The Project Gutenberg EBook of Stein unter Steinen, by Hermann Sudermann

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Title: Stein unter Steinen

Author: Hermann Sudermann

Release Date: May 14, 2020 [EBook #62132]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK STEIN UNTER STEINEN ***




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Stein unter Steinen

Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolger
Stuttgart und Berlin

Hermann Sudermann:

Geheftet
Im Zwielicht. Zwanglose Geschichten. 30. Aufl.M. 2.—
Frau Sorge. Roman. 83. bis 87. AuflageM. 3.50
Geschwister. Zwei Novellen. 27. AuflageM. 3.50
Der Katzensteg. Roman. 61. bis 65. AuflageM. 3.50
Jolanthes Hochzeit. Erzählung. 27. AuflageM. 2.—
Es war. Roman. 38. AuflageM. 5.—
Die Ehre. Schauspiel in 4 Akten. 32. AuflageM. 2.—
Sodoms Ende. Drama in 5 Akten. 23. AuflageM. 2.—
Heimat. Schauspiel in 4 Akten. 34. AuflageM. 3.—
Die Schmetterlingsschlacht. Komödie in 4 Akten 9. AuflageM. 2.—
Das Glück im Winkel. Schauspiel in 3 Akten 15. und 16. AuflageM. 2.—
Morituri: Teja. Drama in 1 Akt. — Fritzchen. Drama in 1 Akt. — Das Ewig-Männliche. Spiel in 1 Akt. 17. AuflageM. 2.—
Johannes. Tragödie in 5 Akten und 1 Vorspiel. 28. AuflageM. 3.—
Die drei Reiherfedern. Dramatisches Gedicht in 5 Akten. 14. AuflageM. 3.—
Johannisfeuer. Schauspiel in 4 Akten. 20. Aufl.M. 2.—
Es lebe das Leben. Drama in 5 Akten. 20. Aufl.M. 3.—
Der Sturmgeselle Sokrates. Komödie in 4 Akten. 15. AuflageM. 2.—

Die vorstehend verzeichneten Werke sind auch gebunden zu beziehen

Preis für den Einband:

in Leinen 1 Mark, in Halbfranz 1 Mark 50 Pf.

Stein unter Steinen

Schauspiel in vier Akten

von

Hermann Sudermann

Elfte Auflage

Signet

Stuttgart und Berlin 1905

J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger

[S. 4]

Copyright, 1905, by Hermann Sudermann

Alle Rechte vorbehalten

Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart


[S. 5]

Personen

Zarncke, Steinmetzmeister.
Marie, seine Tochter.
Frau Homeyer, Wirtschafterin bei Zarncke.
Jenisch, Buchhalter.
Eichholz, Nachtwächter auf dem Werkplatz.
Lore, seine Tochter.
Lenchen, deren Kind.
Willig, Polier.
Göttlingk, Steinmetz.
Jakob Biegler.
Reitmaier, Kriminalkommissar.
Lohmann,}
Sprengel,}Arbeiter.
Struve,}
Bildhauer, Steinmetzen, Arbeiter.
Mehrere Frauen und Kinder.
Ort der Handlung: Berlin.
Zeit der Handlung: die Gegenwart.

Zwischen dem ersten und dem zweiten Akt liegen drei Wochen, zwischen den folgenden Akten liegt je ein Tag.

[S. 6]

[S. 7]

Erster Akt

Wohnstube bei Zarncke. In der Mitte des Hintergrundes Tür nach dem Hausflur. Auf der linken Seite Tür nach Wirtschaftsräumen. Auf der rechten Seite ein breites Fenster nach dem Werkplatz führend. Davor, um eine Stufe erhöht, ein Podium mit bequemem Lehnstuhl und Tischchen. Links vorne ein Sofa mit Sofatisch und Sesseln. Im Hintergrunde links von der Tür ein Tischchen mit Wandkonsole darüber, rechts von der Tür ein Bücherschrank. Altväterisch-behagliche Ausstattung. Stahlstiche, Photographien, gestickte Sinnsprüche an den Wänden. Pfeifenständer, Zigarrenschränkchen, Bauer mit Kanarienvogel etc. etc.

Erste Szene

Zarncke. Marie. Jenisch

Zarncke

(Sechziger, mittelgroß, stark ergraut. Bartfunzeln auf den Backen. Gutmütig-vergnügte Äuglein. Sprechweise — mit Anklängen ans Niederdeutsche — weich, bisweilen harmlos polternd, voll stillen Grüblersinnes)

Marie

(Ende der Zwanzig, klein, bucklig. Fahle Krankheitsfarbe. Zwei schöne Augen voll wehmütig-lachender Güte. Gequetschte Sprache, bisweilen durch schweres Atmen unterbrochen. Bewegungen tastend, unsicher)

Jenisch

(behaglicher, beschränkter Zahlenmensch)

Zarncke (mit Jenisch eintretend)

Na, Miezelchen?

[S. 8]

Marie

(die im Lehnstuhl sitzt, aufleuchtend)

Vaterchen! (Will aufstehen)

Zarncke

Sitzen bleiben! Sitzen bleiben! (Tritt zu ihr hin und küßt sie auf die Stirn) Läßte dir die Maisonne in 'n Magen scheinen? Das is recht ... Na, Jenisch, was haben Sie da!

Jenisch

Die neuen Sandsteinproben aus den Knauerschen Brüchen, Herr Zarncke. (Reicht ihm die kleinen Blöcke)

Zarncke (kratzt an den Rändern)

Schreiben Sie man den Leuten, mein Kontorbedarf an Streusand sei vorläufig noch gedeckt.

Jenisch (lacht respektvoll)

Zarncke

Zweite Post?

Jenisch

Jawohl. (Reicht ihm ein Paket Geschäftsbriefe)

Zarncke

(setzt sich an den Tisch und läßt die Kuverts durch die Hand gleiten)

Nischt — nischt — nischt. (Ein Kuvert öffnend) Machen wir. (Ein zweites) Machen wir desgleichen. »Verein zur Besserung entlassener Strafgefangener«. Möchten sie mir mal wieder einen andeichseln? ... Na, wollen mal sehn ... (Legt das Kuvert beiseite und schiebt Jenisch die anderen Briefe hin) Zurück zur Beantwortung! ... Und wenn die Leute von der Polizei kommen wegen heute nacht — das sag' ich besser draußen. (Zu Marie) Verzeih mal! (Öffnet das Fenster.[S. 9] Das klingende Geräusch der Meißelschläge, das Klirren der Flaschenzugketten, das Quietschen der Windewagen wird hörbar) Sie da! Willig! Polier! (Lauter) Polier!

Stimme des Poliers Willig

Jawohl, Herr Zarncke!

Zarncke

Wenn die Leute vom Kriminal kommen, lassen Sie sie gleich aufs Kontor führen. Ich will nicht, daß sie mir den Platz rabiat machen mit ihrem dummen Gefrage.

Stimme Willigs

Jawohl, Herr Zarncke.

Zarncke (nachahmend)

Jawohl, Herr Zarncke. (Schließt das Fenster, das Geräusch hört auf)

Marie

Mußtest du's denn anzeigen, Vaterchen?

Zarncke

Ja, das frag' ich mich auch. Aber ich kann mir doch nicht zu nachtschlafender Zeit in meinen Magazinschlössern rumpulen lassen. Womöglich noch »Schön Dank« sagen ... Hören Sie mal, Jenisch, euch auf'm Kontor geht's ja eigentlich nischt an, aber wie denken Sie über den alten Eichholz?

Jenisch

Ja, Herr Zarncke, wir meinen, er wird sich nich mehr lange halten lassen. Als Wächter.

Zarncke

Na, als was denn sonst?

[S. 10]

Jenisch

Das weiß ich ja nich.

Zarncke

Sinekuren gibt's nich bei mir auf'm Platz. Selbst mein Kanarienfritze hat sein Geschäft. Wenn der nich singt, dreh' ich ihm den Hals um.

Marie (lächelnd)

Na, na.

Zarncke

Was ist hier zu na-na-en! (Zärtlich) Du — hä?

Marie (lacht)

Zarncke

Der Alte hat seine dreißig Dienstjahre. Hat 's Geschäft groß werden sehen ... Wird mir schwer! (Pause) Abends, wenn er elfe gepfiffen hat, setzt er sich friedfertig auf einen Block, und dann sägt er los. (Ahmt einen Schnarchton nach) Und derweilen pulen mir die Herren Einbrecher in den Schlössern rum. Mir schwant so was, min Döchting, diese Instituschon is nich das richtige.

Marie (lacht)

Zarncke

Also, Jenisch, ziehn Sie sich tapfer zurück.

Jenisch (lachend)

Adieu, Fräulein Mariechen.

Marie

Adieu, Herr Jenisch.

[S. 11]

Zweite Szene

Zarncke. Marie

Zarncke

Dabei weiß ich genau, wer's gewesen is.

Marie

Am Ende gar der — —?

Zarncke

Na natürlich.

Marie (lachend)

Du weißt ja noch gar nicht, wen ich meine.

Zarncke

Du meinst den Struve. Und ich mein' den Struve. Und draußen auf dem Platze meinen sie auch den Struve. Aber weil sie mich nich blamieren wollen, tun sie, als hätten sie keinen Dunst ... Wozu hab' ich nu mal den Besserungspuschel? ... Wenn ich das Luder jetzt nich wieder raushaue, kriegt er zehn Jahre.

Marie

Um Gottes willen!

Zarncke

Fünfmal vorbestraft ... Davon zweimal mit Zuchthaus. Billiger tun sie's da nich ... Und so 'ne Seele von Mensch. Als die Steinmetzen neulich für den brustkranken Emil sammelten — wo er doch als Arbeiter eigentlich gar nischt mit zu tun hat — Wochenlohn blank auf den Tisch gelegt. Und muß mausen! ... Nämlich die[S. 12] Diamantsplitter in den neuen Zahnsägen haben's ihm angetan. Macht er dem Polizeimann dieselbe wehmutsvolle Gaunerschnauze, die er mir heute gemacht hat, dann sitzt er schon im Kittchen ... Ach, was hat man für'n Kreuz mit diesen Kerls! Immer wieder saust man rin.

Marie

Na, manchmal auch nicht.

Zarncke

Hm! Der Auschwitz war gut. Dem Blankmann hab' ich das Leben gerettet. Der Thiele hat sogar Karriere gemacht. Aber — nee! — nu Schluß! — Ich nehm' nu nich einen mehr, den mir der Verein zuschanzt.

Marie

Na, na!

Zarncke

Mariechen, ich schwör' es dir. (Das Kuvert aufnehmend) Und wenn dies hier — ein Lämmlein is, mit Zucker bestreut, ich tu's nicht. (Das Kuvert aufreißend) Wollen mal gleich sehn!

Marie

Weißt du, Vaterchen, dann lies lieber nicht. Nachher ist es ein interessanter Fall, und dann —

Zarncke

Kann's auch ungelesen zurückschicken. (Unschlüssig) Aber — — — du, klingel mal, daß die Homeyer mir das Frühstück bringt.

Marie (klingelt)

[S. 13]

Zarncke

(die Papiere musternd, die in dem Kuvert stecken)

Da is nu ein ganzes Schicksal drin.

Marie (bittend)

Vaterchen, mach dir das Herz nicht schwer. Lies lieber nich.

Zarncke

Man soll zwar keinen von seiner Türe weisen. Na, wie du meinst. (Legt das Kuvert hin)

Dritte Szene

Die Vorigen. Frau Homeyer

(Frau Homeyer, kraftvolle, hübsche Person, zu Anfang der dreißig. Energische Bewegungen. Haare kokett gelockt, mit einem Stich ins Gemeine)

Frau Homeyer

(die Frühstückstablette mit belegten Brötchen und einer Rotweinflasche hereintragend)

Schönen guten Morgen wünsch' ich.

Zarncke

Wir haben uns ja heut schon gesehn, Homeyerchen.

Frau Homeyer

Wenn auch. Ich sag' noch mal »Guten Morgen«. Das ziemt sich für mich. (Auf die Tablette weisend) Is alles gut so?

Zarncke

Hm. Fein.

Frau Homeyer

Fräulein Mariechen, was möchten Sie?

[S. 14]

Marie

Danke. Danke.

Frau Homeyer

Is Ihnen heute wieder nich ganz frisch?

Marie

Doch. Doch.

Frau Homeyer

Nu sagen Sie doch. Ich will doch sorgen für Sie. Ich kann mir gar nich genug tun für Sie.

Zarncke

Ja, ja, Sie sind eine Perle.

Frau Homeyer

Herr Zarncke, ich kümmre mich um keinen Menschen sein Lob. Ich bin eine ehrbare Witwe. Wer so viel Leid durchgemacht hat im Leben, wie ich — ach ja!

Zarncke

Ihr vieles Leid is Ihnen aber ganz gut bekommen, hören Sie mal.

Frau Homeyer

Ach ja. Ich hab' mir ganz gut konserviert.

Zarncke

Und dann so die ehrbare Lebensweise.

Frau Homeyer (seufzend)

Ja, ja.

[S. 15]

Zarncke

Hören Sie mal, Kindchen, noch eine Frage: Haben Sie vielleicht irgend was gehört, heute nacht?

Frau Homeyer

Ja. Gehört hätt' ich wohl so einiges. — Schritte und so.

Zarncke

Warum haben Sie denn nichts davon gemeldet?

Frau Homeyer

Hat mich ja keiner gefragt. Außerdem: ich geb' keinen an. Ich misch' mich nich in fremde Sachen.

Zarncke

So — das sind fremde Sachen für Sie?

Frau Homeyer

Gott! Wo hab' ich denn gedacht, daß es gleich Einbrecher sind?

Zarncke

Na, was denn sonst?

Frau Homeyer

Ich hab' gedacht: es is eben Frühling, — da werden die Mannsleute doll —

Zarncke

Und die Weibsleute auch.

Frau Homeyer

Von mir können Sie so was nich sagen, Herr Zarncke. Von dem Tage an, daß mein armer sel'ger Mann —

[S. 16]

Zarncke

Scht, scht, scht! Wenn, dann würd's auch nichts ausmachen. Na — und?

Frau Homeyer

Und der alte Eichholz schläft natürlich. (Mit Betonung) Und die Tochter schläft eben auch. Nu ja.

Zarncke

Ach so! Das geht gegen die Lore!

Frau Homeyer

Ich hab' nichts gesagt. Ich misch' mich in gar nichts. Laß das Fräulein Lore tun, was sie will. Es braucht nich jede so'n Wandel zu haben, wie ich. Aber schließlich läuft auf dem Werkplatz 'n kleines Mädchen rum. Vater unbekannt.

Zarncke

Der Vater ist nicht unbekannt.

Frau Homeyer

Ach ja, man nennt ja wohl so gewisse Namen. — Warum heiratet er sie denn nich?

Zarncke

Das geht mich nichts an. Und Sie auch nicht ... Was hast du, Mariechen?

Marie

(die mit geschlossenen Augen in den Sessel zurückgesunken ist)

Nichts, Vaterchen. Du weißt ja. Mir wird manchmal so grasgrün.

[S. 17]

Frau Homeyer

(die eilig ein Glas Wasser gefüllt hat)

Glas Wasser, Fräulein Mariechen? Glas Wasser?

Marie (trinkt — matt)

Danke schön.

Frau Homeyer

Sonst noch Wünsche? ... Nein. (Da niemand antwortet, ab)

Vierte Szene

Zarncke. Marie. Später Lenchen

Zarncke

Miezelchen!

Marie

Verzeih schon, Vaterchen. Es ist wohl der Frühling. Der macht einem Kopf und Glieder so schwer.

Zarncke

Ja, ja, es is der Frühling ... Selbst ich alter Knochen spür' ihn. Willst nich was essen? Wart, ich bring' dir. Der Doktor hat gesagt, du sollst eine sitzende Lebensweise führen, also führe du eine sitzende Lebensweise. (Setzt den Teller vor sie hin und nimmt ein Brötchen) Ganz lecker! Magst du das Frauenzimmer eigentlich?

Marie

Ach Gott!

[S. 18]

Zarncke

Ich hab' sie so lieb, weil sie mich so hübsch anschwindelt. Bißchen Kuddelmuddel muß sein um einen 'rum, sonst weiß man gar nich, daß man lebt ... Jetzt läuft sie auch hinter dem Göttlingk her. Darum der Haß auf die Lore ... Ja, der Frühling! ... Und mit dem Arbeiten gar da geht's bei allen nich ... Sie pfeifen die Sonne an, und wenn sie Mittags auf den zwei Richtscheiten liegen, dann sind sie nich hochzukriegen. (Seufzend) Junges Volk! ... Übrigens, du! Zu der Amsel auf dem Kantinendach hat sich ein Weibchen gefunden.

Marie (freudig)

Ach! Gott sei Dank. Dann wird sie sich nich mehr die Seele aus dem Leibe schreien ...

Zarncke

Andere Leut' schweigen sich die Seele aus dem Leibe.

Marie (betroffen)

Wie meinst du das?

Zarncke

Na, is doch so ... Schadt nischt! Sein Geheimfach hat jeder. —

Marie (hinaushorchend, ruft)

Lenchen! (Sie öffnet das Fenster, der Lärm des Werkplatzes dringt herein, wie vorhin) Lenchen!

Die Stimme Lenchens (jubelnd)

Tante Mariechen!

[S. 19]

Marie

Komm ans Fenster! Komm!

Zarncke

Tante nennt sie dich?

Marie

Soll sie nicht, Vaterchen?

Zarncke

Ja, ja. Kommt auf eins 'raus.

Marie

Na, kletter hoch!

Lenchens

(Kopf erscheint in der Fensteröffnung)

Tag, Tante Mariechen.

Marie

Klettre, Katz! Klettre!

Lenchen

Mußt helfen.

Zarncke

(da Marie eine Bewegung macht, rasch)

Nicht du! Ich, ich! (Zieht das Kind durch das Fenster herein und setzt es auf den Boden)

Lenchen

(die Arme um Mariens Knie schlingend)

Tante Mariechen! Tante Mariechen!

[S. 20]

Marie (sie herzend)

Willst 'n Bonbon oder 'ne Butterstulle?

Lenchen

Butterstulle.

Marie

(gibt ihr ein zusammengeklapptes Butterbrot)

Lenchen

(setzt sich ihr zu Füßen auf die Stufe des Podiums und ißt unbekümmert)

Marie

Und das soll nun 'ne Schande sein — so ein Engelskind!

Zarncke

Hättst wohl gern so 'n Stückchen Schande an dir?

Marie (inbrünstig)

Ach so gerne, Vaterchen, so gerne!

Zarncke

Tja! Vielleicht gibt sie's dir!

Marie

So was zu fordern, hätt' ich nicht das Herz. (Streichelt die Kleine und spricht leise zu ihr)

Zarncke

Tja! (Geht an den Tisch, trinkt ein Glas Rotwein, sieht verstohlen nach Marie, nimmt das Kuvert, reißt die Papiere heraus und beginnt zu lesen)

Marie

(sieht es, lächelt und macht sich von neuem mit der Kleinen zu schaffen)

[S. 21]

Zarncke (murmelnd)

Zu mir will der Mensch? Warum will der Mensch gerade zu mir? (Steckt die Papiere heimlich ins Kuvert zurück und geht erregt im Zimmer umher) Was kann man da machen? Was —

Marie (bittend)

Vater!

Zarncke

Was denn?

Marie

Allen hilfst du! Jeder Verbrecher kann zu deiner Türe kommen. Hilf doch auch dem Kinde!

Zarncke

Ja, leicht gesagt! ... Wie?

Marie

Rede mit Göttlingk wegen Lore.

Zarncke

Ich hab' mit ihm geredet. Zwingen kann ich ihn nicht.

Marie

Erst wollt' er noch auf die Wanderschaft. Fünf Jahre ist er weg gewesen. Als Herr ist er wiedergekommen.

Zarncke

Herr? ... Künstler! Künstler is er geworden. Dieser wüste Kerl kann mehr als ... Seinethalben braucht' ich gar keine Bildhauer mehr. Den schwierigsten Auftrag kann ich annehmen, seit er da ist.

[S. 22]

Marie

Vater, sprich mit ihm. Nun wird sie auch noch den Schmerz erleben mit dem Alten. Ich mag das Elend nicht mehr mit ansehn.

Zarncke

Er sagt, er kann noch nicht. Er hat noch Höheres vor.

Marie

Je Höheres er vorhat, desto schlechter wird sie ihm.

Zarncke

Komm' ich ihm grob, dann wirft er mir den Meißel vor die Füße. Na und dann? ... Weißt du: Sprich du mit ihm.

Marie (erschrocken)

Ich? ... Nein, nein, nein.

Zarncke

Warum nicht?

Marie

Vaterchen — das — kann ich nicht.

Zarncke

Siehst du. Man kann manches nicht. (Es klopft) Herein.

Fünfte Szene

Die Vorigen. Eichholz

(Eichholz: Ende der Sechzig, knickbeinig, würdevoll-finster, mit militärischem Anflug, alter Schwadroneur, fast weißes, buschiges Haar, Rundbart mit ausrasierter Oberlippe, Bratenrock mit Ordensschnalle und eisernem Kreuz)

Zarncke

Na Eichholz! Ausgeschlafen?

[S. 23]

Lenchen (ihm entgegen)

Großvaterchen! Großvaterchen!

Eichholz (will sie nicht sehen)

Marie

Pscht! Lenchen! Komm her! Großvater hat keine Zeit. (Sie beginnt zu sticken. Das Kind spielt)

Eichholz

Nja.

Zarncke

Und so feierlich! Was is denn los?

Eichholz

Herr Zarncke — ich möchte — freundlichst — um meine Entlassung gebeten haben.

Zarncke

(mit Marie einen erfreuten Blick wechselnd)

Sieh mal an!

Eichholz

Denn ich habe nämlich in Erfahrung gebracht — daß die Steinmetzen behaupten — wollen, daß ich gewissermaßen — meines Amtes nicht mehr gewachsen bin.

Zarncke

So?

Eichholz

Denn im Punkte des Ehrgefühls, da laß ich mir nicht drankommen. Und wenn die Steinmetzjungens sich die Schnauze verbrennen, damit, daß sie nicht wissen tun,[S. 24] was ein gewissenhafter Mann ist, und was ein sehr tauglicher Mann ist —

Zarncke

Nu kohlt er wieder.

Eichholz

Und was ein königstreuer Mann ist ... Und wo ich mir habe in Ihrem Dienste lädiert, daß ich mir habe nämlich die Schulterblattmuskeln ausgefallen.

Zarncke

Ich weiß, ich weiß, ich weiß.

Eichholz

Und wo ich da immer noch ein wollenes Fellchen, wie man so sagt, ein Puschemauchen, drum herumtrage, wegen den Reimantismus, wo ich mir auch im Dienste geholt habe.

Zarncke

Ja — so Nachts auf dem kalten Stein schl— (sich rasch verbessernd) sitzen — sitzen, das hält der Kräftigste nicht aus.

