The Project Gutenberg EBook of Peter und Lutz, by Romain Rolland

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Title: Peter und Lutz
       Eine Erzählung mit sechzehn Holzschnitten von Frans Masereel

Author: Romain Rolland

Illustrator: Frans Masereel

Translator: Paul Amann

Release Date: December 20, 2014 [EBook #47713]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PETER UND LUTZ ***




Produced by Jens Sadowski





ROMAIN ROLLAND

PETER UND LUTZ

EINE ERZÄHLUNG
MIT SECHZEHN HOLZSCHNITTEN
VON FRANS MASEREEL

MÜNCHEN
KURT WOLFF VERLAG

Einzig berechtigte Übertragung von
Paul Amann

Copyright 1921 by Kurt Wolff Verlag A.-G., München
Printed in Germany

Thaliae Amicae

Die Erzählung
umfaßt den Zeitraum vom 30. Januar 1918
(Mittwochabend) bis zum Karfreitag
desselben Jahres (29. März)

Peter versank in die Tiefe der Untergrundbahn. Rohe, fiebrig erregte Menge. In einen Block von Menschenleibern eingekeilt, atmete er die schwere Luft, die durch aller Lungen ging; er stand dicht bei der Waggontüre; blicklos waren seine Augen zur schwarzen, dröhnenden Tunnelwölbung gekehrt, unter der die grellblanken Pupillen des Zuges hinglitten. In Peters Innern prallte auch so eine harte, zuckende Helligkeit an schwere Finsternis. Er meinte unter seinem hochgeschlagenen Winterrockkragen zu ersticken; die Arme drückte er dicht an den Leib und hielt die Lippen krampfhaft geschlossen; seine schweißfeuchte Stirn trafen eisige Schauer, wenn bei aufgerissener Türe ein Hauch von draußen eindrang; in dieser Lage wollte er am liebsten nicht mehr atmen, nicht mehr denken, nicht mehr leben. Das Gemüt des Achtzehnjährigen — fast schien er noch ein Kind — war voll dumpfer Verzweiflung. Da oben über ihm, über dieser finsteren Wölbung, über diesem Rattengang, durch den das metallene Ungetüm voll gespenstigen Menschengekribbels dahinschoß — da oben war Paris, war der Schnee, die kalte Januarnacht, der Alpdruck des Lebens und des Sterbens — war der Krieg.

Der Krieg. Seit vier Jahren war er da, hatte sich ins Leben eingefressen. Mit seiner ganzen Schwere hatte er auf Peters Jugend gelastet. Er hatte den Jüngling gerade in der entscheidenden Epoche überfallen, da er durch die Unrast erwachender Sinne erschüttert, tierhafter, blinder, zermalmender Kräfte gewahr wird, der Kräfte des Lebens; des Lebens, das er doch gar nicht verlangt hat. Ist nun so ein Junge, wie es Peter war, von Haus aus zart, ist sein Gemüt so weich und sein Leib so schmächtig, dann packt ihn — ohne daß er sich traut, es wem einzugestehen — ein Ekel, ein Grauen vor dem Schmutz, vor der Gemeinheit, vor dem Blödsinn dieser ewig zeugenden, ewig verschlingenden Natur — vor dieser werfenden Sau, die ihre Jungen frißt . . . In jedem jungen Menschen zwischen dem sechzehnten und dem achtzehnten Lebensjahre regt sich etwas von Hamlets Seele. Wie kann man von ihm Verständnis für den Krieg verlangen! (Eure Sache, Ihr gesetzten Männer!) Er hat schon daran gerade genug, das Leben zu verstehen — und ihm zu verzeihen. Gewöhnlich verkriecht er sich in ein Traumland und ins Reich der Kunst, bis er sich mit der Tatsache seiner Fleischwerdung abgefunden hat, der gefährliche Übergangszustand der Verpuppung glücklich überstanden ist und der Falter ausschlüpfen kann. In jenen wirren Vorfrühlingstagen des Lebens bedarf er so sehr des Friedens und der Sammlung! Aber gerade da holt man ihn aus seinem Schlupfwinkel, entreißt ihn mit roher Gewalt schützendem Dunkel, mit seiner noch so verletzlichen neuen Hülle stößt man ihn an die rauhe Luft, mitten ins harthäutige Menschengeschlecht; dessen Haß und Tollheit soll er sich sofort zu eigen machen, ohne sie zu begreifen; ohne sie zu begreifen, soll er dafür büßen.

Als Achtzehnjähriger war Peter schon assentiert. In einem halben Jahre wird das teure Vaterland sein junges Fleisch brauchen. Der Krieg lechzte darnach. Sechs Monate war noch Schonzeit. Sechs Monate! Wenn man wenigstens bis dahin nicht nachzudenken brauchte! In dieser Unterwelt bleiben! Den grellen Tag nicht mehr sehen müssen! . . . Mit dem hinfliegenden Zuge tauchte er ins Dunkel und schloß die Augen . . . Als er die Augen wieder auftat — stand ein paar Schritte weiter, durch die Körper von zwei fremden Menschen von ihm geschieden, ein junges Mädchen, das eben eingestiegen war. Zuerst erkannte er im Schlagschatten des Hutes nur ihr zartes Profil, dann das Blond einer Locke auf der schmalen Wange, ein Glanzlichtchen auf der lieblichen Biegung dieser Wange, die feine Linie der Nase und der geschürzten Oberlippe, die noch vom raschen Laufe zitterte. Durch die Pforte seiner Augen ging sie ein in sein Herz, trat hinein ganz und gar, und die Pforte schloß sich hinter ihr. Das Lärmen der Außenwelt schwieg. Stille. Friede. Sie war da.

Sie sah nicht nach ihm hin. Sie wußte noch gar nicht, daß er auf der Welt war. Und doch war sie in ihm. Er hielt ihr stummes Bild zärtlich in den Armen und wagte nicht zu atmen, damit sie nicht einmal sein Atem berühre . . .

Bei der nächsten Station kam wilde Bewegung ins Gedränge. Schreiende Leute stürzten in den schon überfüllten Wagen. Peter verspürte den Anprall und tragenden Druck der Menschenwelle. Über dem Tunnel, oben über der großen Stadt, ein dumpfes Krachen. Der Zug fuhr weiter. In diesem Augenblicke rannte in wahnsinniger Angst ein Mensch die Treppe hinunter, indem er die Hände vors Gesicht hielt und — jetzt kollerte er ganz hinunter. Man sah gerade noch, wie ihm Blut zwischen den Fingern floß . . . Dann kam wieder der finstre Tunnel. Im Waggon Schreckensrufe: die Flieger sind da! . . . In der gemeinsamen Gefahr, darin diese gepferchten Leiber zu einem Körper verschmolzen, hatte Peters Hand die Hand ergriffen, die er dicht neben der seinen fühlte. Und wie er die Augen hob, da war es Sie.

Sie machte sich nicht los. Dem Drucke seiner Finger antworteten ihre Finger, erst etwas krampfig und aufgeregt, dann sanft hingegeben, brennend heiß und regungslos. So verharrten ihre Hände im schützenden Dunkel wie zwei Vögelchen, die im selben Neste kauern; und ihr warmes Herzblut floß in einem Strome durch ihre verknüpften Hände. Sie sprachen kein Wort und regten sich nicht. Die Lippen des Burschen streiften beinahe die Locke auf ihrer Wange und ihr Ohrläppchen. Sie blickte ihn nicht an. Zwei Stationen weiter löste sie ihre Hand aus der seinen, die ihr gleich nachgab, schlüpfte leicht durchs Gedränge und war weg, ohne ihn überhaupt angesehn zu haben. Erst als sie verschwunden war, fiel’s ihm ein, ihr zu folgen . . . Zu spät. Der Zug war im Fahren. Bei der nächsten Haltestelle stieg Peter an die Oberwelt. Da war wieder Nachtluft, ein Kitzeln unsichtbaren Schneeflaums und die geängstigte Riesenstadt, die ihre Furcht schon wieder als Abenteuer genoß, während hoch über ihr noch Kriegsvögel schwirrten. Peter aber sah nichts als jene, die in ihm war; er ging heim, Hand in Hand mit der Unbekannten.

Peter Aubier wohnte bei seinen Eltern nächst dem Cluny Platz. Sein Vater war ein höherer Gerichtsbeamter, der sechs Jahre ältere Bruder war bei Kriegsausbruch als Freiwilliger hinausgezogen. Es war eine gute, echt französische Bürgerfamilie, warm fühlende, brave Leute von menschenfreundlichster Gesinnung, die aber nie gewagt hatten, einen selbständigen Gedanken zu fassen. Der Gerichtspräsident Aubier war durch und durch Ehrenmann und hegte eine hohe Auffassung von seinen Standespflichten. Als ärgsten Schimpf hätte er die leiseste Andeutung zurückgewiesen, seine richterlichen Entscheidungen könnten jemals nicht bloß von Recht und Gewissen eingegeben sein. Aber dieses Gewissen hatte noch nie ein Wort gegen die Regierung gesprochen (besser gesagt: geflüstert). Es war von Geburt an amtlich-korrekt. Sein Denken war eine Funktion des Staates, veränderlich, aber immer unanfechtbar. Die bestehenden Gewalten erschienen ihm in gottgewollter Unfehlbarkeit. Dabei bewunderte er aufrichtig die ehernen Charaktere der hohen Richtergestalten vergangener Tage, die so frei und unbeugsam ihre Bahn geschritten waren; vielleicht hielt er sich sogar insgeheim gewissermaßen für deren Geistesverwandten. So war er etwa eine Miniaturausgabe des Michel de l’Hospital, nur daß eben ein Jahrhundert republikanischer Knechtung über ihn weggegangen war. — Frau Aubier war eine musterhafte Christin, wie ihr Gemahl ein musterhafter Republikaner. So wie der sich im besten Glauben, mit dem ehrlichsten Gefühl erfüllter Pflicht, zum Werkzeug gegen jede staatlich nicht patentierte Freiheitsregung gebrauchen ließ, so erhob sie in aller Reinheit ihres Herzens ihre Stimme fromm im Chor der menschenschlächterischen Kriegsgebete, wie sie damals in jedem Lande Europas katholische Priester, protestantische Pastoren, Rabbiner und Popen gen Himmel schickten, in schönem Einklange mit den gutgesinnten Zeitungen und Leuten dieser Epoche. Beide, Vater und Mutter, liebten ihre Kinder abgöttisch, hatten als echte Franzosen eigentlich nur für sie ein ganz tiefes, inniges Gefühl und würden ihnen jedes Opfer gebracht haben, brachten jetzt aber ohne Bedenken eben diese Kinder zum Opfer dar, weil die andern Leute auch so taten. Wem galt dies Opfer? Dem unbekannten Gott. Immer wieder hat Abraham seinen Isaak zum Brandaltar geführt. Und seine berühmt gewordene Narretei gilt der bedauernswerten Menschheit immer noch als Vorbild.

Wie das so oft vorkommt, war in diesem Familienleben zwar die Liebe groß, aber es gab gar keinen vertraulichen Verkehr zwischen Eltern und Kindern. Wie sollte man sich einem andern ganz eröffnen, wenn eine gewisse Scheu einen abhält, sich selber ganz klare Rechenschaft zu geben von dem, was man empfindet? Was immer in einem vorgehen mochte, man wurde das Gefühl nicht los, gewisse Dogmen müßten unangetastet bleiben: war das schon reichlich unbequem, wo die Dogmen brav in säuberlich begrenztem Gebiete verblieben (so stand es im ganzen mit allem, was das Jenseits betraf), was sollte man erst anfangen, wenn dergleichen gar ins Leben eingreifen, es in jeder Hinsicht bestimmen wollte, wie der neumodisch-unkirchliche Dogmenzwang tut? Wie dem Dogma Vaterland entrinnen? Die neue Religion brachte alttestamentarische Zustände wieder. Sie begnügte sich nicht mit bloßem Lippendienst und harmlosen, der Gesundheit zuträglichen oder komischen Übungen, wie Beichte, Fasten am Freitag oder Sonntagsruhe, an denen sich der Witz der „Philosophen“ hatte üben dürfen, nämlich in der guten alten Zeit, da das Volk noch frei war — unter den Königen. Die neue Religion wollte einfach alles für sich, mit weniger gab sie sich nicht zufrieden: den ganzen Menschen, seinen Leib, sein Blut, sein Leben und sein Denken. Vor allem aber sein Blut. Seit den Tagen der mexikanischen Azteken hatte sich keine Gottheit so sattgetrunken an Blut. Dabei täte man diesen Gläubigen bitter Unrecht mit der Annahme, sie litten nicht unter ihren Opfern. Sie litten und glaubten. Ihr meine armen Menschenbrüder, denen Leid ein Beweis göttlicher Nähe ist! . . . Das Ehepaar Aubier litt wie die andern und warf sich in den Staub wie die andern. Aber von einem Halbwüchsigen konnte man wirklich nicht verlangen, daß er den Schrei seines Menschenherzens übertäube, die Stimme seiner Menschensinne und seiner Menschenvernunft. Peter hätte so gern wenigstens genau begriffen, was da so bedrückend auf ihm lag. Wie viele Fragen brannten ihm auf der Zunge, ohne daß er sie aussprechen durfte! Denn als Erstes drängte sich ja der Herzensschrei hervor: „Aber ich glaube ja gar nicht daran!“ Schon das wäre Gotteslästerung gewesen. — Nein, er konnte nicht reden. Wie sie ihn ansehen würden! In starrem Entsetzen, entrüstet, mit Kummer und Scham! Und da er im Alter stand, wo die Seele noch bildsam ist, wo ihre überzarte Membran sich vor jedem Windhauch kräuselt und in Falten legt und, unter so flüchtigen Fingern erschauernd, festere Gestalt annimmt, so war er, ohne gestanden zu haben, doch schon voll Trauer und Scham. Ach, wie felsenfest sie alle daran glaubten! (Aber ob nur alle wirklich daran glaubten?) Wie machte man das? — Er traute sich nicht zu fragen. Als einzig Ungläubiger inmitten einer gläubigen Menge ist man wie einer, dem ein Organ fehlt — ein vielleicht überflüssiges Organ — aber eins, das alle übrigen besitzen; so birgt man denn errötend seine Blöße vor ihren Blicken.

Der einzige, der in diesen Seelennöten der Vertraute des Jungen hätte sein können, war der ältere Bruder. Philipp war für Peter ein Gegenstand jener schwärmerischen Verehrung, mit der Halbwüchsige (ohne sich’s irgend merken zu lassen) zu älteren Brüdern, Schwestern oder fremden Weggenossen aufsehen, ja auch zu Menschen, die ganz flüchtig aufgetaucht und wieder verschwunden sind — weil sie ihnen als reine Verkörperung des Ideals erscheinen, dem sie in Lebens- und Liebesahnung zustreben: in diesem bewundernden Aufblick liegt keusche Glut und dumpferer Drang, der Zukunft will. Der große Bruder hatte diese kindliche Huldigung wohl gemerkt und fühlte sich geschmeichelt. Bis in die letzte Zeit war er stets bemüht gewesen, im Herzen des Jungen zu lesen und das Gelesene schonungsvoll zu deuten: denn trotz seiner kräftigeren Natur war er, wie der Jüngere, aus jenem feinen Stoffe geformt, der die besten Männer noch etwas frauenhaft erscheinen läßt, ohne daß sie sich dessen schämen. Aber da kam der Krieg und riß ihn aus Leben und Arbeit, aus seinen naturwissenschaftlichen Studien, aus seinen Jünglingsträumen und dem innigen Verkehr mit dem jüngeren Bruder. Im hochgespannten Rausch der ersten Kriegstage hatte er alles stehen und liegen lassen und war hinausgestürmt; wie sich ein großer Vogel toll in den Raum wirft, so wollte der reine, heldische Tor mit Schnabel und Fängen der Ära der Kriege ein Ende machen, das Reich des ewigen Friedens aufrichten auf Erden. Seitdem war der große Vogel zwei, drei Mal ins Nest zurückgekehrt; doch waren ihm leider jedesmal wieder ein paar Schwungfedern ausgerupft. So mancher holde Wahn war dahin, aber er konnte sich nicht überwinden, es einzugestehen. Daß er daran geglaubt hatte, war ihm jetzt Scham und Demütigung. Er war dumm genug gewesen, das Leben nicht so zu sehen, wie es ist. Jetzt war er unerbittlich im Bestreben, es allen falschen Zaubers zu entkleiden und doch mit stoischer Kraft zu bejahen, wie immer es sein mochte. Aber er kehrte seine Stacheln nicht nur gegen sich selbst; in seiner Verbitterung verfolgte er seine Illusionen bis ins Herz des Bruders, wo er sie wie alte Bekannte wiederfand. Als er zum ersten Male nach Hause kam, flog ihm Peter mit der ganzen Glut seiner eingemauerten Seele zu, fühlte sich aber sogleich durch die Art und Weise des Heimkehrers schmerzlich abgekühlt; das Wiedersehen war ja gewiß noch sehr herzlich, aber in der Stimme des Bruders lag ein so scharf ironischer Klang! Die Fragen, die sich auf seine Lippen drängten, wurden jäh zurückgescheucht. Philipp sah diese Fragen auftauchen, aber mit einem Blick fegte er sie weg. Nach zwei, drei fruchtlosen Annäherungsversuchen zog Peter die Fühler seines Herzens ein und verkroch sich in sich selbst. Er kannte den Bruder gar nicht wieder. Der andere erkannte den Zustand des Jüngeren nur zu gut. Sah er doch in ihm wieder, was er noch unlängst selber gewesen war und nun nicht mehr zu sein vermochte. Das ließ er ihn büßen. Nachher tat es ihm leid, aber das ließ er sich nicht merken und fing immer wieder an. Beide litten darunter; und da begann das allzu häufige Mißverstehen zu wirken, daß ihr gemeinsames Leid, statt sie einander nahezubringen, sie sich noch ganz entfremdete. Der einzige Unterschied bestand darin, daß der Ältere wußte, wie nah verwandt ihre Qualen waren, während Peter damit ganz allein zu stehen meinte, ohne eine Seele, der er sein Herz erschließen durfte.

Warum wandte er sich denn nicht an seine Altersgenossen, an die Schulkameraden? Hätten denn nicht vor allem diese jungen Leute sich enger zusammenschließen und aneinander eine Stütze finden sollen? Aber das trat durchaus nicht ein. Ein trauriges Verhängnis hielt sie vielmehr völlig zersplittert, in kleine Gruppen verzettelt, und noch innerhalb der letzten Grüppchen verhielt man sich kühl und mißtrauisch. Die gewöhnlichsten Naturen hatten sich mit geschlossenen Augen kopfüber in den Strom der Kriegsbegeisterung gestürzt. Die meisten hielten sich fern davon, fühlten sich mit den vorangegangenen Generationen keineswegs verknüpft, teilten durchaus nicht deren Leidenschaften, weder in Hoffnung noch Haß; sie sahen dem rasenden Geschehen zu, wie Nüchterne dem Treiben Betrunkener. Aber wie sich dagegen wehren? Viele gründeten Zeitschriftchen, deren schwaches Leben nach den ersten Nummern aus Luftmangel erlosch; die Zensur machte nicht viel Federlesens. Frankreichs Geistesleben wurde wie unter der Glocke einer Luftpumpe erstickt. Die Hochstehenden unter diesen Jünglingen fühlten sich zu schwach zur Auflehnung, zu stolz zur Klage und lebten einfach im Gefühle dahin, dem Kriege ans Messer geliefert zu sein. Wie in einem Schlachthause warteten sie, bis sie an der Reihe waren: bis dahin machten sie in all er Stille ihre Beobachtungen und bildeten sich ein Urteil; in ihrem Blick lag etwas Verachtung und viel Ironie. Sie sahen auf die umnachtete Herde herab und stürzten sich, des Widerspruches wegen, in eine übertriebene geistige und künstlerische Verfeinerung ihres Ich, in einen ideal gefärbten Sinnenkult, mit dem die gefährdete Individualität ihr Recht gegen die Übergriffe der menschlichen Gemeinschaft behaupten wollte. Welch Spottgebild einer Gemeinschaft, die sich diesen Jünglingen nur als gemeinschaftlich verübtes oder erduldetes Morden darstellte! Frühreife Erfahrung hatte ihre schönen Träume welk gemacht: sie hatten gesehn, wie solche Träume bei ihren älteren Brüdern greifbare Gestalt annahmen, und sie, die doch nicht daran glaubten, sollten mit ihrem Leben dafür bezahlen! Sie hatten auch zu den Menschen ihres Alters kein rechtes Vertrauen mehr; auch ihr Glaube an die Menschheit im allgemeinen war erschüttert. Zudem konnte einem um diese Zeit Vertrauensseligkeit teuer zu stehen kommen! Jeden Tag hörte man, daß irgend jemandes Gedanken und Privatgespräche von patriotischen Spitzeln verraten wurden, deren Eifer die Regierung ehrte und anfeuerte. Entmutigung, Menschenverachtung, Klugheit und stoisches Gefühl seelischer Einsamkeit bewirkten, daß die jungen Leute sich kaum je aussprachen.

