The Project Gutenberg eBook of Turandot, Prinzessin von China

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Title: Turandot, Prinzessin von China

Author: Friedrich Schiller

Release date: September 1, 2004 [eBook #6505]
Most recently updated: December 29, 2020

Language: German

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK TURANDOT, PRINZESSIN VON CHINA ***

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Turandot, Prinzessin von China.

Friedrich Schiller.

Ein tragikomisches Märchen nach Gozzi.

Personen:

Altoum, fabelhafter Kaiser von China.
Turandot, seine Tochter.
Adelma, eine tartarische Prinzessin, ihre Sklavin.
Zelima, eine andere Sklavin der Turandot.
Skirina, Mutter der Zelima.
Barak, ihr Gatte, ehmals Hofmeister des
Kalaf, Prinzen von Astrachan.
Timur, vertriebener König von Astrachan.
Ismael, Begleiter des Prinzen von Samarcand.
Tartaglia, Minister.
Pantalon, Kanzler.
Truffaldin, Aufseher der Verschnittenen.
Brigella, Hauptmann der Wache.
Doctoren des Divans.
Sklaven und Sklavinnen des Serails.

Erster Aufzug.

Vorstadt von Peckin.

Prospekt eines Stadtthors. Eiserne Stäbe ragen über demselben hervor, worauf mehrere geschorne, mit türkischen Schöpfen versehene Köpfe als Masken und so, daß sie als eine Zierrath erscheinen können, symmetrisch aufgepflanzt sind.

Erster Auftritt.

Prinz Kalaf, in tartarischem Geschmack, etwas phantastisch gekleidet, tritt aus einem Hause. Gleich darauf Barak, aus der Stadt kommend.

Kalaf.
Habt Dank, ihr Götter! Auch zu Peckin sollt' ich
Eine gute Seele finden!

Barak (in persischer Tracht, tritt auf, erblickt ihn und fährt
erstaunt zurück).
Seh' ich recht?
Prinz Kalaf! Wie? Er lebt noch!

Kalaf (ernennt ihn). Barak!

Barak (auf ihn zueilend). Herr!

Kalaf. Dich find' ich hier?

Barak. Euch seh' ich lebend wieder!
Und hier zu Peckin!

Kalaf. Schweig! Verrath mich nicht!
Beim großen Lama, sprich! Wie bist du hier?

Barak. Durch ein Geschick der Götter, muß ich glauben,
Da es mich hier mit Euch zusammenführt.
An jenem Tag des Unglücks, als ich sah,
Daß unsre Völker flohen, der Tyrann
Von Tefflis unaufhaltsam in das Reich
Eindrang, floh ich nach Astrachan zurück,
Bedeckt mit schweren Wunden. Hier vernahm ich,
Daß Ihr und König Timur, Euer Vater,
Im Treffen umgekommen. Meinen Schmerz
Erzähl' ich nicht; verloren gab ich Alles,
Und sinnlos eilt' ich zum Palaste nun,
Elmazen, Eure königliche Mutter,
Zu retten; doch ich suchte sie vergebens!
Schon zog der Sieger ein zu Astrachan,
Und in Verzweiflung eilt' ich aus den Thoren.
Von Land zu Lande irrt' ich flüchtig nun
Drei Jahre lang umher, ein Obdach suchend,
Bis ich zuletzt nach Peckin mich gefunden.
Hier unterm Namen Hassan glückte mir's,
Durch treue Dienste einer Wittwe Gunst
Mir zu erwerben, und sie ward mein Weib.
Sie kennt mich nicht; ein Perser bin ich ihr.
Hier leb' ich nun, obwohl gering und arm
Nach meinem vor'gen Loos, doch überreich
In diesem Augenblicke, da ich Euch,
Den Prinzen Kalaf, meines Königs Sohn,
Den ich erzogen, den ich Jahre lang
Für todt beweint, im Leben wieder sehe!
—Wie aber lebend? Wie in Peckin hier?

Kalaf. Nenne mich nicht. Nach jener unglücksel'gen Schlacht
Bei Astrachan, die uns das Reich gekostet,
Eilt' ich mit meinem Vater zum Palast;
Schnell rafften wir das Kostbarste zusammen,
Was sich an Edelsteinen fand, und flohn.
In Bauerntracht verhüllt, durchkreuzten wir,
Der König und Elmaze, meine Mutter,
Die Wüsten und das felsigte Gebirg.
Gott, was erlitten wir nicht da! Am Fuß
Des Kaukasus raubt' eine wilde Horde
Von Malandrinen uns die Schätze; nur
Das nackte Leben blieb uns zum Gewinn.
Wir mußten kämpfen mit des Hungers Qualen
Und jedes Elends mannigfacher Noth.
Den Vater trug ich bald und bald die Mutter
Auf meinen Schultern, eine theure Last.
Kaum wehrt' ich seiner wüthenden Verzweiflung,
Daß er den Dolch nicht auf sein Leben zuckte;
Die Mutter hielt ich kaum, daß sie, von Gram
Erschöpft, nicht niedersank! So kamen wir
Nach Jaik endlich, der Tartarenstadt,
Und hier, an der Moscheen Thor, mußt' ich
Ein Bettler flehen um die magre Kost,
Der theuren Eltern Leben zu erhalten.
—Ein neues Unglück! Unser grimm'ger Feind,
Der Khan von Tefflis, voll Tyrannenfurcht,
Mißtrauend dem Gerücht von unserm Tode,
Er ließ durch alle Länder uns verfolgen.
Vorausgeeilt schon war uns sein Befehl,
Der alle kleinen Könige seiner Herrschaft
Aufbot, uns nachzuspähn. Nur schnelle Flucht
Entzog uns seiner Spürer Wachsamkeit—
Ach, wo verbärg' sich ein gefallner König!

Barak. O, nichts mehr! Eure Worte spalten mir
Das Herz! Ein großer Fürst in solchem Elend!
Doch sagt! Lebt mein Gebieter noch, und lebt
Elmaze, meine Königin?

Kalaf. Sie leben.
Und wisse, Barak, in der Noth allein
Bewähret sich der Adel großer Seelen.
—Wir kamen in der Karazanen Land;
Dort, in den Gärten König Keicobads,
Mußt' ich zu Knechtes Diensten mich bequemen,
Dem bittern Hungertode zu entfliehn.
Mich sah Adelma dort, des Königs Tochter,
Mein Anblick rührte sie, es schien ihr Herz
Von zärtlichern Gefühlen, als des Mitleids,
Sich für den fremden Gärtner zu bewegen.
Scharf sieht die Liebe, nimmer glaubte sie
Mich zu dem Loos, wo sie mich fand, geboren.
—Doch weiß ich nicht, welch bösen Sternes Macht
Der Karazanen König Keicobad
Verblendete, den mächt'gen Altoum,
Den Großkhan der Chinesen, zu bekriegen.
Das Volk erzählte Seltsames davon.
Was ich berichten kann, ist dies: Besiegt
Ward Keicobad, sein ganzer Stamm vertilgt;
Adelma selbst mit sieben andern Töchtern
Des Königs ward ertränkt in einem Strome.
—Wir aber flohen in ein andres Land;
So kamen wir nach langem Irren endlich
Zu Berlas an—Was bleibt mir noch zu sagen?
Vier Jahre lang schafft' ich den Eltern Brod,
Daß ich um dürft'ges Taglohn Lasten trug.

Barak. Nicht weiter, Prinz. Vergessen wir das Elend,
Da ich Euch jetzt in kriegerischem Schmuck
Und Heldenstaat erblicke. Sagt. wie endlich
Das Glück Euch günstig ward?

Kalaf. Mir günstig! Höre!
Dem Khan von Berlas war ein edler Sperber
Entwischt, den er in hohem Werthe hielt.
Ich fand den Sperber, überbracht' ihn selbst
Dem König—Dieser fragt nach meinem Namen;
Ich gebe mich für einen Elenden,
Der seine Eltern nährt mit Lastentragen.
Drauf ließ der Khan den Vater und die Mutter
Im Hospital versorgen. (Er hält inne.) Barak! Dort,
Im Aufenthalt des allerhöchsten Elends,
Dort ist dein König—deine Königin.
Auch dort nicht sicher, dort noch in Gefahr,
Erkannt zu werden und getödtet!

Barak. Gott!

Kalaf. Mir ließ der Kaiser diese Börse reichen,
Ein schönes Pferd und dieses Ritterkleid.
Den greisen Eltern sag' ich Lebewohl;
Ich gehe, rief ich, mein Geschick zu ändern,
Wo nicht, dies traur'ge Leben zu verlieren!
Was thaten sie nicht, mich zurückzuhalten
Und, da ich standhaft blieb, mich zu begleiten!
Verhüt' es Gott, daß sie, von Angst gequält,
Nicht wirklich meinen Spuren nachgefolgt!
Hier bin ich nun, zu Peckin, unerkannt,
Viel hundert Meilen weit von meiner Heimath.
Entschlossen komm' ich her, dem großen Khan
Vom Lande China als Soldat zu dienen,
Ob mir vielleicht die Sterne günstig sind,
Durch tapfre That mein Schicksal zu verbessern.
—Ich weiß nicht, welche Festlichkeit die Stadt
Mit Fremden füllt, daß kein Karvanserai
Mich aufnahm—Dort in jener schlechten Hütte
Gab eine Frau aus gutem Herzen mir
Herberge.

Barak. Prinz, das ist mein Weib.

Kalaf. Dein Weib?
Preise dein Glück, daß es ein fühlend Herz
Zur Gattin dir gegeben! (Er reicht ihm die Hand.)
 Jetzt leb' wohl.
Ich geh' zur Stadt. Mich treibt's, die Festlichkeit
Zu sehn, die so viel Menschen dort versammelt.
Dann zeig' ich mich dem großen Khan und bitt'
Ihn um die Gunst, in seinem Heer zu dienen.

(Er will fort. Barak hält ihn zurück.)

Barak. Bleibt, Prinz! Wo wollt Ihr hin? Mögt Ihr das Aug'
An einem grausenvollen Schauspiel weiden?
O, wisset, edler Prinz—Ihr kamt hieher
Auf einen Schauplatz unerhörter Thaten.

Kalaf. Wie so? Was meinst du?

Barak. Wie? Ihr wißt es nicht,
Daß Turandot, des Kaisers einz'ge Tochter,
Das ganze Reich in Leid versenkt und Thränen?

Kalaf. Ja, schon vorlängst im Karazanenland
Hört' ich dergleichen—und die Rede ging,
Es sei der Prinz des Königs Keicobad
Auf eine seltsam jammervolle Art
Zu Peckin umgekommen—Eben dies
Hab' jenes Kriegesfeuer angeflammt,
Das mit dem Falle seines Reichs geendigt.
Doch Manches glaubt und schwatzt ein dummer Pöbel,
Worüber der Verständ'ge lacht—Darum
Sag' an, wie sich's verhält mit dieser Sache?

Barak. Des Großkhans einz'ge Tochter, Turandot,
Durch ihren Geist berühmt und ihre Schönheit,
Die keines Malers Pinsel noch erreicht,
Wie viele Bildnisse von ihr auch in der Welt
Herumgehn, hegt so übermüth'gen Sinn,
So großen Abscheu vor der Ehe Banden,
Daß sich die größten Könige umsonst
Um ihre Hand bemüht—

Kalaf. Das alte Märchen
Vernahm ich schon am Hofe Keicobads
Und lachte drob—Doch fahre weiter fort

Barak. Es ist kein Märchen. Oft schon wollte sie
Der Khan, als einz'ge Erbin seines Reichs,
Mit Söhnen großer Könige vermählen.
Stets widersetzte sich die stolze Tochter,
Und, ach! zu blind ist seine Vaterliebe,
Als daß er Zwang zu brauchen sich erkühnte.
Viel schwere Kriege schon erregte sie
Dem Vater, und obgleich noch immer Sieger
In jedem Kampf, so ist er doch ein Greis
Und unbeerbt wankt er dem Grabe zu.
Drum sprach er einsmals ernst und wohlbedächtlich
Zu ihr die strengen Worte: Störrig Kind!
Entschließe dich einmal, dich zu vermählen,
Wo nicht, so sinn' ein ander Mittel aus,
Dem Reich die ew'gen Kriege zu ersparen;
Denn ich bin alt; zu viele Kön'ge schon
Hab' ich zu Feinden, die dein Stolz verschmähte.
Drum nenne mir ein Mittel, wie ich mich
Der wiederholten Werbungen erwehre,
Und leb' hernach und stirb, wie dir's gefällt—
Erschüttert ward von diesem ernsten Wort
Die Stolze, rang umsonst, sich loszuwinden;
Die Kunst der Thränen und der Bitten Macht
Erschöpfte sie, den Vater zu bewegen;
Doch unerbittlich blieb der Khan—Zuletzt
Verlangt sie von dem unglücksel'gen Vater,
Verlangt—Hört, was die Furie verlangte!

Kalaf. Ich hab's gehört. Das abgeschmackte Märchen
Hab' ich schon oft belacht—Hör', ob ich's weiß!
Sie fordert' ein Edict von ihrem Vater,
Daß jedem Prinzen königlichen Stamms
Vergönnt sein soll, um ihre Hand zu werben.
Doch dieses sollte die Bedingung sein:
Im öffentlichen Divan, vor dem Kaiser
Und seinen Räthen allen, wollte sie
Drei Räthsel ihm vorlegen. Löste sie
Der Freier auf, so mög' er ihre Hand
Und mit derselben Kron' und Reich empfangen.
Löst er sie nicht, so soll der Kaiser sich
Durch einen heil'gen Schwur auf seine Götter
Verpflichten, den Unglücklichen enthaupten
Zu lassen.—Sprich, ist's nicht so? Nun vollende
Dein Märchen, wenn du's kannst vor langer Weile.

Barak. Mein Märchen? Wollte Gott! Der Kaiser zwar
Empört' sich erst dagegen; doch die Schlange
Verstand es, bald mit Schmeichelbitten, bald
Mit list'ger Redekunst das furchtbare
Gesetz dem schwachen Alten zu entlocken.
Was ist's denn auch? sprach sie mit arger List;
Kein Prinz der Erde wird so thöricht sein,
In solchem blut'gen Spiel sein Haupt zu wagen!
Der Freier Schwarm zieht sich geschreckt zurück,
Ich werd' in Frieden leben. Wagt es dennoch
Ein Rasender, so ist's auf seine eigne
Gefahr, und meinen Vater trifft kein Tadel,
Wenn er ein heiliges Gesetz vollzieht!—
Beschworen ward das unnatürliche
Gesetz und kund gemacht in allen Landen.

(Da Kalaf den Kopf schüttelt.)

—Ich wünschte, daß ich Märchen nur erzählte
Und sagen dürfte. Alles war ein Traum!

Kalaf. Weil du's erzählst, so glaub' ich das Gesetz.
Doch sicher war kein Prinz wahnsinnig gnug,
Sein Haupt daran zu setzen.

Barak (zeigt nach dem Stadtthor). Sehet, Prinz!
Die Köpfe alle, die dort auf den Thoren
Zu sehen sind, gehörten Prinzen an,
Die toll genug das Abenteuer wagten
Und kläglich ihren Untergang drin fanden,
Weil sie die Räthsel dieser Sphinx zu lösen
Nicht fähig waren.

Kalaf. Grausenvoller Anblick!
Und lebt ein solcher Thor, der seinen Kopf
Wagt, um ein Ungeheuer zu besitzen!

Barak. Nein! Sagt das nicht. Wer nur ihr Konterfei
Erblickt, das man sich zeigt in allen Ländern,
Fühlt sich bewegt von solcher Zaubermacht,
Daß er sich blind dem Tod entgegen stürzt,
Das göttergleiche Urbild zu besitzen.

Kalaf. Irgend ein Geck.

Barak. Nein, wahrlich! Auch der Klügste.
Heut ist der Zulauf hier, weil man den Prinzen
Von Samarcanda, den verständigsten,
Den je die Welt gesehn, enthaupten wird.
Der Khan beseufzt die fürchterliche Pflicht;
Doch ungerührt frohlockt die stolze Schöne.

(Man hört in der Ferne den Schall von gedämpften Trommeln.)

Hört! Hört Ihr! Dieser dumpfe Trommelklang
Verkündet, daß der Todesstreich geschieht;
Ihn nicht zu sehen, wich ich aus der Stadt.

Kalaf. Barak, du sagst mir unerhörte Dinge.
Was? Konnte die Natur ein weibliches
Geschöpf wie diese Turandot erzeugen,
So ganz an Liebe leer und Menschlichkeit?

Barak. Mein Weib hat eine Tochter, die im Harem
Als Sklavin dient und uns Unglaubliches
Von ihrer schönen Königin berichtet.
Ein Tiger ist sie, diese Turandot,
Doch gegen Männer nur, die um sie werben.
Sonst ist sie gütig gegen alle Welt;
Stolz ist das einz'ge Laster, das sie schändet.

Kalaf. Zur Hölle, in den tiefsten Schlund hinab
Mit diesen Ungeheuern der Natur,
Die kalt und herzlos nur sich selber lieben!
Wär' ich ihr Vater, Flammen sollten sie
Verzehren.

Barak. Hier kommt Ismael, der Freund
Des Prinzen, der sein Leben jetzt verloren.
Er kommt voll Thränen—Ismael!

Zweiter Auftritt.

Ismael zu den Vorigen.

Ismael (reicht dem Barak die Hand, heftig weinend). Er hat
Gelebt—Der Streich des Todes ist gefallen.
Ach! Warum fiel er nicht auf dieses Haupt!

Barak. Barmherz'ger Himmel!—Doch warum ließt Ihr
Geschehn, daß er im Divan der Gefahr
Sich bloßgestellt?

Ismael. Mein Unglück braucht noch Vorwurf.
Gewarnt hab' ich, beschworen und gefleht,
Wie es mein Herz, wie's meine Pflicht mich lehrte.
Umsonst! Des Freundes Stimme wurde nicht
Gehört; die Macht der Götter riß ihn fort.

Barak. Beruhigt Euch!

Ismael. Beruhigen? Niemals, niemals!
Ich hab' ihn sterben sehen. Sein Gefährte
War ich in seinem letzten Augenblick,
Und seine Abschiedsworte gruben sich
Wie spitz'ge Dolche mir ins tiefste Herz.
"Weine nicht!" sprach er. "Gern und freudig sterb' ich,
"Da ich die Liebste nicht besitzen kann.
"Mag es mein theurer Vater mir vergeben,
"Daß ich ohn' Abschied von ihm ging. Ach, nie
"Hätt' er die Todesreise mir gestattet!
"Zeig' ihm dies Bildniß!

(Er zieht ein kleines Portrait an einem Band aus dem Busen.)

"Wenn er diese Schönheit
"Erblickt, wird er den Sohn entschuldigen."
Und an die Lippen drückt' er jetzt, lautschluchzend,
Mit heft'gen Küssen dies verhaßte Bild,
Als könnt' er, sterbend selbst, nicht davon scheiden;
Drauf kniet' er nieder, und—mit einem Streich—
Noch zittert mir das Mark in den Gebeinen—
Sah ich Blut spritzen, sah den Rumpf hinfallen
Und hoch in Henkers Hand das theure Haupt;
Entsetzt und trostlos riß ich mich von dannen.

(Wirft das Bild in heftigem Unwillen auf den Boden.)

Verhaßtes, ewig fluchenswerthes Bild!
Liege du hier, zertreten in dem Staub!
Könnt' ich sie selbst, die Tigerherzige,
Mit diesem Fußtritt so wie dich zermalmen!
Daß ich dich meinem König überbrächte!
Nein, mich soll Samarcand nicht wieder sehn.
In eine Wüste will ich fliehn und dort,
Wo mich kein menschlich Ohr vernimmt, auf ewig
Um meinen vielgeliebten Prinzen weinen. (Geht ab.)

Dritter Auftritt.

Kalaf und Barak.

Barak (nach einer Pause).
Prinz Kalaf, habt Ihr's nun gehört?

Kalaf. Ich stehe
Ganz voll Verwirrung, Schrecken und Erstaunen.
Wie aber mag dies unbeseelte Bild,
Das Werk des Malers, solchen Zauber wirken?

(Er will das Bildniß von der Erde nehmen.)

Barak (eilt auf ihn zu und hält ihn zurück).
Was macht Ihr!—Große Götter!

Kalaf (lächelnd). Nun! Ein Bildniß
Nehm' ich vom Boden auf. Ich will sie doch
Betrachten, diese mörderische Schönheit.

(Greift nach dem Bildniß und hebt es von der Erde auf.)

Barak (ihn haltend). Euch wäre besser, der Medusa Haupt
Als diese tödtliche Gestalt zu sehn.
Weg! Weg damit! Ich kann es nicht gestatten.

Kalaf. Du bist nicht klug. Wenn du so schwach dich fühlst,
Ich bin es nicht. Des Weibes Reiz hat nie
Mein Aug gerührt, auch nur auf Augenblicke,
Viel weniger mein Herz besiegt. Und was
Lebend'ge Schönheit nie bei mir vermocht,
Das sollten todte Pinselstriche wirken?
Unnütze Sorgfalt, Barak—Mir liegt Andres
Am Herzen, als der Liebe Narrenspiel. (Will das Bildniß anschauen.)

Barak. Dennoch, mein Prinz—Ich warn' Euch—Thut es nicht!

Kalaf (ungeduldig). Zum Henker, Einfalt! Du beleidigst mich.

(Stößt ihn zurück, sieht das Bild an und geräth in Erstaunen.
Nach einer Pause.)

Was seh' ich!

Barak (ringt verzweifelnd die Hände).
 Weh' mir! Welches Unglück!

Kalaf (faßt ihn lebhaft bei der Hand). Barak!

(Will reden, sieht aber wieder auf das Bild und betrachtet es mit Entzücken.)

Barak (für sich). Seid Zeugen, Götter—Ich, ich bin nicht schuld,
Ich hab' es nicht verhindern können.