Eichholz

Ich? Sitzen? ... Sitzen? Ich — Nachts? Nu sagen Sie bloß noch, Herr Zarncke, ich hab' auch die Augen zugemacht, dann kann ich ruhig jehn, mir aufhängen.

Zarncke

Na, na, na. Sagt ja keiner. (Zu Marie) Was fängste da an?

Eichholz

Wo ich doch schon Kummer genug hab' — mit meine Tochter — und hier mit — diese — diese — Mestize.

[S. 25]

Marie (hebt erstaunt den Kopf)

Zarncke

Wieso Mestize?

Eichholz

Nu, was ein ungebührliches Kind is — 's is ja schlimm, daß man das selber sagen muß, — aber das is doch nich anders, das is doch eine Mestize.

Zarncke

Ach, Sie haben wohl ein Indianerbuch gelesen?

Eichholz

Ja, so Sonntagnachmittag, wenn ich 'n freien Momang habe, dann les' ich wohl sehr gerne in de Indianerbiecher.

Zarncke

Nu hören Sie mal, lieber Eichholz, alter Kriegskamerad, wie wär's, wenn Sie sich mal 'n bißchen mehr Ruhe gönnten?

Eichholz

Ja, ich bin aber ausgeschlafen so gegen zehne.

Zarncke (leise zu Marie)

Kunststück! ... Nein, nein, ich meine zur Nachtzeit, Eichholz.

Eichholz

Ja, wenn man das so ginge, Herr Zarncke. Aber was 'n gewissenhafter Wächter is und 'n tauglicher Wächter is, der hat Ohren, sag' ich Ihnen, der hört den Maulwurf graben zur nächtlichen Stunde, sag' ich Ihnen.

[S. 26]

Zarncke

Aber von Einbrechern haben Sie heute nacht nichts gehört — hä?

Eichholz

Hähähähä! Da lach' ick äwwer.

Zarncke (ernst)

Heute nacht ist nämlich eingebrochen worden, Eichholz.

Eichholz (gekränkt)

Fangen Sie nu auch so an, Herr Zarncke, wie die Steinmetzjungens?

Zarncke (ernst)

Ich muß wohl, Eichholz.

Eichholz (versteht, fassungslos)

Ach so! (Sein Gesicht verändert sich)

Zarncke (bittend)

Nu sehn Se mal, alter Freund. Sie gehn auf die Siebzig. Nu schlafen Sie sich doch mal ordentlich aus. Im Bett. Verstehen Sie. Im ordentlichen Bett.

Eichholz (kläglich)

Ich kann gar nich im Bett schlafen.

Zarncke

Dann werd' ich Ihnen einen schönen, harten Granitblock in Ihre Schlafkammer schaffen lassen ... damit Sie Ihre Bequemlichkeit haben ...

Eichholz (brütend)

Nja.

[S. 27]

Zarncke

Und Not sollen Sie auch nich leiden. Ich setz' Ihnen 'ne Pension aus ... Können auch wohnen bleiben ... Bei Tag schustern Sie 'n bißchen oder läuten die Pausen ab oder helfen Ihrer Tochter in der Kantine.

Eichholz

Und gewöhn' mir das Saufen an.

Zarncke

Sie werden doch nich.

Eichholz

Herr Zarncke, ich bin ein Mann — hochgeehrt — ich hab' anno 70 immer mit am Offezierstisch gegessen.

Zarncke

Na, na.

Eichholz

Ja ... Ich bin nie 'n Fettschmecker gewesen und 'n Saufjee, ich hab' noch nich mal 'n Stückschen Käse ins Schnapsglas getunkt.

Zarncke

Schmeckt ja auch gar nich.

Eichholz

Das is nu Ansichtssache, Herr Zarncke ... Aber wenn man in eine so lausige Beschaffenheit versetzt wird, daß das Ehrgefühl im Menschen so sehr gekränkt wird, wo man doch von seinem redlichen Schustergewerbe nichts mehr übrig hat wie 'n paar Lederabfälle und zehn steifgewordene Finger ... und ehe man so'ne Schandpanksjohn annimmt ...

[S. 28]

Zarncke

Sie sind ja ein ganz beißiges altes Vieh, hören Sie mal ...

Eichholz

Ich ... ich ... hab'... ich ... (Würgt)

Zarncke

Na, na, Eichholzchen ... Nu si doch man wedder good, min Sähn.

Eichholz (befehlshaberisch)

Lenchen!

Marie (ängstlich)

Nein, nein, das Kind bleibt hier.

Eichholz

Ich und Lenchen — wir gehn jetzt aus'm Haus.

Zarncke

Wenn Sie aus dem Hause gehen wollen, Eichholz, dann kann ich nichts dagegen haben — das heißt, Sie werden sich ja noch anders besinnen —

Eichholz

Na, glauben Sie, geehrter Herr, ich werd's mit ansehn, daß irgend so ein hergelaufener Sch — Schlump jetzt sagen kann, ich bin dem weggejagten Alten da — sein Nachfolger. Das — nee — nee — nee! Ich hab' noch 'ne kleine Nachrechnung, Herr Zarncke. Wegen ein paar reparierte Absätze, die schenk' ich Ihnen, Herr Zarncke. Ich arbeit' nich mehr für Sie ... Guten Morgen, Herr Zarncke. (Ab)

[S. 29]

Sechste Szene

Zarncke. Marie. Lenchen. Später Lore

Zarncke (verzweifelt)

Na — nu is er rabiat. Nu geht er sausen. —

Marie

Du warst milde genug, Vaterchen.

Zarncke

Ja, wenn's Maschinen wären. Aber jeder is 'n Mensch. Jeder hat sein Schicksal.

Marie

In sich, Vater.

Zarncke

Wenn das wahr wäre, dann wär' ich nicht schon so vielen ihr Schicksal gewesen ... In sich! ... Spreu sind wir im Winde. Es kommt nur drauf an, von wo er bläst ... Na — vielleicht kann man's an einem andern wieder gutmachen. (Nimmt die Papiere) Da wird heute einer kommen. So einen hatten wir noch nicht.

Marie

Was hat er denn pekziert?

Zarncke

Frag nicht. Nachher drückt's dich.

Lores Stimme (draußen rufend)

Lenchen! Lenchen!

[S. 30]

Lenchen (aufhorchend)

Das is Mama. Ich will zu Mama.

Marie

(das Fenster öffnend, durch das diesmal kein Geräusch hereindringt)

Das Kind is bei mir drin, Lore.

Zarncke (nach der Uhr sehend)

Alles still? Is schon Frühstückspause?

Lores

(Kopf erscheint in der Fensteröffnung)

Dank' schön, Fräulein Mariechen. (Zu Lenchen, die die Arme ausstreckt, sich vorbeugend) Na, hopp!

Zarncke

Du kannst mal 'reinkommen, Lore.

Lore

Wenn ich darf, Herr Zarncke. (Verschwindet)

Marie

(schließt das Fenster und beruhigt Lenchen, die weinen will)

Zarncke

Und findet sich der Mann hier 'rein — der Mann von diesem Brief — Biegler heißt er — dann schick ihn nicht ins Komptor, dann laß mich lieber rufen. (Es klopft) Herein!

Lore (erscheint in der Tür)

Zarncke

Du, Lore, ich muß dir was sagen: Vater is von heute ab —

[S. 31]

Lore

(Mitte der Zwanzig. Hübsch, vollkräftig mit Spuren seelischen Leidens. Sprechweise bald ohne Grund erregt, bald scheinbar teilnahmslos. Bewegungen müde, schwerfällig, jäh in Leidenschaftlichkeit umschlagend. Helle, schlichte Sommerkleidung des Mädchens aus dem Volke, ein wenig über dem Habitus der Dienerin stehend)

Ich weiß schon, Herr Zarncke. Es ging ja schon lang' nich mehr.

Zarncke

Na, Gott sei Dank, daß ich mich bei dir nicht zu entschuldigen brauch'.

Lore

Ach, Sie! (Beugt sich rasch nieder, um ihm die Hand zu küssen)

Zarncke

Na, na, na! Und wegen Unterhalt, da — (Beruhigt sie mit einer Handbewegung) Aber stell ihm die Kümmelflasche höher. Das rat' ich dir, Kind! (Klopft sie auf die Schulter. Ab)

Lenchen (die Arme hochhebend)

Mama! Mama!

Lore

(ihr mit dem Schürzenzipfel den Mund putzend)

Ich hab' immer Angst, daß ihr ein Steinsplitter ins Aug' fliegt.

Marie

Ach, sie passen schon auf. Sie haben sie ja alle lieb.

Lore

Ja ... Die andern ja. — Bloß der der nächste dazu is —

Marie

Er wird's nicht zeigen wollen.

[S. 32]

Lore

Gestern hat ihr einer 'ne Wippe zurechtgemacht. Und wie er vorbeikommt, da ruft sie ihn an, er soll sie schaukeln. Da hat er sie weggeschoben — na wie? 'n jungen Hund schiebt man nich so.

Marie

Das hängt anders zusammen, Lore. So schlecht ist kein Mensch. Und er sicherlich nicht. Sicherlich nicht.

Lore

Wenn Sie alles wüßten, Fräulein Mariechen. —

Marie

Kannst ruhig »du« sagen. Es hört uns keiner.

Lore

Ach, ich verdien's ja nich ... Warum rührst du mich an? Warum gibst du dich ab mit mir? (Verbirgt den Kopf an ihrer Stuhllehne)

Marie (sie streichelnd)

Na, na, Lore. Als du so groß warst wie die, da hab' ich dich schon gestreichelt. Dabei lassen wir's auch. (Da Lenchen weinerlich dazukommt) Du, Lenchen, der weiße Bär ist ein Eisbär. Und den bind mal nu an die Leine. (Reicht dem Kinde eine Porzellanfigur und ein Garnknäuel)

Lore

Ja, Lenchen, tu das.

Lenchen

(fängt beruhigt von neuem zu spielen an)

[S. 33]

Marie

Und laß uns mal vernünftig reden. Was versteckst du dich? Warum sagst du nicht ganz offen, daß er der Vater ist?

Lore (verängstigt)

Gott, wie kann ich denn? Er hat's doch verboten.

Marie

Warum läßt es dir verbieten?

Lore

Als er im Herbst von der Wanderschaft kam, da sagt' er zu mir: »Willst du, daß ich wieder eintrete auf dem Platz?« Ich glaub', ich hab' ihm noch die Hände geküßt in meinem Glück ... Aber eine Bedingung hatte er dabei. »Mund halten,« sagt' er, »daß keiner was erfährt.« ... Die's von früher wußten, waren inzwischen weg. Bloß der Polier ... Und das ist sein Freund. Vater hat er auch in der Tasche ... Und nun beiß' ich mir rein die Zunge ab Tag für Tag und denk': Endlich muß das Schweigen doch ein Ende nehmen. Aber es geschieht nichts ... Er kommt in die Kantine. Ganz vergnügt. Bloß nicht allein. Da hütet er sich.

Marie

Was soll er zu dem allem aber für 'n Grund haben?

Lore (achselzuckend)

Ich denk' mir, er hat eine andere im Sinn.

Marie (erschreckt, beklommen)

Wen denn?

[S. 34]

Lore

Vielleicht hat er sich eine aus Mailand mitgebracht, vielleicht — ach, wer kann wissen?

Marie (auf Lenchen weisend)

Und du meinst, daß auf'm Platz keiner was ahnt?

Lore

Die denken sich schon ihr Teil. Aber er tut ja doch mit allen, was er will ... Er ist mehr Herr auf dem Platz als der Polier. Da wagt keiner zu mucksen ... Und wenn er ihnen gar was vorsingt, was er da unten von den Weibern gelernt hat ... Darauf sind sie rein doll ...

Marie (träumerisch)

Ja, schön singt er! ... Ach, Lore, was bist du dumm! (aufschluchzend) Da spielt dein Kind! Dein Kind spielt da. Und du jammerst.

Lore (erschrocken)

Mariechen!

Marie (sich zusammenraffend)

Ach, es ist der Frühling ... Es ist der ... Der macht einen ganz ... Und du jammerst.

Lore (mit wehem Lächeln)

Ich jammer' ja auch nich.

Marie

Aber du schleichst 'rum und quälst dich mit deiner Schande. — Schande! Was ist Schande? ... Unser Leib ist ein Tempel ... Und Gebären ist Gottesdienst ... Nur wenn der Tempel im Bau verpfuscht wurde, dann ist es schlimm ... dann kommt der Frühling, und das Amselweibchen baut, und man selbst ist schon Ruine.

[S. 35]

Lore

Du kannst auch noch glücklich werden, Mariechen.

Marie

Ich möcht' schon ... Aber wer wird vorliebnehmen mit mir? ... Und ich bin so mutig da drinnen! ... Ich möcht' was verpflanzen von mir in dich. Daß du den Kopf wieder hebst. — Nicht mehr wie 'n Stein bist in deinem Gram.

Lore (lacht bitter)

Marie (mit sich kämpfend)

Du — soll ich — reden mit ihm?

Lore

Du — mit ihm?

Marie (nickt)

Lore (ohne Hoffnung)

Ja, wenn du das willst. Aber noch nicht ... Wart lieber noch ... Vielleicht, daß er doch

Marie (stockend)

Es wird mir — ja nicht — leicht fallen ... Ich kenn' ihn ja auch kaum mehr — den großen Herrn ... Aber wenn man was sehr gerne will, dann wird man's doch auch — können. — Na, freut's dich gar nicht?

Lore

(die Hand mutlos vor die Stirne legend)

Ach! ... (Es klopft)

Marie

Herein!

[S. 36]

Siebente Szene

Die Vorigen. Jakob Biegler

(Jakob Biegler: Mitte der Dreißig, sehr dürftig, doch nicht schmutzig gekleidet, Hose von grauem Bauernvelvet, vielfach geflickt und zu kurz. Altes, blankgewordenes Jakett, gleichfalls geflickt, darunter braune Strickweste. Defektes Schuhwerk. Wäsche nirgends zu sehn. — Gelbes, zermürbtes Gesicht mit scheuen Augen und kurzem, wildwachsendem Blondbart. Auftreten gedrückt, verhetzt, bisweilen in verzweifelte Rauheit umschlagend)

Biegler

Guten Morgen.

Marie

Sie wünschen meinen Vater zu sprechen?

Biegler

Herrn Zarncke — möcht' ich sprechen.

Marie

Heißen Sie Biegler?

Biegler (betroffen)

Ach so! — Sie wissen schon. Na — dann — (Macht eine halbe Wendung zur Tür)

Lenchen

(ist zu ihm gegangen und streckt die Hand empor)

Guten Tag!

Marie

(seinen Seelenzustand erkennend)

Mein Vater hat gesagt, wenn jemand mit Namen Biegler kommt, dann möcht' ich ihn rufen.

Biegler (erleichtert)

Ja, der bin ich.

[S. 37]

Lenchen

Nu sag doch: Guten Tag.

Biegler

(sieht das Kind, ein leeres Lächeln geht über sein Gesicht. Er weiß nicht, was tun)

Lore (sie leise zurückrufend)

Lenchen!

Marie

Nehmen Sie's als gute Vorbedeutung, daß dies Kindchen Sie willkommen heißt.

Biegler

(sieht sie groß an, versteht nicht)

Erst — muß — ich — Herrn Zarncke — sprechen.

Marie (aufstehend)

Lore, klopf, bitte, im Vorbeigehn bei Vater an (leiser) und bring dem was zu essen. Er hat's nötig.

Lore (nickt)

Komm, Lenchen. (Mit dem Kinde ab)

Marie

Nehmen Sie so lange Platz, bitte.

Biegler

Ich kann auch stehen.

Marie (ab)

[S. 38]

Achte Szene

Biegler. Dann Zarncke

Biegler

(alleingeblieben, wagt sich nicht zu rühren, nur seine Augen wandern umher)

Zarncke

(mit Bieglers Papieren in der Hand)

Guten Tag.

Biegler

(in straffer Haltung, wie er's im Zuchthause gewohnt war)

Melde Jakob Biegler.

Zarncke

Is gut, is gut. Sie sind hier nicht im Gefängnis. Der Verein zur Besserung entlassener Strafgefangener hat Sie mir zugeschickt. Stehen Sie unter seiner Fürsorge?

Biegler

Jawohl.

Zarncke

Wie lange sind Sie 'raus?

Biegler

Vier Monate zehn Tage.

Zarncke

Fünf Jahre haben Sie abgemacht?

Biegler

Jawohl.

Zarncke

Wegen was?

[S. 39]

Biegler (schweigt)

Zarncke

Na — wegen was?

Biegler (auf die Papiere weisend)

Steht ja da drin.

Zarncke

(fixiert ihn, um sein Schamgefühl zu prüfen)

Da steht nur der Paragraph. Den kenn' ich nicht auswendig.

Biegler (verbissen)

Na, ich sprech's nich aus.

Zarncke

Dann werd' ich im Strafgesetzbuch nachsehn.

Biegler

Wenn Sie wollen.

Zarncke

(geht zum Bücherschrank, schlägt ein Buch auf und liest)

Hm. Schlimm. Schlimm.

Biegler

Schlimm. (Pause)

Zarncke

Na, wie is es denn gekommen?

Biegler

Wie das so kommt, wenn ein Weib dabei ist.

Zarncke

Aha ... Haben Sie's gut gehabt in Sonnenburg?

[S. 40]

Biegler

Man war ja mit mir zufrieden.

Zarncke

Ersparnisse gemacht?

Biegler

Jawohl. Fünfundsechzig Mark fünfzig Pfennig.

Zarncke

Noch was da?

Biegler

Dann säh' ich nich so aus, Herr — Zarncke.

Zarncke

Hat der Verein Ihnen keine Arbeit besorgt?

Biegler

Zweimal haben sie mich aufs Land geschickt. Einmal als Hofgänger, das zweite Mal als Kuhfutterer.

Zarncke

Na — und?

Biegler (schweigt)

Zarncke

Ausgerissen?

Biegler (in erregter Verteidigung)

Ich hielt nicht aus. Ich — ich — ich —

Zarncke

Dann werden Sie auch bei mir nich aushalten.

[S. 41]

Biegler

Ach, Herr Zarncke.

Zarncke

Hier steht: auf Ihre besondere Bitte schickt man Sie zu mir. Was wollen Sie gerade bei mir?

Biegler (schweigt)

Zarncke

Ja, wenn Sie nicht antworten ... Was sind Sie?

Biegler

(zaudernd, nach innerem Kampfe)

Steinmetz.

Zarncke

Ach so! — Darum! Hier steht doch — Arbeiter. (Sieht nach)

Biegler

Weil ich als Arbeiter gegangen bin.

Zarncke

Warum denn?

Biegler

Wer wird mich nehmen — als Steinmetz?

Zarncke

Sie hätten doch probieren können!

Biegler

Probiert hab' ich genug.

Zarncke

Und überall abgewiesen?

[S. 42]

Biegler

Einmal wurd' ich eingestellt ... Zwei Tag' später kam's 'raus. Da lag ich schon auf der Straße.

Zarncke

Warum sind Sie denn nicht schon früher zu mir gekommen?

Biegler (schweigt)

Zarncke

Wußten Sie, daß ich Strafentlassene nehme?

Biegler

Ja, die Herren haben's mir gesagt.

Zarncke

Wollten Sie nich?

Biegler (zögernd)

Nein.

Zarncke

Warum nicht?

Biegler (erregt)

Nachher wird's doch nichts — — —

Zarncke

Und jetzt wollen Sie?

Biegler

Als Steinmetz will ich auch nicht. Nich als Steinmetz. — Wenn ich bloß 'ne Arbeitsstelle hätte, als Schleifer oder beim Flaschenzug, wo keiner was fragt.

[S. 43]

Zarncke

Ich werd' mit dem Polier sprechen. Wenn ich drauf besteh' — Sie können auch als Steinmetz eintreten.

Biegler (verängstigt)

Nein, nein, nein ... dann kommt's 'raus ... dann is wieder alles ... Bloß auf den Werkplatz will ich ... Bloß w—wenn ich den — Klippelschlag hören kann. Bloß von weitem.

Zarncke

Sie waren wohl ein guter Steinmetz?

Biegler

Ach! (Zuckt die Achseln)

Zarncke (voll wärmerer Anteilnahme)

Hm. (Es klopft) Herein.

Neunte Szene

Die Vorigen. Lore (mit einem Teller, worauf Butterbrot)

Lore

Verzeihung, Herr Zarncke, Fräulein Mariechen hat befohlen.

Zarncke

Essen Sie.

Biegler

(gierig nach dem Teller sehend)

Danke! Ich hab' — keinen — Hunger.

Lore (leise, mitleidig)

Essen Sie nur.

[S. 44]

Biegler

(blickt sich scheu um, will ein Butterbrot nehmen, sieht Zarncke fragend an)

Zarncke

Ja, ja, Sie dürfen.

Biegler

(dreht sich der Wand zu und schlingt das Butterbrot herunter)

Zarncke

Du, Lore, hol mal das Wasserglas.

Lore

(holt das Wasserglas vom Nähtisch)

Zarncke (Rotwein eingießend)

Bring ihm das. — Übrigens: wie trägt's denn der Vater?

Lore

Gott, Herr Zarncke, er schimpft ... Ja, was ich fragen wollte: darf er den Dienst noch tun, bis ein Nachfolger da ist?

Zarncke

(mit einem Blick nach Biegler hin)

Nachfolger hab' ich schon.

Lore (dem Blick folgend)

Ach so.

Zarncke

Gefällt er dir?

Lore

Ach, is 'n armer Mensch!

Zarncke

Sag's nicht, wie du ihn hier gefunden hast.

Lore

Nein, nein. (Stellt das Glas neben Biegler, ab)

[S. 45]

Zehnte Szene

Biegler. Zarncke

Biegler

(würgt eiligst den letzten Bissen hinunter und stellt sich in Positur)

Zarncke

Sie dürfen auch 'n Schluck von dem Wein trinken.

Biegler

Ja. (Äugt zweifelnd nach dem Glase)

Zarncke

Haben Sie keinen Durst?

Biegler

Erst geben Sie mir — Wein zu trinken, und dann nehmen Sie mich doch nich. Hä.

Zarncke

Erst trinken Sie mal.

Biegler

(dreht sich der Wand zu und trinkt zögernd, verstohlen)

Zarncke

Auf den Steinmetzplatz wollen Sie. Aber gewissermaßen im verborgenen. So daß keiner was erfährt, daß Sie keinem Rede zu stehen brauchen — hä?

Biegler

So was Schönes gibt's ja nich.

[S. 46]

Zarncke

Vielleicht doch. Wollen Sie Wächter werden bei mir auf'm Platz?

Biegler

(in staunendem Nicht-glauben-wollen)

Herr Zarncke!

Zarncke

Na?

Biegler

Das is doch 'n Vertrauensposten.

Zarncke

Ja, das is es.

Biegler

Da müssen manche sogar Kaution stellen.

