Title: Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band X, Heft 4-6
Monatsschrift für Heimatschutz und Denkmalpflege
Author: Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Release date: November 19, 2021 [eBook #66769]
Most recently updated: October 18, 2024
Language: German
Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
Anmerkungen zur Transkription
Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter ist so ausgezeichnet. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so markiert.
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Landesverein Sächsischer
Heimatschutz
Dresden
Monatsschrift für Heimatschutz und Denkmalpflege
Band X
Inhalt: Das westliche Vogtland, ein deutsches Wald- und Wandergebiet – C. G. Schillings † – Praktische Arbeit zur Erhaltung unserer Steinkreuze – Vom Heimatgefühl – Die Zschemelschka – Erhaltet dem heimatlichen Landschaftsbilde die Alleen und die hervorragenden Bäume – Schlagbaum und Chausseehaus in Sachsen – Die Schneeheide – Seiffen und das Bunte Haus, eine Fahrt ins Weihnachtsland – Neue Wohnhausbauten im Erzgebirge – Bücherbesprechungen – »Vogelschutz« von seiten eines Forschers – Hermann Vogel † – Der nutzlose Baum
Einzelpreis dieses Heftes M. 5.–, Bezugspreis für einen Band (aus 12 Nummern bestehend) M. 15.–, für Behörden und Büchereien M. 10.–. Mitglieder erhalten die Mitteilungen kostenlos, Mindestjahresbeitrag M. 10.–
Geschäftsstelle: Dresden-A., Schießgasse 24
Dresden 1921
an die Sachsen im Ausland zur Erwerbung der Mitgliedschaft des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz.
Von vielen, die im Auslande die Treue zu ihrem Heimatland auch dadurch zum Ausdruck bringen, daß sie Mitglieder unseres Vereins sind, erhalten wir über unsere Veröffentlichungen so begeisterte Zuschriften, daß wir den Mut fassen, weiter im Auslande Mitglieder für unseren Verein zu werben, um unsere Bewegung auch wirtschaftlich zu stärken. Wir bitten unsere werten Mitglieder zu diesem Zwecke, uns die Anschriften ihrer Verwandten, Freunde und Bekannten im Auslande mitzuteilen oder selbst unter Abforderung von geeigneten Werbesachen bei uns an diese im Sinne dieser Ausführungen zu schreiben.
Über nichts freut sich der Auslanddeutsche fern vom Heimatlande so sehr wie über Bilder und Schilderungen der Stätten, wo er die Kindheit, die Jugend verlebt hat. Und könnte es da geeignetere Veröffentlichungen geben als unsere »Mitteilungen« mit ihren zahlreichen Bildern und Schilderungen des alten Heimatlandes?
Wir fügen diesem Hefte eine Postkarte bei, auf der wir geeignete Anschriften erbitten.
Für eine freundliche Hilfe sagen wir im voraus herzlichen Dank.
Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Dresden-A., Schießgasse 24, I.
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Die Mitteilungen des Vereins werden in Bänden zu 12 Nummern durch den Vorstand herausgegeben
Abgeschlossen am 1. April 1921
Von Studienrat Hans Hänig, Wurzen
Aufnahmen von Curt Sippel, Plauen
Unsere engere Heimat ist reich an Schönheiten. Wer das Erzgebirge durchwandert und den Reiz des Elbsandsteingebirges genossen hat, wem es vergönnt war, von der Höhe des Oybin aus seine Blicke über das böhmische Mittelgebirge schweifen zu lassen, der wird voll sein von Lobes über ein Land, dessen Lebensbedingungen im übrigen Deutschland nicht eben für günstig gelten. Aber wie es z. B. die Geschichtswissenschaft nicht immer mit den Höhen des menschlichen Daseins zu tun hat, sondern auch die Niederungen berücksichtigen muß, so muß man von dem Schilderer unserer Heimat verlangen, daß er auch den Gegenden ein liebevolles Verständnis entgegenbringt, die nicht von vornherein als Glanzpunkte von Wanderungen gelten können. Er wird vielleicht manches vermissen, was ihm sonst als beachtenswert erscheint, aber er wird auch hier vieles finden, an dem sein Blick mit Wohlgefallen hängt und von dem echtes Heimatsgefühl ausströmt, das uns gerade jetzt so vonnöten ist. Warum immer nur das Erzgebirge oder die Lausitz oder die Sächsische Schweiz? Auch in Südwestsachsen gibt es Landschaften, die eine eingehende Betrachtung wert sind. Ich will den Leser in das Vogtland[70] führen, und zwar in den westlichen Teil, und hoffe ihn überzeugen zu können, daß auch dieser Teil unserer engeren Heimat mit seinen Naturdenkmälern, Bergen und Erinnerungen aus der Vergangenheit eine liebevolle Anteilnahme verdient.
So lade ich denn den freundlichen Leser ein, eines Nachmittags mit mir von Plauen aus ins westliche Vogtland zu wandern. Wir benutzen die Straßberger Straße und erblicken schon in dem ersten Dorfe Straßberg, das etwa eine Wegstunde von Plauen entfernt liegt, ein ehrwürdiges Denkmal aus der vogtländischen Vergangenheit. Es ist die altertümliche Kirche dieses Dorfes, die wie so manche andere des westlichen Vogtlandes (Untertriebel, Schwand, Thierbach bei Plauen) Spuren ehemaliger Befestigungen aufweist. Es war ein Schutz gegen die unaufhörlichen Kriegsnöte, die dem Vogtland niemals erspart worden sind: seit es von Franken aus besiedelt wurde (daher auch die ostfränkische Mundart der Bewohner, die auch ihrem Wesen nach eher den Bayern nahestehen als den Sachsen), hörte das Land nie auf, ein Durchgangsgebiet zwischen Bayern und Mitteldeutschland zu sein, auch nachdem die Herrschaft der Vögte – das Land war bis dahin sogar zeitweise Reichslehen gewesen – an die der Wettiner übergegangen war. Noch erzählen zahlreiche Steinkreuze von der Herrschaft der Kirche oder von Mordtaten, die begangen worden waren (der derbe, wenn auch gutmütige Vogtländer greift auch heute noch gern zur Selbsthilfe, was an seine bayrische Verwandtschaft erinnern mag oder an die Zeit, in der noch die Sorben und Deutschen nebeneinander wohnten), und fast jede der größeren Städte an der Elster erfuhr an sich das[71] Wüten des grausamen Generals Holk, der mit seinen Scharen im Dreißigjährigen Krieg von Eger anrückte und überall ein Schrecken der Vogtländer wurde. Was könnten allein die Kirchenbücher von Ruppertsgrün und von Pausa Schreckliches von den Leiden jener Zeit erzählen! Auch in den folgenden Kriegen ist das Land nicht verschont geblieben: am Wartberge bei Taltitz fochten im Siebenjährigen Kriege die Ziethenschen Husaren gegen die Österreicher, und im Jahre 1806 wurden die Dörfer Groß- und Kleinzöbern, sowie Thiergarten bei Plauen von den Franzosen niedergebrannt, um den übrigen Scharen, die von der Schleizer Gegend aus vordrangen, ein Zeichen zu geben. Aber wir wollen nicht immer bei den schweren Zeiten verweilen, die über das Vogtland hinweggegangen sind. Bereits das nur wenige Minuten entfernt gelegene Dorf Kürbitz ladet mit seiner herrlichen Kirche, die für eine der schönsten in ganz Sachsen gilt, zu sinniger Betrachtung ein. Wohl ragt sie rein äußerlich höchstens durch die Größe ihres 42 Meter hohen Turmes[72] etwas aus der langen Reihe der Schwesterkirchen hervor, die so manches vogtländische Dorf aufzuweisen hat, aber schon ein Blick durch die schöne Hauptpforte zeigt, daß die Kunst hier eine dauernde Stätte gefunden hat. Wir stehen in einer Hallenkirche mit drei Schiffen, über die sich ein kunstvolles Kreuzgewölbe spannt, während an den Fenstern Spitzbogen mit Rundbogen abwechseln. Auch die Kanzel aus Sandstein mit den Evangelisten und Moses, sowie der Taufstein mit dem kelchartigen Unterbau ist erwähnenswert, aber niemand wird die schlichte Größe des Altares vergessen, der aus der alten Kirche vor der Reformation, einer Gründung der Deutschritter in Plauen, übernommen worden ist. Es ist ein dreiteiliger Flügelaltar, dessen geschnitzte und vergoldete Figuren wie verwundert und versonnen aus jener Zeit in die heutige hineinschauen und gerade deshalb durch ihre kindliche Einfalt so ergreifend wirken: die Mutter Maria mit dem Jesuskindlein und den Aposteln, Maria Magdalena am Grabe des Herrn und die Mutter Maria, wie sie ihrer Mutter, der heiligen Anna, das Kind darreicht. Auch die Gemälde möchte man an dieser Stätte dörflicher Kunst nicht missen, die biblische Begebenheiten sowie solche aus der Geschichte der Herren von Feilitzsch darstellen, und es möge erwähnt werden, daß eines dieser Bilder, die Einkehr des Herrn bei Maria und Martha, aus der Schule von Rubens herrühren soll. Auch die drei kleinen Altäre sind erwähnenswert, die ebenfalls mit Schnitzwerk und Malereien reichlich versehen sind. Die Kirche soll eine Stiftung des kunstsinnigen Urban Caspar von Feilitzsch sein, der sie in den Jahren 1624–1626, also während des Dreißigjährigen Krieges gebaut haben soll. In einem Seitenschiffe befindet sich die Begräbnishalle dieser Familie, und viele ihrer Mitglieder sind auf den Grabsteinen, umgeben von vielen Wappen, dargestellt.
Der Weg von dem Elstertale bis zur bayrisch-reußischen Grenze ist noch weit, und wir müssen noch manche Höhe überwinden, ehe wir zu unserem Ziele für heute gelangen. Das ganze westliche Vogtland, das mit dem östlichen Teile einen Übergang zwischen dem Erzgebirge und dem Thüringer- und Frankenwald bildet, steigt von hier an allmählich zu der Höhe von etwa 600 Meter auf, die zugleich die Grenze zwischen dem Vogtland und dem reußischen Gebiet bildet, aber das Gelände ist von zahlreichen Talrinnen durchfurcht, von denen die meisten nach der großen Elsterkrümmung zwischen Plauen und Ölsnitz zu verlaufen. Nur ein eigentlicher Paß, der von Wiedersberg, bildet eine mäßige Einsenkung dieser Hügelketten, die, wie das ganze Gelände, auch nach Norden einen allmählichen Abfall zeigen, und dort führt auch die Straße von Plauen nach Hof ins Bayrische hinüber. Somit ist auch eine Wanderung in dieser Gegend nicht ohne Reiz, wenn auch überragende Berggipfel fehlen: Dörfer wechseln mit Waldstücken und Äckern, auf denen der Bauer jahraus, jahrein in harter Arbeit dem Boden seine Erzeugnisse abringt (der Boden des Vogtlandes ist zumeist felsig und gibt nur dort einigermaßen gute Ackererde, wo Grünsteinschichten verwittert sind), und zwischen dem Grün der Wiesen schlängelt sich manches Bächlein dahin, um in eine größere Schwester einzumünden. Die Bauernhäuser zeigen auch hier die Merkmale fränkischer Besiedlung: der Hof von Gebäuden umgeben, die Häuser von Fachwerk, und dazwischen manch altes Blockhaus, die Kirchtürme oft mit zwiebelförmigem[73] Aufbau wie in Franken, und vielfach noch alte Dorflinden, die manches ländliche Fest im Reigen der Jahre gesehen haben. Nur das Herrschaftshaus eines Rittergutes hebt sich mitunter einigermaßen aus dieser Bauart heraus, und manche dieser Schlösser wie die von Geilsdorf, Reuth und Rodersdorf zeigen geradezu durch ihre Wasserbefestigungen, daß sie aus alten Wasserburgen entstanden sind.
Aber es ist unterdessen spät geworden bei unseren Betrachtungen, und wir müssen noch ein tüchtiges Stück Weg über die Höhen zurücklegen, die vor uns liegen, um noch vor Abend zu unserem Ziel zu kommen. Schon ziehen sich im Reußischen, das sich drüben jenseits des Stelzenbaumes erhebt, die Abendwolken zusammen, aber rückwärts von uns hat das Gewitter ausgetobt, das noch vor einer Stunde über der Landschaft gelegen hat: der ganze Grund, der sich bis in die Straßberger Gegend hinzieht, ist von Nebel verhüllt, aus dem sich nur taufrisch einzelne Waldstücke und Wiesen hervorheben. Noch ein seltsam schönes Bild soll unsere Aufmerksamkeit anziehen, ehe wir weiter wandern. Seitwärts von dem holprigen Wege, der eben wieder am Tannenwald entlang eine größere Höhe genommen hat, ruht ein See, dessen Oberfläche nach dem Gewitter dampft, das auch hier wie ein verjüngendes Bad über die Natur gegangen ist, und wie scheu öffnen sich die Kelche der Wasserrosen den Strahlen der Sonne, die sie jetzt wieder auch in diesen stillen Erdenwinkel herniedersendet. Der Dichter des Vogtlandes, J. Mosen, der in einem Dörfchen an den Abhängen jenseits der Elster geboren ist, hat das Bild, das uns hier die Natur vor Augen zaubert, in Worte gekleidet:
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Unser Weg geht nach dem hart an der bayrisch-reußischen Grenze gelegenen Dorfe Mißlareuth; aber bevor die Sonne untergeht, soll sie uns noch einmal ein Stück vogtländischer Landschaft von einer weihevollen Stätte aus vor Augen zaubern. Nach einstündigem Marsche, der wegen der Steigerung zusehends anstrengt, gelangen wir nach dem Dörfchen Krebes, das sich eine lange Talrinne hinaufzieht, und daneben liegt, mit überraschend schönem Blick auf das wellige Hügelland, eine weithin sichtbare Grünsteinkuppe, der Burgstein, in dessen Ruinen die Reste zweier Wallfahrtskapellen zu finden sind. Beide wurden 1430 von den Hussiten zerstört, und damit verschwand auch das berühmte Marienbild, dessen Gnadenhandlungen der Burgstein seinen Ruhm und seinen Reichtum zu danken hatte. Das liebliche Landschaftsbild, das ehrwürdige Gemäuer umrandet vom Grün der Fichten, erinnert an so manches Gegenstück im Fichtelgebirge wie an den Epprechtstein und den Waldstein, von dem die Blicke fast bis zu uns herüberschweifen. Wir empfinden, was ein Dichter des Vogtlandes aus jüngster Zeit hier in Worten ausgesprochen hat:
(K. A. Findeisen).
Aber drüben grüßt, schon im Dunkel des Abends umfangen, der Turm von Mißlareuth zu uns herüber, wo wir für heute Nacht rasten wollen. Über den Schienenstrang, auf dem die Schnellzüge der Nord-Süd-Expreßlinie nach dem Süden[75] eilen, geleitet uns ein anmutiger Buchenweg nach der Höhe hinüber, an der sich das Dorf entlang zieht. Ein vogtländisches Bauerndorf wie viele andere, aber im Herzen der Natur und fern von der Kultur, die auf die größeren Städte des östlichen Vogtlandes beschränkt geblieben ist. Auch der Gasthof, in dem wir übernachten, ist ein Bauernhof mit derben Pfosten und schlichten Kammern, aber in den einfachen Betten schläft es sich besser als in den weichen Hotelbetten, die wir vielleicht eine halbe Stunde weiter nach Westen, in dem preußischen Städtchen Gefell, finden würden. Wir brauchen die Ruhe; denn wir haben noch einen weiten Weg vor uns, wenn wir noch den nördlichen Teil des westlichen Vogtlandes kennen lernen wollen.
Das Dorf Mißlareuth, in dem wir die letzte Nacht zugebracht haben, braucht sich, was seine Höhenlage anbetrifft, nicht vor den übrigen Dörfern des Vogtlandes und des Erzgebirges zu schämen, es wetteifert mit den 620 Metern seiner Höhenlage mit den höheren Siedlungen des Erzgebirges, und sein schmucker Kirchturm grüßt frühmorgens hinüber zu dem von Schöneck und leuchtet selbst dem entgegen, der von der Ruine des Epprechtsteines im Fichtelgebirge seinen Blick gegen Norden schweifen läßt. Aber selbst der hochgelegene Kirchhof legt dem Besucher nahe, den Blick von der heimatlichen Scholle in die Weite schweifen zu lassen; denn gleich am Anfang liegt, durch ein Denkmal geziert, das Grab des gelehrten vogtländischen Bauern Nikolaus Schmidt, nach dem Großvater genannt Küntzel, auf den noch heute seine Landsleute stolz sein können und der zwei ihrer besten Eigenschaften, die Zähigkeit und die Bodenständigkeit, zum Ausdruck gebracht hat. Er wurde[76] zu Rothenacker geboren, das zwar im Reußischen liegt, aber nach Mißlareuth eingepfarrt ist. Dort lernte Nikolaus, dessen Vater das größte Bauerngut im Dorfe besaß, durch Vorsagen von der Mutter die ersten Gebete und die Hauptstücke des Katechismus, während ihm ein Dorfjunge, der an seiner Stelle die Kühe hüten sollte, an der Hand eines A-B-C-Buches zum ersten Lehrer wurde. Von dem Schulmeister in Mißlareuth erhielt er ein Buch, das seinen Wissenstrieb in weitere Bahnen lenkte: einen Katechismus, der in vier Sprachen (deutsch, lateinisch, griechisch und hebräisch) geschrieben war. Und nun wächst dieser seltsame Mensch Schritt für Schritt aus der Enge seines Heimatbodens heraus, der er doch bis an das Ende seines Lebens als Bauer treu geblieben ist. Von dem gelehrten Sprachkenner, der mehr als ein Dutzend fremder Sprachen lesen, sprechen und verstehen konnte, redete man am Hofe des Kurfürsten Johann Georg I., der ihm eine zehnbändige Bibel in deutscher und lateinischer Sprache und dreiunddreißig Taler schenkte, wie an dem zu Gera, dessen Fürst ihm Steuerfreiheit und das Recht verlieh, den Titel Herr zu führen, und der Erfolg des ersten Schmidt-Küntzelschen Kalenders, der im Jahre 1653 erschien (man bedenke, daß das Leben dieses seltsamen Mannes in das Dunkel des Dreißigjährigen Krieges fiel) und der bis ins achtzehnte Jahrhundert hinein fortgeführt wurde, zeigt, daß auch in weiten Kreisen des deutschen Volkes hinein sein Name gedrungen war. Die Bücher zu seinem rastlosen Studium mußte er sich freilich selbst beschaffen, und so finden wir ihn mit seinem Schubkarren in Hof, Schleiz, Lobenstein, ja selbst in Leipzig und Nürnberg, und welch ein Verlust muß es für ihn gewesen sein, als seine kostbare Sammlung von sechshundert Bänden im Jahre 1640 von plündernden Kroaten vernichtet wurde. In der Dresdner Bibliothek befindet sich noch eine Handschrift vom gelehrten Bauer mit 150, in der von Schleiz eine solche mit 250 Schrift- und Sprachproben (er hat es bis zur Meisterschaft im Schönschreiben gebracht), und von seiner Beschäftigung mit der Arznei- und Himmelskunde legt der erwähnte Kalender beredtes Zeugnis ab. Im Jahre 1671 ist sein müder Leib der Heimatserde zurückgegeben worden. –
Wir setzen unsere Wanderung an dem taufrischen Morgen auf der großen Straße fort, die sich etwa auf der Grenze des Vogtlandes und des reußischen Gebietes dahinzieht. Überall dasselbe Bild, das für diese Landschaft charakteristisch ist: Waldstücke und Wiesen in anmutigen Hügelformen, wechselnd mit Äckern und wohlhabenden Dörfern, von denen gar mancher Name (als zweiter Bestandteil reuth von roden) von der Tätigkeit der Ansiedler auf diesem Stück Land Zeugnis ablegt. Das große Dorf Reuth ist eine namhafte Station an der Bahn zwischen Reichenbach und Hof, die sich in mannigfachen Windungen durch das Vogtland zieht und in stetem Wechsel Bilder von Heide, Wiesen und Wald bietet, und es enthält noch die Reste einer Wasserburg, wie wir sie schon früher kennen gelernt haben. Wir müssen noch einmal ins Reußische, ehe wir die Höhe mit dem Stelzenbaum, auch jetzt noch das Wahrzeichen unseres Wandergebietes, erreichen können. Die Kirche des Ortes Stelzen, das zu seinen Füßen liegt, gehört nach Reuß, während in den Bauergütern zum Teil geborene Vogtländer auf ihrer Scholle sitzen. Fast versteckt in den Wogen der Ährenfelder, die sich bis auf den Hügel hinaufziehen, steht ein[77] kleiner Stein und nicht weit davon der ehrwürdige Rest des alten, sagenumwobenen Stelzenbaumes, der im Jahre 1897 vom Blitze getroffen worden ist. Von seinem Umfange redet noch der Stumpf, den fünf Männer kaum umspannen können und dessen oberes Ende durch eine mächtige Platte vor weiterer Zerstörung geschützt ist. Eine Orientierungstafel des Vogtländischen Touristenvereins Plauen zeigt, daß die Höhe, auf der wir uns befinden (618 Meter), groß genug ist, um nach allen Seiten Umschau zu halten. Eine Menge von Dörfern im bunten Wechsel von Tal und Hügel dehnt sich nach allen Seiten vor dem Beschauer aus, und bei klaren Tagen reicht der Blick von der Plauener Gegend bis zu den Höhen des Frankenwaldes.
