The Project Gutenberg eBook, Das Schönste von Max Dauthendey, by Max Dauthendey, Edited by Walter von Molo

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Title: Das Schönste von Max Dauthendey

Author: Max Dauthendey

Editor: Walter von Molo

Release Date: January 12, 2008 [eBook #24266]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS SCHöNSTE VON MAX DAUTHENDEY***

 

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Das Schönste von Max Dauthendey

Ein Verzeichnis
der Werke Max Dauthendeys
befindet sich am Schluß
dieses Buches.

Max Dauthendey

Das Schönste von Max Dauthendey

Ausgewählt und eingeleitet

von

Walter von Molo

1. bis 25. Tausend.

Logo Langen Verlag

Albert Langen, München


[5]

Inhalt

Max Dauthendey 7
Zur Stunde der Maus 15
Alle handeln wie die Herzen müssen 36
Ich möcht' wie ein Baum mich am Weg aufpflanzen 36
Das Dunkel griff uns um den Leib 36
Himalajafinsternis 38
Und Nächte werden aus allen Tagen 61
Nachtstürme reiten die Bäume krumm 61
Nur ein Lied färbt die Grauseele bunter 62
Mondmusikanten 62
Der Garten ohne Jahreszeiten 63
Die Leiern der Wollust 78
Die Ferne und die Nähe ward ein Ort 79
Nenn dich meine Wiesen 79
Sanft legte dich die Liebe auf mein Bett 80
Im blauen Licht von Penang 81
Stets sind Gespräche im Wald 92
Fledermäuse 92
Möchte rollend das Blut aller Verliebten sein 93
Der Wildgänse Flug in Katata nachschauen 94
Die Schwalben schossen vorüber tief dir zu Füßen 113
Die Uhr zeigt heute keine Zeit 113
Im Spiegelglas 114
Nacht um Nacht 115
Likse und Panulla 116
Verbannt 126
Das Dunkel geht nicht aus den Dingen heraus 126
Eine kleine Maskenwelt 127
Schimäre 127
Das Abendrot zu Seta 128
Es rollen Räder tagaus, tagein 146
Drinnen im Strauß 146
Der unbeerdigte Vater 147
Der ewige Wanderer, der Wind 153
Unsere Toten 154
[6]Und zimmerte dir und mir ein Bett 154
Der Regen scheint besessen 155
Die Abendglocke vom Mijderatempel hören 156
Komm heim 170
Auf grünem Rasen 170
Himmelfahrtstag 170
Den Abendschnee am Hirayama sehen 171
Der Mond, der ohne Wärme lacht 201
Die Liebe kennt das Wörtlein »sterben« kaum
201
Worte sterben, wenn die Träne spricht 202
Immer Lust an Lust sich hängt 202
Holzflöße 203
Eingeschlossene Tiere 204
Weltspuk 213
Zwei Reiter am Meer 215

Max Dauthendey [7]

Einen Dichter von Wert charakterisieren heißt, die Stelle im Mosaikbilde der Dichtkunst suchen, die dem Poeten, kraft seiner Leistung, zukommt. Wenn im Bilde der germanischen Dichtkunst Goethes Schaffen das Innerste des einen Auges der erhabenen Dichtkunstgestalt darstellt, deren zweites Auge Shakespeares Werk belebt, wenn Schiller die tiefe, senkrechte Denkerfurche auf die Stirne des germanischen Dichtkunstbildes zeichnete, deren andre Gedankenfalten Hebbel, Strindberg und andere punktierten und einrissen, wenn Hölderlin das zarte, schmerzliche Lächeln im versonnenen Mundwinkel der germanischen Dichtkunst ist, deren Kinnlinie Kleist heißt, dann ist Max Dauthendey mit anderen Gefühlspoeten und Liebessängern ein Punkt in der goldnen Mantelschnalle, die die germanische Dichtkunst in der Nähe ihres Herzens trägt. Dieser Platz bleibt Dauthendey auch vorbehalten, wenn die verschiedenen »nationalen« Dichtkunstbilder übereinander gelegt werden, um das Gesamtbild der menschlichen Dichtkunst aus allen ihren Farben der Möglichkeiten zu bilden: Dauthendey, der sinnenfrohe Bayer, der bohemienartige Nachfahre deutschen, deutsch-russischen und spanischen Bürgerblutes, der Hugenotten-Nachkomme und Menschheits-Demokrat, floh immer wieder das »rechnende, vernünftelnde« Deutschland, das »materiell hetzende« Europa, um die anderen Erdenvölker, um vor allem die »alten« Völker mit ihren Ostkulturen aufzusuchen, um dort an den Ur-Wurzeln der Menschheit, im offenbaren Empfinden und Fühlen der »Einheit der Menschheit«, »glücklich« sein zu können, dorthin, wo aus der »Weltferne und Weltnähe« [8] das »weise Weltfest« für alle Völker »wirklich und unwirklich zugleich« dauernd gefeiert wird, wo man wohl »energisch, aber auch bescheiden und höflich« ist, wo »die Kunst als Heldentat« gilt, wo selbst das kleinste Lebewesen nicht »übersehen«, sondern als Teil der Göttlichkeit verehrt wird, wo der Menschen Ich das »geordnete All im Einzelnen ist«, wo man »in unendlich reichen Farben und Formen heiter« sein kann, wo man »unendliche Zeit« hat für »Wohlgefühle und Wollust«, wodurch die Unendlichkeit dauernd sichtbar im Endlichen lebt, wo »Lust und alle Lebensfülle« dem Menschen »von selbst zu Füßen fallen«, als künstlerische, alle Menschen verbindende Allmenschheitsreligion, die das Irdische als Ewigkeitsstück, das auch der Mensch ist, ansieht, ohne »Schuld« und »Strafe« in einem »Jenseits«, das doch auch »diesseits« ist, zu fürchten oder zu erhoffen. Zigeunernd und darunter hart leidend: »Ich beneide sie, die nie ein Wandertrieb von ihrer Heimat und von ihrer Lieb' weit fortgerissen,« hat Dauthendey, der aktive Ästhet, das immer wieder zeit seines Lebens in aller Welt gesucht und »gefunden«, was vom Anfang seines Seins an schon in seiner Heimat und ihm lag, in ihm, als Deutscher, als Mensch und als Poet: die unerfüllbare Sehnsucht, über die engenden Grenzen der Irdischkeit anders hinauszufinden, als durch neue unerfüllbare Sehnsucht. Dauthendey dachte mit dem Herzen, er dachte oft gleichsam nur mit einer Herzklappe; er wollte »genießen«. Durchdringendes Hirnwissen und die unerbittliche dauernde Erkenntnis des sinnvollen chaotischen Menschenkampfes, dem Daseinsaxiome zugrunde liegen, waren nicht seine Gabe: »mehr als Erde ist oft ein Gedanke schwer.« Dauthendeys Gefühl hat um [9] Selbstverständlichkeiten blutig theoretisiert und Allgemeinwissen als »ureigenste Entdeckung« aus sich gehoben, er mußte immer wieder in die Ferne, fern der Heimat und der geliebten Frau, um immer wieder alles bitter »neu«, als sei er der erste Mensch, an sich selbst zu erfahren, um dichten zu können. Immer wieder zog er aufbegehrend, wie das ewig blind sterbende und sich ewig blind neu gebärende Leben, in edel überschwänglicher Dickköpfigkeit, im unbannbaren Suchen nach dem »Wunder«, nach der »Vollendung«, nach dem »Stein der Weisen« um den Erdball, um im »Weltkrieg« als »Internierter« auf Java, aus Sehnsucht zur deutschen Heimat, sein frühes Grab als seine letzte irdische »Erkenntnis« zu finden. Dauthendeys Werke sind Dokumente des menschlichen Wollens und Irrens, hohe, formvollendete Beispiele der menschlichen Unvollkommenheit, höchst gespannten Kämpfens und Aufwärts-Suchens nach Universalität und Gottsein, nach »Glück«; die Art und die Form, in der Dauthendey sein Leid zu überwinden suchte und aus sich herausstellte, schuf diese Dokumente zu Kunstwerken; die Eigenart von Dauthendeys Seele gibt ihnen ihren Platz im Dichtungsbild: Dauthendeys Instrument hatte nicht viele Saiten, doch er musizierte darauf in immer liebenswerten, besiegenden Variationen, bis ihm Gedichte von schlichtester volkstümlicher Innigkeit gelangen, Dichtungen von seltener Farbigkeit, von symbolischer Phantastik, von einer höchst begnadeten Schilderungskraft, einem fast unerschöpflichen Reichtum an außerordentlich persönlichen Vergleichen, von einer »Wirkungsbildhaftigkeit«, die nur ihm gehörte, weil er stets voll des Fühlens des Zusammenhanges aller »inbrünstigen Ungeheuerlichkeiten« war, weil er stets gläubig in jedes [10] Stückchen das All herabzwang, weil sich seine Gestaltungen einem grenzenlosen Schönheitssuchen und einem Tieferfühlenwollen, auf Grund der mystischen Zusammenhänge aller Dinge, entrangen, ohne jede Diktatur einer »Schule«, hervorquellend aus der zeitlosen Kinderseele eines fast vollendeten »reinen Toren«, der nur dadurch den ewigen Kummer seiner überall unstillbaren Sehnsucht zur Ruhe zu wiegen vermochte, daß er immer wieder sein Dichtergemüt, eines der echtesten Dichtergemüter Deutschlands, in neuen farbenbrausenden Hymnen ausströmen ließ, zum Lobe und Preise der All-Liebe, in deren einer Dokumentierung, durch die Frau, er schließlich allein, resigniert begeistert, die gehaßte und doch geliebte Irdischkeit vergaß; der Augenblick der Hingabe der Geliebten schuf ihm seine »zeitlose Ewigkeit«, bewies ihm allein die »Richtigkeit« seiner Sehnsucht. Dauthendey war ein fahrender Liebessänger von stärkster Eindrucksfähigkeit, er war ein Schwärmer von berückender, erdferner Naivität, der in seiner Erotik rührend, bisweilen fast engherzig keusch wirkt, trotzdem er sich sicherlich oft stolz »verrucht« und »dämonisch« vorkam, wie ihn auch der »Bürger« sah, der wie Dauthendey theoretisch polygam, in der Praxis aber ein Mann von anhänglichster Monogamie ist, wie überhaupt dieser »feminine Poet«, der nur »Mann« war, ein typisches Konglomerat vom menschlichen unbeschränkten Wollen und begrenzten Können darstellte, das sich wissend nicht einzuordnen vermochte, ein Sinnbild von Freiheit und Enge, von Weltumarmungsgefühlen und national heimatlicher Gebundenheit, ein schlagendes Beispiel des von ihm immer und immer wieder betonten Ineinanderspielens [11] von Ewigkeit und Alltäglichkeit, das ihn, den materiefernen Dichter, den erdefremden Menschen vorzeitig in die Erde stieß, damit seine wißbegierige Seele endgültig den Versuch zu machen befähigt sei, zu erfahren, ob das Dasein ewig und tatsächlich ein »unsterbliches Fest von nie endenden Freuden« und stets neu beglückenden Formen sei, ob des Menschen Leben eine kurzlebige Pfründe, wie es sich der Masse zeigt, oder ein ewiges Provisorium auf allen Straßen ist, in einem berauschenden, sinnlosen, sich unablässig schlingenden Reigen, der, nur in größerer Vielfalt als das Dichtertum Max Dauthendeys, Blumen aus seinen spielerischen Figuren erhellend zu werfen vermag, warnende, stärkende, das letzte Suchen nie endbefriedigende Schönheitsgaben, zur Belebung und Erfrischung der trägen Herzen, die, wie auch Dauthendey, das lebhafteste Herz, ihre Hirne nie in so vermessenen Aufwärtsgang setzen, daß sie völlig ungedeckt der Ewigkeit, auf der Höhe des erkennenden Gedankens, grenzenlos, erhaben über ihrem persönlichen Los, ins strahlende Antlitz zu sehen vermögen; die Tragödie und menschbefohlene Endlichkeit voll und ruhig gelassen erkennend, darnach handelnd und diese nicht übersingend und übertanzend nach einer notgeborenen Weltbetrachtung. Dauthendey fühlte die »unlösbare Tragödie«, dann aber sperrte er die Tore vor ihr, auf allen Seiten, er pflanzte farbige, duftige Gewächse zwischen sie und sich, nach einem Anschauungssystem, an dem er nichts mehr ändern wollte und konnte; drum ist sein Platz nur ein Punkt und nicht im Antlitz des germanischen Dichtkunstbildes, aber sein Platz ist dadurch auch gesichert in der goldenen Mantelschnalle nahe dem Herzen, weil alle unsere [12] hienieden liebenwollenden Herzen sein Tun und Bescheiden verwandt empfinden, weil sein gewollter, selbstschützender exotischer Dichtungsgarten von einer Gepflegtheit und voll eines Schönheitsduftes ist, der uns stärkt und Zuversicht geben kann für die unendlichen vielen anderen steinigen Wüstenwege, die vor ihm enden und anheben – der singenden, glühenden Krone des äußersten Sturmwillens und Fahnenpflanzens unserer Besten zu, die alle Wege zum Lichte versuchen. Dauthendeys Werk ist, wie jedes Dichters Werk, der das Verbrennen fürchtet und »genießen« will, ein erhabener Kompromiß zwischen Schönheitsfanatismus, Ergründen-Wollen und Nicht-Ergründen-Können, zwischen genießerischem Lebensfrohsinn, Güte und dem Grauen, das über und durch die Menschenmehrheit flutet, wenn die letzten Dinge vor ihr aufsteigen. Dauthendeys Werk ist geschlossene Kunst, an der Grenze ihrer Möglichkeiten, gleich wert dem ästhetischen Genießer wie auch dem Suchenden, der in ihr eine »Lösung« restlos erschöpft sieht. Dauthendeys Leben und Kunst zerbrach, als er versuchte, außer sich gezwungen, neue Blumensträuße über den äußersten Rand des Staketenzaunes seines Lebenswerkes zu binden, das überall die schmerzvolle Ergebenheit seines im Grunde doch nie ergebenen, stets unbefriedigt sein müssenden Gefühlssuchens atmet, das verzweifelt die Dauthendeysche Schönheit schuf und preis hielt, weil es, trotz allen Mühens, keine andere Möglichkeit für sich vorhanden sah, andres sich und der Menschheit aus den Rätseln des Kosmos zu reichen, als eine, die Dauthendeysche Aufnahme des unsichtbaren Rätsels. Immer wieder verdampfte dem lebensbejahenden Bajuwaren Dauthendey die »Erkenntnis« unter dem krampfhaft-verzweifelt [13] festhaltenwollenden Gefühlshandwerkszeug, sie gab ihm aber in seine höchstkultivierten Dichtungen den farbigen, »allgemein richtigen« Abglanz: Hoffnung!

Frohnau i. d. Mark

Walter von Molo

Zur Stunde der Maus [15]

In einer Stadt der Provinz hatte ein Südfrüchtenhändler einen Laden eingerichtet, der sich über einem tiefen Keller befand, zu welchem eine Falltüre hinunterführte.

Aus diesem Keller kamen jede Nacht die Mäuse in Scharen in die Südfrüchtenhandlung herauf. Sie nagten dort die schönen, in Seidenpapier eingewickelten Kalvillenäpfel an, sie fraßen Datteln und Feigen, Rosinen und Bananen und schonten auch nicht die jungen Gemüse und die Maltakartoffeln. Keine Ware, die sich in der Südfrüchtenhandlung befand, war vor den kleinen zudringlichen Nagetieren zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang sicher.

Solange nachts Lärm auf den Straßen war und die Wagen fuhren, hielten sich die Mäuse noch still im Keller. Aber sobald es Mitternacht geschlagen hatte und es still in jener Straße wurde, kamen sie in Scharen, vergnügten sich an den süßen Vorräten und feierten wahre Freßorgien, deren Spuren den Südfrüchtenhändler jeden Morgen beim Betreten des Ladens in Verzweiflung setzten.

Den Laden zu räumen und einen anderen zu beziehen, das ging nicht gut an, da hier im Mittelpunkt der Stadt ein gutes Absatzgebiet war und dem Händler durch einen Umzug wahrscheinlich viele Kunden verloren gegangen wären.

Und so versuchte er, sich auf alle Weise gegen die Mäuse zu schützen. Er schaffte sich Katzen an, aber er mußte sie wieder abschaffen, da es vorgekommen war, daß die Tiere in der Nacht den Ladenraum verunreinigt hatten, und der Geruch davon, der am Morgen nicht auszutreiben war, die Käufer entsetzt hatte. [16]

Er schaffte sich dann Hunde, Rattenfänger, an. Aber diese stürmischen Tiere schlugen in den Nächten ein wildes Gebell auf, wenn sie hinter den Mäusen herjagten, und sie warfen dabei, wenn sie über die mit Obst gefüllten Körbe sprangen, Früchte und Körbe über den Haufen, so daß der Händler auch die Hunde wieder abschaffen mußte, weil die Nachbarn sich über das nächtliche Gebell beschwert hatten und der Schaden, den die hetzenden Hunde anstifteten, dem Schaden der Mäuse gleichkam.

Gift gegen die Mäuse zu legen, war nicht ratsam, da die halbvergifteten Tiere das Gift über die Eßwaren verschleppen konnten und dann großes Unglück durch die Vergiftung von Früchten hätte entstehen können.

So blieb dem armen, von Mäusen geplagten Südfrüchtenhändler nichts übrig, als sich um Mitternacht, zur Stunde der Maus, in den Ladenraum zu begeben und, versehen mit einem Stock, seine Fruchtkörbe selbst zu bewachen und durch Händeklatschen und Fußstampfen die eindringenden Mäusescharen zu verjagen.

Er allein konnte nicht Nacht um Nacht wachen, und so teilte er sich mit seiner Frau in die Nachtwachen. Aber dieses ermüdete auf die Dauer die beiden sehr.

Da kamen sie auf den Gedanken, eine entfernte Verwandte, die gerade eine Stellung suchte, zu sich ins Haus zu nehmen, damit diese die Mäusewache jede dritte Nacht übernähme.

Der Südfrüchtenhändler hatte es sich aber zur Pflicht gemacht, manchmal nachzusehen, wenn das junge Mädchen die Wache hatte, ob es nicht eingeschlafen wäre.

Er traf das Mädchen aber niemals schlafend an, [17] denn es vertrieb sich die Zeit mit Lesen von Balladen und Romanzen, für die es eine Vorliebe hatte.

Mit der Zeit waren dem Händler die Augenblicke, die er zur Stunde der Maus mit dem jungen Mädchen verplauderte, wenn sie im Laden zusammen hinter die Körbe schauten, um die kleinen Ladenräuber zu verjagen, oder wenn sie ihm eine ihrer Romanzen vortrug, die sie bald auswendig kannte und die sie bei der Nachtwache laut hersagte, damit sie mit ihrer Stimme die Mäuse verjagte, – so zur angenehmen Gewohnheit geworden, daß er die Minuten im Laden unbewußt immer länger ausdehnte und sich eines Nachts klar wurde, daß er sich in das junge Mädchen verliebt habe.

Das kam, als das junge Fräulein ihn eines Nachts, da er wieder lange ihren Balladen zugehört hatte und noch eine Romanze zu hören wünschte, daran erinnerte, es sei Zeit, daß er wieder hinauf ins Schlafzimmer zu seiner Frau ginge. Und sie hatte lachend hinzugesetzt, sie wisse, daß er recht glücklich verheiratet wäre.

Dabei hatte sie den Kalvillenapfel, den er als den schönsten für sie ausgesucht und ihr für ihren Balladenvortrag zum Geschenk gemacht hatte, vorsichtig wieder in das schützende Seidenpapier eingewickelt und hatte ihn auf die Apfelpyramide zurückgelegt, von wo ihn der Händler genommen hatte.

»Für mich sind weniger schöne Äpfel auch gut genug. Auch wird sich vielleicht Ihre Frau ärgern, wenn ich den besten Apfel, der im Laden ist, aufesse.«

Als sie dieses gesagt, hatte sie leise geseufzt, und der Mann war aus dem Laden gegangen. Vorher hatte er ihr noch lachend zugerufen:

»Natürlich bin ich glücklich verheiratet, sogar sehr glücklich.« [18]

Aber seit dieser Stunde, seit dieser Versicherung seines Glückes, war der Mann von einer Unruhe geplagt, die ihn unglücklich machte. Es war ihm, als habe er im Augenblicke der öffentlichen Feststellung seines Eheglückes den Gipfelpunkt dieses Glückes schon überschritten. Denn er war abergläubisch und glaubte bestimmt daran, daß er mit dem Eingeständnis seines Glückes sich ein Unglück ins Haus eingeladen habe. Er war aber zugleich ein ehrlicher und treuer Mann, der seine ihm angetraute Frau niemals betrogen hatte, und dessen Herz heftig erschreckte, als es zur Stunde der Maus seine Augen dabei ertappte, wie sie mit Wohlgefallen an dem Gedichte vortragenden Mädchen im mitternächtigen Laden hängen geblieben waren, so daß er die Zeit und den Schlaf vergessen konnte.

Das junge Geschöpf mit seinen erdbraunen Augen und seinen tabakfarbenen Haaren paßte gut zwischen die Pyramiden von Blutorangen und goldgrünen Zitronen und neben die weinduftenden Ananasfrüchte. Und oft am Tage, wenn der Südfrüchtenhändler die Kunden bediente und das Mädchen gar nicht im Laden anwesend war, schien ihm, als ob in den leichten flachen Holzschachteln die glattgepreßten gedörrten Malagatrauben oder die in Silberstanniol eingewickelten spanischen Mandarinen den gleichen Duft ausströmten, der ihm vom Nacken jenes Mädchens, von den feinen Haarwurzeln ihrer tabakbraunen Locken entgegengeströmt war und den er deutlich kannte von den Augenblicken, da sie beide zur Stunde der Maus hinter den Säcken mit Maltakartoffeln und hinter den Körben voll von afrikanischem Blumenkohl mit Stöcken nach den Mäusen geschlagen hatten.

Des Händlers Unruhe wuchs allmählich, besonders [19] seiner Frau gegenüber, die er wirklich aufrichtig liebte und die er mit seiner Untreue nicht betrüben wollte.

Er wußte sich keinen Rat mehr, wenn er sich auch vornahm, das junge Mädchen zur Zeit, da es Wache hatte, nicht mehr im Laden aufzusuchen. Doch nützte ihm das nicht viel, denn er traf es am Tage, und er konnte nicht daran denken, es fortzuschicken, weil es für die Nachtwachen unentbehrlich war; und er hätte auch gar keinen Grund gehabt als den seiner Zuneigung, den er aber natürlich kaum sich selbst eingestehen wollte und den er noch weniger jemand anderem offenbaren konnte.

Es geschah auch, daß, wenn er dem Mädchen jetzt am Tage auf der Treppe oder im Ladenraum oder in seiner Wohnung begegnete, er ein kühleres Gesicht aufsetzte, um seine Gefühle mit Gewalt zu verleugnen. Und ihm schien es dann, als ob das junge Mädchen durch sein verändertes Wesen verletzt wurde, und daß es ihn leicht verächtlich behandelte.

Es war ihm in der Erinnerung unangenehm, daß er zu dem Mädchen gesagt hatte, er sei glücklich, sehr glücklich. Er fand es roh und häßlich, daß er glücklich sein sollte, während das junge Geschöpf glücklos war und die Lebenstage nur für die bezahlte Arbeit kommen und gehen sah.

Bei einem größeren Einkauf einer Warensendung, die er immer in der nächsten Hafenstadt, wo die Frachtschiffe aus dem Süden ankamen, machen mußte, wurde ihm der Vorschlag unterbreitet, ein Zweiggeschäft in jener großen Seestadt zu gründen, damit er die durch die Verpackung und Reise schon etwas beschädigten, aber noch guten Obstvorräte, denen eine Eisenbahnversendung [20] nicht gut bekommen würde, an Ort und Stelle absetzen könnte.

Der Händler ging mit Freuden auf dieses Geschäftsunternehmen ein. Und da ihn die Fruchtversteigerungen oft nach der Hafenstadt gerufen hatten, so fand auch seine Frau es ganz in der Ordnung, wenn ihr Mann dem neuen Zweiggeschäft in der Hafenstadt vorstünde, wogegen sie den Laden in der Provinzstadt weiterführen wollte.

Für die Festtage des Jahres hatten die Eheleute verabredet, sich zu besuchen. Da aber die Frau zur Weihnachtszeit nicht von dem Laden abkommen konnte, erwartete sie der Mann erst zum Neujahrsabend, zur Silvesterfeier.

In der ersten Zeit der Trennung war der Südfrüchtenhändler von seinem neuen Geschäft so in Anspruch genommen, daß er weder seine Frau noch das junge Mädchen, das nach wie vor in dem Laden in der Provinz die Nachtwache hatte, vermißte.

Aber als das neue Geschäft im Gang war und sich eintönig abwickelte, kehrten seine Erinnerungen doppelt heftig zurück, und die Gerüche der Früchte im Laden, die ihre Süßigkeit durch die Luft verbreiteten, erweckten wieder, besonders, wenn er abends den Laden geschlossen, seine Rechnungsbücher durchgesehen und zugeklappt hatte und sich der Beschaulichkeit und dem Träumen überlassen durfte, das Bild des Mädchens und den Duft ihres Leibes, wie er ihm begegnet war vormals zur Stunde der Maus.

Er merkte, daß er sich sogar einzelner Verse jener Balladen und Romanzen erinnerte, die sie immer in der nächtlichen Stille im Kreis der Fruchtkörbe vorgetragen hatte, und die ihn auf ferne Inseln und zu [21] fernen Ländern, unter fremdartige Bäume, zu feurigen und fremdartigen Menschen versetzt hatten, deren Sprache voll auffallender Leidenschaftsworte lebhaft leuchtete, wie die Farben der Südfrüchte, die von den nüchternen Eisensäulen des Ladens, von den kahlen Kalkwänden und vom strengen Kassenpult wie bengalische Feuer abstachen, die man im nüchternen Tageslicht abbrennt.

Wenn der Mann dann aus dem Laden in sein Zimmer in einem der höher gelegenen Stockwerke des Hauses kam, wo er jetzt ohne Weib hausen mußte, gingen die Düfte der südlichen Länder, die an seinem Rock hafteten, mit in seine Träume. Und er umarmte in seinem Schlaf nicht sein Weib, sondern er zog das junge Mädchen an sein Herz, während ihm ihre Brüste wie zwei frische Kalvillenäpfel entgegendufteten.

Und besonders zur Stunde der Maus lag er oft auf dem Kissen wach, mit den verschränkten Armen unter seinem Kopf, und stellte sich seinen Laden in der Provinz vor, wo eine der Gaslampen brannte und sie, die er ersehnte, mit hochgezogenen Beinen auf dem Drehstuhl beim Ladentisch saß und ihre Balladen sprach und dazwischen aufsprang und nach einer Ecke schlich, wo überall Mausefallen waren, die aber den Mäusen so bekannt waren, daß keine mehr Lust hatte, sich fangen zu lassen.

Dann sah er, wie sie sich bückte und eine Falle, die von selbst zugeklappt war, wieder aufstellte, wobei sie vielleicht den Vers hersagte:

Ein Held, dess' Herz wie Feuer war,
Ritt durch die Wälder sieben Jahr.
Verschwiegen hat er sieben Jahr,
Daß er ein Fraß der Flammen war.
[22]

Bald mußte sich der Händler auch am Tage mit seinen verliebten Träumen beschäftigen. Und der Gedanke, daß seine Sehnsucht die Ersehnte vielleicht herziehen könnte, wollte nicht mehr von ihm weichen.

Er nahm sich endlich vor, einen Brief zu schreiben und seiner Frau zu sagen, daß er eine Hilfe im Laden brauche und daß er nicht immer die Ladentüre abschließen könne, wenn er stundenlang zu den Fruchtversteigerungen gehen müsse, und er wollte ganz harmlos im Briefe bemerken, daß sie ihm jene Verwandte schicken sollte.

Er hatte den Brief im Geist vielleicht tausendmal abgefaßt, nachts und am Tag. Wo er ging und stand, schrieb er diesen Brief in Gedanken.

Aber er konnte sich nicht entschließen, die Feder in die Hand zu nehmen, die Tinte und das Briefpapier. Er wäre sich wie ein Verräter vorgekommen, Verräter an der Treue, die er seiner Frau halten wollte, und Verräter an seinem Herzen, das ehrlich bleiben wollte.

So schrieb er diesen Brief nur mit den Augen in die Luft. Er schrieb ihn abends stundenlang, wenn er seine Rechnungen abgeschlossen hatte, unter die Summen der Zahlen ins Hauptbuch, in das er brütend starrte. Er schrieb den Brief mit den Augen auf die Kistendeckel der Orangensendungen, wenn er das Kistenbrett in der Hand hielt und in Gedanken anstarrte, statt es in eine Ecke zu stellen. Er schrieb den Brief auf die rötlichen blanken Schalen der Blutorangen. Er schrieb den Brief an die leeren Kalkwände seines Verkaufsgewölbes, und er las ihn am Tag hundertmal, während er Früchte in die weißen Tüten hineinzählte, die er den jungen Mädchen und [23] Frauen zureichen mußte. Auf allen Frauenhänden, die die Fruchttüten aus seiner Hand empfingen, las er jenen Brief, den seine Augen unaufhörlich schrieben.

Aber wie man sich scheut, mit bloßen Füßen durch brennendes Feuer zu gehen oder die bloßen Hände in helles Feuer zu legen, so scheute er sich, seine Hände und seinen Willen dazu herzugeben, den Brief zu schreiben und abzusenden, den Brief, der die heimlich Ersehnte zu ihm bestellen sollte.

Der Gefolterte suchte sich mit der Zeit die brennende Sehnsucht nur dadurch ein wenig zu erleichtern, indem er tat, als ginge er auf die Forderungen seines Blutes scheinbar ein. Er ging, wenn es ihm seine Zeit erlaubte, in die Warenhäuser und kaufte Dinge für sein Zimmer ein, die er sonst nie für sich gekauft hätte, und die er aufstellte wie zum Empfang für diejenige, die er noch nie empfangen hatte. Er kaufte Kissen für das Sofa, unnütze Vasen, in die er Blumensträuße stellte, die er aber verwelken ließ wie die Stunden seiner Träume. Er kaufte romantische Bilder, mit denen er die Wände schmückte, kaufte Balladen- und Romanzenbücher, die er auf ein Bücherbrett aufreihte. Er kaufte Weingläser, eine Porzellanschale für Kuchen, eine Kristallschale für Früchte und eine große seidene Bettdecke.

Er kaufte sich neben seinen gewöhnlichen Zigarren, die er täglich rauchte, eine Schachtel bester und teuerster Havannastengel, die er nur dann rauchen wollte, wenn der ersehnte Besuch gekommen sein würde.

Mit diesen und noch mancherlei Einkäufen beschwichtigte er das still schwellende Sehnsuchtsfieber, das in ihm umging wie ein unheimlicher Feueratem, der ihn entfachen wollte. [24]

Aber den Brief, den er hätte schreiben müssen, schrieb er nicht.

Oft, wenn ihm ein Besuch angezeigt wurde, fuhr er erschreckt zusammen und dachte, jenes Mädchen könne plötzlich auf seiner Türschwelle stehen, gerufen von den lautlosen Hilfeschreien seines geknebelten Herzens.

Zum Silvester kam dann, wie es verabredet war, seine ahnungslose Frau zu ihm zu Besuch.

Sie war, seit er den Laden in der Hafenstadt aufgemacht hatte, noch nicht bei ihm gewesen. Und als er sie jetzt vom Bahnhof abholte und in sein Zimmer führte, wo von der Decke eine rosa Glasampel hing, die er angezündet hatte, da schlug die gute Frau erstaunt die Hände zusammen und vergaß, den Hut und den Mantel abzulegen. Sie drehte sich auf einem Fleck, mitten im Zimmer stehend, um sich selbst und ließ die zerbrechlichen feinen Vasen mit Blumen auf sich wirken, die schönen gebundenen aufgereihten Bücher auf dem Bord, den Porzellanteller mit Kuchen, die Kristallschale mit Früchten, die vielen romantischen Bilder an den Wänden. Und als sie zuletzt gar die gleißende Seidendecke auf dem breiten Bett bemerkte, da gingen ihr gerührt die Augen über, und sie umarmte ihren Gatten und bedankte sich, daß er so zärtlich alles für ihren Empfang hergerichtet hatte.

Der sagte nichts und umarmte seine Frau wieder. Denn während er diese Dinge zum Schmuck des Zimmers alle eingekauft und aufgestellt hatte, hatte er auch da nie mit Bewußtheit und Offenheit sich eingestanden, daß er dies nicht für seine Frau, sondern für das junge Mädchen tat.

Er hatte wie ein Schlafwandelnder gehandelt, getrieben von einer inneren Lust, sein Zimmer zu schmücken, [25] handelnd zwischen Wachen und Träumen. Und wie er nun seine Frau, die er immer noch treu liebte und vor der er sich keine untreue Handlung vorzuwerfen hatte, umarmte, schien es ihm wirklich einen Augenblick als wahrscheinlich, daß er für sie und sich zur Silvesterfeier und zum Wiedersehen das Zimmer so sorgsam und festlich geschmückt hatte.

Am Abend gingen Mann und Frau mit Bekannten in eine Weinstube, und dort tranken sie, bis es zwölf Uhr schlug und das neue Jahr anbrach. Und von Glühwein und Bowle erhitzt, wurde der Südfrüchtenhändler lustig und ausgelassen, wie ihn seine Frau selten gesehen hatte.

Als nun das neue Jahr mit vielen »Prosit« empfangen worden war, sehnte sich die Frau aus dem lärmenden Kreis der Menschen fort und dachte an das schön geschmückte Zimmer, das sie beide erwartete, das ihr Mann mit soviel Zärtlichkeit hergerichtet hatte, und wo sie ihm jetzt mit gleicher Zärtlichkeit zu danken wünschte.

Sie zupfte ihren Mann am Ärmel, aber der schien an gar kein Nachhausegehen denken zu wollen und trank immer wieder seinen Freunden zu und ließ sich zutrinken und bestellte neuen Wein.

Aber es waren auch noch andere Frauen im Kreise, die auch heimzugehen wünschten, und die Frauen verabredeten sich untereinander und standen auf und setzten ihre Hüte auf und zogen ihre Mäntel an und traten dann angekleidet vor die im Tabakrauch und Weindunst laut schwatzenden Männer und baten sie, heimgeführt zu werden.

Die Männer wollten auch folgsam alle gehen. Nur der Südfrüchtenhändler wollte ans Aufbrechen [26] nicht denken. Der saß auf seinem Stuhl fest und behauptete, er ginge nicht zur Stunde der Maus nach Hause, denn da gingen Gespenster bei ihm um.

»Was für Gespenster?« fragten ihn alle.

»Mäuse und junge Mädchen,« entfuhr es dem etwas Angetrunkenen.

Die Männer lachten und warfen sich zwinkernde Blicke zu. Die Frauen aber trieben beharrlich zum Aufbruch an.

Die Frau des Südfrüchtenhändlers war bei der Rede ihres Mannes plötzlich blaß und zitternd geworden, und auf der Straße zog sie ihren Gatten auf die Seite:

»Was hast du da geschwatzt von Gespenstern, von Mäusen und jungen Mädchen, die bei dir umgehen? Nun weiß ich es, für wen du das Zimmer so festlich geschmückt hast! Jedenfalls nicht für mich.«

»Was?« sagte der unschuldige Mann. »Was habe ich von jungen Mädchen gesagt?« und er hielt seinen Hut in der Hand und ließ die eisige Nachtluft seinen erhitzten Kopf abkühlen. »Du glaubst wohl gar, daß ich junge Mädchen nachts bei mir empfange?«

»Ja, was soll ich denn anderes glauben?« wimmerte die weinende Frau und drückte ihren Muff vors Gesicht. »Du hast es ja selbst vorhin vor allen Freunden gesagt, daß zur Stunde der Maus junge Mädchen bei dir umgehen.«

»Da habe ich im Weinnebel Dummheiten gesprochen,« verteidigte sich der Mann. »Mein Zimmer hat niemals ein anderer Frauenfuß betreten als der deinige, mit Ausnahme des alten Weibes, das dort Ordnung macht und täglich die Stube reinigt.«

»Ist das wahr?« sagte die Frau des Südfrüchtenhändlers [27] und sah ihren Mann an und zog ihn am Arm, damit er ihr ins Gesicht sehen sollte.

»Ich schwöre es dir,« beteuerte er. Aber er sah sie nicht an, sondern starrte hinauf in den Himmel, wo die Sterne wie Pyramiden aufgehäufter goldener Früchte glänzten.

Die Frau atmete auf und lachte sich selbst aus, daß sie so schnell Übles gedacht hatte von dem, den sie immer als rechtschaffen und treu gekannt hatte. Und sie nahm sich jetzt erst recht vor, zärtlich zu ihm zu sein, da er nun doch das Zimmer nur für sie so schön geschmückt hatte.

Zu Hause, als sie den Mantel abgelegt, sah sie, wie ihr Mann, nachdem er nach der Uhr gesehen, nach einem der Balladenbücher griff und es vom Bücherbord herunterlangte. Und statt sich auszukleiden, streckte er seine Beine auf dem Sofa aus und schlug das Buch auf und las für sich.

Die Frau entkleidete sich inzwischen und kämmte ihr Haar am Spiegel aus, schlüpfte dann ins Bett unter die seidene Bettdecke und verhielt sich eine Weile mäuschenstill, um abzuwarten, bis ihr Mann ausgelesen hatte.

Nach einer Weile klappte er das Buch zu, und sie sah, wie er sich aus einer bisher ungeöffneten Zigarrenschachtel eine große Zigarre holte und diese anzündete. Und als sie den fein duftenden Rauch roch, dachte sie bei sich: so gute Zigarren raucht er doch sonst nicht. Die hat er auch zu meinem Empfang gekauft.

Und sie nahm jede Rauchwolke, die er von sich blies, als eine Huldigung dar.

Dabei kam ihr der Gedanke, daß sie eigentlich noch gern einen Schluck schwarzen Kaffee getrunken hätte. Und da fragte sie ihn: [28]

»Hättest du nicht auch gern ein Täßchen Kaffee zu deiner guten Zigarre?«

Da stand er auf und ging zu einem kleinen Kredenzschrank, holte eine neue vernickelte Kaffeemaschine und zwei winzige Mokkatassen, stellte sie auf den runden Tisch unter die Ampel und goß Spiritus in den Brenner, nahm aus einer Büchse gemahlenen Kaffee und schickte sich an, den Kaffee zu bereiten, von dem sie gesprochen.

Sie sah vom Bett aus mit Erstaunen seinen Händen nach, und plötzlich schienen ihr die Hände des lautlosen Mannes, die da am Tisch handelten, die gespensterhaften Hände eines Traumwandlers zu sein. Und sie fühlte mit den Augen einer liebenden Frau, wie das Herz dessen, der da umherging, nicht im Zimmer anwesend war. Sie wurde wieder bestürzt und ratlos und fühlte, daß Gespenster umgingen hier im Zimmer zur Stunde der Maus, so wie es ihr Mann vorher beim Wein gesagt hatte. Zugleich wußte sie auch, daß ihr Mann sie niemals belügen konnte. Und sie schaute in die fremde Welt des fremdgeschmückten Zimmers, wo sie den, den sie liebte, nicht mehr erkannte. Nur wie ein Gespenst saß er dort auf dem Sofa. Auch sein Rauchen war unnatürlich und gezwungen. Seine Augen sahen in die Spiritusflamme, die da unter dem Kessel leise sauste, und dabei schienen sie die Flamme doch nicht zu sehen. Seine Ohren schienen auf die summende Kaffeemaschine zu lauschen und schienen doch noch anderes zu hören. Seine eine Hand aber streichelte unausgesetzt und wie abwesend den Deckel des Buches, das vor ihm lag. Und mit eifersüchtigem Liebessinn wurde die Frau von jenem Buche angezogen. Und als das [29] Kaffeewasser kochte und ihr Mann an die Maschine trat, um den Kaffee in die Tassen einzuschenken, da stieg sie leise aus dem Bett und zog, scheinbar harmlos, das Buch vom Tisch an sich. Sie blätterte darin und erkannte sofort, daß es Balladen waren, die jene junge Verwandte, die sie daheim hatte, immer las und vortrug.

Sie wußte jetzt mit raschem Gedankengang plötzlich, wer das Gespenst war, wer das junge Mädchen war, das um die Stunde der Maus im Zimmer ihres Mannes umging.

Sie fühlte, daß seine Gedanken nur bei jener Verwandten weilten, und sie wurde zornig, da sie glaubte, er habe sie in jenen Augenblicken, da er das Mädchen zur Nachtwache im Provinzladen aufgesucht, daheim schon betrogen.

Als der Mann mit der gefüllten Kaffeetasse zu ihr ans Bett trat, wies sie den Kaffee zurück, wandte das Gesicht gegen die Wand und brach in Schluchzen aus. Und auf seine Fragen stürzten ihr Vorwürfe über die Lippen. Aber er konnte ruhig entgegnen, daß kein Wort und nichts zwischen ihm und jenem Mädchen ausgetauscht worden war, was seine Treue hätte in Frage stellen können.

»Es muß aber doch etwas zwischen euch gewesen sein,« fuhr die Frau hartnäckig fort, »denn ich erinnere mich jetzt, daß du ganz plötzlich deine Aufsicht über die Nachtwachen im Laden abgebrochen hast. Sage mir, was war das letzte Wort, das ihr dort zusammen spracht?«

»Ich sagte ihr, daß ich glücklich, sehr glücklich verheiratet bin,« erwiderte der Mann nach einigem Nachdenken. [30]

Die Frau sah erstaunt mit tränendem Gesicht zu ihm auf und sagte: »Ich glaube dir's. Aber ich weiß doch, daß sie allein das Gespenst ist, das nach Mitternacht hier umgeht. Kannst du mir wirklich versichern, daß du alles das, die Tassen, die Kaffeemaschine und alle Dinge im Zimmer nur für mich und dich gekauft hast und die andere im Geist niemals neben dir hast sitzen sehen?«

Da sagte er einfach und langsam: »Wenn ich jetzt um diese Stunde an das Mädchen erinnert werde, wird es mir klar, daß ich alles, was du hier siehst, eingekauft habe, um sie und nicht dich zu empfangen. In allen andern Stunden wußte ich nichts davon.«

Da weinte die Frau. Und als ihr Mann sich neben sie aufs Bett setzte und die seidene Decke über sie legte, stieß sie die Decke heftig zurück. Und ihm war es, als habe sie mit dieser Bewegung nach dem Mädchen gestoßen, das er neben ihr heimlich liebte.

Da löste sich sein geknebeltes Herz auf. Und er ging und setzte sich in eine entfernte Zimmerecke und bedeckte sein Gesicht mit den beiden Händen.

Gegen Morgen, als das Geräusch der vorüberfahrenden Milchwagen und der ersten Straßenbahn die Fensterscheiben leise klirren machte, rief die Frau vom Bett aus ihres Mannes Namen. Aber als er dann zu ihr trat, brach sie wieder in Weinen aus.

»Es ist dir nichts geschehen und wird dir nichts geschehen, denn ich werde mich nie diesem Mädchen verraten. Meine Gedanken an sie werden mit der Zeit erkalten müssen. Wenn du mich nicht an sie verrätst, werde ich sie vergessen können.«

Und die Frau versprach ihm, wenn sie heimkommen würde, dem Mädchen, das so unschuldig war wie ihr [31] Mann, nicht gram sein zu wollen und über alles zu schweigen, was sie von ihm in dieser Nacht erfahren. Er wußte, was sie versprochen habe, würde sie auch halten.

Nachdem die Frau wieder abgereist war, nahm der Mann bald ein Bild nach dem andern von den Wänden herab und rückte die Vasen in eine Ecke eines hohen Schrankes, wo er sie nicht sehen konnte, rollte die seidene Decke zusammen und packte sie fort. Auch die Balladenbücher nahm er vom Brett und legte sie in eine Schublade, die er verschloß. Denn seit jener Aussprache in der Silvesternacht war der Geist des Mädchens, der sonst um die Stunde der Maus in seinem Herzen schwül umgegangen war, von ihm ferngeblieben, und die stille Leidenschaft starb in dem Mann allmählich ab. Der Händler ging eifrig seinen Geschäften nach, vermied es, die Abende allein zu verbringen, suchte Freunde und Bekannte auf und schien allmählich vollständig zu genesen von dem Liebesalb, der ihn so lange heimlich bedrückt hatte.

Da erhielt er eines Tages ein Telegramm, worin seine Frau ihn bat, schleunigst nach Hause zu kommen, da jener jungen Verwandten ein schweres Unglück zugestoßen wäre.

Der Mann zitterte einen Augenblick, als er das Papier mit der Nachricht in den Händen hielt. Dann aber machte er sich kühl und hart gegen alte auflodernde Gefühle und reiste mit dem nächsten Zug nach Hause.

Die Frau empfing ihn mit verweinten Augen und schluchzte an seinem Hals und sagte ihm, daß das junge Mädchen durch einen plötzlichen Unfall getötet worden war. Dabei aber stotterte sie: [32]

»Du wirst glauben, ich bin schuld an ihrem Tod. Aber ich schwöre dir, ich bin unschuldig.«

Der Mann erstaunte und fragte, welches Unglück sich ereignet habe, und hörte dann von der schluchzenden Frau, daß das Mädchen durch einen unvorsichtigen Schritt in die geöffnete Falltür, die sich im Fußboden des Ladens befand, abends im Dunkeln, als sie eben die Nachtwache antreten wollte, in den tiefen Keller gestürzt war, auf dessen mit Steinplatten gepflastertem Boden man die Unglückliche mit gebrochenem Rückgrat tot aufgefunden hatte.

»Aber wer hat denn die Tür in den Keller aufstehen lassen?« fragte der Südfrüchtenhändler entsetzt.

Die Frau verbarg das Gesicht an seiner Brust und schluchzte von neuem:

»Ich bin es gewesen, ich. Ich bin wohl an ihrem Tode schuld, aber ich habe ihn nicht absichtlich verschuldet.«

Da durchlief den Mann ein Schauder, und er zog sich aus der Umarmung seiner Frau zurück.

Sie aber klammerte sich fest an ihn und rief verzweifelt: »Als es mir plötzlich einfiel, daß ich die Kellertür offen gelassen hatte, bin ich oben aus dem Zimmer in das Stiegenhaus gestürzt und habe ihr nachgerufen, sie solle nicht in den Laden gehen, da die Falltür zu dem Keller offen wäre. Im selben Augenblick aber hörte ich schon einen Schreckensruf und den polternden Aufschlag eines Körpers im tiefen Gewölbe.«

Die Frau setzte sich auf einen Stuhl und schluchzte in ihre beiden Hände. Und als sie nach einer Weile wieder aufsah, war das Zimmer leer.

