The Project Gutenberg EBook of Der Fremde by Hans von Kahlenberg This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org/license Title: Der Fremde Author: Hans von Kahlenberg Release Date: May 25, 2011 [Ebook #36227] Language: German Character set encoding: US-ASCII ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER FREMDE*** Der Fremde. Ein Gleichniss von Hans von Kahlenberg. Dresden und Leipzig. _Verlag von Carl Reissner._ 1901. DAS ERSTE KAPITEL. Es war Weihnachtsabend. Das Wetter war schlecht gewesen seit Wochen schon, keine Kaelte, aber bestaendig sickerte von oben eine feine, durchdringende Feuchtigkeit. Der Himmel schien sehr nah an die Erde gerueckt, die Grenzlinien beider vermischten sich in diesem Grau, das Alles einhuellte, aufloeste, aus der Erde kroch, sich herabsenkte in wattiger, flockender Schicht. Wie durch einen Schleier gewahrte man die naechsten Gegenstaende, kahle Baumstuempfe verkuemmerter Weiden, Rasenflecke des Feldrains, und Telegraphenstangen. Sie folgten sich in regelmaessigen Abstaenden wie Schildwachen einer ungezaehlten einzingelnden Armee, die man nicht sah, die da im Nebel lauerte, wo er sich zu verdicken schien, braun wurde, mit schwarzen Ausstroemungen, die sehr lange Linien durch die Luft zogen und haengen blieben. Sie brachten einen faden Gasgeschmack in die scharfe Kaelte, den Moorgeruch der aufgeweichten Felder. Seit Wochen durchschwemmte sie der Regen, unbarmherziges, Alles durchdringendes Gewaesser, in dem die letzten Lebensreste des Sommers sich aufloesten, verfaulten.... Irgendwo da - sehr weit ab noch - vor ihnen lag die Stadt. Manchmal hoerte man Eisenbahnzuege kreischen; sie glitten rasch auf rohaufgeworfenen Daemmen mit Alarmrufen der Schiffe auf hoher See in der Nacht. Die Stille und der Nebel herrschten wieder, eine unheimliche, lastende Stille, hinter der das ueberreizte Ohr Laerm zu vernehmen glaubte - des Meers, oder einer Schlacht. Ein heissrer Athem streifte von da zuweilen: Menagerie, Kuechengeruch, Schweiss, - diese undefinierbare Atmosphaere, die die Naehe einer grossen Stadt anzeigt, einer jener gewaltigen, ueberquaelten Lungen des zusammengepressten Menschheitsorganismus, wo die natuerliche Luft nicht genuegt, verbraucht lasten bleibt, in einem Nebel, der nicht weggeht, sich erhitzt am Abend von Millionen Lichtern, neu aufsteigt jeden Morgen aus athmenden Bruesten. Lachen hatten sich auf der Chaussee gebildet. Ihre ganze Oberschicht bestand aus einem weichen, feinen Schmutz, der sich teigig an die Stiefel ansetzte, sofort krustete; und vor allem war er kalt, von einer Kaelte des Eiswassers, unterer Schichten unter dem Wasser, die nie die Sonne sahen. Er trug sich schwer; auf der Hoehe des Strassendammes zog er sich endlos hin, kleine Teiche bildend, Runzeln und Raender, die Spuren unzaehliger Menschenfuesse, Pferdehufe, die da gegangen waren. Manchmal schleppte sich ein Lastwagen muede vorueber. Die Raeder knatterten auf dem harten Kiesgrund unter der Kothschicht. Langsam, von oben bis unten mit Schmutzkrusten bedeckt, schritten die Pferde. Unter seiner gelben Plancapotte liess der Fuhrmann misstoenige Laute des Unbehagens vernehmen. An solchen Tagen trinkt man. Er hatte Eile anzukommen, sich von Neuem zu fuellen mit Warmem, das von innen hitzt, die Traurigkeit wegnahm, die sich in grauer Schicht aus diesem sonnenlosen Abendhimmel herabsenkte. Auch raschere Gefaehrte rollten vorueber, Baecker- oder Fleischerwagen aus den Vororten mit warmgekleideten, wohlgenaehrten Insassen. Jetzt liessen sie die Gaeule ausgreifen, um nach Hause zu kommen, knallten mit der Peitsche im Vorgefuehl der Heimathfreude, warmer Oefen und wohlbesetzter Abendbrottische. Arbeiter sah man nicht mehr. Sie hatten frueher Feierabend gemacht wegen des Festes, und es wurde spaet. Da und dort an den Bahnkoerpern entzuendeten sich Lichter. Sie konnten nicht ankaempfen und blieben wie blasse Wasserflecken in dem Nebel, der sich nur zusammenballte, dunkel wurde, vom Weissgrau des sonnenlosen Tages zum Schwarz der Winternacht, die da ueber die Felder herbeikam, Alles verschlingend, einpackend, bis auf die Chaussee, die sich hinzog ohne Baeume, ein endloser Landstreifen durch die Oede. Zwei Handwerksburschen zogen auf der Chaussee entlang. Es waren Arbeitslose. Der Eine war ein Boettchergesell aus Greifenberg in Pommern, der Andere zog schon seit lange so. Er hatte Drechseln gelernt. Aber das Handwerk warf nichts ab; vielleicht war ihm auch nach und nach die Gewohnheit der regelmaessigen Arbeit verloren gegangen. Er war der bedeutend Aeltere. Die Beiden hatten sich in der Herberge zur Heimath in Bernau kennen gelernt und zogen nun auf Berlin zu, die grosse Metropole der Arbeit und des Verdienstes, um da ihr Glueck zu versuchen. Der Juengere war aengstlich; dennoch voll guter Hoffnungen. Er begriff es nicht, dass ein Mensch, der arbeitsam und maessig war, arbeiten wollte, keine Arbeit finden sollte. Er glaubte an ein voruebergehendes Missgeschick. Berlin sollte ihm Glueck bringen, obwohl es ihm Furcht einfloesste. Er war ein Junge, der zu Hause aus ganz kleinen, aber geordneten Verhaeltnissen kam. Sein Vater war beim Torfstechen ertrunken. Er hatte fuer die Mutter und drei kleine Geschwister mitsorgen muessen; alles das hielt sich ueber Wasser, lebte sehr respektabel. Er war ein Kind geblieben, mit runden, erstaunten Augen, die vergebens den Nebel zu durchforschen schienen, etwas aengstlich vor dem Gefaehrten an seiner Seite, aber doch gefuegig gegenueber dessen groesserer Welterfahrung, beeindruckt vom Cynismus seiner Reden und Handlungen. Der war ein ziemlich wuester Gesell, der durch die halbe Welt gerollt war. Man wusste nicht, woher er kam, und er sprach nicht davon. Seine Papiere wiesen allerlei Bestrafungen auf, fuer Diebstaehle, Widersetzlichkeiten. Das hatte ihn nicht gebrochen. Es lag Hohn und Trotz gegen die Gesellschaft in seiner Art, das Bewusstsein eines Ichs, der Kraft, in diesem Menschen, der mit klaffenden Schuhen ueber die Landstrasse stapfte, Hass gegen die Kaelte, der er den Alkohol entgegensetzte, den brennenden Rausch, der besser hitzt wie Feuer. Ein gewisser Galgenhumor kam ueber ihn, waehrend sein Gefaehrte aengstlich in seine blaugefrornen Finger pustete, die besten Stellen im Matsch aussuchte, um seine Fuesse zu schonen, vor allem die Schuhe, die trotzdem schon barsten, Wasser einliessen, das sickerte, quietschte zwischen den Sohlen. Der Kumpan sah es mit gutmuethigem Spott: "Gieb's nur auf, kleiner Richard! Das nuetzt Dir nichts. Das frisst sich durch Pelz und Wolle, um so mehr durch Lumpen und Loecher. Dagegen giebt's nur eins!" Er bot dem Andern die Flasche, die der aengstlich zurueckwies. So leerte er sie selbst auf einen Zug. "Das giebt wenigstens Muck! Das ist die einzige vernuenftige Erfindung in diesem elenden Hundedasein. Sie sagen, der Teufel hat sie gemacht. Mich duenkt, der Teufel, das ist der einzige wahre Heilige in der ganzen Muschpoke. Er ist mein Schutzpatron. Es lebe der heilige Satanas!" Der Kleine sah sich scheu um, ob Jemand die Laestrung hoerte. Er war fromm erzogen, gewohnt in die Kirche zu gehen des Sonntags. Die Mutter sass da und die andern alten Weiber in schwarzen, gehaekelten Kopftuechern mit dem goldbedruckten Gesangbuch. - Es war hart, dass man keine Arbeit fand. Aber er vertraute auf Gott. Und Berlin war nah, wo Tausende arbeiteten und assen. Sehr muede war er und weit konnte es nicht mehr sein. Es war, als ob Fritz Kuhlemann seine Gedanken errieth: "Ja, das ist fein, nach Hause zu kommen, wenn Einem die Olle schon in der Thuer entgegenlaeuft! Der Junge haengt sich uns an den Rock. Auf dem Tisch dampft ein guter Happenpappen. Die Stube ist schon abgeschlossen, weil da der Christbaum steht. - So gut wird's uns nicht bei meinem Freund Matzke. Eine fidele Bude, und Maedels auch die schwere Menge! Ich moechte wissen, ob die rothe Lene noch da ist?" ... Er vertiefte sich in diese Erinnerungen, Saufgelage, Pruegeleien, Dirnen,... waehrend der Andre neben ihm hertrottete. Er war sehr muede. Er haette am liebsten geweint, aber er schaemte sich. "Du bist auch noch so ein Gruener. Dich werden sie schon erst hochnehmen! Wenn Du denkst, mit Gottvertrauen und Dummheit kommt man durch die Welt! Das ist gut fuer die, die mit einem silbernen Loeffel im Munde geboren sind. Unsereiner, wenn der nicht eine Nase zehnmal so fein hat und Krallen zehnmal so lang, - dann kannst Du Dich man gleich am naechsten Laternenpfosten aufhaengen lassen. Da drinne, da verstehen sie's! Ist schon Mancher wie die reine Unschuld vom Lande eingewandert. Und wie er wieder rausgekommen ist! Per Schub mit zwei Gensdarmen neben sich. Auf Sonnenburg zu, oder Ploetzensee. Ich kannte Einen, den haben sie gehetzt wie das liebe Vieh. In den Weiden und Binsen unten bei Tegel. Jede Nacht die Jagd und den ganzen Tag lang. Ob das noch ein Mensch ist! - Todtgeschlagen hatte er Einen. Todtschlagen - das ist auch dumm. Alles todtschlagen, kurz und klein! Dann waer's noch was." Nun ermannte sich der Andre. "Es giebt doch aber auch noch gute Menschen auf der Welt." "Hast Du je Einen gesehn, dem's auch gut gegangen ist dabei? Die Schlechten, die kommen auf, die sind hoch. Verfluchte Schweinerei!" "Man kann's. Wenn man ehrlich ist und arbeitet." "Versuch's doch! Geh hin! Biete Deine Arbeit an. Lauf rum! Verkauf Dich fuer vier Groschen den Tag. Sieh doch, ob Dich Einer nimmt! En Vieh und en Esel. - Aber ein Stueck Mensch! Und dann fallen Einem die Lumpen immer mehr vom Leib. Der Schutzmann haelt die Augen drauf. Und wenn Du mal auf einer Bank, unter der Bruecke einschlaefst, hat er Dich am Kragen. Dann geht's auf die Wache. Na, und wenn die erst ihren Stempel draufgesetzt haben! Die grosse Klappe - oder der Strick vorher und das stille Wasser!" Der Andre war dem Weinen sehr nahe. Es war die grosse Muedigkeit und die Aufregung vor dieser Stadt, die sich naeherte, wie das Verhaengniss, unsichtbar, in dem Nebel, der immer dicker wurde. Ein Wagen, der vorueberfuhr, eine Equipage oder geschlossene Droschke, bespritzte sie von oben bis unten. Kuhlemann sprang mit einem Fluch zur Seite: "Verdammte Protzenbande! Ich goennt's Euch! Ich goennt's Euch! Frisst sich satt von unserm Mark und Knochen. Sauft sich voll von unserm Blut, bis sie besoffen sind und speien!" Sie waren jetzt in der Gegend der Fabriken. Von beiden Seiten reihten sich dunkle, niedrige Schuppen um gemauerte Schlote, mit Latten eingezingelte Hoefe. Man sah die schwarzen Eisenconstructionen zum Heben, die achatne Spiegelung der Fensterscheiben, ungeheure, stumpfe Massen aufgeschichteten Materials, die warteten, sich zersetzten. Aber Alles lag ganz still wegen des Festes, Alles war sehr schwarz. Der Kohlengeruch wurde bemerkbarer. Auf ihren Schienenstraengen eilten die Zuege der Vororte mit roten und gruenen Lichtern, wie grosse Schlangen mit Augen, in die schweigende Ebene ausgeschickt. Der kleine Richard war vollkommen kaput. "Ach mein Gott!" schluchzte er auf. "Mein Gott!" "An den glaubst Du auch noch?" Die Nachwirkung des Schnapses begann sich bei Fritz Kuhlemann zu aeussern. Er sah roth jetzt und schrie mit erhobner Stimme: "Die olle Finte, die uns die Pfaffen aufgebunden haben, damit wir kuschen und nicht Muck sagen! Ich sage Dir, wenn's den giebt da oben, dann kann er sich begraben lassen fuer das, was er gemacht hat. Ich lach' ihm in's Gesicht. Ich schlag' ihm die Faust in's Gesicht fuer sein feines Zauberkunststueck hier!" Die Laestrung verhallte in der Dunkelheit, die sich nicht ruehrte. Ein Wind schien sich erhoben zu haben, strich mit schriller Klage ueber die Telegraphendraehte, durch die Loecher der Jacke, in der der Kleine sich zusammendrueckte. Alles blieb so, die schwarzen Fabrikgebaeude, die Dunkelheit, die Kaelte.... Und in der Ferne das Verhaengniss, das anzog, sich naeherte, etwas Schwarzes, Compactes, mit Augen ... Berlin, die Grossstadt. "Guten Abend!" sagte eine Stimme neben ihnen. Jemand musste an ihrer Seite heraufgekommen sein. Er war wohl von rueckwaerts nahe gekommen. Sie hatten ihn nicht gehoert, weil der weiche Schmutz alle Schritte erstickte. Und es war finster. Sie sahen, dass es ein Mann war. Er mochte in ihrer eigenen Groesse sein, nicht ueber Mittelgroesse. Er trug die Tracht eines Arbeiters, nicht gut und nicht schlecht, die eines Mannes, der Arbeit gethan hat und weit gewandert ist. "Guten Abend!" sagte der Fremde noch einmal. Er sagte es mit einer ruhigen, sehr angenehmen Stimme, die aus dem Nebel zu kommen schien. Etwas von Traurigkeit und Entfernung lag in dem Klang der Stimme. "Guten Abend!" sagte der kleine Richard. Fritz Kuhlemann brummte widerwillig seinen Gruss. Der Fremde war an ihrer Seite geblieben. Er ging denselben Schritt wie sie. Nur war es dem Kleinen, als ob der Wind ihn jetzt nicht so traefe. Er empfand das angenehm. "Es ist spaet," sagte der Fremde. "Und es ist kalt hier aussen." "Das ist nun nicht gerade etwas Neues, was Du uns sagst," hoehnte Fritz Kuhlemann. "Wenn Du eine Pulle in Deiner Tasche hast und etwas Warmes drin, thaetest Du uns einen groesseren Gefallen, wenn Du uns theilen liessest." "Ich habe keinen Wein und keinen Branntwein," sagte der Fremde. "Ich komme von weit. Und es ist spaet." "Sehr spaet, um den Christbaum zu schmuecken und den Aufbau fertig zu stellen. Aber vielleicht sind Sie hier herum Hausbesitzer oder haben eine Villa gemiethet und die liebe Familie erwartet Sie?" "Ich habe kein Haus." "Dann wuerde ich Dir rathen, Freund, dass Du Dir Geld in die Tasche thust. Denn umsonst giebt's hier nichts auf dieser faulen Welt. Und zumal in Berlin, wohin wir unsre Schritte jetzt lenken. Mein Freund Matzke kann sehr eklig werden gegen flaue Kunden. Also, Freundchen, wenn Deine Tasche wohlgefuellt ist, oeffne sie und spendire Deinen guten Freunden, die im Dalles sind, in der That nicht wissen, wo sie ihr Haupt niederlegen sollen." "Ich habe kein Geld Dir zu geben," sagte der Fremde. Er sagte es traurig, mit seiner sanften, klingenden Stimme, die von sehr weit herzukommen schien. Der Rothe lachte: "Du bist ein famoser Bruder, das muss ich sagen! Schleichst hier auf naechtlichen Wegen und schlaengelst Dich an andre Leute ran. Denkst Du, wir koennen einen Zaungast brauchen? Lass doch mal sehen, wie Du aussiehst bei dieser noblen Beleuchtung!" Die kleine Laterne eines Zimmerhofs warf einen zweifelhaften Schein. Der rohe Bursche drehte den Fremden um. Er stiess ihm die Schulter gegen den Lichtfleck. Er sah ein blasses Gesicht. Ein bescheidner Bart umrahmte den unteren Theil. Es war das Gesicht eines Mannes von etwa zweiunddreissig Jahren. Der Fremde hatte seltsame Augen und sah ihn ernsthaft und traurig an. "Lass doch den Mann!" sagte der kleine Richard muede. Selbst der Rothe war betroffen. "Teufel auch!" knurrte er in den Bart. "Wo hab' ich das Gesicht schon gesehen? Du bist ein seltsamer Heiliger, Du!... So eine Sorte Wanderprediger wohl? Ich habe mal Einen gekannt. Er war mit uns in der Herberge. Des Abends las er seine Bibel. Er that das alle Abend. Er sah dabei aus wie Du. Er sagte nichts." Der Fremde sagte auch nichts. ... "Er hat mir den Fuss kurirt und eingewickelt. Ich wusste, wo er sein Geld hatte. Ich hab's ihm gelassen." Das Gesicht des Fremden schien berauschend auf ihn zu wirken. Er verwirrte sich in wilden Erinnerungen.... "Ein Maedchen ... Ich draengte sie gegen das Thor. Was hatte die dumme Liese sich anzustellen? Sie war doch genau wie die Andern. Hexe! - Weibervolk, die sind Alle nichts wert. "... In ihrer Karosse sah ich sie mal. Eine vornehme Dame. O sehr vornehm! Vornehmer wie eine Prinzessin. Sie sass in ihrer Karosse und wartete. Ich wollte sie ermorden. Weil ich hungrig war und kein Bett hatte. Sie war reich und sass im Wagen. Sie sah mich an. - Ich fasste an den Hut und schlich mich fort. ... Nachher brachte mir der Diener ein Goldstueck. Das warf ich ihm nach in den Dreck gegen seine unverschaemten Kalbswaden. "... Weisst Du, wo ich herkomme? In der Gosse haben sie mich gefunden neben einer todten Katze und einem Kohlstrunk. Meine Eltern wollten nichts wissen von der Rabenbrut. Dann haben sie mich so rumgestossen. Die hohe Polizei! Das ist eine zarte Naehrmutter. Glaube mir, Bruder, es ist eine lustige Welt! Man muss sie nur lustig zu nehmen wissen." Er lachte roh auf. Der kleine Richard zitterte vor Kaelte. Er fuehlte gluehende Zangen in seinen Eingeweiden. Seine Zaehne schlugen aufeinander. "Nimm diesen Mantel," sagte der Fremde freundlich. Es war ein alter, fadenscheiniger Ueberzieher, wie ihn arme Leute tragen, auch zu duenn fuer den Winter. Der Junge wickelte sich mechanisch gehorchend hinein. Er fuehlte die Hand des Fremden, die glaettete, um ihn streichelte. Eine Art magnetischer Beruhigung ging von ihr aus. Es erinnerte ihn an die Beruehrung seiner Mutter. "Aber Du?" fragte er wie betaeubt. "Ich friere nicht," sagte der Fremde. "Dann musst Du von seltsamem Stoff gemacht sein," bemerkte Kuhlemann. "Dies verfluchte Wetter macht Einem die Blutstropfen im Leibe gefrieren." In der That war es jetzt ganz empfindlich kalt. Der Wind pfiff mit scharfem Eishauch. Unter seinem Mantel gluehte der Junge. Er wusste nicht mehr, wo er war. Er phantasirte. Er war bei sich zu Hause. In der kleinen Kueche war es stickend warm. Solch' eine froehliche Waerme! Der ganze Heerd gluehte, rothgluehend mit huepfenden, spritzenden Lichtern, obgleich es dunkel war, um Petroleum zu sparen. Aus dem Suppentopf stiegen weisse, nahrhafte Wolken. Ein Duft von Aepfeln kam aus der Roehre; man hoerte ihre feinen, braunen Haeute britzelnd zerspringen.... Er war da. Er war ein Knabe, er hielt die kleine Schwester auf den Knieen. Er fuehlte deutlich den warmen, pulsenden Koerper. Das Kind hatte die Aermchen um seinen Hals gelegt. Sie warteten auf die Mutter. Er erzaehlte ihr von Weihnachten. Von einem alten Mann mit weissem Bart erzaehlte er ihr. Er trug einen grossen Sack mit Aepfeln und Nuessen ueber der Schulter. Er hatte ein rothes, freundliches Gesicht, und eine Birkenruthe hielt er in der Hand. Wenn man seine Sprueche nicht wusste, gab es Schlaege. _Sie_ waren gute Kinder, sie konnten ihre Sprueche. Das kleine Maedchen hatte die Haende gefaltet und wiederholte sie mit halblauter Stimme. Die ganze Geschichte, die freundliche Lehrerin in der Kleinkinderschule hatte sie ihr vorgesprochen. Der grosse Bruder, der schon klug war und lesen konnte, half ein: "Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschaetzet wuerde. "Und diese Schatzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Cyrenius Landpfleger in Syrien war. "Und Jedermann ging, dass er sich schaetzen liesse, ein Jeglicher in seine Stadt. "Da machte sich auch auf Joseph aus Galilaea, aus der Stadt Nazareth, in das juedische Land zur Stadt Davids, die da heisst Bethlehem, darum, dass er vom Hause und Geschlechte Davids war. "Auf dass er sich schaetzen liesse mit Maria, seinem vertrauten Weib, die war schwanger. "Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge." "... Denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge" ... wiederholte der kleine Handwerksbursche mit gluehenden Lippen auf der eisigen Landstrasse. Dann fing er auf einmal mit leiser Stimme an zu singen: "O du froehliche! O du selige! Gnadenbringende Weihnachtszeit!" "Nanu?" sagte der Rothe grob. "Bei dem ist's wohl nicht recht helle? Singt der Mensch hier auf der Landstrasse wie eine Lerche! Du hast doch wohl einen heimlichen Trunk zuviel gethan? So'n verfluchter Duckmaeuser!" Aber der Kleine hoerte ihn nicht. Er war ganz gluecklich. Er hielt seine kleine Schwester. Es war so warm in der Kueche. Er fing an, an seinen Kleidern zu reissen. - Auf allen Kirchthuermen begannen die Glocken zu laeuten. Die kleine Kueche war voll vom hellen Schein. Sie hatte ueberhaupt keine Decke mehr, keine Balken und angeblakten Kalkwaende. Da war der Himmel. Er war ganz offen und die Engel sangen. Sie sangen: "Ehre sei Gott in der Hoehe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!" Sie sangen sehr laut mit hellen, schmetternden Stimmen. Alles hallte davon wider. Dieser Gesang erfuellte das ganze Gewoelbe des Himmels, der eine grosse, dunkelblaue Glocke war, in der goldne Sterne schwangen und spannen. Sie drehten sich sehr rasch mit langen, lichten Streifen hinter sich her in der Bahn ihrer Schwingung, die feurige Ringe bildete, Kreise und Sphaeren. Die ganze Glocke drehte sich, sang und schwang. Der kleine Handwerksbursche sang laut, vorwaerts stolpernd im schleimigen Strassenkoth, zwischen den schwarzen Fabrikschuppen mit hohen Schloten, vor der Stadt, die rings umher anfing sich zu entzuenden, wie ein Halbkreis der Hoelle mit feurigen Augen. "Bist Du verrueckt?" schnauzte ihn der Andre an. "Dein Gefaehrte ist sehr krank," sagte der Fremde sanft. So war es. Alles hatte bei dem Kleinen zusammengewirkt: die langen Wochen der Angst und schlechter Ernaehrung, der unheimliche Gefaehrte, der Weihnachtsabend. Er fuhr fort zu singen. Er wehrte sich gegen den Andern in seinem Fieberrausche: "Lass mich! Du erfrierst mir das Herz. Du stoesst mir gluehende Messer in's Weiche. Du bist schlecht und roh! Schlecht! Schlecht! Du bist der Teufel!" Er war wie ein Rasender. Er fing an mit beiden Armen um sich zu schlagen. Er baeumte sich wie ein scheugewordenes Pferd. Er wollte ploetzlich nicht weitergehen. Er liess sich wie ein Sack zur Erde fallen. "Halloh!" sagte der Rothe. "Das ist eine schoene Geschichte. Nun stirbt uns der hier im Dreck. Das hetzt uns die Gruenroecke gleich auf die Hacken." "Hilf mir ihn aufheben!" sagte der Fremde. "Er darf nicht sterben so." Sie hoben ihn auf. Auch der Rothe that seine Pflicht, sanft genug fuer seine rauhen, frostgeschwollenen Faeuste. Die Muetze war dem Kleinen vom Kopf gefallen, Koth hatte sich in die blonden Locken gesetzt. Er entfernte ihn mit einem grimmigen Scherz: "Das wuerde seiner Liebsten nicht gefallen." Es lag da ein Steinhaufen am Chausseerand aufgeschuettet. Der Fremde hatte sich darauf gesetzt, der Junge lag in seinem Schooss mit dem Kopf an seiner Brust. Er lag ganz still und laechelte. "Ich kenne Dich wohl," sagte der Junge. Er sprach mit erstaunlicher Gelaeufigkeit, in einer hellen, klingenden Stimme des Entzueckens, wie wenn Alles, was in ihm schweigsam und gefroren gewesen war, sich jetzt loeste, aufthaute. "O, ich kenne Dich ganz gut. Du bist mein alter Lehrer in Greifenberg, der freundlich zu uns war. Wenn man's gut gemacht hatte, strich er mit der Hand ueber den Kopf. Manchmal durfte ich ihm die Buecher nach Hause tragen. Dann bekam ich einen Apfel.... Er war alt und arm, und hatte viele Kinder, wie wir." "Nette Suse!" murmelte der Rothe. "So 'ne weisse Wassersuppe!" Der Fremde sass ganz still und hielt den Kopf des Jungen. Der lachte, er griff ihm mit der Hand in den Bart. "Du bist mein Vater, der gestorben ist," sagte der Junge. "Er ging des Morgens sehr frueh fort. Dann trat er leise auf und zog sich im Dunkeln an, damit wir nicht aufwachen sollten. Es war noch sehr frueh und sehr kalt draussen. Im Bett war es warm. Der Winter hatte grosse, weisse Eisblumen vor das Fenster gemalt. Wie hinter einer Wattenwand schlief sich's da.... Dann ging er fort einen Morgen und kam nicht wieder. "... 'Nun bist Du der Mann in der Familie, Richard,' sagte die Mutter. 'Versprich mir's, dass Du immer fuer die Schwestern sorgst, wenn Du gross bist und viel Geld verdienst.' "Ich verdiene nichts. Ich kann nicht sorgen fuer die Schwester. Meine Schwester soll nicht weinen und hungern wie die Andern, nicht frieren! Es ist so kalt ... kalt ..." "Gott wird fuer sie sorgen," sagte der Fremde. Der Rothe lachte. "Es giebt keinen Gott," sagte der Junge unruhig. "Alle sagen, er ist nicht und dass es nur eine Kinderfabel ist. Wer nicht arbeiten kann und krank wird, der stirbt und verdirbt. Reiche Leute haben es gut in der Welt und sind geehrt. Die Andern holt der Teufel." "Amen!" machte Fritz Kuhlemann. "Es giebt keinen Teufel," sagte der Fremde ruhig. "Gott kennt keine reichen Leute und keine armen. Er liebt Alle." Wieder lachte der Rothe, scharf und schrillend. "Ich habe Schmerzen," wimmerte der kleine Handwerksbursche. "Es zerreisst mir die Glieder. In meinem Kopf geht es wie eine Saege. Alle Knochen krachen. Ach, das ist die Folter! Wasser! Wasser!" Es war kein Brunnen zu sehen ringsum, zwischen den Schmutzlachen, all' dieser triefenden Feuchtigkeit, die von den Daechern rieselte, die Kleider festklebte am erstarrten Koerper. "Ich habe Hunger," klagte der Sterbende. Der Fremde legte ihm die Hand auf die Stirn. Bald glaetteten sich die Zuege. Sie wurden heiter, fast strahlend. "... Eine Ruhe kommt langsam, das ist der Schlaf. Es kommt wie ein Schatten ueber eine gruene Wiese. Es ist weiss und breitet die Arme aus. Ah, mir ist wohl!" ... Er nestelte sich dichter an die Brust des Andern. Der Fremde beugte sich ueber ihn und kuesste ihn auf die Stirn. Fritz Kuhlemann kam mit einem Blechgefaess voll Wasser. Er hatte es beim Eindringen in einen Zimmerhof gefunden. Ein wuetender Hund war gegen ihn angeklaefft, hatte ihm die Hose zerrissen. Seine Hand blutete vom Zerschlagen des Eises. Er sah schrecklich aus. "Er braucht es nicht. Er ist todt," sagte der Fremde. In der That war der Junge todt. Er sah aus wie ein schlafendes Kind. Ein suesser Ausdruck war in seinem Gesicht. "Gestorben wie ein Hund! Wie ein Hund!" "Er ist kein Hund. Er ist schoen." "Und Du? Wer bist Du?" "Kennst Du mich nicht, Fritz Kuhlemann?" ------------------------------------- Der Mond war aufgegangen, ein ganz klarer, heller Mond, den man niemals erwartet haette aus diesem Nebel. Er stand ruhig mit sattem, blauem Schein im Grau, das jetzt ganz ungefaehrlich erschien, die einfoermige, milde Trauerfarbe der Nacht, eine sanfte Schwermuth der tieferen Toene und Farben des Lebens. Im Mondschein stand der Fremde. Er stand ohne Hut, im Licht, das leise fluthete. Der Mann starrte ihn an. Seine Augen traten fast aus ihren Hoehlen, die Stirn unter den wuesten, rothen Haarzotteln arbeitete furchtbar. Der Fremde sah ihn an. "Du hast ihn geliebt, den da" ... sagte der Fremde. "Er war oft muede. Du gingst langsamer um seinetwillen. Du schliefst schlecht, damit er besser laege. Manchmal hast Du ihm Brod gegeben, wenn Du selbst keins hattest. Und der Hund hat Dich zerrissen um das Wasser, das Du ihm brachtest. - Ich kenne Dich, Fritz Kuhlemann." "Teufel!" stiess der Andre hervor. "Du hast ihn sehr gekraenkt," fuhr der Fremde fort. "Aber Dein Herz war wund, als es ihm harte Worte gab. Der Pflug war ueber Deine Seele gegangen und hat sie zerrissen, eh' sie wild klang und falsch. Du hast geliebt, eh' Du hasstest.... Ich kenne Dich wohl, Fritz Kuhlemann." "Herr ... Herr ..." stammelte der Bursche. "Und sie haben Alle geliebt. Deine Mutter, die Dich in die Gosse legte, weil sie kein Brot hatte, Dich zu fuettern, als ihr Herz sich in ihr wand in Angst ueber der Qual ihrer Eingeweide. Der, der Dich zeugte in einer Stunde, wo er sich selbst vergessen, der niemals sich vergass. Gott, der die Welt gemacht hat, weil er liebte. Die Liebe ist Schmerz. Im Schmerz der Liebe liegt der Urgrund alles Geborenen." "Wer bist Du?" schrie der Andre auf. Er hatte sich auf ihn gestuerzt. Sie rangen miteinander, Leib gegen Leib. Der Mond stand am Himmel, kalt und blaeulich. Dann sah man nur noch ihre beiden Gesichter, das des Fremden, das ruhig war, blass und ein wenig traurig, das des Mannes, der in grossen Tropfen schwitzte, dunkel blutruenstig mit roth durchschossenen Augaepfeln. Er athmete in schweren, keuchenden Stoessen. Ploetzlich fielen seine Haende: "Mach', was Du willst! Toedte mich auch! Toedte mich!" "Geh voran! Ich folge Dir!" sagte der Fremde. DAS ZWEITE KAPITEL. Eine rothe Laterne hing ueber der Thuer der Destille. Die Thuer war schraeg eingestellt nach der Strassenecke zu. Drei schlechte Eisenstufen fuehrten hinauf. Sie hallten und droehnten, wenn schwere, naegelbeschlagene Schuhe darauf traten. Nach der andern Seite leuchtete ein grosses Fenster. Eine breite, gruene Aufschrift zog sich quer darueber hin, auf der zu lesen stand, dass der Pfiff Bier fuenf Pfennige kostete. Sonst Reklamen in grossen Lettern von Wein, Bier, Rum, Punsch, Zettel in lebhaften Farben so zusammengestellt, dass sie sich moeglichst schnitten, das Auge herausforderten. Aber der Strassenstaub hatte sie ausgebleicht, Alles war von derselben schmutziggrauen Schleimschicht ueberzogen. Die Fenster hingen schief in ihren Rahmen. Gegen das Haus lagen schwarze, faulende Holzplanken aufgeschichtet von irgend einem Neubau, der nie fertig wurde. Die Fenster nach der Strasse zu waren durch schwere Rollbretter geschuetzt. In den oberen Stockwerken hatte man die Jalousien heruntergelassen. Nur die Laterne blinkte wie ein truebes, rothes Auge durch die Nacht. Es war Weihnachtsnacht. Man war lustig. Die Frau des Destillateurs hatte Fische in suesser Sauce gemacht, von denen man fuer fuenfzig Pfennige ein Gericht bekam. Dazu gab es Punsch. Auch ein Weihnachtsbaum war geschmueckt, auf den sie stolz waren. Mit Papierblumen und ein paar dicken Stearinlichtern prangte er. Im Nebenraum zwischen alten Lumpen schliefen die beiden kleinen Maedchen, die Kinder des Ehepaars. Sie hielten die Holzpuppen, die ihnen bescheert worden waren. Man hatte ihnen auch Punsch gegeben. Sie schliefen ganz fest mit feuerroten Backen, im Luftzug ihres Athems leise zitternden, langen Wimpern. August Matzke war ein schwerer Mann, erst an die Vierzig, obgleich er aelter aussah, ganz und gar ruinirt, vergiftet durch den Trunk. Er war schon zweimal wegen Delirium tremens im Krankenhaus gewesen. Alle hofften, dass das sein Ende bedeutete. Aber er kam zurueck, graublass, verbloedet, schrecklicher als vorher. Dieser Mann hatte mit Auszeichnung seine Dienstzeit absolvirt und war zum Sergeanten aufgerueckt. Bei einer Schiessuebung kam er durch Unvorsichtigkeit um ein Auge. Er erhielt die Verstuemmelungszulage und nahm seinen Abschied. Die Frau war aus ganz gutem Hause, eine Sueddeutsche von zierlichen Formen, freundlichem, einnehmendem Wesen. Sie hatten ein ganz huebsches kleines Kapital gehabt, als sie heiratheten, und fingen nach seiner Verabschiedung eine Gastwirthschaft an. Man sagte, dass die sehr zuvorkommenden Manieren seiner Frau gegen Fremde ihn zuerst an die Flasche getrieben hatten. Jetzt war er unheilbar; das Geld ihrer Liebhaber hielt die Wirthschaft flott. Sie liessen sich nicht scheiden, weil er ihr dann ihr Eingebrachtes auszahlen musste. Er schlug sie. Sie insultirte ihn. Dann kam wieder anfallweise die alte Verliebtheit; sie schliefen zusammen. Zwischen alledem, Schlaegen, Zaenken, Liebkosungen, wuchsen die Kinder auf, behend und geschmeidig wie kleine Katzen, beide der Mutter auffallend aehnlich, schon spuerend, horchend, zwischentragend.... Kuhlemann wurde mit laermender Freude begruesst. Matzke hatte schon schwer gesoffen und sah schief. Es war da noch ein aelterer Mann mit breitem, krummem Ruecken, der stumm in sich hineintrank. Ein junger Tapezier mit aufgebuerstetem Lieutenantsschnurrbart spielte den Forschen, zog die Andern auf und scharmuzirte mit Frau Matzke. Ein Dienstmaedchen aus dem Hause, eine grobe, gewoehnliche Person, kam zuweilen, um sich auch einen Schnaps stossen zu lassen, die Neuigkeiten zu hoeren. Ein paar zerlesene Nummern des Vorwaerts und des Lokalanzeigers lagen auf dem Tisch. Im Hintergrund stand ein Klavier. Matzke als alter Soldat war Patriot und kaisertreu, er hielt das socialdemokratische Blatt um seiner Kunden willen. Er selbst liebte patriotische Lieder und erging sich, wenn er voll war, sehr gern in hochtrabenden Erinnerungen an Gravelotte und Sedan, "unsern ollen Kaiser Willem" und Prinz Friedrich Karl, auf deren Wohl er dann die ganze Gesellschaft anzustossen zwang. Heute war er noch nicht ganz so weit. Frau Matzke hatte sofort ein Punschglas vor Fritz Kuhlemann aufgestellt und eins vor dem Fremden, der sich bescheiden mit an den Tisch setzte. Das grosse Dienstmaedchen strebte neugierig naeher. Sie war ein durchaus anstaendiges Maedchen und stolz auf ihre Anstaendigkeit, aber sie hatte es doch gern, wenn man sie kitzelte, Witzchen mit ihr machte. So zum Beispiel foppte sie sich stets mit Matzke, dass er sie heirathen sollte. Er wollte dann von ihrem Gelde seine Frau auszahlen und sich scheiden lassen. Das amuesirte sie koeniglich. "Ich moechte nur um ein Glas Wasser bitten und ein Stueck Brot, wenn ich es haben kann," sagte der Fremde. Die Frau sah ihn erstaunt an, willfahrte aber der Bitte. Matzke schoss aus seinen geschwollenen Augen einen trueben, gehaessigen Blick. "Wer'n rechter Kerl is, der is Soldat jewesen. Wer nich Soldat jewesen is, der is ueberhaupt kein Mann nich, sag ick!" Er wiederholte das mit der Faust aufschlagend gegen den Tapezier, der sich damit belustigte, ihn aufzuziehen. Er schien sich damit das besondre Wohlwollen der Frau Matzke verdienen zu wollen, denn er blinzte ihr zu. Die grosse Hanne juchzte laermend auf. "Un eene volle Pulle liebt er ooch, was 'n rechter Mann is? Was Aujust? Tapfre, olle Kriegsgurgel?" Der Trunkenbold stierte ihn giftig an, that aber Bescheid. In der Huelflosigkeit seines benebelten Gehirns gegen die Kniffe und Finten des Andern blieb ihm nur dies eine Beduerfniss, zuzuschlagen, seine Faeuste zu gebrauchen. "Kanonen ufffahren und derzwischen jepfeffert, denn wuerden sie schon fertig mit det Jesindel!" "Und Du waerst der commandirende Jeneral von det Janze! Herr Aujust Matzke mit dem schwarzen Adlerorden da vorne aus der Weste." Der Tapezier amuesirte sich koeniglich. Frau Matzke zog veraechtlich die Lippen. Das Dienstmaedchen bog sich vor Vergnuegen. "Ick sage: Wer seinen Kaiser nich ehrt, der is kein deutscher Mann, der jehoert in den Schweinestall." "Sieh man zu, dass Du nich selber zuerst reinbummelst, oller Freund. Wer so schwach uff seine eijnen Beene steht, sollte man ja nich so forsch jejen Andre losziehen." "Ick nich fest uff meine Beene! Ick bin Dein oller Freund nich. Ick will Dich lehren, mir Aujust zu heissen. Aujust Dir wat in Deine unjewaschne Schnauze. Du - Du - Hurenjaeger Du!" Er hatte sich schwerfaellig erhoben und griff nach der Stuhllehne, um sich daran festzuhalten. Der Tapezier lachte, er gehoerte zu Frau Matzke's eleganten Freunden, die den Haushalt im Gang erhielten. Der Mann in der braunen Weste ruehrte sich nicht. "Aber August! so lass doch!" machte die Frau gelangweilt. Sie zwinkerte Wernicke zu, Hanne in ihrer sicheren Ecke am Bueffet erstickte fast vor unterdrueckter Heiterkeit. Sie fand das einen ausgezeichneten Spass. Nun wandte sich der Wuethende gegen sie, die Ehebrecherin, in den unflaethigsten Ausdruecken. "Ick will Dir ... Ick will Dir ... Hure ... Hure ... Hure!" Er sah schrecklich aus mit den sabbernden Lippen, seinen blutunterschossenen Augen, von denen das eine, kuenstliche, immer gerade blieb, glotzend, ungeheuerlich. Das Wort in seinem dumpfen Laut des Stiergebruells wiederholte sich. Er packte sein schweres Bierseidel; es flog dicht an ihrem Kopf vorbei in die Fensterscheibe, die splitternd zerbrach. Der Ton schien ihn vollends wahnsinnig zu machen. Er ergriff eins der Seidel nach dem andern und fensterte sie in das Glas. Leere und halbvolle Flaschen flogen nach. Man hoerte die Scherben auf dem Strassenpflaster sich knisternd zusammenhaeufen. Gleichzeitig drang die kalte, klare Winterluft ein. Der Tapezier weidete sich an seinem Heldenstueck. Hanne kreischte, die Haende vor den Ohren, dachte aber nicht daran zu fluechten. Der andre Gast blieb ganz stumpfsinnig. "Das giebt ein nettes Christkindchen fuer morgen. Na, ich bin nur froh, dass ich die Rechnung nicht zu bezahlen brauche." Der junge Mann griff nach seinem Hut und Paletot, einem eleganten Paletot mit Sammetaufschlag und hellem Futter. Er hing ihn immer so, dass man das Futter sah. "Ich gehe jetzt, Frau Matzke. Adieu auch. Ich werde erwartet." Sie sagte nichts. In der Thuer drueckte sie ihm die Hand sehr stark, ihre Nuestern bebten. "Nimm Dich in acht!" ... Durch den Thuerspalt nach der Kammer guckten die beiden Kinder. Der Laerm des klirrenden Glases hatte sie aufgeweckt. Sie witterten eine Scene, und waren nun dabei, neugierig, erwartungsvoll. Matzke hatte seine letzte Bierflasche dem Abgehenden gegen die Thuer nachgeschleudert. Sie zerbrach auf dem Fussboden in ihrer braunen Sauce. Frau Matzke fing ruhig an, die Unordnung des Fensters zu repariren. Sie steckte eine weisse Bettplane auf; sie kannte das schon. "Nanu? Hier is wohl Polterabend heut'?" sagte eine lustige Stimme. Es war ein Maedchen. Sie trug gescheitelte Haare und ein einfaches Umschlagetuechelchen. An einer gewissen Unordnung des lose gewundenen Nackenknotens, der zerschlissenen, rothen Seidentaille erkannte man die Leichtfertigkeit ihres Berufs. "Ich konnte nicht frueher kommen, habe auch den Kindern noch was mitgebracht." "Ach Lene! Lenchen!" In ihren Hemden draengten sie sich um sie. Das Maedchen kuesste sie leidenschaftlich. Frau Matzke sah zu. Fritz Kuhlemann lachte. "Geht's Geschaeft auch heut' Abend?" fragte er boshaft. Der Fuhrmann starrte sie an. Lene Hoff war der eigentliche Grund, weshalb er jeden Abend kam. Er haette nie gewagt, es ihr zu sagen, ausserdem wusste er ja, dass sie unter Sittenkontrolle stand. Die grosse Hanne zog eine hoehnische Fluntsch. Sie hatte das Maedchen nicht begruesst, als sie eintrat, stand jetzt, einen Arm in die Huefte gestuetzt, und musterte sie von oben bis unten. Dann drehte sie sich nach der Thuer zu: "Ich muss jetzt raufgehen. Es ist meine Zeit." Sie beschaeftigte sich sehr viel mit der jungen Prostituirten, ihren Toiletten, ihrem Thun und Lassen. In ihren Gedanken stand sie weit unter ihr; sie war ein anstaendiges Maedchen. Lene pustete sich in die Finger. Sie war immer ein bischen genirt, so lange die Grosse da war. "Kalt ist's. So'n Weihnachten! Lustig sein! Wir wollen Klavier spielen." Sie hatte sich an's Klavier gesetzt. Ein Tanz wirbelte hervor unter ihren flinken Fingern. Niemand tanzte. "Das ist nichts." Sie stand wieder auf, schloss den Deckel. Sie naeherte sich Fritz Kuhlemann, kraute mit der Hand den untern Teil seines rothen Schopfes: "Na Du?" ... Die ganze gewerbsmaessige Schmeichelei ihres Berufs lag in dem Ton, vielleicht noch mehr. "Bist so eklig heut', geh! Spendirst mir nicht mal was?" "Seh' ich Dir nach Spendiren aus?" Man hoerte die Leidenschaft aus seiner Stimme. Diese Liebkosung einer Frau stachelte ihn. Er verschlang sie mit den Augen. Sie hatte sich auf seinen Schoss gesetzt. "Armer Kerl! Keine Chance. So viel Pech gehabt." Er zerdrueckte ihr die Lippen mit einem brutalen Kuss. "Du - frech biste!" Sie sah den Fuhrmann an. Dieser Mann haette sie geheirathet. Er hatte vier Kinder zu Haus. Aber ihr graute vor der Langeweile. Ihr Vogelgehirn arbeitete schon auf einer andern Spur wieder, sie hatte den Fremden entdeckt. "Wer is denn der?" fragte sie Frau Matzke. Die Frau zuckte die Achseln. "War der Josef hier heute?" "Er ist eben fort." "Ach darum ..." Das Maedchen kannte die Leidenschaft der Freundin. Der schoene Tapezier haette ihr auch gefallen. Sie seufzte. "Oed' ist's heute. Ich bin vorher gegangen und hab' mir die Christbaeume angesehen. Christbaeume, das ist so ruehrend. Einen ganz grossen sah ich mit Lametta wie Haare. Das moecht' ich haben." Sie hatte sich wieder an's Klavier gesetzt. Ein Weihnachtslied klang aus den Tasten. "Huebsch war das, die Engelchen und Schaefchen in der Krippe. Ich hab' das mal gesehen, wie ich klein war. In der Kirche." Sie wandte sich wieder an Kuhlemann. "Sag' mal, Du hast nicht einen Nickel fuer mich? Zu einer neuen Schleife fuer den Ball am Sonntag. Kommste mit zum Ball, Schaetzchen?" Er drehte ein zerfetztes Portemonnaie um vor ihren Augen: "Da sieh." ... Der Fuhrmann warf einen Thaler auf den Tisch. Hart klang das Metall auf der Holzplatte. Alle sahen auf. Frau Matzke hatte ihren Besen, mit dem sie die Scherben zusammenfegte, hingestellt. Die Lene war naeher gekommen wie ein naschhaftes Kind. Der Thaler lag da, und blinkte - brutal, schmutzig gleissend. Sie sog lang den Athem ein. "Du ruehrst nicht dran!" schrie Fritz Kuhlemann. "Wenn man selber keinen Pfennig hat, hat man nichts dreinzureden," entschied Frau Matzke schneidend. Der Andre wartete, schwerfaellig, lauernd, wie ein Jaeger, der das Wild in der Falle hat. "Ich schlag' ihn todt!" Ein scharfes Lachen der Frau traf den Burschen wie ein Hieb. Das Maedchen war wie ein luesternes Maeuschen noch naeher gekrochen. Die feinen Zaehne blinkten zwischen ihren gespitzten Lippen hervor. Der Trunkenbold machte einen scheusslichen Witz: "Wer das Geld hat, hat das Recht," bestimmte Frau Matzke. Sie streckte die Hand aus. Ein gurgelnder Laut wie Tigergebruell entrang sich der Brust des Burschen. Der Fremde hatte die Hand auf den Tisch gelegt. Diese feine, blasse, blaeulich geaederte, abgezehrte Hand bedeckte das Geldstueck. Sie bildete eine Weisse auf der mit Bier- und Fettflecken besudelten Tischplatte. "Komm' zu mir!" sagte der Fremde. Er hatte sich aufgerichtet. Er stand ganz gerade. Die andere Hand, die nicht das Geldstueck deckte, streckte sich gebietend vor. "Komm hierher!" befahl der Fremde. Sie kam. Sie gehorchte. Wie mit durchgeschnittnen Flechsen schleppte sie sich. Sie kroch. Ploetzlich schlug sie beide Haende vor's Gesicht, mit einem dumpfen Schmerzenslaut sank sie in die Knie. "Nimm Dein Geld!" Der Fremde hatte den Thaler ergriffen. Er schleuderte ihn nach der Thuer. Das Silber schlug hart auf, kugelte sich im Weiterrollen. Der Fuhrmann bueckte sich gierig danach und verschwand. Fritz Kuhlemann stand mit unter der Brust gekrampfter Hand. Es war der Blick des Moerders, mit dem er sah, der Bestie, des wilden Thieres. "Geh!" Er ging. Der Trunkenbold lachte auf mit einem haesslichen Gluckser. "Ein Schmatzchen, Haseken. Du - Du ..." Er griff schwankend in die Luft. Es reichte nicht mehr, wie ein Bleisack sank er schwer zusammen. "Leg ihn schlafen," sagte der Fremde. Das Weib schnellte gegen ihn an wie eine gereizte Viper. Dann gab sie der schnarchenden Masse einen veraechtlichen Fussstoss. "Vieh!" Sie stiess ihn gegen die Kammer mit rachsuechtigen Pueffen und Tritten, dann nahm sie ihren Besen und kehrte wuethend. Die kuehle Nachtluft strich durch den schweren Fuseldunst. Alle Lampen brannten. An den Waenden hingen patriotische Bilder, Reklameschilder mit Emblemen der Arbeit, eine schwere Faust, die den Hammer emporhaelt, einem Tischler an der Hobelbank. Jemand hatte allerlei Unflaethigkeiten angeschrieben. Dazwischen machte sich ein widerliches, suesses Moschusparfuem fuehlbar, der von dem Maedchen ausging. Sie hatte die Haende vom Gesicht genommen. Sie schielte zwischen den Fingern wie ein unartiges, gescholtnes Kind. Es erschreckte sie, dass sie so allein waren. Sie begriff nicht. "Sie sollen nicht weggehen! Der Dicke wuerde mich heirathen. Vier Goehren hat er zu Haus. Hundertundfuenfzig Mark im Monat und die ganze Einrichtung. - So Einer; der's Einem hinterher alle Tage vorwirft! Zweiundvierzig Jahre ist er schon, krumm wie'n oller Zumpelbaer. Der drueckt Einen ja todt. Taps, daemlicher!" Sie lachte leichtfertig, ihre blonde Maehne schuettelnd, die Augen eingekniffen. "Der Andre, Wernicke, der ist ein ganz Feiner. Gestaerkte Hemden traegt er sogar am Alltag. Er kriegt auch einen guten Lohn bei Krueger. Er ist der Erste da, der Alles allein macht. - Dieser Fritze! Das ist so komisch. Komisch ist der!" Ihr Lachen rang sich auf in hellen, klingenden Trillern. Sie lachte, dass ihr die Augen uebergingen. Ihr ganzer Koerper krampfte sich unter dem Lachen. "Alle Leute haben mich gern, weil ich immer lustig bin. Und Kinder! - das is immer Leneken hier, Leneken da! Wir haben eine alte Frau im Haus, die lahm ist und zu Bett liegt. Ich bringe ihr Kaffee und Chocolade. O, ich thue auch das Meine. "... Wie die vornehmen Damen, die aus dem Wagen steigen, die Naesen kraus ziehen.... Beten und trocknes Brot und Arbeit. Als ob wir's nicht wuessten, wie die's treiben! "Warum ist denn Unsereins schlecht? Weil's einen schlechten Rock anhat, einen billigen Hut traegt. Die sind nicht besser wie wir! Pfui!" Sie spuckte aus. "Einen Spatz hatte ich mal, den ich unter'm Baum fand. Hier im Kleid unter der Brust trug ich ihn. Den schlugen mir die Jungen todt. "Schweine sind die Maenner! Ach, solche Hunde! Hunde! Nicht mal Geld geben sie Einem. Aber schlagen! Sie stehlen's noch von uns." Ihre Faeuste krampften sich megaerenartig. Das junge Gesicht wurde erdfahl, verzerrt. "Ich hab' Klavier spielen gelernt. O, ich hatte mal Einen in der Georgenstrasse. Der war sehr gebildet. Sogar Verse hat er auf mich gemacht. 'Du hast ja die schoensten Augen, Feinsliebchen, was willst Du noch mehr?'" Sie wiederholte die Worte liebkosend, den Oberkoerper wiegend wie im Tanze. Sie blaehte sich eitel. "Warum sprichst Du nicht mit mir? Wenn ich einen Vater gehabt haette, eine Mutter, kleine Kinder - - - "Ich bin ganz zufrieden. Was kommt auch drauf an? Man schlaegt's so um die Ohren. Lustig gelebt und froehlich gestorben, das ist dem Teufel die Rechnung verdorben. "Tanzen, Zuckerzeug, fein riechen! Huebsche Kleider! "Eine Freundin von mir ist im Spital gestorben, Becker's Lene, die lange. Sterben ist graesslich. Huh! Huh!" Sie fing wieder an, ihr Gesicht zu verstecken. Sie rutschte auf den Knieen hin und her. Sie gab kleine Toene von sich, wie ein gescheuchter, flatternder Vogel. "Du machst mir Angst. Sprich doch. Guck mich nicht an! Guck mich nicht an!" Sie streckte beide Arme aus, wie unter dem Schrecken einer Erscheinung. Sie bog den Kopf zurueck. Ihre Augen weiteten sich starr. "Ich bin mal in der Wiese gewesen. Blumen wuchsen so reinlich mit weissen Gesichtchen. Auf dem Teich fuhren Schwaene. Gruener Wasserliesch schwamm. Wo sie fuhren, wurden dunkle, tiefe Flecken. Das hoerte man gar nicht. Ueberall theilte sich der Sumpf. Klar war's und dunkel ... "Ich will Dir noch etwas sagen, was kein Mensch weiss. Ich haette ein Kindchen gehabt, aber es ist nicht zur Welt gekommen. So gross war's, todt und feucht. Es haette nicht gelebt und nichts zu essen gehabt. Mein kleines Buebchen! Mein todtes, kleines Kindchen! "Manchmal denk' ich, die Sterne, wenn die so funkeln, dass man dort sein koennte. Alles weiss an mir runter." ... Sie strich an sich herunter mit glaettenden Haenden. Sie strich, als ob sie all' ihre Gewaender abstreifen wollte. Wie im Fieber gingen die duennen streichenden Haende. ... Das Haelschen ueber den zarten, fallenden Bruesten reckte sich wie ein Lilienstengel. Eine Blaeue war in den Augen, die nicht mehr vom Leben war. Die Lippen seufzten wie die Jemandes, der trinkt. Sie trank - trank - trank. Der Fremde sagte nichts. Seine Hand legte sich auf diese junge, noch weisse Stirn. Zart und guetig lag sie, ganz leise. Unter der Hand sank die Frau zusammen. Sie wurde klein. Sie wurde ein Wurm, der sich am Boden schleppte. Sie weinte. Sie drueckte sich ganz dicht an seine Fuesse. Ihre Thraenen tropften auf seine Fuesse. Ihre blonden Haare hatten sich geloest und fielen ueber ihr gebeugtes Haupt und seine benetzten Fuesse. Er ruehrte sich nicht. Sie weinte - weinte. Frau Matzke war mit dem Besen in der Hand in der Schlafzimmerthuer erschienen. Sie stand da mit einem harten, steinernen Ausdruck, unbeweglich. Man hoerte das tiefe, roechelnde Schnarchen des Trunkenbolds, unschuldige, tiefe Athemzuege der Kinder. Jemand wartete in der Strasse mit einem weissen, elenden Gesicht. Er hatte die ganze Nacht gewartet. Nun war es Morgen. Der Fremde rief den Burschen. Draussen begann schwerfaellig, schlafbetaeubt das Leben sich zu regen. Lastkarren fuhren muede. Einzelne dunkle Gestalten huschten. Man sah die lange graue Breite der Strasse mit Haeusern zu beiden Seiten, unzaehligen Fenstern und Thuerluken, unter dem trueben Himmel, von dem es leise wie Thau tropfte. Der Fremde wies auf die weinende Frau: "Geht!" Sie gingen. Sie geknickt, an seine Schulter gelehnt mit schwankenden, irren Schritten. Er hochgehobenen Hauptes, sehr ernst und sehr gerade. Frau Matzke in der Thuer ihres Hauses sah sie sich entfernen. Sie sagte gar nichts. Sie nahm ihren Besen wieder auf und fegte. Man sah die Silhouette ihres gebueckten Rueckens, die wuethende Wucht der Besenstoesse, mit denen sie den Staub aufwarf und in die Schaufel schob. Sie fegte. DAS DRITTE KAPITEL. Man fuerchtete, dass der Zudrang zu der Versammlung ein sehr grosser wuerde. In Folge dessen war die Schutzmannschaft reichlich aufgeboten. Man gab Achtung, den Saal auf die Minute eine Viertelstunde vor der anberaumten Zeit zu schliessen. Viele sahen sich so ausgeschlossen, auch ergab das einen Vorwand, die Galerie nicht freizugeben. Man fuehrte den Krieg mit diesen kleinen Mitteln seit einiger Zeit, obgleich eigentlich das Verhaeltniss ein gutes, fast behagliches war. Sie kannten sich so genau, die Gewohnheit des haeufigen Zusammentreffens hatte einen foermlichen kleinen Comment herausgebildet, bis auf die ganz regelmaessig wiederkehrenden Witze. Man haette sich fast vermisst, wenn man sich nicht vorgefunden haette. Der Riesenhund des Wirths trieb seine Allotria dazwischen mit einer ganz kleinen Huendin, einer proletarischen Mischung aller Rassen, die von jeder die Haesslichkeiten angenommen hatte. - Ueberdies waren es genau dieselben Typen, die da Wache gingen, als Ueberwachte eintraten, Blonde, nicht schlecht genaehrte, bourgeoise Ruhe und Anstaendigkeit, dazwischen einige knallfarbige, federbewallte Huete der Genossinnen. Die Frauen ueberhaupt draengten sich vor, zeigten sich aufgeregter als die Maenner; es war bekannt, dass einige der Fuehrerinnen eine Zunge fuehrten, die ihre maennlichen Kollegen im Schach hielt. Einige Parteiveteraninnen hatten sich an den Eingang des Saals postirt. Da Viele noch immer aus- und eingingen, deckten sie die Thuer mit ihren breiten Rueckseiten. Sie warben fuer ihren Verein, ueberwachten den Verkauf der Zeitungen und Broschueren, die auf kleinen Tischchen aufgeschichtet lagen. Dazwischen wurden Bons zur Unterstuetzung armer Abgeordneter feilgeboten. Die Kellner circulirten mit Bierseideln. Alle rauchten, sprachen durcheinander. Von weitem, mit den schwarzbehuteten Koepfen, die auf- und untertauchten, ergab das den Eindruck eines heftig bewegten Sees, der gegen die Tribuene andraengte, sich staute. Man erwartete den Anfang der Versammlung und wurde ungeduldig. Die dichten Rauchschwaden brachten eine lila mystificirende Beleuchtung mit in das ordinaere, gelbe Gaslicht. - Es waren da Leute, die ruhig ihre Butterbrote und Haeringe verzehrten, Andre sprachen von Parteiangelegenheiten, ihren kleinen und kleinsten Privataffairen. Ein junger Mann mit einem rothen Shlips und einem Apostelkopf stand neben der Thuer. Er sah krank aus und blickte mit glaenzenden, unirdischen Augen in das Leere, als ob er etwas Wunderbares saehe. Die Parteiveteraninnen behaupteten, dass unter den Anwesenden Spitzel waeren. Sie versuchten sie ausfindig zu machen, mit den Fingern zu zeigen. Einige Studenten waren augenscheinlich fuer einen Ulk hergekommen. Es waren Fremde da, die Keiner kannte, und eine junge Dame in eleganter Kleidung ganz allein, die man ansah, was sie da suche. Im Ganzen war es eine sehr guterzogene Menge, friedlich, ohne Aufregung, fast bourgeoismaessig. Der Saal war der banale grosse Festsaal der mittleren Restaurants, weiss mit Gold, rothsammetner Rampe. Da wurde auch Theater gespielt und getanzt. Es war nicht schlechter wie fuer die Bourgeois bei aehnlichen Gelegenheiten, man war hoeflich und kam in weissen Handschuhen. Auch das Thema der Einberufung bot nichts Besondres. Es war die jaehrlich wiederkehrende Einbringung der Militairvorlage von Seiten der Regierung. Man wusste im Voraus, dass sie durchgehen wuerde. Der Protest geschah rein berufsmaessig, aus Princip. Und man wusste, dass es fuer Jahre so gehen wuerde. Die Aufregungen, das Maertyrerthum, aber auch die Hoffnungen der ersten Jahre waren verschwunden. Die junge Partei hatte zu leben gelernt, fast konnte man sagen, Manieren gelernt. Man nahm, was man kriegen konnte. Man war stark, zahlreich, wohlorganisirt, das Odium war weggenommen, ebenso der Heldennimbus. Man hatte nicht mehr die Angst zu sterben, aber auch nicht die Aussicht zu siegen; man "entwickelte sich". Zurufe begruessten den Eintritt des grossen Mannes, in Wahrheit eines ganz kleinen Maennchens. Alles das ging rasch, wenig theatermaessig. Nur das Antlitz des Johannes leuchtete auf. Er draengte sich an den Bewunderten, um seine Hand zu schuetteln. Eine Leibgarde, die Veteraninnen, hatten ihn sofort eingezingelt, beinah protzenhaft, mit dieser Miene: "Wir gehoeren zum Haus", die Unberufene einschuechtert. Nun wurden die Formalitaeten rasch erledigt. Einige Witze fielen gegen die Polizei, die die Galerie gesperrt hielt. Man kannte sich zu gut, sehr alte Feinde, Gladiatoren, die sich jeden Tag treffen und beinah Freundschaft gemacht haben. Der Saal war voll zum Ersticken. Es waren Maenner zumeist, Maenner mittleren Alters. Die Jugend, wie ueberall, zog es vor, sich zu amuesiren. Oder man liebte Radauversammlungen in Rixdorf, Charlottenburg, den Vororten. Dies war eine wohlgeschulte, ausgediente Armee, ihr Capitain der sprach. Der grosse Mann auch war alt geworden, sehr alt. Das Feuer, das seine Jugend gefaehrlich und unwiderstehlich gemacht, hatte sich gewoehnt, fuer den Hausbedarf zu brodeln. Er wusste sich zu beherrschen jetzt, dessen Leidenschaftlichkeit einst sein Ruhm und sein Fluch gewesen war. - Im gleichmaessigen Tonfall flossen die Saetze, periodisch, deutlich hoerbar in der geuebten Stimme des Redners bis an's aeusserste Ende des Saals. So war er sachlich geworden, ein Typus, wie so mancher Andre, den die Gegner fast vermissen, sich mit Ruehrung seinen leeren Platz zeigen, wenn er nicht mehr da ist: So focht er, und so