Zarncke (bejahend)

Hm ... Und wenn Sie Mittags ausgeschlafen haben, können Sie unter den Arbeitern mithelfen ... da fragt Sie keiner ... Na?

Biegler

Wird ja nicht lange dauern —

Zarncke

Das wird ganz von Ihnen abhängen.

Biegler

Dann kommen die Schutzleute — und recherchieren ... Und dann is aus.

Zarncke

Sie wissen doch, daß solange der Verein die Fürsorge für Sie übernimmt, die Polizei sich mit Ihnen nichts zu schaffen macht.

[S. 47]

Biegler (fatalistisch)

Die Schutzleute — kommen doch.

Zarncke

Zu mir nicht ...

Biegler

Die Schutzleute kommen doch.

Zarncke

So hören Sie doch. Hierher kommt kein Schutzmann recherchieren. Das hab' ich mir ein für allemal verbeten. Und daß die Herren vom Verein, wenn die kommen, Sie nicht verraten werden, das können Sie sich doch denken. ... Na?

Biegler

Das wär' ja ein solches Glück, wie man sich gar nich — (Es klopft)

Zarncke

(geht zur Tür und öffnet sie)

Elfte Szene

Die Vorigen. Jenisch

Zarncke (ihm den Eintritt versperrend)

Was gibt's?

Jenisch (vom Hausflur her)

Verzeihung, Herr Zarncke — die Polizei is da — wegen —

Biegler

(zuckt heftig in die Höhe und macht eine unwillkürliche Bewegung, als wolle er sich verstecken)

[S. 48]

Zarncke

Is gut. Soll 'n Augenblick warten. Komme gleich. (Schlägt die Türe zu)

Zwölfte Szene

Biegler. Zarncke

Zarncke

Na ruhig, ruhig, ruhig!

Biegler (sich wild umschauend)

Die Schutzleute kommen überall — die —

Zarncke

Unsinn! Diese Nacht is eingebrochen worden bei mir. Deshalb kommen sie. Und eben deshalb sollen Sie auch Nachtwächter werden. Verstanden?

Biegler (würgend)

Herr Zarncke — ich muß — ich — dank' Ihnen auch schön fürs Glas Wein ... ich ... kann nich in Dienst ... ich muß — wieder weg.

Zarncke (schüttelt den Kopf)

Ja, zwingen kann ich Sie nich ... (Nach einem Schweigen) Haben Sie denn andere Arbeit in Aussicht?

Biegler (verneint)

Zarncke

Wer nicht Arbeit hat von euch, wird abgeschoben von der Polizei ... Unbarmherzig ... Wissen Sie das?

Biegler (bejaht)

[S. 49]

Zarncke

Na und dann?

Biegler (zuckt die Achseln)

Zarncke

Schließlich zieht der Verein auch noch seine Hand von Ihnen — und was dann?

Biegler (zuckt die Achseln)

Zarncke

(plötzlich seinen Ton ändernd)

Nu komm mal her, min Sähn. Komm, komm, komm, komm. (Zieht ihn nach vorne) Bienchen hast du doch keine?

Biegler (schüttelt den Kopf)

Zarncke

Na dann setz dir mal. (Zieht ihn in einen Stuhl) Du bist nu man büschen verbiestert, min Sähn ... Wat dir da im Kopp spukt, das will ich gar nich wissen ... Is auch ganz egal. Nu laß man schon büschen sorgen für dich. (Strenge) Und jetzt geschieht folgendes: Du kriegst mal zuerst 'n Anzug von mir ...

Biegler

(an sich niedersehend, freudig)

Ja, ja, ja, ja.

Zarncke

Du, du hast ja gar nich mal 'n Hemde an!

Biegler (eifrig, voll Ehrgefühl)

Jawohl — hab' ich. (Reißt, um das Hemde zu zeigen, die Strickweste auf) Da! (Beschämt) Bloß — Kragen hab' ich nich.

[S. 50]

Zarncke

Also das kriegste alles auch. Und 'n warmen Mantel. Denn Nachts is noch kalt ... Und dann kriegst du 'ne Pfeife und 'ne Schnarre. Und die Kontrolluhren, die bis zum Abend ankommen, die erklär' ich dir. Wohnen tust du drüben im Sägewerk. Und essen tust du in der Kantine bei der Lore, die dir das Butterbrot gebracht hat. Verstehste?

Biegler (wie vorhin)

Ja, ja, ja, ja.

Zarncke

Und nun kümmerst du dich um Dodt und Deiwel nich mehr. Und so wollen wir langsam wieder 'n Menschen aus dir machen. Hä?

Biegler (nickt willenlos)

Zarncke

Na also.

(Der Vorhang fällt)


[S. 51]

Zweiter Akt

Der Werkplatz. Links das Wohnhaus mit vorspringender Veranda und einem Balkon darüber, zu dem aus dem oberen Stockwerk eine Glastür führt. Zu ebener Erde ein Fenster. Rechts die Kantine mit einer Tür in der Seitenwand und einem nach der Rampe zu gerichteten Fenster, vor dem eine Bank steht. Hinter der Kantine, ein wenig vorspringend, das Magazin, mit einer Tür und einer daneben angebrachten Glocke. — Im Hintergrunde rechtwinklig zum Magazin ein offener, von Holzpfeilern getragener Schuppen, der sich mit seiner Hinterwand an die senkrechte Erhöhung lehnt, welche den hinteren Teil des Werkplatzes bildet und zu der in der Mitte des Hintergrundes eine schmale Treppe emporführt. Links von der Treppe mehrere hochaufgestapelte Steinblöcke, welche die Höhe des hinteren Teiles übersteigen. Über einem der Stapel ein Kran. Eine schmale Feldbahn zum Transport der Blöcke führt an den Stapeln, der Treppe und dem Schuppen vorüber quer über die Bühne. Blöcke liegen überall verstreut. An den Wänden des Schuppens und der Häuser stehen und hängen, wo nur ein Platz sich findet, Gipsmodelle: Figuren, Reliefs, Ornamentstücke. Die Veranda ist mit Schlingpflanzen bewachsen, ein Baum neigt sich über ihr Dach. Das Kantinenfenster schmücken Blumentöpfe. Den Prospekt bildet eine großstädtische Häuserreihe, die jenseits der am Werkplatz entlangführenden Straße gedacht ist. Ein Kirchturm ragt aus der Ferne herüber

Erste Szene

(Beim Aufgehen des Vorhangs zeigt der Platz ein überaus reiches Arbeitsleben. Vor den Blöcken arbeiten Steinmetzen[S. 52] oder Bildhauer, die ersteren mit blauer Schürze, die letzteren mit langem, weißgrauem Kittel und Papier- oder sog. Raffaelmütze bekleidet. Der Kran ist im Gange. Niedrige Wagen transportieren Blöcke vorüber. Hilfeleistende Arbeiter in beliebigem Werktagsanzug. Mittagsstimmung)

Vorne rechts Göttlingk in Steinmetzentracht vor einem Blocke — ein Gipsmodell daneben. Der Polier Willig an einem anderen Blocke, messend. Unter den Arbeitern, die sich hinten zu schaffen machen, Lohmann, Sprengel, Struve

Göttlingk

(stämmig, mittelgroß, Stiernacken, blonder, schön geringelter Schnauzbart, Haar in geschniegeltem Bogen in die Stirn heruntergestrichen. Spielt den Kraftmenschen, großsprecherisch, übermütig, brutaler Charmeur. Er arbeitet mit Meißel und Klippel und singt dazu)

Na — nun kommt auch noch die Sonne angekrochen. He, ihr Zitronenschleifer da hinten, hab' ich euch nich gesagt, ihr sollt mir den Block in den Schuppen schaffen? — Lohmann, Sprengel, ihr andern, immer 'ran!

Willig

Du, Göttlingk, schnauz hier nicht so viel. Sag's lieber mir.

Göttlingk

Du hast mir gar nischt zu befehlen, mein Sohn.

Willig

Und du hast denen nischt zu befehlen.

Göttlingk

Wenn sie so dumm sind und gehorchen. (Lohmann, Sprengel und ein dritter Arbeiter sind nach vorn gekommen) Da, wie sie anhampeln! Hab du sie man so an der Strippe wie ich. (Befehlshaberisch) Also nu los!

[S. 53]

Lohmann

Warten Sie man bißchen, hochgeborner Herr. Zehn Finger hat jeder zu verlieren. (Stemmt ein Brecheisen ein)

Göttlingk

Brecheisen weg! Ihr werd't mir die Kanten abstoßen.

Sprengel

Ohne Brecheisen geht's nich.

Göttlingk

So? Hä! Wenn ihr man stramme Kerls wärt, ihr Volk ... (Faßt mit an) Unoduetre! (Der Block rückt weiter) Na, geht's oder nich?

Lohmann

Ja, wenn Sie so scheen ausländsch kommandieren! Sagst du zum Hund »kusch«, dann kuscht er. Bloß weil er's Franzesch so gern hat.

Göttlingk

Noch mal: unoduetre! (Der Block rückt wieder) Ja, ja, Kerlchens. Grips im Kopp und Marks in de Knochen. Das ist die Hauptsache.

Lohmann

Und 's Messer im Sack nich zu vergessen.

Göttlingk

Lassen Sie man mein Messer in Ruh, mein alter Sohn. (Zieht ein Dolchmesser aus einer Lederhülse, die er am Leibgurt unter dem Kittel befestigt hat) Das is dreikantig geschliffen.[S. 54] Das schlupft (schnalzt, das Messer vorstoßend, mit den Lippen) wie 'n Küßchen ... Tut gar nich weh. Will einer probieren?

Willig

(der mißbilligend zugehört hat)

Du — Göttlingk!

Göttlingk (zu ihm herübertretend)

Hä?

Lohmann (hinter ihm her, ingrimmig)

So 'n Paradehengst! (Die andern lachen)

Willig

Mach dich nich immer mit den Kerls gemein. Laß sie ihre Arbeit verrichten. Und damit gut!

Göttlingk (großspurig)

Pöh! Ich bin nu mal so 'ne leutselige Natur.

Willig

Mußte immer Bewunderer haben?

Göttlingk

(wendet sich lachend zum Stein zurück und kommandiert weiter)

Zweite Szene

Die Vorigen. Zarncke (ist aus der Veranda getreten)

Zarncke

Polier!

Willig (respektvoll)

Herr Zarncke.

Zarncke

Is was zu melden?

[S. 55]

Willig

Nein, Herr Zarncke.

Zarncke

Was tut der Kran da?

Willig

Er holt die Quadern fürs Sägewerk.

Zarncke

Bis morgen abend muß auch der Oberkirchner Block dort an der Treppe 'runtergeschafft werden, damit er Montag in Arbeit genommen werden kann.

Willig

Sehr wohl, Herr Zarncke.

Zarncke

Wie is die Verteilung heute?

Willig

Elf Steinmetzen auf'm Platz, fünfzehn draußen auf'm Bau, vier Bildhauer auf'm Platz, sechs auf'm Bau.

Zarncke

Wo is der Göttlingk heute?

Willig

Da is er ja.

Göttlingk

(den Stein betrachtend, dessen senkrechte mit Ornamenten bedeckte Seite jetzt oben liegt)

Donnerschock! Per Bacco! Den ganzen Dreckplatz soll der Deiwel holen! Du, Polier, komm mal her.

[S. 56]

Zarncke

Was schimpfen Sie denn heute so wild um sich, Göttlingk?

Göttlingk

(lüftet einigermaßen verlegen die Mütze)

Verzeihung, Herr Zarncke, aber das soll wirklich der Deibel holen. Wie ich den Block drehen lass', da seh' ich, daß von gestern auf heute eine fremde Hand daran 'rumgemurkst hat.

Zarncke

(stutzt, ein Verdacht steigt in ihm auf)

Ach, Sie werden sich täuschen. (Tritt hinzu)

Göttlingk

Weil mir das schon einmal passiert war, hab' ich mir zu Feierabend immer 'n Zeichen gemacht ... Da, bitte!

Zarncke (den Stein betrachtend)

Von dem Blaustrich an?

Göttlingk

Jawohl.

Zarncke (nachdenklich, lächelnd)

Hm. So! — Das is aber nich schlecht gemacht. Da ist Schwung drin. Wenn sich die Heinzelmännchen extra für Sie bemühen, Göttlingk!

Göttlingk

Wenn ich das Heinzelmännchen treff', dann gibt's eins zwischen de Rippen ... Was is das für'n Nachtwächter, der Kerl, der jetzt Nachmittags hier 'rumschleicht, wenn er so was zulassen kann? ... Das ist schlimmer wie Einbruch.

[S. 57]

Zarncke (der abzulenken sucht)

Was hat denn der Nachtwächter damit zu tun? Wenn's finster is, kann man nich arbeiten.

Willig

Verzeihung, Herr Zarncke. Um fünfe, da is es schon lang hell.

Zarncke (beruhigend)

Ich werd' den Mann hernach mal fragen.

Göttlingk (murmelnd)

Das besorg' ich schon selber.

Zarncke

(mit Willig nach vorne kommend)

Sagen Sie mal, Polier, wie macht sich der Nachtwächter im übrigen auf'm Platz?

Willig

Der Mann ist fügsam und ordentlich und kann sich an Fleiß nicht genug tun. Aber — schwach, Herr Zarncke.

Zarncke

Tja!

Willig

Und dann — 'n bißchen sonderbar.

Zarncke

Inwiefern? (Ringsum ertönen Mittagssignale)

Willig

Er hält sich immer abseits. Gibt kaum Antwort. Manche fangen ihn schon zu verulken an.

[S. 58]

Zarncke

Dulden Sie das nich, Willig!

Willig

Ja, da kann ich nich viel machen, Herr Zarncke.

Zarncke

Warum läutet denn der Eichholz nich Mittag? Eichholz!

Willig (zur Kantinentür laufend)

Eichholz!

Dritte Szene

Die Vorigen. Eichholz

Eichholz (angeheitert)

Haben bloß zu befehlen, Herr Zarncke! Wie der Blitz bin ich da — ja! (Läutet die Glocke, die am Magazin hängt)

Zarncke (sieht kopfschüttelnd zu)

Willig

Er is jetzt immer im halben Dusel.

Eichholz (sich umschauend)

Na — schläft der — faule Hund — noch?

Zarncke

Möchten Sie nu mal den Frauen das Tor aufschließen?

Eichholz (brummend nach links)

Willig

Nu geht er noch in die Destille!

Zarncke

Is das ein Elend!

[S. 59]

Vierte Szene

Die Vorigen. Mehrere Frauen. Später Lore

(Sämtliche Arbeiter haben ihre Werkzeuge niedergelegt, einzelne gehen zu den Wasserleitungshähnen, die im Schuppen angebracht sind und waschen sich. Andere holen dicke Butterstullen und Blechkannen hervor und beginnen zu essen. Frauen kommen von links mit Eßkörben und begrüßen ihre Männer. Einzelne haben auch ihre Kinder mitgebracht, die sich mit den Eltern um den Eßkorb gruppieren)

Zarncke

(begrüßt eines und das andere, teilt Bonbons aus, wünscht den Frauen »Guten Tag« und spricht einige Worte zu den Männern)

Lore

(erscheint in der Tür der Kantine und geht zu verschiedenen der Bildhauer und Steinmetzen)

Bitte zu Mittag. — Bitte zu Tisch. — Zu Tisch möcht' ich bitten. (Lauter) Wem kann ich Bier 'rausschicken?

Einzelne Stimmen

Hier. Ich. — Mir eins.

Lore (zählt die Stimmen)

Göttlingk

(betrachtet murrend seinen Block)

Lore

(an ihn herantretend, leise zaghaft)

Kommst nich auch, Eduard?

Göttlingk (sich umschauend, unwirsch) Hab' ich dir nicht gesagt, du sollst mich nich »du« nennen auf'm Platz?

Lore Verzeih! Ich hab' vergessen. (Zur Kantine ab)

(Verschiedene Bildhauer und Steinmetzen gehn zur Kantine, darunter Göttlingk)

[S. 60]

Zarncke

Gehn Sie auch zu Tisch, Willig. Übrigens hören Sie mal: Mit dem Struve steht's schlecht. Den wird uns das Kriminal bald abholen.

Willig (achselzuckend)

Ja.

Zarncke

Ach, schicken Sie ihn mir mal, — ja?

Willig (rufend)

Struve!

(Struve steht von einem hinteren Steine auf, wo er unbemerkt gesessen hat. Willig spricht im Vorbeigehn zu ihm und weist nach vorne, dann geht er in die Kantine ab)

Fünfte Szene

Die Vorigen ohne Willig. Struve (nach vorne kommend)

Struve

(Mann in den Vierzigern. Ergrauendes Haar, blank und gelockt. Bartstoppeln. Verschmitzte Äuglein. Ein Zug drolliger Heuchelei um die Mundwinkel. Arbeitskleidung mit wollenem Halstuch und Holzpantinen. Trägt einen Deckelnapf in der einen, eine faustdicke Butterstulle mit Taschenmesser in der andern Hand. Bei dem Versuch, die Mütze abzunehmen, fällt ihm das Butterbrot auf die Erde)

Zarncke

Sachte, sachte! Nu is die janze Pastete in den Sand gefallen.

Struve

(das Butterbrot an den Hosen abwischend)

Das macht nichts, Herr Zarncke. »Mit ne Ladung Sand — schmeckt selbst 'n alter Strohsack pikant,« sagten wir immer uf de hohe Schule.

[S. 61]

Zarncke

Na, nu werden Sie ja bald wieder drinsitzen in Ihre hohe Schule.

Struve

Ja, Herr Zarncke, was kann man machen?

Zarncke

Mensch, wenn's mir nich so leid täte um Sie —

Struve

Nu haben Se man guten Mut, Herr Zarncke ... Mir hat's auch mal leid getan. Aber nu is schon egal.

Zarncke (leise)

Na, sind Sie's nu gewesen oder nich?

Struve

Herr Zarncke, wenn ich gleich hier meinen Totenschein in die Hand nehm' —

Zarncke (lachend)

So 'n Halunke wie Sie! ... Sie wissen doch, die Untersuchung geht weiter?

Struve

Ja, die Polente schnüffelt ja alle Tage hier 'rum.

Zarncke

Sagen Sie mal, können Sie nu wirklich keinen Zeugen dafür beibringen, wo Sie in den Stunden des Einbruchs gewesen sind?

Struve

Was man so nennt: einen Aal-ibi, Herr Zarncke?

[S. 62]

Zarncke

Jawohl.

Struve

Ja, sehn Sie mal, was 'n wirklich reeller Aal-ibi is — der kost't nich unter fünfzig Mark. Wo soll ich fünfzig Mark hernehmen, Herr Zarncke?

Zarncke (lachend)

So?

Struve

So 'ne Brieder, die schon wegen Meineid verschütt jejangen sind, die tun's auch billiger ... Meechens auch. Aber die kriegen's vor Gerichte hernach mit die Heulerei ... Nee, das sind alles keine reelle Sachen.

Zarncke

Na, und wenn sie Sie nu gleich mitnehmen?

Struve

»Der Gerechte muß viel leiden,« so steht in de Psalmen geschrieben.

Zarncke

Hören Se auf mit Ihre dämliche Muckerei. Glaubt Ihnen ja doch keiner ... Mensch, Mensch, wie hau' ich Sie nu 'raus?

Struve

Hätten gar nicht anzeigen müssen. Sehn Se, nu sitzen Se drin, Herr Zarncke.

Zarncke (lacht)

Marie (das Fenster öffnend)

Vaterchen, kommst nich zu Tisch?

[S. 63]

Zarncke

Gleich, Miezelchen ... Also ich werd' mal nachdenken. Vielleicht fällt mir noch was ein.

Struve

Ganz wie Sie meinen, Herr Zarncke.

Zarncke

Ulkiges Huhn! ... Hier haben Sie 'ne Zigarre. (Ab)

Struve

Danke, Herr Zarncke. (Die Zigarre einsteckend) Ja, ja. Sie rüsten sich wider die Seele des Gerechten und — (sieht, daß Zarncke inzwischen weggegangen ist) Ach so! (Setzt sich auf den vordersten Block, kratzt an seinem Butterbrot und fängt an zu essen)

Sechste Szene

Struve. Lohmann. Sprengel, ein dritter Arbeiter, die essend auf dem Block hinter ihm sitzen

Lohmann

Na, wie lange werden sie dich deinen Knast Brot noch 'runterfuttern lassen, Struve, ehe sie dich inlochen?

Struve (achselzuckend)

Ja.

Lohmann

Nachher gibt's zu Mittag wieder »Rumfutsch« und »blauen Heinerich«. Ei weh.

Struve

Kindersch, babbelt nich von so hohe Sachen. Das versteht ihr nich.

[S. 64]

Sprengel

Der tut sich noch dicke auf sein Zuchthaus.

Struve

Nu ob. Da kommt ihr noch lange nich rin. Da sind bloß feine Leute drin. Ja.

Die Anderen (lachen)

Lohmann

Drum heißt es auch die hohe Schule.

Struve

Jawoll. Da lernt man was. Hast du überhaupt 'ne Kleiderbürschte? Die hat mir der Staat immer franko geliefert. Aus lauter persönlicher Hochachtung ... Oder gar 'ne Zahnbürschte? Aber ich — siehste! ... Kiek dir mal an, wie der Dreck an dir 'rumklebt ... Aber wir machen dort zu Mittag immer Toi—lette. Und Handtuch tragen wir immer auf'n Arm, da laufen wir den janzen Tag mit 'rum. Vor lauter Feinheit. Ja.

Die Anderen (lachen)

Struve

Überhaupt, was bist du hier? Und was bin ich hier? Und was sind wir alle hier? ... Dreck sind wir. Hoch über dir kommen erst die Steinmetzen ... und da hoch drüber die Bildhauer. Und denn noch höher der Polier ... Und denn gar erst ... ach! Dort hab' ich immer in de erschte Klasse gearbeit't ... Weiße Binde hab' ich tragen dürfen. Tischältster bin ich gewesen. Das is mehr wie der Polier. Das is wie 'n Jeneral ... Das kannste alles[S. 65] werden, wenn de ins Zuchthaus kommst ... Karri—ere kannste machen. Ja.

Lohmann (singt spottend)

Liebes Kind, nu weine nich,
Mittags jibt's den blauen Heinerich;
Stehst du mit dem Schien auf du und du,
Kriegste auch 'n halben Hering zu.

Struve

Nu ja. Verdient euch mal erst 'n halben Schwimmling. Ihr geht hier zur Lore und schnauzt: Hering — aber 'n milchernen — mit Zwiebel — viel Zwiebel ... janzen Berg Zwiebel, und dann schmeckt er noch nich mal ... Ich sag' euch: ... wollt ihr 'n wirklichen duften, leckern Schwimmling, da müßt ihr in de Anstaltsküche kommen. Die verstehn det Jeheimnis ... Da kitzelt euch die Schnauze von — noch Abends beis Einschlafen. So viel scheener ist da alles. Ja.

Lohmann

Wenn da alles so viel scheener is, wat machste denn nich wieder hin?