Nur zwei Städte sollen uns bei unserer Wanderung noch aufhalten, um auf diese Weise das Bild zu vervollständigen, das wir von diesem Teil des Vogtlandes gewonnen haben. Sie zeigen uns beide in ihrer Art, daß wenigstens dieser westliche Teil auch heute noch ein Acker- und Weideland ist und daß sich größere Städte abseits von der großen Heerstraße, die sich an der Elster entlang zieht, hier nicht zu entwickeln vermögen. Zwischen Wiesen gebettet und mit seinem Schloßturm noch an das Mittelalter erinnernd, tritt uns zunächst Mühltroff entgegen, ein Städtchen von etwa 2000 Einwohnern, dessen Mittelpunkt auch heute noch der überragende, festgefügte Schloßbau ist, unter dessen Schutz sich die Stadt entwickelt hat. Schon die Bauart des Schlosses mit seinem runden, hohen Turm, dessen Wände drei Meter stark sind, und seiner Wasserbefestigung, die jetzt zugeschüttet[78] ist, erinnert an jene Zeit, wo deutsche Kaiser ihre Macht durch feste Grenzplätze zu stärken suchten, und so scheint die Herrschaft Mühltroff schon im frühen Mittelalter ein unmittelbar kaiserliches Reichslehen und im zwölften Jahrhundert mit Lobenstein, Schleiz, Pausa und Elsterberg vereinigt gewesen zu sein. Heute ist das Schloß verödet und die großen Säle dienen zur Aufbewahrung von Feldfrüchten, während die Prunksäle zu Rumpelkammern geworden sind, aber noch immer zeigt man geheimnisvolle Räume und dunkle Gänge, wo die Erinnerung an einen der Schloßherrn spukt (den Grafen Kospoth), dem man nachsagte, daß er der Geisterbeschwörung und Alchemie ergeben war und daß er bei dem Brande des Schlosses 1817 in dem Wahne, den Feuersegen zu besitzen, elendiglich zugrunde ging. Auch die Bauart der Stadt mit dem engen Markte (in dem Gasthofe zum halben Mond residierte die eine Linie der Gutsherrn) hat noch heute etwas Altertümliches und ist nie über die eines kleinen Landstädtchens hinausgekommen, und zu erwähnen ist höchstens die ehemalige Schloßkirche, zu der eine Brücke vom Schlosse aus führt und die nach dem großen Stadtbrande der Stadt überwiesen wurde. Mehr der heutigen Zeit hat sich Pausa angepaßt, das in einem weiten Talkessel liegt und vor allem der Stickereiindustrie seinen Aufschwung verdankt. Die Stadt ist, wie der Name sagt, eine Gründung der Slawen gewesen, die sich mehr die Niederungen und Flußgegenden zu Wohnsitzen aussuchten, sie kam schon zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts mit anderen Städten in den Besitz der Wettiner und hat besonders im Dreißigjährigen Krieg, wie der Bericht ihres treuen Pfarrers Pyrläus zeigt, schwere Zeiten durchlebt. Heute zeigt Pausa das Bild einer sächsischen Kleinstadt wie so manche andere: die Kirche im altsächsischen Renaissancestil, ein geräumiger Markt und die Häuser, im übrigen vielfach einstöckig, mit reinlichen Straßen – man fühlt, daß man hier abseits ist von dem großen Weltgetriebe, und man möchte gern ein paar Stunden verweilen, um sich satt zu sehen an dem Grün der Wiesen und um dem Gesang der Vögel zu lauschen, die nicht müde werden, auf diesem schönen Stück Erde ihre Lieder erschallen zu lassen. Kein Wunder ist es daher, daß bei der Nähe der heilkräftigen Moore von jeher die Menschen hier Heilung gesucht haben und daß besonders der Name des Bades Linda weit über die sächsischen Grenzen bekannt geworden ist. Mit Bad Elster, das auf dem südwestlichen Teile des vogtländischen Hügellandes in einem Tale, von Nadelwäldern umgeben, eingebettet ist, kann sich allerdings Pausa nicht messen, das außer Linda auch noch ein älteres Bad mit schönen Anlagen besitzt, aber die Heilberichte, die uns auch von hier vorliegen, zeigen, daß auch dieses Bad trotz der augenblicklich ungünstigen Zeitumstände noch eine Zukunft hat.
Von Pausa selbst lassen sich besonders zwei Gebiete in kurzer Zeit erreichen, die durch ihre landschaftliche Schönheit ausgezeichnet sind: die Schleizer Gegend und die vogtländische Schweiz, der wir uns zuletzt noch zuwenden wollen, um an den Ausgangspunkt unserer Fahrt wieder anzuknüpfen. Wir müssen ein Stück durch das Reußische hindurch, um die Höhe zu erreichen, die von einer Windmühle, einem Wahrzeichen des nördlichen Vogtlandes, gekrönt ist. Der Berg, auf dem sie steht, trägt noch heute den Namen »Liekirch« und erinnert an ein altes Kirchlein, das vor Jahrhunderten an dieser Stelle gestanden haben soll und das[80] der Sage nach seinen Namen (Lindwurmskirche) von der mutigen Tat eines Müllerknechtes erhalten hat, der die Tochter seines Herrn und die Umgegend von Syrau vor den Zähnen eines greulichen Lindwurms rettete. Auf dem Kirchturm von Syrau hängt noch heute ein Glöckchen, das einst die alte »Liekirch« geziert haben soll. Vor unseren Augen entfaltet sich, wenn wir jenseits dieser Mühle, etwa bei Steinsdorf, auf die Plauen-Reichenbacher Heeresstraße kommen, eine Landschaft, wie sie an Mannigfaltigkeit und Reiz der Erscheinungen in Sachsen, ja in Deutschland ihresgleichen sucht. Es ist wieder der Grünstein, der hier, am Kreuzungspunkt zweier großen Eisenbahnlinien, einen entzückenden Bilderreichtum vor das Auge des Wanderers gezaubert hat. Berggipfel mit Waldstücken bauen sich hoch zu beiden Seiten der Elster, die, von der einen Bahn begleitet, in dem waldumkränzten Tale dahinrauscht, und mit königlichem Bogen spannt sich die Elstertalbrücke dort, wo sich die beiden Linien kreuzen, über die hohen Ufer. Das Dorf Jocketa, das neben der Brücke auf der andern Seite hoch über dem Tal liegt, ist beinahe durch die Schönheit seiner Lage zu einer Villenkolonie geworden, und der Blick in das Elstertal ist von hier aus ebenso lohnend wie der in das stille Triebtal, dessen wir noch gedenken werden. Und darüber hinaus weitet sich der Blick noch nach allen Seiten und ladet zu weiteren Fahrten ein: im Süden erscheinen die blauen Linien des Elstergebirges, und zur linken Seite können wir ein Stück des Elsterlaufes verfolgen, die hier stundenlang zwischen tannengekrönten, zerklüfteten Grünsteinfelsen in einem engen Talkessel – besonders im sogenannten Steinicht zwischen Jocketa und Elsterberg – dahinfließt. Darüber erhebt sich in der Ferne der Kuhberg bei Netzschkau, von dem wieder ein weiter Blick in das gewerbfleißige östliche Vogtland mit seinen Industriestädten gestattet ist. Aber wir hätten beinahe ein noch schöneres, wenn auch stilleres Naturbild vergessen, das hinter den Bogen der Elstertalbrücke versteckt liegt. Wir gehen den Saumweg zur linken ins Tal herab und werfen noch einen Blick auf die Barthmühle, die wie die weiter nördlich gelegene Rentzschmühle wegen der landschaftlichen Schönheit ihrer Lage viel besucht wird. Hinter der Brücke mündet die Trieb in die Elster, für flüchtige Besucher kaum sichtbar, aber doch so reich an Schönheiten, daß wir ihrer an dieser Stelle noch gedenken müssen. Noch vor wenig Stunden ein stiller Waldbach, der an den Dörfern und Wiesen des östlichen Vogtlandes vorüberzieht, hat sie sich kurz vor ihrer Vereinigung mit der Elster durch Felswände ein großartiges, etwa hundert Meter tiefes Bett gebrochen und rauscht nun durch dieses tannenumdüstert der Mündung in die größere Schwester zu. Nur wenige der Schnellzugsreisenden, die dort oben über der Elstertalbrücke dem Süden zustreben und denen nur ein flüchtiger Blick in diesen bewaldeten Talkessel vergönnt ist, ahnen, daß hier unbemerkt von ihnen seitwärts eine Perle deutscher Flußlandschaft vorübergezogen ist: die Trieb, die sich dort durch die Enge des Tales hindurchzwängt und sich von den gewaltigen Granitblöcken, die ihr allerorts den Lauf zu versperren scheinen, von der Vergangenheit der Erde erzählen läßt, die Bergwände, die mit steilen Pfaden und Tannenwäldern in das Dunkel des Talkessels hinabstürzen und der Saumpfad, der sich fast scheu an der Seite des Flüßchens dahinschlängelt, als wollte er das Weben der Natur nicht stören und[82] der nur bei der Pyramidenwiese zu kurzem Verweilen einladet, wo sich hohe Fichten, gleich den ägyptischen Königsgräbern in ihrer Spitze verjüngend, ein weltverlorenes Stelldichein geben. Aber wir sind hier schon auf dem andern Ufer der Elster, das nicht mehr zu unserem Wandergebiet gehört. Noch eine halbe Stunde von der Brücke weg nach Süden zu, und das Tal erweitert sich, und vor uns liegt wieder die Hauptstadt des Vogtlandes, die auch nach dieser Seite zu im Vollgefühl ihrer Kräfte die Arme ausgestreckt hat. Das westliche Vogtland wird aber auch weiterhin ein deutsches Wald- und Wanderland bleiben zumal für den, der es zu verstehen und in seiner Eigenart zu lieben vermag – bedürfen wir nicht gerade heute mehr als je diese Eigenschaften, um im Inneren wiederzufinden, was wir nach außen – wenn auch hoffentlich nur vorübergehend – verloren haben?
Am 29. Januar dieses Jahres ist der bekannte Zoologe und Afrikaforscher C. G. Schillings in Berlin gestorben. »Sein Tod,« so schrieb mir Hermann Hähnle, »reißt eine solche Lücke in den Naturschutz, daß wir andern um so enger zusammenhalten müssen.« In der Tat, ein Mann ist von uns gegangen, der sein ganzes Leben in den Dienst unsrer Sache gestellt und nicht nur in großzügigster Weise die Idee des Naturschutzes allezeit mannhaft vertreten, sondern auch auf diesem Gebiete wahrhaft Großes, ja Unsterbliches geschaffen hat.
Dem Landesverein »Sächsischer Heimatschutz« stand der Verstorbene sehr nahe; wiederholt weilte er in unserm Kreise. Noch im Mai vorigen Jahres sprach er vor überfüllten Sälen in seiner ihm eignen packenden Weise über Weltnaturschutz. Mit hinreißender Beredsamkeit, mit glühender Wahrhaftigkeit – ein Wesenszug seiner ganzen Persönlichkeit – mit rücksichtsloser Offenheit gegenüber den kleinlichen und nur auf persönlichen Vorteil gerichteten Anschauungen seiner Gegner wußte er die Zuhörer zu überzeugen und für seine Ideen zu begeistern. Gerade bei uns hier in Dresden hat Prof. Schillings eine große Menge treuer Anhänger und Verehrer gefunden, und so ist es nur eine Pflicht der Dankbarkeit, wenn wir dem mannhaften Vorkämpfer auf dem Gebiete des Naturschutzes diese Zeilen widmen.
Durch sein berühmtes Werk »Mit Blitzlicht und Büchse«, das im Jahre 1905 in R. Voigtländers Verlag erschien, ward C. G. Schillings Name mit einem Schlag in den weitesten Kreisen bekannt. Etwas ganz Neues, Niegeahntes, ja Unerhörtes und Unbegreifliches ward uns mit diesem herrlichen Werke geschenkt. Das Tierleben Afrikas hat uns Schillings durch seine Blitzlicht-Aufnahmen aufgehellt, wie es bisher noch keines Menschen Auge geschaut hat. Durch ihn erst weiß man, was es heißt: »Tierbilder nach dem Leben,« und immer mehr noch wird man einsehen, was sie bedeuten – unersetzliche Natururkunden, deren Wert von Jahrzehnt zu Jahrzehnt in dem Maße steigt, wie die afrikanische Großtierwelt infolge der fortschreitenden Zivilisation immer mehr von der Bildfläche des Lebens schwindet. »Die Erhaltung der großen lebenden Naturdenkmäler wenigstens im photographischen Abbilde Schillingsscher Natururkunden ist wahrlich eine der dringendsten Forderungen unsrer[83] Zeit auf dem Gebiete idealer Wissenschaft und selbstloser Naturbetrachtung.« So schrieb Dr. L. Heck in seinem Vorwort zu dem großen Erstlingswerk von Schillings.
Noch klarer tritt der Naturschutzgedanke in dem ein Jahr später, gleichfalls in R. Voigtländers Verlag erschienenen Werke »Der Zauber des Elelescho« hervor, das der Verfasser seinem Bruder, dem berühmten Komponisten Max v. Schillings und dessen Gattin gewidmet hat. »Mit schwachen Kräften habe ich mich bemüht,« schreibt er, »einer großen Idee gerecht zu werden, einem Ideengang, den jeder ohne Mühe herausfinden und, was mehr wäre, für den er hoffentlich eintreten werde. Durch Anschluß an die bestehenden großen Vereinigungen, den Bund für Heimatschutz, die Jagd- und Vogelschutzvereine kann jedermann das Seinige zur Erhaltung der Naturdenkmäler im weitesten Sinne beitragen.«
Gemeinsam mit diesen Vereinen begann Schillings im Jahre 1910 einen heftigen Kampf gegen die Unsitte, Federn freilebender Vögel als Damenschmuck zu tragen. Ein Aufsatz von ihm, der zuerst in den »Süddeutschen Monatsheften« erschien: »Die Tragödie des Paradiesvogels und Edelreihers« wurde vom Bund für Vogelschutz, dem Schillings bis zuletzt sehr nahe stand, den weitesten Kreisen zugängig gemacht. Wie sucht hier der Verfasser das Gewissen der Frauenwelt zu schärfen, wie eindringlich, wie überzeugend sagt er es allen, daß diese barbarische Mode die herrlichsten Wunder der Schöpfung bedrohe und vernichte!
In einer zweiten Schrift »Die Arche Noah« forderte Schillings gesetzgeberische Maßnahmen zum Schutze der gefährdeten Vogelwelt nach dem Vorbild Amerikas und Englands. Ich greife einen Satz heraus, der nicht nur den Titel dieser Schrift erklärt, sondern zugleich ein treffliches Beispiel für den Humor wie für die Überzeugungskraft aller Ausführungen des Verfassers bietet. »Wir wollten von der Arche Noah reden, hören wir! Klingt es nicht seltsam und sollte es nicht den heutigen Erdenbewohnern zu denken geben, daß dem Urpatriarchen und ersten großen Naturschützer Weisung wurde, alle Tierarten, ohne Ausnahme, nicht also wie es etwa die heutigen nackten Utilitarier tun würden, nur Ochsen, Esel und Schafe in die rettende Arche zu überführen? In den Urzeitmythen der Völker liegt goldene Weisheit verborgen, und alte Wahrheit künden uns diese Überlieferungen.«
Der Erfolg blieb nicht aus. Im Oktober 1913 verboten die Vereinigten Staaten von Nordamerika die Einfuhr von Schmuckfedern freilebender Vögel, und auch in England nahm das Unterhaus am 9. März 1914 in zweiter Lesung die Gesetzesvorlage zur völligen Verhinderung jeder Federeinfuhr mit Ausnahme von Eiderdaunen und Straußenfedern an. Da kam der Krieg und brachte die Bewegung vorläufig zum Stillstand. Zugleich verhinderte er die Herausgabe einer dritten Schrift von Schillings, die bereits druckfertig vorlag: »Paradiesvogel, Edelreiher und die Frau«.
Bei den Tagungen der Naturforscher, Geographen, Naturschützler war der hochgewachsene, blonde Mann mit seinem offenen Blick eine bekannte Erscheinung. Wenn er mit lebendigster Anschaulichkeit und mit geradezu hinreißendem Schwunge für den Schutz der Vogelwelt eintrat oder unbedingten Naturschutz namentlich in den Kolonien forderte, zum Beispiel auf dem Kongresse der deutschen Kolonialgesellschaft in Stuttgart oder auf dem der deutschen Naturforscher und Ärzte in[84] Wien 1913, da lauschte jeder gespannt den Worten des von seiner Idee so ganz erfüllten Redners. Der Naturschutz war ihm Herzenssache, und so sprach er zu den Herzen seiner begeisterten Zuhörer.
Der beispiellose Erfolg, den Schillings durch seine beiden großen, wundervoll ausgestatteten Werke erzielt hatte, spornte ihn natürlich an, auch weiterhin auf dem Gebiete der Naturphotographie wildlebender Tiere an der Spitze zu bleiben. Es war ja, wie er mir im Gespräch wiederholt betont hat, sein Stolz, daß gerade ein Deutscher es hierin den Engländern und Amerikanern zuvorgetan habe. Sobald er von jeder seiner vier großen Expeditionen in das äquatoriale Ostafrika wieder heimkehrte, war es immer das erste von ihm, seine Apparate zu vervollkommnen. Die rasche Entwicklung der Optik bot ja von Jahr zu Jahr neue Möglichkeiten, die Erfolge noch zu steigern, obgleich namentlich die Schillingsschen Nachtaufnahmen noch heute fast für unerreicht gelten müssen.
Im Jahre 1910 war die technische Ausrüstung für eine neue Reise bereit; aber sie ward durch Widerwärtigkeiten, die hier nicht näher berührt werden sollen, verhindert. Es war ja kein Wunder, daß das offene, freimütige Wesen des Verstorbenen, der keinerlei Rücksicht kannte, am wenigsten sich durch Rücksichten auf seinen eignen Vorteil oder Schaden bestimmen ließ, eine große und einflußreiche Gegnerschaft auf den Kampfplatz herausgefordert hatte. Diese unbedingte Wahrhaftigkeit ist es, die uns die Schillingsschen Forschungen wie seine Aufnahmen doppelt wertvoll erscheinen lassen. Da handelt es sich stets um freilebende, nicht etwa um gefangene, eingehegte oder verwundete Tiere, und die Retusche mußte jedem Bilde fernbleiben. Unbedingte Wahrheit in Wort und Bild! Das war sein Grundsatz, von dem er auch nicht um Haaresbreite abwich.
Schon bei seinen letzten Afrikareisen hatte Schillings einen kinematographischen Apparat mitgenommen; leider genügten die in Afrika angefertigten Laufbilder seinen überaus hochgestellten Anforderungen und Erwartungen nicht. Es waren ja auch weitere Verbesserungen der Kinoaufnahmen unterdessen erzielt worden. Die bedeutendste Leistung auf diesem Gebiet erblickte Schillings in den Fernlaufbildern des Bundes für Vogelschutz, wie sie Herr Ingenieur Hermann Hähnle geschaffen hat. Es sind dies Natururkunden in höchster Vollendung, da die Tiere in ihrem Leben und Treiben aufgenommen werden, ohne davon das geringste zu merken. Bei seiner letzten öffentlichen Ansprache in Stuttgart im Dezember 1920 bezeichnete Schillings diese Aufnahmen als »Gottesgeschenk«. Sein heißer Wunsch war es, das neue Verfahren nun auch auf die afrikanische, indische und polare Tierwelt anzuwenden.
Der Tod des fünfundfünfzigjährigen Forschers hat diesen Wunsch vereitelt. Die beste Ehrung für den Verstorbenen, dessen Ideale sich schon heute so allgemeine Anerkennung erworben haben, dürfte es wohl sein, in seinem Sinne weiterzuarbeiten und die neuesten Erfolge der Photographie und Kinematographie derartigen Aufnahmen zu widmen. Seine Freunde haben daher beschlossen, einen Aufruf zu Spenden für eine C. G. Schillings-Stiftung zu erlassen. Schreiben und zugedachte Beiträge sind schon heute an die C. G. Schillings-Stiftung, Berlin-W 10, Margaretenstraße 1 zu richten.
Martin Braeß.
[85]
Schon seit Jahren suche ich auf unseren Wanderungen mit großem Interesse die alten Mord- und Sühnekreuze auf, welche dann – durch eine Skizze oder photographisch festgehalten – unser Tourenalbum zieren. Zum Aufsuchen derselben dienten mir bisher die in den Jahren 1912/13 von Herrn Dr. Kuhfahl herausgegebenen und im Dresdner Anzeiger seiner Zeit erschienenen Verzeichnisse über »Die Mordkreuze in Sachsen«:
Sonntagsbeilage des Dresdner Anzeigers
[1] Siehe auch Dr. Kuhfahl: »Die Steinkreuze in Sachsen«. Preis M. 6,50. Heimatschutz, Dresden.
Auf einer Wanderung im Frühjahr vergangenen Jahres nach Dohna und Maxen suchte ich an der Hand dieser Verzeichnisse die beiden Kreuze in Gorknitz mit auf. Bei der Besichtigung des hundertzwanzig Meter vor dem östlichen Dorfausgange, am Fahrweg nach Rittergut Gamig zu gelegenen Steinkreuzes (Verzeichnis vom 3. April 1912, Nummer 14) war mir aufgefallen, daß dieses bis zu den Seitenarmen in der Erde stak, obwohl im Verzeichnis steht: »Neuerdings ausgegraben«. Sofort reifte in mir der Plan, mit Hilfe meiner Klubgenossen dieses Kreuz zu heben. Ich ging persönlich zu Herrn Dr. Kuhfahl, um ihn von meinem Vorhaben in Kenntnis zu setzen. Wie er mir erklärte, hatte sich seiner Zeit trotz eifrigen Bemühens niemand dazu bereit gefunden, dieses Kreuz zu heben, und später infolge des Krieges ist wohl alles in Vergessenheit geraten. – Auch meine Klubgenossen, die ja fast alle Heimatschützler sind, brachten dieser Sache reges Interesse entgegen und so wurde für Sonntag, den 4. Juli 1920, eine Wanderung dorthin festgesetzt. Die Genehmigung des Gemeindevorstandes, auf dem betreffenden Grundstücke graben zu dürfen, hatte ich mir vorher schriftlich eingeholt. Um unnötige Belastung auf dem Marsche zu vermeiden, bat ich gleichzeitig um Bereitstellung des benötigten Gerätes. In entgegenkommendster Weise erhielten wir alles Gewünschte.
Am genannten Sonntagmorgen hatten sich sechs Teilnehmer zu dieser Wanderung beziehungsweise zur Hebung des Steinkreuzes am Treffpunkt eingefunden. Darunter auch ein Maurer, der sich noch das nötige eigene Handwerkzeug mitgebracht hatte. Ein kleiner Sack Zement – von einem der Teilnehmer zu diesem Zweck gestiftet – mußte auch hinausgebracht werden. Er verschwand im Rucksack eines jungen Mannes, der ihn schweißtriefend an Ort und Stelle brachte. Bei herrlichem, sehr warmem Wetter ging die Wanderung von Reick über Lockwitz, Luga, Wölkau, Bosewitz nach Gorknitz. Strahlend blau wölbte sich der Himmel über den im Sonnenglanze reifenden Fluren. Wogende Getreide- und blühende Kartoffelfelder, die den bunten Kleeflächen an Schönheit nicht nachstanden, wechselten in buntem Mosaik. In den Wipfeln der Obstbäume da klingelten und piepsten die Meisen, da schlug der Fink und lockte die Goldammer und hoch über uns schmetterte die Lerche ihr Loblied. – So kamen wir, immer auf bunten Feld- und Wiesenwegen wandernd, unserm Ziele näher. Aber im Süden türmte sichs dunkelblau auf. Immer näher rollte der Donner, und noch ehe wir im Dorfe anlangten, öffneten sich die Schleusen des Himmels. Zum Glück war das erste Haus der Gasthof, wo wir hinein flüchteten.