fuehrt' ich meine Klinge. - Auch die Rede hielt sich genau in den Grenzen. Ein Rueckblick auf die immer sich steigernden Forderungen, die Entwicklung des Militarismus in Europa. Das neue Friedensmanifest des Zaren erregte Ironie. Man brauchte die Armeeen fuer die Soehne der oberen Zehntausend, das Niederhalten der revolutionaeren Bewegung. Wieder der gefaehrliche, ironische Beifall. Sie wussten das wohl - sie! Nur einmal erhob sich die Stimmung zu einer gewissen Groesse. Der Redner hatte Aeusserungen zur Philosophie des Krieges angefuehrt, von Moltke, Treitschke, General von Boguslawski. Dann wurden statistisch die Verluste in der Industrie seit siebzig nachgewiesen. Eine halbe Million! Mehr wie alle Kriege! Wir brauchen keine kuenstliche, gewaltsame Schoepfung, um uns maennlich und kraftvoll zu erhalten. - Ein Ausruf begleitete diese lange Liste von Blut, Verstuemmelung, Asphyxie, Marter, - ein Schrei des Schmerzes, aber auch der Kraft, imponirend in dieser friedlichen, mittelmaessigen Masse. _Sie_ waren diejenigen, die sein mussten. Sie wuerden sein. Da war die Groesse der Partei, das Selbstbewusstsein des thaetigen, unreflektirenden Lebens, die Haupterrungenschaft der modernen, demokratischen Zeit. Und das wird bleiben. Ein frueherer Pastor sprach nach dem grossen Mann. Er hatte seine Stellung aufgegeben um seiner politischen Meinung willen, verwahrte sich aber ebenso gegen die Partei. Er entwickelte des Laengeren seine Ansichten. Er glaubte an Gott, war koenigstreu. Seinen Traum bildete eine Art christlich-sociales Koenigtum. Man hoerte zu, nicht gerade unhoeflich, aber ohne Interesse, leicht ironisch. Und er war confus, quasselte. Es lag etwas Gefaehrliches in dieser hoeflichen Ironie selbst. Man hatte das zu oft gehoert. Man glaubte sowas nicht mehr. Den Beschluss machte ein Anarchist. Er hatte wenig Glueck, die Parteiveteraninnen protestirten von vornherein. Die Rede war ein krauses Sammelsurium, eine Gesellschaftsordnung auf nur natuerlicher Grundlage, freie Geschlechtswahl, mit einer seltsamen Verquickung von naturphilosophischen Dingen, abstrusem Mysticismus. Man rief ihm Schweigen zu, pfiff, trampelte mit den Fuessen: "Schliess auf! Halt' die Schnauze!" Man wollte das nicht, man war Polizei fuer sich selbst. Wenn Einer das Martyrium der Laecherlichkeit auf sich nehmen wollte, desto schlimmer fuer ihn selbst. Sie schuettelten sich das von den Rockschoessen. Sie hielten auf ihre neue, sauererworbene Respektabilitaet. Der Verhoehnte stand einen Augenblick, blass, mit einem kraenklichen Laecheln, stotternd. Dann stieg er unter allgemeinem Gelaechter die Tribuene herunter. Die Versammlung loeste sich auf in bester Ordnung. Der Abgeordnete wechselte mit den Polizisten einen Gruss. Er war sorgfaeltig in einen gestrickten Wollshawl eingewickelt, er litt an Katarrhen. Der Sergeant laechelte gutmuetig mit Bezug auf den letzten Redner. "Verrueckter Kunde! Wir lassen ihn laufen" ... Sie hatten ihn schon so oft eingesteckt. Da war nichts zu machen. Und er war ungefaehrlich. - Beide Gewalthaber schieden im besten Einvernehmen. Haetten sich die Machtverhaeltnisse eines Tages umgedreht, diese Gegensaetze wuerden ruhig in ihren beiderseitigen Functionen bleiben koennen. Es waere dasselbe gewesen. Der Pastor vereinigte sich mit dem beruehmten Fuehrer. Er sprach eifrig auf ihn ein. Mit einer gewissen Nachsicht des alten Praktikers unterbrach ihn der Andre nicht. Schliesslich - diese Leute thaten seine Arbeit. Am Strassenausgang stand ein Fremder. Er stand da und sah sie an. Sie sahen ihn Beide, der grosse Mann und der Pastor. Auch die Polizisten sahen ihn. "Wer war der Mann?" fragte der Pastor. Der Abgeordnete zuckte die Achseln. "Ich kenne ihn nicht." Er hatte Eile, nach Hause zu kommen. Er musste sich schonen. "Ein grosser Mann," sagte der Johannes ekstatisch. Ihn fror. Er stand da am Ausgang und hatte die Haende in die Taschen gesteckt und sah ihm nach. Seine Backenknochen gluehten. Er musste husten in sein Taschentuch. Wenn er es wieder herunternahm, war es immer voll Blut. Er wusste das schon. "Was er sagt ist wahr. Er versteht's." "Ein grosser Mann," sagte der Fremde. Die ganze Masse schob an ihnen vorueber. Die Veteraninnen sprachen sehr laut. Sie hatten die Kasse abgeschlossen und entruesteten sich ueber wieder einmal constatirte Gnietschigkeit. Eine wollte sich noch zu Hause Puffer backen. Sie gaben Parolen aus fuer den naechsten Tag und Rendezvous in den Vereinen. Die Studenten wollten noch zum Bier, die eingenommene Quantitaet hatte ihnen nicht genuegt. Man war froh, sich zu bewegen, die Beine auseinander zu setzen, nachdem man drinne eingepoekelt gewesen war wie Poekelhaeringe. Einige Damen riefen nach einer Droschke, sie gehoerten zur Frauenbewegung und besuchten dergleichen aus Princip. Man truppte zufrieden nach Haus. Man hatte seine Pflicht gethan und ihr Haeuptling hatte seine Sache gut gemacht. Es gab Keinen, der ueber diesen Mann ging, und die immer zunehmende Stimmenzahl bei den Wahlen. Das war das grosse Kampfmittel. Es liess sich nachrechnen, wie das stieg von fuenf Jahren zu den naechsten fuenf Jahren. Dann kam auch der Anarchist. Er trug einen ganz duennen, kleinen Sommerpaletot und ging, als ob er gar nicht wuesste, wo er waere. Seine vagen, schweifenden Augen trafen den Fremden und den Johannes. Es lag eine nachdenkliche, zaertliche Wehmuth in dem Blick, eine Bitte, oder als ob er sich entschuldigen wollte, dass er anfragte - aber man wusste nicht, ob er ueberhaupt wirklich sah. Er war noch nicht alt, aber er sah hungrig aus, mehr vom Hunger des Geistes, als vom leiblichen Hunger. So hatte er etwas von einem Kind, oder auch von einem huelflosen getretnen Thier. Er seufzte und blickte in das Laternenlicht. "Es ist schon elf Uhr," sagte der Anarchist. Er schauerte und kroch tiefer in seinen Ueberzieherkragen. Er hatte einen sehr weichen, hellen gelben Hut auf, der in weitem Rand von seinem Kopf abstand. Seine Haare fielen gerade ueber seine Ohren und waren lange nicht geschnitten. Wenn er sprach, laechelte er jedesmal, ein schuechternes Laecheln, wie von Einem, der im Unrecht ist und doch etwas Gutes und Wichtiges sagen moechte. Dann hatte er ungeschickte Bewegungen, wie von einem Wurm, und huepfte zuweilen auf einem Fuss, als ob er stolperte. Der Johannes ging auf der andern Seite. Er hustete. Er war ganz selig im Gedanken an diesen grossen Mann, dessen Hand er gedrueckt hatte, der so gut sprach, eine Stimme war, auf die man hoerte, fuer die armen Leute. Die gebildeten, sachlichen Saetze hatten ihm imponirt. Sicher! Das wandte sich zum Bessern, wenn einfache Gerber- und Brauergesellen sprachen wie der! Er trug seine rothe Cravatte wie ein Triumphzeichen. Mehr konnte er nicht thun. Aber das Blut seines Herzens war darin. Er fuehlte seine Lungen brennen und flattern unter ihr. "Es ist immer am schlimmsten des Abends," entschuldigte er sich. "Das thut der Rauch. Sie sollten nicht rauchen im Saal. Es strengt auch die Stimme an, wenn man sprechen muss. Und er hat zwei Stunden gesprochen. Das ist bewunderungswuerdig fuer solch' einen Mann!" Er war ruehrend in seiner Zaertlichkeit fuer diese Stimme, den Mann, der sprach, waehrend er nur husten konnte, unnuetz sein Blut ausspie, in das Taschentuch, das sich faerbte, klebrig wurde zwischen seinen duennen, fiebernden Fingern. Sie waren gelb wie aus Wachs und gezeichnet von aussen durch die harte Arbeit, roher, oberflaechlicher, als durch die Krankheit von innen, die sie zehrte, fein machte, spiritualisirte. "Wir werden es ja nie erleben," sagte er friedlich. "Aber die Andern, die nach uns kommen! Einen Tag haben wir genug Stimmen im Reichstag. Sie koennen nicht mehr an gegen uns. Dann wird Alles gut sein. Wir werden die Gesetze machen. Es giebt keine Kriege mehr. Alle Voelker sind Brueder. Man arbeitet. Man lebt" ... Er hustete heftiger wieder, sich abwendend, um den Andern den Anblick seiner Schwaeche zu ersparen. "Ich - ich hasse die reichen Leute nicht. Sie wissen es nicht besser. Es sind Viele, die es gut meinen. Man wird Gesetze finden. Das geht ganz von selbst, ohne Revolution und Blutvergiessen. Die Soldaten sind ja auch auf unsrer Seite. Nur Zeit braucht's. Man hoert. Man liest Buecher. Die Vernunft muss ja ihren Weg finden. Es ist nur schlecht eingerichtet. Man hat die Religion gehabt, den Aberglauben. Die Menschen sehen jetzt, wie es wirklich ist. Man kommt vorwaerts. Man bildet sich. Alles geht gut. Die Gerechtigkeit muss aufkommen." Alle diese kleinen Saetze sagte er ruhig, sanft, ohne Aufregung, von Hustenanfaellen unterbrochen, die ihn quaelten, seinen Koerper schmerzhaft zusammenkruemmten, wie aufgespiesst an einer gluehenden Nadel. Sie gingen in dem Strassengetriebe vorwaerts. Es trieb sie ohne ihren Willen. Vielleicht wussten sie gar nicht, wohin sie gingen. Eine alte Frau in einer schwarzen Pelerine wackelte vor ihnen her, enorm wie eine wandelnde Glocke. Einige hatten Regenschirme aufgespannt. Sie sprachen von Geld: "Wenn man dreissig Pfennige die Stunde verdient, aber fuenfundvierzig muesste man haben." Ein junges Maedchen trug einen grossen Carton. Sie trippelte und sah hinter sich nach drei jungen Burschen, die sich laermend stiessen. Die Laternen schwammen wie gelbe, ausgeflossene Dotterflecken, schaukelnd. Der Schmutz mit dem geschmolzenen Schnee bildete eine braeunliche, zaehe Masse. Eine leere Droschke fuhr sehr dicht am Trottoir, als ob der Kutscher Kunden suchte. In den Destillationen discutirte man oder spielte Billard. Man sah die grauen Hauswaende feuchtigkeitstriefend mit Ladenschildern und Plakaten, Pferdebahnen, die klingelnd trotteten mit mueden, geduldigen Pferden. Aber Alles ungewiss, wie verwischt, unruhig, in Schatten ... "Man muesste es machen wie die Thiere," sagte der Anarchist. "Thiere sind klueger wie Menschen. Sie haben keine Gesetze und keinen Staat. - Aber es giebt auch eine Seele. Ich habe Todte gesehen, die wiedergekommen sind und mit den Haenden in der Luft zeichneten. Nun, ich habe die Koenigin Luise gesehen. Sie ist zu mir gekommen am Weihnachtsabend und hat mir eine weisse Rose geschenkt. Eine weisse Rose, die duftete. Sie kommt oft zu mir. Der Kaiser Friedrich kommt auch, und Napoleon und der Kaiser Alexander. Ich weiss nicht, warum sie zu mir kommen. Aber sie kommen." Er lachte, ein kleines, ungewisses, eitles, unglaeubiges Lachen. Es sollte um Entschuldigung bitten fuer ihn. Im Grunde war er stolz. Es gab so viel Dinge. Er wusste nicht ... "Man fuehlt sie, wenn man nicht viel gegessen hat. Und Jeder fuehlt sie auch nicht. Manche Menschen schlafen auch die ganze Nacht. Ich zum Beispiel, ich kann sehr oft nicht schlafen. Dann denke ich ueber Alles nach. O, es giebt sehr viele Sachen! Wenn man wuesste ... Vielleicht ist es auch nicht gut. Man muss essen. "... Die Thiere sind klug. Und die Kinder. Sie wissen alles Moegliche, diese Kleinen. Aber sie koennen nichts sagen. Die Todten koennen auch nichts sagen. Viele glauben nicht, dass es ein Leben nach dem Tode giebt. Nun, diesen kann man auch nichts sagen. Das ist Alles Gnade, wem es gezeigt wird. Und Viele wollen auch nicht sehen. Ich, ich glaube zum Beispiel an eine Seele." ... Nervoes, schuechtern sagte er das, mit einer schweren, etwas singenden Stimme. Er war wohl gewoehnt, dass man ihn oft fuer verrueckt hielt. Vielleicht war er auch etwas bloedsinnig. Aber das waren seine Geheimnisse. Er war stolz auf sie andrerseits. Oft erfuellte ihn eine schlechte Eitelkeit. Er kam sich dann besser wie andre Leute vor, eine strahlende und durchgeistigte Persoenlichkeit. Haeufig war er auch traurig und verachtete sich. Er hatte oft nichts zu essen. Der Hunger und die Gedanken hielten ihn wach des Nachts. Sie waren so auf einem freien Platz angelangt, wo die Strasse aufhoerte. Gerade ueber diesem Platz stand der Mond. Aber er war hinter den Wolken. Die Wolken umwellten ihn, zogen rasch ueber ihn her. Manchmal versteckten sie ihn ganz. Dann war es noch dunkler, wo er stand. Oder er war am Rande ein heller Fleck. Selbst wenn er ganz von ihnen befreit war, zeigte sein Rund schwarze Flecken wie Wollfasern, hingeworfene Schwaemme. Diese Wolken zogen sehr rasch und wechselten ihre Form fortwaehrend. Manchmal waren sie Kameele, huepfende Kaenguruhs oder grosse Schildkroeten. Oder auch nur Daempfe, gezupfte Watte. Auf dem Trottoir kaempften die Laternenstrahlen. Aber das Gas war unruhig im Winde, flackerte hin und her. Metall blinkte zuweilen oder eine Fensterscheibe funkelte schwarz polirt. Weisse Kanten von Gesims oder Mauern leuchteten urploetzlich auf im Dunkeln. Festes schien zu gleiten und Unbewegliches bewegt. Ringsum schlief die Stadt, Dach an Dach und Schornstein ueber Schornstein. Aber das fratzenhafte, luegnerische Wesen liess sie nicht schlafen. Es webte und irrte. Eine letzte Pferdebahn hielt am aeussersten Ende des Platzes. Die Pferde waren noch nicht eingespannt. Sie stand unbeweglich. Der Kutscher mochte wohl einen Schlaf halten im Innern des Wagens, bis seine Zeit war. Sie waren alle Drei stehen geblieben. Die beiden Maenner sahen den Fremden an. Sie sahen ihn an, als ob sie warteten. Sie standen da und warteten, froestelnd, etwas benommen, zwinkernd in das Halblicht ... Der Eine war halb aufgefressen vom physischen Leiden. Den Andern trieb die Rastlosigkeit vorbei und weiter. Alle Beide hatten dieselben cernirten, etwas bloeden Augen von einem unbestimmten, sanften Grau mit gruenlichen Lichtern, Augen von Nachtthieren, die man mit einiger Ueberraschung entdeckt, weil ihr Funkeln irrefuehrte im Dunkeln, - Schultern, die getragen hatten, und zu hohe, weitoffene Stirnen ueber fliehenden, demuethigen Unterpartien gutartiger Hunde. Sie warteten. DAS VIERTE KAPITEL. Er ging auf's Land. Er kam durch Doerfer, die sich lang hinstreckten in einer einzigen Strasse. Oder eine andre zweigte sich ab vom Muendungsplatz, sehr ausgefahren, in einer flachen Traenke endigend am Waldrand, gleich sehr einfachen, primitiven Verdauungsorganen ganz untergeordneter Thiere. Es gab aermliche Haeuser, abseits im Koth stehend mit zerfallnen Stacketen und windschiefen Mauern, wohlgebaute, schmucke, die steinerne Treppen vor der Thuer hatten; weisse Gardinen umrahmten die Fenster ueber bluehenden Toepfen. Recht in der Mitte war die Kirche gebaut. Ueberall hatte man da zuerst die Todten begraben, eh' man anfing sie hinauszutragen weit abseits in gleichgueltiges Flachland. Uralter Epheu kletterte empor nach dem verwitterten Holzthurm. Eine runde Zifferscheibe zeigte die Stunde mit eingerostetem eisernen Finger. Des Abends riefen die Glocken und antworteten sich. Vor dem Wirthshaus stand irgend ein hundertjaehriger Baum, eine Ulme oder Linde. Sehr oft war sie schon ganz zerfressen, eine Seite fehlte, dass man hineinsehen konnte, wie in einen hohlen Ring. Aber oben trieben die Aeste noch gruene Ruthen. Die Alten betrachteten sie sorgenvoll, aber die Jungen dachten, dass sie etwas Heiliges waere und das Glueck ihres Dorfes davon abhinge. Die Huehner scharrten in den Fahrgeleisen. Das Vieh wohnte friedlich neben den Menschen. Die Kuehe tranken aus der steinernen Traenke am Brunnen. Sie auch waren heilig, freundlich, der Reichthum ihres Besitzers, und sahen mit ruhigen Augen wie Berechtigte, die ihren Weg kennen. Kleine Kinder liefen dem Wandrer nach in ihren Holzschuhen. Oder sie nahmen die Schuhe in die Hand und folgten so auf den blossen Fuessen. Sie liefen mit, so lange sie Lust hatten, und kehrten dann um, wenn sie muede waren. Sie standen, den Finger im Mund, mit grossen Augen, sagten gar nichts, und sahen ihm nach. In den Feldern war man an der Arbeit. Maenner stiessen die Pflugschar, langsam, sehr langsam hinter dem Pferdegespann, das sich wie ein Schattenriss abhob vom grauen Fruehlingshimmel. Die Erde wellte sich hier in grossen Huegeln, wie Wogen eines Meers, das die Fluth verlassen hat. Man sah den Pflug mit dem Gespann aufsteigen und niedersinken. Manchmal war er in den Schluchten ganz verschwunden; er kroch langsam und steil hinan in runder Schwingung um die Schwellung des Bodens. Rhythmisch drehte und wandte er sich, dem staerkeren Rhythmus der Erdmassen folgend. Ins Graue, Harte schnitten die blanken Schaufeln, es aufwerfend in blanker, oben gekraeuselter Scholle. Sehr dunkles Bauernbrot hat diese Farbe. Es duftete vom Frischgebacknen. Die Pferde schritten geduldig. Sorgsam, merkend auf Zahl und Curve der Furchen lenkte der Pflueger. - Sie waren geschritten so seit Jahren. Ihre Vaeter hatten gepfluegt. Die Erde war da, und die Menschen waren vergangen, zur Erde gekehrt wieder. Geheimnissvoll in verschwiegenen Furchen keimte die Saat; kleine, schuechterne Haelmchen aus dem festen, lagernden Erdreich. Kraehen strichen kraxend ueber die Felder. Ganz oben zogen Schwaerme wilder Gaense in mystischer Keilreihe mit schrillem fernen Kreischen. Der Wind klang wie brauendes Tosen und Kollern, Kobolde und Trollen aus dem Norden, Vorgeborner, Eddabewohner. Er kam durch Bergland. Da waren die Menschen arm und wenige. Sie wohnten dicht zusammengedrueckt in Thaelern oder an den Abhaengen. Die Berge reckten sich hoch, Kuppe an Kuppe. Runde, langgestreckte, mit breitem, fichtenbestandnem Ruecken, oder sie trugen Laubwaelder, braun und gruen, die ihre Umrisse verbargen. Fast kahle gab es, von Gestruepp, ganz jungen Hoelzern bestanden, zwischen denen man Korn gesaet hatte, um den Boden fruchtbar zu machen. Schneisen oeffneten Ausluge in gruene Wirrnisse, neue Seitenthaeler und auf hohe ernste Waende. Am Wege rankte Brombeergestraeuch und man sah zwischen Farrenkraeuter wie in gruene, niedrige Dome unter den hohen, wo Elfen haetten spaziren koennen, Thau schluerfen aus blauen Glockenblumenkelchen oder Honig melken aus den gelben Bluethenruesseln der wilden Bienensaug. Holz schlug man da in grossen geschichteten Wuerfeln. Jedes Stueck trug den Stempel, die Nummer. Manchmal aus einem verwachsenen Seitenweg zwischen den hohen Graesern kam ein Arbeiter, der seiner Heimath zustrebte, Bergleute oder Hausirer, stille Leute und gewohnt im Dunkeln zu finden. Durch fruchtbare Ebenen kam er, wo Dorf an Dorf sich draengte, Hof neben Hof, stattliche Hoefe mit rothen Ziegeldaechern und steinernen Staellen, weiter Einfriedigung fuer das Gelaende. Obstgaerten bildeten den Reichthum der Gegend. Selbst das Vieh war schoener, fett und glatthaeutig, wie die Leute, die in steifen Trachten gingen, mit seltsamen Hauben und Muetzen, weiten Roecken und verschnuerten Stiefeln. Die Kinder truppten zur Schule steif und artig. Alles war numerirt und eingetragen vom Landrathsamt. Man sah die neue Bahn ohne Ehrfurcht. Man wusste, was man werth war, und wuenschte nicht, dass eine Vermischung stattfand. ... Manchmal ging er sehr frueh am Tage. Alles war grau, grau wie im Wasser gewaschen und noch nicht getrocknet wieder. Die Feuchtigkeit sass in der Erde wie in einem Schwamm. Die Luft war zu schwer noch, dass sie ausdampfen konnte. Kleine Kiesel blinkten gewaschen, braun mit stumpfen Steingries in der Mitte. An jedem Grashalm hing ein Tropfen. Unzaehlige, unendlich winzige Troepfchen bildeten einen feinen, weiss-grauen Seidenschleier auf seiner klebrigen, mit kleinen Haerchen besetzten Oberflaeche. Die Kraeuter streiften feucht beim Durchschreiten. Man fuehlte die Erde sich ansetzen und schwer werden unter den Schuhen. Der Wind blies mit einem Geruch von frischer Waesche. Zwischen rothen Steinfassungen einer Bruecke floss breit ausgelaufen ein Muehlbach. Niemand wusste, ob es regnen wuerde, aber inwendig war ein Tropfen und Sickern, die Thaetigkeit des Wassers, das filterte, sich einsackte. Der Wind erhob sich in den Pappelkronen. Sie verbeugten sich und neigten ihre schlanken Ruthen gegeneinander. Die Ruthen rieben sich und wechselten sehr schnell in der Beruehrung, wie Tasten eines Klaviers, die man nacheinander anklinkt, ein Spiel der Staebe, die Zeichen geben, eine Botschaft weitertragen. Die ganze lange Reihe hindurch lief die Bewegung. Sie schuettelten die Koepfe, rauschten und raunten. Erst kam es nur wie ein feiner, leichter Wasserstaub, ein Schleier im Gesicht, den der Wind nach Laune vor- und zuruecktrieb. Graue Huschen zogen rasch wie Watteballen in der Luft. Dann wurde es wie ein leises Stossen, wie wenn es in einem Kessel anfing langsam zu kochen. Man hoerte das Klatschen auf nackte glatte Haeute der Blaetter. Aber es kam noch nicht durch. Sie schuetzten wie ein Regenschirm. Es rieselte, rauschte, tropfte, plaetscherte ... Es regnete. Im Fruehlingsregen ging man wie in einer grauen Tarnkappe. Alles erschien ohne Farbe, sehr jung noch, wie eben ausgebruetet, als ob die Eihaeutchen noch herum waeren, eine Foetuslandschaft. Das Nass begoss, trieb, schwellte. Unter den Fusssohlen sickerten Lachen. Alles Gruen wurde grell, fast giftig. Die Blumenkronen schienen groesser, vom Wasser beschwert. Fast schwarz glichen die Baumrinden aufgebrochner Erde. Ein lauer Schweissgeruch des Bruetens lagerte. Unter den Steinen hoehlten sich Loecher. Alle Steine schienen dunkler. Ihre weissen Aederchen und Brueche zeigten sich sehr deutlich. Die Steine waren nicht steinern und die Tropfen schlugen sie. Dann kam ein gelber Schein von irgendwoher. Er flatterte auf wie ein Vogel. Es war ein Spiel der Lichter ohne eine Quelle des Lichts, ohne dass man wusste, woher die Strahlen kamen. Grosse Flecken von Klarheit rissen ein und vergroesserten sich im Grau. Alles ging sehr rasch, wie das Anschlagen eines Instruments, ein Finger, der sehr schnell ueber Saiten laeuft. Es giebt einen Klingklang hier und da, aber noch keine Melodie. Die Regenstriche schienen blank und spruehend. Einen Moment funkelte Alles. Ein Regenbogen stand sicher geschwungen ueber der Landschaft, ein zweiter verschwamm zitternd im Grauen. Die Voegel fingen schuechtern wieder an zu piepen. ... Man sah keinen Menschen des Abends. Ueber die Felder zogen Nebel. Am Waldrand schien sich's zu brauen, zusammenzurotten. Man unterschied die einzelnen Baeume nicht mehr. Es waren Alles Rundungen, wie Hammelruecken, Riste flockiger Widder sehr eng zusammengepresst. Das wiederholte sich unendlich. Es schien wie ein Meer, das da angewachsen, festgenagelt war, dunkel, drohend, gierig, immer dieselbe Form in immer tieferen Schatten, Roethen, Violetten, die der Tag nicht kannte. Das drang vorwaerts, frass sich weiter, eine schlechte Anziehung schien von ihm auszugehen, etwas von Hexenkraft, Raethselhaftigkeit, Unerloestem. Sehr sanft schmiegten sich die Saaten. - Ein Reh trat heraus. Es aeugte mit merkenden Lichtern, spitzte die Horcher, eh' es sich zum Aesen bueckte. Dann kamen mehrere. Man glaubte den leichten Anschlag ihrer Hufe auf dem Rasen zu hoeren, wie sie sich bewegten, malmten. Nun wurde Einem wohler. ... Die Kastanien trieben eidicke Knospen. Blaettchen an Blaettchen faltete sich in draengender Enge, rundlich, breiter am Grunde und spitz zulaufend im Abschluss. Der klebrige Lebenssaft hielt sie alle zusammen. Zartbraun waren die aeussren, wie duenne abfallende Schalen, die ihren Dienst gethan haben. Die inneren blieben weiss und lichtgelb, wie feines Fleisch der Eier, das man isst. Er fand einen jungen Mann unter dem Kastanienbaum. Er hielt ein Buch auf seinen Knieen, aber er las nicht. Er sprach zu ihm: "Warum liest Du nicht in Deinem Buch, das Du haeltst?" Er sprach: "Dieses Buch habe ich gelesen, viele Buecher, alle Buecher der Welt, die ich finden konnte. Ihre Worte sind Buchstaben und ihr Wissen ist Worte. Jetzt lese ich gar nichts mehr. Ich bin nur hier und studire den Baum. "Recht herrlich anzusehen ist dieser Baum. Aufgepflanzt auf starken Wurzeln, unter der Erde gegruendet wie ueber ihr. Der Mittelstamm reckt sich stolz und gerade. Jedes Jahr weitet sich der Ring. Eine Schnur fuegt sich mystisch zur Schnur der gewesnen, die die Vergangenheit zeichnen, und jene Zukuenftiges. So entsendet er Aeste ringsum im Kreise nach allen vier Richtungen der Sonne, dass die Sonne sie bescheine und wachsen macht. Kleine Zweige schiessen auf von den grossen, aus knorrigen Hoehlen, wo das Geheimniss der Geburt sich erneuert. Diese wieder theilen sich in faechernde Finger. "Keine Regel scheint in dem Ganzen und stolz giebt er die Rundung des Erdballs wieder. Fast flach breiten sich die untern tragenden Aeste. Die mittleren reichen an den Kreis des Aequators. Zum Pole der Spitze fuegen sich in schaerferer Steigung die oberen. "Und Alles lebt. Die Wurzel entsendet die Kraefte, die die Aeste leiten. Zur aeussersten Spitze des aermlichsten Stieles steigt pulsender Saft, der schwaert und gebiert. Ohne Ende ist dieses Leben, grossmuethig und doch sparsam. Es scheint zu schlafen und wirkt doch in der Stille. Prangend steht es in der Bluethe und sicher reift doch die Frucht. Es giebt kein Meistern an seiner Form und Bestimmung. Denn Alles ist meisterlich von Anfang gegruendet wie es sein muss, bis er stirbt, sein Tag um ist, da er lebte." Er sprach: "Bist Du also weit und hast Du dies Alles erkannt, so will ich Dir mehr sagen, das wichtiger ist denn Werden und Sterben. Lass Dein Buch und den Baum und folge mir." So folgte ihm dieser. Zwei Brueder, Maurermeister, lebten in einer kleinen Stadt. Sie lebten dort schlicht und redlich, waren verheirathet und hatten Kinder. Ihr Gut mehrten sie taeglich und sie hatten zusammen ein schoenes Haus gebaut, dass sie dort auf ihrem Eignen saessen und ihre Tage friedlich endeten. Sprach der Eine zum Andern: "Was hilft es uns nun, dass unser Gut sich mehrt von der Arbeit unsrer Haende, unser Haus fest und stattlich steht? Wir muessen doch sterben. Die Zeit reisst es ein, was wir gebaut haben." Der Andre sprach zu seinem Bruder: "Ich kenne einen Fremden, der Worte weiss staerker wie das Leben. Was er meint, bindet keine Zeit. Mauern fassen es nicht, die staerker sind wie unsre." Er sprach, der der aeltre Bruder war und der Weiseste von Beiden: "Diesen Mann muss ich hoeren. Und wenn ich alle meine Gueter dahintenlasse, was das Herz froh macht, ein Weib und junge Kinder. Es ist wichtiger, dass ich habe, was ewig bleibt. In sich bauen, dass man fest wird, ist mehr denn Haeuser bauen, die der Sturm einreisst." Diese Beiden gingen und suchten den Fremden auf. Sie waren aber redliche Leute, wohlgeachtet von allen Menschen und von nachdenklicher Gemuethsart, wie es das Handwerk mit sich bringt. Denn ein Maurermeister in seinem Handwerk, so er es recht versteht und ernst nimmt, ist etwas vom lieben Gott und Schoepfer selbst, der die Welt geschaffen hat. Er haelt in seiner Hand Thon und Moertel. Was er baut, soll fuer Jahre und Jahrzehnte sein, wohlgegruendet und ausgemessen in allen seinen Theilen, dass nicht das Hohe auf das Niedrige falle, der Boden nachgiebt unter zu schwerer Belastung von Schnoerkeln, Pfeilern, buntausgemalten Fenstern. Alle diese und Andre, an der Landstrasse, sah und fand der Fremde. Manchmal, wenn Viele beisammen waren, an einem Wegrain oder auf der Rasenhoehe ueber dem Teich, sprach er zu ihnen. Er sprach ihnen von der Armuth des Reichthums und wie die gering sind und Knechte, die streben und hochstehen. Von den Thoerichten des Herzens und den Armen im Geist sagte er ihnen suesse, geheimnissvolle Worte. Und von der Guete der Unklugen, die weiser ist denn Weisheit und staerker denn Staerke aller Gewaffneten und Starken. Kleine Kinder umstanden seine Kniee und sahen zu ihm auf mit grossen, unbewussten, glaeubigen Augen. Sehr alte Leute nickten in tiefen Meditationen. Muetter hielten sich laechelnd an mit ihren Saeuglingen an der Brust, die nach der naehrenden Zitze lallend griffen, sie patschten mit ihren rosigen Haendchen. "Die Liebe kennt kein Gesetz. Sie ist ueber dem Gesetz. Alles Gesetz ist in ihr." "Gieb! Man wird Dir nicht stehlen, wenn Deins ist wie Deines Bruders und Deines Bruders wie Deins." "Die Unkeuschheit ist nicht in der That. In der Scham schon ist Suende. Der Gedanke der Wollust schlaegt und beschaedigt." "Nicht das Wort ist Luege, der Eid betheuert nicht. Eure Rede sei klar, weil Euer Denken Wahrheit ist." "Der Hass, der keinen Widerstand findet, erlahmt in ihm selbst, wie der Stein, der geworfen wird und in's Wasser faellt." "Und widerstrebet dem Uebel nicht." Die kleinen Blumen bluehten mit tiefen, duftenden Kelchen. Feiner wie koestlichste Seide waren ihre Blaettchen. Die Staubfaeden standen wie brennende Kerzen, Goldkrystalle edelster Kronleuchter. Auf gruenen Stengeln trugen sie ihre Haeupter wie Kronen. Die Luft war schwanger von ihren Dueften und die Winde trugen ihre Samen. Die Voegel kamen sorglos und pickten ihre Nahrung. Im Gras athmeten Cicaden und Mueckchen, Kaefer, Gewuerme - ein tausendfaeltiges Leben. "Warum sorget Ihr Euch? Alles Leben findet seine Nahrung. Alles Lebendige erfuellt seine Bestimmung des Lebens. Ihr sorget und sammelt Schaetze. Die Motten zerfressen sie und der Rost, die Diebe graben danach und stehlen." "Der Reiche ist arm und der Arme ist reich. Stark ist, wer fest steht in sich selbst. Der weise geworden ist in Gott, dem haben Stuerme, Hass der Menschen und Noth nichts an. Die Welt ist dem Menschen gegeben. Ueber der Welt steht der Mensch, der die Welt in sich traegt. Gott ist in Euch und Ihr seid Gottes. Erwacht zu Eurer Herrlichkeit! Ein koenigliches Volk, ohne Koenige, Herren Alle und Freie, die Ihrer selbst Herr geworden sind." Sehr schoen war er mit seiner strahlenden Stirn, dem melodienreichen Mund, dem die Worte entstroemten, die Haende lang und fein mit heilender Beruehrung. Seine Worte klangen lieblich wie Musik. Und in ihnen war die Tiefe. Der blaue Himmel spannte sich ueber ihn, blau, ganz blau, in immer lichterem Blau bis zur laechelnden Sonne, ueber die Erde gestellt mit gruensammetnem Rain, - einen Koenig im schlichten Bettlergewand, einen Gebietenden auf dem Feldstein seines Throns. Die Leute kamen von weit, ihn zu hoeren. Etliche sagten: "Es sind Gedichte. Wir haben das schon oft gehoert, so oder so." - Aber sie hatten viel zu thun und gingen. Viele sagten: "Das ist Alles Luege. Traeumereien sind das." - Sie erklaerten lange, wie es besser zu machen sei mit dem Aufhoeren der Militairlasten oder einer neuen Steuerordnung oder indem man die Gueter anders vertheilte. Sie waren die Kluegsten. Aber die Meisten gingen hin und thaten weiter, wie sie vorher gethan hatten. Und war Niemand, der ihn verstand. DAS FUeNFTE KAPITEL. Es begab sich, da er muede war, setzte er sich nieder an einem Brunnen. Ein sehr lieblicher Platz war es. Weidenzweige hingen tief wie feine wehende Schleier. In der gemauerten Hoehlung hoerte man es murmeln vom schwaerzlichen, verborgnen Wasser. Alles Gras ringsum war gruen, sammetgruen mit Schatten, wie der Wind es wehte oder die Sonne fiel. Eine Stille war in der Luft, diese Klage der Feuchtigkeit, die der Nacht vorangeht, denn es war Abenddaemmerung. Nur die Heimchen zirpten. Man hoerte das Locken der Voegel, aber befriedigt, nur mehr wie ein Glucksen. Die Winde auch kamen sacht, mit etwas lebhafterem Rauschen oben in den Baumkronen. Er setzte sich auf die Steinbruestung des Brunnens. Eine Frau kam. Sie ging langsam und hielt eine Reitgerte in der Hand. Der Saum ihrer grauen Amazone fegte schleppend den Boden. Sie fuehrte ein weisses Pferd am Zuegel. Es trat so leicht auf, dass man seinen Hufschlag nicht hoerte, den Kopf hielt es gesenkt, als wollte es sich bemuehen, die Saatsprossen zu erhaschen, und schnoberte leise aus rosa feinen Nuestern. Ein Windspiel sprang auf ihrer andern Seite. Es streckte zuweilen wie liebkosend seinen schmalen spitzen Kopf in ihre haengende Hand. Sie ging in tiefen Gedanken. Ihre Haare waren in dicken Flechten gewunden, weit unten im Nacken aufgesteckt, als ob sie zu schwer waeren fuer ihren schmalen Kopf. Sie ging sehr langsam und hielt die Augen zur Erde gerichtet, wie wenn sie suchte. Sie suchte mit der schwanken zitternden Spitze der Reitgerte auf dem Boden. Der Hund lief neben ihr und sah sie an. Er versuchte ihre Augen zu fangen. Aber sie antworteten seinem Blick nicht. Sie ging und fuehrte das weisse Pferd am Zuegel. Ganz weiss, mit gesenktem Kopf folgte es, ein edles, geduldiges, sehr feines Thier. Gerade ueber die Wiese kam sie, zu der Quelle, wo der Fremde sass. Sie seufzte. Gegenueber am Brunnen sass der Fremde. Und sie sah ihn nicht. Sie hob die Augen auf und sah ihn. "Warum bist Du ungluecklich?" fragte der Fremde. "Ich bin ungluecklich, weil ich gluecklich bin. Ich habe Alles, was die Menschen Glueck nennen. Ich wohne in einem Schloss im Reichthum. Meine Eltern hielten alle Sorge fern von mir. Ich habe einen Mann, der mich anbetet, gute Kinder. Doch bin ich ungluecklich. Ich gehe zu diesem Brunnen, um Ruhe zu finden, weil mein Schmerz sich aufloest in dem der Natur, der ueber diesem Ort lagert. - Warum ist sie ungluecklich?" "Weil sie sterblich ist und vergaenglich." Die junge Frau seufzte tiefer. Die Zweige der Weiden rauschten auf wie leichte, faltige Frauengewaender und fielen zusammen. Der Hund schob liebkosend seine kalte Nase ein. Ueber die Felder trug der Wind die Klage der Weiden und geheimnissvoll in der Tiefe gluckste und murmelte das Wasser. "Sind wir es nicht auch? Vergaenglich und sterblich? Der Tod ist in Allem. Das Schoene hat keine Dauer. Die Leidenschaft flieht. Der Tag unsrer Kraft ist der unsrer Guete. Wenn wir krank sind, sind wir selbstsuechtig, schlecht, Andre quaelend und gequaelt von ihnen. Aller Anstrengung Ende ist der Tod." "Es giebt etwas ueber dem Tod," sagte der Fremde. "Es giebt etwas," sagte sie in sehr tiefen Gedanken. "Ja, es muss etwas geben. Man denkt nicht daran, wenn man gluecklich ist. - All' diese Tiefen - diese Schmerzen! Diese Schmerzen muessen unsterblich sein." "Die Schmerzen sind unsterblich." "Die Ahnung des Unendlichen - diese Sehnsucht hinaus! Es ist das Beste, was wir haben. - Es ist sehr schmerzlich." "Leiden ist schoen." "Ja, es ist schoen. Ich moechte nicht ohne es sein. - Doch die Andern sind gluecklicher. Warum gab man es uns nicht wie dem Thier zu leben? wenn es aus ist, Sterben ohne Bewusstsein?" "Nichts stirbt. Alles Leben lebt unvergaenglich." "Sie auch, diese Baeume? Die Wehmuth dieser Felder? Es gaebe eine Vollkommenheit fuer sie? Eine Erfuellung? Wo ist sie?" "Ahnst Du sie nicht? - Sieh in die Weite!" ... "Manchmal ahne ich sie. Etwas wie einen Zusammenklang, einen verlornen, fernen. Ich weiss nicht. ... Es ist das Leiden, die Suende: Einer hat Einen getoedtet. Man toedtet ihn wieder. Er leidet. Ist er nicht erloest? ... Aber es sind so viele Andre. Sie gehen hin und leben, correct, alltaeglich" ... "Sie sind weitab." Sie sprach wie im Traume. Der Hund, zu ihren Fuessen gelagert, sah sie an mit treuen, klugen Augen. So beweglich waren sie, dass die Lichter fortwaehrend wechselten wie in einem Spiegel. Im Grase weidete das weisse Pferd. Man hoerte es die zarten Halme abrupfen, sie zermalmen zwischen starken, hoeckrigen Zaehnen. Und von Zeit zu Zeit wieherte es leise, wie wenn es antwortete, als roeche es den Fruehling. "Ja, ja," sagte sie athemlos. "Ich weiss nicht. Aber es muss auch sein. Man quaelt auch Thiere. Sie leiden und sie ahnen. ... Was ist es?" "Wenn Du wuesstest, waere es das?" Sie schuettelte den Kopf. "Nein, man muss es finden, selber in sich finden. Dann ist es der Friede. Ein Glueck ueber dem Glueck, Erfolg und Schande, Reichthum und Armuth, - das ist Alles so gleichgueltig. Es ist ueber dem Allen." Sie sah den Fremden an. Die junge Frau mit zarten, spielenden Fingern strich langsam die Saeume ihres Kleides entlang. Ihre Augen verschleierten sich in dem Schleier, der ueber die Felder ging. Es war, als ob die Farbe der Felder in sie eindraenge und es bliebe nur _eine_ Farbe in ihren Augen und in der der wehenden Saaten. In der Curve ihrer Schultern fand sich die gesenkte Kruppe des weissen Pferdes. Die graue Seidenhaut des Windspiels schmiegte sich wolluestig, verloren in die Kleiderfalten. Das Wasser fiel in kleinen plaetschernden Cascaden, oder es ruhte sich lange aus, in Pausen, wo nur das Unterirdische murmelte, die kleine Stimme von Tropfen, die hoehlen, klopfen. "Manchmal fuehle ich, als ob ich gar nicht mehr Ich bin. Eine haessliche Kroete. Eine Tigerkatze. Ich bin ein Wesen, was vor vielen tausend Jahren war und hundertmal gestorben ist. Ein Thier und ein Gott. Vom Thier zu Gott. Das ist der Weg." "So ist es." "Ja, ich habe gelebt," sagte sie sehr leise, liebkosend. "Ich habe gemordet. Ich habe gesuendigt und triumphirt. Vielleicht habe ich am Maertyrerpfahl gestanden. Und es machte mir Freude, meine weisse, feine Hand in Blut zu tauchen, bis sie roth war. - Ich sah einen Mann einmal. Er war ein Strolch und ein Moerder. Er auch, war ein Koenig. In seinem Auge las ich den Stolz der Starken. Wir kannten uns so gut, wie wir uns sahen. ... Das ist seltsam." "Nichts ist seltsam." "Nichts! Nichts!" wiederholte sie inbruenstig. Eine feine Roethe schlug von ihrem Hals auf wie Sonne unter Lilienblaettern. "Gar nichts ist seltsam. Manchmal in Buechern, in der sehr grossen Kunst fuehlt man es. - Ich habe es in Felsbruechen gesehen, in dem spitzen Speerschaft irgend eines Grashalms. Es giebt Worte, Reime. ... Goethe hat sie. Und Shakespeare, wenn Ophelia wahnsinnige, kleine Lieder singt. Ich kenne chinesische alte Goetzenbilder und Michelangelo's Grabfiguren am Mediceer-Denkmal. ... In der Marseillaise hoert man die Tuba der Erzengel. Warum ist Lucrezia Borgia suess wie Nachtigallsang am Maiabend und Napoleon gekreuzigt wie der von Golgatha ... Es ist so schwer zu denken ..." Sie presste die weiche kleine Hand gegen die Stirn, an der die Schlaefen flogen wie unter Haemmern einer Schmiede. "Warum denkst Du?" fragte er guetig. "... Wenn man nicht denken brauchte! Alles weiss man. Nur weil man versucht, sein Wissen zu erklaeren, _ein_ Wissen fuer Alle, Gesetze sucht, weiss man nicht mehr. Kinder wissen. Und Frauen! Ah, Frauen wissen eher wie Maenner! Sie fuehlen. Es ist ihr Koerper, der in ihrem Willen ist, ... weil Frauen lieben." "Und Gott?" fragte er. "Gott auch liebt," sagte sie traeumend. "Er hasst nicht. Das Gute ist dasselbe wie das Boese. Alles ist ein Leben und es dreht die Welt. Die Thaten, die gethan werden, sind seine Aeusserungen. Es ist nichts gut und nichts schlecht. Es ist wie es ist." Er antwortete nicht. Sie seufzte. Die muede Traurigkeit erschien wieder in ihrer Haltung, dem Koerper, der sich zurueckbog, waehrend die Linie des Halses straff wurde. "... Sie haben Kirchen gebaut. Ich habe versucht in der Kirche zu beten. Die Sehnsucht erstickte mich.... Hier ist es besser." "Es ist besser hier." "Sie sind zu eng, die Kirchen. Dies Alles muesste mit hinein. Viel, viel mehr als die alte Geschichte. Und die neuen Geschichten. Das ist weit - weit ..." Sie zeigte mit ihrer Hand. Von allen Seiten wallten die Nebel. Es glitt ueber die Felder. Das Entfernteste verlor sich im Ferneren und das Nahe schien weitgerueckt, aufgesogen im Allen ... Eine Fledermaus strich leise mit unhoerbaren, schwarzen, tappenden Schwingen. Naeher und wieder weiter, geheimnissvolle Kreise ziehend. Sehr deutlich sah man die feinen Krallennaegel, zwischen denen die Flughaeute angemacht waren gleich Stofffaechern eines Regenschirms, den kleinen, platten Kopf mit spitzen Zaehnchen, die nach Insekten schnappten, sie rasch zerrissen. Eine Eidechse kam hervor unter der Brunnenmauer. Sie blieb da wie angewachsen, horchend. In der Saat putzten sich die Hasen und machten Maennchen. Sie ohrfeigten einander mit harten, flinken Pfoten und hamsterten leise in sich hinein wie Geizhaelse. Ein Fuchs schlich auf Raub mit vorgestreckter spitzer Schnauze und fuchtelnder Ruthe. Ganz fern quakten Froesche im Feuchten. Von allen Wiesen stieg der Athem auf. Sehr lange sassen sie. Sie erhob sich langsam. Das weisse Pferd kam ohne Ruf. Der Hund witterte in die Richtung mit angelegten Ohren, aufmerksam, zitternd. "Gehe in Frieden," sagte der Fremde, "Du bist naeher wie die Andern." DAS SECHSTE KAPITEL. Nun hatte die Frau des Landraths eine Idee. Das Geruecht von ihm war naemlich sehr stark geworden in dieser Gegend, so dass viele Leute aus Neugier kamen, um ihn zu sehen. Viele logen und erzaehlten seltsame Geschichten von Wundern und Kranken, die geheilt worden waren. Und die Menschen liefen hin. Sie blieben da und folgten ihm etliche Tage und warteten auf ein Zeichen. Wenn nichts geschah, was ihre Hoffnungen erfuellte, gingen sie nach Hause, ihren Geschaeften nach. Diese sagten stets, dass Alles gelogen war. Sie bewiesen sonnenklar, dass solche Wunder unmoeglich und gegen die Natur seien, warteten doch darauf und wuerden sie bestritten haben, wenn sie geschehen waeren. Die Zeitungen bemaechtigten sich des Stoffes. Sie hofften ihre Leser zu amuesiren. Einmal tauchte er hier auf und einmal da. Es machte den Reportern Spass, gerade die abenteuerlichsten Geschichten zusammenzutragen, gefaelschte Interviews und lange Extrakte aus Reden, die er niemals gehalten hatte. Auskunft war da ertheilt ueber Himmel und Hoelle mit genauer Beschreibung der Lage und Gliederung der Letzteren, eines jeden Pfeilers, auf dem Gottes Thron stand. Einige brachten sogar ein ganzes Nationale, dass er der Sohn eines Zimmermanns Joseph Schaeppli aus Bing an der Enz in Wuerttemberg sei. Dieser Sohn hatte fuer einen Narren gegolten in seiner Jugend. Im Ort gab es viel zu erzaehlen von seinen sonderbaren Thaten und Reden. Dann war er verschwunden, als er etwa dreissig Jahr alt war. Etliche sagten, er waere in der Enz ertrunken, Andre, dass er in die Waelder gegangen waere und dort als ein Waldmensch und Einsiedler hauste. Sie behaupteten, dieser selbe Zimmermannssohn aus Bing sei es, der jetzt aufgetaucht waere und predigte. Seine eignen Eltern sollten es beschworen haben. Ein besonders eifriger Neuigkeitenvertreiber hatte sogar seine Mutter aufgesucht und wusste, dass sie eine Haube trug und in ihrer Jugend Visionen gehabt hatte. Das war uebrigens nichts Seltnes bei diesem schwaebischen Gebirgsvolk, arbeitsam und verstaendig, aber von schweifender Phantasie, mit einer bestaendigen Sehnsucht im Herzen, die die Berge wachhielten, oder auch der alte Schatz von Legenden, einstiger Herrlichkeit und Weltgroesse, die in diesen Staemmen lebendig geblieben waren trotz des neuen deutschen Reichs, Lutherthum und Schulbehoerden. Wieder Andre hielten ihn fuer einen Wanderprediger aus den norwegischen Bergen. Es gab ihnen Gelegenheit, ueber mystische Schwaermer, Tolstoi und Ibsen zu reden, den Geist des Urchristenthums, der sich dort in einigen weltabgeschiedenen Gemeinden rein erhalten hatte. Diese verbreiteten, dass er der Sohn eines schottischen Lords oder vornehmen Grafen waere. Es that ihnen wohl, das zu glauben. Und gewaltig erschuetterte Alle Fritz Kuhlemann's Stimme, eines einfachen Arbeiters und verlorenen Gesellen, der in den grossen Staedten auftrat und forderte Busse zu thun: Im Namen Jesu des Lebendigen, der Fleisch war und unter ihnen wandelte. "Denn die Zeit ist gekommen." Das Volk lief ihm zu. Etliche erwarteten Lohnerhoehungen, Gaben der Reichen. Andre rechneten auf die Revolution, wo er ihr Haeuptling werden sollte. Denn seine Rede klang gewaltig. Es war in ihr der rothe Hass der Ungerechtigkeit und eine neue strahlende Liebe, weit wie die Sonne, die ueber Gerechte und Ungerechte scheint, aber wild auch und schoepferisch, wie die des Mannes zum Weibe. Es gab Viele, die sich betroffen fuehlten unter den Vornehmen und Reichen, zu sich selbst sagten: Wir koennen nicht wohlleben und in Wagen fahren, wo unser Bruder hungert und nicht hat, da er sein Haupt hinlegen soll? - Denn so sprach er: "Nicht ausser Euch, sondern in Euch richtet auf das Reich Gottes! Denn das ist Gottes in Euch, dass Ihr Liebe gebet. Das Andre, Neid, Geiz, Hoffarth, ist des Thieres und des Teufels. Und Ihr seid Alle Gottes." Viele kamen auch zu ihm und sagten: Wir wollen sehen, ehe wir glauben. Er sagte ihnen: Seht die Werke an in seinem Namen gethan und thut wie Er. - Aber das gefiel diesen nicht. Es gab Viele unter den reichen und vornehmen Leuten, die den Fremden auch gern gesehen haetten. Aber sie wollten sich nicht laecherlich machen. Auch fuerchteten sie in der Oeffentlichkeit ihre Namen zu compromittiren. Diese Landraethin, deren Mann zugleich Reichstagsabgeordneter war, hatte eine grosse Gesellschaft zu geben. Sie war eine kluge Dame aus reichsgraeflichem Hause, die sich viel einbildete auf ihre Bildung, dass auf ihren Gesellschaften immer etwas Besonderes, Geistiges und Interessantes war. Da bei vielen ihrer Freundinnen und Nebenbuhlerinnen Theosophie in Mode war, dachte sie, es wuerde sehr interessant sein, den Fremden einzuladen, ihn ihren Gaesten gleichsam als Curiositaet und zur Unterhaltung vorzufuehren. Gleichzeitig that sie damit einem Mann einen Gefallen, der ihr selbst und ihrem Landrath sehr nuetzlich war, in einem Kreis, wo er vermoege seines Namens und Reichthums eine hoechste und selbstverstaendliche Stellung einnahm, die sie als arme Beamte und Frischnobilitirte sich nur muehsam erobern konnten, mit allen Mitteln suchen mussten zu befestigen. Dieser Mann war der alte Prinz Schoenheim-Wagram-Trauttenberg, Minister unter der liberalen Aera Friedrich Wilhelms des Vierten. Er hatte in seiner Jugend mit der Revolution und dem Dilettantismus coquettirt, dabei als Lebemann und Schoengeist sich ein Renommee erworben. Seine "Briefe eines Diplomaten" erregten das groesste Aufsehen seiner Zeit. Er war der Erste gewesen, der mit der Tradition brach, dass Heuchelei und geheimnissvolle Zugeknoepftheit unentbehrliche Attribute der Staatsklugheit bildeten. Unter einem fast ruchlosen, scheinbar offenherzigsten Cynismus verbarg er fuechsische Verschlagenheit, die Raubthierkralle eines Caesar Borgia im Sammethandschuh. Man nannte ihn den Fuersten Talleyrand der Provinz. Seine Stellung dort war unerschuetterlich selbst nach seiner officiellen Niederlage als Staatsmann, seitdem neue Systeme und Principien ihn und sein System hinweggefegt hatten. Die Landraethin gehoerte zu seinen Protegees. Nicht, dass ihre spaerlichen Reize den alten Viveur in Versuchung gefuehrt haetten. Nach einem galanten Sabbath ohne Gleichen hatte das Kuechenpersonal und noch tiefer hinab, bei ihm endgueltig die Palme davongetragen. Er bezeugte diese Vorliebe sehr ungenirt. Aber er liebte es immer, seinen Finger mit in der Pastete zu haben, die Landraethin und ihr strebsamer Gatte erschienen ihm als gefuegige Werkzeuge fuer seine kleinen Plaene, die er durchaus nicht aufgegeben hatte, nur versteckt hielt unter witzelnder Indifferenz. Das Renommee eines mystischen Einflusses erfreute ihn. Er fand es vornehmer, hinter den Coulissen zu operiren, als vorne auf der Buehne die grossen Schreie auszustossen: heutzutage weiss man von jeder Macht die Adresse. Jeder traegt seine Befugnisse und Eigenschaften wie aufgeklebte Etiketten mit sich herum: Buereau fuer Stellenbesetzung, Vermittlung von Boersengeschaeften, Vademecum fuer Hoflieferanten. Frueher ging das in's Geheimnissvolle wie der liebe Gott. Und hielt die Bande in Schrecken. Man weiss zu gut, was wir _nicht_ koennen. Darum will jetzt Jeder Alles besser wissen. Das Neueste in dem sehr beweglichen Geiste und fieberhaften Lebensbezeugungsdrang des Prinzen war ein Werk ueber Buddhismus, den er fuer die Religion der Religionen hielt. Sie passte in den Cynismus des alten Diplomaten, diese Idee des Jenseits von Gut und Boese, der souveraenen Verachtung aller Moralsysteme. Viele zweifelten an seiner Gelehrsamkeit, sie war etwas zusammengewuerfelt nach der Mode des Ancien Regime. Er besass diese Eigenheit der Regierenden, dass er ueber Alles reden und geistreich reden konnte. Trotzdem wurde sein wirkliches Wissen bestritten. Er selbst vermied Gelehrte, sein eigentliches und Hauptpublikum blieben Damen. Nur der Doctor Rothe konnte es mit ihm aushalten. Dies war um so verwunderlicher, als der junge Mann thatsaechlich ein sehr bedeutender Kopf war. Seine Examina hatten das Staunen seiner Lehrer erregt. Professoren und Mitschueler erwarteten von Anton Rothe etwas ganz Ausserordentliches, den Aufgang eines neuen Sterns am Himmel der Gelehrtenwelt. Einen Stuermer und Draenger sahen die Andern in ihm, einen grossen Kuenstler. Er hatte alle ihre Erwartungen getaeuscht, war mit sechsundzwanzig Jahren als Privatsecretair in die Dienste des Fuersten getreten, der ihn in einer Art Auerbach-Keller kennen gelernt hatte, und diesem seitdem auf allen seinen Reisen gefolgt. Legenden von geheimen, raffinirtesten Ausschweifungen, denen sich Herr und Diener auf solchen Weltreisen in afrikanischen Lasterhoehlen, den Schmutzpfuehlen ueberseeischer Hafenstaedte hingegeben haetten, konnten allein diese seltsame Anziehung zwischen dem beinah achtzigjaehrigen Weltmann und dem zweiunddreissigjaehrigen, prachtvollen, genialen Menschen erklaeren. Man hatte das ungleiche Paar Faust und Mephisto getauft, der aeussere Eindruck entsprach der Vorstellung, neben dem ernsthaften, schoenen jungen Mann, schwerer germanischer Typus, das sardonische, zahnlose Affengesicht des Alten, der es liebte, von seinen literarischen Speichelleckern als Voltaire bezeichnet zu werden. Dies waren die Hauptpersoenlichkeiten, denen die Graefin den Fremden vorfuehren wollte. Sie hatte eigentlich eine Abneigung gegen den Doctor wegen seiner buergerlichen Abkunft und sonstigen Anruechigkeit. Aber die allgemeine Werthschaetzung, deren er sich erfreute, seine sagenhafte Allmaechtigkeit bei dem Fuersten zwang sie, freundlich gegen ihn zu sein. Ihre Sauersuesse bei solchen Gelegenheiten amuesirte dann den Alten: "Es ist wunderbar, wie diese Frau aus Ehrgeiz sich zu beherrschen weiss. Da sagt man, nur Maenner haetten eine Hundenatur. Sie schlagen uns noch auf allen Punkten." Der Landrath, ihr Mann, that immer, was sie wollte: "Wenn Du meinst, Amelie." ... Sie schrieb also ein Billetchen an den Fremden des Inhalts, dass eine distinguirte Reunion im Schlosse von X., Datum und Stunde, von seinem Geist und Wirken gehoert, den Wunsch haette, ihn zu kennen und sich belehren zu lassen. - Hoeflichkeit bei solchen Gelegenheiten ist immer angebracht. Sie kostet nicht viel und leistet dasselbe wie baares Geld. Uebrigens lag der Graefin wirklich an dieser Attraction fuer ihren Rout. Boshafte Leute waren hier wieder der Meinung, dass diese beruehmten graeflichen "geistigen Attractions" vieles Andre, weniger Attractive verbergen sollten, zum Beispiel eine entschiedene Duerftigkeit des Vorgesetzten, und den Umstand, dass der Champagner immer ausserordentlich spaet, im letzten Augenblick servirt wurde. Der Diener fand den Fremden unter einem Apfelbaum, wo er sich ruhte. Zwei schwarze Amseln liefen nach Wuermern pickend neben ihm im Grase. Es schien, als ob diese Thiere ihn fragten und er ihnen antwortete. Der Mann schwor nachher auf die Hexerei. "Ich werde kommen," sagte der Fremde. Die Graefin, die es nie verschmaehte, auch ihre Kammerdiener auszufragen, merkte sich diesen kleinen interessanten Zug. Sie hatte eine sozusagen symbolistische Toilette gemacht: Weiss, sehr in's Creme spielend, mit schwarzen Jetkettenschnueren viermal um den Hals. Der Landrath war etwas sorgenvoll: seine Stellung und quasi officielle Sanction ... "Das verstehst Du nicht, mein Freund," sagte sie milde, aber fest. - "Man wird sich erdruecken." Man erdrueckte sich. Die Graefin war allgegenwaertig. Es galt, ihren Gaesten das Ausserordentliche ihres Schrittes klar zu machen, diese Einladung an den Fremden, mit der sie ihren geistreichen Freunden einen Gefallen thun wollte, und sich gleichzeitig moeglichst gegen ueble Folgen schuetzen, da man es ihr nach oben hin falsch auslegen konnte. Gegen die Einen, die sie fuer freie Geister hielt, war sie frivol, fuer die Andern ernsthaft, priesterlich. Allerliebst reumuethig, bescheiden, entschuldigte sie sich gegen den Superintendenten, einigen alten Damen gegenueber. "Ich bin so eine moderne Ketzerin. Es ist doch auch, damit Sie selbst den Unsinn sehen ..." "Interessant" war ihr Wort. Dafuer liess sie sich einen scherzhaften Faecherschlag auf den Arm von der alten Baronin Rehden gefallen. Die Superintendentin bat sie um ihr Recept fuer schwarzen Johannisbeergelee. Dabei vergass sie niemals dem Prinzen zuzulaecheln: "Wie werden wir uns nachher ueber alle diese mokiren. Wir Beide verstehen uns, dass Alles nur eine Farce ist." ... "Ist sie nun nicht bewundrungswuerdig?" fragte der Prinz seinen Adjutanten. "Diese Frau waere bei August dem Starken die Orczelska, bei Ludwig dem Vierzehnten Maintenon, bei Alexander Kruedener gewesen. Fuer die Tochter der Herodias reicht's leider nicht. Sie haette auch da ihr Bestes gethan und man wuerde ihr wahrscheinlich das Haupt bewilligt haben, wenn auch aus andern Gruenden." Der junge Mann antwortete nicht. Er betrachtete den Fremden, der allein an einem Ende des Saales stand. Er stand ganz ruhig in seinem einfachen Anzug zwischen den plaudernden, lachenden, zischelnden Gruppen. Fortwaehrend draengten sich die Diener durch unter irgend einem Vorwand, um ihn anzustarren. "Eigentlich eine tolle Idee der guten Graefin," sagte die alte Baronin Steuben, sich Luft zufaechelnd. Sie war eine wirkliche grosse Dame und verachtete die kleinen Trics und Kniffe der Andern. Ein junges Maedchen erstaunte, dass er keinen Frack truege. Der Prinz bemuehte sich, der kleinen Frau eines Rittergutsbesitzers einzureden, dass es sehr moeglich sein koennte, dieser waere wirklich Christus. Die kleine Frau begriff nicht. Ihre Augen vergroesserten sich unmaessig. Sie stand buchstaeblich mit offenem Mund. In einer Gruppe junger Damen und Offiziere hatte man beschlossen, den geheimnissvollen Gast direct zu attaquiren. Ein kleiner, kecker Dragoner war ausgesandt worden als Avantgarde. Man setzte ihm zu von allen Seiten. Und er that auch, als ob er etwas besonders Gefaehrliches unternaehme, hegte noch Skrupel ueber die Anrede. "'Meister' ist