Sprengel

Da hast du doch freien Angtree.

Struve

Kindersch, ick werd' euch mal was erzählen: Dicht an de große Außenmauer in Waldheim — da steht nämlich 'ne alte Linde ... Und von de Fisintation aus, was nämlich der Arbeitssaal is, da siehste 'n janzes kleines Stückschen von ... Und von'n Spazierhof aus, wo du immer sechs Schritt hintern Vordermann herzoddelst, (stolz) bloß nicht wir von de erste Klasse, wir jingen natierlich[S. 66] immer zu zweie — wenn du da — und du huppst in die Höh', dann siehst wieder 'n andern Stückschen — so sechzig bis achtzig Blätter, wodran du immer jenau wissen kannst, was für Jahreszeit is ... Und nun hat uns immer und ewig der Deibel geplagt, daß wir auch mal den janzen Lindenbaum sehen wollten, denn der soll nämlich der scheenste Lindenbaum sein, wo's auf de Welt überhaupt jibt. Das soll schon in de Geschichtsbicher stehn ... Na, und wo nu endlich der Tag da is von de Entlassung, und wo einem das Herz bis in'n Kopp 'raufbummert — und wo nu das innere Tor aufjeschlossen wird — na, da is er nu — und da is er 'n janz jemeiner oller, ekliger Lindenbaum. Na — und so war denn hernach alles — janze Freiheit.

Lohmann

Nu — wenn du das nu schon weißt? —

Struve

Was hilft da viel — wissen. Der Mensch is 'n dämliches Vieh. Wie ich 's zweite Mal drinsaß, da war der olle, dämliche Lindenbaum noch viel scheener geworden.

Die Anderen (lachen)

Sprengel

Ja, wenn's so is.

Struve

Überhaupt — ihr Schafsköppe mit eure sogenannte Freiheit! — Geschunden! hin und her geschmissen! Liegste im Sonnenschein uf ne scheene Planke, kriegste den Holzbock in de Waden; haste keene Arbeit, kannste jehn den Chausseegraben austapezieren. Willste mal geradaus — jeder Mensch will mal geradaus — und als dir kommt[S. 67] nu 'ne verschlossene Tür in de Quere — und du willst doch geradaus, dann stecken sie dir ins Kittchen. Das heißt nu Freiheit. Kindersch, ick hust' auf eure Freiheit. Seine Ordnung muß der Mensch haben. Seine Ordnung hat der Mensch bloß allein im Zuchthaus.

Die Anderen (lachen)

Struve

Mir hat überhaupt bloß eins gefehlt. Dann wär' ich auch janz komplett jlücklich gewesen.

Sprengel

Das war wohl eene Braut?

Struve

Ne.

Lohmann

Zwei Brauten?

Struve

Ne.

Lohmann

Na was denn sonst?

Struve (träumerisch)

Das war 'n Rasierspiegel ... Wenn ich den noch hätt' gehabt — —

Siebente Szene

Die Vorigen. Biegler (von rechts)

Biegler

(in anständiger Arbeitskleidung. Sein Bart ist gestutzt, sein Aussehen gebessert, aber sein Benehmen noch scheu und unumgänglich, voll immer neu aufflackernden Mißtrauens. Er setzt sich auf die Bank vor das Kantinenfenster)

[S. 68]

Lohmann

Kiekt mal den da! ... Was is das eigentlich für 'ne Sorte? Reden tut er nich, »guten Tag« sagt er nich.

Biegler

(gewahrend, daß man sich mit ihm beschäftigt, unfreundlich, dumpf)

Guten Tag.

Struve

Na sagt ja.

Lohmann

War auch danach. Guten Tag, hochwohlgeborener Herr Nachtrat! ... Kommen der Herr Dunkelmann 'n bißchen de Sonne revindieren?

Sprengel

Mensch, nu red doch was!

Biegler

Was soll ich reden?

Sprengel

Mach doch 'n Witz.

Biegler

Ich weiß keinen Witz.

Lohmann

Der Kerl is trocken wie Galgenholz.

Struve

Nu sag bloß, Mensch, wie amesierste dir nu so die lange Nacht über? Putzte de Sterne blank? Ziepste dir an de Barthaare? Wirfste de Meechens, wo auf de Straße vorbeigehn, Klamotten auf'n Kopp? ... Irgend was muß der Mensch doch zu tun haben de lange Nacht über!

[S. 69]

Biegler

Ach, ich hab' immer zu tun.

Lohmann

Tranig is das Luder.

Sprengel

Wat huckste da uf de Banke? Warum jehste nich ze Mittag?

Biegler

Jetzt essen doch die — Steinmetzen. Da kann ich doch nich auch essen.

Lohmann

Nu dann komm doch mal her so lang ... Na — los!

Biegler (erhebt sich zögernd)

Was soll ich bei euch?

Sprengel

Trink mal aus meine Buddel. Prost.

Biegler

Danke. Ich trinke keinen Schnaps.

Lohmann

Ach, du bist wohl auch so 'n Pinkelinker? So 'n Pumpengenie?

Biegler

Sonst habt ihr nichts zu wollen von mir?

Sprengel

Nu huck dir doch mal erst dal. (Zieht ihn auf den Block nieder)

[S. 70]

Lohmann (weiterrückend)

Setzen Sie sich ruhig in die Sonne, verehrte Schattenpflanze.

(Lachen)

Biegler

Ich tu' dir doch nichts, warum uzt du mir?

Lohmann

Ich uz' dir doch gar nich. Ich schmeichel' mir bloß so an dir ran.

Struve

Sag mal, Mensch, was biste vorher gewesen? Eh' du hier Nachtwächter wurdst?

Biegler (erschreckend)

Ich? — Ich bin Arbeiter.

Lohmann

Kirschenpflücker vor de Wintermonate — hä?

Struve

Du kommst mir nämlich so bekannt vor, weißte.

Biegler (angstvoll)

Ich — dir? Nee — daß ich nich —

Struve

Nich, als ob ich dir kennen tu'. Aber du hast so 'ne Art ... Bei uns in Waldheim da hatten wir so 'n paar. Wir nennten se immer »de blamierten Förschten«. — Du, wo liegt denn dein Förschtentum?

[S. 71]

Lohmann

Markgraf von Brandenburg, Fürstbischof von Moabit, Edler Herr von und zu Sonnenburg.

Biegler (zuckt zusammen)

Lohmann

Du plinkst ja immer so mit 'n rechten Vorderarm.

Sprengel

Laß ihm man in Ruh. Das is 'n guter Kerl ... der is bloß verschüchtert.

Lohmann (gutmütig)

Ich mach' ja auch bloß 'n Witz.

Struve

Da — willste 'ne Zijarre?

Biegler (verblüfft)

Wieso — gibst — du mir —?

Struve

Kannst nehmen ... die is jut ... die hat mir der Alte vorher geschonken.

Biegler

(noch immer verwundert, sein Gesicht erhellt sich)

Na, denn dank' schön ... Ich werd' mir denn auch später — revanschieren.

Lohmann

(ihn auf die Schulter klopfend)

Na, meinen wir's denn nu so beese?

Biegler (mit glücklichem Gesicht)

Nee! Wahrhaftigen Gott nich!

[S. 72]

Lohmann

Na siehste! (Nach links weisend, wo Eichholz sichtbar wird) Aber vor dem Alten nimm dir in acht. Der is dir nich jrien.

Achte Szene

Die Vorigen. Eichholz

Eichholz (vollends angetrunken)

Ich bin ein Mann — hochgeehrt, — ich brauch' nich — Kartoffelsuppe aus'n Steinguttopp — fressen! Morjen, die Gesellschaft! Morjen, die hochgeehrte Gesellschaft! (Biegler bemerkend) Was? — Was will der Hund? Der schmalbauchige Hund? M — M — Mantel hat er ihm geschenkt — mit blanke Knöppe — wie 'n Offezier! Was is der Kerl überhaupt? Wo kommt der verhungerte Kerl her?

Lohmann

Das geht dir jar nischt an. Wenn er man seine Pflicht tut.

Eichholz

Pflicht tut? Hähähä! Der is bloß zum Rausfuttern hier. Der is hier auf Eichelmast wie de Nuck-Nuck-Schweinchen. Wann hab' ich mal blanke Knöppe gekriegt? Kerl, durch was für Pfiffe und Kniffe bist du auf den Posten gekommen? Zieh mal vom Leder, du Hund!

Biegler

Lassen Sie mich in Ruh. Ich habe mit Ihnen nichts zu tun.

Eichholz

Was krauchste immer bei meine Tochter 'rum? Dir jibt se 'n Porzellanteller. Du wirst noch mal — platzen[S. 73] — wie 'n Bovist. Und dann wird man an dem Gestanke erkennen, wer du bist. Mensch, ich hab' 'ne Faust wie 'ne Ramme! (Dringt auf ihn ein)

Biegler (stößt ihn fort)

Eichholz (zurücktaumelnd)

Was — hauen — tust du mir alten Mann?

Neunte Szene

Die Vorigen. Göttlingk und andere Bildhauer und Steinmetzen

Göttlingk

Was is hier los?

Eichholz (keuchend)

H—h—hauen — m—m—ir—!

Göttlingk

Wer hat den alten Mann gehauen?

Struve

Is ja alles Blech!

Göttlingk

Werd' ich nu bald Antwort kriegen?

Lohmann (kleinlaut)

Hier hat überhaupt keiner gehauen.

Eichholz (mit erhobener Faust)

Der Hund! — der verhungerte — (Einige der Umstehenden führen ihn nach hinten)

[S. 74]

Göttlingk

Sieh mal an! ... Kommen Sie mal ran, Sie! ... Na?

Biegler

Ich tu' hier, was ich zu tun habe. Sie gehn mich nischt an.

Göttlingk

Das werd' ich Ihnen mal gleich beweisen. Eins — zwei — (pfeift)

Struve (leise)

Da geh man schon. — Jegen den Großschnauz kommste nich auf.

Lohmann (leise)

Der sticht mit's dreikant'ge Messer.

Göttlingk

Wenn ich »drei« sag' —

Biegler (blaß, schwer atmend)

Sie können — ja auch zu mir kommen.

Göttlingk (pfeifend)

Ich warte.

Biegler (in Erregung, zitternd)

Da lassen — sich man — die Zeit — nich lang werden.

Die Anderen (lachen)

Göttlingk (in Wut)

Wer riskiert hier zu lachen? ... Soll ich meine Pfeife mit euch stoppen, Kerls? (Das Lederfutteral nach vorne ziehend) Soll ich euch mal die Hühneraugen barbieren? (Da Lohmann, Sprengel, Struve sich vor Biegler gestellt haben) Aus dem Weg hier!

[S. 75]

Lohmann (sich umschauend)

Wo is denn der Polier?

Göttlingk

Jetzt bin ich hier der Polier. (Wild) Aus dem Weg hier — oder —

Biegler (vortretend)

Laßt man. Wegen mir soll hier keiner Ungelegenheiten haben. —

Göttlingk (befriedigt)

Na, da hätten wir ja das Gewächse. (Setzt sich, raucht) Immer parieren, Kinderchen.

Biegler

Also ich wär' ja nu da.

Göttlingk

Das seh' ich. Was den alten Knackstiebel betrifft, den wollen wir mal auf sich beruhen lassen. Aber wir haben noch 'n Hühnchen zu pflücken, wir beide. Sie sind doch der neue, krumme Kerl von Nachtwächter?

Biegler

Neu bin ich hier ... Krumm bin ich wohl auch.

Göttlingk (auflachend)

Und Nachtwächter auch?

Biegler

Ja.

Göttlingk

Dann kieken sich mal hier diesen Block an. Na — soll ich Sie bei den Ohren nehmen?

[S. 76]

Biegler (stammelnd)

Was — is — denn — mit dem Block?

Göttlingk

Sie sind verantwortlich für das, was hier über Nacht geschieht. Ich frag' Sie: Wer hat da an meinem Block rumgemurkst?

Biegler (sehr bestürzt)

Das —

Göttlingk

Na?

Biegler

Das — weiß ich — doch — nich.

Göttlingk

Seht euch mal das böse Gewissen an.

Struve (leise)

Nu sei doch frech! Schmeiß ihm doch Staub ins Gesichte.

Zehnte Szene

Die Vorigen. Frau Homeyer. Marie

Frau Homeyer

(geht quer über den Platz zu der Gruppe hin)

Göttlingk

(sich rasch vom Wüterich in den Schwerenöter verwandelnd)

Oi, da kommt ja hoher Besuch, feiner Besuch, pikefeiner Besuch. Nu, mein süßes, strammes Frau Homeyerchen, mein —

Frau Homeyer (ihn abwehrend)

Man wird schließlich nich mal mehr unbelästigt auf den Platz kommen können.

[S. 77]

Göttlingk

Aber Kindchen, Puppechen! Sie waren doch sonst nich so. Ich hab' Ihnen doch manches liebe Mal in Ihren warmen, sanften Oberarm gekniffen.

Frau Homeyer

Und haben immer noch von mir auf die Finger gekriegt.

Göttlingk

Aber gelächelt haben Sie dazu — so sieß! (Schmachtend) Ach, wie so sieß!

Frau Homeyer

Ach, Sie sollten sich was schämen. Dort vor der Tür steht das Fräulein. Das will Sie sprechen.

Göttlingk

Das Fräulein — mich? — Mich — das —? So! Na! Sie, Nachtwächter, Sie können abrutschen. Aber Sie werden mir noch Rede stehn. Verstanden? —

Lohmann (leise)

Hab man keine Bange vor dem!

Struve (leise)

Und wenn du für irgend was 'n Zeugen brauchst, ick beschwör' alles ... Unbesehn.

Biegler

Ich dank' euch schön.

Göttlingk

(dreht eitel seinen Schnurrbart)

Na, bin ich nu nobel genug fürs Fräulein? (Geht nach vorne links)

[S. 78]

Frau Homeyer

(schaut verliebt hinter ihm her, einer der Steinmetzen umfaßt sie von hinten, sie schlägt nach ihm, die andern lachen, sie geht nach links)

Biegler (nach der Kantine ab)

Elfte Szene

Marie. Göttlingk. Die anderen im Hintergrund

Marie

(ist bebend die Stufen heruntergestiegen und streicht sich, wie um sich Mut zu machen, mit der Hand übers Gesicht)

Göttlingk

(linkisch, mit durchbrechender Frechheit)

Mahlzeit, Fräulein.

Marie (tonlos)

Gesegnete Mahlzeit!

Göttlingk

Möchte mir die ergebenste Frage erlauben, womit ich dem Fräulein dienen kann?

Marie

Herr Göttlingk, Sie sind lange weg gewesen.

Göttlingk

Jawohl, bißchen de Welt besehen. Aber nu bin ich schon lange wieder da.

Marie

Das freut mich, daß Sie wieder da sind, Herr Göttlingk.

Göttlingk

Nu, das is ja höchst schmeichelhaft für mich. Danke schön.

[S. 79]

Marie (rasch, ängstlich)

Nein, nein, der Lore wegen.

Göttlingk

Der Lore wegen. Ach so ... Na, das geht so seinen Weg.

Marie

Was für 'n Weg, Herr Göttlingk?

Göttlingk

Wissen Sie was, Fräulein Mariechen? Beunruhigen Sie sich darüber nicht. Da sind Sie viel zu fein zu. — Das sind solche Geschichten.

Marie

Sie wissen wohl gar nicht, Herr Göttlingk, wie lieb Sie die Lore hat?

Göttlingk

Mädchen mit 'n Kind hat einen immer lieb. Dafür sorgt schon der liebe Gott.

Marie (ihn bestürzt anstarrend)

Herr Göttlingk, so schlecht können Sie doch gar nicht sein. Wenn die andern auch sagen, Sie seien gewalttätig und — Ich habe Sie immer für einen guten und edeln Menschen gehalten.

Göttlingk

Na, macht sich!

Marie

Und ich weiß, aus Ihrem Singen spricht ein weiches Herz. Ich habe Ihnen immer mit Freuden zugehört.

Göttlingk

So? Na, ich hab' auch sozusagen immer extra für Sie gesungen, Fräulein Mariechen.

[S. 80]

Marie (tödlich erschrocken)

Wieso — für — mich?

Göttlingk

Nu, weil ich schon weiß, daß Sie dann immer 's Fenster aufmachen. Also müssen Sie's doch gerne haben. Ich tu' immer, was Sie gerne haben. Jawohl. Mach' ich.

Marie (außer Fassung)

Es handelt — sich hier — aber gar nicht — um mich.

Göttlingk

(in trumpfender Männlichkeit)

Warum eigentlich nich, Fräulein Mariechen? Warum soll es sich nich auch 'n mal um Sie handeln?

Marie

(sprachlos, ratlos, schließt für einen Augenblick die Augen, dann — da sie Zarnckes Stimme in der Veranda hört, eilt sie hilfesuchend auf ihn zu)

Vaterchen! Vaterchen!

Göttlingk (seinen Schnurrbart drehend)

Sieh mal an! Sieh mal an! (Geht nach hinten)

Zwölfte Szene

Die Vorigen. Zarncke. Kriminalkommissar Reitmaier

Zarncke

Na, was denn, Miezelchen? (Ruft) Frau Homeyer! (Sie hängt in seinem Arm, er streichelt ihre Wange und übergibt sie dann Frau Homeyer, die für einen Augenblick in der Tür erscheint) Sie werden entschuldigen, Herr Kommissar! Sie is 'n bißchen kränklich ...

[S. 81]

Reitmaier

(Mann Mitte der Vierzig, rund, breitschultrig, strohblonder Schnauzbart, Pincenez. Gemachte Jovialität, die gelegentlich in brutale Schärfe umschlägt. Ein wenig Bierbruder mit Ausblick zum Offiziertypus)

Ach, es ist mir ja immer höchst fatal, wenn ich so das Privatleben der Herrschaften stören muß. Ich werd' Sie auch nicht lange aufhalten. Ich bin nur beauftragt worden, mal 'n bißchen nachzuhören, was mein Kollege vom Revier da — — Haben Sie man keine Bange. Ich bin 'ne menschenfreundliche Natur. Ich mach' das alles gemütlich. Die Herren Spitzbuben — die sind mir so wie 'ne große Familie.

Zarncke (erfreut, bewundernd)

Ach — ne — wirklich?

Reitmaier (bieder)

Ja, darf ich wohl sagen: Wie meine Familie! Na, kann man den Onkel mal 'n bißchen sehn?

Zarncke (rufend)

Struve!

Struve

(sich von einer Gruppe im Hintergrunde lösend)

Jawohl, Herr Zarncke. (Leise) Ei weh, Kindersch. Da is der Reitmaier vom Präsidium. Das is 'n fauler Junge. (Kommt nach vorn)

Reitmaier (die Arme ausbreitend)

Herr Gott, das is ja mein guter, alter Struve.... Na, lieber Freund!

Struve (gerührt)

Ach, der Herr Kommissar! Ne, is das 'ne Freude!

Reitmaier

Na, Menschenskind, wir haben uns ja so lange nich gesehn.

[S. 82]

Struve

Ja, Herr Kommissar. Es hat mir auch immer was gefehlt.

Reitmaier

Nu sagen Sie mal, alter Sohn, was haben Se denn nu wieder ausgefressen?

Struve

Herr Kommissar, es tut mir ja leid. Aber ich bin eben scharf in de Besserung. Diesmal kann ich wirklich nich — nich — dienen.

Reitmaier (überzeugt)

Ja, ja, ja. Also, Sie sind's nich gewesen?

Struve

Herr Kommissar, und wenn ich hier gleich meinen Totenschein in die Hand nehm' —

Reitmaier

Nich schon Totenschein! Pfui! — Mann wie Sie muß leben!

Struve

Aber wenn sich's machen läßt, Herr Kommissar, im Zuchthaus. Ja.

Reitmaier (zu Zarncke)

Er is bitter gestimmt. (Beruhigend) Na, na, na, es is da bloß noch 'ne kleine Formensache. Nichts von Bedeutung! Ne! (Zieht sein Notizbuch) Sagen Sie mal, wo waren Sie denn nu in der Nacht?

Struve

Ja, Gott, Herr Kommissar. Wo man so is. Uf 'ne Banke. Oder so.

[S. 83]

Reitmaier (bedauernd)

Warum waren Se nu nich in Ihre Schlafstelle?

Struve

Ja, warum war ich nich in meine Schlafstelle? Hätt' ich gewußt, daß schlechte Menschen hier bei Herrn Zarncke einbrechen würden, hätt' ich mir gleich um halb zehne in de Klappe gelegt. Wegen den Aal—ibi.

Reitmaier

Natürlich! (Leise) Das is 'n abgefeimtes Luder! — Da Sie das aber selbstredend nicht wissen konnten, so gingen Sie zu — in den bekannten Lehmannschen Keller, wo wir ja auch schon zusammen gesessen haben. Is da 's Bier immer noch so gut?

Struve

Danke. Ja. Es jeht.

Reitmaier

Da waren Sie bis — zehn Minuten nach zwölfe. Und dann waren Sie mit Ihrem Freund Kuntze — ja, wo waren Sie da?

Struve

Ja, wo war ich da? Ich bin — spazieren jewesen.

Reitmaier (klagend)

Nämlich, denken sich mal, Ihr armer Freund Kuntze sitzt schon wieder feste!

Struve

Das is dem Kerl recht. Der is zu dumm.

Reitmaier

Aber es is doch schade. Na — und als Sie sich dann getrennt hatten, was taten Sie dann?

[S. 84]

Struve

Ach, Herr Kommissar, ich bin so 'n weiches Jemiete. Ick hab' mir so, wie ick schon sagte, in'n Humboldthain bisken uf die Banke jesetzt.

Reitmaier

Und gesprochen haben Sie mit niemandem?

Struve

I wo wer' ick doch. Dabei kann man so leicht in schlechte Jesellschaft kommen. Ne.

Zarncke (triumphierend, leise)

Den kriegen Sie nich!

Reitmaier

Und dann sind Sie nach Hause gegangen.

Struve

Ja, ick wollte eijentlich noch 'n bisken die Vögelchens singen hören. Aber pee à pee bin ick denn zu Hause jejangen.

Reitmaier (leise)

Der Kerl hat ein Schwein. Weder die Stunde des Einbruchs noch die Zeit seines Heimkommens sind festzustellen. Aber — — (laut) Struve!

Struve

Herr Kommissar!

Reitmaier

Ja, noch eins. (Wieder leise) In dem Magazin — haben Sie da Sachen von Wert?

Zarncke

O ja. Da bewahr' ich unter anderm die Zahnsägen auf.

[S. 85]

Reitmaier

Und die sind wertvoll?

Zarncke

Einige davon sind mit Diamantsplittern besetzt.

Reitmaier

Ah! Wußte der Struve davon?

Zarncke (mit reserviertem Lächeln)

Ja, das weiß ich nicht, Herr Kommissar.

Reitmaier

Struve, wo ist hier das Magazin?