Eineinhalb Stunden hat uns das Gewitter hier festgehalten, endlich gegen einhalb elf Uhr hört der Regen auf. Nun aber ans Werk! Zunächst zum Gemeindevorstand, um die erbetenen Geräte zu holen. Sehr freundlich wurden wir empfangen, alles Gewünschte stand schon bereit. Bei dieser Gelegenheit legte ich ihm eine Urkunde, die gleichfalls ein Heimatschützler geschickt und originell angefertigt hatte und welche nach der Hebung mit niedergelegt werden sollte, zur Unterschrift vor. Dieselbe soll bei einer eventuellen Veränderung an dieser Stelle beziehungsweise bei einer späteren Auffindung Aufschluß geben, wann, von wem und warum dieses Kreuz gehoben worden ist. In entgegenkommendster Weise versah der Gemeindevorstand das Dokument mit Siegel und Unterschrift, wie er überhaupt unserer Sache lebhaftes Interesse entgegenbrachte. Nachdem auch wir unsere Unterschriften geleistet hatten, zogen wir, jeder mit Rucksack und einem Gerät bewaffnet – einem Trupp Auswanderer gleich – hinaus zur Stelle, wo das alte Steinkreuz[87] steht. Kopfschüttelnd sahen uns verschiedene Dorfbewohner, die nicht wußten, um was es sich hier handelte, nach: »Was mögen die wohl vorhaben?«
Dort angekommen, wurde das alte Steinkreuz, da es einige von uns noch nicht kannten, auf seine Form, Gesteinsart, Größe, Schwere und Inschriften oder Bildzeichen hin genau untersucht. In seiner unregelmäßigen Anordnung ähnelt es einem Balkenkreuz am meisten, doch läßt sich durch verschiedene abgestoßene Kanten, die verhältnismäßig kleinen und ungleichen Seitenarme im Vergleich zu dem viel stärkeren Oberteil, viele Vertiefungen, Risse und Furchen, schwer erkennen, ob es in seiner ursprünglichen Form erhalten geblieben ist, oder ob der Zahn der Zeit daran genagt hat. Obwohl von eisenhartem Sandstein, wird dieses Kreuz, besonders die Seitenarme, infolge seiner Lage am Feldwege durch passierende Fuhrwerke Beschädigungen erlitten haben. Seine übrigen Form- und Größenverhältnisse sind ja genau zu ersehen aus dem Werke von Dr. Kuhfahl, in welchem auch ein sehr schönes Bild wiedergegeben ist. Wir hielten es daher für zwecklos, eine Aufnahme des Kreuzes in seinem Urzustande zu machen. Sein Gewicht schätzten wir, so wie es vor uns stand, auf zirka sechs bis acht Zentner, hatten uns aber, wie wir uns später nach der völligen Ausgrabung überzeugen konnten, arg getäuscht. Inschriften oder sonstige Schriftzeichen waren nicht festzustellen. Auch läßt sich ein richtiges Bild einer eingemeißelten Zeichnung trotz vorhandener Striche und Einkerbungen sehr schwer herausfinden.
Nun ging es ans Ausgraben. In ziegelgroßen Stücken wurde erst die Rasendecke ausgestochen, die nach der Hebung wieder aufgelegt werden sollte. Als wir aber weiter schaufeln wollten, erlebten wir eine große Enttäuschung; die dünne Rasendecke war die ganze Erdschicht, dann stießen wir nur auf Plänergestein. Nur mit der Hacke konnte gearbeitet werden, und es war ein sehr schwieriges Stück Arbeit, die mitunter recht großen und festgelagerten Plänerplatten loszubekommen. Wie uns der Gemeindevorstand von Gorknitz, der inzwischen auch hierhergekommen war, erklärte, soll das zwischen den beiden Wegen gelegene Grundstück in früheren Zeiten von einer starken Plänermauer umgeben gewesen sein. Die beiden Wege aber waren seiner Zeit Hohlwege. Nun hat man wahrscheinlich diese beiden Hohlwege zuschütten beziehungsweise höher legen wollen, weshalb man die alte Plänermauer einfach in den Hohlweg hinabgedrückt hat. Das alte Kreuz aber, das vermutlich einer Zeit schon auf beziehungsweise zum Teil in der Mauer eingemauert hier gestanden hat, ist stehen geblieben. Wie wäre es sonst möglich, daß dasselbe fast bis zu den Seitenarmen fest eingesenkt nur zwischen größeren und kleineren Plänerplatten sitzt?
Platte um Platte wurde losgewuchtet und langsam, aber sicher kamen wir tiefer. Wenn wir anfangs glaubten, das Kreuz säße so zirka dreißig bis vierzig Zentimeter in der Erde, so hatten wir uns auch hier gehörig getäuscht. Als wir einen halben Meter tief gehackt hatten, ließ sich dieser Koloß auch noch nicht einen Zentimeter bewegen, trotz aller Kraftanstrengung, die wir dabei aufwendeten. Es wurde weiter gehackt – bei dreiviertel Meter dasselbe Resultat. Das Kreuz saß in seinem Plänerfundament wie angewachsen. Jeder mußte mal mit der Hacke antreten; wir waren alle wie in Schweiß gebadet. Jetzt versuchten wir es auf eine andere Art. Unter den beiden Seitenarmen wurde je ein starker Hebebaum untergeschoben. Alle Beteiligten – selbst meine Frau und der Gemeindevorstand nebst Sohn stellten ihre Kräfte zur Verfügung – verteilten sich nach Größe und Stärke auf die beiden Seiten und hingen sich an das in die Höhe ragende Ende. Unter Kommando wurden die Hebebäume gleichmäßig niedergezogen und das Kreuz Zentimeter um Zentimeter in die Höhe gewuchtet. Auf diese Weise holten wir das Kreuz noch zirka fünfundzwanzig Zentimeter aus der Erde und sparten uns dadurch das letzte und schwerste Stück Hackarbeit. Jetzt erst bekamen wir einen rechten Begriff, wie tief das Kreuz in der Erde stak (einen Meter) und wie schwer dieser Koloß war.
Nun galt es das Kreuz zu heben und in seine richtige Lage zu bringen. Infolge seines riesigen Gewichts – wir schätzten es auf zirka zehn bis zwölf Zentner – war das nur mit Hilfe der Hebebäume möglich. Wir verfuhren wie vorher. Ruckweise brachten wir es höher und immer schob der in der Grube stehende Maurer Platte um Platte unter und baute somit gleichzeitig das neue Fundament auf. Mit größter Mühe hatten wir das Kreuz neunzig Zentimeter gehoben, dann brachten wir es wieder in die alte Stellung. Die Grube wurde wieder zugeschüttet beziehungsweise zugebaut, denn die vielen Plänerplatten mußten sachgemäße Verwendung finden,[88] um alle untergebracht zu werden. Außerdem mußten, um den Raum auszufüllen, den vorher das Kreuz eingenommen hatte, eine Menge größere und kleinere Steine aus der Umgebung zusammengetragen werden.
Es gab viel zu tun. Jeder bekam seine Arbeit zugeteilt. Ich freute mich, wie uneigennützig hier jeder Beteiligte an dem großen Werke Heimatschutz mit arbeiten half. Während der Gemeindevorstand den »Polier« abgab, trugen dessen Sohn und meine Frau die nötigen Steine herbei. Ein andrer von uns mußte ins Dorf gehen und zwei Eimer Wasser holen, um den zur Verwendung kommenden Zement einrühren zu können. Dazu wurde auch noch Sand gebraucht. Solchen in dieser lehmigen Gegend aufzutreiben, war nicht so einfach. Diese Arbeit hatte ich mit noch einem Klubgenossen zu erledigen. Nach langem Suchen fanden wir endlich in der Spielgrube im Hofe des Bäckermeisters vorschriftsmäßigen Sand. Als wir den Bäckermeister darum baten, zwei »Pioniersäcke« voll mitnehmen zu dürfen, war es ihm nicht recht verständlich, was wir wohl damit anfangen wollten. Er stellte diese und jene Frage und als ich ihn über den Sachverhalt näher aufklärte, zeigte er langsam Interesse dafür. Ja, ich konnte nicht umhin, ihm einen kurzen Vortrag zu halten über die Steinkreuze in Sachsen und ihre Bedeutung. Als wir mit unserer Beute abzogen, sah er uns mit einem breiten Lächeln kopfschüttelnd nach.
Unterdessen hatten die anderen die Grube bis dorthin, wo gemauert werden sollte, wieder zugeschüttet; die größten und stärksten Platten hatte sich unser Maurer bis zuletzt aufgehoben. Mit reichlich Zement wurden diese oben aufgesetzt. Hierbei wurde ein kleiner Hohlraum an der[89] Nordseite des Kreuzes ausgespart, der zur Aufnahme der versiegelten Glasflasche bestimmt war, welche die anfangs erwähnte Urkunde mit etwas Kriegsgeld und zirka zwanzig verschiedenen Briefmarken als Zeitbeweise enthielt. Vier große Plänerplatten, welche den Oberteil der Grube völlig ausfüllen und scharf an das Kreuz angemauert wurden, bildeten den Abschluß. Diese geben dem Kreuz einen ganz bedeutenden Halt, denn, da uns daran lag, so viel als möglich von dem unteren Teile zu gewinnen, haben wir es nur zirka fünfundzwanzig bis dreißig Zentimeter in der Erde gelassen. Dadurch aber, daß unser Maurer den in der Erde sitzenden Teil und alle darumliegenden Steine und Platten sorgfältig und reichlich mit Zement eingebaut hat, nehmen wir an, dem wuchtigen Kreuze doch genug Halt gegeben zu haben. Eine schwache Erdschicht und die ausgestochenen Rasenstücke verdecken die aufgemauerten Steine. Um es nun recht schön zu machen, ging ich dem gehobenen Kreuze – mit Wassereimer und Wurzelbürste bewaffnet – zu Leibe, um den in den Vertiefungen sitzenden roten Lehm zu entfernen. Dadurch aber hob sich der untere Teil des Kreuzes durch sein neues Aussehen vom alten verwitterten Oberteil ab, was allerdings in anderer Form auch schon vorher der Fall war. Diesem Übelstand half unser Maurer dadurch ab, daß er jetzt mit Faustpinsel und Zementwasser auftrat und dem noch rötlich schimmernden unteren Teile einen dunkleren, dem Oberteil ähnlicheren, grauen Anstrich gab. Er stellte meine Arbeit als völlig wirkungslos hin. Mit dem nötigen Humor und mit übertriebener Peinlichkeit führte er diese letzte Arbeit aus. – Wir freuten uns nun alle, als das fertige, gehobene, alte Steinkreuz in seiner vollen Größe vor uns stand. Wir haben uns viel Arbeit damit gemacht und es hat manchen Tropfen Schweiß gekostet, aber wir hatten auch viel Spaß dabei.
Unser Maurer, der – nebenbei bemerkt – auch schön photographieren kann, machte nun noch eine Aufnahme, welche ich beigefügt habe. Sie zeigt im Vergleich zu derjenigen des Herrn Dr. Kuhfahl, um wieviel wir das Kreuz herausgeholt haben.
Mit dem Bewußtsein, ein praktisches Stück Heimatschutzarbeit geleistet zu haben, und in der frohen Hoffnung, daß dies bei anderen Heimatschützlern in verwandten Vereinen recht bald und oft Nachahmung finden möge, machten wir uns auf den Heimweg. Denn nicht nur allein durch die Mitgliedschaft wird der Heimatschutz gefördert und alles Schöne, Althergebrachte und Vorgeschichtliche auch der Nachwelt erhalten und überliefert, sondern selbst mit Hand anlegen, beobachten und schützen: das ist Heimatschutz und tut überall dringend not!
Richard Köhler,
Berichterstatter des Touristen-Vereins »Torwalder«
Anmerkung der Schriftleitung: Von der hier geschilderten schönen Tat hörten wir erst durch diesen Bericht. Herrn Köhler und seinen Mitarbeitern heißen Dank. Wer in ähnlicher Weise praktisch uns mithelfen will, melde sich bitte bei uns.
Von Hanns Martin Elster
Vor gar nicht langer Zeit fuhr ich auf einer pommerschen Kleinbahn, die mich bei ihrer Schmalspurigkeit und der Leichtigkeit der Miniaturwagen ordentlich durchschüttelte, so daß ich innerlich schimpfte. Ich merkte bald, daß der einzige Mitreisende in meinem Abteil das auch tat, ich hatte ihn schon von Anfang der Reise an beobachtet und darüber nachgegrübelt, was dieser Amerikaner, denn das war er nach der Art seiner Kleidung und seines Benehmens, wohl auf der Kleinbahn in diesem Winkel Hinterpommerns zu suchen hatte, ein »busineß« war doch in dieser Gegend nicht zu machen, zu einer Jagd schien er auch nicht zu reisen, denn er hatte weder die notwendigen Schießprügel unter seinem Gepäck, noch war er entsprechend gekleidet. Als uns der ratternde Wagen an einer Kurve fast gleichzeitig[90] in die Arme schleuderte, war die Anknüpfung zu einem Gespräch gefunden, und der Amerikaner gestand mir bald, daß er seinem Heimatdorfe entgegenfahre, nach mehr als dreißigjähriger Abwesenheit und Arbeit im neuen Weltteil. Dort habe es ihm die ganzen letzten Jahre keine Ruhe mehr gelassen, er sei unbefriedigt an seiner Umgebung wie Tätigkeit geworden, unter seine nüchternsten Gedanken und Berechnungen hätten sich Erinnerungen aus seiner Jugend gemischt, und seine Phantasie hätte unaufhörlich Bilder längst bedeutungsloser Stätten in ihm wachgerufen. Er hätte nicht mehr bleiben können, die Sehnsucht nach dem Orte seiner Jugend, nach dem Dorfe, wo seine Eltern und Vorfahren gelebt hätten, sei so stark in ihm gewesen, nachdem er schon jahrelang geglaubt hätte, sie wäre tot, daß die Arbeit seiner letzten Jahre als Ziel nur immer seine Reise in die Heimat lohnend, befriedigend gemacht hätte. Und nun nähere er sich dem Heimatort, jetzt wache in ihm ein großes Glücksgefühl auf. Frieden und Ruhe breite sich in ihm aus, er sei jetzt zu Hause, in Sicherheit, er sei wieder da, wo er hingehöre …
Dieser Amerikaner – wir wissen es alle – steht nicht allein da, er ist typisch für alle Ausgewanderten, in die Ferne Verpflanzten, daß sie sich nach Hause sehnen, wenn das Alter naht; ebenso typisch, wie das Gefühl der Ferne, das die überfällt, die immer in der Heimat leben, und das diese fest mit dem Boden Verwachsenen hinaustreibt in eine neue, fremde Umgebung. Aber waren sie einige Wochen auf Reisen, so erwacht auch in ihnen das Heimweh, auch in ihnen der Widerwille an allem Fremden, Neuen, und das Altgewohnte, von jeher Besessene, erscheint schöner, reicher und auch wertvoller.
Und es ist auch das Wertvollste, was der Mensch hier auf Erden hat: die Heimat. Das ist ja wohl das Beklagenswerteste, was es gibt, heimatlos zu sein oder zu werden. Seit Urzeiten gilt die Verbannung aus der Heimat für eine der größten Strafen, die den Menschen treffen können. Das Heimatgefühl gehört zu denselben Regungen, wie die Sehnsucht nach Religion. Hier ist es das Jenseits, das uns ruft, dort die Erde, nicht als Materie, sondern als unser Erlebnis. Wir sind nicht zu trennen von dem Fleck, auf dem wir geboren und erzogen werden, und haben wir die ersten zwanzig Jahre an einem Orte verbracht, so werden wir die übrigen fünfzig Jahre unseres Daseins die Merkmale dieses Ortes nicht verlieren. Immer inniger kehren wir dorthin zurück, von wo wir einst auf das Meer des Lebens mit tausend Masten ausfuhren. Wir kehren zurück mit einem Wrack, aber dies Wrack ist stets fähig, noch das zu tragen, was wir uns selbständig erwarben, was wir erlebten.
Welche Sühne wußte Gott, um den Brudermörder zu strafen? Keine andere als diese: »Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden.« Kain, der erste Heimatlose aber antwortete: »Zu groß ist meine Strafe, um sie zu ertragen.« Und wer ein Mensch ist, der erträgt auch diese Strafe nicht, es sind übermenschliche Kräfte, die zur Besiegung der Unruhe des Heimatlosen erforderlich sind, oder es sind Gefühlsbarbaren, die sich über solch eine Verbannung hinwegsetzen, wo sich aber noch ein menschliches Gefühl regt, und sei es das abschreckendste, sei es Gemeinheit, Bosheit, Tyrannei, das Heimatgefühl herrscht auch in solchen Seelen. Und das Heimatgefühl muß auch in jedem herrschen, denn es ist uns ein[91] Instinkt geworden, allerdings nicht mehr jener materialistische Instinkt, der beim Tiere waltet, das nach dem Spruche: »Ubi bene, ibi patria« handelt, sondern jener seelische, geistige Trieb, den die Einheit der Umgebung und unseres körperlichen wie intellektuellen Daseins in uns wachruft. Es ist fast unmöglich, das Heimatgefühl begrifflich zu definieren, logisch, verstandesmäßig zu umgrenzen, festzulegen, es ist ebenso schweifend und machtvoll wie das Lebensgefühl in uns; wird doch dieses oft gestört, wenn das Heimweh an uns nagt. Wir haben auch nicht nötig, uns eine klare Vernunftvorstellung von dem Heimatgefühl zu machen, weil wir alle es in uns tragen, wir alle es kennen, weil es in uns lebt, ohne daß wir Macht hätten, es zu beherrschen. Wir können in der herrlichsten Landschaft bei dem schönsten Wetter unter den liebenswertesten und uns nächsten Menschen, bei vollkommenster Sorgenfreiheit sitzen, es wird uns doch plötzlich eigen zumute, wenn jemand fragt, wie es jetzt daheim ausschauen mag, oder wenn plötzlich eine Erinnerung an uns vorüberzieht, auch ohne daß sie laut wird. Oder wir können uns fremd unter fremden Menschen fühlen; spricht aber dann jemand von unserer Heimat, sogleich wird uns wohl und glücklich zumute, sogleich fühlen wir uns zuhause.
Das Heimatgefühl ist wie die poetische Seite des Lebensgefühls: alle die Worte wie daheim, zu Hause, heimatlich, heimselig, heimlich u. a. m. haben einen poetischen Schimmer an sich, der auf uns zurückstrahlt, unser Leben verschönt. Von Ovid bis Viktor Hugo, von Homer bis zu dem modernen Strindberg, alle wußten, was der leidet, der ferne der Heimat ist. Wer erinnert sich nicht der Klagen des Odysseus, wer nicht aller der Männer in der Bibel, die die Heimat zu schauen begehrten? Wer fragt sich nicht bei jeder Wiederkehr der Störche, der Schwalben, der Stare, weshalb sie die weite, beschwerliche und gefährliche Reise aus dem Süden wagen, wo sie es doch dort um so viel leichter, besser haben? Es ist immer wieder jener göttliche Drang, der dunkel ist, aber groß und schön, lebenskräftigend.
Nicht das ist das Wesentliche des Heimatgefühles, was wir empfinden, wenn wir einem Fremden unsere Heimat zeigen, sei sie auch noch so armselig und schlicht, sei sie auch noch so bar jeder äußeren Vorzüge, sondern eben jenes Gefühl der Zusammengehörigkeit mit dem Boden und jene tiefe Sehnsucht. Wie leer und schal erscheint uns das Leben, sind wir gezwungen, es in fremden Diensten, unter fremden Menschen, auf fremden Boden zu verbringen. Für unsere Heimat und in ihr sind wir mutig, stark und sicher, tun wir alles. Die eigentlichen Volkskriege, wie die Befreiungskriege, sind Kämpfe um das Heimatgefühl, man will nicht mehr Fremdling sein in seinem Vaterland. Am unlöslichsten ist der Bauer mit seiner Heimat verbunden: hat er auch einmal jene Sehnsucht nach der Ferne, sie wird schnell befriedigt sein, denn ihm geht nichts über seine Scholle.
Und mit Recht! Man kann nichts mehr beklagen, als daß die moderne Entwicklung mit ihren Idealen der Freizügigkeit und des Freihandels die Macht des Heimatgefühls brechen zu wollen scheint. Reißt dem Menschen die Heimat aus dem Leben, so dünkt es ihn nicht mehr begehrenswert! Bodenständigkeit ist nicht nur die Grundlage aller Kultur, sondern auch die aller Lebensmöglichkeit.[92] Allein auf unserer Scholle, in unserer Heimat kommen wir zum Bewußtsein unserer selbst, unserer seelischen Kräfte, zur Erkenntnis des Göttlichen, das im Menschen ruht. Freilich ist damit nicht gesagt, daß man sich nie aus seiner Heimat entfernen solle. Das wäre eine falsche Schlußfolgerung, im Gegenteil, die Ferne, die Fremde lehrt uns erst die Heimat lieben, und man kann nur jedem jungen Manne wünschen, daß er sich den Wind ein paar Jahre lang draußen in der Welt um die Nase wehen lasse, das weitet den Blick, stärkt das Nationalgefühl, um so lieber verbringt er dann sein Leben in der Heimat.
