The Project Gutenberg eBook of Skizzenbuch, by Mark Twain This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Skizzenbuch Author: Mark Twain Illustrator: H. Schrödter Release Date: March 06, 2021 [eBook #64718] Language: German Character set encoding: UTF-8 Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SKIZZENBUCH *** Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter und kursiver Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Im Original fetter Text ist =so dargestellt=. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. Mark Twains ausgewählte Humoristische Schriften Illustriert von =H. Schrödter= u. =Albert Richter= Dritter Band Skizzenbuch [Illustration] Stuttgart Verlag von Robert Lutz 1907 Skizzenbuch Von Mark Twain Illustriert von =H. Schrödter= Stuttgart Verlag von Robert Lutz 1907 Alle Rechte vorbehalten. Druck von A. Bonz' Erben in Stuttgart. Inhalt. Seite Meine Uhr 7 Einiges über Barbiere 12 Wie ein Schnupfen kuriert wird 19 Kinderkrankheiten 25 Frau Mac Williams beim Gewitter 35 Ueber frühreife Kinder 45 Staatswirtschaft 50 Es ist gefährlich im Bette zu liegen 60 Brüder, knipst ein! 64 Ein geheimnisvoller Besuch 72 Redakteur und Berichterstatter: Wie ich ein landwirtschaftliches Blatt herausgab 79 Herrn Blokes ›Eingesandt‹ 88 Zeitungswesen in Tennessee 92 Ein Berichterstatterstück 102 Allgemeine Antwort an Schriftsteller oder solche, die es werden wollen 106 Antworten auf Zuschriften 112 Kandidatenfreuden 121 Der große Rindfleischkontrakt 130 Der gestohlene weiße Elefant 141 Die Geschichte des Hausierers 170 Eine wahre Geschichte 179 Die Liebe des jungen Alonzo Fitz Clarence und der schönen Rosannah Ethelton 187 Die kapitolinische Venus 216 Mehr Glück als Verstand 226 Wie der Verfasser in Newark angeführt wurde 234 Schonend beigebracht 237 Trinksprüche: Auf die Weiber 239 Auf die Säuglinge 242 Der selige Benjamin Franklin 247 Wohlthun trägt Zinsen: Der wohlwollende Schriftsteller 252 Der dankbare Gatte 254 Ueber Tagebücher 258 Ueber das Briefschreiben 261 Gedankentelegraphie 265 Prinzenverehrung 280 Die 1000000 Pfund-Note 285 Meine Uhr. Meine schöne neue Uhr ging nun schon anderthalb Jahre weder vor noch nach, sie war kein einziges Mal stehen geblieben und an dem Werk war nichts zerbrochen. Nunmehr galt mir ihr Urteil über die Tageszeit für völlig untrüglich, ihre Lebenskraft und ihr Knochenbau für unzerstörbar. Aber endlich ließ ich sie eines Abends doch ablaufen. Ich trauerte darüber, als sei dies Versehen ein Vorbote von kommendem Unheil und Mißgeschick. Erst allmählich wurde meine Stimmung wieder heiterer, ich zog die Uhr auf, stellte sie nach Gutdünken und schlug mir alle abergläubischen Gedanken und trüben Ahnungen aus dem Sinn. Am nächsten Morgen trat ich in den Laden des ersten Uhrmachers der Stadt, um meine Uhr genau nach richtiger Zeit zu stellen. Der Herr nahm sie mir aus der Hand, um dies Geschäft für mich zu besorgen. »Sie geht vier Minuten nach,« sagte er dabei, »der Regulator muß vorgerückt werden.« Ich versuchte ihn daran zu hindern, versuchte ihm begreiflich zu machen, daß der Gang der Uhr unübertrefflich sei. Vergebens -- der Kohlkopf in Menschengestalt sah nur das _eine_: die Uhr ging vier Minuten nach und der Regulator _mußte_ vorgestellt werden. Ich bat und flehte, er solle es nicht thun, ich sprang in meiner Seelenpein um ihn herum, aber alles umsonst. Mit kaltblütiger Grausamkeit vollbrachte er die schändliche That. [Illustration] Von da an begann meine Uhr zu laufen -- schneller und schneller, Tag für Tag. Innerhalb einer Woche geriet sie in ein wahres Fieber, ihr Puls stieg bis auf hundertundfünfzig Grad im Schatten. Noch ehe zwei Monate zu Ende waren, hatte sie alle Uhren der Stadt weit hinter sich gelassen und war vierzehntehalb Tage vor dem Kalender voraus. Noch hing das bunte Oktoberlaub an den Bäumen und sie tummelte sich schon mitten im Novemberschnee. Die Zahltage für die Hausmiete, für alle fälligen Rechnungen und sonstigen Schulden kamen in so wahnsinniger Hast näher, daß ich mir schier kaum mehr zu helfen wußte. So brachte ich sie denn zum Uhrmacher, um sie regulieren zu lassen. Dieser fragte mich, ob sie schon jemals repariert worden sei. Als ich das mit dem Bemerken verneinte, es sei noch nicht nötig gewesen, glitt ein boshaftes Lächeln über seine Züge. Gierig öffnete er die Uhr, guckte hinein, klemmte sich ein Ding ins Auge, das aussah wie ein kleiner Würfelbecher, und betrachtete das Räderwerk genau. »Sie muß gereinigt und geölt werden,« sagte er, »und außerdem reguliert; -- fragen Sie in einer Woche wieder nach.« Gereinigt, geölt und reguliert war meine Uhr; aber nun ging sie schrecklich langsam, ihr Ticken klang wie Grabgeläute. Ich versäumte alle Eisenbahnzüge, hielt keine meiner Verabredungen ein und kam wegen Verspätung um mein Mittagessen. Allmählich machte meine Uhr aus drei Tagen vier; zuerst wurde es bei mir gestern, dann vorgestern, dann letzte Woche; ich geriet immer weiter ins Hintertreffen und konnte mich nicht mehr in die jetzige Welt finden. Wieder begab ich mich zum Uhrmacher. Er nahm in meinem Beisein die Uhr ganz auseinander und sagte, der Cylinder sei ›gequollen‹, in drei Tagen könne er ihn aber wieder auf das richtige Maß bringen. Hierauf ging die Uhr im Durchschnitt gut, aber auch nur im Durchschnitt. Den halben Tag lang raste sie wie im Donnerwetter unter fortwährendem Schnarren, Quieken, Schnauben und Schnaufen, so daß ich vor dem Lärm meine eigenen Gedanken nicht hören konnte. Keine Uhr im ganzen Lande hätte vermocht sie einzuholen in ihrem tollen Lauf. Den Rest des Tages blieb sie allmählich immer mehr zurück und trödelte derart, daß sie ihren ganzen Vorsprung einbüßte und sämtliche Uhren ihr wieder nachkamen. _Einmal_ in vierundzwanzig Stunden war sie aber ganz auf dem richtigen Fleck und gab die Zeit genau an. Dies hielt sie pünktlich ein und niemand hätte daher behaupten können, sie thue weniger als ihre Pflicht und Schuldigkeit, oder mehr. An die Tugend einer Uhr stellt man jedoch höhere Ansprüche, als daß sie nur im Großen und Ganzen richtig geht. Ich trug sie daher abermals zum Uhrmacher. Er sagte, der Hauptzapfen wäre zerbrochen, und ich sprach ihm meine Freude darüber aus, daß der Schaden nicht größer sei. Offen gestanden hatte ich noch nie etwas von einem Hauptzapfen gehört, aber ich wollte mich doch einem Fremden gegenüber nicht unwissend zeigen. Der Zapfen ward ausgebessert, aber das half nur wenig. Die Uhr ging jetzt eine Weile und dann blieb sie wieder eine Weile stehen, ganz nach ihrem Belieben. Jedesmal, wenn sie losging, that sie einen Rückschlag wie eine Muskete. Ein paar Tage lang wattierte ich mir die Brusttasche aus, schließlich trug ich die Uhr aber zu einem andern Uhrmacher. Der zerpflückte sie in lauter einzelne Stücke, drehte die Trümmer vor seinem Vergrößerungsglas hin und her und meinte, es müsse an der Hemmung etwas nicht in Ordnung sein. Das besserte er aus und setzte die Uhr wieder zusammen. Nun ging sie gut -- nur alle zehn Minuten schlossen sich die Zeiger wie eine Schere und machten die Runde gemeinsam weiter. Der Weiseste unter den Menschenkindern würde von solcher Uhr nicht herauskriegen können, was die Glocke geschlagen hat. Ich ging also wieder hin, um dem Uebelstand abhelfen zu lassen. Jetzt meinte der Mensch, der Kristall sei verbogen und die Spiralfeder krumm, auch müsse ein Teil des Werkes neu gefüttert werden. Alle diese Schäden beseitigte er und meine Uhr ließ nun nichts zu wünschen übrig, nur dann und wann, nachdem sie etwa acht Stunden regelmäßig gegangen war, geriet bei ihr inwendig alles in Bewegung, so daß sie zu summen begann wie eine Biene und die Zeiger sich stracks so flink im Kreise drehten, daß man sie nicht mehr unterscheiden konnte, sie sahen aus wie ein zartes Spinngewebe auf dem Zifferblatt. In sechs oder sieben Minuten hatte sie die ganzen nächsten vierundzwanzig Stunden durchwirbelt, dann gab es einen Krach und sie stand still. Mit schwerem Herzen ging ich wieder zu einem andern Uhrmacher und sah wie er das Werk auseinander nahm. Dabei rüstete ich mich, ein Kreuzverhör mit ihm anzustellen, denn das Ding ging mir jetzt über den Spaß. Ursprünglich hatte die Uhr zweihundert Dollars gekostet und ich mußte jetzt für Reparaturen zweitausend bis dreitausend ausgegeben haben. Während ich so dastand und dem Manne zusah, kam er mir plötzlich bekannt vor. Nein, ich irrte mich nicht -- der Uhrmacher war ein früherer Dampfbootmaschinist und zwar nicht einmal ein guter. Er betrachtete alle Teile sorgfältig, gerade wie die andern Uhrmacher auch, und fällte dann seinen Urteilsspruch mit derselben Zuversicht. Er sagte: »Sie macht zu viel Dampf -- wir müssen den stellbaren Schraubenschlüssel an das Sicherheitsventil hängen!« Ich schlug ihm auf der Stelle den Schädel ein und ließ ihn auf meine Kosten beerdigen. Mein Onkel William -- Gott hab' ihn selig! -- pflegte zu sagen, ein gutes Pferd sei ein gutes Pferd, bis es einmal durchgegangen wäre, und eine gute Uhr eine gute Uhr, bis sie den Reparierern in die Hände fiele. Er zerbrach sich oftmals den Kopf, was denn eigentlich aus allen verdorbenen Kesselflickern, Büchsenmachern, Schustern, Grobschmieden und Maschinisten in der Welt schließlich würde -- aber niemand konnte ihm je Auskunft geben. -- Einiges über Barbiere. Alle Dinge sind dem Wechsel unterworfen, ausgenommen die Barbiere, die Gewohnheiten der Barbiere und die Umgebung der Barbiere. Diese ändern sich nie. Was man erlebt und erfährt, wenn man zum erstenmal eine Barbierstube betritt, das erlebt und erfährt man später in allen andern Barbierstuben, bis an das Ende seiner Tage. * * * * * Heute morgen ließ ich mich wie gewöhnlich barbieren. Ein Mann kam von der Jonesstraße auf die Thür zu, als ich auf der Hauptstraße herankam -- so trifft sich das stets. Ich beschleunigte meine Schritte, aber umsonst; er war mir um eine Sekunde voraus, ich folgte ihm auf den Fersen und sah, wie er den einzigen unbesetzten Stuhl einnahm, wo der erste Barbier sein Amt versah. Das trifft sich immer so. Ich setzte mich in der stillen Hoffnung nieder, Erbe des Stuhles zu werden, welcher dem besseren von den zwei übrigen Barbiergehilfen gehörte, denn dieser hatte schon angefangen seinem Kunden das Haar zu kämmen, während sein Kamerad noch damit beschäftigt war, dem seinigen die Locken einzuölen und einzureiben. In großer Spannung beobachtete ich, was für Aussichten sich mir boten. Als ich sah, daß Nr. 2 drohte Nr. 1 einzuholen, verwandelte sich meine Spannung in Besorgnis. Als Nr. 1 einen Augenblick innehielt, um einem neuen Ankömmling, der ein Badebillet verlangte, Geld herauszugeben und dabei im Wettlauf zurückblieb, wurde meine Besorgnis zur Angst. Als Nr. 1 das Versäumte wieder nachholte und gleichzeitig mit seinem Kameraden dem Kunden das Handtuch abnahm und das Pulver aus dem Gesicht wischte, so daß sich unmöglich voraussehen ließ, welcher von beiden zuerst ›Der nächste!‹ rufen würde, stockte mir der Atem vor banger Erwartung. Als ich nun aber sah, wie sich Nr. 1 im entscheidenden Moment noch damit aufhielt, seinem Kunden ein paarmal mit dem Kamm durch die Augenbrauen zu fahren, da wußte ich, daß er den Wettlauf um dieses einzigen Augenblicks willen verloren habe. Entrüstet stand ich auf und verließ den Laden, um nicht Nr. 2 in die Hände zu fallen; denn jene beneidenswerte Festigkeit besitze ich nicht, die den Menschen in den Stand setzt, einem dienstbereiten Barbiergehilfen ruhig ins Angesicht zu sehen und ihm zu sagen, man wolle auf den Stuhl seines Kollegen warten. Etwa fünfzehn Minuten blieb ich draußen und kam dann wieder zurück, in der Hoffnung, es werde mir besser glücken. Natürlich waren jetzt alle Stühle besetzt und vier Männer warteten schweigend, ungesellig, zerstreut und mit gelangweilten Mienen, wie das immer der Fall ist, wenn Leute in einer Barbierstube darauf passen, daß die Reihe an sie kommt. Ich ließ mich auf einem steinharten alten Sofa nieder und vertrieb mir eine Weile die Zeit damit, die eingerahmten Anzeigen verschiedener Quacksalber zu lesen, die ihre Haarfärbemittel anpriesen. Dann las ich die fettigen Namen auf den Branntweinflaschen, welche einzelnen Kunden angehörten, und las auch die Namen und Zahlen auf den Barbierbecken, die als Privateigentum in den offenen Fächern des Schrankes standen, studierte die beschmutzten und schadhaften wohlfeilen Bilder an den Wänden, welche Schlachten darstellten, ehemalige Präsidenten, wollüstig zurückgelehnte Sultaninnen und das langweilige, ewig wiederkehrende Mädchen, das des Großvaters Brille aufsetzt. Auch verfluchte ich in meinem Herzen den lustigen Kanarienvogel und den unausstehlichen Papagei, die selten in einer Barbierstube fehlen. Zuletzt suchte ich mir aus den vorjährigen illustrierten Zeitungen, welche auf dem schmutzigen Mitteltisch herumlagen, die am wenigsten zerlesene heraus und starrte die unerhört falschen Abbildungen alter, vergessener Ereignisse an, die sie enthielt. Endlich kam ich an die Reihe. Eine Stimme rief: »Der nächste!« und ich geriet natürlich in die Hände von -- Nr. 2. So geht es immer. Ich äußerte schüchtern, daß ich Eile habe, was ihm einen gerade so tiefen Eindruck machte, als hätte er es nicht gehört. Er schob mir nun den Kopf in die Höhe und legte mir eine Serviette unters Kinn. Er fuhr mir mit den Fingern in den Halskragen und stopfte ein Handtuch hinein. Er grub seine Klauen in mein Haar und sagte, es müsse beschnitten werden. Ich erwiderte, ich wolle es nicht schneiden lassen. Nun wühlte er wieder darin und meinte, es sei für die jetzige Mode ziemlich lang, besonders hinten; es müsse durchaus unter die Schere. Ich sagte, es wäre erst vor einer Woche geschnitten worden. Darauf sann er einen Augenblick gedankenvoll nach und fragte dann mit verächtlicher Miene, wer es besorgt habe. »Sie!« antwortete ich schnell. Da war er in der Falle. Nun fing er an den Seifenschaum zu rühren und sich dabei im Spiegel zu besehen; von Zeit zu Zeit hielt er inne und trat näher herzu, um sein Kinn in Augenschein zu nehmen und einen kleinen Pickel zu besichtigen. Dann seifte er mir eine Seite des Gesichts gründlich ein und wollte eben die andere in Angriff nehmen, als zwei sich beißende Hunde seine Aufmerksamkeit fesselten. Er lief ans Fenster, blieb da stehen bis der Kampf vorbei war und verlor beim Wetten über den Ausgang zwei Schillinge an die andern Barbiergehilfen, was mir große Befriedigung gewährte. Nun strich er mir die Seife vollends mit dem Pinsel auf und begann sie mit der Hand einzureiben. [Illustration] Dann schärfte er sein Rasiermesser auf einem alten Hosenträger, wobei ihn ein lebhaftes Gespräch über den öffentlichen Maskenball sehr aufhielt, bei dem er am Abend zuvor in rotem Kattun und falschem Hermelin eine Art König dargestellt hatte. Daß seine Kameraden ihn mit einem Dämchen aufzogen, welches er durch seine Reize erobert haben sollte, schmeichelte ihm sehr und er trachtete die Unterhaltung auf jede Weise fortzusetzen, indem er sich stellte, als ärgere ihn die Neckerei. Dies trieb ihn auch zu einer abermaligen genauen Betrachtung seiner Person im Spiegel; er legte das Rasiermesser hin, bürstete sich das Haar mit großer Umständlichkeit, klebte sich eine kühne Locke vorn im Bogen auf die Stirn, machte sich hinten einen wundervollen Scheitel und strich sich beide Seitenflügel mit genauester Sorgfalt über die Ohren. Inzwischen trocknete mir der Seifenschaum im Gesicht und zehrte mir förmlich am Leben. Nunmehr begann er mich zu rasieren. Er drückte mir mit den Fingern im Gesicht herum, um die Haut auszudehnen, und warf meinen Kopf hin und her, wie es ihm beim Barbieren bequem war. Solange er nur die weniger empfindlichen Stellen berührte, litt ich keine Schmerzen, als er aber an meinem Kinn herum zu kratzen, zu scharren und zu schaben anfing, kam mir das Wasser in die Augen. Nun brauchte er meine Nase als Anfasser, um die Winkel meiner Oberlippe besser rasieren zu können. Bei diesem Anlaß machte ich die Entdeckung, daß es zu seinen Obliegenheiten im Laden gehörte, die Petroleumlampen zu reinigen. Ich hatte mich oft schon aus Langeweile gefragt, ob das wohl der Geschäftsinhaber selber besorge, oder die Barbiergehilfen. Indessen vergnügte ich mich damit, mir auszudenken, wo er mich heute wohl schneiden werde; ich hatte es jedoch hierüber noch zu keiner Entscheidung gebracht, als er mir zuvorkam und mir das Kinn aufritzte. Sogleich begann er sein Messer zu schärfen -- das hätte er vorher thun sollen. Ich mag nicht zu dicht an der Haut rasiert sein, daher wollte ich ihn nicht zum zweitenmal an mich kommen lassen und versuchte ihn zu überreden, das Rasiermesser fortzulegen, aus Angst, er möchte an die Seite meines Kinns geraten, wo meine allerempfindlichste Stelle ist, die kein Messer zum zweitenmal berühren darf ohne Schaden anzurichten. Er sagte, er müsse nur noch einige Rauhheiten glätten, aber ehe ich mich's versah, fuhr er schon über den verbotenen Grund und Boden hin und das gefürchtete Brennen und Prickeln meiner Haut begann sich, wie gerufen, bemerklich zu machen. Nun tauchte er das Handtuch in Lorbeerbranntwein und klatschte mir damit ins Gesicht, bald hier bald da -- ein widerliches Gefühl! Hat sich wohl je ein menschliches Wesen auf solche Weise gewaschen? Dann nahm er das trockene Ende des Handtuchs und schlug mir auch dieses ins Gesicht, als ob ein Menschenkind sich jemals so abtrocknete! Aber ein Barbier reibt einen nur selten ordentlich ab wie ein Christenmensch. Dann goß er mir Branntwein auf die wunde Stelle, verklebte sie mit Stärkemehl, feuchtete sie wieder mit Branntwein an und würde gewiß in alle Ewigkeit mit Kleben und Anfeuchten fortgefahren haben, wenn ich mich nicht dagegen aufgelehnt und ihn ersucht hätte, es bleiben zu lassen. Er puderte mir nun das ganze Gesicht ein, richtete mich in die Höhe, wühlte nachdenklich mit den Händen in meinem Haar und schlug vor, mir die Kopfhaut gründlich zu waschen, das sei ganz notwendig, ganz notwendig! Ich entgegnete, daß ich mir erst gestern im Bade das Haar tüchtig gereinigt hätte. Da war er wieder in der Falle. Hierauf empfahl er mir ›Smiths Haarverschönerungstinktur‹ und bot mir eine Flasche zum Kauf an. Das schlug ich aus. Nun pries er mir ›Jones' Wonne des Toilettentisches‹ und wollte mir von diesem neuen Wohlgeruch ein Gläschen verkaufen. Aber ich ging nicht darauf ein. Er drang endlich in mich, ein gräßliches Mundwasser seiner eigenen Erfindung mitzunehmen. Nachdem auch dieser letzte Versuch fehlgeschlagen war, ging er wieder an sein Geschäft, bestreute mich über und über mit Puder, mit Einschluß der Beine, fettete mir die Haare ein, obgleich ich Einsprache dagegen erhob, zog und riß mir dabei eine Menge mit der Wurzel aus, kämmte und bürstete dann den Rest, teilte mir hinten einen Scheitel ab und klebte mir die unvermeidliche, bogenförmige Haarlocke auf die Stirn. Während er mir dann meine dünnen Augenbrauen auskämmte und mit Pomade beschmierte, erging er sich über die Leistungen eines ihm gehörigen schwarz und braun gefleckten Dachshundes bis ich das Pfeifen des Mittagszuges hörte und wußte, daß ich zu demselben fünf Minuten zu spät kommen würde. Nun nahm er mir das Handtuch ab, wischte mir damit noch einmal über das Gesicht, fuhr mir wieder mit dem Kamm durch die Augenbrauen und rief munter: »Der nächste!« Wie ein Schnupfen kuriert wird. Es ist zwar etwas Gutes für die Unterhaltung des Publikums zu schreiben, aber etwas noch weit Höheres und Edleres ist es, wenn man zur Belehrung, zum Nutzen, zum wahren Wohl seiner Mitmenschen schreibt -- und das ist der einzige Zweck der folgenden Abhandlung. Wenn es mir gelänge, dadurch auch nur _einem_ Leidenden wieder zur Gesundheit zu verhelfen, das Feuer der Hoffnung und Freude in seinem matten Blick aufs neue zu entzünden und seinem erstorbenen Herzen den raschen, fröhlichen Pulsschlag vergangener Tage zurückzugeben, so wäre mir alle Mühe reichlich vergolten und jene heilige Wonne würde meine Seele durchströmen, welche der Christ fühlt, wenn er eine gute, selbstlose That vollbracht hat. Da ich stets ein untadeliges Leben geführt habe, bin ich berechtigt zu glauben, daß niemand, der mich kennt, aus Furcht, ich hätte die Absicht ihn zu täuschen, meine Ratschläge zurückweisen wird. Möge das Publikum sich die Ehre anthun, meine hier niedergelegten Erfahrungen bei Behandlung eines Schnupfens zu lesen -- und dann meinem Beispiel folgen. Als das weiße Haus in Virginia-City abbrannte, verlor ich meine Häuslichkeit, meine Behaglichkeit, meine Gesundheit und meinen Koffer. Der Verlust der beiden erstgenannten Artikel war leicht zu verschmerzen; denn eine Häuslichkeit ohne eine Mutter, eine Schwester oder eine entfernte junge Verwandte, welche uns die schmutzige Wäsche wegräumt, unsere Stiefel vom Kaminsims herunternimmt und uns so daran erinnert, daß jemand an uns denkt und für uns sorgt, ist nicht schwer zu finden. Und was meine Behaglichkeit betrifft, so war ich kein Dichter und brauchte der Schwermut über ihren Verlust nicht lange nachzuhängen. Aber eine gute Gesundheit zu verlieren und einen noch besseren Koffer, das waren ernstliche Unglücksfälle. Am Tage der Feuersbrunst zog ich mir nämlich infolge der übergroßen Anstrengung, mit welcher ich mich anschickte etwas zu thun, eine starke Erkältung zu. Als ich das erstemal zu niesen begann, riet mir ein Freund ein warmes Fußbad zu nehmen und dann zu Bette zu gehen. Das that ich. Gleich darauf meinte ein zweiter, ich solle aufstehen und ein kaltes Sturzbad nehmen. Eine Stunde später versicherte mir ein dritter, man müsse einen ›Schnupfen füttern und ein Fieber aushungern.‹ Ich litt an beiden und hielt es daher für das beste, mich des Schnupfens wegen voll und satt zu essen, dann Hausarrest zu nehmen und das Fieber eine Weile hungern zu lassen. Bei halben Maßregeln lasse ich es in solchem Falle nie bewenden. Ich aß also nach Herzenslust und wendete meine Kundschaft einem Fremden zu, der an jenem Morgen gerade sein Speisehaus eröffnet hatte. Er stand in ehrerbietigem Schweigen dabei, bis ich meinen Schnupfen genug gefüttert hatte und fragte dann, ob die Leute in Virginia-City häufig vom Schnupfen befallen würden. Als ich erwiderte das könne wohl möglich sein, ging er hinaus und nahm sein Wirtshausschild ab. Ich begab mich nun nach dem Bureau und begegnete unterwegs abermals einem vertrauten Freunde, der mir sagte, daß es auf der Welt nichts Wirksameres gäbe, um sich vom Schnupfen zu kurieren, als wenn man ein Quart warmes Salzwasser tränke. Ich zweifelte stark, daß ich noch Platz dafür haben könne, aber versuchen wollte ich es jedenfalls. Der Erfolg war überraschend. Mir war als hätte ich meine unsterbliche Seele von mir gegeben. Da ich meine Erfahrungen nur zum Nutzen derjenigen niederschreibe, welche von demselben Uebel befallen sind wie ich, halte ich es für angemessen, sie vor den Mitteln zu warnen, die sich bei mir als unwirksam erwiesen haben. Aus vollster Ueberzeugung muß ich ihnen daher raten, sich vor warmem Salzwasser zu hüten. Wenn ich wieder den Schnupfen hätte und mir nur die Wahl bliebe, meine Zuflucht zu einem Erdbeben oder einem Quart Salzwasser zu nehmen, so würde ich mein Heil mit dem Erdbeben versuchen. [Illustration] Nachdem der Sturm, der in meinem Innern wütete, sich etwas gelegt hatte und da zufällig kein guter Samariter mehr bei der Hand war, borgte ich mir wieder Taschentücher und zerschneuzte sie zu Atomen, wie ich es in den ersten Stadien meines Schnupfens gethan hatte. Dies trieb ich solange, bis ich einer Dame begegnete, die eben von jenseits der Prairie herkam. Sie hatte in einer Gegend gelebt, wo Mangel an Aerzten war, und sagte, die Not habe sie gelehrt, einfache Alltagskrankheiten mit vielem Geschick zu behandeln. Ich war überzeugt, daß sie eine lange Erfahrung hinter sich haben müsse, denn sie sah aus, als sei sie hundertfünfzig Jahre alt. Sie mischte einen Trank aus Sirup, Scheidewasser, Terpentin und allerlei Kräutern zusammen und gab mir die Anweisung, alle Viertelstunden ein Weinglas voll davon zu nehmen. Ich ließ es jedoch bei der ersten Dosis bewenden; sie reichte hin, um mich aller moralischen Grundsätze zu berauben und die unwürdigsten Triebe in mir wach zu rufen. Unter ihrem bösartigen Einfluß wälzte ich in meinem Hirn die ungeheuerlichsten und niederträchtigsten Pläne und Entwürfe, aber meine Hand war damals zu schwach, sie auszuführen. Hätten nicht die unfehlbaren Heilmittel für den Schnupfen durch wiederholte Angriffe meine Kräfte völlig erschöpft, ich wäre wahrlich imstande gewesen auf Leichenraub auszugehen. Wie die meisten andern Leute habe ich zuweilen gemeine Regungen und handle darnach; aber bis zu einem solchen Grade von unmenschlicher Ruchlosigkeit hatte ich es noch nie gebracht, bevor ich jene Arzenei einnahm, und obendrein war ich noch stolz darauf. Nach Verlauf von zwei Tagen war ich wieder soweit, aufs neue an mir herumdoktern zu können. Ich wandte noch mehrere untrügliche Mittel an und trieb mir schließlich die Erkältung aus dem Kopf in die Lunge. Nun bekam ich fortwährend Hustenanfälle und meine Stimme sank unter den Nullpunkt. Ich sprach mit den Leuten in einem grollenden Baß, zwei Oktaven unter meinem gewöhnlichen Tonfall. Eine regelmäßige Nachtruhe konnte ich nur dadurch erlangen, daß ich mich in einen Zustand gänzlicher Erschöpfung hineinhustete; sobald ich aber im Schlaf zu sprechen anfing, weckte mich der Mißlaut meiner Stimme wieder auf. Mein Fall verschlimmerte sich von Tag zu Tag. Man empfahl mir Wacholderschnaps. Den trank ich. Dann Schnaps mit Sirup. Ich trank auch den. Ferner Schnaps mit Zwiebeln. Die that ich dazu und schluckte alle drei zusammen, jedoch ohne besonderes Ergebnis. Ich sah mich jetzt genötigt meiner Gesundheit durch Luftveränderung wieder aufzuhelfen und reiste mit meinem Kollegen, dem Zeitungsreporter Wilson, nach dem Bigler-See. Nicht ohne eine gewisse Befriedigung denke ich daran, daß wir auf ganz vornehme Weise reisten, wir benutzten nämlich die Pionierpost und mein Freund nahm sein ganzes Gepäck mit, welches aus zwei prachtvollen seidenen Halstüchern und dem Daguerrebild seiner Großmutter bestand. Dort machten wir den Tag über Segelfahrten, gingen auf die Jagd, auf den Fischfang und zum Tanz und die Nacht hindurch kurierte ich meine Erkältung. Durch diese Einrichtung gelang es mir, jede von den vierundzwanzig Stunden nutzbringend zu verwenden. Aber mein Uebel wurde nur immer schlimmer. Man riet mir nun zu einer nassen Wickelung. Bisher hatte ich kein einziges Heilmittel zurückgewiesen und es schien Thorheit, jetzt noch damit anzufangen. So beschloß ich denn die Wickelung zu versuchen, obwohl ich keine Ahnung hatte, was das eigentlich für eine Veranstaltung sei. Sie wurde um Mitternacht vorgenommen und das Wasser war brennend kalt. Ein Leintuch, das mindestens tausend Meter lang zu sein schien, wurde in Eiswasser getaucht und mir um Brust und Rücken gewickelt, bis ich aussah wie der Wischer für eine der neuen Riesenkanonen. Es ist ein grausames Verfahren. Wenn der kalte Lappen das warme Fleisch berührt, fährt man vor Schrecken zusammen und schnappt nach Atem wie ein Mensch in der Todesnot. Mir erfror das Mark in den Knochen und mein Herzschlag schien stillzustehen. Ich glaubte mein letztes Stündlein sei gekommen. Ich warne hiermit jedermann vor kalten Wickelungen. Es giebt nichts Unbehaglicheres in der Welt -- außer vielleicht, einer Dame unserer Bekanntschaft zu begegnen, die aus Gründen, die sie selbst am besten weiß, über uns hinweg sieht, oder, wenn sie uns wirklich ansieht, uns nicht kennt. Aber, was ich noch sagen wollte, -- als mein Schnupfen nach der Wickelung nicht kuriert war, empfahl mir eine befreundete Dame ein Senfpflaster auf die Brust zu legen. Das hätte mich, glaube ich, auch wirklich geheilt, wäre der junge Wilson nicht gewesen. Beim Zubettegehen legte ich mir das Senfpflaster, das ganz großartig war -- es maß achtzehn Zoll im Viereck -- bequem zur Hand, wo ich es erreichen konnte. Aber Wilson bekam in der Nacht Hunger und -- den Rest kann sich der Leser selber denken. Nach einem achttägigen Aufenthalt am Bigler-See ging ich nach Steamboat-Springs, wo ich Dampfbäder nahm und noch eine Masse der erbärmlichsten Arzneien zu schlucken bekam, die je zusammengebraut worden sind. Sie würden mich ganz hergestellt haben, aber ich mußte nach Virginia-City zurückkehren, wo ich es trotz der verschiedenartigsten Heilmittel, die ich jeden Tag verschlang, möglich machte, meine Krankheit durch Vernachlässigung und Ausgehen bei kalter Witterung sehr zu verschlimmern. Endlich beschloß ich nach San Francisco zu reisen. Am ersten Tag nach meiner Ankunft daselbst sagte mir eine Dame im Gasthaus, ich solle alle vierundzwanzig Stunden ein Quart Whisky trinken und ein Freund, der in der Stadt wohnte, gab mir denselben Rat. Das machte also zusammen zwei Quart oder eine halbe Gallone. Soviel trank ich und bin noch am Leben. * * * * * In obigem habe ich mit der allerbesten Absicht von der Welt das mannigfaltige Heilverfahren geschildert, welches ich kürzlich zur Kur meines Schnupfens durchzumachen hatte. Ich empfehle es besonders allen, die an der Schwindsucht leiden. Wenn sie einen Versuch damit anstellen und nicht gesund werden, so kann es sie höchstens umbringen. Kinderkrankheiten. Diese Geschichte hat Herr Mc Williams, ein freundlicher Herr aus New York, dem Verfasser erzählt, der ihn zufällig auf einer Reise traf. [Illustration] Sie können sich kaum vorstellen, Herr Mark Twain, wie schrecklich die unheilbare Krankheit, welche man die häutige Bräune nennt, in unserer Stadt gewütet hat. Ebenso schlimm als die Krankheit selbst war der Umstand, daß alle Mütter vor Angst und Schrecken fast den Verstand verloren. Hören Sie zu, was ich mit meiner Frau während jener Zeit erlebte. Eines Mittags kam ich nach Hause und machte meine Frau auf die kleine Penelope aufmerksam, indem ich bemerkte: »Mein Herz, ich würde an deiner Stelle nicht erlauben, daß das Kind an dem Kienspan kaut.« »Was in aller Welt soll denn das schaden?« entgegnete sie, schickte sich aber zugleich an, den Span fortzunehmen; -- ohne weitläufige Erörterung können Frauenzimmer nun einmal nicht den geringsten Rat befolgen, wenn dessen Weisheit auch noch so sehr auf der Hand liegt; d. h. _verheiratete_ Frauen. Ich erwiderte: »Herzchen, man weiß, daß keine Holzart so wenig Nährwert für ein Kind besitzt wie Tannenholz.« Meine Frau zog die Hand zurück, mit der sie den Span ergreifen wollte und legte sie wieder in den Schoß. »Du bist im Irrtum,« sagte sie merklich erregt; »alle Aerzte versichern, daß das Terpentin im Tannenholz für ein schwaches Rückgrat und für die Nieren sehr gut ist.« »Ah so -- ich bitte um Entschuldigung. Ich habe nicht gewußt, daß unser Kind an Rückenschwäche und an den Nieren leidet und daß der Hausarzt verordnet hat --« »Das Kind denkt gar nicht daran, an dergleichen zu leiden -- wie kommst du darauf?« »Aber liebe Frau, du hast doch angedeutet --« »Bewahre, so etwas ist mir nicht eingefallen.« »Es ist ja kaum zwei Minuten her, mein Herz, daß du sagtest --« »Dummes Zeug! Ich mag gesagt haben was ich will -- jedenfalls ist es kein Unglück, daß die Kleine an einem Stück Holz kaut, wenn sie Lust dazu hat; ich dächte, du könntest das auch einsehen. Ich verwehre es ihr nicht und damit ist's gut!« »Ereifere dich nicht, mein Kind; ich sehe schon ein, daß du recht hast und werde gleich ausgehen, um ein paar Klafter vom besten Tannenholz zu bestellen. Solange _ich_ lebe, soll mein Kind -- --« »O bitte, geh in dein Geschäft und laß mich einen Augenblick in Ruhe. Man kann auch nicht die geringste Bemerkung machen, du mußt darüber streiten, streiten, streiten, bis du nicht mehr weißt, wovon du sprichst -- wie immer.« »Nun gut, du sollst deinen Willen haben. Aber in deiner letzten Bemerkung war ein Mangel an Logik, der -- --« Ehe ich jedoch ausgeredet hatte, war sie zur Thüre hinausgesegelt und hatte das Kind mitgenommen. * * * * * Als ich am Abend desselben Tages zu Tische nach Hause kam, trat sie mir mit kreideweißem Gesicht entgegen. »O Mortimer, ein neuer Fall! Der kleine George vom Nachbar Gordon ist krank!« »Häutige Bräune?« »Häutige Bräune!« »Hat der Arzt noch Hoffnung?« »Nicht die geringste! O, was soll aus uns werden!« Kurz darauf brachte eine Wärterin die kleine Penelope herein, um uns gute Nacht zu sagen und das übliche Abendgebet auf der Mutter Schoß zu sprechen. Aber mitten in: »Jetzt leg' ich mich zu süßer Ruh,« hustete sie ein wenig. Meine Frau fuhr zurück als hätte sie der Schlag gerührt. Doch schon im nächsten Augenblick war sie auf den Füßen, der Schrecken spornte sie zu fieberhafter Thätigkeit. Sie befahl, das Bett des Kindes aus der Kinderstube in unser Schlafzimmer zu bringen, und ging selbst mit, um die Ausführung des Befehls zu beaufsichtigen. Natürlich mußte ich auch dabei sein, und wir brachten die Sache schnell in Ordnung. Für die Kinderfrau wurde ein Bett in dem Ankleidezimmer meiner Frau aufgeschlagen. Nun fiel ihr aber ein, daß wir zu weit von dem andern Kind entfernt seien, und wenn sich in der Nacht bei ihm Symptome zeigen sollten -- mein armes Frauchen wurde wieder leichenblaß. Darauf schafften wir das Kinderbett und die Kinderfrau wieder in die Kinderstube und schlugen für uns beide ein Bett im Nebenzimmer auf. Plötzlich bekam meine Frau jedoch Angst, Penelope könne den Kleinen anstecken. Dieser Gedanke jagte ihr ein solches Entsetzen ein, daß ihre ganze Hilfsmannschaft das Bettchen nicht schnell genug wieder hinaustragen konnte. Meine Frau half in eigener Person und riß es beinahe in Stücke in ihrer verzweifelten Hast. Wir zogen in den unteren Stock, aber da war nicht Platz genug, die Kinderfrau unterzubringen, und meine Frau meinte, ihre Erfahrung würde eine unschätzbare Hilfe sein. So kehrten wir denn mit Sack und Pack wieder in unser eigenes Schlafzimmer zurück und fühlten uns so glücklich, wie ein Paar vom Sturm verschlagene Vögel, die ihr warmes Nestchen wiederfinden. Meine Frau eilte jetzt in die Kinderstube, um zu sehen, wie es dort stände. Im Nu war sie aber wieder da, von neuer Furcht ergriffen. »Wie kann es nur kommen, daß der Kleine so fest schläft?« »Aber mein Herz,« sagte ich, »der Kleine schläft ja immer so fest, daß er aussieht wie ein Bild.« »Ich weiß, ich weiß; aber heute hat sein Schlaf etwas Unnatürliches. Er scheint -- er scheint so regelmäßig zu atmen.« »Aber, liebes Kind, er atmet immer regelmäßig.« »O, das weiß ich; aber heute macht es einen schrecklichen Eindruck. Seine Wärterin ist viel zu jung und unerfahren, Marie soll bei ihr bleiben, damit sie bei der Hand ist, wenn etwas passiert.« »Das ist ein guter Gedanke; aber, wer wird _dir_ helfen?« »_Du_ kannst mir alle Hilfe leisten, die ich brauche. Ich werde mich ja so wie so in dieser schrecklichen Zeit auf keinen Menschen verlassen, sondern alles selbst thun.« Ich erwiderte, daß ich mich selbst verachten würde, wenn ich zu Bette gehen und schlafen wollte, während sie wachte und sich um unsere Kranke mühte, die lange, bange Nacht. Doch endlich ließ ich mich überreden. So begab sich also die alte Marie wieder zurück auf ihren Posten in der Kinderstube. Penelope hustete ein- oder zweimal im Schlaf. »Warum nur dieser Doktor nicht kommt. -- Mortimer, es ist gewiß zu warm im Zimmer. Mache den Schieber zu -- schnell!« Ich schloß die Luftheizung ab, sah nach dem Thermometer und fragte mich, ob denn 14° wirklich zu warm sei für ein krankes Kind. Der Kutscher kam jetzt aus der Stadt mit der Nachricht, daß unser Hausarzt krank zu Bette liege. Meine Frau warf mir einen erlöschenden Blick zu und sagte mit sterbender Stimme: »Es ist der Wille der Vorsehung. So war es vorher bestimmt. -- Noch nie ist er krank gewesen, _nie_! Wir haben nicht so gelebt wie wir sollten, Mortimer. Immer und immer wieder habe ich es dir gesagt. Nun siehst du, wohin es führt. Danke Gott, wenn du es dir _je_ verzeihen kannst -- ich kann es mir nicht vergeben.« Ich sagte, ohne die Worte genau zu wählen, aber durchaus nicht in der Absicht, sie zu kränken, es sei mir nicht bewußt, daß wir ein so gottloses Leben geführt hätten. »Mortimer -- willst du das Gericht Gottes auch über der Kleinen heraufbeschwören?« Sie brach in Thränen aus -- aber plötzlich rief sie: »Der Doktor muß doch Arzenei geschickt haben!« »Gewiß,« versetzte ich, »hier ist sie. Ich habe nur auf den passenden Moment gewartet, es dir zu sagen.« »So gieb sie doch her; weißt du nicht, daß jetzt jeder Augenblick kostbar ist! Aber ach, wozu schickt er überhaupt Arzenei, wenn er doch weiß, daß alles vergebens ist.« Ich sagte, wo noch Leben wäre, sei auch noch Hoffnung. »Hoffnung! -- Mortimer, du weißt so wenig was du sprichst, wie ein neugeborenes Kind. Wenn du nur -- Welcher Unsinn -- die Anweisung sagt: alle Stunde einen Theelöffel! Einmal stündlich -- als ob wir ein ganzes Jahr vor uns hätten, um das Kind zu retten! Mortimer, schnell, gieb dem armen verschmachtenden Würmchen einen Eßlöffel voll; nur diesmal beeile dich!« »Aber, mein Herz, ein Eßlöffel voll könnte --« »Mache mich nicht toll! ... Hier, mein Engelchen, mein süßes, nimm das häßliche bittere Zeug; es ist gut für Nelly, für Mamas süßen, kleinen Liebling und soll sie gesund machen. Da, da, da, lege dein Köpfchen an Mütterchens Brust und schlaf' ein, damit du bald -- -- o, ich weiß, sie wird den Morgen nicht erleben! -- Mortimer, einen Eßlöffel alle halbe Stunde! Aber das Kind sollte auch Belladonna nehmen und Acconit. Hole die Fläschchen, Mortimer. Bitte, thue was ich sage; du verstehst ja doch nichts davon.« Wir stellten nun das Bett des Kindes dicht an das Kopfende meiner Frau und legten uns nieder. Das viele Durcheinander hatte mich schrecklich müde gemacht, und in zwei Minuten war ich halb eingeschlafen. Meine Frau weckte mich. »Männchen, ist die Luftheizung offen?« »Ich glaube nicht.« »Das habe ich mir gedacht. Bitte mache den Schieber gleich auf; das Zimmer ist kalt.« Ich schob ihn auf und schlief wieder ein: da wurde ich nochmals geweckt. »Bester Mann, du könntest doch so gut sein, das Bettchen an deine Seite zu stellen, es ist näher an der Heizung.« Ich stellte das Bett an _meine_ Seite, verwickelte mich aber in den Bettteppich und weckte das Kind. Wieder verfiel ich in Schlaf, während meine Frau die kleine Kranke beruhigte. Aber nicht lange, so kamen wie aus weiter Ferne durch den Nebel meiner Schlaftrunkenheit die Worte an mein Ohr: »Mortimer, wenn wir nur etwas Gänsefett hätten -- bitte, willst du klingeln.« Ich kletterte im Halbschlaf heraus und trat auf die Katze, welche mit einem lauten Protest antwortete; ich wollte ihr dafür einen Fußtritt verabreichen, aber der Stuhl bekam ihn statt der Katze. »Mortimer, was fällt dir ein? Warum drehst du den Gashahn auf? Willst du das Kind zum zweitenmal wecken?« »Ich will sehen, ob ich mir Schaden gethan habe, Evangeline.« »Dann sieh nur auch den Stuhl an; ich bin überzeugt, er ist in Stücken. Die arme Katze; wenn du nun -- --« »Die Katze ist mir völlig gleichgültig. Das alles wäre nicht geschehen, wenn du Marie hier behalten hättest, um diese Pflichten zu übernehmen, die sie angehen, und nicht mich.« »Du solltest dich schämen, Mortimer, eine solche Bemerkung zu machen. Wahrhaftig, wenn du die Kleinigkeiten, um die ich dich bitte, nicht einmal besorgen willst -- da doch unser Kind -- --« »Schon gut, ich will ja alles thun. Aber kein Mensch hört auf mein Läuten. Sie sind wahrscheinlich alle zu Bett gegangen. -- Wo steht das Gänsefett?« »Auf dem Kamin im Kinderzimmer. Wenn du hingehen willst und mit Marie sprechen -- --« Ich holte das Gänsefett und schlief wieder ein. Abermals wurde ich gerufen: »Mortimer, es ist mir schrecklich, dich zu stören, aber das Zimmer ist immer noch zu kalt, wenn ich die Einreibung machen soll. Könntest du nicht das Feuer anzünden? Es ist alles zurechtgelegt, du brauchst nur ein Schwefelhölzchen hineinzustecken.« Ich kroch aus dem Bett, machte das Feuer an, und setzte mich als Jammergestalt daneben. »Mortimer, du erkältest dich zu Tode, wenn du da sitzen bleibst. Komm' zu Bett!« Ich wollte hineinsteigen, da sagte sie: »Nur einen Augenblick! Bitte, gieb dem Kinde noch etwas Arzenei.« -- Das that ich, und meine Frau benutzte die Gelegenheit, da die Kleine doch einmal wach war, sie auszuziehen und über und über mit dem Gänsefett einzuschmieren. Bald schlief ich von neuem -- aber nicht lange. [Illustration] »Mortimer, es zieht irgendwo; ich fühle es ganz deutlich. Nichts ist verhängnisvoller bei solcher Krankheit als Zugwind. Bitte, stelle das Kinderbett näher ans Feuer.« Das that ich und wickelte mich wieder in den Bettteppich, den ich dabei ins Feuer warf. Meine Frau sprang aus dem Bett und rettete ihn, wobei wir etwas aneinander gerieten. Nun folgte wieder eine kleine Schlafpause, bis mir befohlen wurde, einen Umschlag von Leinsamen zu machen. Dieser wurde dem Kinde auf die Brust gelegt, um dort seine heilende Wirkung zu üben. Ein Holzfeuer hat nicht lange Bestand. Alle zwanzig Minuten stand ich auf, um das unsrige anzufachen und Holz nachzulegen; dadurch verkürzten sich auch die Zwischenräume beim Eingeben der Arzenei um zehn Minuten, was meiner Frau eine große Erleichterung war. Dazwischen erneuerte ich die Umschläge und legte einen Senfteig oder andere Zugpflaster überall da auf, wo noch eine freie Stelle an dem Kinde zu finden war. Endlich, gegen Morgen, war das Holz verbraucht, und meine Frau meinte, ich solle in den Keller gehen, um welches zu holen. »Das ist eine schwere Arbeit, liebes Kind,« bemerkte ich. »Der Kleinen ist gewiß warm genug bei ihren vielen Umhüllungen. Wir können ihr ja auch noch eine Lage Brei auflegen und --« Ich kam nicht zu Ende, denn ich wurde unterbrochen. Eine Weile schleppte ich Holz herauf und kroch dann wieder in mein Bett. Bald schnarchte ich, wie nur ein Mensch schnarchen kann, der völlig abgemattet ist an Körper und Geist. Bei Tagesanbruch fühlte ich ein Rütteln an meiner Schulter, was mich schnell zur Besinnung brachte. Meine Frau stand mit stierem Blick vor mir und rang nach Luft. Sobald sie sprechen konnte, sagte sie: »Es ist alles aus -- alles aus! -- Das Kind schwitzt. Was fangen wir an?« »Mein Gott, wie du mich erschreckt hast! Ich weiß nicht, was ich dir raten soll. Vielleicht wenn wir alles abkratzten und Penelope wieder in den Zug brächten --« »Welcher Blödsinn! -- Jetzt ist kein Augenblick zu verlieren! Hole den Doktor, schnell! Du mußt _selbst_ gehen. Bringe ihn her, tot oder lebendig.« Ich zerrte den armen kranken Mann aus dem Bett und brachte ihn zu uns. Er sah das Kind an und sagte, es läge nicht im Sterben. Das war mir eine unaussprechliche Freude, aber meine Frau wurde so böse, als habe er sie persönlich beleidigt. Dann meinte er, der Husten des Kindes wäre nur durch einen kleinen Reiz in der Kehle verursacht. Wie er das sagte, fürchtete ich fast, meine Frau würde ihm die Thüre weisen. Der Doktor wollte die Kleine nun stärker zum Husten bringen, um die Störung zu beseitigen. Er gab ihr etwas ein, sie hustete heftig, und heraus kam, -- ein kleiner Holzsplitter. »Das Kind hat keine Bräune,« sagte der Arzt. »Es hat an einem Stück Tannenholz gekaut, und ein paar kleine Splitter in den Hals bekommen. Die werden ihm nichts schaden.« »Nein,« sagte ich, »das glaube ich auch. Das Terpentin darin ist sogar sehr gut für einige Krankheiten, die bei Kindern vorkommen. Meine Frau kann Ihnen das sagen.« Aber das that sie nicht. Sie wendete sich empört von uns ab und verließ das Zimmer. Seit der Zeit ist in unserm ehelichen Leben _eine_ Episode, die wir nie erwähnen. Im übrigen fließt der Strom unserer Tage in ungetrübter Heiterkeit dahin. Sehr wenig Ehemänner haben ähnliche Erfahrungen gemacht, wie Herr Mc Williams; deshalb dachte der Verfasser dieses Buches, die Sache würde durch ihre Neuheit vielleicht in den Augen des Lesers ein flüchtiges Interesse erhalten. Frau Mc Williams beim Gewitter. Ja, fuhr Herr Mc Williams fort, -- dies war nämlich nicht der Anfang seiner Rede -- die Furcht vor dem Gewitter ist eine der qualvollsten Schwächen, von denen ein menschliches Wesen heimgesucht werden kann. Sie ist meistens auf Frauen beschränkt, hie und da findet sie sich jedoch auch bei einem kleinen Hunde und manchmal auch bei einem Manne. Es ist eine ganz besonders traurige Schwäche, indem sie einem Menschen den Verstand in höherem Grade raubt als irgend eine andere Furcht, da sie sich weder durch Vernunftgründe noch durch Beschämung unterdrücken läßt. Eine Frau, die dem Teufel selber ins Gesicht sehen könnte -- oder einer Maus -- verliert ihre Schneidigkeit und ist rein weg angesichts eines zuckenden Blitzes. Also wie ich Ihnen sagte, ich wachte auf an dem halberstickten von irgendwo herkommenden Schrei: »Mortimer, Mortimer!« Sobald ich meine fünf Sinne zusammenfassen konnte, richtete ich mich in der Dunkelheit auf und antwortete: »Evangeline, rufst du? was giebts? wo bist du?« »In die Wäschekammer eingeschlossen! Du solltest dich schämen, dazuliegen und so zu schlafen, während solch ein fürchterliches Gewitter losbricht.« »Nun, wie kann man sich denn schämen, wenn man schläft? Das hat ja keinen Sinn; ein Mensch kann sich nicht schämen, derweil er schläft, Evangeline.« »Das thust du freilich nie, Mortimer, das weiß _ich_ wohl!« Ich vernahm den Laut unterdrückten Schluchzens. Dieser Klang machte die scharfe Rede, die sich auf meine Lippen drängte, ersterben und ich ließ mich statt dessen folgendermaßen vernehmen: »Es thut mir leid, Liebe, es thut mir wirklich leid. Ich wollte es nicht thun, komm' heraus und --« »Mortimer!« »Himmel, was giebts, mein Schatz?« »Ich glaube gar, daß du _noch_ im Bett liegst?« »Warum nicht? natürlich.« [Illustration] »Augenblicklich stehe auf! Ich dächte, du solltest doch ein klein wenig acht auf dein Leben geben, um meinet- und der Kinder willen, wenn nicht schon um deinetwillen.« »Aber lieber Schatz --« »Hör' auf, Mortimer, du weißt, bei einem solchen Gewitter ist der allergefährlichste Platz das Bett. Das steht in allen Büchern. Aber das ist dir einerlei, du bleibst doch darin liegen und wirfst lieber dein Leben rücksichtslos weg, der Himmel weiß warum, höchstens aus ewiger Rechthaberei und --« »Aber zum Kuckuck, Evangeline, ich bin ja jetzt nicht mehr im Bett, ich bin --« Dieser Satz wurde unterbrochen durch einen plötzlichen Blitzstrahl, begleitet von einem unterdrückten Aufschrei meiner Frau und einem furchtbaren Donnerschlag. »Da! Nun siehst du, wozu das führt. O, Mortimer, wie kannst du so ruchlos sein, bei einem solchen Wetter zu fluchen?« »Ich habe ja nicht geflucht. Und das kam gar nicht davon her, es wäre ganz ebenso gekommen, auch wenn ich kein Wörtchen gesagt hätte, und du weißt ganz gut, Evangeline, oder solltest es wenigstens wissen, daß, wenn die Atmosphäre mit Elektrizität geladen ist --« »O, ja, jetzt habe nur recht und wieder recht und noch einmal recht. Ich begreife nicht, wie du so handeln magst, da du doch weißt, daß wir keinen Blitzableiter haben und daß deine arme Frau und Kinder rein der Gnade der Vorsehung anheimgegeben sind. -- Aber was thust du? Ein Zündhölzchen anstecken? bei einem solchen Wetter, bist du völlig toll?« »Zum Henker, Frau, was schadet denn das? Es ist ja hier so finster wie in einer Kuh und --« »Lösch' es aus, lösch' es augenblicklich aus! Willst du uns alle geflissentlich zu Grunde richten? Du weißt doch, daß nichts so den Blitz anzieht wie ein Licht.« (Fzt, -- krach! -- bum! -- bolum! -- bum!) »O, da höre, jetzt siehst du, was du angerichtet hast.« »Wieso? Ein Schwefelhölzchen kann allenfalls den Blitz anziehen, aber gewiß ruft es keinen Blitz hervor, -- ich stehe dafür ein. Sollte aber dieser Schuß dennoch meinem Zündhölzchen gegolten haben, so war er jämmerlich gezielt, -- eine Leistung, die unter Tausenden kaum einer fertig bringt.« »Schäme dich, Mortimer. Da stehen wir dem Tode Auge in Auge gegenüber, und doch bist du fähig, in einem so feierlichen Augenblick eine solche Sprache zu führen. Wenn du nicht den Wunsch hast, -- Mortimer --« »Nun?« »Hast du eigentlich heute ein Nachtgebet gesprochen?« »Ich -- ich -- war eben dabei, da fiel mir ein, auszurechnen, wie viel zwölfmal dreizehn ist und --« (Fzt, -- bum! -- bum! -- bumerumbum! -- bang! -- krach!) »O, wir sind verloren, rettungslos verloren. Wie konntest du so etwas versäumen, bei solch einem Wetter!« »Aber es war ja noch nicht so ein Wetter. Es war kein Wölkchen am Himmel. Wie konnte ich ahnen, daß wegen einer so kleinen Unterlassungssünde all dies Gerumpel und Gepolter losgehen würde? Und ich meine, es ist gerade nicht hübsch von dir, so viel Aufhebens davon zu machen, da du doch weißt, daß es so selten vorkommt. Vorher habe ich es nie versäumt, nie seit dem großen Erdbeben, an dem ich schuld war.« »Mortimer, wie du sprichst! Hast du das gelbe Fieber vergessen?« »Meine Liebe, du legst mir immer das gelbe Fieber zur Last, und ich meine doch, das ist ganz sinnlos. Wie soll denn ein kleines Frömmigkeitsvergehen von mir so weithin wirken? Das Erdbeben will ich meinetwegen auf mich nehmen, weil es in der Nachbarschaft stattfand, aber ich will mich hängen lassen, wenn ich verantwortlich sein soll für jedes lumpige --« (Fzt, bum, bum, belum, bum, bang!) »O Gott, o Gott, gewiß hat es irgendwo eingeschlagen. Wir werden keinen Tag mehr erleben, und dann, wenn wir nicht mehr sind, kann es dir eine Genugthuung sein, zu wissen, daß dein gottloses Gerede -- Mortimer!« »Nun, was ist wieder los?« »Deine Stimme klingt, wie wenn -- Mortimer, stehst du wirklich vor dem offenen Kamin?« »Das ist allerdings mein Verbrechen in diesem Augenblick.« »Geh' augenblicklich davon weg. Es scheint, du bist entschlossen, Vernichtung über uns alle zu bringen. Weißt du nicht, daß es keinen besseren Leiter für den Blitz giebt, als ein offenes Kamin? -- Wo bist du nun hingegangen?« »Da ans Fenster.« »O, um Gottes willen, hast du den Verstand verloren? Geh' weg von dort, augenblicklich! Die kleinsten Kinder wissen, daß es lebensgefährlich ist, während eines Gewitters am Fenster zu stehen. Lieber, Guter, ich weiß, ich erlebe keinen Tag mehr -- Mortimer?« »Ja!« »Was ist das für ein Rascheln?« »Ich bin's.« »Was thust du denn?« »Ich bemühe mich, das obere Ende meiner Unterbeinkleider zu finden.« »Schnell, wirf das Zeug weg. Du wirst doch nicht diese Kleidungsstücke bei einem solchen Wetter anziehen wollen? Du weißt doch, daß allen Autoritäten zufolge wollene Stoffe den Blitz anziehen. O, Liebster, Bester, ist es nicht genug, daß man aus natürlichen Ursachen stets in Lebensgefahr schwebt? Und du thust alles Erdenkbare, was die Gefahr vermehren kann. -- So singe doch nicht! Wie kannst du auf den Einfall kommen?« »Nun, was kann denn das schaden?« »Mortimer, ich habe dir einmal, habe dir hundertmal gesagt, daß Singen Schwingungen in der Atmosphäre verursacht, die den Zug des elektrischen Stroms unterbrechen und -- um alles in der Welt, wozu machst du die Thür auf?« »Gerechter Himmel, Weib, ist auch dabei Gefahr?« »Gefahr? Der Tod ist dabei. Jeder, der irgend darauf geachtet hat, weiß, daß einen Luftzug verursachen geradezu den Blitz herbeiziehen heißt. Du hast sie nur halb zugemacht, schließe sie fest und mach' schnell, oder wir sind alle verloren. O, es ist etwas Fürchterliches, bei einem solchen Wetter mit einem Wahnwitzigen eingeschlossen zu sein. Mortimer, was thust du?« »Nichts, ich drehe eben den Wasserhahn auf, dieses Zimmer ist zum Ersticken dumpf, ich muß mir Gesicht und Hände netzen.« »Du hast scheints den letzten Rest deines Verstandes verloren. Wo der Blitz einen andern Gegenstand _ein_mal trifft, schlägt er fünfzigmal ins Wasser. Drehe schnell zu. O, Lieber, ich sehe schon, daß nichts auf dieser Welt uns retten kann, ich glaube, daß -- -- Mortimer, was war das?« »Es war ein verfl... es war ein Bild, hab's heruntergestoßen.« »Dann stehst du also hart an der Wand? Eine unerhörte Unvorsichtigkeit. Weißt du nicht, daß es keinen besseren Leiter für den Blitz giebt, als eine Wand! Mach', daß du davon weg kommst. -- Und eben warst du auch wieder nahe daran zu fluchen. O, wie kannst du so verzweifelt gottlos sein, während deine Familie in solcher Gefahr schwebt? Mortimer, hast du ein Federbett herthun lassen, wie ich dich gebeten habe?« »Nein, hab's vergessen.« »Vergessen? Es kann dich dein Leben kosten. Hättest du jetzt ein Federbett, um es in die Mitte des Zimmers zu breiten und dich darauf zu legen, so wärst du völlig in Sicherheit. Komm' hier herein -- schnell, ehe du noch weitere tolle Streiche machen kannst.« Ich versuchte es, aber die Kammer vermochte uns beide bei geschlossener Thüre nicht zu fassen, wenn wir nicht ersticken wollten. Ich schnappte eine Weile nach Luft, dann stürzte ich hinaus. Meine Frau rief: »Mortimer, es muß etwas zu deiner Rettung geschehen, gieb mir das deutsche Buch, das auf dem Kaminsims liegt, und ein Licht, -- aber steck' es nicht an. In dem Buche finden sich einige Ratschläge.« Ich holte das Buch auf Kosten einer Vase und anderer zerbrechlicher Sachen. Meine Frau schloß sich mit ihrem Licht ein, worauf ich einen Augenblick Ruhe hatte, dann rief sie heraus: »Mortimer, was war das?« »Nur die Katze.« »O, Jammer. Fang' sie und sperr' sie in den Waschschrank ein. Rasch, lieber Schatz. Die Katzen sind voll Elektrizität, ich bekomme gewiß noch weiße Haare bei den furchtbaren Gefahren dieser Nacht.« Ich vernahm wieder das unterdrückte Schluchzen, sonst würde ich weder Hand noch Fuß geregt haben zu einem solchen Beginnen in der Dunkelheit, nämlich über Stühle und alle Arten von Hindernissen, die meist sehr hart und scharfkantig waren, auf die Katze Jagd zu machen. Endlich war es mir gelungen, Mieze in den Schrank zu schließen, freilich auf Kosten von über 400 Dollars an zerbrochenen Möbeln und Schienbeinen. Dann drang es dumpf aus dem Kämmerchen: »In dem deutschen Buche steht, es sei bei einem Gewitter am sichersten, sich mitten im Zimmer auf einen Stuhl zu stellen, -- die Stuhlbeine müssen durch Nichtleiter isoliert werden, d. h. du mußt die Stuhlbeine auf Sturzbecher von Glas stellen -- (Fzt, -- bum, bam, krach). O, höre doch. Eile dich, Mortimer, ehe du getroffen wirst.« Es gelang mir, die Gläser zu finden, es waren die letzten vier. Alle andern hatte ich zusammengeschlagen. Ich isolierte die Stuhlbeine und bat um weitere Verhaltungsmaßregeln. »Mortimer, dann heißt es: ›Während eines Gewitters entferne man Metalle, wie z. B. Uhren, Ringe, Schlüssel von sich und halte sich auch nicht an solchen Stellen auf, wo viele Metalle beieinander liegen, oder mit andern Körpern verbunden sind, wie an Herden, Oefen, Eisengittern u. dgl.‹ Verstehst du das, Mortimer? Heißt das, daß man Metalle bei sich behalten muß, oder fern von sich halten?« »Ja, ich weiß auch nicht recht, es kommt mir etwas unklar vor, ich kenne die Sprache nicht so genau. Wenn ich das Deutsch recht verstehe, so scheint es mir zu besagen, daß man Metall an sich haben soll.« »Ja, so muß es wohl sein, das sagt ja der gesunde Menschenverstand. Es wirkt wie beim Blitzableiter, weißt du. Setz' deinen Feuerwehrhelm auf, Mortimer, der ist fast ganz aus Metall.« Ich holte ihn und setzte ihn auf, -- ein recht schweres, plumpes und unbequemes Ding, in einer heißen Nacht in einem dumpfen Zimmer. War mir doch schon mein Nachtgewand mehr Bekleidung, als ich eigentlich bedurfte. »Mortimer, ich glaube, dein Unterleib bedarf auch eines Schutzes, willst du nicht so gut sein und deinen Bürgerwehrsäbel umschnallen?« Ich willfahrte. »Jetzt, Mortimer, mußt du noch etwas zum Schutz deiner Füße haben, bitte, schnalle deine Sporen an.« Ich that es, ohne ein Wort zu sagen, und hielt meine gute Laune aufrecht, so gut ich konnte. »Mortimer, es heißt in dem deutschen Buche weiter: ›Das Gewitterläuten ist sehr gefährlich, weil die Glocke selbst, sowie der durch das Läuten veranlaßte Luftzug und die Höhe des Turmes den Blitz anziehen könnten;‹ Mortimer, heißt das, daß es gefährlich sei, die Kirchenglocken während eines Gewitters nicht zu läuten?« »Ja, es sieht so aus. -- Wenn dies das Partizip der Vergangenheit im Nominativ Singularis ist, -- und das scheint mir so --; ja, ich denke, es heißt, daß in Anbetracht der Höhe des Kirchturms und in Ermangelung von Luftzug es sehr gefährlich sein würde, während eines Gewitters die Glocken nicht zu läuten, -- und außerdem, siehst du nicht, daß gerade der Ausdruck -- --« »Schon gut, Mortimer, verliere die kostbare Zeit nicht mit Reden, hole die große Tischglocke, sie ist gerade dort auf dem Vorplatz. Geschwind, lieber Mortimer, wir sind beinahe in Sicherheit; o mein Bester, ich glaube, wir kommen diesmal noch davon.« Unsere kleine Sommerwohnung steht oben auf einer Hügelreihe, die über ein Thal hineinschaut. Mehrere Bauernhäuser sind in unserer Nachbarschaft, das nächste 3--400 Yards entfernt. [Illustration] Als ich auf dem Isolierstuhle stehend, die schreckliche Glocke sieben oder acht Minuten lang geläutet hatte, wurden unsere Läden plötzlich von außen aufgerissen und eine Laterne fuhr blendend an das Fenster, während eine Stimme also sprach: »Was in aller Welt ist hier los?« Das Fenster war voll von menschlichen Köpfen und die Köpfe voll von Augen, welche mein Nachtgewand, mit der kriegerischen Ausrüstung darüber, wild anstierten. Ich ließ die Glocke sinken, sprang verwirrt vom Stuhl herunter und sagte: »Es ist nichts los, gute Freunde; nur eine kleine Störung wegen des Gewitters; ich habe mich bemüht, den Blitz abzuhalten.« »Gewitter? Blitz? Ei, Herr Mc Williams, haben Sie den Verstand verloren? Es ist eine schöne sternenhelle Nacht, keine Spur von Gewitter.« Ich schaute hinaus und war so erstaunt, daß ich eine Zeit lang kein Wort herausbrachte. Dann sagte ich: »Ich begreife das nicht, wir sahen das Zucken der Blitze ganz deutlich durch die Vorhänge und Läden und hörten den Donner.« Die Leute legten sich nach einander auf den Boden und wälzten sich vor Lachen, -- zwei lachten sich zu Tode. Einer von den Ueberlebenden bemerkte: »Aber, daß Sie nicht daran dachten, ihre Läden aufzumachen und einmal auf den hohen Hügel dort hinauf zu sehen! Was Sie hörten, waren Kanonenschüsse, was Sie sahen, war das Feuer derselben. Wissen Sie, der Telegraph hat gerade um Mitternacht die Kunde gebracht, daß Cleveland ernannt ist, und darum die ganze Geschichte.« * * * * * »Ja, Herr Twain, wie ich gleich zu Anfang sagte,« bemerkte Herr Mc Williams zum Schluß, »die Vorschriften, um die Menschen vor Blitzschlag zu bewahren, sind so vortrefflich und so zahllos, daß es mir schlechterdings unbegreiflich ist, wie irgend jemand es fertig bringt getroffen zu werden.