Verlag von F. Fontane & Co., Berlin-Grunewald
Es erschien von
Ernst von Wolzogen
Romane
Ecce ego – Erst komme ich
Die Großherzogin a. D. | Die Entgleisten
Der Erzketzer. 2 Bde.
Novellen
Was Onkel Oskar mit seiner Schwiegermutter in Amerika passierte
Die rote Franz | Fahnenflucht | Seltsame Geschichten
Der Topf der Danaiden und andere Geschichten aus der deutschen
Bohême
Da werden Weiber zu Hyänen | Heiteres und Weiteres
Erlebtes Erlauschtes Erlogenes
Das gute Krokodil und andere Geschichten aus Italien
Geschichten von lieben süßen Mädeln
Verse
Verse zu meinem Leben (Selbstbiographie mit einer Heliogravüre
Wolzogens)
Theater
Der unverstandene Mann (Komödie)
Daniela Weert (Schauspiel) | Unjamwewe (Komödie)
Lumpengesindel (Tragikomödie)
Die Maibraut
(Ein Weihespiel in drei Handlungen)
Essays usw.
Des Schlesischen Ritters Hans von Schweinichen eigene Lebensbeschreibung
(Neu herausgegeben von E. von Wolzogen)
Augurenbriefe. Bd. I. | Ansichten und Aussichten (Ein Erntebuch)
Linksum kehrt schwenkt – Trab!
Eheliches Andichtbüchlein
Herausgegeben von Ernst Ludwig und Elsa Laura
von Wolzogen
Buchschmuck von J. Martini
Der
Dichter in Dollarica
Blumen-, Frucht- und Dornenstücke
aus dem Märchenlande der unbedingten Gegenwart
von
Ernst von Wolzogen
Zweite Auflage
Berlin 1912, F. Fontane & Co.
Auf Grund des U.-G. vom 19. Mai 1909
gegen Nachdruck geschützt
Die erste und zweite Auflage dieses Buches
ist in 2220 Exemplaren gedruckt und wurde
im Jahre 1912 herausgegeben.
Altenburg
Pierersche Hofbuchdruckerei
Stephan Geibel & Co.
The Germanistic Society of America
to whom I am deeply indebted for the
opportunity of seeing America, may kindly
accept this document of how I saw America
as a token of my sincere gratitude, and may
humour it as genially as it was conceived.
Zur Verständigung.
Ich gehöre zu den Menschen, denen das vorwitzige Aburteilen
und nichtige Klugschwätzen eilfertiger Reisender
über fremde Länder, Völker, Einrichtungen und Sitten
durchaus zuwider ist. Wenn ich mich nun gleichwohl
verleiten ließ, nach einem Aufenthalt von nur drei
Monaten, dennoch meine Reiseeindrücke aus den Vereinigten
Staaten zu Papier zu bringen und sogar in
Buchform herauszugeben, so muß ich wohl meinem Unterfangen
selber einen Passierschein schreiben, damit ernsthafte
Leute ihm nicht von vornherein den Zutritt in den
Bereich ihrer Aufmerksamkeit verweigern.
Ich wurde als Gast der Germanistic Society of America
zu einer Reihe von Vorlesungen und Vorträgen an neunzehn
Universitäten und Colleges, sowie in zahlreichen
deutschen Vereinen eingeladen und hielt mich von Anfang
November 1910 bis Mitte Februar 1911 in den östlichen,
nördlichen und mittelwestlichen Staaten auf. Die oft
gerühmte großartige und herzliche Gastfreundschaft nicht
nur meiner deutschen Landsleute, sondern auch der für
deutsche Kultur und insonderheit deutsche Dichtung
interessierten akademischen Kreise des Landes, sorgte in
überaus umsichtiger Weise dafür, daß wir – denn meine
reizendere Hälfte begleitete mich samt ihrer tatbereiten
Laute – in all den zahlreichen großen und kleinen
Städten, die wir berührten, möglichst viel und möglichst
Eigenartiges und Bedeutsames von dem wunderreichen
Lande zu sehen bekamen. Nun ist man ja im allgemeinen,
und zwar mit gutem Recht, geneigt, die programmäßigen
Vorführungen, die liebenswürdige Komitees
hastig vorbei sausenden Ehrengästen zuliebe von den
Sitten und Gebräuchen der Einwohner veranstalten,
nicht gerade für die sichersten Quellen ernsthafter Belehrung
zu halten und sich vergnüglich ins Fäustchen zu
lachen, wenn der also Gefeierte hinterher dankbaren und
kindlichen Gemüts all dies freundliche Geflunker für
bare Münze nimmt und daraufhin mit wichtiger Kennermiene
seinen begeisterten Bericht erstattet. Selbstverständlich
wurde ich wie jeder andere prominente Reisende
schon bei der Einfahrt in den Hafen von New York von
den das Schiff enternden Reportern gefragt, wie mir
Amerika gefiele; selbstverständlich begleitete mich diese
unvermeidliche Frage von Station zu Station, und selbstverständlich
machten die Herren Reporter, je nach ihrem
Witz und ihrer stilistischen Begabung, aus meinen verlegenen,
dürftigen Antworten in ihren Interviews, was ihnen
gut dünkte. Ich wurde auch gleich in den ersten Tagen nach
meiner Ankunft gefragt, ob ich gedächte, ein Buch über
Amerika zu schreiben, und habe diese Zumutung damals
mit ehrlichem Erschrecken weit von mir gewiesen. So
lange ich unter dem verwirrenden Eindruck der täglich
und stündlich in buntester Abwechslung am Auge vorüberhastenden,
einander überstürzenden Erlebnisse und Begegnungen
stand, erschien es mir auch wirklich ein unmögliches
Unterfangen, diese Eindrücke auch nur beschreibend
zu einem deutlichen Bilde zu gestalten, viel
weniger darüber ein Urteil von einigem Wert zu formulieren.
Daß ich nicht völlig die Tinte würde halten können,
daß vielmehr unfehlbar aus meinen Betrachtungen durch
das Fenster des Expreßzuges ein paar Feuilletons herausspringen
würden, lag ja freilich bei meiner berufsmäßigen
Zugehörigkeit zur Schreiberzunft nahe; aber den Mut
und die Lust zu einer erschöpfenden Bearbeitung meiner
Reisebeute gewann ich doch erst allmählich in der stillen
Beschaulichkeit meines fruchtbaren Darmstädter Poetenwinkels.
Ich schrieb erst einmal kunterbunt alles zusammen,
was mein Gedächtnis und meine Notizen
mir von Gehörtem und Geschautem bewahrten, und
was mir schon drüben weiteren Nachdenkens wert erschienen
war. Und dann schleppte ich mir einen Stoß
guter Bücher über die Vereinigten Staaten zusammen,
verglich die darin niedergelegten Anschauungen eingeborener
und ausländischer Kenner des Landes und bewährter
Beobachter mit den Eindrücken, die ich selbst
empfangen, und erst nach Beendigung dieser klärenden
Vorarbeit begann ich mich für berechtigt zu halten, dem
großen Publikum, das bei einer gerechten Beurteilung der
neuen Welt interessiert ist, meine Meinung aufzutischen.
Es versteht sich wohl von selbst, daß ich mir trotz
dieser gewissenhaften Vorbereitung durchaus nicht einbilde,
mein Urteil könnte neben dem eingeborener gründlicher
Kenner des Landes oder ernsthafter wissenschaftlicher
Forscher ausschlaggebend in Betracht kommen;
darum habe ich schon im Titel meines Buches den
Nachdruck auf den Dichter gelegt. Ein Dichter ist,
wenn anders er ein wirklich berufener genannt werden
darf, „zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt“. Sein
Schauen ist freilich ein anderes als das des gelehrten
Forschers: während dieser geradlinig rückwärts oder
voraus sieht oder senkrecht in die Tiefe bohrt, schweift
des Dichters Auge über den ganzen Horizont rund um und
erfaßt dennoch im Vorübergleiten eine ganze Menge bedeutsamer
Einzelheiten der nächsten Umgebung. Sein
Geist liebt es, Brücken zu schlagen vom Kleinsten zum
Größten. Mögen diese Brücken oft auch luftig genug,
mehr aus bunten Regenbogenfarben als aus soliden Balken
zusammengezimmert sein, wertlos ist darum die dichterische
Betrachtungsweise gewiß nicht; denn oft ahnt er mit dem
sicheren Instinkt des schöpferischen Geistes große, bedeutsame
Zusammenhänge, die dem scharfen Auge des Forschers
verborgen bleiben, weil dem sein Gewissen nicht erlaubt,
bei seinen Feststellungen unbekannte Größen in Rechnung
zu setzen. Den Vorzug der dichterischen Intuition
und den guten Blick eines geschulten Beobachters nehme
ich für mich in Anspruch, ohne jedoch Straflosigkeit für
dichterische Freiheit zu beanspruchen. Ich gehöre nicht
zu den Leuten, die sich durch glänzende Äußerlichkeiten
leicht blenden lassen, auch nicht zu den mißtrauischen
Duckmäusern und Leisetretern. Ich habe es mir ernstlich
angelegen sein lassen, drüben in dem merkwürdigen
Lande der unbedingten Gegenwart, wo es irgend anging,
die Meinung gescheiter, mir zuverlässig erscheinender
Menschen einzuholen, um meine eignen Beobachtungen
zu vervollständigen, zu klären und zu berichtigen. Dabei
ist es mir nun allerdings überaus häufig begegnet, daß der
Sachverständige B., der, sagen wir 25 Jahre im Lande
war, den Sachverständigen A., der 27 Jahre im Lande war,
für einen ausgemachten Esel erklärte, und daß der Sachverständige
C., der 50 Jahre im Lande war, zur Entscheidung
aufgerufen, beiden als elenden Grünhörnern
jede Berechtigung zum Urteilen absprach. Es ist nun
eine alte Erfahrung, die jeder mit einem klaren Blick
begabte gebildete Reisende schon bestätigt gefunden
haben wird, daß sich der Eingeborene eines Landes oft
gerade der auffallendsten Eigentümlichkeiten desselben
nicht bewußt ist, weil ihm eben der Maßstab zur Vergleichung
fehlt und weil ihm naturgemäß das Gewohnte
als das Selbstverständliche erscheint. Ebenso verliert
auch der Einwanderer, je länger er in dem neuen Lande
weilt, desto mehr den Blick für seine Besonderheit. Ihm
dünkt vieles Neue bedeutsam, weil er es unter seinen
Augen erst entstehen sah und nicht mehr weiß, daß man
drüben in der alten Heimat vielleicht schon längst über
den betreffenden Zustand hinaus gekommen ist, während
ihm Dinge, die dem Fremden als höchst eigenartig auffallen,
nicht mehr der Beobachtung wert erscheinen, weil
sie für ihn Alltäglichkeiten geworden sind. Aus diesem
Grunde können selbst des flüchtigen Besuchers erste
Eindrücke von ganz erheblicher Bedeutung werden. Es
ist auch ganz verkehrt, etwa nur Zahlen oder offizielle
Dokumente als wissenschaftlich beweiskräftig anzunehmen,
denn mit Hilfe der Statistik kann man bekanntlich ebenso
wie mit Hilfe der Etymologie alles Beliebige beweisen,
und daß behördliche Urkunden auch nicht immer direkt
aus göttlicher Inspiration hervorgehen, dürfte wohl zugegeben
werden. Es bleibt also unter allen Umständen für
das dichterische Schauen ein weites Feld ersprießlicher
Tätigkeit übrig. Und der Forscher, der den Seher verachtet,
gleicht dem Querkopf, der bei Mondschein im Kalender
die Laterne zu Hause läßt, auch wenn dicke Wolken das
freundliche Gestirn dauernd verfinstern.
Ein wie schwieriges, unter Umständen sogar lebensgefährliches
Unterfangen es sei, auch mit dem ernstlichsten
Bemühen um Gerechtigkeit über Jung-Amerika
zu schreiben, das sollte ich aber erst aus der Wirkung
erfahren, die meine Zeitungsfeuilletons drüben taten.
Ich habe, was wohl niemand einem Poeten verargen wird,
ernsthafte Dinge ernst und minder bedeutsame Äußerlichkeiten
lustig behandelt und mich auch selbstverständlich
nicht geniert, in der humoristischen Betrachtungsweise
der heiteren Wirkung zuliebe keck zu übertreiben
und nötigenfalls sogar ein Weniges dazu zu lügen, in der
sicheren Erwartung, daß der amerikanische Humor, der
ja bekanntlich in der grotesken Übertreibung sich am
besten gefällt, gerade an diesen heiteren Episoden Gefallen
finden würde. Darin scheine ich mich jedoch gründlich
getäuscht zu haben, und Henry F. Urban, der humoristische
Entdecker Dollaricas und unzweifelhaft genaue Kenner
seiner Bewohner, dürfte doch wohl recht haben mit
seiner Behauptung, daß der richtige Dollaricaner keinen
Sinn für Satire habe, wenigstens nicht sofern sie sich auf
ihn selbst und sein Land bezieht. So erklärt sich auch
die für uns merkwürdige Erscheinung, daß dieses so
humorbegabte und zu derben Späßen aufgelegte Volk
noch keine politischen Witzblätter besitzt. Der Dollaricaner
sieht eben fortwährend vor seinen Augen die Wüstenei
sich in üppiges Fruchtland verwandeln, Riesenstädte
aus elenden Ansiedlungen sich quasi über Nacht entwickeln,
eine luxuriöse Tipptopp-Kultur urplötzlich, wie
den glänzenden Schmetterling aus der unscheinbaren
Puppe, aus dem Chaos herausschlüpfen – da ist es freilich
begreiflich, daß sein Herz von unbändigem Stolze
auf sein Wunderland und auf die Tatkraft seiner Bewohner
geschwellt ist. Dieser schöne Stolz geht nun aber
so weit, daß er jeden für einen verleumderischen Schurken
erklärt, der nicht alles und jedes für vollkommen und
unvergleichlich hält, was die Vereinigten Staaten hervorbringen,
und daß er nicht nur dem ausländischen
Beobachter, sondern auch seinen eignen Landsleuten jede
kritische Anwandlung fürchterlich übel nimmt. Die
englischen Zeitungen haben sich vornehmlich an meine
Späße und Übertreibungen gehalten und mich wie gänzlich
humorblinde Pedanten auf kleine Unrichtigkeiten
festgenagelt und darum ihrem Publikum als unwissenden,
leichtfertigen Verleumder hingestellt; meine ehemaligen
deutschen Landsleute aber haben sogar
Entrüstungsmeetings abgehalten, weil ich mich der Feststellung der
auffallenden Tatsache nicht enthalten konnte, daß sie im
allgemeinen an körperlichen Vorzügen hinter den Yankees
zurückstehen, und daß sie nicht verstanden haben, sich
rechtzeitig den politischen und gesellschaftlichen Einfluß
zu sichern, den sie nicht nur durch ihr zahlenmäßiges
Übergewicht, sondern auch als hervorragendste Kulturträger
rechtens zu beanspruchen gehabt hätten. Für
diese Missetat haben mich zahlreiche deutsch-amerikanische
Blätter, vornehmlich minder beträchtliche Provinzorgane,
mit den liebenswürdigsten Schmeichelnamen
bedacht, unter denen wohl ‚krummer Hund‘ noch der
mildeste war, und zahlreiche Privatpersonen haben mich
brieflich ihrer vorzüglichsten Tiefachtung versichert und
mir sogar mit Mord und Totschlag gedroht, falls ich die
Dreistigkeit haben sollte, abermals in Hoboken zu landen.
Nun, ich darf mir wohl erlauben, diese seltsamen Blüten
patriotischer Entrüstung nicht allzu tragisch zu nehmen,
da außer solchen robusten Kundgebungen mir doch auch
zahlreiche bedingte oder unbedingte Zustimmungen zugingen,
welche im Gegensatz zu jener Knüppelpolemik
durchweg aus den oberen geistigen Regionen herstammten.
Ich habe übrigens die in jenem Aufsatz über die Yankeerasse,
der so viel böses Blut gemacht hat, niedergelegten
Ansichten in verschiedenen anderen Kapiteln dieses Buches
begründet und erweitert. Es versteht sich von selbst, daß
ich jedem dankbar sein werde, der mir beweist, daß ich da
und dort derb daneben gehauen habe, und werde es mir
zur Pflicht machen, Irrtümer zu berichtigen, soweit
etwaige Neuauflagen die Gelegenheit dazu geben sollten.
Zusammenfassend betone ich also noch einmal, daß
dies Buch weder wissenschaftlichen Wert beansprucht,
noch etwa ein Führer für Reisende sein soll, dagegen
auch mehr als nur unterhaltendes Geplauder zu geben
beabsichtigt. Es ist für uns Europäer von größter Wichtigkeit,
uns klare Vorstellungen von diesem Lande ohne
Vergangenheit zu verschaffen, das für uns einen Spiegel
unserer eignen Zukunft darstellt. Nach den Vereinigten
Staaten zu reisen bedeutet für den wißbegierigen Europäer
soviel, wie es für die Unschuld vom Lande bedeutet, zur
Kartenschlägerin zu gehen, nur mit dem Unterschiede,
daß das, was wir drüben über unsere Zukunft erfahren, kein
plumper Schwindel, sondern unentrinnbare Wahrheit ist.
Je mehr wir mit unserer Vergangenheit aufräumen, je rückhaltloser
wir uns von dem reißenden Strome der modernen
Entwicklung mit forttragen lassen, desto sicherer werden
sich unsere Zustände und unser Charakter amerikanisieren;
und darum ist es gut, wenn wir uns das Wunderland der
Gegenwart so genau wie möglich betrachten, und darum hat
jeder, dem eine gute Beobachtung und ein gesundes Urteil
zu Gebote steht, das Recht und sogar die Pflicht, über
Dollarica auszusagen, was irgend er davon zu wissen glaubt.
Ich kann dies Vorwort nicht beschließen, ohne meinen
verehrten Gönnern und neugewonnenen lieben Freunden
da drüben, vornehmlich der Germanistic Society, den
örtlichen Veranstaltern meiner Vorträge, den leitenden
Persönlichkeiten der deutschen Vereine, sowie den beiden
so umsichtigen und eifrigen Managern meiner Rundreise,
den Herren Professor Rudolf Tombo jun. und Paul C. Holter,
meinen aufrichtigsten Dank auszusprechen für die
herzliche Anteilnahme, die sie meiner Person und meinem
Schaffen zuteil werden ließen, wie für die große Mühe,
die sie so erfolgreich aufwendeten, um mir in der kurzen
Zeit diese reiche Fülle von Eindrücken zu verschaffen.
Darmstadt, im Oktober 1911.
Ernst Ludwig Freiherr von Wolzogen.
Inhaltsverzeichnis.
|
[Zur Verständigung](PgVII) |
VII |
1. |
[Als Mauernweiler in Dollarica](Pg001) |
1 |
2. |
[Die Yankeerasse](Pg020) |
20 |
3. |
[Der Yankee als Erzieher](Pg032) |
32 |
4. |
[Das Universitätsleben in der Union](Pg041) |
41 |
5. |
[Öffentliche und private Moral](Pg064) |
64 |
6. |
[Liebe und Ehe](Pg079) |
79 |
7. |
[Die Dienstbotenfrage](Pg094) |
94 |
8. |
[Die Kochkunst der Yankees](Pg110) |
110 |
9. |
[Künstlerische Kultur](Pg122) |
122 |
10. |
[Vom Theater im Yankeelande](Pg135) |
135 |
11. |
[Die amerikanische Presse](Pg149) |
149 |
12. |
[Von der demokratischen Gesellschaft](Pg169) |
169 |
13. |
[Wie der Yankee seine Rechnung mit dem Himmel macht](Pg186) |
186 |
14. |
[Die Landschaft](Pg207) |
207 |
15. |
[Dollaricas infamster Schurke](Pg220) |
220 |
16. |
[Baedekereien für Amerikafahrer](Pg232) |
232 |
17. |
[Was können wir von Amerika lernen?](Pg250) |
250 |
18. |
[Das Hirn Amerikas auf einer goldenen Schüssel](Pg273) |
273 |
|
[Bücherverzeichnis](Pg284) |
284 |
|
[Namen- und Sachregister](Pg285) |
285 |
Als Mauernweiler in Dollarica.
Ein rechtschaffener „teutscher Tichter“ schlägt drei
Kreuze vor dem Gedanken einer Auswanderung nach
den Vereinigten Staaten. Nikolaus Lenau, der seinerzeit
aus Begeisterung für die Freiheit und für die biederen Rothäute
hinübersegelte, hat bekanntlich das nächste Retourschiff
benutzt, und sein Entsetzen hat ihn das Wort prägen
lassen von dem Lande, in welchem die Vögel keine Lieder
und die Blumen keinen Duft hätten. (Eine Behauptung,
die übrigens nicht einmal zutrifft.) Auch Detlev v. Liliencron
mochte kein intimes Verhältnis mit der Dame Dollarica
eingehen, weil sie gar keine Miene machte, ihm von
ihrem Überfluß an Dollars etwas abzugeben. Ich vermute,
daß sie ihn zunächst hat Flaschen spülen lassen, eine
Prüfung auf die männliche Tüchtigkeit, die sie allen gestrandeten
Offizieren und sonstigen mit Bildung oder
hohen Lebensansprüchen beschwerten, zu grober Handarbeit
jedoch untauglichen deutschen Gunstbewerbern
zunächst einmal auferlegt. Wilhelm v. Polenz, der nicht
mit den Hintergedanken eines galanten Räubers, sondern
nur mit einem Scheckbuch bewaffnet einige Monate im
Lande herumreiste, kehrte dagegen zufrieden und bereichert
heim und bescherte uns, als Frucht seines fleißigen
Studiums, sein schönes und gerechtes Buch „Das Land
der Zukunft“. Dafür war aber auch Polenz kein solch
närrischer Lyriker, der in zornige Tränen ausbricht, wenn
ihm ein fremder Weltteil nicht den Gefallen tut, Nachtigallen
in Kaktushainen schlagen und Affen auf Lindenbäumen
herumklettern zu lassen. Paul Lindau, der welt-,
witz- und wortgewandte, ist durch das Land geflitzt und
hat eine Masse von Eindrücken gleich bunten Schmetterlingen
im Vorbeifliegen mit „gewandter Feder“ feuilletonistisch
aufgespießt; gelegentlich der großen Weltmessen
von Chicago und St. Louis ist auch sonst wohl noch der
und jener aus unserem Federvolke mit drüben gewesen,
um mit mehr oder minder leichtsinniger Wichtigkeit den
Maßstab seiner kleinen Person an die Ungeheuerlichkeit
der Verhältnisse da drüben zu legen, und sie sind alle,
durch starke Eindrücke bereichert, heimgekehrt. Erst
seitdem einige hervorragende Deutsch-Amerikaner mit
Hilfe der Professoren der germanistischen Fakultäten und
Unterstützung etlicher für deutsche Kunst und Wissenschaft
eingenommener amerikanischer Mäzene die Germanistic
Society of America gegründet haben, ist es möglich
geworden, richtigen deutschen Dichtern und Gelehrten,
ohne Rücksicht auf Geldverdienst und etwaige
lyrische Sentimentalitäten, die große Kinderstube im
fernen Westen, das Märchenland der absoluten Gegenwärtigkeit,
zu zeigen und andererseits diese seltsamen
Tiere dem amerikanischen Volke lebend vorzuführen.
Auf diese Weise sind Ludwig Fulda, Hermann Anders
Krüger, Karl Hauptmann und zuletzt der Schreiber
dieser Zeilen dazu gelangt, ihren deutschen Landsleuten
drüben, sowie den für deutsche Geistesart interessierten
Amerikanern lebendige Kunde vom deutschen Dichten
der Gegenwart zu bringen.
Psychologie des Publikums.
Ich habe im Laufe von etwa acht Wochen an neunzehn
Universitäten und Colleges, sowie fünfzehnmal in deutschen
Vereinen gesprochen. Ich habe dabei teils aus meinen
Werken rezitiert, teils die letzten dreißig Jahre deutscher
Literaturgeschichte in skizzenhaften Schilderungen persönlicher
Eindrücke und Begegnungen durchgenommen, oder
mich über das Theater der deutschen Gegenwart verbreitet,
oder endlich mit Unterstützung meiner Frau die
Entwicklungsgeschichte des deutschen Volksliedes behandelt.
Und daß ich diese kleine Singefrau mit hatte,
war sehr gut. Denn wo immer sie in die Zupfgeige griff
und ihre Volkslieder aus alten Zeiten erschallen ließ, da
leuchteten die Augen, da war der Jubel groß, und die
gewohnten Redensarten eines höflichen Dankes bekamen
einen echten Herzensklang. Sie haben mir ja auch die
Frau nicht wieder herausgegeben, als ich nach getaner
Arbeit heimwärts strebte; sie haben sie mit sanfter Gewalt
da behalten, weil sie von ihr noch lange nicht genug
hatten. Das soll nun nicht etwa heißen, daß ich mich über
eine laue Aufnahme oder über Unverständnis zu beklagen
gehabt hätte. Ganz im Gegenteil: man muß bei uns schon
bis nach Wien gehen, um eine solche Temperatur der
dankbaren Begeisterung zu finden; aber ich merkte doch
sehr bald, daß ich diesen lebhaften Beifall vornehmlich
meiner rezitatorischen Leistung sowie dem Umstande zu
verdanken hatte, daß ich einen wichtigen Teil meines
Wesens vorsorglich unterschlug. Als praktischer Theatermann
habe ich die Kunst gelernt, unterhaltende Programme
zusammenzustellen, und auf die Psychologie der
Massen verstehe ich mich auch einigermaßen; das ist der
Grund, weshalb mir’s drüben so gut gegangen ist. Ich
wußte schon vorher genug über den Geschmack des
amerikanischen Publikums, um ungefähr beurteilen zu
können, welche meiner Werke und Anschauungen für drüben
möglich wären und welche nicht. Und da mußte von
vornherein vieles von dem als unmöglich ausgeschlossen
werden, womit ich mir hier meine wertvollsten Erfolge
geholt und meiner literarischen Persönlichkeit überhaupt
erst feste Umrisse gegeben habe. Die Natürlichkeiten der
Erotik sind bei den Angloamerikanern ebenso von der
öffentlichen Besprechung und künstlerischen Gestaltung
ausgeschlossen wie die heiligen Stoffe, und die Deutsch-Amerikaner,
die lange genug drüben gelebt haben, sind
immerhin von diesem Puritanertum soweit angesteckt,
daß die Grenzen des künstlerisch Erlaubten bei ihnen
nicht weiter gehen als etwa beim deutschen Familienblatt
älteren Stils. Du lieber Himmel – und ich bin der Verfasser
des „Dritten Geschlechts“, der „Geschichten von
lieben süßen Mädeln“ und gar „des Erzketzers“ und habe
niemals einen Beitrag zur „Gartenlaube“ oder zum „Daheim“
geliefert! Selbstverständlich hatte ich wohl ausnahmslos
an jedem meiner Vortragsabende ein paar
literarisch gebildete, vorurteilslose Leute unter meinem
Publikum, die sich gerne hätten stärker beschwören
lassen; aber ich sollte mich doch der Mehrheit erfreulich
und nützlich machen, den des Deutschen beflissenen
Studenten englischer Zunge und besonders den aus allen
Bildungsschichten zusammengewürfelten Deutsch-Amerikanern.
Humoristische Lichter. Was sie alles komisch finden.
Mit den Versen gab’s wenig Schwierigkeit. Meine
Balladen und Hymnen auf die moderne Technik mußten
ja in dem Lande der technischen Hochkultur zünden, und
auch von den satirischen Scherzgedichten wurde das
meiste verstanden; aber mit der Auswahl von Prosastücken
hatte ich meine liebe Not, und bei meinen Streifzügen
durch die deutsche Literatur der letzten dreißig
Jahre bemerkte ich auch gar bald, wie wenig davon selbst
dem gebildeten Publikum bekannt war. Sobald ich bei
einer meiner Lieblingsfiguren etwas länger verweilte oder
den Versuch machte, ein bißchen in die Tiefe zu bohren,
bemerkte ich, wie sich alsbald ein suggestives Gähnen
durch die Reihen fortpflanzte und die teilnahmsvoll
gespannten Züge zu erschlaffen begannen. Da mußte ich
mich denn beeilen, mit einer scherzhaften Anekdote oder
einer satirisch zugespitzten Bemerkung die entflatternde
Aufmerksamkeit wieder einzufangen. Wie in so vieler
anderer Beziehung, so sind die Amerikaner auch darin
noch auf einem kindlichen Standpunkt, daß sie, und
zwar nicht nur die Jungen, sondern auch die Alten, durchaus
lachen wollen, wenn sie sich zu irgendwelchem Zwecke
in Massen versammeln. Der Politiker muß so gut wie der
Universitätsprofessor und sogar der Kanzelredner Witze
machen, wenn er sein Publikum fesseln will. Kein Redner
wird jemals in diesem Lande Erfolg haben, der nicht
zum mindesten die Kunst versteht, selbst ernstesten
Gegenständen humoristische Lichter aufzusetzen. Ich
habe eine feierliche Universitätssitzung mitgemacht, bei
welcher der Präsident der Universität eine ausgezeichnete
Gedenkrede auf eine verstorbene Leuchte derselben hielt.
Es war ein kalter, nebliger Morgen und man saß in Überziehern
und Galoschen da, aber sobald der Vortragende
eine drollige Wendung gebrauchte, einen freundlich heiteren
Zug aus dem Leben des Gefeierten erzählte, oder gar eine
witzige Nutzanwendung machte, erwärmte sich die frierende
Gesellschaft an lautem Gelächter. In dem amerikanischen
nationalen Drama, der Blood and Thunder-Show,
muß die erbauliche Abwechslung zwischen Leichenaufhäufung
unter Revolvergeknatter und sentimentaler
Rührung über unmenschliche Edelmutsausbrüche (vom
obligaten Tremolo der Geigen begleitet) in regelmäßigen
Abständen von derben Clownspäßen unterbrochen werden,
um dem guten Volke schmackhaft zu bleiben, und der
bekannte kleine polnische Jude, der auf die Frage, wie
ihm der „Tristan“ gefallen habe, achselzuckend erwiderte:
„Nu, mer lacht“, könnte hier leicht manches
Gegenstück finden. Das ist nun etwa nicht als besonderes Schandmal
der amerikanischen Unkultur aufzufassen, denn der
Banause hat in der ganzen Welt der Kunst gegenüber
genau denselben Standpunkt: er schätzt sie bestenfalls
als erheiternden Zeitvertreib. Die geistige Erhebung
durch tragische Erschütterung vermag er ebensowenig
zu genießen, wie die rein ästhetische Freude an der schönen
Form; sein Interesse hängt rein am Stofflichen, am gröblich
Sinnfälligen, an der handgreiflichen Moral oder Tendenz.
Da in Amerika noch nicht viele Leute und auch
diese erst seit kurzem Zeit gefunden haben, ihre etwaigen
ästhetischen Veranlagungen zu pflegen, so ist es selbstverständlich,
daß es dort im Verhältnis zur Einwohnerzahl
sehr viel weniger ästhetisch interessierte Menschen
gibt als bei uns, und unsere guten Landsleute können
von dieser Regel um so weniger eine Ausnahme machen,
als sie ja zum weitaus überwiegenden Teil von gänzlich
amusischer Herkunft sind. Die deutschen Amerikaner,
die heute vornehmlich sich eine Ehrenpflicht daraus
machen, den Zusammenhang mit der deutschen Geisteskultur
aufrecht zu erhalten, setzen sich zusammen aus
den Überresten der achtundvierziger Emigranten und
ihrer Nachkommen, aus den neuerdings Eingewanderten
mit akademischer Bildung, die hier als Lehrer und Lehrerinnen,
als Ärzte, Künstler usw. eine Lebensstellung gefunden
haben, und endlich aus einigen nicht allzu zahlreichen
Nachkommen von Leuten, die in Handel und
Gewerbe hier ihr Glück gemacht haben und daher imstande
waren, ihren Kindern eine höhere Schulbildung
zuteil werden zu lassen. Die vielen deutschen Vereine
sind folglich auch noch nicht imstande, sich rein künstlerischen
und literarischen Bestrebungen zu widmen.
Sie scheiden sich mehr nach Landsmannschaften oder
Gesellschaftsschichten als nach geistigen Ansprüchen.
Man darf also nicht erwarten, für irgend welche wissenschaftlichen
oder künstlerischen Darbietungen in den
Vereinigten Staaten ein so homogenes, wohlgezogenes
und anspruchsvolles Publikum zu finden, wie etwa in
unseren deutschen literarischen Gesellschaften, kaufmännischen
oder auch selbst sozialdemokratischen Bildungsvereinen.
Man kann aber sicher sein, überall unter seinen
Zuhörern eine Anzahl fein gebildeter und verständnisvoller
Menschen zu finden, wenn es auch nur eine kleine
Minderheit sein mag. Für diese Minderheit wird man dann
aber, wenn man seine Mission ernst nimmt, sein Bestes
geben und die Kleinen und Armen im Geiste nach Möglichkeit
durch Konzessionen an ihr Unterhaltungsbedürfnis
mit zu ziehen suchen. Manchmal kann es einen
freilich bei solchen überraschenden Ausbrüchen kindlicher
Heiterkeit kalt überlaufen. Im Hörsaal der Universität
zu Rochester wollten sich Studenten deutscher Abkunft
halb tot lachen über die von mir berichtete traurige Tatsache,
daß Liliencron im Feldzuge von 1870/71 diverse
Kugeln in den Leib bekommen habe, von denen ihm alle
paar Jahre eine im Operationssaal der Universitätsklinik
zu Kiel herausgeholt wurde! Und in der High School von
Youngstown (Ohio) kreischten die Boys und Girls vor
Vergnügen, als ich ihnen die tief ergreifende Ballade von
der Großmutter Schlangenköchin übersetzte. Über die
Fischlein, die die böse Hexe mit einem Stock im Krautgärtlein
fängt, und gar über „The black and tan Doggie,
that burst into a thousand pieces“ (das schwarzbraune
Hündlein, das in tausend Stücke zersprang), bogen sie
sich krumm vor Lachen, und meine Frau, die sie gerade
durch diese Ballade zu Tränen zu rühren gedachte, war
blaß vor Schrecken, – hat sie aber dann doch zu packen
gekriegt, diese robusten Neuweltler, denen die lieb herzige
Einfalt des deutschen Märchenstiles so siebenfach versiegelt
ist.
Sehenswürdigkeiten und Gastfreundschaft. Nervös sind sie nicht.
Wenn man in den Vereinigten Staaten unter den
Auspizien einer hochangesehenen Gesellschaft reist, so
bekommt man eine deutliche Vorstellung davon, wie
angenehm und erhebend es sein muß, als Fürstlichkeit
durchs Dasein zu wallen. Genau so wie bei uns eine die
Provinzen bereisende bessere Fürstlichkeit wird man
nämlich in den Vereinigten Staaten behandelt, sobald
man offiziell als großes Tier, als illustrer Gast gemanagt
wird. Am Bahnhof Empfang durch ein Komitee, das
einen in das erste Hotel der Stadt geleitet, wo man sich
kaum des Reiseschmutzes entledigt hat, als einem auch
schon die Reporter auf den Leib rücken. In der kurzen
Zeit, die einem das Komitee zum Säubern und Ausruhen
gönnt, (meistens ist man ja die Nacht durch gefahren,
denn die einzelnen Vortragsstädte liegen nicht selten so
weit auseinander wie etwa Berlin und Neapel!) muß man
mehrere Interviews über sich ergehen lassen, bei denen
einen der stete Zweifel nervös macht, wer von beiden der
größere Esel sei, der Interviewer oder der Interviewte.
Dann tritt das Komitee wieder an, um einem die Sehenswürdigkeiten
der Stadt zu zeigen, wobei zu bemerken ist,
daß im ganzen Osten bis zum Mittelwesten der Union,
bis hinauf an die kanadische und hinunter an die virginische
Grenze eine Stadt genau so reizlos und uninteressant
ist wie die andere (mit vielleicht einziger Ausnahme
von Boston und Washington), daß die Kriegerdenkmäler
noch erheblich fürchterlicher sind als bei uns, und man
die berühmtesten Bauten meistens schon im Original in
Europa gesehen hat. Erfreulich werden diese Besichtigungsfahrten
nur, wenn sie aus den wüsten Steinhaufen der
Citys hinaus ins Land führen und man einen schönen
Tag erwischt. Architektonisch interessante Villenviertel
mit reizenden Schmuckgärten wie bei uns gibt es freilich
kaum irgendwo. Aber wenn die Sonne lacht, sind selbst
die zum Gähnen einförmigen gemütlichen Holzhäuschen,
mit denen auch sehr wohlhabende Amerikaner glücklich
und zufrieden sind, eine Wohltat zu sehen. Nachdem
der ästhetische Graus der Städte dergestalt überstanden
ist, geht es zum Lunch, und der ist eigentlich immer erfreulich
und gemütlich, gleichviel ob man in eine wildfremde
Familie, in ein feines Restaurant oder in einen
exklusiven Klub geladen ist. Denn die amerikanische
Gastfreundschaft, mag sie von Yankees oder Deutschen
ausgeübt werden, ist über alles Lob erhaben. Und wenn
bei solchen Gelegenheiten das Menü nur nicht zu amerikanisch
und die Gastgeber keine Teatotalers sind, so kann
man sich seines Lebens freuen, ohne durch steife Förmlichkeit
oder durch aufdringliche Protzerei geärgert zu
werden. Nicht selten ist bereits mit dem Lunch eine
kleine reception verbunden, d. h. nach dem Essen
treten mehrere Dutzend Menschen, die ganze Fakultät,
wenn der Gastgeber ein Professor ist, die ganze Freundschaft
und Verwandtschaft, wenn der Empfang inoffiziell
ist, in den zumeist winzig kleinen Stuben an, um Bekanntschaft
zu machen. Das ist die mildeste Form der „reception“.
Man hört alle Namen, schüttelt alle Hände, schwätzt
ein Stündchen herum und hat im Fluge einen oberflächlichen
Eindruck von dem Verkehrskreis des Gastgebers
gewonnen, vielleicht sogar eine wirklich interessante
Persönlichkeit flüchtig angebohrt. Ist man an ein Komitee
geraten, das bereits Erfahrungen mit europäischen Nerven
gemacht hat, so darf man sich zu einem Ruhestündchen
zurückziehen, andernfalls geht es ohne Gnade und
Barmherzigkeit weiter im Programm. Man wird zur Besichtigung
der Universitätsinstitute, der Bibliotheken, der
Laboratorien, Museen, bemerkenswerter Fabrikbetriebe
oder was es auch immer sei, mit Vorliebe auch zu dem
Gouverneur des Staates oder doch mindestens zum Bürgermeister
der Stadt geschleppt. Wenn man bedenkt, daß
so ein Gouverneur der konstitutionelle Regent eines
Landes ist, das in den meisten Fällen größer als das Königreich
Bayern, in einigen Fällen sogar größer als ganz
Deutschland ist, so ist man erstaunt über die leichte Zugänglichkeit
und jeder steifen Förmlichkeit abholde Art
dieser großen Herren. Sie haben natürlich keine Ahnung
davon, wer man ist, aber sie beteuern, über die Bekanntschaft
entzückt zu sein, und stellen sich aufs Liebenswürdigste
unseren Wünschen zur Verfügung. Mittlerweile
wird es dann Zeit, sich zum dinner in full dress zu
werfen. Dabei geht es ohne mehrere Toaste niemals ab,
denn der Amerikaner redet gern und hervorragend gut,
und man muß sein bißchen Witz gehörig zusammennehmen,
um diesem nationalen Talente gegenüber mit
seiner Antwort zu bestehen. Hat man den Abend frei,
so ist solch ein dinner um 7 Uhr eine erquickliche Angelegenheit;
denn nirgends existiert in Amerika die deutsche
Unsitte, stundenlang bei Tische zu sitzen, eine unmögliche
Masse von Speisen und ebenso viel verschiedene, in der
Schwere sich steigernde Weinsorten eingepumpt zu bekommen.
Große offizielle Festessen dehnen sich freilich
auch sehr lang aus, aber nicht wegen der Länge des
Menüs, sondern nur wegen der nationalen Sitte, die
Schleusen der Beredsamkeit erst nach dem Dessert zu
öffnen. Toastmaster und Chairman regulieren den Strom
nach parlamentarischer Sitte, und wenn die Rednerliste
erschöpft ist, beginnt erst der echt amerikanische
Hauptspaß, indem der Toastmaster noch unter den besonders
prominenten, durch ihre Eigenart berühmten
oder berüchtigten Anwesenden eine ganze Anzahl zu
Improvisationen reizt. Selten daß einer auf solche Reizung
nicht reagiert. Natürlich reitet bei dieser Gelegenheit
jeder sein Steckenpferd, wobei aber erst recht viel witziges
oder gedankenreiches Eigengut zutage gefördert wird.
Schlimm ist es, wenn man unmittelbar nach dem Essen
seinen Vortrag halten muß, wie das gar nicht selten vorkommt.
Und noch schlimmer, wenn einem, wie mir das
auch passiert ist, erst beim Besteigen der Rednertribüne
vom Vorsitzenden zugeraunt wird, daß man doch gefälligst
nur eine Stunde lang sprechen möge – über ein
Thema, das in dreien kaum halbwegs gründlich zu erledigen
wäre! Diese beneidenswert robusten Neuweltler
nehmen eben als selbstverständlich an, daß ein Mensch,
der einen Beruf, ein Geschäft daraus macht, öffentliche
Vorträge zu halten, jederzeit und unter allen Umständen
bereit sein müßte, sie aus der Pistole zu schießen. Daß wir
schwächlichen Ostleute zu jeder geistigen Leistung Sammlung
und Stimmung brauchen, das scheinen sie nicht zu
verstehen. Dem nervenlosen Amerikaner ist es auch
ganz gleichgültig, wie das Lokal ausschaut, in dem er
seine Kunst genießt oder seine Bildung bereichert; offene
Türen, hin- und herlaufende Menschen, pfeifende und
klingelnde Lokomotiven vor den Fenstern, polternde
Kegel- unter und probende Gesangvereine über dem Lokal
genieren ihn nicht im mindesten. Ich ging an einem
Universitätshörsaal vorbei, dessen Tür sperrangelweit
offen stand; im Korridor trappten laut schwatzende und
lachende Studenten auf und ab, aber weder der vortragende
Professor noch die eifrig nachschreibenden Hörer ließen
sich dadurch auch nur im geringsten stören. In St. Louis
waren die Leute, die mein Auditorium in Stand setzen
sollten, ausgeblieben. Infolgedessen war das Lokal so
schmutzig von Kohlenruß, daß ich einen weißen Handschuh,
der mir entfiel, schwarz wieder aufhob und das
elektrische Licht versagte; wir saßen also bei einigen Notlampen
im Finstern, und ich trug eine rührende Geschichte
vom bitteren Leiden und Sterben eines schwindsüchtigen
Mädchens unter der rhythmischen Begleitung zweier
melodisch knallender Heizkörper vor. Natürlich war ich
nahe daran, aus der Haut zu fahren; mein Publikum aber
schien durch diese stimmungsmordenden Umstände nicht
im mindesten berührt zu werden. Der Vorsitzende bat für
diese Übelstände um Entschuldigung, und damit war es
gut. Der Amerikaner fügt sich in das Unvermeidliche mit
bewundernswerter Ruhe und Geduld. Wenn er gekommen
ist, um für sein Geld Kunst zu genießen oder Weisheit zu
schlürfen, so führt er diesen Vorsatz auch unter den
widrigsten Verhältnissen aus, denn er will auf seine Kosten
kommen. Und seine Nerven parieren ihm so absolut, daß
er imstande ist, durch einfachen Willensakt während des
zartesten Pianissimos einer Sängerin den knallenden
Heizkörper oder die läutende Lokomotive nicht zu hören.
Nicht vorstellen! Great reception.
Die große reception, dieser Schrecken aller Schrecken
für berühmte Mauernweiler, diese echt amerikanische
„Hetz“, pflegt nach dem Vortrag des zu feiernden Gastes
in einem möglichst großen Saale stattzufinden. Der
Amerikaner stellt sich bekanntlich nie selber vor. Man
kann stundenlang im Eisenbahnwagen miteinander fahren
und sich angeregt unterhalten, man kann sogar wochenlang
auf einem Dampfer Tisch- und Kabinennachbar
eines scharmanten Menschen sein, ohne daß es ihm einfallen
wird, sich selber vorzustellen. Und wenn der wackere
Deutsche in seiner angeborenen Höflichkeit sich bemüßigt
fühlt, einer solch angenehmen Reise- oder Table d’hote-Bekanntschaft
gegenüber die Hacken zusammenzuschlagen
und mit kommentmäßig heruntergeklapptem Haupte zu
schnarren: „Sie gestatten, mein Name ist Müller,“ so
riskiert er, daß der Angeredete, ohne sich von seinem Sitz
zu erheben, ihn von unten herauf gelangweilt anschaut
und mit gequetschtem Nasentone die impertinent zweifelnde
Frage zurückgibt: „Aoh, is that so?“ Der Amerikaner
hat stets den Ehrgeiz, mit prominenten Leuten bekannt
zu werden. Ausländische Berühmtheiten interessieren
ihn brennend, und für Leute mit schönen Titeln und langen
Namen aus Europa hat er eine besondere Schwäche, aber
niemals würde er sich einfallen lassen, eine formlose Vorstellung
zu provozieren. Man kann in der guten Gesellschaft
nur miteinander bekannt werden, indem man von
dem Gastgeber, bei dem man sich trifft, offiziell einander
vorgestellt wird. Diesen Zweck erfüllen unter anderen
Veranstaltungen auch die berüchtigten receptions. Jeder,
der nur irgendwelche Berührungspunkte mit der gesellschaftlichen
Sphäre oder mit dem Beruf des prominenten
Gastes hat, bemüht sich, eine Einladung zu solcher reception
zu bekommen. Der Vorgang bei dieser hochnotpeinlichen
Prozedur, wie ich sie im Staate Wisconsin in
musterhafter Form erlebt habe, ist folgender: Man stellte
mich an eine Säule an der Schmalseite des großen Saales
und meine Frau an eine andere Säule wenige Schritte
davon entfernt. Mir zur Seite trat ein Gentleman-Usher
und an die Seite meiner Frau eine Lady-Usher (Usher
= Einführer). Von diesen wird vorausgesetzt, daß sie
wie ein Hofmarschall alle eingeladenen Herrschaften
nach Namen, Rang und Stand kennen. In langer Reihe,
einzeln oder paarweise hintereinander nahen sich nun die
Scharen derer, die unsere Bekanntschaft zu machen
wünschen, und der Usher waltet seines Amtes. „Erlauben
Sie mir, Ihnen Mister und Missis John Dubbleju Weber
(sprich: Uebbäh) vorzustellen. Einer der prominentesten
Bürger unserer Stadt, man kann sagen einer ihrer Begründer,
denn er hat vor vierzig Jahren hier in dem Indianerdorf,
das damals auf dieser Stelle stand, den ersten
Laden für baumwollene Taschentücher, Whisky, Kautabak
und Schießpulver eröffnet.“
„How do you do, Mister Uolsogen?“ gurgelt Mister
John Dubbleju Uebbäh aus seiner respektablen Speckwampe
heraus und beginnt mit meinem Arme wie mit
einem Pumpenschwengel zu hantieren. „Komme Se mal
zu mir, da wer’ ich Se mal was Scheenes ßeigen; und
bringen Se auch de Frau Uolsogen mit, wenn se Äntiquitis
gleicht.“ (Antiquitäten gern hat).
Und Missis Uebbäh, eine umfangreiche Dame mit
kolossalen Brillantboutons in den Ohrlappen, grinst mich
mütterlich bewegt an und versichert, entzückt zu sein,
mich zu treffen. Der Mann gibt meine Hand an sie weiter,
und sie pumpt die Behauptung aus mir heraus, daß ich
glücklich sei, Persönlichkeiten vor mir zu sehen, welche
die ganze Geschichte dieser berühmten Stadt nicht nur
mit erlebt, sondern sozusagen selber gemacht hätten.
„Move on, please!“ sagt der Usher und schiebt das
imposante Ehepaar sanft weiter, worauf er mich mit
Mister und Missis Isaak O. Waddlepaddledaddle (oder
so was ähnliches) bekannt macht. Mister Waddlepaddledaddle
(oder so was ähnliches) ist mit sieben Cents in der
Tasche vor fünfundzwanzig Jahren hier eingewandert
und hat etwa ein Dutzend Mal seinen Beruf gewechselt,
bis er sich auf Rattengift geworfen hat. Seit einigen
Jahren steht er an der Spitze des Patent-Ungeziefervertilgungsmitteltrusts
und ist elf Millionen Dollar wert.
Seine Frau ist tief ausgeschnitten und bedeckt ihre wogende
Blöße mit Brillanten für etliche Hunderttausende. Sie
ist so schrecklich betrübt (so awfully sorry!), daß ihre
Tochter mich nicht kennen lernen kann, denn die ist vergangenes
Jahr in Deutschland gewesen und so eingenommen
von der deutschen Literatur. Sie habe viele von
meinen Büchern gelesen, darunter natürlich auch meinen
entzückenden „Herrgottsschnitzer von Oberammergau“
und meinen reizenden „Hüttenbesitzer“ und überhaupt
beinahe alles. Leider habe das Mädchen die Mumps.
Beschämt und tief gerührt bekenne ich, daß diese
genaue Kenntnis meines dichterischen Schaffens mich
zum ersten Mal das Hochgefühl einer wahren Popularität
auf zwei Hemisphären voll empfinden lasse.
Mister Waddlepaddledaddle (oder so was ähnliches)
quetscht mir bewegt die Hand, und Missis Waddlepaddledaddle
(oder so was ähnliches) hat noch eine
Frage auf den üppigen Lippen, als mein Usher mir
bereits einen ehrwürdigen Greis in weißem Lockenschmucke,
das glattrasierte Antlitz scharf und geistvoll
geschnitten, als den berühmten Professor der Ethik,
Dr. James Cadwalleder B. Mapletree vorstellt. Der berühmte
Gelehrte ist so steinalt, daß ich ihm aufs Wort
geglaubt hätte, wenn er mir versichert hätte, daß bereits
George Washington, Benjamin Franklin und Henry Clay
(welch letzterer übrigens keineswegs Zigarrenfabrikant in
Havanna, sondern ein 1852 verstorbener bedeutender
Staatsmann ist) bei ihm Colleg gehört hätten. „Froh,
Sie zu treffen, Baron“, beginnt der große Gelehrte, mir
kräftig die Hand drückend, und wissend, daß ihm nicht
viel Zeit gegeben ist, knüpft er gleich eine Frage über den
Stand der Ethik in Deutschland als wissenschaftliche
Disziplin sowie als bewußte Ausdrucksform der
Volksseele an. Ich erinnere mich zum Glück, daß ich jahrelang
eifriges Mitglied des Ethischen Klubs im Kellerlokal des
Hofbräu-Ausschankes in der Französischen Straße in
Berlin gewesen bin und erkläre ihm, daß wir in der Ethik
durchaus obenauf, up to date wären und überhaupt...
„Move on, please!“ ruft der unerbittliche Usher, und
der große Gelehrte bezähmt lächelnd seinen Wissensdurst
und läßt sich ohne Murren weiter schieben.
Es kommen deutsche Mitglieder der Fakultät an die
Reihe, mit denen ich im Fluge gemeinsame Beziehungen
in der Heimat entdecke, es kommen Yankees, die wirklich
im deutschen Geistesleben zu Hause sind und auch tatsächlich
den „Kraft-Mayr“ gelesen haben, es kommt die
Vorsteherin einer Mädchenschule, die just meine „Gloriahose“
in ihrer Klasse übersetzen läßt – lauter Menschen,
mit denen man sich gern zum Warmwerden in ein Eckchen
zurückziehen möchte – es hilft nichts: „Move on, please!“
kommandiert die sanfte Stimme meines Ushers. Folgsam
und wohlanständig schieben sich die Hunderte von Menschen,
alte und junge, Zierden der Alma mater und
feste Säulen der Bürgerschaft, prominente und unerhebliche
Leute, Männlein und Weiblein langsam weiter,
und alle, die mir mit größerer oder geringerer Ausgiebigkeit
die Hand geschüttelt und versichert hatten, daß sie
so glücklich seien, mich zu treffen, fragen zwei Minuten
später an der nächsten Säule meine Frau, wie es ihr gehe,
und sind alle ausnahmslos so glücklich, sie zu treffen.
Zuletzt kommt das junge Volk an die Reihe: lustige
Studentinnen, die mit einem vergnügten Knall in die
Hand einschlagen und die Affäre mit dem stereotypen
„How d’ye do?“ möglichst rasch erledigen, oder aber
kichernd ihre deutschen Brocken anzubringen versuchen.
Unter den letzten ist ein lang aufgeschossener Student
mit sehr großen roten und kalten Händen, der mir sein
deutsches Literaturgeschichtsbuch mit der Bitte überreicht,
ihm da etwas hineinzuschreiben.
„Stehe ich drin in diesem Leitfaden?“ frage ich den
glatten Jüngling.
„Ich bin betrübt, nein zu sagen,“ lächelte er verlegen,
und ich attestiere es ihm schriftlich in sein Buch hinein,
daß das eine ganz miserable Literaturgeschichte sei.
Ausgestanden!
Gott sei Dank, endlich ausgestanden! 170 Menschen
sollen es gewesen sein. Man darf sich endlich setzen und
bekommt ein Sandwich oder so etwas ähnliches und selbstverständlich
das entsetzliche Eiswasser oder den unvermeidlichen
Icecream angeboten. Man nimmt sich einige
der Herrschaften beiseite und fragt sie auf Ehre und
Gewissen, ob sie etwa durch diese „reception“ glücklich
geworden seien. Die sind mit uns völlig einig darüber,
das solche Veranstaltungen der größte Blödsinn von
der Welt seien, so ungeeignet wie möglich, den angeblichen
Zweck des gegenseitigen Kennenlernens zu erfüllen. Aber
trotzdem: wenn das nächste Mal zur Besichtigung eines
importierten Dichters oder eines sonstigen seltenen Tieres
eingeladen wird, so sind sie doch alle wieder da. Missis
Waddlepaddledaddle (oder so was ähnliches) mit ihren
sämtlichen Brillanten und mit der Tochter, die inzwischen
vielleicht die Mumps überstanden haben wird, Mister und
Missis John Dubbleju Uebbäh, der eigentliche Gründer
des jetzt so blühenden Gemeinwesens, und die sämtlichen
anderen Prominenten der Stadt, die Professoren mit ihren
Damen, und auch der achtzigjährige James Cadwalleder
B. Mapletree wird sich wieder geduldig in die Reihe stellen
und wieder seine Frage nach dem Stand der Ethik in
Europa nicht beantwortet kriegen. Es ist nun einmal eine
Genugtuung für den richtigen Amerikaner, sagen zu
dürfen: „Da und da traf ich den berühmten X. und schüttelte
Hände mit ihm.“ Der Präsident der Vereinigten
Staaten hat das Vergnügen, alljährlich bei der großen
Neujahrsreception Tausenden von Menschen die Hände
zu schütteln und jedem einzeln zu versichern, daß er so
froh sei, ihn zu treffen. Unser Prinz Heinrich soll sich
nach Beendigung seiner Amerikatour in seine Kabine
eingeschlossen und 48 Stunden hintereinander geschlafen
haben. Ich glaub’s gerne, daß er das nötig hatte, denn der
mußte täglich Bankette und Receptions mitmachen, bei
denen noch x-mal so viel Hände zu schütteln und Trinksprüche
zu beantworten waren, abgesehen davon, daß er
im Laufe des Tages auch noch sämtliche Kriegerdenkmäler,
Bibliotheken, bedeutende Fabrikbetriebe, Preisbullen
und Deckhengste besichtigen mußte. Auch mir,
dem bescheidenen Dichter, wurde der berühmte arabische
Deckhengst von Columbus mit seinen hochmütig starren
Monokelaugen vorgeführt, auch vor mir tänzelte der
kokette Racker, die x-fach preisgekrönte Jerseykuh,
auch mir zu Ehren wurden Hekatomben von Schweinen
in den Stockyards abgestochen; aber für mich gab es
doch immerhin Ruhepausen, stille Tage in befreundeten
Familien, zeitweises Untertauchen in Hausrock und Pantoffeln.
Für unseren unglücklichen Repräsentationsprinzen
gab es das alles nicht, er war von früh bis in die
späte Nacht tagtäglich im Geschirr. Seine Nervenleistung
war so enorm, daß sie schließlich sogar den Amerikanern
imponiert hat.
Die erste Frage jedes Eingeborenen der Vereinigten
Staaten an den Fremdling, und wäre er auch eben erst in
Hoboken gelandet, ist: „Wie gefällt Ihnen Amerika?“
Sie sollten eigentlich fragen: „Wie halten Sie Amerika
aus?“ Denn das ist, wenigstens für den offiziell
herumgezeigten Mauernweiler, wirklich die Kardinalfrage da
drüben. Mein Gott, es ist eben ein ganz junges Volk, und
sie sind so ungeheuer stolz auf die riesigen Proportionen
ihres Landes, auf die erstaunliche Größe, Neuheit, Kühnheit
aller ihrer Unternehmungen, daß jeder Amerikaner
den Kitzel in sich verspürt, jeden Fremden, der auf der
Straße irgend etwas anstaunt, zu fragen: „Na, was sagen
Sie dazu, elender Europäer, bartbewachsenes Blaßgesicht,
kolossal, was? Habt Ihr drüben nicht!“
Die reizende Reporterin.
In Philadelphia wurde ich von einer reizenden jungen
Reporterin interviewt. Selbstverständlich: „How do
you like America“ usw., und dann kam die verfängliche
Frage: „Und was denken Sie von unserer Kultur?“ Da
kratzte ich mir den Kopf und sagte: „Mein liebes Fräulein,
in diese Mausefalle spaziere ich Ihnen nicht.“ Und
nun schlug das süße Ding seine wunderschönen Augen
mit einem so traurig enttäuschten, kindlich erschrockenen
Blick zu mir empor – ich werde diesen rührenden Blick
nie vergessen! Und um Ihrer schönen traurigen Augen
willen, reizendes Fräulein von Philadelphia, gedenke ich
nunmehr alle meine Eindrücke von meiner Amerikafahrt
unter dem Gesichtspunkt zu revidieren, daß bei diesem
großen Volke eben alles noch Jugend, holde, wilde, ungezogene,
starke, unanständig gesunde Jugend ist.
Die Yankeerasse.
Angelsachsen und Kelten.
Rassestolz. Töchter im Tauschhandel.
Es ist ein weitverbreiteter europäischer Irrtum, daß
sich in den Vereinigten Staaten Nordamerikas allmählich
durch energisches Umrühren eines überaus buntscheckigen
Völkergemisches die Bildung einer neuen Rasse
vollziehe. Ich gestehe, daß ich mich, bevor ich selber
drüben war, gleichfalls in diesem Irrtum befunden habe
und mir von jenem zukünftigen form- und farblosen
Völkerbrei nichts Gutes versprach. Wer aber mit offenen
Augen und ohne vorgefaßte Meinung sich die Menschen
in den Vereinigten Staaten anschaut und von verkeilten
Theoretikern sich nichts weis machen läßt, der muß zu
der Erkenntnis kommen, daß es drüben (mit Ausnahme
der südlichsten Staaten) nur YankeesDas Wort Yankee kommt von einer mißhörten indianischen
Aussprache des Wortes „english“ her und wurde in den Befreiungskriegen
den Amerikanern von den Engländern als Spottname angehängt. und Fremdvölker
gibt. Der Yankee aber ist ein reiner
Großbritannier oder, wenn man will, eine
Mischrasse aus Angelsachsen und Kelten,
in welcher das keltische Blut stärker vertreten
ist als im alten England. Durch die neuen,
eigenartigen Lebensbedingungen, vor die seit drei Jahrhunderten
die Auswanderer aus den britischen Inseln in dem
neuen Weltteil gestellt wurden – drei Jahrhunderte voll
harter Kämpfe, wilder Arbeit und glänzender Erfolge –
haben sich die guten wie die schlechten Eigenschaften des
angelsächsischen und des keltischen Blutes aufs heftigste
herauskristallisieren und der neuen, gut durchgemischten
Rasse dadurch auch einen neu erscheinenden Charakter
aufzwingen müssen. Angelsächsisch im Wesen des Yankees
ist sein Kolonisationstalent, seine Zähigkeit im Verfolgen
des Zwecks, seine nüchterne Beschränkung auf das Nächstliegende,
Nützliche, Erfolgversprechende; dagegen ist
auf den keltischen Einschlag zurückzuführen sein leichtherziger
Optimismus, sein wagemutiges Spielertemperament,
seine Begeisterungsfähigkeit und seine leichte
Zugänglichkeit für alle Arten von Korruption. Der als
Spieler, Säufer und Raufbold einigermaßen berüchtigte
Irländer spielt in der Weltgeschichte gewiß keine besonders
sympathische Rolle, aber der englische Puritaner
aus Cromwells Zeiten war denn doch noch ein weit
üblerer Geselle. Mit den argen Schwächen des Iren konnte
seine katholisch gefärbte Phantastik, sein kindlich liebenswürdiger
Frohsinn immerhin versöhnen, während die
sittenstrenge Lebensführung und die ehrenhafte Geschäftstüchtigkeit
des Puritaners doch noch lange nicht
hinreichen, um uns mit seiner niedrigen, boshaften Feindschaft
gegen die Natur, gegen alles Freie, Frohe, Schöne
und mit seinem muffigen Tugendhochmut auszusöhnen.
„Der Herr ist mit uns“, war das Feldgeschrei der Pilgerväter
– aber dieser Herr war eben ein grimmiger Spezialgott
für die Rechtgläubigen, d. h. also für die blinden
Anbeter des Bibelbuchstabens. Und dieser grimmige
Spezialgott begeisterte sein auserwähltes Volk dazu, die
Rothäute mit Feuerwasser und Feuerwaffen auszurotten
und die Ketzer mit Skorpionen zu züchtigen. Wenn
drüben nicht anfangs die Menschen so rar und die Hände
so notwendig gewesen wären, hätten diese europäischen
Berserker gerade so eifervoll wie die Dominikaner der
Inquisition mit Folter und Scheiterhaufen gegen Papisten
und protestantische Sektierer gewütet, so aber begnügten
sie sich damit, alle denkenden Köpfe, alle freien Geister,
alle vornehmen Menschen geschäftlich lahm zu legen und
aus ihren Wohnorten hinauszuekeln. Ein amerikanischer
Geschichtsschreiber sagt, daß bei den Puritanern außer
Heiraten und Geldverdienen eigentlich alles verboten
war. Bei schwerer Strafe im Nichtbeachtungsfalle war
jedem Bürger vorgeschrieben, wie er sich zu kleiden und
zu benehmen, was er zu essen und zu trinken, was er zu
denken und wie er zu fühlen habe. Selbstverständlich
wären diese Menschen niemals die Begründer des größten
demokratischen Freistaates der Welt geworden, wenn
nicht ihre geschäftlichen Interessen sie gezwungen hätten,
allmählich einen nach dem anderen von ihren starren
Grundsätzen fallen zu lassen. Die Kolonie Rhode-Island,
von einem abtrünnigen, grimmig verfolgten Prediger,
dem edlen Roger Williams, gegründet, war die erste,
welche religiöse Toleranz und wahrhaft freiheitliche
Grundsätze einführte, und gerade sie gedieh so sichtbarlich
besser als die Puritanerkolonien, daß die frommen
Väter am geschäftlichen Vorteil ihrer Strenge zu zweifeln
begannen. Das war das Ausschlaggebende. Von jeher
hat der angelsächsischen Rasse der praktische Nutzen
über allen Idealen gestanden, und ihr klarer, nüchterner
Wirklichkeitssinn hat sie noch immer davor bewahrt,
sich trotz ihres Hanges zum Spleen in unfruchtbare
Träumereien und eigensinnige Prinzipienreiterei zu verlieren.
Das englische Denken ist durchaus matter of
fact, und diese Eigenschaft hat die Engländer befähigt,
die mustergültigsten Kolonisatoren der Neuzeit, Handelsherren
großen Stiles und kaltblütige Geschäfts-Politiker
zu werden. Für das Klima des nördlichen amerikanischen
Kontinents waren darum auch die Angelsachsen
die denkbar geeignetsten Besiedler. Die rote
Urbevölkerung war trotz ihrer Kriegstüchtigkeit, trotz
ihrer Klugheit und Noblesse ihnen gegenüber verloren,
denn die Indianer waren fromm naturgläubig und
darum hilflos abhängig von der Natur, die für die naturfeindlichen
Puritaner nur ein Objekt zur Ausbeutung
durch den Menschen bedeutete. Die starke Beimischung
keltischen Blutes hat nun, wie gesagt, viel dazu beigetragen,
die unsympathischen Charaktereigenschaften
der angelsächsischen Rasse zu verwischen. Das feurige
Temperament der Kelten besiegte die englische Steifheit
und langweilige Ehrpußlichkeit und erzeugte in der
Vereinigung jenes Geschlecht von waghalsigen Draufgängern,
von willensstarken Optimisten, dem allein das
große Werk gelingen konnte, durch die Steppe, durch die
Wüste und über das wilde Hochgebirge hinweg bis zu den
üppigen Gestaden des Stillen Ozeans vorzudringen und
sich selbst zu einer Herrenrasse aufzuschwingen, der alle
übrigen von Europa nachdringenden Völker sich ebenso
bedingungslos unterwerfen mußten, wie die unglücklichen
Eingeborenen. Die unwiderstehliche Kraft des Yankeetums
liegt ohne Zweifel in seinem unbeugsamen Rassestolz.
Dem Yankee ist es so heilig ernst damit, daß er
sich nicht einmal im Spaß, d. h. im freien Verhältnis, viel
weniger in der Ehe, mit den Angehörigen der zahlreichen
anderen Rassen, die seinen riesigen Kontinent bevölkern,
vermischt. Für die lateinischen Eroberer Südamerikas
und auch der südlichen Länder des nördlichen Kontinents
hat es immer einen, wie es scheint, besonderen Reiz gehabt,
sich liebespielerisch mit Frauen anderer Hautfarbe abzugeben.
Und was ist dabei herausgekommen? Kreolen,
Mestizen, Quatronen usw. usw., ein schauderhaftes
Gesindel, das für jede höhere Gesittung verloren ist,
zuchtlos, widerstandsunfähig, in Leidenschaften verlottert
oder in Trägheit versumpft. Solches Menschenmaterial
ist kaum durch Schrecken zu regieren, viel weniger durch
friedliche Mittel zu einer höheren Kultur emporzuführen,
denn Mischmasch-Menschen nehmen eben
keine Vernunft an; das Beispiel so mancher südamerikanischen
Republik beweist es. Der Yankee-Mann
dagegen hat sich selbst in den Zeiten, als die Frauen
der größte Luxusartikel im Lande waren, niemals mit
Indianermädchen beholfen; seine Vernunft begeisterte
ihn zu der Großtat edelster Gerechtigkeit, die Sklaverei
aufzuheben in einer Zeit, als diese Sklaverei im Grunde
doch noch die einzige Möglichkeit gewährte, die Plantagenwirtschaft
der üppig fruchtbaren Länder des
heißen Südens durchzuführen. Dennoch hält er es bis
auf den heutigen Tag für die größte Schande, die ein
Weißer auf sich laden kann, sich geschlechtlich mit
den von ihm zu Menschen gemachten Schwarzen zu
vermischen. Aber er geht noch viel weiter, indem
er auch die aus Europa herübergekommenen anderen
weißen Rassen, die Romanen, die Slawen, die Juden,
ja selbst die ihm nächst verwandten Deutschen und
Franzosen als Menschen zweiter Klasse ansieht! Gewiß
heißt er alle Völker der Erde vorläufig noch gastlich
willkommen, weil eben noch recht viel Platz in seinem
riesigen Lande ist und weil er die Arbeitskraft der Fremden,
so lange sie sich bescheiden gebärden und mit Eifer nützlich
machen, gut gebrauchen kann. Er gewährt diesen
Fremden das Bürgerrecht, er läßt sie an allen Vorteilen
seiner freien Einrichtungen teilnehmen, er hat nichts
dawider, wenn sie sich von dem Reichtum seines
Landes so viel aneignen, als ihnen irgend möglich ist,
aber er weiß sie überaus geschickt von den einflußreichen
Staatsämtern fernzuhalten und zeigt sich
durchaus nicht übermäßig beflissen, um ihre schönen Töchter
zu freien oder seine schönen Töchter ihnen ins Haus
zu führen. Als im Februar dieses Jahres die Tochter
des Milliardärs Jay Gould – nicht etwa einen herunter
gekommenen deutschen oder polnischen Adeligen, sondern
einen reichen und kerngesunden jungen englischen Lord
heiraten wollte, empfingen sowohl die Braut wie deren
Eltern aus allen Ländern der Union entrüstete Protestkundgebungen,
ja sogar offene Drohungen, daß das
Volk die Hochzeit durch Gewalt verhindern werde.
Denn, wie es in einem solchen, in allen Zeitungen veröffentlichten
Drohbriefe hieß: das gesunde Blut, der
reine Leib und die starke Seele der freien Tochter Amerikas
sei viel zu schade, um an die Sprößlinge entarteter Herrengeschlechter
Europas verhandelt zu werden. Man sieht
aus diesem Beispiel, daß der Hochmut der neuen Rasse
sich bereits gegen das eigne Stammvolk zu kehren beginnt.
Wie erbärmlich leicht werden bei uns in Deutschland
Rassen- und Standesvorurteile vergessen, wenn sich eine
Gelegenheit findet, den verblaßten Glanz eines alten
Wappens durch die Mitgift einer jüdischen Braut aufzufrischen!
Wenn ein Yankee eine Jüdin heiratet – der
Fall dürfte übrigens selten genug vorkommen – so
tut er es sicher aus Liebe, wie denn überhaupt die Geldheiraten
in unserem Sinne unter den Yankees äußerst
selten sind, weil es durchaus nicht Sitte ist, den Töchtern
bei Lebzeiten der Eltern einen Teil des Vermögens in
Gestalt einer Mitgift auszuliefern. Die Leichtigkeit des
Verdienens und das Zutrauen, das jeder junge Amerikaner
zu seinen Fähigkeiten und zu seinem Glück hat, macht
tatsächlich die Liebesheirat zu dem normalen Verfahren,
und damit ist auch schon eine starke Gewähr für die
Aufrechterhaltung einer kräftigen Rasse durch natürliche
Zuchtwahl geboten. Die bevorzugte Stellung der Frau spielt
selbstverständlich unter den günstigen Bedingungen für die
Verbesserung der Rasse auch eine wichtige Rolle. Die
Frau ist in dem neuen Weltteil Jahrhunderte hindurch
von den rauhen Pionieren wie eine Halbgöttin verehrt,
wie ein Kätzchen verhätschelt worden. Niemals wurde
ihr harte körperliche Arbeit zugemutet, niemals wurde
ihren Schwächen, Launen und Eitelkeiten mit Grobheit
begegnet, immer sah es der Mann als eine gern geübte
Pflicht an, seine Kräfte bis aufs äußerste anzustrengen,
um es der Frau zu ermöglichen, sich gut zu nähren, schön
zu kleiden und in Muße ihre geistigen Anlagen zu pflegen.
Die Folge dieser Behandlung war die, daß sich die Yankee-Frau,
wenigstens körperlich, zur schönsten der Welt entwickelte.
Allerdings wird diese Schönheit, vornehmlich
was die Gesichtsbildung betrifft, von den meisten Europäern
als kalt empfunden, auch fehlt ihr die weiche, schmiegsame
Üppigkeit z. B. der Wienerinnen zumeist; aber
unbestreitbar verdient sie den Preis von allen Frauen der
Welt in bezug auf die Schmalheit des Fußes und die edle,
schlanke Form des Beins. In ihrem Sinn für Eleganz, in
ihrem aparten Geschmack für Kleidung kommt sie sogar
der Pariserin mindestens sehr nahe. Da sich diese schöne
und verwöhnte Frau nur äußerst selten zu mehr als zwei
Kindern bequemt, erhält sie sich lange jung und frisch,
und man sieht daher in den Vereinigten Staaten mehr
schlanke, bewegliche, muntere und hübsch angezogene
alte Damen, wie sonst irgendwo in der Welt. Übrigens
hat die Rasse von England den Sinn für vernünftige
Körperkultur, besonders für peinlichste Reinlichkeit mitgebracht,
und diese Erbschaft ist auch den Männern zugute
gekommen. Die Arbeit, die die ersten Kolonisten
zu leisten hatten, und in den neuen Staaten heute noch
leisten müssen, vollzog sich ja zumeist im Freien, und der
stete Kampf mit Hitze und Kälte, mit wilden Tieren und
Menschen, mit den bösen Fiebern der Sumpfgegenden,
mit Hunger und Durst in den Wüsteneien raffte das
widerstandsunfähige Menschenmaterial hinweg und ließ
nur die Stärksten mit dem Leben davon kommen. Diese
unerbittliche Auslese schuf ein Kapital von Muskel- und
Nervenkraft, wovon die Männlichkeit der Nation noch
auf eine gute Weile zu zehren haben wird. Außerdem ist
es durch Gesetz streng verboten, Kranke oder gar Krüppel
aus der alten Welt an den Gestaden der neuen landen
zu lassen.
Kongreß deutscher Mißgeburten.
Unmittelbar nach meiner Rückkehr aus Amerika besuchte
ich ein beliebtes Kaffeehaus in Berlin. Es war die
erste größere Versammlung deutscher Menschen, die mir
nach einer Abwesenheit von ungefähr vier Monaten wieder
vor Augen kam. Und ich muß gestehen, ich war entsetzt,
nein, geradezu erschüttert über den Anblick von so viel
Garstigkeit. Diese Speckwampen, diese Bierbäuche, Kahlköpfe,
X- und Säbelbeine, diese verpustelten und verpickelten,
grämlich grauen, brutalen oder schwächlichen,
gierigen oder ärgerlich verknitterten Gesichter gehörten
also meinen lieben Landsleuten! Und mit diesen in ihrem
schwappenden Fett schwankend daher watschelnden,
geschmacklos aufgedonnerten Madams, mit diesen käsbleichen,
blaßäugig blöden, stumpfnasigen, schiefzähnigen,
feuchthändigen und dickbeinigen Jungfrauen hatten sie
bereits oder gedachten sie fürderhin ihren Nachwuchs zu
erzeugen! Herzzerkrampfend schauderhaft! Gewiß war
es ein tückischer Zufall, der mich gerade bei meinem
ersten Ausgang auf diesen Kongreß von Mißgeburten
stoßen ließ, aber daß unsere arg vermanschte Rasse immer
noch von dem ganzen Jammer der deutschen Geschichte
in ihrer körperlichen Erscheinung Zeugnis ablegt, und
erst neuerdings in der kultiviertesten Oberschicht und in
der Generation, die bereits die Segnungen einer nach
englischem Muster betätigten Säuglingspflege und einer
vernunft- und naturgemäßen Lebensweise genossen hat,
sich deutlich zu verschönern beginnt, das scheint mir
leider unbestreitbar. Drüben in den Vereinigten Staaten
ist der Deutsche und besonders die Deutsche der ersten
Generation meist auf den ersten Blick vom Yankee zu
unterscheiden. Dem deutschen Einwanderer wird es,
auch wenn er zu Wohlhabenheit und angesehener gesellschaftlicher
Stellung gelangt, im allgemeinen doch recht
schwer, sich die freie, selbstsichere Nonchalance der
Haltung und die guten Manieren des gebildeten Yankees
anzueignen. Und die deutsche Auswanderin lernt nur in
sehr seltenen Fällen Toilette machen und scheint im
höheren Lebensalter unrettbar zu verfetten. Die Kinder
dieser Einwanderer sitzen aber in der Schule neben sehnig
schlanken, körperlich glänzend gepflegten Yankeekindern.