Peter konnte in diesem Kreise nicht den Horatio finden, den solche achtzehnjährige Hamlets immer suchen. Es graute ihm davor, sein Denken der öffentlichen Meinung hinzugeben (diesem öffentlichen Weibe), aber es war ihm umso tieferes Bedürfnis, innige Vereinigung mit frei gewählten Seelen zu suchen. Er war zu warm und weich, um ganz für sich bleiben zu können. Er litt am Leiden der Gesamtheit. Dieser Berg von Qual erdrückte ihn, zumal er seine Masse überschätzte: denn die Menschheit erträgt eben all dies, weil ihr Fell etwas härter gegerbt ist als die neue Haut eines zarten Jünglings. — Aber eines übertrieb und überschätzte er sicher nicht und es drückte ihn schwerer als die Qual der Welt: dies war ihr idiotischer Stumpfsinn.

Leiden und selbst der Tod sind nichts, wenn man weiß wofür. Jedes Opfer ist gut, dessen Warum man begreift. Aber was ist dies Warum? Was ist in Jünglingsaugen der Sinn der Welt und ihrer zerstörenden Umwälzungen? Kann ein gegen sich selber ehrlicher, gesunder Bursche wirklichen Anteil nehmen an der rohen Balgerei der Nationen, die wie blödsinnige Widder mit den Hörnern gegeneinander rennen, hart am Rande des Abgrunds, in den sie alle stürzen werden? Und doch wäre die Straße breit genug für alle. Warum also solch rasende Selbstvernichtung? Warum diese hochmütigen Vaterländer, die Raubstaaten und die Völker, die man morden lehrt wie eine heilige Pflicht? Warum dies allgemeine Gemetzel unter allen Wesen? Diese Welt, die sich selber auffrißt? Warum dies unheimliche Schreckbild einer endlosen Kette des Lebendigen, darin jeder Ring die Zähne in den Nacken des nächsten Ringes einhaut, sich von seinem Fleische nährt, von seinem Tode lebt? Warum der Kampf und warum der Schmerz? Warum der Tod? Warum das Leben? Warum? Warum? . . .

Dies Warum schwieg, als der Junge an jenem Abende heimkam.

Und es war doch nichts anders geworden. Er stand wieder in seinem Zimmer in einem Wirrwarr von Büchern und Papieren. Rings die altbekannten Geräusche. Auf der Straße unten verkündigten Hornsignale das Ende des Fliegeralarms. Von der Treppe her vernahm man das befriedigte Schwatzen der Hausparteien, die aus dem Keller heraufstiegen. Aus dem oberen Stockwerke hörte man das endlose Auf- und Abrennen des rappligen Nachbars, der seit Monaten auf die Rückkehr seines verschollenen Sohnes wartete. — Doch seine gewohnten Sorgen und Ängste — die lauerten nicht mehr im Zimmer. Wird einmal ein unvollkommener Akkord angeschlagen, so klingt er rauh und wirft Unruhe in unsere Seele, bis der eine Ton hinzukommt, der die feindseligen oder kühl fremden Einheiten erst zu einem Ganzen verschmilzt wie gegenseitig unbekannte Gäste, die gewartet haben, bis man sie einander vorstellt. Sofort ist dann das Eis gebrochen, und schöner Einklang strömt von Mensch zu Mensch. Bei Peter hatte die heimliche Berührung einer warmen Hand diese wunderbare Verwandlung bewirkt. Er wußte nicht, woher der neue Zustand kam; jedes Zergliedern lag ihm jetzt ganz fern. Er spürte nur, wie die gewohnte Tücke der Dinge plötzlich besänftigt war. So haben sich etwa stechende Schmerzen in unserem Kopfe auf Stunden häuslich eingerichtet: auf einmal merkt man, der Schmerz ist weg; wo ist er nur hingekommen? Ein Summen in der Schläfe als Nachklang . . . das ist alles. — Auch Peter traute dem ungewohnten Frieden nicht recht. Er wurde den Argwohn nicht los, seine Qual sammle in solcher Atempause nur frische Kräfte, um ihn dann mit verdoppelter Wut anzufallen. So kannte er schon die Ruhepunkte, wie sie die Kunst gewährt. Wenn in unsere Augen göttliches Ebenmaß an Linien und Formen dringt oder im Ohre, in der wollüstigen Tiefe seiner Muschel, mit spielend vielgestaltiger Schönheit die Akkorde gleich Perlenschnüren rollen und sich im Gesetz magischer Zahlen edel verknüpfen, dann kehrt der Friede in uns ein, und wir tauchen tief in die Flut der Freude. Aber dies Strahlende kommt von außen, wie von ferner Sonne, deren Glühen über unendlichen Raum hinweg uns mit Zauberkraft dem Leben hoch entrückt hält. Doch das währt nur eine Weile, und dann sinkt man wieder zurück. In der Kunst kann man die Wirklichkeit nur vorübergehend vergessen. Der verschüchterte Peter war auf eine ähnliche Ernüchterung gefaßt. — Diesmal jedoch kam die Ausstrahlung von innen her. Das Leben blieb ihm dabei völlig gegenwärtig. Aber alles stand in schönem Einklang. Erinnerungen und neue Eindrücke. Sogar tote Dinge, die Papiere und Bücher, die im Zimmer verstreut lagen, bekamen Leben, bekamen eine Wichtigkeit, die sie ganz verloren hatten.

Seit Monaten war seine geistige Entwicklung gehemmt; er war wie ein Bäumchen, das in voller Blütenpracht vom Hauche der „drei Eismänner“ welk geworden ist. Freilich gab es praktische Jungen, welche die neuen Prüfungserleichterungen zugunsten der jüngsten wehrpflichtigen Jahrgänge so tüchtig ausnützten, daß sie, solange die Prüfer mehr als ein Auge zudrücken mußten, Zeugnis über Zeugnis unter Dach brachten. Das war Peters Art nicht. Andrerseits empfand er auch nicht den verzweifelten Wissensdurst anderer junger Leute, die im Angesicht des Todes sich gierig mit Kenntnissen vollpfropfen, zu deren Nachprüfung ihr Leben zu kurz sein wird. Das ständige Gefühl eines grausen Weges ins Leere, ins Nichts, das allenthalben hinter dem tollen, boshaften Trugbilde der Welt verborgen war — das schnitt seinem Wissensdrang die Schwingen durch. Er stürzte sich auf ein Buch, auf einen Gedanken — dann hielt er mutlos inne. Was sollte ihm das? Wozu denn lernen? Wozu inneren Reichtum häufen, wenn man doch alles verlieren, alles lassen soll, wenn einem nichts zu eigen gehört? Tätigkeit und Wissen hatte nur dann einen Sinn, wenn das Leben einen Sinn besaß. Um diesen Sinn des Lebens hatte er mit höchster Anspannung des Geistes, in tiefster Herzenssehnsucht umsonst gerungen. — Und mit einem Schlage hatte sich dieser Sinn des Lebens ganz von selber aufgetan . . . Das Leben hatte einen Sinn . . . Was war das nur? — Als er sich fragte, woher dies innere Lächeln kam, sah er die halb geöffneten Lippen vor sich, auf denen zu ruhen seine Lippen heiß begehrten.

In normalen Zeiten wäre dieser Zauberbann kaum von Dauer gewesen. Der junge Mensch stand ja noch auf einem Punkte der Entwicklung, wo man nur überhaupt Liebe begehrt und sie in jedem Auge findet; das unruhig verlangende Herz flattert wie ein Schmetterling von einer zur andern; es hat keine Eile in seiner Wahl: sein Tag hat erst begonnen. Aber da der Tag so kurz sein sollte, tat doch Eile not.

Die Hast dieses Jungenherzens war umso größer, je mehr es im Rückstande war. Die Großstadt erscheint freilich von weitem als dampfender Schwefelpfuhl der Sinnengier, birgt aber auch unberührte Seelen und kindlich reine Körper. Wieviel Jünglinge und Mädchen wollen die Liebe nicht entwürdigen und treten mit keuschen Sinnen in die Ehe! Selbst in den raffiniertesten Kreisen, wo die Neugier der Nerven vorzeitig gereizt wird, steckt hinter den freien Redensarten so mancher jungen Weltdame oder irgendeines Studenten oft ein nur sehr oberflächliches Wissen um erotische Dinge. Sie haben von allem etwas läuten gehört und gar nichts selber erfahren. Mitten in Paris gibt es Gebiete von geradezu provinzieller Unschuld, gleichsam umhegte Klostergärtchen, quellenhafte Reinheit. Nur seine Literaten bringen Paris in Verruf. Gerade die sittlich Verkommensten sind die angeblich berufenen Wortführer der Stadt. Und dabei weiß ja jeder, wie oft falsche Scham die Lautersten hindert, ihre Reinheit zu bekennen. — Peter kannte die Liebe noch nicht; ohne Widerstand folgte er ihrem ersten Rufe. Sein seelischer Rausch wurde dadurch aufs höchste gesteigert, daß seine Liebe unter den Schwingen des Todesengels geboren war. In jener aufregenden Minute, als sie die Drohung der Bomben über den Köpfen spürten und ihr Herz sich im Anblick des Verstümmelten zusammenkrampfte, da hatte es ihre Finger zueinander gezogen, und mitten im Schauer körperlich empfundener Todesangst war beiden der Trost und Balsam eines unbekannten Freundes zuteil geworden. Was lag nicht alles in diesem flüchtigen Händedruck! Die Männerhand sagte: lehne dich an mich! — Die andere aber überwand mütterlich die eigene Furcht: mein kleiner Junge! Das wurde freilich weder ausgesprochen noch gehört. Aber solch innerliches Flüstern füllt die Seele ganz anders aus als Worte, die nur wie ein Vorhang das wahre Denken unserm Blick entziehen. Peter ließ sich einwiegen von diesen murmelnden Stimmen. Es klang wie das Summen goldgeringelter Bienen im Halbschatten der Seele. Jetzt flossen ihm die Tage wieder traumschwer dahin. Das nackt in Einsamkeit erstarrte Herz ahnte Nestwärme.

In diesen ersten Februartagen überblickte Paris erst die Verwüstungen des letzten Fliegerangriffs und leckte seine Wunden. Die Presse lag im Hundehaus an der Kette und kläffte Rache und Vergeltung. Nach dem Programm des alten Clemenceau (der seinerzeit in seinem Blatte so lange den „Mann in Ketten“ gespielt hatte, bis er alle andern in Ketten schlagen konnte) führte die Regierung Krieg gegen die Franzosen. Es begann die Blütezeit der sensationellen Hochverratsprozesse. Der Anblick eines Elenden, der mit einem blutdürstigen Staatsanwalt um sein armes Leben rang, war ein Hochgenuß für die Pariser Gesellschaft; ihre Theaterleidenschaft schien noch nicht durch vierjährigen Krieg und das Schauspiel der zehn Millionen Toten übersättigt zu sein, die in den Kulissen der Weltbühne zusammengebrochen waren.

Aber der Jüngling wußte nur noch von dem geheimnisvollen Gaste, der jetzt bei ihm weilte. Seltsame Gewalt jener Eindrücke, die Liebe werden! In den tiefsten Grund unseres Wesens sind sie geprägt und doch ohne festen Umriß. Peter hätte weder die Form ihrer Züge, noch die Farbe ihrer Augen oder die Linie ihres Mundes beschreiben können. Nur das Gefühl, das sie in ihm erregt hatte, schwang in ihm nach. Bei jedem Versuche, das Bild bestimmter zu fassen, wurde es entstellt. Es gelang ihm auch nicht, sie in den Straßen von Paris wiederzutreffen. Jeden Augenblick meinte er, sie zu sehen. Da war es ein Lächeln, dort das Licht eines jungen Nackens, ein aufleuchtendes Auge. Schon schlug ihm das Herz. Aber es bestand nicht die geringste Ähnlichkeit zwischen diesen vorüberhuschenden Eindrücken und dem wahren Bilde, das er suchte und das er zu lieben meinte. Er liebte also nicht? Gerade weil er liebte, war es so um ihn bestellt, deshalb sah er sie überall und in allen Gestalten. Denn jedes Lächeln, jedes Licht, jedes Leben — das war Sie! Ein genauer Umriß hätte als Schranke gewirkt. — Und doch will man Umriß und Schranke, um Liebe fassen und halten zu können. Sollte er sie auch nie mehr wiedersehen — er wußte, sie war auf der Welt, war ein Nest für seine Seele, der Hafen im Sturm, das Leuchtfeuer in der Nacht, stella maris. Amor, Gott der Liebe, wache über uns in der Stunde unseres Todes! . . .

Er ging längs der Seine an der Akademie vorüber und warf einen zerstreuten Blick in den Kasten eines der wenigen Händler mit Schmökern und Raritäten, der seinem Platz auf der Kaimauer treu geblieben war. Dort gehen gerade die Stufen zum Pont des Arts hinauf. Da hob er die Augen und sah die, auf die er wartete. Mit einer Zeichenmappe unterm Arm bewegte sie sich die Treppe herunter wie ein zierliches Reh. Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, stürzte er ihr entgegen, und während er empor- und sie herabstieg, trafen sich zum ersten Male ihre Blicke und drangen tief ein. Als er sie dicht vor sich sah, blieb er stehen und wurde rot. Überrascht sah sie sein Erröten und errötete auch. Bevor er auch nur Atem geschöpft hatte, war der niedliche Rehschritt vorüber. Als er seiner wieder mächtig wurde und sich umdrehn konnte, verschwand ihr Kleid schon hinter der Ecke des Laubenganges in der Seinestraße. Er machte keinen Versuch, ihr zu folgen. Er stützte sich auf das Geländer der Brückenstiege und fand ihren Blick im fließenden Strome wieder. Da hatte nun sein Herz für lange Nahrung . . . (O du liebe Jugendtorheit!) . . .

Eine Woche später schlenderte er durch den Luxemburg-Park, den die Sonne mit sanftem Gold füllte. Welch strahlend schöner Februar in diesem todestraurigen Jahre! Offenen Auges träumte er vor sich hin und wußte nicht recht, ob er davon träume, was er wirklich um sich sah, oder ob dies Gesehene ein Traumbild war; in sehnsüchtigem Drange, in dumpfem Liebesglück und -leid, schritt er verloren lächelnd dahin und regte unbewußt die Lippen zu abgerissenen Worten: es wurde ein Lied. Er sah zu Boden, in den Sand des Weges; da war ihm wie einem, den der Hauch einer vorüberfliegenden Taube streift: er mußte einem Lächeln begegnet sein. Er drehte sich um und sah, daß sie seinen Weg gekreuzt hatte. Sie war weitergegangen, aber gerade in diesem Augenblicke wandte sie sich lächelnd, um ihm nachzublicken. Da war es vorbei mit seinem Zaudern, er kam auf sie zu und hätte ihr bald beide Hände entgegengestreckt; in seiner Bewegung lag so viel stürmische Jugend und Unschuld, daß auch sie in aller Unschuld wartend stehen blieb. Er bat nicht um Verzeihung für die Freiheit, die er sich herausnahm. Die zwei Leutchen fühlten keinerlei Befangenheit. Es war, wie wenn sie einfach ein begonnenes Gespräch fortsetzen sollten.

„Sie lachen mich aus,“ sagte er; „da haben Sie recht!“

„Ich lache Sie nicht aus.“ (So schnell und biegsam wie ihr Gang war auch ihr Sprechen.) „Sie haben ja selbst vor sich hingelacht, und darüber mußte ich lachen.“

„Habe ich wirklich gelacht?“

„Sie lachen ja noch immer.“

„Jetzt weiß ich warum.“

Sie fragte nicht nach diesem Warum. Sie gingen nebeneinander her und waren glücklich.

„Das schöne bißchen Sonne,“ sagte sie.

„Das Frühlingskind, das Neugeborene!“

„Dem haben Sie wohl zugelacht, vorhin?“

„Nicht dem allein. Vielleicht Ihnen auch.“

„So ein kleiner Lügenbeutel! Warten Sie nur! Sie kennen mich ja gar nicht.“

„Doch! Und ob! Wir haben uns ja, ich weiß nicht wie oft, gesehen.“

„Drei Mal, heute mitgerechnet.“

„Sehen Sie! Sie erinnern sich daran! Sie geben also zu, daß wir alte Bekannte sind!“

„Was Sie nicht sagen!“

„Ja, was wär’ da noch alles zu sagen, das meine ich auch . . . Kommen Sie, setzen wir uns hier nieder . . . nur einen Augenblick, bitte, bitte! Man sitzt so schön, am Wasser!“

(Sie waren beim Galatheen-Brunnen, den Arbeiter gerade mit einer Verschalung zum Schutze gegen Bombensplitter versahen.)

„Ich kann nicht, ich versäume meine Tramway.“

Sie nannte die Abfahrtszeit. Er bewies ihr, daß sie noch mehr als fünfundzwanzig Minuten Zeit hätte.

Das wohl, aber sie wollte erst da drüben, an der Ecke der Racinestraße, ihr Vesperbrot kaufen; dort gab es so gute Semmeln. Da zog er ein Brötchen aus der Tasche.

„Besser als das da sind die Semmeln gewiß nicht! . . . Bitte, nehmen Sie doch! . . .“

Sie lachte und wollte nicht recht. Da steckte er ihr das Brötchen in die Hand; die Hand behielt er in der seinen.

„Sie machen mir eine solche Freude damit . . . Kommen Sie doch, setzen wir uns! . . .“

Er führte sie zu einer Bank in der Mitte der Allee, die das Bassin umsäumt.

„Ich habe noch etwas . . .“

Er zog ein Täfelchen Schokolade aus der Tasche.

„So eine Naschkatze . . . Aber was wollen Sie noch sagen?“

„Hm . . . ich schäme mich, das Papier ist schon weg von der Schokolade . . .“

„Ach geben Sie nur her, es ist ja Krieg.“ Er sah zu, wie sie knabberte.

„Zum ersten Male merke ich, daß der Krieg auch sein Gutes hat.“

„Nur nicht vom Kriege sprechen, das ist so langweilig.“

„Ja,“ sagte er begeistert, „nie werden wir vom Kriege reden.“

(Da ward ihnen plötzlich ganz leicht zumute.)