« Mit diesen Worten raffte er sein Bündel und seinen Schirm zusammen und stieg aus, denn der Zug war an seinem Wohnort angekommen. Ueber frühreife Kinder. Alle kleinen Kinder scheinen heutzutage die lästige und naseweise Angewohnheit zu haben, bei jeder Gelegenheit schlaue Aeußerungen zu thun, besonders in Zeiten, da sie ganz stillschweigen sollten. Nach den Witzworten dieser Art zu urteilen, welche im Durchschnitt veröffentlicht werden, müssen die Kinder der jüngsten Generation förmlich blödsinnig sein. Und ihre Eltern stehen ihnen an Dummheit sicherlich nur wenig nach, denn durch sie werden meist jene kindischen Albernheiten -- die Geistesblitze, wie sie uns aus den Zeitschriften entgegenleuchten -- zur allgemeinen Kenntnis gebracht. Man argwöhnt vielleicht, daß Neid oder Groll aus mir spricht, wenn ich mich hierüber so sehr ereifere; ich muß auch wirklich gestehen, daß mir ärgerlich ist zu hören, wieviele gescheite Kinder es heute auf der Welt giebt, weil es mich daran erinnert, wie selten _ich_ etwas Witziges gesagt habe, solange ich noch klein war. Zwei- oder dreimal habe ich es versucht, aber es fand keinen Anklang. Meine Angehörigen erwarteten nicht, geistreiche Bemerkungen von mir zu hören; überraschte ich sie damit, so wurde ich entweder vorlaut gescholten oder ich bekam Schläge. Mich überläuft eine Gänsehaut und das Blut erstarrt mir in den Adern, wenn ich bedenke, was wohl aus mir geworden wäre, hätte ich mich unterstanden, in Gegenwart meines Vaters einige von den schlauen Aeußerungen zu thun, welche man in unserer Zeit von vierjährigen Kindern erzählt. Mir einfach bei lebendigem Leibe die Haut über die Ohren zu ziehen, wäre ihm, einem solchen Sünder gegenüber, als verbrecherische Milde und Verletzung seiner Pflicht erschienen. Dem strengen ernsten Mann war alles vorlaute Wesen ein Greuel; hätte er von mir solche gescheite Dinge gehört, wie sie andere Kinder sagen, es wäre mein Tod gewesen. Ja, er würde mich sicherlich umgebracht haben, falls nämlich noch Zeit dazu gewesen wäre. Aber das ist zweifelhaft, denn ich hätte natürlich aus Vorsicht zuerst eine Dosis Strychnin genommen und dann meine witzige Aeußerung gethan. Ueber _eine_ Bemerkung, die ich in meiner frühsten Kindheit machte -- es war nicht einmal ein Witzwort -- wäre es beinahe zu einem ernsten Zerwürfnis zwischen meinem Vater und mir gekommen. Das trug sich nämlich so zu: Eines Tages unterhielten sich meine Eltern mit Onkel, Tante und mehreren Freunden darüber, welchen Namen man mir geben solle. Ich lag da, beschäftigt verschiedene Gummiringe zu probieren, um die besten auszuwählen, weil ich es satt hatte, mir die kommenden Zähnchen an anderer Leute Fingern durchzubeißen, und nach einem Gegenstand trachtete, mit dessen Hilfe ich dies Geschäft rasch zu Ende führen und dann etwas Neues beginnen könne. Man weiß ja, was für eine Quälerei es ist, sich die Zähne am Finger der Amme durchzubeißen, oder welche Mühe man hat und wie man sich den Rücken fast zerbricht, wenn man die eigene große Zehe dazu benützen will. Wer hat nicht dabei schon die Geduld verloren und seine Zähne ins Pfefferland gewünscht, noch ehe ihre ersten Spitzchen durchguckten? -- Mir ist's, als wäre das alles erst gestern geschehen. Doch, ich will nicht weiter abschweifen. Also -- ich lag da und wählte mir meine Gummiringe; als dabei mein Blick zufällig die Uhr traf, fiel mir ein, daß ich in einer Stunde und fünfundzwanzig Minuten gerade zwei Wochen alt sein würde. Ach, wie wenig hatte ich noch gethan, um die Wohlthaten zu verdienen, mit denen man mich so verschwenderisch überhäufte! Jetzt hörte ich, wie der Vater sagte: »Abraham ist ein guter Name; mein Großvater hieß Abraham.« »Jawohl,« erwiderte die Mutter, »mir ist Abraham für einen seiner Zunamen ganz recht.« Ich wollte auch meine Meinung abgeben: »Abraham gefällt dem Unterzeichneten,« sagte ich. Da runzelte der Vater die Stirn, aber meine Mutter machte ein ganz vergnügtes Gesicht und die Tante rief: »Hört nur den lieben kleinen Schelm!« »Isaak ist ein guter Name,« fuhr mein Vater fort, »auch Jakob könnten wir wählen.« »Gewiß,« stimmte die Mutter bei, »bessere Namen giebt es gar nicht. Wir wollen ihn auch Isaak und Jakob nennen.« »Einverstanden,« sagte ich, »mit Isaak und Jakob bin ich zufrieden und verbleibe ganz der Ihrige. Bitte, gebt mir doch einmal die Klapper her; ich kann nicht den ganzen Tag an Gummiringen kauen.« Keine Seele machte sich Notizen von meinen Aeußerungen zum Zweck der Veröffentlichung. Das sah ich und that es selber, sonst wären sie gänzlich verloren gegangen. Statt daß man mich liebevoll ermuntert hätte, wie es bei andern Kindern geschieht, die sich geistig aufgeweckt zeigen, strafte mich der Vater mit einem Zornesblick, die Mutter sah ängstlich und bekümmert aus und auch die Tante schien zu meinen, ich hätte mir zu viel herausgenommen. Voll Ingrimm biß ich meinen Gummiring entzwei und zerschlug verstohlen die Klapper auf dem Kopf des Kätzchens, doch sagte ich nichts. »Der allerbeste Name ist Samuel,« begann mein Vater von neuem. Da wußte ich, daß ein Sturm im Anzug sei, den nichts abwenden könne. Ich legte meine Klapper hin, ließ des Onkels silberne Uhr über den Rand der Wiege fallen, desgleichen die Kleiderbürste, das hölzerne Hündchen, meine Zinnsoldaten, das Reibeisen und sonstige Gegenstände, mit welchen ich für gewöhnlich meine Untersuchungen und Beobachtungen anstellte, oder ein angenehmes Geräusch hervorbrachte -- gelegentlich zerschlug, zerbrach und zertrümmerte ich sie auch, wenn es galt, mir eine gesunde Bewegung zu machen. Dann zog ich mein Röckchen an, setzte mein Mützchen auf, nahm die kleinen Schuhe in eine Hand, das Stück Lakritze in die andere und kletterte auf den Fußboden hinunter. »Mag daraus werden was will,« dachte ich bei mir, »ich bin bereit.« Mit lauter, fester Stimme sagte ich nun: »Vater, das ist unmöglich -- den Namen Samuel kann ich nicht tragen.« »Wie, mein Sohn?« »Wirklich, Vater, ich kann es nicht.« »Warum nicht?« »Ich habe eine unbezwingliche Abneigung dagegen.« »Das ist unverständig, mein Sohn. Viele große und gute Männer hießen Samuel.« »Davon ist mir kein Beispiel bekannt.« »Was? War nicht Samuel, der Prophet, groß und gut?« »Hm! Nicht so besonders.« »Aber, mein Sohn! Der Herr rief ihn doch mit seiner eigenen Stimme.« »Jawohl, aber er mußte ihn ein paarmal rufen, bis er endlich kam.« Damit ergriff ich die Flucht, und der strenge alte Mann lief mir nach. Um die Mittagsstunde des nächsten Tages holte er mich ein, und als unsere Zusammenkunft vorüber war, hatte ich richtig den Namen Samuel erhalten, dazu eine Tracht Schläge und manche nützliche Belehrung obendrein. Nachdem mein Vater die Sache auf diese Weise ausgeglichen hatte, war sein Zorn beschwichtigt. Gut, daß ich Vernunft annahm, sonst hätte unsere Uneinigkeit leicht zu einem unheilbaren Bruch führen können. [Illustration] Was würde mir aber mein Vater -- nach diesem Vorfall zu urteilen -- wohl angethan haben, wenn jemals eine von den schwächlichen Albernheiten aus meinem Munde gekommen wäre, welche als Aeußerungen gescheiter zweijähriger Kinder jetzt im Druck erscheinen? -- Ich bin überzeugt, daraus wäre ein Fall des Kindsmords in unserer Familie entstanden. Staatswirtschaft. »Die Staatswirtschaft,« schrieb ich, »ist die Grundlage einer jeden guten Regierung. Die weisesten Männer aller Jahrhunderte haben diesem Gegenstand stets --« Hier wurde ich durch die Meldung unterbrochen, daß ein Fremder unten sei, der mich zu sprechen wünsche. Ich folgte dem Ruf, trat vor ihn hin und fragte nach seinem Begehr. Dabei war ich aus allen Kräften bemüht, die in mir gärenden staatswirtschaftlichen Gedanken festzuhalten und ihnen weder die Zügel schießen zu lassen noch zu dulden, daß sie sich im Geschirr verwickelten. Heimlich wünschte ich jedoch, der Fremde läge auf dem Grunde des Meeres und auf ihm eine Ladung Getreide. Ich war wie im Fieber; er blieb völlig kühl. Es thue ihm leid mich zu stören, sagte er, aber er habe im Vorbeigehen bemerkt, daß ich auf meinem Haus ein paar Blitzableiter brauchen könne. »Nun -- und --« sagte ich, »was weiter, was wollen Sie?« Er entgegnete, er wolle nichts weiter, nur würde er die Blitzableiter gern bei mir anbringen. Es ist noch nicht lange, daß ich einen eigenen Haushalt führe, bisher habe ich immer in Hotels und Kosthäusern gewohnt. Natürlich wollte ich aber vor einem Fremden von meiner Unerfahrenheit nichts merken lassen und als gewiegter Hausbesitzer auftreten: das wird jedermann begreiflich finden. Ich sagte daher mit ernster Miene, es sei schon längst meine Absicht gewesen, sechs oder acht Blitzableiter bei mir anbringen zu lassen, allein -- der Fremde fuhr zusammen und sah mich fragend an, aber ich verlor die Fassung nicht. Wenn ich Fehler machte, sollte er mir meine Unkenntnis wenigstens nicht im Gesicht lesen. Er sagte, es würde ihm lieber sein, mich zum Kunden zu haben, als irgend einen andern in der ganzen Stadt. »Schon gut,« versetzte ich und stand eben im Begriff mich wieder an die Verfolgung meines großen Gegenstands zu begeben, als er mich zurückrief und erklärte, erst müsse er genau wissen, wie viele Spitzen ich zu haben wünsche, an welchen Teilen des Hauses er sie anbringen solle und welcher Art von Stangen ich den Vorzug gäbe. Das war eine schöne Klemme für jemand, der erst so kurze Zeit verantwortlicher Hausbesitzer ist; aber ich hielt mich wacker, und er merkte mir höchst wahrscheinlich nicht einmal an, daß ich ein Neuling sei. Er solle acht Spitzen anbringen, sagte ich, sämtlich auf dem Dach, und Stangen von der besten Qualität nehmen. Die gewöhnliche Ware, lautete seine Antwort, könne er für zwanzig Cent liefern, gekupferte für fünfundzwanzig, mit Zink plattierte und spiralförmig gebogene für dreißig Cent den Fuß. Letztere würden jedem Blitzstrahl Halt gebieten, wohin er auch unterwegs sei, »seine Wirkung unschädlich machen und seinen weiteren Fortgang apokryph.« Ich sagte ›apogryph‹ wäre kein schlechtes Wort, da es aus heiliger Quelle stamme, aber, ohne der Philologie zu nahe zu treten, zöge ich die spiralförmig gebogenen Blitzableiter vor und würde diese Sorte nehmen. Hierauf erwiderte er, man _könne_ zwar im Notfall mit zweihundertfünfzig Fuß auskommen; wenn die Arbeit aber ordentlich gemacht werden solle, so daß sie als die beste in der Stadt gelten, Gerechte und Ungerechte befriedigen werde und jedermann zwingen einzugestehen, er habe noch nie eine symmetrischere und hypothetischere Aufstellung von Blitzableitern gesehen, seit er das Licht der Welt erblickt -- dann würde er, um diesen Zweck zu erreichen, sicherlich vierhundert Fuß verbrauchen müssen. Doch wolle er nicht auf seinem Kopf bestehen und gewiß sein Möglichstes thun. »So nehmen Sie denn vierhundert,« sagte ich, »und machen Sie die Arbeit wie Sie wollen, nur halten Sie mich nicht länger auf.« Nachdem ich ihn glücklich los geworden, brauchte ich eine halbe Stunde, um meine staatswirtschaftlichen Gedanken wieder da anzuknüpfen, wo ich sie gelassen hatte und sie weiter zu spinnen, wie folgt: »nicht nur die reichsten Schätze ihres Geistes zugewandt, sondern auch ihre Lebenserfahrung und ihre Kenntnisse. Die großen Lichter der Handelsgesetzgebung, der Völkerverbrüderung und der verschiedensten Lebensordnungen in allen Jahrhunderten, allen Kulturen, allen Nationen, von ~Zoroaster~ bis auf ~Horace Greeley~, sind bemüht gewesen --« Hier wurde ich wieder unterbrochen und gebeten, hinunterzukommen, weil der Blitzableitermann noch ein Anliegen habe. Ich eilte zu ihm, während in mir die mächtigsten Gedanken wogten und wallten und sich in so majestätische Worte kleideten, daß jedes derselben in einer langen Prozession von Silben einherzog, die schwerlich in weniger als fünfzehn Minuten vorüber sein konnte. Wieder befand ich mich in fieberhafter Aufregung ihm gegenüber, während er sanft und ruhig blieb. Er hatte die beschauliche Stellung des Kolosses von Rhodus angenommen; mit einem Fuß stand er auf meiner neugepflanzten Tuberose, mit dem andern auf dem Stiefmütterchenbeet, die Hände in die Hüften gestemmt, die Hutkrempe ins Gesicht gezogen, ein Auge zugekniffen und das andere mit kritischem und bewunderndem Blick auf meinen größten Schornstein gerichtet. Ein solches Schauspiel zu betrachten, sagte er, sei die höchste Lebenslust. »Gestehen Sie selbst,« wandte er sich zu mir, »haben Sie je etwas von so entzückendem landschaftlichem Reiz gesehen, als acht Blitzableiter auf einem einzigen Schornstein?« Ich erwiderte, ich könne mich nicht gerade auf einen Anblick besinnen, der diesen überträfe, worauf er bemerkte, daß es nach seiner Ansicht auf Erden nichts gäbe, was sich an Naturschönheiten damit vergleichen ließe -- ausgenommen der Niagarafall. Um mein Haus zu einer vollkommenen Augenweide zu machen, brauche man nur noch die andern Schornsteine etwas auszuschmücken, damit der ganze ~coup d'oeil~ sich zu einer Harmonie entwickele, die geeignet sei, die Aufregung, in welche man durch den ersten ~coup d'état~ versetzt werde, einigermaßen zu mildern. [Illustration] Als ich ihn fragte, ob er seine Art sich auszudrücken aus Büchern habe, die ich mir vielleicht irgendwo aus einer Leihbibliothek verschaffen könne, lächelte er wohlgefällig und meinte, solche Redeweise lasse sich nicht aus Büchern lernen. Nur wer mit dem Blitz vertraut sei, dürfe es wagen, sich ungestraft solcher Unterhaltungsform zu bedienen. Dann machte er einen ungefähren Anschlag und versicherte, wenn noch acht Blitzableiter über das Dach verteilt würden, so ließe sich mein Zweck wohl erreichen; mit fünfhundert Fuß des Leitungsmaterials dächte er auszukommen. Bei den ersten acht hätte er sich nämlich etwas verrechnet -- nur um eine Kleinigkeit, etwa um hundert Fuß, genau könne er es noch nicht angeben. Ich sagte ihm, ich sei in schrecklicher Eile und wünsche das Geschäft schnell abzumachen, um wieder an meine Arbeit zu kommen. Da entgegnete er: »Einen Augenblick habe ich wohl daran gedacht, die acht Blitzableiter anzubringen und dann ruhig meiner Wege zu gehen. Mancher würde vielleicht an meiner Stelle so gehandelt haben, aber ich sagte mir: Nein, ich kenne den Mann nicht und lieber möchte ich sterben, als einen Fremdling ins Unglück stürzen. Auf dem Haus sind noch nicht genug Blitzableiter und ich rühre mich nicht vom Platz, bis ich ihm das gesagt habe und also gethan, was ich wünschte, daß man mir in demselben Falle thäte. -- Fremdling, meine Pflicht ist erfüllt! Wenn der recalcitrante und dephlogistische Himmelsbote Ihr Haus trifft, so -- --« »Schon gut, schon gut,« rief ich; »pflanzen Sie die andern acht auch auf -- verwenden Sie meinetwegen noch fünfhundert Fuß spiralförmig gebogene Leitungsstangen; thun Sie, was Sie nicht lassen können; stillen Sie Ihr Sehnen, aber gestatten Sie Ihren Gefühlen nur so weit freien Lauf, als Sie mit dem Wörterbuch reichen können. Wenn wir uns jetzt genügend verständigt haben, möchte ich wieder an meine Arbeit gehen.« Nun sitze ich schon seit einer vollen Stunde hier und versuche meinen Gedankengang da wieder aufzunehmen, wo ich zuletzt unterbrochen wurde; jetzt endlich ist es mir gelungen; ich fahre also fort: »diesen großen Gegenstand zu bezwingen, aber selbst die Geistesmächtigsten unter ihnen haben einen würdigen Gegner an ihm gefunden, der sich nach jeder Niederlage nur um so mutiger erhebt. Der berühmte Confucius sagte, lieber wollte er ein tüchtiger Staatsmann sein, als Polizeipräsident. Cicero hat häufig den Ausspruch gethan, daß die Staatswirtschaft die größte Wirtschaft sei, welche der Mensch imstande sei zu betreiben, und selbst unser Greeley hat im allgemeinen mit Nachdruck angedeutet, daß _Staats_ --« Hier ließ mich der Blitzableitermann wieder abrufen und ich ging in einem Gemütszustand hinunter, der an Ungeduld grenzte. Er sagte, daß er untröstlich sei, mich noch einmal stören zu müssen -- weit lieber wäre er gestorben. Aber, wenn ihm eine Arbeit übertragen sei, von der man erwarte, daß er sie ordentlich und kunstgerecht ausführe und er nach Vollendung des Werkes, im Begriff sich seiner so wohl verdienten Ruhe und Erholung hinzugeben, noch einen betrachtenden Blick darauf werfe und zu seinem Schrecken gewahr werde, daß alle Berechnungen nicht genau genug gewesen seien und daß das Haus, für welches er ein persönliches Interesse fühle, falls ein Gewitter losbrechen sollte, dastehen werde, ohne auf der Welt einen andern Schutz zu haben als sechzehn Blitzableiter auf dem Dach, ja dann -- -- »Kein Wort mehr,« schrie ich in wahnsinniger Erregung, »warum pflanzen Sie nicht hundertfünfzig auf? Zehn Stück auf die Küche, ein Dutzend auf die Scheune, ein paar auf die Kuh, einen auf die Köchin! Spicken Sie das ganze unselige Gebäude damit, bis es aussieht wie ein großes, zinkplattiertes, spiralförmig gewundenes, an den Spitzen versilbertes Stachelschwein. Fort ans Werk! Verbrauchen Sie das sämtliche verfügbare Material, und wenn Sie keine Blitzableiter mehr haben, stecken Sie Kolbenstangen auf, Ladestöcke, Wagendeichseln, Meßstangen -- kurz alles, was Ihren schrecklichen Hunger nach künstlichen Landschaftsbildern zu stillen vermag, damit mein tobendes Gehirn und meine gemarterte Seele endlich Ruhe und Erlösung finden.« Völlig ungerührt, lächelte das eiserne Geschöpf nur freundlich, streifte sich die Manschetten vorsorglich zurück und sagte, jetzt wolle er sich dahinter machen, daß es eine Art habe. Seitdem sind drei Stunden vergangen und mir scheint, ich habe mich noch immer nicht genügend beruhigt, um mich aufs neue der Staatswirtschaft, meinem hohen Thema, wieder zuzuwenden. Ich kann jedoch dem Wunsch nicht widerstehen, wenigstens einen Versuch zu machen, denn von der ganzen Weisheit der Welt liegt meinem Herzen nichts so nahe und nichts beschäftigt meinen Verstand so sehr. »--_wirtschaft des Himmels beste Gabe für die Menschheit sei_. Als der lockere, aber begabte Byron zu Venedig im Exil war, soll er die Bemerkung gemacht haben, daß, wenn ihm gestattet wäre zurückzukehren und sein vergeudetes Leben von vorn anzufangen, er seine klaren und nüchternen Stunden nicht dazu verwenden wolle, leichtsinnige Reime zu schmieden, sondern Aufsätze über Staatswirtschaft zu schreiben. Washington liebte diese herrliche Wissenschaft, Namen wie Baker, Beckwith, Judson, Smith sind auf ewige Zeiten damit verbunden. Sogar der unsterbliche Homer sagt in dem neunten Buch seiner Iliade: ~Fiat justitia, ruat coelum Post mortem unum, ante bellum Hic jacet hoc, ex-parte res Politicum e-conomico est.~ Der Gedankenreichtum des alten Dichters, verbunden mit der glücklichen Wahl der Worte, in die er seine erhabenen Bilder kleidet, haben diese Verse vor allen andern berühmt gemacht, welche jemals --« »Schweigen Sie, sage ich -- kein Wort weiter! -- Her mit Ihrer Rechnung und dann verschwinden Sie auf ewige Zeiten aus meinem Gesichtskreis. -- Neunhundert Dollars? -- Ist das alles? -- Nun gut, auf diese Anweisung hier wird Ihnen jedes achtbare Bankhaus in Amerika Zahlung leisten. -- Aber was bedeutet denn der Volksauflauf unten auf der Straße? -- Nach den Blitzableitern wollen die Leute schauen? Du meine Güte! Haben sie denn noch nie im Leben Blitzableiter gesehen? -- ›Noch nie einen solchen Haufen auf einem Dach,‹ sagen Sie, wenn ich Sie recht verstehe. Da muß ich doch einmal hinuntergehen und mir die Menschen betrachten, die eine solche Unkenntnis öffentlich zur Schau tragen.« * * * * * _Drei Tage später._ Wir sind alle in einem Zustand völliger Erschöpfung. Unser Haus, das wie ein Stachelschwein von Blitzableitern starrte, war vierundzwanzig Stunden lang der Gegenstand allgemeinen Staunens und das einzige Stadtgespräch. Die Theater standen leer, denn ihre neuesten scenischen Erfindungen konnten es bei weitem nicht mit meinen Blitzableitern aufnehmen. Tag und Nacht war unsere Straße von Zuschauern belagert; viele fuhren sogar vom Lande herein, um das Schauspiel zu genießen. Endlich am zweiten Tage kam uns glücklicherweise ein Gewitter zu Hilfe. Kaum begann der Blitz auf mein Haus loszugehen, als sich, sozusagen, sämtliche Bänke und Galerien im Handumdrehen leerten. Fünf Minuten später war im Umkreis einer halben Meile von meinem Besitztum kein einziger Zuschauer mehr zu erblicken. In den ferner gelegenen hohen Häusern jedoch drängte sich Kopf an Kopf an den Fenstern, auf den Dächern und überall. Das war auch nicht zu verwundern, denn alle Sternschnuppenfälle und glänzenden Feuerwerke eines Menschenalters zusammengenommen und gleichzeitig in einer ungeheuern Feuergarbe vom Himmel herab gegen ein schutzloses Dach losgelassen, hätten nicht die großartige pyrotechnische Wirkung erzielen können, durch welche mein Haus, mitten in der Dunkelheit, die während des Unwetters herrschte, wie mit Strahlenglanz umleuchtet war. Innerhalb vierzig Minuten schlug der Blitz -- ich habe es genau gezählt -- siebenhundertvierundsechzigmal in mein Grundstück ein, jedesmal angelockt durch einen der getreuen Blitzableiter. Er glitt an dem spiralförmig gewundenen Eisen entlang und schoß in den Boden, bevor er noch selbst recht wußte, wie ihm geschah. Während dieses ganzen Bombardements wurde mir nur eine einzige Schieferplatte zertrümmert und zwar deshalb, weil sämtliche Blitzableiter der Nachbarschaft in ein und demselben Augenblick alle Blitze, die sie gesammelt hatten, auf uns übertrugen. Seit Anbeginn der Welt war ein ähnliches Schauspiel nie gesehen worden. Während eines ganzen Tages und einer Nacht konnte kein Mitglied meiner Familie den Kopf aus dem Fenster strecken, ohne daß ihm das Haar ausgerissen und er so glatt rasiert wurde, wie eine Billardkugel; daß sich eins von uns hinausgewagt hätte, davon war schon gar nicht die Rede. Endlich wurde aber doch die entsetzliche Belagerung aufgehoben, weil auch keine Spur von Elektrizität mehr in den Wolken über uns vorhanden war, soweit meine unersättlichen Blitzableiter reichen konnten. Sofort machte ich einen Ausfall, sammelte eine Schar unerschrockener Arbeiter um mich, und kein Bissen Brot kam über unsere Lippen, kein Schlaf in unsere Augen, bevor wir nicht das ganze Gebäude seiner schrecklichen Stachelrüstung entkleidet hatten. Nur drei Blitzableiter blieben auf dem Hause, einer auf der Küche, und einer auf dem Scheunendach, wo sie noch heutigen Tages zu sehen sind. Erst als dieses geschehen war, wagten die Leute es wieder, unsere Straße zu betreten. Beiläufig will ich hier noch bemerken, daß ich während jener entsetzlichen Zeit meinen Aufsatz über die Staatswirtschaft nicht weiter geschrieben habe. Selbst jetzt sind mir Kopf und Nerven noch so angegriffen, daß ich die Arbeit nicht wieder aufnehmen kann. * * * * * _Für Liebhaber._ -- Leute, welche dreitausendzweihundert und elf Fuß der besten, zinkplattierten, spiralförmig gewundenen Blitzableiterstangen und sechzehnhunderteinunddreißig versilberte Spitzen verwenden können -- alles in leidlichem Zustande und obgleich durch den Gebrauch stark abgenutzt, doch für jeden gewöhnlichen Fall zu benützen -- mögen sich zum Abschluß des Geschäfts an den Verfasser dieses Buches wenden. -- Es ist gefährlich im Bette zu liegen. »Auch ein Unfallversicherungsbillet?« fragte der Mann am Schalter. »Nein,« entgegnete ich nach kurzem Ueberlegen, »nein, ich glaube nicht. Heute fahre ich den ganzen Tag mit der Eisenbahn. Aber -- warten Sie einmal -- morgen bin ich nicht auf Reisen. Geben Sie mir eins für morgen.« Der Mann sah mich verblüfft an. Dann sagte er: »Aber die Versicherung ist ja gerade gegen Unfälle. Und wenn Sie mit der Eisenbahn reisen --« »Da habe ich keine Furcht. Man läuft nur Gefahr, wenn man zu Hause bleibt und im Bette liegt.« Ich hatte mich über diese Angelegenheit gründlich unterrichtet. Im vergangenen Jahr war ich zwanzigtausend Meilen, hauptsächlich mit der Eisenbahn gefahren, vor zwei Jahren hatte ich fünfundzwanzigtausend Meilen zurückgelegt, teils mit dem Dampfboot, teils mit der Eisenbahn, vor drei Jahren nahe an zehntausend Meilen, ausschließlich mit der Eisenbahn. Wollte ich noch alle die verschiedenen kleinen Reisen in Anschlag bringen, die ich im Laufe der drei letzten Jahre bald hierhin bald dorthin unternommen habe, so würden zusammen wohl sechzigtausend Meilen herauskommen, -- und das alles ohne einen Unfall. Eine Zeitlang dachte ich jeden Morgen bei mir: »Na, bis jetzt bin ich noch immer gut weggekommen, um so größer ist aber auch die Wahrscheinlichkeit, daß ich diesmal etwas abkriegen werde. Ich will schlau sein und mir ein Unfallbillet lösen.« Aber so oft ich das that -- jedesmal zog ich eine Niete und legte mich am Abend mit heilen Knochen und ohne daß mir ein Glied ausgerenkt war, zu Bette. Schließlich bekam ich diese tägliche Plackerei satt und kaufte mir nur noch Unfallbillete, die auf einen Monat gültig waren. Ich sagte mir: »Wenn man ein ganzes Bündel von dreißig Stück auf einmal kauft, können es doch unmöglich lauter Nieten sein.« Aber ich irrte mich. In dem ganzen Haufen war nicht _ein_ Gewinn. Täglich las ich von Eisenbahnunfällen -- sie lagerten wie ein Nebel über der ganzen Zeitungsatmosphäre, aber niemals kam etwas davon auf mein Teil. Ich mußte mir eingestehen, daß ich in dem Unfallgeschäft viel Geld verthan hatte und für mich nichts herausgekommen war. Mein Argwohn erwachte; ich begann mich nach jemand umzusehen, der bei dieser Lotterie einen Treffer gezogen hatte. Zwar fand ich viele Leute, die ihr Geld darin anlegten, aber keinen Menschen, der je einen Unfall gehabt oder einen Cent damit verdient hatte. Nun kaufte ich keine Unfallbillete mehr, sondern begab mich ans Rechnen und kam zu einem erstaunlichen Ergebnis: _Die Gefahr lag nicht im Reisen, sondern im Zuhausebleiben._ Ich verschaffte mir statistische Berichte und fand zu meiner Ueberraschung, daß nach all den fettgedruckten Zeitungsüberschriften, welche Eisenbahnunfälle ankündigten, noch nicht einmal dreihundert Menschen während der letzten zwölf Monate wirklich ihr Leben durch solche Unfälle verloren hatten. Die Eriebahn war die mörderischste auf der ganzen Liste. Sie hatte sechsundvierzig oder sechsundzwanzig Menschen umgebracht -- ich erinnere mich nicht mehr genau an die Zahl, nur soviel weiß ich, daß sie doppelt so groß war, als auf jeder andern Bahn. Doch fiel mir dabei sofort ein, daß die Eriebahn eine ungeheure Länge hat und den größten Geschäftsbetrieb von allen Bahnen des Landes; da ist es leicht begreiflich, daß sie noch einmal soviele Tote aufweisen kann als die übrigen. Als ich weiter rechnete, fand ich, daß zwischen New York und Rochester auf der Eriebahn täglich acht Personenzüge hin- und zurückfahren, also zusammen sechzehn, welche durchschnittlich sechstausend Reisende befördern. Das beträgt in sechs Monaten etwa eine Million -- soviel als New York Einwohner hat. Nun denn: die Eriebahn tötet von ihrer Million zwischen dreizehn und dreiundzwanzig Personen in sechs Monaten, und in der gleichen Zeit sterben von der in New York wohnenden Million dreizehntausend in ihren Betten! Mich überlief eine Gänsehaut, die Haare standen mir zu Berge. »Wie entsetzlich!« rief ich aus. »Nicht das Reisen auf der Eisenbahn bringt die Menschen in Gefahr, sondern daß sie sich den totbringenden Betten anvertrauen. Nie wieder will ich in einem Bette schlafen!« Hiernach wird es der Leser nur natürlich finden, daß ich dem Billetverkäufer am Schalter die obenerwähnte Antwort gab. Mit den Betten, vor denen mir graut, will ich es nicht noch einmal versuchen; für mich sind die Eisenbahnen gut genug. Auch ist mein Rat für jedermann: Bleibt so wenig zu Hause wie irgend möglich; aber wenn ihr einmal durchaus zu Hause bleiben müßt, dann kauft euch ein Paket Versicherungsbillete und legt euch nachts nicht schlafen. Man kann gar nicht vorsichtig genug sein. Die Moral dieses Aufsatzes ist, daß Leute, die sich nicht die Mühe geben nachzudenken, ganz unbilligerweise über die Eisenbahnverwaltung der Vereinigten Staaten murren. Wenn wir uns überlegen, daß das ganze Jahr hindurch, Tag und Nacht, mehr als vierzehntausend Eisenbahnzüge der verschiedensten Art, mit Menschen beladen, deren Leben oder Tod in ihrer Gewalt ist, durch die Lande donnern und jagen, so werden wir uns nicht _darüber_ wundern, daß sie dreihundert menschliche Wesen in einem Jahre umbringen, sondern vielmehr _darüber_, daß ihnen nicht dreihundert mal dreihundert zum Opfer fallen. Brüder, knipst ein! Darf ich den gefälligen Leser bitten, einen Blick auf nachstehende Verse zu werfen und mir zu sagen, ob er etwas besonders Gefährliches darin entdecken kann? »Schaffner, knips' ein das Fahrpapier, Zahlt die Taxe der Passagier. Acht-Cents-Fahrt ein blau' Papier, Sechs-Cents-Fahrt ein gelb' Papier, Drei-Cents-Fahrt ein rot' Papier. Zahlt die Taxe der Passagier, Knips' ein, knips' ein das Fahrpapier!« _Chor der Schaffner_: »Zahlt die Taxe der Passagier, Brüder knipst ein das Fahrpapier!« Kürzlich stieß ich zufällig in einem Tageblatt auf dies Reimgebimmel und las es ein paarmal durch. Augenblicklich war ich davon wie besessen; es schwirrte mir beim Frühstück fort und fort durch den Kopf und als ich meine Serviette zusammenlegte, wäre ich nicht imstande gewesen zu sagen, ob ich etwas gegessen hatte oder nicht. Ich trat nun an das Schreibpult, um mein Tagewerk zu beginnen, wie ich es mir schon am vergangenen Abend vorgesetzt hatte. In dem Roman, an welchem ich schrieb, war ich gerade bei einer erschütternden Tragödie angekommen. Ich griff nach der Feder, um den blutigen Auftritt zu schildern, aber ich dachte nichts als: »Schaffner, knips' ein das Fahrpapier.« Eine Stunde lang kämpfte ich aus allen Kräften dagegen an, allein umsonst. »Acht-Cents-Fahrt ein blau' Papier. Sechs-Cents-Fahrt ein gelb' Papier u. s. w. u. s. w.« summte es mir im Kopf ohne Rast und Ruh. Von Arbeiten konnte keine Rede sein, das lag auf der Hand. Ich gab es auf und schlenderte in der Stadt umher, aber bald merkte ich, daß meine Füße nach dem Takt jenes Reimgeklingels marschierten. Auf die Länge ward mir das unerträglich; ich änderte meinen Schritt, allein das half nichts. Die Verse paßten sich sofort der neuen Gangart an und verfolgten mich nach wie vor. [Illustration] Ich kehrte um und ertrug das Leiden zu Hause den Vormittag über, es quälte mich beim Mittagessen, welches ich mechanisch und ohne Genuß verzehrte, den ganzen Abend hindurch bimmelte es mir in den Ohren, ich ging voll Jammer zu Bett, und während ich mich ruhelos hin und her warf, wälzten sich mir immer wieder die Verse durch das Hirn, bis ich gegen Mitternacht wie wahnsinnig aufsprang und zu lesen versuchte. Aber die Buchstaben tanzten vor meinen Augen und alles was ich sah war: »Schaffner, knips' ein das Fahrpapier.« Bei Sonnenaufgang hatte ich den Verstand verloren und meine Angehörigen horchten mit Staunen und Bekümmernis auf meinen Blödsinn. »Knips' ein, o, knips' ein das Fahrpapier,« faselte ich immer von neuem. Zwei Tage später, am Sonnabend morgen, erhob ich mich -- eine jammervolle Ruine -- schwankend vom Lager. Ich suchte den Pfarrer N., meinen werten Freund auf, um mit ihm, wie wir verabredet hatten, einen Spaziergang von zehn Meilen nach dem Talcott-Turm zu unternehmen. Er sah mich mit großen Augen an, lieh jedoch seiner Verwunderung keine Worte. Wir machten uns auf den Weg. Der Pfarrer sprach und sprach und sprach, wie es seine Gewohnheit ist. Ich erwiderte keine Silbe, ich hörte nichts. »Mark, bist du krank?« fragte mein Freund endlich, als wir eine Meile gegangen waren. »Du siehst entsetzlich abgehärmt und angegriffen aus. Thu' mir doch die Liebe und sprich einmal ein Wort.« Mit trübseliger Miene versetzte ich eintönig: »Schaffner, knips' ein das Fahrpapier -- Zahlt die Taxe der Passagier.« Der Pfarrer starrte mich verwirrt an: »Ich verstehe nicht recht, was das heißen soll, Mark. Mir scheint, was du da sagst, ist weder außergewöhnlich noch besonders betrübend -- und doch -- es lag vielleicht an deinem Ton -- klangen die Worte so sterbenstraurig, wie mir im Leben noch nichts vorgekommen ist. Was hast du nur?« Aber ich hörte längst nichts mehr. Ich war schon in weiter Ferne, bei der nicht endenwollenden, unabwendbaren »Acht-Cents-Fahrt ein blau' Papier. -- Sechs-Cents-Fahrt ein gelb' Papier -- Drei-Cents-Fahrt ein rot' Papier -- Zahlt die Taxe der Passagier -- Knips' ein, knips' ein das Fahrpapier.« -- Was während der übrigen neun Meilen geschehen ist, weiß ich nicht. Plötzlich jedoch legte mir der Pfarrer die Hand auf die Schulter und schrie mich an: »Wach' auf, wach' auf, ich beschwöre dich! Du schläfst ja mit offenen Augen. Dort liegt der Turm vor uns; ich habe mich taub, blind und stumm geredet und du giebst keine Antwort. Sieh dich doch um in der herrlichen Herbstlandschaft. Schau' hin und weide deine Blicke daran. Du bist weit gereist und hast die gepriesensten Naturschönheiten mit eigenen Augen gesehen. Nun sage einmal deine Meinung -- was hältst du von diesem Landschaftsbild?« Ich seufzte tief und murmelte: »Sechs-Cents-Fahrt ein gelb' Papier -- Drei-Cents-Fahrt ein rot' Papier -- Zahlt die Taxe der Passagier -- Knips' ein, knips' ein das Fahrpapier.« Der Pfarrer stand still und sah mich lange mit ernsten, teilnahmvollen Blicken an. »Mark,« sagte er endlich, »ich kann aus der Sache nicht klug werden. Sind das dieselben Worte wie vorhin? -- Sie klingen ganz unverfänglich und doch bricht es mir fast das Herz, sie dich sagen zu hören. -- Knips' ein, knips' ein das Fahrpapier -- war es nicht so?« Ich fing von vorn an und sagte Zeile für Zeile her, während mein Freund mit wachsendem Interesse zuhörte. »Aber, das ist ja ein wahres Reimgebimmel,« rief er vergnügt, »es klingt einem in den Ohren wie Musik, alles paßt und klappt so hübsch. Ich glaube, das muß sich leicht behalten lassen. Bitte, sage es noch einmal, dann kann ich es sicher auswendig.« Ich wiederholte die Reime und der Pfarrer sprach sie nach. Das erste Mal machte er noch einen kleinen Fehler, den ich verbesserte, das zweite und dritte Mal ging es aber ohne Anstoß. Mir war plötzlich eine Zentnerlast vom Herzen gefallen; das niederträchtige Geklingel plagte mich nicht länger, mein gemartertes Hirn kam endlich zur Ruhe und ein wonniges Gefühl des Friedens zog in meine Brust; ich hätte jauchzen und singen mögen. Wirklich stimmte ich auch eine halbe Stunde lang ein Lied nach dem andern an, während wir nach Hause marschierten. Meine Zunge, die wie gelähmt gewesen war, fand nun die Sprache wieder und der lange eingedämmte Redefluß sprudelte und strömte mir unaufhaltsam über die Lippen. Glückselig und jubilierend ließ ich ihm freien Lauf, bis er endlich versiegte. Beim Abschied schüttelte ich dem Freunde herzlich die Hand. »Das war einmal ein schöner Spaziergang,« rief ich, »und wie herrlich haben wir uns unterhalten! Aber, da fällt mir ein -- du hast ja seit zwei Stunden kein Sterbenswort mehr gesagt. So sprich doch etwas.« Der Pfarrer sah mich mit glanzlosen Augen an und murmelte eintönig und, wie mir schien, ganz unbewußt: »Knips' ein, knips' ein das Fahrpapier -- Zahlt die Taxe der Passagier.« Mich überlief es siedend heiß. »Der arme Mensch,« dachte ich bei mir, »der arme Mensch! Jetzt hat es ihn gepackt.« Mehrere Tage vergingen, ohne daß ich mit meinem Freunde zusammentraf. Am Dienstag-Abend kam er jedoch in mein Zimmer geschlichen, wo er matt und trostlos auf einen Stuhl niedersank. Er war bleich und abgezehrt, nur noch ein Schatten von seinem früheren Selbst. »Mark,« sagte er, und hob den müden Blick zu mir empor, »das war eine Unglücksstunde, in der ich jene heillosen Reime lernte. Sie haben mich seitdem Tag und Nacht verfolgt, gleich bösen Geistern. Alle Qualen der Hölle habe ich erduldet, seit wir uns zuletzt sahen. Am Sonnabend wurde ich telegraphisch nach Boston berufen. Ein lieber, alter Freund von mir war gestorben und ich sollte ihm die Leichenrede halten. Ich benutzte den Nachtzug; die Predigt dachte ich mir unterwegs im Kopfe zurechtzulegen. Aber ich kam nur bis zu den Eingangsworten; der Zug ging ab, die Räder begannen ihr Gerassel -- klack, klack -- klack, klack, klack -- und sofort paßten sich die abscheulichen Reime dieser Begleitung an. Wohl eine Stunde saß ich da und sagte Silbe für Silbe zu dem klack, klack, klack der Eisenbahn her, bis ich so abgearbeitet und totmüde war, als hätte ich den ganzen Tag Holz gehackt. Mein Kopf schmerzte zum Zerspringen, ich glaubte wahnsinnig werden zu müssen. Rasch eilte ich nach dem Schlafwagen und kleidete mich aus. Kaum aber hatte ich mich auf das Lager gestreckt, so fing die Geschichte von neuem an: ›Klack, klack, klack -- Acht-Cents-Fahrt -- klack, klack, klack -- Ein blau' Papier -- klack, klack, klack -- Sechs-Cents-Fahrt -- klack, klack, klack -- Ein gelb' Papier und so weiter, und so weiter -- Zahlt die Taxe der Passagier.‹ Schlafen? -- Ja, Prosit! Ich war fast für das Tollhaus reif, als der Zug in Boston ankam. Frage mich nicht nach der Leichenfeier. Ich that mir übermenschlichen Zwang an, aber jeder einzige Satz war von innen und außen übersponnen und durchwoben mit: ›Brüder, knipst ein das Fahrpapier -- Zahlt die Taxe der Passagier.‹ Das allerschrecklichste dabei war jedoch, daß ich meine Rede ganz in dem hüpfenden Rhythmus der entsetzlichen Reime hielt. Bald sah ich thatsächlich, daß verschiedene Zuhörer wie geistesabwesend im Takt dazu nickten. Ja, du magst mir's glauben oder nicht, Mark, noch bevor ich zu Ende war, wiegte die ganze Trauerversammlung, der Leichenbestatter und alle übrigen im feierlichen Verein mit dem Kopfe hin und her. Kaum hatte ich das letzte Wort gesprochen, so floh ich, wie vom Wahnsinn getrieben, in die Sakristei. Dort traf ich aber zum Unglück mit einer alten unverheirateten Tante des Verstorbenen zusammen, die zu spät gekommen war, um der kirchlichen Feier beizuwohnen. »›Ach, er ist tot, er ist tot,‹ schluchzte sie tiefbetrübt, ›und ich habe ihn nicht einmal mehr gesehen vor seinem Ende!‹ »›Ja,‹ sagte ich, ›er ist tot -- er ist tot -- er ist tot -- o, wird denn diese Qual niemals aufhören!‹ »›Sie haben ihn also auch geliebt, wie ich?‹ »›Geliebt, -- wen?‹ »›Den seligen Georg -- meinen teuern Neffen.‹ »›Ach -- _den_. Jawohl -- jawohl -- freilich, freilich. Knips' ein, knips' ein -- ach, das Elend bringt mich noch um.‹ »›Dank, Ehrwürden, tausend Dank für die Trostesworte. Auch _mir_ schlägt der Verlust eine tiefe Wunde. Sie waren wohl bei ihm in den letzten Augenblicken?‹ »›Letzte Augenblicke -- bei wem?‹ »›Nun bei dem geliebten Verstorbenen.‹ »›Ja so -- o ja -- ich glaube wohl -- ich weiß nicht. Gewiß -- ich war da -- ich war da!‹ »›Wie beneide ich Sie um dieses Glück. Was sprach er denn noch -- o, teilen Sie mir seine Abschiedsworte mit!‹ »›Er sagte -- er sagte -- o mein Kopf, mein Kopf, mein Kopf! Nichts, gar nichts sagte er als: Knips' ein, knips' ein das Fahrpapier! -- Seien Sie barmherzig, Verehrteste; ich beschwöre Sie, dringen Sie nicht weiter in mich, überlassen Sie mich meinem Wahnsinn, meinem Jammer, meiner Verzweiflung. -- Sechs-Cents-Fahrt, ein gelb' Papier -- Drei-Cents-Fahrt, ein rot' Papier -- nein, länger ertrage ich es nicht -- Zahlt die Taxe der Passagier.‹« Mein Freund schwieg erschöpft und sah mich wohl eine Minute lang mit stieren Blicken an. »Mark,« stieß er endlich mühsam heraus, »bin ich denn ganz verloren? Du erwiderst kein Wort, du giebst mir keine Hoffnung! Ach, ich sehe es ein, mir kann niemand helfen; Worte vermögen mir keinen Trost mehr zu geben -- mein Geschick ist unabwendbar. Eine innere Stimme sagt mir, daß meine Zunge verdammt ist, in alle Ewigkeit nach dem unsinnigen Reimgebimmel hin und her zu pendeln. Da -- da kommt es schon wieder: Acht-Cents-Fahrt, ein blau' Papier -- Sechs-Cents-Fahrt, ein gelb' Papier -- --« Schwächer und schwächer klang seine Stimme, bis er endlich in einen wohlthätigen Starrkrampf verfiel, der ihn auf eine kurze Frist seinen Qualen entrückte. Wie aber rettete ich ihn schließlich vor dem Irrenhause? Ich reiste mit ihm nach der ersten besten Universität und ließ ihn seine Last und Pein auf die armen, nichtsahnenden Studenten abladen, welche die Reime mit gierigen Ohren einsogen. Fragt mich nicht, in welchem Zustand sie sich dort jetzt befinden. Die Folgen sind zu trostlos, als daß ich sie zu schildern vermöchte. Was mich trieb, dies alles niederzuschreiben, war nur die edle Absicht, dich, lieber Leser, zu warnen. Solltest du je irgendwo auf jene unheilvollen Verse stoßen, so fliehe sie -- fliehe sie wie die Pest! -- Ein geheimnisvoller Besuch. Der erste Mensch, welcher mich aufsuchte, nachdem ich mich in der Stadt niedergelassen hatte, war ein Herr, der sich damit einführte, daß er sagte, er sei Taxator und stehe mit der Abteilung für innere Einkünfte der Vereinigten Staaten in Verbindung. Ich sagte, ich hätte nie von diesem Geschäftszweig gehört, sei aber trotzdem sehr erfreut ihn zu sehen und bäte ihn, Platz zu nehmen. Er setzte sich. Mir fiel gerade nichts Besonderes ein, womit ich ihn unterhalten konnte, aber ich bedachte, daß, wer einem Hauswesen vorstehen will, auch die Pflicht hat, gesprächig, liebenswürdig und entgegenkommend zu sein. In Ermangelung von etwas anderm fragte ich ihn also, ob er seinen Laden in unserer Nachbarschaft eröffnen werde. Er bejahte dieses, ohne jedoch, wie ich gehofft hatte, von selbst zu erwähnen was er verkaufe, und ich wollte doch nicht neugierig erscheinen. Also versuchte ich es mit der Frage: »Geht das Geschäft gut?« und er erwiderte: »Hm, so so.« Darauf sagte ich, wir würden bei ihm vorsprechen und wenn man uns in seinem Hause ebenso gut bediene wie in andern, so wollten wir ihm unsere Kundschaft zuwenden. Er antwortete, sein Etablissement würde uns unzweifelhaft genügen. Ihm sei wenigstens noch nie jemand vorgekommen, der einen andern Vertreter seines Faches aufgesucht hätte, nachdem er einmal mit ihm verhandelt habe. Das klang ziemlich selbstbewußt, aber abgesehen von der natürlichen Schlechtigkeit, die uns allen im Gesicht geschrieben steht, sah der Mann ganz ehrlich aus. Ich erinnere mich nicht mehr _wie_ es zuging, aber allmählich tauten wir auf und kamen in Fluß, das heißt unsere Unterhaltung, und nun ging es wie ein aufgezogenes Uhrwerk. Es wurde geredet, geredet, geredet -- wenigstens meinerseits, und gelacht, gelacht, gelacht -- wenigstens seinerseits. Aber während der ganzen Zeit hatte ich die Geistesgegenwart nicht verloren, meine natürliche Schlauheit war auf ›vollen Dampf‹ gesetzt, wie die Maschinisten sagen. Ich war entschlossen alles zu erfahren, was sein Geschäft anging, trotz der dunkeln Antworten, die er gab, und zwar dachte ich es aus ihm herauszubekommen, ohne daß er es selbst gewahr wurde. Ich wollte ihn in eine tiefe, tiefe Falle locken, ihm alles über mein eigenes Geschäft erzählen und ihn dadurch so erwärmen und zutraulich machen, bis er nicht umhin konnte, mir ausführliche Mitteilungen über _sein_ Geschäft zu machen, ehe er noch merkte, um was es mir zu thun war. »Du ahnst nicht, mein Sohn,« dachte ich bei mir selbst, »mit welchem schlauen Fuchs du es zu thun hast!« »Können Sie wohl raten,« sagte ich, »wie viel ich im vergangenen Winter und Frühling mit meinen Vorlesungen eingenommen habe?« »Nein, gewiß nicht -- und wenn mein Kopf daran hinge! Erlauben Sie -- etwa zweitausend Dollars, wie? -- Aber nein, nein -- so viel können Sie nicht verdient haben. Sagen wir siebzehnhundert.« »Haha! das hab' ich mir gedacht! Meine Einnahmen für Vorlesungen letzten Winter und diesen Frühling betrugen vierzehntausendsiebenhundertundfünfzig Dollars. Was sagen Sie dazu?« »Ja, das ist ja unglaublich, ganz unglaublich! Das werde ich mir merken. Und Sie meinten, das sei noch nicht einmal alles?« »Alles! -- kein Gedanke! Dazu kam noch mein Gehalt beim ›Täglichen Kriegsruf‹ auf vier Monate, ungefähr -- ungefähr -- nun was würden Sie sagen, wenn ich es auf achttausend Dollars angäbe?« »Was ich sagen würde? -- Je nun -- daß ich wohl auch in solchem Meer des Ueberflusses schwimmen möchte. Achttausend -- das will ich mir merken! Und das ist alles noch nicht genug, Sie Glückspilz! Wenn ich Sie recht verstehe, haben Sie noch andere Einnahmen gehabt?« »Hahaha! natürlich. Wir stehen erst beim Anfang sozusagen. Nun kommt noch mein Buch ›Unschuld auf Reisen‹ -- Preis drei Dollars fünfzig Cents bis fünf Dollars, je nach dem Einband. Sehen Sie mir ins Auge und hören Sie: Während der letzten fünftehalb Monate -- ganz abgesehen von allem was vorher verkauft worden ist -- nur während der letzten fünftehalb Monate haben wir fünfundneunzigtausend Exemplare von dem Buch abgesetzt. Fünfundneunzigtausend! Denken Sie einmal! Durchschnittlich vier Dollars das Exemplar, das macht vierhunderttausend Dollars, mein Freund -- und ich bekomme die Hälfte!« »Alle Wetter! Ich will das aufschreiben. Vierzehn -- sieben -- fünf -- acht -- zweihundert -- Summa sagen wir -- meiner Treu, die Gesamtsumme macht ungefähr zweihundertdreizehn- oder vierzehntausend Dollars. Ist das möglich?« »Möglich? Wenn irgend ein Fehler dabei ist, so habe ich zu wenig angegeben. Zweihundertvierzehntausend bar ist mein diesjähriges Einkommen, wenn ich überhaupt rechnen kann.« Jetzt stand der Herr auf um zu gehen. Mich überfiel der peinliche Gedanke, ob ich am Ende meine Enthüllungen umsonst gemacht habe. Noch dazu hatte ich mich durch seine laute Bewunderung verführen lassen, die Beträge recht ansehnlich zu vergrößern. Aber, nein, im letzten Augenblick überreichte mir der Herr ein großes Couvert mit der Bemerkung, daß es seine Geschäftsanzeige enthalte, die mir jeden gewünschten Aufschluß geben könne, er würde stolz sein, einen Mann von so ungeheuerm Einkommen zum Kunden zu haben. Früher habe er gedacht, daß es mehrere wohlhabende Herren in der Stadt gäbe, aber sobald er geschäftlich mit ihnen in Verbindung getreten sei, habe es sich gezeigt, daß sie kaum genug besäßen, um davon leben zu können. Es sei wirklich eine solche Ewigkeit her, seit er einen reichen Mann von Angesicht gesehen, mit ihm gesprochen, und ihm die Hand gereicht habe, daß er sich kaum enthalten könne, mir um den Hals zu fallen -- ich würde ihn unendlich glücklich machen, wenn ich ihm die Erlaubnis gäbe, mich zu umarmen. [Illustration] Das gefiel mir so gut, daß ich nicht versuchte Widerstand zu leisten, sondern dem biedern Fremdling gestattete, die Arme um meinen Hals zu schlingen und ein paar beruhigende Thränen zu vergießen, die mir den Nacken herabrieselten. Dann ging er seiner Wege. Sobald er fort war, öffnete ich das Couvert mit seiner ›Anzeige‹. Ich studierte sie aufmerksam vier Minuten lang, dann rief ich die Köchin herauf und sagte: »Bitte, halten Sie mich -- ich falle in Ohnmacht -- Marie kann unterdessen die Pfannkuchen umwenden.« Als ich wieder zur Besinnung gekommen war, schickte ich nach dem nächsten Schnapsladen und mietete mir um Wochenlohn einen Mann, der sich aufs Fluchen verstand, damit er die ganze Nacht aufsitzen und jenen Fremden verwünschen sollte, und mich am Tage manchmal dabei ablösen, wenn ich nicht weiter wußte. Er war aber auch ein ganz abgefeimter Schurke. Seine ganze Geschäftsanzeige bestand aus weiter nichts als einem niederträchtigen Steuerzettel -- einer Kette von unverschämten Fragen über meine Privatangelegenheiten, die beinahe vier engbedruckte Folioseiten einnahmen. Fragen, die mit so erstaunlicher Spitzfindigkeit zusammengesetzt waren, daß die ältesten Leute nicht herausgefunden hätten, was sie bedeuten sollten. Fragen, die so eingerichtet waren, daß man sein Einkommen ungefähr viermal so hoch angeben mußte, als es in Wirklichkeit war, aus lauter Angst, man könne eine Lüge beschwören. Ich suchte nach einem Ausweg, aber es schien keinen zu geben. Gleich die erste Frage paßte so vollkommen auf meinen Fall, wie ein Regenschirm auf einen Ameisenhaufen, wenn man ihn aufspannt: »Wie hoch beliefen sich Ihre Einnahmen im vergangenen Jahr aus Ihrem Handel, Geschäft oder Beruf, gleichviel wo Sie denselben betrieben haben?« Und diese Frage zog dreizehn andere von ebenso eindringlicher Art nach sich, von denen die bescheidenste Aufschluß darüber verlangte, ob ich einen Betrug oder Straßenraub verübt hätte oder durch Brandstiftung und andere geheime Erwerbsquellen zu Vermögen gelangt sei, das bei meiner Antwort auf Nr. 1 nicht mit angegeben wäre. Es war klar, daß der Fremde mir Gelegenheit gegeben hatte, mich zu blamieren. Dies lag so sehr auf der Hand, daß ich ausging und mir noch einen Mann zum Fluchen mietete. Der Fremde hatte mich mit seinen Schmeicheleien verführt, ein Einkommen von zweihundertvierzehntausend Dollars anzugeben. Gesetzmäßig waren tausend davon steuerfrei, das war der einzige Abschlag, den ich entdecken konnte, und das war doch nur ein Tropfen im Ozean. Bei den gesetzlichen fünf Prozent mußte ich der Regierung die Summe von zehntausendsechshundertfünfzig Dollars Einkommensteuer bezahlen. (Ich will hier gleich bemerken, daß ich es nicht gethan habe.) Ich bin mit einem sehr begüterten Manne bekannt, der einen Palast bewohnt und eine wahrhaft fürstliche Tafel hält, dessen Ausgaben ganz enorm sind und der doch kein Einkommen hat, wie ich oft an seinen Steuerzetteln gesehen habe. Zu diesem begab ich mich in meiner Not. Er nahm meine schreckliche Liste von Einnahmen zur Hand, setzte sich die Brille auf, tauchte die Feder ein, und -- ehe ich mich's versah, war ich ein Bettler. Es geschah auf die einfachste Weise von der Welt und ward durch die Geschicklichkeit, mit der er den Paragraphen ›Abzüge‹ benützte, ganz leicht zu stande gebracht. Er setzte meine Staats- und meine städtischen Steuern auf so und so viel fest, meine Verluste durch Schiffbruch, Feuer u. s. w. auf so und so viel; Verluste beim ›Verkauf von Landbesitz‹ -- ›Verkauf von Viehstand‹ -- ›Zahlungen für Miete des Anwesens‹ -- ›Ausbesserungen, Umbauten, Zinsvergütung‹ -- ›schon vorher besteuerter Gehalt als Offizier der Armee, der Flotte u. s. w. u. s. w.‹ und dergleichen mehr. Aus jedem dieser Punkte wußte er ganz erstaunliche Abzüge herauszuschlagen. Als er fertig war und mir das Blatt hinreichte, sah ich auf den ersten Blick, daß während des ganzen Jahres meine Einnahme, das heißt der Gewinn dabei, nur zwölfhundertfünfzig Dollars vierzig Cent betragen hatte. »Dazu kommt,« sagte er, »daß tausend Dollars steuerfrei sind. Gehen Sie jetzt aufs Steueramt und beschwören Sie dies Dokument, dann bezahlen Sie Steuern von zweihundertfünfzig Dollars.« (Während er sprach, zog sein Söhnchen, der kleine Willy, einen Zweidollarschein aus des Vaters Westentasche und verschwand damit. Ich möchte _alles_ wetten, daß der Junge _auch_ sein Einkommen falsch angeben würde, wenn mein fremder Herr ihn morgen besuchte.) »Machen Sie die Abzüge immer auf diese Art?« fragte ich, »auch wenn Sie Ihre eigenen Steuern berechnen?« »Natürlich, das versteht sich von selbst. Wenn unter der Rubrik ›Abzüge‹ nicht jene elf tröstlichen Klauseln ständen, müßte ich ja alljährlich an den Bettelstab kommen, nur um diese verhaßte, schlechte, geldgierige und tyrannische Regierung zu unterstützen.« Dieser Herr gehört zu den allerbesten und solidesten Männern der Stadt, zu den Männern von moralischem Gewicht, von kaufmännischer Ehrenhaftigkeit, von zweifelloser, unantastbarer Zuverlässigkeit -- folglich unterwarf ich mich seinem Urteil. Ich begab mich auf das Steueramt -- und da stand ich, unter den Augen meines fremden Herrn, die mich schwer anklagten, und beschwor eine Lüge nach der andern, eine Schlechtigkeit nach der andern, bis meine Seele zolldick mit Meineiden überzogen war, und ich meine Selbstachtung auf ewige Zeiten verloren hatte. Aber was schadet's? Thun denn nicht Tausende der reichsten und stolzesten, der gerechtesten und gefeiertsten Männer in Amerika alljährlich dasselbe? -- -- Redakteur und Berichterstatter. Wie ich ein landwirtschaftliches Blatt herausgab. Als ich aushilfsweise die Redaktion einer landwirtschaftlichen Zeitung übernahm, that ich es nicht ohne bange Zweifel. Wenn jemand, der gewohnt ist auf dem Lande zu leben, plötzlich ein Schiff befehligen sollte, würde er wohl auch seine Besorgnis dabei haben. Ich befand mich jedoch in Verhältnissen, bei denen mir der Gehalt von Wichtigkeit war. Als daher der ständige Redakteur der Zeitung mir anbot, ihn während der Ferien zu vertreten, ging ich auf seine Bedingungen ein und nahm seine Stelle. Wieder bei der Arbeit zu sein, war ein köstliches Gefühl, und ich schrieb die ganze Woche hindurch mit unablässigem Vergnügen. Nachdem alles in der Presse war, wartete ich einen Tag lang in großer Spannung auf irgend ein Anzeichen, daß meine Bemühung die Aufmerksamkeit des Publikums erregt habe. Bei Sonnenuntergang verließ ich das Bureau und sah, daß eine Gruppe von Männern und Knaben, die sich am Fuß der Treppe versammelt hatten, sobald ich erschien, wie auf gemeinsamen Antrieb auseinanderstob, um mich durchzulassen. »Das ist er!« hörte ich sie zu einander sagen. Der Vorfall war mir natürlich sehr schmeichelhaft. Am nächsten Morgen bemerkte ich eine ähnliche Gruppe an der Treppe; auch vereinzelt und zu zweien standen die Leute vor dem Hause und drüben auf der andern Seite der Straße, mich mit großem Interesse beobachtend. Als ich näher kam, zerstreuten sie sich und wichen zurück, doch hörte ich noch, wie ein Mann sagte: »Seht nur mal seine Augen an.« -- Ich that, als wüßte ich nicht, was ich für Aufsehen machte, doch freute ich mich im stillen darüber und nahm mir vor, es meiner Tante zu schreiben. Während ich die wenigen Treppenstufen hinaufstieg und mich der Thür näherte, vernahm ich fröhliche Stimmen und schallendes Gelächter. Beim Eintreten gewahrte ich einen Augenblick zwei junge Männer, die wie Landwirte aussahen; sobald sie meiner ansichtig wurden, erbleichten sie, machten lange Gesichter und sprangen plötzlich mit einem großen Krach zum Fenster hinaus. Darüber verwunderte ich mich sehr. Etwa eine halbe Stunde später trat ein alter Herr mit lang herabwallendem Bart und feinen, aber strengen Gesichtszügen bei mir ein. Ich forderte ihn auf, Platz zu nehmen, und er setzte sich, schien jedoch etwas auf dem Herzen zu haben. Er nahm den Hut ab, stellte ihn auf den Boden und holte ein rotseidenes Taschentuch heraus, sowie ein Exemplar unserer Zeitung. [Illustration] Das Blatt legte er auf seine Kniee und fragte, während er sich die Brille mit dem Taschentuch putzte: »Sind Sie der neue Redakteur?« Ich bejahte dies. »Haben Sie schon früher ein landwirtschaftliches Blatt redigiert?« »Nein,« erwiderte ich, »dies ist mein erster Versuch.« »Das dachte ich mir. Haben Sie die Landwirtschaft praktisch betrieben?« »Nein, ich glaube nicht.« »Ein gewisser Instinkt hat mir das gesagt,« meinte der alte Herr, setzte seine Brille auf und maß mich über dieselbe hinweg mit strengen Blicken, wobei er die Zeitung in ein bequemes Format zusammenfaltete. »Ich will Ihnen vorlesen, was diesen Instinkt bei mir erweckt hat. Es war die folgende Bemerkung. Hören Sie, ob sie aus Ihrer Feder stammt: »_Rüben_ sollte man niemals pflücken, weil ihnen das schadet. Es ist viel besser, einen Knaben auf den Baum klettern, und sie herunterschütteln zu lassen.« Nun, was sagen Sie dazu -- denn ich bin fest überzeugt, Sie haben es geschrieben!« »Was soll ich denn sagen? Ich glaube es ist gut und verständig. Ohne Zweifel werden alljährlich im Umkreis dieser Stadt viele Millionen Scheffel Rüben verdorben, weil man sie in halbreifem Zustand abpflückt, während, wenn man sie durch einen Knaben vom Baum schütteln ließe --« »Warum nicht gar von Ihrer Großmutter? Rüben wachsen doch nicht auf Bäumen.« »O, wirklich thun sie das nicht! Wer hat denn schon gesagt, daß sie da wüchsen? -- Es war ja natürlich bildlich gemeint, nur bildlich! Jeder, der überhaupt Sinn und Verstand hat, muß doch gleich wissen, daß ich meinte, der Knabe sollte die Ranke schütteln.« Der alte Mann schnellte von seinem Sitze in die Höhe, zerriß die Zeitung in kleine Stücke, stampfte mit dem Fuß darauf, zerschlug allerlei Gegenstände mit seinem Stock und sagte, so viel wie ich, wüßte auch eine Kuh. Dann ging er hinaus und warf die Thür hinter sich ins Schloß. Bei diesem Benehmen kam mir der Gedanke, es müsse etwas sein Mißfallen erregt haben. Da ich aber nicht wußte, was ihn verdrossen habe, konnte ich ihm auch nicht helfen. Bald nachher kam ein langer, hagerer Mensch zur Thür hereingeschossen. Spärliche Locken hingen ihm bis auf die Schultern herab und sein Gesicht war in allen Höhen und Tiefen mit den stacheligen Bartstoppeln einer ganzen Woche bedeckt. Er blieb zuerst regungslos stehen und legte den Finger auf den Mund, dann beugte er sich lauschend vor. Kein Geräusch ließ sich hören. Noch immer horchte er. Als alles still blieb, drehte er den Schlüssel um, schlich behutsam auf den Zehen näher zu mir heran und stellte sich in gemessener Entfernung vor mich hin. Eine Weile forschte er mit großem Interesse in meinen Zügen, nahm dann ein zusammengefaltetes Exemplar unseres Blattes aus der Brusttasche und sagte: »Sehen Sie hier -- das haben Sie geschrieben. Lesen Sie es mir vor -- rasch! Befreien Sie mich, Herr! Ich leide entsetzlich.« Ich las was folgt, und während meine Lippen Satz für Satz aussprachen, schien er sich zusehends erleichtert zu fühlen; die starren Muskeln verloren ihre Spannung, die ängstliche Besorgnis wich aus seinem Gesicht und Friede und Ruhe verbreiteten sich über seine Züge, wie lindes Mondlicht über eine öde Landschaft. »Der _Guano_ ist ein schöner Vogel, aber es bedarf großer Sorgfalt, wenn man ihn aufziehen will. Man darf ihn nicht früher als im Juni und nicht später als im September bei uns einführen. Im Winter muß er an einen warmen Ort gebracht werden, um seine Jungen ausbrüten zu können.« »Augenscheinlich werden wir mit unserer _Getreideernte_ dies Jahr im Rückstand bleiben. Der Landmann wird daher wohl daran thun, die Maiskolben und Buchweizenkuchen schon im Juli statt im August zu pflanzen.« »_Vom Kürbis._ Dies ist eine Lieblingsbeere der Eingeborenen von Neuengland. Bei der Bereitung von Obstkuchen zieht man sie dort zu Lande sogar der Stachelbeere vor. Sie ist vorteilhafter als die Himbeere zum Füttern der Kühe, da sie mehr füllt und stopft und ganz ebenso nahrhaft ist. Der Kürbis ist die einzige eßbare Abart der Familie Orangenpflanze, die im Norden gedeiht, ausgenommen die Melone und der Türkenbund. Man pflanzt ihn jedoch jetzt weniger häufig unter dem Buschwerk im Vordergarten an, da man allgemein die Ansicht hegt, daß der Kürbis kein Baum ist, welcher Schatten giebt.« »Jetzt, bei Eintritt des warmen Wetters, beginnt der _Gänserich_ zu laichen und --« In höchster Aufregung trat der Zuhörer dicht vor mich hin, schüttelte mir die Hand und sagte: »Schön, schön -- das genügt. Jetzt weiß ich, daß ich bei richtigem Verstande bin, denn Sie haben es gerade so gelesen wie ich, Wort für Wort. Aber Fremdling, als ich es heute morgen zum erstenmal las, sagte ich zu mir: ›Nun und nimmermehr hätte ich es für möglich gehalten, trotzdem meine Verwandten mich so streng bewachten, aber jetzt glaube ich selbst, daß ich verrückt bin.‹ Dabei stieß ich ein Geheul aus, das man zwei Meilen weit hören mußte, und lief fort, um jemand totzuschlagen. Ich wußte ja, daß es früher oder später dazu kommen würde und wollte lieber gleich damit anfangen. Erst las ich noch einmal einen Ihrer Paragraphen durch, dann brannte ich mein Haus nieder und brach auf. Mehreren Leuten habe ich Arme und Beine entzwei geschlagen, und einen Menschen auf einen Baum gejagt, wo ich ihn kriegen kann, sobald ich will. Beim Vorbeigehen dachte ich aber erst einmal bei Ihnen vorzusprechen, um meiner Sache auch ganz sicher zu sein. Jetzt habe ich mir nun Gewißheit verschafft und ich sage Ihnen, es ist ein Glück für den Burschen, der auf dem Baume sitzt. Ich hätte ihn unfehlbar auf dem Rückwege umgebracht. Leben Sie wohl, leben Sie wohl! Sie haben mir eine schwere Last von der Seele genommen. Da mein Verstand Ihren landwirtschaftlichen Artikel hat aushalten können, wird er jetzt jeden Puff vertragen. Noch einmal, bester Herr, leben Sie wohl!