Struve

Das Magazin? (Nach rechts weisend) Na da is es ja.

Reitmaier

Was is denn da so drin?

Struve

Was wird denn da so drin sein? Vielleicht überführen Sie sich mal, Herr Kommissar.

Reitmaier (schärfer)

Wissen Sie, was Zahnsägen sind?

Struve

Zahnsägen? Ja. Das sind Zahnsägen.

Reitmaier

Wo werden die über Nacht aufbewahrt?

[S. 86]

Struve (rufend)

Du, Lohmann, wo werden doch die Zahnsägen aufbewahrt?

Reitmaier (ärgerlich)

Sie haben hier zu antworten und keine Fragen zu stellen.

Zarncke

(auf die Umstehenden weisend, von denen sich einige allgemach näher herangedrängt haben)

Stören Sie die Leute, Herr Kommissar?

Reitmaier

Durchaus nicht. Durchaus nicht. (Leiser) Sie sehn übrigens — (zu Struve streng) treten Sie mal zurück! — (leiser) daß an das Subjekt nicht 'ranzukommen ist.

Zarncke (zaghaft, bittend)

Ach, dann lassen Sie ihn doch laufen.

Reitmaier

Nu ja, Sie sind ja bekannt dafür, daß es Ihnen Vergnügen macht, dergleichen Volk bei sich unterkriechen zu lassen.

Zarncke

Vergnügen? Es is wohl mehr eine Abbitte an den lieben Gott.

Reitmaier (immer noch leise)

Weitere Verdachtsmomente als seine Bescholtenheit liegen nicht vor. Ich könnte jetzt noch die Leute hier vernehmen. Vorher aber möcht' ich mal an Sie die Frage richten, ob Sie nach Ihren Beobachtungen den Kerl für verdächtig halten oder nicht?

[S. 87]

Zarncke (verlegen)

Ja, da is schwer —

Reitmaier

Trotzdem möcht' ich sehr bitten, der Wahrheit gemäß —

Zarncke (in die Enge getrieben)

Ja, ja, ja. Einen Augenblick. Polier! Geben Sie doch mal — (spricht leise weiter)

Willig

(der sich inzwischen unter den Umstehenden eingefunden hat, holt eine Anzahl Schlüssel aus der Hosentasche und reicht ihm einen davon)

Zarncke

Struve! ... Sehen Sie mal hier diesen Schlüssel. Kennen Sie den?

Struve

Ne.

Zarncke

Das ist der Magazinschlüssel. Den übergeb' ich Ihnen hiermit. Verstehn Sie?

Struve

Ne.

Zarncke

Falls der Herr Kommissar Sie hier läßt, werden Sie mir von jetzt ab für die Sicherheit der Sachen — einstehn. Verstanden?

Struve

Ne.

Reitmaier

Erlauben Sie mal, Herr Zarncke! Was bedeutet denn das?

[S. 88]

Zarncke

Das ist meine Antwort, Herr Kommissar. Entnehmen Sie daraus, was Sie wollen.

Reitmaier

Sie — vertrauen — dem den —? Hähähä! Erlauben Sie mal. — Hähähä. Pardon, das ist zu spaßhaft. (Immer lachend) Na dann will ich auch nicht weiter stören. Das kann dann mein Kollege vom Revier zu Ende führen! ... Aber wenn Ihnen man die Passion für solche schweren Jungens nich noch mal sauer aufstoßen wird ... denn außerdem haben Sie ja auch noch 'n Mörder bei sich. Und weiß Gott, was —

Zarncke (sehr erschrocken)

Mörder? (Große Bewegung unter den Zuhörern, die sich während der Folgezeit über den ganzen Platz fortpflanzt)

Reitmaier

Nu ja — den —

Zarncke (rasch, mit Nachdruck)

Das ist ein Irrtum, Herr Kommissar.

Reitmaier

Erlauben Sie mal —

Zarncke

(ihn bei Seite nehmend, erregt)

Erstens ist der Mann nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags verurteilt worden —

Reitmaier

Menschenblut is Menschenblut.

[S. 89]

Zarncke

Menschenblut hat auch so einer in den Adern. Und das braucht ihm nicht unnütz vergiftet zu werden. Wissen Sie, daß Sie dem Manne, der sich zu mir gerettet hat, wie 'n Stück Vieh von der Schlachtbank, daß Sie dem das Weiterexistieren auf dem Platze wahrscheinlich unmöglich gemacht haben?

Reitmaier

Ich? Wieso? Bitte!

Zarncke

(auf die erregten Gruppen weisend)

Da sehn Sie! Die werden's bald 'raushaben, wer der »Mörder« ist. Anstatt hier rücksichtsvoll —

Reitmaier (brutal)

Ach was! Da müßt' ich viel Zeit haben, auf solchen — Auswurf — Rücksicht zu nehmen.

Zarncke

Na, sehr verwandtschaftlich reden Sie nu gerade nicht von Ihrer werten Familie.

Reitmaier

Was für Familie? ... Ach so! (Scharf) Ich empfehle mich Ihnen, Herr Zarncke. (Ab nach links)

Dreizehnte Szene

Die Vorigen ohne Reitmaier

Zarncke

(der einen Augenblick kopfschüttelnd dagestanden hat, laut)

Hört mal, Kinder! Das — mit dem — Mörder — das muß 'ne Verwechslung sein. Das — ja —!

[S. 90]

Willig (vor sich hin)

Na na!

Andere

(geben ebenfalls durch Mienen und Gebärden ihrem Zweifel Ausdruck)

Zarncke

Struve!

Struve

(der seinen Schlüssel kopfschüttelnd besehen hat)

Herr Zarncke.

Zarncke

Diesmal hab' ich Sie noch 'rausgehauen. Nu benehmen Sie sich auch darnach.

Struve

Ja w— w— w—

Zarncke

Na was denn?

Struve

Wenn nu gesetzten Falls — und es is doch nu ein anderer gewesen —

Zarncke

Sie, bilden Sie sich keine Schwachheiten ein .... Und?

Struve

Und — nu ja — und der andere der kommt nu mal wieder — —

Zarncke

Dann werden Sie eingesteckt. Verlassen sich drauf. (Ab)

Lohmann (nach der Kantine weisend)

Nu selbstverständlich is er's. Wer denn sonst?

Sprengel (nach Struve hin)

An den hat man sich schließlich gewöhnt, — aber Mörder! Ne.

[S. 91]

Lohmann

Du, Struve, komm mal her. (Struve geht zu ihnen)

Sprengel

Scht. Da is er.

Vierzehnte Szene

Die Vorigen. Biegler. Gleich darauf Lore

Biegler

(hat drei Zigarren in der Hand, die er besieht)

Lore

(mit einem kleinen Teller, worauf noch eine Zigarre)

Herr Biegler.

Biegler (sich umwendend)

Ja?

Lore

Sie haben doch vier Zigarren bezahlt und bloß dreie genommen.

Biegler

Ach so. Ja. Danke. (Nimmt die Zigarre) Es war ja auch noch 'n vierter dabei. (Mit glücklichem Lächeln) Ich hab' nämlich — jetzt — auch — Freunde hier.

Lore (erfreut)

Ach, sehn Sie!

Biegler

Ja. Freunde — hab' ich. Drei Stück. Ja ... Und da will ich mich doch mit Zigarren revanschieren. Ja.

Lore

Na sehn Sie. Hab' ich Ihnen nich immer gesagt: Es is nich so schlimm, — sie tun Ihnen nichts?

[S. 92]

Biegler

Ja, ja, Fräulein! Wenn Sie mir nicht hätten immer Mut gemacht.

Göttlingk (herüberrufend)

Sie, Lore, was machen Sie sich da mit dem Kerl zu schaffen? Das ist kein Umgang für Sie. — Lassen Sie den mal hübsch laufen.

Lore (zusammenschreckend)

Ja ... ja, ja. (Steht unschlüssig)

Biegler (die Zähne zusammenbeißend)

Der kann mich nich leiden. Gehn Sie man schon ... Ich hab' ja auch noch — Freunde. (Lore ab) (Er breitet seine Zigarren fächerförmig in der Linken aus und tritt zu Lohmann, der zuerst mit Struve gesprochen und dessen Gruppe sich dann aufgelöst hat) Du — willste nich — eine Zigarre von mir — rauchen?

Lohmann (verächtlich)

Nee. (Tritt von ihm fort)

Biegler

(steht einen Augenblick wie erstarrt, dann geht er zu Sprengel, sehr zaghaft)

Ach — bitte — ich hätt' — ne Zigarre — für —

Sprengel

Du kannst deine Zigarren für dich behalten. (Tritt gleichfalls von ihm fort)

Biegler

(reibt sich fassungslos die Stirn; eine verzweifelte Wildheit kommt über ihn; er geht zu Struve — voll Angst und Ingrimm)

Du hast mir vorhin ne Zigarre gegeben —

Struve (gutherzig abwehrend)

Laß man! Laß man! ... Es is nich, weil ich stolz bin, weil ich nu den — Magazinschlüssel hab' ... aber —[S. 93] ich kann mir nich — ausschließen, — ich muß machen wie die andern.

Biegler

Wa — was hab' ich — euch denn — ...?

Struve

Sag mal, wie alt bist du?

Biegler

Vierunddreißig.

Struve

Und da haben sie dich schon 'rausgelassen? So früh lassen sie einen wie du — sonst doch nich los ...

Biegler

(sieht ihn entsetzt an, wirft einen wilden, verängstigten Blick auf die ihn rings Beobachtenden und versteht)

Ach so ... Ach so.

Struve (ist zu Lohmann zurückgetreten)

Ich sag' euch bloß: det stimmt nich.

Lohmann

Wer soll's denn sonsten sein?

Biegler

(auf die Bank der Kantine sinkend)

Ach so!

(Der Vorhang fällt)


[S. 94]

Dritter Akt

Die Kantine. Deren Wände sind aus Fachwerk gebildet. Die Decke ist niedrig und verräuchert. Auf der rechten Seite die Tür zum Werkplatz. Im Hintergrunde rechts das Fenster, im Hintergrunde links das Büfett mit einem Schanktisch davor. — Auf der linken Seite eine Tür zu Schlafräumen. — In der Mitte unter der Hängelampe ein Tisch mit Stühlen, links vorne ein Sofa mit Tisch und Stühlen, rechts vorne Tisch mit Stühlen. Vor dem Fenster Schustergerät. In der Ecke rechts hinten ein eiserner Ofen.

Das Ganze trotz des ärmlichen oder vielmehr provisorischen Charakters sauber und beinahe freundlich. Blumentöpfe auf den Tischen und vor dem Fenster. Blitzblankes Gerät auf dem Schanktisch, darunter ein verzinkter Wasserwärmer. Plakate und Bilder ohne Rahmen sind als zufälliger Schmuck an die Wände geheftet. Die »Platzordnung« unter Glas und Rahmen hängt neben der Eingangstür. Über dem Büfett eine Uhr; neben ihm eine Mandoline

Erste Szene

Lore hinter dem Schanktisch mit einer Handarbeit beschäftigt. Der alte Eichholz auf dem Sofa schlafend. Lenchen an dem Schusterschemel

Eichholz (schnarcht)

Lore

Was machst du da, Lenchen?

[S. 95]

Lenchen

Ich spiel' mit Großvatern seine Schuhmacherspielsachen.

Lore

Zerbrich ihm man nich seine Glasglocke.

Lenchen

Nein, nein.

Lore

(sieht nach der Uhr und geht dann zum Sofa)

Vater — Vater!

Eichholz

(brummt aus dem Schlafe, ohne sich zu rühren)

Lore

Vater, du mußt aufstehn.

Eichholz (im Halbschlaf)

Wieso denn?

Lore

Es is Sonnabend heute. Nach der Lohnzahlung — du weißt ja — dann wird's noch einmal voll hier.

Eichholz

Ja, ja ... Na ja ... (Richtet sich auf und reckt die Glieder) Ich muß ja auch noch gehn, mir neues Verschmierpech besorgen.

Lore

Laß doch, Vater, das eilt ja nicht.

Eichholz

Nu ja. Ich arbeit' ja doch nich. Ich bin 'n altes Faultier, sagt meine Tochter. (Rülpst) Dein Kümmel is[S. 96] das reine Rattengift. — Meine Leber kriegt schon harte Stellen von. Ich muß mal baldigst gehn, mich an einen Mäßigkeitsvereine zu beteiligen.

Lore

Ach ja, das wär' ganz gut, Vater.

Eichholz

Wär' ganz gut. Wär' ganz gut. Was weißt du, was mir gut is? Ich freß nich mehr aus'n Steinguttopp. Das laß dir gesagt sein.

Lore

Ach, das is ja alles Einbildung, Vater.

Eichholz

Denn was bin ich? ... Stück Vieh auf'm Schindanger bin ich ... Wenn sie mich schon wegjagen tun um — um — um 'n Mörder.

Lore (abwehrend)

Ach!

Eichholz

Auf meinem Platz sitzt 'n Mörder. Das halt' ich nich aus. Da jeh' ich ins Wasser. Da nehm' ich eine Jiftpille zu mir. Und dann verkauf' ich mir an die Annetomie ... Damit du nichts zu erben kriegst, du Biest. Nich mal meinen Leichnam.

Lore (lächelnd)

Ich will ja auch nichts, Vaterchen.

Eichholz

Wenn du hättest Ehre in deinem Herzen, dann schmißt du den Kerl 'raus und scheuerst mit Karbol die Stelle,[S. 97] wo er gestanden hat. Statt dessen frißt er sich hier rund an deine Karbonade.

Lore

Gönn ihm doch sein bißchen Essen, Vater. Und ob er wirklich der is, von dem der Kommissär gestern gesprochen hat, das weiß ja keiner.

Eichholz

Ich hab's immer gesagt: der Kerl hat Mörderaugen im Kopp. Heute is nu jeder so klug.

Lore

Was sind denn Mörderaugen, Vater?

Eichholz

Die sind wie beim Fisch. Da sitzt ein Stein drin. Und das is der Tod. Und wegen so einen — haben sie — mir — (Weint)

Lore (mitleidig)

Vaterchen!

Eichholz (weinend)

Das halt' ich nich aus. Da werde ich verrückt von. Einer muß hin. Er oder ich. Tot oder lebendig. Der muß verrecken, der Hund, der Bluthund, der — der — (Kläglich) Ich hab' so 'n Leberstechen.

Lore

Geh, leg dich aufs Bett, Vater.

Eichholz

Das hat er mir schon mit seinen bösen Blick anjetan, daß ich nicht werde jenesen meines Leidens ... Ich hab' so 'n Leberstechen. (Ab)

[S. 98]

Lore (sieht ihm seufzend nach)

Lenchen, du bist ein kluges Kind. Geh mit Großvater. Und wenn er weint, dann ruf.

Lenchen

Ja, Mamachen. (Von Lore zur Tür geleitet, ab. Es klopft)

Lore

Herein!

Zweite Szene

Lore. Marie

Marie

'n Tag, Lore. Du hast wohl schon sehr auf mich gewartet?

Lore (gedrückt)

Ach! Jetzt hatt' ich schon aufgehört.

Marie

Wußtest du's, daß ich gestern mit ihm gesprochen hatte?

Lore

Die anderen erzählten sich's.

Marie

Und du fragst gar nicht? Dachtst dir wohl schon, daß ich keine guten Nachrichten bringe?

Lore (mutlos)

Gott, als Sie gestern abend nicht kamen. Und heute vormittag nicht. Wollen sich nich setzen, Mariechen?

[S. 99]

Marie

Danke. (Setzt sich) Hast du gehört, wie schön die Amsel singt auf deinem Dach? Mitten in all dem Lärm. Täusch' ich mich, oder pfeift sie fröhlicher, seit sie ihr Nest hat? Es is wirklich so, als ob das Glück pfeift ... Auf deinem Dach, Lore.

Lore

Für mich pfeift kein Glück.

Marie

Wer weiß? ... (Zögernd) Lore, ich will dir was gestehn: Ich hab' Vater gebeten, daß er ihm am nächsten Termin kündigt.

Lore

Warum haben Sie das getan? Wenn er gehen will, dann soll er gehn. Aber nicht fortjagen. Nicht um meinetwillen.

Marie

Lore. Ich hab' auch Vater gebeten, daß er ihm dann sagt, daß er dir 'ne Aussteuer geben wird.

Lore

Ich will keine Aussteuer. Die heilt nichts und macht nichts gut. Ich will nichts.

Marie

Denn sieh mal: Er ist ehrgeizig. Er will eine Frau, die wohlhabend ist. Darauf geht er aus.

Lore

Woher wissen Sie das?

[S. 100]

Marie

(stockend, mit abgewandtem Gesicht)

Nun, das — merkt — man doch.

Lore

Zuzutrauen ist es ihm schon. Aber so himmlisch gut Herr Zarncke is, wohlhabend, wie er meint, kann ich ja doch nie werden.

Marie

(mit geheimnisvollem Lächeln)

Nun — wer weiß?

Lore

Denn erspart hab' ich nichts. Ich verdien' hier gerade das tägliche Brot.

Marie (mit unterdrückter Erregung)

Sieh mal, Lore, was ich dir schon immer mal hab' sagen wollen: Lange leben werd' ich nicht, (langsam, mit Betonung) und — dein Lenchen — hab' ich sehr lieb.

Lore (nach langem Schweigen)

Mein Kind hast du — so lieb?

Marie (nickt)

Lore

Mein Lenchen hast du so lieb?

Marie (tonlos)

Ja.

Lore (aufschreiend)

Dann geb' ich's dir. Dann nimm's als dein eigen. Wozu soll sie sich durchschleppen mit mir durch all den Jammer, wenn sie das haben kann? (schluchzt)

[S. 101]

Marie

Lore, hör mal! ... Vor zwei Tagen — da hätt' ich noch ja und »Schön dank« gesagt. Aber jetzt — seh' ich die Dinge — anders an. Denn, sieh mal! So ein — Kindchen — muß doch zuerst mal — seinen Vater haben ... Nicht wahr?

Lore (in neuem Erstaunen)

Marie, Marie! Wenn ich das recht versteh'! ... Das glaub' ich nicht! Das ist zu viel! Das ist zu viel! Und das kann auch nicht zum Guten sein. Nie im Leben. Nie.

Marie

Warum nicht?

Lore

Weil — weil ... Der — der will mich nicht mehr. Dem bin ich doch bloß 'ne Kette am Bein. Weiter nichts.

Marie

Auch wenn er weiß, was Lenchen mal zu erwarten hat? Und wovon er doch der Verwalter sein wird?

Lore

Mein Gott, mein Gott, mein Gott!

Marie

Nur wie das wird, wenn ich früher sterbe als Vater, das weiß ich nicht. Denn wollen wird er ja nicht.

Lore

Nein, nein, nein! Es wird nichts. Es kann auch nicht. Und es schadet auch gar nichts, wenn's — nichts — wird. — Man is ja längst schon viel zu mürbe. Und vielleicht ist einem ganz, ganz was anders bestimmt, wo nicht so viel Tränen drauf liegen. Aber 'ne Viertelstunde lang mal froh gewesen sein und ein Mensch, nicht bloß[S. 102] ein Stein, den man hin und her stößt, ach, das tut so gut, so gut, so gut! (Sinkt lachend und weinend vor ihr nieder und küßt ihr die Hände)

Marie

Laß doch! Steh auf! Mir scheint, es kommt wer. (Lore steht auf)

Dritte Szene

Die Vorigen. Biegler

Biegler (dumpf, scheu)

Guten Tag.

Marie.

Guten Tag, Herr Biegler. Ist denn schon Feierabend?

Biegler

Ja.

Marie

Geht's Ihnen gut?

Biegler

Danke.

Marie

Adieu, Herr Biegler. Adieu, Lore! (ab)

Vierte Szene

Lore. Biegler

Biegler (setzt sich an den Mitteltisch)

Lore

(geht zum Büfett, schenkt aus dem Wärmekessel einen Topf mit Kaffee ein, bricht eine Fünfpfennigsemmel ab und bringt sie nach dem Tisch links)

Setzen sich lieber hierher, Herr Biegler. Das da is ja der Steinmetzentisch, und die Bildhauer kommen nich nach der Auszahlung. Die sind zu große Herren.

[S. 103]

Biegler

Ich geh' so wie so gleich fort. (Setzt sich links)

Lore

Warum sind Sie eigentlich nich bei der Wochenauszahlung?

Biegler

Ich — krieg' — monatlich. (Schweigen)

Lore

(immer in freudiger Erregung)

Ich weiß nicht; Sie kommen mir heut so anders vor, Herr Biegler. Sie reden gar nich.

Biegler

Ich red' ja — auch sonst nich — viel.

Lore

Wissen Sie, mir is nämlich heute ganz was — ganz was — Besonderes — passiert.

Biegler

Was Gut's?

Lore (nickt)

Biegler

Da gratulier' ich.

Lore

Ach, es is nichts zu gratulieren. Es wird sich nichts ändern. Aber es is doch wie 'n heller Schein. — Und da möcht' ich, daß es auch andern so geht. Ihnen auch.

Biegler (schwer atmend)

Danke!

Lore

Herr Biegler — ach, Herr Biegler, wozu sollen wir[S. 104] erst viel Versteck spielen. Ich weiß ja, was Sie quält — seit gestern.

Biegler

(sich in Erstaunen jäh umwendend)

Und da reden Sie noch mit mir?

Lore

Ja — is es denn wahr?

Biegler (nach einer Pause, schwer)

Die Herren Geschworenen haben die Frage — ob's Notwehr gewesen is oder nich — verneint ... Und nu lassen Sie mich meinen Kaffee austrinken. (Schweigen)

Lore (nach innerem Kampfe)

Herr Biegler! ... Sündig sind wir alle ... Ich auch.

Biegler (bitter lachend)

Sie?

Lore (zaghaft)

Sie wissen doch!

Biegler

Ja, Ohren hab' ich auch ... (in Wut auffahrend) Und wenn ich erst wieder Fleisch hätt' auf den Armen, dann würd' ich den Kerl — —

Lore

Ruhig, Herr Biegler, ruhig, ruhig! Sie wollen doch nich, daß ich Angst hab' vor Ihnen?

Biegler (hastig seinen Kaffee trinkend)

Ich geh' schon. Ich geh' schon.

Lore

Herr Biegler, wollen Sie nich mal Ihr Herz erleichtern?

[S. 105]

Biegler

(unschlüssig, mit dankbarem Aufblick)

Ach! ... (hart) Ne.

Lore

Gott, Herr Biegler, gut tät's Ihnen schon! Man wird ja so wie so wie'n Stein! Die Steinmetzen erzählen nämlich: Der Stein wird durch Druck. Wissen Sie?

Biegler

Das sollt' ich wohl wissen.

Lore

Ja, Hunderttausende und Millionen Jahre müssen die drüberliegenden Schichten drücken, dann wird die lebendige Erde zu Stein ... Beim Menschen dauert's nich so lang. Das hab' ich ausprobiert. 'n paar Jährchen Druck — immer derselbe Druck. Das genügt.