Sie glaubte, der Mann wäre auf den Kirchhof in [33] die Leichenhalle gegangen, um das Mädchen noch einmal zu sehen. Aber er war, ohne Abschied zu nehmen, in sein Geschäft in der Hafenstadt zurückgereist und ließ seine Frau deutlich fühlen, daß er es nicht glauben konnte, sie habe die Falltür ohne Absicht offen stehen lassen.

Gleich nach der Beerdigung des Mädchens reiste sie zu ihm und erklärte ihm noch einmal, daß sie unschuldig wäre. Er aber ging wieder aus dem Zimmer und wollte nicht mit ihr sprechen.

Sie kehrte in den Laden in der Provinz zurück, verzweifelt darüber, daß sie ihren Mann nicht zum Glauben an ihre Unschuld bringen konnte.

Von dem ausgestandenen Schrecken und von dem Schweigen ihres fernen Mannes gefoltert, wurde sie immer schwächer und erkrankte zuletzt an einem Gehirnfieber.

Eines Tages erhielt der Südfrüchtenhändler einen Eilbrief von einem Arzt, der ihn aufforderte, schleunigst zu kommen, wenn er seine Frau noch am Leben finden wollte, denn ihre Stunden wären gezählt.

Der Mann kam, aber die Fiebernde kannte ihn nicht mehr. Der Arzt sagte, er solle sich an ihr Bett niedersetzen, es wäre möglich, daß sie kurz vor dem Sterben zum Bewußtsein kommen und ihn erkennen würde.

Da saß er nun und hörte die Fiebergespräche, in denen sie immer wieder die Worte wiederholte, daß sie unschuldig wäre. Aber er konnte es doch nicht glauben. Sie hat aus Eifersucht getötet, sagte er zu sich selbst.

Plötzlich richtete sich die Fiebernde im Bett auf und erkannte ihren Mann. [34]

»Bist du gekommen, mir zu glauben?« rief sie erleichtert aus.

Da sah er in ihre Augen, und beim Ton ihrer Stimme mußte er glauben, daß sie unschuldig war am Tod der andern.

Und er bat in seinem Herzen das Schicksal um ein Wunder: Die Sterbende soll leben bleiben und gesund werden, wenn sie unschuldig ist, sagte er in seinem Schweigen.

Er sah ihr fest ins Auge und beschwor ihr fliehendes Leben mit seinem innersten Wunsch.

»Ich glaube dir. Du bist unschuldig. Wir haben beide keine Schuld und wollen glücklich und ruhig weiterleben,« sagte er laut zu der Kranken, deren Kopf erschöpft auf die Seite sank, während ihre Augen ihn halbverklärt betrachteten.

»Ich will schlafen, und wenn ich aufwache, will ich mit dir glücklich sein wie früher,« sagte die Frau mit schwacher Stimme.

Seine Hände betteten ihren Kopf sorgsam in die Kissen. Er wachte dann zwölf Stunden an ihrem Bette, und in all der Zeit hielt er ihre Hände in seinen Händen.

Nach zwölf Stunden schlug die Frau einen Augenblick die Augen auf, und als sie sein Gesicht neben sich sah, lächelte sie.

»Schlafe dich gesund!« sagte ihr Mann. Sie schloß wieder die Augen und schlief noch einmal zwölf Stunden. Und nach der vierundzwanzigsten Stunde saß der Mann immer noch wach an ihrem Bett und hielt ihre Hände fest wie in der ersten Stunde.

Sie schlug die Augen auf, und als sie ihn immer noch neben sich sah, war sie glücklich und gestärkt [35] und fühlte, daß sie zum Leben zurückkehrte. Und sie fuhr streichelnd mit der Hand über die Augen ihres Mannes. Dann sank sein Kopf zu ihr auf die Kissen, und er schlief ein, und sie schliefen beide noch einmal zwölf Stunden.

Dann erwachte sie gesund und gestärkt. Und seit dieser Stunde war bei ihnen alles Vergangene vergessen, und ihr Leben wurde von jetzt ab glücklich wie in den ersten Tagen ihrer Ehe.

Alle handeln wie die Herzen müssen [36]

Meine Ohren horchen in die Nacht,
Wie der Regen seinen Tanzschritt macht.
Ruhe, eine der uralten Ammen,
Singt ihr Lied mit Dunkelheit zusammen,
Und der Regen tanzt auf flinken Füßen.
Alle handeln wie die Herzen müssen,
Alle wandeln frisch und unverfroren.
Nur die Liebe wird mit Angst geboren,
Nur der Sehnsucht ruhen nie die Ohren.

Ich möcht' wie ein Baum mich am Weg aufpflanzen

Ich möcht' wie ein Baum mich am Weg aufpflanzen,
Mit jedem Blatt in der Liederluft tanzen.
Ich möchte mir Flügel schaffen wie Finken
Und in der Liedluft hinfliegend versinken.
Ein Lied verschiebt Berge und Dächer und Wände;
Ich möchte im Mai jetzt ein Nachtsänger sein
Und säng' mich im Schlaf zu der Liebsten hinein.
Ich möchte, ich möchte, ich möchte ohn' Ende –
Und hab' zum Umfangen nicht mehr als zwei Hände.

Das Dunkel griff uns um den Leib

Die Nacht am Fuß des Berges stand,
Jed' Blatt ward eine dunkle Hand,
Der Weg uns unter den Füßen schwand.
[37]
Auf Moos und Wurzeln klang hohl der Tritt,
Und hinter uns gingen bei jedem Schritt
Waldbäume in schweren Scharen mit.
Das Dunkel griff uns um den Leib,
Und Bäume, umschlungen wie Mann und Weib,
Sagten mit toten Gesten: »Bleib«.
Die Wege wurden wie tiefe Schlünde,
Als ob man an offenen Gräbern stünde
Und jeder zu einem Sarg hinmünde.
Viele Fäuste haben geballt, gedroht,
Es war alle Liebe vom Tage tot,
Eng Blatt bei Blatt wuchs im Finstern die Not.
Als ob uns die Schritte verjagten und bannten,
Wir uns einander bald nicht mehr erkannten,
Stets fliehend vor Nacht durch Nacht wir rannten.
– So laufen wir alle ein ganzes Leben
Und können im Finstern die Hand uns kaum geben.
Nur ein Kuß kann uns manchmal das Dunkel heben.

Himalajafinsternis [38]

Das ist der Fluch und zugleich die Wollust des Reisens, daß es dir Orte, die dir vorher in der Unendlichkeit und in der Unerreichbarkeit lagen, endlich und erreichbar macht. Diese Endlichkeit und Erreichbarkeit zieht dir aber geistige Grenzen, die du nie mehr loswerden wirst.

Wenn sich deine Seele, ohne daß dein Leib reist, an einen Ort hin versetzt, in dem du nie warst, so kann sie an dem Ort bald im Sonnenschein, bald im Regen, bald im Winter, bald im Frühling wandern, geisterleicht in einer Geisterlandschaft. Hast du aber den Ort einmal reisend mit deinem Leib erreicht und wirkliche Tage dort erlebt, so bist du dem Gefängnis der Wirklichkeit verfallen. Sobald du dich in späteren Jahren an den bereisten Ort im Geist zurückversetzt, kommst du nicht über die Grenzen der ehemaligen wirklichen Tage hinaus. Du siehst jenen Ort immer wieder, in ermüdender Wiederkehr, in derselben Tages- oder Jahreszeitstimmung, in der du ihn damals gesehen. Du kannst ihn nicht willkürlich mehr verwandeln. Du bist verdammt, ihn ewig genau so zu sehen, wie er sich dir auf der Reise gezeigt hat. Dies ist der Fluch, der die Seele des Reisenden belastet. Die Flügel der Geistigkeit werden ihm von der Wirklichkeit beschnitten. Der Vielgereiste haftet mehr an der Erde als der Niegereiste. Er erscheint mir sterblicher als die übrigen Sterblichen.

Es gibt eine einzige Möglichkeit, den Wirklichkeitsbann des Reisens zu durchbrechen und abzuschütteln. Das geschieht, wenn wir unsterbliche Erlebnisse heimbringen; wenn sich das Schicksal des Reisenden mit [39] Menschenschicksalen fremder Orte so verknüpft, daß der Ort, die Landschaft, das Gesehene ganz an Bedeutung verlieren, ins Nichts sinken, und das am eigenen Schicksal Erfahrene Zeit, Ort und Wirklichkeit überragt.

Solche Erlebnisse sind selten, aber eins, zwei solcher Erlebnisse auf großen Reisen bleiben einem im Blut und Geist haften und überfallen einen zeitweise in der Erinnerung, und solche Erlebnisse können uns modernen Menschen den Schauer, die Ehrfurcht und die Erhebung ersetzen, die die früheren naiven Menschen in Gotteshäusern vor ihren Altären und Göttern empfanden, vor Göttern, die wir Modernen längst zum alten Eisen gelegt haben.

Ehe ich auf meinen Reisen oben im Himalajagebirge gewesen, konnte ich mir diese höchsten Erdzinken immer nur tief in weißem Schnee und unter ewig eisigblauem Himmel vorstellen, ähnlich den Erinnerungsbildern, die ich vom Montblanc, von den Dolomiten und den Schweizer Alpen mit mir trug. Jetzt aber, nachdem ich vor Jahren am Himalaja war, sehe ich dort im Geist keine ehernen Gletscher, keinen eisblauen Himmel mehr. Ich sehe dort die Erde grau in grau wandern, denn es war im Februar, als die Nebel aus der indischen Talsohle wie graue Felder heraufstiegen, Nebel in allen Schattierungen, in Schatten und Beleuchtungen wechselnd. Es war, als flögen die Berge; dann wieder versanken sie. In den Sternennächten wirbelten diese Nebel im Mondschein. Der riesige Himalaja schien sich fortzuwälzen. Bald stellten sich die Nebel wie Riesentreppen auf, schlugen sich zum Himmel hinauf und drehten sich um ihre Achsen wie ungeheuere Windmühlenflügel. Es blieb [40] kein Oben, kein Unten, kein Links und kein Rechts mehr bestehen, als wäre der Himalaja eine Gedankenwelt geworden, in der sich fluchtartig Bilder und Eindrücke, Wirklichkeit und Unwirklichkeit jagten.

Siebentausend Fuß hoch oben in Darjeeling, dem weltbekannten Erholungsort der englisch-indischen Beamten, Offiziere und reichen Kaufleute, waren im Februar die meisten Villen geschlossen. Sie liegen mit ihren Glaswänden und Glasveranden wie aus Bergkristall aufgebaut an der Berglehne der hohen Gelände von Darjeeling. Dazwischen ziehen sich Teegärten mit niedrigem Teegebüsch hin, denn der Tropenbrodem, der vom großen indischen Reiche am Fuße des Himalaja zu den Höhen von Darjeeling heraufraucht, bringt einen Atem von Fruchtbarkeit über diese Südabhänge des Himalaja.

Heimgekehrt nach Europa, wäre ich jetzt, wenn ich an den Himalaja zurückdenke, ewig dazu verbannt, dort droben in Darjeeling den unendlichen, lautlosen, träufelnden Februarregen zu sehen, der aus den Nebelschwaden niedertroff, und ich müßte immer in die nebelwandernden Berge schauen, die mir nie mehr stillstehen würden, wäre mir nicht dort jenes Erlebnis begegnet, das mich zeitlos und weltlos ansieht, nicht gebunden an Tag und Jahreszeiten, sondern nur gebunden an die Allmenschlichkeit, an das Menschenherz, das rund um die Erde, an allen Orten gleich handelnd liebt und leidet, als wäre es ein einziges Herz.

Eines Nachmittags hatten mich die fünf Tibetaner, die meine Rikscha schoben, nach dem einzigen tibetanischen Tempel gefahren, der an einem Ende des Bergdorfes Darjeeling, nach langen Fahrten, auf [41] verschlungenen Wegen erreicht wird. Der Tempel war einfach wie ein weißgekalktes Scheunenhaus und unterschied sich fast in nichts von tibetanischen Bauernhäusern. Er lag am senkrechten Abhang, von einigen verwilderten Bäumen umstanden, ein wenig einfach, und man hätte ihn ebensogut von weitem für einen kleinen Gasthof halten können.

Ich mußte einen nassen Vorgarten durchschreiten und hörte von weitem einen regelmäßig klingenden Ton. Es war der Laut der Gebetsmühlen, die nach jeder Umdrehung antönen. Unter dem Vordach des Tempelhauses stand eine mannshohe und mannsdicke gelbe Röhre aufgerichtet. Sie war von oben bis unten eng mit Gebeten beschrieben. Ein Tempelknabe in gelber Kutte drehte mit der Hand den gelben Zylinder, der sich auf einem Gestell rund um eine Achse bewegte. Jede Umdrehung des Zylinders galt soviel als das vollständige Ablesen der tausend Gebete, die eingedrängt auf ihr geschrieben waren.

Drinnen im Tempel war es dunkel wie in einem Stall. Hinter dicken Holzgittern standen die geschnitzten Götter, deren alte gebräunte Vergoldung kaum noch glänzte. Da war kein friedlicher Gott darunter. Alle Götter standen oder hockten in wilden verrenkten Stellungen, als wären sie den verzerrten Nebeln draußen nachgebildet.

Aus unzähligen Ölnäpfchen, voll kleiner Nachtlichter, flimmerten winzige Flämmchen. Wie die Futtertröge der Götter, so standen sie da vor den Gittern und nährten die speckigen Goldgesichter mit ihrem Ruß und belebten sie mit dem Gewimmel ihrer knisternden Flämmchen.

Nicht an allen Wänden standen Götterbilder. Es [42] waren da Lücken, und dort am berußten und schmutzigen Wandkalk entdeckte ich Photographien, Ansichtspostkarten und Holzschnitte aus illustrierten englischen Zeitungen. Es waren Bilder von englischen, deutschen, französischen, russischen Prinzen und Generälen und Abbildungen von neuerfundenen Maschinen, Bilder, welche von den tibetanischen Priestern heilig gesprochen waren, vielleicht um den Europäern zu schmeicheln, vielleicht auch aus abergläubischer Furcht vor unbekannten fremden Seelenkräften.

Am Fußboden in einer Ecke bemerkte ich geleerte englische Bierflaschen. Ein paar tibetanische Priester mit glattrasierten kahlen Köpfen, in schmutziggelben Kutten, hockten am Boden und rauchten, lehnten mit dem Rücken an der Wand und stierten zur offenen Tür hinaus, zu der ein wenig Tageslicht in den fensterlosen Raum hereinfiel und glasig auf den Augäpfeln der Priester glänzte.

Die knisternden Reihen von Nachtlichtern, die blöden Augen der Priester und hie und da hinter den Gittern ein Götterbauch, an dessen abgenütztem Gold sich die Ölflämmchen spiegelten, der süßliche Tabakrauch aus den Priesterpfeifen und ein noch süßlicherer Geruch von erkaltetem Räucherwerk, die grotesken Papierfetzen aus illustrierten europäischen Zeitschriften – dieser Wirrwarr von zeitlosem Spuk –, und draußen im Türviereck die ewig im Nebel fortwandernden Himalajaberge wie Spuklandschaften, die bald in den Himmel stiegen, bald zur Erde fielen, ein Nebelgekröse, das plötzlich bis zur Tür herankroch; die gelben Ungeheuer der Gebetmühlen, die sich einförmig drehten und in regelmäßigen Zwischenräumen mit einem dünnen Metallton anschlugen, – all das sah [43] abenteuerlich aus, einfältig und ungeheuerlich zu gleicher Zeit. Denn es bestand schon seit Tausenden von Jahren und schien unvergänglich wie die Götter der Dummheit, die neben den Göttern des Verstandes und des Gefühls ewig die Erde beherrschen.

Aber wie die Abgründe draußen vor der Tempeltür, an deren Rändern das Schwindelgefühl saß, das Menschen, Tiere und Steinmassen in die Himalajaschluchten reißen konnte, so lag hinter dem Gefühl der dumpfen Dummheit, die in dieser stallartigen Tempelstube hockte, zugleich eine kaltblütige Grausamkeit. Sie blickte beinahe schelmisch aus den stieren Augen der kahlköpfigen tibetanischen Priester und grinste grotesk freundlich aus den lachenden Mäulern der Gesichtsmasken der im Halbdunkel hockenden Götterfiguren.

Meine fünf tibetanischen Wagenschieber, die wie Eskimos in sackartigen Kleidern vermummt steckten und von hünenhaften Kräften waren, fuhren mich dann im Rikschawagen zurück, an fast senkrechten Bergwegen hinauf. Dabei wieherten sie wie Pferdchen, meckerten wie Geißböcke und prusteten wie Walrosse. Zugleich verfolgten meinen Wagen drei tibetanische Riesenweiber, die ihre Schmuckketten aus kleinen blauen Türkisen, Brocken Bergkristall und Stücken ungereinigter Silberbronze, mit rötlichem Carneol verarbeitet, vom Hals und von den Armgelenken rissen und mir zum Verkauf vor mein Gesicht hielten. Immer gestikulierend sprangen die Tibetfrauen neben meinen Wagenrädern hin und her, umgeben von einer bellenden Schar wilder Himalajahunde.

Eine der Frauen nahm sich während des Springens die Türkisenohrringe ab, eine andere drehte von ihrer [44] Hand einen plumpen Silberring mit rotem Carneolstein, die dritte zog sich bronzene Haarpfeile aus ihrem ungekämmten, verwilderten und vom Regen nassen Haarknoten. Einige Worte Englisch und hundert geschnatterte tibetanische Worte, durchsetzt mit Hundegebell und begleitet vom Gelächter und Geschnauf meiner schwitzenden Wagenschieber, schallten mir unausgesetzt vor den Ohren.

Endlich kaufte ich dem einen Weib einen Ring ab, und da der Rikschawagen an den Abhangwegen im Fahren keinen Augenblick halten konnte, wurde der bewegte Handel durch Zuwerfen des Ringes und Zurückwerfen des Geldes abgeschlossen.

Zwei der Frauen blieben jetzt zurück. Nur das dritte Weib, das immer noch ihre Haarpfeile verkaufslustig in der Luft schwang, haftete noch an der Seite meines Wagens, vom Gekläff der Hunde umgeben.

Als die Tibetanerin mich kaufunlustig sah, lockte sie mit den Augen, so daß ihr die Wagenschieber tibetanische Scherzworte zuriefen, gegen die sie sich eifrig verteidigte. Da mich die Haarpfeile nicht reizten und des Weibes Augen mich nicht überreden konnten, fuhr sie, immer neben dem Wagen herspringend, mit den Händen in die Falten ihres sackgroben Mantelkleides und fand in irgendeiner Tasche eine kleine Silberkette, die mir aber ebensowenig gefiel. Zugleich aber, wie sie die Kette in der Luft schüttelte, flog, zwischen ihren Fingern durch, ein kleines Bronzeamulett, das an einer Darmsaite angebunden gewesen, und flog zu mir in den Wagen auf meinen Schoß.

Mit einem Blick sah ich, daß das Amulett ein echtes kleines Bronze-Götzenbild war, nicht größer [45] als ein Fingerglied. Es stellte in viereckigen primitiven Formen zwei winzige Menschen dar, einen nackten Mann, an welchem eine nackte Frau emporkletterte.

Ich schloß meine Hand, in die das Amulett gefallen war, griff mit der andern Hand in meine Westentasche, in der ich loses Silbergeld trug, und warf dem Weib ein paar große Silbermünzen zu. Sie sah mich erstaunt an, fing blitzschnell das Geld auf und blieb zurück. Zufällig bog der Wagen um eine Wegecke. Ich konnte jetzt das Weib, das in dem Haufen der bellenden Hunde stillstand, noch einmal von weitem sehen. Sie schüttelte fortwährend den Kopf, als verstünde sie nicht, wie sie zu dem Gelde gekommen sei. Sie hielt die Haarpfeile im Mund zwischen den Zähnen und wickelte die Geldstücke in ein kleines Stückchen gelben Tuches. Vielleicht war es dasselbe Stückchen Tuch, in welchem vorher die Silberkette und das Amulett eingewickelt gewesen.

Ich vergaß die Begebenheit, denn es ereignete sich jeden Augenblick viel Neues in der mich umgebenden Reisewelt. Ich entsinne mich nur, daß, als ich eine halbe Stunde später im Hotel das Amulett betrachtete, mir nicht mehr dieses eine Weib in Erinnerung kam, sondern die zwei anderen, die zurückgeblieben waren, und deren Wangen mit einer roten Masse eingerieben waren. Ich fragte einen der tibetanischen Fellverkäufer, die in der Vorhalle des Hotels bei ihren Pelzwaren kauerten, und die alle Englisch sprachen, mit was sich die Weiber hier die Wangen einrieben, daß sie so braunrot würden. Er sagte, daß die Farbe Ochsenblut sei. Aber nur die Witwen bestreichen sich die [46] Wangen mit Ochsenblut und nur diejenigen Witfrauen, die den Männern zeigen möchten, daß sie wieder heiraten wollen.

Während ich noch sprach, läutete die erste Dinerglocke im Stiegenhaus des Hotels, die Glocke, welche die reisenden Damen und Herren darauf aufmerksam macht, daß es an der Zeit ist, sich für das Mittagessen, das um 7 Uhr serviert wird, umzukleiden. Denn auch hoch oben im Himalaja erscheinen die englischen Herren abends in Frack und Smoking und die Damen in Schleppkleidern, tief ausgeschnitten und frisiert, als wären sie für eine Galaoper geschmückt.

Ich ging in mein Zimmer, wo eben ein tibetanischer Zimmerbursche das Kaminfeuer angezündet hatte und jetzt nebenan im Baderaum, welcher zum Zimmer gehörte, Wasser in die Badewanne schleppte.

Der Baderaum hatte einen besonderen Eingang durch einen Balkon, der an der Rückseite des Hauses entlang lief. Nachdem das Bad hergerichtet war, murmelte der tibetanische Diener sein »all right Sir« und verschwand durch die Hintertür des Badezimmers.

Nachdem ich ins Bad gestiegen war und aufrecht im dampfenden Wasser stand und einige Turnübungen ausführte, fühlte ich im Rücken einen eiskalten Luftstrom, als ob jemand die Hintertür des Baderaumes zum Balkon geöffnet habe. Ich rufe auf Englisch: »Tür zu!« Und um mich vor dem eisigen Luftstrom zu schützen, tauche ich im heißen Wasser der Badewanne bis zum Hals unter. Ich bemerke zugleich durch den Dampf, der das Zimmer füllte, den Schatten einer Gestalt und frage: »Wer ist da?«

Nur der Strahl des Kaminfeuers fiel von meinem Schlafzimmer in den Baderaum herein, und ich merkte [47] zu meinem Erstaunen, daß die kleine Lampe, welche der Diener in eine Fensternische gestellt hatte, die aber vorher kaum leuchtete, jetzt vollständig ausgegangen war.

Als ich auf meine zweimaligen Zurufe keine Antwort bekam, erhob ich mich wieder aus dem dampfenden Wasser. Im selben Augenblick fühlte ich wieder den Eishauch von der Türe her, die wahrscheinlich wieder hinter dem Dampfnebel geöffnet worden war. Der menschliche Schatten, den ich vorher gesehen hatte, war aber verschwunden.

Mir schien, wenn ich mir die Gestalt vergegenwärtigte, als wäre es eine Frau gewesen, die vorher eingetreten und die jetzt wieder verschwunden war.

Ich tastete in den Dampfnebel, fragte noch ein paarmal, beendete dann mein Bad schneller, als ich es sonst getan hätte, wickelte mich ins Badelaken, machte Licht im Schlafzimmer und leuchtete in den Baderaum, fand aber niemand. Dann kleidete ich mich an, klingelte und fragte den Diener, ob man jemand hereingelassen, während ich im Bad war.

Dieser schüttelte den Kopf und wußte von nichts.

Ich vergaß auch diese Begebenheit wieder. Aber nach Mitternacht, als ich mich zu Bett legte, schloß ich vorsichtig alle Türen.

Das Amulett hatte ich genau betrachtet, und nach dem Alter der Darmsaite zu schließen, an die es gebunden und die vom Tragen sehr abgenützt war, konnte ich mir vorstellen, daß das Amulett wohl schon mehrere Menschenalter um den Hals verschiedener Personen gehangen und auf der Brust verschiedener Leute geruht haben mußte. Bis diese starke Darmsaite sich abnützen und durchwetzen konnte, mußten manche Menschenleben dahingegangen sein. [48]

Die an der Männergestalt emporkletternde kleine Frauengestalt war von geschwärzter Silberbronze. Der Mann schien aus Eisenbronze zu sein.

Klobig, simpel, primitiv war die nußgroße Figurengruppe zusammengeschweißt, wahrscheinlich in irgendeiner Bergschmiede tief im Himalajagebirge. Vielleicht war sie in einer tibetanischen Klosterschmiede gearbeitet, in einem jener ungeheuerlichen Klöster, die an unzugänglichen Stellen, an Bergabhängen und Bergseen zerstreut liegen, auf der Straße nach Lassa hin, jener Straße, die zu der geheimnisvollsten Klosterstadt der Welt führt.

Ich mußte wieder an das stattliche Tibetweib denken, wie es da mitten im Haufen bellender Hunde gestanden und gedankenvoll mein Geld in das gelbe Tuch gewickelt hatte.

Plötzlich fiel mir ein: nach ihrem verwunderten Gesicht zu schließen, hatte die Frau, als mir das Amulett zuflog, vielleicht gar nicht gewußt, daß sie es mir zugeworfen hatte. Sie hatte eine Silberkette in der Hand geschüttelt, und wenn ich jetzt darüber nachdachte, so schien es mir, als wäre ihr unbewußt das Amulett aus den Fingern geglitten, denn ihr Gesicht war verblüfft und nachdenklich, als sie meine Silbermünzen auffing und einsteckte. Jedenfalls aber hatte ich das Amulett mit meinem Gelde bezahlt, und es war mein. So sagte ich mir und legte mich beruhigt zu Bett.

Ich weiß nicht, wieviel Stunden ich geschlafen hatte, als ich durch einen Knall und ein Scherbenklingen geweckt wurde. Ich fuhr auf und hörte ein Geräusch wie von flatternden Flügelschlägen.

Das Kaminfeuer war vollständig niedergebrannt, [49] und der kleine Glutbrocken leuchtete nicht mehr an die Zimmerdecke und nicht mehr an die Wände, von wo aus das klatschende Flügelschlagen herkam.

Ich machte Licht und sah ein schwarzes Tier, groß wie eine Eule, von Winkel zu Winkel fliegen. Als ich auf einen Stuhl stieg, sah ich, daß es eine große Vampirfledermaus war. Ich öffnete die Schlafzimmertüre, die nach der Treppe ging, weit, und rief ins Treppenhaus hinunter, indessen ich mich in meinen Mantel wickelte. Drunten am Kaminfeuer saßen immer einige Diener, die die Nachtwache hatten. Einer von den Männern kam nun herauf, riß die Bettdecke von meinem Bett und schlug mit dem Tuch nach dem Tier in die Luft und scheuchte die Riesenfledermaus durchs geöffnete Fenster in die Nacht hinaus.

Im Fenster selbst fanden wir dann eine Ecke der Scheibe eingestoßen. Doch unerklärlich war es mir, wie die weiche und zartknochige Fledermaus es fertig gebracht hatte, die harte Fensterscheibe einzustoßen.

In dieser Nacht schlief ich nicht mehr. Ich ließ das Licht brennen und befahl dem Diener, das Kaminfeuer zu schüren. Ich setzte mich dann an den Kamin und las, das heißt, ich wollte lesen, um nicht einzuschlafen. Aber mehrmals mußte ich aufhorchen. Es war mir, als hörte ich Schritte auf dem Balkon, auf welchen das zerbrochene Fenster führte.

Ich sah vom Lesen nicht auf. Ich sagte mir, es wird einer der Diener sein, der sich überzeugen will, ob mein Kaminfeuer noch brennt, und der mich nicht zu stören wagt und deshalb auf dem Balkon herumschleicht und hereinsieht.

Nach einer Stunde war mir, als verbreite sich ein [50] durchdringender Blumengeruch im Zimmer. Ich schloß die Augen, lehnte meinen Kopf im Ledersessel zurück und überlegte, ob die Nachtnebel, die aus den Himalajateegärten und aus der indischen Tiefebene heraufstiegen, solch einen betäubenden Blütengeruch mit sich führen können. Durch das zerbrochene Fenster schien der Geruch mit dem Nebelrauch hereinzuziehen, denn ich sah einen feinen bläulichen Dampf, der vom zerbrochenen Fenster her das Zimmer erfüllte. Ich wollte aufstehen, ein Handtuch oder einen Reiseschal nehmen und die zerbrochene Scheibenecke zustopfen, um den betäubenden Nebel abzuwehren.

Aber es blieb bei dem in meinem Gehirn sich immer wiederholenden Wunsch, aufzustehen. Meine Augen fielen zu. Einige Zeit hielt ich das Buch noch in der einen Hand fest. Aber das Buch schien immer größer und schwerer zu werden. Das Buch wuchs und stand vor mir wie die Wand so groß. Und immer, wenn ich mich aufrichten wollte, stand vor mir das aufgerichtete wandgroße Buch. Es war mir, als wohne ich nicht mehr in einem Zimmer. Ich wohnte in einem Buch. Und ich hatte das Gefühl, dieses Riesenbuch könnte zuklappen und mich zwischen seinen Seiten erdrücken. Das Buch roch so süß wie die Süße aus einem alten Schrank, in welchem getrocknete Blumen und Lavendel lagen. Mit diesem gemischten Gefühl von Süße und drückender Bangigkeit verbrachte ich, wie es mir schien, Jahre, ohne daß sich etwas in meinem Zustande änderte.

Ich wachte durch ein Klopfen auf. Es klopfte irgendwo jemand auf meinen Schädel. Es wurde lange und heftig geklopft. Bald war es mir auch wieder, als klopfe man schon jahrelang. Ich horchte [51] auf. Meine Augen öffneten sich und sahen immer noch Kaminglut. Draußen war es immer noch Nacht. Das Klopfen kam von den verschiedenen Zimmertüren im Korridor. Die Hotelgäste wurden geweckt.

Ich erinnerte mich jetzt, daß unsere Reisegesellschaft, die zehn Damen und Herren, die sich hier in Darjeeling im Hotel zusammengefunden, verabredet hatten, um drei Uhr morgens bei Mondschein aufzubrechen, um auf Paßwegen zu dem zweitausend Fuß höher gelegenen »Tigerhill« zu reiten, wo man den Sonnenaufgang über dem Mount Everest und anderen Riesen des Himalaja erwarten wollte.

Im Zimmer war noch immer der süßliche Dunst. Ich kleidete mich im halbtrunkenen Zustand an. Ein Diener brachte mir dann den Morgentee und sagte, daß die Pferde gesattelt seien und unten an der Veranda warten.

Als ich ein paar Minuten später aufs Pferd stieg, freute ich mich über die klare Bergluft, über den eisklaren Halbmond, der am Himmel hing, und über den reinen Neuschnee, der gefallen war, und ich hatte bald ganz und gar den Blumendunst vergessen und die letzten Stunden jenes schweren Schlafes, der mehr einem Albdruck als einem gesunden Schlaf ähnlich gewesen.

Auf den schmalen Paßwegen, auf denen die Pferde hintereinander schreiten mußten, schwiegen das Geplauder und Gelächter der Damen und Herren. Es war, als ritten wir nicht auf der Erde, sondern auf Wolken, an Wolkenrändern entlang. Die Mondsichel hatte nicht Kraft genug, die Himalajagründe auszuleuchten. Meere von Finsternis lagen an den Rändern der Paßwege, die nur einige Hufbreiten breit auf den [52] Berggraten entlang zogen. Bäume, die so alt waren, daß sie kein Blatt mehr trieben und nur wie moosbehangene Skelette ragten, waren durch Nebel und Schnee wie vom Erdboden abgeschnitten und hingen in der Luft wie vom Himmel herab. Einige waren wie hausgroße Skelette ungeheuerlicher Fledermäuse. Diese Gespensterbäume und der jasminweiße Mond auf dem grünlichen Nachtäther erinnerten mich wieder an mein Nachterlebnis. Aber die großen geöffneten unergründlichen Himalajaabgründe, die den Eindruck gaben, als könnte man so tief in die finstere Erde hineinsehen, so tief wie in den Nachthimmel, diese Abgründe, an denen die Pferde zagend und tastend und lautlos im glitschigen Schnee wie balancierend zwischen Leben und Tod entlang gingen, verschluckten Rückerinnerungen und Gedanken, diese Abgründe wollten mich einschläfern, stärker noch als der Blumengeruch es vorher getan hatte.

Der warme, schweißdampfende Pferderücken, der mich trug und der mich rüttelte, war das einzige Stück Wirklichkeit, das ich noch fühlte, denn der Traumzustand der Gespensterlandschaft wollte sich mit dem Traumzustand meiner noch nicht völlig wachen Gedanken vermischen und mich in die Abgründe ziehen.

Endlich verflüchtete sich die Nacht, und wir erreichten in der blaugrauen Dämmerung, die dem Sonnenaufgang vorausgeht, die Höhe des Tigerhills.

Tibetanische Diener waren vom Hotel vorausgeschickt worden. Ein großer Holzstoß war angezündet worden, aber das Holz war naß und rauchte mehr als es brannte. Der Schnee war im Umkreis des Feuers weggeschmolzen. Wir versuchten, unsere vom Reiten erstarrten Füße beim Feuer zu wärmen, [53] umwanderten stampfend den qualmenden Holzstoß, vertrieben uns die Zeit mit Teetrinken und warteten auf die ersten Zeichen des Sonnenaufgangs.

Auf einmal sagte jemand neben mir: »Das ist der Schmetterlingshändler!« Der Genannte war ein Deutsch-Engländer aus Darjeeling, der einen tibetanischen Antiquitätenladen dort hatte und zugleich einen Handel mit Himalajaschmetterlingen trieb, von denen er die schönsten Exemplare auf Bestellung nach Europa sandte.

Wie der Mann auf den Tigerhill gekommen, ob er uns auf einer Nachtreise aus dem Innern des Gebirges begegnet war, oder ob er die Reisegesellschaft von Darjeeling aus begleitet hatte, wußte ich nicht. Ich dachte nur im selben Augenblick, wie ich das Wort »Schmetterlingshändler« hörte, an die seltsame Trommel, die ich in seinem Laden zwei Tage vorher gekauft hatte; eine Trommel, angefertigt aus den Hirnschalen zweier Menschen, aus der Hirnschale eines Mannes und aus der eines Weibes. Jede Schalenhöhle war mit einer Membrane überzogen; an der Wölbung aber waren die beiden Gehirnschalen zusammengeschweißt, so daß sie zwei kleine Trommeln bildeten. Schüttelte man diese, so schlug in jeder Schädelhöhle eine kleine, hinter der Membrane eingesperrte Elfenbeinkugel an die Schädelwand und an die Membrane und trommelte unausgesetzt. Der Schmetterlingshändler hatte mir erzählt:

»Ich habe diese Trommel von einem tibetanischen Priester in einem tibetanischen Tempel gekauft. Es sind die Schädelschalen eines treulosen Mannes und eines treulosen Weibes. Diese Trommel wurde täglich zur Gebetstunde angeschlagen, denn die Treulosen [54] sollen, ewig aneinander gekittet, im Tode keine Ruhe haben. Der Priester, der auf dem Leichenstein beim Tempel die Leichen zu zerschneiden und den Vögeln hinzuwerfen hat, hat das Recht, die Schädelschalen zweier, die die Treue gebrochen haben, nach dem Tode zu solchen Trommeln zu verarbeiten.« –

Mit großer Mühe hatte der Schmetterlingshändler die Trommel aus dem Tempel erhalten.

Machte es die dünne hohe Gebirgsluft, daß meine Ohren jetzt plötzlich aus allen finstern Himalajaabgründen ein Donnern hörten, als seien die Bergschlünde trommelnde Schädelhöhlen von Ungetreuen?

»Hören Sie die Lawinen, die bei Sonnenaufgang sich von den Gletschern lösen und in die Tiefe donnern?« sagte ein Herr neben mir zu einer Dame. Dann war tiefe Stille. Keine Teetasse klapperte, kein Schritt im Schnee knirschte mehr. Die Pferde spitzten die Ohren und schnupperten. Drüben im Nebel, über einem tageweiten Abgrund, erschien der fleischige Arm eines Riesen, die rosige fleischige Brust einer Frau, Nacken, Schultern, Hüften in gigantischen Dimensionen. Es waren die Umrisse des Mount Everest und des Kantschindschanga, die wie ein nacktes Riesenpaar höher als der Mond im Himmel lagen.

»Die Sonne,« flüsterte eine Dame.

Ich sah über meine Schulter von den Bergen fort und entdeckte eine rote glühende Lawine, die sich auf Nebelfeldern kaum merklich fortrollte und größer und röter wurde, – die Sonne. Wie eine große rote Sintflut gab sie den Gletschern Blut und machte den Schnee zu Fleisch.

Im selben Augenblick, mitten in diesem feierlichsten Augenblick des Sonnenaufgangs, nahm jemand meine [55] Hand, führte meine Finger in eine Westentasche und sagte: Wo ist das Amulett, das du gestern kauftest? Sehen die großen fleischfarbenen Gletscher dort nicht aus wie die Männer- und die Frauenfigur deines Amuletts, das du der Tibetfrau gestern abkauftest?

Das Amulett war nicht in meiner Westentasche. Aber das Geld, das ich dafür bezahlt hatte, die drei großen Silberstücke, befand sich wieder in meiner Westentasche.

Der Gedanke an das Amulett hatte meine Hand in die Westentasche geschoben.

Wer hat jetzt laut gelacht? Alle Gesichter sahen sich nach mir um. Es wurde mir unheimlich vor mir selbst. Wie ich meinen Pelzrock geöffnet hatte, um das Amulett zu suchen, stieg mir aus der Kleiderwärme wieder jener geheimnisvolle Blumengeruch entgegen. Aber jetzt bei der aufgehenden Sonne, in der Schneefrische des Morgens, erkannte ich in dem Geruch ein betäubendes tibetanisches Tempelräucherwerk, das, in großen Massen eingeatmet, einschläfert und Visionen verschafft, und dieser Geruch steckte noch von der Nacht her in meinen Kleidern.

Auf dem Pferderücken vorhin war mir schon der Geruch stark in die Nase gestiegen. Ich selbst war aber noch zu sehr von der Schlafzimmerluft betäubt gewesen, um seinen Ursprung zu erkennen.

Jetzt wandte ich mich mit einem energischen Ruck an den Schmetterlingshändler, um ihn zu fragen: »Glauben Sie, daß es Amulette gibt, die ihren Besitzern so teuer sind, daß sie sie für nichts verkaufen würden? Glauben Sie, daß, wenn ein tibetanisches Weib ein solches Amulett zufällig von sich geschleudert hätte, es alle Listen seiner listigen Natur [56]anwenden würde, um das Amulett wieder zu erhalten? Glauben Sie, daß es durch Hintertüren in die Häuser eindringen würde und sich nicht scheuen würde, ein Fenster einzustoßen, um das Amulett zu erhalten?

Sie werden mir sagen: ›Das zerbrechende Fenster würde jedermann wecken!‹ Aber ich sage Ihnen: Man kann zugleich durch das zerbrochene Fenster eine lebende Fledermaus ins Zimmer werfen, die die Aufmerksamkeit auf sich lenkt und nicht den Gedanken aufkommen läßt, daß ein Mensch mit Absicht das Fenster zerschlagen hätte. Betäubt man dann noch durch eine Räucherstange den im Zimmer Anwesenden, so ist es ein leichtes, nachher mit dem Arm durch die zerbrochene Fensterscheibe in das Zimmer zu langen, den Fensterknopf von innen aufzudrücken, durchs geöffnete Fenster vom Balkon hineinzusteigen, das verlorene Amulett zu suchen, zu finden und, wenn eine Kaufsumme dafür hergegeben war, das Geld wieder hinzulegen und das Amulett mitzunehmen.«

Alles dieses wollte ich mit energischem Entschluß den Schmetterlingshändler jetzt fragen. Ich öffnete den Mund. Aber die Worte, die ich sprechen wollte, verwandelten sich in Atemrauch, und ich hörte in meinen Ohren, daß ich sagte: »Wenn Sie wieder einige seltene Exemplare von Himalajaschmetterlingen haben, können Sie mir dieselben an meine Adresse nach Europa senden.« Dabei nahm ich aus meiner Westentasche dasselbe Silbergeld, womit ich gestern schon das Amulett bezahlt hatte, und bezahlte im voraus den Preis für drei Schmetterlinge.

Ich hatte nichts mehr gesprochen. Die Sonne war bald wieder in Nebeln verschwunden, und wir ritten im Tageslicht, das aber mehr dem Mondlicht [57] glich, an den nebelnden Abgründen zurück nach Darjeeling.

Das Amulett fand ich nicht mehr. Es war nicht auf meinem Tisch zu Hause im Hotelzimmer, nicht in meinen Taschen, nicht in meinen Koffern.

Ich erinnerte mich jetzt, daß, als ich gestern abend nach dem Diner durch die Billardsäle zu den Spielzimmern gegangen war, wo die befrackten Herren und die dekolletierten Damen an den grünen Spieltischen vor den lodernden Kaminen saßen, mich einen Augenblick eine Sehnsucht gepackt hatte, fortzukommen aus den europäischen Sälen, die man hier in Asien sogar noch hoch im Himalaja für verwöhnte Millionäre und Milliardäre hingestellt hat.

Ich war dann auf die breite Hotelterrasse hinausgetreten und hatte dem Hexenspiel der rollenden Bergnebel über den Schluchten zugesehen und den Sternen, die über den bewegten Nebeln zu tanzen schienen. Dann fielen ein paar Regentropfen, mit Schneeflocken untermischt, aus fortflüchtenden Nebelwellen, die um den Mond kreiselten.

Als ich wieder ins Hotel zurückgehen wollte, war mir, als sähe ich ein großes Tier unter der Terrassenbrüstung um die Hausecke laufen. Gestern abend hatte ich gedacht, es sei ein Hund. Jetzt wußte ich aber, daß es ein Mensch gewesen, der auf allen vieren ging, eine Frau, wahrscheinlich die Frau, deren Amulett ich besaß, die während der ganzen Nacht um das Hotel geschlichen war, und die sich mit aller List das Amulett aus meinem Zimmer von meinem Tisch geholt hatte.

Dies bedachte ich jetzt nach der Rückkunft vom Mondscheinritt im Hotel und sehnte mich, mit jemandem [58] darüber zu sprechen. Aber meine europäischen Reisegefährten schienen mir alle zu banal, als daß ich Lust gehabt hätte, sie in die Mystik dieses Nachterlebnisses einzuweihen.

Nachmittags um drei Uhr sollte mein Zug abgehen, der mich zum Abend wieder hinunter in die Kaffeegärten und Zuckerrohrpflanzungen Indiens bringen würde, und der am nächsten Morgen mit mir in Kalkutta eintreffen sollte.

Auf dem Weg zum Bergbahnhof konnte ich mich nicht enthalten, die Rikscha am Laden des Schmetterlingshändlers warten zu lassen. Ich stieg aus. Als ich die Ladentüre öffnen will, wird seltsamerweise dieselbe schon von innen aufgemacht, und an mir vorbei läuft ein tibetanisches Weib heraus. Ich hätte aber die Frau kaum wiedererkannt, da mir alle Tibetanerinnen untereinander so ähnlich schienen, sowie auch die Neger und Chinesen für den Europäer immer einander ähnlich sehen, hätte die Frau nicht mit einer heftig erschrockenen Bewegung in die Brustfalten ihres Mantelrockes gegriffen, als wolle sie dort etwas beschützen, was ich ihr hätte entreißen können. Mir schien, als ob sie hohläugiger und blasser wäre als am Tage vorher. Laut mit sich selbst sprechend und mit den Ellenbogen in die Luft fuchtelnd, als müßte sie hundert Hände abwehren, die sich nach ihr streckten, stürzte sie die Bergstraße hinunter fort, begleitet vom Gelächter meiner Rikschaschieber, welche das Gebaren der Frau noch sonderbarer fanden als ich.

Im Laden kam ich nicht dazu, dem Schmetterlingshändler vom Amulett zu sprechen, denn ehe ich noch den Mund öffnen konnte, zeigte er mir in einem geschnitzten Kästchen einen aufgespießten sogenannten [59] Handflächenschmetterling. Jene Frau hatte ihm eben den seltenen Schmetterling verkauft. Er wurde in einem Kästchen aus Kampferholz aufbewahrt, denn der Geruch dieses Holzes schützt die Schmetterlinge gegen zerstörende Witterungseinflüsse. Durch Generationen hindurch kann man einen solchen Schmetterling im Kampferholz bei vollem Glanz erhalten. Auch diese Frau hatte den Schmetterling schon lange als ein Erbstück ihrer Familie besessen. Warum sie ihn verkaufen wollte, da er doch unbezahlbar war, konnte der Schmetterlingshändler nicht begreifen, denn ein Handflächenschmetterling wird alle hundert Jahre einmal im Gebirge gefunden. Auf seinen Flügeln sind dunkle Linien, deren Zeichnung den Linien in der Handfläche einer Menschenhand gleichen.

»Diese Frau,« sagte der Schmetterlingshändler, »muß vielleicht für irgendeine eingebildete Schuld ein Tempelopfer bringen, da sie mit einem solchen Schmetterling ihren besten Familienschatz verkauft, um Opfergeld zu erlangen.«

Ich erstand den Schmetterling. Und kaum hatte ich ihn in Händen, so wurde mir auch, ohne daß ich fragte, eine Erklärung über meinen Amulettverlust zuteil.

Der Schmetterlingshändler erzählte mir, daß jene Frau eine sogenannte »ewige Witwe« sei, eine von jenen, die ihre Wangen nicht mit Ochsenblut bemalen und nicht mehr das Verlangen haben, einen anderen Mann als den Gestorbenen zu lieben. Um aber auch des Toten sicher zu sein, daß dieser ihr im nächsten Leben treu wird, wie sie ihm treu sein will, trägt eine solche Frau an einer unzerreißbaren Darmsaite ein Amulett an der Brust, welches ein Menschenpaar [60] darstellt. Wenn die Witwe aber dieses Amulett verliert – denn ein Amulett wird eine Frau nie verkaufen –, hat sie damit die Treue des Toten verloren und wird ihren Geliebten im nächsten Leben nicht wiederfinden.

Ein solches Amulett wird niemals verkauft, und sollte es verloren gehen, so setzt eine jede tibetanische Frau ihr Leben daran, um das kostbare Amulett der Treue wieder zu erhalten. –

Während dieses Nachmittags, als ich im Zug saß und in die finsteren Abgründe des Himalaja hinunterfuhr, sah ich im Dampf, der aus der Lokomotive kam, und der in den Dschungelwäldern und an den Urwaldästen hängen blieb, hunderte Male die Gestalt jener ewigen Witwe, wie sie bald gebückt und geduckt suchte, und wie sie aufgerichtet forttanzte über die Urwaldwipfel, wie sie die Arme an die Brust drückte und nach dem Amulett fühlte, das ihr die Treue und die Liebe ihres Geliebten im nächsten Leben versprach.