Man kann sich aber auch freuen über unsere Zeit, denn sie hat den Wert des Heimatgefühls auch ganz erkannt, und nicht nur das, sondern sie handelt auch danach: Mächtiger denn je klingt das Wort Heimat in den deutschen Landen, unser Leben hat wieder nationalen Boden gefaßt, wir schweben nicht mehr in der Luft, materialistischen Idealen nachjagend, sondern wir sind wieder Wirklichkeit kennende Idealisten. Unsere Kunst steht nach wie vor unter dem Zeichen der Heimat, freilich muß die hohe höchste Kunst, wie sie sich im »Faust«, in Wagners Musikdramen, in Beethovens Werken offenbart, sich in einer gewissen Distanz über das rein Heimatliche erheben, damit ist sie aber nicht um irgendeinen Punkt weniger deutsche, denn wer anders als Deutsche hätten einen »Faust«, die »Neunte Sinfonie«, einen »Tristan und Isolde«, schaffen können? Hier sieht man, wie das Nationale als Nationales – denn das bleibt es und muß es bleiben – zum Internationalen wird, nicht zu jenem heimatlosen Kosmopolitismus, den manche einem Goethe anhängen wollen, sondern zu jener Herrschaft über die Welt durch die Kunst, wie wir sie auch im Shakespeare verehren. Und nur die Kunst kann international werden, die national ist, das sollte man nie vergessen, es liegt klar zutage. Aber nicht nur in der Kunst denken wir wieder national, auch unser politisches, konfessionelles, wirtschaftliches und wissenschaftliches Leben rückt mehr und mehr dem Gesichtspunkte zu, nicht, daß es dadurch seine Richtung tendenziös verschieben ließe, sondern es bleibt ehrlich auf der klar erkannten Bahn, dabei sich aber bewußt der Quelle, aus der die Kraft fließt, mit deren Hilfe wir die Bahn abschreiten, das ist das Heimatgefühl!
Von Dr. H. Stübler, Bautzen
Die Zschemelschka? Wer ist das? Ist es eine wendische Dorfschöne? Ja, wenn sie der geneigte Leser besuchen will, muß er von Bautzen aus in die nördliche Teichgegend ziehen. Er kann sie in fünf Viertelstunden erreichen, wenn er an einem schönen Frühlingsnachmittag die Muskauer Straße hinauswandert und hinter Burk nach Doberschütz zu abbiegt. Besonders schön wird sie ihm erscheinen, wenn rosenroter Abendsonnenschein sie umleuchtet. Dann wird sie sich offenbaren als eine verborgene kleine Naturschönheit: die Zschemelschka ist nämlich ein letzter Rest eines aus dem Granit herausgewitterten Quarzriffes. Das deutet auch ihr Name an: denn darin steckt das wendische Wort für Quarz = křem. Wie beispielsweise[93] aus dem niederdeutschen krischan = Christian über Kschischan schließlich der in der Lausitz häufige Familienname Zschieschan geworden ist, so hat sich jener Stamm křem im Munde der Umwohner zu Zschem-elska, Zschem-elschka verwandelt.
Da die weißen Felsen, die leider schon zur Hälfte abgebaut sind und als harter Klarschlag im Schotter der benachbarten Straßen und Fahrwege begraben liegen, weithin leuchten, ist es nicht allzu schwer, sich auf Feldwegen und Rainen zur Zschemelschka heranzupirschen. Dem Landmann liegt sie höchst unbequem mitten in Feldgebreiten, und ich glaube wohl, daß er nichts dawider haben würde, wenn sie eines Tages völlig zersprengt und abgebaut würde, wenn das unfruchtbare Riff so verschwände, die Grube aufgefüllt würde und der Pflug darüber hinziehen könnte.
Dem Naturfreund und dem Forscher aber wird »der Stein des Anstoßes« zu einem Naturdenkmal. In der Richtung NW–SO erstreckt sich das weiße Quarzriff, etwa fünf Meter am Grunde breit, fünfundzwanzig Schritte lang, und der bereits abgebaute westliche Teil war etwa ebenso lang. Aus der Sprenggrube wuchern Salweide, Hasel, Hirschholunder, Weißdorn, Wildkirsche, Eberesche; am östlichen Ende treibt eine erst im Kriege gefällte Eiche neue Stockausschläge; den Fuß der Quarzmauer schmücken im Sommer allerhand Stauden und Gräser, Brombeerranken und Himbeerruten, Rumex, Johanniskraut, Fetthenne, Weidenröschen, Wollkraut, Steinnelken, Besenstrauch. Aber selbst in die schutterfüllten Längsrisse drang der Pflanzenwuchs ein, ja der harte, lebensfeindliche, »nackte« Fels mit seinen wohl durch Mangan- und Eisenbeimischung rötlichfleischfarbenen und violetten Adern ist mit schwärzlichen Schrift- und grünlichen Schüsselflechten getüpfelt, hie und da schon von einem Mooskissen besetzt worden. Die höchsten Teile werden gerne von Raubvögeln[94] als Auslug und Kröpfstellen benutzt; in den Rissen spannen Spinnen ihre Fangnetze und Brutwiegen; Kaninchenhöhlen und allerhand Tierlosung verraten besonders an der windgeschützten, sonnenbeschienenen Südseite auch andere Liebhaber der Zschemelschka.
Den Naturfreund wird der Aus- und Umblick erfreuen. In der Längsrichtung des Riffes schaut er über das in der Teichaue der Spree gelegene Doberschütz und Niedergurig nach NW hin bis zur spitztürmigen Kirche von Quatitz; nach SO über den Bytschin bei Breitendorf zum Doppelgipfel des Löbauer Berges und zum Rotstein bei Sohland. Nach N haftet der Blick an den kleinen Gehölzen der nächsten Granitkuppen, z. B. an dem Teufelsstein bei Pließkowitz mit seinen hünengrabähnlichen Gipfelklippen im Zwergwalde grüner, später gelbblühender »Ginster«büsche, am Windmühlenberge bei Gleina, an den Essen des Braunkohlenwerkes von Kleinsaubernitz. Am lohnendsten aber ist der Südausguck: erst bauen sich mit dunklem Nadelwald, aus dem im Frühjahr helleres Laubgrün aufleuchtet, die rundlichen Granitkuppen der Kreckwitzer Höhen auf: Krähen-, Linden-, Mittel- und Birkberg; dahinter aber staffeln sich wunderschön fernblau die nicht abgesunkenen Basteien des Granitberglandes vom Hochstein bis zum Klosterberge: das türmereiche Bautzen liegt malerisch dazwischen.
Dem Forscher erzählt die Zschemelschka mehr – er erinnert sich des »Pfahls« im Bayrischen Wald, der hundertdreißig Kilometer lang von Amberg bis Passau in einem ähnlichen Granitgebiete schnurgerade dahinzieht und oft auch ähnliche Mauern und Riffe bildet, wie hier die Zschemelschka eins ist. Und wenn er die geologischen Karten zu Rate zieht, so erkennt er bald, daß sie auch nur ein »hervorragender« Teil eines »Lausitzer Pfahls« ist, der sich von Maltitz bei Weißenberg bis Schmerlitz westlich Königswartha über fünfunddreißig Kilometer weit verfolgen läßt. Quarz ist hart; der umgebende Granit verwitterte eher und rascher, so blieb das Riff erhaben in der Landschaft stehen und bildete ragende weißliche Mauern. Bei Belgern[2] im SO errichteten auf einem an hundert Meter breiten Stück dieses Quarzganges, von dessen ragender Höhe man einen weiten Umblick hat, schon die Urbewohner unserer Lausitz eine Ringwallwohnstätte. Aber dort ist die Quarzmauer schon gewaltig abgebaut.
[2] Bel-gern, vergl. Belgrad = Weißenburg, wegen der weißen Farbe des Quarzgangs.
Die schnurgerade Richtung des langen Quarzganges, der übrigens im Granitlande südwärts zahlreiche größere und kleinere, meist ähnlich verlaufende, aber oft nur noch an Lesesteinen erkennbare Brüder hat, bezeugt uns, daß wir hier an der Grenzscheide zweier gegeneinander abgesunkener oder verschobener Granitschollen stehen, deren Abrißfuge durch nachdrängende kieselsäurereiche Lösungen aus der Tiefe ausgekittet wurde, wie ja in Augustusbad bei Radeberg noch heute an die Quarzgänge Mineralquellen gebunden sind. Sonst haben sich in solchen Spaltenfüllungen oft auch Erze mit ausgeschieden, aber unsere Lausitzer Gänge sind meistens »taub« – auch die Zschemelschka. Aber indem nun das harte Quarzfüllsel der Spalte durch die jahrtausendelange Verwitterung zum ragenden Riff aus der Umgebung sich heraushob, indem es den darüber hingleitenden Eismassen Trotz bot,[95] die die Kuppen der Kreckwitzer Höhen zu »Rundhöckern« abschliffen, ist die Zschemelschka ein »beredter« Zeuge erdgeschichtlichen Werdens auf Lausitzer Boden geworden, wert, erhalten und geschützt zu werden, ehe sie das Schicksal der »Steinklunse« im Cunewalder Tal trifft; denn die ist längst zersprengt und zerschlagen. Wer mehr davon zu lesen wünscht, der möge den letzten Dreijahrsbericht der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft Isis in Bautzen (1916–1918) nachschlagen, der noch mancherlei anderes Neues aus der Natur der Heimat enthüllt.
Die Besitzer des Grundstücks, Gemeindevorstand Zieschang und Gutsbesitzer Kunath in Doberschütz, haben die Erhaltung des Naturdenkmals in dankenswerter Weise dem Landesverein Sächsischer Heimatschutz zugesichert. Eine von diesem angebrachte Tafel macht den Wanderer auf die Felsen aufmerksam und mahnt zu ihrem Schutze.
Von A. Klengel, Meißen
»Dem teutschen Menschen müssen nirgends Bäume fehlen!« schrieb Ernst Moritz Arndt, der gründliche Kenner echten deutschen Wesens zu Anfang des vorigen Jahrhunderts. Und wahrlich, dieser urdeutsche Mann hat recht mit seinen schlichten Worten. Die deutsche Landschaft ist ohne das belebende Grün von Baum und Strauch, ohne den ernsten Waldhintergrund nicht denkbar und im Herzen des echten Deutschen, der sich die Gemütstiefe bewahrt hat im Strome der Zeit, klingt, einer ewig ungestillten Sehnsucht gleich, das Verlangen nach dem grünenden Baum und Strauch, die festverankert sind im Schoße der heiligen Mutter Erde, die Zeugnis geben von der urwüchsigen Naturkraft, die aus der Scholle quillt, den Baum zu beleben, mit frischem Grün und duftenden Blüten zu schmücken und ihn zu befruchten im bunten Wechsel des Jahres. –
Die alten Germanen, die Urbewohner deutschen Landes, wohnten in Wäldern. »Allenthalben starrt der Urwald« berichtet der Römer Tacitus, der zu Anfang unserer Zeitrechnung das Land beschrieb, das wir heute unsere Heimat nennen. Dies erklärt gar vieles im deutschen Wesen. Die Liebe zum Walde, die Liebe zum grünen Baum lebt fort im Herzen des Deutschen als ein teures, ein heiliges Vermächtnis aus den Urtagen deutschen Seins, aus jener fernen Zeit, da unsere Väter noch in den Wäldern lebten, sich geborgen fühlten unter der Krone des Baumes, die über ihnen rauschte, im Haine zu ihren Göttern beteten und Baum und Strauch mit Gottheiten beseelten.
Durch Jahrtausende hat der Deutsche Bäume und Sträucher um sich gehegt; er hat festgehalten an dem uralten Brauch, den ihm die Väter vererbten. Als Frevel, als fluchwürdiges Verbrechen galt das mutwillige Fällen eines Baumes.
Betrachten wir alte Bilder deutscher Landschaften und Siedlungen! Niemals werden wir Bäume und Sträucher darauf vergeblich suchen. Die Linde auf dem Dorfplatze ist geradezu ein Wahrzeichen des deutschen Landes geworden; unter ihr wurde nach altem Brauche Recht gesprochen, unter ihr sammelten sich die Glieder[96] der Gemeinde zu ernsten Beratungen, unter ihr tummelte sich die Jugend und feierte ihre fröhlichen Feste mit Spiel und Tanz.
Die Landstraßen waren in alter Zeit ihrer ganzen Ausdehnung nach von Hecken, Feldgehölzen und auch Einzelbäumen umgeben. Man schonte und hegte die Baumbestände sorglich; boten sie doch den Wanderern und den Zugtieren, die einst mehr als heute die Landstraßen belebten, kühlenden Schatten in der Sonnenglut.
Im Laufe der Zeit wandelte sich das Bild! Die fortschreitende Urbarmachung des Landes, die Notwendigkeit, den Boden mehr auszunutzen, zwangen zum Fällen der Feldgehölze, die einst die Landstraße umsäumten. An ihre Stelle traten die regelmäßigen Straßenanpflanzungen, die Baumreihen oder Alleen. Sie sollten nach wie vor dem Wanderer und dem Zugtier Schatten spenden. Daneben dienten sie wohl auch zur Abschrankung des Weges gegen Dämme und Abhänge und in Gebirgslagen mit starkem Schneefall zur Kennzeichnung des Straßenzuges im verwehten und verschneiten Gelände. Es entstanden die prächtigen Ebereschenpflanzungen in unserm Erzgebirge, die zur Blütezeit Zimtdüfte ausatmen, im Herbst mit ihren korallenroten Beeren die Landschaft schmücken und den Vögeln Futter bieten. Die herrlichen Linden-, Ahorn- und Eschenalleen wurden angelegt, die viele unserer Städte an der Stelle alter Befestigungsanlagen malerisch umsäumen und der Landstraße auf weite Strecken das Geleite geben. Wer kennt nicht diese alten Bäume, in deren Kronen die Vögel singen und ihre Brut hegen, in deren Schatten der junge Weltbürger seine erste Fahrt unternimmt hinein in das Leben, und der in harter Lebensarbeit müde gewordene Greis in kurzem Spaziergange sich seines Lebensabends freut.
Die langen Reihen hoher Pyramidenpappeln wurden angepflanzt, die der Landschaft so stimmungsvolle Reize verleihen. Auf dem Sandboden des Flachlandes belebten die Birkenalleen mit ihren heiteren Farben die strengen Linien des einförmigen Bildes.
Größere Bedeutung gewannen die Baumpflanzungen an den Landstraßen, als man die Felder unter Hochkultur nahm, als jede Hecke und jedes Gehölz fallen mußte, als man die Fluren völlig in einförmige Kultursteppen verwandelte. Die Alleen waren die einzigen Unterbrechungen in dem kahl gewordenen Lande, der einzige Ruhepunkt des Auges, das müde geworden war vom Umherschweifen in der jeder Abwechslung entblößten Landschaft. Oft genug waren sie die einzige Naturschönheit des flachen Landes, das einzige was haften blieb in der Erinnerung, und das einzige, was die Landschaft wert machte, ein Ziel der Heimatliebe zu sein. –
Wer hat wohl daran gedacht, daß es je anders werden würde im deutschen Lande! Wer hätte geglaubt, daß die Bäume von unseren Straßen, die grünen Baumgürtel unserer Städte und Dörfer schnöder Geldgier und Gewinnsucht zum Opfer fallen würden. Und doch ist es so! In völliger Verkennung der geschichtlichen Entwickelung und der geschichtlich gewordenen Bedeutung des Straßenbaumes werden heute die Straßenalleen vielerorts zur Gewinnung von Nutzholz niedergeschlagen. Unsere Ahnen haben die Bäume als Schmuck der Heimat gepflanzt, und wir selbst haben sie bis in die jüngste Zeit noch geschont, gehegt und gepflegt bis sie als morsche Ruinen in sich zusammenfielen.
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Gar plötzlich ist die Wandlung eingetreten. Deutsches Wesen ist zuschanden geworden, das zeigt sich auch hier. Der »furchtbare Baumtod« wandelt durchs Land und stürzt sich mit Grimm und Wut auf unsere herrlichen Baumalleen, die kostbaren Vermächtnisse aus alter Zeit. Wie einst im Mittelalter der »schwarze Tod«, Grauen verbreitend durch das aufgeschreckte Land zog, daß »die Menschen reihweis’« fielen, so ist jetzt der »große Baumwürger« in unsere Gaue gekommen und hat ein »Sterben der Bäume« gebracht, hat in kurzen Stunden zersplittert an den Wegrand geworfen, was Jahrhunderte zur Entwickelung und zum Aufbau gebraucht hat. Mit wuchtigen rohen Axthieben wird rücksichtslos das vernichtet, was das Herz unserer Väter und Großväter schon erfreute und was auch unser Stolz und unsere Freude war.
Ein Schrei der Entrüstung über diesen Frevel am heimatlichen Landschaftsbilde geht durch die deutschen Gaue und jeder Deutsche, in dessen Herzen noch ein Fünkchen Heimatliebe glimmt, noch eine Spur von Empfinden für unsere Naturschönheiten wohnt, muß mit einstimmen in das Wort, welches aus einer, ihrer Baumschönheiten beraubten niederdeutschen Stadt erklingt: »Herrgott bewahre uns vor solchen Stadtvätern, die, aus Unwissenheit oder absichtlich, die Schönheit ihrer Heimat morden und die Ideale ihrer Gemeindeglieder mit Füßen treten!«
Freilich, Ideale bringen kein Bargeld ein! Aber wir ehren uns selbst, wenn wir sie pflegen. Wir brauchen Ideale in unserer schweren Zeit, in der die Schönheit der Heimat fast das einzige ist, was uns noch nicht geraubt wurde.
Und ist der Gewinn wirklich so groß, den uns der gefällte Baum bringt? – Eine Handvoll schmieriger Papierfetzen ohne Wert und ohne Kaufkraft, Spreu im Wirbelsturm der wirtschaftlichen Bedrängnis. Sie sind schon längst verstreut in alle Winde, ehe die Wunde, welche die Trauer um die verlorene Heimatschönheit in das Herz des Heimatfreundes geschlagen hat, zu vernarben beginnt.
Zahlreiche alte herrliche Bäume sind schon vernichtet, viele prächtige Alleen sind der Gefühllosigkeit unserer Zeitgenossen zum Opfer gefallen; aber noch ist es Zeit, Einkehr zu halten in uns selbst und Umkehr auf dem betretenen Pfade der Vernichtung. Noch beginnen jetzt zur Frühlingszeit viele herrliche Baumriesen und ausgedehnte Alleen sich mit neuem Grün zu schmücken. Schont und schützt sie und tretet ein für ihre Erhaltung! Wehrt euch mit flammender Entrüstung dagegen, daß geldgierige Hände sich danach ausstrecken. Laßt euch die herrlichen, durch ehrwürdiges Alter geweihten und geheiligten Bäume nicht rauben, diese Zier- und Schmuckstücke der Heimat, die unersetzlich sind; haben sie doch viele Menschenalter gebraucht, ehe sie emporwuchsen zu der stattlichen Größe und wunderbaren Schönheit, in der sie jetzt vor uns stehen. Unsere Väter haben sie uns vererbt als ein heiliges Vermächtnis, wir sind verpflichtet, sie zu pflegen und zu schützen und weiter zu vererben auf Kinder und Kindeskinder. Wenn wir sie mit frevelnder Hand vernichten und der Gewinnsucht opfern, so gleichen wir dem gewissenlosen Manne, der ein kostbares Erbe verschleudert. Wie ihm seine Nachkommen fluchen, so werden einst unsere Enkel mit uns hadern, weil wir die Schönheit der Heimat zerstörten um Augenblickserfolge willen, weil wir ihnen das uralte Wundergut der Heimatliebe raubten.
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Von E. M. Arnold, Leipzig-Schleußig
Wieder spinnt die Frühlingssonne ihren hellen, verjüngenden Dunst über Flur und Feld, und die Welt steht voller Träume und Geheimnisse. Zauberhände schmücken der Bäume kahles Geäst mit Blatt und Blüte. Aus der feuchtwarmen Erde quillt allmählich Halm für Halm, Blume für Blume. Der schmuckloseste Rain wird so zum buntgewürfelten Teppich, das Saatfeld zum leichtgewellten See. Und die Sonne steigt höher und höher. Ihr Silbergefunkel dringt in den engsten Hof und die versteckteste Großstadtklause lachend und lockend zugleich. Es ankert sich fest mit gespenstisch ausgreifenden Fingern im ruhelosen Fabriksaal wie am Tisch des Geistesarbeiters. Verstehst du seine Sprache, Großstadtkind? Merkst du nicht, wie es dich ruft, herauszutreten aus dem Waffengeklirr nüchternen Daseinskampfes, aus der Häuser drückenden Enge in die weite, weite Gottesnatur? Komm und folge dem einladenden Gruße!
Sage nicht, du hättest weder Zeit noch Gelegenheit, des Frühlings Wunderwerkstatt anzuschauen. Leben wir nicht im Zeitalter des Dampfes, der Elektrizität, des Fahrrads und des Automobils? Und wie denn; genügen nicht auch Schusters[99] Rappen, hineinzuwandern in die prangende Frühlingswelt, dem Lichte und dem Leben zu, bergauf, talab, in des Waldes Laubgezelt, zur blumigen Quelle, zum Ufer der brandenden See? Bleiben wir bei strammer Landstraßentugend; nehmen wir den Weg zwischen die Beine.
Können wir uns heute das weitverzweigte, der Erde Länder zusammenknüpfende Verkehrsnetz hinwegdenken und uns in eine Zeit zurückversetzen, da der Mensch nur schwer und mit großen Opfern der engbegrenzten Heimatscholle zu entrinnen vermochte? Wohl kaum. Was erinnert wohl noch an die alte liebe Wanderzeit mit ihren einfachen Bedürfnissen? Etwa die steifen Postwagen, die in die einsamsten Gegenden unseres Vaterlandes sich zurückgeflüchtet haben? Es wird uns nicht so leicht, zu begreifen, daß noch zur Mitte des vorigen Jahrhunderts fast der gesamte Reiseverkehr auf die Landstraßen angewiesen war. Wir sind ein gar schnellebiges Geschlecht, das rasch vorwärts schreitet, aber auch rasch vergißt, und es im übrigen nicht liebt, den Blick romantischen Sinnes in längst verschollene Zeiten zurückzuwenden. Die Blume der Erinnerung blüht nur noch abseits von des Tages Getümmel und auch nur für den, der ihrer aufmerksamen Auges achtet. Was kümmert uns Vergangenes? Es lebe die Gegenwart!
Und so kommt es, daß wir den rechten Maßstab für das jeweilig Erreichte oft nicht finden, weil wir der Wahrzeichen nicht achten, die uns zu längst Verschwundenem und Überwundenem hinüberleiten. Wer z. B. achtet gegenwärtig noch der wenigen vom Zahn der Zeit verschont gebliebenen Chausseehäuser, jener freundlichen, einstöckigen Gebäude an Sachsens Landstraßen, die heute vielfach als Bier- und Kaffeestuben willkommenere Ruhepunkte des Reiseverkehrs darstellen denn ehemals, als weißgrüne Schlagbäume die Straße sperrten und ein finsterblickender Einnehmer zum Halten einlud! An einsameren Straßen unseres Sachsenlandes, wo sie hin und wieder auch als Wohnstätten der Straßenwärter Verwendung finden, tragen sie wesentlich zur Belebung des Geländes bei. Hier wie dort führen sie unsere Gedanken zurück in die gute alte Zeit, da der Großvater die Großmutter nahm und während der Hochzeitsreise sich und seine Eheliebste von zwei zu zwei Wegstunden immer von neuem wieder aus dem Bannkreise des Schlagbaumes und seines Wärters lösen mußte.
