, der Sturm tobte fort. Eine große Niedergeschlagenheit bemächtigte sich meiner, mein Herz wurde[310] schwerer und immer schwerer. Der alte Schaffner machte ein paar heitere Bemerkungen über den Sturm und das Nordpolwetter, schloß die Schiebethüren und Fenster recht dicht und ging dann geschäftig und ein Liedchen summend hin und her, indem er das Gepäck zurechtsetzte. Bald fiel mir auf, daß sich ein äußerst übler, durchdringender Geruch in der eiskalten Atmosphäre des Wagens verbreitete; das machte mich noch niedergeschlagener, weil ich es natürlich meinem armen abgeschiedenen Freunde zuschrieb. Es lag etwas tief Trauriges darin, daß er sich mir in dieser stummen, pathetischen Weise ins Gedächtnis zurückrief, und so konnte ich nur mit Mühe die Thränen zurückhalten; nebenbei war ich auch besorgt, der alte Schaffner könne etwas merken. Er summte indessen ruhig weiter. Trotzdem fühlte ich mich mit jeder Minute unbehaglicher, denn der Geruch wurde immer stärker, schon mehr hautgoût. Nachdem der Schaffner alles zu seiner Zufriedenheit geordnet hatte, holte er einen Arm voll Holz und heizte in seinem Ofen tüchtig ein. Das that mir über die Maßen leid; denn ich war überzeugt, daß die Wärme eine schädliche Wirkung auf meinen armen abgeschiedenen Freund ausüben müsse. Thompson – der Schaffner hieß Thompson, wie ich im Laufe der Nacht erfuhr – ging jetzt die Wände betastend im Wagen umher, verstopfte alle Löcher und Ritzen, und bemerkte vergnügt, es möge nun draußen Wetter sein, welches es wolle, er werde es uns schon behaglich machen. Ich sagte nichts, zweifelte aber, ob er es richtig anfing. In einer Weile wurde der Ofen immer heißer und die Luft immer schwüler. Ich fühlte, daß mir übel und weh wurde, trug aber mein Leid im stillen und sagte nichts. Bald bemerkte ich, daß das Summen des Schaffners immer schwächer wurde, endlich hörte es ganz auf, und es herrschte eine unheimliche Stille. Nach einigen Augenblicken sagte Thompson:

»Pfui! na, Zimmetholz war’s nicht, was ich in den Ofen steckte!«

[311]

Er schnappte ein paarmal nach Luft, schritt dann auf die Kiste zu, stand einen Augenblick ganz nahe bei dem Limburger, ging dann wieder weg und setzte sich, augenscheinlich stark ›verschnupft‹ neben mich. Nach einigem Besinnen sagte er, mit dem Finger auf die Kiste zeigend:

»Freund von Ihnen?«

»Ja,« sagte ich mit einem Seufzer.

»Ziemlich reif, wie’s scheint!«

Etwa zwei Minuten lang wurde nichts weiter gesagt, da jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war; dann sagte Thompson in leisem, friedlichem Tone:

»Manchmal weiß man nicht recht, ob sie ganz hinüber sind; es scheint oft nur so, wenn man sie anfühlt. Habe Fälle in meinem Wagen gehabt, besonders während des Krieges, – ich sag’ Ihnen, schauderhaft! Jeden Augenblick konnte man erwarten, daß sich so einer erhob und einen anglotzte.« Dann[312] fügte er nach einer Pause hinzu, indem er mit dem Ellenbogen nach der Kiste zeigte: »Na, der da ist nicht scheintot! Für den stehe ich ein.«

Wir saßen einige Zeit schweigend und nachdenklich da, lauschten dem Sausen des Windes und dem Gerassel des Bahnzugs; dann sagte Thompson gefühlvoll:

»Nun, nun, wir werden alle einmal ›reif‹, das ist nun einmal nicht zu ändern. Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt nur eine kurze Zeit, sagt die Schrift. Ja, man mag es betrachten, wie man will, es ist furchtbar ernsthaft und wunderbar: Es giebt niemand, der’s ändern kann, alle müssen fort, einer wie der andere. Heute ist man frisch und gesund« – hier unterbrach er sich, schnellte auf, riß ein Fenster auf und streckte seine Nase ein paar Augenblicke hinaus, dann setzte er sich wieder, während ich aufstand und meine Nase an derselben Stelle hinausstreckte, und so wechselten wir immer ab – »und am nächsten Tag wird er niedergemäht wie das Gras, wie es in der Schrift steht. Ja, wahrhaftig – ’s ist eine furchtbar ernste und feierliche Sache; aber wir müssen alle gehen, früher oder später; ’s läßt sich nicht ändern.«

Es folgte wieder eine lange Pause, dann fragte Thompson:

»Woran starb er denn?«

Ich antwortete, es sei mir unbekannt.