Der vornehmste Zweck dieser Schule ist, den Kindern
die Überzeugung beizubringen, daß es ein unüberschätzbarer
Vorzug sei, als amerikanischer Mensch auf die Welt
zu kommen, daß sich alle übrigen Weltteile, alle übrigen
Völker nicht im entferntesten mit der unerhörten Vorzüglichkeit
der Vereinigten Staaten und der stolzen Yankeerasse
messen könnten. Selbstverständlich lernt das Kind
die englische Sprache sehr bald viel besser beherrschen,
als es seinen Eltern jemals möglich wird. Es kommt dazu,
daß das amerikanische Leben, die ganze Art der Erziehung
die Beobachtungsgabe der Kinder außerordentlich
schärft. Da können nun die deutschen Kinder nicht
umhin, Vergleiche anzustellen und sich darüber ihre Gedanken
zu machen; zudem lassen es die Yankeekinder an
boshaften Sticheleien nicht fehlen. Ich habe selber gehört,
wie ein Yankeebübchen einem deutschen Knaben, der
bei irgendeinem Unternehmen mitzutun zauderte, weil
sein Vater es ihm verboten hätte, verächtlich die Achsel
zuckend entgegnete: „Ich würde mich doch nicht darum
kümmern, was der olle Dutchman sagt.“ („I would’nt
care, what that old Dutchman says.“) So wird es selbstverständlich
der Kinder größter Ehrgeiz, in ihrem Äußeren
zunächst ihre Abstammung zu verleugnen und sich dem
Wirtsvolk anzuähneln. Und dieser Ehrgeiz entwickelt
sich naturgemäß bei den geistig beweglichsten Kindern
am stärksten. Es ist erstaunlich, wie rasch durch solche
Selbstzucht oft die deutschen Kinder ihren Eltern unähnlich
werden. Die Söhne schießen um Kopfeslänge über
ihren Vater hinaus, und wenn sie zum ersten Mal dem
amerikanischen Barbier unter die Finger geraten sind, so
ist der smarte Yankeejüngling mit der aristokratischen
Sicherheit seines schlottrig flegelhaften Auftretens bald
fertig. Zu Hause liegen seine langen Beine auf allen
Möbeln herum, und er trifft mit tödlicher Sicherheit die
messingene Spuckvase in der entferntesten Ecke des
Zimmers. Das sechzehnjährige Töchterchen aber kann
seiner Mutter aus dem Gesicht geschnitten sein und wird
ihr doch so unähnlich wie ein geraubtes Grafenkind seiner
zigeunerischen Ziehmutter. Die Yankee-Miß führt in
ihrer kecken Selbständigkeit ein so beneidenswertes
Dasein, daß jedes deutsche Mädchen, wenn anders es
nicht völlig auf den Kopf gefallen ist, sich mit Händen
und Füßen dagegen sträuben müßte, sich von einer törichten
Mutter gewaltsam zu einem ängstlich daher stolpernden,
unmotiviert kichernden und errötenden, Sittigkeit und
Bescheidenheit markierenden Backfisch dressieren zu
lassen.
Die Kinder der Einwanderer. Antisemitismus?
So spornt das Beispiel der stärkeren und gesunderen
Rasse die körperlich und geistig bevorzugtesten unter
den Kindern der fremden Einwanderer mächtig zur Anpassung
an. Die zweite Generation, vornehmlich der
deutschen Einwanderer, weist schon recht zahlreiche
Exemplare auf, die von echten Yankees kaum oder gar
nicht zu unterscheiden sind – und dennoch verhält sich
der Yankee selbst diesen seinen talentvollsten Nachahmern
gegenüber in bezug auf die Ehe immer noch ziemlich spröde.
Er sieht die Deutschen sehr gern in seinem Lande, er
schätzt sie hoch als ehrliche, anständige Menschen, die
der politischen Korruption einen zähen Widerstand entgegensetzen,
die mit ihren geschickten Händen, ihrem
Fleiß, ihrer Geduld zu allen feineren Handwerken vorzüglich
geeignet und mit ihrer Klugheit und Gewissenhaftigkeit
für allerlei ruhige Ämter, die dem Yankee zu
langweilig sind, und schließlich auch in der Kunst und
Wissenschaft ganz hervorragend brauchbar sind – und
dennoch gibt er ihnen seine Töchter nicht gern zur Ehe!
Nicht anders ist es mit den Angehörigen der romanischen,
slawischen, mongolischen und semitischen Völker. Sie
hocken alle in gewissen Stadtvierteln oder Straßenzügen
der Großstädte, oder in kleineren Ansiedlungen auf dem
Lande dicht beieinander und bleiben, obwohl mit allen
Rechten des freien Bürgers der Vereinigten Staaten ausgestattet,
fremde Einsprengsel in dem gastlichen Lande.
Die Juden z. B. haben es ebenso wie in Europa zum großen
Teil zu bedeutendem Wohlstand gebracht. Sie entwickeln
unter den freiheitlichen Grundsätzen der Gesetze und
Anschauungen einen ungeheuren Ehrgeiz und Lerneifer.
In der Presse, in der Literatur, im Theater, in der Rechtsanwaltschaft
und im ärztlichen Beruf haben sie, geradeso
wie in Europa, die Oberherrschaft erlangt. Einzelne
ihrer Mitglieder sind als Inhaber großer Bankhäuser zu
einem weltumspannenden Einfluß gelangt, und dennoch
haust die große Masse derselben noch immer im Ghetto
beisammen. Die meisten Yankees würden, wenn man
ihnen den Vorwurf des Antisemitismus machen wollte,
erstaunt die Brauen hochziehen und gar nicht wissen,
was das sei; nichtsdestoweniger findet man auf den gesellschaftlichen
Veranstaltungen auch schwer reicher Juden
kaum irgend welche Yankees von Belang, und in den
vornehmsten Badeorten und vielen Hotels ersten Ranges
werden Juden überhaupt nicht zugelassen!
Wenn die Deutschen in der Zeit der großen Massenauswanderung,
als auf dem nordamerikanischen Kontinent
noch weite Gebiete herrenlos und unkultiviert waren,
für sich ein solches Neuland erobert, zäh festgehalten,
und alle neu zuströmenden Landsleute hätten zwingen
können, sich dort gleichfalls anzusiedeln, dann hätten die
Deutschen einen starken Staat im Staate bilden können
und ihre Selbständigkeit zu wahren vermocht, auch wenn
sie sich dem Staatenbund angeschlossen hätten. Diese
Gelegenheit ist endgültig verpaßt. Aber damit sie in
den anderen jungfräulichen Weltgegenden nicht abermals
verpaßt werde, gehet hin, ihr lieben Landsleute,
und lernt von den Yankees, was das unerschütterliche
Kraftbewußtsein einer starken, gesunden Rasse vermag
und wie man seine Rasse rein erhält!
Der Yankee als Erzieher.
Junge Völker und Kinder.
Die alte Erfahrung, daß junge Eltern sehr häufig bessere
Erzieher ihrer Kinder sind als ältere und reifere,
findet im Yankeelande eine auffallende Bestätigung.
Die Yankees sind eben als Rasse und die übrigen Bürger
der Vereinigten Staaten als Nation noch so kindhaft jung,
noch so tief befangen in dem glückseligen Taumel des
Kraftüberschusses, daß sie ihre klügsten wie ihre dümmsten
Streiche mit der gleichen schönen Begeisterung verüben
und mit reizender Naivität dem eigenen Verdienst gutschreiben,
was sie oft doch nur glücklichen Umständen
zu verdanken haben. Der leichte Erfolg, der den kraftvollen
und rücksichtslosen Ausbeutern jenes jungfräulichen
Kontinents voll ungehobener Naturschätze zu teil
wurde, hat die ganze Rasse eitel, prahlerisch und sorglos
wie Kinder gemacht, und diese Kindlichkeit ist bis auf
den heutigen Tag die liebenswürdigste Eigenschaft des
neuen Volkes. Es lebt in den Tag hinein, denkt kaum an
morgen, grundsätzlich nicht an übermorgen, kennt keine
Gefahr, erschrickt vor keinem Hindernis und tröstet sich
über alle Schwierigkeiten hinweg mit dem Gedanken:
Es ist noch immer gegangen und wird auch diesmal gehen!
Weist ein Außenstehender auf offenbare Schwächen hin,
so erwidert der Yankee gut gelaunt: „Nun ja, Sie mögen
recht haben; aber Sie sehen ja, wir leben auch so, und
wir leben recht gut!“ Man läßt sich alle Unbequemlichkeiten
lachend gefallen und schickt sich in alles, da man
an ein jähes Auf und Nieder von Überfluß und Mangel,
von absoluter geistiger Öde und raffinierter Luxuskultur
wie an die schroffen Übergänge von eisiger Kälte zu
glühender Hitze gewöhnt ist. Aus dieser Quelle entspringt
der siegessichere Optimismus und die heiße Vaterlandsliebe
des amerikanischen Volkes. Dem Yankee gilt ganz
selbstverständlich alles Amerikanische als das Beste, das
Größte, das Schönste in der Welt, und das jünglinghafte
Renommieren mit all diesen Superlativen ist ebenso
charakteristisch für die Nation, wie ihre Vorliebe für
unsinnige Kraftproben, närrische Wetten, sensationelle
Schaustellungen und lärmende Vergnügungen. Der Yankee
bewahrt sich diese jugendlichen Eigenschaften bis in sein
hohes Alter. Greise, die sich necken, puffen und balgen
wie Buben, alte Damen, die sich wie Backfische anziehen,
sind alltägliche Erscheinungen.
Kinderzucht.
Es versteht sich von selbst, daß so geartete erwachsene
Menschen für das Denken und Empfinden der Kindesseele
weit mehr Verständnis haben müssen, als das gesetzte,
bequemlich würdevolle Alter der Kulturvölker unserer
alten Welt, welches aus der Erfahrung von Jahrtausenden
die vorsichtige Kritik und damit sehr häufig auch den
steten mißmutigen Zweifel gelernt hat. Die geistige Überlegenheit
hört auf, ein glücklicher Erziehungsfaktor zu
sein, sobald sie zum geistigen Hochmut ausartet, und
in diese Gefahr gerät sie ja in unserer alten Welt
leider nur zu leicht. Wenn es andererseits richtig ist,
daß der Einfluß der Kameradschaft die Jugend besser
zu erziehen vermöge, als das Beispiel des Alters, so
sind zweifellos junge Völker uns als Erzieher überlegen.
Der Yankee vergöttert sein Kind. Erstens einmal,
weil es überhaupt ein rarer Artikel ist, und zweitens,
weil es den ungeheuren Vorzug hat, als Amerikaner
auf die Welt gekommen zu sein. Man sollte eigentlich
meinen, daß eine so stolze, exklusive Rasse wie
die der Yankees darauf aus sein müßte, die
Reichtümer ihres Landes und die vielen glänzenden Lebensaussichten
lieber ihrer eigenen zahlreichen Nachkommenschaft
zuzuführen, als sie den einwandernden, ihrer
Meinung nach doch unendlich minderwertigen Fremdlingen
aus aller Welt zuteil werden zu lassen. Wenn der
Yankee dieser nahe liegenden Erwägung zum Trotz
Neumalthusianer ist und folglich selten mehr als zwei
Kinder hat, so erklärt sich das aus der eigenartigen Stellung,
die die Frau im nördlichen Amerika einnimmt. Sie war
in den ersten Jahrhunderten der britischen Kolonisationsarbeit
infolge ihrer Seltenheit ein Gegenstand des beneideten
Luxus und der unterwürfigen Verehrung. Der
glückliche Besitzer einer jungen Frau nahm freudig alle
Last der Arbeit auf sich, um seiner Gefährtin die Möglichkeit
zu gewähren, ihre Schönheit, ihre geistige und körperliche
Beweglichkeit bis ins Alter zu pflegen. Die Ansicht,
daß es für den Mann die denkbar größte Schande sei, der
schwachen Frau harte Arbeit zuzumuten, brachten die
Kolonisten ja schon aus der britischen Heimat mit, und es
ist begreiflich, daß sie unter den besonderen Verhältnissen
des abenteuerlichen Lebens im neuen Lande noch
verstärkt und sogar unvernünftig übertrieben werden
mußte. So wurde also auch das Wochenbett unter die
schweren körperlichen Leistungen gerechnet, die ein
Mann seiner Frau nicht öfters zumuten dürfe, als der
Bestand und die Interessenpolitik der Familie es unbedingt
erforderten. So ist es erklärlich, daß bis auf den heutigen
Tag Anglo-Amerikanerinnen, die ihren Stolz darin suchten,
viele Kinder zu haben, äußerst selten sind. Die wenigen
vorhandenen Kinder profitieren natürlich am meisten
bei diesem Zustand. Bei der ungemein bevorzugten
Stellung der Frau und bei den günstigen Lebensaussichten,
welche nicht nur das begüterte, sondern auch das auf
seine Arbeit angewiesene Mädchen in den Vereinigten
Staaten hat, erklärt es sich, daß die Geburt eines Knaben
durchaus nicht höher eingeschätzt wird, als die eines
Mädchens. Eine vernünftige Säuglingskultur herrscht
als gute englische Erbschaft über den ganzen Kontinent.
Die Eltern sind von einer rührenden Geduld und Nachsicht
den Kleinen gegenüber. Ein Kind zu schlagen gilt
als unerhörte Roheit. Kinderzucht in unserem Sinne
wird drüben wohl nur noch von manchen der eingewanderten
Fremdvölker, vornehmlich in deutschen Familien versucht,
aber meist vergeblich, denn schon die Kleinsten
werden sehr bald durch den Vergleich belehrt, daß sie es
nicht nötig haben, sich in dem freien Lande eine unwürdige
Behandlung gefallen zu lassen. Deutschen Beobachtern
erscheint das Yankeekind sehr oft als vorlaut, unziemlich
respektlos und unerträglich ungezogen, wogegen die
Yankee-Eltern das starke Hervorkehren des Eigenwillens
in ihren Kindern als einen Vorzug ansehen und sich hüten,
deren Selbständigkeit zu unterdrücken. Sie geben sich
die erdenklichste Mühe, ihren Verkehr mit den Kindern
auf den Ton der Kameradschaft zu stimmen und behandeln
die unverschämten Gernegroße, sobald sie aus dem Alter
der süßen Kindlichkeit heraus sind, in dem man mit
ihnen wie mit Puppen spielen kann, wie Erwachsene.
Infolgedessen emanzipieren sich die Kinder auch sehr
frühe vom Elternhause, und zwar nicht nur in den untersten
Ständen, wo die Notwendigkeit mit zu verdienen die
lächerlichsten Knirpse oft schon zu selbständigen Unternehmern,
zu fixen kleinen Handelsleuten macht.
Lügner und Duckmäuser.
Die öffentliche Schule gliedert sich in Kindergarten
(diese deutsche Bezeichnung hat man allgemein übernommen),
sowie Volksschule (Popular-School), Grammar-School,
High-School und Colleges oder Universitäten.
Das Hauptziel, namentlich der niederen Schulen, ist Erziehung
zum Patriotismus. Da auch die Kinder sämtlicher
eingewanderter Fremdvölker sofort für die Schule
eingefangen werden, so bekommen auch die jungen, frisch
importierten Deutschen, Slowaken, Griechen, russischen
Juden, Syrer und Chinesen zunächst einmal den Grundsatz
eingetrichtert, daß alles Amerikanische von unzweifelhafter
Vortrefflichkeit sei. Die Verfassung der Vereinigten
Staaten wird als höchste Leistung idealen demokratischen
Bürgersinnes auswendig gelernt. (Sie ist übrigens
tatsächlich nach Form und Inhalt ein Muster von Klarheit,
Sachlichkeit und edler, vernünftiger Menschlichkeit.)
Die kurze, krause und an erziehlichen Heldenbeispielen
nicht eben überreiche Geschichte des Staatenbundes
gilt als wichtigster Gegenstand des Studiums, die Geschichte
der übrigen Welt dagegen als unbeträchtlich.
So vernünftig und so schön nun auch dieser heiße Eifer
in der Förderung der Vaterlandsliebe ist, so verführt er
doch naturgemäß leicht zu ebenso gröblichen Fälschungen
und Unterschlagungen von Tatsachen, wie bei uns etwa die
konfessionell gefärbten Darstellungen der Kulturgeschichte.
In einem sehr verbreiteten und hochgeschätzten Schulbuch,
„History of the American Nation“ von Andrew C. Mc
Laughlin, Geschichtsprofessor an der Universität von
Michigan, das ich mir zu meiner eigenen Belehrung anschaffte,
kommt zum Beispiel in dem 28 eng gedruckte
Spalten umfassenden Index das Stichwort „German“
gar nicht vor! Der große und rühmliche Anteil, den die
eingewanderten Deutschen sowohl als Kämpfer in den
nationalen Kriegen wie auch als Kulturpioniere auf den
verschiedensten Gebieten geleistet haben, wird völlig mit
Stillschweigen übergangen und nur der Baron Steuben
flüchtig als nützlicher militärischer Drillmeister erwähnt!
Das ist ein etwas starkes Stück und will gar nicht dazu
stimmen, daß die Pflege der Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit
von dem Yankeevolke als vornehmster Grundsatz
der häuslichen wie der öffentlichen Erziehungskunst
laut verkündet wird. Man darf es wohl den Amerikanern
glauben, auch wenn man nicht lange genug im Lande
gewesen ist, um es durch die eigene Beobachtung genügend
bestätigt gefunden zu haben, daß es ihrer Erziehung
gelinge, feige Lüge und Heuchelei den Kindern schimpflicher
erscheinen zu lassen, als selbst gefährliche Streiche
des Übermuts und sogar Ausbrüche der Roheit. Der
erwachsene Amerikaner lügt zwar, wenn es sein Vorteil
erheischt, ärger als ein Gascogner und nimmt es, namentlich
dem Staate gegenüber, auch mit seinem Eide durchaus
nicht genau – seine Lügenkünste werden sogar, wenn er
Geschäftsmann und Politiker ist, als smartness bewundert
– aber das amerikanische Kind fühlt sich nicht so leicht
zur Lüge veranlaßt, weil es nicht in steter Furcht vor
Prügeln und sauertöpfischen Mienen aufwächst. Auch
die Schule läßt keinerlei Duckmäuserei aufkommen und
straft z. B. den Angeber mit Verachtung, anstatt ihn
aufzumuntern. Die ganze Pädagogik geht darauf aus,
das Ehrgefühl zu verfeinern und den Ehrgeiz anzureizen.
Sie ist außerordentlich verschwenderisch mit Preisen
und schmeichelhaften Belobigungen und sie straft vornehmlich
durch Beschämung. Dadurch, daß sie die
Leistungen körperlicher Tüchtigkeit kaum minder hoch
einschätzt als die geistige Befähigung, schafft sie auch
für die minder Begabten, aber wenigstens körperlich
gewandten und mutigen Schüler eine Möglichkeit, ehrenvolle
Auszeichnungen davonzutragen. Gute Schüler, die
sowohl in den Athletiks wie in den Wissenschaften Hervorragendes
leisten, kommen im Laufe der Schuljahre in
den Besitz eines kleinen Museums von Ehrenflaggen und
Wimpeln, silbernen Bechern, Medaillen, Diplomen, Bücherpreisen
und dergl., und diese Trophäen aus der Schulzeit
machen noch in höherem Alter den größten Stolz
der Inhaber aus.
Schülerverbindungen.
Sehr schwer ist es begreiflicherweise, den jungen Republikanern
Disziplin beizubringen, denn die Abneigung gegen
jeden Zwang liegt ihnen im Blute. Dazu pflegen sie im
Durchschnitt auch noch erheblich temperamentvoller
und lebhafter, ungebärdiger und eigenwilliger zu sein,
als die Kinder der meisten anderen Völker. Man stelle
sich eine junge Lehrerin (die Lehrkräfte sind zum überwiegenden
Teil weibliche) einer großen Klasse von tobsüchtigen
Buben und ausgelassenen Mädels gegenüber
vor. Schlagen darf sie nicht, auch wenn sie körperlich
imstande wäre, diese wilden Rangen zu bewältigen.
Wüstes Anschreien ist auch verpönt; wie soll sie also mit
einer solchen Gesellschaft fertig werden? Georg v. Skal
erzählt in seinem Buche „Das amerikanische Volk“ ein
hübsches Beispiel, wie solch eine schon fast verzweifelte
junge Lehrerin ihrer besonders wilden Klasse Herr wurde.
Sie erklärte nämlich der radaulustigen Gesellschaft, sie
habe es satt, sich die Schwindsucht an den Hals zu ärgern,
sie möchten sich gefälligst allein regieren; sie gebe ihnen
anheim, sich einen Präsidenten, einen Vizepräsidenten
und was sonst für Beamte notwendig seien, aus ihrer
Mitte zu wählen und mache dann diese selbstgewählte
Regierung für Aufrechterhaltung der Ordnung verantwortlich.
Und siehe da, der angeborene common sense,
d. h. der Instinkt für das Vernünftige, brachte diese
schwierige Gesellschaft ohne irgend welche Beeinflussung
von oben dazu, den besten und gesittetsten Schüler der
Klasse zum Präsidenten und den stärksten und
gewalttätigsten zum Vizepräsidenten zu erwählen. Der erstere
suchte durch vernünftige Überredung einzuwirken, und
der Vizepräsident, als Haupt der Exekutive, verprügelte
eigenhändig die unbotmäßigen Elemente dergestalt, daß
sie es bald vorzogen, sich widerspruchslos zu fügen. Die
junge Lehrerin durfte sich bald einer Musterklasse rühmen.
Die Selbstverwaltung spielt überhaupt eine große Rolle
im amerikanischen Schulwesen. Schülerverbindungen aller
Art werden nicht wie bei uns unterdrückt, sondern im
Gegenteil begünstigt. Die Lehrer unterweisen diese
Verbindungen in der Handhabung der parlamentarischen
Formen und wachen nur darüber, daß keine unziemlichen
oder unsinnigen Ausschreitungen stattfinden. Der schlimme
Anreiz zur frühzeitigen Nachahmung eines studentischen
Saufkomments fehlt den Schülern der amerikanischen
Mittelschulen vollständig, da ein solcher auf den Universitäten
nicht existiert. Und so läuft die Haupttätigkeit
aller Schülerverbindungen auf Sport und Spiel, vornehmlich
auf die Nachäffung des politischen Lebens im kleinen,
auf Übung im Redenhalten und Debattieren hinaus.
Der Erfolg ist denn auch der, daß der junge Amerikaner
des Durchschnitts zum mindesten die rhetorische Phrase
außerordentlich geläufig beherrschen lernt und daß die
hervorragenden Intelligenzen sich spielenderweise zu vorzüglichen
Rednern und schlagfertigen Debattern heranbilden.
Der Lehrplan ist in den Elementarschulen durchaus
auf das Praktische gestellt; es wird scharf gedrillt,
viel auswendig gelernt und viel examiniert. Was jeder
Mensch an Elementarwissen zum Leben unbedingt notwendig
braucht, wird zuverlässig den im allgemeinen
äußerst hellen und lernbegierigen Köpfen eingetrichtert.
Nebenbei verrichtet aber die Volksschule noch eine höchst
wichtige Kulturarbeit, indem sie auch die erwachsenen
Einwanderer durch deren Kinder erziehen läßt. Selbstverständlich
erlernen diese die englische Sprache sehr
viel rascher und gründlicher als die Eltern und werden
dadurch zu deren Lehrern. Aber sie werden auch zu
Lehrmeistern ihrer Eltern in bezug auf Körperkultur,
Hygiene und Manieren. Jedes Kind, das nicht sauber
gewaschen und in properem Anzug zur Schule kommt,
wird seinen Eltern heimgeschickt mit dem Auftrag, das
Nötige zur Behebung solcher Mängel sofort vorzunehmen.
Die heimgeschickten Kinder fühlen sich so beschämt
durch diese Maßnahme, daß sie es in den meisten Fällen
auch bei Eltern, die einem Volke angehören, dem die
Pflege des Drecks ein Gegenstand religiöser Überzeugung
ist, durchsetzen werden, daß um der Schule willen Seife,
Zahnbürste, Kamm usw. mit der der angelsächsischen
Rasse angeborenen Energie angewendet werden. In besonders
schwierigen Fällen begleiten wohl die Lehrerinnen
die armen Kinder solcher Schmutzfanatiker heim und
reinigen und beflicken sie selbst vor den Augen der Eltern;
oder die Angehörigen besonderer sozialer Hilfsvereine
unterziehen sich dieser menschenfreundlichen Aufgabe.
So lernen sich unzivilisierte Eltern vor ihren Kindern
schämen und bringen es noch auf ihre alten Tage über
sich, dem Weidwerk auf den eigenen Köpfen nachzugehen
und die ehrwürdige Patina des wärmenden Drecks, den
sie aus Europa oder Asien über das Weltmeer mit hinüber
gebracht haben, den ungemütlichen Idealen moderner
Hygiene zu opfern.
Das Universitätsleben in der Union.
Studentenverbindungen.
Wer sich über die tiefsten Wesensunterschiede der amerikanischen
und der europäischen Kultur klar werden
will, der möge sich nur ordentlich umsehen auf den Stätten,
wo die geistigen Werte in gangbare Münze umgesetzt und
die großen Wechsel auf die kulturelle Zukunft ausgestellt
werden, nämlich – auf den Hochschulen. Wer in Deutschland
akademischer Bürger gewesen ist, dem muß zunächst
unfehlbar der große Unterschied zwischen hüben und
drüben in der äußeren Erscheinung der Studenten und
Studentinnen auffallen. Abgesehen davon, daß selbstverständlich
der groteske Typus des Studiosus Süffel, des
bemoosten Hauptes mit dem Bierbauch und den aufgeschwemmten,
kreuz und quer zerhackten Backen, sowie
auch die des hochmütig blasierten ultrapatenten Korpsstudenten
fehlt, sieht man sich auch vergeblich nach dem
Typus unseres heißbeflissenen Jüngers der Wissenschaft
um, nach den stubenbleichen Brillenträgern, den verträumten
oder frühzeitig zergrübelten Denkerköpfen,
deren Alter schwer bestimmbar und deren ungeschicktes,
weltfremdes Gebaren mit der Reife und dem Ernst ihres
Denkens und Redens oft in so drolligem Widerspruch
steht. Drüben sieht man nur frische, derbe Jungens und
Mädels; die ersteren häufig noch bärenhaft tolpatschig,
die letzteren mit der ruhigen Sicherheit der früheren Reife
ihres Geschlechts auftretend. Die sozialen Unterschiede
der Herkunft machen sich nur in der Kleidung bemerkbar
und in der größeren oder geringeren Zierlichkeit der Gliedmaßen
und Verfeinerung der Manieren. Im Ausdruck
der Gesichter herrscht aber eine erstaunliche
Gleichartigkeit. Die Studierenden der beiden ersten Semester
werden Freshmen genannt, der zweite Jahrgang Sophomors,
der dritte Jahrgang Juniors, der vierte Jahrgang
Seniors. Alle zusammen sind die Undergraduates,
und was nach dem Graduieren, d. h. also nach
dem Baccalaureats oder sonstigem Staatsexamen, noch
weiter studiert, Postgraduates; als äußerliches Kennzeichen
führen sie verschieden gefärbte Knöpfe auf ihren Oxfordbaretts
oder gestrickten Wollkappen. Von der High-School
kommen sie zwischen 17 und 19 Jahren zur Universität
oder in die Colleges; aber nicht, wie bei uns, tut
nun der junge Mensch einen gewaltigen Sprung aus der
strengen Disziplin in die schrankenlose Freiheit, sondern
nur einen bedächtigen Schritt vorwärts von einer strengeren
zu einer freieren Schulgattung, denn auch auf der Universität
und im College sind die jungen Leute einer Disziplin
unterworfen, die ihre persönliche Freiheit immerhin
beschränkt. Sie wohnen in sogenannten Dormitories
(Schlafhäusern), wo sie, je nach ihren Mitteln, einzeln
oder mit Kameraden zusammen hausen. Die Mahlzeiten
nehmen sie gemeinsam in einer großen Halle ein, wo sie
für billiges Geld eine einfache, nahrhafte Kost, aber nur
Wasser zu trinken bekommen. An denjenigen Hochschulen,
die beiden Geschlechtern gemeinsam dienen, sind
für die Mädchen besondere Schlafhäuser und meist auch
Speisesäle vorhanden. Ebenso auch besondere Gymnasien,
d. h. Sporthallen, und besondere Spielplätze; dagegen
häufig gemeinsame Klublokale, wo sie Tanzvergnügungen
abhalten, Liebhabertheater spielen, Nachmittagstees oder
Abendreceptions geben. Von jeder Aufsicht frei sind sie
nur in ihren Vereinen und in ihren Bruder- oder Schwesterschaften
(Fraternities und Sororities). Diese letzteren
nehmen die Stelle unserer Verbindungen ein. Sie
bezeichnen sich aber nicht nach Landsmannschaften, sondern
mit Buchstaben des griechischen Alphabets, welche die
Anfangsbuchstaben eines Wahlspruchs sind, den sie meist
mit drolligem Ernst als ein großes Geheimnis bewahren.
Nur die wohlhabenden Studenten und Studentinnen
können sich die Mitgliedschaft in einer solchen Bruder-
oder Schwesternschaft leisten, denn diese Vereinigungen
besitzen eigne Häuser, in denen sie, zum Teil sogar recht
luxuriös, wie Gentlemen und Ladies der besten Gesellschaft
zusammen leben, essen und arbeiten. Selbst die
bescheidensten dieser Verbindungshäuser sind mit allen
modernen Bequemlichkeiten behaglich und gediegen ausgestattet.
Man sieht also auch aus dieser Erscheinung
wieder, wie das demokratische Prinzip der Gleichmacherei
immer wieder von dem natürlichen Drange des Menschen
nach aristokratischer Absonderung durchbrochen wird;
nur, daß es in der großen Republik ein selbstverständliches
Gebot anständiger Gesinnung ist, Vorzüge der Geburt
und des Besitzes nicht durch anmaßendes Wesen
gegenüber den vom Glück weniger Begünstigten zum
Ausdruck kommen zu lassen. Man wird schwerlich jemals
beobachten können, daß arme Studenten und Studentinnen,
die sich durch Stundengeben, Schreiber- oder gar Handlangerdienste
mühsam durchschlagen müssen, vor den
Mitgliedern der reichen Verbindungen unterwürfig kriechen,
oder daß jene sich diesen gegenüber einen überheblichen,
unkameradschaftlichen Ton herausnähmen. In allen gemeinsamen
Angelegenheiten halten die Studenten fest
zusammen, und der Stolz auf ihre Alma mater äußert sich
bei allen festlichen Gelegenheiten, namentlich bei den
sportlichen Wettkämpfen mit anderen Hochschulen, in
einem erfrischend jugendlichen Enthusiasmus. Jede Hochschule
hat einen besonderen Cheer, d. h. Hochruf, nach
Rhythmus und Melodie verschieden. Und mit diesem
Cheer werden die beliebten Professoren und die sportlichen
Siege gefeiert, bei den großen Wettkämpfen muß
er gleich dem Kriegsruf wilder Völkerschaften zur Anspornung
des Kampfeifers dienen. Wer einmal – etwa gar
in dem berühmten Stadion der zwanzigtausend Menschen
fassenden Arena von Cambridge bei Boston, einem
Fußballmatch zwischen Harward und Yale beigewohnt hat,
wird zeitlebens den Eindruck nicht vergessen. Jede der
beiden Parteien hat ihr eignes Musikkorps, welches in den
Spielpausen Studentenlieder und schmetternde Märsche
zum besten gibt und während des Spiels jede bedeutsame
Wendung, jede gute Augenblicksleistung des Einzelnen
mit einem Tusch quittiert. Vor jedem der beiden Musikkorps
sind Angehörige der betreffenden Parteien aufgestellt,
welche, mit riesigen Sprachrohren bewaffnet, den
College-Cheer intonieren und, wild mit den Armen fuchtelnd,
meistens gänzlich unrhythmisch und unmusikalisch, den
Tusch der Bläser dirigieren. Und dann fallen in diesen
Heilruf nicht nur die Kommilitonen, sondern auch die
anwesenden früheren Studierenden der betreffenden Universität
und deren ganzer Anhang von Freunden und
Verwandten im Publikum ein, und das mit einer Begeisterung
und einem Kraftaufwand, daß dem unbeteiligten
Fremdling darüber Hören und Sehen vergeht.
Man springt auf die Bänke, man schwenkt Taschentücher
und Kopfbedeckungen, wildfremde Menschen packen
sich bei den Schultern und schütteln und stoßen sich, um
einander aufmerksam zu machen auf spannende Momente
oder sich zu größerer Begeisterung für die Sieger aufzurütteln.
Und dabei sieht der Fremdling, der von dem
Spiel nichts versteht, eigentlich nur einen in eine Staubwolke
eingehüllten Knäuel grotesk bekleideter Jünglinge,
der sich balgend auf dem Boden wälzt, wobei ein Individuum
dem andern die Rippen eintritt, mit den Fäusten
den Wind ausbläst (to blow the wind out) oder die schweren
Sportstiefel unter die Nase feuert, bis sich einer mit dem
eroberten Ball unterm Arm aus dem wüsten Menschensalat
herausarbeitet und in weiten Sprüngen, wie ein
junger Hirsch, unter dem betäubenden Jubel von zwanzigtausend
bis zur Tollheit begeisterten Landsleuten über
den Kampfplatz stürmt.
Sportliche Wettkämpfe.
In diesen Wettspielen der höchst kultivierten
Jugend Amerikas erlebt man staunend bei dem
traditionslosesten aller Gegenwartsvölker eine höchst
eindrucksvolle Auferstehung der Antike. Die Schönheit
und Anmut der nackten Griechen fehlt freilich völlig bei
dieser unförmlich wattierten, mit Lederkappen und Fausthandschuhen
ausgerüsteten Yankeemannschaft, aber die
leidenschaftliche Teilnahme des ganzen Volkes, die diese
Kraft- und Gewandtheitsspiele seiner Jugend zu einer
nationalen Angelegenheit macht, kann auch im alten
Hellas und im alten Rom nicht hinreißender gewesen sein.
Die amerikanische Mutter ist auf ihren Sohn, dem beim
Ballspiel das Nasenbein oder sonstige Extremitäten geknickt
wurden, so stolz wie die Spartanerin, deren Knabe,
ohne mit der Wimper zu zucken, sich mit Ruten bis aufs
Blut peitschen ließ.
Der letzte Schliff. Technik und Wissenschaft.
Diese hohe Wertschätzung der körperlichen Tüchtigkeit,
die übrigens keineswegs nur auf das männliche Geschlecht
beschränkt ist, trägt sehr viel dazu bei, dem
amerikanischen Studentenleben sein durchaus eigenartiges
Gepräge zu verleihen. Ich habe mir des öfteren erlaubt,
amerikanischen Studenten gegenüber meinem Zweifel
Ausdruck zu geben, daß diese Helden der Arena, diese
Champions der Ballschläger, Ruderer, Wettläufer und
Boxer auch in geistiger Beziehung Zierden einer wissenschaftlichen
Anstalt seien, habe aber fast regelmäßig die
Antwort bekommen, daß meine Zweifel durchaus unbegründet,
vielmehr unter den hervorragenden Athleten
häufig auch die tüchtigsten wissenschaftlichen Begabungen,
zum mindesten aber die fleißigsten Büffler zu finden
seien. Weit weniger sichere und selbstbewußte Antworten
dagegen erhielt ich, wenn ich amerikanische Studenten
nach ihren wissenschaftlichen Zielen oder gar nach ihrer
Weltanschauung auszuforschen versuchte. Da hieß es
meist: „Ach, darüber zerbrechen wir uns vorläufig den
Kopf nicht. Wenn wir unser Examen gemacht haben,
schickt uns die Regierung nach Portorico oder nach Haiti
oder sonst wohin, da haben wir schon eine gute Stellung
in Aussicht.“ Ein anderer sagt: „O, ich trete einfach in
das Geschäft meines Vaters ein, da brauche ich keine
andere Weltanschauung als die eines Gentlemans.“ Da
die englische Sprache keinen präzisen Ausdruck für Weltanschauung
kennt, so ist es überhaupt sehr schwer, einem
jungen Amerikaner begreiflich zu machen, was man damit
meint. Der Optimismus des jungen erfolgreichen Volkes
sitzt ihm so tief im Geblüt, daß er kaum begreift, wie man
sich von Zweck und Wert des Lebens, von der Vortrefflichkeit
der bestehenden Weltordnung verschiedenartige Vorstellungen
machen könne. Er fühlt nicht den mindesten
Drang oder Beruf in sich, an diesen Dingen Kritik zu üben,
weil er in der Anschauung aufgewachsen ist und sie innerhalb
seiner jungen Erfahrung überall bestätigt findet, daß
für einen Bürger der Vereinigten Staaten überall Raum
und Gelegenheit zur erfolgreichen Betätigung seiner
Kräfte und Talente gegeben sei. Eine solche Anschauung
ist unzweifelhaft gesund für Leib und Seele – aber für
die wissenschaftliche Erkenntnis ist sie nichts weniger
als förderlich. Innerhalb dieser Zufriedenheit mit dem
Gegebenen bleibt eben kein Platz für den fruchtbaren
Zweifel und für die Unersättlichkeit des Forschers. Den
amerikanischen Studenten im allgemeinen interessiert
nur jenes positive Wissen, dessen unmittelbare praktische
Verwertbarkeit ihm einleuchtet. Und wie der Zuschnitt
aller amerikanischen Erziehungsanstalten, von der Elementarschule
an, darauf eingerichtet ist, dem jungen
Nachwuchs zu geben, was er braucht, wonach seine natürlichen
Instinkte sich freudig drängen, so sind auch die
Universitäten keineswegs darauf aus, Gelehrte zu züchten,
sondern ihre Absicht ist vielmehr nur, dem Schulwissen
den letzten Schliff, das refinement der höheren Kultur und
den Fachstudien jene Vertiefung zu geben, die sie im
praktischen Leben erst nutzbar macht. Der amerikanische
Student glaubt an sein Lehrbuch und schwört auf die
Worte seines Lehrers. Er lernt fleißig, ohne sich von
Zweifeln beirren zu lassen, und beschränkt sich auf die
Fächer, die ihm für seinen künftigen Beruf als notwendig
vorgeschrieben sind. Überflüssige Wissenschaften nimmt
er nur eben so mit, sofern er die Eitelkeit besitzt, als
Schöngeist zu glänzen, und um sich von den Damen seines
Kreises nicht in bezug auf allgemeine Bildung in den
Schatten stellen zu lassen. Seinen Professor plagt auch
keineswegs der Ehrgeiz, den Prometheusfunken schöpferischen
Instinktes, der etwa in den jungen Köpfen seiner
Hörer schlummern mag, zur hellen Flamme aufzublasen
und die Methoden selbständiger wissenschaftlicher
Forschung diesen zukünftigen Bahnbrechern nahezubringen.
Er begnügt sich meistens damit, sein Fachwissen
der Jugend mitzuteilen, und sorgt durch Abfragen und
Aufgabenstellen dafür, daß sie sich dies Fachwissen
gründlich einprägen. Er ist daher in weitaus den meisten
Fällen nach unseren Begriffen selber gar kein Gelehrter,
sondern eben nur ein Reservoir von Kenntnissen, ein
Experte, ein Korrepetitor. Unter den überaus zahlreichen
Professoren deutscher Abstammung, die es drüben als
Universitätslehrer zu großem Ansehen gebracht haben,
finden wir daher so manchen, der sich niemals wissenschaftlich
betätigt hat und als einfacher Töchterschul-,
Real- oder Gymnasiallehrer ausgewandert ist. Erweisen
sich solche bescheidene Handlanger der Wissenschaft
drüben als gute Pädagogen, bei denen die Kinder gern
und gut lernen, so haben sie es nicht schwer, zu Hochschullehrern
aufzurücken. Anstandshalber pflegen sie
dann einen Leitfaden, ein Kompendium oder eine populäre
Darstellung ihres speziellen Wissensgebietes zu verfassen.
Im Colleg ist der freie Vortrag von seiten der Professoren
durchaus nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme.
Die meisten halten sich an ein Lehrbuch eigner oder fremder
Erzeugung und pauken dies gewissenhaft den Schülern
ein. Schüler bleiben die Studenten ja in der Tat, bis sie
ihren akademischen Grad erreicht haben. Der Freshman
birgt in seinem Schädel keineswegs jene beängstigende
Masse verschiedenartigster Kenntnisse, deren Vorhandensein
der deutsche Schüler im Abiturientenexamen nachweisen
muß. In den philologischen Fächern, namentlich
in den alten Sprachen, besitzt er kaum das Wissen
eines deutschen Untersekundaners; in den modernen
Sprachen, in Geschichte und Geographie weiß er vielleicht
so viel, daß er bei uns das Einjährigenexamen bestehen
könnte, und in den Realien etwas mehr. Wer also eine
humanistische Bildung erstrebt, der arbeitet das Pensum
unserer Obersekunda und Prima erst auf der Universität
durch; die übrigen werfen sich von vornherein auf das
Fach, aus dem sie später ihren Beruf zu machen gedenken.
Es gibt besondere Drillanstalten für Juristen, für Mediziner,
für Theologen – die letzteren werden von den
einzelnen Denominationen (Sekten) auf eigne Kosten
unterhalten. Am stärksten besucht und am glänzendsten
ausgestattet sind die Institute für die technischen Berufe,
die chemischen und physikalischen Laboratorien, die
Maschinen-Ingenieurschulen, die Museen und Sammlungen
für den Anschauungsunterricht der Geologen,
Zoologen, Landwirte, Architekten usw. usw. Weitaus die
meisten Universitäten sind im Grunde nichts anderes als
technische Hochschulen, an welche eine philosophische
Fakultät, eine juristische, medizinische oder theologische
Fachschule angegliedert sind, ganz ähnlich wie ja auch
bei unseren technischen Hochschulen Vorlesungen über
Nationalökonomie, Literatur und Kunstgeschichte, über
Philosophie und dergleichen, die allgemeine Bildung bereichernde
Gegenstände gehalten werden. Es ist ja sehr
begreiflich, daß vorläufig noch die weitaus überwiegende
Mehrzahl der geistig regsamen jungen Leute in Amerika
sich nach den Berufen drängt, welche noch auf lange Zeit
hinaus die größte praktische Bedeutung haben werden. Für
Hoch- und Tiefbauingenieure, Elektrotechniker, Maschinenkonstrukteure,
Geologen, Schiffsbauer, Chemiker gibt es
selbstverständlich in dem Riesenkontinent mit den großen,
noch unerschöpften Möglichkeiten der Ausbeutung viel
mehr zu tun, als für die Vertreter der reinen Geisteswissenschaften.
Man hegt trotzdem eine an Ehrfurcht grenzende
Hochachtung für die seltsamen Idealisten, welche, anstatt
ihre Schöpfkellen unter die zurzeit noch üppig sprudelnden
Goldquellen zu halten, den Durst ihrer Seelen mit transzendenten
Betrachtungen stillen, und statt nach blanken
Metalladern nach Regenwürmern graben. Es gibt auch in
Amerika wunderliche Käuze, die imstande sind, sagen
wir über das Alpha privativum im Griechischen dicke
Wälzer zu schreiben, oder lange Jahre ihres Lebens der
Erforschung irgendeines dunkeln Winkels der Geschichte
zu opfern, an dessen Aufhellung keinem modernen Menschen
das Geringste gelegen ist. Man bezahlt sogar solche
Käuze – sie sind übrigens fast alle Deutsche – sehr gut
und ist besonders stolz auf ihren Besitz – aus demselben
Grunde, aus welchem man unerhörte Summen aufwendet, um
allen möglichen alten Trödel aus Europa neben wirklichen
Kostbarkeiten der Kunst in die privaten und öffentlichen
Sammlungen Amerikas zu schleppen. Man will eben der
Alten Welt beweisen, daß man sich in der Neuen den Luxus
der Reliquienverehrung auch leisten könne und daß man
keineswegs den übeln Ruf verdiene, ein Volk von Emporkömmlingen
zu sein, das nur für materielle Dinge Achtung
und Verständnis besitze.
Postgraduates.
Es ist charakteristisch, daß es drüben Privatgelehrte
wohl überhaupt nicht gibt. Wer wirklich gelehrte Studien
treibt, seien es auch solche, deren praktischer Wert nicht
ersichtlich ist, kann sicher sein, in einer Universitätsstellung
seinen Lebensunterhalt zu finden, sei es auch nur
als sorgfältig unter Glas verwahrte Rarität. Es gibt also
auch kein gelehrtes Proletariat, und das scheint mir denn
doch ein Vorzug zu sein, um welchen wir das junge Land
nur beneiden können. Jeder akademische Bürger ist
imstande, die Kenntnisse, die er sich auf der Hochschule
erworben hat, später praktisch zu verwerten. Der Staatsbeamte
braucht nicht seinen Eltern bis in seine 30er Jahre
hinein auf der Tasche zu liegen, der Arzt, der Rechtsanwalt,
der keine Praxis, der Geistliche, der keine Gemeinde findet,
braucht deswegen immer noch nicht zu verzweifeln, sondern
sich nur einen Stoß zu geben und die Annehmlichkeiten
einer östlichen Großstadt mit der Langenweile eines
wildwestlichen Standquartiers zu vertauschen, so wird er
auch seine Rechnung finden; wenn nicht, so wird er eben
Geschäftsmann, Farmer oder sonst etwas Vernünftiges.
Seine Bildung braucht ihm dabei nicht hinderlich zu sein.
Handel, Industrie und Landwirtschaft schicken ihre
Söhne scharenweise auf die Universitäten, um sich dort
allgemeine Bildung und nützliche Spezialkenntnisse zu
erwerben. Das für die eigentliche wissenschaftliche
Forschung in Betracht kommende Studentenmaterial
bildet nur eine fast verschwindende Minderheit. Übrigens
finden diese Leute, die sich dann wohl meist der akademischen
Lehrtätigkeit widmen wollen, als Postgraduates
auch in Amerika reichlich Gelegenheit, ihre Studien zu
vertiefen und zu erweitern, denn es fehlt weder an hervorragenden
Kapazitäten in fast allen wissenschaftlichen
Fächern, noch an Lehrmitteln. Die Bibliotheken zumal
sind überaus reich ausgestattet. Sollte aber ihr wissenschaftlicher
Eifer sich auf Gebiete werfen, die in der Heimat
noch zu wenig angebaut sind, so finden sie sicher Mäzene,
die ihnen ein weiteres Studium im Auslande ermöglichen,
wenn die eignen Mittel dazu nicht ausreichen sollten.
Der Professor im öffentlichen Leben.
Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß die
Frische und Freudigkeit, die uns bei der amerikanischen
akademischen Jugend so vorteilhaft auffällt, die glückliche
Folge der Klarheit und Sicherheit aller Verhältnisse
drüben ist. Der junge Mensch kommt nicht als überfüttertes
Geistesmastprodukt auf die hohe Schule; er
hat nicht seine schönsten Jugendjahre an eine erzwungene
Arbeit verloren, deren Nutzen er nicht einzusehen vermochte,
und hat nicht seinen Charakter verdorben durch
ohnmächtiges Zähneknirschen wider ein verhaßtes System
und deren lebendige Vertreter; er kommt mit echt jugendlichem
Vertrauen seinen Lehrern entgegen und braucht
sich nicht vorzeitig mit der Schicksalsfrage zu quälen:
wozu büffelst du nun eigentlich noch immer weiter?
Wird dir dein Wissen auch ein sicheres Auskommen gewähren,
oder wird die einzige Vergeltung für dein höheres
Streben darin bestehen, daß du einst als abgetriebener
alter Karrengaul an der Staatskrippe ein dürftiges Gnadenbrot
findest? Wenn schon jeder gewöhnliche Amerikaner
durch das Bewußtsein, daß ihm alle Wege offen stehen,
zur höchsten Anspannung seiner Kräfte angefeuert wird,
so muß dieser Auftrieb natürlich noch viel stärker sein bei
den jungen Auserwählten der Nation, die ja den Wettlauf
um die höchst erreichbaren Ziele bereits um viele Stationen
näher an diesem Ziele beginnen. Der nicht akademisch
gebildete Amerikaner schaut mit stolzer Verehrung zu
jedem jungen Harvard-Yale-Columbia-Cornellman wie zu
einem höheren Wesen auf, denn er weiß, daß diese
strammen Burschen einst die Richter, die Ärzte, die Gesetzgeber
seiner Kinder sein und daß ohne Zweifel geniale
Erfinder, Kulturförderer großen Stils, auch wohl Präsidenten
der Vereinigten Staaten darunter sein werden.
Die hohe Wertschätzung des akademischen Wissens
findet vielleicht ihren schönsten Ausdruck in der Bereitwilligkeit,
mit welcher zu Reichtum gelangte Leute aus
einfachsten Verhältnissen fürstliche Stiftungen für wissenschaftliche
Zwecke machen. Sobald eine Universität in
Verlegenheit ist, woher sie das Geld beschaffen soll für
notwendige Neubauten, zur Bereicherung ihrer Bibliotheken
und sonstigen Sammlungen, so braucht der Herr
Rektor, dort Präsident genannt, nur ein paar notorische
Millionäre der Stadt oder des Staates aufzusuchen, und er
kann sicher sein, binnen kurzem die nötige Summe zusammenzubringen.
Unsere Großindustriellen spenden ihre
Hunderttausende, um den Kommerzienratstitel und schöne
Orden zu bekommen; drüben sind sie zufrieden, wenn ein
Collegegebäude, ein Laboratorium, eine Klinik ihren Namen
trägt. Der Holzhändler Cornell hat die nach ihm genannte,
jetzt hoch berühmte Universität von Ithaka ganz und
gar aus eignen Mitteln aufgebaut und ausgestattet. Und
dieses Beispiel hat so eifrige Nachahmung gefunden, daß
heute schon die wissensdurstigen jungen Leute selbst der
unkultiviertesten Bundesstaaten nicht mehr die engere
Heimat zu verlassen brauchen, um höheren Studien obzuliegen.
Es gibt jetzt schon eher zu viel als zu wenig Universitäten
und CollegesDer Unterschied zwischen diesen beiden Gattungen ist schwer
zu umgrenzen. Professor Münsterberg von Havard definiert ihn dahin,
daß sich das College mit der Ansammlung von Wissen, die Universität
dagegen mit dessen kritischer Würdigung und mit exakter Forschung
beschäftigen soll, doch fließen die Grenzen schon deshalb oft ineinander,
weil eben an den meisten Universitäten auch noch nicht viel von selbständiger
Forschung und wissenschaftlicher Systematik zu finden ist.. Die große Wertschätzung
akademischer Bildung seitens des ganzen Volkes äußert
sich manchmal auch in einer Weise, die uns einigermaßen
naiv erscheint. Die Amerikaner haben alle Resultate der
wissenschaftlichen Forschung der ganzen Welt fertig
herüber genommen, und ihre eigne Arbeit lief fast ausschließlich
auf deren praktische Verwertung hinaus;
folglich erscheint dem gemeinen Mann jeder Professor
als ein moderner Hexenmeister, dessen Zauberkünsten
alles zuzutrauen sei, und darum spielt auch der akademische
Lehrer in der Öffentlichkeit eine ganz andere Rolle, wie
in Europa. Während z. B. in England der Gelehrte noch
mehr wie bei uns in seinem Wirkungskreis als Lehrer und
stiller Forscher eingeschlossen bleibt, wird er in den Vereinigten
Staaten als sachverständiger Berater und tätiger
Mitarbeiter zu allen öffentlichen Angelegenheiten
herangezogen. Er schreibt fleißig für die Tageszeitungen, er
hält populäre Vorträge, er beteiligt sich an der Politik und
wird gern von der Regierung zu wichtigen diplomatischen
Betätigungen herangezogen. Der Cornell-Professor Andrew
D. White ist nicht der einzige, der von seinem Lehrstuhl
weg direkt auf einen Gesandtschaftsposten berufen wurde.
Man sieht also nicht im Gelehrten einen weltfremden,
in sich gekehrten Sonderling, sondern einen Mann der Tat,
dessen reiches Wissen seinen Gesichtskreis notwendig
erweitert haben muß.
Akademische Vergnügungen.
Eine schöne Gepflogenheit, die wohl auch ihr gutes
Teil dazu beiträgt, die geistige und leibliche Gesundheit
der studierenden Jugend zu fördern, ist die, daß man die
Hochschulen mit Vorliebe in Kleinstädte mit landschaftlich
schöner Umgebung verlegt. Mit Ausnahme der altberühmten
Universitäten von Boston, New York, Philadelphia,
Baltimore, Washington und Chicago sind alle Hochschulen
auf dem Lande. Der Campus, d. h. das Gelände
der Universität, befindet sich außerhalb der Ortschaften,
mit Vorliebe auf Anhöhen, die die ganze Gegend beherrschen,
und auf denen noch ein üppiger alter Baumwuchs
der schändlichen Waldvernichtung der ersten Ansiedler
entgangen ist. Die Baulichkeiten sind nicht eng
aneinander gedrängt, sondern in den wohlgepflegten
Parkanlagen weit zerstreut, so daß die Studierenden auf
dem Wege von einem Colleg ins andere immer reichlich
Bewegung und frische Luft haben. Gelegenheit zu aller
Art Sport ist selbstverständlich überall reichlich gegeben,
wie man sich denn überhaupt einen Studenten, der nicht
rudert, Ball spielt, wettläuft usw. gar nicht vorstellen
kann. Die kleinen Städte bieten so gut wie keine Ablenkung
oder gar gefährliche Versuchung für die jungen
Leute. Was sie brauchen an edler geistiger Zerstreuung,
an künstlerischer Anregung, das schaffen sie sich selbst
in ihren Vereinen für Musikpflege, ihren Liebhabertheatern
und festlichen Veranstaltungen. Studentische Gesang-
und Instrumentalvereinigungen ziehen in der Nachbarschaft
der Universität herum und verdienen sich ein
hübsches Geld mit Konzerten, das sie nicht selten dazu
verwenden, hervorragende Sänger und Virtuosen kommen
zu lassen und ihren Kommilitonen vorzuführen, ja wohl
gar hauptstädtische Theatertruppen und Sinfonie-Orchester.
So ziehen beispielsweise die Lehrer und bevorzugten
Schüler der Berkley-University von Kalifornien
alljährlich in den Sommerferien in den Urwald, leben dort
wochenlang in Zelten und Blockhütten, die zum Teil im
Geäst der riesigen Mammutbäume (Sequoia gigantea)
errichtet werden und betreiben während dieser Zeit die
Einstudierung und Aufführung dramatischer Festspiele
unter freiem Himmel. Bohemian Jinks nennen sie diese
Freilichtspiele (etwa „zigeunerische Luftsprünge“ zu übersetzen),
für die sie aus eignen Kräften Dichtung, Musik,
Kostüme und Darsteller liefern. Während dieser heiligen
Zigeunerwochen ist das andere Geschlecht strengstens
verbannt, und es werden daher nach antiker Weise bei den
Spielen die Frauenrollen von jungen Männern dargestellt.
Im übrigen sorgt die an den meisten Hochschulen bestehende
Coeducation (kurz Coed genannt) dafür, daß die
jungen Leute auch in den abgelegensten kleinen Nestern
die guten Manieren im geselligen Verkehr nicht verlernen.
Die Studentinnen pflegen ihr eignes Gesellschaftshaus
mit Schwimmbassin, Turnhalle, Ballsaal und Drawingroom
zu besitzen. Dorthin laden sie ihre Freunde ein, wie auch
umgekehrt die jungen Herren die Studentinnen zu ihren
Unterhaltungen heranziehen. Fast jeder Student hat
wohl unter den Kommilitoninnen sein best girl, mit dem er
„geht“, wie man bei uns sagen würde. Diese Kameradschaften
sind aber durchaus harmloser Natur, haben
nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit der collage des
französischen Studenten und verpflichten auch keineswegs
zu standesamtlichen Folgen. Amerikanische Professoren
wissen nie etwas von sittlichen Gefahren
dieses ungenierten Verkehrs zu berichten; dagegen
schieben viele von ihnen die Schuld an dem niedrigen
Niveau wissenschaftlichen Geistes der Rücksichtnahme
auf die weiblichen Studenten zu.
Wo die Frauen unter sich sind, haben sie es noch viel
besser als an den gemischten Universitäten. Ich wüßte
nicht, wo ein junges Mädchen mit starkem Bildungsdrange
in der Welt besser aufgehoben wäre, als z. B. in Wellesley-College
bei Boston. Wenn man den Studienplan dieser
Frauenakademie durchblättert, erstaunt man über die
schier fabelhaften Bildungsmöglichkeiten, die hier den
Töchtern der Neuen Welt geboten werden. 17 männliche
und 137 weibliche Professoren, Dozenten und Assistenten
lehren an dieser überaus reich dotierten Hochschule. Um
aufgenommen zu werden, muß die junge Dame im Englischen
3, in Geschichte 1, in Mathematik 3, Latein 4,
einer zweiten Sprache 3, einer dritten Sprache 1 und in
Botanik, Chemie oder Physik 1 Punkt nachweisen. Die
Anzahl der Punkte bedeutet nämlich die Anzahl der Jahre,
die der Schüler, bei durchschnittlich 5 wöchentlichen
Stunden, auf den betreffenden Gegenstand verwendet
haben muß, und durch ein Abgangszeugnis oder ein
Examen muß er beweisen, daß er diese Zeit befriedigend
ausgenutzt habe. Um einen Begriff von der Reichhaltigkeit
der wissenschaftlichen Speisekarte zu geben, will ich
hier nur die in der germanistischen Abteilung angekündigten
Vorlesungen aufzählen:
Wissenschaftliche Speisekarte für Damen.
1. |
Elementarkursus, Grammatik, Übungen im
Sprechen, Lektüre, Auswendiglernen von
Gedichten. |
2-4. |
Vorbereitungskurse für deutsche Literaturgeschichte. |
5. |
Repetitions- und Erweiterungskurs für Grammatik
und Stil. |
6. |
Freie Reproduktion. Bühnendeutsch. Übungen
im mündlichen und schriftlichen Ausdruck.
Kritische Betrachtung deutscher, in Amerika
erschienener Texte. |
7. |
Übungen im schriftlichen Ausdruck im Anschluß
an die Literaturgeschichte. |
8. |
Geschichte der deutschen Sprache. |
9. |
Umrisse der deutschen Literaturgeschichte
(Götter- und Heldensagen). |
10. |
Goethes Leben und Werke. |
11. |
Das Drama des 19. Jahrhunderts. |
12. |
Der deutsche Roman. |
13. |
Literaturgeschichte vom Hildebrandslied bis
Hans Sachs. |
14. |
Literaturgeschichte bis Goethe. |
15. |
Mittelhochdeutsch. |
16. |
Die romantische Schule. |
17. |
Lessing als Dramatiker und Kritiker. |
18. |
Schiller als Philosoph und Ästhetiker. |
19. |
Goethes Faust. |
20. |
Schillers Leben und Werke. |
21. |
Stilübungen. |
22. |
Gotisch. |
23. |
Die deutsche Lyrik und Ballade. |
24 u. 25. |
Studien zur modernen deutschen Sprache. |
Typus der Studentin.
Demgegenüber stehen 45 Vorlesungen über englische
Sprache und Literatur, 21 über Geschichte, 29 über Hygiene
und körperliche Ausbildung, wobei Tanzen, Schwimmen,
Gymnastik, Massage und dergleichen inbegriffen sind.
Ferner 18 Vorlesungen über lateinische Sprache und
Literatur, 11 über reine und 5 über angewandte Mathematik,
18 über Musik, 29 über Philosophie und Psychologie,
19 über Soziologie und Nationalökonomie, 6 über Astronomie
usw. usw. Die jungen Mädchen dürfen aber keineswegs
nach ihrem Belieben an all diesen Herrlichkeiten
naschen, sondern der Studiengang ist ihnen vorgeschrieben,
und sie können nicht zu den höheren Offenbarungen vordringen,
bevor sie nicht durch Examina bewiesen haben,
daß ihnen die niederen Grade geläufig sind. Damit sie
aber frisch und bei guter Laune bleiben, haben sie reichlich
Gelegenheit, sich in Wald, Wiese und Wasser zu tummeln
und sich mit Tanz, Mummenschanz, Theaterspiel im
Freien und auf der eignen niedlichen Bühne des Shakespearehauses
nach Herzenslust zu vergnügen, auch nach
dem nahen Boston in Theater und Konzerte zu fahren, so
oft ihr Geldbeutel und ihre Zeit es erlaubt. Die jungen
Damen aus reichen Familien besitzen, sofern sie Sororities
angehören, ihre eignen Häuser innerhalb des Campus, die
als griechische Tempel oder als Cottages sich darbieten. Das
Gebäude des Shakespearevereins ahmt sogar sehr hübsch
das Geburtshaus des Dichters in Stradford nach. Die
technischen Fächer sowie auch Medizin, Juristerei und
Theologie existieren nicht an dieser Akademie, die sich
also darauf beschränkt, den jungen Damen eine humanistische,
expansiv wie intensiv gleich bedeutende Bildung
zu vermitteln. Wenn die Qualität der Lehrenden auch
nur einigermaßen der landschaftlichen Schönheit der Umgebung
und der Vortrefflichkeit aller praktischen
Einrichtungen entspricht, so ist in Wellesley-College das
gegenwärtige Ideal wissenschaftlicher Frauenbildung verwirklicht.
Und Wellesley ist nicht einmal die einzige Anstalt
dieser Art, sondern es gibt deren noch mehrere, die
nicht minder reich ausgestattet und stark besucht sein
sollen. Unter den Studierenden sind Töchter fast aller
Bevölkerungsschichten vertreten, vorwiegend ist aber der
Typus der derb gesunden, ein bißchen starkknochigen,
rundlichen Farmer- und Bürgertöchter der städtischen
Mittelschicht vornehmlich in den Universitäten mit Coed.
Die reinen Frauenakademien werden dagegen von den
Töchtern der vornehmeren Kreise vorgezogen. Es ist
auffallend, wie selten selbst unter diesen letzteren die
spezifisch amerikanischen Schönheiten sind. Das kommt
daher, daß die Amerikanerin die Schönheit als einen Beruf
für sich betrachtet, als ein Kapital, das unter allen Umständen
sich reichlich verzinst. Die jungen Schönheiten
suchen ihre Erfolge ausschließlich auf dem Parkett des
Salons, und die nötige Fertigkeit zur Lieferung des seichten
Salongeschwätzes, mit dem sich drüben die elegante Welt
der Amüsierlinge begnügt, kann man sich allerdings ohne
die Kenntnis antiker Sprachen und ohne philosophische
Vorstudien erwerben. Es ist nicht zu leugnen, daß das
amerikanische Salongeschwätz kaum auf der geistigen
Höhe des englischen, dagegen noch beträchtlich unter der
des französischen und deutschen Konversationstones der
sogenannten guten Gesellschaft steht. Dagegen kann man
von den Frauen der Kreise, in denen Arbeitskameradschaft
zwischen Mann und Weib besteht, ohne weiteres
voraussetzen, daß man mit ihnen wie mit gebildeten
Menschen reden dürfe – und man wird sich selten enttäuscht
sehen. Wohlhabende deutsche Eltern, denen
daran liegt, ihren strebsamen Töchterchen, ohne sie gerade
zu Gelehrten zu machen, eine solide weltläufige Bildung
zu verschaffen, täten gut, sie auf die amerikanischen
Frauenhochschulen zu schicken. Selbst wenn sie von
dort nichts anderes mitbringen sollten, als einen abgehärteten
geschmeidigen Körper, vernünftige Lebensanschauungen
und eine Ahnung von allerlei wissenswerten
Dingen, so würde das immerhin wertvoller für sie sein, als
was die üblichen Pensionate der französischen Schweiz
oder die Klosterschulen für die vornehme Welt ihnen zu
bieten pflegen.
Das deutsche System.
Bildungsdrang des Volkes.
Mir persönlich scheint überhaupt das ganze amerikanische
Unterrichtssystem, und besonders das der Universitäten,
gerade für uns sehr viel Nachahmenswertes zu
enthalten. So will es mich ungemein vernünftig bedünken,
daß die Zügellockerung der strengen Schuldisziplin zwischen
dem 16. und 18. und nicht, wie bei uns, zwischen dem 18.
und 20. Jahre erfolgt, und daß dann die überschäumende
Kraft des ungebärdigen Jünglings bezw. des lebenshungrigen
Mädchens nicht sofort in eine schrankenlose
Freiheit hinausgelassen, sondern noch jahrelang mit
echtem Wohlwollen und Verständnis für die Jugend
geleitet wird. Es ist überaus bezeichnend, daß, wie die
kürzlich von Dr. Alfred Graf veranstaltete Umfrage bei
einer großen Anzahl bekannter führender Deutscher bewiesen
hat, außer den späteren Philologen und einigen
ganz wenigen Staatsmännern und Theologen, fast sämtliche
Gefragten ihre Gymnasialzeit für die schrecklichste
Erinnerung ihres Lebens erklärten; wogegen umgekehrt
in Amerika schier ausnahmslos jeder gebildete Mensch auf
seine Schüler- und Studentenzeit als auf die schönste
seines Lebens zurückblickt. Mögen unsere höchsten Lehranstalten
immerhin mit Fug und Recht sich für die besten
Gelehrtenschulen der Welt halten, so darf doch nie außer
acht gelassen werden, daß von den Tausenden und Abertausenden
von Abiturienten, die alljährlich unseren Universitäten
zustreben, doch nur eine verhältnismäßig
kleine Anzahl den inneren Beruf zum Gelehrtentum in
sich trägt. Diesen wenigen mag allerdings die deutsche
Universität die denkbar beste Anleitung zum eignen
Forschen geben; um dieser wenigen Auserwählten willen
aber wird die gewaltige Überzahl mehr auf das Praktische
gerichteter Geister, aus denen zwar keine schöpferischen
Gedanken, wohl aber viel nützliche Lebensarbeit herauszuholen
wäre, durch ein System vergewaltigt, das notwendig
in ihren Augen ein zeitlebens verhaßtes Schrecknis
bleiben muß. Dieses System züchtet Nörgler und Hasser,
es ist auch schuld daran, daß jener garstige Hochmut sich
in den Köpfen der Auserwählten einnistet, der die herrschenden
Klassen in eine dumme Volksfeindschaft hineintreibt
und gänzlich schiefe Lebensanschauungen in ihnen
groß zieht; es ist aber auch schuld daran, daß so viel
hoffnungsvolle Jugend auf den Universitäten verbummelt.
Sollte nicht schließlich ein junges Geschlecht von frohen,
für die höchsten Berufe der Gegenwart gut ausgerüsteten
Akademikern auch unserer Nation von größerem Werte
sein, als die jetzige Überfülle an wirklichen und verunglückten
Gelehrten? Ich bin überzeugt, daß wir durch
eine teilweise Amerikanisierung unseres Systems von
unseren alten Vorzügen nichts einbüßen würden. Methodik
und Systematik der exakten Forschung werden, ebenso
wie das künstlerische Element im wissenschaftlichen
Betriebe, stets eine Besonderheit des deutschen Universitätslehrers
und Studenten bleiben, einfach weil die
Veranlagung hierzu altes Erbgut unserer Rasse ist. Die
Amerikaner haben keineswegs darum bisher keine großen
Philosophen, Dichter, schöpferischen Forscher
hervorgebracht, weil ihr Schulsystem zu diesem Zweck nichts
taugte, sondern weil sie bei ihrer Jugendlichkeit als Volk,
bei der mangelhaften Mischung der verschiedenartigsten
Rassenelemente, bei dem Fehlen einer kulturellen Tradition
und bei der starken Inanspruchnahme aller geistigen
Kräfte durch rein praktische Aufgaben überhaupt noch
gar keine Möglichkeit gehabt haben, nach jener Richtung
Begabung zu entwickeln. Eine selbständige Wissenschaft
und eine nationale Kunst werden erst zu verlangen sein,
wenn aus den verschiedenartigen Völkerschaften der
Vereinigten Staaten wirklich eine neue Rasse geworden und
die grobe Arbeit der Zivilisation soweit getan sein wird,
daß alle feineren Geister für die Beschäftigung mit den
vornehmsten Kulturaufgaben frei werden. Es wird alsdann
viel Spreu hinweggefegt werden, aber an dem System
des Hochschulbetriebes schwerlich viel geändert werden
müssen. Die wissenschaftlichen Leistungen der Studierenden
werden selbstverständlich gleichen Schritt halten
mit denen der Lehrenden. Der einzige amerikanische
Philosoph, dessen Ruf bisher durch die ganze Welt geklungen
ist, Ralph Waldo Emerson, verdankt sein hohes
Ansehen bei uns mehr der fein geschliffenen Form seiner
vornehmen Weltweisheit, als dem Reichtum an neuen,
fruchtbaren Gedanken; für Amerika ist Emersons Philosophie
aber selbst heute noch zu hoch, weil sie die beliebten
demokratischen Vorurteile lächelnd beiseite schiebt. Es
wird aber sicher eine Zeit kommen, wo diese demokratischen
Vorurteile nur noch bei der Masse zu finden sein werden,
und wo die Freiheit der wissenschaftlichen Kritik sich
überhaupt von keinem Vorurteil mehr Halt gebieten läßt,
auch wenn es die Masse hinter sich hat. Dann erst können
wir von dem amerikanischen Volke verlangen, daß es
große Künstler und originale Denker hervorbringe. In
den regsamsten Köpfen, in den tiefsten Gemütern dieses
Volkes ist schon jetzt eine große Sehnsucht lebendig nach
jener Zeit, in der seine Denker und Dichter nicht mehr
nur die Resultate europäischer Arbeit nützlich verwenden,
sondern selber Finder neuer Wege und Setzer neuer Ziele
werden können. Das beweist der ungeheure Zulauf, welchen
die öffentlichen Bibliotheken, die wissenschaftlichen Vorträge
der Wanderredner und besonders gemeinnützige
Institute, wie die Sommerschule in Chautauqua finden,
wo zu Zehntausenden unter freiem Himmel wissensdurstige
Menschen jedes Standes, Alters und Geschlechts andächtig
den Vorträgen der besten Gelehrten ihres Landes lauschen.
Wir Europäer werden vielleicht noch auf ein ganzes Jahrhundert
oder noch länger unseren Vorrang des weisen
Alters behalten und der mächtig emporstrebenden Neuen
Welt die Leitsätze für ihre eigne wissenschaftliche Fortentwicklung
liefern. Aber wir wollen nicht vergessen, daß
man von der Jugend immer lernen kann! Wenn wir das
tun, wird die neue Rasse uns zwar einholen, aber schwerlich
jemals überflügeln können. Wir werden an ihr alsdann
keinen verhöhnten oder beneideten Feind, sondern vielmehr
einen guten Kameraden besitzen, der uns in gleichem
Schritt und Tritt zur Seite geht, denselben Höchstzielen
wahrer Kultur nach.
Öffentliche und private Moral.
Die deutschen Zeitungskorrespondenten in den Vereinigten
Staaten beklagen sich allgemein darüber, daß
sie gezwungen seien, ihre Berichte den Vorurteilen der
deutschen Zeitungsleser zuliebe zu färben und so dazu
beizutragen, daß diese Vorurteile in Deutschland nicht
aussterben. Daß sie Unglücksfälle nur kabeln dürfen,
wenn sich über zehn Tote ergeben haben, ist ja eine ganz
weise Beschränkung, aber daß sie sich genötigt sehen,
immer nur sensationelle Fälle von wüster Korruption in
der Politik, in der Rechtsprechung, im Gebaren der
großen Truste, offenbare Verrücktheiten und groteske
Reklamemanöver auf den Gebieten des Erfindungswesens,
des Handels und Verkehrs, ja selbst der Wissenschaft,
sowie schließlich gröbste Familienskandale aus der Welt
der Milliardäre zu berichten, das ist doch recht bedenklich.
Selbstverständlich sind gerade die guten Bürger
jeder Nation überzeugt, daß die allgemeine Ordnung der
Dinge, die öffentliche wie die private Moral in ihrem
Lande besser sei als in irgend einem anderen; aber es tut
doch nicht gut, diese natürliche Neigung zur Ungerechtigkeit
durch die Presse, als durch das berufene Organ der
öffentlichen Aufklärung, zu unterstützen; denn die Unterschätzung
fremder und noch dazu rasseverwandter Völker
kann unter Umständen doch recht üble Folgen haben.
Sei es mir als einem Amerikafahrer, der Augen und Ohren
gut aufgemacht und aufmerksam zugehört hat, wenn er
wohlunterrichtete Leute drüben die Verhältnisse besprechen
hörte, gestattet, mein bescheidenes Teil zur
Aufklärung über die wichtige Frage der öffentlichen und
privaten Moral in den Vereinigten Staaten beizutragen.
Geschäftspolitiker.
Achtung vor den Gesetzen?
Die Korruption in der Politik ist ein öffentliches Geheimnis
und wird von niemandem geleugnet. Sie ist eine
notwendige Folgeerscheinung nicht sowohl der republikanischen
Staatsform, als der ungeheueren Ausdehnung
des Landes und besonders des Umstandes, daß sich alle vier
Jahre verfassungsgemäß ein Wechsel in den Personen der
Machthaber vollziehen muß. Daß jeder neue Präsident,
Gouverneur, Bürgermeister usw. seine guten Freunde und
Verwandten in die einträglichsten und einflußreichsten
Stellungen zu bringen versucht, ist menschlich begreiflich,
und man braucht sich darüber nicht weiter zu entrüsten;
aber die ebenso selbstverständliche Folge, daß der politische
Ehrgeiz durch den dauernd tobenden Wahlkampf
fortwährend in Atem gehalten wird, macht es dem vielbeschäftigten
Staatsbürger natürlich unmöglich, den politischen
Angelegenheiten seine kostbare Zeit zu opfern. Er
muß notgedrungen diese Betätigung Leuten überlassen, die
daraus einen Lebensberuf machen. Und so ergibt sich
mit Notwendigkeit die Existenz der Geschäftspolitiker. Da
selbstverständlich diese, die sogenannten Bosse, nicht vom
Staat oder von der Gemeinde besoldet werden können,
so schaffen sie sich ihre Einkünfte dadurch, daß sie sich
für die Unterstützung bei Wahlen, für die Erlangung
von öffentlichen Ämtern, von Privilegien und Konzessionen
aller Art bezahlen lassen. Es leuchtet wohl
ohne weiteres ein, daß sich nicht die Blüte der Nation,
sondern nur machthungrige und geldgierige Streber zu
diesem politischen Agenturgeschäft hergeben, und daß
diese Leute nicht das geringste Interesse daran haben,
dem intellektuell und moralisch hervorragendsten Kandidaten
zum Siege zu verhelfen, sondern demjenigen, der
am meisten zahlt. Da es nur zwei große politische Parteien,
Demokraten und Republikaner, gibt, so ist alle
vier Jahre die Chance eines völligen Systemwechsels
durch den Sieg der Gegenpartei gegeben. Dann werden
alle kommunalen Ämter, die ganze Beamtenschaft, vom
Präsidenten bis zum Ofenheizer im Weißen Hause, an
die Anhänger der siegreichen Partei vergeben. Wer den
richtigen Boß am besten geschmiert hat, bekommt das
Amt. Es ist klar, daß bei solchem System Staat und
Gesellschaft niemals davor sicher sind, schlechte Beamte
für noch schlechtere einzutauschen, und daß die öffentliche
Moral dadurch schändlich verdorben wird. Trotz
alledem wird auch bei uns niemand leugnen wollen, daß
die Vereinigten Staaten bisher noch immer tüchtige, zum
mindesten doch anständige Präsidenten gehabt haben,
und daß in die obersten Stellungen wenigstens sehr
selten oder nie ganz minderwertige Personen gelangt
sind. Dieses scheinbare Wunder wird begreiflich, wenn
man den hochentwickelten common sens, den gesunden
Menschenverstand der führenden angelsächsischen Rasse
in Betracht zieht. Der anständige Geschäftsmann und
die höher gebildeten Klassen überhaupt kümmern sich
um das schmutzige Gewerbe der Politik wenig oder gar
nicht und ertragen mit dem glücklichen Gleichmut und
dem guten Humor der Yankeerasse die tausenderlei
offenbaren Ungerechtigkeiten und Widersinnigkeiten, die
durch die Korruption entstehen. Sobald sie aber merken,
daß die Bosse irgend etwas im Schilde führen, was gegen
den guten Ruf des Staates, gegen die Sicherheit des
Eigentums oder gegen den demokratischen Charakter der
Verfassung geht, so tun sich ein paar einflußreiche Leute
von tadellosem Leumund zusammen – die führenden
Deutschen sind immer bei dieser Anstandspartei zu
finden – und klären durch geeignete Maßnahmen die
Massen der Wähler über den Unfug auf, der verübt werden
soll. Und siehe da: immer gelingt es der Wucht der öffentlichen
Meinung, wenigstens die gröbsten Schandtaten zu
verhindern, die unmöglichsten Kandidaten beiseite zu
schieben. Der Patriotismus ist dem Yankee angeboren
und anerzogen; die Verfassung der Vereinigten Staaten
wird als ein unübertreffliches Werk genialer Einsicht
verehrt, und alle Gesetze, die das souveräne Volk durch
seine Erwählten in den Einzelstaaten machen läßt, werden
für vorzüglich gehalten. Das ewig verdrossene Nörgeln
an den Gesetzen und öffentlichen Einrichtungen, jenes
höchste Vergnügen des deutschen Bierbankpolitikers,
kennt der Yankee nicht. Man respektiert die Gesetze
und fügt sich sogar in Unannehmlichkeiten, wenn man
einsieht, daß anders die Ordnung nicht aufrechterhalten
werden kann. Im übrigen aber tut doch jeder, was ihm
beliebt, und pfeift auf die Gesetze, wenn sie ihm nicht
in seinen Kram passen. Man weiß, daß die Polizei nicht
von ihrem Gehalt, sondern von den Schmiergeldern so
rosig fett und robust wird; man weiß, daß sogar die Binde
vor den Augen der Gerechtigkeit zuweilen aus lauter
zusammengefalteten Dollarnoten besteht, aber man sieht
selbst an den schreiendsten Mißständen schweigend vorbei,
weil es sich so bequemer leben läßt, und weil der
Gentleman sich nicht gerne die Hosenränder beschmutzt
und daher den Pfützen lieber in weitem Bogen ausweicht.