« Mir war wegen der Körperverletzungen und Brandstiftungen, mit welchen der Mensch sich unterhalten hatte, etwas unbehaglich zu Mute, da ich nicht umhin konnte mir einzugestehen, daß ich gewissermaßen daran beteiligt sei. Doch konnte ich diesen Gedanken nicht lange nachhängen, denn der ständige Redakteur trat jetzt ins Zimmer. Er sah trübselig, verlegen und niedergeschlagen aus. Er blickte auf die Zerstörung, welche die beiden jungen Landwirte und der alte Tumultuant angerichtet hatten und sagte: »Das ist eine böse Geschichte -- eine sehr böse Geschichte. Die Flasche mit dem flüssigen Leim ist zerbrochen, sechs Fensterscheiben, ein Spucknapf und zwei Leuchter in Stücke geschlagen. Aber das ist noch lange nicht das Schlimmste. Der Ruf des Blattes hat gelitten -- und wie ich fürchte für alle Zeit. Zwar ist die Nachfrage größer gewesen als jemals, noch nie ist eine so starke Auflage verkauft worden, nie zuvor hat das Blatt solche Berühmtheit erlangt -- aber man will doch nicht wegen Verrücktheit berühmt sein und mit Geistesschwäche Geld erwerben! Ich versichere Sie, Freund, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, drunten sitzen die Leute auf den Zäunen und wimmeln in der Straße, um zu warten, ob sie etwas von Ihnen zu sehen bekommen, weil sie Sie für verrückt halten. Das können sie auch mit gutem Grund, nachdem sie Ihre Artikel gelesen haben, die eine Schande für die ganze Presse sind. Wie in aller Welt sind Sie nur auf den Einfall gekommen, daß Sie imstande wären, ein solches Blatt zu redigieren? Sie scheinen ja nicht einmal von den ersten Anfangsgründen der Landwirtschaft eine Ahnung zu haben. Sie sprechen von einer Furche und einer Furt, als sei es ein und dasselbe; Sie reden von einer Mauserzeit der Kühe, und empfehlen den Iltis als Haustier, weil er voll Mutwillen sei und ein trefflicher Rattenfänger. Ihre Bemerkung, daß die Seeschnecken still zu liegen pflegen, wenn man ihnen Musik vormacht, war ganz und gar überflüssig. Seeschnecken lassen sich überhaupt nicht aus ihrer Ruhe bringen, sie liegen immer still und die Musik ist ihnen völlig gleichgültig. Sagen Sie nur um des Himmels willen, Freund, haben Sie etwa die Unwissenheit zu Ihrem Berufsstudium gemacht? Dann hätten Sie sich heute den Doktorhut erworben in allen Ehren. Etwas Aehnliches ist mir noch nicht vorgekommen. Ihre Bemerkung, daß die Roßkastanie sich als Handelsartikel einer stets wachsenden Gunst erfreut, ist ganz dazu angethan, das Blatt zu Grunde zu richten. Ich bitte Sie, das Amt niederzulegen und Ihrer Wege zu gehen. Ich habe schon viel zu lange Ferien gehabt. Einen Genuß hätte ich doch nicht mehr davon, besonders wenn Sie meinen Platz inne haben und ich in beständiger Angst schweben müßte, was Sie den Leuten zunächst empfehlen würden. Wenn ich daran denke, daß Sie unter dem Titel ›Landschaftsgärtnerei‹ über Austernbänke geschrieben haben, möchte ich aus der Haut fahren. -- Machen Sie, daß Sie fortkommen! Für nichts in der Welt würde ich wieder in die Ferien gehen. O, warum haben Sie mir nur nicht gesagt, daß Sie von der Landwirtschaft nicht das mindeste wissen!« »Was wollen Sie denn eigentlich, Sie Maiskolben, Sie Krautkopf, Sie Rübensprößling?! Schämen Sie sich Ihrer unverständigen Worte. Seit vierzehn Jahren arbeite ich als Redakteur und noch niemals, das versichere ich Ihnen, habe ich gehört, daß man besondere Kenntnisse haben müsse, um eine Zeitung zu redigieren. Wer schreibt denn die Theaterkritiken für die Tagesblätter zweiten Ranges? Irgend ein gelehrter Schuster oder Apothekerlehrling, der von der Schauspielkunst nicht mehr und nicht weniger versteht, als ich von der Landwirtschaft. Wer bespricht die Bücher? Menschen, die nie eins geschrieben haben. Wer schreibt die größten Leitartikel über Staatsfinanzen? Diejenigen, welche die schönste Gelegenheit gehabt haben, gar nichts davon zu erfahren. Wer verfaßt die Berichte über den Indianerkrieg? Herren, die ein Wigwam nicht von einem Tamtam unterscheiden können, die nie in den Fall gekommen sind, mit einem Tomahawk um die Wette zu laufen oder irgend einem Glied ihrer Familie Pfeile auszuziehen, um ein Lagerfeuer anzumachen. Wer schreibt die Aufforderung zur Mäßigkeit und jammert über die verführerische Flasche? -- Burschen, die keinen nüchternen Atemzug mehr thun werden, bis sie im Grabe liegen. Wer redigiert meist die landwirtschaftlichen Blätter -- Sie Runkelrübe? -- Wer anders als verdorbene Redakteure städtischer Zeitungen, oder Menschen, die mit dem Poetenhandwerk kein Glück haben, mit Schauerdramen schlechte Geschäfte machen und ihre gelben Eisenbahnromane nicht anbringen können. Die werfen sich zuletzt auf die Landwirtschaft, um noch eine Zeitlang dem Armenhaus zu entrinnen. Wollen _Sie_ mich etwa über das Redaktionswesen belehren? Das habe ich durchgemacht von A bis Z; und ich kann Ihnen sagen: je weniger ein Mensch weiß, um so größer ist das Geschrei, das er macht und der Gehalt, den er bezieht. Beim Himmel -- wäre ich nur unwissend statt gebildet, und unverschämt statt schüchtern gewesen, ich hätte mir einen Namen erwerben können in dieser kalten, selbstsüchtigen Welt! Herr, ich nehme meinen Abschied. Nachdem ich so behandelt worden bin, wie Sie mich behandelt haben, bin ich ganz bereit zu gehen. Meiner Pflicht habe ich genügt und meinen Kontrakt erfüllt, soweit man es mir gestattet hat. Ich versprach, Ihr Blatt interessant zu machen für alle Klassen -- das habe ich gethan. Ich sagte, ich könne Ihren Absatz auf zwanzigtausend Exemplare bringen -- das wäre geschehen, wenn Sie mir noch vierzehn Tage Zeit gelassen hätten. Obendrein würde ich Ihnen die beste Klasse von Lesern verschafft haben, die sich ein landwirtschaftliches Blatt nur wünschen kann -- kein einziger Landmann darunter, nicht ein Mensch, der einen Wassermelonenbaum von einer Pfirsichranke unterscheiden könnte. _Sie_ verlieren bei diesem Bruch, Sie Pastetengewächs -- nicht ich. Gehorsamer Diener!« * * * * * Dann ging ich. Herrn Blokes ›Eingesandt‹. [Illustration] Unser verehrter Freund, Herr John William Bloke aus Virginia-City, trat gestern abend spät in unser Bureau ein, wo ich als zweiter Redakteur thätig war. Sein Gesicht war schmerzentstellt. Mit dem Ausdruck herzzerreißenden Jammers, unter schweren Seufzern legte er das nachfolgende ›Eingesandt‹ auf das Pult und wandte sich mit abgemessenem Schritt dem Ausgang zu. An der Thür hielt er inne, schien mit Gewalt seine Gefühle zu bemeistern, nickte dann nach seinem Manuskript hin und hauchte, in Thränen ausbrechend, mit zitternder Stimme die Worte: »Einer meiner Freunde! ach, entsetzlich!« Sein Kummer rührte mich so sehr, daß ich ganz vergaß ihn zurückzurufen, um ihm Trost zuzusprechen, bis er fort und es zu spät war. Das Blatt befand sich schon in der Presse, aber da ich wußte, daß unser Freund der Veröffentlichung seiner Mitteilung große Wichtigkeit beilegte und hoffte, es würde seinem kummervollen Herzen einen traurigen Genuß bereiten, dasselbe im Druck vor Augen zu haben, ließ ich sofort die Maschine anhalten und den Artikel in unsere Spalten einfügen. »_Entsetzlicher Unglücksfall._ Gestern abend 6 Uhr, als Herr William Schuyler, ein alter, ehrenhafter Bürger aus South-Park seine Wohnung verließ, um sich in die untere Stadt zu begeben, wie es seit Jahren seine Gewohnheit ist, von der er nur im Frühling 1850 für kurze Zeit eine Ausnahme machte, als er genötigt war, wegen einer Verletzung das Bett zu hüten, die er sich bei dem Versuch zugezogen, ein durchgegangenes Pferd aufzuhalten, indem er kopfloser Weise mit heftigen Geberden hinter ihm drein schrie, ein Verfahren, welches das Tier, selbst einen Augenblick früher, unfehlbar erschreckt statt aufgehalten haben würde, und das, obgleich für ihn unheilvoll genug, doch noch entsetzlicher gemacht wurde durch den Umstand, daß seine Schwiegermutter zur Stelle war und Augenzeugin des traurigen Ereignisses sein mußte, während sie doch möglicherweise, wenn auch nicht mit Sicherheit anzunehmen, ebenso gut anderswo Umschau nach Unglücksfällen hätte halten können, was übrigens gar nicht in ihrer Natur lag, vielmehr gerade im Gegenteil, wie ihre eigene Mutter gesagt haben soll -- Gott hab' sie selig, sie starb vor ungefähr drei Jahren im sechsundachtzigsten Jahr in der gewissen Hoffnung einer seligen Auferstehung, denn sie war eine christliche Frau, sozusagen ohne Falsch und ohne Vermögen, was dem großen Brand anno 1849 zuzuschreiben ist, der ihr sämtliche Habe einäscherte. Aber so geht es im Leben! Diese schauervolle Begebenheit möge uns allen zur Warnung dienen und uns anspornen, so gut zu leben, daß wir, wenn es einst ans Sterben geht, wissen, was wir zu thun haben. Die Hand aufs Herz! Wir wollen von heute an aufrichtig und ernst danach streben, die verhängnisvolle Flasche zu meiden. (=Morgenausgabe der California.=)« Der Chefredakteur ist hier gewesen und hat einen wahren Höllenlärm vollführt. Er raufte sich das Haar, stieß die Möbel in alle Ecken und schimpfte auf mich, als wäre ich ein Taschendieb. Er sagte, jedesmal, wenn mir auch nur auf eine halbe Stunde die Redaktion des Blattes überlassen bliebe, ließe ich mich vom ersten besten Wickelkind oder Tollhäusler überlisten. Er besteht darauf, daß Herrn Blokes unseliger Artikel der tollste Mischmasch ohne Sinn und Verstand ist, aus dem der Leser nicht das geringste erfährt. Es sei ein Unsinn gewesen, deswegen den Satz zu ändern. Das hat man davon, wenn man gutherzig ist. Wäre ich auch so ungefällig und teilnahmslos wie gewisse Leute, ich hätte Herrn Bloke einfach gesagt, zu so später Stunde würden keine Mitteilungen mehr angenommen. Aber nein! Sein thränenreicher Schmerz rührte mein weiches Gemüt und mit Freuden ergriff ich die Gelegenheit, seinen Kummer ein wenig zu lindern. Schnell einige Eingangszeilen zu dem Artikel geschrieben und fort damit in die Druckerei ohne weiter zu untersuchen! Und was ernte ich für meine Gutthat? Nichts als Scheltworte und allerliebste Ehrentitel. Nun will ich aber doch den Artikel einmal selbst lesen und sehen, ob all der Spektakel begründet ist. Sollte es der Fall sein, dann wehe dem Verfasser! -- * * * * * Ich habe es gelesen und muß in der That gestehen, daß es zuerst etwas konfus erscheint. Aber ich probiere es noch einmal. * * * * * Ich habe es zum zweitenmal durchgegangen -- es scheint verwirrter denn je. * * * * * Ich habe es nun fünfmal durchgelesen, aber ich will verdammt sein, wenn ich auch nur eine Silbe davon verstehe. Es verträgt keine nähere Untersuchung. Man kann keine Klarheit hineinbringen. Erfahren wir etwa, was aus William Schuyler geworden ist? Nur gerade unser Interesse für ihn wird geweckt -- dann wird er fallen gelassen. Wer ist denn dieser William Schuyler überhaupt? In welchem Teil von South-Park lebt er eigentlich? Er verließ seine Wohnung um sechs Uhr -- ist er aber auch in der unteren Stadt angekommen und ist ihm irgend etwas zugestoßen? Ist _er_ es vielleicht, der mit dem ›entsetzlichen Unglücksfall‹ etwas zu thun hat? Wenn man den Wust von Einzelheiten in dem Artikel bedenkt, sollte man doch auch wirklich etwas mehr daraus erfahren können. Aber man erfährt nichts, es macht alles nur noch dunkler. War Herrn Schuylers Beinbruch vor fünfzehn Jahren der ›entsetzliche Unglücksfall‹, welcher Herrn Bloke in unaussprechlichen Jammer versetzte und ihn veranlaßte zur Nachtzeit hier anzurücken und den Betrieb zu stören, damit die Welt doch ja sogleich von dem interessanten Umstand in Kenntnis gesetzt würde? Oder bezieht sich der ›entsetzliche Unglücksfall‹ vielleicht auf die Mutter von Schuylers Schwiegermutter und ihr verlorenes Vermögen? Oder sollte ihr vor drei Jahren eingetretener Tod gemeint sein? (obgleich sich keine Andeutung findet, daß derselbe durch einen Unglücksfall herbeigeführt wurde.) Um es kurz zu fassen: Worin bestand der ›entsetzliche Unglücksfall‹? Warum schrie der Eselskopf von Schuyler unter heftigen Geberden hinter dem durchgebrannten Pferde her, wenn er es aufhalten wollte? Und wie zum Henker konnte er von einem Pferde umgeworfen werden, das schon an ihm vorbei war? Was sollen wir uns ›zur Warnung dienen lassen‹ und wie sollen wir uns aus diesem Schriftstück voll Unbegreiflichkeiten eine Lehre ziehen? Was kann vor allem die ›verhängnisvolle Flasche‹ damit zu thun haben? Es ist gar nicht gesagt, daß Schuyler ein Trunkenbold gewesen, oder daß seine Frau oder seine Schwiegermutter oder das Pferd sich dem Trunk ergeben hätten -- wozu also die Erwähnung der ›verhängnisvollen Flasche‹? -- Mir scheint fast, daß, wenn nur Herr Bloke selbst die ›verhängnisvolle Flasche‹ gemieden hätte, so würde er gar nicht in solche Aufregung über diesen widersinnigen, eingebildeten Unglücksfall geraten sein. Ich habe dieses alberne ›Eingesandt‹ mit seinen scheinbaren Wahrscheinlichkeiten wieder und wieder gelesen, bis es mir ganz wirr im Kopfe war, und doch habe ich nichts herausgebracht. Es muß allerdings ein Unglücksfall irgend welcher Art stattgefunden haben, aber es ist unmöglich festzustellen, wen er betroffen hat oder was geschehen ist. So schwer es mir wird, es scheint mir Pflicht, zu verlangen, daß wenn Herrn Blokes Angehörige wieder etwas mit Unglücksfällen zu thun haben, er seinem Bericht jedenfalls einige aufklärende Notizen beifüge, damit man aus dem Unfall einigermaßen klug werden kann und erfährt, wer der Betroffene ist. Lieber würde ich schon seine sämtlichen Verwandten auf dem Totenbette sehen, als noch einmal bis an den Rand des Wahnsinns gebracht zu werden, in dem Bestreben, ein ähnliches Machwerk wie das obige zu entziffern. Zeitungswesen in Tennessee. Der Arzt riet mir zur Wiederherstellung meiner Gesundheit den Aufenthalt in einem milderen Klima an; ich ging daher nach dem Süden und bekam in Tennessee eine Stelle als Hilfsredakteur bei der Zeitung ›Morgenrot und Kriegsgeschrei von Johnson County.‹ [Illustration] Als ich mich zur Arbeit im Bureau einstellte, fand ich den Chefredakteur auf einem dreibeinigen Stuhl hintenüber gerekelt, die Füße auf einem Tisch von Tannenholz. Ein zweiter solcher Tisch stand noch im Zimmer und ein ebenso wackeliger Stuhl davor; beide waren halb begraben unter Haufen von Zeitungsblättern nebst Fetzen und Bogen von Manuskripten. Ferner befanden sich noch daselbst ein hölzerner mit Sand gefüllter Spucknapf, in welchem Zigarrenstummel und ausgedienter Kautabak lagen, und ein Ofen, dessen Thür nur noch an einer Angel hing. Der Chefredakteur trug einen langschößigen schwarzen Tuchrock, weißleinene Beinkleider und niedere, glänzend gewichste Stiefel, ein Hemd mit altmodischem steifem Stehkragen und gefälteltem Einsatz, einen großen Siegelring und ein karriertes Halstuch, dessen Zipfel herabhingen. Die Tracht stammte etwa aus dem Jahre 1848. Er rauchte eine Zigarre, suchte nach einem Wort und fuhr sich dabei in die Haare, daß ihm die Locken zu Berge standen. Nach seinem grimmigen Blick zu urteilen, mußte er gerade einen besonders beißenden Leitartikel unter der Feder haben. Er sagte mir, ich solle die Tageszeitungen durchgehen und was mir aus ihrem Inhalt interessant scheine, kurz zusammenfassen und zu einer ›Rundschau in der Presse von Tennessee‹ verarbeiten. Ich schrieb nun folgenden Artikel: =Rundschau in der Presse von Tennessee.= »Was die _Eisenbahn von Ballyhack_ betrifft, so ist die Redaktion des Wochenblatts ›Erdbeben‹ offenbar in einem Irrtum befangen. Es liegt keineswegs in der Absicht der Gesellschaft, Buzzardville seitwärts liegen zu lassen. Der Ort gilt im Gegenteil für einen der wichtigsten Punkte auf der ganzen Strecke und man hat durchaus nicht den Wunsch, daß er unberücksichtigt bleibt. Die Herren vom ›Erdbeben‹ werden das Mißverständnis natürlich mit Vergnügen berichtigen.« »Der geistvolle Redakteur des ›Donnerkeil und Schlachtrufs der Freiheit‹, John W. _Blossom_ von Higginsville, ist gestern in unserer Stadt angekommen und im Van Burenhaus abgestiegen.« »Wir bemerken, daß unser Kollege vom ›Morgengeheul‹ in Mud-Spring die irrtümliche Ansicht vertritt, daß die _Wahl Van Werters_ keine feststehende Thatsache sei. Er wird jedoch höchst wahrscheinlich seinen Mißgriff schon selbst entdeckt haben, bevor wir ihn hierdurch auf denselben aufmerksam machen. Unvollständige Wahlberichte mögen ihn zu seiner falschen Annahme verleitet haben.« »Es freut uns, mitteilen zu können, daß die Stadt _Blathersville_ mit einigen New Yorker Herren in Verhandlung steht, welche es übernehmen wollen, ihre fast grundlosen Straßen durch ein _Nicholsonsches Pflaster_ passierbar zu machen. Das ›Tägliche Hurra‹ empfiehlt diese Maßregel mit großem Geschick und Nachdruck und scheint den schließlichen Erfolg zuversichtlich zu erwarten.« Ich übergab mein Manuskript dem Chefredakteur zur Annahme, Abänderung oder Vernichtung. Er warf einen Blick darauf und seine Stirn umwölkte sich. Mit unheilverkündendem Gesichtsausdruck überlas er die Seite; es mußte irgend etwas nicht in Richtigkeit sein, das ließ sich leicht erkennen. Plötzlich sprang er auf und rief: »Himmeldonnerwetter! Halten Sie das für die Art, wie man die Lumpenkerle behandeln muß? Glauben Sie etwa, meine Abonnenten würden sich solche Milchsuppe auftischen lassen? Her mit der Feder!« Noch nie habe ich eine Feder so boshaft kratzen und streichen hören oder so erbarmungslos durch die Haupt-, Zeit- und Eigenschaftswörter eines Nebenmenschen fahren sehen. Während er noch so recht bei der Arbeit war, schoß jemand nach ihm durch das offene Fenster und verunstaltete mir das rechte Ohr. »Aha,« rief er, »das ist der Smith, der Halunke vom ›Moralischen Vulkan‹; den habe ich schon gestern erwartet.« Er riß einen Seemannsrevolver aus dem Gürtel und feuerte. Sein Gegner stürzte, in die Hüfte getroffen, zu Boden. Smith war eben daran gewesen zu zielen, um einen zweiten Schuß abzugeben, dieser ging nun vorbei und traf einen Unbeteiligten -- nämlich _mich_. Nur ein Finger abgeschossen. Der Chefredakteur fuhr hierauf fort auszustreichen und dazwischenzuschreiben. Eben war er damit zu Ende, als eine Handgranate durch das Ofenrohr herabschoß und den Ofen in tausend Stücke zertrümmerte. Sonst richtete sie keinen weitern Schaden an, außer daß sich ein Splitter verirrte und mir ein paar Zähne ausschlug. »Der Ofen wird gar nicht mehr zu gebrauchen sein,« sagte der Chefredakteur. Ich versetzte, das sei auch meine Meinung. »Na, einerlei -- bei dem Wetter können wir ihn entbehren. Ich kenne den Kerl schon, der das gethan hat. Der entgeht mir nicht. -- Hier, sehen Sie, in diesem Ton muß man reden, wenn man solche Artikel schreibt.« Ich nahm das Manuskript, in dem so viel ausgestrichen und eingeschaltet war, daß seine eigene Mutter es nicht wiedererkannt haben würde, hätte es eine gehabt. Es lautete jetzt folgendermaßen: =Rundschau in der Presse von Tennessee.= »Die ausbündigen Lügenmäuler vom ›Erdbeben‹ sind offenbar beflissen, dem edlen und hochherzigen Volk abermals eine ihrer niederträchtigen und gotteslästerlichen Unwahrheiten in betreff der erhabensten Erfindung des neunzehnten Jahrhunderts, der _Eisenbahn nach Ballyhack_, aufzubinden. Den Gedanken, man würde Buzzardville seitwärts liegen lassen, haben sie in ihrem eigenen, vermoderten Gehirn ausgeheckt. Wir raten ihnen, die Lüge schleunigst hinunterzuwürgen, wenn sie nicht wollen, daß man ihrem schlotterigen Knochengerippe die Haut durchgerbt, wie sie es verdienen.« »Der Schafskopf vom ›Donnerkeil und Schlachtruf für Freiheit‹, _Blossom aus Higginsville_, ist wieder hier, um sich im Van Buren-Haus zu mästen und vollzusaugen.« »Wir hören, daß der blödsinnige Schurke vom ›Morgengeheul‹ in Mud-Spring mit seiner gewohnten Fertigkeit im Lügen die Nachricht verbreitet, daß _Van Werters Wahl_ nicht durchgegangen ist. -- Die Presse hat den heiligen Beruf, die Wahrheit zu verbreiten, dem Irrtum zu steuern, zu erziehen, zu bilden, die öffentliche Moral und Sitte zu heben und zu verfeinern, das Volk sanfter, tugendhafter, wohlthätiger und in jeder Beziehung weiser, besser und glücklicher zu machen; aber dieser schändliche Halunke entwürdigt sein hohes Amt fortgesetzt, indem er Lügen, Verleumdungen, Aufhetzungen und Gemeinheiten umherstreut.« »Blathersville beabsichtigt sich _Nicholsonsches Pflaster_ anzuschaffen. Ein Gefängnis und ein Armenhaus thäten weit eher not. Welcher Wahnsinn -- ein Pflaster in einem lumpigen Ort mit zwei Schnapsbrennereien, einer Schmiede und dem ›Täglichen Hurra‹, diesem Senfpflaster von einer Zeitung! Das alte Kriechtier, der Buckner, welcher das ›Hurra‹ herausgiebt, kräht schon seinen gewöhnlichen Blödsinn über das Pflaster in die Welt hinaus und bildet sich ein, was er sagt hätte irgend welchen Menschenverstand.« »Sehen Sie, so muß man's machen -- gepfeffert und zur Sache. Von einer Schreiberei ohne Kraft und Saft wird mir's ganz übel.« Währenddem flog ein Ziegelstein durchs Fenster, das krachend zersplitterte, und traf mich mit aller Wucht in den Rücken. Ich schob meinen Stuhl aus der Schußlinie und begann zu fühlen, daß ich im Wege sei. Der Chef sagte: »Das muß wohl der Oberst sein, den ich schon seit zwei Tagen erwarte. Gleich wird er herauf kommen.« Er irrte sich nicht. Schon im nächsten Augenblick erschien der Oberst mit einer Dragonerpistole an der Thür. »Mein Herr,« sagte er, »habe ich die Ehre, mit dem Prahlhans zu reden, der diesen erbärmlichen Plunder verfaßt?« »Jawohl, mein Herr. Nehmen Sie Platz -- aber vorsichtig, der Stuhl hat ein Bein verloren. Ich habe wohl das Vergnügen, das Lügenmaul, Oberst Blatherskite Tecumseh bei mir zu sehen?« »Ganz recht, mein Herr. Wir haben noch ein Hühnchen mit einander zu pflücken, und wenn es Ihre Zeit erlaubt, fangen wir gleich an.« »Ich bin gerade bei einem Artikel über den erfreulichen ›Fortschritt der geistigen und moralischen Entwicklung in Amerika‹ -- aber das eilt nicht. Nur immer zu!« Beide Pistolen knallten zu gleicher Zeit los. Die Kugel des Obersten raubte dem Chef eine Haarlocke und drang dann in den fleischigen Teil meines Schenkels. Dem Oberst war ein Stück der linken Schulter weggeschossen. Sie feuerten zum zweitenmal, schossen aber vorbei, nur ich erhielt meinen Anteil -- einen Schuß in den Arm. Die dritte Ladung verwundete beide Herren leicht und mir ward ein Knöchel angeschossen. Hierauf äußerte ich, es käme mir unzart vor, noch länger bei dieser Privatangelegenheit zugegen zu sein; ich wolle lieber hinausgehen und einen Spaziergang machen. Aber die Herren baten mich sitzen zu bleiben, und versicherten, ich sei ihnen durchaus nicht im Wege. Sie unterhielten sich nun über die Wahlen und den Ausfall der Ernte, während sie wieder luden, und ich begab mich daran, meine Wunden zu verbinden. Darauf fingen sie von neuem mit Eifer zu feuern an und jeder Schuß traf -- doch muß ich bemerken, daß von sechs Kugeln fünf auf meine Rechnung kamen. Die sechste brachte dem Obersten eine tödliche Wunde bei, worauf er mit seinem Humor bemerkte, er wolle uns jetzt einen Guten Morgen wünschen, da er Geschäfte in der Stadt habe. Dann fragte er nach der Wohnung des Leichenbesorgers und entfernte sich. [Illustration] Der Chefredakteur wendete sich nun zu mir und sagte: »Ich erwarte Gäste zu Tische und muß mich jetzt zurecht machen. Sie thun mir wohl den Gefallen, unterdessen die Korrektur zu lesen und die Besucher zu empfangen.« Bei dem Gedanken an die Besucher ward mir etwas bange zu Mute; aber mir fiel nichts ein, was ich erwidern konnte, so betäubt war ich noch von dem Knattern der Pistolenschüsse, das mir fortwährend in den Ohren klang. Er fuhr fort: »Jones wird um drei Uhr hier sein -- walken Sie ihn tüchtig durch. Gillespie kommt vielleicht noch früher -- werfen Sie ihn zum Fenster hinaus. Ferguson trifft wahrscheinlich gegen vier Uhr ein -- schlagen Sie ihn tot. Für heute ist das alles, glaube ich. Wenn Sie Zeit übrig haben, schreiben Sie einen fulminanten Artikel gegen die Polizei; geben Sie dem Oberinspektor ein paar tüchtige Hiebe. -- Die Knüttel liegen unter dem Tisch, die Pistolen in der Schublade, der Schießbedarf dort in der Ecke, Leinwand und Verbandzeug im Fach des Schreibtisches. Wenn Ihnen etwas zustößt, gehen Sie zu Lancet, dem Wundarzt, hinunter. Er macht Anzeigen in unserm Blatt und wir begleichen die Rechnungen tauschweise.« Fort war er. Mir schauderte. -- Nach Verlauf von drei Stunden hatte ich so entsetzliche Gefahren bestanden, daß alle Seelenruhe und Heiterkeit von mir gewichen war. Gillespie hatte sich eingefunden und _mich_ aus dem Fenster geworfen; Jones war pünktlich gekommen, als ich mich aber anschickte, ihn durchzuwalken, nahm er mir die Arbeit ab. Bei dem Zusammenstoß mit einem Unbekannten, der nicht auf der Liste stand, hatte ich mein Haar mit samt der Kopfhaut verloren. Ein anderer Fremder, der sich Thompson nannte, ließ mich als Trümmerhaufen und Lumpenbündel zurück. Zuletzt sah ich mich voll Verzweiflung in einen Winkel getrieben und durch eine wütende Rotte von Zeitungsschreibern, Gaunern, Politikern und Strolchen belagert, die alle in wilder Raserei tobten, fluchten und ihre Waffen über meinem Haupte schwangen, bis die ganze Luft von blitzendem Stahle flimmerte. Schon war ich im Begriff, meine Stelle bei der Zeitung aufzugeben, als der Chef eintrat, begleitet von einer Schar schwärmerischer Freunde und Anhänger. Nun entstand ein Auftritt, der jeder Beschreibung spottet, ein Blutbad und Gemetzel, das keine Federpose, keine Stahlfeder zu schildern vermag. Die Leute wurden erschossen, erdolcht, zerstückt, in die Luft gesprengt und aus dem Fenster geworfen. Auf einen kurzen Wirbelsturm von entsetzlichen Flüchen folgte noch ein wahnsinniger, wirrer Kriegstanz -- und alles war vorüber. Nach fünf Minuten herrschte Totenstille; der grimme Chef und ich saßen allein da und überschauten die blutigen Trümmer, welche die Diele ringsumher bedeckten. Er sagte: »Es wird Ihnen hier schon gefallen, wenn Sie sich erst an die Stelle gewöhnt haben.« »Sie werden mich wohl entschuldigen müssen,« entgegnete ich. »Vielleicht würde ich es nach einer Weile dahin bringen, daß Ihnen meine Schreibweise gefiele; sobald ich die Sprache gelernt hätte, könnte es mir bei einiger Uebung wohl nicht fehlen. Aber, offen gestanden, hat eine so kräftige Ausdrucksweise auch allerhand Nachteile und man wird bei der Arbeit zu häufig unterbrochen. Sie sehen das selbst. Eine kernige Schreibart mag viel zur geistigen Förderung der Leser beitragen, aber man lenkt dadurch die öffentliche Aufmerksamkeit zu sehr auf sich, und das ist mir unbehaglich. Wenn ich so oft gestört werde, wie heute, kann ich nicht mit Gemütsruhe schreiben. Die Stelle wäre mir sonst ganz angenehm, aber ich mag nicht allein im Bureau bleiben, um die Besucher zu empfangen. Ich gestehe zwar, daß die Erfahrungen, welche man dabei macht, neu und gewissermaßen recht unterhaltend sind, aber es geht doch nicht ganz nach Recht und Billigkeit zu. Ein Herr feuert nach Ihnen durch das Fenster und schießt mich zum Krüppel; eine Granate platzt zu Ihrem Vergnügen im Ofenrohr und die Ofenthür fliegt mir an den Kopf; ein Freund besucht Sie, um mit Ihnen Komplimente auszutauschen und sprenkelt mir die Haut mit so vielen Kugellöchern, daß sie kaum mehr zusammenhält. Dann, während Sie zum Mittagessen gehen, kommt Jones mit seinem Knüttel, Gillespie wirft mich aus dem Fenster, Thompson reißt mir die Kleider vom Leibe und ein völlig Unbekannter zieht mir mit solcher Unbefangenheit die Kopfhaut ab, als wären wir längst mit einander vertraut. Gleich darauf kommen noch sämtliche Schurken der Umgegend, erschrecken mich zu Tode mit ihren gräßlichen Kriegstänzen und drohen, mir mit ihren Tomahawks vollends den Garaus zu machen. Alles in allem habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht so viele Aufregungen durchgemacht wie heute. Sonst habe ich nichts gegen Sie; im Gegenteil, die ruhige Art und Weise, mit der Sie den Besuchern Ihre Ansicht auseinandersetzen, gefällt mir; aber wie gesagt, mir ist sie ungewohnt. Das Herz der Südländer ist so ungestüm, sie sind zu freigebig in ihrer Gastfreundschaft gegen den Fremdling. Die Artikel, welche ich heute geschrieben habe und in deren kalte Sätze Ihre Meisterhand alle Glut des Zeitungsstils von Tennessee hineingegossen hat, werden abermals einen ganzen Hornissenschwarm aufstören. Die Redakteure werden sich haufenweise auf uns stürzen und vor Hunger jemand zum Frühstück verspeisen wollen. Deshalb sage ich Ihnen Lebewohl. Ich wünsche dem Festmahl nicht beizuwohnen. Meiner Gesundheit wegen habe ich mich in den Süden begeben -- meiner Gesundheit wegen muß ich machen, daß ich wieder fortkomme. Das Zeitungswesen in Tennessee ist zu aufregend für mich.« Hierauf trennten wir uns unter beiderseitigem Bedauern und ich suchte mir eine Wohnung im Hospital. Ein Berichterstatterstück. Jawohl, meine verehrten Herrschaften, zu jener Zeit gab es im Staate Nevada betriebsame Zeitungen, das kann ich Sie versichern. Mein Hauptnebenbuhler in der Presse war Boggs von der ›Union‹, ein ganz vorzüglicher Berichterstatter. Alle drei oder vier Monate betrank er sich einmal ein wenig, aber er war im allgemeinen kein unvorsichtiger oder leidenschaftlicher Trinker, wenn er sich auch gern dann und wann einen kleinen Spitz holte. In einer Beziehung hatte er entschieden etwas vor mir voraus; ihm stand nämlich stets der monatliche Schulbericht zur Verfügung und mir nicht, weil der Direktor der Volksschule mein Blatt, den ›Fortschritt‹, nicht leiden konnte. Um die Zeit, da der Bericht gewöhnlich erschien, machte ich mich einmal an einem Winterabend auf, kummervoll überlegend, wie ich ihn mir verschaffen solle. Ich war nur wenige Schritte gegangen, als ich in der fast menschenleeren Straße auf Boggs stieß, den ich fragte, wohin er wolle. »Den Schulbericht holen.« »Dann komme ich mit.« »Nicht doch, Verehrtester, das wäre vergebliche Mühe.« »So -- meinen Sie?« Eben trug der Kellner der nahen Schenkwirtschaft eine Bowle voll dampfenden Punsches an uns vorbei und Boggs sog den Wohlgeruch mit gierigen Zügen ein. Sehnsüchtigen Blickes folgte er dem Träger und sah ihn die Treppe zum Bureau des ›Fortschritt‹ hinaufsteigen. »Schade,« sagte ich, »daß Sie mir nicht zu dem Schulbericht verhelfen können; da das aber nun einmal unmöglich ist, will ich sehen, ob ich nicht in der Redaktion der ›Union‹ einen Abzug bekomme, nachdem der Bericht gesetzt ist. Ich glaube es zwar nicht, aber man kann's doch versuchen. Gute Nacht!« »Warten Sie noch einen Augenblick. Meinetwegen will ich den Bericht holen und dann eine Weile oben bei den Jungens sitzen bleiben, bis Sie ihn abgeschrieben haben. Kommen Sie nur mit zum Direktor.« »Das nenne ich einmal vernünftig gesprochen. Also vorwärts.« Wir trabten einige Straßen weiter durch den Schnee, erhielten den Bericht und bald war das kurze Schriftstück in unserm Bureau abgeschrieben. Boggs that sich derweil an dem Punsch gütlich. Nachdem ich ihm das Manuskript zurückgegeben, gingen wir beide wieder fort, weil es uns noch an einer Leichenschau fehlte. Um vier Uhr morgens, als unser Blatt in der Presse war, und wir wie gewöhnlich zur Erholung ein Konzert veranstalteten -- denn einige von den Setzern waren gute Sänger, andere spielten hübsch die Guitarre und das gräßliche Instrument: die Ziehharmonika, -- kam der Besitzer der ›Union‹ mit großen Schritten herein und fragte, ob wir nicht wüßten, was aus Boggs und dem Schulbericht geworden sei. Wir teilten ihm den Sachverhalt mit und rückten dann alle aus, um nach dem Missethäter zu suchen. In einer Schenkstube fanden wir ihn, mit einer alten Blechlaterne in der einen Hand und dem Schulbericht in der andern, auf dem Tische stehen und einem Haufen ›angeheiterter‹ Bergleute eine Rede darüber halten, wie gottlos und ungerecht es sei, die öffentlichen Gelder für Volksunterricht zu verschleudern, während Hunderte von Arbeitern, die sich's redlich sauer werden ließen, buchstäblich wegen Mangels an Whiskey verdursten müßten. Er hatte diesen Leuten stundenlang bei einer herrlichen Kneiperei Gesellschaft geleistet. Wir schleppten ihn fort und brachten ihn zu Bette. [Illustration] Natürlich konnte der Schulbericht in der ›Union‹ nicht erscheinen und Boggs machte mich dafür verantwortlich, obwohl ich doch weder gewünscht noch beabsichtigt hatte, dies zu veranlassen und es mir von Herzen leid that, daß ihm jenes Mißgeschick zugestoßen war. Aber wir blieben trotzdem auf ganz freundschaftlichem Fuße. An dem Tage, als der Schulbericht abermals fällig war, schickte uns der Eigentümer des Tennessee-Bergwerks einen Einspänner mit der Bitte, dorthin zu fahren, sein Besitztum in Augenschein zu nehmen und es in der Zeitung zu besprechen -- kein ungewöhnliches Verlangen und eins, dem wir immer mit Vergnügen nachkamen, wenn uns dazu ein Einspänner geliefert wurde, denn wir machten ebenso gern Spazierfahrten als andere Leute. In das ›Bergwerk‹, ein 90 Fuß tiefes Loch im Boden, konnte man nur gelangen, wenn man sich an einem Tau festhielt und mittelst einer Winde herabgelassen wurde. Die Arbeiter mußten wohl gerade irgend wohin zum Essen gegangen sein. Ich war nicht stark genug, um einen Menschen von Boggs' Körpergewicht hinabzuwinden, so nahm ich denn eine unangezündete Kerze zwischen die Zähne, machte in das Ende des Taues eine Schlinge für meinen Fuß, bat Boggs die Winde festzuhalten, auch ja nicht einzuschlafen und schwang mich hinaus über den Schacht. Ich erreichte den Boden desselben wohlbehalten, wenn auch etwas schmutzig und mit geschundenen Ellenbogen, zündete die Kerze an, untersuchte die Felswand, steckte verschiedene Proben des Gesteins in die Tasche und rief dann Boggs zu, mich wieder hinauf zu ziehen. Keine Antwort. Bald darauf erschien oben in der Rundung ein Kopf, vom Tageslicht beleuchtet, und eine Stimme schallte herab: »Sind Sie ganz fertig?« »Jawohl -- winden Sie nur tapfer zu.« »Ihnen ist doch nicht unbehaglich zu Mute?« »Gar nicht.« »Könnten Sie vielleicht ein Weilchen warten?« »O ja -- ich habe keine besondere Eile.« »Nun -- dann leben Sie wohl!« »Wie so? -- wo wollen Sie hin?« »Den Schulbericht holen.« Das that er denn auch. Ich blieb eine Stunde da unten und setzte die Bergleute sehr in Erstaunen, als sie beim Aufwinden statt eines Kübels voll Steine einen Menschen am Tau hängen fanden. Dann begab ich mich nach Hause, fünf Meilen weit, zu Fuß und bergan. Am nächsten Morgen fehlte bei uns der Schulbericht -- aber die ›Union‹ brachte ihn. Allgemeine Antwort an Schriftsteller oder solche, die es werden wollen. Wenn jemand die Redaktion einer Zeitung oder eines Journals übernimmt, so schicken ihm allerhand Leute, die sich der Schriftstellerei befleißigen, sofort ihre Manuskripte zu und bitten ihn um sein Urteil über ihre Erzeugnisse. Nachdem er in acht bis zehn Fällen diesem Verlangen entsprochen hat, nimmt er schließlich seine Zuflucht zu einer allgemeinen Predigt, die er in sein Blatt einrückt, um allen spätern _Briefstellern_ kund zu thun, daß dies ein für allemal seine Antwort ist. Auf dieser Stufe meiner litterarischen Laufbahn bin ich jetzt auch angelangt; ich höre auf, denen, die sich bei mir Rat holen wollen, privatim zu schreiben und mache mich an die Ausarbeitung meiner öffentlichen Predigt. Da die betreffenden Zuschriften alle denselben Inhalt haben und nur dem Wortlaut nach verschieden sind, so lasse ich hier als Durchschnittsbeispiel den letzten Brief folgen, welchen ich erhalten habe: »An Herrn Mark Twain, Wohlgeboren. Den 3. Oktober. Geehrter Herr! Ich bin ein junger Mann, der eben die Schule verlassen hat und im Begriff steht, ins Leben einzutreten. Wohin ich aber auch sehe, finde ich keine Beschäftigung, die mir so recht gefällt. Ist das Schriftstellerleben leicht und einträglich, oder ist es wirklich ein so saures Brot, wie man immer sagt? Es _muß_ doch bequemer sein als viele, ja als die meisten Berufsarten; mich drängt es unwiderstehlich, mich darauf zu werfen. Mag es biegen oder brechen, ich will mein Glück damit versuchen, will schwimmen oder untersinken, triumphieren oder erliegen. Wie hat man es denn aber anzufangen, wenn es einem in der Litteratur glücken soll? -- Fürchten Sie sich ja nicht, mir die Sache genau so darzustellen, wie sie ist. Im schlimmsten Fall würde mein Vorhaben eben mißlingen, und davor ist man doch niemals geschützt. Ich habe an die juristische Laufbahn gedacht, auch an fünf oder sechs andere Berufsarten, aber überall fand ich die gleichen Uebelstände, -- alles überfüllt, vollgepfropft, immer mehr Angebot als Nachfrage, der Erfolg ein Ding der Unmöglichkeit, weil es viel zu viele Hände giebt und zu wenig Arbeit. Aber ich _muß_ etwas ergreifen, und da suche ich denn mein Heil bei der Litteratur. Eine innere Stimme sagt mir, daß dies das rechte Feld für meine Begabung ist, wenn ich überhaupt Talent dazu habe. Ich lege einige Proben bei. Bitte, lesen Sie dieselben und teilen Sie mir Ihre aufrichtige, unparteiische Meinung mit. Und dann noch eins -- ich bedaure, Ihnen beschwerlich fallen zu müssen, aber erinnern Sie sich daran, daß Sie selbst einmal ein junger Anfänger gewesen sind und verschaffen Sie mir Arbeit für eine Zeitung. Sie stehen mit vielen Redaktionen in Verbindung und ich bin gänzlich unbekannt. Auch bitte ich Sie, mir möglichst günstige Bedingungen auszuwirken; ich weiß wohl, daß ich zuerst nicht auf hohe Bezahlung rechnen kann, aber, wie viel meinen Sie, daß man für Artikel wie die beifolgenden ungefähr fordern könnte? Ich habe noch eine Menge dergleichen in meiner Mappe; wenn Sie diese unterbringen und es mich wissen lassen, kann ich Ihnen andere schicken, die ganz ebenso gut, vielleicht sogar besser sind. Einer baldigen Antwort u. s. w. Ihr ergebener u. s. w.« Ich will Ihnen offen und ehrlich antworten. Ob, was ich zu sagen habe, von großem Werte für Sie sein wird, oder ob Sie finden werden, daß es sich der Mühe lohnt, meine Ratschläge zu befolgen, sind Dinge, deren Entscheidung ich mit Freuden Ihrem eigenen Urteil überlasse. Zunächst enthielt Ihr Brief mehrere Fragen, die jeder nur nach eigener Lebenserfahrung endgültig beantworten kann. Diese Fragen übergehe ich einfach und erwidere Ihnen Folgendes: 1. Daß die Litteratur, das geistliche Amt, die Medizin, die Jurisprudenz und alle andern Berufsarten ins Stocken geraten sind und nicht die erwünschten Fortschritte machen, daran ist nicht Mangel an Arbeit schuld, sondern Mangel an Arbeitskräften. Wenn jemand Ihnen das Gegenteil versichert, so sagt er eine Unwahrheit. Wollen Sie prüfen, ob meine Behauptung richtig ist, so versuchen Sie doch einmal, einen Redakteur, Berichterstatter, Verwalter, Werkführer, Handwerker, Gewerbebeflissenen oder Künstler, der in seinem Fach Hervorragendes leistet, für irgend eine Arbeit zu gewinnen! Sie werden finden, daß der Mann schon eine Stelle hat und überreichlich beschäftigt ist. Er ist nüchtern, fleißig, tüchtig und zuverlässig und die Nachfrage nach ihm hört nicht auf. Keinen Tag hat er frei, außer durch besondere Berücksichtigung von seiten seines Arbeitgebers, der städtischen Verwaltung oder des Publikums im allgemeinen. Können Sie aber Faulenzer brauchen, Tagediebe, Halbgebildete, Leute ohne Ehrgeiz, leichtsinnige oder bequeme Redakteure, Berichterstatter, Anwälte, Aerzte und Handwerker, so wenden Sie sich wohin Sie wollen. Von _der_ Sorte sind Millionen zu haben, man findet sie überall und braucht nur die Hand auszustrecken. 2. Ich werde mich wohl hüten, über den litterarischen Wert Ihrer Erzeugnisse eine Meinung abzugeben. Das Publikum ist der einzige Kritiker, dessen Urteil überhaupt etwas gilt. Sie brauchen mir das nicht aufs Wort zu glauben; denken Sie nur einmal einen Augenblick darüber nach und entscheiden Sie selbst. Hätten z. B. Sylvanus Cobb oder T. S. Arthur Ihnen ihre Erstlings-Manuskripte unterbreitet, so würden Sie mit Thränen in den Augen gesagt haben: Nein, bitte, schreiben Sie nichts mehr! -- Und Sie sehen doch, wie beliebt ihre Sachen sind. Wäre es Ihnen überlassen worden, Sie hätten vielleicht gesagt, der ›Marmorfaun‹ sei langweilig und das ›Verlorene Paradies‹ nicht erheiternd genug; aber beide haben guten Absatz, wie Sie wohl wissen. Viele Leute, die klüger und besser waren als Sie, haben vor kaum zwei Jahrhunderten geringschätzig von Shakespeare gesprochen, der alte Herr hat sie indessen alle überlebt. Darum will und kann ich nicht über Ihre Schriftstellerei zu Gericht sitzen. Wenn ich Sie nach bestem Wissen und Gewissen lobte, könnte ich dem Publikum auf die Dauer die entsetzlichste Langeweile aufbürden; wenn ich Sie nach bestem Wissen und Gewissen für unbrauchbar erklärte, würde ich der Welt möglicherweise einen noch unerkannten und unentwickelten Dickens oder Shakespeare rauben. 3. Ich schrecke vor der Aufgabe zurück, Ihnen schriftstellerische Arbeiten zu verschaffen, für welche Sie Honorar beanspruchen. Sobald Ihre Leistungen selbst den Beweis geliefert haben, daß sie wirklich wertvoll sind, werden Sie nie mehr herumzugehen brauchen, um nach litterarischer Beschäftigung zu suchen. Sie werden alle Hände voll zu thun bekommen und mehr Grütze im Kopf nötig haben, als Ihnen vielleicht jemals zur Verfügung steht, um nur die Hälfte der Arbeit zu verrichten, die man Ihnen antragen wird. Will der angehende Schriftsteller den Beweis beibringen, daß er wirklich etwas Gutes zu leisten vermag, so weiß ich ein ganz einfaches Mittel, ein vollkommen sicheres Verfahren, um diesen Zweck zu erreichen: er schreibe so lange ohne Bezahlung, bis ihm jemand Honorar anbietet. Wird ihm im Lauf von drei Jahren kein Honorar angeboten, so darf er dies mit vollem Vertrauen als ein Zeichen betrachten, daß ihn die Natur zum Holzhacker bestimmt hat. Wenn er auch nur ein Körnchen Weisheit besitzt, wird er sich mit Würde zurückziehen und den ihm vom Himmel verordneten Beruf ergreifen. * * * * * Ein Verfahren, wie ich es hier schildere, haben Leute wie Charles Dickens und andere hervorragende Schriftsteller befolgen müssen; aber meinem Klienten wird es schwerlich zusagen. Der junge, angehende Litterat ist ein sehr, sehr sonderbares Geschöpf. Er weiß, daß, wenn er Klempner werden wollte, der Meister von ihm ein Zeugnis über sein seitheriges sittliches Betragen verlangen und ihm das Versprechen abfordern würde, wenigstens drei -- vielleicht sogar vier Jahre -- bei ihm in der Lehre zu bleiben. Er müßte im ersten Jahre die Werkstatt fegen, Wasser holen, Feuer anzünden und in der Pause lernen, wie man die Oefen schwärzt. Zum Lohn für alle diese Dienste erhielte er seine Kost und zwei billige Anzüge. Im zweiten Jahre käme die Unterweisung im Handwerk an die Reihe, und als Wochenlohn würde ihm ein Dollar ausgezahlt, im dritten Jahr zwei, im vierten drei Dollars. Als ausgelernter Klempner könnte er dann wöchentlich fünfzehn bis zwanzig, vielleicht auch dreißig Dollars verdienen; zu einem Wochenlohn von fünfundsiebzig Dollars würde er es aber niemals bringen. Bei jedem andern Handwerk, für das er sich entscheidet, muß er dieselbe langwierige und schlecht bezahlte Lehrlingszeit durchmachen. Advokat oder Doktor zu werden ist aber noch hundertmal schwerer, denn da erhält er nicht nur während der ganzen Lehrzeit keinen Lohn, sondern er hat noch eine große Summe für seinen Unterricht zu bezahlen und genießt das Vorrecht, sich selbst beköstigen und kleiden zu dürfen. Das alles weiß der angehende Litterat und hat doch die Dreistigkeit sich zur Aufnahme in die Schriftstellergilde zu melden und seinen Teil von ihren hohen Ehren und Einkünften zu verlangen, ohne zur Rechtfertigung für seine Anmaßung auch nur eine zwölfmonatliche Lehrzeit nachweisen zu können. Er würde nur unschuldsvoll lächeln, wollte man ihm zumuten, ohne vorherige Anweisung selbst das einfachste kleine Blechnäpfchen anzufertigen. Aber, ohne Kenntnis der Grammatik, phrasenhaft, weitschweifig und mit den verschrobenen Begriffen von Welt und Menschen, die er sich auf irgend einem Neste im Hinterwald angeeignet hat, getraut sich der unwissende Gelbschnabel, die Feder, diese gefährliche Waffe, zur Hand zu nehmen, um damit die gewaltigen Mächte, Handel, Finanzen, Krieg und Politik aufs Geratewohl anzugreifen. Wenn es nicht so traurig wäre, würde es einfach lächerlich sein. Der arme Junge wagt sich ohne bestandene Lehrzeit nicht in die Klempnerwerkstatt hinein, aber er scheut sich nicht, mit ungeübter Hand ein Werkzeug zu ergreifen und zu führen, welches Königsthrone zu stürzen, Religionen zu ändern und das Wohl oder Wehe ganzer Völker zu entscheiden vermag. Wenn der Verfasser jenes Briefes für die Zeitungen, die in der Nachbarschaft seines Wohnorts erscheinen, unentgeltlich schreiben will, so ist hundert gegen eins zu wetten, daß er so viele Aufträge erhält, als er unter dieser Bedingung nur irgend übernehmen kann. -- Stellt sich dann heraus, daß seine Schreibereien wirklich etwas wert sind, so finden sich sicherlich eine Menge Leute, die ihm Geld dafür anbieten. Zum Schluß will ich ihm als ernste und wohlgemeinte Ermutigung noch einmal die Thatsache zu Gemüte führen, daß annehmbare und lesenswerte Schriftsteller höchst selten sind. Sowohl Buchhändler als Herausgeber von Zeitungen suchen unablässig nach ihnen und zwar mit solchem Eifer, daß sie sich bei dem Geschäft keinen Augenblick Rast oder Ruhe gönnen. Antworten auf Zuschriften. I. An einen Moral-Statistiker. Behalten Sie Ihre statistischen Notizen ein andermal für sich! Ich habe das ganze Bündel genommen und mir die Pfeife damit angezündet. Leute von Ihrem Schlage sind mir verhaßt. Sie rechnen fortwährend aus, wie sehr ein Mensch seiner Gesundheit schadet, wie sehr er seine Denkkraft schwächt und wie viele elende Dollars und Cents er vergeudet, wenn er sich zweiundneunzig Jahre lang den verderblichen Genuß des Rauchens gestattet, der ebenso verderblichen Gewohnheit des Kaffeetrinkens fröhnt, gelegentlich eine Partie Billard spielt, bei Tische ein Glas Wein trinkt u. s. w. u. s. w. Und Sie zählen sich immer an den Fingern her, wie viele Frauen der gefährlichen Mode, weite Reifröcke zu tragen, zum Opfer gefallen und verbrannt sind u. s. w. Immer sehen Sie nur die _eine_ Seite der Frage. Sie sind blind gegen die Thatsache, daß die meisten alten Männer in Amerika rauchen und Kaffee trinken, obgleich sie nach Ihrer Theorie alle jung gestorben sein sollten, daß rüstige alte Engländer Wein trinken und am Leben bleiben, daß dicke alte Holländer sowohl tüchtig trinken als rauchen und doch die ganze Zeit über nur immer älter und wohlbeleibter werden. Auch kümmern Sie sich nie darum, wie viel Behagen, Erholung und Vergnügen der Mensch im Lauf seines Lebens vom Rauchen hat (was zehnmal soviel wert ist als das Geld, welches er sparen würde, wenn er es bleiben ließe), und fragen gar nicht danach, was für eine ungeheure Menge von Wohlsein dem Menschen in seiner Lebenszeit verloren geht, wenn er, -- wie Ihresgleichen -- nicht raucht. Natürlich können Sie Geld sparen, wenn Sie sich fünfzig Jahre lang jene kleinen lasterhaften Genüsse versagen, aber was wird Ihnen das nützen, wozu können Sie das Geld gebrauchen? Es kann Ihre arme sündhafte Seele doch nicht ewig selig machen. Nützlich verwendet wird das Geld nur, wenn es uns in diesem Leben Genuß und Behagen verschafft; für Sie, der Sie ein abgesagter Feind von Genuß und Behagen sind, hat es daher keinerlei Zweck, Schätze aufzuhäufen. Sagen Sie nur nicht, Sie fänden es besser, das Geld für gute, gesunde Speisen auszugeben, Werke der Barmherzigkeit zu thun und sich an Traktätchen-Gesellschaften zu beteiligen. Sie wissen recht gut, daß Leute von Ihrer Sorte, die keine kleinen menschlichen Schwächen haben, nie einen Cent verschenken und sich die Nahrung so knapp zumessen, daß sie immer hohlwangig und hungrig aussehen. Sie getrauen sich ja bei Tage kaum zu lachen, aus Furcht, irgend ein armer Teufel, der Sie bei guter Laune sieht, möchte den Versuch machen, Ihnen einen Dollar abzuborgen. In der Kirche liegen Sie auf den Knieen und vergraben Ihr Gesicht in das Kissen, wenn der Klingelbeutel herankommt, und dem Steuerbeamten geben Sie nie den vollen Betrag Ihres Einkommens an. Das alles wissen Sie recht gut selber, nicht wahr? -- Nun also -- wozu sollten Sie Ihr erbärmliches Leben bis in ein armseliges, welkes Alter ausdehnen? Was nützt es Ihnen, Geld zusammenzuscharren, das doch völlig wertlos für Sie ist? Kurz und gut, warum legen Sie sich nicht lieber hin und sterben, anstatt fort und fort den Versuch zu machen, andere Leute mit Ihrer abscheulichen Moralstatistik zu verführen, ebenso ›tugendhaft‹ und unausstehlich zu werden wie Sie? Ich für meine Person billige die Verschwendung nicht und treibe selbst keine; aber ich hege das größte Mißtrauen gegen einen Menschen, der gar keine kleinen Schwächen hat und wünsche deshalb nichts mehr von Ihnen zu hören. II. An einen jungen Schriftsteller. Jawohl, Agassiz empfiehlt den Schriftstellern Fische zu essen, weil ihr Phosphorgehalt Gehirn erzeugt. Insofern haben Sie ganz recht. Aber zu einer Entscheidung der Frage, wieviel Sie davon essen müssen, kann ich Ihnen nicht verhelfen -- wenigstens nicht mit Sicherheit. Wenn der Probeaufsatz, den Sie einschicken, dem entspricht, was Sie im Durchschnitt leisten können, so sollte ich denken, daß für jetzt ein paar Walfische genügen würden. Es brauchten nicht gerade die allergrößten Walfische zu sein, sondern eine gute, gesunde Mittelsorte. III. An einen verschmähten Liebhaber. Herr Higgins in Los Angeles schreibt mir: »Mein Leben ist verfehlt. Ich habe sie bis zum Wahnsinn geliebt und angebetet; sie aber hat sich kalt von mir abgewendet und ihr Herz einem andern geschenkt. Raten Sie mir, was soll ich thun?« _Antwort._ Schenken Sie Ihr Herz auch einer andern -- oder mehreren, wenn genug zu haben sind. Thun Sie auch alles, was in Ihrer Macht steht, um Ihre frühere Flamme unglücklich zu machen. In Romanen findet man die abgeschmackte Vorstellung verbreitet, daß ein verschmähter Liebhaber sich um so glücklicher fühlt, je glücklicher seine Geliebte mit einem andern ist. Glauben Sie nur ja nicht an solchen Unsinn. Je mehr das Mädchen Ursache hat zu beklagen, daß es nicht Ihre Frau geworden ist, um so behaglicher wird Ihnen dabei zu Mute sein. Das klingt nicht poetisch, ist aber eine höchst vernünftige Regel. IV. An Arthur Augustus. Nein, da haben Sie unrecht. Das ist wohl die Art, wie man einen Pflasterstein oder einen Tomahawk schleudert, aber für einen Blumenstrauß eignet sie sich weniger; Sie könnten dabei leicht einmal jemand Schaden anthun. Einen Strauß hält man mit den Blumen nach unten, faßt ihn bei den Stengeln und wirft ihn dann im Bogen. Haben Sie je mit der Wurfscheibe gespielt? Gerade so muß man's machen. Die Sitte, ungeheuere massive Bouquets von der Größe und Schwere eines preisgekrönten Kohlkopfs aus den schwindelnden Höhen der Galerie hinabzuwerfen, ist höchst gefährlich und tadelnswert. Wissen Sie, was vorgestern abend in der Musikakademie geschehen ist? -- Eben hatte die Signorina das wundervolle Lied ›Des Sommers letzte Rose‹ zu Ende gesungen, da kam ein solcher Schmiedehammer aus dem Blumengeschlecht durch die mit Beifallssturm erfüllte Luft herniedergesaust. Hätte sie nicht eine schnelle Wendung nach rechts gemacht, so würde er sie wie einen Schindelnagel in die Bretter der Bühne hineingehämmert haben. Natürlich wurde der Strauß in guter Absicht geworfen, aber hätten Sie etwa die Zielscheibe sein mögen? Glauben Sie mir -- eine aufrichtig gemeinte Artigkeit wird von einer Dame stets dankbar empfunden, so lange man nicht versucht, sie damit zu Boden zu schmettern. V. Einer jungen Mutter. Sie denken also, ein kleines Kind sei allezeit ein Ausbund von Schönheit und eine Quelle ewiger Freude? Die Idee ist zwar ansprechend, aber wie mir scheint nicht ganz neu. Jede Kuh denkt dasselbe von ihrem Kalbe. Vielleicht denkt es die Kuh auf weniger anmutige Art, aber sie denkt es doch und ich rechne es der Kuh zur Ehre an. Wir alle schätzen dieses rührende mütterliche Gefühl, wo wir es auch finden, sei es im Hause der Pracht und des Reichtums oder im niedern Kuhstall. Aber wirklich, verehrte Frau, genau betrachtet, finde ich, daß Ihre Behauptung sich nicht in allen Fällen als stichhaltig erweist. Man kann ein schmutziges Kind, dem nicht rechtzeitig die Nase geputzt wird, nicht mit gutem Gewissen für einen Ausbund von Schönheit erklären, und da das früheste Kindesalter höchstens drei kurze Jahre umfaßt, kann ein kleines Kind unmöglich eine ›ewige‹ Freude sein. Es schmerzt mich, daß ich genötigt bin, zwei Drittteile Ihres schönen Ausspruchs mit einem einzigen Satz zu vernichten, aber bei meiner verantwortlichen Stellung als Redakteur darf ich Ihnen nicht gestatten, das Publikum mit wohlklingenden Redensarten zu täuschen und in die Irre zu führen. Ich kenne ein kleines Kind weiblichen Geschlechts in dieser Stadt, das achtzehn Monate alt ist und außer stande vierundzwanzig Stunden hintereinander eine Quelle der Freude zu sein -- von ›ewig‹ gar nicht zu reden! Es ergeht sich in den merkwürdigsten Absonderlichkeiten und besitzt einen Appetit, wie er mir noch nicht vorgekommen ist. Ich will hier aufzählen, was dieses Kind an einem einzigen Tage sich alles ganz allein ausgedacht, vorgenommen und ausgeführt hat, ohne Anraten und Hilfe seiner Mutter oder einer andern Person. Auch bemerke ich, daß sich meine sämtlichen Angaben durch beschworene Zeugenaussagen bestätigen lassen. Das Kind begann damit, ein Dutzend große Pillen samt der Schachtel zu verzehren, dann fiel es die Treppe hinunter und stand mit einer dicken blauroten Beule an der Stirn wieder auf, um sich sofort nach anderer Unterhaltung und Zerstreuung umzusehen. Es fand eine Glasbrosche mit Messingverzierung, zerbrach erst das Glas, verspeiste es und verschluckte dann das Messing. Hierauf trank es wohl ein Dutzend Eßlöffel voll starken Kampferspiritus und etwa zwanzig Tropfen Laudanum; wäre mehr dagewesen, es hätte noch mehr getrunken. Dann legte es sich auf den Rücken und steckte sich einen Spazierstock mit silbernem Knopf vier bis fünf Zoll weit in den Hals hinab, wo er so fest saß, daß die Mutter die größte Mühe hatte, ihn wieder herauszuziehen, ohne ein Stück von dem Kinde selbst mit herauszureißen. Dann verspürte es wieder Hunger nach Glas, brach ein paar Weingläser entzwei und begann die Scherben zu verzehren; daß es sich dabei verschiedene Male schnitt, machte ihm nichts aus. Ferner aß es eine Menge Butter, Salz, Pfeffer und Zündhölzchen; immer abwechselnd einen Löffel voll Butter, einen voll Salz, einen voll Pfeffer und drei oder vier Hölzchen. Nun wusch es sich den Kopf mit Seife und Wasser, aß die übrige Seife auf und trank soviel von dem Seifwasser, als es unterbringen konnte. Darauf spazierte es hinaus, faßte die Kuh vertraulich am Schwanz und erhielt von derselben einen Schlag mit dem Huf, daß es einen Purzelbaum schoß. Wenn diese ›Quelle der Freude‹ im Lauf des Tages gerade nichts anderes vorhatte, vertrieb sie sich die Zeit damit, auf Stühle und Tische zu klettern, herabzufallen und sich regelmäßig dabei weh zu thun. Trotz ihrer Jugend kann sie einzelne Wörter schon ganz deutlich aussprechen und da sie auch in anderer Hinsicht nicht hinter dem Berge hält, sondern dreist auf alles losgeht, eröffnet sie die Unterhaltung mit jedem Fremden, sei er männlichen oder weiblichen Geschlechts mit derselben Formel: »Wie geht's Jim?« [Illustration] Da ich mit den Eigenheiten der Kinder im allgemeinen nicht vertraut bin, habe ich vielleicht Dinge als etwas Außergewöhnliches geschildert, die jedem, der in der Kinderstube Bescheid weiß, höchst alltäglich erscheinen. Indessen kann ich doch nicht glauben, daß dies wirklich der Fall ist, und wiederhole daher nochmals, daß mein Bericht über die Thaten dieses Kindes vollkommen mit der Wahrheit übereinstimmt; sollte irgend jemand hieran zweifeln, so kann ich ihm das Mädchen vorführen. Ich will mich auch dafür verbürgen, daß es alles verschlingen wird, was man ihm giebt (einen Amboß möchte ich allenfalls ausnehmen), und überall hinunterfallen, wo man es hinsetzt. Aber ich sehe, daß ich zu weit von meinem Gegenstand abschweife, deshalb will ich nur noch einmal die Ueberzeugung aussprechen, daß nicht jedes kleine Kind ein Ausbund von Schönheit und eine Quelle ewiger Freude ist. VI. An einen gelehrten Fragesteller. Ein Arithmetikus aus Virginia in Nevada schreibt: »Ich studiere mit Begeisterung Mathematik und finde es recht verdrießlich, daß mein Fortschritt unaufhörlich durch geheimnisvolle, technische Ausdrücke der Gelehrten gehemmt wird. Wollen Sie mir nicht gefälligst sagen, worin der Unterschied zwischen Geometrie und Conchologie besteht?« _Antwort_: Bleiben Sie mir vom Leibe mit Ihren arithmetischen Rätseln, mir ist der Kopf ohnehin von einem Schnupfen eingenommen, der mich halb tot macht. Hätten Sie den Ausdruck von Hohn sehen können, der noch vor einem Augenblick meine Gesichtszüge verdüsterte und sofort vom Mittelpunkt aus durch mein letztes Niesen nach allen Seiten hin gesprengt wurde, wie ein zersplittertes Spiegelglas, Sie würden diese schimpfliche Frage schwerlich niedergeschrieben haben. Die Conchologie ist eine Wissenschaft, die nichts mit der Mathematik zu thun hat; sie bezieht sich einzig und allein auf Schaltiere. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß ein Mann, welcher Austerschalen für ein Gasthaus öffnet, oder sich einer Wageschale bedient, Schalen mit Milch füllt, oder Eierschalen ausbläst, ein Student der Conchologie ist -- diese feine sarkastische Bemerkung wird an einer so hohlen Hirnschale wie die Ihrige wohl verschwendet sein. Nun vergleichen Sie einmal die Conchologie und die Geometrie mit einander, da werden Sie sehen, was der Unterschied ist und die Antwort auf Ihre Frage finden. Aber martern Sie mich nicht wieder mit Ihren arithmetischen Greueln, bis Sie hören, daß ich meinen Schnupfen losgeworden bin. Mich erfüllt in diesem Augenblick der bitterste Haß gegen Sie, weil Sie mich auf solche Weise nörgeln und quälen, während ich vor Wut nur niesen und meine Taschentücher zu Atomen zerschnauben kann. Seien Sie froh, daß Sie nicht im Bereich meiner Nase sind. Es wäre mir eine wahre Genugthuung, Sie mit einem kolossalen Nieser in alle Winde zu blasen. Kandidatenfreuden. Vor ein paar Monaten wurde ich im großen Staate New York von der Partei der Unabhängigen als Kandidat für den Gouverneursposten aufgestellt. Meine Gegenkandidaten waren John T. Smith und Blank J. Blank. Diesen Herren gegenüber glaubte ich erheblich im Vorteil zu sein -- ich erfreute mich nämlich eines guten Rufes. Wenn sie aber -- das konnte man leicht aus den Zeitungen ersehen -- je gewußt hatten, was es heißt, einen fleckenlosen Namen zu tragen, so war diese Zeit längst vorüber. Offenbar hatten sie sich in den letzten Jahren mit den schändlichsten Verbrechen ganz vertraut gemacht. Aber während ich mich noch insgeheim an dem Bewußtsein meiner Ueberlegenheit ergötzte, lauerte schon ein trübes Unbehagen im Hintergrunde meiner Seele und nagte an den Wurzeln meines Glücks. Mich quälte der Gedanke, daß nun mein Name fortwährend in Verbindung mit demjenigen solcher Menschen genannt werden würde. Meine Unruhe darüber wuchs von Tag zu Tage. Endlich schrieb ich es meiner Großmutter. Ihre Antwort traf ein und lautete sehr bestimmt wie folgt: »Du hast nie in deinem Leben das geringste gethan, dessen du dich zu schämen brauchtest, nicht das geringste. Nun wirf einen Blick in die Zeitungen, lies und erkenne, was für Charaktere die Herren Smith und Blank sind und dann prüfe dich, ob du willens bist, dich so weit zu erniedrigen, daß du mit ihnen den öffentlichen Wettbewerb um ein Amt aufnimmst.