Biegler (bitter)

Ob's genügt.

Lore

Man lacht und man weint und man schläft und man arbeitet — ach, lustig sein kann man sogar — man is überhaupt ein Mensch wie andere und is doch lang keiner mehr ... Drin im Innersten lebt man gar nich mehr ... Man is willenlos wie 'n Stein ... Man läßt sich mit dem Fuß stoßen wie 'n Stein. Man wird gegen alles gleichgültig wie 'n Stein.

Biegler (eifrig)

Ja, ja, ja, — so is es, — ja, ja.

[S. 106]

Lore

Aber heut is wieder Leben in mich gekommen. So sehr hat mich was gefreut ... Gestern war ich wie Sie. Aber heut kann ich Ihnen was helfen. Bloß Vertrauen müssen Sie haben, daß ich's auch wirklich will.

Biegler

Das hätt' ich schon — aber — (vor sich hinbrütend) ich muß ja wohl wieder weg.

Lore

Ich denk', Sie waren zufrieden.

Biegler

Wenn sie mich in Ruh' gelassen hätten — alle — im Himmel wär' ich gewesen. Morgens — so gegen zweie — da is mir leicht geworden ... dann kann keiner kommen und was von mir wollen. — Doch! — Einer kann kommen ... Die kann immer kommen. Sie is noch nich — aber sie kann.

Lore (mit beruhigendem Lächeln)

Na wer denn, wer denn?

Biegler

Ach so — ich soll ja mein Herz erleichtern.

Lore

Nicht — wenn Sie nich wollen.

Biegler

Wissen Sie, wie's nu werden wird? ... Vors erste schieben sie sich so langsam von einem weg ... Man will mit anfassen, und dann is man allein. Und dann geht's[S. 107] Gerede los um einen rum. Da heißt es: »Na, habt ihr auch schon euer Leben versichert?« Und da heißt es: »Wenn sich gewisse Brieder nich bald dinne machen, dann werden wir den Platz schwarz stellen.« Und dann fliegt 'n Stück Holz. Und dann fliegt 'n Stein. Und dann kommen Sie eines Tags und sagen: »Es tut mir leid, Herr Biegler, aber Sie müssen wo anders essen, es is wegen der Leute.«

Lore (schüttelt heftig den Kopf)

Biegler

Na warten Sie man. Und schließlich kommt der Prinzipal und sagt: »Hier is Ihr Buch. Sie können gehen.« Und man weiß, daß man nu wieder ins Hungerland zieht, wo kein warmes Mittag is und kein Bett, und man sagt noch: »Gott sei Dank.«

Lore

Ach, es is schrecklich.

Biegler

Unser Pastor in der Anstalt hat immer gesagt: »Seid froh, daß ihr sühnen könnt« ... »Sühnen« heißt das schöne Wort ... Das haben die Herren extra für uns erfunden ... Ja, was soll ich nu alles sühnen? ... Daß der Weg mich in die Schlafstelle geführt hat — und gerade in die? ... Daß die Frau jung war — mit Flunkeraugen — und daß sie immer so machte (haucht mit spitzem Munde), wenn sie hinten an mir vorbeiging. Und wenn ich gesagt hab': »Was machen Sie da?« dann hat sie mich mit den blanken Zähnen angelacht und gesagt: »Ich kann's in den Tod nich leiden, wenn auf dem Rockkragen 'ne Feder sitzt« ... Und der Mann hat noch mitgelacht, wenn's mir schon heiß und kalt das Genick 'runterlief ... Ja, so kommt so was ... Er war Schuster. Wie Ihr Vater ... Mit den Schustern[S. 108] hab' ich kein Glück ... Nu, da wissen Sie ja auch, was 'n Klopfstein is ... (Zum Gerätschemel gehend) Da liegt er ja! (Bringt den Stein.) Sehn Sie sich den an! Bißchen kleiner war er — aber groß genug. Dann wie der Mann mich eines Tages abgefaßt hat — mit ihr — — und auf mich zugekommen is, Messer in der Hand, da hab' ich gedacht: was machen? Was hab' ich gemacht? So! (Hebt den Stein hoch) ... Und mit eins hat er langgelegen. Das Ganze hat gedauert, wie wenn einer bis drei zählt ... Weil der nu da lang lag, darum war mein Leben verdorben. Nu sagt der Pastor: »sühnen!« Ja, nun sühne mal, wenn der Wahnsinn schon hinter dir sitzt ... Was kann ein zu Schanden geprügelter Hund viel sühnen? Seine Wunden kann er sich lecken ... Mehr kann er nich.

Lore (mitleidig)

Mein lieber Gott.

Biegler

Ihr lieber Gott is nich mein lieber Gott. Sonst ließ' er das nich zu ... Ja, nu werd' ich gehn ... die ersten müssen gleich kommen.

Lore (fest)

Sie sollen nicht gehn, Herr Biegler.

Biegler (in flackernder Angst)

Ich hab' mein Vesper getrunken. Ich hab' hier nichts mehr zu tun.

Lore

Sie sollen dableiben. Was auch geschehen mag, Sie sollen dableiben. Ich setz' Ihnen ein Glas Bier hin wie den andern. Das trinken Sie aus und kümmern sich um nichts.

[S. 109]

Biegler

Um Gottes willen. Hier? Hier? Wieso denn?

Lore

Sehn Sie denn das nicht? Je mehr Sie sich verkriechen, desto mehr sind die von Ihrer Schuld überzeugt. Und das darf nicht sein.

Biegler

Wenn's nu aber doch wahr is?

Lore

Das geht keinen was an. Außer Herrn Zarncke und mir weiß keiner was. Und wir halten reinen Mund. Wenn die sehn, daß Sie keinem aus dem Wege gehn, dann wird das Getratsche langsam wieder einschlafen ... Aber nichts gestehn! Sich nich verschnappen! Sonst ist alles aus ... Wissen Sie noch, wie Sie waren, als ich Ihnen das erste Butterbrot brachte?

Biegler (nickt voll Grauen)

Lore

So sehn Sie in vier Wochen wieder aus, wenn Sie sich jetzt wegjagen lassen. Es geht um Ihr Leben, Herr Biegler. (Hinaushorchend) Ich glaube, Sie kommen schon. Da setzen Sie sich hin. Und wer Sie anlappt, dem zeigen Sie die Zähne.

Biegler (stammelnd)

Ach ich — m — mir bl — eibt ja jedes Wort in der Kehle.

Lore

Soll nicht. Darf nicht. Sie müssen. Müssen, Herr Biegler, müssen!

[S. 110]

Biegler

Und 's kann sein, wer's will? Ja?

Lore (stutzend, dann stark)

Ja.

Biegler (dumpf, zagend)

Na, is gut. (Setzt sich auf seinen Platz zurück)

Fünfte Szene

Die Vorigen. Lohmann. Sprengel. Struve.
Drei andere Arbeiter

(Die Eintretenden begrüßen Lore, die rasch hinter den Schanktisch getreten ist, mit einem brummigen »Guten Tag« und setzen sich an den Tisch rechts)

Lohmann

Glas Bier!

Sprengel

Mir auch.

Struve

Jedem eins.

Sprengel

Kiekt mal, wer da huckt!

Lohmann

Mir wundert, daß er sich nich aufs Ehrensofa geschmissen hat. Das ist doch extra für ihm hingebaut.

Struve

Der Mensch sitzt, wo er kann. — Laß ihm sitzen.

Lore (Bier bringend)

Wohl bekomm's!

Lohmann

Danke. (Nach Biegler hinüber) Jemütlich is anders. Prost! (Sie stoßen an)

[S. 111]

Lore

(bringt auch Biegler ein Glas Bier)

Sprengel

Wird der hier nu auch den Stammgast spielen?

Lohmann

Struve, du verstehst dir ja auf so 'ne Brieder. Graul ihm mal 'raus.

Struve

Kindersch, laßt mir in Ruh. Ick bin jetzt so beschäftigt mit meine eigenen Sorgen.

Lohmann

Wat vor Sorgen?

Struve

Wat vor Sorgen? Des fragste noch? Glaubste, es macht Verjniegen, mit so 'ne Verantwortung in de Welt rumzuloofen? Wenn du jehst bloß Steine schleppen, denn haste jar keene Verantwortung, dafür biste aber auch 'n Lump. Wenn du aber wirst jeehrt sein durch das Vertrauen deiner Mitbürger, wenn du wirst 'n Magazinschlüssel an dir tragen, oder so — dann wirst mal sehen, wie so 'n Mann zu Mute ist.

Sprengel

Dir is des wohl zu Koppe gestiegen? Was?

Struve

Denn wer eine jewisse Erfahrung hat von's menschliche Leben, der muß sich doch sagen: det is 'n janz jewehnliches Schnappschloß. — Da brauchste bloß 'n paar gesunde Zähne zu, um 'n vierzölligen Drahtnagel krumm zu biegen,[S. 112] und denn biste schon drinne. Immer so mitten mang de Diamanten. Kindersch, um Gottes willen, regt eich das jar nich uf?

Lohmann (lachend)

Ne.

Struve

Und jesetztenfalls und du hast se nu ausgebrochen —

Lohmann

Was?

Struve

Na — de Diamanten, denn kannste se jehn ruhig verschärfen bei jeden freindlichen Mann, wo mit blanke Knöppe handelt. Da kann dir kein Teckel an de Beene ... Des is 'ne aufjelegte Sache. Des reinste Beersenjeschäft ... Kindersch und da soll ick die Verantwortung vor haben? — Ne, des halt' ich nich aus. Da zieh' ick über Land.

Sprengel

Jlickliche Reise. Prost.

Struve

Und was der Nachtwächter da is, der schlappohrige Kerl, ick wette 'n Hering jegen 'n Löffel Jritze, dessentwegen könnte man 'rin und 'raus — wie de Schwalben.

Lohmann

Der blieht da nu so 'rum. Wie so 'n Maibliemchen.

Sprengel

Abjebrieht is er wohl. Sonst säß' er nich hier.

Struve

Kindersch, ick sag' eich immerzu. Wenn er und er wär's, dann wär' er noch nich 'raus.

[S. 113]

Lohmann

Jedenfalls wollen wir da mal ein jelinde blasenziehendes Mittel anwenden. (Sehr laut) Fräulein! Wissen Sie vielleicht die Adresse von 'ne leistungsfähige Lebensversicherungsgesellschaft?

Biegler

(der solange scheinbar teilnahmslos, doch in gespannter Erwartung dagesessen hat, wendet sich jäh um)

Lore (abweisend)

Was soll ich mit 'ne Lebensversicherung?

Lohmann

Nu, 's is doch jetzt nich janz jeheier auf'n Platz. Da kann mal leicht so 'n kleiner Kuhhandel kommen, wo man plötzlich mit Tode abjeht, man weiß nich, wie?

Lore (abweisend)

Ich versteh' gar nich, was Sie meinen.

Lohmann

Diejenigen, wo's anjeht, die werden mir schon verstehn.

Biegler

(steht auf, will reden, bringt aber nur ein unartikuliertes Stammeln hervor und setzt sich wieder)

Lohmann

Hat jesessen.

Sprengel

Wo bleiben übrigens heite die Steinmetzen?

Struve

Nu — die müssen sich doch erst ausputzen. Mit ihre blaue Kalikoschirzen trauen die sich nich uf de Straße. Es könnt' se ja einer fir Hausknechte halten. (Lachen)

[S. 114]

Lohmann

Jedenfalls müßt' man sich mit denen zusammentun und was unternehmen beim Alten, — damit er auf'm Platz 'n bißchen ausräuchern läßt. Es wird nötig.

Sprengel

Fang nich schon wieder an, Mensch ... hab doch Erbarmen mit so 'n plundrigen Kerl.

Lohmann

Wenn ich in 'n Modder trete, dann wisch' ich mir die Stiebeln ab; — da hab' ich auch kein Erbarmen.

Biegler

(zittert und atmet schwer. Er ringt mit sich, unschlüssig, ob er sprechen solle, wagt es aber nicht mehr)

Sprengel

Kein Mensch weiß, ob er's wirklich is.

Lohmann

Warum steht er denn nich auf und —

Sechste Szene

Die Vorigen. Willig. Göttlingk und andere Steinmetzen (in Feierabendkleidung)

Göttlingk

(auf den Tisch der Arbeiter weisend)

Da sitzt se ja, die janze feine Familie ... Ihr kriegt's wohl nich eilig genug mit eurem Feierabend — was?

Lohmann

Wieso denn?

[S. 115]

Willig

Den großen Oberkirchner Block, links von der Treppe, habt ihr auf Hochkant stehn lassen. Wißt ihr das nich?

Sprengel

Nu, der hängt doch im Flaschenzug.

Willig

Aber locker hängt er.

Lohmann

Bis wir den 'runterkriegen, dauert's zwanzig Minuten. Wenn der Alte Überstunden zahlen will, gehn wir gleich noch mal 'ran.

Göttlingk

Husten wird er euch was.

Willig

Jedenfalls steift ihn noch ab. Wenn was passiert, seid ihr verantwortlich. (Setzt sich zu den Steinmetzen an den Mitteltisch)

Göttlingk

Na, Lore, Sie könnten ruhig 'n bißchen fixer sein, wenn die Steinmetzen kommen.

Lore

(die Bier bringt, eilig, ängstlich)

Hier is, bitte, hier is schon alles.

Göttlingk

Aber freilich, wenn man sich mit solchem Volk abgibt, wie der Kerl — der — (Biegler erkennend) Herrgott, wer sitzt denn da?

[S. 116]

Willig (rasch)

Ach, kümmer dich nicht um den.

Göttlingk

Hast recht. So 'n Geschmeiß existiert nich. Prost, die Herren! Per Bacco, is mir mollig. Ganz fingrig is mir zu Mute. Wollt ihr was hören? Natürlich, ihr wollt immer was hören. Lore, bring mal — bringen Sie mal die Seufzerkiste.

Lore

Jawohl. (Holt die Mandoline von der Wand und bringt sie ihm)

Ein Steinmetz

Du, der Alte war doch heute so extra süß mit dir. Ahnste weswegen?

Göttlingk

(während er die Mandoline stimmt)

Tja, lieber Sohn, wer kann das wissen? Manchmal können sich Ereignisse vorbereiten — die Welt is eben 'n Affenkäfig.

Siebente Szene

Die Vorigen. Der alte Eichholz

Eichholz

(angezogen wie im ersten Akt)

Einen guten Feierabend wünsch' ich der hochgeehrten Gesellschaft.

Göttlingk

So in Jala, Papa Eichholz?

[S. 117]

Eichholz

Jawohl. Mein Manschettenhemde hab' ich mir angezogen und habe mir angetan im Schmucke sämtlicher Orden und Ehrenzeichen. Nu wollen wir mal sehn, ob ein alter Krieger noch was gilt in seinem Vaterlande.

Lore (ängstlich)

Was hast du vor, Vater?

Eichholz

Zuerst bejeb' ich mir zum Alten und frag' ihn auf Ehr' und Jewissen: Wer is der Kerl? Was is der Kerl? ... Und wenn er in meinen unjewissen Zustande mir sollte — (bemerkt Biegler) was — was — was — was is denn das? Is das —?

Lore

Vater, hier darf jeder sein Bier trinken, der zum Platz gehört. Weißt du das nich?

Göttlingk (halblaut zu Lore)

Was mischst du dich da eigentlich immer 'rein?

Eichholz

Was man so sagt, der Wiedehopf, der läßt in sein eigenes Nest 'reinschmutzen, aber wenn du willst mein Fleisch und Blut sein — (in ausbrechender Wut) Kerl, dir werd' ich platt schmeißen! Dir bind' ich 'n Mühlstein um'n Hals, dir, dir ... Blut muß fließen, du Hund, du blutiger Hund!

Biegler (gequält)

Fräulein, soll ich nu immer noch länger hier bleiben? Ich denk', nu is genug.

[S. 118]

Göttlingk (halblaut zu Lore)

Nanu? Was geht dich dem Kerl sein Hierbleiben an?

Lore

Vater, tu, was du willst, aber hier in der Kantine fang keinen Zank an. Sonst mußt du 'raus.

Lohmann (leise)

Sieh mal, wie sie sich auf dem seine Seite schmeißt.

Sprengel

Hat sie ganz recht.

Eichholz

Jawohl. Ich geh' schon. — Ich werde schon in geeignete Erfahrung bringen, wer, wer (mit geballter Faust) und wer Blut vergießt, deß — Blut — muß — — ich geh' schon, ich geh' schon. Guten Abend, die hochgeehrte Gesellschaft. (Ab)

Achte Szene

Die Vorigen ohne Eichholz

Göttlingk (leise zu Lore)

Hast du etwa Durchsteckereien mit dem?

Lore (wendet sich ab)

Göttlingk (verbissen)

Sieh mal an! (Kehrt auf seinen Platz zurück) Na, lassen wir uns nich die Laune verderben. (Ergreift die Mandoline, in neuem Argwohn) Freilich, wissen möchte man doch.

[S. 119]

Willig

Halt bloß Ruhe, Eduard.

Die Anderen

(die am Steinmetztische sitzen, stimmen ihm bei)

Göttlingk (an der Mandoline zupfend)

Na also, was soll ich euch singen? Ich weiß 'ne Menge schöne Lieder, die mir die schönen Weiber dort unten in schönen Stunden beigebracht haben ... denn die Weibsleut' da unten! Überhaupt die Weibsleut', Kinder! Wenn man da nich feste 'ranjeht! (Beiläufig, herablassend) Ach, bringen Sie mir doch noch 'n Glas Bier, Fräulein Lore.

Lore

(bebend vor Erregung, holt sein leeres Glas)

Göttlingk

Du fragtest vorhin, warum der Alte heute so süß mit mir war. Ja, mein geliebter Sohn, Glück bei den Weibsleuten muß der Mensch haben. Das is der Ausschlag beim Rosinenhandel ... Danke, mein Fräulein, danke, danke, danke! (Singt und spielt) »Vè quà una giardiniera, si chiama Luisella, da sovra all'Arenella« — (Abbrechend) Sagt mal, Herrschaften, wie wär's, wenn ich zur Abwechslung mal so euer Chef würde hier auf diesem Steinmetzplatz?

Willig

Was is das wieder für 'n fauler Witz?

Göttlingk

Ja, das Leben macht manchmal so 'ne faulen Witze. Wenn ich da Jimm drauf hätte. Die Puckligen sind zwar[S. 120] nich gerade mein Jeschmack, aber wenn so 'n schönes Jeschäft dran hängt, kann man ja auch mal beide Augen zumachen.

Lore

(stößt einen unartikulierten Laut des Abscheus und des Entsetzens aus)

Sprengel (halblaut)

Is 'n Mensch wie 'n Vieh.

Willig (leise)

Läßte nu nich mal mehr die Krüppel in Ruh?

Göttlingk

(der das allgemeine Murren bemerkt hat, zum Arbeitstisch hinüber)

Riskiert da etwa einer zu mucken? Was?

Lohmann

Wir sind ja ganz still.

Göttlingk

Möcht' ich mir auch ausgebeten haben. (Da Lore, den Kopf in den Händen, noch einmal aufstöhnt) Was ist denn hier los? Was? Was? Was?

Biegler

(ist in zitternder Erregung langsam aufgestanden, leise, zaghaft, als traue er seinen erwachenden Kräften nicht)

Du Schuft! Du Schuft! — Du Schuft!

Göttlingk (fassungslos vor Erstaunen)

Was will das Gewächse da?

Biegler

Du ganz erbärmlicher Schuft!

[S. 121]

Göttlingk (Humor heuchelnd)

Kinder, der is übergeschnappt. Soll ich den zu Mus quetschen? Nehmt mir das nicht übel, aber die Handvoll, das lohnt mir nich. Außerdem bin ich's als Steinmetz mir und euch schuldig, mich nich mit erst wem — Prost!

Biegler (heiser)

Was du bist, bin ich noch alle Tage.

Göttlingk

Dem Kerl muß man doch 'ne Zwangsjacke anlegen.

Biegler

Ich hab' zum Spaß deine Arbeit getan. Wenn's hell is, kann ich's besser.

Göttlingk (aufspringend)

Du warst das selber, du verfluchter —?

Die Anderen (halten ihn fest)

Ruhig, ruhig, ruhig.

Biegler

Aber das is Nebensache. (Auf Lore weisend) Da — da — wer steht da? — Der sagst du das ins Gesicht? — Jeder weiß, daß sie 'n Kind von dir hat. Zum Dank verhunzen tust du sie — schuriegeln tust du sie ... Wirst sie — wirst sie ehrlich machen? Wirst sie ehrlich machen? Du nichtswürdiger Schuft! Du!

[S. 122]

Göttlingk (der sich zu befreien sucht)

Nu laßt doch los. — Is bloß 'n Floh, der ganze Kerl, aber das kost't ihm das Leben. (Reißt sich los und zieht den Dolch heraus) Los sag' ich, oder —

Die Anderen (weichen erschrocken zurück)

Biegler

Du meinst, ich hab' Angst vor deiner einzinkigen Gabel, weil alle anderen Angst haben? — Kraft hab' ich keine, Haut und Knochen bin ich vom langen Hungern, aber — (er hat den Klopfstein ergriffen, der auf dem Schanktisch liegen geblieben ist, und hebt ihn hoch)mit so 'nem Schusterstein hab' ich schon einen erschlagen! Mit so 'nem Schusterstein hab' ich schon — — (große Bewegung) Nu komm mal 'ran, wenn du willst. Komm mal 'ran — komm mal 'ran! (Dringt auf Göttlingk ein)

Göttlingk (erschrocken zurückweichend)

Na, na, na, na.

Biegler

Komm 'ran — oder 'raus da — 'raus da. —

Göttlingk

(weicht, unverständliche Worte stammelnd, bis zur Tür zurück)

Biegler (der ihm gefolgt ist)

'raus da! 'raus da!

Göttlingk

Das werd' ich dir — gedenken. — (Rettet sich durch die rasch geöffnete Tür)

[S. 123]

Biegler

(sieht sich wirr um und wankt zu seinem Tische zurück. Er sieht verständnislos noch einmal um sich, sieht Lore, die schluchzend, mit verhülltem Gesicht, abgewandt dasteht, sieht die blassen, entsetzten Gesichter und murmelt, wie wenn er langsam zu sich käme)

Was is denn? Was war denn? Was —? (Sein Gesicht verändert sich, er kämpft mit dem Schluchzen und will auf seinem Stuhl zusammensinken, rafft sich aber mit letzter Kraft empor, trinkt sein Bier aus, setzt seine Mütze auf und schreitet mit geballten Fäusten zur Tür zurück; — sich umwendend wirft er einen fragenden, trotzigen Blick auf die ihn regungslos Anstarrenden — und geht hinaus)

(Der Vorhang fällt)


[S. 124]

Vierter Akt

Szenerie des zweiten. Spätabendbeleuchtung. Über den Häusern des Hintergrundes ein glühender Streif Abendrot, der sich allmählich verliert. Vor der Veranda unter dem Fenster der Zarnckeschen Wohnung ein gedeckter Tisch nach vollendeter Abendmahlzeit. Das Fenster der Kantine ist erleuchtet. Beim Aufgehen des Vorhangs ertönt von irgendwoher Biergartenmusik

Erste Szene

Marie. Zarncke

Zarncke

(in einem Korbstuhl behaglich ausgestreckt, eine Zigarre rauchend)

Siehste, nu is unsre Amsel auch schon schlafen gegangen.