ja wohl das Officielle?" ... "Ach gehen Sie!" Aller Augen folgten ihm, wie er gesucht dandyhaft quer durch den Saal chassirte. Die jungen Damen kicherten. "Erlauben Sie, dass ich mich vorstelle." Der junge Mann verbeugte sich, forcirt vorschriftsmaessig die Hacken zusammenschlagend. Der Fremde sah ihn an. "Ich moechte mir eine Frage erlauben, Herr ..." Er zoegerte vor dem Namen, um dem Andern zu markiren, dass er seine Vorstellung erwartete. "Halten Sie es fuer Ihren und dem christlichen Grundgedanken entsprechend, Kriegsdienste zu nehmen?" Der Fremde antwortete nicht. "Ich betrachte die Frage ganz ernsthaft. Es steht doch in der Bibel: Du sollst nicht toedten. Wir versprechen unsre Feinde zu lieben, Boeses mit Gutem zu vergelten. Christus nimmt Petrus das Schwert aus der Hand. Dennoch zwingt uns das Gesetz." "Welches Gesetz?" fragte der Fremde. "Nun, das buergerliche, das des Staats, dem wir angehoeren." "Du gehoerst nicht dem Staat, der Staat gehoert Dir," sagte der Fremde. "Aber das Staatsgesetz bestraft mich. Ich werde schuldig gefunden und verurtheilt, wenn ich mich weigre ihm zu folgen. Gehorsam gegen das Gesetz ist uns ebenfalls anbefohlen. Was soll ich thun?" "Was Du willst," sagte der Fremde. "Das ist es. Aber ich weiss doch nicht, was ich will." Der junge Offizier war in einen gewissen Eifer gerathen, er nahm sich vor, den Punkt bis zu Ende zu verfechten. "Wenn mein Wille gegen das steht, was ich soll?" "Du sollst wollen." "Man zwingt mich. Ich komme in's Gefaengniss. Man behandelt mich als Verbrecher. Was bin ich, Einer gegen so Viele?" "Viele Einzelne sind Viele." "... Die Duchoborzen. Eine Art Tolstoi. Auch Quaeker leisten ja keine Kriegsdienste, glaube ich? Interessant, sehr interessant!" sagte die Graefin. "Jedes Land hat alle seine Kraefte noethig gegen den aeusseren Feind!" sagte der Candidat der Theologie, der zugleich Reserveoffizier war. "Ein Land, das sich seine Waffen nimmt, ist wie ein Koerper ohne Widerstandskraft. Es entmannt eine Nation, sie ist dann nicht faehig, ihre Ehre zu vertheidigen. Die Ehre eines Volkes ist wie die Ehre eines Individuums." Er liebte das Wort: Ehre. Er sagte es in einem besonderen schnarrenden Ton. Er war auch _fuer_ das Duell und fing ein laengeres Gespraech mit dem Lieutenant darueber an, "zum Beispiel, wenn Einer mich mit meiner Frau betruegt. Dann greift schliesslich jeder Holzknecht zur Axt." "Aber der Holzknecht ist ein Moerder und kriegt seine fuenf Jahr Zuchthaus," sagte der Prinz freundschaftlich. "Das ist der ganze Unterschied, mein braver Langenhahn." Natuerlich muessten gewisse Formalitaeten beobachtet werden; der Candidat gab das zu. Der Lieutenant sah nicht ein, warum schliesslich Messerstechen und Ohrabbeissen nicht auch gelten sollten, immer gerade mit diesem Falle des Ehemanns gegen die Ehebrecherin und ihren Mitschuldigen gerechnet. "Ich faende es doch einfacher fuer ihn, Beide todtzuschlagen," sagte der Doctor. "O, aber lieber Doctor! Das nun wieder!" ... Die Graefin flatterte skandalisirt. "Es waere das Logische. Entweder wir haben Faustrecht oder wir haben keins. Diese Mittelzustaende machen unsre heilige Civilisation so ungeniessbar." "Das ist nun doch schrecklich, Doctor, was Sie sagen!" Die Baronin schuettelte vorwurfsvoll den Kopf. Ihr gefiel der junge Mann, seine schoene Stirn. "Erlauben Sie. Es ist in Allem so. Besonders was die Frauen angeht. Entweder eine Frau ist ein fuer sich selbst verantwortliches Wesen, ein Mensch, eine Seele, oder sie ist Sache. Mein Eigenthum. Mein Stueck Kuhfleisch. Dann der Sack und der Bosporus." "Aber es giebt doch Mitteldinge." "Die sind dann einfach absurd. Ich schlage mich - aber ich gebe ihm dieselbe Chance. Ich sage, sie weiss nicht was sie thut, und lade ihr die volle Verantwortung auf. Wir koennen eben nie etwas reinlich durchfuehren." "Dann waeren wir Teufel." "Oder Engel. Sie haben die Wahl." "Ich glaube, _Sie_ haben schon gewaehlt!" Sie wollte damit discret auf Einiges hindeuten, was ueber seine Reisen zu ihren Ohren gedrungen war. "Vielleicht doch noch nicht so ganz," sagte der junge Mann kalt. "Es giebt auch noch ein Drittes." - "Sagen Sie mal, sind Sie gluecklich?" "Befehlen Sie Thee oder Kaffee, Baronin?" Jemand, ein aelteres Fraeulein, sagte, dass alle Voelker eine Familie waeren, Deutsche, Franzosen, Juden. Sie hatte "Die Waffen nieder!" der Baronin Suttner gelesen und schwaermte fuer Voelkerverbruederung. "Das ist doch eine etwas grosse Familie," sagte der Lieutenant von Detten zu seiner huebschen Nachbarin. "Ich goutire Juden nur allenfalls als Schwiegervaeter." Der Candidat fand, man duerfte nicht Antisemit sein vom Vernunftstandpunkt aus. Aber man waere es physisch. Der Superintendent drohte ihm mit dem Finger: "Wir sind Alle Brueder und unser Herr Christus kam von den Juden." Der Prinz erzaehlte eine amuesante Anekdote von einem Orientalen, einem befreundeten Pascha, der alle Hufthiere verabscheute, weil er selbst einen Klumpfuss hatte. Der Blaustrumpf unterhielt sich ueber Frauenfrage mit einem Gymnasialprofessor. Er hatte einen schmutzigen Hemdkragen an und kaute seine Naegel: "Nun gewiss, auch Frauen haben eine Seele," sagte der Professor zerstreut. "Das heisst - Seele! -" er lachte sardonisch. Er hatte Lust, auf den Fussboden zu spucken. Aber er besann sich. Man hatte ihn eingeladen, weil er in den Wahlvereinen wichtig war. "Man muss das schwache Gefaess in Geduld tragen," sagte der Superintendent. "Wir haben ja auch aus der ersten christlichen Kirche schoene Beispiele: Tabbea, Phoebe, die der Apostel erwaehnt. Echt evangelische Frauengestalten." "Darf man heirathen?" fragte ein sehr junges Maedchen. "Es steht doch in der Bibel, nicht heirathen ist besser?" "Dann wuerde aber die Welt aussterben?" "Und das waere sehr schade," sagte der Prinz ernsthaft. Der Superintendent witterte roemische Ketzereien. Er wies auf das grosse Exempel Martin Luther's und seinen gesegneten Ehestand. Die Superintendentin sass steif mit einer spitzen Nase. Sie dachte an den uebriggebliebenen Gaensebraten fuer morgen, ob ihr die Maegde nicht drangingen. Der Prinz machte confiscirte Witze und trieb den Superintendenten in die Enge mit einigen froehlichen Vierzeilern von Martin "Nonnenfreund". Die Lieutenants secundirten, der alte Herr wehrte sich tapfer. Sein Gesicht wurde schweissroth vor Anstrengung: "Ein echter deutscher Mann! Ein Mann nach dem Herzen Gottes!" "Ein Bismarck!" Der Candidat schwaermte fuer Bismarck. Die Gesellschaft verhielt sich etwas ablehnend. Fuer die Offiziere war er eigentlich ein Rebell, ein unruhiger Kopf, der die Consigne brach. Die Graefin brachte rasch das Thema auf etwas Anderes, um ihren Mann aus der Verlegenheit zu retten. Der Candidat war oft recht taktlos. Einige Leute wollten Fragen stellen: Werde ich eine grosse Carriere machen? Siegt mein Gaul beim naechsten Rennen? Wann werde ich meine Schulden bezahlen? Die jungen Maedchen haetten gern gewusst, ob "er" ihnen treu war? Wird der Bestimmte mich zum Cotillon engagiren? - Die Meisten hatten so eine Art Taschenspielervorstellung, Tischruecken, Kartenlegen oder Aehnliches erwartet und waren enttaeuscht. Der Superintendent hatte den Fremden mit Beschlag belegt. Er hatte eine Broschuere ueber das Glaubensbekenntnis, Harnack und die Agende veroeffentlicht und wollte jetzt dem Andern auf den Zahn fuehlen ueber diese wichtigen Punkte. Sein Grundsatz war, dass Kirche und Staat zusammengehen muessten in den jetzigen socialen Wirren. Vernuenftige Reform. Aber die feste Hand von oben. Und vor allem musste die Autoritaet gewahrt werden. Das Patriarchalische ist das einzig Wahre. Dabei hatte er einen Geschmack fuer weltliche schoene Literatur, citirte Classiker und bekannte sich zur Goethe'schen Schule. Der Candidat war ein Heisssporn. Er war fuer ein sociales Kaiserthum, eine Art Theokratie unter von oben inspirirtem Oberhaupt mit unumschraenkter Autoritaet. "Die Idee des Gottesgnadenthums muss wieder herrschend werden." Dieser Ausdruck gefiel ihm. Ihn zog das Katholische an. Er war fuer High-Church-Reforms. Allenfalls fuer einen deutschen Papst, groessere Prunkentfaltung. Er selbst mit einer edelsteinbedeckten Brust hohe Kirchenakte celebrirend - das haette seiner Neigung entsprochen. Wenn der Superintendent das Presbyterianische, die Selbstverwaltung der Gemeinden betonte, betrachtete er ihn fast als eine Art Hochverraether. Dieser im Gegentheil versprach sich nicht viel von den jungen Leuten. Er war mehr fuer die kleinen Lokalpaepstchen. Man lebte in Frieden und that sein Moeglichstes. Die Frau Superintendent liess bei sich naehen und war im Vorstand aller Wohlthaetigkeitsvereine. Alles das, diese kleinen Spiele und Gegenspiele, die er witterte, erheiterte den Prinzen. Er hatte die "Baalspfaffen" speciell auf dem Korn und liebte es, an ihren Baeffchen sein Muethchen zu kuehlen. Er erzaehlte die bekannte Anekdote von Friedrich dem Grossen: "Der Pfaff soll sein Maul halten, mein Reich ist nicht von dieser Welt," mit der die Kinder der Welt die Pfarrer anoeden. Der Doctor secundirte ihm eifrig, ebenfalls einige von den Lieutenants. Alle waren fuer apostolische Einfachheit, den Stab und einen Rock: er hatte nicht, da er sein Haupt niederlegen sollte. "Aber erlauben Sie! Erlauben Sie!" Der Superintendent hielt seine halbgeleerte Kaffeetasse in der Hand, in der er den dicken, braeunlichen Zuckerseim hin- und herschob. Er nahm gern ein bischen viel Zucker; bei andern Leuten kostete es nichts. "Unser Herr hat durchaus nicht gewollt, dass die Glaeubigen sich kasteien. Das ist eine ganz irrige Auffassung, katholische Ketzerei: hat er doch selbst auf der Hochzeit zu Kana das Wasser in Wein gewandelt, durch seine gesegnete Gegenwart den heiligen Ehestand ausgezeichnet." "Er hat doch aber selbst nicht geheirathet, Maria oder Magdalena?" Dies war ein vorlauter Lieutenant. "Diese Ausnahme lag doch wohl in seinem heiligen Amt. Und wir muessen nicht vergessen, dass er in verhaeltnissmaessig jungen Jahren -" "Sie meinen, er ist nicht alt genug geworden dazu," sagte der Prinz. "Das ist auch eine Auffassung." Diese Bemerkung erregte allgemeinen Jubel. "Das ist profan! Das ist profan! ... Wirklich, meine Herren! ... Sie muessen selbst einsehen ..." Der Prinz klopfte ihm auf die Schulter. Er mochte begreifen, dass sein Scherz etwas zu weit gegangen war: "Darum keine Feindschaft nicht. Ich weiss ja, wir brauchen das fuer die Dummen." Der Candidat aergerte sich. Die Kirche musste eine ganz andre Gewalt wieder haben. Und es waere in der That gut gewesen fuer die Stellung des Priesters - er sagte immer "Priester", er fand, dass das nach mehr klang - wenn das Coelibat innegehalten wuerde. Wenigstens fuer die hoeheren und hoechsten Kirchenaemter. Vieles in der roemischen Kirche war sehr beherzigenswerth. Der Landrath verstand ihn. Er war auch dieser Meinung, uebrigens war sie jetzt die tonangebende. "Die militairische Organisation muss durchgefuehrt werden, mehr Disciplin! Diese Disciplin ist Alles." Ein Umschlag in der Meinungsaeusserung war eingetreten. "Ich hatte einen famosen Pastor, bei dem ich im Quartier lag," versicherte ein Lieutenant. "Wirklich ein famoser Kerl!" "Ach, und die schoene Kirchenmusik!" "Und Weihnachten!" sagte eine andre junge Dame. "Es ist so tief und bedeutungsvoll." "Ich faende es doch schrecklich zum Beispiel, sich nicht in der Kirche trauen zu lassen," sagte der Doctor. "O, pfui!" machten Alle. Sie wussten nicht recht, ob er es im Ernst meinte. Der Doctor war ein schrecklicher Mensch, sehr interessant. Sie waren Alle fest entschlossen, ihn nie zu heirathen, wenn er um Eine von ihnen anhielte; aber er hielt nie an. Ein junges Maedchen war sehr traurig. Sie fuehlte dunkel, dass dieser Mensch etwas Extraes war, klueger und staerker als die Andern. Warum lachte er hoehnisch und sagte scharfe Worte, die weh thaten? - Ein alter Herr war da, der an Gesichtszucken litt, seine Haende sonderbar und krampfig bewegte. Sie sah, dass Einige dies beobachteten, darueber lachten. - Sie fuehlte sich abgestossen, elend. Dieses junge Maedchen war sehr jung noch, ein halbes Kind fast. Niemand bekuemmerte sich um sie. Der Fuerst unterhielt sich mit dem Fremden. Die Graefin Thornhill fand ihn sehr interessant. Sie behauptete, sie saehe deutlich einen breiten, blauen Schein um seine Stirn. Sie nannte das das Fluidum. Das Fluidum, das von dem Fremden ausging, war erstaunlich. Die Graefin Thornhill galt fuer eine Heilige. Es kamen sehr einflussreiche Leute zu ihren spiritistischen Reunions; so geschahen wirklich manchmal Wunder da. Der Assessor von Brincken bestritt sehr ernsthaft, dass er keineswegs nicht an Wunder glaubte. "Ich war frueher wie Sie. Aber seit ich Frau Graefin kenne ..." Sie hatte ihn bekehrt. "Es giebt eben doch mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsre Schulweisheit sich traeumen laesst." Der Assessor war sehr zugeknoepft ueber diese Dinge. Er war eben ein Eingeweihter. Den Doctor schnitt er: "Ein gefaehrlicher Charakter! Ich wuerde mich nicht wundern, den Burschen eines Tages auf den Barrikaden zu sehen." Auch der Fuerst war ihm unsympathisch: "Er ist frivol, er schadet." Der Assessor war fuer's Correcte, sein Vater war erst geadelt worden; da ist es der sicherste und geradeste Weg. Der Doctor beobachtete seinen Patron und den Fremden. Er sah das breite Faungrinsen des Alten. Er kannte diese kuehle Manier, mit der er die teuflischsten Dinge sagte, dies freche Augurenzwinkern des Eingeweihten, das dem Andern gleichsam die Replik ueber dem Kopf wegnahm: Wir Beide wollen uns doch nichts vormachen. Du denkst darin ebenso wie ich. Die Andern sind Dummkoepfe. - Er hielt sich noch ganz gerade, zu gerade. Der weisse Schnurrbart stand steif aufgewichst. Die Backen waren roth geschminkt, die Augen glaenzten, um die Brauen sorgfaeltig geschwaerzt. Auf der schwarzseidigen Frackflaeche bildete der grosse Stern mit dem Ordensband einen markanten Fleck. Seine Hand trug kostbare Ringe. Er war stolz auf diese lange, magre, aristokratische Hand, gebrauchte sie, um seine Bartspitzen zu liebkosen. Es war eine Lieblingsredensart von ihm: "Profile giebt's wohl noch allenfalls, aber Haende! Haende! - Wir sind Alle Ouvriers geworden." Tadellos zog sich die Scheitelspur. Er war der Koenig des Kreises; er dominirte. Anton Rothe allein und sein vertrauter Kammerdiener wussten, was das Alles kostete, dies Geruest, das noch immer zusammenhielt, zu neuen Blendungen, neuen Ausschweifungen. Er und nur er kannte die erstaunliche Lebens- und Genusskraft des Skeletts, die standhielt, in einer kalten Douche sich neu schmiedete, wenn er selbst, der Junge, erschoepft war, rasend, zum Selbstmord angeekelt. Er dachte an eine junge Dame. Sie war arm gewesen und stolz. Ein herrliches Weib! Mit solcher geht man in unbebaute Colonien und hat Kinder und stirbt vor dem Feind fuer seinen Herd. Er hatte fuer ihn geboten auf sie. Der Kampf reizte ihn. Er bot hoeher und hoeher. Weil sie arm war und Hungers starb, hatte sie angenommen. Nur darum. Er wusste es. - Sie sagte nur ein Wort: Schurke! Er hatte gelaechelt. Warum fiel ihm das jetzt ein? Ein Hass kam ueber ihn, ein gluehender, fressender Moerderhass gegen dies miserable Kunststueck der Hypercivilisation, diesen Fetzen von Haut und ausgedoerrten Knochen, den er schuetteln konnte, der ihn hielt wie eine Viper unter seinem kalten, grausamen Willen, seine Intelligenz zerbrach wie morschen Baumbast unter der polirten Stahlschneide seiner frechen Philosophie der Verneinung. Ploetzlich sah er den Alten blass werden. Seine Farbe wechselte sich in Leichenfarbe. Er war ein grinsender Todtenschaedel. Unter dem weissen, gestaerkten Vorhemd schien die Brust einzuschrumpfen. Es war hohl dahinter. Er lehnte sich gegen die Portiere. Anton Rothe war im Nu an seiner Seite. "Es ist nichts. Eine kleine Uebelkeit. Der verdammte Buechsenhummer ..." Er war wieder ganz hoeflicher Weltmann, als die Graefin, nun auch besorgt, herbeieilte. Gleichzeitig wurden die Klaenge der Polonaise laut, die den Ball eroeffnen sollte: "Wir werden noch manche Polonaise zusammen fuehren." Der kalte Schweiss stand auf seiner Stirn. Er zitterte, laechelte mit blaeulichen, lallenden Lippen. Anton Rothe hob ihn wie ein Kind in den Wagen. Er selbst sprang auf den Bock. Niemand achtete auf den Andern in einem allgemeinen Hin- und Hergelaufe, waehrend drinnen zur Tanzmusik die geschmueckten Paare sich ordneten. Es wetterleuchtete. Lichter leckten auf in blaeulichen, breiten Zungen, duckten sich wieder, huschten auf einer andern Seite spielerisch entlang. - Sie fuhren die schwarzen Trakehner, das beruehmteste Viergespann der Gegend, auf das koenigliche und kaiserliche Marstaelle fabelhafte Summen geboten hatten. Der Fuerst liebte sein Leben, aber er hielt auf Rasse. Die Graefin stand am Schlage mit ihrem Gattenadjutanten. Der Greis, jetzt wohl eingehuellt in seine Zobelpelze, bueckte sich noch hinaus: "O nichts, nichts, schoene Frau - meine kluge Freundin. Der Fremde - der Fremde ... Cocasse! Ein sonderbarer Kunde, Ihr Fremder ..." Anton Rothe hob die Peitsche und zog die Pferde an. Sie waren unruhig und warfen die Koepfe, als ob sie das Gewitter roechen. Es lag Phosphorgeschmack in der Luft. Man oeffnete das grosse Hofthor. Einen Moment stand der ganze Horizont in Flammen, ehe es sich wieder hinter ihnen schloss. Sie waren ganz schwarz wie auf Feuer gezeichnet, eine schwarze Kutsche mit schwarzen Pferden und einem kohlschwarzen Kutscher auf dem Bock. ... Er wusste, er fuhr einen Sterbenden. Der Fremde war verschwunden. Am dunklen Fenster der verlassnen Garderobe stand das kleine Maedchen. Sie mochte nicht tanzen. Sie weinte. Sie fuehlte sich sehr traurig. ... DAS SIEBENTE KAPITEL. Durch die Gewitternacht fuhr der junge Mann den Sterbenden. Es gab einen kuerzeren Weg ueber die Berge durch eine seichte Furth im Flusse. Schmuggler benutzten ihn fuer lichtscheuen Handel. Man vermied ihn am Tage. Ihn bei Nacht zu fahren, war Wahnsinn. Das Gewitter naeherte sich. Es war ein Sausen in der Luft, das die Baeume zur Erde bog. Kiefern und magere Birken, die an den Abhaengen wuchsen im bestaendigen Kampf um ihr Dasein. Der Wind fing sich in den gewundenen Schluchten der Thaeler. Da heulte und rasselte er wie ein eingeschlossener Wolf. Und unten der Fluss, von einer mysterioesen Anziehungskraft aufgetrieben, begann zu bruellen, kurze Wellen aufzuwerfen mit schnellen Kruppen, die zu den Steinen hinueberleckten. Bewegungslos, weiss lagen noch die schimmernden Raender. Runde Backen von Kieseln gleissten. Aber die Schilfe rauschten und raunten. Waehrend von weiter, ueber dem Gebirge unheilschwangere Laute eines brauenden, ueberkochenden Hexenkessels kamen, jagende, schwarze Wolkenfetzen mit der peitschenden Bewegung der Baeume eine fratzenhafte Mischung von Licht und Schatten verursachten. Alles in Galoppade, die Kutsche einhuellend, die wie ein Gespann der Hoelle dahinsauste. Inwendig den Sterbenden. Ueber den Haelsen der Pferde, halb haengend in der Luft, den Mann, der die Pferde antrieb, dass die Steine knatterten, Funken aufspruehten. Nun fuhr der erste Blitz herunter. Der Eclaireur, senkrecht, elegant, halb spielerisch, ein Fechterhieb im beginnenden Duell der Elemente. Die Pferde baeumten sich. Er riss sie zurueck. Sie rasten vorwaerts wie der Teufel. Drinnen hoerte er den Sterbenden roecheln. Er schrie. Er flehte. Das Gehoer des Fahrenden, unnatuerlich angespannt, vernahm jeden Laut. Er fuehlte die schweissfeuchten, huschenden Finger, die sich anklammern wollten, das Fenster niederzulassen versuchten. Der huelflose Koerper verweigerte die Anstrengung. - "Huelfe! Huelfe!" keuchte der drinnen. Er lachte laut auf. Er klopfte mit dem Peitschenstock an das Fenster und schrie: "Hoho!" Er sah den drinnen sich verzerren in Todesangst, die kuenstlichen Zaehne heruntergefallen, die Augen vorgequollen, in weissgruenem Schweiss. Er jauchzte wilder. Der Ton brachte die Pferde ausser sich. Sie flogen vor ihm her wie Raben im Dampf. Es fiel ihm ein, wie er ein Hirtenjunge gewesen war, den Berg hinuntersprang, mit dem schaeumenden Sturzbach um die Wette. Manchmal kamen Steine. Der Bach sprang klaftertief mit spruehendem Gischt, der Junge sprang noch ueber Bach und Stein hinweg. Seine nackten Sohlen tanzten in dem gruenen, eiskalten Wasser, das nach ihm aufleckte, nach den weissen, zappelnden Fuessen. Er wusste, dass sie Feinde waren, er und der Bach. Trotzdem konnte er ihn nicht kriegen; trotzdem liebte er ihn. Er liebte den Bergwind, der die Baeume zerbrach, um seine Schutzhuette tobte, diesen grossen Ton der Wuth, der Unterwelt, Gewaltigerer gegen die dumme Ordnung, die banale Heiterkeit der Sonne. Von sehr hoch sah er winzige abgetheilte Felder. Haeuser wie Schneckenhaeuser angeklebt, aengstlich. Sie hatten Muehlraeder eingesetzt, um das Wasser zu nuetzen und bepackte Postwagen keuchten schwerfaellig die Strassen hinauf. Manchmal kamen Staedter mit duennen Beinen, wischten sich den Schweiss ab und laechelten hoeflich. Er stand vor ihnen wie ein kleiner Wildling. Er verachtete sie. Wie er sie verachtete! Sie vermeinten, dass der Berggeist sie foppte, wenn er schallend hinter ihnen her lachte, weil sie sich verliefen und aengstlich suchten. Haessliche alte Weiber traten ihnen entgegen aus Versenkungen, die sie nie gesehen hatten, murmelten ihnen Verwuenschungen nach, die sie nicht verstanden, fuer Segenswuensche hielten als Entgelt ihrer blanken Nickelstuecke. Ab und zu stuerzte auch mal Einer wirklich ab, mit der Brille, dem Photographierkasten. Das war dann ein grosses Unglueck. Herren vom Gericht kamen, Leidtragende, wichtig thuend. Sie trugen gar nicht wirklich Leid. Sie freuten sich heimlich. Er goennte es ihnen. Was kamen sie herauf mit ihren duennen Beinen, ihren Glatzen und Glaesern, ihrem Geld. Freilich ihr Geld! Er wusste bald, was es werth war, dass er ein Lump war mit seinen Faeusten, seinem prachtvollen Krauskopf und weissen starken Zaehnen, wenn er es nicht hatte. Dafuer gab man ihm Hutfedern, blanke Stiefel, die gleissten in der Sonne. Sonst musste er hungern. Anton Rothe wollte Geld. In der Schule verschlang er seine Buecher. Er zeigte einen Heisshunger nach Wissen, der die Lehrer erstaunte, unbedeutende eingesumpfte Dorfmenschen, die sie waren. Das peinigte ihn. Er brachte seine Naechte zu, schwierige Aufgaben sich auszudenken und zu loesen, mehr zu erfahren, mehr - mehr! Mit einer wahren Wuth riss er jetzt an den Thoren der Erkenntniss, der vorher in scheue Wildheit sich eingeschlossen hatte. Und er hatte Glueck. Der Patron des Gutes nahm sich seiner an, ein wohlthaetiger und gelehrter Mann, sehr reich. Er liess ihn studiren. Vielleicht wollte er sich einen brauchbaren Praeceptor seiner Soehne erziehen. Es ist immer angenehm, einen Clienten zu haben, Wohlthun ist ein Vergnuegen fuer reiche Leute. Die Freude an seiner Wohlthat war kurz. Der Junge entlief zwischen die rotheste Rotte. Er hielt zuendende Reden, schrieb Zeitungsartikel, die die Presse in Bewegung setzten. Er wurde selbst Arbeiter. Seine Faeuste zwangen das Eisen wie sein Geist den Stoff - ein interessanter junger Mann, dem man eine Zukunft prophezeite! Er verliebte sich. Irgend eine gleichgueltige, hellblonde Tochter seines Patrons. Sie liess ihn laechelnd sich gluehend erklaeren und heirathete kaltbluetig und vernuenftig ihren Dragonerlieutenant. - Nun fing er an wie ein grosser Herr zu leben, machte wahnsinnige Schulden. Alles musste ihm den einen Zweck, Geld zu machen, dienen, seine Feder, seine Talente, skrupelloseste Boersenmachinationen. Summen glitten zwischen seinen Fingern. Auf Reisen im Orient machte er die Bekanntschaft des Prinzen. Seitdem waren die Beiden unzertrennliche Begleiter. Bergabwaerts raste das Gespann. Er hatte die Peitsche fortgeworfen, die Zuegel losgelassen. Er kutschirte mit gekreuzten Armen wie im Circus. Er haette wie eine Katze den Pferden auf den Ruecken springen moegen, mit seinem Athem an ihren Ohren, wie Cowboys, Uncultivirte reiten. Hinter ihm zerbrach splitternd das Fensterglas: "Huelfe! Huelfe!" klang es gellend, kreischend, nicht mehr menschlich. Er schlug ein teuflisches Gelaechter auf. Sie rasten weiter. Wie Rabenfittiche sausten die Rappen durch die Luft. Die Luft litt unter dem Ansturm und pfiff schmerzhaft. In Peitschenhieben traf sie die Flanken der Wuethenden. Ihre Nuestern schnoben Feuer. Von ihren Hufen spruehte der Stein in knisternden Funken. Das Heulen der Winde wurde graesslicher. Sie fingen sich, drehten sich, verschlangen einander in kreisenden Strudeln. Regenhuschen stoben auf. Irgendwo musste es schon giessen in Stroemen. Es schlug prasselnd gegen das Fenster. Die krampfende Hand im Rahmen verschwand. - Dadrinnen war die Suendfluth. Irgend etwas war zerbrochen. Ein Hinterrad. Die Pferde rasten weiter mit dem geschleiften Kasten, der knackte in allen seinen Fugen, aufsprang, fiel, kratzte, quietschte, mit dem dumpfen Geraeusch von Schlittenkufen auf dem Trocknen. Dadrinne war ein Skelett, ein nicht mehr menschliches Ding, getoedtet von Furcht, und doch lebend, das agonisirte. Es dachte an diese schreckliche Angst und Huelflosigkeit, dass er ihn hielt in seiner starken Hand, stark wie die Lawine! Vor ihnen knatterte der Fluss. Der Regen prasselte. Er schlug hernieder wie in Ruthenbuendeln. Haarscharf wendend, zeigten sich im Blitzlicht zerrissne Spruenge, schweflig gaehnend, dass die Pferde zur Seite schnellten, grausend. "Auf! Auf, alter Satan! Wir fahren zur Hoelle!" Singend pfiffen die Riemen. Die Pferde mit blutenden Flanken, schaumbedeckt, keuchten wie apokalyptische Spukdinge. Lucifer, der gefallne Engel, lenkte sie selbst im hoehnenden Rausch seiner Kraft und seines Stolzes. Es war unmoeglich, dass sie so ankamen, der Wagen musste sich ueberschlagen, zerschellen. Die tolle Eile steigerte sich. Sie verbrannten den Boden, dass die Geleise rauchten, die Raeder sich hitzten zu dunkler Rostgluth. Hinter ihnen losgelassen folgte das ganze Gewitter, Frauen mit feuchten Haaren, Ruebezahl der Berggeist mit dem Barte, das ganze Heer der Wilden, Eingebannten. "Ich kenne Euch! Ich kenne Euch! Willkommen, Gesindel!" Drinnen war es still. Er hoerte nichts mehr. Der Wagen schlug auf wie ein klappender Kasten, nur noch Holz, etwas Lebloses, etwas Unfoermiges, das die Pferde erschreckte, hinter ihnen hing, nach dem man sich nicht umsah, immer zwischen ihren Beinen verwickelt, sie stiess zu rasenderem Lauf. Und nun, ganz deutlich, vernahm man die Stimme des Flusses, zwischen allen diesen Baechen, Waessern, die neben ihnen gossen, vom Walde und Wolkenbruch angeschwollen. Er roehrte wie ein Hirsch in Wollust. Er war allmaechtig. Baeume, mit der Wurzel ausgerissen, fuhren und drehten sich blitzgeschwind. Die Steine seiner Tiefe kollerten polternd uebereinander. "Ihr denkt, ich drehe Euch Eure Muehlen, schaffe Euer Licht, trage Eure Bruecken - Euer Diener, Euer gehorsamer! Euer Speichellecker! Ich hasse Euch! Ich hasse Euch!" Er fuehlte sich stolz, alle Demuethigung dieser vielen Jahre fortgeschwemmt, zerbrochen der Zaum, den er im Munde getragen. Buecken, heucheln und luegen! - Sie hatten ihn gehalten. Er hielt sie. Er war stark. Da war der rothe, glorreiche Tod dahinter, ueber ihm und in ihm, Satan mit prachtvollem Lachen, aufgereckt der Titan. Er war der Starke. Nichts! Nichts gegen ihn! Er schnalzte mit der Zunge, schwang die Arme fuchtelnd in der Luft, Laute suedlicher, infernalischer Idiome, die den Blutdurst rufen, Taenzer zu den tollsten Gliederverrenkungen aufstacheln und die Frauen willenlos machen unter dem Gluthhauch der Brunst. Alles das hatte er gesehen und genossen im delirirenden Suchen nach Genuss, unter der platzenden Sonne des Mittags. Todt! Todt! Todt! Elendes Aas, von dem sich die Hunde abwenden mit Grauen, sein leeres Hirn zerschellt an den Steinwaenden. Nichts drin, das Grinsen selbst des Todtenschaedels zerstoert im groesseren Grausen, dieser zersplitterten Knochen, zerschundnen Haeute unter dem Orden, dem Frack. "Geht! Geht, meine Engel! Fliegt, meine Feuerrosse! Springt an, meine Wildlinge!" Senkrecht weiter ging es in toller Flucht. Ein Rudel Wild hatte sich da zusammengedraengt im Hohlweg, Schutz suchend in scheuem Schrecken. Mitten unter sie sprangen die tollgewordenen Rappen. Ein Gekreisch der Stummen, die nie sprechen, fuhr auf, Blutgeruch, warme Spritzer ... Die Klage erstarb im Tannenwald. Und jetzt setzte der Donner ein. Ein Trommelrollen wie von tausend Tambouren. Der Wirbel ging ueber den ganzen Himmel hin, zornig und rufend ... und verhallte. Er war jetzt ganz frei. Er fuehrte die wilden Rosse seines Lebenswagens gegen den Abgrund. Eine jauchzende Kraft kam ueber ihn. "Wir koennen nicht leben wie wir wollen. Aber wir koennen sterben und den Tod verachten, denn wir wissen, dass er kein Tod ist. Nur ein leeres Schreckgespenst, ein laecherlicher Schwindel gar nicht existirender Gewalten. Taschenspielerkunststueck Derer, die sich schwach fuehlen!" Der Donner, ein zweites Mal, gab Antwort, ein Tiger mit ungeheurem haengenden Bauch, der ueber weite Flaechen springt; im Sprunge bruellt er ... ... "Der Schwarze Bock in Purpurfinsterniss erscheint" ... Hoellengeschichten fielen ihm ein. In Pariser Schlammpfuehlen, affreuse Weiber, schwarze Messen, wo man mit dem Blut der Wollust die Todten beschwor, Hueftenverrenkungen in Bauchtaenzen geschlechtsloser Vorstadtbajaderen, Augen, die ueber der Verwesung schwammen wie fischige Perlen in perlmutternem Glanze.... Diese ganze Civilisation, impotent und pervers, in den letzten Zuegen roechelnd, mit Haschisch und Qualen sich aufpeitschend zu neuen Sensationen, ein zweites, neues, junges, greisenhaft altes Rom, wo die Messalinen ordinaire Cocotten sind, die Neros und Heliogabals, Boulevardbummler, verwoehnte Muttersoehnchen, Sproesslinge juedischer Banquiers und christlicher Prostituirter. Wie gemein! Wie gemein! Ein Gelaechter schuettelte ihn wie im Krampf. Der Hut war ihm vom Kopf geschlagen. Er riss sich den Rock auf. Er draengte sich nackt, hoch, dem Tod und dem Nachtwind entgegen. Ein Schrei gellte auf von irgendwo. Vielleicht ein Wandrer? Der Chausseewaerter? Die wilde Jagd stob vorueber. Er fuehlte die feuchten wehenden Haare der Hexen hinter sich, ein lascives Gelaechter nackter Trollen und Faune. Sie ritten mit entsetzlichen, unbeschreibbaren Gesten. Die Jungen waren huebsch mit traurigen Augen. Die Aeltern waren noch schrecklicher, schwarz, Aeser geworden in der lebendigen Verwesung ihres Lasters. Er wusste nicht mehr, was er hinter sich herzog. Einen Cadaver. Ein Aas in Fetzen. Einen Lumpen ... Er hoerte nur noch das Bruellen des Wassers, fuehlte die Feuchtigkeit. Steine rollten mit ihm bergab. Sie huepften, kugelten, kollerten, surrten. Hohhi hoh! Er hetzte die Rappen zum Todessprung. Ploetzlich standen sie kerzengerade. Der ganze Himmel flammte im Feuer. Er schien zusammenzukrachen von allen Seiten, zu bersten, zu schuettern, zu schwingen ... Wie ein eiserner Vorhang, ganz von Eisen, schwarz, und schwer vom Gewicht aller Himmelsgewoelbe klappte der Donnerschlag. Dann nichts mehr. Dunkelheit. Eine Hand hielt seine Hand gefasst. Er versuchte die andre gegen seine Stirn zu fuehren. Sie war warm vom Blut. "Wohin fuehrst Du mich?" "Wohin Du nicht gewollt hast - _Paulus_!" DAS ACHTE KAPITEL. Der Superintendent war doch in einer gewissen Erregung. Der "geniale" Streich der Graefin hatte ihn etwas verletzt, trotzdem sie es seitdem wieder gut zu machen versuchte, die Frau Superintendentin in ihrem eignen Wagen mitnahm. Man sprach viel von dem Fremden. Die Baronin hatte ueberall von dem Odschein erzaehlt. Man brachte das Neuaufbluehen des Socialismus mit ihm in Verbindung. Zeitungen, die der Kirche uebelwollten, erzaehlten kleine Anekdoten. Ein wissenschaftlicher Aufsatz behandelte die Frage ganz ernsthaft, er war von einem modernen Schriftsteller verfasst, der sich bis dahin hauptsaechlich mit Ehebruchsdramen und Erotik beschaeftigt hatte, nun alles Heil im Mysticismus sah. Unter den schoenen Seelen der Stadt bestand eine gewisse Erregung. Ein junger Huelfsprediger wurde sehr populaer. "Er ist so tief," sagten diese Damen. Ungluecklicher Weise bildeten diese Damen eine Macht. Es wurmte den alten Herrn, dass sie ihn fuer "nuechtern und protestantisch" hielten. Niemand sieht seine Kirche gern leer. Er hatte natuerlich zunaechst an eine Denunciation nach oben gedacht, das war wohl seine Pflicht eigentlich. Aber ein zweischneidiges Mittel. Man konnte finden, dass er eine Schwindelaffaire zu sehr aufbauschte. Andrerseits hielt man es wohl gar fuer Eifersucht, die Pfaffen kriegten es mit der Angst. Ein jovialer Reitergeneral, Durchlaucht, hatte ihn schon gefragt: "Was wuerden Sie jetzt mit dem neuen Christus machen? Da koennen Sie einpacken, Pasterchen!" Er durfte sich solche Jovialitaeten erlauben. Dafuer wurde der Superintendent immer eingeladen. Er war Burgpfaffe bei den Herren Offizieren. Dann die katholische Concurrenz - die ruehrte sich nicht. Man wusste ja, da war Alles Mysterium. Es gab geheime Winke von oben. Vielleicht war ihnen die Geschichte nicht unangenehm. Sie hatten ja zum Schluss immer den Vortheil, weil sie abwarten und schweigen durften. Schweigen und abwarten duerfen war eine grosse Sache. Das ist der Vortheil der alten historischen Gewalten; man, als Parvenue, musste auf dem Posten sein, Schritt halten, die Vereinigung mit der Wissenschaft nicht fallen lassen. Die Wissenschaft hatte dem geistlichen Herrn schon manche schwere Stunde bereitet. Es war eine Universitaet in der Stadt, dadurch bestaendige Kabbeleien. Die Herren passten Einem auf die Finger. Von Hoelle und persoenlichem Teufel durfte man schon gar nicht reden; obgleich diese Dinge fuer die Plebs noch immer zogen. Dann waren die schoenen Seelen, die Einen nuechtern fanden, zur Weihnachts- und Ostermesse in den Dom liefen oder mit mystisch angehauchten Huelfsgeistlichen Conventikel abhielten. Der Superintendent war ein geplagter Mann. Uebrigens grollte die Superintendentin. Sie fand, dass er als _Mann_ dem Unfug mit einem Schlag ein Ende machen musste. Die Superintendentin appellirte oft an den Mann. Sie selbst war ein Charakter. Dann hatte man die Sanitaetsraethin ueber sie placirt; so gut wie die Sanitaetsraethin war sie allemal. Der Sanitaetsrath war ein Cyniker. Das Interessanteste an Tolstoi waere seine Diaet, sagte er. Er erlaubte sich dann sogar Anspielungen auf die gar nicht Tolstoi'sche Diaet in der Superintendentur. - Man hatte etwas auszustehen als Mann Gottes in diesem unglaeubigen Jahrhundert. Und oft dachte der Superintendent mit Seufzen an die Zeiten, als noch ein kirchlicher Fingerzeig genuegt hatte, um Unbefugte auf den Scheiterhaufen zu schicken, Calvin ueber dem froehlichen Genf seine Ruthe schwang. Der saubereingebundne Band seiner Predigten 1897-1900 troestete ihn dann. Ein Geschenk der Frau Superintendentin. Sie hatte sie selbst nachgeschrieben. - So hatte doch auch der Fortschritt, selbst die Buchdruckerkunst, diese Teufelserfindung, sein Gutes. Der Superintendent hatte den Fremden zu einer Besprechung zu sich eingeladen. Die Einladung war in ganz hoeflichen Worten erfolgt. Erstens, die christliche Milde auch gegen den irrenden Bruder, dann existirte ja auch eine geistliche Gerichtsbarkeit, die vorfordern konnte, nicht mehr. Er erklaerte sich die Sache so: Ein ungebildeter Mann, ein Handwerker - der Superintendent betonte das "ungebildet" -, von Mysticismus, sitzender Lebensweise angekraenkelt, hatte sich in diese Dinge vertieft. Voraussichtlich wuerde er ihm lange confuse Reden halten, von einer Mission, Erscheinungen. Man kannte das, und seine Wirkung auf das ungebildete Volk. Gerade weil ihnen das Alltaegliche nicht gut genug war, sie das Ruhige und Vernuenftige nicht thun wollten, liefen sie nach dem Wunderbaren. Der Hirte kannte seine Heerde. Man wuerde mit diesem Manne vernuenftig sprechen, seine Absurditaeten nachweisen, selbst wenn man ihn nicht ueberzeugte. Heilsarmee, tausendjaehrige Reichsgeschichten waren ja Mode jetzt. Dieser Hang hatte ihm schon viel Sorge gemacht. Er witterte die alte Hure von Rom, das babylonische Weib, das von Neuem seine Netze auswarf. Und man musste so vorsichtig sein wegen der Behoerden, durfte das Unkraut nicht ausjaeten. Der Superintendent hatte sich zu dieser Besprechung noch einen Confrater eingeladen, der Consistorialrath war, Professor an der theologischen Fakultaet, Kirchenhistoriker. Man war so zu Zweien, staerkte sich vorher weidlich an gutem Tabak und bessrem Wein und konnte die moeglichen Ergebnisse gleich eroertern, waehrend die Frau Superintendentin mit der Consistorialraethin Kaffee trank. Dabei hatte man dann auch allerlei interessante Faelle und Ketzereien zu eroertern. Der Superintendent war dafuer, den Fremden nicht gleich vor den Kopf zu stossen, ihn im Gegentheil leutselig, als gewissermaassen zum Fach gehoerig, zu behandeln. "Es ist ja auch moeglich, dass ein Laie durch Nachdenken, besondre Gnade, ungewoehnliche Einsicht in goettliche Dinge erlangt und Beherzigenswerthes von sich giebt. Der Fall waere denkbar. Ich kannte einen Schuster, der ueber die Gnadenwege und Melchisedek, den Koenig von Salem, stritt wie der gewiegteste Theologe." Der Confrater schuettelte laechelnd den Kopf: "Wir haben das Beispiel der Wiedertaeufer, der Methodisten in England. Die theologisch geschulte Intelligenz fehlt, das Regulaere, Feste, darum Lebensfaehige." "Aber es waren doch in den Irrthuemern dieser Leute - allerdings gleich Koernern in der Spreu verborgen - auch einige unbestreitbare evangelische Wahrheiten enthalten." "Das ist eine gefaehrliche Ansicht. Jesuitisch - so gewissermaassen: der Zweck heiligt das Mittel, lieber Bruder." Dieser Herr war bekannt dafuer, dass er die feinste Nase in Deutschland hatte, um die Jesuiten zu riechen. Das war sein rother Lappen, auf den er ueberall losging, ihn ueberall herausfand, wie der Spuerhund die Faehrte. "Hat uns nicht Martinus von dem Aberglauben befreit? Und sagt nicht der Herr selbst: Ihr, die Ihr Zeichen und Wunder sehen wollt ..." Der Confrater hob warnend den Finger. "Nichtsdestoweniger giebt die Schrift ausdruecklich die Moeglichkeit solcher zu. Nicht nur im uebertragenen, sondern auch im woertlichsten Sinn." "Wir sollen Gott nicht versuchen. Vermessenheit, Freund, Vermessenheit! Es ist die grosse Aufgabe der modernen Theologie, die Wissenschaft mit der Religion zu vereinigen." "Es wird immer Vieles bleiben, was wir nicht wissen." "Da haben wir uns dann wohl in Demuth mit der beschraenkten Einsicht hienieden zu genuegen. Das ist eine gefaehrliche Bahn, lieber Bruder. Eine Schlinge des Argen, ebenso gut wie die er in der Lauheit uns legt, dem vollstaendigen, rationalistischen Ablehnen des Wunderbaren und Unfasslichen. 'Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort. Dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich es stueckweise. Dann aber werde ich erkennen, gleich wie ich erkannt bin.'" Hier meldete das Dienstmaedchen, dass ein fremder Mann in der guten Stube wartete. Sie war augenscheinlich etwas in Zweifel, ob ihm wirklich die gute Stube gebuehrte und wartete auf Bescheid. - Man hoerte eine Thuer sich oeffnen und vorsichtig wieder einklinken aus dem Zimmer, wo die Frau Superintendentin mit ihrer Freundin sass. Der Superintendent empfing den Gast dem Programm gemaess mit demonstrativer Herzlichkeit. "Nun, lieber Freund? Nehmen Sie Platz, mein Lieber! Ich habe Sie hergebeten mit diesem meinem sehr geschaetzten und verehrten Collegen, um mich mit Ihnen ueber Ihre religioesen Ansichten zu unterhalten. Das ist immer lehrreich fuer einen Diener am Wort, gewissermaassen ja auch meine geistliche Pflicht, obgleich Sie ganz als Freund hier sind, mein Gast und in aller Guete. - Ich vermuthe, Sie gehen von der sehr richtigen Ansicht aus, dass das Evangelium den Laien wieder mehr in der Form des taeglichen Brotes gleichsam, nicht nur an Sonntagen in der Kirche, naeher gebracht werden muss. Es soll wieder ein Bestandtheil des taeglichen Lebens werden, und Sie denken, dass dazu Predigt und persoenliche Ansprache, selbst Aufsuchen des Einzelnen, das Geeignetste ist. Es waeren dies wohl gleichsam die Principien, auf die sich die mir sehr interessante moderne Agitation der Heilsarmee stuetzt. Ich moechte, dass Sie mir nun in kurzen Worten das Dogmatische Ihrer Lehre, den festen Kern der Heilswahrheiten, auf die Sie persoenlich den Hauptnachdruck legen, entwickelten." "Ich habe keine." "Sie verstehen mich nicht. Jedenfalls gehoeren Sie doch irgend einem Bekenntniss an, oder haben sich in Ihrem Innern fuer ein solches entschieden? Wenn Sie Protestant sind, halten Sie sich an die Augsburger Confession? Folgen Sie eher Luther? Jedenfalls doch - und das ist wohl kaum eine Frage - stehen Sie mit uns auf dem Boden des apostolischen Glaubensbekenntnisses?" Der Superintendent sah ihn streng an. Der Confrater nahm eine Prise. "Ich kenne es nicht," sagte der Fremde. Der Superintendent war roth geworden wie ein Mohnkopf. "Aber - aber - das ist die Hauptsache. Das ist Christenthum, die geheiligte Norm, fuer die unsre Vaeter, die erste Christenheit gelitten und gestritten haben. Das Andre ist leere Phantastik, giebt der weitesten Irrung Spielraum, der Regellosigkeit." "Es giebt das Leben." "Welch' ein Irrthum! Welch' ein verhaengnissvoller und weittragender Irrthum!" rief der Superintendent warm. "Es waere ja denkbar, dass ein Mensch, der ganz ausserhalb der christlichen Heilssphaere staende, den Namen Christi nie gehoert hat, auf rein deduktivem, moralphilosophischem Wege zu einer der christlichen durchaus aehnlichen Ethik gekommen waere, wenn hier eben blos die Ethik das Entscheidende waere. Denken Sie, dass das ganz denkbar sein koennte?" "Es ist denkbar," sagte der Fremde. "Stoiker," nickte der Confrater. "Griechische Philosophen der nachplatonischen Schule! Das sind die Argumente, die schon die franzoesische Revolution gebrauchte." "Sie wuerden doch nicht sagen, dass ein solcher Mensch ein Christ waere, mit uns Theil haette an der Erloesung durch den Leib des Herrn?" "Ich wuerde es sagen." "Und wie wird er dastehen im naechsten Leben, wenn Christus die Seinen um sich versammelt, die im Blut des Lammes Gewaschenen, auf seinen Namen Getauften eingehen, und die Andern abgetheilt werden zur Linken?" Der Superintendent wischte sich den Schweiss. Er schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trocknen. "Ich weiss es nicht." "Eine Art Allheilslehre," beruhigte der Confrater. Das Wortspiel zwischen "Leere" und "Lehre" amuesirte ihn. "Socialistische Moral des Christenthums. Das ist blos die Frucht. Der Glaube ist das Erste." "Ich glaube, dass die That das Erste ist." Jetzt sah der Superintendent wieder Fahrwasser. Er war ganz erfreut. "Das ist die Lehre von den Werken, das Katholische, Papistische, wogegen schon Lutherus sich auflehnte. Wir koennen aus uns selbst nicht gerecht werden." "Wir koennen wollen." "Und die Rueckfaelle? Das menschliche Gesetz bestraft sie. Wie wird sie Gott nicht strafen?" "Wie soll Gott sie strafen, wenn sie in sich selbst ihre Strafe tragen?" "Fatalismus," notirte der Confrater. "Die Boesen! Die Boesen, Mann! Wie erklaeren Sie die Boesen?" "Es ist ihr Unglueck." Dem Superintendenten wurde in der That die Halsbinde zu eng: "Unglueck? Und der, der kaempft, das Gute will, Gutes thut? Sollen die Guten keinen Vortheil vor den Schlechten haben?" "Sie sind gluecklich." Der Confrater mischte sich jetzt ein: "Sehr interessant. In der That hoechst interessant. Das ist Buddhismus. Es ist die Lehre des Buddha. Wenn man denkt, dass sie dreitausend Jahre alt ist! Haben Sie irgend welche Verbindung mit diesen Religionsgesellschaften gehabt? - Es koennte doch sein in irgend einer corrupten Form" - (dies fuer den Collegen) -, "Buecher darueber gelesen?" Der Fremde sah den Confrater an. "Alles ist Verbindung," sagte er. "Natuerlich! Die Wiederkehr! Die Wiederkehr!" Der Professor rieb sich die Haende hoechst befriedigt. "Das ist das charakteristische Merkmal. Sie geben sich das weiter wie ein Geheimniss. Fragen Sie ihn doch, ob er an die Seelenwanderung glaubt? Gerade fuer die populaere, gewissermaassen kindliche Phantasie haben diese Verwandlungen etwas Anziehendes. Sie finden das im Volk in tausend Maerchenvorstellungen, Geschichten von Wehrwoelfen, Schwanenjungfrauen, sprechenden Baeumen. Selbst in dem indianischen Maerchen des Hiawatha von Longfellow kommt diese Idee wieder, in der Verkoerperung des Samenkorns. Isis und Osiris, Baldur, ... Es ist Alles dasselbe." "Aber das ist nicht das Schlimme, das ist das Gefaehrliche nicht!" platzte der Superintendent los. "Die Moral! Die Moral! Diese Lehre vom Nirwana, der blinden Ergebung, der Thatenlosigkeit, der stumpfsinnige Fatalismus des Orients wieder zu uns verpflanzt! Das ist der Tod aller Cultur, allen Fortschritts, aller Humanitaet. Das ist Heidenthum! Heidenthum! Das Christentum ist Kampfesmuth, Streben, Krieg!" "Auf den Krieg folgt der Friede." "Friede da droben! Hier ist Kampf. Wir sollen Kaempfer sein." "Krieg in uns, Friede nach aussen." "Wir sind nicht hier, um Frieden zu haben. Unser Leben ist Ringen und Unruhe. Da oben erst wird er uns zu Theil. Aus Gnade." Der Fremde laechelte. Der Superintendent war auf einem Lieblingsthema. "Der wahre Christ ist vor Allem ein Streiter. Seine Feinde sind der Satan, die Suende in uns und ausser uns. Wir sind arme Suender." "Wenn wir siegen?" "Selbst wenn wir unser eignes Fleisch ueberwunden haben. Die Suende in der Welt bleibt. Sie greift uns an. Wir haben uns zu wehren gegen sie." "Sie existirt nicht gegen uns, wenn sie in uns nicht ist." Der Confrater nickte von Antwort zu Antwort mehr befriedigt. "Wir kommen jetzt auf das Fakirwesen, Hallucinationen der Maertyrer." "Sie wollen das nicht sagen? Das ist Vermessenheit, mein Lieber! Unser Fleisch bleibt der Anfechtung unterworfen, so lange wir im Fleisch wandeln. Wer da meint, er stehe, der sehe wohl zu, dass er nicht falle. Der Ehrgeiz - die boese Lust - Reichthum. Selbst ich -", hier fasste der Superintendent den Fremden beinah am Rockknopf, "- selbst ich, der ich ein Diener am goettlichen Wort bin und alle seine Schlingen kenne - ich habe meine Momente der Schwaeche, der Anfechtung. Ich habe Versuchungen zu bestehen ... Das ist unchristlich, Mann! Stuetzen Sie den Glauben! Sprechen Sie gegen die Gottlosigkeit! Auf dem Lande. Unsre Bauern haben dicke Nacken. Stolz und Habsucht sitzen da steif drin. Gott sei Dank! sind sie noch glaeubig. Die Grundvesten unsres Glaubens sind unangetastet. Die moderne Anarchie und Zweifelsucht ist da noch nicht eingedrungen. Das geht immer Hand in Hand. Das bedeutet die Emanzipation des Fleisches. Wir wuerden uns wie Schweine im Koth waelzen. Im Koth! Sehen Sie das alte Rom! Babylon! Die antike Welt vor Christo." "Sie hat Christus hervorgebracht." "Christus ist das ganz Vollkommene, Gute. Das Fleisch ist das Boese. So kaempfen diese beiden Gewalten. Bis das Gericht kommt, das Gute siegreich bleibt im unschuldigen Blute des Lammes, das Boese im Abgrund verschlossen wird mit adamantnen Ketten. - Das ist der uralte Kampf." "Demiurgos, Ahriman und Ormuzd," bestaetigte der Confrater. "Lehre von der primaeren Theilung der Gewalten." Die Frau Superintendent hatte schon mehrmals merklich und merklicher an die Thuer geklopft. Jetzt steckte sie ihre Haube selbst durch den Spalt. "Excellenz von Koschemann ist fuer den Bazar gekommen. Wenn Du einen Augenblick Zeit haettest, lieber Willibald ..." "Auch ich bin ein Soldat des Herrn. Sehen wir zu, dass wir gut kaempfen. Und das Heil finden, das es fuer uns nicht giebt, denn allein im gesegneten Blut des Lammes dereinst, das unsre Suenden abwaescht weiss wie Schnee." Der Fremde war entlassen. Der Confrater sah ganz klar. "Gnostiker, die alte Geschichte. Das hat immer angefangen mit der Antastung des Buchstabens. Der Buchstabe, mein Freund! Das Wort sie sollen lassen stahn! ... Und jetzt lass uns zu unsern liebenswuerdigen Damen gehen." DAS NEUNTE KAPITEL. Und er ward im Geist entrueckt in eine fremde Stadt. Die Glocken laeuteten. Eine ungeheure, unzaehlbare Anzahl von Glocken. Es waren dumpfe, grosse darunter, die mit der Stimme des Erzes riefen, der Kanonen, furchtbarer Ereignisse, Krieg, Pest und Feuersbrunst. So stark riefen sie, dass Niemand ihren Klang in der Naehe aushalten konnte, die Luft ihn lange behielt, ehe er verhallte. Sie schwangen in furchtbaren Hoehen und thronten einsam in Kammern weit ueber den Koepfen der Menschen. Die ihre Stricke bewegten, sassen sehr niedrig auf schwebenden Balken und wurden beinah gespalten von der Heftigkeit des Klanges. Diese Glocken laeutete man nur bei ganz grossen Gelegenheiten. Wenn sie klangen, sahen die Leute auf und sagten: Es ist das oder das. Sie meinten ein sehr hohes Fest, ein grosses Unglueck oder eine grosse Freude. Die ganze Stadt und das Land ringsum kannte den Klang dieser Glocken. Man war stolz darauf und fuerchtete sie auch. Andre waren milder, mittlere. Die laeutete man alle Sonntage. Man hoerte sie auch weit, ueber ein ganzes Stadttheil oder eine Strasse. Ein Klang von Silber war in ihrem Erz, der sprach von Guete und Milde. Sie lockten, und schreckten nicht, laeuteten regelmaessig mit kraeftigen, hallenden Schlaegen, wie die Stimme eines Predigers, die klangvoll spricht in schoenen, malenden Worten. Und es waren ganz kleine, die einzeln riefen wie einzelne, verlorene Stimmen. In mancher war ein sehr helles, feines Klingeln oder zitterndes Wimmern, die eilige Angst einer Agonie, oder der sanfte Schmelz einer Frauenstimme, sehr weit fortgetragen auf himmelansteigenden Trillern zu reinen Aetherhoehen. Der pure Goldklang ganz feiner Eliteseelen, die um den Thron Gottes lobpreisen, und ein kleines, gleichgueltiges, hastendes Bimmeln, in dem Viele sich vereinten, wie das der Pferdebahnwagen, dieser Schellenbeutel, die herumgegeben werden in den Gemeinden zwischen den Pausen des Gottesdienstes - laestig fast, nur die Ohren fuellend, das zum Alltagslaerm gehoerte, ihn irritirend machte. Alle Glocken laeuteten. Die grossen gaben den Ton an. Die mittleren fielen ein wie ein gutgeschulter Chor. Die ganz kleinen waren Geraeusche, oder Stimmen junger Kinder. Alle laeuteten. Die Luft war sehr voll und schwang von ihrem Klange. Und die andern Stimmen des Lebens schwiegen. In den Kirchen und Domen draengte sich die Menge. Es war halbdunkel in diesen Hallen, dass man die Einzelnen in den Tausenden nicht erkennen konnte, Maenner oder Frauen, reiche, gutgekleidete Leute oder ganz Arme. Ihre Gesichter bildeten blasse Flecken im Daemmer, wie aufgewandte Kelche von Blumen, die ihr Athmen wie ein Duft umwallte. Die uebrige Schwere des Koerpers blieb unbestimmt, ertrunken in unruhigem Schattenspiel der Vielen, dem lastenden, schweren Dunkel dieser Steine, ungeheurer Steinmassen der Gewoelbe und Mauern. Saeulen standen wie Baumstaemme ohne Aeste mit schweren Blaettern und Steingewinden um ihre Kronen, waehrend feine, tiefe Rillen an ihnen hinabliefen, von Regentropfen gegraben oder ewig fliessenden. Von stuetzenden, lastbaren Pfeilern schwangen sich die Woelbungen auf, Bogen und Bruecken, gespreizte Fittiche des Adlers, kuehn und immer kuehner bis zum schwindelnden Ansturm der Kuppel, die den Stein zerbrach, die Schwere des Materials aufhob im ungeheuren, athemlosen Aufschwung der Seelen. Der Schritt klang hohl vom Echo der Millionen Schritte, die da schliefen in tausendjaehrigen Steinquadern. Von schlanken, weissen Kerzen stiegen gelbe, zitternde Flammen, umgekehrte Herzen, blauen Schein der Sehnsucht ausathmend. Ein Duft von Weihrauch, Wachs und Thraenen lag schwer in Nebeln und wallenden Wogen. Man sah Altaere sich golden recken, Gold vom Fuss bis zur Spitze, in immer feineren Saeulchen, Treppen, Boegen, inkrustirt mit bunten Edelsteinen, die Lichter gaben im Dunkeln wie Schlangenhaeute, Augen seltsamer Reptile und Kaefer, Wunder von goldnen und silbernen Spitzen, Rosen und Blumen, eingefrorne Rhythmen, mystische Zeichen und Runen aufsteigend wie Gedichte. Eine unverwelkliche Pflanzung aus menschlichen Herzen, mirakuloese Flora des Glaubens, hierher gefluechtet in eine heilige Grotte, unter dem Daemmerlicht der bunten Glaeser, gefaerbt mit ihrem Blute: Roth, welches die Liebe und der Tod ist, Blau des Glaubens, festruhendes warmes Gruen der Hoffnung und des Lebens. Und Kraempfe, furchtbare Leiden, zerschnitten den himmlischen Dreiklang: Gelb der Pein und des Geizes, in den Gewaendern der Aeltesten und Schreiber; Violett der Eifersucht, das zugleich die heilige Farbe der priesterlichen Macht und der Ehrfurcht ist; ein helles, gefiltertes Rosa, welches gemartertes Fleisch der Gequaelten vorstellt und auch die liebliche Unschuld des Kindes. Alle spiegelnd, irrend, flehend um das klare Gold des Triumphes, Farbe der Sonne, wo die Mutter thront mit dem Kinde, die Heiligen knieen in seliger, weltentrueckter Anbetung. Wie ewige Pfeiler standen sie da, die Starken, der Apostel heilige Zwoelfzahl, wunderbar die Reihe der Monde, des Sternkreises wiederholend, Propheten, Sybillen - die wussten und aushielten. Maertyrer oeffneten blutrothe Wunden, Laurentius auf dem flammenden Bett, Sebastian mit durchbohrter Brust, Agnes, ganz nackt, nur in den strahlenden Mantel ihrer Haare gehuellt, unter den Augen der Wollust, - aufgerissne Seiten, furchtbare Verrenkungen der Gefolterten, Striemen der Gegeisselten. Die Heiligenscheine dominirten ueber verklaerten Stirnen. Die weisse Taube des Geistes schwingt sich glorreich auf ueber Blut, Flammen und Qual. Sie singen. Aus den Tiefen hebt es sich. Von der geknickten, schwarzen, wimmelnden Masse - De Profundis. Langgetragen, hohle Rufe wie Appellrufe in der Noth, schneidender Wehschrei der Gequaelten, zitternd, sehr hoch schwebend, wie ein Weib schreit in