Kalaf. Barak!
—In diesen holden Augen, dieser süßen
Gestalt, in diesen sanften Zügen kann
Das harte Herz, wovon du sprichst, nicht wohnen!

Barak. Unglücklicher, was hör' ich? Schöner noch
Unendlichmal, als dieses Bildniß zeigt,
Ist Turandot, sie selbst! Nie hat die Kunst
Des Pinsels ihren ganzen Reiz erreicht;
Doch ihres Herzens Stolz und Grausamkeit
Kann keine Sprache, keine Zunge nennen.
O, werft es von Euch, dies unselige,
Verwünschte Bildniß! Euer Auge sauge
Kein tödtlich Gift aus dieser Mordgestalt!

Kalaf. Hinweg! Vergebens suchst du mich zu schrecken!
—Himmlische Anmuth! Warme, glühende Lippen!
Augen der Liebesgöttin! Welcher Himmel,
Die Fülle dieser Reize zu besitzen!

(Er steht in den Anblick des Bildes verloren, plötzlich wendet er sich zu Barak und ergreift seine Hand.)

Barak! Verrath mich nicht—Jetzt oder nie!
Dies ist der Augenblick, mein Glück zu wagen.
Wozu dies Leben sparen, das ich hasse?
—Ich muß auf einen Zug die schönste Frau
Der Erde und ein Kaiserthum mit ihr
Gewinnen oder dies verhaßte Leben
Auf einen Zug verlieren—Schönstes Werk!
Pfand meines Glücks und meine süße Hoffnung!
Ein neues Opfer ist für dich bereit
Und drängt sich wagend zu der furchtbarn Probe.
Sei gütig gegen mich—Doch, Barak, sprich!
Ich werde doch im Divan, eh' ich sterbe,
Das Urbild selbst von diesen Reizen sehn?

(Indem sieht man die fürchterliche Larve eines Nachrichters sich über dem Stadtthor erheben und einen neuen Kopf über demselben aufpflanzen.—Der vorige Schall verstimmter Trommeln begleitet diese Handlung.)

Barak. Ach, sehet, sehet, theurer Prinz, und schaudert!
Dies ist das Haupt des unglücksel'gen Jünglings—
Wie es Euch anstarrt! Und dieselben Hände,
Die es dort aufgepflanzt, erwarten Euch.
O, kehret um! Kehrt um! Nicht möglich ist's,
Die Räthsel dieser Löwin aufzulösen.
Ich seh' im Geist schon Euer theures Haupt,
Ein Warnungszeichen allen Jünglingen,
In dieser furchtbarn Reihe sich erheben.

Kalaf (hat das aufgesteckte Haupt mit Nachdenken und Rührung
betrachtet).
Verlorner Jüngling! Welche dunkle Macht
Reißt mich geheimnißvoll, unwiderstehlich
Hinauf in deine tödtliche Gesellschaft?

(Er bleibt nachsinnend stehen; dann wendet er sich zu Barak.)

—Wozu die Thränen, Barak? Hast du mich
Nicht einmal schon für todt beweint? Komm, komm!
Entdecke keiner Seele, wer ich bin.
Vielleicht—wer weiß, ob nicht der Himmel, satt,
Mich zu verfolgen, mein Beginnen segnet
Und meinen armen Eltern Trost verleiht.
Wo nicht—Was hat ein Elender zu wagen?
Für deine Liebe will ich dankbar sein,
Wenn ich die Räthsel löse—Lebe wohl!

(Er will gehen, Barak hält ihn zurück, unterdessen kommt Skirina,
Baraks Weib, aus dem Hause.)

Barak. Nein, nimmermehr! Komm mir zu Hilfe, Frau!
Laß ihn nicht weg—Er geht, er ist verloren,
Der theure Fremdling geht, er will es wagen,
Die Räthsel dieser Furie zu lösen.

Vierter Auftritt.

Skirina zu den Vorigen.

Skirina (tritt ihm in den Weg).
O weh! Was hör' ich? Seid Ihr nicht mein Gast?
Was treibt den zarten Jüngling in den Tod?

Kalaf. Hier, gute Mutter! Dieses Götterbild
Ruft mich zu meinem Schicksal. (Zeigt ihr das Bildnis.)

Skirina. Wehe mir!
Wie kam das höll'sche Bild in seine Hand?

Barak. Durch bloßen Zufall.

Kalaf (tritt zwischen Beide). Hassan! Gute Frau!
Zum Dank für Eure Gastfreundschaft behaltet
Mein Pferd! Auch diese Börse nehmet hin!
Sie ist mein ganzer Reichthum—Ich—ich brauche
Fortan nichts weiter—denn ich komm' entweder
Reich wie ein Kaiser oder—nie zurück!
—Wollt Ihr, so opfert einen Theil davon
Den ew'gen Göttern, theilt den Armen aus,
Damit sie Glück auf mich herab erflehen;
Lebt wohl—Ich muß in mein Verhängniß gehen! (Er eilt in die Stadt.)

Fünfter Auftritt.

Barak und Skirina.

Barak (will ihm folgen)
Mein Herr! Mein armer Herr! Umsonst! Er geht!
Er hört mich nicht!

Skirina (neugierig). Dein Herr? Du kennst ihn also?
O, sprich, wer ist der edelherz'ge Fremdling,
Der sich dem Tode weiht?

Barak. Laß diese Neugier!
Er ist geboren mit so hohem Geist,
Daß ich nicht ganz an dem Erfolg verzweifle.
—Komm, Skirina. All dieses Gold laß uns
Und Alles, was wir Eigenes besitzen,
Dem Fohi opfern und den Armen spenden!
Gebete sollen sie für ihn gen Himmel senden
Und sollen wund sich knien an den Altären,
Bis die erweichten Götter sie erhören!

(Sie gehen nach ihrem Hause.)

Zweiter Aufzug.

Großer Saal des Divans, mit zwei Pforten, davon die eine zu den Zimmern des Kaisers, die andere ins Serail der Prinzessin Turandot führt.

Erster Auftritt.

Truffaldin, als Anführer der Verschnittenen, steht gravitätisch in der Mitte der Scene und befiehlt seinen Schwarzen, welche beschäftigt sind, den Saal in Ordnung zu bringen. Bald darauf Brigella.

Truffaldin. Frisch an das Werk! Rührt euch! Gleich wird der Divan
Beisammen sein.—Die Teppiche gelegt,
Die Throne aufgerichtet! Hier zur Rechten
Kommt kaiserliche Majestät, links meine
Scharmante Hoheit, die Prinzeß, zu sitzen!

Brigella (kommt und sieht sich verwundernd um).
Mein! Sagt mir, Truffaldin, was gibt's denn Neues,
Daß man den Divan schmückt in solcher Eile?

Truffaldin (ohne auf ihn zu hören—zu den Schwarzen).
Acht Sessel dorthin für die Herrn Doktoren!
Sie haben hier zwar nicht viel zu dotieren;
Doch müssen sie, weil's was Gelehrtes gibt,
Mit ihren langen Bärten figurieren.

Brigella. So redet doch! Warum, wozu das alles?

Truffaldin. Warum? Wozu? Weil sich die Majestät
Und meine schöne Königin, mit sammt
Den acht Doktoren und den Excellenzen,
Sogleich im Divan hier versammeln werden.
's hat sich ein neuer, frischer Prinz gemeldet,
Den's juckt, um einen Kopf sich zu verkürzen.

Brigella. Was? Nicht drei Stunden sind's, daß man den letzten
Hat abgethan—

Truffaldin. Ja, Gott sei Dank! Es geht
Von statten! die Geschäfte gehen gut.

Brigella. Und dabei könnt Ihr scherzen, roher Kerl!
Euch freut wohl das barbarische Gemetzel?

Truffaldin. Warum soll mich's nicht freuen? Setzt's doch immer
Für meinen Schnabel was, wenn so ein Neuer
Die große Reise macht—denn jedesmal,
Daß meine Hoheit an der Hochzeitklippe
Vorbeischifft, gibt's im Harem Hochzeitkuchen.
Das ist einmal der Brauch, wir thun's nicht anders:
So viele Köpfe, so viel Feiertage!

Brigella. Das sind mir heillos niederträchtige
Gesinnungen, so schwarz, wie Eure Larve.
Man sieht's Euch an, daß Ihr ein Halbmann seid,
Ein schmutziger Eunuch!—Ein Mensch, ich meine
Einer, der ganz ist, hat ein menschlich Herz
Im Leib und fühlt Erbarmen.

Truffaldin. Was! Erbarmen!
Es heißt kein Mensch die Prinzen ihren Hals
Nach Peckin tragen, Niemand ruft sie her.
Sind sie freiwillig solche Tollhausnarren,
Mögen sie's haben! Auf dem Stadtthor steht's
Mit blut'gen Köpfen leserlich geschrieben,
Was hier zu holen ist—Wir nehmen Keinem
Den Kopf, der einen mitgebracht. Der hat
Ihn schon verloren, längst, der ihn hier setzt!

Brigella. Ein saubrer Einfall, den galanten Prinzen,
Die ihr die Ehr' anthun und um sie werben,
Drei Räthsel aufzugeben und, wenn's einer
Nicht auf der Stelle trifft, ihn abzuschlachten!

Truffaldin. Mit nichten, Freund! Das ist ein prächtiger,
Exzellenter Einfall!—Werben kann ein Jeder;
Es ist nichts leichter, als aufs Freien reisen.
Man lebt auf fremde Kosten, thut sich gütlich,
Legt sich dem künft'gen Schwäher in das Haus,
Und mancher jüngre Sohn und Krippenreiter,
Der alle seine Staaten mit sich führt
Im Mantelsack, lebt bloß vom Körbeholen.
Es war nicht anders hier, als wie ein großes
Wirthshaus von Prinzen und von Abenteurern,
Die um die reiche Kaisertochter freiten;
Denn auch der Schlechtste dünkt sich gut genug,
Die Hände nach der Schönsten auszustrecken.
Es war wie eine Freikomödie,
Wo Alles kommt, bis meine Königin
Auf den scharmanten Einfall kam, das Haus
In vier und zwanzig Stunden rein zu machen.
—Eine andre hätte ihre Liebeswerber
Auf blutig schwere Abenteuer aus-
Gesendet, sich mit Riesen 'rum zu schlagen,
Dem Schach zu Babel, wenn er Tafel hält,
Drei Backenzähne höflich auszuziehen,
Das tanzende Wasser und den singenden Baum
Zu holen und den Vogel, welcher redet—
Nichts von dem allem! Räthsel haben ihr
Beliebt! Drei zierlich wohlgesetzte Fragen!
Man kann dabei bequem und säuberlich
In warmer Stube sitzen, und kein Schuh
Wird naß! Der Degen kommt nicht aus der Scheide,
Der Witz, der Scharfsinn aber muß heraus.
—Brigella, die versteht's! Die hat's gefunden,
Wie man die Narren sich vom Leibe hält!

Brigella. 's kann Einer ein rechtschaffner Kavalier
Und Ehmann sein und doch die spitz'gen Dinger,
Die Räthsel, just nicht handzuhaben wissen.

Truffaldin. Da siehst du, Kamerad, wie gut und ehrlich
Es die Prinzeß mit ihrem Freier meint,
Daß sie die Räthsel vor der Hochzeit aufgibt.
Nachher war's noch viel schlimmer. Löst er sie
Jetzt nicht, ei nun, so kommt er schnell und kurz
Mit einem frischen Gnadenhieb davon.
Doch, wer die stachelichten Räthsel nicht
Auflöst, die seine Frau ihm in der Eh'
Aufgibt, der ist verlesen und verloren!

Brigella. Ihr seid ein Narr, mit Euch ist nicht zu reden.
—So mögen's denn meintwegen Räthsel sein,
Wenn sie einmal die Wuth hat, ihren Witz
Zu zeigen—Aber muß sie denn die Prinzen
Just köpfen lassen, die nicht sinnreich gnug
Für ihre Räthsel sind—Das ist ja ganz
Barbarisch, rasend toll und unvernünftig.
Wo hat man je gehört, daß man den Leuten
Den Hals abschneidet, weil sie schwer begreifen?

Truffaldin. Und wie, du Schafskopf, will sie sich der Narren
Erwehren, die sich klug zu sein bedünken,
Wenn weiter nichts dabei zu wagen ist,
Als einmal sich im Divan zu beschimpfen?
Auf die Gefahr hin, sich zu prostituieren
Mit heiler Haut, läuft Jeder auf dem Eis.
Wer fürchtet sich vor Räthseln? Räthsel sind's
Gerad, was man fürs Leben gern mag hören.
Das hieß' den Köder statt des Popanz's brauchen.
Und wäre man auch wegen der Prinzessin
Und ihres vielen Gelds daheim geblieben,
So würde man der Räthsel wegen kommen.
Denn Jedem ist sein Scharfsinn und sein Witz
Am Ende lieber, als die schönste Frau!

Brigella. Was aber kommt bei diesem ganzen Spiel
Heraus, als daß sie sitzen bleibt? Kein Mann,
Der seine Ruh liebt und bei Sinnen ist,
Wird so ein spitz'ges Nadelkissen nehmen.

Truffaldin. Das große Unglück, keinen Mann zu kriegen!

(Man hört einen Marsch in der Ferne.)

Brigella. Der Kaiser kommt.

Truffaldin. Marsch ihr in eure Küche!
Ich gehe, meine Hoheit herzuholen. (Gehen ab zu verschiedenen Seiten.)

Zweiter Auftritt.

Ein Zug von Soldaten und Spielleuten. Darauf acht Doctoren, pedantisch herausstaffiert; alsdann Pantalon und Tartaglia, beide in Charaktermasken. Zuletzt der Großkhan Altoum in chinesischem Geschmack mit einiger Übertreibung gekleidet. Pantalon und Tartaglia stellen sich dem kaiserlichen Thron gegenüber, die acht Doctoren in den Hintergrund, das übrige Gefolge auf die Seite, wo der kaiserliche Thron ist. Beim Eintritt des Kaisers werfen sich alle mit ihren Stirnen auf die Erde und verharren in dieser Stellung bis er den Thron bestiegen hat. Die Doktoren nehmen auf ihren Stühlen Platz. Auf einen Wink, den Pantalon gibt, schweigt der Marsch.

Altoum. Wann, treue Diener, wird mein Jammer enden?
Kaum ist der edle Prinz von Samarcand
Begraben, unsre Thränen fließen noch,
Und schon ein neues Todesopfer naht,
Mein blutend Herz von neuem zu verwunden.
Grausame Tochter! Mir zur Qual geboren!
Was hilft's, daß ich den Augenblick verfluche,
Da ich auf das barbarische Gesetz
Dem furchtbaren Fohi den Schwur gethan.
Nicht brechen darf ich meinen Schwur, nicht rühren
Läßt sich die Tochter, nicht zu schrecken sind
Die Freier! Nirgends Rath in meinem Unglück!

Pantalon. Rath, Majestät? Hat sich da was zu rathen!
Bei mir zu Hause, in der Christen Land,
In meiner lieben Vaterstadt Venedig,
Schwört man auf solche Mordgesetze nicht,
Man weiß nichts von so närrischen Mandaten.
Da hat man gar kein Beispiel und Exempel,
Daß sich die Herrn in Bilderchen vergafft
Und ihren Hals gewagt für ihre Mädchen.
Kein Frauensmensch bei uns geboren wird,
Wie Dame Kieselstein, die alle Männer
Verschworen hätte—Gott soll uns bewahren!
Das fiel uns auch im Traum nicht ein. Als ich
Daheim noch war, in meinen jungen Jahren,
Eh mich die Ehrensache, wie Ihr wißt,
Von Hause trieb und meine guten Sterne
An meines Kaisers Hof hieher geführt,
Wo ich als Kanzler mich jetzt wohl befinde,
Da wußt' ich nichts von China, als es sei
Ein trefflichs Pulver gegen's kalte Fieber.
Und jetzt erstaun' ich über alle Maßen,
Daß ich so curiöse Bräuche hier
Vorfinde, so curjose Schwüre und Gesetze
Und so curjose Fraun und Herrn.
Erzählt' ich in Europa diese Sachen,
Sie würden mir unter die Nase lachen.

Altoum. Tartaglia, habt Ihr den neuen Wagehals
Besucht?

Tartaglia. Ja, Majestät. Er hat den Flügel
Des Kaiserschlosses inn', den man gewöhnlich
Den fremden Prinzen anzuweisen pflegt.
Ich bin entzückt von seiner angenehmen
Gestalt und seinen prinzlichen Manieren.
's ist Jammerschade um das junge Blut,
Daß man es auf die Schlachtbank führen soll.
's Herz bricht mir! Ein so angenehmes Prinzchen!
Ich bin verliebt in ihn. Weiß Gott! Ich sah
In meinem Leben keinen hübschern Buben!

Altoum. Unseliges Gesetz! Verhaßter Schwur!
—Die Opfer sind dem Fohi doch gebracht,
Daß er dem Unglückseligen sein Licht
Verleihe, diese Räthsel zu ergründen!
Ach, nimmer geb' ich dieser Hoffnung Raum!

Pantalon. An Opfern, Majestät, ward nichts gespart.
Dreihundert fette Ochsen haben wir
Dem Tien dargebracht, dreihundert Pferde
Der Sonne und dem Mond dreihundert Schweine.

Altoum. So ruft ihn denn vor unser Angesicht!
 (Ein Theil des Gefolges entfernt sich.)
—Man such' ihm seinen Vorsatz auszureden.
Und ihr, gelehrte Lichter meines Divans,
Kommt mir zu Hilfe—nehmt das Wort für mich,
Laßt' s nicht an Gründen fehlen, wenn mir selbst
Der Schmerz die Zunge bindet.

Pantalon. Majestät!
Wir werden unsern alten Witz nicht sparen,
Den wir in langen Jahren eingebracht.
Was hilft's? Wir predigen und sprechen uns
Die Lungen heiser, und er läßt sich eben
Den Hals abstechen, wie ein wälsches Huhn.

Tartaglia. Mit Eurer Gunst, Herr Kanzler Pantalon!
Ich habe Scharfsinn und Verstand bei ihm
Bemerkt, wer weiß!—Ich will nicht ganz verzagen.

Pantalon. Die Räthsel dieser Schlange sollt' er lösen?
Nein, nimmermehr!

Dritter Auftritt.

Die Vorigen. Kalaf, von einer Wache begleitet. Er kniet vor dem Kaiser nieder, die Hand auf der Stirn.

Altoum (nachdem er ihn eine Zeit lang betrachtet).
Steh auf, unkluger Jüngling!

(Kalaf steht auf und stellt sich mit edelm Anstand in die
Mitte des Divans.)

—Die reizende Gestalt! Der edle Anstand!
Wie mir's ans Herz greift!—Sprich, Unglücklicher!
Wer bist du? Welches Land gab dir das Leben?

Kalaf (schweigt einen Augenblick verlegen, dann mit einer edeln Verbeugung). Monarch, vergönne, daß ich meinen Namen Verschweige.

Altoum. Wie? Mit welcher Stirn darfst du,
Ein unbekannter Fremdling, namenlos,
Um unsre kaiserliche Tochter werben?

Kalaf. Ich bin von königlichem Blut, ein Prinz, geboren.
Verhängt der Himmel meinen Tod, so soll
Mein Name, mein Geschlecht, mein Vaterland
Kund werden, eh' ich sterbe, daß die Welt
Erfahre, nicht unwürdig hab' ich mich
Des Bundes angemaßt mit deiner Tochter.
Für jetzt geruhe meines Kaisers Gnade
Mich unerkannt zu lassen.

Altoum. Welcher Adel
In seinen Worten! Wie beklag' ich ihn!
—Doch wie, wenn du die Räthsel nun gelöst,
Und nicht von würd'ger Herkunft—

Kalaf. Das Gesetz,
Monarch, ist nur für Könige geschrieben.
Verleihe mir der Himmel, daß ich siege,
Und dann, wenn ich unköniglichen Stamms
Erfunden werde, soll mein fallend Haupt
Die Schuld der kühnen Anmaßung bezahlen,
Und unbeerdigt liege mein Gebein,
Der Krähen Beute und der wilden Thiere.
Schon eine Seele lebt in dieser Stadt,
Die meinen Stand und Namen kann bezeugen.
Für jetzt geruhe meines Kaisers Gnade
Mich unerkannt zu lassen.

Altoum. Wohl! Es sei!
Dem Adel deiner Mienen, deiner Worte,
Holdsel'ger Jüngling, kann ich Glauben nicht,
Gewährung nicht versagen—Mögst auch du
Geneigt sein, einem Kaiser zu willfahren,
Der hoch von seinem Thron herab dich fleht!
Entweiche, o entweiche der Gefahr,
Der du verblendet willst entgegen stürzen,
Steh ab und fordre meines Reiches Hälfte!
So mächtig spricht's für dich in meiner Brust,
Daß ich dir gleichen Theil an meinem Thron
Auch ohne meiner Tochter Hand verspreche.
O, zwinge du mich nicht, Tyrann zu sein!
Schon schwer genug drückt mich der Völker Fluch,
Das Blut der Prinzen, die ich hingeopfert;
Drum, wenn das eigne Unglück dich nicht rührt,
Laß meines dich erbarmen! Spare mir
Den Jammer, deine Leiche zu beweinen,
Die Tochter zu verfluchen und mich selbst,
Der die Verderbliche gezeugt, die Plage
Der Welt, die bittre Quelle meiner Thränen!

Kalaf. Beruhige dich, Sire! Der Himmel weiß,
Wie ich im tiefsten Herzen dich beklage.
Nicht, wahrlich, von so mildgesinntem Vater
Hat Turandot Unmenschlichkeit geerbt.
Du hast nicht Schuld, es wäre denn Verbrechen,
Sein Kind zu lieben und das Götterbild,
Das uns bezaubert und uns selbst entrückt,
Der Welt geschenkt zu haben—Deine Großmuth
Spar' einem Glücklicheren auf. Ich bin
Nicht würdig, Sire, dein Reich mit dir zu theilen.
Entweder ist's der Götter Schluß und Rath,
Durch den Besitz der himmlischen Prinzessin
Mich zu beglücken—oder enden soll
Dies Leben, ohne sie mir eine Last!
Tod oder Turandot! Es gibt kein Drittes.