»Wie lange ist er denn schon tot?«

Um nicht, wegen des Geruchs, zu wenig zu sagen, antwortete ich:

»Zwei oder drei Tage.«

Aber es half nichts; Thompson nahm es mit einer ungläubigen Miene auf, die deutlich besagte: Sie wollen wohl sagen: »Zwei oder drei Jahre!« Meine Angabe stillschweigend ignorierend, fuhr er dann ruhig fort, mir seine Ansicht auseinanderzusetzen über die Thorheit, Begräbnisse lang aufzuschieben.[313] Dann schritt er zu der Kiste, blieb einen Augenblick davor stehen, kam eilig zurück und stattete dem Fenster einen Besuch ab, wobei er bemerkte:

»Es wäre in jeder Hinsicht besser gewesen, wenn Sie ihn letzten Sommer fortgeschafft hätten.«

Thompson setzte sich nieder, begrub sein Gesicht in einem rotseidenen Taschentuch und begann sich langsam hin- und herzuwiegen wie einer, der sich wohl oder übel in das Unvermeidliche schickt. Mittlerweile war der Duft – wenn man das noch Duft nennen darf – zum Ersticken geworden. Thompsons Gesicht wurde aschgrau; das meine – ich fühlte es – war leichenfahl. Zur Abwechslung stützte Thompson den Kopf in die linke Hand, den Ellbogen auf dem Knie; mit der andern Hand fuchtelte er mit dem Taschentuch gegen die Kiste und sagte:

»Bin schon mit vielen gefahren – manche davon waren beträchtlich angegangen – aber, weiß der Himmel, der schlägt sie alle um ein Dutzend Nasenlängen, mit Leichtigkeit. Ich versichere Sie, die anderen waren Eau de Cologne gegen ihn

Ich nahm das Kompliment für meinen Freund, trotz der betrübenden Nebenumstände, nicht ohne Genugthuung auf.

Es wurde uns sehr bald klar, daß etwas geschehen müsse. Ich schlug Cigarren vor; Thompson war damit einverstanden.

»Vielleicht mildert’s etwas,« meinte er.

Wir pafften hübsch drauf los und bildeten uns eine Weile ein, daß der Zustand sich gebessert habe; aber es half nichts. Sehr bald, wie auf ein verabredetes Zeichen, ließen wir beide gleichzeitig unsere Cigarren den kraftlosen Fingern entfallen. Thompson sagte mit einem Seufzer:

»Nein, Freund, das macht ihn nicht um ein Haar milder. Ich behaupte, es macht ihn nur wilder. Was sollen wir aber machen, he?«

Ich war nicht im stande, etwas vorzuschlagen, ich hatte[314] während der ganzen Zeit gewürgt und gewürgt und hielt es nicht für geraten, den Mund zu öffnen. Thompson begann in abgebrochenen Sätzen über die dumme Geschichte zu brummen, wobei er meinen Freund verschiedentlich titulierte; die Titel wurden immer größer, je eifriger er redete. Schließlich sagte er:

»Wissen Sie was? Wir sollten unsern Oberst[6] weiter an das andere Ende des Wagens bringen, etwa zehn Fuß. Er kann sich dann nicht so geltend machen.«

[6] Titulatur, mit der man in Amerika stark um sich wirft.

Das leuchtete mir ein. Wir schöpften also am Fenster gehörig Atem und faßten dann die Kiste mit dem Käse an. Thompson nickte ›Fertig‹, worauf wir mit aller Macht auslangten; aber Thompson glitt aus, stieß mit der Nase auf den Käse und verlor fast den Atem. Schnappend und keuchend rappelte er sich empor und wankte auf die Thüre zu, wobei er mir heiser zurief: »Lassen Sie mich! Ich muß sterben! Luft! Luft!« Draußen auf der kalten Plattform kam er bald wieder zu sich und fragte mich:

»Was meinen Sie, lassen wir unsern Generalissimus liegen, wo er liegt? – ich fürchte, wenn er noch mehr aufgestöbert wird, wird er immer unangenehmer.«

»Ja, ja,« entgegnete ich, »es wird am besten sein, wir lassen ihn, wo er ist, da er es einmal so haben will; denn wissen Sie, er hat alle Trümpfe in der Hand, und wenn ihm da einer in die Quere kommt, kann’s ihm schlecht bekommen.«