„Schaun Sie, wie diese komischen Kerlchen ihr Duschbad nehmen.“

(Sie zeigte auf die Spatzen, die am Brunnenrande große Wäsche hielten.) „Aber dann haben Sie mich neulich am Abend“ (das mußte er wissen) „doch gesehn?“

„Freilich.“

„Aber Sie haben ja nie zu mir hingeschaut. Die ganze Zeit waren Sie nach der andern Seite gewendet . . . Sehen Sie, gerade so wie jetzt . . .“

(Er sah sie im Profil; zierlich aß sie ihre Semmel und blickte schelmisch vor sich hin.)

„Sehn Sie doch ein bißchen her! . . . Was gibt’s denn da drüben zu sehen?“ Aber sie wendete ihm das Gesicht nicht zu. Er faßte ihre rechte Hand, deren Handschuh am Zeigefinger zerrissen war und das Spitzchen bloß ließ.

„Worauf sehen Sie denn?“

„Sie sehe ich an, wie Sie meinen Handschuh begutachten . . . aber Sie zerreißen ihn ja noch mehr!“

(In Gedanken hatte er wirklich versucht, die offene Stelle zu erweitern.)

„Ach verzeihen Sie! . . . aber wieso können Sie mich sehn?“

Sie antwortete nicht; aber im schalkhaften Profil flitzte die lachende Pupille in den Augenwinkel.

„O wie durchtrieben!“

„Machen Sie’s nach! . . . Aber Sie schielen ja dabei!“

„Das bring’ ich nie fertig. Ich muß immer ganz grad und dumm vor mich hinschaun, sonst seh’ ich nichts.“

„Aber nein, nicht gar so arg dumm.“

„Endlich! Ich sehe Ihre Augen!“

Sie sahen einander an und lachten leise.

„Wie ist Ihr Name?“

„Lucia.“

„Wie hübsch! wie dieser Tag!“

„Wie heißen Sie?“

„Peter — recht abgenützter Name.“

„Ein wackerer Name, mit ehrlichen, klaren Augen.“

„Wie die meinen.“

„Ja, klar sind sie wirklich.“

„Sie sehen doch Lucia an.“

„Lucia! . . . man sagt ‚Fräulein‘.“

„Nein.“

„Nicht?“

(Er schüttelte den Kopf.)

„Für mich sind Sie kein ‚Fräulein‘. Sie sind Lutz und ich bin Peter.“

Sie hielten sich bei den Händen gefaßt, ohne sich anzusehen. Wortlos sahen sie in das zarte Himmelsblau zwischen den entblätterten Zweigen; durch ihre Hände strömte ihr Denken und Fühlen ineinander über. Sie sagte:

„Da neulich am Abend haben wir zwei eine gehörige Angst gehabt.“

„Ja,“ sagte er, „das war schön.“

(Erst nachher mußten sie darüber lächeln, daß jeder nur ausgesprochen hatte, was der andere dachte.)

Sie entzog ihm ihre Hand und stand rasch auf, weil sie die Uhr schlagen hörte. „Es ist höchste Zeit . . .“

Er begleitete sie, die in jenen anmutigen Laufschritt der Pariserinnen verfiel, dessen Geschwindigkeit man gar nicht merkt, so leicht scheinen sie dahinzugleiten.

„Kommen Sie hier oft vorbei?“

„Jeden Tag. Aber meistens auf der anderen Terrassenseite.“ (Sie zeigte in die Tiefe des Gartens, auf die schon von Watteau gemalten Baumgruppen.) „Auf dem Rückweg vom Museum.“

Er warf einen Blick auf die Mappe, die sie trug.

„Malerin?“ fragte er.

„Nein,“ sagte sie, „das wäre zuviel Ehre. Ich schmiere ein bißchen.“

„Warum? Zum Vergnügen?“

„Aber nein, für Geld.“

„Für Geld?“

„Abscheulich, nicht? Kunst nur als Gelderwerb!“

„Ich wundere mich nur, daß Sie damit Geld verdienen, wenn Sie also nicht malen können!“

„Gerade darum. Ich werde es Ihnen schon noch erklären, das nächste Mal . . .“

„Das nächste Mal beim Brunnen . . . Wir werden da wieder vespern, nicht wahr?“

„Ich werde schaun. Wenn’s schön ist.“

„Aber Sie kommen früher, nicht wahr? . . . Sagen Sie, Lutz . . .“

(Sie waren bei der Haltestelle angelangt. Sie sprang auf das Trittbrett der Straßenbahn.)

„Antworten Sie mir, sagen Sie doch . . . Lucia . . . Luxchen . . . kleines Lichtlein . . .“

Sie antwortete nicht; aber als die Bahn schon fuhr, zwinkten ihre Wimpern „Ja“, und eine lautlose Bewegung ihrer Lippen sagte:

„Ja, Peter.“

Auf dem Heimwege dachten beide: Merkwürdig froh sehen heute abend die Leute aus!

Sie lächelten, ohne sich einzugestehen, was geschehen war. Sie wußten nur soviel, daß sie Es nun besaßen, in Händen hielten als ihr Eigen . . . was denn? Ein Nichts. So reich waren sie an jenem Abende! . . . Daheim besahen sich beide im Spiegel, mit herzlichen Blicken, wie man einen Freund betrachtet. Sie sagten sich: „Jenes liebe Auge hat auf dir geruht.“ Beide gingen bald zu Bette, sie waren ganz erschöpft . . . Wovon nur? Durch wunderbare Mühsal. Beim Auskleiden dachten sie:

„Das Schönste ist jetzt, daß es ein Morgen gibt.“

Morgen . . . spätere Geschlechter werden sich kaum mehr vorstellen können, was in diesem Worte an stummer Verzweiflung lag, welch abgründiger Überdruß, als der Krieg sich zum vierten Male jährte . . . So müde war man . . . Wie oft war die Hoffnung schon getäuscht worden! Hunderte von „Morgen“ waren einander gefolgt und wurden ein immer gleiches „Heute“ und „Gestern“, alle dem Nichts und dem Warten verfallen, dem Warten aufs Nichts. Es stockte der Lauf der Zeit. Das lange Jahr war wie ein stygisches Gewässer, das schwarz und fettig das Leben einschnürte, indem es mit düstern Schillerflecken nicht mehr zu fließen schien. Morgen? Morgen war tot. Aber in den Herzen der zwei Kinder war das Morgen auferstanden.

Dieses Morgen sah sie wieder beim Sperlingsbrunnen sitzen, und Morgen folgte auf Morgen. Das schöne Wetter war diesen ganz kurzen Begegnungen hold; jeden Tag waren sie etwas weniger kurz. Jedes brachte sein Vesperbrot mit, weil das Tauschen so eine Freude war. Peter wartete jetzt schon am Tor des Museums. Er begehrte ihre Arbeiten zu sehen. Sie war zwar nichts weniger als stolz darauf, zeigte sie aber ohne viel Umstände vor. Es waren verkleinerte Kopien nach berühmten Gemälden oder nach Teilen solcher Gemälde, eine Gruppe, ein Kopf, ein Brustbild. Auf den ersten Blick gar nicht so übel, aber unglaublich schlampig in der Ausführung. Hie und da ein paar recht gelungene, hübsche Ansätze; aber dicht daneben schülerhaft Mißlungenes, das nicht nur Unkenntnis der Grundbegriffe aller Kunstübung verriet, sondern auch eine Sorglosigkeit, die über fremdes Urteil hoch erhaben schien. — „Ach was! Ist lange gut genug! . . .“ — Lutz nannte die Originalgemälde, deren Kopien ihre Blätter vorstellen sollten. Peter kannte diese Gemälde nur allzu genau. Sein Gesicht war krampfhaft verzogen im Schmerz der Enttäuschung. Lutz fühlte, daß er nicht zufrieden war; aber unerschrocken zeigte sie ihm alles — und sogar das da — Krach! — das Allermiserabelste. Dabei stand ein spöttisches Lächeln auf ihrem Gesicht, das ebenso ihr selbst wie Peter galt; bei alledem zwang sie das leiseste Nagen des Ärgers nieder. Peter biß sich auf die Lippen, um keine Bemerkung zu machen. Aber zuletzt wurde es ihm doch zu arg. Sie zeigte ihm gerade einen florentinischen Raffael.

„Aber die Farben stimmen ja nicht!“ sagte er.

„Wär’ das größte Wunder,“ sagte sie.

„Ich bin nicht hingelaufen, mir’s anzuschauen. Ich hab’s nach einer Photographie gemacht.“

„Aber was sagen denn die Leute dazu?“

„Wer? Die Kundschaft? Die laufen doch auch nicht ins Museum, sich das Original anschaun! . . . Und wenn, so nehmen sie’s nicht so genau! Rot oder Grün oder Blau — wenn nur Farben da sind. Manchmal arbeite ich wirklich nach farbiger Vorlage, aber dann nehme ich auch andere Farben . . . Schaun Sie zum Beispiel das da . . .“ (Ein Engel von Murillo.)

„Es gefällt Ihnen so besser?“

„Nein, aber Spaß hat es mir gemacht, und bequemer war’s auch . . . und schließlich ist mir’s egal; die Hauptsache bleibt, daß ich Käufer finde . . .“

Jetzt hatte sie ihren letzten Trumpf ausgespielt und hielt inne, nahm ihm das Gekleckse aus den Händen und lachte hellauf.

„Was sagen Sie? Noch greulicher, als Sie sich’s vorgestellt haben?“

Er fragte kummervoll:

„Aber wozu, wozu machen Sie solches Zeug?“

Mit einem guten Lächeln voll mütterlicher Überlegenheit betrachtete sie sein tiefbetrübtes Gesicht: dieses lieben, verwöhnten Bürgersöhnchens Lebensbahn war so eben gewesen, daß er sich nicht vorstellen konnte, wie man oft gar klein beigeben mußte, um nur . . .

Er fragte noch einmal:

„Wozu? Sagen Sie mir nur: wozu?“

(Er war förmlich schuldbewußt, wie wenn er diese Kunstgreuel verbrochen hätte . . . So ein guter kleiner Junge! Sie hätte ihn küssen mögen . . . in allen Ehren, auf die Stirn.)

Sie sagte leise:

„Ich lebe davon.“

Das erschütterte ihn. Daran hatte er gar nicht gedacht.

„Ja, das Leben ist eine verzwickte Sache,“ fuhr sie in leichtem, spöttischem Tone fort. „Zunächst muß man essen, und zwar alle Tage. Gestern abend hat man freilich sein Essen gehabt, aber heute ist’s schon wieder dieselbe Geschichte. Und kleiden soll man sich auch. Alles kleiden, den Körper, den Kopf, die Hände, die Füße. Was da an Kleidersachen zusammenkommt! Und bei allem heißt es zahlen. Bei allem. Leben heißt zahlen.“

Zum ersten Male bemerkte er Einzelheiten, die seinen verliebten Blicken bisher entgangen waren: das bescheidene, stellenweise recht enthaarte Pelzwerk, die etwas abgetragenen Schuhe, alle Spuren von Dürftigkeit, die nur die natürliche Eleganz einer kleinen Pariserin verwischen konnte. Es schnürte ihm das Herz zusammen.

„Ach könnte ich nicht, könnte ich nicht — Ihnen aushelfen?“

Sie rückte etwas ab und wurde rot.

„Nein, nein,“ sagte sie, peinlich berührt; „keine Rede . . . Niemals! . . . Das habe ich nicht nötig . . .“

„Aber mich würde es so glücklich machen!“

„Nein . . . Nicht mehr darüber reden. Oder wir sind Freunde gewesen . . .“

„Dann sind wir also Freunde?“

„Ja. Das heißt, wenn Sie noch mein Freund sein wollen, nachdem Sie diesen scheußlichen Kitsch gesehen haben?“

„Aber natürlich! Das ist doch nicht Ihre Schuld.“

„Aber es tut Ihnen weh?“

„Das schon.“

Sie lachte vor Behagen.

„Da lachen Sie? So boshaft zu sein!“

„Nein, ist nicht boshaft. Das verstehen Sie nicht.“

„Warum lachen Sie also?“

„Das sage ich nicht.“

(Sie dachte: Mein Liebes! Wie schön, daß dir weh tut, was ich Häßliches gemacht habe.)

Sie sagte:

„Sie sind gut. Dank dafür.“

(Er sah sie mit erstaunten Augen an.)

„Geben Sie sich keine Mühe, das zu begreifen,“ sagte sie, indem sie leicht seine Hand berührte . . . „So, reden wir von was anderm . . .“

„Ja . . . nur noch ein Wort . . . Ich möchte aber doch wissen . . . Sagen Sie mir — aber nicht beleidigt sein! — sind Sie vielleicht gerade jetzt etwas in der Klemme?“

„O nein, ich habe das vorhin nur so gesagt, weil’s bei uns ein paar Mal verdammt knapp zugegangen ist. Aber jetzt steht es viel besser. Mutter hat einen gut bezahlten Posten gefunden.“

„Ihre Mutter hat einen Beruf?“

„Sie ist Arbeiterin in einer Munitionsfabrik . . . zwölf Franken täglich. Jetzt sind wir reich.“

„In einer Fabrik! in einer Fabrik für den Krieg!“

„Ja.“

„Aber das ist ja fürchterlich!“

„Mein Gott, man nimmt, was sich bietet.“

„Lutz, wenn sich aber Ihnen so etwas bieten möchte . . .“

„Mir? aber Sie sehen ja, ich kleckse lieber . . . Jetzt geben Sie wohl zu, daß mein Geschmier noch nicht das Ärgste ist!“

„Aber wenn Sie verdienen müßten und es gäbe kein anderes Mittel als Arbeit in einer solchen Granatenfabrik, würden Sie hingehn?“

„Ich müßte verdienen und hätte kein anderes Mittel? Gewiß ginge ich hin! Mit beiden Händen griffe ich zu!“

„Lutz! Denken Sie daran, was man alles in solchen Fabriken erzeugt?“

„Nein, daran denke ich nicht.“

„Alles, was Qual und Tod bereitet, was zerreißt, verbrennt, was Wesen martert, wie Sie, wie ich . . .“

Sie legte sich die Hand auf den Mund, damit er schweige.

„Ich weiß, das weiß ich alles, aber ich will nicht daran denken.“

„Sie wollen nicht daran denken?“

„Nein,“ sagte sie.

Nach einer Pause fügte sie hinzu:

„Man muß doch leben . . . wenn man nachdenkt, lebt man nicht mehr . . . und ich, ich will leben, will leben. Wenn ich, um zu leben, gezwungen werde, dies oder jenes zu tun, soll ich mich um dies und jenes kümmern und quälen? All dies geht mich nichts an. Ich will es ja nicht so. Wenn es etwas Schlimmes ist, meine Schuld ist es nicht. Was ich will, das ist nichts Schlimmes.“

„Was wollen Sie also?“

„Zunächst will ich leben —“

„Sie leben gerne?“

„Freilich. Habe ich nicht recht?“

„O gewiß! Es ist eine so gute Sache, daß Sie leben!“

„Sie leben nicht gerne?“

„Nicht gerne bis zum Augenblicke, wo . . .“

„Bis wann?“

Aber diese Frage bedurfte keiner Antwort. Die wußten beide im voraus. Peter aber ließ nicht locker:

„Sie sagten: ‚Zunächst will ich leben‘ — und was noch? . . . Was wollen Sie weiter?“

„Ich weiß nicht.“

„O Sie wissen schon . . .“

„Sie sind aber schon sehr neugierig.“

„Sehr!“

„Ich schäme mich ein bißchen, wenn ich’s Ihnen sagen soll . . .“

„Sagen Sie mir’s ins Ohr. Dann hört es niemand.“

Sie lächelte.

„Ich möchte . . .“ (Sie stockte.) „Ich möchte ein klein bißchen Glück . . .“

(Sie waren dicht aneinandergerückt.) Sie fuhr fort:

„Verlange ich zu viel? . . . Man hat mir oft gesagt, das ist egoistisch, und ich denke mir manchmal auch: Hat man denn ein Recht darauf? . . . Wenn man um sich herum soviel Elend und Kummer sieht, wagt man nicht sich aufzulehnen. Aber mein Herz lehnt sich doch auf und schreit: Ja, ich habe ein Recht auf ein bißchen, ein klein bißchen Glück . . . Sagen Sie mir aufrichtig, ist das egoistisch? scheint es Ihnen schlecht?“

Peter ergriff ein unendliches Erbarmen. Dieser schwache Schrei aus einem Kinderherzen erschütterte ihn bis zum Grunde seiner Seele. Es kamen ihm die Tränen. Aneinandergelehnt saßen sie auf der Bank und jedes spürte die Körperwärme des andern. Es trieb ihn so sehr, sich zu ihr zu wenden und sie in seine Arme zu schließen. Er wagte sich nicht zu rühren, aus Angst, seiner Bewegung dann nicht mehr Herr zu sein. Reglos sahen die beiden vor sich nieder. Seine Stimme zitterte von verhaltener Leidenschaft, als er jetzt, fast ohne die Lippen zu regen, sehr rasch und ganz leise sagte:

„O mein liebes Körperchen du! Du mein Herzchen! Diese kleinen Füße möchte ich fassen und meine Lippen darauf drücken, ganz aufessen könnte ich Sie . . .“

Ohne aufzusehen, sagte sie auch sehr schnell und leise, in tiefer Verwirrung:

„Narr! kleiner Narr! . . . Stillsein! . . . ich bitte Sie . . .“

Ein alter Herr spazierte langsam an ihnen vorbei. Sie fühlten, wie ihre Körper sich in Liebe zerlösten . . .

Nun war niemand mehr in der Allee. Ein struppiger Spatz badete im Sande. Der Brunnen warf seine hellen Tröpfchen in die Luft. Befangen zögernd wandten sich ihre Gesichter einander zu; kaum aber hatten sich ihre Blicke getroffen, als sie schon wie Vögelchen sich zueinander schwangen; eilig und ängstlich war ihr Kuß, dann flogen sie wieder auseinander. Lutz stand auf und wollte gehen. Er war auch aufgestanden. Sie sagte: „Bleiben Sie!“

Sie wagten nicht mehr, sich anzusehen. Er flüsterte:

„Lutz . . . dies klein bißchen Glück . . . nicht wahr? . . . jetzt haben wir’s!“

Schlechtes Wetter machte den Vesperstunden beim Sperlingsbrunnen ein Ende. Nebel umhüllte die Februarsonne. Aber die in ihren Herzen vermochte er nicht zu ersticken. Ach, das Wetter mochte sein, wie es wollte: kalt oder heiß, regnerisch, windig, mit Schnee oder Sonnenschein! Ihnen würde es gewiß willkommen sein. Jede Witterung kam ihnen besonders günstig vor. Denn solange ein Glück im Sprießen ist, scheint das Heute immer als der schönste Tag.

Der Nebel war ihnen ein lieber Anlaß zu täglichem, stundenlangem Beisammensein. Die Gefahr gesehn zu werden war sehr verringert. — Nun holte er sie schon früh von der Tramway ab und begleitete sie bei ihren Gängen in der Stadt. Er hielt den Rockkragen aufgeschlagen. Sie trug ein Pelzhütchen, und ihr Kinn war tief in ihre Boa vergraben. In den dichten Schleier spannten die geschwungenen Lippen ein winziges Rund. Aber der beste Schleier war ihnen die feucht hüllende Webe des Nebels. Der lag schwer und grau wie Asche, von gelblichem Phosphorlicht durchtastet. Man sah keine zehn Schritt weit. Der Dunst wurde noch dichter, wenn sie durch eine der alten Querstraßen zur Seine heruntergingen. Du lieber Nebel, wohlig kühle Ruhstatt der Träume, dein Eishauch ist nur ein Wonneschauer! Den beiden war darin wie der Mandel in ihrer Fruchthülle, wie dem Flämmchen in einer abgeblendeten Laterne. Peter hielt Lutzens linken Arm dicht an sich gedrückt; sie gingen im gleichen Schritt; sie waren fast gleich groß, Lutz ein bißchen größer; so zwitscherten sie halblaut, fast Wange an Wange; wie gern hätte er auf dem Schleier das betaute Rund ihres Mündchens geküßt!