Marie

Eben sang sie doch noch.

Zarncke

Bald werden sie nu auch im »Gambrinus« Ruhe geben mit ihrem Bumbum.

Marie

Ach, ich hör's gerne.

Zarncke

Ich auch ... Und weißt du, warum? Weil es so schön weitab is vom eigenen Leben ... Da sitzen nu die[S. 125] Menschen in Haufen, stoßen sich, ärgern sich, beneiden sich, begehren sich, und fünf aufgequollene Trompeter machen Musike zu ... Man is doch wahrhaftig wie der liebe Herrgott in seiner Stille ... Sechs Tage hat er an der verfluchten Welt 'rumgebastelt, am siebenten hat er aber auch gar nichts von ihr wissen wollen. ... Was guckste denn immer nach der Lore ihrem Fenster 'rüber?

Marie

Ja, Vaterchen, merkwürdig is es doch.

Zarncke

Was denn? ... Daß der Göttlingk da is?

Marie

Den ganzen Winter ist er Sonntags nicht einmal bei ihr gewesen. Seit seiner Rückkehr nicht. Und plötzlich kommt er — Abends um neune — von da oben — die Treppe 'runter.

Zarncke

Der Deibel mag wissen, was er da oben zu suchen gehabt hat. Aber so käseweiß brauchst du darum doch auch nich zu werden, wenn er nu wirklich mal hinter dir auftaucht.

Marie (schweratmend)

Denk doch, was das für die Lore bedeutet.

Zarncke

Hör mal, Kindchen, hab die Lore lieb! Aber du mußt dich nich so 'reinbegeben in das, was rings um uns geschieht. Nich mitmachen wollen. Das zehrt dann am[S. 126] eigenen Leben. Es bleibe jeder in seiner Haut — und jeder hüte den Schlüssel zu seinem Geheimfach ...

Marie

O, das freilich. Aber — gestern muß was passiert sein bei der Lore drin.

Zarncke

So? Was denn?

Marie

Zwischen dem Nachtwächter und — und — Göttlingk.

Zarncke

So? Hm. Das war ja nu leider vorauszusehn.

Marie (ängstlich)

Wieso?

Zarncke

Sie haben 'rausgekriegt, daß der arme Kerl was pekziert hat. Deshalb hab' ich gestern schon den Eichholz 'rausgeschmissen. Das alte Vieh war ganz rabiat. Irgendwas bereitet sich vor gegen den Biegler. Und schließlich werd' ich noch klein beigeben müssen. Schad um den — (Schnalzt)

Marie

Nein, nein, es scheint was anderes. Was Schlimmeres. Viel was Schlimmeres.

Zarncke

'n Menschen ins Verderben zu jagen is schlimm genug ... Von wem weißt du's denn? Von der Lore?

Marie

Nein. Das ist es eben, was mich ängstigt. Die geht mir heut aus dem Wege, wo sie kann ... Und die Homeyer[S. 127] macht immerzu Andeutungen. Aber was Rechtes kriegt man auch aus der nich 'raus.

Zarncke

Na, wenn das Schwatzweib schon sein Maul hält. Da wollen wir doch mal gleich — (Klingelt)

Zweite Szene

Die Vorigen. Frau Homeyer

Frau Homeyer

(eine Windlampe in der Hand)

Gotte, Gotte, ich wart' schon immer mit der Lampe ... Nein, so im Dunkeln ...! Wie können Sie bloß?

Zarncke

Sie haben wohl noch nie zu zweien im Dunkeln gesessen?

Frau Homeyer

Ach nein doch! Mit 'n jungen Mann — der nimmt sich dann so leicht was 'raus —

Zarncke

Und mit 'n alten Mann — das lohnt nich.

Frau Homeyer

Aber, Herr —

Zarncke

Sagen Sie mal, Sie, was is denn gestern bei der Lore gewesen?

Frau Homeyer

Bei der Lore? I, daß ich nicht wüßte.

[S. 128]

Zarncke

Sie haben doch meiner Tochter erzählt —

Frau Homeyer

Ich? Ach nein, das muß ein Irrtum sein. Ich, dem Fräulein? Und gerade dem Fräulein? I, da müßt' ich — (Nimmt das Tischzeug zusammen)

Marie

Aber Frau Homeyer —

Zarncke (gleichzeitig)

Was heißt das: Gerade dem Fräulein?

Frau Homeyer

Nu ja. Da müßt' ich doch sozusagen eine Schwätzerin sein. Und ich bin im Gegenteil immer höchst zurückhaltend ... Da bin ich bekannt für. Da können Sie alle Mannsleute fragen. Da können Sie meine Zeugnisse lesen ... Und da soll ich mir gerade hier die Zunge bei verbrennen? ... Das kann Ihnen wer anders erzählen, Fräulein. Und dann müssen sich auch nichts draus machen. ... Die Männer sind immer mit dem Maul vorneweg ... Ehrbar sein und sein Myrtenbäumchen pflegen, das is immer noch das Beste für 'n ältliches Mädchen.

Marie

Ja, was hab' ich aber mit dem allen zu tun, Frau Homeyer?

Frau Homeyer

Ja, Fräulein Mariechen, der Mensch hat manchmal mit was nich zu tun, und kommt doch ins Gerede ...[S. 129] Von dem Herrn Göttlingk hätt' ich das freilich nicht gedacht. Der is sonst immer 'n Kavelier gewesen (verschämt) immer so zutraulich — und, wie gesagt, Kavelier. Aber da könnte ja jeder kommen und — ach, bitte das Sahnentöpfchen — und behaupten, er braucht' bloß die Hand auszustrecken, da könnt' er Herr sein auf diesem Steinmetzplatz. Ja.

Zarncke

Was? Was? Was is das?

Frau Homeyer

Und es glaubt ihm auch keiner. Da können Sie ganz unbesorgt sein, Fräulein, das —

Zarncke

Halt! Stopp! 'raus! Weg!

Frau Homeyer

Aber Herr —

Zarncke

Weg, weg, weg, weg!

Frau Homeyer

Ja, ja, Herrgott!

Zarncke

Weg!

Frau Homeyer

(mit dem Tablette ins Innere ab)

Dritte Szene

Marie. Zarncke

Zarncke

Das haste wahrhaftig um den Lumpen nich verdient, Mariechen. Bittst mich noch, ich soll helfen, ihm sein Nest[S. 130] austapezieren ... Und da traut sich der Kerl überhaupt noch hierher? — Da wollen wir mal gleich — — (steht auf)

Marie

(die, ins Leere starrend, regungslos dagesessen hat, fährt auf)

Nein, Vater, nein!

Zarncke

Was — nein? Und wie siehste denn aus? — Ganz überird'sch!

Marie (in hilflosem Bekennen)

Vaterchen!

Zarncke

(nach einem Schweigen hinter sie tretend)

Miezelchen! (Die Hand auf ihren Scheitel legend, leise) Haben sie dir 's Geheimfach aufgebrochen?

Marie (aufschluchzend)

Nicht ansehn! Nicht ansehn! (Verbirgt das Gesicht in seinem Rock)

Zarncke (sie streichelnd)

Also das war's? Und was du da drinnen verschlossen hieltst, das wird dir nu da — (weist zur Kantine) Ja, wie geht denn das zu?

Marie (von Schluchzen geschüttelt)

Weiß nicht! Weiß nicht!

Zarncke

Na, nu laß doch mal meinen Rock los!

Marie

(verbirgt das Gesicht um so fester)

[S. 131]

Zarncke

Willst nich? ... Schämst dich so sehr? ... Kannst mich gar nich ansehn? Möchtst das Tageslicht nich mehr sehn? Möchtst dir womöglich das Leben nehmen noch diese Nacht?

Marie (nickt heftig)

Zarncke (lacht und streichelt sie)

Und machst doch nur durch, was jeder durchmachen muß, dem 'n Stern vom Himmel 'runterfällt. (Zum Himmel weisend) Kiek mal hoch! ... Kannst noch nich? Da sind schon 'n paar. Und dahinter noch Milliarden. Sie stehn da wie für die Ewigkeit. Und sie fallen alle. Aber darum werden wir Menschen nich ärmer ... Höchstens die, denen sie als Zwanzigmarkstücke in die Tasche fallen ... Die Jugend verliert sich zuerst, aber unser Blick wird um so heller ... Die Freunde zerkrümeln sich, aber unsere Freundschaft wird alles, was mit uns reden kann, jeder Gedanke — jeder Hund — jeder Stein ... Na — und die Liebe? — Dem einen fällt sie in den Schmutz — wie dir, dem anderen zerreibt sie der Alltag; — rasch oder langsam, es is immer dasselbe, — aber vor der Tür lauern schon wieder viele, die wollen sehr liebgehabt sein, und die brauchen's den Deiwel wie nötig ... Selbst der Herrgott wird uns aus unseren Herzen gerissen, aber unsere Herzen schlagen kräftiger ... Kindchen, 's wird noch 'n büschen weh tun 'ne Zeit lang ... Scham brennt ... Aber seines guten Rechts soll sich der Mensch nicht schämen. Und dein Recht war's ... Ja war's ... Wie's mein Recht war und ist, dich liebzuhaben und dir zu sagen: Halt still ... Die Stillen sind die Klugen ... Und nur wer von der Welt weit, weit ab is, der hat sie ganz.

[S. 132]

Marie (sich aufrichtend)

Vaterchen, hast du das immer gedacht?

Zarncke

Ich geb' zu, Kindchen, es is 'ne Weisheit für die Kranken und die Alten. Aber die, welche die Jungen und die Gesunden sich zurechtmachen, is auch nischt wert ... Na — nu schmunzelst du ja wieder —.

Marie (schluchzt kurz auf)

Zarncke

Nich, nich, nich ... Und komm 'rauf ... Mir is, die Tür hat schon 'n paarmal geklappt. (Weist nach der Kantine) Da traut sich einer nich an die frische Luft, eh' wir nich verduftet sind.

Marie

Die arme Lore!

Zarncke

Nja. Na, komm. (Beide ins Haus ab)

Vierte Szene

Eichholz. Göttlingk. Lore

Eichholz

Scht! Du, Göttlingk! — Sie sind weg!

Göttlingk (heraustretend)

Es war auch hohe Zeit! ... Denn wenn mir jetzt — gewisse Leute in den Weg gerannt wären — — na! Also übers Aufgebot reden wir noch, Lore!

[S. 133]

Lore

(die in der Tür geblieben ist, matt, freudlos)

Wie du willst, Eduard.

Göttlingk

Dann wollen wir also Schluß machen mit dieser elenden Quetsche. Mein Handwerkszeug bringt mir morgen der Vater und — ja, richtig! Die Mandoline gib mir doch noch mit.

Lore (verschwindet)

(Die halboffene Glastür über der Veranda hat sich erhellt. Die Gestalt Zarnckes wird dahinter sichtbar)

Göttlingk (leise)

Is das nich der Alte da oben?

Eichholz

Ja, der schläft da.

Göttlingk

Scht! Na, endlich macht er die Türe zu. (Das Rouleau wird herabgelassen)

Lore (bringt die Mandoline)

Göttlingk

So ... Vater begleitet mich noch ein Stückschen.

Lore (ängstlich)

Vater, es wäre wohl besser, du — —

Eichholz (scheltend)

Was heißt das? Was hast du —?

[S. 134]

Göttlingk (gleichzeitig)

Nu laß doch Vater! ... (Reicht ihr die Hand) Gute Nacht! — (Da sie in der Türe stehen bleibt) Nu geh nur! Geh nur!

Lore (tonlos)

Gute Nacht. (Ab, die Türe hinter sich schließend)

Fünfte Szene

Eichholz. Göttlingk

Göttlingk

Na — und nu? ... Wir haben drin nich ausreden können, weil uns die Lore ewig auf den Hacken saß. Wie denkst du nu über 'ne gute Streckschicht für den Kerl?

Eichholz

Ich bin immer ein ehrenwerter Mann jewesen, ich bin ein zuverlässiger Mann jewesen und ein —

Göttlingk

Ja, ja, ja, ja!

Eichholz

Aber sie haben mir die Seele aus dem Leibe gezogen, sie haben mir den höllischen Geier, welcher heißt Hadramoth, den haben sie mir —

Göttlingk

Nu quatsche nich. Komm mal mit 'rüber in die Destillation.

Eichholz

Hier steh' ich, hier jeh' ich nich weg. Sobald der Hund kommt, dann stürz' ich mir los auf ihm. Brust gegen Brust.

[S. 135]

Göttlingk

Na und dann?

Eichholz

Dann? Ich hab' dem Alten gesagt: Herr Zarncke, hab' ich gesagt, es gibt — ein Unglück.

Göttlingk

Ja, mit's Maulwerk.

Eichholz

So? ... (Zögernd) Du, und was is denn mit dem — Block?

Göttlingk (lauernd)

Was für 'n Block?

Eichholz

Wo du vorhin von sprachst.

Göttlingk

Ach so ... Siehst du den da oben im Flaschenzug?

Eichholz

Ja.

Göttlingk

Wenn da einer die Ketten aushängt, dann steht er bloß auf der Kippe. Verstehste? Eine Holzsteife — die kann 'n Kind wegschlagen. — Und geht dann einer die Treppe 'rauf — muß er die Treppe 'rauf?

Eichholz

Nu jewiß. Der Alte hat doch dahinter 'ne Kontrolluhr aufgestellt. —

[S. 136]

Göttlingk

Daß da man kein Malheur passiert!

Eichholz

(argwöhnisch, will nicht verstehn)

Warum soll — da gleich — 'n Malheur passieren?

Göttlingk

Ach so! ... Scht! Is er das nich? (Man hört rechts das Schließen einer Tür)

Eichholz

Ja.

Göttlingk (leiser)

Nu komm ... Drüben trinken wir noch eins ... Kann man da oben irgendwo 'raus?

Eichholz

Durch die kleine Tür. Immerzu.

Göttlingk

(ihn nach dem Hintergrunde ziehend)

Na denn komm!

Eichholz

Warum nich hier durchs Tor?

Göttlingk

Komm, komm, komm ... Da scheint auch wer zu stehn. — Komm! (Auf einer mittleren Treppenstufe hält er inne) Scht!

Eichholz

Er schließt noch das Sägewerk.

(Beide verschwinden links oben. — Während rechts eine schwere Tür zugeschlossen wird, hört man oben das leise Klirren der Flaschenzugketten. Dann Stille. Während der folgenden Szene geht der Mond auf)

[S. 137]

Sechste Szene

Biegler. Dann Struve

Biegler

(mit Schlüsselbund und schwerem Stock, eine Schnarre umgehängt, erscheint rechts vorne und geht an dem erleuchteten Kantinenfenster vorbei, dann revidiert er das Schloß des Magazins und will zur Tür des Wohnhauses hinüber)

Struves Stimme (vom Haustor her)

He! Scht! Nachtwächter! Biegler!

Biegler

Wer is da?

Struves Stimme

'n guter Freund!

Biegler

Ich hab' keine guten Freunde.

Struves Stimme

Struve is da.

Biegler

Struve kann bei Tage kommen.

Struves Stimme

Mach auf, sonst reiß' ich an de Klingel.

Biegler

Was is denn? (Er geht aufmachen. Man hört den Schlüssel sich drehen. Dann erscheint er zusammen mit Struve) Na?

Struve

Fsch! Drinne wär' mer ja nu.

[S. 138]

Biegler

Also was willst du?

Struve

Sachte, sachte, sachte! ... Ick jeheer' hier zu's Haus. Ick hab' 'n Amt hier ... 'n Vertrauensposten! Jawoll! ... Da muß ick mir iberfihren können bei Tag und bei Nachte ... Ick kann schon jar nich mehr schlafen vor lauter Ehrjefihl. Ja.

Biegler

Na, schlaf man. Ich geh' ja hier als Wächter.

Struve

Det sagste so in deinen Jemiete. — Aber wenn du eines Morjens nicht mehr dabist —

Biegler

Wieso?

Struve

Na, Mensch, Kohlege, wir beid' kennen uns doch. Uns haben se doch aus denselben Suppentopp jeangelt.

Biegler (bitter)

Ach so!

Struve

Und diesentwegen biste dir doch klar: Weg mußte hier nu doch!

Biegler

Ja. Das bin ich mir klar.

Struve

Als du jestern 'raus warst, da haben die Steinmetzen noch ne jroße Beratung jehabt. Da haben wer nich zuheeren[S. 139] derfen. Bloß, daß se morjen früh zum Alten jehn werden, das hab' ich noch —

Biegler (in bitterer Erregung)

Und meinen Austritt fordern?

Struve

Wer zufällig fünf Finger hat, kann sich das ja dran abzählen.

Biegler (verbissen, verzweifelt)

Ich wart's gar nich ab. Ich geh' alleine.

Struve

Da wärste ja auch scheen dumm, wenn du dir — nich vorher schon dinne machen wolltst. — Und darum bin ick eben auch 'n bisken dahinter jewesen. Deiwel auch! Wenn man so die Verantwortung hat.

Biegler

Wofür? Für mich?

Struve

Ne — aber — (macht Zeichen nach dem Magazin hin) vor — — Ick kenn' doch 's menschliche Leben. So 'ne Sachen die loofen doch jewissermaßen hinter einen her. Janz von selber. Wie wenn se Beene hätten. Da kann man jar nischt vor.

Biegler

Was denn? Was denn?

Struve

Na, du weißt schon. Aber in so 'ne menschliche Versuchungen da muß man eben 'n Freind haben. Mann mit[S. 140] Ehrjefihl. Und so. Wo einem 'n bisken ins Jewissen redt ... Denn der Fallstricke des Teufels sind viele, und — — was? Wie sagste?

Biegler (mit einem kurzen Lachen)

Ich sag' jar nischt.

Struve

Na, nu mal unter uns! — Wenn du — und du jehst hier weg, wo wirschte denn nu hinmachen?

Biegler

Wer kann das wissen?

Struve

Nu, setz dir mal bisken hier dal! (Zieht ihn auf den vordersten Block) Sieh mal, mir jeht hier ja so weit janz jut. Ick bin Verdrauensperson. Und so. — Aber zu viel Ehre kann der Mensch auch nich verdragen. Des drickt aufs Jemiet, weißte ... Und weil ich dir nu mal so liebhabe — jewissermaßen, und weil de iberhaupt noch im janzen 'n bisken klietrig bist — weißte! — — na? — Wollen wir zusammen uf de Fahrt steigen?

Biegler

Was? Du und ich?

Struve

Nu ja. Mit die Ansichten, wo wir beide vons menschliche Leben haben — die haben wir nu mal! Die kann uns keiner nehmen. Die einen wälzen sich in'n Jolde, wir wälzen uns in'n jrienen Chausseejraben. Tagsüber sehn wir mal bisken nach, wo wat los is, Abends saufen wir uns 'n verjnichten Teng ins Jesichte. Hier mußte[S. 141] ewig 'n krummen Puckel machen und dir sauer anhauchen lassen und wirscht doch nie mehr im Leben, wat die andern sind!

Biegler

Mensch! Da haste recht!

Struve

Draußen veracht' dir keiner ... Und da biste bloß einem Jehorsam schuldig, — das is der Meilenzeiger ... Na?

Biegler

(schaut abschiednehmend um sich, mit hartem Entschluß)

Gut! Wann willst du — losjehn?

Struve

Losjehn? ... Jleich. Uf'n Momang.

Biegler (in Erregung)

Ich muß doch erst — mit ihm — reden ... Muß doch kündigen.

Struve

Ach! Sei doch kein Milchkalb! Wird er dir viel kündigen? Und noch eins sag' ich dir: Der Jöttlingk is 'n tück'sches Luder. Der verjeßt dir die Blamasche nich. Da kannste morjen drei Zoll Stahl ins Leib kriegen, jleich, noch auf'n nichternen Magen.

Biegler (dumpf, entschlossen)

Mir is alles egal.

Struve

Ne, ne, ne, ne. Komm jleich. Nimm dir in acht.

Biegler

Zeugnisbuch muß ich haben. Dann komm' ich mit.

[S. 142]

Struve

Zeichnisbuch? Ick weeß 'ne Penne hier in de Jegend, da stempelt dir 'n jewesener Oberjeheimrat de piksten Flebben noch heite nacht. Und denn — wat willste mit 'n Zeichnisbuch? — Et steht ja woll jeschrieben: »Ehrlich währt am längsten« — aber 'n tichtiger Spitzbube fährt mit vier Hengsten. Und iberhaupt mit die olle Tugend! Die schabt sich ab wie 'ne dreck'ge Scheierbürschte. Da droppt dir ewig de Nese von wie bei'n kleinen Swienegel ... Bloß natirlich — 'n jewisses Anlagekapital — det missen wir haben.

Biegler

Wozu? Woher?

Struve

Det brauchste überall. — Ohne 'n Parchentlappen kannste nich uf de Flohjagd. — Willste lernen Jold machen? Kleinigkeit! Aber natirlich — wenn de keinen Dukaten hast, kannste auch keinen Dukaten beschneiden. Siehste! Das is der Witz ... Na, Jott sei Dank, bei uns is ja nich wie bei arme Leit' ... Kleines Vermeegen zum Anfangen — und so — is ja alles da.

Biegler

Ich krieg' noch nich mal 's volle Monatsjehalt.

Struve

Aber Mensch! — Bejreifst de denn noch immer nich?

Biegler

Was denn? Na was denn?

[S. 143]

Struve

Herrgott! Schon doch 'n bisken mein Ehrjefihl und frag nich immer so glup'sch. Aber se sind doch nu mal da. Da kann man doch nischt machen.

Biegler

Was? Was? Was?

Struve (zaudernd, verlegen)

Na — de — de — Diamanten.

Biegler

Die willst du am Ende —?

Struve

Die brechen wir doch jetzt jleich aus. Det is doch 'n janz reelles Jeschäftsprinzip. Anzeigen kann uns der Olle nich mehr. Sonst blamiert er sich. Na?

Biegler

Ach so einer bist du! Na, dann jeh man wieder zu Hause.

Struve

Du bist wohl 'n Schlamassel?

Biegler

Ich muß jetzt elfe abpfeifen. (Wild) Jeh, oder ich pack' dir ins Jenick.

Struve

Na — denn mach's gut! ... Ick hab' mir aber sehr in dir entteischt. Den Vorwurf kann ick dir nich ersparen! ... Äh! Is nischt mehr los mit's menschliche Leben, nich vor und nich hinter de Mauer.