Dann, als es dunkel wurde und ich draußen keinen Wald und keinen Dampf mehr sah, betrachtete ich lange bei der trüben Wagenlampe den großen Handflächenschmetterling in dem Kampferkästchen, dessen Linien so verschlungen sind wie die Schicksalslinien in den Handflächen der Menschen und dessen Linien in dunkle Nachtränder auslaufen, in unergründliche Finsternisse, ähnlich den Himalajaabgründen, die voll Finsternis und Aberglauben draußen dicht bei den Schienengeleisen der Bergbahn drohten.

Und Nächte werden aus allen Tagen [61]

Und Nächte werden aus allen Tagen,
Dann endet keine Straße mehr,
Und wie die Gespinste aus grauen Sagen
Hängen die Nebel die kreuz und quer.
Ich suche die Nähe und suche die Ferne
Und habe den Weg nicht weiter gebracht,
Als von einer Laterne zur andern Laterne,
Von Nebelschacht zu Nebelschacht.
Der Nebel geht immer mit deinem Schritte,
Nur so lang du dein Blut mit Blut vermischt,
Nimmt kurz dich das Licht in seine Mitte,
Der Nebel vorm flammenden Blut verzischt.

Nachtstürme reiten die Bäume krumm

Statt der Blumen und Blätter, die sich sonst regen,
Steht Reisigholz stumm auf allen Wegen.
Am Himmel gehen Nebel und Nässe um,
Und Nachtstürme reiten die Bäume krumm.
Ich stehe hinter Fensterscheiben verloren,
Die alten Lieder sind nur Träume hinter sieben Toren,
Die Geliebte ging weit in den Nebel fort,
Nichts blieb als in den Ohren ihr Liebeswort.

Nur ein Lied färbt die Grauseele bunter [62]

Ich setze mich hin untern nächstbesten Busch
Und sing's Blau mir vom Himmel herunter;
Nur ein Lied färbt die Grauseele bunter.
Aus dem Grautag, in welchen die Sorge öd weint,
Wird ein Blautag, sobald nur ein Lied hell erscheint;
Die verstockteste Wolke wird munter.
Wo ein Liebeslied rot wie die Sonne aufgeht,
Jede Wange frohleuchtend voll Herzblut dasteht.
So ein Rot geht dann schwer mehr herunter.

Mondmusikanten

Mit Flöte und der Violin'
Javanen, zwei, die Landstraß' ziehn.
Sie feiern so die helle Nacht.
Musik am grauen Weg erwacht.
Hörst nicht der nackten Füße Schritt, –
Hörst nur Musik. Sie schreitet mit.
Musik als Dritter ist Gesell.
Sie folgt den beiden wie ein Quell.
Musik geht vor den beiden her.
Sie wissen bald von sich nichts mehr.
Musik zieht ihre Seelen fort,
Und zu Musik wird Zeit und Ort.

Der Garten ohne Jahreszeiten [63]

Vom Morgen bis zum Spätnachmittag fährt ein kleiner, kletternder Bahnzug in Ceylon von der Stadt Colombo unten am Meer hinauf zu der letzten Ansiedlung Nuwara-Eliya in den höchsten Bergen. Die Zimmetgärten von Colombo wandern hinab in die Tiefe. Die grünen Amphitheater der strauchigen Teepflanzungen und die Reisfelderterrassen versinken wie ausgespannte Fallschirme neben dem ansteigenden Schienengeleis. Täler voll Silberseen blinken wie Riesenperlmuttermuscheln herauf, verlassene alte Tempeltürme stehen wie hochgerichtete Fernrohre an den Seen, zugespitzte Bergkegel, geformt wie Räucherhütchen, umragen als blaue Pyramiden den Horizont, und der Adams Peak wirft seinen berühmten dreieckigen Schatten als riesigen Sonnenuhrzeiger bis Sonnenuntergang über das Innere Ceylons, genannt das glänzende Eiland.

Kurz vor Sonnenuntergang erreicht der Bahnzug in den Bergwellen auf der Höhe von vierzehntausend Fuß todstumme Mooswälder, große moosumwucherte Laubholzwälder. Die Baummassen sind wie graue Versteinerungen regungslos ineinandergewachsen, als ob die Baumklumpen sich im kühlen, dünnen Luftzug gegenseitig festhielten, damit auf den schiefen Ebenen in der ungeheuren Höhe nicht jählings ein Schwindelgefühl ganze Wälderstrecken in die Tiefe reiße.

Dort oben bei den silbernen Spiralen der Sturzbäche, auf dem Rasen vor den Waldrändern wohnen reiche Kaufleute und hohe englische Beamte aus Colombo in ihren Villen. Dort sind englische Giebelhäuser [64] mit Vorgärten vor den Erkern. Dort brennen die Laternen abends in den Gartenstraßen am Trottoir entlang wie in Europa. Dort oben sind Tennisplätze und Fußballrasen, und die Luft ist dünn wie die Gesichtshaut der blassen und blonden englischen Damen.

Ein paar Stunden von der Ansiedlung Nuwara-Eliya liegt an einem Bergabhang, wie an den Thronstufen des Ätherhimmels, der Edengarten von Ceylon. Ein Garten wie ein gewirkter, blaurot und gelber indischer Seidenschal, hingehängt an den Bergwald, feierlich, hoch über den Abgründen. Blumenbeete mit den Blumen aller Jahreszeiten schieben sich in die Höhe und in die Tiefe vor dem Äther des windstillen Himmels. Das Gartenantlitz erinnert an ein mit Indigo und Rötelschnörkeln tätowiertes Singhalesengesicht. Dort wachsen europäische Kornblumen, Veilchen, Astern, Kapuzinerkresse, Rosen, Anemonen, Tulpen, Primeln, Schlüsselblumen, Lotos und Kakteen unter Kokospalmen und bei Bananenbäumen.

In diesem Garten der überirdischen Bergwelt waren der Singhalese Bulram und sein Weib Talora aufgewachsen. Beide waren hier oben angesehen als das verliebteste Ehepaar von Ceylon.

Talora war mit neun Jahren Teemädchen gewesen. Sie hatte in den englischen Pflanzungen, unterhalb Nuwara-Eliya, mit hundert andern Mädchen im April zur Ernte die Teekeime von den kleinen, runden Teestauden gepflückt. Bulrams Vater hatte sie von dort in den Edengarten geholt, weil sein Sohn, der bald vierzehn Jahre alt war, endlich eine Frau brauchte.

Die kleine Talora wurde Bulram gegeben wie ein Ohrring oder ein Haarkamm, den die singhalesischen Männer tragen, und Bulram hatte sich nie gefragt, ob er je eine [65] andere Frau wollte. Talora war das Geschenk seines Vaters für ihn, wie sein eigener Leib ihm vom Vater ins Leben mitgegeben war.

Wie der Ätherhimmel zum Edengarten gehörte, – so selbstverständlich einfach und zufrieden nahm Bulram die kleine Talora als sein Weib hin. Und das Mädchen nahm den jungen Mann als Herrn und Gemahl an, so wie sie ihre Hände und Füße als fraglos zu sich gehörig fühlte.

»Die Singhalesen dort oben in den Berghöhen sind allwissend,« sagen drunten die Singhalesen an der Zimmetküste von Colombo über die Leute von Nuwara-Eliya. »Sie können dort oben zaubern, ohne daß sie selbst ahnen, daß sie Zauberer sind.« Und mit Ehrfurcht betrachten die Leute in den Tälern jene Bergseelen, die ihr Leben in der dünnen Luft verbringen.

Ob Januar oder Juli, ob April oder Oktober, – im Edengarten blühen die Märzveilchen, bei den Septemberastern sitzt die Julirose dunkel am Strauch, darunter das Schneeglöckchen sich versteckt. Flieder, Jasmin, Herbstzeitlosen, Lotos und Kornblumen stehen in den Feldern, auf Beeten und an Teichen, bei den Hügelrasen, zwischen den Orangen, Myrten und Weihrauchbäumen, unter den Aloeblüten und bei Bananenpalmen.

Bulram und Talora hatten hier hinter dem Haus des englischen Verwalters ihre kleine, weiße, niedere Hütte an der Gartenmauer, welche schräg den Berg hinaufsteigt. Die Blicke der beiden waren immer ruhig wie die windstillen Täler, wie der wolkenlose Himmel, und ihre Gedanken nur von den Gesichtern der indischen und europäischen Blumenarten angefüllt. [66] Der ewig stillstehende Blumengarten, darinnen nie Winter, nie Sommer, nie Frühling und Herbst wechselten und die Büsche ohne Ausruhen ewig berauscht und unvergänglich blühten, darüber der Äther, todstill, ohne Lufthauch, eine unermeßliche Ruhe feierte, – dieser Garten gab den Menschen einen Frieden in das Herz, der gleich dem Öl einer tausendjährig brennenden Tempellampe ist, das eine stille, nie verlöschende Flamme nährt.

Nie kam den Menschen in der dünnen Ätherluft dort oben die Kraft zu einer wilden Tat. Sie lebten in der Höhe, in der Luftleere, halb trunken, wie Mäuse unter der Glasglocke einer Luftpumpe. Sie waren in der verdünnten Luft einem sanft schläfrigen und zarten Zustand von Kraftlosigkeit verfallen, als hätte sich ihr Blut verflüchtigt, und nur eine ideale, blaue Leere schwang in ihren Adern.

Eines Abends sagte der Verwalter des englischen Gartens zu Bulram: »Höre! Du mußt mich morgen nach Colombo hinunterbegleiten. Ich muß den Pachtkontrakt mit der Regierung erneuern und außerdem zwei Ladungen Apfelreiser und Quittenschößlinge, die aus England angekommen sind, im Hafen abholen. Du bist zuverlässig, Bulram, und von allen Gartenaufsehern der vorsichtigste. Soviel ich weiß, warst du noch niemals drunten an der Küste, seit du lebst. Es wird dir Spaß machen, Menschen und Land da unten zu sehen. Talora wird dich für drei Tage entbehren müssen.«

Bulram sagte: »Herr, solange Talora und ich verheiratet sind, waren wir noch keinen Tag getrennt.«

Der Verwalter meinte: »Tröste deine Frau, Bulram, und sage ihr, daß du ihr einen schönen, bunten Colomboschal [67] mitbringst. Halte dich morgen früh bereit. Der Zug geht um neun Uhr von Nuwara-Eliya ab. Um sechs Uhr früh müssen wir mit dem Dogcart hinüber zum Bahnhof der Ansiedlung fahren.«

Am nächsten Morgen kletterte der Zug die Engpässe hinab, durch schallende Tunnel auf den schmalen Schleifenwegen der Bergwände, hinunter in die silbernen Täler von Ceylon.

Bulram hatte einen schönen halbkreisrunden Schildkrotkamm im schwarzen Haar. Der Kamm hielt das Haar aus der Stirn zurück, und der Singhalese sah glatt gekämmt aus wie ein europäisches Schulmädchen. Er wußte, daß man in Colombo drunten das Haar zurückgestrichen trug, und hatte sich im voraus großstädtisch frisiert. Um seine Beine schlug ein breites braunrotes, zitronengelb getüpfeltes Tuch und war wie ein Frauenrock um die Hüften von einem Ledergürtel zusammengehalten. Bulrams Oberkörper steckte in einer weißen kurzen Leinwandjacke, welche von Taloras Händen frisch gewaschen und frisch gebügelt war. Hinter seinem Ohr trug er zu Ehren des Reisetags einen Büschel dunkelblauer Kornblumen. Sein breiter goldener Ehering glänzte am großen Zeh seines rechten Fußes. Er ging barfuß und zog seine Pantoffeln nur vor seinem Herrn an. In einem kleinen grünbemalten Blechkoffer verwahrte Bulram nichts als seine Pantoffeln. Aber er hatte fürsorglich an viele Einkäufe für Talora gedacht und zum Schutze der Sachen gegen Insekten und Schlangen den Blechkoffer vom Verwalter erhalten.

Bulrams Lunge hatte nie andre Luft als Höhenluft geschluckt. Der Zug senkte sich jetzt aus den nebeligen Farrenkrautwäldern zu den hitzigen Zimmetgärten [68] Colombos hinunter, mit einer rasenden Schnelligkeit, wie ein Ballonkorb, der aus den Wolken fällt. Die brandige Tropenluft schlug Bulram wie roter Pfeffer um die Nase. Er mußte fortgesetzt niesen und sich die Nasenspitze reiben. Er, der immer unter dem ätherischen Himmel gelebt hatte, fühlte sich von Staub, Pflanzengerüchen und Erddünsten gereizt, als ob man seinen Gliedern ungewohnte Kleider anzöge. Der Zug fuhr zwischen protzigen Brotfruchtpalmen in die letzten Abgründe hinein. Als ob die Erde fortgesetzt den Rädern auswiche, so raste die Wagenkette zu Tal. Die Luft strotzte von den Gewürzen der Nelkenbäume und der Kampferstämme. Palmenkronen überwölbten den Schienenweg, menschenkopfgroße Früchte hingen in Bündeln; gelbe und braune Mangofrüchte, die droben in Nuwara-Eliya nur blühen und niemals reifen, hingen hier wie Gewichtsteine zwischen gesträubten Riesenblättern. Wenn Bulram seinen Kopf zum Fenster hinausstreckte, glaubte er sich an den Fruchthaufen zu stoßen. Wie überfüllte Fruchtkörbe standen die Muskat- und Kokoswälder zu beiden Seiten des Bahngeleises.

Kaffeebraune, sehnige Singhalesen, dickblütig und üppig genährt, nackt und nur von der Bräune ihres Leibes bekleidet, drängten sich auf den Bahnstationen in den Tälern gleich Herden brauner, feister Maikäfer, die durcheinanderkrabbeln.

Bulram verstand nicht, warum die Erde so viele Menschen hatte, so viele Nasen, Ohren, Mäuler und Augen, die ihn anstarrten, als wäre sein Gesicht eine Honigwabe, dran sich die Wespen hängen. Die Brust des einsamen Bergsinghalesen fühlte sich vor den Menschenmassen wie ein Kleefeld unter den Füßen [69] einer Hammelherde. Blicke, Stimmen, Gerüche, Schritte trampelten über die blaue Ätherruhe seines Herzens. Sein Auge sah nichts mehr, und er fühlte sein Ohr von den Massengeräuschen durchlöchert wie eine Schießscheibe nach dem Scheibenschießen.

Bulram versuchte, um sich zu beruhigen, die Gesichter der Menschen, die auf der Tagesfahrt in seinen Wagen aus- und einstiegen, in Blumensorten einzuteilen. Er sagte zu sich: dieser ist eine sanfte Primel, dieser eine grelle Bohnenblüte, dieser eine Tomatenblüte, dieser eine Narzisse. Aber die Blumenarten seines Gartens ohne Jahreszeiten, die er als einzigen Maßstab hier an alles anlegen konnte, reichten nicht aus. Als er abends um fünf Uhr an der Colombostation ankam, war er todmüde von den tausend Vergleichen und schwindlig und hielt sich krampfhaft auf dem Kutscherbock des Wagens fest, der mit ihm und seinem Herrn zum Galle Face-Hotel an das Meer fuhr.

In diesem riesigen Steinhallenhotel an der Meeresbrandung, darinnen der Meerdonner Tag und Nacht wie ein Ungeheuer brüllend durch die Treppensäle, Korridore und Zimmer hallt, benahm sich Bulram wie ein Mondsüchtiger, der im Schlaf auf einer Dachkante aufwacht, sich nicht vor- noch rückwärts zu gehen traut und überall den Absturz fürchtet. Die hundert weißgekleideten Reisenden im Hotel, die Europäer mit ihrer weißen Haut, die vielen weißen Musselinkleider und die langen weißen Schleppen der Damen erschienen Bulram wie irrsinnig gewordene weiße fliegende Blütenbäume, helle Magnolien oder lichte Jasminbüsche, die ohne Wurzeln durch die offenen Türen der Steinwände aus und ein wandern konnten. Der scheue [70] Bergsinghalese blieb vor Furcht wie ein Schatten an den Wänden kleben. Sein Herr, der englische Verwalter, fand ihn mehrmals im dunkeln Korridor hocken, vor den Menschen am ganzen Leibe zitternd. Bulrams Augen starrten besonders vor der Tür des menschenüberfüllten Speisesaals entsetzt aus dem Gesicht, wie einem, der zur Nachtstunde in die Dschungel geraten ist, die Raubtierscharen zur Tränke ziehen sieht und beim Anblick der Tigerfamilien ohnmächtig umfällt.

Eines Morgens war Bulram plötzlich verschwunden. Niemand, nicht das Telephon, nicht die englische Colombopolizei, nicht Zeitungsannoncen konnten den Verlornen zurückbringen. Acht Tage ließ der Verwalter nach Bulram forschen. Dann reiste er nach Nuwara-Eliya heim, glaubend, der Bergsinghalese habe sich heimlich aus dem Staub gemacht und sei vor Menschenfurcht zurück auf die hohen Berge, in seinen Garten ohne Jahreszeiten, zu seiner Frau Talora geflohen.

Aber Bulram war nicht zu Hause. Talora stand voll Harmlosigkeit, klar, freundlich und sanft im Garten und lächelte wie eine Allwissende, während der Verwalter tief bestürzt war, daß Bulram nicht zu finden sei. Talora antwortete, wie die ewig wolkenlose Bläue lächelnd: »Er wird kommen, Herr. Der Herr soll nicht um Bulram traurig sein.«

Der Engländer schaute sie sprachlos an. Er hatte geglaubt, die Frau des Singhalesen müsse sich zu Boden werfen, weinen und sich die Haare raufen. Statt dessen sagte sie nur ewig lächelnd: »Er kann nicht verloren gehen, Herr. Bulram ist in meinem Herzen aufgehoben, Herr.«

Und Talora ging jetzt durch den Garten, hielt vom [71] Morgen bis zum Abend die Bewässerungsrohre in Ordnung, stellte die Wasserzerstäuber auf die Rasenplätze und tat Bulrams Arbeit neben ihrer Hausarbeit, als wäre sie Bulram selbst. Niemals zitterte ihre Hand vor Neugier nach dem verlornen Mann, wenn sie dem Verwalter die Briefe des Postboten brachte. Niemals sprang ihr Auge hell auf, wenn die elektrische Gartenglocke klingelte und Fremde kamen, den Garten anzusehen, und es nicht Bulram war. Niemals zitterte ihr Fuß, wenn sie abends in das leere Häuschen trat, und nie ihr Finger, der morgens die Türklinke öffnete. Sie schien in einer ewigen blauen Ruhe in der Ätherhöhe dieses Gartens Tag und Nacht mit ihrem Mann unsichtbar zu verkehren, als gäbe es keine Nähe und keine Ferne im Weltall bei dem trunknen Liebesbewußtsein ihrer Seele.

Ein halbes Jahr verging. Da sagte die Frau des englischen Verwalters zu Talora: »Ich reise hinunter, um mir im englischen Basar von Colombo Kleider und Hüte zu kaufen. Ich kann dich mitnehmen. Vielleicht kundschaften wir Frauen mit mehr Glück aus, was aus Bulram geworden ist.« Die Dame reiste am nächsten Morgen mit Talora zusammen hinab an die Küste.

Die Singhalesenfrau war niemals im Tal gewesen. Aber auf sie wirkte die Talluft anders als auf ihren Mann Bulram. Sie, die stets stille, abwesende, traumwandelnde, wurde nicht noch stiller, sondern wurde gesprächig, lebte auf. Sie zeigte auf der Reise ihre Zahnreihen und ihr rotes Zahnfleisch mit breitestem Lachen. Sie schmatzte mit den Lippen, sie schnalzte mit der Zunge, und ihre Augen hingen ihr mit vielen Blicken nach allen Seiten wie die Beeren von dunkeln [72] Trauben in dem Kopf. Ihr Mund schien alle Früchte der fruchtreifen Luft zu schmecken, und ihre Backen wurden vom hitzigen Atem der Talwälder aufgebläht und dick. Sie trug eine weiße Bluse mit bauschigen, kurzen Ärmeln. Je näher der Zug aus der Berghöhe hinunter in die Colombohitze des Tropennachmittags kam, desto unruhiger wurde Talora. Ihre nackten Unterarme schoben ungeduldig die lockeren Brüste hinter dem Blusenstoff hin und her, als wären das ein paar reife, unbequeme Früchte, die sie ablegen wolle, sobald der Zug hielt.

Auch Talora war bald aus dem Hotel verschwunden. Ihre englische Herrin glaubte, sie suche ihren Mann in der Stadt. Man wartete drei Tage, suchte Talora, wie man Bulram gesucht hatte, aber die Singhalesin blieb unauffindbar. –

Ein Jahr verging.

Die Meeresbrandung vor dem Galle Face-Hotel donnert unausgesetzt, die Tropensonne rollt im Land über die Zimmetgärten, und wie eine riesige Spiritusflamme brennt das rotviolette Morgenmeer.

Weit draußen im Hafenwasser steht ein großer Dampfer mit hohen weißgetünchten Wänden. Er wirft seit Stunden gelben Qualm aus vier Schornsteinen und ist zur Abfahrt bereit. Breite, schaukelnde Jollen und ein kleines, spitziges Motorboot bringen Kofferladungen und Ladungen voll weißgekleideter Tropenreisender an die Schiffswand. Jetzt wird die weiße Landungsstiege an der Schiffswand hochgezogen, und Ankerketten kreischen markerschütternde Schreie. Der Dampfer liegt noch immer still, umgeben von dem kurzen und ruckweisen Gehüpf der Morgenwellen. Viele Köpfe von Reisenden biegen sich über die weißgestrichnen [73] Eisengeländer der Schiffsstockwerke. Drunten reiten nackte, arme, braune Singhalesen auf langen, gelben Holzbalken in der Flut um das Schiff. Statt eines Ruders hat jeder Wasserreiter einen Kistendeckel oder ein Brett in der Hand. Manchmal wirft ein Passagier eine kleine Silbermünze über Bord. Dann schlüpfen alle die nackten, jungen Kerle wie glatte Seehunde von ihren schwimmenden Balken und fahren in das durchsichtige, gläserne Meer hinunter, wie auf einer grün angestrichnen Rutschbahn in die Tiefe. Drunten werden ihre Gliedmaßen gespenstig wie Froschglieder, scheinen sich aufzulösen und verschwinden. Nach einer Weile erscheinen sie im Flaschengrün der Tiefe wieder, zappelnd und wie braunrote Schatten. Schwarzglänzende, triefende Köpfe tauchen aus dem Wasser, und einer zeigt das silberne Geldstück lachend zwischen seinen Zähnen. Dann schwingt sich jeder auf seinen Baumstamm, und alle reiten wieder um die Schiffswand. Mit viel Geschrei winken sie hinauf und ermuntern die Passagiere des abfahrenden Orientdampfers; und sobald ein Geldstück aufs Wasser klatscht, verschwinden wieder alle Balkenreiter lautlos im Meer. Bis zur Abfahrt des Dampfers vertreiben sich so die Reisenden die Zeit mit Geldwerfen.

Bulram ist seit Monaten hier jeden Morgen auf einem Balkenstamm um die ausländischen Dampfer geschwommen. Er holt sich durch gewandtes Tauchen sein Geld aus dem Meer, das eilig verdiente Geld, das er nachts ebenso eilig in den Spielhöllen bei braunen Dirnen und Reisbranntwein wieder ausgibt. Seitdem Bulram die Zimmetluft von Colombo riecht, ist in ihm der Gedanke an seine Berge, an Talora und an den Edengarten auf den Bergen tiefer versunken [74] als je ein Geldstück im Meer. Er lebt in Colombo wie eine Fliege, die sich auf dem Zucker eines Fliegenpapiers berauscht und vollsaugt. Wie ein samtner Panther streicht er sich nachts an den nelkenölduftenden kleinen Dirnen in den Freudenhäusern, und am Tag springt er nackt und blank in die Meerestiefe nach den blitzenden Münzen. Er sticht unzählige Male in den Meeresgrund hinunter, rudert seinen schwimmenden Balken abends mit einem Brett ans Land, rollt sich dann wieder bei einem Nautsch-Girl auf einem Teppich wie ein Igel zusammen und läßt das armselige Geschöpf, das er sich für die Nacht gekauft, nicht mehr aus seinen Griffen, bis ihn die Frühluft weckt.

Heute ist wieder eine backofenwarme Nacht. Vanille- und Kampferbäume pressen ihren Duft aus den Gärten über der Stadt. Am großen granitnen Wellenbrecher entlang der Seeseite mussiert die Brandung und wirft hohe, weiße Geiser in die Dunkelheit. Sterne hängen gleich glitzernden Wasserblasen an der Nachtdecke. Die Front des Galle Face-Hotels ist beleuchtet, wie ein großes Transparent. Unter den elektrischen Bogenlampen der Strandpromenade tauchen vom Hotelportal her weiße Punkte auf: die weißen Hemdbrüste vieler Herren im schwarzen Abendanzug, Engländer und andere Europäer. Jeder Herr läßt sich von einem nackten Kuli in einem kleinen Rikschawagen ziehen. Die Herren sind ohne Hut. Sie machen vom Hotel nur einen kurzen Abendausflug in das Freudenviertel von Colombo. Die Reihen der kleinen Wagen verschwinden schnell am Ende des Strandweges hinter den Tenniswiesen in dunkeln Eingebornengassen.

Bulram drückt sich hier in einer der Gassen still [75] an den Wänden hin. Er ist in allen Häusern der Gasse wie der Mond bekannt. Die Wagenreihen mit den ausländischen Herren im Abendfrack sind an ihm vorübergerollt und halten jetzt vor ihm in der Straße.

Er sieht die Herren, von einem Hauseigentümer auf dem Straßenpflaster empfangen, in einer Haustür verschwinden. Alle Läden der Häuser sind geschlossen, und man hört nur gedämpft Kastagnetten, Geigen, Tamburine, einförmig wie die Musik summender Wasserkessel. Männer, welche kommen und gehen, verschwinden wie die Katzen, lautlos, in den Haustüren und um die Straßenecken.

Neben Bulram öffnet sich ein Erdgeschoßladen. Ein Frauenarm langt heraus, und zwei Finger schnalzen. Bulram sieht im Halbdunkel unter dem hellen Sternhimmel zwei große Reihen blendender Zähne und ein paar nackte Brüste, die sich wie zwei kleine Säcke über das Fenstergesims quetschen. Bulram kennt die Frau nicht, aber er fragt in das dunkle Fenster: »Bist du frei?« Die Frau schnalzt mit der Zunge, und bei diesem Laut beginnen vor Bulram alle Steine der Straße, alle Sternflecken am Nachthimmel zu schaukeln.

Der Singhalese will in das Haus eintreten. Aber der Hauseigentümer sagt ihm, er sei um eine Minute zu spät gekommen. Die an der Fensterecke sei eben drinnen von einem englischen Kapitän gerufen worden. Bulram stellte sich wieder unter das Fenster und wartete. Aber das Mädchen mit den lachenden Zähnen und der schnalzenden Zunge öffnete nicht mehr den Fensterladen und rief ihn nicht mehr. Acht Tage hielten Seeoffiziere und Matrosen ausländischer Kriegsschiffe ihre nächtlichen Gelage in dem Haus, und [76] acht Tage lang wurde der armselige Singhalese vom Hauseigentümer abgewiesen; er schlief acht Nächte unter dem Fenster und blieb acht Nächte nüchtern. In der neunten Nacht, als die Dampfer den Hafen verlassen hatten, öffnete sich wieder der Fensterladen. Zwei nackte Brüste drückten sich über die Fensterbank, und helle Zähne glitzerten in einem lachenden Mund; dem Singhalesen schoß sein hitziges Blut wie Sternschnuppen vor die Augen. Bulram ging in das Haus, drückte das Mädchen an sich und schloß dabei die Augen, wie es alle Orientalen tun, wenn sie ernstlich glücklich sind. Er blieb dann Tag und Nacht bei geschlossenen Fensterläden im Haus bei der Dirne.

Am vierten Abend saß der Hauseigentümer mit seinen Freunden wie immer draußen auf den Steinstufen vor der Haustür. Es wetterleuchtete hinter dem Hausdach. Da kam einer seiner Buben heraus und sagte ihm: »Herr, das Zimmer des Mädchens, welche hinter dem Eckfenster wohnt, ist wie leer gefegt. Das Mädchen, das sich dort seit ein paar Tagen mit einem Singhalesen eingeschlossen hielt, ist verschwunden. Die Tür steht weit offen, aber niemand hat weder sie noch den Singhalesen fortgehen sehen. Vielleicht ist der Bursch ein Bergsinghalese gewesen und hat sich in einen Nachtblitz verwandelt und hat das Mädchen auf einer glühenden Wolke fort in die Berge geholt!«

In demselben Augenblick kreischte der Fensterladen an der Straßenecke in den Eisenangeln, und der Hauseigentümer rief: »Verflucht! Sie sind sicher miteinander durch das Fenster fortgesprungen. Verflucht! Sie ist verschwunden, wie sie gekommen ist! Eines Abends stand sie mit ausländischen Matrosen hier [77] unter meiner Tür und trat ein und war viel begehrt und nannte sich mit dem lockenden Namen ›Talora‹. Da auf den Stufen stand sie damals vor mir. Es wetterleuchtete wie heute, als werfe sie Feuer um sich und Feuer ins Haus, so kam sie. Nun sprang sie wie ein Blitz wieder fort.« – –

Nach Monaten klingelte abends die elektrische Glocke der Gartentür des Edengartens, und als man öffnete, standen Bulram und Talora draußen. Beide vergnügt, lautlos und sanft wie immer.

Der Verwalter fragte, und die Frau des Verwalters fragte, und alle Gartenaufseher fragten, wo die beiden nach zwei Jahren herkämen. Sie aber lächelten nur und deuteten in den wolkenlosen Himmel.

»Herr, er war im Himmel,« lächelte Talora, und Bulram nickte immer wieder stumm Beifall, wenn seine Frau auf ihr Herz deutete und auf alle Fragen nichts andres antwortete als: »Herr, er war im Himmel.«

Dann saßen beide wieder in dem Garten, knieten über den Blumenbeeten, arbeiteten mit der Rasenschere und mit dem Rechen. – Sie beugen sich noch heute wolkenlos wie der Ätherhimmel von Nuwara-Eliya über die Blumenreihen, dort oben in dem Garten ohne Jahreszeiten.

Die Leiern der Wollust [78]

In kleinen Cafés, hinter farbigen Scheiben, ist ein Treiben von Kastagnetten und Tamburinengeklingel
Und vom Getingel der Silber- und Glasperlenketten an fetten, üppigen Frauen,
Die sich aufgestellt, wie fleischige Pflanzen, die sich im Blauen aufbauen
Und sorglos und ohne Gedanken für die vier Winde tanzen.
Von ihren Gesichtern fiel Schleier und Binde, und doch sind sie nur wie lächelnde Blinde
Und stehen da zur irdischen Feier fürs Blut und sind der Wollust Leier
Und tun den Fingern der Männer gut, die, ohne nach Herzen zu fragen,
Versteckt wie die Wilddiebe, lüstern und schonungslos jagen.
Wie den Hengsten die Nüstern zittern, wenn sie die Stuten wittern,
So drängen sich unter Flüstern, zwischen roten düstern Feuern, zwischen Häuserschatten und Mond,
Die Männer, in Massen, hin in den Gassen und zwischen Gemäuern.
Es ist ein Kichern und Fassen, und gelassen in den Fensterbogen wogen die Busen der Frauen,
Und auf den Treppen, an jedem Haus, sitzt, in hellen Kleidern, Schar bei Schar,
Sieht unverlegen und klar hinaus und hält geöffnet zur Wollust Busen und Haar.

Die Ferne und die Nähe ward ein Ort [79]

Und Dich und mich, uns trug die Flamme fort,
Die Ferne und die Nähe ward ein Ort.
Wir Menschen wachsen mit den Bäumen auf
Und werden wie die Bäume einst zum Scheiterhauf.
Es zünden sich, wie Scheit an Scheit, so Mann und Weib
Und lodern von der Erde fort als einziger Leib;
Sind Freudenfeuer in der kurzen Nacht
Und haben sich auf Feuerfüßen aufgemacht
Und wissen nichts von ihrer eigenen Pracht.

Nenn dich meine Wiesen

Möchte deinen Leib
Keinen Garten nennen,
Wo sich Blum' und Mensch
Nur vom Sehen kennen.
Möchte deinen Leib
Nennen meine Wiesen,
Wo Heilwurzeln würzig
Und Labkräutlein sprießen.
Winzig kleine Blüten,
Kaum sichtbar wie Sterne,
Hausen dort urwüchsig,
Wirken stark zur Ferne.
Darf mich dort zum Schlummer
In den Glücksklee legen,
Er vertreibt den Kummer.
[80]
Nie in einem Garten
Könnt' ich in den Beeten
Ruhen, in den harten.
Nenn dich meine Wiesen,
Wo mir Kraft und Freude
Herzerquickend sprießen.

Sanft legte dich die Liebe auf mein Bett

Sanft legte dich die Liebe auf mein Bett
In deinem schönsten Kleid aus Scham und Blöße,
Und draußen kam die Nacht auf atemlosen Schnee,
Und auch Gottvater kam in atemloser Größe.
Mit vollem Auge hat der Gott geweint, gelacht.
Du hast dein Herz und deinen Leib
Zur Krone dieser Nacht gemacht.

Im blauen Licht von Penang [81]

Die malaiische Kurtisane Gabriela Tatoto, die in der Frühlingszeit auf englischen Dampfern in der Malakkastraße und im Chinesischen Meer von Penang bis Hongkong reiste, lebte im Sommer ausruhend in ihrer Villa in Penang. Ihr Haus lag wie ein einziger weißer Saal in einem tiefen Rasengarten. Statt der Blumenbeete standen mannshohe bläuliche Porzellanvasen in langen Reihen dem Gartengitter entlang, gelb- und rotgefleckte Tigernelken wuchsen in Sträußen aus den Vasen. Schlanke Wandererpalmen mit pechschwarzen Fächerblättern brüsteten sich wie finstere Pfauen rund um die weiße Villa. Ein scharlachblühender Elektrinenbaum spreizte sich am Garteneingang. Das rote Gekröse der Blüten in der Luft leuchtete blutig wie die Schlachtbank eines Metzgers. Der Garten schien das Seelenleben der Kurtisane in seinen Farben zu spiegeln. Mit der Künstlichkeit der Porzellanvasen, mit der Düsterkeit der Wandererpalmen und mit der rücksichtslosen lüsternen Röte der Elektrinenbäume erinnerte er an seine Besitzerin.

In Penang herrscht über allen Dingen, über den Kalkwänden der Häuser, über den breiten Blattflächen der Palmen und über der Haut der Menschen ein ewig blaues Licht. Immer ist eine Bläue dort über allem, wie ein beständiger Mondschein mitten im Sonnenschein. Das blaue Licht von Penang ist wie der bläuliche Schimmer einer unsichtbaren elektrischen Bogenlampe, ist über den Springbrunnen der Gärten, über den Pflastersteinen, über den Wasserspiegeln des Meeres und selbst über den Panzerplatten der vorüberfahrenden Kriegsschiffe gleich wie ein Phosphorleuchten [82] mitten am Tage. Und die Bläue macht den Muschelkalk der Häuserwände transparent, als könnten die Menschenschritte hier durch die geisterhaften Wände gehen, als wäre die Stadt nur ein bläuliches unwirkliches Schlafbild mitten unter der wachen Tropensonne. Niemand hat das bläuliche Licht von Penang jemals erklärt, aber es ist immer da, und die eingeborenen Photographen malen selbst auf die Ansichtskarten, auf Gesichter und Landschaft, diesen Mondschein im Sonnenschein.

Auch Gabriela Tatotos weißes Landhaus lag im Gartengrün mitten am Tag mit mondblauen Wänden, die wie zu stark geblaute Wäsche leuchteten.

Der malaiische Photograph Fuluo Holongku in Penang hatte dieses Haus schon dutzendweise auf Ansichtskarten mit zarter Bläue bemalt, denn die Kurtisane schenkte gern ihr Hausbild mit Gartenansicht an ihre Freunde. Aber niemals verschenkte sie ihr eigenes Bild. Sie fürchtete sich, abergläubisch wie alle Asiaten, vor dem bösen Blick fremder Augen, – vor bösen Augen, die ihr Schaden bringen würden, und vor bösen Wünschen, die sich auf ihr Bild richten könnten. Nur einmal hatte sich Gabriela von Holongku photographieren lassen. Aber als er die Bilder ablieferte und sie ihr Gesicht dutzendweise vor sich sah, erschrak sie, geriet in Angst und verbrannte noch am Abend alle Bilder mit eigener Hand. Der Photograph Holongku besaß trotzdem ein Bild von der Tatoto, ein Bild, das die Kurtisane nackt zeigte, und das sie selbst noch niemals gesehen hatte. Holongku trug dieses heimliche Bild in das Futter seines Hausrockes eingenäht; denn es soll Glück bringen, das nackte Bild einer Kurtisane stets bei sich zu tragen. Der [83] Photograph war auf leichte Weise in den Besitz dieses Bildes gekommen.

Gabriela hatte damals Holongku zu sich in die Villa gerufen, um sich photographieren zu lassen. Es war zu Beginn der heißen Zeit, die Kurtisane war schläfrig und von ihrer Hongkongreise eben erst zurückgekehrt.

Die Tatoto lag in einem langen Strohsessel im schattigsten Zimmer des Hauses. Die grünen Schutzdächer an den langen Fenstern waren herabgeklappt, die Scheiben bis zur Diele geöffnet, aber die Kalkdecke im Zimmer strahlte wie immer ihr bläuliches intensives Licht aus. Gabrielas chinesischer orangefarbener Seidenmantel war weit geöffnet und zeigte den schmalen Leib der Kurtisane wie das Fleisch einer geschlitzten Mangofrucht in rotgelber Schale. Über den nackten Arm der schönen Frau stieg behutsam mit den langsamsten Schritten der Welt ihr Spielzeug, ein kleines Chamäleon, das wie ein winziges graues Gespenst im Zimmer umging.

Der Photograph wurde in das Haus eingelassen, und da er bestellt war, folgte ihm niemand von der Dienerschaft durch den Vorsaal. Er hob die Strohmatte von der Tür und sah die nackte Kurtisane eingeschlafen. Blitzschnell vereinigten sich in dem Malaien Gedanke und Wunsch, das Bild der nackten Frau zu besitzen, um es bei sich zu tragen. Unhörbar klappte er das Aluminiumgestell seiner kleinen Straßenkamera auf und photographierte rasch, von der Türschwelle aus, die Schlafende. Er hätte gern vorher von Gabrielas Oberarm das kleine häßliche Chamäleon verscheucht, das dort auf drei Beinen stillstand und das vierte Bein wie ein Jagdhund abwartend in die Luft streckte. Aber das kleine graue Tier sah unter seinen Augenklappen [84] regungslos in das blaue Licht der Zimmerdecke und rührte sich nicht auf dem Arm der Schläferin.

Der malaiische Photograph kauerte nach einer Weile im Vorzimmer auf der Diele und schien mit orientalischer Ruhe auf das Erwachen der Dame zu warten.

Holongkus Herz pochte heftig, als er später zu Hause in seiner Dunkelkammer das kleine Bild der nackten Kurtisane auf der Platte hervorrief. Am nächsten Morgen nähte er einen Papierabdruck davon in seinen Hausrock und wußte jetzt, daß er zeitlebens Glück haben werde. Nur durfte er von dem Bilde zu niemandem sprechen. Aber das Glück kam in wahnwitziger Gestalt. Wollüstige hitzige Träume bedrängten den armen Mann. Die nackte Tatoto kam nachts, wie in einem gelben Feuermantel, an das Bett des Malaien und legte sich in seinem Schlaf zwischen ihn und seine junge Frau. Und wenn er zugriff und die Kurtisane umarmen wollte, hing ihm das steife grinsende Chamäleon am Herzen. Bei Tag ging die nackte Tatoto vor ihm her über das bläuliche Pflaster von Penang. Stundenlang starrte der junge Photograph geistesabwesend in das blaue Licht von Penang und stand wie ein Träumer im Mondschein mitten im Sonnenschein. Nur wenn er seinen Hausrock ablegte, darinnen Gabrielas Bild eingenäht war, atmete er leichter. Öfters geschah es, daß Holongku seinen europäischen Anzug anzog, seinen europäischen Strohhut aufsetzte und zum Hafen ging, wenn ein ausländisches Postschiff signalisiert wurde. Dann verkaufte er auf dem Promenadendeck des angekommenen Dampfers bemalte Photographien und Postkarten von Penang an die Weltreisenden. Für [85] eine kurze Stunde legte er dann mit seinem Hausrock seine unruhige Leidenschaft zu der Kurtisane ab.

Wenn Holongku im Hafen auf einem Dampfer war, saß seine junge sechzehnjährige Frau vor dem Atelierhaus auf dem Treppenabsatz unter dem Schlingpflanzendach. Die weißen Treppensteine leuchteten bläulich, und Marmies weiße Augäpfel schimmerten ebenso bläulich. Die junge Frau stellte jeden Nachmittag einen kleinen Tisch auf die schattige Haustreppe und saß dort stundenlang und bemalte Dutzende von Ansichtskarten, bis ihr Mann wiederkehrte. Marmie saß heute wieder an ihrem gewohnten Platz, und hinter ihr funkelten die Atelierscheiben im Gartengrün, wie die Fenster eines Aquariums. Marmie saß getreulich und emsig über ihre Postkarten gebeugt. Ihr schwarzes glattgescheiteltes Haar spiegelte bläuliche Glanzlichter. Dieses lackschwarze Haar wurde oft drüben über der Straße von dem chinesischen Korbflechter Ling-Sung beträumt.

Der Chinese hatte seine offene Korbflechterei dem Photographenhaus gegenüber. Dort wurden aus weißem Rohr von vielen halbnackten Chinesen große verschnörkelte Strohsessel und Strohsofas kunstvoll nach englischen Vorlagen gearbeitet. Ling-Sung, der reiche Besitzer dieses Geschäftes, saß nachmittags in der Straße in einem großen Schaukelstuhl. Er war stets nur mit einer schwarzen Kalikohose bekleidet. Sein Oberkörper war nackt. Er zeigte seine gelbe glänzende Bauchkugel der Sonne und schlief unter einem getrockneten Palmfächerblatt, das er sich über die Stirn gelegt hatte. Seine beiden vom Fett angeschwollenen nackten Arme hingen zu beiden Seiten des Schaukelstuhles vom feisten Leib herab. Die schwarze Kalikohose [86] glühte wie schwarzer kochender Asphalt in der Sonne, und die gelbe Leibkugel stand voll glitzernder Schweißperlen und glänzte, wie eine fette geblähte Pastete. Wenn Ling-Sung nicht schlief, schaukelte er, und sein langer Zopf hing hinter der Stuhllehne bis auf das Pflaster und bewegte sich wie ein Perpendikel. Um ihn arbeiteten seine Leute gebückt über das Strohgeflecht, teils in der offenen Haushalle, teils auf der leeren breiten Straße. Ling-Sung konnte stundenlang in seiner liegenden Stellung schaukeln und zur Photographin hinüberstarren.

Er träumte sich dann nach China hin, in seine Heimatstadt, und von dort wollte er sich später eine Chinesin zur Frau holen, schwarzhaarig wie die Photographin drüben. Halb schlafend, halb träumend beging er in erhitzten Gedanken, sorglos und unschuldig wie alle Schlafenden, manchen Ehebruch mit der Photographin. Aber wenn er wieder erwachte, dachte er nur nüchtern an seine Korbflechterei und kassierte emsig in der Stadt ausstehende Gelder ein.

Auch der malaiische Photograph schuldete dem Chinesen einiges Geld, aber Ling-Sung wartete großmütig, teils weil er Holongkus Nachbar war, teils weil ihm die Frau des Photographen angenehme Träume umsonst gab.

Marmie, die Photographenfrau, saß jeden Nachmittag völlig ahnungslos auf ihrer Treppe vor dem Tisch und bemalte ihre Ansichtskarten von Penang mit bläulicher Farbe. Sie dachte mit keinem Gedanken an den Chinesen und wartete nur auf die Heimkehr ihres Mannes, in den sie treu verliebt war.

Täglich ist in Penang eine schwüle Gewitterluft wie in einem Brutkasten, und wie mit blauer Elektrizität [87] geladen glühen alle Erdkörper. Stundenlang über das Vergrößerungsglas einer Lupe gebückt, hatte Marmie sich heute müde gemalt. Sie ging in den Hausgang und holte den Hausrock ihres Mannes, legte ihn auf ihr Knie und wollte einen abgerissenen Knopf annähen.

Die Zisternen im Garten rochen dumpf, und die glatten Blattflächen der Fächerpalmen warfen grelle Glanzlichter, wie große weiße Brennspiegel. Marmies Stirn schmerzte, und sie schloß nach dem Einfädeln der Nadel einen Augenblick ihre Augen.

Dieser Augenblick aber wurde schnell zu einem Schlafbild von einigen Sekunden, zu einem blitzschnellen Traum, der die Scheinzeit von Jahren annahm.

Marmie träumte, der Chinese Ling-Sung verlangte plötzlich sein Geld. Er stand vor ihr und klopfte auf den Tisch und forderte energisch die Zahlung, weil er nach China reisen und sich verheiraten wollte. Marmie bettelte für ihren Mann um Aufschub, aber Ling-Sung war unerbittlich. Dreihundert Yen für Korbstühle und Sofas, die Ateliereinrichtung, sollten sofort bezahlt werden. Sonst würde der Chinese heute abend den Photographen schlachten lassen und ihn rösten, wie die Menschenfresser in Sumatra drüben es tun, und mit seinen Verwandten zusammen Holongku als Hochzeitsschmaus verzehren. Marmie sah schnell im Traum die finsterbewaldete Küste von Sumatra über der Malakkastraße, wo Menschenfresser heute noch Freunde und Verwandte schlachten, wie man sich in Penang erzählt. Marmie schauderte und verwechselte im Traum China mit Sumatra und glaubte fest, daß der Chinese dort hinüberreisen würde und ihren Mann [88] als Hochzeitsschmaus mitschleppen wollte, wenn er nicht bezahlen würde.

Rasch fiel ihr ein Vermächtnis ihres Vaters ein. Dieser, ein Malaie, hatte manchmal erzählt, daß man Menschen töten könne, wenn man ihr Bild oder ihre Photographie mit einer Nadel durchsteche. Der Stich muß die Brust treffen, und dabei soll man das malaiische Wort »Lulauû« laut und deutlich aussprechen. Die Hand darf nicht zittern. Man muß die Nadel auf der Photographie in die Herzgegend der betreffenden Person ansetzen und beim Wort »Lulauû« durch das Bild stechen, aber die Nadel darf nicht abbrechen.

Marmie beschloß im Schlaf, den Chinesen Ling-Sung auf diese Weise zu töten. Sie suchte in der Tischschublade nach seiner Photographie, denn der Chinese hatte sich für seine Braut photographieren lassen. Und Marmie versprach sich mit ihrer raschen Tat für ihren Mann schnelle Hilfe vor dem chinesischen Menschenfresser.