Das gewöhnliche Ziel ihrer Geschäftsgänge war der Laden des fragwürdigen „Kunst- und Antiquitätenhändlers“, für den sie ihr „Grünzeug“, wie sie sagte, herstellen mußte. Sie hatten es nie sehr eilig mit dem Hinkommen und, angeblich nur durch Zufall gerieten sie immer auf die längsten Umwege und dann mußte der Nebel schuld sein. Wenn trotz allem das Ziel schließlich doch in greifbarer Nähe erschien, blieb Peter zurück, Lutz trat in den Laden. Er wartete an der nächsten Ecke. Er mußte lange warten und die Kälte war recht empfindlich. Aber er war selig, um ihretwillen warten, frieren und sich langweilen zu dürfen. Endlich kam sie wieder heraus, lief lächelnd herbei und fragte mitleidig und besorgt, ob er denn nicht schon ein Eiszapfen war, der Arme! Er las es ihr jedesmal von den Augen ab, wenn sie beim Trödler Glück gehabt hatte, und dann freute er sich, wie wenn er den Gewinn eingeheimst hätte. Aber meistens kam sie mit leeren Händen wieder; sie mußte zwei, drei Mal hingehen, ehe sie zu ihrem bißchen Gelde kam. Dabei konnte sie noch von Glück sagen, wenn man die bestellte Arbeit nicht noch mit Grobheiten zurückwies. Heute, zum Beispiel, gab es großes Geschrei wegen einer Miniatur nach der Photographie eines verstorbenen Ehrenmannes, den sie nie gesehn hatte. Die Familie war empört, weil die Haar- und Augenfarbe nicht stimmte. Sie mußte es noch einmal machen. Sie war geneigt, solches Mißgeschick tapfer von der heiteren Seite zu nehmen, und lachte nur darüber. Peter aber lachte nicht. Er war außer sich vor Zorn.

„Solche Trottel! Erztrottel!“

Wenn Lutz ihm Photographien zeigte, die sie in Farben kopieren sollte, flammte er in grimmiger Verachtung auf — (wieviel Spaß machten ihr diese komischen Wutanfälle!) — gegen diese Idioten-Gesichter, diese feierlich grinsenden Klötze. Es schien ihm eine Entweihung, daß Lutzens liebe Augen sich mit diesen Eselsmienen vollsaugen, daß ihre Hände solche Züge wiedergeben sollten. Es war einfach empörend! Da war ihm noch das Kopieren im Museum lieber. Aber damit war es vorbei. Die letzten Museen wurden geschlossen und die Kundschaft verlor jedes Interesse dafür. Weder Madonnen noch Engel regierten die Stunde; jetzt galten nur die rauhen Krieger. Jede Familie hatte den ihren, tot oder noch lebend — öfter aber tot — und wollte seine Züge verewigt sehen. Die Reichsten bestellten Porträts in Farben: diese Arbeit wurde recht gut bezahlt, bot sich aber nur noch selten; man durfte nicht wählerisch sein. In Ermanglung besserer Aufträge blieb nichts anderes übrig, als zu lächerlich niedrigen Preisen sich mit dem Vergrößern von Photographien zu befassen. Die nächste Folge war, daß Lutz jetzt jeder Vorwand fehlte, so lange in der Stadt zu verweilen; sie hatte ja nicht mehr in den Museen zu kopieren, sondern einfach jeden zweiten oder dritten Tag beim Kunsthändler vorzusprechen, um Arbeiten zu übernehmen oder abzuliefern; die Arbeit selbst ließ sich zu Hause machen. Das paßte nun den zwei jungen Leuten ganz und gar nicht. Wie zuvor schlenderten sie ziellos durch die Gassen und konnten sich nicht entschließen, den Weg zur Station einzuschlagen. Da sie müde und vom Nebel durchkältet waren, traten sie in eine Kirche ein; dort setzten sie sich artig in eine Kapellennische und sprachen leise von den kleinen Dingen ihres Alltags; dabei sahen sie in die Glasgemälde der Fenster. Von Zeit zu Zeit wurden sie still, und ihre Seelen, frei vom Joch der Worte (es kam ihnen ja nicht auf den Sinn der Worte an, sondern auf den Lebenshauch darin, der wie die zarte Berührung zitternder Fühlfäden war), ihre Seelen also pflogen dann ernstere, tiefere Zwiesprache. Die traumhafte Farbenherrlichkeit der Glasgemälde, das Düster der Pfeiler, das Gesumme der Litaneien mengten sich in ihre Träumerei, weckten die Vorstellung der Bitternisse des Lebens, die sie vergessen wollten, und flößten tröstliches Heimweh nach dem Unendlichen ein. Obgleich es fast schon elf Uhr vormittags war, erfüllte, wie Öl aus heiligem Kruge, gelbliche Dämmerung das Schiff der Kirche. Aus fernster Höhe floß seltsames Leuchten: dunkler Purpur, ein roter Tropfen im Veilchenblau eines Riesenfensters, undeutliche Gesichter, von schwarzer Metallfassung umrahmt. Das blutfarbene Licht stieß eine Wunde in die hohe Nebelwand. . . Lutz sagte ganz unvermittelt:

„Kommen Sie auch dran?“

Er begriff sogleich, was sie meinte, weil sein Geist in diesem Schweigen derselben düsteren Fährte gefolgt war.

„Ja,“ sagte er. „Aber nicht davon sprechen!“

„Nur eines sagen Sie mir: Wann?“

„In einem halben Jahre.“

Sie seufzte.

„Sie dürfen nicht mehr daran denken. Das nützt ja gar nichts.“

Sie wiederholte:

„Gar nichts.“

Sie holten recht tief Atem, um diese Vorstellung zu verdrängen. Dann zwangen sie sich tapfer (oder sollte man nicht eher sagen „feige“? Wer kann entscheiden, was der wahre Mut ist?), von andern Dingen zu reden, von den Kerzenflammen, die im Wachsduft wie Sterne flimmerten, von der präludierenden Orgelmelodie, vom Mesner, der gerade vorbeiging, von den immer neuen Entdeckungen, die Peter in ihrem Handtäschchen machte, wenn seine neugierigen Finger darin forschten. Mit wahrer Leidenschaft stürzten sie sich auf jede Kleinigkeit, die sie heiter ablenken konnte. Keinem der beiden Kinder fiel es auch nur im Traume ein, sie könnten dem Schicksal, das sie voneinander reißen wollte, irgendwie entrinnen. Statt sich dem Kriege entgegenzustemmen, dem entfesselten Strome eines ganzen Volkes Trotz zu bieten, dürfte man eher versuchen, die Kirche, deren steinerner Panzer sie umgab, aus ihren Grundfesten zu heben. Das einzige Auskunftsmittel war zu vergessen, bis zum letzten Augenblicke zu vergessen und sich insgeheim mit der leisen Hoffnung zu schmeicheln, der letzte Augenblick würde nie kommen. Bis dahin nur glücklich sein!

Als sie plaudernd den Rückweg von der Kirche antraten, verriet ihm der Druck ihres Armes, daß sie noch einen Blick auf die Auslage werfen wollte, an der sie eben vorbeigekommen waren. Ein Schuhgeschäft. Er sah, wie ihr Blick liebkosend ein Paar hoher Schnürstiefelchen umfing.

„Hübsch?“ fragte er.

„Einfach süß!“ sagte sie.

Er lachte über den Ausdruck und sie lachte mit.

„Sind sie nicht zu groß?“

„Nein, gerade recht.“

„Da könnte man sie ja kaufen?“ Sie drückte seinen Arm und zog ihn fort, um sich dem verführerischen Anblick zu entreißen.

„Das ist nur für reiche Leute, ist nicht für uns, ist nicht für uns,“ sang sie nach einer alten Volksweise.

„Warum denn nicht? Aschenbrödel hat auch den schönen Pantoffel angezogen.“

„Ja, damals gab’s noch Feen!“

„Dafür gibt’s heute noch verliebte Jungen.“

Sie sang wieder:

„Es darf nicht sein, mein Freund, nein, nein!“

„Warum denn nicht, da wir doch Freunde sind?“

„Gerade darum.“

„Wieso?“

„Gerade von einem Freunde darf man keine Geschenke annehmen.“

„Also nur von einem Feinde?“

„Von einem Fremden, das geht eher; wenn nur mein Kunsthändler mit einem Vorschuß herausrücken wollte, der Geizkragen!“

„Aber Lutz, ich habe schließlich doch auch das Recht, bei Ihnen ein Bild zu bestellen, wenn’s mir paßt!“

Sie konnte gar nicht weiter gehn vor Lachen.

„Sie wollen also ein ‚Werk‘ von mir besitzen? Mein armer Freund, was sollten Sie damit? Es war schon gerade genug, daß Sie das Zeug angeschaut haben. Ich weiß ganz genau, daß es Schund ist. Für den Genuß würden Sie sich bedanken.“

„Aber durchaus nicht, es waren reizende Sachen dabei. Und schließlich ist das Geschmackssache.“

„Ihr Geschmack hat sich merkwürdig schnell geändert.“

„Darf er das nicht?“

„Nein, bei Freunden nicht.“

„Lutz, porträtieren Sie mich!“

„Na hören Sie, porträtieren soll ich Sie auch noch?“

„Aber es ist mein voller Ernst, neben diesen Schafsköpfen werde ich wohl noch bestehen können!“

Da drückte sie fest seinen Arm, und ihr entschlüpfte das Wort:

„Mein Schatz!“

„Was haben Sie gesagt?“

„Nichts.“

„Ich habe es ganz gut gehört.“

„Dann behalten Sie’s für sich!“

„Nein, ich behalte es nicht für mich, ich gebe es Ihnen doppelt wieder . . . Mein Schatz! . . . Mein Schatz! . . . Sie machen also mein Porträt, nicht wahr? . . . Abgemacht?“

„Haben Sie eine Photographie?“

„Nein, ich habe keine.“

„Ja wie soll ich’s dann anfangen? Ich kann Sie doch nicht auf der Gasse malen?“

„Sie haben mir doch erzählt, daß Sie meist allein zu Hause sind?“

„Ja, an den Tagen, wo Mutter in der Fabrik ist. Aber ich getraue mich nicht . . .“

„Haben Sie Angst, daß man uns sieht?“

„Nein, deswegen nicht. Wir haben keine Nachbarn.“

„Also was fürchten Sie dann?“

Lutz antwortete nicht. Sie waren bei der Elektrischen angelangt. Es warteten zwar viele Leute, aber man sah sie kaum, der Nebel schied das Pärchen immer noch von der übrigen Welt. Sie mied seinen Blick.

Da faßte er ihre beiden Hände und sagte warm:

„Keine Angst haben, mein Schatz . . .“ Lutz erhob den Blick, und sie sahen einander in die Augen; diese zwei Augenpaare schauten so klar und ehrlich! „Ich vertraue Ihnen,“ sagte sie. Sie schloß die Augen. Sie fühlte, daß sie ihm heilig war.

Die Hände lösten sich voneinander. Die Tram gab das Abfahrtszeichen. In Peters Blick lag eine innige Bitte.

„An welchem Tage?“ fragte er.

„Mittwoch,“ antwortete sie, „kommen Sie gegen zwei Uhr . . .“ Im letzten Augenblick vor der Abfahrt fand sie ihr schalkhaftes Lächeln wieder; sie sagte ihm ins Ohr:

„Aber bringen Sie doch Ihre Photographie mit. Ich kann ja zu wenig, um ohne Photographie zu malen . . . O ja! O ja! Ich weiß, Sie haben schon welche, Sie kleiner Erzschwindler Sie!“

Äußerste Vorstadt, noch hinter der Malakoffstraße. Halbausgebaute Straßen stehen zahnlückig da und werden von wüsten, noch unverbauten Flächen unterbrochen, die schon in eine Art ländliche Gegend von zweifelhaften Reizen sich verlieren, wo zwischen Plankenzäunen Hütten von Lumpensammlern lieblich verstreut sind. Trübgraue Wolkenschläuche liegen lang auf der farbenarmen Erde, aus deren magern Rippen Nebel dampft. Die Luft ist schneidend kalt. Man kann das Haus nicht verfehlen: nur drei stehen auf dieser Straßenseite, es ist das letzte und hat kein Gegenüber. Es ist einstöckig und hat einen von Staketen umzäunten Hof mit zwei, drei armseligen Sträuchern und einem Gemüsebeet, das jetzt unterm Schnee liegt.

Peter ist geräuschlos eingetreten; der Schnee dämpft den Schall seiner Schritte. Aber die Vorhänge im Erdgeschoß bewegen sich; und wie er zur Türe kommt, öffnet sie sich und Lutz steht auf der Schwelle. Die Stimme versagt ihnen, wie sie sich im halbdunklen Hausflur begrüßen. Sie führt ihn in das erste Zimmer, das als Wohnraum dient. Dort arbeitet sie auch, ihre Staffelei steht beim Fenster. Erst wissen sie nicht, was sie reden sollen; sie haben den Genuß dieses Zusammenseins schon zu sehr in Gedanken vorweggenommen; all die schönen Worte, die sie sich zurechtgelegthatten, bleiben ihnen in der Kehle stecken; sie getrauen sich nur halblaut zu sprechen, trotzdem sie allein im Hause sind, oder vielmehr gerade darum. Steif bleiben sie in ziemlichem Abstande voneinander sitzen. Sie wagen nicht, die Arme zu bewegen, nicht einmal den Mantelkragen hatte er heruntergeklappt. Sie reden vom kalten Wetter und vom Fahrplan der Straßenbahn. Dabei sind sie todunglücklich, daß ihnen nichts Gescheiteres einfallen will.

Endlich rafft Lutz sich zur Frage auf, ob er die Photographien mitgebracht habe; kaum nimmt er sie aus der Tasche, ist das Eis gebrochen. Die Bilder sind die erwünschten Mittler, über die hinweg man erst frei plaudern kann; man ist doch nicht mehr unter vier Augen, es sind noch andere Augen auf einen gerichtet, aber die stören nicht. Peter hatte den glänzenden Einfall gehabt (es war ganz ohne Hintergedanken geschehen), alle seine Bilder, vom dritten Lebensjahre an, mitzubringen. Eines dieser Bilder zeigt ihn noch im Kleidchen. Lutz lacht hellauf vor Freude; sie hat für das Bild zierlich lustige Kosenamen und Schmeichelworte. Gibt es denn etwas Süßeres für eine Frau, als ein Klein-Kinderbild des Geliebten zu betrachten? In Gedanken wiegt sie ihn auf den Armen, reicht ihm die Brust — fast ist ihr, als hätte sie ihn unter dem Herzen getragen. Dabei spürt sie ganz genau, wie schön sich dem kleinen Knirps alles sagen läßt, was man dem Erwachsenen nicht sagen kann. — Als er sie fragt, welche Photographie ihr am besten gefällt, sagt sie ohne Bedenken: „Das liebe Kerlchen da . . .“

Wie ernst er schon dreinschaut! Ernster beinahe als heute. Wirklich, wenn Lutz sich getraut hätte (und richtig, eben traut sie sich), Peter recht anzusehn, um seine heutige Erscheinung mit den alten Bildern zu vergleichen, so würde sie jetzt in seinen Augen einen Ausdruck harmloser, kindlicher Freude entdecken, die dem Kleinen noch fehlt; die Augen dieses kleinen Bürgerkindchens, das hübsch unter der Glasglocke gehalten wurde, sind wie Vöglein in verdunkeltem Käfig; jetzt ist eben das Licht gekommen, nicht wahr, Lucia, Lichtlein? . . . Jetzt möchte er aber Photographien von Lutz sehen. Da beschaut er nun ein sechsjähriges Mädelchen mit dickem Zopf, das einen kleinen Hund fest in den Armen hält; wie Lutz dieses Bild wieder erblickt, meint sie bei sich mit einer Anwandlung von Bosheit, ihre damalige Liebe zu dem Tierchen wäre nicht geringer und kaum andern Wesens gewesen als die jetzige; ihr ganzes Herz gab sie ihrem Peter, wie sie es dem Hündchen gegeben hatte; vielmehr hatte auch schon die erste Liebe Peter gegolten und der Hund war sein Platzhalter gewesen. Lutz zeigt auch ein kleines Fräulein von dreizehn oder vierzehn Jahren, das kokett und etwas geziert den Hals verdreht; zum Glück wich aus den Mundwinkeln nie ein kleines, schelmisches Lächeln, das zu sagen schien:

„Wißt ihr? Ich spaße nur; ich nehme mich nicht ganz ernst . . .“

Jetzt hatten beide ihre Befangenheit ganz und gar überwunden.

Sie begann das Porträt mit dem Stifte zu entwerfen. Da er sich nicht rühren und auch beim Sprechen kaum die Lippen bewegen sollte, redete fast nur sie allein. Aber wie es aufrichtigen Menschen geht, wenn sie ein wenig zu lange sprechen müssen, kam sie im Handumdrehen auf die Geheimnisse ihrer engeren und weiteren Familie zu reden, die sie durchaus nicht hatte enthüllen wollen. Sie war selber erstaunt, wie sie sich dabei zuhörte; aber da gab es kein Halten mehr: gerade Peters Schweigen wirkte wie ein Abhang, der den Strom ihrer Worte unablässig fließen ließ . . .

Sie erzählte von ihrer Kinderzeit in der Provinz. Sie stammte aus der Touraine. Die Mutter war aus gutem, wohlhabendem Bürgerhause und hatte sich in einen Lehrer bäuerlicher Abstammung verliebt. Ihre Familie wollte von einer solchen Heirat nichts wissen; aber die zwei Liebesleute bestanden auf ihrem Willen, das junge Mädchen wartete ihre Volljährigkeit ab und vermählte sich dann ohne die Zustimmung ihrer Eltern. Seitdem wollten ihre Leute von ihr nichts mehr wissen. Dem jungen Paare waren bei sehr beschränkten Mitteln ein paar Jahre innigen Zusammenlebens beschieden. Aber der Mann hielt die Überbürdung auf die Dauer nicht aus. Er erkrankte. Die Frau nahm nun tapfer auch seine Last auf sich; sie arbeitete für zwei. Der beleidigte Standesdünkel ihrer Eltern ließ sie in feindlicher Kälte verharren, sie wollten nichts für die Tochter tun. Der Kranke war ein paar Monate vor Kriegsausbruch gestorben. Die beiden Frauen hatten keinen Versuch mehr gemacht, Beziehungen zur Familie der Mutter anzuknüpfen. Diese hätte gewiß das junge Mädchen zu Gnaden aufgenommen, wenn es den ersten Schritt getan hätte — das wäre dann als ein mea culpa der Mutter aufgefaßt worden. Aber da konnten die lange warten! Eher Kieselsteine essen!

Peter staunte über die Hartherzigkeit dieser bürgerlichen Verwandten. Lutz sah darin nichts Unerhörtes.