Kindesnoethen: Miserere - Miserere ... Dumpfer Trommelschlag. Vokale fast Alles, sonore, volltoenige, die nicht fallen - Ora pro nobis, aufsteigend zu maennlichem Muth, Schlachtgesang, bis zum jauchzenden, hellen Posaunenstoss der Befreiten, gellend fast, schmetternd in Siegeszuversicht: Tedeum laudamus. Die Stimmen schweigen. Das Wort allein spricht. In marmornen Worten, Saetze, die feststehen wie die Welt. Rollende Vokale, geheimnissvoll, kraeftig, wie die die schufen, - das groesste Mysterium der Menschheit, Wein und Brot, uralte Mysterien, heiligste Symbole des sacrosancten Lebens. Ueber der Menge, die kniet, hungernd, bruenstig, erhebt der Priester das Allerheiligste. Er selbst ist weiss, ganz weiss. Er ist hundertjaehrig. - Es giebt einen goldnen Schein wie die Sonne. In einem ungeheuren wehen Seufzer hebt sie sich, es zu empfangen - das Opfer von Gott angeboten. Blut und Fleisch, fuer das andre Opfer des Fleisches und des Blutes, des Lebens, an das grosse Leben, das prangend weggeht ueber den Tod, Jammer und Kleinheit. ------------------------------------- ... Ein enger Holzpfad im Gebirge. Das Gebirge liegt verschneit seit Wochen. Bis an die Knie hoch steigt der Schnee. Die Tannenzweige brechen unter seiner Last. Gleich Zuckerhueten ragen die Baumwipfel aus der Weisse. Man unterscheidet nur hoehere und niedrigere Lagen, Steine sind Schneekuppen. Gleichmaessig ist er im Grunde, hart, vereist, eingestampft. Aber die Oberschicht ist federweich, eine Hand hoch, glitzernd, feiner wie der Flaum auf Bruesten der Eidergaense, mit Seidenreflexen. Unter dem Schnee begraben liegen Moos, Graeser und Gestraeuche. Er staeubt in Puder von den ueberlasteten Zweigen. Kleine Aeste und Holzstueckchen, die sich abloesen, versinken lautlos. Die Luecke, die sie verursachen, schliesst sofort die streichelnde Sammethand. Der ganze Wald leuchtet weiss, blauweiss vom Schimmer des jungfraeulichen Schnees. Der Fuss versinkt in ihm wie in Daunenteppichen. Ohne Kuehle fast. Aber er hebt sich schwer heraus. Das Leder des Stiefels wird hart und sproede von der Feuchtigkeit, die nirgends das Wasser zeigt. Und immer faellt der Schnee. Man sieht keine Spuren des Wildes. Es ist erfroren, festgefroren wie stehende, steinerne Bildsaeulen in Mauern von schmeichelnden Krystallen oder es verkriecht sich im inneren Tann, wo das Dach der Zweige es schuetzt, karge Nahrung sich findet an Sprossen und Rinde. Der Schnee fuellt die Fahrgeleise des Weges aus. Er steigt zu seinen Raendern und vermischt sie. Wie Gespinnste in seinem Innern ziehen sich duerre Bastadern der Farne und Heidelbeerbuesche. - Die Stille ist sehr tief und der Schnee faellt. Durch den tiefen Schnee sucht sich der kleine Priester seinen Weg. Er traegt die letzte Troestung zu einem Sterbenden. Der Tod ist rasch gekommen. Ein blutjunger Bursch, der Spielmann Anderl. Heute hatte sein Schatz Hochzeit gemacht mit einem Andern. Der Spielmann war zurueckgesprungen ueber die Berge, das fressende Gift im Leibe und den Kopf im Feuer. "Geht's schlecht, so geht's schlecht, geht's gut, kuerz' ich mir den Weg um Stunden." Am Hornbiehel war er abgestuerzt. Jetzt lag er im Todeskampf in der Holzschlaegerhuette. Durch Schnee und Nebel im beeisten Gebirge kaempfte sich der kleine Priester zu dem Sterbenden. Er war noch sehr jung, noch nicht lange da oben. Man nahm fuer die Stelle die ganz Unbedeutenden, die Bescheidenen, die nicht Carriere machen wuerden. Niemals hatte er daran gedacht, ein Findelkind, das man den Priestern uebergeben. Regelmaessig liefen die kargen Beitraege fuer ihn ein, von einem Buereau bezahlt an eine Kasse, ohne Persoenlichkeit, ohne Namen. Er hatte niemals eine andre Heimath gekannt als das Kloster. Da war seine Staette, am Altar. Der liebte ihn und der hatte ihn nicht zurueckgestossen. Mit weissen Blumen umkraenzte er ihn. Er sang. Er schwang seine Weihrauchschale, weissgekleidet als Chorknabe, Diener am heiligsten Messopfer, eh' er selbst daran theilgenommen. So war er aufgewachsen, in dieser Atmosphaere der Liebe, Weiss und Gold, den heiligen Farben der Unschuld und des Triumphes. Ohne einen andern Gedanken. Er liebte Alles. Es war um ihn wie der weiche, milde Schein, der vom linnengedeckten Altar ausging, der Lampe, die ewig brannte in all dieser Weisse, dieser Stille. In lasterverzerrten Zuegen sah er das Leid. In ihrem Hochmuth die Angst. In ihrer Schoenheit, ruehrender als ihre Schoenheit, den Tod. Wie auf weissen Rosen ging er mit nackten Fuessen, laechelnd das Heilige tragend gleich Engelknaben. Und vor seiner demuethigen Stirn neigten sich die Stolzen. Die Bescheidnen fassten Muth. Alles liebte ihn. Es war, wie wenn die Voegel suesser sangen, wenn er vorbeischritt im Klostergarten. Sie waren zutraulich und pickten von seinen Haenden. Die Blumen, die er pflanzte, gediehen. Ruhig und majestaetisch entfalteten sie sich. Die Sonne schien nicht zu heiss auf sie. Irgendwie hoerte der Sturm auf um ihre schlanken Stengel. Es gab alte Moenche im Kloster, die das Leben gekannt hatten. Es hatte harte Narben gegraben in ihre Seele. Sie liebten ihn, die alten Wunden brannten nicht, wenn er da war. Nur eine Gabe besass er, die lieblichste David's, der Musik. Die Toene wurden lind unter seiner Hand und wenn er spielte, hoerte der Tumult auf in leidenschaftdurchwuehlten Herzen. Niemals war er stolz gewesen oder unguetig. Ein Kind Jesu! Er trug diesen Namen, halb der Schande, wie eine feine, goldne Aureole. Die Grossen uebersahen ihn und fuer die Klugen war er nichts. Er hatte keine Disputationen geschrieben ueber Fragen des Glaubens. Die weltliche Macht der Kirche liess ihn kalt. Der Beifall einer Menge haette ihn schuechtern gemacht. Aber er liebte die kleinen Kinder. Sehr alte, huelflose Leute waren ihm ehrwuerdig. Er richtete die geknickten Halme auf und ihn erbarmte der Vogel unter dem Himmel. Tapfer kaempfte der kleine Priester durch den Schnee. Der Schnee fiel in weichen, grossen, fasernden Flocken aus Wolken, die selbst Schneesaecke waren. Sie hingen so niedrig, dass man nicht sah, wo sie aufhoerten und das Gestoeber anfing. Ihre Vorraethe schienen unendlich, als ob ein ganzer Himmel voll von Schnee hinter ihnen laege. Er leerte sich langsam. Von den Schichten bauten sich Mauern ihm entgegen. Nichts konnte mehr welchen aufnehmen. Aus dem Ueberfluss wallten neue Huegel ueber. - Diese Flocken loesten sich nicht auf. Sie schwebten und drehten sich langsam in der Luft und blieben haengen wie im Festen, Gesaettigten. Man dachte an Nesterbauen dabei, Eiderdaunen, in die man sehr tief einsank. Und es war gar nicht kalt. Der Schnee schien wie eine schuetzende Schicht zwischen der Kaelte und der Erde. Es war wunderbar, wie lautlos er fiel. Und ueberall, wo er fiel, hoerten die Contouren auf, alles Steife, Eckige, Nackte. Wie ein liebevoller Pelzmantel huellte er sie ein, dass sie nicht mehr froren, zeigten. Er fiel ... fiel ... Der kleine Priester fror gar nicht. Im Gegentheil, ihm war warm. Er trug das Allerheiligste unter seiner Soutane, gegen die Brust gepresst. Und es war ihm, als waere es da eingedrungen. Es sass da und brannte. Goldne Strahlen warf es. Immer groesser, immer weiter. In der Mitte war ein blutrothes, gluehendes Herz und sein Scheinen war wie Karfunkel. Es leuchtete weit durch den naechtlichen Wald. "Das ist, als ob ich ein Licht bei mir trage," sagte der kleine Priester. "Wie seltsam das ist! Und wie schoen!" Schoen war es in der That. Alle Baeume standen wie schwarze Saeulen, ganz gerade mit seltsamem Ast- und Aderwerk. Ihre Zweige verbanden sich. Sie kreuzten sich und rankten ineinander geheimnissvoll in Rosetten, Sternen, wie ein Kirchendach. Er ging ganz leise, wie auf weichen, weissen Rosen. Er zertrat sie nicht. Sie richteten sich auf unter seinem Fusstritt. Sie dufteten sehr suess, Ambra, Weihrauch und Myrrhen, die mystischen Duefte der Kirche, die Seele darstellend, die sich spiritualisirt in Sehnsucht. Jetzt fing es auch an zu laeuten. Zwischen den hohen Baeumen schwangen die Glocken. Sie hingen da in Stricken von einem Baum zum andern. Und sie schwangen, schwangen. Wunderbare Melodieen waren die Melodieen der hohen, ernsten Baeume. Den kleinen Priester erstaunten sie. "Ich habe es doch oft rauschen hoeren im Walde. Niemals wusste ich, was es war. Aber jetzt weiss ich es." Und er hoerte kleine, liebliche Stimmen. Das waren die der todten Blumen unter dem Schnee. Er hatte gedacht, dass sie todt waeren. Sie waren nicht todt, sie warteten nur auf den Fruehling, lagen warm und weich gebettet unter dem Schnee, der sie zudeckte und fiel - fiel. Die Schneeflocken selbst sangen. Sie fassten sich an und tanzten. Es war richtiger Rhythmus in ihrer Bewegung. Dazu klangen sie. Und dann waren sie Engelskoepfchen mit weichen, flaumigen, ganz jungen Fluegeln. Das sind die Seelen der todten Kinderchen, die sterben, ehe sie zum Bewusstsein ihrer Seele erwachen. Er hatte nie gewusst, wo diese todten Seelen hinkommen. Jetzt wusste er es. Sie waren gluecklich und deckten die kleinen Blumen zu, dass sie gut schliefen, nicht erfroren im harten Winter. Er musste ueber einen Bach, der ganz zugefroren war. Aber das Wasser war auch nicht todt, es schlief nur in der Tiefe. Er hoerte es singen geschaeftig am Werke, in kleine Roehrchen tausend Troepfchen zu giessen, die Erde aufzuweichen. Es wird Fruehling! Es wird Fruehling! Auf einmal war es Fruehling. Er wandelte in einem gruenen Dom. Waende von lichterem Gruen schoben sich zwischen die andern, hohen. Alle regten tausend Blaettchen. Einige waren fast durchsichtig vom Licht, das sie golden durchgluehte. Die Andern blieben im Schatten beinah schwarz, oder ihre Raender zeichneten sich wie in hellem Feuer gezogen. Atlasglaenzend lief es entlang am Buchenstamm wie feinste Haut des Apfelschimmels, roethlich schwelend an der rissigen Kiefernborke. Die Birken standen ganz weiss mit gesenkten, wehenden Zweigen, ein kleines, zitterndes Herz jedes Blaettchen, Jungfrauen vergleichbar in der Schoenheit ihrer Haare im Mai. Pelze hatten die Haselnussblaetter. Die Erlen bogen sich, schwaerzliche, schuppige Schlangenleiber, dem Sumpf entsprossen, mit klebrigem, bitterschmeckendem, starkgerieftem Blattgrund. - Und da oben ueber dem Blaetterdach stand die Sonne, goldne, warme Fruehlingssonne. Er wandelte mit nackten Fuessen auf einem Blumenteppich. Wo er hintrat, bluehten die Blumen. Sie bluehten auf wie Kissen unter seinen Fuessen, nur Blumen ohne Blaetter und Stengel. Voegel sangen, goldne Voegel mit silbernen Schwingen, die Stimme des Windes, der Erde und des Wassers, Alle priesen Gott. Er sah auf und die Sonne war Gott. Seine Strahlen fielen warm ueber Alles. Er war gut - gut. "Ihr koennt mich nicht verstehen so. So gross und gut bin ich. Darum bin ich das Groesste und das Gute, was Ihr verstehen koennt." Er verstand sehr wohl, wie gut Er war. Und dass Er tausendmal besser und groesser sein musste, als er verstehen konnte. Aber es war da eine Bruecke aus den Strahlen, die von Seiner Brust ausgingen, und den weissen, funkelnden Sonnenstrahlen mit Perlen und Emeralden und koestlichen Topasen geschmueckt, die das Licht gebiert im Wasser, aus der Tiefe. Auf der schritt er. Durch das Blaue schritt er gerade in die strahlende Sonne hinein. Er wusste, dass sie Feuer war, aber sie brannte nicht. Sie war auch nicht golden. Sie war weiss, von einer lichten, unbeschreiblichen Klarheit, lichter denn das Mondlicht im Kerne der junggebornen Mondsichel, und Atlasschimmer aus keuschen Lilienkelchen. Er sah eine Frau in der obersten Klarheit. Sie hielt einen Lilienstengel in der Hand. Er wusste, dass es seine Mutter war, die er nie gekannt und verloren hatte. Jetzt erkannte er sie gleich. Sie laechelte ihm zu. "Ich komme. Ich komme," sagte der kleine Priester begeistert. Auch ein ganz weisses Lamm sah er. Er freute sich, dass es da war. Er hatte die Thiere immer geliebt. Er hoffte, dass es auch fuer sie einen Himmel gab. Dies wusste er nun auch. Alle Baeume waren eitel lichtes Silber. Ihre Fruechte waren Diamanten und Perlen. Weisse Schneelilien sprangen auf, die suess dufteten. Man konnte in die Erde sehen, tief hinein, denn sie war weiss und durchsichtig wie Milchglas, Opale, in denen das Sternenlicht floss. Es war dies innere Licht, von dem sie leuchtete, denn es gab nicht Schatten mehr. Wo Festes gewesen war, wurde es weich und floss im Schimmer, der loeste. Und er war ganz weiss, er selbst. Seine Finger waren weisse Strahlen. Aus seiner Brust schien die Klarheit, Alles, wo sie hinfiel, ward weiss. Er trat in das kleine Stuebchen der Holzschlaegerhuette. Dies war ein elendes winziges Gelass. Blut lag da auf der Bettdecke, Blut auf dem Fussboden, Blut ueber den hastig hingeworfenen Kleidern. Man hatte die Fiedel gerettet. Aber der Kasten war zerschlagen im Falle. Die Saiten hingen wirr und ungestraengt. Die Augen des Sterbenden waren weitgeoeffnet. Ein Ausdruck des Schreckens lag darin, und Brennen, als ob er saehe und Furcht hatte. Er phantasirte: "Hast Du die Frauen gesehen, wenn sie zur Kirche schreiten? Ihre Hacken schlagen kurz auf und ihre Hueften tanzen unter den runden Roecken, die der Wind hin- und herschlaegt. Wenn der Sechzehnender durch das Unterholz bricht und der Stolz des Waldes ist in seiner keilenden Brust! Hei! Der Zug der Burschen, der zum Schuetzenfest zieht. Alle Fiedeln spielen auf und die Schenkel stampfen. Wie Herrenblick, der zwingt, trifft der nie fehlende Bolzen. - Ich sage Dir, es ist nichts, was ueber des Weibes Anmuth geht, denn ihre Falschheit! Wie ich sie geliebt habe und wie ich sie hasse! Ihre Augenbrauen, die wie Boegen der Kroenung sind, darunter triumphirende Heere einziehen. Ihre Augen locken und ertraenken wie der wilde Bergsee. - Das ist roth - roth Alles - vor meinen brennenden Augen!" Der kleine Priester strich mit der Hand ueber die Augen. Sie schlossen sich. Sie brannten nicht mehr. "Ich habe die Erde gerochen am Fruehlingsmorgen, wenn sie dampfend aufbricht, ehe der Tag kommt. Tausend Wuerzbaeche stroemen, wo die tausendjaehrige Edelfichte krachend niederschlaegt. Gefaehrlich wie Blutdunst ist der umnebelnde Duft des Weines, der zu Kopfe steigt und die Faeuste straff macht. Aber der Frauen Athem ist roether wie Blut. Wie Weizenacker frisch geoeffnet ist der Leib des Weibes. - Es ist die Schwuele der Sommererde, die die Todten nicht schlafen laesst." Er strich mit der Hand ueber die Nasenloecher. Leise fuhr der troestende Finger die zitternden, hastenden Nuestern entlang. Der Geruch war fort. "Hast Du auf Deinen Lippen ihre Kuesse gefuehlt? Wenn sie schwoeren und luegen. Worte, die fallen wie der Wasserfall, lieblicher denn Nachtigallentriller. - Worte! Worte! Worte!" Er strich ueber die Lippen und sie schlossen sich. Sie wurden stumm und weich. "Ich habe sie mit meiner Hand gehalten. Ich lasse sie nicht. - Wenn man das Messer sehr fest packt und rothes Herzblut springt herueber ... Weisst Du, dass ich mein Messer unter meiner Hand hatte? Sie haben mir gesagt, dass ich das Holz sprechen machen konnte, die Saiten riefen unter meinen Fingern wie mit Menschenstimmen. Ich will spielen. Sie sollen tanzen. Sie sollen lachen und schreien. Ich will den Ton finden, der die Todten tanzen macht. Die Todten haben Knochenhaende und lassen nicht los." Die gekrampften Finger loesen sich unter den andern streichenden, gleitenden. Die Haende fielen. Sie lagen ruhig und straff. "Meine Fuesse tragen mich nicht mehr. Aber sie haben mich getragen durch die Nacht. Im Tanze. Wer kann tanzen wie ich, der Spielmann Anderl! Wenn der Boden knackt, die Dirne hoch anfliegt zur schwelenden Decke. Ich kann springen! Der Teufel ist in meinen Fuessen. Ich springe mit dem Teufel zur Hoelle!" Er beruehrte die Fuesse an ihren Sohlen. Er salbte den rechten. Er salbte auch den linken. Die Fuesse lagen still. Der ganze Mann war weiss und still jetzt. Der kleine Priester hatte die Fiedel genommen, das Holz zeigte keinen Sprung, die Saiten fuegten sich wie von selbst und erklangen: "Wenn Eure Suende gleich blutroth ist, soll sie doch schneeweiss werden," sang der kleine Priester. "Und wenn sie gleich ist wie Rosinfarbe, soll sie doch wie Wolle werden. "Und heute noch wirst Du mit mir im Paradiese sein!" schloss der kleine Priester. ------------------------------------- In der Holzschlaegerhuette lag der Wilddieb todt. Er lag mit gefalteten Haenden und laechelnden Lippen. Eine weisse Kerze brannte. Das blasse goldne Herz stand zitternd aufrecht im Dunkel, das der Schnee warf. Der Schnee fiel. Unter der weissen Schneedecke, das Allerheiligste gegen seine Brust gepresst, schlief der kleine Priester. Der Schnee fiel ... fiel. DAS ZEHNTE KAPITEL. Nun war aber in einer Stadt ein junger Mann, der sich dem geistlichen Stande gewidmet hatte. Nie war fuer ihn die Frage gewesen, irgend ein anderes Amt zu erwaehlen. Von frueh auf zeigte er sich in geistlichen Dingen wohlbewandert, geneigt darueber nachzudenken, die Texte auszulegen in ihrem deutlichen Sinne. Dabei war er von maessiger und strenger Lebensweise. Er hatte sich Jahre lang nur von Pflanzennahrung erhalten. Sein Geld gab er den Armen und lebte wie der Aermsten Einer mitten unter ihnen. Zudem voll Wuerde in aller Guetigkeit, dass er die Spoetter zurueckwies, Niemand ihm etwas anhaben konnte. Im Gegentheil, es war eine gemeine Rede in der Stadt, wenn man Jemand etwas Gutes wuenschte, und diese Leute waren aelter, dass man ihnen einen Sohn wuenschte wie Johannes. Seine alten Eltern, denen er zuerst ein Kummer gewesen, dass er also herausging aus der Bahn, die sie selbst gegangen, ein Amt erwaehlte, das ihnen fremdartig war und nicht so angesehen in ihrer Meinung wie ihr eignes vor den Leuten, priesen Gott alle Tage, der ihnen ein solches Kind gegeben, von dem sie Ehre hatten jede Stunde, der als ein Muster stand unter jungen Leuten, in fruehen Jahren Ruhm erwarb wie Andre, die Jahre lang gedient, Last und Muehsal getragen hatten. Selbst solche, die ihm heimlich entgegenstanden, weil er sie strafte in ihren Suenden, wagten nicht, ihn offen zu missbilligen, denn sein Ansehen war gross unter allen Leuten, und seine Rede gewaltig. Dazu, weil er eines vornehmen Mannes Sohn war, trug das zu seinem Ruhm bei. Das Geruecht drang bis an den Hof. Er musste predigen dort und ward als Hofprediger angestellt auf den eignen Wunsch des Fuersten, der gern seine Predigt hoerte, auch manches Gespraech mit ihm pflog. Er war selbst von ernster und redlicher Gemuethsart, dachte viel nach ueber die Pflichten und Vorrechte seines Amtes. Wenn er sich beunruhigt fuehlte in seinem Gemueth, liess er oft den jungen Prediger rufen, dass diese wie Freunde und treue Gesellen wurden, sein Einfluss also gross war im Lande. Aber Niemand neidete ihm denselben. Er war wohlgeachtet von Hohen und Geringen. Gegen Arm und Reich hielt er sich gleich. Kein Rang und kein klingender Lohn konnte ihn bestechen in seiner Entscheidung. Wiewohl es ihm freigestanden haette, ein Weib zu waehlen, Niemand ihm seine beste Tochter geweigert haette, zog er es doch vor, einzeln zu bleiben, dass keine weltliche Lust oder Sorge ihn abzoege von seinem geistlichen Amt, welches er als das hoechste erachtete in der Welt, ihm selbst von Gott anvertraut, davon er Rechenschaft abzulegen hatte dereinst vor Seinem strengen Richterstuhl. Es gab keinen geachteteren und wuerdigeren jungen Mann weit und breit. Sein Ruf stand fest wie ein Felsen. Sein Wort war fuer Viele Recht und Unrecht, klarer und unzweifelhafter wie geschriebnes Gesetz. Wenn sich Einige verwunderten, dass er trotz seiner Jugend so geachtet war und solchen Einfluss besass, verwies man nur auf sein Leben, das schlichter war wie manchen Arbeiters und keusch wie vielfach geschliffener Stahl vor Aller Augen. Derselbe, als er eines Tages allein spazieren ging vor der Stadt, wo die Stadt schon aufhoerte, bluehende Straeucher standen und Fruchtbaeume im Laub - wie er oftmals that in seinen tiefen Gedanken, um klar zu werden vor sich selber -, freute er sich am Gesang der Voegel, wie sie alle eintraechtig sangen und war keiner groesser und mehr geachtet denn der andre in ihrem Singen. Jeder hatte seine besondre Gabe und Tugenden. Die, die nichts empfingen, kleine graue Meislein und Spatzen, zwitscherten just so munter ihre zwei Pieptoene, wie die Andern kunstreiche Triller und Solfeggien. Sorgten nicht um den Tag, bauten sich Nestlein, setzten ihre Kinder in die Welt, dass die Sonne sie grosszog, sie satt wuerden von dem, was flog und kroch in der Luft, auf der Erde. Die Schwalben flogen auf und nieder. Sie wiegten sich in der Luft und beschrieben Wellenlinien. Manchmal strichen sie so niedrig, dass ihre Schwingen fast die Erde beruehrten. Dann hoben sie sich wieder, blieben segelnd im Blauen. Aus dem Gras der Boeschung dufteten Veilchen. Libellen schwirrten aus der Wasserrichtung von der andern Seite. Es roch fischig von da, Teichgeruch, nach sich zersetzender Pflanzenfaser. Wie er nun also ging und sich freute, die Voeglein lieblich und froehlich sangen, sah er eine magere, gelbgefleckte Katze, die Jagd machte, auf einem der Baeume. Leise schlich sie auf unhoerbaren, tastenden Zehen. Ihr Kopf war lang vorgestreckt, die kugelige Stirn mit spitzen Oehrchen. In den Flanken sassen tiefe Loecher von der Anstrengung des Dehnens. Die Rippen flogen kurzathmend in der Aufregung der Jagd. Auch war sie mager, schlechtgenaehrt und struppig, wie eine Katze, die wohl schon lange heimlos geirrt ist, keinen Herrn mehr hat, sondern der Wildniss preisgegeben ist. So war sie ausgegangen auf die Jagd, da es daemmrig wurde, sass auf dem Baum und hob ihre Kralle ueber dem Nestchen. Da Johannes solches sah, ergrimmte er in seinem Herzen. Es dauerten ihn die unschuldigen Voeglein um dieser schlechten Katze willen. Er nahm einen Stein, zielte und warf. Und traf so gut, dass er die Katze hart schlug in ihrer Seite, wo es weich ist, die Knochen nicht schuetzen. Sie stiess einen schrillen, klagenden Schrei aus und fiel herab vom Baum, lag da auf der Erde, das Blut floss von ihrer getroffenen Seite, schrie ganz jaemmerlich wie ein kleines, wehleidiges Kind, versuchte sich zu lecken, vorwaerts zu strecken mit strebenden Vorderfuessen und schwachem, nachschleppendem Ruecken. Und lag im Staube, blutend. Da fing ihn an zu gereuen, was er gethan hatte. Er kam herzu, um der Katze aufzuhelfen. Wie er sie genau betrachtete, sah er, dass diese Katze heute oder den Tag zuvor Junge geworfen haben musste, denn die Haut ihres Bauches hing ganz lose unter den vorstehenden Rippen, dass sie fast auf dem Boden schleppte. Die Oeffnung des Afters war unnatuerlich weit, noch vom geronnenen Blute verklebt. Man sah die Zitzen, die weit, aber schlaff, ohne Milch sich sackten. Denn sie war sehr erschoepft und hatte gehungert seit langen Tagen. Nun lag sie im Staub und blutete. Niemand wuerde diesem Nest voll kleiner Katzen in irgend einer verlassnen Scheune oder auf einem Heuboden Nahrung bringen. Sie wuerden warten und miauen, elendiglich verhungern, um ihre Mutter, die nicht kam, den spitzen, harten Stein, den er geworfen und sie getroffen hatte, da sie ging Jagd zu machen auf Voegel fuer ihre Kleinen, die hungerten. Er stand nun da vor der Katze und sah sie an. Die Katze sah auf zu ihm mit schiefen, wilden Augen, ob er ihr helfen wuerde oder sie weiterquaelen? Sie wusste nicht, dass es sein Stein gewesen, der sie getroffen hatte. Aber sie hatte Angst vor den Menschen, die stark sind, war da wie ein wildes Ding, das man eingefangen hat. Und es kann sich nicht wehren, denn all' sein Gift, scharfe Zaehne und Krallen, die ihm ja nuetzlich sind gegen die Kleinen und ganz Schwachen, werden ohnmaechtig und nuetzen ihm nichts. Es wartet, dass man es vollendet. Da er noch stand, dieses Thier ihn ansah und er ueber solches dachte in seinem Herzen, kam ein fremder Mann des Wegs. Er nahm die Katze, die nach ihm fauchte, wusch ihre Wunden sorgfaeltig mit Wasser und gab ihr zu trinken aus einer Flasche, die er bei sich fuehrte. Dazu, um das Wasser zu finden, hatte er hinabsteigen muessen zum Fluss. Wie der wieder heraufkam und die Katze auf seinen Arm nahm, biss ihn das Vieh in die Hand und entsprang zwischen die Weidengebuesche. Da dieser nun die Schramme an seiner Hand besah, das Blut abtrocknete mit seinem Tuch, sprach Johannes zu ihm: "Wie magst Du dem schaedlichen Raubzeug helfen? Sein Leben ist der Tod Vieler. So es verreckt, wem schadet es? Ein werthloses Vieh! Tueckisch und voll Argheit." Das sagte er aber, den Andern zu versuchen, denn in seinem Herzen gereute ihn der Katze. Er wusste wohl, dass es ihre Natur ist, Voegel und Maeuse zu fangen. Er fragte sich nur: Warum ist das in der Natur, und haette gern eine Antwort gewusst. Der fremde Mann sprach: "Ich helfe jeglicher Creatur. Sie war hungrig und litt. So war es meine Schuld, ihr zu geben, sie zu heilen." "Sie wird hingehen und neues Uebel stiften, toedten und quaelen." "Der Tod ist kein Uebel," sagte der fremde Mann. "Der Geist, der widerstehet dem Uebel, der ist vom Uebel." Diese Antwort verstand Johannes nicht, aber sie quaelte ihn in seinem Herzen. Er sprach: "Deute mir das!" Der Andre sprach: "So Dich Jemand schlaegt und Du schlaegst ihn wieder, so ist der Schlag Dir nicht Unehre, aber dass Du zurueckschlaegst und also Boeses vergiltst mit Boesem. So ist das Boese an sich nicht boese, aber es boese _macht_ in seiner Wirkung, sind Boese." Johannes sprach: "Soll ich einen Mann nicht toedten, der Andre toedtet? Wuerde Mord und Todtschlag nicht ueberhandnehmen in der Welt, so Solches ungestraft bliebe? Jeder thun koennte, was ihm gefaellt, sein boeser Muth ihm eingiebt gegen seinen Naechsten?" Der Fremde sprach: "So es sein boeser Muth thut, ist es seine Natur. Alles, was in der Natur ist, ist von Gott. Der Mensch kann nichts dagegen. So Du aber schlaegst _gegen_ Deine Natur, ist es Dir Suende, groesseres Unrecht denn dess, der Dich geschlagen." Er sprach: "So werden alle Boesen fortab triumphiren und straflos sein. Die Guten muessen nur dulden und ertragen." Der Fremde sprach: "Dulden und ertragen ist nicht boese. Selig sind, die das erkannt haben! Aber es ist dem Menschen schwer, zu erkennen, und Wenige sind, die es fassen hier im Leibe. Das Fleisch ist schwach in ihnen. Der Tod scheint bitter dem, der kraeftig ist und sich bewegt." "Der Tod ist immer bitter," sagte Johannes. "Das ist auch gegen die Natur des Menschen." "Weil sie die Natur nur halb erkannt haben," sagte der Fremde. "Sie wissen, dass sie sterben muessen, aber sie wissen nicht, was hinterher kommt. Sie sehen, so lange es hell ist. Aber die Nacht lebt auch, hat Farben und Formen. Nur sie sehen sie nicht. Sie nennen das Eine Leben und das Andre Tod. Und der Tod ist Leben, eins so gut wie das Andre. Alles ist Leben. Es ist ein Neugebaeren in jeglichem Sterben." Der Fremde sagte ihm ein andres Gleichniss und sprach: "Die Menschen rechnen die That, die Gedanken sehen sie nicht. Sie koennen die Gesinnung nicht lesen, die im Herzen ist. Die That ist nicht besser wie der Gedanke. Sondern er war der Erstgeborne und wirkt weiter. Die Suende ist geboren, ehe die That That wird. Es ist nicht mehr Suende im Thun wie im Wollen. Zu diesem aber sprach die Schlange. - Und der Stolz ist der Urgrund alles Uebels." Er sprach: "Wie deutest Du das?" Der Fremde sprach: "Da der Mensch anfing zu mischen von seinem Willen in den grossen Gang des Wollens, der der reine Strom und Urquell des Lebens ist. Er sprach - und er sollte hoeren. Er dachte, wo er sehen sollte. Ein Kleines, Staubgebornes, Willkuerliches will stehen, wo das Grosse, Ewige, Gesetzte steht." Er sprach: "Widerspricht nicht Solches der eignen Adligkeit und Freiwilligkeit des Menschen?" Darauf antwortete der Fremde: "Mit nichten. Sondern ist es nicht edler, das Gesetz in sich selbst zu erkennen und ihm folgen, als sich von aussen verschreiben lassen, Buchstaben zu gehorchen. Das ist Sklaventhum. Das Andre Adliger und Freigeborner." Johannes sprach: "Wie kann das Gesetz fuer Alle dasselbe sein, so doch der Menschen viele sind und Millionen, Jeder anders geht wie der Andre?" Er sprach: "Es ist auch nicht dasselbe Gesetz fuer Alle. Haendewaschen ist nicht dasselbe, Kleidertrachten und Fasten ist nicht dasselbe, Goetter von Stein und Goetter von Erzen. - Aber Alle, die suchen, finden wohl den Weg." Da erschrak Johannes in seinem Herzen und sprach: "Die alten Weisen haben wohl gelehrt. Sie dachten, sie haetten die Weisheit gefunden. Und waren Edle. Tiefe Worte kamen von ihren Lippen. Buddha und Mohammed sind gekommen. - Wie sagst Du, Einer ist wie der Andre?" Er sprach: "Alle diese sind gegangen und haben gefunden. Unschuldige Kindlein finden auch, kleine Blumen und Kraeuter. Es fuehren viele Wege. Aber unselig sind, die stehen bleiben und nicht gehen um der Dornen willen und Steinbloecke." Damit wollte er weitergehen. Aber der Andre hielt ihn an in grosser Angst seines Herzens, flehte ihn an und bat: "Gieb mir ein Zeichen." Er sprach: "Kein andres Zeichen habe ich als dies: Die Blinden werden nicht blind sein, ob sie gleich blind sind. Die Lahmen werden gehen koennen und eilen, ob sie lahm sind, festgekettet an ihr Lager. Die Armen sind reich und ihr Reichthum ist koestlicher denn aller Reichen. Die Todten sterben nicht und leben, ob sie gleich gestorben sind. - Ein Kind findet es in seiner Einfalt. Den Weisen und Maechtigen aber bleibt es verborgen." Er sprach: "Sage mir nun noch dies Eine. So Einer Suende gethan hat, ist er nicht schlimmer denn Einer, der keine gethan hat? Warum denn sollten wir nicht Alle suendigen und froh sein?" Er sprach: "So Du sie thust, ist es Dir Suende. Die Andern aber gehen auch nicht verloren. Der Hochmuth ist das Aergste der Uebel. Freude war ueber den, der Busse thut vor neunundneunzig Gerechten. Der verloren war und heim kam, fand ueber dem der zu Hause geblieben, niemals irrte." So liess er diesen und ging von ihm weiter in der Abenddaemmerung. DAS ELFTE KAPITEL. Es war Fritz Kuhlemann, der ihm diese Botschaft schickte: "Die ausgehen sollten, wohnen in reichen Haeusern. In steinernen Kirchen ist das Wort verschlossen fuer bloede Mengen am Sonntagmorgen. Die Maechtigen missbrauchen Deine Worte fuer ihre Zwecke. Man fuehrt Kriege in Deinem Namen. Ungerechtes Gericht ist gesprochen unter dem Zeichen der Liebe. Der Arme geht hungrig. Der Niedrige ist verachtet. Der Suender stirbt nachher wie zuvor. Was ist Deine Heilsbotschaft an die Welt?" Er sprach: "Siehe zu, was ich thue: "Soll ich Krieg fuehren, um die Welt zu ueberzeugen? Der Hass waere schlimmer denn zuvor. Die Sklaven von heute waeren grausamere Herren, als die Herren von gestern. "Soll ich Gesetze geben, neue Ordnung erfinden? Dies Gesetz waere gut, aber die Menschen sind schlecht. Unter der guten Ordnung bliebe die wilde Wueste. "Vielen ist es gesagt, aber Wenige hoeren. Allen ist es ein Schlachtwort und Wenigen Frieden. Einige finden, weil sie von Anfang an hatten, und Viele, die suchen, finden niemals. Schrecklich und scharf ist es, wie ein Schwert, das durchbohrt, suesse Milch, die ganz junge Kinder trinken." Er war aber auf einem Schiff, wo er dies sagte, dass er sich uebersetzen liesse von einem Ufer zum andern. Und es war ein Mann neben ihm, der ein Tuch mit Samenkoernern eingebunden hatte, die er saeen wollte auf seinem Acker. Er sprach zu ihm: "Gieb mir von Deinen Koernern." Der Mann sprach: "Nimm so viele, wie Du willst?" Er nahm eine Handvoll und streute sie auf das Wasser. Sprach der Mann zu ihm: "Wie kannst Du solches thun, so doch das Wasser die Samen nicht haelt und austreibt?" Er sprach: "Sollen sie keimen, wird es sie schon tragen, wo sie Wurzel finden. Die Erde ist nicht besser denn das Wasser. Wo ein Same leben soll, muessen tausende sterben." Und es war ein Buckliger auf demselben Schiff, der war ganz verwachsen. Alle Knochen seines Leibes standen schief und sein Gesicht war scheusslich anzusehen mit schielenden Augen und einer platten, queren Nase. Derselbe sprach zu ihm: "Meister, es ist recht, was Du sagst, dass alle Menschen gleich sind, und ist nicht Einer schoen und der Andre haesslich, Jener klug und Dieser thoericht. So sage auch diesen, dass sie mich schoen finden, und lobe meine Verwachsenheit, die keine Missgestaltung mehr ist." Er sprach zu ihm: "Was habe ich mit Dir zu schaffen? Ganz haesslich bist Du und schauerlich anzusehen. Was wagst Du zu hoffen von der Schoenheit, die Du beleidigst, und woher kommt Dir der Muth, der Du feige bist und ganz niedrig." Trieb ihn von sich mit harten Worten und sah wieder in den Fluss, darin die Landschaft sich spiegelte im klaren Wasser. Aber sie hoerten es nicht gern. Die, die das hoerten, fuhren fort, das Volk zu reizen zur Gewalt, um die Machthaber umzustuerzen, oder System und Lehrsaetze zu erfinden, die Alles gerecht machen sollten, dass Jeder seine Fuelle haette, kein Unfrieden mehr sei in der Welt. Diesen liefen Viele zu. Sie hatten ein grosses Gefolge hinter sich, die sagten: "Morgen kommt der grosse Zusammensturz. Wir werden dann essen, die wir jetzt hungrig sind. Wir werden herrschen, die dienen. Wir sind Viele und sie sind Wenige. Lasst uns uns zusammenrotten und laut schreien, dass wir sie uebertaeuben und ihre Stimmen mit unseren Stimmen, die zahlreicher sind und lauter schreien." Gewaltig erscholl die Stimme Fritz Kuhlemann's aus der grossen Stadt. "Gebt Eure Gueter und verlasst Eure stolzen Palaeste! Gebt Eure Macht auf, Ihr Herren und Regierenden! Lasst uns gute Gesetze haben und nicht mehr unsre Frauen und Maedchen verkaufen zu Laster und Unzucht! Wir wollen keine Kriege mehr und keine Hungersnoth. Wir wollen Alle arbeiten und essen. Einer soll sein wie der Andre, Keiner Koenig und Keiner ein Bettler. Unsre Frauen sollen gleichgeachtet sein wie wir und unsre Toechter wie unsre Soehne. Wir wollen gluecklich sein auf dieser Welt und Kinder zeugen. - Denn was nachher kommt, wissen wir nicht, Niemand kann an gegen den Tod." Ein junger Mann kam zu dem Fremden. Er wollte mit ihm ueber seinen Seelenzustand sprechen. Er sagte: "Ich habe immer ein untadeliges Leben gefuehrt. Von Lastern und verbotnen Dingen habe ich mich ferngehalten. Ich habe versucht, meinen Geist zu bilden mit allem Wissen und der Bildung unsrer Zeit. Ich habe meine Lehrer in Ehrfurcht gehalten und meinen Eltern gehorcht. Gegen Niedrigstehende bemuehe ich mich hoeflich und gerecht zu sein. Es fehlt meinen Leuten an nichts. Sie haben ihre Gebuehr und ueber Gebuehr. Ich bin allgemein angesehen und hochgeachtet. Wenn ich ein Weib nehmen will, wird Niemand zoegern, mir seine beste Tochter anzuvertrauen. Ich werde sie unschuldig, wohlgebildet und von gutem Ruf nehmen, wie ich selber bin. Es klebt kein Staeubchen an meinem Vermoegen. Alles ist auf ehrliche Weise erworben und von meinen Voreltern langsam erarbeitet. Kein Blutrichter faende einen Flecken daran. Niemand ist von mir um einen Pfennig betrogen. Dem Staat zahle ich puenklich, was ihm zukommt. Ich betheilige mich an allen Wohlfahrtseinrichtungen und gemeinnuetzigen Anstalten. Die Leute auf meiner Besitzung sind gluecklich gepriesen von Allen. Sprich nun selbst, bin ich vollkommen so und nach Deinem Sinn?" Er sprach: "Du sagst, dass Du Gueter hast. Nimm Deine Gueter, den letzten Pfennig, den Du besitzest, und gieb ihn den Armen, den Bettlern und den Hunden." Der junge Mann ward sehr traurig und ging von ihm. Er sah ihm lange nach, denn er war ein trefflicher junger Mann, licht und schoen von Ansehen, der das Gute suchte. Darauf sprach er: "Der Reichthum ist schlimmer denn die Wollust, die Wollust giebt fuer Andre. Er denkt nur an sich. Auch thut der wohl eher Busse, der grobe Suende thut, denn der angesehen ist vor aller Welt und niemals fiel. Ach es ist schwer! schwer fuer einen Menschen, der viele Gueter hat, dass er das Gute finde!" Nun sprach Jemand aus seiner Umgebung zu ihm: "Was nuetzt es den Armen, so Einer giebt? Es kaeme wenig auf Alle. Morgen waere dasselbe wieder, dass Einige nichts haetten und Andre mehr." Er sprach: "Es ist nicht um der Armen willen. Wenn er es auf's Meer wuerfe, die Wellen truegen es fort, waere es ihm ebenso gut. Siehst Du nicht, dass seine Gueter wie eine Mauer stehen zwischen seinem Thun und dem freien Wollen seiner Seele? Alle seine Liebe bleibt eingeschlossen und wird ersticken in ihm, ohnmaechtig und schlaff werden. Nur weil er reich ist. - Der Arme liebt wohl leichter. Er hat dafuer Neid und Niedrigkeit als seine Feinde. Die Seelen, auf denen das Joch lange liegt, werden niedrig. Und die wahre Liebe ist stolz und eine Koenigin. Aber die begehren, sind Sklaven. Nur der nichts mehr begehrt, ist ein Vornehmer und ein Fuerst." Wenige verstanden dies und Viele murrten darueber. Einige sagten, er liebt nur die Armen. Die Andern fanden, dass er ein Reactionaer sei und es mit den Hohen nicht verderben wollte. Es gefiel ihnen auch sehr, ihm schwierige Fragen zu stellen, weil sie ihn fangen wollten in den Antworten. Und er schickte sie ihnen zurueck, fragte: Was _willst_ Du thun?, dass sie selber sich antworten mussten, beschaemt standen in ihrer Nacktheit und List. So war ein Mann, der ein Eheweib hatte, die ihn betrog. Er kam zu ihm und fragte, ob er ihr verzeihen sollte? "Das Gesetz erlaubt mir, mich von ihr zu trennen, sie zu strafen an Gut und Habe. Die allgemeine Meinung und meine Staerke wuerden mir wohl gestatten, sie zu toedten. Das erste ist Gerechtigkeit, das zweite Rache." "Und Deine Liebe?" "Aber sie hat meine Liebe verrathen. Alle Zaertlichkeiten, die ich ihr erwiesen habe, sind vergessen. Sie hat Kinder von mir gehabt. Ich habe ihr Ehre gezollt als dem Oberhaupt meines Hauses. Ihre Schoenheit erfreute mich. Ich gab ihr genug, um sich zu schmuecken. Keiner ihrer Wuensche, den es in meiner Macht war zu erfuellen, blieb unerfuellt. Ich liebte ihren Verstand, ihre Art sich auszudruecken, die Weichheit ihrer Stimme, die Liebesbezeugungen, die sie mir erwies, und dadurch Neigungen in mir erweckte, ihre Schuechternheit und Huelflosigkeit selbst." "Und ihre Seele? - Hast Du ihre Seele geliebt? Was in ihr schwach war und arm und nach Huelfe schrie? Ihre Zoegerungen, den Glauben an Dich, Deine Vollkommenheit, die nicht war, diese verzweifelte Liebe, die im Fleisch suchte, was in Deiner Seele fern von ihr war, - Deine Seele, die sich nicht mit ihr vereinigen konnte. Die sie in die Arme eines Andern fliehen machte, der sie noch ungluecklicher liess? - Diese arme, nackte frierende, beschaemte Seele, hast Du sie geliebt?" Auch der verstand ihn nicht. Viele Leute sagten nun: "Er ist nachsichtig fuer die Suenden des Fleisches. Huren und Luestlinge sind ihm recht." "Die Suenden der Wollust sind traurig," sagte er. "Sie tragen ihre Strafe in sich. In dieser Traurigkeit, die nachher kommt von der Unvollkommenheit der Liebe, dass es nur wieder Unvollkommnes ist, was sie gebaert. Die Unreinheit ist das Gift, das Alles vergiftet, das ihr naht. Es giebt keine Schoenheit mehr fuer den, der faul sieht. Sie lieben nicht, die sich der Leidenschaft hingegeben haben. Das ist eine eiternde Krankheit, Wuermerfrass der Seele." "So waere es also besser, ganz keusch zu sein, keine Kinder mehr zu zeugen und dass die Welt aufhoerte?" fragte Einer. Er war ein Mann, der im Laster gelebt hatte, und er wollte ihm eine Falle stellen, um zu sagen: "Welch' ein Unsinn!" Er sah ihn lange an. "Was weisst Du von der Keuschheit? Das ist die weisse Blume des Paradieses, das erste Gewebe aus den Strahlen der Morgenroethe. Wenige sind ihrer theilhaftig. Und ob sie nackt gingen durch den eklen Sumpf, er befleckte sie nicht. Alle Schande und Schmach kann ihnen nichts anhaben, _denn sie schaemen sich nicht_. Das ist das Hoechste, sich nicht zu schaemen. Weil die Scham in uns ist von der Suende." Aber Viele wollten, dass er sich deutlicher erklaerte. Er that es nicht: "Vielleicht begreifen nur sie es, die das Andre gekannt haben, durchgegangen sind durch den feurigen Ofen und im Feuer wieder rein wurden. Die irdische unvollkommene Liebe ist in sich ein Abbild der andern. Sie giebt die Sehnsucht. Die Sehnsucht schafft neues Leben - immer neues! Sie sind wohl die Ungluecklichsten, die nie geliebt haben. Sie sind unfruchtbar." Manche haetten gehofft, dass er mehr darueber sagte. Aber er hielt seinen Mund geschlossen und sprach nicht mehr den Tag. So setzten sie ihm zu mit vielen spitzfindigen Fragen. "Ich habe meinem Nachbar Geld geliehen. Nun will er es mir nicht wiedergeben. Ist er im Recht oder ich?" Er sprach: "Warum forderst Du es?" Es entstand da ein ganz laecherlicher Disput ueber die Ehre. "Wenn Einer mich geschlagen hat, muss ich ihn wieder schlagen?" Er sprach: "Ein Schlag und noch ein Schlag sind zwei Schlaege. Machst Du ein Loch damit zu, dass Du es doppelt weit einschlaegst?" Aber in seinem Herzen wurde es traurig ueber sie. Und er that seinen Mund auf und fing an zu wehklagen. "Arme! die Ihr reich seid, und Eure Gueter fressen Euch selbst, Geiz, Neid und Habsucht! Was Du zu viel hast, nimmst Du einem Andern, der zu wenig hat, und fuer jedes Ueberfluessige, das Du Deinem Leibe anthust, leidet ein Andrer Mangel. "Geht Ihr hin und gebt Theile, baut Krankenhaeuser und sammelt fuer Wohlfahrtsanstalten: Dies thue ich - und wollt Lob Eurer Nachbarn und Ansehen vor den Leuten, Ihr Heuchler! Wo Ihr nicht genommen habt zuvor, was brauchet Ihr zu geben? "Ihr sagt, dass Ihr sie hochbringt und streitet fuer die Freiheit Eurer Brueder, Gesetze, Unterricht und Buergerrechte. Was brauchtet Ihr Freiheit, wenn Ihr nicht Unfreie gemacht haettet zuvor, Eure Seelen nicht in Banden waeren des Geizes, des Trotzes, des Hochmuths, der Luege, der Traegheit und der feigen Angst? "Nach Macht trachtet Ihr selbst, wie Ihr Euch hochbaut vor den Leuten, dass sie Euch anstaunen moechten. Innerlich seid Ihr hohl. Ihr zehrt vom Kostbarsten, das Ihr habt. Und wenn der Tag kommt, dass man Euren Leib zu Grabe traegt, Eure Seele war todt in Euch lange vorher. "Ihr denkt, Ihr habt gefunden, darum sucht Ihr nicht mehr. Das Gesuchte ist weiter von Euch, denn da Ihr irrtet in Noth und Zagen. Ihr stopft die aeussre Wunde zu und der Brand frisst fort inwendig. Ihr seid stolz in Eurer Erkenntniss, Eurem Wissen, koestlichen Kleidern um Eure Nacktheit. Und wenn Ihr ganz nackt steht, kommt der Frost. Ihr erstarrt unter dem faulen Schimmer. Eure Herrlichkeit ist die der Eintagsfliege, Eure Groesse die des Maulwurfs, der seinen Erdhaufen aufwirft. "O Ihr Kleinen! Ihr Armseligen! Ihr Unglaeubigen! Wie ungluecklich seid Ihr in Eurem Gluecke! Wie erbaermlich in Eurem Stolz! "Die Kinder und Unmuendigen werden wissen vor Euch, die Kleinen, die Ihr verachtet habt. Das Lamm wird staerker sein denn der Loewe, der laut bruellt. Eine Jungfrau mit der Seide ihres Haares wird Koenigreiche leiten, die der Eisenfuss zertritt. "Wehe Euch! Wehe Euch! "Die Pflanzen wissen, die Felsstuecke. Die Wasser, die ihren Weg laufen. Alle Sterne, die gehen in ihrer Bahn. "Ihr werdet nie wissen, die Ihr klug seid. Ihr koennt nicht, die Ihr stark seid. Die wollen, werden niemals erreichen. Die kaempfen, siegen nicht." Solche Rede erbitterte Viele. Sie suchten ihn zu erhaschen. Aber er ging mitten durch sie hindurch und entwischte ihnen immer. DAS ZWOeLFTE KAPITEL. Es war Einer, der kam zu ihm bei der Nacht. Er war aber ein sehr vornehmer Mann des Landes, der Vornehmste und Reichste im ganzen Lande. Er hatte sein Gesicht im Mantel verhuellt, dass Niemand sein Gesicht erkennen konnte. Die Falten des Mantels verbarg seine Gestalt, dass es unmoeglich war zu sagen, ob er klein gewachsen war oder gross, breit oder schlank. Er war von weit gekommen mitten in der Nacht. Er kam zu Pferd und allein. Ein vertrauter Diener huetete sein Pferd, waehrend er hinaufgegangen war, mit ihm zu sprechen in der Nacht. Die Nacht war stuermisch und sehr finster. Man hoerte den Wind brausen. Er trieb die nassen Zweige der Baeume in grossen Packen gegen die Fenster, dass es klatschte und prasselte. Der Wind war gewaltig. Er fuhr ueber die Erde in einem weiten schwarzen Mantel, dessen unterste Schleppe die Erde fegte. Oben blies er in die Wolken. Sie flohen eilig wie wollige, furchtsame Schafe durch die Nacht. Der Wind zerriss sie in grosse Fetzen und jagte sie fort. Er freute sich, dass er so allein draussen war zu herrschen, orgelte sehr laut und blies ein Triumphlied des Trotzes und der Herausforderung ueber die Erde. Der Wind kam von den Eissteppen des Nordens und war ueber die See gefahren und sein Mantel hatte die Kaemme der Wogen aufgepeitscht, dass sie nach ihm schnappten und sich ueberschlugen in der Jagd nach ihm. Wie hungrige, graue Jagdhunde mit triefenden Lefzen liefen die grossen Wogen unter dem Winde. Aber sie fingen ihn nie. Er heulte und jauchzte. Manchmal packte er sie und wirbelte sie im Tanze, rund, rund, um einen spitzen, kreiselnden Trichter in der Mitte, wo er seinen Kopf versteckte. Er zerschnitt sie in glatten, gekeilten Furchen wie der scharfe Steven eines Dampfschiffs. Dann entschluepfte er ihnen wieder, sich ueberschlagend in der Luft. Sie machten verzweifelte Spruenge und warfen sich ihm nach an den Strand wie ungefuege Meerthiere mit nassen, schweren, aufklatschenden Leibern. Aber er lachte nur und schrie lauter und floh davon. Er heulte um die Fenster des Leuchtthurms, den die Menschen gebaut hatten, um der Fluth zu wehren, dass der Leuchtthurmwaechter erschrak in seinem Herzen: Ich will die Laterne fester stellen, denn heute ist Sturmnacht. Er blies dem Waechter die Capotte vom Gesicht und schrie laut auf vor seinem Fenster, wie ein Meervogel mit schwarzen, schlagenden Fluegeln. Dann fuhr er weiter. Er blies in die weissen Segel der kleinen Fischerbarken, dass sie umschlugen vor dem Wind, platt lagen wie elende, furchtsame Sklaven. Und er probte den stolzen Oceandampfer, der ruhig weiterschiffte in seiner geraden, majestaetischen Bahn. Auf dem Lande bekreuzten sich die Leute und machten die Laeden fester zu. Sie dachten mit Sorge an die Schindeln auf ihren Daechern, die schlechten Strohdecken der Scheunen. Der Wind fegte die Schindeln herunter. Er hob das Strohdach auf und fuhr in die Scheune, dass Alles aufstob, durcheinander wirbelte, wie wenn der Raubvogel in den Huehnerstall faehrt. Hui - hui - machte der Sturmwind. Im Gebirge koepfte er die Tannen und schleuderte sie kopfueber den Abhang hinunter. Von der offenen Bergseite, wo die neue Strasse lief, riss er grobe, rohe Fetzen und kollerte sie in die blanken Eisenbahnschienen mitten auf den Damm. Er polterte an den Pfeilern der Bruecken und peitschte die Weidenruthen am Ufer, die sich bis auf die Erde bogen, der Wind ist ihr Herr. Er war furchtbar. Ueber die Staedte der Menschen fuhr er. Sie schlossen die Laeden vor und zogen sich die Nachtmuetzen tiefer ueber die Ohren: Es ist Sturm draussen und gut, dass wir nicht im Freien sind. - Wo er Einen fand, der draussen war, schuettelte er ihm die armseligen Fetzen vom Leib und kaeltete ihn durch, dass der Frost in ihm blieb. Denn der Sturmwind war schrecklich und ein Feind der Menschen. Durch den Sturm und die Nacht ritt der einsame Reiter. Sein Gesicht war dicht verhuellt im Mantel. Sein Pferd schritt schnell, ausgreifend, mit der Regelmaessigkeit schoener, geuebter Edelthiere. Der Sturm versuchte ihm den Mantel vom Gesicht zu zerren. Aber er huellte sich nur noch dichter hinein. Ganz schwarz sah er aus. Wie ein schwarzer Schatten ritt er durch die Nacht unter dem heulenden Sturmwind. Der Diener folgte, stumm, wachsam, in einiger Entfernung. Der Reiter hoerte dem Concert des Windes zu. Es war ihm, als bildete es eine sehr hohe, erhabne und brausende Melodie. Aber er war zu weit entfernt und zu niedrig. Er konnte nicht verstehen, was der Sturmwind sang. Es war ein Lied vom Krieg, von Trompetenrufen und Pferdegetrappel, von wehenden Fahnen, Kanonendonner und knatterndem Gewehrfeuer - dann der Hurrahschrei des Siegers. Einer ritt allein im strahlenden Adlerhelm. Die Sonne seines Helms warf Strahlen. Ein weisses Pferd schritt unter ihm. Alle schrieen: Heil! Heil dem Sieger, dem grossen Koenig unter den Menschen, dem Gewaltigen! ... Es war der Orgelklang eines Doms. Alle Glocken laeuteten. Festguirlanden hingen. Frauen wehten mit ihren Tuechern. Weissgekleidete Maedchen trugen Blumen und sangen. Endlos war der Zug der Festtheilnehmer. - Der Hermelin hing um seine Schultern. In schweren Falten umfloss ihn der Purpur. Er schritt die Stufen zum Altar hinan. Hinter ihm rauschte der Mantel. Das Schwert stiess klirrend gegen den Marmor und der Priester im Ornat hob die lichte Krone, den wundersamen Reifen ohne Anfang, ohne Ende, wie die Schlange, die den Weltkreis haelt, funkelnd im Schmuck der Edelgesteine - des Rubins, der das Blut ist, Topase, koestlicher als Gold, der Herrschaft, und Smaragden, funkelnde gruene Augen der Edelkatze. - Und er war es, der gross und reich war, der Koenig war. Lieder von Ruhm und Macht sang der Sturmwind. Der einsame Reiter in der Mitternacht hoerte ihm zu. Er hatte sein Gesicht im Mantel verhuellt und ritt schnell, dass Niemand ihn kennen konnte. Als ein Fremder zu dem Fremden kam er mitten in der Nacht. Draussen tobte und fauchte der Sturmwind. Er strich dahin mit dem tiefen, surrenden Ton zu stark gespannter Saiten. Die Luft schwang und zitterte nach seinem Roehren. Die Erde aus ihren Eingeweiden antwortete gleich dem vibrirenden Resonnanzboden einer Violine. "Es ist Sturmwind und sehr finster," sagte der schwarze Reiter. "Ich bin zu Dir gekommen, um mit Dir zu sprechen ueber Dinge, die gefaehrlich sind zu nennen und sehr geheim. Darum komme ich in der Nacht. Sie ist furchtbar, diese Nacht!" "Es giebt einen Morgen," sagte der Fremde. "Das Licht wird sehr hell kommen. Wir werden Morgen haben bald." "Ich darf den Morgen nicht sehen. Ich habe grosse Eile, und dass ich hier bin, darf Keiner wissen. Das Licht nicht und nicht der weisse Nebel des Morgens, der dem Hahnschrei vorangeht. Durch die Nacht und den Sturm bin ich gekommen, weil es Nacht ist und Sturm in mir. Hoerst Du die Weisen draussen? Es sind alle Geister der tollen Vergangenheit, die los sind. Sie singen mir von Stolz und Sieg und Macht. Ich sehe sie Alle, die dies Haus umkreisen und mit mir hierhergezogen sind. Sie tragen Ruestungen von Eisen und gehen langsam vorueber. Die Letzten haben Purpurmaentel und Einige reiten auf herrlichen Pferden. Einer traegt sein Haupt unter seinem Arm. - Warum sind sie grauenhaft und traurig wie diese?" "Sie haben getoedtet," sagte der Fremde. "Sie haben genommen. Sie haben geraecht und gerichtet." "Aber Viele haben Gutes gethan. Sie haben Ordnung gestiftet. Sie haben geschafft. Die Kraft ihres Hirns haben sie gegeben und die Staerke ihres Arms. Sie waren Vaeter und Erbauer." "Des Vaters Amt ist ein schweres. Viele fuehrt in die Irre, der als ein Fuehrer selber irrt. So er dieser Geringsten einen aergert, besser waere es ihm, er verloere Leben und Leib. Der Baumeister, der nur einen Stein falsch waehlt, gefaehrdet den Bau." "Das ist schrecklich. - Sie waren Erwaehlte unter den Menschen. Die Gnade von oben hat ihnen geholfen." "Es ist schwer, dass ein Reicher das Himmelreich finde," sagte der Fremde. "Die Gnade wird dem Demuethigen." "Man kann demuethig vor Gott sein und stolz vor den Menschen. Gott hat Koenige eingesetzt." "Einen. Er hatte nicht, da er sein Haupt hinlegen sollte und ward in der Krippe gebettet." "Du denkst also, dass es ein Unrecht ist, ein Grosser dieser Welt zu sein?" "Es stehet geschrieben: Wer unter Euch will ein Herr sein, der sei Aller Knecht." "Das ist bildlich gemeint," sagte der Reiter. "Wer dem Ganzen dient, ist Aller Knecht." "... Und er nahm seinen Schurz und wusch ihnen die Fuesse," sagte der Fremde milde. "Das ist doch auch nur symbolisch." "Du glaubst, dass das Kreuz ein Symbol ist?" Der Fremde laechelte - ein trauriges Laecheln. Man sah eine Qual von zweitausend Jahren, versteinert gleichsam, wie lange gestorben, die lebte. Der Reiter sah ihn ungewiss an. Er zitterte. Der Sturmwind draussen blies zum Umwerfen. Und es war sehr finstre Nacht. "Gewissermaassen ja. Das Leben ist eine Art Kreuz. Wir haengen am Kreuz. Jeder, der den Kampf des Lebens ficht. Auch Unsereiner hat in sich zu kaempfen, mehr denn Andre. Du sagtest schon, die furchtbare Verantwortung. - Auf Einen faellt der Fehler. Es ist schwer, Recht zu scheiden vom Unrecht. Fuer dieses schwere Amt muesste man Vorrechte haben. Wer wollte freiwillig es auf sich nehmen?" "Glaubst Du, dass es Keiner moechte?" Der Reiter verwirrte sich. "Es muss doch sein, um der Ordnung willen. Es ist besser, dass das Festgefuegte bleibt. Einer, um den kein Kampf ist, der den Ehrgeiz nicht kennt, Neid, Niedrigkeit. Das Alles haftet dem Emporgekommenen an. Der Purpurgeborne kennt es nicht. Ist er nicht edler?" "Gottes Sohn hatte zu seiner Rechten mehr denn zehntausend Legionen Engel. Er liess sich binden und kreuzigen." "Er war der Edelste. Das ist nicht menschlich, das ist goettlich." Eine lange Pause entstand. Der Fremde hielt das Haupt geneigt. Es waren auf seiner Stirn rothe Spuren wie von Schaerfen, Spitzen, die eingedrungen waren. Er hatte Narben in den Haenden. Ein Schmerz, wie von einer schweren, nie geheilten Wunde schien in seiner Seite zu wohnen. Er legte die Hand in seine Seite. Er seufzte. "Und wenn ich es thaete?" fuhr der Reiter fort. "Wer haette den Vortheil? Ein Andrer, der kaeme und schlimmer waere, vielleicht weniger tief angelegt, - ein Leichtfertiger. Ein Tyrann. Wem waere geholfen? Und was ist Einer?" "Einer war und er that." "Selbst dieser Eine ...? Ist die Welt besser geworden? Die Formen der Unterdrueckung haben gewechselt. Vielleicht sind sie weniger roh. Sind sie darum weniger grausam? Ist Hunger, Krieg, Ungerechtigkeit verschwunden? Er war Gottes Sohn und starb vergebens. Wer bin ich?" Der Wind hatte einen neuen Einlass gefunden. Er