Sie sah noch einmal Ling-Sung starr ins Auge und sagte: »Also, du gibst meinem Mann keine längere Frist mehr, Ling-Sung?«

»Nein, die Hochzeit ist morgen,« sagte der Chinese, und sein gelber Wanst glänzte feist in der Sonne, wie die gelben Tonnen, die im Hafen von Penang im Meerwasser schwimmen.

»Gut,« sagte Marmie entschlossen, nahm ihre Nähnadel und stach sie in das Brustbild des Chinesen und rief laut: »Lulauû!«

Der Chinese wurde blauweiß, wie die Luft von Penang, und fiel steif vor Marmie auf den Erdboden.

Tief seufzend und wie mit einer schweren Bürde [89] beladen, erwachte Marmie. Sie hörte noch deutlich ihre Lippen »Lulauû« sagen. Ihr Ohr hörte noch das Papier der Photographie unter dem Nadelstich knistern. Der Chinese war umgefallen und ermordet von Marmie. Marmie erwachte jetzt vollständig und lächelte über den seltsamen Traum.

Über der Straße lag wie immer friedlich atmend der feiste Chinese Ling-Sung im Schaukelstuhl. Er ließ seinen Pastetenbauch braten, und um ihn arbeiteten die Korbflechter mit ihren weißen Bambusrohren.

Marmie suchte nach ihrer Nadel, die sie im Schlaf verloren hatte. Sie fand sie im Hausrock ihres Mannes stecken, als ob ihre Hand im Schlaf genäht hätte.

Marmie erinnerte sich, daß ihr Mann gerade heute die Rechnung bei dem Chinesen drüben bezahlt hatte; und es konnte keine Rede mehr von einer Schuld sein. Sie nähte, erleichtert aufatmend, den Knopf an den Hausrock, ging dann hinein und hängte den Rock im Hausflur an seinen Platz. Darnach malte sie wieder emsig an ihren Postkarten weiter.

Nach einer Weile kam Holongku vom Hafen zurück. Die Ehegatten nickten sich zu. Der Mann trat ins Haus, wechselte seinen Rock und ging dann in das kleine dunkle Laboratorium zu seinen Chemikalien. Die Frau draußen hörte ihn eine halbe Stunde mit Glasplatten und Flaschen hantieren. Dann kam er wieder heraus auf die Treppe. Er stand sehr bleich vor Marmie, strich sich mit den Händen über das Gesicht und sagte zu seiner Frau, er fühle Übelkeit im Leibe. Ihm war, als röche das ganze Haus nach einem ekelhaften Leichengeruch.

Marmie stand bestürzt auf und ging mit ihrem [90] Mann durch die Zimmer und durch den Garten. Sie suchten beide, ob nicht irgendwo eine verreckte Eidechse oder ein toter Papagei in Verwesung hingeworfen seien. Sie fanden nichts im Garten und gingen noch einmal durch die Zimmer im Haus. Die Frau roch nirgends etwas, aber Holongku beruhigte sich nicht. Er fand, daß der Leichengeruch in seinen Kleidern säße, und als sie gerade in der Küche standen, schleuderte er den Hausrock ab und warf ihn auf den kalten Herd. Da mußte Marmie lachen und lachte ihren Mann aus, und dieser ging ohne Rock zurück an seine Arbeit.

Aber es dauerte nicht lange, da kam Marmie zu Holongku in das Laboratorium und klagte über einen Brandgeruch im Hause.

Beide machten sich wieder auf die Suche, und als sie die Tür zur Küche öffneten, schlug eine große Flamme vom Herd in die Luft, und der Hausrock flog ihnen, verbrannt zu einem flachen schwarzen Aschenlappen, vom Herd entgegen.

Sie stellten fest, daß noch etwas Glut im Aschenkasten gewesen war, und daß der Hausrock, getränkt mit chemischen Dünsten, einen Funken geweckt hatte und verglimmt war. –

Am nächsten Nachmittag, ehe der Photograph zum Hafen ging, kam der Chinese Ling-Sung von drüben aus seinem Haus, kam herüber über die Straße und blieb an den weißen Stufen des Treppenabsatzes stehen, wo Marmie wie immer ihre Postkarten malte.

Die junge Frau sah erstaunt von ihrer Arbeit auf und dachte einen Augenblick: »Der Chinese steht da wie gestern nachmittag, als ich von ihm träumte und mit der Nadel sein Bild durchstach.« [91]

Ling-Sung winkte dem Photographen und flüsterte ihm ins Ohr: »Die Gabriela Tatoto ist gestern nachmittag in ihrem Landhaus gestorben. Eine Schlange kam aus ihrem Garten und hat sie in die nackte Brust gebissen, als sie auf ihrem Stuhle lag und schlief. Die Schlange wollte Jagd auf das Chamäleon machen, das immer auf Gabrielas Arm saß. Aber die Kurtisane erwachte und schlug im Schreck nach der giftigen Schlange, die dann wütend zubiß. Die Tatoto ist kurz darnach am Giftbiß gestorben. Alle Leute machen heute Jagd auf die Schlangen in ihren Gärten. Ich möchte gern Ihr Mungos heute abend leihen, um auch meinen Garten absuchen zu lassen.«

Der Photograph versprach Ling-Sung das Mungos für den Abend, und der Chinese ging dankend und grüßend wieder hinüber.

Marmie lief in die Küche und holte das kleine Mungos von der Kette, lockte es in den Garten und ließ das Tierchen, das der beste Schlangenwächter ist, die Büsche absuchen.

Aber ihr Mann griff sich, als er allein war, an die Brust und atmete erleichtert auf, da er das Bild der verführerischen Kurtisane nicht mehr im Futter seines neuen Rockes fühlte, das Bild, das Marmie gestern im Schlaf durchstochen hatte, und welches mit dem Rock am Herd verbrannt war.

Holongku war von jetzt ab nie mehr abwesend und vergeistert und starrte nicht mehr stundenlang in das blaue Licht von Penang, das wie Mondschein im Sonnenschein ist.

Stets sind Gespräche im Wald [92]

Stets sind Gespräche im Wald:
Bald winkt dir ein Blatt,
Das dir etwas zu deuten hat.
Bald sitzt ein Käfer an deinem Ärmel und blinkt.
Sein Flügelein blitzt wie ein Liebesgedanke,
Der augenblicklich wieder versinkt.
Die Mücke singend ums Ohr dir schwebt,
Wie Sehnsucht, die vom Blute lebt
Und dir von deinen Poren trinkt.
Wo der Wald sich lichtet,
Steht ungeschlachten Scheitholz geschichtet,
Weht Rindengeruch, der von Bränden dichtet.
Bleibt in den Kleidern dir lang noch hocken,
Als will es dich in ein Feuer locken.

Fledermäuse

Der Sommerabend mit Hell und Dunkel,
Mit Wolken wie ein geflecktes Fell
Und seinem unklaren Gemunkel
Steht wie auf Zehen auf einer Stell.
Schnell über die Köpfe der Bäume gehen
Zwei Fledermäuse in irrem Kreise.
Sie flattern, als ob sie Gedanken mähen,
Die da vom Tag in den Lüften stehen.
Sie köpfen das, was ungesehen,
Was leise blieb und ungeschehen,
Und girren darum als irrender Dieb
Und umflirren, was tagsüber dunkel blieb.

Möchte rollend das Blut aller Verliebten sein [93]

Ich möchte mir Freuden wie aus roten Steinbrüchen brechen,
Möchte Brücken schlagen tief in die Wolken hinein;
Möchte mit Bergen sprechen wie Glocken in hohen Türmen,
Wie Laubbäume ragen und mit den Frühlingen stürmen
Und wie ein dunkler Strom der Ufer Schattenwelt tragen.
Fiel gern als Abenddunkel in alle Gassen hinein,
Drinnen Burschen die Mädchen suchen und fassen.
Möchte rollend das Blut aller Verliebten sein
Und von Liebe und Sehnsucht niemals verlassen.

Der Wildgänse Flug in Katata nachschauen [94]

In der alten Hauptstadt Kioto, in der ältesten Künstler-, Tempel- und Kaiserstadt Japans, hatten im Mittelalter viele Maler den Auftrag erhalten, die Gemächer eines Bergtempels zu bemalen. In diesen Tempel zog sich die kaiserliche Familie in den Sommertagen zurück und pflegte dort einige Wochen unter der Obhut der reichen Mönche zu wohnen.

Die Maler begannen ihr Werk. Einer malte einen Saal, wo Sperlinge in Scharen über die Wände flogen und sich in Reisfeldern und Bambushainen auf Halmen und Rohren schaukelten. Ein anderer Maler malte auf Silberpapiergrund einen Saal, wo große Meereswellen aufrauschten und die vier Wände umschäumten. Wieder ein anderer Maler malte einen Saal voll von Katzenmüttern und jungen Katzen, die in Blumenkörben spielten und die Blütenköpfe großer Päonien zerzupften.

Der erste Saal wurde der Sperlingssaal genannt, der zweite der Saal der schäumenden Wellen, der dritte der Saal der spielenden Katzen.

Der Kaiser und die Kaiserin, die an der Ausschmückung viel Anteil nahmen, ließen sich jedesmal, wenn ein Saal beendet war, in Sänften und mit großem Pomp zu dem Bergtempel tragen und verbrachten eine Teestunde in dem neuen Saal. Und sie nahmen öfters ihre jungen Prinzessinnen mit, drei an der Zahl. Und der Kaiser sagte zur ältesten eines Tages, als sie den Tempel wieder besichtigten:

»Wünsche dir einen gemalten Saal, mein Kind! Vielleicht haben die Maler die Freundlichkeit und [95] werden von glücklichen Augenblicken begünstigt, dir einen Saal zu malen nach deinem Einfall.«

Die älteste Prinzessin, die einen kleinen japanischen Seidenpinscher auf ihrem Arm trug, mit dem sie spielte, wünschte sich einen Saal voll Schoßhündchen, die um sie spielen sollten. Und die Maler malten ihr diesen Saal.

»Nun wünsche du, mein Kind, was du gemalt haben willst!« sagte der Kaiser zur zweitältesten Prinzessin.

Diese wünschte sich etwas ganz Unmögliches: einen Saal, wo der Mondschein käme und ginge, und in welchem keine Farben sein sollten.

Die Maler brachten auch diesen Saal zustande. Sie teilten einen Saal in zwei Teile. Die eine Hälfte sah nach Osten, die andere nach Westen, und jeder Saalteil hatte einen Altan. Von dem einen Altan sah man den Mond aufgehen, von dem andern Altan den Mond untergehen. Und weil das Auge der Prinzessin und das Auge des Mondes keine der sieben Regenbogenfarben dulden wollten, hatten die Maler Pflanzen und Bäume in jeden Saal mit brauner Sepia gemalt.

Nun wurde die dritte Prinzessin von dem Kaiser und der Kaiserin gefragt, was sie sich in ihrem Saal von den Malern gemalt wünschte.

O, sagte sie, sie wünsche sich nicht viel, nur einen Zug Wildgänse, die durch die Luft flögen, graue und weiße Wildgänse, im Zickzackflug, rund um den Saal. Aber jede Gans müsse so hinter der anderen fliegen, daß sie alle zusammen ein japanisches Schriftzeichen in ihrem Flug bildeten. Dieses Zeichen würde von einem bestimmten Baum und einer bestimmten Hügellinie [96] und der Fluglinie der Gänse gebildet. Nur in Katata am Biwasee könnten die Maler den Gänseflug, den Baum und den Hügel zusammen treffen. Nur einmal, an einem Frühlingsabend, habe die Prinzessin bei einem Ausflug in Katata die Wildgänse so fliegen sehen, daß sich das wunderbare Schriftzeichen zwischen Himmel und Erde aus der Fluglinie der Gänseschar, aus der Silhouette eines Hügels und aus einer Baumlinie bildete.

»Und das nennst du ganz einfach?« sagte der Kaiser.

»Es war ganz einfach, als ich es sah,« antwortete die Prinzessin.

»Es wird nicht zu malen sein,« sagte die Kaiserin.

»Dann wünsche ich keinen gemalten Saal,« sagte die Prinzessin.

»Und wie hieß das Schriftzeichen?« fragte der Maler Oizo, als der Kaiser und die Kaiserin ihm den Wunsch der Prinzessin erklärten.

»Das hat die Prinzessin vergessen,« wurde ihm zur Antwort.

Die Maler zogen mit Reispapier und Tusche, mit Silberpapier und Goldpapier beladen nach Katata, um den Flug der Wildgänse zu studieren. Aber da es Juli war und keine Wildgänse um diese Zeit vorüberziehen, mußten sie warten bis Oktober. Und Oizo suchte inzwischen die Hügellinie und die Baumlinie. Aber da es Sommer war und die Bäume belaubt, und da die Hügel voll hoher Gräser wehten, fand er nirgends die Linie freiliegend.

Die Maler und der Maler Oizo studierten inzwischen die Fische, die in Rudeln im klaren Wasser stehen, und Bäume am Ufer, welche wie Schriftzeichen ins Wasser tauchen und sich in der Wasserspiegelung [97] krümmen, und Wachteln, die in den Reisfeldern brüten, und Wachtelmütter, die mit ihren Jungen unter den Reishalmen picken. Sie brachten diese Bilder nach Kioto in den Bergtempel und dachten: Vielleicht gibt sich die Prinzessin zufrieden mit einem Wachtelsaal oder mit einem Saal voll Uferbäume und Fische.

Aber die Prinzessin schwieg und gab keinen Beifall, und auch der Kaiser und die Kaiserin schwiegen.

Da wurde der große Maler Oizo traurig und kehrte wieder nach Katata zurück. Dort wohnte er in dem Hause eines Töpfers auf einem Hügel. Der formte aus dem Ton der Katataerde Vasen, einfache weiße Vasen, die er mit grüner und blauer Glasur überzog, so daß sie spiegelten wie das grüne und blaue Uferwasser des Biwasees in den Frühlingstagen.

Der Töpfer hatte eine Tochter. Die war so jung und lebendig wie ein Aprilwind. Sie saß am Töpferofen, darinnen die Vasen und Tonschalen ihres Vaters gebrannt wurden. Sie hatte die Glut zu schüren und die Holzkohlen aufzufüllen, und davon war sie stets schwarz im Gesicht und schwarz an den Händen, daß der Maler Oizo sie eigentlich noch niemals gesehen hatte.

Oft saß er am Ofen bei ihr, wenn sie die Flammen schürte, und er zeichnete nachher die roten Korallenäste des Feuerflackerns. Natürlich wußte ganz Katata, daß die kaiserlichen Maler auf den Herbst warteten, bis die Wildgänse in den Oktoberabenden fortflögen. Und auch »Graswürzelein«, wie die Tochter des Töpfers hieß, wußte, daß Oizo jetzt traurig war, weil er den Wunsch der Prinzessin noch nicht befriedigen konnte.

Eines Abends, als der Mond aufging und der [98] Altan des Töpfers zwischen dem Mondschein und dem roten Schein, der aus dem Ofen fiel, zweifarbig beleuchtet, rot und blau wurde und Graswürzelein mondblau und feuerrot, zweifarbig beschienen, vor dem Ofen im Hof bei dem Altan saß, seufzte der Maler in seiner Altanecke ärgerlich und trotzig darüber, daß der Prinzessin nicht der Wachtelsaal und nicht der Saal der Fische gefallen hatte und auch der Kaiser und die Kaiserin darüber geschwiegen hatten.

Da kam die blau und rot beschienene Tochter des Töpfers und sagte:

»Seufze nicht, Oizo! Ich will dir sagen, was die kaiserliche Prinzessin denkt, und was sie will, und will dir auch das Schriftzeichen des Fluges der Wildgänse zeigen.«

Und Graswürzelein nahm eine Holzkohle, die neben dem Ofen lag, und zeichnete auf einen weißen ungebrannten Tonkrug ein paar Linien.

»Sieh her, Meister!« sagte sie. »Was heißt das auf japanisch, was ich hier schrieb?«

»Das heißt,« sagte Oizo und betrachtete flüchtig den Krug mit dem Schriftzeichen, »ich liebe dich, wenn ich dir nachsehe. Aber du liebst mich nicht, weil du fortsiehst.«

»Sieh, Oizo,« sagte Graswürzelein, »dies denkt die Prinzessin, denn sie ist wahrscheinlich in einen Mann verliebt, der sie nicht ansieht. Und sie will das Schriftzeichen durch den Gänseflug in ihren Saal gemalt haben und will den Mann dann in den Saal führen und ihn von den Wänden ihren Willen lesen lassen. Denn sieh: das Schriftzeichen besteht aus drei Teilen. Sieh hier die Gabel eines vielfach gewundenen Baumes. Wagrecht durch die Gabel hindurch siehst du die [99] Brustlinie eines ansteigenden Hügels und darüber die vielfach zackige Fluglinie einer unendlich langen Reihe von grauen und weißen Wildgänsen. Aber zugleich siehst du: die grauen Gänse verschwinden in der Dämmerung und unterbrechen die Linie, wogegen die weißen sich als Schriftzeichen vom Abendhimmel abheben.«

Oizo fragte erstaunt und mit ganzem Herzen zuhörend:

»Und woher weißt du, daß die Prinzessin gerade diesen Schriftzug meint: ich liebe dich, wenn ich dir nachsehe, aber du liebst mich nicht, weil du fortsiehst?«

»Das ist ganz einfach,« lachte Graswürzelein. »Mein Vater machte einmal eine Vase. Ich hatte aber den Ofen schlecht geheizt, so daß die Glasuren nicht gleichmäßig trockneten und sich seltsamerweise dieses Schriftzeichen bildete, indem der weiße Grund der Vase in Zickzacklinien durch die blaugrüne Glasur schimmerte. Flüchtig hingesehen, erschienen die weißen Linien wie ein Flug Wildgänse, die in einer Landschaft über Baum und Hügel hinflogen.

Die Vase gefiel einem Mönch, der sie sah und ausnehmend schön fand, da sie zugleich Bild und Schriftzeichen deuten ließ. Die Prinzessin hat wahrscheinlich diese Vase in einem Tempel gesehen, und man hat ihr gesagt, daß das Bild darauf den Flug der Wildgänse in Katata darstellt. Aber ich denke mir, daß das Schriftzeichen ihr mehr wert ist, als der Flug der Wildgänse,« lachte Graswürzelein.

Oizo schlug sich mit der Hand vor die Stirn und lachte:

»Also dieser Baum und dieser Hügel sind gar nicht in Katata? Und nur die Wildgänse fliegen hier vorüber im Frühling und im Herbst?« [100]

»O ja,« sagte Graswürzelein nachdenklich. »Der Baum lebt wohl hier irgendwo und der Hügel auch irgendwo, denn nichts ist Zufall auf der Welt. Es war auch kein Zufall, daß ich das Feuer damals schlecht schürte, und daß die Vase schlecht trocknete. Nichts ist Zufall, sagen die Götter hier bei uns in Katata.«

Und während Graswürzelein das sagte, öffnete sie die Feuerluke, zerschlug den Krug am Boden, auf den sie das Schriftzeichen gemalt hatte, sammelte die Scherben und warf sie ins Feuer.

»Was machst du da?« sagte Oizo verblüfft.

»Ich habe zuviel geredet, und das ärgert mich,« sagte Graswürzelein. »Deshalb zerbrach ich den Krug.«

Der Maler verstand sie nicht, reichte ihr ein Geldstück hin und sagte:

»Nimm dies einstweilen als Dank für deine Aufklärung. Ich gebe dir später mehr, wenn mir der Kaiser den Wildgänsesaal bezahlt hat.«

Und Oizo ging und packte seine Zeichnungen ein, um am nächsten Morgen nach Kioto zu reisen.

Aber Graswürzelein warf, als er sich abwandte, das Geldstück in das Feuer des Ofens, geradeso, als wäre es eine Tonscherbe. Und als ihr Oizo Lebewohl sagte und ihr nochmals dankte, sagte sie:

»Warum soll ich dir Lebewohl sagen! Ich weiß ja doch, daß du wiederkommen mußt.«

»Das wäre nur ein Zufall, wenn ich wiederkäme,« sagte Oizo.

»Die Götter von Katata kennen keinen Zufall,« murmelte Graswürzelein und blies in das Feuer. –

Der Maler ging nach Kioto und malte den Saal nach dem Gedankengang des Schriftzeichens auf silbergrauen Grund: den dämmernden Baum im Abend, [101] die Hügellinie und grau und weiß die große Zackenschleife in der Luft, welche die fliegenden Wildgänse beschreiben.

Wie Oizo noch am Malen war, kam einer seiner Kameraden, ein anderer Maler, der auch draußen in Katata gewohnt hatte, und lachte ihn aus, weil er sich immer so geheimnisvoll in den Saal einschloß, den er malte, und die andern nicht wissen lassen wollte, wie der Schriftzug des Gänsefluges hieße.

»Du machst dich lächerlich, daß du dich hier einschließt und nichts von der Welt wissen willst als nur deine Malerei. Komm heute abend mit mir in die Theaterstraße von Kioto. Ich verspreche dir, daß ein Besuch in der Theaterstraße deiner Malerei mehr nützen wird, als du glaubst.«

Oizo, der die Aufrichtigkeit seines Freundes kannte, gab diesem nach und ging mit ihm schweigend in der Nacht vom Bergtempel hinab über die Brücke in die Stadt zur Theaterstraße, wo erleuchtete Budenreihen und farbige Lampen waren und große Leinwandmalereien in der Nachtluft wie Fahnen flatterten und Szenen aus den Theaterstücken schilderten.

Verblüfft blieb Oizo am Eingang der Straße stehen. Da war ein Papierlaternenverkäufer. Der hatte Lampen aus ölgetränktem Pflanzenpapier, und auf jeder Lampe war das Schriftzeichen des geheimnisvollen Gänsefluges gemalt, das er aus Katata mitgebracht hatte, das Schriftzeichen der Wildgänse, des Hügels und des Baumes, von dem er geglaubt hatte, daß es nur allein ihm, der Tochter des Töpfers und der Prinzessin bekannt sei.

Oizo schwieg und verbiß sich sein Erstaunen und dachte an irgendeinen spitzbübischen Verrat. [102]

Nun kamen sie weiter, sein Freund und er, zu dem größten Theater in der Mitte der Straße. Da zeigten auch die Theaterbilder außen an der Zeltbude rund um die Zeltwand den Flug der Wildgänse. Zugleich kam ein Straßenverkäufer zu den beiden Malern und bot ihnen ein Spielzeug an: aus Seidenwatte gearbeitete kleine Wildgänse, die an einer Seidenschnur hingen und, durch die Luft geschleudert, in Schleifenform dahinflatterten. Ein Perlmutterarbeiter zeigte ihm Lackkästchen, darauf der Flug der Wildgänse über Baum und Hügel ging, und alle diese Dinge prägten das Schriftzeichen aus, das wie eine Liebeserklärung jene Worte sagte:

Ich liebe dich, wenn ich dir nachsehe. Aber du liebst mich nicht, weil du fortsiehst.

Ganz verstört, schwieg Oizo immer noch. Seine Stirn verfinsterte sich, und er blieb im Menschengedränge stehen und wollte seinem Freund entlaufen. Dieser hielt ihn am Ärmel fest und rief ihm zu:

»Laß dir doch erklären, woher ganz Kioto den Flug der Wildgänse und das Bild, das du malen willst, kennt.

Du weißt, ich wohnte in Katata bei einem Fruchthändler. Dessen Tochter brachte mir eines Tages in einer Porzellanschale einen kleinen Zwerggarten in mein Zimmer. Darin blühte ein ganz winziger Kirschbaum. Der Baum war nicht höher, als mein halber Arm. Hinter dem Baum war ein künstlicher Hügel aus Erde. Diesen kleinen Garten stellte sie am Abend hinter einen weißen Papierschirm, auf welchem mit schwarzer Tusche kleine Wildgänse im Schleifenflug gemalt waren. Sie zündete eine Lampe hinter dem Schirm an, so daß der Schatten des Zwerggartens, [103] des Baumes und des Hügels, auf den weißen Schirm fiel und sich darauf abzeichnete und Garten und Gänse ein einziges Schattenbild zu sein schienen. Aber zugleich konnte man das Ganze auch für ein Schriftzeichen halten.

Ich verstand sofort, daß sie mich liebte, und daß dieses Bild eine Liebeserklärung sein sollte.

Ich kümmerte mich nicht um ihre Erklärung, nachdem ich den gesuchten Wildgänseflug von Katata, der eine Liebeserklärung darstellt, so deutlich gesehen hatte, daß ich ihn malen konnte.

Ich wollte am nächsten Tag abreisen, ging aber am Abend noch ins Teehaus, wo ich fünf von unseren Malern traf. Dem einen hatte eine Tänzerin den Wildgänseflug von Katata bereits erklärt, dem andern ein Fischermädchen, bei dessen Vater er wohnte, dem dritten und vierten und fünften andere Mädchen von Katata, so daß wir alle merkten: das Schriftzeichen des Gänsefluges war ein öffentliches Geheimnis der jungen Mädchen in Katata und wurde immer angewendet, als Zeichnung auf einer Vase, als Wandschirmbild und so weiter, wenn ein Mädchen von Katata einem Manne eine Liebeserklärung machen wollte.

Wir hatten das bis damals in Kioto nicht gewußt. Aber jetzt kennen das Schriftzeichen des Wildgänsefluges von Katata alle Kinder von Kioto, weil alle Maler das Geheimnis hier verbreitet haben, alle, die in Katata waren. Auch der kaiserliche Hof weiß es längst, und die junge Prinzessin ist bereits von dem ganzen Hof als lächerlich erklärt. Der Kaiser und die Kaiserin sollen sehr ärgerlich sein, und du selbst wirst deinen Kopf verlieren, wenn du den Saal fertig [104] gemalt hast und dir einbildest, von der Prinzessin geliebt zu sein.«

Oizo dachte einen Augenblick nach, dann lachte er und sagte:

»Da ich die Prinzessin nicht liebe, wird mir der Hof doch nicht böse sein, weil ich den Wildgänseflug mit Lust an meiner Malerei malen wollte, und nicht mit Lust an der Liebeserklärung des Schriftzeichens.«

»Doch, doch,« sagte sein Freund. »Du mußt fliehen, du mußt dich verstecken, bis der Tempel eingeweiht ist. Man wird den Saal der Prinzessin verschlossen halten und gar nicht zeigen. Aber du mußt fortbleiben, bis man die Liebeserklärung der Prinzessin vergessen hat.

Ich rate dir, nimm ein Segelboot und halte dich einen Monat lang auf dem Biwasee versteckt. Auf dem weiten Wasser draußen wird dich niemand suchen, und du kannst den Booten ausweichen.«

»Ich trenne mich nur schwer von meiner Malerei,« sagte der Maler Oizo. »Aber du hast recht. Ich will fliehen, und ich will mich verstecken, bis der Saal der Prinzessin vergessen ist.«

Oizo verließ Kioto noch in derselben Nacht, kaufte sich ein Boot, das er mit Nahrungsmitteln versah, und zog dann hinaus auf den See.

Aber die Tage waren unfreundlich: es war Vorfrühling. Viele Tage lang lagen die Nebel wie Binden vor Oizos Augen, und er sah nichts und hörte nichts im Nebel als das Knirschen seines Bootes.

Eines Tages ließ er sein Boot treiben und sagte zu sich: »Ich will aussteigen, wo das Boot landet. Wenn ich nicht malen kann, tötet mich die Langweile. Ich will wenigstens wieder einmal malen dürfen. Und [105] wo jetzt das Boot landet, weiß ich auch, werde ich ein Bild finden, das mir längst in der Seele vorgeschwebt hat.«

Das Boot des Malers trieb im Abend an den Strand von Katata.

»O, unglücklicher Ort,« sagte Oizo. »Soll ich also wirklich das Bild vom Flug der Wildgänse noch einmal malen? Ich will noch abwarten und sehen, was mit mir geschieht, wenn ich ans Land steige. Die Götter haben das Boot gelenkt, die Götter werden auch meine Schritte lenken.«

Der Maler stieg ans Land und ging über den leeren Strand, auf dem kein Schilf wuchs, sondern nur die gelben Schilfstoppeln vom Vorjahr standen.

»Hier sang das Schilf im Vorjahr, als ich fleißig war und Fische malte. Jetzt ist der Strand faul und tot, vom Winter verdammt, so wie man mich zur Faulheit verdammt hat.«

Plötzlich bückte sich der Maler und hob eine unscheinbare Seemuschel auf, die blau irisierend und rot irisierend mit weißer Innenschale und schwarzer Außenschale wie eine Blume hier zwischen den leeren Kieselsteinen am Strand leuchtete. Oizo wendete die Muschel in der Hand hin und her, schüttelte den Kopf, hielt die Hand an die Stirn und dachte nach und meinte zu sich:

»Wo habe ich nur diesen blau irisierenden Schein neben dem rot irisierenden Feuerschein hier in Katata schon einmal gesehen? Ich weiß gewiß, daß es in Katata war, wo ich diese beiden Farben unvergeßlich nebeneinander sah.«

Wie er noch dachte und seinem Gedächtnis noch nicht auf den Grund kommen konnte, kam ein japanisches [106] Mädchen hügelabwärts zum Seewasser hin. Sie trug auf dem Kopf einen flachen Korb und schüttete den Inhalt des Korbes, der wie Erde aussah, ungefähr zwanzig Schritte von Oizo entfernt in den See.

»Was machst du da?« rief der Maler ihr zu.

Das Mädchen sah sich nach ihm um, streckte plötzlich die Arme von sich, stieß einen zischenden Schreckenslaut aus, als ob sie einem Geist oder einem Gott ins Gesicht sähe, hüllte ihr Gesicht in ihre Ärmel, kniete am Seerand nieder und steckte ihren Kopf ins Wasser.

Oizo rief: »Haben denn die Götter dir deinen Verstand genommen, weil du dich ertränken willst, Mädchen?«

Oizo sprang hin, und als er näher kam, sah er, daß das Mädchen sich eifrig das Gesicht wusch, und er erkannte an der einen Gesichtshälfte, die noch voll Ruß war, die Tochter des Töpfers, Graswürzelein, die aus dem Brennofen ihres Vaters die Asche in einem Korb an den See getragen hatte.

»Was machst du da?« fragte Oizo noch einmal. »Ich hätte dich beinah nicht erkannt, Graswürzelein, weil du zur Hälfte schwarz und zur Hälfte weiß bist.«

Graswürzelein prustete das Wasser aus ihrer Nase, wusch sich die andere Gesichtshälfte rein, und während sie sich mit dem Innenfutter ihres Ärmels Gesicht und Hände trocknete, fuhr sie den Maler ärgerlich an:

»Ich wollte gar nicht, daß du mich erkennen solltest. Als ich dich hier so plötzlich am Strand stehen sah, nachdem ich die Ofenasche in den See geworfen hatte, und ich dir nicht ausweichen konnte, wollte ich mir den Ruß vom Gesicht waschen, damit ich dir unkenntlich bliebe. Denn du hast mich ja nur ein einziges Mal gewaschen gesehen.« [107]

Und wirklich, Oizo konnte das weißgewaschene Mädchen kaum erkennen.

»Du sagst, ich hätte dich einmal gewaschen gesehen? Ich habe dich immer nur schwarz gekannt.«

»Doch, doch,« nickte Graswürzelein. »Erinnerst du dich nicht, Meister, da ich dir auf einer Tonvase den Flug der Wildgänse von Katata beschrieb? Erinnerst dich du nicht? Es war im Mondschein. Du saßt auf dem Altan und ich am Ofen im Hof.«

»Du warst rot und blau beschienen,« sagte Oizo, »wie die Muschel hier, die mondblau und feuerrot in meiner Hand irisiert und leuchtet. Das ist das Bild, das ich hier malen will. Ich will dein Gesicht malen, blau vom Mond und rot vom Feuer beleuchtet. Und darum bin ich nach Katata gekommen.«

Graswürzelein lachte einen Augenblick. Dann aber wurde sie sehr ernst.

»Nein,« sagte sie und schüttelte den Kopf. »Du darfst nicht mehr in unser Haus kommen. Ich habe das Feuer zu schlecht geschürt, so lange du da warst, und ich habe meinem Vater zu viele Tonvasen verbrannt.«

»Du hast noch einen Grund, den du nicht sagst,« meinte Oizo. »Die Tonvasen will ich deinem Vater alle bezahlen, während ich dich male. Rede und sage deinen Grund, warum ich nicht mehr in dein Haus kommen soll?«

Graswürzeleins Wangen erröteten, und sie hielt rasch ihre Hände an die Wangen, um die Wangenröte mit den Händen zu verbergen.

Oizo sah staunend, wie schön das Mädchen war, und hörte, wie ihre Stimme wisperte und rhythmisch sang, während sie sprach, als ob das Schilf vom Vorjahr wieder um ihn sänge. [108]

»Willst du nicht eine Bootfahrt mit mir machen, Graswürzelein? Es kommt eine lauwarme Luft über den See, und die Abende sind schon lang und hell. Ich glaube, die Wildgänse müssen bald wiederkommen.«

»Ja, bei den Göttern, das ist wahr,« seufzte das kleine Mädchen. »Die Wildgänse möchte ich dir auf dem See zeigen, Meister.« Und ein Lachen blitzte in ihren Augen, so wie die nassen schwarzen Seekiesel blitzen. »Das ist die Luft der Wildgänse heute abend. Du hast sie nie vom See aus kommen sehen, Meister?«

»Nein, ich sah den Wildgänseflug nur vom Land, über Hügel und Baum.«

»Dann will ich ihn dir vom See aus zeigen,« nickte das Mädchen eifrig; und ihr blasses Gesicht und ihre zitternden Hände redeten schnelle Sätze, die sie nicht aussprach.

Sie kletterte vor Oizo ins Boot, ergriff die Ruder und ruderte, ohne ein Wort mehr zu sprechen, lenkte das Boot, ohne den Maler zu fragen, wohin er wolle. Oizo fühlte und verstand natürlich an der Röte und Blässe des Mädchens, daß sie eine Herzenserregung verbarg. Er blieb lautlos sitzen und horchte auf sein eigenes Herz, das ihm bis an den Hals schlug. Denn das Mädchen wurde in seinen Augen immer schöner, und er hätte es gern umarmt.

Der Biwasee lag wie Öl so glatt, und auch die Luft war wie Öl. Als legte man zwei Spiegel aufeinander, so lag der Spiegel des abendlichen Vorfrühlingshimmels auf dem Spiegel des Sees.

Graswürzelein legte plötzlich die Ruder ins Boot und sagte: »Still! Sie kommen!« Und gleich darauf wiederholte sie: [109]

»Still! Sie kommen!«

Oizo wunderte sich, warum er denn still sein solle, da er nicht sprach. Er wußte nicht, daß seine Stimme fortwährend in den Ohren des Mädchens summte und ihr Blut unausgesetzt mit ihm redete.

Ihm selbst geschah jetzt das gleiche. Er fuhr auf und sagte:

»Still! Sie kommen!« Denn auch er hörte das Mädchen in seinem Blut reden, – sie, die kein Wort sprach.

Dann war es, als wenn Ruderkähne hoch in der Luft mit großen Ruderschlägen herbeiführen, und als ob Mühlen sich drehten mit unsichtbaren Rädern. Und Laute, die nicht Musik, nicht Menschenstimmen und nicht Tierstimmen glichen, die aber feierliche Akkorde in die Stille über den See schufen, klangen irgendwo im unermessenen Abendraum, kreiselten, waren da, wurden im Abendgrau zu weißen fliegenden Erscheinungen, bildeten dann eine Kette über den Köpfen des Mädchens und des Mannes, zogen ein Spiegelbild im Wasser nach, wie eine Reihe weißer winkender Tücher. Die weiße Geisterkette beschrieb eine weiße Schleife am Himmel und eine weiße Schleife im Wasserspiegel und verrauschte wie ein musikalischer Windton und hinterließ Atemzüge von Befremdung, von Sehnsucht, als wäre die Luft mit unerfüllten Wünschen noch lange nach dem Vorbeizug der Wildgänse von Katata angefüllt.

Es war jetzt so dunkel auf dem See, als wäre die Dunkelheit wie ein zweites Wasser aus der Tiefe gestiegen und stünde über den Köpfen der beiden Menschen im Kahn. Es war nur noch ein Rest von der Tageshelle, klein wie ein durchsichtiges Ei, im Westen über dem Strand. [110]

Oizo konnte nicht Graswürzeleins Gesicht sehen. Er tastete nach der Bank im Schiff, suchte ihre Hände, die er streicheln wollte. Aber sie hatte ihre beiden Hände in die weiten Ärmel ihres Kleides gewickelt, als hätte man ihr die Hände abgeschlagen.

»Gib mir deine Hände! Ich will sie dir wärmen, wenn du frierst. Oder fürchtest du dich vor bösen Seegeistern, daß sie dich an der Hand nehmen könnten? Hab' keine Furcht, Graswürzelein! Du bist zu schön. Alle Götter müssen dich beschützen. Auch die bösen Götter werden gute Götter, wenn du sie ansiehst.«

»Was willst du von mir?« sagte das Mädchen. »Habe ich dir nicht den Flug der Wildgänse über den See gezeigt? Hast du nicht ihr Schriftzeichen lesen können, ihre Schrift aus Himmel und Wasserlinie?«

»Die Liebeserklärung?« fragte Oizo.

»Die Liebesabsage,« flüsterte erregt und hastig die Tochter des Töpfers.

Und nun verstand Oizo, der Schriftzug hatte sich durch die Spiegelung, die im Seewasser dazu kam, in ein anderes Schriftzeichen verwandelt; und wenn die Mädchen von Katata dieses einem Liebhaber zeigten, so war er abgewiesen. Die Fluglinie der Wildgänse im Wasser und am Himmel, vom See aus gesehen, bedeutete in Sprachzüge übersetzt:

»Ich liebe nicht, daß du dich nach mir umwendest. Ich wende mich auch nicht nach dir um.«

Welch sonderbarer Zufall, daß der Wildgänseflug sich doppelt deuten ließ, je nachdem die Wasserspiegelungslinie sich einfügte oder nicht. Daß Graswürzelein ihn liebte und ihn nur necken [111] wollte, als sie ihm die Absage gab und ihn vielleicht zur Annäherung reizen wollte, begriff Oizo sofort, denn die Luft um sie und ihn war wunderbar geschwängert von Verlangen und schweigender Zuneigung.

Ohne sich zu besinnen, legte er seinen Arm um das kleine Weib und fand keine Abwehr. Graswürzelein versteckte nur beschämt ihr Gesicht in des Malers Brustgewand.

Oizo erzählte ihr rasch:

»Du weißt nicht, Graswürzelein, daß ich wie ein totes Holz draußen auf dem See seit Tagen herumtreiben mußte, daß ich es endlich nicht aushalten konnte, daß mir das Land verboten war, weil ich vor der Liebeserklärung der Prinzessin fliehen mußte. Aber jetzt, seit ich die Doppeldeutung des Fluges der Wildgänse weiß, kann ich den Saal der Prinzessin fertig malen, wenn ich die Spiegellinie im Wasser hinzufüge. Und niemand im Lande wird mehr sagen können, daß die Prinzessin sich lächerlich gemacht hätte, sondern daß sie sich unnahbar machen wollte, wie es einer Prinzessin geziemt. Alle sollen dann im Saal das Schriftzeichen lesen:

Ich liebe nicht, daß du dich nach mir umsiehst. Ich sehe mich auch nicht nach dir um.

Dann komme ich wieder und baue in Katata mein Haus. Und du sollst nicht mehr den Ofen deines Vaters schüren. Du sollst neben mir sitzen bei meinem eignen Feuer. Und ich will dich malen, immer wieder malen, in dem Kleide des Vorfrühlings, am Strand, im Haus, im Mond, im Wasser, am Feuer. Und alle sollen sagen: das ist das glücklichste Mädchen von Katata. Sie ist auf allen Bildern im Vorfrühling [112] gemalt, zur warmen Abendstunde, in der man den Flug der Wildgänse erwartet und verliebt sagt, auch wenn niemand redet: Still! Sie kommen!«

Da wickelte Graswürzelein ihre Hände aus den Ärmeln und umschlang Oizo.

Die Schwalben schossen vorüber tief dir zu Füßen [113]

Die Schwalben schossen vorüber tief dir zu Füßen,
Als sei ihr Flug ihr Zeichen tief dich zu grüßen.
Oft dünkten die Vögel am Himmel mich mehr klug
Wie mancher, den ich nach Wegen der Erde frug.
Schwalben, die früh bis spät in Freiheit schwammen,
Die halten sich in Liebe eng zusammen.
Sie bauen ihr Nest warm wie der Mensch sein Dach.
Sie fliegen von früh bis spät begeistert wach
Und eilen stets hurtig dem Weg ihres Herzen nach.

Die Uhr zeigt heute keine Zeit

Ich bin so glücklich von deinen Küssen,
Daß alle Dinge es spüren müssen.
Mein Herz in wogender Brust mir liegt,
Wie sich ein Kahn im Schilfe wiegt.
Und fällt auch Regen heut ohne Ende,
Es regnet Blumen in meine Hände.
Die Stund', die so durchs Zimmer geht,
Auf keiner Uhr als Ziffer steht;
Die Uhr zeigt heute keine Zeit,
Sie deutet hinaus in die Ewigkeit.

Im Spiegelglas [114]

Sie hält den Spiegel,
Daß ihr Gesicht zum Glas hinfällt.
Und ihre gehobene Hand
Stellt Kämme ins Haar.
Das Haar bebt gewellt.
Wenn sie den Arm zum Kopf hochhebt,
Lebt ihres Kleides Samt
In Falt' und Wogen
Um die Gestalt.
Als lauscht sie auf Gras,
Das im Spiegelglas wächst,
Scheint sie vom Spiegel
Weit fortgezogen.
Bis sie langsam vergißt
Und nicht mehr weiß,
Woher sie kam und wer sie ist.
Dann sinkt die Hand mit dem Spiegel lahm.
Sie sieht sich stumm
Errötend um,
Wie eine, die geheim gelogen.

Nacht um Nacht [115]

Der Mond zieht hinterm Schiff einher,
Er wird des Abends Herr im Meer,
Begleitet Nacht um Nacht die Fahrt.
Ich hab' ihm forschend nachgestarrt,
Ich fragte ihn: »Wohin so spät?«
– Auch er weiß nicht, wohin es geht.

Likse und Panulla [116]

Likse, eine chinesische Wasserverkäuferin, und Panulla, eine singhalesische Straßendame, saßen im Haftlokal der Polizeistation auf der »Gelben Straße« in Singapore.

Es ist morgens sechs Uhr. Beide Frauen sind in der Nacht betrunken von der Straße aufgelesen und in das vergitterte Haftzimmer gesteckt worden. Der einfenstrige Raum liegt im ersten Stock eines einstöckigen indigoblauen Hauses. Das Gitterfenster reicht bis zur Diele. Likse und Panulla sind von den Stühlen, auf denen sie geschlafen, aufgestanden. Sie hocken am Boden bei dem Gitterfenster, schauen auf die lebhafte Morgenstraße hinunter und warten auf ihre Haftentlassung.

Likses Kopf ist wie ein gelber, großer, ausgehöhlter Kürbis, in den man ein Licht gestellt hat. Ihre Augäpfel leuchten noch prall von übernächtiger Trunkenheit. Panulla hat noch rot und weiße Schminke und Puderreste im Gesicht. Ihre Wangen sehen aus wie zwei künstlich gefärbte Stücke Zucker. Beide Gesichter, das gelbe und das rosaweiße, kleben an dem Gitter und verfolgen interessiert den Straßenlärm unten in der »Gelben Straße« von Singapore.

Nackte Malaien, halbnackte, grobblau gekleidete Chinesen, Bananenhändler, Wasserträger, Fischverkäufer, Garküchenkarren und Rikschawagen rennen durcheinander, schieben und poltern über die Pflastersteine. Räder und Menschenstimmen überlärmen sich mit ruckhaften Sätzen. Die beiden Weiber am Gitterfenster begrüßen Bekannte unten, Gesichter nicken herauf, Hände winken. [117]

Vom dröhnenden Straßenleben zittern die Eisenstäbe des Gitters, daran sich die Finger der beiden Frauen festhalten. Likse, die Chinesin, hat weite, schwarze, glänzende Kalikohosen an und eine blaue schräggeknöpfte Leinenjacke. Ihr lehmgelbes Gesicht grinst immer freundlichst. Ihre eingedrückte Nase schnuppert zwischen den Eisenstäben sehnlichst nach der Straße hinunter. Panulla in einem alten japanischen Krepp-Kimono von rosagrauer Farbe, rote Ahornblätter darauf eingefärbt, hockt am Boden. Ihr schmaler Hals dreht sich wie ein Reiherhals hin und her. Sie verfolgt alle Vorübergehenden mit beweglichem Kopf, als möchte sie gleich einer Störchin die Leute wie Frösche aus einem Sumpf zu sich heraufangeln.

Die chinesische Likse ist grobknochig. Ihre derben Brüste und ihr Gesäß sind dick wie Wassermelonen. Panulla aber ist wie ein Heupferdchen schmal und wetzt ihre Kniee hüpfend am Gitter, wenn sie bekannte Matrosen auf der Straße begrüßt.

Allmählich sammelt sich ein Bekanntenkreis von chinesischen Barbieren, malaiischen Wagenziehern und chinesischen Kuliweibern unter dem Fenster an. Unter viel Geschrei unterhalten sie sich mit den gefangenen Weibern. Einer wirft ein paar Bananen hinauf, ein Fischhändler ein paar dünne Fische. Die breitmäulige Likse verschlingt die lebenden rohen Fische. Panulla lutscht an den Bananen.

Aus einer chinesischen Bar, über der Straße, kommt ein junger Mensch gerannt. Er hat einen langen Bambusstab in der Hand; darauf ist ein Stück Schwamm gebunden. Den feuchten Schwamm reicht er den gefangenen Frauen hinauf. [118]

Likse schnuppert und riecht sofort, daß der Schwamm in Branntwein getaucht ist. Panulla errät den Branntwein aus Likses Augen, und beide Weiber pressen gierig ihre offenen Mäuler durch die Gitterstäbe, um den Branntweinschwamm zwischen die Lippen zu bekommen.

Kaum hat Likse den Schwamm mit der Nase berührt, versucht Panulla die Chinesin zur Seite zu zerren. Die aber bleibt unerschütterlich auf ihren zwei stämmigen Beinen stehen, schnappt nach dem Schwamm und saugt.

Der Bekanntenkreis unten brüllt ein heulendes Gelächter, denn Panulla ist wie ein Affe auf Likses Schulter gesprungen und würgt Likse von rückwärts am Hals, damit die Chinesin keinen Schluck Branntwein in den Magen hinunterschlucken kann.

Likses gelbes Kürbisgesicht wird braun wie ein irdener Krug. Sie würgt und schlingt und will Panulla abschütteln. Die dünne Malaiin hängt wie eine Zange am Hals der dicken Chinesin. Likse fällt auf die Kniee, prustet den Branntwein aus den Nasenlöchern, und immer noch reitet Panulla auf der breiten Chinesin wie ein Jaguar, der sich in einen Elefantenrücken eingebissen hat.

