Title: Erzgebirgische Geschichten. Erster Band
Author: August Peters
Release date: November 25, 2017 [eBook #56045]
Language: German
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Anmerkungen zur Transkription
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von
Elfried von Taura,
Verfasser von: »Die stille Mühle« etc. etc.
Erster Band.
Hannover.
Carl Rümpler.
1858.
Druck von August Grimpe in Hannover.
Hoch auf dem Plateau des Erzgebirges, in der nordöstlichen Nachbarschaft des Keilberges, erhebt sich, weit nach Mitternacht und Morgen sichtbar, die rautenförmige Basaltkegelgruppe des Bärenstein, Scheibenberg, Pöhlberg und Haßberg. Es ist ein Raum von wenig Geviertstunden, den sie umschließt, aber ein Raum voll landschaftlicher und menschlicher Contraste. Die üppigsten Wiesengründe wechseln mit kahlen Bergkuppen und hochgethürmten Felsen, die herrlichsten Tannenwälder mit den traurigsten Torfmooren, die belebtesten, von bienenfleißigen Menschen wimmelnden Gegenden mit menschenleeren Wüstungen und die abgeschliffensten, auf der Höhe der Civilisation stehenden Stadtbewohner mit Gemeinden, die noch um Jahrzehente hinter jenen zurück sind. Tiefer als die Kluft, welche die Gegensätze der Bildung scheidet,[4] kann das tiefe Thal nicht sein, welches die ganze Fläche in zwei Hälften scheidet, eine östliche und westliche. Aber von welchen Gegensätzen wüßte der Bach zu erzählen, der das Thal bald sanft, bald wild durchströmt, wenn wir ihn fragen wollten! Es genügt hier zu wissen, daß er in seinem obern Lauf die Grenze zweier Staaten und zweier Kirchengebiete bildet, daß er anfangs durch ein flaches Wiesenthal, dann durch ein enges, tiefes, felsiges Waldthal und endlich durch das tiefe und weite Thal von Königswald fließt. Da wo der schöne Bach die Grenze eines der augenfälligsten landwirthschaftlichen Contraste überschreitet, an der untern Oeffnung des erwähnten Waldthales, bespült er den Garten einer Försterei und treibt unterhalb derselben eine Mahl- und Sägmühle, oder, wie man hierzuland sagt, Bretmühle.
Es wird mir weh ums Herz, so oft ich an diese Bretmühle denke. Denn immer muß ich da auch an den armen Bretschneiderfritz denken, der einst dort lebte und, wiewohl er fast nie aus dem Thal gekommen, mehr erlebte als manches Menschenkind, das die halbe Welt am Wanderstabe durchmessen.
Wenn ich so um zwanzig Jahre in meiner Erinnerung zurückgehe, was war da der Bretschneiderfritz von Königswald für ein Mann! Alt und Jung hatte ihn gern und ehrte ihn als Einen, der sein Fach verstand und auch noch etwas mehr, der dabei ein rechtschaffen Stück Geld verdiente und »lebte und leben ließ.« Zwar der Förster drüben über dem Bach war nicht ganz gleicher Meinung mit den Königswaldern, denn er hatte den Fritz im Verdacht, daß er um die schönen Stämme und Klötze wisse, die von Zeit zu Zeit aus dem Theile des Reviers verschwanden, welcher mit dem Pöhlwasser zunächst der Bretmühle »raint«. Er konnte jedoch nichts auf ihn bringen, und so blieb Fritzens Ansehen bei den Königswaldern ungeschmälert. Er war kein Jüngling mehr, denn er hatte bereits in den Zwanzigern nichts mehr zu suchen, doch war er noch immer ein Junggeselle. Nicht als ob es ihm an Gelegenheit zum »Freien« gefehlt hätte! In Königswald mangelt es so wenig als anderwärts an heirathslustigen Jungfern, und da der Fritz ein »feiner Bursch« war, so hätte mehr als eine und nicht die schlechteste mit beiden Händen zugegriffen, wenn er gesagt hätte: »Nimm[6] mich!« Aber unser Fritz war ein wenig wählerisch und zuletzt gab es nur Eine in Königswald, der er Herz und Hand schenken mochte, das war Kordel, die Mündel seines Brodherrn, des Müllers.