Pantalon. Ei, sagt mir, liebe Hoheit! Habt Ihr Euch
Die Köpfe überm Stadtthor wohl besehn?
Mehr sag' ich nicht. Was, Herr, in aller Welt
Treibt Euch, aus fernen Landen herzukommen
Und Euch frisch weg, wie Ihr vom Pferd gestiegen,
Mir nichts, dir nichts, wie einen Ziegenbock
Abthun zu lassen? Dame Turandot,
Das seid gewiß, dreht Euch drei Räthselchen,
Daran die sieben Weisen Griechenlands,
Mit sammt den siebenzig Dolmetschern sich
Die Nägel Jahre lang umsonst zerkauten.
Wir selbst, so alte Practici und grau
Geworden über Büchern, haben Noth,
Das Tiefe dieser Räthsel zu ergründen.
Es sind nicht Räthsel aus dem Kinderfreund,
Nicht solches Zeug, wie das:
  "Wer's sieht, für den ist's nicht bestellt,
  "Wer's braucht, der zahlt dafür kein Geld,
  "Wer's macht, der will's nicht selbst ausfüllen,
  "Wer's bewohnt, der thut es nicht mit Willen,"
Nein, es sind Räthsel von dem neusten Schnitt,
Und sind verfluchte Nüsse aufzuknacken.
Und wenn die Antwort nicht zum guten Glück
Auf dem Papier, das man den Herrn Doktoren
Versiegelt übergibt, geschrieben stünde,
Sie möchten's auch mit allem ihrem Witz
In einem Säculum nicht ausstudieren.
Darum, Herr Milchbart, zieht in Frieden heim!
Ihr jammert mich, seid ein so junges Blut,
Und Schade wär's um Eure schönen Haare.
Beharrt Ihr aber drauf, so steht ein Rettich
Des Gärtners fester, Herr, als Euer Kopf.

Kalaf. Ihr sprecht verlorne Worte, guter Alter.
Tod oder Turandot!

Tartaglia (stotternd). Tu—Turandot!
Zum Henker, welcher Steifsinn und Verblendung!
Hier spielt man nicht um wälsche Nüsse, Herr,
Noch um Kastanien—'s ist um den Kopf
Zu thun—den Kopf—bedenkt das wohl! Ich will
Sonst keinen Grund anführen als den einen;
Er ist nicht klein—den Kopf! Es gilt den Kopf.
Die Majestät höchstselbst, auf ihrem Thron,
Läßt sich herab, Euch väterlich zu warnen
Und abzurathen—Dreihundert Pferde sind
Der Sonne dargebracht, dreihundert Ochsen
Dem höchsten Himmelsgott, dreihundert Kühe
Den Sternen und dem Mond dreihundert Schweine.
Und Ihr seid störrig gnug und undankbar,
Das kaiserliche Herz so zu betrüben?
Wär' überall auch keine andre Dame
Mehr in der Welt, als diese Turandot,
Blieb's immer doch ein loser Streich von Euch,
Nehmt mir's nicht übel, junger Herr. Es ist,
Weiß Gott! die pure Liebe und Erbarmniß,
Die mich so frei läßt von der Leber sprechen.
Den Kopf verlieren! Wißt Ihr, was das heißt?
Es ist nicht möglich—

Kalaf. So in Wind zu reden!
Ihr habt in Wind gesprochen, alter Meister!
Tod oder Turandot!

Altoum. Nun denn, so hab' es!
Verderbe dich, und mich stürz' in Verzweiflung! (Zu der Wache)
Man geh' und rufe meine Tochter her. (Wache geht hinaus.)
Sie kann sich heut am zweiten Opfer weiden.

Kalaf (gegen die Thüre gewendet, in heftiger Bewegung).
Sie kommt! Ich soll sie sehen! Ew'ge Mächte,
Das ist der große Augenblick! O, stärket
Mein Herz, daß mich der Anblick nicht verwirre,
Des Geistes Helle nicht mit Nacht umgebe!
Ich fürchte keine als der Schönheit Macht.
Ihr Götter, gebt, daß ich mir selbst nicht fehle!
Ihr seht es, meine Seele wankt; Erwartung
Durchzittert mein Gebein und schnürt das Herz
Mir in der Brust zusammen.—Weise Richter
Des Divans! Richter über meine Tage!
O, zeiht mich nicht strafbaren Übermuths,
Daß ich das Schicksal zu versuchen wage!
Bedauert mich! Beweint den Unglücksvollen!
Ich habe hier kein Wählen und kein Wollen!
Unwiderstehlich zwingend reißt es mich
Von hinnen, es ist mächtiger, als ich.

Vierter Auftritt.

Man hört einen Marsch.

Truffaldin tritt auf, den Säbel an der Schulter, die Schwarzen hinter ihm, darauf mehrere Sklavinnen, die zu den Trommeln accompagnieren. Nach diesen Adelma und Zelima, jene in tartarischem Anzug, beide verschleiert. Zelina trägt einen Schüssel mit versiegelten Papieren. Truffaldin und seine Schwarzen werfen sich im Vorbeiziehen vor dem Kaiser mit der Stirn auf die Erde und stehen sogleich wieder auf; die Sklavinnen knieen nieder mit der Hand auf der Stirn. Zuletzt erscheint Turandot verschleiert, in reicher chinesischer Kleidung. majestätisch und stolz. Die Räthe und Doctoren werfen sich vor ihr mit dem Angesicht auf die Erde. Altoum steht auf; die Prinzessin macht ihm, die Hand auf der Stirn, eine abgemessene Verbeugung, steigt dann auf ihren Thron und setzt sich. Zelima und Adelma nehmen zu ihren beiden Seiten Platz, und die letztere den Zuschauern am nächsten. Truffaldin nimmt der Zelima die Schlüssel ab und vertheilt unter lächerlichen Ceremonien die Zettel unter die acht Doctoren. Darauf entfernt er sich mit denselben Verbeugungen, wie am Anfang, und der Marsch hört auf.

Turandot (nach einer langen Pause).
Wer ist's, der sich aufs Neu vermessen schmeichelt,
Nach so viel kläglich warnender Erfahrung,
In meine tiefen Räthsel einzudringen!
Der, seines eignen Lebens Feind, die Zahl
Der Todesopfer zu vermehren kommt!
Altoum (zeigt auf Kalaf. der erstaunt in der Mitte des Divans steht).
Der ist es, Tochter—würdig wohl ist er's,
Daß du freiwillig zum Gemahl ihn wählest,
Ohn' ihn der furchtbarn Probe auszusetzen
Und neue Trauer diesem Land, dem Herzen
Des Vaters neue Stacheln zu bereiten.

Turandot (nachdem sie ihn eine Zeit lang betrachtet, leise zur Zelima).
O Himmel! Wie geschieht mir, Zelima!

Zelima. Was ist dir, Königin?

Turandot. Noch Keiner trat
Im Divan auf, der dieses Herz zu rühren
Verstanden hätte. Dieser weiß die Kunst.

Zelima. Drei leichte Räthsel denn, und Stolz—fahr hin!

Turandot. Was sagst du? Wie, Verwegne? Meine Ehre?

Adelma (hat während dieser Rede den Prinzen mit höchstem
Erstaunen betrachtet, für sich).
Täuscht mich ein Traum? Was seh' ich, große Götter!
Er ist's, der schöne Jüngling ist's, den ich
Am Hofe meines Vaters Keicobad
Als niedern Knecht gesehn!—Er war ein Prinz!
Ein Königssohn! Wohl sagte mir's mein Herz;
O, meine Ahnung hat mich nicht betrogen!

Turandot. Prinz, noch ist's Zeit. Gebt das verwegene
Beginnen auf! Gebt's auf! Weicht aus dem Divan!
Der Himmel weiß, daß jene Zungen lügen,
Die mich der Härte zeihn und Grausamkeit.
—Ich bin nicht grausam. Frei nur will ich leben;
Bloß keines Andern will ich sein; dies Recht,
Das auch dem allerniedrigsten der Menschen
Im Leib der Mutter anerschaffen ist,
Will ich behaupten, eines Kaisers Tochter.
Ich sehe durch ganz Asien das Weib
Erniedrigt und zum Sklavenjoch verdammt,
Und rächen will ich mein beleidigtes Geschlecht
An diesem stolzen Männervolke, dem
Kein andrer Vorzug vor dem zärtern Weibe
Als rohe Stärke ward. Zur Waffe gab
Natur mir den erfindenden Verstand
Und Scharfsinn, meine Freiheit zu beschützen.
—Ich will nun einmal von dem Mann nichts wissen,
Ich hass' ihn, ich verachte seinen Stolz
Und Übermuth—Nach allem Köstlichen
Streckt er begehrlich seine Hände aus;
Was seinem Sinn gefällt, will er besitzen.
Hat die Natur mit Reizen mich geschmückt,
Mit Geist begabt—warum ist's denn das Loos
Des Edeln in der Welt, daß es allein
Des Jägers wilde Jagd nur reizt, wenn das Gemeine
In seinem Unwerth ruhig sich verbirgt?
Muß denn die Schönheit eine Beute sein
Für Einen? Sie ist frei, so wie die Sonne,
Die allbeglückend herrliche, am Himmel,
Der Quell des Lichts, die Freude aller Augen,
Doch Keines Sklavin und Leibeigenthum.

Kalaf. So hoher Sinn, so seltner Geistesadel
In dieser göttlichen Gestalt! Wer darf
Den Jüngling schelten, der sein Leben
Für solchen Kampfpreis freudig setzt!—Wagt doch
Der Kaufmann um geringe Güter Schiff
Und Mannschaft an ein wildes Element;
Es jagt der Held dem Schattenbild des Ruhms
Durchs blut'ge Feld des Todes nach—Und nur
Die Schönheit wär' gefahrlos zu erwerben,
Die aller Güter erstes, höchstes ist?
Ich also zeih' Euch keiner Grausamkeit;
Doch nennt auch Ihr den Jüngling nicht verwegen
Und haßt ihn nicht, weil er mit glühnder Seele
Nach dem Unschätzbaren zu streben wagt!
Ihr selber habt ihm seinen Preis gesetzt,
Womit es zu erkaufen ist—die Schranken
Sind offen für den Würdigen—Ich bin
Ein Prinz, ich hab' ein Leben dran zu wagen.
Kein Leben zwar des Glücks; doch ist's mein Alles,
Und hätt' ich's tausendmal, ich gäb' es hin.

Zelima (leise zu Turandot).
Hört Ihr, Prinzessin? Um der Götter willen!
Drei leichte Räthsel! Er verdient's.

Adelma. Wie edel! Welche Liebenswürdigkeit!
O, daß er mein sein könnte! Hätt' ich damals
Gewußt, daß er ein Prinz geboren sei,
Als ich der süßen Freiheit mich noch freute!
—O, welche Liebe flammt in meiner Brust,
Seitdem ich ihn mir ebenbürtig weiß!
—Muth, Muth, mein Herz! Ich muß ihn noch besitzen.

(Zu Turandot.)
Prinzessin! Ihr verwirret Euch! Ihr schweigt!
Bedenket Euren Ruhm! Es gilt die Ehre!

Turandot. Und er allein riss' mich zum Mitleid hin?
Nein. Turandot, du mußt dich selbst besiegen.
—Verwegener, wohlan! Macht Euch bereit!

Altoum. Prinz, Ihr beharrt noch?

Kalaf. Sire! ich wiederhol' es:
Tod oder Turandot! (Pantalon und Tartaglia geberden sich ungeduldig.)

Altoum. So lese man
Das blutige Mandat. Er hör's und zittre!

(Tartaglia nimmt das Gesetzbuch aus dem Busen, küßt es, legt es sich auf die Brust, hernach auf die Stirn, dann überreicht er's dem Pantalon.)

Pantalon (empfängt das Gesetzbuch, nachdem er sich mit der Stirn
auf die Erde geworfen, steht auf und liest dann mit lauter Stimme.)
"Es kann sich jeder Prinz um Turandot bewerben,
"Doch erst drei Räthsel legt die Königin ihm vor.
"Löst er sie nicht, muß er vom Beile sterben,
"Und schaugetragen wird sein Haupt auf Peckins Thor.
"Löst er die Räthsel auf hat er die Braut gewonnen.
"So lautet das Gesetz. Wir schwören's bei der Sonnen."

(Nach geendigter Vorlesung küßt er das Buch, legt es sich auf die Brust und Stirn und überreicht es dem Tartaglia, der sich mit der Stirn auf die Erde wirft, es empfängt und dem Altoum präsentiert.)

Altoum (hebt die rechte Hand empor und legt sie auf das Buch).
O Blutgesetz! du meine Qual und Pein!
Ich schwör's bei Fohis Haupt, du sollst vollzogen sein.

(Tartaglia steckt das Buch wieder in den Busen, es herrscht eine lange Stille.)

Turandot (in declamatorischem Ton, aufstehend).
 Der Baum, auf dem die Kinder
 Der Sterblichen verblühn,
 Steinalt, nichts desto minder
 Stets wieder jung und grün;
 Er kehrt auf einer Seite
 Die Blätter zu dem Licht;
 Doch kohlschwarz ist die zweite
 Und sieht die Sonne nicht.

 Er setzet neue Ringe,
 So oft er blühet, an.
 Das Alter aller Dinge
 Zeigt er den Menschen an.
 In seine grüne Rinden
 Drückt sich ein Name leicht,
 Der nicht mehr ist zu finden,
 Wenn sie verdorrt und bleicht.
 So sprich, kannst du's ergründen,
 Was diesem Baume gleicht? (Sie setzt sich wieder).

Kalaf (nachdem er eine Zeitlang nachdenkend in die Höhe gesehen,
verbeug sich gegen die Prinzessin).
Zu glücklich, Königin, ist Euer Sklav,
Wenn keine dunklern Räthsel auf ihn warten.
Dieser alte Baum, der immer sich erneut,
Auf dem die Menschen wachsen und verblühen,
Und dessen Blätter auf der einen Seite
Die Sonne suchen, auf der andern fliehen,
In dessen Rinde sich so mancher Name schreibt,
Der nur, so lang sie grün ist, bleibt.
—Er ist—das Jahr mit seinen Tagen und Nächten.

Pantalon (freudig).
Tartaglia! Getroffen!

Tartaglia. Auf ein Haar!

Doctoren (erbrechen ihre Zettel).
Optime! Optime! Optime! das Jahr, das
Jahr, das Jahr! Es ist das Jahr. (Musik fällt ein.)

Altoum (freudig). Der Götter Gnade sei mit dir, mein Sohn,
Und helfe dir auch durch die andern Räthsel!

Zelima (bei Seite).
O Himmel, schütz' ihn!

Adelma (gegen die Zuschauer). Himmel, schütz' ihn nicht!
Laß nicht geschehn, daß ihn die Grausame
Gewinne, und die Liebende verliere!

Turandot (entrüstet, für sich).
Er sollte siegen? Mir den Ruhm entreißen?
Nein, bei den Göttern! (Zu Kalaf.) Selbstzufriedner Thor!
Frohlocke nicht zu früh! Merk' auf und löse!

(Steht wieder auf und fährt in declamatorischem Tone fort.)

Kennst du das Bild auf zartem Grunde?
Es gibt sich selber Licht und Glanz.
Ein andres ist's zu jeder Stunde,
Und immer ist es frisch und ganz.
Im engsten Raum ist's ausgeführt,
Der kleinste Rahmen faßt es ein;
Doch alle Größe, die dich rühret,
kennst du durch dieses Bild allein.

Und kannst du den Krystall mir nennen?
Ihm gleicht an Werth kein Edelstein;
Er leuchtet, ohne je zu brennen,
Das ganze Weltall saugt er ein.
Der Himmel selbst ist abgemalet
In seinem wundervollen Ring;
Und doch ist, was er von sich strahlet,
Oft schöner, als was er empfing.

Kalaf (nach einem kurzen Nachdenken, sich gegen die
Prinzessin verbeugend).
Zürnt nicht, erhabne Schöne, daß ich mich
Erdreiste, Eure Räthsel aufzulösen.
—Dies zarte Bild, das, in den kleinsten Rahmen
Gefaßt, das Unermeßliche uns zeigt,
Und der Krystall, in dem dies Bild sich malt
Und der noch Schönres von sich strahlt—
Er ist das Aug, in das die Welt sich drückt,
Dein Auge ist's, wenn es mir Liebe blickt.

Pantalon (springt freudig auf).
Tartaglia! Mein' Seel! Ins schwarze Fleck
Geschossen.

Tartaglia. Mitten hinein, so wahr ich lebe!

Doctoren (haben die Zettel eröffnet).
Optime! Optime! Optime! Das Auge, das Auge,
Es ist das Auge. (Musik fällt ein.)

Altoum. Welch unverhofftes Glück! Ihr güt'gen Götter!
O, laßt ihn auch das letzte Ziel noch treffen!

Zelima (bei Seite). O, wäre dies das letzte!

Adelma (gegen die Zuschauer).
Weh mir. Er siegt! Er ist für mich verloren! (Zu Turandot.)
Prinzessin, Euer Ruhm ist hin! Könnt Ihr's
Ertragen? Eure vor'gen Siege alle
Verschlingt ein einz'ger Augenblick.

Turandot (steht auf in heftigem Zorn). Eh soll
Die Welt zu Grunde gehn! Verwegner, wisse!
Ich hasse dich nur desto mehr, je mehr
Du hoffst mich zu besiegen, zu besitzen.
Erwarte nicht das letzte Räthsel! Flieh!
Weich aus dem Divan! Rette deine Seele!

Kalaf. Nur Euer Haß ist's, angebetete
Prinzessin, was mich schreckt und ängstiget.
Dies unglücksel'ge Haupt sinkt in den Staub,
Wenn es nicht werth war. Euer Herz zu rühren.

Altoum. Steh ab, geliebter Sohn! Versuche nicht
Die Götter, die dir zweimal günstig waren.
Jetzt kannst du dein gerettet Leben noch,
Gekrönt mit Ehre, aus dem Divan tragen.
Nichts helfen dir zwei Siege, wenn der dritte
Dir, der entscheidende, mißlingt—Je näher
Dem Gipfel, desto schwerer ist der Fall.
—Und du—laß es genug sein, meine Tochter,
Steh ab, ihm neue Räthsel vorzulegen.
Er hat geleistet, was kein andrer Prinz
Vor ihm. Gib ihm die Hand, er ist sie werth,
Und endige die Proben.

(Zelima macht flehende, Adelma drohende Geberden gegen Turandot.)

Turandot. Ihm die Hand?
Die Proben ihm erlassen? Nein, drei Räthsel
Sagt das Gesetz. Es habe seinen Lauf.

Kalaf. Es habe seinen Lauf. Mein Schicksal liegt
In Götterhand. Tod oder Turandot!

Turandot. Tod also! Tod! Hörst du's?

(Sie steht auf und fährt auf die vorige Art zu declamieren fort.)

Wie heißt das Ding, das Wen'ge schätzen,
Doch ziert's des größten Kaisers Hand;
Es ist gemacht, um zu verletzen,
Am nächsten ist's dem Schwert verwandt.
Kein Blut vergießt's und macht doch tausend Wunden,
Niemand beraubt's und macht doch reich,
Es hat den Erdkreis überwunden,
Es macht das Leben sanft und gleich.
Die größten Reiche hat's gegründet,
Die ältsten Städte hat's erbaut;
Doch niemals hat es Krieg entzündet,
Und Heil dem Volk, das ihm vertraut.
Fremdling, kannst du das Ding nicht rathen,
So weich aus diesen blühenden Staaten!

(Mit den letzten Worten reißt sie sich ihren Schleier ab.)

Sieh her und bleibe deiner Sinne Meister!
Stirb oder nenne mir das Ding!

Kalaf (außer sich, hält die Hand vor die Augen).
O Himmelsglanz! O Schönheit, die mich blendet!

Altoum. Gott, er verwirrt sich, er ist außer sich.
Faß dich, mein Sohn! O, sammle deine Sinne!

Zelima (für sich).
Mir bebt das Herz.

Adelma (gegen die Zuschauer). Mein bist du, theurer Fremdling!
Ich rette dich, die Liebe wird mich's lehren.

Pantalon (zu Kalaf).
Um Gotteswillen, nicht den Kopf verloren!
Nehmt Euch zusammen! Herz gefaßt, mein Prinz!
O weh, o weh! Ich fürcht', er ist geliefert.

Tartaglia (gravitätisch für sich).
Ließ' es die Würde zu, wir gingen selbst zur Küche
Nach einem Essigglas.

Turandot (hat den Prinzen, der noch immer außer Fassung
da steht, unverwandt betrachtet).
Unglücklicher!
Du wolltest dein Verderben. Hab' es nun!

Kalaf (hat sich gefaßt und verbeugt sich mit einem ruhigen
Lächeln gegen Turandot).
Nur Eure Schönheit, himmlische Prinzessin,
Die mich auf einmal überraschend, blendend
Umleuchtete, hat mir auf Augenblicke
Den Sinn geraubt. Ich bin nicht überwunden.
Dies Ding von Eisen, das nur Wen'ge schätzen,
Das Chinas Kaiser selbst in seiner Hand
Zu Ehren bringt am ersten Tag des Jahrs,
Dies Werkzeug, das, unschuld'ger als das Schwert,
Dem frommen Fleiß den Erdkreis unterworfen—
Wer träte aus den öden, wüsten Steppen
Der Tartarei, wo nur der Jäger schwärmt,
Der Hirte weidet, in dies blühende Land
Und sähe rings die Saatgefilde grünen
Und hundert volkbelebte Städte steigen,
Von friedlichen Gesetzen still beglückt,
Und ehrte nicht das köstliche Geräthe,
Das allen diesen Segen schuf—den Pflug?