Solange sie seine persönliche Bewegungsfreiheit und
seine geschäftlichen Unternehmungen nicht empfindlich
stören, ist der Yankee mit den Gesetzen zufrieden und
gönnt den zahlreichen Mitbürgern, die von den Mängeln
dieser Gesetze leben, also den Politikern, Advokaten,
smarten Geschäftsleuten und geistvollen Hochstaplern,
ihr gutes Auskommen. Den gewaltigsten Machthabern
der Industrie und des Verkehrswesens, den sogenannten
Königen der Eisenbahn, des Silbers, des Stahls, des
Petroleums können ja überhaupt die Gesetze nichts anhaben,
wie es sich erst jüngst wieder in dem vorsichtig
weitmaschig abgefaßten Urteil des obersten Gerichtshofes
in Sachen des Öltrusts gezeigt hat. Mit jenen ganz
großen Herren, in deren Macht es steht, die Bundesarmee
gegen mißliebige Nachbarn mobil zu machen, oder in
einer Anwandlung schlechter Launen unzählige Betriebe
lahmzulegen, Hunderttausenden von Arbeitern ihr Brot
vom Munde wegzureißen, mit denen hütet sich natürlich
nicht nur der einzelne, sondern auch die Justiz der Einzelstaaten
wie der Bundesregierung anzubinden. Machen
sich aber die kleineren Machthaber irgendwie lästig, so
versteht man ihnen selbst in dem Falle beizukommen,
daß die Behörde gegen sie ihre Pflicht vernachlässigt.
Energische Selbsthilfe eines Damenklubs.
Ein hübsches Beispiel solcher demokratischen Selbsthilfe
erlebten wir in St. Louis. Durch wochenlange
Trockenheit war die Rauchplage daselbst unerträglich
geworden. Im ganzen weiten Mississippi- und Missouritale
herrschte herrliches klares Winterwetter. Die Sonne
lachte frühlingsheiter vom wolkenlosen Himmel herab.
Als der Zug aber in das Weichbild der Stadt einfuhr,
verblaßte plötzlich die Sonne zu einem fahlgelben transparenten
Fettfleck in einer Wand gleichmäßig grauen,
schweflig riechenden Nebels, der selbst die nächsten Gegenstände
nur in verschwommenen Umrissen erscheinen ließ.
In den Häusern herrschte eine erstickende, verbrauchte
Luft, weil man kein Fenster öffnen konnte, ohne daß
sofort eine dichte Rußschicht, wie von einer schwer
blakenden Öllampe, sich auf alle Gegenstände im Zimmer
legte. Wenn man über die Straße ging, waren Kragen
und Manschetten geliefert, und wenn man sich morgens
sein Bad einließ, so schwamm eine schwarze Rahmschicht
auf dem Wasser. Die Zeitungen waren voll von
Entrüstungsartikeln über diesen schmachvollen Zustand.
Überall erschollen laut die Stimmen der Sachverständigen
mit Vorschlägen zur Beseitigung des Übels. Man erinnerte
sich plötzlich wieder, daß es im Staate Missouri,
ebensogut wie anderswo, vorzügliche gesetzliche Vorschriften
gebe, welche die auf die einheimische Weichkohle
angewiesenen Industrien zur Anbringung von Rauchverzehrungsvorrichtungen
und ähnlichen Maßnahmen von
erprobter Wirkung verpflichteten. Die Herren Fabrikbesitzer
hatten aber bisher keine Lust gehabt, sich in
Unkosten zu stürzen wegen dieser ärgerlichen Gesetze,
denn sie hatten ja ihre Villen weit vor der Stadt in erfreulich
reiner Luft. Und wenn der Wind einigermaßen
günstig wehte, und hin und wieder ein Niederschlag den
in der Luft herumfliegenden Kohlenstaub band, so konnten
ja selbst die Leute, die in der Stadt wohnen mußten, ihre
Lungen genügend mit Sauerstoff füttern. Es mußte wohl
immer noch billiger sein, den polizeilichen Aufsichtsorganen
gelegentlich gute Trinkgelder zu verabfolgen,
als die vorschriftsmäßigen Umbauten zu bestreiten. Da
geschah es in den Tagen unserer Anwesenheit, daß ein
vornehmer Damenverein, der Mittwochsklub, die Sache
in die Hand nahm. Um ein möglichst großes Damenpublikum
für ihre Zwecke herbeizuziehen, kündigten sie
mit gehöriger Reklame ein Konzert meiner Frau an.
Vierzehnhundert Frauen und Mädchen aus den besten
Kreisen wurden hierzu zusammengetrommelt und nach
Schluß der musikalischen Darbietungen ersuchte die Vorsitzende
die ganze Gesellschaft, noch da zu bleiben, um
sich über die Beseitigung der Rauchplage auszusprechen.
Es war alles so gut vorbereitet, daß in kurzer Zeit ein
leitendes Komitee und eine große Anzahl von Offizieren
und Mannschaften aus der Mitte der Damen heraus gewählt
und die notwendigen Mittel zur Ausführung des
Planes gezeichnet waren. Diese kleine freiwillige weibliche
Polizeimannschaft übernahm es nämlich, mit List
oder Gewalt in alle industriellen Betriebe mit Weichkohlenfeuerung
einzudringen und nötigenfalls Tag und
Nacht Patrouille zu gehen und Posten zu stehen, so
lange, bis alle Mißachter der Gesetze zur gerichtlichen
Verantwortung gezogen, gebührend bestraft und die vorgeschriebenen
Maßnahmen gegen den Rauch tatsächlich
ausgeführt waren. Das Mittel soll einen durchgreifenden
Erfolg gehabt haben, denn vor energischen Frauen kapituliert
der Yankee immer.
Disziplin im Straßenverkehr.
Die Zuversicht, daß aus allen Schwierigkeiten und
Übelständen, wenn auch vielleicht erst im Moment der
höchsten Gefahr, und wenn sie bis zur Unerträglichkeit
gestiegen sind, ein Ausweg sich zeigen, von irgendwo die
Rettung kommen muß, erhält dem Volke seinen optimistischen
Gleichmut. Selbstverständlich erzeugt die
Demokratie nichts weniger als Ehrfurcht vor Paragraphen
oder Untertänigkeit vor Amtspersonen, ja, sie untergräbt
sogar recht bedenklich die Disziplin, ohne die schließlich
keine Ordnung irgendwelcher Art aufrecht zu erhalten
ist. Die Warnungs- und Verbotstafeln, mit denen bei uns
zu Lande unser ganzes Leben von der Wiege bis zum
Grabe von den Behörden so rücksichtsvoll eingezäunt
wird, kann man sich drüben fast völlig sparen, da sie
doch keine Beachtung finden würden; aber wo der gesunde
Menschenverstand einsieht, daß Vorsicht, Unterordnung,
Geduld und Rücksicht auf den Nebenmenschen
am Platze sind, da übt er sie auch ohne Warnungstafeln
und ohne Einschüchterung durch säbelfuchtelnde Schutzleute
aus. Dem Europäer fällt z. B. die ausgezeichnete
Disziplin im Straßenverkehr der Großstädte sehr angenehm
auf; nie hört man wild aufeinander los fluchende
Kutscher im Wagengedränge; nie werden Schutzmannsketten
durchbrochen, wo eine Absperrung notwendig ist;
mit einem Wink des Fingers dirigieren die Posten an den
Straßenkreuzungen den kolossalen Verkehr. Ohne Murren
findet sich alle Welt mit der Einrichtung ab, daß um
6 Uhr abends alle Geschäfte geschlossen werden. In den
Straßen- und Untergrundbahnen, in überfüllten Lokalen
jeder Art macht jedermann bereitwillig Platz, so gut es
geht. Am Weihnachtsheiligabend fuhren wir in der Neuyorker
Subway. Da es um die Zeit des Geschäftsschlusses
war, so waren die Wagen mit sitzenden und stehenden
Menschen so voll, daß der berühmte Apfel nicht mehr
zur Erde fallen konnte. Da drängte sich auf einer Station
im letzten Moment noch eine alte Frau mit einem riesigen
Schaukelpferd herein. Die Männer auf der hinteren Plattform
schufen der Frau mit kräftigen Ellenbogen Platz,
die ganze Menschenmauer geriet ins Schwanken, man
trampelte sich gegenseitig kräftig auf den Zehen herum,
die hervorragenden Spitzen der Kufen des Schaukelpferdes
stießen einigen Passagieren in die Bäuche oder
gegen die Kniescheiben – und dennoch zeigte sich niemand
gekränkt oder nervös gereizt. Mit ein paar gutmütigen
Scherzen ging man über die Unannehmlichkeiten
hinweg; bei uns wäre ein Sturm der Entrüstung losgebrochen.
Auch der eiligste Geschäftsmann wartet geduldig
bei Verkehrsschwierigkeiten, bis die Passage frei
ist, und niemals wird ein höher Gestellter versuchen, für
sich Ausnahmemaßregeln durchzusetzen. Auch die strengen
Polizeivorschriften im Interesse der öffentlichen Hygiene
werden bereitwillig befolgt, weil der Nutzen jedem vernünftigen
Menschen klar ist.
Die Prostitution.
Höchst merkwürdig ist die Art, wie der Yankee öffentliche
Fragen löst, die anderwärts der Polizei die allergrößten
Schwierigkeiten machen und über die sich Juristen,
Verwaltungsbeamte, Geistliche und Laien vergeblich die
Köpfe zerbrechen. Solche Schwierigkeiten beseitigt der
Yankee nämlich einfach dadurch, daß er erklärt, sie
existierten gar nicht. Der Prostitution z. B. ist im Gesetze
überhaupt nicht Erwähnung getan, und in den
Zeitungen wird nie davon gesprochen. Unter ernsten
Männern nennt man die Prostitution verschämt „das
soziale Übel“ (the social evel), aber in der Öffentlichkeit
erwähnt man diesen unsittlichen Gegenstand niemals,
weil die jungen Mädchen nichts von seiner Existenz
erfahren sollen, und weil man annimmt, daß der Amerikaner
überhaupt viel zu anständig sei, um irgendwelcher
heimlicher Notbehelfe für die Forderungen seines Trieblebens
zu bedürfen. Dessenungeachtet weiß selbstverständlich
jeder erwachsene Mensch, daß die Zahl der
Prostituierten, der freien wie der kasernierten, auch in
den Vereinigten Staaten ungeheuer groß ist. Die Polizei
hat dafür zu sorgen, daß die Öffentlichkeit von diesen
Damen nichts merkt; sie hat also nicht nur die öffentlichen
Häuser, sondern auch jede einzeln flanierende
Dirne wachsam im Auge zu behalten. Wenn die öffentlichen
Gerichtshöfe sich sehr viel mit der Bestrafung
von Prostituierten beschäftigen müßten, so könnte es
nicht ausbleiben, daß das Publikum auf diese Dinge aufmerksam
würde, selbst wenn die Zeitungen ihrem Grundsatze
des Totschweigens unverbrüchlich treu blieben.
Folglich duldet es die Behörde wissentlich, daß die Polizeiorgane
sich von den Übeltäterinnen dafür bezahlen lassen,
daß sie sie nicht vor den Kadi schleppen, und daß die
Bordellwirtinnen hohe Steuern an die politischen Bosse
dafür entrichten, daß sie sie vor Konflikten mit Behörden
bewahren. Selbstverständlich erhalten solche
Häuser keine polizeilichen Konzessionen, noch gibt es
irgendwelche offizielle Kontrolle der freien Prostitution.
In den Adreßbüchern figurieren jene Damen als Ladnerinnen,
Näherinnen, Masseusen und dergleichen, und
die zahlreichen Freudenhäuser werden von den erfindungsreichen
Bossen mit fingierten Personen bevölkert,
und zwar vornehmlich mit – wahlfähigen
Männern! Man bedient sich zu diesem Zweck der Namen
längst verzogener oder gar verstorbener Persönlichkeiten.
Durch dieses schlaue Manöver wächst bei den Wahlen
dem Boß für jede Gefangene einer solchen Lasterstätte
ein Wahlzettel für seine Partei zu. Eine Folge dieser
unerhörten Heuchelei ist auch die, daß die Bestrebungen
des internationalen Vereins gegen den Mädchenhandel
in den Vereinigten Staaten wirkungslos bleiben. Dieses
schmachvollste aller Geschäfte, der weiße Sklavenhandel,
blüht im Gegenteil in den nordamerikanischen
großen Hafenplätzen wo möglich noch üppiger als
in denen Südamerikas. Die dunkeln Ehrenmänner, die
sich mit diesem schmutzigen Geschäft befassen, ausschließlich
galizische, ungarische und rumänische Juden,
führen der Parteikasse der Bosse, die ihnen durch die
Finger sehen, ansehnliche Summen zu.
Es ist jüngst ein Roman über diese Zustände erschienen:
„The House of Bondage, by Reginald Wright Kaufmann“. Es
dürfte wohl das erstemal sein, daß in dem Lande der puritanischen
Heuchelei ein solches Thema von der Dichtung
erörtert wird. Freilich kann sich der Roman, was seine
literarische Qualität anbetrifft, nicht entfernt mit Else
Jerusalems „Der heilige Scarabäus“ messen, und es ist
bezeichnend, daß der mutige Verfasser selbst mit dem
größten Eifer betont, er habe in diesem Werke nichts
weniger als dichten, sondern nur nackte traurige Wahrheit
berichten wollen. Im Anhang des Buches sind all die
behördlichen Aktenstücke abgedruckt, welche die Grundlage
zu den Behauptungen des Verfassers gegeben haben.
Ich habe bis jetzt nicht gehört, ob die Zeitungen angesichts
der furchtbaren Anklagen dieses Buches aus
ihrer traditionellen heuchlerischen Reserve herausgegangen
sind, oder ob sich gar die Behörden zu einem energischen
Eingreifen entschlossen haben. Da die Bosse und die
niederen Polizeiorgane dadurch eine empfindliche Einbuße
an ihren Einkünften erleiden würden, so ist das auch
kaum anzunehmen. Aber einen schönen Erfolg hat der
Verfasser trotzdem dadurch erreicht, daß der junge Herr
Rockefeller sein Werk in alle unter den nordamerikanischen
Einwanderern vertretenen Sprachen übersetzen und in
vielen Tausenden von Exemplaren unter den unteren
Volksschichten, deren Töchter ja hauptsächlich gefährdet
sind, verteilen ließ. So kann wenigstens nicht mehr
Ahnungslosigkeit der Eltern und der Mädchen dafür
verantwortlich gemacht werden, wenn sie in die Schlingen
der gewissenlosen Vogelsteller geraten.
Öffentliche und private Moral.
Sexuelle Heuchelei und Reinlichkeit.
Beurteilung des freien Liebesverhältnisses.
Für uns Europäer ist es schwer begreiflich, daß in
demselben Lande, in welchem jeder gesellschaftliche
Skandal, jede pikante Scheidungsgeschichte in den Zeitungen
breitgetreten wird, in dem kaum das Schlafzimmer
vor den Reportern sicher ist, aus Anstandsrücksichten
in der gesamten Tagespresse kein Wort über
ein so unendlich wichtiges Ereignis wie die Entdeckung
des berühmten Heilmittels von Ehrlich-Hata geschrieben
werden darf. Wir haben hier den für uns überaus seltsamen
Fall, daß selbst der indiskreteste und von Amts wegen
quasi zur Plauderhaftigkeit verpflichtete Stand der Journalisten
aus Patriotismus eine verblüffende Selbstverleugnung
übt. Die verehrten Pilgerväter schon haben
das Dogma aufgestellt, daß in den Vereinigten Staaten
die Sicherheit der weiblichen Ehre absolut garantiert sei.
Und diesem Dogma aus den Zeiten des fanatischen Puritanertums
zuliebe wird noch heute der Yankee als ein
untadelhafter Gentleman hingestellt, der mit einer jungen
Dame zusammen baden, nachts in einem Zelt schlafen
oder auf einer einsamen Insel wohnen könne, ohne menschliche
Begierden zu verspüren. Der Yankee steckt es
lachend ein, wenn man ihm ins Gesicht sagt, daß seine
smarten Geschäftsleute die größten Gauner der Welt
seien; aber selbst seine eigenen bedeutendsten Schriftsteller
dürfen es nicht wagen, einen Yankee als Verführer
der Unschuld hinzustellen. Die schärfsten Sozialkritiker,
die realistischen Romanschriftsteller, müssen dieses nationale
Dogma respektieren, wenn sie sich nicht in ihrem
Heimatlande unmöglich machen wollen. Eine segensreiche
Wirkung dieses starr festgehaltenen Vorurteils ist
unzweifelhaft die, daß es im Yankeelande eine pornographische
Literatur überhaupt nicht gibt, daß die schlüpfrigen
französischen Schwänke der Bühne ferngehalten und
der Import von pikanter Lektüre, Bildern und dergleichen
höchstens auf ganz versteckten Schleichwegen stattfindet.
Es muß auch unbedingt zugegeben werden, daß der
zwanglose Verkehr der Geschlechter und die allgemeine
starke körperliche Betätigung im Sport, verbunden mit
dem Fehlen ungesunder Reizungen durch schlechte Lektüre
dem jungen Mann, zumal der gebildeten Oberschicht,
eine Reinheit der Gesinnung in erotischen Dingen bewahrt,
die in Europa kaum irgendwo in gleichem Maße
vorhanden sein dürfte. Es ist richtig, daß kein Yankee
sich durch gewandtes Erzählen von Mikoschwitzen gesellschaftlichen
Ruhm erwerben kann, und daß man selbst
in intimer Herrengesellschaft und unter dem Einfluß des
Alkohols schwerlich jemals die Sauglocke läuten hört. Es
ist auch richtig, daß ein junger Mann von guter Familie,
der ein junges Mädchen aus seinem Gesellschaftskreise
kompromittiert und sitzen läßt, der Ächtung seiner
Standesgenossen verfällt – aber dennoch kann man
nicht aus ehrlicher Überzeugung das Verhalten des Amerikaners
der Erotik gegenüber unbedingt zur Nachahmung
empfehlen; denn es ist nur zu geeignet, eine Art von
Heuchelei zu fördern, die den weniger vom Glück begünstigten
Mitmenschen teuer zu stehen kommt, und
außerdem die Poesie der Liebe schwer schädigt. Wie in
allen gesellschaftlichen Fragen, so wird nämlich auch in
bezug auf die Erotik das demokratische Prinzip nur
allzu gern vergessen. Der starke Schutzwall der weiblichen
Ehre wird im Grunde genommen doch nur um
die Angehörigen der eignen Kaste errichtet. Derselbe
wohlerzogene begüterte junge Mann, der die größte Freiheit
im unbeaufsichtigten Verkehr mit jungen Damen
seines Kreises auch bei stärkster Versuchung nicht mißbrauchen
würde, macht sich doch schwerlich ein Gewissen
daraus, sich ein Chorusgirl, eine fesche Maniküre,
Typewriterin oder sonst eine hübsche Angestellte aus
dem Geschäft des Herrn Papa als Geliebte auszuhalten,
und das wird ihm in seinem Kreise auch keineswegs übelgenommen,
wenn er nur von seiner Liebschaft kein großes
Gerede macht und nicht versucht, etwa gar so ein Mädchen
unter falscher Flagge in seine Gesellschaftskreise
einzuschmuggeln. Es herrscht also im Grunde in derjenigen
Gesellschaft, die sich die beste zu nennen beliebt,
dieselbe niederträchtige Doppelmoral wie in der alten
Welt, wo die chevaleresken Brüder mit geschliffenen
Säbeln und gespannten Pistolen vor der Ehre ihrer Schwestern
Wache halten, aber vielleicht selber auf das schmachvollste
mit dem Glück und der Ehre anderer Mädchen
umspringen. Der Unterschied zugunsten der Yankeeanschauung
ist vielleicht nur der, daß drüben der Ruf
des verfluchten Schwerenöters dem Manne nicht so wie
bei uns zum Vorteil gereicht, und daß ein Mädchen aus
den unteren Kreisen, sobald es von einem Mann aus den
höheren geheiratet wird, es nicht so schwer hat, von der
höheren Gesellschaft aufgenommen zu werden, falls es
sich nur ladylike zu benehmen versteht; dagegen fällt
der Vergleich zu ungunsten des Yankee aus, wenn man
die Gefühlsroheit in Anschlag bringt, die in der Beurteilung
des freien Liebesverhältnisses drüben herrscht.
Der Yankee hat für die illegitime Freudenspenderin nur
die rohesten Worte seiner Sprache übrig. Selbst der
Ausdruck Sweetheart hat einen verächtlichen Nebenklang
bekommen. Die amerikanische Moral bekreuzt sich entrüstet
vor dem „Verhältnis“ des Deutschen oder vor der
„Collage“ des französischen Studenten. Die amerikanische
junge Dame würde die selbstlose Hingabe des leidenschaftlich
liebenden deutschen „Gretchens“ oder der französischen
Grisette nicht nur für shocking, sondern besonders für entsetzlich
dumm halten; denn sie ist gewohnt, möglichst
viel zu fordern und möglichst wenig dafür zu gewähren.
In einem amerikanischen Roman oder Theaterstück ist
folglich die poetische Verklärung eines freien Liebesverhältnisses
völlig unmöglich. Ein Autor, der dergleichen
wagen würde, und sei er selbst ein Mann von anerkannter
Bedeutung, würde nicht nur den Absatz seines Buches
schwer schädigen, sondern sich auch gesellschaftlich
unmöglich machen. Ob bei dieser Anschauung die Heiligkeit
der Ehe viel gewinnt, wage ich nicht zu entscheiden,
sicher nur dünkt es mich, daß die Heiligkeit der Liebe
viel dabei verliert. Manche Äußerungen dieser einseitigen
christlich-pfäffischen Moralauffassung erscheinen uns
Europäern ja geradezu komisch. So kann z. B. ein Bankdefraudant,
wenn er Glück hat, sein geraubtes Schäfchen
ganz gut drüben ins Trockene bringen und unter Umständen
sogar sich wieder zu allen bürgerlichen Ehren
emporarbeiten; landet er aber gleichzeitig sein Liebchen
in Hoboken, so muß er gewärtig sein, daß er sofort vor
die Wahl gestellt wird, entweder umgehend zu heiraten,
oder umgehend nach Europa zurückzukehren. Auf jedem
Ozeandampfer wachen scharfe Yankeeaugen über dem
Benehmen der paarweise Reisenden, und wer da nicht
einen unzweifelhaft verheirateten Eindruck macht, der
kann sicher sein, bei der Landung um Vorlage seiner Ehebescheinigung
ersucht zu werden. Sollte es der Yankeerasse
gelingen, die puritanischen Unmenschlichkeiten aus
ihren Moralbegriffen auszumerzen und sich trotzdem die
Reinlichkeit des Empfindens den geschlechtlichen Dingen
gegenüber zu bewahren, die den größten Teil ihrer Jugend
jetzt schon als Begleiterscheinung der körperlichen Reinlichkeit
und der vernünftigen Erziehung auszeichnet, so
dürfte sie vielleicht wirklich einmal den Rassen der alten
Welt als moralisches Vorbild gelten. Bis dahin aber
müssen wir uns doch erlauben, diese gern betonte moralische
Überlegenheit mit einem großen Fragezeichen zu
versehen.
Liebe und Ehe.
Spekulationsheiraten.
Rückzahlung der Erziehungskosten.
Unverbindliche Kurmacherei.
Die Liebe in der Öffentlichkeit.
So viele Kabel auch zwischen Alt-Europa und der neuen
Welt gelegt sind, so viele Geschäfts- und Familienbeziehungen
die Völker diesseits und jenseits des Ozeans
miteinander verbinden, so herrschen gerade über manche
wichtige grundlegende Verhältnisse die gröbsten Mißverständnisse.
Was wissen wir Deutsche z. B. vom
Familienleben, von Liebe und Ehe der Yankees? Wir
lesen in unseren Zeitungen alle Augenblicke von sensationellen
Heiraten zwischen Milliardärstöchtern und
europäischen Aristokraten, von Millionenerbinnen oder
Gattinnen von Industriekönigen, die mit Chauffeuren,
Friseuren oder Klavierlehrern durchgehen; wir lesen mit
moralischen Schauder die ungeheuerlich hohen Ziffern,
welche die Statistik über die Scheidungen in den Vereinigten
Staaten nennt, und wir glauben, aus allen diesen
Erscheinungen schließen zu dürfen, daß die Yankees
über die Heiligkeit der Ehe äußerst frivol denken und
ihre Töchter nur als Ware, als Tauschobjekt für gute
gesellschaftliche und geschäftliche Beziehungen betrachten
müßten. Zum mindesten kommt wohl jeder gute Deutsche
mit einem starken Vorurteil gegen die koketten, herzlosen
und anspruchsvollen Yankeemädchen nach Dollarica;
wem es aber gestattet ist, unvoreingenommen
und aus nächster Nähe die Frage der Liebe und der Ehe
im Yankeelande zu studieren, der dürfte doch bald zu
einer anderen Meinung gelangen. Vor allen Dingen wird
ein guter Beobachter sehr bald lernen, zwischen den
Sitten und Gewohnheiten der paar Hundert
Multimillionäre und denen der überwältigenden Mehrheit des übrigen
Volkes zu unterscheiden. Es brauchte nicht erst der gute
und kluge Carnegie zu kommen, um uns die Weisheit
zu offenbaren, daß Frauen desto unglücklicher, unzufriedener
und zu törichten Streichen geneigter sind, je
reicher sie werden; das ist eine uralte Weisheit, die wir
bei uns zu Lande ebenso oft bestätigt finden können,
wie irgendwo sonst auf der Erde. Die Frau des Multimillionärs,
die ganz in gesellschaftlichen Interessen aufgeht,
ihre Nerven in einer sinnlosen Hetze von Vergnügen
zu Vergnügen, von Gesellschaft zu Gesellschaft,
von bloß spielerischer bis zu wirklich angreifender Tätigkeit
aufreibt, dabei drei- bis viermal täglich die Toilette
wechselt, unsinnigen Moden zuliebe ihre Gesundheit aufs
Spiel setzt und jede ihrer Launen rücksichtslos befriedigen
kann, die muß natürlich, falls sie nicht einen unverwüstlich
guten Kern besitzt, ihre Nervenüberreizung
irgendwie büßen. Die tollen Streiche ihrer Laune, ihre
frivolen Geschmacksverirrungen sind dann nur Folgeerscheinungen
eines seelischen Schadens, der aus der
zerrütteten körperlichen Grundlage erwuchs wie der
Schwamm aus einem faulen Balken. Ebenso begreiflich
ist es, daß die Männer jenes Kreises, sobald der aufgehäufte
Dollarberg ihnen bis über die Nase steigt und
sie zu ersticken droht, bedenkliche Kongestionen nach
dem Kopfe bekommen, die zunächst dazu zu führen
pflegen, daß sie ihre anerzogenen demokratischen Grundsätze
vergessen und mit ihrem Überfluß das einzige zu
erreichen trachten, was drüben für kein Geld zu haben
ist, nämlich einen Abglanz feudaler Herrlichkeit. Da
sie nun bei sich zu Hause nicht mit Fürsten- und Grafenkronen
auf dem Kopfe herumlaufen können, ohne sich
lächerlich zu machen, so kaufen sie diese schönen Dinge
ihren ehrgeizigen Töchtern und füttern ihre Eitelkeit
mit dem Bewußtsein, mit dem ältesten Adel Europas
wenigstens verschwägert zu sein und als Großpapas
Prinzlein und Komteßlein auf ihren Knien schaukeln
zu dürfen. Und dennoch ist gerade für die Vereinigten
Staaten nichts weniger kennzeichnend als der Mädchenschacher.
Man darf getrost behaupten, daß in keinem
Lande der Welt den Töchtern eine größere Freiheit der
Wahl gelassen werde, als gerade in den Vereinigten
Staaten, und daß auch nirgends das Spekulieren der
jungen Männer mit einer fetten Mitgift weniger im Schwang
sei. Es ist nämlich durchaus nicht Sitte, den Töchtern
eine Mitgift zu geben; nur die ganz reichen Leute machen
hiervon eine Ausnahme. In der überwältigenden Mehrzahl
der Yankeefamilien, von den untersten bis zu den
obersten Gesellschaftsschichten, denkt der Erwerber ebensowenig
daran, sich selber als Rentier zur Ruhe zu setzen,
so lange er noch imstande ist, einen Brief zu diktieren
und ein Telephon zur Hand zu nehmen, als dem Erwählten
seiner Tochter in den Jahren seiner besten Kraft
in Gestalt eines Kapitals eine faule Haut zu unterbreiten,
auf der Schwiegersohn und Tochter sich behaglich räkeln
dürften. Die jungen Leute mögen sich im stillen auf die
fette Erbschaft freuen, so viel sie wollen, inzwischen aber
sich gefälligst selber regen und sich den Zuschnitt ihres
Lebens nach ihrem eignen Verdienst gestalten. Dieser
höchst vernünftige und gesunde Grundsatz führt zu der
selbstverständlichen Folge, daß drüben viel mehr aus
Liebe geheiratet wird, als bei uns. Außerdem wird aber
auch viel früher geheiratet, weil schon die Kindererziehung
darauf ausgeht, eine frühe Selbständigkeit der Charaktere
zu erzielen, und weil die Lebensverhältnisse heute wenigstens
noch so sind, daß ein junger Mensch, der etwas
gelernt hat, sei es Mann oder Weib, viel früher als bei
uns zu einem leidlich anständigen Einkommen gelangen
kann. Ein junger Mann am Anfange der Zwanziger,
der von seinem Berufseinkommen noch keine Frau ernähren
kann, braucht deshalb noch nicht auf die Freuden
der Ehe und der Häuslichkeit zu verzichten, denn er
kann sich ja ein Mädchen suchen, das auch in einem
praktischen Beruf tätig ist und ein selbständiges Einkommen
daraus bezieht. Wer in der teuren Großstadt
noch nicht imstande wäre, von seinem Einkommen eine
dürftige Etagenwohnung zu bestreiten, der findet weit
draußen in den weniger besiedelten Staaten doch vielleicht
einen Platz, wo er mit demselben Einkommen
ein ganzes Haus nebst Dienerschaft sich leisten kann.
Die vernünftige Erziehung, bei der die beiden Geschlechter
stets auf dem Fuße der Gleichberechtigung und der guten
Kameradschaft miteinander verkehren, und auch wohl
ein wenig Vererbung aus den Zeiten puritanischer Sittenstrenge
erhalten den jungen Mann gesund und keusch in
seinen Anschauungen und lassen ihn die Ehe als das
normale und schönste Ziel seiner Sehnsucht erscheinen
in einem Alter, in dem der junge Europäer sich auf seine
frivole Weiberverachtung besonders viel einzubilden pflegt.
Es kommt auch wohl noch dazu, daß, wie gesagt, ein sehr
großer Teil aller jungen Leute in gottverlassenen Gegenden
seine Existenz zu begründen beginnt, wo er keinen
menschenwürdigen Ersatz für die eheliche Gemeinschaft
zu finden hoffen darf. Und schließlich gibt es in Amerika
noch eine ganz besonders gute Vorbereitung auf den
heiligen Ehestand durch eine bei uns kaum in den untersten
Volksschichten allgemein eingeführte Sitte. Es gilt
nämlich in der Yankeefamilie als ganz selbstverständlich,
daß der Sohn sowohl wie die Tochter, sobald sie
selbständig zu verdienen beginnen, zu den Kosten des elterlichen
Hausstandes beitragen. Da man bei den Yankees
so vernünftig ist, die geschäftliche Behandlung praktischer
Fragen auch in den intimsten Beziehungen zwischen
Eltern und Kindern, zwischen Mann und Frau nicht für
gefühlsroh zu halten, so erwägt man im Familienrate in
aller Gemütsruhe, wie viel jedes einzelne Kind im Verhältnis
zu den Aufwendungen, die für seine Erziehung
gemacht wurden, von seinem Einkommen billigerweise
den Eltern zurück zu erstatten habe. Man hört selten
davon, daß sich ein übel geratenes Kind dieser Zahlungspflicht
gegen die Eltern entzieht, noch viel weniger davon,
daß die Herzlichkeit der Beziehungen zwischen Eltern
und erwachsenen Kindern unter solcher Geschäftspraxis
leide. Die Eltern spannen vielmehr ihre Kräfte aufs
äußerste an, um ihren Kindern eine möglichst gute Ausbildung
zu geben, weil sie wissen, daß sich das aufgewendete
Kapital nicht nur ideal verzinsen wird. Und
die Kinder werden durch diese geheiligte Sitte von früh
an in ihrem Pflichtbewußtsein und in ihrer selbstlosen
Schätzung des Familienlebens gestärkt. Während also
unsere Sitten den jungen Mann zu einem heillos eingebildeten
Selbstsüchtling erziehen, der sich kein Gewissen
daraus macht, den Eltern noch Jahre auf der
Tasche zu liegen, und der seine edle Freiheit nur um
den Preis einer stattlichen Mitgift und auch erst dann
nur zu verkaufen geneigt ist, wenn ihn der Suff und die
Weiber an Leib und Seele schon bedenklich mürbe gemacht
haben, kann sich die amerikanische Sitte und Erziehungskunst
etwas darauf einbilden, das denkbar beste Männermaterial
für den heiligen Ehestand stets frisch und in
reichlicher Quantität auf Lager zu haben. Von nicht
zu unterschätzender Bedeutung dünkt mich auch der
Umstand, daß die englische Sprache keinen Unterschied
von Du und Sie kennt, indem nämlich das Fürwort thou,
also das eigentliche du, nur noch in der Poesie und im
Gebet angewendet wird, während you – gleich Ihr –
schon seit Jahrhunderten ausschließlich als Anrede bei
Hoch und Niedrig in den intimsten wie in den fremdesten
Beziehungen verwandt wird. Es fällt also auch im Verkehr
der Geschlechter die Scheidewand fort, welche das
förmliche Sie bei uns errichtet, und der Übergang zwischen
einer bloßen guten Bekanntschaft in höflichen Formen
zur Freundschaft oder Liebe markiert sich äußerlich gar
nicht. Die jungen Männer und Mädchen, die durch gemeinsamen
Schulbesuch oder durch den gesellschaftlichen
Verkehr der Eltern schon in der Kindheit auf
kameradschaftlichen Fuß gekommen sind, behalten übrigens
auch die Gewohnheit, sich beim Vornamen zu nennen,
bis ins heiratsfähige Alter bei. Ein junger Mann kann
mit Dutzenden von jungen Mädchen seines Kreises auf
diesem kameradschaftlichen Fuße stehen; ein junges
Mädchen kann sich heute von ihrem Freunde Jack ins
Theater, morgen von ihrem Freunde Jimmy zu einer
Bootfahrt, übermorgen von ihrem Freunde Tom zum
Baden abholen lassen, ohne daß die ganze Freundschaft,
Verwandtschaft und Nachbarschaft, wie bei uns, darüber
die Köpfe zusammensteckt und ein eifriges Getuschel
beginnt. Die Verkehrsformen zwischen den jungen Leuten
sind allerdings nach den Begriffen einer ehrsamen deutschen
Tantenschaft sehr frei, und selbst der nicht allzu
leicht moralinsauer reagierende Beobachter wird von der
besonderen Art, wie die junge Amerikanerin ihre Lieblingsbeschäftigung,
den Flirt, ausübt, wenig erbaut sein.
Deutsche junge Mädchen, die schon als Erwachsene hinüber
kommen, finden auch meist diesen Ton und diese
Verhältnisse wenig nach ihrem Geschmack. Selbst wenn
sie Talent zur Koketterie haben und darin rasche Fortschritte
machen, so ärgert es sie doch, daß sie nie wissen,
wie sie mit den amerikanischen jungen Männern eigentlich
daran sind, weil sich der Unterschied zwischen einem
frivolen Kurmacher und einem Anbeter mit ernsten Absichten
viel weniger leicht bemerkbar macht, als bei
uns. Der junge Amerikaner der höheren Schichten kann
jahrelang ohne irgendwelche Konsequenzen Freundschaften
mit Töchtern seines Kreises unterhalten, und
dennoch steht es ihm frei, seine Gattin ganz überraschend
irgendwo anders her zu holen. Er wird sich auch nicht
groß darüber wundern, wenn eine seiner Freundinnen
seiner Bedenklichkeit zuvorkommt und ihn urplötzlich
mit der Frage überrascht: „Was meinst du, Jim, wir
könnten doch eigentlich Verlobungskarten herumschicken?“
Der jungen Amerikanerin geht auch ganz die heimliche
Angst deutscher junger Mädchen ab, als ob der freie
Verkehr mit jungen Männern zu einer Überrumpelung
in einer schwülen Stunde führen könnte, denn sie weiß
ganz genau, daß der junge Mann, der einen solchen Vertrauensbruch
begehen würde, der lebenslangen Ächtung
in seinem Kreise verfallen würde. Sie weiß ebenso genau,
daß ihr Freund, falls sein Temperament ihm keine Ruhe
läßt, außereheliche Freuden bei den leichten Mädchen
geringeren Standes sucht, und wird ihm das wohl meistens
auch nicht besonders übel nehmen. Aus solchen Anschauungen
und Gewohnheiten erklärt es sich, daß in
den Vereinigten Staaten der Typus Don Juan, der kecke
Herzensbrecher, gefährliche Schwerenöter und verfluchte
Kerl, durchaus kein romantisches Ideal von Männlichkeit
darstellt, weder dem Geschmack der Männer, noch
dem der Frauen nach, sondern daß dieses Ideal
vielmehr gefunden wird in dem ritterlichen Beschützer weiblicher
Tugend, in dem getreulich ausharrenden, alle
Launen seiner Schönen lächelnd erduldenden und stets
dienstbeflissenen Liebhaber. Von der Poesie der Liebe,
wie wir sie aufzufassen gewohnt sind, fällt durch solche
Anschauungen allerdings sehr viel weg. Die Lieblingsgestalt
der deutschen Dichtung, das unbedenklich dem
Zuge seines Herzens folgende, bedingungslos sich hingebende
und schwärmerisch sich aufopfernde junge Mädchen
würde nach amerikanischer Auffassung nur eine
leichtsinnige Person oder eine dumme Gans sein. Und
dem männischen Mann, dem rücksichtslosen Eroberer,
dem Schrecken und der süßen Sehnsucht deutscher
Frauenherzen, würde einfach der Charakter als Gentleman
abgesprochen werden. Bezeichnenderweise kommen
diese Typen in der amerikanischen Literatur auch gar
nicht vor. „Das süße Mädel“, wie Schnitzler und ich es
novellistisch verherrlicht haben, findet auch durch die
Hintertür der Übersetzung keinen Einlaß in die amerikanische
Poesie. Von meinem Roman „Das dritte Geschlecht“
liegt seit Jahren eine ausgezeichnete amerikanische
Übersetzung vor; sie findet aber keinen Verleger,
weil die darin gepredigte Philosophie der Liebe
shocking ist. Überaus lehrreich war für mich die Bekanntschaft
mit einem modernen Thesendrama „The easiest
way“ (der leichteste Weg) von einem sehr talentvollen
jungen Dramatiker Walter, der drüben als ein kühner
Pfadfinder gilt. Das freie Verhältnis eines reichen Geschäftsmannes
mit einer kleinen Choristin steht im Mittelpunkt
der Handlung. Das Mädchen hat eine tiefe Sehnsucht
nach der bürgerlichen Anständigkeit und dem behördlich
approbierten heiligen Ehestand. Der Verfasser
jedoch scheint es als selbstverständlich anzusehen, daß
solche gefallenen Mädchen niemals die Kraft finden
können, einem faulen, eiteln Genußleben zu entsagen.
Er läßt ihren Aushälter mit seiner trotz aller Großmut
doch etwas brutalen Vernunft recht behalten und das
Mädchen im Sumpf zu Grunde gehen. Für amerikanische
Begriffe war es, wie gesagt, schon eine ungeheure Kühnheit,
solch ein illegitimes Verhältnis überhaupt auf die
Bühne zu bringen. Erträglich wurde diese Kühnheit für
das Theaterpublikum drüben nur durch den moralischen
Standpunkt, den der Verfasser einnahm. Sein grausamer
Schluß entsetzte freilich die zarten Gemüter nicht wenig;
aber lieber solche Grausamkeit, lieber auch die verlogene
Sentimentalität einer Kameliendame, als der aus Mitleid
und tiefem Verständnis für alles Menschliche geborene
ehrliche Realismus der modernen europäischen Dichtung.
Wie im Theater und in der Literatur, so spähen wir
Deutsche auch in der Öffentlichkeit vergebens nach den
uns vertrauten Äußerungen der Verliebtheit. Liebespärchen,
welche in dunkeln Ecken von Biergärten Hand
in Hand sitzen, sich anschmachten, aus einem Glase
trinken, von einem Butterbrot abbeißen, oder etwa gar
im Eisenbahncoupé wie angeleimt dicht nebeneinander
hocken und sich fortwährend zärtlich tätscheln und heimlich
drücken, dürften wohl drüben zu den Unmöglichkeiten
gehören. Kaum daß man einmal auf den Bahnhöfen
Abschied nehmende Ehe- oder Brautpaare sich
küssen sieht. Ob deswegen die Amerikanerin weniger
zärtlich oder gar feurig sei, als europäische Frauen, wage
ich nicht zu entscheiden, denn ich war weder mit einer
Amerikanerin verheiratet, noch habe ich bedauerlicherweise
jemals ein Verhältnis mit einer solchen gehabt.
Die Scheidung.
Die Hausfrau und die Dame der Gesellschaft.
Der Sinn für Romantik in der Liebe geht jedoch den
Amerikanern keineswegs gänzlich ab, was man daraus
erkennen kann, daß abenteuerliche Entführungen viel
mehr an der Tagesordnung sind, als vermutlich irgendwo
sonst. Aber freilich, was will eine Entführung in dem
Lande der Freiheit groß bedeuten! Die Eltern lassen ja
ihren erwachsenen Kindern fast durchweg freie Wahl;
ihrer Erlaubnis zur Heirat bedürfen die Töchter in den
meisten Staaten nur in ganz jugendlichem Alter, und
auch dann ist es sehr leicht, einen gesetzlichen Dispens
zu erwirken. Ich glaube, viele sehr junge Mädchen heiraten
bloß, weil ihnen das Entführtwerden so viel Spaß
macht. Es kann ja auch in allen Ehren geschehen, da
man mittags durchbrennen und sich abends schon als
Ehepaar den erstaunten Eltern präsentieren kann. Man
braucht bekanntlich drüben nicht drei Wochen zu hängen
oder in der Kirche aufgeboten zu werden, sondern man
holt sich einfach von der zuständigen Magistratsperson
einen Heiratsschein, den man anstandslos bekommt, sobald
man beschwört, daß keine gesetzlichen Hinderungsgründe
vorliegen. Mit diesem Schein geht man zum
nächsten besten Pastor und läßt sich auf der Stelle trauen,
bezw. von dem Zivilstandsbeamten zusammen geben.
Glücklicherweise kann man fast ebenso leicht wieder
auseinander kommen. Zwar sind in betreff der Scheidung
die Gesetze in den einzelnen Staaten sehr viel
verschiedener als in bezug auf das Heiraten, aber wer
in seinem Staate auf Schwierigkeiten stößt, der verfügt
sich eben in einen weitherzigeren und bequemeren Staat
und riskiert höchstens, daß er sich dort einige Zeit aufhalten
muß, bevor er die Wohltat seiner Spezialgesetze
genießen darf. Es könnte wunder nehmen, daß dieselben
Yankees, die vielfach noch sehr puritanisch streng über
die Ehe denken, die Scheidung so überaus erleichtern;
der praktische Erfolg hat aber gelehrt, daß hier, wie so
oft, ihr gesunder Menschenverstand ihnen den rechten
Weg gewiesen hat. Religion, Gesellschaftsmoral und die
besonderen Verhältnisse des jungen Landes begünstigen
das frühe Heiraten; da nun aber ein despotisches Eingreifen
des elterlichen Willens durch die demokratischen
Grundsätze ausgeschlossen erscheint, so kommen die
Ehen fast allein durch die Leidenschaft mehr oder minder
unreifer Menschen zustande, welche durchaus noch nicht
fähig sind, sich über ihre eigenen sittlichen Kräfte, noch
über die Kämpfe und Hemmungen, denen sie in ihren
besonderen Lebensverhältnissen entgegengehen, ein Urteil
zu bilden. Es werden sich folglich sehr viele dieser
jugendlichen Wahlen als verfehlt erweisen. Wäre nun
diesen unglücklich Gepaarten ein Loskommen voneinander
unmöglich gemacht oder auch nur beträchtlich erschwert,
so würde bald das ganze Land überschwemmt sein von
verärgerten, zähneknirschenden, entmutigten Menschen,
welche ebenso viele fanatische Prediger gegen die Ehe
bedeuten würden. So aber weiß jeder beim Eingehen
seiner Ehe: Habe ich mich gröblich getäuscht, nun dann
ist’s auch weiter nicht schlimm; eine Scheidung kostet
nicht den Kopf, und das nächste Mal kann ich es ja besser
treffen. Selbstverständlich wird die leichte Scheidungsmöglichkeit
aus bloßer Veränderungssucht viel mißbraucht
werden, aber sicherlich nicht so viel, wie ängstliche
Gemüter sich vorstellen mögen, denn die liebe Gewohnheit
vermag auch den brutalsten Sinnenmenschen
zu bändigen. Das Anstands- und Gerechtigkeitsgefühl
des Mannes, besonders bei einer allgemein ritterlich veranlagten
Rasse, und die Liebe zu den Kindern und zur
Häuslichkeit bei der Frau richten unter allen Umständen
einen starken Schutzwall wider den rücksichtslosen Leichtsinn
auf. Übrigens ist die Gefahr der unglücklichen Ehen
auch schon dadurch herabgemindert, daß die ganze
Yankeerasse nüchterner denkt als wir und sich daher
über Liebe und Ehe auch weniger Illusionen macht. Das
Denken ist überhaupt dieses Volkes Sache nicht, es wird
daher um so stärker von der Tradition beherrscht, ist
auch von den Einflüssen der Erziehung, der Schule abhängiger
und darum in seiner Masse viel gleichartiger
an Charakter und Gemüt als wir. Durch diese Gleichartigkeit
fällt von vornherein der bei uns häufigste Grund
der Ehestörung fort. Hyperästhetische, dekadente Männer
oder verzwickte Ibsensche Frauennaturen, wie sie bei
uns als schreckhafte Beispiele schwierigster Ehegesponse
herumlaufen, dürfte man drüben nur sehr selten antreffen.
Ganz ohne Zweifel ist aber der amerikanische Ehemann
für die Frau bequemer als der deutsche. Er fühlt
sich durch ihre nach unseren Begriffen oft unverschämten
Ansprüche nicht weiter gekränkt, weil ihm die Verehrung
für das zartere Geschlecht noch fest im Blute sitzt. Es
dünkt ihm ganz in der Ordnung, daß einer für das Vergnügen,
mit einer hübschen und eleganten Frau prahlen
zu dürfen, einen gehörigen Preis zahlen, d. h. bis an sein
Lebensende sich mächtig anstrengen muß. Wie der Mann
das viele Geld verdient, ist der teuren Gattin ziemlich
gleichgültig, denn für ihr gesellschaftliches Ansehen macht
es wenig aus, ob er mit Schuhwichse oder mit Juwelen
handelt, ob er ein wilder Spekulant oder ein solider Industriekapitän,
Beamter, Anwalt, Arzt oder Künstler ist.
Der gesellschaftliche Rang des Gatten hängt vielmehr
davon ab, ob er einer mehr oder minder alten Familie
angehört, die schon lange Wohlstand und Ansehen genießt,
oder ob er ein Emporkömmling ist, von dem man in der
guten Gesellschaft noch nichts Genaues weiß. Eine gescheite
und reizvolle Frau kann die gesellschaftliche
Stellung ihres Mannes wesentlich verbessern, indem sie
mit Kreisen in Fühlung kommt, die über denen stehen,
aus denen der Mann hervorgegangen ist. Sie hält es
darum auch für ihre vornehmste Pflicht, sich ihre Schönheit
zu erhalten, ein elegantes Haus zu machen und
feinere Leute in ihren Verkehr zu ziehen. Wenn solche
gesellschaftlich geschickten Frauen gemütlos und geistig
beschränkt sind, dann können sie natürlich auch den
geduldigsten Mann durch ihre törichten Ansprüche zur
Verzweiflung bringen; meistens sind sie aber doch klug
genug, sich gerade dann, wenn sie die ärgsten Zumutungen
an seinen Geldbeutel und seine Geduld stellen, die größte
Mühe zu geben, ihn bei guter Laune zu erhalten. Die
kleinlich eifersüchtige, keifende, den Hausschlüssel verweigernde
deutsche Philisterfrau aus den „Fliegenden
Blättern“ wird man drüben nicht oft finden; dagegen
ist die putzsüchtige, mit dem Scheckbuch des Gatten
täglich die Warenhäuser heimsuchende und ihre Zeit in
nichtigen Vergnügungen und spielerischer Vereinstätigkeit
verzettelnde Hausfrau sicher noch häufiger zu finden
als bei uns. Es wäre aber doch wohl ungerecht,
deswegen der Amerikanerin im allgemeinen die Fähigkeit
zu entsagender Hingabe an strengere Pflichten abzusprechen.
Man hört sogar nicht selten von jungen Mädchen
aus wohlhabenden Familien, die mit ihrem Erwählten
in die halbe oder ganze Wildnis ziehen und sich
unter rauhen Lebensbedingungen tapfer mit durchschlagen.
Auch versteht es die Amerikanerin in beschränkten
Verhältnissen beinahe so gut wie die Französin,
ihr Haus stets nett und freundlich zu halten, sich
gut anzuziehen und ihren Körper trotz der Arbeitslast
frisch zu erhalten. Die Frau, die nur unter furchtbarem
Getöse die Haushaltungsmaschine in Gang zu halten
versteht, immer seufzt und stöhnt, nie angezogen ist,
und, sobald sie den Mann sicher eingefangen hat, ihr
Äußeres, ihre kleinen Talente und ihren Bildungstrieb
vernachlässigt, die soll drüben angeblich nicht existieren
– auch nicht unter den Bauern; denn die Gattin des
Farmers ist eine Lady, der niemals der Mann schwere
Feldarbeit zumuten würde, und ihre Töchter spielen
Klavier und besuchen die höheren Schulen. Die arbeitende
Frau des Mittelstandes mag zwar nüchtern und uninteressant
sein, aber sie teilt doch meistens die glücklichste
Eigenschaft ihrer Rasse, nämlich die leichte Anpassungsfähigkeit
an die verschiedenen Glücksumstände. Es wird
nicht oft vorkommen, daß eine Frau ihren Mann, wenn
er plötzlich zu großem Reichtum gelangt, in einer vornehmeren
Gesellschaftsschicht durch schlechte Manieren,
schlechte Sprache und geschmacklosen Anzug blamieren
sollte. Das Talent zur Lady scheint wirklich der Weiblichkeit
der ganzen Rasse eigen zu sein, und es macht
sich selbst bei jenen armen Geschöpfen noch angenehm
bemerkbar, welche die Gesellschaft deklassiert und zu
Freiwild für die illegitimen Begierden der Männer bestimmt
hat. Einige gefällige Amerikaner veranstalteten
zum Vergnügen des Gefolges unseres Prinzen Heinrich
seinerzeit in New York eine kleine, ganz intime Abendgesellschaft
– für jeden der Herren war ein gefälliges
Chorusgirl eingeladen worden. Und das Benehmen dieser
leichten Mädchen war so anmutig, der Ton der Unterhaltung
so gesittet, daß die Herren glaubten, einer Einladung
in ein feines Töchterpensionat gefolgt zu sein
und gar nicht genug Rühmens von dieser liebenswürdig
kaschierten Frivolität machen konnten.
Heiratslust ein Gesundheitszeugnis.
Man mag diese unzweifelhaften Vorzüge als Äußerlichkeiten
gering einschätzen und ihnen gegenüber die
Gemütstiefe, die Pflichttreue, die enthusiastische Opferfreudigkeit
und edle Mütterlichkeit der deutschen Frau
als das Größere und Ausschlaggebende hinstellen, man
mag sogar die Liebesfähigkeit des Yankees in Zweifel
ziehen, aber man darf nicht leugnen, daß durch Gesetz,
Sitte und Herkommen für den heiligen Ehestand drüben
besser gesorgt ist. Und ich glaube, es kann schwerlich
einem Zweifel unterliegen, daß die allgemeine Heiratslust
der Jugend einem Volke das sicherste Gesundheitszeugnis
ausstellt.
Die Dienstbotenfrage.
Der schwarze Fensterputzer.
Straßendemonstrationen.
Es war in Philadelphia. Mir gegenüber im zweiten
Stockwerk eines netten, epheuumrankten Familienhauses
war ein junger Nigger mit Fensterputzen beschäftigt.
Bekanntlich gibt es in Amerika keine Flügelfenster,
sondern ausschließlich jene greulichen englischen
Schiebefenster, welche ein behagliches Hinausschauen,
ein geschwindes Kopfherausstrecken nach einer rasch
vorüber brausenden Straßensensation fast unmöglich
machen. Denn die Fenster sind fast durchweg so niedrig
über dem Fußboden angebracht, daß die bewegliche
untere Hälfte einem ausgewachsenen Menschen kaum
bis zur Brusthöhe reicht. Wenn man also hinausschauen
will, so muß man, um nicht etwa das Übergewicht zu
verlieren und kopfüber hinauszupurzeln, schon auf den
Boden hinknien und seinen Hals, auf die Gefahr hin, bei
etwaigem schlechten Funktionieren der Sperrfedern geköpft
zu werden, unter die gläserne Guillotine stecken.
Mein Nigger hatte es sich im Reitsitz auf dem Fensterbrett
gemütlich gemacht; das eine Bein hing auf die
Straße hinaus, obwohl es empfindlich kalt an diesem
sonnigen Januartage war. Während er sein Handwerkszeug,
Schwamm, Trockentuch und Lederlappen, bedächtig
auf dem Fensterbrett zurecht legte, pfiff er sich
eins, blickte die schmale Seitenstraße hinunter und die
breite Avenue hinauf (denn es war ein Eckhaus). Da
doch vorläufig nichts Besonderes zu sehen war, so stellte
er sein Pfeifen ein und schaute mit sorgenvoll gerunzelter
Stirn aufwärts. Er dachte offenbar angestrengt über das
Problem nach, wie er wohl, ohne sein kostbares Leben
zu gefährden, d. h. auf dem Fensterbrett stehend, mit
dem Oberkörper rückwärts hinausgelehnt und nur mit
einer Hand am Fensterrahmen in der Mitte sich festklammernd,
die obere Scheibe von außen reinigen könnte.
Da er zu diesem waghalsigen Turnerstückchen sich nicht
aufgelegt fühlte, so schüttelte er seinen dicken Wollkopf
und versuchte, wie weit er mit ausgestreckter Hand über
sich emporreichen könnte. Die Fingerspitzen langten nur
gerade ein weniges über die mittlere Rahmenleiste hinaus;
das genügte ihm aber vorläufig. Er ergriff seinen Lappen
und wischte am äußeren unteren Rande der Mittelleiste
ein wenig Staub hinweg. Darauf erhob er sich und befummelte
im Stehen die innere Seite des hinaufgeschobenen
Fensters. Er ließ sich sehr reichlich Zeit hierzu, ohne
deswegen jedoch die Sache gar zu ernst zu nehmen. Als
die innere obere Scheibe seiner Meinung nach genügend
sauber war, nahm er wieder auf dem Fensterbrett Platz
und ließ sein linkes Bein, dessen zierliches Plattfüßchen
mit einem riesigen Footballstiefel bekleidet war, wieder
ins Freie baumeln. Nachdem er eine ganze Weile untätig
vor sich hingeträumt hatte, unternahm er den Versuch,
die innere Fensterhälfte herunterzuziehen, um nunmehr
das Glas von außen zu bearbeiten. Es dauerte sehr lange,
bis es ihm gelang, das Fenster aus seiner Ruhelage zu
bringen, und als er es endlich glücklich los hatte und nun
versuchte, die schwere Glasscheibe auf seinem rechten
Knie so zu stützen, daß ein genügend großer Spalt offen
blieb, um ihm das Hantieren im Sitzen zu gestatten,
fand er alsbald, daß er sich dadurch in eine höchst unbequeme
Lage begeben und besonders seinem zarten
Kniechen zu viel zugemutet habe. Er schob also stöhnend
und schnaufend die Scheibe wieder hinauf, wischte sich
mit dem Ärmel über den Schädel und fletschte zornig
sein anmutiges „G’frieß“ gegen die Scheibe hinauf –
gerade wie es die Kinder machen, wenn sie mit der Kommode
böse sind, an der sie sich gestoßen haben. Plötzlich
verklärte sich seine intelligente Schimpansenphysiognomie.
In der Ferne ließ sich Militärmusik vernehmen.
Bum, bum, tschindara! Master Kinkywoolly wurde ganz
Ohr und ganz Seligkeit. Er beugte sich so weit hinaus
wie möglich und spähte die breite Hauptstraße hinunter.
Etwas ganz besonders Herzerhebendes mußte da los sein,
denn mein Nigger klatschte begeistert in die Hände und
zeigte, seine zierliche Fresse weit aufreißend, die lachenden
Zähne im Leckermaul. Ich schob nun gleichfalls
mein Fenster hoch, kniete auf den Boden nieder und
reckte den Hals hinaus, um mir den seltenen Anblick
eines militärischen Aufzuges nicht entgehen zu lassen.
Aber es war ganz etwas anderes, was ich zu sehen bekam,
etwas ganz spezifisch Amerikanisches. Gassenbuben und
Strolche vorweg, dann eine uniformierte Kapelle und
dann in Rotten zu vieren ein schlotteriger Parademarsch,
inszeniert von einem politischen Boß und ausgeführt von
einer Elitetruppe seiner Parteifreunde. Lauter freie Republikaner
gesetzten Alters, wohl genährt, sauber und
glatt rasiert, alle mit den gleichen gelben Gamaschen,
denselben Schlipsen, denselben Hüten und denselben
Bambusstöcken mit vernickelten Griffen, die sie wie die
Gewehre aufrecht an die Schulter gedrückt trugen, wie
ehemals unser Militär bei dem Griff „faßt das Gewehr
an“. Ein gerade zu Besuch anwesender Eingeborener
erklärte mir, daß die Parteikasse die Ausrüstung an
Gamaschen, Schlipsen, Hüten und Spazierstöcken stelle
und diese öffentlichen Umzüge ansehnlicher, sichtbarlich
satter und zufriedener Mitbürger von Zeit zu Zeit
veranstalte, um dem Publikum zu beweisen, wie gut es sich
unter den Fittichen ihrer Partei leben lasse. Ein unerhört
fetter schwarzer Schutzmann, der an der Straßenkreuzung
postiert war, führte vor Vergnügen über diesen gelungenen
Aufzug einen veritablen Cakewalk nach dem munteren
Rhythmus der Musik aus, und mein Fenster putzendes
Niggerlein jauchzte vor Vergnügen über solchen grotesken
Anblick und bewegte sich im Takte der Musik, als ob er
ein tanzendes Zirkuspferd zwischen den Schenkeln hätte.
Offenbar gehörten der cancanierende Schutzmann und
der reitende Fensterputzer gleichfalls der Partei der
Demonstranten an und fühlten sich durch den erhebenden
Parademarsch ihrer Vertrauensmänner in ihren patriotischen
Gefühlen angenehm gekitzelt. – Bis der letzte
Hauch der Blechmusik verklungen war, dachte selbstverständlich
der farbige Jüngling gegenüber nicht daran,
sein Fenster wieder vorzunehmen. Dann aber griff er
tief aufseufzend wieder zum Wischtuch und hielt es nachdenklich
in der Hand, während seine schwarzen Sammetaugen
sich bekümmert an den dummen Fensterrahmen
hefteten, der so gar keine Miene machte, von selber zu
ihm herunter zu kommen. Plötzlich kam wieder Leben
in die schier erstarrte Gestalt. Master Kinkywoolly
drehte den Kopf über die Schulter und äugte höchst gespannt
die Avenue hinauf. – Wahrhaftig, noch eine
Parade! Mehrere Dutzend Geistliche der Stadt, paarweise
nebeneinander in schwarzen Talaren. Und statt der
Bambusrohre mit Nickelknöpfen schulterten sie ihre
Regenschirme. Die schwarzen Herren waren auf dem
Wege zum Oberbürgermeister, um feierlich bei ihm vorstellig
zu werden, daß er die fromme Quäkerstadt beschützen
möge vor dem Satansgreuel der Salome von
Richard Strauß, deren Aufführung in Philadelphia eine
fremde Operntruppe angekündigt hatte. Es wäre eigentlich
passend gewesen, daß der fette schwarze Schutzmann
an der Straßenkreuzung bei dieser Gelegenheit den Tanz
der sieben Schleier aufgeführt hätte. Aber er schien zu
Richard Strauß und seiner Kunst noch nicht Stellung
genommen zu haben, denn er ließ die Parade ohne sichtliche
Gemütsbewegung vorüberziehen und sorgte nur
dafür, den Wagenverkehr derweil zu bändigen. – Mein
Fensterputzer stierte blöd der schwarzen Prozession nach,
bis sie um die Ecke verschwunden war; dann führte er
mit seinem kalt gewordenen Spielbein einige Freiübungen
aus und war eben dabei, tatsächlich seinen Schwamm
ins Wasserbecken zu tauchen, um vielleicht doch den
Versuch einer flüchtigen Wäsche von außen zu wagen,
als es vom nächsten Kirchturm zwölf schlug. Der
Schwamm flog ins Becken, das Bein über das Fensterbrett
und der schwarze Jüngling davon zum schwer verdienten
Lunch. Ich vermute, daß er am nächsten Ersten
um eine Lohnerhöhung eingekommen ist.
Pflichten und Rechte des Dienstpersonals.
Das Beispiel dieses schwarzen Fensterputzers dürfte
einigermaßen typisch sein für den Eifer, mit dem häusliche
Dienstleistungen in den Vereinigten Staaten verrichtet
werden. Gewiß arbeitet ein frisch von Europa
eingewandertes Hausmädchen fleißiger und gründlicher,
dafür ist es aber auch sehr viel anmaßender und sehr
viel schwieriger zu behandeln als der Niggerboy, der
doch wenigstens freundlich grinst und danke sagt, wenn
er ein Trinkgeld kriegt. Ja, die Dienstbotennot ist wirklich
die Frage aller Fragen, nicht nur für die Hausfrau
des amerikanischen Mittelstandes. Die ganz reichen Leute
freilich leisten sich einen englischen Butler (Haushofmeister),
einen französischen Valet de chambre, einen
italienischen Koch, einige griechische Lakaien von
klassischer Gesichtsbildung und unbezahlbarer Frechheit und
etliche appetitliche irische Mädchen. Für Geld, d. h. für
sehr viel Geld ist natürlich auch eine aristokratisch luxuriöse,
gut gedrillte Dienerschaft in den Vereinigten Staaten
zu haben; aber die Leute von mittlerem und kleinem
Vermögen, also von einem Einkommen, wie es hier unsere
armen Schlucker von Regierungspräsidenten, Generalmajoren,
Oberpostdirektoren und beliebten Schriftsteller
besitzen, können sich eine perfekte Köchin und noch ein
tüchtiges Stubenmädchen dabei schwerlich leisten. Denn
eine Köchin, die etwas Eßbares zu kochen imstande ist,
dürfte unter 100 Mk. Monatslohn nicht zu haben sein,
und 10 Dollars muß man sogar für einen frisch importierten,
unerprobten Besen schon anlegen. Sind diese
Damen bereits ein paar Monate im Lande, so daß sie
sowohl von der Sprache wie von dem Wesen ihrer staatsbürgerlichen
Rechte einigen Begriff haben, so machen
sie mit ihrer Herrschaft einen Vertrag mit zahlreichen
Paragraphen, welche genau ihre Pflichten und Rechte
festlegen. Darin ist bestimmt, daß sie außer dem Sonntag,
an welchem sie nur morgens die Schlafzimmer aufzuräumen
haben, noch an einem Wochentag ausgehen,
ferner das Parlor (Wohnzimmer) bei Besuchen ihrer
Freunde und Verwandte mitbenutzen und selbstverständlich
ohne Kündigung abziehen dürfen, sobald es ihnen
beliebt. Irgendwelche schwere oder schmutzige Arbeit
verrichten diese Damen grundsätzlich nicht, dazu müssen
extra Nigger, Chinesen, Polacken oder dergleichen Kroppzeug
gehalten werden. Verlangt die Hausfrau irgendwelchen
Dienst von ihnen, der nicht kontraktlich stipuliert
oder landesüblich einbegriffen ist, so entgegnet ihr
das Fräulein achselzuckend: „That’s not my business,
Ma’m“ – und fertig. Ein Mädchen, das für die Küche
angestellt ist, wird beispielsweise um keinen Preis dem
Hausherrn einen Knopf annähen; und ein Hausmädchen
wird sich auch im Falle der höchsten Not schwerlich
herbei lassen, ein Kind aufs Töpfchen zu setzen. Einer
geborenen Amerikanerin zumuten zu wollen, die Stiefel
zu putzen, wäre ungefähr gleichbedeutend mit schwerer
körperlicher Mißhandlung. Eine junge deutsche Dame,
die einen amerikanischen Landsmann geheiratet hatte,
erzählte mir, daß sie, um den Schwierigkeiten der Dienstbotenwirtschaft
zu entgehen, sich eine alte, treu anhängliche
Dienerin mitgebracht habe, die schon 14 Jahre in
der Familie gewesen war. Nach drei Wochen bereits
habe sie ihr die Stiefelbürste vor die Füße geworfen und
erklärt, daß sie sofort heimreisen werde, wenn ihr solche
entwürdigende Zumutung noch länger gestellt würde.
An einer Frauenuniversität, an der ich eine Vorlesung
gehalten hatte, wurde mir das einzige für männliche
Gäste reservierte Zimmer zum Übernachten angewiesen,
in welchem der Herr Bischof untergebracht zu werden
pflegte, wenn er zur Kirchenvisitation kam. Ich entdeckte
im Badezimmer ein schön poliertes Mahagonikästchen,
und als ich es neugierig öffnete, fand ich darin
ein komplettes Wichszeug vor. Der Herr Bischof mußte
sich also auch höchst eigenhändig seine Stiefel putzen,
da es im Gebiete der Damenuniversität natürlich keinen
öffentlichen Wichsier gab. Daß gerade gegen die ehrenhafte
Betätigung des Stiefelputzens ein solches Vorurteil
besteht, ist um so merkwürdiger, als der freie Amerikaner
niederen Standes es sonst durchaus nicht für unter seiner
Würde hält, seine Karriere als Inhaber eines Straßenwichsstandes
zu beginnen und als nicht wenige der heutigen
Multimillionäre in diesem Geschäft den Grundstock
ihres Vermögens legten!
Karriere besserer Dienstmädchen.
Deutsche Dienstmädchen gibt es schon lange kaum
mehr; die meisten der Damen, die so anfingen, fahren
heute in ihrem eignen Auto spazieren. Denn wenn sie
auch nur eine Ahnung von der edlen Kochkunst hatten
und einigermaßen nett anzusehen waren, wurden sie mit
Wonne von besser situierten Landsleuten geheiratet. Auch
die einstmals als Hausmädchen besonders beliebten Irinnen
trifft man heute höchstens noch in sehr vornehmen Hotels
in dieser Stellung an. Im Westen soll es noch schlimmer
sein als im Osten. In San Franzisco verdient ein Maurer
7 $, also gegen 30 Mk. pro Tag! Selbstverständlich
denken seine Töchter nicht daran, in Dienst zu gehen,
auch nicht in die Fabrik. Sie spielen lieber Klavier und
gehen in echten Ponypelzen spazieren. Gegenwärtig sind
Ungarinnen besonders gefragt, und wer eine solche dralle,
hochgestiefelte Pußtadirne nicht erschwingen kann, der
nimmt mit einer Kroatin, Slowakin, Ruthenin oder dergleichen
vorlieb. Wer aber dem ewigen Ärger und der
ewigen Angst, ob er morgen noch auf die Unterstützung
seiner Perle zu rechnen oder abermals den Gang aufs
Mietsbureau anzutreten haben werde, seiner Konstitution
nicht zutraut, oder als echter Demokrat zu feinfühlig ist,
um Menschen seinesgleichen, freie Mitbürger in unwürdiger
Abhängigkeit zu erhalten, der verzichtet überhaupt
auf häusliche Dienstboten. Und zu diesen vernünftigen
Leuten gehören fast alle Männer, die das Glück hatten,
eine Frau zu erwischen, die von Küche und Haushalt
etwas versteht, und der eine rege Betätigung im eignen
Heim mehr Freude macht, als das fade Gesellschaftsleben
und die Hetze von Verein zu Verein, von Vergnügen
zu Vergnügen.
Der Professor als Mädchen für Alles.
An einem sonnigen Sonntagvormittag traf ich beim
Spaziergang durch eine der reizenden ländlichen
Universitäten des Nordens eine meiner neuen Bekanntschaften
von einem Diner am vorhergehenden Abend.
Es war ein hochgewachsener, schlanker junger Herr in
den Dreißigern, der in einen höchst eleganten Sealskinpelz
gehüllt, einen glänzend gebügelten Zylinderhut auf
dem Kopf und eine edle Havanna mit goldfunkelnder
Leibbinde zwischen den kostbar plombierten Zähnen –
einen eleganten Kinderwagen mit Inhalt vor sich herschob!
Lebhaftes Interesse für seinen glücklicherweise
schlummernden Sprößling heuchelnd, begrüßte ich den
Herrn Professor. Er mochte mir wohl anmerken, daß
mir begriffsstutzigen Europäer seine väterliche Betätigung
in diesem Aufzuge etwas sonderbar vorkomme
und erklärte mir aus freien Stücken den Zusammenhang.
„Look here“, sagte er, „wir sind jung verheiratet, wir
haben nur ein kleines Haus und ein kleines Einkommen;
wir können uns keine Dienstboten halten – außerdem
ziehen wir es vor, in unserer zärtlichen jungen Ehe unbeaufsichtigt
zu bleiben und wollen uns nicht den halben
Tag den Kopf darüber zerbrechen, wie wir aus unserer
Mary oder Jane die größtmögliche Arbeitsleistung herausziehen
könnten, ohne ihrer Empfindlichkeit als Mitbürgerin
zu nahe zu treten. Wir haben nur eine alte
Negerin zur Hilfe, die vormittags zwei Stunden die gröblichere
Arbeit verrichtet, und einen Mann, der alle Wochen
einmal die Asche aus dem Zentralfeuerloch im Keller
ausräumt und die Müllkasten vor die Tür stellt; alles
andere besorgen wir selbst. Sehen Sie, heute früh z. B.
habe ich zunächst, wie alle Tage, das Feuer in der Zentralheizung
geschürt und Kohlen nachgefüllt, dann habe ich
Kaffee gekocht, da meine Frau nicht ganz wohl ist, und
das Frühstück für uns beide hergerichtet. Dann habe
ich, weil es in der Nacht lustig geschneit hat, vor unserer
Haustür und auf dem Trottoir Schnee geschippt und
darauf mich wieder in einen Gentleman verwandelt. Da
es darüber für die Kirche zu spät geworden war, habe
ich vorgezogen, meine Sonntagsandacht in Gesellschaft
meines vorläufig einzigen Sohnes durch ein edles Rauchopfer
im Sonnenschein zu verrichten. Zum Luncheon
behelfen wir uns mit kalter Küche, und wenn meiner
Frau bis abends nicht besser wird, so nehme ich mein
Dinner im Klub, nachdem ich ihr eine Suppe gekocht und
eine Konservenbüchse gewärmt habe. Vor dem Schlafengehen
schütte ich dann noch einmal im Keller Kohlen
auf die Heizung, und damit habe ich alles getan, was
die Haushaltungsmaschine braucht, um regelrecht zu
funktionieren.“
„Sehr schön,“ sagte ich in ehrlicher Anerkennung.
„Aber das nimmt Ihnen doch sehr viel Zeit weg. Und
wenn Sie nun früh morgens eine Vorlesung haben, was
machen Sie dann?“
„Well, dann stehe ich eben eine Stunde früher auf,“
lachte er vergnügt, „und gehe abends eine Stunde früher
ins Bett. Das ist sehr gesund. Ich habe immer acht
Stunden guten Schlaf, und wenn die Frau wohlauf ist,
kostet mich mein Anteil an der Hausarbeit kaum mehr
als eine Stunde am Tag. Wir haben es noch nie bereut,
die Wirtschaft mit den Dienstboten überhaupt erst gar
nicht probiert zu haben. Und dabei brauchen wir noch
nicht einmal auf Geselligkeit im Hause zu verzichten.
Wie haben schon einmal 50 Leute eingeladen gehabt.“
„Nicht möglich! Wie haben Sie denn das angestellt?“
„O, sehr einfach. Wir besitzen Service für 12 Personen,
also waren wir 12 Personen zum Lunch. Natürlich
haben wir kein Eßzimmer, in dem 12 Personen bei
Tische sitzen könnten, es mußte sich also jeder setzen,
wo er gerade Platz fand. Dann kriegte jeder einen Teller,
eine Serviette und ein Besteck, und darauf wurden die
Schüsseln, eine nach der anderen, herumgereicht – alles
auf denselben Teller. Bei einigem guten Willen geht es
schon, und meine Frau kann wirklich kochen. Natürlich
hatten wir dabei Hilfe, aber nicht etwa bezahlte Mädchen,
sondern zwei meiner Studentinnen; die machen das viel
intelligenter und netter. Nach dem Essen kamen dann
die übrigen 38 Personen – die wurden aber nur mit
geistigen Genüssen traktiert. Ich las ihnen etwas vor,
und eine meiner akademischen Aushilfskellnerinnen spielte,
von meiner Frau begleitet, einige Flötensolos. Außerdem
konnten wir sogar noch mit der berühmtesten Schönheit
von Pawtucket, Connecticut, die sich gerade auf der
Durchreise befand, aufwarten!“ – –
Und so wie dieser junge Professor halten es die meisten
vernünftigen Amerikaner von ähnlicher gesellschaftlicher
Position und Vermögenslage. Wir waren einmal bei der
Dekanin einer Frauenuniversität zu einem intimen Diner
geladen. Während des Essens stieß mich meine Frau
unter dem Tisch mit dem Fuße und richtete meine Aufmerksamkeit
durch ihre Blicke auf die bedienende Maid,
die in ihrem weißen Kleid, mit dem weißen getollten
Häubchen auf dem üppigen Blondhaar allerdings eine
Sehenswürdigkeit darstellte. Wir drückten der Gastgeberin
erst auf Deutsch, und als dies durch warnendes
Räuspern abgelehnt wurde, auf Französisch, dann auf
Italienisch unsere Bewunderung für dieses nicht nur ungewöhnlich
hübsche, sondern auch ungewöhnlich intelligent
aussehende Hausmädchen aus. Da aber fing die
ganze Gesellschaft zu kichern an, und die schöne Blondine
bekam einen roten Kopf und hastete in größter Verlegenheit
hinaus. Und nun wurde uns anvertraut, daß
dieses reizende Servierfräulein eine junge akademische
Kollegin von Fräulein Professor sei, nämlich – die Privatdozentin
für Sanskrit!
Demokratischer Stolz.
Unstetigkeit des Handwerks.
Das Merkwürdige an diesem kleinen Erlebnis soll nun
nicht so sehr der Umstand sein, daß es in der neuen Welt
bereits Privatdozentinnen für Sanskrit gibt, welche obendrein
auch noch sehr hübsch sind, als vielmehr, daß in
diesem angeblich so freien und vorurteilslosen Lande
zwar die gebildeten Menschen keinerlei notwendige Arbeit
scheuen und sich in der liebenswürdigsten Weise gegenseitig
in ihren häuslichen Schwierigkeiten aushelfen,
während gerade die untersten, auf körperliche Arbeit
angewiesenen Stände die Lohnarbeit im Hause geradezu
als eine Schande anzusehen scheinen. Obwohl es in dem
Lande, wo die Dienstboten so hoch entlohnt werden wie
nirgends in der Welt und mit zarter Rücksicht wie die
rohen Eier behandelt werden müssen, damit sie nicht
gleich wieder fortlaufen, keifende Hausdrachen und grob
anschnauzende Hausherrn wie bei uns wohl überhaupt
nicht geben dürfte, ziehen doch die Mädchen die unangenehmste
Arbeit in der Fabrik, den anstrengenden
Laden- und Bureaudienst dem bequemen Schlaraffenleben
als Haushaltsangestellte vor. Gehorchen zu sollen
ist eben für den Amerikaner die furchtbarste Zumutung,
die man ihm stellen kann. Er dient nur so lange, wie
er es absolut nötig hat. Sobald er sich ein paar Dollar
zurückgelegt hat, sucht er sich selbständig zu machen.