Da hatte es nun so seinen besondern Haken, daß Fritz mit seinem Werben nicht recht vom Flecke kam. Nicht als ob er dem Mädchen nicht angestanden hätte, im Gegentheil, sie hatte deß vor ihren Freundinnen gar keinen Hehl, daß sie den Fritz gern habe; aber dieser war so bis über die Ohren in sie verliebt, daß er nicht wußte, wie er an sie kommen sollte. Das Mädchen hatte so sein eigenes Köpfchen, was sie von allen schönen Königswalderinnen unterschied: wie sie immer etwas Apartes vor diesen haben mußte, sei es nun an ihren Kleidern oder in der Art, wie sie das üppige kastanienbraune Haar scheitelte und aufsteckte, so wollte sie auch von den Männern anders genommen sein, wie jene, namentlich wollte sie dem Mann ihrer Wahl keinen Schritt entgegengehen, woran es die andern jungen Königswalderinnen keineswegs fehlen ließen. Dem Bretschneiderfritz machte Kordel's zurückhaltendes Wesen viel Herzensnoth, und[7] in dieser verfiel er auf einen Weg, auf den er am allerwenigsten hätte verfallen sollen: er entdeckte sich dem Müller und bat ihn um seine Fürsprache. Der Müller sagte ihm ihre Hand ohne Weiteres zu, gerade als ob er als Vormund nur so mir nichts dir nichts über ein freies Menschenwesen hätte verfügen dürfen. Es war ihm indeß mit seiner Zusage gar nicht so ernst, wie er that, wenigstens schob er ihre Erfüllung auf die lange Bank, und das war Fritzens Unglück.
In Königswald hieß es schon lange, daß Fritz und Kordel auf dem Punkte ständen, ein Paar zu werden; da fehlte es denn wie gewöhnlich nicht an spitziger Neckerei, noch an neidischer Afterrede. Wäre das Gerücht wahr gewesen, so hätte sich Kordel aus Beidem nichts gemacht, aber da die Sache noch im weiten Felde stand, Fritz noch kein Sterbenswörtchen von Liebe und Heirath zu ihr gesagt hatte, so verdroß es sie, so »in der Leute Mäuler herumzugehen«, und sie wurde dem Fritz fast böse, daß er das Gerücht vom Brautstand veranlaßt und doch nicht wahr machte. Als es ihr gar zu bunt ward, meinte sie, sie wolle dem Gerede bald ein Ende machen; es müsse ja der Fritz[8] nicht sein; es gäbe der Bursche noch genug in der Welt, und der erste Beste, der sie haben wolle, und der ihr gefalle, solle sie heimholen. – »Ja« – mußte sie aber dann lächelnd einwenden – »wenn nur erst Einer käme, so »fein wie der Fritz« oder »noch a Bissel feiner.« – »Je nun« – raisonnirte der Trotzkopf, sich stolz in die Höhe werfend, weiter – »wer weiß, es kann morgen Einer kommen.«
Es war eines Sonntags, als sie aus der Kirche kam, wo sie dieses Selbstgespräch hielt, und sie war dazu durch die Neckerei ihrer Freundinnen auf dem Kirchhof veranlaßt worden. Ihr Weg führte sie an ihrem von den Eltern ererbten Häuschen vorüber, welches jetzt eine alte Muhme bewohnte, die als Sibylle von Königswald bei allen jungen Mädchen, verliebten Burschen, wie lottospielenden Weibern und Männern des Ortes in hohem Ansehen stand. Kordel fand sich bei den letzten Worten ihres Selbstgesprächs gerade vor ihrem Besitzthum; was war bei der Richtung ihrer Gedanken natürlicher, als daß sie hineinging, die »Muhme Beate« zu fragen, was für ein Mann ihr beschieden wäre. Die Alte empfing ihre jugendliche[9] Hauswirthin mit zuvorkommender Dienstwilligkeit – ihr sibyllinisches Buch aus zweiunddreißig Blättern lag auf dem Tisch, eh' Kordel ihren Wunsch noch ausgesprochen hatte. Richtig! da war es ja ganz offenbar: ihr war »ein junger, schöner Herr in einem grünen Rock« beschieden, nicht aus Königswald, sondern weit, weit her – aus Leipzig oder Dresden, wo nicht gar aus Bautzen;« er war bereits unterwegs und eh' drei Tage vergingen, konnte sie ihn schon gesehen haben.