stiess hinein wie in eine Trompete. Ein Fensterglas zersplitterte. Es klang wie Gelaechter, das Lachen von tausend Kobolden und Daemonen. Der Fremde antwortete nicht. "... Es koennte sein, dass Umwaelzungen kaemen," sagte der Reiter, "allgemeine, durch einen Umschwung des Denkens erzielte, langsam vorbereitete. Vielleicht kommt es so? Ich weiss nicht. Wem ist es gegeben zu erforschen? Man muss bleiben, wo man hingestellt ist, sich genuegen lassen, sein Bestes zu thun. Unsre Einsicht ist unvollkommen. Langsam nur geht die Zeit. Ich bin nicht ein Erloeser. Nicht ein Genie ... Ich thue meine Pflicht." Er hatte seinen Mantel wieder umgenommen. Er rief nach seinem Pferde. Diese ritten hinaus wieder in die Nacht. Ueber ihren Haeuptern fegte der Sturmwind. Er sang wilde, triumphirende Weisen. Hoiho - hoiho - triumphirte der Sturmwind. ------------------------------------- Er ging allein fort, bis er an einen grossen Wald kam und setzte sich daselbst auf einen Stein. Es war ein sehr alter Wald aus lauter hundertjaehrigen Baeumen, Eichen mit seltsamen verknoteten, verknoecherten Staemmen, die da wie Vorweltriesen standen. Unten waren sie schon abgestorben, aber oben trieben immer wieder frische gruene Zweige mit krausen Blaettern und Eicheln. In einige war der Blitz gefahren. Sie trugen seine Spur wie ein breites kohlschwarzes Band vom Wipfel zur Wurzel. Da war alles Leben versengt, aber die andre Seite gruente noch und breitete Aeste. Alle standen da in einem geheimnissvollen Kreisring. Nicht zu nahe bei einander, weil sie sich sonst gestoert haetten im Wachsthum. Um den engeren Ring lief jedesmal ein weiterer. Seine Staemme standen in den Zwischenraeumen zwischen denen des Ersten, so dass es von innen anzusehen war wie eine hoelzerne geschlossene Ringwand, aus lauter Staeben, dass man nicht unterscheiden konnte, wo der Wald aufhoerte oder anfing. Aber zwischen den einzelnen Kronen fiel breit der blaue Himmel durch. Der Boden war mit hohem, gruenem, sehr feinem Gras bewachsen. Man konnte gehen in den Abstaenden der Ringe wie in einer Wandelbahn. Es war schattig und doch hell. Die Rinde dieser Baeume war rauh, borkig, mit starken, eingeborstnen Abschilferungen wie die maechtigen Dickhaeuter. Moose wuchsen aus ihr in grauen Haengebaerten. Knoten und Buckel hatte das Alter gebildet, schwaerzliche Warzen, in denen die Saefte sich schwaerend stauten. Die Aeste kamen wieder, verrankten und verschlangen sich in seltsamer Weise. Keine Regel schien da mehr zu herrschen, nur Laune, grimmige, kauzige Spottsucht des Alters. Die Wurzeln liefen sehr lang mit Knollen und Armen. Sie veraestelten und verwoben sich auch ineinander. Einige Staemme hatte man abgehauen. Aber die Stuempfe waren geblieben. In deutlichen Ringen stand ihr Leben geschrieben. Kleines Buschwerk, Gepilze, schoss und trieb um die Todten. Man sah ihre Wurzeln, die weiss wurden, abstarben. Doch maechtig mit starken Fibern und Adern wie Gespinnste einer untergegangenen Hexenwelt. Grosse Steine von alten Heidenzeiten her lagen in der Runde. Jedermann wusste, dass man diese Steine nicht anruehren durfte. Es lagen grosse Helden der Heiden darunter begraben und sie waren blos verzaubert und nahmen es uebel, wenn man sie reizte. Dann kamen sie hervor aus ihrem Grabe, schlugen mit ihrer Zauberkraft Mensch und Vieh. Manche erzaehlten, dass sie zu Zeiten ein weisses Ross da haetten grasen sehen, ohne Zaum und Sattel, von wunderbarer Farbe und Sanftmuth. Aber wenn man es anrufen und fangen wollte, wurde es schwarz, Feuer spruehte aus seinen Nuestern. Das war das Schlachtross des Heidenkoenigs. Auch von einer wundersamen Frau erzaehlten sie. Er hielt sie dort gefangen mit sich im Tode, die im Leben seine Braut nicht gewesen war. Denn zu den Zeiten waren Maenner; solcher liess ein Weib nicht und ob er sie im Sturm geraubt. Der alte Heidenkoenig hielt sie im Grabe, und des Nachts stand sie auf und ging zu ihrer eigentlichen Heimath und ihren Kindern, dem weisen, guten Koenig, dem sie angehoerte. - Aber des Nachts und wenn es finster war, hielt sie der Andre, der sie geraubt mit seinem Leben. Und man fand, dass es so recht war im Volke, weil er den Blutpreis gezahlt um sie. Es war darum im Herzen der schoenen Frau, dass sie nicht widerstehen konnte, wenn er sie zu sich rief auf sein hoellisches Bett des Nachts. Aber sie war unselig und klagte. Oft hoerte man ihre Klage widerhallen im Mittag, zu Stunden des Tags, wenn die Luft lau und lind war. Sie klagte, dass der gute Koenig, ihr Mann, gestorben war, alle ihre Kinder und spaete Enkelkinder. Ihre Seelen waren zu Gott oder zum Teufel, je nachdem sie thaten, recht oder unrecht gehandelt im Leben. Sie auch war laengst todt im Leibe; nur ihre Seele konnte nicht sterben um der suendigen Leidenschaft willen, die sie festhielt an dem starken Helden. Aus solchen Klagen der weissen Frau hatte man ein Lied gemacht. Knechte und Maegde sangen es oft bei ihrer Arbeit. Es war ein Lied des Landes geworden, von der armen Seele, die nicht sterben konnte, weil sie noch immer liebte. Ihre Liebe war vom Teufel und starb doch nicht. Weil er so stark gewesen war und so schoen, der tapferste Held der Heiden und ein Wunder, der Koenig, vor den Leuten. Jedermann wusste, dass sie nie den Frieden finden konnte. Sie war wie eine unselige Seele zwischen Himmel und Erde. Der Heidenheld kuesste sie heiss und wach wieder, jede Nacht, wenn sie muede war und kalt, endlich sterben wollte. Der Fremde sass auf dem Stein und schrieb in den Sand mit seinem Stabe. Er folgte den krausen Runen der Wurzeln. Buchstaben und Worte bildeten sie, seltsame Worte von tiefer Meinung. Er folgte ihnen in jede ihrer fliehenden Curven, bis sie sich die Haende reichen, neues Spinnen begann. Wo sie aufhoerten im Baumstamm, wurden sie sehr stark, wie starke Leiber mannbarer Maenner, und standen wie Thuerme, die nichts umwirft. Der Blitz war an ihrer Seite hinabgefahren. Er auch hatte seine Schrift gelassen. Da war die Schrift des Blitzes, der Jahre, des Regens, uralter Zeiten. Ein Salamander schluepfte zwischen den Wurzeln vor, schwarz und gelb gesprenkelt. Er sah den Fremden an mit blanken, klugen Aeugelchen, die wie Kugeln aus seinem platten Kopfe sprangen. Man sagt von ihm, dass er fest bleibt im Feuer. Wer den Salamanderkoenig faengt, steht unversehrt mit ihm mitten in den Flammen, alle Schaetze der feurigen Tiefe sind sein. - Denn der Molch ist der Koenig des Feuers, derer, die haemmern ohne Unterlass im Gestein, Zwerge, neidischer, ungefueger Riesen und Drachen. Rothes Gold hueten sie, funkelndes Edelgestein, unerhoerte Schaetze, von denen die Menschen blind werden und roth sehen in bebender Gier. Eine schwarze Amsel kam und lief emsig hin und her. Sie blieb stehen und horchte. Dann lief sie wieder, pickte anklopfend, neigte den Kopf und hob ihn. Man sagt, dass diese Amsel Alles weiss, die Sprache der Voegel und der Baeume, wie die tiefsten Sorgen und Geheimnisse des menschlichen Herzens. Wer ihrer Weisheit zuhoert, vergisst Essen und Trinken. Wenn er zu sich kommt, ist sein Haar weiss und sein Herz vertrocknet in ihm, wo er jung war, lieben und lachen konnte, da er zum ersten Mal die teuflische Weisheit der Amsel und ihren Spruch vernommen. Zwischen den Staemmen wob eine Kreuzspinne. Sie wob emsig, klebrige Faeden ziehend und feuchtend mit hebenden Beinchen. Nach rechts und nach links und in Strahlen von ihrem Mittelpunkt aus. Dann verbanden die Strahlen wieder andre kreuzende Faeden. Auf und ab wob die Spinne netzend und anziehend, wie sie Faden auf Faden spann. Die Kreuzspinne dachte: "Dies Gewebe ist meine Welt. Ich habe es Alles allein gemacht aus mir selbst. Hier haenge ich zwischen Himmel und Erde. Sie koennen mir nichts anhaben von oben oder unten. Denn ich bin die Sonne, die scheint in der Mitte. Alles, was auf ihren Strahlen laeuft oder sie kreuzt, ist mein. Sein Blut naehrt mich. Ich werde fett und satt von ihrem Blut. Ich bin die fetteste Kreuzspinne im ganzen Wald. Mein Gewebe ist unzerreissbarer wie die starken Bastfaeden der Baeume." Der Fremde sass und zeichnete im Sand. Alsbald kam des Wegs ein sehr alter Mann, dem der Wald gehoerte. Er war so alt, dass er nicht mehr gerade gehen konnte, sondern sich auf einen Stock stuetzen musste. Aber sein Ruecken war breit und maechtig in dieser Kruemmung, als ob er eine Weltlast tragen koennte. Sein Haar und Bart war schlohweiss, von Schnee, der nie mehr schmilzt in ewigem Winter. In seine Haut hatten die Jahre Furchen gegraben wie in einen Acker. Zaeh und hart war sie, von der Sonne vielfach verbrannt, dass ihre Farbe der ungegerbten Leders glich oder Pergamenten uralter Schriften. Wo die Adern sich unter ihr kreuzten, bildeten sie starke, hervortretende Knoten. Sie liefen auf seinen Haenden wie Stricke, versteinerte Gaenge einstiger Canaele, in denen kein Blut mehr fliesst. Wohl hundertjaehrig war dieser Mann. Aber seine Augen gluehten und leuchteten vom Feuer, das nicht stirbt. Wie Steine waren sie, die erstarren machen die, die darauf sehen, staehlerne Spiegel, dass die Seele und die geheimsten Gedanken des Mannes, den er anblickte, offen lagen gleich einer Thuer ohne Hueter vor dem Alten mit den furchtbaren Augen. Wenn er die Brauen zusammenzog, war sein Zorn so schrecklich, dass die staerksten Herzen zusammenschmolzen vor ihm, ihr Wille war unter seinem Willen wie eine zappelnde Maus, eine winzige, verwickelte und verwirrte Fliege. Wer diesem Mann nahte, der verfiel ihm mit Leib und Seele. Und er nahm ihre Leiber und sog ihre Seelen ein. Darum war er gross und stark, wunderbar vor Allen und sehr alt, so dass die Leute ringsum sagten: Er wird nicht sterben. Er aber wusste sehr gut, dass er sterben musste. Darum huetete er den tausendjaehrigen Wald, liess keinen Stamm schlagen, dass er stehen sollte, gruenen und Fruechte tragen tausend Jahre nach ihm. Der alte Mann ging auf seinen Stock gestuetzt und sein Hund folgte ihm. Es war ein grosser, grauer Hund vom Geschlecht der Bulldoggen, die keine Furcht haben vor Mensch oder Thier, riesenhaft und ausgezeichnet unter Seinesgleichen, schwer tretend und sehr alt schon, wie sein Herr war unter seinen Gesellen, Herren und Fuersten ringsher. Etwas vom Ausdruck des Mannes war im Ausdruck des Hundes. Diese Beiden verstanden sich ohne Wort oder Zeichen. Wo sein Herr ging, folgte ihm der Hund. Wenn er des Nachts schlief, lagerte sich der Geselle vor seinem Lager. Es war unmoeglich zu diesem Lager zu gelangen, ohne den Leib des Hundes zu beruehren, der aufsprang, in einem einzigen Gurgelgriff den Eindringling beendigt haette, dann legte er sich wieder nieder und leckte seine Tatzen. Denn so furchtbar und gefaehrlich dieser Hund war fuer Menschen und Thier, so gehorsam und gefuegig war er seinem Herrn, dass er das Wunderbare seines Eindrucks erhoehte, der Ruhm des Hundes gross war wie der seines Herrn, in dieser Gegend, wo man sie fuer Koenige hielt und Wesen ueber dem Maasse des Irdischen und Staubgewordnen. Der alte Mann war vor dem Fremden stehen geblieben und sah ihn an. So gross war das Feuer der Sehkraft in den Augen dieses alten Mannes, dass es wie Flammen zuengelte und emporschlug an dem Andern. Einen Sterblichen haette dieses Feuer verbrannt. Aber der Fremde sass ganz still, zeichnete mit seinem Stab im Sande. "Wer bist Du?" fragte der alte Mann, dem der Wald gehoerte. "Ich bin Der, der gewesen ist und nicht stirbt." "Nichts ist gewesen von Anfang, und Alles stirbt," sagte der alte Mann. "Es ist Niemand, der nicht stirbt." "Nichts, das gewesen ist, stirbt," sagte der Fremde. "Buddha ist gestorben, Alexander und Caesar. Was ist geblieben von ihrer Weisheit, ihrem Glanz, ihrer Staerke?" "Die Amsel, die laeuft. Der Molch, der wacht. Die Spinne, die spinnt." "Du sprichst sehr thoericht," sagte der alte Mann. "Jene waren Helden und Weise. Diese sind arme, geringe Thiere." "War ihre Weisheit vorsichtiger denn die des Vogels? Ihr Reichthum groesser denn der der Eidechse? Ihr Werk bleibender als das der Spinne?" "Sie rechnet nach Tagen. Wir zaehlen Aeonen. Sein Reichthum ist Spukwesen. Die Weisheit des Vogels ist der rohe Instinkt der Natur. Wir finden die schwersten Regeln und loesen das Innere der Menschheitsgeschichte." "Euer Wesen ist Spuk und Eure Weisheit ist Spreu. Sieh, wie ich es zerreisse!" Der Fremde schlug mit der Hand in das Spinngewebe und zerriss es. Die grosse Spinne fiel. Er setzte den Fuss darauf und zertrat sie. Der Salamander duckte sich unter die Wurzeln. Die Amsel entfloh huepfend. "Ich fuerchte den Tod nicht," sagte der alte Mann stolz. "Ich habe das Leben getragen und es ist schlimmer zu tragen als der Tod. Allen Reichthum und alle Macht habe ich gehabt. Und ich war ein Sklave, aermer wie der aermste Tageloehner. Der Tag, da ich vor meinem Hause stand und Kohl pflanzte, war mein gluecklichster Tag. Kaiser und Koenige habe ich gekannt. Ich habe an ihrem Tisch gesessen und mit ihnen gegessen. Sie waren wie die Gummibaelle in meiner Hand, Seifenblasen, die die Kinder auftreiben und zerblasen. - An meinem Stab bin ich hierhergegangen. Ich habe die ganze Welt besessen und konnte mein Thor zumachen vor der Welt, Eifersucht, Noth, Neid, Hass habe ich getragen, Undank, der schlimmer ist wie der giftige Zahn der Natter. Er hat mich nicht angefochten, mehr denn Jubel, Ruhm, Liebe der Weiber, fluechtige Tropfen des Bluethenoels, die verfliegen. - Hier bin ich ein sehr alter Mann. Die Zeit habe ich ausgehalten und ich gruesse den Tod, denn ich bin muede vom Leben. In mir ist Alles todt, was lebendig gewesen. Ich liebe die Welt nicht und ich hasse sie nicht. Alles ist eins, und so gut als waere es nie gewesen. Wenn etwas nachher ist, werde ich es tragen. Niemals werde ich gluecklich sein und niemals klagen. Ich bin vom Geschlecht der Riesen hier, der Tausendjaehrigen. - Was bist Du gekommen mich zu stoeren in meiner Oede? "... Ich habe Zeichen am Himmel gesehen," sagte der alte Mann, "und Goetter. Es waren andre Goetter vor ihnen, groesser und gewaltiger als Du. Sie hassten und liebten, sie sangen und schlugen. Vielleicht schlafen sie, vielleicht sind sie todt. Lass mich schlafen bei meinen todten Goettern! - Sie rafften und wussten und sammelten Schaetze und schufen Welten fuer Zeiten und Jahre. Sie waren Goetter und sind wie Menschen. Ich gehoere zu ihnen. Du bist nicht meiner." "Du wirst mich kennen." Der alte Mann legte eine Hand vor die Augen und beschattete seine Augen mit der Hand. Wie ein Schatten ging es ueber seine Augen. "Ich traeumte von Einem ... Es ist lange, lange her. Der da kommen sollte ... Ich weiss nicht, ob er vom Himmel ist oder von der Erde? Du bist Fleisch. Aber Dein Fleisch hat den Tod gesehen. Du bist ein Koenig und kommst im Kleide des Bettlers. Du koenntest toedten und Du streckst die Hand aus, um zu bitten. ..... Aber kannst Du lieben? Kannst Du lieben wie wir?" "Ich bin fuer Dich gestorben. Aus Liebe zu Dir bin ich Fleisch geworden und ich habe gelitten. Es ist die Liebe, die mich lebendig macht vor Deinen Augen." Der Alte hatte sich vorgebeugt. Seine Augen drohten den Fremden zu verschlingen. Sie bohrten sich sehr tief in sein Gesicht und schienen seine Seele zu fassen in ihren Tiefen, wo sie nackt lag: "Wohl - wohl - Du bist gut und barmherzig. Es giebt die Schuld. Und es giebt die Nacht. Ueber Schuld und Nacht - - Kannst Du lieben dahinueber?" "Ich kannte die Nacht des Todes. Und ich bin in der Hoelle gewesen." "In der Hoelle ... In der Hoelle ..." Der alte Mann beugte sich noch weiter vor. Seine Augen schienen sich hineinzufressen in die des Andern, zu ringen - zu ertrinken. Er athmete hart. "Wo die Flammen steigen zum naechtlichen Himmel, die Starken schmachten in Ketten und Banden - -" "Wo die Flammen steigen zum naechtlichen Himmel, die Starken schmachten in Ketten und Banden ... Einer ist, der Starke der Starken, der Stolzesten Stolzer ... Einer - -" "Keiner ist denn ich. Er ist Ich, Ich bin Er. Sieh mich an und verstehe!" Der alte Mann hatte einen Schritt vorwaerts gemacht. Wie ein Blitz an der Eiche glitt er hernieder. So fiel er um und war todt. Der Fremde drueckte ihm die Augen zu. Er machte das Zeichen des Kreuzes ueber ihn. Er lag da in seiner ganzen, riesigen Laenge, die tausendjaehrige Eiche, die tausend Jahre gestanden hat und faellt. Der Hund hielt die Wache neben dem Leichnam. Er sass still und gerade, den Kopf hochgerichtet, die Vorderpfoten nebeneinander gestellt, wie steinerne und eherne Hunde sitzen auf alten Grabmaelern. Der Salamander lugte aus seiner Wurzelspalte. Die Amsel huepfte und beschrieb seltsame Kreise. Die Spinne wob ihr Netz. Niemals wieder im Zauberwald hoerte man die Klage der weissen Frau. DAS DREIZEHNTE KAPITEL. Es begab sich aber, dass Einer gestorben war, den er lieb hatte. Dessen Verwandte und Freunde kamen zu ihm und sagten: "Dein Freund ist todt. Er hat Dich geliebt und liebt nicht mehr. Er hat gesprochen und nun schweigt er. Er ging und wandelte unter uns und er ist nun starr und stumm wie ein Stein. Bald wird die Verwesung eintreten an seinem Leichnam. Wir werden ihn begraben und unter die Erde senken muessen. Die Wuermer werden ihn zerfressen, sein Fleisch, das faul und stinkend wird, die Knochen, dass von ihm nichts uebrig bleibt. Pilze und lange Graeser werden wachsen aus seinem Grab. Wo sein Hirn war, werden die Maden nisten. Ekle Larven werden kriechen in der Hoehle seines Mundes, der lieblich toente von holdseliger Rede, weil er lebte. Seine Mutter wird Niemand haben, der ihr Trost bringt. Sie ist alt und kann nicht mehr ausgehen auf Arbeit. Seine Schwestern werden sitzen und verwelken in ihrer Jungfrauenschaft. Denn wer wird sie wollen, wo der Bruder fehlt, der Brot gab und Schutz? Ein grosses Unglueck ist es fuer Alle. Du konntest helfen und halfst nicht. Nun ist er todt. So Du nicht eilig kommst, wirst Du die Leiche nicht mehr sehen im Tode. Der Dir lieb war, geht ein wie Gras, das verdorrt." Dies Alles hoerte er mit an, sagte nichts. Danach stand er auf und ging sehr eilig, dass er den Todten noch saehe auf seiner Bahre, die Hand auf sein Antlitz legte, ehe sie ihn zuschlossen im Sarge. Im Hause fand er Alles in schwerer Trauer. In einer Stube sass die alte Mutter und wehklagte laut. Alle Weiber des Orts waren um sie, weinten und halfen ihr ihre Thraenen trocknen. Waehrend sie laut die Tugenden des Todten ruehmten, der ein vortrefflicher Sohn gewesen, voll Eifer und Zuverlaessigkeit gegen seine betagte Mutter, der er die Haelfte seines Verdienstes gab, dass sie friedlich und in Eintracht lebten in ihrem Haeuschen und satt zu essen gehabt von dem, was er heimbrachte. So trostlos war die alte Frau, dass sie ihre Haare zerrauft hatte. Ihre Kleider hingen unordentlich um ihren Leib, denn sie hatte sie mehrere Tage und Naechte nicht abgenommen, waehrend er krank lag. Ihre Augen waren geroethet vom Nachtwachen, ihre Backen eingefallen von Kummer, jaemmerlich und huelflos die ganze Erscheinung. Sie weinte laut, schrie und wollte sich nicht troesten lassen. Es war ihr einziger Sohn gewesen, der todt lag. Sie hatte nur diesen und wuerde kinderlos bleiben hinfort. Ihre Toechter konnten in die Ferne ziehen als Maegde. Manchmal wuerden ihr die Nachbarn eine Unterstuetzung bringen als einer Bettlerin und Ueberlaestigen. Sie wuerde an der Thuer stehen, wo sie frueher als Herrin gewaltet, aermlich sitzen, wo sie im Mutterstolz geschritten neben ihrem Sohn. Die eine Schwester Martha ging ab und zu. Sie brachte warme Getraenke, Wecken und Kuchen fuer die Leidtragenden, waehrend die Maenner Bier aus Kruegen tranken, Branntwein hingestellt war in Flaschen. Das gebot die Sitte. Diese Martha hatte das Hauswesen unter sich und war sehr tuechtig darin. Ihre Wecken und Kuchen waren beruehmt im Dorfe. Das Bier, das sie selbst braute, schmeckte kraeftig und suess, wie irgend ein gekauftes. Alle assen und tranken reichlich, lobten Martha, ihre Ordnung und Fuehrung des Hauswesens, wie sie Alles eingeleitet und gerichtet in dieser traurigen Gelegenheit. Sie war bald hier und bald dort, fuellte die Tassen und Kruege, schalt auf die Kinder, die anfingen das Brot zu verstreuen, sich die Gesichter zu beschmieren mit Mus unter dem Tisch. Sie nahm einen Besen und fegte sie damit hinaus Alle zusammen und gab ihnen Schlaege auf ihre kleinen Roeckchen. Alle fanden, dass sie recht that, diese Martha ein sehr tuechtiges Frauenzimmer sei. Es war ein oberster Bauer im Dorf, der sich vornahm, sie als Haushaelterin zu dingen. Der Wirth vom Krug wollte sie gleichfalls. Dieser war ein Wittmann und konnte heirathen. So dass wenig Noth war um Martha, selbst wenn sie keine Aussteuer hatte, der Bruder fehlte, sie wegzugeben. Maria aber, die andre Schwester, sass zu Haeupten des Todten in dem kleinen Verschlag nebenan. Sie hatte einen bluehenden Kirschenzweig abgebrochen und wehrte damit den Fliegen, die kommen wollten, sich auf das Antlitz des Todten zu setzen. Wenn eine Fliege kam, scheuchte sie sie sacht hinweg mit ihrem bluehenden Zweig, ohne sie zu toedten, dass sie aufflog und summend gegen das Fenster stiess. Sie hatte Wiesenblumen gepflueckt, ganze Armladungen voll, und sie zu beiden Seiten des Bettes geschichtet. Wie auf einem lichten Fruehlingsanger lag der Todte, weil er jung war, wohlgewachsen und schoen vor andern Juenglingen. Martha schalt ueber das unnoethige Heu, das die Kuehe fressen koennten. Sie fand, dass die Schwester ihr helfen sollte in der Wirthschaft und bei der Bedienung der Gaeste. Aber Maria blieb sitzen bei dem Todten. Sie hatte ihren Zweig in der Hand und scheuchte sacht die Fliegen, waehrend sie vor sich hinsang. Diese Maria hatte die Gabe der Lieder. Im Hause war sie nicht so geschickt wie Martha, von weniger flinken Fingern, so dass jene oft schalt und ihr Vorwuerfe machte. Sie konnte auch nicht ansehen, dass man Thiere und Voegel schlachtete, wie Martha es that, trefflich davon zu kochen verstand. Manchmal hatte sie der Schwester die blinkenden Fische wieder aus dem Netz genommen und heimlich zurueckgetragen in's Wasser. Martha hatte gezankt, ihre Hand geschlagen. Sie fand, dass sie unnuetz war und traege in der Arbeit. Obgleich sie sehr schoen war, hoechst lieblich anzusehen, fragte sie nicht nach den jungen Leuten im Dorf, die zwar gekommen waeren, unter ihren Fenstern von Liebe zu schwaetzen, auch wohl ihre Armuth uebersehen haetten um ihrer grossen Schoenheit willen. Ihre Schoenheit war wie die einer Koenigin, nicht eines Bauernmaedchens. Wenn sie durch das Dorf zum Brunnen ging, liefen die Kinder ihr nach, die Kuehe kamen mit breiten, weissen Stirnen, sich streicheln zu lassen von ihr, zu saufen aus ihrem Eimer. Man sagte, dass in ihrer Hand Heilkraft waere, die Pflanzen, die sie eingesetzt hatte, schlugen an und bluehten. Ihre Lieder schlaeferten ein trotziges Kind ein. Das wilde Blut wurde ruhig. Man vergass die Sorgen des Lebens, wurde einfach, Lilien auf dem Felde, die bluehen in ihrer stillen Pracht, und kleine Voeglein, die zwitschernd flogen ohne Sorge und Noth. Sie sass und stoerte mit ihrem Zweig die Fliegen. Sie sang leise. Sie war gar nicht traurig. Ihr schoenes Gesicht blieb ruhig wie zuvor. Sie weinte auch nicht; man sah keine Unordnung in ihrem Haar oder Kleid. Keine Herdroethe lag auf ihren Backen, wie bei Martha, die fliegend stob, scheltend, zaehlend, weinend wieder zwischendurch ueber den Bruder, der fehlte, die Sorge, die in den Haushalt gekommen dadurch. Besonders beklagte sie sich, dass Er, der sein Freund war, nicht dagewesen war bei Zeiten. Er haette ihm ein Heilmittel geben koennen, wenigstens doch Trost spenden an seinem Bett, eine Huelfe sein den geplagten Frauen. Es kamen immer mehr Menschen, denn die Zeit des Begraebnisses war nahe. Alle assen und tranken. Es war eine grosse Unordnung. Man hoerte das Klagen der alten Frauen, die die Tugenden des Todten aufzaehlten, die Kinder spielten und trieben allerlei Schabernack. In den Staellen bruellte das Vieh, das man vergessen hatte ueber dem Trubel, vor seinen Krippen. Mitten hinein da trat der Fremde. Martha stuerzte sich sofort auf ihn und erzaehlte die naeheren Einzelheiten von der Krankheit und dem Tod. Die alte Mutter erhob ihre Stimme sehr hoch in Schluchzen. Alle sahen ihn an und draengten sich um ihn, denn sie wussten, dass der Verstorbne ihm sehr lieb gewesen war. Sie wunderten sich, was er thun wuerde. Einige dachten auch, er haette ihm helfen koennen: Was ist an ihm, so er nicht mal diesen retten konnte, den er lieb hatte? Die Andern glaubten beinah an ein Wunder: Jetzt ist die Gelegenheit fuer ihn. Wir muessen sehen, was er thut. Sie waren ganz bereit zu glauben, wenn er den Todten erweckte, obgleich sie natuerlich nicht zugaben, dass so etwas moeglich waere. Es war eine Aufregung in der ganzen Gesellschaft und Alle sahen auf ihn. Er sprach: "Fuehrt mich zu ihm!" Martha fuehrte ihn in den Verschlag. Alle draengten nach durch die niedrige Thuer. Aber er hiess sie die Thuere schliessen. So schloss sie die Thuer. Draussen warteten die Andern. Nur die alte Frau fuhr fort laut zu wehklagen, ihre Tage zu verfluchen, dass sie lieber ihm nachfahren wollte in die Grube, der ihr Leben gewesen, der Trost ihres huelflosen Alters. Martha war mit hineingegangen. Sie beeilte sich die Vorhaenge fortzuziehen: "Sieh ihn Dir genau an und merke die Zeichen des Uebels, an dem er gestorben ist." Sie beschrieb sie genau. "Nun ist es zu spaet. Wenn Du bei Zeiten gekommen waerst, lebte er jetzt. Aber vielleicht ist es auch nicht zu spaet? Du weisst sehr Vieles, und es ist Dir Macht gegeben ueber Kunst der gewoehnlichen Sterblichen. Sieh Du selbst und urtheile!" Das sagte sie ihn zu versuchen. Sie dachte in ihrem Herzen: "Wenn es doch moeglich waere? Warum sollte es ganz unmoeglich sein?" Er sprach: "Lass mich allein mit ihm." So ging sie hinaus und schloss die Thuer hinter sich. Es war Niemand im Zimmer, denn er und Maria. Und die Leiche zwischen ihnen, von der sie die Fliegen wehrte mit ihrem bluehenden Zweig. Denn sie hatten ihn viele Tage liegen lassen um des Fremden willen. Der Leichnam fing schon an sich zu zersetzen. Ein Geruch der Faeulniss war mit im Zimmer zwischen dem frischen, kuehlen der Blumen, die Maria gesammelt hatte. Er war an das Lager getreten und sah den Todten an. "Er ist nicht todt," sagte er. "Ich weiss, dass er nicht todt ist. Er schlaeft blos," sagte Maria. Sie fuhr fort den Fliegen zu wehren und sang leise. Vom Gras, das verwelkt, sang sie, von der Spreu im Winde: "Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er bluehet wie eine Blume auf dem Felde. "Wenn der Wind darueber geht, ist sie nimmer da und ihre Staette kennt sie nicht mehr. "Sie gehen daher wie ein Schemen und machen sich viel vergebliche Unruhe. "Sie sammeln und wissen nicht, wer es kriegen wird. "Wie ein Traum vergehet, so wird er auch nicht gefunden werden und wie ein Gesicht in der Nacht verschwindet. "Unser Leben waehret siebenzig Jahre, und wenn es hochkommt, so sind es achtzig Jahr, und wenn es koestlich gewesen ist, so ist es Muehe und Arbeit gewesen; denn es faehret schnell dahin, als floegen wir davon." Nicht traurig klang es. Nur weich und sehr leise. "Er ist nicht todt und er hat nicht gelebt," sagte der Fremde. "Er wurde nur geboren und nun ist er gestorben." "Ich weiss, dass er nicht todt ist und nicht gelebt hat," sagte Maria. "Was lebt, ist unsterblich. Das Unsterbliche kann niemals sterben." "Niemals," sagte der Fremde. "Vielleicht ist er auf einem andern Stern jetzt," sagte Maria. "Vielleicht ist er etwas sehr Hohes und Herrliches. Vielleicht ein Fliegeneichen. Und der Wind fuehrt es fort. Oder Graeser wachsen aus ihm, die bluehen und Samen tragen." Sie laechelte und scheuchte die Fliegen. Die Sonne stand schon niedrig. Ein breiter Lichtbalken vom Fenster her zog sich quer durch die Stube. Hunderte von glitzernden Staeubchen tanzten und webten. Sie stiessen sich und kreisten. "Vielleicht," sagte der Fremde. "Nur er ist nicht todt." "Er ist nicht todt. Sie denken es blos. Sie sind thoericht." "Und blind. Sie sehen nicht." "Sie sehen nicht, weil sie hochmuethig sind und Scheuklappen vor ihre Augen binden, um nicht zu sehen. Alles ist schoen. Alles singt. Alles lebt." Und froehlich sang sie in den Tag, der sich neigte: "Sie denken, dass die Sonne untergeht. Sie geht nur weiter. Sie sehen sie nicht. Es wird Nacht. Nach der Nacht kommt der Morgen. Ach, die Menschen sind ungeduldig und unverstaendig! Wie kleine Kinder sind sie, die weinen, wenn es dunkel wird. Still ist die Nacht. Lieblich und guetig." - "Moechtest Du den wecken, der schlaeft? Er schlaeft sanft und seine Lippen laecheln. Moechtest Du purpurn haben, was weiss ist? Zuckend und fiebrig, was so still ward? Fuehle, wie still es ist." Sie entfernte mit ihrer Hand das Hemd des Todten und legte ihre Hand auf sein Herz. "Es schlaegt nicht mehr. Hoert darum der Ocean auf, seine Wellen zu waelzen? Stoert es etwas im Wechsel von Tag und Nacht, vom Sommer zum Winter? Arme Menschen! Wie ihre Herzen winzig klein sind! Und Froschherzen sind noch kleiner. Aber eine Fliege hat auch ein Herz. In ihren Adern fliesst Blut. Kleine Menschen, kleine Fliegen- und Froschmenschen! Wie sie klein sind!" "Deine Mutter weint." "Ich habe eine Blume gepflueckt und der Stengel blutete. Das ganze Wuerzelchen starb. Sie muss nun sterben. Sieh, wie die Blaetter haengen! Wie sie traurig ist!" "Man koennte sie wieder einpflanzen." "Wozu? Es giebt so viele Blumen. Sie wird Staub werden, eine schoenere Blume vielleicht. Vielleicht wird sie eine Koenigin. Sie moechte gar nicht wieder eine arme, kleine Blume sein." "Die draussen verstehen es nicht." "Die verstehen es nicht. Sie sind ungeduldig, dumme, kleine Kinder." "Und ungluecklich." "Unglueck ist Ungeduld und Eigensinn. Es giebt keine Gefahr, wenn Du auf dem Wasser liegst und Dich treiben laesst. Es traegt Dich mit sich. _Gegen_ die Fluth bist Du ohnmaechtig. Sie verschlingt Dich. - Du kannst die Augen schliessen und die Arme falten. So leicht - leicht schwimmt es sich! - _Er_ schwimmt jetzt. Er tobt nicht mehr. Er ist nicht todt und ich lebe nicht. Es ist Alles Eins - Alles ..." Die Abenddaemmerung war in's Zimmer gekrochen. Alles loeste sich auf, schien zu schwimmen, emporgetragen zu werden. "Schatten! Schatten! ... Wenn Du aus der Ferne viele Stimmen hoerst, ist es Alles nur ein Ton. Wir sind zu nah. Nicht ein Gedanke, der gedacht worden ist, verschwindet. Was in den Schooss der Zeiten gesenkt war, traegt Frucht und blueht in den Zeiten ewiglich. Das Leben der Zeiten ist die Ewigkeit. Und alles Lebens Leben ist Gott." Da legte er die Hand auf die Stirn des Todten. Er sprach: "Leb wohl! Ich sehe Dich jetzt nicht. Aber ich werde Dich sehen. Du bist nicht todt. Das Leben ist in Dir nicht todt. Was Du mir davon gegeben hast, trage ich in mir. Und diese Alle tragen etwas. Das Andre liegt gehuetet wie ein kostbarer Schatz. - Den Winden - der Erde - dem Wasser" - er schlug die Zeichen durch die Luft. - "Gott, der des Lebens Ursprung ist, von dem es fliesst und zurueck fliesst. - Komm jetzt, dass wir ihn rasch begraben und ein Ende machen." So gingen sie Beide hinaus, Maria und er, schlossen die Thuer hinter sich, da der Todte lag. Es war dunkel bei dem Todten. Man merkte jetzt deutlich den Geruch der Verwesung, in dem der welkenden Blumen, etwas von Blut, Fleischfaser und schlechten, geringen Stoffen. Schlaff, mit geschlossnen Kelchen hingen die Bluethen. Die Fliegen schwirrten. Die Andern, da sie diese Beiden so ruhig sahen, meinten sie, es waere ein Wunder geschehen, dass der Todte lebte. Sie draengten nach in die Thuer und Martha rief mit lauter Stimme ihren Bruder: "Du - Du - sage ob Du lebst?" Aber Maria sagte: "Lass ihn. Er ist nicht todt. Doch wir muessen ihn begraben, denn es ist Abend und die Leiche faengt schon an stinkend zu werden. Es waere uns schaedlich, ungesund, zum Schlafen in der Kammer." Martha sprach: "Wie sollen wir ihn begraben, so er doch nicht todt ist?" Sie sah den Fremden hart an, weil sie ihm zuernte, dass er ihren Bruder nicht erweckt hatte, wie er wohl konnte nach ihrem Glauben. Sie mussten Noth leiden forthin. Ihre Mutter wuerde ohne Stuetze sein fuer ihr Alter. Er aber laechelte nur, winkte mit der Hand und ging hinweg ohne ein Wort. Dies nahmen Viele ihm uebel, Martha und die Frauen, die Neugierigen, die auf ein Zeichen gewartet hatten. Maria aber war nicht traurig. Sie sang und schritt leicht dahin. Wenn man sie fragte, ob sie nicht Leid truege um ihren Bruder, sagte sie: "Ich warte auf ihn. Ich weiss, dass er nicht todt ist. Ich werde ihn sehen. Es ist in sehr kurzer Zeit vorueber - Alles. Ich bin eilig, die Blume zu fassen, meine Pflanzen zu waessern, dass sie wachsen." Einige sagten: Es ist Gleichgueltigkeit, Andre: Groesse. Aber es war nichts von Beiden. Sie wusste nur und sie fand, dass die Tage zu kurz sind zum Weinen. Denn die Nacht kommt schnell herbei, da Niemand schaffen kann. ------------------------------------- Nun war aber in dieser Gegend eine Jungfrau, die nie ein Mann beruehrt hatte. So rein war diese Jungfrau, dass nicht ein unkeuscher Gedanke oder Abdruck ihr Gehirn kreuzte. Selbst in ihre unbewussten Traeume kam eine solche Vorstellung nicht, eine Hitze oder Beunruhigung. Sie haette nackt vor Maennern hergehen koennen, ohne dass sie sich geschaemt haette. Man wuerde vor ihren Augen alle Wollust und Suendhaftigkeit der Welt ausbreiten koennen, dass ihre Augen nichts gesehen haetten, die Roethe waere in ihre weissen Wangen nicht gestiegen. Denn sie war rein in sich und crystallen wie klares Wasser, der Spiegel des Bergsees, in den nie eines Menschen Auge geblickt, nur der Himmel in seiner Blaeue ueber den Wolken, keusch wie die koenigliche Lilienbluethe, die sich erschliesst in der Nacht, in hundert Jahren ein Mal, weil die Brunst der Sonne sie beleidigen koennte, Unreines, das staeubt und fliegt im Tage. Dieser Jungfrau, so Einer mit schlechten oder unzuechtigen Gedanken ihr nur nahte, musste er sein Antlitz verhuellen und fliehen wie vom Blitz getroffen. Die andern Frauen mochten nicht in ihrer Naehe aushalten mit ihren boesen Zungen, taeglichem Geklatsch von Heimlichkeit und Wollust. Nur die kleinen Kinder gingen gern an ihrer Hand und mochten in ihre Augen sehen, die gleich klaren Sternen waren in der Winternacht, wenn unten der Boden weiss friert. Es war ein armer Bloedsinniger und Taubstummer, der mit ihr in ihrem Garten wohnte, ihr Dienstleistungen that, denn so furchtbar und streng war die Reinheit dieser Jungfrau, dass sie den Augen wehthat wie Sonnengefunkel im Mittag, blaeuliches Gletschereis, wenn sie auf der Strasse ging, die Menschen und Voruebergehenden zur Seite schlichen wie scheue, gepruegelte Hunde oder Woelfe. Es war, als ob sie nur Thiere waren gegen sie. Und wenn sie grosse Herren und Fuersten hiessen, vor dem edlen Antlitz dieser Jungfrau wurden sie klein und unfrei. Es gab Leute, vornehme Herren und Luestlinge, in derselben Stadt, die sich in ihr Haus geschlichen hatten in der Nacht. Und sie hatten diese Jungfrau nackt gesehen, wie sie sich wusch. Der Strahl ihrer Nacktheit war in ihre Augen gedrungen wie Schwerter, dass sie laut aufschrieen, heulend hinausstuerzten wie Trunkene von zu starkem Wein oder die Tollheit verwirrt. Und hatten Einer den Andern erwuergt in ihrer schaeumenden Tollheit. Und Einen hatte der Bloede gepackt und er hatte ihm das Haupt aufgeschlagen auf den Stein, dass das Gehirn weit ueber die Strasse spritzte. Und Alle fanden, dass es die gerechte Strafe war fuer ihre Unreinheit, diese Jungfrau staerker war in ihrer Nacktheit wie ein starker Mann in siebenfacher Ruestung. Alle Luege und Verlaeumdung prallte von ihr ab wie Hagelschlag am Felsen. Es ging die Sage, dass ein Gerichteter gestorben war von dem Strahl ihres Auges, der die Wahrheit erkannte, mehr denn von dem Spruch des Richters, der ihn verdammte. Aber die Armen hatten keine Furcht vor dieser Jungfrau. Auch nicht die verachteten, gemiedenen Frauen und Maedchen des Orts, die unrein und haesslich geworden waren an Leib und Seele. Denn die Klarheit dieser Einen deckte sie Alle wie ein weisser, herrlicher Mantel, und war keine so elend, mit Aussatz befleckt, dass nichts von dieser Glorie auf sie gefallen waere. Sie wussten, dass sie die Koenigin der Frauen war und priesen die Kunst in der Guete, die ein solches Wunder geschaffen, herrlich und unantastbar gemacht hatte vor allen Frauen und Maennern. Man nannte sie nur die weisse Jungfrau. Es ging die Sage, dass, wenn sie schlief, die Seraphim um ihr Lager standen mit gezueckten Schwertern, dass es aussah, als laege sie auf blauen, zuengelnden Flammen des Eises. Nur ein Mann, der gut und keusch und edel war wie sie, konnte sie loesen und heimfuehren als ihr Gemahl. Und Viele hatten es versucht sie zu loesen, die edelsten Juenglinge aus aller Herren Laendern, die Staerksten und die Schoensten. Und Alle waren schamroth und betruebt weggegangen vor dem klaren Blick ihrer Augen, der keine Luege und keinen Fleck zuliess, sie durchsah durch kunstvolle Verstrickung und Verschoenung, bis wo die Unreinheit sass in ihrer Seele, die Blumen ihrer Schoenheit selbst wuchsen aus dem Sumpf ihrer Unkeuschheit. Und war nicht Einer, der bestand vor ihr, so Viele gekommen waren und gesungen hatten und gesprochen und sich gesehnt. So sagte man, dass sie niemals einen Mann haben wuerde, es bestimmt war von Gott, dass sie als Jungfrau hingehen sollte, weil sie zu edel war, um beruehrt zu werden mit unreinen Haenden, zu klug fuer die Klugheit der Luege und Arglist. Und sie selber freute sich, dass es so war. Niemals wuenschte oder fragte sie wie andre Maedchen und schlief auf ihrem Lager mit den zehn Seraphim, die um ihr Bett standen als strahlende Waechter, bis der Morgen kam, klar wie ihr Erwachen, die junge Sonne gruesste die weisse Jungfrau. Zu dieser nun geschah eine Stimme mitten in der Nacht: "Erhebe Dich und wache auf, denn der Braeutigam ist gekommen!" Worauf sie stracks sich erhob wie sie war aus ihrem Schlaf und in ihrer Nacktheit. Und wusch ihren Leib und badete ihn rein in crystallenem Wasser des Regens, in Tropfen aus Maiwolken, die nie die Erde beruehrt und vielfach gefiltert in thoenernen Kruegen. Oder Wasser, vom Schnee geschmolzen, wenn er jungfraeulich ist, zu oberst ruht am Morgen, da noch kein Fuss getreten. Und wusch sich wohl und salbte sich mit koestlichen Salben, von Knospen der Rosen, welche noch nicht das Licht gesehen hatten, die sie gesammelt hatte in ihrer Knospe, und ersten Blumen des Fruehlings, wenn die Sonne noch nicht heiss genug ist, die unter dem Schnee bluehen und lieblicher duften denn andre. Und nahm ihr weisses Gewand. Das war gewebt ohne Stich und Naht aus der allerfeinsten Seide, mit Lilien gestickt und gewirkt in silbernen Faeden. Alle Lilien standen weit offen mit prangenden Kelchen. Die Faeden verschlangen sich zwischen ihnen im kunstvollen Rhythmus, einer wunderbaren Weise der Lilien, die sie sangen. Kleiner wurden sie gegen den Saum in gereihten Ketten. Aber unter der Brust war nur noch eine Lilie, die Koenigin der Lilien, mit gebreiteten Schwertblaettern, die zitterten, schwollen in der Last, die auf ihnen lag. Nur Jungfrauen waren die Spinnerinnen gewesen, die es gewebt und gesponnen. Und man sagte, wenn eine Jungfrau, die nicht mehr rein war, die Hand anlegte an dieses Gewand, dass die Faeden blutroth wurden in ihren Fingern, und liefen aus ihren Fingern wie Schlangen, wollten sich nicht halten und fassen lassen von ihr. Dieses nahm sie, legte es an und guertete sich hoch unter den Bruesten mit goldnem Guertel. Edel war das Gold dieses Guertels, aus einem Stuecke geschmiedet, das nie zuvor zu anderem Schmuck geschmiedet gewesen. Ein ritterlicher Juengling in seiner Klostereinsamkeit hatte diesen Guertel geschmiedet. Er zeigte alle heiligen Frauen der Welt, die sich darauf die Haende gaben. Und waren Diana, die Goettin, Jephta's liebliche Tochter, die griechische Iphigenia und Antigone, und die edle Roemerin Cloelia in derselben Linie mit den Maertyrerinnen und Heiligen. So legte eine ihre Hand auf die Schulter der Andern. Alle sahen nach derselben Richtung, als ob von da der Braeutigam kaeme, und bildeten einen Ring durch die Zeiten, von den aeltesten bis zu den letzten, Jegliche eine Jungfrau und Fuerstin, aus jungfraeulichem Golde von diesem untadeligen Juengling zu edelstem Brautschmuck verbunden. Welcher, als man ihn auf solchen vermeintlichen Fehler als heidnischen Irrthum aufmerksam machte, nur laechelte, sagte: "Die Keuschheit ist eine besondere Tugend. Diese fuehrt auf dem geradesten Weg zum Himmel. So ist eine reine Jungfrau in sich selbst aller Engel Schwester. Diese Verehrung ist allen Voelkern gemeinsam. - Vom Jungfrauensohn ist das Heil gekommen. Solche stehen immerdar am naechsten im Licht, hundertvierundvierzigtausend, die sich der Herr selbst erwaehlt aus Zion." So sprach dieser edle Juengling, erstaunte Alle und Niemand vermochte ihm zu antworten. - Das Schloss aber des Guertels stellte die Schlangen dar, wie sie sich aufrichteten mit zuengelnden Haeuptern. War also in ihm geheimnissvoll und symbolisch der Fall und die Erloesung verwoben, wie von dem Weibe und seiner Kraft Beides kommt, Heil und Verfuehrung. Und sie nahm Spangen von Perlen, die nie das Licht gesehen haben und schloss sie um ihre Arme. Diese Perlen sind edler als alles Gestein, aus dem Wasser gewoben, das eher war denn die Erde, und das hoehere Element ist, denn es dient nicht wie jene den Menschen. So zart sind sie, dass ihr Schein wechselt mit der Laune und Stimmung des, der sie traegt, und wo ein Kranker sie um seinen Hals legt, werden sie truebe und schrumpfen ein wie die Haut unter ihnen. Silberne Sohlen band sie unter ihre Fuesse und straehlte ihr Haar und flocht ihre Zoepfe mit purpurner Binde. Denn ihr Haar war prachtvoll wie ein goldner Mantel, der sie bis in die Knie umwallte, jeder einzelne Faden fein und gerundet wie aus gesponnener Sonne. Wenn sie zusammenfielen, war keine Maehne der rothen Loewin so voll. Sie wogen schwerer in der Hand wie Erntelast des vielkoernigen Weizens. Ihre Brauen waren wie Boegen der Nacht, darunter die lichte Sonne sich verbirgt. Ihre Wimpern standen in Strahlen. In der geraden Linie ihrer Nase mit athmenden Nuestern war Staerke und Feuer. Der Hauch von ihren Lippen ging wie von einem Blumenbeet, suesser denn Honig. Es gab keine schoenere Jungfrau weit und breit im Lande. Und keine untadligere, von edlerem Geschlecht, obgleich sie arm war und Haus hielt fuer sich allein mit dem stummen Diener. Zu diesem trat sie, mit der Leuchte in ihrer Hand, im Brautschmuck wie sie war. Und sprach: "Rege Dich und oeffne die Thore! Der Braeutigam ist gekommen." So gross aber war das Licht ihrer Schoenheit diesem bloeden Auge selbst, dass die Leuchte in ihrer Hand davon erstarb, ihn duenkte, als ob es ganz dunkel war, ohne sie, die strahlte herrlicher denn der Tag, der junge Mond selbst im Viertel seiner Geburt. So stand dieser auf, schlug die Thore auseinander, die doppelt geschlossen waren, mit Riegeln versehen wegen der Bescheidenheit dieser Jungfrau, weil sie allein lebte, eine ledige Magd, in einer grossen und gottlosen Stadt. Alsbald hielt da draussen vor dem Thor ein herrlicher Prinz auf einem weissen Pferde. Alle seine Diener hinter ihm hatten weisse Pferde und silberne Helme, von denen das Licht lief in weissen, blaeulichen Strahlen gleich denen des Wintermonds, wenn er in seiner Vollendung ist. Der Prinz war mit einem weissen Leibrock angethan und hatte ein goldnes Schwert an seiner Seite und sein Helm war von Gold. Die Schabracke, darauf er sass, war purpurn. Ein scharlachnes Stirnband guertete sein Pferd zwischen den Ohren. Lichte Locken fielen zu beiden Seiten auf seine Schultern herab. So strahlend war der Glanz seines Auges, dass dieser arme Knecht in die Kniee sank und mit gehobnen Armen flehte. Er dachte, sein letztes Stuendlein waere gekommen, und er koennte nicht ertragen so viel Klarheit und uebergrosse Herrlichkeit. Worauf der Andre: "Fuerchte Dich nicht! Lass mich ein und heisse mein Braut den Tisch legen fuer mich und sie. Ich bin gekommen, heut' Hochzeit hier zu halten." Dies sagte er aber mit seltsam lieblicher Stimme, die wie reines Silber klang. Alle Gloeckchen der Pferde laeuteten dazu. Seine Diener schlugen an ihre Schwerter und riefen: "Heil!" Dieser arme Knecht schwur spaeter, dass in solchem Augenblick der Himmel ueber ihren Haeuptern offen gewesen und eine Taube von oben aus der Klarheit herabgekommen waere, die trug einen goldnen Ring in ihrem Schnabel. - Denn das Merkwuerdige war, dass er sprechen konnte seit dieser Nacht und immer nachher. Und war in seinem Kopf wie andre Menschen, nur dass er schwur zu seinem Eide, den Prinzen gesehen zu haben, was ihm die andern Leute nicht glaubten, fuer eine Blendung seines armseligen Gehirns hielten. So ritten Alle diese durch das Thor. So Viele ihrer waren, schien es dennoch wunderbar, dass der Hof sie doch fassen konnte. Und der arme Knecht schloss die Thore hinter ihnen und schob die Riegel vor. Was sich nun begab, wusste er nicht mehr, denn er folgte dem Prinzen nicht in das Gemach, der ihm gebot: "Folge mir nicht!" Aber durch eine Luke im untersten Keller, wohin er sich vor Angst gefluechtet und doch zitternd wieder auslugte, sah er, dass alle Ritter von ihren Pferden abgestiegen waren. Und sie standen um das Haus mit gezognen Schwertern, die glaenzten blau wie Diamantlicht des Mondes. Und war so eine Kette von Schwertern um das Haus, dass es stand gleich einer Burg in uneinnehmbarer Klarheit. Drinnen aber in ihrem vertrauten Gemach hatte die Jungfrau den Tisch gelegt. Sie nahm ein weisses Tuch von feinstem Damast, das in der Truhe gelegen hatte mehr denn hundert Jahre. Es war nur weisser und feiner geworden von den Jahren. Man sagte sich, dass zwoelf Spinnerinnen daran gewebt zwoelf Jahre. Alle untadelige Jungfrauen, die der Welt entsagt, den Faden zogen in stiller Klosterzelle. Danach hatten sie den Flachs auf dem Rasen gebleicht, wenn die Maerzsonne schien, - diese ist die frueheste unter den Sonnen, nicht geil wie die des Sommers, oder blutig vom Herbststerben - es selbst gewebt mit ihren Haenden, ohne Eisen und Maschine, weil menschliche Haende feiner sind und getreuer. Und Muster hineingezeichnet von ihren Gedanken, des Weibes Lust und Glorie. Die Aeltermutter Eva im ersten Bilde, wie sie den Apfel reicht. Aber auch als Mutter, mit ihren gesegneten Bruesten es naehrend, das die Verheissung birgt, - die Lebensgebaererin. Rebekka am Brunnen, Rahel, die Vielgeliebte, fruehgestorben, Mirjam, Deborah, begeisterte Prophetinnen, Judith und Jael, Heroinen, Ruth, die Aehrenleserin, Esther - aber auch sie, die die Raben scheuchte, die diese frommen und einfaeltigen Seelen wuerdig gehalten des ruhmvollen Reigens, - zwischen den Sieben die Mutter der Makkabaeer, die Woelfin Juda's, Elisabeth, auch eine Mutter, Johannes' des Taeufers, Hannah, die Greisin, vorahnend die Morgenschoene. Endlich die Lieblichste von Allen, die Erfuellung, wie um die volle Rose der Kranz sich schliesst, Maria, die Koenigin, unter den Weibern Gebenedeite, an der Brust das Kindlein, dass von Ihm alle Strahlen ausgingen, die Andern beruehrten. Gleichsam als waeren diese Bilder von Kraft und Unschuld nur ein Strahl der Tugenden, die sich in ihr wie in der Sonne vereinigten. Dies Tuch breitete sie sorgsam, die Falten glaettend, sich freuend am Silberglanz des Linnens und der Kunst der Bilder. Darauf nahm sie ein gueldnes Gefaess aus reinstem Gold, das nie zuvor zu andrem gedient hatte. Dadrin war in kunstvoller Praegung zu sehen, wie Abraham den Besuch der Engel empfaengt. Rechts hebt er freudig preisend die Haende, ihnen entgegenzueilen. Links sieht man schon ruestige Maegde das Federvieh rupfen, wie sie die Butter stampfen im Troge, waehrend Sarah hinter der Thuer verborgen steht, die Verheissung zu erlauschen, der kleine Ismael arglos mit kindlichem Spielzeug sich tummelt. - Dieses fuellte sie mit funkelndem, edelstem Wein, der achtzig Jahre gelegen hatte und mehr. Nur wenige Flaschen waren von diesem Wein zuerst gezogen worden, gleichsam seine Seele. Ein Kaufmann hatte ihn mitgebracht von weit her. Er zeigte in seiner Mischung Feuer des Blutes und Rosinfarbe von der Sonne. Suess war dieser Wein und staerker wie Stierblut in seiner Suesse. Danach nahm sie eine Schale von Silber, mit silbernen Henkeln und Kette. Eine laendliche Ernte auf dem Felde war darauf abgebildet, wie hier schon die Wagen hochbepackt fortfahren, Schnitter und Schnitterinnen Garben bindend, alte Leute und Kinder die Aehren nachlesen. Aber auf den Stoppeln tanzen schon lustige Maegde und Burschen. Sie legte das Brot hinein, koestliches, feines Brot, das sie selbst mit ihren Haenden gebacken. Keine Maschine hatte daran mit geschaffen. Das Korn war gerieben worden zwischen den Steinen. Es gab kein edleres Brot. Sie hielt es verschlossen in einem kunstvollen Schrein, weil sie dachte: "Ich weiss nicht, wann der Braeutigam kommt. Ich muss bereit sein zu der Zeit." Solches stellte sie auf den Tisch, zuendete die Lampen an, die zu beiden Seiten standen, gefuellt mit Oel, und feine Kerzen vom reinsten Wachs, die dufteten wie sie tropften. Die Leuchter waren von edlen Metallen und trugen Koepfe der heiligen Thiere, Adler, Loewen und verschlungne Leiber der Schlangen. Und sie nahm einen Teppich von purpurfarbner Seide, der im Schrank gelegen, auf dem nie die Sonne geruht und keines Menschen Fuss hatte ihn je betreten. Diesen breitete sie aus von der Thuer zum Sessel. Der Sessel aber war aus geschnitztem Ebenholz. Die Schilder des Thierkreises wechselten sich dort mit den vier Hoernern des Mondes. Die Seitenlehnen waren Aronsstaebe und auf vier Klauen ruhten die Fuesse wie auf Widderklauen. Und oeffnete die Thuere weit und neigte sich bis zur Erde und beruehrte den Fussboden mit ihrer Stirn. Und sprach: "So es Dir recht ist, Deiner Seele gefaellt, dass Du essen willst jetzt, Alles ist bereitet, mein suesser Herr!" Darauf ging der Prinz ein in die Kammer und setzte sich auf den geschnitzten Sitz am Tisch. Sie aber schritt flugs und nahm seine Schuhe ab. Und brachte ein Gefaess mit Wasser. Und rieb seine Fuesse mit Wasser. Und salbte sie mit duftender Salbe und trocknete sie in Linnen. Und setzte sich da zu seinen Fuessen und sah ihn an. Sprach er: "Warum kniest Du vor mir?" Sie sprach: "Mir ist sehr wohl so, mein allerliebster Herr! Lass mich knieen so und Dir dienen allezeit." Er sprach: "Kennst Du mich?" Sie sprach: "Bist Du nicht der kommen soll? Ich kenne Dich wohl, denn Du bist meiner Seele holdseligster Braeutigam. Ich habe nie einen andern Mann gesehen, noch im Traume eines Zweiten gedacht. Die Thuer meiner Kammer blieb verschlossen. Niemand sah das Geheimniss meines Hauses bis heute." Nun sagte er: "So Du nicht weisst, was Liebe ist, wie kannst Du mich lieben?" Sie sprach: "Ich liebe Dich mehr als mein Leben. Ich liebe Dich mehr als die Freiheit und den Frieden meiner Tage. Ueber die Scham meiner Jungfrauenschaft liebe ich Dich. Ich wuerde meine Fuesse in Flammen setzen, um Dir zu folgen, meinen nackten Leib untertauchen in die stinkende Faulheit des Sumpfes." Er sprach: "Da Du so tapfer bist, weisst Du, dass Du sterben musst? Denn die mich freien, werben um den Tod. Ihr Weg geht ueber Dornen. Gluehende Naegel muessen in ihre Haende eindringen; ihre Seiten werden sich oeffnen und bluten. Sieben Schwerter gehen ein durch Deine Seele. Sie werden Dein Fleisch zerschneiden mit scharfer Schneide, in Deinem innersten Herzen haften wie fressendes Feuer." Sie aber schlug ihr weisses Gewand auf und wies ihre junge Brust, die weisser war wie die Seide des Kleides, unter der das Leben klopfte in hohen geduldigen Wogen. Und sie sprach: "Stich zu!" Er sprach: "Du bist sehr schoen. Schoenheit ist der Stolz und die Gnade des Weibes, und macht sie zur Freude des Mannes, seiner Augenweide, dass er sein Leben lieber laesst denn die Suesse ihres Leibes. Um Schoenheit wird ein Weib geliebt. Die Liebe des Mannes haftet an der Lieblichkeit, den Formen und der Feinheit der Glieder. - Gieb mir Deine Schoenheit." Flugs legte sie nun ihr koenigliches Gewand ab. Sie nahm die Spangen von ihren Armen, die Perlen, die an ihrem Hals hingen, die purpurne Stirnbinde that sie zur Seite. Und nahm eine scharfe Scheere und schnitt ihr goldnes Haar ab, wo es am dichtesten war hart im Nacken. Und Alles legte sie zusammen und vor ihn hin, dass sie nun vor ihm stand im Untergewand, und ihre Arme und Haende waren unbedeckt. Sie fror in ihrem duennen Linnen. Dies Alles that sie in der groessten Freude, mit den herzlichsten und zaertlichsten Liebesworten. Er aber seufzte und sprach: "Kummer wird ueber Dich kommen, Krankheit, Verfolgung, Nachtwachen. Deine Augen werden blind werden vom Weinen, Deine Wangen einfallen von der Sorge und taeglichem Muehsal des Daseins. Du bist sehr lieblich und jung. Du wirst haesslich sein und unansehnlich. Ein Spott denen, die Dich priesen." Sie sprach: "Ich bin gerne so, so Du mich siehst, ich Dir nur wohlgefalle, der mein erwaehlter Herr ist und lindester Gebieter." Er sprach: "Ich bin arm gewesen und hatte kein Lager fuer mein Haupt des Abends. Meine Nahrung fand ich von den Feldern, was wild wuchs, karge Barmherzigkeit gab. Du musst arm sein, ohne Frieden und Heimath wie ich." Sie sprach: "Gleich heute will ich fortgehen, die Thuer verschliessen und mein Haus zumachen, es nicht wiedersehen, wo ich still lebte und gluecklich. Meine Habe soll den Armen gehoeren. Ich nehme nichts denn einen Stab, Brot fuer morgen, diesen Schleier um mein Haupt, dass ich nicht zum Gespoett der Gassenjungen werde, sie sagen: 'Es ziemt sich nicht einem Weib, in Freiheit zu laufen.' So ich doch Deine verlobte Braut bin und eines groessten Koenigs Geehrte." Da seufzte er noch