Bei dem elenden Dasein eines kleinen Handelsmannes,
der auf der Straße Ansichtspostkarten, Popcorn oder
Kaugummi verkauft, fühlt er sich zehnmal stolzer und
zufriedener, als in der bequemsten häuslichen Stellung,
in der er sich einem fremden Willen unterzuordnen hat.
Es kommt noch dazu, daß dem Bürger der Neuen Welt
nicht nur jedes Gefühl für die Schönheit und Würde
des sich Einfügens in ein patriarchalisches Abhängigkeitsverhältnis
von Herr und Knecht, von Meister und
Geselle, sondern auch jeglicher Zunftstolz abgeht, jegliche
Liebe zu dem Handwerk etwa, in das einer hinein
geboren oder für das einer bei uns erzogen wird. Im
Grunde genommen sind die Menschen drüben alle Spieler
und Glücksritter. Sie ergreifen ohne langes Besinnen,
was sich ihnen gerade bietet, und treiben es nur so lange
– until a better job turns up –, bis sich eine bessere Sache
bietet. Jeder junge Mensch drüben fühlt sich einfach zu
allem berufen. Wenn er heute aus Hunger zugreifen und
sich in den weißen Anzug eines New Yorker Straßenkehrers
stecken lassen müßte, so zweifelte er darum doch
keinen Augenblick daran, daß er berufen sein könnte,
übers Jahr bereits Teilhaber einer Minenausbeutungsgesellschaft
in Oklahama zu sein und auf der Höhe seines
Lebens in den Senatspalast von Washington einzuziehen.
Es ist eigentlich niemand etwas Gewisses in diesem Lande;
selbst bei meinem Kollegen, dem erfolgreichen Dramatiker,
bin ich nicht sicher, ob er nicht übers Jahr Flugmaschinen
fabriziert oder Truthähne en gros züchtet.
Daher kommt es, daß auf dem Gebiete der persönlichen
Dienstleistungen und des handwerklichen Betriebs keine
fachmännische Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit existiert.
In Madison (Wisconsin) ließ ich mir einen zerbrochenen
Zeiger an meiner Uhr durch einen neuen ersetzen. Als
ich nach Hause kam, stellte sich heraus, daß der neue
Zeiger sich absolut nicht bewegte. Der angebliche Uhrmacher,
der ihn eingesetzt hatte, war vermutlich vorgestern
noch Verkäufer in einer geräucherten Fischwarenhandlung
gewesen. In New York wollte ich mir
eine Kleinigkeit an einem silbernen Stockgriff löten lassen.
Man schickte mich von Pontius zu Pilatus über fünf
Instanzen hinweg; endlich, in einer Silberwarenfabrik,
erbot sich der Besitzer nach vielen Bedenklichkeiten
und Hin- und Herreden über Wetter und Politik, einen
seiner Arbeiter zu ersuchen, die Kleinigkeit zu besorgen.
Ich bekam auch wirklich schon nach ein paar Minuten
meinen Stock zurück. Der äußerst geschickte Silberarbeiter
hatte das losgelöste Monogramm allerdings mit
dem Lötrohr befestigt, dabei aber den oberen Rand des
Stockes zu Kohle verbrannt. Und als ich mit dem reparierten
Gegenstand daheim anlangte, mußte ich die
Entdeckung machen, daß das Monogramm endgültig verloren
war, nachdem es 14 Tage lang doch wenigstens
noch an einem Faden gehangen hatte. Man gibt sich
eben in diesem großen Lande nicht gerne mit Kleinigkeiten
ab. Was mit der Maschine nicht gemacht werden
kann, das wird schlecht oder gar nicht gemacht, weil
der Amerikaner seine Menschenwürde so überaus hoch
einschätzt, daß er die Handarbeit und gar das persönliche
Dienstverhältnis verachtet. Darum strengt er auch
seinen hellen Verstand auf das äußerste an, um immer
mehr notwendige Verrichtungen durch die Maschine besorgen
zu lassen und die unumgänglichen Handarbeiten
tunlichst zu vereinfachen. Weil die Dienstboten so rar,
so teuer und so überaus bequem sind, lieben sie z. B. das
Messerputzen durchaus nicht, folglich hat man fast ausschließlich
Messer von Bronze in Gebrauch genommen,
mit denen man zwar nicht schneiden kann, die dafür
aber auch durch einfaches Durchziehen durch heißes
Wasser und Abtrocknen zu säubern sind. Da es nun aber
Messer mit einer scharfen Schneide nicht gibt, so kann
es selbstverständlich auch keinen Braten geben. Das
Roastbeef und das Geflügel macht man durch Zerreißen
zwischen Gabel und Messer einigermaßen mundgerecht.
Im allgemeinen aber richtet man die Speisen lieber gleich
in einer breiförmigen Gestalt her, sodaß sie nur einfach in
den aufgesperrten Rachen hineingeschaufelt zu werden
brauchen; man spart damit auch viel kostbare Zeit.
Vorläufig findet ja noch ein starker Zustrom von
slawischen, südeuropäischen und westasiatischen Völkerschaften
statt. So lange diesen noch nicht der Knopf
aufgegangen ist, d. h. so lange sie sich ihrer Bedeutung
als selbstherrliche Bürger der glorreichsten Republik der
Welt nicht bewußt sind, geben sie sich ja noch teils aus
Hunger, teils aus angeborener Knechtseligkeit zu Kellnern,
Hausmädchen und dergl. her. Aber, wie gesagt, immer
nur bis der bessere „Job“ auftaucht, dann gesellen sie
sich alsbald der stolzen Klasse der selbständigen Unternehmer
zu. Wenn nun aber einmal das Land voll ist,
so daß es seine Tore vor den Einwanderern zusperren
muß – wer soll dann all die häusliche und sonstige,
niemals völlig aus der Welt zu schaffende Handarbeit
verrichten? Ich legte diese kniffliche Frage auch meinem
hochverehrten Gastfreunde in Ithaka, Andrew D. White,
dem früheren Botschafter in Berlin, vor. Er wiegte bedenklich
seinen schönen weißen Gelehrtenkopf, und dann
gab er mir verschmitzt lächelnd zur Antwort: „Ja, sehen
Sie, wir Amerikaner sind eben Optimisten. Wir sagen:
es ist noch immer gegangen, und dies wird auch gehen,
so oder so. Warum sollen wir uns die Köpfe unserer
Enkel zerbrechen?“
Schwierige Frage an die Zukunft.
Hm! allerdings – man hat schon Bronzemesser eingeführt
und auf Braten verzichtet; man kann sich ja das
Bett, das man jetzt schon allgemein abends selber aufdecken
muß, auch morgens selber machen; man kann
auch seine Frau hinten zuknöpfen, ohne an seiner
Mannesehre Schaden zu leiden, aber man kann schließlich doch
nicht auf Wohnen, Schlafen, Essen, Kinderkriegen und
Sterben im eignen Heim gänzlich und unter allen Umständen
verzichten. Und alle diese Notwendigkeiten
setzen doch wenigstens unter gewissen Verhältnissen die
Hilfe von Leuten voraus, die nicht gerade akademische
Bildung oder ein Scheckkonto auf der Bank zu besitzen
brauchen. Wo sollen die herkommen, wenn alle Amerikaner
erst einmal selbständige Unternehmer geworden
sind?
Ich muß gestehen, mein beschränktes Europäergehirn
ist, so oft es über diese Frage nachgedacht hat, schließlich
immer wieder zu demselben Schluß gekommen:
Die selbstlosen Idealisten der Vereinigten
Staaten haben die Sklaverei mindestens
100 Jahre zu früh aufgehoben!
Die Kochkunst der Yankees.
Da ich mich in meinem vorigen Kapitel mit Köchinnen
beschäftigt habe, dürfte es angebracht sein, im Anschluß
ein wenig in die amerikanische Küche hineinzuleuchten.
Nach dem unzweifelhaften Wahrwort, daß
der Weg zum Herzen des Mannes durch den Magen führe,
dürfte es noch sehr lange dauern, bevor Dame Dollarica
sich in der kulinarisch gebildeten Männerwelt einer auch
nur annähernd ähnlichen Beliebtheit erfreut wie Madame
Marianne oder die Commare Italia oder die nahrhafte
Tante Austria. In Dingen des guten Geschmacks tut es
eben der Reichtum allein nicht, sondern die große Vergangenheit
einer aristokratischen Kultur, und innerhalb
dreier lumpiger Jahrhunderte entwickelt sich keine
neue Rasse von Fressern zu Speisern. Wie lange ist es denn
überhaupt her, daß sich die Besiedler der neuen Welt des
Segens sicherer behaglicher Häuslichkeit erfreuen? Viele
der jetzt üppig blühenden Großstädte sind ja erst ein
paar Jahrzehnte und nur ganz wenige über ein Jahrhundert
alt. Der wüsten Raubbau treibende angelsächsische
Kolonist, der meist unbeweibt in selbstgezimmertem
Blockhause hauste, briet sich über dem offenen
Feuer am Spieß seinen Fetzen Fleisch und manschte sich
aus den ihm zugewachsenen Zerealien irgend etwas zurecht,
was einer genießbaren Speise vielleicht entfernt ähnlich
sah. Als dann im 18. und 19. Jahrhundert die weibliche
Zuwanderung sich hob, fanden die mit der Kochkunst
einigermaßen vertrauen Frauen – unter den Britinnen
sind sie nicht besonders häufig – eine Männerwelt vor,
die einfach mit allem zufrieden war, was ihr vorgesetzt
wurde. Erst in neuester Zeit, als die Vereinigten Staaten
willige und splendid zahlende Abnehmer für alle Luxusprodukte
der alten Welt wurden, begannen auch bewährte
Meister der Kochkunst über den Ozean zu ziehen; aber
die traten selbstverständlich nur in den Dienst der vornehmsten
Hotels, der teuersten Restaurants und der
Milliardäre ein und konnten folglich nicht für die breite
Masse des mäßig begüterten Bürgertums erziehlich wirken.
Die amerikanischen Esser sind die dankbarsten der Welt,
weil ihnen im Vergleich zu ihrer barbarischen Küche
natürlich die Speisekarte der Kulturvölker lauter überraschende
Offenbarungen bietet.
Süß muß es sein!
Die unkultivierte Kindlichkeit des Geschmacks offenbart
sich denn auch in Amerika nirgends deutlicher als
auf dem Gebiete der Küche. Das Haupterfordernis der
Eßbarkeit ist für den Yankee die Süße. Alles, was süß
ist, schmeckt ihm ausgezeichnet. Bezeichnenderweise ist
es mir trotz größter Mühe nicht gelungen, irgendwo in
den Vereinigten Staaten ein Mundwasser aufzutreiben,
das nicht schauderhaft verzuckert gewesen wäre. So ist
Süßigkeit das erste, was der Yankee, sobald er sich dem
Schlaf entwunden, in den Mund bekommt. Seinem ersten
Frühstück geht der Genuß von Früchten: Orangen,
Grapefruit oder Melonen voran, die unter einem Berge
von Streuzucker mit dem Löffel hervorgegraben werden.
(Nebenbei gesagt: das Fruchtessen vor dem Frühstück
ist die einzige nationale Speisesitte, die ich Europäern
zur Nachahmung empfehlen möchte. Die wundervoll
saftige Grapefruit mit ihrem Chiningehalt besonders ist
höchst erfrischend und bekömmlich.) In einem üppigeren
Haushalt ist schon der Frühstückstisch reicher gedeckt
als bei uns manche Mittagstafel. Beefsteak,
Hammelkotelette, Fischgerichte, kalter Aufschnitt verschiedenster
Art werden von den Männern bevorzugt, während die
Frauen und Kinder eine große Auswahl der zum Teil
wunderlichsten Eier- und Mehlspeisen zur Verfügung
haben. Weizen, Korn, Gerste, Mais, Hirse, Buchweizen,
Hafer, Reis, kurz: alle erdenklichen Getreidearten erscheinen
in der Form von Grütze, Graupen, Flocken,
Fäden oder papierdünnen Schnipfeln, roh, gekocht oder
geröstet und werden größtenteils mit Rahm und sehr
viel Zucker angerührt. Dünne Eierkuchen werden mit
übersüßen Fruchtsäften übergossen, und der Toast sowie
die meist gleichfalls süßen Semmeln mit Fruchtgelees
und Marmeladen bestrichen. Diese Vorliebe für den
Genuß von Süßigkeiten von Tagesanbruch ab ist aber
durchaus nicht etwa auf die Frauen und Kinder oder auf
die wohlhabenden Klassen beschränkt, sondern sie ist
ganz offenbar eine nationale Raserei.
Es gibt in den Vereinigten Staaten keine Cafés im
Wienerischen Sinne. Als ich daher einmal auf dem Broadway
ein Wirtshausschild mit der Aufschrift „Coffeehouse“
erblickte, stürmte ich begeistert in das Lokal. Es war
eine große reinliche Halle, die Diele mit Sand bestreut,
ohne Tische und Stühle, nur den Wänden entlang zogen
sich Holzbänke, die durch Zwischenwände in einzelne
Sitze eingeteilt waren, und auf diesen trennenden Seitenwänden
waren genügend breite, rund geschnittene Bretter
angebracht, um eine Tasse und einen Teller daraufstellen
zu können. Am Kopfende der Halle befand
sich ein riesiges Buffet, auf dem die herrlichsten
Kuchen und Torten aufgebaut waren, sowie zwei blitzblanke
vernickelte Samovars für Tee und Kaffee.
Das Publikum dieses eigenartigen Kaffeehauses bestand
aber ausschließlich aus Droschkenkutschern, Chauffeuren,
Messenger Boys, Policemen und Arbeitern. Keine Frau
betrat das Lokal. Kaffee gab es reichlich und anständig,
und den ganz vorzüglichen und für New-Yorker Verhältnisse
sehr billigen Schaum- und Fruchttorten, Apfelkuchen
mit Schlagrahm und Minced Pie sprach dieses
robuste Mannsvolk mit dem Behagen schleckermäuliger
Schuljungens zu.
Icecream und Zahnarzt.
Die eigentliche Nationalspeise ist keineswegs das
Roastbeef oder der hochfestliche Turkey (Puter), sondern
der Icecream, das Gefrorene. Icecream wird Winters
und Sommers von mittags bis Mitternacht verzehrt
von Alt und Jung, von Hoch und Niedrig; Icecream
besänftigt die ungebärdigen Säuglinge; Icecream gilt
als Vorspeise, als Dessert, als Kompott sogar; er kehrt bei
großen Diners mehrmals im Laufe der Speisenfolge als
Zwischenaktsmusik wieder, er ersetzt den verpönten
Alkohol und bewirkt, daß die Amerikaner sich der besten
Zahnärzte der Welt erfreuen – denn das schroffe Durchsetzen
siedheißer Suppen und glühender Breie mit Eiswasser
und Icecream können selbst die besten Gebisse
nicht vertragen. Der Schmelz springt ab, und die vom
ewigen Zuckerschleimstrom umspülten, schutzlosen Zähne
sind der Karies rettungslos preisgegeben. Infolgedessen
hat jedermann fortwährend den Zahnarzt nötig, und man
braucht sich nicht zu wundern, Kanalausräumer und
schmierige Nigger mit so viel Gold im Munde zu sehen
wie die köstlichste Maimorgenstunde.
Tafelfreuden im Pensionat.
Ich habe bereits im vorigen Kapitel darauf hingewiesen,
wie durch den Mangel an Dienstpersonal die
Küche und die Tafelgewohnheiten beeinflußt werden.
Ich bemerkte, daß durch den Mangel an scharfen
Messern mit schwer zu putzenden Stahlklingen ein Braten
zu einer schwer zu bewältigenden Speise geworden sei.
Folglich kommen gekochtes Rindfleisch, Schmorbraten,
Sauerbraten, Kalbs- und Hammelsrücken oder Schlegel
so gut wie gar nicht auf den Tisch. Das nationale angelsächsische
blutrünstige Roastbeef, drüben jedoch nicht
so, sondern Prime rib of Beef genannt, muß man von
der Gabel mittels des stumpfen Bronzemessers abzustemmen
versuchen, wenn man nicht vorzieht, den ganzen
Fladen in den Mund zu nehmen und mittels der Gabel
oder der Finger durch die Zähne zu ziehen. Übrigens
sind diese Ochsenrippenstücke neben den sehr üppigen
und teuren Rinds- und Hammelsteaks das einzige gebratene
Fleisch, welches wirklich schmackhaft zubereitet
zu sein pflegt, während Kalbskoteletten und Schnitzel
meistens ungenießbar sind. Als niedliches Kuriosum
möchte ich erwähnen, daß ich einmal bei einem Sonntagsdiner
Honig als Kompott zum Roastbeef angeboten bekam!
Geflügel wird sehr viel mehr als bei uns gegessen. Es wird
zu unwahrscheinlichen Dimensionen herangezüchtet. Ich
habe Hennen gesehen, die so hoch waren wie ein Storch
und so fett wie ein Mops; aber das Fleisch dieser abnorm
großen Tiere ist dafür auch wenig zart, und die Keulen
besonders bekommen einen ganz anderen Charakter als
das Brustfleisch; es wird beim Braten braun und mürbe,
während das weiße Fleisch trocken und charakterlos
bleibt. Meistens wird einem aber der Genuß selbst eines
wohlgeratenen jungen Hahns durch eine pappige, süßliche
Mehltunke verkümmert. Da das Tellerabwaschen
die Geduld des feinnervigen Küchenpersonals auf eine zu
harte Probe stellen würde, so muß man sich, wenigstens
in Haushaltungen bescheideren Stils, die ganze Mittags-
oder Abendmahlzeit einschließlich des Kompotts auf ein
und denselben Teller packen. In dem Boardinghouse
bester Art, in dem wir in New-York wochenlang lebten,
bestand die sonderbare Sitte, daß nach der Suppe warme
Teller mit einem Kleckschen Fisch, etwa von Daumendicke
und -länge, verabfolgt wurden, selbstverständlich
in einer seimig-süßen Sauce versteckt. (Übrigens sind die
Fische des Atlantischen Ozeans auf der amerikanischen
Seite wenig schmackhaft; wirkliche Delikatessen findet
man nur unter den Fluß- und Süßseefischen.) Nachdem der
Fischbissen verschluckt, beziehungsweise mißtrauisch auf
den hohen Rand geschoben war, wurde der ganze Tisch voll
kleiner Platten gestellt: verschiedene Fleischsorten verwischten
Charakters, unseren Klopsen, falschen Hasen, Bouletten,
Rouladen und dergleichen ähnlich, in irgendeiner
mehlweißen oder kapuzinerbraunen Schmiere halb versunken,
das unvermeidliche Chicken, dazu verschiedene Gemüse,
unter denen grüne Erbsen, Lima-Bohnen und Blumenkohl
die genießbarsten, sowie Kartoffeln in mehrerlei
Aufmachung, in der Schale im ganzen gebacken – man
bricht sie auf und schält sie mit dem Teelöffel heraus;
recht empfehlenswert – oder als Brei, oder kloßartig,
oder gebraten. Niemals fehlen auf dem Tische die beliebten
Sweet Potatoes, Gebilde von Gurkenausdehnung,
vor denen ich Fremdlinge eindringlichst warnen möchte,
denn sie sehen wie gezuckerte Glyzerinseife aus und
schmecken leider auch so ähnlich.
All diese Genußmittel, noch um diverse eingekochte
Früchte vermehrt, arrangiert man sich nun nach Geschmack
und Talent auf seinem Fischteller, und man kann
von Glück sagen, wenn einem die Gräten nicht in die
grünen Erbsen, das Kompott nicht in die ausgehöhlte
Kartoffelpelle und die Hühnerknochen nicht in den falschen
Hasen geraten. Echte Hasen gibt es überhaupt nicht.
Der Ersatz dafür, und überhaupt das einzige einheimische
Wild, ist das hasenfarbige Rabbit (Kaninchen), das die
Natur da drüben aus Kautschuk verfertigt zu haben
scheint – möglicherweise wird es aber auch aus Abfällen
der Schuhfabrikation künstlich hergestellt. Alles übrige
Wild haben die begeisterten Freischützen in den kultivierteren
Staaten schon längst abgeschossen – bis auf
die Ratten und die Klapperschlangen. Hat man die
eßbaren Bestandteile der wüsten Speisenaufhäufung auf
seinem Universalteller herausgefuttert, so bilden die Überbleibsel
ein ästhetisch reizvolles Stilleben. Sind sie endlich
entfernt, so erscheint als eiserner Bestand jedes amerikanischen
Menüs sowohl im Hotel ersten Ranges, wie auf
dem einfachsten bürgerlichen Mittagstisch der Salat, der
niemals in einer Schüssel herumgereicht, sondern immer
fertig auf winzigen flachen Tellerchen einem vorgesetzt
wird. Mich wundert, daß noch kein Yankeedichter diesen
Salat besungen hat, denn in ihm feiert die Phantasie des
amerikanischen Kochkünstlers orgiastische Triumphe.
Amerikanischer Salat.
Ich glaube, es gibt in den drei Naturreichen nichts,
was nicht in solch einem amerikanischen Salat zu finden
wäre. Den Grundstock bilden ein bis drei große grüne
Blätter, die nicht unbedingt der Salatstaude zu entstammen
brauchen. Darauf werden einige Tropfen Essig
und Öl geschüttet und auf dieser Unterlage ein mehr oder
minder kühner Aufbau von allem möglichen und unmöglichen
Süßem, Sauerem, Salzigem, Bitterem, Hartem,
Weichem, Flüssigem, Genießbarem und Ungenießbarem
vollzogen. In einem feinen Hause, in dem sich die Hausfrau
selbst auf ihre Kochkunst viel zugute tat, wurde
beispielsweise eine solche Salatdichtung mit außerordentlichem
Beifall beehrt, deren Komposition ich dem Augenschein
und der Zunge nach ungefähr folgendermaßen
analysieren möchte: zwei Blätter Salat mit je fünf Tropfen
Essig und Öl, darauf eine Scheibe frische Tomate, eine
viertel Scheibe Ananas, etwas weißes Hühnerfleisch,
einige Scheiben Radieschen, einige gepickelte Erbsen und
Karotten, ein Klecks Butter, mit Streuzucker durchgerührt,
ein Teelöffel Schokoladencream und eine Rumkirsche
als Turmknopf oben drauf. Totaleindruck auf
Zunge und Gaumen zauberhaft; schmeckt – wie mein
Freund, der Rechtsanwalt in Landau, sagen würde –
wie Öl und Werg! Diese kulinarische Offenbarung erfolgte
aber, wie gesagt, in einem Hause, dessen Herrin ihren
Xenophon in der Ursprache zu lesen vermochte. In minder
gebildeten Familien ist man natürlich weniger wählerisch
und verwendet zur Salatbereitung die nächstliegenden
Gegenstände, also in erster Reihe die mehr oder minder
traurigen Überreste früherer Mahlzeiten, soweit sie eßbaren
Naturprodukten einigermaßen noch ähnlich sehen.
Fehlt es aber zum Beispiel an gepickelten Spargelspitzen,
so kann man dazu auch einen klein geschnittenen Spazierstock
verwenden, da die Spazierstöcke drüben außer
Mode gekommen sind, und statt der Fleischbeigaben die
Reste in Gedanken stehen gebliebener Gummigaloschen,
die die Trüffel täuschend ersetzen, zumal, wenn sie vorher
in sauren Rahm eingelegt und dann mit braunem Zucker
kandiert werden. Salat von Fischgräten, Kalmus und
Bananen, mit roten Pfefferschoten und Knallerbsen garniert,
soll auch sehr gut sein; ich habe ihn aber nicht gegessen,
sondern nur nach einer besonders anregenden Mahlzeit –
erträumt!
Den Fruchttorten, die man an Stelle der Mehlspeisen
zum Nachtisch reicht, wird regelmäßig ein derbes Stück
Käse beigefügt; zu welchem Zwecke, weiß ich nicht. Als
ich zum erstenmal diese Zusammenstellung erblickte,
steckte ich den Käse instinktiv in die Westentasche; ich
hielt ihn für ein Stück Radiergummi, den ich in meinem
Geschäft immer brauchen kann. Befindet sich Obst auf dem
Tische, so nehme man sich davon beizeiten und reichlich,
fülle auch womöglich seinen Pompadour damit an, denn
alles Obst ist in Amerika von ganz vorzüglicher Qualität –
und man weiß ja nie, wie’s kommen mag! Was meine Person
betrifft, so muß ich gestehen, daß ich mich während der
ganzen Boardinghouse-Periode kümmerlich von Austern und
Hummern genährt habe, denn die sind von unvergleichlicher
Güte, Größe und Nahrhaftigkeit und nebenbei auch das
einzige amerikanische Produkt, das man – neben Stiefeln –
als billig bezeichnen kann. Europäer von noch nicht genügend
fortgeschrittener Perversität möchte ich jedoch vor
den Clams warnen, einer kleinen, lachsfarbenen Muschelart,
deren penetranter Nachgeschmack einen besseren Neurastheniker
zum Selbstmord verführen könnte.
Die raffinierten Schlemmer unter den Yankees sind
übrigens sehr selten, und ihre Begierde wandelt andere
Pfade wie die des europäischen Genießers. Im vornehmsten
Hotel in Buffalo „Zum Irokesen“ sollte ich
zum erstenmal die Bestimmung eines geheimnisvollen
Utensils kennen lernen, das mir schon in vielen Hotels
und Restaurants aufgefallen war: ein massives, etwa
einen halben Meter hohes, zylindrisches Silbergerät mit
einer oben herausragenden, durch einen derben Querbalken
betätigten Schraube. Ein einsamer Speiser ließ
sich an einem Nebentisch nieder, dessen Bestellung sogleich
eine Menge Kellner in aufgeregte Bewegung versetzte.
Offenbar war dieser wuchtige Geselle mit dem
römischen Imperatorenkopf ein Genießer höherer Grade.
Nach längerer Zeit brachte man eine große verdeckte
silberne Schüssel, die auf ein Spiritusrechaud gestellt
wurde. Zwei Kellner trugen dann jenen rätselhaften
schweren Silbergegenstand herbei und schraubten dessen
obere Hälfte ab. Darauf hob der Oberkellner mit feierlicher
Miene den Deckel der Silberschüssel auf und spießte
von den beiden darunter befindlichen, leicht angebratenen
Vögeln (Enten waren es meiner Meinung nach) einen auf
und pfropfte ihn mit Mühe in jenen Zylinder hinein,
worauf das Oberteil wieder aufgesetzt und nunmehr die
Schraube mit Anstrengung beider Hände betätigt
wurde. Aus einer Ausflußöffnung am Boden des Gefäßes
rann dickes, schwärzliches Blut in eine vorgehaltene
Schale. Dieses Blut wurde mit allerlei Gewürzen angerührt
und schließlich als Sauce über den anderen halb
rohen Vogel gegossen. Dieses kannibalische Gericht
verzehrte der Einsame mit dem Gleichmut eines Lukull.
Ich erinnere mich nicht, ob er Tee dazu getrunken hat.
Zu verwundern wäre es weiter nicht gewesen, da der
Yankee auch die opulentesten Mahlzeiten mit Eiswasser,
Tee oder Kaffee hinunter zu spülen pflegt.
Billige Speisehäuser.
Der Fremde, dessen Mittel nicht ausreichen, in erstklassigen
Hotels und Restaurants zu speisen, und der
sich mit der Yankeeküche gewöhnlichen Schlages nicht
zu befreunden vermag, fährt am besten, wenn er sich in
eines der zahlreichen, meist billigen und einfach gehaltene
Speisehäuser begibt, die seine heimische Küche
pflegen. Man kann in dem teuren New York, und wohl
auch in den meisten der ganz großen Städte, französisch,
deutsch, italienisch, griechisch, polnisch, ungarisch, chinesisch
und koscher essen. Namentlich an guten, sehr billigen
italienischen Lokalen, in denen es noch einen trinkbaren
Wein gratis gibt, ist in New York wenigstens kein
Mangel. Dagegen habe ich wienerische Speiserestaurants
ebenso schmerzlich wie Wiener Cafés vermißt. Ich meine,
hier wäre noch eine Kulturmission für die Einwanderer
der österreichischen Kronländer zu erfüllen. Wenn ich
drüben irgendwo ein Stück Rindfleisch mit Beilage, wie
bei Meisl & Schaden, vorgesetzt bekommen hätte, ich
hätte es knieend verzehrt und hernach stehend die österreichische
Nationalhymne gesungen. Und die Einführung
des Berliner Systems Kempinski, nämlich eine große Auswahl
von Gerichten in tadelloser Qualität zu einem sehr
billigen Einheitspreis zu geben, könnte eine Revolution des
Ernährungswesens drüben hervorbringen. Bis dahin muß
der deutsche andachtsvolle Genießer mit heißer Liebe
seine wohlhabenden Landsleute umbuhlen, denn es sind
drüben fast allein die Deutschen, die den Schwerpunkt
ihres gesellschaftlichen Ehrgeizes auf eine gute Tafel im
heimatlichen Stil verlegen.
Das Volk der Kauer.
Beim richtigen Yankee scheinen es übrigens nicht die
Geschmackswarzen zu sein, welche ihm den Genuß beim
Essen vermitteln, sondern vielmehr die Kinnbacken und
die Speicheldrüsen. Das Kauen und das Schlucken an
sich macht diese einfachen Naturkinder glücklich. Wer
zum erstenmal nach den Vereinigten Staaten kommt,
kann sich nicht genug darüber wundern, hier einem Volke
von Wiederkäuern zu begegnen. In der Straßenbahn, in
den Geschäften, in den Vergnügungslokalen wie auf der
Straße sind die Kauwerkzeuge dieser seltsamen Nation
in unausgesetzter Bewegung, und ein Widerschein von
Zufriedenheit überstrahlt von dieser Kinnbackenbetätigung
aus die Gesichter. Junge hübsche Ladnerinnen kauen,
wenn sie mittags zum Lunch gehen und wenn sie vom
Lunch ins Geschäft zurückkehren. Die Soldaten kauen
beim Exerzieren; sie würden sicher auch kauend ihre
Schlachten schlagen. Der gesetzte junge Mann mit ernsten
Absichten kaut, wenn er seine Liebeserklärung macht,
und seine Erwählte erwidert errötend: „Mum mum mum
– tschap tschap, sprechen Sie mit Mama.“ Und der
gewaltige, 125 Kilo schwere Schutzmann rennt kauend
dem Dieb nach und packt ihn beim Kragen mit dem
Ausruf: „Dscham dscham – ich verhafte Sie – mum
mum – im Namen des Gesetzes!“ Ein Stückchen gezuckerter
Gummi (Chewing Gum) zwischen die Backzähne
geschoben, beglückt alle diese Leute wie den Seemann
sein Priemchen und wiegt sie in die freundliche Täuschung
ein, in der besten aller Welten zu leben. Wäre Cartesius
als Yankee zur Welt gekommen, er hätte sicher sein berühmtes
„cogito ergo sum“ abgewandelt in: „Ich kaue,
folglich bin ich.“
Künstlerische Kultur.
Mit Ausnahme einer kleinen Schar hochkultivierter
Geister hat das neue Volk in der Neuen Welt, wie es
scheint, noch keine Zeit gehabt, seinen Schönheitssinn
zu entwickeln. Was durch seine Dimensionen, seine Masse
imponiert, was viel gekostet hat, das muß nach den Begriffen
des Durchschnittsamerikaners auch schön sein.
Planloses Durcheinander.
Es ist mir als höchst bezeichnend aufgefallen, daß
selbst hochgebildete Leute enttäuschte Gesichter machen,
wenn der Fremde, der zum erstenmal durch New York
geführt wird, sich weder durch die berühmten Wolkenkratzer,
noch durch die Verschwendung herrlichen echten
Materials an öffentlichen Prachtbauten, noch etwa durch
die glänzende elektrische Lichtreklame für ästhetisch
besiegt erklärt. Allerdings vermögen diese himmelhohen
Kasten mit den unzähligen Fensterlöchern unter Umständen
schön zu wirken. Wenn man zum Beispiel vom
Hafen her ihre gigantische Silhouette aus der Dämmerung
oder aus leichtem Nebel aufsteigen sieht, so können sie
einen traumhaft phantastischen Reiz entwickeln, der
einen Maler toll und einen Dichter selig zu machen vermag.
Einige von diesen Ungeheuern, wie vornehmlich
das Gebäude der Manhattan-Lebensversicherungsgesellschaft,
sind auch an sich hervorragende Kunstwerke,
und kein Mensch von Geschmack wird die ideale Schönheit
der neuen Staatsbibliothek in weißem Marmor oder die
Genialität des neuen Empfangsgebäudes der Pennsylvaniabahn
bestreiten. Auch die lustigen Spielereien der
beweglichen Lichtreklamen sind nicht nur als mechanische
Kunststücke, sondern auch als witzige Erfindungen und
farbiger Augenschmaus höchst amüsant. Aber all diese
Schönheit, Größe und künstlerisch idealisierte Zweckmäßigkeit
ist nicht einem vorbedachten Plan organisch
eingeordnet, sondern wie aus des Zufalls Hand zwischen
lauter Banalität und entschiedene Garstigkeit hingestreut.
Die Umgebung ist es, die in weitaus den meisten
Fällen die Wirkung der Schönheit des einzelnen zerstört.
Selbst in New York, das doch von vornherein nach einem
durch die geographische Lage bedingten überaus vernünftigen
und klaren Plane angeordnet wurde, und immerhin
der puritanischen Schönheitsfeindlichkeit der Neuenglandstaaten
weniger unterworfen war, scheint doch der künstlerische
Instinkt gefehlt zu haben. Paläste stehen neben
öden Magazinen, neben Wolkenkratzern halbverfallene
niedrige Baracken; entzückende, grünbewachsene gotische
Kirchen findet man eingeklemmt zwischen Metzger- und
Grünkramläden, öffentliche Gebäude von edlen Proportionen
und mit prächtigen Fassaden neben wüsten
Kasten für Bureau- und Werkstattzwecke, an deren
Straßenfronten scheußliche rotgestrichene Feuertreppen
im Zickzack hin und her laufen.
Selbst in der Fünften Avenue, der Straße der prunkvollsten
Läden und der Residenz der Milliardäre, finden
sich noch genug solcher barbarischen Scheußlichkeiten
unter der nagelneuen Pracht verstreut. Und die Nebenstraßen,
wo die kleinen Einfamilienhäuser stehen, zeigen
selbst in den besseren Gegenden ein höchst langweiliges
Einerlei. Auch die nüchternsten modernen Städte Deutschlands,
wie Mannheim und Karlsruhe, fallen den amerikanischen
gegenüber immerhin noch angenehm auf durch
ihre strenge Symmetrie und musterhafte Ordnung, während
die enorm reiche Kommune New York bis heute noch
nicht einmal eine anständige Pflasterung und Straßenreinigung
durchzuführen vermochte. Der Fahrdamm der
Fünften Avenue besteht aus Löchern, zwischen denen hier
und da aus Versehen ein Stück Asphalt liegen geblieben
ist. Oberflächliche Reparaturen werden in der Weise ausgeführt,
daß man mitten auf der Straße zur Freude der
Gassenbuben in diesen Löchern Feuer anzündet; dann
schmilzt der Asphalt ringsherum, und das Loch bekommt
wenigstens abgerundete Ränder. Wem der Arzt eine Vibrationsmassage
gegen Trägheit der Unterleibsorgane verordnet
hat, der braucht nur auf dieser Fünften Avenue –
oder besser noch auf den gepflasterten Hauptstraßen des
nordöstlichen Teiles von Philadelphia – eine halbe Stunde
spazieren zu fahren, dann kann er seinen Blinddarm bei der
Zirbeldrüse und seine Milz unter dem Mastdarm suchen.
Es ist merkwürdig, daß derselbe Amerikaner, den das
wüste Durcheinander in der Außenseite seiner Städte so
wenig zu genieren scheint, doch fast durchweg einen so
guten Geschmack in seiner Kleidung und Wohnungseinrichtung
zeigt. Allerdings ist für die Herrenkleidung
England, für die Frauenkleidung Paris richtunggebend,
allein die dortigen Muster werden doch für den amerikanischen
Geschmack einigermaßen abgeändert, und was
dabei herauskommt, ist meist zweckmäßig und apart.
In der Wohnungseinrichtung zeigt sich der Yankee außerordentlich
konservativ, und der Kolonialstil ist immer noch
maßgebend. Das moderne deutsche Kunstgewerbe hat
kaum noch irgendwo Einfluß ausgeübt; dafür sieht man
auch nirgends in Amerika, selbst im bescheidenen Mittelstande,
so stillos zusammengewürfelte Einrichtungen wie
in der Wohnung des zurückgebliebenen deutschen Spießbürgers.
Man hält zäh fest an der guten englischen Tradition
und verdankt ihr sowohl die praktische Anordnung
der Wohnräume als auch die unaufdringliche Schlichtheit
der Formen, Harmonie der Farben, die zusammen den
Eindruck der Behaglichkeit hervorrufen.
Abenteuer mit Schaukelstühlen.
Spezifisch amerikanisch ist die Vorliebe für Schaukelstühle.
Ich habe Zimmer angetroffen, in denen überhaupt
kein einziger Stuhl fest auf seinen vier Beinen stand, und
wo eine besondere equilibristische Begabung dazu gehörte,
um beispielsweise seine Stiefel zu schnüren oder seinen
Koffer zu packen; denn wenn man seinen Fuß auf solch
ein ungemein niedriges Möbel setzt, so kippt es nach vorn
und rutscht gleichzeitig nach hinten, so daß man also auf
einem Bein dem flüchtigen Stuhl nachhüpfen muß, bis
er an der Wand einen Stützpunkt gefunden hat. Oder
man placiert seinen aufgeschlagenen Koffer auf die Lehnen
zweier gegeneinander geschobener Rockingchairs und
beginnt vergnügt das Packgeschäft. Sobald der sich
füllende Koffer eine gewisse Gewichtsgrenze überschreitet,
neigen sich die stützenden Stühle nach innen, der Koffer
klappt zu und rutscht zwischen den Lehnen durch; es
ist sehr amüsant, unter solchen Umständen seinen Koffer
zu packen. Hin und wieder habe ich auch die Bekanntschaft
mit einladend aussehenden Sitzmöbeln gemacht,
die nicht nur vor- und rückwärts, sondern auch seitwärts
schaukelten. Auf diesen heimtückischen Mokierstühlen
kann man sich ebenso famos für das Kamelreiten trainieren,
wie auf den einfachen Rockers für die Seefahrt. Vermutlich
haben die immer praktischen Amerikaner auch diesen
Nebenzweck im Auge.
So nett und gemütlich nun auch eine solche amerikanische
Durchschnittswohnung anmutet, so wird sie doch
uns deutschen Erzindividualisten recht bald langweilig,
weil sie eben überall dieselbe ist. Ich spazierte einmal
mit einem jungen deutschen Gelehrten die Common
Wealth Avenue in Boston hinunter – nebenbei bemerkt
eine der schönsten Straßen, die mir überhaupt in Amerika
aufgefallen sind. Es befinden sich hier nur vornehme
Familienhäuser, die als besondere Eigentümlichkeit große
Spiegelscheiben im Erdgeschoß aufweisen. Man kann also
von der Straße aus in das Treppenhaus und das Parlor
hineinsehen. Ich freute mich des schönen schmiedeeisernen
Gitterwerks, das diese wohlhabenden Homes
von der Straße abschloß, der prächtigen Türen und anderer
reizvoller Einzelheiten. Da unterbrach mein Begleiter
meine Lobeshymne mit den Worten: „Was wollen Sie
wetten? Unter den zwölf nächsten Häusern von hier
aus finden wir mindestens sechs, in denen wir durch die
Fenster genau dieselbe innere Einrichtung konstatieren
können.“ Und richtig, so war es auch. Aber nicht nur
in sechs, sondern in neun von diesen Häusern stand überall
in derselben Ecke am Parlorfenster dieselbe Säule mit
demselben Blumenkübel darauf und derselben Palme
darin, genau an derselben Stelle derselben Wand befand
sich in allen diesen neun Zimmern das Ehrfurcht gebietende
Sofa mit den Porträts der Eltern oder Großeltern darüber
usw. usw. Immerhin kann man sich diese ermüdende
Uniformität gefallen lassen, da sie doch wenigstens einen
guten Durchschnitt von solider Behaglichkeit verbürgt.
Groteske Geschmacklosigkeiten begegnen einem eigentlich
nur in den Palästen ungebührlich rasch reich gewordener
Emporkömmlinge – gerade wie bei uns.
Die Nacktheit in der Plastik.
Merkwürdig ist auch, wie dasselbe Volk, das sich in
den meisten seiner Vergnügungen und künstlerischen
Betätigungen doch noch recht unkultiviert zeigt, in anderer
Beziehung wieder Leistungen von feinem Geschmack
und hoher Vollendung hervorbringt, zum Beispiel in der
Malerei, in der Photographie, im Buchgewerbe. Während
die amerikanischen Museen zum weitaus größten Teile
noch das sehr zweifelhafte Kunstverständnis ihrer freigebigen
Stifter verraten und ein stilloses Durcheinander
von Kitsch und Kunst bieten, begegnet man in den Ausstellungen
moderner Künstler einer sehr respektablen
Durchschnittsleistung. Von einer bedeutenden Entwicklung
der Plastik kann selbstverständlich in einem Lande,
das die Scheu vor der Nacktheit in der Kunst längst noch
nicht überwunden hat, keine Rede sein. Ich habe mir
sagen lassen, daß auf der Weltausstellung in Chicago zum
erstenmal in den Vereinigten Staaten nackte Frauenkörper
als Karyatiden zu sehen gewesen seien! Ein biederer
Farmer war von diesem völlig neuen Anblick dermaßen
gefangen, daß er überhaupt für nichts anderes in der
ganzen Weltausstellung Interesse zeigte, sondern, die
Augen starr in die Höhe gerichtet, von Saal zu Saal schritt
und dabei kopfschüttelnd vor sich hinseufzte: „Oh good
Lord, what tits, what tits!“
Selbst heute noch hat jede wenig bekleidete allegorische
Figur, die sich in der Öffentlichkeit zu zeigen
wagt, einen heftigen Kampf mit der Geistlichkeit und
den Tanten zu bestehen. Kann es da wundernehmen,
wenn außer etlichen anständigen Porträtstatuen, naturalistischen
Kriegergruppen und Reitermonumenten von
bedeutender Plastik in den Vereinigten Staaten nichts
zu finden ist? Das Ulkigste von Kitschplastik, was mir
persönlich in den Weg gekommen ist, war das Kriegerdenkmal
in Easton (Pennsylvania): auf einer sehr hohen
schlanken Säule ein moderner Militärtrompeter; und im
Schalltrichter seines Instrumentes erglühte nachts eine
elektrische Birne!
Deutsche Musikpioniere.
Allerdings haben die amerikanischen Künstler ihre
Techniken vom Auslande gelernt und stark eigenartige
Glanzleistungen auch nur in den bildenden Künsten
sowie in der Literatur hervorgebracht. Ihre Musik ist
ihnen bis jetzt fix und fertig vom Auslande geliefert
worden. Und selbst die einzige musikalische Spezialität,
die sich zurzeit als echt amerikanisch ansprechen läßt,
nämlich das Volkslied der Neger und der Ragtime (eigenartig
verschobener synkopierter Rhythmus für Tänze
und derbe Couplets), ist doch auf schottischen und irischen
Ursprung zurückzuführen. Es läßt sich aber nicht leugnen,
daß für gute Musik heute schon ein recht großes und
verständnisvolles Publikum vorhanden ist. Wenn man
bedenkt, daß an der Geschmackserziehung des amerikanischen
Hörers erst seit wenigen Jahrzehnten von europäischen
Künstlern planvoll gearbeitet wird, so ist es doch
wohl ein erstaunliches Ergebnis zu nennen, daß man
heute schon den „Parsival“ vor einer andachtsvoll ergriffenen
Zuhörerschaft geben kann, und daß Konzertprogramme,
die ausschließlich aus Beethoven, Brahms, Hugo
Wolf und ähnlichen anspruchsvollen Namen bestehen,
große Scharen anziehen und begeistern. Allerdings finden
bei einer großen Masse selbst der höheren Schichten auch
stillose Programme, in denen ärgste Banalitäten mit
echten Meisterwerken abwechseln, jubelnden Beifall – aber
können wir das in Deutschland nicht auch erleben? Der
Unterschied ist wohl nur der, daß bei uns kein Künstler
von Bedeutung sich so leicht dazu herablassen würde,
dem schlechten Geschmack des Publikums solche Konzessionen
zu machen. Wir Deutschen dürfen uns rühmen,
auf musikalischem Gebiet uns die Meistbegünstigung für
unseren Import von Kunstwerken, Künstlern und Lehrern
erstritten zu haben. Wie haben diese prachtvollen
deutschen Musikanten aber auch arbeiten müssen, in
welchen harten steinigen Boden haben sie oft ihre
Pflugschar drücken müssen, um überhaupt erst den Boden für
ihre Saat zu bereiten.
Ich habe in der Person des Sängers Max Friedrich
einen solchen Veteranen von einem deutschen Musikpionier
kennen gelernt. Als er vor 20–30 Jahren hinauszog,
um den Leuten des kunstversimpelten Ostens, wie
den lebenshungrigen Abenteurern des wilden Westens
Schubert und Schumann, Löwe und Franz vorzusingen, da
gähnte und höhnte man ihn aus. Aber er ließ nicht locker,
er ließ sich als echt deutscher Starrkopf kein Titelchen
von seiner heiligen Überzeugung wegdisputieren. Ihm
und einigen Wenigen seinesgleichen ist es zu verdanken,
wenn heute ein ernster Künstler mit einem vornehmen
Programm sich überall in der ganzen Union hören lassen
kann, ohne fürchten zu müssen, von entrüsteten Cowboys
mit dem Schießeisen vom Podium gejagt zu werden.
Talent und Liebe zur Kunst wuchsen bisher nur recht
spärlich aus amerikanischem Boden hervor. Weder die
Zuchthäusler und Abenteurer in der Zeit der Flegeljahre
der neuen Welt, noch die frommen Pilgerväter haben
irgendwelche Keime zur künstlerischen Entwicklung mit
herübergebracht. Und bis die großen Kriege durchgekämpft,
die Naturschätze erschlossen, das ungeheure
Land bebaut und durch Eisenbahnen in Zusammenhang
gebracht worden war, hatte jeder Mensch mit dem Kampf
ums Dasein viel zu viel zu tun, um Muße zu künstlerischer
Betätigung zu finden. Gegenwärtig ist diese Muße freilich
schon für viele vorhanden, aber die Kunst hat dort
noch keinen rechten Boden, weil in der Masse des Volkes
noch kein wirkliches Bedürfnis nach ihr lebt. Eine Ahnung
von der Wichtigkeit der Kunst als Kulturfaktor ist bisher
nur einer kleinen Auslese von Höchstgebildeten aufgegangen,
die große Masse jedoch sieht in ihr nur einen
schmückenden Luxus, einen angenehmen Zeitvertreib. In
der alten Welt entfaltete sich alle Kunst auf dem Boden
uralten, oft umgeackerten und gedüngten Kulturlandes.
Sie wurzelt in der frühesten Vergangenheit der Völker,
in deren untersten Schichten, und ihr Wachstum stärkte
sich an den Hemmungen, die sie zu überwinden hatte.
Außerdem kann Kunst unmöglich von einem Volke
hervorgebracht werden, das nicht zum mindesten eine
aristokratische Vergangenheit gehabt hat. Jeder wahre
Künstler ist ein geborener Aristokrat, der zwischen sich
und den Viel zu Vielen, den Banausen und Philistern,
eine hochmütige Scheidewand errichtet.
Die demokratische Anschauung von der Gleichheit
der Menschen ist dem Instinkt des Künstlers ein Greuel.
Und selbst jene naivste Betätigung schaffender Phantasie,
die wir heute Volkslied nennen, bezieht ihre Gesetze,
ihre Stoffe, ihre seelische Wesensart von Mustern, die in
uralten Zeiten königliche Sänger aufstellten. In der Neuen
Welt aber, in der eine historische Entwicklung in unserem
Sinne kaum vorhanden ist, sondern wo immer gegenwärtige
Resultate eines langsamen Werdegangs aus der
Alten Welt fertig übernommen wurden, ist das Entstehen
einer originalen Kunst vernünftigerweise auch noch gar nicht
zu erwarten. Die Yankees, als Abkömmlinge der britischen
Einwanderer, haben selbstverständlich eine angeborene
Vorliebe für die englische Kunst und werden die von dort
empfangenen Anregungen ausbauen; ebenso wie die
Nachkommen der deutschen Einwanderer sich instinktmäßig
an die deutschen Vorbilder klammern werden.
Die Besonderheit der amerikanischen Landschaft wird
natürlich ihren Einfluß auf die Malerei, die eigenartigen
Lebensbedingungen der Neuen Welt auf die
Architektur einen bestimmenden Einfluß ausüben. Darum
ist es selbstverständlich, daß in diesen beiden Künsten
zunächst eigenartige Leistungen zu erwarten und ja auch
gegenwärtig schon vorhanden sind. Dagegen kann man
von einem Volke, das gar keine eigene Sprache besitzt, auch
keine originale Poesie verlangen, und die Musik ist, zum
mindesten mit ihrem Rhythmus, so fest an die Sprache
gebunden, daß allein schon aus diesem Umstande der
bisherige Mangel einer amerikanischen Musik sich ohne
weiteres begreifen läßt. Das schließt natürlich nicht aus,
daß geborene Amerikaner ganz hervorragende Leistungen
auf Kunstgebieten vollbringen können, deren ausländische
Muster sie mit besonderer Liebe studiert haben und deren
inneres Wesen ihnen besonders nahe liegt. Erst wenn die
Völkerwanderung nach der Neuen Welt einmal aufgehört
und eine wirkliche chemische Durchdringung der verschiedenen
Rassenelemente stattgefunden haben wird,
kann sich so etwas wie eine allamerikanische Seele entwickeln,
aus der dann folgerichtig auch eine originale
amerikanische Kunst hervorgehen müßte.
Der neuweltliche Poet.
Wie die Dinge heute noch liegen, wäre aber beispielsweise
ein jugendlicher Yankee, der sich freiwillig dazu hergeben
möchte, das Hungerleiderdasein eines deutschen oder
französischen Poeten zu führen, eine undenkbare komische
Figur. Der poetisch begabte Jüngling fängt drüben mit der
Journalistik an, oder er betreibt das Dichten neben seinem
soliden Broterwerb. Hat er mit einem Genre keinen Erfolg,
so probiert er es eben mit einem anderen. Schwerlich
wird es ihm einfallen, sich trotzig wider den Geschmack
der Zeit und der großen Masse aufzulehnen.
Auch wenn er Neues, Eigenartiges zu sagen hat, wird er
sein Publikum nicht rücksichtslos damit erschrecken,
sondern es allmählich vorzubereiten suchen. Die Beschäftigung
mit Literatur, Kunst und anderen rein idealen
Dingen ist eben drüben ein vornehmer Zeitvertreib für
Ausnahmemenschen, besonders also für solche, die keine
Sorge um das tägliche Brot mehr drückt. Man setzt auch
voraus, daß der Mann, der einen Beruf aus dem Dichten,
Musizieren, Malen usw. macht, vor allen Dingen ein Gentleman
sei, also ein gut angezogenes Mitglied der auserwählten
Gesellschaft mit normalen Manieren und auch einigermaßen
normalen Gesinnungen. Es ist bezeichnend, daß
der Name Bohemiens, der für Künstler- und Literatenklubs
besonders beliebt ist, mit Vorliebe von Vereinigungen
recht wohlhabender Männer gewählt wird, die es sich leisten
können, ihre festlichen Sitzungen in den vornehmsten
Hotels abzuhalten und dazu nichts als französischen
Sekt zu trinken. Der richtige Bohemien kann schon deshalb
drüben unmöglich gedeihen, weil es keine Kaffeehäuser
gibt. Es kommt vorläufig auch noch selten vor,
daß künstlerische, besonders literarische Talente aus den
untersten Volksschichten hervorgehen, weil in denen noch
alles Sinnen und Trachten auf materiellen Erwerb gerichtet
ist. In New York gibt es allerdings einen hervorragenden
Dichter, der Sattler und Tapezierer ist – Hugo Bertsch
heißt er – aber der schreibt Deutsch und ist aus
Reichelsheim i. O. gebürtig.
Bemerkenswert ist, daß einer der wenigen jungen
Dramatiker, die damit begonnen haben, sich von der
herrschenden Prüderie und Konvention freizumachen
und die amerikanische Bühne für moderne Probleme zu
erobern, nämlich der anderwärts von mir schon erwähnte
Walter von unten heraufgekommen ist, gehörig gehungert
und im Zentralpark gepennt hat, bevor er bekannt wurde.
Auch der ausgezeichnete Romanschreiber Jack London,
der sich durch starke Eigenart spezifisch amerikanischer
Färbung auszeichnet, hat als Goldgräber angefangen,
obwohl er eine gute wissenschaftliche Bildung genossen
hatte. Bret Hart begann seine Laufbahn gleichfalls als
Goldgräber und betätigte sich nacheinander als Lehrer,
Postbote und Schriftsetzer, bevor er Professor der Literatur
wurde. Auch Mark Twain begann als Setzer und wurde
dann bekanntlich Lotse auf dem Mississippi. Edgar
Allan Poe war zwar reicher Eltern Kind, wurde aber
wegen schlechter Aufführung von der Universität und
der Militärakademie relegiert und desertierte aus der
Armee, bevor er sich zu dem berühmten Dichter entwickelte.
Walt Whitman, ursprünglich gleichfalls Buchdrucker,
gewann seinen Lebensunterhalt als Subalternbeamter
im Ministerium. Einzig Longfellow von den bekannteren
Dichtern stammte aus höheren Kreisen und
erwarb regelrechte akademische Grade, aber auch er betätigte
sich zunächst als Rechtsanwalt.
Diktatur des Massengeschmacks.
Es scheint also, daß auch im neuen Lande das alte Gesetz,
daß die künstlerischen Kräfte am Widerstand erstarken,
Geltung besitze. In dem Paradiese der absoluten Gegenwart,
dessen glückliche Bewohner so gern alles, was ist,
gut finden, wie der liebe Gott sein Schöpfungswerk, haben
natürlich nur die Narren Lust, wider den Strom zu schwimmen.
Die vernünftigen Kunstbeflissenen trachten aber,
nur marktgängige Ware zu liefern, und marktgängig ist,
was dem Unterhaltungs- und Sensationsbedürfnis entspricht.
Es wird ungeheuer viel gelesen in Amerika,
folglich ist mit der Anfertigung von Literatur ein gutes
Geschäft zu machen für diejenigen, die sich auf den Geschmack
des Publikums verstehen. Dieser Geschmack
heißt aber immer noch: Hintertreppengeschehnisse im
Gartenlaubenstil vorgetragen. Verbrecher und Detektivs
sind nicht nur bei den ganz kleinen Leuten die beliebtesten
Helden. Es müssen daher auch ernste Schriftsteller, z. B.
solche, die ihr soziales Gewissen auf das Gebiet des Anklageromans
verlockt, auf sensationelle Erfindung und auf
strenge Wahrung einer stubenreinen Reputierlichkeit bedacht
sein. Sicherlich würde die Entwicklung des künstlerischen
Geschmacks bei dem amerikanischen Volk, das doch
wahrhaftig weder ängstlich noch begriffsstutzig ist, viel
raschere Fortschritte machen, wenn nicht die Tagespresse
die mehr als kindliche Oberflächlichkeit des Urteils in
unverantwortlicher Weise nährte. Aber das ist ein Kapital
für sich.
Vom Theater im Yankeelande.
Wer das englische Theater kennt, der kennt auch das
amerikanische. Die Yankees haben es mit all seinen
Licht- und Schattenseiten herübergenommen, nur daß die
Qualität ihrer besten darstellerischen Leistungen doch wohl
noch um einiges hinter den besten englischen zurückbleibt,
was bei dem Fehlen einer guten alten Tradition nicht zu verwundern
ist. Hüben wie drüben ist für das Drama hohen
Stiles kein großes Publikum vorhanden, und darum suchen
Bühnen, die diese vornehmste Dichtungsgattung pflegen,
die große Masse durch raffinierte szenische Wirkungen,
durch Pomp und Massenentfaltung anzulocken. Für das
moderne Gesellschaftsdrama und das feinere Lustspiel
sind schauspielerische Begabungen besonders häufig vorhanden,
und da die Dichtung noch in keinem Lande englischer
Zunge – mit verschwindend wenigen Ausnahmen – vom
Konventionellen zum Individuellen aufgerückt ist,
so sind diesseits wie jenseits des Ozeans die besten Schauspieler,
ebenso wie die unbedeutendsten, Spezialisten für
das Rollenfach, in welches äußere Erscheinung, Stimmklang
und Temperament sie verweisen. Sie alle spielen
also im Grunde genommen nicht nur solange ein Stück
läuft, sondern ihr ganzes Leben lang ein und dieselbe
Rolle. Es ist wohl allgemein bekannt, daß man drüben
Theater mit wechselndem Repertoir bisher noch nicht
kennt. Für jedes neue Stück wird eine Truppe zusammengestellt,
und wenn das in der Hauptstadt abgespielt ist,
wandert die Truppe damit in die Provinz, um sich aufzulösen,
sobald seine Zugkraft erschöpft ist. Wer also drüben die
Schauspielerei zum Beruf erwählt, der muß schon über
recht beträchtliche Reserven an Körper- und Geisteskraft
verfügen, wenn er nicht der sicheren Verblödung und der
unheilbaren Fettsucht verfallen will. Der erste Versuch, in
den Vereinigten Staaten ein vornehmes Schauspielhaus mit
wechselndem Repertoir nach künstlerischen Grundsätzen
ins Leben zu rufen, wurde im vergangenen Jahre in New
York von einer Anzahl reicher Theaterfreunde gemacht
durch die Gründung des New Theatre. Und dieser Versuch
ist gescheitert, obwohl fast unbeschränkte Mittel und eine
auserlesene Schar feingebildeter, sehr tüchtiger Schauspieler
zur Verfügung stand, auch die Leitung in keineswegs ungeschickten
Händen lag. Ich habe in diesem Theater eine Aufführung
von Maeterlinks „Der blaue Vogel“ gesehen, die in
bezug auf die darstellerischen Leistungen sehr gut und in
bezug auf künstlerische Inszenesetzung sogar ganz hervorragend
geschmackvoll war, und dennoch gaben die Unternehmer den Versuch
schon nach Beendigung der ersten Spielzeit als vorläufig
aussichtslos auf! Es wurden allerlei Gründe
für dieses seltsame Fiasko ins Feld geführt; mir scheint
der erheblichste und zugleich auch betrüblichste der zu
sein, daß für das Schauspiel die Anzahl der künstlerisch
wohlerzogenen New Yorker noch zu klein ist, um ein
solches Unternehmen geschäftlich halten zu können.
Man ist es einfach noch nicht gewöhnt in jenen Gesellschaftskreisen,
die für den Besuch eines den Ansprüchen
verfeinerten Geschmacks gewidmeten Theaters in Frage
kommen, täglich nach dem Theaterzettel zu sehen und sich
womöglich gar wegen einer Vorstellung, die vielleicht bald
wieder vom Spielplan verschwindet, in seinen häuslichen
Gewohnheiten und gesellschaftlichen Pflichten stören zu
lassen. Wenn es die große Oper gilt, nimmt man freilich
alle möglichen Unbequemlichkeiten mit in den Kauf; aber
das ist eben die große Oper, die muß wechselndes Repertoir
haben, weil dieselben Sänger nicht alle Tage große Partien
singen können; und außerdem gehört die große Oper auch
mehr zu den gesellschaftlichen Veranstaltungen, denen man
seiner Stellung wegen Opfer bringen muß, als zu den bloßen
künstlerischen Unterhaltungen. Ein vornehmes Schauspielhaus
mit wechselndem Repertoir würde ohne Zweifel ebensogut
möglich sein wie das Millionen verschlingende Metropolitan
Opera House, sobald es bei dem hohen Adel und den
Großwürdenträgern der demokratischen Gesellschaft de
rigueur wäre, auch in diesem Schauspielhaus eine Loge zu
besitzen und sich dort mit seinen Freunden zu treffen. Bis
dahin aber und bis ein mächtig aufblühendes nationales
Drama des Yankeetums nach einer nationalen Bühne
schreit, wird noch viel Wasser den Hudson hinunterlaufen.
Die große Oper.
Mit der Oper steht es trotz der Starwirtschaft ganz
erheblich besser als mit dem Schauspiel, weil die Oper
ein internationales Unternehmen ist, dem es vorläufig
ganz gleichgültig sein kann, ob ihm einheimische Kräfte
als Komponisten und als Sänger zuwachsen oder nicht;
denn sie kann ihren Bedarf durch die Meisterwerke und
Gesangssterne Europas vollkommen decken. Im übrigen
wird die beste Oper immer da vorhanden sein, wo das
meiste Geld zur Verfügung ist, vorausgesetzt daß die
Leitung nicht gänzlich unfähig ist. Mit dem nötigen Geld
kann man sich nicht nur die besten Sänger und Sängerinnen
der Welt, sondern auch die genialsten Kapellmeister und
Regisseure der Welt kaufen. Wo anders als in dem Lande,
wo die Greenbacks (Dollarscheine) so leicht das Fliegen
lernen, wäre es möglich, ein genügend zahlreiches Personal
von Sängern und Sängerinnen, darunter die berühmtesten
Künstlernamen der Welt, zusammenzubringen, um damit
die deutschen Meisterwerke der Opernliteratur deutsch,
die französischen französisch und die italienischen
italienisch darzustellen?! Trotzdem das Riesenhaus immer
voll und die Eintrittspreise für unsere Begriffe sehr hoch
sind, ist doch immer ein Defizit vorhanden, das jedoch
durch die Freigebigkeit der milliardenschweren Logenbesitzer
immer gedeckt wird. Es ist also selbstverständlich,
daß keine Opernbühne Europas an Großartigkeit des
Betriebes mit der New Yorker Oper wetteifern kann. Es
versteht sich also auch ganz von selbst, daß man in diesem
Theater Vorstellungen erleben kann, die nicht nur an
äußerem Glanz, sondern auch an echter künstlerischer
Qualität alles übertreffen, was selbst Wien, Berlin, München,
Dresden, Paris, Mailand, Petersburg und London zu
bieten vermögen. Andererseits treten aber freilich auch die
großen Gefahren dieses amerikanischen Systems, bei dem
die starke Triebfeder eines hingebenden künstlerischen
Idealismus durch eitle Prahlsucht und Geldprotzentum ersetzt
werden, sofort grell zutage, sobald in der Wahl der
leitenden Kräfte ein Mißgriff erfolgt ist oder diese Kräfte
die Lust verlieren, für das viele Geld, das sie bekommen,
wirklich ihr Bestes zu tun. Aber schließlich wird überall mit
Wasser gekocht, und eine ununterbrochene Reihe wirklicher
Weihefestspiele kann es eben nur unter Bedingungen geben,
wie sie Bayreuth sich geschaffen hat. Es ist jedenfalls ungerecht
und töricht von uns Europäern, die glänzenden Veranstaltungen
der Metropolitan-Oper geringschätzig als eitel
Blendwerk abzutun. Die Herren Milliardäre bekommen
für ihr gutes Geld wirklich gute Opernkunst geliefert.
David Keßlers jiddisches Theater.
Das Beste, was ich in den Vereinigten Staaten von
Komödienspiel erlebt habe, fand ich in einem der fünf
jiddischen Theater an der Bowery, dem New Yorker Ghetto,
wo die frisch eingewanderten russischen Juden noch zu
Tausenden beieinander hocken. „The Miners“ (die Bergleute)
hieß das Theater, unansehnlich von außen, eng,
schmutzig und in allen Einrichtungen veraltet von innen.
Es wird nur zwei, höchstens dreimal die Woche gespielt
an diesen kleinen Dialektbühnen; aber obwohl es nicht
Schabbes, war das Haus gesteckt voll. Ganze Familien
mit Kind und Kegel im Parterre, die besseren Leute im
ersten Rang, die großen Glaubensgenossen, die schon
ihr Ziel erreicht, in den Protzszeniumslogen, und auf der
Galerie die Arbeiter und kleinen Gewerbetreibenden,
ärmlich und schäbig anzuschauen, mit steifen kleinen
Hüten oder schmutzigen russischen Mützen auf dem Kopf.
Sie sind gekommen, um den derzeit vortrefflichsten
Schauspieler ihrer Zunge, David Keßler, zu sehen, der
zugleich der künstlerische und geschäftliche Leiter des
Unternehmens ist. Das Stück hieß: „Jankel, der Schmied“,
von David Pinsky, einem jüdischen Autor, der schon
einmal bei Reinhardt durchgefallen ist, eine naturalistische
Kleinmalerei aus dem Leben der jüdischen Kleinbürger
in Rußland, ein bis zum Ekel unerquickliches Stück Wahrheit
von einer Erbarmungslosigkeit, wie sie auf der deutschen
Bühne seit Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang“
kaum mehr dagewesen ist. Und diese heimatlosen Weltwanderer,
diese schwitzenden und keuchenden Arbeitstiere
mit dem starken Drange nach Ruhe, Behaglichkeit,
Schönheit, Licht und Glanz im Herzen, die in den Zwischenakten
ein so wildes, mauschelndes Geschnatter vollführen,
daß einem die Ohren gellen, sie lauschen andachtsvoll
gebannt, sobald der Vorhang hochgeht, als ob diese
ihre nationale Kunst, die ihnen kaum etwas anderes bietet,
als den tiefen Einblick in unsäglich traurige Familienverhältnisse
und widrige Menschenseelen, sie nehmen all
dies Häßliche mit gelassenem Ernst hin und begrüßen
die derben Späße oder auch die wenigen idyllisch gemütvollen
Lichtblicke in dieser trostlosen Öde mit dankbarem
Gelächter und begeistertem Beifall. Was aber wirklich
an dieser seltsamen dramatischen Kunst auch für den
rassenfremden Zuschauer des begeisterten Beifalls würdig
ist, das ist neben der scharfen, treffsicheren Zeichenkunst
des Dichters die wirklich vollendete Leistung sämtlicher
Darsteller; denn nicht nur das Haupt der Gesellschaft,
dieser David Keßler, ist ein wirklich großer Charakterdarsteller,
der ganz und gar in dem vom Dichter geschaffenen Menschen
aufzugehen versteht, sondern alle seine
Schauspieler und Schauspielerinnen erscheinen mit ihren
Aufgaben derartig verwachsen, als ob sie einfach sich selber
ohne jede Rücksicht auf die Optik der Bühne und die Sinne
der Zuschauer darzustellen hätten. Im Zwischenakt machte
ich die Bekanntschaft David Keßlers und war nicht wenig
erstaunt aus seinem Munde zu hören, daß außer ihm gar
keine Berufsschauspieler in seiner Truppe vorhanden seien,
sondern daß er sich die Leute von überallher zusammengelesen
und zum Theaterspielen gedrillt habe. Dieser vorzügliche
komische Episodenspieler handelt tagsüber mit
alten Hosen, diese schlichte sentimentale Liebhaberin, die
so ergreifende Gemütstöne findet, ist vielleicht Dienstmädchen
in einer besseren jüdischen Familie, und diese
ausgezeichnete komische Alte mit dem ewig verrutschten
schwarzen Scheitel auf ihrem ehrwürdigen grauen Haar zieht
uns beiseite und erzählt uns mit stolz aufleuchtenden Augen,
daß sie mit ihrer Hände Arbeit ihren einzigen Sohn so weit
gebracht habe, daß er nun schon als Advokat in dem
fremden Lande eine geachtete Stellung einnehme und
einer glänzenden Zukunft entgegengehe. Am Schluß des
Stückes bricht ein tobender Beifall los, der sich sonderbarerweise
außer in Klatschen und wildem Trampeln auch
in gellenden Pfiffen äußert, und sobald David Keßler auf
der Bühne erscheint, rufen ihm Hunderte von Stimmen zu:
„Speech, speech!“ Der derbe vierschrötige Gesell steht
unschlüssig mit niedergeschlagenen Augen da, und dann
stammelt er im Jargon ein paar Worte des Dankes. Wie
er sich aber zum Abgehen wendet, wird von der Galerie
her der Ruf nach Musik laut. Da macht er kehrt, stampft
bis an die Rampe vor und hebt fast drohend den Arm in
der Richtung, von wo der Ruf kam. „Wer Musik haben
will,“ ruft er in kaum unterdrückter Entrüstung, „der mag
ins Tingeltangel gehen, hier ist nicht der Ort für trivialen
Ohrenschmaus, hier wird unsere dramatische Kunst mit
heißem Bemühen für unsere Leute gepflegt. Hier stehe ich
seit einer Reihe von Jahren und tue mein Äußerstes, um
euch, meinen armen Landsleuten und Glaubensgenossen,
eine nationale Kunst zu geben, wie ihr sie braucht, und wie
ihr sie versteht. Schritt für Schritt habe ich versucht,
euch zum Kunstbedürfnis und Kunstverständnis zu erziehen,
mit dem Einfachsten und Verständlichsten habe
ich angefangen, um euch vorzubereiten auf das Tiefere,
das Ernstere, auf das Hohe und Heilige, und jetzt schreit
ihr nach Musik! Dankt ihr mir so?!“
Eine improvisierte Standrede.
Es dürfte selbst für den abendländischen Juden schwer
sein, das russisch-jiddische Idiom zu verstehen, aber man
hört sich allmählich hinein. Ich wenigstens vermochte
vom dritten Akt ab schon ganz leidlich zu folgen, und so
glaube ich, daß ich auch den Gedankengang dieser aus
echter Leidenschaft heraus improvisierten Rede ziemlich
richtig verstanden habe. Ganz still und beschämt saßen die
Zuschauer da, und die jüngeren Leute besonders hingen mit
Ergriffenheit an den Lippen des Schauspielers, den das
Feuer seines Zornes immer beredter machte. Er sprach
von der Sehnsucht seines Volkes nach Kunst, nach tätiger
Beteiligung an den höheren Kulturaufgaben der Menschheit,
er wies voller Stolz auf die großen Erfolge hin, die
jüdische Dramatiker, jüdische Darsteller vornehmlich auf
der deutschen Bühne gefunden hätten. Er nannte mit
Begeisterung den Namen Max Reinhardts, der einen der
ihrigen, Schalom Asch, aus dem Dunkel hervorgezogen und
zahlreichen anderen jüdischen Künstlern Gelegenheit gegeben
habe, ihre große Begabung von dem anspruchsvollsten
und kritischsten Publikum Europas anerkannt zu sehen.
Er leitete aus diesen ersten großen Erfolgen die Pflicht des gesamten
Judentums ab, sich mit seinen besten Kräften immer
eifriger an der Aufwärtsentwicklung der modernen Kunst
zu beteiligen. Und dann verbeugte er sich stolz-bescheiden
und verließ unter donnernden Cheers die Bühne.
Nachdem ich gesehen habe, was beliebige Dilettanten,
auf gut Glück herausgegriffen aus den unteren Schichten
dieser in die westlichste aller Kulturen verschlagenen
Orientalen, für ein starkes Talent zur Menschendarstellung,
d. h. also zur künstlerischen Selbstentäußerung besitzen,
habe ich begriffen, woher es kommt, daß in allen Kulturländern
gerade das Theater von Angehörigen dieser Rasse
überschwemmt wird. Geldgier und Ruhmsucht sind in
diesem Falle sicher nicht die Triebkräfte; denn es gibt
genug jüdische Schauspieler, die nicht im hellen Sonnenlichte
des Glückes sitzen, und die ebenso wie ihre arischen
Kollegen aus reiner Begeisterung für die Kunst frieren
und darben. Denn gleichwie diese Rasse eine Neigung
zur Spitzfindigkeit des Denkens, zum knifflichen Problem
stellen, eine besondere Geschicklichkeit im Rätselraten
und in raschen Kombinationen des Witzes ihr eigen nennt,
die sie für die Juristerei besonders geeignet erscheinen
läßt und ihren Handelsunternehmungen und Geldspekulationen
so oft einen kühn-fantastischen Anstrich verleiht,
so mag, im Verein mit solcher geistigen Disposition,
auch der jahrhundertelange Druck, der auf dem Gemüt
dieses Volkes lastete, die naive Lust am Mummenschanz zu
der starken Sehnsucht hinauf gesteigert haben, wenigstens
gelegentlich durch das Mittel des künstlerischen Selbstbetruges
über das gedrückte Ich der Wirklichkeit hinauszukommen
und im Rampenlichte Könige, Helden und
glückliche Liebhaber vorzustellen. Es ist überhaupt
charakteristisch, daß gerade diejenigen Völker, deren
Einwanderer sich in der Neuen Welt noch am fremdesten,
am wenigsten von der Sympathie der dort herrschenden
Rassen gestützt fühlen, am eifrigsten und mit dem größten
Erfolg ihr nationales Theater pflegen. Neben den Juden
sind dies die Chinesen, die gleichfalls in New York und
San Franzisco stehende Bühnen unterhalten. Die Italiener
und die Franzosen sehen ja an der großen Oper ihre
nationale Kunst glänzend vertreten, aber auch sie werden
vermutlich ebenso wie die Griechen und die zahlreichen
Angehörigen der verschiedenen slawischen Volksstämme
eifrig Liebhabertheater spielen. Ich habe leider davon
nichts zu Gesicht bekommen.
Niedergang des deutschen Theaters.
Repertoirschwierigkeiten der deutschen Bühne.
Reinhardt der Retter.
Aber seltsam muß es uns Deutsche berühren, daß
dies ungeheure Neuland, als welches Deutschland es in
musikalischer Beziehung überhaupt erst urbar gemacht
und vollständig mit der Saat bestellt hat, die in Gestalt
der großen Oper und eines blühenden Konzertlebens
glänzend aufgegangen ist, doch kein deutsches Schauspielhaus
von einiger Bedeutung mehr am Leben zu erhalten
vermag. Wenn man bedenkt, daß der herrschenden
Yankeerasse mit ihren 20 400 000 Köpfen 18 400 000
Amerikaner deutscher Abstammung gegenüberstehen, daß
New York dem Prozentsatz der Einwohner deutscher
Abstammung nach die zweitgrößte deutsche Stadt der
Welt ist, so muß man sich baß verwundern, daß die wenigen
stehenden deutschen Bühnen in den Vereinigten Staaten
nicht nur künstlerisch immer mehr zurückgehen, sondern
auch meistens mit schweren Existenzsorgen zu kämpfen
haben. Bei längerem Hinschauen und ruhiger Überlegung
wird diese traurige Tatsache allerdings verständlich. Die
Nachkommen der Einwanderer beherrschen fast ausnahmslos
das Englische schon besser als ihre Muttersprache,
in der zweiten Generation haben es die meisten
wohl schon ganz vergessen. Ferner ist zu bedenken, daß
die weitaus überwiegende Zahl der Einwanderer den
wenig gebildeten Ständen entstammt, bei denen naturgemäß
von einem starken Pflichtbewußtsein als deutsche
Kulturträger nicht die Rede sein kann. Wenn nun schon
die Väter der fremden Sprache und damit der fremden
künstlerischen Kultur kaum irgendwelchen Widerstand
entgegensetzen, so wird dies bei ihren Kindern und Kindeskindern
erst recht nicht der Fall sein. Es bleibt also von
den 18 Millionen als befähigte Genießer und berufene
Förderer des deutschen Dramas nur ein verhältnismäßig
kleiner Bruchteil übrig, dessen Mitglieder zudem über den
ganzen weiten Kontinent verstreut sind. Nun wird freilich
in sehr vielen der zahllosen deutschen Vereine nicht nur
das deutsche Lied, sondern auch die deutsche Poesie mit
schönem Eifer gepflegt; es gibt auch reiche Deutsche
genug, die nicht nur zugunsten eines Liebhabertheaters,
an dem ihre Töchter und Söhne mitspielen, sondern auch
zugunsten einer öffentlichen Bühne tief in ihre Taschen
zu greifen bereit sind; aber nun taucht die andere
große Schwierigkeit auf: Für welche Gattung deutscher
Dramatik soll dies Geld gespendet, dieser rührende Eifer
aufgewendet werden? Außer den paar akademischen
Lehrern deutscher Literatur und einigen auf der Höhe
der Bildung stehenden berufsmäßigen Kritikern haben
doch nur verschwindend wenige Deutsch-Amerikaner ein
so starkes Interesse an der Entwicklung speziell des
Theaters, daß sie dem wunderlich sprunghaften Werdegang
unseres Dramas in den letzten vier Jahrzehnten zu
folgen imstande gewesen wären. Die internationale Mode
hat lediglich das Musikdrama Wagners und seiner Nachfolger
gestützt. Die Schulen Ibsens und der Naturalisten,
der Neuromantiker, der Symbolisten, Satanisten, und wie
sie sonst noch heißen mögen, deren Modeglanz oft schon
verblaßt war, bevor ernsthafte Leute sich noch über ihren
inneren Wert klar geworden waren, sie konnten zwar das
deutsche Theaterleben stark anregen, besaßen aber nicht
die Kraft, zumeist auch nicht einmal die Zeit, fruchtbar
in die Ferne zu wirken. Die stärkste Auswanderung
gebildeter Deutscher erfolgte aber in den Sturmjahren
um 48 herum und in den ersten Jahren nach 1870. Die
Begriffe vom deutschen Drama, die also unsere wichtigsten
Kulturträger mit herüberbrachten, stammen noch aus
der Zeit, als auf unserem Theater ein blasses Epigonentum
herrschte. Von den aufregenden Kämpfen, die in den
letzten vier Jahrzehnten unsere dramatischen Dichter
nicht zur Ruhe kommen ließen und unseren Geschmack
revolutionierten, hat das Deutschtum überm Ozean kaum
einen Hauch verspürt. Was ist begreiflicher, als daß der
Leiter eines deutschen Theaters in Amerika in der Aufstellung
seines Repertoirs möglichst sicher gehen will?