Es soll mich wundern, wenn Kordel an diesem Abend so geschwind eingeschlafen ist, wie sonst, und wenn sie nicht von dem Grünrock geträumt hat. Der Montag verging, ohne daß er ihr den Verheißenen vor die Augen brachte, so oft sie auch zum Fenster hinaussah oder sich im Hofe, im Garten und auf der Wiese zu thun machte. Aber sonderbar – Abends beim Essen erzählte der Müller, daß beim Förster drüben ein neuer Gehülfe angekommen sei, ein »kreuzfideler Kauz«, mit dem er auf dem Weiperter Blechhammer einen so vergnügten Nachmittag zugebracht habe, wie lange keinen. Kordel wurde roth bis in den Nacken,[10] und diese Nacht träumte sie wirklich von einem Grünrock.
Am andern Morgen litt es sie nicht im Hause; kaum hatte sie ihren Kaffee getrunken, so nahm sie Sense und »Wetzkitze« und eilte auf die Wiese, die der Pöhlbach vom Garten des Försters trennte, dort zu mähen. Denn der Müller hielt sie nicht zum Staat in seinem Hause, sondern ließ sie ihr Brod ordentlich verdienen. Sie hatte kaum zwei Schwaden nieder, da horch! – so etwas hatte sie noch nie gehört, – aus dem offenen Giebelfenster des Forsthauses sang eine Tenorstimme, gegen welche die des Kantors nur heiseres Gekrächze war, das schöne Lied: »Es blies ein Jäger wohl in sein Horn – trarah – trarah – trarah etc.« Das Mädchen vergaß gar das Mähen über den wunderholden Tönen, und die Empfindungen, welche Text und Melodie athmen, strömten in solchen Schauern durch ihre Brust, daß diese das fesselnde Mieder zu zersprengen drohte.
Auch den Bretschneider lockte der ungewohnte Sang an sein Fensterlein, das nach dieser Seite herausgeht, und wie ihm wurde, als er sein Lieb nur fünfzig Schritte von dem Forsthause auf ihre[11] Sense gelehnt in Zuhören versunken sah, das will ich Niemand sagen. Aber es sollt' ihm noch schlimmer werden. Denn das Lied war kaum zu Ende und Kordel hatte kaum die Sense wieder in Bewegung gesetzt, da kommt ein schlanker grünrockiger Gesell mit fliegenden schwarzen Locken zum Forsthause heraus, setzt wie ein Hirsch über den Bach und ist wie der Blitz an Kordel's Seite.
»Guten Morgen, Jungfer Nachbarin!« grüßte der Wildfang. – »So schöne Gelegenheit, Unterricht in der Landwirthschaft zu erhalten, finde ich im Leben nicht wieder; da muß ich gleich Stunde nehmen. Ich bitte!« Und damit nimmt er die Sense aus der Hand des erglühenden und bebenden Mädchens.