Die alten Chausseehäuser unserer engeren Heimat verkörpern ein Stück Kulturgeschichte, nicht so sehr wegen ihrer einstigen fiskalischen Bedeutung als wegen der Art des Lebens und Treibens, das sich in ihnen abspielte. Sie waren die Pflegstätten echten altsächsischen Familienlebens in seiner breiten Gemütlichkeit und genügsamen Zufriedenheit und bildeten in einer meist ländlichen Umgebung kleine Beamteninseln mit halb städtischen, halb ländlichen Sitten und Gebräuchen. Wie idyllisch nahmen sich die Häuschen aus im Zuge der sauberen Straßen, mit ihren Bogenfenstern, den grünen Läden und dem über der Eingangstür hängenden sächsischen Wappenschilde! Meist umgab ein Garten das Gebäude. Ein einfaches Staket, hinter dem es grünte und blühte und oft wohl auch bunte Glaskugeln altmodisch sich spreizten, versperrte Neugierigen den Blick ins Innere des Hauses. Häufig tat es auch eine lebende Hecke. Hier schossen Sonnenblumen und Malven; Bienen flogen summend von Blüte zu Blüte. War doch der Herr Einnehmer meist auch[100] ein kunstgerechter Imker. Das saftige Grün des Weinstocks umrankte die Vorderfront, während nach hinten Stall und Schuppen das kleine Anwesen abschlossen. Stand ein Birn- oder Apfelbaum dabei, so legte er sicherlich väterlich-schirmend die fruchtschweren Äste über die kleine Einsiedelei.
Quer über die Straße aber ragte der wuchtige Schlagbaum, an den Seiten nur einen schmalen Streifen für die Fußgänger freilassend. Jedes ankommende Fuhrwerk, jeder Reiter und jeder Viehtransport konnte ihn nur passieren, nachdem die festgesetzte Abgabe entrichtet war. Dem gestrengen Herrn Einnehmer, der ununterbrochen bei Tag und Nacht seines Amtes walten mußte und sich nur während der verkehrsschwachen Stunden kurze Ruhepausen gönnen konnte, entging so leicht keiner. Die Fuhrleute waren verpflichtet, den Einnehmer auch während der Nacht durch Peitschenknall oder Zuruf zu wecken. Besser noch versorgte das Geschäft des Weckens ein munterer Spitz oder Dackel, der zum lebenden Bestande jeder Einnahme gehörte. Oft freilich erkoren Witzbolde, Studenten oder fahrende Gesellen den Einnehmer zum Gegenstande ihres Übermutes und brachten ihn durch blinden Lärm um die ohnehin beschränkte Nachtruhe. Zur Zeit der Leipziger Messen, an Hauptmarkttagen[101] oder zu besonderen Festlichkeiten gestaltete sich der Wagenverkehr oft so rege, daß die Frau Einnehmerin dem Gatten in der Abfertigung kräftig zur Hand gehen mußte. War sie doch zur dienstlichen Vertretung und Unterstützung des Hausherrn amtlich bestimmt. Wohl trug sie weder Mütze noch Amtsrock; in einfacher Hausfrauentracht verrichtete sie am Schalterfenster ihre Dienstobliegenheiten, und obgleich sie mit Angehörigen der verschiedensten Berufsklassen verhandelte, wußte sie, der amtlichen Dienstanweisung gehorchend, allen Streitereien und Ungehörigkeiten durch immer gleichbleibende Freundlichkeit und weiblichen Anstand die Spitze abzubrechen. Die Frau Einnehmerin spielte übrigens, wenn sie die ihr günstigen Verhältnisse auszunutzen verstand, unter der bäuerlichen Bevölkerung eine gar wichtige Rolle. Man schätzte ihre hauswirtschaftlichen Erfahrungen, begehrte ihre gesundheitlichen Ratschläge und feierte selten ein Familienfest, an dem die Frau Einnehmerin nicht teilgenommen hätte.
Aber nicht immer herrschte Lust und Freude in dem bescheidenen Heime; denn wenn auch dem Einnehmer neben freier Wohnung, Heizung und Beleuchtung der zehnte Teil der erhobenen Brücken- und Wegegelder als Besoldung zugebilligt wurde, so kamen dennoch – und ach, wie oft – auch magere Zeiten, Monate und Jahre mit geringen Einnahmen. Dann wurde die Wirtschaftskunst der Hausfrau auf eine harte Probe gestellt. Wenn freilich die Vorräte im Kämmerchen zur Neige gingen und die Reihe der Einmachetöpfe aus besseren Jahren sich immer mehr lichtete, wenn infolge kärglicher Fütterung im Stalle die Ziege von Tag zu Tag weniger Milch gab und doch trotz allem die hungrigen Mäuler der Kleinen gestopft sein wollten: dann schwand der Frohsinn aus dem Einnehmerhaus und Frau Sorge schritt über die Schwelle.
Mit Ablauf des Jahres 1885 kamen Brückenzölle und Chausseegelder in Wegfall. Sie hatten dem Staatssäckel von Jahr zu Jahr Einnahmen bis zu dreiviertel Million Mark gebracht, trotzdem der Güterverkehr mehr und mehr von den Landstraßen auf die neuerstandenen Schienenwege übergegangen war. Die Schlagbäume verschwanden, aber die Chausseehäuser haben sich, wenn auch meist ihres einstigen Gepräges entkleidet, als Erinnerungszeichen an die einstige Fuhrmannsherrlichkeit, an die Zeit des Posttrabs und der Wanderpoesie bis in unsere Tage erhalten.
(Erica carnea L.)
Von Felix Heller, Bahnhof Bad Elster
Aufnahmen von J. Ostermaier, Blasewitz
Unter den deutschen Phanerogamen, die nach Garckes Flora von Deutschland (17. Aufl. 1895) sehr selten vorkommen, befindet sich eine, mehr der süddeutschen Flora angehörige Pflanze, deren Verbreitungsgebiet in Mitteldeutschland ein so eng begrenztes ist, daß sie in Botanikerkreisen eine gewisse Berühmtheit erlangt und zu mancherlei Deutungen über die Ursachen ihres sporadischen Auftretens Veranlassung gegeben hat. Der Pflanzenkundige, der im zeitigen Frühjahre den südlichsten, nach Böhmen hereinragenden Zipfel des nunmehrigen Freistaates Sachsen besucht, wird[102] sie freudig begrüßen und auch dem Laien wird sie auffallen. Im allgemeinen bieten unser Elstergebirge und seine Ausläufer keine große Auswahl an Pflanzenseltenheiten, wenn man nicht die buchsbaumblättrige Kreuzblume (Polygala Chamaebuxus L.)[3], hier »Ramsel«, auch »falsche Preiselbeere« genannt, dazu rechnen will, die im südlichen Vogtlande übrigens häufiger vorkommt, als bei Garcke angegeben ist. Aber die Schneeheide, das ist hier in ihrer sächsischen Heimat die volkstümliche Bezeichnung (»Schniehaad«), ist etwas ganz besonderes; sowie der Schnee zu schmelzen beginnt, meist Anfang bis Mitte März, entfalten sich ihre zierlichen, in der Farbe vom hellsten Rosarot bis zum tiefsten Carminrot schwankenden Glöckchen – der erste Frühlingsgruß der neuerwachten Natur! Deshalb liebt sie hier auch jedermann, und gern stellt man sich ein von Weißtannenzweigen oder Preiselbeerkraut umkränztes Sträußchen in das Zimmer. Die vogtländischen Nachbarn dieses bescheidenen Pflänzchens sind sich seiner Seltenheit wohlbewußt und erklären dem Befrager mit einem gewissen Stolze, daß die Schneeheide eben nur bei ihnen vorkommt und sonst in ganz Deutschland nicht. Böhmen ist ja nicht Deutschland und das Vorkommen im Fichtelgebirge und in den südlichen bayrischen Alpen ist ihnen wohl nicht bekannt. Im Spätsommer und Herbst finden die Kurgäste von Bad Elster auch zuweilen blühende »Schneeheide«, die sie mit stolzer Freude heimtragen,[104] aber das ist die weißblühende Form der gewöhnlichen Heide (Calluna vulgaris Salisb.); die echte Schneeheide hat ihren Namen nicht von der Farbe, sondern daher, daß sie zur Zeit der Schneeschmelze blüht, oft genug sogar schon unter dem Schnee, bei kühlem Wetter bis in den Mai hinein.
[3] Abbildung Seite 108. Dieses reizende Pflänzchen ist hier ziemlich weit verbreitet. Es gibt Stellen, wo sie rasenbildend auftritt und meterlange Ausläufer treibt.
Garcke gibt als Vorkommen an: »Im Vogtlande im Brambacher Walde bei Adorf häufig und ebenso um Karlsbad, Franzensbad, Eger und Marienbad; früher auch bei Paderborn. – Bayern (Alpen und Hochebene verbreitet)«. Von dem erstgenannten Verbreitungsbezirke entfällt auf Sachsen ein winziger Teil. Die Schneeheide ist daher tatsächlich für Sachsen und ganz Mitteldeutschland eine große Seltenheit; Südbayern kommt ja für Mitteldeutschland nicht in Betracht. Im Fichtelgebirgsführer von Dr. Albert Schmidt (Wunsiedel 1894, Verlag von G. Kohler) Seite 18 ist Erica carnea als Bewohnerin des Silikatgesteines aufgeführt (nach Rektor Kellermann). Auf meine Anfrage schreibt mir Herr Dr. Vestner, Reallehrer in Wunsiedel, folgendes: »Erica carnea beherrscht im Fichtelgebirge das Gebiet des sogenannten Selber Waldes. Sie ist im Vorfrühling, zu ihrer Blütezeit, der einzige Glanzpunkt in unserem so floraarmen Fichtelgebirge. Der Verbreitungsbezirk beginnt südwestlich in der Höhe von Thierstein, wird begrenzt von den Höhen des Egertales, ohne jedoch auf das Gebiet des Kornberges überzugreifen, endet östlich mit der Waldgrenze (Hohenberg, Liebenstein, Lindau) und zieht schließlich über Asch in den Brambacher Wald. Eine weitere Ausbreitung oder ein Zurückgehen des Bestandes ist nicht zu beobachten. Ihr Standort ist Granitboden in gemischtem, vorwiegend mit Föhren bestandenem Walde. Sonstiges Vorkommen im Fichtelgebirge gibt es nicht.« Demnach wäre Garckes Flora mit diesem Vorkommen in Nordostbayern zu ergänzen.
Häufiger findet sich die Schneeheide im angrenzenden Böhmen, sie geht aber kaum über Karlsbad hinaus. Der Gesamtverbreitungsbezirk bildet eine Insel, deren größerer Durchmesser von Westen nach Osten, der kleinere von Norden nach Süden verläuft. Die Begrenzung bilden in Richtung West–Ost etwa die Orte Thierstein in Bayern–Karlsbad, in Richtung Nordwest–Südost etwa Rohrbach–Marienbad. Auf sächsischem Gebiete kommen nur die Waldungen und Höhen um Rohrbach, Brambach, Schönberg am Capellenberge, Hohendorf, Bärendorf in Frage. Und auch hier tritt sie meist in inselförmigen Beständen auf. Niemals überzieht sie ausgedehnte, zusammenhängende Strecken wie Calluna, sondern wächst immer in kleinen geschlossenen Beständen auf feuchtem Granitboden. Wer von hier aus östlich wandert, findet die ersten spärlichen Spuren zwischen dem Raunergrunde bei Raun und Oberbrambach. Um Brambach selbst wird sie häufiger: auf dem Kuhberge, Fuchs- und Capellenberge, besonders schön auf dem Hirschberge und in reichlicheren Beständen in der Richtung von Brambach über Fleißen in Böhmen nach Schönberg am Capellenberge.
Die reichsten Bestände finden sich, wie schon gesagt, in Böhmen; schon in den Waldungen bei Fleißen, Großloh, Wildstein fällt sie im Vorfrühling jedem auf, der dort wandert, denn ihr leuchtendes Rot macht sich schon auf weite Entfernung bemerklich.
Die Gesteinsformation, die zu ihrem Gedeihen notwendig ist, ist lediglich Granit, und zwar Granit in loser Form als Grus oder Sand. Nirgends besiedelt[105] sie Basalt, Porphyrit, Ton- oder Glimmerschiefer; die scharfe Grenze, die sie bei Formationswechsel einhält, gibt dem Geologen einen Hinweis, daß er aus dem Gebiete des Granits in ein anderes übertritt. Im Granitgebiete selbst bevorzugt sie feuchte Stellen, findet sich daher auf den Bergkuppen, soweit sie wasserarm sind, nur spärlich und hier oft in Gesellschaft von Calluna. In vertikaler Richtung liegt die Wachstumsgrenze etwa zwischen 550–900 Meter.
Wenn man die Kartenskizze, die freilich auf absolute Genauigkeit keinen Anspruch machen kann, betrachtet, fällt einem unwillkürlich auf, daß das Vorkommen der Schneeheide ziemlich genau in den Bereich der sächsischen und böhmischen Bäder[106] fällt (Bad Elster, Bad Brambach, Franzensbad, Karlsbad, Marienbad). Alle diese Bäder besitzen Quellen mit mehr oder weniger starkem Radiumgehalt, Brambach z. B. eine solche mit über 2200 Macheeinheiten. Es liegt ja nahe, die Radioaktivität des Wassers als Ursache des Gedeihens der Pflanze anzusehen oder eine durch Radiumemanationen bedingte höhere Bodenwärme. Doch sind hierüber wohl noch keine wissenschaftlichen Untersuchungen angestellt worden; für den Pflanzenbiologen wäre dies eine dankbare Aufgabe! Läßt sich ein Zusammenhang der Lebensbedingungen unsrer Pflanze mit dem Radiumgehalte des Bodens nachweisen, dann würde ihr reicheres Auftreten an irgend einer Stelle im Granitgebiete vielleicht einen Fingerzeig darbieten, hier nach einer Radiumquelle zu suchen. Analoge Beispiele dafür, daß Pflanzen an bestimmte Mineralien gebunden sind, gibt es meines Wissens mehrere, z. B. das sogenannte »Galmeiveilchen«, das in der Gegend um Aachen das Vorkommen von Zinkerzen anzeigen soll. Wie weit eine solche Vermutung berechtigt ist, das zu ergründen muß ich berufenen Leuten überlassen, ich spreche hier eben nur eine Vermutung aus. Ob in den südbayrischen Alpen ähnliche Boden- und Wasserverhältnisse vorliegen, vermag ich nicht anzugeben. Vielleicht sind dort im Süden, wo die Schneeheide unsre gemeine Heide vertritt, wo sie nicht, wie hier, zur Relictenflora gehört, sondern von jeher in großen Beständen heimisch gewesen ist, die Verhältnisse anders.[4]
[4] Gelegentlich meiner Urlaubsreise im September-Oktober 1920 in dem bayrischen Allgäu beobachtete ich Erica carnea dort. Im Allgäu und in den Alpen bevorzugt sie Kalkboden. Der südliche Typus der Schneeheide ist anders als der in Böhmen, Sachsen und Nordost-Bayern; die südliche Form ist strauchiger, knorriger, die mitteldeutsche und böhmische weicher, anschmiegender. Die langen Ranken, die sie hier an feuchten Stellen treibt, sieht man in den Alpen, besonders in hohen Lagen, nicht.
Jedes Frühjahr erscheint in unsern südvogtländischen Zeitungen ein Hinweis auf die Schneeheide, diese »einzige Seltenheit« im südlichen Vogtlande. Es wird darin geklagt, daß die Pflanze dem Aussterben nahe sei und darum gebeten, die Ausrottung dadurch verhindern zu helfen, daß man keine Schneeheidesträuße kauft. Die Bitte ist recht gut gemeint und wird den Herzen der Naturschützler wohl tun. Aber zum Glück liegt die Gefahr des völligen Verschwindens nicht so nahe, wie befürchtet werden könnte. Einmal hält die Pflanze an ihren Standorten so zäh fest, wie ihre fast unausrottbare Base Calluna an den ihren; sie erscheint immer wieder, man merkt keine Abnahme, freilich auch kein weiteres Ausbreiten. Sodann ist der Handel mit Schneeheidesträußen nur gering; es mögen sich kaum ein halbes Dutzend alte Frauen gelegentlich damit beschäftigen. Das sind die sogenannten »Sandfrauen«, die aus Brambach, Fleißen, Schnecken den feinen Scheuersand bringen, den sie in Bad Elster, Adorf, Ölsnitz, Plauen verkaufen. Sie haben an ihren schweren Sandsäcken gerade genug zu schleppen und können deshalb nur ab und zu ein paar Sträuße mitbringen, für die sie meistens feste Abnehmer haben. Der weitaus größte Teil der Sträuße stammt aus Böhmen.
Vor etwa 7–8 Jahren freilich wurde auch mir bange um die Schneeheidebestände, als im März und April täglich Leute aus Plauen mit großen Körben nach Brambach fuhren und in den dortigen und böhmischen Waldungen die Heide ausrissen,[107] um sie an Blumenbindereien zu verkaufen! Aber der Unfug hatte glücklicherweise sehr bald ein Ende: die Amtshauptmannschaft Ölsnitz und die Forstrevierverwaltung erließen strenge Verbote des Sammelns der Schneeheide und das Forstpersonal hielt scharf Wacht. Insbesondere nahm sich Oberförster Engelhardt in Rohrbach bei Brambach energisch der bedrohten Pflanze an und so ist wohl mit Sicherheit zu hoffen, daß die Gefahr einer Ausrottung beseitigt ist. Nicht unerwähnt möchte ich aber lassen, daß bei der jetzt forstwirtschaftlich bevorzugten Anpflanzung der Fichte insofern eine Gefahr für das Zurückgehen der Schneeheide besteht, als sie Kiefernwälder lieber bewohnt und reine Fichtenbestände meidet.
Wird die blühende Schneeheide vorsichtig, am besten mit einer Schere, abgeschnitten, was deswegen geschehen muß, weil die Wurzeln nicht fest in dem losen Granitboden haften, so blüht sie im nächsten Jahre sehr schön und reichlich, schöner fast, als wenn man sie ausblühen läßt. Ausgeblühte Stöcke zeigen im nächsten Jahre oft ein struppiges, dürftiges Bild. Das von Kindern beliebte Abreißen der blühenden Heide ist zu verwerfen, da hierbei mancher Stock mit herausgerissen wird.
Garcke gibt bei ihrem Vorkommen noch an: »Nicht selten als Zierstrauch.« Ich habe sie nirgends als solchen gesehen, möchte mich auch der hier allgemeinen Ansicht anschließen, daß die Schneeheide ein Verpflanzen nicht verträgt. Bei ihrer ausgesprochenen Bodenständigkeit auf Granitboden würde es mich auch wundern, wenn sie anderen Boden willig annähme. Ich habe selbst Anpflanzungsversuche[108] vorgenommen, die stets erfolglos waren; die gleichen Erfahrungen haben Bekannte von mir gemacht. Auch die wiederholten Versuche seitens der Gärtnerei der Badedirektion, sie in den schönen Anlagen des Kurortes einzubürgern, sind immer wieder fehlgeschlagen. Wie mir Handelsgärtner versicherten, wird unter dem Namen Erica carnea eine Zierheide aus Holland angeboten, die sich anpflanzen läßt, jedenfalls aber mit der wilden Erica carnea nicht identisch ist. Nach früheren Versuchen, die ich vor vielen Jahren angestellt habe, läßt sich übrigens auch Calluna vulgaris L.[109] als echtes Kind der Heide weder im Topfe noch im Garten kultivieren, so wenig wie die anscheinend noch mehr bodenständige E. carnea.
Besucht wird die blühende Schneeheide im Vorfrühling hauptsächlich von Hummeln. Andere Insekten sind kaum zu bemerken, allenfalls noch an warmen Tagen Bienen. Es sieht drollig genug aus, wenn die dicken Hummeln, auf dem Rücken liegend, die Glöckchen der Reihe nach aussaugen; sie ziehen durch ihr Körpergewicht sehr oft die dünnen Zweige bis auf den Boden nieder und bleiben dann mit der umklammerten Blütenähre gemütlich liegen, bis es nichts mehr zu saugen gibt.
Hoffen wir, daß unsre südvogtländische botanische Seltenheit, unsre liebe Schneeheide auch weiterhin gedeiht und in ihren Beständen erhalten bleibt! Es wäre ewig schade, wenn unsre materialistische Zeitströmung, die alle Naturseltenheiten in Geld umwerten möchte, ihrem Vorkommen hier ein Ende bereitete. Sie muß für alle Zeiten unter Schutz stehen und sei deshalb der Fürsorge des Sächsischen Heimatschutzes angelegentlichst empfohlen!