Da er mit gutem Grunde befürchten muß, sein Stammpublikum
durch allzuviel Ibsen und Hauptmann zu langweilen,
durch Ernst Hardt und Herbert Eulenberg vor den
Kopf zu stoßen und durch Frank Wedekind zu entrüsten,
weil die angelsächsische Geistesenge und Prüderie bei
langem Aufenthalt im Lande schließlich doch auch auf
die kecksten Deutschen abfärbt, so wird er sich darauf
beschränken, neben den Klassikern das harmlose
Familienlustspiel und das gesinnungstüchtige Thesenstück zu geben.
Diese dramatische Kost wird nun allerdings auch den
ganz anspruchslos und lammfromm gewordenen Deutsch-Amerikaner
nicht zum entrüsteten Widerspruch reizen;
sie wird ihm aber auch nichts zu geben vermögen, was sein
Gemüt in gesunde Wallung bringen und seinem Kopf
zu denken geben könnte. Die sozialen Verhältnisse, auf
denen das deutsche Familienstück beruht, die Konflikte,
die durch Standesvorurteile oder durch spießbürgerliche
Beschränktheit entstehen, auch manche Lieblingsfiguren
dieser Gattung, der Schwerenöter in Uniform, der Backfisch,
der schüchterne Kandidat usw. usw., sind ihm gänzlich
fremd geworden. Wie sollten ihn Menschen und
Verhältnisse auf der Bühne interessieren, die er in seiner
Umwelt niemals gesehen hat? Neuerdings sind einzelne
deutsche Theaterleiter auf den Ausweg verfallen, auch die
deutsche Operette in ihren Spielplan aufzunehmen. Eine
unglücklichere Idee konnten sie wohl nicht gut auftreiben;
denn was gibt es auf theatralischem Gebiete Abschreckenderes
und Jämmerlicheres als eine Operette, mit unzulänglichen
Mitteln dargestellt? Zudem ist in den Vereinigten
Staaten an Operettenbühnen wahrlich kein
Mangel, und was Wien an Schlagern produziert, wird
unfehlbar auf diesen Bühnen mit allem Pomp inszeniert
und von den zugkräftigsten Spezialisten dieser Gattung
dargestellt. Die Besonderheit der amerikanischen Operettendarstellung
besteht darin, daß in ihr keiner der
Darsteller auch nur eine Minute lang seine Gliedmaßen
ruhig halten kann; jede Note schier wird mit einer Geste
begleitet, und sobald ein flotter Rhythmus einsetzt, beginnen
Chor und Solisten mit allen verfügbaren Extremitäten
zu zucken, zu schlenkern, zu stoßen und zu schleudern
– kurz, es ist ein wirbelndes Durcheinander taktmäßig
in Schwung gebrachter Beine und Arme, von verzweifelten
Anstrengungen ausgepumpter Lungen und heiser geschriener
Stimmritzen begleitet. Wie arg nun auch dieser
Stil einem gebildeten Geschmack auf die Nerven gehen
mag, er ist einmal der herrschende geworden, und kein
seßhafter amerikanischer Bürger wird sich eine Operette
anders vorstellen können, denn als eine solche prunkvoll
inszenierte, herrlich gewandete Universalzappelei mit
Musikbegleitung. Was soll ihm unter solchen Umständen
eine deutsche Operette bieten, die für den Mangel an
kostspieliger Inszenierung und geschmackvoller Kostümierung
keineswegs durch glänzende Leistungen des
Orchesters und der Sänger zu entschädigen vermag? Sie
kann nur dazu beitragen, seine Achtung vor dem
deutschen Theaterwesen noch mehr herabzusetzen, als
es Klassikervorstellungen mit dürftiger Ausstattung und
mittelmäßigen Schauspielern schon zu Wege gebracht
haben. Das Interesse für deutsches Theater und die
Hochachtung vor der Leistungsfähigkeit der deutschen
dramatischen Kunst kann meines Erachtens da drüben
nur dadurch wieder erweckt werden, daß von Deutschland
aus große Mittel aufgewendet werden, um Gastspiele
ganz hervorragender Truppen mit allerersten
Schauspielern, bedeutenden Regisseuren und glänzender
Ausstattung in den deutschen Hauptstädten der Union
zu ermöglichen. Mit zweiter Garnitur und mit abgeblaßten
Sternen in Dollarica zu arbeiten, hat gar keinen
Sinn. Wenn Max Reinhardt seinen Plan verwirklicht,
seinen „Ödipus“, „Faust“ und andere geniale Inszenierungen
nach Amerika zu bringen, so wird er ganz sicher
nicht nur gute Geschäfte machen und persönlich einen
großartigen Erfolg erzielen, sondern er wird auch die Ehre
der deutschen theatralischen Kunst wiederherstellen und
für die Zukunft eine neue Möglichkeit schaffen, ein gutes
deutsches Theater ständig drüben zu erhalten. Die Amerikaner
wollen zunächst einmal verblüfft sein; es muß ihnen
etwas noch nicht Dagewesenes gebracht werden. Eine
Bombenreklame muß auch das ganze gebildete Publikum
englischer Zunge in dies Unternehmen locken, und
dies gesamte Publikum englischer Zunge muß vor Neid
bersten und zu dem Geständnis gezwungen werden, daß
es dergleichen in seinem Theater noch nicht erlebt habe.
Und der Stolz auf diesen Neid der Yankees wird das
Solidaritätsgefühl der Deutsch-Amerikaner aufstacheln.
Die Schecks für einen deutschen Theaterfonds werden sich
zu einem Berge aufhäufen, und so gut, wie die jetzigen
italienischen Leiter der großen Oper sich unsere ersten
Sänger, Sängerinnen und Kapellmeister herüberkommen
lassen, werden in Zukunft Unternehmer großen Stils die
Mittel besitzen, sich unsere hervorragendsten Regisseure und
Schauspieler zu kaufen. Und wenngleich die große Sensation,
die das deutsche Theater in Mode bringt, von
Sophokles und Goethe ausging, so wird sie in der Folge doch
sogar die Denkfaulheit und die Prüderie des amerikanischen
Durchschnittsmenschen besiegen und auch kühnere Neutöner
unter den lebenden Dramatikern zu Worte kommen
lassen. Wenn dann gegen den Geist des deutschen Dramas
in den Zeitungen ein ebenso lauter Kampf entbrennt und
ebenso heftig von den Kanzeln gedonnert wird, wie es
gegen Richard Strauß’ letzte Opernwerke geschah, so wird
manch ein geplagter deutscher Theaterdirektor seinen Kahn
schmunzelnd wieder flott werden sehen, und es wird sogar –
was schließlich doch wohl das Beste dabei ist – wieder ein
tüchtiges Stück Arbeit in der Richtung der kulturellen
Germanisierung Amerikas geleistet werden können.
Die amerikanische Presse.
In einer Ansprache, die Professor Henry Fairfield
Osborn von der Columbia Universität zum Beginn des
Wintersemesters 1910 an seine Studenten richtete, fand
ich folgende höchst bezeichnende Worte über die amerikanische
Presse, die ich hier in Übersetzung geben will:
„Einen guten Maßstab für die Kultur Ihrer Umwelt bildet
der Tiefstand, bis zu welchem Ihre Morgen-Zeitung sich
dem Dollar zuliebe prostituiert, ihre Schattierungen von
Gelbheit, ihre Frivolität, ihre Skrupellosigkeit. Mir
scheint es manchmal wirklich besser, überhaupt keine
Zeitungen zu lesen, selbst wenn sie gewissenhaft sind, und
zwar wegen ihres Mangels an Verständnis für die relative
Wichtigkeit der Haupterscheinungen des amerikanischen
Lebens. Das Abendblatt, welches am ernsthaftesten über
unser Studentenleben und Treiben berichtet, widmet
einem Fußballspiel sechs Spalten und einer großen wissenschaftlichen
Kontroverse zwischen zwei Hochschulen
sechs Zeilen! Das ist der Unterschied zwischen dem, was
sein sollte und dem, was praktisch ist. Amerikanische Lorbeeren
grünen für die gigantischen Industriehäuptlinge:
wenn das Leben eines solchen bedroht oder gar ausgelöscht
ist, so müssen ganze Morgen herrlichen Waldes fallen,
um das Material zu liefern für das Papier, das notwendig
ist, um seine Verdienste in das gehörige Licht zu setzen,
wohingegen unser größter Astronom und Mathematiker
dahingehen kann und vielleicht die Schale eines einzigen
Baumes genügt für die paar kurzen, unauffälligen Sätzchen,
die über seine Krankheit und seinen Tod berichten.
Vergleichen Sie einmal die Ausführungen der britischen und
der amerikanischen Presse über einen solch leicht wiegenden
Gegenstand, wie ein internationales Polo: die ersteren
allein sind lesenswert, weil sie von Fachleuten geschrieben
sind und unser Wissen von dem Wesen des Spieles bereichern
können. Über einen noch viel moderneren Gegenstand,
die Aviatik, suchen wir in unserer Presse vergeblich
nach irgendeiner soliden Belehrung über die Konstruktion
der Apparate. Oder nehmen wir das Thema der praktischen
Politik: der britische Student findet jede bedeutungsvolle
Rede, die in irgendeinem Teil des Reiches gehalten
wurde, in voller Ausführlichkeit in seinem Morgenblatt;
er bekommt also in seiner Eigenschaft als Wähler
sein Material aus erster Hand und nicht, wie wir, in der
subjektiven Darstellung des Redakteurs.“
Lesefutter für Kinder und Unmündige.
Diese Stichprobe aus dem Munde eines hochgebildeten
Amerikaners möge mir als Schild dienen gegen die empörten
Anfeindungen amerikanischer Patrioten, die sonst sicherlich
meine geringe Meinung von ihrer Presse als einen
Ausfluß bornierten europäischen Neides hinstellen würden.
Jeder ehrliche und geschmackvolle Mensch wird mir in
der Behauptung beistimmen müssen, daß wir Europäer
ein gutes Recht haben, über das kulturelle Niveau der
Bürger der Vereinigten Staaten bedauernd die Achseln
zu zucken, so lange sie sich eine solche Presse gefallen
lassen. Professor Osborns Meinung ist selbstverständlich
auch die aller fein empfindenden und für den guten Ruf
ihrer Geisteshöhe besorgten Amerikaner; aber der Umstand,
daß der Geschmack dieser Elite bisher noch nicht
imstande gewesen ist, eine Wendung zum Besseren zu
erzwingen, beweist leider, daß der schlechte Geschmack
bei der erdrückenden Mehrheit zu finden sei. So lange der
Stand der Zeitungsverleger noch nicht ausschließlich aus
reinen Idealisten besteht, denen kein Geldopfer groß
genug ist zur Hebung des geistigen Niveaus der Leserwelt,
so lange wird selbstverständlich die Zeitung nach
dem Geschmack ihrer Käufer zugeschnitten bleiben. Es
gibt ohne Zweifel in den Vereinigten Staaten reichlich
Journalisten, die sowohl Bildung als stilistisches Geschick
genug besäßen, um auch einem erheblich anspruchsvolleren
Publikum zu genügen. Es dünkt mich sogar
nicht unwahrscheinlich, daß in dem Lande der glänzenden
Redner, der scharfen, witzigen Beobachter und schlagfertigen
Debatter mehr gute geborene Journalisten vorhanden
sein dürften, als in manchen Ländern der Alten
Welt; wie aber gegenwärtig die Dinge in der amerikanischen
Presse liegen, haben die skrupellosen fixen Reporter das
Übergewicht, und die besten Köpfe und Federn halten
sich entweder der Tagespresse fern, oder schrauben, dem
Zwange der Verhältnisse gehorchend, ihr Geistesniveau
absichtlich herunter. Wie die amerikanische Presse nun
einmal ist, erscheint sie in den Augen ernsthafter gebildeter
Menschen als für Kinder und Unmündige zugeschnitten.
Selbstverständlich ist drüben, wie schließlich
auch überall in der Alten Welt, ein erheblicher Unterschied
zwischen den solid fundierten, hochangesehenen alten
Blättern und der gelben Sensationspresse modernster
Aufmachung zu bemerken; aber das Betrübliche dabei
ist eben, daß das Modernste auch das Schlechteste bedeutet,
und daß die gebieterische Stimme des Publikums
auch die besseren älteren Blätter zwingt, wenigstens in
der äußeren Aufmachung sich immer mehr in jenem
schlechten Sinn zu modernisieren.
Illustrationsunfug.
Das sicherste Mittel, eine Tageszeitung herunterzubringen,
besteht darin, sie mit Illustrationen zu versehen.
Selbst unsere außerordentlich fortgeschrittene
Technik ist noch nicht imstande, für den Rotationsdruck
auf Zeitungspapier in Massenauflagen künstlerisch wirkende
Bilder herzustellen, abgesehen davon, daß es auch nur in
sehr seltenen Ausnahmefällen möglich sein wird, von
Tagesereignissen im Laufe weniger Stunden flotte künstlerische
Handzeichnungen zu erhalten. Es wird sich also
für den Bedarf der Tagespresse immer nur um Photographien
handeln können, die durch irgend ein billiges
Verfahren wiedergegeben werden. Was dabei für den
guten Geschmack herauskommt, wenn man den Tagesereignissen
mit dem Kodak nachläuft, jedes Festessen
mit Magnesiumblitzen auffängt und die berühmten Zeitgenossen
tückisch im Vorübergehen knipst, das erleben
wir ja seit einer Reihe von Jahren bereits an unseren
Wochenschriften. Immerhin geht es da noch mit einem
gelinden Schauder ab, denn die verfügen wenigstens über
ein besseres Papier und mehr Zeit für sorgfältige technische
Wiedergabe; im Hurrdiburr des täglichen Rotationsbetriebes
wird aber aus einer festlich bewegten Volksmenge
ein Chaos von Klecksen und aus der geistvollen
Physiognomie eines erstklassigen Gentleman die Karikatur
eines Raubmörders. Mit vollem Rechte sehen wir,
wenigstens in Deutschland, gottlob noch jede illustrierte
Tageszeitung für ein Kutscherblatt an, und der bessere
Mensch schämt sich, damit einen geräucherten Hering
einzuwickeln.
Eitelkeitsmarkt.
In der Neuen Welt aber gibt es, so viel mir bewußt,
überhaupt keine unillustrierten Tageszeitungen
mehr; selbst die ernsthaftesten Blätter, die noch auf ihren
guten alten Ruf etwas halten, glauben es ihren Lesern
schuldig zu sein, wenigstens Porträts vom Tage und
humoristische Beigaben zu bringen. In den ausdrücklich
für den Geschmack der großen Masse bestimmten Blättern
aber sieht man vor lauter Illustrationen bald keinen Text
mehr. Die eigentliche Sensationspresse, drüben die gelbe
genannt, läßt auf ihrer ersten Seite unter lauter schreienden
Aufschriften und Bildern sogar ihren eignen Titelkopf
verschwinden! Am oberen Rand der Zeitung lese ich in
Riesenbuchstaben: „287 Menschen verkohlt“, oder „Rabenmutter
läßt sieben Kinder verhungern“, oder „Das Arnoldmädchen
mit Liebhaber in Neapel gesehen“ – wobei zu
bemerken ist, daß „das Arnoldmädchen“ die durchgebrannte
Tochter einer hochachtbaren bekannten Familie
ist, die sich durch solch rohes Ausbrüllen ihres Herzeleides
wie öffentlich geohrfeigt vorkommen muß! Dann
folgen große Porträts der Rabenmutter mit den sieben
Kindsleichen, wüst hingekleckste Darstellungen der großen
Brandkatastrophe, Aufnahmen des Arnoldmädchens als
Baby, als Schulmädel, als junge Dame, ihrer Eltern und
ihres Entführers. Falls der letztere nicht wirklich von
einem Detektiv oder Reporter geknipst werden konnte,
tut es das Bild eines beliebigen anderen jungen Mannes
natürlich auch. Reporternachrichten, wahre und unwahre,
Telegramme über das gerade vorliegende Hauptereignis
des Tages aus dem Bereich der Unglücks-, Verbrechens-
oder Skandalchronik füllen die erste und vielleicht auch
noch die zweite Seite aus; nötigenfalls schließen sich hier
die Schauer- und Trauerfälle aus den anderen Teilen der
Union und den anderen Weltteilen an. Jedenfalls bleibt
als blamable Tatsache bestehen, daß alle die Nachrichten,
die bei uns unter der Rubrik „Unglücksfälle und Verbrechen“
in möglichst knappen Notizen abgetan und nur
von den Armen im Geiste mit lebhaftem Interesse gelesen
werden, drüben an erster Stelle stehen und den meisten
Raum beanspruchen, selbst in Blättern, die für anständig
gelten. Den Sportereignissen werden tagtäglich, winters
und sommers, viele, viele Spalten und massenhafte Illustrationen
gewidmet. Auf diese Weise gelangt schließlich
jeder amerikanische Junge, der sich auf dem grünen Felde
in irgendeinem Sport eifrig betätigt, einmal dazu, seine
interessanten Züge in der Zeitung festgehalten zu sehen,
und daß das der jugendlichen Eitelkeit schmeichelt, ist
ja begreiflich – weniger begreiflich jedoch, daß die Nation
es nicht müde wird, jahraus, jahrein seine Bills, Bobs,
Dicks, Johns und Jacks zum Frühstück serviert zu kriegen.
Alle prominenten Persönlichkeiten, die gerade irgendwie
von sich reden machen, werden fleißig interviewt und
selbstverständlich abgebildet. Mehr oder minder harmlose
Indiskretionen aus dem Leben der gerade im Brennpunkt
des Tagesinteresses stehenden Personen füllen
zahlreiche Spalten, und Big Bill (der Präsident Taft) muß
sich’s gefallen lassen, ebenso burschikos angeulkt zu
werden, wie irgendein Brettlstern. Um auch das meist
trockene Gebiet der Politik nicht ganz ohne den Reiz
der Illustration zu lassen, verfällt man auf die seltsamsten
Auskunftsmittel. So war um die Weihnachtszeit 1910
unter den Nachrichten aus dem Weißen Hause The Spinster
Aunt Big Bills, d. h. die Altjungferntante des Präsidenten,
im Bilde zu sehen, welche ihrem lieben Neffen eigenhändig
Lebkuchen und andere Gutseln gebacken hatte; das Paket
und einzelne Gutseln waren gleichfalls abgebildet! Die
Politik nimmt in den Sensationsblättern nur in Zeiten
der Wahlkämpfe einen großen Raum ein, und die Sprache,
die sie dann führt, zeichnet sich durch hahnebüchene
Derbheit aus; jedes Mittel ist ihr recht, um den Parteigegner
zu verunglimpfen. Sachlich gehaltene, gedankenvolle
Leitartikel findet man nur in den besten Zeitungen.
Einen breiten Raum beansprucht ferner die Rubrik, die
bei uns „Hof und Gesellschaft“ überschrieben zu sein
pflegt. Während aber bei uns nur die regierenden Häuser,
der höchste Adel und ganz wenige große Persönlichkeiten
der offiziellen Welt in dem Glashause der Öffentlichkeit
sitzen, berichtet die amerikanische Presse tagtäglich von
dem Leben und Treiben nicht nur ihrer höchsten Beamtenschaft,
ihrer Multimillionäre und Modeberühmtheiten,
sondern über alle ihre besser gestellten Mitbürger, soweit
sie ein Haus ausmachen. „Mister und Missis Habakuk
J. Flips von 132. Straße W. 385 hatten gestern abend zu
Ehren ihrer Tochter Margaret Blossom, die ihr sechzehntes
Lebensjahr erreichte, Gäste eingeladen. Unter den
prominenten Persönlichkeiten bemerkte man ... usw.“
So geht es spaltenlang fort während der ganzen Saison.
Wenn Damen aus der Gesellschaft für die Wohltätigkeit
irgendeine Unterhaltung veranstalten, so bringt die Presse
die Portraits sämtlicher Patronessen und ausführliche
Berichte; ebenso wenn ein bekannter Bürger der Stadt
eine große Reise unternimmt, wenn seine Tochter als
Schönheit in der Gesellschaft Aufsehen erregt, oder sein
Sohn beim Fußballspiel einige Rippen eingetreten kriegt,
oder sein zu drei Viertel verkalkter Großvater achtzig
Jahre alt wird – kurz und gut, der Markt der lieben Eitelkeit
wird reich beschickt und trägt zu der fürchterlichen
Papiervergeudung, als welche sich das ganze Preßunwesen
darstellt, am meisten bei. Über Theater und Musik kann
man unmittelbar neben den brillant geschriebenen Artikeln
feiner Kenner in weit größerer Ausdehnung das alberne
Gewäsch der Reporter finden, ebenso wie sich auch zwischen
allen anderen Spalten unmittelbar neben dem sachverständigen
Urteil des gereiften Fachmannes die zum Urteilen
gänzlich unqualifizierte Volksstimme, das Gänsegeschnatter
des Salons und der blödeste Tratsch der Hintertreppe
breit macht. Hat man in dem Wirrsal von Nichtigkeiten
doch einmal einen wirklich fesselnden, bedeutsamen
Artikel erwischt, so wird man wieder des Genusses nicht
froh durch die abscheuliche Gepflogenheit, den Text durch
Geschäftsreklamen zu unterbrechen. Schreibt da ein
feiner Kopf über irgendeine brennende, sagen wir sozialpolitische
Frage. Ich folge gespannt den geistvollen Ausführungen,
bis plötzlich in der Mitte der Spalte meine
Augen vor einem Hindernis stutzen, denn da schiebt sich,
dick und schwarz umrändert, die Reklame eines Apothekers
für sein neues Abführmittel hinein; oder ich erbaue mich
eben mit innerlichem Schmunzeln an den philosophischen
Aphorismen zur Lebenskunst, die ein witziger Kopf in
fein geschliffener Form zum besten gibt (eine Rubrik
hierfür befindet sich in allen besseren Zeitungen und
scheint sehr beliebt zu sein). Plötzlich wird eine reizende
Bosheit über die Liebe durch das sich breit hereindrängende
Inserat einer Bestattungsgesellschaft unterbrochen mit
der fett gedruckten Überschritt: „Wähle dir nie dein
Leichenbestattungsgeschäft aus persönlicher Freundschaft,
denn wenn du das tust,“ geht es nun in kleinem Druck
weiter, „so schädigst du erstens den Toten, weil du ihm
nicht die erste Qualität Leichenbestattung zukommen
läßt, und lädst zweitens den Hinterbliebenen eine Schuldenlast
auf, für die sie keine Valuta empfangen haben, weil
ein kleines Unternehmen, das jährlich nur wenige Begräbnisse
zu liefern hat, selbstverständlich nicht so reich
ausgestattet sein kann, wie ein großes von unserem Rang,
und dennoch viel höhere Preise berechnen muß, weil es
ja auch davon leben will. Unser Institut dagegen liefert
ihnen zu billigerem Preise als irgendein anderes alles,
was nur ein liebendes Herz zur Erweisung der letzten
Ehre für seine teuren Verblichenen sich wünschen kann.
Jedermann kann sich bei uns nach seinen eignen Ideen
begraben lassen, wir haben Leute von allen Rassen,
Glaubensbekenntnissen und Bruderschaften zu unserer
Verfügung.“ Doppelstrich, – und dann geht es weiter im
Text. So muß ich unglücklicher Zeitungsleser mir meine
Reflexionen über die Liebe durch den unangemeldeten
Besuch der Leichenwäscherin stören lassen; kann keinen
Leitartikel bewältigen, ohne peinlichst an meine angeschoppte
Leber, meine verdickte Galle oder mangelhafte
Darmtätigkeit erinnert zu werden, und selbst wenn ich
den harmlosen Roman in der Beilage schmökern will,
halten mir die eifrigen Verkäufer aller möglichen Waren
fortwährend ihre Muster mit lautem Geschrei unter die
Nase.
Intellektueller Schlangenfraß.
Ich kann die aufreizende Wirkung dieser ewigen
geschmacklosen Unterbrechungen nur mit den Gefühlen
vergleichen, die das Telephon im Busen des modernen
Menschen auslöst, wenn es ihm rücksichtslos in seinen
Schlaf, in seine Andacht, in sein Nachdenken und seine
Liebesfeier hineinklingelt. Man merkt auch aus dieser
Aufmachung der Zeitung, daß der Durchschnittsamerikaner
keinen Anspruch auf Schonung seiner Nerven erhebt.
Er scheint seine Zeitung zu lieben, so wie sie ist, denn er
widmet ihr alle seine freien Augenblicke, selbst während
der Geschäftsstunden, und es ist für den denkenden Europäer
höchst verwunderlich zu beobachten, wie Leute der
verschiedensten geistigen Rangklassen, ohne Unterschied
des Alters und Geschlechts, den nämlichen intellektuellen
Schlangenfraß geduldig und sogar wohlig hinunterwürgen.
Man traut seinen Augen nicht, wenn man einen ehrwürdigen
Greis, dessen hohe, ausgearbeitete Stirn beträchtlichen
Verstand bezeugt, mit verhaltenem Gekicher die
sogenannte humoristische Ecke seiner Zeitung studieren
sieht. In dieser Abteilung erscheint nämlich, ich weiß
nicht seit wieviel Jahrzehnten bereits, tagtäglich eine
Bilderserie von absichtlich unbeholfenen Karikaturen im
Stile unseres „kleinen Moritz“. Die scheußlichen Fratzen,
welche sich die amerikanischen Exzentrikkomiker des
Varietés anzuschminken pflegen, fanden vielleicht ihre ersten
Vorbilder in den tonangebenden Karikaturenzeichnungen
der Tagesblätter, und diesen Fratzen hängen Zettel aus
dem Munde, auf denen ihre erschütternd witzigen Aussprüche
verzeichnet stehen. Gewiß können auch solche
grotesken Kindereien zur Abwechslung einmal einen
anspruchsvolleren Menschen belustigen – die goldig
harmlosen Dollarikaner aber lassen sich in fast all ihren
Blättern tagtäglich diesen Infantilismus gefallen; Sonntags
kriegen sie sogar ganze Seiten davon in Buntdruck!
Ein wenig begreiflicher wird einem ja allerdings diese
kindliche Anspruchslosigkeit des Geschmacks, wenn man
das unbegrenzte Vertrauen, das der amerikanische Leser
in die Allwissenheit seiner Zeitung setzt, beobachtet.
Wer kein Konversationslexikon im Hause hat, telephoniert
an eine beliebige Redaktion und setzt voraus, daß er da
eine prompte Auskunft auf alle erdenklichen Fragen
erhält. Die Naivität der guten Leute geht soweit,
daß sie dem Mister Editor sogar ihre Herzensgeheimnisse
anvertrauen und ihn um guten Rat bitten. Manche
Zeitungen haben eine eigne Abteilung für solche vertraulichen
Auskünfte, die manchmal in ganz ernsthaftem
Ton gegeben, oft aber auch von dem spaßhaften Redakteur
zur ironischen Verulkung der Einfalt benutzt werden.
Ich schlage eine angesehene Chicagoer Zeitung auf und
finde unter der Rubrik „Die Frau und ihre Interessen“
folgende Anfrage aus dem Leserkreise: „Liebes Fräulein
Libbey!“ – das ist die Redaktrice dieser Abteilung –
„Schreiber dieses ist ein junger Mann, welcher in einer
Landstadt lebt und keine Erfahrungen mit dem schönen
Geschlecht hat. Letzte Woche begegnete mir eine junge
Dame, und ich verliebte mich ganz verzweifelt in sie, sie
machte mir aber nicht die geringsten Avancen. Mein
Vater ist Besitzer einer Lohnkutscherei in der Stadt, und
ich fahre den Omnibus vom Bahnhof. Wenn diese junge
Dame von mir vom Bahnhof nach ihrer Wohnung gefahren
zu werden wünschen sollte, würden Sie mir raten,
sie gratis mitzunehmen? C. A.“
Antwort: „Ja, das könnte Ihnen schon vorwärts
helfen.“
Ist das nicht rührend niedlich?
Kopfzeilen.
Eine allbekannte Eigentümlichkeit der amerikanischen
Tageszeitung sind die Head lines (Kopfzeilen). Die
Redaktionen haben einen eignen Mann, welcher nichts
zu tun hat, als die vorliegenden Manuskripte mit
solchen auffallenden, kurz orientierenden Überschriften
zu versehen, und dieser Mann wird gut bezahlt. Der
europäische Leser läuft anfangs blau an vor Wut
über diese gräßlichen Head lines; er fühlt sich zum
Idioten erniedrigt, weil man durch diese Überschriften,
die jeden Artikel alle Nase lang zusammenfassend unterbrechen,
im Grunde genommen doch nur ausdrücken
will, daß man ihn für zu stumpfsinnig halte, als daß er
imstande sei, sich selber über den Hauptinhalt des Gelesenen
klar zu werden. Er ärgert sich noch ganz besonders
über die Gepflogenheit der Herren Headliner, bei Berichten
über Äußerungen hervorragender Persönlichkeiten
zu Tagesfragen den Namen des Sprechers weg zu lassen.
Da steht also z. B. fett und gesperrt gedruckt: „Sagt, Kalifrage
nicht schuld“, und erst in dem in Diamant- oder gar
Perlschrift ohne Durchschuß gesetzten Text erfährt man,
daß es sich um den amerikanischen Botschafter in Berlin
handele, der die Mutmaßung zurückweise, daß seine
Haltung in der Kalifrage die Ursache seiner Abberufung
gebildet habe. – Ein Bericht über mein und meiner Frau
Auftreten in einem Universitätshörsaal war beispielsweise
überschrieben: „Tituliertes Paar produziert sich
vor erlesener Hörerschaft“. Oder ein Mordbericht ist überschrieben:
„Pfeift Signal aus Liebestagen, tötet sodann
Frau“. Genug der Beispiele. Aber derselbe Europäer,
der anfangs mit knapper Not dem Schlagfluß entging
vor Ärger über so viel Kinderei und grobe Geschmacklosigkeit,
kommt schon nach acht Tagen sicherlich dazu,
die Einrichtung der Headlines zu segnen, denn sie bedeuten
tatsächlich den Ariadnefaden, der allein einen
durch das Labyrinth der zu wüsten Haufen aufgetürmten
Tagesneuigkeiten sicher hindurchgeleiten kann. Mit Hilfe
der Headlines ist man nämlich imstande, die umfänglichste
Tageszeitung in fünf Minuten zu erledigen, während man
reichlich fünf Stunden brauchen würde, wenn man den
ganzen klein gedruckten Text lesen wollte. Sie sind also
im Grunde eine ungemein menschenfreundliche Einrichtung.
Ein smarter Reporter.
Es sei mir gestattet, aus meiner eignen Erfahrung ein
kleines Beispiel dafür anzuführen, was der Amerikaner
unter journalistischer Smartness versteht. In St. Louis
wurde uns unmittelbar nach unserer Ankunft früh morgens
ein Reporter gemeldet, der uns zu interviewen wünschte.
Ich merkte sehr bald, daß der sympathische, bescheidene
junge Mann keinen blassen Schimmer hatte, wer wir
waren, und er gestand auch lächelnd ein, daß ihn nur der
„Baron“ veranlaßt habe, uns so rücksichtslos zu überfallen,
ehe wir uns noch den Schmutz der Nachtfahrt
abgespült hatten. Da in jenen Tagen die Aufführung von
Richard Strauß’ „Salome“ in Chicago viel Staub
aufwirbelte, und die Leute von St. Louis mit Spannung
darauf warteten, ob ihr Stadtoberhaupt die Aufführung
dieses gotteslästerlichen Werkes gestatten werde, so
brachte ich den netten jungen Mann auf die Idee, mich
über meine Beziehungen zu Strauß und meine Ansicht
über „Salome“ auszufragen. Er stenographierte fleißig, und
wir brachten, wie mir schien, ein ganz nettes Feuilleton
zustande. Höchst vergnügt zog er mit seiner Beute ab.
Bereits eine Stunde später wurden wir von seiner Redaktion
angeklingelt: da habe ihnen einer ihrer jungen Leute ein
ganz blödsinniges Gewäsch abgeliefert, wir sollten doch
die überflüssige Belästigung entschuldigen und den Besuch
eines anderen jungen Herrn ihrer Redaktion freundlichst
empfangen. Bereits nach zehn Minuten erschien dieser
Ins-Reine-Interviewer. Nachdem der schneidige, elegante
junge Mann seinen Kollegen für einen Trottel erklärt
hatte, ließ er sich ein Bild von meiner Frau geben und
fragte sie, wie ihr die amerikanischen Männer gefielen, ob
ihr die glattrasierten Gesichter lieber seien als die Schnurrbärte,
was sie von den Humpelröcken halte, ob sie nach
dem Westen zu gehen beabsichtige, ob sie sich nicht vor den
Cowboys dort fürchtete – und dergleichen weltbewegende
Wichtigkeiten mehr. In der Nachmittagsausgabe seines
höchst gelben Blattes erschienen bereits Bild und Interview,
und es wurde uns nachher von vielen Leuten bestätigt,
daß das Publikum tatsächlich dergleichen platte Nichtigkeiten
sehr gerne lese. Einige Tage später waren wir zu
Gast bei dem Besitzer jener Zeitung. Wir fanden ein
reizendes Heim und eine aus belangreichen Männern und
interessanten Frauen anmutig gemischte Gesellschaft
und in der Gattin des Hausherrn eine hochgebildete,
geschmackvolle und fein empfindende Dame.
Ideale Möglichkeiten für die Zeitung.
Ich glaube, aus dieser und manchen ähnlichen Erfahrung
schließen zu dürfen, daß der Tiefstand der amerikanischen
Presse durchaus nicht immer einen Rückschluß zulasse auf
mangelhafte Befähigung der amerikanischen Journalisten.
Im Gegenteil: diese Damen und Herren verfügen nicht
selten über eine sehr gute Bildung, über eine höchst gewandte
Feder, einen schlagfertigen Witz, und es wäre
sehr wohl möglich, mit denselben Mitarbeitern auch eine
nach unserem Geschmack gute Zeitung herzustellen. In
allem Technischen ist uns die amerikanische Presse sogar
vielfach überlegen. Die Schnelligkeit der Berichterstattung
und besonders die Schnelligkeit in der Herstellung dieser,
an Umfang unsere Tagesblätter meist weit übertreffenden
Zeitungen sind ganz erstaunlich, und die Art und Weise,
wie die Zeitung oft tatkräftig in öffentliche Angelegenheiten
von Bedeutung eingreift, und wie sich bei solchen
Gelegenheiten der Journalist zum Volksmanne großen Stiles,
zum erfolgreichen Anwalt der Verkannten und Unterdrückten
entwickelt, kann uns nur mit aufrichtiger Hochachtung
erfüllen. Ich brauche wohl nur die Namen New-York
Herald und Henry M. Stanley zu nennen! Es betätigen
sich eben im Journalismus nicht nur Leute, „die
ihren Beruf verfehlt haben,“ nicht nur Klugschwätzer und
Geistprotzen, sondern auch Tatmenschen, Willensgenies –
weil sie wissen, daß aus einem Journalisten alles werden
kann: ein Nordpol-Entdecker, ein Sherlok-Holmes, ein
Theatertrustmagnat, ein Präsident der Republik! Unserer
deutschen Eitelkeit ist es besonders schmeichelhaft, daß
unter den hervorragendsten Journalisten englischer Feder
sich auch zahlreiche deutsche Einwanderer befinden.
Der anerkannt beste Musikkritiker New Yorks ist ein
Deutscher; in dem am Boston Transcript, einer in geistigen
Dingen führenden Tageszeitung, angestellten Redakteur
für literarische Angelegenheiten entdeckte ich einen
ehemaligen Wiener Feuilletonisten; er schreibt jetzt, wie
viele seiner Landsleute im Journalismus und im Lehrfache,
ein vorbildliches Englisch. Wenn solchen reichen Möglichkeiten
zum Trotz dennoch das allgemeine Niveau der
Tagespresse so erschreckend niedrig ist, so sind daran
in der Hauptsache doch wohl nur die Verleger schuld, die
sich an das gefährliche Goethewort halten: „Wer vieles
bringt, wird manchem etwas bringen.“
Eine Zeitung für jedermann aus dem Volke kann es
aber vernünftigerweise überhaupt nicht geben; denn
was das Herz eines Waschweibes erfreut, bedeutet für
einen denkenden Menschen eine schwere Beleidigung,
was eine weltkluge Frau von reifem Verstande lebhaft
interessiert, langweilt vielleicht einen aufgeweckten Ladenschwung
zum Gähnen usw. usw. Eine Zeitung kann
ungemein erziehlich wirken nicht nur für den Geschmack,
sondern auch für die guten Sitten und sogar für das Denkvermögen
ihrer Leser, indem sie allgemein verständlich
schreibt, ohne sich jedoch zu dem Geschmack und dem
beschränkten Begriffsvermögen der geistig Minderwertigen
herabzulassen, indem sie den niedrigen Instinkten der Masse
keine Konzessionen macht und den Erbärmlichkeiten
gegenüber, die die Wogen des Lebens tagtäglich ans Ufer
der Öffentlichkeit schleudern, gewissermaßen die Funktionen
der Gesundheitspolizei ausübt, dadurch daß sie alle
übel riechenden Materien diskret entfernt oder wenigstens
desinfiziert und zum Nutzen der allgemeinen Moral
chemisch verarbeitet. Die jämmerliche Liebedienerei,
welche fast die gesamte amerikanische Tagespresse der
Masse gegenüber betreibt, wirkt jedoch als schweres
Kulturhemmnis, geschmacksverderbend und sogar demoralisierend.
Daß sie, wie ich in den Ausführungen über
öffentliche und private Moral bereits hervorhob, trotz ihrer
indiskreten Zudringlichkeit, vor der selbst die zartesten
Geheimnisse des Familienlebens nicht sicher sind, geschlechtlichen
Dingen gegenüber eine geradezu ängstlich
prüde Zurückhaltung ausübt, verringert die moralischen
Gefahren, die sie heraufbeschwört, nicht im geringsten,
wenn anders man zugibt, daß Moral keineswegs im Nichtswissen
um die Natürlichkeiten des Geschlechtslebens
besteht, sondern darin, daß man seinen Mitmenschen
gegenüber eine anständige Gesinnung betätigt und seine
schlechten Triebe in strenge Zucht nimmt. Wer den
Instinkt der Masse zum obersten Richter über die Moral
und den gesunden Menschenverstand zum Minister der
geistigen Angelegenheiten einsetzt, der trägt notwendig
zur Verflachung der Kultur bei. Und wer einmal vor dem
Mob eine etwas zu tiefe Verbeugung gemacht hat, dem
setzt er sich leicht auf den Nacken und reitet ihn in den
Sumpf der tödlichsten Trivialität hinein. Es ist sehr
schwer, sich da wieder herauszurappeln.
Sensationsartikel ernster Zeitschriften.
Auch dafür liefert uns die amerikanische Presse ein
warnendes Beispiel; anstatt daß nämlich, um die Geringwertigkeit
des täglichen Massenfutters auszugleichen,
die Wochen- und Monatsschriften nun erst recht auf
nahrhafte Qualität der von ihnen aufgetischten Geistesspeise
ausgingen, sehen wir sie vielmehr fast samt und
sonders von dem bösen Beispiel der Tagespresse angesteckt.
Auch ihr Feldgeschrei lautet: Sensation um jeden Preis!
Ich weiß nicht, ob es ein einziges Blatt in Amerika gibt,
das absichtlich den Kreis seiner Leser einschränkte, um
zwanglos zu einer Gemeinde von Auserwählten sprechen
zu dürfen. Weil der Hunger nach Sensation, durch die
schlechte Presse geflissentlich genährt, nunmehr bereits
eine Charaktereigenschaft des ganzen Volkes geworden
ist, so glauben ihm heute auch die guten, alten Wochen-
und Monatsschriften Rechnung tragen zu müssen, wenn es
auch nur mit einem einzigen Artikel wäre. Wenn man den
Herausgebern daraus einen Vorwurf macht, so erwidern
sie einem achselzuckend: „Ja, dieses einen Artikels wegen
wird aber unsere Zeitschrift gekauft; bringen wir ihn nicht,
so schnappt uns die Konkurrenz die Leser weg.“ Dieser
eine Sensationsartikel, der zum Ärger geschmackvoller
Menschen die Physiognomie einer sonst vornehmen Zeitschrift
verschandelt wie eine behaarte Warze das Antlitz
einer feinen, liebenswürdigen Matrone, wird bezogen aus
dem Reiche des Schwindels, der literarischen Hochstapelei,
er wird eingegeben vom Neid, von der Rachsucht,
vom Cynismus derer, die nichts mehr zu verlieren haben.
Während meiner Anwesenheit in den Vereinigten Staaten
brachte so eine angesehene Zeitschrift einen Artikel, in
welchem behauptet wurde, daß in New York täglich
etliche hunderttausend Stück faule Eier importiert
würden, und daß sämtliche Zuckerbäcker ihre appetitlichen
Süßigkeiten grundsätzlich nur aus faulen Eiern
herstellten! Und eine Monatsschrift von noch älterem
Rufe entwarf ein schaudererregendes Bild von der lebensgefährlichen
Ignoranz der amerikanischen Ärzte, insonderheit
der Chirurgen. Da wurde als Beispiel erzählt, daß ein
Chirurg mit großer Praxis eine Reise ins Ausland unternehmen
wollte und seine Patienten einem älteren, angesehenen
Kollegen empfahl; darunter eine Dame, an der
er eine Blinddarmoperation ausgeführt hatte, die aber
neuerdings wieder über Schmerzen klagte. Der ältere
Kollege habe die Dame untersucht und beim besten Willen
keine andere Diagnose als Blinddarmentzündung stellen
können. Schließlich sei der Zustand der Dame so besorgniserregend
geworden, daß sie selber auf eine nochmalige
Operation bestanden habe. Dabei zeigte sich,
daß der Blinddarm, und zwar in scheußlicher Verfassung,
noch vorhanden war. Als der jüngere Kollege dann zurückkehrte
und von dem sonderbaren Ergebnis der Operation
erfuhr, habe er totenblaß ausgerufen: „Mein Gott, was
habe ich dann da der Dame herausgeschnitten!?“ Ich
müßte mich sehr täuschen, wenn ich diesen Scherz nicht
schon vor dreißig Jahren in Deutschland gehört hätte;
aber er genügte, gehörig aufgefrischt, um die sämtlichen
medizinischen Fakultäten, die ganze Ärzteschaft der
Vereinigten Staaten mobil zu machen und einen erbitterten
Kampf der Meinungen zu entfachen, von dem jene tüchtige
alte Monatsschrift schmunzelnd den Profit einstrich.
Man sieht aus diesen Beispielen, daß sich der Sensationsgier
zuliebe selbst die für die geistige Oberschicht arbeitende
Presse kein Gewissen daraus macht, mit der Ehre des
Einzelnen, eines ganzen Standes, eines Berufs oder gar
der ganzen Nation ein frivoles Spiel zu treiben. Die Entschuldigung
dafür klingt freilich plausibel genug: „Was
wollen Sie?“ sagen einem die Herausgeber, „die Wissenden
täuschen wir ja doch nicht mit solchem Bluff, die amüsieren
sich nur darüber, und im übrigen wird so unendlich viel
gedruckt und gelesen, daß das Publikum es ja doch nicht
alles behalten kann. Wenn also die ärgsten Lügen wirklich
einmal nicht einwandfrei dementiert werden sollten,
so vergißt sie das Publikum doch sicher über der nächsten
Sensation. Wo bleibt also der große Schaden, den wir
stiften sollen?“
Es muß allerdings zugegeben werden, daß unter den
besonderen amerikanischen Verhältnissen der Schaden
vielleicht geringer ist, als er bei uns in Deutschland sein
würde, weil dort verhältnismäßig nur wenige Menschen
auf ein Blatt abonniert sind. Der Großstädter zumal
kauft sich seine Zeitung und selbst seine Wochen- und
Monatsschrift auf der Straße, und zwar heute die und
morgen jene, wie es der Zufall will. Er lernt also die
politischen Tagesfragen heute in republikanischer, morgen
in demokratischer Betrachtung kennen; er sieht heute
rot, morgen blau und übermorgen gelb – wenn er noch
seinen eignen grünen Optimismus hinzutut, ergibt die
Mischung nach dem Newtonschen Gesetz schließlich doch
das Weiß der reinen Wahrheit! Die Gefahr der Verblödung
durch die Presse ist also schließlich doch nicht so groß,
wenigstens für den an sich schon freieren Geist. Gesetzt
aber selbst den Fall, daß unter den etlichen 90 Millionen
Menschen, welche die Vereinigten Staaten bevölkern, nur
wenige Tausend noch auf dem kindlichen Standpunkt
stehen sollten, alles, was gedruckt ist, für wahr zu
halten, so bliebe noch immer die ungeheure Blamage vor
der übrigen gebildeten Welt, welche doch nicht gut
umhin kann, die Intelligenz und den Geschmack der
ganzen Nation nach der Presse zu beurteilen, die sie
sich gefallen läßt.
Die deutsche Presse.
Es sei übrigens nachdrücklich betont, daß wenigstens
ein Teil der deutschen Presse Amerikas, und besonders der
führenden Blätter New Yorks, sich die redlichste Mühe
gibt, sich über den Standard der englischen Presse zu
erheben. In den großen deutschen Zeitungen findet man,
besonders über das Ausland, eine bei weitem ausführlichere
und zuverlässigere Berichterstattung, als selbst in der
guten englischen Presse. Und was beispielsweise die
New Yorker Staatszeitung in ihrem Sonntagsblatt an
Belehrungs- und Unterhaltungsstoff bietet, wird an Qualität
und Quantität von keiner unserer Zeitungen erreicht.
Aber freilich: die große Mehrzahl der deutschen Einwanderer
amerikanisiert sich überraschend schnell in
Dingen des Ungeschmacks und der oberflächlichen
Neugier, und so zwingt der Selbsterhaltungstrieb auch die
deutschen Blätter, manchen betrüblichen Unfug mitzumachen.
Die Frage ist nun die: ist es überhaupt möglich,
diesem rapiden Herabsinken Einhalt zu gebieten in einem
großen demokratischen Freistaat, in dem die Masse sich
zum allmächtigen Tyrannen aufgeschwungen hat? Ich
habe an anderer Stelle ausgeführt, daß es die natürliche
Tendenz jeder menschlichen Gemeinschaft sei, eine Aristokratie
aus sich heraus zu entwickeln. Nun, ich sehe auch
die Vereinigten Staaten auf dem besten Wege dazu. Die
Zeit muß kommen, wo diese Aristokratie zahlreich und
stark genug ist, um die geistige Führung an sich zu reißen.
Eine aristokratische Kultur aber läßt sich eine kulturlose
Presse nicht gefallen. Die gebildete Welt wird die Amerikaner
erst dann unter die Kulturvölker rechnen, wenn sie
eine Presse besitzen, die es sich zur heiligen Aufgabe macht,
den Geschmack der Masse zu vergewaltigen.
Von der demokratischen Gesellschaft.
Die demokratische Freiheit.
Deutsche Auswanderer, die in den Vereinigten Staaten
zu Wohlstand gelangt sind, und es sich leisten können,
von Zeit zu Zeit die alte Heimat zu besuchen, versichern
einen in weitaus den meisten Fällen, daß sie mit staunender
Genugtuung den großen Aufschwung des Vaterlandes in
wirtschaftlicher, verkehrstechnischer, wissenschaftlicher
und künstlerischer Beziehung wahrgenommen, daß sie
mit stiller Rührung so manche treu behütete Wahrzeichen
der Vergangenheit, liebenswürdige alte Sitten und Gebräuche,
feuchtfröhliche Kneipwinkel und traute Gemütlichkeit
im Familienheim wieder gefunden und ihre
Heimatliebe dadurch gestärkt hätten. Wenn man sie aber
dann fragt, ob sie denn das alles nicht in der Neuen Welt
schmerzlich vermißten und ihr Leben nicht lieber mehr
oder minder bescheiden, jedenfalls aber in der ruhigen
Behaglichkeit des Rentners in der alten Heimat beschließen
wollten, da bekommt man fast immer zur Antwort: „Nein,
Wurzel fassen könnte ich auch in dem üppigen modernen
Deutschland nicht mehr. So sehr ihr auch fortgeschritten
seid, so habt ihr doch noch keine Ahnung von der wahren
demokratischen Freiheit. Ihr fühlt euch immer noch als
Untertanen, und es scheint euch vollständig in der Ordnung,
euch euer ganzes Leben lang von euren großen und kleinen
Fürsten, von Adel und Geistlichkeit, von euren geschwollenen
Beamten und aufdringlich neugierigen Polizeiorganen
grob oder sanft stupfen, gängeln und behüten
zu lassen. Euer Dasein ist nach wie vor umzäunt von
Warnungs- und Verordnungstafeln, der freie Entschluß
und die freie Meinung trauen sich immer noch nicht recht
heraus, ihr wartet immer noch auf Erlaubnis oder Befehl
von oben, anstatt auf Biegen oder Brechen dem Unheil
Trotz zu bieten. Die Disziplin und Ordnung bei euch ist
ja eine ganz schöne Sache, aber die behagliche Ruhe, die
sie bieten, muß doch mit zu viel Demütigungen des Selbstbewußtseins
erkauft werden. Eure gesellschaftlichen Einrichtungen
erscheinen uns Republikanern nun vollends
lächerlich und unerträglich, denn ihr habt ja noch kaum
angefangen, mit den unmöglichsten Standesvorurteilen und
dem engherzigsten alten Kastengeist aufzuräumen. Das
sind die Gründe, weshalb ein Mensch, der etliche Jahrzehnte
lang die Luft echter demokratischer Freiheit
geatmet hat, im alten Vaterlande nicht mehr heimisch
werden kann.“ Und dann werden einem allerlei blamabel
komische Reiseerlebnisse aufgetischt, die dieses Urteil
über unsere Unfreiheit erhärten sollen: polizeiliche Meldeformulare,
welche nicht nur Namen, Stand und Herkunft,
sondern auch Alter, Religion und Zweck des Aufenthalts
des Reisenden zu wissen begehren, das Zusammenknicken
schnauzender Beamten vor einer Leutnantsuniform, die
aufgeregte Wichtigtuerei des Mannes mit der roten Mütze,
der mit Papieren in der Hand auf dem Bahnsteig hin
und her rennt und seine Lunge anstrengt wie ein Brigadegeneral,
um einen harmlosen Personenzug abzufertigen;
die komische Angst der Gastgeber vor Verstößen gegen
die Rangordnung bei Einladungen in ihr Haus, die Einbeziehung
der Frauen in diese Rangordnung, die umständlichen
Höflichkeitsbezeigungen wildfremder Menschen
gegeneinander – und was dergleichen niedliche Reliquien
aus jammervoller deutscher Vorzeit mehr sind.
Das stimmt alles, und wir haben kein Recht, es dem
Ausländer zu verübeln, wenn er diese Dinge bei uns mit
ironischer Heiterkeit oder gar mit bitterem Zorn bemerkt.
Die Frage ist für uns nur die: lebt man in der demokratischen
Gesellschaft der größten amerikanischen Republik
wirklich so sehr viel freier? Und ist es überhaupt
möglich, ein friedliches Nebeneinanderleben von Menschen,
eine öffentliche Ordnung, Sicherung des Lebens und Eigentums,
eine Entwicklung von Gesittung zu schaffen ohne
Gesetze, welche die absolute Freiheit des einzelnen beschränken
und ohne Gewaltmittel, durch welche diesen
Gesetzen Achtung verschafft wird? Die republikanische
Regierung der Vereinigten Staaten hat diese Frage sehr
energisch verneint. Ich wüßte nicht, wo in der Welt mehr
und eifriger Gesetze fabriziert würden, als gerade in der
Union, wo nicht nur im Senatspalast von Washington,
sondern in den Kapitalen sämtlicher 44 Bundesstaaten,
jahrein, jahraus Paragraphen geschmiedet werden, die
wiederum durch die lokalen Verordnungen der einzelnen
Gemeinwesen weitgehende Ergänzungen erfahren. Gewiß,
unsere Verordnungswut, unsere kleinliche Polizeischikane
verderben uns manche schöne Stunde und reizen die Galle
öfter als das Zwerchfell – aber ist das drüben so sehr viel
besser? Wenn der Zug die Grenze eines Prohibitionsstaates
passiert, reißt mir der Schwarze im Speisewagen
das Bierglas vom Munde weg; in Wisconsin mache ich
mich strafbar, wenn ich jemandem eine Zigarette anbiete;
in Boston werde ich in den Kerker geworfen, wenn ich auf
der Straße ausspucke, auf der New-Yorker Untergrundbahn
mit schwerer Geldstrafe belegt, wenn ich mich auf
dem Bahnsteig mit einer glimmenden Zigarre sehen
lasse; wenn ich ein schönes Mädchen bewundernd anblicke,
riskiere ich, durchgeprügelt zu werden, und wenn ich das
Opernhaus anders als im Frack und weißer Weste betrete,
werde ich durch verächtliche Blicke in den Boden gebohrt.
In der demokratischen Gesellschaft gibt es angeblich
keinen Unterschied der Stände, und diese allgemeine Gleichheit
soll ihren deutlichsten Ausdruck darin finden, daß
auf der Eisenbahn nur eine einzige Wagenklasse für alle
vorhanden ist. Dieser Grundsatz ist aber in Wahrheit nur
bei langsamen Lokalzügen durchgeführt, die der „bessere
Mensch“ ja doch selten benutzt, weil er sein eignes Auto
hat. Sobald ich aber weite Strecken fahren will, denke ich
nicht im Traume daran, mich mit Arbeitern, Chinesen,
Negern, gummikauenden Ladenmädchen und Viehtreibern
in die Car mit den gräßlich engen Sitzen aus schmutzigem
Strohgeflecht zu setzen, sondern ich bezahle meinen Zuschlag
am Schalter der Pullman-Gesellschaft und erwerbe
mir damit das Anrecht, in einem großen luftigen, schön
ausgestatteten Salonwagen einen bequemen drehbaren
Polstersessel zu benutzen und an den besonderen Luxuseinrichtungen,
wie Wasch- und Rauchkabinett, Speisewagen,
Büfettwagen mit Schreibgelegenheit und reichhaltige
Journalauswahl nach Belieben teilzunehmen. Hier
kann ich sicher sein, mich in Gesellschaft reinlicher, gut
gekleideter, manierlicher und wohlhabender Menschen zu
bewegen, gerade so gut oder besser, als wenn ich in Deutschland
zweiter Klasse führe. Fühle ich mich aber so außerordentlich
prominent, daß mir auch diese Gesellschaft
noch zu ordinär ist, gehöre ich also nach deutschen Begriffen
zu den erstklassigen Menschen, so lege ich noch ein
paar Dollar zu und kaufe mir dafür ein Compartement, d. h.
einen abgeschlossenen, bequemen Raum innerhalb des
großen Pullman-Wagens, in dem ich über üppige Salonmöbel
verfüge und nachts auch allein schlafen kann,
während die Leute zweiter Klasse, Männlein und Weiblein
pêle-mêle, der Länge nach hinter einem grünen Vorhang
übereinander geschichtet und sorgfältig von der frischen
Luft abgeschlossen werden. Selbstverständlich kann man
es, ebenso wie bei uns, einem Protzenbauer in dreckigen
Schmierstiefeln nicht verwehren, wenn es ihm Spaß macht,
für sein Geld erster Klasse zu fahren. Wenn aber drüben
etwa ein Cowboy in verwegenem Räuberaufzug sich für
seine zerknitterten Greenbacks (Dollarscheine) einen Platz
im Pullman-Wagen leistet, so wird er sich in der manierlichen
Gesellschaft, in der er weder rauchen noch spucken
darf, bald genug ungemütlich fühlen und ganz bescheiden
in den Rauchwagen abschieben, wo die Sitten freier sind.
Ist das nun etwas anderes wie unser Dreiklassensystem?
Wir mit unserer dünkelhaften Verachtung des Proletariers
schufen sogar noch eine vierte Klasse für die Leute mit
der ganz schmalen Börse – die Eisenbahnkönige im Lande
der Freiheit und Gleichheit denken aber natürlich nicht
daran, diesem Bettelpack zuliebe ganz billige Fahrgelegenheiten
einzuführen. Daß – in den Südstaaten wenigstens – Neger
in der Eisen- und selbst in der Straßenbahn im
besonderen Wagen fahren müssen, ist ja eine weltbekannte,
echt demokratische Einrichtung.
Die alte Tante.
Man sieht aus diesen wenigen Beispielen, daß auch in
der großen Republik dafür gesorgt ist, daß der freie Kulturmensch
sich hie und da an Gesetzestafeln Beulen stößt und
wegen lächerlicher Bevormundung gerade so schön die
Kränke kriegen kann, wie bei uns. Wenn wir näher zusehen,
welchen Mächten es denn zu danken sei, daß wir
drüben nicht vor lauter Freiheit allzu übermütig werden,
so stoßen wir in den meisten Fällen auf – die alte Tante!
Ich für meinen Teil muß gestehen, daß mir diese alte Tante,
welche, mit einer Axt und mit einer Bibel bewaffnet, Türen
einschlägt, Schnapsflaschen demoliert, gesetzgebenden
Körperschaften die Fenster des Sitzungssaales einschmeißt
und am liebsten alle freie Fröhlichkeit durch ihr
sauertöpfisches Geplärr ersticken möchte, bei weitem unsympathischer
ist, als unsere grimmigsten Polizeigewaltigen.
Das ist überhaupt die üble Kehrseite der ritterlichen
Frauenverehrung bei den Amerikanern, daß sie so
leicht vor den verrücktesten Anschlägen boshafter und
beschränkter alter Weiber zu Kreuze kriecht, sobald sie
im Namen der Religion oder der Sittlichkeit unternommen
werden. Denn es ist dieselbe bösartige alte Tante, welche
mich zwingt, mein gutes Diner in einem erstklassigen Hotel
wie das liebe Vieh mit Wasser hinunter zu spülen, oder mir
ein harmloses Glas Bier durch eine Lüge zu erschleichen„A drink with a wink“ heißt das. In den Staaten, wo die
Prohibition streng durchgeführt ist, fordert man unter möglichst unmerklichem
Augenzwinkern ein Glas Milch und bekommt alsdann in
einem undurchsichtigen Gefäß sein Bier, wobei die weiße Schaumhaube
die Milch vortäuschen muß.,
dieselbe auch, welche mir an meinen freien Sonntagen die
Theater vor der Nase zusperrt, mir jede schöne künstlerische
Nacktheit mit Feigenblättern verschandelt und
sogar meine Lektüre kontrolliert, indem sie die Tore des
Freistaates gegen die Einfuhr „freier“ Bücher verschließt
und dem einheimischen Schriftsteller nicht gestattet,
seine Feder Dinge und Gedankenkreise berühren zu lassen,
die sie für anstößig erklärt! Daß diese biedere Tante mit
ihrem frommen Eifer weder die Trunk- noch die Vergnügungssucht,
noch gar Kunst und Wissenschaft gänzlich
auszurotten vermag, versteht sich von selbst; ihr Erfolg
besteht darin, daß sie eine scheußliche und lächerliche
Heuchelei züchtet und auf künstlerischem und wissenschaftlichem
Gebiete die freie Entwicklung immerhin
beträchtlich hemmt. Da es dem Bürger der Vereinigten
Staaten an so vielen Plätzen verboten ist, seinen Durst
mit alkoholischem Naß zu löschen, so verlernt er die guten
Sitten im Umgang mit geistigen Getränken und berauscht
sich bei verschlossenen Türen an konzentrierten Giften.
Da ihm Sonntags der Genuß des Schauspiels wie der Oper
versagt ist, die Gesetzgeber aber doch nicht so unmenschlich
sein wollen, um Leute, die nur Sonntags Zeit haben,
ganz und gar von dieser unter Umständen sogar bildenden
Unterhaltung auszuschließen, verfielen sie auf den Ausweg,
theatralische Vorstellungen unter dem Namen Sacred
Concert zu gestatten, wobei aber Kostüm und Tanz fortfallen
müssen. Zu meiner Zeit wurde im deutschen Theater
in New York am Sonntag nachmittag „Madame Bonivard“,
der französische Schwank von der alten Balletteuse, als
geistliches Konzert gegeben!
Raubritter hüben und drüben.
Und wenn die Amerikaner behaupten, daß es einen
Kastengeist oder überhaupt gesellschaftliche Vorurteile bei
ihnen nicht gebe, so muß ich mir erlauben, auch dahinter
ein großes Fragezeichen zu machen. Die Abkommen der
Knickerbockers, der True Virginians oder gar der biederen
Londoner Handwerker, die 1620 mit der „Mayflower“
landeten, entwickeln einen Adelstick, der unsere blaublütigsten
ostelbischen Junker neidisch machen könnte.
Ganz natürlich: denn ein Amerikaner, der seine Großeltern
noch kennt, ist schon ein leidlich vornehmer Mensch,
da es ja ihrer viele gibt, die kaum wissen, wes Standes und
Landes ihre Eltern waren. Folglich rechnen sich Leute,
deren Ureltern schon Amerikaner waren, schon zum hohen
Adel, selbst wenn diese Herrschaften Viehräuber gewesen
sein und am Galgen geendet haben sollten. Die Nachkommen
namhafter Kolonisatoren und Pioniere genießen
ganz folgerichtig eine Verehrung, wie bei uns kaum die
Sprossen königlicher Häuser. Da aber dieser Adel nicht
durch Titel äußerlich erkennbar ist, so sorgt er durch
strengste Absperrung seines gesellschaftlichen Kreises
dafür, daß er nicht mit der Krapüle verwechselt werden
kann. Es ist schwerer in die Gesellschaft der sogenannten
Vierhundert hineinzukommen, als an den Höfen europäischer
Kaiser und Könige Zutritt erhalten. Und geradeso wie
unsere Potentaten von den Hofgeschichtsschreibern
Fälschungen und Unterschlagungen begehen lassen, um
unangenehme Eigenschaften ihrer Vorfahren vergessen zu
machen, so scheuen die Vanderbilts, Jay Goulds, Astors
usw. keine Kosten, um unangenehme Veröffentlichungen
über ihre Ahnen zu hintertreiben. Nachschlagewerke wie
„Wer ist wer?“ spielen drüben eine Rolle wie bei uns der
„Gotha“. Die guten alten Familien schütteln ihre Bekanntschaften
durch sieben Siebe, bevor sie sie ihres näheren Umganges
würdigen, und die Emporkömmlinge, mögen sie
auch Millionen schwer sein, kennen kein höheres Ziel ihres
Ehrgeizes, als eine Einladung in eines dieser erlauchten
Häuser zu erreichen oder wenigstens irgend einen ihrer
jüngeren Prinzen oder Prinzessinnen bei sich zu sehen. Orden
und Titel gibt es drüben offiziell nicht, dafür recken sich
aber die guten Leute in den Theater- und Konzertsälen die
Hälse aus, um die funkelnden Dekorationen der Herren
Diplomaten zu bestaunen und schmücken ihre Knopflöcher
mit Vereinszeichen in Gestalt blitzender Sternchen
und Kreuzchen, die unseren Miniaturorden von weitem
wenigstens sehr ähnlich sehen. Und jeder Bürger, der durch
sein geschäftliches Glück oder durch eine gute Karriere
unter die Prominenten geraten ist, trägt eifrig dafür Sorge,
so oft wie irgend möglich in den Zeitungen erwähnt, abgebildet
und interviewt zu werden, weil das seine gesellschaftliche
Stellung ungemein erhöht. Die guten Republikaner
scheinen ein vortreffliches Gedächtnis sowohl für
die Zeitungsberühmtheiten wie für die Familienverhältnisse
aller ihrer großen Tiere zu haben, denn in den
besseren Kreisen wissen sie alle und besonders die Damen
ganz genau, mit wem man anstandshalber verkehren kann
und mit wem nicht. Sie haben ihre Liste der möglichen
Menschen so sicher im Kopfe wie bei uns nur die Damen
der exklusivsten Kreise, deren Evangelium die Rangliste
und das Gothaische Taschenbuch ist. Der Unterschied von
hüben und drüben ist also nicht gar so groß – nur daß
die europäischen Raubritter doch wenigstens ursprünglich
Sprossen erlesensten Blutes waren und nur durch die Not,
die Rauheit der Zeiten zur Räuberei verführt wurden.
Drüben war aber doch meistens der Raubinstinkt das
Primäre und wurde durch den Besitz eher gesteigert als
vermindert. Zum Erwerben von ungeheuren Vermögen
gehört neben hervorragender Klugheit, Beharrlichkeit,
Phantasie und Wagemut noch immer eine große Portion
Rücksichts- und Gewissenlosigkeit. In einer Gesellschaft
von Abenteurern, Spielern und Gewaltmenschen wurde das
Diebsgenie begreiflicherweise mehr bewundert als jedes
andere. Pluckyness ist heute noch ein höchstes Lob für
einen Amerikaner, und wer die Dummheit anderer nicht
ausnutzt, der gilt ihm für einen Schwachkopf. Wer diese
Seite der amerikanischen Lebensauffassung mit Hochgenuß
studieren will, der lese die kürzlich erschienenen
Memoiren des alten Gauners Drew„The Book of Daniel Drew“ by Bouck White.. Darin kommt eine
köstliche Anekdote vor, wie er einstens den alten ehrlichen
Jakob Astor hineinlegte. Drew hatte eine gute Gelegenheit
benutzt und für ein Spottgeld eine ganze Herde höchst
minderwertigen Rindviehs gekauft. Er trieb sie selbst
bis nahe vor New York und ließ die armen Tiere in den
letzten zwei Tagen Salz lecken und erbärmlich Durst
leiden. Dann ersuchte er Jakob Astor, hinauszukommen
und sich seine kapitalen Tiere anzusehen. Eine Stunde vor
Ankunft des mißtrauischen alten Geschäftsfreundes ließ
er seine Herde saufen, saufen, saufen, bis sie mit ihren
prallen Wasserbäuchen eine unerhört strotzende Gesundheit
vortäuschte. Astor fiel darauf herein und bezahlte
ihm einen glänzenden Preis. Dieses Schwindelmanöver
hat eine sozusagen klassische Berühmtheit erlangt, und
man nennt seither den Trick, Aktien durch Vortäuschung
großer Rentabilität bei gesundem finanziellem Fundament
in die Höhe zu treiben „Watering the stock“ die Herde
wässern – denn das Wort stock bedeutet sowohl Aktie wie
Herde. – Natürlich fällt es mir gar nicht ein, den Yankees
aus ihren undemokratischen Gelüsten einen Vorwurf
machen zu wollen; ich sehe vielmehr darin nur eine Bestätigung
meiner Überzeugung, daß das Streben nach
Züchtung einer Aristokratie ein Naturgesetz sei. Der
gesunde Ehrgeiz, der zum Vorwärts- und Hochkommen
anspornt, saugt seine Nahrung aus dem Naturtriebe aller
stärkeren, wertvolleren Menschen, sich von den minderwertigen
Schwächlingen abzusondern.
Soldatenwerbung.
Es war mir sehr interessant, die Klage eines New Yorker
Führers der Sozialdemokratie zu vernehmen, daß es in
den Vereinigten Staaten so außerordentlich schwer sei,
die Partei hoch zu bringen, weil die Leute keine Disziplin
halten wollten. Da liegt der Hase im Pfeffer. Bei uns
bekämpft die Sozialdemokratie den Militarismus aufs
grimmigste – und dennoch verdankt sie einzig und allein
diesem Militarismus ihren gewaltigen Erfolg in der Gegenwart.
Der militärische Drill sitzt seit etwa fünf Generationen
unserem Volke im Blut und hat es zum Disziplinhalten
erzogen; dem freien Bürger der Vereinigten Staaten
aber ist nichts auf der Welt so verhaßt als wie Disziplin.
Obwohl drüben die Herdeninstinkte noch viel stärker
wirken als bei uns, weil erst eine alte Kultur zu weitgehender
Differenzierung der Persönlichkeit führt, so ist doch jeder
Einzelne als Republikaner viel eifersüchtiger auf seine
persönliche Freiheit als bei uns. Schon im Kapitel über die
Dienstbotenfrage habe ich diesen Punkt berührt. Fast
noch deutlicher tritt diese republikanische Eitelkeit, wie
ich es nennen möchte, in der Frage der Rekrutierung des
stehenden Heeres zutage. Die Armee wird vom amerikanischen
Patriotismus naiv glorifiziert und liebenswürdig
verhätschelt. Es braucht nur ein Bataillon mit klingendem
Spiel durch die Straßen zu ziehen, und alles ist tief gerührt
vor nationaler Begeisterung – aber dienen will niemand,
und die allgemeine Wehrpflicht scheint undurchführbar.
Die Regierung sieht sich gezwungen, an dem alten Werbesystem
festzuhalten. Riesige Plakate müssen mit schreienden
Farben die Söhne des Vaterlandes zum Heeresdienst
verlocken. Da sieht man unter azurblauem Himmel,
im Schatten von Palmen und Sykomoren, ein lustiges
Zeltlager aufgeschlagen und liebestrahlende Offiziere, den
Arm in väterlichem Wohlwollen um die Schultern gemeiner
Soldaten gelegt, in freundschaftlich belehrendem Gespräch
einherwandeln; und auf den Schmuckplätzen
großer Städte etablieren sich Feldwebel und harren unter
ähnlichen vielversprechenden Plakaten der jungen Leute,
die es gelüstet, dem Vaterlande als Soldat zu dienen. Diese
Werber müssen reden können wie die Versicherungsagenten
und Weinreisenden. Sie stecken voll lustiger
Schwänke und sind nicht so leicht unter den Tisch zu
trinken – denn Freund Alkohol muß meistens ein übriges
tun, um den schwankenden Heldenjüngling soweit zu
bringen, daß er Handgeld annimmt. Übrigens versprechen
die Werber kaum zu viel, denn so gut wie der amerikanische
dürfte es schwerlich ein anderer Soldat der Welt haben.
Auf Manneszucht wird freilich streng gehalten, und im
Dienst werden die Kräfte gehörig angespannt, aber dafür
wird auch der gemeine Mann wie ein anständiger Mensch
behandelt und durch ausgezeichnete Verpflegung, musterhafte
hygienische Einrichtungen und Vorkehrungen für
Unterhaltung und Erholung dafür gesorgt, daß er nicht
von Kräften komme und bei guter Laune bleibe. Die
Liebenswürdigkeit eines prächtigen, fein gebildeten
Kavallerieobersten in Columbus (Ohio) ließ mich einen
Einblick in das Kasernenleben tun. Jeder Mann hat ein
blitzsauberes, behagliches Bett, jeder seine eigne Waschgelegenheit,
sein Wannen- oder Brausebad, so oft er will, und
wenn er krank ist in dem mit allen modernen Errungenschaften
ausgestatteten Hospital die denkbar sorgfältigste
Pflege. Sein Dinner nimmt er abends um 6 Uhr in einer
eigens dafür bestimmten großen Halle mit den Kameraden
ein und sitzt dabei ordentlich am Tisch, wird von hierzu
kommandierten Kameraden bedient und bekommt bei
jedem Gang Geschirr und Besteck gewechselt. Ich nahm
an einem solchen Dinner teil, und da gab es eine vorzügliche
Reissuppe, Hamburger Beefsteaks mit Bohnengemüse
und hinterher anständigen Kaffee mit delikatem Weißbrot.
Selbstverständlich haben sie auch ihr eignes Feld
zum Football- und Baseball-Spiel. Mit ihrem Griffeklopfen
und ihrem Parademarsch ist es allerdings nach altpreußischen
Begriffen nicht weit her, dafür wird aber die Entschlußfähigkeit
des einzelnen Mannes, die Gewandtheit und
Ausdauer im Felddienst mit bestem Erfolge anerzogen.
Daß die Löhnung eine ungleich viel bessere ist als bei uns,
ist wohl selbstverständlich. Der amerikanische Soldat
könnte also den unsrigen höchstens in dem einen Punkte
beneiden, daß er keine so bunte und blitzende Uniform
zur Schau tragen darf. Dafür ist die seinige aber auch viel
bequemer als die unsrige und außerdem ein sichererer Schutz
als der festeste Küraß, denn ihre staubgraue Farbe macht
den Mann schon in einer Entfernung von etwa 300 Meter
völlig dem Erdboden gleich. Die Frau Oberst erzählte
mir, daß sie eines schönen Tages ihren Gatten vom Reitplatz
habe abholen wollen und nicht wenig erschrocken
gewesen sei, als sie, auf etwa 350 Meter herangekommen,
das Pferd, das der Herr Oberst an jenem Morgen bestiegen
hatte, reiterlos im Karriere durch die Bahn jagen sah.
Von Angst beflügelt, sei sie vorwärts gestürzt und – nach
ein paar Minuten sei der schmerzlich Vermißte erst schattengleich,
dann immer deutlicher und kompakter wieder auf
dem Rücken seines Pferdes erschienen. Es würde also aus
der Höhe eines beobachtenden Flugzeuges zum Beispiel
von einer amerikanischen Armee unter Umständen überhaupt
nichts zu sehen sein. Doch dies nur nebenbei.
Vom Söldnerheere.
Die Frage, ob eine noch so wohl gehaltene und gut ausgebildete
Söldnertruppe einem großen, intelligent geleiteten
Volksheer gegenüber standzuhalten vermöge, wird über
kurz oder lang doch einmal zur Entscheidung kommen, denn
es ist allgemein bekannt, daß die Japs ein äußerst begehrliches
Auge auf Kalifornien gerichtet halten. Als die
amerikanische Flotte im Jahre 1910 ihre Demonstrationsfahrt
um das Kap Horn nach Japan unternahm, erkannte
der amerikanische Admiral unter den ihm zur Begrüßung
entgegengeschickten hohen Würdenträgern des japanischen
Marineministeriums zu seinem nicht geringen Schreck
das harmlos freundliche Gesicht eines Mannes, der längere
Zeit bei ihm als Gärtner angestellt gewesen war! Sie sind
die verteufeltsten Spione der Welt, sie wissen tatsächlich
alles und verstehen es vortrefflich, ihre Pläne von langer
Hand vorzubereiten und ganz versteckt zu intrigieren.
Eingeweihte behaupten, daß die pacifischen Republiken
Südamerikas schon alle durch die Versprechungen der
Japaner für deren Zwecke eingefangen und bereit seien,
beim ersten Versuch der Japaner sich der pacifischen
Küste zu bemächtigen, dem großen Bruder in den Rücken
und in die Flanke zu fallen. Gelingt es aber den Gelben
wirklich, sich in Kalifornien festzusetzen, dann würde es
eine überaus schwierige Aufgabe sein, sie wieder hinaus
zu jagen. Denn es gibt über die Rocky Mountains nur fünf
einigermaßen gangbare Pässe, die militärisch leicht zuzuschließen
sind. Nur angesichts eines solchen nationalen
Unglücks würde die glühende Vaterlandsliebe der Amerikaner
sich zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht
hinreißen lassen. Ich glaube, sie wäre ein Segen für das
Volk; denn der Mangel an Disziplin, an persönlicher Opferwilligkeit
macht sich überall als Hemmnis für den Fortschritt
wahrer Zivilisation bemerkbar. Eine Disziplin
aber, die im Blute sitzt, und nicht etwa, wie in Rußland,
durch Angst und Schrecken mühsam aufrecht erhalten
werden muß, schafft überhaupt erst die Vorbedingungen
für das segensreiche Wirken freiheitlicher Ideen und Einrichtungen.
Demokratische Tugenden.
Neidlosigkeit.