»Ach, verzeihen Sie!« fährt er zu sprechen fort. – »Ich habe Sie erschreckt – dictiren Sie mir welche Strafe Sie wollen, und zürnen Sie mir nicht!«
»Geben Sie mir meine Sense!« stammelte das verlegene Kind.
»Warten Sie nur einen Augenblick!« versetzte der kecke Mensch. – »Wenn Sie mir böse sind, so muß ich Ihren Vater, das fidele Haus, rufen, daß er meinen Advocaten bei Ihnen mache.«
»Der Müller ist nicht mein Vater«, versetzte sie, »sondern nur mein Vormund.«
»So vertritt mein alter Freund von gestern also doch Vaterstelle bei Ihnen. Wie ist es, muß ich mir seinen Beistand erbitten, oder verzeihen Sie mir so?«
»Ich habe ja nichts zu verzeihen.«
»Wohlan, Ihre Hand! O welche allerliebste kleine Hand! Man sollte nicht meinen, daß sie solche Arbeit verrichten könnte.«
»O Sie sollen gleich sehen, ob sie's kann; geben Sie mir nur die Sense!«
Er behielt sie jedoch und schickte sich an, eine Schwade zu hauen.
»Um Gotteswillen!« schrie das Mädchen, ihm in den Arm fallend, »so hauen Sie sich ja die Zehen weg.« Und nun nahm sie die Sense und zeigte ihm, wie man sie führen müsse.
Dem Allen mußte der gute Bretschneider von seiner Bretmühle aus zusehen, und ihm war, als ob die kreischende Säge hinter ihm mitten durch sein Herz schnitt. Jetzt – das sah er ein – war es die höchste Zeit, sein Schäfchen ins Trockene zu bringen, sonst war es für ihn verloren. Er[13] eilte stracks hinüber in die Mühle, um mit seinem Herrn ein ernstes Wort über die Heirathsangelegenheit zu reden. Leider war der Müller ausgegangen und Fritz mußte sich gedulden bis Mittag. Als er wieder über den Hof ging, begegnete ihm die von der Wiese zurückkommende Kordel. Er sah sie mit einem traurigen und doch so innigen Blick an, daß er ihr durch die Seele drang. Jetzt hätte er dreist sein und sein ganzes Herz vor ihr bloß legen sollen; gewiß, sie hätte ihm nicht widerstanden, und wenn sie einmal Ja gesagt, da wäre sie ihm auch treu geblieben, und es wäre ganz anders geworden mit dem armen Fritz – aber auch mit ihr. Allein er seufzte blos, und ging zu seiner Säge – mit der konnte er um die Wette seufzen.
Am Mittag, gleich nach dem Essen, als Kordel bereits wieder draußen herumwirthschaftete, zog Fritz den Müller mit sich auf die Bretmühle. Wie bekannt hat jede Schneidemühle ein Souterrain, in welchem sich die Radstube befindet. Dort häufen sich auch die von oben herabfallenden Sägespäne auf. Es mußte sich gerade treffen, daß Kordel, um dergleichen Späne einzufassen, sich in der Radstube befand, als Fritz und der Müller oben ankamen und sich auf den vor der Säge liegenden Klotz setzend, ein Gespräch begannen, in welchem das Mädchen fast das erste Wort war. Kordel war bestimmt nicht die Neugierigste ihres Geschlechtes, aber in diesem Falle konnte es ihr Niemand verargen, wenn sie sich nahe herbeischlich und sich hütete, ihre Anwesenheit zu verrathen. Der Bretschneider machte dem Müller Vorwürfe, daß[15] er sein Versprechen bis heute nicht erfüllt hatte. Der Müller entschuldigte sich damit, daß es noch immer nicht habe passen wollen, fügte aber hinzu, daß er dem Fritz diesen wichtigen Dienst nur um einen Gegendienst leisten könnte. Auf Fritzens Befragen, was für Einer das wäre, antwortete der Müller:
»Das kann Er sich schon denken, Fritz! Er soll mir zu meinem Eigenthum verhelfen, den achtzehn Fichten oben an der Waldecke hinter der Mühle.«
Fritz kratzte sich hinter den Ohren und sagte kein Wort.