Pantalon. O, sei gebenedeit! Laß dich umhalsen!
Ich halte mich nicht mehr vor Freud' und Jubel.

Tartaglia. Gott segne Eure Majestät! Es ist
Vorbei, und aller Jammer hat ein Ende.

Doctoren (haben die Zettel geöffnet).
Der Pflug, der Pflug! Es ist der Pflug!

(Alle Instrumente fallen ein mit großem Geräusch. Turandot ist auf ihrem Thron in Ohnmacht gesunken.)

Zelima (Um Turandot beschäftigt).
Blickt auf, Prinzessin! Fasset Euch! Der Sieg
Ist sein; der schöne Prinz hat überwunden.

Adelma (an die Zuschauer).
Der Sieg ist sein! Er ist für mich verloren.
—Nein, nicht verloren! Hoffe noch, mein Herz!

(Altoum ist voll Freude, bedient von Pantalon und Tartaglia, vom Throne gestiegen. Die Doctoren erheben sich alle von ihren Sitzen und ziehen sich nach dem Hintergrund. Alle Thüren werden geöffnet. Man erblickt Volk. Alles dies geschieht, während die Musik fortdauert.)

Altoum (zu Turandot).
Nun hörst du auf, mein Alter zu betrüben,
Grausames Kind! Genug ist dem Gesetz
Geschehen, alles Unglück hat ein Ende.
—Kommt an mein Herz. geliebter Prinz, mit Freuden
Begrüß' ich Euch als Eidam!

Turandot (ist wieder zu sich gekommen und stürzt in sinnloser
Wuth von ihrem Throne, zwischen beide sich werfend).
 Haltet ein!
Er hoffe nicht, mein Ehgemahl zu werden!
Die Probe war zu leicht. Er muß aufs neu'
Im Divan mir drei andre Räthsel lösen.
Man überraschte mich. Mir ward nicht Zeit
Vergönnt, mich zu bereiten, wie ich sollte.

Altoum. Grausame Tochter, deine Frist ist um!
Nicht hoffe mehr, uns listig zu beschwatzen.
Erfüllt ist die Bedingung des Gesetzes,
Mein ganzer Divan soll den Ausspruch thun.

Pantalon. Mit Eurer Gunst, Prinzessin Kieselherz!
Es braucht nicht neue Räthsel zuzuspitzen
Und neue Köpfe abzuhacken—Da!
Hier steht der Mann! Der hat's errathen! Kurz:
Das Gesetz hat seine Endschaft, und das Essen
Steht auf dem Tisch—Was sagt der Herr Collega?

Tartaglia. Das Gesetz ist aus, ganz aus, und damit Punctum.
Was sagen Ihre Würden, die Doctoren?

Doctoren. Das Gesetz ist aus. Das Köpfen hat ein Ende.
Auf Leid folgt Freud. Man gebe sich die Hände.

Altoum. So trete man den Zug zum Tempel an.
Der Fremde nenne sich, und auf der Stelle
Vollziehe man die Trauung—

Turandot (wirft sich ihm in den Weg). Aufschub, Vater!
Um aller Götter willen!

Altoum. Keinen Aufschub!
Ich bin entschlossen. Undankbares Kind!
Schon allzulang zu meiner Schmach und Pein
Willfahr' ich deinem grausamen Begehren.
Dein Urtheil ist gesprochen; mit dem Blut
Von zehen Todesopfern ist's geschrieben,
Die ich um deinetwillen morden ließ.
Mein Wort hab' ich gelöst, nun löse du
Das Deine, oder, bei dem furchtbarn Haupt
Des Fohi sei's geschworen—

Turandot (wirft sich zu seinen Füßen). O mein Vater!
Nur einen neuen Tag vergönnt mir—

Altoum. Nichts!
Ich will nichts weiter hören. Fort zum Tempel!

Turandot (außer sich).
So werde mir der Tempel denn zum Grab!
Ich kann und will nicht seine Gattin sein,
Ich kann es nicht. Eh tausend Tode sterben,
Als diesem stolzen Mann mich unterwerfen,
Der bloße Name schon, schon der Gedanke,
Ihm unterthan zu sein, vernichtet mich.

Kalaf. Grausame, Unerbittliche, steht auf!
Wer könnte Euren Thränen widerstehn? (Zu Altoum.)
Laßt Euch erbitten, Sire! Ich flehe selbst
Darum. Gönnt Ihr den Aufschub, den sie fordert.
Wie könnt' ich glücklich sein, wenn sie mich haßt!
Zu zärtlich lieb' ich sie—Ich kann's nicht tragen,
Ihr Leiden, ihren Schmerz zu sehn—Fühllose!
Wenn dich des treusten Herzens treue Liebe
Nicht rühren kann, wohlan, so triumphiere!
Ich werde nie dein Gatte sein mit Zwang.
O, sähest du in dies zerrißne Herz,
Gewiß, du fühltest Mitleid—Dich gelüstet
Nach meinem Blut? Es sei darum. Verstattet,
Die Probe zu erneuern, Sire—Willkommen
Ist mir der Tod. Ich wünsche nicht zu leben.

Altoum.
Nichts, nichts! Es ist beschlossen. Fort zum Tempel!
Kein anderer Versuch—Unkluger Jüngling!

Turandot (fährt rasend auf).
Zum Tempel denn! Doch am Altar wird Eure Tochter
Zu sterben wissen.

(Sie zieht einen Dolch und will gehen.)

Kalaf. Sterben! Große Götter!
Nein, eh' es dahin kommt—Hört mich, mein Kaiser!
Gönn' Eure Gnade mir die einz'ge Gunst.
—Zum zweitenmal will ich ihr im Divan,
Ich—ihr ein Räthsel aufzulösen geben.
Und dieses ist: Weß Stamms und Namens ist
Der Prinz, der, um das Leben zu erhalten,
Gezwungen ward, als niedrer Knecht zu dienen
Und Lasten um geringen Lohn zu tragen;
Der endlich auf dem Gipfel seiner Hoffnung
Noch unglücksel'ger ist, als je zuvor?
—Grausame Seele! Morgen früh im Divan
Nennt mir des Vaters Namen und des Prinzen.
Vermögt Ihr's nicht—so laßt mein Leiden enden
Und schenkt mir diese theure Hand! Nennt Ihr
Die Namen mir, so mag mein Haupt zum Opfer fallen.

Turandot. Ich bin's zufrieden, Prinz! Auf die Bedingung
Bin ich die Eurige.

Zelima (für sich). Ich soll von Neuem zittern!

Adelma (seitwärts).
Ich darf von Neuem hoffen!

Altoum. Ich bin's nicht
Zufrieden. Nichts gestatt' ich. Das Gesetz
Will ich vollzogen wissen.

Kalaf (fällt ihm zu Füßen). Mächt'ger Kaiser!
Wenn Bitten dich bewegen—wenn du mein,
Wenn du der Tochter Leben liebst, so duld' es!
Bewahren mich die Götter vor der Schuld,
Daß sich ihr Geist nicht sättige. Er weide
Mit Wollust sich an meinem Blut—Sie löse
Im Divan, wenn sie Scharfsinn hat, mein Räthsel!

Turandot (für sich).
Er spottet meiner noch, wagt's, mir zu trotzen!

Altoum (zu Kalaf).
Unsinniger! Ihr wißt nicht, was Ihr fordert,
Wißt nicht, welch einen Geist sie in sich hat,
Das Tiefste auch versteht sie zu ergründen.
—Sei's denn! Die neue Probe sei verstattet!
Sie sei des Bandes mit Euch los, kann sie
Im Divan morgen uns die Namen nennen.
Doch eines neuen Mordes Trauerspiel
Gestatt' ich nicht—Erräth sie, was sie soll,
So zieht in Frieden Euren Weg—Genug
Des Blutes ist geflossen. Folgt mir, Prinz!
—Unkluger Jüngling! Was habt Ihr gethan?

(Der Marsch wird wieder gehört. Altoum geht gravitätisch mit dem Prinzen, Pantalon. Tartaglia, den Doctoren und der Leibwache durch die Pforte ab, durch die er gekommen. Turandot, Adelma, Zelima, Sklavinnen und Truffaldin mit den Verschnittenen entfernen sich durch die andere Pforte, ihren ersten Marsch wiederholend.)

Dritter Aufzug.

Ein Zimmer im Serail.

Erster Auftritt.

Adelma allein.

Jetzt oder nie entspring' ich diesen Banden.
Fünf Jahre trag' ich schon den glühnden Haß
In meiner Brust verschlossen, heuchle Freundschaft
Und Treue für die Grausame, die mir
Den Bruder raubte, die mein ganz Geschlecht
Vertilgte, mich zu diesem Sklavenloos
Herunterstieß—In diesen Adern rinnt,
Wie in den ihren, königliches Blut;
Ich achte mich, wie sie, zum Thron geboren.
Und dienen soll ich ihr, mein Knie ihr beugen,
Die meines ganzen Hauses Mörderin,
Die meines Falles blut'ge Ursach ist.
Nicht länger duld' ich den verhaßten Zwang,
Erschöpft ist mir die Kraft, ich unterliege
Der lang getragnen Bürde der Verstellung.
Der Augenblick ist da, mich zu befrein,
Die Liebe soll den Rettungsweg mir bahnen.
All' meine Künste biet' ich auf—Entweder
Entdeck' ich sein Geheimniß oder schreck' ihn
Durch List aus diesen Mauern weg—Verhaßte!
Du sollst ihn nicht besitzen! Diesen Dienst
Will ich aus falschem Herzen dir noch leisten.
Mir selber dien' ich, süße Rache üb' ich,
Dein Herz zerreiß' ich, da ich deinem Stolz
Verräthrisch diene—ich durchschaute dich!
Du liebst ihn, aber darfst es nicht gestehn.
Du mußt ihn von dir stoßen und verwerfen,
Wider dich selber mußt du thöricht wüthen,
Den lächerlichen Ruhm dir zu bewahren;
Doch ewig bleibt der Pfeil in deiner Brust,
Ich kenn' ihn; nie vernarben seine Wunden.
—Dein Frieden ist vorbei! Du hast empfunden!

(Turandot erscheint im Hintergrund, auf Zelima gelehnt, welche beschäftigt ist, sie zu beruhigen.)

Sie kommt, sie ist's! Verzehrt von Scham und Wuth
Und von des Stolzes und der Liebe Streit!
Wie lab' ich mich an ihrer Seele Pein!
—Sie nähert sich—Laß hören, was sie spricht!

Zweiter Auftritt.

Turandot im Gespräch mit Zelima. Adelma, anfangs ungesehen.

Turandot. Hilf, rath mir, Zelima. Ich kann's nicht tragen,
Mich vor dem ganzen Divan überwunden
Zu geben!—Der Gedanke tödtet mich.

Zelima. Ist's möglich, Königin? Ein so edler Prinz
So liebeathmend und so liebenswerth,
Kann nichts als Haß und Abscheu—

Turandot. Abscheu! Haß! (Sie besinnt sich)
—Ich hass' ihn, ja. Abscheulich ist er mir!
Er hat im Divan meinen Ruhm vernichtet.
In allen Landen wird man meine Schande
Erfahren, meiner Niederlage spotten.
O, rette mich—In aller Frühe, will
Mein Vater, soll der Divan sich versammeln,
Und lös' ich nicht die aufgegebne Frage,
So soll in gleichem Augenblick das Band
Geflochten sein—"Weß Stamms und Namen ist
"Der Prinz, der, um sein Leben zu erhalten,
"Gezwungen ward, als niedrer Knecht zu dienen
"Und Lasten um geringen Preis zu tragen;
"Der endlich auf dem Gipfel seiner Hoffnung
"Noch unglücksel'ger ist, als je zuvor?"—
—Daß dieser Prinz er selbst ist, seh' ich leicht.
Wie aber seinen Namen und Geschlecht
Entdecken, da ihn Niemand kennt, der Kaiser
Ihm selbst verstattet, unerkannt zu bleiben?
Geängstigt, wie ich war, geschreckt, gedrängt,
Ging ich die Wette unbedachtsam ein.
Ich wollte Frist gewinnen—Aber wo
Die Möglichkeit, es zu errathen? Sprich!
Wo eine Spur, die zu ihm leiten könnte?

Zelima. Es gibt hier kluge Frauen, Königin,
Die aus dem Thee- und Kaffeesatz wahrsagen—

Turandot. Du spottest meiner! Dahin kam's mit mir!

Zelima. Wozu auch überall der fremden Künste?
—O, seht ihn vor Euch stehn, den schönen Prinzen!
Wie rührend seine Klage war! Wie zärtlich
Er aus zerrißnem Herzen zu Euch flehte!
Wie edelmüthig er, sein selbst vergessen,
Zu Eures Vaters Füßen für Euch bat,
Für Euch, die kein Erbarmen mit ihm trug,
Zum zweitenmal sein kaum gerettet Leben
Darbot, um Eure Wünsche zu vergnügen!

Turandot (weggewendet). Still, still davon!

Zelima. Ihr kehrt Euch von mir ab!
Ihr seid gerührt! Ja, ja! Verbergt es nicht!
Und eine Thräne glänzt in Eurem Auge—
O, schämt Euch nicht der zarten Menschlichkeit!
Nie sah ich Euer Angesicht so schön.
O, macht ein Ende! Kommt—

(Adelma ist im Begriff hervorzutreten.)

Turandot. Nichts mehr von ihm!
Er ist ein Mann. Ich hass' ihn, muß ihn hassen.
Ich weiß, daß alle Männer treulos sind,
Nichts lieben können als sich selbst; hinweg-
Geworfen ist an dies verräterische Geschlecht
Die schöne Neigung und die schöne Treue.
Geschmeid'ge Sklaven, wenn sie um uns werben,
Sind sie Tyrannen, gleich, wo sie besitzen.
Das blinde Wollen, den gereizten Stolz,
Das eigensinnig heftige Begehren,
Das nennen sie ihr Lieben und Verehren.
Das reißt sie blind zu unerhörter That,
Das treibt sie selber auf den Todespfad;
Das Weib allein kennt wahre Liebestreue.
—Nicht weiter, sag' ich dir. Gewinnt er morgen,
Ist mir der Tod nicht schrecklicher, als er.
Mich sah' die Welt, die mir gehässig ist,
Zu dem gemeinen Loos herabgewürdigt
An eines Mannes und Gebieters Hand!
Nein, nein! So tief soll Turandot nicht sinken!
—Ich seine Braut! Eh' in das offne Grab
Mich stürzen, als in eines Mannes Arme!

(Adelma hat sich wieder zurückgezogen.)

Zelima. Wohl mag's Euch kosten, Königin, ich glaub' es,
Von Eurer stolzen Höh' herabzusteigen,
Auf der die Welt Euch staunend hat gesehn.
Was ist der eitle Ruhm, wenn Liebe spricht?
Gesteht es, Eure Stunde ist gekommen!
Weg mit dem Stolze! Weicht der stärkeren
Gewalt—Ihr haßt ihn nicht, könnt ihn nicht hassen,
Warum dem eignen Herzen widerstreben?
Ergebt Euch dem geliebten Mann, und mag
Alsdann die Welt die Glückliche verhöhnen!

Adelma (ist horchend nach und nach näher gekommen und
tritt jetzt hervor).
Wer von geringem Stand geboren ist,
Dem steht es an, wie Zelima zu denken.
Ein königliches Herz fühlt königlich.
—Vergib mir! Zelima! Dir ist es nicht gegeben,
An einer Fürstin Platz dich zu versetzen,
Die sich so hoch wie unsre Königin
Gestellt und jetzt, vor aller Menschen Augen,
Im Divan so herunter steigen soll,
Von einem schlechten Fremdling überwunden.
Mit meinen Augen sah ich den Triumph,
Den stolzen Hohn in aller Männer Blicken,
Als er die Rätsel unsrer Königin,
Als wären's Kinderfragen, spielend löste,
Der überlegnen Einsicht stolz bewußt.
O, in die Erde hätt' ich sinken mögen
Vor Scham und Wuth—Ich liebe meine schöne
Gebieterin; ihr Ruhm liegt mir am Herzen.
—Sie, die dem ganzen Volk der Männer Hohn
Gesprochen, dieses Mannes Frau!

Turandot. Erbittre mich
Nicht mehr!

Zelima. Das große Unglück, Frau zu werden!

Adelma. Schweig. Zelima! Man will von dir nicht wissen,
Wodurch ein edles Herz beleidigt wird.
Ich kann nicht schmeicheln. Grausam wär' es, hier
Zu schonen und die Wahrheit zu verhehlen.
Ist es schon hart genug, daß wir den Mann,
Den übermüthigen, zum Herrn uns geben,
So liegt doch Trost darin, daß wir uns selbst
Mit freier Wahl und Gunst an ihn verschenken,
Und seine Großmuth fesselt seinen Stolz.
Doch welches Loos trifft unsre Königin,
Wie hat sie selbst sich ihr Geschick verschlimmert!
Nicht ihrer freien Gunst und Zärtlichkeit,
Sich selbst nur, seinem siegenden Verstand
Wird sie der Stolze zu verdanken haben;
Als seine Beute führt er sie davon—
Wird er sie achten, Großmuth an ihr üben,
Die keine gegen ihn bewies, auf Tod
Und Leben ihn um sie zu kämpfen zwang,
Ihm nur als Preis des Sieges heimgefallen?
Wird er bescheiden seines Rechtes brauchen,
Das er nur seinem Recht verdankt?

Turandot (in der heftigsten Bewegung). Adelma, wisse!
Find' ich die Namen nicht, mitten im Tempel
Durchstoß' ich diese Brust mit einem Dolch.

Adelma. Faßt Muth, Gebieterin. Verzweifelt nicht!
Kunst oder List muß uns das Räthsel lösen.

Zelima. Gut. Wenn Adelma mehr versteht, als ich,
Und Euch so zugethan ist, wie sie sagt,
So helfe sie und schaffe Rath.

Turandot. Adelma!
Geliebte Freundin! Hilf mir, schaffe Rath!
Ich kenn' ihn nicht, weiß nicht, woher er kommt;
Wie kann ich sein Geschlecht und Namen wissen?

Adelma (nachsinnend).
Laß sehn—Ich hab' es—hörte man ihn nicht
Im Divan sagen, hier in dieser Stadt,
In Peckin, lebe Jemand, der ihn kenne?
Man muß nachspüren, muß die ganze Stadt
Umkehren, weder Gold noch Schätze sparen—

Turandot. Nimm Gold und Edelsteine, spare nichts.
Kein Schatz ist mir zu groß, nur, daß ich's wisse!

Zelima. An wen uns damit wenden? Wo uns Raths
Erholen?—Und, gesetzt, wir fänden wirklich
Auf diesem Wege seinen Stand und Namen,
Wird es verborgen bleiben, daß Bestechung,
Nicht ihre Kunst das Räthsel uns verrathen?

Adelma. Wird Zelima wohl der Verräther sein?

Zelima. Das geht zu weit—Spart Euer Gold, Prinzessin!
Ich schwieg, ich hoffte Euer Herz zu rühren,
Euch zu bewegen, diesen würdigsten
Von allen Prinzen, den Ihr selbst nicht hasset,
Freiwillig zu belohnen—Doch Ihr wollt es!
So siege meine Pflicht und mein Gehorsam!
—Wißt also! Meine Mutter Skirina
War eben bei mir, war entzückt, zu hören,
Daß dieser Prinz die Räthsel aufgelöst,
Und von dem neuen Wettstreit noch nichts wissend,
Verrieth sie mir in ihrer ersten Freude,
Daß dieser Prinz in ihrem Haus geherbergt,
Daß Hassan ihn, ihr Gatte, sehr wohl kenne,
Wie seinen Herrn und lieben Freund ihn ehre.
Ich fragte nun nach seinem Stand und Namen;
Doch, dies sei noch ein Räthsel für sie selbst.
Spricht sie, das Hassan standhaft ihr verberge;
Doch hofft sie noch, es endlich zu ergründen.
—Verdien' ich es nun noch, so zweifle meine
Gebieterin an meiner Treu' und Liebe!

(Geht ab mit Empfindlichkeit.)

Turandot (ihr nacheilend).
Bleib, Zelima! Bist du beleidigt?—Bleib!
Vergib der Freundin!

Adelma (hält sie zurück). Lassen wir sie ziehen!
Prinzessin, auf die Spur hat Zelima
Geholfen; unsre Sache ist es nun,
Mit Klugheit die Entdeckung zu verfolgen.
Denn Thorheit war's, zu hoffen, daß uns Hassan
Gutwillig das Geheimniß beichten werde,
Nun er den ganzen Werth desselben kennt.
Verschlagne List, ja, wenn die List nicht hilft,
Gewalt muß das Geständniß ihm entreißen;
Drum schnell—Kein Augenblick ist zu verlieren.
Herbei mit diesem Hassan ins Serail,
Eh' er gewarnt sich unserm Arm entzieht.
Kommt! Wo sind Eure Sklaven?

Turandot (fällt ihr um den Hals). Wie du willst,
Adelma! Freundin! Ich genehm'ge Alles.
Nur daß der Fremde nicht den Sieg erhalte! (Geht ab.)

Adelma. Jetzt, Liebe, steh mir bei! Dich ruf' ich an,
Du Mächtige, die Alles kann bezwingen!
Laß mich entzückt der Sklaverei entspringen;
Der Stolz der Feindin öffne mir die Bahn!
Hilf die Verhaßte listig mir betrügen,
Den Freund gewinnen und mein Herz vergnügen! (Geht ab.)

Dritter Auftritt.

Vorhalle des Palastes.

Kalaf und Barak kommen im Gespräch.