tiefer, sprach: "Gerade schleierlos musst Du gehen und unverhuellt, nackt und in Bloesse. Ich brauche Deine Scham, wie ich Dein Leben brauche, weil sie einer Jungfrau theurer ist wie ihr Leben, sie es zehnfach lassen wuerde um ihre Scham. - So gieb mir denn, was ich von Dir heische." Da ward sie roth ueber und ueber, roether wie die Purpurrose, die zuerst der Sonne sich oeffnet. Es war, als ob Flammen ueberall aus ihrem Leibe schlugen und um sie brannten. Sie konnte die Augen nicht aufheben, denn ihre Lider waren schwer von Scham. Vom Scheitel bis zur aeussersten Spitze ihres Fusses fuehlte sie die lohenden Fluthen der Scham. Und sie stand zitternd mit knickenden Gliedern. Sie sprach leise: "Hier, Herr! Nimm mich." Und seine Seele ward weich ueber ihr, da sie vor ihm stand, ohne Fehl und Flecken, weiss in ihrer purpurnen Scham wie Eine, die im Feuer steht, die Flammen hoch um sie brennen, und sie steht und flieht nicht. Und er sprach langsam: "Die Scham ist die Tochter der Suende, aber die Reinheit kennt keine Scham. Deshalb muss sie nackt gehen, dass die Menschen sie sehen und schamrot werden vor ihrer strahlenden Nacktheit. Jede Fiber gehoert dem Ganzen. Die Seele ist nicht edler denn der Leib. Aber der Leib muss edel sein, wenn ihn die Seele erkennt. Es giebt nicht Mann und nicht Weib, nicht Hass und nicht Lust. Alles ist eins. Die Scham ward gewebt zum schleiernden Schutze, den Schleier zerreisst, wer die Wahrheit erschaut, Wenigen zu erschauen nur und Allen furchtbar! - - Das ist das letzte der Geheimnisse. Ich sage es Dir, weil Du meine Braut und Verlobte bist. Behalte es wohl und sage es Niemand." Danach kuesste er sie. Er kuesste ihre Augen, ihre Lippen und Wangen. An ihren Schlaefen kuesste er sie. Und er nahm sie in seinen linken Arm, der der Herzarm ist, und kuesste sie auf die beiden Rosen ihres Busens. Denn im Busen der Frau ist die Weltkugel und der Apfel, Macht und Verderben. Und vom Schoosse des Weibes kommt alles Lebendige, Segen und Fluch. Darauf hielten sie zusammen das Mahl. Er reichte ihr das Brot und sie ass von seinem Brote. Er bot ihr den Wein und sie trank mit ihm von dem Wein. Und assen von allen Dingen, die auf dem Tische standen und wurden ganz froehlich. Wie nun die Morgenroethe heraufkam, verliess er sie wieder. Der bloede Knecht sah, wie sie die Riegel aufschloss. Denn die Eisenbarren waren viel zu schwer fuer einer zarten Jungfrau Haende. Dennoch that sie es mit Leichtigkeit. Sie war in ihrem Brautschmuck, weiss in ihrem weissen Kleide, mit der purpurnen Stirnbinde. Er hielt sie in seinem Arm wie sein eheliches Weib. Sie kuesste ihm die Lippen und kuesste seine Augen. Und sprach: "Fahre wohl, mein geliebter und seliger Herr! Ich warte und harre des Tages, da ich neben Dir das Brautbett besteige." Das duenkte dem Knecht schier eine seltsame Rede fuer eine so untadelige Jungfrau. Aber sie stand ruhig und sah ihm zu, wie er sein Pferd bestieg. Danach ging sie wieder in ihr Haus, schlug ihre Sachen zusammen, uebergab Alles dem Knecht und sprach: "Ich gehe. Ich habe viel zu thun. Und die Zeit ruft." Diese wurde eine sehr heilige und wunderbare Frau. Man brachte viele Kranke zu ihr, die sie heilte, indem sie ihnen die Haende auflegte. Und Einige wurden nicht geheilt, die unglaeubig waren, sie versuchten. Solche trieb sie mit Schelten von ihrer Thuer: "Wie Ihr thoericht seid und tueckisch und so ganz schamlos!" Niemals aber sprach sie ueber ihre Geheimnisse dieser Nacht. Nur eine grosse, selige Freude war immer in ihr. Wie sie starb, war da eine Jungfrau, wo eine alte, blinde und kraenkliche Frau gewesen war. Niemand hatte je eine schoenere Jungfrau gesehen. Diese, als man sie sehr genau sah, hatte an ihren Haenden Stiche als von rothen Naegelmalen. Sie durchbohrten auch ihre Fuesse. Eine offne Wunde war in ihrer Seite, von der das Blut floss. Man gewahrte auf ihrer Stirn Eindruecke, als ob Dornen um ihr Haupt gewunden gewesen und in die Haut eingedrungen waren. Alles dies war sehr deutlich. Sie hatte es immer an sich getragen, nur verborgen in ihrer Bescheidenheit vor den Menschen, da sie sich selbst nie fuer solcher mystischen Ehrung wuerdig gehalten. Und bestaendig sich selber schalt, dass sie schwach sei und arm im Glauben, nicht eifrig zu den Werken, wie es sich einer guten und getreuen Hausfrau geziemte, das Erbe zu verwalten, waehrend der Herr und Ehgemahl abwesend ist. Als sie nun auf dem Sterbebett lag, blass und abgezehrt, sehr schwaechlich vom uebergrossen Leiden, that sie ploetzlich einen lauten Schrei wie von seligster Freude. Die bei ihr waren, darunter der Knecht, der sie einst bedient, sahen einen weissen strahlenden Engel als einen herrlichen Helden. Und er nahm sie bei der Hand und fuehrte sie in das Brautgemach, wo purpurne Rosen lagen auf silberweissen Linnen. Der Knecht, ein uralter Mann zu der Zeit, aber ganz klar in seinem Kopf, vorsichtig und abwaegend in aller seiner Rede, schwor, dass es derselbe gewesen, der sie damals besucht. Viele sprachen ueber diese seltsamen Geschichten: Es ist ein Wunder, Hysterie und Aberglaube. Und welche glaubten noch schlechtere Dinge. Diesen ward die Zunge schwarz in ihrem Mund, und faule Worte kamen nur, dass selbst die, die sie sonst gehoert, einen Abscheu vor ihnen hatten. Selbige schrieen laut auf: "Die Scham ist todt! Die Scham ist todt!" stuerzten sich unter Schweine, dass man sie fuer solche hielt, einsperren und schlagen musste wie niedrige Thiere. Ein Schrecken fuhr in alle Leute der Gegend. Und fuerchteten das Grab und sagten: "Lasst uns eine hohe Mauer darum bauen!" Nur die Jungfrauen kamen und brachten weisse Kraenze. Und ward ein Heiligthum da fuer untadelige Jungfrauen, die nie ein Mann beruehrt hatte, und sehr stark waren, herrliche Thaten vollbrachten vor allem Volk. DAS VIERZEHNTE KAPITEL. Aber der ganze Jammer des Daseins fiel auf ihn eines Abends, da es schon dunkel war, er einsam sass im Staube neben der grossen Heerstrasse. Er dachte an die Jahrhunderte, die dahingegangen waren, und dass sie alle fuer nichts gewesen. Hunger, Hass und Kriegslaerm fuellten die Welt. Jeden Tag unter dem richtenden Beil fielen Haeupter Unseliger, Unschuldige gingen hin und erwuergten sich selbst in Angst und blutiger Noth ihres Leibes. Die Selbstsuechtigen herrschten immer, die, die hart waren, nur schufen fuer sich selbst, ohne Sorge traten auf die nackten Leiber der Verzweifelten. Die, die dumm waren und nicht dachten, schienen klug. Die feige waren, tapfer, und solche, die frassen wie die gefraessige Raupe auf ihrem Blatt und fett wurden, weil sie frassen - aber der Baum selbst starb -, galten fuer die wahren Guten. Man pries sie als Muster der Tugend, zeigte sie denen, die unvernuenftig waren und eigengesinnt: "Seht, wie sie sind! Wie sie nahrhaft werden und fett! Nehmt Euch ein Beispiel an ihrem Gedeihen, Ihr, die Ihr Fluegel habt, die zu schwach sind, der Sonne zustrebt, die Euch verbrennt!" Diese aber waren die schlimmsten Feinde und sie galten fuer den Hort aller Tugenden, hielten die Sitte hoch in ihrer heuchlerischen Klugheit, weil der losgelassne Wolf sie zerrissen haette innerlich, und standen auf dem Boden des Worts, weil es ihnen nuetzte fuer ihre Zwecke, der Strom sie sonst fortgeschwemmt haette in seinem Ueberschwellen. Solcher aber waren Viele. Sie hielten die Gewalt und das Geld. Die Andern zerbrachen ihre Kraefte an denen, stiessen ihre Stirnen blutig und sahen doch nicht was darueber war, ueber ihrer dummen Klugheit, die wahre Weisheit, ueber ihrem Geiz die weite Liebe, ueber ihrer Ungerechtigkeit die grosse Gerechtigkeit. So dass diese ihre besten Kraefte verbrauchten, auch muede wurden, dahingingen in Lastern, Leichtsinn und Unzucht. Weil sie sprachen: "Unser Leben ist kurz und wird uns zugetheilt in kleinen Tropfen. Wir wollen es auf einmal leeren, damit wir den Rausch kennen in seiner Wollust. Und nachher hungrig sein und frieren." Weil sie nicht warten konnten, bis der Wein reif ward und duftig. Nicht schauen, bis sie die Ferne erkannten und Richtung ihres Schiffens. Weil sie jung waren, das Blut siedend schoss in ihren Adern, das lind sein musste vom Denken, der weiten Herzlichkeit ihres Liebens. Diese aber auch liebten zu sehr sich selbst, dass sie wie brennende Fackeln sich verzehrten im Leeren. Die Licht gegeben haetten, reines Feuer zum Leuchten, so sie doch nur geduldig gewesen, sich selbst gereinigt haetten vom Unreinen. Und die Andern, die gar kein Licht hatten, sondern dunkle Kloetze blieben, die muehsam denen ihre schiefen Strahlen auffingen, vom Scheiterhaufenleuchten der Grossen ihren Weg suchten im Finstern, schnobernd wie die Schweine nach Trueffeln, oder niedrige Hunde auf der Faehrte des Aases - spotteten ueber solche, zeigten auf sie in Schadenfreude: "Die verzehren sich und sind gar nicht, Rauch und Asche. Wir stehen fest und finden." Denn sie brauchen nicht viel zu finden, wie der Wurm immer noch Nahrung findet in seinem Koth, dem Maulwurf die Larven niemals fehlen in seiner niedrigen Dunkelheit. Aber der Adler, der sehr hoch fliegt, hat oft sein Futter nicht fuer seine Jungen, wenn Alles unter dem Schnee vereist liegt. Dem seltnen Vogel, der lieblich singt, stellen die Vogelsteller nach. Sein glaenzendes Gefieder lockt Gelueste der Raeuber. So dass diese niemals aufkommen, die die Schoenheit nackt gesehen hatten und priesen, weil ihre eignen Augen unrein waren und ihre Worte die Wollust verriethen. Die Andern aber, die gar nicht sahen und von Wollust voll waren wie die geile Erde vom Mist, - dass sie nicht einmal wussten, dass eine Keuschheit war, den reinen Mond befleckt haetten in ihrer Unreinheit, - waren gross und sprachen die Urtheile ueber wichtige Dinge. Und man nahm ihr Recht fuer _das_ Recht. Und ihre Wahrheit fuer _die_ Wahrheit, dass eine grosse Verwirrung war, die nichts mehr sahen, in der Dunkelheit tappten wie Blinde und Trunkne. Alles dies that seinem Herzen sehr weh. Der Ekel am Leben stieg in ihm auf und wuergte ihn an der Kehle wie bittre Galle, so dass er in sich selber sprach: "Besser waere die Welt gar nicht, Feuer und Schwefel vom Himmel, denn dies! Und besser ein dumpfes Thier, oder eine Pflanze, die waechst und stirbt, denn dieses Halbe im Staube, dem niemals die Fluegel der Seele wachsen. Besser, viel, viel besser ein Niegewordnes, Ungeschaffnes, als das niemals ganz wird, nicht leben kann und nicht sterben." Seine Seele in ihm begann zu hadern mit Gott, dass er die Guete so klein geschaffen und die Groesse niemals gut, die Reinheit sich verdarb an ihrer eignen Spiegelklarheit und die Unreinheit mit dem Schwert der Reue durchgestochen blieb, dass die Menschen sich drehten wie aufgespiesste, unselige Fliegen an ihrem Stachel. Der Stachel war in ihrer eignen Brust und bohrte sich tiefer bei jeder Drehung. Und er sprach zu sich selbst: "Wozu so viel Qual und Leiden? Hast Du sie geschaffen aus Hass oder wurden sie empfangen in Guete? Ist Dein Zweck mit ihnen Gnade oder ist es Neid des Maechtigen, Allherrschenden gegen das Kleine, Auch-Strebende? Bist Du gut? Oder sind sie besser wie Du, und nur eine Zeit ward Dir Macht gegeben, sie zu quaelen, im Staub Gebannte, die ringen und stolz sind? Bist Du der Teufel? Der Ganz-Maechtige nicht? Und es ist ein viel Maechtigerer, Unbegreiflicherer Dir und mir, und der in ihnen ist? Wird er triumphiren, klar sein eines Tages? Und unsre Guete war vor Ihm Halbheit? Unser Licht war Daemmerung? Sage mir, wer Du bist? Wer ich bin fuer Dich? Dann lass mich mich hinlegen und sterben. Denn meine Seele ist muede in mir. Das Licht des Tages thut meinen Augen weh und der Laerm der noch Arbeitenden beleidigt mein Ohr. Ich gruesse die Nacht, die dunkel ist, wo gigantische Schatten schweigen." So sprach er zu sich selbst. Er sah die Nacht herkommen ueber die Felder. Sie kam wie eine starke, riesige Frau mit einem schwarzen, sammetnen Mantel. Die Baeume standen wie dunkle Keulen Gewaffneter und die Stimme des Wassers wurde deutlicher, wie es hallend fiel mit ewig sich loesenden Tropfen. Er sah in die Nacht und frug sie: "Bist Du, die kommen soll?" Sie sprach: "Ich war." Ploetzlich hob sie ihren Mantel auf. Und es war ihm, als koennte er tief hineinsehen in die Nacht, die Nacht aller Zeiten, die vor den Zeiten gewesen war. Er sah die Nacht, die Nacht selbst, von der die Dunkelheit kam und der Schatten. Sie lag wie eine Sphynx, die ein Weib war, und ihre andre Haelfte war eine Loewin. Die Schultern des Weibes aber lagen ueber den Tatzen der Loewin und ihre Brueste starrten gerade wie gerichtete Schwerter. Zu beiden Seiten ihres Hauptes lief eine koenigliche Binde mit Streifen und Zeichen. Sie schnitt die Stirn niedrig ab und ihre Augen standen weit offen, marmorne Augen mit todten, runden Baellen, die geradeaus sahen. Ihre Lippen waren geschlossen. Sie lag ruhig mit milchschweren Bruesten ueber toedtlichen Tatzen. Sie wechselte sich. Und wurde ein schauderhaftes Idol. Auf den Schultern eines eisernen geharnischten Mannes reckte sich ein Vogelkopf mit spitzem, gebognem, hackendem Schnabel. Ein kreisrundes Auge war eingesetzt aus blauem, hellem Email, in der Hoehe des Schnabels, da wo er anfing. Gen Osten stand dieser Mann. Auf einem hohen Postament, die Haende auf sein Schwert gelegt. Die Arme bildeten ein Viereck mit den Schultern und staken in Schienen. Sein Schwert stand ganz gerade, breit wie eine Hand. Senkrechte Riefen liefen mitten durch, in denen das Blut abtropfen konnte. Die Klauen seiner Haende krallten sich um das Schwert. Der Leib und die Beine standen gerade, nach vorne, und der Vogelkopf mit dem Schnabel sah gegen Osten. Wie er diesen noch betrachtete und schaudernd ansah, geschah eine Stimme zu ihm, die sprach: "Das ist die Gewalt. Ihr fielen Koenige zum Opfer. Sein Schnabel ist schwarz vom Geifer der Lebern. Sein Schwert roth vom Blut. Sein eiserner Leib wird gluehend vom Feuer verbrannter Staedte." Das Symbol wechselte sich. Und es wurde eine schwarze Astarte, ganz aus schwarzem Metall, aus Stein oder Eisen, das man geschwaerzt hatte, und es glaenzte nun schwaerzer wie Ebenholz, gefettete Leiber der Neger. Sie stand ganz aufrecht. Der Leib und die Beine waren mit Binden umwickelt. Sie kreuzten sich und kamen wieder, von der Huefthoehe bis an die Gliederung der Zehen. Zeichen waren in diese Binden gegraben, Striche, Muster, Rubinen, gruene Smaragden und sehr dunkle Saphire. Sie folgten sich rhythmisch und redeten eine geheimnissvolle Sprache ueber dem Schwarz, das kam und ging. Dieser ganze Theil des Leibes mit dem Bauch und den Schenkeln war sehr duenn und gerade wie bei einem unmuendigen, ganz unentwickelten Kinde. Und darueber draengten sich erschreckend tausend Brueste. Eine Ueberfuelle von Bruesten, Beeren der reifen Traube, Wellen, die sich stossen, stroemen. Man sah den Kopf im Dunkeln, sehr hoch, mit harten Lippen, steinernen Augen, die hierarchische Binde, die zu beiden Seiten fiel. Die Brueste gleissten, rieselten, Aepfel, Kugeln, gehaertete Spitzen, schwarz, von einem ungeheuerlichen, unirdischen Schwarz, Gruenschwarz der Schlangenhaeute, Tollkirschen, verwester Ueberreste in ihrer Zersetzung. Und die Stimme sprach: "Das ist die Wollust, die Verfluchte. Alles stirbt in ihr. Nur das Eine lebt. Und es wird zur Schauderhaftigkeit, zum Ungethuem. Unfruchtbar ist sie, denn sie ist von Eisen. Ihre Seele in ihr ist Mord." Und diese wieder wechselte sich. Es wurde eine ganz weisse Schlange. Sie trug ein Kroenchen auf dem Kopf. Sie bewegte sich rhythmisch zu einer Art Musik. Ihre Schuppen glaenzten wie Perlmutter, wenn sie sich bewegte, und ihre Augen waren rothe Rubinen. Ein rosa Zuengelchen kam aus ihrem gespalteten Kopf. Sie zuengelte damit und leckte sich zierlich wie Katzen thun. Und rollte sich zu Ringeln und lag ganz zusammengeringelt, als ob sie schliefe. Aber sie schlief nicht. Ein Zittern von Gier und Gift rann durch ihren Leib, der sich milchig blaehte unter dem Bauch. Und die Stimme sprach: "Das ist die falsche Weisheit der Welt. Sie ist arglos und ungefaehrlich anzuschauen. Aber das feinste, siebenmal gefilterte Gift. Wer diese Schlange anruehrt, der stirbt und fuehlt nicht den kleinsten Schmerz, nicht wie einen Nadelstich in die Hand, da man sich das Blut abwischt und weitergeht." Danach sah er noch eine schwarze Kroete, die in ihrem Sumpf sass und glotzte, Harpyen, die mit den Fluegeln schlugen, Baeren und Woelfe. "Das sind die gewoehnlichen Suenden, Reichthum, faules Leben, Unfrieden und Zankhaftigkeit der Weiber. Alle diese sind nur haesslich. Und Suenden der gewoehnlichen Menge. Denn vornehme Herzen werden von ihnen nicht geruehrt, die Andern aber sind die Vornehmen, die Grossen. Die Besten verfallen ihnen." Diese Vision verschwand. Er blieb allein in der Nacht. Die Kaelte war um ihn her und er fror. Die Gedanken huschten in seinem Kopf und schlugen an das Schaedeldach wie mit klappenden Fluegeln. Seine Seele war sehr matt in ihm. Er sprach: "So es so viele Uebel giebt, die Suende also gross und maechtig ist fuer die Besten, waere es nicht besser zu nehmen was schoen ist, froehlich sein im Tage und sterben, wenn es Zeit ist, das Unglueck kommt?" Alsbald kam da ein Zug von lieblichen Maedchen, die Cymbeln und Schalmeien trugen. Und hielten in ihren Haenden Floeten und Harfenspiele, harte Hoelzer, die sie schwirrend schwangen oder gegeneinanderschlugen im Tanze. Ihre Haare waren mit Blumen gekraenzt. Die Blumen fielen gleich Sternen ueber ihr Gelock. Sie trugen Blumen in ihren Armen und hatten lichte Gewaender an und sangen: "Lasst uns froehlich sein und singen! denn das Leben ist kurz, die Jugend verfliegt schnell. Die Jugend ist die Lenzzeit im Leben und die Liebe ist der Sonnenschein am Maitag!" Dann kamen junge Knaben und holten sich diese, fuehrten sie weg zu bluehenden Lauben und heimlichen Grotten. Und wandelten mit ihnen Arm in Arm, kuessten sich zaertlich, lachten und kosten. Sie tanzten wilder. Die Lust stieg. Becher wurden gebracht. Ein Juengling erschien auf goldnem Wagen, den Pardel zogen, von Weinlaub umkraenzt. Und Alle schrieen: "Heil! Heil! Bacchus Evoe!" Der Jubel ihrer Freude scholl durch die Nacht. Sie schwangen Fackeln. Es gab welche, die sich selbst durchstachen, sich Wunden schlugen mit kurzen Schwertern, denn sie wollten heute sterben, weil sie doch morgen todt sind. Und Einige wohnten in Huettchen und hatten Kinder gezeugt, die sie jauchzend emporhoben: "Wir sind gluecklich. Und das Leben ist kurz. Die Liebe ist reifes Erntegold im Sommer." Er sah eine junge, laechelnde Mutter, die ihr Kind an der Brust hielt. Der Sommerhimmel lag in ihren Augen blau und satt. Ihr Leib bluehte und entsandte Waerme wie der Weizenacker im Juni. Man hatte um sie einen Rahmen gebaut in der halben Brusthoehe wie eine goldne Aureole. Das Kind sog. Sie laechelte. Sie war gluecklich. Dies verschwand. Er hoerte neben sich die Stimme eines alten Mannes, der laut auflachte. Er sprach hoehnisch: "Diese sind Eintagsfliegen, Jahrmarktsplunder. Sie glauben zu geniessen und geniessen doch nicht. Sie sind nicht besser denn Schweine. Ihre Freuden sind Freuden des Magens und der Sinne. Aber der feine Magen sagt Pfui! zu ihren schalen Freuden. Der Sinn, der fuehlen gelernt hat, ruehrt sich nicht mehr bei der Grobheit ihrer Eindruecke." Er sprach: "Hast Du Bessres gefunden?" Damit sah er ihn an, der das gesagt hatte. Er sah, dass es ein sehr alter Mann war, und Einer, der lange gewandert war. Sein Haar und Bart hingen wild. Der Staub der Wege lagerte in den Runzeln seines Gesichts. Sie zogen sich tief eingegraben wie von zahllosen Jahren gezeichnet. Die Muedigkeit einer ungeheuren Anstrengung wohnte in den tiefen Hoehlen seiner Wangen. Man erkannte die Sonnen von brennenden Sommern, die ueber sein Haupt dahingegangen waren und die Haare auf ihrer Hoehe gebleicht hatten zu Schnee. Seine Kleider waren fahl vom Staub. Sie hingen zerrissen und schlugen in gefaserten Fetzen um seine mageren Kniee, die ausgearbeitet und knotig waren wie Hoelzer eines uralten Baumes, von denen die Moose hingen in weissen Flocken. Keine Unze Fleisch war mehr an diesen Knieen. Unter der braunen Haut traten die Knochen vor wie durchgeschubbert, gewetzt in einer unausgesetzten Reibung. Seine Nase bog sich scharf wie ein Adlerschnabel. Er hatte keinen Zahn in seinem Munde vor hohem Alter. Aber in seinen schwarzen Augen glomm unausloeschlich Feuer des Lebens. Sie brannten wie Fackeln in einer sehr tiefen, naechtlichen Grotte. So stark war der Glanz ihres rothen Feuers, dass sie die Hoehlen ausgebrannt hatten um sich, die Brauen vorstanden wie Dachbalken eines eingeaescherten Hauses. Der Schnee vieler Winter hing von seinen Brauen. Sein Haar war unbedeckt und flatterte im Winde. Er hielt einen rohen Stab in der Hand aus Knoten des Dornstrauchs. Ueber seiner Schulter hing der Bettelsack. Wie er wanderte, stuetzte er sich auf den Stock. Die Fetzen seines zerlumptem Gewandes schlugen um seine schreitenden Lenden. "Ich wandre - wandre ..." sagte der alte Mann. "Ich weiss nicht, wie lange ich wandre. Ich habe alle Staedte der Menschen gesehen, die Wueste und die hohen Schneegebirge, wo der Schnee ungestoert liegt wie der weisse Flaum auf dem koeniglichen Lager der Jungfrau. Alle Thaten und Dinge der Menschen weiss ich. Ich habe ihre Weisheit gehoert, das Mitternachtoel verbrannt ueber ihren Buechern. Und ich habe dieses gefunden: dass sie gar nicht sind. All' ihre Weisheit ist Bilder von Worten, das Echo eines Klingklang, und sie sind eine Spiegelung des Nichts im Leeren. Dies weiss ich und bin stolz, dass ich es weiss und lache aller ihrer Leiden und Busse. Es ist mir, als ob ich in einen Spiegel des Wassers sehe, der schnell verrinnt, oder Spiele des Guckkastens, wie man Kindern zeigt auf Jahrmaerkten, Launen des Lichts und Wechselungen der Schatten! So man darauf pustet und mit der Hand hineinschlaegt, ist es nichts." Er hauchte und schlug mit der Hand in's Hohle und lachte laut auf. "Aber Gott ist!" sagte der Fremde. "Eine Spiegelung der Spiegelbilder. Die Fratzen werfen ihren Schatten und weil sie ihn von weit werfen, ist er groesser und dunkler. Wie die Wolken, die Du da oben siehst. Und wenn Du hinkommst, sind es nicht Wolken, sondern leere Luft. Nur die Sonne und Spiegelung macht sie zu Wolken." "Etwas muss sein." "Etwas muss sein. Ich suche es im Unendlichen, tausend Jahre, Schatten, der ich bin, im Nichts, das sich bewegt und still bleibt in der Bewegung. Bewegung ist Nichts. Und Stillstand ist nicht. Um Sonnen drehen sich Welten. Aber die Sonne ist nur ein Schein andrer Sonne, und Welten sind Schattenflecken im Leeren. Ich wandre - wandre - wandre." ... Er fasste seinen Stab und ging weiter durch die Nacht. Die Eisenspitze seines starken Stockes klang hart auf dem harten Kies. Die Fetzen seiner zerlumpten Kleider schlugen um seine duerren schreitenden Lenden im Winde. Und Einer sprach: "Das ist der ewige Jude, Ahasver, der Zweifel des Menschen, der nicht ruht. Ob er wohl sieht und nicht sieht, das Gesehene selbst fuer Hirngespinste erklaert. So er die Hand in die Seite legte und die Wundenmale ruehrte mit seinem Finger, wird er sagen, dass das Blut Farbe ist und die Seite ist Seite einer Leiche. Dieser wird niemals selig und wandert bis an's Ende der Tage. Alsdann wird er blind werden, wenn Alle sehen. Und in seiner Blindheit sehen, was in ihm war und immer gewesen ist von Anbeginn." "Werden Alle finden?" fragte er eifrig. "Alle, die suchen. Bis auf Einen, der nicht sucht." "Lass mich den sehen, der nicht findet," bat er. "Es ist zu schrecklich zu sehen fuer menschliche Augen. Sie koennen ihn nur ausdruecken in dem, was sie nicht kennen. Er ist die Nacht." Indem er das sagte, ward die Nacht noch tiefer. Sie drang in seine Seele ein wie das Gefuehl eines hohlen, schrecklichen Abgrunds. So stark war der Schrecken der Finsterniss, dass ihm der Schweiss von der Stirne rann, und wie er fiel, waren es Tropfen Blutes. ... Damit kam die Morgenroethe und die Sonne ging auf. DAS FUeNFZEHNTE KAPITEL. Aber um diese Zeit war das Geruecht von ihm sehr gewaltig geworden. In der Hauptstadt erschuetterten die Predigten Fritz Kuhlemann's, der mit starker Stimme sprach. Er schonte Niemand und rief laut zur Busse. Denn die Zeit war gekommen. Ein grosses Erwachen ging durch die Voelker. Schweres Unheil, Empoerung und Blutvergiessen lag in der Luft, so die Machthaber sich nicht bekehrten, die neue Lehre anerkannten von der Theilung der Gueter, der Bruederschaft aller Sterblichen. Er sprach: "Es ist Unrecht, dass Ihr Armeen habt, Einer den Andern zu bekriegen, die Stimme des Volks zu ersticken, die maechtig spricht. Solches thun die Thiere nicht, die von demselben Blut und gleicher Art sind. Seid Ihr nicht besser denn Thiere? Wehe den Reichen! Wehe denen, die Geld ansammeln und es auf Wucherzinsen ausleihen! Die den Acker mit Schulden bedecken, dass er nicht Frucht bringen kann unter dem verfluchten Eisen! Habt Ihr die Erde geschaffen, dass Ihr sie Euer nennt, Grenzpfaehle setzt so und so weit und Zaeune zieht, dass kein Andrer sie beschreite? Die Erde, die Luft und das Wasser sind des Herrn. Euer aber ist Alles. Und Alle seid Ihr Eines Geschlechts." So gewaltig war seine Stimme, dass ihm die Leute zuliefen in grossen Massen. Kein Raum und kein Saal vermochte mehr die Zahl seiner Zuhoerer zu fassen. Wo man sie zuruecktrieb, kamen Neue. Das Volk ward drohend, dass man seinen Prediger antaste. Droehnend wie Schlachtdrommeten klang seine Rede. Er trug einen haerenen Rock und naehrte sich nur von Nahrung der Pflanzen. Was er verzehrte, gewann er von seiner Haende Arbeit, denn wilde Kraft des Volkes lebte in diesem Manne. Wenn er vor ihnen stand, gewaltig mit duerren Haenden und Armen, gedachte man der alten Prediger in der Wueste. Seine Augen warfen Feuerflammen. Von vielem Denken und Nachtwachen war sein Haar grau geworden. Er trug keinen Hut auf seinem Haupte. Wenn er in einer Stadt fertig geworden war, wanderte er die Nacht ueber zu einer andern. Ueberall gegen Ungerechtigkeit und List erscholl sein Zeugniss: "Ihr nehmt dem Armen scheffelweis. Dann straft und haengt Ihr fuer das, was er Euch wiedernimmt in Koernern. Ihr predigt Demuth und freut Euch an dem, der vor Euch steht mit abgezognem Hut und zitternden Knieen. Vor Gott beugt Ihr die Knie, auf dass vor Euch die Menschen knieen um Eurer Gottesfurcht willen. Seinen heiligen Namen schreibt Ihr ueber Eure schlechten Thaten, Kriege und Haendel, dass Eure Thaten heilig stehen in seinem Namen. Ihr behauptet seine Weisheit zu wissen. Es ist Eure List, die Ihr fein und schneidend schleift am adamantnen Felsen Seiner Gerechtigkeit. Ihr zieht den Strick nicht zu, weil Euch das Lastvieh Saecke tragen soll. Dann sprecht Ihr noch: Seht meine Langmuth und Guetigkeit, dass ich nicht wuerge, wo ich doch wuergen koennte. Der Aermste traegt alle Beschwerde. Ihr wischt Euch die Stirn, sprecht von Eurem Schweiss, Naechten, die Ihr hingebt fuer Euer Rechnen und Raffen in Keller, die Ihr auffuellt fuer Euch und Eure Soehne. O Ihr Heuchler und dreifachen Heuchler! die Ihr die Steine verschluckt, die man gegen Euch wirft, Euch dadurch schwerer macht, vom Gift, das Euch toedten muesste, fresst, bis Ihr giftfest seid! Ihr seid erkannt in Eurer Nacktheit. In Eurer Luege steht Ihr frierend und ganz huelflos." Also trieb er die Gegner vor sich her mit harten Worten. Ein maechtiger Schrecken ging von ihm aus. Viele auch hingen ihm an, Soldaten, die in der activen Armee standen, und man fuerchtete, dass diese im Fall eines Kampfes ihre Waffen gegen ihre Oberen kehren, gemeinsame Sache machen wuerden mit dem Volk, denn des grossen Fuehrers Wort war ueberzeugend. Er scheute sich nicht und nannte die Dinge mit deutlichem Namen wie sie waren. Und Niemand war, der ihm widerstehen konnte, weder mit feingedrehten Gruenden, noch mit Gewalt. So dass davon bewegt wurden bis in die hoechsten Schichten, Regierungen und Ministerien. Man liess ihm unter der Hand anbieten, er sollte da eintreten in die Verwaltung. Man wuerde Verbesserungen machen, Vorschlaege aufstellen, dass die Ungerechtigkeit beseitigt wuerde, Zufriedenheit, genug zu essen sei im Lande. Er aber schlug Alles aus und stiess diese in die Enge mit harten Worten: Dass sie halb waeren und niemals ganz, die den zerrissenen Schlauch flicken wollten mit alten Lappen, klaffende Loecher verkleben mit Pappe von papiernen Acten, Kleister von Speichel: "Ihr selbst muesst weg zunaechst aus dem Platz, da Ihr feststeht, damit frische Luft werde und Bewegung, das Neue sich nicht zerbreche am harten Stein des Gewordenen, von der Verwesung das Leben Farbe und Geruch annehme." Dieses hoerten sie ungern. Da er aber sehr laut sprach, das Volk ihm anhing, machten sie einen andern Versuch. Er ward zum Fuersten befohlen, dass er diesen selbst spraeche, vor der hoechsten Majestaet, so er dessen faehig sei, zeugte fuer die Richtigkeit seiner Ansprueche. Dieser, der noch ein junger und rechtlicher Monarch war, empfing ihn freundlich. Er hatte auch gute Gedanken fuer die Besserung und fuer Alle, beklagte dass Vieles nicht zu seinem Ohr kam, auf ihm aber als dem Hoechsten die Verantwortung ruhte. Nur hoffte er zu Gott, dass ihm das nicht angerechnet wuerde, da er sich nach besten Kraeften bestrebte, auch zu Gott betete, bevor er Urtheil abgab in den grossen Sachen, die ueber Tod und Leben waren und Leben und Tod vieler Tausende. Zu ihm sprach der kuehne Mann: "Mein Fuerst! Du bist ganz und gar unfaehig zu urtheilen, im Einzelnen, wie nun gar ueber viele Hunderte und Tausende. Siehst Du die Seelen der Menschen, vom unschuldigen Kindlein an, wie es war, dass sie also schlecht wurden und Boeses thaten? Ob es eine Krankheit im Blut gewesen sein mag, Schlechtigkeit, Ungerechtigkeit und Unsauberkeit der Welt, die Deines Volkes ist, davon Du Verantwortung traegst? Das Gericht wird gesprochen in des Koenigs Namen. Wenn ein Krieg ist, erklaerst Du ihn. Der fremde Fuerst nimmt Deine Erklaerung an. Ihr Beide steht fuer Eure Voelker, das Recht Eurer Sache. Wie mag ein Einzelner solche Beschwerung ernstlich uebernehmen? Und wie Du zerbrechlich und von elendem Staube bist, in Schmerzen geboren, krank eines Tages und einen andern gesund, sterben musst und Dein Leib wird Wuermerspeise, so sind Deine Brueder, nicht besser und nicht schlechter. Niemals war es Gottes Wille, dass der Eine herrlich gehen sollte in Purpur und Sammet, der Andre wie ein Vieh im Staub kriechen, und viel weniger denn ein Vieh, da er nicht hat seine Bloesse zu bedecken." Worauf der Fuerst sagte, dass er dies in der That beklage, auch sich selbst nicht fuer besser hielte denn andre Menschen. Nur muesste Einer der Maechtigste sein um der Ordnung willen. Es wuerde sonst Alles Unordnung und Anarchie. "Unordnung und Anarchie ist schon in der Welt," sprach der Mann des Volkes traurig. "Eine Nation steht gegen die andre. Die stark sind, ueberwaeltigen die Schwachen. Die schwach sind treten wider die Andern, die noch schwaecher sind, Weiber und Kinder. Es ist nicht mehr Gerechtigkeit denn unter Laeusen und Ungeziefer, und was das Recht genannt wird, ist eine neue Waffe, die die Besitzenden geschmiedet haben, um ihren Besitz festzuhalten und den Gar-nichts-Habenden zu wehren. Durch List, Ehrgeiz und Kriechen gelingt es denen manchmal hineinzukommen. Diese Soehne von Sklaven druecken aerger denn die Herrengebornen, denn sie sind niedrig. Ihre Seelen sind niedrig wie der Staub, dem sie entkrochen sind. Der aber eine hohe Seele haette, koennte Niedriges nicht um sich dulden. Es wuerde ihm unertraeglich sein, sein Ebenbild besudelt zu sehen im Koth, schlechter denn der Fussboden unter seinen Fuessen, den er tritt. Ja, welcher ganz hoch daechte, steige hernieder von seinem Thron und wuerfe ueber ihre blutige Schmach den blutrothen Purpur seiner Hoheit, wie unser hoechster Herr Christus sein edelstes Blut vergossen hat fuer uns Alle. - Und recht koeniglich handelte er, der so thaete, fuerstlich und kaiserlich!" Da ward der junge Fuerst ungeduldig, hiess ihn fortfuehren. "Ich will Dich spaeter hoeren," sagte er. Die Rede hatte ihn unmuthig gemacht. Aber Manches nahm er sich an, hiess auch den Mann oefter vor sich kommen, discutirte mit ihm. Aber auf seine Rede kam er nicht zurueck. Er blieb traurig. Die Diener des Koenigs liessen den Demagogen nicht aus dem Gewahrsam, denn die Aufregung war gross in der Stadt und im Land. Viele zogen durch die Strassen in Haufen, die Brot und Arbeit verlangten. Man rief den Soldaten zu, dass es ihre Pflicht waere, die Waffen niederzulegen, sich zu verbinden mit den Empoerten. Fritz Kuhlemann aber blieb im Gefaengniss. Um dieselbe Zeit nun sprach man von einem wundersamen Buch, das ein Unbekannter geschrieben hatte, oder doch ein Bekannter, denn Viele vermeinten die Art und Redeweise zu erkennen eines gewissen Doctor Anton Rothe, der grosses Aufsehen erregt hatte zu einer Zeit, dann lange Jahre verschollen war. Man sagte, dass er sie in wuesten Ausschweifungen verbracht mit einem Fuersten auf Reisen. Derselbe war blind und auf den Tod krank gewesen Monate lang. In diesen Wochen hatte er das Buch geschrieben. Er hatte es einem Knaben in die Hand dictirt, der nicht schreiben konnte. Und siehe! die Zeichen standen fest und deutlich wie Buchstaben, dass Jeder sie lesen konnte, die die zu lesen verstanden und so nichts vom Lesen und Schreiben wussten, als Kinder und ganz ungebildetes Volk. Es hiess: "Die Blinden, die sehen ..." In wundervoller und deutlicher Weise war geschrieben, wie Christus eintritt in alle Dinge dieser Welt, das Heilige und Kraeftige in der Verwesung, die linde Sonne, die schafft und leuchtet. Und schied das Licht von der Finsterniss, und ging grausam in's Gericht mit dem, was schoen gewesen war und herrlich, zeigte es klar wie es war in entsetzlicher Todtenlarve, dass ein Schauder die Menschheit erfasste, Manche in fliegendem Entsetzen das Werk ihrer Haende zerbrachen. Und schied ueberall die Finsterniss vom Licht, die Gedanken von der Form, den Geist vom Koerperlichen, das heilsam und gut gewesen fuer eine kindlichere Zeit. Und pries die Guete, die reine Unschuld, die Schwachheit, die das Heldenthum ist. Wie Alles ewig ist und Bestand hat, das aus der Liebe geboren ist. Das Andre ist Staub und Schlacke. Es muss verbrennen und immer mehr wegbrennen in immer reinerem und staerkerem Licht, bis nichts mehr bleibt, als das unaussprechliche wunderbare Licht in Gott. Einige sehen es schon im Leibe. Viele aber erst nach diesem Leben. In Allen ist der Funke und das Abbild. Sie leiden und brennen. Das Feuer des Leidens ist die Laeuterung. Der aber das Buch geschrieben in den unaussprechlichen Qualen seines Leibes und Gewissens, dem war es wie Schuppen von den Augen gefallen. Er sah nun und niemals wieder wuerde ein Flecken in sein Auge kommen. Ganz kleine Kindlein sahen von selbst. Ihre Augen sind stet, flackern nicht unruhig wie die der Menschen. Aber ein solch wundersames Buch war nicht geschrieben seit die Welt stand. Und zeigte den Strom des Lichts von Gott, vom Licht ausgehend, durch alle Zeiten und Alter, wie er Form und Blut geworden in Golgatha, und floss in herrlicher, schimmernder Fluth. Um die Haeupter der Heiligen, niedrige Stirnen der Suchenden, Bibelerforscher, Bastillestuermer. ... Immer mit nie fehlender Sicherheit der Gang zum Licht. Das endete ausbrechend mit der grossen Apotheose: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Gold - das Reichste, daran des Menschen Herz haengt, Weihrauch, der den Aufschwung der Seele begleitet, und Myrrhen, die feinste, edle Bluethe der schoenen Kuenste. Dies Buch war in der wunderbarsten Sprache geschrieben, die wie Gesang ging. Die Worte waren einfach und tief, dass die Weisesten davor ehrfuerchtig standen und die Einfaeltigen sie fassen konnten. Die Kraft dieser Worte war wie ein zweischneidendes Schwert und ihre Suesse suesser denn Honig, feinster Duft der Blumen. Ein solches Buch war nicht geschrieben worden und es stand leuchtend und in Erz gegraben, was man an ihm drehte und deutete. Im Gegentheil, seine Strahlen wurden rother und inbruenstiger. Alle rothe Wuth und Finsterniss der Welt konnte das leuchtende Buch nicht umstossen. Wie auf das Volk die Rede des grossen Socialisten, so wirkte das Buch auf die Gebildeten. Es gab vornehme Herren und Grafen, die ihre Gueter abgaben und niederstiegen zu den Geringen. Die Frauen richteten sich auf in leuchtender Keuschheit. Was man als Notwendigkeit mit Widerwillen geleistet, wurde wieder die herrlichste der Tugenden. Maler und Bildner ergriffen begeistert Pinsel und Meissel. Es war ein Wettlauf nach der leuchtenden Schoenheit, wie er nie gewesen. Ahnend standen die Voelker vor den Werken der Geweihten, denn solche Schoenheit war nicht gesehen worden. Und jubelnd noch einmal schwang der Sang des Unbekannten sich auf, im schwindelnden Adlerflug der Seele, das Hohelied des Lichts, das Neue Jerusalem, die Stadt, die den Schatten nicht kennt. Die Farben steigen an in Tonleitern, Symphonieen des Glanzes schwingen sich schwirrend, der trunkne Pinsel, in Sonne getaucht, stolzirt im toenenden Reigengesang der Edelsteine. Zum schmetternden Tedeum vereinen sich die Lichtspender. "Der erste Grund war ein Jaspis, der andre ein Saphir, der dritte ein Chalcedonier, der vierte ein Smaragd. "Der fuenfte ein Sardonyx, der sechste ein Sarder, der siebente ein Chrysolith, der achte ein Beryll, der neunte ein Topas, der zehnte ein Chrysopras, der elfte ein Hyacinth, der zwoelfte ein Amethyst. "Und die zwoelf Thore waren zwoelf Perlen und ein jeglich Thor war von einer Perle; und die Gassen der Stadt waren lauter Gold als ein durchscheinend Glas. "Und ich sah keinen Tempel darinnen, denn der Herr, der allmaechtige Gott ist ihr Tempel und das Lamm. "Und die Stadt bedarf keiner Sonne, noch des Mondes, dass sie ihr scheinen, denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie und ihre Leuchte ist das Lamm. "Und die Heiden, die da selig werden, wandeln in demselben Licht; und die Koenige auf Erden werden ihre Herrlichkeit in dieselbige bringen. "Und ihre Thore werden nicht verschlossen des Tages, denn da wird keine Nacht sein." ... Und es war ein Juengling in einer Stadt desselbigen Landes, der hatte die Schoenheit gesucht sein Leben lang. Denn er dachte richtig, dass, wer die Wahrheit findet, der Schoenheit nahe ist und es keine andre Wahrheit giebt denn in der Vollkommenheit der Schoenheit. Erst hatte er sie gesucht in der Schoenheit des Gedankens. Dann hatte er zu der Schoenheit des Fleisches gebetet, denn der lebendige Leib ist mehr denn der Schatten und die Form hoeher denn das Wort; aber das Alter und die Unvollkommenheit nehmen alle Schoenheit hinweg. Dieser kam zu Ihm, da Er auf einem sehr hohen Berge war. Die ganze Nacht war er den Berg hinaufgeklettert. Die Dornen hatten seine Haende zerrissen, dass sie bluteten. Er war gestolpert im Finstern. Die Steine hatten seine Kniee zerschlagen, dass sie matt und wund geworden waren unter ihm. Oft war er irre gegangen. Lichter hatten ihn genarrt im Finstern. Im Nebel tastete er sich vorwaerts mit Haenden und Fuessen. Seine Augen waren wie blind, dass er die Hand nicht sah vor seinen Augen. Er sah nicht das Gesicht dessen, der vor ihm stand. Aber er fiel vor ihm nieder und hob die Haende hoch. Flehte ihn an und bat: "Lass mich sehen die grosse Schoenheit Deines Antlitzes und sterben." Er sprach: "Ich will sie Dir zeigen. Aber huete Dich wohl, dass der Schrecken Dich nicht niederstuerzt vom Felsen. Denn meine Schoenheit ist schrecklich wie der Adler." Und er sah ein Unendliches, Furchtbares. Das fuhr dahin ueber seinem Haupte. Kreisende Sterne sassen in Seinen Lenden. Wolken bildeten den Saum Seines Kleides. Seine Stimme glich dem Donner und das Zucken Seiner Brauen war der Blitz. Zugleich geschah ein Windesbrausen wie von tausend Winden. Er fiel auf den Boden wie betaeubt und der Blitz fuhr ueber ihn hin. Danach hoerte er Schalmeien. Die kamen sehr lieblich und klingend aus goldner Ferne. Er sah einen Juengling ganz nackt in der jungen Herrlichkeit seiner prangenden Glieder. Der Bogen hing ueber seiner Schulter und die Leyer lehnte zu seinen Fuessen. Die Gesaenge seiner Leyer waren lockender wie Goldklingen. Wo er hintrat, bluehten Veilchen. Die wilden Thiere des Waldes kamen angezogen von dem Wunder seiner Laute. - Aber das Antlitz des Juenglings blieb marmorn. Danach sprach eine andre Stimme: "Kennst Du mich?" Er sah einen Mann am Kreuze haengen. Sein Antlitz hing auf seine Brust und seine Arme blieben ausgestreckt; denn die Schwere seines Koerpers war zu gross fuer seine Arme. Dornen kroenten seine Stirn. Das Blut troff von den Dornenmalen. Es floss aus seiner geoeffneten Seite. Die Naegel gingen durch sein Fleisch und die Stricke schnitten tiefe Wundenstriemen. Aber der Mund blieb weit gezerrt. Der Mund schrie in seiner Qual und rief: "Mich duerstet ..." Seine Thraenen tropften sehr schnell, er sprach: "Herr! Ich kenne Dich. Du bist schoen und der Edelste unter den Geschaffnen. Aber ich habe eine Schoenheit getraeumt, groesser denn Deine. Und ich bitte Dich, dass Du mir zeigest Deine letzte Schoenheit." Aber der Mann am Kreuz schien zu laecheln. Seine Wunden wurden Rosen und die Rosen fielen im rothen, duftenden Regen. Die Dornen um seine Stirn waren Strahlen, die aus seiner Stirn brachen wie Sonnengluth. Vom Gold dieser Strahlen wurde die Welt warm und toenend. - Aber die Schlange war der Strick, der ringelnd niedersank. Und das Kreuz wurde der Baum, der Baum des Lebens aus dem Paradiese. Und Er streckte seine Hand aus und brach von ihm die Frucht der Erkenntniss, die roth war vom Blut des Lebens, in der Form des Apfels, der den Samen birgt. Und Er reichte sie ihm hin und sprach: "Iss!" Da fiel der hin wie sinnlos. Als man diesen aufhob, waren seine Augen blind. Er sah niemals wieder und seine Haare waren weiss geworden wie die eines sehr alten Mannes. Aber er hatte die Dinge geschaut, die unbeschreiblich sind, frohlockte in seinem Herzen und pries jeden Tag Gott, bis an seinen Tod, der bald kam. Denn er hatte in einer Stunde das ganze Leben gesehen und allen Kreislauf des Gewordnen. Und die Fibern und Hirne der Sterblichen sind schwach. DAS SECHZEHNTE KAPITEL. Aber seine Feinde waren sehr thaetig und machten boeses Geschrei wider ihn. Denn es war grosse Aufregung im Lande. Die Hungrigen und Arbeitslosen thaten sich zusammen auf den Landstrassen, zogen hin und her und forderten Brot mit lauter Stimme. Es kam auch vor in abgelegenen Gegenden, dass man Fabriken und Lagerraeume verwuestete, Laeden der Baecker und Fleischer pluenderte. Wo man auf der einen Seite die Empoerung niedergeschlagen mit Blei und Kanonen, schlugen am andern Ort die Flammen wieder auf. Auch bestand eine Art Verbindung zwischen den Arbeitern aller Laender, dass sie sich zusammenthun und Gewalten umstuerzen wollten. Die Einen gaben Geldmittel fuer die Andern, die feierten. Man vereinigte sich in Kongressen, Zeitungen und Druckschriften riefen auf zum allgemeinen Ausstand. So dass eine grosse Bewegung, niemals Ruhe war im Lande, denn Viele auch der Gelehrten und Gebildeten nahmen sich der Sache an, forderten, die Einen eine Bodenreform, dass man den Grundbesitz allgemein machen sollte, Andre eine Verstaatlichung der grossen Betriebe und Waarenhaeuser. Viele aber gar die ganze Theilung, wie es die armen Leute auf ihr Programm geschrieben hatten. Und waren bereit fuer ihr Theil anzufangen, mitzugehen mit diesen. Es gab selbst Priester der herrschenden Kirchen, die kuehn ihren Mund aufthaten; forderten die Reichen auf abzulassen von Habsucht und Wollust. Die Armen aber nannten sie das Volk Gottes und riefen aus, dass ihre Sache gerecht sei. So befand sich Alles in Unordnung. Einige zogen hierhin, die Andern dorthin. Welche sprachen: "Morgen wird die Befreiung kommen. Sie wird kommen durch Waffengewalt, denn wir sind Viele. Sie aber sind Wenige. So wir dazu kommen uns zu messen im Kampf und zusammenhalten, sind wir ihnen ueberlegen zehnfach und hundertfach. Es kann uns nicht fehlen. Wir muessen nur einstehen Einer fuer den Andern und unser Pulver trocken halten." Gerade dies aber zeigte sich schwierig, dass sie zusammenhielten. Denn von den Fuehrern suchte ein Jeder das Seine. Sie stritten her und hin ueber die einzelnen Saetze. Die Rivalitaet der Nationen machte sich geltend, auch eine Frage der Geschlechter, da die Maenner die Weiber nicht wollten als voll gelten lassen, diese aber wiederum sprechen und Herren sein wollten wie Jene. In den gelehrten Buechern und Blaettern stritten sie sich gleichfalls. Der Eine warf dem Andern niedre Beweggruende und Tuecken vor. Es waren nicht Zwei, die dieselbe Meinung hatten. Die es wohl meinten, waren schwach und traeumten. Die Andern aber wuehlten und zeigten sich sehr thaetig. Das ganz rohe Volk draengte zu Thaten. Sie sprachen: "Es ist besser wir sterben, als wir tragen dies Leben laenger, das schlimmer ist wie der Tod, und setzen Kinder in die Welt, die Last weiterzutragen mit gekruemmtem Nacken wie wir." Diese waren nicht viel besser wie die Thiere. Sie sprachen: "Lasst uns trinken! Wenn wir uns Muth getrunken haben, wollen wir gehen und todtschlagen!" Und schlugen blindlings drauf los, wen sie fanden. Die man ihrerseits schlug und gefangen setzte wie wilde Raubthiere. Auch zu dem Fremden kamen Etliche von Solchen. Sie sprachen: "Sei Du unser Fuehrer! Sage uns, was wir thun sollen. Wir wollen hinter Dir herziehen und Du sollst unser Fuerst sein." Diese sah er an. Er sah, dass ihre Gesichter entstellt waren von Lastern. Der Geist des Branntweins war in ihren Augen. Ihr Athem roch schlecht vom giftigen Fusel, der sie verbrannte. Alle ihre Bewegungen waren obscoen. Sie schrieen nach Weibern und Trunk. So sie solche hatten, nahmen sie ihren Theil, soffen sich voll. Nicht anders waren sie denn Schweine. Und er antwortete ihnen kein Wort. Sie sprachen: "Du verachtest uns, weil wir schmutzig sind und uebel riechen. Sind wir nicht ebenso gut und besser denn Jene, die sich mit Seife und Salben waschen, suesse Weine trinken?" Er sprach: "Ihr seid nicht besser. Ihre Haende sind gewaschen. Sie brauchen nicht rohe Worte. Sie essen und trinken ihr Maass. Ihre Leidenschaften sind in ihren Haenden wie gute und gehorsame Pferde. Sie wissen genug, um voraus zu denken und rechnen zu koennen. Ihr Wissen giebt ihnen die Grenze und Wirkung ihres Thuns. Ihr seid ganz schlecht und ganz nutzlos." Dann sprachen Einige: "So bist Du also ein Vornehmer und haeltst es mit den Reichen und Maechtigen?" Er sprach: "Die Maechtigen und Reichen haben andre Laster wie Ihr. Sie luegen, wo Ihr roh seid. Wenn Ihr fresst, kitzeln sie ihre Gaumen mit scharfen und unnatuerlichen Sachen. Wo Ihr dem Augenblick folgt, rechnen sie mit List und legen Schlingen. Ein Armer sorgt nicht so um Leib und Blut, laesst wohl sein Leben. Der Reiche zittert fuer seine Gueter. Nichts Lieberes ist ihm als das Leben, dass er sich Aerzte sucht, es zu verlaengern, noch im Tode mit Denkmaelern und Bildsaeulen sich ehrt, so er doch todt ist, nichts wie Staub und Wuermer. Der Arme ist weit ab vom Reiche Gottes, weil er arm ist. Aber der Reiche ist weiter entfernt." Sie sprachen: "Sage uns, was ist das Reich Gottes?" Er sprach: "Was Ihr Glueck nennt, Frieden in uns und ausserhalb." Sie sprachen: "Wer hat das Glueck? Und wie sagst Du, dass der Arme ihm naeher ist als der Reiche?" Er sprach: "Der Reiche hat viele Beduerfnisse. So er nicht sein festes Haus hat, Pferde und Dienerschaft, ein koestliches Essen, wie mag er sich freuen? Der Arme bedarf des Allen nicht. Der unter freiem Himmel naechtigt, braucht kein Dach. Der am Brot sich satt isst, bedarf des Fleisches nicht. Wem Wasser genuegt, was soll ihm der Wein?" Sie sprachen: "Das ist ganz thoericht. Wir wollen Alle in Schloessern wohnen, Fleisch essen und Wein trinken alle Tage." Er sprach: "Seht zu, wo Ihr es findet," wandte sich von ihnen und sprach nicht mehr. Zu ihm kamen Andre, die sich klug duenkten, sprachen: "Wir wissen sehr wohl, dass Du recht hast. Alles ist in der Klugheit, im Witz des Menschen. Mit ihm erfindet er, verbindet Meere und Erdtheile. Sieh das System, das wir aufgebaut haben, darin das Glueck ist und Wohlleben fuer Alle." Er sprach: "Der Stein ist geduldig. Er traegt die Marke, die man ihm eingraebt. Wie wollt Ihr solches zeichnen in Fleisch und Blut? Die Kraefte der Natur gehorchen Gesetzen. Wer ihr ihre Gesetze ablauscht, der ist ihr Herr; weil er ihr folgt in ihren Zwecken, nur ihr Diener ist, den sie traegt. Kennst Du das Gesetz, das den Knaben leitet zum rothen Mord oder die tugendsame Jungfrau zur Buhlschaft?" Sie sprachen: "Wir kennen es nicht." Er sprach: "Es giebt kein Gesetz, das gut ist fuer Alle. Aber das Gute ist in Allem. So Jeder gut thut, ist Alles gut." Das verstanden sie nicht und sprachen: "Es wird immer Schlechte geben." Er sprach: "So lange es sie giebt, ist Nichts gut." "So sollen wir gar nichts thun, die Haende in den Schooss legen?" fragten sie nun. Er sprach zu dem, der das sagte: "Thue Du fuer Dich! Maechtiger denn viele Worte spricht das Beispiel. Eine That wiegt schwerer denn tausend Gleichnisse. Einer, der stirbt fuer sein Leben, schafft zehnfaches Leben." Aber es gefiel Keinem, was er sagte. Sie murrten gegen ihn: "Das haben wir laengst gewusst. Diese Weisheit ist so alt wie die Sonne. Es ist nichts gekommen aus ihr und hat sich nichts geaendert, seit die Sonne scheint." Er aber ward traurig in seinem Herzen, dachte: "O dass Ihr hasstet oder liebtet! Aber es ist nur Erde in Euch oder kalter Verstand. Ihr seht die Sonne nicht vor so vielem kuenstlichen Licht. Rom war besser und Babylon war edler. Im blutrothen Blut muesst Ihr roth werden! Von den Flammen Eurer Staedte und Haeuser werden in Euch Flammen aufschlagen! O Ihr armseliges Geschlecht in Eurem Reichthum! Wuermer und Elende in all' Eurer Kunst!" Da er weiterging, fand er einen sehr alten Mann. Der sass vor seiner Huette in der Abendsonne. Wie er vorbeiging, gruesste ihn der alte Mann. Er sprach: "Lass mich trinken und gieb mir zu essen von Deinem Mahle." Da gab ihm der alte Mann frisches Wasser, Brot und eine reife Frucht von den Fruchtbaeumen, die vor seiner Huette wuchsen. Der alte Mann sprach: "Dies ist meine Nahrung Winter und Sommer. Ich nehme niemals andre. Fleisch und Blutiges kommt nicht ueber meine Lippen. Und Frucht der Traube nicht, deren Saft gegohren ist. Ich bin stark damit und gesund. Nichts fehlt mir. Ein Arzt hat meine Huette nicht betreten, seit ich diese Lebensweise annahm. Winter und Sommer stehe ich zeitig auf. Ich trage mein Holz selbst und reinige meine Huette. Meine Mahlzeit bereite ich mir mit meinen Haenden. Ein wollner Rock genuegt mir, wenn es kalt ist, und ein leinener fuer den Sommer. Wasser reicht mir die Quelle vor meiner Huette. Mit meinen Haenden habe ich diese Fruchtbaeume gepflanzt, die um mein Haus stehen. Mein Acker, den ich selbst bestelle, giebt mir mein Brot. Meine Thiere sind meine Freunde. Sie hoeren meine Stimme. Wenn ich einsam bin, leisten sie mir Gesellschaft. Ihre Noethe sind meine Noethe. Das Kalb, das geboren wird, gehoert mir, wie es zu seiner Mutter laeuft. Sie kennen keine Scheu und keine Furcht. Selbst die wilden Thiere des Waldes kennen mich und kommen zu meiner Huette, wenn sie Futter suchen. Die scheuen Voegel unter dem Himmel setzen sich auf meine Hand, wenn ich sie ausstrecke, und erzaehlen ihre unschuldigen Geschichten." Damit streckte er seine Hand aus. Kleine Meislein und Rothkelchen, die huepften und liefen, kamen kecklich, flogen auf seinen Finger. Sie pickten an seinen Lippen, als ob sie anfragen wollten, setzten sich auf seine Schulter und klappten mit den Fluegeln. Rehe aus dem Walde traten heraus ohne Scheu und nahmen ihr Futter aus seiner Hand. Die furchtsamen Hasen machten friedliche Maennchen, putzten und ueberschlugen sich. "Alle sind meine Brueder," sagte der alte Mann. "Meine Kinder, weil sie schwaecher und unkluger sind wie ich. Aber ihre Unklugheit ist nur scheinbar. Sie wissen sehr gut, wie sie zu leben haben, wo sie ihre Nahrung finden. Sie wissen auch, dass noch etwas Andres ist wie hienieden; nur sie _wissen_ es und sorgen nicht. Hoere!" Im Busch schlug die Nachtigall eine sehnende Weise. So lieblich, so voll Klage und schmelzendem, lockendem Zuruf! Das Reh sah ihn an mit treuen, verstaendigen Augen. "Es ist nicht nur die Brunst, die sie lebendig macht fuer die Fortsetzung dieses armen, kleinen, lebendigen Lebens. Weil sie fuehlen, dass sie in einer Kette sind, Alle zum Lobe Gottes, den sie preisen aus ihren kleinen Kehlen, mit dem stummen Bluehen ihrer Kelche, taeglich. Das sind die Unschuldigen der Natur. Ich liebe sie, obgleich die Menschen sie verachten, sich klueger duenken in ihrem Stolz, ihrer Geschaeftigkeit." Er aber erstaunte sich, so viel Weisheit und Demuth zu finden in einem alten Mann. Ein wundersamer Mann war er, mit der grossen, viereckigen Stirn, die das Denken ausgearbeitet hatte wie einen Marmorblock. Sein Haar und Bart war langgewachsen. Er sah aus wie ein Bauer und war doch ein Herr. Ruhende Staerke lag in ihm, der Blick, der ueber Viele sieht. Aber er blieb milde. Seine Hand koste den Flaum des Rehs, wo es weich ist unter dem Hals des Thiers. Er fuhr fort: "Frueher war ich auch wie die andern Menschen. Hochmuethig und geschaeftig, verzagt in meinem Thun, wenn es nicht ging wie ich wollte. Geschaefte der Koenige wollte ich thun an Fuerstenhoefen. Ich wollte weise sein wie ihre Weisesten, lustig leben wie die Lustigen und Tollen. Ich habe ihre Buecher gelesen. Ich habe Frauen gekuesst. Ich habe um Reichthum gesorgt und gerafft. Alles ist eitel. Gluecklich ist, der Niemandes bedarf, und Alles zu geben hat den Andern. "... Ich habe ihre Kuenste getrieben. Mir gefiel das schlanke Spiel der Woerter, dass sie sich verwirrten und kreuzten wie blanke