Die gelben Zuschauergesichter auf der Straße tanzen wie Reihen gelber Lampions im Winde, und viele Köpfe stoßen im Gelächter zusammen.

Panulla hat endlich, über den Rücken der Chinesin hinweg, den Schwamm durch das Gitter mit den Zähnen erschnappt, ihn mit dem Mund von der Bambusstange gerissen, den Branntwein mit den Lippen ausgesogen und den Schwamm dann blitzschnell zurück auf die Straße gespuckt. [119]

Aber jetzt erhebt sich furchtbar die knochige Chinesin von der Erde, schnaubend wie ein Flußpferd, das ans Land steigt. Ehe sich Panulla, die am Gitter hängt, die Schreckensgesichter der Zuschauer unten auf der Straße erklären kann, hat die mächtige Likse die Malaiin von rückwärts am Haar zur Erde gerissen. Das Haar geht auf, und die chinesische Wasserträgerin schleift die Straßendirne wie an einem schwarzen Strick in den Hintergrund des schmalen Haftlokales.

Die Zuschauer stehen noch ein paar Augenblicke unten und warten. Ihre gestreckten Hälse reichen nicht bis zum ersten Stock, um in die Zimmertiefe zu schauen, und da weder Panulla noch Likse wieder am Gitter erscheinen, gehen alle lachend auseinander; das Straßenleben eilt eintönig lärmend wie vorher unterm Fenster vorüber.

Auf den Steinplatten hinten an der Zimmerwand liegt Panulla in der einen Ecke wie eine fortgeworfene Puppe mit ausgerenkten Armen und komisch verbogenen Beinen, als ob ihr ein Wirbelwind alle Glieder in den Gelenkkugeln verdreht hätte. Ihr rosa Kimono liegt zerschlitzt in vielen Fähnchen unter ihr. Als hat sie Lust zu lachen, verzerrt Panulla die Mundwinkel und zeigt die Zunge wie einen blauen Lappen. Ihr Haarstrang ist fest, gleich einer Henkerschnur, um ihren Hals geknotet. Die Malaiin rührt sich nicht mehr.

In der anderen Ecke der Zimmertiefe ist Likse rückwärts über einen Stuhl gestürzt. Ihre Beine stehen gespreizt in die Luft nach der Zimmerdecke. Ihre gelben Waden schauen aus den schwarzen zurückgefallenen Kalikohosen. Das gelbe Gesicht der Chinesin steht verkehrt auf dem Fußboden und scheint wie eine [120] leuchtende Lampe durch das dunkelblau getünchte Zimmer. Die blaue Jacke ist von der linken Brust gerissen. Der kleine Glaskopf einer Stecknadel blitzt neben der Brustwarze. Kaum ein einziger kleiner Blutstropfen sammelt sich langsam um den Stecknadelkopf und erstarrt zu einem winzigen roten Kreis.

Likse hat Panulla mit der Malaiin eigenem Haar erwürgt, und Panulla hat der Chinesin im Kampf eine Stecknadel so tief in die Brust gestochen, daß die Nadel das Herz traf und bis zum Nadelkopf im Fleisch stecken blieb.

Likse und Panulla sind tot. Die Malaiin bekommt allmählich durch die Totenstarre einen schiefen Ausdruck, als ob sie spottet.

Das Wagenrütteln der Straße erschüttert den Fußboden, und Likses ausgestreckte Beine schaukeln in der Luft, als ob sich die Chinesin im Kopfstehen übe.

Die erwürgte Malaiin hat eines ihrer verdrehten himmelnden Augen auf die Beine der Chinesin in die Luft gerichtet. Das andere Auge sieht nach der entgegengesetzten Seite zum Fenster.

»Schau, Likse! Jetzt kommt ein Monsungewitter!« grinste Panullas Augapfel und verdunkelte sich bräunlichrot unterm Gewitterhimmel, während ihr anderer Augapfel, beschienen von der Indigowand des Zimmers, blau leuchtete.

Likses Beine wippten beim einsetzenden Sturmwind, der das Haus schüttelte. Es war, als fluchte ihr offener Mund:

»Verdammt, ich habe meine Kinderwäsche noch auf dem Hausdach zum Trocknen! Der Regen wird alles fortschwemmen. Ich muß heimrennen.« Und Likses Beine wackelten noch lebhafter. [121]

Panulla aber höhnte mit ihrem schiefen Blick stille schweigend: »Du wirst lange zappeln können! Von selber stehst du nimmer auf, Likse. Du bist ja mausetot, von mir, der Panulla, umgebracht, ehe du es ahntest, du viereckiges Chinesentier! Der winzige gläserne Nadelkopf paßt dir übrigens gut in deine Brustwarze.«

Die Chinesin grinste mit ihrem umgestürzten Gesicht, und aus ihren Nasenlöchern trieb der aufsteigende Alkohol, den sie ausgeprustet hatte, kleine lebende Blasen.

Panulla funkelte argwöhnisch mit ihrem blauen Augapfel: »Ich glaube gar, du willst wieder atmen, Likse!«

Der erste Blitz bestrich Likses Gesicht noch gelber, so daß ihr breiter offener Mund bis an die Ohren glänzend zu lachen schien.

Auf Panullas Stirn bildeten sich kleine glitzernde Schweißperlen, als ob die Gedanken, die von ihr noch im Haftlokal umgingen, sich auf ihre Stirnhaut niederschlugen und sich dort kristallisierten; und diese glitzernden Gedanken wiederholten nochmals das Gespräch von heute nacht, das Likse und Panulla hier im Haftzimmer vor Sonnenaufgang hatten.

»Der Mensch muß töten können,« hatte die Malaiin belehrend behauptet. »Wer nicht töten kann, beleidigt den Tod und lebt nur halb.

Siehst du, Likse, die eine Hälfte des Mondes ist einmal schwarz und jeden Monat einmal weiß. So muß der Mensch sein, Likse. So wie du auf einer Stange zwei Eimer auf den Schultern über die Straße trägst und sich die beiden Eimer an der Stange das Gleichgewicht halten müssen, so balancieren Leben und [122] Tod an der Weltstange. Jeder Teil der Welt will seinen Teil von dir. Man muß leben können, man muß aber auch töten können. Leben und Töten wollen gelernt sein. Hör' zu!

Einmal lag ich mit einem reichen Mann in meinem Zimmer zu Bett. Um Mitternacht erwachte ich und sah im Dunkeln ein grünes Licht durch das Türbrett kommen. Ich glaubte, ich schliefe noch, und rieb mir die Augen. Im Licht, das lautlos eintrat, sah ich die Schattengestalt einer Frau, die glitt unhörbar, immer von dem grünen Licht umgeben, zu meinem Waschtisch. Sie nahm meinen Kamm und kämmte damit ihr feuriges Haar. Ich hörte deutlich die Funken knistern und sah den weißen glühenden Kopf des Gespenstes im Spiegel über dem Waschtisch. Ich erkannte die Frau an ihrem Spiegelbild wieder. Sie war eine Freundin von mir und hatte vor mir in dem Zimmer gewohnt und dort ihre verliebten Besuche empfangen. Sie war ganz natürlich gestorben und kam jetzt aus dem jenseitigen Leben, um ihr Zimmer aufzusuchen, darin sie einmal einen jungen Mann ermordet hatte, den sie dann, wie man sagt, im Hauskeller verscharrt hat. Ich verstand ihre Erscheinung erst später und weiß jetzt, sie machte ihren köstlichsten Morderinnerungen wollüstige Besuche.

Halbaufgerichtet im Bett schaute ich auf ihr Gesicht im Spiegel, während sie sich noch immer mit meinem Kamm kämmte. Alle Gegenstände im Zimmer waren von ihrer Gestalt beschienen. Ich genoß eine nie gekannte Aufregung, und beim Anblick der glühenden Mörderin und bei dem wallenden Licht, das sie ausstrahlte, wurde mein Blut wie betrunken. Ich grub meine Fingernägel mit Angst und Genuß in den Hals [123] des schlafenden Mannes an meiner Seite und zerdrückte seinen Kehlkopf wie eine Nuß zwischen meinen Fingern. Der Mann schlug ein paarmal um sich. Das grüne feurige Licht des Gespenstes kreiselte und verschwand durch das Türbrett. Es war wieder dunkel im Zimmer, und der Mensch neben mir lag still. Ich zog meine Hände von ihm zurück. Der Mann rührte sich nicht mehr.

Ich zündete zehn Streichhölzer nacheinander an. Beim ersten Streichholz sah ich, daß seine Kinnlade ihm herunterhing; beim zweiten sah ich seine Augen, die ihm wie gekochte weiße Fischaugen aus dem Kopf quollen. Zehnmal sah ich immer ein neues Stück von dem Toten. Die ersten fünf Male schauderte ich, aber die letzten fünf Male genoß ich den Toten neben mir wie eine Mahlzeit von fünf leckeren Gerichten. Ich wunderte mich, daß das Töten so unterhaltend war, und ich schlief kostbar befriedigt neben der Leiche ein, befriedigter, als wenn der Mann gelebt hätte.

Am Morgen wollte ich mit meinem vertrauten Hausdiener, der damals mein leidenschaftlich Geliebter war, den erwürgten Mann im Keller begraben. Emilio grub, und ich stand daneben und schaute zu. Kaum einen Fuß tief stieß Emilios Schaufel auf ein Gerippe. Wir warfen die Knochen heraus, gruben tiefer. Wieder lag ein Gerippe darunter, und noch tiefer noch ein Gerippe. Ich bin sicher: hätten wir weiter gegraben, die ganze Erde wäre mit Schichten von Menschengerippen ausgefüllt gewesen, denn alle Jahre, alle Jahrhunderte hatten vor uns in dem Hause, wie wahrscheinlich in allen Häusern der Stadt, gemordet und Gemordete begraben. [124]

Früher war ich bei jedem Gewitter ängstlich. Jetzt fürchte ich keinen Blitz mehr. Ich fühlte bei den elektrischen Schlägen ein Kitzeln in meinen Fingern, wie damals, als ich den zappelnden Kehlkopf zerdrückte. Und wenn die Blitze draußen morden, bin ich aufgeregter, als wenn mich ein wilder Stier umarmen würde.

Gespenster sehe ich, wo ich gehe und stehe. Alle, die jemals gemordet haben, sind eine große, wollüstige, unsterbliche Familie und verkehren Tag und Nacht bei geschlossenen Türen und bei vergitterten Fenstern miteinander.

Ich bin jetzt nie mehr allein. Ich sehe die Mörder aller Zeiten vor Augen, wenn ich die Augen schließe. Ich sehe vor und zurück, – alles Blut, das geflossen ist, und alles Blut, das fließen wird.

Ob ich wache oder schlafe, es ist alles eins. Ich bin bei allen Morden dabei, die geschehen, und mein Blut lebt belustigt seitdem, wie eine brünstige Affenherde in meinem Leib.«

Der toten Panulla triefte, bei dem stummen Selbstgespräch ihrer alten Gedanken, wie vor lauter Genuß, ein langer Speichelfaden aus dem Mund. Likse steht immer noch auf dem Kopf. Der Donner draußen reibt sich an den Hauswänden, und Likses Beine werden nicht müde, hoch über der Stuhllehne zu wippen, als antwortete sie auf Panullas Belehrung:

»Hei, Hö! Ich habe jetzt auch das Töten gelernt. Und, ich Likse, stelle mich auf den Kopf vor Vergnügen darüber. Das Töten ist eine viel lustigere Sache als das Wasserverkaufen. Und außerdem hast du doch nicht allen Branntwein bekommen, siehst du, Panulla. Ich habe noch ein paar Tropfen in der Nase.« [125]

Likses Nasenlöcher trieben noch ein paar letzte große Blasen, welche zersprangen.

Dann wurde das mimische Gespräch der Toten abgebrochen. Die Tür öffnete sich, und die erstaunten Polizisten fanden die beiden Leichen der Weiber, die eine wie eine verrenkte Marionette in die Ecke geworfen, die andere wie eine kopfstehende Akrobatin vom Stuhl gefallen.

Niemand getraute sich während des Gewitters in das Zimmer zu treten und die Toten zu holen. Die Polizisten blieben starr unter der Tür stehen, wie Zuschauer vor einer Bühne. Nur die Monsunblitze, welche draußen in der Stadt wie Mordbrenner rasten, rannten rotfeurig durch das Fenster herein und um die beiden Leichen herum.

Verbannt [126]

Großtropfiger Regen, der auf die Erde schlägt,
Unter dir stehen im Donner die Bäume rauschend bewegt.
Blitz und Donner und Regen, wie lebt ihr glücklich und frei!
Erhört und erfüllt doch eines Gefangenen Sehnsuchtsschrei!

Das Dunkel geht nicht aus den Dingen heraus

Ein früher Abend schleicht im Haus herum,
Er löscht die Farbe deiner Wangen aus
Und hängt dir seine Blässe um.
Maibäume stehen im Regen gebückt,
Die Berge dampfend voll Wolken wehen,
Deine Brust ist dumpf wie der Abend bedrückt.
Das Dunkel geht nicht aus den Dingen heraus,
Dein Gesicht allein leuchtet weiß hinaus
Und sieht starr wie die Maske des Kummers aus.

Eine kleine Maskenwelt [127]

Im bescheidenen Gras lebt eine kleine Maskenwelt mit Behagen,
Marienkäfer, die auf den Flügeldecken Malereien wie bunte Gesichter tragen,
Kleine Käfer, die sich auf die höchsten Gräser wagen,
Und sich mit vielen Beinen redlich vorwärts plagen;
Kleine Halbkugeln, die nach ihrer andern Hälfte fragen.
Alle rennen und müssen sich ihre Liebe erjagen
Und tragen ihre winzigen Romane, ohne laut zu klagen.

Schimäre

Schimäre ritt im Sturm heut an das Haus;
Sie kam auf einem wilden Rasselwurm,
Der preßte einer ganzen Landschaft
Die fromme Sommerseele aus.
Als sie durch die geschloßnen Türen und die Wände ritt,
Hob sie das Haus auf ihre Hände und nahm es mit.
Schimäre trug es mit Gebraus in ferne Breiten,
Und auch in fremde ferne Zeiten trug sie mein Haus.
Wie eine Fähre schwamm es durch Jahrhunderte,
Und lachend sah ich drin mit meinem Lieb heraus,
Doch war nichts auf der Welt, nichts, was uns wunderte.

Das Abendrot zu Seta [128]

Ein japanischer Winter am Biwasee ist nicht so kalt und nicht so schneereich wie die meisten deutschen Winter, aber doch liegt oft fußhoch eine weiße Schneerinde am Seerand, auf den Hausdächern und in den Gabeln der Bäume. See und Himmel sind dann vom Winterdunst eingewickelt. Der See liegt wie ein dunkles Zelt im Nebelrauch, und wie weiße Insektenschwärme kommen die Schneeflocken an. Ihr kreiselnder Tanz im Wind ist im Wintertag das einzige Leben am See, dessen Spiegel blind ist, auf dem sich kein Segel zeigt, dessen Schilffelder abgemäht sind, und der einer Wüste aus grauem Basalt ähnelt.

Die Japaner tragen in der weißen Jahreszeit drei bis vier wattierte graue und bräunliche Seidenkleider übereinander. Sie kennen keine Öfen. Nur eine kleine Kohlenglut in einem Messingbecken wärmt die hingehaltenen Fingerspitzen. Aber die Japaner haben viel Eigenwärme in sich. Sie sind gewöhnt an den Verkehr mit offener Luft in luftreichen, leichten Bambusholzhäuschen, hinter dünnen Papierwänden und Papierscheiben, gekleidet in den drei anderen Jahreszeiten in luftige Seiden und Kreppstoffe und eingehüllt in das bequeme Schlafrockkostüm, das den Gliedern Spielraum zu Eigenbewegung läßt. So sind sie ein gesundes, warmblütiges Volk geblieben. Die Seele der Japaner ist ebenso warmblütig wie ihre reinlichen, gutgelüfteten und leeren Papierzimmer. Keine Möbelstücke sind in ihren Zimmern, der saubere Strohmattenboden des Gemaches muß alle Möbel ersetzen. Er stellt Tisch, Stuhl, Sofa und Sessel dar, ist handdick, aus dünnstem, feinstem Rohrmattengeflecht, ist [129] nachgiebig, leicht elastisch, und du darfst ihn nur mit Strümpfen, nie mit Schuhen betreten. In diesen leeren Gemächern, deren Wände leicht getönte Bambusstrohfarbe, mehlweißes Papier oder gelbliche Naturhölzer zeigen, hebt sich das Menschenantlitz ab wie ein Porträt auf ungestörtem Hintergrund; und die Gesten der Menschen, in diesen leeren Gemächern, werden in den kleinsten Bewegungen wichtig und bleiben deiner Erinnerung eingeprägt, wie Schriftzüge auf weißem Papier.

Als farbiger natürlicher Zimmerschmuck stehen in den offenen Schiebetüren die Ausblicke auf die maigrünen, sommergelben, herbstbraunen und winterblauen Landschaftsbilder, der Flug vorüberziehender Vögel, wandernde Wolken und Menschen. Unwillkürlich befürworten die leeren, farblosen Gemächer die Liebe zur farbigen Außenwelt. Die Welt, die immer im Türrahmen erscheint, wenn eine Schiebetür sich öffnet, wirkt im leeren Zimmer doppelt lebhaft als Landschaft oder als Mensch, der zu Besuch kommt; jeder Mensch wird zum lebenden Bild, wenn er sich zu dir auf die Leere der Diele zwischen die leeren Wände setzt. Man kann sich leicht denken, daß sich dann alle Landschaftsreize steigern und den Hausbewohnern so wichtig werden wie einer europäischen Hausfrau die Möbelstücke.

In den leeren Gemächern von Seta am Biwasee ist das Abendrot vor den Türen zu Seta eine Berühmtheit geworden, und das Abendrot von Seta gesehen haben, ist wie Bienenhonig dem Ärmsten und verspricht dir noch nach langen Jahren einen sanften Tod. –

In Seta lebte die Frau eines verarmten Adligen. [130] Ihr Mann war im Krieg gegen die Europäer gefallen, ebenso ihre zwei Söhne. Diese Frau reiste öfters im Sommer oder im Frühling zur Kirschblütenzeit nach Kioto oder nach dem Wallfahrtsort Nara oder nach den heiligen Tempeln von Nikko, um dort im Gebet, in den Tempeln, an heiligen Orten ihrem Mann und ihren zwei Söhnen näher zu sein.

In Kioto, im Tempel der fünftausend Kriegsgenien, stehen in den zehn langen Reihen je fünfhundert aufrechte goldene Götter. Jeder Gott hat zwanzig bis dreißig Arme, schwingt Speere und Schwerter; und man sagt: sollte Kioto einmal von Feinden angegriffen werden und in höchster Not sein, dann ziehen die fünftausend Götter aus der langen hölzernen Tempelhalle aus und werden die alte Kaiserstadt verteidigen.

In diesen Tempel ging die verwitwete Frau am liebsten, denn dort traf sie im Gebet ihren Mann. Wenn sie vor den fünftausend Götterbildern niederkniete, sprach er in ihr Ohr wie ein Lebender.

Die feuerrote düstere und fensterlose Lackhalle, darinnen die fünftausend goldenen Götter nur von den riesigen offenen Türen beleuchtet wurden, gab der Witwe ein aufregend wohliges Gefühl. Wenn sie über die hunderttausend goldenen Speere und Schwertspitzen schaute, glaubte sie ein Kriegsgetümmel vor sich zu sehen. Von den zehn Reihen der Götter steht immer eine Reihe höher hinter der andern, so daß man sich vor einem Berg von Lanzen, Schwertspitzen, goldenen Armen und goldenen Heiligenscheinen befindet, als strömten dir goldene Götterscharen bergab entgegen.

Als die Frau eines Tages wieder im Gebetstaumel [131] die Halle verließ, sah sie draußen auf dem Bretterweg, der an der hundert Fuß langen Halle entlangführt, einen Mann stehen, der sich, wie das die Japaner öfters tun, hier im Bogenschießen übte. Der Mann glich auffallend ihrem toten Gatten. Am einen Ende des Bretterwegs stand der Schütze mit dem altmodischen, mannsgroßen Bogen, am andern Ende des Bretterwegs war die weiße Scheibe angebracht, und an der ganzen Tempellänge entlang surrte der Pfeil des Schießenden. Trotzdem jetzt allgemein das Gewehr in Japan eingeführt ist, üben sich einige Japaner noch zum Vergnügen im Bogenschießen, und besonders ist der Bretterweg am Tempel der fünftausend Kriegsgenien ein beliebter Übungsplatz in Kioto.

Die Frau zitterte vor Erregung, als sie den Schützen sah, der das getreue Abbild ihres gestorbenen Mannes war. Ihr Auge hatte einen unwiderstehlichen, leidenschaftlichen Ausdruck, und ihr ganzer kleiner Körper wurde wie ein Stück Magneteisen und zog den Mann nach sich, den sie anschaute.

Sie blickte den Schützen an, trat rückwärts wieder in die Tempelhalle zurück und ging an der untersten Reihe der Genien entlang, genau wissend, daß der Schütze Bogen und Pfeile wegstellen und ihr nachfolgen müßte. Sie kam in das dunkle Ende der Halle, wo Holztreppen ähnlich Leitern, verstaubt, uralt und düster, zu einer dunkeln Holzgalerie führen, die sich hoch unter dem Dach des Tempels über den fünftausend Genien hinzieht. Der Mann, der ihr gefolgt war, kam leise die dunkle Stiege herauf. Sie kauerte auf der obersten Stufe nieder und wollte ihn an sich vorübergehen lassen. [132]

»Deine Augen können surren wie Pfeile,« sagte der Mann und blieb neben ihr stehen.

»Du siehst meinem verstorbenen Mann ähnlich,« sagte die Frau. »Deswegen habe ich dich angesehen.«

Der Mann atmete schwer. Er senkte den Nacken und flüsterte rasch:

»Wenn dich dein Mann so gern umarmt hat, wie ich dich jetzt hier umarmen möchte …«

Er sprach den Satz nicht fertig, faßte die Frau flink, wie ein Affe eine Äffin, und die harte Tempeldiele wurde ihr Liebeslager.

Danach sagte die Frau leise:

»Was haben wir getan? Wir sind im Tempel der fünftausend Genien!«

»Wollust schändet keinen Tempel,« antwortete der Mann. »Fünftausendmal will ich dich hier umarmen. Fünftausendmal wollen wir uns hier treffen.«

Die Frau schauderte vor Glück. In die geheimnisvolle Tempelluft und Tempeldunkelheit schienen außer den fünftausend Kriegsgöttern fünftausend Liebesgötter eingedrungen zu sein. Und sie sagte zu dem Mann:

»Wir wollen nicht wissen, wie wir heißen, wir wollen nicht wissen, wo wir wohnen. Wir wollen nicht verabreden, wann wir uns treffen. Wir wollen es den fünftausend Genien überlassen, daß sie unsere Wege zusammenführen. Und immer, wenn wir uns zusammenfinden, wollen wir nichts besprechen und nichts fragen und uns nur umarmen, wie wir uns hier umarmt haben.

Ich will nicht wissen, ob du ein wirklicher Mensch bist, oder nur eine Erscheinung, ähnlich meinem Mann. Ich will dich genießen wie die Abendröte, die jetzt [133] über die Türschwelle dort eintritt, und die wirklich und unwirklich ist zugleich.«

Die beiden hielten ihre Verabredung. Die Frau änderte nicht ihre Reisen und ihre Wallfahrten nach den andern Wallfahrtsorten. Und nachdem sie monatelang in Kioto täglich zu den verschiedensten Stunden den Tempel der fünftausend Genien besucht und täglich den Schützen dort getroffen, umarmt und geliebt hatte, reiste sie nach dem Wallfahrtsort Nara, ohne ihrem Geliebten bei ihrer Abreise ein Wort zu sagen.

In Nara war es Hochsommer. Die Wiese vor dem großen Zedernwald, darauf die feuerrote sechseckige Pagode steht, war umwimmelt von weißen, blauen und gelben Schmetterlingen. Im Wald bei den rotbraunen senkrechten Zedernstämmen stehen, dichtgedrängt wie Grabdenkmäler in einem Kirchhof, Steinlaternen in Gruppen und Gassen und begleiten alle Waldwege, dichtgedrängt wie versteinerte Völker. Schwarzbronzene Hirsche, von Künstlern als Statuen gegossen, ruhen auf Steinsockeln. Aber auch Hunderte von lebenden Rehen und Hirschen gehen in großen Rudeln zahm auf allen Wegen, zahmer als Hühner in einem Hühnerhof.

Als jene Frau mit dem Bahnzug nach Nara kam, stand ein großes Gewitter über dem Wald. Aber sie fürchtete sich nicht, nahm am Bahnhof einen Rikschawagen, fuhr bis zum Eingang des Waldes und schickte den Wagen zurück.

Hier in Nara betete die Frau meist zu ihrem ältesten Sohn und kniete viele Stunden in der Halle des großen Daibutsu, welches eines der riesenhaftesten Buddhabilder Japans ist.

In einem roten mächtigen Holzbalkenhaus sitzt der [134] haushohe Buddha, alt und schwerfällig geschnitzt, bräunlich vergoldet auf einer ungeheuern Lotosblume. Sein runder Kopf reicht bis unter das Dach des Tempels. Drei haushohe Flügeltüren stehen offen. Aber das Licht von den Wiesen draußen kann den mächtigen Kopf, der bis in die Dämmerung des Dachstuhles reicht, kaum erhellen.

Die Frau war in den Tempel getreten, kniete auf den Strohmatten nieder und vertiefte sich in ein stilles Gespräch mit ihrem verstorbenen ältesten Sohn. Da rollte der ferne Donner und war wie die näherkommende Stimme eines Gottes über ihr. Die schwüle Gewitterluft machte die große, dunkle Tempelholzhalle noch dumpfer, und der Geruch des Räucherwerkes und der Geruch der alten sonnengewärmten Holzbalken wurden der knieenden Frau wie eine Last, als ob sich der schwere mächtige Buddha über sie böge. Und sie mußte an den Mann denken, der sie Tag für Tag in Kioto im Tempel der fünftausend Genien umarmt hatte.

Der Regen prasselte jetzt draußen auf das Tempeldach und auf die ungeheure Holzgalerie vor dem Tempel. Ein Blitz flog herein, und der große goldene Buddha erschien für den tausendsten Teil einer Sekunde hell bis unter das Dach.

»Ist es wahr, Gott,« dachte die Frau, »daß die Wollust den Tempel nicht schändet, so laß den Mann aus Kioto eintreten und mich in Nara hier bei dir wiederfinden.«

Über die Holzgalerien draußen kamen jetzt Hunderte von Schritten, Schritte über die Wiesenwege, Menschenstimmen aus den Wäldern, Männer, Frauen und Kinder, lachend und kreischend, die, vor dem Gewitter [135] flüchtend, in die Halle des großen Daibutsubildes eindrangen.

Die knieende Frau wollte wieder zu ihrem Sohn beten. Aber der Lärm des Regens, der vielen humpelnden Füße von Wallfahrern und der Menschenstimmen zerstreute sie, so daß sie unter die Gruppen der Leute an eine der offenen Türen trat und dem Sturzregen zusah, der die Landschaft in einen weißen Nebel hüllte.

Blitz um Blitz blendete sie, daß sie sich von der Türe weg gegen die Gesichter der Menschen wenden mußte, von denen einzelne Gruppen, weiß im finstern Tempel, bei jedem Blitz aufleuchteten.

Neben einer kleinen Frau und umgeben von einer Schar von Kindern, entdeckte sie plötzlich einen Mann, der ihrem Sohn, zu dem sie eben gebetet hatte, ähnlich sah. So müßte ihr Sohn jetzt aussehen, so seine Frau und seine Kinder, wenn er jetzt lebte und glücklich wäre.

Bei dem zweiten Blitz aber erschrak sie. Es war nicht mehr das Gesicht ihres Sohnes. Es war jener Mann aus Kioto mit seiner Familie, die hier vor dem Gewitter in den Tempel geflüchtet waren. Bei dem dritten und vierten Blitz erkannte sie ihn deutlich und sah weg.

Sie schlug rasch ihren kleinen Fächer auf, versteckte ihr Gesicht dahinter, drängte sich aus dem Tempel hinaus und eilte mitten in den prasselnden Regen den Hügelweg hinunter in die graue, dampfende Sommerlandschaft. Weit weg stellte sie sich unter einen Zedernbaum, versteckt hinter einer Steinlaterne. Ihr Haar war vom Regen aufgelöst, ihr Fächer aufgeweicht. Sie hatte ihre Schmucknadeln aus dem Haar verloren, [136] ihr seidenes Festkleid klebte an ihr wie eine Fischhaut. Sie weinte und weinte. Sie hatte doch nicht wissen wollen, ob der geliebte Mann verheiratet wäre, ob er eine Familie hätte. Sie hatte diesen Geliebten zu einem Gott, zu einer Erscheinung machen wollen, zu einer wollüstig gruseligen Tempelvision. Sie hätte sich gern blind geweint, um das Bild aus ihren Augen auszulöschen und den Schützen aus dem Tempel der fünftausend Genien nicht als Gatten und Familienvater sehen zu müssen.

Der Platzregen ließ nach, und die Spitze der roten sechseckigen Pagode, über den noch regendampfenden Wiesen, schien im Abendrot Feuer zu fangen. Das Abendrot ging durch die Wiesendämpfe, färbte die Zedernstämme rot, die Scharen der grauen, moosigen Steinlaternen braun wie Kupfer.

Das Abendrot beruhigte die Frau und gab ihr wieder den Glauben an inbrünstige Ungeheuerlichkeiten. Sie lächelte und fühlte sich rot durchtränkt von dem abenteuerlichen Licht und sagte ganz einfach:

»Die Blitze haben gelogen. Der Mann im Daibutsutempel eben war nicht der Mann aus dem Tempel der fünftausend Genien, den ich wie die Abendröte mit Inbrunst liebe. Er kann nicht zugleich hier und in Kioto sein, wo ich ihn gestern verließ, ohne ihm etwas von meiner Reise nach Nara zu sagen.« Aber sie getraute sich doch nicht, noch einmal zum Daibutsutempel zurückzugehen; und sich zu überzeugen, fehlte ihr der Mut.

Die Frau warf ihren zerknitterten Fächer fort, strich ihre Frisur glatt, schob ihren Gürtel zurecht und machte sich gesittet auf den Heimweg zum Bahnhof von Nara. [137]

Sie reiste durch Kioto, ohne den Tempel der fünftausend Genien aufzusuchen, und ging nach Seta in ihr Haus zurück, tagsüber gepeinigt von dem Gedanken, daß der Mann, den sie in Kioto liebte, Frau und Kinder hätte. Sie wurde nur am Abend erlöst von dem phantastischen Abendrot, das sich über Seta in den wunderbarsten Blutlinienwellen hinzieht, so daß alles Unwahrscheinliche wahrscheinlich wird, so daß die Bäume blutrot wie Korallenwälder werden und die Hügel wie die Brüste und Körperlinien hingelagerter Männer und Frauen, als sei die Erde hier am Abend zu Menschenfleisch und Menschenblut geworden und kenne nichts als umarmende Wollust und Liebe. Die untergehende Sonne am Himmel ist dann in ihrer Röte nur wie eine kleine Kerze in einem roten Gemach, in dem sich zwei umarmt halten, wo das Licht keinen Sinn hat und keinen Wert, weil die zwei, von Leidenschaft entbrannt, sich mit geschlossenen Augen ohne Licht sehen.

Im Abendrot wurde der Biwasee rotgoldig glitzernd und wie von fünftausend goldenen Lanzenspitzen und goldenen Heiligenscheinen bewegt. Die Diele und die Wände im Hause jener Frau wurden düsterrot, als wären sie die uralten, düsterroten Balken des Genientempels in Kioto, als wäre in dem Hause der Frau irgendwo die geheimnisvolle, rote Balkentreppe, wo sie in der roten Tempeldunkelheit, auf der obersten Stufe, hinter dem hohen Geländer, Tag für Tag den Mann treffen könnte, der sie wie das Feuer der Abendröte schnell umarmte und nach der Umarmung wie die Abendröte in das Unbekannte wieder versänke.

In den kältesten Wintertagen konnten die Bewohner von Seta jene Frau zur Spätnachmittagstunde an [138] dem geöffneten Fenster sehen, das auf das flüchtige Winterabendrot hinaussah, – die Frau, die einen kleinen Fächer schwang, als wäre es ihr heiß im Abendrot, trotzdem der Schnee auf dem Geländer des Altans lag und auf den Dächern der Holzhäuser von Seta.

Auch wenn die Abendsonne im Winternebel keine Kraft zum Röten des Himmels hatte und nur wie ein kleiner Tropfen roter Kirschsaft das weiße Laken des Himmels betupfte, saß die Frau zwischen den zurückgeschobenen Papierwänden ihres Teezimmers und fächelte sich, als müßte sie das Abendrot mit jedem Fächerschlag anschüren.

Der Frühling kam, und die Frau fürchtete sich immer noch vor einer Begegnung mit dem geliebten Mann und vor einer Enttäuschung. Sie beschloß eine große Reise zu den Tempeln von Nikko zu machen, im Norden Japans, um dort zu ihrem zweiten Sohn zu beten.

Die kurzweilige Bahnfahrt dorthin zerstreute sie, und sie lachte sich unterwegs wegen aller ihrer Zweifel aus und war schon, ehe sie nach Nikko kam, ganz im klaren, daß der Mann in Nara niemals der Mann von Kioto sein könnte, daß sie sich einfach in der Ähnlichkeit getäuscht hätte. Und sie nahm sich vor, sobald sie von ihrer Wallfahrt nach Nikko wieder zurückkäme, wollte sie den Tempel der fünftausend Genien wieder aufsuchen, und versuchen, den Schützen zu treffen, der ihr versprochen hatte, sie fünftausendmal zu umarmen.

Das Rasseln der Eisenbahnräder, das Vorüberfliegen großer Plakatfiguren: gemalter Männer und Frauen, die an den Bahngeleisen amerikanische Fahrräder, deutsches Bier, englische Grammophone anpriesen, [139] das eilige Leben in den eisernen Bahnhofhallen, alle die vorüberhastenden Eindrücke gaben der entmutigten Frau neuen Wirklichkeitsmut, und sie begann sich innerlich zu verspotten und bedauerte den langen Winter, der damit vergangen war, daß sie sich nur vom Abendrot in Seta, aber nicht von ihrem Geliebten hatte umarmen lassen.

Die schieferblaue Bergwelt von Nikko mit einer Silbersonne über den silbernen Kiesbächen, mit blausteinigen Schluchten, deren Ränder von schwarzen zerzausten Kryptomerien umstanden sind, tauchte auf. Das liebliche Japan war verschwunden, und ein heroisches Japan lag hier, mit nasser Felsenschlucht, mit senkrechten weißen Wasserfällen unter einer Sonne, die einem weißen Metallspiegel glich. Wie kupferrote Wimpel hing das rotblättrige Frühlingslaub der Ahornbäume über den Gebirgswegen. Hie und da blühten auch ein paar rosige wilde Kirschbäume und an der Sonnenseite der Abhänge ganze Wälder von rosigen Kamelienbäumen.

Das Bergwasser der Nikkoschlucht aber glitzerte, als wäre es die eherne Kette eines Rosenkranzes, daran Tausende von Gebeten gebetet werden.

Die Frau suchte die Tempel auf, die auf grünen, dunkeln Waldterrassen mit blaubronzenen Dächern und rotem Gebälk wie verwunschene Waldschlösser unter bärtigen, tausendjährigen Kryptomerienbäumen liegen.

Viele Tempelwände sind mit kopfgroßen Chrysanthemumblumen aus erhabener Perlmutterarbeit geschmückt und leuchten in sieben Regenbogenfarben. Auf andern Wänden sind aus goldenem Lack in Relief erhabne goldene Löwen und goldene Tiger in springenden [140] Stellungen gearbeitet. Auf andern aus rotem Lack rote Fasanen, aus grünem und blauem Perlmutter Pfauen, aus Elfenbein weiße Kaninchen und weiße Rehe und ganze Elfenbeinwände voll von weißen und bläulichen Päonien, umgeben von Schmetterlingscharen aus Perlmutter.

Diese kostbaren Tempelwände unter grünen Waldbäumen, unter blau und weißem Wolkenhimmel und umwandert von gelbem Sonnenschein, scheinen mit ihrem irisierenden Perlmutter eine lebende Welt von immer blühenden hochzeitlichen Blumen und eine unvergängliche Welt von sich tummelnden wilden und zahmen Tieren zu sein.

Die Frau kam auf die erste Terrasse, wo die drei berühmten Affen auf einem Tempeltor dargestellt sind, geschnitzt und bemalt. Der erste Affe hält sich die Augen zu, der zweite Affe die Ohren, der dritte Affe hält sich den Mund zu. Und ihre Bedeutung ist: Du sollst nichts Böses sehen, du sollst nichts Böses hören, du sollst nichts Böses reden.

»Wie leicht ist das getan für den, der geliebt wird, und wie schwer für den, der an der Liebe zweifeln muß,« dachte die Frau und ging an den drei Affen vorüber. Und sie kam zu dem schönsten aller Tempeltore. Dessen weiße Säulen sind mit erhabenen Schnitzereien, mit Bäumen, Schilf, Kranichen, Drachen und Wolken geschmückt. An den Friesen der Säulen entlang wandern Scharen von winzigen kleinen Göttern. Dieses Tor ist so vollkommen gearbeitet, daß es, als es fertig war, den Neid der Götter erweckt hätte, wenn man nicht an einer der Säulen absichtlich einen ungeschickten Fehler angebracht hätte, um die neidischen Götter zu versöhnen. [141]

»So vollkommen wie diese Tor wäre die Liebe zweier Menschen auf Erden, und die Götter würden die Menschen beneiden müssen, wenn sich nicht glücklich Liebende immer einen künstlichen Liebeszweifel erfänden,« dachte die Frau und ging durch das kostbare Tor in den Tempelhof der zweiten Terrasse.

Hier ist zur rechten Hand über einer Tempeltür von einem Maler eine lebensgroße weiße Katze gemalt. Die scheint zu schlafen und schläft schon Jahrhunderte. Aber wer sie lange ansieht und sich einen Herzenswunsch dabei denkt, dem kann es, wenn sein Wunsch in Erfüllung gehen darf, begegnen, daß die schlafende Katze ihre Augen öffnet und ihn anblinzelt.

»O, ihr Götter,« wünschte die Frau, die Katze über dem Tor betrachtend, »laßt eure Tempelkatze die Augen öffnen und mich ansehen, wenn mein Geliebter in Kioto und jener Mann, den ich in Nara sah, zwei verschiedene Männer sind.«

Die Frau starrte die schlafende Katze an, aber die gemalte Katze hielt die Augen geschlossen und blinzelte nicht.

»Ist es möglich, daß ich recht gehabt haben sollte? Die beiden Männer sind einer und derselbe gewesen! Und mein Geliebter hat eine Familie und macht eine andere Frau außer mir glücklich? O, weiße Katze, schlage doch die Augen auf und sage damit nein! O, ich will dich ansehen, bis ich blind werde!«

Die Katze hielt die Augen geschlossen, und die Frau verzweifelte, und ihr Herz schmerzte, als würde es ihr ausgerenkt.

»Gut, o Götter, wenn ihr diesen Wunsch nicht erfüllt,« sprach sie plötzlich entschlossen, »dann laßt mich dem Mann noch einmal begegnen, um mich zu überzeugen; [142] und zweifle ich dann nicht mehr, daß es derselbe ist, dann laßt mich blind werden mein Leben lang. Schlafende Katze, öffne jetzt deine Augen und sage ja!«

Die Frau zitterte und hielt sich mit den Fingerspitzen an einer roten Lackwand des Tempelhofes. Die großen Kryptomerienbäume über den Tempeldächern bewegten sich schaukelnd für ein paar Sekunden und warfen Licht- und Schattennetze über die Tempeldächer, über die Lackwände und über die gemalte weiße Katze. Und im Licht- und Schattenspiel schien sich die weiße Katze zu bewegen, sie blinzelte und zeigte für eine hundertstel Sekunde ihre senkrechten Pupillen.

»Sie hat mich angesehen,« seufzte die Frau, und klapperte humpelnd auf ihren Holzschuhen, demütig mit gesenktem Kopf, als wäre sie um viele Jahre gealtert, durch die schmale Vorkammer in den Seitentempel.

Da drinnen war ein langes Gemach, und hinter langen Glaswänden lagen in seidenen Futteralen die Schwerter verstorbener japanischer Helden und Könige, ihre Rüstungen und ihre Helme aus Lack, Kork und Holz geschnitzt und mit Bronze beschlagen. Auch große Bogen und Köcher mit Pfeilen standen da.

Die Frau blieb unwillkürlich vor einem großen schwarzen Bogen stehen und legte ihre warme Stirn an die kühle Glasscheibe des Glasschrankes. Es war ganz menschenleer hier, nur vorher hie und da waren ihr Pilger begegnet auf den Treppen und den Terrassen der Tempel, – Männer und Frauen aus allen Teilen Japans, welche Nikko besuchten.

Wie sie jetzt an der Glasscheibe lehnt, sieht sie in [143] dem spiegelnden Glas durch dieselbe Türe, durch die sie in die lange Kammer eingetreten ist, einen Mann kommen, der eine weißhaarige, gebeugte alte Frau begleitet. Die kleine Alte stützt sich auf einen Stock und auf den Arm des Mannes und sagt zu ihm: »Mein Sohn.«

Die Frau wendete ihren Kopf betroffen von der Glasscheibe und warf nur einen Blick über ihre Schulter. Dann sah sie rasch wieder in den Glasschrank zurück, als wollte sie ihr Gesicht im Glas verbergen. Sie hielt den Atem an und ließ den Mann und die alte Frau an ihrem Rücken vorübergehen.

Die Götter hatten ihr ihren Wunsch erfüllt! Sie hatte ihren Geliebten noch einmal gesehen, und sie wußte nun auch, daß er eine Mutter hatte wie andere Menschen, und daß er ein Menschensohn war, daß er nicht bloß Vater und Gatte war, so wie sie ihn in Nara gesehen hatte, daß er auch Kindespflichten kannte, seine alte Mutter an seinem Arm stützte, und daß er ihr nun nie mehr der Gott der Abendröte sein könnte, der Gott des Unbekannten, des Abenteuerlichen, der Gott der Inbrunst ohne Pflichten und ohne Schranken.

Und nun wollte sie blind werden und nicht mehr in der Gegenwart und Wirklichkeit leben, sondern im Dunkeln sitzen, wie ein Herz in der Brust, ohne Licht, nur vom dunkeln Blut umgeben.

Gealtert und bekümmert kehrte die Frau von ihrer Wallfahrt nach Seta an den Biwasee zurück, ohne den Tempel der fünftausend Genien in Kioto zu besuchen, wie sie sich vorgenommen hatte.

Ein brennender, feuriger Sonnensommer verwandelte den Biwasee täglich in eine weißglühende Masse. [144] Zwischen dem flammigen Spiegel des Sees und dem flammigen Spiegel des Sonnenhimmels saß die Frau auf dem Altan ihres Hauses oder in einem schaukelnden Boot und ließ sich die tausend funkelnden Sonnenscheiben, die sich in den Wellen brachen, wie tausend Brenngläser in ihre Augen stechen. Wenn sie vor Schmerzen die Augen schloß, saß sie in einer feuerrot durchflammten Dunkelheit, als wäre sie mitten im Abendrot von Seta, als wäre sie die rote untergehende Sonne selbst.

Sie wurde blind, wie sie gewollt hatte. Aber auch erblindet sahen sie die Leute von Seta Sommer und Winter, Abend für Abend, mit dem Fächer auf dem Altan sitzen, zu der Stunde, wo das Abendrot in Seta die irdischen Landschaften zu roten Götterlandschaften verwandeln kann und die irdischen gesetzmäßigen Menschengesichter in berauschte unirdische Göttergesichter.

An einem Winternachmittag, als der Nebel des Sees so dick lag, daß die Sonne schon am Mittag im Winterrauch wie eine papierne Scheibe blaß verschwand und ein Hauch von Abendröte erschien, saß die Blinde wieder mit begeistertem Ausdruck auf dem Altan und beschrieb der Dienerin, die ihr den Tee brachte, daß sie rote Wolken sähe, rot wie das Tempelgebälk eines Kiototempels, und daß fünftausend goldene Genien mit hunderttausend goldenen Armen über die roten Wolken geschritten kämen, und daß ein Bogenschütze an der Spitze der Fünftausend ginge. Er winke ihr auf der obersten Stufe einer roten Treppe.

»So schön wie heute sah ich das Abendrot von Seta noch nie,« sagte die Blinde und lehnte den [145] Kopf an das Altangeländer, von dem der kalte Schnee abbröckelte. Ihre kleine Teetasse klirrte. Sie setzte sie mit zitternden Fingern auf den Boden. Sie fächelte sich noch mit dem Fächer, indes ihr Gesicht die Helle des Schnees annahm. Dann starb sie lächelnd.

Es rollen Räder tagaus, tagein [146]

Es rollen Räder tagaus, tagein,
Und die Fenster singen ins Zimmer herein.
Die Scheiben sehen vertieft hinaus,
Als spähen sie nach den Rädern aus.
Sie grübeln über der Räder Sinn,
Und es singen die Fenster ganz sacht vor sich hin.
Wie Verliebte, die nicht mehr bei sich sind,
So summen die Scheiben hinaus in den Wind.
Und draußen rollen tagaus, tagein
Die Räder über das Pflastergestein.
Und jede Scheibe bewegt mitklingt,
Als ob im Rhythmus ihr Glasherz schwingt.

Drinnen im Strauß

Der Abendhimmel leuchtet wie ein Blumenstrauß,
Wie rosige Wicken und rosa Klee sehen die Wolken aus.
Den Strauß umschließen die grünen Bäume und Wiesen,
Und leicht schwebt über der goldenen Helle
Des Mondes Sichel wie eine silberne Libelle.
Die Menschen aber gehen versunken tief drinnen im Strauß,
Wie die Käfer trunken und finden nicht mehr heraus.