Kalaf. Wenn aber Niemand lebt in dieser Stadt,
Der Kundschaft von mir hat, als du allein,
Du treue Seele—Wenn mein väterliches Reich
Viel hundert Meilen weit von hier entlegen
Und schon acht Jahre lang verloren ist.
—Indessen, weißt du, lebten wir verborgen,
Und das Gerücht verbreitet unsern Tod—
Ach, Barak! Wer in Unglück fällt, verliert
Sich leicht aus der Erinnerung der Menschen!

Barak. Nein, es war unbedacht gehandelt, Prinz.
Vergebt mir. Der Unglückliche muß auch
Unmöglichs fürchten. Gegen ihn erheben
Die stummen Steine selber sich als Zeugen;
Die Wand hat Ohren, Mauern sind Verräther.
Ich kann, ich kann mich nicht zufrieden geben.
Das Glück begünstigt Euch, das schönste Weib
Gewinnt Ihr wider Hoffen und Erwarten,
Gewinnt mit ihr ein großes Königreich,
Und Eure weib'sche Zärtlichkeit raubt Euch
Auf einmal Alles wieder!

Kalaf. Hättest du
Ihr Leiden, ihren wilden Schmerz gesehn!

Barak. Auf Eurer Eltern Schmerz, die Ihr zu Berlas
Trostlos verlassen, hättet Ihr, und nicht
Auf eines Weibes Thränen achten sollen!

Kalaf. Schilt meine Liebe nicht! Ich wollt' ihr gerne
Gefällig sein.—Vielleicht, daß meine Großmuth
Sie rührt, daß Dankbarkeit in ihrem Herzen—

Barak. Im Herzen dieser Schlange Dankbarkeit?
Das hoffet nie.

Kalaf. Entgehn kann sie mir nicht.
Wie fände sie mein Räthsel aus? Du, Barak,
Nicht wahr? Du hast mich nicht verrathen? Nicht?
Vielleicht, daß du im Stillen deinem Weibe
Vertraut hast, wer ich sei?

Barak. Ich? Keine Silbe.
Barak weiß Euren Winken zu gehorchen;
Doch weiß ich nicht, welch schwarze Ahnung mir
Den Sinn umnachtet und das Herz beklemmt!

Vierter Auftritt.

Die Vorigen. Pantalon. Tartaglia und Brigella mit Soldaten.

Pantalon. Sieh, sieh! Da ist er ja! Potz Element,
Wo steckt Ihr, Prinz? Was habt Ihr hier zu schaffen?
 (Den Barak mit den Augen musternd.)
Und wer ist dieser Mann, mit dem Ihr schwatzt?

Barak (für sich). Weh' uns! Was wird das?

Tartaglia. Sprecht! Wer ist der Mann?

Kalaf. Ich kenn' ihn nicht. Ich fand ihn hier nur so
Von ohngefähr, und weil ich müßig war,
Fragt' ich ihn um die Stadt und ihre Bräuche.

Tartaglia. Haltet zu Gnaden, Prinz! Ihr seid zu grad
Für diese falsche Welt; das gute Herz
Rennt mit dem Kopf davon—Heut früh im Divan!
Wie Teufel kamt Ihr zu dem Narrenstreich,
Den Vogel wieder aus der Hand zu lassen!

Pantalon. Laßt' s gut sein. Was geschehn ist, ist geschehn.
Ihr wißt nicht, lieber junger Prinz, wie tief Ihr
Im Wasser steht, wie Euch von allen Seiten
Betrug umlauert und Verrätherstricke
Umgeben—Lassen wir Euch aus den Augen,
So richtet man Euch ab, wie einen Staar. (Zu Barak)
Herr Nachbar Naseweis, steckt Eure Nase
Wo anders hin—Beliebt es Eurer Hoheit
Ins Haus herein zu gehn—He da, Soldaten!
Nehmt ihn in eure Mitte!—Ihr, Brigella,
Wißt Eure Pflicht—Bewachet seine Thür
Bis morgen frühe zu des Divans Stunde.
Kein Mensch darf zu ihm ein! So will's der Kaiser.

(Zu Kalaf.)

Merkt Ihr? Er ist verliebt in Euch und fürchtet,
Es möchte noch ein Unheil zwischen kommen.
Seid Ihr bis morgen nicht sein Schwiegersohn,
So, fürcht' ich, tragen wir den alten Herrn
Zu Grabe—Nichts für ungut, Prinz! Doch das
Von heute Morgen war—mit Eurer Gunst—
Ein Narrenstreich!—Ums Himmelswillen! Gebt Euch
Nicht bloß, laßt Euch den Namen nicht entlocken!

(Ihm ins Ohr zutraulich.)

Doch wollt Ihr ihn dem alten Pantalon
Ganz sachtchen, sachtchen in die Ohren wispern,
So wird er sich gar schön dafür bedanken.
Bekommt er diese Recompens?

Kalaf. Wie, Alter?
Gehorcht Ihr so dem Kaiser, Euerm Herrn?

Pantalon. Bravo! Scharmant!—Nun marsch! Voran, Brigella!
Habt Ihr's gehört? Was steht Ihr hier und gaffet?

Brigella. Beliebet nur das Plaudern einzustellen,
So werd' ich thun, was meines Amtes ist.

Tartaglia. Paßt ja wohl auf! Der Kopf steht drauf, Brigella.

Brigella. Ich habe meinen Kopf so lieb, als Ihr
Den Euren, Herr! 's braucht der Ermahnung nicht.

Tartaglia. Es juckt und brennt mich nach dem Namen—Uh!
Geruhtet Ihr, ihn mir zu sagen, Hoheit,
Recht wie ein Kleinod wollt' ich ihn bei mir
Vergraben und bewahren—Ja, das wollt' ich!

Kalaf. Umsonst versucht Ihr mich. Am nächsten Morgen
Erfahrt Ihr ihn. erfährt ihn alle Welt.

Tartaglia. Bravo! Bravissimo! Hol' mich der Teufel!

Pantalon. Nun, Gott befohlen, Prinz! (Zu Barak)
Und Ihr, Herr Schlingel!
Ihr thätet besser, Eurer Arbeit nach
Zu gehn, als im Palast hier aufzupassen,
Versteht Ihr mich? (Geht ab.)

Tartaglia (sieht ihn scheel an). Ja wohl! Ja wohl! Ihr habt mir
So ein gewisses Ansehn—eine Miene,
Die mir nicht außerordentlich gefällt.
Ich rath' Euch Gutes, geht! (Folgt dem Pantalon.)

Brigella (zu Kalaf). Erlaubt mir, Prinz,
Daß ich Dem, der befehlen kann, gehorche.
Laßt's Euch gefallen, in dies Haus zu gehn.

Kalaf. Das will ich gerne. (Zu Barak leise.)
Freund, auf Wiedersehn!
Zu besserer Gelegenheit! Leb wohl!

Barak. Herr, ich bin Euer Sklav!

Brigella. Nur fort! Nur fort!
Und macht den Ceremonien ein Ende!

(Kalaf folgt den Soldaten, die ihn in ihre Mitte nehmen, Timur tritt von der entgegengesetzten Seite auf, bemerkt ihn und macht Geberden des Schreckens und Erstaunens.)

Barak (ihm nachsehend).
Der Himmel steh' dir bei, treuherz'ge Unschuld!
Was mich betrifft, ich hüte meine Zunge.

Fünfter Auftritt.

Timur, ein Greis in dürftiger Kleidung. Barak.

Timur (entsetzt, für sich).
Weh mir! Mein Sohn! Soldaten führen ihn
Gefangen fort! Sie führen ihn zum Tode!
Gewiß, gewiß, daß der Tyrann von Tefflis,
Der Räuber meines Reichs, ihn bis nach Peckin
Verfolgen ließ und seine Rache sättigt!
Doch mit ihm will ich sterben! (Eilt ihm nach und ruft laut.)
 Kalaf! Kalaf!

Barak (tritt ihm in den Weg und hält ihm das Schwert auf die Brust).
Halt ein, Unglücklicher! Du bist des Todes!

(Pause. Beide sehen einander erstaunt an. Unterdessen hat sich
Kalaf mit den Soldaten entfernt.)

Wer bist du, Alter? Woher kommst du? Sprich!
Daß du den Namen dieses Jünglings weißt?

Timur. Was seh' ich? Gott! Du, Barak? Du in Peckin?
Du sein Verräther? Ein Rebell? Und zückst
Das Schwert auf deinen König?

Barak (läßt erstaunt das Schwert sinken). Große Götter!
Ist's möglich?—Timur?

Timur. Ja, Verräther!
Ich bin es, dein unglücklicher Monarch,
Von aller Welt, nun auch von dir verrathen!
Was zögerst du? Nimm dieses Leben hin!
Verhaßt ist mir's, da ich die treusten Diener
Um schnöden Vortheils willen undankbar
Und meinen Sohn dem Tod geopfert sehe!

Barak. Herr!—Herr! O Gott! Das ist mein Fürst, mein König!
Er ist's! Nur allzuwohl erkenn' ich ihn. (Fällt ihm zu Füßen.)
In diesem Staub! In dieser Niedrigkeit!
Ihr Götter, muß mein Auge dies erleben!
—Verzeiht, Gebieter, meiner blinden Wuth!
Die Liebe ist's zu Eurem Sohn, die Angst,
Die treue Sorge, die mich hingerissen.
So lieb Euch Eures Sohnes Heil, so komme
Der Name Kalaf nie aus Eurem Munde!
—Ich nenne mich hier Hassan. nicht mehr Barak—
—Ach, weh mir! Wenn uns Jemand hier behorchte!—
Sagt, ob Elmaze, meine Königin,
Sich auch mit Euch in dieser Stadt befindet?

Timur. Still, Barak—still! O, sprich mir nicht von ihr!
In unserm traur'gen Aufenthalt zu Berlas
Verzehrte sie der Gram um unsern Sohn,
—Sie starb in diesen lebensmüden Armen.

Barak. O die Bejammernswürdige!

Timur. Ich floh!
Ich konnt' es, einsam, dort nicht mehr ertragen.
Des Sohnes Spuren folgend, frag' ich mich
Von Land zu Land, von einer Stadt zur andern.
Und jetzt, da mich nach langem Irren endlich
Der Götter Hand hieher geleitet, ist
Mein erster Anblick der gefangne Sohn,
Den man zum Tode führt.

Barak. Kommt, kommt, mein König!
Befürchtet nichts für Euren Sohn! Vielleicht
Daß ihn, eh noch der nächste Tag verlaufen,
Das höchste Glück belohnt und Euch mit ihm!
Nur, daß sein Name nicht, noch auch der Eure
Von Euern Lippen komme—Merkt Euch das!
Ich nenne mich hier Hassan, nicht mehr Barak.

Timur. Was für Geheimnisse—Erklär' mir doch!

Barak. Kommt! Hier ist nicht der Ort, davon zu reden!
Folgt mir nach meiner Wohnung—Doch, was seh' ich?

(Skirina tritt aus dem Palast.)

Mein Weib aus dem Serail! O wehe mir!
Wir sind entdeckt! (Zu Skirina heftig.) Was hast du hier zu suchen?
Unglückliche! Wo kommst du her?

Sechster Auftritt.

Skirina zu den Vorigen.

Skirina. Nun! Nun!
Aus dem Serail komm' ich, von meiner Tochter.
Die Freude trieb mich hin, daß unser Gast,
Der fremde Prinz, den Sieg davon getragen.
Die Neugier auch—Nun ja—Ich wollte sehn,
Wie dieser männerscheuen Unholdin
Der Brautstand läßt—und freute mich darüber
Mit meiner Tochter Zelima.

Barak. Dacht' ich's doch!
Weib! Weib! Du weißt nicht Alles, und geschwätzig
Wie eine Elster läufst du ins Serail;
Ich suchte dich, es dir zu untersagen.
Umsonst! Zu spät! Des Weibes Unverstand
Rennt immer vor des Mannes weisem Rath
Voraus—Was ist nicht alles dort getratscht,
Geplaudert worden! Nur heraus! Mir ist,
Ich höre dich in deiner albernen
Entzückung sagen: Dieser Unbekannte
Ist unser Gast; er wohnt bei uns; mein Mann
Kennt ihn und hält ihn hoch in Ehren—Sprich,
Hast du's gesagt?

Skirina. Und wenn ich nun? Was wär's?

Barak. Nein, nein, gesteh es nur! Hast du's gesagt?

Skirina. Ich hab's gesagt. Warum sollt' ich's verbergen?
Sie wollten auch den Namen von mir wissen,
Und—daß ich's nur gestehe, ich versprach's.

Barak. Weh mir! Wir sind verloren!—Rasende!—

(Zu Timur sich wendend.)

Wir müssen fort! Wir müssen fliehn!

Timur. So sag' mir doch, was für Geheimnisse—

Barak. Fort! Fort aus Peckin! Keine Zeit verloren!

(Truffaldin zeigt sich im Hintergrund mit seinen Schwarzen.)

—Weh uns! Es ist zu spät. Sie kommen schon!
Sie suchen mich, die Schwarzen, die Verschnittnen
Der fürchterlichen Turandot—Sinnlose!
In welchen Jammer stürzt uns deine Zunge!

(Truffaldin hat ihn bemerkt und bedeutet den Verschnittenen durch Geberden, daß sie sich seiner bemächtigen sollen.)

Ich kann nicht mehr entfliehen—Fliehe du,
Verbirg dich, rette dich und diesen Alten!

Timur. So sag' mir doch!

Barak. Fort! Keine Widerrede!
Ich bin entdeckt!—Verschlossen wie das Grab
Sei Euer Mund! Nie komme Euer Name,
Nie, nie der seine über Eure Lippen!
—Und du, Unglückliche, wenn du das Übel,
Das deine Zunge über uns gebracht,
Gut machen willst, verbirg dich, nicht in deiner,
In einer fremden Wohnung! Halte diesen
Verborgen, bis der nächste Tag zur Hälfte
Verstrichen ist—

Skirina. Willst du mir denn nicht sagen?

Timur. Willst du nicht mit uns fliehn?

Barak. Thut, was ich sage!
Werde mit mir, was will, wenn Ihr Euch rettet.

Skirina. Sprich, Hassan! Worin hab' ich denn gefehlt?

Timur. Erklär' mir diese Räthsel.

Barak (heftig). Welche Marter!
Um aller Götter willen, fort, und fragt
Nicht weiter! Sie umringen uns; es ist
Zu spät, und alle Flucht ist jetzt vergebens.
—Die Namen, alter Mann, die Namen nur
Verschweigt, und Alles kann noch glücklich enden!

Siebenter Auftritt.

Vorige. Truffaldin mit den Verschnittenen.

Truffaldin (ist nach und nach näher gekommen, hat die Ausgänge
besetzt und tritt nun hervor, mit übertriebenen Geberden dem
Barak den Degen auf die Brust haltend).
Halt an und steht! Nicht von der Stelle! Nicht
Gemuckst! Der ist des Todes, der sich rührt.

Skirina. O wehe mir!

Barak. Ich weiß, Ihr sucht den Hassan.
Hier bin ich, führt mich fort.

Truffaldin. Bst! Keinen Lärmen! 's ist gut gemeint. Es soll Euch eine ganz Absonderliche Gnad' und Ehr' geschehn.

Barak. Ja, ins Serail wollt Ihr mich führen, kommt!

Truffaldin. Gemach! Gemach! Ei, seht doch, welche Gunst
Euch widerfährt! Ins Harem! ins Serail
Der Königin—Ihr glückliche Person!
's kommt keine Fliege ins Serail, sie wird
Erst wohl besichtigt und beschaut, ob sie
Ein Männchen oder Weib, und ist's ein Männchen,
Wird's ohne Gnad' gekreuzigt und gepfählt.
—Wer ist der Alte da?

Barak. Ein armer Bettler,
Den ich nicht kenne—Kommt und laßt uns gehn.

Truffaldin (betrachtet den Timur mit lächerlicher Genauigkeit).
Gemach! Gemach! Ein armer Bettler! Ei!
—Wir haben uns großmüthig vorgesetzt,
Auch dieses armen Bettlers Glück zu machen.
 (Bemerkt und betrachtet die Skirina.)
—Wer ist die Weibsperson?

Barak. Was zögerst du?
Ich weiß, daß deine Königin mich erwartet.
Laß diesen Greis! Das Weibsbild kenn' ich nicht,
Hab's nie gesehn und weiß nicht, wer sie ist.

Truffaldin (zornig). Du kennst sie nicht? Du hast sie nie gesehn?
Verdammte Lüge! Was! Kenn' ich sie nicht
Als deine Frau und als die Mutter nicht
Der Sklavin Zelima? Hab' ich sie nicht
Zu hundert Malen im Serail gesehn,
Wenn sie der Tochter weiße Wäsche brachte?

(Mit komischer Gravität zu den Verschnittenen.)

Merkt, Sklaven, den Befehl. den ich euch gebe!
Die drei Personen hier nehmt in Verwahrung,
Bewacht sie wohl, hört ihr, laßt sie mit keiner
Lebend'gen Seele reden, und bei Nacht,
Sobald es still ist, führt sie ins Serail!

Timur. O Gott! Was wird aus mir!

Skirina. Ich fass' es nicht.

Barak (zu Timur). Was aus dir werden soll, und was aus mir?
Ich werde Alles leiden. Leid' auch du!
Vergiß nicht, was ich dir empfahl—und, was
Dir auch begegne, hüte deine Zunge!
—Jetzt hast du, thöricht Weib, was du gewollt.

Skirina. Gott steh uns bei!

Truffaldin (zu den Schwarzen). Ergreift sie! Fort mit ihnen!

(Gehen ab.)

Vierter Aufzug.

Vorhof mit Säulen. In der Mitte eine Tafel mit einem mächtig großen Becken, voll von Goldstücken.

Erster Auftritt.

Turandot. Zelima. Skirina. Timur. Barak.

(Barak und Timur stehen, jeder an einer Säule, einander gegenüber, die Verschnittenen um sie herum, alle mit entblößten Säbeln und Dolchen. Zelima und Skirina stehen weinend auf der einen, Turandot drohend und streng auf der andern Seite.)

Turandot. Noch ist es Zeit. Noch lass' ich mich herab,
Zu bitten—Dieser aufgehäufte Berg
Von Gold ist euer, wenn ihr mir in Gutem
Des Unbekannten Stand und Namen nennt.
Besteht ihr aber drauf, ihn zu verschweigen,
So sollen diese Dolche, die ihr hier
Auf euch gezückt seht, euer Herz durchbohren!
He da, ihr Sklaven! Machet euch bereit.

(Die Verschnittenen halten ihnen ihre Dolche auf die Brust.)

Barak (zu Skirina). Nun, heillos Weib, nun siehst du, Skirina,
Wohin uns deine Plauderhaftigkeit geführt.
—Prinzessin, sättigt Eure Wuth! Ich biete
Den Martern Trotz, die Ihr ersinnen könnt,
Ich bin bereit, den herbsten Tod zu leiden.
—Herbei, ihr Schwarzen! Auf, ihr Marterknechte.
Tyrannische Werkzeuge der Tyrannin,
Zerfleischt mich, tödtet mich, ich will es dulden.
—Sie hat ganz Recht, ich kenne diesen Prinzen
Und seinen Vater, Beider Namen weiß ich;
Doch keine Marter preßt sie von mir aus,
Kein Gold verführt mich; weniger als Staub,
Als schlechte Erde acht' ich diese Schätze!
Du, meine Gattin, jammre nicht um mich!
Für Diesen Alten spare deine Thränen,
Für ihn erweiche dieses Felsenherz,
Daß der Unschuldige gerettet werde!
Sein ganz Verbrechen ist, mein Freund zu sein.

Skirina (flehend zu Turandot).
O Königin, Erbarmen!

Timur. Niemand kümmre sich
Um einen schwachen Alten, den die Götter
Im Zorn verfolgen, dem der Tod Erlösung,
Das Leben eine Marter ist. Ich will
Dich retten, Freund, und sterben. Wisse denn,
Du Grausame—

Barak (unterbricht ihn). Um aller Götter willen, schweigt!
Der Name komme nicht aus Eurem Munde!

Turandot (neugierig).
Du weißt ihn also, Greis?

Timur. Ob ich ihn weiß?
Unmenschliche!—Freund, sag' mir das Geheimniß,
Warum darf ich die Namen nicht entdecken?

Barak. Ihr tödtet ihn und uns, wenn Ihr sie nennt.

Turandot. Er will dich schrecken, Alter, fürchte nichts!
Herbei, ihr Sklaven, züchtigt den Verwegnen!

(Die Verschnittenen umgeben den Barak.)

Skirina. Ihr Götter, helft! Mein Mann! Mein Mann!

Timur (tritt dazwischen). Halt! Haltet!
Was soll ich thun! Ihr Götter, welche Marter!
—Prinzessin, schwört mir's zu bei Eurem Haupt,
Bei Euren Göttern schwört mir, daß sein Leben
Und dieses Fremdlings Leben ungefährdet
Sein soll—Mein eignes acht' ich nichts und will
Es freudig Eurer Wuth zum Opfer geben—
Schwört mir das zu, und Ihr sollt Alles wissen.

Turandot. Bei meinem Haupt, zum furchtbarn Fohi schwör' ich,
Daß weder seinem Leben, noch des Prinzen,
Noch irgend eines hier Gefährde droht—

Barak (unterbricht sie).
Halt, Lügnerin—Nicht weiter—Glaubt ihr nicht!
Verrätherei lauscht hinter diesem Schwur.
—Schwört, Turandot, schwört, daß der Unbekannte
Euer Gatte werden soll, im Augenblick,
Da wir die Namen Euch entdeckt, wie recht
Und billig ist; Ihr wißt es, Undankbare!
Schwört, wenn Ihr könnt und dürft, daß er, verschmäht
Von Euch, nicht in Verzweiflung sterben wird
Durch seine eigne Hand—Und schwört uns zu,
Daß, wenn wir Euch die Namen nun entdeckt,
Für unser Leben nichts zu fürchten sei,
Noch, daß ein ew'ger Kerker uns lebendig
Begraben und der Welt verbergen soll—
Dies schwört uns, und der Erste bin ich selbst,
Der Euch die beiden Namen nennt!