(Ab, von Biegler gefolgt. Man hört das Tor auf- und zuschließen)

[S. 144]

Siebente Szene

Lore. Biegler

Lore

(tritt aus der Kantinentür und lauscht nach links hin)

Vater, bist du's?

Biegler

Ich bin's, Fräulein.

Lore (freudig aufschreckend)

Ach Sie sind's ... Haben Sie Vater nich gesehn mit — mit — noch einem?

Biegler

Nein.

Lore

Ach — 'n paar Augenblicke könnt' ich Sie sprechen — ja?

Biegler

Ich möcht' Sie ja auch noch sprechen, bevor ich ... das heißt wenn Sie mir danken wollen etwa —

Lore

Danken darf ich Ihnen wohl noch nich mal! Weiß Gott, Herr Biegler, ich wollt' Ihnen so gerne helfen. Das war meine einzigste Absicht. Statt dessen haben Sie mir geholfen. Nu helfen Sie mir auch weiter. Ich weiß nicht aus, nicht ein.

Biegler

Was is denn nu?

Lore

Er — war — eben da.

[S. 145]

Biegler

Aha ... Na, wann wird Hochzeit sein?

Lore (schweigt)

Biegler

Oder will er noch immer nich?

Lore

Ja, ja, er will ... Er sagt wenigstens, er will ... In Arbeit kommt er nich mehr zurück.

Biegler

So? Ei, ei!

Lore

Aber sobald er was andres gefunden hat, sagt er —

Biegler

Das kann ihm ja nich fehlen.

Lore

Herr Biegler, sagen Sie mir, is denn das möglich? — Man hungert, man hungert nach seinem Glück, jahrelang — und wie man's endlich hat — so, zwischen seinen zwei Händen, da is es mit einem Mal keins mehr, da will man gar nich mehr, da is man satt, satt. Satt is man. Satt.

Biegler

Wer satt is, soll nich essen.

Lore

Ich kann doch nicht »nein« sagen zu ihm ... Das is doch Wahnsinn. Da drin schläft doch mein Lenchen.

[S. 146]

Biegler (erregt, verbissen)

Mancher Mann wär' glücklich, Ihr Lenchen auf dem Schoß zu halten.

Lore (erschrocken)

Herr Biegler, so etwas darf ich nich denken. Das is Sünde.

Biegler

Sünde is, wenn man sich mit sehenden Augen ins Unglück stürzt.

Lore

Das sagen Sie heute, und gestern — haben Sie Stellung und alles — haben Sie hingegeben — bloß —

Biegler

Gott weiß, wie alles kommt.

Lore

Ach, wenn ich reden dürfte! Ich glaub' ihm ja nichts mehr. Ich laure bloß immer: Was für 'n Hintergedanken hat er nu? Mit Vater hat er im Winkel gesessen, weit weg, damit ich nichts hören soll ... Es war da die Rede von — Gott, Sie wissen ja, wie Vater is. Nu hebt mich die Angst, daß er ihm irgend was Schlimmes einredet.

Biegler

Wem kann der alte Mann denn was tun?

Lore

Vielleicht irr' ich mich auch. Ach, sagen Sie mir, was soll ich? Ich kann ja nich mehr los von ihm. Ich bin jahrelang wie sein Hund zu ihm gewesen. Ich kann ja nich mehr los von ihm.

[S. 147]

Biegler

Ja, wenn Sie nich können.

Lore

Ach, lieber Herr Biegler, helfen Sie mir.

Biegler

Helfen! Ich weiß mir alleine nich zu helfen!

Lore

Ach, Sie sind stark. Das weiß ich seit gestern. Sie können, was Sie wollen! Sie —

Biegler

Hähähähä! Weil ich 'n Stein gefunden hab' zur richtgen Zeit. Ich will nich bald wieder auf 'ner dreckigen Pritsche liegen, Pennbruder rechts, Pennbruder links — wenn nichts Schlimmeres — und mir die Augen aus dem Kopf brennen vor — — und muß doch.

Lore

Sie können doch auch da gehn, wo Sie hingehören. Zu Ihresgleichen.

Biegler

Das is meinesgleichen, Fräulein Lore. Irren sich nich. — Da gehör' ich hin ... Aus der Welt, wo Sie sind, da bin ich 'raus. Wo ich lebe, da is Krätze und Fuselgestank, da spuckt man sich auf die wunden Füße, weil man kein Geld zu Salbe hat, da verkauft man seine ewige Seligkeit um ein gefälschtes Stück Attest.

Lore

Aber noch sind Sie doch hier.

[S. 148]

Biegler

Schon so gut wie nich mehr. Morgen früh geh' ich weg.

Lore

Aber warum denn? Warten Sie doch ab!

Biegler

Ich wart' gar nichts mehr ab. Nichts Gutes, nichts Böses. — Ich geh' auf alle Fälle ... Nu sie aus meinem eigenen Munde wissen, was für einer ich bin, nich einen Tag mehr ... Dies is bloß wie 'n schöner Traum gewesen. Der is nu aus ... Ach, bangen werd' ich mich schon sehr ... Ja, die Nächte, wenn der Mondschein überall auf den Blöcken liegt ... Da — sehn Sie, da ... Bei Tag sind sie man grau ... Aber Nachts wie Carrara ... Manchmal bin ich so 'rumgegangen und hab' einen gestreichelt und den andern gestreichelt und hab' gedacht: »Wer wird dich mal behauen — der Glückliche!« ... Und wenn dann erst alles ganz still wird — ringsum auf den Straßen, — dann sitzt man mitten in der Welt wie in einem schönen, warmen Mantel — ganz ruhig und ganz — — ich sagt's Ihnen schon gestern — aber das kommt erst viel später gegen Mor — — (Hält lauschend in ängstlicher Spannung inne)

Lore

Was is?

Biegler

(Man hört links Gelächter von Frauenstimmen und Singsang — scheinbar sich entfernend)

Horchen Sie! Horchen Sie!

Lore

Nun ja. Da lachen 'n paar auf der Straße. Was is denn dabei?

[S. 149]

Biegler (leise)

Das sind die Mädchen, die unter Aufsicht stehn. Die ziehen hier in die Runde — von elfe ab — immer ums Straßenkarree 'rum — bis gegen Morgen. (In Angst) Solang ich die lachen hör', da —

Lore

Was haben Ihnen denn die armen Weiber getan?

Biegler (leise, geheimnisvoll)

Sie is drunter. Ja, sie, sie ... die geht jetzt auch so 'rum.

Lore

Woher wissen Sie das?

Biegler

Ich hab' — sie — getroffen.

Lore (erschrocken)

Hier draußen?

Biegler

Ne ... Bevor ich herkam. Oben im Norden ... Wenn sie mich gesehn hätt' — ich hab' mich bloß geschämt, weil ich so abgerissen war, sonst — weiß Gott, was ich jetzt schon wär' ... (Er schaudert) Ja, der Hunger kann viel ... Na — werden ja sehn!

Lore (erschüttert)

Aber Sie haben doch Ihren guten Willen, Sie —

Biegler

Was is guter Wille? Mein guter Wille sind Sie gewesen, Sie und der komische alte Mann da drin. Von jetzt ab hält mir keiner mehr die Stange hin. Aber gedenken[S. 150] werd' ich's Ihnen — bis — ... Fräulein Lore, es is mein letzter Dienst heute. Ich hab' die Elf-Uhr-Runde noch nich gemacht.

Lore (sich ängstlich umschauend)

Ach — noch — noch — Wenn ich bloß wüßte, wo er Vater hingeschleppt hat ... Ich kann die Angst nich los werden, daß, daß — —

Biegler

Na, was denn?

Lore

Ach, nehmen Sie sich vor dem Block in acht — dort — ja?

Biegler

Ja, ja, der hängt locker, ich weiß ...

Lore

Und bleiben Sie wenigstens im Mondschein. Gehn Sie nich ins Finstre — nein?

Biegler (kurz auflachend)

Das wär' 'n richtiger Wächter, der sich vorm Finstern grault. Und heut bin ich noch einer ... Heut bin ich noch Mensch ... Morgen munter — wieder 'runter — in den Morast ... (Streckt in tiefer Bewegung die Hand gegen sie aus) Gut soll's Ihnen gehn, Fräulein Lore ...

Lore (ohne die Hand zu nehmen)

Ja, Herr Biegler, wenn's Ihnen hier so gefällt ... Schließlich, wenn's Ihnen die andern verzeihen, warum müssen Sie denn durchaus weg?

Biegler

Wer wird mir verzeihen? ... Die Steinmetzen haben ja schon beraten, daß sie morgen zum Alten gehen werden — und —

[S. 151]

Lore

Nu ja.

Biegler

— und —

Lore

Ach, Sie denken wohl ...? Ach, Sie wissen noch gar nich ...?

Biegler

Was is da viel zu wissen?

Lore

Herr Biegler, die Steinmetzen wollen morgen zum Alten gehn — das is richtig, aber nicht darum, was Sie glauben, sondern weil sie ihm sagen wollen, daß sie gerne mit Ihnen zusammenarbeiten werden.

Biegler (verständnislos)

Die Steinmetzen — wollen — dem Al—

Lore

Ja. Weil Sie ja bewiesen haben, daß Sie vom Fach sind, und weil Ihr Auftreten gestern ihnen so gut gefallen hat, darum soll Ihr Privatleben keinen mehr was angehn, haben sie gesagt.

Biegler

Die Steinmetzen wollen — die Steinmetzen wollen — die Steinm— — — Gott, Gott, Gott! ... Die Steinmetzen wollen — ja, warum haben Sie mir das nich schon früher gesagt?

Lore

Sie sagten doch, Sie warten gar nichts mehr ab ... Sie gehen auf alle Fälle.

[S. 152]

Biegler

Wenn die Steinmetzen wollen, warum soll ich denn —? Wenn ich wieder — ich soll wieder Krönel und Scharriereisen in die Hand nehmen? ... Ich soll wieder die blaue Schürze — umbinden — dürfen? Ich soll — soll — soll — wieder die blaue Schürze ... (Heimlich, leise, in Angst) Fräulein Lore, ich will Ihnen was anvertrauen. — Aber — (Legt die Hand auf die Lippen) Ich hab' nämlich manchmal solche Anfälle gehabt (wischt sich über die Stirn) in der Anstalt ... Das find't man dort sehr oft ... Sind Sie ganz sicher, daß Sie das eben gesagt haben, daß die Steinmetzen — morgen — dem Alten —?

Lore

Aber Herr Biegler, ja, ja!

Biegler

Und Sie glauben auch, es kann — nichts mehr — dazwischenkommen — bis morgen?

Lore

Was sollt' denn das sein?

Biegler

Nu, daß die Steinmetzen ihren Sinn ändern — oder daß der Alte sagt: »Nein« — oder daß mir 'n Stein auf'n Kopf fällt — oder, was weiß ich?

Lore

(sieht sich erschrocken nach der Treppe um, leise)

Stein auf'n —

Biegler (lachend)

Ach, wissen Sie, das wär' wirklich schade. Denn ich bin immer 'n tüchtiger Arbeiter gewesen ... Ich hab'[S. 153] schon zwei Preise gekriegt ... Ich bin mal vor der ganzen Innung — bin ich öffentlich belobt worden ... Gespart hab' ich auch mal ... Ich hab' mal schon acht Mark fünfzig pro Tag verdient ... Ich versteh' auch gut in Granit zu arbeiten. Profile und Alles ... Granit, das wissen Sie ja, das ist das Härteste ... Dabei scheint es einem manchmal wie Gallert ... weicht einem geradezu aus. Man kann da mit dem Spitzeisen gar nich 'ran ... da muß man — da muß man — (vom Glücke überwältigt) Die Steinmetzen — wollen — mit mir — — (sinkt lachend und schluchzend auf die Bank, das Gesicht gegen die Mauer gelehnt, leise) arbeiten — mit mir — arbeiten — —

Lore

(macht mitleidig einen Versuch, seinen Rücken zu streicheln)

Ach Gott! (um ihn zu erwecken, ein wenig ängstlich) Herr Biegler! ... Herr Biegler!

Biegler (zu sich kommend)

Ja, ja, ja, ja! Wo hab' ich meinen Stock — meine Pfeife? ... Ich bin ganz, ganz ... die Kontrolluhren hab' ich auch noch nich gestochen! — Heut darf ich nichts versäumen, sonst ... Hahaha — hahahaha! Adieu, Fräulein Lore. Ich komm' bald wieder.

Lore

Wo wollen Sie hin, Herr Biegler?

Biegler

Runde machen — nach oben — die Treppe 'rauf ...

Lore (leise)

Gehn Sie nich, Herr Biegler. Nich die Treppe 'rauf!

[S. 154]

Biegler

Warum denn nich? Haben Sie immer noch Angst vor dem Block?

Lore (in wachsender Angst)

Gehn Sie nich, Herr Biegler! Wenn Sie sich freuen auf Ihr künftiges Leben — wenn Sie den Krönel wirklich noch mal führen wollen — wenn Sie — ... Mein Kind hat Ihnen das erste Willkommen gesagt, das hat Ihnen Glück gebracht — darum ... ach, gehn Sie nich! Gehn Sie wo anders, aber da nicht!

Biegler

Fräulein Lore, Sie werden ja wohl Ihre Gründe haben —

Lore

J, ja, ja, ja.

Biegler

Aber sein Sie ganz ruhig! Nu kann geschehn, was will! Mir tut keiner mehr was. Jetzt nich mehr. Nee.

Lore (entschlossen)

Dann komm' ich mit.

Biegler

Gut! Kommen Sie mit. Gehn wir alle beide nachtwächtern!

Lore (ruft hinauf)

Is da einer oben? (Schweigen)

Biegler

Na sehn Sie!

Lore (leise)

Herr Biegler, wenn wir die Treppe 'raufgehn, dann fassen Sie mich mal um den Leib. Ganz fest.

[S. 155]

Biegler

Ich soll Sie umfassen? Das is doch nich Ihr Ernst?

Lore

(umschlingt ihn rasch, mit erhobener Stimme)

So werden wir jetzt die Treppe 'raufgehn. Und dann wollen wir doch mal sehen.

Eichholzens Stimme (von oben)

Wirste weg da, du —

Göttlingks Stimme

Scht!

Biegler

Nanu! Was is denn das? (Er reißt sich los und springt blitzschnell die Treppenstufen hinan. — In demselben Augenblicke stürzt dicht hinter ihm der Block mit Getöse herunter, prallt gegen die Stufen und zerschellt am Boden. Eine Staubwolke wirbelt auf. Man hört oben das ängstliche Granzen des alten Eichholz und ein Stöhnen wie von Ringenden)

Lore

(ist mit einem Schreckensruf zurückgewichen und schreit, sinnlos vor Angst, in das Dunkel hinauf)

Tu ihm nichts, Eduard. Ich zeig' dich an. Ich zeig' dich an. Ich zeig' dich an.

Göttlingks Stimme

Schrei nich, du Frauenzimmer! (Man sieht seine Gestalt nach links hin flüchten und verschwinden)

Achte Szene

Lore. Biegler. Eichholz. Später Zarncke. Marie. Frau Homeyer. Zwei Dienstmädchen

Stimmen von der Straße her (durcheinander)

Was ist da los? Was is da geschehn? Da is Mord und Totschlag ... Macht doch mal auf! ... Aufmachen! — (Man rüttelt am Tor)

[S. 156]

Biegler

(führt unterdessen den Alten die Treppe herab)

Vorsicht! ... Da sind Stufen zerbrochen. — Vorsicht! —

Eichholz (betrunken weinend)

Ich bin unschuldig. Ich hab' nichts getan ...

Lore (ihnen entgegen)

Um Gottes willen, Vater!

Biegler

(gibt den Alten, der sich nicht aufrecht halten kann, an Lore und ruft nach links hinübergehend atemlos)

Was wollen Sie hier? 'n Stein is 'runtergefallen. Weiter nichts ... Weiter is nichts. —

Die Stimmen (durcheinander)

Nu machen Sie doch mal das Tor auf ... Wollen mal nachsehen.. Geschwindelt wird nicht ... Aufmachen!

Biegler

Hier wird nichts aufgemacht. Gehen Sie Ihrer Wege! (Pfiffe. Gelächter. Abgerissene Rufe. Dann allmählich Stille)

Eichholz

(der von Lore zu dem vordersten Block geführt wird, wo er sich niedersetzt, derweilen weitergranzend)

Ich bin nu auch 'n Mörder. Ich komm' nu aufs Schafott.

Zarncke

(hat derweilen Licht gemacht, das Rouleau hochgezogen und die Glastür geöffnet, dann tritt er im Schlafrock auf den Balkon hinaus)

Was is da unten? Is da ein Unglück geschehn?

Lore

(mit flehender Gebärde zu Biegler hin)

Ach bitte, bitte!

[S. 157]

Zarncke

Bekomm' ich keine Antwort?

Biegler

(nach Atem ringend, mit zitternder Stimme)

Der Oberkirchner Sandsteinblock links an der Treppe is vom Stapel gefallen, Herr Zarncke.

Zarncke

Wie hat denn das passieren können?

Biegler

Er stand auf Hochkant im Flaschenzug. Da haben sich wohl die Ketten gelockert.

Zarncke

Und was klagt der alte Eichholz so? Hat er sich verletzt?

Lore

(Angst und Erregung niederzwingend, mit geheuchelter Ruhe)

Er hat sich wohl 'n bißchen weh getan ... Aber schlimm is es nicht, Herr Zarncke.

Zarncke

Na wenn's weiter nichts is.

Eichholz (wird allmählich still)

Frau Homeyer

(in Nachtjacke mit einem dunkeln Tuch darüber, ist mit zwei Mägden hinter sich auf die Veranda hinausgetreten)

O Gott, o Gott, o Gott, da is gewiß 'n Malheur passiert.

Zarncke (herunterrufend)

Nichts is passiert. Geht mal alle ins Haus zurück!

[S. 158]

Marie

(die während des Vorigen in dem — gleichfalls erhellten — Fenster des Wohnzimmers erschienen ist)

Du, Lore, komm mal her zu mir.

Lore (geht zu ihr)

Frau Homeyer (derweilen)

Da is sicher wieder 'n fremder Mann bei der Lore gewesen. Da möcht' ich jeden heiligen Eid drauf schwören.

Zarncke

Na, wird's bald?

Frau Homeyer (mit den Mägden ab)

Ja, ja, ja, geh' schon. Herrgott, ja.

Marie (leise)

Was schriest du da vorhin? Und zu wem?

Lore (bebend)

Ich?

Marie

Ich war wach. Mich täuschst du nicht.

Zarncke

Mariechen.

Marie

Vaterchen?

Zarncke

Geh nu man auch zu Bett. Den Schaden können wir uns morgen besehn. Das heißt, dem Willig werd' ich aufs Dach steigen. Haben sich wohl tüchtig erschreckt, Biegler — was?

[S. 159]

Biegler

(noch immer zitternd in Erregung)

Ach — nich sehr — Herr Zarncke.

Zarncke

Na denn: Gute Nacht, Kinder.

Lore

Gute Nacht, Herr Zarncke.

Marie (gleichzeitig)

Gute Nacht, Vaterchen.

Zarncke

(geht ins Zimmer zurück und schließt die Glastür)

Lore (leise)

Morgen erzähl' ich dir alles. Es is viel geschehn seit gestern.

Marie

Aber doch nur Gutes?

Lore (fest)

Ja. Weiß Gott.

Marie (in wehmütiger Güte)

Na, dann freut's mich auch. Gute Nacht.

Lore

Gute Nacht, Mariechen.

Marie (schließt das Fenster. Ab)

[S. 160]

Neunte Szene

Lore. Biegler. Eichholz

(Fenster und Glastür verdunkeln sich. Die Stimmen der Straße haben sich allmählich verloren. Mitternachtsstille)

Biegler

(sinkt, von den Folgen der ausgestandenen Erregung überwältigt, auf die Bank und atmet schwer)

Lore

Was is Ihnen, Herr Biegler? Sind Sie ganz heil geblieben? Is Ihnen auch nichts geschehn?

Biegler

Ich muß mich bloß — 'n bißchen verschnaufen ... ich bin ganz ...

Lore

Aber Sie rangen doch mit ihm? Hat er Ihnen da nichts getan?

Biegler

Er hat nich mal mehr so viel Courage gehabt, seinen Dreikantigen zu ziehn. — Na, kommen Sie noch immer nich los von ihm?

Lore

(mit einer wilden Gebärde des Befreitseins)

Ach!

Biegler

Ja. Dem sein Hund sind Sie gewesen, scheint mir.

Lore

Und meinen alten Vater so zu — der Schuft! ... Vater! Du mußt zu Bett gehn, Vater!

[S. 161]

Eichholz

(antwortet nicht, atmet tief im Schlafe)

Lore

Gott! — Nu sehn Sie bloß!

Biegler

Schläft er am Ende?

Lore

Dem werden Sie doch nichts nachtragen?

Biegler

Wenn er mir nichts nachträgt. Hahaha.

Lore

Herr Biegler!

Biegler

Was, Fräulein Lore?

Lore

Ich kann nichts sagen — mir ist das Herz so — ich kann nicht ...

Biegler

Aber die Hand können Sie mir geben. (Streckt ihr die Hand entgegen) Wenn die nu wieder rein wird, dann sind Sie schuld.

Lore

(weist kopfschüttelnd nach dem Balkon)

Unser Alterchen da oben is schuld.

Biegler (seine Hand in der ihren)

Ja, wie's auch wird, dem wollen wir danken ... Scht! ... Schlägt's da nich zwölfe? (Man hört die ferne[S. 162] Turmuhr schlagen) Wahrhaftig! Nu muß ich aber wirklich mal Runde machen und abpfeifen ... Sonst bin ich ja gar nich wert, daß ... (Lacht leise und glücklich) Gute Nacht, Fräulein Lore!

Lore

Gute Nacht, Herr Biegler.

Biegler (am Fuß der Stufen)

Na, nu kann ich ja wohl ruhig die Treppe 'rauf?

Lore

Der kommt nie wieder. —

Biegler (von den Stufen her)

Gute Nacht!

Lore

Gute Nacht.

Biegler (verschwindet nach rechts)

Lore

Vater! ... Nu mußte aber wirklich schlafen gehn, Vater. (Der Alte rührt sich nicht. Man hört Biegler dreimal kurz pfeifen) Vater, hörst du, wie er pfeift? (Biegler pfeift — wieder von weiter her) Vater, das Glück pfeift! Das Glück pfeift! (Sie sinkt schluchzend vor dem Alten nieder, das Gesicht an seinem Knie verbergend. Der Alte schläft fort. — Das Pfeifen Bieglers tönt leiser, je weiter er sich entfernt)

(Der Vorhang fällt langsam)

Anmerkungen zur Transkription

Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn beide Schreibweisen gebräuchlich waren, wie: Interpunktion wurde ohne Erwähnung korrigiert. Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen:





End of Project Gutenberg's Stein unter Steinen, by Hermann Sudermann

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK STEIN UNTER STEINEN ***

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Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org



Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    gbnewby@pglaf.org

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.