Der unbeerdigte Vater [147]

Die Jadestraße von Kanton, die so genannt ist nach den Juwelenläden voll von kostbarem Jadestein, ist die prachtstrotzendste Straße der Stadt. Trittst du in diese Straße, die wie alle durch ein Holzgitter von der Sargstraße, Metzgerstraße, Möbelstraße getrennt ist, glaubst du zuerst, du seist in eine übersinnliche Welt geraten. Die Jadeläden sind über und über vergoldet und von künstlichem vergoldeten Holzgitterwerk umrankt. Keine Glasscheiben trennen die Ladenräume von der Straße. Waldäste, vergoldete, und vergoldetes Blattgewirr, verschlungen in phantastischer Figurenwelt, hängen wie goldene Gardinen die Läden halb zu. Die Straße ist wie alle Kantonstraßen kaum für drei Menschen breit. Bei Regenwetter feucht und halbdunkel wie ein langer Kanal; dann grinsen die goldnen Ladenreihen wie spukhafte, goldene Scheiterhaufen, und smaragdgrün, indigoblau und purpurrot leuchten die senkrechten Ladenschilder wie unzählige Kulissen in der Straße. Drinnen laufen, lautlos gleich weißen Mäusen, die Chinesen in weißen, lila und hellblauen Harlekinkleidern, und ihre Köpfe erscheinen und verschwinden wie gelbe Vollmonde hinter den goldenen Ranken und bunten Kulissenschildern. – In dieser Gasse hatte Hei-Hee seinen Laden, hier hatte er sein ganzes Leben lang gelebt und war kaum je aus den Holzgittern der Straße hinausgekommen; erst jetzt, wo er starb, verließ er seit Jahren zum ersten- und letztenmal den Jadeladen. Sein Leichnam wurde zu den Grabkammern gebracht; das sind kleine Häuser in einem besonderen Stadtviertel [148] an den Mauern von Kanton, wo die Toten auf die Beerdigung warten müssen.

Als Hei-Hees fünf Söhne die drei Särge des Vaters bestellt hatten, den silbernen, den elfenbeinernen und den Sandelholzsarg, die genau ineinander paßten, und darinnen man den reichen Jadehändler in der Grabkammer aufgestellt hatte, und ein Bonze den Tag prophezeien sollte, welcher der günstigste für die Beerdigung war, da fanden die Söhne inzwischen, daß ihr Vater nicht der reiche Mann gewesen, für den ihn die Leute bei Lebzeiten gehalten hatten. Nur Schuldscheine und kein Geld fand sich im Laden, und alle Jadekunstschätze des toten Händlers reichten knapp, um die Schulden zu decken, aber nicht um die drei kostbaren Särge zu bezahlen. Die fünf Söhne überlegten eine ganze Nacht und wachten im Sarghause bei der einbalsamierten Leiche des Vaters. Die Sarghändler kamen am dritten Tage und sagten:

»Wir geben euch unbegrenzten Kredit auf die drei Särge, nur darf euer Vater nicht mit den unbezahlten Särgen begraben werden und muß in der Grabkammer bleiben, bis ihr die Sargkosten bezahlt habt.«

Das war nichts Außergewöhnliches in Kanton, und es ereignete sich öfters, daß die einbalsamierten Toten jahrelang liegen mußten, bis die Angehörigen die teuern Sargkosten bezahlen konnten.

Hei-Hees Söhne fanden darum die Rede der Sarghändler recht und billig und murrten nicht dagegen.

Die fünf Söhne berieten von neuem, und der älteste sagte: »Ich werde nach Japan reisen und will dort versuchen, alten chinesischen Jadestein billig aufzukaufen und ihn dann in China, wo es jetzt immer weniger Jade gibt, teuer zu verkaufen und will mir [149] bald ein Vermögen machen, um den Vater zu beerdigen.«

Der zweite der Brüder sagte: »Du wirst mit Jade nicht viel verdienen; ich werde nach Hongkong reisen und einen großen Opiumhandel anfangen. Mit meinem so erworbenen Vermögen werde ich die Särge eher bezahlen können als du.«

Der dritte sagte: »Jade und Opium stehen schlecht heute; ich werde nach Shanghai reisen und dort an der ausländischen Börse Geldmakler werden. Dort lehren uns die Fremden, deren Kriegsschiffe den Shanghaihafen füllen, daß man ohne Waren schneller ein Vermögen an der Börse machen kann als mit einem Lager von Jade und Opium. Ich werde mit schnellerworbenem Geld den Vater früher beerdigen lassen können als ihr.«

Der vierte der Brüder weinte und seufzte: »Ich werde hier am Sarge wachen, bis ihr drei wiederkommt, und werde jeden Morgen in die Opfertassen frischen Tee auffüllen und Wachskerzen kaufen und Sandelräucherwerk. Und der fünfte Bruder soll inzwischen den Laden hüten und mit den Jaderesten handeln, die wir noch besitzen, um wenigstens das Geld für die täglichen Ahnenopfer zu verdienen.«

So verabredeten es alle fünf und kehrten aus der Grabkammer zurück, um den letzten Nachmittag im Jadeladen zusammen zu verbringen.

Keiner der fünf hatte an die einzige Schwester gedacht, an das junge Mädchen, das ohne Vater und Mutter allein hinter dem Laden in den Wohnzimmern zurückgeblieben war. Sie saß dort unbeachtet im hintersten Zimmer, in der kreisrunden Tür, hinter dem Topfpflanzengarten und weinte in ihren seidenen Ärmel. [150]

»Die Mädchen dürfen weinen und wünschen, die Männer müssen handeln,« hatten die Brüder einmal verächtlich zu ihr gesagt. Geweint hatte sie schon viel; aber was sollte sie sich wünschen? Sie schaute in das leere Haus, darinnen nur die dunkeln Perlmuttermöbel glitzerten. Verzweifelt nahm sie ihren grünen Jadepfeil aus dem schwarzen Haar und wollte ihn sich ins Herz stechen. Aber der glatte Pfeil sprang ihr aus den Händen, fiel hinaus auf das Porzellanpflaster des Gartens und zerbrach.

»Ich wünsche also nicht zu sterben,« sagte sie zu sich, »ich wünsche also weiter zu leben, sonst wäre der Pfeil nicht in meinen Händen zerbrochen. Der Pfeil ist vor meinem Lebenswunsch ausgewichen.« Und das Mädchen war froh, daß sie doch noch einen Wunsch zu leben hatte, denn eigentlich starb sie nicht gern. »Aber was soll ich mit dem Lebenswunsch anfangen,« dachte sie; »den Vater kann ich nicht begraben lassen, wie die Brüder können, also ist mein Leben unnütz. Wenn ich doch den Vater begraben lassen könnte, weil die Brüder jetzt kein Geld haben!«

Wie die junge Chinesin noch grübelte, was sie tun sollte, begann der Fußboden zu zittern, die bunten Glasscheibenwände, welche die Wohnzimmer voneinander trennten, begannen laut zu klirren, und im kleinen Gartenhof ertönte ein hohler Metallklang. Das junge Mädchen blinzelte erstaunt. In der Mitte des Hofes stand ein Silberbecken, darin sonst auf einer Metallspitze eine kleine Silberkugel balancierte; die Kugel war mit weithin tönendem Laut in das Becken gefallen. Das bedeutete Erdbeben, und bei dem Metallton mußten alle Hausbewohner flüchten.

Das Mädchen hörte Geschrei an allen Enden, es [151] sah die Leute und die Dienerinnen kreischend durch das Haus fortstürzen. Die Wände schienen plötzlich zu wandern, die Zimmerdecke hob und senkte sich, die Blumentöpfe im Garten drehten sich alle im Kreis, die gelben und blauen Porzellanpflastersteine tanzten auf den Wegen. Das junge Mädchen sprang auf, aber wagte sich nicht vor und nicht zurück. Sie stand unter der Tür und klatschte in die Hände, um sich die Furcht zu vertreiben. Dann wurde die Luft grau voll Staub, daß sie nichts mehr sah. Die Ratten aus dem Haus liefen an ihr hoch, und eine blieb auf ihrem Kopf fest sitzen. Da rannte das Mädchen mit der Ratte auf dem Kopfe gerade aus, durch die zerbrochenen Glaswände der Wohnzimmer; sie mußte über gestürzte Stühle und große rollende Blumenvasen klettern. Sie lief blind durch die dicken Staubwolken, darinnen Hunderte von unsichtbaren Gegenständen krachten und stürzten. Sie wagte nicht mit den kleinen Händen nach der großen Ratte auf ihrem Kopf zu greifen. Aus dem Jadeladen waren ihre fünf Brüder in alle Winde fortgelaufen. Der rote Ahnenaltar am Eingang war eingestürzt, das junge Mädchen sprang über die Trümmer und wäre längst liegen geblieben, hätte sie nicht noch immer die Ratte auf ihrem Kopfe gefühlt. Sie stürzte durch die staubgefüllten Straßen, wie von der Ratte an den Haaren durch die Luft gezogen. Sie wußte nicht, daß sie durch brennende Häuser, über Tote und Verwundete hinweglief, bis es totenstill um sie wurde und sie sich auf einmal in dem Stadtviertel der Gräberhäuser, in der Grabkammer ihres Vaters sah. Dort sprang die Ratte mit einem Quietschlaut von dem Kopf des jungen Mädchens und grub [152] sich vor ihr in die vom Erdbeben aufgewühlte Erde.

Das Mädchen kauerte am Boden und bemerkte gar nicht, daß der Leichnam ihres Vaters samt den drei Särgen verschwunden war. Als der Staub sich gelegt hatte, erschienen nach Stunden ihre fünf Brüder, einer nach dem andern, um nach dem toten Vater zu sehen. Aber wie erstaunten sie, als der Tote nicht zu finden war und als sie am aufgebrochenen Fußboden entdeckten, daß die Erde ihren Vater samt seinen drei Särgen in die Tiefe gerissen und begraben hatte.

Das junge Mädchen sah auf und sagte: »Ihr sollt nicht staunen, ich habe als unnützes Mädchen gewünscht, den Vater zu begraben. Verzeiht mir, daß mein Wunsch für mich gehandelt hat; ich weiß, daß ich als Mädchen kein Recht zu handeln hatte.«

Da freuten sich die fünf Brüder und antworteten ihr: »Die Sarghändler dürfen keinen Toten mehr ausgraben, der einmal unter der Erde ist. Wenn du den Vater mit deinem stillen Wunsch begraben konntest, Schwester, dann bist du als schwaches Mädchen stärker mit deinem Weinen und Wünschen gewesen als wir Männer mit allem Handeln.«

Der ewige Wanderer, der Wind [153]

Der ewige Wanderer, der Wind,
Kam hochgeschossen mit großen Schritten,
Hat die Bäume unbeirrt umhalst,
Die verwirrt geworden sind;
Sie haben verdrossen
Mit Holzarmen nach ihm gestoßen.
Der Wind hat mit tollen Griffen
Ihre glatten Blätter aneinander geschliffen.
Sie aber wollen beim Juliheu in Ruhe brüten
Und lautlos ihr Stück Erde behüten,
Wollen ihre Blätter stillen,
Wie Ammen den Kindlein zu Willen.
Da fährt der Wind ohne Fried' herein,
Hochfahrig an Gestalt,
Macht keinen Unterschied zwischen jung und alt,
Treibt die Baumherden vor sich her
Und duckt ihre Hälse zur Erden,
Und gibt den Festgewachsenen fliehende Gebärden.
Durchfaucht das Einerlei
Und rührt in den grünen Blättern mit Gejohl und Geschrei.
Kennt keinen Besitz, und wenn er anrennt, keine Grenzen.
Stößt die Stille von ihrem Sitz
Und ist ein Drache mit tausend Schwänzen.
Ich lausche gern seinem Gange,
Der ist gewunden wie eine Schlange
Und gleicht dem Klange der Wälder und ihrer Kühle, die er durchjagt,
Als ob er die Sehnsucht und die Gefühle
Von Tausendjährigem sagt.

Unsere Toten [154]

Nebel filtert um die Felderrunden, um die brachen,
Und von Nebeln wird das Fenster grau umwunden.
Die sonst nur in unsern Träumen nachts am Bett erwachen,
Unsere Toten, die des Hauses Ausweg leis gefunden,
Kommen herbsttags mit den Nebeln in die Türen, in die Stunden.
Unsere Toten, die nur lächeln, nicht mehr lachen,
Wollen jetzt im Grauen abgebrochene Gespräche weiterführen,
Wollen mit den Nebeln Wangen und dein Kinn anrühren.
Ihre Arme sind Gedanken, und du kannst die Toten näher spüren,
Näher jetzt als damals, wo sie noch vom gleichen Glase mit dir tranken.
Alle Toten können, ohne Ende, liebend die Geschlechter führen,
Und sie gehen aus und ein, wie die Nebel durch geschlossene Türen.

Und zimmerte dir und mir ein Bett

Ich schlug vom Weltenbaum ein Brett
Und zimmerte dir und mir ein Bett.
Die Betten wuchsen glühend zusammen,
Und drinnen wiegen sich lauter Flammen.
Nicht Eisen, nicht Zeit kann die Betten je trennen,
Sie werden hell durch die Ewigkeit brennen.

Der Regen scheint besessen [155]

Ich hör' den Regen dreschen
Und übers Pflaster fegen.
Der Regen scheint besessen
Und will die Welt auffressen.
Ich muß mich näher legen
Ins Bett zu meiner Frauen.
Wird sich ihr Äuglein regen,
Kann ich ins Blaue schauen.

Die Abendglocke vom Mijderatempel hören [156]

Der älteste Baum Japans steht am Biwasee, nicht weit von der Stadt Ozu, nicht weit von den Tempelterrassen des Mijderatempels, der auf grünem Hügel über einem Kryptomerienwalde liegt.

Als dieser viel tausend Jahre alte Baum nicht höher als ein Grashalm war, leuchtete der harfenförmige Biwasee dicht bei dem Baumschößling ebenso wie heute noch unverändert bei der alten, zerklüfteten Baumruine.

Dieser älteste Baum Japans stützt sich jetzt wie ein gealterter Gott, der Hunderte von Armen vom Himmel über die Erde ausbreitet, auf Hunderte von Stangen, die gleich Hunderten von Krücken und Stelzen sein morsches Dasein tragen.

Damals, als der Baum jung wie ein Halm war, war aber der Mijderatempel noch nicht gebaut, und niemand hörte noch den wunderbaren Klang der Mijderaglocke, die abends beruhigend wie eine singende Frau ihre Stimme von den Tempelterrassen an dem alten Uferbaum vorüber zur Harfe des Biwasees schickt.

Dieser Baum wurde in ferner Vorzeit aus China nach Japan herübergebracht, als winziges Würzelein zuerst; und in Japan erfuhr man erst sehr spät seine chinesische Geschichte.

Als der Baum so groß wie ein Menschenkind wurde, hatte er noch nicht mal einen Japaner gesehen. Und als die ersten japanischen Menschen zu ihm kamen, war er schon in den kräftigsten Mannesjahren und fast so hoch wie die Kryptomerienbäume des nahen Bergwaldes. [157]

So ein Baum, der nie von der Stelle rückt, und dessen Umgebung gleichfalls nie fortreist, und der nur die Bewegungen der Jahreszeiten kennt, hat ein vorzügliches Gedächtnis. Dieses drückt sich aber nicht darin aus, daß sich sein Mark Gedanken macht über das, was gewesen ist oder was kommen wird, sondern das Gedächtnis eines Baumes liegt immer offen an seiner Außenseite. Die Furchen und Rinden haben sich jeden Tag mit Linien, Eingrabungen, Knorpeln, Schürfungen die kleinsten Erlebnisse wie mit einer stenographischen Schrift in Zeichenschrift notiert. Wie der Baum sich dehnte, wenn ihm in der Welt wohl war, und sich verborkte und sich verpanzerte, wenn ihn die Welt bedrohte, vergrübelte sich seine Rinde und faltete sich zu einer Zeichenschrift.

Die Schriftgelehrten der Bäume sind die Ameisen, die Libellen, die Bienen, die Vögel. Die Borkenkäfer und Borkenwürmer sind untergeordnetere Schriftsetzer, die an der Schicksalssprache des Baumes, an der Rindenschrift mitarbeiten.

Diese Sprache der Bäume entdeckte eines Tages, als die Japaner noch vorzeitliche Bastkleider, Blättergewänder und verwildertes Kopfhaar trugen, nicht in Japan, sondern in China, ein weiser Einsiedler. Der hieß Ata-Mono.

Die Geschichte Ata-Monos liegt weit zurück; sie fällt vor die Entdeckung des alten Baumes am Biwasee.

Als Ata-Mono die ersten Schriftzeichen in einem chinesischen Weidenbaum entdeckte, las er auch in der Baumrinde das Mittel, seinen Leib unsterblich zu erhalten. In dem Bast jenes Weidenbaumes in China stand geschrieben, daß jeder Mensch, ob groß oder niedrig, ob klug oder beschränkt, ob schwach oder stark, [158] alt oder jung, sich die Unsterblichkeit des Lebensfadens und auch des Leibes erhalten könne, wenn er einmal im Leben beim Laut einer bestimmten Harfe einschlafe. Diese Harfe, sagte der chinesische Weidenbaum, sei nicht in China, aber nicht weit über dem Meer in einem kleinen Inselland, das damals in China noch keinen Namen hatte und nur von einigen »das Land des ewigen Feuers« genannt wurde, weil der Feuerkrater Fushiyama dort immer rauchte.

Ata-Mono suchte den Weg dorthin und las von Baum zu Baum die Rindensprache, bis er ans Meer kam; aber niemand konnte ihn hinüberführen, denn nur Schiffe, die durch Zufall nach dem Inselland verschlagen wurden, alle hundert Jahre einmal, hatten Kunde von dem Feuerland gebracht, in dem Ata-Monos Harfe liegen sollte.

Ata-Mono saß jetzt jahraus, jahrein am Meer und schmachtete nach der Unsterblichkeit, kehrte seinem Vaterlande den Rücken und sah mit seinem Angesicht Tag für Tag nach Osten, wo hinter den Wellenbergen das kleine Land des ewigen Feuers war, darin die fremde Harfe liegen sollte.

Eines Tages kam ein Oststurm. Ata-Mono zog sich etwas weiter vom Strand zurück. Da sah er in der Ferne über dem aufgerüttelten Meer ein vielarmiges Wesen. Das kam mit senkrechtem Leib und dunkeln Krallen wie ein mächtiger, belaubter Baum über das Meer geschossen.

Ata-Mono hielt die Erscheinung zuerst für ein Gespenst, dann für einen Drachen, und dann erkannte er, daß der vielarmige, riesige, aufgerichtete Körper wirklich ein Baum war, ein grüner, frischer Kryptomerienbaum mit feuerrotem Stamm; denn die Rinden [159] der Kryptomerienbäume leuchten rot, wenn sie naß werden. Dieser Baum troff von Seewasser, schoß an den kiesigen Strand; und als wandere er leibhaftig auf seinen Wurzeln, eilte er, vom Wind getrieben, eine Viertelstunde tiefer in das Land hinein, bis er andere Bäume fand, in deren Nähe er windgeschützt stehen blieb und sich mit seinen Wurzeln, wie mit riesigen Adlerkrallen, feststellte.

Ata-Mono kannte keine Furcht; und als der wunderbare Baum wie eine rote Fackel über das Wellengewühl des Meeres aufrecht daherkam und seine finsteren Zweige wie schwarzen Rauch in die Luft streckte, da wich der sehnsüchtige Träumer nicht zurück, denn er war ja der erste Vertraute, den die Bäume sich unter den Menschen auserwählt und dem sie ihre Rindenschrift in einer guten Stunde zu erkennen gegeben hatten; und er kannte keine Furcht vor den Bäumen, auch nicht vor diesem seltsamen übers Meer gewanderten Baumriesen.

Ata-Mono legte sich in dieser Nacht unter den neuangekommenen Baum, nachdem er Wurzeln und Rinde von Tang, Seeschlamm und Seemuscheln gereinigt hatte; und er schlief ein mit dem Bewußtsein, daß dieser Baum zu ihm allein nach China und sonst zu keinem andern gesendet war. Und er freute sich, am nächsten Morgen aus der Rinde dieses Baumes Schicksale und Gedanken und Wünsche dieser Kryptomerie zu lesen und vielleicht zu erfahren, wie er nach dem kleinen Land des ewigen Feuers zu jener Harfe gelangen könne.

Der Morgen kam, und Ata-Mono studierte bis zur untergehenden Sonne, ohne zu essen, ohne zu trinken, ohne aufzuschauen, die Gruben, Windungen und [160] Furchen in der Rinde seines Baumkameraden. Aber es war ihm unmöglich, die Zeichen der Rinde zu entziffern, er verstand nichts von der Sprache dieses Baumes. Die Zeichensprache aller chinesischen Bäume konnte er lesen, an diesem Baum aber blieb sie für ihn unleserlich. Und Ata-Mono weinte, als die Sonne untergegangen war und er unter dem unbegreiflichen Baum saß, unwissend und einsam.

»Wenn ich dich nicht lesen kann, so sprich!« schrie er den Baum ungeduldig an, als die Sonne zum letzten Male aufleuchtete und den Stamm rot bestrich.

»Herrlicher, herrlicher Baum!« schrie Ata-Mono voll Entzücken, weil der Baum von der Wurzel bis zur Krone wie eine feurige Kohle leuchtete.

Der Baum schwieg. Die Sonne ging unter.

Ata-Mono schrie: »Ich schwöre, daß ich nichts mehr essen und nichts mehr trinken werde, bis du mich deine Rindenschrift lesen läßt, oder bis du mir jemanden sendest, der mich deine Schrift lehrt.«

Und Ata-Mono lief zum Strand und stopfte sich den Mund mit Kieseln voll, weil er nicht mehr essen, nicht mehr reden, nicht mehr schreien und nicht mehr atmen wollte.

Halb erstickt lag er am Strande und haßte den neuen Baum und haßte China und haßte seine Sehnsucht nach der Unsterblichkeit.

»Ich will die Harfe vergessen,« dachte er und lag in den letzten Atemzügen. Dann wurde ihm wohler. Wie beruhigend ist es doch, wenn man einen wilden Wunsch aufgibt! Man steigt herab, wie von einem wilden Pferd, und hat wieder festen Boden unter den Füßen.

Nach dieser beruhigenden Betrachtung richtete er [161] sich gedankenlos auf, nahm die Steine gedankenlos aus dem Munde und schöpfte frischen Atem. Dann sprang er auf seine beiden Beine, streckte die Arme aus und lachte wieder zum ersten Male seit vielen Jahren. Und seine Stirn, die immer gegrübelt hatte, wurde blank und jung wie die aufgehende Mondscheibe.

»Ach, Mond, lebst du noch? Ich habe dich lange nicht gesehen.« Und Ata-Mono bewunderte die kleinste Muschel im Mondschein, die Grübchen im Sand und die Wölklein, die mit dem Mond zogen, denn er hatte seit Jahren nur Bäume und Baumrinden gesehen und alles andere vergessen. Und nun ließ er auch sein Gehör wieder zu sich kommen. Er, der nur mit den Augen an den Baumrinden gelebt hatte, horchte, wie das Dünengras raschelte, wie die Dünenmäuse miteinander wisperten, wie die Füchse hinter den Baumwurzeln bellten, wie die Eulen sich zuriefen, und wie die Fische im Mondschein plätscherten. Und nachdem er sein Gehör befriedigt hatte, sagten seine Zunge und sein Gaumen zu ihm, seine Zähne und sein Magen und sein gekühltes Blut: »Weißt du, es gibt ganz andere Dinge zu essen als Baumsaft und Baumrinde, wovon du dich jahrelang genährt hast. Hörst du nicht? In der Ferne gackern Truthühner im Schlaf. Und Schweine grunzen im Schlaf, weil ihnen der Mond auf die Rüssel scheint. Und Bauernhöfe sind in der Nähe, wo du Eier, Schweinespeck, gebackene Fische und Reis essen kannst. Und sehnst du dich nicht nach Wärme am ganzen Leib? Und hast du nicht dort, wo den andern Menschen ein verliebtes Herz sitzt, einen bitterkalten Fleck in der Brust?«

Ata-Mono seufzte tief auf, weil alles ihm wahr schien, was seine Sinne zu ihm sagten. Er stand [162] auf und erinnerte sich, daß die Menschen Kleider trugen. Und er flocht sich noch in der Nacht ein langes Hemd aus gedörrtem Tang, und er war eitel genug und flocht sich Ketten aus Muscheln daran und Ketten aus Muscheln ins Haar, weil er den Dirnen, denen er begegnen sollte, zu gefallen wünschte.

Ata-Mono ging dann, als es kaum Tag war, unter den letzten Sternen fort vom Meere, wieder mit dem Gesicht in das chinesische Land hinein.

Bei dem ersten Bauernhaus standen drei Weiber an einem Brunnen. Die sagten freundlich: »Guten Morgen, Ata-Mono.« Und Ata-Mono dankte und war verwundert, daß man seinen Namen kannte, und er bat um etwas süßes Wasser.

Und während er noch wartete, bis der Eimer aus dem Brunnen stiege, ging eines der drei Weiber grüßend fort.

Der erste Becher süßen Wassers, den er seit Jahren trank, schien ihm so nahrhaft und so wohltuend, daß er glaubte, es würde ihn nie mehr dürsten. Und er sagte zu den Frauen:

»Ich werde euch später danken, wenn ich einmal reich werde.«

Die Frauen verneigten sich vor Ata-Mono wie vor einem adligen Herrn und sagten: »Du bist der Reichste im Lande!« Und ihr Gruß und ihre Ehrerbietung machten, daß er sein Herz sich wieder erwärmen fühlte, als schiene ihm die Sonne in den offenen Mund.

Ata-Mono ging, gesättigt durch den Wassertrunk, von dem Bauernhof fort, tiefer in das Land, bewunderte die Reisfelder und die Maulbeerbäume und kam zu einer Ortschaft. Die bestand nur aus zehn Häusern. Aber nahezu dreißig Frauen standen am [163] Eingang des Ortes. Und alle dreißig verneigten sich vor Ata-Mono. Er erkannte unter den Frauen jene, welche die dritte gewesen an dem Brunnen, an dem er vorher getrunken hatte, und die fortgegangen war und hier seine Ankunft angesagt hatte. Er staunte darüber, daß das geschehen war, und er wußte nicht, warum die Leute so viel Wesens aus ihm, dem Unbekannten, machten.

Eine Frau wurde rot und trat vor und sagte: »Unsere Männer sind bei der Feldarbeit und wissen nicht, daß du kommst. Nur wir haben es eben erst durch eine Frau erfahren, daß du nach China zurückkehrst.«

Er konnte vor Staunen nicht antworten und kaum danken, – so tief verfiel er in Betrachtungen und erriet nicht, warum alle die Frauen Zeit und Lust hätten, sich um ihn zu kümmern.

Ata-Mono hatte noch nicht den Ort mit den zehn Häusern verlassen, da kamen ihm auf der Landstraße über den nächsten Hügel und über den zweiten Hügel und über den dritten und vierten Hügel schon neue Frauen und Mädchen entgegen. Immer empfing er dieselben Grüße, und immer wieder mußte er hören, daß die Männer bei der Arbeit seien.

Ata-Mono ging über den fünften Hügel. Dort standen schon Reihen von Frauen zu beiden Seiten des Weges. Die hatten sich gelagert und standen auf und verneigten sich. Ihre Reihen waren dicht gedrängt. Aber kurz vor Sonnenuntergang, am sechsten Hügel, dahinter die Hauptstadt der Provinz lag, standen die Frauen nicht nur am Wege, sondern saßen auch in den Zweigen der Bäume, und ihre Gesichter waren glänzend wie Lampen am Abend. Die oben in den [164] Bäumen klatschten Beifall, und die, die unten standen, verneigten sich und murmelten Beifall.

Hundert Schritte vor dem Tor und den vier Türmen der Provinzhauptstadt, wo das Frauengedränge am Wege am dichtesten war, hörte Ata-Mono plötzlich einen allgemeinen Schrei des Entsetzens. Ein surrender Laut traf sein Ohr, und ein langer, schwirrender Pfeil sauste vor ihm in den Boden und stand senkrecht und zitternd fest vor seinem Fuß.

Er staunte, aber er ließ sich nicht in seinem Weg stören und tat drei Schritte weiter. Da stürzten schnell drei Speere vor ihn nieder. Der eine zerschellte an einem Baum, der zweite durchbohrte ein Weib am Wegrand, der dritte fuhr durch Ata-Monos Haar und riß die Muschelkette aus seinem Haar mit sich.

Gleich darauf sah Ata-Mono, daß die Frauen auf den vier Türmen des Stadttores in Aufruhr gerieten und von jedem Turm einen Mann herunterstürzten.

»Was bedeutet das?« fragte Ata-Mono die zwei Frauen, die ihm zunächst standen.

»O, Herr, ein paar eifersüchtige Männer wollen Euch töten,« sagte die eine der beiden Frauen eifrig; die andere lachte.

»Warum sehe ich nur Frauen und keinen Mann, der mich begrüßt?« fragte er weiter.

»O, Herr, der Regent hat befohlen: am Tage, wo Ihr vom Meere wieder nach China zurückkehren würdet, dürfe kein Mann sein Haus verlassen und kein Mann die Straße betreten, da die Eifersucht der Männer grenzenlos ist, und weil dich alle Männer hier hassen.«

Ata-Mono sagte verwundert: »Ich habe seit Jahren keine Männer gesprochen. Warum hassen sie mich, und warum sind sie eifersüchtig auf mich?« [165]

»Herr, Ihr wißt nicht, daß der Regent tief betrübt war, weil Ihr, der Ihr der Erste seid, der die Sprache der Bäume verstand, – weil Ihr China den Rücken kehren wolltet.«

Ata-Mono staunte:

»Ich habe es niemand erzählt. Woher weiß der Regent, daß ich die Schrift der Baumrinden lesen kann?«

»Herr, man sah Euch ja täglich in Eurem Heimatort an allen Wegen, in allen Wäldern, wie Ihr laut die Sprache der Bäume entziffert habt. Die Menschen standen in Scharen um Euch und lernten von Euch das Lesen der Rinden. Und jetzt lesen alle unsere Männer und verstehen die Sprache der Bäume wie Ihr.«

»Sind sie deswegen eifersüchtig, eure Männer, weil ich der Erste war, der die Sprache der Bäume verstand?«

»O nein, Herr, sie sind eifersüchtig, weil der Regent am Tag, da Ihr China den Rücken wendetet und ans Meer gingt, geschworen hat, daß Ihr an dem Tag, an dem Ihr umkehren würdet und unter sein Volk zurückkehren, – daß Ihr dann die Wahl haben würdet unter allen Frauen, ob verheiratet oder unverheiratet, ob hoch oder niedrig; ja, die Regentin selbst dürft Ihr als Frau Euch erwählen. Aber Ihr müßt Euch entscheiden, ehe die Sonne dieses Tages untergeht. Habt Ihr dann nicht gewählt, wird man Euch morgen töten. Der Regent will, daß Ihr, tot oder lebendig, jetzt im Lande bleibt, und daß Ihr nicht den Ruhm des Landes gefährdet, daß Ihr nicht auswandert oder eine Frau aus einem andern Volke wählt als aus dem unsern. [166]

Die Männer, die vorhin von den Türmen gestürzt wurden, waren die Männer von den vier schönen Töchtern des Regenten; diese vier Männer wollten Euch töten, ehe Ihr die Stadt betreten hättet, weil sie bei Eurer Brautschau für ihre Frauen fürchteten.«

Ata-Mono sagte: »Alle hunderttausend Frauen des Landes sind mir willkommen. Sowenig, wie ich jetzt mehr den Willen zur Unsterblichkeit habe, sowenig Willen habe ich zur Liebeswahl. Ich werde also morgen sterben. Warum bin ich nicht schon vorhin gestorben, als der Pfeil zielte und die Speere eine Frau töteten, statt mich zu töten?«

»Komm!« sagte das Weib, das ihm geantwortet hatte. »Lege deinen Arm um mich und verkündige mich als deine Frau. Dann wirst du nicht sterben müssen. Und ich will dir helfen, dir die Unsterblichkeit zu sichern, die du am Meer vergeblich erwartet hast.«

Ata-Mono fragte rasch:

»Kennst du die Rindensprache der roten Kryptomerienbäume?«

»Natürlich,« sagte die Frau ebenso rasch. »Ich habe zwar nie einen solchen Baum gesehen, ich kenne aber seine Rindenschrift wie die Linien meiner Hand.«

Ata-Mono fragte noch rascher:

»Weißt du, wo die Harfe liegt, die ich suche?«

»Natürlich,« antwortete ebenso rasch die Frau. »Alle Bäume erzählen es, daß die Harfe im kleinen, ewigen Feuerland liegt.«

»Weib, weißt du den Weg dorthin?«

»Natürlich. Ich werde ihn dir schon zeigen. Wenn du mich zu deiner Frau gemacht hast, werde ich ihn in Erfahrung bringen. Alles wird mir gelingen, wenn du mich liebst.« [167]

»Wirst du mir treu bleiben, wenn ich dich heirate, und willst du die Unsterblichkeit mit mir teilen?«

»Treu bleiben?« fragte das Weib und schmollte. »Das ist das Natürlichste von der Welt. Das verspreche ich dir gar nicht. Aber die Unsterblichkeit werde ich natürlich mit dir teilen.« – –

Ata-Mono betrat die Stadt nicht. Siebenundneunzig Schritte vor der Stadt, heißt es in den chinesischen und japanischen Chroniken, legte er seinen Arm um ein Weib. Aber nicht um das Weib, das er ausgefragt hatte, und welches immer so geläufig »natürlich« geantwortet hatte, sondern um eines, das daneben gestanden und zu allem gelacht hatte, melodisch und freundlich wie eine singende Glocke.

Diese Frau hatte Ata-Mono nichts versprochen, und die Länder ehren heute noch ihr Andenken und ihr singendes Lachen.

Als der große chinesische Weise und Wissende und sein lieblich lachendes Weib nach glücklichster Ehe hochbetagt starben, begrub man beide am Meeresstrande unter dem rätselhaften Baum, dessen Rinde Ata-Mono niemals entziffert hat. –

Hunderte Jahre nachher, als die Chinesen Japan entdeckten und den harfenförmigen Biwasee, als die große Harfe, im Lande des ewigen Feuers liegen fanden, brachte man dorthin ein Reis jenes unerklärlichen Baumes, zu einer Zeit, wo die Japaner noch in Blätterkleidern und mit ungekämmten Haaren das kleine Feuereiland bewohnten und die Chinesen dort die ersten Apostel höherer Bildung und Gesittung wurden.

Und wieder einige Jahrhunderte später, als die [168] ersten chinesischen Buddhisten-Mönche die Religion des Pflanzen-, des Tierreiches und des Menschenreiches den Japanern gaben und ihnen die Verbrüderung aller Weltallwesen lehrten und Mönche den Mijderatempel mit seinen Terrassen am Biwasee bauten, da erinnerte man sich wieder des rätselhaften Baumes, der nun durch die Jahrhunderte stark und mächtig geworden war. Und jeder, der zu dem Baum am Biwasee kam, sprach von Ata-Monos Geschichte, bis eines Tages ein japanischer Mönch geboren wurde. Dieser war der Erste, der die Rinde des alten, rätselhaften Baumes am Biwasee entziffern lernte, die bis dahin unleserlich geblieben war. Und er las zu seinem Erstaunen von der Baumrinde den Satz:

»O wisse, Mensch, und höre mich, der ich alt werde wie die Erdrinde! Mir und allen, welche so alt werden auf der Erde, steht die Liebe höher als die Unsterblichkeit.«

Und diesen Spruch las der japanische Mönch milliarden- und milliardenmal in die Kronenäste, in den Stamm und in die Wurzelrinden gegraben; bis zur tiefsten Wurzel drunten in der Erde sprach der Baum keinen anderen Satz.

Nun erinnerte man sich auch, daß Ata-Mono, seitdem er glücklich mit dem lachenden Weibe lebte, nie mehr von der Unsterblichkeit gesprochen, daß er sein Weib niemals nach dem Wege zur Unsterblichkeit gefragt hatte. Und aus der Vergangenheit stieg das Lachen jenes Weibes, wie aus einem Grab, als Mönche eine Glocke gegossen hatten, die noch heute abends im Mijderatempel geläutet wird, und deren Stimme wie die sanftgewordene Stimme von Jahrtausenden [169] klingt, und die den singenden Ton eines glücklichen Weibes hat.

Der alte Baum ist heute nur noch ein Stummel, von Stelzen und Krücken gestützt. Zu dem Platze, wo er am See steht, führt ein hölzernes Tempeltor. Seine Zweige sind mit Tausenden von weißen Gebetszetteln behangen. Tausende von Pilgern aus Japan und China besuchen ihn, den Unsterblichen, der verkündet: »Die Liebe ist größer als die Unsterblichkeit«, und nennen ihn »den Glücklichen«, weil er Abend um Abend die kostbare Frauenstimme der Abendglocke des Mijderatempels belauschen darf, die jenem weiblichen Lachen gleicht, bei welchem einst Ata-Mono den Wunsch nach Unsterblichkeit vergaß.

Komm heim [170]

Komm heim, komm heim, ich kann's nicht erwarten,
Schon schließt der Abend die Blumen im Garten,
Schon wird der Boden zu Füßen mir rot,
Die letzte Flamme der Sonne verloht.
Die Bäume erschrecken, der Wind geht nach Haus,
Meine Gedanken strecken sich nach dir aus.

Auf grünem Rasen

Frühsonne geht im Blauen, wie eine goldne Fee,
Will über die Schultern der Bäume schauen.
Die Schmetterlinge jagen sich über Baum und Klee,
Und Wolken lassen sich tragen
Hin über die blauen Gassen,
Wie Damen in seidenen Wagen.
Du und ich auf grünem Rasen,
Wie am Grund von einem See,
Sitzen verwunschen und weltverlassen,
Und wenn wir uns einsam umfassen,
Wissen wir aller Freude und Weh.

Himmelfahrtstag

Niemals ich je in einen andern Himmel mag
Als den, in dem ich immer selig lag,
In deinem Arm, wo alle Erde still
Zu deinen Füßen lehnt und nichts mehr will.
Dein Haar mit seiner wogenden Gebärde,
Dein Aug' mit seiner Lichterschar
Und deine Brust, an der ich wunschlos werde,
Sie aller Himmel allerhöchste Lust mir sind.
Lieb' ist die Himmelfahrt für jedes Erdenkind.

Den Abendschnee am Hirayama sehen [171]

An großen Masten ragen ein Dutzend weiße elektrische Bogenlampen in die Nacht. Sie beleuchten einen Landungskai im Hafen von Marseille. Wie ein langer weißer Kreideblock liegt dort ein weißer eiserner Orientdampfer mit Hunderten von runden, gelbleuchtenden Kabinenfenstern. Rot, gelb und weiß beschienene Gesichter und viele beleuchtete Hände und Arme hantieren in der Nacht auf der Plankenbrücke und um die klirrenden Ketten der Verladungskähne, wo Haufen von Koffern, Reisekörben und Reisekisten verstaut werden.

Durch die langen, schneeweißen Korridore drinnen im Dampfer eilen schneeweiß gekleidete Indier mit schwarzen Gesichtern und schwarzen Händen, aus prächtigen Küchen, in denen üppiges Kupfer leuchtet, in die prächtigen Speisesäle, die von rotem Mahagoniholz und blanken Messingsäulen, von Prunk und Gediegenheit strotzen, darinnen alles seltsam stille steht, indessen die bittere, bewegliche Seeluft durch die glühlampenhellen Räume und durch die Korridortüren wie ein unruhiges Fluidum streicht. Diese Seeluft, die in dem Schiffspalast, auch wenn er am Kai still steht, immer noch allen Räumen quecksilberhafte Ungeduld gibt, wie der Saft einer Pflanze, die man vom Wald ins Zimmer geholt hat. Ein ruhiges Schiff ist kein stillstehender Gegenstand, denn die Wanderluft, die auch im Hafen noch um seine Räume streicht, läßt es nicht schlafend und nicht tot erscheinen. Die Offiziere, Matrosen und Bedienungsmannschaften behalten auf dem ruhigen Schiff immer noch das bittere Fieber der Seeluft in der Brust, und allen [172] erscheint Ruhe als ein Unglück und Wandern als das alleinige Glück.

Das Schiff legt nachts in Marseille an und soll morgen um neun Uhr früh seine Weiterfahrt nach Asien und Japan antreten. Die meisten Passagiere haben für ein paar Nachtstunden das Schiff, das schon aus London kommt, zu einem kurzen Aufenthalt in Marseille verlassen, um wieder einmal Abendbrot an Land zu essen, denn das Schiff ist schon seit mehreren Tagen unterwegs und hat seit London keinen Hafen angelaufen.

Jetzt neigt sich die Nacht ihrem Ende zu. Die elektrischen Lampen brennen noch, aber der Himmel wird schon blau, und Scharen von lachenden und etwas kindisch heiteren Passagieren kehren aus den Nachttheatern und Nachtcafés der Stadt zurück. Junge Leute haben rote und blaue Kinderluftballons an ihre Hüte gebunden. Damen haben sich Arme voll Blumen gekauft, Winterveilchen von der Riviera; und alle Gesichter sehen belustigt aus, als kehrten diese Menschen von einem Volksfest heim. Alle haben sie nur für ein paar Stunden mit ihren Füßen die Erde besucht, die schöne, ruhige, stillstehende Erde mit ihrem irdischen Staubgeruch, und die hat die Passagiere im Herzen so überschwenglich und warm gestimmt.

Jetzt müssen alle wieder auf die schwankenden Schiffsbretter, zurück auf das buckelige Meer, in die staublose, unirdische Seeluft, in der ihnen die Sonne noch treu bleibt, wo aber die Erde meilentief in das Wasser sinkt.

Ein blauer, lauer Januarmorgen brach an. Die Lampen am Kai und im Schiffsinnern verloschen. Dafür zündete die Morgensonne tausend Lampen in [173] den tausend Wellenspiegeln an, und die Messinggeländer des schneeweißen Schiffes, seine roten Schornsteine und zinnoberroten Ventilatoren leuchteten wie die künstliche Kulissenwelt eines Theaters, aufgebaut unter dem indigoblauen Mittelmeerhimmel.

Am Kai standen Verkäufer vor Bergen von hölzernen Segeltuchstühlen, die sie an die Passagiere für die weite Seereise nach Asien verkauften. An der Abfahrtshalle vor der Telegraphenoffice drängten sich die Reisenden, schrieben auf umgestülpten Koffern, Tonnen und Kisten Telegramme, – die letzten Abschiedsgrüße aus dem letzten europäischen Hafen nach den Heimatsorten.

An den langen Geländern des Promenadendecks stand Kopf bei Kopf, Ellenbogen bei Ellenbogen. Viele kleine Kodaks knipsten und fingen das Hafenbild.

Auf der nassen Kaimauer vor der Reihe der Packträger und Verlader hatte ein Athlet einen braunen Teppichfetzen ausgebreitet. An dem einen Ende des Teppichs tanzte in gelbem Trikot und rosa Tüllröckchen seine zehnjährige Tochter und klapperte mit Kastagnetten, armselig und ungeschickt.

Auf der andern Ecke des Teppichs stand der Sohn des Athleten in blauem Trikot und spielte auf einer dünnen Violine. Auf der dritten Ecke lagen Gewichtsteine und Kugeln, und auf der vierten Ecke des Teppichs stand der Athlet selbst in schmutzig weißem Trikot und stemmte die Gewichtkugeln, Kanonenrohre und eisernen Wagenräder.

Die Schiffssirene hat bereits mehrmals ihre gellenden Abfahrtssignale gegeben. Der Athlet, die kleine Tänzerin und der kleine Geiger rauften sich mit den [174] Packträgern um die Kupfersousstücke, die wie ein brauner Hagel vom Schiff auf den Kai regneten. Scharen englischer Clerks, die nach Indien reisen wollten und rote, whiskytrunkene Gesichter aus dem Nachtleben von Marseille mitgebracht hatten, brüllten im Chor hundert »Cheers for old England«.

Dann bewegte sich wie eine Drehbühne das mächtige Schiff vom Ufer weg. Die sich balgenden Leute am Ufer, die Landungshallen verkleinerten sich, als schrumpften sie in irgendeine Tasche hinein. Erdbilder, Felsenufer, weiße Kalksteingebirge, graue Dächerreihen drehten sich wie Bilder, gemalt auf einen Riesenkreisel, vorüber. Das Schiff schien still zu stehen, aber die Erde wurde zu einer ungeheueren Kugel, die sich unter dem Schiff drehte.

Allmählich liefen die Bilder immer kleiner, ferner und farbloser wie Nebelwische vorüber, und nun nahm der gewaltige Rausch der Seeluft das Schiff in sich auf, und das Ungeheuer, der endlose Himmel, machte die lauten Passagiere still, löste nicht nur die Erde unter den Füßen, sondern nahm auch den Gedanken jede Festigkeit und Sicherheit, machte das Blut argwöhnisch, die Füße schwankend, die Gehirne ohnmächtig.

Hunderte von Drehstühlen wurden an die Geländer gebunden, daß sie nicht von dem Seegang hin und her rutschten. Unter riesigen Reisekappen, in ungeheuere Reisemäntel und in vielfarbige und karierte Schals gewickelt, lagen die Passagiere, ausgestreckt in endlosen Reihen, auf dem weißen Promenadendeck. Die weißgetünchten Eisenwände, die sachlichen Eisengeländer, die alle gerade und senkrechte Linien zeigten, flößten Sicherheit, aber auch Nüchternheit ein, als [175] wäre das Schiff ein riesiger, physikalischer Apparat in einem Laboratorium, als wären die Menschen Präparate, die da künstlich aufbewahrt würden, bis zur Landung an einem andern Kontinent.

Unter den Schiffspassagieren, die da in Reih und Glied in Liegestühlen auf den langen Decks lagen, als wären die Deckpromenaden Lazarette, fielen zwei Japaner auf, die von zwei deutschen Damen, einer jungen rotblonden und einer alten weißhaarigen, begleitet waren. Es waren die beiden Schauspieler Kutsuma und Okuro, die mit der Sada-Yakko-Truppe eine Europa-Tournee unternommen hatten und jetzt, getrennt von der Truppe, nach Japan zurückkehrten.

Okuro hatte sich eben erst mit einer deutschen Dame verheiratet, und diese, welche immer mit ihrer Großmutter zusammengelebt hatte, wollte sich auch nicht in der Ehe von ihr trennen. Darum begleitete die achtzigjährige weißhaarige Alte das junge Ehepaar nach Japan.

Die beiden Japaner waren europäisch gekleidet; nur ihre gelben Gesichter und ihre kleinen Figuren fielen unter den langen, rosahäutigen Engländern auf.

Ilse, Okuros junge und schöne Frau, hatte Goldglanzhaare, goldrot, wie der rote Metallglanz der Goldfische.

Sie trug ein smaragdgrünes Reisekleid und war unter allen den braunen, grauen und schwarzkarierten Engländerinnen und Engländern leuchtend wie ein Sonnenprisma. Ihre gute Laune gab ihrem Wesen die Fülle eines freigebigen Sommers.

Die Großmutter neben ihr mit dem weißen Haar, das wie ein alter Silberschmuck den Kopf umgab, lachte ebenso wie ihre Enkelin immer mit blauen [176] Augen, und ihr Gesicht war wie ein sonniger Wintertag, frisch und lautlos.

Nie sind zwei Menschen fröhlicher und sorgloser in die Zukunft gereist als diese beiden Damen. Okuro hatte sich ein Vermögen durch seine Tournee verdient. Ilse wußte nicht, was sie mehr an ihrem Mann schätzen sollte: die ausgesuchte Fürsorge, mit der er sie umgab, die große Anspruchslosigkeit, mit der er auftrat, oder die große Leichtigkeit, mit der er alle Schwierigkeiten lächelnd aufnahm.