»Er meint doch nicht, es wäre ein Unrecht,« fuhr der Müller fort, »wenn wir die Fichten holen? Sie gehören mir von Rechtswegen; der Boden, worauf sie stehen, gehört zu meiner Mühle; der frühere Förster hat bei Lebzeiten meines Schwiegervaters die Grenzsteine verrückt und so die schönen Fichten, wie er keine auf seinem Revier hatte, an den Staatswald gebracht.«
»Warum suchen Sie denn Ihr Recht nicht?« fragte Fritz.
»Red' Er mir nicht von Rechtsuchen dem Fiskus gegenüber!« versetzte der Müller. »Soll ich mich[16] um die Mühle prozessiren? Er weiß doch, wie es den Grumbachern geht, die nun seit funfzig Jahren wegen des Streitwaldes mit dem Fiskus im Proceß liegen. Fritz – sei Er nicht wunderlich! Es ist ja keine Gefahr bei der Sache. Der neue Forstgehülfe ist auf dem Revier noch unbekannt, auch bin ich bereits gut Freund mit ihm und will ihn schon lenken.«
Fritz schüttelte den Kopf und sagte: »Mit dieser Sache möcht' ich nicht gern zu schaffen haben.«
»So hab' ich auch nichts mit Seinen Absichten auf die Kordel zu schaffen und ich gebe sie, wen sie sonst will.« Damit erhob sich der Müller und ließ den armen Fritz in der traurigsten Stimmung sitzen.
Kordel hatte von dieser Unterredung nicht ein Wort verloren. Sie vergaß die Sägspäne vor Zorn über den Vormund, daß er sie um achtzehn Fichten verkuppeln wollte und auch über den Fritz, daß er sich mit seiner Werbung an den Vormund statt an sie selber gewendet hatte.
Ihr Groll gegen den Vormund milderte sich indeß schon am Abend; denn da brachte er den Forstgehülfen mit nach Hause. Dieser hatte jetzt[17] seinen grünen Anzug durch einen Tirolerhut vervollständigt, der ihm verwegen auf dem rechten Ohre saß. Statt Büchse und Waidtasche trug er ein weit friedlicheres Instrument am Arme: eine Guitarre, auf der er im Schreiten über die Hausflur bis in die Mitte der Stube einen Marsch spielte, zum Ergötzen der Müllerin und des gesammten Hausgesindes, nur nicht des Bretschneiders. Der ärgerte sich über die Musik dermaßen, daß er mit einer verteufelten Unmusik gegen sie ins Feld rückte: er nahm die Feile zur Hand und fing an, die Säge in einer Weise zu schärfen, daß es über eine halbe Stunde weit schrillte. Da konnte der Jäger allerdings nicht spielen und singen, weshalb die Müllerin hinausrannte und dem Fritz das Schärfen untersagte.
Der Forstgehülfe war in der That ein Sänger, wie ihrer nicht viele in grünen Pikeschen umherlaufen. Hätt' er nur einen bessern Gebrauch von seiner schönen Gottesgabe gemacht. Die gute Kordel hatte gar keine Ahnung, was für ein Springinsfeld der dunkellockige Sänger war, sonst hätte sie seinen schmeichelnden Tönen nicht so freien Eingang in ihr Herz gestattet, wie es schon am Morgen[18] der Fall gewesen war und noch weit mehr diesen Abend geschah. Und diesem Abend folgten noch andere, ja, einen wie den andern stellte sich der Jäger ein, und eh' die Woche um war, fand er sich in der Mühle wie zu Hause, und Kordel's Herz hing wehrlos in seinem aus Gluthblicken und Tönen gewobenen Liebesnetz.