Eine Fahrt ins Weihnachtsland
Von Stadtbaurat Rieß
Aufnahmen von A. Heinicke, Freiberg
Vor dem Hauch des milden Westwindes war der Weihnachtsschnee zwar leider fast zerronnen, aber doch lag es noch wie Weihnachtsstimmung und Nadelduft in der Luft. Der Rucksack war wohlgepackt. Auch er gab weihnachtlichen Duft nach Stollen und anderen guten Dingen. Eine Weihnachtsfahrt sollte es werden in das Land der Kinderträume und lustiger Spielzeugherrlichkeit, wo Nußknacker und Räuchermännlein, Lichterengel und Bergmänner das große Wort führen, wo die Krippen in seliger Einfalt sich aufbauen und die Weihnachtspyramiden ihr buntgeschnitztes Leben zeigen. Im Morgendämmern lag der Garten mit seinen wenigen leuchtenden Schneeflecken. Die schöne grüne Tür mit dem kunstreichen Schloß fiel hinter mir und meinem wanderfrohen Weibe zu, da kam zur verabredeten Minute der Freund, der Maler mit seiner blonden Frau und grüßte mit frohem Glückauf. Am Bahnhof stieß zu uns der Ingenieur mit seiner Braut, der an der Bagdadbahn einst baute und nun nach Krieg und Wunden mit uns das Weihnachtsmärchen suchen wollte. – Nun ging es hinaus in die nebelverhangene Welt mit fauchendem Züglein. Nur an den Nordabhängen der Böschungen lag dort noch der Schnee und die dunklen Halden des alten Bergbaues waren noch weißbetupft. Die Fläche des Berthelsdorfer Hüttenteiches war mit Eis bedeckt und blinkte wie matter Stahl in den ersten schrägen Strahlen der mit dem Gewölk ringenden Sonne. Die Hänge des Muldentales mit ihren dunklen Wäldern und braunen Feldern und den schöngeschwungenen Höhenlinien glitten an uns vorüber. Von Mulda führte uns dann das Nebenbähnchen mit Schnauben und Pusten und gelegentlichem wichtig tuendem Bimbim Bimbim durch das enge malerische Chemnitzbachtal empor nach Sayda. Ein reizvolles Wiesental ist es, in dessen[110] leuchtendem Grün im Sommer das Auge sich satt trinken und Kräfte gewinnen mag, um freudig ins Grau des Alltags zu schauen. Heute war die Fläche zart rehbraun getönt und mit dem schimmernden Silbergrau des Reifes angehaucht. Der Maulwurf war munter gewesen und hatte kräftige schwarze Tupfen durch die zahlreichen frisch aufgeworfenen Haufen in die zarte Farbenstimmung gesetzt. Der Chemnitzbach schlängelt sich mit hurtigem Laufe in vielen Windungen durch das Tal. Auf den Hängen liegen einzelne Höfe. Festgeschlossen wie Burgen schauen sie wie Herren ins Tal, nicht gar trotzig, aber breit und behäbig voll Selbstbewußtsein und einer gewissen Unnahbarkeit. Dort das Rittergut von Dorfchemnitz mit seinen festen Mauern liegt auf der Höhe hinter dem Filigran der entlaubten Wipfel, mit der Kirche zusammen eine Baugruppe von besonderem malerischen Reiz.
Der Rauch unsres Zügleins weht in langer silberweißer wallender Fahne durch das Tal. Duftiges Blau, zartes Sepia, dunkles Grün, Weiß und Silbergrau sind die Töne, welche das liebliche Landschaftsbild beherrschen und alles in unendlicher weicher Harmonie vereinen. Die Fenster im Wagen sind beschlagen. So stehe ich draußen mit dem Maler und male im Geiste die zartesten Aquarelle mit ihm, wo die Farben nur wie ein Duft auf dem leuchtenden Weiß stehen und so unendlich wohltun in ihrer keuschen Reinheit, Zurückhaltung und Vornehmheit. Jeder Ausschnitt wird uns so zum Bilde reiner Winterherrlichkeit, daß unser Herz froh wird und unsre Lungen immer tiefer die klare kalte Luft der Höhen atmen. In Sayda wandern wir dann durchs Städtchen. Dem Wintersport gilt unser erster Gang. Uns lacht das Herz, als wir dort in der Fabrik unter den herrlichen Schneeschuhen jeder Art und Form und Bindung suchen und wählen können, und jeder schließlich ein Paar der langen Hölzer sein eigen nennt. O, daß der Schnee heut so dünn die Wege deckt und nur wie Zuckerstaub über die Felder gestreut ist, wie wollten wir sonst dahingleiten in köstlicher Fahrt! So streicheln wir nur zärtlich die schlanken biegsamen Eschenbretter mit einem auf Wiedersehen zur Heimfahrt und wandern dann hinaus in die sonnige Winterwelt. Da liegt vor dem Städtchen das alte Spittel hinter alten Bäumen. Bunt leuchtet das Wappen der Herren von Schönberg mit Inschrift über der Tür, durch welches das ganze schlichte Haus eine besondere Zierde und Charakter erhält. Grüß Gott du altes Weiblein dort am Fenster in deinem warmen Stüblein, du neidest uns nicht unseren Gang in den Winter hinaus. Der warme Ofen ist dir Erfüllung deiner Wünsche. Uns sollen noch Wind und Wald und Schnee Lieder der Sehnsucht und der Wünsche Gewalt und Erfüllung empfinden lassen.
Und ihr Schläfer hinter der schlichten Mauer unter den weißen Hügeln dort drüben, eure Herzen gingen zur Ruh, aber was ihr gedacht und gelebt, es lebt und wirket in ungeahnten Kräften. Vielleicht ist es im Wind lebendig, der dort vom Walde herüberweht, den ihr vielleicht gepflanzt habt, vielleicht klingt es aus dem Jauchzen der Kinder, die dort mit Schneeballen werfen, Kinder eures Blutes, vielleicht liegt es keimend im Acker, an dessen Rand wir dahinschreiten und dessen Frucht vielleicht dem Fleiß der nimmermüden Hände vieler Geschlechter, eurer Geschlechter, die dort ruhen, zu danken ist, vielleicht sind die Gedanken und Stimmungen die uns hier überkommen, Spuren unsichtbaren Lebens, das hier daheim[111] ist, Spuren eines Lebens, das ihr ganz an eure Heimat gewendet habt, – und das uns nun eure Heimat lebendig und beseelt macht. –
Sinnend schreiten wir in den Weihnachtswald, in dem die Schneeflecke aus dem dunklen Grün leuchten. Rechts schimmert die vereiste Fahrstraße durch die Stämme und der breite Streifen eines Kahlschlages. Was geht es sich so weich in dem harzduftigen Walde, als schritten wir in den Sonntag hinein, wo es so kirchenstill ist, als hätte eine heilige Feierstunde begonnen, in der alles fernen, fernen leisen Klängen lauscht, dem Harfen des Windes in den Wipfeln oder dem Rieseln und Sickern des schmelzenden Schnees im Waldboden.
Ein dünner blauer Rauch steigt aus der Schneise empor und füllt die Luft mit starkem Harzgeruch. Wie Weihrauch und stilles Opfer zu geheimnisvoller Weihe zerfließt er über den Wipfeln. Der Wald duftet stärker als zuvor. –
Wir treten auf eine weite Lichtung hinaus. Wie ein schimmernder Saal mit silbernem Teppich liegt sie da, rings vom schweigenden Walde wie von dunklen Wänden umschlossen. Dicht am Walde liegt das kleine Vorwerk mit weißem Schneepelz auf dem Dache. Alles ist still und fügt sich einfach und schlicht in die große heilige Ruhe. Ein mächtiger Baum in der Nähe, herrlich nach allen Seiten gleichmäßig entwickelt, steht da wie der stille Wächter dieser Einsamkeit. Die leere schneefeuchte Bank an seinem Stamm unter den schirmenden Zweigen ist heute ein starkes Sinnbild der Verlassenheit oder Vergessenheit. Wie mag im Sommer unter seinem grünen Dach das Leben eine Stätte haben. Dort rastet der einsame Wanderer, dort ruht der Schnitter und genießt sein einfaches Mahl, dort lacht und spielt fröhliche Jugend und die wandernde Horde lustiger Vögel, dort sitzt im sinkenden Tagesschein das Liebespaar und lauscht dem Flöten der Singdrossel hoch oben im Gezweig. Ein Baum, um den alle Poesie von Wald und Wiese und stillen Wegen wirkt und webt.
Der Wald nimmt uns wieder auf und nach kurzer Wanderung zwischen seinen schneebehangenen Zweigen öffnet sich eine neue Lichtung, der Mörtelgrund. Wie ein breites silbernes Band liegt er zwischen den dunklen Fichten, quer den Wald durchschneidend und einen weiten Blick aufwärts und abwärts gewährend. Oberhalb zieht sich die Staatsstraße, mit einem Brückenbogen den Bach überspringend. Nach unten schweift der Blick in die Ferne. An der Straße hier liegt aber ein stiller Teich, auf dessen Damm gewaltige Fichten wie stolze Türme sich erheben. Weit breiten sich die untersten Zweige fast dicht über den Boden hin. Ebenmäßig bauen sich die Prachtgestalten auf und ein Flüstern geht durch ihre dichten Nadeln, als raunten sie Geheimnisse aus alter kühner Heldenzeit, als wüßten sie Kunde von seltsamen Abenteuern und Märchen des Waldes oder von der schönen verwunschenen Fei im kühlen Wasser, dort unter dem grünlichen Eis, verwunschen und verzaubert im gläsernen Sarge. An den Nadelspitzen hängen tausende funkelnder Tropfen wie Perlen, als hätte ein Weihnachtswunder den köstlichen Schmuck gezaubert. Da regen sich sachte die Zweige und wie schimmernde Tränen fallen die Tropfen nieder mit leisem feinen Klingen.
Die Wasserfei lauscht, denn es klang an der gläsernen Decke, als pochte schon der Frühling an, um den Zauberbann zu lösen, der sie verschlossen hält. – Ach[112] lausche nur, der Frühling ist noch weit und ferne die Zeit, dich auf der duftigen Wiese im Mondschein im Tanze zu wiegen und Blumenkränze in deine fliegenden Locken zu flechten. – –
Durch Wald geht es weiter, und dann treten wir auf freie Höhe hinaus. Entzückt schweifen die Blicke über die reinen edlen Linien der Berge, welche sich in langen Zügen in den Himmel schwingen, zarter und zarter, bis sie in weiter Ferne verblauen. Dicht vor uns ist der Schwartenberg mit breitem Rücken. Rehbraun und weiß ist das Gewand gescheckt, das er über seine breiten Schultern gelegt hat, und in unendlich feinem Tone mischt sich ein zartes Veil und Blau hinein. Ja, du trägst nicht Sorge um moderne Farbenstellung deines Kleides und was die kleine Welt dort unten zu deinem Gesicht und deinem Wesen und Kleid sagt. Ob Sonnenstrahlen um dein Haupt klingen und singen, ob der Sturm dir seine wilden Weisen schnaubt und heult, du lächelst im fröhlichen Gewand dem Frühling, du schaust im rechten Feierkleide dem Winter ernst und versonnen ins grimme Gesicht. – Wie still und weit wird doch das Herz, wenn es fern vom lauten Troß und Trieb der Niederung so in die schweigende Bergwelt des Winters schaut. Wie fühlt man so tief, daß echte Werte nicht im Lärm, sondern nur in der großen Stille sein können. Schweigen ist Kraft, Schweigen ist Tiefe. In dieser heiligen Stille fällt alles Äußere ab und der Kern, Wesenheit und Wert der Dinge wird offenbar. Wohl dir, wenn du ohne Lüge bestehst, der Stille ins tiefe Auge sehen kannst, wenn die Stille dir noch etwas sein und geben kann. – – –
Der Weg senkt sich allmählich. Aus dem Talgrunde steigen Türme und Mauern in malerischer Gruppe auf: Schloß Purschenstein und zu seinen Füßen die Dächer und Giebel von Neuhausen. Der Weg ist stark vereist und nicht ohne manches Ausgleiten und heiteren Fall führt er uns ins Dorf hinab.
Heute wollen wir hier nicht rasten, so lockend auch die Bäume des Parkes und das Schloß und das behäbige Gasthaus winken. Auf steilem Wege geht es weiter und an der Flanke des Schwartenberges empor. Hei, das war ein Klettern auf dem blanken Eis, wo oft nur der feste Wanderstab vor jähem Sturz und Abgleiten bewahrte und manchesmal nur ein rascher Griff in das Gestrüpp oder nach einen Baumstamm die unfreiwillige rasche Talfahrt ohne Schlitten auf den eigenen gewachsenen Kufen verhütete. Wir erreichen einige einsame Höfe und gehen dann über eine Schneefläche auf ebenerem Höhenweg dahin. Wie liegt die Welt so fern und klein unter uns. In weiter Ferne der Kirchturm von Sayda. Davor der Wald, den wir durchschritten. Im Tale einige Dächer und Häuser wie vergessen und verloren. Die Dinge der Niederung sind klein geworden, das Große, Erhabene zieht den Blick an. Die Augen schweifen in die Runde und können sich nicht satt trinken an all der keuschen Herrlichkeit der Berglinien und dem Dufte der Farben vom leuchtenden Weiß zum tiefen Blau und Grün, vom zartesten Braun bis zum satten Veil dort in den tiefen Gründen der Täler und Wälder.
Höhenluft! – Wie atmen wir darin auf, wie atmen wir so tief und frei und unsre Seele atmet mit, denn um uns und in uns ist das große stille Leuchten, das man erlebt, wenn man Höhenwege wandert hoch über dem Alltag.
[113]
Oben über uns reckt sich eine Felsengruppe in die Luft, als wäre sie der Stuhl eines Gewaltigen, der von hier aus sein weites Reich überschaut, dem die Wälder Teppiche und die Berge und Täler Stufen seiner Herrlichkeit sind.
Unter einer alten knorrigen Buche am Wege stehen wir. Sie ist vom Sturm zerzaust und die Äste recken sich trotzig wie feste Arme mit starken Muskeln und Gelenken dem Wetter entgegen, als wollten sie mit dem ungestümen Gesellen raufen. Der Schnee liegt in weißen Wuchten im struppigen Gezweig und es fällt ab und an ein nasser Klumpen hernieder. Wir aber stehen und schauen in das große stille Leuchten hinaus.
Durch tiefen Schnee ging es dann weiter und schließlich abwärts ins Seiffener Tal, zuletzt auf steilem Fußwege hinunter. Tiefe Schneewehen boten hier willkommenen Halt auf dem vereisten steilen Pfad gegen den Absturz. Watend und springend, rutschend und fest den Wanderstab einsetzend gelangten wir glücklich zu den ersten Häusern am Hange, wo der Weg ebener und sicherer wurde und uns bald an winzigen Erzgebirgshäuseln vorbei auf die Talstraße führte.
Nur wenige Schritte noch und unser Ziel ist erreicht, das Erbgericht, das Bunte Haus! Helle leuchten uns seine blanken Mauern und Fenster entgegen. Ein Querhaus und zwei Flügel umschließen einen offenen Hof, als breiteten sich uns offene Arme entgegen: »Seid willkommen, hier ist gut sein, hier magst du rasten und weilen und mag es dir wohl werden.« Dort über den Fenstern grüßt gar vertraut Alt-Freibergs Bergparade vom langen gemalten bunten Holzschild.[114] Ja, wahrlich, es ist recht, hier der alten Berghauptstadt des Landes und ihrer Bergherrlichkeit zu gedenken in so sinniger und sinnfälliger Weise, denn von ihr ging die Kultur des Landes aus, ward die Wildnis des Miriquidi gerodet und besiedelt, wurden die Erzgruben des Gebirges erschlossen. Der Name Erzgebirge wurde erst im sechzehnten Jahrhundert üblich, als an vielen Stellen Erz entdeckt und Bergstädte wie Annaberg, Marienberg, Jöhstadt usw. gegründet wurden.
Vorher hieß es nach den Worten eines alten Dichters:
Auch Seiffen dankt ja seinen Namen und Entstehung dem Bergbau, der zwar längst zur Rüste gegangen ist, aber überall seine unverwischbaren Spuren hinterlassen hat. Der Bergmann ist ja auch immer ein Basteler gewesen. So ist es kein Wunder, daß oft aus dem Zeitvertreib ein Beruf wurde, und als der Bergbau seinen Mann nicht mehr nährte, statt Schlägel und Eisen das Schnitzmesser den Lebensunterhalt verdienen mußte. Seiffen wurde allmählich der Mittelpunkt und Hauptort der Spielwarenindustrie. Es wurde aus einem alten Bergmannsdorf der Typus des erzgebirgischen Schnitzer- und Industriedorfes, wo eigenartige Gegensätze sich berühren. Und hier das »Bunte Haus« ist so recht das Heim und der Ausdruck dieser erzgebirgischen Volkskunst und Volksindustrie geworden, einer Weihnachtskunst, bei der man fröhlich und ein Kind wird wie zu Weihnachten, in der man sich heimisch und wohl fühlt, als erzählte Großmutter ein Märchen aus der Zeit »Es war einmal«.
Vom hübsch geschmiedeten Arm an der Hausecke grüßt uns der Spruch:
Jawohl, viele suchen die Heimat und können doch nie heimfinden, viele haben die Heimat und halten sie nicht. Heimat ist kein leerer Ortsbegriff, Heimat ist eine Herzenssache. Wer kein Herz hat, wie will der die Heimat finden oder halten?
Möge die Kunst der Heimat der Heimat eine Seele geben, welche jene vielen wieder zu rechten Heimatfreunden, Heimatkindern, mit Herzen voll heimwehen Heimatstolzes macht. –
Hier im Bunten Hause ist der wohlgelungene Versuch gemacht, durch die Heimatkunst des Ortes ein echt erzgebirgisches Heimathaus zu machen, in welchem man das Herz der Heimat pochen fühlt und hört. Was der Hausspruch sagt und wünscht, das mag wohl sicher in Erfüllung gehen:
Doch nein, nicht nur für die Nachwelt, nein für das bunte freudige Leben des Tages und seiner Gäste ist das Haus geschaffen.
[115]
Ein frohes Behagen umfängt uns, treten wir unter sein Dach. Der Hauptschmuck des geräumigen Hausflures ist die Gestalt eines Freiberger Bergmannes, der auf einer Konsole kniet bei der Arbeit vor Ort mit Schlägel und Eisen. Der Bergmann ist – oder leider vielmehr war – ja die Charaktergestalt des Erzgebirges. Bergleute sind Wappenhalter bei erzgebirgischen Städtewappen. Bergleute sind die Träger erzgebirgischer Kanzeln, Bergleute sind in den alten Bergstädten Schmuckfiguren an Bürgerhaus und Portalen, in Kirchen und an Geräten. Der bergmännische Gruß »Glückauf« klingt dir oft noch treuherzig entgegen. Bergleute sind das Spielzeug großer und kleiner erzgebirgischer Kinder. So mag auch hier, wie nirgends, der Bergmann an seinem Platze sein.
Wir treten in die Gaststube ein und fühlen uns wie zu Hause in warmer Behaglichkeit. Die Wände sind dunkelbraun getäfelt und rings von den Simsen klingt es uns wie Kinderlachen und Weihnachtsjubel aus frohen Kinderherzen entgegen. Da ist sie aufmarschiert, die ganze bunte lustige Gesellschaft, ohne die Weihnachten im Erzgebirge nicht denkbar ist: die Bergleute und Weihnachtsengel mit ihren Lichtern, die Nußknacker im buntesten Wechsel, die Räuchermännlein in allerlei abenteuerlichen Gestalten. Pferdchen, Kühe und Schafe und der getreue Spitz dürfen nicht fehlen. Über den bunt mit Blumen bemalten Türen, wie wir sie von den alten Bauernschränken kennen, ist hier der Frachtwagen auf der Wand gemalt mit seinen vier starken Pferden, wie er einst auf den Straßen des Gebirges[116] verkehrte, dort der Postschlitten in voller Fahrt. Kein Plakat, wie sonst in Gaststuben, stört mit aufdringlicher Reklame die Harmonie des Raumes. Einfach gerahmte Bilder aus der erzgebirgischen Heimat von Künstlerhand schmücken die Wände, deren oberen Abschluß ein starkes farbiges Friesband – Ähren mit bunten Feldblumen – bildet. Durch die Fenster strömt das volle Licht herein, denn sie sind frei von unnützen Gardinen und Stoffgehängen. Dafür schmückt ein starker farbiger Fries von Blumen die tiefen Fensterlaibungen und vor den Scheiben hängen gute Glasbilder in farbiger Bleiverglasung mit Darstellungen eines drolligen Musikantenvolkes voll köstlichen Humors. Eine wohltuende, satte, tiefe, harmonische Farbigkeit erfüllt den Raum wie ein voller echter Klang, der von allen Sinnen aufgenommen wird und warm zum Herzen dringt. Die kräftigen gut geformten Holzstühle und Tische laden ein zu behaglicher Rast und helfen das Gefühl des Daheimseins steigern, weil sie sich ganz in die Raumstimmung fügen. Die Teller, von denen du speist, die Tassen, aus denen du trinkst, sind buntbemaltes Bauerngeschirr, wie wir es aus der Verkaufsstelle des Heimatschutzes kennen und lieben. Welche Freude ist es, hier im täglichen Gebrauch einer Gastwirtschaft dieses reizvolle Geschirr in passender Umgebung zu sehen und die Lust an seiner echt volkstümlichen Art zu empfinden. Durch dieses Hineinstellen der Ergebnisse liebevoller heimatlicher künstlerischer Arbeit, Forschung und Begeisterung mitten in den Gebrauch des praktischen Lebens ist eine Tat getan, durch welche die hohen Gedanken des Heimatschutzes[117] und volkstümlicher Kunstpflege, Kunstschaffens und Kunstfreude mächtig gefördert werden, um so mehr, als es an einem Orte geschieht, in dem die Erziehung zum guten Geschmack sich unmittelbar in der täglichen Arbeit auszuwirken vermag.
Mit wie einfachen Mitteln auch schwierigere Fragen gelöst werden können, das zeigt die elektrische Beleuchtung. Sie hätte leicht die Raumstimmung stören können, wenn die Birnen mit den Glasschalen im Raume pendelten oder irgendeine Dutzendware als Beleuchtungskörper diente. Wie half sich der Künstler, der die ganze Einrichtung durchdacht, angegeben und durchgeführt hat, der Kunstgewerbler Gerhard Dreßler aus Chemnitz? Er bemalte den Glasschirm der Pendellampe in kräftiger Stilisierung mit bunten Bauernblumen. Auf den Glasschirm legte er einen bemalten Holzreifen, wie man sie in Seiffen dreht, und ließ von ihm bunte Bänder herabhängen. Auf dem Holzreifen aber ist allerlei Seiffener Spielzeug lebendig. Da sitzen allerlei Vögelchen und schauen mit drolliger Kopfbewegung keck herunter. Da jagt der Hirsch durch den Wald, verfolgt vom Jäger mit seinem Hund. Kein Beleuchtungskörper ist wie der andere und doch alle einheitlich und ein Schmuck des Raumes von echt volkstümlicher Seiffener Heimatart. Der Hauptschmuck ist ein großer Kronleuchter, nach Art von Kristallkronleuchtern gestaltet, jedoch aus weißen Holzperlen zusammengesetzt mit sparsamer Vergoldung, ein mühsames eigenartiges Stück Seiffener Kunsthandarbeit.