Nur eines machte ihr Unruhe: sie verstand allmählich, daß ein Asiate nicht ist: wie fünf und fünf ist zehn, sondern daß bei ihm fünf und fünf einmal Tausend und einmal Null sein kann. Sie ahnte, daß sie noch nicht den hundertsten Teil von dem Gehirn ihres Mannes kannte, und manchmal merkte sie, daß seine kleinen asiatischen Augen, die eben noch rosinensüß und lächelnd ausgesehen hatten, plötzlich schwarz und bitter wie Gallapfelsaft werden, oder sogar tödlich, vernichtend wirken konnten wie schwarze, funkelnde Tollkirschen.

Aber gerade, daß sie seiner nicht sicher war, daß sie seine Weltallruhe und sein göttliches Aufgehen im Verstehen des Kleinsten bewundern und dann wieder plötzlich erschrecken mußte vor tierischen Kehllauten, die er ausstoßen konnte, und die bestialische Leidenschaftlichkeiten vermuten ließen, – dieses machte Ilses Seele sanft wie ein Kaninchen, das man mit einer Klapperschlange zusammengesperrt hat. Und sie war ihm in die Ehe gefolgt, weil sie sich nach einer Welt von Abenteuern sehnte, nach exotischen Geheimnissen.

Als der rauchende und erhitzte Dampfer zwischen dem blauen Äther des Mittelmeerhimmels und dem [177] gasblauen Wasser des Mittelmeeres sich jetzt von Europa trennte, um Afrika und Asien zu erreichen, erschien Ilse das weiße, blendende Schiffsgerüst in der Bläue ringsum wie der weiße Silberkörper eines Riesenfisches, der viele Meilen in die Bläue untergetaucht wäre und unter den Meeren mit ihr fortschwämme. Nur das gelbe Stück Sonne oben war wie ein Stück Land, das in die Bläue herabschiene. Und sie hoffte, so verzaubernd wie das Meer, so von Grund aus sollte sich jetzt ihr Leben in der Zukunft verändern, daß alle Begriffe sich umstülpten.

Aber als in der zweiten Nacht die elektrischen Kailampen von Messina, das damals noch nicht untergegangen war, in langer Reihe vorüberzogen, nahm Ilse ihrem Mann Okuro, der neben ihr im Deckstuhl saß und in der Dunkelheit nur am roten Punkt seiner Zigarette ihr erkenntlich war, die Zigarette aus dem Mund, warf sie über Bord und sagte, schmollend in ihrer Flitterwochenstimmung:

»Geliebter, wie kannst du rauchen und dich mit deiner Zigarette lautlos unterhalten? Ich bin eifersüchtig auf deine Zigarette und deine Ruhe bei ihr. Ich bin noch keine so alte, ruhige Frau wie meine Großmutter, welche einschläft, wenn du stundenlang schweigend rauchst. Ich möchte lieber, daß du mich erwürgst, ins Meer wirfst, oder irgend etwas Böses mit mir tust, aber ich mag nicht, daß du so ruhig und gleichgültig neben mir rauchst. Wir kennen uns noch nicht auswendig. Nur ist das, als wärest du mir untreu, wenn du die Zigarette mehr liebst als mich.«

Darauf antwortete der junge asiatische Ehemann:

»Wenn ich Diener brauche, die dich und mich bedienen, [178] so bin ich deshalb nicht ein schwacher Mann, der sich nicht selbst bedienen könnte. Wenn ich eine Zigarette brauche, die mir Ruhe gibt, so habe ich deshalb dich nicht aus meinem Herzen verstoßen, denn dich brauche ich natürlich erst recht zu meiner Ruhe. Die Zigarette allein würde mich nicht genügend mit Ruhe bedienen.«

Ilse fuhr schnell und heftig auf:

»Wenn du vielleicht statt der Zigarette eines Tages eine andere Frau brauchtest, die dich mit Ruhe bedienen müßte, dann dürfte ich auch nicht unruhig werden, Okuro?«

Dieser lächelte und sagte noch ruhiger:

»In Japan liebt ein Mann seine Frau immer, so lange er sie nicht fortschickt. Und Frauen fragen bei uns nicht nach den Wegen, die ein Mann gehen muß, und die ihn zum Manne machen.«

Ilse wurde noch heftiger:

»Du darfst also viele Frauen lieben, wenn es dich zum Manne macht? Und ich soll keinen Schmerz empfinden, wenn du deine Nächte mit anderen Frauen teilst und deine Umarmungen, deinen Leib und dein Herz anderen Frauen gibst, wo ich doch dachte, daß der Tag der Hochzeit dich mir ganz und gar geschenkt hätte?«

»Nicht ich bin dein, sondern du bist mein geworden,« antwortete ruhig der Japaner. »Ich bin ich geblieben und bin nur durch dich mehr geworden. Aber du bist seit dem Tag unserer Hochzeit nach unseren asiatischen Begriffen verschwunden und bist nicht mehr.«

»Ich bin also schon,« lachte Ilse, »an dem Tag unserer Hochzeit ins Nirwana eingegangen und gehöre jetzt zu den Toten?« [179]

»Ja, Ilse, größtes Glück ist Nirwana. Und die Frau, die sich nicht um das wirkliche Leben zu kümmern braucht, um Geldverdienen und Staatsgeschäfte, kann deshalb schon am Tag ihrer Hochzeit ins Nirwana eingehen, der Mann erst am Tage seines Todes.«

»Aber ich will gar nicht im Nirwana sein, wenn du nicht darin bist,« rief die junge Frau eigensinnig. »Und so lange du im gewöhnlichen Leben bist, will ich auch eine gewöhnliche Lebende sein.«

Okuro sagte ruhig: »Die Götter haben euch Frauen keine Knochen gegeben, um im gewöhnlichen Leben so fest zu stehen wie der Mann.«

Dieses war das erste von hundert ähnlichen Gesprächen, welche Ilse und Okuro, in ihren Deckstühlen liegend oder um die Schiffsschornsteine promenierend, morgens, mittags und abends führten. Seit Europa verschwunden war und das nach Asien schweifende Meer vor ihnen lag, bauten sich die Gedankenwelten der beiden Neuvermählten in der Leere des Meeres wie die Ufer von zwei einander gegenüberliegenden Ländern voreinander auf.

Nie hatten die beiden in den lebendigen Alltagstunden des zerstückelten Tageslebens von Berlin, wo sie sich hatten kennen lernen, Muße gefunden, mehr voneinander zu sehen als nur leichte Beleuchtungen, unterhaltende Augenblicksbilder ihres Herzens. Jetzt aber, unter der unendlichen Weite, auf der Reise über die halbe Erdkugel, die vor ihnen lag, unter der Riesenruhe des körperlosen Himmels und des unbegrenzten Wassers und in der Ruhe der unendlichen Einförmigkeit des kasernenhaften Schiffslebens, wuchsen die Betrachtungen der beiden wie meilenlange Seeschlangen, die unterirdisch dem Schiff folgten und [180] hie und da in großen Wellenlinien an die Oberfläche kämen.

Bei dem ersten Gespräch von dieser Art, das bei Nacht in der Meeresenge von Messina geführt wurde, sahen sich die beiden nicht. Ihre Deckstühle standen im Schatten von großen Rettungsbooten, und es war zu der späten Stunde, da die Deckbeleuchtung der gelben Glühbirnen halb gelöscht ist. Es fehlte diesem Gespräch das Echo der Gesichtsmienen und Bewegungen, und da es als erstes Gespräch nicht zu Ende geführt wurde, und da sie danach nur immer ihre Stimmen im Ohr und nicht ihre Gesichter gesehen hatten, so blieb dieses Gespräch wie ein ewig dunkler verborgener Keim, der auf dem beweglichen Schiff und auf der Bodenlosigkeit der Meerestiefe keine Wurzel fassen und nicht ausgerissen werden konnte, sondern mit ihnen schwamm und anwuchs wie ein millionenfingriges Seegewächs.

Als Ilse und Okuro die erste Landstation, die lange, weiße Molenmauer von Port Said, unter dem grünlichblauen Afrikahimmel sahen, da hingen die Gespräche über die verschiedene Denk- und Empfindungsweise der beiden wie der Schaum des Fahrwassers hinter ihrem Schiff. Ihre Gedankenwelt schrumpfte aber sofort ein und verflüchtigte sich zu einer angenehmen Gedankenlosigkeit, als die beiden mit Kutsuma und der Großmutter für ein paar Stunden in den langen Basarstraßen von Port Said unter Ägyptern, Arabern, Abessiniern in den Straßenkaffees saßen und den Millionärstöchtern der Amerikaner zusahen, die, mit den üppigsten Pelzen bekleidet, hier in dem nächtlich kühlen Ägypten landeten und den kleinen Port Saider Bahnhof belagerten, [181] um den Schnellzug nach Kairo und in das Wüstenland nach Heluan zu besteigen.

Sowie sich Ilse von schwarzhäutigen Afrikanegern in langen weißen und blauen Leinwandhemdkleidern umgeben sah, von schwarzen Schultern und Gesichtern, die wie eine Schar lebendiggewordener riesiger Kaffeebohnen hier am Kai durcheinanderliefen, fühlte sie sich magdhaft, fraulich und sehnte sich schutzsuchend neben ihrer Großmutter nach ihrem Mann. Wenn sie sich dann umsah und hinter ihr Okuro und Kutsuma gingen, fühlte sie keine Sicherheit, keine Ruhe, denn die zierlichen gelbhäutigen Japaner waren hier in Afrika noch weniger zu Hause als in Europa; und Okuros gelbe Gesichtsfarbe erschien ihr lächerlich und leichenhaft neben der schönen Pulverfarbe der Afrikaner.

Hier am Land waren es jetzt nicht nur die Gedanken der Europäerin, die gegen die Gedanken der Asiaten Wortgefechte führten. Es war noch schlimmer: es war der Körper selbst, der dem Herzen abtrünnig zu werden schien.

Als sie am Abend zum Schiff zurückkehren mußten, ging die junge Frau früher als sonst zu Bett. Sie schloß ihre Augen hartnäckig und stellte sich schlafend, als Okuro ihr Haar streichelte und ihr ein paar zärtliche Worte zuflüsterte.

Ilse hütete sich wohl, der Großmutter am nächsten Tag von ihren wankenden Gedanken und Gefühlen zu erzählen. Auf dem Weg über das Mittelmeer nach Afrika hatte sie geglaubt, es sei der schwankende Schiffsboden, der sie selbstquälerisch und heimatlos stimme, und auf dem sie sich behaupten müsse. Aber der Spaziergang in Port Said hatte sie noch mehr [182] erschreckt, und sie konnte sich nicht der Überlegung erwehren, ob sie von jetzt an schweigen und asiatisch dulden oder sich auflehnen und europäisch behaupten müßte.

Trotzdem lachte sie äußerlich. Ihr rotgoldenes Haar strahlte schon allein ein reiches sommerliches Lächeln; Ilse war im Grunde viel zu genußsüchtig, als daß sie unter Gedanken lange hätte leiden mögen, und es schien, als ließe sie ihr rotes Haar immer gern wie zu einem täglichen Lebensfest leuchten.

Die Deckbevölkerung hatte sich vermehrt und verändert. Reiche indische Kaufleute in europäischer Kleidung, aber mit sehr viel Ringen und goldenen Uhrketten geschmückt, standen wie die Schatten der weißen Leute auf den langen Schiffspromenaden herum, hatten die Augen von guten Waldtieren oder von eiteln Tropenvögeln. Die schmalen Messingstiegen, die vom Promenadendeck der ersten Klasse in das tiefere Zwischendeck hinunterführten, waren drunten belagert wie von einer Maskerade. Mekkapilger mit smaragdgrünen Turbanen, buddhistische Mönche in senfgelben Mänteln, türkische Hausierer in dunkelblauen und violetten Kaftanen, nackte Fakire, in dicke Stricke und Muschelketten gekleidet, indische Handwerker in weißen Schleierhosen, roten Sammetwesten und goldgestickten Kappen und die braune indische Schiffsbemannung des englischen Dampfers in blauen Hosen und roten Schärpengürteln mit tigerartig geschmeidigen nackten Oberkörpern, und die alle barfuß wie die Tiere auf dem Feld durcheinanderliefen, vervollständigten das Papageienbild des Zwischendecks.

Das Schiff wanderte und wanderte, beladen und [183] belastet mit den hundert verschiedenen Ideenwelten von hundert verschiedenen Rassen. Es hatte die lange Sandwüstengasse des Suezkanals passiert, wo der Sand auf Meilen wie gelber Goldstaub lag, und wo weiße Salzlakenmoore gleich weißen Eisflächen glänzen. Auf die Öde und den Stillstand dieses Landes folgte die höllische Glutbrunst des Roten Meeres, wo das Meer nicht rot vor Korallen ist, sondern rot wird von der Hitze, mit der es deine Augen brennt, wo die Sonne wie ein Feuereimer das Tageslicht gleich rotem, flüssigem Metall ausgießt, wo violette Steingebirge in Nubien dastehen und gegenüber in Arabien solche, die silbernen Aschenhaufen gleichen, wo der Berg Sinai als Silhouette am Himmel vor Hitze zittert.

Die Arbeit der indischen Matrosen auf dem Schiff besteht jetzt den ganzen Tag darin, die Segeldächer über den langen Schiffspromenaden über den in Reihen hingestreckten und vor Hitze aufgelösten Passagieren zuzuziehen und je nach dem Stand der Sonne anders zu stellen. Mit Strohhüten und weißen Sommerkleidern liegen Herren und Damen wie am Rand einer Strandpromenade, vor Hitze aufgedunsen, als wäre das Blut von der Hitze in den Menschenkörpern zu Rotwein geworden, als wären die Reisenden vom Alkohol betäubt und blau gedunsen, – so liegen die Scharen der Reisenden wie in einer betrunkenen Schlafwelt auf der dreitägigen Fahrt durch das Rote Meer.

In den Schiffssälen bewegen sich an der Decke lange weiße Leinwandfächer, die gleich den Soffiten eines Bühnenhimmels quer durch die Räume gezogen sind und sich wie ein weißer Wellengang über die [184] Köpfe der Speisenden bewegen, aber keine Kühlung geben und nur die brühwarme Meeresluft von einem Gesicht zum andern schicken.

Das große geheizte Schiff wandert und wandert. Die Fernrohre entdecken täglich wieder Afrika auf der einen Seite, Arabien auf der andern. Das glühende Schiff schleppt am Tage die Sonne wie einen Riesenballast mit. Am Abend scheint der Himmel zur Wüste ausgetrocknet zu sein und wird goldgelb wie Wüstensand. Dann stehen über Afrika lange schilfgrüne Wolken, gleich spukhaften Erscheinungen unwirklicher grüner Felder. Jetzt nach Sonnenuntergang werden die Segeldächer gerafft. Die Reisenden, die vor Hitze nicht hatten sprechen können, und jeder Mund, der geglaubt hatte, es würden ihm Flammen aus der Lunge fahren, beginnen den Abend zu bewundern, der aber immer noch heißer bleibt als ein europäischer Julitag.

In diesen Hitzetagen, die alle Hirngespinste wegbrannten, war Ilse nicht Europäerin, nicht werdende Asiatin, sie war wie der Klumpen Sonne selbst, der oben über dem Schiffsmast hing und mit dem Schiff weiter zog. Sie brauchte keine Nachsicht zu üben, sie brauchte keine Behauptungen, um sich sicher zu stellen. Es war, als impfe die Sonne mit ihrer Glut Liebe ein. Und jeder Menschenkörper war heißes Metall geworden und begriff kaum mehr die Unterschiede von Tag und Nacht, von Jugend und Alter, von Zeit und Vergänglichkeit, von Gegenwart und Zukunft.

Die Hitze, die alles verschmolz, brachte in den Tagen des Roten Meeres Ilse und Okuro so eng und sinnlich zusammen wie nie vorher, wie nicht einmal [185] die erste Hochzeitsnacht. Wenn sie auch den Tag in der Reihe der Hunderte von Deckstühlen Seite an Seite, wie in einem Lazarett aufgebahrt liegend, zubrachten, so war es, als schliefen sie in der Hitze einen gemeinsamen Schlaf. Die Hitze legte ihren Arm sicher um beide. Ohne daß sie ihre Arme ausstreckten und sich berührten, ohne daß ihre Lippen sich fanden, lagen sie mit dem Gefühl großer Innigkeit und Friedlichkeit unter der langen Reihe von Reisenden wie allein in ihrem eigenen Schlafzimmer und eng vereinigt.

Niemals fiel es Ilse und Okuro ein, nach Sonnenuntergang, wenn sie vom Tagesschlaf erwachten, sich andere Dinge als Herzlichkeiten zu sagen. Ilse lehnte in ihrem langen weißen Abendkleid am Schiffsgeländer, Okuro neben ihr im schwarzen Abendanzug. Er sagte ihr, ihr Hals sei schmal wie der afrikanische junge Mond. Und sie sagte, daß sie seine Hände so liebe, die nie einen Ring trügen, die Knöchel hätten, fein und stark wie die kräftigen Federposen elastischer Vogelflügel. Und sie sahen beide den in weißen elektrischen Kreisen leuchtenden Meertierchen zu, die gleich metallischen Kinderkreiseln auf den Wellen entlang tanzten.

Dann erschien das Spiegelbild des Mondes unten im Wasser; das bergauf und bergab wogende Schiff, das Champagnerzischen der Kielwellen und das Geknister des elektrischen Wassers voll tagheller Schaumwolken stellte den beiden, je länger sie sich über das Geländer lehnten, die Welt auf den Kopf. Und sie fanden sich beide erst wieder in dem krausen Weltallgetriebe und in dem spiegelfechtenden Meeresnachtleben auf ihren zwei Füßen zurecht, wenn sie, versteckt [186] hinter einem Rettungsboot oder hinter einer Kabinentür, die Arme umeinander legten und, Wange an Wange, ihr Blut aneinander pochen ließen.

Dann rückte am vierten Tag am Ende des Roten Meeres ein mächtiger, dunkelbrauner, ausgedörrter Berg heran, zu seinen Füßen lange, rote Kasernendächer: die Festung Aden. Dieser Berg war wie der Pfosten der Tür in den Indischen Ozean; und im grüngelben Abendhimmel blieb das Meer zurück, und die Boote mit nackten schmalen Somalinegern, die das Dampfschiff draußen vor Aden wie eine Affenherde umwimmelt hatten, blieben zurück, und zurück blieben die Länder, wo der Halbmond regierte, und die graue arabische Felsenküste, auf der weiße Minaretts am Nachmittag gleich weißen Fahnenstangen gestanden hatten, und dahinter man sich das Land voll Harems und Frauen träumte. Alles das ging im Westen in dem friedlich ölgelben Himmel unter, und auf der straffgespannten Meeresfläche im Osten lag vor Ilse und Okuro das noch unsichtbare, aber sich stündlich nähernde Indische Reich, an dem sie jetzt vorbeiziehen sollten.

Mit der Weite des Indischen Ozeans kam auch wieder die Weite der Gedanken über Ilse und Okuro. Die Hitze, die mit ihren Flammen im Roten Meer alle Menschenkörper zu ihren Medien gemacht hatte, verlor an Kraft, und die Menschen wurden wieder selbständig und dachten wieder ihren eigenen Gedanken nach.

Eines Abends saß Ilses Großmutter allein am Ende des Promenadendecks. Große Sternbilder der fremden Südzone stiegen aus der Meerestiefe auf und wanderten über die Masten des Schiffes fort. [187]

In der Nähe der Dame saß nur Kutsuma und las. Das Schiff war wie eine große indische Trommel, daran die Meereswellen ihre Märsche trommelten, und sein Gang war immer ein Wechsel von Begeisterung, wenn es sich in die Sterne hob, von Enttäuschung, wenn es wieder in die Leere sank.

»Wie viele Gedanken mögen an den Sternen hängen,« dachte die alte Dame. »Wie viele Tausende von Seereisenden haben nachts mit offenen Augen hier unter den Sternen auf wandernden Schiffen gesessen. Jeder Stern ist wie eine eingepuppte Seidenraupe, von der man Gedanken wie Seidenfäden abspinnt.«

»Sehen Sie, Herr Kutsuma,« sagte die alte Dame, »Sie sagen immer, mein Haar sei so weiß wie der Abendschnee auf dem Hirayama am Biwasee in Ihrer Heimat Japan. Und so wahr mein Haar nie mehr dunkel wird, so wahr glaube ich, daß Ilse für ihr Herz keinen besseren Mann finden konnte als Okuro. Aber damit ist nicht gesagt, daß Okuro in Japan nicht eine bessere Frau als Ilse finden und ohne Ilse sehr glücklich werden könnte.«

Kutsuma hatte eine Landkarte auf seinem Schoß, sah auf und sagte:

»Ich bewundere immer, wie großartig die Europäer die Welt einteilen können, die Länder in flache Figuren, die Erdkugel in Breitengrade und Längengrade; in alles Irdische bringen die Europäer Zahlen und Ordnung. Aber sie erfinden kein System für ihre Gefühle, wollen kein System anerkennen für das kleine, kurze Menschenleben, das doch aus nichts anderem besteht als aus Jugend, Reife und Alter, das also Grenzen hat und nicht als etwas Unbegrenztes, Unordentliches angesehen werden kann.« [188]

»Aber, mein Herr,« unterbrach die weißhaarige Dame ungeduldig Kutsuma, »Gefühle lassen sich doch nicht in Systeme bringen. Gefühle sind doch das Unbegrenzte am Leben! Liebesgefühl kann Unordnung und Ordnung zugleich geben: Liebesgefühl ist eine Hasardnummer, man setzt auf Rouge oder Noir. Aber es gibt kein sicheres System, in dem man beim Liebesgefühl in Ordnung mit sich selbst kommen könnte. Wer liebt, wünscht glücklich zu machen, aber das Leben muß erst beweisen, ob er einen Gewinn oder eine Niete gezogen hat.«

»Wo Liebe ist, ist ewiges Glück,« sagte der Asiate. »Wo ein Wechsel eintreten kann, war die Liebe nicht vollständig. Ihr Europäer wünscht, daß der Mann sein Leben lang die Frau bediene und sie höher halte als sich selbst. Wir Asiaten verlangen von der Frau, daß sie den Mann bediene und sich ihm unterordne. Und wir finden: dieses bringt Ordnung in die Liebe zwischen Mann und Frau.«

»Sehr weise gesprochen,« sagte die alte Dame. »Aber lassen Sie jetzt auch den Abendschnee auf dem Hirayama zu Ihnen sprechen; das heißt: vertrauen Sie den Gedanken, die unter meinen weißen Haaren entstanden.

Das Kostbare an der Liebe ist, daß sie ein ewiges Abenteuer bleibt, und daß weder die Sicherheit der madonnenhaften Unterordnung einer asiatischen Frau, noch die olympische Selbstherrlichkeit einer europäischen Liebe in ein System bringen kann. Die Liebe wird immer etwas verschwenderisch sein, immer ein Zuviel in das Blut der Menschen bringen, das Zuviel, das die Endlichkeit des seligen Augenblickes in eine Unendlichkeit des Genusses verwandeln kann. Wo das [189] Zuviel zwischen zwei Menschen fehlt, die sich vorstellen, daß sie sich liebten, wird die Liebe immer nur ein erbärmlicher chemischer Prozeß bleiben, der Kinder hervorbringt und sich ruhig in ein System fassen läßt.«

Der Asiate schwieg lange und ließ die Sternbilder wandern. Dann sagte er und faltete seine Landkarte zusammen:

»Die Götter in Europa haben euch Europäer nicht umsonst Mikroskope für eure Augen konstruieren lassen. Ihr könnt auch eure Liebesaufregung unter ein Mikroskop legen. Wie die Eisblumen an euern Fenstern, so seht ihr die Linien eurer Liebesleidenschaft. Und ihr Europäer könnt über Dinge sprechen, die uns Asiaten ewig unsichtbar bleiben.«

Die alte Dame antwortete:

»Ihr Asiaten könnt das auch, wenn ihr wollt. Nur seid ihr liebenswürdige und bescheidene Kinder eurer Götter, und wir sind vorwitzig. Wir müssen unsere Freuden belauschen und unsere Schmerzen. So wie unsere Anatomen den Blutkreislauf fanden, so suchen wir nach dem Kreislauf unserer Schmerzen und Freuden.«

Kutsuma spricht eifriger:

»Wir haben nur immer von den Indiern den Kreislauf der Seele zu beobachten gelernt. Aber die Liebesleidenschaft haben wir nicht als Lebenswert untersucht und haben die Liebe nicht auf die Höhe gestellt wie ihr in Europa. Aber seit ich bei euch war, begreife ich, daß die Zukunftswelt die Liebesleidenschaft als Weltmittelpunkt erkennen wird. Nicht die Weltruhe, nicht das Nirwana, wie wir in Asien immer glaubten, und nicht den Weltschmerz und das Weltmitleid, [190] wie euer vergehendes Christentum immer glaubte; die Liebesleidenschaft ist für jeden, der sein Leben ernst nimmt, sein Gott, der ihm Leben und Tod gibt. So sagte auch gestern Okuro zu mir, als wir bei Aden das Rote Meer verließen, er sagte mir, er würde nie mehr mit Ilse über die Meinung streiten, die sie als Europäerin von der Ehe hat. Sie macht ihn mit jeder Meinung glücklich. Sein Blut ist so zufrieden von ihrem Blut, daß er nicht mehr nach Lebensgebräuchen und Lebenssitten fragt, daß er ihr zuliebe ein Europäer werden will auch in seiner Heimat. Seine Liebe ist jetzt so groß, daß er meinungslos geworden ist.«

Kutsuma wartete auf einen Freudenausbruch der Dame. Und als der junge Mann keinen Laut als Antwort erhielt, empfand er mit einemmal das Schweigen zwischen sich und der alten Dame wie einen Abgrund, als wäre sie über einen Ozean vor ihm und seinen Worten zurückgewichen.

Lächelnd suchte Kutsuma eine Verbindung herzustellen und sagte:

»Warum schweigt der Abendschnee am Hirayama? Er, der mir vorhin so schöne weite Gedanken gab?«

Da seufzte die alte Dame:

»O, wie unglücklich sind die gütigen Liebenden! Güte in der Liebe bringt Unglück. Liebe ist nie gütig, Liebe fordert, mißhandelt, vergewaltigt. Von zwei Liebenden muß einer der Stärkere werden. Der Mann muß die Frau unterjochen, er kann ihr ja den Wahn ihrer Selbstherrlichkeit lassen, wenn sie es noch nötig hat. Aber er darf nicht gütig meinungslos werden.

Sagen Sie das zu Okuro! Das sei die Ansicht [191] dieser weißen Haare. Und immer, wenn er meine weißen Haare sieht, die ihr Japaner mit dem Abendschnee von Hirayama vergleichet, soll er stark werden, soll nicht vor Ilse meinungslos werden. So wie der Schnee am Hirayama nie zu schmelzen ist, so soll sein Wille von keinem Frauenwillen zu schmelzen sein. Nur dann macht er Ilse glücklich.«

Kutsuma betrachtete andächtig den weißen Kopf der alten Dame, so andächtig, wie nur ein Japaner im Abend am Biwasee den Schnee von Hirayama betrachten kann. –

Ceylon mit seinen wolkenblauen, glänzenden Bergen, die voll Amethysten und Mondsteinen liegen, wurde von dem wandernden Schiff für einen Tag berührt. Dann zog die magnetische Ferne das Schiff weiter nach Osten. Und Ilse träumte sich Palmenwälder aufs Meer, denn sie wußte: rings waren Küsten mit heiligen indischen Wäldern und heiligen indischen Tempeln. Und ringsum an den Küsten lebten Völker, die so gut waren, daß sie den Schlaf eines Tieres heilig hielten, – den Schlaf des geringsten Straßenhundes, dem es einfiel, mitten in den verkehrsreichsten Städten sich in die Sonne zu legen und zu träumen. Kein Fußtritt verjagt den Träumenden, denn jeder Traum, auch der Traum eines Hundes, ist ein Paradies, das sich für Augenblicke auf die Erde senkt. Darum wird auch der Schlaf der Tiere mit Ehrfurcht behandelt. Keine Peitschen knallen, nur Silberglocken am Kutschbock treiben die Pferde an. Über alles das dachte sie oft mit Scheu nach.

»Wie seltsam,« meinten die beiden Japaner und die beiden Europäerinnen, »daß Europa und Asien nebeneinander auf derselben Erde liegen, sie, die weniger [192] zusammengehören als Erde und Mond. Europa gibt seinem Leben das Sprichwort: Zeit ist Geld. Und Asien beachtet weder die Zeit noch das Geld. Es ist erstaunlich, daß die einfache Schiffsschraube, die nichts tut, als sich drehen, uns aus der Welt der Begriffe von Zeit und Geld in die Welt der entgegengesetzten Begriffe befördern kann, ohne daß wir dabei daran zugrunde gehen oder erst sterben müssen.«

»Am seltsamsten,« sagte die alte Dame, »ist es für mich, die ich schneeweiß aus Europa komme. Ich glaubte mich schon am Ende meines Lebens; und ohne daß ich eine neue Inkarnation eingehen muß, verjüngen und erwärmen sich hier in Asien meine Gedanken. Wenn ich morgens in den Spiegel sehe, wundere ich mich, daß ich immer noch den Schnee auf meinem Kopf trage.« –

Das Schiff hatte Hinterindien, Penang und Singapore passiert und drang in das Chinesische Meer.

In Singapore aber war Ilse aus ihren indischen Träumen gerissen worden. Dort, wo die Chinesen wie der Sand am Meere sind, wo die gelbe Rasse die braune Rasse verdrängt, wo Ilse noch gelbere Menschen als die gelben Japaner sah, während ihr das Reisen schon wie das Wandern des Blutes in ihrem Körper zur Gewohnheit geworden war, – überfiel sie ein Schrecken und eine Angst vor der Zukunft. Die schlitzäugigen Menschen entsetzten sie. Die geschlitzten Augen, die hervorstehenden Backenknochen schienen ihr die Gesichter zu verkrüppeln.

Am Abend, als sie mit ihrer Großmutter aus Singapore an Bord des Schiffes zurückkam und der Himmel voll gelber Abendwolken gleich tausend gelben Chinesengesichtern war, ging sie nicht in ihre Kabine [193] zu ihrem Mann. Sie eilte in die Kabine ihrer Großmutter, drückte ihr Gesicht in die Hände der alten Dame und schluchzte.

»Kind, Kind, ich weiß es,« sagte die alte Dame. »Ich habe dasselbe gedacht wie du heute. Aber laß die Zeit verstreichen. Die Zeit bringt Gewohnheit, und Gewohnheit kann dich wieder glücklich machen. Wenn die Erde hier auch fremder ist als ein fremder Planet, wir stehen doch noch mit den Füßen auf derselben Erde, und wir werden auch mit der gelben Rasse gut Freund werden.«

»Ich nicht,« sagte Ilse. »Sieh mein rotes Haar an, sieh meine weiße Haut an. Ich habe nicht daran gedacht, daß ich unter eine ganze Welt von gelben Menschen komme. Okuro war mir lieber, als er, allein, eine Kuriosität in Europa war. Aber jetzt ging er heute vor mir unter in der Flut der gelben Gesichter, als wäre er im Chinesischen Meer ertrunken. Ich will heute nacht nicht in seiner Kabine schlafen. Ich werde bei dir bleiben, Großmutter, und im nächsten Hafen fliehen wir und kehren um nach Europa. Es ist mir, als ginge ich bis zum Hals im gelben Lehm und erstickte, wenn ich unter den gelben Menschen bleiben muß.«

»Kehre nicht um, Kind! Die Gewohnheit wird dich glücklich machen,« wiederholte die alte Dame.

»Großer Gott, welch ödes Glück dann! Gewohnheit ist das Glück der Dienstboten, nicht das der Herrschaft, hast du immer weise gesagt, Großmutter. Und jetzt gibst du deine Weisheit auf, nur um mich zu trösten! Neulich sagtest du noch, daß das Liebesglück ein Zuviel im Blut haben müsse, einen Überschwang. Dieses Zuviel wird unter diesen gelben Menschen nie mehr zu mir zurückkommen.« [194]

Die beiden Frauen umarmten sich leidvoll und saßen miteinander auf dem Rand des Kabinenbettes in dem kleinen weißlackierten Raum, und saßen eine Stunde still, ohne sich zu rühren, und waren beide weit fort aus dem Schiff. Beide gingen durch die Straßen von Europa, beide verstummt vor Sehnsucht nach der Heimat und beide von neuem aufschluchzend, als sie sich ansahen und sich vom Schiff weitergeschleppt fühlten. Sie wunderten sich im stillen, daß das im Wasserdruck knisternde Schiff vom Heimweh zweier Menschen nicht zum Sinken gebracht würde.

Die Nacht kam, und Ilse blieb in der Kabine ihrer Großmutter und ließ sich durch die alte Dame bei Okuro entschuldigen.

Was dann in dieser Nacht geschah, weiß kaum ein einziger, der sich im Schiff befand, mit Genauigkeit zu erzählen.

Die alte Dame fühlte sich plötzlich durch einen Stoß mitten im Schlaf aus dem Bett geschleudert. Sie schrie nach Ilse. Alle Leute im Schiff schienen mit ihr zu schreien. Alle Lampen waren erloschen. Das Schiff schien mitten im Meer still zu liegen. Statt der taktmäßig arbeitenden Maschinenschraube herrschte Todesstille. Und als die alte Dame sich von einem Koffer aufrichtete, auf den sie gefallen war, faßten sie zwei Männerhände, zogen sie wie eine Maschine durch die Dunkelheit, wo kniehohes Wasser ihr entgegenschoß, schäumendes und gurgelndes Wasser, schreiendes und sich windendes Wasser, das mit Menschenleibern angefüllt zu sein schien.

Statt der Schiffstreppen fühlte sie Menschenkörper unter ihren nackten Füßen. Die Männerhände und das sich türmende Wasser hoben sie wie mit Hebeln [195] über tausend Hindernisse, bis sie auf ein Schiffsdeck hinfiel, auf einen anderen Dampfer, der wie ein dunkler Berg in der mondhellen Nacht neben dem taumelnden und untergehenden Schiffsdeck stand, von dem sie kam. Sie erkannte jetzt Okuros Gesicht im Getümmel der sich Rettenden, Okuro, der ihre Hände hielt und sie fortschleifte und sie auf den roten Teppich eines erleuchteten Schiffssaales niederlegte. Dann schrien beide zugleich: »Ilse!«, und Okuro verschwand.

Die alte Dame sah sich unter halb bekleideten Frauen und Männern, die wie in einem Tollhaus weinten, lachten, gleich Menschen, die zu Hunden und Affen geworden wären, sich stießen, übereinandersprangen, in dem Schiffssaal unter die langen Speisetische krochen, sich hinter Stühle verbarrikadierten, sich die Augen zuhielten, fortgesetzt »Hilfe!« riefen, trotzdem sie gerettet waren, und fortgesetzt die Namen von Angehörigen schrien, trotzdem sie diese gerettet im Arm hielten.

»Ilse, Ilse!« rief die alte Dame immer wieder, als könnte sie mit dem gerufenen Namen einen Menschen erschaffen.

Das vom Meerwasser durchtränkte Nachtkleid hing ihr wie eine schleppende schwere Haut um den zitternden Körper. Aber sie rutschte noch mit den letzten Kräften von den Knäueln der Menschen fort, die mit den Armen um sich schlugen, fort von diesen Skelettmenschen, welchen die Sekunden des Todesschreckens den jungen Leib in den Leib von Greisen verwandelt hatten.

Ein paar wahnsinnig gewordene Männer wurden neben ihr von Matrosen gefesselt. Ein paar andere strengten sich an, einen der Glühlichtkronenleuchter [196] von der Decke zu reißen, und zerschlugen mit den Fäusten die gläsernen Birnen und schrien: »Wir wollen kein Licht! Wir wollen nichts sehen.«

Ein Mann biß sich in den Arm einer Frau fest. Die Augen quollen ihm aus dem Kopf, und die Frau lachte und schrie: »Mein Lieber! Mein Lieber!« Das Blut rann ihr vom Arm auf die Diele, und die Augen quollen ihr vor Verzückung aus den Höhlen.

Die alte Dame kroch zu einer Kabinentür, die weit offen stand. Da sprang ein wahnsinnig gewordener Malaie mit zwei Messern in den Händen über sie weg, hinein in den Saal, stach nach den Weibern, die unter den Tischen schrien, stach nach den Männern, die unter dem Kronleuchter hingen, und kniete sich dann auf den Rücken des Mannes, der sich in den Arm der Frau hineingebissen hatte. Die Frau lachte noch verzückter als der wahnsinnige gelbe Malaie, der den weißen Rücken ihres Mannes mit den blutigen Messern bearbeitete.

Neue Matrosen stürzten herein und rissen die Leute auseinander. Und unter der Türe sah die alte gerettete Dame die Flügel einer riesigen silbernen Windmühle; es waren die elektrischen Scheinwerfer des Dampfers, die mit ihren steilen weißen Strahlen die Nachtluft zertrennten.

Am Schiffsgeländer neben ihr erkannte sie im weißblauen Licht des Scheinwerfers zwei Männer, wie aus Schnee geformt, die miteinander rangen. Die Dame schrie mit ihren letzten Kräften: »Okuro! Kutsuma! Ilse! Ilse!« Dann sah sie, wie der eine Mann den anderen mit dem Kopf an das Messinggeländer schlug und dann den niedergeschlagenen zärtlich aufhob und auf den Ruf: »Ilse, Ilse«, sich nach der [197] alten Dame umsah, den Ohnmächtigen aus dem weißen Lichtschein forttrug, hin zu der alten Dame. Als der Schleppende und der Geschleppte im gelben Lichtschein des Schiffssaales erschienen, fielen beide Männer wie tot an der Türschwelle nieder. Es waren Okuro und Kutsuma.

»Ilse,« keuchte die alte Frau noch einmal und fiel neben den beiden Japanern ohnmächtig hin. –

Die Geretteten hörten am nächsten Tag, daß im Mondnebel ein Zusammenstoß zwischen ihrem und dem Schiff, auf welchem sie sich jetzt befanden, stattgefunden und ihren Dampfer zum Sinken gebracht hatte. Unter den Ertrunkenen, die ringsum aus der glatten See gefischt wurden, wurde auch Ilses Leiche an Bord gebracht.

Kutsuma aber hielt Okuro in der Kabine zurück und belog ihn und sagte ihm, Ilse wäre mit ihrer Großmutter gerettet. Denn er fürchtete, daß sein Freund sich nochmals ins Wasser stürzen würde, wie er es beim Untergang des Schiffes versucht hatte, als er Ilse nicht fand.

Aber Okuro war bei der Lüge seines Freundes ungläubig, schüttelte den Kopf und sagte:

»Ich weiß, daß Ilse ertrunken ist. Ihre Seele war für mich schon nach Europa zurückgekehrt, und sie war für mich schon tot, ehe das Schiffsunglück eintrat. Ilse lebt nicht mehr, sonst würde sie vor mir stehen. Sonst wäre sie in der letzten Nacht in meiner Kabine geblieben. Ilse kehrt nicht wieder.«

Nach den wahnwitzigen Kämpfen und Aufregungen der Unglücksnacht blieb Okuro von nun an bis zur Landung in Japan teilnahmlos. Er betrachtete nur stundenlang seine Hände, welche Ilse immer geliebt [198] hatte. – Er, die weißhaarige Großmutter und sein Freund Kutsuma saßen wie Wandbilder schweigend nebeneinander auf den Deckstühlen des nach Japan wandernden Schiffes, und Ilses Name wurde nicht mehr ausgesprochen.

Aber Kutsuma war immer bereit aufzuspringen, um die alte Dame und Okuro vom Schiffsgeländer zurückzuhalten, denn das Wasser unten schien magnetische Kraft zu haben für alle die Schiffbrüchigen, welche Angehörige in der Unglücksnacht verloren hatten. Einige sprangen auf der Fahrt plötzlich ins Wasser, Männer, welche ihre Kinder suchten, Frauen, die zu ihren Männern wollten.

Dann erschienen eines Morgens die stillen, zwerghaften Inseln Japans im Frühnebel, die Silhouetten der vielfach gekrümmten uralten Bäume, die zierlichen Hügel mit den winzigen Terrassen winziger Reisfelder.

Die beiden Japaner erwachten aus der Totenstille, und nur die weißhaarige Dame blieb stumm, und ihre Augen sagten müde: Seit Ilse tot ist, ist die Erde für mich ein Sargdeckel geworden. Ich möchte mich auch in den Sarg legen.

Als die Schiffsbrücke in Nagasaki herabgelassen wurde und unten Motorboote voll von Angehörigen der japanischen Reisenden beim Schiff anlegten, sahen die Leute, welche Okuro und seine junge Frau erwarteten, zu ihrem Erstaunen den berühmten Schauspieler die Schiffstreppe herabsteigen, mit seinem Arm eine alte, weißhaarige Dame stützend.

»Ist Okuro deswegen nach Deutschland gereist, um sich eine alte Dame, die weiß ist wie der Abendschnee am Hirayama, zur Frau zu holen?« fragten [199] sich seine Freunde verwundert. Aber niemand lachte. –

Unter Okuros Freunden war ein japanischer Schriftsteller, welcher den Eindruck nicht vergessen konnte, welchen die weiße, alte deutsche Dame auf ihn gemacht hatte, die als vermeintliche Frau des Okuro am Arm des jungen Japaners ans japanische Land gestiegen war. Dieser Schriftsteller schrieb ein Drama; und nachdem Monate vergangen waren und die alte Großmutter von deutschen Freunden nach Europa zurückgebracht worden war, las er sein Drama Kutsuma und Okuro vor.

Kutsuma, welcher in Japan Frauenrollen spielte, war sehr begeistert von der Rolle der Ilse, und Okuro sollte die Rolle der weißhaarigen Großmutter spielen. Der Schriftsteller hatte das Stück den »Abendschnee auf dem Hirayama« genannt.

Der Abend der Vorstellung kam, und Okuro trug eine Perücke aus weißer Seidenwatte. Nie hatten die Zuschauer eines japanischen Theaters ein lebhafteres und atemloseres Spiel gesehen. Nur einige murmelten und wunderten sich, daß der junge Ehemann das Drama spielen wollte, das sich erst vor Monaten ereignet hatte. Und viele nannten ihn herzlos und gefühllos, weil er den Tod seiner jungen Frau nicht ernster nahm als ein Drama.

Der letzte Akt kam und die Szene, wo die gerettete Großmutter aus der Kabinentür kriecht und während des Schiffsunglücks nach Ilse schreit. Sie tastet sich vorwärts. Aber statt dessen richtet sich der die Großmutter spielende Okuro auf und springt an die Theaterrampe vor, streckt die Arme ins Publikum, und statt in Wehklagen über die Ertrunkene auszubrechen, ruft er: [200]

»Seht mich aus dem Schrecken neugeboren und weise und kühl geworden, wie der Abendschnee am Hirayama! Klatscht in die Hände, klatscht Beifall dem Größten, dem Gott des Unglücks, der die Herzen erlöst, der männlicher ist als das Glück, der einen Willen hat, wenn das Glück keinen mehr hat. Gedankenvoller, als der Schnee am Hirayama über dem Biwasee im Abend scheint, ist der Blick des Unglücks, wenn er sich auf uns richtet, feierlicher und gigantischer ist die Weisheit des Unglücks und ragt über alles Wissen. Ich beweine sie, die Ertrunkene, nicht, und ihr sollt auch mich nicht beweinen, der ich die Gunst des größten Gottes genoß, die Gunst des Unglücks, das heiliger ist als der Augenblick des Glückes.«

»Klatscht Beifall,« rief Okuro noch einmal; und dann kam Kutsuma, der, als Ilse verkleidet, jetzt ertrunken sein sollte und nicht mehr zu erscheinen hatte, und fing den wahnsinnig gewordenen Freund in seinen Armen auf.

Die Zuschauer sahen noch, wie Kutsuma dem Okuro die weiße Perücke vom Kopfe riß, um ihm Luft zu machen und sein Gehirn zu kühlen. Da – mit einem einzigen Ausruf des Schreckens erhob sich das ganze Theaterpublikum; denn Okuros Haar war unter dem Spiel vor Schmerz so weiß geworden wie die Watte der weißen Perücke. Einer im Theater wies es dem andern und wurde ehrfürchtig vor der Seele des Liebenden, die hier größer als die Kunst des Schauspielers gespielt hatte.

Alle im Theater weinten; und keiner, der je zum Biwasee kommt und den Abendschnee am Hirayama bewundert, vergißt der Geschichte des Liebenden zu gedenken, den das Unglück weiß wie Schnee machte.

Der Mond, der ohne Wärme lacht [201]

Drüben über dem Fluß in der Nacht
Schwimmen die Berge im mondigen Nebel.
Im Fluß, im dunkeln, da funkeln sacht
Die hellen Wellen in grellen Kreisen.
Im Himmel steht, großes Feuer entfacht –
Der Mond, der ohne Wärme lacht,
Wie einer, den Liebe längst umgebracht.
Nun lebt er noch als Geist bedacht.

Die Liebe kennt das Wörtlein »sterben« kaum

Nachtwinde umschauern die Fenster
Und dicken Mauern des Hauses.
Waldgipfel kauern drunten im Düstern.
Im Loch der Nacht lauern
Wie eines Raubtiers Nüstern – Todesgedanken.
Es ist, als ob die uralten Wände wanken.
Ein Käuzchen lockt mit Geschrei
Den Schauder der Sterbestunde herbei.
Sein Hilferuf gellt wie von einem, der sich die Stirn zerschellt.
Waldblätter rasseln und Regen fällt,
Und still ist auf einmal wieder die Welt,
Als ob jemand die Atemzüge dir zählt.
Zu meiner Seite aus tiefen Kissen
Spricht die Liebste im Traum.
Ihr Traumwort hat allen Spuk mir zerrissen –
Die Liebe kennt das Wörtlein »sterben« kaum.

Worte sterben, wenn die Träne spricht [202]

Eine Träne, wenn gequält aus dem Auge kroch,
Wenn sie fällt, schlägt ein Loch in die Welt.
Wenn die Träne sich bewegt, trägt sie Last;
Berge rollen bei der schweren Träne Hast.
Tränen leben sich zum bittersten Genuß;
Worte heben Tränen oft ans Licht.
Tränen eine Gnade dir nur geben:
Worte sterben, wenn die Träne spricht.

Immer Lust an Lust sich hängt

Alle Dinge können sehen. Sag nicht, daß sie blind dastehen.
Sag nicht, daß sie dunkel gehen. Häuser, Bäume, Wege, Wind,
Stühle, Tische, Bett und Spind, alle Dinge sehend sind.
Alle Dinge können denken. Nicht nur Stirnen Geist dir schenken,
Alle Dinge Geister lenken. Kleiner Mücken grauer Zug,
Spinnwebfaden leis im Flug; jeder Grashalm denkt genug.
Und es lieben alle Dinge. Wie die Vögel mit Gesinge
Liebt sich alle Welt im Ringe. Eines hin zum andern drängt,
Jedes seine Lust sich fängt. Immer Lust an Lust sich hängt.