Schwerter - auseinander sinken und zur Erde flattern, harmlose Strohhalme. Farben liebte ich, die die Worte lebendig machen wie von getrunknem Blut, Toene, die rufen, die locken und befehlen, weinen machen und lachen, wie es der Zauber verfuegt, der sie Alle regiert. - Ich berauschte mich selbst am Wohlklang meiner Toene. Wollust war in der Farbe meiner Bilder. Meine Worte waren klingelnd wie Schlittenklang, toenende Erze und hallende Schellen. - Alles ist eitel. _Eine_ Kunst giebt es zu thun, was recht ist. Eine Farbe der Wahrheit. Einen Ton, des Verlornen, den wir wiedergefunden." Er sprach: "Welches ist der Ton, den Du wiedergefunden? Lass mich hoeren, dass ich weiss, ob es der rechte ist." Der alte Mann sprach: "Vor langen Jahrhunderten klang er am See. Am See, der zwischen den Bergen liegt, Genezareth. Was da gesprochen in himmlischen Toenen, durch die Zeiten und Alter klingt es als Wahrsang. Wir zaehlen die Jahre. Der Sang ging verloren in Schwertschlag und Goldklink. In blinkenden Fabeln von Wissen und Kunst. - Es giebt nur den. Niemals ward er vollkommen." Er sprach: "Der Sang ist der rechte, den Du gefunden. In ihm liegt Alles. Erfuellung und Leben." "In ihm liegt Antwort, Weisheit und Einfalt. Dreierlei seh' ich die Zeiten zu deuten: Dass Einige weigern Kriegsdienst zu thun, Verfolgung erleiden, Gefaengniss und Tod. Dass Viele erkannten, ihr Wissen ist eitel im weiseren Wissen. Dass Keuschheit wieder die oberste Tugend, die Frauen erwachen, die stark sind und kuenden. - Der bedarf nicht der Schaetze, der die Perle gefunden. Der Tod ist ihm Freund, der das Leben erkannt. Ich sitze hier und warte des Todes. Des Fuehrers harr' ich, der einfuehrt zum Tage." So nahmen sie Abschied. Der alte Mann sass ganz still auf der Bank vor seiner Huette. Um ihn liefen die Thiere, weideten, piepten. Er sah in die rothe, sinkende Sonne. Die Sonne sank. DAS SIEBZEHNTE KAPITEL. Dies geschah, als eine Empoerung kam im Lande. Die Armen wollten nicht Hunger leiden und arm sein mehr. Es gab eine grosse Anzahl der Arbeitslosen auf allen Landstrassen, weil die Zeiten schlecht waren. Man hatte eine solche Fuelle der Gueter in den vergangenen Jahren auf den Markt geworfen, dass Niemand mehr Waaren kaufen wollte. Das Korn lag in den Speichern und verdarb. Das Fleisch wurde zu theuren Preisen verkauft, weil die Haendler nicht wussten was zu thun mit den Massen ihres Viehs, Einige riethen es todtzuschlagen und zu vergraben. Waehrend die Armen Hunger litten. Sie zogen umher in grossen Banden, Weiber und Kinder, muessig vom Morgen bis zum Abend, denn sie sprachen: "Was nuetzt es, so wir doch keine Arbeit finden. Lasst uns essen und trinken und todtschlagen, denn morgen sind wir todt." Gegen diese schickte man grosse Mengen Soldaten und Militair. Sie vertilgten Viele von ihnen und schlugen sie in blutigen Schlachten, dass das Blut auf dem Strassenpflaster floss, die Koepfe der Fallenden sich zerschlugen am harten Stein. Ihr Gehirn stuerzte aus den Schaedeln gleich Wasser aus festen Toepfen. Von Geschrei und Wehklagen war die Luft erfuellt wie in einem Schlachthause. Es kam aber auch vor, dass welche von den Soldaten ihre Helme und Roecke wegwarfen, zu den Feinden uebergingen, neben welchen sie kaempften auf hohen Barrikaden, in engen Strassen, die man versperrt hatte mit umgestuerzten Wagen, Matratzen und Moebelstuecken aus den Haeusern. Der Kampf wurde noch blutiger dadurch. Die Andern machten Jagd auf ihre frueheren Kameraden, schlugen sie todt wie die Hunde. Es gab keinen Pardon mehr auf beiden Seiten. Das Gemetzel war furchtbar, dass alle Haeuser gefuellt waren mit Sterbenden und Verwundeten. Selbst die Leichen verschonte man nicht, uebte an ihnen grausame Verstuemmelung, dass viele zarte Frauen und Maedchen den Verstand verloren vom Grauen des Anblicks. Die Leute, die sich verloren sahen, toedteten sich lieber selber, ehe sie sich dem Feind uebergaben in seiner Grausamkeit, der sie einschloss, zusammenpackte in den Gefaengnissen, getoedtet zu werden oder gerichtet zum Leben, wie es der Richter recht befand. Es waren junge Leute unter ihnen von achtzehn und zwanzig Jahren, denen der Tod lieblich und glorreich duenkte gegen Zuchthausarbeit und Ketten. Solches kam auch vor den Koenig und verdross ihn sehr in seinem Herzen, bekuemmerte ihn, dass er keine Ruhe fand, oft nicht schlafen konnte in der Nacht. So liess er sich den grossen Prediger der Socialisten holen, den er noch immer im Gefaengniss hielt. Denn wiewohl keine Ursache gegen ihn vorlag, wollte man ihn doch nicht freilassen. Seine Name ward geschrieen auf den Strassen. Viele behaupteten, dass geheime Verbindung bestand zwischen ihm im Gefaengniss und seinen Anhaengern ausserhalb. Diese forderten laut, dass man ihm den Process machte, ein Exempel statuirte zur Abschreckung der Andern, weil er wohlbekannt war, sein Name als eine Fahne diente, der sie Alle folgten. Dieser sprach unerschrocken vor dem Koenig. "Es ist Deine Schuld so gut wie dieser, wenn sie jetzt blutgierige Thiere sind. Ihr habt sie gehalten als Thiere in Unwissenheit und Rohheit." Der Koenig sprach: "Ich will ihnen ja geben. Aber ich kann ihnen nicht Alles geben." Er sprach: "Es ist viel wichtiger, dass Du giebst, denn was sie nehmen. So lange Einer hat, werden sie unzufrieden sein. So aber Keiner hat, sich sorge, wie er seine Habe halte, sind Alle zufrieden. Ausserdem dass es Deiner eignen Seele gut ist." Davon wollte er nichts hoeren, schickte ihn immer und immer wieder weg. Aber wenn seine Bekuemmerniss gross war und seine Seele sehr unruhig in ihm, schickte er von Neuem und liess ihn holen. Und wollte nichts hoeren, wenn seine Raethe draengten, sie sprachen: "Wir haben den Beweis und den. Sein Kopf muss fallen, denn er ist ein Hochverraether." So dass ein Gerede ging im ganzen Land: "Der Drechslergeselle ist mehr denn unser Koenig. Der Sohn der Gosse giebt die Gesetze im Staat." Sie verbreiteten dies Geruecht mit Fleiss bis zu den fremden Koenigen, dass diese Briefe schrieben, sich darueber bewegten. Alle sagten: "Er hat keine Macht mehr in seinem eignen Staat. Sie ist in die Haende dieses Aufruehrers gegeben, der ihn am Narrenseil fuehrt, eine Herrschaft der Bettler errichtet ueber seinem Thron." Seine Raethe beeilten sich, dieses Gerede wieder vor den Fuersten zu bringen, denn sie wussten, dass solches ihn wurmen, in ihm fressen musste wie gluehendes Eisen. Er hielt viel auf seine Wuerde, die er von seinen Vaetern ererbt hatte, und war noch ein junger Fuerst, solchen Tand der Majestaet gewohnt von Jugend auf. Sie neigten sich bis zur Erde vor ihm, leckten seine Schuhsohlen, waehrend sie ihm grobe Schmeicheleien sagten. "Dein Angesicht ist strahlender wie die Sonne. Wer in seinem Schatten lebt, muss sterben und verkuemmern." Sie priesen seine Weisheit, die groesser sei denn die aller Gelehrten und Weisesten im Land. Aber seine Macht war groesser als aller Koenige ringsum. So er nur wollte, war er der Herr der Welt. Das Wort aus seinem Munde blieb Gesetz. Der blutige Kriegsruhm seiner Vorfahren wuerde ihm folgen auf allen seinen Fahrten. Zur selben Zeit versuchten sie geflissentlich den Reformator zu verringern: "Wer ist dieser Mann? Ein Niedriggeborner und Aufgeblasner, der seinen eignen Vortheil sucht in dem der Crapule. Wie wagt er zu Dir zu sprechen, den Gott selbst gesalbt hat! Koenige sind gewesen von Anbeginn der Zeiten. Wer wird die Macht haben, wenn Du sie nicht haeltst? Vielschwaetzer, armselige, kleine Kraemer und Pillendreher? Man denkt, dass Du ihn fuerchtest. Der Aufruhr zieht neues Blut aus seiner Gegenwart, weil Keiner denkt, dass Du ihn angreifen wirst, dem Dein Schweigen Recht giebt. Du selbst bist erschuettert in Deinem Innern, glaubst nicht an Dein heiliges Richteramt, dass Du bist von der Gnade Gottes, der Hoechste der Sterblichen, ihnen zu Dienst und Anbetung gesetzt von oben." So peinigten sie die Seele des Fuersten, beugten sich in den Staub, gaben grosse Feste. Boeller donnerten, Fahnen wehten. Man brachte koestliche Geschenke von Silber und Gold. Alle Truppen in glaenzenden Uniformen mit blinkenden Waffen defilirten. Das Zucken seiner Wimpern war fuer sie Gesetz. Wo er auftrat, folgten seinem Tritt Tausende. So dass sein Herz wieder stark wurde in ihm: "Es ist Alles zum Besten eingerichtet. Da sieh doch! Und hoere den Jubel meines Volkes bei meinem Einzug." Der Gefangene aber blieb fest. "Es ist nicht gut. Von Dir wird gefordert werden Gut und Boese." Dass sie sich nicht einigen konnten, der Koenig ihn wegschickte im Aerger. Diesem stiess ein ganz seltsames Begebniss zu. Als er nach seinem Jugendfreund Johannes fragte, der sein bester Geselle gewesen war, Rathgeber in allen Dingen, - und er hatte keinen lieberen Freund wie ihn oder einen, der gerechter war und weiser, - sagte man ihm, dass dieser sein Haus nicht verlassen habe, hielt sich eingeschlossen in seinem Hause und antwortete Niemandem, nicht seinen Eltern, die ihn mit Thraenen beschworen, noch seinen Freunden, die um ihn sorgten, auch nicht den Vorgesetzten, die ihn zu den Pflichten seines Amtes ermahnten. So dass Jedermann anfing an seinem Verstand zu zweifeln, die seltsamsten Geruechte ueber ihn umgingen in der Stadt. Nur eine schlechte, wilde Katze haette er mit sich gebracht aus dem Walde. Er gab ihr zu essen und beobachtete sie lange auf ihren Raubgaengen. Des Abends kam sie sehr nahe zum Feuer und schlief da zusammengerollt mit eingezogenen Krallen, waehrend er wachend dachte, das Oel nicht ausgehen liess Tag und Nacht. Ganz verwildert war er in seinem Aeussern, mit langhaengendem Bart und Haaren, dass alle seine Freunde anfingen, an eine Verwirrtheit zu glauben, grosse und beruehmte Aerzte herbeizogen aus der Stadt und Gegend. Sie stellten ihm viele Fragen, betasteten seinen Puls und die Zunge. Aber er antwortete ihnen gar nichts. Sie konnten kein Zeichen einer Krankheit an ihm finden. Es war ein junges Maedchen in der Stadt, die Tochter eines angesehenen und graeflichen Hauses, wohl angeschrieben bei Hofe. Diese hatte schon lange im Geheimen eine Zuneigung zu dem jungen Prediger, wie kindliche, unschuldige Maedchen fuehlen, ohne davon zu sprechen oder gar demjenigen ein Zeichen zu geben. Nur fehlte sie niemals in seiner Kirche, jedes kleine Geschenk oder zufaellig von seiner Hand Beruehrte hob sie sorgfaeltig auf. Traf sie ihn unversehens, stieg sofort die hohe Roethe der Scham ihr in die Stirn, denn sie schaemte sich ihrer Sehnsucht nach dem Mann, in der Keuschheit ihres Leibes, waehrend ihre Liebe doch zugleich ihr hoechste Freude und Seligkeit war, also trefflich erschien er, wohlgelobt und hochgehalten vor allen Menschen. Und war nicht, der an ihm ruehren konnte, weder die Frechen, noch die Luegner. So liebte sie allein im Garten sich zu ergehen, oder in ihrer Stube lange zu sitzen mit dem offnen Fenster im Fruehling. Sonst war sie sanft und freundlich zu Jedermann, ein sehr liebliches, junges Maedchen, obgleich zart, zierlich gebildet wie eine Maiblume, mit zu schweren blonden Haaren, einer weissen Haut, unter der man die blauen Adern sah. Ihre Eltern, ob sie gleich ihre geheime Zuneigung ahnten, sagten sie ihr doch nichts. Weil sie so jung war, wollten sie sie nicht erschrecken, indem sie an die Geheimnisse des Geschlechts in ihr ruehrten. Vielleicht hofften sie auch, dass spaeter sich finden wuerde, was noch fern war und Zeit hatte. Selbst die alten Eltern des von ihr Verehrten wollten ihr sehr wohl, empfingen sie oft und seine Mutter liess sie an ihrer Seite sitzen. Denn sie war ein sehr anmuthiges und feines Kind, lind und kosend wie ein frueher Lenzmorgen unter Aprilschauern. Diese Jungfrau, als sie von der Krankheit ihres Geliebten hoerte, dass Niemand zu ihm sprechen koennte, er allein sass mit der haesslichen Katze, machte sie sich allein auf, ohne irgend einem Menschen etwas zu sagen. Sie zog ihr weisses Kleid an, das ihr ihre Eltern geschenkt hatten zu dem ersten grossen Fest am Hofe, band ihre Haare auf, machte sich zurecht also huebsch und zierlich, als sie vermochte in ihrer Jugend und Unschuld, und ging zu ihrem Johannes hinauf in die Kammer, wo er sass und bruetete. Und die Katze hockte neben ihm am Feuer, blinzelte mit gruenlichen Augen, putzte sich zierlich und schlug mit den Pfoten in die Luft nach Fliegen. So satt war sie geworden von all' der Milch und dem guten Fressen, dass ihr Koerper rund erschien wie ein Ball. Er selbst war ganz eingefallen. Seine Backen zeigten tiefe Loecher wie die eines Todtkranken. Er starrte aus hohlen Augen und rieb die mageren Finger hin und her, eine Hand ueber der andern. So erschien vor ihm die Jungfrau in all' ihrer Scham und Lieblichkeit. Aber er sah sie gar nicht, fuhr fort zu starren und die Finger gegeneinander zu reiben. Sprach sie zu ihm: "Lieber Herr! Was fehlt Euch? Alle Eure Freunde sind in Sorge. Eure Eltern weinen. Vielen ist es ein grosses Kuemmerniss, Euch also schwerkrank und schweigsam zu wissen." Darauf sah er sie wirklich an, aber immer noch ohne sie zu sehen, gleichsam als schaute er durch sie hindurch, da, wo sie war, blieb nichts. "Bist Du eine Katze?" sagte er zu ihr. "Gehst Du des Nachts auf Raub aus, wenn es daemmrig ist? Hast Du Junge, die Du saeugst mit Deinem Blute?" Solche Rede erschreckte sie. Sie konnte nicht anders glauben, als dass es der Wahnsinn sei, der aus ihm redete. So kamen ihr die Thraenen in die Augen. Sie sprach mit thraenenvoller Stimme: "Lieber Herr! Wollt doch zu Euch kommen und Euch bedenken. Ich bin die Jungfrau Ottilia, die Ihr wohl kennt. Ich bin hierhergekommen, weil mich die Sorge um Euch trieb und ich Sehnsucht zu Euch getragen lange unter meinem Herzen." Denn jetzt in seiner schweren Krankheit dachte sie, dass es wohl Zeit sein muesste, ihr Geheimniss preiszugeben. Sie wollte ihn aufruetteln. Sie fuehlte, dass es fuer sein Leben wichtig war, wenn er sprach. Er aber sprach: "Sehnsucht ist nichts. Auch Nachtwachen ist nicht viel, Fasten und Hungerleiden. Ich sehne, sehne mich ..." So kam sie noch naeher an ihn heran, nahm ihn in ihre Arme. Denn ob sie gleich ein Kind war und noch sehr jung, fuehlte sie doch in ihrer grossen, reifen Liebe, dass sie ihn retten musste, aus diesem ein Ende gefunden wuerde um jeden Preis. Und nahm seine Hand. Aber seine Hand war kalt wie Eis. Sie kuesste seine Lippen. Diese Lippen waren trocken und ohne Athem, fast wie die eines Sterbenden. "Sehnt Ihr Euch nach Liebe," sprach die Jungfrau, "so will ich sie Euch geben, warm und geduldig, wie ein Weib zu geben vermag. Folgt mir nach draussen, Lieber! Seht, die Sonne scheint und die Voegel singen freundlich dem waermenden Licht." Damit zog sie den Vorhang vom Fenster, dass die Sonne warm hereinschien. Denn die Fenster waren verschlossen und verhangen gewesen die ganze Zeit, und schwere, eiskalte Luft wie die des Grabes im Zimmer. Er fuhr mit der Hand ueber die Stirn: "Liebe - Liebe ..." sagte er. "Das ist Liebe einer Stunde, Waerme des Lenztags. Ich moechte die Sonne selbst sehen. - Ich habe Sehnsucht nach dem Tode." "Der Tod kommt," sprach sie freundlich und ohne Zuernen, obgleich ihr Herz aufschwoll, ihr weh war zum Sterben. "Aber erst ist das Leben. Seht, lieber Herr! Alle Knoesplein strecken ihre zarten Blaetter. Alle leben und athmen." Sie nahm ihn noch fester in ihre Arme und legte seinen Kopf auf ihr Herz, dass er ihr Herz athmen fuehlte, die Waerme ihres Busens ihn umfing. "Du lebst jetzt," sagte er langsam. "Aber Du wirst todt sein. Wuermer werden in Dir wachsen, Du stinkst ..." Er schleuderte seine Haende fort, als ob er Wuermer von ihnen abschlenkerte. Seine Nuestern zogen sich zusammen im Ekel. Dieses junge Kind in ihrer Einfalt und grossen Liebe schrak nicht zurueck: "Ich werde auch mit Euch sterben," sagte sie, "aber spaeter. Es ist noch lange hin. Dann giebt es ein ewiges Leben. Wir werden vereint sein. Alles Fragen, alle Sehnsucht hoert auf im Himmel." Diese einfachen Worte machten einen schrecklichen Eindruck auf den Kranken. Er sprang ploetzlich auf, fasste ihre beiden Haende in den Gelenken, drueckte sie zusammen wie in eisernen Ringen und schrie: "Das ist nicht wahr. Es giebt keinen Himmel, es giebt keinen Gott und keinen Teufel. Es giebt nur Aas und Maden. Diese Maden sind wir. Ekelhafte, stinkende Maden!" Er fing an sich die Kleider vom Leibe zu reissen, roh zu lachen, haessliche, unflaethige Worte auszustossen, derselbe, so fein, so anmuthig und wohlgebildet frueher. Aber die Schwere der Geheimnisse war zu viel gewesen. Im Rathen ueber ihnen hatte er seinen Verstand verloren. Er war jetzt nicht viel mehr als ein Thier. Er raste und fletschte die Zaehne. Dieser Jungfrau, als sie Solches mit ansah, war es zuviel fuer ihr zaertliches und noch so kindliches Herz. Sie fuehlte wie einen grossen Sprung durch sie hindurch, der durch ihre Gedanken ging, ihr Besinnen und Wollen. Sie fiel ohnmaechtig hin. Dann stuerzte er sich auf sie. Er riss sie an den Haaren. Er zerriss ihre Kleider, zerfleischte ihr Gesicht mit den Naegeln, trat und beleidigte sie. "Ihr - Ihr seid der Fluch der Welt," stiess er hervor. "Ihr habt uns zu Grunde gerichtet. Das Weib! Das Weib! Warum habt Ihr den Apfel gegessen und nur zur Haelfte? Warum macht Ihr das Leben neu und es ist kein Leben? Ihr! Ihr! Der Schmutz seid Ihr, der Schlamm! Wir sind Goetter. Wir sind reine Geister. Die Engel des Lichts sind wir. Ihr habt uns in Koth verkehrt. Ich habe die andre Haelfte wiedergefunden, die, die Ihr selbst verzehrt habt. Ich bin Eines Geschlechts. Ich bin androgyn. Ich bin Gott! Gott! Gott!" ... Die Katze mit gestraeubten Haaren, auf dem Kaminsims hockend, sah zu. Ihre Augen funkelten boesartig. Sie hatte beide Vorderkrallen vorgebogen. Als er die Halbgestorbne zurueckstiess, sprang sie ihr an die Kehle und biss sie todt. Die Andern fanden diesen jungen Mann, der das todte Kind ueber seinen Knieen hielt. Er hatte ihr die Haare wohlgeordnet und Fruehlingsbluethen hineingestreut. Ihr weisses Kleid war ueber sie gebreitet wie ein Leintuch. Aus der rothen Halswunde troff das Blut. Die Katze hatte es an ihren Pfoten. Und leckte sie putzend. "So viel Schoenheit," sagte er, "so viel Unschuld und Guete. Das ist nun Alles dahin - dahin." Und weinte ueber die junge, suesse Maid, nahm ihre Haende, kuesste sie. Und kuesste ihre weissen, kleinen Fuesschen in den seidnen Schuhen, die sie angezogen, ihn zu ehren. Denn sie dachte in ihrem kindlichem Herzen: Vielleicht, dass dieses mein Brauttag wird, der ihr Todestag geworden, des schrecklichsten Todes. Dann seufzte er sehr tief, sagte: "So vergehen die Blumen. O suesse Blume! Blume der Unschuld, der Guete und des Verzeihens! Sie haette liebliche, kleine Kinder gehabt. Ihre Enkel haetten sie gesegnet. Keinem hast Du je Unrecht gethan. Kein unreiner und unfreundlicher Gedanke hat Dich bestuerzt. Kein Anblick der Haesslichkeit Deinen Sonnenweg gekreuzt. Weint nicht um sie, denn ihr ist wohl. Warum weint Ihr?" Er begriff es nicht, dass sie weinten, versank in tiefes Brueten. Da Etliche die Katze todtgeschlagen hatten, nahm er den Balg auf, streichelte ihr zerruettetes Fell und bettete sie neben die Jungfrau. Die Hand der Jungfrau lag auf dem runden Kopf des Thieres. Beide waren weiss, Eine wie die Andre, von zierlichen Gliedern, weich anzusehen und zaertlich in ihrer Geberde. Dies that er. Niemand konnte ihn hindern. Denn es war etwas Besondres in seinem Wesen, weit weg, als ob er erhaben waere ueber alles Lob oder Anschuldigung der Welt. Und that, was er wollte. Denn es war Niemand, der ihm zuwider sein konnte, oder erklaeren mochte, warum er so that. Etliche forderten, dass er vor Gericht gestellt wuerde um des Todes willen der Jungfrau. Ihre Eltern waren reiche Leute, wohlangesehen bei Hofe. Andre sagten, er sei nicht richtig in seinem Gemueth, das viele Lernen habe ihn verwirrt. Diese hatten wohl recht. Da nun aber auch Etliche der Jungfrau nachsagten, dass sie mit Recht zu Schaden gekommen sei, weil sie zu einem Manne gegangen um die einsame Stunde, wurden sie bestraft. Denn wie man den Staub auf ihr Grab warf, darin sie begraben war mit der Katze, bluehten daraus Lilien auf. Also dass das ganze Grab ein Liliengarten war. Die Lilien wuchsen ohne Unterschied ueber der Jungfrau und ueber der Katze. Und war grosses Wunder vor allem Volk. Er schwieg zu Allem. Da er vom Kirchhof zurueckkam, legte er sein Kleid nicht ab und zog seine Schuhe nicht aus. Aber er setzte sich an's Fenster und sah in die Nacht. So sass er viele Tage. Alle, die ihn mit Thraenen beschworen, seine Eltern, die klagten, die Freunde, die ihn lieb hatten, die Richter, die ihn ausfragten, das Volk, das gegen ihn laermte, sah er gar nicht. Er nahm nicht Speise und Trank, sah in die Nacht gen Osten gerichtet und wartete auf den Morgen. Zu diesem, da er noch in diesem Zustand war, kam der Fuerst, weil er sein Freund gewesen und der Vertraute seiner Jugend, der ihm guten Rath gegeben in allen Dingen. Sein Wort stand fest wie ein Fels. Und es war eine Regel der Gerechtigkeit, gerecht zu sein wie Johannes. Der Fuerst, da er ihn so bleich sah mit grossen, unirdischen, blauen Augen, erschrak er wie alle die Andern, sprach zu ihm: "Warum sitzt Du und schaust in die Nacht? Denn es ist Nacht draussen." Er sprach: "Es ist wohl Nacht jetzt. Aber der Morgen kommt. Ich warte auf die Sonne." Und wandte seine Augen wieder gen Osten, sass und wartete. Dann veraenderte sich sein Benehmen. Er wurde eilfertig, thaetig, voller Freude, scheerte sich und legte ordentliche Kleidung an. Seinen Dienern gab er gute Vermahnung, dankte ihnen fuer Alles, was sie ihm gethan hatten. Als seine alten Eltern kamen, troestete er sie mit freundlichen und sonderlichen Worten: "Seid froh, liebe Eltern, denn es ist bald Zeit fuer uns Alle, vereint zu sein. Ich habe Eure weissen Haare lieb, Eure Thraenen sind mir Lindigkeit," kuesste ihre Haende. Einen jungen Bruder der Jungfrau, fast ein Knabe noch, den er oft geliebkost, befahl er ihnen als Sohn, segnete diesen und liess ihn nicht von seiner Seite. Es war aber schon die siebente Nacht. Danach als die Sonne aufging, that er einen lauten Schrei: "Die Sonne! Die Sonne!" ... fiel hin und war todt. Dies verbreitete grossen Schrecken ueber Alle, die es mit angesehen hatten. Der Fuerst blieb sehr bedrueckt in seinem Gemueth, wurde nicht froh, griff Dieses auf und Jenes, liess es wieder fallen in der wandernden Unruhe seiner Gedanken. Es war aber sehr schwuel im Gemach, unleidlich, vom sengenden Brand der Sommersonne. Seit Wochen prallte die Sonne. Man konnte keine Frische finden, weder auf der Terrasse, noch in den Gaerten. Die ganze Luft schien mit Feuer gesaettigt und verschlang sich schwer wie stagnirendes Wasser, das Uebelkeit hervorruft, eine Umwendung im Magen. Jeden Abend sah man am Horizont Feuerspiele, vom Licht, das niemals ganz unterging, weil es in den Ausstroemungen der Erde selbst war, der lagernden Hitze, die nie ein Regen erfrischte. Man sprach von einem Brand der Welt. Hass und Aufruhr schlugen sehr hohe Wogen. Die sengende Hitze blies in's Hirn der Menge wahnwitzige Gedanken von Tod und Orgie. Sie sprachen: "Lasst uns sterben und saufen." Auf seinem purpurnen Lager ruhte der Koenig. Aber er waelzte sich rastlos, die Kissen aufwerfend und niederdrueckend. Seine Finger stachen in weichen Atlas. Seine Augenhoehlen schienen verbrannt von der Hitze, der Schlaflosigkeit langer Naechte, die seine Lider mit Braun gemalt haette, dass die Pupillen wie Kohlenfunken gluehten in einem Haufen von Asche. Von den aufgesprungnen, gedoerrten Lippen hauchte Glutathem. Das innere Zittern schlug und schuettelte ihn wie eine ferne, aufreizende Musik. Er hatte Fieber und der kuehlende Trank des Arztes gab keine Labe. Durch die weiten Hallen des Palastes trieb das ruhelose Fieber den jungen Fuersten. Alle Waende waren mit wundervollen Fresken und Gobelins verziert, Grossthaten seines Hauses, Schlachten, Kroenungen, Staatsakte. Auf feurigen, sich baeumenden Schlachtrossen stiegen junge Helden, lockenumwallte, im flatternden Helmbusch. Das ausgestreckte Schwert deutete nach vorne. Der Brustpanzer gleisste. Unter den Hufen wand sich formlos, ein Gequaeltes, Bezwungnes, der Drache, der Lindwurm der Unordnung, der Feind. Andre waren ernsthafter. Sie standen gerade, hierarchisch, die Maentel flossen in weiten priesterlichen Falten. Eine Hand hielt den Apfel, das Sinnbild der Gewalt, die andre den Stab. Ueber der Stirn gleisste mystisch der Goldreif. Das waren die Sagenhaften, die grossen Gruender, die Koenige, Hirten, Vaeter der Geschlechter. Sie hueteten und herrschten. - Es gab ganz geharnischte unter ihnen, schwarz in schwarzen Ruestungen, wo das Gesicht klein, vogelartig schien unter dem Eisen der Sturmhaube. Ihre Nasen bogen sich wie Raubthierschnaebel. In der schweifenden Linie des Bartes wohnte die Grausamkeit. Sie hielten das Schwert in eiserner Faust. Der Fuss im Stahlschuh trat auf graslose Wueste. Einige beteten. Ganz junge Knaben waren, denen die schweren Gewaender zu schwer erschienen, zu weit der gezackte Goldreif ueber zarten, blaeulich geaederten Stirnen. Sie verbluehten in kaum erschlossner Knospe. Melancholische schauten mit Schatten des Wahnsinns in erschrocknen Augen. Heuchlerische mit tueckischem Fuchsunterbau des Gesichts. Das Scapulier hing an ihrer Huefte. - Die Carreaus der Gemaelde zeigten kleine Plaene der Staedte, Festungsbauten in Miniatur. Froehliche Koenige trugen zierliche, gestickte Hoftracht. Der Falke auf der Faust zeigte den Jaeger, das laechelnde Auge den Freund der Damen. Und Kolosse folgten: Wandelnde Fleischmassen, doppelte und dreifache Kinne, bartlose, saftige Lippen der Wolluestlinge, kleine, feuchte, in Fett vergrabne Augen, das Ganze mit Gold, Purpurstickerei ueberladen, unter enormen Perruecken, die sie grotesk und uebermenschlich machten. - Alles das wurde blasser. Ein Gedanke war hineingekommen, eine gewisse Traurigkeit, Schrecken bei Einigen, Resignation der Andern, unter der gegebenen Maske, derselben Decoration von Gold, Kronen, Loewen, Hermelinfalten, - der Mensch, etwas Einzelnes, Abgeloestes, Persoenliches. _Der_ war gestorben in der Verachtung der Menschen, nachdem er sie gegeisselt und gegaengelt hatte. Dieser hatte die Verbannung gekannt, das Unglueck, den Verrath, die Demuethigung. Jener Junggestorbne wollte und konnte nicht. Sein Nachfolger hatte gewogen und klug gerechnet. Unter der gesuchten Bonhomie, dem fast gemuethlichen Laecheln, lauerte der Tigerzug. - Sie hatten gewusst und durften nicht sagen. Einige hatten sagen gewollt. Aber sie waren todt. Sie waren traurig und ungluecklich. - Ueber die ging man schnell hinweg, wie ueber Kranke, deren Krankheit gefaehrlich ist und anstecken koennte. Er war der Letzte. Er war ein Ende ihrer Rasse. Sie betrachteten ihn Alle: Die herrischen Augen, die ruhigen, satten, die anklagenden, flackernden ... Zehn Jahrhunderte! Er war da. Alle diese Jahrhunderte waren in seinem Blut, ein Stueck von ihm. Es war sein Leben, was er schon vorher gelebt hatte. Es erschien ihm furchtbar auf einmal - ein so langes Leben! - eine Kette, eine erstickende Last, drueckende Schwere ... Eine goldne Sonne war im Plafond des Saals gemalt. Sie schickte ihre Strahlen nach allen Seiten. Kreisrund war diese Sonne, ohne Schatten, und ihre Strahlen standen gerade wie geschliffne Schwerter. Goldne Leisten liefen am Gesims entlang. In unnatuerlicher, ueppiger Fuelle draengten sich Beeren, Fruechte, Blumen, die Ecken hielten Adler, Greifen und Wappenschilder mit anspringenden Loewen. An den Fenstern fielen senkrechte Purpurdraperieen. Sie fielen in runden, tiefen Falten einer Tuba. Dunkler, lichtlos erschien der Sammet in den Woelbungen, tiefroth gluehend in den Schatten zwischen den Falten. Wie Priestermaentel fielen sie, rothe Guesse von Blut, gleichmaessig ausgegossen in immerwaehrendem stroemenden Fliessen. Alles Gold, zurueckgeworfen im Glanz von hundert Spiegeln, ertraenkte sich im Purpur, ohne ihn zu erwaermen, der alles Licht verschlang, dunkler wurde, satt, brutal, sich triumphirend breitete, ein Vampyr, der Oger der Farben. Und er sah eine Jungfrau, wunderbarer denn sterbliche Weiber, und ueber die Groesse der Frauen. Ganz von Gold erschien diese Jungfrau, leuchtender wie die leuchtende Sonne. Das Gold schmiegte sich um ihre Schenkel in schmalen gehaemmerten Ringen von seltner Feinheit. Es umschloss ihre Arme wie in einem Handschuh. Die Spitzen der Finger waren von dunklerem Golde wie in Goldstaub gepudert. Es schuppte sich ueber ihrem Leib in gleissender Schuppenbraeune. Aber ihre Brueste waren aus reinem, geschmiedetem Gold, aufrechtstehend mit geschliffnen Spitzen wie Schwerter. Sie trug einen goldnen Helm auf dem Haupte. Der war geformt mit ueberragender Spitze wie ein Helm der Pallas, aufrechtgestellter Fittich eines Adlers. Er stieg sehr tief in die Stirn. Die Stirn war gebunden mit einer purpurnen Binde. Purpurstreifen fielen nieder von ihrer Schulter und hingen nieder zu ihren Beinen wie Lazzis, Striemen geschnittnen Leders, die benaeht waren mit Edelsteinen in Streifen und Kreisen. Bei jeder Bewegung funkelten und blitzten die Steine, dass man nicht hinsehen konnte, die Augen geblendet bluteten vom spruehenden Glanz der Steine. Sie trug in ihrer Hand zwei staehlerne Schwerter. Schellen waren an ihren Gelenken befestigt, die klirrten und klangen. Der Arm reckte sich frei aus den Purpurstreifen der Schulter. Wenn sie ihn bewegte, klatschten und fielen die purpurnen Streifen wie Peitschenbaender. Die Schwerter kreuzten sich in der Luft ueber ihrem Haupte und beschrieben Kreise, und fielen herunter. Die Haare dieser Jungfrau waren schwarz mit staehlernem Glanz wie des Rabenfittichs, roth vom aufsteigenden Gleisch der Flammen. Ihre Augen waren gruen wie Smaragden im Ring schwarzer Diamanten, die purpurne Lichter schossen, dass ihr Glanz unertraeglich war fuer den, der hineinsehen wollte, der Blick gebannt sass in ihnen, haengen blieb wie die Motte in der Flamme. Aber ihr Mund war Blut. Die Roethe ihrer Lippen war roether denn die vom Blute, als ob sie Blut getrunken haetten, unersaettlich gierig, frisches Blut jeden Tages. Ihre Zaehne waren Raubthierzaehne, spitz mit geschliffnen Spitzen. Zaehne, die bissen in Fleisch, das blutete. Dieses Blut tranken ihre toedtlichen Lippen. Und er wusste, dass diese Jungfrau "die Macht" hiess, Helena von Troja, Judith und Herodias, Cleopatra, die Aegypterin. Sie war von koeniglichem Geschlecht, eine einzige Jungfrau in der Welt und gab mehr Wollust denn Jede. Und es hatte sie nie ein Mann besessen. Alle, die sie freiten, waren gestorben. Sie hatte ihr Blut getrunken. Und es war ihr Blut und ihre Kraft, die sie so schoen machte, unwiderstehlich und herrlich vor den Sinnen der Maenner. Und sie tanzte vor ihm. Sie tanzte. Sehr langsam wandte sie sich und ihre Schulter kehrte an ihren Platz zurueck. Sie hob den Arm. Und der andre Arm stieg rund auf, die Brust aus den Hueften reckte sich in langsamer, schwellender Anstrengung. Einen Moment blieb sie weit vorgeschoben, keuchend, wie eine gezuengelte, gefaehrliche Schlange, waehrend die Beine angenagelt warteten, zitternd, gezwungen. Im Kopf, zurueckgebogen, schlugen die Lider. Der Hals strebte weiss, liliensehnsuechtig unter dem blutigen, duerstenden Bogen der Lippen ... Eine Woge schien die harte Linie der Schultern zu verwirren. Das Kinn sank zur Seite mit einem Seufzer. Kriegerische, wilde Musik schien sie zu wecken. Sie richtete sich auf ganz erzitternd. Man sah das Erzittern vom Fuss bis zur Helmspitze laufen, wie eines Uhrwerks, dessen Feder man beruehrt hat, das sich in Gang setzt. Die Hueften kruemmten sich abgezeichnet zum Sprunge. Ganz vorgeneigt, das Kinn in der Luft, beide Haende flach ausgespreizt, dass die ganze Last des Koerpers auf der Zehe ruhte, horchte sie. - Sie bueckte sich noch tiefer. Die Spitzen der Brueste schienen den Schooss zu beruehren. Sie kroch. Sie schnellte sich. Sie stiess einen rauhen Schrei aus. Die Finger griffen krallend in die Leere. Hart ueber dem Boden wie im Anzug einer Armbrust, bohrte der Ellbogen, ein Tremolo, das nicht nachliess, rascher und rascher wurde. - Sie war wach geworden. Ihre Zunge gegen ihren Gaumen gab einen Lockton. Sie warf sich nach rechts. Sie schnellte ihre Schultern nach links hinueber. Der Hals im scharfen, zuckenden Ruecken gab das Tempo an. Ein Fuss stahl sich tastend vor. Der andre folgte in schuerfender Schleife. Ihre Kniee tanzten. Sie gaukelte in den Hueften. Die Erde liess sie. Sie flog auf, ihr gellendes Tambourin schuettelnd. Das war die Bewegung. Die Erde belebt durch den Willen, unsterbliche Kunst des Ausdrucks. Es giebt keine Schwere. Kein Gesetz der Unwandelbarkeit hemmt. Der Koerper spricht. Die Formen singen, das Fleisch hat Seele. - Sie tanzte. Sie marschirte in einem toenenden, triumphirenden Marsche. Ihre Sohlen stampften den Boden wie Schlachtrosse, schwere Kolonnen Gepanzerter. Der Leib zwischen den stelzenden Saeulen der Beine schien getragen wie eine kostbare Last, ein Altartisch koestlicher Gueter, der avancirte, langsam, feierlich, mit der Feierlichkeit und Langsamkeit einer Procession. Ihre Arme blieben steif wie die Arme einer Statue, einer ehernen Jungfrau, die zermalmt, was sie an ihren Busen drueckt. Sie naeherte sich wie ein Traumbild, ein schrecklicher Alpdruck der Fiebernacht, die schwarze Venus der Aegypter, der Leben gegeben ist. ... Wie man Elephanten zur Schlacht ruft, in kurzen Stoessen, antworteten die Schellen und Schwerter. Sie tanzte. Sie stiess kurze, wilde Schreie aus wie Moewengekreische ueber dem Sturmmeer. Ihre Arme schlugen die Luft aufgescheucht. Ihre Fuesse suchten mit gekruemmten Spitzen im sich steigernden Zittern, der Furcht, des Wunsches, der Raserei. Sie drehte sich. Ihre Haare peitschten den Boden wie ein aufgespanntes, schwarzes Pfauenrad. Die unteren Glieder schienen sich zu verschieben mit den Gelenken der oberen im verzweifelten Wunsche der Vermaehlung. Losgeloest zwischen den Hueften, eine Bluethe im Sturmwind, schwankte und bog sich die Taille. Sie zerbrach sich, knickte. Mit irrem Klopfen huschten die Finger in der Leere. Kleine Wehmuthsrufe schrillten die Schellen, Klagegezwitscher flatternder, fremder Voegelchen. Diese Drehung wurde schneller, schwindelnd schnell. Schnell, wie von Raedern, Maschinen, Staehlernem. Man unterschied die Toene der Schellen und Castagnetten nicht mehr. Es war ein Wirbel, ein zuegelloser Tanz, Sichineinanderverschlingen der Toene. Die Arme waren die Fluegel einer Windmuehle, die sich schwangen im Drehen. Roth und goldne Streifen. Sie peitschten, flogen. Die Felder wurden Kreise. Vom Boden, Kreisel gleich, immer an derselben Stelle, wirbelten die Fussspitzen. Sie war ein Kreisel im Ganzen, mit der weiten Flaeche nach oben, ein Rad, eine Blume, eine Libelle aufgespiesst an einer Nadel, eine rothgoldne Rose, ueber der das Gesicht schwebte, unbeweglich, zurueckgebogen mit laechelnden Lippen unter dem goldnen Helme. Sie drehte sich, drehte. Sie war die Sonne. Rothgoldne Sonne. Die Lazzi waren Strahlen. Strahlen waren ihre Arme und Beine. Die Brueste waren die Scheibe, die stille stand, mit metallnen, weissgluehenden Spitzen. Sie stachen wie brennende Eisennadeln. Ein Athem von Blut und Hitze schlug ueber ihn hin. Immer wieder Hitze und Blut, roth und gold, nur noch eine Farbe bildend, die der Wollust, der Frau, der Bewegung. - Der Lustwille des Feuers, der die Erde dreht, in den Adern kocht wie Gluthsud. Das war keine Frau mehr, die Frau nicht. Das war die Schlange, spiegelnd in allen Farben des Universums, die glorreiche, erste Schlange, sie, die herrlicher war denn alle Thiere. Sie richtete sich zischend auf mit ihrem ganz weissen Leibe, der goldnen Krone und der blutrothen, duerstenden Zunge: Und wirst wie Gott sein ... Wie Gott. Wie Gott. ... Er hielt sich nicht mehr: "Sei mein!" schrie er auf. "Sei mein!" Diesen Abend unterzeichnete der Koenig das Todesurtheil des grossen Demagogen. Er wurde im Gefaengniss hingerichtet in der Fruehe, ehe die Sonne aufging, ohne dass Unruhen darum entstanden in der Stadt. Diesem in seiner letzten Nacht, da er auf den Tod muede war und das Sterben nahe fuehlte, wurde eine wunderbare Troestung zu Theil. Er sah ploetzlich an sein Lager treten eine Frau, eine vornehme Dame, in der Tracht einer Reiterin. Sie reichte ihm einen Krug mit Wasser von ihrer Schulter und sprach: "Trinke, mein Bruder. Einmal habe ich Dich im Leibe gesehen und ich wusste, dass Du mein Bruder warst. Jetzt weiss ich es besser und Niemand soll uns mehr trennen." Er erkannte, dass es dieselbe Dame war, die ihn damals angesehen hatte im Wagen, da er noch irre ging und mit Mordgedanken rang, auch diejenige, die zu dem Fremden gesprochen hatte am Brunnen. - Es befand sich aber, dass diese edle Frau und Graefin gestorben war in derselbigen Nacht, also eine mysterioese Geschwisterschaft gewesen zwischen ihnen, die Vielen unbegreiflich duenkte zwischen einem niedrigen Mann, der damals so niedrig gewesen, und einer hochgebornen Dame. Mit dieser Neuigkeit von seinem Tode kamen Etliche und sagten sie dem Fremden. Er sprach: "Er war ein Starker, stark vor allen Menschen, den selbst die Koenige hoerten. Er ist nun dahin und nichts bleibt von ihm uebrig." Sie sprachen: "Hat er denn nicht recht gethan mit dem, was er forderte, da er von den Koenigen und Maechtigen forderte?" Er sprach: "Die Koenige und Maechtigen sind nicht die, die geben koennen. Von innen muss es kommen, was die Welt neu gebiert. Wenn die Bettler die Letzten sind, werden die Koenige die Ersten sein. - Es ist aber auch moeglich, dass es von einem Koenig kaeme." ... Sie wollten, dass er dies noch naeher erklaerte. Aber er sagte nichts und ging weit fort in eine einsame Gegend. DAS ACHTZEHNTE KAPITEL. Ueber dem Schlachtfeld war die Sonne untergegangen, eine rothe, muede Sonne des Spaetherbstes, die zerfliesst in einem Blutmeer. Man sah nur noch Streifen von ihr wie lange Wundenstriche, rothe, zerflatternde im Grauen. Sie wurden dunkler. Die Finsterniss schien in sie einzudringen, vage Gruene, Violette. Alles starb in einem brandigen Nebel. Zweimal ueber den Acker waren die Heere dahingestampft. Erst die Fluechtenden, Fussvolk und Reiterei durcheinander in wilder Panik. Oft gingen die Letzten ueber die Ersten. Dazwischen schob man Geschuetze, Munitionswaggons. Wo die Pferde nicht genuegten, halfen Maenner mit. Andre hatte man im Stich lassen muessen. Sie lagen in unnatuerlichen Positionen, mit aufgereckten Haelsen, zerbrochnen Raedern, unschaedlich gemachte Eisenungethueme, Saettel, Flinten, Uniformstuecke, Leichen. Zuerst hatten die Pferde versucht, sie nicht zu treten. Aber man spornte sie an. Es galt das Leben. Die zu schwach oder verwundet waren, blieben zurueck. Eine Zeitlang hatten sie sich fortgeschleppt. Oder Andre zogen sie mit. Dann hatte man sie verlassen. Sie schrieen. Manche versuchten noch zu kriechen, sich weiter fortzubewegen, anzukrampfen. Sie gaben es bald auf. Die gingen hin. Dann war nur noch ein einziges, zielloses Trappeln von Zweibeinen, Vierbeinigen, Raedern, die liefen, liefen ... Man ertheilte noch Commandos. Berittne Offiziere sprengten ab und zu. In einigen Abtheilungen herrschte eine gewisse Ordnung. Sie hielten sich von den andern getrennt und marschirten rhythmisch. - Man sah sehr hohe Offiziere mit den Abzeichen ihres Ranges, einen alten General auf seinem weissen Pferde. Sein Gesicht war vollstaendig schwarz vom Pulver und Staub. Er opferte sich auf. Er war ueberall. Man hoerte seine Stimme wie die eines Hirten. Einige junge Rekruten acclamirten ihn. Man wusste, dass dieser ein Held war. Er konnte nichts mehr aendern, die Eile des Rueckzugs nahm zu. Sie fuehlten den Athem des verfolgenden Feindes im Nacken. Einige hatten Alles weggeworfen und liefen laut schreiend. Sie wussten nicht, wohin sie liefen. Nur eine Angst beherrschte sie, sich zu verlieren, zurueckzubleiben, einzeln zu sein, getrennt von der Horde, die rannte, galoppirte. Sie hatten sich wie Maenner geschlagen, Tage und Wochen lang, an diesem Tage. Das war Alles, was blieb, ein Gruselgefuehl, die Empfindung der Ohnmacht des Einzelnen in dem des Ganzen, des Geschlagnen, Besiegten. Sie liefen, liefen fuer ihr Leben. Diesen nach brauste der Sieger. Da waren die Pferde zuvorderst. Sie griffen maechtig aus in weiten, jagenden Spruengen. Ihre Reiter feuerten sie an, wie man Jagdhunde anfeuert, eine Meute auf der Faehrte. Diese sassen aufrecht im Sattel, zurueckgeworfen. In ihnen lebte nur noch die Lust zu fangen, zu stechen, abzuthun, Feuer des Kampfes und der Stolz des Sieges. Ein ganz junger Kuerassier fiel auf, ein Knabe noch, bartlos. Er sah aus wie ein raechender Engel mit schrecklichen, offenen Augen, den Mund duerstend emporgehoben. Das Fussvolk folgte langsam. Diese installirten sich auf dem Schlachtfeld. Sie bezogen Vierecke und Gassen. Man pflanzte die Geschuetze auf in einer Art Park. Feuer zum Kochen wurden angezuendet. Alle diese Menschen rieselten von Schweiss, waren zu Tod ermuedet. Sie schliefen, eh' sie noch daran dachten, zu essen. Mit geoeffnetem Munde, in der Stellung, die sie gerade innehatten. Zwischen Ueberresten des Tages, Leichen und Pferdeaesern. Die Barmherzigkeit begann ihr Werk. Man sah sie mit Laternen herumgehen, irrenden Gluehwuermchen vergleichbar, weissgekleidete Gehuelfen, rothe Kreuze auf den Aermeln, dunkle Gestalten der Aerzte. In der Eile wurden Tische aufgeschlagen, Verbandzeug entrollt, in dem Schwestern hantirten. Ein Zelt war hergerichtet. Da schnitten, saegten, verbanden die Aerzte die ganze Nacht. Wenn Einige vor Erschoepfung umsanken, traten Andre ein. Aber der Aelteste wurde nie muede. Bis ueber die Ellenbogen im Blut, mit triefender Schuerze, ein kurzes Wort hier und da, that er seine Arbeit. Auf dem Schlachtfeld selbst, einem kleinen Huegel gegenueber, hatte der siegende Feldherr sein Hauptquartier aufgeschlagen. Auch da ging es lautlos zu. Adjutanten glitten wie Schatten. Man sah es ihnen an, sie kamen sich ausserordentlich wichtig vor. Jetzt gingen die Depeschen in ihre Hauptstadt. Sie wuerden die Helden des Tages sein. Man sprach von ihnen. Mancher schwebte sich schon wieder im glaenzenden Salon vor, maennlich ernst in hochgeschlossner Uniform, die zaertliche Huldigung der Schoenheit entgegennehmend. Man wuerde sagen, dass der Feind tapfer war, der Krieg ein grosses Unglueck sei. - Je naeher sie dem General kamen, seiner Person und seinem Rang, desto ernsthafter und wichtiger wurden sie. Sie befahlen gleichgueltige Dinge, eine Tasse Thee oder kalte Zunge, mit der Miene von Diplomaten, die ueber Sein und Nichtsein von Staaten entscheiden. Niemand war heiter oder betrank sich. Das war fuer die Troupiers draussen, die gewoehnliche Mittelsorte, das Kanonenfutter. Der General liebte dergleichen nicht. Man entsann sich nie, ihn lachen gesehen zu haben. Die Soldaten liebten ihn. Er war einfach und gerecht. Das ist ein sichrer Weg zum Herzen des gemeinen Mannes; er erkennt die Comoedianten sofort, sogenannte Liebenswuerdigkeit ist ihm als Laune verdaechtig. - Niemals sah man diesen Feldherrn Vorlieben haben. Er liebte seine Soldaten. Er that seine Pflicht. Der General war allein. Er hatte seine Berichte abgefasst, schlicht, ohne Zusaetze und Phrasen, wie es seine Art war. Die Schlacht war gewonnen, die Verfolgung im Gange. Die Kreisbewegung, durch die er den Feind in die Mitte nahm, ihn dann von allen Seiten zugleich zermalmte, hatte sich als vollkommner Erfolg bewiesen. Er war ein Greis von beinah achtzig Jahren. Aber ein sehr starker Greis. Man sah es seinem Gesicht an, dass er das Klima aller Zonen getragen hatte. Sein Ruhm stand ehern wie ein Felsen. Unerschuetterlich wie sein Ruhm war seine Gerechtigkeit. Dieser Mann verzieh nicht. Er strafte auch nie ungerecht, weil er die Macht dazu hatte. Seine Siege waren wie die eines Richtschwerts, das aufgehoben ist und faellt. Er besass keinerlei Eitelkeit, keine Leidenschaften und Schwaechen. Sein junger, einziger Sohn war gefallen in diesem selben Krieg, gegen den General, den er heute vernichtet hatte. Dies erbitterte ihn nicht. Es machte ihn auch nicht weicher. - Er war ein grosser Mann. In dem engen Zelt war es heiss. Ein fader Geruch war in der Luft, von Pulver, zu vielen Menschen, stehendem Blut. Selbst in dieser Nachtkuehle machte er sich bemerkbar. Der Adjutant schlief im Vorzimmer auf einem Stuhle. Es war ein junger Edelmann aus einer sehr vornehmen Familie, aeusserst correct immer mit blendend weisser Waesche und gefeilten Naegeln. Wenn er den General gesehen haette, wie er aufspringen, eilig sich neben ihn rangiren wuerde: Excellenz befehlen dies - geruhen das -! Jetzt im Schlaf sah er dumm aus wie ein Hammel. Er traeumte nicht einmal. Er dachte an gar nichts. Er schritt ueber mehrere Schlaefer. Die Wachen praesentirten. Es waren Soldaten von seinem Leibregiment, seinem eignen Heimathsregiment. Dieses Regiment hatte eine lange, glorreiche Geschichte. Er dachte daran, dass sie heut' sehr schwere Verluste gehabt hatten. Es that ihm weh. Er verabscheute den Gedanken. Alle hatten verloren. Tausende waren geblieben, Freund und Feind. Da bivouakirten auch andre, frische Regimenter, die erst eben auf dem Schlachtfeld angekommen waren, noch nicht mit am Triumphe theilgenommen hatten. Diese waren praechtig. Das Metall der sauber zusammengestellten Waffen blinkte. Sie schliefen in ihren Uniformen bis an den Hals zugeknoepft, noch im Schlafe stramm und gerade. Alles ausgewaehlte junge Leute. Man hatte sie noch immer gut genaehrt. Die Landsleute hatten ihnen zugetrunken auf dem Marsche. Sie fuerchteten sich nicht und schliefen mit einem leichtsinnigen Soldatenliedchen auf den Lippen. Fuer ein andres Mal reservirte man diese. Er ging ueber das Feld. Der Boden war hartgestampft, wie um niemals wieder weich zu werden. Man konnte nicht sagen, was vorher darauf gewachsen war, Gras, Gaerten oder Weizen. Er war Stein jetzt, zerhaemmert, geschmiedet von Millionen Fuessen und Hufen. Im Ring die Berge behielten ihre alte Form von Wellen, Ruecken. Ihre Abhaenge waren mit Leichen geduengt. Jeder Einzelne war fuer sich getrennt mit ungeheuerster Anstrengung genommen worden. Den ganzen Tag hatten ihre Flanken Feuer gespieen. Es brachte sie nicht aus dem Gleichgewicht. Sie waren Ewige, Steinerne. Er sah einen prachtvollen Menschen zu seinen Fuessen lang ausgestreckt. Der war mausetodt, in's Herz geschossen. Ein ganz junger Mensch, wie ein Achilles. Er bewunderte das Viereck der Schultern, dieses herrlichen Brustkastens. Das Gesicht war ganz unentstellt. Er lag da wie auf dem Paradebett, ein gefaellter Eichstamm. Vierzig Jahre und fuenfzig haette er noch leben koennen. Und er, der General, war achtzig, ein kleiner, mueder, gebrechlicher Greis. Der Krieg blieb eine schreckliche Sache. Von der einen Seite aus den Gebueschen kam Wimmern. Schwerverwundete hatten sich da hingeschleppt, die Sanitaetscolonnen hatten sie noch nicht entdeckt. Es klang wie Hundegewinsel. Manchmal stockte sein Fuss wie in Leim. Er zog ihn mit einer Art Ekel zurueck. Graesslich waren die Pferdecadaver. Sie hatten nicht die Wuerde, die der Mensch unwillkuerlich im Tode bewahrt, oder sein Menschenthum ihm gewaehrt. Und etwas Schrecklicheres. Als ob sie fragen wollten: Warum? Das stupide, bloedsinnige Warum? der Unbewussten. Gigantisch waren sie mit haengenden Baeuchen, unter denen Pfuehle standen, in der Ungeschicklichkeit der leblosen vier Beine, gebrochnen, vorgequollnen, fischigen Augen, - waehrend die Menschen sehr klein erschienen, holzpuppenhaft. Wo Granaten crepirt waren, lagen abgerissne Stuecke, groteske Nacktheiten - beinah laecherlich. Wie haesslich der Tod war! Freund und Feind lagerten durcheinander. Es war gar kein Unterschied mehr. Die meisten zeigten diesen selben Ausdruck dummen Schreckens. Man konnte fast sagen betruebter Kinder, die man mitten im Spiel unterbrochen hatte. - Er wunderte sich fast, so wenig edle und heroische Gesichter zu sehen. Dieser junge Mann war beinah der Einzige gewesen, der der Vorstellung entsprach, die man wohl in Heldengedichten hat oder auf Denkmaelern, wenn ueber dem gefallnen Krieger der Genius die Fahne schwingt. Dann sagte er sich: "Wie koennte es auch anders sein? Was sind diese Leute? Wo kommen sie her? Was wissen sie von den grossen Ideen des Vaterlands, der Herrschaft, der Volksehre, fuer die sie sich schlagen? Es ist sonderbar, dass sie sich ueberhaupt schlagen, Heerdenzug, Schafsintelligenz. Was sind sie? Was ist ihr Werth?" An dem Huegel war der Kampf am heissesten gewesen. Da lagen Leichen dicht wie abgemaehte Schwaden. Immer dieselben Uniformen. Nach ihrer Lage und Fallrichtung konnte man deutlich die Stellung des Feindes erkennen. Der ganze Kampf war da aufgezeichnet in menschlichen Ueberresten. - Etwas Dunkles verschwand im Schatten. Abgehackte Finger, nackte Todte verriethen unmenschliche Hantirung. Mit einer Geste des Ekels wandte er sich ab. Leichenraben! Schakale - das rief ihm einen Spion zurueck, den er den Tag zuvor hatte erschiessen lassen. Seine Frau hatte fuer ihn gefleht und gebettelt, eine elende, zerrissne Schlumpe. Sie hatte ein Kind an der Brust, einer haengenden, welken, ekelhaften Brust. Die Andern hingen in ihren Roecken. Natuerlich war die Gerechtigkeit vollzogen worden. Ein Schuft! - er hatte eine Frau - kleine Kinder ... Ein Windzug hatte sich erhoben und kam ueber das Schlachtfeld, ein trauervoller, trauriger Wind der Feuchtigkeit mit tappenden Fluegeln. Er brachte ein Roecheln mit. Gar nicht boshaft oder zornig. Ganz sanft. Aber es setzte nicht aus. Es erhob sich wieder in weiten Entfernungen. Und starb im Winde. Vielleicht war es mehr ein Geist der Klage, als die Klage selbst. Vielleicht war es die Hallucination des Orts. Dieser Ort war traurig. Vielleicht litten sie gar nicht. Es war nur das Raederwerk der Maschine, das auslief. - Eine Fratze grinste ihn an, schauerlich, idiot, mit heraushaengender Zunge und glotzenden Augen. Der auch war fuer's Vaterland gestorben. Welches zusammengewuerfelte Material, diese Haufen der Todten! - Ernsthafte Familienvaeter mit Vollbaerten. Sie hatten zur Waffe gegriffen, weil man sie angriff. Ihre Beschaeftigung war, den Acker zu bauen, Staedte aufzurichten. Ruinirte junge Lebeleute. Verbrechervolk, Jugend aus allerlei Laendern, die mit lachendem Mund in Abenteuer rennt. Jetzt war Alles dasselbe. Alles hatte aufgehoert, die Sorge, der Leichtsinn, die Liebschaft. Was ist das Leben? Was ist alle Muehe, die man aufgewendet hat, es zu schuetzen? Diese ewige Erneuerung, zu der alle lebenden Wesen sich gezogen fuehlen? Er rief sich die grossen Momente seiner Existenz zurueck. Die Befreiung, der schreckliche Zug durch Schneegebirge, die athemlose Erregung, als ein Volk mit Thraenen und Gebeten ihm folgte wie die verwittwete Mutter ihrem Erstgebornen ... Wie sie ihm entgegenstuerzten, vom Hunger ausgemergelt ... Maenner weinten wie kleine Kinder. Sie kuessten ihm die Haende. Er war Gott, der Retter! Sein Einzug - das ganze Land schwoll ihm entgegen wie eine zitternde, erwartungsvolle Geliebte. Er sah es zu seinen Fuessen. Sie kuessten ihm die Fuesse, die Steigbuegel. Alle Ehren und allen Ruhm hatte er gekostet. Er war alt geworden und traurig. Er blieb ploetzlich stehen. Das Roecheln war ganz deutlich geworden. Es klang wie das Weinen einer Kinderstimme. Dann in einer andern Sprache, doch sehr vernehmlich, hoerte er: "Mama ... Mama ..." Der General zitterte. Es war ein ganz junger Bauernknabe von den Feinden, erbaermlich jung, viel zu jung. Ein spitzes, blasses Gesicht, zwei Augen, ueberirdisch. Der Schuss musste im Unterleib sitzen. Er litt. Er streckte die Arme aus. Er rief nach seiner Mutter. Da - da war die ganze Tragoedie des Krieges, die ewige Feindschaft, die Mutter, die immer wieder gebiert, naehrt, hofft. Und man nimmt ihr immer wieder, toedtet, vernichtet. "Mama ... Mama ..." schluchzte der kleine Bauernjunge. Er war vielleicht ein Held. Er wusste es nicht mehr. Vielleicht waere er ein Mann geworden, haette getoedtet, geherrscht, vernichtet seinerseits. Er fror. Er hatte Schmerzen. Er fuerchtete sich. "Mama ..." rief er. "Mama ..." Und er dachte an eine andre Mutter, diese eine tragische Mutter, schwarz in schwarzen Schleiern. Die eigne jaehe Wunde fing an zu bluten. Sie hatte nicht geweint. Sie hatte ihn nicht gebeten zu bleiben. "Gott segne Dich!" sagte sie und hatte ihn gekuesst. Und ueber ihr wieder stand eine noch groessere, tragischere Mutter. Eine Koenigin - sein Land, sein ganzes Land in Trauer. Es schickte seine Soehne, ohne zu klagen, bleich und erhaben. Er gab und die Andre gab ... Opfergabe, hinter der die Muetter standen, die vielfach Gestorbnen, die zehnmal Gekreuzigten - Sie, die wahren Leidenden, die wahre Groesse, Lebenstraegerinnen ... Und ein andres erstaunliches Phaenomen machte ihn betroffen. An einem Dornstrauch, der Blut trug, weil ihn die Fluechtenden gestreift, halb zerstampft, niedergetreten, ein elender Stummel nur, ein einziges noch lebendiges Hoelzchen, - bluehte eine weisse Blume. Sie musste sich erst eben erschlossen haben. Sie duftete - sie bluehte ... Er sah die Mutter der Muetter. Er sah die Natur treibend und unverletzt, trotz Brand, Tod und Blutregen, den Acker, der seine Frucht traegt, den Baum, in dem die Saefte steigen, das Thier, das seine Jungen saeugt ... Wuestes Gelaerme unterbrach ihn. Da hinten im Bivouak feierte man den Sieg. Sie zechten und brachten Toaste aus; die triumphirten. - Jetzt musste die Kunde auch in der Heimat sein. Man liess die Glocken laeuten und steckte die Fahnen heraus. Leute auf der Strasse umarmten sich mit der Siegesbotschaft. Ein wirres Freudengelaerm schien sein Ohr zu erreichen, ein Beifall, der von weit kam, seinen Namen rief ueber die Meere. Das war der Sieg. Und Andres stieg auf, undeutlicher: Flueche, Thraenen, Racheschwuere ... Sie auch wussten jetzt. Sie beteten. Derselbe Gott war ueber ihnen Beiden, unerbittlich, gleichgueltig. Er sprach nicht und hoerte nicht. Der Gott der Weltgeschichte, der Eherne der Nationen, dem Babylon und Rom gesunken war. Alexander und Napoleon waren gross geworden und fielen. Vae victis! und Ave Caesar! - Es war Alles dasselbe ... Die Landschaft war flacher hier. Eine Kuehle wurde deutlich fuehlbar. Er schritt eiliger vorwaerts. Eine Bewegung des Bodens schien ihn mit fortzuziehen, ein maechtiges Einathmen und Ausstossen wieder. Alles ging und kam. Aber das Gehen schien noch kraeftiger wie das Kommen. Im Werden verging Alles. Ein Toedtliches, Bestaendiges, Festes war in der Bewegung. Alles starb. Er war am Strand. Der Sand machte diesen Erdstreifen heller. Dahinter lag es grau, unruhig, sich anwaelzend und weichend. Salzathem stieg. Das Meer fluthete und ebbte, endlos, schwarz unter dem schwarzen Himmel ohne Sterne. Und er sah etwas Andres. - Ein Schatten? Ein Seufzer? ... Es war schon vorueber. Die Hallucination des Elends, ein Geist des blutigen Schlachtfelds, das da hinten duenstend lag: ein blasser Mann trug ein Kreuz. Das Kreuz war riesengross, aus rohem Holz geschnitten. Der eine Arm des Querbalkens ragte gegen den Himmel. Das Ende schleppte lang nach auf den schwarzen Wellen. "Und er wandelte auf dem Meer." ... In diesem Augenblick, ganz deutlich wie in Metall geritzt, kraehte ein Hahn. Es war Nacht. DAS NEUNZEHNTE KAPITEL. Der Amtsgerichtsrath war durchaus nicht der Meinung seines juengeren Collegen. "Ein Narr," sagte er, "und nicht schlimmer wie Andre, die lose rumlaufen. Lassen Sie ihn laufen, Salvatius!" Der Andre machte Vorstellungen. Er war ein hagrer, duenner Herr und neigte zu einer pessimistischen Weltauffassung, waehrend der Gerichtsrath in seiner rosigen, behaebigen Fuelle auch Alles rosig sah. Die Specialitaet dieses Ersteren waren Majestaetsbeleidigungen. Er sah diese ueberall. Er roch sie, witterte, zog sie hervor aus den groebsten Verwicklungen. Irgendwie wurden alle Verbrechen das bei ihm. Sie waren es ja auch insofern, als die Majestaet fuer ihn die Autoritaet Gottes auf Erden vertrat. - Er war schlimmer wie ein roemischer Statthalter. "I bewahre!" sagte der Amtsgerichtsrath. "Wo wollen Sie das nun wieder rausschinden? Schliesslich, wenn wir das Vaterunser beten, ist das auch eine Majestaetsbeleidigung. - Dreck sind wir Alle." Der Duenne blinzte, unangenehm beruehrt. Der Assessor drehte die Daumen. Er lernte noch. Dann war er von Berlin hierher versetzt, konnte nur jeden Sonnabend nach Hause. Er lebte von Sonnabend zu Sonnabend. Auch hatte er die Absicht, Carriere zu machen. Deshalb achtete er abwechselnd auf seine beiden Vorgesetzten. Der Dicke gefiel ihm um seines heiteren Cynismus willen. Aber der Eifer des Andern imponirte ihm. So wurde man was. Der gelbe Herr behauptete, dass Unruhen kaemen, die Leute liefen zusammen; "na, und wenn die Lausewenzel des Sonntags ein bischen weniger soeffen?" - Ueberdies hatte der Pfarrer Gentz eine Denunciation eingereicht. "Nur weil er ihm in's Handwerk pfuscht, seine Kunden stiehlt. Die Pfaffen! - Das hackte sich am liebsten gegenseitig die Augen aus. Dadran sehen Sie's schon. Predigte er den leibhaftigen Satan, ginge es noch. Dann haetten sie Wasser auf ihre Muehlen. Dasselbe sagen wie die Herren Pastoren! Die verbrennten uns Christus heute noch." Der Assessor lachte. Die Ausfaelle gegen die Clerisei amuesirten ihn. Er konnte auch die Pfaffen nicht leiden. Trotzdem - ein leichter Anflug von Semitismus haftete ihm an - deswegen war er kirchlich. "Sie beleidigen einen hochachtbaren Stand," sagte der Gelbe bitter. "Die Geistlichkeit hat eine Pflicht im Staate. Sie sind gleichsam - die Gewissenspolizei." "Ich verlasse mich lieber auf unsern Pommeraenicke. Sehen Sie, zum Ketzerrichter bin ich nun mal verdorben. Aber wenn Einer lange Finger macht, gar zu uebermuethig wird, dann giebt's was drauf. Das haelt die Gesellschaft zusammen." "Es giebt sehr Vieles, was vielleicht schlimmer ist." "Das ueberlasse ich feineren Nasen. Es waere doch ungemuethlich schliesslich, allein als Krone uebrig zu bleiben und am Ende entdeckte man in sich selbst unerlaubte Magenbeschwerden. Eine gewisse mittlere Dickhaeutigkeit macht allein das Leben auf diesem mangelhaften Planeten fuer sich und Andre ertraeglich. So'n Rhinoceros ist das philosophische Vieh. Alle Stoiker bleiben Waisenknaben dagegen." Der Dicke ging seinen Amtsgeschaeften nach, ohne sich dadurch den Appetit verderben zu lassen. Selbstmoerder, die er zu recognosciren hatte, theilte er in Krammetsvoegel und Rohrdommeln ein, Erhaengte oder Ertraenkte. Eigentlich war er beliebt. Er vertrat eine praktische Nothwendigkeit. Die armen Teufel liessen die Koepfe haengen und ergaben sich in ihre Strafe. Er begruesste die Rueckfaelligen auch stets wieder mit derselben Jovialitaet. Unter der Hand war er wohlthaetig. Manches arme Weib hatte sich seine Mark fuenfzig oder drei Mark Conventionalstrafe fuer Holzsammeln, Beerensuchen von ihm zugesteckt gesehen. Eine gewisse ruede Ausdrucksweise ging dabei mit in den Kauf. Er nannte das patriarchalisches Regime. Ganz anders der Gelbe. Die Angeklagten waren von vornherein seine persoenlichen Feinde. Er suchte sie noch privatim moeglichst zu zerknirschen. Nichts konnte ihm mehr Freude machen, als solche, die sich erhaengten, Weiber, die sich in Zuckungen auf der Erde wanden. In Alimentationsklagen trat er nie ein, ohne das Frauenzimmer vorher gruendlich zu verdonnern. Ueberhaupt Unsittlichkeit! Er hatte dann ein Gefuehl des lieben Gottes, eines Rhadamanthus. Zum allgemeinen Besten musste man unbarmherzig sein, waehrend der Dicke sich vorgenommen hatte, dann lieber nach der andern Seite zu suendigen, die Sittlichkeitsfrage von vornherein ironisirte. Die leichtherzige Auffassung des Collegen hatte den Andern geaergert. Er fand den Fremden im Gegentheil hoechst gefaehrlich, staatsaufloesend. Dabei blieb der Kerl heimlich, verstockt. Er liess sich nicht fangen. "Sie sind Communist?" fragte ihn der Vorsitzende. "Sie predigen den Communismus?" "Was mein ist, ist meines Bruders." "Wenn er es nicht giebt?" "Es ist nicht an mir zu fordern." "Ich habe gehoert, dass Sie aufloesende Tendenzen gegen die Ehe predigen? Wie denken Sie darueber?" "Nicht die Ehe ist unheilig, die Unkeuschheit macht sie so." "Wie ist denn aber eine Ehe moeglich ohne physischen Umgang?" "Das waere allerdings die Radicalcur fuer alle unsre Gebresten," sagte der dicke Amtsgerichtsrath. Er fand die Idee hoechst spasshaft. Man wollte wissen, ob er sich weigerte, Militaerdienst zu thun? "So mich Keiner angreift, wozu brauche ich Soldaten? Wenn ich angegriffen werde, ist es mir besser, Unrecht zu dulden, als Unrecht zu thun ..." "Das bricht den Gehorsam gegen das Gesetz." Er wies auf ein Cruzifix, das neben dem Richterstuhl hing, zu Eidesleistungen gebraucht wurde: "So Er Euch Gesetz ist, was braucht Ihr Gesetze?" Sie fragten: "Was bezeichnen Sie als sein Gesetz?" Er sprach: "Es steht geschrieben: Wer gestohlen hat, der stehle nicht wieder, sondern schaffe mit seinen Haenden, auf dass er habe zu geben dem Duerftigen. Du sollst Deinem Bruder vergeben sieben mal siebenzig mal. Und was Du nicht gethan hast diesem Geringsten Einem, das hast Du mir nicht gethan." "Ein geschriebnes Recht muss sein um der Ordnung willen," warfen sie ein. "Ich sehe nur Unordnung. Ihr habt taeglich zu thun mit Solchen." "Das sind Ausnahmen." "Die Andern bleiben in der Regel, weil sie den Vortheil davon haben." "Er ist scharf wie ein alter Fuchs," schmunzelte der Amtsrichter. "Ohne Zwang ist in menschlichen Dingen kein dauerhafter Zustand moeglich." "Der Zwang trifft nur die Aeusserung. Er aendert die Gesinnung nicht. Die maechtig genug sind, verachten ihn, und diese sind die staerksten, die das Beispiel geben." "Da hat er, den Teufel! nicht Unrecht. Unsre Banquiers und Minister koennten davon ein Liedchen singen." "Glauben Sie, dass dieser Zustand ohne Gesetzlosigkeit, ohne Mord und Todtschlag je moeglich sein wird?" "Wenn Jeder sich selbst Gesetz ist." "Dann hat's gute Weile." Der Gelbe wollte wissen, ob er Seine Majestaet den Koenig anerkennte? "Wenn Unordnung ist, ist es gut, dass Einer sei. So aber Ordnung ist, wozu ist ein Herr?" Der Feierliche fand, dass darin doch eine Majestaetsbeleidigung laege, zum Mindesten Zweideutigkeit. "Glauben Sie an Gott?" Er glaubte natuerlich nicht. Der Pfarrer hatte es haarklein bewiesen, Aussprueche zusammengestellt. Ein ganz hohler Pantheismus war vielleicht vorhanden. Der Assessor fand, ein paar Monate koennten nichts schaden. Man musste sich schneidig zeigen. Der joviale Amtsrichter war dagegen: "Er hat nicht gestohlen, thut Keinem was zu Leide. Lassen Sie ihn laufen!" Der Assessor langweilte sich. Er fand, dass es fuer ihn ueberhaupt nicht der Muehe werth sei, sich mit einem abgerissnen Strolch laenger zu beschaeftigen. Man hatte genug zu thun, Beleidigungen socialistischer Redacteure aufzunehmen. Das machte einen guten Eindruck nach oben. Er sah sich gern als Praesidenten des Reichsgerichts in scharfer, schneidender Rede die Gesellschaft retten. Das war vornehm gewesen seit Jeffrey's Zeiten. Aus diesem Grunde opinirte er auch gegen Dreyfus. Den Vorsitzenden verfolgte die fixe Idee der Majestaetsbeleidigung: "Ob man die Steuer zahlen sollte?" wollte er wissen. "Ist sie fuer das Allgemeine, so ist es billig, dass ein Jeder trage. Ist sie nicht, so mag der tragen, der sie braucht." Sie stellten ihm eine Menge Fragen, woher er kaeme, was sein Name und Stand sei? Auch ueber seine Geldverhaeltnisse wollten sie wissen? Wovon er sich ernaehrte? Auf dieses Alles antwortete er nicht. Nun fingen sie an, Erkundigungen anderweitig einzuziehen. Es gab Leute, die es beschworen, dass er ein Joseph Schaeppli aus Bing in Wuerttemberg sei, der schon in seiner Jugend geistesgestoert gewesen, seinen Eltern davongelaufen und dann verschwunden war. Man that noch ein Uebriges. Da die alte Mutter Schaeppli noch lebte, beschloss man ihn mit dieser zu confrontiren, sie auf Gerichtskosten herkommen zu lassen. Der Erfolg schien allen Zweiflern Recht zu geben. Es erschien vor Gericht eine uralte verhutzelte Bauersfrau, ganz benommen von der Wichtigkeit und Wuerde des Orts, diesen vielen Augen, die auf sie gerichtet waren. Sie versuchte abwechselnd ihren mitgebrachten Korb mit Esswaaren zu sichern, aus den Mienen der Umstehenden zu errathen, was man mit ihr vorhatte. Natuerlich hatte sie ihren besten Sonntagsstaat angelegt. Man hatte das Gefuehl eines alten Nacht- oder Erdthiers, ploetzlich an's Licht gebracht, das in die Sonne blinzelt, sich verkriechen moechte. Sie erkannte ihn sofort: "O mein Sohn Joseph!" schrie sie. "Mein armer Sohn! Du boeses Kind! Bist Du mir fortgelaufen und wo hast Du Dich umgetrieben so lange?" Auf dies Alles antwortete er kuehl, aber freundlich: "Du irrst, Frau! Ich bin Dein Sohn nicht." Nun gerieth die Alte ganz ausser sich: "Nicht mein Sohn? Was? Habe ich Dich nicht in Schmerzen geboren? So spaet kamst Du, dass die Wehmutter es aufgab. Wir dachten, ich wuerde nicht lebendig bleiben. Dann war es ein grosses, starkes Kind, zehn Pfund schwer, dass alle Nachbarinnen ueber das Wunder schrieen. Hinterher kam das mit dem schwachen Kopf, wo gar nichts anzufangen war. Nicht mal zum Viehhueten taugte das. 'Geben Sie's nur auf, Schaepplerin,' sagte der Herr Pfarrer. 'Den hat sich der Herrgott gezeichnet.'" Sie fing ploetzlich an zu weinen und wurde zaertlich. "Bin ich nicht doch gut zu Dir gewesen? Hab' Dich trocken gelegt jede Nacht, wenn Du schrieest? Und wie Du krank warst, hab' ich Dir Hirsenbrei gekocht. Du assest so gern Hirsenbrei und getrocknete Pflaumen. Dafuer liessest Du gerade Dein Leben. Mein Joseph! Mein Seppli! Mein eigner Herzbub! Und willst nun Deine eigne alte Mutter nicht kennen?" Er sprach: "So nun sind die Weiber. Weil sie Dir Brot gegeben und den Leib gewaschen, bilden sie sich ein, dass sie Dir eine Seele geschaffen, einen unsterblichen Menschen aus Dir gemacht haben. O kleine Kinder im grauen Haar! Thoerinnen, die Ihr Muetter seid!" Danach, wie er sah, dass Einige diese Rede hart fanden, Andre sie richtig nannten, die Alte aber schluchzte und lamentirte, sagte er: "Dennoch ist die Mutter immer verehrungswuerdig. Sie hat gelitten. Sie hat leibliche Schmerzen gelitten, wie das Kind zur Welt kam. Alle Noth und Last traegt sie mit ihm in seiner Schwachheit. Danach wird es zum Manne und laesst sie. So ist es wohl ihres und doch nicht ihrs. - Sie leidet im Fleische um einer unsterblichen Seele willen. - Viele schelten dies Geschlecht schwach. Es ist aber nicht so, da sich in ihrem Leibe sichtlich das heilige Wunder der Erloesung zeigt." Und war guetig zu der alten Frau, troestete sie und hinterliess sie mit Gaben, die seine Freunde fuer ihn sandten. Vielen war das wieder ein Zeichen: "Er weiss sehr wohl, dass er ihr Sohn ist. Wuerde er sie ehren, wenn sie nicht seine Mutter ist?" Er sprach: "Und wenn sie es waere? Was ist eine Mutter? Hat sie mir meine Gedanken gegeben? Traegt sie Schmerzen fuer mich? Und fuehlt sie mit meinem Fuehlen? Der Antheil der Mutter ist vom Fleisch. Wir sind aber nicht Fleisch, sondern Geist. ... "Vor Augen siehet diese Art, was wahrscheinlich ist. - Das Wahre aber siehet sie nicht. Wenn sie es saehen, wuerde es ihre Augen verbrennen. - Aber die Blinden haben auch Augen." Danach schwieg er und sagte nichts mehr ueber diesen Fall, erklaerte sich auch nicht deutlicher. Dieser Umstand der Recognoscirung durch die eigne Mutter beruhigte die Richter ganz und gar. Sie dachten nun wohl, dass er ein Narr und Kranker sei. Uebrigens bildete nicht die Familie die Grundlage und Urform jedes gesunden Staatsorganismus? Das heiligste Gut der Nation? Einer, der nicht mal die Familie anerkannte, leugnete das Bestehende durch diese Thatsache schon. - Der Gelbe war fuer mindestens zwei Jahre und kurzen Process. Aber die Herren amuesirten sich zu gut bei dem Fall. Es machte ihnen Spass, ihn auszuhorchen ueber seine Ansichten. Was er von ihrer Justiz denke? Ob er mehr fuer deutsches Recht sei oder fuer roemisches? Auch fanden sie verzwickte Streitfaelle, die er entscheiden sollte. Und ob er die Todesstrafe billigte oder missbilligte? Es war ein foermlicher Sport unter ihnen geworden. Der dicke Amtsgerichtsrath war der Lustigste. Er nannte ihn scherzhaft seinen Christus und sich Pontius Pilatus. - Der Assessor dachte an Berlin und die Blumensaele. Er war weit weg. Der grosse Gelehrte fand, dass dergleichen die Koepfe verwirrte. Er war sehr gegen Verwirrung der Koepfe. Er hatte alle Materien in Schubfaecher und Unterschubfaecher eingetheilt, und man wusste, dass sein Urtheil unbestechlich war. Ueberdies _fand_ er die Majestaetsbeleidigung. Die Majestaetsbeleidigung lag sonnenklar. Besonders konnte ihn eine Behauptung des Jovialen irritiren, dass der Fremde eigentlich ein "genialer Kerl" sei, ein religioeses Genie. "Genies - Genies - die haette man auch Alle einstecken sollen." "Auch Goethe?" "Was ist Goethe? Ein Kerl, der keinen Patriotismus hatte, einen unmoralischen Lebenswandel fuehrte." "Er ist aber doch Excellenz geworden." "Es kommt ja vor. Im Grunde ist das Alles hoeherer Anarchismus, selbstverfertigte Autoritaeten, Parvenuegewalten. Sehen Sie selbst Bismarck ..." Der eminente Jurist war ultramontan. "Aber Pommeraenicke!" Der dicke Polizeidiener bildete das besondere Steckenpferd seines humoristisch veranlagten Vorgesetzten. In seinen Mussestunden schlachtete er Schweine, lieh Geld auf Wucherzinsen und fuellte in seiner kleinen Methodistengemeinde ein kirchliches Amt aus. "Pommeraenicke ist nothwendig, existenzberechtigt. Pommeraenicke _ist_!" "Die Fleisch und Fett gewordene Potenz des mittleren Gerechtigkeitsgefuehls. _Es lebe_ Pommeraenicke!" "Sie sind ein Farceur." Der Gelbe grollte und kollerte in sich hinein. Er hasste, wenn man irgend etwas, das mit einer Staatseinrichtung zusammenhing, nicht ernsthaft nahm. Er war immer ernsthaft. Lachen war eine Frechheit eigentlich. Anarchismus, Majestaetsbeleidigung. Nur pietaetlose Menschen lachten. Der Assessor hatte Besuch von Berlin. Diese Damen und Herren wuenschten innig ein Zuchthaus zu besichtigen. Das Sociale war Mode. Man verstaendigte sich mit dem Director. Auch der Amtsrichter und sein Freund waren mit. Alles interessirte ausnehmend. Die Hunderte von kleinen Zellen mit starken Eisenbarren vor den hohen Fensterluken, der Arbeitssaal, die Kirche, wo die einzelnen Sitze durch Brettwaende abgetheilt waren, um eine Communication der Straeflinge miteinander zu verhindern, der gepflasterte Hofstreifen zwischen Steinwaenden, in dem sie ihre Spaziergaenge machen. Alles war musterhaft eingerichtet, beinah comfortabel, mit Lazareth, Apotheke, Badeanstalt. Und diese wohlthuende Stille! "Foermlich nervenberuhigend," meinte die Mama. Der Herr erkundigte sich, ob und unter welchen Bedingungen gepruegelt werden duerfte? Er liess sich die Einrichtung erklaeren. Er war sehr ueberzeugt von der Zweckmaessigkeit solcher Strafen. Der affenartige Gehorsam, mit dem die Straeflinge aufsprangen, Antwort gaben, imponirte ihm. Er war selbst Besitzer eines grossen industriellen Etablissements. "Da haben Sie's bequemer!" meinte er scherzend. Die jungen Damen interessirten hauptsaechlich die Insassen. Besonders ganz schwere Verbrecher. Sie waren fast enttaeuscht, dass ihre Unthaten nicht noch viel furchtbarer waren. Und waren Frauen da? Sie baten und flehten, wenigstens einen Ausblick auf die im Hofe Promenirenden thun zu duerfen. - Es war so amuesant, durch die kleinen Gitterfenster zu gucken, gerade als ob man wilde Thiere beobachtete. So Einer konnte doch jeden Moment ausbrechen und ihnen mit der Hand an die Gurgel fahren. Dass Alle glattgeschoren und rasirt waren, wunderte sie am meisten. "Die sehen ja fast wie katholische Priester aus," meinte ein Offizier. Von da kam man auf physische Eigenthuemlichkeiten, Abnormitaeten der Verbrecher zu sprechen. Der Assessor als moderner Mann hatte sich mit Anthropometrie befasst. Man citirte Charcot, Tarbe, Lombroso. Es stand ja beinah fest, dass alle Verbrechen Wahnsinn seien, erbliche Belastung, durch Alkoholismus hervorgerufen: "Man muesste die Leute einfach in Irrenanstalten unterbringen." "Oder blenden, verstuemmeln," schlug Einer vor. Man rechnete genau aus, wieviel ein solcher Zuchthaeusler dem Staat jaehrlich kostete. Davon konnte fast schon ein ehrlicher Arbeiter satt werden. Zudem drueckte ihre Arbeit die Preise der in Freiheit Arbeitenden herab. Nun ja, das jetzige System war dumm. Der Amtsgerichtsrath erzaehlte von einer Hinrichtung, der er als ganz junger Mensch aus professionellen und psychologischen Gruenden beigewohnt hatte. Es handelte sich um irgend einen ganz entsetzlichen Moerder, einen Zwanzigjaehrigen, der eine alte Frau, seine eigne Grossmutter, mit der Axt todtgeschlagen und zerstueckelt hatte. Er war nach vollbrachter That ruhig noch in ein Cafe gegangen, um eine Parthie Billard zu spielen. Da war er auch arretirt worden. "Sie aergerte mich," blieb seine stereotype Antwort auf alle Fragen nach den Beweggruenden seines Verbrechens. Er blieb ganz stumpfsinnig, ass und trank und ergab sich in sein Schicksal. "Nun gut. Diesen Kerl habe ich genau beobachtet. Er hatte nur etwas Verbluefftes, wie Einer, der eben aus dem Schlaf geweckt und noch nicht vollstaendig wach geworden ist. Alle Reden des Pastors, der Gerichtsbeamten liess er ruhig ueber sich ergehen. Noch zuletzt forderte er eine Cigarette. - Alles hatte etwas Eiliges, Unvorbereitetes, Gesudeltes, obgleich es feierlich sein sollte, eindrucksvoll, wirksam. Dieser Mann starb wie ein Ochse, der geschlachtet wird. Ich hatte nur den Eindruck stupidester, verantwortungsloser Dummheit." Man kam auf die politischen Verbrecher zu sprechen, Verbrecher aus Mitleid, Nihilisten und Fenier. Jeder wusste curiose Facta: Dieser hatte jedes Stueck Brot mit Aermeren getheilt. Ein Andrer schrieb die sentimentalsten Verse und paeppelte kranke Hunde auf. Ein Dritter wieder besass eine Geliebte, die mit ihm sterben wollte, Freunde, die um ihn zu raechen ihr eignes Leben dran setzten. Manche waren Maertyrer, Helden. Spaetere Jahrhunderte hatten ihnen Denksteine gesetzt. Der Contrast brachte den Gerichtsrath auf einen andern Fall. "Da haben wir nun heute eine Frau im hochschwangeren Zustand, die beim Jaeten im Garten ein Gericht Bohnen gestohlen hat. Die Frau bekam fuer ihre Arbeit fuenfundsiebzig Pfennig Tagelohn. Sie war hungrig. Das Gericht Bohnen hat einen Werth von fuenfundzwanzig Pfennigen. Die eigentliche wirkliche Gemeinheit ist die Anzeige der Gartenbesitzerin, als der Arbeitgeberin, die sie seit sechs Jahren beschaeftigt. Die aerztliche Wissenschaft, die Menschlichkeit sprechen sie frei. Dennoch muessen wir sie verurtheilen, weil es der Buchstabe will, weil es gedruckt steht. Wo bleibt nun da die Vernunft?" Der Amtsgerichtsrath zuckte die behaebigen Schultern. "Schliesslich, meine Herrschaften - was ist Vernunft?" DAS ZWANZIGSTE KAPITEL. Der beruehmte Professor wusch sich die Haende. Er that das immer mit besondrer Umstaendlichkeit und Sorgfalt, schon um des guten Beispiels willen. Man musste ein Beispiel geben. Uebrigens hatte er beruehmt schoene Haende. "Es giebt nichts, was auf das Gehirn schaedlicher einwirkt, als religioese Wahnvorstellungen," sagte der grosse Mann. "Schon das Beduerfniss einer Religion ueberhaupt. Ich will nicht mit einem hochloeblichen Consistorium in Conflict kommen oder auf den neuesten Paragraphen der Lex eingesteckt werden ..." Der Geheimrath geruhte zuweilen dergleichen Witze, die immer auf bruellenden Applaus rechnen konnten ... "Es ist bekannt, dass Mohammed epileptisch war, an der Fallsucht litt. Christus hatte in seiner Jugend die Satzungen der Essaeer angenommen, unter denen die Forderung der absoluten geschlechtlichen Enthaltsamkeit, neben strictem Vegetarismus, Fasten, Waschungen aller orientalischen Kulte, obenan stand. Nun weiss heutzutage Jedermann, dass die Unterdrueckung des Paarungstriebes die Ursache zahlreicher Verbrechen, in vielen Faellen des Irrsinns ist. Chassez le naturel, il reviendra au galop. Die Natur, meine Herren! Die Wissenschaft ist die erkannte Natur." Der Professor hatte seine Haende fertig gewaschen und sorgfaeltig abgetrocknet. Er stand jetzt, die Fingerspitzen beider gegeneinander gepresst. Er wusste, dass er keinen Widerspruch zu erwarten hatte. Er war nicht an Widerspruch gewoehnt. Er verachtete ihn. "Es ist eine Schande fuer unser Jahrhundert, dass derartige Erscheinungen noch moeglich sind," fuhr er streng fort, "dass der Aberglaube eine solche Macht auf die Gemuether noch ausueben kann. Allein die Ignoranz ist daran schuld, systematisches Zuruecksetzen des Wissenschaftlichen, des Positiven in der Erziehung gegen Abstractionen, sogenannte Moral. Ich bitte Sie, meine Herren! Was ist Moral? Moral ist die Anforderung des Magens in Einklang gebracht mit dem, was von aussen diesen Magen befriedigen kann. Unsre Moral, gesellschaftliche Moral ist das geregelte Productions- und Consumtionsverhaeltniss. Moral endlich ist eine Sache des Bluts, der Hirnpartikeln, Zellenconglomerat. Die Zelle ist Alles." Der grosse Mann sah sich triumphirend um. Er wusste, dass er etwas Grosses gesagt hatte. "Wie es uebrigens die Seele selber ist ..." fuhr er leutseliger fort. "Was ist Seele, als das vitale Princip der Zellenschwingung auf das Abstracte angewendet? In den ersten Zeiten brauchte man Kutscher und Pferde fuer die Wagen. Dann machte man's mit Dampf. Jetzt treibt die Electricitaet ohne aeusserlich sichtbaren Fortbewegungsapparat. Ein Grieche des Alcibiades haette an Daemonen geglaubt, ein Moench des Mittelalters an den Teufel, ein von den Missionaren bekehrter Wilder an Gott. - Wir wissen, weil wir sehen. Wo wir nicht mehr sinnlich wahrnehmen, haben wir nur ein: Ignorabimus." Der Professor verbeugte sich gegen sein Publikum. Er war eilig. Eine hohe Persoenlichkeit verlangte seine Autoritaet in schwierigen Nervenleiden. "Grosse Ueberreizung," decretirte der Professor. Ruhe, frische Luft, blutbildende Nahrung, Pepton: Hygieia. Das hatte er selbst erfunden und sich patentiren lassen. Der Professor verstand auch das. Er war ein wirklich grosser Mann. Dabei machte er sich niemals durch Propaganda missliebig. In seinem Wahlkreis waehlte er conservativ. "Fuer die Crapule ist das gut und schoen. Halbbildung bleibt das Allergefaehrlichste. Das fehlte uns gerade noch, dass jeder Apothekerlehrling auf eigne Hand Experimente anstellte. Die Laien sind eben Laien." Es war eine Lieblingsredensart von ihm, dass in der modernen Gesellschaft die Autoritaet des Arztes die des Priesters ersetzt habe. Die Wissenschaft war eine Macht, die Macht. Eigentlich verachtete er alle Andern, die vielleicht momentan viel Laerm machten, sich wichtiger duenkten. Sie hatten das nicht noethig. "Alles das sind Blasen, fluechtige Gaehrungserscheinungen an der Oberflaeche, die die Grundbedingungen ganz unangetastet lassen. Es ist das eben wie der Unterschied, ob ich mit meinen Augen sehe oder durch ein sehr scharfes, vollkommenes Instrument. - Der groesste Geist, ein Koenig, ein Eroberer ist doch schliesslich nur ein Laie, ein Decadent, ein Entarteter vielleicht. Er betrifft uns eigentlich darum gar nicht, aendert aber auch gar nichts an der Marche du jeu, den einmal gewonnenen und festgelegten Resultaten. _Wir_ passen ihn ein, nicht er uns." Er machte einen abschneidenden Eindruck, wenn er dergleichen sagte, inmitten seiner Arbeitssaele und Laboratorien, mit ihren kahlen, weissgestrichnen Waenden, wo Instrumente und Praeparate standen. Alle diese Instrumente waren tadellos gehalten und blinkten in der Sonne. Man sah alle Stoffe in ihre primitivsten Elemente zerlegt. Diese geistvollen Einrichtungen und Neuerfindungen arbeiteten mit erstaunlicher Praecision und Genauigkeit. Der Mann passte in dieses Milieu. Zusammen hatten sie eine gewisse Groesse. Sein Colleg war immer gedraengt voll. Es gab eine ganze neue Generation von Jugend, die sich mit Stolz seine Schueler nannten. Er hatte sein ganzes Leben geforscht und gearbeitet. Arbeit und Forschung waren ihm das Hoechste. Man warf ihm den grossen, weltumwendenden Einfluss des Christentums vor. Er hatte einen juengeren Freund und Collegen, der sich gern mit dem Philosophischen befasste. "Das sind Epidemieen, die ganze Zeitalter erfassen, wie die Blattern, die Beulenpest. Uebrigens, was rechnen diese zwei- oder dreitausend Jahre gegen die Tausende von Jahrtausenden, die die Erdoberflaeche gebraucht hat, sich zu bilden, ein einziger Diamant zu seiner Crystallisation bedurfte! Das ist Alles sehr gleichgueltig." "Es haben sich doch Menschen dafuer schlachten und verbrennen lassen." "Menschen haben von jeher eine grosse Vorliebe dafuer gehabt, sich um hohle Toepfe die Schaedel zu zerschlagen. Wie Hamlet sagt: Worte - Worte - Worte. Uebrigens dieser Hamlet ist sehr interessant. In seinen Reflexionen auf dem Kirchhof finden Sie alle Anfaenge der Naturphilosophie. Sie erinnern sich des Passus von Caesar's Staub?" "Trotzdem stach er sich um ein Phantom." "Hamlet war eben ein Kuenstler," sagte der Professor beinah mitleidig. "Shakespeare war ein grosser Dichter. Die grossen Dichter sind immer sehr miserable Naturforscher. Nehmen wir Goethe! Die Phantasie - die Phantasie!" "Die Phantasie kann doch aber auch immer nur Vorstellungen von Existirendem weiterspinnen. Sie muessen irgendwie in der Natur mit vorhanden sein." "In der Natur ist noch Vieles." Der Professor zuckte die Achseln. "Wir wissen es nicht." Aber der Freund ereiferte sich. Er war jung. Er neigte zur Phantastik. - Jemand Andres war miteingetreten. Es war die junge Frau des Professors. Sie war noch sehr jung, gluecklich verheirathet und sollte zum ersten Mal Mutter werden. Sie sprach wenig. Es war etwas Schleppendes, Sachtes in ihren Bewegungen. Sie trug den Nacken gesenkt wie eine zu beschwerte Aehre. Der Professor schob ihr sorgsam einen Stuhl zurecht. Sie sah nur dankbar laechelnd zu ihm auf, und blieb so sitzen, ihre Hand in seiner. "Es koennte doch aber eine Zeit kommen, dass wir wuessten," argumentirte der Freund. "Und waere es nicht denkbar, dass besonders begnadete Genies, sagen wir Shakespeare, Goethe, Christus, Vieles vorgeahnt haben? Auch Geheimnisse wieder verloren gingen? Waren doch schon die Phaenomene des Hypnotismus, der Autosuggestion den Alten bekannt? Dass man mit ihnen die Wunder der biblischen Geschichte erklaeren koennte?" "Ich weiss es nicht. Das erscheinen mir wieder Speculationen." Der Andre war begeistert, einmal lancirt: "Denken Sie sich auf diesem rein empirischen Wege die Vereinigung des Uebersinnlichen mit der Wissenschaft wiederhergestellt, im Fortschritt den Aufschritt! Die Natur, die wir arm und nuechtern auffassen, tausendmal reicher, ueppiger, wolluestiger. Eine beseelte Natur. Die _Seele_, die wir suchen, nach der wir verhungern, unsre Kuenstler, unsre grossen Energieen, unsre Jugend - da haetten wir die Seele! Im Christentum die Darwinsche Theorie, Lombroso, Krafft-Ebing, kein Gut und kein Boese, Tolstoi nicht mehr pathologisch, - unser ewiges, elendes, billiges 'pathologisch'!" Er gestikulirte heftig, den Spruengen seiner Gedanken folgend. Er war ein schoener, feuriger Mensch, fuhr sich mit der Hand durch die dichten Haarbueschel. Die junge Frau des Professors hatte aufmerksam zugehoert. Sie sagte nichts, sie dachte. Ein sehr suesser, sehnsuechtiger Friede lag auf ihrem Gesicht. "Sie sind ein Dichter," sagte der Professor. "Enfin ... Wie wir uns drehen und wenden: 'Ein Mensch, der speculirt' ... Carpe diem. Es giebt keine Weisheit als diese." "Zarathustra? Zarathustra! Auch blos ein pathologisches Problem jetzt - der Weisheit letzter Schluss, das Endglied der grossen Kette. - Dionysos! Die Entfesslung aller Kraefte. Fluegel! Fluegel! Fluegel!" "Wir muessen uns an die Erde, an das Normale halten." "Und das heutzutage Uebernormale, das Unternormale? Wo bringen wir das unter?" Das offne Gesicht des Freundes gluehte. Er stand da in einer Pose des Kampfes mit gereckten Faeusten. Die junge Frau sah von einem der Maenner zum andern. Sie litt nicht. Aber sie war muede - von einer suessen Muedigkeit. Das beschwerte sie, aber machte sie froh. - Ihre Augen hatten sich verschleiert. Es war, als ob sie saehe, in etwas sehr Helles, Glaenzendes saehe. Aber sie sprach nicht. Ein traeumendes Fuehlen war in ihrem Sehen. ... Der Professor machte eine abschneidende Handbewegung: "In unsern Irrenhaeusern." ENDE. Weitab von der Stadt lag die Irrenanstalt, ein Complex langgestreckter, gelber Haeuser, am Rande des Kiefernwaldes. Von der Chaussee fuehrte eine Fahrstrasse, alleeartig mit Baeumen bestanden. Rechts und links lagen Felder. Die leichter Kranken und Unbemittelten arbeiteten dort unter der Aufsicht eines Waerters. Man sah sie Kohlstruenke ausreissen, Graeben ziehen, jaeten. Manchmal lachte einer seltsam, kichernd, unmotivirt. Die Voruebergehenden auf der Chaussee blieben wohl stehen und sahen sie an. Sie stiessen sich mit den Ellenbogen. "Irre!" Das interessirte sie. Sie fanden es auch ein bischen komisch. Jedenfalls erwarteten sie Ausserordentliches. Vielleicht dass Einer sich auf seinen Waerter stuerzte und ihn erdrosselte oder etwas Aehnliches. An der Chaussee lagen die Waerterhaeuser. Sie sahen schmutzig grau aus mit kahlen Fenstern. Es war einsam hier und nicht behaglich. Der fegende Wind ueber die Ebene traf sie von allen Seiten. Alles das hatte etwas Trauriges. Noch weiter ab lag ein Oeconomiegebaeude. Es war mit einer hohen rothen Backsteinmauer umgeben. Man hoerte Gaensegeschnatter. Ein fauliger Gestank von Duenger verpestete die Luft, die scharf war, prickelnd, wie im Winter schon. Alle Felder lagen unter Duenger und waren kahl. Auch der Rasen am Feldrain sah verbrannt aus. Ueber der ganzen Landschaft lagerte die ueble Laune des Novembers, eine Stimmung des Unbehagens und der Trostlosigkeit, die der blaugruene Saum der Kiefernwaelder nicht unterbrach. Sie zogen sich nach allen Seiten. Sie schienen das natuerliche Moos dieser graubraunen Erde, stumpf, ohne Leben und Wechsel, langweilig. Das ist kein Wald. Das ist Haide. Das Mittelgebaeude in der Anstalt selbst enthielt die Wohnungen des Directors, der Oberaerzte. Man hatte eine Kapelle fuer die Irren, Gesellschaftssaele, Bibliothek- und Musiksaal. Die Raeume waren mit dem neuesten Comfort, Gas, und Centralheizung ausgestattet. Die vergitterten Fenster zeigte man nur nach dem Garten zu, auf der Rueckseite. Alles war beinah elegant. Man versicherte gern, dass sich die Kranken da ausserordentlich wohl fuehlten. Sie wuerden gar nicht wieder wo anders leben moegen, selbst wenn man sie liesse. Dies war Wohlthat fuer ueberreizte Nerven. Die Aerzte sagten immer: "Die Kranken." Der Ausdruck Verrueckte oder Irrsinnige beleidigte sie fast. Noch mehr der dumme Aberglauben des Publikums. Das war eine Krankheit so gut wie jede andre, mit ganz bestimmten, anatomisch nachweisbaren Veraenderungen im Gehirn, Stoerungen des Sensoriums und der Motilitaet verbunden. Mit der moenchisch-moralistischen Betrachtungsweise solcher Erscheinungen in frueheren Jahrhunderten hatte man ja Gott sei Dank! aufgeraeumt. Aufgeklaerte Leute traten gern dagegen auf. Sie waren sogar zu Gesellschaften in der Anstalt gewesen und hatten sich sehr gut unterhalten. Oder zum Gottesdienst am Sonntag. Es gab da hinter den Mauern sehr geistreiche und gebildete Leute. Diese Legenden von Zwangsjacken, Tollwuth, rohen, pruegelnden Waertern erzaehlten sich Koechinnen. - Es war wirklich angenehm da zu existiren. Aufgeklaerte Leute versicherten, dass sie sofort bei der ersten Stoerung ihres Nervensystems in eine solche Anstalt gehen wuerden. Es war das einzig wahre Mittel, sich zu curiren. Von Zeit zu Zeit erschoss sich ein Arzt. Er hatte an sich selbst die Fortschritte der Krankheit beobachtet und genau festgestellt: Noch so und so lange. Dann greift man zur Pistole ...... "Kranke eben." Es gab so viel Krankheitsursachen im modernen Leben: Laerm, Pferdebahngebimmel, electrische Bahnen, der immer haerter werdende Kampf um's Dasein, Rastlosigkeit. Die Zeit verbrauchte die Menschen. Da hinten lagen die Ungethueme, Grossstaedte, die sie schickten. Hier war's still. Gesunder Kiefernadelduft. Es gab sehr interessante Sujets unter den Internen: Einige, die am Verfolgungswahn litten; eine aeltere adelige Dame glaubte, dass man sie in ihrem Standesgefuehl beleidigen wollte; dann der Mann, der einen Schatz gefunden hatte; Einer, der sich einbildete, der Kaiser Napoleon zu sein; besonders scherzhaft war der sogenannte "Gott Ra", eine Persoenlichkeit, die ploetzlich mitten im Gespraech abbrach, die Kiefern auf- und zuschnappte, als ob er etwas verschlaenge. Alle diese waren ungefaehrlich, lebten beinah gluecklich. Da waren welche, die die griechischen Tragoedien in der Ursprache lasen, sich mit Forschungen beschaeftigten. Auch die Bloedsinnigen litten ja nicht. Diese Menschen wurden Thiere. Die Hauptsache fuer sie war Essen und Trinken. Sie hatten keine Ahnung von ihrer Degradation. - Das Publikum macht sich so falsche Vorstellungen. Es war unangenehm, dass einmal eine aeltere Dame eine Haekelnadel verschluckt hatte. Natuerlich war es den Waerterinnen streng verboten gewesen, Derartiges zu arbeiten, oder dass die Waerter an Kranke Schnaps verkauften. - So etwas kam ueberall vor. Man konnte nicht vorsichtig genug sein in der Auswahl des Materials. Das war die wichtigste Frage. Es war ein sehr friedlicher Platz. Im Sommer, wenn Alles gruen ist, war es noch viel schoener, beinah heiter. Der Kiefernwald erstickt. Man hatte die Gitter sehr weit vorgeschoben, immerhin. Und man musste sich gegen die Neugier des Publikums schuetzen. Die Leute, die da wohnten, waren Stille. Ihre Angehoerigen bezahlten fuer sie, erster, zweiter oder dritter Klasse, je nachdem sie vermoegend waren. Erster Klasse hatte man natuerlich bessres Essen und mehr Luxus. Die ganz Unbemittelten uebernahm der Staat. Sie machten auch allerlei Arbeiten. Wohlwollende Besucher kauften von diesen Arbeiten. Alle waren immer entzueckt von der Reinlichkeit, Vortrefflichkeit und practischen Anlage der Anstalt. Wirklich! Die da hinein kamen, waren nicht zu bedauern. Sie waren in einem Hafen foermlich. Die Bilder grosser Aerzte und Philanthropen schmueckten das Wartezimmer. Es war ein Segen, dass die Wissenschaft dies uebernommen hatte. Wenn man dachte, welche Zustaende frueher herrschten! Man konnte seine theuersten Angehoerigen mit der groessten Seelenruhe dalassen. Was sollte man denn auch thun? Ab und zu dann ein Begraebniss. Ernst, ohne Prunk. Es war vorueber. Er oder sie waren "erloest". Eine grosse Last war von den Schultern ihrer Familie genommen. Fast konnte man sie beneiden um den Frieden. Man musste zurueck. In den Kampf. In's Laute. Sie waren nicht sehr interessant. Etwas zwischen Kindern und Thieren. Sogar ihre Leiden waren halb komisch, eingebildete Leiden. Man giebt ihnen Alles zu wie Kranken. Jedermann ist gut und wohlwollend gegen diese Ungluecklichen. Bei Vielen ist die Krankheitsanlage erblich. Sie sind idiot, ganz harmlos. Man muss sie einschliessen, wenn sie gemeingefaehrlich werden. Jedermann kennt solche Erscheinungen in Doerfern, abgelegenen Gebirgshoefen. Man nannte sie "Gottes Narr", Fexe, Gezeichnete. Heilbar sind solche secundaeren Formen der Geisteskrankheiten selten. Dann giebt es Wahnsinn, Schwermuth. Diese Leute koennen ganz lichte Zeiten haben. Sie kehren wohl von Zeit zu Zeit wieder in ihre Familien, ihre Umgebung zurueck. Aber irgendwie tragen sie eine Kette am Fuss. Eine Schraube bleibt locker. Immer wieder wollten die Damen wissen, ob die Kranken "es fuehlen", sich ihrer mentalen Abirrung bewusst sind, unter dem Stigma leiden? Man las darueber so Schauerliches in Romanen. - Nur die Melancholischen leiden. Sie empfinden wirkliche neuralgische, acute Schmerzen. Ganz hoffnungslos sind die mit fixen Ideen Behafteten, oder solche, die religioese Wahnvorstellungen haben. Sie hatten eine sehr feine, dreissigjaehrige Dame aus gutem Hause, die an erotischem Wahnsinn litt. Eine Dame, sonst sehr scheu und wohlerzogen! Man rief beruehmte Beispiele zurueck: Torquato Tasso, Johanna von Castilien, Ludwig von Bayern. War Hamlet wahnsinnig gewesen, oder Koenig Lear? Aber ein Thema interessirte sie Alle. Sie hatten ein wirklich interessantes Sujet, einen Clou. Das kitzelte nicht nur die Damen. Die erste Intelligenz der Zeit, die brillanteste, genialste. Der Mann, dessen Adlerflug die Welt erst schweigend, dann mit wuethenden Verwuenschungen in gluehender Bewunderung verfolgt hatte. Jetzt, wo er wahnsinnig war, konnte man ihn ja ungehindert bewundern. Niemand hatte mehr eine Concurrenz zu befuerchten, seinen schneidenden Hohn schlimmer als seine Verachtung. Aus dem Loewenfell des grossen Mannes hatte man sich kleine Fellchen geschnitten, die so gut standen. Was konnte man da interpretiren, insinuiren, Kapital schlagen. Aus diesem ungeheuren Brachfeld, das er mit den Schaetzen einer ungehobnen Welt hinterlassen. Seine Fehler und Extravaganzen vermied man natuerlich. Er war ja eben bekanntlich ... Ein Strich ueber die Stirne vollendete den Gedanken. O ja! Fuer den interessirte man sich. Gedichte, Blumen wurden fuer ihn gesandt. Alle Augenblicke standen in den Zeitungen gefaelschte Interviews. Es bildete den bestaendigen Aerger der Aerzte. Sie hatten es doch so klar gesagt: Eine organische Krankheit, colossale Ueberanstrengung, verschaerft durch Schlafmittel, Narcotica. - Es wurde Zeit, dass endlich einmal mit dem alten Aberglauben aufgeraeumt wurde. Fromme Leute betrachteten diesen Irrsinn als eine gerechte Strafe des Himmels. In ihren Augen war er der Antichrist. Man sah Gottes Gericht recht deutlich! Der Titan, der Ihn anzugreifen gewagt, Felsbloecke gegen Ihn geschleudert und jetzt ohnmaechtig und gebrochen im Stuhl sass in einer Irrenhauszelle: "Ich bin dumm. Ich bin dumm." Selbst die, die nicht so weit gingen, moralisirten ueber den Fall auf ihre Weise. "Bleib' im Land und naehr' Dich redlich." Hier sah man, wohin das Gegentheil fuehrte: "die grosse Kunst macht Dich rasend." Wozu auch? Wenn man arbeitete, recht that, kam man immer noch zurecht auf dieser Welt. Der religioese Aberglaube war zu missbilligen. Ebenso wie die rohe Ausschweifung. Das Leben fand schon immer die Mittellinie. Es ist gut auf der Mittellinie bleiben. Es war ja freilich wahr, dass jeder Esel ebenso gut wahnsinnig werden konnte. Sie blieben doch ueberzeugt, dass Mueller es zum Beispiel nie wuerde, und Buchholz ebenfalls nicht. Diese wuerden sich auch nie das Leben nehmen oder mit der Polizei in Conflicte gerathen. Die Fachleute bemuehten sich vergebens, das ganz Natuerliche, rein Anatomische des Vorgangs auseinander zu setzen. Ein junger Arzt zeigte zur Exemplificirung sorgfaeltig praeparirte Plaettchen, auf denen man den Verlauf der Aederchen im Gehirn normal und anormal verfolgen konnte. Ordentlich niedlich anzusehen waren diese Praeparate, etwa wie Blumenblaettchen, fettig-weiss und rosig durchzeichnet. - Einige Damen grauten sich davor, - immer zurueck in der Cultur, diese Frauenzimmer! Der junge Gelehrte liebte seine Plaettchen. Er zitterte, ihren Schatz zu bereichern. Fuer ihn war auch dieser Kranke nur ein Object. Ganz Intime waren zuweilen zugelassen worden. Sie erzaehlten, dass der grosse Philosoph im Rollstuhl auf der Terrasse gesessen. Er sah in die sinkende Sonne. Er schien ganz "friedlich", der kranke Adler. Man nahm ein ganz angenehmes Gefuehl mit fort der allgemeinen Ruehrung und der eignen speciellen Empfaenglichkeit fuer schoene Emotionen. Uebrigens hatte er's gut. Erster Klasse sogar. Mancher hatte es nicht so. Was dachte er in den langen vierundzwanzig Stunden des Tages seit sieben Jahren? Die Aerzte versicherten, Nichts. Er laechelte. Er wartete ... Es war doch furchtbar. Der Mann des jauchzenden Lachens, der sich selbst die Stirn mit Rosen bekraenzt und das schwache Mitleid verachtete. - Nun, das war immer schon Wahnsinn gewesen. Den Schluss der Besichtigung bildete immer die Kapelle. Nur ein steinernes Kreuz stand hinter dem Altar. Eine Lebensaehnlichkeit, Blut und Nacktheit, haette die Kranken gestoert. Man musste vorsichtig sein. Eine Frau in schwarzen Schleiern weinte zu seinen Fuessen. Sie bildete sich ein, die Pieta zu sein. Sieben Schwerter des Weltwehs gingen durch ihren Busen. Sie weinte immer - immer. Eine vornehme Frau aus reichen, guten Verhaeltnissen, Mutter und Gattin. - Man liess sie, weil sie ganz sanft und ungefaehrlich war. Ein engelschoenes, bloedsinniges Kind, das zwischen den Baenken hantirte, nickte und lachte geheimnissvoll. Die Geschlechter schienen hier seltsam verwoben. Man wusste nicht, ob es ein Knabe oder ein Maedchen war. Die Aerzte erklaerten ihn fuer einen Adolescent von sechzehn Jahren. Er lief ueberall frei umher. Die Kapelle war sein Lieblingsaufenthalt. Er bildete sich ein, ein Chorknabe zu sein, schwang sein Raeucherfass, bueckte sich und nickte und kuesste dann mit Inbrunst die Altarstufen. Dieser Juengling war immer gluecklich, von einer Serenitaet der Cherubim. Jeder verwoehnte und liebte ihn. Auch von dem neuen Patienten wurde gesprochen, diesem "Fremden" der Zeitungen und Verhandlungen, der sich einbildete, Christus zu sein. Der Arzt erklaerte, dass dies eine haeufig vorkommende specielle Form des religioesen Wahnsinns sei: "Wir haben hier Chiliasten, Gott Vater, eine Jungfrau Maria, Apostel Paulus und Petrus. In Wahrheit ist dieser Mensch ein schwachsinniger Zimmermannssohn aus dem Wuerttembergischen. - Braucht man buendigere Beweise, dass es Zeit ist, mit dem alten Priesterhocuspocus aufzuhoeren?" Eine der Damen sah ihn lange an: "Er hat schoene Augen ..." Die Besucher gingen wieder. Es fing auch schon an daemmrig zu werden. ------------------------------------- Dann begab sich etwas Schreckliches, niemals Geklaertes, vor dem denen, die es spaeter sich erzaehlten, die Haare sich straeubten, wo die Vernuenftigsten den ewigen Bloedsinn der Dinge zugeben muessen und stumpfe Hirne peitschende Schauer der Unwelt fuehlen. In der Kapelle fand man den Wahnsinnigen, den Ewig-Stummen, den zum untersten Abgrund Geketteten. Man erfuhr niemals, was ihn dahingetrieben, wer den Andern herfuehrte, welcher furchtbare Auftritt stattgefunden zwischen diesen Beiden, deren Einen Keiner kannte. Der Irre hatte den Fremden an das Kreuz gebunden. Die Stricke waren seine Kleider, die er sich abgerissen hatte. Aus zertruemmertem Holzgeraeth, Baenken und Stuehlen, hatte er Naegel, Eisentheile, geklaubt. Dieser ganz nackte, misshandelte Leib war buchstaeblich zerstossen, zerschunden, erwuergt damit. Er stach sie ihm in die Stirne. Er schrie, er lachte. Mit einem schweren zugespitzten Holzstueck sah man ihn grosse Streiche fuehren nach der Seite unter der Brust, von wo dickes, schwaerzliches Blut troff: "Du hast die Welt zerstoert! Du! Du!... "Die Schoenheit hast Du getoedtet, den Ruhm, die Lust! "Sie leben noch, aber Du hast sie vergiftet. Du hast ihnen das Gift in's Herz getraeufelt. Schlange Du! Erste Schlange! Verfluchte! "Mit Deinen zerrissnen Haenden hast Du die Kraft unsrer Haende zerbrochen. "Deine Fuesse, die angenagelt sind, haben uns festgebohrt. "Aus Deiner Seite fliesst unser Lebensblut. "Die Stricke umwuergen unsre Leiber und machen sie haesslich. "Von Deiner Stirn die Dornen sind in unsre Hirne gedrungen ... Die Dornen von Deiner Stirn! Die Dornen!" ... Seine Stimme erstarb in wimmernder Klage. Er hatte seine Haare gepackt zu beiden Seiten des Kopfes. Ganz nackt, mit blutigen Haenden, ueber und ueber mit Blut beschmiert, raufte er sie aus in vollen Faeusten. Und es war eine Aehnlichkeit, eine furchtbare, schauerliche Bruederlichkeit in diesen beiden gemarterten, verrenkten Leibern, dem todten und dem lebendigen, dem, der vollendet hatte und dem, der niemals vollenden wuerde, ... seinen Gliedern gekruemmt und schlaff geworden durch das Sitzen, die Schreibtischarbeit, den Haenden zu fein und zu lang, die nicht mehr fassen konnten, verkrueppelten, zagen Fuessen, die das Gehen verlernt. Viel zu hoch war diese Stirn, blass vom Gedanken, vorgeschoben ueber das ganze uebrige Gesicht mit allen Organen der Sinne. Die wirren Haare bildeten eine fuerchterliche, struppige Aureole. Er riss seine Brust auf, als ob er sein Herz packte, es ihm hinschleuderte in Hohn und Verzweiflung: "Teufel! Teufel!" - - - Der Bloedsinnige lachte, sein leises, triumphirendes Lachen. Er that, als ob er sein Weihrauchfass schwaenge, bueckte sich und kuesste die Altarstufen. Die Frau in schwarzen Trauerkleidern weinte. Ein monotones, endloses, zweckloses Weinen ... Der Sohn des Menschen, vom Kreuz, todt, mitleidig, erhaben, sah herab. Der Kopf hatte sich etwas zur Seite geneigt. Die Augen unter den bleichen Lidern waren gebrochen. Aber die Lippen standen ein wenig geoeffnet, als ob Ihn duerstete. Er hielt die beiden Arme nach oben ausgebreitet. Aus seiner geoeffneten Seite unter der Brust floss das Blut. Das Blut floss. Es tropfte auf die grauen, breiten Steinfliesen des Fussbodens. Die Fliesen blieben grau und steinern. Eine rothe, schmerzliche Lache hatte sich auf ihnen gebildet. Der Stein faerbte sich violett unter ihr. Bestaendig aus dem blutenden, durchbohrten Herzen fielen die Tropfen. Druck von Ramm & Seemann in Leipzig. Von demselben Verfasser ist erschienen: *Ein Narr.* Roman. Mk. 3.- *Die Jungen.* Roman. " 3.- *Misere.* Roman. " 3.- *Nixchen.* Ein Beitrag zur Psychologie der hoeheren " 1.50 Tochter. Fuenfte Auflage. *Haeusliches Glueck.* Aus den Papieren eines Ehemannes. " 1.50 BEMERKUNGEN ZUR TEXTGESTALT Im Original gesperrt gesetzte Passagen sind durch Unterstrich (_) gekennzeichnet, Fettdruck durch Sternchen (*). Variierende Schreibweisen wurden nicht korrigiert, mit Ausnahme folgender offensichtlicher Druckfehler: Seite 7: "wei" geaendert in "weit" Seite 15: "neber" geaendert in "neben" Seite 49: "erwartefe" geaendert in "erwartete" Seite 58: "Krankeit" geaendert in "Krankheit" Seite 71: Punkt geaendert in Komma hinter "ausgebruetet" Seite 118: "Gattenadjudanten" geaendert in "Gattenadjutanten" Seite 167: Anfuehrungszeichen ergaenzt hinter "Worte!" Seite 194: Anfuehrungszeichen ergaenzt vor "Ihr" und "O" Seite 247: doppeltes "legen" entfernt Seite 255: "wir" geaendert in "wie" Seite 261: "gegewesen" geaendert in "gewesen" Seite 291: "tand" geaendert in "stand" Seite 312: Anfuehrungszeichen ergaenzt hinter "verkuemmern." Seite 316: Komma geaendert in Punkt hinter "ruehrten" Seite 324: "Alllem" geaendert in "Allem" Seite 344: "Perdeaesern" geaendert in "Pferdeaesern" Seite 373: "jetsige" geaendert in "jetzige", "mi" in "mit" Seite 378: Anfuehrungszeichen ergaenzt vor "Was" Seite 383: Punkt ergaenzt hinter "wolluestiger" Seite 389: "schuefzen" geaendert in "schuetzen" ***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER FREMDE*** CREDITS May 25, 2011 Project Gutenberg TEI edition 1 Produced by Norbert H. Langkau and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net A WORD FROM PROJECT GUTENBERG This file should be named 36227.txt or 36227.zip. This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/dirs/3/6/2/2/36227/ Updated editions will replace the previous one -- the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works to protect the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. They may be modified and printed and given away -- you may do practically _anything_ with public domain eBooks. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE _Please read this before you distribute or use this work._ To protect the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase "Project Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License (available with this file or online at http://www.gutenberg.org/license). Section 1. General Terms of Use & Redistributing Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is in the public domain in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License when you share it without charge with others. 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country outside the United States. 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} work (any work on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed: This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org 1.E.2. If an individual Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic work is derived from the public domain (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.3. If an individual Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work. 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}. 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License. 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} work in a format other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} web site (http://www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License as specified in paragraph 1.E.1. 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works provided that - You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from the use of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} works calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} trademark, but he has agreed to donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days following each date on which you prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation." - You provide a full refund of any money paid by a user who notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License. You must require such a user to return or destroy all copies of the works possessed in a physical medium and discontinue all use of and all access to other copies of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} works. - You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is discovered and reported to you within 90 days of receipt of the work. - You comply with all other terms of this agreement for free distribution of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} works. 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael Hart, the owner of the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. 1.F. 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread public domain works in creating the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} collection. Despite these efforts, Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES -- Except for the "Right of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH F3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE. 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND -- If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem. 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS,' WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. INDEMNITY -- You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}'s goals and ensuring that the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at http://www.pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit http://www.gutenberg.org/fundraising/donate While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: http://www.gutenberg.org/fundraising/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works. Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook's eBook number, often in several formats including plain vanilla ASCII, compressed (zipped), HTML and others. Corrected _editions_ of our eBooks replace the old file and take over the old filename and etext number. The replaced older file is renamed. _Versions_ based on separate sources are treated as new eBooks receiving new filenames and etext numbers. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: http://www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. ***FINIS***