« [Illustration] Mir ganz aus der Seele gesprochen! Ich verbrachte eine schlaflose Nacht; aber wie ich's mir auch überlegte, zurücktreten konnte ich nicht mehr, ich war meinen Wählern gegenüber gebunden und mußte den Kampf fortsetzen. Als ich beim Frühstück mechanisch die Zeitung überblickte, stieß ich auf den folgenden Artikel, und, ehrlich gestanden, hat mich noch nie im Leben etwas dermaßen verblüfft: »_Meineid._ -- Da nun Herr M. Twain öffentlich als Kandidat für den Gouverneursposten auftritt, wird er sich vielleicht zu einer Erklärung herbeilassen, wie es kam, daß er im Jahre 1863 zu Wakawak in Cochinchina von vierunddreißig Zeugen des Meineids überführt wurde. Der Zweck dieses Meineids war, eine arme eingeborene Witwe und ihre hilflosen Kinder der elenden kleinen Bananenpflanzung zu berauben, welche ihnen in ihrer Not und Verlassenheit allein Nahrung und Unterhalt gewährte. Herr Twain ist es sich selbst und dem großen Volke schuldig, um dessen Stimmen er sich bewirbt, diese Angelegenheit aufzuklären. Wird er es thun?« -- Ich meinte, mich rühre der Schlag vor Entsetzen. Eine so grausame und herzlose Beschuldigung! Cochinchina hatte ich nie gesehen und von Wakawak niemals gehört. Ich hätte eine Bananenpflanzung nicht von einem Känguruh unterscheiden können. Ich war ratlos, von Sinnen, wußte mir nicht zu helfen! So verging der Tag, ohne daß ich einen Entschluß faßte. Am nächsten Morgen brachte dieselbe Zeitung folgende kurze Notiz: »_Bezeichnend._ -- Herr Twain hüllt sich, wie man bemerkt, über den Cochinchina-Meineid in ein vielsagendes Schweigen.« Während des ganzen Wahlkampfes wurde ich, beiläufig gesagt, von dieser Zeitung nie anders erwähnt, als mit dem Beifügen: »Der schändliche, meineidige Twain.« * * * * * Die ›Gazette‹ brachte nun zunächst folgendes: »_Anfrage._ -- Wird der neue Gouverneurskandidat die Güte haben, einige seiner Mitbürger, die ihre Stimmen nicht leichtsinnig abgeben wollen, über einen geringfügigen Umstand aufzuklären? Wie kam es, daß seine Schlafgenossen in Montana dann und wann kleine Wertsachen verloren, die jedesmal an Herrn Twains Person oder in seinem ›Koffer‹ (einem Zeitungsblatt, in welches er seine Habseligkeiten einzuwickeln pflegte) vorgefunden wurden, bis man sich endlich veranlaßt fühlte, ihm zu seinem eigenen Besten eine freundliche Verwarnung zu erteilen? Man theerte und federte ihn, ließ ihn auf einem Balken reiten und gab ihm schließlich den Rat, an dem Platz, den er gewöhnlich im Lager einnahm, eine bleibende Lücke zu lassen. Wird er dem Rate folgen?« -- Konnte man sich etwas ausgeklügelt Boshafteres vorstellen, zumal ich zu keiner Zeit meines Lebens in Montana gewesen bin? Von da ab nannte mich dieses Journal nie anders als den ›Montana-Dieb Twain.‹ Ich kam so weit, daß ich mich fast fürchtete, eine Zeitung in die Hand zu nehmen; ungefähr wie jemand, der eine wollene Decke, die er nötig braucht, aufheben möchte, aber eine Klapperschlange darunter vermutet. Eines Tages las ich folgendes: »_Der Lügner ist entlarvt!_ -- Durch die beschworenen Aussagen der Herren Michael O'Flanagan, Snub Rafferty und Catty Mulligan aus Five-Points und Water-Street[1] wurde festgestellt, daß Herrn Mark Twains schändliche Behauptung, als wäre der verstorbene Großvater unseres edlen Bannerträgers Blank J. Blank wegen Straßenraubs gehängt worden, eine gemeine, aus der Luft gegriffene Lüge ist. Für tugendhafte Männer ist es eine niederschmetternde Erfahrung, daß man zu solchen unehrenhaften Mitteln greifen kann, um einen politischen Erfolg zu erringen, daß man sich nicht scheut, die Toten noch im Grabe zu beschimpfen und auf ihren geachteten Namen Verleumdungen zu häufen. Wenn wir an den Schmerz denken, den diese elende Lüge den unschuldigen Verwandten und Freunden des Verewigten bereitet haben muß, sind wir fast versucht, das betrogene und beleidigte Publikum zu schneller, wenn auch ungesetzmäßiger Rache gegen den Verleumder aufzustacheln. Aber nein -- überlassen wir ihn den Qualen eines gepeinigten Gewissens! -- Sollte jedoch der Fall eintreten, daß das Publikum, von Leidenschaft übermannt, in blinder Wut dem Verleumder körperliche Mißhandlungen zufügte, so liegt es auf der Hand, daß kein Schwurgericht die Thäter für schuldig erklären, kein Richter sie strafen könnte.« [1] Eine berüchtigte Gegend New Yorks, wo viel irisches Gesindel wohnt. Der geschickt abgefaßte Schlußsatz bewirkte, daß ich noch in derselben Nacht in größter Eile aus dem Bette und zur Hinterthür hinausflüchten mußte, während das ›betrogene und beleidigte‹ Publikum vor dem Hause wütete und tobte wie brandende Meereswogen, in seiner gerechten Entrüstung beim Kommen Möbel und Fenster zerschlug und beim Gehen so viel von meinem Eigentum mitnahm, als es tragen konnte. Und doch kann ich meine Hand auf die Bibel legen und versichern, daß ich Herrn Blanks Großvater niemals verleumdet habe. Ja noch mehr -- ich hatte bis zu jener Stunde seinen Namen nicht einmal nennen hören. Gelegentlich will ich nur erwähnen, daß das Journal, welchem obige Mitteilung entstammt, mich von nun an immer als ›Twain, den Leichenschänder‹ bezeichnete. * * * * * Der nächste Zeitungsartikel, der meine Aufmerksamkeit erregte, lautete wie folgt: »_Ein netter Kandidat!_ -- Herr Mark Twain, der gestern abend bei der Volksversammlung der Unabhängigen eine donnernde Rede halten sollte, glänzte durch Abwesenheit. Ein Telegramm seines Arztes meldete, daß er von einem durchgegangenen Gespann zu Boden geworfen worden sei und an einem doppelten Beinbruch in großen Schmerzen darniederliege, und so weiter, und so weiter, noch ein ganzer Haufen ähnlichen Unsinns. Die Unabhängigen gaben sich alle Mühe, die elende Notlüge hinunterzuschlucken und zu thun, als ahnten sie den eigentlichen Grund der Abwesenheit jenes Verworfenen nicht, den sie zu ihrem Bannerträger erkoren haben. _Gestern abend sah man einen gewissen Menschen im Zustand viehischer Betrunkenheit_ in Herrn Twains Hotel hineintaumeln! Es ist unbedingt Pflicht für die Unabhängigen, zu beweisen, daß dieses zum Tier entwürdigte Geschöpf nicht Mark Twain selbst gewesen ist. Jetzt endlich sind sie gefangen -- hier giebt es kein Entrinnen! Im Donnerton ruft die Volksstimme: _Wer war der Mensch?_« -- * * * * * Unglaublich, völlig unglaublich, daß es wirklich mein Name war, den man mit diesem schmachvollen Verdacht in Verbindung brachte! Waren doch drei Jahre über mein Haupt dahingegangen, seit ich einen Tropfen Ale, Bier, Wein oder überhaupt ein geistiges Getränk angerührt hatte. Es zeigt, wie abgestumpft ich schon mit der Zeit geworden war, daß ich es ohne Schmerz ertragen konnte, mich in der nächsten Nummer dieses Journals ganz selbstverständlich als Herr ›~Delirium Tremens Twain~‹ erwähnt zu finden, obgleich ich sicher sein konnte, daß das Blatt mit unwandelbarer Eintönigkeit fortfahren werde, mich bis ans Ende so zu bezeichnen. Unter den Postsachen, welche ich täglich erhielt, begannen jetzt anonyme Briefe eine große Rolle zu spielen. Die Form derselben war meistens folgende: »Wie war's denn mit die alte Bettelfrau, die Sie von Ihrer Dürschwölle mit Fußdritte wegjachten? Pol Pry.« Dann weiter: -- »Sie haben Dahten gethan, welche niemand bewußt sind wie mir. Rücken Sie nur ein bar Batzen raus an Ihren Ergebenen oder Sie sollen durch die Zeitungen was hören von Handy Andy.« So ungefähr lauteten sie. Auf Wunsch könnte ich damit fortfahren, bis der Leser übergenug hat. Bald darauf ›überführte‹ mich das bedeutendste republikanische Journal einer großartigen Bestechung und das demokratische Hauptblatt bezüchtigte mich eines niederträchtigen Erpressungsversuches. Auf diese Weise erwarb ich zwei neue Titel: ›Twain, der elende Verführer‹ und ›Twain, der schändliche Räuber.‹ Inzwischen verlangte man mit solchem Toben eine ›Antwort‹ auf alle die entsetzlichen Beschuldigungen, die gegen mich laut geworden waren, daß die Redakteure und die Führer meiner Partei behaupteten, es wäre mein politischer Ruin, wollte ich länger bei meinem Schweigen verharren. Wie um ihr Verlangen noch dringender zu machen, erschien schon am nächsten Tage folgendes in einer Zeitung: »_Seht einmal den Menschen an!_ -- Der Kandidat der Unabhängigen schweigt noch immer, weil er nicht zu reden wagt. Alle gegen ihn erhobenen Anschuldigungen sind vollauf bewiesen worden und sein fortgesetztes, beredtes Schweigen hat deren Wahrheit genug bestätigt, so daß er nunmehr für alle Zeit überführt dasteht. -- Ihr Unabhängigen, seht ihn euch einmal an, euern Kandidaten! Seht den verruchten Meineidigen, den Montana-Dieb, den Leichenschänder! Betrachtet euch euern ~Delirium Tremens~, den elenden Verführer, den schändlichen Räuber! Schaut ihn an -- genau und gründlich -- und dann sagt, ob ihr mit gutem Gewissen einem Schurken eure Stimme geben könnt, der sich durch seine entsetzlichen Verbrechen eine so grauenvolle Auswahl von Ehrentiteln erworben hat und es nicht wagt, den Mund aufzuthun, um auch nur einen einzigen von sich zu weisen.« [Illustration] Ich sah keine Möglichkeit, mir die Sache zu ersparen, und so machte ich mich denn tief gedemütigt daran, eine ›Antwort‹ auf den Wust von grundlosen Beschuldigungen und boshaften Lügen vorzubereiten. Aber ich brachte diese Aufgabe nicht zu stande. Schon am folgenden Morgen erschien nämlich eine neue gräßliche Geschichte in einem Blatt; mit abscheulicher Erfindungsgabe beschuldigte man mich allen Ernstes, ein Irrenhaus nebst sämtlichen Insassen niedergebrannt zu haben, weil es die Aussicht vor meinem Hause versperre. Dies versetzte mich in Todesschrecken. -- Ferner sollte ich noch meinen Onkel vergiftet haben, um sein Vermögen an mich zu bringen, und man bestand heftig darauf, das Grab müsse geöffnet werden. Es trieb mich an den Rand der Verzweiflung. Als nun noch die Anklage folgte, ich hätte als Pfleger des Findelhauses meine zahnlosen, altersschwachen Verwandten angestellt, um die Kost zu bereiten -- da begann ich zu wanken, und die Sinne schwanden mir. Schließlich setzte man der empörenden Verunglimpfung, die der Parteihaß mir angethan, noch die Krone auf, indem man neun zerlumpte Kinder, in allen Farbenschattierungen, die kaum laufen gelernt hatten, abrichtete, bei einer öffentlichen Versammlung auf die Rednertribüne zu stürzen, sich an mich zu drängen und mich Papa zu nennen. Das gab den Ausschlag. Ich strich die Flagge und ergab mich. Zum Wahlkampf im Staate New York bei Besetzung des Gouverneurpostens reichten meine Kräfte nicht aus. Ich sandte meinen Verzicht auf die Kandidatur ein und unterzeichnete mich in der Bitterkeit meines Herzens Ihr ergebener ehemaliger Ehrenmann, aber jetzt S.M. -- M.D. -- L.Sch. -- D.T. -- E.V. u. S.R. _Mark Twain_. Der große Rindfleisch-Kontrakt. Mit so wenig Worten wie möglich will ich der Nation über meine Beteiligung an einer Sache berichten, welche die öffentliche Meinung in hohem Grade beschäftigt und viel böses Blut erregt hat. Die traurige Angelegenheit ist von den Zeitungen der alten und der neuen Welt mit den schrecklichsten Uebertreibungen und Verzerrungen dargestellt worden; für alle Thatsachen, welche ich anführe, finden sich aber -- das kann ich versichern -- mehr als genügende urkundliche Beweise in den Staatsarchiven der Union vor. Der Verlauf der Sache war ursprünglich folgender: John Wilson Mackenzie aus Rotterdam in der Grafschaft Chemung im Staate New Jersey, jetzt verstorben, schloß etwa am 10. Oktober 1861 mit der Regierung der Vereinigten Staaten einen Kontrakt ab, nach welchem er dem General Sherman dreißig Faß eingepökeltes Rindfleisch zu liefern hatte. Nun gut. [Illustration] Er machte sich auf, um Sherman das Rindfleisch zu bringen, aber als er in Washington ankam, war der General nach Manassas unterwegs; er zog ihm daher mit dem Rindfleisch nach, kam aber zu spät. Nun folgte er ihm nach Nashville, von Nashville nach Chatanooga, von Chatanooga nach Atlanta -- einholen konnte er ihn jedoch nicht. In Atlanta nahm er einen neuen Anlauf und zog auf dem ganzen Marsch nach der Meeresküste hinter Sherman drein. Wieder kam er um einige Tage zu spät; da er aber erfuhr, der General habe sich in der ›Quaker-City‹ nach dem Heiligen Lande eingeschifft, ging er nach Beirut unter Segel, überzeugt, er werde das andere Schiff einholen können. In Jerusalem angekommen, erhielt er die Nachricht, der General sei nicht mit der ›Quaker-City‹ abgesegelt, sondern nach der Prairie aufgebrochen, um gegen die Indianer zu kämpfen. Er kehrte daher nach Amerika zurück und zog in das Felsengebirge. Nach achtundsechzigtägiger, mühseliger Wanderung durch die Prairie, nur noch vier Meilen von Shermans Hauptquartier entfernt, fiel er den Indianern in die Hände, die ihn mit dem Tomahawk erschlugen, ihm die Kopfhaut abzogen und sich des Rindfleischs bemächtigten. Sie nahmen das ganze, bis auf ein Faß, welches Shermans Armee eroberte. Der kühne Reisende erfüllte also sogar im Tode noch seinen Kontrakt, wenigstens zum Teil. In seinem Testament, das er wie ein Tagebuch führte, vermachte er den Kontrakt seinem Sohn Bartholomäus W. Dieser schrieb die folgende Rechnung auf -- dann starb er: _Rechnung für die Ver. Staaten._ _In Rechnung für _John Wilson Mackenzie_ von New Jersey, jetzt verstorben, 30 Fass_ _eingepökeltes Rindfleisch für General _Sherman_ à 100 Dollars_ _3000 Doll._ _Reisespesen und Transport des Fleisches_ _14000 Doll._ ------------- _Summa 17000 Doll._ _Den Betrag empfangen zu haben bescheinigt_ ................................. Bei seinem Ableben hinterließ er den Kontrakt dem Wm. J. Martin, welcher sich bemühte, die Summe zu erheben, aber darüber starb und seine Forderung an Barker J. Allen vermachte. Auch dieser erhielt bei seinen Lebzeiten keine Bezahlung und hinterließ die Schriftstücke Anson G. Rogers, der bei seinem Versuch, den Betrag einzukassieren, eben bis zum neunten Rechnungsführer gelangt war, als der Tod, der alles zum Abschluß bringt, ungerufen erschien und ihm die ferneren Verhandlungen abschnitt. Die Papiere hinterließ er einem Verwandten in Connecticut, Namens Vengeance Hopkins, welcher es vier Wochen und zwei Tage aushielt und unerhörten Erfolg hatte, denn fast wäre er bis zum zwölften Rechnungsführer gelangt. Er vermachte den Kontrakt testamentarisch seinem Onkel, der Freudenreich Johnson hieß. Aber Freudenreich ertrug es nicht lange. Seine letzten Worte waren: »Ich sterbe gern -- weinet nicht über mich!« Und er starb wirklich gern, der arme Mann. Nach seinem Tode erbten noch sieben andere Leute Kontrakt und Rechnung, die alle bald starben. So kamen die Papiere zuletzt in meinen Besitz. Ich erhielt sie von meinem Verwandten Betlehem Hubbard aus Indiana, der schon lange einen Groll gegen mich hegte. Auf seinem Totenbette schickte er aber nach mir, verzieh mir alles, und übergab mir mit Thränen in den Augen den Rindfleisch-Kontrakt. Dies ist die Vorgeschichte desselben, bis zu der Zeit, da er mein Eigentum wurde. Jetzt will ich den Versuch machen, mich angesichts der ganzen Nation wegen meines Anteils an der Sache zu rechtfertigen. Mit dem Kontrakt und der Rechnung über Reisespesen und Transport der gelieferten Ware begab ich mich zu dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. »Was wünschen Sie, mein Herr,« fragte er mich. Ich erwiderte: »Majestät, etwa am 10. Oktober des Jahres 1861 schloß John Wilson Mackenzie aus Rotterdam in der Grafschaft Chemung im Staate New Jersey, jetzt verstorben, mit der Regierung der Vereinigten Staaten einen Kontrakt ab, nach welchem er dem General Sherman dreißig Faß eingepökeltes Rindfleisch -- --« Hier fiel er mir ins Wort, freundlich, aber mit fester Stimme, und entließ mich. Am nächsten Tage machte ich dem Staatssekretär meine Aufwartung. »Ihr Begehr, mein Herr?« fragte dieser. »Königliche Hoheit,« begann ich, »etwa am 10. Oktober des Jahres 1861 schloß John Wilson Mackenzie aus Rotterdam in der Grafschaft Chemung im Staate New Jersey, jetzt verstorben, mit der Regierung der Vereinigten Staaten einen Kontrakt ab, nach welchem er dem General Sherman dreißig Faß eingepökeltes Rindfleisch -- --« »Genug, mein Herr -- genug, sage ich! Wir haben in diesem Ministerium nichts mit Kontrakten über Rindfleisch zu schaffen.« Ich wurde hinauskomplimentiert. Nachdem ich mir die Sache reiflich überlegt hatte, stattete ich tags darauf dem Marineminister einen Besuch ab. Der sagte: »Rasch, mein Herr, bringen Sie Ihr Anliegen vor; lassen Sie mich nicht warten!« »Königliche Hoheit,« sagte ich, »etwa am 10. Oktober des Jahres 1861 schloß John Wilson Mackenzie aus Rotterdam in der Grafschaft Chemung im Staate New Jersey, jetzt verstorben, mit der Regierung der Vereinigten Staaten einen Kontrakt ab, nach welchem er dem General Sherman dreißig Faß eingepökeltes Rindfleisch -- --« Weiter kam ich nicht. Auch ihn gingen die Rindfleischlieferungen für General Sherman nichts an. Ich dachte, das sei doch eine recht kuriose Regierung! Es hatte ja fast den Anschein, als habe sie überhaupt keine Lust, das Rindfleisch zu bezahlen. Am nächsten Tage ging ich zum Minister des Innern. »Kaiserliche Hoheit,« sagte ich, »etwa am 10. Oktober des --« »Sparen Sie sich die Mühe, mein Herr,« fuhr er auf; »ich habe schon von Ihnen gehört. Machen Sie, daß Sie mit Ihrem niederträchtigen Kontrakt aus dem Hause kommen. Mit der Verproviantierung der Armeen hat das Ministerium des Innern durchaus nichts zu thun.« Ich entfernte mich; aber jetzt war ich wirklich aufgebracht. So leichten Kaufs sollten sie mich nicht los werden; ich nahm mir vor, jedes Departement dieser gottlosen Regierung heimzusuchen, bis das Geschäft mit dem Kontrakt geordnet sei. Entweder wollte ich das Geld einkassieren oder das Leben lassen bei dem Versuch, wie alle meine Vorgänger. Ich ging dem Generalpostmeister zu Leibe, ich belagerte das Ackerbauministerium, ich lauerte dem Sprecher des Repräsentantenhauses auf. Sie alle hatten nichts mit den Armeelieferungen von Rindfleisch zu schaffen. Darauf wandte ich mich an den Vorsitzenden des Patentamts. »Hochwohlgeborene Excellenz,« sagte ich, »etwa am -- --« »Zum Henker, sind Sie mit Ihrem verfluchten Rindfleisch-Kontrakt endlich auch hierher gelangt! Ich versichere Sie, werter Herr, uns gehen weder die Armeelieferungen etwas an, noch Ihr Kontrakt.« »O, das kann jeder sagen -- -- _irgend jemand_ muß das Fleisch doch bezahlen! Die Sache wird jetzt auf der Stelle ins reine gebracht, sonst lege ich Beschlag auf dies alte Patentamt, mit allem was darin ist.« »Aber bester Herr! --« »Es ist mir alles einerlei. Das Patentamt ist verpflichtet, das Rindfleisch zu bezahlen. Darauf bestehe ich. Alle Ausreden sind umsonst; ich wanke und weiche nicht vom Platze, bis das Patentamt bezahlt hat.« [Illustration] Die weiteren Einzelheiten thun nichts zu der Sache. Sie endete in einer Prügelei und das Patentamt behielt die Oberhand. Aber etwas hatte ich bei der Gelegenheit doch erfahren, was mir Vorteil brachte, nämlich, daß, wenn ich zur richtigen Behörde gehen wolle, ich mich an das Schatzamt wenden müsse. Ich begab mich dorthin und wartete drittehalb Stunden, dann ward ich beim ersten Lord der Schatzkammer vorgelassen. »Alleredelster, würdigster und hochgeschätztester Signor,« sagte ich, »etwa am 10. Oktober des Jahres 1861 schloß John Wilson Macken -- --« »Nicht weiter, mein Herr -- ich weiß, ich weiß! Gehen Sie zum ersten Rechnungsführer.« Das that ich und er schickte mich zum zweiten Rechnungsführer. Der schickte mich zum Oberregistrator der Abteilung für Pökelfleisch. Das fing doch an geschäftsmäßig auszusehen! Er ging die Bücher durch, auch alle noch ungehefteten Akten, fand aber den Rindfleisch-Kontrakt nirgends eingetragen und schickte mich zum zweiten Registrator. Auch dieser sah seine Bücher und Papiere durch, aber ohne Erfolg. Jetzt schöpfte ich neuen Mut und kam im Lauf der Woche bis zum sechsten Registrator der Pökelfleisch-Abteilung. In der zweiten Woche machte ich die Abteilung für Schuldforderungen durch, in der dritten erledigte ich die Abteilung für unerfüllte Kontrakte und faßte Fuß in der Abteilung für unbezahlte Rechnungen. Dort waren meine Erkundigungen schon nach drei Tagen zu Ende. Es gab jetzt nur noch einen Ort, wo ich nachfragen konnte. Ich belagerte den Kommissionär für Bagatellsachen. Das heißt, er selbst war nicht da, ich hielt mich an einen Schreiber. In dem Zimmer befanden sich sechzehn wunderhübsche Damen, welche die Bücher führten, und sieben Schreiber von wohlgefälligem Aeußern, die ihnen zeigten, wie sie es machen müßten. Die jungen Damen wandten den Kopf und lächelten über ihre Schultern nach oben, die Schreiber lächelten zu ihnen hinab und es ging so lustig her, wie wenn die Glocke zur Hochzeit läutet. Zwei oder drei andere Schreiber, welche die Zeitung lasen, sahen mich mit scharfen Blicken an, fuhren aber fort zu lesen und niemand sprach ein Wort. An solche Zuvorkommenheit und bereitwillige Bedienung war ich aber in meiner ereignisreichen Laufbahn schon gewöhnt, da ich sie seit dem Tage, als ich das erste Bureau der Pökelfleisch-Abteilung betrat, bis ich das letzte verließ, um mich in die Abteilung für Bagatellsachen zu begeben, bei allen Schreibergehilfen der Registratoren angetroffen hatte. Durch viele Uebung war ich schon so weit gekommen, daß ich, von meinem Eintritt ins Bureau an, bis zu dem Augenblick, daß der Schreiber mich anredete, auf einem Bein stehen konnte, ohne dasselbe mehr als zwei- oder höchstens dreimal zu wechseln. Jetzt stand ich hier, bis ich das Bein viermal gewechselt hatte. Dann sagte ich zu einem der Schreiber, welche lasen: »Erlauchter Bummler, wo ist der Großtürke?« »Was meinen Sie, mein Herr? Wen meinen Sie? -- Wenn Sie den Bureauchef meinen -- der ist ausgegangen.« »Wird er heute noch den Harem besuchen?« Der junge Mann sah mich eine Weile grimmig an und vertiefte sich dann wieder in seine Zeitung. Aber das kümmerte mich nicht, ich kannte die Art dieser Schreiber und wußte, daß Hoffnung für mich vorhanden sei, wenn er eher fertig wurde, als die neuen Zeitungen aus New York eintrafen. Er war jetzt schon bei dem vorvorletzten Tageblatt angekommen. Nach einer Weile hatte er alles durchgelesen, dann gähnte er und fragte nach meinem Begehr. »Weltberühmter und hochverehrter Staatsmann, etwa am 10. --« »Ah, Sie sind der Mann mit dem Rindfleisch-Kontrakt. Geben Sie mir Ihre Papiere.« Er nahm sie in Empfang und wühlte dann lange Zeit in seinen Bagatellsachen herum. Endlich fand er die Nordwestpassage, oder was für mich dasselbe bedeutete, den lange verlorenen Vermerk über den Rindfleisch-Kontrakt -- die Klippe, an welcher so viele meiner Vorgänger gescheitert waren, ohne sie je zu erreichen. Meine Rührung war groß und doch frohlockte ich im Herzen -- denn ich lebte ja noch. Ich sagte mit bewegter Stimme: »Geben Sie mir das Dokument! Die Regierung wird jetzt sicherlich die Schuld abtragen.« Er bedeutete mir jedoch, ich solle mich gedulden, es sei vorher noch etwas zu erledigen. »Wo ist jener John Wilson Mackenzie?« fragte er. »Tot.« »Wann ist er gestorben?« »Gestorben ist er überhaupt nicht -- man hat ihn totgeschlagen.« »Wie das?« »Mit einem Tomahawk erschlagen.« »Wer hat ihn mit dem Tomahawk erschlagen?« »Natürlich doch ein Indianer. Sie glaubten doch nicht, der Superintendent einer Sonntagsschule hätte es gethan?« »Nein. Also ein Indianer war es?« »Jawohl.« »Sein Name?« »Sein Name? -- Ich werde doch nicht seinen Namen wissen sollen!« »_Name_ unbedingt erforderlich. Wer hat denn gesehen, daß er mit dem Tomahawk erschlagen wurde?« »Das weiß ich nicht.« »Sie selbst waren also nicht zugegen?« »Nein -- wie Sie an meinen Haaren sehen können.« »Woher wissen Sie denn, daß Mackenzie tot ist?« »Weil er zu jener Zeit wirklich gestorben und seitdem auch tot geblieben ist, wie ich allen Grund habe zu glauben. Ja, ich weiß es ganz bestimmt.« »Wir müssen Beweise haben. Ist der Indianer zur Stelle?« »Natürlich nicht.« »Den müssen Sie herbeischaffen. Haben Sie den Tomahawk hier?« »Bewahre, ich denke gar nicht daran.« »Sie müssen den Tomahawk beibringen und ihn uns zusamt dem Indianer vorführen. Wenn sich hierdurch Mackenzies Tod beweisen läßt, haben Sie sich an die Kommission zu wenden, welche eingesetzt ist, um schwebende Forderungen zu prüfen. Vielleicht kommt dann Ihre Sache so in den Zug, daß Ihre Kinder die Bezahlung der Rechnung noch erleben und das Geld verzehren können. Aber vor allem muß der Tod jenes Mannes bewiesen werden. Uebrigens kann ich Ihnen gleich noch sagen, daß die Regierung die Transport- und Reisespesen des seligen Mackenzie nimmermehr bezahlen wird. _Möglicherweise_ wird sie das Faß Pökelfleisch bezahlen, welches Shermans Soldaten erobert haben, wenn Sie auf Schadenersatz klagen und der Kongreß Ihre Forderung anerkennt; aber die neunundzwanzig Faß, welche die Indianer aufgegessen haben, wird sie Ihnen nicht bezahlen.« »Demnach hätte ich nur hundert Dollars zu beanspruchen und selbst diese sind mir nicht sicher! Und das nach Mackenzies endlosem Hin- und Herreisen mit dem Pökelfleisch in Europa, Asien und Amerika, nach allen Beschwerden, Prüfungen und Plackereien, die er erduldet hat, nach dem Hinsterben so vieler Unschuldiger, die bei dem Versuch, die Rechnung einzukassieren, ums Leben gekommen sind! Junger Mann, warum hat mir der Oberregistrator der Pökelfleisch-Abteilung das nicht gleich gesagt?« »Er wußte nicht, daß Ihr Anspruch begründet war.« »Warum hat es mir der zweite, der dritte nicht gesagt -- warum erfuhr ich es in keiner einzigen der Abteilungen und Unterabteilungen?« »Weil man nirgends etwas davon wußte. Bei uns geschieht alles nach dem Geschäftsgang. Dem sind Sie gefolgt und haben in Erfahrung gebracht, was Sie zu wissen wünschten. Es ist das der beste Weg. Er ist ganz ordnungsmäßig, man kommt dabei sehr langsam, aber sehr sicher zum Ziel.« »Jawohl, zum sichern Tode. Dahin hat er die meisten der Unsrigen geführt. Ich fühle, daß es auch mit mir zu Ende geht. -- Junger Mann, Sie lieben jenes fröhliche Geschöpf da drüben mit den sanften, blauen Augen und dem Federhalter hinter dem Ohr -- ich sehe das an Ihren schmachtenden Blicken. Sie wünschen sie zu heiraten -- aber Sie sind arm. Hier -- strecken Sie die Hand aus, hier ist der Rindfleisch-Kontrakt! Wohlan, nehmt euch, seid glücklich! Gott segne euch, meine Kinder!« * * * * * Das ist alles, was ich von dem großen Rindfleisch-Kontrakt weiß, der so viel Aufsehen in der Welt gemacht hat. Der Schreiber, dem ich ihn abgetreten habe, ist gestorben. Was weiter aus dem Kontrakte und seinen spätern Besitzern geworden ist, vermag ich nicht zu sagen. Nur soviel weiß ich, daß, wenn jemand lange genug am Leben bleibt, um seine Sache durch das ganze Umständlichkeitsamt in Washington hindurch zu verfolgen, er zuletzt, nach vieler Mühe, Arbeit und Verzögerung, das herausfinden wird, was er am ersten Tage hätte erfahren können, wenn der Geschäftsgang im Umständlichkeitsamt so geschickt und zweckentsprechend geregelt wäre, wie in jedem großen kaufmännischen Institut. Der gestohlene weiße Elefant. I. Die folgende merkwürdige Geschichte wurde mir von einem Manne erzählt, den ich zufällig auf der Eisenbahn kennen lernte. Er war ein alter Herr von mehr als siebzig Jahren, dessen gutmütiges Gesicht und aufrichtiges Wesen jedem seiner Worte den unverkennbaren Stempel der Wahrhaftigkeit aufdrückte. Er sagte: Sie wissen, welche Verehrung der königliche weiße Elefant von Siam bei der Bevölkerung jenes Landes genießt. Sie wissen, daß er den Königen geweiht ist, daß nur Könige ihn besitzen dürfen und daß er in einer Hinsicht selbst den Königen überlegen ist, indem er nicht bloß geehrt, sondern auch angebetet wird. Nun gut; als sich vor fünf Jahren Streitigkeiten über die Grenzlinie zwischen Britisch-Indien und Siam erhoben, stellte sich alsbald heraus, daß Siam unrecht hatte. So wurde denn die Sache rasch und zur Zufriedenheit des Vertreters von England geregelt. Teils zum Zeichen seiner Dankbarkeit, teils auch wohl, um jede noch etwa vorhandene Spur von Mißstimmung auf englischer Seite zu verwischen, beabsichtigte der König von Siam der Königin Viktoria ein Geschenk zu senden -- nach orientalischen Begriffen der einzig sichere Weg, einen Feind zu beschwichtigen. Dieses Geschenk sollte nicht nur ein königliches, sondern auch in jeder Beziehung einzig sein. Was konnte sich dazu besser eignen, als ein weißer Elefant? Da ich eine angesehene Stellung im indischen Zivildienst einnahm, ward ich der Ehre gewürdigt, Ihrer Majestät das Geschenk zu überbringen. Man rüstete für mich und meine Dienerschaft nebst den Wärtern des Elefanten ein Schiff aus. Ich gelangte zur gehörigen Zeit im Hafen von New York an und brachte meinen königlichen Schutzbefohlenen in einem prächtigen Quartiere zu Jersey City unter. Wir mußten notgedrungen einige Zeit rasten, bevor wir die Reise fortsetzten, denn die Kräfte des Tieres verlangten Schonung. Vierzehn Tage lang ging alles gut -- dann begannen meine Nöte. Der weiße Elefant war gestohlen worden! Man hatte mich mitten in der Nacht aufgeweckt und von dem entsetzlichen Verlust benachrichtigt. Ich war einige Augenblicke außer mir vor Schreck und Angst; dann wurde ich ruhiger und sammelte meine fünf Sinne. Ich sah bald, welchen Weg ich einzuschlagen hatte -- für einen vernünftigen Menschen konnte es in der That nur einen geben. Trotz der späten Stunde eilte ich sogleich nach New York und ließ mich von einem Schutzmann nach dem Hauptquartier der Geheimpolizei führen. Ich langte noch zur rechten Zeit an, gerade als der Chef, der berühmte Inspektor Blunt, im Begriff war, nach Hause zu gehen. Er war ein Mann von mittlerer Größe und gedrungenem Körperbau. Schon sein Anblick flößte mir Hoffnung und Vertrauen ein. Wenn er in tiefes Nachdenken versunken war, hatte er eine Art, die Brauen zusammenzuziehen und sich mit dem Zeigefinger nachdenklich auf die Stirn zu klopfen, die mich sofort überzeugte, es mit keiner gewöhnlichen Persönlichkeit zu thun zu haben. Ich trug ihm meine Sache vor: sie brachte ihn nicht im geringsten aus der Fassung; ja -- machte sichtlich nicht mehr Eindruck auf seine eherne Selbstbeherrschung, als wenn es sich um einen gestohlenen Hund handelte. Er wies mir einen Sitz an und sagte ruhig: »Bitte, lassen Sie mich ein wenig nachdenken.« Indem er das sagte, setzte er sich an seinen Schreibtisch und stützte den Kopf auf die Hand. Einige Schreiber arbeiteten am andern Ende des Zimmers; das Kratzen ihrer Federn war das einzige Geräusch, das ich während der nächsten sechs oder sieben Minuten hörte. Mittlerweile blieb der Inspektor in tiefe Gedanken versunken; endlich erhob er das Haupt, und in den festen Zügen seines Gesichts lag etwas, was mir anzeigte, daß sein Gehirn seine Schuldigkeit gethan habe und daß sein Plan fertig sei. Er sprach -- seine Stimme war leise und eindringlich --: »Kein gewöhnlicher Fall das! Jeder Schritt muß vorsichtig geschehen; jeder Schritt muß sicher gemacht werden, bevor der nächste gewagt wird. Und die Sache muß verschwiegen bleiben -- tiefes, unverbrüchliches Geheimnis. Sprechen Sie mit niemand darüber, nicht einmal mit den Reportern; ich will dafür sorgen, daß sie nur erfahren und berichten, was meinen Zwecken dient.« Er schellte; ein Jüngling erschien. »Alarich, sagen Sie den Reportern, sie sollen vorläufig dableiben.« Der Jüngling verschwand. »Und nun zur Sache -- und das systematisch. In meinem Beruf kann man es zu nichts bringen, ohne strenge und genaue Methode.« Er ergriff eine Feder und legte sich einen Bogen Papier zurecht. »Nun! -- der Name des Elefanten?« »Hassan Ben Ali Ben Selim Abdallah Mohamed Moisé Alhammal Jamtsetjejeebhoy Dhulepp Sultan Ebu Bhudpoor.« »Sehr gut. Rufname?« »Jumbo.« »Sehr gut. Geburtsort?« »Die Hauptstadt von Siam.« »Eltern lebend?« »Nein -- tot.« »Hatten sie noch andere Nachkommenschaft?« »Nein, er war der einzige Sohn.« »Gut! diese Personalien genügen für diese Rubrik. Und nun, bitte, beschreiben Sie den Elefanten und lassen Sie keine Einzelheit aus, sei sie auch noch so unbedeutend -- d. h. unbedeutend von _Ihrem_ Gesichtspunkt aus. Für Leute meines Berufs _giebt_ es keine unbedeutenden Einzelheiten.« Ich _beschrieb_ und er schrieb _nieder_; als ich zu Ende war, sagte er: »Hören Sie zu und berichtigen Sie mich, wenn ich einen Fehler gemacht habe.« Er las wie folgt: »Höhe 19 Fuß; Länge von der Stirn bis zum Schwanzansatz 26 Fuß; Länge des Rüssels 16 Fuß; Länge des Schwanzes 6 Fuß; Totallänge einschließlich Rüssel und Schwanz 48 Fuß; Länge der Stoßzähne 9½ Fuß; Ohren, im Verhältnis zu diesen Dimensionen; Fußspur gleicht der Spur eines Fasses, das man im Schnee aufrecht stellt; Farbe des Elefanten ein schmutziges Weiß; hat in jedem Ohr ein Loch von der Größe eines Tellers zum Einhängen von Schmucksachen; besitzt in hohem Grade die Gewohnheit, Gaffer mit Wasser zu bespritzen und mit seinem Rüssel nicht nur Leute, mit denen er bekannt ist, sondern selbst Fremde zu mißhandeln; hat eine Narbe unter der Achselhöhle, hinkt ein wenig auf dem rechten Hinterbein und hatte, als er gestohlen wurde, auf dem Rücken einen Turm mit Sitzen für fünfzehn Personen und eine Satteldecke aus Goldbrokat von der Größe eines gewöhnlichen Teppichs.« Das Signalement war tadellos; der Inspektor schellte, händigte Alarich die Beschreibung ein und sagte: »Lassen Sie sogleich fünfzigtausend Exemplare von diesem Signalement drucken und per Bahn an alle Polizeiämter und Pfandleiher in Nordamerika versenden.« Alarich zog sich zurück. »So, damit wären wir fertig. Nun muß ich eine Photographie des gestohlenen Eigentums haben.« Ich gab ihm eine; er betrachtete sie kritisch und sagte: »Sie muß genügen, da wir keine bessere haben; aber er hat den Rüssel aufgerollt und in den Mund gesteckt. Das ist schade, denn es kann leicht irre führen, weil er natürlich den Rüssel für gewöhnlich nicht so trägt.« Er schellte. »Alarich, lassen Sie sogleich fünfzigtausend Abdrücke dieser Photographie anfertigen und mit dem Signalement versenden.« Alarich ging, um seine Befehle zu vollziehen. Der Inspektor sagte: »Man wird natürlich eine Belohnung aussetzen müssen. Wie hoch meinen Sie?« »Welche Summe würden Sie mir raten?« »Vorerst würde ich sagen -- nun, fünfundzwanzigtausend Dollars. Es ist eine verwickelte und schwierige Arbeit; es giebt tausend Gelegenheiten zum Entkommen und zum Verbergen. Diese Diebe haben überall Freunde und Helfershelfer.« -- -- »Lieber Himmel, wissen Sie denn, wer sie sind?« Das kluge Gesicht, geübt im Verbergen der Gedanken und Gefühle, verriet mir nicht das mindeste, ebensowenig die vollkommen ruhig geäußerte Erwiderung: »Lassen Sie's gut sein! Vielleicht weiß ich's, vielleicht auch nicht. Wir gewinnen gewöhnlich einen ziemlich deutlichen Hinweis auf die Thäter aus der Art und Weise, wie sie zu Werk gehen und aus der Größe ihres Raubes. Wir haben es hier nicht mit einem Taschendieb oder Uhrenabzwicker zu thun, darauf können Sie Gift nehmen -- dieser Gegenstand wurde von keinem Anfänger ›aufgehoben‹. Aber, was ich sagen wollte, in Anbetracht der vielen Reisen, die gemacht werden müssen, und des Eifers, mit dem die Diebe ihre Spuren verwischen werden, mögen fünfundzwanzigtausend Dollars fast zu wenig sein; doch kann man immerhin damit anfangen.« So einigten wir uns denn über diese Summe für den Anfang. Dann sagte der Inspektor, dem nichts entging, was nur irgendwie als Fingerzeig dienen konnte: »Es giebt in der Polizeigeschichte Fälle, die beweisen, daß Verbrecher durch Eigentümlichkeiten in ihrer Geschmacksrichtung entdeckt worden sind. Sagen Sie, was frißt Ihr Elefant, und wieviel?« »_Was_ er frißt? -- einfach alles! Er frißt einen Menschen, er frißt eine Bibel -- er frißt alles, was zwischen Mensch und Bibel liegt.« »Gut, wirklich sehr gut, aber zu allgemein. Ich brauche Details -- Details haben in unserem Berufe allein Wert. Also, die Menschen betreffend: wie viele davon wird er, wenn sie frisch sind, zu einer Mahlzeit oder -- sagen wir -- während eines Tages verzehren?« »Er wird keinen großen Unterschied machen, ob frisch oder nicht; und ich denke, daß fünf Menschen eine gewöhnliche Mahlzeit für ihn sind.« »Sehr gut -- fünf Menschen; wir wollen das notieren. Welche Rassen hat er am liebsten?« »In dieser Beziehung ist er nicht sehr wählerisch. Er zieht Bekannte vor, hat aber keinerlei Voreingenommenheit gegen Fremde.« »Sehr gut -- nun zu den Bibeln. Wie viele Bibeln würde er zu einer Mahlzeit brauchen?« »Eine ganze Auflage.« »Das ist kaum genau genug. Meinen Sie die gewöhnliche Oktavbibel oder die illustrierte Familienbibel?« »Ich glaube nicht, daß ihm an den Illustrationen viel liegen würde -- d. h. er wird sie nicht höher schätzen als einfachen Druck.« »Sie haben mich nicht recht verstanden. Es kommt auf das Gewicht an. Die gewöhnliche Oktavbibel wiegt etwa zwei und ein halbes Pfund, während die Großquartbibel mit den Illustrationen von Doré zehn bis zwölf Pfund wiegt. Wieviel Dorébibeln würde er wohl auf einmal verzehren?« »Man sieht, daß Sie den Elefanten nicht kennen, sonst würden Sie nicht fragen. Er frißt ganz einfach soviel, als man ihm giebt.« »Gut, drücken Sie es in Dollars und Cents aus; wir müssen uns bestimmt fassen. Die Dorébibel kostet hundert Dollars pro Exemplar, in Juchtenleder gebunden ...« »Er würde für etwa fünfzigtausend Dollars brauchen -- sagen wir, eine Auflage von fünfhundert Exemplaren.« »So, das ist genauer; ich will's notieren. Also, er frißt gerne Menschen und Bibeln -- das hätten wir! Was frißt er sonst? Ich brauche Details.« »Hat er keine Bibeln, so frißt er Backsteine; hat er keine Backsteine, so frißt er Flaschen; hat er keine Flaschen, so frißt er Kleider; hat er keine Kleider, so frißt er Katzen; hat er keine Katzen, so frißt er Austern; er frißt ferner Schinken, Zucker, Pasteten, Kartoffeln, Kleie, Heu, Hafer und besonders Reis, denn damit wurde er hauptsächlich aufgezogen, kurzum er frißt alles, was er kriegen kann.« »Sehr gut. Gewöhnliche Menge zu einer Mahlzeit?« »Nun, so zwischen sieben und acht Zentner.« »Und er säuft -- --« »Alles was flüssig ist: Milch, Wasser, Schnaps, Syrup, Kastoröl, Kamphergeist, Karbolsäure -- es ist unnütz, auf Einzelheiten einzugehen; was Ihnen Flüssiges einfällt, notieren Sie getrost.« »Sehr gut. Quantität?« »Notieren Sie acht bis fünfundzwanzig Hektoliter -- sein Durst schwankt, sein Appetit wenig.« »Das sind alles sehr bemerkenswerte Anhaltspunkte, und sehr dienlich zu seiner Aufspürung.« [Illustration] Er schellte. »Alarich, senden Sie Kapitän Burns herein.« Burns erschien; Inspektor Blunt enthüllte ihm die ganze Angelegenheit Punkt für Punkt. Dann sagte er in der klaren, entschiedenen Weise eines Mannes, der sich seinen Plan genau vorgezeichnet hat und ans Befehlen gewöhnt ist: »Kapitän Burns, weisen Sie die Detektivpolizisten Jones, Davis, Halsey, Bates und Hackett an, den Elefanten aufzuspüren.« »Sehr wohl, Sir.« »Weisen Sie die Detektivpolizisten Moses, Dakin, Murphy, Rogers, Tupper, Higgins und Bartholomey an, die Diebe aufzuspüren.« »Sehr wohl, Sir.« »Senden Sie eine starke Wache -- eine Wache von dreißig auserlesenen Leuten mit einer Ablösung von dreißig Mann -- an den Ort, wo der Elefant gestohlen wurde; sie sollen dort scharfe Wache halten Tag und Nacht und niemand -- Reporter ausgenommen -- ohne schriftliche Ermächtigung von mir in die Nähe kommen lassen.« »Sehr wohl, Sir.« »Verteilen Sie Detektivs in gewöhnlicher Kleidung auf den Bahnhöfen, Dampfschiffen und Landungsdepots und auf allen Wegen, die aus Jersey City führen, mit dem Befehle, alle verdächtigen Personen zu durchsuchen.« »Sehr wohl, Sir.« »Versehen Sie alle diese Leute mit der Photographie und dem Signalement des Elefanten und instruieren Sie dieselben, alle Züge und abgehenden Fahrzeuge genau zu visitieren.« »Sehr wohl, Sir.« »Wenn der Elefant gefunden werden sollte, so ergreife man ihn und benachrichtige mich telegraphisch.« »Sehr wohl, Sir.« »Lassen Sie mich sogleich benachrichtigen, wenn eine Spur gefunden werden sollte -- Fußspuren oder dergleichen.« »Sehr wohl, Sir.« »Erlassen Sie einen Befehl an die Hafenpolizei, fleißig am Ufer zu patroullieren.« »Sehr wohl, Sir.« »Senden Sie Detektivs in gewöhnlicher Kleidung mit allen Bahnzügen ab -- nördlich bis Kanada, westlich bis Ohio, südlich bis Washington.« »Sehr wohl, Sir.« »Stellen Sie Sachverständige in allen Telegraphenämtern auf; dieselben sollen auf alle Telegramme achten und sich die chiffrierten Depeschen entziffern lassen.« »Sehr wohl, Sir.« »Lassen Sie dieses alles mit der äußersten Heimlichkeit ausführen -- hören Sie, mit der undurchdringlichsten Heimlichkeit.« »Sehr wohl, Sir.« »Rapportieren Sie mir pünktlich zur gewöhnlichen Stunde.« »Sehr wohl, Sir.« »Nun können Sie gehen!« »Sehr wohl, Sir« -- und fort war er. Inspektor Blunt war einen Augenblick still und nachdenklich, dann ließ das Feuer in seinen Augen nach und verlosch. Hierauf wandte er sich zu mir und sagte in ruhigem Ton: »Ich rühme mich nicht gern, es ist das nicht meine Sache; aber wir werden den Elefanten finden.« Ich schüttelte ihm warm die Hand und dankte ihm -- der Dank kam von Herzen. Je mehr ich von dem Manne gesehen hatte, desto mehr schätzte und bewunderte ich ihn, desto mehr staunte ich über die mysteriösen Wunder seines Berufs. Dann trennten wir uns für die Nacht und ich ging nach Hause -- mit viel leichterem Herzen als ich gekommen war. II. Am nächsten Morgen stand alles haarklein in den Zeitungen, sogar mit Zusätzen -- bestehend aus Detektiv A.'s, Detektiv B.'s und Detektiv N. N.'s ›Theorie‹ in Bezug auf die Ausführung des Diebstahls, auf die Person der Diebe und auf die Richtung, in der sie mit ihrer Beute entflohen waren. Es waren elf solcher Theorien zu lesen, welche alle Möglichkeiten erschöpften, ein Beweis, was für verständige Denker die Geheimpolizisten sind. Nicht zwei von den elf Theorien stimmten überein oder glichen sich auch nur halbwegs, außer in einem einzigen auffallenden Punkt, in dem alle elf Theorien einander gleich waren. Obgleich nämlich die Rückwand des Gebäudes herausgerissen und die einzige Thüre verschlossen geblieben war, stellten alle elf Theorien die Behauptung auf, daß der Elefant nicht durch jene Bresche, sondern auf irgend einem andern (noch unentdeckten) Wege entfernt worden sei, und daß die Diebe jene Oeffnung nur gemacht hätten, um die Polizei irre zu führen. Daran würde ich oder irgend ein anderer Laie vielleicht nie gedacht haben, die Detektivs aber hatten den Umstand auch nicht einen Augenblick verkannt. So war das einzige Moment, hinter dem ich kein Geheimnis vermutet hatte, gerade dasjenige, worin ich am weitesten fehlgegangen war. Alle elf Theorien nannten die vermutlichen Diebe, keine zwei aber dieselben; die Totalsumme der verdächtigen Personen war siebenunddreißig. Die verschiedenen Zeitungen schlossen alle mit der wichtigsten Ansicht von allen -- der des Inspektors Blunt. Dieselbe lautete im Auszug wie folgt: »Der Chef weiß, wer die zwei Hauptthäter sind -- nämlich Brick Duffy und der ›rote‹ McFadden. Zehn Tage vor der Ausführung des Diebstahls wußte er bereits, daß derselbe versucht werden würde, und hat sich in aller Stille daran gemacht, diese zwei notorischen Spitzbuben zu verfolgen; unglücklicherweise aber ging in der fraglichen Nacht ihre Spur verloren, und ehe man sie wieder auffinden konnte, war der Vogel -- das heißt der Elefant -- ausgeflogen. »Duffy und McFadden sind die verwegensten Schurken in der ganzen Verbrecherzunft; der Chef hat Grund zu der Annahme, daß sie die Männer sind, die letzten Winter in einer bitterkalten Nacht den Ofen aus der Polizeiwache stahlen, infolgedessen sich vor Tagesanbruch der Chef und sämtliche Geheimpolizisten in ärztlicher Behandlung befanden; -- einige wegen erfrorener Füße, andere wegen erfrorener Hände, Ohren, Nasen und anderer Körperteile.« Als ich die erste Hälfte dieser Theorie las, war ich mehr als je erstaunt über den wunderbaren Scharfsinn des seltenen Mannes: er sah nicht nur alles Gegenwärtige mit klaren Augen, auch das Zukünftige entschleierte sich vor seinem Blicke. Ich begab mich alsbald in sein Bureau und sagte ihm, ich bedauere nur, daß er jene Spitzbuben nicht habe festnehmen lassen, wodurch das ganze Unheil verhütet worden wäre; aber seine Antwort war kurz und bündig: »Es ist nicht unseres Amtes, das Verbrechen zu verhindern, sondern es zu bestrafen. Das können wir aber erst, nachdem es begangen worden ist.« Ich bemerkte, daß die Heimlichkeit, mit der wir zu Werk gegangen, durch die Zeitungen verletzt worden sei, nicht nur alle Thatsächlichkeiten, sondern auch alle unsere Anhaltspunkte und Absichten seien enthüllt und selbst alle verdächtigen Personen namhaft gemacht worden -- letztere würden sich jetzt ohne Zweifel maskieren oder ihre geheimen Schlupfwinkel aufsuchen. »Sie sollen's nur!« sagte der Inspektor. »Sie werden bald merken, daß, wenn ich es auf sie abgesehen habe, meine Hand auf sie niederfallen wird, so unfehlbar wie die Hand des Schicksals. Was die Zeitungen anbelangt, so müssen wir mit ihnen rechnen: Ruhm, Reputation, fortwährende öffentliche Erwähnung -- sind des Geheimpolizisten täglich Brot. Er muß seine Entdeckungen veröffentlichen, sonst glaubt man, daß er keine macht; er muß seine Theorie veröffentlichen, es giebt nichts Seltsameres und Ueberraschenderes, als die Theorie eines Polizisten, und nichts trägt ihm so viel Bewunderung und Hochachtung ein; wir müssen unsere Pläne veröffentlichen, denn die Zeitungen bestehen darauf, und wir können es ihnen nicht abschlagen, ohne sie zu beleidigen. Wir müssen dem Publikum zeigen, was wir thun, damit es nicht glaubt, daß wir nichts thun. Es ist viel angenehmer, wenn eine Zeitung schreibt: ›Inspektor Blunts geniale und ungewöhnliche Theorie lautet wie folgt,‹ als wenn sie einen unfreundlichen oder -- was noch schlimmer -- sarkastischen Artikel bringt.« »Ich verkenne das Zwingende dieser Gründe nicht. -- In einem Teil Ihrer Bemerkungen in den Morgenzeitungen fiel mir auf, daß Sie mit Ihrer Ansicht über einen gewissen untergeordneten Punkt zurückhielten.« »Ja, das thun wir stets; es macht immer Effekt. Uebrigens hatte ich mir über jenen Punkt eine Ansicht noch gar nicht gebildet.« Ich deponierte bei dem Inspektor eine beträchtliche Geldsumme zur Bestreitung der laufenden Ausgaben und setzte mich dann nieder, um auf Nachrichten zu warten; jeden Augenblick konnten Telegramme einlaufen. Inzwischen blätterte ich die Zeitungen und unser Zirkularsignalement nochmals durch und entdeckte, daß anscheinend unsere 25000 Doll. Belohnung nur für Detektivpolizisten ausgesetzt waren. Ich war der Meinung gewesen, jeder solle sie bekommen, der den Elefanten auffinden würde. Der Inspektor klärte mich auf: »Meine Geheimen werden den Elefanten auffinden, die Belohnung _muß_ daher an die rechte Adresse gelangen. Wenn andere Leute das Tier fänden, so wäre das nur dadurch möglich, daß sie die Polizisten ausspionieren und aus Kenntnissen und Beobachtungen der Polizisten, welche sie sich zu eigen gemacht, Vorteil ziehen; an der Berechtigung der Polizei zu der Belohnung könnte das nichts ändern. Eine solche Belohnung ist dazu da, die Männer, welche dieser Art von Arbeit ihre Zeit und ihren ausgebildeten Scharfsinn widmen, anzuspornen, nicht aber dem ersten besten in den Schoß zu fallen, der zufällig einen Fang gemacht hat.« Das war sicher nur recht und billig. Auf einmal begann der Telegraphenapparat in der Ecke zu ticken, das Resultat war folgende Depesche: »=Flower-Station=, New York: 7.30 Vorm. Habe eine Spur. Fand eine Reihe tiefer Spuren, die über eine benachbarte Farm führen. Folgte ihnen eine halbe Stunde östlich ohne Resultat; der Elefant ging wahrscheinlich westlich. Werde ihm jetzt in jener Richtung nachspüren. Darley, Detektiv.« »Darley ist einer unserer tüchtigsten Polizisten,« sagte der Inspektor. »Wir werden bald mehr von ihm hören.« [Illustration] Telegramm Nr. 2 kam. »=Barkers=, New Jersey: 7.40 Vorm. Eben angekommen. Glasfabrik hier während der Nacht erbrochen und 800 Flaschen entwendet. Wasser in größerer Menge erst fünf Meilen von hier zu haben. Werde dahin aufbrechen. Elefant wahrscheinlich durstig. Flaschen waren leer. Baker, Detektiv.« »Auch das ist vielversprechend,« sagte der Inspektor. »Ich sagte Ihnen, seine Begierden würden keine schlechten Fingerzeige sein.« Weitere Telegramme: »=Taylorville=, Long Island: 8.15 Vorm. Ein Heuschober in der Nähe verschwand während der Nacht -- wahrscheinlich aufgefressen. Fand eine Spur und verfolge sie eilig. Hubbard, Detektiv.« »Was er für Sprünge macht!« sagte der Inspektor. »Ich wußte, daß wir ein schwieriges Stück Arbeit vor uns hätten; aber wir werden ihn deshalb doch kriegen.« »=Flower-Station=, New York: 9 Vorm. Verfolgte die Spuren über eine Stunde westlich -- sind groß, tief und ausgezackt. Bin eben einem Farmer begegnet, der sagte, es seien keine Elefantenfußstapfen; sagt, es seien Löcher von den Bäumchen, die er letzten Winter aus dem gefrorenen Grunde ausgrub. Ich bitte um Verhaltungsbefehle bezüglich weiterer Schritte. Darley, Detektiv.« »Aha, ein Helfershelfer der Diebe! Die Sache wird ernst!« sagte der Inspektor und diktierte folgendes Telegramm an Darley: »Verhaften Sie den Mann und zwingen Sie ihn, seine Komplizen zu nennen. Verfolgen Sie die Spuren weiter -- bis zum Stillen Ozean, wenn's sein muß. Inspektor Blunt.« Nächstes Telegramm: »=Coney-Point=, Pennsylvania: 8.45 Vorm. Bureau der Gasanstalt hier während der Nacht erbrochen und die unbezahlten Gasrechnungen von drei Monaten gestohlen. Fand eine Spur und verfolge sie. Murphy, Detektiv.« »Himmel!« rief der Inspektor; »sollte er Gasrechnungen verzehren?« »Wahrscheinlich aus Dummheit.« -- Darauf kam nachstehendes aufregendes Telegramm: »=Ironville=, New York: 9.30 Vorm. Soeben angekommen. Stadt in Aufregung. Elefant kam hier durch, früh 5 Uhr. Einige sagen, er ging östlich, andere sagen westlich, einige nördlich, andere südlich -- keiner aber weiß etwas Genaueres zu berichten. Er tötete ein Pferd; ich verschaffte mir ein Stück davon -- für alle Fälle. Tötete es mit seinem Rüssel; schließe aus der Wunde, daß er von links schlug. Aus der Lage des Pferdes schließe, daß der Elefant nordwärts, die Berkley-Bahn entlang, reiste. Hat 4½ Stunden Vorsprung; folge aber sogleich seiner Spur. Hawes, Detektiv.« Ich konnte meine Freude nicht zurückhalten. Der Inspektor blieb so ruhig wie eine Statue. Er schellte gelassen. »Alarich, senden Sie Kapitän Burns zu mir.« Burns erschien. »Wieviel Mann sind reisefertig?« »Sechsundneunzig, Sir.« »Senden Sie dieselben sogleich nach Norden; sie sollen sich längs der Berkley-Bahnlinie nördlich von Ironville konzentrieren.« »Sehr wohl, Sir.« »Sie sollen ihre Bewegungen mit der äußersten Heimlichkeit ausführen. Sobald andere von den Leuten frei werden, sollen sie sich fertig machen!« »Sehr wohl, Sir.« »Sie können gehen.« »Sehr wohl, Sir.« Gleich darauf kam ein weiteres Telegramm: »=Sage-Corners=, New York: 10.30 Vorm. Eben angelangt. Elefant kam 8.15 hier durch. Alle bis auf einen Polizisten entkamen aus der Stadt. Elefant wollte anscheinend nicht nach dem Polizisten, sondern nach einem Laternenpfahl schlagen, traf aber beide. Verschaffte mir ein Stück von dem Polizisten, um es für alle Fälle zu behalten. Stumm, Detektiv.« »Der Elefant hat sich also gegen Westen gewendet,« sagte der Inspektor. »Es wird ihm aber nichts helfen, denn meine Leute sind über die ganze Gegend zerstreut.« Das nächste Telegramm besagte: »=Glovers=: 11.15. Eben angelangt. Stadt verlassen, ausgenommen von Kranken und Greisen. Elefant kam durch vor dreiviertel Stunden. Die Anti-Mäßigkeits-Massen-Versammlung tagte; er steckte seinen Rüssel durchs Fenster hinein und spritzte alles voll Zisternenwasser. Einige schluckten das Wasser -- starben seitdem; mehrere ertranken. Detektivs Croß und O'Shaugnessy passierten die Stadt, gingen aber südlich und verfehlten so den Elefanten. Ganze Gegend auf viele Stunden im Umkreis voll Entsetzen -- Leute fliehen aus ihrer Heimat. Allenthalben stoßen sie auf den Elefanten; viele werden getötet. Brant, Detektiv.« Ich hielt kaum meine Thränen zurück, so traurig stimmte mich dieses Gemetzel, der Inspektor aber sagte nur: »Sie sehen, wir umringen ihn. Er fühlt unsere Nähe; er hat sich wieder gegen Osten gewendet.« Es harrten unserer bereits neue beängstigende Nachrichten. Der Telegraph meldete: »=Hoganport=: 12.19 Nachm. Eben angelangt. Elefant kam vor einer halben Stunde hier durch, jähen Schrecken verbreitend; wütete durch die Straßen; zwei Arbeiter gingen vorüber -- tötete den einen, der andere entkam. Bedauern allgemein. O'Flaherty, Detektiv.« »Nun ist er mitten unter meinen Leuten,« sagte der Inspektor. »Jetzt ist kein Entrinnen für ihn möglich!« Eine Anzahl anderer Telegramme lief dazwischen ein von Detektivs, die über New Jersey und Pennsylvanien zerstreut waren. Aus zerstörten Fabriken, Scheunen und Sonntagsschulbibliotheken wiesen sie die Spur des Elefanten mit an Sicherheit grenzenden Ausdrücken nach. Der Inspektor sagte: »Ich wollte, ich könnte mit ihnen verkehren und sie nach Norden dirigieren, aber das ist unmöglich. Ein ›Geheimer‹ geht nur dann zum Telegraphenamt, wenn er seinen Bericht absendet; man weiß nie, wo man ihn fassen kann.« Nun kam folgende Depesche: »=Bridgeport=, Connecticut: 12.15 Nachm. Barnum[2] bietet Doll. 4000 jährlich für ausschließliches Recht, Elefant als wandernde Reklame zu benützen, von jetzt an bis ihn Detektivs auffinden. Will Zirkusplakate auf ihn kleben. Verlangt umgehende Antwort. Boggs, Detektiv.« [2] Barnum, der bekannte Schaubudenbesitzer und Meister in der Kunst der Reklame. »Das ist doch zu lächerlich!« rief ich aus. »Ja freilich,« sagte der Inspektor. »Herr Barnum, der sich für so gewitzigt hält, kennt mich offenbar nicht -- aber ich kenne ihn.« Dann diktierte er folgende Antwortdepesche: »Herrn Barnums Anerbieten abgelehnt. Entweder Doll. 7000 oder nichts. Inspektor Blunt.« »So. Wir werden nicht lange auf Antwort zu warten brauchen. Herr Barnum ist nicht zu Hause; er ist gewöhnlich auf dem Telegraphenamt, wenn es einen Handel gilt. Vor drei Uhr --« »Abgemacht. -- P. T. Barnum.« So unterbrach der tickende Telegraphenapparat. Ehe ich mir einen Vers machen konnte auf diesen ungewöhnlichen Zwischenfall, leitete folgende Depesche meine Gedanken in ein anderes und sehr betrübendes Fahrwasser: »=Bolivia=, New York: 12.50 Nachm. Elefant kam hier an aus dem Süden und passierte den Wald um 11.50, er sprengte einen daherkommenden Leichenzug auseinander und verminderte die Leidtragenden um zwei. Bürger feuerten einige Schüsse aus einem kleinen Böller auf ihn ab und flohen dann. Detektiv Burke und ich langten zehn Minuten später aus dem Norden an, hielten aber ein paar Vertiefungen fälschlich für Fußstapfen und verloren so ziemlich viel Zeit; endlich aber kamen wir auf die rechte Spur und verfolgten sie bis zu den Wäldern. Wir krochen nun auf Händen und Knieen vorwärts, verfolgten die Spur mit scharfem Auge und gelangten so ins Gebüsch. Burke war voraus. Unglücklicherweise hatte das Tier angehalten, um auszuruhen; Burke, der, auf die Spur erpicht, die Augen auf den Boden geheftet hatte, stieß plötzlich, ehe er die Nähe des Elefanten gewahr wurde, gegen dessen Hinterbeine. Burke sprang sogleich auf die Füße, ergriff den Schwanz und rief freudig aus: ›ich beanspruche die Be -- --‹, kam aber nicht weiter, denn ein einziger Schlag mit dem mächtigen Rüssel streckte den braven Burschen tot nieder. Ich floh zurück, aber der Elefant wandte sich um und verfolgte mich bis an den Rand des Gehölzes in schrecklicher Eile; ich wäre unrettbar verloren gewesen, wenn nicht zufällig der Rest des Leichenzuges dem Tiere in den Weg gekommen wäre und seine Aufmerksamkeit abgelenkt hätte. Erfahre soeben, daß von jenem Leichenzug nichts mehr vorhanden ist; schadet nichts, Stoff genug für andere vorhanden. Elefant mittlerweile wieder verschwunden. Mulrooney, Detektiv.« Wir hörten keine weiteren Neuigkeiten außer von den eifrigen und zuversichtlichen Detektivs, die über New Jersey, Pennsylvanien, Delaware und Virginia zerstreut waren -- sie folgten alle frischen und vielversprechenden Spuren -- bis kurz nach 2 Uhr nachmittags folgendes Telegramm ankam: »=Baxter-Centre=: 2.15 Nachm. Elefant hier gewesen, über und über mit Zirkusplakaten beklebt; zerstreute ein Methodisten-Revivalmeeting[3] und erschlug und verletzte viele, die eben im Begriffe waren, ein besseres Leben anzufangen. Bürger pferchten ihn ein und stellten eine Wache auf. Als Detektiv Brown und ich ankamen, betraten wir die Umzäunung und schritten zur Feststellung der Identität des Elefanten an der Hand der Photographie und des Signalements. Alle Zeichen stimmten genau, ausgenommen eines, das wir nicht sehen konnten -- die Narbe unter der Achselhöhle. Um sich darüber zu vergewissern, kroch Brown unter das Tier, -- er lag im nächsten Augenblick mit zerschmetterter Hirnschale am Boden. Alle flohen, so auch der Elefant, der mit viel Effekt nach rechts und links um sich schlug. Entkam, ließ aber starke Blutspuren von Böllerschußwunden zurück. Wiederauffindung gewiß. Brach südwärts durch einen dichten Wald; ich ihm unverzüglich nach. Brent, Detektiv.« [3] Religiöse Versammlung von Wanderpredigern, meist auf offenem Felde abgehalten. [Illustration] Dies war das letzte Telegramm. Gegen Abend sank ein Nebel auf alles herab -- so dicht, daß man auf drei Schritte Entfernung nicht das geringste unterscheiden konnte. Er hielt die ganze Nacht über an. Die Dampfboote und selbst die Omnibusse mußten ihre Fahrt einstellen. III. Am nächsten Morgen waren die Zeitungen ebenso voll von Theorien wie am vorhergehenden; sie brachten ausführlich alle uns bekannten tragischen Ereignisse, dazu noch eine Menge weiterer telegraphischer Berichte, die sie von ihren Korrespondenten erhalten hatten. Spalte auf Spalte begegnete ich herzzerreißenden Artikelüberschriften. Der Grundton derselben war stets derselbe; etwa wie folgt: »_Der weiße Elefant ist los! Er schreitet weiter auf seinem verhängnisvollen Marsche! Ganze Ortschaften verlassen von den entsetzten Einwohnern! Furcht und Schrecken gehen vor ihm her, Tod und Verwüstung folgen ihm. Diesen nach die Detektivs. Scheunen verwüstet. Werkstätten beraubt. Ernten verzehrt. Oeffentliche Versammlungen gesprengt, begleitet von Blutscenen, die nicht zu beschreiben sind! Berichte von vierunddreißig der ausgezeichnetsten Detektivpolizisten! Bericht des Inspektors Blunt!_« »Ah!« rief Inspektor Blunt, der Erregung nahe; »das ist prächtig! Das ist die größte Leistung, die je eine polizeiliche Organisation vollbracht hat. Die Welt wird davon sprechen.« Für mich aber gab es keine Freude; mir war zu Mute, als ob ich alle diese blutigen Verbrechen begangen hätte und der Elefant mein unverantwortliches Werkzeug wäre. Und wie die Unfallliste angewachsen war! In einem Orte hatte er sich in »eine Wahl gemischt und fünf Agitatoren getötet.« Er hatte dieser That die Vernichtung zweier armer Teufel folgen lassen -- armer O'Donohue, armer Mc Flannigan! -- die »erst am Tage vorher in der Heimat der Unterdrückten aller Länder eine Zuflucht gefunden hatten und im Begriffe waren, zum erstenmale das kostbare Recht amerikanischer Bürger an der Urne auszuüben, als sie niedergeschmettert wurden von der mitleidslosen Hand der Geißel Siams.