„Solche Leute sind doch gar nicht so selten, glauben Sie nicht? Im Grunde sind sie nicht böse. Davon bin ich bei meinen Großeltern fest überzeugt; sie hätten uns also gewiß so gerne zugerufen: ‚Kommt wieder zu uns!‘ Aber für ihren Dünkel war der Stoß gar zu hart, und was ist denn allein groß bei solchen Leuten? Eben nur ihr Dünkel! Hat man ihnen Unrecht getan, so sehen sie nicht nur dies so oder so beschaffene Unrecht, sondern es wird einfach ‚das Unrecht‘ schlechthin: die andern sind eben im Unrecht, sie aber wohnen im Recht. Und dabei brauchen sie gar nicht bösartig zu sein (sie sind’s auch wirklich nicht) — aber sie ließen einen vor ihren Augen eher bei langsamem Feuer verbrennen, statt zuzugeben, daß sie vielleicht nicht im Rechte waren. Nein, ihre Verwandten waren die einzigen nicht! Da hatte man noch ganz andere Fälle erlebt! . . . Habe ich nicht recht,“ sagte sie, „sind sie nicht so?“

Peter dachte nach. Es ging ihm völlig ein. Er mußte sich sagen:

„Aber ja. Sie sind so . . .“

Das kleine Mädchen hatte ihm mit einem Male die Augen geöffnet für die ganze Engherzigkeit, die armselige Dürre der Bürgerkaste, der er angehörte. Ausgetrocknetes, ausgesogenes Erdreich, das nach und nach alle seine Lebenssäfte aufgebraucht hat und sie nicht mehr zu erneuern vermag, wie jene Gegenden Innerasiens, wo befruchtende Ströme tropfenweis im gleißenden Sande versickert sind. Sogar die Menschen, die sie zu lieben meinen, lieben diese Bürger nur wie einen toten Besitz; ihrem Selbstsinn opfern sie jene auf, ihrem versteiften Hochmut, ihren kleinlichen, verrannten Ideen. Peter sah nun in diesem Lichte mit tiefer Trauer seine eigenen Eltern und sein eigenes Dasein. Er schwieg. Die Fensterscheiben erbebten von fernem Geschützfeuer. Peter dachte an die Menschen, die dort sterben mußten, und sagte bitter:

„Und das ist auch ihr Werk.“

Dies heisere Kanonengebelfer, der Krieg, der allgemeine Zusammenbruch — ging nicht dies alles großenteils auf Rechnung eben jener Herzenskälte und Unmenschlichkeit, jenes bornierten Dünkels der Bürgerkaste? Aber jetzt (es gab noch eine Gerechtigkeit!) wollte das entfesselte Ungeheuer nicht innehalten, ehe es eben jenes Bürgertum verschlungen hatte.

Lutz sagte:

„Es ist gerecht.“

Sie ahnte gar nicht, wie ihr Denken so ganz gleichen Schritt hielt mit Peters Gedanken. Der schrak förmlich zusammen vor diesem Widerhall.

„Ja, es ist gerecht,“ sagte er, „gerecht ist alles, was da geschieht. Die Welt war zu alt, sie mußte und wollte sterben.“

Lutz senkte den Kopf und stimmte ein:

„Ja.“

Wie sich doch diese ernsten Kinderstirnen einem unausweichlichen Geschicke beugten und in scharfen Falten die Spur verzweifelnden Grübelns trugen! . . .

Es wurde dämmrig im Zimmer, das auch ziemlich ausgekühlt war. Lutzens Hände waren eiskalt, wie sie ihre Arbeit abbrach. Peter durfte das Bild nicht ansehn. Sie traten nun ans Fenster und schauten in den Abend hinaus, über trübselige Felder auf bewaldete Höhenzüge. Über diesem veilchenblauen Bogenzug von Wäldern lag der blaßgrüne, goldbestäubte Himmel. Ein Hauch aus der Seele des Puvis de Chavannes war über diesem Bilde. Lutz verriet durch ein schlichtes Wort, wie sehr sie diesen zarten Frieden empfand. Als ihn das fast ein wenig wunderte, war sie gar nicht gekränkt sondern meinte, man könne ganz wohl etwas fühlen, das man nicht in Kunstwerken auszudrücken vermöge. Es war auch nicht bloß ihre Schuld, wenn sie gar so stümperhaft malte. In übel angebrachter Sparsamkeit hatte sie ihren Kurs in der Kunstgewerbeschule nicht bis zu Ende besucht. Übrigens war sie nur in der Not aufs Malen verfallen. Wozu überhaupt malen, wenn es einen nicht dazu trieb? Peter mußte doch auch bemerkt haben, wie die meisten nicht aus innerem Drange sich künstlerisch betätigten, sondern aus Eitelkeit, aus Langerweile — oder auch weil sie sich zuerst den wahren inneren Beruf zugetraut hatten und später ihren Irrtum nicht eingestehn wollten. Man sollte doch nur dann Künstler sein, meinte sie, wenn man sein Erleben durchaus nicht für sich behalten konnte, wenn man an seinem inneren Reichtum sonst förmlich erstickte. Aber sie selbst, sie hätte gerade genug für sich selbst. Sie verbesserte sich gleich:

„Und für noch jemand.“

(Er hatte nämlich den Mund zum Schmollen verzogen.)

Der schöne Goldton des Himmels erlosch, wurde bräunlich. Die leere Ebene lag jetzt tieftraurig da. Peter fragte Lutz, ob ihr diese Öde nicht gar zu unheimlich sei.

„Nein.“

„Aber wenn Sie spät heimkommen?“

„Es ist keine Gefahr. Apachen kommen nicht in diese Gegend. Die haben ihre festen Gewohnheiten. Sind im Grunde auch solide Bürger. Und dann wohnt da unser Nachbar, ein alter Lumpensammler mit seinem Hunde. Überhaupt habe ich keine Angst. Ich prahle nicht damit. Es ist gar nichts Besonderes. Ich bin sonst nicht gerade mutig. Ich habe eben noch keine Gelegenheit gehabt, recht das Gruseln zu lernen. Wenn es einmal dazu kommt, entpuppe ich mich vielleicht als ärgerer Hasenfuß als andere. Weiß man denn je, was man ist?“

„Ich weiß, was Sie sind,“ sagte Peter.

„Ja, das ist aber auch viel leichter, ich weiß es auch . . . was Sie angeht. Den andern erkennt man immer besser.“

Der feuchte Abendfrost drang durch die geschlossenen Fenster. Peter schauerte ein wenig zusammen. Lutz merkte es sogleich am Zucken seines Nackens. Auf ihrem Spirituskocher bereitete sie ihm eine Tasse Schokolade. So vesperten sie. In mütterlicher Sorgfalt warf Lutz ihm einen Schal um die Schultern. Behaglich ließ er sich verwöhnen, wie ein Kätzchen wohlte er sich in der weichen Wärme des Tuches. Man kam wieder auf Lutzens Lebensgeschichte zurück, die noch nicht ganz fertig erzählt war. Peter sagte:

„Wenn Sie sonst in der Welt niemand haben als Ihre Mutter, muß doch das Verhältnis zu ihr sehr innig sein.“

„Ja,“ sagte Lutz, „es war so.“

War?“ wiederholte Peter.

„O wir haben uns immer noch lieb,“ sagte Lutz. Sie war etwas verlegen, weil ihr dieses Wort entschlüpft war. (Warum sagte sie ihm immer mehr, als sie sagen wollte? Dabei fragte er sie nicht aus, wagte es nicht. Aber sie hörte, wie sein Herz fragte, und es tut so gut, jemandem alles zu sagen, wenn man es sonst nie gedurft hat. Die Stille im Haus, das halbdunkle Zimmer, — all das verlockte zu rückhaltloser Aussprache.) Sie sagte:

„Seit vier Jahren kennt man sich gar nicht mehr aus. Alle Menschen sind ganz anders.“

„Meinen Sie, Ihre Mutter ist anders geworden oder Sie selbst?“

„Alle Menschen,“ wiederholte Lutz.

„Worin?“

„Man kann es nicht ausdrücken. Man hat nur das Gefühl, daß überall die Beziehungen zwischen einander nahestehenden Menschen, auch innerhalb der Familien, irgendwie anders geworden sind. Man kann auf nichts mehr bauen, jeden Morgen muß man sich jetzt fragen: ‚was wird es abends geben, werde ich den auch nur wiedererkennen?‘ Man ist wie auf einer Planke im Wasser; die will fortwährend umkippen.“

„Was ist denn geschehen?“

„Ich weiß nicht,“ sagte Lutz, „ich kann es Ihnen nicht erklären. Ich weiß nur, seit dem Krieg ist es so. Es liegt etwas in der Luft. Alle Welt ist ganz aus dem Häuschen. Wo man sich in den Familien umschaut, sieht man Menschen ihre eigenen Wege gehen, die früher unzertrennlich waren. Alle sind wie berauscht; wie Jagdhunde wittern sie irgend etwas und laufen der Fährte nach.“

„Wohin denn?“

„Ich weiß nicht. Aber die Leute selber, mein’ ich, auch nicht. Wohin der Zufall und ihre Begierde sie treiben. Frauen legen sich Liebhaber zu. Männer vergessen ihre Frauen. Und das kommt bei den bravsten Leuten vor, die bis dahin so ruhig und ordentlich schienen. Überall hört man von zerrütteten Ehen. Aber zwischen Kindern und Eltern ist es gerade so. Meine Mutter . . .“

Sie hielt inne, dann fuhr sie fort:

„Meine Mutter lebt jetzt ihr eigenes Leben.“

Sie stockte wieder und sagte dann:

„Das ist ja ganz natürlich. Sie ist noch jung, meine arme Mama, viel Glück hat sie auch nicht erfahren: sie hat noch soviel unverbrauchtes Gefühl. Sie hat wohl das Recht, sich ein neues Leben aufzubauen.“

Peter fragte:

„Sie will wieder heiraten?“

Lutz schüttelte den Kopf. Man wußte nicht recht . . . Peter wagte keine weitere Frage.

„Sie hat mich gewiß immer noch gern. Aber nicht mehr wie früher. Sie könnte jetzt auch ohne mich leben . . . Die arme Mama wäre ja so zerknirscht, wenn sie sich darüber klar werden müßte, daß ihre Liebe zu mir in ihrem Herzen nicht mehr an erster Stelle steht! Nie würde sie es eingestehen . . . Das Leben ist doch eine kuriose Sache!“

Ihr leises Lächeln war traurig und zugleich etwas schalkhaft. Peter legte zärtlich seine Hand über ihre Hände, die auf die Tischplatte gestützt waren, sonst rührte er sich nicht.

„Wir sind alles arme Geschöpfe,“ sagte er.

Eine Weile später sagte Lutz:

„Wir zwei, wir sind so ruhig! . . . Die andern sind wie im Fieber. Krieg. Fabriken. Alles hastet, hastet. Arbeiten, leben, genießen . . .“

„Ja,“ sagte Peter, „kurz ist die Stunde.“ „Um so weniger soll man laufen, statt zu gehen! Man ist ja doch zu bald am Ziele. Wir wollen ganz kurze Schrittchen machen.“

„Aber die Stunde selber rennt fort,“ sagte Peter. „Halten wir sie recht fest!“

„Ich halte sie, ich halte sie,“ sagte Lutz, indem sie seine Hand ergriff.

So plauderten sie bald zärtlich, bald ernsthaft, wie gute alte Freunde. Aber dabei achteten sie wohl darauf, daß immer der Tisch zwischen ihnen blieb. Aber jetzt merkten sie erst, daß es im Zimmer tiefe Nacht geworden war. Peter stand hastig auf. Lutz hielt ihn nicht zurück.

Die kurze Stunde war um.

Sie hatten Angst vor der Stunde, die jetzt kommen konnte. Beim Abschied waren sie so befangen, ihre Stimmen klangen so gepreßt wie bei Peters Eintritt. Auf der Schwelle wagten ihre Hände kaum sich zu berühren.

Aber wie er die Tür geschlossen hatte und beim Durchschreiten des Gärtchens den Kopf gegen das Fenster im Erdgeschoß wandte, sah er im letzten kupfrigen Widerschein auf den Scheiben Lutzens Kopf im Umriß, wie sie im ungewissen Halblicht ihm mit dem Ausdruck tiefer Leidenschaft nachsah. Da lief er zum Fenster zurück und legte den Mund an die Scheibe. Durch die gläserne Wand hindurch küßten sich ihre Lippen. Dann wich Lutz ins Dunkel des Zimmers zurück und der Fenstervorhang fiel nieder.

Seit etwa vierzehn Tagen wußten sie nicht mehr, was in der Welt vorging. Mochte man doch in Paris durch dick und dünn Leute einkerkern und verurteilen, mochte doch Deutschland eben unterzeichnete Verträge durchführen oder wieder umstoßen, mochten doch die Regierungen weiter lügen, die Presse weiter schmähen und die Heere weiter sich töten. Die beiden lasen keine Zeitungen. Sie wußten wohl, irgendwo oder überall ringsumher gab es Krieg, wie etwa auch Typhus und Influenza herrscht; aber das machte ihnen weiter keinen Eindruck; sie wollten nicht daran denken.

Aber gerade diese Nacht rief sich der Krieg ihnen selber ins Gedächtnis zurück. Sie waren beide schon zur Ruhe gegangen (die Tage vergingen ihnen in einer solchen Anspannung des Gefühls, daß sie abends todmüde waren). Jedes hörte in seinem Stadtviertel das Alarmsignal, beide wollten aber nicht aufstehen. Jedes vergrub den Kopf in die Polster, unter die Decke, wie Kinder während des Gewitters — aber gar nicht aus Furcht (sie waren überzeugt, es könne ihnen nichts zustoßen), — sondern um zu träumen. Lutz vernahm, wie es in der schwarzen Nachtluft dröhnte und dachte: „Wie wäre es gut, das Unwetter in seinen Armen vorüberbrausen zu hören!“

Peter hielt sich die Ohren zu. Nichts sollte ihn in seinen Gedanken stören! Hartnäckig versuchte er auf der Klaviatur der Erinnerung Ton für Ton das Lied dieses Tages zu wiederholen, die melodische Folge der einzelnen Stunden von der Minute an, da er Lutzens Haus betreten hatte, die feinsten Biegungen ihrer Stimme, jede kleine Bewegung, die ununterbrochene Reihe von Eindrücken, die sein hastiger Blick geschlürft hatte, — einen Wimperschatten auf der Wange oder deren Beben im Anhauch eines Gefühls, das dem Windgekräusel am Wasser glich, der Lichtstrahl eines Lächelns, der über ihre Lippen glitt, oder die weiche Nacktheit der zwei ausgestreckten Hände, zwischen denen sein Handballen gelegen hatte, — all diese köstlichen Splitter suchte er mit magischer Liebesglut zu einem Bilde zu verschmelzen. Er duldete nicht, daß äußerer Lärm in sein Heiligtum drang. Dies Draußen war wie ein lästiger Besucher . . . Krieg? Weiß schon, weiß schon. Der Krieg pocht an die Tür? Soll warten! . . . und der Krieg wartete wirklich geduldig vor der Schwelle. Er wußte, seine Stunde würde auch noch kommen. Das wußte Peter auch und darum schämte er sich seiner egoistischen Abkehr durchaus nicht. Die Welle des Todes würde ihn schon auch ergreifen. Zu Vorschüssen war er nicht verpflichtet. Am Verfallstage mochte der Tod seine Rechnung präsentieren! Bis dahin aber sollte er ihn in Ruhe lassen, sich hübsch still verhalten! Ach, bis dahin wollte er wenigstens von dieser wundervollen Zeit nichts verlieren; jede Sekunde war ein Goldkorn und er glich dem Geizigen, der seine Schätze betastet und streichelt: Das ist mein, ist ganz mein eigen! Rührt nicht an meinen Frieden, an meine Liebe! Die sind mein bis zur Stunde, wo . . . Aber wann wird diese Stunde kommen? — Am Ende kommt sie nie! Ein Wunder? . . . Warum nicht? . . .

Inzwischen floß der Strom der Stunden und Tage weiter dahin. Bei jeder Biegung kam das Grollen der Katarakte näher. Peter und Lutz lagen im Kahne hingestreckt und hörten es wohl. Aber sie hatten keine Angst mehr. Selbst diese gewaltige Stimme wiegte sie wie begleitender Orgelton noch tiefer in ihren Liebestraum. Wenn man endlich beim Abgrund war, würde man nur die Augen schließen, sich fester aneinander drängen und alles würde mit einem Male zu Ende sein. Der Abgrund ersparte ihnen die Pein, an das spätere Leben zu denken, an das Leben, das sonst noch hätte kommen können, an die aussichtslose Zukunft. Lutz hatte ein Vorgefühl von den Widerständen, auf die Peter, wenn er sie heiraten wollte, hätte stoßen müssen; Peter selbst empfand dies minder klar (er war der Klarheit minder zugetan), bebte aber auch davor zurück. Was brauchte man jetzt so weit vorauszusehn? Das Leben hinter dem Abgrunde erschien wie das „Leben im Jenseits“, von dem die Kirche erzählt. Es heißt, daß man sich dort wiederfinden wird; aber ganz sicher weiß man es nicht. Sicher ist nur eines: die Gegenwart, unsere Gegenwart. Da hinein laßt uns, ohne ängstliches Zögern und Zählen, unser ganzes Teil Ewigkeit ergießen!

Lutz kümmerte sich um die Tagesereignisse noch weniger als Peter. Der Krieg interessierte sie gar nicht. Er kam einfach als eine Plage mehr zu den vielen anderen hinzu, aus denen nun einmal das äußere Leben gewoben war. Nur wer vor der nackten Wirklichkeit des Lebens geborgen ist, macht viel Aufhebens vom Kriege. Aber das kleine Mädchen mit ihrer frühreifen Lebenserfahrung — wie gut kannte sie den Kampf ums tägliche Brot — panem quotidianum . . . (Gott gab es nicht umsonst!) — zeigte ihrem Freunde, dem verwöhnten Bürgersöhnchen, wie der Friedenszustand für die Armen, besonders für deren Frauen, nur ein Trugbild ist, der gleißende Deckmantel für einen mörderischen, tückischen, unablässigen Krieg. Sie verschonte ihn mit Einzelheiten, um ihn nicht zu betrüben: sie fühlte sich ihm mütterlich überlegen, als sie sah, wie sehr ihn ihre Berichte erschütterten. Wie die meisten Frauen empfand sie gegenüber gewissen häßlichen Seiten des Lebens keineswegs den körperlichen und seelischen Abscheu, von dem sich da der junge Bursch gepackt fühlte. Gewaltsame Weltverbesserung lag ihr ganz fern. Wenn es ihr einmal noch schlechter gegangen wäre, wäre sie imstande gewesen, ohne Ekel ekelhafte Beschäftigung zu übernehmen und deren Spur so leicht und anmutig von sich abzutun, daß sie dann wieder blitzblank, in aller Seelenruhe, hätte ihrer Wege gehen können. Jetzt freilich vermochte sie es nicht mehr; seit sie Peter kannte, hatte ihre Liebe ihr alle Neigungen und Abneigungen ihres Freundes mitgeteilt; aber dergleichen kam nicht aus dem Grunde ihres Wesens. Sie gehörte einem ausgeglichenen, heiteren Menschenschlage an, dem aller Pessimismus fern lag. Melancholie und großartige Weltverneinung war nicht ihre Sache. Das Leben ist, wie es ist. Man nimmt es, wie es ist. Hätte schlimmer ausfallen können! Soweit Lutz nur zurückdenken konnte, war ihr äußeres Dasein immer recht schwierig gewesen; immer war man da auf der Suche nach rettenden Auswegen, besonders seitdem Krieg war; die Wechselfälle eines solchen Daseins hatten Lutz gelehrt, sich nicht um den nächsten Tag zu sorgen. Dazu kam noch, daß dieser innerlich freien kleinen Französin jeder Gedanke ans Jenseits fremd war. Dieses Leben genügte ihr. Lutz fand es hübsch genug, aber es hängt doch nur an einem Härchen, es gehört so wenig dazu, damit dies Härchen reißt, daß es wirklich nicht lohnte, sich um Dinge zu quälen, die morgen geschehen könnten. Trinkt, ihr Augen, im Vorübereilen vom Licht, in dem ihr badet! Und was das Nachher anlangt, so laß dich, Herz, vertrauend in der Strömung treiben! . . . Und jetzt hat man sich gar noch so lieb — ist das nicht köstlich? Lutz wußte wohl, es würde nicht lange währen. Aber ihr Leben würde ja auch nicht lange währen . . .