Timur. Was für Geheimnisse sind dies! Ihr Götter,
Nehmt diese Qual und Herzensangst von mir!

Turandot. Ich bin der Worte müd—Ergreift sie, Sklaven!
Durchbohret sie!

Skirina. O Königin! Erbarmen!

(Die Verschnittenen sind im Begriff, zu gehorchen, aber Skirina und Zelima werfen sich dazwischen.)

Barak. Nun siehst du, Greis, das Herz der Tigerin!

Timur (niedergeworfen).
Mein Sohn! Dir weih' ich freudig dieses Leben.
Die Mutter ging voran, ihr folg' ich nach.

Turandot (betroffen, wehrt den Sklaven).
Sein Sohn! Was hör' ich! Haltet!—Du ein Prinz?
Ein König? Du des Unbekannten Vater?

Timur. Ja, Grausame! Ich bin ein König—bin
Ein Vater, den der Jammer niederdrückt!

Barak. O König! Was habt Ihr gethan!

Skirina. Ein König!
In solchem Elend!

Zelima. Allgerechte Götter!

Turandot (in tiefes Sinnen verloren, nicht ohne Rührung).
Ein König und in solcher Schmach!—Sein Vater!
Des unglücksel'gen Jünglings, den ich mich
Zu hassen zwinge und nicht hassen kann!
—O der Bejammernswürdige—Wie wird mir!
Das Herz im tiefsten Busen wendet sich!
Sein Vater!—Und er selbst—Sagt' er nicht so?
Genöthiget, als niedrer Knecht zu dienen
Und Lasten um geringen Sold zu tragen!
O Menschlichkeit! O Schicksal!

Barak. Turandot,
Dies ist ein König! Scheuet Euch und schaudert
Zurück, die heil'gen Glieder zu verletzen!
Wenn solches Jammers Größe Euch nicht rührt,
Euch nicht das Mitleid, nicht die Menschlichkeit
Entwaffnen kann, laßt Euch die Scham besiegen.
Ehrt Eures eignen greisen Vaters Haupt
In diesem Greis—O, schändet Euch nicht selbst
Durch eine That, die Euer Blut entehrte!
Genug daß Ihr die Jünglinge gemordet,
Schonet das Alter, das ohnmächtige,
Das auch die Götter zum Erbarmen zwingt!

Zelima (wirft sich zu ihren Füßen).
Ihr seid bewegt, Ihr könnt nicht widerstehn.
O, gebt dem Mitleid und der Gnade Raum,
Laßt Euch die Größe dieses Jammers rühren!

Zweiter Auftritt.

Adelma zu den Vorigen.

Turandot (ihr entgegen).
Kommst du, Adelma? Hilf mir! O, schaff' Rath!
Ich bin entwaffnet—Ich bin außer mir!
Dies ist sein Vater, ein Monarch und König!

Adelma. Ich hörte Alles. Fort mit diesen Beiden,
Schafft dieses Gold hinweg, der Kaiser naht!

Turandot. Mein Vater? Wie?

Adelma. Ist auf dem Weg hieher. (Zu den Schwarzen)
Fort, eh wir überfallen werden! Sklaven,
Führt diese Beiden in die untersten
Gewölbe des Serails, dort haltet sie
Verborgen bis auf weitere Befehle! (Zu Turandot)
Es ist umsonst. Wir müssen der Gewalt
Entsagen. Nichts kann retten, als die List.
—Ich habe einen Anschlag—Skirina,
Ihr bleibt zurück. Auch Zelima soll bleiben.

Barak (zu Timur). Weh uns, mein Fürst! Die Götter mögen wissen,
Welch neues Schreckniß ansgebrütet wird!
—Weib! Tochter! Seid getreu, o, haltet fest,
Laßt euch von diesen Schlangen nicht verführen!

Turandot (zu den Schwarzen).
Ihr wisset den Befehl. Fort, fort mit ihnen
In des Serails verborgenste Gewölbe!

Timur. Fall' Eure ganze Rache auf mein Haupt!
Nur ihm, nur meinem Sohn erzeiget Mitleid!

Barak. Mitleid in dieser Furie! Verrathen
Ist Euer Sohn, und uns, ich seh' es klar,
Wird ew'ge Nacht dem Aug der Welt verbergen.
Man führt uns aus dem Angesicht der Menschen,
Wohin kein Lichtstrahl und kein Auge dringt,
Und unser Schmerz kein fühlend Ohr erreicht! (Zur Prinzessin.)
Die Welt kannst du, der Menschen Auge blenden,
Doch zittre vor der Götter Rachgericht!
Magst du im Schlund der Erde sie verstecken,
Laß tausend Todtengrüfte sie bedecken,
Sie bringen deine Übelthat ans Licht.

(Er folgt mit Timur den Verschnittenen, welche zugleich die
Tafel und das Becken mit den Goldstücken hinwegtragen.)

Dritter Auftritt.

Turandot. Adelma. Zelima und Skirina.

Turandot (zu Adelma). Auf dich verlass' ich mich, du einz'ge Freundin!
O, sage, sprich, wie du mich retten willst.

Adelma. Die Wachen, die auf Altoums Befehl
Des Prinzen Zimmer hüten, sind gewonnen.
Man kann zu ihm hineingehn, mit ihm sprechen—
Und was ist dann nicht möglich, wenn wir klug
Die Furcht, die Überredung spielen lassen.
Denn arglos ist sein Herz und gibt sich leicht
Der Schmeichelstimme des Verräthers hin.
Wenn Skirina, wenn Zelima mir nur
Behilflich sind und ihre Rolle spielen,
So zweifelt nicht, mein Anschlag soll gelingen.

Turandot (zu Skirina). So lieb dir Hassans Leben, Skirina!
Er ist in meiner Macht, ich kann ihn tödten.

Skirina. Was Ihr befehlt, ich bin bereit zu Allem,
Wenn ich nur meines Hassans Leben rette.

Turandot (zu Zelima). So werth dir meine Gunst ist, Zelima.—

Zelima. Auf meinen Eifer zählt und meine Treue!

Adelma. So kommt. Kein Augenblick ist zu verlieren (Sie gehen ab.)

Turandot. Geht, geht! Thut, was sie sagt.

Vierter Auftritt.

Turandot allein.

Was sinnt Adelma?
Wird sie mich retten? Götter, steht ihr bei!
Kann ich mich noch mit diesem Siege krönen,
Weß Name wird dann größer sein, als meiner?
Wer wird es wagen, sich in Geisteskraft
Mit Turandot zu messen?—Welche Lust,
Im Divan, vor der wartenden Versammlung,
Die Namen ihm ins Angesicht zu werfen
Und ihn beschämt von meinem Thron zu weisen!
—Und doch ist mir's, als würd' es mich betrüben!
Mir ist, als säh' ich ihn, verzweiflungsvoll,
Zu meinen Füßen seinen Geist verhauchen,
Und dieser Anblick dringt mir in das Herz.
—Wie, Turandot? Wo ist der edle Stolz
Der großen Seele? Hat's ihn auch gekränkt,
Im Divan über dich zu triumphieren?
Was wird dein Antheil sein, wenn er auch hier
Den Sieg dir abgewinnt?—Recht hat Adelma!
Zu weit ist es gekommen! Umkehr ist
Nicht möglich!—Du mußt siegen oder fallen!
Besiegt von einem, ist besiegt von allen!

Fünfter Auftritt.

Turandot. Altoum. Pantalon und Tartaglia folgen ihm in einiger
Entfernung nach.

Altoum (in einem Briefe lesend und in tiefen Gedanken, für sich).
So mußte dieser blutige Tyrann
Von Tefflis enden! Kalaf, Timurs Sohn,
Aus seiner Väter Reich vertrieben, flüchtig
Von Land zu Lande schweifend, muß hieher
Nach Peckin kommen und durch seltsame
Verkettung der Geschicke glücklich werden!
So führt das Schicksal an verborgnem Band
Den Menschen auf geheimnißvollen Pfaden!
Doch über ihm wacht eine Götterhand,
Und wunderbar entwirret sich der Faden.

Pantalon (leise zu Tartaglia).
Rappelt's der Majestät? Was kömmt sie an,
Daß sie in Versen mit sich selber spricht?

Tartaglia (leise zu Pantalon).
Still, still! Es ist ein Bote angelangt
Aus fernen Landen—Was er brachte, mag
Der Teufel wissen!

Altoum (steckt den Brief in den Busen und wendet sich zu
seiner Tochter).
Turandot! Die Stunden
Entfliehen, die Entscheidung rückt heran,
Und schlaflos irrst du im Serail umher,
Zerquälst dich, das Unmögliche zu wissen.
—Vergebens quälst du dich. Es ist umsonst,
Ich aber hab' es ohne Müh' erfahren.
—Sieh diesen Brief. Hier stehen beide Namen
Und Alles, was sie kenntlich macht. So eben
Bringt ihn ein Bote mir aus fernen Landen.
Ich halt' ihn wohl verschlossen und bewacht,
Bis dieser nächste Tag vorüber ist.
Der unbekannte Prinz ist wirklich König
Und eines Königs Sohn—Es ist unmöglich,
Daß du errathest, wer sie beide seien.
Ihr Reich liegt allzufern von hier, der Name
Ist kaum zu Peckin ausgesprochen worden.
—Doch sieh, weil ich's als Vater mit dir meine,
Komm' ich in später Nacht noch her—Kann es
Dir Freude machen, dich zum zweitenmal
Im Divan dem Gelächter bloßzustellen,
Dem Hohn des Pöbels, der mit Ungeduld
Drauf wartet, deinen Stolz gebeugt zu sehn?
Denn abgesinnt, du weißt's, ist dir das Volk,
Kaum werd' ich seiner Wuth gebieten können,
Wenn du im Divan nun verstummen mußt.
—Sieh liebes Kind, dies führte mich hieher.

(Zu Pantalon und Tartaglia.)

Laßt uns allein! (Jene entfernen sich ungern und zaudernd.)

Sechster Auftritt.

Turandot und Altoum.

Altoum (nachdem jene weg sind, nähert sich ihr und faßt sie
vertraulich bei der Hand).
Ich komme, deine Ehre
Zu retten.

Turandot. Meine Ehre, Sire? Spart Euch
Die Müh! Nicht Rettung brauch' ich meiner Ehre—
Ich werde mir im Divan morgen selbst
Zu helfen wissen.

Altoum. Ach, du schmeichelst dir
Mit eitler Hoffnung. Glaube mir's, mein Kind,
Unmöglich ist's, zu wissen, was du hoffst.
Ich les' in deinen Angen, deinen wild
Verwirrten Zügen deine Qual und Angst.
Ich bin dein Vater; sieh, ich hab' dich lieb.
—Wir sind allein—Sei offen gegen mich!
Bekenn' es frei—weißt du die beiden Namen?

Turandot. Ob ich sie weiß, wird man im Divan hören.

Altoum. Nein, Kind, du weißt sie nicht, kannst sie nicht wissen.
Wenn du sie weißt, so sag' mir's im Vertrauen.
Ich lasse dann den Unglücksel'gen wissen,
Daß er verrathen ist, und lass' ihn still
Aus meinen Staaten ziehn. So meidest du
Den Haß des Volks—und mit dem Sieg zugleich
Trägst du den Ruhm der Großmuth noch davon,
Daß du dem Überwundenen die Schmach
Der öffentlichen Niederlage spartest.
—Um dieses Einz'ge bitt' ich dich, mein Kind!
Wirst du's dem Vater, der dich liebt, versagen?

Turandot. Ich weiß die Namen oder weiß sie nicht,
Genug! Hat er im Divan meiner nicht
Geschont, brauch' ich auch seiner nicht zu schonen.
Gerechtigkeit geschehe! Öffentlich,
Wenn ich sie weiß, soll man die Namen hören.

Altoum (will ungeduldig werden, zwingt sich aber und fährt mit
Mäßigung und Milde fort).
Durft' er dich schonen? Galt es nicht sein Leben?
Galt es nicht, was ihm mehr war, deine Hand?
Dich zu gewinnen und sich selbst zu retten,
Mußt' er den Sieg im Divan dir entreißen.
—Nur einen Augenblick leg' deinen Zorn
Bei Seite, Kind—Gib Raum der Überlegung!
Sieh, dieses Haupt setz' ich zum Pfand, du weißt
Die Namen nicht—Ich aber weiß sie—hier (auf den Brief zeigend)
Stehn sie geschrieben, und ich sag' sie dir.
—Der Divan soll sich in der Früh' versammeln,
Der Unbekannte öffentlich erscheinen;
Mit seinem Namen redest du ihn an;
Er soll beschämt, vom Blitz getroffen, stehen,
Verzweifelnd jammern und vor Schmerz vergehen;
Vollkommen sei sein Fall und dein Triumph.
Doch nun, wenn du so tief ihn hast gebeugt
Erheb' ihn wieder! Frei, aus eigner Wahl
Reich' ihm die Hand und endige sein Leiden.
—Komm, meine Tochter, schwöre mir, daß du
Das thun willst, und sogleich—wir sind allein—
Sollst du die Namen wissen. Das Geheimniß,
Ich schwöre dir, soll mit uns beiden sterben.
So löst der Knote sich erfreulich auf;
Du krönest dich mit neuem Siegesruhm,
Versöhnest dir durch schöne Edelthat
Die Herzen meines Volks, gewinnst dir selbst
Den Würdigsten der Erde zum Gemahl,
Erfreuest, tröstest nach so langem Gram
In seinem hohen Alter deinen Vater.

Turandot (ist während dieser Rede in eine immer zunehmende
Bewegung gerathen).
Ach, wie viel arge List gebraucht mein Vater!
—Was soll ich thun? Mich auf Adelmas Wort
Verlassen und dem ungewissen Glück
Vertraun? Soll ich vom Vater mir die Namen
Entdecken lassen und den Nacken beugen
In das verhaßte Joch?—Furchtbare Wahl!

(Sie steht unentschlossen in heftigem Kampf mit sich selbst.)

Herunter, stolzes Herz! Bequeme dich!
Dem Vater nachzugeben ist nicht Schande!

(Indem sie einige Schritte gegen Altoum macht, steht sie plötzlich wieder still.)

Doch wenn Adelma—sie versprach so kühn,
So zuversichtlich—wenn sie's nun erforschte,
Und übereilt hätt' ich den Schwur gethan?

Altoum. Was sinnest du und schwankest, meine Tochter,
In zweifelnden Gedanken hin und her?
Soll etwa diese Angst mich überreden,
Daß du des Sieges dich versichert haltest?
O Kind, gib deines Vaters Bitte nach—

Turandot. Es sei! Ich wag es drauf. Ich will Adelma
Erwarten—So gar dringend ist mein Vater?
Ein sichres Zeichen, daß es möglich ist,
Ich könne, was er fürchtet, durch mich selbst
Erfahren—Er versteht sich mit dem Prinzen!
Nicht anders! Von ihm selbst hat er die Namen;
Es ist ein abgeredet Spiel; ich bin
Verrathen, und man spottet meiner!

Altoum. Nun?
Was zauderst du? Hör auf, dich selbst zu quälen,
Entschließe dich!

Turandot. Ich bin entschlossen—Morgen
In aller Früh' versammle sich der Divan.

Altoum. Du bist entschlossen, es aufs Äußerste,
Auf öffentliche Schande hin zu wagen?

Turandot. Entschlossen, Sire, die Probe zu bestehen.

Altoum (in heftigem Zorn).
Unsinnige! Verstockte! Blindes Herz!
Noch blinder als die Albernste des Pöbels!
Ich bin gewiß, wie meines eignen Haupts,
Daß du dich öffentlich beschimpfst, daß dir's
Unmöglich ist, das Räthsel aufzulösen.
Wohlan! Der Divan soll versammelt werden,
Und in der Nähe gleich sei der Altar!
Der Priester halte sich bereit, im Augenblick,
Da du verstummst, beim lauten Hohngelächter
Des Volks die Trauung zu vollziehn. Du hast
Den Vater nicht gehört, da er dich flehte.
Leb' oder stirb! Er wird dich auch nicht hören! (Er geht ab.)

Turandot. Adelma! Freundin! Retterin! Wo bist du?
Verlassen bin ich von der ganzen Welt.
Mein Vater hat im Zorn mich aufgegeben,
Von dir allein erwart' ich Heil und Leben. (Entfernt sich von der
andere Seite.)

Siebenter Auftritt.

Die Scene verwandelt sich in ein prächtiges Gemach mit mehreren
Ausgängen. Im Hintergrund steht ein orientalisches Ruhebett für
Kalaf. Es ist finstere Nacht.

Kalaf. Brigella mit einer Fackel.

(Kalaf geht in tiefen Gedanken auf und ab, Brigella betrachtet ihn mit Kopfschütteln.)

Brigella. 's hat eben Drei geschlagen, Prinz, und Ihr
Seid nun genau dreihundert sechzigmal
In diesem Zimmer auf und ab spaziert.
Verzeiht! Mir liegt der Schlaf in allen Gliedern,
Und wenn Ihr selbst ein wenig ruhen wolltet,
Es könnt' nicht schaden.

Kalaf. Du hast Recht, Brigella.
Mein sorgenvoller Geist treibt mich umher;
Doch du magst gehen und dich schlafen legen.

Brigella (geht, kommt aber gleich wieder zurück).
Ein Wort zur Nachricht, Hoheit—Wenn Euch hier
Von ohngefähr so was erscheinen sollte—
Macht Eure Sache gut—Ihr seid gewarnt!

Kalaf. Erscheinungen? Wie so? An diesem Ort?
 (Mustert mit unruhigen Blicke das Zimmer.)

Brigella. Du lieber Himmel! Uns ist zwar verboten
Bei Lebensstrafe, Niemand einzulassen.
Doch—arme Diener! Herr, Ihr wißt ja wohl!
Der Kaiser ist der Kaiser, die Prinzeß
Ist, so zu sagen, Kaiserin—und was
Die in den Kopf sich setzt, das muß geschehn!
's wird Einem sauer, Hoheit, zwischen zwei
Dachtraufen trocknen Kleides durchzukommen.
—Versteht mich wohl. Man möchte seine Pflicht
Gern ehrlich thun—Doch man erübrigte
Auch gern etwas für seine alten Tage.
Herr, unsereins ist halter übel dran!

Kalaf. Wie? Sollte man mir gar ans Leben wollen?
Brigella, rede!

Brigella. Gott soll mich bewahren!
Allein bedenkt die Neugier, die man hat,
Zu wissen, wer Ihr seid. Es könnte sich
Zum Beispiel fügen, daß—durchs Schlüsselloch—
Ein Geist—ein Unhold—eine Hexe käme,
Euch zu versuchen—Gnug! Ihr seid gewarnt!
Versteht mich—Arme Diener, arme Schelme!

Kalaf (lächelnd). Sei außer Sorgen. Ich verstehe dich
Und werde mich in Acht zu nehmen wissen.

Brigella. Thut das, und somit Gott befohlen, Herr.
Ums Himmels willen, bringt mich nicht ins Unglück!

(Gegen die Zuschauer.)

Es kann geschehen, daß man einen Beutel
Mit Golde ausschlägt—möglich ist's! Was mich betrifft,
Ich that mein Bestes, und ich konnt' es nicht. (Er geht ab.)

Kalaf. Er hat mir Argwohn in mein Herz gepflanzt.
Wer könnte mich hier überfallen wollen?
Und laß die Teufel aus der Hölle selbst
Ankommen, dieses Herz wird standhaft bleiben. (Er tritt ans Fenster.)
Der Tag ist nicht mehr weit, ich werde nun
Nicht lange mehr auf dieser Folter liegen.
Indeß versuch' ich es, ob ich vielleicht
Den Schlaf auf diese Augen locken kann.

(Indem er sich auf das Ruhebette niederlassen will, öffnet sich eine von den Thüren.)

Achter Auftritt.

Kalaf. Skirina in männlicher Kleidung und mit einer Maske vor dem Gesicht.

Skirina (furchtsam sich nähernd).
Mein lieber Herr—Herr—O, wie zittert mir
Das Herz!

Kalaf (auffahrend). Wer bist du, und was suchst du hier?

Skirina (nimmt die Maske vom Gesicht).
Kennt Ihr mich nicht? Ich bin ja Skirina,
Des armen Hassans Weib und Eure Wirthin.
Verkleidet hab' ich durch die Wachen mich
Herein gestohlen—Ach! was hab' ich Euch
Nicht alles zu erzählen—Doch die Angst
Erstickt mich, und die Kniee zittern mir;
Ich kann vor Thränen nicht zu Worte kommen.

Kalaf. Sprecht, gute Frau. Was habt Ihr mir zu sagen?

Skirina (sich immer schüchtern umsehend).
Mein armer Mann hält sich versteckt. Es ward
Der Turandot gesagt, daß er Euch kenne.
Nun wird ihm nachgespürt an allen Orten,
Ihn ins Serail zu schleppen und ihm dort
Gewaltsam Euren Namen abzupressen.
Wird er entdeckt, so ist's um ihn geschehn;
Denn eher will er unter Martern sterben,
Als Euch verrathen.

Kalaf. Treuer, wackrer Diener!
—Ach, die Unmenschliche!

Skirina. Ihr habt noch mehr
Von mir zu hören—Euer Vater ist
In meinem Haus.

Kalaf. Was sagst du? Große Götter!

Skirina. Von Eurer Mutter zum trostlosen Wittwer
Gemacht—

Kalaf. O meine Mutter!