In einem Glasschranke sind allerlei Musterstücke der Seiffener Kunst ausgestellt, um die Kauflust anzuregen und damit dem Orte zu dienen. Der Schrank wirkt freilich in seiner Form mit den geschwungenen Linien und krausen Schnitzerei und Spitzchen des oberen Abschlusses hier etwas fremdartig, als habe er sich hierher verlaufen und verirrt aus einer anderen Welt. Das hat der Künstler wohl empfunden und hat ihm, ohne helfen zu können, ein paar Bauernblumen auf die Stirn und unten an den Schubkasten gemalt. So wirkt er in der echten einheitlichen Raumstimmung gekünstelt und falsch, wie der Salontiroler in der Dorfschenke. Auch das Klavier dort an der Wand wird dadurch, daß auf die schwarze Politur ein paar kecke Bauernblumen gemalt werden, nicht »echt«, wird nicht aus einem Salonwesen zu einem erzgebirgischen Bauernkind. – Gerade auf diesem Gebiete liegen noch viele ungelöste Aufgaben, würdig der Mühe tüchtiger Künstlerhände. Die Gewohnheit läßt oft Mängel auf diesem Gebiete übersehen, die in einer neuen fein abgestimmten echten Umgebung plötzlich auffallen und die Sehnsucht nach Neubildung und neuem Leben und Schaffen hervorrufen. Im neuen Lichte sieht man alte Formen, und klarer sieht man, was not tut; den falschen Ton einer Saite hört man schärfer, wenn alle andern Saiten und Instrumente gut gestimmt sind, wie hier. Doch diese kleinen Unstimmigkeiten sollen uns die herzliche Freude und das Behagen an dem stimmungsvollen echt erzgebirgischen Raum nicht stören. Die herzliche Freundlichkeit der Besitzer und Bewahrer dieses Seiffener Schatzkästleins, des Herrn Richard Meyer nebst Gattin, die frohmutig das Ganze liebevoll erdacht und geschaffen haben, die Güte der Bewirtung und die Fröhlichkeit der Gäste lassen bald jene Stimmung aufkommen, in der der Alltag weit hinter uns liegt. Nicht in Lärm und jagendem Witz und Scherz, nein, in jener tiefen freudigen Stimmung sind wir beieinander, in der einer den anderen versteht, und freudig aus seinem Innern[118] gibt, weil er fühlt, nur so kann eine gute Stunde ihren Wert als wahrhaft frohe Stunde bringen. –
Wir betrachten dann den Nebenraum, der im Gegensatz zu der echt volkstümlichen Seiffener Stimmung der Gaststube mehr auf hohe Kunst und »Herrenstube« gestimmt ist. Er wird beherrscht von den Gemälden mehrerer Künstler, welche hier das hohe Lied der Schönheit heimatlicher Landschaft singen. E. Buchwald, Zinnwald, Alfred Hofmann, Stollberg, Alfred Kunze, Chemnitz, Professor Seifert, Seiffen, der Neubeleber und Anreger der Seiffener Kunst, und Gerhard Dreßler, der Künstler, dem die stimmungsvolle Einrichtung des Hauses hier zu danken ist, sie alle reden dort mit stummer eindringlicher Sprache von der Heimat, wie sie ihnen dort durch die Seele gegangen ist, und ihre Bilder beseelen den Raum. Ein Gasthauszimmer, ein Kneipenraum, und doch geweiht und frohmachend durch die Kunst.
Wie muß man dem mutigen Unternehmer danken, diese Lösung der Frage »Kunst und Kunsterziehung« für das Volk, so fest angepackt und durchgeführt zu haben hier oben im erzgebirgischen Dorfe, während in den Großstädten auch in den besten Gaststätten meist nur Plakate oder minderwertige Kunst oder Kitsch zu finden ist. Wenn nur in jeder besseren Gaststätte im Lande nur ein oder zwei Originalkunstwerke hingen, angeschafft für das Geld, das anderweitig für die Augen- oder Ohrenmarter der Gäste hinausgeworfen wird und besser erspart bliebe, so wäre unserer notleidenden Kunst geholfen und durch die Erziehung und Freude, welche jedes echte Kunstwerk gibt, würde reicher Segen geschaffen. Könnten[119] nicht die vornehmeren Gaststätten zugleich stimmungsvolle Ausstellungsräume sein für Kunstwerke, die sich hier dem Käufer in jeder Beleuchtung zur ruhigen Betrachtung darbieten und für sich und den Künstler unaufdringlich werben können in Räumen, die der heimischen Wohnung ähnlich sind? Alle Teile, der Wirt, der Gast, die Kunst und der Künstler hätten ihren Vorteil dabei.
Solche Betrachtungen und Lehren regt die Herrenstube hier im Seiffener Erbgericht an, während die Sonne durch die bunten Scheiben blinkt und leuchtende Farbenflecken auf die blankgescheuerten Tische wirft. In den Fenstern sind buntfarbige Wappen und Tierbilder: wie Elster, Eichhörnchen, Fuchs, Hase angebracht, und oben im Laubwerk und Nadelgezweig des breiten Wandfrieses tummelt sich fröhlich allerlei Getier des deutschen Waldes frisch und keck ohne ängstliche Schablone hingemalt, wie es der Phantasie des Künstlers entsprang. So regt es auch wieder die Phantasie an und macht die Gedanken fröhlich.
Die Balken der Decke sind sichtbar mit grünem Anstrich, und ringsherum läuft ein Fries in Breite des Balkenfeldes mit lustigen Blumenkränzen in Grün, Weiß und Hellblau auf schwarzem Grunde. Eine besondere Zierde des Raumes sind neben dem Holzleuchter an der Decke mit einem Bergmann in der Mitte noch die geschnitzten dreiarmigen Holzleuchter auf den Tischen, welche in ihrer leuchtenden Farbigkeit und mit ihren fröhlichen Motiven das Auge anziehen. Als Mittelstück zwischen den drei Armen sprengt dort z. B. ein Reiter im leuchtend roten Rock mit einem Jagdhorn auf einem Apfelschimmel über ein Fichtenbäumchen hinweg, dort ist es ein stolzer springender Hirsch, dort wieder der Kopf des Hubertushirsches mit dem Kreuz zwischen den mächtigen Stangen. Das ist Volkskunst, welche erzählt, welche Seele und Gedanken hinausführt aus dem grauen Alltag in Wald und Heide und das Herz fröhlich macht. – –
So geht es dir im ganzen Hause! Soll ich jeden Raum dir schildern? Nein, komm und sieh und freue dich, daß ein solches Werk in einem Gusse ganz aus dem Geiste der Volkskunst, der Heimatfreude und des Heimatschutzes heraus geschaffen ist. Schaust du in die Gastzimmer, so findest du keine Hotelschablone. Nein, Bett und Leuchter, Tür, Stuhl und Spiegel sind dem Geiste des Ganzen angepaßt. Kleine Originalgemälde schmücken die Wand, die du, wenn sie dir besonders gefallen, sogar für mäßigen Preis erwerben kannst. Manch launiger Vers grüßt dich. An der Kammer der Magd steht warnend der Vers:
Auf dem Treppenplatz im Dachgeschoß füllt die Ecke gewichtig ein bunter alter Bauernschrank aus dem Jahre 1704 und eine eigenartige buntgemalte Wiege steht daneben, welche auf dem Kasten den bedeutsamen Spruch trägt:
In einem Zimmer des Obergeschosses ist eine erzgebirgische Bauernstube eingerichtet mit allerlei echtem Geräte bis ins Kleinste liebevoll und mit großem Verständnis[120] ausgestattet. Dieser für die Volkskunde belangreiche Raum ist so recht ein Zeugnis für den Sammeleifer und die liebevolle Art, mit der die großen und die vielen kleinen, doch oft so wichtigen Dinge des täglichen Lebens und untergehender Sitten und Gebräuche erfaßt und bewahrt werden. Es ist zugleich auch ein Zeugnis für den Geist, der durch das Bunte Haus geht, der alles aus Liebe zur Sache mit großen Opfern geschaffen und nicht der Reklame und des bloßen Gewinnes wegen, obschon auch hier die alte Wahrheit sich wieder erweist, daß das Echte und Schöne und Gute seinen Lohn sich selbst bereitet.
Das Haus dient dem Orte und der erzgebirgischen Volkskunst und Industrie in unaufdringlicher vornehmer Weise dadurch, daß es durch die lebendige Anschauung zwanglos bei jedem Gaste Freude daran erweckt und die Lust am Besitze solcher lustigen Dinge.
Dieser Absicht dient auch die Spielwarenausstellung im Erdgeschoß des Seitenflügels, wo man an der Fülle alter und neuer Stücke der Seiffener Industrie und Kunstfertigkeit seine Freude hat und nach Herzenslust wählen darf, was man sich oder anderen zur Freude erwerben mag. – – –
Doch draußen lacht die Sonne! Es hält uns nicht mehr im Zimmer. Wir steigen zur Kirche aufwärts, welche als achteckiger Zentralbau charaktervoll von der Höhe herniederschaut. Wir stehen dann am Grabe des Pfarrers Härtel, der ein rechter Pfarrer für seine Gemeinde war, ein treuer Berater für die Seele seiner Gemeinde, Helfer und Anreger auch in allen Dingen, die zur Blüte seiner Gemeinde in wirtschaftlicher, heimatkundlicher und kunstgewerblicher Hinsicht beitragen konnten, ein Freund der Heimat, festgewurzelt im Boden seiner geliebten Gemeinde.
[121]
Draußen im Walde hatte er sein Lieblingsplätzchen, wo er von moosiger, gewachsener Felsbank ins Tal schaute. Dieser Stein aus heimischem Grund sollte sein Grabstein werden, hatte er einst gewünscht.
Als ein rascher Tod ihn seiner Gemeinde entriß, da dachte man seiner Worte. Er konnte nicht mehr zum Stein im Walde draußen gehen. So kam der Stein aus dem Walde zu ihm und deckt nun als mächtige rauhe Platte sein Grab und schützt es wie der Deckstein das Grab eines germanischen Edelings. Eine schlichte Inschrift nennt seinen Namen. Ein grüner Kranz aus ernsten Fichtenzweigen ist sein Schmuck.
Eine weihevolle ernste Stimmung liegt über dem Grabe. »Der ist in tiefster Seele treu, der die Heimat liebt wie du!«
Wir schreiten weiter unter der Traueresche hindurch, welche wie ein mächtiger Torbogen die Straße überwölbt, und als ein eigenartiges Naturdenkmal von besonderem Reiz zu hegen ist. –
Die Binge ist unser Ziel. Zwei Kessel sind es, aus denen einst das Erz gebrochen wurde. Eine Halde und steiler Felsgrat liegt zwischen ihnen und trennt sie. In die kleinere kann man hineingehen. Sie wirkt wie ein ungeheurer Steinbruch mit steilen Wänden, auf deren Vorsprüngen und Kanten heute der leuchtende Schnee liegt und die Farben des Gesteines besonders hervorhebt. Oben von der Höhe zwischen den Bingen haben wir einen weiten Blick ins Land und auf den Ort zu unseren Füßen.
Wie auf einer gewaltigen Kanzel stehen wir hoch über der Geschäftigkeit des Tages, die verworren zu uns heraufklingt. Dann steigen wir zur großen Binge herab auf vereistem Wege, der glatt und nicht ungefährlich uns dicht am Rande dieses ungeheuren wildromantischen Kraters entlang führt. Ein Wasser stürzt jenseits rauschend in die Tiefe und Eiszapfen hängen von dem Gestein wie schimmernder[122] Spitzenbehang. Aus dem Grunde ragen Bäume auf und drüben am Rande stehen echt erzgebirgische niedrige Bergmannshäuser. Längst ist der Bergbau hier erloschen, aber sein unverwischbares Gepräge hat er dem Orte gegeben. – –
Doch jetzt wollen wir noch Seiffen bei der Arbeit und bei der Kunst suchen und erleben.
Unser Weg und unsere Wißbegierde führt uns in die Fachschule, die unter Professor Seiferts Leitung ein Jungbrunnen für die Seiffener Industrie zu werden bestimmt ist. Eine reiche Sammlung von Seiffener Spielzeug von ältester Zeit her zeigt, wie die Entwicklung von einstiger Höhe zur Tiefe abwärts und in der neueren Zeit wieder zur Höhe aufwärts ging. Neben den alten guten Sachen fesseln uns vor allen die Dinge der Gegenwart und Zukunft, die Dinge der Hoffnung, neuzeitliche Arbeiten, die in echt erzgebirgischer Art die fröhliche Farbenbuntheit mit immer wieder neuen Formgedanken in materialgerechter Bildung und Herstellung verbinden. Über vielen Arbeiten liegt ein frischer Humor, der uns unwillkürlich lächeln läßt, wie bei jener Familie bunter Vögel, die mit ihren drehbaren Köpfchen sich um ihren gravitätischen Vogelkönig mit dem großen Schnabel und goldenem Krönchen scharen und mit aufgehobenen Schwänzchen bald keck, bald dummdreist, bald fröhlich in die Welt gucken. Kindeseinfalt, Märchensinn und Schelmerei sind mit scharfer künstlerischer Naturbeobachtung verbunden, um in einfachster Form und Technik echte Vogelcharaktere zu geben und echtes kinderseliges Spielzeug zu schaffen. Und doch ist es so schwer, wie man uns sagt, diesen köstlichen Dingen Eingang ins Volk zu schaffen! Zur Anfertigung z. B. dieser Vögel hatte sich nur eine Fabrik seinerzeit bereit gefunden, welche inzwischen den Betrieb eingestellt hat. Diese Dinge werden aus dem Handel völlig verschwinden, wenn nicht ein anderer Betrieb sie wieder aufnimmt und für den Vertrieb sorgt. Wir sehen in der Ausstellung z. B. auch das köstliche Gespann eines Ochsen und Pferdes vor einem Wagen mit Holzstämmen von einer verblüffenden Naturwahrheit und Echtheit in der Bewegung bei aller packenden Einfachheit der Form und Technik, daß man seine helle Freude daran hat. Auch dieses prächtige Werk echt deutschen Kindersinnes wird in deutschen Spielzeughandlungen wenig gekannt, geführt und gekauft. England und Amerika sind die Abnehmer. Und doch sind gerade diese Dinge, welche die künstlerische Leitung der Fachschule schafft und mustergültig durcharbeitet, die Hoffnungen für einen neuen Aufschwung im künstlerischen und wirtschaftlichen Sinne für die Seiffener Industrie. Sie sind die gesunden Keime einer kräftigen zukunftssicheren Entwicklung und einer reichen kommenden Ernte.
Wenn die erstarrten und veralteten zum Teil unnatürlichen und unschönen oder gekünstelten Formen, welche noch vielfach den Spielzeugmarkt und die Musterläger beherrschen, diesen schönen Dingen weichen würden und den reichen Anregungen der Fachschule mehr nachgegangen würde, so wäre eine neue Blüte erzgebirgischer Kunstindustrie zu erhoffen. Das Schöne muß Massenartikel werden.
Da hängen z. B. in der Ausstellung eine Fülle von reizvollen bunten Leuchtern aus Holz in einfacheren und reicheren Formen und Ausgestaltungen nach Motiven der alten erzgebirgischen sogenannten Bergspinnen gefertigt und belebt mit allerlei[123] lustigen Figuren. Wer kennt diese köstlichen Dinge? Sprudelndes Leben, volkstümliche Kraft und bunte Farbenfreude spricht aus jedem Stück. Wie geschaffen sind sie, um im Kinderzimmer, im Herrenzimmer, auf der Diele, oder in traulichen Gaststuben einen frohen Klang erzgebirgischer Heimatkunst, Heimatlust und Freude zu tragen. Sie haben sprühende, lebendige Ursprünglichkeit und farbenreiche Musik in allen Gliedern, wie ein Volkslied, das durch alle Stimmungen reißt, innig empfunden und frisch aus dem Herzen gesungen.
Sie sind wahre Volkskunst eigener echter Prägung und Art, durch welche das Erzgebirge seinen Ruf in ungeahnte Fernen zu tragen vermag, denn nicht die Schablone, nicht die Allerweltsartikel, nicht die Billigkeit begründet den Ruf und Erfolg, sondern die Eigenkunst, die Eigenkraft, der Eigenwert, die volkstümliche Eigenart, welche lebendig aus dem tiefsten Empfinden der Volksseele herausgewachsen ist. Möge sich mit dieser volkstümlichen Eigenkunst der echte Unternehmergeist verbinden, der im Betrieb und Vertrieb auch die wirtschaftlichen Erfolge für die erzgebirgische Heimkunst herbeizuführen weiß. – Trotz vieler köstlicher Dinge, die aus der Fachschule noch zu berichten wären, z. B. Christmetten in Seiffen in wunderbarer Lebendigkeit figurenreich hingestellt, müssen wir scheiden. Wir gehen noch durch mancherlei Häuser und Fabriken, um einerseits die Heimarbeit, andererseits die Reifendreherei und die bis ins Äußerste getriebene Arbeitsteilung der Seiffener Industrie kennen zu lernen, wo mancherlei bemerkenswerte Beobachtungen, Bilder und Gespräche uns lohnten. Geht nur mit offenen Augen und Herzen in die Arbeitsstätten und ihr werdet stets reicher daraus wiederkehren! Hier will ich jedoch nur noch von einem Besuche berichten, bei Auguste Müller, einem Mütterchen von über 70 Jahren, welches als letzte noch die urtümliche Herstellung einzelner Originalstücke nach eigener Erfindung in mühevoller Handarbeit vom rohen Holze bis zum letzten Pinselstrich übt.
Mit gebeugtem Rücken, die Brille vor den Augen, sitzt sie im engen Stübchen, das Küche, Schlafzimmer, Wohnzimmer und Arbeitsraum zugleich ist, wo die Katze schnurrend umherstreicht. In malerischer Unordnung liegen auf dem Tisch Arbeitsgeräte, gekochte Kartoffeln, Nähzeug, Kaffeetopf und allerlei Dinge verschiedenster Bestimmung. Eifrig holt sie einen Kasten herbei mit einzelnen fertigen Arbeiten, und erzählt von ihren Plänen. Für einen feinen Herrn hat sie die Figuren der Söhne geschnitzt in Matrosenanzügen, und ein feines Fräulein mit Täschchen und Federhut. Im Walde lebt der »Nusser« (Häher) und diesen packt der Habicht. Da verliert er seine kleinen blauen Federn. Diese sammelt sie sich und schmückt damit den Federhut des feinen Fräuleins. Für Kleid und Tasche sucht sie in der Modenzeitung ihre Muster in Schnitt und Farbe.
Für das Dienstmädchen wählt sie ein flottes Dirndlkleid. Frisch ist der Typus der feinen Dame und des drallen Dienstmädchens getroffen. Dort hat sie eine ganze Tiroler Sängergesellschaft humorvoll zusammengestellt. Jetzt wolle sie einen Tempel bauen mit einer Krone oben, um den die Engel schweben. So geht ihre Phantasie und ihr Plaudern mit einer erstaunlichen Lebendigkeit. Was sie sich zusammensinniert mit ihrer kindlichen Phantasie, das führt sie mit großer Sicherheit durch, wofür viele eigenartige und reizvolle Stücke in der Sammlung der Fachschule[124] und im Bunten Hause Zeugnis ablegen. Unter manche dieser Stücke klebt sie einen Zettel, auf dem irgendeine Schnurre oder scherzhafter Einfall notiert ist, der ihr vielleicht gerade Anlaß zu dieser Arbeit und ihrem Humor gegeben hat. So läßt sie ihre kleinen Personen reden und macht sie sich selbst lebendig. Sie lebt mit ihnen, sie sind kindlicher Ausdruck ihrer Stimmung. Auch ihr Name darf nicht fehlen. Ein stark abgeschliffenes Schnitzmesser ist ihr Handwerkszeug bei der Schnitzarbeit.
Das ist echte Volkskunst in ihrer ganzen Kindlichkeit, die noch in diesem alten Mütterchen lebt und webt, sie ausfüllt und geistig lebendig, zufrieden und rüstig erhält trotz aller Kärglichkeit und Sorge, welche der mühsame Erwerb bereitet; Volkskunst, wo in jedem einzelnen Stück die ganze Liebe und Freude des Herstellers an der Arbeit steckt und es wertvoll macht als Originalwerk, das aus der Seele des Volkes geboren ist. Volkskunst freilich auch, die nicht für den Massenexport und Lebensberuf geeignet ist. –
Wir scheiden von der Alten mit dem Wunsche, daß sie noch lange ihr Schnitzmesser führen möge als letzte Schnitzerin echt volkstümlicher Seiffener Kleinkunst. Ihre kleinen Arbeiten werden wohl bald in Sammlungen solcher Dinge gesucht sein.
Unsere Abschiedsstunde von Seiffen hat geschlagen. Wir setzen den Stab heimwärts aus dem Lande der Kinderträume, Weihnachtsseligkeit und Spielzeugherrlichkeit, in dem uns wohl war wie am Heiligen Abend. Wir scheiden vom Erbgericht und Buntem Haus mit Dank für die Behaglichkeit, Freude und Anregung, die wir so reich erfahren haben. Möge der Geist erzgebirgischer Volkskunst einer echten Weihnachtskunst, wie er hier seinen lebendigen Ausdruck gefunden hat, stärker werden, wachsen und überall in unseren Dörfern und Städten ein Daheim finden, möge er sie zur Pflanz- und Pflegestätte einer echten bodenständigen volkstümlichen Kunst und Kultur machen.
Nur die Pflege der Eigenart kann uns stark machen, abheben, herausheben von dem Gleichgültigen, aus der Masse, aus tödlicher Schablone. Wie unsere Berge ihren Charakter tragen, der auch in den Kindern der Berge sich ausprägt, so muß die Kunst des Gebirges zu immer größerer Echtheit und Eigenart sich durchringen und emporsteigen. Der innere Gehalt und äußere Wert können und werden durch die künstlerische Eigenart und Besonderheit wachsen und durch sie eine neue Blüte der alten erzgebirgischen Volkskunst gewinnen. Hebt euch, ihr Künstlerhände, zum Werke und zur Tat, wache auf, Phantasie mit Kindesaugen und Kindesherzen und schaffe neues Kinderglück, raffe dich auf, Unternehmergeist, zu frischem Wagen und neuer Unternehmung für alte und neue Kinderkunst. Und ihr alle, die ihr der Heimat Gaststätten bietet, denkt daran, auch der Heimatkunst gastliche Stätte zu bereiten. Glückauf allen wackeren Männern, die daran arbeiten, um so der Heimat neue Freude, Licht und Glück durch die Kunst zu schaffen. Glückauf!