Ihrem Wesen nach war sie ganz anders als der kleine Junge, der sie liebte und den sie liebte; der war gefühlvoll, leidenschaftlich, nervös, erregbar, glücklich und unglücklich zugleich, überschwänglich in Lust und Leid, gleich stürmisch in Hingabe oder Trotz; gerade wegen dieses Gegensatzes zu ihrer Art war er ihr so lieb. Aber ganz einig waren beide im unausgesprochenen Vorsatz, keinen Blick in die Zukunft zu werfen: sie war ein sorglos hinplätscherndes Bächlein, das in sein Los ergeben ist — er aber stürzte sich in überspannter Verneinung der Umwelt in den Abgrund der Gegenwart und nichts sollte ihn daraus vertreiben.

Der große Bruder war wieder daheim. Er hatte ein paar Tage Urlaub. Gleich am ersten Abend merkte er, daß sich die Atmosphäre des Vaterhauses irgendwie verändert hatte. Worin denn? Das wußte er selber nicht zu sagen: aber etwas ging ihm gegen den Strich. Die Seele hat Fühlfäden, die fernhin Dinge aufspüren, die das Bewußtsein noch gar nicht abgetastet hat. Die feinsten Fühlfäden aber streckt verletztes Selbstgefühl aus. Bei Philipp schwangen also diese Fäden aufgeregt hin und her, suchten verwundert ein Etwas, das ihnen fehlte . . . Dabei hatte er doch den Kreis seiner Lieben, der ihm den gewohnten Weihrauch zollte — das aufmerksame Publikum, dem er kärglich Frontschilderungen zuzumessen geruhte — die Eltern hingen in gewohnter Bewunderung an seinen Lippen, — der kleine Bruder. . . Oha! Halt! Ja, der, gerade der war nicht da, wenn man ihn brauchte! Anwesend war er wohl, aber er drängte sich gar nicht mehr an den großen Bruder heran, er bettelte nicht, wie sonst, um vertrauliche Eröffnungen, deren Verweigerung dem Großen so viel Spaß gemacht hatte. Zu welchen Armseligkeiten verleitet gekränkte Eitelkeit! Sonst setzte Philipp zu all den glühenden Zweifelfragen des jüngeren Bruders eine müde, spöttische Gönnermiene auf — jetzt fühlte er sich verletzt, weil Peter keine solchen Fragen mehr stellte. Und so suchte er selbst diese Dinge aufs Tapet zu bringen. Er wurde viel mitteilsamer und sah beim Sprechen immer Peter an, um ihn merken zu lassen, daß seine Reden ihm galten. Zu andern Zeiten wäre Peter außer sich gewesen vor Freude darüber und hätte sich nicht lange bitten lassen, auf die Absicht des Bruders einzugehen. Aber jetzt rührte er sich nicht und sah in aller Seelenruhe zu, wie Philipp die ausgestreckten Fühler wieder hübsch einziehen mußte. Der war jetzt beleidigt und machte ironische Bemerkungen. Peter aber ließ sich nicht aus der Fassung bringen und antwortete schlagfertig in gleichem Tone. Philipp wollte nun eine gründliche Aussprache herbeiführen, hielt in übertriebener Lebhaftigkeit förmliche Reden — aber nach ein paar Minuten merkte er, daß er für sich allein redete. Peter sah ihm zu und schien zu denken:

„Nur zu, lieber Freund, wenn’s dir Spaß macht! Nur weiter, ich höre schon zu . . .“

Welch unverschämtes leichtes Lächeln! . . . Die Rollen waren vertauscht. Beschämt wurde Philipp still und beobachtete nun etwas aufmerksamer den jungen Bruder, der sich jetzt nicht weiter mit ihm abgab. Wie der sich verändert hatte! Die Eltern hatten nichts bemerkt, weil sie ihn jeden Tag sahen; aber der durchdringende und jetzt noch von Eifersucht geschärfte Blick Philipps fand nach einer Abwesenheit von ein paar Monaten Peters gewohnten Gesichtsausdruck nicht wieder. Peter schien in glückseliger Dumpfheit sorglos dahinzuleben; gleichgültig gegen die Menschen, ohne einen Blick für die Umwelt, webte und schwebte er offenbar wie ein junges Mädchen in weicher, warmer Traumluft. Philipp sah ein, daß er selbst dem Bruder gar nichts mehr bedeutete.

Da er nicht nur andere gut zu beobachten verstand, sondern auch das eigene Erleben immer tapfer unter die Lupe nahm, wurde ihm die Ursache seiner Verstimmung bald klar und heilsame Selbstverspottung befreite ihn davon. Wie nur erst einmal die dumme Empfindelei abgetan war, beschäftigte er sich um der Sache selbst willen mit Peter und suchte den geheimen Grund seiner Verwandlung zu entdecken. Gerne hätte er ihn zu vertraulichen Eröffnungen gebracht. Aber darin fehlte es ihm an Übung und außerdem schien der kleine Bruder keinerlei Bedürfnis nach Herzensergießung zu verspüren; mit spöttisch lässigem Gleichmut betrachtete er sehr von oben herab Philipps linkische Bemühungen, eine Brücke zu ihm zu schlagen. Lächelnd, die Hände in den Taschen, pfiff er ein Liedchen vor sich hin und gab beiläufige Antworten, ohne recht auf die Fragen zu horchen — und auf einmal hatte er sich schon wieder in sein Märchenschloß zurückgezogen. Schön guten Abend! Weg war er. Nur sein Spiegelbild lag noch am fließenden Wasser und rann einem durch die Finger. — Wie ein verschmähter Liebhaber fühlte Philipp erst jetzt den ganzen Wert des Herzens, das er verloren hatte, und die eigentümliche Anziehungskraft, die von dem Geheimnis ausging, das sich darin barg. Der Zufall spielte ihm des Rätsels Lösung in die Hände. Als er eines Abends über den Boulevard Montparnaß heimging, begegnete er im Dämmerlicht Peter und Lutz. Er fürchtete, sie könnten ihn gesehn haben. Aber sie kümmerten sich gar nicht um die Außenwelt. Sie waren eng aneinandergeschmiegt; Peter stützte seinen Arm auf Lutzens Arm, hielt ihre Hand, und seine Finger schlangen sich zwischen ihre Finger; so gingen sie mit kurzen Schritten dahin, in heißer, unersättlicher Zärtlichkeit wie Eros und Psyche in der Farnesina. Ihre Blicke waren tief ineinander versenkt. Philipp lehnte sich an einen Baum und sah zu, wie sie vorübergingen, stehen blieben, weiter gingen und im Dunkel verschwanden. Philipps Herz war voll Mitleid mit den zwei Kindern; er dachte:

„Mein Leben ist hingeopfert. Meinetwegen! Aber daß die zwei auch daran glauben sollen, ist das ärgste Unrecht. Wenn ich wenigstens ihr Glück erkaufen könnte!“

Trotz seines höflich-zerstreuten Wesens merkte Peter doch am nächsten Tage, wie herzlich die Stimme des Bruders klang, wenn er mit ihm sprach; allerdings empfand er auch das nicht sofort, sondern es fiel ihm erst nachher auf, wenn er daran zurückdachte. Da erwachte er doch so halbwegs aus seinem Traumzustand und sah wieder einmal den guten Blick des Älteren, den er an ihm gar nicht mehr kannte. Philipp schaute ihn mit so klaren Augen an, daß Peter den Eindruck hatte, dieser Blick wolle in sein Geheimnis eindringen; hastig barg er es hinter herabgelassenen Vorhängen. Aber Philipp lächelte nur, stand auf, legte ihm die Hand auf die Schulter und schlug einen Spaziergang vor. Peter ging darauf ein; er hatte ja wieder Vertrauen; sie gingen mitsammen in den nahen Luxemburgpark. Der große Bruder ließ seine Hand immer noch auf der Schulter des Jüngeren ruhn und der war stolz darauf, daß es wieder gut stand zwischen ihnen. Jetzt war ihm die Zunge gelöst. Sie sprachen lebhaft von geistigen Dingen, von Büchern und Beobachtungen an Menschen, von neuen Erfahrungen — nur gerade von der einen Sache nicht, an die sie beide immerfort denken mußten. Es tat ihnen wohl, so vertraulich miteinander zu reden, ohne doch an das Geheimnis zu rühren, das zwischen ihnen stand.

Mitten unter dem Plaudern fragte sich Peter:

„Weiß er’s? . . . Aber woher sollte er es denn erfahren haben? . . .“

Philipp beobachtete ihn lächelnd, wie er schwatzte. Peter hielt endlich mitten im Satze inne . . .

„Was hast du denn? . . .“

„Nichts. Ich schaue dich nur an. Ich bin so froh.“

Sie tauschten einen Händedruck. Auf dem Rückwege fragte Philipp:

„Du bist glücklich?“

Peter nickte wortlos.

„Da hast du recht, Kleiner, das Glück ist was Schönes. Nimm mein Teil mit dazu . . .“

Um Peter nicht zu betrüben, vermied es Philipp während dieses Aufenthaltes, über die nahe bevorstehende Einziehung von des Bruders Jahrgang zu sprechen. Aber am Tage seiner Abreise konnte er doch die sorgenvolle Bemerkung nicht unterdrücken, daß der Bruder nun so bald der Prüfung ausgesetzt sein würde, die er aus eigener Erfahrung nur zu gut kannte. Aber kaum ein Schatten glitt über die Stirn des kleinen Verliebten. Er zog ein wenig die Brauen zusammen, blinzelte, wie wenn er ein unangenehmes Bild verscheuchen wollte, und sagte:

„Ach was! . . . noch Zeit! . . . Chi lo sa?“

„Man weiß es nur zu genau,“ sagte Philipp.

„So viel weiß ich sicher“, sagte Peter, den Philipps Hartnäckigkeit verdroß, „wenn ich mal dort drin stecke, — ich schieße auf niemand.“

Philipp widersprach nicht, aber lächelte wehmütig vor sich hin; wußte er doch so gut, wie die schwache Einzelseele und ihr Wollen hinschwanden vor der unerbittlichen Wucht der Herde.

Der März war wieder da und längere Tage und erster Vogelsang. Aber mit der Kraft des Sonnenlichtes wuchsen auch die düsteren Flammen des Krieges. Mit fieberhafter Spannung sah man dem Frühjahr entgegen und der Katastrophe, die in der Luft lag. Das riesige Tosen schwoll lauter an, der Waffenlärm von Millionen Feinden, die sich seit Monaten vor der Dammlinie der eigenen Stellung gestaut hatten und nun als Sturmflut über die Landschaft von Paris und sein von soviel Wettern geprüftes Wappenschiff hinbrausen wollten. Wie riesige Schatten eilten der Verheerung Schreckensnachrichten voraus: phantastische Gerüchte über Giftgase, über tödliche Kräfte, die sich durch die Luft verbreiten und ganze Provinzen packen und vernichten sollten, wie seinerzeit die erstickende Rauchwolke des (Vulkans) Mont Pelee. Schließlich ließen auch immer häufigere Besuche deutscher Flieger die Nerven der Stadt Paris ja nicht zur Ruhe kommen.

Peter und Lutz wollten von all dem noch immer nichts wissen; aber Keime des schwelenden Fiebers, die sie unbewußt mit der schweren Gewitterluft eingeatmet hatten, entfachten heißeres Verlangen in ihren jungen Körpern. Die drei Kriegsjahre hatten durch ganz Europa alle ethischen Anschauungen in einem Maße zerrüttet, daß die anständigsten Menschen in Mitleidenschaft gezogen waren. Dazu kam noch, daß die beiden Kinder an keinerlei Kirchenglauben Rückhalt hatten. Aber es schützte sie ihre Herzensreinheit und ganz triebhafte Scham. Doch waren sie innerlich entschlossen, einander ganz anzugehören, bevor die blinde Grausamkeit der Menschen sie auseinander reißen würde. Bis dahin hatten sie nie darüber geredet. Diesen Abend aber sollte es ausgesprochen werden.

Ein- bis zweimal der Woche hatte Lutzens Mutter Nachtschicht in der Fabrik. Um in dem abgelegenen Häuschen nicht allein zu bleiben, übernachtete Lutz dann in der Stadt bei einer Freundin. Sie wurde nicht überwacht. Das Liebespaar benutzte diese Bewegungsfreiheit, um einen Teil des Abends beisammen zu sein; manchmal speiste man auch bescheiden in einem kleinen, wenig besuchten Gasthause. Wie sie also an diesem Abende — es war Mitte März — vom Essen kamen, hörten sie das Alarmsignal. Sie bargen sich im nächstgelegenen Unterstand, wie man vor einem Platzregen in ein Haustor tritt, und vergnügten sich eine Weile mit Beobachtungen an der zusammengewürfelten Gesellschaft da unten. Aber da die Gefahr nun schon fern oder abgewehrt schien, ohne daß der Alarm abgeblasen wurde, machten sich Peter und Lutz unter heiterem Geplauder wieder auf den Weg, da sie nicht zu spät nach Hause kommen wollten. Sie gingen gerade durch ein altes dunkles Gäßchen nächst der Sankt-Sulpiz-Kirche und waren eben an einem Fiaker vorbeigekommen, der bei einem Haustore stand; Pferd und Kutscher schliefen fest. Sie waren auf der anderen Straßenseite, etwa zwanzig Schritt entfernt — da erbebte alles: blendendes Rot, stürzender Donner, Prasseln und Klirren losgerissener Dachziegel und zerbrochener Fensterscheiben. Die Gasse macht dort eine scharfe Biegung; dahinter drückten sie sich, eng umklammert, wie angeklebt in eine Mauernische. Beim Aufflammen dieses Blitzes hatte jeder in des andern Augen Liebe und Entsetzen gelesen. Schon war es wieder Nacht um sie, aber noch hörte man Lutzens flehende Stimme: „Nein, noch nicht . . . noch nicht. . .“

Peter spürte auf seinen Lippen im leidenschaftlichen Kuß die Zähne der Geliebten. Sie standen im Dunkel des Gäßchens und hörten das Klopfen ihrer Herzen. Ein paar Schritte weiter waren Leute aus den umliegenden Häusern im Begriffe, den tödlich getroffenen Kutscher unter den Trümmern des Wagens hervorzuziehen; der Unglückliche wurde ganz nahe an ihnen vorbeigetragen; sein Blut träufelte zur Erde nieder. Lutz und Peter waren wie zu Stein erstarrt; als ihr Bewußtsein wieder hell wurde, fanden sie sich so innig verschmiegt, daß ihnen war, als lägen ihre Körper nackt aneinander. Sie lösten die verkrampften Hände und Lippen, die wie Wurzeln das geliebte Wesen hatten einsaugen wollen. Beide überkam ein Zittern.

„Gehen wir heim,“ sagte Lutz, von ahnungsvollem Schreck befallen. Sie zog ihn mit fort.

„Lutz! nicht wahr, du läßt mich nicht aus der Welt gehen, ehe . . .“

„Mein Gott,“ sagte Lutz und drückte seinen Arm, „der Gedanke wär’ schlimmer als der Tod!“

„Mein Liebes!“ das sagten sie gleichzeitig.

Sie blieben wieder stehen:

„Wann werde ich dein?“ fragte Peter. (Er wagte nicht zu fragen: wann wirst du mein?)

Lutz merkte dies und es rührte sie.

„Mein Schatz,“ sagte sie; „. . . Bald! Dräng’ uns nicht! Du kannst es garnicht inniger wollen als ich! . . . Bleiben wir noch ein Weilchen so wie jetzt . . . Es ist so schön! . . . Noch bis zum Ende dieses Monats! . . .“

„Bis Ostern?“ sagte er.

(Ostern fiel in jenem Jahre auf den letzten März.)

„Ja, bis zur Auferstehung.“

„Ach“, sagte er, „vor der Auferstehung kommt das Sterben.“

„Sst!“ sagte sie und schloß ihm den Mund mit einem Kusse.

Dann lösten sie ihre Umarmung.

„Heute abend feiern wir unsere Verlobung“, sagte Peter.

Aneinandergeschmiegt gingen sie weiter und weinten vor Liebe. Unter ihren Schritten kreischten Glassplitter, und das Pflaster war blutig. Rings um die Flamme ihres Gefühls lauerten Nacht und Tod. Ihnen zu Häupten standen zwei Hauswände der engen Gasse so nah beieinander wie Schornsteinmauern; aber in diesem Rahmen, als wäre er ein magischer Kreis, pulste in reiner Himmelstiefe ein Sternenherz . . .

Und horch! Es beginnen die Glocken ihren Gesang, die Lichter flammen wieder auf, die Straßen beleben sich aufs neue! Kein Feind mehr in den Lüften. Paris atmet auf. Der Tod ist von ihm gewichen.

So war ihnen der Samstag vor Palmsonntag herangekommen. Täglich waren sie stundenlang beisammen und suchten dies gar nicht mehr zu verbergen. Sie schuldeten der Welt keine Rechenschaft mehr. Nur noch durch dünne, dem Zerreißen nahe Fäden hingen sie mit der Welt zusammen! — Vor zwei Tagen hatte die deutsche Offensive eingesetzt. In einer Breite von fast hundert Kilometern schäumte die Riesenwoge heran. Ununterbrochene Aufregungen durchbebten die Stadt: — erst flog das Munitionslager Courneuve in die Luft, wobei ganz Paris wie von einem Erdbeben zitterte, dann rissen fortwährende Alarmierungen die Leute aus dem Schlafe und machten sie völlig nervös. Und gar an diesem Samstagmorgen erwachten Leute, die erst spät hatten einschlafen können, im Grollen der geheimnisvollen Kanone, die irgendwo in der Ferne steckte und über den Sommefluß weg, wie von einem anderen Planeten, aufs Geratewohl Tod und Verderben streute. — Die ersten Schüsse hielt man für weitere Fliegerbomben und flüchtete folgsam in die Keller; aber an eine dauernde Gefahr gewöhnt man sich rasch und das Leben stellt sich darauf ein; ja, fast findet es einen Reiz darin, wenn das Unheil nur alle gleich bedroht und seine Wahrscheinlichkeit für den einzelnen nicht zu groß ist. Überhaupt war auch das Wetter gar zu schön; jammerschade, sich lebendig zu begraben: noch vor der Mittagsstunde war alles im Freien; Straßen, Gärten, Café-Terrassen sahen an jenem strahlend schönen, sommerlich heißen Nachmittage ganz festtäglich aus.

An eben diesem Nachmittage wollten Peter und Lutz aus dem Gewühl in den Wald von Chaville flüchten. Seit zehn Tagen lebten sie in einem gespannten Zustande weltentrückter innerer Stille. Tiefer Friede war in ihren Herzen, aber erregtes Zittern in ihren Nerven. In solchen Augenblicken fühlt man sich gleichsam auf einer Insel mitten in rasendem Wirbelstrom: Auge und Ohr sind völlig überwältigt vom Rauschen und Schäumen. Aber wie man die Lider senkt und mit dem Finger das Ohr verschließt und so die Riegel vorgeschoben sind, kehrt mit einem Male tiefe, berauschende Stille in uns ein, Stille reglosen Sommertags, wo hohe Freude, wie ein Vöglein aus laubigem Versteck, ihr frisches Lied in lichten Wellen verrinnen läßt. Du göttlicher, zauberischer Gesang der Freude, seliges Gezwitscher im Dickicht des Lebens! Ich weiß ja — nur einen schmalen Lidspalt muß ich öffnen oder den Finger bloß ein bißchen weniger fest ans Ohr drücken — und Gischt und Brausen des Stroms sind wieder da! Welch schwache Schleuse hält jene fern! Aber gerade dies Wissen um die Gebrechlichkeit der Schleuse läßt die Freude noch höher schwingen: man weiß, sie ist bedroht. Selbst Stille und Frieden bekommen so die innere Spannung der Leidenschaft. Hand in Hand traten sie in den Wald. Vorfrühling steigt einem zu Kopfe wie neuer Wein. Die junge Sonne macht trunken mit ihrem lauteren Rebensaft. Das Licht ist über die noch blattlosen Wälder ausgegossen; durch die nackten Zweige hindurch hält einen das blaue Himmelsauge in Bann und Betäubung . . . Die jungen Leute vermochten kaum ein paar Worte zu wechseln. Die Zunge wollte begonnene Sätze nicht zu Ende sprechen. Ihre Beine waren schlapp und mochten nicht weiter. Im Schweigen des durchsonnten Waldes taumelten sie dahin. Die Erde zog sie an. Sich auf der Straße niederlegen! Auf einer Felge des großen Erdenrades sich mitforttragen lassen! . . .