« An einem anderen Orte hatte er »einen verrückten Sensationsprediger niedergerannt, der eben für die nächste Saison seine heroischen Angriffe auf den Tanz, das Theater und ähnliches Teufelswerk vorbereitete.« In einem dritten Orte hatte er »einen Blitzableiteragenten erschlagen.« Und so ging die Liste weiter und wurde immer blutiger und herzzerreißender. Sechzig Personen hatte er getötet, zweihundertundvierzig verwundet. Alle Berichte legten vollgültiges Zeugnis ab von der Thätigkeit und dem hingebenden Eifer der Detektivs, und alle schlossen mit der Bemerkung, daß »dreimalhunderttausend Bürger und vier Detektivs das schreckliche Wesen sahen, sowie daß er zwei von letzteren ums Leben brachte.« Nur mit Angst hörte ich von neuem das Ticken des Telegraphenapparates; es regnete förmlich Depeschen, aber glücklicherweise rechtfertigte ihr Inhalt meine Befürchtungen nicht. Es stellte sich bald heraus, daß jede Spur des Elefanten verloren war: der Nebel hatte es ihm ermöglicht, sich unbemerkt ein gutes Versteck zu suchen. Telegramme von Punkten, die lächerlich weit entfernt waren, berichteten, daß man zu der und der Stunde eine ungeheure trübe Masse durch den Nebel habe schimmern sehen! es sei das »unzweifelhaft der Elefant gewesen!« Diese trübe ungeheure Masse hatte man in New Haven, in New Jersey, in Pennsylvania, im Staate New York, in Brooklyn und sogar in der City von New York selbst gesehen! Immer aber war die trübe ungeheure Masse rasch wieder verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Jeder von den Hunderten über diese ungeheure Landstrecke zerstreuten Detektivs sandte stündlich seinen Rapport, und jeder hatte eine Spur, verfolgte sie und war dem Elefanten dicht auf den Fersen. Aber der Tag verging ohne weiteres Resultat. Ebenso der nächste Tag. Der dritte desgleichen. Die Zeitungsberichte mit ihren nichtssagenden Thatsachen, ihren Spuren, die zu nichts führten, und ihren blendenden, sinnverwirrenden Theorien fingen an langweilig zu werden. Auf den Rat des Inspektors verdoppelte ich die Belohnung. Vier weitere eintönige Tage folgten; dann kam ein schwerer Schlag für die armen geplagten Detektivs -- die Zeitungen lehnten es ab, ihre Konjekturen zu drucken, und sagten kühl: Laßt uns in Ruhe. Vierzehn Tage nach dem Verschwinden des Elefanten erhöhte ich auf des Inspektors Rat die Belohnung auf 75000 Dollars. Es war das eine große Summe; aber ich wollte lieber mein ganzes Vermögen opfern, als mein Ansehen bei der Regierung einbüßen. Jetzt, da die Detektivs in Nöten waren, begannen die Zeitungen über sie herzufallen und die beißendsten Sarkasmen gegen sie zu schleudern. Das war Futter für die Bänkelsänger! Sie kostümierten sich als Detektivs, und führten auf der Bühne die Jagd nach dem verlorenen Elefanten auf. Die Karikaturenzeichner entwarfen Skizzen von Detektivs, die das Land mit Feldstechern absuchten, während der Elefant hinter ihrem Rücken ihnen Aepfel aus den Taschen holte, und machten das Wappenzeichen der Detektivs -- ein weitgeöffnetes Auge mit der Devise: »_Wir schlafen nie_« -- auf alle mögliche Weise lächerlich. Die Luft war geschwängert mit Sarkasmen. Aber einen Mann gab es, der bei alledem ruhig, gelassen und unerschüttert blieb -- es war jenes eichenfeste Herz, der Inspektor Blunt. Sein kühnes Auge senkte sich nie, seine heitere Zuversicht wankte nie; er wiederholte nur: »Laßt sie spotten; wer zuletzt lacht, lacht am besten.« Meine Bewunderung für den Mann grenzte an Vergötterung. Ich war stets an seiner Seite. Sein Bureau war ein qualvoller Aufenthalt für mich geworden und wurde es täglich mehr; doch solange er es dort aushalten konnte, war auch ich entschlossen zu bleiben -- solang als irgend möglich. So kam ich denn regelmäßig und blieb -- zu jedermanns Verwunderung. Es war mir oft, als müsse ich davonlaufen; wenn ich dann aber in jenes ruhige und anscheinend leidenschaftslose Antlitz blickte, hielt ich wieder stand. Etwa drei Wochen nach dem Verschwinden des Elefanten war ich eines Morgens eben im Begriff zu sagen: ich werde die Segel streichen und mich zurückziehen müssen, als der große Detektiv diesen feigen Gedanken wieder zurückscheuchte, indem er einen neuen meisterhaften Schachzug vorschlug -- nämlich, mit den Dieben einen Kompromiß zu schließen. Die Fruchtbarkeit der Erfindungsgabe dieses Mannes überstiegen alles, was ich je erlebt, und das will etwas sagen, war ich doch mit den auserlesensten Geistern der Welt in Berührung gekommen. Er sagte, er sei der besten Zuversicht, daß er für 100000 Dollars einen Kompromiß schließen und den Elefanten wieder erlangen könne. Ich sagte, ich würde am Ende die Summe auftreiben können; aber was sollte mit den armen Detektivs werden, die so wacker gearbeitet hatten? Er entgegnete: »Bei Kompromissen bekommen sie stets die Hälfte.« Das beseitigte meinen einzigen Einwand, und so schrieb denn der Inspektor zwei Noten wie folgt: »Werte Frau, -- Ihr Gatte kann sich viel Geld machen (und das ganz ohne Gefahr vor dem Strafgesetz), wenn er sich sogleich bei mir einfinden will. Chef Blunt.« Von diesen beiden Noten sandte er die eine durch seinen vertrauten Boten an die ›wohlgeborene Frau‹ Brick Duffys, die andere an die ›wohlgeborene Frau‹ des roten McFadden. Innerhalb einer Stunde kamen folgende beiliegende Antworten zurück. »Sie alter Narr! Brick Duffy ist gestorben, schon vor zwei Jahren. Bridget Mahoney.« »Chef-Nachteule, -- der rote McFadden ist gehangen und im Himmel seit achtzehn Monaten. Jeder Esel außer einem Detektiv weiß das. Mary O'Hooligan.« »Ich hatte das lange vermutet,« sagte der Inspektor; »es beweist mir nur die nie irrende Schärfe meines Instinkts.« Sobald ein Mittel sich als erfolglos erwies, war er nie um ein anderes verlegen. Er schrieb sogleich ein Inserat für die Morgenblätter, von dem ich eine Abschrift aufbewahre -- »A. -- xwblv. 142 N. Tjnd -- fz 328 wmlg. Ozpo, --; 2 m! ogw. Mum.« »Lebt der Dieb noch,« erklärte mir der Inspektor, »so wird ihn das sicher an den gewöhnlichen Rendezvousplatz bringen.« Es sei dies ein Platz, wo alle geschäftlichen Angelegenheiten zwischen Detektivs und Verbrechern abgemacht werden. Die gesuchte Begegnung solle in der nächsten Nacht um zwölf Uhr stattfinden. Bis dahin war nichts zu thun; ich verließ also ohne Verzug und dankbaren Herzens das Bureau. Um elf Uhr in der nächsten Nacht legte ich 100000 Dollars in die Hände des Inspektors, und gleich darauf verabschiedete er sich, die heldenmütige alte ungetrübte Zuversicht in seinen Augen. Eine fast unerträglich lange Stunde schlich zu Ende, da hörte ich seinen willkommenen Tritt, erhob mich keuchend und wankte ihm entgegen. Wie seine schönen Augen im Triumph glänzten! Er sagte --: »Wir haben einen Vergleich geschlossen! Die Spötter werden morgen ein anderes Lied singen! Folgen Sie mir!« Er ergriff eine brennende Kerze und schritt voran, hinab in das ungeheure gewölbte Erdgeschoß, wo fortwährend sechzig Detektivs schliefen und wo jetzt etwa zwanzig Karten spielten, um sich die Zeit zu vertreiben. Ich folgte ihm auf den Fersen. Er schritt rasch hinab an das düstere, ferne Ende des Platzes, und in dem Augenblick, da ich in der dicken Stickluft ohnmächtig umsank, strauchelte und fiel er über die ausgestreckten Gliedmaßen eines mächtigen Körpers, und ich hörte ihn gerade noch beim Hinfallen ausrufen: »Unser edler Beruf ist gerechtfertigt. Hier ist Ihr Elefant!« Ich wurde in das Bureau hinaufgetragen und mit Karbolsäure wieder zum Bewußtsein gebracht. Die ganze Detektivmannschaft schwärmte herein, und es folgte eine Siegesfeier, wie ich noch keine erlebt hatte. Die Reporter wurden geholt, der Champagner floß in Strömen, Toaste wurden ausgebracht, die Händedrücke und Beglückwünschungen waren enthusiastisch und wollten kein Ende nehmen. Der Chef war natürlich der Held des Tages, und sein Glück war so vollständig und es war mit so viel Ausdauer, Würde und Bravour verdient worden, daß es mich beglückte, Zeuge desselben zu sein, obgleich ich dastand als ein heimatloser Bettler; -- denn mein unschätzbarer Schutzbefohlener war _tot_ und ich meiner Stellung im Dienste meines Vaterlandes verlustig, weil ich unmöglich den übeln Schein, als habe ich das in mich gesetzte hohe Vertrauen durch eine sorglose Ausführung meines Auftrags getäuscht, von mir abzuwenden vermochte. Manches beredte Auge bezeugte seine hohe Bewunderung für den Chef, und manches Detektivs Stimme murmelte: »Seht ihn an, den König der Profession -- gebt ihm nur die Spur von einer Spur, -- und es bleibt nichts vor ihm verborgen.« Die Teilung der 50000 Dollars machte viel Vergnügen; als sie vollzogen war, hielt der Chef, während er seinen Anteil in die Tasche steckte, eine kleine Rede, in der er sagte: »Genießt das Geld, denn ihr habt es verdient; und mehr als das -- ihr habt unserem schönen Berufe unsterblichen Ruhm erworben.« Ein Telegramm langte an, folgenden Inhalts: -- »=Monroe, Michigan=: 10. -- Nachm. Zum erstenmal seit drei Wochen erreichte ich eben ein Telegraphenamt. Folgte jenen Fußstapfen zu Pferde durch die Wälder, etwa zweihundert Meilen bis hieher; sie werden täglich stärker, größer und frischer. Quälen Sie sich nicht unnötig ab -- ehe acht Tage verflossen sind, habe ich den Elefanten -- auf mein Wort! Darley, Detektiv.« Der Chef brachte drei Hochrufe aus auf »Darley, einen der feinsten Köpfe unter der Mannschaft,« in welche sämtliche Anwesende begeistert einstimmten; dann ließ er an Darley telegraphieren, er möge heimkehren und seinen Anteil an der Belohnung in Empfang nehmen. * * * * * So endete jene wunderbare Episode von dem gestohlenen Elefanten. Die Zeitungen waren am nächsten Tage wieder voll Anerkennung -- mit einer nichtssagenden Ausnahme. Ein Blatt schrieb nämlich: »Groß ist der Detektiv! Er mag im Auffinden eines kleinen Gegenstandes, wie es ein verlorener Elefant ist, ein wenig langsam sein -- er mag ihn drei Wochen lang den ganzen Tag verfolgen und des Nachts neben seinem verwesenden Kadaver schlafen, aber er wird ihn endlich finden, -- sobald er nur den Mann, der den Elefanten verloren hat, dahin bringt, ihm den Platz zu zeigen.« Der arme Hassan war auf ewig für mich verloren. Die Böllerschüsse hatten ihn tödlich verwundet. Er war im Nebel an jenen düsteren Platz gekrochen; und dort, umgeben von seinen Feinden und fortwährend in Gefahr entdeckt zu werden, war er dahingeschwunden vor Hunger und Leiden, bis der Tod ihn erlöste. Der Kompromiß kostete mich 100000 Dollars; meine Auslagen für die Detektivs betrugen weitere 42000 Dollars; ich bewarb mich nie wieder um eine Anstellung im Dienste meiner Regierung; ich bin ein ruinierter Mann und ein unstäter Wanderer auf Erden -- aber meine Bewunderung für jenen Mann, den ich für den größten Geheimpolizisten halte, welchen die Welt hervorgebracht hat, bleibt unvermindert bis auf diesen Tag und wird so bleiben bis an mein seliges Ende. * * * * * [Der Verleger kann nicht umhin, zur Ehrenrettung der Geheimpolizisten auf die genialen Thaten derselben, wie sie in den _Kriminal- und Detektivromanen_ von _Green_, _Hawthorne_, _Lynch_ und _Doyle_ zum glänzenden Ausdruck kommen, zu verweisen.] Die Geschichte des Hausierers. Der arme, melancholisch blickende Fremde! Es lag etwas in seiner demütigen Miene, seinem müden Blick, seinen abgeschabten, ehemals feinen Kleidern, das mein Mitleid erregte. Ich bemerkte eine Mappe unter seinem Arm, wie sie Kolporteure und Hausierer zu tragen pflegen. Nun, diese Leute flößen einem stets Interesse ein. Bevor ich mich dessen versah, war ich -- ganz Ohr und Teilnahme -- im Anhören seiner Lebensgeschichte versunken. Sie lautete ungefähr wie folgt: »Meine Eltern starben, als ich noch ein kleines, unschuldiges Kind war. Mein Onkel Ithuriel gewann mich lieb und nahm mich an Kindesstatt an. Er war mein einziger Verwandter in der weiten Welt; er war so gut und großmütig und dabei reich. Er erzog mich im Schoß des Ueberflusses. Alle meine Wünsche, die mit Geld zu befriedigen waren, wurden erfüllt. »Nachdem ich auf der Universität studiert, ging ich mit zweien meiner Diener -- meinem Kammerdiener und meinem Lakai -- auf Reisen in fremde Länder. Vier Jahre lang flatterte ich auf sorglosen Schwingen in den prächtigen Gefilden der Fremde umher, -- wenn Sie diese Sprache ihrem ergebenen Diener gestatten wollen, dessen Zunge stets poetisch gestimmt war; ja ich darf kühnlich also zu Ihnen sprechen, denn Ihre Augen verraten mir, daß auch in Ihren Adern das Feuer der holden Poesie glüht. In jenen fernen Landen schwelgte ich in der ambrosischen Speise, welche der Seele, dem Geiste, dem Herzen frommt. Was aber vor allen Dingen und am kräftigsten an meinen angeborenen ästhetischen Geschmack appellierte, war der dort unter den Reichen herrschende Brauch, Sammlungen von eleganten und kostbaren Seltenheiten und hübschen Liebhabereien anzulegen; und in einer verhängnisvollen Stunde versuchte ich es, in meinem Onkel Ithuriel Gefallen an dieser ausgezeichneten Beschäftigung zu erwecken. [Illustration] »Ich schrieb und erzählte ihm von der äußerst umfangreichen Muschelsammlung eines Herrn, von eines andern ausgezeichneter Sammlung von Meerschaumpfeifen, von eines dritten wunderbarer Sammlung von unentzifferbaren Autographen, eines vierten unschätzbarer Sammlung von chinesischem Porzellan, eines fünften bezaubernder Briefmarkensammlung -- und so weiter und so weiter. Bald trugen meine Briefe Frucht: mein Onkel begann sich nach dem Gegenstand für eine Sammlung umzusehen. Sie wissen wohl, wie leidenschaftlich bald die Pflege einer Liebhaberei wird; die seinige wurde bald ein rasendes Fieber. Er begann sein großes Schweinegeschäft zu vernachlässigen; bald darauf zog er sich ganz von demselben zurück, und aus einem bequemen Lebemann wurde ein toller Raritätenjäger. Sein Reichtum war ungeheuer, und er sparte ihn nicht. Zuerst versuchte er es mit Kuhglocken. Er legte eine Sammlung an, die fünf große Säle füllte und alle Arten von solchen Glocken, von der Urzeit bis zur Gegenwart, in sich schloß -- bis auf _eine_. Diese eine -- eine Antike und das einzige noch vorhandene Exemplar dieser Art -- war im Besitz eines andern Sammlers, dem mein Onkel enorme Summen dafür bot -- vergebens. Sie können sich denken, was notwendigerweise folgte. Ein wahrer Sammler legt bekanntlich einer Sammlung, die nicht vollständig ist, nicht den mindesten Wert bei: sein glühendes Herz erkaltet, er verkauft seinen Schatz und wendet seinen Sinn einem andern Gebiet zu, das unausgebeutet zu sein scheint. »So machte es auch mein Onkel. Er versuchte es dann mit Ziegelsteinen. Nachdem er eine umfangreiche und äußerst interessante Sammlung davon angelegt hatte, stellte sich die alte Schwierigkeit ein. Mit blutendem Herzen verkaufte er seine abgöttisch geliebte Sammlung an einen früheren Bierbrauer, der den fehlenden Ziegel besaß. Dann versuchte er es mit steinernen Aexten und anderen Geräten des urweltlichen Menschen, entdeckte aber bald, daß die Fabrik, wo sie gemacht wurden, andere Sammler ebensowohl versorgte wie ihn selbst. Er versuchte es mit aztekischen Inschriften und ausgestopften Walfischen -- wieder ein Mißerfolg, nach unglücklichen Mühen und Kosten. Denn als seine Sammlung endlich vollständig schien, kam ein ausgestopfter Walfisch aus Grönland und eine aztekische Inschrift aus der Cundurangogegend in Mittelamerika an, die alle früheren Exemplare gänzlich in den Schatten stellten. Mein Onkel beeilte sich, diese edlen Kleinodien für sich zu gewinnen: er bekam den ausgestopften Walfisch, ein anderer Sammler aber die Inschrift. Eine echte Cundurango aber ist, wie Sie vielleicht wissen, ein Besitz von so köstlichem Wert, daß ein Sammler, wenn er sie einmal erlangt hat, eher von seiner Familie sich trennt, als von ihr. So verkaufte denn mein Onkel aus; er sah seine Lieblinge scheiden auf Nimmerwiedersehen und sein kohlschwarzes Haar wurde weiß wie Schnee in einer einzigen Nacht. »Nun wartete er und überlegte; er wußte, daß eine weitere Enttäuschung ihm das Leben kosten könnte. Er war entschlossen, das nächstemal Dinge zu wählen, bei welchen die Konkurrenz weniger zu fürchten war. Er überlegte lange und reiflich; dann machte er sich noch einmal ans Werk -- diesmal, um eine Sammlung von Echos zu gewinnen.« »Von was?« rief ich erstaunt. »Von Echos, mein Herr. Sein erster Kauf war ein Echo in Georgia, das viermal wiederhallte, sein nächster ein sechsfaches Echo in Maryland, sein nächster ein dreizehnfaches in Maine, sein nächster ein neunfaches in Kansas, sein nächster ein zwölffaches Echo in Tennessee, das er billig bekam, weil es sozusagen baufällig war, denn ein Teil des Felsens, der es zurückwarf, war herabgefallen. Er glaubte es mit einem Aufwand von einigen Tausend Dollars reparieren lassen und durch Aufmauerung des Felsens die Repetierfähigkeit verdreifachen zu können; aber der Architekt, der die Arbeit übernahm, hatte nie zuvor ein Echo gebaut, und so verdarb er es denn gänzlich. Bevor er es verpfuschte, antwortete es wie ein keifendes Marktweib, nachher aber taugte es höchstens noch für ein Taubstummenasyl. Nun, nächstdem kaufte er eine Partie kleiner doppelläufiger Echos in verschiedenen Staaten und Territorien; man gewährte ihm 20% Rabatt, weil er die ganze Partie nahm. Dann kaufte er ein Echo, das wie eine Kruppsche Kanone knallte; es kostete ein Heidengeld, das kann ich Ihnen sagen. Sie müssen nämlich wissen, daß auf dem Echomarkt die Preisskala ansteigt wie die Karatskala bei den Diamanten; im Handel gelten auch dieselben Ausdrücke für das eine wie das andere. Ein einkarätiges Echo ist nur zehn Dollars über den Preis des Grundes und Bodens, auf dem es ruht, wert, ein zweikarätiges oder doppelläufiges Echo ist dreißig Dollars darüber wert, ein fünfkarätiges über neunhundert, ein zehnkarätiges dreizehntausend Dollars. Meines Onkels Echo in Oregon, welches er das ›Echo des großen Pitt‹ nannte, war ein Kleinod von zweiundzwanzig Karaten und kostete zweihundertsechzehntausend Dollars -- man gab ihm das Land drein, denn es war zweihundert Stunden von einer Niederlassung entfernt. »Nun, während dieser Zeit war mein Lebensweg ein Rosenpfad. Ich bewarb mich um die einzige und liebliche Tochter eines englischen Grafen und wurde geliebt bis zur Raserei. In ihrer teuren Nähe schwamm ich in einem Meer der Wonne. Da man wußte, daß ich der alleinige Erbe meines Onkels sei, den man auf fünf Millionen Dollars schätzte, gaben die Eltern um so bereitwilliger ihre Zustimmung. Sowohl ihnen wie mir war es unbekannt geblieben, daß mein Onkel unter die Sammler gegangen war -- wenigstens wußten wir nicht, daß er anders als ganz nebenbei sammle. »Die Wolken zogen sich indes über meinem unschuldigen Haupt zusammen. Jenes göttliche Echo, das seitdem durch die ganze Welt als der große Koh--i--noor oder Berg der Wiederholungen bekannt wurde, war entdeckt worden: es war ein fünfundsechzigkarätiger Edelstein. Aeußerte man nur ein Wort, so antwortete es einem fünfzehn Minuten lang, wenn das Wetter windstill war. Aber siehe da, zu gleicher Zeit machte mein Onkel die Entdeckung, daß ein zweiter Echosammler vorhanden war. Die beiden beeilten sich, den unvergleichlichen Kauf abzuschließen. Das Grundstück bestand aus zwei kleinen Hügeln mit einem seichten Thal dazwischen, hinten in den Ansiedelungen des Staates New York. Beide Männer kamen zu gleicher Zeit an Ort und Stelle an, doch wußte keiner, daß der andere auch da war. Das Grundstück mit dem Echo gehörte nicht einem Manne allein; ein gewisser Williamson Bolivar Jarvis besaß den einen Hügel, den anderen ein gewisser Harbison J. Bledso; das Thal bildete die Grenzlinie. Während nun mein Onkel Jarvis' Hügel für drei Millionen zweihundertundfünfundachtzigtausend Dollars kaufte, erwarb sein Konkurrent Bledsos Hügel für etwas über drei Millionen. »Keiner von den beiden Männern war mit diesem geteilten Eigentumsrecht zufrieden, doch wollte keiner seinen Anteil an den andern verkaufen und schließlich schritt jener andere Sammler -- mit einer Böswilligkeit, wie sie nur ein Sammler gegen einen Mitmenschen und Kollegen fühlen kann -- dazu, seinen Hügel abzutragen! »Also, da er das Echo selbst nicht erlangen konnte, wollte er es auch keinem andern gönnen. Alle Vorstellungen meines Onkels waren vergeblich. »Es gelang ihm zwar einen Aufschubsbefehl gegen seinen Konkurrenten zu erwirken, der letztere appellierte jedoch und brachte die Sache vor eine höhere Instanz. Sie führten den Prozeß weiter bis zum obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Es entstand ein heilloser Wirrwarr. Zwei von den Richtern waren der Ansicht, ein Echo sei persönliches Eigentum. Obwohl nicht greifbar, sei es doch käuflich und verkäuflich und daher ein besteuerbarer Gegenstand; zwei andere Richter meinten, ein Echo sei ein Liegenschaftsobjekt, weil es offenbar am Grund und Boden hafte und nicht beweglich sei; andere Richter behaupteten, ein Echo sei überhaupt kein Eigentum. »Es wurde schließlich entschieden, daß ein Echo ein Eigentumsobjekt sei; daß die beiden Prozessierenden getrennte und unabhängige Eigentümer der beiden Hügel, aber gemeinsame Inhaber des Echos seien: es stehe deshalb dem Beklagten vollkommen frei, seinen Hügel abzutragen, da er ihm allein gehöre, aber er müsse eine Kaution von drei Millionen Dollars stellen als Ersatz für den Schaden, den meines Onkels halber Anteil an dem Echo erleiden könnte. Im weiteren verbot das Urteil meinem Onkel, ohne die Erlaubnis des Gegners, dessen Hügel zur Weckung des Echos zu benützen; er dürfe dazu nur seines eigenen Hügels sich bedienen; könne er unter diesen Umständen seinen Zweck nicht erreichen, so sei das sehr bedauerlich, aber der Gerichtshof könne daran nichts ändern. In derselben Weise wurde der Gegner in Bezug auf diesen Punkt beschieden. Sie können sich denken, was nun geschah. Keiner von beiden wollte dem andern die Einwilligung zur Benützung seines Eigentums geben, und so mußte das berühmte und erhabene Echo auf seine Bethätigung verzichten; seit jenem Tage gleicht das wertvolle Besitztum einer verzauberten Prinzessin, die auf Erlösung harrt. »Eine Woche vor meinem Hochzeitstage, während ich noch in einem Meer der Wonne schwamm und der hohe Adel von Fern und Nah zur Verherrlichung des Ereignisses sich versammelte, traf die Nachricht von dem Tode meines Onkels und zugleich die Abschrift seines Testaments, das mich zu seinem alleinigen Erben einsetzte, ein. Er war dahin -- ach! mein teurer Wohlthäter war nicht mehr: der Gedanke daran belastet mein Herz noch heute, nach so langer Zeit. Ich händigte das Testament dem Grafen, meinem Schwiegervater, ein, da ich es meiner Thränen wegen nicht lesen konnte. Der Graf las es und sagte dann finster: ›Nennen Sie das Reichtum, Sir? Das kann man nur in Ihrem schwindelhaften Amerika. Sie sind nichts weiter als der alleinige Erbe einer umfangreichen Sammlung von Echos, wenn man das eine Sammlung nennen kann, was weit und breit über das ganze amerikanische Festland zerstreut ist. Und das ist nicht alles, Sir; Sie stecken bis über die Ohren in Schulden; nicht ein Echo unter der ganzen Partie, auf dem keine Hypothek ruhte. Ich bin nicht hartherzig, Sir, aber ich muß das Interesse meines Kindes wahren. Wenn Sie nur _ein_ Echo hätten, das Sie mit Recht Ihr Eigentum nennen könnten, wenn Sie nur ein Echo hätten, das frei wäre von Lasten, so daß Sie sich mit meinem Kinde dorthin zurückziehen und es durch unverdrossenen Fleiß kultivieren und verbessern könnten, so würde ich nicht nein sagen; aber ich kann mein Kind an keinen Bettler verheiraten. Verlasse ihn, mein Liebling! Und Sie, Sir, nehmen Sie Ihre hypothekenbelasteten Echos und gehen Sie mir für immer aus den Augen.‹ »Meine edle Cölestine klammerte sich in Thränen, mit liebenden Armen an mich und schwor, sie wolle gerne, ja mit tausend Freuden die Meine werden, auch wenn ich nicht _ein_ Echo in der Welt hätte. Aber es durfte nicht sein; wir wurden auseinander gerissen -- sie, um innerhalb eines Jahres sich langsam zu Tode zu härmen -- ich, um allein mich hinzuschleppen auf des Lebens langem, beschwerlichem Pfad, täglich, stündlich betend um die Erlösung, die uns wieder vereinen soll in einem himmlischen Reich. Und nun, mein Herr, wenn Sie so freundlich sein wollen, die Karten und Pläne in meiner Mappe anzusehen; ich kann Ihnen gewiß ein Echo billiger ablassen, als irgend jemand. Dieses hier zum Beispiel, welches meinen Onkel vor dreißig Jahren zehn Dollars kostete und eines der entzückendsten in Texas ist, will ich Ihnen für -- --« »Einen Augenblick, bitte!« sagte ich. »Mein Freund, ich habe heute vor lauter Hausierern noch keine Minute Ruhe gehabt. Ich habe eine Nähmaschine gekauft, die ich nicht brauchte; ich habe eine Landkarte gekauft, die voller Fehler ist; ich habe eine Uhr gekauft, die nicht gehen will; ich habe Mottengift gekauft, das die Motten jeder andern Nahrung vorziehen; ich habe eine endlose Menge nutzloser Erfindungen gekauft, und jetzt bin ich dieser Thorheit satt. Ich möchte keines von Ihren Echos auch nur geschenkt. Ich bin auf jeden wütend, der mir Echos zum Verkauf anbietet. Sehen Sie dieses Gewehr? Nun packen Sie Ihre Sammlung zusammen und sputen Sie sich; lassen Sie es nicht zum Blutvergießen kommen.« Aber er lächelte nur -- ein melancholisches, sanftes Lächeln -- und zog weitere Pläne heraus. Sie kennen die Geschichte; hat man einmal einem Hausierer die Thür geöffnet, so zieht man immer den kürzeren. Nach Verfluß einer unerträglichen Stunde waren wir handelseinig. Ich kaufte zwei doppelläufige Echos in gutem Zustand, ein drittes bekam ich drein, das, wie er sagte, unverkäuflich sei, weil es nur Deutsch spräche. »Es war einst vollkommen polyglott,« sagte er, »hat aber irgendwie den größten Teil seiner Sprachfertigkeit eingebüßt.« Eine wahre Geschichte. (Gerade so wiedererzählt wie ich sie gehört habe.) Es war im Sommer, zur Dämmerstunde. Wir saßen alle unter dem Vordach des Landhauses, Tante Rahel in bescheidener Ehrerbietung etwas tiefer wie wir auf den Stufen, denn sie war unsere Magd und eine Farbige. Von hohem Wuchs und gewaltigem Körperbau, hatte sie trotz ihrer sechzig Jahre ihre alte Kraft bewahrt und ihr Augenlicht war noch ungeschwächt. Der braven, lustigen Seele war das Lachen so natürlich wie einem Vogel das Singen. Wie gewöhnlich nach beendetem Tagewerk stand sie auch jetzt wieder im Feuer, das heißt, sie wurde unbarmherzig geneckt, und das machte ihr großes Vergnügen. Sie brach wieder und wieder in schallendes Gelächter aus und wenn sie keinen Atem mehr hatte, hielt sie ihren Kopf mit beiden Händen fest und schüttelte sich im Uebermaß der Wonne und des Entzückens. »Tante Rahel,« sagte ich zu ihr, als sie dies wieder einmal that, »wie kommt es, daß du sechzig Jahre alt geworden bist und gar nichts Trauriges erlebt hast?« Da war ihr Lachkrampf vorüber; sie schwieg einen Augenblick, sah über die Schulter nach mir hin und alle Fröhlichkeit war von ihr gewichen. »Ist das Ihr Ernst, Mista Charles?« fragte sie. Das überraschte mich sehr und mir verging die scherzhafte Stimmung. [Illustration] »Je nun,« entgegnete ich betroffen, »ich dachte -- das heißt, ich meinte nur, -- du könntest doch unmöglich jemals Kummer gehabt haben. Noch nie habe ich einen Seufzer von dir gehört, und wenn ich dich sehe, lachst du immer übers ganze Gesicht.« Sie drehte sich jetzt vollends herum und sah mich mit großer Ernsthaftigkeit an. »Ich -- keinen Kummer? -- Hören Sie Mista Charles, ich erzählen will alles und dann sagen Sie sich's selber. Ich bin geboren unter Sklaven, ganz da unten und weiß alle Dinge von die Sklaverei, weil ich selbst gewesen eine. Nun also, mein Alter -- das heißt mein Mann -- der war lieb und gut zu mir, wie Mista zu seiner eigenen Frau. Sieben Kinder wir haben gehabt und sie geliebt haben wie Mista liebt seine Kinder. Sie schwarz gewesen, aber uns' Herrgott können nicht machen Kinder so schwarz, daß ihre eigene Mutter sie nicht liebt und für nichts in der ganzen Welt hergeben will. »Nun, Mista Charles, groß geworden ich bin im alten Virginien, aber meine Mutter, sie stammte aus Maryland. -- Mein' Seel', wenn die in Zorn geriet, das schrecklich war; sie konnte den Leuten die Pelz waschen, daß die Haare flogen. Wenn sie so recht im Harnisch war, dann sie hatte immer bloß eine Wort, die sie sagte. Sie reckte hoch sich in der Höhe, stemmte die Fäuste in die Seite und sagte: ›Na, wartet, ich das werd' euch lehren! Ihr denkt wohl, ich stamm' aus 'nem Bettelsack und wollt mich narren, ihr Lumpenpack? Ich bin von die alte blaue Henne ihr Hühnchen, daß ihr's wißt!‹ -- Sehen Sie, so Leute sich nennen, die in Maryland sind geboren und sind stolz darauf. Ja, ja, sie sagte das immer, und ich vergeß' es mein Lebtag nicht, weil sie sagte es so oft und auch einmal, als mein kleiner Henry sich hatte einer Loch in die Kopf gefallen, gerade auf der Stirn und seine Handgelenk blutig gerissen -- o schrecklich! Und die Nigger, sie kamen nicht gleich herbeigeflogen, das Kind zu helfen. Da war meine Mutter furchtbar böse und sie trat vor sie hin und sagte: ›Na wartet, ihr Nigger, ich das werd' euch lehren! Ihr denkt wohl, ich stamm' aus 'nem Bettelsack und wollt mich narren, ihr Lumpenpack? Ich bin von die alte blaue Henne ihr Hühnchen, daß ihr's wißt!‹ Dann trieb sie sie alle aus die Küche 'raus und verband die Kind selbst. Da hab' ich mich das angewöhnt, und wenn der Aerger über mich kommt, sag' ich auch das Wort von meine Mutter. »Nun also, mit der Zeit, meine alte Missis[4] sagt einmal, mit ihr wär' alles aus, sie muß verkaufen ihre Platz und alle Nigger. Wie ich aber höre, daß sie uns wollte verkaufen auf dem Markt in Richmond -- o du meine Güte, das Schrecken! Ich wußte ja, was der Glocke hat geschlagen.« [4] Herrin. (Tante Rahel war allmählich im Eifer ihrer Erzählung aufgestanden; ihre große Gestalt ragte jetzt über uns hinaus und hob sich schwarz und deutlich ab vom Sternenhimmel.) »Sie legten uns in Ketten und stellten uns auf eine Tritt so hoch wie der Vordach. Und die Leute standen herum, viele Haufen. Sie kamen da 'rauf und besahen uns von vorn und von hinten, sie drückten unser Arme, machten uns stehen und gehen und sagten dann: der ist zu alt, der taugt nichts mehr. Der ist lahm. Der ist nicht viel wert. Und sie verkauften mein alter Mann und führten ihn weg. Dann fangen sie an und verkaufen meine Kinder und nehmen sie fort. Ich laut heule, aber die Mann sagt: Laß deine verdammte Gewinsel, und schlägt mich mit sein Hand auf meine Mund. Wenn alle fort sind bis auf mein kleiner Henry, ich presse ihn ganz fest an meine Brust und trete hin und schrei: ›den ihr dürft nicht nehmen mit, nein, nein, wer ihn anrührt, den schlagen ich tot.‹ Aber mein kleiner Henry, er spricht mir ins Ohr: ›Ich thu weglaufen, und dann arbeiten ich und kaufen dich los.‹ Gott segne die Kind, es war immer so gut! -- Und das Kerle, sie kommen und nehmen ihn, aber ich sie packen und reißen sie die Kleider vom Leibe und schlage sie mit meine Kette über die Kopf. Sie haben's tüchtig wiedergegeben mir, freilich -- aber was kümmerten mich das! »Na also, mein Alter war fort und meine Kinder -- meine ganzen sieben Kinder -- und sechs davon habe ich nie wieder mit Augen gesehen bis zum heutigen Tag -- zweiundzwanzig Jahr letzte Ostern. Mich kaufte ein Mann aus Newbern und hat gebracht mich dorthin. Dann vergehen die Jahre und der Krieg kommt. Mein Massa[5] war ein Oberst von die Konförderierte und ich Köchin in seine Familie. Wie aber die Unioner kommen und einnehmen die Stadt, sind sie alle fortgelaufen und mich allein gelassen haben mit die andern Nigger in Massas großes Haus. Nun die großen Offiziers von die Unioner sind eingezogen und haben mich gefragt, will ich kochen vor ihnen. ›Na Herrje, freilich,‹ sage ich, ›zu was wär' ich sonst da?‹ [5] Herr. »Das sind keine so kleine Offiziers gewesen, nein, von die allergrößten, und wie die ihre Soldaten 'rumschwenken ließen! Der General zu mir sagt, ich soll die Kommando haben über das Küche und alle rausjagen, die sich mengen wollen in meinen Sachen. ›Nur nicht fürchten dich,‹ sagte er, ›du bist jetzt unter guten Freunden.‹ »Na, ich denken bei mir, wenn mein kleiner Henry Gelegenheit gefunden zum Fortlaufen, so ist er natürlich nach das Norden. Und eine Tag ich gehe ins Wohnzimmer, wo die großen Offiziers sind, mache eine Knix und fange an zu erzählen von mein kleiner Henry, und sie hörten meine traurige Geschichte zu, gerade als ob ich eins von die weiße Leut' wär'. Und ich sage: ›Weswegen ich komme, das ist, weil, wenn er ist fortgelaufen und nach das Norden, wo die Herrens herauskommen, sie ihn haben vielleicht gesehen und können mir sagen, wo ich ihn finden wieder. Er ganz klein ist und hat eine Narben am linken Handgelenk und oben auf die Stirn.‹ Dann machten sie betrübte Gesicht und der General fragt: ›Wie lange ist es her, seit man dir dein Kind genommen hat?‹ Und ich sage: ›Dreizehn Jahr.‹ ›Dann ist er jetzt nicht mehr klein,‹ antwortet der General, ›er ist ein Mann.‹ »Daran ich hatt' vorher nie noch gedacht, er war für mich noch immer die kleine Junge, mir war nie eingefallen, daß er gewachsen und groß geworden sein muß. Aber nun ich es verstand. Keiner von den Offiziers war ihm begegnet und sie konnten mir nicht helfen. Aber die ganze Zeit, ohne daß ich's wußte, vor vieler Jahr, war mein Henry schon fort nach das Norden und war ein Barbier, der für eigener Rechnung arbeiten that. Wie aber der Krieg kam, da hat er gesagt: ›Jetzt ich laß das scheren und gehe meine alte Mutter zu suchen, wenn es nicht schon tot ist.‹ So verkauft er sein Sach' und geht hin, wo sie Soldaten werben und verdingt sich als Bursche bei die Oberst. Nun er marschiert überall mit durch allen Schlachten, sein alte Mutter zu finden, erst er war bei eine Offizier, dann bei eine andere, bis er ist gezogen durch das ganze Süden. Aber von das alles wußt' ich nicht ein Sterbenswort. Wie ich's sollt' auch wissen? »Nun, eine Abend hatten wir großer Soldatenball. Die Soldaten in Newbern immerzu wollten tanzen und jubeln, und sie tanzten oft und oft in meine Küche, weil die ist so arg groß. Nun wissen Sie, mir gar nicht das gefiel, weil ich diente die Offiziers, und es ärgerte mich zu sehen die gemeine Soldaten ihre Sprünge machen in meine Küche. Aber ich blieb immer dabei und sah nach das Rechte und wenn sie trieben es zu arg und ich einen Zorn kriegte, dann 'raus mit sie aus meine Küche -- hast du nicht gesehen! »Also einemal -- Freitag abend -- da kam eine ganze Bataillon von das Nigger-Regiment, das die Wache hatte beim Haus -- die Haus war der Hauptquartier, wissen Sie. Da kocht alles inwendig bei mir. Ich bin im hellen Zorn und nur warte drauf, daß sie was thun, daß ich könnte drunter hineinfahren. Und sie walzten und sprangen herum, heisahopsasa -- und ich schwoll und schwoll vor Wut. Nicht lange, so kommt da ein junger Springinsfeld von Nigger gesegelt daher, den Arm um seine gelbe Tänzerin; die drehen und schwingen sich im Kreise, rund, rund, rund, daß einem ganz wirbelig wird, sie anzusehen. Und als sie dicht vor mir sind, da hopsen sie erst auf eine Fuß, dann auf die andere und lachen über meine große rote Kopftuch und treiben ihren Spaß. Da ich fahre auf sie los und sage: ›Macht, daß ihr fortkommt ihr, ihr Gesindel!‹ Da wird das Gesicht von der junge Nigger auf einmal ernst, aber nur eine Augenblick, dann war er wieder lustig und lachte wie zuvor. Indem kommt eine ganze Bande Nigger herein, die wo die Musik machen und immer so vornehm thun. Aber sobald sie das an die Abend versuchen, fahre ich auf sie ein. Sie lachten und da es wurde noch ärger. Die andern Nigger fangen auch an lachen und nun ich war wie ein Feuerbrand. Ich reckte mich in der Höhe, so -- gerade wie jetzt -- fast bis an die Decke, stemmte die Fäuste in die Seite und sagte: ›Na, wartet, ihr Nigger, ich das werd' euch lehren. Ihr denkt wohl, ich stamm' aus 'nem Bettelsack und wollt mich narren, ihr Lumpenpack? Ich bin von die alte blaue Henne ihr Hühnchen, daß ihr's wißt!‹ Da stand die junge Mann stocksteif da, die Augen nach das Decke, als ob er was vergessen hätt' und sich nicht mehr erinnern könnt'. Ich aber gehe den Niggers zu Leibe, wie eine richtige General, und sie nehmen Reißaus und drängen nach die Thür. Und wie die junge Mann rausgeht, hör' ich, wie er zu einen andern Nigger sagt: ›Jim‹, sagt er, ›geh' mal hin und sag' die Hauptmann, ich würd' morgen früh um acht zur Hand sein; aber ich hab' was auf dem Herzen, schlafen ich kann heute nacht nicht mehr, geh, laß mich allein.‹ »Das war um 1 Uhr in die Nacht, und wie es sieben Uhr schlug, war ich auf und hantierte herum, den Offiziers zu machen das Frühstück. Wie ich mich nun zu die Ofen bücke -- grade als wär' Ihr Fuß die Ofen -- und die Thüre aufmache mit meine Hand und zurückstoße sie -- wie jetzt Ihre Fuß -- und die Pfanne mit das heiße Backwerk in die Hand halte und aufstehen will -- da sehe ich ein schwarzes Gesicht sich vor meines hinschieben und mir in die Augen schauen -- grade wie ich jetzt ansehe Sie -- ich rühre mich nicht und gucke und gucke nur in einem fort -- so -- bis die Pfanne zu zittern anfängt -- und auf einmal -- da wußt' ich's. Die Pfanne liegt am Boden und ich packe ihn an der linken Hand, schiebe den Aermel zurück -- grade so, wie ich's mache mit Sie, und dann kommt das Stirn an die Reihe und ich streiche seine Haar zurück, so -- und ›Junge,‹ sag ich, ›wenn du nicht mein Henry bist, wie du kommst zu die Narbe am Handgelenk und die Schramme auf die Stirn? -- Der Herrgott im Himmel gepriesen sei, ich habe meine Herzensjunge wieder!‹ * * * * * »Ja, ja, ich hab' Kummer gehabt -- aber auch Freude, Mista Charles -- auch Freude!« Die Liebe des schönen Alonzo Fitz Clarence und der schönen Rosannah Ethelton. I. Es war am Morgen eines bitterkalten Wintertages. Die Stadt Eastport im Staate Maine lag unter tiefem, frisch gefallenem Schnee begraben. Das gewöhnliche geschäftige Treiben auf den Straßen fehlte; weit und breit auf denselben nichts als eine weiße Decke und entsprechende Stille. Die Trottoirs waren nur noch lange, tiefe Gräben mit steilen Schneehügeln zu beiden Seiten. Hie und da konnte man das schwache, ferne Kratzen einer hölzernen Schaufel vernehmen und ein flüchtiges Bild von einer entfernten, schwarzen Gestalt erhaschen, die sich bückte und in einem jener Gräben verschwand, um im nächsten Augenblick wieder aufzutauchen, mit einer Bewegung, die das Herausschaufeln von Schnee verriet. Aber man mußte rasch blicken, denn jene schwarze Gestalt verweilte nicht, sondern ließ bald die Schaufel fallen und lief auf das Haus zu, wobei sie mit den Armen um sich warf, um sich zu wärmen. Ja, es war zu bitter kalt, als daß ein Schneeschaufler oder sonst jemand lange draußen bleiben konnte. Bald darauf verdüsterte sich der Himmel: der Wind hatte sich erhoben und wirbelte in heftigen ungleichen Stößen ganze Wolken pulverigen Schnees in die Höhe und nach allen Seiten. Unter der Wucht dieser Windstöße legten sich große weiße Schneehügel wie Gräber quer über die Straßen; einen Augenblick später bettete sie ein anderer Windstoß in anderer Richtung, wobei er einen feinen Sprühregen Schnees von ihren spitzen Kämmen fegte, wie eine frische Brise den Schaum von den Wogen spritzt; einem dritten Stoß gefiel es, den Platz so glatt zu fegen wie einen Tisch. Das war Tändelei, das war Spiel; aber daß es keiner von diesen Windstößen unterließ, einen Haufen Schnee in die Trottoirgräben zu werfen, das gehörte offenbar zum Geschäft. Alonzo Fitz Clarence saß in seinem behaglichen und eleganten kleinen Empfangszimmer, in einem blauseidenen, mit Aufschlägen und Säumen von karmoisinrotem Sammet besetzten Schlafrock. Die Ueberreste seines Frühstücks standen vor ihm, und das zierliche und kostbare Tischzeug fügte der Anmut, Schönheit und dem Reichtum der Ausstattung des Zimmers noch einen weiteren harmonischen Reiz bei. Ein lustiges Feuer prasselte im Kamin. Ein wütender Windstoß ließ die Fenster erzittern, und eine große Schneewoge rollte gegen sie, wenn man so sagen darf. Der hübsche junge Mann murmelte: »Das bedeutet -- keinen Ausgang heute! Nun meinetwegen. Aber wie steht's mit der Unterhaltung? Mutter ist ja ganz recht, Tante Susanne ebenso; aber diese beiden kann ich immer haben. An einem so bösen Tag bedarf es eines neuen Interesses, eines frischen Elements, um die stumpfe Schneide der Gefangenschaft zu schärfen. Eine hübsche Phrase -- hat aber keinen Sinn! Man will ja die Schneide der Gefangenschaft nicht geschärft haben, sondern gerade das Gegenteil.« Er blickte auf seine hübsche französische Stutzuhr. »Die Uhr geht wieder falsch; sie weiß kaum je, was die Zeit ist, und wenn sie es weiß, lügt sie mich an, was auf dasselbe hinausläuft. -- Alfred!« Keine Antwort. [Illustration] »Alfred! Ein guter Diener, aber ebenso unzuverlässig wie die Uhr.« Alonzo berührte den Knopf einer elektrischen Leitung in der Wand, wartete ein Weilchen und berührte ihn dann nochmals; hierauf wartete er wieder einige Augenblicke und sagte endlich: »Ohne Zweifel ist die Batterie nicht in Ordnung; nun ich aber einmal darauf aus bin, will ich auch herauskriegen, wie viel Uhr es ist.« Er schritt zu einem Sprachrohr in der Ecke und rief ›Mutter!‹ mit zweimaliger Wiederholung. »Es hilft nichts. Auch der Mutter Batterie geht nicht. Kann niemand drunten auf die Beine bringen -- das ist klar.« Er setzte sich vor einem Pult aus Rosenholz nieder, lehnte sein Kinn gegen dessen linke Kante und sprach, gleichsam gegen den Fußboden gewendet: »Tante Susanne!« Eine leise, angenehme Stimme antwortet: »Bist du's, Alonzo?« »Ja. Ich bin zu faul und fühle mich zu behaglich, um die Stiege hinabzugehen; ich bin in größter Not und kann scheints, keine Hilfe herbeirufen.« »Du lieber Himmel, was giebt's?« »Genug, -- das kann ich dir sagen!« »O, lasse mich nicht in Ungewißheit, Lieber. Was ist's denn?« »Ich möchte wissen, wie viel Uhr es ist.« »Du unartiger Junge; du hast mich recht in Schrecken gejagt! Ist das alles?« »Alles -- auf Ehre. Beruhige dich; sage mir die Zeit und empfange meinen Segen.« »Gerade fünf Minuten nach neun Uhr. Keine Ursache zum Danken -- behalte deinen Segen.« »Danke schön, Tantchen. Er würde mich nicht gerade ärmer gemacht haben, und dich nicht so reich, daß du ohne andere Mittel leben könntest.« Er stand auf und murmelte: »Gerade fünf Minuten nach neun Uhr,« und stellte sich seiner Uhr gegenüber. »Ah,« sagte er, »du machst deine Sache besser wie gewöhnlich. Du gehst nur um vierunddreißig Minuten falsch. Warte ... Warte ... Dreiunddreißig und einundzwanzig ist vierundfünfzig; viermal vierundfünfzig ist zweihundertsechsunddreißig; eins ab, bleibt zweihundertfünfunddreißig. So ist's recht.«[6] [6] Tante und Neffe, welche also per Telephon verkehren, sind weit auseinander: _sie_ in San Francisco, er in einer Stadt des Ostens, daher die Zeitdifferenz. Der Uebers. Er drehte die Uhrzeiger vorwärts, bis sie fünfundzwanzig Minuten auf Eins zeigten und sagte: »Nun sieh, ob du nicht eine Zeit lang richtig gehen kannst ... sonst werde ich dir kommen!« Er setzte sich wieder vor das Pult und sagte: »Tante Susanne!« »Ja, Lieber.« »Gefrühstückt?« »Gewiß, vor einer Stunde schon.« »Sehr beschäftigt?« »Nein -- nähe bloß ein wenig. Warum?« »Gesellschaft bei dir?« »Nein, aber ich erwarte solche um halb zehn Uhr.« »Wollte, ich auch. Ich fühle mich einsam und möchte mit jemand plaudern.« »Nun gut, so plaudere mit mir.« »Ja, aber ich hab' 'was ganz Privates!« »Sei unbesorgt! -- plaudre frisch drauf los; es ist außer mir niemand da.« »Ich weiß fast nicht, ob ich es wagen soll, aber --« »Aber was? Sprich nur! Du weißt, Alonzo, daß du mir vertrauen kannst -- du weißt es.« »Bin überzeugt, Tante; aber die Sache ist sehr ernst; sie berührt mich sehr nahe -- mich und die ganze Familie -- selbst die ganze Gemeinde.« »O, Alonzo, sage mir's! Ich werde nie ein Wort davon laut werden lassen. Um was handelt es sich?« »Soll ich's wagen ...« »O bitte, thu's! Ich habe dich so lieb und kann dir ganz nachfühlen. Sage mir alles -- vertraue mir! Was hast du auf dem Herzen?« »Das Wetter!« »Zum Kuckuck mit dem Wetter! Ich weiß nicht, wie du's übers Herz bringen kannst, mir so mitzuspielen, Lon.« »Nun, nun, lieb' Tantchen, es thut mir leid -- wirklich, bei meiner Treu, ich will's nicht wieder thun. Vergiebst du mir?« »Meinetwegen, ich sollte es freilich nicht thun; denn du hältst mich doch wieder zum Besten, sobald ich diesen Streich vergessen habe.« »Nein, gewiß nicht -- mein Wort darauf. Aber solch ein Wetter, o, solch ein Wetter! Man muß seine Lebensgeister künstlich aufrecht erhalten. Schneeig, windig, stürmisch und bitterkalt, alles auf einmal! Wie ist das Wetter bei euch?« »Warm, regnerisch und trübselig. Es wimmelt auf den Straßen von Regenschirmen, und von dem Ende jedes Fischbeins ergießt sich ein Strom. Der Behaglichkeit wegen brennt ein Feuer in meinem Kamin, und damit es nicht so warm wird, sind die Fenster offen. Aber es ist umsonst: nichts kommt herein als der linde Hauch des Dezember, geschwängert von den Düften der Blumen, welchen die Außenwelt gehört und die sich ihres wonnigen Lebens freuen, während der Geist des Menschen niedergeschlagen ist, die ihm entgegenleuchten in bunter Pracht, während seine Seele in Sack und Asche gekleidet ist und sein Herz brechen möchte.« Alonzo öffnete die Lippen, um zu sagen: »Du solltest das drucken und einrahmen lassen,« unterließ es aber, als er seine Tante mit einer andern Person sprechen hörte. Er trat ans Fenster und schaute hinaus auf das winterliche Straßenbild. Der Sturmwind trieb den Schnee wütender als je vor sich her; die Fensterläden wurden lärmend hin- und hergeworfen; ein verirrter Hund mit gesenktem Kopf und eingezogenem Schweif drängte seinen zitternden Körper gegen eine windgeschützte Mauer, Obdach und Schutz suchend; ein junges Mädchen watete knietief durch die Schneehaufen; sie hatte das Gesicht vom Winde abgewandt, und die Kaputze ihres Regenmantels flatterte von hinten über ihren Kopf. Alonzo schauderte und er sagte mit einem Seufzer: »Lieber Kotpfützen und schwüler Regen, und aufdringliche Blumen, als das!« Er wandte sich vom Fenster ab, machte einen Schritt und blieb dann in lauschender Haltung stehen. Die schwachen, sanften Töne eines wohlbekannten Liedes schlugen an sein Ohr. Er blieb mit vorwärts gebeugtem Kopf stehen und sog die Melodie ein, -- weder Hand noch Fuß rührte sich, er atmete kaum. Dem Vortrag des Liedes fehlte etwas; unserem Alonzo aber schien das kein Fehler, sondern eher ein weiterer Reiz zu sein. Dieser Fehler bestand in einem auffallenden Sinken der Stimme bei der dritten bis siebenten Note des Refrains oder Chors des Liedes. Als der Gesang zu Ende war, holte Alonzo tief Atem und sagte: »Ah, nie zuvor habe ich ›~In the Sweet By-and-By~‹ so schön singen hören!« Er schritt rasch zum Pult, horchte einen Augenblick und sagte dann leise und vertraulich: »Tantchen, wer ist denn diese göttliche Sängerin?« »Es ist der Besuch, den ich erwartete. Bleibt einen bis zwei Monate bei mir. Will dich ihr vorstellen, -- Fräulein ...« »Um Gottes willen, warte einen Augenblick, Tante Susanne! Du überlegst doch auch gar nicht.« Er flog in sein Schlafzimmer und kehrte einen Augenblick später, merklich in seiner äußeren Erscheinung verändert, wieder, indem er schnippisch bemerkte: »Bei Gott, sie würde mich diesem Engel in meinem himmelblauen Schlafrock da, mit den feuerroten Aufschlägen, vorgestellt haben. Die Weiber denken doch nie, wenn sie einmal im Eifer sind.« Er eilte zu dem Pult, blieb stehen und rief halblaut: »Nun, Tante, bin ich fertig,« worauf er sich mit all der einschmeichelnden Eleganz, die ihm zu Gebote stand, lächelnd verbeugte. »Sogleich! -- Fräulein Rosannah Ethelton, darf ich Ihnen meinen liebsten Neffen, Herrn Alonzo Fitz Clarence vorstellen? So! Ihr seid beide artige Kinder, und so will ich euch denn vertrauen und allein beisammen lassen, derweil ich einiges fürs Haus besorge. Setzen Sie sich, Rosannah; setze dich, Alonzo. Adieu; ich werde bald wieder da sein.« Alonzo hatte sich währenddessen immerzu verbeugt und unsichtbaren jungen Damen unsichtbare Sitze angewiesen, jetzt aber setzte er sich selbst, indem er zu sich sagte: »Na, das nenn' ich Glück! Nun mögen die Winde sausen und der Schnee wehen und die Himmel finster drein blicken! Was ficht's mich an!« Während die jungen Leute sich nun in die Bekanntschaft hineinplaudern, nehmen wir uns die Freiheit, das Schönere und Holdere der beiden genauer zu betrachten. Sie saß allein, in anmutiger Ungezwungenheit, in einem reich möblierten Gemach, welches offenbar das Empfangszimmer einer feinen und reichen Dame war. Neben einem niederen, bequemen Sessel stand ein zierliches Arbeitstischchen, auf dem sich ein phantastisch gestickter flacher Korb erhob, aus dessen offenem Deckel sich Stickgarn von verschiedenen Farben, Litzen und Bänder hervordrängten und in nachlässiger Fülle herabhingen. Auf einem üppigen Sofa, das mit einem weichen indischen, aus schwarzen und goldenen Fäden gewebten, und von anderen Fäden in gedämpfteren Farben durchschossenen Stoffe überzogen war, lag eine noch unfertige Straminarbeit, einen in reichen Farben prangenden Blumenstrauß darstellend. Die Hauskatze schlief gerade auf diesem Kunstwerk. In einem Bogenfenster stand eine Staffelei mit einem unvollendeten Gemälde, Palette und Pinsel lagen auf einem Stuhle daneben. Bücher, wohin man sah: Robertsons Predigten, Tennyson, Moody und Sankey, Hawthorne, Longfellow, Kochbücher, Gebetbücher, Stickmusterbücher, nicht zu vergessen alle Arten von Büchern über Renaissancemöbel und Majolikas. Auch ein Piano war da mit einem Stoß Musikalien daneben. An den Wänden hing eine Menge Bilder, andere standen auf Kaminsims und Eckbrettern, und wo sich ein Plätzchen dazu fand, waren plastische Figuren, altmodischer Nippsachen-Krimskrams und besonders viel seltenes und kostbares chinesisches Porzellan aufgestellt. Das Bogenfenster ging auf einen Garten, aus dem fremde und einheimische Blumen und blühende Sträucher hervorstrahlten. [Illustration] Aber das holde junge Mädchen war das reizendste, was dieser Wohnsitz drinnen und draußen dem Auge bieten konnte: zartgeformte Züge von griechischem Schnitte, ihre Gesichtsfarbe der reine Schnee einer Lilie, auf die von einem scharlachfarbenen Gartennachbar ein schwacher Abglanz fällt; große, sanfte blaue Augen, mit langen, geschweiften Wimpern befranst; im Gesicht die Treuherzigkeit eines Kindes und die Sanftmut eines Rehes; der hübsche Kopf mit goldglänzendem Haar verschwenderisch reich gekrönt; eine geschmeidige und doch wohlgerundete Gestalt, die in jeder Haltung und Bewegung von natürlicher Anmut erfüllt war. Ihr Anzug und Schmuck zeigte jene ausgesuchte Harmonie, die nur von einem feinen natürlichen, durch Kultur vervollkommneten Geschmack kommen kann. Ihr Kleid war von einfachem, magentafarbenen Tüll, der Quere nach geschnitten und gekreuzt von drei Reihen hellblauer Falbeln; der Ueberwurf von dunkelrotbraunem Tarlatan, mit Stickereien von scharlachfarbenem Atlas; kornfarbige Polonaise ~en panier~, mit Perlmutterknöpfen und Silberschnüren besetzt, nach hinten aufgenommen und mit Litzen von lederfarbenem Sammet befestigt; Schöße von lavendelfarbenem Rips, mit Valenzienner Spitzen ausgeputzt; Krawatte von kastanienfarbenem Sammet, mit zarter Rosaseide eingefaßt; Halstuch von einem einfachen dreifaltigen, in der Wolle gefärbten Gewebe von gedämpftem Safrangelb; Korallenarmbänder und Halskette mit Medaillon; Haarschmuck von Vergißmeinnicht und Maiblümchen, die sich zahlreich um eine edle Calla drängten. Das war alles; doch selbst in diesem schlichten Anzug war sie göttlich schön; was müßte sie erst gewesen sein, wenn geschmückt zum Fest oder Ball? Ahnungslos, daß wir sie dieser Besichtigung unterzogen, hatte sie mittlerweile eifrig mit Alonzo geplaudert. Rasch enteilten die Minuten, und noch immer plauderten sie. Endlich aber blickte sie zufällig empor und sah auf die Uhr. Ein tiefes Erröten durchschoß ihre Wangen und sie rief aus: »Und nun adieu, Herr Fitz Clarence; ich muß jetzt gehen!« Sie sprang mit solcher Hast von ihrem Stuhl empor, daß sie kaum des jungen Mannes Abschiedsgruß hörte. Strahlend von Anmut und Schönheit stand sie da und schaute verwundert auf die anklagende Uhr; dann öffneten sich ihre vollen Lippen und sie sagte zu sich: »Fünf Minuten über elf! Fast zwei Stunden, und es schienen keine zwanzig Minuten zu sein. Du lieber Himmel, was wird er von mir denken!« In demselben Augenblicke starrte Alonzo auf seine Uhr und sagte dann zu sich: »Fünfunddreißig Minuten über zwei Uhr! Fast zwei Stunden, und ich glaubte, es wären keine zwei Minuten! Am Ende schwindelt die Uhr wieder? Fräulein Ethelton! Nur einen Augenblick, bitte. Sind Sie noch hier?« »Ja, aber bitte schnell! muß sogleich gehen.« »Möchten Sie so freundlich sein, mir zu sagen, wie viel Uhr es ist?« Das Mädchen errötete wieder und sagte leise für sich: »Es ist geradezu grausam, mich zu fragen!« und gab dann laut und mit bewundernswert gespielter Gleichgültigkeit zur Antwort: »Fünf Minuten über elf.« »So? ich danke Ihnen! Sie müssen also jetzt wirklich gehen?« »Ja.« »Das thut mir leid.« Keine Antwort. »Fräulein Ethelton!« »Nun?« »Sie -- Sie sind noch da, nicht wahr?« »Ja; aber bitte, beeilen Sie sich. Was wollten Sie sagen?« »Nun, ich -- nun, nichts Besonderes. Es ist so einsam hier. Es ist viel verlangt, ich weiß es; aber möchten Sie wohl bald wieder mit mir plaudern -- das heißt, wenn es Ihnen nicht unangenehm ist?« »Ich weiß nicht -- aber ich will mich besinnen -- ich denke, ja.« »O, tausend Dank! Fräulein Ethelton? ... O weh, sie ist fort, und da sind die schwarzen Wolken und der wirbelnde Schnee und die stürmischen Winde wieder! Aber sie sagte _adieu_! Sie sagte nicht Guten Morgen, sie sagte adieu! ... Die Uhr ging also doch recht. Wie blitzbeschwingt diese zwei Stunden waren!« Er setzte sich nieder, blickte eine Weile träumerisch in das Feuer, seufzte dann tief auf und sagte: »Wie wunderbar! Vor zwei Stündchen noch war ich ein freier Mann, und jetzt ist mein Herz in San Francisco!« Um dieselbe Zeit saß Rosannah Ethelton, mit einem Buche in der Hand, in der Fensternische ihres Schlafzimmers und blickte zerstreut hinaus über die regnerischen Seen, die das ›goldene Thor‹ (Hafen von San Francisco) wuschen, und flüsterte für sich: »Wie ganz anders er doch ist als der arme Burley mit seinem leeren Kopf und seinem einzigen komödiantenhaften Talent der Nachäffung.« II. Vier Wochen später unterhielt Herr Sidney Algernon Burley eine fröhliche Frühstücksgesellschaft in einem prächtigen Salon auf Telegraph Hill mit einigen köstlichen Nachahmungen der Stimmen und Gebärden gewisser beliebter Schauspieler, gewisser Litteraten aus San Francisco und Bonanzaer Granden.[7] Er war eine elegante Erscheinung, und -- abgesehen von einem unbedeutenden Schielen -- ein hübscher Mensch. Er schien sehr guter Stimmung zu sein, trotzdem blickte er von Zeit zu Zeit voll unruhiger Erwartung nach der Thüre. Endlich erschien ein Lakai, welcher der Frau vom Hause eine Botschaft brachte, worauf die Dame verständnisvoll mit dem Kopf nickte. Das schien Burleys Erwartung ein Ende zu machen; seine Lebhaftigkeit nahm nach und nach ab und sein Gesicht einen niedergeschlagenen Ausdruck an. [7] Besitzer von großen Farmen, sogenannten ›Bonanzafarmen‹. Anm. des Uebers. Die Gesellschaft entfernte sich, als es an der Zeit war, und er blieb allein mit der Hausfrau, zu der er sagte: »Es kann kein Zweifel mehr sein: sie weicht mir aus, sie entschuldigt sich fortwährend. Wenn ich sie nur sehen, nur einen Augenblick mit ihr sprechen könnte -- aber diese Ungewißheit --« »Vielleicht ist ihr scheinbares Ausweichen bloßer Zufall. Gehen Sie in das kleine Empfangszimmer droben und warten Sie einen Augenblick. Ich muß rasch einen häuslichen Auftrag geben, der mir eben einfällt, und will dann auf ihr Zimmer gehen. Sie wird sich gewiß bestimmen lassen, Sie zu empfangen.« Herr Burley ging die Stiege hinauf in der Absicht, das kleine Empfangszimmer aufzusuchen; als er aber an ›Tante Susannes‹ Boudoir vorüberging, dessen Thüre ein wenig offen stand, hörte er ein ihm wohlbekanntes fröhliches Lachen; so ging er denn ohne anzuklopfen und unangemeldet hinein. Ehe er aber seine Nähe bemerklich machen konnte, hörte er Worte, die ihm schwer auf die Seele fielen und sein Blut erkalten machten. Er hörte vor dem Telephon eine Stimme sagen: »Liebste, es ist angekommen, es ist da.« Dann hörte er Rosannah Ethelton, die mit dem Rücken gegen ihn stand, antworten: »Das deinige auch, Teuerster!« Er sah ihre vorgebeugte Gestalt sich noch tiefer herabbeugen; er hörte sie etwas küssen -- nicht bloß einmal, sondern wieder und wieder! Seine Galle kochte in ihm. Die herzbrechende Unterredung wurde fortgesetzt: »Rosannah, ich wußte, daß du schön sein müßtest; aber dein Bild übertrifft meine Ahnung: ich bin völlig geblendet!« »Alonzo, es macht mich überglücklich, daß du das sagst. Ich weiß zwar, daß es nicht wahr ist; aber ich bin trotzdem dankbar, daß du es glaubst! Ich wußte, daß du edle Züge haben müßtest, aber die Anmut und Majestät der Wirklichkeit machen die Schöpfung meiner Phantasie zu einem armseligen Schattenbild.« Burley hörte wieder jenen prasselnden Schauer von Küssen. »Ich danke dir, meine Rosannah! Die Photographie schmeichelt mir, aber daran mußt du nicht denken. -- Mein Schätzchen?« »Ja, Alonzo?« »Ich bin so glücklich, Rosannah.« »O, Alonzo. Jetzt weiß ich, was Liebe ist. Ich schwebe in einem prächtigen Wolkenland, in einem grenzenlosen Himmel zauberhaften und sinnberauschenden Entzückens.« »O, meine Rosannah! -- denn du bist ja mein, nicht wahr?« [Illustration] »Ganz, o, ganz dein, Alonzo, jetzt und immerdar! Den ganzen Tag hindurch und in meinen nächtlichen Träumen höre ich immer ein Lied, dessen holder Refrain lautet: Alonzo Fitz Clarence, Alonzo Fitz Clarence zu Eastport im Staate Maine!« »Verwünscht sei er! -- ich habe jetzt wenigstens seine Adresse!« brüllte Burley innerlich und eilte fort. Hinter dem ahnungslosen Alonzo aber stand plötzlich seine Mutter, ein Bild des Staunens. Sie war vom Kopf bis zu den Füßen in Pelze gehüllt, so daß außer Augen und Nase nichts von ihr zu sehen war. Sie stand da, wie eine gute Allegorie des Winters, über und über mit feinen Schneeflocken bestreut. Hinter der ahnungslosen Rosannah stand Tante Susanne, ein zweites Bild des Staunens. Sie war eine gute Allegorie des Sommers, denn sie war leicht gekleidet und kühlte sich mit einem Fächer das heiße Gesicht. Beiden Frauen standen Freudenthränen in den Augen. »Haha!« rief Frau Fitz Clarence aus, »das erklärt, weshalb dich seit sechs Wochen niemand aus deinem Zimmer zu bringen vermochte, Alonzo!« »Aha!« rief Tante Susanne aus, »jetzt weiß ich, weshalb Sie in den letzten sechs Wochen eine Einsiedlerin waren, Rosannah!« [Illustration] Die jungen Leute waren im Nu auf den Füßen, und standen betreten da, wie Schmuggler von Gold und Juwelen, die man beim Handwerk ertappt hat. »Sei gesegnet, mein Sohn! Ich bin glücklich in eurem Glück. Komm' in deiner Mutter Arme, Alonzo!« »Sei gesegnet, Rosannah, um meines lieben Neffens willen. Komm' in meine Arme!