[125]
Von Baumeister Richter, Flöha
Im Bezirk der Amtshauptmannschaft Flöha sind im Flöha- und Zschopautal im Laufe der beiden letzten Jahre eine Reihe Wohnhausneubauten erstanden, die auch der Heimatschutz als erfreulichen Erfolg seiner Arbeit buchen darf. Neben den Gemeinden haben sich hier sozial gesinnte Industrielle bemüht, der Wohnungsnot zu steuern und gleichzeitig Bauten zu schaffen, bei denen die alte, gute heimische Baukunst wieder zu Ehren kommen sollte. Zwei von diesen Anlagen sollen in dieser Zeitschrift zum erstenmal veröffentlicht werden.
In Flöha-Gückelsberg ist an der großen Chemnitz-Dresdener Heerstraße durch die Baumwollspinnerei G. F. Heymann ein Gruppenwohnhaus für neun Familien errichtet worden, und in Zschopau hat die Zschopauer Baumwollspinnerei auf dem Höhenrücken gegenüber dem Bahnhof ihre Siedlung »Grüne Aue« mit dreißig Wohnungen erstehen lassen. Beide Anlagen weisen gleichmäßig eine Reihe charakteristische Einzelheiten auf, aus denen sich liebevolles Eingehen auf die Eigenheiten, Lebensbedürfnisse und Lebensgewohnheiten der Bewohner verrät. Erzgebirgische Spinnereiarbeiter haben in den Wohnungen ihr Heim gefunden. Wenn sie nach Hause kommen von ihrer Arbeitsschicht – beide Werke arbeiten seit Jahren mit zwei Schichten am Tag – steht ihnen noch ein halber Tag Zeit zur Verfügung. Er wird genutzt. Der Erzgebirgler zieht in solcher Freizeit hinaus in den Wald und sammelt Holz und rodet Stöcke. Oder er zerkleinert Wurzeln auf dem Hof und schichtet sie säuberlich zu runden Meilern auf. In den warmen Monaten des Jahres gräbt und bastelt er auch gern im kleinen Gärtchen. Und im Winter, an den langen Abenden wandern das trockene Reisig und die dürren Wurzeln und Stöcke gemächlich in den massigen Herd des Wohnraumes, der Vater schürt behaglich das Feuer und schmaucht sein Pfeifchen dazu, und die Kinder hocken um den Küchentisch und beobachten die Arbeit der Mutter. Da will ein großer Wohnraum geschaffen sein mit einem mächtigen Ofen, der kocht und Wärme spendet, ein Raum in dem gleichzeitig die Familie wohnen und die Hausfrau schaffen kann. Der Spinner – und meist auch die Spinnerin – brauchen ein großes luftiges Schlafzimmer als Gegengewicht zur Arbeit im staubigen Fabriksaal. Die Sonne muß drin spielen können. Im Hof soll Platz sein für die mächtigen Holzmeiler. Und einen Schuppen im Hof braucht ein jeder für das Kleinholz, für seinen kleinen Handwagen und für seine Stallhasen. Die Hausfrau aber verlangt ihren Bleichplan mit dem Wäschetrockenplatz.
Auf all diese Bedürfnisse ihrer Arbeiter haben die Bauherrschaften im Verein mit ihrer Bauleitung, der Flöhaer Bezirkssiedelungsgesellschaft, sorgsam Bedacht genommen. Die Grundrißtypen fangen das Sonnenlicht auf, solange es sich einfangen läßt. Bei ihnen gibt es nicht mehr Straßen- und Hoffront, sondern nur noch Licht- und Schattenseite. Stets liegen Schlafraum und Wohnküche nach Süden. Immer liegt auch nur eine Wohnung an einer Treppe in einem Geschoß. Ein geräumiger heller Flur bietet Platz für Schränke und Kleiderablage, denn die staubigen Arbeitskleider und Schuhe gehören nicht in die Schlaf- und Wohnräume.[126] Ganz besondere Liebe ist der Wohnküche zuteil geworden. Immer hat sie zwei Fenster nach verschiedenen Himmelsrichtungen, so daß den ganzen Tag über die Sonne in ihr spielen kann. Der große Kachelherd fängt in seinem Turm die Wärme und gibt sie langsam wieder an den Raum ab. In die Fensterbrüstung ist die kleine Speisekammer als Schrank eingebaut. Mit Kellerraum ist jede Wohnung reichlich bedacht.
[128]
Am Gückelsberger Haus liegt nach Süden zu ein großer Hof mit abgegrenzten Holzplätzen von Schuppen eingefaßt. In der »Grünen Aue«, die sich an einen Wohnweg anschmiegt, sind die Bauwiche, die aus den baupolizeilichen Vorschriften entstehen, in ähnlicher Weise mit Schuppen zu Höfen eingerahmt und zu Holzstapelplätzen verwendet. Vor den Sonnenseiten der Häuser ziehen sich in langen[129] Reihen die Bleich- und Trockenplätze und die kleinen schmucken Gärtchen hin. Und aus den Fenstern der Schlafzimmer und der Wohnküchen kann der Blick weit hinausschweifen über die weiten Höhen und Täler, auf die massige blaue Augustusburg, in das herbe waldgrüne Zschopautal. Das ist Erholung für des Arbeiters Auge, Ruhe nach der Schicht zwischen den surrenden Spindeln und kreischenden Fleyern. Und auch nach außen haben diese Häuser ihr eigenes erzgebirgisches Gewand. Diese straffe, geschlossene und doch weiche Gliederung der Massen, die bodenständigen Bruchsteine des Sockelgeschosses, der freundliche Putzstreifen, die dunkle Brettverkleidung des Obergeschosses mit ihren leuchtend weißen Fensterteilungen und das blaue Schieferdach, hier und da ein freundlicher grüner Blumenkasten mit Geranien und Kresse! Ist das nicht die Farbenzusammenstellung, die jeden Wanderer erfreut, wenn er an den alten Häuschen der langen Gebirgsdörfer vorüberzieht?
Dabei hat nüchterne wirtschaftliche Erwägung diese Formgebung maßgebend beeinflußt, sie ist durchaus nicht etwa der Laune der Architekten entsprungen. Für das Fachwerk stand Heeresholz preiswert zur Verfügung. Gebrannte Ziegel waren knapp und teuer, aber Lehmziegel, sogenannte Grünlinge, standen noch in großer Menge in den heimischen Ziegeleien. Lehmbauversuche wollten weder die Bauherren noch die Bezirkssiedelungsgesellschaft anstellen und so wurde eben auf die altbewährte erzgebirgische Bauweise zurückgegriffen. Auch beim inneren Ausbau ist trotz der Abkehr von modischen Zeitströmungen und trotz sparsamster Verwendung der Mittel das Heim freundlich und liebenswert gestaltet worden. Zum Schluß mag noch anerkennend erwähnt sein, daß beide Firmen die Bauten, welche fast drei Millionen Mark kosteten, ohne irgendwelchen Zuschuß ganz aus eigener Kraft erbaut haben. Diese Selbsthilfe der Heimat in ihrer Not ist auch ein Stück Heimatschutz, still und geräuschlos, aber desto wert- und wirkungsvoller.
Dresdner Wanderbuch, ein Führer zur Kenntnis der Heimat für die Schule und für alle Naturfreunde, herausgegeben von Dresdner Erdkundelehrern. I. Teil: Grundlegende Wanderungen. (Wittich und Schobloch, Verlagsbuchhandlung, Dresden, Wachwitz). Preis M. 9,75[5].
[5] Für Mitglieder des Heimatschutzes M. 8,–. (Bestellkarte anbei.)
Mit dem vorliegenden trefflichen Wanderbuche hat unsere Heimatschule einen wertvollen Helfer erhalten. Die Veranlassung zur Herausgabe derartiger Wanderbücher, wie sie andere Städte (Leipzig) schon haben, gab eine Verordnung der Unterrichtsbehörde, die für höhere Schulen besondere Wandertage einführte. Es galt nun brauchbare Anweisungen zu schaffen, um die Unterrichtswanderungen möglichst fruchtbringend zu gestalten. Dieser Arbeit unterzog sich eine kleine Gruppe von Dresdner erdkundlichen Fachleuten, die sich unter Führung des Herausgebers Dr. P. Wagner zu einer Wander- und Arbeitsgemeinschaft zusammenschlossen und in dieser auf Grund eines für alle Klassen aufgestellten Wanderplanes zahlreiche Ausflüge unternahmen und so den Inhalt des vorliegenden Wanderbuches erarbeiteten. Das Werkchen soll als erster Teil den Leser im Angesicht der Natur allmählich in eine tiefere Auffassung der Landschaft einführen und ein Buchwissen voraussetzen. Der später folgende II. Teil wird auf dieser Grundlage weiterbauen und etwas tiefer schürfen. In dieser weisen Beschränkung liegt ein großer Vorzug des vorliegenden Buches; damit wird es ein brauchbarer Führer für die große Allgemeinheit.
[130]
In achtzehn Abschnitten lernen wir die Elbtalweitung und ihre Ränder, das Stadtbild, das Waldgebiet und das Industriegebiet des Döhlener Beckens kennen. Die letzten zwei Abschnitte sind dem Wandern nach der Karte gewidmet. Ein überreiches Material bietet das Werkchen auf seinen 132 Seiten. Der Leser, der vielleicht bis jetzt nur die landschaftlichen Schönheiten unserer Heimat empfunden, lernt erdkundlich sehen, sein Blickfeld weitet sich, und das Auge schaut, welche gewaltigen Kräfte am Werke waren und noch sind, um die heimatliche Landschaft zu gestalten. Der Elbkiesel am Ufer, der Steinbruch am Hange, die unscheinbare Bodenwelle im Tale, die Sanddüne des Hellers; sie alle reden eine Sprache, unverständlich dem größten Teil unserer Wanderer. Das Büchlein läßt uns erkennen, welcher Reichtum an Belehrung in unserer Dresdner Landschaft verborgen liegt, von dem wir bis jetzt vielleicht nichts ahnten. Auch der Menschenschicksale aus grauer Vorzeit wird gedacht, von denen die Funde der Dresdner Gegend erzählen. Mit anderen Gefühlen als bisher wird der Leser an der stattlichen Kirche von Briesnitz stehen, denn er weiß, daß er sich auf geheiligtem Boden der Heimatgeschichte befindet.
So wird das Wanderbuch nicht nur unserer Jugend, sondern jedem Naturfreund ein zuverlässiger Führer sein. Es führt zur tiefen Heimaterkenntnis, zur echten Heimatliebe und damit auch zum Heimatschutz. Deshalb kann unser Landesverein dem Büchlein im eigenen Interesse eine reiche Verbreitung wünschen.
Das Werkchen würde meiner Ansicht nach noch bedeutend an Wert gewinnen, wenn neben den reichen bodenkundlichen Betrachtungen auch Beobachtungen unserer heimatlichen Pflanzen und Tiere aufgenommen würden. Gerade hier sind Naturdenkmäler in Gefahr und ist eine Aufklärung unserer Jugend und Ausflügler sehr notwendig. Auch wäre es zu begrüßen, wenn die Dresdner Landschaft etwas weiter gefaßt würde und Gegenden, wie das Moritzburger Teichgebiet, das doch für Unterrichtswanderungen in Frage kommt, mit Erwähnung fänden. Vielleicht finden wir dies alles im II. Teil.
P. Bdt.
Sachsenland. Ein Heimatbuch von Otto Eduard Schmidt. Mit Zeichnungen von Herbert Hofmann und 3 Kunstbeilagen. VI., 419 S. 8°. 1921. Friedrich Brandstetter, Leipzig. Preis M. 30,– einschl. Teuerungszuschlag.[6]
[6] Für Mitglieder des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz Vorzugspreis M. 27,50. (Bestellkarte in diesem Hefte.)
Von einem Wandersmann ist das Buch zusammengestellt, mit der Absicht, viele anzuregen, Wanderstab und Rucksack aufzunehmen und sinnenden Geistes durch die Heimatgaue zu pilgern. Allzulange sind wir in die Fremde hinausgezogen, daß wir sie oft besser kannten als das Vaterland. Und nun soll es weiten Kreisen neu erschlossen, lieb und traut gemacht werden, damit alle wissen, was wir an ihm hatten und was wir an ihm haben können. O. E. Schmidt, der Mann der kursächsischen Streifzüge, ist ein berufener Führer auf solchen Pfaden. Wie er selber die Heimat sieht und schildert, das wissen wir aus seinen bisher so freudig aufgenommenen Schriften. In diesem Buche will er sie uns mit den Augen anderer Geleitsmänner zeigen, alter und junger, aber in der Hauptsache sind es Zeitgenossen, aus deren Werken er dieses Heimatbuch zusammengebracht hat. Und wie es gar nicht anders sein kann, finden wir darin fast alle Führer auf dem Gebiete des sächsischen Heimatschutzes vertreten: Paul Schumann, Karl Schmidt, Oskar Seyffert, Arno Naumann, Martin Braeß, Paul Rieß, Gerhard Platz usw. Daneben begegnen uns – um nur noch einige Lebende zu nennen – die bekannten Namen eines Deichmüller, Poeschel, Pank, Findeisen, Stübler, Otto Richter, Partsch, Blanckmeister, von Münchhausen, Löscher, Schwär u. a. So wirkt das Buch ganz modern, sowohl in seinen Prosabeiträgen wie in den eingestreuten Gedichten. Daß der feinsinnige, auf die Stimmung unserer Zeit vornehm reagierende Herausgeber im allgemeinen eine glückliche Auswahl getroffen hat, ist selbstverständlich. Man wird ihm auch darin gern beistimmen, daß er Sinn und Umfang des Begriffes »Sachsenland« nicht auf das vormalige Königreich beschränkt hat, sondern das ganze, durch die gemeinsame Kolonisationsgeschichte in seinen Wurzeln zusammenhängende Gebiet zwischen Saale und der schlesischen Grenze zur Darstellung bringt. Er gliedert demgemäß den Stoff in einem Überblick über das Land und seine Bewohner und in die sechs Kapitel: Die Elblandschaft von Schmilka bis Magdeburg; Das Tiefland zwischen Saale und Elster, Pleiße und Mulde; Aus dem erzgebirgischen Becken und dem mittelsächsischen Hügellande; Aus dem Vogtlande; Aus dem Erzgebirge;[131] Aus der Oberlausitz. Aber diese Abschnitte scheinen uns nicht alle mit gleicher Liebe und mit gleichem Glück behandelt zu sein. Wenn wir schon vom Vogtlande, diesem kerndeutschen und landschaftlich durchaus nicht reizlosem Teile Sachsens, gern eine reichere Auswahl geboten sähen, so vermissen wir besonders mehr charakteristische Beiträge zur Kenntnis von Land und Leuten der sogenannten Sächsischen Schweiz. Gewiß hätten die Zeitschrift »Über Berg und Tal«, das Werk über die Burgen der Sächsischen Schweiz, die prächtigen Geschichten von Wilhelm Schindler manch brauchbaren Fund ergeben. Das Gedicht »Die Sensen« von unserem trefflichen Findeisen atmet dagegen nicht im geringsten Bodenständigkeit, und Karl Gjellerups »Sommernacht in Schandau« kann man ebensowohl in Blankenese wie am Rhein oder an der Donau erleben. Um recht zu wirken, sind einzelne der von O. E. Schmidt aufgenommenen Beiträge überhaupt zu kurz abgerissen; man liest sie, hofft auf die Pointe, blättert um und sieht sich am Schlusse. Das muß bei aller Anerkennung des Buches gesagt werden, gerade weil es verdient, recht viele Freunde zu finden, nicht nur mit dieser ersten Auflage, sondern auch mit etlichen folgenden.
Es ist wohl geeignet, die Heimatliebe zu fördern, und das ist die Hauptsache. Glück auf!
Alfred Meiche.
»Vogelschutz« von seiten eines Forschers! In der ungarischen ornithologischen Zeitschrift »Aquila« veröffentlicht der Ornitholog Csiki »Positive Daten über die Nahrung unsrer Vögel.« Das ist ja an sich ganz schön, besonders für die Frage nach Schaden oder Nutzen der Vögel; auch Vogelhalter können vielleicht manches für ihre Lieblinge daraus lernen. Aber nun kommt die Kehrseite. Um z. B. die Nahrung unsrer Elster, die bekanntlich recht schädlich werden kann, genau festzustellen, hat der betreffende Forscher nicht weniger als 351 (!) Magen von Elstern untersucht. Man traut seinen Augen nicht, wenn man so etwas liest. Da werden in Ungarn alle möglichen Vorschriften erlassen und Einrichtungen getroffen, um besonders die Jugend für den Vogelschutz zu gewinnen, wogegen die Alten um so schlimmer unter der Vogelwelt aufräumen zu können meinen. Dem Herrn Csiki sollte wirklich einmal das Maßhalten nahe gelegt werden, zumal er doch, wie scheint, alle Vögel des Landes betreffs ihrer Nahrung untersuchen will. Es genügt eine wesentlich kleinere Ziffer von Einzeltieren, um befriedigende Ergebnisse nach der angegebenen Richtung zu erzielen.
B. Hffm.
Am 22. März 1921 hat in Krebes i. V. ein Künstler des Vogtlandes seine Augen für immer geschlossen, Hermann Vogel, der in drei Jahrzehnten als hervorragender Mitarbeiter der Münchener »Fliegenden Blätter« in aller Welt bekannt geworden ist, der aber, wie der Kundige weiß, als Malerpoet mit seinem Schaffen und Dichten tief in seinem vogtländischen Heimatboden wurzelt. Für die glühende Heimat- und Vaterlandsliebe Hermann Vogels (geb. 16. 10. 1854 in Plauen) geben viele seiner Bilder und Gedichte in den »Fliegenden Blättern« ergreifendes Zeugnis, vor allem aber auch seine phantasie- und humorvollen Bilder zu den Hausmärchen der Brüder Grimm (1892–1894) und den Kindermärchen von Rudolphi (1905). In Plauen, der Vaterstadt des Künstlers, soll in einem Hermann-Vogel-Zimmer des vogtländischen Kreismuseums eine Sammelstelle für das gesamte Lebenswerk des Künstlers, der ein Romantiker des Stiftes gewesen, geschaffen werden.
K. Rdgr.
[132]
Von Will Vesper
Auf einer Berghöhe, an einer Stelle, wo es nicht gerade sehr fruchtbar war, von wo man aber einen weiten Blick über Täler und Höhen, Seen und Wälder hatte, stand ein gewaltiger Baum. Er bedeckte mit seiner Krone beinahe den ganzen Berggipfel, so als hätte der Berg ihn wie eine große grüne Haube auf seinen Kopf gesetzt.
Eines Tages kam nicht weit von dem Baum ein Zimmermann vorüber, der mit seiner Säge und seiner Axt in den Wald ging, um Holz zu fällen; denn er machte Tische, Bänke, Stühle und allerlei Holzwerk. Der sah den Baum an und sagte zu seinem Gehilfen, der mit ihm ging: »Jetzt sieh einmal den Baum an. Was das für ein nutzloser und häßlicher Baum ist. Sein Stamm ist zwar dick genug und alle seine Äste auch, und doch kann man nichts damit anfangen; denn der Stamm ist so krumm, so verdreht und verwachsen, die Äste sind alle so vielmal um sich selber gedreht, so knorrig und eigensinnig, daß man auch nicht das kleinste nützliche Brettchen aus dem ganzen Baume schneiden könnte. Dazu sind seine Blätter so hart und seine Früchte so bitter, daß man sie nicht einmal als Futter für die Ziegen gebrauchen kann. Das nenne ich wirklich einen nutzlosen Baum, den da.« Damit ging er voll Verachtung für den Baum weiter in den Wald zu anderen Bäumen und sein Knecht hinter ihm.
Der Baum aber, der die Rede wohl gehört hatte, rauschte laut auf mit allen seinen Zweigen, daß es wie ein brausendes Gelächter war, das hinter dem Zimmermann herlief. »Darum also,« sprach der Baum fröhlich zu sich selber, »hat man mich hier so viele Jahre stehen lassen, weil ich nutzlos bin, weil die Zimmerleute nichts mit mir anfangen können. Darum haben sie mich unbeschädigt so groß und gewaltig werden lassen, mich, der ich so viel krummer und knorriger bin als alle Bäume im Walde. Das also war mein Glück. Und darum haben heute die Vögel des Himmels eine so schöne Wohnung in mir. Darum finden heute die Wanderer, die den Berg ersteigen, unter meinen Zweigen wohltuenden Schatten und segnen mich. Von weit her kommen die Menschen aus dem Lande und bestaunen mich, liegen unter mir in der Kühle, betrachten die Schönheit der Erde und gehen fröhlich und geduldiger wieder in ihre Täler hinab. Alles nur, weil ich nutzlos bin und die Zimmerleute, die nur an den Nutzen denken, nichts mit mir anzufangen wissen. Gepriesen sei meine Nutzlosigkeit, die mir erlaubt hat, die Krone des Berges und ein Wahrzeichen des Landes zu werden.«
(Aus Reclams Universum.)
Für die Schriftleitung des Textes verantwortlich: Werner Schmidt;
Druck: Lehmannsche Buchdruckerei, beide in Dresden.
Wir empfehlen unseren geschätzten Mitgliedern die Anschaffung der noch vorhandenen früheren Bände unserer Mitteilungen. Es sind nur noch wenige Stücke von manchen Heften da.
Band | ungebunden | gebunden |
M. | M. | |
III | 7.– | 20.– |
IV | 10.– | 25.– |
V | 7.– | 20.– |
VI | 7.– | 20.– |
VII | 7.– | 20.– |
VIII | 7.– | 20.– |
IX | 7.– | 20.– |
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Vom Wandern und Weilen im Heimatland
Von Gerhard Platz
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des Landesvereins Sächsischer
Heimatschutz Heimatbücherei
Band I
320 Seiten – Großoktav
Vorzugspreis für Mitglieder des Landesvereins Sächs. Heimatschutz M. 12.–
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Seit vielen Jahren ist Gerhard Platz unser treuer Mitarbeiter. Fast in keinem Mitteilungshefte fehlte sein Name. Zahlreiche Zuschriften aus unserem Mitgliederkreise zeugen von der Liebe und Verehrung, die er sich in unserem Kreise erworben hat. Oft hören wir: Mit Platz möchten wir wandern. So ist es verständich, daß wir in dem ersten Band unserer Heimatbücherei ihn zu Worte kommen lassen. Seine besten Heimatschilderungen sind hier vereinigt. Das Buch ist nur noch in wenigen Stücken vorhanden.
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Weitere Anmerkungen zur Transkription
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
Im Interesse einer besseren Lesbarkeit wurden die Tabellen auf S. 85 und S. 133 umgestaltet.