Da wir in dem rasenden Sturm nicht draußen bleiben konnten, gingen wir wieder hinein und schlossen die Thüre. Unser Leid begann von neuem und wir lösten uns abwechselnd an dem Fenster ab. Später, als wir von einer Station abfuhren, wo der Zug einige Minuten gehalten hatte, kam Thompson triumphierend herein und rief:

[315]

»So, jetzt ist’s gut! Diesmal kriegen wir Se. Excellenz unter. Da hab’ ich einen Stoff, vor dem er gewiß die Waffen streckt.«

Es war eine Flasche voll Karbolsäure. Er spritzte davon überall umher, ja er tränkte buchstäblich alles damit – Kiste, Käse und alles andere. Dann setzten wir uns nieder – ziemlich zuversichtlich; aber unser Hoffen währte nicht lange. Statt sich zu bekämpfen und zu paralysieren, vermischten sich die beiden Gerüche friedlich und stanken unisono um die Wette. Wir griffen bald nach der Thüre, und draußen sagte Thompson ziemlich kleinlaut:

»Es hilft nichts; wir können nicht gegen ihn ankommen. Hören Sie, Freund, es ist jetzt hundertmal schlimmer drinnen als anfangs. Hab’ nie erlebt, daß einer so verdammt forsch ins Zeug geht – wahrhaftig nicht, Herr, seit ich diese Strecke befahre; und ich habe doch manchen von ihnen mitgenommen, wie ich Ihnen schon sagte.«

Wir gingen wieder hinein, nachdem wir tüchtig durchgefroren waren, aber es war drinnen kaum zum aushalten. Es blieb uns nichts übrig, als abwechselnd hinaus und hinein zu gehen; eine Abwechslung zwischen Erfrieren und Auftauen. Nach einer Stunde etwa hielten wir an einer andern Station; beim Abfahren kam Thompson mit einem Bündel herein und sagte:

»Ich will’s nochmals mit ihm versuchen – nur dieses eine Mal noch; wenn wir ihm diesmal nicht beikommen, so bleibt nichts übrig, als die Karten wegzuwerfen und das Spiel aufzugeben. Das ist meine Meinung.«

Er hatte ein paar Handvoll Hühnerfedern, gedörrte Aepfel, Blättertabak, Kleiderfetzen, alte Schuhe, Schwefel, Asa foetida und noch einiges andere mitgebracht; häufte alles auf einem Eisenblech in der Mitte des Wagens auf und zündete es an. Das Vorausgegangene war reinste Poesie gegen diesen Geruch, – ich dachte, davor müsse selbst eine Leiche die Segel streichen,[316] aber fehlgeschlagen! Der ursprüngliche Geruch stieg empor, gerade so triumphierend wie zuvor – ja diese andern Gerüche schienen ihm nur eine feste Basis zu verleihen. Ich stellte diese Betrachtung nicht drinnen an – dazu war ja keine Zeit gewesen, – sondern draußen auf der Plattform. Auf der Flucht nach der Plattform war Thompson betäubt hingefallen, und bis ich ihn am Rockkragen hinausgeschleppt hatte, war ich selbst halbtot. Als wir wieder zu uns kamen, sagte Thompson verzagt:

»Wir müssen hier außen bleiben, Freund, das müssen wir unbedingt. Es geht nicht anders. Der Alte will einmal allein reisen – seine Mittel erlauben ihm das!«

Und sogleich fügte er hinzu:

»Wissen Sie auch, daß wir vergiftet sind? ’s ist unsere letzte Fahrt, darauf können Sie wetten. Da wird mindestens der Typhus draus. Ich fühl’ es schon kommen.«

Eine Stunde später hielt der Zug bei der nächsten Station, wo man uns erstarrt und besinnungslos auf der Plattform liegen fand; ich verfiel sogleich in ein hitziges Fieber, und kam drei Wochen lang nicht zum Bewußtsein. Ich erfuhr alsdann, daß ich jene entsetzliche Nacht neben einer harmlosen Gewehrkiste und einem Laib unschuldigen Käses zugebracht hatte. Aber die Nachricht kam zu spät zu meiner Rettung: die Phantasie hatte ihr Werk vollbracht, und meine Gesundheit war für immer zerrüttet; weder Italien noch ein anderes Land können sie mir zurückgeben. Es geht mit mir zu Ende; ich bin auf dem Wege nach Hause, um dort zu sterben!