Die Freiheit, welche die Bürger der Vereinigten Staaten
tatsächlich vor uns voraus haben, und um die wir sie heute
noch beneiden müssen, besteht also keineswegs in der
verlockenden Disziplinlosigkeit, in der frivolen Verhöhnung
der Gesetze und in der geringen Empfindung für die
Wichtigkeit einer ängstlich gewissenhaften Aufrechterhaltung
der Standes- und Berufsehre, als vielmehr darin,
daß drüben tatsächlich jede Energie, jedes Talent freie
Bahn zum Auswirken besitzt. Wer etwas kann und etwas
weiß, wer Arbeitskraft und Eifer an den Tag legt, wer
etwas Neues zu sagen hat, der kann sicher sein, ein Feld
für Betätigung seiner Kräfte zu finden, Ohren, die auf ihn
hören und Hände, die ihm vorwärts helfen. Gute Zeugnisse,
gute Familienbeziehungen, einflußreiche Gönner
und ererbtes Betriebskapital sind selbstverständlich auch
drüben eine wertvolle Vorbedingung; aber der wirklich
Tüchtige kann auch ohne all das sicher sein, vorwärts zu
kommen. Bei uns hat sich die offizielle Welt mit dünkelhafter
Ängstlichkeit einen hohen Zaun um ihren geheiligten
Bezirk errichtet und sieht es schadenfroh mit an, wie so
mancher temperamentvoll Einlaßheischende sich an diesem
Zaun seinen guten Kopf einrennt und gewandte Kletterer
sich wenigstens die Hosen daran zerreißen; das Beste an
der demokratischen Freiheit ist es, daß sie einen solchen
Bretterzaun zwischen Regierung und „Untertan“, zwischen
Behörde und Publikum nicht duldet. Bei uns stecken die
Regierenden immer noch in der Anschauung fest, daß nicht
sie des Volkes wegen, sondern im Gegenteil das Volk
ihretwegen da sei; dagegen entspringt aus dem Bewußtsein
des freien Bürgers, daß nicht er regiert werde, sondern
vielmehr sich für sein Geld eine Regierung nach seinem
Geschmack leisten könne, jenes Herrenbewußtsein, das
die wahre Menschenwürde erst zur rechten Blüte bringt.
Dieses Herrenbewußtsein ist aber auch der grimmigste
Feind aller Duckmäuserei, Neidhammelei, Nörgelsucht
und aller sonstigen Laster geborener Philisterseelen. Jene
beiden, bei uns leider immer noch recht zahlreichen Typen
des Spießertums, nämlich einerseits der untertänigst vor
jeder Art Obrigkeit ersterbende und wunschlos zufriedene
und andererseits der noch viel häufigere, auf alles schimpfende
und doch nie zur Selbsthülfe greifende Spießer
dürften in den Vereinigten Staaten nicht einmal in den
ödesten Kleinstädten zu finden sein. In der Luft der
Freiheit gedeihen die Tugenden der wahren Noblesse:
Wagemut, Hochherzigkeit, Freigebigkeit, Zutrauen zum
guten Willen des Nebenmenschen. Man begegnet diesen
Herrentugenden überall in der Öffentlichkeit, nicht nur
in den großartigen Organisationen der Wohltätigkeit,
der Erziehung, der Fürsorge für die physisch und moralisch
Kranken, in den königlichen Stiftungen der Milliardäre,
sondern in vielen kleinen Zügen, die beweisen, daß auch
der ärmste dieser freien Bürger an jenen Tugenden teil
hat. So wird beispielsweise in dem Lande, das für die
genialen Diebe großen Stils so viel lächelndes Verständnis
übrig hat, das auf der Straße liegende Eigentum des
Nächsten auffallend respektiert. Wenn der Zeitungsjunge
austreten oder seinen Lunch einnehmen will, so legt er
seinen Packen ruhig auf das Trottoir. Wer unterdessen
eine Zeitung kaufen will, nimmt sich eine von dem Haufen
und legt seine zwei Cent oben drauf. Man hört nie davon,
daß sich jemand an dem angesammelten Kleingeld vergriff;
wenn der Briefkasten voll ist oder der Spalt für
Drucksachen und dergleichen zu eng, so legt man einfach
seine Postsachen oben drauf, und keinem kommt der
Gedanke, daß sie da fortgenommen werden könnten; ja
noch mehr: man sieht in den Straßen massenhaft herrenlose
Automobile herumstehen, denn bei der Kostspieligkeit
der Dienstboten können sich nur sehr reiche Leute
einen Chauffeur leisten; im Winter sind die Vergaser der
Maschinen oft mit wertvollen Decken und Teppichen vor
der Kälte geschützt – und man hört selten oder nie davon,
daß ein Auto oder auch nur eine solche Decke von der
Straße weg gestohlen worden wäre. Bei hellichtem Tage
bandenweise in einen Laden oder in einen Saloon einfallen
und Inhaber wie Kunden ausplündern, das ist guter Sport,
das ist fesch, würde der Wiener sagen; aber von der Straße
etwas fortnehmen, das ist gemeiner Vertrauensmißbrauch,
das tut nicht einmal der Lumpenproletarier. Der Kleine,
der sich von dem Großen geschädigt und schlecht behandelt
fühlt, setzt sich energisch zur Wehr. Der Arbeiter
ist leicht mit dem Streik bei der Hand, wenn er die großen
Geldsäcke allzu zugeknöpft findet. Aber es fällt ihm nicht
ein, den Arbeitgeber zu hassen und grimmig zu beneiden
um seinen Überfluß. Weiß er doch von so vielen dieser
schwer reichen Herren, daß sie ganz klein angefangen
haben; folglich nimmt er an, daß die Kerle eben einen
guten Kopf, Fleiß, Energie und Glück gehabt haben –
ihm selber oder seinen Kindern mag es ja ebenfalls gelingen,
es so weit zu bringen. Warum nicht? Die Bahn ist
ja frei! Das ist auch ein Grund, weshalb der Weizen des
Sozialismus drüben nicht blühen will.
Ob man wohl unsere Regierung dazu bewegen könnte,
einige Schiffsladungen voll Philister, Spießer, Paragraphenreiter,
Schulfüchse, Bureaukratsbürsten und Einfaltspinsel
hinüber zu schaffen, um bei Bruder Jonathan
einen mehrjährigen Kursus zwecks Charakterverbesserung
durchzumachen?
Wie der Yankee seine Rechnung mit dem Himmel macht.
Es war eine der klügsten Maßnahmen der Unionsbegründer,
daß sie in ihrer Verfassung die Trennung von
Kirche und Staat aussprachen. Wie überall in der Welt,
so hatte auch in den ersten Jahrhunderten der Besiedelung
Nordamerikas die Verquickung des religiösen Elements
mit der Politik die übelsten Folgen gehabt. Die bischöfliche
Kirche Englands, die papistische wie die protestantische,
hatte natürlich versucht, ihre Herrschaft auch
auf die amerikanischen Kolonisten auszudehnen und
dadurch den unseligen Religionshader in die neue Welt
verpflanzt. Die Pilgerväter, das heißt jene fanatischen
Puritaner, die in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts
die sogenannten Neuenglandstaaten besiedelten,
hatten sich weit unduldsamer erwiesen als selbst die
römische Pfaffenherrschaft in den spanischen Südstaaten.
Sie wären am liebsten mit Inquisition und Scheiterhaufen
gegen alles, was ihnen ketzerisch erschien, vorgegangen.
Aber wie diese Pilgerväter über dem Psalmsingen und
Ketzerriechen doch niemals vergaßen, ihre weltlichen
Geschäfte als geriebene Kaufleute intensiv zu fördern,
so ließ sich auch der vielgerühmte Common sence ihrer
angelsächsischen Rasse selbst durch religiöse Inbrunst
nicht völlig unterdrücken. Die stupiden Glaubensverfolgungen
hatten tiefgehende Spaltungen, verbitterte
Feindschaften zwischen den in dem jungen Kolonialreich
doch so sehr auf gegenseitige Hilfsbereitschaft und festen
Zusammenhalt angewiesenen Bürgern erzeugt. Neugegründete
Städte und Staaten wurden entvölkert, abtrünnige
Sektierer fanden großen Zulauf und gründeten
neue Gemeinwesen, die sich zu bedrohlichen Konkurrenten
der alten Puritanersiedelungen entwickelten. Als
nun gar der kleine Freistaat Maine, der als erster völlige
Religionsfreiheit eingeführt hatte, auffällig rasch emporblühte,
begannen doch auch den starren Puritanern die
Augen aufzugehen.
Trennung von Staat und Kirche.
Und so kam es, daß nach der gewaltsamen Losreißung
vom alten Vaterlande die Trennung von Kirche und
Staat von der Bundesregierung zum Grundsatz erhoben
wurde. Im Artikel 1 des Anhangs zur Konstitution von
1778 ist dieser Grundsatz festgelegt, und seit dieser Zeit
kann tatsächlich in den Vereinigten Staaten jeder nach
seiner Fasson selig werden. Die Staatsgewalt schreitet
nur ein in dem Falle, daß die Grundsätze einer Religionsgemeinschaft
den Gesetzen zuwiderlaufen, wie zum Beispiel
die Vielehe bei den Mormonen. Außerdem hat sie
in weiser Voraussicht der Ansammlung übermäßigen
Kirchensvermögen Grenzen gesetzt. Die Folge dieser
Entfesselung der Religion war eine Spaltung des Protestantismus
in unzählige Sekten, die aber keineswegs eine
Schwächung, sondern vielmehr eine Stärkung des religiösen
Lebens bedeuten. Philosophisches und besonders
kritisches Genie ist dem Yankeevolke durchaus abzusprechen,
dagegen besitzt es einen starken Hang zur
Phantastik, ja auch Begeisterungsfähigkeit und Inbrunst.
Das Volk ist in seiner Allgemeinheit heute noch kindlich
denkunreif, und so erklärt es sich, daß die Bibel ihm noch
durchweg als Offenbarungsquelle dient. Natürlich aber
liest jedes grüblerisch veranlagte Individuum aus dieser
Offenbarung etwas anderes heraus. Und wer Beredsamkeit
und Zähigkeit genug besitzt, vermag Anhänger um sich
zu scharen und eine unabhängige Gemeinde zu gründen.
Die Opferwilligkeit, die dazu gehört, eine solche Gemeinde,
Sekte oder Kirche (Denomination) aus eigenen Mitteln zu
unterhalten, legt beredtes Zeugnis ab für die Stärke des
religiösen Bedürfnisses. Freigeister in unserem Sinne gibt
es bei den Yankees nur sehr wenige, und am Christentum
selbst hat noch niemand von ihnen ernsthafte Kritik geübt.
Die Tradition hat die Bibelgläubigkeit der Vorväter
so lebendig erhalten, daß es heute noch, ebenso wie
in England, ein oberstes Gesetz gesellschaftlichen Anstandes
geblieben ist, seinen Eifer für das Christentum
irgendwie zu betätigen. Dieser Eifer aber tut sich etwas
auf seine Freiheit zugute und nimmt daher oft die wunderlichsten
Formen an. Die katholische Kirche dagegen hält
fest zusammen wie überall und gibt kein Titelchen von
ihren Dogmen preis. Sie gründet ihre Macht auf das
irische Element und erhält ständigen Zuwachs durch
italienische, polnische und slawische Einwanderer. Klug,
wie sie ist, trägt sie dem in der demokratischen Luft sehr
bald auch bei den geistig minderwertigsten Einwanderern
üppig ins Kraut schießenden Stolz auf die persönliche Freiheit
Rechnung und mischt sich nicht so aufdringlich wie
in Europa in Privatangelegenheiten; politisch dagegen versucht
sie mit allen möglichen Mitteln Einfluß zu gewinnen.
Die bedeutsamste politische Verbindung der katholischen
Irländer, die bekannte Tammany Hall im Staate New-York,
übt offensichtlich eine große politische Macht aus.
Ob es ihr aber wirklich gelingt, ihre Hauptabsicht, katholische
Irländer in die wichtigsten Staatsstellungen zu
bringen, in gefährlicher Weise zu betätigen, darüber gehen
die Meinungen bei den Amerikanern selbst sehr weit auseinander.
Es ist doch wohl nicht anzunehmen, daß der
nüchterne, praktische Yankee, wo es sein staatsbürgerliches
Wohlbefinden und seinen Geldbeutel angeht, sich von konfessionellen
Quertreibereien übers Ohr hauen lassen sollte.
Die Bischöflichen und die Unitarier.
Obwohl der Grundgedanke des Christentums entschieden
demokratisch ist, so ist doch in der demokratischen
Republik gerade die Kirche der Boden, wo sich aristokratische
Absonderungsbestrebungen am lebhaftesten betätigen.
Selbstverständlich wird in sämtlichen Kirchen
und Betsälen Nordamerikas – man zählt gegenwärtig,
wenn ich recht berichtet bin, 86, nach anderer Quelle
sogar gegen 200 verschiedene Bekenntnisse – der christliche
Grundsatz gepredigt, daß vor Gott alle Menschen
gleich seien; in Wirklichkeit ist aber beispielsweise die
bischöfliche Hochkirche nur für die Reichen und Vornehmen
vorhanden. In ihren prächtigen Kathedralen kostet das
Abonnement auf einen Sitzplatz sicherlich so viel wie das
auf einen ersten Rangplatz in der großen Oper. Ein beliebiger
Mensch der minder gut gekleideten Klasse, dem
es einfallen wollte, im vorübergehen in solch eine Kirche
einzukehren, würde nicht nur schwerlich einen Sitzplatz
finden, sondern sich auch durch die entrüsteten Blicke
der Stammgäste energisch hinausgeekelt fühlen. Die
Geistlichen dieser Kirche sind feine Weltleute, verkehren
in der vornehmsten Gesellschaft und verdanken ihre
Karriere häufig ihren glänzenden Eigenschaften als Tischredner,
Bridgespieler, Musikdilettanten und Tänzer. Die
Kirche der geistigen Aristokratie, der wohl der größte
Teil der akademischen Welt angehört, ist die Unitarian
Church. Diese hat alle Dogmen beiseite geworfen und nur
den ethischen Gehalt der Bergpredigt als Richtung gebend
beibehalten. Sie treibt keinerlei Kult mit dem starren
Bibelwort und sucht die Themen für ihre Sonntagsbetrachtungen
gerne bei den Dichtern und Philosophen,
vornehmlich bei ihrem berühmtesten Mitgliede Ralph
Waldo Emerson. Den größten religiösen Eifer entfalten
natürlich die kleineren Denominationen, deren Prediger
oft die seltsamsten Mittel zum Seelenfang anwenden.
Die Berichte, die zuweilen nach Europa dringen von
Geistlichen, die ihre Gemeinde mit Schokolade und Icecreme
bewirten, vergnügte musikalisch deklamatorische
Unterhaltungen oder schweißtreibende Leibesübungen veranstalten,
beziehen sich wohl nur auf solche Sekten, die
auf den Geschmack des kleinen Mannes spekulieren und
daher auch in ihrer Reklame dem Hange des amerikanischen
Humors zu grotesker Übertreibung Rechnung tragen
müssen. Am spaßhaftesten muß es wohl in den Negerkirchen
zugehen. Wer jemals eine Probe der geistlichen
Gesänge der Nigger gehört hat, deren Eigentümlichkeit
es ist, die biblischen Geschichten sowie die Vorstellung
von Himmel und Hölle mit ganz modernen
Zutaten, aus dem Bereich der Technik etwa, auszustatten,
der wird sich auch eine Vorstellung von der
Weihe eines Negergottesdienstes machen können. Der
Rhythmus afrikanischer Kriegs- und Geisterbeschwörungstänze
sitzt diesem kindhaft gebliebenen Volke eben
noch so fest in den Knochen, daß auch seine religiösen
Gefühle bis auf den heutigen Tag noch in diesem Takte
schwingen.
Die Negerkirchen.
Um einen Begriff von dem Ton dieser religiösen Niggerpoesie
zu geben, habe ich versucht, einige solche Kirchenlieder
zu übersetzen, wobei freilich zu bedenken ist, daß
die Eigentümlichkeiten des Negerdialektes schon darum
jeder Wiedergabe in Deutsch spotten, weil wir ja bei uns
kein Negerdeutsch kennen. Eines dieser Lieder aus der
Zeit der Sklaverei lautet folgendermaßen: „Jossua fit
de battle ob de Jerico“.
Josua, der schlug die Schlacht bei Jericho – so froh!
Ei, Josua, der schlug die Schlacht bei Jericho –
und die Mauern purzeln um – glatt um!
Kommt Brüder, in die Wildnis, wo der Sturm heult, laßt uns eilen,
da soll da heilig Bibelwort uns unsern Kummer heilen.
Wir wählen uns zum Text – die Deutung, die liegt nah:
„Der Herr rief: Moses, Moses! – und der Mann sprach: Ich bin da!“
O Daniel!
Ei, Josua, der schlug die Schlacht bei Jericho,
und die Mauern purzeln um, glatt um.
Nu, oll’ Pharo von Ägypten – klüger war kein Mensch gebor’n –
und er kriegt die Judenkinder ’ran zur Arbeit in sei’m Korn.
Schließlich ließ der Herrgott sagen durch den Moses, seinen Knecht,
daß der Pharo diese Juden schleunigst laufen lassen möcht’.
O Daniel usw.
Sollt er aber dies verweigern! – o verdammt – dann ging’s ihm schlimm.
Auf Ägypten wollt er leeren kübelweise seinen Grimm.
So geschah’s. Und Pharos Heere waren keinen Dreier wert.
Also, merkt, mit seinen Kindern heute noch der Herr verfährt.
O Daniel usw.
Tolle Sachen dreht der Herrgott – und nicht nur in alter Zeit,
nicht für Israel nur – Mitchristen, nein, die Hilfe ist nicht weit!
Seine Liebe reicht für uns noch ... so, nun lauft nicht und verpetzt
mich meinem Massa, daß die Predigt euch zum Muckschen aufgehetzt.
O Daniel usw.
Besonders interessant ist es, daß, wie auch in den
ältesten Zeiten des Volksliedes der europäischen Kulturländer,
das eigentlich sinnvolle Gedicht von einem Solosänger
vorgetragen wird, während der Chor sich durch
ganz aus dem Zusammenhang fallende Ausrufe und Kehrreime
beteiligt. In obigem Lied singt also der Chor: so
froh – glatt um – o Daniel – und wiederholt am
Schlusse jedes Verses die außer Zusammenhang mit dem
Inhalt stehenden Einleitungszeilen: „Josua, der schlug
die Schlacht bei Jericho“.
Ein anderes Lied, das in einen festen Rhythmus zu
pressen ich mich vergeblich bemüht habe, lautet höchst
charakteristisch:
Der Vorsänger:
O der Gänsekiel kratzt in dem Kontobuch des Herrn –
Mein Herr schreibt meine Zeit ein.
Wie im Schwanze des Opossums, sind auf deinem Schädel auch
alle Haare dir gezählt. Weißt du das nicht?
Oder meinst du, daß der Herr, der sie schuf, nicht einen Hecht
von ’nem Walfisch unterscheiden sollte können?
Chor:
Sündige also lieber nicht, wenn du nicht magst Strafe zahlen,
denn mein Herrgott schreibt es ein.
Vorsänger:
Und das Hauptbuch, das ich meine, das ist Gottes Weltgericht –
mein Herrgott schreibt meine Zeit ein.
Du erwarte nicht vom Nachbar, daß er deiner Seele durchhilft,
deine Sünden müssen braten wie die Hühnchen auf dem Hofe.
Chor:
Also sündige lieber nicht usw.
In einem anderen Liede wird den armen Sündern angeraten,
sich ja rechtzeitig einen guten Platz in dem Autobus
nach dem Himmel zu belegen, denn der Andrang sei
gerade in diesen Tagen enorm.
Es wäre aber ein großer Irrtum, anzunehmen, daß
die groteske Form dieser religiösen Gesänge nur der Lust
der Nigger an kindischer Spaßmacherei zuzuschreiben
sei; sie sind im Gegenteil durchaus ernst gemeint und
werden von den weniger kultivierten Schwarzen auch
heutigestags noch nicht als komisch empfunden. Die
meisten und eigenartigsten dieser Lieder stammen ja
aus der Zeit der Sklaverei; es sind Naturlaute verängstigter
Seelen in armen gequälten Leibern. Und die religiöse
Inbrunst, die aus ihnen spricht, ist mindestens ebenso
echt wie diejenige der Heilsarmeepoesie. Übrigens stellen
diese alten Plantagenlieder so ziemlich das einzige dar,
was die Vereinigten Staaten an wirklicher Volkspoesie
hervorgebracht haben, sowie auch die Negermusik die
einzige originelle musikalische Neubildung auf amerikanischem
Boden bedeutet.
Die Heilsarmee.
Das weiße Gegenstück zu der halbwilden Gottestrunkenheit
der Schwarzen ist die Heilsarmee, die Kirche
der Allerärmsten und Untersten. Zeichnen sich ihre Kultformen
schon in Europa nicht gerade durch guten Geschmack
aus, so erreicht diese Geschmacklosigkeit in
Amerika schon geradezu kannibalische Dimensionen. Die
Nigger sind wenigstens durchweg musikalisch und verfügen
oft sogar über sehr gute Singstimmen und geschickte
Instrumentalisten. Außerdem paßt der rasche Rhythmus
ihrer geistlichen Gesänge, die Vorliebe für die alttestamentarische
Legende und die phantastische Ausmalung von
Himmel und Hölle vortrefflich zu ihren schwarzen, wüsten
Gesichtern mit den sanften schwärmerischen Augen.
Wenn aber weiße Menschen unter einem nördlichen
Himmelsstrich ihre religiösen Gefühle in der Form einer
mehr als barbarischen Musikübung mit grauenhaftem
Gesang und mißtönender Pauken- und Trompetenbegleitung
auf offener Straße ausüben und sich in ihren
Predigten wie ihren Gesängen eines Jargons bedienen,
der weder für den hohen Schwung der alttestamentlichen
Sprache noch für die schlichte Tiefe der evangelischen
Darstellung das geringste Verständnis besitzt, so muß
einen Kulturmenschen wirklich das Grausen anwandeln.
Kein sozial fühlender Mensch wird dem idealen Zweck
der Heilsarmee seine Hochachtung versagen; sie allein von
allen religiösen Gemeinschaften hat es vermocht, den natürlichen
Ekel jedes gesitteten Menschen vor der schmutzigen
Verkommenheit, dem stinkenden Laster und dem
jämmerlichsten Elend zu überwinden; sie allein wagt
sich mutig unter den Auswurf der Menschheit und ringt
sozusagen Brust an Brust um die Seelen der Verworfensten;
sie speist ihre Geretteten nicht nur mit trostreichen Worten
ab, sondern sie gibt ihnen Brot und Arbeit und verhilft
so manchem schon gänzlich Verzweifelten, von der Gesellschaft
völlig aufgegebenen doch noch zu einem
menschenwürdigen Dasein. Der große Erfolg, den sie
auf der ganzen christlichen Erde aufzuweisen hat, beweist,
daß sie sich auf die Psychologie jener alleruntersten
Schichten, auf die sie es abgesehen hat, versteht, und daß
die sinnfälligen Gewaltmittel, die sie bei ihrer Propaganda
anwendet, die richtigen sind.
Gerade diese Erkenntnis ist es aber, die dem kultivierten
Menschenfreund so grausam ins Herz schneidet.
So weit haben wir es also mit unserer gepriesenen Zivilisation,
mit unserer Religion der Liebe, mit unserer Aufklärung
durch die Schule und unserer bewundernswürdigen
sozialen Hilfsarbeit gebracht, daß in unseren prunkenden
Weltstädten überall noch Tausende und aber Tausende
von Mitmenschen vorhanden sind, denen nur mit fratzenhaftem
Teufelsspuk und mehr als kindlichen Seeligkeitsvorstellungen
beizukommen ist! In den Vereinigten
Staaten leistet zudem die organisierte Wohltätigkeit
vielleicht mehr als in irgendeinem Lande der alten Welt.
Die Legal Aid Society zum Beispiel gewährt den Ärmsten
und Unwissendsten unentgeltlichen Rechtsbeistand; die
Bemühungen um die Besserung erblich belasteter Verbrechernaturen,
um den Schutz entlassener Strafgefangener
gegen das Zurückgleiten in ihr früheres Leben haben
großartige Erfolge aufzuweisen und zeugen von tiefer
Menschenkenntnis und echter Menschenliebe – und
dennoch, dennoch findet die Heilsarmee mit ihrer scheußlichen
Bum-Bum-Reklame gerade dort noch so viel zu tun!
Bankrott des Materialismus.
Wenn man die Verbreitung und die laute Betätigung
der Heilsarmee als Maßstab für die Gesittung eines Volkes
annimmt, so müßte in dieser Beziehung das Volk der
Vereinigten Staaten am tiefsten von allen Völkern stehen.
Ich meine aber, daß dieser Maßstab doch vielleicht zu
einem ungerechten Urteil verführt: nicht im Volkscharakter
als solchem liegt wohl die größere sittliche Verkommenheit,
sondern diese ist nur eine Folgeerscheinung des unerhört
raschen Emporschießens einer rein technischen Zivilisation
und des dadurch geförderten unnatürlichen raschen
Wachstums der Städte. In der kleinen Landgemeinde
findet einer am andern Halt, und die unmittelbare Berührung
mit der erhabenen Natur, mit der zu Nachdenken
und Andacht stimmenden Einsamkeit bietet auch dem
Ärmsten edle Freuden – Seelenfrieden wenigstens –,
während in der Großstadt alle diese idealen Güter nur
für die Besitzenden vorhanden sind. Der Arme dagegen
verliert in der Hetzjagd des Daseinskampfes jene innere
Ruhe und wird so fast unausweichlich in einen krassen
Materialismus hineingetrieben. Je mehr sich Riesenvermögen
in den Händen weniger zusammenfinden,
je mehr eine glänzende Luxuskultur sich in der Öffentlichkeit
breit macht, desto sicherer verfällt der Besitzlose und
dabei geistig Unkultivierte der Verrohung. Es ist das eine
Tatsache, die ein vernichtendes Urteil über den Kulturwert
des technischen Fortschrittes in sich schließt. Die
Arbeiter, die in steter Berührung mit den erstaunlichsten
Erfindungen des Menschengeistes sind, die ihnen die
Bändigung der Naturkräfte durch unseren Verstand und
die subtilsten Nachahmungen eines lebendigen Organismus
durch einen wunderbaren Mechanismus tagtäglich
vor Augen führen, gewinnen von diesem Umgang weder
für ihre Verstandesbildung noch für die Bereicherung
ihres sittlichen Empfindens. Das einzige, was allenfalls
dabei herausspringen kann, wäre für gut veranlagte Köpfe
der Anreiz zu erfinderischer Eigenbetätigung. Ebensowenig
wird der Herr der Maschine, der Arbeitgeber,
dem sie Reichtum und folglich auch Macht, Behagen und
Luxus schafft, von allen diesen schönen Dingen eine
seelische Bereicherung erfahren, wenn es ihm an innerer
Kultur, das heißt also an Idealismus, an einem zeitig
geweckten ästhetischen und ethischen Gewissen fehlt.
Der vertierte, arbeitsscheue Trunkenbold, der sich
durch die Radauversammlungen der Heilsarmee zur Bußbank
locken läßt, legt also im Grunde ebenso beredtes
Zeugnis wider die Ohnmacht der technischen Zivilisation
ab, wie der angeblich gebildete, manierliche und reputierliche
Mensch der Oberschicht, der sich von dem religiös
drapierten Hokuspokus raffinierter Spekulanten und
Agitatoren einfangen läßt.
Von der öffentlichen Katzenmusik der mit der großen
Trommel begleiteten Bußpredigten, von dem rotgestrichenen
Betteltopf am eisernen Dreifuß, vor dem die
wetterharten Wachposten der Heilsarmee ihre Schelle
unablässig in Bewegung setzen, bis zu den gewaltigen
Marmorkathedralen mit vergoldeten Kuppeln, welche
die Christian Science in Boston, Providence und vielen
anderen Großstädten des Ostens errichtet hat, scheint
es ein weiter Weg – und ist doch nur ein Katzensprung!
Wir Europäer sehen die durch Misses Mary Baker G. Eddy
hervorgerufene religiöse Bewegung als eine geistige Epidemie
an, welcher religiös veranlagte, aber denkunfähige
Geister deshalb so leicht verfallen, weil sie darin eine
Wiederherstellung urchristlicher Inbrunst mit magischer
Wirkung erblicken. Wir zucken gleichmütig die Achseln
über diese sogenannte christliche Wissenschaft und verweisen
sie unter die abstrusen Erscheinungsformen
moderner Hysterie.
Die Kirche der Gesundbeter.
Der „American Encyclopedie Dictionary“ definiert
die Grundlage dieser Wissenschaft folgendermaßen: „Die
Christian Science lehrt die Wirklichkeit und Allgegenwart
Gottes und die Unwirklichkeit und Nichtigkeit der
Materie, die geistige Beschaffenheit des Menschen und des
Weltalls, die Allmacht des Guten und die Unmacht des
Übels. Christian Science will die Wahrheit der ursprünglichen
Lehre Christi wiederherstellen. In der Wahrheit
erblickt sie das einzige Heilmittel gegen den Irrtum;
Krankheit ist auch ein solcher Irrtum, eine Folge der
Sünde. Bekämpfe also Sünde und Irrtum, so bekämpfst
du Krankheit und Tod.“ – Christlich kann man diese
Ideen allerdings nennen, neu sind sie nicht, und ihre philosophische
Begründung ist keineswegs auf Misses Eddys
eigenem Geistesboden gewachsen. Das Neue und für
die große Masse der heilsuchenden Menschheit Bestehende
an dieser Lehre besteht darin, daß sie Christus zum
Magier macht und die magischen Kräfte seiner Gläubigen
durch inbrünstige Gebetsübungen dermaßen stärken zu
können vorgibt, daß auch die Wunder zu wirken imstande
sind, vornehmlich Heilung von Krankheiten. Der praktische
Nutzen der neuen Religion ist also der, daß sie an
die Stelle von Doktor und Apotheker die Autosuggestion
als billigsten und probatesten Heilfaktor setzt. Die Welt
ist erfüllt von Übeln und Schrecknissen aller Art, von
Sorgen, Kummer, Not und Tod; der Gläubige aber behauptet,
alle diese Dinge existierten nur in der Einbildung
der noch nicht Erweckten. Sie aber vollziehen an sich
durch seelische Dressur einfach eine Art Selbstblendung;
sie zwingen ihren Willen, nicht mehr sehen zu wollen.
Und wenn sie es glücklich zur vollendeten Blindheit gebracht
haben, dann existieren allerdings weder Schmerzen
noch Tod mehr. Man begreift, daß eine solche Lehre in
Amerika, wo es so wenig philosophisch geschulte Köpfe
gibt, ihr Glück machen mußte. Derselbe Optimismus
des jugendlichen Volkes, der alles von ihm Hervorgebrachte
für vortrefflich hält, derselbe glückliche Leichtsinn, der
die schwierigsten Fragen dadurch löst, daß er einfach
behauptet, sie existierten nicht (wie wir es zum Beispiel
bei der Frage der Prostitution gesehen haben), dieselbe
Leichtgläubigkeit, die Geheimmittelfabrikanten, Somnambulen
und Horoskopsteller so rasch reich macht, haben
auch der Misses Eddy Millionen in die Kasse und Hunderttausende
von Gläubigen in ihre Kirche gezaubert. Das
eigentliche Genie dieser merkwürdigen Frau liegt viel mehr
in der praktischen als in der philosophischen Richtung.
Dem Amerikaner imponiert aber nichts so sehr, als der
praktische Erfolg. Wer in kurzer Frist seinen Mitmenschen
so ungeheure Geldsummen aus der Tasche zu locken und
mit ihrer Hilfe eine festgefügte Organisation zu schaffen
versteht, der muß ein erwähltes Werkzeug Gottes sein.
Der Tod der Päpstin.
Es will uns Europäern schier unfaßlich dünken, daß
im zwanzigsten Jahrhundert unter dem angeblich nüchternsten
aller Völker eine Frau zur Gründerin einer neuen
mächtigen Kirche und von ihren Gläubigen für heilig,
unfehlbar, ja selbst unsterblich erklärt werden konnte!
Misses Baker Eddy war bekanntlich schon zu ihren Lebzeiten
zur sagenhaften Persönlichkeit geworden. Man
wollte wissen, daß sie schon seit Jahren tot sei, und daß
in ihrem Wagen eine Wachspuppe spazieren gefahren
werde, um ihre Anhänger nicht in ihrem Glauben an die
physische Unsterblichkeit ihrer Päpstin irre werden zu
lassen. Und nun ist sie zu Ende des Jahres 1910 dennoch
ganz wirklich gestorben und begraben worden, und die
Ärzte wußten ganz genau den Charakter ihrer Krankheit
und die unmittelbare Todesursache anzugeben. Man
hätte nun meinen sollen, daß mit diesem unzweifelhaften
leiblichen Tode der magische Nymbus zerstört worden sei,
der die Person der Päpstin außerhalb der Menschheit in
die Reihe der Götter stellte. Aber das war keineswegs
der Fall; denn alsbald nach ihrem Begräbnis verkündete
eine ihrer vertrautesten Jüngerinnen, sie könne den
Gläubigen mit Bestimmtheit versichern, daß nur eine
verbrauchte materielle Erscheinungsform der Misses Baker
Eddy begraben worden sei, sie selbst werde in erneuter
Leiblichkeit, vermutlich verjüngt, vielleicht schon in
vierzehn Tagen wieder auf Erden wandeln. Vorsichtigerweise
setzte die Dame allerdings hinzu, es könnte eventuell
auch länger dauern, vielleicht Jahre, viele, viele Jahre
lang.
Die Christian-Science-Kirche ist nicht mit ihrer Gründerin
gestorben; sie hat sogar, bisher wenigstens, den
starken Erschütterungen ihres Ansehens standgehalten,
denen sie durch den höchst unerquicklichen Zank der
Auserwähltesten unter ihren Getreuen um die Besetzung
ihres verwaisten päpstlichen Stuhles und die Aufteilung
ihrer Millionenerbschaft ausgesetzt war. Für uns Europäer
kann die Geschichte dieser Gesundbeterkirche nur
eine entsetzliche Blamage der modernen Menschheit bedeuten.
In den Vereinigten Staaten jedoch ist es geradezu
gefährlich, über diesen Gegenstand, selbst in gut gesiebter
Gesellschaft, eine ehrliche Meinung zu äußern. In der
gebildetsten Stadt Amerikas, in Boston, in einer Gesellschaft,
die nur aus Professoren, hohen Staatsbeamten
und sonstigen geistig hervorragenden Herren bestand,
war ich auf dem besten Wege, mich für ewige Zeiten unmöglich
zu machen, indem ich das Thema von der Christian
Science anschlug. Durch Augenwinken und bedeutungsvolles
Räuspern brachten mich glücklicherweise einige
wohlmeinende Mitmenschen zum rechtzeitigen Schweigen.
Und hinterher erfuhr ich, daß mein Nachbar zur Linken
und der bedeutende Herr vis-a-vis überzeugte Anhänger
der Misses Eddy seien.
Wie außerordentlich verhängnisvoll dieser sonderbare
Fanatismus auch für die privaten menschlichen Beziehungen
sein kann, dafür wurde mir ein Beispiel aus
dem Bekanntenkreise eines Freundes erzählt. Ein gescheiter
und tüchtiger Geschäftsmann hatte eine recht
wohlhabende Frau geheiratet und führte eine durchaus
glückliche Ehe mit ihr, bis er in die Netze der Gesundbeter
geriet. Von da an ließ er das Arbeiten bleiben und beschäftigte
sich nur noch mit Beten und Predigen in der
eigenen Familie. Es gelang ihm jedoch nicht, seine Frau
zu sich herüberzuziehen. Die Nichtexistenz der Materie
mit ihren Sorgen und die Allmacht Gottes legte er sich so
aus, daß nunmehr auch der Herr für die Bezahlung der
laufenden Rechnungen zu sorgen habe. Da dies nun trotz
eifrig betriebener Gebetsübungen merkwürdigerweise nicht
der Fall war, so mußte seine Gattin immer mehr und mehr
von ihrem Kapital flüssig machen, bis sie eines Tages die
Geduld verlor und dem frommen Eheherrn die Existenz
der Materie dadurch klar machte, daß sie ihm ein Scheidungsurteil
vorlegte und mit Sack und Pack sein Haus
verließ.
Christian Science in Europa.
Wir würden den Yankees schwer unrecht tun mit der
Annahme, daß nur in ihrem Lande heutzutage noch ein
günstiger Boden für ausgiebigen Gimpelfang auf religiösem
Gebiet zu finden wäre. Christian Science zum Beispiel
hat auch in Deutschland zahlreiche Anhänger, und zwar
vornehmlich in jenen erlauchten Kreisen, die auf die
„Kreuzzeitung“ abonniert zu sein pflegen. In meinen
Händen befinden sich zwei traurige Beweisstücke für die
engen Beziehungen zwischen amerikanisch organisiertem
Schwindel und deutscher Strammgläubigkeit. Annoncierte
da in den gelesensten Blättern der ganzen Welt ein Mister
G. A. Mann, Rochester, New York, U. S. A., Postdepotnummer
1106: „Woher stammt diese wunderbare Gewalt!
Das ganze Land ist erstaunt über die wunderbaren Taten,
die Herr Mann vollbringt!
Den Unheilbaren wird wieder Vertrauen eingeflößt.
Ärzte und Prediger erzählen staunend von der Einfachheit,
mit der dieser moderne Wundertäter Blinde und Lahme
mit Erfolg behandelt und zahlreiche Kranke den Klauen
des Todes entreißt. Seine Ratschläge sind unentgeltlich
für alle. Dieser Herr entbietet sich, seine Ratschläge
unentgeltlich zu geben. Ärzte suchen seine außerordentliche
Kraft zu ergründen ...“
Und in diesem scheußlichen Reklamestil geht es zwei
Spalten lang fort. Zahlreiche Heilerfolge werden mit
Namensnennung angegeben, und zum Schlusse stellt sich
Herr G. A. Mann als Dr. med. und Professor der von ihm
erfundenen Radiopathie vor. „Die Radiopathie hilft nicht
nur bei gewissen Arten von Krankheiten, sondern sie
nützt gegen alle Krankheiten, wenn die verschiedenen,
magnetisch zubereiteten Tabletten, nach unserer Formel
präpariert, rechtzeitig vom Patienten benutzt werden.
Wenn Sie krank sind, es ist einerlei, an welcher Krankheit
Sie leiden, schreiben Sie Herrn Mann, beschreiben
Sie ihm die Symptome, geben Sie an, wie lange Sie krank
sind, und er wird sich ein Vergnügen daraus machen, Ihnen
die Krankheit zu nennen, an der Sie leiden und Ihnen ein
Verfahren zu beschreiben, das Ihnen nützen wird. Dieses
kostet Sie absolut nichts, und Herr Mann wird Ihnen dazu
ein Exemplar des wunderbaren Buches: ‚Wie man sich
selbst und anderen helfen kann‘ mitschicken usw.“
Herr G. A. Mann kennt seine Pappenheimer. Für das
Postfach 1106 in Rochester liefen aus allen Teilen der
Welt die Briefe zu Hunderten und Tausenden ein, und
die Heilsuchenden, natürlich lauter arme, verzweifelte,
schmerzensreiche, meist von den Ärzten aufgegebene
Menschen, erhielten ein gedrucktes Schreiben, welches
ihnen irgendeine Krankheit nannte und sie aufforderte,
10 Dollar, also 41,80 Mk. (!) portofrei einzusenden, wofür
ihnen die wunderwirkenden radiopathischen Tabletten,
natürlich eine völlig wertlose Droge, zugehen würden.
Die hochwichtige Broschüre voll angeblich wissenschaftlichen
Kauderwelschs wurde ihnen allerdings gratis beigepackt.
Und siehe da, Tausende und aber Tausende
ließen sich den letzten Hoffnungsstrahl 10 Dollar kosten
und machten Herrn G. A. Mann zu einem schwerreichen
Mann. Selbstverständlich ist er in Wirklichkeit weder
Dr. med. noch Professor, sondern einfach ein geriebener
amerikanischer Schwindler mit den eigenartigen Ehrbegriffen
dieser interessanten Menschensorte. Um seinen
guten Freunden auch einen Spaß zu machen, ließ er zuweilen
besonders pikante Zuschriften aus seinem Kundenkreis
photochemisch vervielfältigen. Und durch denselben
wackeren Deutschen, der diesem niederträchtigen
Schwindler in Amerika das Handwerk legte, wurden mir
zwei solcher Faksimiles anvertraut, in denen eine preußische
Prinzessin und ein hoher Offizier der Potsdamer Garnison
dem Herrn Professor der Radiopathie in Rochester Geständnisse
ablegen, wie man sie selbst seinem Hausarzt
und seinem Beichtiger wohl nur im Zustande höchster
Verzweiflung ablegen dürfte.
Aberglaube, Kirchenwahl.
Herr A. G. Mann aber machte sich, wie gesagt, einen
Spaß daraus, diese traurigen Intimitäten seinen guten
Freunden zu verraten! Angeblich soll dieser
gemeingefährliche Schwindler übrigens sein Unwesen heute noch
von Paris aus fröhlich weiter betreiben. Charakteristisch
ist es nun, daß die erwähnten, sozial so hoch stehenden
Briefschreiber alle beide Herrn Mann gestehen, sie hätten
es unter anderem auch schon mit der Christian Science
versucht! Lernen wir Bescheidenheit aus diesem Beispiel.
Auch wir Europäer sind noch längst nicht über den Berg
des Aberglaubens hinweg; der religiöse wie der medizinische
Schwindel kommen auf beiden Seiten des Ozeans noch
auf ihre Kosten, und wenn sie vereint marschieren, finden
sie ihre Opfer in allen Zonen bei den Angehörigen aller
Bekenntnisse, aller Gesellschafts- und Bildungsstufen.
Wie weit sind wir nun im Grunde abgerückt von dem
Glauben der Wilden an die Zauberkraft der Beschwörungstänze
ihrer Medizinmänner? Dunkle Erdteile gibt es nicht
mehr, aber in den finsteren Höhlen der Menschenseele
kann der unerschrockene Entdecker noch genug Fossilien
aus dunkelster Vorzeit finden.
Bei der völligen Gewissensfreiheit, welche die Verfassung
der Vereinigten Staaten gewährleistet, und der
großen Anzahl der Bekenntnisse, die der heilsuchenden
Seele zur Verfügung stehen, braucht die Wahl der Religionsgemeinschaft,
der ein erwachsener Mensch sich anschließen
will, von keinen anderen als rein idealen Erwägungen
geleitet zu werden; begreiflicherweise spielen aber dennoch
Nützlichkeitsgründe, allerlei komische oder betrübliche
Menschlichkeiten, just bei dieser Wahl eine bedeutende
Rolle. Alle Leute, die nicht selbständig denken gelernt
haben, und deren Zahl ist in Amerika besonders groß,
sowie alle Leute, die nicht von einer besonderen religiösen
Inbrunst erfaßt sind, werden entweder einfach dem Bekenntnisse
ihrer Eltern folgen oder aber sich einer Gemeinde
anschließen, durch die sie wertvolle geschäftliche
und gesellschaftliche Verbindungen zu erwarten haben.
Da es in dem demokratischen Staat offiziell keine Rangeinteilung,
keine Klassen- und Kastenunterschiede gibt,
der Mensch aber doch von Natur so geartet ist, daß sich
immer gleich zu gleich gesellt, und sich alsbald bestrebt,
Schranken zwischen sich und der Außenwelt zu errichten,
so kommen die Religionsgesellschaften der natürlichen
Neigung entgegen. Sie stellen einfach geschlossene Vereine
dar, die ihre Mitglieder aus ganz bestimmten Gesellschafts-
und Bildungsschichten rekrutieren; also ein Seitenstück
zu den Klubs, die aber nur den Wohlhabenden zugänglich
sind und die Familie ausschließen. Der selbständige
junge Mensch wird sich also unter den etlichen hundert
verschiedenen Denominationen, die ihm zur Verfügung
stehen, diejenigen aussuchen, in der er ausschließlich seinesgleichen
in bezug auf Bildung, gesellschaftliche Stellung,
Lebenshaltung und allgemeine Interessen findet.
Es ist klar, daß der religiösen Heuchelei, dem Drucker-
und Muckertum durch diese Wahlfreiheit kein Vorschub
geleistet wird. Wenn auch die Respektablität es erfordert,
daß man einer christlichen Gemeinschaft angehöre, so
erleidet sie doch keineswegs einen Schaden, wenn etwa
eines frommen Quäkers Sohn zu den Methodisten übertritt
oder die Tochter des Presbyterianers sich den Baptisten
anschließt. Religiöse Überzeugung wird unter
allen Umständen geachtet, auch wenn sie äußerlich wunderliche
Formen annimmt. Und so fährt schließlich das echte
religiöse Bedürfnis bei dieser Zersplitterung doch noch
am besten. Und die Geistlichen gar dürften in keinem
Lande der Welt so viel Freude an ihren Gemeinden erleben,
wie in den Vereinigten Staaten, weil ja bei der
völligen Freiheit der Meinungsäußerung jeder Geistliche
in seiner Person gewissermaßen eine eigene Kirche
darstellt, deren unfehlbarer Papst er ist. Verweigert ihm
seine Gemeinde die Gefolgschaft, so ist er deswegen noch
lange nicht deklassiert und infamiert. Ist er ein begabter
Seelenfänger, so mietet er sich eben einfach anderswo ein
Lokal und versucht neue Menschen hineinzupredigen.
Hat er deren ein Häuflein beisammen, so ist seine Ich-Kirche
wieder lebendig. Der unfähige Geistliche, dessen
Persönlichkeit der suggestiven Kraft ermangelt, wird
dagegen mit Recht unter das Proletariat derjenigen unbrauchbaren
Menschen hinabgleiten, die da brotlose
Künste treiben.
Eine konfessionelle Christenkirche.
Ich will diese Betrachtung mit einem herzerquickenden
Lichtbilde schließen. Auf dem Campus der Cornell-University
in Ithaka im Staate New York erhebt sich
ein schlichter Kirchenbau, der von Andrew D. White,
dem feinsinnigen Gelehrten und allverehrten früheren
amerikanischen Botschafter in Berlin, gestiftet wurde.
Das Innere zeigt eine wundervolle Holzarchitektur in
Anlehnung an norwegische Muster, eine weichgedämpfte
Farbenharmonie faßt die weitgeschwungene bunte Decke
mit dem dunkelbraunen Holzton des Gestühls mild zusammen,
und die farbigen Fenster dämpfen das Licht,
ohne jedoch die frohe Heimlichkeit des Raumes in
mystischer Dämmerung zu ersticken. Kein Altar, keine
blutigen Kruzifixe oder Marterdarstellungen, überhaupt
keine biblischen Schildereien finden sich in diesem, ich
möchte sagen, lieblich erhabenen Gotteshause, nur eine
einfache Rednerkanzel und eine wundervolle Orgel. In
einer Seitenkapelle, die dem Charlottenburger Mausoleum
einigermaßen ähnlich ist, ruhen in herrlichen Marmorsarkophagen
die Gebeine des trefflichen Holzhändlers
Cornell, der seinen Namen durch die Gründung dieser,
zu den allervornehmsten zählenden Universitäten
unsterblich machte. Hier ruht auch die erste Gemahlin
Dr. Whites, und hier wird er selber seine Ruhestätte finden.
Seine Kirche aber ist keinem Bekenntnisse gewidmet,
sondern nur dem christlichen Gedanken, und ihre Kanzel
steht jedem berufenen Redner offen, dessen Denken
und religiöses Fühlen sich irgendwie unter dem Einfluß
christlicher Ideen zu befinden glaubt. Es predigen also
hier allsonntäglich abwechselnd eingeladene Vertreter
aller erdenklichen Bekenntnisse, sowie auch außerhalb
alles Kirchentums stehende bedeutende Denker und
Redner.
Ist es nicht bezeichnend, daß die bisher einzige Absage,
die Dr. Andrew D. White auf seine Einladungsschreiben
erhielt, von katholischer Seite kam? Allerdings hätten
sich wohl einzelne hervorragende katholische Prediger
gefunden, die gern in diesem freien Gotteshause zu einer
freien, Wahrheit suchenden Gemeinde geredet hätten –
Rom aber sprach: „Quod non!“
Die Landschaft.
Sommerfrischen.
Schließlich sieht es doch nicht überall in den Vereinigten
Staaten aus wie in der Gegend zwischen Kattowitz
und Beuthen, wenn auch freilich der Charakter der reizlos
platten Ackerbaugegend und des Schönheit mordenden
Industriegeländes in den Mittelstaaten von den großen
Seen bis zum Missouri vorherrschend ist. Man braucht
durchaus nicht etwa Tage und Nächte lang durch Kohlen-
und Petroleumhöllen, endlose Steppe und Wüste bis
zum Felsengebirge im fernen Westen hinüberzufahren,
um auf landschaftliche Schönheiten zu stoßen. Schon die
Manhattan-Insel, auf der die Fünfmillionenstadt New
York auf dem solidesten Untergrund der Welt erbaut ist,
liegt malerisch genug in der weiten Meeresbucht zwischen
den grünen Zungen Long-Island und Staaten-Island.
Auf der Fahrt am Ostufer, von New York nach Providence,
glaubt man sich im südlichen Schweden zu befinden; die
liebliche Wald- und Hügelszenerie mit ihren dunklen
Tälern und klaren Bächen, welche zwischen Boston und
Albany sich erstreckt, könnte ganz gut einem deutschen
Mittelgebirge entnommen sein; die Reize ostpreußischer
oder märkischer Seenlandschaften finden wir wieder auf
der Bahnfahrt von Philadelphia nach Washington; in
den Alleghanies und vollends im Adirondak-Gebiete
mit seinem Lake George, sowie in dem nordwestlichen
Seengebiet des Staates New York, am Lake Seneca, Lake
Cayuga und wie sie alle heißen; in den Tälern des Delaware,
des Susquehanna, des Chesapeake und gar des Hudson ist
so viel landschaftliche Schönheit herben und zarten,
heroischen und idyllischen Stiles vorhanden, wie ein frommer
Anbeter der Natur sie nur irgend wünschen kann,
Schönheit genug, um Millionen abgehetzter Kopf- und
Handarbeiter Ruhe und Erholung zu schaffen. Aber der
europäische Naturfreund wird nirgends dieser Schönheit
froh. Ich wenigstens habe alle diese Herrlichkeiten nur mit
Seufzen und Fluchen an mir vorbeifliegen sehen, denn – es
fehlt überall an der kulturellen Inszenesetzung.
„O lieber Herrgott, wie gut hast du’s gemeint! Pfui
Teufel, o Menschheit, wie übel hast du die Absichten der
Natur verstanden!“ Das ist das Stoßgebet, das sich
überall in den Vereinigten Staaten dem schwergekränkten
ästhetischen Bewußtsein entringt. Nirgends hat die
Landschaft einen eigenartigen Stil der Wohnhäuser, die
Feld- und Waldwirtschaft einen der Landschaft angepaßten,
von Gau zu Gau wechselnden Charakter angenommen;
überall dasselbe tödliche Einerlei plattester
Zweckmäßigkeit. Wohl finden wir im Osten den schwedischen
Granit in mächtigen Brocken, die tiefeingeschnittenen
Meeresbuchten und hie und da sogar ein
Stückchen Wald, das der erbarmungslosen Axt der ersten
Ansiedler entgangen ist; aber wo sind die reizenden, buntbemalten
Holzhäuser, in lustigen Blumengärten sauber
aufgestellt, darinnen derbe, blonde Dirnen in roten Röcken
und grünen Schürzen hantieren? Wo ist die blühende
Heide, der rauschende Hochwald? Wo bleibt in den
Kiefernwald- und Seengegenden das so herrlich dazu
passende niederdeutsche Bauernhaus mit seinem riesigen,
fast bis zum Boden hinab reichenden Giebeldach? Wo
ist in den anmutigen Flußtälern auch nur eine einzige
Ansiedlung an den Ufern zu finden, die den Eindruck
machte, als ob sie dort wirklich zu Hause wäre? Wo sind
in den Glanzstücken der Gebirgslandschaft die romantischen
Wege für Fußwanderer, die einsamen alten Wirtshäuser
an der Landstraße, die verräucherten alten Räubernester
italienischer Bergdörfer, oder gar die lustigen Sennhütten
unserer Alpenländer zu finden? Nichts, nichts von alledem.
Wo man nicht mit dem Automobil hinfahren kann,
da ist überhaupt schwer hinzugelangen. Aber überall,
wo so viel zu sehen ist, daß der Baedeker einen Stern
dabei machen würde, spreizen sich die lieblosen großen
Hotelbauten, die den Mann mit dem kleinen Geldbeutel
in gebührender Entfernung halten. Für die reichen
Sommergäste ist selbstverständlich gesorgt mit Polo-,
Golf- und Tennisplätzen, mit Motorbooten und allen
neuesten Mustern von Ruder- und Segelfahrzeugen, mit
eleganten Restaurants zu Weltstadtpreisen, mit Icecream
und Candy, und bei all diesen Futterplätzen konzertieren
selbstverständlich kleine Musikkapellen, die die beliebtesten
Operettenmelodien der vergangenen Wintersaison zum
besten geben und den auf die Grammophonplatte gebannten
Caruso begleiten.
Kostspielige Ausrüstung des Touristen.
Der Amerikaner allerdings scheint es nicht besser zu
wollen. Das Bedürfnis nach Einsamkeit und Ruhe, nach
einfachen Lebensfreuden, nach intimer Zwiesprache mit
der Natur kennt er wohl schwerlich, denn auch bei uns
sehen wir ihn ausschließlich die großen Hotels, die geräuschvollen
internationalen Vergnügungsorte bevölkern, wo er
von der Eigenart einer Gegend und ihrer Menschen niemals
eine Ahnung bekommen kann. In unseren Gebirgen,
an unseren Flüssen und Seen erscheint er mit seiner fashionablen
Ausrüstung von modernsten Sportanzügen und
neuesten patentierten Sportgerätschaften. Vom jüngsten
Bübchen bis zum ältesten Greise widmet er sich unter
jeglichem Himmelstrich seinen nationalen Spielen, und es
freut ihn offenbar viel mehr, kleine dumme Bällchen in
Gesellschaft hübscher Misses mit Knütteln zu bearbeiten,
als mit dem Rucksack auf dem Buckel schwer zugänglicher
Schönheit nachzusteigen. Jeder Boy und jedes
Girl muß seinen Kodak umhängen haben, um die Eingeborenen
im Nationalkostüm oder das mitgenommene
süße Baby in allen Lebenslagen knipsen zu können. Allerdings,
die Hochtouristik findet auch unter den Amerikanern
begeisterte Verehrer, aber wohl nur, weil sie aufregend
und gefährlich ist und ihrer Raserei für das Rekordbrechen
entgegenkommt. Die wein- und sangesfrohe
Wanderlust, die sich mit einem Käsebrot und einer Streu
vergnügt bescheidet, den gründlichen Wissensdrang, der
am liebsten die stillen Winkel durchstöbert, die fromme
innige Naturschwärmerei, die den großen Menschenansammlungen
und laut gepriesenen Sensationen aus
dem Wege geht, die kennt er nicht. Dem richtigen Durchschnittsamerikaner
gilt für schön, was ihm durch Dimension
oder Quantität imponiert und – was viel gekostet hat.
Niemals habe ich einen Amerikaner sich über die gräßlichen
Reklameschildereien ereifern hören, die gerade an
den landschaftlich bevorzugten Bahnstrecken sich breit
machen und einem im Laufe einer Fahrt von einigen
Stunden, die recht genußreich für das Auge sein könnte,
etliche hundert Mal in der Gestalt eines überlebensgroßen
rotbunten Ochsen entgegenschreit, daß Durham Bull der
beste Rauch-, Kau- und Schnupftabak sei, oder sonst
irgendeine mächtig interessante Feststellung. Hält man
ihm die Poesielosigkeit der großen Hotelbauten in seinen
berühmten Ausflugsorten vor, so entgegnet er: Wem die
nicht gefielen, der könnte sich ja ein Hausboot auf einem
der Seen zulegen, oder mit Zelt und Canoe ausgerüstet in
die Wildnis ziehen. O gewiß, das würde auch unserem
Geschmack poetisch vorkommen, dieses neuerdings unter
den jungen Amerikanern beiderlei Geschlechts sehr beliebte
„camping out“. Aber auch dieses Vergnügen des
Biwakierens ist mit Kosten verknüpft, die sich nur wohlhabende
Leute leisten können, denn es versteht sich von
selbst, daß man solchen abenteuerlichen Auszug ins wilde
Hinterland nicht antritt, ohne in bezug auf die Transportmittel,
auf Kleidung, Schlafgelegenheit, Kochgeschirr,
Angel- und Jagdgerät usw. auf das vollkommenste mit
den allerneuesten Erzeugnissen auf diesem Gebiete ausgerüstet
zu sein. In den Vereinigten Staaten freilich gibt
es kaum Leute, die so wenig Geld hätten, daß sie sich nicht
einmal so etwas leisten könnten, oder wenigstens kennt
man in besseren Kreisen solche betrübliche Armseligkeit
nicht. Andererseits würde wieder das geistige Gepäck,
das unsere kultiviertesten Naturfreunde auf ihren Wanderungen
mitzunehmen pflegen, drüben für ein außerordentlicher
Luxus gelten: Sprach- und Dialektkenntnis,
geographische und ethnographische, naturwissenschaftliche
und kunstgeschichtliche gründliche Vorbereitung.
Da im eigenen Lande so wenig vorhanden ist, was dem
historischen Sinn Nahrung geben könnte, so vermißt der
Amerikaner die edle Patina des Alters durchaus nicht,
sondern findet selbstverständlich alles Frischgestrichene,
Neulackierte erfreulicher denn alles alte Gerümpel.
Die Niagarafälle.
Es ist ein wahres Wunder zu nennen, daß die guten
Kinder ihre Niagarafälle verhältnismäßig so unverschandelt
gelassen haben. Bei der kolossalen Kraft, die dort umsonst
zu haben ist, wäre es doch eine Kleinigkeit, zum
Beispiel über dem Horseshoe-Fall des Nachts ein riesiges
Stern- und Streifenbanner aus elektrischen Glühkörpern
flattern zu lassen! (Sie machen solche bewegten elektrischen
Lichtreklamen famos). Und wie würden sich die Canadier
giften, wenn sie jede Nacht auf dem amerikanischen
Ufer Onkel Sams Fahne flammen sehen müßten! Sie
würden vermutlich nicht lange zögern, auf ihrer Seite
einen wenn möglich noch größeren, elektrisch bewegten
Union Jack zu hissen. Und damit wäre sozusagen das
Eis gebrochen: in wenigen Wochen würde der strahlende
Ochse Durham das Lob des besten Rauch-, Kau- und
Schnupftabaks feuerspeiend in die Nacht hinaus brüllen;
über, unter, zwischen und hinter den Fällen selbst würden
in genial ersonnenen Lichtspielen die köstlichen Whiskys,
die beliebtesten Biere, die anerkanntesten Leberpillen
und sichersten Abführmittel sich dem staunenden Naturfreund
empfehlen. Und es ist, wie gesagt, nicht zu begreifen,
daß nicht wenigstens die Fabrikanten von Babywäsche
diese glänzende Reklamegelegenheit ergriffen haben,
da doch sämtliche amerikanischen Brautpaare ihre Hochzeitsreise
nach den Niagarafällen zu unternehmen pflegen.
Ich vermute, daß da irgend welche schlechten Demokraten
die Freiheit durch volksfeindliche Gesetze schändlich
unterbunden haben müssen; anders ist dieser geradezu
barbarische und schamlose Zustand gar nicht zu erklären,
daß man hier die Natur so nackt und bloß wirken lassen
konnte, ohne jede zivilisierte Bekleidung durch den menschlichen
Geschäfts- und Erfindungsgeist! Nur der dekadente
Europäer kann so etwas schön finden!
Und dennoch muß ich gestehen, daß ich dekadenter
Europäer auch angesichts der Niagarafälle die feinere
Regie vermißte. Ich mußte an unsern lieben Rheinfall
bei Schaffhausen denken. Wie ist da das herrliche Naturschauspiel
vorbereitet, wie ist da geschickt Stimmung
gemacht durch eine idyllisch romantische Landschaft,
durch das uralt heimliche Schaffhausen mit seiner gewaltigen
Zitadelle, seiner begrünten Stadtmauer, seinen
trauten, krummen Gassen und behaglichen alten
Wirtshäusern! Wie sind auf dem Wege nach Laufen die Kraftwerke
und Aluminiumfabriken – denn auch hier ist der
Mensch nicht so dumm, die üppigen Schätze der Natur
aus reiner Sentimentalität ungehoben zu lassen –, wie
sind sie so geschickt unter dichtem Grün versteckt! Dagegen
dehnt sich drüben von der furchtbar garstigen
Großstadt Buffalo bis zu dem fast ebenso scheußlichen
Nest Niagara-Falls-City die trostloseste Einöde am Gestade
des Eriesees entlang. Das Klima ist windig und regnerisch,
der Boden wenig fruchtbar, und infolgedessen sieht man
überall verlassene Ansiedlungen, Trümmerhaufen, Ödland.
Dazwischen massenhafte Fabrikanlagen mit ihrem
schmutzigem Abfall, Schlackenbergen und mißfarbigen
Rinnsalen. Lange, trübe Straßenzüge mit garstigen
Arbeiterhäusern durcheilt die elektrische Bahn nach den
Fällen, an wüsten Schnapskneipen und Tanzsalons mit
klirrenden Drehklavieren und kreischenden Grammophons
muß man vorüber, bevor man den nett gehaltenen
Park erreicht, den man um die beiden Hauptfälle angelegt
hat. Dann gelangt man zunächst an den kleineren
dritten Fall, den die Industrie ganz und gar für sich in
Beschlag genommen hat. Dicht am Rande des senkrechten
Felsabsturzes ragen die Mauern und Schlote der
Fabriken empor, und die gebändigten Wassermassen quellen
aus einer Menge von eisernen Röhren hervor, jedoch
nicht mehr im kristallenen Naturzustand, sondern gar
lieblich koloriert. Es müssen wohl Farbwerke sein,
denen ihre Kraft dienstbar geworden ist, denn im
Winter, als ich sie sah, waren alle diese Abflüsse zu
Eiszapfen gefroren, die einen pittoresken Behang über
dem ganzen Abgrund bildeten und abwechselnd schön
chromgelb, vitriolblau und krapprot gefärbt waren. Die
großen Fälle selbst gehören ja ohne Zweifel zu den
gewaltigsten Naturschauspielen der Welt, besonders im
Winter, wenn die Bäume im weiten Umkreis in wunderbar
funkelnde Kristallkandelaber verwandelt sind und wilde
phantastische Schneewachten und Eisgebilde die ungeheuren
donnernden und dampfenden Wasserschleier einrahmen.
Leider aber fehlt es dem gewaltigen Schaustück
gänzlich an Hintergrund. Der Niagarafluß verbindet
eben zwei an sich wenig reizvolle große Wasserflächen,
und wenn nicht zufällig der Eriesee etliche 60 Meter höher
als der Ontariosee gelegen wäre, so würde es überhaupt
nicht zustande gekommen sein. Wenn unser Herrgott,
sagen wir mal: die biedere Warthe in irgendeinem preußischen
Kartoffelacker einen solchen Bocksprung von 40
bis 50 Meter ausführen ließe, so würde das einigen Hunderttausenden
Deutschen genügenden Anlaß bieten, um entrüstet
aus der Landeskirche auszutreten; in Amerika aber
darf sogar der Weltbaumeister geschmacklos sein, ohne
sich Unannehmlichkeiten zuzuziehen.
Der Hudsonstil.
Die Zeiten, wo man die absolute Geschmacklosigkeit
keinem Amerikaner verübeln durfte, weil er eben zunächst
für das Allernotwendigste zu sorgen, Neuland urbar zu
machen und Weib, Kind, Ochs, Esel und alles, was sein
war, vor wilden Tieren und roten Skalpjägern zu verteidigen
hatte, die sind doch jetzt vorbei, zum mindesten
für den hochkultivierten Osten, und die Zahl derer, die
sich nach Schönheit zu sehnen beginnen, wächst von Jahr
zu Jahr. Warum, ihr lieben Yankees, entnehmt ihr nicht
eurer neuesten Schatzkammer Alaska ein paar lumpige
Milliarden und stellt Landschaftsregisseure mit unbeschränktem
Kredit an? Herrgott Saxendi, was ließe
sich beispielsweise aus eurem Hudson machen! Ich weiß
mir keinen schöneren Strom in der Welt. In seinem
langen, gewundenen Lauf von New York bis Albany schlägt
er leicht die gloriose Rheinstrecke von Bingen bis Bonn
und kann es selbst mit der Donau zwischen Krems und
Melk und sogar mit der Elbe zwischen Königstein und
Schandau aufnehmen vermöge seiner herrlich geformten
Uferberge und des imposanten Hintergrundes, den ihm
die Catskillberge und noch weiter oben die Adirondaks
geben. Wenn trotzdem der Hudson nicht entfernt so
stark wirkt wie jene deutschen Ströme, so liegt das
eben einfach daran, daß ihm die Rebenhänge mit den
berühmten Weinmarken, die lieben alten Städtchen
und ganz besonders die malerischen Burgruinen fehlen.
Der Regisseur des Hudsons hätte also die Aufgabe,
das ganze städtische und dörfliche charakterlose Gerümpel,
das die Ufer des Flusses verschimpfiert, niederzureißen
und durch Neubauten im Stil des Hudsontales
und der Hudsonbewohner zu ersetzen. Das wäre
mit viel Geld zu machen, wenn sich nicht von vornherein
die Frage aufdrängte: Ja, welches ist denn der Stil der
Hudsonbewohner, der Hudsonlandschaft? Das weiß
eben kein Mensch! Die Hudsonleute haben eben keinen
anderen Stil als die Susquehannaleute oder die Michiganleute.
Es war mehr oder weniger Zufall, ob die ersten
Kolonisten sich da oder dort niederließen, und jeder von
ihnen hat sich an seinem Orte eingerichtet, wie sein Nutzen
es erforderte und seine Mittel es erlaubten. Gewiß haben
sich an unserem Rhein die Menschen ursprünglich auch
nicht aus Bewunderung für die schöne Gegend niedergelassen,
noch haben sie ihre Burgen auf die Höhen gebaut,
um späteren Geschlechtern eine Sehenswürdigkeit durch
deren Ruinen zu liefern. Nie und nirgends ist eine Landschaft
späteren Dichtern und Malern zuliebe stilisiert
worden, sondern das Notwendige und Zweckmäßige ist
immer am Anfang der Entwicklung gestanden, in der Alten
gerade so wie in der Neuen Welt. Erst der Edelrost der
Jahrhunderte und Jahrtausende hat die Schönheit dazu
getan. Aber diese Schönheit ist keineswegs ganz wild
gewachsen aus der vollen Freiheit des Individuums heraus.
Ein einheitlicher Stil konnte sich nur dadurch entwickeln,
daß der Wille einzelner Überragender sich den Herdenmenschen
aufzwang, daß die künstlerisch fruchtbaren
Talente von den Herrschenden und Besitzenden erkannt
und mit großen Aufgaben betraut wurden. So konnten
sie die Muster schaffen, welche die Gedankenlosen alsdann
aus Gewohnheit immer wieder nachmachten. Die Zünfte
mußten ihren Zwang auf die Handwerker ausüben, die
Stadtväter mußten Bau- und Kleiderordnungen erlassen,
und durch die Engigkeit der Verhältnisse mußte ein konservatives
Philisterium gezüchtet werden, damit kein individualistischer
Zickzack die Gradlinigkeit der Entwicklung
störte. Die Frage ist nur, ob man das alles heutzutage
noch in einer großen demokratischen Republik nachahmen
könnte. Gewiß, ein genialer Architekt, nennen
wir ihn Meyer, könnte mit den zur Verfügung gestellten
Millionen den ganzen Hudson in einem original meyerischen
Stil bebauen, und das könnte vielleicht etwas sehr Schönes
geben, aber dann müßten auch drakonische Gesetze erlassen
werden, die die Anwohner des Hudsons zwängen,
ihre notwendigen Neubauten immer wieder im meyerischen
Stile zu errichten und sich überhaupt in allen Lebenslagen
streng meyerisch zu benehmen. Würden sich die freien
Bürger des Staates New York das gefallen lassen? Schwerlich.
Sie würden jedoch nichts dawider haben, wenn
spekulative Unternehmer darauf verfallen sollten, auf
den schön geschwungenen Uferbergen des Hudson künstliche
Burgruinen zu errichten, zu denen Zahnradbahnen
oder Elevators hinaufführten. Es wäre weiterhin nur
vernünftig, wenn in diesen Ruinen spekulative Wirte sich
niederließen, die auf den Plattformen der Türme Flugschiffstationen
und auf den Turnierplätzen Hangars für
Äroplane einrichteten. Gewiß würden es die Hudsonleute
auch gern sehen, wenn hie und da eine besonders
garstige Fabrik hübschere Formen annähme und an Stelle
manchen häßlichen Gerümpels reiche Mitbürger ihre
Sommervillen in allen möglichen bizarren europäischen
und asiatischen Stilen anlegen würden. Vermutlich wird
man schon in naher Zukunft Seite an Seite mit imitierten
Stolzenfelsen und Drachenburgen, japanische Teehäuser,
russische Datschen und Darmstädter Eigenheime bewundern
können, aber ein origineller Hudsonstil wird sich
von selber auch in fernen Jahrhunderten schwerlich entwickeln.
Wir sehen es ja bei uns, wie schwer es die Vereine
für Denkmal- und Heimatschutz haben, unsere schönsten
alten Städtebilder vor Verschandelung zu behüten, und
wie auch die strengste Baupolizei höchstens unter Mitwirkung
wirklich feinfühliger Künstler einigermaßen dem
Eindringen der Stillosigkeit zu wehren vermag; denn die
instinktive Stilsicherheit unserer Vorväter ist uns Modernen
durch den Mangel an Seßhaftigkeit der großen Masse,
die durch unsere Verkehrsverhältnisse erzeugt wurde,
schon sehr abhanden gekommen. Drüben in der neuen
Welt aber hat solche instinktive Stilsicherheit natürlich
niemals bestanden; der Künstler, den man zum Landschaftsregisseur
ernennen wollte, hätte es also mit Kindern
und Barbaren zu tun, denen man wohl neue Moden importieren
und schmackhaft machen, aber keinen Stil aufzwingen
könnte. Die Yankees mit ihrem wundervollen
Optimismus sind natürlich überzeugt davon, daß die
Schönheit und der Stil in ihrem Lande ganz von selber
sich entwickeln müßten als eine Frucht der fortschreitenden
Geschmackskultur ihrer reichen und müßigen Leute.
Ich vermag diese Zuversicht nicht zu teilen, sondern
glaube vielmehr, daß sich auch im Laufe vieler Jahrhunderte
der große Unterschied zwischen der alten Welt
als einem Antiquitätenmuseum und der neuen als einem
Novitätenbazar nur wenig verwischen wird. Jahrtausende
allmählicher Kulturentwicklung sind selbst im heutigen
Fortschrittstempo nicht einzuholen.
Der Landschaftsregisseur.
Aufgaben für deutsche Künstler.
So müßte ich also meinen Antrag, Landschaftsregisseure
für die Vereinigten Staaten zu ernennen, hoffnungslos
fallen lassen? Vielleicht doch nicht ganz. Im weiten
Süden, im äußersten Norden und im fernen Westen
ist noch Platz genug für Hunderte, ja Tausende von
neuen Ansiedlungen. Wenn die gesetzgebenden Körperschaften
der betreffenden Bundesstaaten es zur Bedingung
für neue Gründungen machten, daß die Pläne
nicht ohne Hinzuziehung bewährter Künstler entworfen
und ausgeführt werden dürften, so wäre von diesen neuen
Städten und Dörfern des 20. Jahrhunderts doch wohl
ein bißchen mehr Stil zu erhoffen. Ich kenne das neue
San Franzisko nicht; ich weiß nicht, ob man bei dieser
kostbaren Gelegenheit schon daran gedacht hat, die
künstlerische Regie in ihre Rechte einzusetzen. Die
Amerikaner behaupten ja, daß ihr neues Frisko, ihre neue
Handelsmetropole Seattle und andere nordwestliche
Gründungen von hervorragender Schönheit seien. Nun,
dann würde zum erstenmal in der Weltgeschichte das
Licht von Westen kommen. Im ganzen Osten der Union
sieht es bisher noch aus wie in einer Kinderstube, in der
unartige Buben alles durcheinander geworfen und vor
dem Schlafengehen nicht fortgeräumt haben. Von dem
großen Völkerumzug sind noch überall die ausgeräumten
Kisten, die Stroh- und Papierhüllen, die ausgerissenen
Nägel und zerschnittenen Stricke liegen geblieben. Wenn
erst der Osten sich vor dem Westen zu schämen beginnt,
dann findet er vielleicht auch Zeit, endlich einmal gründlich
aufzuräumen. Und in der aufgeräumten Landschaft,
dem gesäuberten Stadtbilde werden wenigstens die gröbsten
Scheußlichkeiten so unliebsam auffallen, daß man sich
um so mehr beeilt, sie gänzlich wegzutilgen und durch
Schöneres zu ersetzen. Dann wird es eine starke Nachfrage
geben nach solchen Regisseuren, wie ich mir sie
denke, und wir Deutschen, die wir der Neuen Welt durch
unsere Missionäre den Geschmack an edler Musik beigebracht
haben, werden dann auch vielleicht berufen
sein, als kostbarsten Importartikel Künstler hinüber zu
senden, die nicht nur Architekten, sondern stilistische
Universalgenies sind, so gut wie unsere modernen Orchesterbeherrscher
und Theaterregisseure. Vielleicht erlebe ich
es noch, vor einer neuen amerikanischen Stadt eine schöne
Tafel zu erblicken, auf der unter ihrem Namen an Stelle
des bei uns üblichen Hinweises auf Regierungsbezirk,
Kreis und Landwehr-Bataillon zu lesen wäre: „Gestiftet
von Carnegie, in Szene gesetzt von Johann Nepomuk
Huber aus München-Pasing.“
Dollaricas infamster Schurke.
Der Leithammel.
Ich bin niemals ein Pessimist gewesen. Ich habe den
zahlreichen Leuten gegenüber, welche mir dringend anrieten,
mich vor schmerzlichen Enttäuschungen dadurch
zu schützen, daß ich meine Mitmenschen von vornherein
jeder Bosheit und Niedertracht für fähig halten möge,
stets mit Ernst und Eifer die Meinung verfochten, daß
alle Kreatur von Mutterleibe an zur Ehrlichkeit und
Biederkeit veranlagt sei, und daß nur widrige Umstände,
zumeist gänzlich unverschuldeter Art, wie üble Herkunft,
leibliche Not und ungestillte Sehnsüchte der Seele
die bösen Triebe gewaltsam einzuimpfen vermöchten. Seitdem
ich aber in Chicago (Illinois) Dollaricas infamsten
Schurken kennen gelernt habe, muß ich gestehen, daß meine
Meinung von der Unschuld der Kreatur um so heftiger erschüttert
wurde, als dieser infamste aller Schurken nicht
einmal ein Mensch, sondern sogar ein Vierfüßler war,
jenem sanften, geduldigen, wolletragenden Geschlecht entsprossen,
das der Mensch sich zum Symbol demütiger Ergebung
und verehrungswürdiger Dummheit erkoren hat.
Der infamste Schurke der ganzen Vereinigten Staaten ist
nämlich, gerade herausgesagt – ein Hammel, und
zwar der Leithammel in Armour & Co.’s Packing Company
in den Chicagoer Schlachthöfen. Wenn ich der
pessimistische Menschenverachter wäre, der ich, wie gesagt,
nicht bin, so würde ich diesen Hammel eine eingemenschte
Bestie titulieren. Denn wer hätte es je
für möglich gehalten, daß ein Schafskopf so viel Niederträchtigkeit
beherbergen könne?! Nichts in dem
vertrauenerweckenden Äußeren dieses Hammels deutet auf die
Schändlichkeit seines Berufes hin. Sein stets vergnügtes
Schafsgesicht verklärt das satte Lächeln eines gutmütigen
Pfäffleins auf fetter Pfründe, und sein Gebaren und Gehaben
ist ganz dasjenige eines beleibten, aber noch
rüstigen alten Herren, der unter Umständen wohl noch
zu lockeren Streichen aufgelegt ist. Offenbar hat ihm
diese so geschickt getragene Maske der Bonhomie zu
der einträglichen Stellung bei Armour & Co. verholfen.