Skirina. Hört mich weiter!
Er weiß, daß man Euch hier bewacht; er zittert
Für Euer Leben; er ist außer sich;
Er will verzweifelnd vor den Kaiser dringen,
Sich ihm entdecken, kost' es, was es wolle;
Mit meinem Sohne, ruft er, will ich sterben!
Vergebens such' ich ihn zurück zu halten,
Sein Ohr ist taub, er hört nur seinen Schmerz;
Nur das Versprechen, das ich ihm gethan,
Ein tröstend Schreiben ihm von Eurer Hand
Mit Eures Namens Unterschrift zu bringen,
Das ihm Versichrung gibt von Eurem Leben,
Hielt ihn vom Äußersten zurück! So hab' ich mich
Hieher gewagt und in Gefahr gesetzt,
Dem kummervollen Greise Trost zu bringen.

Kalaf. Mein Vater hier in Peckin! Meine Mutter
Im Grab!—Du hintergehst mich, Skirina!

Skirina. Mich strafe Fohi, wenn ich Euch das lüge!

Kalaf. Bejammernswerther Vater! Arme Mutter!

Skirina (dringend). Kein Augenblick ist zu verlieren! Kommt!
Bedenkt Euch nicht; schreibt diese wen'gen Worte.
Fehlt Euch das Nöthige, ich bracht' es mit.

(Sie zieht eine Schreibtafel hervor.)

Genug, wenn dieser kummervolle Greis
Zwei Zeilen nur von Eurer Hand erhält,
Daß Ihr noch lebt und daß Ihr Gutes hofft.
Sonst treibt ihn die Verzweiflung an den Hof,
Er nennt sich dort, und Alles ist verloren.

Kalaf. Ja, gib mir diese Tafel!

(Er ist im Begriff zu schreiben, hält aber plötzlich inne und
sieht sie forschend an.)
Skirina!
Hast du nicht eine Tochter im Serail?
—Ja, ja, ganz recht. Sie dient Sklavin dort
Der Turandot; dein Mann hat mir's gesagt.

Skirina. Nun ja! Wie kommt Ihr darauf?

Kalaf. Skirina!
Geh nur zurück und sage meinem Vater
Von meinetwegen, daß er ohne Furcht
Geheimen Zutritt bei dem Kaiser fordre
Und ihm entdecke, was sein Herz ihn heißt.
Ich bin's zufrieden.

Skirina (betroffen). Ihr verweigert mir
Den Brief? Ein Wort von Eurer Hand genügt.

Kalaf. Nein, Skirina, ich schreibe nicht. Erst morgen
Erfährt man, wer ich bin—Ich wundre mich,
Daß Hassans Weib mich zu verrathen sucht.

Skirina. Ich Euch verrathen! Guter Gott! (Für sich.)
Adelma mag denn selbst ihr Spiel vollenden. (Zu Kalaf.)
Wohl, Prinz! Wie's Euch beliebt! Ich geh' nach Hause,
Ich richte Eure Botschaft aus; doch glaubt' ich nicht,
Nach so viel übernommener Gefahr
Und Mühe Euren Argwohn zu verdienen. (Im Abgehen.)
Adelma wacht, und Dieser schlummert nicht. (Entfernt sich.)

Kalaf. Erscheinungen!—Du sagtest recht, Brigella!
Doch, daß mein Vater hier in Peckin sei
Und meine Mutter todt, hat dieses Weib
Mit einem heil'gen Eide mir bekräftigt!
Kommt doch das Unglück nie allein! Ach, nur
Zu glaubhaft ist der Mund, der Böses meldet!

(Die entgegengesetzte Thüre öffnet sich.)

Noch ein Gespenst! Laß sehen, was es will!

Neunter Auftritt.

Kalaf. Zelima.

Zelima. Prinz, ich bin eine Sklavin der Prinzessin
Und bringe gute Botschaft.

Kalaf. Gäb's der Himmel!
Wohl wär' es Zeit, daß auch das Gute käme!
Ich hoffe nichts, ich schmeichle mir mit nichts;
Zu fühllos ist das Herz der Turandot.

Zelima. Wohl wahr, ich leugn' es nicht—und dennoch, Prinz,
Gelang es Euch, dies stolze Herz zu rühren.
Euch ganz allein; Ihr seid der Erste—Zwar
Sie selbst besteht darauf, daß sie Euch hasse;
Doch ich bin ganz gewiß, daß sie Euch liebt.
Die Erde thu' sich auf und reiße mich
In ihren Schlund hinab, wenn ich das lüge!

Kalaf. Gut, gut, ich glaube dir. Die Botschaft ist
Nicht schlimm. Hast du noch Mehreres zu sagen?

Zelima (nähertretend). Ich muß Euch im Vertrauen sagen, Prinz,
Der Stolz, der Ehrgeiz treibt sie zur Verzweiflung.
Sie sieht nun ein, daß sie Unmögliches
Sich aufgebürdet, und vergeht vor Scham,
Daß sie im Divan nach so vielen Siegen
Vor aller Welt zu Schanden werden soll.
Der Abgrund öffne sich und schlinge mich
Hinab, wenn ich mit Lügen Euch berichte!

Kalaf. Ruf nicht so großes Unglück auf dich her!
Ich glaube dir. Geh, sage der Prinzessin,
Leicht sei es ihr, in diesem Streit zu siegen;
Mehr als durch ihren glänzenden Verstand
Wird sich ihr Ruhm erheben, wenn ihr Herz
Empfinden lernt, wenn sie der Welt beweist,
Sie könne Mitleid fühlen, könne sich
Entschließen, einen Liebenden zu trösten
Und einen greisen Vater zu erfreun.
Ist dies etwa die gute Botschaft, sprich,
Die ich zu hören habe?

Zelima. Nein, mein Prinz!
Wir geben uns so leichten Kaufes nicht;
Man muß Geduld mit unsrer Schwachheit haben.
—Hört an!

Kalaf. Ich höre.

Zelima. Die Prinzessin schickt mich.
—Sie bittet Euch um einen Dienst—Laßt sie
Die Namen wissen, und im Übrigen
Vertraut Euch kühnlich ihrer Großmuth an.
Sie will nur ihre Eigenliebe retten,
Nur ihre Ehre vor dem Divan lösen.
Voll Güte steigt sie dann von ihrem Thron
Und reicht freiwillig Euch die schöne Rechte.
—Entschließt Euch, Prinz. Ihr waget nichts dabei.
Gewinnt mit Güte dieses stolze Herz,
So wird nicht Zwang, so wird die Liebe sie,
Die zärtlichste, in Eure Arme führen.

Kalaf (sieht ihr scharf ins Gesicht, mit einem bittern Lächeln).
Hier, Sklavin, hast du den gewohnten Schluß
Der Rede weggelassen.

Zelima. Welchen Schluß?

Kalaf. Die Erde öffne sich und schlinge mich
Hinab, wenn ich Unwahres Euch berichte.

Zelima. So glaubt Ihr, Prinz, daß ich Euch Lügen sage?

Kalaf. Ich glaub' es fast—und glaub' es so gewiß,
Daß ich in dein Begehren nimmermehr
Kann willigen. Kehr' um zu der Prinzessin!
Sag' ihr, mein einz'ger Ehrgeiz sei ihr Herz,
Und meiner glühnden Liebe möge sie
Verzeihn, daß ich die Bitte muß versagen.

Zelima. Bedachtet Ihr, was dieser Eigensinn
Euch kosten kann?

Kalaf. Mag er mein Leben kosten!

Zelima. Es bleibt dabei, er wird's Euch kosten, Prinz!
—Beharrt Ihr drauf, mir nichts zu offenbaren?

Kalaf. Nichts!

Zelima. Lebet wohl! (Im Abgehen.) Die Mühe konnt' ich sparen!

Kalaf (allein). Geht, wesenlose Larven! Meinen Sinn
Macht Ihr nicht wankend. Andre Sorgen sind's,
Die mir das Herz beklemmen—Skirinas
Bericht ist's, was mich ängstiget—Mein Vater
In Peckin! Meine Mutter todt! Muth, Muth, mein Herz!
In wenig Stunden ist das Loos geworfen.
Könnt' ich den kurzen Zwischenraum im Arm
Des Schlafs verträumen! Der gequälte Geist
Sucht Ruhe, und mich däucht, ich fühle schon
Den Gott die sanften Flügel um mich breiten.

(Er legt sich auf das Ruhebette und schläft ein.)

Zehnter Auftritt.

Adelma tritt auf, das Gesicht verschleiert, eine Wachskerze in der Hand. Kalaf schlafend.

Adelma. Nicht Alles soll mißlingen—Hab' ich gleich
Vergebens alle Künste des Betrugs
Verschwendet, ihm die Namen zu entlocken,
So werd' ich doch nicht eben so umsonst
Versuchen, ihn aus Peckin wegzuführen
Und mit dem schönen Raube zu entfliehn.
—O heißerflehter Augenblick! Jetzt, Liebe!
Die mir bis jetzt den kühnen Muth verliehn,
So manche Schranke mir schon überstiegen,
Dein Feuer laß auf meinen Lippen glühn!
Hilf mir in diesem schwersten Kampfe siegen!

(Sie betrachtet den Schlafenden.)

Der Liebste schläft. Sei ruhig, pochend Herz,
Erzittre nicht! Nicht gern, ihr holden Augen,
Scheuch' ich den goldnen Schlummer von euch weg;
Doch schon ergraut der Tag, ich darf nicht säumen.

(Sie nähert sich ihm und berührt ihn sanft.)

Prinz, wachet auf!

Kalaf (erwachend). Wer störet meinen Schlummer?
Ein neues Trugbild? Nachtgespenst, verschwinde!
Wird mir kein Augenblick der Ruh vergönnt?

Adelma. Warum so heftig, Prinz? Was fürchtet Ihr?
Nicht eine Feindin ist's, die vor Euch steht;
Nicht Euern Namen will ich Euch entlocken.

Kalaf. Ist dies dein Zweck, so spare deine Müh.
Ich sag' es dir voraus, du wirst mich nicht betrügen.

Adelma. Betrügen? Ich? Verdien' ich den Verdacht?
Sagt an! War hier nicht Skirina bei Euch,
Mit einem Brief Euch listig zu versuchen?

Kalaf. Wohl war sie hier.

Adelma. Doch hat sie nichts erlangt?

Kalaf. Daß ich ein solcher Thor gewesen wäre!

Adelma. Gott sei's gedankt!—War eine Sklavin hier,
Mit trüglicher Vorspieglung Euch zu blenden?

Kalaf. Solch eine Sklavin war in Wahrheit hier,
Doch zog sie leer ab—wie auch du wirst gehn.

Adelma. Der Argwohn schmerzt, doch leicht verzeih' ich ihn.
Lernt mich erst kennen! Setzt Euch! Hört mich an,
Und dann verdammt mich als Betrügerin! (Sie setzt sich, er folgt.)

Kalaf. So redet denn und sagt, was ich Euch soll.

Adelma. Erst seht mich näher an—Beschaut mich wohl!
Wer denkt Ihr, daß ich sei?

Kalaf. Dies hohe Wesen,
Der edle Anstand zwingt mir Ehrfurcht ab.
Das Kleid bezeichnet eine niedre Sklavin,
Die ich, wo ich nicht irre, schon im Divan
Gesehen und ihr Los beklagt.

Adelma. Auch ich
Hab' Euch—die Götter wissen es, wie innig—
Bejammert, Prinz! Es sind fünf Jahre nun,
Da ich, noch selber eine Günstlingin
Des Glücks, in niederm Sklavenstand Euch sah.
Schon damals sagte mir's mein Herz, daß Euch
Geburt zu einem bessern Loos berufen.
Ich weiß, daß ich gethan, was ich gekonnt,
Euch ein unwürdig Schicksal zu erleichtern.
Weiß, daß mein Aug sich Euch verständlich machte,
Soweit es einer Königstochter ziemte. (Sie entschleiert sich.)
Seht her, mein Prinz, und sagt mir! Dies Gesicht,
Habt Ihr es nie gesehn in Eurem Leben?

Kalaf. Adelma! Ew'ge Götter! Seh' ich recht?

Adelma. Ihr sehet in unwürd'gen Sklavenbanden
Die Tochter Keicobads, des Königes
Der Karazanen, einst zum Thron bestimmt,
Jetzt zu der Knechtschaft Schmach herabgestoßen.

Kalaf. Die Welt hat Euch für todt beweint. In welcher
Gestalt, weh mir, muß ich Euch wieder finden!
Euch hier als eine Sklavin des Serails,
Die Königin, die edle Fürstentochter!

Adelma. Und als die Sklavin dieser Turandot,
Der grausamen Ursache meines Falles!
Vernehmt mein ganzes Unglück, Prinz! Mir lebte
Ein Bruder, ein geliebter, theurer Jüngling,
Den diese stolze Turandot, wie Euch,
Bezauberte—Er wagte sich im Divan.

(Sie hält inne, von Schluchzen und Thränen unterbrochen.)

Unter den Häuptern, die man auf dem Thore
Zu Peckin sieht—entsetzensvoller Anblick!—
Erblicktet Ihr auch das geliebte Haupt
Des theuren Bruders, den ich noch beweine.

Kalaf. Unglückliche! So log die Sage nicht!
So ist sie wahr, die klägliche Geschichte,
Die ich für eine Fabel nur gehalten!

Adelma. Mein Vater Keicobad, ein kühner Mann,
Nur seinem Schmerz gehorchend, überzog
Die Staaten Altoums mit Heeresmacht,
Des Sohnes Mord zu rächen—Ach, das Glück
War ihm nicht günstig! Männlich fechtend fiel er
Mit allen seinen Söhnen in der Schlacht.
Ich selbst, mit meiner Mutter, meinen Schwestern,
Ward auf Befehl des wüthenden Veziers,
Der unsern Stamm verfolgte, in den Strom
Geworfen. Jene kamen um; nur mich
Errettete die Menschlichkeit des Kaisers,
Der in dem Augenblick ans Ufer kam.
Er schalt die Gräuelthat und ließ im Strom
Nach meinem jammervollen Leben fischen.
Schon halb entseelt werd' ich zum Strand gezogen;
Man ruft ins Leben mich zurück; ich werde
Der Turandot als Sklavin übergeben,
Zu glücklich noch, das Leben als Geschenk
Von eines Feindes Großmuth zu empfangen.
O, lebt in Eurem Busen menschliches Gefühl,
So laßt mein Schicksal Euch zu Herzen gehn!
Denkt, was ich leide! Denkt, wie es ins Herz
Mir schneidet, sie, die meinen ganzen Stamm
Vertilgt, als eine Sklavin zu bedienen.

Kalaf. Mich jammert Euer Unglück. Ja, Prinzessin,
Aufricht'ge Thränen zoll' ich Eurem Leiden—
Doch Euer grausam Loos, nicht Turandot
Klagt an—Eu'r Bruder fiel durch eigne Schuld,
Euer Vater stürzte sich und sein Geschlecht
Durch übereilten Rathschluß ins Verderben.
Sagt, was kann ich, selbst ein Unglücklicher,
Ein Ball der Schicksalsmächte, für Euch thun?
Ersteig' ich morgen meiner Wünsche Gipfel,
So sollt Ihr frei und glücklich sein—Doch jetzt
Kann Euer Unglück nichts als meins vermehren.

Adelma. Der Unbekannten konntet Ihr mißtrauen;
Ihr kennt mich nun—Der Fürstin werdet Ihr,
Der Königstochter, glauben, was sie Euch
Ans Mitleid sagen muß und lieber noch
Aus Zärtlichkeit, aus Liebe sagen möchte.
—O, möchte dies befangne Herz mir trauen,
Wenn ich jetzt wider die Geliebte zeuge!

Kalaf. Adelma, sprecht, was habt Ihr mir zu sagen?

Adelma. Wißt also, Prinz—Doch nein, Ihr werdet glauben
Ich sei gekommen, Euch zu täuschen, werdet
Mit jenen feilen Seelen mich verwechseln,
Die für das Sklavenjoch geboren sind.

Kalaf. Quält mich nicht länger! Ich beschwör' Euch, sprecht!
Was ist's? Was habt Ihr mir von ihr zu sagen,
Die meines Lebens einz'ge Göttin ist?

Adelma (bei Seite). Gib Himmel, daß ich jetzt ihn überrede!

(Zu Kalaf sich wendend.)

Prinz, diese Turandot, die schändliche,
Herzlose, falsche, hat Befehl gegeben,
Euch heut am frühen Morgen zu ermorden.
—Dies ist die Liebe Eurer Lebensgöttin!

Kalaf. Mich zu ermorden?

Adelma. Ja, Euch zu ermorden!
Beim ersten Schritt aus diesem Zimmer tauchen
Sich zwanzig Degenspitzen Euch ins Herz,
So hat es die Unmenschliche befohlen.

Kalaf (steht schnell auf und geht gegen die Thüre).
Ich will die Wache unterrichten.

Adelma (hält ihn zurück). Bleibt!
Wo wollt Ihr hin? Ihr hofft noch, Euch zu retten?
Unglücklicher, Ihr wißt nicht, wo Ihr seid,
Daß Euch des Mordes Netze rings umgeben!
Dieselben Wachen, die der Kaiser Euch
Zu Hütern Eures Lebens gab, sie sind—
Gedingt von seiner Tochter, Euch zu tödten.

Kalaf (außer sich, laut und heftig mit dem Ausdruck des
innigsten Leides).
O Timur! Timur! Unglücksel'ger Vater!
So muß dein Kalaf endigen! Du mußt
Nach Peckin kommen, auf sein Grab zu weinen!
Das ist der Trost, den dir dein Sohn versprach!
—Furchtbares Schicksal!

(Er verhüllt sein Gesicht, ganz seinem Schmerz hingegeben.)

Adelma (für sich, mit frohem Erstaunen). Kalaf! Timurs Sohn!
Glücksel'ger Fund!—Fall' es nun, wie es wolle!
Entgeh' er meinen Schlingen auch, ich trage
Mit diesen Namen sein Geschick in Händen.

Kalaf. So bin ich mitten unter den Soldaten,
Die man zum Schutz mir an die Seite gab,
Verrathen! Ach, wohl sagte mir's vorhin
Der feilen Sklaven einer, daß Bestechung
Und Furcht des Mächtigen das schwache Band
Der Treue lösen—Leben, fahre hin!
Vergeblich ist's, dem grausamen Gestirn,
Das uns verfolgt, zu widerstehn—Du sollst
Den Willen haben, Grausame—dein Aug
An meinem Blute weiden! Süßes Leben,
Fahr hin! Nicht zu entfliehen ist dem Schicksal.

Adelma (mit Feuer). Prinz, zum Entfliehen zeig' ich Euch die Wege,
Nicht müß'ge Thränen bloß hab' ich für Euch.
Gewacht hab' ich indeß, gesorgt, gehandelt,
Kein Gold gespart, die Hüter zu bestechen.
Der Weg ist offen. Folgt mir! Euch vom Tode,
Mich aus den Banden zu befreien, komm' ich.
Die Pferde warten, die Gefährten sind
Bereit. Laßt uns aus diesen Mauern fliehen,
Worauf der Fluch der Götter liegt. Der Khan
Von Berlas ist mein Freund, ist mir durch Bande
Des Bluts verknüpft und heilige Verträge.
Er wird uns schützen, seine Staaten öffnen,
Uns Waffen leihen, meiner Väter Reich
Zurück zu nehmen, daß ich mit Euch theile,
Wenn Ihr der Liebe Opfer nicht verschmäht.
Verschmäht Ihr's aber und verachtet mich,
So ist die Tartarei noch reich genug
An Fürstentöchtern, dieser Turandot
An Schönheit gleich und zärtlicher als sie.
Aus ihnen wählt Euch eine würdige
Gemahlin aus! Ich—will mein Herz besiegen,
Nur rettet, rettet dieses theure Leben!

(Sie spricht das Folgende mit immer steigender Lebhaftigkeit, indem sie ihn bei der Hand ergreift und mit sich fortzureißen sucht.)

O, kommt! Die Zeit entflieht, indem wir sprechen.
Die Hähne krähn, schon regt sich's im Palast,
Todbringend steigt der Morgen schon herauf.
Fort, eh der Rettung Pforten sich verschließen!

Kalaf. Großmüthige Adelma! Einz'ge Freundin!
Wie schmerzt es mich, daß ich nach Berlas Euch
Nicht folgen, nicht der Freiheit süß Geschenk,
Nicht Euer väterliches Reich zurück
Euch geben kann—Was würde Altoum
Zu dieser heimlichen Entweichung sagen?
Macht' ich nicht schändlichen Verraths mich schuldig,
Wenn ich, des Gastrechts heilige Gebräuche
Verletzend, aus dem innersten Serail
Die werthgehaltne Sklavin ihm entführte?
—Mein Herz ist nicht mehr mein, Adelma. Selbst
Der Tod, den jene Stolze mir bereitet,
Wird mir willkommen sein von ihrer Hand.
—Flieht ohne mich, flieht, und geleiten Euch
Die Götter! Ich erwarte hier mein Schicksal.
Noch tröstlich ist's, für Turandot zu sterben,
Wenn ich nicht leben kann für sie—Lebt wohl!

Adelma. Sinnloser! Ihr beharrt? Ihr seid entschlossen?

Kalaf. Zu bleiben und den Mordstreich zu erwarten.

Adelma. Ha, Undankbarer! Nicht die Liebe ist's,
Die Euch zurückhält—Ihr verachtet mich!
Ihr wählt den Tod, um nur nicht mir zu folgen!
Verschmähet meine Hand, verachtet mich;
Nur flieht, nur rettet, rettet Euer Leben!

Kalaf. Verschwendet Eure Worte nicht vergebens;
Ich bleibe und erwarte mein Geschick.

Adelma. So bleibet denn! Auch ich will Sklavin bleiben,
Ohn' Euch verschmäh' ich auch der Freiheit Glück.
Laß sehn, wer von uns beiden, wenn es gilt,
Dem Tode kühner trotzt! (Von ihm wegtretend.)
Wär' ich die Erste,
Die durch Beständigkeit ans Ziel gelangte? (Für sich. Mit Accent.)
Kalaf! Sohn Timurs! (Verneigt sich spottend.)
Unbekannter Prinz!
Lebt wohl! (Geht ab.)