Sie erkletterten die Böschung jenseits der Straße, drangen ins Unterholz und streckten sich nebeneinander aufs dürre Laub, durch das die ersten Veilchen sproßten. Erster Gesang von Vögeln und das ferne Schnauben der Geschütze mischten sich ins Glockengeläute der Dörfer, das dem morgigen Feste galt. Die leuchtende Luft erbebte von Hoffnung, Glauben, Liebe und Tod. Trotz der Einsamkeit sprachen sie nur mit gedämpfter Stimme. Ihr Herz war so voll: war es Glück? war es Leid? Sie hätten es nicht sagen können. Wie Lutz so reglos dalag und weit offenen Auges in den Himmel starrte, fühlte sie das bittere Weh in sich übermächtig werden, gegen das sie schon den ganzen Tag ankämpfte, um Peter die Freude nicht zu verderben. Der legte seinen Kopf in Lutzens Schoß wie ein Kind, das schlafen will, und an der Wange fühlte er die Wärme ihres Leibes. Wortlos streichelte Lutz Augen, Nase und Lippen des Geliebten. Die lieben vergeistigten Hände, die, wie es im Feenmärchen heißt, an den Fingerspitzen ein Mündchen zu haben schienen! Peters Sinne aber waren eine feingestimmte Harfe und erklangen jedem Gefühl, das in den Fingern der Freundin bebte. Er vernahm ihren Seufzer, ehe sie ihn getan hatte. Lutz war jetzt halb aufgerichtet und vorgeneigt; so klagte sie mit gepreßter Stimme:

„Ach Peterchen!“

Peter sah sie betroffen an.

„Ach Peterchen! Was sind wir denn? . . . Was wollen sie von uns? . . . Was wollen denn wir? . . . Was geht in uns vor? . . . Diese Kanonen, die Vögel, der Krieg, unsere Liebe . . . die Hände da, der Leib, die Augen . . . Wo bin ich denn? . . . und was bin ich denn? . . .“

Peter hatte sie nie in so ratloser Verwirrung gesehen und wollte sie tröstend in die Arme schließen. Aber sie stieß ihn zurück:

„Nein! Nein! . . .“

Sie barg ihr Gesicht in den Händen; Hände und Gesicht drückte sie tief ins trockene Laub. Peter war ganz außer sich und flehte:

„Lutz! . . .“

Er legte seinen Kopf dicht neben den der Geliebten.

„Lutz!“ sagte er noch einmal. „Was ist denn? . . . Hast du was gegen mich? . . .“ Sie hob ein wenig den Kopf:

„Nein!“

Er sah, daß ihre Augen voll Tränen standen.

„Du bist traurig?“

„Ja“

„Warum?“

„Ich weiß nicht.“

„So sag’ doch! . . .“

„Ach, ich schäme mich . . .“

„Du schämst dich? Weshalb?“

„Wegen allem.“

Sie schwieg.

Schon den ganzen Tag stand sie unter dem qualvollen Eindruck eines peinlichen, erniedrigenden Erlebnisses: jene Fabriken, als Stätten des Todes und der Unzucht, erzeugten mit ihrem Durcheinander von Männern und Weibern, als Gärbottiche von Menschenfleisch, ein Gift, von dem auch Lutzens Mutter bis zum Wahnsinn ergriffen war; sie kannte nun weder Scheu noch Scham. In rasender Eifersucht hatte sie in der eigenen Wohnung mit ihrem Geliebten einen lauten Streit gehabt, ohne sich vor Lutz irgendwie zu mäßigen; so hatte diese bei der Gelegenheit erfahren, daß ihre Mutter schwanger war. Das war für das Mädchen gleichsam eine Beschmutzung gewesen, von der auch sie selbst, die Liebe überhaupt und sogar ihre Liebe zu Peter befleckt wurde. Darum also hatte sie Peter zurückgestoßen: sie schämte sich für ihn und sich . . . seinetwegen schämte sie sich? Armer Peter! . . .

Sehr gedemütigt lag er da und wagte sich nicht mehr zu rühren. Da verspürte sie Reue, lächelte in ihren Tränen, legte den Kopf auf seine Knie und sagte:

„Jetzt komme ich dran!“

Peter war immer noch besorgt, strich ihr übers Haar, wie man ein Kätzchen liebkost, und flüsterte:

„Lutz, was war denn das? Sag’ doch! . . .“

„Nichts,“ sagte sie. „Ich habe traurige Dinge mitangesehen.“

Ihr Geheimnis war ihm heilig und so fragte er nicht weiter. Aber selber setzte sie nach einer Weile hinzu:

„Du, manchmal . . . manchmal schämt man sich, Mensch zu sein . . .“

Peter zuckte zusammen.

„Ja,“ sagte er.

Sie schwiegen eine Weile, dann beugte er sich zu ihr nieder und sagte ganz leise:

„Verzeih!“

Lutz sprang auf, fiel Peter um den Hals und sagte wie er:

„Verzeih!“

Mund ruhte an Mund.

Die zwei Kinder waren beide recht des Trostes bedürftig, den jedes im andern fand. Sie sprachen nicht aus, was sie dachten:

„Noch ein Glück, daß wir sterben werden! . . . Das Gräßlichste wäre doch, so ein erwachsener Mensch zu werden, der noch darauf stolz ist, ein Mensch zu sein und daß er so gut zerstören und beschmutzen kann . . .“

Ihre Lippen verwuchsen, Wimper rührte an Wimper, Blick drang tief in Blick, und sie lächelten in zärtlichem Erbarmen. Und nimmer wurden sie dieses göttlichen Gefühls müde, das die reinste Form der Liebe ist. Endlich rissen sie sich aus dieser Versunkenheit; nun sah Lutz wieder heiteren Auges den weichen Himmel, die aufbrechenden Bäume und sog den Duft der ersten Blumen.

„Wie schön,“ sagte sie.

Sie dachte:

„Warum sind die Dinge so schön? Und wir so ärmlich, gewöhnlich und häßlich? . . .“

(Nur du nicht, mein Lieb, du nicht!) . . . Sie sah wieder ihren Peter an:

„Ach! was gehn mich die andern an?“

Und in der prachtvollen Torheit der Verliebten sprang sie mit hellem Gelächter auf, lief in den Wald hinein und rief:

„Fang mich!“

Die ganze übrige Zeit spielten sie wie kleine Kinder. Und als sie sich müde getollt hatten, gingen sie mit kurzen Schritten wieder ins Tal hinunter, das wie ein Fruchtkorb bis zum Rande mit den Strahlengarben der sinkenden Sonne angefüllt war. Alles, was ihre Sinne einsogen, schien ihnen neu; ihre zwei Herzen, ihre zwei Körper waren nur noch ein Herz, ein Körper.

Es war eine Zusammenkunft von fünf gleichaltrigen Freunden und Studienkameraden bei einem aus ihrer Mitte; vermöge eines erwachenden Sinnes für seelische Wahlverwandtschaft hatten sie sich gegenüber den anderen zusammengeschlossen. Dabei dachte nicht einer wie der andere. Was immer man von der Gleichförmigkeit der vierzig Millionen Franzosen fabeln mag, in Wirklichkeit gibt es hier soviel Köpfe, soviel Sinne. Wie die französische Ackerkrume war auch das Denken Frankreichs in winzige Parzellen zersplittert. So versuchten auch die fünf Freunde nur, jeder von seinem Fleckchen Land aus, über die trennende Hecke weg Gedanken auszutauschen. Dabei bestärkte sich jeder erst recht in seiner besonderen Denkweise. Immerhin waren sie aber doch alle Freie im Geiste und, wenn auch nicht alle Republikaner, so doch gegen jede geistige und gesellschaftliche Rückkehr zu abgelebten Zuständen.

Jakob See trug die stärkste Kriegsbegeisterung zur Schau. Dieser edel geartete Jude hatte jede Leidenschaft Frankreichs in sich aufgenommen. Durch ganz Europa hin machten so seine Stammesgenossen die Sache und Denkweise ihrer Adoptivvaterländer ganz zu der ihren. Wie immer, wenn sie sich einer Sache annahmen, neigten sie sogar zu einer gewissen Übertreibung. Blick und Stimme des schönen Jungen verrieten ein etwas schweres Pathos, seine regelmäßigen Züge waren wie mit starkem Griffel nachgezogen, seine Meinungen äußerte er mit übergroßer Entschiedenheit und wurde heftig, wenn er auf Widerspruch stieß. Nach ihm handelte es sich um einen Kreuzzug der demokratischen Staaten zur Befreiung aller Völker und zur Ausrottung des Krieges. Ein vierjähriges Schlachten im Namen so menschenfreundlicher Ziele hatte ihn noch keines Besseren belehrt. Er gehörte zu den Menschen, die sich nie von den Tatsachen widerlegen lassen. Er trug doppelten Stolz in sich, den geheimen Stolz auf seine Rasse, deren Wiederaufrichtung er anstrebte, und seinen persönlichen Stolz, der immer recht behalten wollte. Er wollte es um so stärker, je weniger er innerlich seiner Sache sicher war. Unter dem Deckmantel seines aufrichtigen Idealismus entfalteten sich bei ihm höchst anspruchsvoll lange zurückgedämmte Triebe, nämlich Tatendrang und Abenteuerlust, die gleichfalls aus dem Kern seines Wesens stammten.

Anton Naudé war auch für den Krieg. Aber nur, weil er sich nicht anders helfen konnte. Dieses gute, dickliche Bürgerskind mit seinen rosigen Wangen war im Grunde friedfertig und klug; es war etwas kurzatmig und ein zierlich gerolltes R verriet seine Herkunft aus Mittelfrankreich; mit ruhigem Lächeln sah er die redegewandte Begeisterung des Freundes See; er verstand es sogar, diese Begeisterung mit lässig hingeworfenen Wörtchen zu hellen Flammen zu entfachen. Doch fiel es dem dicken Faulpelz nicht im Traume ein, sich selber in diese Flammen zu stürzen. Warum sollte man sich das Für oder Wider einer Sache zu Kopfe steigen lassen, wenn man doch nichts daran ändern konnte? Nur in den Tragödien wird einem immer der heroisch-schwatzhafte Widerstreit von Pflicht und Neigung vorgeführt. Wenn man keine Wahl hat, tut man seine Pflicht, ohne große Worte zu machen. Dadurch wird die Geschichte nicht erbaulicher. Naudé wollte den Krieg weder bewundern noch auf ihn schelten. Sein hausbackener Menschenverstand sagte ihm, wenn der Krieg schon einmal im Gange wäre, wie ein Zug in voller Fahrt, so müßte man eben mitfahren: da wäre weiter nichts zu machen. Diese ganze Fragerei, wer den Krieg verschuldet habe, schien ihm Zeitvergeudung. Wenn er schon in den Krieg mußte, wie bitter wenig nützte ihm dann die Wissenschaft, er hätte nicht in den Krieg müssen, wenn dies und das so und so gekommen wäre — wie es aber nicht gekommen war!

Die Schuldfrage! Für Bernhard Saisset lag hier der Kern des ganzen Problems; leidenschaftlich mühte er sich ab, diesen Schlangenknäuel zu entwirren oder er fuchtelte vielmehr damit über dem Kopf herum wie eine kleine Furie. Er war ein zarter, feiner, von innerer Glut verzehrter Bursche; er war sehr nervös, allzu große geistige Empfänglichkeit brauchte vorzeitig seine Kräfte auf. Er entstammte einer alten republikanischen Familie, deren Glieder die höchsten Würden im Staate bekleidet hatten; gerade darum konnte sich der junge Saisset gar nicht genug tun an linksrevolutionärer Leidenschaft. Er hatte die maßgebenden Männer und ihren Anhang gar zu nahe gesehen. Er klagte alle Regierungen an — vor allem aber die seines eigenen Landes. Er redete jetzt nur noch von den Bolschewiken und Kommunisten; von deren Vorhandensein hatte er zwar eben erst Kunde erhalten, aber schon sah er sie als Brüder an, wie wenn er sie von Kindesbeinen an gekannt hätte. Er sah das Heil nur noch in einem allgemeinen Umsturz, über dessen Wesen er sich jedoch selbst nicht recht klar war. Er haßte den Krieg, aber er hätte sich mit Wonne in einem Klassenkriege hingeopfert — in einem Kriege gegen seine eigene Klasse, gegen sich selbst.

Der vierte, Claudius Puget, würdigte diese Wortgefechte nur einer kühlen, etwas verächtlichen Aufmerksamkeit. Er stammte aus ärmlichen, kleinbürgerlichen Verhältnissen; ein Schulinspektor hatte gelegentlich einer Dienstreise seine Fähigkeiten „entdeckt“, hatte ihn aus dem Wurzelboden seiner Heimat gerissen; so mußte er vorzeitig die Wärme des Familienlebens entbehren, gewöhnte sich als Stipendiat einer Staatsschule nur immer auf sich selber gestellt zu sein, nur mit sich, aus sich heraus und für sich zu leben. Auf diesem Wege wurde er auch theoretischer Egoist, ein eifriger Zergliederer seines Ich. Da er mit solcher Wollust in die Betrachtung dieses Selbst vertieft war wie eine behaglich eingerollte Katze, ließ ihn das aufgeregte Wesen der anderen ganz kalt. Die drei disputierenden Freunde hatten sich, wie er meinte, gegenseitig nichts vorzuwerfen; alle drei gehörten sie zur großen Herde. Gaben sie nicht ihr bestes Vorrecht auf, indem sie durchaus an Massenbewegungen teilhaben wollten? Freilich hielt es jeder mit einer andern Masse. Aber für Puget war jede Masse im Unrecht. Die Masse war der eigentliche Feind. Der Geist soll abseits bleiben und fern von Pöbel und Staat das kleine, streng abgeschlossene Reich des Gedankens aufrichten.

Peter aber saß beim Fenster, sah zerstreut hinaus, träumte vor sich hin. Sonst hatte er mit leidenschaftlichem Eifer an diesen Wortgefechten teilgenommen. Aber heute war es ihm nur ein leeres Wortgeklingel, das so fern herübertönte; es kam ihm komisch und langweilig vor; er wäre bald eingeschlafen. Die anderen waren so vertieft, daß sie sein Schweigen erst nach geraumer Zeit merkten. Aber endlich rief ihn Saisset doch an, weil er bei ihm gewöhnlich für sein bolschewistisches Gerede Widerhall fand.

Peter fuhr aus seiner Träumerei auf, wurde rot und fragte lächelnd:

„Wovon redet ihr denn?“

Die andern waren empört.

„Aber hast du denn nicht zugehört?“

„Woran dachtest du nur?“ fragte Naudé. Peter war etwas verwirrt, wollte sie aber auch ein bißchen ärgern. So antwortete er:

„An den Frühling hab’ ich gedacht. Ohne euch zu fragen, ist er gekommen, ohne zu fragen, wird er auch wieder gehn.“

Alle zermalmten ihn unter der Wucht ihrer Verachtung. Naudé schimpfte ihn „Dichter“, Jakob See hieß ihn einen Flausenmacher. Aber Pugets Augen kniffen sich noch mehr zusammen und sein kalt er Blick forschte mit spöttischer Neugier in Peters Zügen. Er sagte:

„Du geflügelte Ameise du!“

„Was?“ fragte Peter lachend.

„Vorsicht mit den Flügeln!“ sagte Puget. „Der Hochzeitsflug dauert nur eine Stunde.“

„Das Leben dauert auch nicht länger,“ sagte Peter.

In der Osterwoche waren sie wieder täglich beisammen. Peter besuchte Lutz in ihrem einsamen Häuschen. Das dürftige Gärtlein war im Erwachen. Dort verbrachten sie die Nachmittage. Sie empfanden jetzt einen Widerwillen gegenüber Paris und der Menge, gegenüber dem Leben. Manchmal saßen sie wie in seelischer Lähmung schweigend nebeneinander und mochten sich nicht rühren. Ein absonderliches Gefühl hatte Macht über sie gewonnen. Sie hatten Angst. Diese Angst wuchs, je näher der Tag heranrückte, an dem sie sich einander schenken wollten — dieses Angstgefühl entstammte einer zum höchsten Grad gesteigerten Liebe, einer völlig rein gewordenen Seele, der das Häßliche, Grausame, Schimpfliche des Lebens ein solches Grauen einflößt, daß sie im Rausch ihrer schwermütigen Leidenschaft davon träumt, sich von all diesem Niedrigen freizumachen. Sie sprachen nicht darüber.

Ihre liebste Beschäftigung war, sich in hellen Farben auszumalen, wie ihre Wohnung aussehen sollte, wie sie miteinander arbeiten und ihren kleinen Haushalt führen wollten. Sie einigten sich über die geringsten Einzelheiten ihrer Einrichtung, über die Art der Tapeten, der Möbel, und wie die aufgestellt werden sollten. Als echte Frau bekam Lutz Tränen in die Augen, wenn liebe Kleinigkeiten erwähnt wurden, an die sich Vorstellungen eines innigen, beseelten Zusammenlebens knüpften. Sie kosteten die zarten, kleinen Freuden künftiger Häuslichkeit in der Vorstellung aus. Dabei wußten sie ganz genau, nichts von all dem würde je verwirklicht werden, — Peter ahnte es in angeborenem Pessimismus, — Lutz aber wurde durch ihre Liebe so klarsichtig, daß sie die Unmöglichkeit einer Heirat erkannte . . . Deshalb wollten sie dieses Glück rasch wenigstens im Traume genießen. Die Überzeugung, daß es ein Traum bleiben müsse, verbarg einer vor dem anderen. Jeder meinte da ein tiefes Geheimnis zu bewahren und mühte sich in zärtlicher Sorge, den anderen in der süßen Täuschung zu erhalten.

Wenn sie den schmerzlichen Vorgenuß unmöglicher Zukunft durchgekostet hatten, befiel sie eine Ermattung, wie wenn sie ihr wirkliches Leben schon gelebt hätten. Dann saßen sie still in der Laube mit den dürren Kletterranken, deren erstarrte Säfte die neue Sonne wieder quellen ließ; Peters Kopf ruhte an Lutzens Schulter, und so lauschten sie verträumt dem Gesumm der erwachenden Erde. Hinter den treibenden Wolken spielte die kindliche Märzensonne Verstecken, lachte auf — und war schon wieder weg. Heller Strahl und düstre Schatten glitten über die Fläche, wie durch die Seele Lust und Leid.