« Die Herzen schwammen in Wonne auf Telegraph Hill und in Eastport Square. An beiden Orten wurden Diener gerufen. Dem einen wurde der Befehl gegeben: »Wirf noch mehr Walnußbaumholz ins Feuer und bringe mir ein siedheißes Glas Glühwein.« Dem andern wurde der Auftrag erteilt: »Lösche das Feuer und bringe mir zwei Palmblattfächer und eine Flasche Eiswasser.« Dann wurden die jungen Leute weggeschickt, und die beiden älteren setzten sich nieder, um die angenehme Ueberraschung zu besprechen und Heiratspläne zu entwerfen. Einige Minuten vorher stürzte Herr Burley aus dem Hause auf Telegraph Hill, ohne jemandem zu begegnen oder von jemand förmlichen Abschied zu nehmen. In unbewußter Nachahmung einer bekannten Stelle in einem Melodrama zischte er zwischen den Zähnen hervor: »Sein soll sie niemals werden! Ich hab's geschworen! Ehe die Natur ihren Winterhermelin abgelegt haben wird, um den Smaragdschmuck des Frühlings anzulegen, soll sie mein sein!« III. Ein paar Wochen später. -- Drei oder vier Tage lang empfing Alonzo alle paar Stunden den Besuch eines sehr schmuck und gottesfürchtig aussehenden Geistlichen, der auf einem Auge schielte; nach seiner Visitenkarte war er der hochwürdige Melton Hargrave aus Cincinnati. Er sagte, er habe sich ›seiner Gesundheit wegen‹ von der Seelsorge zurückgezogen; wenn er gesagt hätte: ›wegen seiner Kränklichkeit‹, würde ihn sein gesundes Aussehen und sein kräftiger Körperbau stark Lügen gestraft haben. Er stellte sich als Erfinder einer Verbesserung an Telephonen vor, der durch Verkauf des bezüglichen Patents sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen hoffte. »Heutzutage,« sagte er, »kann jeder, der Lust hat, einen Telegraphendraht anzapfen, welcher ein Lied oder ein Konzert aus einem Staate in einen andern leitet, sein eigenes Telephon daranhängen und diebisch jene Musik anhören, während sie vorübergleitet. Meine Erfindung wird dem ein Ende machen.« »Nun,« antwortete Alonzo, »was kann dem Eigentümer der Musik daran liegen, wenn ihm der Diebstahl nichts schadet?« »Nichts,« sagte der Hochwürdige. »Nun, also?« sagte Alonzo fragend. »Angenommen aber,« antwortete der Hochwürdige, -- »angenommen, daß statt der Musik, die im Vorübergleiten gestohlen werden kann, der Draht Liebeszärtlichkeiten geheimster und heiligster Natur aussendet?« Alonzo schauderte vom Scheitel bis zur Zehe. »Mein Herr, ich verstehe, Ihre Erfindung ist unbezahlbar; ich muß sie haben -- um jeden Preis.« Aber die Erfindung, welche aus Cincinnati bestellt war, wollte nicht eintreffen. Alonzo verging vor Ungeduld: der Gedanke, daß Rosannahs liebe Worte von irgend einem elenden Neugierigen geteilt würden, war ihm eine Folter. Der Hochwürdige kam häufig und beklagte den Verzug und sprach von Maßregeln, die er getroffen, um die Ankunft zu beschleunigen. Das war ein kleiner Trost für Alonzo. Eines Vormittags stieg der Hochwürdige die Treppe hinan und klopfte an Alonzos Thür: es erfolgte keine Antwort. Er trat ein, blickte forschend umher und eilte dann zum Telephon. Die ausnehmend sanften fernen Töne des ›~Sweet By-and-By~‹ fluteten durch das Instrument. Die Sängerin nahm wie gewöhnlich die fünf Noten, die den beiden ersten im Chor folgten, um einen halben Ton zu tief, als der Hochwürdige sie -- in einer Stimme, welche diejenige Alonzos täuschend, nur mit einem entfernten Anflug von Ungeduld, nachahmte -- plötzlich unterbrach: »Mein Schatz?« »Ja, Alonzo?« »Bitte, singe das in dieser Woche nicht mehr, -- probiere etwas Modernes.« Ein leichter Schritt, wie er zu einem glücklichen Herzen paßt, wurde jetzt auf der Treppe hörbar, worauf der Hochwürdige teuflisch lächelnd rasch Zuflucht hinter den schweren Falten der sammetnen Fenstervorhänge suchte. Alonzo trat ein, flog zum Telephon und sagte: »Liebste Rosannah, wollen wir zusammen singen?« »Etwas _Modernes_?« gab sie mit sarkastischer Bitterkeit zurück. »Ja, wenn dir's recht ist!« »Singen Sie's selbst, wenn es Ihnen beliebt!« Dieses schnippische Wesen verblüffte und verletzte den jungen Mann. Er sagte: -- »Rosannah, das sah dir nicht ähnlich.« »Ich denke, es steht mir ebenso wohl an, als Ihre höfliche Rede Ihnen anstand, Herr Fitz Clarence.« »Herr Fitz Clarence! Rosannah, es lag nichts Unhöfliches in meinen Worten.« »O, wirklich! Dann habe ich Sie natürlich falsch verstanden und muß Sie demütig um Verzeihung bitten, ha -- ha -- ha! Ohne Zweifel sagten Sie: ›Singe es _heute_ nicht mehr.‹« »Singe heute -- _was_ nicht mehr?« »Natürlich das Lied, das Sie erwähnten. Wie begriffsstutzig wir plötzlich sind!« »Ich erwähnte gar kein Lied.« »O, wirklich nicht?« »Nein, wirklich nicht!« »Ich sehe mich zu der Bemerkung gezwungen, daß Sie es _thaten_!« »Und ich sehe mich nochmals zu der Erklärung gezwungen, daß ich's _nicht_ that.« »Eine zweite Grobheit! Das genügt, mein Herr. Ich werde Ihnen nie vergeben: alles ist aus zwischen uns.« Dann hörte man ein verhaltenes Schluchzen. Alonzo sagte hastig: »O, Rosannah, nimm diese Worte zurück! Dahinter steckt ein schreckliches Geheimnis, irgend ein entsetzliches Mißverständnis. Im vollen Ernst und ganz aufrichtig gesagt, ich habe nichts von einem Lied erwähnt. Ich möchte dich um alles in der Welt nicht verletzen ... Rosannah, Liebste? ... O, sprich mit mir, ich bitte dich!« Es folgte eine Pause; dann hörte Alonzo des Mädchens Schluchzen wie aus weiter Ferne; sie hatte sich vom Telephon zurückgezogen. Er erhob sich mit einem schweren Seufzer und eilte aus dem Zimmer, vor sich hinmurmelnd: »Ich muß meine Mutter aufsuchen. Sie wird ihr hoffentlich die Ueberzeugung beibringen, daß ich sie nicht verletzen wollte.« Eine Minute später krümmte sich der Ehrwürdige über das Telephon, wie eine Katze, welche die Wege ihrer Beute kennt. Er brauchte nicht lange zu warten; nach einigen Minuten hörte man eine sanfte, bereuende, von Thränen zitternde Stimme sagen: »Lieber Alonzo, ich hatte unrecht; du kannst etwas so Grausames nicht gesagt haben. Es muß jemand gewesen sein, der deine Stimme im Scherz oder aus Bosheit nachahmte.« Der Hochwürdige antwortete kalt in Alonzos Stimme: »Sie haben gesagt, daß alles zwischen uns vorüber ist; und so sei es. Ich verschmähe Ihre angebotene Reue und verachte Sie!« Dann entfernte er sich, strahlend vor Triumph, um nie mehr mit seiner vorgeblichen Telephonverbesserung zurückzukehren. Vier Stunden später kam Alonzo, der seine Mutter bei Bekannten hatte suchen müssen, zurück. Sie riefen ihre Angehörigen in San Francisco an, aber es erfolgte keine Antwort. Sie warteten und warteten am sprachlosen Telephon. Endlich, als in San Francisco die Sonne unterging, drei und eine halbe Stunde nach der Dämmerung in Eastport, erfolgte eine Antwort auf den oft wiederholten Ruf: ›Rosannah!‹ Aber ach! es war Tante Susannes Stimme, die sprach: »War den ganzen Tag nicht zu Hause; bin eben heimgekehrt. Will sie sogleich aufsuchen.« Die Harrenden warteten zwei -- fünf -- zehn Minuten; dann kamen in erschrockenem Ton folgende verhängnisvolle Worte: -- »Sie ist fort, und ihr Gepäck mit ihr, um eine auswärtige Freundin zu besuchen, wie sie den Dienstboten sagte. Auf dem Tisch in ihrem Zimmer aber fand ich eine Notiz mit den Worten: ›Ich bin gegangen; forscht mir nicht nach; mein Herz ist gebrochen; ihr werdet mich nimmer wiedersehen. Sagt ihm, ich werde immer an ihn denken, wenn ich mein armes ›~Sweet By-and-By~‹ singe, nie aber an die unfreundlichen Worte, die er darüber gesprochen.‹ So lautet ihre Mitteilung. Alonzo, Alonzo, was hat das zu bedeuten? Was ist geschehen?« Alonzo aber saß blaß und starr da wie eine Leiche. Seine Mutter zog die sammetnen Vorhänge zurück und öffnete ein Fenster. Die kalte Luft erfrischte den Leidenden, und er erzählte seiner Tante seine trübselige Geschichte. Mittlerweile besichtigte seine Mutter eine Visitenkarte, die auf dem Fußboden zum Vorschein gekommen war, als sie die Vorhänge zurückzog. Auf der Karte stand: Sidney Algernon Burley, San Francisco. »Der Schurke!« rief Alonzo und stürzte hinaus, um den falschen Hochwürdigen zu suchen und zu vernichten. Die Karte erklärte alles, denn die Liebenden hatten im Verlaufe ihrer gegenseitigen Bekenntnisse einander alles erzählt von den Liebsten, die sie je gehabt, und all ihre Mängel und Schwächen unbarmherzig verdammt -- das ist bei Liebenden so Brauch: es hat einen eigenen Reiz für sie, und er kommt gleich nach dem des Girrens und Schnäbelns. IV. Während der nächsten zwei Monate ereignete sich viel. Es war bald kund geworden, daß Rosannah (die arme duldende Waise!) weder zu ihrer Großmutter zu Portland in Oregon zurückgekehrt war, noch ihr irgendwelche Nachricht gesandt hatte, außer einer Abschrift der leidvollen Notiz, die sie in dem Hause auf Telegraph Hill zurückgelassen hatte. Wer ihr auch ein Obdach gewährte, -- wenn sie noch lebte, -- war ohne Zweifel von ihr beredet worden, ihren Aufenthalt nicht zu verraten, denn alle Versuche, sie aufzufinden, waren mißlungen. [Illustration] Gab Alonzo sie auf? Keineswegs. Er sagte bei sich: »Sie wird jenes holde Lied singen, wenn sie schwermütig ist; ich werde sie finden.« Und so nahm er seinen Reisesack und ein tragbares Telephon und schüttelte den Schnee seiner Vaterstadt von seinen Füßen und ging hinaus in die Welt. Er wanderte weit und breit hin und her und durch viele Staaten; wieder und wieder blickten Fremde erstaunt auf einen abgezehrten, blassen, melancholischen Mann, der mühevoll an winterlichen und einsamen Orten eine Telegraphenstange erklomm, dort traurig eine Stunde saß mit dem Ohr an einem kleinen Kästchen, dann seufzend herabkam und müde weiterwanderte. Manchmal wurde auf ihn geschossen, weil man ihn für verrückt und gefährlich hielt. Seine Kleider wurden von Kugeln zerfetzt und er selber am Ende schwer verletzt; aber er ertrug alles geduldig. So verflossen langsam sieben Wochen, und endlich ergriffen ihn einige Menschenfreunde und brachten ihn in eine Privatirrenanstalt zu New York. Er wehklagte nicht, denn alle seine Kraft war dahin, und mit ihr aller Mut und alle Hoffnung. Der Oberaufseher trat ihm mitleidig seine eigenen behaglichen Gemächer, Wohn- und Schlafzimmer ab und pflegte ihn mit liebender Hingebung. Nach Verlauf einer Woche war der Patient imstande, zum erstenmale das Bett zu verlassen. Er lag, auf Kissen gestützt, bequem auf dem Sofa und lauschte den Klagelauten der frostigen Märzwinde und dem dumpfen Ton der Fußtritte auf der Straße drunten, -- denn es war etwa sechs Uhr abends, und New York ging von der Arbeit heim. Er hatte ein helles Feuer und zur Erhöhung der Behaglichkeit zwei Studierlampen, und so war es warm und behaglich drinnen, wenn auch draußen frostig und rauh. Ein schwaches Lächeln glitt über Alonzos Antlitz bei dem Gedanken, daß seine Streifereien aus Liebe ihn in den Augen der Welt zu einem Verrückten gemacht hatten, und er wollte eben seinen Gedankengang weiter verfolgen, als eine schwache, holde Melodie -- sozusagen ein Tonschatten, so fern und dünn schien sie -- an sein Ohr schlug. Seine Pulse hörten auf zu schlagen; er lauschte mit offenen Lippen und verhaltenem Atem. Das Lied tönte weiter -- er harrte, lauschte, erhob sich langsam und unbewußt aus seiner Rückenlage und rief endlich frohlockend aus: »Sie ist's! sie ist's! O, die göttlichen, um einen halben Ton zu tiefen Noten!« Er schleppte sich begierig zu der Ecke, aus der die Töne kamen, riß einen Vorhang auf die Seite und entdeckte ein Telephon. Er beugte sich darüber, und als die letzte Note erstarb, brach er in den lauten Ausruf aus: »O, dem Himmel sei Dank, endlich gefunden! Sprich mit mir, teuerste Rosannah! Das qualvolle Geheimnis ist enthüllt; es war der schurkische Burley, der meine Stimme nachahmte und dich mit unverschämter Rede beleidigte!« Es folgte eine atemlose Pause, für den wartenden Alonzo ein Menschenalter; dann kam ein schwacher Laut, der sich zur Rede formte: »O, sage diese köstlichen Worte nochmals, Alonzo!« »Sie sind die Wahrheit, die reinste Wahrheit, meine Rosannah, und du sollst den Beweis haben, glänzenden und vollen Beweis!« »O, Alonzo, bleibe bei mir! Verlasse mich keinen Augenblick! Laß mich fühlen, daß du mir nahe bist! Sage mir, daß wir nie wieder getrennt sein sollen! O, diese glückliche Stunde, diese gesegnete, denkwürdige Stunde!« »Wir wollen sie uns ins Gedächtnis einprägen, meine Rosannah; jedes Jahr, wenn die Uhr diese Stunde schlägt, werden wir sie mit Dankgebeten feiern, unser ganzes Leben lang.« »Das wollen wir, Alonzo, -- ja, das wollen wir!« »Vier Minuten nach sechs Uhr abends, meine Rosannah, soll hinfort -- --« »Zwölf Uhr dreiundzwanzig Minuten nachmittags -- --« »Ei, Rosannah, mein Schatz, wo bist du denn?« »In Honolulu auf den Sandwichsinseln. Und wo bist du? Bleibe bei mir; verlasse mich keinen Augenblick! Ich könnt' es nicht ertragen. Bist du daheim?« »Nein, Teure, ich bin in New York -- ein Patient in ärztlicher Behandlung.« Ein qualvoller Schrei drang in Alonzos Ohr, es klang wie das scharfe Summen einer verletzten Fliege: die Reise von ein paar tausend Meilen hatte die Kraft des Lautes abgeschwächt. Alonzo sagte rasch: »Beruhige dich, mein Kind. Es ist nichts; ich werde bereits wieder gesund durch die Heilkraft deiner holden Nähe. -- Meine Rosannah!« »Ja, Alonzo? O, wie du mich erschreckt hast! Fahre fort.« »Bestimme den Hochzeitstag, Rosannah!« Es folgte eine kleine Pause; dann antwortete eine schüchterne, leise Stimme: »Ich erröte -- aber vor Freude, vor Glück. Möchtest du es gerne bald haben?« »Noch in dieser Nacht, Rosannah! nur nicht das Wagnis eines weiteren Verzuges! Warum nicht gleich? -- noch in dieser Nacht, in diesem Augenblick!« »O, du ungeduldiger Mann! Ich habe niemand hier als meinen guten alten Onkel, einen früheren Missionar -- niemand als ihn und seine Frau. Es würde mir so von Herzen lieb sein, wenn deine Mutter und deine Tante Susanne -- --« »_Unsere_ Mutter und _unsere_ Tante Susanne, meine Rosannah!« »Ja, _unsere_ Mutter und _unsere_ Tante Susanne -- ich will gerne so sagen, wenn es dir recht ist; es wäre mir so lieb, wenn sie bei der Trauung zugegen wären.« »Ich möchte es auch. Wie wär's, wenn du an Tante Susanne telegraphiertest? Wie lange würde es dauern, bis sie käme?« »Der Dampfer geht übermorgen von San Francisco ab und ist acht Tage unterwegs; sie würde also am 31. März hier sein.« »Dann bestimme den 1. April, teuerste Rosannah!« »Ums Himmels willen, Alonzo, da würden wir ja zu Aprilnarren!« »Wir würden dann jedenfalls die glücklichsten, welche die Sonne jenes Tages auf dem ganzen weiten Erdenrund bescheint; was ficht's uns also an? Sage am 1. April, Teure.« »Nun denn, von Herzen gern, der 1. April soll es sein.« »Wie herrlich! Bestimme auch die Stunde, Rosannah.« »Ich liebe den Morgen mit seiner Frische und Heiterkeit. Paßt es dir um acht Uhr morgens, Alonzo?« »Die schönste Stunde des Tages -- da sie dich zu der meinigen macht.« Es folgte eine Pause, während welcher ein Ton hörbar war, als ob körperlose Geister Küsse austauschten; dann sagte Rosannah: »Entschuldige mich nur für einen Augenblick, Lieber; ich muß einen Besuch erwarten, drüben im andern Zimmer.« Das junge Mädchen eilte in das Besuchszimmer und nahm an einem Fenster Platz, das die Aussicht auf eine schöne Landschaft gewährte. Zur Linken konnte man das hübsche Nuuanathal, eingesäumt von einer üppigen Fülle tropischer Blumen und graziöser Kokospalmen, überschauen; die anstoßenden niederen Hügel waren in das leuchtende Grün von Zitronen- und Orangenbäumen gekleidet; die geschichtlich berühmte Schlucht drüben, in welche der erste Kamehameha seine dem Untergange geweihten Feinde hineintrieb, hatte wahrscheinlich ihre grausige Geschichte vergessen, denn wie gewöhnlich am Mittag wölbte sich eine Anzahl von Regenbogen über ihr. Gerade vor dem Fenster sah man die wunderlich gebaute Stadt und hie und da eine Gruppe von dunkelfarbenen Eingeborenen, die sich des fast unerträglich heißen Wetters freuten; und weitab zur Rechten lag der ruhelose Ozean, der seine weiße Mähne im Sonnenscheine schüttelte. Rosannah saß wartend da, in ihrem leichten weißen Gewand, und fächelte ihr erregtes und erhitztes Gesicht; endlich steckte ein halbnackter, mit einem Cylinderhut bedeckter Kanakenknabe den Kopf zur Thür herein und meldete: »Herr aus 'Friesko!«[8] [8] Abkürzung für San Francisco. »Weise ihn herein,« sagte das Mädchen, indem sie sich aufrichtete und eine entschiedene Haltung annahm. Herr Sidney Algernon Burley trat ein, von Kopf bis zu Fuß in blendendes Weiß, d. h. in die leichteste und weißeste irische Leinwand gekleidet. Er trat rasch heran, aber das Mädchen machte eine Bewegung mit der Hand und warf ihm einen Blick zu, der ihn plötzlich stehen bleiben ließ. Sie sagte kalt: »Ich bin hier, wie ich versprach. Ich glaubte Ihren Versicherungen, gab ihrem ungestümen Drängen nach und sagte, ich würde den Tag bestimmen. Ich bestimme den 1. April um acht Uhr des morgens. Und nun gehen Sie.« »O, meine Teuerste, wenn die Dankbarkeit einer Lebenszeit -- --« »Kein Wort mehr. Erlassen Sie mir Ihren Anblick und jeden Verkehr mit Ihnen bis zu jener Stunde. Nein -- keine Bitten; ich will es so haben.« Als er fort war, sank sie erschöpft in einen Stuhl, denn die lange Belagerung des Kummers, die sie ausgehalten, hatte ihre Kraft geschwächt. Gleich darauf sagte sie: »Mit knapper Not entkommen! Wenn er eine Stunde früher gekommen wäre, -- -- es schaudert mich, wenn ich daran denke! Denken zu müssen, daß es mit mir dahin gekommen wäre, daß ich mir einbildete, dieses betrügerische, dieses falsche, dieses verräterische Ungeheuer zu lieben! O, er soll seine Schurkerei bereuen!« Wir wollen diese Geschichte jetzt rasch zu Ende führen, denn es ist nur weniges noch zu sagen. Am 2. April enthielt der Honoluluer ›Anzeiger‹ folgende Notiz: »_Verheiratet._ -- Dahier, per Telephon, gestern früh um acht Uhr, durch den hochwürdigen Herrn Nathan Hays, unter Assistenz des hochwürdigen Herrn Nathaniel Davis zu New York, Herr Alonzo Fitz Clarence von Eastport in Maine, mit Fräulein Ethelton von Portland in Oregon. Zugegen war Frau Susanne Howland von San Francisco, eine Freundin der Braut, gegenwärtig zu Gast bei Herrn und Frau Hays, dem Onkel und der Tante der Braut. Auch Herr Sidney Algernon Burley von San Francisco war zugegen, blieb aber nicht bis zum Schluß der Trauungsfeierlichkeit. Kapitän Hawthornes hübsche und geschmackvoll dekorierte Yacht wartete im Hafen, und die glückliche Braut und ihre Freunde brachen gleich darauf zu einem Ausflug nach Lahaina und Haleakala auf.« [Illustration] Die New Yorker Zeitungen vom selben Datum enthielten folgende Notiz: »_Verheiratet._ -- Dahier, gestern, per Telephon, um halb drei Uhr in der Frühe, durch den hochw. Herrn Nathaniel Davis, unter Assistenz des hochw. Herrn Nathan Hays zu Honolulu, Herr Alonzo Fitz Clarence von Eastport in Maine und Fräulein Rosannah Ethelton von Portland in Oregon. Die Eltern und mehrere Freunde des Bräutigams waren zugegen. Nachdem die Gesellschaft ein festliches Frühstück genossen und sich bis gegen Sonnenaufgang vergnügt unterhalten, brach sie zu einem Ausflug nach dem Aquarium auf, da des Bräutigams Gesundheitszustand keine ausgedehntere Reise zuläßt.« Gegen das Ende jenes denkwürdigen Tages waren Herr und Frau Alonzo Fitz Clarence in ein zärtliches Gespräch über die Vergnügungen ihrer beiderseitigen Hochzeitsausflüge vertieft, als plötzlich die junge Frau ausrief: »O Lonny, ich vergaß ganz! Ich that, was ich mir vorgenommen.« »Was, Geliebte?« »Ich machte _ihn_ zum Aprilnarren! Und ich sagte es ihm auch! O, es war eine reizende Ueberraschung! Da stand er, schmorend in einem schwarzen Anzug, während das Thermometer oben zur Röhre hinauswollte, in Erwartung der Trauung. Du hättest die Miene sehen sollen, die er machte, als ich es ihm ins Ohr flüsterte! Ach, seine Verruchtheit hatte mir viel Herzeleid gebracht und manche Thräne erpreßt; aber in jenem Augenblick war alles quitt. Das Gefühl der Rache wich gänzlich aus meinem Herzen und ich lud ihn ein zu bleiben und sagte, ich habe ihm alles vergeben; aber er wollte nicht. Er schwur, sich grimmig zu rächen und unser Leben zu einem Fluch für uns zu machen. Aber das _kann_ er nicht, mein Teuerster, nicht wahr?« »Niemals in dieser Welt, meine Rosannah,« antwortete Alonzo innig. -- * * * * * Tante Susanne, die Großmutter in Oregon, das junge Paar und ihre Mutter zu Eastport sind alle glücklich, während ich dies schreibe, und werden es wohl auch bleiben. Tante Susanne holte die Braut von den Sandwichsinseln ab, begleitete sie über den amerikanischen Kontinent und hatte das Glück, die entzückte Begegnung zweier sich anbetender Ehegatten mitanzusehen, die bis dahin einander nie gesehen hatten. Ein Wort über den nichtswürdigen Burley, dessen verruchte Ränke beinahe die Herzen unseres lieben jungen Paares gebrochen und ihr Leben elend gemacht hätten, wird genügen. Bei einem Anfall auf einen verkrüppelten und hilflosen Arbeiter, der ihm, wie er sich einbildete, eine geringfügige Beleidigung angethan hatte, zersprang sein Revolver und tötete ihn auf der Stelle. Die kapitolinische Venus. Erstes Kapitel. (Ort der Handlung: das Atelier eines Künstlers in Rom.) »O George, wie liebe ich dich!« »Meine Mary, mein geliebtes Herz, ich weiß es. Warum ist dein Vater so unerbittlich?« »George, er meint es gut, aber ihm ist die Kunst eine Thorheit; er versteht nur den Spezereihandel. Er meint, ich würde bei dir verhungern.« »Verwünscht sei seine Klugheit! Warum bin ich nicht ein geldmachender, herzloser Gewürzkrämer, statt eines gottbegabten Bildhauers -- der nichts zu essen hat!« »Verzage nur nicht, mein George! -- Alle seine Vorurteile werden schwinden, sobald du erst einmal fünfzigtausend Dollars erworb -- --« »Fünfzigtausend Teufel! -- Kind, ich bin mein Kostgeld noch schuldig!« -- Zweites Kapitel. (Ort der Handlung: eine Wohnung in Rom.) »Geehrter Herr, alles Reden ist unnütz. Ich habe nichts gegen Sie; aber ich kann meine Tochter nicht an ein Ragout von Liebe, Kunst und Hunger verheiraten -- und sonst haben Sie, glaube ich, nichts zu bieten.« »Mein Herr, ich bin arm, ich leugne es nicht. Aber hat denn der Ruhm keinen Wert? Der Senator Belem Fyoodle von Arkansas sagt, daß meine neue Statue der Amerika ein treffliches Werk der Bildhauerkunst ist und er die Ueberzeugung hegt, mein Name werde noch einmal berühmt werden.« »Leeres Geschwätz! Was versteht der Esel aus Arkansas davon? -- Auf den Marktpreis Ihrer marmornen Vogelscheuche kommt es an. Sechs Monate haben Sie daran herumgemeißelt und jetzt giebt Ihnen keiner hundert Dollars dafür. Nein, mein Herr. Weisen Sie mir fünfzigtausend Dollars vor und Sie können meine Tochter haben -- andernfalls heiratet sie den jungen Simper. Sie haben sechs Monate Zeit, die Summe herbeizuschaffen. -- Guten Morgen, mein Herr.« -- * * * * * »Ach, ich Unglücklicher!« Drittes Kapitel. (Ort der Handlung: das Atelier.) »O John, Freund meiner Knabenjahre! Ich bin der unseligste der Menschen.« »Ein Einfaltspinsel bist du!« »Nichts bleibt mir, das ich lieben könnte, als meine Statue der Amerika -- und ach! selbst sie zeigt kein Mitgefühl für mich in ihren kalten Gesichtszügen -- so schön und so herzlos!« »Du bist ein Narr!« »O John!« »O Unsinn! -- Hast du nicht gesagt, du hättest sechs Monate Zeit, um das Geld zusammen zu bringen?« »Spotte nicht meiner Qual, John. Wenn ich sechs Jahrhunderte hätte, was würde es mir nützen? Was könnte es einem armen Schlucker ohne Namen, ohne Kapital, ohne Freunde helfen?« »Hasenfuß, Kindskopf, Feigling, der du bist! Sechs Monate, um die Summe herbeizuschaffen, und fünf sind genug!« »Bist du von Sinnen?« »Sechs Monate -- Zeit die Fülle! überlasse mir's -- ich verschaffe sie dir.« -- »Was sprichst du, John? Wie in aller Welt willst du eine so ungeheure Summe für mich auftreiben?« -- »Das laß meine Sorge sein, du darfst dich gar nicht hineinmischen! Willst du die ganze Sache in meine Hände legen? Willst du geloben, dich allem zu unterwerfen, was ich thue? Willst du mir schwören, alle meine Handlungen gut zu heißen?« »Mir schwindelt -- es wird mir schwarz vor den Augen -- aber -- ich schwöre!« Hierauf ergreift John einen Hammer und schlägt der Amerika mit der größten Ruhe die Nase ab. Er holt noch einmal aus und zwei ihrer Finger liegen auf dem Boden; noch ein Streich und von dem einen Ohr fliegt ein Stück ab; noch einer und eine Reihe Zehen sind zertrümmert und abgehauen; ein letzter Hammerschlag und das linke Bein, vom Knie abwärts, liegt als Trümmerhaufen da. John nimmt seinen Hut und geht. * * * * * George starrt dreißig Sekunden lang sprachlos auf die verstümmelte Greuelgestalt, die vor ihm steht, dann wälzt er sich in Krämpfen am Boden. [Illustration] Bald darauf kehrt John mit einem Wagen zurück, ladet den Künstler mit dem gebrochenen Herzen, sowie die Statue mit dem gebrochenen Bein auf und fährt in aller Gemütsruhe leise pfeifend davon. Den Künstler schafft er nach dessen Wohnung, fährt mit der Statue weiter und verschwindet mit ihr die ~Via Quirinalis~ hinunter. Viertes Kapitel. (Ort der Handlung: das Atelier.) »Heute um zwei Uhr sind die sechs Monate um. O Höllenqual! Mein Leben ist vernichtet! Ich wollte, ich wäre tot! Gestern nicht zu Nacht gegessen -- heute kein Frühstück! Ich wage mich in kein Speisehaus hinein. Aber hungrig bin ich -- o, still davon! -- Mein Schuster plagt mich bis aufs Blut -- mein Schneider liegt mir in den Ohren -- mein Hauswirt mahnt mich zu zahlen. Wie elend bin ich! John habe ich seit jenem entsetzlichen Tage nicht wieder gesehen. _Sie_ lächelt mir zärtlich zu, wenn wir uns auf einer der Hauptstraßen begegnen, aber auf den grausamen Wink ihres Vaters mit dem Kieselherzen muß sie gleich nach der andern Seite sehen. -- Horch! Wer klopft an der Thür? Wer verfolgt mich schon wieder? Gewiß dieser boshafte Halunke, der Schuster -- Herein!« * * * * * »Ach -- Glück und Segen über Ew. Hoheit! Der Himmel beschütze Ew. Gnaden. Ich habe Dero neue Stiefel gebracht. -- Bitte -- von Bezahlung ist gar nicht die Rede -- damit hat es keine Eile -- nicht die allergeringste; ich werde stolz sein, wenn der gnädige Herr mich auch fernerhin mit seiner Kundschaft beehren will -- ergebenster Diener -- empfehle mich unterthänigst.« »Er bringt die Stiefel selbst! Braucht keine Bezahlung! Empfiehlt sich mit einem Kratzfuß wie für eine Majestät. Wünscht meine fernere Kundschaft! Steht denn das Ende der Welt bevor? Was bei allen -- Herein!« »Verzeihung, Signore, aber ich bringe Ihren neuen Anzug zum --« »Herein!!« »Bitte tausendmal um Entschuldigung, wenn ich störe, gnädiger Herr. Ich habe die Reihe schöner Zimmer im unteren Stock für Sie hergerichtet. Dieses elende Loch paßt ja durchaus nicht für --« »Herein!!!« »Ich komme Ihnen zu melden, daß Ihr Kredit in unserem Bankhause, der leider seit einiger Zeit unterbrochen war, in durchaus befriedigender Weise aufs neue wieder eröffnet ist. Wir stehen mit Vergnügen zu Ihren Diensten, welchen Betrag Sie auch zu entnehmen wünschen --« »Herein!!!!« »Mein wackerer Junge! Sie ist die Deinige! Sogleich wird sie hier sein. Nimm sie, heirate sie, liebe sie, seid glücklich! Gott segne euch beide. Hurra! Hoch!« »Herein!!!!!« »O George, mein Geliebter, wir sind gerettet!« »O Mary, mein teures Herz, wir sind gerettet! Aber, bei meiner Seele -- ich weiß weder warum noch wie!« -- Fünftes Kapitel. (Ort der Handlung: ein Kaffeehaus in Rom.) Mehrere amerikanische Herren sitzen beisammen. Einer derselben liest und übersetzt aus dem Wochenblatt: ~Il Slangwhanger di Roma~ den folgenden Artikel: _Wunderbare Entdeckung._ »Vor etwa sechs Monaten kaufte Herr John Smith, ein Amerikaner, seit einigen Jahren in Rom wohnhaft, für eine unbedeutende Summe ein kleines Stück Land in der Campagna, gerade hinter dem Grabmal der Familie Scipio, von dem Eigentümer, einem bankerotten Verwandten der Prinzessin Borghese. Hierauf begab sich Herr Smith zum Minister der öffentlichen Angelegenheiten und ließ das Grundstück auf einen armen amerikanischen Künstler Namens George Arnold übertragen, indem er erklärte, er thäte das als Vergütung und Ersatz für einen baren Schaden, welchen er vor langer Zeit zufällig an Herrn Arnolds Eigentum angerichtet habe. Auch fügte er hinzu, er wolle, um den Herrn völlig zufrieden zu stellen, verschiedene Verbesserungen auf dem Grundstück für eigene Rechnung ausführen lassen. Vor vier Wochen nun, bei Gelegenheit einer notwendigen Umgrabung auf dem Grundstück, förderte Herr Smith die herrlichste antike Statue zu Tage, welche jemals den reichen Kunstschätzen Roms hinzugefügt worden ist. Es war eine wundervolle Frauengestalt, die, obgleich auf traurige Weise im Erdboden von dem Moder der Jahrhunderte beschädigt, dennoch jedes Auge durch ihre hinreißende Schönheit entzücken muß. Die Nase, das linke Bein vom Knie an, ein Ohr, zwei Finger einer Hand, sowie die Zehen des rechten Fußes fehlen; im übrigen ist die edle Gestalt aber wunderbar gut erhalten. Die Regierung sandte sofort eine Wache ab, um Beschlag auf die Statue zu legen und setzte eine Kommission von Kunstkennern, Altertumsforschern und Kirchenfürsten ein, um ihren Wert abzuschätzen und die Höhe der Entschädigung zu bestimmen, welche dem Besitzer des Grund und Bodens gebühre, auf dem sie gefunden worden. Bis zum gestrigen Abend herrschte über die ganze Angelegenheit das tiefste Geheimnis und die Kommission hielt ihre Sitzungen bei verschlossenen Thüren. Schließlich war einstimmig festgestellt, daß die Statue eine Venus sei und von einem unbekannten aber hochbegabten Künstler aus dem dritten Jahrhundert vor Christo herrühre. Sie ward für das tadelloseste Kunstwerk erklärt, das die Welt je gesehen hat. Um Mitternacht erfolgte die Schlußberatung, in welcher die Venus auf die ungeheure Summe von zehn Millionen Franken geschätzt ward. Da nach römischem Gesetz und Brauch der Staat zur Hälfte Eigentümer aller in der Campagna gefundenen Kunstschätze ist, so hat die Regierung weiter nichts zu thun, als Herrn Arnold fünf Millionen Franken zu zahlen und dauernden Besitz von der schönen Statue zu nehmen. Heute morgen wird die Venus auf das Kapitol geschafft und dort bleibend aufgestellt werden. Am Nachmittag begiebt sich darauf die Kommission zu Herrn Arnold, um ihm eine Anweisung für die päpstliche Schatzkammer zu übergeben, welche auf die fürstliche Summe von fünf Millionen Franken in Gold lautet.« _Chor von Stimmen_: »Ein unerhörtes Glück. So etwas ist noch gar nie dagewesen!« _Eine Stimme_: »Meine Herren, ich schlage vor, daß wir sofort eine amerikanische Aktiengesellschaft gründen zur Erwerbung von Landbesitz und Ausgrabung von Bildwerken. Für rechtzeitiges Steigen und Fallen der Papiere sollen unsere New Yorker Börsenagenten Sorge tragen.« _Alle_: »Einverstanden!« [Illustration] Sechstes Kapitel. (Ort der Handlung: das römische Kapitol.) (Zehn Jahre später.) »Teure Mary, dies ist die berühmteste Statue der Welt, die gefeierte ›kapitolinische Venus‹, von der du so viel gehört hast. Da steht sie -- ihre kleinen Schäden sind restauriert, (das heißt ausgeflickt) durch die angesehensten römischen Künstler. Die bloße Thatsache, daß sie an einer so edlen Schöpfung jene bescheidenen Ausbesserungen vorgenommen haben, wird ihrem Namen Glanz verleihen, so lange die Erde steht. Wie sonderbar kommt er mir doch vor -- dieser Ort! Einen Tag vor dem, wo ich zuletzt, vor zehn glücklichen Jahren, hier stand, -- war ich kein reicher Mann. Gott bewahre! Ich besaß nicht einen roten Heller. Und doch hatte ich mein redlich Thun dabei, daß Rom in den Besitz dieses größten Werkes antiker Kunst gelangt ist, welches die Welt kennt.« »Die angebetete, die gefeierte kapitolinische Venus! Und wie hoch schätzte man ihren Wert -- auf zehn Millionen Franken, nicht wahr?« »Ja -- _jetzt_.« »Aber, George, sie ist auch göttlich schön!« »Jawohl -- doch nichts gegen das, was sie war, ehe der treffliche John Smith ihr das Bein zerbrach und die Nase abschlug. Erfindungsreicher Smith! -- erleuchteter Smith! -- edler Smith! Urheber all unseres Glücks! -- -- -- Aber Mary, um des Himmels willen, horch! -- Weißt du, was das Röcheln bedeutet? -- Das Kleine hat den Keuchhusten und du bringst es hierher! Wirst du denn niemals lernen auf Kinder acht geben?« Schluß. Die kapitolinische Venus steht noch auf dem Kapitol zu Rom und ist immer noch das bezauberndste und berühmteste antike Kunstwerk, dessen die Welt sich rühmen kann. Wenn der Leser jemals das Glück haben sollte, davor zu stehen und in das übliche Entzücken darüber auszubrechen, so möge ihn diese wahre und geheime Geschichte ihres Ursprungs bei dem Genuß nicht stören. Wer aber von dem ›Versteinerten Menschen‹ liest, der bei Syracuse im Staate New York oder anderswo ausgegraben worden ist, der sei auf seiner Hut. Will der Barnum, der ihn dort eingegraben hat, ihn für eine Unsumme verkaufen, so soll er sich damit an den Papst wenden. * * * * * _Anmerkung._ Obige Skizze wurde zu einer Zeit geschrieben, als der Schwindel mit dem ›Versteinerten Menschen‹ in Amerika Aufsehen erregte. Mehr Glück als Verstand. (Anm. Dies ist keine erfundene Geschichte. Ein Geistlicher, der vor vierzig Jahren Lehrer an der englischen Kriegsschule in Woolwich war, hat sie mir erzählt und sich für die Wahrheit verbürgt. -- M. T.) Es war in London bei dem Festmahl, das zu Ehren einer der wenigen großen militärischen Berühmtheiten der Gegenwart gegeben wurde, welche England besitzt. Den wahren Namen und Titel dieses Kriegshelden und Inhabers der höchsten Orden verschweige ich aus Gründen, welche jedem sofort einleuchten werden. Ich will ihn Generallieutenant Arthur Scoresby nennen. Welcher Reiz doch in einem berühmten Namen liegt! Dort saß der Mann in Fleisch und Blut, von dem ich viel tausendmal gehört hatte, seit jenem Tage vor über dreißig Jahren, als der Glanz seines Ruhmes plötzlich von einem Schlachtfeld der Krim bis zu den Sternen emporstieg, um nie wieder zu verblassen! Ich verwandte kein Auge von dem Halbgott; sein Anblick war mir wie eine wahre Herzenserquickung, ich konnte mich nicht satt an ihm sehen. Nichts entging meiner scharfen Beobachtung: ich sah die Ruhe, die Zurückhaltung, den edlen Ernst seines Antlitzes, die biedere Redlichkeit, die sich in seinem ganzen Wesen ausprägte. Dabei schien er weder ein Bewußtsein von seiner eigenen Größe zu haben, noch zu bemerken, wie viele bewundernde Blicke auf ihn gerichtet waren, mit wie tiefer, aufrichtiger, liebevoller Verehrung die Herzen der Versammelten ihm entgegenschlugen. [Illustration] Zu meiner Rechten saß ein alter Bekannter von mir. Er war jetzt Pfarrer, hatte jedoch nicht immer ein geistliches Amt bekleidet, sondern sein halbes Leben als Lehrer in der Militärschule zu Woolwich und im Feldlager zugebracht. In seinen Augen schimmerte ein seltsam verschleierter Glanz, als er sich jetzt zu mir herabbog und auf den Helden deutend, dem die Feier galt, mir verstohlen zuflüsterte: »Im Vertrauen gesagt -- er ist ein Dummkopf, wie es keinen zweiten giebt.« Dieses Urteil überraschte mich aufs höchste. Wäre es über Napoleon, Sokrates oder Salomo gefällt worden, mein Staunen hätte nicht größer sein können. An der Wahrheitsliebe des Pfarrers zweifelte ich keinen Augenblick, auch wußte ich, daß er große Menschenkenntnis besaß. Daher stand es für mich sofort mit unumstößlicher Sicherheit fest, daß sich die Welt in betreff dieses Helden im Irrtum befinden müsse: er war wirklich ein Dummkopf. Mich interessierte nur noch, zu wissen, wie der Pfarrer ganz allein und auf eigene Hand dies Geheimnis entdeckt habe. Ich beschloß, mich bei nächster Gelegenheit danach zu erkundigen. Einige Tage später that ich das und der Pfarrer erzählte folgendes: »Vor vierzig Jahren war ich als Lehrer an der Militärschule zu Woolwich und hörte in der Abteilung, bei welcher sich der junge Scoresby befand, dem Probeexamen zu. Mit aufrichtigem Mitleid bemerkte ich, daß, während seine Klassengefährten kluge und richtige Antworten gaben, er sozusagen _gar nichts_ wußte. Er machte den Eindruck eines guten, freundlichen, harmlosen und liebenswürdigen jungen Menschen und es war mir höchst peinlich, ihn mit der größten Unbefangenheit Antworten geben zu hören, die eine wahrhaft beispiellose Unwissenheit und Dummheit verrieten. Voll innigem Mitgefühl sagte ich mir, daß er zwar beim Examen bestimmt durchfallen müsse, es aber doch menschenfreundlich wäre ihm beizustehen, damit seine Niederlage ihn nicht völlig zu Boden schmettere. »So nahm ich ihn denn besonders vor und entdeckte, daß er mit Cäsars Geschichte einigermaßen vertraut war; da er im übrigen gar nichts wußte, machte ich mich ans Werk und trichterte ihm, im Schweiße meines Angesichts, ein Dutzend Antworten auf die herkömmlichen Fragen über Cäsar ein. Und mit Hilfe dieser ganz oberflächlichen Einpaukerei -- sollte man sich so etwas vorstellen -- bestand er nicht nur sein Examen glänzend, sondern erntete noch Lobsprüche obendrein, während andere, die tausendmal mehr wußten als er, einfach durchfielen. Ein merkwürdig glücklicher Zufall, wie er vielleicht im Laufe eines Jahrhunderts nicht zum zweitenmal vorkommt, hatte nämlich gewollt, daß keine Frage an ihn gerichtet wurde, auf welche ich ihm die Antwort nicht eingepaukt hatte. »So ging es auch mit den übrigen Fächern; ich lieh ihm meine Hilfe, denn ich hatte Erbarmen mit ihm, wie eine Mutter mit ihrem schwächlichen Kinde -- und siehe da -- jedesmal rettete er sich wie durch ein Wunder vor dem Untergang. »An der Mathematik mußte er jedoch schließlich Schiffbruch leiden, das war klar. Ich beschloß, ihm den Sturz so erträglich zu machen, wie es ging. Ich richtete ihn ab und stopfte in ihn hinein so viel ich konnte, paukte ihm die Antwort ein, die der Examinator aller Wahrscheinlichkeit nach verlangen würde, und überließ ihn dann seinem Schicksal. Nun denken Sie sich meine Verwunderung und Bestürzung, als er den Preis erhielt und alle Anwesenden seines Lobes voll waren. »Mein Gewissen ließ mir Tag und Nacht keine Ruhe. Mir lag eine Last auf der Seele als hätte ich ein Verbrechen begangen. Eine Woche lang that ich kein Auge zu -- und doch hatte ich nur aus reinstem Mitleid dem armen Jungen beigestanden, damit seine Niederlage nicht gar zu kläglich werden möchte. Der Gedanke an ein so unerhörtes Ergebnis, wie das vorliegende, wäre mir auch nicht im Traume gekommen. Es konnte die verhängnisvollsten Folgen nach sich ziehen. Ich hatte einem völlig vernagelten Menschen den Weg zur glänzendsten Laufbahn eröffnet, vielleicht zu einer Stellung von der höchsten Verantwortlichkeit. Vertraute man ihm aber einen solchen Posten an, so war er und seine Sache bei dem ersten besten Anlaß unrettbar verloren. »Der Krimkrieg war gerade ausgebrochen. Natürlich -- dachte ich bei mir -- muß ein Krieg kommen, um jenem Dummkopf Gelegenheit zu geben, sich totschießen zu lassen, bevor seine Unfähigkeit ans Licht kam. Ich zitterte vor einem großen Krach -- und er blieb nicht aus. In der Zeitung las ich, daß der Mensch zum Hauptmann ernannt worden war und mit seinem Regiment ausrücken sollte. Andere Leute können alt und grau werden, ehe sie zu solcher Höhe emporklimmen. Wie war es nur möglich, daß man einer so unerfahrenen und ungeprüften Kraft eine derartige Verantwortung auflud? -- Hätte man ihn zum Fähnrich gemacht, ich würde mich vielleicht beruhigt haben -- aber zum Hauptmann -- das war unerhört. Ich glaubte, mich solle der Schlag rühren. »Nun hören Sie, was ich that -- ich, der ich Ruhe und Beschaulichkeit über alles liebe. Ich sagte mir, daß _ich_ mein Vaterland in diese Gefahr gebracht habe und es daher meine Pflicht sei, es, soweit es in meiner Macht stehe, vor Scoresby zu schützen. So beschloß ich denn, ihm nicht von der Seite zu weichen; ich nahm seufzend mein kleines Kapital zur Hand, das ich mit jahrelanger harter Arbeit und strengster Sparsamkeit erworben hatte, kaufte mir ein Fähnrichpatent in seiner Kompagnie und fort ging es auf den Kriegsschauplatz. »Aber dort -- du lieber Himmel -- was mußte ich erleben! Daß er einen Mißgriff nach dem andern begehen würde, verstand sich von selbst. Allein, niemand wußte um sein Geheimnis; man umgab ihn mit einem falschen Nimbus und beurteilte alle seine Thaten von einem verkehrten Gesichtspunkt aus -- die größten Dummheiten die er machte, galten für geniale Eingebungen. Es war entsetzlich! Er ließ sich Versehen zu Schulden kommen, von denen das geringste der Art war, daß wer nur den gewöhnlichsten Menschenverstand besaß, darüber hätte weinen mögen. Das that ich denn auch im geheimen; ja, ich weinte nicht nur, ich raste und schäumte vor Wut. »Was mich aber in förmlichen Angstschweiß versetzte, war die Beobachtung, daß jeder neue Irrtum, in den er geriet, den Glanz seines Namens nur vermehrte. ›Er wird so hoch steigen,‹ sagte ich mir, ›daß man meint, die Sonne falle vom Himmel herunter, wenn die unausbleibliche Entdeckung schließlich erfolgt.‹ »Ueber die Leichen seiner Vorgesetzten hinweg ward er von einer Stufe zur andern befördert, bis endlich, im wildesten Gewühl der Schlacht bei * * * unser Oberst vom Pferde sank. Alles Blut strömte mir zum Herzen -- denn Scoresby war ihm im Rang der nächste. ›Jetzt ist der Augenblick da,‹ dachte ich, ›noch zehn Minuten und wir sind alle zum Teufel.‹ »Die Schlacht tobte fürchterlich, überall gerieten die Verbündeten ins Wanken. Unser Regiment nahm eine der wichtigsten Stellungen ein -- geschah jetzt ein Mißgriff, so waren wir vernichtet. »Was aber that der Narr aller Narren in diesem entscheidungsvollen Augenblick? -- Er ließ das Regiment ausrücken, um einen benachbarten Hügel zu besetzen, auf welchem auch nicht die geringste Spur feindlicher Truppen zu entdecken war. »›Nur immer zu,‹ dachte ich bei mir, ›jetzt läufst du sicher in dein Verderben!‹ »Fort stürmten wir und hatten schon den Gipfel des Hügels erreicht, bevor noch das wahnwitzige Unternehmen entdeckt und verhindert werden konnte. Was aber fanden wir? -- Eine ganze russische Reservearmee, von der kein Mensch etwas ahnte. Und was geschah? -- Wurden wir in Stücke gehauen? Das wäre in neunundneunzig Fällen unter hundert unfehlbar geschehen. Doch nein -- die Russen sagten sich, daß, wie die Sachen standen, unmöglich ein einziges Regiment den Angriff wagen könne, die ganze englische Armee müsse im Anzug -- die geplante Kriegslist entdeckt und vereitelt sein. Sie machten rechtsumkehrt und stürzten sich über Hals und Kopf in wildem Durcheinander den Hügel hinab auf das Schlachtfeld -- wir immer hinter ihnen drein. Sie selbst durchbrachen die feste, russische Schlachtordnung und richteten die heilloseste Verwirrung an. Die Niederlage der Verbündeten verwandelte sich in einen entscheidenden, glänzenden Sieg. »Marschall Canrobert, welcher, überwältigt von Staunen, Bewunderung und Entzücken, den Angriff beobachtet hatte, sandte sofort nach Scoresby, schloß ihn gerührt in die Arme und schmückte ihm eigenhändig, im Angesicht sämtlicher Heere, die Brust mit dem höchsten Orden. »Was aber war die eigentliche Veranlassung zu Scoresbys Mißgriff gewesen? Diesmal weiter nichts, als daß er rechts und links verwechselt hatte. Ihm war Befehl erteilt worden, sich zurückzuziehen, um den rechten Flügel zu verstärken; statt dessen rückte er vor und zog sich nach links den Hügel hinauf. Der Ruhm seines wunderbaren militärischen Genies aber ist seit jenem Tage in alle Welt hinaus geflogen und wird für ewige Zeiten in den Büchern der Geschichte leuchten. »Liebenswürdig ist er, freundlich, gut und anspruchslos, wie nur ein Mensch sein kann, aber er versteht gar nichts, in keiner Lage weiß er sich zu helfen und würde sich ruhig naß regnen lassen, statt unter Dach zu gehen. Ich versichere Sie, es ist die reinste Wahrheit: einen größeren Dummkopf wie ihn giebt es nicht auf der Welt. Noch vor einer halben Stunde aber war ich, außer ihm selbst, der einzige Mensch der das wußte. Jahraus, jahrein und Tag für Tag ist er von einem ganz unerhörten und beispiellosen Glück förmlich verfolgt worden. Er hat sich ein Menschenalter hindurch in allen unsern Kriegen mit Glanz hervorgethan. Seine militärische Laufbahn wimmelt von Mißgriffen aller Art, aber für jeden Fehler, den er beging, hat er entweder ein Ehrenzeichen erhalten, oder er ist zum Lord, zum Baron oder zu sonst etwas gemacht worden. Sie haben ja neulich bei dem Festmahl gesehen, wie seine Brust mit fremden und einheimischen Orden über und über bedeckt war; jeden einzigen, das können Sie mir glauben, trägt er zum Andenken an irgend einen haarsträubenden Irrtum, alle zusammen genommen aber bilden den schlagendsten Beweis, _daß Glück_ das beste Angebinde ist, welches einem Menschenkinde in die Wiege gelegt werden kann.« -- * * * * * Bald nach Erscheinen dieser Satire in Harpers Monatsschrift kam Mark Twain nach England. Seine Freunde dort gaben ihm den dringenden Rat, dem _General Wolseley_ aus dem Wege zu gehen und es entspann sich darob folgendes Gespräch: _Mark Twain_: Warum denn? Ich bin ihm nichts schuldig. _Seine Freunde_: Das mag sein, aber vielleicht er Ihnen! _Mark Twain_: Wieso? Ich verstehe nicht. _Seine Freunde_: Nun, -- für Ihre Geschichte im letzten Harperschen Monatsheft. _Mark Twain_: Ach was! Für die bin ich längst bezahlt! Was geht ihn das an? -- _Seine Freunde_: O nichts -- nur insofern, als er der Held dieser Geschichte ist. Es scheint, daß diese Gründe auf Mark Twain doch einen gewissen Eindruck gemacht haben, denn es heißt, daß er auf seiner Reise in England sich angelegen sein ließ, dem berühmten General aus dem Wege zu gehen. Wie der Verfasser in Newark angeführt wurde. Es ist nicht gerade angenehm, etwas Ungünstiges von sich selbst zu erzählen, aber der Mensch hat hin und wieder einmal das Bedürfnis, eine Beichte abzulegen. Ich fühle mich gedrungen mein Gemüt zu erleichtern, aber ich glaube fast, daß ich es mehr thue, um meinem Unmut über einen andern Luft zu machen, als um Balsam auf mein verwundetes Herz zu träufeln. (Was Balsam ist, weiß ich nicht; ich habe niemals Balsam gesehen, aber mich dünkt, das ist bei solcher Veranlassung der herkömmliche Ausdruck.) * * * * * Bekanntlich habe ich kürzlich in Newark vor den jungen Herren der Museums-Gesellschaft eine Vorlesung gehalten. Vorher sprach ich mit einem der jungen Herren, welcher sagte, er habe einen Onkel, der aus irgend einer Ursache dauernd der Fähigkeit beraubt zu sein scheine, in Gemütsbewegung zu geraten. Mit Thränen in den Augen rief der junge Mann: »O, könnte ich ihn nur lachen hören, könnte ich ihn nur einmal weinen sehen!« Ich war gerührt. Bei Schmerz und Kummer wird mir immer weich ums Herz; deshalb sagte ich: »Bringen Sie ihn nur mit in die Vorlesung, da will ich ihm schon zusetzen, bis wieder Leben in ihn kommt.« »O, wenn Sie das thun könnten -- wenn Ihnen das möglich wäre! Unsere ganze Familie würde Sie in alle Ewigkeit dafür segnen -- er liegt uns allen so sehr am Herzen! Können Sie ihn wirklich zum Lachen bringen, mein Wohlthäter? Können Sie die trockenen Augensterne zu lindernden Thränen rühren?« Ich war tief ergriffen und sagte: »Mein Sohn, bringen Sie den guten Alten nur mit. Es kommen in meinem Vortrag ein paar Späße vor, über die er lachen wird, wenn er überhaupt noch ein Zwerchfell hat. Thun diese keine Wirkung, so habe ich ein paar andere, die ihn weinen machen oder ihn umbringen -- entweder -- oder.« Da schluchzte der junge Mann an meinem Halse, wünschte mir Gottes Segen und suchte seinen Onkel auf. Er setzte ihn am Abend mir gegenüber auf die zweite Bank und -- ich ging ans Werk. Ich versuchte es zuerst mit feinen Scherzen und dann mit gröberen; ich nahm ihn mit schlechten Witzen in die Kur und hielt ihn mit guten Witzen zum Besten; ich bombardierte ihn mit abgedroschenen Späßen und beschoß ihn von allen Seiten mit gepfefferten, funkelnagelneuen. Ich wurde warm bei meiner Arbeit und stürmte von rechts und links, von vorn und hinten auf ihn ein; ich dampfte und schwitzte, eiferte und tobte, bis ich heiser und krank, toll und rasend war, aber -- ich konnte kein Leben in ihn bringen -- weder ein Lächeln noch eine Thräne preßte ich ihm ab. Nicht den Schatten eines Lächelns und keine Spur von Feuchtigkeit. Ich war starr vor Staunen. Endlich schloß ich den Vortrag mit einem verzweifelten Aufschrei, in einem wilden Ausbruch von Humor, und schleuderte ihm einen Witz von übernatürlicher Ungeheuerlichkeit an den Kopf. Dann setzte ich mich verwirrt und erschöpft nieder. Der Vorstand der Gesellschaft trat zu mir, kühlte mir die Stirn mit frischem Wasser und fragte: »Was hat Sie nur gegen das Ende so in Aufregung gebracht?« »Ich wollte den verdammten alten Narren in der zweiten Reihe durchaus zum Lachen bringen,« rief ich. »Ah so -- ja, da haben Sie sich umsonst bemüht,« erwiderte er; »_der_ Mann ist taub und stumm und so blind wie ein Maulwurf.« Nun frage ich -- war es von dem Neffen des alten Mannes nicht unverantwortlich, einem Fremden und Waisenknaben wie mir, so mitzuspielen? Ich frage den Leser als Mitmenschen und Bruder, ob das rechtschaffen von ihm gehandelt war? Schonend beigebracht. Als der selige Richter Bagley damals im Gerichtshause stolperte, die Treppe hinabstürzte und den Hals brach, entstand die große Frage, wie man seiner armen Frau die Trauernachricht mitteilen solle. Endlich war die Leiche auf den Wagen unseres alten, braven Fuhrmanns geladen und diesem die Weisung erteilt, den Verunglückten nach Frau Bagleys Wohnung zu schaffen, aber dabei mit der größten Rücksicht und Behutsamkeit zu Werke zu gehen, insbesondere die Unglücksbotschaft ja nicht plötzlich und auf einmal auszurichten, sondern Frau Bagley erst gehörig darauf vorzubereiten. Nachdem der Fuhrmann mit seiner traurigen Last angelangt war, schrie er laut, bis die Frau des Richters an der Thüre erschien. Alsdann fragte er: »Wohnt hier nicht die Witwe Bagley?« »Die _Witwe_ Bagley? -- Nein, die wohnt nicht hier!« »Ich will doch gleich drauf wetten, daß sie hier wohnt! -- Aber, nichts für ungut -- wohnt der Richter Bagley vielleicht hier?« »Jawohl, der Richter Bagley wohnt hier.« »Ich will doch gleich drauf wetten, daß er nicht hier wohnt! Aber, wie Sie wollen; ich bin nicht rechthaberisch. Ist der Richter zu Hause?« »Nein, im Augenblick nicht.« »Dacht' ich mir's doch! -- Weil nämlich -- lehnen Sie sich an die Wand, Madame -- die Kleinigkeit, die ich Ihnen anzukündigen habe, bringt Sie vielleicht etwas aus dem Gleichgewicht. Es ist ein Unglück geschehen -- draußen auf meinem Wagen liegt der alte Richter. Wenn Sie ihn näher ansehen, werden Sie sich überzeugen, daß hier nichts mehr zu machen ist, als die Totenschau über ihn zu halten.« Trinksprüche. Auf die Weiber. Bei dem Jahresfest der Schottischen Gesellschaft in London, am Montag-Abend, brachte Mark Twain den Toast auf die ›Damen‹ aus; dieser lautete nach dem ›Observer‹ wie folgt: »Es erfüllt mich mit aufrichtigem Stolz, daß ich gewählt worden bin, um gerade den Toast auf die ›Damen‹ auszubringen oder -- wenn Sie nichts dagegen haben -- auf die Weiber, denn diese Bezeichnung scheint mir doch besser; sie ist jedenfalls die ältere und daher die ehrwürdigere. (Gelächter.) Ich habe bemerkt, daß die Bibel, mit der den heiligen Schriften so eigentümlichen Einfachheit und Offenheit, sogar von der erhabenen Mutter des ganzen Menschengeschlechts nie den Ausdruck ›Dame‹ gebraucht, sondern sie stets ein Weib nennt. (Gelächter.) Das mag seltsam erscheinen, aber es ist eine Thatsache. -- Ich bin besonders stolz auf diese Ehre, weil ich finde, daß der Trinkspruch auf die Weiber, sowohl von Rechts wegen als nach den Regeln der Höflichkeit allen andern vorausgehen sollte -- dem Toast auf das Heer, auf die Flotte, ja vielleicht selbst auf die Träger der Königswürde, obgleich letzteres heutzutage in diesem Lande nicht nötig ist, weil man stillschweigend die Gesundheit aller guten Frauen im allgemeinen ausbringt, wenn man die Königin von England und die Prinzessin von Wales leben läßt. (Laute Hochrufe.) Mir fällt dabei ein Gedicht ein, das Ihnen wohlbekannt ist; jedermann kennt es ja. Der gegenwärtige Trinkspruch ruft es aber uns allen so recht ins Gedächtnis und wir stimmen begeistert mit ein in die Worte des edelsten, reinsten, anmutigsten und lieblichsten unserer Dichter, wenn er sagt: ›Weib -- o Weib! -- Hm -- Weib --‹ (Gelächter.) Ohne Zweifel entsinnen Sie sich der Verse, die uns mit so vielem Gefühl und so anmutiger Zartheit, fast ohne daß wir's gewahr werden, Zug für Zug das Ideal des echten und vollkommenen Weibes vorführen. Wir schauen im Geist das vollendete Meisterwerk und preisen bewundernd den Genius, der ein so holdes Wesen durch den Hauch seines Mundes, durch bloße Worte zu schaffen vermocht hat. Sie werden sich ferner erinnern, wie der Dichter in treuer Uebereinstimmung mit der Geschichte des ganzen Menschengeschlechts dies schöne Kind seines Herzens und Verstandes den Prüfungen und Sorgen dahingiebt, welche früher oder später allen Erdenbewohnern beschieden sind, bis die traurige Geschichte zuletzt in der wilden, leidvollen Ansprache gipfelt, die allen vergangenen Kummer aufs neue wach ruft. Der Wortlaut der Zeilen ist folgender: -- Ach! -- o weh! -- ach! -- und so weiter. (Gelächter.) Mir ist das übrige nicht gegenwärtig; aber alles in allem halte ich diese Verse für die schönste Huldigung, welche der Genius des Dichters den Frauen je gewidmet hat. (Gelächter.) Ich weiß, ich könnte stundenlang sprechen, ohne meinem großen Thema auf anmutigere oder vollendetere Weise Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, als ich es gethan habe, indem ich einfach die unvergleichlichen Dichterworte anführte. (Erneutes Gelächter.) Die Entwicklungsformen des weiblichen Geschlechts sind von unendlicher Mannigfaltigkeit. Man betrachte welchen Typus des Weibes man will, immer wird man daran etwas zu achten, zu bewundern, zu lieben finden, etwas, das Herz und Hand beglückt. Wer besaß mehr Vaterlandsliebe als die Jungfrau von Orleans? Wer war tapferer? Wer hat uns ein erhabeneres Beispiel opferfreudiger Hingabe gezeigt? Wie deutlich, wie lebendig erinnern wir uns alle an die Nachricht, welche wie eine große Woge des Kummers zu uns heranflutete, daß Jeanne d'Arc bei Waterloo gefallen sei. (Stürmisches Gelächter.) Wer trauert nicht um den Tod der Sappho, der holden Sängerin Israels? (Gelächter.) Wer unter uns vermißt nicht die liebreichen Dienste, den sanften Einfluß, die demütige Frömmigkeit der Lucrezia Borgia? (Gelächter.) Wer kann in die herzlose Verleumdung einstimmen, welche sagt, das Weib sei verschwenderisch in Putz und Kleidung, wenn er zurückblickt und sich den einfachen Anzug unserer Mutter Eva ins Gedächtnis ruft, welcher der Hochlandstracht glich -- mit geringen Abänderungen. (Schallendes Gelächter.) Verehrte Anwesende, die Weiber sind Kriegerinnen gewesen, sie waren Malerinnen, Dichterinnen. So lange es eine Sprache giebt, wird der Name Cleopatra in aller Munde leben. Nicht etwa, weil sie Georg den Dritten eroberte -- (Gelächter) -- sondern weil sie die klassischen Zeilen schrieb: »Es beißt der Hund und bellt voll Lust; Gott schuf den Trieb ihm in der Brust!« (Lautes Gelächter.) Auf den weiten Gefilden der Geschichte ragen ganze Bergzüge erhabener Weiber empor -- die Königin von Saba, Josephine Semiramis -- die Liste ist endlos. (Gelächter.) Aber ich will nicht Heerschau über sie alle halten; schon bei der bloßen Andeutung steigen die Namen in Ihrem Gedächtnis auf, leuchtend von dem Ruhm unsterblicher Thaten, geheiligt durch die Liebe und Verehrung aller Guten und Edlen jeden Zeitalters und jeden Weltteils (Hochrufe.) Möge es unserem Stolz und unserer Ehrliebe genügen, daß unsere Zeit dieser Liste Namen wie Grace Darling und Florence Nightingale hinzugefügt hat. (Hochrufe.) Das Weib ist ganz wie es sein sollte -- sanft, geduldig, langmütig, vertrauensvoll, selbstlos, voll edler, hochherziger Triebe. Es ist des Weibes heiliger Beruf, die Traurigen zu trösten, für die Irrenden zu bitten, die Gefallenen aufzurichten, den Freundlosen Liebe zu erzeigen. Mit einem Wort, die Frau schenkt allen mißhandelten und verfolgten Kindern des Unglücks, die an ihre Thüre klopfen, den heilenden Balsam ihres Mitgefühls und gewährt ihnen eine Freistätte in ihrem Herzen. Jeder, der die veredelnde Gemeinschaft einer Gattin, die nie ermüdende Hingebung einer Mutter kennt, wird von Herzen einstimmen, wenn ich sage: Gott segne das Weib!