Dekoration

Verlag von Robert Lutz in Stuttgart

Deutsche Denkstätten
⁙ in Italien ⁙

Von Robert Kohlrausch

Mit vielen Illustrationen von A. H. Pellegrini

Schön ausgestattet. Geh. M. 6.–, in Lwd. geb. M. 7.–

Zweite Auflage

■ ■ ■

Einige Urteile der Presse:

Hannoverscher Courier:

… So hat Robert Kohlrausch ganz Italien durchwandert und überall mit dem Verständnis und dem scharfen Blick des Historikers die Spuren der Ahnen betrachtet. Und ein anderes kam hinzu, diese historische Betrachtung für ihn und den Leser fruchtbar zu machen: die Gabe, das in Palästen, Kirchen u. Museen, auf Denkmälern, Bildern u. Schlachtfeldern als Denkzeichen deutschen Wesens, deutschen Geistes und deutschen Wirkens Erkannte in dichterischer Verklärung zu schauen u. längst Vergangenes und Verklungenes mit lebendigem Gegenwartsbewußtsein zu erfüllen … Ein inhaltsreiches Werk, das dem Leser eine Fülle von neuen Eindrücken vermittelt. … Möchten die »Deutschen Denkstätten in Italien« in vielen deutschen Häusern Leser und Freunde finden.

Reclams Universum:

… Stille Wehmut klingt aus seinen Zeilen heraus über all die unnütz vergossenen Ströme deutschen Blutes, und zugleich ein Ton lauterer Freude über das gewesene Große, Heldenhafte und Schöne, von dem uns so wenig mehr geblieben ist als eine große Erinnerung.

Breslauer Morgenzeitung:

Kohlrausch’s Buch bringt eine Fülle historischen Materials, aber es vermeidet sehr glücklich die bloße Aneinanderreihung geschichtlicher Vorgänge. Vielmehr liest es sich wie ein gewaltiges Epos, dessen einzelne Kapitel die mannigfaltigen Schicksale der deutschen Stämme und Fürstengeschlechter bilden, die um Italiens Besitz gerungen. Kohlrausch hat viel Fleiß verwendet, aber noch weit höher ist die dichterische Kraft zu bewerten, mit der er die großen Erinnerungsstätten einer an gewaltigen Tragödien reichen Vergangenheit wieder mit dem vollen Glanze umkleidet, den sie dereinst besessen haben. Alle, die die Schritte nach dem Süden lenken, werden gut tun, Kohlrausch’s Buch als kundigen Reisebegleiter mit sich zu nehmen.

Posener Zeitung:

Das Buch ist eine der interessantesten Neuerscheinungen dieses Winters. Als ein Künstler, der Italien und deutsche Vergangenheit gleichermaßen liebt, hat Kohlrausch seine selbstgestellte Aufgabe gelöst; er spricht zu uns in einer klaren, melodischen Sprache, die von tiefem lyrischem Gehalt durchdrungen sich dem Stoff völlig anpaßt.


In der Fremdenlegion

Erinnerungen und Eindrücke

von

Erwin Rosen

Preis geheftet M. 5.–, in Leinen gbd. M. 6.–.

Neunte Auflage.

Viele rühmende Urteile

Davon nur einige im Auszug:

Neue Zürcher Zeitung: »Das Buch ist so packend geschrieben, daß man es nicht aus der Hand legt, bis man es fertig gelesen und sich darüber freuen kann, daß der Verfasser der Hölle entrinnen konnte …«

Prof. Holzhausen (Frankf. Zeitg.): »Kein Leser des Werkes wird es in Abrede stellen, daß die Lektüre, die uns der Autor vorsetzt, etwas wunderbar Faszinierendes hat

Berner Bund: »Man gewinnt sofort Vertrauen zu seinem Wort. Das Buch ist ganz vorzüglich, geradezu brillant geschrieben und wirkt wie schmucklose Wahrheit, ohne Übertreibung oder Tendenz.«

Echo der Gegenwart: »Rosens Darstellungen sind Bilder von so packender Schilderungsschärfe, daß man in der jüngsten Zeit kaum etwas Gleichwertiges auf dem Gebiete der Kulturschilderung an die Seite stellen kann.«

Dr. Hanns Heinz Ewers: »Erwin Rosen’s Buch habe ich mit großem, stets wachsendem Interesse gelesen. Ich glaube selbst die Legion recht gut zu kennen, bin auf den verschiedensten Plätzen dieser Erde mit ihr in Verbindung getreten, und fühle mich daher berechtigt, ein Urteil abgeben zu können. Dieses ist: Rosen’s Buch ist das beste, das über die Legion bisher geschrieben wurde, nicht nur in deutscher Sprache, sondern überhaupt … Ich wünsche diesem guten Buche in Deutschland von ganzem Herzen einen Erfolg.«


Die Abenteuer des Brigadiers Gerard

Ein neues, höchst spannendes Buch von Conan Doyle, dem Verfasser der Sherlock Holmes-Geschichten

Preis geheftet M. 3.25, in Lwd. geb. M. 4.50.