Um den Bretschneiderfritz war es geschehen. Am Sonntage mußte er sehen, wie Kordel in Begleitung des Müllers und des Grünrocks in »das Gericht« zu Tanze ging. Da fuhr die Hölle in sein Herz, und wie er ihnen nachsah, ballte er seine Faust und sprach: »Warte, du Tagedieb, dich will ich bald aus meinem Gehege vertreiben.« Darauf zog er sich an und ging ebenfalls in das Gericht.
Der Bretschneiderfritz war kein Säufer, und Niemand in ganz Königswald konnte auftreten und sagen, er habe ihn ein einziges Mal betrunken gesehen; heute betrank er sich, und das Bißchen Verstand, welches der Teufel der Eifersucht ihm noch gelassen, das trieb der Schnapsgeist vollends aus. Zwar war er nicht so voll, daß er taumelte, als er sich vom Müller bereden ließ, aus der Schänkstube hinauf in den Tanzsaal zu gehen, aber wer[19] ihn kannte, sah, daß das Thier in ihm jetzt die Oberhand hatte. Die Kordel sah es ihm gleich an, als er auf sie zukam, und obschon sie nicht wagte, ihm den Tanz abzuschlagen, so riß sie sich doch gleich von ihm los, als er sie fest an sich riß, daß es ihr den Athem versetzte. Er wollte sich ihrer wieder bemächtigen, aber sie stieß ihn mit solcher Heftigkeit von sich, daß er zu Boden taumelte. Der Müller hob ihn auf und führte ihn fort, während Kordel sich unter den Schutz des Forstgehülfen flüchtete.
»Herr!« sprach Fritz zum Müller, als sie wieder nach der Schänkstube gingen, »wollen Sie die Fichten noch haben?«
»Er holt sie mir doch nicht,« erwiederte der Müller kühl.
»Ich hole sie – heute Nacht noch fang' ich an. Geben Sie auf die Kordel Acht und halten Sie den Försterburschen auf!«
»Verlaß Er sich auf mich!« sagte der Müller, worauf Fritz, ohne noch ein Wort zu sagen, davon eilte.
Der Forstgehülfe ließ sich nur zu gern halten, weniger durch das Zureden des Müllers, als durch[20] den Zauber, den Kordel auf ihn übte. Es graute schon der Tag, als die drei Nachtschwärmer in die Mühle zurückkehrten. Der Forstgehülfe hängte sein Gewehr über, das er hier eingelegt hatte, nahm mit einem Kusse von Kordel Abschied und eilte dem Walde zu, um da nachträglich seine Pflicht zu erfüllen. Als er aber an ein wunderheimliches Plätzchen kam, wo ein von jungen Tannen beschatteter schwellender Mooshang zum Ruhen einlud, meinte er, es sei Eins besser als das Andere, legte sich und schlief ein. Erst als die Mittagssonne durch eine Oeffnung des dichten Gezweiges ihm ins Gesicht schien, erwachte er, und da mußte es sich noch schicken, daß ihm zwei Weiber mit schwergeladenen Holzkörben in den Weg kamen, gegen die er das Interesse des Staates durch Pfänden und Aufschreiben der Namen wahren konnte. Glücklich, zwei schneidende Beweise seines Diensteifers – eine Handsäge und ein Beil – dem Prinzipal überliefern zu können, betrat er das Forsthaus – aber mit einem »Hol' Sie der Henker mit Ihrem Bettel da!« wurden ihm die Pfänder von dem erzürnten Förster vor die Füße geworfen.