Dieser ehrenwerte Beamte erfüllt nämlich die Aufgabe,
während der Schlachtperiode Hunderte und Aberhunderte,
Tausende und Abertausende seiner unschuldigen, nichts
ahnenden Familienangehörigen und Standesgenossen der
Menschheit ans Messer zu liefern. In langen Eisenbahnzügen
treffen sie aus allen Teilen der Union in den Stockyards
von Chicago zusammen. Die Wagentüren öffnen
sich, und froh, der langen grausamen Haft entrinnen zu
können, drängen sich die Scharen munterer Hammel von
Ohio, Indiana, Illinois, ja selbst von Alabama, Jowa,
Kentucky, von Texas selbst und Arizona auf die bequemen
schiefen Ebenen, und ihren bedrängten Busen
entringt sich das hoffnungsfreudige „Mäh“ der Erlösung
von langer Qual. Weite Hürden nehmen sie auf, die
krauswolligen, weißen und schwarzen Brüder und Schwestern,
Vettern und Basen aus sämtlichen Staaten und Territorien
der Union. Von vollen Raufen lockt das duftige
Heu, in langen Rinnen der kräftig gemischte Trank. Und
doch, die rechte Freudigkeit kann nicht aufkommen, denn
alle diese Schafsseelen sind noch erfüllt von seliger Erinnerung
an blauen Himmel, grüne Weide, kristallklare
Bäche und muntere Spiele unter der freundlichen Aufsicht
treu besorgter Hunde und frommer Schäfer; hier
aber engen himmelhohe rotbraune Mauern sie ein,
statt lustiger weißer Lämmerwölkchen wälzen schwere,
schwarze Rauchschwaden sich ihnen zu Häupten daher,
und statt des feierlichen Schweigens der Natur umtost
das dumpfe Maschinengebrüll rastlos gieriger Menschenarbeit
ihre erschrockenen Ohren. Traurig lassen sie die
Schwänzlein und die Köpfe hängen, lassen sie die Trankrinne
und die Futterraufe unberührt.
Der Todessprung
Siehe, da naht sich ihnen als Bote aus dieser beängstigend
fremden Welt mit freundlicher, onkelhafter Vertraulichkeit
ein fetter Hammel in den besten Jahren: „Munter, meine
lieben Kinder, munter!“ beginnt er in humoristisch
gefärbtem Bockston, und alsbald umdrängt ihn ein dichter
Kreis von Zuhörern. „Ihr habt nicht die geringste Ursache,
Ohren und Schwänze mutlos hängen zu lassen;
oder ist es vielleicht nicht eine große Ehre für euch ungebildete
Prairieschafe, in die große Millionenstadt Chicago
zu Besuch zu kommen? Meint ihr vielleicht, ihr
wäret die einzigen Schafsköpfe hier am Orte, mähähähä!?
Hier geht es hoch her, das könnt ihr mir glauben auf
mein ehrliches Gesicht, und die Zeit wird euch hier nicht
lang werden, auf Eh – hähähähä – re! Ich habe es zwar
nicht nötig, mich für euch aufzuopfern, denn ich befinde
mich Gott sei Dank in einer auskömmlichen und gesellschaftlich
angesehenen Position, aber ich will mich dennoch
eurer hilflosen Ländlichkeit annehmen, weil doch nun
einmal der Korpsgeist in unserer Familie so stark entwickelt
ist. Auf, mir nach, ich führe euch zu einem lustigen
Spielplatz, wo kein Hund und kein Hirte uns geniert.“ –
Und leichtfüßig tänzelt der feiste Onkel voran einen glatt
gedielten Steg hinauf, der so schmal ist, daß nur zwei
knapp nebeneinander gehen können, aber sicher eingeplankt,
so daß keines an den Seiten herauspurzeln
kann. Schon dieser Anfang des Vergnügens ist
vielversprechend. Wie auf einer Berg- und Talbahn oder einer
russischen Rutschpartie geht’s auf diesen engen Bretterwegen
hinauf, hinab und kreuz und quer, und die Tausende
von leichten Hammelbeinchen trippeln und trappeln fein
langsam hinauf und im lustigen Hui herunter, daß es
klingt, wie wenn in schwülen Frühlingstagen St. Peter
Erbsen siebt. Ein Auf- und Abschwellen wie Hagelrauschen
in launischen Böen, ein dumpfes Wirbeln wie
von gedämpften Trommeln, – als sollten durch solchen
Trauermarsch den unschuldig Verurteilten die militärischen
letzten Ehren erwiesen werden. Der muntere Leithammel
immer an der Spitze, tapp tapp tapp, hinauf,
und hurrdiburr hinunter, und zuletzt auf ein schmales
Türchen in der rotbraunen Mauer zu. Gar im Galopp
mit einem lustigen Bocksprung setzt er in die Seligkeit
hinein. In einem Sprungtuch wird er aufgefangen und
mit einem Ruck in ein gemütliches Seitenkabinett in
Sicherheit gebracht, während seine Stammgenossen unaufhaltsam,
einer nach dem anderen, zu Dutzenden, zu
Hunderten, zu Tausenden ihm nachspringen in die finstere
Todesnacht. Ein eiserner Haken erwischt sie an einem
Hinterschenkel, an einer Kette fliegen sie mit dem Kopf
nach unten aufwärts, ein gewaltiges Rad empfängt sie,
hebt sie in weitem Bogen hoch und läßt sie auf der andern
Seite rasch abwärts schweben der Stelle zu, wo der Mörder
mit seinem blutigen Messer steht. Ein sicherer Stoß –
und lautlos haben sie ausgelitten. Derweile läßt sich’s
der erprobte Beamte von Armour & Co. in seinem Privatkabinett
bei frischem Maisschrot und duftigen Lupinen
wohl sein, bis man ihn abruft, um auf geheimem Gange
sich abermals zu den neu Angekommenen in die Hürden
hinunter zu begeben und seinen niederträchtigen Trick
aufs neue auszuführen. Wenn er ein Mensch wäre, so
würde er sicher auf seine alten Tage fromm werden, das
Gebetbuch auswendig lernen, fleißig in geistlichen Kreisen
verkehren und sein Vermögen wohltätigen Stiftungen
vermachen; da er nur ein Hammel ist, hat er aber nicht
einmal das Bedürfnis, sein Gewissen zu betäuben. Er
bedarf nicht des Alkohols, um seinen Mut zur Infamie
täglich neu zu entflammen, sondern sein eigentümlich
hammelhafter Ehrbegriff läßt ihn vielmehr seinen Stolz
drein setzen, jahrein, jahraus mit der gleichen heiteren
Selbstverständlichkeit seine verräterische, gemeine Mordarbeit
zu verrichten, bis er in Pension geht oder bis Herzverfettung
oder versetzte Blähungen ihm unversehens
den Garaus machen. – Habe ich nicht recht, diesen
Oberaga der weißen Eunuchen von Chicago für den infamsten
Schurken der ganzen Vereinigten Staaten zu
erklären?
Menschliche Niedertracht.
Vielleicht, mein Herr, oder Sie, meine schöne Leserin,
werden Sie mir entgegnen wollen, daß die Unschuld der
Kreatur von Armour & Co. nur schändlich mißbraucht
werde, indem der Leithammel sicherlich nicht wisse, daß
seine von ihm verführten Artgenossen dem Tode verfallen
seien. – Ich kann das leider nicht glauben; denn ich bin
fest überzeugt, daß auch dem geistig mindestbegabten
Tier der Blutgeruch, der die Chicagoer Schlachthöfe umwittert,
eine Ahnung seines Schicksals aufzwingen muß,
sobald es nur den Eisenbahnwagen verläßt. Und da ein
Leithammel doch jedenfalls die Blüte der Intelligenz der
Hammelschaft darstellt, so ist es doch schwer glaublich,
daß gerade ihm der Umstand nicht zu denken geben
sollte, daß alle die von ihm angeführten Herden auf
Nimmerwiedersehen in dem Abgrund verschwinden, dem
jener heiße Blutgeruch entströmt, und daß es immer
wieder neue Bataillone von Schafen, Regimenter von
Hammeln sind, an deren Spitze er anfeuernd dem schwarzen
Loche zu galoppiert. Fraglich könnte es nur erscheinen,
ob der Mensch, der sich solcher abgrundtiefen Gewissenlosigkeit
einer gemeinen Hammelseele zu seinen Zwecken
bedient, nicht noch eine größere Kanaille sei, als der
Hammel selbst. Es ist ein beliebter Trick des menschlichen
Genius, die garstig anrüchigen Handlungen, die
im Interesse seiner höheren Zwecke verrichtet werden
müssen, nicht selbst zu verrichten, sondern sich dafür
scheinbar harmloser Umwege zu bedienen. So hat die
edle weiße Haut der roten Haut ihre Spezialkrankheiten
anvertraut und sie dadurch, unter freundlicher Nachhilfe
des edlen Feuerwassers, langsam aber sicher vernichtet.
Ja, man hat es sogar schon verstanden, eine
Religion, die heiligste Ausstrahlung eines großen Herzens
voller Liebe und eines tiefen, weltumfassenden Geistes,
in zweckentsprechender Umgestaltung als wirksamstes
Mittel zur Unterjochung und Vernichtung kraftvoller
Völker zu verwenden. Solchen imposanten Großtaten
menschlicher Niedertracht gegenüber will es moralisch
nicht viel bedeuten, wenn die Herren Armour & Co. die
Bestechlichkeit einer infamen Hammelseele benutzen, um
ohne Tierquälerei und unliebsames Aufsehen ihren menschenfreundlichen
Zweck zu erreichen. Und Menschenfreunde
muß man doch diese genialen Unternehmer
nennen, welche ganz Nordamerika tagtäglich mit leckeren
Braten und die ganze bewohnte Erde mit ihren sauber
in Blech verpackten, gepökelten und geräucherten Fleischwaren
versehen. Wer an einem glänzenden Beispiel lernen
will, wie der Menschengeist es fertig bringt, durch blutigen
Mord und schnöden Verrat hindurch mit Einsatz aller
seiner Erfindungskraft und körperlichen Geschicklichkeit
schließlich dazu gelangen kann, die Vollendung des
Zweckmäßigen sogar bis zum künstlerisch Erbaulichen zu
steigern, der sehe sich das Verfahren in den Chicagoer
Stockyards an.
Durch Upton Sinclaires berühmten Roman „The
Jungle“ (der Sumpf) sind ja die Augen der ganzen Welt
auf Armour & Co.’s Packing Company gerichtet worden.
Ganz Europa ist es nach diesem Roman übel geworden.
Es hat monatelang kein corned beef mehr gekauft, in der
Meinung, daß in den hübschen, sauberen Blechbüchsen mehr
Rattenschwänze, abgehackte Menschenfinger und andere
leckere Zutaten vorhanden wären, als solides Ochsen-
und Schweinefleisch. Wer aber selber in jüngster Zeit,
wie ich, die Schlachthäuser und Packräume Armours
aufmerksam durchwandert hat, der wird doch sagen
müssen, daß entweder Mister Sinclaire ein arger Schwarzseher
und Schwarzmaler sein, oder daß die Gesellschaft
sich sein Buch inzwischen zu Herzen genommen und
durchgreifende Verbesserungen gemacht haben müsse.
Denn so wie das Unternehmen sich heute präsentiert,
bedeutet es einfach einen bisher unerreichten Gipfel in
bezug auf sinnreichste Ausnutzung der Maschine und
der menschlichen Arbeitskraft, auf Reinlichkeit, strengste
Disziplin und restlose Ausnutzung des verarbeiteten
Materials.
An einem schönen klaren Wintertage brachte unser
Chicagoer Gastfreund mich und meine Frau zu Armours
und ersuchte einen ihm bekannten Beamten der Firma,
uns herumzuführen. Es war zufällig derselbe Herr,
der auch unseren Prinzen Heinrich geführt hatte. In
der stolzen Haltung des freien Bürgers der größten
Republik der Welt, d. h. die Hände in den Hosentaschen,
eine ungeheure Havannanudel aus dem Mundwinkel
herauslakelnd, machte uns dieser Herr zunächst einmal
das Kompliment, daß unser kaiserlicher Prinz ein feiner
Kerl – a fine fellow – sei. Man habe ihn vorher instruiert
gehabt, den hohen Herrn mit „Your Royal Highness“
anzureden; aber daran habe er sich nicht gewöhnen können,
und es habe offenbar dem Prinzen ganz gut gefallen,
einmal einfach wie irgendein anderer besserer Herr von
anständiger Familie behandelt zu werden. Wir wurden
darauf sofort in den Mittelpunkt der Hölle geleitet. Sehr
vernünftiges amerikanisches Prinzip: denn wer dieses
Schrecknis, ohne einen Nervenchok zu kriegen oder wenigstens
in Ohnmacht zu fallen, aushält, dem kann überhaupt
auf dieser Wanderung nichts Schlimmes mehr passieren.
Der Mittelpunkt der Hölle.
Eine schwere schmale Tür wird aufgestoßen; eine
heiße Welle von süßlichem Blutdunst schlägt über unseren
Köpfen zusammen, und das furchtbare, wahnsinnig verzweifelte
Todesgekreisch der Schweine betäubt uns die
Ohren, zerreißt uns das Herz. Wir stehen auf einer hohen
schmalen Holzgalerie, die dick mit Sägespänen bestreut
ist, und schauen zwei Stockwerke tief hinunter. Dicht
an der Mauer im ersten Stockwerk unter uns dreht sich
langsam eine riesige, metallene Scheibe, über die eine
schwere, eiserne Kette läuft. Aus einem dunkeln Raum
unter der Galerie, den wir nicht übersehen können, werden
die Schweine von riesenstarken Fäusten eines nach dem
anderen gepackt und ein an der Kette schwebender Haken
um einen ihrer Hinterschenkel befestigt. Im nächsten
Augenblick wird das Tier emporgehoben und mit dem
Kopf nach unten, aus Leibeskräften strampelnd und
schreiend, über die große Scheibe weggeführt. Auf der
anderen Seite dieser Scheibe steht der Metzger. In dem
Augenblick, wo die unendliche, sich langsam fortbewegende
Kette das Tier an seinen Standort bringt, führt er den
Todesstoß in den Hals aus. Ein dicker Blutstrom schießt
heraus. Der Mann ist über und über mit Blut bespritzt;
er hat hohe Stiefel an und steht bis an die Knöchel in
einem Bluttümpel. Ein zweiter Mann in seiner Nähe
hat die Aufgabe, mit einem großen Besen das Blut in ein
Loch im Estrich hineinzufegen; in einem unterirdischen
Bassin wird es zur weiteren Verwertung aufgefangen.
Alle paar Sekunden passiert ein Schwein den Schlächter,
so daß er in den wenigen Stunden, die seine Arbeitszeit
dauert, Hunderten den Garaus macht. Der Mann ist
der höchstbezahlte Arbeiter des Unternehmens, ein Meister
in seinem gräßlichen Fache; aber unfehlbar ist seine
Hand natürlich doch nicht, und manche der gestochenen
Tiere zappeln und schreien noch eine ganze Weile weiter.
Lange währt ihre Qual jedoch auf keinen Fall, denn die
Kette führt sie in die untere Etage hinunter, und da werden
sie abgeladen in ein gewaltiges Bassin voll kochenden
Wassers. Darin sieht man von oben die weißen Schweineleichen
in dichtem Gedränge durcheinanderquirlen, und
wenn sie an der Kette wieder nach oben schweben, so
sind sie bereits so sauber abgebrüht, wie man sie in unseren
Metzgerläden in der Auslage hängen sieht. Kein Unterschied
mehr zwischen schwarzen, gelben, grauen und
gescheckten Schweinen. Blaßrosig, starr und schwach
dampfend kommen sie in Abständen von etwa 2 Meter
wieder in die obere Etage heraufgeschwebt. Wir verlassen
die Schreckenskammer und schreiten auf unserer
erhöhten Schaugalerie in einen großen, lichten Saal hinein.
Da stehen auf einem schmalen Podium an der Fensterseite
die Arbeiter mit ihren scharfen Messern, Äxten,
Knochensägen und Lötlampen auf ihren Posten, und
während die Kette in langsamer Vorwärtsbewegung das
Schwein an ihm vorbeiführt, verrichtet jeder mit sicherer
Hand immer dieselbe ihm zugewiesene Arbeit. Der erste
führt einen Bauchschnitt der ganzen Länge des Körpers
nach aus, der zweite rafft mit einem Griff die Gedärme
heraus, der dritte schneidet den Kopf durch bis auf den
Knochen, der vierte sägt den Halswirbel durch, ein anderer
sengt mit der Lötlampe die etwa noch übriggebliebenen
Borsten weg – und so fort. Am Ende des Saales beschreibt
die Kette einen Bogen, um ihn dann in entgegengesetzter
Bewegung noch einmal zu durchlaufen, und am
Ende dieses ganzen Weges ist das Schwein sauber zerlegt,
die Speckseiten herausgelöst, die Schinken, die Hacksen
zur besonderen Verwendung beiseite gepackt.
Schlachtverfahren beim Rindvieh.
Ganz ähnlich ist der Hergang in dem Riesenraum, in
welchem die Rinder bearbeitet werden. Aus einer Falltür
werden sie von unten heraufgehoben und durch einen Schlag
mit einem Hammer auf den Kopf betäubt. Nach dem
Grausen der Schweineschlächterei wirkt diese Art des
Massenmords geradezu zart gedämpft, man möchte fast
sagen, liebenswürdig diskret, denn das Rind schreit nicht,
es ist betäubt, bewegungslos noch bevor es ihm zum
Bewußtsein kommt, daß es in den Tod zu gehen bestimmt
ist. Gewaltige Maschinenkraft hebt das schwere, bewußtlose
Tier an den Hinterfüßen in die Höhe, und an der
dicken Ankerkette bewegt es sich langsam durch den
großen Arbeitssaal. Am Kopfe hängt jedem Tier ein
Eimer, in dem das Blut beim Schlachten aufgefangen
wird, und so geschickt verrichten die Schlächtergesellen
ihre Arbeit, daß man in diesem Saale, mit den Augen
wenigstens, fast kein Blut gewahr wird. Da in dem
mächtigen Rindskadaver die Arbeit nicht so geschwind
von statten geht, wie bei dem Kleinvieh, so hängen die
Rinder in großen Abständen an der Kette, und jeder
Arbeiter geht dem ihm zugewiesenen Stück so lange nach,
bis sein Anteil an dem Werk des Abhäutens, Zersägens
und Zerteilens verrichtet ist. Der Grundsatz der Arbeitsteilung
ist strikte durchgeführt. Ein Arbeiter hat nie
etwas anderes zu tun, als das Rückgrat von oben bis unten
durchzusägen, ein anderer nur das Abhäuten zu besorgen
– und wehe dem, wenn er das wertvolle Fell durch einen
ungeschickten Messerstich verletzt; sofortige Entlassung
ist seine Strafe.
Der Zweck heiligt die Mittel.
Von den Schlachträumen gelangen wir tiefaufatmend
in die frische Luft. Über hölzerne Brücken und Viadukte,
auf denen Schmalspurbahnen laufen, die die verarbeiteten
Fleischteile von einem Raum zum andern befördern, gehen
wir in die Packhäuser hinüber, wo das gekochte, geräucherte
und eingepökelte Fleisch in die bekannten Blechdosen verpackt
wird. Maschinen von fabelhafter Präzision verfertigen
vor unseren Augen die Tausende und Abertausende von
Blechgefäßen, und die einzige Menschenarbeit, die hierbei
in Anspruch genommen wird, ist das letzte Verlöten des
Deckels und das Bekleben der Dosen mit den schönen,
buntgedruckten Papieretiketten. Das Schlußstück in
der seltsam aufregenden und dennoch bezaubernden
Schau ist der Saal, in welchem nette junge Mädchen in
weißen, steif gestärkten Häubchen und blendenden Kleiderschürzen
an langen Tischen sitzen, mit feinen weißen
Händen die dünnen Fleischscheiben, die die lautlos arbeitende
Maschine vor jedem einzelnen Arbeitsplatz im unfehlbaren
Rhythmus hinstreut, in die Blechbüchsen verpacken.
Die tadellose Sauberkeit dieser Mädchenhände
wird dadurch sinnfällig gemacht, daß nicht nur reichliche
Wascheinrichtungen dem Beschauer sofort ins Auge
fallen, sondern daß in einer Ecke des Saales auf einer
erhöhten Tribüne eine artige Maniküre fortwährend an
der Arbeit ist, um die Fingernägel zu säubern und streng
vorschriftsmäßig im Verschnitt zu halten. Diese Maniküre
und jener infamste Schurke Dollaricas, nämlich der Leit –
hammel, stehen also als symbolische Gestalten am Eingang
und am Ausgang einer der gewaltigsten industriellen
Unternehmungen der Erde: brutalste Rücksichtslosigkeit
und raffinierteste Delikatesse reichen sich die Hand zur
Vollendung eines notwendigen Menschenwerkes. Der
Zweck, nämlich die Versorgung der Menschheit mit tadellos
zubereiteter Fleischspeise, heiligt die Mittel, und die
Mittel heiligen wiederum auch den Zweck; denn um mir
die gutgepökelte Zunge in sauberer, luftdicht verschlossener
Büchse auf den Tisch zu setzen, haben Menschenwitz und
Menschenfleiß ihr Letztes hergegeben und durch geniale
Ausnützung des Materials und Hinaufsteigerung aller
Energien zu äußersten Leistungen das blutige Chaos in
vollendete und darum ästhetisch wirkende Harmonie
verwandelt.
Baedekereien für Amerikafahrer.
Tragikomödien des Grünhorns.
Während meines Aufenthaltes in New York geschah
es, daß ein aufgeweckter Marschbauer, irgend so ein
deftiger Klaas Petersen, oder wie er nun heißen mochte,
mit der ganz gescheiten Absicht herüber kam, sich für die
etlichen 30 oder 40000 Mark, die er aus dem ererbten
Bauerngut herausgewirtschaftet hatte, im fernen Kansas,
Oklahama oder sonst einem der neuen Staaten, wo das
Land noch spottbillig ist, eine große Farm zuzulegen.
Der Mann war in der Vollkraft seiner Jahre, verließ sich
auf seine derbe Faust, seinen klaren Dickkopf und seinen
deutschen Fleiß und hatte guten Grund, anzunehmen,
daß er schon in ein paar Jahren Frau und Kinder würde
nachkommen und aus dem vollen an dem stolzen Herrenleben
eines Großgrundbesitzers im Lande der Freiheit
teilnehmen lassen können. Der Mann hatte in seiner
biederen Offenheit auf dem Schiffe aller Welt erzählt,
wieviel er bei Heller und Pfennig wert sei, und der Kapitän,
der es gut mit ihm meinte, hatte ihm für seinen Einzug
in die Fünfmillionenstadt einen sicheren Begleiter in
Gestalt eines seiner Offiziere mitgegeben. Der nahm
Klaas Petersen freundschaftlich unter den Arm und führte
ihn zunächst einmal die Kellertreppe zur Subway, der
Untergrundbahn hinunter, welche unter dem Bette des
Hudson hindurch Brooklyn mit New York verbindet und
dann in zwei Ästen die ganze Manhattaninsel bis in die
ferne Vorstadt Bronx durchzieht. Als aber Klaas Petersen
über das Treppengewirr und durch das Menschengewimmel
hindurch in einen der Riesenwagen hineinbugsiert war
und nun in drangvoll fürchterlicher Enge, eingekeilt
zwischen hinter riesigen Zeitungen verschanzten Negern,
Chinesen, Italienern, Russen und glattrasierten Yankees
stand, als der elektrische Zug donnernd in die schwarze
Felsenhöhle hineintauchte und dort mit unheimlicher
Schnelligkeit um die Kurven schlingerte, da fing Klaas
Petersen aus Dithmarsen bitterlich zu weinen an und
schluchzte: „Ick will nah Huus! dor speel ick nich mit. –“
Und dabei blieb’s; er wollte keine Vernunft annehmen.
Mit dem nächsten Schiffe kehrte er tatsächlich wieder
heim.
Noch übler erging es einem anderen Grünhorn, das
sich auf seinen eigenen Witz verließ und bei Brooklyn-Bridge
einen Trambahnwagen bestieg, um über die berühmte
Brücke nach Brooklyn zu fahren, wo er einen
Landsmann aufsuchen wollte. Und er kam auch über die
Brücke, aber er verstand nicht, was der Schaffner ausrief,
und traute sich nicht aufs Geratewohl auszusteigen; und
ehe er sich’s versah, war er wieder auf der Brücke, denn die
Trambahnlinie bildet eine geschlossene Schleife. Da er
ein Gemütsmensch war, gedachte er in Ergebung hinzunehmen,
was der Herr in seinem unerforschlichen Ratschluß
über ihn beschlossen hätte. Er fuhr also auf der
großen Schleife hin und her, Tag und Nacht, drei Tage
lang. Schließlich mußte man ihn aus Mitleid erschießen,
da er sonst verhungert wäre.
Wenn du mir diese traurige Geschichte nicht glauben
magst, lieber Leser, so laß es bleiben. Deswegen bleibt es
doch als unumstößliche Wahrheit bestehen, daß du in
Amerika unmöglich bist, sofern der Himmel dich zu einem
Junker Träuminsblau geschaffen oder deine Eltern dich
mit der Zipfelmütze bis über die Nase und einem schönen
Brett vorm Kopf in die Welt entlassen haben. Bist du
aber kein Muttersöhnchen, das in der Bangbüx bebbert,
sondern ein gesunder Frechdachs mit offenen Sinnen und
nicht zu viel Vertrauensseligkeit, so kannst du dich dreist
in das Abenteuer stürzen. Bist du ein armer Teufel, der
drüben sein Glück machen will, so wappne dich mit Humor
und Wurstigkeit, schäme dich keiner Arbeit und laß die
Ohren nicht hängen, wenn es dir in einem Fach mißlingt.
„Let us try another chance“ sagt der Amerikaner in diesem
Falle, und das sag du auch und pfeif drauf. Willst du aber
zu deinem Vergnügen und zu deiner Belehrung dich drüben
umschauen, so tue Geld in deinen Beutel, viel Geld –
noch viel mehr Geld! Denn wisse, daß für den nicht seßhaften
Menschen drüben die meisten Dinge doppelt und
viele viermal so viel kosten wie bei uns. Für ein Seidel
Würzburger Hofbräubier oder Pilsner, das nur 4/10 Liter
hält, mußt du einen Quarter hinlegen, das ist M 1.–, und
du wirst bald dahin gelangen, diesem Quarter nicht mehr
wehmütig nachzutrauern; denn das amerikanische Bier
enthält zwar Wasser, Malz und Hopfen und sieht schön
braun oder goldgelb aus, hat auch wohl eine verlockende
schneeweiße Rahmhaube auf und der erste Schluck geht
dir lieblich ein, aber bald merkst du, daß es doch kein
Bier ist. Und dann wirst du auch bald finden, daß es sehr
viel leichter ist, die schmalen, schmutzigen, zerknitterten
Papierlappen auf den Tisch zu werfen, als bei uns daheim
ein schönes blankes Zwanzigmarkstück anzureißen; du
mußt nämlich schon sehr weit westlich fahren, bevor du
überhaupt Gold zu sehen bekommst. Mache dir nur ja
nicht etwa die Illusion, als ob du an irgendeiner Stelle
wieder hereinsparen könntest, was du an anderer Stelle
großzügig verschwendet hast. Abgesehen davon, daß der
Knicker und Pfennigfuchser in dem Lande der Milliardäre
höchst verächtlich über die Achsel angesehen wird, kommst
du auch schon aus dem Grunde nicht zum Sparen, weil die
guten Dinge, die zum täglichen Bedürfnis des Gentleman
gehören, durch die ganze Union ziemlich denselben Preis
haben. Du kannst zum Beispiel nicht in einem Hotel
zweiten Ranges wohnen und in einem Restaurant ersten
Ranges speisen, weil es einfach kein Hotel zweiten Ranges
gibt. In den großen Städten wenigstens sind alle Hotels,
denen sich ein besserer Zeitgenosse überhaupt anvertrauen
kann, nach unseren Begriffen erster Klasse, und was
danach kommt, ist nach unseren Begriffen gleich vierter
Klasse. Du kannst auch nicht im Hotel erster Klasse
wohnen und dann anderswo billig essen gehen, d. h. du
kannst es wohl, aber du wirst bald davon zurückkommen.
Denn das billige Essen ist auf die Dauer unmöglich, und
zwischen den Preisen der Speisekarte in einem guten
Hotel und einem anständigen Restaurant gibt es kaum
einen Unterschied. Versuche um Gottes willen auch nicht
mit Trinkgeldern zu knausern, das würde dir übel bekommen;
nicht nur in der Welt der Kellner, sondern in
der breitesten Öffentlichkeit würde es deinem Renommee
schaden. Ein werter Freund und Kollege von mir hatte
sich von Eingeborenen sagen lassen, daß der übliche Satz
für den Kellnertip, wie bei uns, bei kleineren Rechnungen
zehn Prozent betrage. Seine erste Konsumation im Hotel
bestand in einem belegten Brötchen mit einem Schnitt
Bier, wofür er 70 Cent = M 2,80 bezahlen mußte. Gewissenhaft
wie er war, suchte er 7 Cent zusammen und
schob sie reinen Herzens dem waiter zu. Der starrte erst
mit verdächtigem Grinsen auf das Sümmchen hin, dann
lief er zum Oberkellner, beriet sich längere Zeit mit ihm
und kehrte endlich zurück, um die 7 Cent zwar ohne
Dank, aber mit den sichtbaren Zeichen einer unangemessenen
Fröhlichkeit einzustreichen. Am andern Morgen
stand es in sämtlichen New Yorker Blättern, daß der
beliebte deutsche Dichter 7 Cent Trinkgeld gegeben habe.
Und wo immer unser lieber Landsmann erkannt wurde,
lachten ihm die Kellner frech ins Gesicht. Merke dir also,
lieber Landsmann, besonders wenn du aus München
kommen solltest, wo die Kati schon für drei Pfennige danke
schön sagt, daß man unter zehn Cent überhaupt keiner
Hilfskraft in der Ernährungsbranche anbieten darf, und
daß man das Trinkgeld immer nach oben bis zur nächsten
durch zehn teilbaren Ziffer abrunden muß.
Unangebrachte Sparsamkeit.
Du darfst ruhig Piefke heißen und in Schmierölen
machen und brauchst dich doch keinen Moment zu besinnen,
in den vornehmsten Hotels einzukehren. Wenn
du halbwegs wie ein besserer Zeitgenosse aussiehst und
weder die Sauce mit dem Messer aufschleckst, noch den
Kompotteller ableckst, so wirst du auch in der allerprominentesten
Gesellschaft geduldet werden. Für fünf
Dollar bekommst du überall ein anständiges Zimmer mit
Bad, und wenn du dich mit deiner Frau Gemahlin gerade
gut stehst, kannst du für denselben Preis sie auch mit
hinein nehmen, denn die Betten sind immer reichlich
zweischläfrig. Nur wenn du vielleicht so weit gehen
wolltest, auch deine Kleinen noch mit querzulegen, so
würde man das vielleicht als einen Mißbrauch der Gastfreundschaft
betrachten und dir einige Dollars extra
tschardschen. Aber wer reist überhaupt mit Kindern nach
Amerika?!
In der Lobby.
Das Hotel spielt im amerikanischen Stadtleben eine
ganz andere Rolle wie bei uns. Es ist ein gesellschaftlicher
und geschäftlicher Treffpunkt, und die Lobby,
d. h. die Vorhalle im Erdgeschoß mit ihren massenhaften
Schaukelstühlen, Klubsesseln, Zeitungs-, Zigarren- und
sonstigen Verkaufsständen, spielt dieselbe Rolle, wie der
Barbierladen im antiken Athen und Rom und wie das
Caféhaus in Österreich. In der Lobby befinden sich auch
Sekretariat und Kasse des Hotels sowie Auskunftei
und Ausgabestelle für die Post. Die größeren Häuser
haben sogar eine eigene Telephonzentrale für die Vermittlung
des riesigen Gesprächsverkehrs innerhalb des Hauses
wie mit der näheren und ferneren Außenwelt, und was man
dir nicht mündlich durch den Draht ausrichten kann, das
wird dir auf elektrochemischem Wege schriftlich gegeben.
Selbst in den mittleren Städten haben die guten Hotels
selten unter zehn Stockwerken. Eine ganze Anzahl von
Lifts flitzen Tag und Nacht herauf und herunter vom
Keller, wo der Barbier, die Manikure, der Wichsier dich
bearbeitet, bis hinauf zum Dachgarten, wo du in schönen
warmen Sommernächten bei Musik und feenhafter Beleuchtung
dein Nachtmahl einnehmen kannst. In der
Lobby aber und in den angrenzenden Restaurationsräumen
laufen fortwährend kleine niedliche Pagen mit
Zerevismützchen auf den Kinderschädeln herum und
quarren die Namen der Leute aus, für die ein Besuch oder
eine Depesche da ist, oder die am Telephon verlangt
werden usw. usw. Da sich in der Lobby jedermann aufhalten
kann, auch wenn er nicht im Hause wohnt, so kann
man ruhig bei bösem Wetter dort hineinflüchten, sich eine
Zeitung und eine Zigarre kaufen und in einem Schaukelstuhl
Platz nehmen, bis es sich ausgeregnet oder gar ein
Blizzard sich ausgetobt hat. Man trifft sich dort morgens
mit seinen Geschäftsfreunden und abends mit seinem
Liebchen. Bauernfänger, Detektivs und Reporter wimmeln
in Scharen dort herum. Die letzteren holen sich drei
Viertel ihres Stoffes in der Lobby. Sie liegen auf der Lauer
bei dem Clerk, der das Fremdenbuch führt, in das jeder
neu ankommende Gast sich einschreiben muß, und stürzen
sich auf ihn, sofern er nur irgendwie prominenzverdächtig
oder weit hergereist ist oder sich durch einen europäischen
Titel auffällig gemacht hat. Sie haben Augen und Ohren
überall, stenographieren in ihr Taschenbuch, was sie an
Gesprächen der Politiker, der Spekulanten, der Weltreisenden
und der Klatschbasen erlauschen können, beschreiben
die Toilette und das Gepäck reisender Künstlerinnen
und konstruieren sich ganze Romane aus dem
bloßen Mienenspiel aufgeregt flüsternder Leute.
Jeder, der es irgend afforden kann, kehrt in den
großen Hotels ein, selbst Menschen, die man bei uns zu
den kleinen Leuten rechnen würde, und reiche Leute, die
auf dem Lande oder in den Kleinstädten wohnen, aber oft
in der Hauptstadt zu tun haben, lassen sich sogar jahrein,
jahraus ein Zimmer für sich reservieren. Folglich sind
die Hotels immer voll und amüsant für jeden, der kein
Menschenfeind ist. An Bequemlichkeiten und Luxus wird
dir für deine europäischen Begriffe Fabelhaftes geboten.
Bad und Telephon in jedem Zimmer sind selbstverständlich;
ein Transparent leuchtet auf und zeigt dir an, daß Briefe
für dich in der Office sind, und was das Allererstaunlichste
ist – jeden Abend wird dein Bett frisch bezogen, als ob
du ein Milliardär oder ein Erzschweinepelz wärst! Nur
deine Kleider mußt du dir selber reinigen, wenn du nicht
M 2 extra dem Hausschneider dafür bezahlen willst,
und die Stiefel mußt du dir im Keller oder auf der Straße
putzen lassen. Was aber das Schönste ist: du kannst
ruhig abreisen ohne durch ein Spalier von Trinkgeld
heischenden Bediensteten Spießruten laufen zu müssen.
Dem Hausdiener, der deine Koffer dir aufs Zimmer schleppt,
gibst du eine Kleinigkeit auf frischer Tat, und wenn du
ein Menschenfreund bist, erfreust du gelegentlich den
Liftboy mit einem Tip. Selbstverständlich kannst du
auch im Office dein Bahnbillett und dein Gepäck besorgen
lassen, und wenn du als Neuling Schwierigkeiten mit dem
Zurechtfinden oder mit den Behörden hast, so wird dir
ein sehr feiner Gentleman zur Verfügung gestellt, der dich
sicher geleitet und für dich redet, wo du etwa mit deinem
Englisch nicht auskommst. Der Gentleman behandelt
dich und du ihn wie seinesgleichen, und du brauchst ihm
nichts in die Hand zu drücken – er steht nachher auf
deiner Rechnung. Alles, was du im Hause verzehrst,
bezahlst du bar, und es steht dir vollkommen frei, deine
Mahlzeiten einzunehmen, wo du willst.
Das Astorhotel.
Wenn du ein Deutscher bist, so wirst du wahrscheinlich
bei der Ankunft in New York deine Schritte zunächst
ins Astorhotel lenken, und du wirst gut daran
tun, sintemal du bei dieser Gelegenheit gleich erfahren
kannst, wie herrlich weit aus kleinsten Anfängen heraus
es ein intelligenter, tatkräftiger Deutscher drüben
bringen kann. In dem Hotel der Gebrüder Muschenheim,
aus dem hessischen Dörfchen gleichen Namens,
findest du nicht nur all den hier geschilderten Luxus
und Komfort, sondern auch für dein ästhetisches
Bedürfnis in dem großen Festsaal eine der schönsten
Orgeln der Welt, die täglich von Künstlern ersten Ranges
gespielt wird, und im Grillroom etwas für deinen historischen
Sinn, nämlich ein geschmackvoll zusammengestelltes
Museum, das dir über Leben und Treiben der
Indianer in Vergangenheit und Gegenwart einen höchst
lebendigen Anschauungsunterricht erteilt. – Kommst du
aber weiter ins Land hinein, in die mittleren und kleineren
Städte, so erkundige dich ja, bevor du dich in das Fremdenbuch
einträgst, ob das Haus in europäischem oder amerikanischem
Stil geführt wird; andernfalls kann es dir so
ergehen wie mir in einer kleinen Stadt Wisconsins. Ich
wurde mit meiner Frau in einem der besten Zimmer eines
neuen Anbaues zu dem angeblich ersten Hotel der Stadt
untergebracht. Außer dem großen Bett stand kein Möbel
in diesem Zimmer fest auf seinen vier Beinen, das vierte
war nur angelehnt, wenn überhaupt vorhanden. Auf der
frisch gekalkten Wand prangten als einziger Schmuck
zwei interessant umrissene Flecke, der eine vom Wasser,
der andere vom Rauch herrührend; ein Bad gehörte selbstverständlich
auch zu diesem Staatszimmer, es war aber
mehr ein Badloch zu nennen, und die Wanne darin war,
(ich habe sie ausgemessen), 47 cm lang. Wenn man seine
Knie bis ans Kinn hinaufzuziehen imstande war, konnte
man allenfalls sitzend darin Platz finden. Da wir während
unseres Aufenthaltes zu allen Mahlzeiten eingeladen
waren, so verzehrten wir nichts außer dem Frühstück am
anderen Morgen, d. h. wir hätten dieses Frühstück verzehren
können, wenn man es uns noch verabreicht hätte,
was aber nicht der Fall war, da wir erst nach neun Uhr im
Restaurant erschienen. Wir mußten also in die Stadt
gehen und in einer Konditorei frühstücken. Die Rechnung
betrug 7 Dollar, also nahezu M 30.– für ein Bett, einen
Tisch mit drei Beinen, zwei Flecken und ein Quetschbad!
Ich konnte nicht umhin, meinem Erstaunen Worte zu
leihen. Da entgegnete mir der Clerk im Office seelenruhig:
„Ja, warum haben Sie denn nichts verzehrt hier?
Das ist Ihr Pech. Sie hätten für die 7 Dollar essen können,
soviel Sie wollten, von morgens bis abends. Wir haben
nämlich amerikanischen Plan hier.“ Und die ganze Menschheit
in der Lobby quietschte vor Vergnügen über die lange
Nase, mit der ich abziehen mußte. Jetzt also, lieber Leser,
weißt du, was american plan ist.
Kundenfang der Eisenbahnen.
Wenn du nur einigermaßen prominent bist oder durch
sonst welche auffälligen Eigenschaften die
Aufmerksamkeit der Reporter auf dich gelenkt hast, so kannst du
die Freude erleben, am Tage nach deinem Einzug ins
Hotel in den Morgenblättern eine schmeichelhafte Beschreibung
deines Exterieurs, eine Würdigung der Vorzüglichkeit
deines eventuellen Schmieröls und außerdem
deine Ansicht über Amerika zu lesen. Unter anderen Folgen
solcher frisch gebackenen Popularität wird sich auch ein
Gentleman in tadellosem Anzug mit liebenswürdigen
Manieren befinden, der dir seinen Besuch macht und sich
erbietet, dir gänzlich kostenlos deine ganze Reiseroute
auszuarbeiten und die nötigen Fahrkarten nebst den
Beikarten für Pullmanwagen und Bett zu besorgen.
Du bist natürlich baß erstaunt über diese fabelhafte
Zuvorkommenheit, beschaust dich im Spiegel und begreifst,
wie Gretchen im Faust, nicht, was man an dir
findet. Da läßt sich ein zweiter, ebenso eleganter und
liebenswürdiger Gentleman melden, erkundigt sich ebenfalls,
wohin deine Reise gehen soll und macht dich lächelnd
darauf aufmerksam, daß der Herr, der vorher da war,
dir eine sehr unvorteilhafte Route vorgeschlagen habe;
mit seiner Gesellschaft würdest du schneller, komfortabler
und sicherer reisen. Da hast du des Rätsels Lösung. Da
zwischen den bedeutenden Plätzen der Union fast überall
mehrere Eisenbahnlinien bestehen, so suchen sich die
verschiedenen Gesellschaften ihre Kunden persönlich
einzufangen, obwohl man nicht nur in allen großen Hotels,
sondern auch in den verschiedensten Stadtgegenden in
den eleganten Offices der verschiedenen Gesellschaften
seine Billette vorausbestellen kann. Diese starke Konkurrenz
hat für den Reisenden das Angenehme, daß sich
jede Linie die größte Mühe gibt, ihm so viele Bequemlichkeiten
und Vorteile zu bieten, wie irgend möglich. Wenn
du also zum Beispiel geborener Berliner bist und als solcher
Wert darauf legst, deiner koddrigen Schnauze Bewegung
zu machen, so kannst du während deiner Reise alles bemäkeln,
und wenn du dich irgendwie zurückgesetzt fühlst,
den erschrockenen Oberkontrolleur anfahren: „Wissen
Sie, alter Freund, mit Ihrer verdammten Linie fahre ich
nie wieder, verstehen Sie mich!“ Gegen Langeweile oder
Magendrücken ist eine solche Erleichterung der Galle
recht nützlich. Übrigens ist es immer sehr angenehm,
einen reisegewöhnten Amerikaner zum Beistand zu haben,
denn die Kursbücher sind für den Uneingeweihten sehr
schwer verständlich; außerdem gibt es auch keine.
Die einzelnen Gesellschaften legen ihre Fahrpläne in
möglichst farbenfreudiger Ausstattung in den Hotels auf,
und wenn man eine Reise vor hat, die einen über ein
Dutzend verschiedener Linien führt, so stopft man sich also
zwölf solcher schönen bunten Büchelchen in die Tasche;
man wird aber, wie gesagt, schwer klug daraus, obwohl
sonst alles, was das Verkehrswesen betrifft, von den
Amerikanern überaus praktisch angepackt wird. Wie
prächtig glatt und rasch geht z. B. die Gepäckaufgabe vonstatten!
Durch einen Handgriff deines Koffers wird ein
Lederriemchen oder ein Spagat gezogen, an dem eine
Papp- oder Blechmarke befestigt ist, welche eine Nummer
und den Namen des Bestimmungsortes trägt, das Duplikat
dieser Marke wird dir ausgehändigt. Fertig! Und kostet
nichts, außer wenn du über einen Zentner mit dir schleppst.
An der letzten Station vor deinem Ziel geht ein Mann
durch den Zug und ruft: „Gepäck für Chicago!“, oder was
es nun sein mag. Du gibst ihm deine Marke und nennst
ihm dein Absteigequartier. Fertig! Gibst du zerbrechliche
Gegenstände oder schlecht verpackte Kolli auf, so
mußt du einen Revers unterschreiben, daß du die Bahnverwaltung
nicht für etwaigen Schaden verantwortlich
machen willst. Willst du das nicht, so nimmt man dein
Gepäck nicht mit, oder du mußt es besonders versichern.
Das ist alles sehr vernünftig und nicht zeitraubend.
Im Pullmanwagen.
Die Morgentoilette des Tätowierten.
Von den Bequemlichkeiten des Pullmanwagens hast du
sicher schon so viel gehört, daß ich dir darüber schwerlich
etwas Neues erzählen kann. Verwunderlich ist es nur, daß
in diesem Lande der höchst entwickelten technischen
Kultur doch noch schlechte Gewohnheiten sich erhalten
können, die so fest sitzen wie ein chinesischer Zopf. So
sind beispielsweise auch die schönsten Pullmanwagen
fast immer entsetzlich überheizt und während des ganzen
Winters sind die Doppelfenster hermetisch verschlossen.
Die einzige frische Luft, die hereinkommt, ist der Zug,
der auf der Station durch das Öffnen der Außentüren
entsteht. Bevor du an deinem Bestimmungsort ankommst,
nimmt dich der aufwartende Neger in Behandlung, klopft
deinen Überzieher aus und bürstet dich von oben bis
unten sorgfältig ab. Das ist nun sehr hübsch von ihm, und
du gibst ihm gern seine 20 Cent dafür, aber – die Zurückbleibenden
müssen deinen Staub schlucken! Man kann
sich die Atmosphäre am Ende einer langen Reise vorstellen!
In der Nacht ist die Staub- und Hitzplage natürlich
noch viel ärger, weil da die Türen seltener aufgemacht
werden. Ich begreife überhaupt nicht, wie europäische
Reisende die Schlafeinrichtung der Pullmanwagen bewundern
können. Man liegt nämlich nicht, wie bei uns,
quer, sondern längs in zwei Reihen übereinander, und zwar
ohne Unterschied des Standes, Alters oder Geschlechts.
Für die Ruhe soll es freilich vorteilhafter sein, die Stöße
des Wagens in der Längslage abzufangen, und die Betten
sind auch breiter als bei uns; aber man wird ganz und
gar hinter dicke, natürlich mehr oder minder staubige
Vorhänge versteckt, deren Schlitz man, wenn man
glücklich in sein Bett geturnt ist, von oben bis unten zuknöpfen
muß. Ich fühlte mich einmal dem Ersticken nahe und
konnte vor Atemnot kaum noch nach dem Neger schreien.
Als ich den um Himmels willen bat, doch wenigstens die
Ventilationsklappe zu öffnen, erklärte er achselzuckend,
es sei eine Dame mit einem verschnupften Kind im Wagen,
die habe sich die Ventilation strengstens verbeten. Gegen
S. M. „das Kind“ gibt es keinen Appell in Amerika.
Wenn das Kind verschnupft ist mögen die Großen ersticken
und verrecken. Sehr zu empfehlen ist es, wenn du dir
einen Schlafanzug anschaffst, weil sonst mehr Geschicklichkeit
dazu gehört, das Bedürfnis nach Ausgezogenheit mit
der Genierlichkeit in Einklang zu bringen, als der Anfänger
zu besitzen pflegt. Allerdings befinden sich an beiden
Enden der riesengroßen Wagen sehr geräumige Toiletten,
in denen vier bis sechs Menschen gleichzeitig sich aus- oder
ankleiden können; aber wenn man nicht praktisch
im american style ausgerüstet ist, so weiß man doch nicht,
wohin mit seinen Sachen, und wie man im Nachtzustande
über eine Dame weg in seine luftleere Angstkammer
kriechen soll, ohne den Anstand zu verletzen. Die Damen
haben das leichter, die ziehen sich bis auf die Combinations
im Toilettenraum aus und werfen einen Schlafrock drüber.
Früher pflegten sie die Strümpfe anzubehalten und ihr
Geld darin zu verwahren. Die schlauen Niggers wußten
das und verstanden mit leichter Hand unter die Bettdecken
zu fahren und tiefschlafenden Damen die Strümpfe
zu erleichtern. Neuerdings rentiert sich aber dies Geschäft
nicht mehr, ebensowenig wie das Ausrauben der Passagiere
mit vorgehaltenem Schießeisen, weil kein Mensch mehr
Geld bei sich trägt als er gerade für die Reise nötig hat.
Heutzutage hat jeder Mensch sein Scheckbuch bei sich
und damit kann der Räuber nichts anfangen. (Wenn du
also nach den Vereinigten Staaten kommst, so sei dein
erster Gang zu einem gut empfohlenen Bankhaus, wo du
dein Geld deponierst und dir ein Scheckkonto eröffnen
läßt.) Nebenbei kannst du im Pullmanwagen lernen,
was amerikanische Reinlichkeit ist. Ich werde nie die
umständliche Morgentoilette eines herkulischen Gentleman
nach einer Nachtfahrt vergessen. Der Mann war
sicherlich weder ein Gesandtschaftsattaché, noch sonst
ein Kulturgigerl, sondern, seinen reich tätowierten Armen
und Händen nach zu schließen, eher ein Metzger oder
Viehhändler. Der Kerl wusch sich vom Kopf bis zu den
Füßen, rasierte und frisierte sich, putzte Zähne, Ohren,
Nägel, daß es wirklich eine Freude war, ihm zuzuschauen.
Er nahm sich eine ganze Stunde Zeit dazu und behandelte
seinen ungeschlachten Leib mit der Liebe und Sorgfalt
eines Künstlers, der die letzte Feile an sein Werk legt.
Ich vermute, bei uns gibt es Durchlauchten, die von der
Akkuratesse dieses Viehtreibers profitieren könnten. –
Übrigens geht so eine amerikanische Nachtfahrt auch
dadurch arg auf die Nerven für jeden, der kein geborenes
Murmeltier ist, daß die Glocken und Pfeifen der Lokomotiven
fortgesetzt einen greulich aufgeregten Lärm
vollführen, bei dem einem angst und bange werden kann.
Sie müssen nämlich alle Augenblicke Warnungssignale
geben, weil es fast nirgends Schranken gibt; Fahrstraßen
sowohl wie andere Eisenbahnlinien kreuzen sich auf freier
Strecke ohne Unter- oder Überführung. Da wird der
nervöse Europäer schwer den Gedanken los, daß ihm
plötzlich ein anderer Expreßzug rechtwinklig durch
seinen werten Unterleib fahren könnte. Nein, alles was
recht ist, aber Nachtfahrten sind nur in Rußland, Schweden
und Norwegen wirklich komfortabel.
Vom Küssen und von der Höflichkeit.
Am bequemsten, sichersten und billigsten reist du
in den Vereinigten Staaten, wenn du den Vorzug hast,
weiblichen Geschlechts zu sein. Niemand dürfte es da
drüben wagen, einer Dame zu nahe zu treten. Jedermann
ist auf einen Wink ihr zu jedem Dienst erbötig, und wenn
sie einen Kavalier bei sich hat, so ist es seine verfluchte
Pflicht und Schuldigkeit, alles für sie zu zahlen. Ich habe
ein einziges Mal in Amerika einen wilden Wortwechsel
erlebt, der in Tätlichkeiten auszuarten drohte; das war
in einem überfüllten Straßenbahnwagen in New York.
Eine gut angezogene, nette Negerin des besseren Mittelstandes
versuchte durch die dicht gedrängt stehenden
Menschen den Ausgang zu gewinnen. Da rief eine Männerstimme:
„Let the ladys get out first!“ – und eine andere
Stimme höhnte dagegen: „Let the Niggers get out first.“
Und nun platzten über die Doktorfrage, ob eine Negerin
auch zu den Damen zu rechnen sei, die Leidenschaften
wild aufeinander! – Merke dir auch, mein Freund, daß
du Damen deiner Bekanntschaft auf der Straße nicht
zuerst grüßen darfst, das würde für eine Anmaßung angesehen
werden; du mußt abwarten, ob sie die Gnade
haben wollen, dich noch zu kennen. Du darfst auch ein
Weib nicht bewundernd anstarren, und sei es noch so schön.
Hast du aber die Bekanntschaft einer Dame in Gesellschaft
oder im Familienkreise gemacht, und würdigt sie
dich ihres freundlichen Interesses, so brauchst du dich
auch nicht so zimperlich mit ihr anzustellen, wie bei uns.
Handküsse sind nicht üblich, wohl aber ein ungeniertes
festes Anpacken. Wird dir z. B. die Aufgabe zuteil, eine
Dame durch gefährliches Straßengewühl zu geleiten, so
packst du sie fest am Oberarm und schiebst sie wie einen
Karren vor dir her; das ist sicher und für beide Teile angenehm.
Hast du dir gar Freundinnen in den besseren
Kreisen erworben, so kannst du sie ungeniert zum Theater
oder zum Soupieren oder zu einem Ausflug und dergleichen
einladen, ohne eine Mutter oder eine Tante als Begleitung
befürchten zu müssen. Wenn du von deinen Freundinnen
wohlgelitten bist, kannst du dir alle möglichen Vertraulichkeiten
herausnehmen, ohne daß sie selbst oder die Familie
deswegen auf deinen Antrag lauert. Nur mit dem Küssen
sei vorsichtig; denn das Gesetz mancher Staaten betrachtet
den Kuß als Heiratsversprechen, als tätliche Beleidigung
oder Körperverletzung und brummt dir pro Stück eine
beträchtliche Geldstrafe auf. Natürlich gibt es aber auch
nette Amerikanerinnen, die gern und gratis küssen.
Den Hut kannst du fast überall aufbehalten, nicht nur
in der Synagoge, sondern auch in der Lobby des Hotels; aber
im Elevator mußt du ihn stramm herunterziehen, sobald
eine weibliche Person über vierzehn Jahre hereintritt. Im
übrigen wirst du durch dein teutonisches Hutabreißen
und beflissenes Vorstellen nur lächerlich. Mache es
dir zum Grundsatz, von deinen Mitmenschen, solange
sie dir nicht durch einen Dritten offiziell vorgestellt sind,
keinerlei Notiz durch höfliche Formalitäten zu nehmen.
Wenn du einem Bekannten oder Freunde gar auf der
Straße begegnest, so hast du es auch nicht nötig, deinen
Deckel herunterzureißen und deinen Skalp der Unbill der
Witterung auszusetzen, du winkst mit der Hand und
rufst lächelnd: „Hallo, Bobby, how do you do!“, worauf
er gleichfalls winkt und ruft: „Hallo, Fritze, how do
you do!“ Das ist praktisch und macht einen guten Eindruck;
denn vermutlich habt ihr alle beide keine Zeit, und
ist euch auch beiden gänzlich gleichgültig, zu erfahren,
wie es euch geht. Auch vor Hochgestellten brauchst du
keineswegs in Wurmgestalt zu kriechen; dafür verlangt
man aber auch von dir, daß du die sozial untergeordnete
Menschheit nicht hochmütig von oben herunter behandelst.
Der Schatz der amerikanischen Umgangssprache ist reich
an massiven Deutlichkeiten, und wenn du dir herausnimmst,
einen Bediensteten anzuschnauzen, so kann es
dir leicht passieren, daß du mit einer reichlichen Blumenlese
aus diesem Wortschatz beschenkt wirst. Die Quintessenz
der amerikanischen Höflichkeit besteht darin,
daß man sich gegenseitig nicht im Wege ist, daß man
seinem Nebenmenschen nicht seine kostbare Zeit stiehlt,
dagegen in Verlegenheiten sich hilfreich beisteht. Ich habe
gesehen, wie blinde und andere hilflose Personen sogar
auf der Untergrundbahn allein fuhren. Sie können eben
sicher sein, immer jemanden zu finden, der ihnen beim
Ein- und Aussteigen behilflich ist und sie vor Gefahr
bewahrt. Man bekommt auch fast immer klare und
knappe Auskunft, wenn man sich an den ersten besten
Unbekannten wendet, und wenn man ein sympathisches,
vertrauenerweckendes Äußere hat, läßt sogar ein eiliger
stark beschäftigter Großstädter seine Arbeit liegen und
begleitet einen bis an die nächste Ecke. In den kleinen
Dingen der täglichen Notdurft des Verkehrs darf man
auch ruhig auf die Ehrlichkeit seiner Mitmenschen vertrauen;
handelt es sich dagegen um größere Summen, so
reiße deine Augen weit auf und halte deine Ohren steif
wie ein Schießhund.
Hemdärmeligkeit.
Willst du in Amerika ein Geschäft eröffnen, so miete
dir irgendwo im neunten oder neunundzwanzigsten Stockwerk
ein Zimmerchen mit Telephon und Schaukelstuhl und
engagiere dir eine Typewriterin. Sie sind fast alle ungemein
gewandt und vielfach auch sehr hübsch. Alsdann ziehe
deinen Rock aus – denn das tut jeder Amerikaner, sobald
er sein Office betritt, sei es Winter oder Sommer –, zünde
dir eine Importierte an, verbreite deine Beine anmutig
über Tisch und Stühle und beginne zu telephonieren.
Telephonieren und Briefe diktieren füllt die amerikanischen
Geschäftsstunden von 10–5 Uhr vollkommen aus. Da
die Amerikaner meistens gute Geschäfte machen, muß das
Verfahren wohl das richtige sein. Vielleicht liegt es auch
an der Hemdärmeligkeit. Oberster Grundsatz deines
Verhaltens aber sei und bleibe in allen Lebenslagen, solange
du drüben weilst: Nicht mit dem Hut, wohl aber
mit dem Scheckbuch in der Hand, kommt man durch
das ganze Land.
Was können wir von Amerika lernen?
Das Land der absoluten Gegenwart ist für alle Kulturvölker
ein Spiegel, in dem sie deutlich ihre Zukunft sehen
können. Der Fortschrittsgedanke marschiert drüben in
Siebenmeilenstiefeln und hat eine glatte Bahn vor sich,
während unsere Schrittmacher der Entwicklung immer
noch auf Hindernisse stoßen, die die Vergangenheit aufgerichtet
hat, Berge von Vorurteilen, Abgründe von
Dummheit, die nicht immer leicht zu überklettern oder zu
überspringen sind. Wenn wir aber angesichts der drohenden
Überflügelung durch die Neue Welt in allen Fragen der
technischen Zivilisation daran gehen wollten, unsere
Abgründe auszufüllen und unsere Berge abzutragen –
was würden wir damit gewinnen? Eine trostlose Verflachung
unserer Kultur. Ein wirklich gebildeter Mensch
mit historisch und philosophisch geschultem Denken, mit
ästhetischem Bewußtsein und einer idealistischen Weltanschauung
ausgerüstet, wird, mit offenen Augen in jenen
Spiegel hineinschauend, nur sagen können: Gott bewahre
uns vor dieser Zukunft! Er wird einsehen lernen, daß
wir unseren wertvollsten Besitz, nämlich unsere geistige
Kultur, nicht den materiellen Errungenschaften der
Gegenwart, sondern der fernen und fernsten Vergangenheit
verdanken, und daß es gerade jene Hemmungen des
Fortschrittstempos gewesen sind, die den Untergrund für
unser gegenwärtiges Empfinden, Wissen und Können so
überaus solid aufgemauert haben.
Das Rekordfieber.
Wir Europäer haben von Amerika schon mehr gelernt,
als wir wissen und als uns gut ist. Seit nämlich die raum-
und zeitverkürzenden Erfindungen sich zu überstürzen
begannen, also seit drei Jahrzehnten ungefähr, ist von
Amerika her der Rekordwahnsinn in die Welt gekommen.
Fast alle die großen Erfindungen, vermöge deren
wir jetzt Wasser, Erde und Luft beherrschen, sind in der
Alten Welt gemacht und hätten unter allen Umständen die
Wirkung gehabt, das allgemeine Tempo des Lebens zu
steigern; in Amerika aber haben diese Erfindungen, der
ungeheuren Entfernungen wegen, doch die rascheste und
vielseitigste Anwendung gefunden und dadurch auch
stärker als bei uns auf den Charakter der Menschen eingewirkt.
Der Ehrgeiz, alles Neueste sich zu eigen
zu machen und auf allen neuen Gebieten das Vollkommenste
zu leisten, fand durch sie reichste Nahrung,
und der amerikanische Snobismus, der ja wenig Gelegenheit
hat, sich auf dem Felde der Literatur und der
Kunst auszutoben, stürzte sich mit Begeisterung auf den
Kultus der Schnelligkeit und machte den Wetteifer im
Rekordbrechen zum vornehmsten Sport. Da dieser Sport
sehr teuer und sehr gefährlich ist, so sagt er dem Amerikaner,
der ja bessere Nerven besitzt und aufregende Vergnügungen
in viel größeren Quantitäten vertilgen kann,
ganz besonders zu. Er blieb aber mit seinen verrückten
Schnellzugs-, Automobil-, Wasser- und Luftwettfahrten
nicht im eignen Lande, sondern begann an allen internationalen
Wettbewerben teilzunehmen. Sein Sensationsbedürfnis
und seine unverbrauchte Kraft haben das
Rekordfieber in der großen Welt gewaltig geschürt.
Die enorm gesteigerte Schnelligkeit, der großartige geschmackvolle
Luxus der transatlantischen Dampfschiffe
haben die Yankees in immer größeren Scharen zu uns
hinübergelockt, und wo immer sie in größerer Menge auftraten,
zwangen sie durch ihren Reichtum die betreffenden
Orte, sich ihren Ansprüchen anzubequemen. Genau so,
wie ehemals die Reiselust der Engländer und ihr starres
Festhalten an ihren nationalen Gewohnheiten, ihre Unlust
und Unfähigkeit, Sprachen zu erlernen und sich fremden
Sitten anzubequemen, auf die ganze Reise- und Fremdenindustrie
einen starken Einfluß ausübte, so geschieht dies
jetzt noch in höherem Maße durch die größere Kapitalskraft
ihrer amerikanischen Vettern. Während die amerikanischen
Hotels sich allmählich den europäischen Stil
aneignen, bemühen sich jetzt unsere Hotels, sich zu
amerikanisieren. Die Engländer kamen früher sehr häufig
auf den Kontinent, um zu sparen, zeigten sich also hier
geizig; die Amerikaner dagegen sind viel großartiger und
leichtsinniger, als Emporkömmlinge auch protzenhafter.
Das Geldausstreuen an sich macht ihnen das größte Vergnügen;
aber sie verderben nicht nur die Preise, sondern
auch den Stil bodenständiger Kultur, den guten Geschmack,
weil sie überall die Sensation, das Äußerste,
das Unerhörte verlangen. Da sie bereit sind, es gut zu
bezahlen, so sucht man es ihnen zu bieten. Und so kommt
es, daß auch bei uns immer mehr das Schönste und das
Bedeutendste, was unsere Natur und unsere Kunst aufzuweisen
haben, sich dem amerikanischen Snobismus
anzupassen, und was das Schlimmste ist, zu einem Vorrecht
des Reichtums zu werden beginnt. Ich erinnere nur
an Bayreuth, Oberammergau, die Münchener Musikfeste,
die großen Bilder- und Antiquitätenauktionen,
die bekanntesten Schweizer Sport- und Kurorte. Nun
will sich aber der europäische Reichtum nicht gern ausstechen
lassen. Er strengt sich darum aufs äußerste an,
es dem amerikanischen gleich zu tun, und so entsteht ein
gefährlicher Wettbewerb in verschwenderischem Luxus.
Da ferner die tiefste Bildung und der feinste Geschmack
durchaus nicht immer an den Reichtum geknüpft sind,
so machen sich Dilettantismus und Oberflächlichkeit
immer mehr breit, und der Unbemittelte findet es immer
schwerer, sein Bedürfnis nach Kunst- und Naturgenuß
zu befriedigen. Wohl dürfen wir Völker Europas uns
einbilden, daß anspruchsvoller Geschmack und tiefere
Bildung bei uns verhältnismäßig verbreiteter seien, als
in der Neuen Welt; immerhin sind doch aber auch bei uns
die Ungebildeten in der Überzahl, und diese Überzahl
wird leicht verführt durch die glänzende Außenseite, die
amerikanischer Luxus auch den untergeordnetsten Betätigungen
seiner Vergnügungssucht zu geben vermag.
In den Niederungen der dramatischen Kunst, z. B. in der
Operette, im Vaudeville, im Variété, im Zirkus dringt der
amerikanische Geschmack selbst in Deutschland immer
mehr durch. Das Vergnügen an den Sentimentalitäten,
Hintertreppensensationen und Clownspäßen der Lichtbildtheater,
an mechanischen Musikwerken, oder gar an
den scheußlichen sechs Tage-Rennen der Radfahrer, mutet
schon durchaus amerikanisch an.
Ansteckungsgefahr des Snobismus.
Der ausschlaggebende Einfluß des Reichtums in Bezirken,
wo eigentlich nur die Autorität des Wissens und
des Geschmacks bestimmen sollte, bringt das Kulturniveau
in Gefahr. Die stete Aufstachelung zu Leistungen,
die alles bisher Dagewesene rasch überbieten sollen, hindert
die gesunde Stetigkeit der Entwicklung und drängt den
Tüchtigen überall zugunsten des Fixen zurück. Als
Vertreter der Neuen Welt lernen wir bei uns eine glänzende
Auslese von flott und sicher auftretenden geschäfts- und
sportgewandten Männern kennen, in Begleitung reizender,
eleganter, siegessicherer Frauen. Das erweckt in uns die
Meinung, daß diese beneidenswerten Neuweltler, die es
in einer kurzen Spanne Zeit augenscheinlich so viel weiter
gebracht haben als wir, doch wohl in allen Dingen auf dem
richtigen Wege sein müßten, und wir beginnen folglich
uns unserer Langsamkeit, unserer bedächtigen Gründlichkeit,
Sparsamkeit und Bescheidenheit zu schämen.
Wir vergessen dabei, daß gerade das Zusammenwirken
dieser Eigenschaften es ist, was uns heute immer noch
über die glänzende Scheinkultur der Neuen Welt ein
beträchtliches Übergewicht gibt. Wenn wir uns auf den
atemlosen Wettbewerb mit dem Riesenkontinent über
dem Ozean einlassen, so werden wir sicher den Kürzeren
ziehen. Die Quellen unseres nationalen Wohlstandes sind
nicht so unerschöpflich wie die drüben, und wenn unsere
Industrie, unsere Kunst, unser Handwerk ihr Hauptstreben
darauf richten wollten, das unerprobte Neue,
das Unfertige also, nur möglichst schnell an die Stelle
des Alten zu setzen, um anderen Ländern zuvor zu kommen,
so würden unsere Erzeugnisse auf dem Weltmarkt bald
nicht mehr die wichtige Rolle spielen wie heute. Der
Grund, weshalb die Vereinigten Staaten trotz ihrer
kolossalen industriellen Entwicklung immer noch so viele
Dinge von uns zu beziehen genötigt sind, liegt hauptsächlich
darin, daß drüben jenes Erbinventar von Talent,
Geschicklichkeit und Geschmack, durch Handwerksstolz
und Berufstreue von Generation zu Generation bewahrt
und verstärkt, kaum vorhanden ist. Alle diese wertvollen
Vorzüge würden uns aber verloren gehen, wenn wir uns
von dem amerikanischen Snobismus noch weiter anstecken
ließen.
Volkstümliche Bildungsbestrebungen.
Ich habe schon bei der Schilderung des amerikanischen
Zeitungswesens darauf hingewiesen, daß auch
unsere Presse hie und da bereits recht bedenkliche Anläufe
gemacht hat, es in skrupelloser Fixigkeit, wüster Sensationsgier
und Nachgiebigkeit gegen die schlechten Instinkte
der minderwertigsten Leserschaft sogar der gelben Presse
gleichzutun. Auch bei uns beweist die Erfahrung,
daß auf dem Gebiete des geistigen Schaffens die
Schleuderware, wenn sie nur recht billig und einem
ordinären Geschmack entsprechend aufgeputzt ist, durch
den Massenabsatz erheblich mehr einbringt, als das gute,
aber teurere Erzeugnis. Die Massenproduktion von
Zeitungen, welche nicht zusammengeschrieben, sondern
einfach zusammengeklebt, d. h. gestohlen werden, beweist
dies ebenso wie der Massenabsatz von billiger und vielfach
recht minderwertiger Reiselektüre. Wir haben uns
neuerdings in Deutschland erfreulicherweise dazu aufgerafft,
gegen diese Verflachung der Bildung, gegen diese
Herabwürdigung zumal der literarischen Arbeit zum
bloßen Zeitvertreib dadurch anzukämpfen, daß wir überall,
bis in die kleinsten Nester hinein, eine überaus lebhafte
Vereinstätigkeit entwickelt haben, deren Ziel es ist, jedermann
aus dem Volke für ganz billiges Geld wertvolle
Anregung, Belehrung und gute künstlerische Unterhaltung
zu bieten, indem man hervorragende Fachgelehrte und
Künstler zu Vorträgen gewinnt. Außerdem blühen überall
die Volksbibliotheken in erfreulicher Weise auf, und
wirklich wertvolle gemeinnützige Unternehmungen, wie
Reclams Universalbibliothek, stehen schon nicht mehr
vereinzelt da. Durch all diese Unternehmungen wird der
Drang nach Belehrung, nach künstlerischer Erbauung
auch in weite Schichten unseres Volkes getragen, für die
früher die Quellen des Wissens und der Schönheit unerreichbar
waren. Auch auf diesem Gebiete sind wir naturgemäß
erheblich weiter als das Volk in den Vereinigten
Staaten, obwohl auch dort, namentlich durch Gründung
von musterhaft eingerichteten öffentlichen Bibliotheken
und Museen, durch die University Extension und
Gewinnung von tüchtigen Wanderrednern neuerdings sehr
viel in dieser Richtung getan wird. Es ist also wahrscheinlich,
daß uns in nicht allzu ferner Zeit Amerika
auch auf diesem Gebiete eingeholt haben wird. Wollen
wir uns nicht überflügeln lassen, so wird der Richtspruch
unserer Volksbildner ebenso wie der unserer Fabrikanten
heißen müssen: „Qualität, nicht Quantität; nicht vom Neuen
das Neuste, sondern vom Guten das Beste; nicht das
Auffallendste, sondern das Originalste, das Persönlichste,
das Deutscheste bieten.“
Zähigkeit der Rassen.
Wir haben es ja so viel leichter, persönlich, original,
volkstümlich zu sein, denn wir sind ein Volk, als Rasse
zwar auch gemischt, aber in dieser Mischung doch schon
seit Jahrtausenden konsolidiert. Was das alte Europa
für den feinsinnigen Betrachter so unerschöpflich interessant
macht, das ist die unendliche Abwechslung und
Differenzierung im Charakter seiner Völker. Wie die
Mundart schon in verhältnismäßig kleinen Bezirken
wechselt, um innerhalb eines Gebietes, das kaum so groß
ist wie der eine Unionsstaat Texas, so verschiedene Gebilde,
wie etwa das Plattdeutsche und das Oberbayrische zu
erzeugen, so wechselt auch von Gau zu Gau der Charakter
der Bewohner und die Art, wie sich dieser Charakter in
der Bauart, den Sitten und Gebräuchen widerspiegelt.
Eine nordamerikanische Rasse gibt es aber vorläufig
noch lange nicht, und die Behauptung vereinzelter amerikanischer
Gelehrten, daß die Menschheit drüben sich
deutlich dem Indianertypus zu nähern beginne, dürfte
wohl als ein wunderliches Hirngespinst zu betrachten
sein. Die Menschen, die sich in der Neuen Welt zusammengefunden
haben, werden wohl noch auf unabsehbare Zeit
hinaus Engländer, Iren, Schotten, Deutsche, Italiener,
Russen, Juden, Neger usw. usw. bleiben. Ebenso deutlich
wie z. B. die Neger in den Vereinigten Staaten noch nach
ein- bis zweihundert Jahre langem Aufenthalt alle Schattierungen
der Farbe vom Milchkaffee bis zur Schuhwichse
aufweisen und dadurch immer noch deutlich den afrikanischen
Landstrich verraten, dem ihre Vorväter entstammten,
so wird man auch den Nachkommen der weißen
Einwanderer noch auf Jahrhunderte hinaus ihr ursprüngliches
Vaterland ansehen, vorausgesetzt, daß sie nicht
durch fortwährende Mischehen absichtlich darauf ausgehen,
ihre Rassenmerkmale zu verwischen. Es sind nur
die neuen Lebensbedingungen und allenfalls die klimatischen
Verhältnisse, welche drüben innerhalb der verschiedenen
Rassen einen eigenartigen neuen Typus erzeugen.
Wenn ein Deutscher ein oder zwei Jahrzehnte
lang in Argentinien oder in Südwestafrika Farmer gewesen
ist, so vermag er sich auch in seinem Wesen und in
seinem äußeren Gebaren so stark zu verändern, daß seine
Familienangehörigen, wenn sie ihn nach so langer Zeit
wiedersehen, aus dem Verwundern nicht herauskommen.
Aber er ist doch nur ein anderer Typus von einem Deutschen
und beileibe kein Buschmann oder Pampas-Indianer
geworden! In den Vereinigten Staaten ist überdies noch
die Möglichkeit, sich den Ureinwohnern zu assimilieren,
dadurch ausgeschlossen, daß diese Ureinwohner bis auf
klägliche Überreste vernichtet sind. Der Deutsche kann
drüben dem Engländer, der Jude dem Japaner, der Neger
dem Italiener dies und jenes abgucken oder unwillkürlich
in fremde Anschauungen sich hineinfühlen, fremde Gebräuche
übernehmen, aber aus seiner Haut kann er deswegen
noch lange nicht hinaus. Es wohnt also drüben ein
Völkermischmasch ohne eigne Sprache und ohne eine
gemeinsame Tradition, der eben erst angefangen hat, aus
den neuen Lebensbedingungen heraus gemeinsame
Kulturideale zu suchen. Von einem amerikanischen Volke wird
man erst sprechen können, wenn die ungeheuren Ländergebiete
drüben so gleichmäßig bis zur Sättigung bevölkert
sind, daß die Regierung auf die Aufnahme weiterer
Einwanderer dankend verzichten kann. Aber auch bei
verschlossenen Türen wird der Prozeß der Durchrührung
des so verschiedenartigen Geblütes viele Jahrhunderte
in Anspruch nehmen. Vielleicht wird es im Jahre 3000
eine nordamerikanische Rasse geben – denkbar aber
auch, daß bei der sich immer steigernden Leichtigkeit des
internationalen Verkehrs und der Interessenassimilation
der großen Kulturwelt überhaupt eine Rassenbildung
nicht mehr möglich ist, und die ganze Änderung darin
bestehen wird, daß die alten Rassen ihre charakteristischen
Eigenschaften verlieren und höchstens noch, als pikante
Erinnerung an die einstige schöne Verschiedenartigkeit,
Farbennuancen übrig bleiben. Sollte dieser Zustand in
ein- bis zweitausend Jahren wirklich schon eingetreten
sein, dann könnte man davon sprechen, daß Amerika uns
verschlungen habe, insofern als das Wesen des heutigen
Amerikas bereits allerlei Wirkungen jener Rassen zerstörenden
Tendenz bemerken läßt. Die Gewissensfrage
ist für jeden einzelnen: soll ich dazu beitragen, die Entwicklung
zum rassenlosen Weltbürgertum zu beschleunigen,
oder soll ich mich mit all meinen Kräften dagegen sträuben?
Heimat.
Wenn man aus den Vereinigten Staaten nach Europa
zurückkehrt, so nimmt zunächst das Auge mit wonnigem
Behagen den Eindruck der Ordnung, der Fertigkeit, der
stilsicheren Harmonie zwischen Natur und Menschenwerk
in sich auf. Sei es eine englische Hügellandschaft
mit ihrem üppigen Wiesengrün und ihren anmutigen
Heckenzäunen, sei es ein französischer alter Herrensitz
mit wundervollem Schloß, umgeben von Weinbergen,
Blumen und Obstgärten, sei es selbst nur eine arme deutsche
Flachlandschaft mit ihren peinlich nach der Schnur bestellten
Feldern, ihrem trauten Dörflein, so behaglich im
Schatten alter Baumgruppen versteckt, sei es eine moderne
Großstadt mit imposanten geraden Straßenfluchten, voll
prunkender öffentlicher Gebäude, oder sei es endlich gar
eine uralte, winklige, hochgieblige, vieltürmige Kleinstadt,
noch durch alte Ringmauern und Wachttürmchen
gegen einen längst nicht mehr existierenden Feind geschützt.
Alles das sind Dinge, die wir jenseits des Ozeans
schmerzlich vermißt haben und die man uns auch drüben
nicht nachahmen kann. Das ist Tradition einer alten
Kultur, das sind Instinktleistungen einer tief verankerten
Disziplin, ästhetische Werte, die nicht nur die Sinne des
anspruchsvollen höheren Menschen erfreuen, sondern auch
ethisch überaus fruchtbar sind, weil in allen diesen Dingen
die besten Kräfte der Rasse äußerlich sichtbar werden.