« -- (Laute und andauernde Beifallsrufe.) Auf die Säuglinge. Als fünfzehnter programmgemäßer Toast, gehalten bei dem Festessen, das im November 1879 von der Tennessee-Armee ihrem ersten Kommandeur, General Grant, zu Ehren veranstaltet wurde. »Das lob ich mir! Wir sind nicht alle so glücklich, zum schönen Geschlecht zu gehören; wir können nicht alle Generale, Dichter oder Staatsmänner sein; aber wenn die Trinksprüche herabsteigen bis zu den Säuglingen, da stehen wir alle auf gemeinsamem Boden. Es ist eine Schande, daß Jahrtausende lang auf allen Festessen der Welt der Säugling ganz übergangen wurde, als wenn er gar nichts bedeutete. Wenn Sie einen Augenblick nachdenken und so ein, fünfzig bis hundert Jahre zurückblicken mögen auf die erste Zeit Ihrer Ehe, um in Gedanken wieder Ihren ersten Säugling zu betrachten, so werden Sie sich erinnern, daß er etwas zu bedeuten hatte, und mehr noch als das. Ihr Soldaten wißt wohl, daß, als dieser kleine Bursche im Familienhauptquartier sich meldete, es Zeit für euch war, euren Abschied zu nehmen; denn er kommandierte von nun an unumschränkt. Ihr hattet ihm als Kammerdiener aufzuwarten und er war kein Vorgesetzter, der Rücksicht nahm auf Zeit, Wetter oder sonstige Umstände. Ihr habt seinem Befehl folgen müssen, ob es möglich war oder nicht; und da gab es nur eine einzige Gangart in seinem Handbuche der Taktik und das war der -- Laufschritt. Er behandelte euch mit aller erdenkbaren Impertinenz und Mißachtung und selbst der Tapferste von euch durfte kein Wörtlein dagegen sagen. Ihr habt dem Tod bei Donelson und Vicksburg ins Antlitz gesehen und Hieb um Hieb zurückgegeben, aber wenn _er_ euch am Schnurrbart zupfte und euer Haar zauste und eure Nase zwickte, da habt ihr es euch ruhig gefallen lassen. Als die Donner der Schlacht in eure Ohren posaunten, da seid ihr den Batterien aufrecht gegenüber gestanden und mit stetem Schritt vorgerückt; aber wenn _er_ sein Schlachtgeschrei ertönen ließ, dann ging es bei euch an ein Avancieren in verkehrter Richtung. Wenn _er_ nach dem Schlotzer verlangte, wagtet ihr etwa Bemerkungen fallen zu lassen, daß gewisse Dienstleistungen sich für einen Offizier und Gentleman nicht schicken? Nein! Ihr seid einfach aufgestanden und habt den Schlotzer geholt. Wenn _er_ seine Trinkflasche verlangte und sie war nicht warm -- habt ihr Einwendungen gemacht? Ihr und Einwendungen! Ihr habt euch daran gemacht und sie gewärmt! Ja, ihr habt euch so weit herabgelassen in eurem Knechtsdienst, daß ihr diesen dummen, faden Stoff darin selber versucht habt, um zu wissen, ob er auch recht gemischt sei: drei Teile Wasser mit einem Teil Milch und eine Prise Zucker von wegen der Kolik, und ein Tropfen Pfeffermünze gegen den ewigen Schlucker. Ich habe den Geschmack noch auf der Zunge -- puh! Poetisch gestimmte Seelen glauben immer noch an das schöne, alte Märchen, daß, wenn das Wiegenkind im Schlummer lächelt, ihm die Englein was ins Ohr flüstern. Klingt hübsch, ist aber sehr schwach -- 's kam einfach von einer Blähung her, meine Freunde. Wenn der Säugling einen Spaziergang vorschlug zu seiner beliebten Stunde, zwei Uhr morgens, seid ihr da nicht schnell aufgestanden mit der Bemerkung, die eurem Wahrheitssinn keine sonderliche Ehre macht, daß ihr denselben Vorschlag gerade eben hättet machen wollen. O, ihr habt euch unter guter Zucht befunden! Und wie ihr so im Zimmer in eurer Nachtuniform auf- und abgetänzelt seid, da habt ihr nicht nur angefangen, unwürdig zu lallen, sondern habt mit eurer Bärenstimme den Versuch gemacht, Liedchen zu singen, z. B.: Schlaf, Kindchen, schlaf! Was für ein Schauspiel für eine Armee von Tennessee! Und wenn das so weiter ging, so zwei bis drei Stunden lang, und euer kleiner Flaumkopf zu verstehen gab, daß ihm nichts lieber sei, als diese musikalische Marschübung, was habt ihr dann gemacht? (Seid nur ruhig!) Ihr seid einfach weiter spaziert, bis ihr nicht mehr konntet. Eine lächerliche Idee das: ein Säugling habe nichts zu sagen und zu bedeuten!! [Illustration] Ja, es war höchste Zeit für den Vorsitzenden eines Banketts, die Bedeutung der Säuglinge zu erkennen. Bedenkt, was kann aus der jungen Brut noch alles werden. Fünfzig Jahre von heute werden wir alle tot sein, denke ich, und dann wird dieses Sternenbanner, wenn es noch existiert und ich hoffe, das wird es -- über einer Republik flattern, die 200 Millionen Seelen zählt, gemäß den natürlichen Gesetzen unserer Volksvermehrung. Aus unserem gegenwärtigen Staatsschooner wird ein politischer Leviathan, ein Great Eastern geworden sein. Die Wiegenkinder von heute werden auf Deck sein. Sorgt für eine gute Erziehung; denn wir werden in ihren Händen ein schweres Stück Arbeit hinterlassen. Unter den drei bis vier Millionen Wiegen, die jetzt im Lande geschaukelt werden, befinden sich einige, die unsere Nation als Heiligtümer aufbewahren würde, wenn man nur schon wüßte, welche. In einer dieser Wiegen zahnt in diesem Augenblick, sich selber unbewußt, der Farragut[9] der Zukunft; in einer andern blinzelt der künftige berühmte Astronom noch ohne sonderliches Interesse die Milchstraße an -- der arme Kleine sehnt sich nach einer andern Milchstraße, nämlich seiner Amme. In einer andern liegt der zukünftige große Geschichtsschreiber und wird zweifelsohne dereinst fortfahren zu lügen, bis seine irdische Sendung vollendet ist. In einer andern beschäftigt sich der zukünftige Präsident mit keinem wichtigeren Staatsproblem als mit dem, warum er so früh keine Haare mehr hat, und in einer mächtigen Reihe von Wiegen liegen 60000 zukünftige Stellenjäger, bereit, den Präsidenten späterhin Gelegenheit zu geben, sich mit demselben alten Problem zum zweiten Male zu beschäftigen,[10] und in einer weitern Wiege irgendwo unter der Flagge liegt der zukünftige berühmte Feldmarschall der amerikanischen Armee, so wenig beschwert von seiner herannahenden Größe und Verantwortung, daß er seinen ganzen strategischen Scharfsinn in diesem Augenblick darauf gerichtet hat, wie er seinen großen Zehen in den Mund kriegen kann, ein Bestreben, das -- mit allem Respekt gesagt -- vor 56 Jahren auch die ganze Aufmerksamkeit unseres heute abend gefeierten Helden in Anspruch genommen hat. Wenn aber das Kind nur die Vorahnung des künftigen Mannes ist, so werden wenige zweifeln, daß sein Bestreben von damals mit Erfolg gekrönt war.« [9] Größter Admiral der Vereinigten Staaten. [10] Anspielung auf die Sorgen, welche dem Präsidenten die Befriedigung der Aemterjäger seiner Partei macht. Der selige Benjamin Franklin. Spare nie auf morgen, was du übermorgen gerade so gut thun kannst. -- Benjamin Franklin. Dieser Mensch war eins von den Individuen, welche man Philosophen nennt. Er kam als Doppelwesen oder als ein paar Zwillinge zur Welt, gleichzeitig in zwei verschiedenen Häusern von Boston. Die Häuser stehen noch heutigen Tages und tragen Tafeln, deren Inschriften die obige Thatsache bezeugen. Die Tafeln nehmen sich ganz gut aus, aber notwendig sind sie gerade nicht, da die Einwohner dem Fremden so wie so die beiden Geburtsstätten zeigen, zuweilen sogar mehrmals an einem Tage. Der Mann, von welchem diese Denkschrift handelt, war heimtückischer Gemütsart und mißbrauchte seine Gaben schon frühzeitig zur Erfindung von allerlei Lebensregeln und Denksprüchen, die darauf berechnet waren, dem heranwachsenden Geschlecht aller folgenden Zeitalter Schmerzen zu bereiten. Sogar seine alltäglichsten Handlungen verrichtete er im Hinblick darauf, daß sie den Knaben fort und fort zur Nacheiferung vorgehalten werden sollten -- den Knaben, die sich sonst hätten glücklich fühlen können. Aus gleicher Absicht wurde er der Sohn eines Seifensieders, wahrscheinlich nur, damit die Bestrebungen aller zukünftigen Knaben, die es zu irgend etwas bringen wollten, von vornherein mit Mißtrauen betrachtet werden möchten, wenn sie nicht Söhne von Seifensiedern wären. Mit einer Böswilligkeit, die in der Geschichte ohne gleichen dasteht, pflegte er den Tag über zu arbeiten und dann die Nacht hindurch aufzubleiben, unter dem Vorwand, daß er beim Schein eines glimmenden Feuers Algebra studiere -- damit alle andern Knaben genötigt wären das auch zu thun, weil man ihnen sonst Benjamin Franklin vorrückte. Ja noch mehr: es war seine Gewohnheit, sich nur von Wasser und Brot zu nähren und während der Mahlzeit Astronomie zu treiben -- das hat seitdem Millionen von Knaben, deren Väter Franklins verderbliche Biographie gelesen hatten, in große Trübsal gebracht. Seine Lebensregeln waren voll Feindseligkeit gegen die Jugend. Heutzutage kann kein Knabe irgend einer natürlichen Regung folgen, ohne daß er auf der Stelle über einen jener unvermeidlichen Denksprüche stolpert und von Franklin zu hören bekommt. Kauft er sich für zwei Cents Pfeffernüsse, so sagt sein Vater: »Weißt du nicht, mein Sohn, daß Franklin spricht: ›Einen Heller den Tag, einen Groschen das Jahr‹!« -- und mit der Freude an den Pfeffernüssen ist's vorbei. Will der Knabe nach gethaner Arbeit Kreisel spielen, gleich mahnt der Vater: »Aufschub ist ein Tagedieb.« Wenn er eine gute That thut, bekommt er nie etwas dafür, denn »die Tugend trägt ihren Lohn in sich.« Er wird zu Tode gehetzt und der nötigsten Ruhe beraubt, weil Franklin in einem begeisterten Anflug von Bosheit einmal gereimt hat: »Früh zu Bett und früh wieder auf, Macht klug, gesund und reich im Kauf.« Als ob einem Knaben etwas daran läge, um solchen Preis klug, gesund und reich zu werden! Was _mir_ dieser Denkspruch für Leiden gebracht hat, als mein Vater damit Versuche bei mir anstellte, spricht keines Menschen Zunge aus. Das naturgemäße Ergebnis derselben ist meine jetzige körperliche Hinfälligkeit, Armut und Geistesschwäche. Als ich ein Knabe war, pflegten mich meine Eltern bisweilen schon vor neun Uhr des Morgens zu wecken. Hätten sie mich schlafen lassen wie es meine Natur verlangte -- was würde nicht aus mir geworden sein? Vielleicht wäre ich jetzt Ladenbesitzer und allgemein geachtet ... [Illustration] Benjamin Franklin hat viel Anerkennenswertes für sein Vaterland gethan und dessen jungen Namen bei andern Völkern zu hohen Ehren gebracht, weil es solchen Sohn erzeugt hat. Das will diese Denkschrift durchaus nicht bestreiten, oder mit Stillschweigen übergehen. Ihr Zweck ist nur, Einspruch gegen seine anmaßlichen Lebensregeln zu erheben, die er unter dem Schein, als wären sie von ihm erdacht, aus selbstverständlichen Wahrheiten zusammengestoppelt hat, welche schon abgedroschene Gemeinplätze waren, noch ehe sich die Völker beim Turmbau zu Babel zerstreuten. Mein Wunsch war lediglich, gegen die unter den Familienhäuptern herrschende unselige Idee zu Felde zu ziehen, als habe Franklin seine angeborene Geistesgröße eigens dadurch erworben, daß er umsonst arbeitete, bei Mondlicht studierte und in der Nacht aufstand, statt wie ein guter Christ bis zum Morgen zu warten -- und als könne dieses Programm, wenn es nur streng durchgeführt würde, aus jedes Vaters dummem Jungen einen Franklin machen. Es ist Zeit, daß die Herren Väter sich endlich klar machen, daß jenes abscheuliche Thun und Treiben nur die Wirkung des Genius war und nicht seine Ursache. Ich wollte, ich wäre lange genug der Vater meiner Eltern gewesen, um ihnen diese Wahrheit zu Gemüte zu führen, damit sie versuchten ihrem Sohne das Leben leichter zu machen. Als Kind mußte ich Seife sieden, obgleich mein Vater ein wohlhabender Mann war, ich mußte zeitig aufstehen, beim Frühstück Geometrie studieren, mit meinen eigenen Gedichten hausieren gehen und alles ganz so thun wie es Franklin gethan hatte. Man war der festen Hoffnung, ich würde auf solche Weise einst ein Franklin werden. Und was bin ich nun?! -- Wohlthun trägt Zinsen. (In Beispielen.) Von Kindheit auf habe ich mit besonderer Vorliebe eine gewisse Sammlung moralischer Erzählungen gelesen, aus denen ich Vergnügen und Belehrung schöpfte. Das Buch lag mir stets bequem zur Hand und sobald mein Glaube an menschliche Tugend zu wanken drohte, griff ich danach und vertrieb mir alle Zweifel. Auch wenn mich ein Gefühl meiner eigenen Schwäche und unedlen Gesinnung niederdrückte, wies mich das Buch zurecht und zeigte mir den Weg, wie ich die verlorene Selbstachtung wiedergewinnen könne. Nur _eines_ vermißte ich: Die schönen Geschichten brachen alle ab, sobald der Höhepunkt erreicht, die glückliche Lösung erfolgt war, und ich hätte doch so gern von dem weitern Ergehen der großmütigen Wohlthäter und ihrer Schützlinge noch etwas erfahren. Mein Verlangen hiernach ward zuletzt so dringend, daß ich beschloß, mir über den ferneren Verlauf der Geschichten selbst Klarheit zu verschaffen. Ich unternahm zu diesem Zweck lange und mühevolle Forschungen und kam dabei zu merkwürdigen Ergebnissen. Ich will nachstehend nur zwei Proben davon zum allgemeinen Besten mitteilen. Zuerst werde ich die Geschichte, wie sie in den ›Beispielen des Guten‹ steht, erzählen und dann die Fortsetzung beifügen, wie es mir gelungen ist, sie zu ermitteln. Der wohlwollende Schriftsteller. Ein armer, angehender Literat hatte sich vergeblich bemüht, für seine Manuskripte einen Verleger zu finden. Endlich, als er schon nahe am Verhungern war, klagte er einem berühmten Schriftsteller seine traurige Lage und bat ihn um Rat und Hilfe. Der hochherzige Mann legte sogleich seine eigenen Sachen beiseite und begann eins der verschmähten Manuskripte durchzulesen. Als er dies menschenfreundliche Werk beendet hatte, schüttelte er dem jungen Manne herzlich die Hand und sagte: »Ihre Arbeit ist nicht schlecht; kommen Sie am nächsten Montag wieder.« Zur verabredeten Zeit erschien der junge Autor; der berühmte Schriftsteller aber öffnete, ohne ein Wort zu sagen, ein Journal, das soeben erst aus der Presse kam und zeigte dem Staunenden seinen eigenen Artikel, der in den Spalten des Blattes abgedruckt war. Der junge Mann sank auf die Kniee und brach in Thränen aus: »Wie kann ich mich Ihnen für solchen Edelmut je dankbar genug erweisen!« rief er. Der Schriftsteller, welcher dieses gethan, war der große Snodgraß und der junge Literat, den er aus dem Dunkel hervorzog und vom Hungertode errettete, kein anderer als der später nicht minder berühmte Snagsby. Möchten wir uns an diesem erfreulichen Vorgang ein Beispiel nehmen und bereitwillig allen Anfängern beistehen, welche der Hilfe bedürfen. Fortsetzung. In der folgenden Woche stellte sich Snagsby wieder ein und brachte fünf zurückgewiesene Manuskripte mit. Dies überraschte den berühmten Snodgraß einigermaßen, weil die jungen Leute, von denen das Buch erzählt, nie mehr als einmal der Handreichung bedurften um emporzukommen. Indessen arbeitete er die Schriftstücke durch, schnitt hier und da viele unnötige Blumen fort und rodete die Eigenschaftswörter scheffelweise aus. Es gelang ihm darauf wirklich zwei der Artikel bei Zeitschriften unterzubringen. Nach Ablauf einer Woche erschien der dankbare Snagsby mit einer neuen Ladung von Manuskripten. Wohl hatte es dem berühmten Autor zuerst eine hohe innere Befriedigung gewährt, dem strebsamen jungen Manne mit Erfolg helfen zu können und sich mit den großmütigen Leuten zu vergleichen, von denen das Geschichtenbuch berichtet; jetzt aber begann sich in ihm der Argwohn zu regen, daß vielleicht nicht alles in Richtigkeit sei. Trotzdem sich sein Enthusiasmus plötzlich abgekühlt hatte, gewann er es aber nicht über sich, den jungen Menschen zurückzustoßen, der sich in seiner vertrauensvollen Herzenseinfalt so fest an ihn klammerte. Das Ende vom Liede war denn auch, daß der berühmte Schriftsteller den armen, jungen Anfänger fortdauernd auf dem Halse behielt. Die schwachen Versuche, welche er anstellte, sich der Last zu entledigen, waren vergebens. Immer wieder mußte er Snagsby Rat erteilen und ihm Mut einsprechen, mußte sich bemühen die Annahme seiner Manuskripte bei den Zeitschriften durchzusetzen und sie vorher gehörig zustutzen, weil sie sonst unbrauchbar waren. Als der junge Streber endlich im Sattel saß, schwang er sich plötzlich mit einem kühnen Sprung auf den Gipfel des Ruhms. Er beschrieb nämlich das Privatleben des berühmten Autors bis in die kleinsten Einzelheiten mit so beißendem Witz, daß sein Buch einen fabelhaften Absatz fand, dem gefeierten Schriftsteller aber vor Kränkung darüber das Herz brach. Noch mit dem letzten Atemzug seufzte er: »Ach, jenes verlockende Buch hat mich betrogen; es verschweigt die letzte Hälfte der Geschichte. Hütet euch, meine Freunde, vor strebsamen jungen Literaten! Kein Mensch soll sich vermessen, jemand vom Tode zu retten, den Gott verhungern lassen will -- er läuft nur in sein eigenes Verderben.« Der dankbare Gatte. Eine Dame fuhr einmal mit ihrem Söhnchen durch die Hauptstraße einer großen Stadt, als plötzlich die Pferde scheu wurden und in wildem Laufe davonjagten. Der Kutscher ward vom Bock geschleudert und die Insassen des Wagens bebten vor Todesangst. Aber ein wackerer Jüngling, der gerade mit seinem Gemüsewagen des Weges fuhr, fiel den durchgehenden Pferden in die Zügel und es gelang ihm mit Gefahr seines eigenen Lebens, sie in ihrer Flucht aufzuhalten. Die gerettete Dame ließ sich seine Adresse sagen und erzählte daheim die Heldenthat ihrem Gatten (der das Buch mit den moralischen Erzählungen gelesen hatte). Dieser vergoß Thränen der Rührung bei dem erschütternden Bericht und dankte im Verein mit seinen ihm wiedergeschenkten Lieben dem Allgütigen, ohne dessen Willen kein Sperling vom Dache fällt, für die wunderbare Hilfe. Dann sandte er nach dem wackern, jungen Mann, überreichte ihm einen Wechsel auf 500 Dollars und sagte: »Nimm dies zum Lohn für deine edle That, William Ferguson, und wenn du je eines Freundes bedarfst, so erinnere dich, daß Thomas Spadden ein dankbares Herz hat.« Laßt uns hieraus lernen, daß jede gute That dem der sie thut, nützt und frommt und wenn er auch aus dem niedrigsten Stande wäre. Fortsetzung. In der folgenden Woche fand sich William Ferguson bei Herrn Spadden mit der Bitte ein, er möge ihm durch seinen Einfluß eine bessere Beschäftigung verschaffen, da er Größeres leisten könne, als den Gemüsewagen zu fahren. Herr Spadden verhalf ihm denn auch zu einer Bureaustelle mit gutem Gehalt. Bald darauf wurde Williams Mutter krank und er -- doch ich will mich möglichst kurz fassen: Spadden willigte ein, sie zu sich ins Haus zu nehmen. Nicht lange, so fühlte sie Sehnsucht nach ihren jüngern Kindern, worauf Marie, Julie und Jaköbchen gleichfalls bei Spadden Aufnahme fanden. Jaköbchen hatte ein Taschenmesser, mit dem er sich eines Tages allein ins Wohnzimmer begab, und ehe noch Dreiviertelstunden vergingen, war das Mobiliar, welches etwa zehntausend Dollars gekostet hatte, so von ihm bearbeitet worden, daß sein Wert sich nicht mehr schätzen ließ. Einige Tage später fiel Jaköbchen die Treppe hinunter und brach den Hals. Siebzehn Anverwandte kamen in das Haus, um seiner Leiche zu folgen. Bei der Gelegenheit wurden sie dort bekannt und fanden sich seitdem häufig in der Küche ein. Auch bekamen die Spaddens vollauf zu thun, um ihnen nicht nur einmal Stellen zu verschaffen, sondern auch immer von neuem wieder, wenn sie Abwechslung brauchten. Die alte Frau Ferguson war trunksüchtig und führte oft gottlose Reden: da hielten es denn die Spaddens, aus Erkenntlichkeit gegen den Sohn, für ihre Pflicht, sie von diesen Lastern zu bekehren und widmeten sich der Aufgabe mit hohem Edelsinn. William kam häufig, erhielt immer kleinere Geldbeträge und forderte immer höhere und einträglichere Beschäftigung, zu welcher ihm die dankbaren Spaddens mehr oder weniger rasch verhalfen. Nach verschiedenen Einwendungen verstand sich Spadden sogar dazu, William auf die Universität zu schicken; als aber der Held vor den ersten Ferien das Verlangen stellte, man möge ihn aus Gesundheitsrücksichten nach Europa reisen lassen, da empörte sich der bedrängte Spadden endlich gegen seinen Tyrannen. Er schlug ihm die Forderung rundweg ab. William Fergusons Mutter war darüber so verblüfft, daß sie die Schnapsflasche fallen ließ und eine Verwünschung ihr in der Kehle stecken blieb. Als sie sich vom ersten Schrecken erholt hatte, stieß sie keuchend hervor: »So also beweisen Sie Ihre Dankbarkeit? Wo wäre Ihre Frau und Ihr Junge jetzt ohne meinen Sohn?« [Illustration] William sagte: »So also beweisen Sie Ihre Dankbarkeit? Sagen Sie einmal -- habe ich Ihrer Frau das Leben gerettet oder nicht?« Sieben Anverwandte liefen aus der Küche herbei und sagten einer nach dem andern: »So also beweisen Sie Ihre Dankbarkeit?« Williams Schwestern standen starr vor Verwunderung. »So also beweisen Sie -- --« fingen sie an, kamen jedoch nicht weiter, da ihre Mutter sie mit vor Schluchzen erstickter Stimme unterbrach und rief: »Und im Dienst eines solchen Ungeheuers hat mein seliger kleiner Jakob sein teueres Leben geopfert!« Da schwoll dem empörten Spadden der Mut und in der Erregung des Augenblicks rief er voll edlen Zornes: »Hinaus aus meinem Hause, ihr Bettlerpack! Ich weiß es jetzt, jenes Geschichtenbuch hat mich bethört, aber es soll mich nie wieder zum Narren halten. -- Ja, du hast meiner Frau das Leben gerettet,« donnerte er William an, »und dem nächsten, welcher das thut, mache ich auf der Stelle den Garaus!« -- * * * * * Zum Schluß bemerke ich noch, daß sich die Geschichte mit William Ferguson in meiner persönlichen Bekanntschaft wirklich zugetragen hat; doch sind von mir alle Einzelheiten dergestalt verändert worden, daß William sein Spiegelbild nicht wiedererkennen wird. Jeder Leser dieser Skizze ist wohl einmal den ›Beispielen des Guten‹ gefolgt, von welchen die Bücher berichten, und hat in irgend einer schönen, begeisterungsvollen Stunde seines Lebens eine edelmütige That vollbracht. Es wäre mir lieb zu erfahren, wie viele dieser Großmütigen Lust haben, über jenes Erlebnis nachträglich zu reden und sich gern an die Folgen erinnern lassen, welche aus demselben entstanden sind!? -- Ueber Tagebücher. Zu gewissen Zeiten wird es der liebste Ehrgeiz eines Menschen, einen getreuen Bericht über sein Thun in einem Buche aufzubewahren, und er stürzt sich in diese Arbeit mit einer Begeisterung, als ob ein Tagebuch zu führen die heiligste Pflicht und der größte Genuß in der Welt sei. Aber wenn er nur einundzwanzig Tage verlebt hat, so wird er finden, daß nur jene seltenen Naturen voll Ausdauer, Hingebung an die Pflicht und unbesiegbarer Entschlossenheit sich an ein so gewaltiges Unternehmen, wie es das Führen eines Tagebuchs ist, wagen können, ohne eine schmachvolle Niederlage zu erleiden. Als ich auf der Quaker-City meine erste Reise nach Europa machte, hatten wir an Bord einen jungen Mann, Namens Jack. Dieser prächtige junge Bursche hatte ein Tagebuch angefangen und pflegte über seine Fortschritte jeden Morgen in der glühendsten und aufgewecktesten Weise zu berichten. Eines Tages fing er an: »O, ich komme höllisch gut fort damit. Ich schrieb letzte Nacht zehn Seiten in mein Tagebuch -- und wissen Sie, ich hatte die Nacht vorher neun und die Nacht vor dieser zwölf geschrieben. Je nun, das ist reiner Spaß.« »Was finden Sie denn Aufzeichnenswertes, Jack?« »O, alles! Längen- und Breitengrade, Mittagszeit, und wie viele Meilen wir in den letzten vierundzwanzig Stunden gemacht haben, und alle die Spiele Domino und Pferdebillard, die ich gewonnen habe, und Walfische und Haie und Schweinfische und Sonntags den Text der Predigt (wissen Sie, weil das zu Hause was gelten wird), und die Schiffe, die wir salutierten, und welcher Nation sie angehörten, und was für Wind war, und ob es eine schwere See gab, und was für Segel wir führten, obwohl wir eigentlich niemals welche führen, da wir immer den Wind von vorn haben -- möchte wissen, was der Grund davon ist -- und wie viele Lügen Moult uns erzählt hat. O, alles! Ich habe alles schwarz auf weiß. Mein Vater hieß mich dieses Tagebuch führen. Vater würde es nicht für tausend Dollars hergeben, wenn ich's fertig kriegte.« »Nein, Jack, es wird mehr als tausend Dollars wert sein -- wenn Sie es fertig kriegen.« »Meinen Sie? Aber Sie denken wohl, ich kriege es nicht fertig?« »Ja, es wird wenigstens tausend Dollars wert sein, wenn Sie es vollenden. Vielleicht mehr noch.« »Na, ich denke halb und halb ebenso. Ich bin nicht ungeschickt im Führen eines Tagebuches.« Eines Abends sagte ich später in Paris, nachdem wir uns mit der Besichtigung von Sehenswürdigkeiten abgearbeitet hatten, zu ihm: »Nun, ich will gehen und ein Weilchen um die Cafés herumstrolchen, Jack, und Ihnen Gelegenheit geben, Ihr Tagebuch weiterzuführen, alter Junge.« Sein Gesicht verlor sein Feuer. Er sagte: »Na, das braucht Sie nicht zu kümmern. Ich denke, ich werde dieses Tagebuch nicht weiter fortsetzen. Es ist furchtbar langweilig. Wissen Sie wohl, daß ich viertausend Seiten noch nachzureiten hätte? Ich habe noch gar nichts über Frankreich drin. Erst dachte ich, ich wollte Frankreich weglassen und von Frischem anfangen. Aber nicht wahr, das ginge nicht an. Der Alte würde sagen: Hallo, was ist das -- nichts von Frankreich gesehen? Dann dachte ich, ich wollte Frankreich aus dem Reiseführer abschreiben, wie der alte Badger in der Vorderkajüte, der ein Buch schreibt, aber es sind mehr als dreihundert Seiten darüber. O, mir scheint, ein Tagebuch hat gar keinen Nutzen, nicht wahr? Nichts als Plack und Langeweile, nicht wahr?« »Ja, ein unvollständiges Tagebuch hat gar keinen Nutzen, aber ein gehörig geführtes Tagebuch ist seine tausend Dollars wert -- wenn man es fertig hat.« »Tausend -- nun ja, das sollt' ich meinen. Ich aber möchte es für eine Million nicht fertig machen.« Seine Erfahrung war nur die Erfahrung der Mehrzahl derjenigen unserer Reisegesellschaft, welche gleich ihm ein Tagebuch führten. Wenn man einem jungen Menschen eine unbarmherzige und bösartige Strafe auferlegen will, so verpflichte man ihn, ein Jahr lang ein Tagebuch zu führen. Ueber das Briefschreiben. Ich glaube, es giebt kaum etwas auf der Welt, was uns allen so widerwärtig ist, als die Pflicht einen Brief zu schreiben -- besonders einen Privatbrief. Geschäftsbriefe sind übrigens nur wenig angenehmer. Fast alle Freude über einen Brief, den ich erhalte, wird mir durch den Gedanken vergällt, daß er beantwortet werden muß. Ja, ich fürchte mich so sehr vor der Qual, solche Antworten auf der Seele zu haben, daß mich häufig die Lust anwandelt, meine ganze Post ins Feuer zu werfen, statt sie zu öffnen. Zehn Jahre lang ist mir diese Furcht erspart geblieben, weil ich fortwährend umherzog, von Stadt zu Stadt, von Staat zu Staat und von Land zu Land. Da konnte ich, ganz nach Gefallen, sämtliche Briefe unbeantwortet lassen, die Absender derselben nahmen natürlich an, daß ich meinen Aufenthaltsort gewechselt habe und ihre Zuschriften fehlgegangen seien. Jetzt kann ich aber leider diese Form der Täuschung nicht mehr anwenden. Ich bin vor Anker gegangen, bin festgefahren -- und nun kommen die tödlichen Geschosse, die Briefe aller Art, schnurgerade auf mich losgeflogen. Es sind Briefe der verschiedensten Gattung und sie behandeln die mannigfaltigsten Gegenstände. Ich lese sie meist beim Frühstück und sehr oft verderben sie mir mein ganzes Tagewerk; sie leiten meinen Gedankengang in neue Kanäle, das Arbeitsprogramm, welches ich mir für meine Schreiberei aufgestellt habe, gerät in Verwirrung, ja es wird wohl auch gänzlich umgestoßen. Nach dem Frühstück werfe ich mich gewöhnlich ins Geschirr und versuche eine Stunde lang fleißig zu schreiben, aber ich komme nur mühsam vorwärts, da die Briefe immer wieder in meine Gedanken eingreifen. Die Sache hat keinen rechten Fluß, ich gebe sie zuletzt auf und verschiebe alle weiteren Bemühungen auf den nächsten Tag. Man sollte meinen, ich würde mich nun schleunigst daran machen die Briefe zu beantworten und aus dem Wege zu schaffen. Alle Musterknaben, von denen wir lesen, daß sie barfuß nach New York gewandert kommen und im Laufe der Zeit zu unverschämten Millionären werden, hätten damit sicherlich keinen Augenblick gezögert -- aber, ich bin nicht wie sie. Es fällt mir gar nicht ein, die Gewohnheiten jener Leute anzunehmen, denn ich werde nie ein Millionär werden. Wäre ich darauf ausgegangen, so hätte ich nicht gleich von vornherein den verhängnisvollen Mißgriff begehen dürfen, Stiefel an den Füßen zu tragen und mehr als vierzig Cents in der Tasche zu haben, als ich in New York einzog. Wie hätte ich nach einem so verkehrten Beginn meiner Laufbahn noch den Versuch machen sollen mir Reichtümer zu erwerben? Man würde mich nur mit größtem Mißtrauen betrachtet haben und mich einfach zum Betrüger stempeln. Deshalb verzichte ich also darauf in die Fußstapfen dieser Krösusse zu treten und meine Briefe mit kaufmännischer Pünktlichkeit und Schnelligkeit zu beantworten. Ich setze meine Arbeiten einen Tag lang aus, und die aufgeschichteten Briefe von heute bleiben bei denen liegen, welche gestern, vorgestern und von allen früheren Daten angekommen sind. Erst wenn der Haufen so angewachsen ist, daß mir angst und bange davon wird, blase ich zum Angriff und laufe Sturm, manchmal fünf volle Stunden lang, zuweilen sogar sechs. Und wie viele Briefe beantworte ich in dieser Zeit? Nie mehr als neun, oft auch nur fünf und sechs. Der Korrespondent in einem großen kaufmännischen Geschäft würde in einer solchen Reihe von Stunden wenigstens hundert Antworten zu Papier bringen. [Illustration] Einem Mann, der Jahre damit zugebracht hat, für die Presse zu schreiben, kann man aber eine solche Federgewandtheit unmöglich zutrauen. Aus alter Gewohnheit knüpft er dabei einen Gedanken an den andern; geduldig zerbricht er sich minutenlang den Kopf, um auf eine unwichtige Zuschrift die passende Erwiderung zusammen zu drechseln, und so verfließt ihm unversehens die kostbare Zeit. Mir ist es in den letzten Jahren förmlich zur andern Natur geworden, Schriftstücke jeder Art -- selbst Privatbriefe nicht ausgeschlossen -- mit Sorgfalt und reiflicher Ueberlegung abzufassen. Die Folge davon ist, daß ich das Briefschreiben hasse, und ich habe noch bei allen meinen Bekannten, die für Zeitungen und Journale arbeiten, eine ähnliche Abneigung dagegen gefunden. Obige Bemerkungen sollen nur zur Erklärung und zu meiner Entschuldigung bei allen den Leuten dienen, welche mir über allerlei Angelegenheiten geschrieben haben, ohne eine Antwort zu erhalten. Einmal übers andere habe ich, im guten Glauben, daß es mir gelingen würde, wirklich versucht ihnen zu antworten. Einiges konnte ich wohl erledigen, aber unwiderruflich blieb doch die Mehrzahl der in der letzten Woche eingegangenen Briefe bis zur nächsten liegen. Die Folge war dann jedesmal, daß die sich aufhäufenden Briefe zuerst eine vorwurfsvolle Miene annahmen, dann mir grimmige Blicke zuwarfen, als wollten sie mir eine Strafpredigt halten, und zuletzt ein so beleidigendes, unverschämtes Gesicht machten, daß mir die Geduld ausging. Wenn das geschah, öffnete ich die Ofenthür und statuierte ein Exempel an ihnen. Und siehe da -- sofort war jedes bedrückende Gefühl über vernachlässigte Pflichten verschwunden und alle meine verlorene Seelenheiterkeit kehrte zurück. Gedankentelegraphie. Es giebt gewisse Begebenheiten im Menschenleben, welche man seit Anbeginn der Welt für ein Spiel des Zufalls gehalten hat. Erst in unsern Tagen ist es der Psychologischen Gesellschaft in England gelungen, der Menschheit klar zu machen, daß, was wir gewöhnlich als ›merkwürdiges Zusammentreffen‹ bezeichnen, keineswegs auf blindem Zufall beruht, sondern einfach die Wirkung der Botschaft ist, welche ein Geist dem andern, oft weit über Land und Meer zuschickt. Beispiele von Gedankentelegraphie kommen viel häufiger vor als man gemeinhin glaubt und entstehen so wenig aus bloßem Zufall wie Abgang und Ankunft einer telegraphischen Depesche. Ich hatte die Entdeckung schon längst gemacht und meine Erfahrungen niedergeschrieben; doch konnte ich mich nicht entschließen, sie zu veröffentlichen, aus Furcht, man möchte für Scherz halten, was im vollen Ernst gemeint war. Jetzt aber erscheint die Frage in einem ganz neuen Licht, dank der verdienstlichen und einflußreichen Thätigkeit der Psychologischen Gesellschaft, und ich brauche mein altes Manuskript, das aus dem Jahre 1878 stammt, nicht länger im Schreibtisch zu verwahren: -- -- -- * * * * * Schon wieder habe ich eins jener kleinen merkwürdigen Erlebnisse zu verzeichnen, wie sie hie und da jedem Menschen zustoßen. Man denkt stundenlang darüber nach und bleibt so klug wie zuvor, denn eine Erklärung sucht man vergebens. Die Sache, welche an sich ganz unbedeutend aussieht, verhielt sich wie folgt: Vor einigen Tagen sagte ich: »Es scheint, Frank Millet weiß gar nicht, daß wir in Deutschland sind, sonst würde er längst geschrieben haben. In den letzten sechs Wochen bin ich wohl ein Dutzendmal drauf und dran gewesen, ein paar Zeilen an ihn zu spedieren, habe aber immer wieder beschlossen zu warten, da er doch endlich etwas von sich hören lassen muß. Jetzt schreibe ich aber sofort.« Ich that es, schickte den Brief nach Paris und dachte bei mir: »Ehe dieser Brief fünfzig Meilen über Heidelberg hinaus ist, haben wir bereits Nachricht von Frank -- so geht es ja immer.« Und richtig, was ich gesagt hatte traf ein. Es geschieht ja wunderbarerweise nichts häufiger im Leben, als daß sich Briefe kreuzen; ob das aber auf einem Zufall beruht, möchte ich bezweifeln. Unser Vorgefühl, daß sich der Brief, den wir eben an eine Person schreiben, mit einem von derselben Person an uns gerichteten kreuzen wird, ist oft schon stark genug gewesen, um uns zu veranlassen, den schriftlichen Erguß merkwürdig kurz zu fassen, da man seine Zeit nicht unnütz verschwenden will -- die Briefe kreuzen sich ja doch. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß mich dieses Vorgefühl meistens ergriff, wenn ich meinen Brief eine ganze Weile verschoben hatte, in der Hoffnung, der andere würde zuerst schreiben. Ich erhielt Millets Brief, der an demselben Tage abgeschickt war wie der meinige, in Berlin, durch Vermittlung des amerikanischen Gesandten. Millet schrieb, er habe sich sechs Wochen lang vergeblich bemüht, jemand aufzutreiben, der ihm meine deutsche Adresse mitteilen könne, zuletzt sei er auf den Gedanken gekommen, daß man wohl auf der Gesandtschaft in Berlin wissen würde, wo ich zu finden sei. -- Vielleicht war es ein Zufall, aber ich glaube es nicht, daß er endlich in demselben Augenblick zur Feder griff, in welchem ich mich entschloß an ihn zu schreiben. Es giebt für mich nichts Aergerlicheres, als wenn ich in einer einfachen Geschäftsangelegenheit gewartet und gewartet habe, in der Hoffnung, der andere werde die Mühe des Schreibens übernehmen und mich zuletzt doch selbst daran machen muß, noch dazu mit der Ueberzeugung, daß jener sich mit mir zugleich hinsetzt, um einen Brief zu schreiben, der sich mit dem meinigen kreuzen wird. Wollte ich die Arbeit aber verschieben und vom Schreibtisch aufstehen, so würde der andere Mensch unfehlbar dasselbe thun, genau als wären wir zusammengespannt wie die siamesischen Zwillinge und genötigt die nämlichen Bewegungen zu machen. Einige Monate bevor ich mich auf Reisen begab, hatten Techniker eines New Yorker Geschäfts eine Arbeit in meinem Hause vorgenommen, die nicht zu meiner Zufriedenheit ausgefallen war. Ich benachrichtigte daher die Firma, daß ich die Rechnung erst bezahlen würde, nachdem die Sache ganz in Ordnung gebracht sei. In der Antwort bat man mich wegen Geschäftsüberhäufung etwas Geduld zu haben; sobald der Sachverständige entbehrt werden könne, solle er alles nach Wunsch erledigen. Ueber zwei Monate wartete ich und ertrug mit Ergebung die Hausgenossenschaft elektrischer Klingeln, die urplötzlich von selbst und wie rasend Sturm läuteten, ohne daß jemand sie berührte, und dann wieder keinen Ton von sich geben wollten, wenn man auch den Knopf wie mit einem Schmiedehammer bearbeitete. Unzähligemale nahm ich mir vor zu schreiben, aber immer wieder verschob ich es. Eines Abends endlich setzte ich mich hin und ergoß meinen Aerger ungefähr eine Seite lang; plötzlich aber brach ich den Brief kurz ab, denn ein deutliches Gefühl sagte mir, daß die Firma jetzt auch ein Lebenszeichen von sich geben werde. Als ich am nächsten Morgen zum Frühstück erschien, war mein Brief noch nicht abgegangen, aber der ›elektrische Klingelmann‹ hatte bereits alles Nötige besorgt und war wieder verschwunden. Am Abend vorher hatte er von seinem Prinzipal den Auftrag erhalten und war sogleich mit dem Nachtzug zu uns gefahren. Wenn das auch ein ›Zufall‹ war, so gehörten ungefähr drei Monate dazu, bis er zustande kam. * * * * * Letzten Sommer langte ich eines Abends in Washington an, stieg im Orlington-Hotel ab und ging auf mein Zimmer. Ich las und rauchte ungefähr bis zehn Uhr und da ich nicht schläfrig war, wollte ich noch ein wenig frische Luft schnappen. So ging ich denn im Regen hinaus und wanderte vergnüglich und ziellos umher. Mein Freund O. befand sich auch gerade in der Stadt und es hätte mich gefreut, wenn wir zufällig aufeinandergestoßen wären, doch ihn um Mitternacht aufzustöbern, zumal ich seine Wohnung nicht wußte, lag mir gänzlich fern. Da ich mich in den öden Straßen verlassen zu fühlen begann, trat ich gegen zwölf Uhr in einen Zigarrenladen, hielt mich dort eine Viertelstunde auf und hörte den nationalpolitischen Gesprächen einiger Kunden zu. Plötzlich ergriff mich der prophetische Geist und ich sprach zu mir selbst: »Wenn ich jetzt zu dieser Thür hinausgehe, mich links wende und zehn Schritte mache, werde ich O. gegenüberstehen.« Genau so traf es ein. Zwar konnte ich sein Gesicht unter dem Regenschirm nicht sehen, zumal es ziemlich dunkel war, aber ich erkannte ihn an der Stimme, als er seinem Begleiter in die Rede fiel, und rief ihn an. Daß ich den Laden verließ und O. begegnete war nichts, aber daß ich es vorher wußte, war sehr viel. Bei näherer Betrachtung ist es doch ein höchst merkwürdiges Erlebnis. Ich stand ganz hinten in dem Zigarrenladen als der Geist der Weissagung über mich kam. Fünf Schritte bis zur Thür, drei Stufen zum Bürgersteig hinunter, Wendung nach links, einige weitere Schritte und richtig -- da war mein Mann. Ist es nicht wunderbar, wie alles zutraf? Oft reden wir von einem Abwesenden und kaum haben wir es gethan, so sehen wir ihn vor uns. Wir lachen dann und sagen: »Wenn man den Teufel an die Wand malt u. s. w.«; dann denken wir nicht mehr an den sogenannten ›Zufall‹. Das ist eine recht billige und bequeme Art, über ein ernstes und schwieriges Rätsel hinwegzukommen, das zu lösen wohl der Mühe verlohnte. Nun komme ich aber auf das Sonderbarste zu sprechen, was ich je erlebt habe: Vor zwei oder drei Jahren lag ich eines Morgens im Bett und dachte an nichts Besonderes -- es war am zweiten März -- als plötzlich eine funkelnagelneue Idee wie eine Bombe auf mich hereingesaust kam und mit solcher Gewalt explodierte, daß aus der ganzen Umgegend alle müßigen Betrachtungen zerfetzt und zersplittert davonflogen. Diese Idee bestand, kurz gesagt, darin, daß jetzt der günstige Augenblick gekommen sei, ein gewisses Buch, dem das allgemeine Interesse nicht fehlen konnte, sofort zu schreiben und auf den Markt zu bringen -- ein Buch über die Silbergruben in Nevada. Die ›Große Bonanza-Mine‹ war damals ein neues Weltwunder und bildete das Tagesgespräch. Die geeignetste Person für diese Arbeit schien mir William Wright, ein Journalist aus Virginia in Nevada, an dessen Seite ich dort, vor zwölf Jahren, monatelang als Reporter Zeitungsartikel gekritzelt hatte. Vielleicht war er noch am Leben, vielleicht war er tot, wer konnte es wissen, aber jedenfalls wollte ich ihm schreiben. Ich begann damit, ihm bescheidentlich den Vorschlag zu machen, das bewußte Buch zu verfassen; im weitern Verlauf wuchs jedoch mein Eifer und ich ließ mich hinreißen, nach eigenem Ermessen den ganzen Plan des Werkes zu entwerfen, überzeugt, daß Wright, als guter Freund, meine Absicht nicht mißdeuten werde. Ich ging sogar auf Einzelheiten ein und besprach deren Anordnung und Reihenfolge. Eben wollte ich das Manuskript in einen Umschlag stecken, da fiel mir ein, wie unangenehm es wäre, wenn das Buch auf meine Veranlassung geschrieben würde und sich dann kein Verleger fände. Ich behielt daher den Brief einstweilen zurück, warf ihn in ein Fach und richtete ein paar Zeilen an meinen eigenen Verleger, den ich um eine geschäftliche Besprechung bat. Der Herr war jedoch gerade verreist, meine Zuschrift blieb unbeantwortet und nach einigen Tagen hatte ich die ganze Angelegenheit vergessen. Am neunten März brachte der Postbote verschiedene Briefe, darunter einen besonders dicken, dessen Aufschrift eine halbschlummernde Erinnerung in mir zu wecken schien. Zuerst wußte ich nicht wohin damit, aber bald ging mir ein Licht auf und ich sagte zu einem Verwandten, der gerade anwesend war: [Illustration] »Gieb acht, jetzt will ich ein Wunder thun. Ich werde dir aufs genauste Inhalt, Datum und Unterschrift dieses Briefes sagen, ohne ihn zu erbrechen. Er kommt von einem Herrn Wright aus Virginia in Nevada, und ist vom zweiten März datiert. Wright teilt mir darin sein Vorhaben mit, ein Buch über die Silberminen zu schreiben und fragt, was ich als Freund davon denke. Ferner setzt er mir alles Einzelne des Nähern auseinander und sagt, daß er zum Schluß die Geschichte des ›Großen Bonanza‹ erzählen wolle.« Ich öffnete nun den Brief und bewies, daß meine sämtlichen Angaben richtig waren. Wrights Brief enthielt in der That genau dasselbe wie der meinige, der, am nämlichen Datum geschrieben, seit sieben Tagen im Fach meines Schreibtisches lag. Mit Hellseherei, wenigstens wie _ich_ dieselbe verstehe, hatte dieser Vorfall, glaube ich, nichts zu thun. Ein Hellseher behauptet, verborgene Schrift wirklich Wort für Wort ablesen zu können. Das war bei mir nicht der Fall. Ich glaubte nur den Inhalt des Briefes im einzelnen mit vollkommener Sicherheit zu kennen, aber die Worte mußte ich selbst finden und gewissermaßen Wrights Ausdrucksweise in die meinige übersetzen. Dies Zusammentreffen aller Umstände konnte doch unmöglich auf Zufall beruhen. Bei einem Zufall hätte vielleicht einiges gestimmt, aber alles übrige wäre wesentlich abgewichen. Für mich unterlag es keinem Zweifel -- Wrights Geist hatte am zweiten März über Gebirge und Wüste hinweg, trotz der Entfernung von dreitausend Meilen, mit dem meinigen in engster und krystallklarster Verbindung gestanden. Meiner Meinung nach waren wir nicht beide zugleich auf die ursprüngliche Idee gekommen, sondern der Geist des einen hatte sie erdacht und sie dem andern telegraphiert. Es reizte mich doch zu wissen, wessen Gehirn das Telegraphieren übernommen hatte und wer der Empfänger der Depesche gewesen war, so schrieb ich denn an Wright, um mich darnach zu erkundigen. Seine Antwort bewies mir, daß Gedanke und Botschaft von _seinem_ Geist ausgegangen waren und der meinige beides nur aufgenommen hatte. Sein Buch steckte ihm schon lange im Kopfe; es liegt daher auf der Hand, daß die erste Idee von ihm und nicht von mir herrührt; der Stoff lag mir ganz fern und ich war obendrein von andern Dingen vollauf in Anspruch genommen. Trotzdem vermochte es dieser Freund, an den ich seit elf Jahren nicht mehr gedacht hatte, mir seine Gedanken aus weiter Ferne in den Kopf zu blitzen, und zwar mit solchem Nachdruck, daß ich für den Augenblick kein anderes Interesse mehr kannte. Er hatte den Brief an mich geschrieben, nachdem seine Arbeit für das Morgenblatt beendet war, etwas nach drei Uhr. Drei Uhr morgens in Nevada ist ungefähr 6 Uhr in Hartford, zu welcher Zeit ich, wie erwähnt, im Bette lag und an nichts Besonderes dachte. Gerade um diese Zeit ergoß sich der Strom seiner Gedanken über den Kontinent hinweg in mein Gehirn, ich stand auf und schrieb sie nieder unter dem Eindruck, daß sie ausschließlich von mir selbst stammten. Das ist sehr bedeutungsvoll und kann von der höchsten Wichtigkeit werden. Man bedenke nur, wie mancher herrliche Originalgedanke einem so mir nichts dir nichts von einem dreitausend Meilen weit entfernten Menschen weggestohlen werden kann. Sollte jemand versucht sein, diese Thatsache anzuzweifeln, so bitte ich nur, einen Blick in das Konversationslexikon zu werfen und wieder einmal über den sonderbaren Umstand in der Geschichte der Erfindungen nachzugrübeln, der einem jeden schon zu denken gegeben hat -- darüber nämlich, daß so häufig dieselben Maschinen und Apparate gleichzeitig von mehreren Personen in verschiedenen Weltteilen erfunden worden sind. Es liegt nicht außer dem Bereich der Möglichkeit, daß die Erfinder sich, ohne es zu wollen, gegenseitig ihre Ideen fortstehlen, obgleich sie viel tausend Meilen von einander getrennt sind. Gewöhnlich erklärt man zwar dies Gedankenzusammentreffen daraus, daß große und bedeutsame Entdeckungen sich immer auf Fragen beziehen, mit welchen die hervorragendsten Geister sich bereits lange und eingehend beschäftigt haben. Als Beispiele solcher zugleich von verschiedenen Seiten gewonnener Errungenschaften auf wissenschaftlichem Gebiet führt man unter andern die Erfindung der Differentialrechnung an, die Entdeckung des Planeten Neptun, die Entzifferung der egyptischen Hieroglyphen, die Aufstellung der Vibrationstheorie des Lichts, die Erfindung des elektrischen Telegraphen und der Spektralanalyse. Aber vielleicht ist in jedem der angegebenen Fälle die Idee in dem Geist eines _einzigen_ Gelehrten entsprungen, der sie weiter telegraphiert hat. Schon seit einem Jahrhundert hatten die Astronomen jene Aberrationen beobachtet, die endlich Leverrier auf die Vermutung brachten, daß sich im unermeßlichen Raum ein Planet verbergen müsse, welcher der Urheber jener Störungen sei. Wie ging es nun aber zu, daß drei durch weite Entfernung von einander getrennte Menschen, Leverrier, Mrs. Somerville und Adams auf einmal zu gleicher Zeit anfingen, sich mit den Aberrationen abzuquälen und alles daran zu setzen, um ausfindig zu machen, was wohl die Ursache derselben sein könne? -- Das sonderbare Unternehmen, einen unsichtbaren Planeten zu messen, zu wägen, seine Bahn zu berechnen, ihm förmlich nachzujagen und ihn endlich einzufangen, an das noch niemand zuvor gedacht hatte, konnte nur in dem Kopf eines einzigen Astronomen entsprungen und durch Gedankentelegraphie den andern Geistern übermittelt worden sein. * * * * * Letzten Frühling kam ein litterarischer Freund von fern her, um mich zu besuchen. Im Lauf des Gesprächs erzählte er mir, es sei ihm eine vollständig neue Idee aufgegangen, wie sie sicherlich in der Litteratur noch nicht dagewesen wäre, und teilte mir dieselbe mit. Darauf überreichte ich ihm ein Manuskript, welches ich vor acht Tagen geschrieben hatte, mit dem Bedeuten, daß er darin seine Idee der Hauptsache nach getreulich wiedergegeben finden würde. Schon seit dem vergangenen November beschäftigte dieser Gedanke mein Gehirn -- in das seinige geriet er aber erst vor acht Tagen, während ich das Schriftstück abfaßte. Da er seine Idee noch nicht zu Papier gebracht hatte, überließ er mir nun liebenswürdigerweise alle Rechte und Titel des Erfinders. Mich haben die spiritistischen Vorstellungen und Geisterkundgebungen, bei denen ich zugegen war, nie im geringsten überzeugen können, was jedoch nicht viel sagen will, da meine Erfahrungen auf diesem Felde nur oberflächlich sind. Daß aber der Geist eines noch -- im Fleisch wandelnden -- Menschen mit einem andern Menschengeist verkehren kann, selbst wenn beide durch große Entfernungen getrennt sind, glaube ich fest. Ja, es ist nicht einmal erforderlich, vorher auf künstliche Weise einen ›sympathetischen Zustand‹ zu erzeugen, durch welchen die Gedankentelegraphie vermittelt würde. Nach meiner Ueberzeugung findet die geistige Wechselwirkung überhaupt nur statt, wenn ein sympathetischer Zustand vorhanden ist; ich halte es aber nicht für unmöglich, daß bei ununterbrochenem sympathetischem Zustand auch der Gedankenverkehr ins Unbegrenzte fortgesetzt werden könnte. Wir alle haben es wohl schon erlebt, daß plötzlich eine Reihe von Gedanken und Empfindungen auf uns einstürmten, die wir ganz auf dieselbe Weise bereits in einem frühern Dasein durchgemacht zu haben glauben. Ein unheimliches Gefühl! -- Zwar ist ein früheres Dasein nicht unmöglich, aber dadurch wird dieses spukhafte Geheimnis keineswegs erklärt. Seine Erklärung liegt vielmehr darin, daß ein Fremder aus weiter Ferne uns seine Gedanken ins Bewußtsein telegraphiert, bis ein Gegenstrom oder irgend ein anderes Hindernis plötzlich die Verbindung unterbricht. Vielleicht scheint es uns etwas früher Erlebtes, weil es das schon Erlebte eines andern ist, das wir nur aus zweiter Hand übernehmen. Ob Herr Brown, der berühmte Gedankenleser, wirklich die Gedanken anderer liest, weiß ich nicht, -- aber _das_ weiß ich, daß _ich_ sie schon gelesen habe, und warum sollte es da Herr Brown nicht auch thun können! * * * * * Vorstehendes schrieb ich vor drei Jahren in Heidelberg und legte das Manuskript beiseite mit der Absicht, bei Gelegenheit neue Beispiele der Gedankentelegraphie, die mir vorkommen würden, hinzuzufügen. Inzwischen hat sich das ›Briefkreuzen‹ so unzähligemale wiederholt, daß es anfängt eintönig zu werden. Ich habe mir aber eine Lehre daraus gezogen: wenn ich jetzt die Lust verliere zu warten, ob es jemand, von dem ich gern Nachricht hätte, endlich gefällig sein wird zur Feder zu greifen, so zwinge ich ihn dazu, indem ich mich hinsetze und meinerseits an _ihn_ schreibe. Dann zerreiße ich meinen Brief in guter Ruhe; ihn abzuschicken ist unnötig, das _Schreiben_ allein genügt vollständig, um den säumigen Freund zum Entschluß zu bringen. Nachdem wir Heidelberg verlassen hatten, hielten wir uns eine Zeitlang in Venedig auf. Eines Tages fuhr ich in einer Gondel den großen Kanal hinab, als ich einen lauten Zuruf hinter mir hörte und mich umblickte; eine Gondel folgte der meinigen und der Gondelier machte heftige Zeichen, ich solle anhalten. Als das Boot herankam, erblickte ich darin eine amerikanische Dame, die sich seit längerer Zeit in Venedig aufhielt. »Sie müssen mir helfen,« sagte sie in großer Aufregung, als ihre Gondel neben der meinigen angelegt hatte. »Im Britannia-Hotel ist vor einer Woche ein Herr aus New York mit seiner Frau abgestiegen. Sie erwarteten Nachrichten von ihrem Sohn vorzufinden, von dem sie seit acht Monaten nichts gehört haben. Leider war ihre Hoffnung vergebens, die Dame liegt nun krank, sie ist in Verzweiflung und ihr Mann kann weder essen noch schlafen. Der Sohn ist vor acht Monaten in San Francisco angekommen und hat seine Ankunft den Eltern sofort brieflich angezeigt. Das ist die letzte Spur von ihm. Die Eltern sind inzwischen in Europa ruhelos von Ort zu Ort gezogen, die ganze Reise ist ihnen verdorben und sie haben Briefe nach allen Himmelsgegenden geschrieben in der Hoffnung, Nachrichten über das Verbleiben ihres Sohnes zu erhalten, dessen Schweigen noch immer unaufgeklärt ist. »Nun will der Herr es mit einem Kabeltelegramm versuchen. Er will nach San Francisco telegraphieren, hat sich aber bis jetzt noch nicht dazu entschließen können, aus Furcht vor was? -- ohne Zweifel aus Furcht, die Todesnachricht seines Sohnes zu erhalten. Er verlangt jetzt von mir, daß ich die Depesche abschicke, aber das _kann_ ich nicht, denn, wenn keine Rückantwort erfolgte -- es wäre der Tod der armen Mutter. In meiner Angst bin ich Ihnen nachgefahren. Sie müssen mir beistehen, den Mann zu überreden noch einige Wochen geduldig zu warten, der Aufschub ist vielleicht die Rettung seiner Frau. Kommen Sie, wir dürfen keine Zeit verlieren.« Ich that ihr den Willen, aber auf _meine_ Weise. Als ich dem Herrn vorgestellt war, sagte ich: »In dergleichen Dingen habe ich meinen besonderen Aberglauben, der aber wohl beachtet zu werden verdient. Wenn Sie sofort nach San Francisco telegraphieren, werden Sie binnen vierundzwanzig Stunden Nachricht erhalten, vielleicht nicht gerade von dort, aber jedenfalls irgendwoher. Telegraphieren Sie nur schnell, das ist alles was nötig ist. Die Nachricht wird in vierundzwanzig Stunden eintreffen, einerlei, ob Sie das Telegramm nach Peking schicken oder sonstwohin. Die Verzögerung ist nur dadurch entstanden, daß Sie Ihr Telegramm nicht sofort abgehen ließen, als Sie zuerst Neigung dazu verspürten.« Wie thöricht es auch erscheinen mag, der Mann ließ sich wahrhaftig von dem Unsinn beeinflussen; er erheiterte sich sichtlich, schickte die Depesche ab und als am nächsten Tage ein langer Brief von dem verlorenen Sohn ankam, war er mir so dankbar, als hätte mein Rat wirklich die Ankunft des Briefes beschleunigt. Der Sohn hatte von San Francisco aus eine Reise im Segelschiff angetreten und erst nach Monaten in dem ersten Hafen, den er berührte, Gelegenheit gefunden, den Eltern Nachricht zu geben. Dies Beispiel hat wenig Bedeutung und beweist nichts; _ich_ erwähne es nur um zu zeigen, wie sehr das ewige Briefkreuzen meinen Aberglauben inzwischen verstärkt hatte. Ich war so fest davon überzeugt, daß ein irgendwohin gerichtetes Kabeltelegramm sich mit den ersehnten Nachrichten kreuzen würde, daß meine Zuversicht sogar einen Hoffnungslosen aufzurichten und zu ermutigen vermochte. Ich lasse hier einige Beispiele von absoluter Gedankentelegraphie folgen: An einem Montagmorgen, als die Postsachen hereingebracht wurden, sagte ich, auf einen der Briefe deutend, zu meinem Freunde: »Ich will dir angeben, was dieser Brief enthält, ohne ihn zu öffnen. Er kommt von Frau X., welche schreibt, daß sie letzten Sonnabend in New York gewesen ist und die Absicht gehabt hat, mit dem Nachmittagszug einen Abstecher zu machen, um uns zu überraschen, im letzten Augenblick sich aber anders besonnen habe und nach Hause gefahren sei.« Alle Einzelheiten stimmten genau. Und doch hatten wir vorher nicht im mindesten daran gedacht, daß Frau X. nach New York kommen und beabsichtigen würde, uns zu besuchen. * * * * * Ich rauche ziemlich stark, ja -- ich gestehe es -- fast ohne Unterbrechung. Daher versuche ich seit sieben Jahren, eine Schachtel mit Streichhölzchen hinter einem Bild auf dem Kaminsims immer bereit zu haben. Leider blieb es aber bei dem Versuch, denn George, mein schwarzer Diener, der Feuer und Gas anzuzünden hat, brauchte dazu immer _meine_ Streichhölzchen, ohne daß ihm je einfiel, sie wieder an ihren Platz zu stellen. Sieben Jahre lang gingen Befehle und Bitten spurlos an ihm vorüber. Letzten Sommer nun kehrten wir nach einer mehrmonatlichen Abwesenheit nach Hause zurück und beim Eintreten sage ich zu einem Familiengliede: »Nach so langen Ferien und gänzlichem Mangel an Unterbrechungen -- --« »Ich kann den Satz für dich beenden,« fiel mein Hausgenosse ein. »Nun, so thue es,« antwortete ich. »Sollte doch George endlich gelernt haben, meine Streichhölzchen in Ruhe zu lassen!« [Illustration] Es stimmte ganz genau. Gerade das hatte ich sagen wollen. Und doch hatte ich seit drei Monaten nicht an George und die Streichhölzchen gedacht, auch gab der Anfang meines Satzes sicherlich nicht den geringsten Aufschluß über das, was folgen sollte. Dergleichen Vorkommnisse würden mich vor einigen Jahren noch in Erstaunen gesetzt haben, aber jetzt überraschen sie mich nicht mehr. Ich weiß ja nun, daß _ein_ Geist auf das innigste mit dem _andern_ verkehren kann, ohne das unbeholfene und beschwerliche Medium der Sprache. Unser Zeitalter scheint sich in Erfindungen beinahe erschöpft zu haben, aber _eine_ wichtige Frage bleibt ihm noch zu lösen: -- die Erfindung des Phrenophons, das heißt, einer Methode, nach welcher die Gedankenwechselwirkung mit Sicherheit geleitet und in ein System gebracht werden kann. Der Telegraph und das Telephon fangen an für unsere Bedürfnisse zu langsam und wortreich zu arbeiten. Uns genügt nur, daß der Gedanke selbst, aus beliebiger Entfernung, unmittelbar mit Blitzesschnelle in unser Gehirn verpflanzt wird; wenn wir ihn dann durchaus noch in Worte kleiden müssen, so kann ja dieses leidige Geschäft später mit Muße geschehen. Das gewisse Etwas, welches den Gedanken durch die Luft von Gehirn zu Gehirn leitet, ist ohne Zweifel eine zartere und empfindlichere Form der Elektrizität, und es handelt sich nur darum, auf welche Weise man sie binden und dienstbar machen kann, ähnlich wie dies mit dem elektrischen Strom geschehen ist. Vor Erfindung des Telegraphen hätte man alle mit diesem verwandten Wunder für unausführbar gehalten, eins so gut wie das andere. Ich möchte darauf wetten, daß, während ich diese Gedanken zu Papier bringe, irgend jemand auf der andern Hälfte der Erdkugel dasselbe schreibt. Ob aber _ich_ den Betreffenden anrege oder _er_ mich, läßt sich nicht bestimmen. Prinzenverehrung. Bei meinem Besuche des Bayreuther Theaters bemerkte ich mit Verwunderung, daß, während die Menge hereinströmte, jeder einzelne sich umwandte und begierig nach einer Art offenen Galerie hinblickte, auf welcher die fürstlichen Personen Platz genommen hatten. Viele von den Zuschauern schienen dabei förmlich vor Entzücken zu erstarren und konnten sich nicht wieder losreißen. Ob bei diesem Wohlgefallen an einem Prinzen Neid oder Verehrung vorherrscht, weiß ich nicht, jedenfalls ist es eine Mischung von beiden. Auch wird der Hunger und Durst nach dem Anblick eines Fürsten nicht durch einmalige Betrachtung gestillt, nein, er bleibt unwandelbar derselbe. Vielleicht erklärt sich diese Erscheinung aus der Freude, welche der Mensch an einem Wertgegenstand hat, den er gewinnt, ohne ihn zu erwerben. Der Thaler, den du zufällig findest, freut dich mehr als die neunundneunzig, die dir Mühe und Arbeit gekostet haben, und der Gewinn im Pharo oder an der Börse thut deinem Herzen ganz besonders wohl. -- Ein Prinz findet umsonst, schon in der Wiege, Macht, Ansehen, freie Zeit, unentgeltliche Verpflegung, aus reinem Zufall, weil er als Prinz geboren ist; deshalb schaut die kummervolle Armut und Niedrigkeit zu ihm auf, wie zu einer monumentalen Verkörperung des Glücks. Und dann -- o größter Vorzug -- kein anderes Glück auf Erden ist so fest gegründet wie das seine. Der Millionär kann über Nacht zum Bettler werden, der große Staatsmann einen Fehler begehen, man läßt ihn fallen und er wird vergessen. Der berühmte General kann eine entscheidende Schlacht verlieren und verliert dabei zugleich sein Ansehen bei den Menschen. Aber _bist_ du ein Prinz, so _bleibst_ du ein Prinz, das heißt ein Halbgott; weder Unglück noch Niederträchtigkeit, weder ein hohler Kopf noch sonstige Eseleien können dich deiner Hoheit entkleiden. In der Huldigung der Menschen, mag sie verdient sein oder unverdient, besteht nach einmütigem Beschluß aller Nationen und aller Zeiten das höchste Gut auf Erden; folglich ist die Stellung eines Prinzen die wünschenswerteste unter der Sonne. Natürlich sind in _unsern_ Augen Fürstlichkeiten nicht das, was sie dem Europäer gelten. Wir sind nicht dazu erzogen einen Prinzen zu vergöttern; es würde uns genügen, ihn _einmal_ recht gründlich anzuschauen, dann wäre unsere Neugier befriedigt; das nächstemal würden wir ihm schon gleichgültiger begegnen und trachten, einen neuen zu Gesicht zu bekommen. Nicht so der Europäer; ihm bleibt derselbe Prinz immer neu und interessant, er veraltet nie. * * * * * An einem häßlichen, nebligen, naßkalten Dezembertag vor achtzehn Jahren war ich einmal in London und begab mich in das Haus eines Engländers, um, wie verabredet, seiner Frau und der verheirateten Tochter einen Besuch abzustatten. Ich mußte eine halbe Stunde warten, dann kamen die Damen halb erfroren angegangen und erzählten, daß ein unerwarteter Umstand sie aufgehalten habe. Während sie am Marlborough House vorübergingen, sahen sie, wie sich eine Volksmenge versammelte, und man sagte ihnen, der Prinz von Wales sei im Begriff auszufahren; sie blieben also stehen und warteten. Nachdem sie eine halbe Stunde auf dem Bürgersteig gestanden hatten und vom Frost ganz erstarrt waren, erfuhren sie, daß der Prinz von Wales sich anders besonnen habe, und gingen betrübt nach Hause. Das überraschte mich sehr. »Ist es denn möglich,« fragte ich ganz erstaunt, »daß Sie alle die Jahre in London leben und den Prinzen von Wales noch nicht gesehen haben?« Aber siehe, nun war das Erstaunen auf _ihrer_ Seite. »Was für eine Idee!« riefen sie. »Natürlich haben wir ihn schon hundertmal gesehen!« Sie hatten ihn schon hundertmal gesehen und doch eine halbe Stunde in bitterer Kälte und Dunkelheit auf ihn gewartet, eingekeilt in einem Haufen ebensolcher Narren, um ihn _noch_ einmal zu sehen! -- Ich traute meinen Ohren kaum, aber was eine Engländerin sagt, muß man glauben, mag es noch so unwahrscheinlich klingen. Es wurde mir schwer eine passende Erwiderung zu finden, endlich verfiel ich auf folgende: »Mir ist das ganz unbegreiflich. Selbst wenn ich den General Grant _nie_ gesehen hätte, würde ich schwerlich solche Opfer bringen, um mir seinen Anblick zu verschaffen.« Die verständnislosen Gesichter der Damen verrieten mir, daß der Sinn des Vergleichs ihnen gänzlich dunkel war. Endlich sagten sie gelassen: »Das versteht sich von selbst -- er ist ja nur ein Präsident!