„Lutz,“ sagte Peter plötzlich, „weißt du noch? . . . Es ist lange, lange her . . . Aber es war schon einmal so mit uns. . .“

„Ja,“ sagte Lutz, „das ist wahr. Ich erkenne alles wieder, alles . . . Aber wo waren wir damals?“

Es war ihnen eine Freude, darüber nachzudenken, in welcher Gestalt sie einander schon gekannt haben mochten. Schon als Menschen? Vielleicht. Dann war aber bestimmt Peter das Mädchen und Lutz der Bursch . . . Als Vöglein in den Lüften? Als Lutz noch ein Kind war, sagte ihre Mutter immer, sie sei als kleine Wildgans durch den Kamin in’s Haus gefallen: ach! wie hatte sie sich die Flügel geknickt! . . . Mit besonderer Vorliebe aber fanden sie sich in den flüchtigsten Formen der Elemente wieder, wie sie sich durchdringen, sich verschlingen und entrollen, gleich Irrgängen im Traum oder Ringen von Rauch: weißes Gewölk, das im Abgrund des Himmels zergeht, spielende Wellchen, oder Regen, wie er die Erde berührt, Tau im Grase, gefiederte Löwenzahnsamen, die sich von fließenden Lüften tragen lassen . . . Aber der Wind trägt sie fort. Wenn er nur diesmal nicht wieder zu blasen anhebt und sie für alle Ewigkeit auseinandertreibt! . . .

Aber Peter sagte:

„Ich denke, wir haben uns nie verlassen; wir waren immer beisammen, wie wir jetzt aneinander lehnen: nur daß wir geschlafen haben und allerlei Träume hatten. Auf kurze Augenblicke erwacht man . . . aber nur halb . . . Ich fühle deinen Atem, deine Wange an der meinen . . . hie und da raffen wir uns ordentlich auf: dann küssen wir uns . . . und gleich sinken wir wieder in Schlaf . . . Mein lieber Schatz, mein lieber, ich bin da, ich halte deine Hand, verlaß mich nicht! . . . Es ist noch lange nicht an der Zeit, kaum daß der Frühling ein kaltes Nasenspitzchen zeigt . . .“

„Wie deins,“ sagte Lutz.

„Bald erwachen wir inmitten eines schönen Sommertages . . .“

„Wir sind dann der schöne Sommertag“ sagte Lutz . . .

„Wir sind der laue Lindenschatten, die Sonne zwischen den Zweigen, der Singsang der Bienen . . .“

„Der Pfirsich am Spalier und sein duftendes Fleisch . . .“

„Die Rast der Schnitter und ihre goldenen Garben . . .“

„Die trägen Herden, die ihr Stück Wiese wiederkäuen . . .“

„Der Abendhimmel im Westen, der wie ein Teich ist zwischen Blütenbäumen, das flüssige Licht, das über die Felder hin verrinnt . . .“

„. . . Alles das werden wir sein,“ sagte Lutz„, alles was gut und süß tut, ob man es sieht oder erfaßt und faßt, küßt oder ißt oder einsaugt und atmet . . . Was übrig bleibt, können sich die Leute behalten,“ sagte sie und zeigte auf die Stadt und ihre Rauchwolken.

Sie lachte, küßte den Freund und sagte:

„Fein haben wir unser Duettchen gesungen, was, Peterlein?“

„Ja, Jessica,“ sagte er.

„Mein armes Peterlein,“ fuhr sie fort, „wir passen aber schon gar nicht in diese Welt, wo man nur noch die Marseillaise singt! . . .“

„Und dabei wird sie immer so falsch gesungen!“ sagte Peter.

„Wir haben uns in der Station geirrt; wir sind zu bald ausgestiegen.“

„Ich fürchte sehr,“ sagte Peter, „die nächste Station wäre noch schlimmer gewesen. Kannst du dir vorstellen, Schatz, wie wir als Glieder der zukünftigen Gesellschaft leben, im großen Bienenkorb, auf den man uns vertröstet; wo jeder nur für die Bienenkönigin leben darf oder für die Republik?“

„Von früh bis Abend Eier legen wie ein Maschinengewehr oder von früh bis Abend fremde Brut ablecken . . . Schöne Wahl!“ sagte Lutz.

„Aber Lutz, du schlimmes Mädel, was du für häßliche Sachen redest!“ sagte Peter lachend.

„Ja, ich weiß, es ist sehr schlecht von mir. Ich tauge rein gar nichts. Aber du auch nicht, weißt du? Du hast so wenig das Zeug, Menschen tot zu machen oder zu verstümmeln, als ich zum Zusammenflicken von Verwundeten, wie man’s bei Stiergefechten mit den armen Pferden macht, denen der Bauch aufgeschlitzt wurde — damit sie das nächste Mal wieder zu gebrauchen sind. Wir sind nun einmal unnütze, gefährliche Geschöpfe; wir haben einen lächerlichen, sträflichen Vorsatz gefaßt, wir wollen ja nur für alle die leben, die wir lieb haben, und lieb haben wir unseren kleinen Schatz, ein paar Freunde, alle guten Leute, die kleinen Kinder, den schönen lichten Tag, auch gutes weißes Brot, eben alles, was schön ist und dem Gaumen wohltut. Es ist einfach eine Schande, eine Schande, sag’ ich dir! Wirst du gar nicht rot für mich, Peterlein? . . . Aber wir werden unsere Strafe schon kriegen! Wenn die Erde bald nur noch eine große Fabrik mit Staatsbetrieb sein wird, der ohne Rast noch Ruh funktioniert, dann gibt’s für uns keinen Platz da drin . . . Nur ein Glück, daß wir dann nicht mehr da sind!“

„Ja, das ist ein Glück!“ sagte Peter.

„Was gelten mir, die man sehr glücklich preißt,

Darf ich, o Frau, in Deynen Armen sterben;

Nicht Ruhm, nicht Glantz, ich will nur Eins erwerben:

An Deyner Brust verhauchen Seel und Geist . . .“

„Na hör’ mal, mein kleiner Schatz, das ist ein kurioser Einfall!“

„Aber ein echt- und altfranzösischer Einfall,“ sagte Peter, „’s ist vom alten Ronsard:

. . . . . . . . nur dies ist mein Begehren!

Nach hundert Jahren Muße, ohne Ehren,

Ein Tod ganz fern der Welt, in Deynem Schoß . . .“

„Nach hundert Jahren,“ seufzte Lutz. „Der ist aber bescheiden! . . .“

„Denn irr ich nicht, dann ist ein größer Glück

Ein solcher Tod in Dir, als das Geschick

Des Caesar oder Alexanders Los.“

„So ein schlimmer, schlimmer, schlimmer kleiner Nichtsnutz, schämst du dich gar nicht? In dieser Zeit der Helden!“

„Es sind ihrer zu viel,“ sagte Peter. „Ich will lieber ein kleiner Junge sein, der wen lieb hat, einfach ein Menschenjunges, aus Menschenleib.“

„Sag’ lieber aus Frauenleib! Hast ja noch meine Brustmilch am Schnäblein,“ sagte Lutz und drückte ihn an sich. „Mein Menschlein, meins!“

Wer jene Tage mitgemacht, aber dann die überwältigende Wendung des Kriegsglücks erlebt hat, erinnert sich gewiß kaum mehr an das schwere, drohende Brausen der Flügel, die in dieser einen Woche Frankreichs Kernland dem Blick entzogen und sogar Paris mit ihrem Schatten streiften. In der Freude der Erlösung wirft man überstandene Prüfungszeiten weit hinter sich. Der deutsche Ansturm gipfelte in der Karwoche zwischen Montag und Mittwoch. Die Somme überschritten, Bapaume, Nesle, Guiscard, Roye, Noyon, Albert genommen, elfhundert Kanonen erbeutet. Sechzigtausend Gefangene . . . Es war ein Sinnbild für dies Zertreten des begnadeten Landes der Anmut, daß am Kardienstag der Schöpfer zarter Harmonien, Debussy, verstarb. Die Lyra zerbrach . . . „Armes kleines Griechenland, du stirbst!“ . . . Was davon übrigbleibt? Ein paar ziselierte Gefäße, ein paar rein vollendete Stelen, die bald das Gras der Gräberstraße überwuchert. Unsterbliche Überreste des zerstörten Athen . . .

Peter und Lutz sahen wie von eines Hügels Höhe den Schatten, der über die Stadt kam. Sie waren noch ins Strahlenkleid ihrer Liebe gehüllt und so erwarteten sie furchtlos das Ende ihres kurzen Lebenstages. Sie durften ja zu zweit in die Nacht tauchen. Mit süßer Wehmut gedachten sie der schönen Akkorde Debussys, die ihnen so lieb gewesen waren; wie Abendgeläute verhallten die in der Tiefe. Mehr als je befriedigte gerade die Musik den innersten Trieb ihrer Herzen. Nur diese Kunst war Stimme der befreiten Seele; ihr Ton drang zu ihnen durch den Schleier der Dinge und Gestalten. Am Gründonnerstag wandelten sie wieder — Lutz war in Peter eingehängt und hielt seine Hand umfaßt — auf regenweichen Wegen an der Stadtgrenze. Windstöße fuhren über die nasse Fläche. Sie merkten weder Regen noch Wind, noch die öde Häßlichkeit der Felder, noch den Kot auf der Straße. Sie setzten sich in die niedere Bresche einer halb eingestürzten Parkmauer. Peters Regenschirm reichte kaum hin, Lutzens Kopf und Schultern zu schützen; so saß sie mit baumelnden Beinen und nassen Händen auf der Mauer und sah zu, wie es von ihrem Gummimantel nur so troff. Wenn der Wind in die Äste fuhr, gab es ein kleines Gewehrgeknatter von Regentropfen: „pak, pak!“ Lutz bewahrte das lächelnde Schweigen still seliger Entrücktheit. Tiefe Freudenflut umspülte sie.

„Warum haben wir uns nur so lieb?“ sagte Peter.

„Ach Peter, dann hast du mich nicht einmal so lieb, wenn du erst fragst: warum.“

„Ich frag’ ja nur, damit du sagst, was ich gerade so gut weiß wie du.“

„Du angelst Komplimente,“ sagte Lutz. „Aber da kommst du an die Rechte. Vielleicht weißt du, warum ich dich lieb habe. Ich weiß es nicht.“

„Du weißt es nicht?“ fragte Peter ganz bestürzt.

„Freilich nicht!“ (Sie lächelte verstohlen.) „Aber ich brauch es auch gar nicht zu wissen. Wenn man erst nach dem Warum einer Sache fragt, so steht’s schon schwach damit. Ich hab’ dich eben lieb’ und da brauch’ ich kein Warum, kein Wieso, kein Wann und Woher! Meine Liebe, die spür’ ich, die ist da, die ist da! Was sonst noch da sein mag — das ist mir gleich.“

Sie neigten sich im Kusse zueinander. Bei dieser Gelegenheit langte der Regen unter den ungeschickt gehaltenen Schirm und fuhr ihnen mit den Fingern über Haar und Wangen; ihre Lippen sogen ein kaltes Tröpfchen ein.

Peter sagte:

„Aber die andern?“

„Welche andern?“ sagte Lutz.

„Die Armen,“ antwortete Peter, „alle, die nicht sind wie wir.“

„Sie sollen es machen wie wir. Einen anderen lieb haben.“

„Aber werden sie auch Liebe finden? Das gelingt nicht jedem, Lutz.“

„O doch!“

„Aber nein. Du weißt nicht, wie teuer du das Geschenk bezahlt hast, das du mir gibst.“

„So gab ich mein Herz der Liebe, meine Lippen dem Geliebten wie meine Augen dem Sonnenlichte; es ist kein Geben, es ist ein Nehmen.“

„Aber es gibt Blinde.“

„Wir werden sie nicht heilen. Wir müssen sehend sein an ihrer Statt.“

Peter schwieg lange.

„An was denkst du?“ fragte Lutz.

„Ich denke daran, daß an diesem Tage, weit, weit von uns und doch uns ganz nahe, Der am Kreuz gelitten hat, der in die Welt gekommen war, Blinde sehend zu machen.“

Lutz faßte seine Hand:

„Du glaubst an ihn?“

„Nein, Lutz, ich glaube nicht mehr. Doch bleibt er allen ein Freund, die er je an seinem Tische gespeist hat. Wie ist’s mit dir, kennst du ihn?“

„Fast gar nicht,“ sagte Lutz. „Bei uns zu Hause wurde nie von ihm gesprochen. Ich kenne ihn nicht und liebe ihn doch . . . ich weiß, er hat geliebt.“

„Nicht wie wir.“

„Warum nicht? Wir haben da nur ein armes kleines Herz, das kann nur dich lieben, mein Liebes. Er, er hat uns alle geliebt. Aber darum ist’s doch die gleiche Liebe.“

Peter fragte ergriffen:

„Möchtest du morgen, weil doch sein Todestag ist . . . Bei Sankt-Gervas soll so schöne Kirchenmusik sein . . .“

„O ja, an dem Tage möchte ich gern mit dir in die Kirche gehen. Ich weiß bestimmt, er nimmt uns freundlich auf. Wir sind uns näher, wenn wir ihm näher sind.“

Sie schweigen . . . Regen. Regen. Regen. Der Regen sinkt nieder, nieder und der Abend auch.

„Morgen um diese Zeit sind wir da unten,“ sagte sie.

Der scharfe Nebelhauch ließ Lutz ein wenig zusammenschauern.

„Ist dir kalt, Schatz?“ fragte er besorgt. Sie erhob sich von der Mauer.

„Nein, nein. Alles ist mir Liebe. Ich liebe Alles, und Alles liebt mich wieder. Der Regen liebt mich und der Wind, der graue Himmel und die Kälte, — und mein kleines Lieb . . .“

Auch am Karfreitag war der Himmel mit langen grauen Schleiern verhangen; aber die Luft war mild und still. Auf den Straßen wurden schon Blumen verkauft — gelbe Narzissen und Nelken. Peter kaufte ein paar und Lutz behielt die Blüten in der Hand. Sie gingen den stillen Goldschmied-Kai entlang und vorbei an der edelragenden Kirche Notre-Dame. In süß gedämpftem Lichte umfing sie die milde, vornehme Schönheit der Altstadt. Als sie den St. Gervas-Platz betraten, flogen Tauben vor ihnen auf. Ihre Blicke folgten den Tauben auf ihrem Kreisflug um die Fassade; ein Vogel ließ sich auf dem Kopf einer Bildsäule nieder. Schon waren sie die Stufen zum Portal hinangestiegen und wollten eintreten; da sah Lutz sich noch einmal um und bemerkte, ein paar Schritte seitwärts, mitten in der Volksmenge, ein etwa zwölfjähriges Mädchen; das rothaarige Kind lehnte mit statuenhaft über den Scheitel erhobenen Armen im Portale und sah die Eintretende an. Auch ihr feines, etwas archaisches Gesichtchen gemahnte an gotische Kirchenstatuetten; rätselhaft war ihr Lächeln, von überzarter Lieblichkeit, voll Geist und Wärme. Lutz lächelte ihr auch zu und wollte Peter auf sie aufmerksam machen. Aber der Blick des kleinen Mädchens glitt jetzt höher hinauf, haftete über Lutzens Kopf und schrak plötzlich zurück; es barg das Gesicht in die Hände und war nicht mehr zu sehn.

„Was hat sie denn?“ fragte Lutz.

Aber Peter sah nicht hin.

Wie sie eintraten, girrte das Täubchen zu ihren Häupten. Letzter Ton von draußen. Das Pariser Stimmengewirr verstummte. Die freie Luft war weg. Teppiche aus Orgeltönen und hochgespanntes Gewölbe, schwere Gewebe aus Klang und Stein, schieden sie von der Außenwelt.

Sie blieben im Nebenschiff, zwischen der zweiten und dritten Seitenkapelle, links vom Eingange, setzten sich auf eine Stufe und schmiegten sich ganz in die Pfeilernische, so daß sie vor den Blicken der Menge geborgen waren. Sie saßen mit dem Rücken zum Chor; wenn sie aufblickten, sahen sie von einer Kapelle nur die Spitze des Altars, das Kreuz und die farbigen Fenster. Wie eine Träne rann die fromme Wehmut uralter Gesänge. In der schwarz verhangenen Kirche saßen die zwei kleinen Heiden Hand in Hand vor ihrem großen Freunde. Und beide flüsterten gleichzeitig die Worte:

„Du großer Freund, in deinem Angesichte nehme ich ihn, nehme ich sie. Füge uns zusammen! Du siehst in unsere Herzen.“

Und ihre Finger blieben vereint, verschlungen wie die Gerten eines Weidenkorbes. Sie waren nur mehr ein Leib, den die Wogen der Musik in Schauern durchdrangen. Sie gaben sich ganz ihren Träumen hin, als ob sie im gleichen Bette lägen.

Lutz sah im Geiste das rothaarige Mägdlein wieder. Und da war es ihr, als ob sie das Kind heute Nacht im Traume erblickt hätte. Aber sie konnte sich nicht darüber klar werden, ob dem wirklich so gewesen war oder ob sie das Bild, das vor ihrem inneren Auge stand, fälschlich in den heutigen Schlaf zurückversetze. Dann wurde sie von dieser Anspannung müde und ließ ihre Gedanken wahllos schweifen.

Peter träumte den entschwundenen Tagen seines kurzen Lebens nach. Die Lerche steigt von nebliger Ebene empor, um die Sonne zu suchen . . . Wie fern die ist! So hoch! Wird man sie je erreichen? . . . Der Nebel wird noch dichter. Es ist keine Erde, kein Himmel mehr. Und die eigene Kraft erlahmt . . . Gerade rieselte gregorianischer Gesang durch die hohe Wölbung des Chors, da erhebt sich mit einem Male Lerchenjubel, aus dem Nebeldüster taucht das froststarre Körperchen auf und schwingt sich in ein unendliches Meer von Sonne . . .

Der Druck und Gegendruck ihrer Finger erinnerte sie daran, daß sie selbander dahinglitten. Und so fanden sie sich wieder im Dunkel der Kirche, wie sie, eng aneinandergeschmiegt, schönen Gesängen lauschten; ihre Herzen waren eins in Liebe und so standen sie auf der Gipfelhöhe reinster Freude. Und sie begehrten glühend — sie beteten — von dort nicht mehr herab zu müssen. Lutzens leidenschaftlicher Blick umfing gerade wie im Kusse ihren teuren kleinen Gefährten — (fast geschlossenen Auges und mit halb geöffneten Lippen schien er in eine Region überirdischen Glückes entrückt und hob in einem Aufschwung freudigen Dankes das Haupt empor, dem erhabenen Quell der Urkraft zu, den man aus tiefstem Triebe oben suchen muß) — da bemerkte Lutz zu ihrer höchsten Überraschung im goldroten Kapellenfenster das lächelnde Gesichtchen des rothaarigen Kindes. In starrem Erstaunen brachte Lutz kein Wort hervor — da sah sie auch schon, genau wie vordem, daß in das seltsame Antlitz der gleiche Ausdruck von Schreck und Mitleid trat.

Im selben Augenblick bewegte sich der plumpe Pfeiler, an dem sie lehnten; die ganze Kirche zitterte in ihren Grundfesten. Lutzens Herz schlug so laut, daß sie weder den Krach der Explosion, noch das Schreien der Menge hörte; es blieb ihr keine Zeit, Schreck oder Schmerz zu empfinden — so schnell warf sie sich, wie eine Henne vor die Küchlein, schützend über Peter; geschlossenen Auges lächelte der vor Glück. Wie eine Mutter drückte sie mit aller Kraft das teure Haupt an ihren Busen; sie war über ihn gebückt, ihr Mund auf seinem Nacken — so duckten sie sich zusammen.

Mit einem Schlag brach auf die beiden der massige Pfeiler nieder.

August 1918.

Das 19. bis 24. Tausend dieser
neuen, mit Holzschnitten von Frans
Masereel geschmückten Ausgabe
(27. bis 32. Tausend der Gesamtauflage)
wurde im Frühjahr 1927
von E. Haberland in Leipzig
gedruckt






End of the Project Gutenberg EBook of Peter und Lutz, by Romain Rolland

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