Diese ethisch ästhetischen Werte sind es, die den Begriff
der Heimat schaffen, und nur innerhalb solcher Heimat
gibt es ein wirkliches Lebensglück. Wer gedankenlos nur
der Gegenwart lebt, der kann leicht dazu kommen, die
Heimat zu unterschätzen, weil er meint, daß das Glück da
wohnen müßte, wo die Mittel zu einem üppigeren Dasein
leichter zu erreichen sind, und wo es weniger schwer als
daheim sei, in weiteren Bezirken eine erheblichere Rolle
zu spielen. Für solche Leute ist es wohl angebracht, nach
Amerika zu gehen; denn durch den Vergleich mit dem
trostlosen Einerlei der Menschheit und der Menschenwerke
da drüben werden sie erst den Wert der Heimat
schätzen lernen – es sei denn, daß sie zu den blinden
Seelen gehören, welche im rein materiellen Genuß ihr
Genügen finden. Die Amerikaner, deren geistige Ansprüche
eine vertiefte Bildung gesteigert hat, kommen ja
jetzt mit ihrem großen Hunger nach echter Kultur zu uns
nach Europa, um bei uns zu lernen, wie man zu jener
herz- und sinnerfreuenden Stilharmonie gelangen könne,
die ihre vorläufig noch fast ausschließlich technische
Kultur ihnen nicht zu bieten vermag. Sie bekommen alle
eine ehrliche Hochachtung vor unserer Wissenschaft,
vor unserer Kunst, vor der Solidität unseres Handels und
unserer Industrie, vor der Geschicklichkeit unserer Handwerker,
vor der wohldisziplinierten Ordnung unserer
Lebensverhältnisse; viele von ihnen bringen auch als
Reisegewinn eine liebenswürdig verschämte heimliche
Liebe zu unserer Romantik mit heim – nachahmen aber
können sie auch beim besten Willen diese unsere Vorzüge
schwerlich, und es bleibt ihnen weiter nichts übrig, als in
Geduld abzuwarten, bis sie selbst ein einheitliches Volk
mit eigner Tradition geworden sind.
Arbeit und persönliche Würde.
Umgekehrt sendet Europa jahraus, jahrein eine gar
buntscheckige Gesellschaft von Lebensstudenten in die
Neue Welt hinüber: alle die überzähligen Esser kinderreicher
Familien, unzufriedene, verärgerte, aufsässige
und abenteuerliche Naturen, verkrachte Existenzen, Durchbrenner
aus allen Ständen, und diese schwierige Gesellschaft
lernt tatsächlich da drüben mehr, als sie irgendwo in
der Alten Welt lernen könnte. Der entschlußunfähige
Dummkopf, der gewohnt ist, darauf zu warten, bis eine
liebevolle Obrigkeit ihn dahin stupft, wo man seine Muskeln
gebrauchen kann, der langsame, ängstliche Philister, der
faule Träumer, der vornehme Müßiggänger, der hochmütige
Geld- oder Wissensprotz – sie alle werden zunächst
einmal durch die gröblichen Fauststöße der harten
Not darauf aufmerksam gemacht, daß die Parole in der
Neuen Welt laute: Augen auf! nicht abwarten, sondern
zugreifen! Nicht genieren! Wer essen will, muß arbeiten,
und der persönlichen Würde tut es keinen Eintrag, ob du
von Kartoffeln oder von Filetbeefsteaks satt wirst. Wer
weder ein Betriebskapital mitbringt, um sofort ein selbständiges
Geschäft anzufangen, noch ein Handwerk, eine
Kunst, eine Wissenschaft so praktisch zu verwerten weiß,
daß er in seinem Fach ohne weiteres Unterkunft und
Nahrung findet, der muß sich eben ohne Zögern auf dem
großen Arbeitsmarkt für jede beliebige Tätigkeit zur
Verfügung stellen, die bezahlt wird. Ich habe drüben
Trambahnschaffner getroffen, die erst wenige Wochen
im Lande waren und bei uns maturiert hatten,
adlige Offiziere in Mengen als Kellner, Reitknechte,
Kutscher und Chauffeure. Hat jemand kaufmännische
Veranlagung, so bringt er es unschwer dazu, Agent für
irgendeine Warenspezialität zu werden; zeigt er sich
hierin gewandt, so ist der Schritt zum selbständigen Geschäftsmann
nicht mehr schwer. Das Gute bei dieser
Härte ist, daß sich der Amerikaner durch Anmaßung,
hinter der keine offensichtliche Kraft steckt, nicht imponieren
läßt. Der Yankee macht sich freilich oft lächerlich
durch sein übereifriges Herandrängen an unsere Höfe,
an unseren Adel, und der echte Republikaner drüben ist
mit Recht empört über das Bestreben seiner Emporkömmlinge,
die schwere Mitgift der Töchter gegen europäische
Titel und Stammbäume einzutauschen; aber man
merkt bei näherem Zusehen doch bald, daß es nicht der
Titel an sich ist, welcher diese faszinierende Wirkung übt,
sondern vielmehr die mit altem Adel verbundene vornehme
Sicherheit des Auftretens, die unnachahmliche
Grandseigneur-Manier. Wo diese fehlt, wie bei den meisten
drüben ihr Brot suchenden, heruntergekommenen Adligen,
da versagt der Zauber völlig. Eine Persönlichkeit, die sich
nicht kraft ihrer ungewöhnlichen geistigen oder physischen
Begabung durchzusetzen versteht, muß unerbittlich in
die Hackmaschine hinein und geht in der großen Gleichheitswurst
auf. Aber auch mit philiströser Bedenklichkeit
kennt das amerikanische Leben kein Erbarmen. Wer in
der kecken Fixigkeit des Lebens den Atem verliert, der
kommt elend am Wege um. Will einer das rasende Gefährt
des Fortschritts unterwegs verlassen, so muß er schon
sehr geschickt in der Fahrtrichtung abzuspringen verstehen
– nach rückwärts aussteigen heißt unter die Räder
kommen.
Juristen und Menschenkenner.
Eine der besten Seiten der Demokratie ist es aber,
daß sie selbst dem Verbrecher nicht den Rückweg
zum anständigen Leben verlegt. Das Vertrauen auf die
eigne Kraft ist eben so stark entwickelt, daß man sich vor
den Schädlingen der Gesellschaft nicht so überängstlich
fürchtet wie bei uns. Denn wer etwa im wilden Westen
sich seinen Wohlstand geschaffen hat, der mußte ja immer
gegen Räuber, Indianer oder Gauner in den eignen Reihen
auf dem qui-vive stehen, und die Erfahrung hat ihn gelehrt,
daß ein einziger beherzter Mann mit einem Dutzend feigen
Gesindels fertig werden kann. Er hat aber auch an zahlreichen
Beispielen gesehen, wie ausgemachte Lumpen
durch den Zwang der Arbeit und schließlich durch den
Erfolg doch noch zu brauchbaren Menschen gemacht
wurden. Das Resultat dieser Erfahrungen ist, daß man
sich des Verbrechers zwar sehr energisch erwehrt, ihm
jedoch immer wieder Gelegenheit gibt, ein besseres Leben
anzufangen, und wenn er dann etwas Ordentliches erreicht,
hält man ihm seine Vergangenheit nicht wieder
vor. Das ist ein großer, edel menschlicher Zug, dem viele
durch falsche Erziehung und angeborene Charakterschwäche
zu Verbrechern gewordene Menschen ihre Rettung
verdanken. Auch die amerikanischen Richter sind
glücklicherweise bessere Menschen- als Gesetzeskenner.
Wir sind sehr geneigt, den manchmal grotesken Humor
ihrer salomonischen Urteile zu verspotten, aber es ist
sicher, daß diese lustigen Entscheidungen nicht halb so
viel Unheil stiften und Erbitterung zurücklassen, als oft
die Paragraphentreue unserer sattelfesten Juristen. Selbst
der barbarische Richter Lynch hat sich wohl noch nie an
einem Unschuldigen vergriffen, und die Abschreckungstheorie
handhabt er jedenfalls mit praktischem Erfolg.
Der Verstand von Haus aus gescheiter Menschen, den
lediglich das Leben selbst mit seinen Erfahrungen in die
Lehre genommen hat, ist, wenn er wirklich gesund geblieben
ist, sicher ein besserer Urteilsfinder als alle
Schmökerweisheit des weltfremden Ofenhockers. Und unter
der gesegneten Herrschaft des Kgl. Großbritannischen
common sense haben sich ja alle besten Charaktereigenschaften
der Neuweltler so erfreulich entwickelt. Wir
alten Europäer werden ihnen freilich diese Charaktereigenschaften
nicht ohne weiteres ablernen können, denn
ihr Optimismus, ihre prahlerische, aber tatkräftige Zuversichtlichkeit,
ihr mutiger Leichtsinn sind eben Tugenden
der Jugend, und andere Vorzüge, wie besonders ihre
schöne Neidlosigkeit, sind durch die Gewöhnung an Verhältnisse
bedingt, die wir alten Völker ebensowenig nachahmen
können wie die Jugend.
Es gibt sogar rein geistige Gebiete, auf denen wir von
den Yankees noch etwas lernen können, nämlich das
Kirchen- und das Schulwesen. Wir werden ein rückständiges
Volk heißen müssen, so lange wir nicht die
Trennung von Staat und Kirche durchgeführt haben und
so lange es noch möglich ist, daß ein Deutscher seines
religiösen Bekenntnisses wegen gesellschaftlich verfemt
und um sein Brot gebracht werden kann. Wir marschieren
nicht an der Spitze der Zivilisation, so lange bei uns ein
Vater, der seine Kinder nicht dem Christentum ausliefern
will, durch Polizeistrafen und sonstige behördliche Schikanen
drangsaliert werden kann, und so lange ein staatlich anerkanntes
religiöses Bekenntnis vorschriftsmäßige Bedingung
zur Erlangung öffentlicher Ämter und Ehrenstellen
ist. In dem Lande der absoluten Glaubensfreiheit
ist das religiöse Leben, trotz mancher blamabeln Auswüchse,
viel reicher entwickelt als bei uns, und die starke
religiöse Persönlichkeit, der agitatorisches Talent verliehen
ist, kann eine Macht über die Seelen gewinnen, um
die sie unsere Generalsuperintendenten und sogar unsere
Erzbischöfe ehrlich beneiden dürften. Über das, was
wir auf dem Gebiete des Schulwesens von den Yankees
lernen könnten, habe ich an anderer Stelle mich verbreitet.
Ein Volk, das Jugend in sich selber hat, versteht
auch naturgemäß mit der Jugend besser umzugehen.
Übrigens machen die Yankees ja andauernd praktische
Proben auf Exempel, die unsere fortschrittlichen Theoretiker
schon längst aufgestellt haben. Lernen wir also an
ihren Erfolgen und Mißerfolgen.
Die deutschen Kolonisatoren.
Unsere mangelhafte politische Befähigung.
Es gibt auch sonst noch Gebiete, auf denen die praktischen
Erfolge des großen Staatenbundes uns als Vorbild
dienen können: dahin rechne ich in allererster Linie die
politische Macht, welche die Yankeerasse entwickelt hat.
Die Yankees, also die Nachkommen der Einwanderer
aus den britischen Inseln, sind heute der Zahl nach den
Nachkommen der deutschen Einwanderer nur noch um
etwa zwei Millionen voraus und dennoch haben sie es verstanden,
ihrer Rasse die politische Vorherrschaft dauernd
zu erhalten. Die Yankees allein haben nicht nur kolonisatorisches,
sondern auch staatenbildendes Geschick
bewiesen, während die Deutschen nicht einmal die von
ihnen gegründeten Gemeinwesen dauernd in der Hand
zu behalten wußten. Die Deutschen haben die Staaten
Pennsylvanien, Illinois, Wisconsin, Michigan, Missouri
ihrer Zeit förmlich überflutet. Germantown, Milwaukee
und einige andere waren einmal ganz deutsche Städte.
Cincinnati, Cleveland, Chicago, St. Louis und zahlreiche
andere Großstädte zeigten vorübergehend ein Übergewicht
an deutschen Einwohnern, und dennoch haben sie sich
überall das Heft aus der Hand winden lassen. Wohl gibt
es noch hie und da einen deutschen Bürgermeister, aber
er versteht kein Deutsch mehr und verdankt seine Stellung
den politischen Bossen und nicht dem einmütigen Willen
seiner Rassegenossen. Die Deutschen haben doch wahrlich
nicht nur ihren Ausschuß über den Ozean geschickt, die
große Mehrheit bildeten vielmehr tüchtige bäuerliche und
handwerkliche Kräfte, und im Jahre 1848 gingen sogar zahlreiche
unserer besten Intelligenzen hinüber, die den Beruf
zu geistigen Führern ihrer Stammesgenossen in sich trugen.
Woher kommt es denn nun, daß trotzdem diese 18½ Millionen
Menschen es zu keiner politischen Selbständigkeit
bringen konnten? Die Zahl jener geborenen Führer, die sich
am Ende der 40er Jahre im Mississippital niederließen,
und die man spottweise die lateinischen Bauern
nannte, mag allerdings wohl der erdrückenden Überzahl
der ungebildeten, politisch gleichgültigen Landsleute gegenüber
zu gering gewesen sein – auch war der Vorsprung,
den die britischen Eroberer vor ihnen voraus hatten,
nicht ohne weiteres einzuholen; das Schlimmste aber
war, daß alle diese Deutschen ein stolzes Nationalgefühl
überhaupt nicht besaßen, und daß sie ihren Partikularismus,
ihre subalterne Denkungsart, ihr Spießbürgertum
mit hinüberbrachten. Diese Deutschen gaben zwar sehr
tüchtige Bauern, Handwerker und Kleinbürger ab, zeigten
sich aber den besonderen Anforderungen des amerikanischen
Lebens nur selten gewachsen. Viele von ihnen
waren nicht einmal fähig, sich die englische Sprache völlig
anzueignen, obwohl sie ihre Muttersprache verlernten.
In Kriegszeiten übrigens haben auch diese Deutschen
Großartiges geleistet, wie denn ja auch die von ihren
edlen Fürsten verkauften Württenberger, Hessen usw.
sich in Kriegen, die sie nicht das Mindeste angingen, wie
die Löwen geschlagen haben. Im Sezessions- wie im
Bürgerkrieg verdanken amerikanische Truppen deutschen
Heerführern einige ihrer glänzendsten Siege – und dennoch
waren und blieben diese Deutschen nur ein gern geduldetes
und gehörig ausgenutztes Gastvolk innerhalb der riesigen
britischen Kolonie. Die herrschende Rasse dachte selbstverständlich
nicht daran, diese bequemen Biedermänner
in ihre großen Ehrenstellen der Staats- und Gemeindeverwaltung
hinein zu komplimentieren, da sie selber durchaus
keinen politischen Ehrgeiz entwickelten. Es hätten
den deutschen Einwanderern damals zwei Wege offen
gestanden: entweder sie mußten resolut ihr Deutschtum
über Bord werfen und mit Haut und Haaren Amerikaner
werden, oder aber sie mußten fest zusammenstehen, sich
alle in einer bestimmten, von ihnen zuerst besetzten
Gegend niederlassen, einen deutschen Staat im Staate
gründen und diesen mit rücksichtslosem Chauvinismus
gegen das Anglo-Amerikanertum und den Zustrom anderer
Rassen abschließen. Die meisten Deutschen haben aber
keines von beidem getan, sie haben sich über das ganze
weite Land zerstreut und sich dann in unzähligen Vereinen
wiedergefunden, die sich gegenseitig nicht selten aus
engeren landsmannschaftlichen oder aus gesellschaftlichen
Eitelkeitsgründen aufs gehässigste bekämpfen. Aber auch
der starke Zustrom aus dem geeinigten Deutschland der
70er und ersten 80er Jahre hat keine wesentliche Änderung
in diesen Verhältnissen gebracht. Diese neuen Reichsdeutschen
hätten doch alle Ursache gehabt, ihren frischen
Nationalstolz der herrschenden Yankeerasse entgegenzustellen,
aber auch unter ihnen war der politische Ehrgeiz
eine seltene Pflanze. Wenn sie in Ruhe ihren Wohlstand
begründen durften, waren sie zufrieden, und selbst
diejenigen, die durch ihre Tüchtigkeit und durch ihren
Besitz zu hohem Ansehen gelangten, dachten nicht daran,
sich in das Parteigetriebe zu stürzen – die meisten wohl
aus moralischem Reinlichkeitsbedürfnis, viele auch aus
reiner Bequemlichkeit. Man muß also doch wohl sagen,
daß ihnen, einige ganz wenige glänzende Ausnahmen, wie
Karl Schurz, abgerechnet, Temperament und Talent für
die Politik fehlten. Die Deutschen der heidnischen Vorzeit
haben kolonisatorisches Talent und Staatsklugheit
im hohen Maße besessen und verdankten dieser Eigenschaft
die glänzende Rolle, die sie während der Völkerwanderung
und noch während der Staufferzeit in der
Weltgeschichte spielten. Der jahrhundertelange Jammer
der Kleinstaaterei und Pfaffenherrschaft haben aber jene
ursprünglichen Veranlagungen vollständig erstickt. Hingegen
kamen die ersten englischen Besiedler der neuen
Welt aus einem Lande, in welchem die parlamentarische
Verfassung bereits Zeit gehabt hatte, die ganze Nation,
bis in die untersten Schichten hinein, politisch zu erziehen.
Zudem waren es neben den religiösen auch zumeist
politische Ursachen, welche die Leute zum Auswandern
veranlaßten, und sie alle, mochten sie Royalisten oder
puritanische Revolutionäre sein, brachten den Stolz mit
hinüber, Bürger einer Weltmacht zu sein, deren Flagge
siegreich und gefürchtet in allen Meeren der Erde wehte.
Diese Auswanderer hatten also alle Ursache, sich als ein
Herrenvolk zu fühlen, sie waren sich aber auch der vornehmsten
Pflicht bewußt, welches dieses Herrentum ihnen
auferlegte – der Pflicht nämlich, ihr Blut rein zu halten.
Im Gegensatz zu den romanischen Eroberern Südamerikas
und Mexikos, die nichts Eiligeres zu tun hatten, als mit
den eingeborenen Weibern eine recht bedenkliche Mischrasse
zu erzeugen, existierte für die Anglo-Amerikaner des
Nordens das rote Weib überhaupt nicht; und selbst gegen
Mischehen mit den besten europäischen Einwanderern
richtete das Rassenvorurteil einen starken Damm auf.
Das ist das ganze Geheimnis der imposanten Machtentwicklung
der keltogermanischen Rasse in Nordamerika
und das ist auch das Gebiet, auf dem wir heute noch bei
den Briten diesseits und jenseits des Ozeans in die Lehre
gehen müssen. Das Wort Chauvinismus hat einen garstigen
Klang für unsere kosmopolitischen Doktrinäre, unsere
edlen Friedensschwärmer und liberalen Idealisten, es ist
aber schließlich nur ein anderer Ausdruck für Kraftbewußtsein.
Denn bei allen wirklich starken Rassen und
Nationen ist der Republikaner so gut wie der Monarchist,
der Liberale so gut wie der Reaktionär chauvin.
Neuerwachter Nationalstolz der Deutschen.
Die Deutschen, die nach 1870 eingewandert sind, vielfach
auch noch deren Kinder, besitzen nun allerdings jenen
schönen Nationalstolz, von dem die vorigen Generationen
noch nichts wußten. Sie lesen noch die deutschen Zeitungen
und freuen sich der Berichte über die großartige Entwicklung
des deutschen Handels, der deutschen Industrie,
das Aufblühen seiner Weltmachtstellung zur See. Auch
wenn sie die Zeitungen nicht läsen, würden sie von diesem
Aufschwung einen starken Hauch verspüren, denn sie
können kaum in irgendeinen Laden gehen, ohne auf die
schmeichelhafte Inschrift: „Made in Germany“ zu stoßen,
und die gewaltigen Schiffe der großen Reedereien, allen
voran Hapag und Lloyd, die sogar die englischen Meergiganten
an solider, geschmackvoller Pracht und Zuverlässigkeit
in jeder Beziehung übertreffen, haben für die
Hebung des deutschen Ansehens über dem Ozean mehr
getan, als selbst die himmelhohen Berge bedruckten
Papieres, auf denen der deutsche Geist in diesen letzten
vier Jahrzehnten des gesegneten Friedens sich für die
Ewigkeit zu manifestieren trachtete. Die Person des
deutschen Kaisers, als Symbol dieser friedlichen Welteroberung
durch deutsches Wissen und deutsches Können,
genießt bei den Deutschamerikanern eine fast
uneingeschränkte
Verehrung, und auch das Vereinsleben hat
durch diesen neuerwachten Vaterlandsstolz neue Triebkraft
bekommen. In New York, Brooklyn, Chicago,
Indianapolis, Milwaukee und einigen anderen Städten
erheben sich schöne deutsche Vereinshäuser, in denen
nicht nur gekegelt und Skat gedroschen, sondern auch
mit ernstem Eifer deutsche Musik und überhaupt deutscher
Kulturbesitz gepflegt wird. In Cleveland haben die
Deutschen in einem schönen öffentlichen Park eine Kopie
des Weimarschen Schiller-Goethe-Denkmals errichtet, in
Buffalo bemühen sie sich mit rührender Leidenschaft
um denselben Zweck, und selbst im fernen Westen, in
Kalifornien und Kansas ist dieser fromme Eifer rastlos
am Werk. Der Zusammenhang mit dem literarischen
Leben des Vaterlandes ist freilich nur lose, denn es ist
begreiflich, daß die Bestrebungen einer ausschließlich auf
ästhetische Kultur gerichteten intellektuellen Oberschicht
in dem neuen Lande, wo die Sorge um Begründung und
Aufrechterhaltung des materiellen Wohlstandes alle Kräfte
noch fast ausschließlich in Anspruch nimmt, wenig Verständnis
finden können. In dieser Beziehung sind es noch
Großväterideale, welche die versprengten Landsleute
drüben pflegen und es ist charakteristisch, daß die wenigen
leidenschaftlichen Bekenner zum modernen Deutschtum
in Kunst und Literatur vorwiegend eingewanderte deutsche
Juden sind.
Heiligste Pflicht des Deutschtums.
Es hat sich also nachträglich doch noch so etwas
wie ein deutscher Chauvinismus entwickelt – leider,
leider kommt er jetzt um mehr als ein halbes Jahrhundert
zu spät, denn die Neue Welt ist fortgegeben! Es
hieße unseren deutschen Landsleuten einen schlechten
Dienst erweisen, wenn man sie jetzt noch zur Sonderbündelei
mit prahlerischem Maulaufreißen von uns aus
aufstacheln wollte; das wäre töricht und geschmacklos.
Wie würden wir es wohl aufnehmen, wenn die vielen
Slawen oder Juden, die bei uns zu Gaste sind, uns fortwährend
ihre Nationalität und Rasse unter die Nase
reiben, Fahnen schwenken, uns ihre nationalen Gesänge
in die Ohren schmettern und darauf bestehen wollten,
unsere Sprache nicht zu lernen? Wir würden uns ihrer
mit Fug und Recht irgendwie zu entledigen trachten.
Auch die Yankees, die tatsächlichen Herren der Neuen
Welt, haben ein gutes Recht, zu verlangen, daß die Einwanderer
aufhörten, Fremdlinge zu sein, indem sie sich
bemühen, wenigstens nach Sprache und Sitte in der
Wirtsrasse aufzugehen. Pflicht des Deutschtums ist es
unter diesen Verhältnissen, sich stolz bewußt zu bleiben,
daß sie die Erben einer tieferen und feineren geistigen
Kultur als die ihrer Wirte, und daß sie dazu berufen sind,
den Blütenstaub dieser geistigen Kultur, den sie, rauhhaarigen
Insekten gleich, aus der alten Heimat mit hinüber
nehmen, in die Seelen der neuen Landsleute befruchtend
abzustreifen. Deutsche Denkungsart, deutschen wissenschaftlichen
und künstlerischen Sinn, deutsche Treue,
deutsches Gemüt in der neuen Heimat zum
ausschlaggebenden Kulturfaktor zu machen, das muß ihnen als
heilige Pflicht bewußt bleiben. Auf diese Weise lassen sich
immer noch Siege gegen und, was noch wichtiger ist, auch
mit dem Yankeetum erringen. Die stolze, erfolgtrunkene
Yankeerasse mit deutschem Geiste zu durchtränken und
so zu unseren innerlichst Verbündeten zu machen, das
wäre ein Erfolg, wertvoller als selbst neue glänzende
Waffentaten. Inzwischen dürfen sich aber die Deutschen
der Vereinigten Staaten auch nicht für zu gut dünken,
von den Yankees zu lernen, und ebenso wir Deutschen
im alten Vaterlande, die wir solche Belehrung noch nötiger
haben. Es ist nämlich leider nicht zu leugnen, daß wir
trotz des großen Aufschwungs seit 1870/71 es immer noch
nicht dazu gebracht haben, als Nation so respektiert zu
werden, wie wir es unseren Leistungen entsprechend
wohl verdienten. Wenn die Diplomaten anderer Völker
irgendeine bedeutungsvolle Neugestaltung der Dinge unter
sich ausgemacht haben und jemand unter ihnen die Frage
aufwirft: „Ja, was wird aber Deutschland dazu sagen, wird
es sich das gefallen lassen?“ so wird ihm mit lächelndem
Achselzucken die Antwort: „Ach, die Deutschen! Die sind
ja so anständig, friedliebend und zuvorkommend, die
kriegen wir schon herum.“ Es ist eben in der Politik eine
zweifelhafte Tugend, sich aus Höflichkeit die Butter vom
Brot nehmen zu lassen. Also lernen wir Alten fleißig bei
den Jungen die Fehler der Jugend – in der Politik werden
viele davon zu Tugenden, vornehmlich die goldene Rücksichtslosigkeit.
Man wird einwenden, daß jene nachahmenswerten
amerikanischen Tugenden nicht nur in der Jugend des
Volkes, sondern mehr noch in den freien Entwicklungsmöglichkeiten
einer großen demokratischen Republik
begründet seien. Ich für meine Person kann jedoch nicht
glauben, daß die Staatsform wirklich diese ausschlaggebende
Rolle spiele. Die aufmerksame Beobachtung
hat mich gelehrt, daß die demokratische Theorie drüben,
wie überall, an der aristokratischen Veranlagung der
Menschennatur scheitert; ich habe zahlreiche Beispiele
dafür beibringen können. Der innerlich freie Mensch
kann unter jeder Staatsform frei bleiben, und was uns in
Deutschland speziell noch an unseren Regierungssystemen
geniert, sind alles Dinge, die sich bei gutem Willen abstellen
lassen. Es ist höchst wahrscheinlich, daß die
Propheten, die uns als nächstes Ziel unserer politischen
Entwicklung die Vereinigten Staaten von Europa verheißen,
recht behalten werden. Aber alsdann werden die
gesunden, stolzen Rassen immer noch ein völkisches
Sonderdasein führen und auch ihre Kaiser und Könige
ebenso pietätvoll konservieren können, wie ihre Eigenart
auf allen geistigen Gebieten. Wenn aber diese Vereinigten
Staaten von Europa ein vernünftiges, zukunftsicheres
Gebilde werden sollten, dann werden sie es den Lehren
mit zu verdanken haben, die ihnen das Land der absoluten
Gegenwart als untrüglicher Spiegel der Zukunft gegeben
hat.
Das Hirn Amerikas auf einer goldenen Schüssel.
Unter all den sonderbaren und gewaltigen Menschenwerken
der Neuen Welt mag wohl keines so sehr den
Europäer staunen machen, wie der Expreßelevator eines
Wolkenkratzers, der erst am elften Stockwerk hält. Wohnungen
für kochende, Kinder aufziehende Menschen
pflegen sich in diesen riesigen Steinkasten nicht zu befinden,
sondern ausschließlich Geschäftsräume für die
Welt des Handels und der Industrie, Kanzleien für Rechtsanwälte,
für Konsulate, für alle erdenkbaren Vermittler
eines die ganze Welt beherrschenden Austausches von
Waren und Werten aller Art. Das Herz Amerikas schlägt
in den kleinen, einfachen Holzhäuschen der Vorstädte
und ländlichen Bezirke; aber das Hirn Amerikas arbeitet
fieberhaft in diesen gigantischen Türmen und liefert
zwischen 8 Uhr früh bis 6 Uhr abends die Hochdruckspannung
für den Betrieb der Dollarmaschine. Hunderte
von Telephonleitungen vereinigen sich auf den Dächern,
die unablässig von diesen eifrigsten Drahtsprechern der
Welt in Anspruch genommen werden; im Erdgeschoß
unterhält eine der Telegraphen- und Kabelkompanien
ein Zweigamt und befördert unzählige Telegramme über
den ganzen Kontinent, wie nach allen bewohnten Gegenden
der Erde, und der gebändigte Blitz trägt Botschaften
voll Hoffnung und Verzweiflung, voll wilder Gier und
wildem Mut in alle Welt hinaus. Millionen strömen herein,
Millionen strömen hinaus. Hier pendelt den ganzen Tag
die große Wage, auf der die Gedanken erfindungsreicher
Köpfe mit Gold aufgewogen werden; hier saust geräuschlos
der schwere Schicksalshammer nieder, der mit einem
Schlage Existenzen vernichtet; hier schwirren die Webstühle,
an denen die schimmernden Netze für den Gimpelfang
fabriziert werden; mit dem Lokalaufzug klettert
der fleißige, unentwegte Streber langsam von Stockwerk
zu Stockwerk hinauf, und mit dem Expreßaufzug, der
erst am elften Stockwerk hält, schwingt sich das Genie über
die Köpfe der armen Durchschnittsmenschheit in atembenehmendem
Tempo empor.
Kampfloser Fortschritt.
In diesem Tempo offenbart sich die Energie der jungen
Rasse, und dieser Expreßelevator ist das bezeichnendste
Symbol der Kultur dieser Neuen Welt. Nie und nirgends
zuvor hat die Menschheit so tolle Luftschlösser gebaut,
wie in diesen Wolkenkratzern des amerikanischen Nordens.
Ein gigantisches Eisengerippe schießt starr und nackt
aus dem Boden hervor, und der Ausbau wird hoch droben
mit dem Dach angefangen. Von oben herunter beginnt
man alsdann die Wände von Zementguß zwischen den
Rippen zu spannen, also gewissermaßen flüssigen Stein
vom Dach herunter zu gießen, bis er endlich den Boden
erreicht und nun mit Quadern im Grundstock verblendet
wird, schwer und gewaltig, wie für die Ewigkeit bestimmt.
Wir Menschen der Alten Welt aber haben zuerst in den
Höhlen gewohnt, die die Natur uns zum Unterschlupf
darbot; dann haben wir gelernt, uns in die Erde zu wühlen.
Stein um Stein, Balken um Balken haben wir herbeigeschleppt
und langsam aneinander gefügt, und Jahrtausende,
ja Hunderttausende selbst haben wir gebraucht,
um den stolzen, sicheren Bau unserer Kultur bis in jene
Höhen hinaufzuführen, wo die Stickluft schwitzender
Mühsal nicht mehr lastet, wo der frische Wind der Freiheit
weht und der Blick sich weitet in die lichte Ferne. Die
kühnen Abenteurer dagegen, die die Neue Welt besiedelten,
brachten die eisernen Träger für den Aufbau ihrer Kultur
gleich fertig mit. Es waren schwindelfreie Menschen, die
zuerst das große Wagnis unternahmen; denn ängstliche,
bedächtig am Alten klebende Ofenhocker und Duckmäuser
gingen ja überhaupt nicht über das große Wasser. Die
Eroberer brauchten das Pulver nicht zu erfinden; der
Knall ihrer Büchsen, der Donner ihrer Kanonen war ihr
erster Gruß an die technisch hilflosen Besitzer des neuen
Landes. Und als die weiße Besiedlung in großem Stile
einsetzte, da war die Zivilisation des 17. Jahrhunderts
das A, und die Aufgabe, sich weiter hinauf zu buchstabieren
im Alphabet, verursachte keineswegs mehr einen Riesenverbrauch
von Gehirnarbeit. Jedes Schiff brachte einen
neuen Gedanken von der Alten Welt herüber, und diese
neuen Gedanken brauchten sich nicht in hartem Kampfe
erst langsam durchzusetzen gegen den widerstrebenden
Willen der Alten – denn es gab keine Alten in diesem
Lande, in dem Jugend und Kraft allein regierten. Da
brachte einer die Idee der Dampfmaschine herüber, und
alsbald erkannte man, daß die Riesengröße des Landes
all ihre Schrecknisse verlieren und die zahlreichen Quellen
unerschöpflichen Reichtums überhaupt erst nutzbar gemacht
werden würden, wenn der rasche Dampfwagen
spielend die Entfernungen überwand. 1825 lief die erste
Eisenbahn in England, 1829 gelangte die erste Lokomotive
nach den Vereinigten Staaten und wurde alsbald zwischen
Boston und Worcester in Betrieb gesetzt. Im Jahre 1840
waren schon 2818 englische Meilen Eisenbahn ausgebaut,
und im Jahre 1869 wurde die Pacificlinie vollendet, die
den Atlantischen mit dem Stillen Ozean verbindet! Man
wartete drüben nicht, wie bei uns, ab, bis reich bevölkerte
Gegenden und große Städte die Mittel zu neuen Bahnbauten
aufbrachten, sondern man legte resolut die Schienenstränge
durch jungfräuliches Land, durch Wüsten und
Einöden und veranlaßte dadurch, daß jene Gegenden
besiedelt wurden, Städte und Industrien über Nacht aus
dem Boden wuchsen. Kleinliche Bedenklichkeiten kannte
man nicht. In jenen Gegenden hielt man sich mit dem
Anlegen fester, kostspieliger Bahndämme nicht lange auf,
sondern rammte die Schwellen so gut oder so schlecht es
gehen wollte in den Boden ein und ließ die schweren Lokomotiven
darauf los rasen; auf ein paar Menschenleben
mehr oder weniger kam es dabei nicht an. Was ist an
denen gelegen, wenn nur die Überlebenden den winkenden
Dollar glücklich erhaschen!
Unbegrenzte Möglichkeiten.
Und wie mit den Eisenbahnen, so ging es mit allen
anderen technischen Errungenschaften des europäischen
Geistes. Begierig wurden sie drüben aufgegriffen und,
sobald ihre praktische Verwendbarkeit feststand, im
Nu über das ganze Land verbreitet und in ihrer
Leistungsfähigkeit durch Verbesserungen bis an die
Grenze der Möglichkeit gesteigert. Und genau so wie
mit den Resultaten der technischen, verfuhr man auch
mit denen der geistigen Kultur: man importierte alle
wichtigen Axiome der Wissenschaft gleichzeitig mit
den neusten, kühnsten Hypothesen und flößte sie den
lernbegierigen jungen Köpfen ein. Von den sieben freien
Künsten ließ man sich reichhaltige Mustersendungen
kommen und erwarb zum Schmucke des eignen Lebens
was irgend dem unreifen Geschmacke eines noch nicht
zu beschaulicher Ruhe gelangten Volkes zusagte. Man
hatte auch nicht nötig, aus dunkler Angst und Erlösungssehnsucht
langsam eine nationale Religion empor
wachsen zu lassen, sondern man ließ sich die Religionen
schockweise aus den alten Ländern kommen und von
einheimischen Köchen für die amerikanischen Seelen
lecker zubereiten. So besaß man auf einmal Religion und
Kunst, Wissenschaft und Technik zugleich, und alles
dieses in einem auf der Höhe des Tages befindlichen nagelneuen
Zustande. Es galt für dieses absolute Gegenwartsvolk
niemals, alte Kleider aufzutragen, mit alten Vorräten
zu räumen, alte Mauern niederzulegen, alte Münzen
einzuschmelzen. Und weil jeder Anfang für die Leute
dieser Neuen Welt ein Weiterbauen auf etwas bedeutete,
das die Alte Welt bereits als ein Vollendetes geliefert hatte,
so mußte sich in den Köpfen dieser Neuweltleute die
Überzeugung festsetzen, daß es für ihre Entwicklung
keine Schranken gäbe. Der Himmel hängt diesen Leuten
voll unbegrenzter Möglichkeiten. Weil sie es niemals
nötig hatten, auf dunkeln Wendeltreppen mit schmerzenden
Knien in die Höhe zu klimmen, wie wir, so deucht es ihnen
die natürlichste Sache von der Welt, ihre zwanzig, dreißig
Stockwerke per Expreß mit höchstens zwei bis drei Stationen
hinauf zu flitzen. Und da droben, im Genuße der
schönen Aussicht und der frischen Luft, fühlen sie sich
so pudelwohl, daß sie es gar nicht merken, wie sie in der
Luft hängen. Es muß schon ein gewaltiges Erdbeben
kommen, um ihnen begreiflich zu machen, daß in ihrer
Höhe der Ausschlagswinkel der Pendelschwingung etwas
ungemütlich zu werden beginnt und daß man unten
zum mindesten sicherer wohnt. Aus eben dem Grunde
aber vermögen kultivierte Menschen der Alten Welt in
jenen stolzen Luftschlössern niemals heimisch zu werden.
Sie finden es fußkalt darin, weil die unteren Stockwerke
unbewohnt sind und alle Winde frei durch das leere Eisengerippe
streichen. Wir wurzeln eben mit unserer ganzen
Seele in der Vergangenheit. In den schweren Kämpfen
einer langen, langsamen Entwicklung sind unsere Kräfte
gewachsen; an den Steinen, die uns in den Weg geworfen
wurden, haben wir die Waffen unseres Geistes geschärft;
unseren Göttern haben wir Wohnungen gebaut aus den
aufgetürmten Leichnamen unserer Märtyrer; den holden
Rausch unseres Frühlings haben wir uns verdient in eiskalten
Winterstürmen, aus Schutt und Brand die Ideale
unserer Schönheit gerettet – aller Stolz auf unsere Gegenwart,
all unsere Sehnsucht in die Zukunft sind arm und
klein, an der heiligen Liebe zu unserer Vergangenheit
gemessen. Ein Mensch der Alten Welt, der
keine Romantik im Leibe hat, ist eine Mißgeburt.
Und wenn die Kinder der absoluten Gegenwart
zu uns herüberkommen, so wandeln sie wie in
einem Museum einher: alles, was für uns lauter lebendige
Quellen ewiger Werte bedeutet, sind für sie ausgestopfte
Kuriositäten, patinierte Schildereien, bleiche Spirituskonserven
– sie gehen staunend oder lächelnd vorbei
und fragen hie und da: „Wieviel kostet das?“
O ja, wir sind auch Gegenwartsmenschen, sogar
wir ehemals so verträumten Deutschen! Wir ruhen
keineswegs auf unseren Lorbeeren aus, wir stellen immer
noch unsere Welteroberer so gut wie zur Zeit der Völkerwanderung.
Diese neuen deutschen Menschen sind aber
die sonderbarsten Realisten, die die Welt je gesehen hat.
Wohl sind sie modern im besten Sinne und innerlich doch
noch ganz und gar angefüllt von den ererbten Eigenschaften
ihrer ritterlichen oder spießbürgerlichen Vorfahren.
Ihr Blut sträubt sich dagegen, reine kalte Geschäftsmenschen
zu werden; sie ringen mit ihrer rührenden
Gemütlichkeit, ihrer korrekten Bravheit und wohl auch
mit einer streberhaften Enge der Empfindung, und ihrem
mannhaften Ringen blüht der Erfolg, weil sie sich der
Arbeit und der Disziplin verschrieben haben. Dies neue
Geschlecht der deutschen Realisten bildet heute noch
einen Staat im Staate, eine Freimaurerorganisation mit
ungeschriebenen Gesetzen. Aber es ist sicherlich berufen,
den Staat von Grund aus umzuwandeln, das Ferment der
neuen deutschen Gesellschaft zu bilden – jener große,
der offiziellen Welt meist fernstehende Komplex von
Ingenieuren, Technikern, Kaufleuten, exakten Forschern,
voraussetzungslosen Denkern und rücksichtslosen Künstlern,
der heute schon die eigentliche Triebkraft zu allen
tüchtigen deutschen Taten hergibt. Übermenschen sind
sie darum noch lange nicht, diese neuen Deutschen, aber
doch bereits wieder ein prächtiges Herrenvolk, unter dem
die Ahnherrn des Übermenschen schon jetzt im Fleische
wandeln dürften.
Der Übermensch von Wallstreet.
Drüben glauben sie, wie es scheinen möchte, den Übermenschen
bereits zu besitzen, und zwar in der Person des
Spielers großen Stiles, des Millionen aus der Luft greifenden
und auf eine Karte setzenden kalten Geschäftsmannes.
Hören wir ein Stückchen Yankeephilosophie aus dem
Munde eines ihrer besten Schriftsteller, Jack LondonAus dem Roman „Burning Daylight“, S. 159 ff.:
„Zu Zehntausenden und zu Hunderttausenden sitzen
Menschen die Nächte durch und planen, wie sie zwischen
die Arbeiter und deren Erzeugnisse sich hineinquetschen
können; das sind die Geschäftsleute. Die Kleinen von
ihnen, Krämer und dergleichen, greifen sich aus dem
Erzeugnis des Arbeiters irgend etwas heraus, woran sie
verdienen können; aber die großen Geschäftsleute benutzen
diese kleinen Geschäftsleute, um die Werterzeuger
für ihre Zwecke herzurichten. Den ganz großen Leuten
aber liegt nichts daran, den einzelnen Arbeiter auszubluten,
ihm seinen Profit wegzuschnappen, sondern sie
suchen sich zwischen die Hunderte und Tausende von
Arbeitern und ihre Erzeugnisse hineinzuschieben. Diese
Art von Glückspiel nennt man ‚die hohe Finanz‘. Ursprünglich
bestand das Geschäft nur darin, den Arbeiter
auszuplündern; dann aber taten sich die großen Räuber
zusammen und jagten einander die aufgehäufte Beute
ab. Unter den Übermenschen der Geschäfts- und Finanzwelt
gibt es, mit einigen seltenen mythischen Ausnahmen,
kein noblesse oblige. Diese modernen Übermenschen
sind eine Gesellschaft von Banditen, welche die erfolgreiche
Frechheit besitzen, ihren Opfern Gebote von Recht
und Unrecht zu predigen, an die sie sich selber nicht
kehren. Bei ihnen heißt es, eines Mannes Wort soll gelten,
so lange als er gezwungen ist, es zu halten. Du sollst
nicht stehlen, ist ein Gebot, das nur den ehrlichen Arbeiter
angeht; sie selber stehlen selbstverständlich und werden
von ihresgleichen der Größe ihrer Beute entsprechend
geschätzt. Obwohl jeder Räuber stets auf der Lauer
liegt, um jeden anderen Räuber zu berauben, so ist doch
die ganze Bande wohl organisiert. Sie hat tatsächlich
die Kontrolle über den politischen Mechanismus der
Gesellschaft. Sie bringt Gesetze durch, die ihr das Privileg
zum Rauben geben, und sie verschafft diesen Gesetzen
Achtung durch die Polizeiorgane, die Gerichte und die
Armee. Des Übermenschen Hauptgefahr liegt in seinem
Mitübermenschen, nicht etwa in der dummen großen
Masse des Volkes – die kann man durch den lächerlichsten
Bluff zum Narren halten – die zählt nicht mit.
Die hohe Finanz ist nur ein Pokerspiel auf höherer Basis,
aber man kann sehr wohl die Betrügereien und Vortäuschungen
dabei durchschauen, ohne sich sittlich darüber
zu entrüsten. Es ist eben die Ordnung der Natur, daß die
gigantische Nichtigkeit alles menschlichen Strebens von
den Banditen organisiert und ausgenutzt wird. Auch
zivilisierte Menschen berauben einander, weil sie eben so
geschaffen sind. Sie rauben, wie die Katze kratzt, der
Frost beißt und der Hunger kneift. Der große Finanzier
lernt sein Geschäft bald sportmäßig betreiben. Arbeiter
und kleine Leute beschwindeln, das ist zu leicht, zu dumm,
das ist ebensowenig ein Sport, wie etwa die Jagd auf die
fetten, in der Nudelkiste aufgezogenen Fasanen, wie sie
in England noch betrieben werden soll. Der große Sport
besteht darin, den erfolgreichen Räubern einen Hinterhalt
zu legen und ihnen die Beute wieder abzunehmen.
Das gibt Aufregung, das spannt, und zuweilen setzt es
dabei Klopffechtereien, an denen der Teufel seinen besonderen
Spaß hat.“
Spitzbüberei als guter Sport.
Die Übermenschen von Wallstreet tragen mit ihren
genialen Taten allerdings dazu bei, die Physiognomie der
Neuen Welt charakteristisch auszuprägen, besonders wenn
man ihr Treiben so auffaßt, wie jener witzige Engländer,
der einem Yankee auf die Behauptung: so smarte Geschäftsleute
wie in den Vereinigten Staaten hätten sie
drüben in England doch nicht, kaltblütig erwiderte:
„O ja, die haben wir auch – aber bei uns sitzen diese
Herren alle im Zuchthaus.“ Der Amerikaner hat eben
den guten Humor, die Taten seiner großen Spitzbuben,
wie Jack London, mit sportlichem Interesse zu verfolgen.
Er versteht aber einen sehr feinen Unterschied zu machen
zwischen den großen Tieren, über die er sich amüsiert,
und denen, auf die er stolz ist. Es gibt einige sehr vornehme
Klubs drüben, in deren Mitgliederverzeichnissen
man die Quintessenz des amerikanischen Genius suchen
darf, xfach durchgesiebte Auslesen von Herren- und
Höhenmenschen. So existiert z. B. in New York der alte,
hoch angesehene Century-Klub, in welchen nur Männer
aufgenommen werden können, die irgendeine bedeutungsvolle
Leistung auf irgend welchem Gebiete aufzuweisen
haben. Am 26. Februar des Jahres 1902 aber ergriff ein
Komitee, dem ein Dutzend der weltbekannten Industriefürsten
angehörte, die Gelegenheit eines festlichen Frühstücks
im Straßenanzug, um unserem Prinzen Heinrich
von Preußen das Hirn Amerikas auf einer
goldenen Schüssel darzubieten. Ungefähr
150 Einladungen ließen sie ergehen an jene Captains
of Industrie, wie Thomas Carlyle sie genannt hat:
„Jene Ahnherrn einer neuen, wirklichen, nicht bloß
eingebildeten Aristokratie!“ Bei diesem denkwürdigen
Frühstück wurde nicht die Schwere des Geldsacks in
Betracht gezogen; ausgeschlossen waren die bloßen
smarten Geschäftsleute, die tollkühnen Spieler des großen
Spiels; ausgeschlossen waren auch Leute, die nur vermittels
ihres hohen Ranges eine Augenblicksbedeutung
haben; es waren vielmehr nur wirkliche Feldherrn in dem
gewaltigen Heere der modernen Welteroberung durch
Wissenschaft, Technik, Handel und Industrie zur Huldigung
entboten. Dem Prinzen wurde vorher ein kleines gedrucktes
Heft überreicht, in dem die Eingeladenen dem
Alphabete nach aufgeführt und die Bedeutung jedes
Einzelnen in einer ganz knapp gefaßten Notiz erläutert
war. Die „New Yorker Staatszeitung“ sagte von diesem
Frühstück: „Der erlauchte Bruder des deutschen Kaisers
und mächtigen Beschirmers friedlicher Bestrebungen hat
heute echte und wahre Amerikaner kennen gelernt, Leute
von dem Schlag der Augsburger Fugger, Fürsten des
Handels, Baumeister unserer Größe. Es waren nicht
lauter Millionäre, die da saßen, aber sie gehörten ausschließlich
zu der Klasse jener Arbeiter, die die unerschöpfliche
Produktionskraft der Neuen Welt in Millionen umzumünzen
verstehen und die unseren Nationalwohlstand
begründen halfen.“
Die wahren Exzellenzen.
Ich besinne mich vergeblich auf eine Gelegenheit, bei
der ein Fürst der Alten Welt in ähnlicher Weise gefeiert
worden wäre. Wenn unsere gekrönten Häupter reisen, so
bekommen sie überall dieselben Exzellenzen, Geheimräte,
Spitzen der Behörden, Kriegervereine usw. zu sehen;
zweifellos lauter wackere und verdienstvolle Staatsbürger;
aber die wahrhaft führenden Köpfe, die genialen Organisatoren,
die Träger der modernen Ideen – jene Exzellenzen
im eigentlichen Wortsinne – jene Hervorleuchtenden –
sie finden sich nur in vereinzelten Exemplaren unter den
Aufwartenden. Und der Eifer der intimen Hüter des
Thrones, der Höflinge und Büreaukraten sorgt dafür, daß
von wirklich geistigen Potenzen diejenigen das Antlitz
des Herrschers niemals zu sehen bekommen, deren Gedankenschwung
sich keck über die Grenzen des beschränkten
Untertanenverstandes erhebt. Auch drüben in dem
Märchenlande der absoluten Gegenwart fehlten in der
Liste der Eingeladenen die großen Philosophen, Künstler
und Dichter, die Verkünder einer neuen Sittlichkeit und
einer neuen Religion, die kühnen Umwerter und gefährlichen
Fackelträger – sie mußten fehlen, weil sie
drüben noch nicht vorhanden sind, diese Kulturblüten
schwer von dem Honig einer glorreichen Vergangenheit.
Wann wird für Deutschland die Stunde schlagen, in
der ein Kaiser vor seinem Volke den Tanz der sieben
Schleier tanzt, wobei seine Majestät eine Hülle alter Vorurteile
nach der andern abwirft, um schließlich zum Lohne
das Hirn Deutschlands auf einer Schüssel zu fordern?
Vielleicht wird diese Schüssel nicht, wie drüben in dem
Lande der unerschöpflichen Naturschätze, von purem
Golde sein können – aber das Hirn wird sich sehen lassen
dürfen!
Einige für dies Werk benutzte und empfehlenswerte Bücher:
-
Dr. Otto Ernst Hopp, „Bundesstaat und Bundeskrieg in den Vereinigten
Staaten“. Zwei Bände. Verlag G. Grote. Berlin 1886.
-
Mc. Laughlin, „History of the American Nation“. Verlag
Appleton & Co. New York 1903.
-
Paul Bourget, „Outre Mer“. Verlag Alphons Lemerre. Paris 1905.
-
Georg von Skal, „Das amerikanische Volk“. Verlag Egon
Fleischel & Co. Berlin 1908.
-
Dr. Hintrager, „Wie lebt und arbeitet man in den Vereinigten
Staaten?“ Verlag F. Fontane & Co. Berlin 1904.
-
Wilhelm von Polenz, „Das Land der Zukunft“. Verlag F. Fontane
& Co. Berlin 1905.
-
Ludwig Max Goldberger, „Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.“
Verlag F. Fontane & Co. Berlin 1903.
-
A. von Ende, „New York“. Verlag Marquardt & Co. Berlin.
Namen- und Sachregister.
- Aberglaube
[203](Pg203).
- Adel
[261](Pg261), [175](Pg175) ff.
- Akademische Vergnügungen
[55](Pg055).
American plan (style) [240](Pg240), [244](Pg244).
- Angelsachsen
[21](Pg021).
- Antisemitismus
[31](Pg031).
- Arbeit
[105](Pg105), [107](Pg107), [261](Pg261).
- Armee
[177](Pg177) ff.
- Armour & Co.
[218](Pg218) ff.
- Asch, Schalom
[142](Pg142).
- Astor
[179](Pg179).
- Astorhotel
[239](Pg239).
Athletics [37](Pg037), [45](Pg045).
- Ausgestanden!
[17](Pg017).
Avenue, common wealth [126](Pg126).
Avenue, fifth [123](Pg123) f.
- Baker G. Eddy, Mrs. Mary
[196](Pg196) bis [200](Pg200).
- Bauern, lateinische
[265](Pg265).
- Bayreuth
[138](Pg138).
- Berufstreue
[106](Pg106), [254](Pg254).
- Bertsch, Hugo
[132](Pg132).
- Bibliotheken
[51](Pg051), [63](Pg063).
- Bier
[234](Pg234).
- Bildungsgang des Volkes
[63](Pg063).
- Bildungstrieb
[63](Pg063), [255](Pg255).
- Bischöfliche Hochkirche
[187](Pg187).
- Blood and Thunder-Show
[5](Pg005).
Bohemian Jinks [55](Pg055).
Bohemians [132](Pg132).
- Bordelle
[72](Pg072) f.
- Bosse, die politischen
[65](Pg065), [73](Pg073), [96](Pg096).
- Bret Hart
[133](Pg133).
Brooklyn-Bridge [233](Pg233).
- Bronzemesser
[110](Pg110).
- Buchgewerbe
[126](Pg126).
- Buffalo
[118](Pg118), [211](Pg211).
- Cafés
[112](Pg112), [119](Pg119), [237](Pg237).
Camping out [209](Pg209).
Campus [54](Pg054), [205](Pg205).
Car [172](Pg172).
- Carnegie
[80](Pg080).
- Cartesius
[120](Pg120).
- Century-Club
[281](Pg281).
- Chautauqua
[63](Pg063).
- Chauvinismus
[28](Pg028), [266](Pg266) ff.
- College
Cheers [43](Pg043) f.
- Chicagos Schlachthöfe
[218](Pg218)–[229](Pg229).
Christian Science [196](Pg196)–[203](Pg203).
- Clams
[118](Pg118).
Coeducation [36](Pg036), [55](Pg055), [82](Pg082), [84](Pg084).
Common sense [38](Pg038), [66](Pg066), [184](Pg184), [263](Pg263).
Compartement [172](Pg172).
Concerd, sacred [173](Pg173).
- Confessionslose Kirche
[205](Pg205) f.
- Cornell
[53](Pg053), [205](Pg205).
Denomination [49](Pg049), [188](Pg188) ff.
- Demokratischer Stolz
[105](Pg105).
- Demokratische Tugenden
[181](Pg181).
- Deutsch-Amerikaner
[28](Pg028) f., [36](Pg036), [264](Pg264) bis [271](Pg271).
- Deutsche Pflichten
[6](Pg006), [271](Pg271) f.
- Deutsche Städte
[265](Pg265).
- Deutsche System, das
[61](Pg061).
- Dienstboten
[94](Pg094)–[109](Pg109).
- Dienstmädchen, Karriere besserer,
[101](Pg101).
- Dienstpersonals, Pflichten u. Rechte des
[99](Pg099).
- Disziplin
[38](Pg038), [70](Pg070) f., [170](Pg170), [180](Pg180), [278](Pg278).
- Dollarmaschine
[273](Pg273).
- Doppelmoral
[77](Pg077).
Dormitorys [42](Pg042).
- Drew, Daniel
[179](Pg179).
- Ehe
[79](Pg079)–[93](Pg093).
- Ehescheidung
[79](Pg079), [88](Pg088) f.
- Ehrgeiz
[37](Pg037).
- Ehrlich-Hata
[74](Pg074).
- Ehrlichkeit
[182](Pg182).
- Einwanderers, die Kinder des
[29](Pg029).
- Eisenbahn
[275](Pg275) f.
- Eisenbahnen, Kundenfang der
[241](Pg241).
- Eiswasser
[17](Pg017).
- Eitelkeitsmarkt
[176](Pg176), [155](Pg155).
- Emerson Ralph Waldo
[62](Pg062).
Episcopal Church [187](Pg187).
- Erotik
[75](Pg075) ff.
- Erziehungskosten, Rückzahlung der
[83](Pg083).
- Eulenberg, Herbert
[145](Pg145).
- Europa, Vereinigte Staaten von
[272](Pg272).
- Exzellenzen, die wahren
[283](Pg283).
- Expreßelevator
[273](Pg273) f.
- Fahrpläne
[242](Pg242).
- Familienhäuser
[123](Pg123).
- Fensterputzer, der schwarze
[95](Pg095).
- Festessen
[10](Pg010) f.
- Fische
[115](Pg115).
- Fleischverarbeitung
[230](Pg230).
Flirtation [84](Pg084) f.
- Forschung, wissenschaftliche
[46](Pg046) f.
- Fortschritt, kampfloser
[275](Pg275).
Fraternitys [42](Pg042) f.
- Frauenakademien
[56](Pg056) ff.
- Friedrich, Max
[129](Pg129).
- Früchte
[111](Pg111), [118](Pg118).
- Fulda, Ludwig
[2](Pg002).
- Frauenverehrung
[26](Pg026), [34](Pg034), [70](Pg070), [80](Pg080), [90](Pg090), [174](Pg174), [246](Pg246).
- Gastfreundschaft
[9](Pg009).
- Geflügel
[114](Pg114).
- Geldheirat
[25](Pg025).
- Ghetto
[138](Pg138).
- Gold
[234](Pg234).
- Gould, Jay
[25](Pg025), [176](Pg176).
- Gouverneur
[10](Pg010).
- Germanistic Society of America
[VII](PgVII),
[XIV](PgXIV), [2](Pg002).
- Geschäftspolitiker
[65](Pg065).
- Geschlechter, freier Verkehr der
[84](Pg084) f.
- Gesetzen, Achtung vor den
[67](Pg067).
- Gesetzfabrikation
[173](Pg173).
- Gepäckaufgabe
[242](Pg242) f.
- Gesundbeter
[197](Pg197)–[200](Pg200).
- Grünhörner
[232](Pg232) ff.
- Graf, Dr. Alfred
[60](Pg060).
- Handwerk
[30](Pg030), [106](Pg106) f., [254](Pg254).
- Hapag
[269](Pg269).
- Hardt, Ernst
[147](Pg147).
- Harward
[44](Pg044).
- Hauptmann, Gerhart
[139](Pg139), [145](Pg145).
- Hauptmann, Karl
[2](Pg002).
- Hausfrauen
[91](Pg091) f., [93](Pg093), [101](Pg101).
Head lines (Kopfzeilen) [161](Pg161) f.
- Heilsarmee
[193](Pg193)–[196](Pg196).
- Heimatliebe
[171](Pg171), [259](Pg259).
- Hemdärmeligkeit
[249](Pg249).
- Heinrich, Prinz von Preußen
[18](Pg018), [226](Pg226), [282](Pg282).
- Heirat
[88](Pg088).
- Heiratslust ein Gesundheitszeugnis
[93](Pg093).
- Herald, New York
[164](Pg164).
- High School von Youngstown
[7](Pg007).
- Hotel
[207](Pg207), [236](Pg236) ff., [252](Pg252).
- Höflichkeitsbezeugungen
[13](Pg013), [170](Pg170), [247](Pg247) f.
- Hölle, Mittelpunkt der
[227](Pg227).
- Hudson
[207](Pg207), [215](Pg215) ff.
- Humanistische Bildung
[48](Pg048).
- Humoristische Lichter
[5](Pg005).
Icecream [17](Pg017), [113](Pg113) f.
- Illustrierte Zeitungen
[151](Pg151) ff.
- Indianer
[23](Pg023).
- Industriehäuptlinge
[149](Pg149), [282](Pg282).
- Interviewer
[8](Pg008), [19](Pg019), [158](Pg158) f.
- Inquisition
[21](Pg021).
- Jerusalem, Else
[74](Pg074).
- Judentum
[30](Pg030) f., [144](Pg144).
- Juristen
[263](Pg263).
- Kastengeist
[172](Pg172), [177](Pg177).
- Kaiser, der deutsche
[269](Pg269), [283](Pg283).
- Kannibalische Gerichte
[119](Pg119).
- Karikaturen
[160](Pg160).
- Kasernenleben
[180](Pg180).
- Kaufmann, Reginald Wright
[73](Pg073).
- Katholizismus
[188](Pg188).
- Kauer, das Volk der
[120](Pg120).
- Kaugummi
[121](Pg121).
- Kelten
[21](Pg021).
- Kempinskis System
[120](Pg120).
- Keßler, David
[139](Pg139) ff.
- Kindervergötterung
[33](Pg033) f., [244](Pg244).
- Kinderzucht
[35](Pg035).
- Kirchenwahl
[203](Pg203) f.
- Kleidung
[124](Pg124).
- Knickebockers
[175](Pg175).
- Kochkunst
[111](Pg111)–[120](Pg120).
- Koketterie
[79](Pg079), [85](Pg085).
- Komisch finden, was sie alles
[7](Pg007).
- Kongreß deutscher Mißgeburten
[27](Pg027).
- Kontrakte der Dienstboten
[99](Pg099).
- Korruption
[65](Pg065) ff.
- Krüger, Hermann Anders
[2](Pg002).
- Kunstbedürfnis
[129](Pg129).
- Kunst, nationale
[62](Pg062), [131](Pg131).
- Küssen, vom
[87](Pg087), [247](Pg247).
- Kurmacherei, unverbindliche
[85](Pg085).
- Landschaftsregisseure
[212](Pg212) ff.
- Laughlin, Andrew C. Mc.
[36](Pg036).
Legal Aid Society [192](Pg192).
- Lenau, Nikolaus
[1](Pg001).
- Lehrer und Lehrerin
[38](Pg038) ff.
- Leitartikel
[154](Pg154).
- Leithammel
[219](Pg219).
- Lesefutter für Kinder und Unmündige
[151](Pg151).
- Lichtreklame
[122](Pg122), [211](Pg211).
- Liebe, die, in der Öffentlichkeit
[87](Pg087).
- Liebesheirat
[25](Pg025).
- Liebesverhältnis
[77](Pg077), [86](Pg086) f.
- Liebe und Ehe
[79](Pg079)–[93](Pg093).
- Liliencron, Detlev v.
[1](Pg001).
- Lindau, Paul
[1](Pg001).
- Lloyd, Norddeutscher
[269](Pg269).
- Lobby, die
[237](Pg237).
- London, Jack
[132](Pg132), [279](Pg279) ff.
- Longfellow
[133](Pg133).
- Lügner
[37](Pg037).
- Lynch, Richter
[263](Pg263).
- Manieren
[27](Pg027), [29](Pg029), [92](Pg092).
- Mann, G. A.
[201](Pg201) ff.
- Malerei
[126](Pg126), [130](Pg130).
- Mannszucht
[117](Pg117) ff.
- Mark Twain
[133](Pg133).
- Massengeschmack
[133](Pg133), [163](Pg163) f.
- Materialismus
[193](Pg193), [250](Pg250).
- Mayflower
[175](Pg175).
- Mädchenhandel
[73](Pg073).
- Mäzene
[51](Pg051) ff.
- Menschen, neue deutsche
[278](Pg278) f.
- Menschliche Niedertracht
[223](Pg223).
- Mischlinge
[23](Pg023) f.
- Mitgift
[25](Pg025), [81](Pg081).
- Modedamen
[80](Pg080), [90](Pg090) f.
- Monatsschriften
[164](Pg164).
- Moralbegriff
[78](Pg078), [164](Pg164).
- Morgentoilette des Tätowierten
[245](Pg245).
- Multimillionäre
[79](Pg079) f.
- Muschenheim, Gebrüder
[239](Pg239).
- Musiker, deutsche
[128](Pg128) ff.
- Nacktheit in der Kunst
[127](Pg127), [174](Pg174).
- Neger
[95](Pg095) ff., [99](Pg099), [173](Pg173).
- Negerkirchen
[188](Pg188) ff.
- Neidlosigkeit
[183](Pg183).
- Nervosität
[11](Pg011).
- Niagarafälle
[209](Pg209) ff.
- Niggerlied
[128](Pg128), [188](Pg188), [191](Pg191).
- Niggerpoesie
[188](Pg188) ff.
- Oper
[136](Pg136) ff.
- Operette
[146](Pg146) f.
- Optimismus
[21](Pg021), [32](Pg032), [108](Pg108), [215](Pg215), [263](Pg263).
- Osborn, Prof. Dr. Henry F.
[149](Pg149) f.
- Orden
[53](Pg053), [176](Pg176).
- Pagen
[237](Pg237).
- Papiergeld
[234](Pg234).
- Parsifal
[128](Pg128).
- Päpstin, Tod der
[198](Pg198) f.
- Philister
[260](Pg260).
- Photographie
[126](Pg126).
- Pilgerväter
[21](Pg021), [75](Pg075), [186](Pg186).
- Pinsky, David
[139](Pg139).
- Plastik
[127](Pg127).
- Poet, der neuweltliche
[130](Pg130).
- Polenz, Wilhelm v.
[1](Pg001).
- Politik
[65](Pg065) ff., [271](Pg271), [264](Pg264) f., [154](Pg154).
- Polizei
[67](Pg067), [72](Pg072), [74](Pg074), [171](Pg171).
- Postgraduates
[51](Pg051).
- Prachtbauten
[122](Pg122) f.
- Presse, deutsche
[167](Pg167).
- Presse, gelbe
[149](Pg149), [153](Pg153), [161](Pg161), [164](Pg164), [255](Pg255).
- Privatgelehrte
[50](Pg050).
- Proletariat, gelehrtes
[50](Pg050).
- Professor, der
[53](Pg053) f.
- Professor, der, als Mädchen für alles
[103](Pg103).
- Prohibition
[171](Pg171), [174](Pg174).
- Prostitution, die
[73](Pg073).
- Prüderie
[4](Pg004), [74](Pg074), [132](Pg132), [145](Pg145), [174](Pg174).
- Publikums, Psychologie des
[3](Pg003).
- Puritaner
[21](Pg021) ff.
- Pullman-Wagen
[172](Pg172) f., [243](Pg243) ff.
- Quäker
[204](Pg204).
- Radiopathie
[199](Pg199) f.
Ragtime [128](Pg128).
- Rasse, amerikanische
[20](Pg020) ff., [256](Pg256) ff., [268](Pg268).
- Rassestolz
[23](Pg023).
- Raubritter
[179](Pg179).
- Rauchplage
[68](Pg068).
Reception [9](Pg009), [12](Pg012) ff.
- Redegabe
[10](Pg010) f., [39](Pg039).
Refinement [47](Pg047).
- Reinhardt, Max
[142](Pg142), [147](Pg147) f.
- Reinheit, erotische, der Männer
[75](Pg075) f., [82](Pg082).
- Reklame
[156](Pg156), [208](Pg208), [210](Pg210).
- Rekordfieber
[251](Pg251).
- Rekrutierung
[177](Pg177).
- Reliquienverehrung
[50](Pg050).
- Renommage
[33](Pg033).
- Rentiers
[81](Pg081).
- Reporter 8,
[241](Pg241), [237](Pg237), [160](Pg160) f.
- Richter
[262](Pg262) f.
- Rockefeller jun.
[74](Pg074).
- Romantik
[87](Pg087) f.
- Salat
[116](Pg116) f., [117](Pg117).
- Schaukelstühle
[125](Pg125).
- Scheidung, die
[89](Pg089).
- Schlachtverfahren für Schweine
[227](Pg227).
- Schlachtverfahren für Rinder
[229](Pg229).
- Schlangenfraß, intellektueller
[157](Pg157).
- Schliff, der letzte
[47](Pg047).
- Schnitzler
[86](Pg086).
- Schönheit, körperliche
[26](Pg026).
- Schönheiten, berufsmäßige
[59](Pg059), [104](Pg104).
- Schule
[35](Pg035) ff.
- Schülerverbindungen
[39](Pg039).
- Schurz, Karl
[267](Pg267).
- Sehenswürdigkeiten
[9](Pg009).
- Sekten
[186](Pg186) ff.
- Selbsthilfe, energische, eines Damenklubs
[69](Pg069).
- Sensationsartikel
[164](Pg164) ff.
- Sentimentalität
[87](Pg087).
- Sexuelle Heuchelei
[75](Pg075).
- Sinclaire, Upton
[226](Pg226).
- Skal, Georg v.
[38](Pg038).
- Sklaverei
[109](Pg109).
- Snobismus
[251](Pg251) ff.
Social evel, the [72](Pg072) ff.
- Soldatenwerbung
[179](Pg179).
- Söldnerheer
[181](Pg181).
- Sommerfrischen
[209](Pg209).
Sororitys [58](Pg058).
- Sozialdemokratie
[180](Pg180), [185](Pg185).
- Sparsamkeit
[235](Pg235).
- Speisehäuser, billige
[119](Pg119).
- Spekulationsheiraten
[81](Pg081).
- Spießertum
[183](Pg183), [185](Pg185).
- Spione, japanische
[181](Pg181).
- Spitzbüberei als Sport
[281](Pg281).
- Sport
[44](Pg044) ff., [54](Pg054), [281](Pg281).
- Sportberichte
[153](Pg153) f.
- Sportliche Wettkämpfe
[45](Pg045).
- Staatszeitung, New Yorker
[167](Pg167), [282](Pg282).
- Stanley, Henry M.
[162](Pg162).
- Steuben, Baron
[36](Pg036).
- Stiefelputzen
[100](Pg100).
- Straßendemonstrationen
[97](Pg097).
- Straßenpflaster
[124](Pg124).
- Straßenverkehr
[71](Pg071).
- Strauß, Richard
[97](Pg097), [98](Pg098), [148](Pg148), [160](Pg160).
- Studenten, arme
[43](Pg043).
- Studentenverbindungen
[43](Pg043).
- Studentin, Typus der
[59](Pg059).
Subway [232](Pg232).
- Süßigkeit
[111](Pg111) f., [117](Pg117).
Sweet Potatoes [115](Pg115).
- Tafelfreuden im Pensionat
[115](Pg115).
Tammany Hall [186](Pg186).
- Tante, die alte
[173](Pg173).
- Tauschhandel, Töchter im
[25](Pg025).
- Technische Hochschulen
[49](Pg049).
- Technik und Wissenschaft
[49](Pg049).
- Telephon
[237](Pg237), [249](Pg249), [273](Pg273).
- Theater, amerikanisches
[135](Pg135)–[138](Pg138).
- Theater, deutsches
[143](Pg143)–[148](Pg148).
- Theater, jiddisches
[138](Pg138) ff.
- Theatre, New
[136](Pg136).
- Todessprung, der
[221](Pg221).
- Toleranz
[22](Pg022).
- Touristen
[211](Pg211).
- Transcript, Boston
[162](Pg162).
- Trennung von Staat und Kirche
[185](Pg185), [263](Pg263).
- Trinkgeld
[235](Pg235) f., [238](Pg238).
- Trustmagnaten
[68](Pg068).
- Übermensch, der, von Wallstreet
[279](Pg279) ff.
- Undergraduates
[42](Pg042).
- Unglücksfälle, Verbrechen
[153](Pg153) f.
- Uniform
[180](Pg180).
- Unitarier
[189](Pg189).
University Extension [63](Pg063), [255](Pg255) f.
- Urban, Henry F.
[XII](PgXII).
Usher [13](Pg013), [16](Pg016).
- Verbrecher, Behandlung der
[262](Pg262).
- Vereinsleben
[6](Pg006) f., [255](Pg255), [266](Pg266), [269](Pg269).
- Verfassung der V. St.
[36](Pg036).
- Virginians, true
[175](Pg175).
- Volkslied
[3](Pg003), [130](Pg130).
- Völker, junge, u. Kinder
[33](Pg033).
- Vorstellen, nicht!
[13](Pg013).
- Vorurteile, demokratische
[62](Pg062).
- Wahlmanöver
[73](Pg073).
- Walt Whitman
[133](Pg133).
- Walter, Dramatiker
[86](Pg086), [132](Pg132).
- Wedekind, Frank
[145](Pg145).
- Wehrpflicht
[180](Pg180).
- Wellesley-College
[56](Pg056)–[59](Pg059).
- Weltanschauung
[46](Pg046).
- Wettkämpfe
[44](Pg044) f.
- White, Dr. Andrew D.
[108](Pg108), [203](Pg203), [205](Pg205) f.
- Wildpret
[115](Pg115) f.
- Williams, Roger
[22](Pg022).
- Wissenschaftliche Speisekarte für Damen
[57](Pg057).
- Wohltätigkeit
[194](Pg194).
- Wohnhäuser, Stil der
[208](Pg208).
- Wohnungseinrichtung
[124](Pg124) ff.
- Wolkenkratzer
[123](Pg123), [273](Pg273) f.
- Yale
[44](Pg044).
- Yankee
[20](Pg020).
- Zahnarzt
[113](Pg113).
- Zukunft, schwierige Frage an die
[109](Pg109).
- Zwangsheirat
[78](Pg078).
Verlag von F. Fontane & Co., Berlin/Dahlem
Wie lebt und arbeitet man
in den Vereinigten Staaten?
Nordamerikanische Reiseskizzen
von
Dr. Hintrager
Geheimer Regierungsrat
Preis: broschiert M. 5,–; geb. M. 6,50
II. Auflage
New Yorker Staatszeitung:
(Aus einem mehrere Spalten füllenden Feuilleton.)
Dr. Hintrager hat in seinem Buche: „Wie lebt und
arbeitet man in den Vereinigten Staaten?“ ein gutes
Werk geliefert; er hat geraume Zeit in den Vereinigten
Staaten zugebracht und sich bei seinen wiederholten
Besuchen des Landes nicht darauf beschränkt, die
Außenseite der Dinge anzusehen. Er hat nicht nur auf
einer Farm in Jowa gewohnt, sondern dort auch einige
Monate mitgearbeitet. Er hat die Schulen gründlich
studiert, ist im Bureau eines Rechtsanwaltes tätig gewesen,
hat die meisten der größeren Strafanstalten
besucht und geprüft und juristische Vorlesungen gehalten.
Kurzum, er hat einen Blick in das innere Leben
des Volkes getan und weiß hübsch und interessant davon
zu erzählen.
Sehr gut und lesenswert – auch für Deutsch-Amerikaner,
die über diesen Punkt wenig unterrichtet
sind – ist das Kapitel über die Amerikanerin. Man
fängt doch an, einzusehen, daß die amerikanische Frau
nicht bloß das Sofakissen ist, für das man sie so lange
gehalten hat.
Verlag von F. Fontane & Co., Berlin/Dahlem
Das Land
der
unbegrenzten Möglichkeiten
Beobachtungen über das Wirtschaftsleben
der Vereinigten Staaten von Amerika
von
Ludwig Max Goldberger
Geheimer Kommerzienrat
Preis: broschiert M. 5,–; geb. M. 6,50
VIII. Auflage
Literarisches Zentralblatt, Leipzig:
Unter der in der letzten Zeit beträchtlich angeschwollenen
Literatur über die Vereinigten Staaten
darf das vorliegende Werk wohl den ersten Platz
beanspruchen. Eingehende Sachkunde, erschöpfende
Gründlichkeit, genaue Detailforschung ohne jede Voreingenommenheit
und Gefälligkeit der Darstellung
zeichnen dieses Werk besonders aus. Man muß selbst
auf den Spuren des Verfassers in den Vereinigten
Staaten gewandelt sein, um die stets zutreffende und
mit wenigen Worten überaus anschaulich gezeichnete
Schilderung ganz würdigen zu können, welche in diesem
Werk vom Boden und den Menschen, von der Arbeit
und den Werkstätten, dem Nationalreichtum, den
Eisenbahnen und Steuern, der Arbeiterfrage und dem
Trustwesen und verschiedenem anderen gegeben sind.
Durch das ganze Werk zieht sich die nicht hoch genug
zu veranschlagende Tendenz, die beiden großen Nationen
menschlich und wirtschaftlich näher zu bringen ...
Verlag von F. Fontane & Co., Berlin/Dahlem
Das Land der Zukunft
oder:
Was können Amerika und Deutschland
voneinander lernen?
Von
Wilhelm von Polenz
Preis: broschiert M. 6,–; geb. M. 7,50
VI. Auflage
St. Petersburger Zeitung:
Polenz beweist auch hier bei dem Studium fremder
Verhältnisse die glänzende Beobachtungs- und Schilderungsgabe,
die wir in seinen Dichtungen, besonders
in seinem klassischen Roman „Der Büttnerbauer“ bewundern.
Mit offenen Augen hat er sich in der amerikanischen
Welt umgesehen und schildert scharf und
klar, ohne sich auf der einen Seite durch wirkliche und
scheinbare Erfolge blenden oder aber durch das, was
dem Europäer fremd, sonderbar und vielfach auch abstoßend
erscheint, beirren zu lassen.
Rheinisch-Westfälische Zeitung, Essen:
Nicht landläufige Reiseeindrücke sind es, die uns
Polenz wiedergibt, er entrollt vielmehr vor uns ein
treffliches, wahrheitsgetreues, interessantes Gemälde
von kulturhistorischer Bedeutung, von den Verhältnissen,
Sitten und Gebräuchen der heutigen Welt.
Bemerkungen zur Textgestalt
Die lebenden Kolumnentitel sind als Randnotizen wiedergegeben.
Korrektur von offensichtlichen Druckfehlern:
[Seite 6](corr006): „Clownspässen“ geändert in „Clownspäßen“
[Seite 16](corr016): „sterotypen“ geändert in „stereotypen“
[Seite 39](corr039): „rethorische“ geändert in „rhetorische“
[Seite 107](corr107): „grossen“ geändert in „großen“
[Seite 109](corr109): „Unständen“ geändert in „Umständen“
[Seite 118](corr118): „Neuurastheniker“ geändert in „Neurastheniker“
[Seite 172](corr172): „Pullmann“ geändert in „Pullman“
[Seite 192](corr192): Anführungszeichen entfernt hinter „können?“
[Seite 201](corr201): Anführungszeichen entfernt hinter „Gewalt!“
[Seite 204](corr204): „auschließlich“ geändert in „ausschließlich“
[Seite 222](corr222): „Jhr“ geändert in „Ihr“
[Seite 256](corr256): Anführungszeichen ergänzt vor „Qualität“
[Seite 269](corr269): „uneingegeschränkte“ geändert in „uneingeschränkte“
[Seite 286](corr286d): „Karrikaturen“ geändert in „Karikaturen“
Ungewöhnliche Schreibungen von Eigennamen (etwa Oklahama
, Sherlok-Holmes
) und englischen Begriffen
wurden nicht korrigiert.
Im Register wurden die Interpunktion vereinheitlicht und einige Einträge an die
alphabetisch korrekte Stelle versetzt.