« Es steht also unumstößlich fest, daß nur ein Prinz von unvergänglichem, unerschöpflichem Interesse ist. Der General, den kein Feind besiegt hat, der General, der nie einen Kriegsrat brauchte, der einzige General, der eine Schlachtlinie befehligte, welche ununterbrochen zwölfhundert Meilen lang war, der Schmied, der die getrennten Teile unserer Republik zusammengeschweißt hat und sie so fest gefügt, daß sie voraussichtlich alle Monarchieen der Welt überdauern wird -- der war in ihren Augen schließlich nur ein Mensch. Ihr Prinz dagegen war weit mehr, nämlich ein Wesen aus ganz anderm Stoff, hoch erhaben über dem gewöhnlichen Sterblichen, den er überstrahlt wie die ewigen Sterne am Firmament unsere armseligen Talglichter, welche qualmen und verlöschen, von denen nichts zurückbleibt, als ein Häufchen Asche und ein schlechter Geruch. [Illustration] Die 1000000 Pfund-Note. Mit siebenundzwanzig Jahren nahm ich in San Francisco eine Stellung auf dem Kontor eines Minenmaklers ein und hatte mir dabei eine gründliche Kenntnis dieses Geschäftszweiges erworben. Ich stand allein auf der Welt, nichts nannte ich mein eigen als meinen gesunden Verstand und einen fleckenlosen Ruf, und diese beiden Güter hatten sich mir bisher als kräftige Stützen auf meinem Wege zum Glück erwiesen, frohen Mutes schaute ich also in die Zukunft. Sonnabends hatte ich den Nachmittag für mich und brachte diese freie Zeit meist auf dem Wasser zu, indem ich mich in einem kleinen Segelboot in der Bucht herum tummelte. Eines Tages wagte ich mich zu weit hinaus und wurde in die offene See getrieben. Schon brach die Nacht herein, meine letzte Hoffnung begann zu schwinden, da nahm mich eine kleine Brigg, die auf ihrem Weg nach London vorüber segelte, an Bord. Sie hatte eine lange, stürmische Fahrt, und ich mußte das Reisegeld als gemeiner Matrose abdienen. In zerlumpten, abgeschabten Kleidern stieg ich in London ans Land, einen einzigen Dollar in der Tasche. Dafür verschaffte ich mir Nahrung und Obdach für die ersten vierundzwanzig Stunden. Die folgenden vierundzwanzig dagegen verbrachte ich ohne diese schätzenswerten irdischen Güter. Am folgenden Morgen schleppte ich mich, müde und hungrig, -- es mochte etwa zehn Uhr sein -- an Portland-Place vorüber, als ein Kind, das an der Hand seiner Wärterin des Weges kam, eine köstliche große Birne, die es eben erst angebissen hatte, in den Rinnstein fallen ließ. Ich machte natürlich sofort Halt und heftete meinen begehrlichen Blick auf diesen schmutztriefenden Schatz. Der Mund wässerte mir, mein Magen bäumte sich, jede Faser an mir lechzte darnach. Aber so oft ich Miene machte nach der Birne zu greifen, bemerkte jedesmal das Auge eines Vorübergehenden mein Vorhaben; natürlich richtete ich mich dann stets wieder kerzengerade auf und nahm eine gleichgiltige Miene an, als hätte ich überhaupt niemals im entferntesten an diese Birne gedacht. So ging es immer und immer wieder, und ich konnte ihrer nicht habhaft werden. Meine Verzweiflung hatte bereits einen solchen Grad erreicht, daß ich allem Schamgefühl zum Trotz im Begriffe war, die Birne aufzuheben. Da ging hinter mir ein Fenster auf und ein Herr richtete die Worte an mich: »Bitte, kommen Sie hier herein.« [Illustration] Ein reich galonnierter Lakai ließ mich ein und führte mich in ein kostbar eingerichtetes Zimmer, in welchem zwei ältliche Herren saßen. Nachdem sie den Diener weggeschickt, forderten sie mich auf, Platz zu nehmen. Sie waren eben erst mit ihrem Frühstück fertig geworden, und der Anblick seiner Ueberreste ging fast über meine Kräfte. Ich vermochte kaum meine fünf Sinne zusammenzuhalten, während ich diese Herrlichkeiten da vor mir stehen sah; da man mich jedoch nicht aufforderte, davon zu kosten, so mußte ich mich in meine Lage fügen so gut es ging. Der Vorgang, der sich hier kurz zuvor abgespielt hatte, blieb mir selbst zwar noch geraume Zeit völlig unbekannt, dem Leser dagegen will ich ihn gleich jetzt mitteilen. Die beiden Brüder hatten am Tage vorher einen ziemlich heftigen Disput gehabt, den sie ganz nach Landessitte schließlich in Form einer Wette beilegten. Die Bank von England hatte seinerzeit einmal bei Gelegenheit eines Geschäftes, das die Regierung mit einer auswärtigen Macht abschloß, eigens nur zu diesem Zwecke zwei Noten von je einer Million Pfund Sterling ausgegeben. Aus irgend einem Grunde war nur die eine der beiden Noten hiebei gebraucht und dann entwertet worden, während die andere noch in den Gewölben der Bank lag. Nun waren die beiden Brüder im Laufe des Gesprächs ganz zufällig auf die Erörterung der Frage gekommen: wie es wohl einem durchaus ehrlichen und gescheiten Fremden ergehen würde, der in London auftauchte, ohne dort einen Menschen zu kennen, zugleich ohne allen weiteren Geldbesitz außer dieser Millionenbanknote und endlich ohne die Möglichkeit, sich über deren Erwerb auszuweisen? Bruder A. behauptete, der Betreffende müsse einfach Hungers sterben, während Bruder B. durchaus entgegengesetzter Meinung war. Bruder A. machte geltend, der Besitzer der Note könnte ja die Note weder bei der Bank noch sonst wo anbringen, ohne auf der Stelle festgenommen zu werden. In dieser Weise stritten sie so lange hin und her, bis Bruder B. sich schließlich bereit erklärte, zwanzigtausend Pfund darauf zu wetten, daß der Fremde dreißig Tage lang _unfehlbar_ von der Millionennote leben könne und zwar ohne ins Gefängnis zu kommen. Bruder A. nahm die Wette an, worauf Bruder B. sich ohne Verzug nach der Bank begab und die Note kaufte. Echt englisch, wie man sieht: geradeswegs forsch aufs Ziel los! Er ließ sodann von einem seiner Angestellten einen Brief in schöner Rundschrift dazu ausfertigen, und nun warteten die beiden Brüder am Fenster einen ganzen Tag lang auf einen Vorübergehenden, der darnach aussähe, als käme bei ihm das inhaltschwere Schriftstück in die richtigen Hände. Es kamen viele ehrliche Gesichter vorüber, die aber nicht gescheit genug aussahen; ebensoviele, bei denen das Umgekehrte der Fall war, viele wiederum, bei denen beides zutraf; aber diese waren dann entweder nicht arm genug oder, wenn auch dieses stimmte, doch keine Fremden. Stets hatte die Sache irgend einen Haken, bis ich auftauchte. Bei mir hatten beide sofort den Eindruck, daß sämtliche Erfordernisse in vollem Umfang erfüllt seien; die Wahl war demnach einstimmig auf mich gefallen, und da saß ich nun und harrte der Eröffnung, wozu man mich eigentlich hereingerufen habe. Zuvörderst hatte ich ein eingehendes Examen über meine persönlichen Verhältnisse zu bestehen, infolgedessen sie bald genug mit meiner ganzen Geschichte bekannt waren; das Ergebnis war: ich sei ganz der richtige Mann für ihr Vorhaben. Ich erwiderte, das sei mir höchst erfreulich, ich bäte nur, mir sagen zu wollen, worin dieses bestehe. Hierauf behändigte mir der eine der Beiden einen verschlossenen Briefumschlag mit dem Bemerken, darin sei die Erklärung enthalten. Ich wollte den Umschlag ohne weiteres öffnen, allein er ließ dies nicht zu; ich solle denselben nur mit nach Hause nehmen, den Inhalt aufmerksam ansehen und dann mit vollem Bedacht und ruhiger Ueberlegung handeln. Einigermaßen verdutzt meinte ich, es wäre mir doch lieber, wenn die Sache etwas genauer erörtert werden könnte, sie ließen sich jedoch nicht darauf ein; so verabschiedete ich mich denn, tief gekränkt über den schlechten Scherz, den man sich offenbar mit mir erlaubt hatte, und voll Grimm über meine dermalige Lage, in der ich mir diesen Schimpf von so reichen und mächtigen Leuten ganz ruhig mußte gefallen lassen. Die Birne hätte ich jetzt unfehlbar aufgehoben und vor aller Welt verzehrt, aber sie war nicht mehr da. Also auch um sie hatte mich die unselige Geschichte gebracht! Diese Vorstellung war nicht dazu angethan, mich den beiden alten Herren gegenüber sanfter zu stimmen. Sobald ich aus der Sehweite des Hauses war, öffnete ich den Umschlag. Ich erblickte eine Banknote! Nun erschienen mir die Herren natürlich auf einmal in ganz anderem Lichte. Ohne mich einen Augenblick zu besinnen, schob ich den Brief samt dem Geld in die Westentasche und lief spornstreichs nach der nächsten billigen Speisewirtschaft. Nun, wie ich da einhieb, das mußte man sehen! Als schließlich nichts mehr in mich hineinging, nahm ich die Note aus der Tasche und faltete sie auseinander. Beim ersten Blick darauf wäre ich beinahe in Ohnmacht gefallen. Fünf Millionen Dollars!! Mir wirbelte der Kopf bei der bloßen Vorstellung. Eine volle Minute dauerte es, bis ich aus der Betäubung, in welche mich der Anblick der Note versetzte, heraus und wieder ordentlich zu mir kam. Das erste, was mir nun ins Auge fiel, war der Wirt. Wie versteinert stand er da, starr den Blick auf die Banknote gerichtet. Es sah aus, als sei er vor lauter Verzückung nicht mehr imstande ein Glied zu rühren. Augenblicklich hatte ich den Entschluß gefaßt, der bei dieser Sachlage der einzig vernünftige war. Ich streckte ihm die Note hin und sagte dabei in ganz unbefangenem Tone: »Bitte, wollen Sie mir herausgeben.« Diese Anrede gab ihm sein geistiges Gleichgewicht wieder. Er erschöpfte sich in Entschuldigungen, daß er nicht imstande sei die Note zu wechseln, und wollte sie um keinen Preis annehmen. Nur anschauen wollte er sie, immer wieder anschauen; es war, als könnte er sich nicht satt daran sehen; vor ihrer Berührung dagegen scheute er zurück, als wäre es ein geweihter Gegenstand, viel zu heilig für die Hände eines Sterblichen. [Illustration] »Es thut mir leid, wenn ich Ihnen Mühe mache,« begann ich wieder, »allein ich muß darauf beharren, daß Sie mir auf die Note herausgeben, ich habe kein Geld sonst.« Das mache ganz und gar nichts, versetzte er, er lasse diese unbedeutende Zeche ganz gern bis zum nächstenmal stehen. Ich erwiderte, es könne lange dauern, bis ich wieder bei ihm vorbei komme; allein er versicherte abermals, das habe nichts auf sich, er könne wohl warten, ich könne überhaupt zu jeder Zeit bei ihm haben was ich wolle und den Betrag dafür stehen lassen, so lange es mir beliebe. Ich werde doch nicht von ihm glauben, daß er einem so reichen Herrn wie ich, bloß deshalb kein Vertrauen schenke, weil ich ein lustiger Kauz sei, der zum Ulk gerne in geringer Kleidung unter die Leute gehe. Unterdessen hatten sich weitere Gäste eingefunden; auch jetzt gab er mir noch durch Zeichen zu verstehen, ich solle das Ungetüm doch nur wieder einstecken; und als ich fortging, machte er einen Bückling um den andern hinter mir drein bis zur Thür. Ich machte mich schnurstracks wieder auf den Weg nach der Wohnung des Brüderpaars, um die Leutchen von der vorgekommenen Verwechslung in Kenntnis zu setzen, ehe ich durch polizeiliche Nachforschungen hiezu veranlaßt würde. Es war mir gar nicht recht wohl bei der Sache, ja, ich hatte eigentlich ganz gehörig Angst, obwohl mich natürlich durchaus keine Schuld traf. Aber ich kannte die Welt und wußte nur zu wohl, daß, wenn jemand aus Versehen einem Bettler statt einer Einpfundnote eine Millionenbanknote giebt, er unfehlbar in eine gräßliche Wut auf den armen Teufel gerät, anstatt sich für seine Kurzsichtigkeit nach Gebühr an der eigenen Nase zu fassen. Als ich in die Nähe des Hauses kam, begann sich meine Aufregung etwas zu legen, denn da war alles still und ruhig. -- Offenbar war der Streich noch nicht entdeckt worden. Ich klingelte. Derselbe Bediente wie das erstemal erschien wieder. Ich fragte nach den beiden Herrn. »Sie sind fort,« erwiderte er in dem hochmütigen, kalten Ton, den seinesgleichen meist an sich haben. »Fort? Wohin?« »Verreist.« »In welcher Richtung?« »Wahrscheinlich nach dem Kontinent.« »Dem Kontinent?« »Jawohl.« »Welchen Weg haben sie eingeschlagen?« »Kann ich nicht sagen.« »Wann kommen sie denn zurück?« »In einem Monat, wie sie sagten.« »In einem Monat! Ach, das ist ja schrecklich! Geben Sie mir doch nur irgend einen noch so entfernten Anhaltspunkt, wie ich ihnen ein Wort zukommen lassen kann. Es ist von der allerhöchsten Wichtigkeit.« »Kann ich wirklich nicht. Ich habe keine Ahnung, wohin sie gereist sind.« »Dann muß ich irgend ein Angehöriges der Familie sprechen.« »Die Familie ist ebenfalls fort, auf Reisen schon seit Monaten -- in Aegypten, Indien, glaube ich.« »Mann, es ist ein ungeheures Versehen vorgekommen. Noch vor Nacht kommen die Herren gewiß zurück. Wollen Sie ihnen dann sagen, ich sei dagewesen und werde so lange immer wieder kommen, bis die Sache in Ordnung sei. Sie dürften also ganz unbesorgt sein.« »Ich will es ihnen sagen, falls sie zurückkommen, aber ich erwarte sie nicht zurück. Die Herren sagten, daß Sie schon in einer Stunde wieder erscheinen würden, um nachzufragen. Ich solle Ihnen aber nur sagen, es sei alles in Ordnung, sie würden schon zur rechten Zeit zurück sein und Sie erwarten.« Nun mußte ich mein Vorhaben freilich aufgeben und wieder fortgehen. -- Dieses unergründliche Rätsel! Mir war, als müßte ich den Verstand darüber verlieren. Sie würden »zu rechter Zeit zurück sein.« Was konnte das zu bedeuten haben? O, in dem Briefe würde ich vielleicht Aufklärung darüber finden. Den hatte ich ganz vergessen. Ich zog ihn aus der Tasche und las ihn durch. Er lautete: »Gescheit und ehrlich sind Sie, das sieht man Ihnen am Gesichte an. Wie wir weiter annehmen dürfen, sind Sie außerdem mittellos und fremd. Inliegend finden Sie einen Geldbetrag, der zu einem unverzinslichen Darlehen für Sie auf die Dauer von dreißig Tagen bestimmt ist. Nach Verlauf dieser Zeit sprechen Sie wieder hier vor. Ich habe eine Wette auf Sie gemacht. Gewinne ich sie, so sollen Sie jede beliebige Stellung erhalten, die ich zu vergeben habe -- d. h. vorausgesetzt natürlich, das solche Ihrer bisherigen Thätigkeit entspricht und daß Sie die Fähigkeit besitzen, sie auszufüllen.« -- Keine Unterschrift, keine Adresse, kein Datum. -- Nun, da steckte ich in einer netten Klemme. Der Leser kennt ja die Vorgeschichte des Falles, ich selbst dagegen hatte keine Ahnung davon. Für mich war das Ganze lediglich ein unergründliches, dunkles Rätsel. Ich hatte nicht die entfernteste Vorstellung, um was es sich bei der Sache handelte und ob es dabei gut oder schlecht mit mir gemeint war. In einer öffentlichen Anlage ließ ich mich auf einer Bank nieder, um hier die Sache gründlich zu überdenken und mich über mein ferneres Verhalten schlüssig zu machen. [Illustration] Nach Verlauf einer Stunde hatte bei mir an der Hand meiner Erwägungen die folgende Auffassung endgiltige Gestalt gewonnen: Ob es die beiden Herren gut mit mir meinen oder schlecht, ist eine Frage, die ich nicht zu ergründen vermag, -- also: ruhig zusehen. Es handelt sich dabei um einen Scherz, eine Idee oder ein Experiment irgend welcher Art, worüber ich ebensowenig ins klare kommen kann, -- also wiederum ruhig zusehen. Man ist auf mich eine Wette eingegangen, deren Gegenstand ich unmöglich zu erraten imstande bin -- also abermals ruhig zusehen. Damit wären die unfaßbaren Größen abgethan; die übrigen in Betracht kommenden Faktoren sind dagegen sämtlich greifbarer, reeller Art und lassen sich ganz genau zum voraus bestimmen und berechnen. Wenn ich bei der Bank von England darum nachsuche, die Note dem Eigentümer auf Rechnung zu stellen, so wird man allerdings meinem Antrage nachkommen, denn dort kennt man ja seinen Namen, wenn auch ich ihn nicht weiß; aber dann wird man mich weiter fragen, wie ich in den Besitz der Note komme? Sage ich die Wahrheit, so sperrt man mich selbstredend in ein Irrenhaus, lüge ich dagegen, so erhalte ich Quartier in Numero Sicher. Genau ebenso würde es mir ergehen, falls ich versuchen wollte, die Note irgendwo sonst einzulösen oder Geld darauf aufzunehmen. Ich _muß_ diese unerträgliche Last mit mir herumschleppen, bis jene Herren zurückkommen, ob ich will, oder nicht. Sie ist ohne allen Wert für mich, so wertlos wie eine Hand voll Asche, und doch muß ich sie aufs sorgfältigste behüten und bewahren, während ich dabei auf fremde Mildthätigkeit angewiesen bin, um mein Leben zu fristen. Nicht einmal verschenken könnte ich die Note, wenn ich wollte; denn kein ehrlicher Bürger, ja selbst nicht der gemeinste Straßenräuber würde sie annehmen oder das geringste damit zu thun haben wollen. Das Bruderpaar ist in jedem Falle vollkommen gedeckt, -- selbst wenn ich die Note verliere oder verbrenne; denn im ersten Falle brauchen sie nur Zahlungssperre zu veranlassen, im zweiten dagegen ersetzt ihnen die Bank den vollen Wert. Ich dagegen muß inzwischen einen ganzen Monat voll unerhörter Qualen durchmachen, ohne im geringsten Entgelt oder Lohn dafür zu erhalten, -- wofern ich nicht jene Wette gewinnen helfe, sie mag sich nun beziehen worauf sie wolle, und dafür die mir zugesagte Stellung erhalte. Ja freilich, wenn ich _die_ bekäme! -- So große Herren haben oft Pöstchen zu vergeben, nach denen man sich die Finger leckt. Von dem Gedanken an diesen Posten konnte ich mich nun nicht mehr losreißen. Ich begann, mich mit hochfliegenden Hoffnungen zu tragen. Zweifelsohne war ein glänzender Gehalt damit verbunden, der mit nächstem Monat beginnen mußte, und damit war ich ja dann wieder völlig flott. Diese frohen Aussichten versetzten mich rasch in eine sehr gehobene Stimmung, obwohl ich vorläufig noch immer ziellos in den Straßen umherirrte. Als ich an einem Kleiderladen vorbei kam, erfaßte mich das sehnlichste Verlangen, meine Lumpen abzuwerfen und mich wieder einmal anständig zu kleiden. Konnte ich mir das leisten? Nein, denn ich besaß wohl eine Millionenpfundnote, aber sonst nichts auf der Welt. So zwang ich mich denn, an dem Laden vorüberzugehen. Aber bald stand ich wieder davor. Die Versuchung war zu grausam; gewiß sechsmal ging ich bis an den Laden hin und wieder fort, während ich heldenmütig gegen sie ankämpfte. Aber schließlich gab ich mich überwunden -- ich konnte nicht anders. Ich fragte nach einem verschnittenen Anzug, der ihnen vielleicht liegen geblieben sei. Der Bedienstete, an den ich mich gewendet hatte, nickte nur stumm einem andern zu. Als ich auf diesen zuging, wies er mich in gleicher Weise an einen dritten, der mir nun zurief: »Werde Sie sogleich bedienen!« Ich wartete, bis er mit seinem augenblicklichen Geschäfte fertig war, dann führte er mich in ein Hinterzimmer, wo er aus einem ganzen Haufen verschnittener Anzüge den schlechtesten für mich heraussuchte. Ich zog ihn an. Er paßte nicht, war auch durchaus nicht hübsch, dagegen war er völlig neu und somit für mich höchst begehrenswert. Ich hatte also nichts daran auszusetzen und bemerkte in etwas unsicherem Tone: »Es wäre mir sehr erwünscht, wenn Sie einige Tage auf den Betrag warten könnten. Ich habe kein kleines Geld bei mir.« Der Kerl nahm eine unverschämt spöttische Miene an und erwiderte: »Ach, wirklich! Nun, das habe ich mir gleich gedacht. Herren wie Sie, haben gewöhnlich nur große Scheine in der Tasche.« Aergerlich über diese Unverschämtheit versetzte ich: »Lieber Freund, Sie müssen jemand, den Sie nicht kennen, nicht immer nach den Kleidern beurteilen, die er trägt; ich bin wirklich ganz wohl imstande, den Anzug zu bezahlen. Ich wollte Ihnen nur die Mühe ersparen, eine große Note zu wechseln.« Darauf milderte er seinen Ton ein wenig und erwiderte, immer noch ziemlich von oben herab: »Ich wollte Ihnen ja nicht zu nahe treten; aber wenn wir uns denn doch einmal gegenseitig die Wahrheit sagen, so finde ich es nicht gerade am Platze, daß Sie sich daran zu zweifeln erlauben, ob wir auf eine Banknote, die Sie bei sich tragen, auch herausgeben können. Wir geben auf _jede_ heraus.« »O, das ist etwas anderes; dann bitte ich um Vergebung,« erwiderte ich und reichte ihm die Note hinüber. Mit einem Lächeln nahm er sie entgegen, mit jener Art von Lächeln, die das ganze Gesicht mit einem System von Falten, Runzeln und Schlangenlinien überzieht, wie die Ringe auf einer Wasserfläche, wenn man einen Stein hineingeworfen hat. Als er aber den Blick auf die Note gleiten ließ, wurde dieses Lächeln plötzlich zu Stein und nahm eine graugelbe Farbe an, so daß es aussah, wie die Lavastücke, die man zu wellenförmig gewundenen Gebilden erstarrt an den Abhängen des Vesuv findet. Das war das erstemal in meinem Leben, daß vor meinen Augen ein Lächeln so vollkommen unverändert stehen blieb. Immer noch stand der Mensch, die Note in der Hand, mit demselben Ausdruck da, bis endlich der Prinzipal herbeigeeilt kam, um zu sehen, was denn sei. »Nun, was giebt's?« fragte er, »was ist los? wo fehlt's?« »Es giebt gar nichts,« versetzte ich, »ich warte nur auf mein Kleingeld.« »So geben Sie ihm doch heraus, White, frisch vorwärts!« »Herausgeben!« rief der Commis, der nun auch wieder zum Leben erwachte, »das ist leicht gesagt; sehen Sie nur erst die Note einmal an!« Der Prinzipal warf einen Blick darauf, dann pfiff er in vielsagender Weise halblaut durch die Zähne und machte sich über den Haufen verschnittener Anzüge her, indem er sie fortwährend von einer Seite zur andern warf. Dabei machte er seiner Aufregung durch folgendes Selbstgespräch Luft: »Einem exzentrischen Millionär einen solch unsagbar scheußlichen Anzug zu verkaufen! White ist ein Narr, ein geborener Narr. Immerfort macht er solche Streiche. So oft ein Millionär in den Laden kommt, treibt er ihn mir wieder hinaus, weil er es in seinem ganzen Leben noch nicht so weit gebracht hat, daß er einen Millionär von einem Bettler zu unterscheiden imstande ist. So, da hab' ich, was ich suchte,« wandte er sich nun an mich. »Bitte, legen Sie doch das Zeug da wieder ab und werfen Sie es ins Feuer. Thun Sie mir den Gefallen und ziehen Sie dafür dieses Hemd an und diesen Anzug hier. Das ist das einzig Richtige, das einzig Wahre -- einfach und doch reich, wahrhaft fürstlich und doch nicht im mindesten auffallend. Wurde für eine ausländische Fürstlichkeit eigens angefertigt; der Besteller konnte es aber nicht brauchen und mußte einen Traueranzug dagegen nehmen, weil man meinte, seine Mutter liege im Sterben -- und dann starb sie nicht. Aber das ist Nebensache, es geht eben nicht immer wie wir eh, eh -- das heißt wie man -- Da! die Hosen sind ganz recht, sitzen Ihnen wunderbar. Jetzt die Weste. Aha, ebenfalls vorzüglich! Jetzt den Rock! -- Guter Gott, schauen Sie nur her, großartig, unübertrefflich! das Vollkommenste, was je aus meinem Geschäfte hervorgegangen ist.« [Illustration] Ich konnte nicht umhin, meiner Befriedigung Ausdruck zu geben. »O gewiß, gewiß. Für einen fertigen Anzug paßt er ja ganz gut, das muß ich selber sagen. Aber warten Sie nur, was wir Ihnen erst nach Maß liefern werden. Vorwärts, White, Buch und Feder, aber rasch!« Dann fing er an: »Beinlänge 32,« und so fort. Ehe ich eine Silbe dagegen vorzubringen vermochte, hatte er mir das Maß zu Gesellschaftsanzügen, Morgenanzügen und allem möglichen sonst genommen. Als ich endlich zu Worte kommen konnte, sagte ich: »Aber, mein werter Herr, ich kann das alles _unmöglich_ bestellen, wenn Sie nicht mit der Bezahlung auf unbestimmte Zeit warten oder die Note wechseln können.« »Auf unbestimmte Zeit! Das will ja gar nichts heißen, gar nichts. In alle Ewigkeit -- so müssen Sie sagen. White, lassen Sie die Sachen schleunigst anfertigen und dem Herrn dann unverzüglich in die Wohnung schicken. Die kleineren Kunden mögen warten. Notieren Sie die Adresse des Herrn.« »Ich bin eben im Umzug begriffen; ich komme dann wieder herüber und gebe Ihnen meine neue Adresse,« warf ich ein. »Ganz schön, ganz schön. Nur einen Augenblick, bitte, dann werde ich Sie zur Thür geleiten. So, hier -- habe die Ehre, mich Ihnen bestens zu empfehlen!« Nun, so mußte es ja wohl kommen, nicht wahr? Auf dem allernatürlichsten Wege war ich bald dahin gelangt, daß ich überall einfach verlangte, was ich haben wollte und dann beim Bezahlen mit meiner Millionennote vorrückte. Noch bevor eine Woche um war, wohnte ich kostbar eingerichtet im größten Luxus und von aller Bequemlichkeit umgeben in einem teuren Privathotel in Hanover Square. Hier nahm ich auch das Diner ein, zum Frühstück dagegen suchte ich regelmäßig die kleine Speisewirtschaft auf, in der mir meine Millionennote zu meinem ersten Mahl verholfen hatte. Die Wirtschaft gelangte durch mich zu ungeahnter Blüte. Allenthalben sprach man davon, daß der fremde Kauz, der die Millionen nur in der Westentasche herumtrage, ihr seine Gönnerschaft zuwende. Dies genügte, um aus dem armseligen, elenden Ding, das mit Mühe sein Dasein fristete, ein berühmtes, stets überfülltes Lokal zu machen. In seiner Dankbarkeit drängte mir der Wirt ein Darlehen nach dem andern auf und ließ schlechterdings keine Weigerung gelten, so daß ich trotz meiner Bettelarmut im Gelde schwamm und ein wahres Herrenleben führte. Dabei sagte ich mir wohl, daß ich einem unvermeidlichen Krach entgegengehe; aber nun war es einmal so weit gekommen und jetzt hieß es, mit dem Strome schwimmen oder untergehen. Man sieht, ohne dieses Vorgefühl eines drohenden Unheils würde meine Lage einfach lächerlich erschienen sein; aber so erhielt sie dadurch eine sehr ernste, nüchterne Seite, ja geradezu einen tragischen Zug. Nachts im Finstern drängte sich dieses Gefühl besonders in den Vordergrund, warnend und drohend, so daß ich mich seufzend auf meinem Lager herumwarf, und nur mit Mühe Schlaf finden konnte. Aber im frohen Schimmer des Tageslichts war dieser tragische Zug immer sehr bald wieder verflogen und dann schwebte ich in höheren Regionen und wiegte mich in einem wahren Taumel, in einem förmlichen Rausche des Glücks. Und das war auch ganz natürlich. War ich doch zu einer der Merkwürdigkeiten der größten Stadt der Welt geworden. Das war mir denn zu Kopfe gestiegen, und zwar nicht etwa nur so ein klein wenig, sondern ganz gehörig. Keine Zeitung im ganzen Vereinigten Königreich konnte man mehr zur Hand nehmen, ohne auf einen oder mehrere Artikel über den ›Mann mit der Million in der Westentasche‹ und auf Berichte über das Neueste, was er gesagt und gethan, zu stoßen. Zuerst waren diese Notizen am Fuße der Personalnachrichten erschienen, bald aber kam ich über die Ritter, dann über die Baronets und so immer höher hinauf, je berühmter ich wurde, bis ich schließlich den höchsten für mich möglichen Ehrenplatz einnahm, auf dem mir nur noch Prinzen von königlichem Geblüt und der Primas von ganz England vorgingen. Aber, wohl gemerkt, das war noch kein wahrer Ruhm, was ich bis jetzt besaß, nur Berühmtheit; da kam ein Knalleffekt, der mit einem Schlage das vergängliche Blech der Berühmtheit in das gediegene Gold des Ruhmes verwandelte: im ›Punch‹ erschien eine Karikatur von mir. Ja, jetzt war ich ein gemachter Mann; jetzt war mir mein Rang gesichert. Witze durfte man nun wohl noch über mich machen, aber nur ganz respektvolle, keine spöttischen oder rohen mehr. Man konnte über mich lächeln; auslachen dagegen durfte man mich nicht mehr. Diese Zeiten waren vorüber. Der ›Punch‹ bildete mich ab wie ich ganz in Lumpen gehüllt mit einem wohlgenährten Protzen um den Londoner Tower würfelte. Nun, man kann sich einbilden, wie das auf einen jungen Menschen wirken mußte, um den sich bisher kein Mensch gekümmert hatte, wenn er sah, daß er kein Wort mehr sagen konnte, ohne daß es aufgeschnappt und von allen Lippen wiederholt wurde; wenn er überall, wo er sich sehen ließ, die Bemerkungen von Mund zu Mund fliegen hörte: »da geht er«; »das ist er«; wenn er sein Frühstück nicht einnehmen konnte, ohne dabei von einer gaffenden Zuschauermenge umlagert zu werden und sich in keiner Opernloge zeigen durfte, ohne augenblicklich einem Kreuzfeuer von tausend Gläsern ausgesetzt zu sein. Kurz und gut -- ich schaukelte mich den ganzen Tag auf einem wahren Ozean von Ruhm. Ich hatte sogar meinen zerlumpten Anzug behalten und ging ab und zu darin aus, um das Vergnügen wieder einmal durchzukosten, mich beim Einkauf irgend einer Kleinigkeit beleidigen zu lassen und dann den Unverschämten mit meiner Millionennote niederzuschmettern. Aber lange konnte ich das nicht fortführen. Aus den illustrierten Zeitungen war meine Erscheinung so allgemein bekannt, daß ich mich in diesem Aufzuge stets augenblicklich erkannt und von einer Menschenmenge verfolgt sah; und sobald ich Miene machte, etwas kaufen zu wollen, bot mir der Geschäftsinhaber seinen ganzen Laden auf Kredit an, noch ehe ich dazu kommen konnte, meine Note auf ihn los zu lassen. Etwa zehn Tage, nachdem ich zu dieser Berühmtheit gelangt war, dachte ich daran, meiner patriotischen Pflicht nachzukommen, indem ich dem amerikanischen Gesandten meine Aufwartung machte. Er empfing mich mit dem meinem Falle angemessenen Entzücken, machte mir Vorwürfe, daß ich die Erfüllung dieser meiner Pflicht so lange habe anstehen lassen und erklärte mir, nur dadurch könne ich mir seine Vergebung erkaufen, daß ich bei einer am Abend in seinem Hause stattfindenden Gesellschaft den Platz eines durch Krankheit verhinderten Gastes einnehme. Ich sagte zu, und wir kamen allmählich tiefer ins Gespräch. Dabei stellte sich heraus, daß er mit meinem Vater auf einer Schulbank gesessen und später zusammen mit demselben im Yale College studiert und bis zu meines Vaters Tode Freundschaft mit ihm unterhalten hatte. So lud er mich denn ein, jede freie Stunde in seinem Hause zu verbringen, was ich natürlich mit Freuden annahm. Genauer gesagt war mir das mehr als angenehm, es war mir vom höchsten Werte. Bei Eintritt des Krachs war er doch vielleicht imstande, mich vor gänzlichem Untergang zu bewahren. Ich konnte mir zwar nicht recht vorstellen, wie das zugehen sollte; allein ich dachte, er würde vielleicht schon einen Weg dazu finden. Für eine Generalbeichte, die ich ihm zu Anfang meines entsetzlichen hiesigen Daseins ohne weiteres abgelegt haben würde, war es bereits zu spät. Nein, das konnte ich nicht mehr riskieren, ich steckte schon zu tief drinnen; das heißt wenigstens so tief, daß es nicht geraten schien, einem Bekannten so neuen Datums genauere Mitteilungen darüber zu machen, wenn sich auch in meinen eigenen Augen die Sache noch nicht so hoffnungslos ausnahm. Denn bei meiner ganzen Borgwirtschaft hielt ich mich höchst sorgfältig innerhalb der Grenzen meiner Mittel -- das heißt meines zukünftigen Gehaltes. Bestimmt _wissen_ konnte ich ja natürlich nicht, wieviel derselbe betragen würde, aber eine genügende Grundlage für dessen annähernde Schätzung war doch dadurch gegeben, daß mir der alte Herr die freie Wahl unter sämtlichen Stellungen lassen wollte, die er zu vergeben hätte, vorausgesetzt, daß ich dazu befähigt wäre -- und das war doch sicher der Fall, darüber hegte ich keinen Zweifel. Die Wette machte mir auch weiter keine Sorge; in _dem_ Punkte hatte ich stets Glück gehabt. Nun, ich schätzte also meinen Gehalt auf sechshundert bis tausend Pfund im Jahre; sagen wir sechshundert fürs erste Jahr und dann so Jahr für Jahr mehr, bis ich es durch meine Leistungen auf tausend gebracht hätte. Meine Schulden erreichten bis jetzt nur die Höhe meines ersten Jahresgehalts. Von allen Seiten hatte man mir Geld angeboten, allein ich hatte diese Darlehen meist unter irgend einem Vorwand zurückgewiesen; so beliefen sich meine daher stammenden Schulden auf nicht mehr als dreihundert Pfund, während ich die andern dreihundert zur Bestreitung meines Unterhalts und zu Einkäufen gebraucht hatte. Mit dem Gehalt des zweiten Jahres hoffte ich nun bei der nötigen Vorsicht und Sparsamkeit vollends bis zum Ende des Monats zu reichen, und daran wollte ich es gewiß nicht fehlen lassen. War dann mein Monat erst herum und mein Gönner von der Reise zurück, dann war ja alles wieder im schönsten Geleise; dann gedachte ich, einfach Anweisungen auf die beiden ersten Jahresgehalte unter meine Gläubiger zu verteilen und mich tüchtig an die Arbeit zu machen. Es war eine sehr angenehme Tischgesellschaft von vierzehn Personen: Herzog und Herzogin von S. mit Tochter, Earl und Counteß N., Viscount C., Lord und Lady G., einige Menschenkinder beiderlei Geschlechts ohne Rang und Titel, der Gesandte nebst Gemahlin und Tochter, sowie eine zu Besuch bei der letzteren befindliche junge Engländerin von zweiundzwanzig Jahren, Namens Portia Langham, in welche ich mich im Lauf von zwei Minuten bereits verliebt hatte, ebenso wie sie sich in mich -- was ich bemerken konnte, ohne eine Brille dazu nötig zu haben. Dann war noch ein Gast da, ein Amerikaner. -- Doch, ich eile meiner Erzählung etwas voraus. Während die Gesellschaft noch in sehnsüchtiger Erwartung des Mahles im Salon beisammen saß und die Zuspätkommenden mit kalter Verachtung musterte, meldete der Diener: »Mr. Lloyd Hastings.« Dieser neue Gast faßte, sobald die Förmlichkeiten der Begrüßung vorüber waren, mich ins Auge und kam mit ausgestreckter Hand auf mich zu; in dem Augenblick aber, wo er die meinige fassen und schütteln wollte, stockte er plötzlich und sagte mit verlegener Miene: »Ich bitte sehr um Vergebung, ich glaubte Sie zu kennen.« »Nun, du kennst mich auch, alter Junge.« »Nein! Bist _du_ der -- das --« »Das große Westentaschentier? Jawohl, gewiß. Du darfst mich getrost bei meinem Spottnamen nennen, ich bin schon daran gewöhnt.« »Na, na, na, diese Ueberraschung! Ein oder zweimal war mir dein Name in Verbindung mit dieser Bezeichnung zu Gesicht gekommen, aber es kam mir nie dabei in den Sinn, daß du der fragliche Henry Adams sein könntest. Es ist doch noch kein halbes Jahr her, daß du in San Francisco auf Hopkins' Kontor gebüffelt und um dir einen Nebenverdienst zu verschaffen, ganze Nächte lang mit mir an der Ordnung und Richtigstellung der Bücher und Geschäftsberichte der Gould- und Curry-Extension-Gruben gearbeitet hast. Und jetzt soll ich mir vorstellen, daß du hier in London als vielfacher Millionär und kolossale Berühmtheit herumläufst! Es ist ja das reinste Märchen aus Tausend und eine Nacht. Mensch, ich kann es gar nicht fassen, nicht begreifen -- laß mich nur erst wieder etwas zu mir kommen.« »Wahrhaftig, Lloyd, es geht mir kein Haar besser als dir. Es ist mir selbst unfaßlich.« »Bei Gott, wirklich ganz unerhört! Heute ist es gerade drei Monate her, daß wir zusammen nach dem Miners-Restaurant gingen.« -- »Nein, nach dem What-Cheer.« »Richtig, jawohl, nach dem What-Cheer. Da ließen wir uns um zwei Uhr morgens ein Kotelett und eine Tasse Kaffee geben, nachdem wir sechs Stunden zusammen über den Büchern der Extension geschwitzt hatten. Damals wollte ich dich überreden, mit mir nach London zu kommen und machte mich verbindlich, dir Urlaub auszuwirken und dich völlig frei zu halten, versprach dir auch noch etwas extra für den Fall, daß es mir gelänge, die Kuxe an den Mann zu bringen. Aber da wolltest du nichts von der Sache wissen. Du meintest, dabei komme doch nichts heraus, und du könntest doch nicht aufs Ungewisse deine ganze Stellung aufgeben, um dann vielleicht nach Jahr und Tag wieder von vorne anfangen zu müssen. Und nun bist du doch hier. Welch eine merkwürdige Geschichte ist das doch! Was hat dich denn hierher verschlagen, und wodurch in aller Welt hast du dich so kolossal heraufgebracht?« »Ach, das kam ganz zufällig. Es ist eine lange Geschichte -- ein ganzer Roman kann man sagen. Ich erzähle dir alles, aber nicht jetzt.« »Wann denn?« »Ende dieses Monats.« »Das sind ja noch über vierzehn Tage. Das heißt doch der menschlichen Neugierde zuviel zumuten. Sage lieber, in einer Woche.« »Das geht nicht. Den Grund wirst du schon noch erfahren. Nun, wie steht es denn mit den Geschäften?« Mit einemmal war der heitere Ausdruck in seinen Mienen wie weggeblasen, und mit einem Seufzer erwiderte er: »Du hattest ganz recht mit deiner Prophezeiung, ganz recht. Wäre ich doch nicht hierher gekommen. Ich mag gar nicht davon reden.« »Doch, doch. Wenn wir hier fertig sind, mußt du mit mir nach Hause kommen und mir alles erzählen.« »Wie? Darf ich? Ist das dein Ernst?« Dabei wurden ihm die Augen feucht. »Jawohl, ich will die ganze Geschichte hören, Wort für Wort.« »Ach, wie beglückt bin ich, daß ich endlich wieder bei einem menschlichen Wesen in Blick und Wort einem Interesse für meine Angelegenheiten begegnen darf nach allem, was ich durchgemacht habe. Lieber Gott! Auf den Knieen möchte ich dir dafür danken!« Mit einem warmen Druck meiner Hand sprang er auf und sah in fröhlichster Stimmung der Mahlzeit entgegen -- aus der jedoch nichts wurde. Nein, es ging wie es stets geht bei der verkehrten, widerwärtigen englischen Sitte -- man war nicht imstande, sich über die Rangordnung zu einigen und so gab es keine Mahlzeit. Wenn ein Engländer zum Diner eingeladen wird, so ißt er sich jedesmal zu Hause satt, ein Fremder dagegen, der von keiner Seite gewarnt wird, geht ahnungslos in die Falle. Diesmal freilich kam niemand zu Schaden, wir hatten alle bereits zu Hause gespeist, dem einzigen Neuling unter uns, Hastings, hatte der Gesandte gleich bei der Einladung gesagt, daß er getreu dem Landesbrauche für ein Gastmahl keine Vorsorge habe treffen lassen. Trotzdem setzte man sich nun, um den Schein zu wahren, ein jeder Herr mit einer Dame am Arm, nach dem Speisesaal in Bewegung; allein dabei ging der Streit bereits an. Der Herzog beanspruchte den Vortritt sowie den Platz oben an der Tafel, indem er einem Gesandten, der nur ein Volk, nicht einen Monarchen vertrete, an Rang vorgehe. Dem gegenüber machte ich meine Rechte geltend, ohne einen Fußbreit nachzugeben. Die Zeitungen wiesen mir im Personalbericht den Platz vor allen Herzögen an, die nicht dem königlichen Hause angehörten, demnach sei es ganz in der Ordnung, daß mir vor _diesem_ Herzog der Vorrang gebühre. Mit allem Hin- und Herreden, worin wir unser Möglichstes leisteten, kam die Sache natürlich nicht zum Austrag. Endlich war mein Gegner so unbedachtsam, Geburt und Ahnen ins Feld zu führen; da übertrumpfte ich ihn jedoch mit dem Hinweis darauf, daß ich, wie schon mein Name zeige, in gerader Linie von Adam abstamme, während aus dem seinigen zusammen mit seiner normännischen Abkunft klar hervorgehe, daß er nur in der Seitenlinie mit dem Stammvater des Menschengeschlechts verwandt sei. So bewegte sich denn der Zug nach dem Salon zurück, wo wir, gruppenweise herumstehend, eine bescheidene Erfrischung -- bestehend in einem Teller voll Sardinen und ein paar Erdbeeren -- einnahmen. Dabei wurde es mit der Heiligkeit der Rangordnung etwas weniger streng genommen; die beiden Höchststehenden loosten miteinander, indem sie ein Geldstück in die Luft warfen. Der Gewinner machte sich darauf zuerst über seine Erdbeeren her, während der Verlierende den Schilling einsteckte. So ging es dann weiter, bei allen nach der Reihe. Nach der Erfrischung brachte man Spieltische und wir spielten sämtlich Cribbage, um sechs Pence die Partie. In England spielt man nämlich niemals zum bloßen Vergnügen. Man will durchaus gewinnen oder verlieren -- ob das eine oder das andere, ist gleichgiltig -- sonst verzichtet man lieber ganz. Der Abend verfloß allerliebst, wenigstens uns beiden, Miß Langham und mir. Ich war so bezaubert von dem holden Geschöpf, daß ich nicht imstande war, meine Trümpfe zu zählen, wenn es über zwei Sequenzen hinaus ging; und wenn ich einen Stich gemacht hatte, übersah ich es jedesmal und fing wieder an auszuspielen, sodaß ich eine Partie um die andere verloren haben würde, wäre es meiner Partnerin nicht genau ebenso gegangen. So war es ganz natürlich, daß keins von uns beiden aufkam, das fiel uns aber nicht im mindesten auf, wir wußten nur, daß wir glücklich waren, und weiter wollten wir auch nichts wissen und hatten nur den Wunsch, in diesem Gefühl nicht gestört zu sein. Ich erklärte ihr sogar -- wirklich in allem Ernste -- ich _erklärte_ ihr, daß ich sie liebe, und sie -- nun sie wurde wohl rot bis unter die Haare, hatte aber nichts dagegen -- und sagte dies auch. O, es war der schönste Abend meines Lebens! Jedesmal, so oft ich ansagte, oder meine Trümpfe zählte, fügte ich als Postskript bei: »Gott, wie reizend Sie sind!« oder etwas Aehnliches, wofür sie mir dann bei der gleichen Gelegenheit die Empfangsbestätigung erteilte, indem sie zum Schluß anhängte: »Finden Sie das wirklich?« Und dabei ließ sie einen so süßen, schelmischen Blick unter ihren langen Wimpern auf mich blitzen. O, es war wirklich zu -- herrlich! [Illustration] Ich benahm mich übrigens vollständig offen und ehrlich dem Mädchen gegenüber. Ich sagte ihr, daß ich nichts auf der Welt besäße, als eben die eine Millionennote, von der sie schon so viel gehört habe, und daß selbst diese nicht mein Eigentum sei. Dies erregte ihre Neugier, und darauf hin erzählte ich ihr halblaut die ganze Geschichte frisch von der Leber weg. Sie wollte sich darüber fast totlachen. Was sie dabei so lächerlich fand, war mir ein Rätsel, aber so war es nun einmal. Jede halbe Minute erregte irgend ein Umstand ihre Lachlust aufs neue, sodaß ich ihr wieder anderthalb Minuten Zeit zum Atemschöpfen lassen mußte. Sie lachte sich buchstäblich lahm; noch nie war mir so etwas vorgekommen. Daß eine traurige Geschichte -- eine Geschichte, die von nichts anderem handelt als von den Leiden, Kümmernissen und Sorgen eines Menschen -- eine solche Wirkung hervorbrachte, war doch unerhört. Und doch hatte ich sie nur um so lieber dafür, daß sie so heiter zu sein wußte, wo eigentlich gar kein Grund zur Heiterkeit vorlag; sah es doch ganz darnach aus, als könnte ich eine derartige Frau demnächst recht notwendig brauchen. Ich eröffnete ihr natürlich, daß wir wohl ein paar Jahre würden warten müssen, bis ich in Genuß meines Gehaltes käme; hieraus machte sie sich aber nichts und ermahnte mich nur zur größten Sparsamkeit, damit nicht auch noch mein dritter Jahresgehalt angegriffen werden müsse. Dann wurde sie auf einmal besorgt und meinte, ob wir mit unseren Vermutungen über den Betrag meines ersten Jahresgehalts nicht doch am Ende die Rechnung ohne den Wirt machten. Diese nur zu wohl begründete Bemerkung brachte zwar mein Vertrauen in die Zukunft einigermaßen ins Wanken, dafür gab sie mir aber auch einen guten, praktischen Gedanken ein, den ich sofort frischweg aussprach: »Portia, mein Schatz, würde es dir etwas ausmachen, mich zu den alten Herren zu begleiten, wenn ich mich ihnen wieder vorstellen muß?« Sie erschrak ein wenig, sagte aber: »N -- un, wenn meine Begleitung dazu beitragen kann, dir Mut zu machen. Aber ist es denn auch ganz passend, was meinst du?« »Das wohl schwerlich, oder eigentlich nicht; aber sieh', es hängt so unendlich viel davon ab, daß --« »Dann gehe ich unter allen Umständen mit, ob passend oder nicht!« erwiderte sie mit edler Begeisterung, die ihr herrlich stand. »O, der Gedanke macht mich so glücklich, etwas für dich thun zu können.« »Etwas, mein Herz? Alles thust du, ganz allein. Du bist so schön, so lieblich, so bezaubernd, daß, wenn ich dich zur Seite habe, die guten alten Herren uns ohne Widerrede jeden beliebigen Gehalt bewilligen müssen, und sollten sie darüber zu Bettlern werden.« Ha, nun mußte man sehen, wie ihr das Blut voll in die Wangen strömte und ihre Augen in Glück erstrahlten! »Du böser Schmeichler! Das ist ja alles nicht wahr, was du da sagst, aber mit gehe ich doch. Vielleicht wird es dir bei der Gelegenheit klar, daß andere Leute mich mit andern Augen betrachten als du.« Hegte ich nun noch Zweifel? War mein Vertrauen noch erschüttert? Es wird wohl genügen, wenn ich sage, daß ich bei mir selbst in aller Stille meinen Gehalt unverzüglich auf zwölfhundert Pfund im Jahr erhöhte. Ich sagte ihr aber davon nichts; das sparte ich mir zu einer Ueberraschung für später auf. Auf dem ganzen Wege nach meiner Wohnung schwebte ich in höheren Regionen und hörte kein Wort von allem, was Hastings an mich hinsprach. Erst, als wir zu Hause anlangten und Hastings sich beim Eintritt in meinen Salon in begeisterten Lobsprüchen auf meine reiche und bequeme Einrichtung erging, kam ich wieder zu mir. »Erst lasse mich einen Augenblick hier stehen bleiben,« rief er, »damit ich mich satt sehen kann! Guter Gott, das ist ja ein Palast, der leibhaftige Palast! Und da fehlt nichts, bis zum behaglichen Kaminfeuer und dem Abendbrot. Henry, hier kommt man nicht nur zum Bewußtsein, wie reich du bist, nein, hier fühle ich auch im tiefsten Innern, wie arm ich bin, wie arm und wie elend, wie geschlagen, gebrochen, und vernichtet!« Hol's der Henker! Seine Worte wirkten auf mich wie ein kaltes Sturzbad. Mit einem Schlage war ich völlig ernüchtert und zu dem Bewußtsein erwacht, daß ich auf einem Vulkan stehe, der jeden Augenblick ausbrechen konnte. Ich hatte ja nicht gewußt, oder vielmehr, ich hatte eine kurze Zeit selbst nicht eingestehen wollen, daß alles nur ein Traum sei; aber jetzt, -- guter Himmel! Tief in Schulden, ohne einen Heller Geld, eines holden Mädchens Lebensglück an mein Schicksal gekettet und dabei nichts vor mir als die Aussicht auf einen Gehalt, die sich vielleicht -- ach nein, gewiß -- nie verwirklichen sollte. O, ich bin verloren, rettungslos verloren! -- »Henry, was bei deinem Einkommen jeden Tag nur so nebenbei abfällt, würde, --« »Ach, mein tägliches Einkommen! Da steht ein heißer Punsch, damit vertreibe dir die trüben Gedanken. Profit! Oder nein, warte, du bist hungrig; komm, setze dich und --« »Nein, keinen Bissen; ich bringe nichts mehr hinunter; ich kann schon ein paar Tage lang nichts mehr essen. Aber trinken will ich mit dir, bis ich nicht mehr stehen kann. Komm!« -- »Da thue ich mit, so lang du willst! Also, frisch drauf los! Lasse jetzt deine Geschichte vom Stapel, während ich den Punsch braue.« »Meine Geschichte? Wie? Noch einmal?« »Noch einmal? Wie meinst du das?« »Nun, ich meine, ob du die Geschichte zum zweitenmal von vorne anhören willst.« »Ob ich sie zum zweitenmal von vorne anhören will! Na, das ist wirklich ein toller Spaß. Halt, trinke nichts mehr, du kannst nichts mehr brauchen.« »Henry, du machst mir Angst. Habe ich dir denn nicht auf dem Weg hierher die ganze Geschichte erzählt?« »Du?« »Ja, ich.« »Ich lasse mich hängen, wenn ich ein Wort davon gehört habe.« »Henry, das ist außerm Spaß. Du beunruhigst mich. Was hast du denn bei dem Gesandten zu dir genommen?« Jetzt ging mir plötzlich ein wunderbares Licht auf, ich faßte mir ein Herz und gestand ihm frei und offen: »Das herzigste Mädel auf der Welt habe ich dort -- erobert!« In ungestümer Freude stürzte er auf mich los und wir schüttelten uns die Hände, bis sie uns wehe thaten. Darüber, daß ich von seiner Erzählung, die unsern anderthalb Stunden dauernden Heimweg ausfüllte, nicht das geringste vernommen hatte, sagte er kein Wort. Er setzte sich ruhig hin und erzählte mit der ihm eigenen Gutmütigkeit und Geduld die ganze Geschichte noch einmal von vorne. Sie lief auf folgendes hinaus: Er war im Auftrag der Besitzer der Gould- und Curry-Extension-Gruben nach London gekommen, um die Anteile zu veräußern, und es sollte dabei alles, was er über eine Million Dollars lösen würde, ihm verbleiben. In der Hoffnung, dabei ein vortreffliches Geschäft zu machen, hatte er sich keine Mühe verdrießen, kein ehrliches Mittel unversucht gelassen und fast seinen letzten eigenen Heller daran gesetzt, ohne daß es ihm jedoch gelungen wäre, einen einzigen Kapitalisten zum Anbeißen zu bewegen, und mit Ende des Monats lief seine Berechtigung ab. Mit einem Worte: er war zu Grunde gerichtet. Am Schlusse sprang er auf und rief: »Henry, du kannst mich retten! Du allein auf dem ganzen Erdenrund! Wirst du mich retten? Oder wirst du mich _nicht_ retten?« »Sage mir nur, wie ich das machen soll? Erkläre dich, mein Junge.« »Nimm mir mein Verkaufsrecht ab und zahle mir dafür eine Million und die Heimreise. Bitte, bitte, sage nicht nein!« Es war wirklich nicht mehr auszuhalten. Eben stand ich auf dem Punkte, mit dem Bekenntnis herauszuplatzen: »Lloyd, ich bin ja selbst ein Bettler -- ohne einen Pfennig Geld und stecke dazu noch in Schulden.« Aber da leuchtete plötzlich ein herrlicher Gedanke blitzähnlich in meinem Kopfe auf. Ich biß die Zähne zusammen und bezwang mich, bis ich so kalt war, wie ein Großkapitalist. Dann sagte ich mit vollkommen geschäftsmäßiger Ruhe: »Ich will dich retten, Lloyd.« »Dann bin ich schon gerettet; Gott segne dich ewig dafür! Wenn ich je --« »Laß mich ausreden, Lloyd. Ich will dich retten, aber nicht so, wie du meinst. Denn nach all den Mühen und Opfern, die du es dich hast kosten lassen, wäre das nicht anständig an dir gehandelt. Ich brauche keine Minenanteile; an einem Weltplatz wie London kann ich auch mein Geld ohne dies arbeiten lassen, es ist ja bis jetzt auch gegangen. Nein, wir machen die Sachen folgendermaßen: Ich kenne ja natürlich dieses Bergwerk ganz genau; ich weiß, welch ungeheurer Wert darin steckt und kann es auf Verlangen jedem eidlich bekräftigen. Du sollst im Lauf der nächsten vierzehn Tage für bare drei Millionen Anteilscheine verkaufen, indem du von meinem Namen unbeschränkten Gebrauch machst, und dann teilen wir den Gewinn -- halb und halb.« Lloyd geriet darüber so außer sich vor Freude, daß er wie toll herumtanzte und mir meine ganze Einrichtung kurz und klein geschlagen haben würde, hätte ich ihm nicht schließlich ein Bein gestellt und ihn an Händen und Füßen gebunden. Als er so dalag, rief er ganz beseligt aus: »Ich darf deinen Namen gebrauchen! deinen Namen! -- Stelle dir nur vor, Mensch! In Scharen kommen sie gelaufen, diese reichen Londoner und prügeln sich um die Anteile! Ich bin ein gemachter Mann, geborgen für alle Zeit, in meinem ganzen Leben vergesse ich dir das nicht!« Keine vierundzwanzig Stunden dauerte es, so war die Sache bereits in ganz London herumgekommen. Ich hatte Tag für Tag nichts zu thun, als zu Hause zu sitzen und all den Leuten, die bei mir erschienen, zu sagen: »Jawohl, ich habe ihm gestattet sich auf mich zu beziehen. Ich kenne ihn und kenne das Bergwerk. Er selbst verdient volles Vertrauen und die Anteile sind weit mehr wert, als er dafür verlangt!« Inzwischen verbrachte ich alle meine Abende bei dem Gesandten mit Portia. Von dem Bergwerk sagte ich ihr keine Silbe, das sparte ich mir zu einer späteren Ueberraschung auf. Wir sprachen immer nur von unserer Liebe und vom Gehalt, bald von dem einen, bald von dem andern, manchmal auch von beidem untereinander. Und dann, guter Gott, das Interesse, das Frau und Tochter des Gesandten an unserer Angelegenheit nahmen und die endlosen Listen und Schlauheiten, die sie ersannen, um uns vor Störungen zu schützen und den Gesandten nicht hinter die Sache kommen zu lassen -- ach, es war wirklich allerliebst von den beiden! Als der Monat um war, besaß ich ein Guthaben von einer Million Dollars bei der London- und County-Bank, und Hastings stand ebenso. In ausgesuchtester Toilette fuhr ich an Portland-Place vorbei. Als ich mich an dem Aussehen der Wohnung überzeugt hatte, daß meine Vögel wieder zu Neste geflogen sein mußten, holte ich meinen Schatz bei dem Gesandten ab und fuhr mit ihr zusammen wieder nach Portland Place. Während der ganzen Fahrt bildete der Gehalt den Gegenstand unserer eifrigsten Erörterungen. Die Besorgnis, in die sie sich dabei hinein redete, ließ sie so reizend erscheinen, daß es kaum mehr auszuhalten war. »Mein Herzchen,« sagte ich zu ihr, »so wie du jetzt aussiehst, wäre es ein Verbrechen, einen Pfennig weniger als dreitausend Pfund im Jahre zu verlangen.« »Henry, Henry, du richtest uns noch zu Grunde,« erwiderte sie. »Sei unbesorgt! Sieh nur so aus und verlasse dich auf mich. Ich will die Sache schon machen.« Es war soweit gekommen, daß ich auf dem ganzen Wege ihr Mut zusprechen mußte. Sie selbst redete noch fortwährend auf mich ein: »Bedenke doch, daß, wenn wir zu viel verlangen, wir vielleicht gar keinen Gehalt bekommen; und was soll dann aus uns werden, wenn wir nicht wissen, womit wir unsern Unterhalt verdienen wollen?« Es war wieder derselbe Diener, der uns einließ, und da waren sie auch wieder, die beiden alten Herren. Natürlich waren sie höchlich überrascht über das holde Geschöpf an meiner Seite. Ich erklärte jedoch: »Sie dürfen keinen Anstoß daran nehmen, meine Herren, es ist meine zukünftige Lebensgefährtin.« Darauf stellte ich ihr die Herren mit ihren Namen vor. Diese zeigten sich hierüber gar nicht erstaunt; sie dachten vermutlich, daß ich so gescheit gewesen sein würde, im Adreßbuch nachzuschlagen. Sie forderten uns auf, Platz zu nehmen und behandelten mich mit größter Höflichkeit, gaben sich auch alle Mühe, meiner Begleiterin durch freundlichen Zuspruch über ihre Verlegenheit hinweg zu helfen. Endlich sagte ich: »Meine Herren, ich komme, Ihnen Bericht zu erstatten.« »Das ist uns sehr angenehm,« erwiderte mein Gönner, »dann können wir ja die Wette zwischen mir und meinem Bruder Abel jetzt zur Entscheidung bringen. Falls Sie für mich gewonnen haben, dürfen Sie sich jede beliebige Stellung wählen, die ich zu vergeben habe. Sind Sie noch im Besitz der Millionennote?« »Hier ist sie.« Damit behändigte ich ihm dieselbe. »Gewonnen!« rief er und gab seinem Bruder einen Klapps auf den Rücken. »Nun, was sagst du jetzt, Bruder?« »Ich sage, _er_ hat es überlebt und _ich_ habe zwanzigtausend Pfund verloren. Ich hätte es niemals geglaubt!« »Ich habe noch mehr zu berichten,« fuhr ich fort, »und zwar ziemlich viel. Ich bitte, mir demnächst eine Stunde bestimmen zu wollen, um Ihnen meine Erlebnisse während dieses ganzen Monats genauer zu schildern. Sie können sich darauf verlassen, es lohnt sich den Bericht anzuhören. Inzwischen wollen Sie gefälligst dies hier in Augenschein nehmen.« »Was, Mensch, einen Depositenschein über 200000 Pfund? Gehört das Ihnen?« »Gehört mir. Das ist die Frucht des weisen Gebrauchs, den ich von dem kleinen Darlehen gemacht habe, das Sie mir gütigst gewährten. Und dieser Gebrauch bestand lediglich darin, daß ich von Zeit zu Zeit einen kleinen Einkauf machte und beim Bezahlen allemal die Banknote zum Wechseln hingab.« »Mensch, das ist ja äußerst merkwürdig, ganz unglaublich!« »Und doch verhält es sich so; ich werde Ihnen den Beweis liefern. Sie brauchen mir durchaus nicht auf mein bloßes Wort zu glauben.« Jetzt war die Reihe des Erstaunens an Portia. Mit weit geöffneten Augen fragte sie: »Henry, gehört dieses Geld wirklich dir? Hast du mir die Unwahrheit gesagt?« »Das habe ich allerdings, mein Liebchen. Aber ich weiß, du bist mir deswegen nicht böse.« »O, doch!« schmollte sie. »Es war abscheulich von dir, mich so hinters Licht zu führen.« »Ach, gewiß. Es war ja nur ein schlechter Scherz, weißt du. Komm, wir wollen uns jetzt verabschieden.« »Aber, so warten Sie doch. Wegen des Postens. Sie wissen ja. Ich muß Ihnen doch den Posten geben,« warf mein Gönner ein. »Ach,« erwiderte ich, »ich danke Ihnen tausendmal, aber ich brauche wirklich keinen.« »Aber ich hätte Ihnen den allerbesten gegeben, den ich zu vergeben habe.« »Ich danke Ihnen nochmals von ganzem Herzen, aber auch _diesen_ brauche ich nicht.« »Schäme dich, Henry! Du bist dem guten Herrn nicht halb so dankbar als er es verdiente. Darf ich ihm an deiner Statt den Dank abstatten?« »Freilich, mein Liebchen. Ich bin nur neugierig, wie du das machen willst.« Sie ging zu meinem Gönner hin, setzte sich ihm auf den Schoß, schlang ihren Arm um seinen Hals und gab ihm einen Kuß mitten auf den Mund. Dabei wußten sich die beiden alten Herren vor Lachen kaum zu fassen, während ich selbst vor Erstaunen wie versteinert dastand, bis Portia sagte: »Papa, er hat gesagt, von all den Posten, die du zu vergeben hast, wolle er keinen einzigen annehmen, und das thut mir so weh, gerade als ob --« »Wie, lieber Schatz, dies ist dein _Papa_?« »Jawohl, mein Stiefpapa, und zwar der allerbeste, den es auf der ganzen Welt giebt. Nicht wahr, nun begreifst du, warum ich bei dem Gesandten so lachen mußte, als du, ohne mein Verhältnis zu Papa und Onkel Abel zu kennen, mir die Sorgen und Nöte schildertest, in die ihr Einfall dich versetzt hatte.« Natürlich sprach ich jetzt ohne Scheu und Umschweife ganz wie mir ums Herz war. »Mein verehrter Herr,« sagte ich, »ich muß meine Erklärung zurücknehmen. _Eine_ Stellung haben Sie doch zu vergeben, die ich sehr gern haben möchte.« »Welche ist das?« »Die Stelle eines Schwiegersohnes.« [Illustration] »So? Aber wenn Sie als solcher noch nie bedienstet waren, so sind Sie auch nicht imstande, das Zeugnis darüber beizubringen, das in unserem Abkommen zur Bedingung gemacht ist und so --« »Machen Sie den Versuch mit mir, ich bitte Sie inständigst! Nur so dreißig bis vierzig Jahre lang probieren Sie es mit mir, und wenn dann --« »Nun ja, gut denn; das ist ja gar nicht viel verlangt. So nehmen Sie Portia.« Ob wir beide glücklich waren? Keine Sprache besitzt Worte genug, um es auszudrücken. Und _das_ Geschwätz und _das_ Vergnügen in ganz London, als nach ein paar Tagen alle meine Erlebnisse mit der Banknote bekannt wurden, nebst der Wendung, welche die Sache zuletzt genommen! Du guter Gott! -- Portias Papa gab die gastliche Note der Bank zurück und ließ sich ihren Betrag auszahlen. Die Bank setzte sie sodann außer Kurs und verehrte sie ihm, worauf er uns damit ein Hochzeitsgeschenk machte. Seither hängt sie unter Glas und Rahmen im Allerheiligsten unseres Heims. Denn _ihr_ verdanke ich den Besitz meiner Portia. Wäre diese Note nicht gewesen, so hätte ich nicht in London bleiben können, ich hätte mich dem Gesandten nicht vorgestellt und wäre niemals mit Portia zusammengetroffen. Deshalb sage ich immer: »Sie lautete zwar klar und deutlich auf eine Million Pfund; und doch war es während der ganzen Zeit ihrer Giltigkeit nur einmal möglich, einen einzigen Gegenstand dafür zu kaufen, und auch dieser wurde mindestens zehnfach unter seinem Werte bezahlt!« Verlag von Robert Lutz in Stuttgart. _Bret Harte's_ Ausgewählte Erzählungen 5 Bände ~à~ 2 M. brosch., ~à~ 3 M. in Lwd. geb. = Jeder Band einzeln käuflich = I. Drei Teilhaber. Roman. -- II. Jack Hamlin als Vermittler u. a. Erz. -- III. Die Postmeisterin von Laurel Run u. a. Erz. -- IV. Der Sheriff von Siskyou u. a. Erz. -- V. Das Geheimnis der Sierra. _Einige Urteile_: _Richard Weitbrecht_: »=Es ist ein wahrer Genuß=, nach so vielen lahmen Mittelmäßigkeiten einem temperamentvollen, =auf jeder Seite fesselnden, lebendigen Erzähler zu lauschen= ... Doch es bedarf nicht des Vergleichs mit geringerem, noch ist not, über Bret Harte's längst anerkannte Erzählungskunst mit ihrer glücklichen Verbindung von =Psychologischem=, =Abenteuerlichem= und =Romantischem= viel zu sagen. Mich hat's bei seinen »Drei Teilhabern« ganz merkwürdig überkommen -- ich las fast mit denselben Gefühlen, mit denen ich einst in meiner Jugend Marryats und Gerstäckers amerikanische Geschichten verschlungen habe, und wie damals vergaß ich dabei alle Kritik. Darum soll auch jetzt keine geschrieben werden, und ich wünsche nur, daß andere sich an Bret Harte ebenso =auf ein paar Stunden jung lesen wie ich=.« _Straßburger Post_: »Sein Humor ist der Schmerz lösende und Groll verscheuchende, der uns stets erwärmt. Seine Gestalten haben Fleisch und Blut wie die des Jeremias Gotthelf und -- nirgends moralisiert er, was eben den echten Künstler zeigt. Bret Harte schildert für alle Menschen und nicht nur für Amerika; =im literarischen Weltkonzerte gehört er zu denen, die neue Gebiete erobert haben=.« _Deutsche Tageszeitung_: »Der kalifornische Dichter gehört zu den Erscheinungen der modernen amerikanischen Literatur, die verdienen, auch in Deutschland nicht vergessen zu werden. Niemand wird die Erzählungen ohne innere Befriedigung aus der Hand legen.« W. W. Jacobs Seemannshumor Geschichten und Schwänke von der Wasserkante =I. Band=: 13 Erzählungen. -- =II. Band=: 15 Erzählungen. Jeder Band ist einzeln käuflich zu M. 2.50 broschiert; M. 3.50 in Lwd. gebunden. Einige Urteile: Hamburger Nachrichten: »Es herrscht hier _ein wirklicher, behaglicher Humor_, voll der tollsten Einfälle und reger Phantasie. Echt und frisch sind die wetterharten Gestalten gezeichnet. _Es kichert und lacht_ in und zwischen den Zeilen.« Intern. Literaturberichte: »Wer einmal recht herzlich lachen will, mag getrost zu Jacobs Seemannshumor greifen.« Nordd. Allg. Zeitung: »Jede einzelne der Erzählungen ruft herzliches Lachen hervor.« Deutsche Tageszeitung: »Die Geschichten zeugen von einem _ganz prächtigen, urwüchsigen Seemannshumor_.« Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Sonst wurde die Originalschreibweise beibehalten. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. Korrekturen: S. 131: Bartholomäus M. → Bartholomäus W. (nach engl. Original) den Kontrakt seinem Sohn {Bartholomäus W.} S. 132: Anton E. Rogers → Anson G. Rogers (nach engl. Original) die Schriftstücke {Anson G. Rogers} *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SKIZZENBUCH *** Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our website which has the main PG search facility: www.gutenberg.org This website includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.