Holzflöße [203]

Es sind Holzflöße den Fluß herabgekommen,
Die sind über die Spiegelbilder der Ufer geschwommen.
Es sind tote Wälder, die den Fluß hinabgleiten,
Schiffshölzer, die bald in die Salzmeere reiten,
Tote Leiber, um die einst grüne Kleider gehangen,
Über deren Falten die Sonne streichelnd gegangen.
In ihren Brüsten sangen die Vogelscharen,
Und ihre Brüste voll singender Seufzer waren.
Stumm schwimmen sie weiter, die hölzernen Leichen,
Bald werden sie die bitteren Meere erreichen,
Wo sie wie Geister durch Unendlichkeit jagen
Und die Sehnsucht rund um die Erde tragen.

Eingeschlossene Tiere [204]

Esthe, die Tochter des englischen Botanikers Horseshoe, war in Indien, in Kalkutta, geboren und sollte jetzt in ihrem sechzehnten Lebensjahre für immer mit ihrem Vater nach England zurückkehren. Esthe war an Indien angewachsen, wie eine Koralle am Meeresgrund. Sie versuchte auf alle erdenkliche Weise einen Grund zu finden, um in Indien zurückbleiben zu dürfen. Sie verfiel, wie junge, hartnäckige Mädchen leicht tun, auf das Resoluteste und das in ihren Augen Einfachste: sie wollte sich von einem jungen Indier entführen lassen.

Zu Haus waren bereits alle Zimmer geleert, alle Kisten zugenagelt, alle Koffer zugeschnallt, und Esthe wohnte mit ihrem Vater während der letzten Nächte im Grandhotel von Kalkutta.

Es war Sonntag, und am Montag wollten Vater und Tochter den Schnellzug nach Bombay nehmen, um dort den Dampfer der P.- und O.-Linie zu erreichen und sich nach Southampton einzuschiffen.

Es ist Sonntagnachmittag. Der Frühjahrssturzregen hat aufgehört, die Rasenerde des riesigen Maidanplatzes vor dem Hotel hat alle Pfützen und Wasser schnell verschluckt, die Sonne blitzt wie nagelneu am Himmel, und die Damen im Hotel erscheinen mit den ersten Frühlingsstrohhüten der Londonsaison auf dem Kopfe.

Der Botaniker Horseshoe schrieb auf einer Schreibmaschine im Lesesaal des Hotels seinen letzten botanischen Bericht für die Kalkutta-Times, und Esthe sagte über die Schulter ihrem Vater, daß sie noch eine Radtour um den Maidan machen würde. [205]

Sie fuhr ein paar Minuten später auf dem vernickelten, blitzenden Rad um den mehrere Kilometer großen, freien Rasenplatz, den Kopf geduckt und in die Luft gebohrt wie eine hitzige Hummel. Bei einer großen Allee bog sie scharf und energisch um die Ecke und flog unter den Bäumen hin, zum zoologischen Garten. Dort war soeben das Sonntagnachmittagskonzert beendet, hohe Equipagen kamen Esthe in langen Reihen entgegen. Das junge Mädchen vermied es aufzusehen, um nicht Bekannte grüßen zu müssen. Sie ließ ihr offenes Haar wie eine Rasende im Winde wehen und jagte wie ein Spuk an der Wagenkette vorüber.

Die weißgekleidete Regimentsmusik verließ soeben mit ihren blitzenden Messinginstrumenten den Garten, als Esthe am großen Gittertore vom Rade sprang. Der Portier des zoologischen Gartens kannte Esthe; sie war täglich hier in dem mächtigen Park, wo die roten Dächer der Tierhäuser unter dem bläulichen Grün der Königspalme und der Kasuarinenbäume wie rote Zelte leuchteten.

Der indische Portier lächelte täglich über die hastige kleine Miß, die sich von einem der jungen Gärtnerburschen durch die Baumreihen und an den Käfigen vorbei oft lange Nachmittage begleiten ließ. Todor, der junge Gärtner, ging dann, zwei Schritt entfernt, wie ein brauner Käfer immer schweigsam neben der jungen plaudernden Dame. Jedermann im Garten, alle Tierwärter und Gärtner wußten, daß der Bursche sich unter den Blicken der kleinen Miß vor Ehrfurcht, Ergebenheit und Schwärmerei wie ein Mimosenkraut zusammenrollte.

»Todor hier?« fragte jeden Tag die kleine Engländerin [206] und schüttelte ihr wachsblondes offenes Haar vor dem uniformierten indischen Portier beim Eintritt in das Gittertor. Dabei schwang sie die kurze Reitpeitsche, die sie als Radfahrerin gegen die Hunde in der Hand hielt. Der Portier legte, lächelnd und sich tief verneigend, schweigend die rechte Hand an die Stirn und deutete mit der linken auf ein hochstämmiges Malvenbeet, dahinter der weißgekleidete sechzehnjährige Bursche wie eine Maus mit schwarzem Gesicht kauerte und die feuerfarbenen Blütenzepter der Malvenstöcke an Bambusrohr festband. Seine Augen waren wie schwarze Papierasche und scheinbar tief versunken in die Blumenarbeit; aber seit Stunden warteten sie auf die blaßhäutige junge Dame.

Eine Stunde vor Sonnenuntergang schloß heute der Portier den Garten, und da das Fahrrad vom Gittertor verschwunden war, blieb er überzeugt, daß die kleine Engländerin schon heimgefahren sei. Aber Esthe war hinter den letzten Häusern des Gartens, bei dem Aquarium, versteckt geblieben.

»Ich soll morgen abreisen, Todor,« hatte sie gesagt, »und du weißt, mein sehnlichster Wunsch war immer, einmal eine Nacht hier im Garten unter den wilden Tieren bleiben zu dürfen. Ihr Gärtner und Wärter seid auch nachts hier. Warum soll ich nicht bleiben können? Ich möchte im Finstern an den Käfiggittern entlang gehen und die Tigeraugen sehen, wenn sie grün und gelb auf mich losstürzen; die großen fliegenden Hunde, die tagsüber schlafen und kopfüber an den Bäumen hängen, möchte ich nachts aufwachen sehen und möchte sehen, wie die Schlangen sich nachts am Glas der Aquarien elektrisch reiben. Und vor allem habe ich Appetit nach dem verruchten Gebrüll [207] der Heulaffen, die im Mondschein klagen sollen, als ob sie sich gegenseitig erdrosselten, und dann muß ich die Signalpfiffe der großen Trompetennachtigallen kennen lernen. Habe ich die Nacht hier angenehm zugebracht und gehe morgen früh nach Hause ins Hotel, so wird es dann für meinen Vater auch zu spät, um mit dem Schnellzug abzureisen. Dann versäumen wir das Schiff in Bombay; ich habe wieder eine Woche gewonnen, und die Abreise wird verschoben bis zum nächsten Schiff.«

Todor der Gärtnerbursche verstand mit seinen Augen, die wie brauner Honig glänzten, alles, wenn auch sein Ohr nicht jedes englische Wort begriff. Er nickte beständig; so wie man im Wasser seinem eigenen Spiegelbild zunickt, so nickte er in die klarblauen Augen des kleinen Fräuleins. Esthe hatte sich bis zur Schließung des Gartentores verstecken wollen, und Todor hatte sie in eine Tuberosenlaube geführt, die hinter dem Aquarium stand. Dort saßen sie unter breitblätterigen Schlingpflanzen wie in einem grünen hohlen Schuppenleib. Esthe lag auf einer Bank, Todor hockte vor ihr auf dem feuchten Tropenboden, der mit grünem Schimmel bedeckt war.

Draußen verschwanden mit einem Male die rotsandigen Gartenwege in der plötzlichen Tropendämmerung. Esthe erzählte von den Pflanzensammlungen ihres Vaters, und Todor bewegte die Lippe in früherer Gewohnheit des Betelkauens. Das Betelkauen hatte sich der Gärtnerbursche abgewöhnen müssen, da Esthe den roten Saft, den er dabei ausspuckte, nicht leiden konnte. Aus dem plötzlich grauen Abendlicht drang jetzt das langausgestoßene Geheul der wilden Tiere gleich Rufen aus gewaltigen Muschelhörnern in die Laube. [208]

»Wie wäre es,« sagte Esthe, »wenn wir jetzt die Schlüssel zu den Häusern der Tiger und Schlangen bekämen?«

»Noch abwarten,« sagte Todor und ging auf den Zehen zum Ausgang der Laube. Die Luft des Gartens begann wütender nach Tierhaut und Tierschweiß zu riechen. Esthe gruselte es angenehm bei dem wilden Geruch. Todor ging um die Laubenecke. Esthe starrte hinaus. Alle Bäume verschwanden jetzt, als gingen sie alle aus dem Garten, und Ströme von Düften wanderten wie fremde lebendige Wesen durch die Dunkelheit. Auch alle Farben begannen zu wandern. Der Scharlach der Kakteenblüten war pechschwarz geworden, die blauen Mandarinenblüten leuchteten weiß, die Yukkapalmen glitzerten wie Fischgräten und Fischgerippe und die Palmyraschäfte wie große weiße Elefantenknochen. Die Dunkelheit gab den Bäumen klumpige Beine und den Büschen gedunsene Leiber, daß sie Molchen glichen; die Nachtfarbe verwandelte die Welt der Pflanzen in eine Tierwelt. Die Erde vor Esthes Füßen dünstete einen bittern Schweiß aus, den das Mädchen wie ein Gift auf der Zunge schmeckte. Das vielgestaltige Echo aus den Tierhäusern vertausendfachte sich in dem Garten, als ob ganze Haufen eingeschlossener Tierherzen Selbstmord begingen und ihrem fliehenden Leben nachklagten.

Esthe stand von der Bank auf und tastete sich durch die Laube. Sie griff nach den weißlichen Tuberosen; die fühlten sich wie glatte, schleimige Augäpfel an, die sich unter ihren Fingerspitzen bewegten. Sie griff in die Schlingpflanzen, die waren wie das Gekröse und Eingeweide eines frischgeschlachteten Tierleibes, [209] lauwarm und weich. »Todor!« rief das junge Mädchen. Todor aber schien verschwunden.

Esthe bog ihre Reitpeitsche krampfhaft um die Knie. Es war jetzt ganz finster in der Laube, und wie eine hohle Brandung tobte draußen das Geheul und Gebell aus den Käfigen. Esthe kannte wohl die indischen Nächte voll Zikadengerassel und Affengeschrei; auch die Schreie der Schakale und das Gelächter vieler wilden Nachtvögel hatte sie gehört, aber diese langen, qualvollen Stoßseufzer eingeschlossener Tiere, welche die Luftwellen aufregten, daß die Blätter im Dunkel zischelten, diese inbrünstigen Sehnsuchtsschreie, langgezogen und schneidend, als müßten sie die Käfiggitter zersägen, dieses Blutgeheul der tierischen Frühlingswollust, dazwischen das Klirren der eisernen Gitterstäbe, die geschüttelt wie Ketten unter dem Freiheitsdrang wahnsinnig gewordener Bestien rasselten, das hatte Esthe noch nie gehört.

Esthes Herz schauderte und begann sich wie ein selbständiges Geschöpf zu regen; sie fühlte ihr Herz aufrecht, mit großen stoßenden Schritten durch ihren jungen Leib wandern. Ihr Herz machte Sprünge wie ein kralliger Panther, und es dehnte und rollte sich auf wie eine sich wälzende Riesenschlange, aber blieb doch immer am gleichen Fleck wie eine festgewachsene Seepflanze, die sich mit verwirrenden Fäden aufkräuselt, um sich greift und Nahrung sucht. Und alle die Schreie in dem finstern Garten, die aus den Tierkehlen platzten und der Luft wehtaten, wurden in Esthe wie ihre tausend eigenen Stimmen. Alles, was im Garten an Wildheit wucherte, an Inbrunst und Leidenschaft, wurde zu Esthes Herz. Ihr Blut ging alle Tierverwandlungen durch, als wollte es [210] fort aus ihrem Leib, vielgestaltig in die Nacht stürmen; wie die Raubtiere, die ihre Haare an den Gitterstäben reiben und ihre Tatzen durch die Eisen drängen, drängte das Blut des jungen Mädchens nach einer unbekannten Freiheit.

Wo ist Todor? rief es in Esthe. Er hat den Blick der großaugapflichen Tiger; er ist wie die geschmeidigen, knochenlosen Schlangen. Heute nachmittag auf dem Gartenweg hing sein Schatten schwer und schwarz an ihm, wie die großen fliegenden Hunde an den Bäumen hängen, mit dem Kopf nach unten. Todor schweigt immer, aber seine Augäpfel sprechen mehr als Tag und Nacht. Es ist finster draußen vor der Laube, als hätte Todor mit seinen Augen den ganzen Garten verschluckt. – Todor ist jetzt alles, er ist das große Finster draußen, und er ist das Blut in Esthe geworden, das wie eine Elefantenherde ihr Herz zerstampft.

Das junge Mädchen ließ die Reitpeitsche fallen. Sie preßte die Hände an ihren nackten Hals und begann mit einem Male wie eine Krähe laut aufzuschreien. Esthe schrie mit hochgehobenen Händen, sie stand auf den Zehen aufgerichtet und schrie endlos – daß die Heulaffen schwiegen, das Tigergebrüll sich verkroch und alle Tiere hinter den Gittern den Atem anhielten. Der ganze finstere Garten horchte ein paar Augenblicke auf den hohen Fistelton des Hilfegeschreis eines jungen Menschenweibes.

Endlich tauchten Laternen auf, Lichter spiegelten sich in den Teichen, in den Glashäusern, und von neuem warf sich das Tiergebrüll an die bronzenen Gitterstäbe, den Laternen entgegen, und übertönte Esthes Geschrei. Riesige Schatten von vorwärtstastenden [211] Menschen fuhren aus den Baumspalten. Gartenwege und Blumentöpfe erschienen, und es war, als eilten Haufen von Bäumen und fliegende Wesen herbei. Beleuchtet von den Laternen, stand Esthe mit aufgereckten hellen Armen und schrie allen entgegen. Sie rührte sich nicht vom Platz, sie schrie ihren Schreien nach. Dann plötzlich stürzte sie wie ein geblendetes Insekt mitten zwischen die Laternenspiegel.

»Hilfe vor Todor, Hilfe, Hilfe vor Todor!« schrie sie den verblüfften Leuten ins Ohr. Sie klammerte sich an vier Wärter zugleich, die sie wie eine Barrikade zum Schutz um sich stellte.

Man suchte in der Laube, nirgends war Todor zu sehen. Die Wärter trugen das ohnmächtige Mädchen durch den Garten, darinnen die vom Licht aufgescheuchten Tiere jetzt noch lauter, gleich einem wilden Heergetümmel, tobten.

In der Nähe des Straßentores glaubte ein Wärter Todors Gesicht hinter einem Busch zu sehen. Als man von neuem suchte, fand man ein Leinwandpäckchen voll Silbermünzen neben der Tür des Portierhauses hingelegt.

Todor war, als er Esthe entschlossen sah, nicht abzureisen, von des Mädchens kühnen Nachtgedanken gleichfalls kühn gemacht worden. Er hatte Esthes Fahrrad vorsichtig durch das Parkgitter geschoben, hatte es in der Stadt zu einem indischen Bekannten gefahren und es diesem verkauft, und war gleich mit dem Gelde zurückgekommen, um Esthe die Silbermünzen einzuhändigen, damit sie immer in Kalkutta bleiben könne. Denn das junge Mädchen hatte in der Abschiedsstimmung an den letzten Nachmittagen [212] öfters wiederholt, wenn sie sich Geld verschaffen könnte, würde sie in Indien bleiben. Sie wollte gern alle ihre Kleider und sogar ihr geliebtes Fahrrad verkaufen, wenn sie nur wüßte, an wen. Als Todor mit dem Geld in der Hand zurückkam, bemerkte er von weitem den Laternenzug und den Wärterhaufen, der Esthe in einen Wagen trug. Todor legte das Geld rasch an die Portierloge und verschwand aus dem Garten.

Esthe ist am nächsten Morgen mit ihrem Vater nach England gereist, und jedermann im zoologischen Garten weiß jetzt, daß Todor sich am Huklayfluß auf einem Frachtschiff heuern ließ, um Esthe in England zu suchen.

Weltspuk [213]

Wir erstiegen, im Abenddunkel, Steinwege nach Westen,
Sahen den Himmel wie einen Spiegelsaal liegen,
Und die Sterne erschienen im grünlichen Quecksilbergefunkel,
Wie ein Gewimmel metallischer Fliegen.
Eine schwarze Wolke, wie Tinte ausgegossen,
Stand vor dem Glanz, wie ein Fisch mit düstern Flossen;
Und der Milchstraße glitzernder Drachenschwanz
Schleifte nach sich eine verwilderte Lichtermasse,
Daß unser Verstand fortschweifte und sich die Worte verwischten
Und klangen, wie ein dünner Hammer auf hohlem Fasse.
Wir gingen über die Hügel unter den Ländern der Abendwolke,
Gleichwie in kümmerlichen Gewändern und gleich blinden Verirrten,
Verbrüdert mit dem Erdreich und dem Fledermausvolke,
Deren Flügel uns zur Seite schwirrten.
Der Steinweg kletterte in die dunkle Feldseite,
In das Maul des Himmels, das weit aufgerissen,
Als lägen Titanen dort ohne Gewissen
Mit den alten Manen der Götter im Streite.
Ein mächtiger Stern, hell geschleudert von unsichtbaren Gestalten,
Fiel voll Hitze grell und mußte dunkel erkalten.
Wir standen in seinem Lichtblitze auf der Erde Kruste
Und versanken, wie der Stern, ins Unbewußte.
Wir bestaunten das Leben wie eine große Kinderpuppe, [214]
Und erwarteten einen Schrei der Sternengruppe,
Aus deren Mitte sich einer zu Tode fiel.
Doch lautlos und einerlei
Trieb die Nacht ihr verwegen Spiel,
Verbrannte Welten, wie eines armen Menschen Hirn und Haus,
Und rannte alte Sterne um und teilte neue Sterne aus.

Zwei Reiter am Meer [215]

Einige Gäste erhoben sich und verabschiedeten sich von der in Trauer gekleideten Hausfrau und vom Hausherrn, der die Abschiednehmenden durch die Diele zum Vorzimmer begleitete.

Ein Herr und ich waren allein die Letzten in dem großen Bibliothekzimmer, wo wir nach dem Abendessen, zu dem wir geladen gewesen, alle um einen runden Mahagonitisch beim Licht einer grünverschleierten elektrischen Hängelampe plaudernd gesessen hatten.

Ich hatte mich an diesem Abend nicht viel am Gespräch beteiligen können. Die weitgeöffneten Türen in die erleuchteten Nebenräume, in das Musikzimmer, in den Speisesaal und in das Teezimmer, in denen überall sanftes Licht und eine unendliche Ruhe sich ausbreiteten, hatten meine Gedanken immer weiter von mir fortgezogen, und es war mir, als stünde mein Stuhl nicht im Bibliothekzimmer eines vornehmen Landhauses draußen im Waldhäuserviertel am Rande einer Weltstadt, sondern am Rande eines Weltteils stand ich und sah auf ein Weltmeer, auf einen grauen Ozean, dessen Wasserlinie in der Ferne zu Himmelswolken wurde, zu Nebelbrodem; und nur in weiten Abständen warf manches Mal eine langgezogene Strandwelle eine weiße Sprühschaumwolke in die Luft. Nur diese eine große Wellenzuckung zeigte Leben auf jenem Wasserweltteil. Sonst waren Himmel und Wasserfläche atemlos ausgebreitet und verschwanden weit draußen im Nichts der Unendlichkeit.

Vor mir aber, ganz nahe am Wasserrand im [216] Dünensande, lebte das rassige Gliederspiel zweier vorüberschreitender Reitpferde, die von zwei Menschen geritten wurden, die ich aber nicht näher beachtete, weil vorerst nur die beiden Pferde und das einheitliche ungeheuerliche Weltalleben von Meer und Himmel meine Aufmerksamkeit anzogen.

Der Glanz von den Flanken der spiegelglatten Tiere und hie und da der Glanz im Meer, der von den weithin streichenden Linienwellen angeregt auf- und abzuckte, machten Pferde und Reiter wie zu Spiegelgebilden, zu Schattentänzern vor dem weiten Luft- und Wasserraum.

Es war ein hoheitsvolles Schreiten in den Beinen und Fesseln der spielend und tänzelnd auftretenden Pferdegestalten. Es war wie ein Musizieren in der Luft, ein gaukelndes Tönespiel in der adligen Beweglichkeit der Tiere, als müßten das Meer und der Himmel zu einem riesigen Instrument werden, auf dem Melodien geboren wurden beim rhythmischen Vorwärtsschreiten beider Reitpferde.

Es kam mir nicht zum Bewußtsein, daß der lautlose Dünensand alle Geräusche verschlucken könnte. Auch der Sand, schien mir, wurde zu rieselnden Tönen unter der Berührung der zierlichen und rassigen Glieder der Pferde.

Das Weltall um die Reitenden tönte bald gedämpft jauchzend auf, bald klang es schneidend weh zu mir her wie die Geräusche der langen schneidenden Linien der flachen Strandwellen.

Dieses Bild, das ich so lebendig sah, das Bild der zwei Reiter am Meer, hing im nächsten Zimmer, im Musiksaal, in goldenem Rahmen über dem Flügel. Ich konnte es vom Bibliothekzimmer aus [217] nicht mehr sehen, aber das Bild kam immer wieder zu mir.

Der Hausherr hatte mich, als wir nach dem Abendessen aus dem Speisesaal kamen, auf das Bild, das ihm das Lieblingsgemälde seines Hauses war, aufmerksam gemacht. Und ich hatte mich einen Augenblick auf eine Sessellehne gestützt und hatte meinen Körper am Sessel verlassen und war mit meinem Geist durch den Rahmen des Bildes aus dem Haus, aus dem Land weit fort gegangen und an den Meerrand getreten. Als wir dann später im Bibliothekzimmer um den runden Tisch saßen, war es, wie ich es eben beschrieb. Das Bild kam immer wieder zu mir. Es hob die Wände der Zimmer fort. Die Ruhe der beleuchteten Nebensäle wurde zur Ruhe des Weltmeeres, das gedämpfte Licht in den Räumen zur Ruhe des Himmelslichtes über den Urwassern.

So wußte ich, als ich mechanisch aufgestanden war und der Hausherr mit einigen Gästen das Zimmer verließ, bald nicht mehr, was Wirklichkeit und was Unwirklichkeit war.

Es stand eine weite gedämpfte Festlichkeit um mich, von der ich mich halb nicht trennen konnte, und halb wieder getrennt fühlte, da diese Festlichkeit nicht mir gehörte. Denn es war die Festlichkeit der Schmerz und Freude ausgleichenden Todesstunde, die aus den Zimmern dieses Hauses noch nicht gewichen war, die den Alltagsräumen eine höhere Verklärung hatte geben können, als es sonst hier laute Feste vermocht hatten.

Ich war in demselben Hause vor Jahren zu einem großen Abendfest gewesen, aber die erlesen geschmückten Frauen und geistesgewandten Männer hatten bei [218] Tanzschritten, Witz und Fröhlichkeit, bei Wein und Musik keine ähnliche Größe der Festlichkeit schaffen können, keine ähnliche Erhöhung des Hauses, wie es jetzt ein einziger Mensch getan, ein junger Mensch, der einzige Sohn, der durch seinen Todesschritt das Haus an den Rand der Unendlichkeit gestellt hatte. Wie diesem war es nur dem Künstler gelungen, das Haus fortzuheben, ihm, der jenes Gemälde geschaffen, das nicht bloß über dem Flügel im Nebenzimmer hing, sondern das die Kraft hatte, Haus und Beschauer an das Erdende zu entrücken, dorthin, wo das Reich der fliehenden Wasser, das menschenleere Reich der Ozeane beginnt, darauf der Mensch nur zeitweiliger Gast sein, aber nicht Fuß fassen kann, wo ihn Tiefe und Weite verschlängen, wenn er die Grenze von der Wirklichkeit zum Nichts überschreiten würde.

Ich stand noch unschlüssig, überlegend, ob ich den Gästen, die gegangen waren, folgen sollte, oder ob ich noch bei der Todesfestlichkeit, die in diesen Räumen lag und mich anzog, verweilen durfte.

Der Gestorbene war ein junger Musiker gewesen. Drüben am Flügel hatten Mutter und Sohn oft Stunden verbracht, wenn sie sang, was der junge Mann erdacht; wenn er ihr vorspielte, was die Stimme seiner Jünglingsgefühle, seines Jünglingsernstes und seiner Jünglingseinsamkeit auftönen lassen mußte.

Damals waren beider Herzen, das der Mutter und das des Sohnes, wie die zwei Reiter am Meer gewesen, deren Pferde im gleichen Takt schritten, und die melodisch vor der Unendlichkeit des Himmels und des Meeres, vor der Zukunft und vor der Vergangenheit hinzogen. [219]

Nun war die Einheit zerrissen. Die zarte und zierliche, tief getroffene Mutter stand noch fassungslos vor dem unfaßbaren Schmerz. Die Melodie der Einheit war abgebrochen. Das Leben gab keinen Klang mehr als den des Schluchzens. Schluchzen noch nachts in den Träumen, Schluchzen morgens beim Erwachen, Schluchzen am Tage beim Schreiten durch die lautlosen Räume des Hauses und durch den noch lautloseren Raum des eigenen Herzens.

In den letzten Sommertagen war der junge Mann noch Leben und Lebenslust gewesen. Dann war er erkrankt. Seine Lunge fieberte. Die Sprache, seine Stimme, starb zuerst. Dann entglitt der Blick, die Augen erlöschten, und der warme Körper, den die Mutter umschlang, entfremdete sich selbst dem Mutterherzen und verschwand in der Kälte des Todes.

Nun waren Monate vergangen. Niemals mehr hatte die Mutter den Flügel im Musikzimmer öffnen können. Sie hatte den Sohn immer noch begraben müssen, den Gestorbenen immer wieder begraben. Sie hatte noch nicht die Kraft gehabt, den Sohn verklärt vor sich auferstehen zu lassen. Aber alles Abschiednehmen muß von einem Wiederkommen abgelöst werden. Auf die Trennung, die das Sterben bringt, folgt die Wiederkehr, die Stunde der Auferstehung. Das Leben läßt sich nicht bis ins Unendliche begraben, auch das tote Leben nicht. Auch im Tod ist ein Wellenschlag. Das Land hat seine Berge und Hügel, das Meer seine Wellen und Wogen, der Himmel seine Wolken und seine Glätte. Und auch das vergangene Leben hat sein Gehen und Wiederkehren.

An diesem Abend war mir unbewußt klar geworden: der Tote war zu seiner Mutter und zu seinem [220] Vater verklärt wiedergekehrt. Er war wieder auferstanden in den Räumen des Hauses. Der junge Mann stand neben uns und wollte uns von seiner Übersinnlichkeit einen Ausdruck geben. Seine Todeswelle, raumloser als die räumlichen Wellen, die wir Lebenden fühlen, wollte sich vor uns verkörpern.

Dieser feierliche Schauder berührte mich noch, als die trauernde Frau des Hauses zu mir sagte und auf den Gast deutete, der außer mir noch im Zimmer geblieben war:

»Sie gehen doch noch nicht? Ich dachte, wir wollten heute abend noch ein wenig Musik hören. Sie wissen, es ist seit Monaten kein Ton in diesem Hause gespielt worden.«

Der junge Mann, den sie zum Spielen aufforderte, war ein sehr feiner, künstlerisch ernster und gewandter Klavierspieler. Er spielte uns dann gute Werke großer Komponisten vor, verabschiedete sich aber bald.

Mich jedoch hielt eine Spannung fest, eine Erwartung, eine Sehnsucht nach der Verkörperung der überirdischen Festlichkeit des Todes, die mich in diesen Räumen nicht verließ.

Die beiden Klavierlampen brannten noch am offenstehenden Flügel. Unweit von mir auf einem kleinen Damenschreibtisch stand die Photographie des jungen Verstorbenen.

Draußen vor den weißverschleierten Fenstern des Hauses lehnte das Schweigen des dunkeln Gartens, des dunkeln Waldes. Ich wußte, die Nachtlandschaft draußen war schneelos und winterlich düster. Es war Februar, und das Grab des Toten lag fern irgendwo in einem der mächtigen Großstadtfriedhöfe. Und jenes Grab unterschied sich in nichts von der [221] Wintererde und in nichts von den andern Millionen Grabhügeln, die überall auf der Welt jahraus, jahrein hervorwachsen, die im Sommer begrünt sind wie die Wälder und Wiesen und im Winter verlassen scheinen wie die Wälder und Wiesen.

Der Geist der Toten aber lebt Sommer und Winter in einer verklärten Jahreszeit, die wir auf Erden nicht kennen, die sich aber auf uns herabsenkt, wenn sich ein Toter uns mitteilen will. Beim Gemisch der eisigen Wellen des Toten und der Wärmewellen unseres Herzens entsteht jene schauersüße Stimmung, in der wir fröstelnd fühlen, der Tote ist auferstanden und kehrt verklärt bei uns ein.

Ich wagte unter dem Bann dieser Stimmung die Frage an die trauernde Mutter, ob sie nicht ein Lied ihres verstorbenen Sohnes singen oder ein Musikstück von ihm spielen möchte.

Sie lächelte schmerzlich und ging zum Flügel. Aber als wenn sie sich selbst vom gleichen Wunsch zum Klavier hingezogen gefühlt hätte, schien sie mir dabei freudiger im Gang, von einer verhaltenen Freude umgeben. Allein im Hause, hätte sie es vielleicht nicht gewagt, jetzt schon vor dem Vater des Verstorbenen Lieder und Töne aufleben zu lassen.

Als die Trauernde sich zwischen die zwei hellen verschleierten Lampen an den schwarzglänzenden Flügel setzte und ihre schwarz eingehüllten schmalen Schultern sich von den schneeweißen Tüllvorhängen abhoben, die senkrecht vor den Fenstern hinter ihr herabhingen, da war es mir noch nicht gewiß, ob Leben aus dem Flügel erwachen würde. Ich mußte immer noch denken, daß diese in tiefe Trauer gehüllte Mutter den Sohn immer noch begrub. Der Flügel vor ihr wurde mir [222] wie zum glänzend schwarzen Sarg, an dem sie sich, wie mir schien, niederlassen mußte, um zu schluchzen, um zu weinen und zu begraben.

Ich wußte nicht, ob die Trauernde schon reif war, den Toten auferstehen zu lassen, in jener Verklärung, in der ich als Fremder ihn bereits in den Räumen eingetreten fühlte.

Es würde mich nicht verwundert haben, wenn die noch schwer Erschütterte nach den ersten Tönen das Spiel abgebrochen und ihr Gesicht in die Hände vergraben hätte.

Aber sie war reif zum Empfang des Zurückkehrenden. Mit einem wunderbaren Mut, als überschritte sie selbst freudig die Schwelle vom Leben zum Tod, entlockte sie dem Flügel die alten Wohllaute, die nur ihr vertrauten einsamen Jünglingsgefühle des Sohnes, die männlich junge Lust und die männlich jungen Zweifel, die einst in ihm gerungen hatten.

Und als sie eines der letzten seiner Lieder sang, geschah vor meinen Augen das Wunderbare: die reife schöne Frau sang sich an den jugendlichen Weisen ihres Sohnes zur eigenen frühesten Jugend zurück. Und ihr Frauengesicht wurde mädchenhaft, aller Enttäuschungen bar. Mädchenhaft gläubig und vertrauend wurden die Augen beim Aus- und Einatmen der Musik. Die Vergrämte verklärte sich unter der Verklärung des Toten. Und ich sah Mutter und Sohn auf zwei großen, überweltlich großen, jugendlichen Rossen, von denen jedes die Verkörperung eines Schicksals zu sein schien, am Meer der Unendlichkeit hinreiten.

So sehe ich beide dort heute noch und in Ewigkeit als zwei Reiter am ungeheuren Meer am Rand der Welt. [223]

Und wenn ich in neuen Stunden und in anderen Räumen dieser Frau wiederbegegnen werde, sie wird für mich immer die vom Todesschmerz mädchenhaft verklärte Mutter sein, die, auf der Linie zwischen Leben und Tod, lebender in der Entrückung auflebt als im Irdischen. [224]


Von den in diesem Auswahlband abgedruckten Novellen sind »Der Garten ohne Jahreszeiten«, »Im blauen Licht von Penang«, »Likse und Panulla«, »Der unbeerdigte Vater« und »Eingeschlossene Tiere« der Novellensammlung »Lingam« entnommen, »Der Wildgänse Flug in Katata nachschauen«, »Das Abendrot zu Seta«, »Die Abendglocke vom Mijderatempel hören«, und »Den Abendschnee am Hirayama sehen« dem Buche »Die acht Gesichter am Biwasee«, »Zur Stunde der Maus«, »Himalayafinsternis« und »Zwei Reiter am Meer« den »Geschichten aus den vier Winden«. »Die Leiern der Wollust« sind ein Stück aus der großen Dichtung »Die geflügelte Erde«, die übrigen Gedichte des Auswahlbandes entstammen den Gedichtbänden »Lusamgärtlein«, »Der weiße Schlaf«, »In sich versunkene Lieder im Laub«, »Weltspuk«, »Des großen Krieges Not«. [225]


Von Max Dauthendey
sind ferner bei Albert Langen erschienen:
Romane:
Gedankengut aus meinen Wanderjahren
Der Geist meines Vaters
Raubmenschen
Novellen:
Geschichten aus den vier Winden
Die acht Gesichter am Biwasee
Lingam
Gedichtbücher:
Die geflügelte Erde
Lusamgärtlein
In sich versunkene Lieder im Laub
Weltspuk
Der weiße Schlaf
Die ewige Hochzeit – Der brennende Kalender
Des großen Krieges Not
Bänkelsang vom Balzer auf der Balz
Ausgewählte Lieder aus sieben Büchern
Dramen:
Die Spielereien einer Kaiserin
Der Drache Grauli
Die Heidin Geilane
Werke von Max Dauthendey
Romane
Gedankengut aus meinen Wanderjahren
Zwei Bände
Dritte Auflage
Geheftet 10 Mark, gebunden 16 Mark

Rheinisch-Westfälische Zeitung, Essen a. R.: Dieses »Gedankengut aus meinen Wanderjahren« ist etwas ganz ungewöhnliches, etwas, das seit langem in so köstlicher Reife nicht mehr hervorgetreten war, die Beichte nämlich eines bedeutenden Menschen, der den rechten Augenblick zu ergreifen wußte, um die Jahre seines Anstiegs ruhevoll zu überblicken und in dankbarer Gesinnung Rechenschaft abzulegen von den Kräften, die ihn bildeten, und von den Ereignissen, die diesen ergebnisreichen Weg kennzeichnen.

Der Geist meines Vaters
Aufzeichnungen aus einem begrabenen Jahrhundert
Dritte Auflage
Geheftet 5 Mark 50 Pf., gebunden 8 Mark 50 Pf.

Der Tag, Berlin: Ein kleines Wunder ist passiert: ein deutscher Künstler, bisher nur wenigen vertraut, hat ein Buch geschrieben, jedermann zur Freude und doch ohne Konzession an jedermanns Geschmack. … Ein Einsamer, der plötzlich ein Erfolgsbuch schreibt, ohne zu kapitulieren – in Wahrheit, ist's kein Mirakel? Ein Dichter erzählt. Erzählt nichts anderes als die Geschichte seines Vaters und seiner eigenen Jugend … »Aber es liest sich wie ein Roman!«

Raubmenschen
Roman
Fünfte Auflage
Geheftet 6 Mark 50 Pf., gebunden 9 Mark 50 Pf.

Hamburgischer Correspondent: Dieses Poem ist erfüllt vom Duft der Urwälder und von tausendtönigen Liedern. … Dauthendeys Stärke ist sein unerschöpfliches lyrisches Weltgefühl. Sein lyrisches Malerauge – um mich präziser auszudrücken. Er stellt es jeden Tag schier vor neue Aufgaben. Zufälligkeiten – reale und imaginäre Wanderbilder – werden von ihm zu grandiosen Symbolen verdichtet. Seine Sprache ist getränkt mit heißen Sonnenstrahlen. Sie ist bunt und prächtig wie das Fell eines Jaguars. Sie ist wie ein tropischer Wald, wie diese ganze wilde tierra caliente.

Novellen
Lingam
Asiatische Novellen
Siebente Auflage
Geheftet 3 Mark, gebunden 5 Mark 50 Pf.

Frankfurter Zeitung: Seit den Asiatischen Novellen des Grafen Gobineau ist mir kein Buch begegnet, das den eigentümlich narkotischen Zauber jener exotischen Welt so echt ausströmen ließe wie die Sammlung »Lingam« von Max Dauthendey.

Die acht Gesichter am Biwasee
Japanische Liebesgeschichten
Elfte Auflage
Geheftet 4 Mark 50 Pf., gebunden 7 Mark 50 Pf.

Neue Freie Presse, Wien: … Der feinen, seltenen Kunst Dauthendeys gelingt es, uns ganz in dieses fremde Geistesleben einzuführen. Und es ist ein so einfaches Leben in den stillen Landschaften, die doch alle Leidenschaften der Erde bergen, so einfach und so kompliziert wie die Wirklichkeit. Gedichte in Prosa sind es, wie fremdartige Volkslieder klingen sie, wie ein Gruß aus der fernen Welt der Sehnsüchtigen.

Geschichten aus den vier Winden
Fünfte Auflage
Geheftet 5 Mark, gebunden 8 Mark

Leipziger Tageblatt: … Der erzählende Mensch, der eine so wohltönende Stimme und – ich finde kein anderes Wort – eine so riesig anständige Gesinnung hat, steht für mich sichtbar zwischen allen diesen Geschichten, so daß in der Rückerinnerung fast alle gleich starke sympathische Kraft behalten. Gerade ein paar leichte Skizzen, Erlebnisse eines Nachtspazierganges, eines Besuches, einer Abendgesellschaft, geben immer den ganzen Menschen und damit die ganze Welt. Und auch die grotesken Geschichten sind bei aller Lustigkeit voller Güte, voll eines Lachens, das nicht nur ein Eckchen des Daseins bescheint, sondern immer das Ganze … Zwischen alledem stehen ein paar Liebesnovellen im Sinne des Boccaccio, höchst persönlich vorgetragen, aber in streng geschlossener Arabeske, – höchst würdige Stücke eines noch ungeschriebenen nordischen Dekamerone.

Gedichtbücher
Ausgewählte Lieder aus sieben Büchern
Mit dem Porträt des Dichters
Fünfte Auflage
Geheftet 1 Mark, gebunden 2 Mark

Neue Würzburger Zeitung: Das kleine Büchlein ist ein Geschenk, so überreich an Wundern und Schönheiten, wie mir lange keines begegnet ist. Dauthendey ist ein Meister der Sprache, ein Führer auf neuen Wegen; er besitzt eine lohende Phantasie und eine Bildkraft von titanenhafter Stärke und höchster Eigenart.

Die geflügelte Erde
Ein Lied der Liebe und der Wunder um sieben Meere
Geheftet 10 Mark, gebunden 15 Mark

Die Gegenwart, Berlin: Ich halte das Buch für ein bleibendes Denkmal unsrer gegenwärtigen Kultur.

Fremdenblatt, Wien: »Die geflügelte Erde« ist ein Weltengesang von hinreißendem Schwung und eine der grandiosesten Huldigungen, die je ein Dichter der Geliebten dargebracht hat.

Lusamgärtlein
Frühlingslieder aus Franken
Geheftet 2 Mark 50 Pf., gebunden 4 Mark 50 Pf.

Die Zeit, Wien: Er ist einer der größten Minnesänger, die in deutscher Sprache geflüstert, geseufzt, geschwärmt, gesungen, gejubelt haben. Aber ein Troubadour von Anno dazumal ist er nicht. Keine Spur von Kniehosengeziertheit, von falscher Süße ist an ihm, kein Geklimper unzeitlicher Instrumente girrt in seinen Versen. Ein brausend junges Temperament durchflutet sie, und wie das Ohr an der Melodie; so hat das Auge an den Farbenbuketts sich gefreut. Alle Blumen tragen ihre realen Namen, alle Dinge sind wirklichkeitsgemäß bestimmt. Die Liebe allein verklärt ihm die Welt, erfüllt ihm die Welt, lehrt ihn, sie lieb zu haben.

In sich versunkene Lieder im Laub
Zweite Auflage
Geheftet 2 Mark 50 Pf., gebunden 4 Mark 50 Pf.

Österreichische Rundschau: Max Dauthendeys Kunst prangt nun in sommerlicher Reife. Liebe ist sein Wesen und sein Schaffen … Die Mannigfaltigkeit seiner Gleichnisse hat kaum irgendwo ihresgleichen: so angefüllt mit Wunderworten ist sein Buch. Möchten die keuschen Gesänge hinausschallen, möchten sie in die Ohren der Menschen eingehen und den Seelen sagen, daß die Quellen deutscher Dichtung heute noch so üppig springen und lieblich rauschen wie jemals …

Weltspuk
Lieder der Vergänglichkeit
Zweite Auflage
Geheftet 2 Mark, gebunden 4 Mark 50 Pf.

Nationalzeitung, Berlin: Mit diesem Werk krönt sich Dauthendeys Schaffen. Fast kein Gedicht, das man nicht zweimal lesen müßte. Jedes voller Schönheit, bestrickend mit der Süße des Klangs, ergreifend mit der Glut des Gefühls, mit unerschöpflichem Reichtum an Bildern, köstlichen, immer wieder neuen Vergleichen.

Der weiße Schlaf
Lieder der langen Nächte
Geheftet 2 Mark, gebunden 4 Mark

Pester Lloyd: In der Liedersammlung »Der weiße Schlaf« schillert es von schneebedeckten Fluren, Geäst, Sonnenbleiche, Nebelbrauen, alles Ton in Ton, indes der Wind auf allen Orgelpfeifen bläst. Ein immenses Leben ahnt Dauthendey in dieser Winterstille, und seine Lust stimmt sich herab auf das große Warten der Natur. Das Kommende ist voller Hoffnung und Verheißung. Ein japanischer Holzschnitt oder Whistlers zarte Sinfonien in zwei Farben sind da zu einem durchsichtigen Wortgewebe geworden.

Die ewige Hochzeit
Der brennende Kalender
Zweite Auflage
Geheftet 2 Mark, gebunden 4 Mark

Literarisches Echo: »Die ewige Hochzeit« ist das Hohelied Dauthendeys, von einer in unserer ganzen Literatur einzigen Glut der Verliebtheit. Den ganzen Leib der Geliebten, ihre Hand, ihr Herz, ihren Mund bedeckt er mit Liedern wie mit Küssen.

Bänkelsang vom Balzer auf der Balz
Geheftet 3 Mark, gebunden 5 Mark

Literarisches Echo: Dieser Humor der höchsten Weisheit, der mit einem fröhlichen Trotz alle Schwerkraft und alle dunklen Erkenntnisse überwindet, macht den »Bänkelsang vom Balzer auf der Balz« zu einem klassischen Werk. Man hat den Bänkelsang zu Unrecht mit Wilhelm Busch verglichen; er ist viel wärmer, farbiger und dichterischer. Auch dies Werk dreht sich um die Liebe, und allen an der Liebe Leidenden wüßte ich kein tröstlicheres Buch als dieses Balzers Gesang.

Des großen Krieges Not
Zweite Auflage
Geheftet 2 Mark, gebunden 4 Mark

Tägliche Rundschau, Berlin: Man muß diese lyrischen Bleistiftnotizen lesen wie das Tagebuch eines teuren Menschen, wie das Bekenntnis eines Herzens, das uns nahesteht und uns nun durch das Schicksal noch brüderlicher verbunden ist. Ein paar Stücke aber, wie »Vom großen Krieg ein Schatten«, »Daheim, wo die Schneeflocken fliegen«, »Es regnet Tränen«, sind unverwelkliche Blumen im Kranze, den die Dichter um Deutschlands Heldenmäler gewunden.

Dramen
Die Spielereien einer Kaiserin
Drama in vier Akten, einem Vorspiel und einem Epilog
Zweite Auflage
Geheftet 3 Mark, gebunden 5 Mark 50 Pf.

Leipziger Neueste Nachrichten: Die Konzeption dieser Szenen, in denen sich vor uns das Leben der Kaiserin Katharina I. von Rußland abrollt, ist bedeutend, im einzelnen oft großartig. In jedem der sechs Bühnenbilder offenbart der Lyriker Dauthendey viel dramatische Kraft und szenische Phantasie. Die Charaktere sind prachtvoll gesehen, wie auch das ganze kulturhistorische Milieu.

Der Drache Grauli
Drama
Geheftet 2 Mark, gebunden 4 Mark

Berner Bund: Dauthendeys neues Opus führt uns in eine andere, beinahe märchenhafte Welt, weit hinaus aufs Meer, in die öde Behausung von Leuchtturmwächtern oder auf das Deck eines Segelschiffes. Und mit großer Stimmungskunst weiß der Dichter das Leben auf meerumrauschter Klippe zu schildern, die Menschen zu zeichnen, die nie eine blühende Blume zu Gesicht bekommen, denen nur das Meer zu eigen ist, die große ruhige Fläche oder die donnernden Wogen, und die darüber närrisch oder gespenstergläubig werden.

Die Heidin Geilane
Tragödie
Geheftet 2 Mark, gebunden 4 Mark

Tagesbote, Brünn: Jedes neue Werk Dauthendeys steigert unsere Verwunderung und Bewunderung angesichts der Fruchtbarkeit, Vielseitigkeit und Stil- wie Sprachmeisterschaft des Dichters. Im Drama von der »Heidin Geilane«, das am 8. Juli 689 in Würzburg vor der Hütte des Christenapostels St. Kilian spielt, hat sich Dauthendey auf das Gebiet des Legendenhaften, Primitiven, Halbbarbarischen, Kindlich-Naiven begeben, und er stellt auch da seinen Mann …

Langens Auswahlbände
Ausgewählt und eingeleitet
von
Walter von Molo
Mit den Porträts der Dichter
Jeder Band vornehm gebunden 5 Mark
Es erschienen bisher:
Die schönsten Geschichten der Lagerlöf
Geschichten von Ludwig Thoma
Erzählungen von Knut Hamsun
Die schönsten Abenteurergeschichten von Sealsfield
Die schönsten Kosakengeschichten von Gogol
Die schönsten historischen Erzählungen von Strindberg
Das Schönste von Max Dauthendey
Das Schönste von Storm
Die Sammlung wird fortgesetzt
Albert Langen, Verlag, München
Druck von Hesse & Becker in Leipzig
Einband von E. A. Enders in Leipzig

 


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Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
business@pglaf.org.  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://www.gutenberg.org/about/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     gbnewby@pglaf.org

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

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The Foundation is committed to complying with the laws regulating
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