Die Abenteuer des unerschrockenen Brigadiers, der allen Gefahren die Stirn bietet, gehören zu den besten Abenteuer-Geschichten, die es gibt, und stehen an Spannung den Sherlock Holmes-Abenteuern gleichwertig zur Seite.

Bereits 6 Auflagen!


Memoirenbibliothek

Meine Erlebnisse im russisch-japanischen Krieg

Von

W. Weressájew

Broschiert 5 M., gebunden 6 M., in Halbfranz 7 M.

Achte Auflage

Frankfurter Zeitung:

Die Schande ist an den Tag gekommen. Das Buch enthält die denkbar vollständigste Sammlung von Beispielen raffinierter Unterschleife durch russische Beamte und Offiziere, unmenschlicher Gewalttaten russischer Soldaten gegenüber der wehrlosen chinesischen Bevölkerung, grenzenloser Inkompetenz aller militärischen Obrigkeiten, bestialischer Aeußerungen tief eingewurzelten Alkoholismus’ usw.

St. Galler Blätter:

Ein wahrhaft ergreifender nationalethischer Gehalt spricht sich in diesem Werke aus. Es ist eine Männerlektüre von herbster Eindringlichkeit: dieses gewaltige Buch von furchtbarer Schuld und furchtbaren Leiden. Man darf es sicher zu den bedeutsamsten Erscheinungen der neueren Geschichtsschreibung zählen.

Heimgarten:

Das Buch liest sich ähnlich wie Zolas »Zusammenbruch«.

Deutsche medizinische Presse:

Wir empfehlen das Buch, das sich durch einen glänzenden Stil, Lebendigkeit der Darstellung, scharfe Beobachtungsgabe und gesunde Kritik auszeichnet, auf das angelegentlichste. Man sieht in ihm Rußland, wie es ist.

Pester Lloyd:

Weressájew liefert hier ein selten reichhaltiges und wertvolles Material zur Geschichte des modernen Rußland in allen Zweigen seines politischen, kulturellen, sozialen und sittlichen Lebens, so daß hier ein Kolossalgemälde aus dem öffentlichen Leben Rußlands von überwältigendem Realismus und beklemmend düsteren Farben geboten wird … Mit unsäglichem Kummer über menschliche Verkommenheit legt man das Buch Weressájews aus der Hand.

Deutsche Romanzeitung:

Mit Entsetzen liest man diese Darstellung russischer Zustände. Sie treten mit so krasser Deutlichkeit vor unser Auge, daß ich das meine wenigstens während dieser Lektüre schaudernd schließen mußte und nur mit Mühe weiterzulesen vermochte.

A. B.


Weitere Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.

Korrekturen:

S. 83: sie → sich
sich zum Wohl und Heil

S. 110: ausringt → auswringt
zweimal hineintaucht und auswringt

S. 110: Ausringen → Auswringen
Sache war bis auf das Auswringen fertig

S. 158: Higston → Hingston
Schnäpsen, Hingston, sein Reisebegleiter

S. 202: Compstock → Combstock
Meilen die große Combstock-Mine

S. 202: Compstocks → Combstocks
des ausgehöhlten Combstocks auseinander hielten

*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK IM GOLD- UND SILBERLAND ***
Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed.
Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. Project Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution.
START: FULL LICENSE
THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license.
Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works
1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.
1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™ electronic works. See paragraph 1.E below.
1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is unprotected by copyright law in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™ works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg™ License when you share it without charge with others.
1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country other than the United States.
1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed:
This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook.
1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase “Project Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™ trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.
1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work.
1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™ License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg™.
1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg™ License.
1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg™ website (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1.
1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works provided that:
• You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has agreed to donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days following each date on which you prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation.”
• You provide a full refund of any money paid by a user who notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™ License. You must require such a user to return or destroy all copies of the works possessed in a physical medium and discontinue all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™ works.
• You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is discovered and reported to you within 90 days of receipt of the work.
• You comply with all other terms of this agreement for free distribution of Project Gutenberg™ works.
1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.
1.F.
1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread works not protected by U.S. copyright law in creating the Project Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™ electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment.
1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE.
1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem.
1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg™ electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any Defect you cause.
Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™
Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life.
Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.
Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws.
The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact
Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS.
The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate.
While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate.
International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
Please check the Project Gutenberg web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works
Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of volunteer support.
Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
Most people start at our website which has the main PG search facility: www.gutenberg.org.
This website includes information about Project Gutenberg™, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.