Kalaf (allein). Wird diese Schreckensnacht nicht enden?
Wer hat auf solcher Folter je gezittert?
Und endet sie, welch neues größres Schreckniß
Bereitet mir der Tag! Aus welchen Händen!
Hat meine edelmüthig treue Liebe
Solches um dich verdient, tyrannisch Herz!
—Wohlan! Den Himmel färbt das Morgenroth,
Die Sonne steigt herauf, und allen Wesen
Bringt sie das Leben, mir bringt sie den Tod!
Geduld, mein Herz, dein Schicksal wird sich lösen!

Eilfter Auftritt.

Brigella. Kalaf.

Brigella. Der Divan wird versammelt, Herr. Die Stunde
Ist da. Macht Euch bereit!

Kalaf (mißt ihn mit wilden, scheuen Blicken). Bist du das Werkzeug?
Wo hast du deinen Dolch versteckt? Mach's kurz!
Vollziehe die Befehle, die du hast!
Du raubst mir nichts, worauf ich Werth noch legte.

Brigella. Was für Befehle, Herr? Ich habe keinen
Befehl, als Euch zum Divan zu begleiten,
Wo Alles schon versammelt ist.

Kalaf (nach einigem Nachsinnen, resigniert). Laß uns denn gehn!
Ich weiß, daß ich den Divan lebend nicht
Erreichen werde—Sieh, ob ich dem Tod
Beherzt entgegen treten kann.

Brigella (sieht ihn erstaunt an).
Was Teufel schwatzt er da von Tod und Sterben?
Verwünschtes Weibervolk! Sie haben ihn
In dieser ganzen Nacht nicht schlafen lassen;
Nun ist er gar im Kopf verrückt!

Kalaf (wirft das Schwert auf den Boden). Da liegt
Mein Schwert. Ich will mich nicht zur Wehre setzen.
Die Grausame erfahre wenigstens,
Daß ich die unbeschützte Brust von selbst
Dem Streich des Todes dargeboten habe!

(Er geht ab und wird, sowie er hinaustritt, von kriegerischem
Spiel empfangen.)

Fünfter Aufzug.

Die Scene ist die vom zweiten Aufzug.

Im Hintergrunde des Divans steht ein Altar mit einer chinesischen Gottheit und zwei Priestern, welche nach Aufziehung eines Vorhangs sichtbar werden.—Bei Eröffnung des Akts sitzt Altoum auf seinem Throne. Pantalon und Tartaglia stehen zu seinen beiden Seiten; die acht Doktoren an ihrem Platze, die Wache unter dem Gewehre.

Erster Auftritt.

Altoum. Pantalon. Tartaglia. Doctoren. Wache. Gleich darauf Kalaf.

Kalaf (tritt mit einer stürmischen Bewegung in den Saal, voll
Argwohn hinter sich schauend. In der Mitte der Scene verbeugt
er sich gegen den Kaiser, dann für sich).
Wie? Ich bin lebend hier—Mit jedem Schritt
Erwartet' ich die zwanzig Schwerter in der Brust
Zu fühlen, und, von Niemand angefallen,
Hab' ich den ganzen Weg znrückgelegt?
So hätte mir Adelma falsche Botschaft
Verkündet—oder Turandot entdeckte
Die Namen, und mein Unglück ist gewiß!

Altoum. Mein Sohn! ich sehe deinen Blick umwölkt,
Dich quälen Furcht und Zweifel—Fürchte nichts mehr!
Bald werd' ich deine Stirn erheitert sehn,
In wenig Stunden endet deine Prüfung.
—Geheimnisse von freudenreichem Inhalt
Hab' ich für dich—Noch will ich sie im Busen
Verschließen, theurer Jüngling, bis dein Herz,
Der Freude offen, sie vernehmen kann.
—Doch merke dir: Nie kommt das Glück allein;
Es folgt ihm stets, mit reicher Gaben Fülle
Beladen, die Begleitung nach—Du bist
Mein Sohn, mein Eidam! Turandot ist dein!
Dreimal hat sie in dieser Nacht zu mir
Gesendet, mich beschworen und gefleht,
Sie von der furchtbarn Probe loszusprechen.
Daraus erkenne, ob du Ursach hast,
Sie mit getrostem Herzen zu erwarten.

Pantalon (zuversichtlich).
Das könnt Ihr, Hoheit! Auf mein Wort! Was das
Betrifft, damit hat's seine Richtigkeit.
Nehmt meinen Glückwunsch an! Heut ist die Hochzeit.
Zweimal ward ich in dieser Nacht zu ihr
Geholt; sie hatt' es gar zu eilig; kaum
Ließ sie mir Zeit, den Fuß in die Pantoffel
Zu stecken; ungefrühstückt ging ich hin;
Es war so grimmig kalt, daß mir der Bart
Noch zittert—Aufschub sollt' ich ihr verschaffen,
Rath schaffen sollt' ich—bei der Majestät
Fürsprach einlegen—Ja, was sollt' ich nicht!
's war mir ein rechtes Gaudium und Labsal,
Ich leugn' es nicht, sie desperat zu sehn.

Tartaglia. Ich ward um sechs Uhr zu ihr hin beschieden;
Der Tag brach eben an; sie hatte nicht
Geschlafen und sah aus wie eine Eule.
Wohl eine halbe Stunde bat sie mich,
Gab mir die schönsten Worte, doch umsonst!
Ich glaube gar, ich hab' ihr bittre Dinge
Gesagt vor Ungeduld und grimm'ger Kälte.

Altoum. Seht, wie sie bis zum letzten Augenblick
Noch zaudert! Doch sie sperret sich umsonst.
Gemessene Befehle sind gegeben,
Daß sie durchaus im Divan muß erscheinen,
Und ist's mit Güte nicht, so ist's mit Zwang.
Sie selbst hat mich durch ihren Eigensinn
Berechtigt, diese Strenge zu gebrauchen.
Erfahre sie die Schande nun, die ich
Umsonst ihr sparen wollte—Freue dich,
Mein Sohn! Nun ist's an dir, zu triumphiren!

Kalaf. Ich dank' Euch, Sire. Mich freuen kann ich nicht.
Zu schmerzlich leid' ich selbst, daß der Geliebten
Um meinetwillen Zwang geschehen soll.
Viel lieber wollt' ich—Ach, ich könnte nicht!
Was wäre Leben ohne sie?—Vielleicht
Gelingt es endlich meiner zärtlichen
Bewerbung, ihren Abscheu zu besiegen,
Ihn einst vielleicht in Liebe zu verwandeln.
Mein ganzes Wollen soll ihr Sklave sein,
Und all mein höchstes Wünschen ihre Liebe.
Wer eine Gunst bei mir erlangen will,
Wird keines andern Fürsprachs nöthig haben,
Als eines Winks aus ihrem schönen Aug.
Kein Nein aus meinem Munde soll sie kränken,
Solang die Parze meinen Faden spinnt;
Soweit die Welle meines Lebens rinnt,
Soll sie mein einzig Träumen sein und Denken!

Altoum. Auf denn! Man zögre länger nicht! Der Divan
Werde zum Tempel! Man erhebe den Altar!
Der Priester halte sich bereit! Sie soll
Bei ihrem Eintritt gleich ihr Schicksal lesen
Und soll erfahren, daß ich wollen kann,
Was ich ihr schwur.

(Der hintere Vorhang wird aufgezogen; man erblickt den chinesischen
Götzen, den Altar und die Priester, Alles mit Kerzen beleuchtet.)

 Man öffne alle Pforten.
Das ganze Volk soll freien Eingang haben!
Zeit ist's, daß dieses undankbare Kind
Den tausendfachen Kummer uns bezahle,
Den sie auf unser greises Haupt gehäuft.

(Man hört einen lugubren Marsch mit gedämpften Trommeln. Bald darauf zeigt sich Truffaldin mit Verschnittenen; hinter ihnen die Sklavinnen, darauf Turandot, alle in schwarzen Flören, die Frauen in schwarzen Schleiern.)

Pantalon. Sie kommt! Sie kommt! Still! Welche Klagmusik!
Welch trauriges Gepräng! Ein Hochzeitmarsch,
Der völlig einem Leichenzuge gleicht!

(Der Aufzug erfolgt ganz auf dieselbe Weise und mit denselben
Ceremonien wie im zweiten Akt.)

Zweiter Auftritt.

Vorige. Turandot. Adelma. Zelima. Ihre Sklavinnen und Verschnittenen.

Turandot (nachdem sie ihren Thron bestiegen, und eine allgemeine
Stille erfolgt, zu Kalaf.)
Dies Traurgepränge, unbekannter Prinz,
Und dieser Schmerz, den mein Gefolge zeigt,
Ich weiß, ist Eurem Auge süße Weide.
Ich sehe den Altar geschmückt, den Priester
Zu meiner Trauung schon bereit, ich lese
Den Hohn in jedem Blick und möchte weinen.
Was Kunst und tiefe Wissenschaft nur immer
Vermochten, hab' ich angewandt, den Sieg
Euch zu entreißen, diesem Augenblick,
Der meinen Ruhm vernichtet, zu entziehen;
Doch endlich muß ich meinem Schicksal weichen.

Kalaf. O, läse Turandot in meinem Herzen,
Wie ihre Trauer meine Freude dämpft,
Gewiß, es würde ihren Zorn entwaffnen.
War's ein Vergehn, nach solchem Gut zu streben,
Ein Frevel wär's, es zaghaft aufzugeben!

Altoum. Prinz, der Herablassung ist sie nicht werth.
An ihr ist's jetzo, sich herabzugeben!
Kann sie's mit edelm Anstand nicht, mag sie
Sich darein finden. wie sie kann—Man schreite
Zum Werk! Der Instrumente froher Schar
Verkünde laut—

Turandot. Gemach! Damit ist's noch zu früh!

(Aufstehend und zu Kalaf sich wendend.)

Vollkommner konnte mein Triumph nicht sein,
Als dein getäuschtes Herz in süße Hoffnung
Erst einzuwiegen und mit einemmal
Nun in den Abgrund nieder dich zu schlendern.

(Langsam und mit erhobner Stimme.)

Hör', Kalaf, Timurs Sohn, verlaß den Divan!
Die beiden Namen hat mein Geist gefunden,
Such' eine andre Braut—Weh dir und Allen,
Die sich im Kampf mit Turandot versuchen!

Kalaf. O, ich Unglücklicher!

Altoum. Ist's möglich? Götter!

Pantalon. Heil'ge Katharina! (Zu Tartaglia.)
Geht heim! Laßt Euch den Bart auszwicken, Doctor!

Tartaglia. Allerhöchster Tien! Mein Verstand steht still!

Kalaf. Alles verloren! Alle Hoffnung todt!
—Wer steht mir bei? Ach, mir kann Niemand helfen!
Ich bin mein eigner Mörder; meine Liebe
Verlier' ich, weil ich allzusehr geliebt!
—Warum hab' ich die Räthsel gestern nicht
Mit Fleiß verfehlt, so läge dieses Haupt
Jetzt ruhig in dem ew'gen Schlaf des Todes,
Und meine bange Seele hätte Luft.
Warum, zu güt'ger Kaiser, mußtet Ihr
Das Blutgesetz zu meinem Vortheil mildern,
Daß ich mit meinem Haupt dafür bezahlte,
Wenn sie mein Räthsel aufgelöst—So wäre
Ihr Sieg vollkommen und ihr Herz befriedigt!

(Ein unwilliges Gemurmel entsteht im Hintergrund.)

Altoum. Kalaf! Mein Alter unterliegt dem Schmerz;
Der unversehne Blitzstrahl schlägt mich nieder.

Turandot (bei Seite zu Zelima).
Sein tiefer Jammer rührt mich, Zelima!
Ich weiß mein Herz nicht mehr vor ihm zu schützen.

Zelima (leise zu Turandot).
O, so ergebt Euch einmal! Macht ein Ende!
Ihr seht, Ihr hört, das Volk wird ungeduldig!

Adelma (für sich). An diesem Augenblick hängt Tod und Leben!

Kalaf. Und braucht's denn des Gesetzes Schwert, ein Leben
Zu endigen, das länger mir zu tragen
Unmöglich ist? (Er tritt an den Thron der Turandot.)
Ja, Unversöhnliche!
Sieh hier den Kalaf, den du kennst—den du
Als einen namenlosen Fremdling haßtest,
Den du jetzt kennst und fortfährst zu verschmähn!
Verlohnte sich's, ein Dasein zu verlängern,
Das so ganz werthlos ist vor deinen Augen?
Du sollst befriedigt werden, Grausame.
Nicht länger soll mein Anblick diese Sonne
Beleidigen—Zu deinen Füßen—

(Er zieht einen Dolch und will sich durchstechen. In demselben Augenblick macht Adelma eine Bewegung, ihn zurück zu halten, und Turandot stürzt von ihrem Thron.)

Turandot (ihm in den Arm fallend, mit dem Ausdruck des Schreckens
und der Liebe).
Kalaf!

(Beide sehen einander mit unverwandten Blicken an und bleiben eine Zeit lang unbeweglich in dieser Stellung.)

Altoum. Was seh' ich!

Kalaf (nach einer Pause). Du? Du hinderst meinen Tod?
Ist das dein Mitleid, daß ich leben soll,
Ein Leben ohne Hoffnung, ohne Liebe?
Meiner Verzweiflung denkst du zu gebieten?
—Hier endet deine Macht. Du kannst mich tödten;
Doch mich zum Leben zwingen kannst du nicht.
Laß mich, und wenn noch Mitleid in dir glimmt,
So zeig' es meinem jammervollen Vater.
Er ist zu Peckin, er bedarf des Trostes;
Denn auch des Alters letzte Stütze noch,
Den theuren einz'gen Sohn raubt ihm das Schicksal.

(Er will sich tödten.)

Turandot (wirft sich ihm in die Arme).
Lebt, Kalaf! Leben sollt Ihr—und für mich!
Ich bin besiegt. Ich will mein Herz nicht mehr
Verbergen—Eile, Zelima, den beiden
Verlassenen, du kennst sie, Trost zu bringen,
Freiheit und Freude zu verkünden—Eile!

Zelima. Ach, und wie gerne!

Adelma (für sich). Es ist Zeit, zu sterben.
Die Hoffnung ist verloren.

Kalaf. Träum' ich, Götter?

Turandot. Ich will mich keines Ruhms anmaßen, Prinz,
Der mir nicht zukommt. Wisset denn, es wisse
Es alle Welt. Nicht meiner Wissenschaft,
Dem Zufall, Eurer eignen Übereilung
Verdank' ich das Geheimniß Eures Namens.
Ihr selbst, Ihr ließet gegen meine Sklavin
Adelma beide Namen Euch entschlüpfen.
Durch sie bin ich dazu gelangt—Ihr also habt
Gesiegt, nicht ich, und Euer ist der Preis.
—Doch nicht bloß, um Gerechtigkeit zu üben
Und dem Gesetz genug zu thun—Nein, Prinz!
Um meinem eignen Herzen zu gehorchen,
Schenk' ich mich Euch—Ach, es war Euer, gleich
Im ersten Augenblick, da ich Euch sah!

Adelma. O nie gefühlte Marter!

Kalaf (der diese ganze Zeit über wie ein Träumender gestanden,
scheint jetzt erst zu sich selbst zu kommen und schließt die
Prinzessin mit Entzückung in seine Arme).
Ihr die Meine?
O, tödte mich nicht, Übermaß der Wonne!

Altoum. Die Götter segnen dich, geliebte Tochter,
Daß du mein Alter endlich willst erfreun.
Verziehen sei dir jedes vor'ge Leid,
Der Augenblick heilt jede Herzenswunde.

Pantalon. Hochzeit! Hochzeit! Macht Platz, ihr Herrn Doctoren!

Tartaglia. Platz! Platz! Der Bund sei alsogleich beschworen!

Adelma. Ja, lebe, Grausamer, und lebe glücklich
Mit ihr, die meine Seele haßt! (Zu Turandot.)
Ja, wisse,
Daß ich dich nie geliebt, daß ich dich hasse
Und nur aus Haß gehandelt, wie ich that.
Die Namen sagt' ich dir, um den Geliebten
Aus deinem Arm zu reißen und mit ihm,
Der meine Liebe war, eh du ihn sahst,
In glücklichere Länder mich zu flüchten.
Noch diese Nacht, da ich zu deinem Dienst
Geschäftig schien, versucht' ich alle Listen—
Selbst die Verleumdung spart' ich nicht—zur Flucht
Mit mir ihn zu bereden; doch umsonst!
In seinem Schmerz entschlüpften ihm die Namen,
Und ich verrieth sie dir; du solltest siegen,
Verbannt von deinem Angesicht sollt' er
In meinen Arm sich werfen—Eitle Hoffnung!
Zu innig liebt' er dich und wählte lieber,
Durch dich zu sterben, als für mich zu leben!
Verloren hab' ich alle meine Mühen;
Nur eins steht noch in meiner Macht. Ich stamme
Wie du von königlichem Blut und muß erröthen,
Daß ich so langte Sklavenfesseln trug.
In dir muß ich die blut'ge Feindin hassen.
Du hast mir Vater, Mutter, Brüder, Schwestern,
Mir Alles, was mir theuer war, geraubt,
Und nun auch den Geliebten raubst du mir.
So nimm auch noch die Letzte meines Stammes,
Mich selbst zum Raube hin—Ich will nicht leben!

(Sie hebt den Dolch, welchen Turandot dem Kalaf entrissen,
von der Erde auf.)
Verzweiflung zückte diesen Dolch; er hat
Das Herz gefunden, das er spalten soll. (Sie will sich erstechen).

Kalaf (fällt ihr in den Arm).
Faßt Euch, Adelma!

Adelma. Laß mich, Undankbarer!
In ihrem Arm dich sehen? Nimmermehr!

Kalaf. Ihr sollt nicht sterben. Eurem glücklichen
Verrathe dank' ich's, daß dies schöne Herz,
Dem Zwange feind, mich edelmüthig frei
Beglücken konnte—Gütiger Monarch,
Wenn meine heißen Bitten was vermögen,
So habe sie die Freiheit zum Geschenk,
Und unsere Glückes erstes Unterpfand
Sei eine Glückliche!

Turandot. Auch ich, mein Vater,
Vereinige mein Bitten mit dem seinen.
Zu hassenswerth, ich fühl' es, muß ich ihr
Erscheinen; mir verzeihen kann sie nie
Und könnte nie an mein Verzeihen glauben.
Sie werde frei, und ist ein größer Glück
Für sie noch übrig, so gewährt es ihr.
Wir haben viele Thränen fließen machen
Und müssen eilen, Freude zu verbreiten.

Pantalon. Ums Himmelwillen, Sire, schreibt ihr den Laufpaß,
So schnell Ihr könnt, und gebt ihr, wenn sie's fordert,
Ein ganzes Königreich noch auf den Weg.
Mir ist ganz weh und bang, daß unsre Freude
In Rauch aufgeht solang ein wüthend Weib
Sich unter einem Dach mit Euch befindet.

Altoum (zu Turandot).
An solchem Freudentag, den du mir schenkst,
Soll meine Milde keine Grenzen kennen.
Nicht bloß die Freiheit schenk' ich ihr. Sie nehme
Die väterlichen Staaten auch zurück
Und theile sie mit einem würd'gen Gatten,
Der klug sei und den Mächtigen nicht reize.

Adelma. Sire—Königin—ich bin beschämt, verwirrt,
So große Huld und Milde drückt mich nieder.
Die Zeit vielleicht, die alle Wunden heilt,
Wird meinen Kummer lindern—Jetzt vergönnt mir
Zu schweigen und von eurem Angesicht
Zu gehn—Denn nur der Thränen bin ich fähig,
Die unaufhaltsam diesem Aug entströmen.

(Sie geht ab mit verhülltem Gesicht, noch einen glühenden
Blick auf Kalaf werfend, ehe sie scheidet.)

Letzter Auftritt.

Die Vorigen, ohne Adelma. Gegen das Ende Timur, Barak,
Skirina und Zelima.

Kalaf. Mein Vater, o, wo find' ich dich, wo bist du,
Daß ich die Fülle meines Glücks in deinen Busen
Ausgieße?

Turandot (verlegen und beschämt).
Kalaf, Euer edler Vater ist
Bei mir, ist hier—In diesem Augenblicke
Fühlt er sein Glück—Verlangt nicht mehr zu wissen,
Nicht ein Geständniß, das mich schamroth macht,
Vor allen diesen Zeugen zu vernehmen.

Altoum. Timur bei dir? Wo ist er?—Freue dich,
Mein Sohn. Dies Kaiserreich hast du gewonnen;
Auch dein verlornes Reich ist wieder dein.
Ermordet ist der grausame Tyrann,
Der dich beraubte! Deines Volkes Stimme
Ruft dich zurück auf deiner Väter Thron,
Den dir ein treuer Diener aufbewahrt.
Durch alle Länder hat dich seine Botschaft
Gesucht, und selbst zu mir ist sie gedrungen.
—Dies Blatt enthält das Ende deines Unglücks.

(Überreicht ihm einen Brief.)

Kalaf (wirft einen Blick hinein und steht eine Zeit lang in
sprachloser Rührung).
Götter des Himmels! Mein Entzücken ist
Droben bei euch, die Lippe ist versiegelt.

(In diesem Augenblick öffnet sich der Saal. Timur und Barak treten herein, von Zelima und ihrer Mutter begleitet. Wie Kalaf seinen Vater erblickt, eilt er ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen. Barak sinkt zu Kalafs Füßen, indem sich Zelima und ihre Mutter vor der Turandot niederwerfen, welche sie gütig aufhebt. Altoum, Pantalon und Tartaglia stehen gerührt. Unter diesen Bewegungen fällt der Vorhang.)