»Bei Ihnen heißt es wohl auch: Die kleinen Diebe hängt man, die großen läßt man laufen?« fuhr der Förster fort; »hätten Sie lieber aufgepaßt, daß man nicht die drei schönsten Fichten im Walde gestohlen hätte, als daß Sie auf ein paar alte Weiber mit Kaffeeholz fahndeten. Wenn Sie sich noch eine solche Nachlässigkeit zu Schulden kommen lassen, so sind wir auf der Stelle geschiedene Leute. Von heute an inspiciren Sie lediglich den Kriegwald, und da haben Sie Acht auf die Bretmühle, denn irre ich nicht, so haust dort unser Dieb, obgleich eine genaue Haussuchung in allen Ställen und Schuppen der Mühle nicht das Geringste ergeben hat.«
Als der Gehülfe am Nachmittage den Platz besah, wo in der Nacht die stattlichen Bäume verschwunden waren, wurde es ihm gleich klar, daß dieselben nicht gut anders wohin als in die Mühle gewandert sein konnten. Sicher aber war der Müller unschuldig daran, denn wie sollte ein so bemittelter Mann Holz stehlen? Er ließ sich daher durch den Vorfall nicht abhalten, gegen Abend wieder in die Mühle zu gehen und eine Blumenlese theils verliebter, theils lustiger Lieder zum Besten zu geben. Länger aber als bis es finster geworden war, ließ er sich diesmal nicht halten, sondern er ging an seinen Posten, schwörend, daß wenn die Diebe heute kämen, sie ihren Mann finden sollten. Sie kamen aber nicht, und auch die folgende Nacht nicht, noch die dritte.
In der vierten Nacht meinte der junge Forstwart, es sei doch eine Thorheit, da umsonst und nichts im kühlen Forst die halbe Nacht hindurch zu wachen, statt mit dem nettesten Mädchen, das je an eines Waidmanns Brust gelegen, zu kosen. Er ging zwar wie gewöhnlich um neun Uhr aus der Mühle fort und hinauf in den Wald, aber als im Dorfe der Wächter die zehnte Stunde abblies, schlich er sich wieder in die Mühle, wo Kordel ihn bereits erwartete – das arme, arme Ding! –
Als am frühen Morgen der pflichtvergessene Bursche aus Kordel's Armen hinauseilte nach dem Walde, rührte ihn das Gewissen nicht, daß er ein holdes Menschenleben vergiftet hatte; dagegen wurde er von dem Anblick der drei frischen Stöcke, die neben den drei ersten entstanden waren, wie vom Donner gerührt. Jetzt mußte er aus dem Dienst, das wußte er, denn der Förster spaßte nicht, und dies und wieder dies allein war sein Gedanke und seine Sorge – was aus der armen Kordel werden würde, daran dachte er nicht im Geringsten. Aber vielleicht konnte sie ihm zur Entdeckung des Diebes behülflich sein – dieser Gedanke trieb ihn[24] flugs in die Mühle zurück, wo, wie er wußte, Kordel noch wachte, da sie jetzt den Backofen zu heizen hatte.
Kordel saß, beleuchtet von der röthlichen Flamme, die sie eben angezündet hatte, auf den Stufen vor dem Backofen und hatte ihr Antlitz in die Schürze gehüllt, als der Verführer wieder zu ihr trat. Sie fiel ihm weinend um den Hals und dankte, daß er wiederkomme, denn ihr sei so angst und bange geworden, seit er sie verlassen. »O nicht wahr« – fuhr sie, ihm in die verführerischen Augen blickend, fort – »nicht wahr, Du verlässest mich nicht?«
»Wenn ich nur nicht muß, lieber Schatz!« erwiederte er, sie küssend. Das Mädchen fuhr erschrocken zurück und fragte, wie er das meine? Nun berichtete er ihr seine Entdeckung, theilte ihr mit, was er zu erwarten habe, und versetzte sie dadurch in die schrecklichste Angst. Gleichwohl gelang es ihm nicht sogleich, ihr das Geheimniß, um das sie wohl wußte, zu entlocken, erst nachdem er sie überredet hatte, daß das Vergehen mit einigen Wochen Gefängniß gesühnt sei, und als er mit traurigen Geberden für immer von ihr Abschied[25] nahm, verrieth sie ihm den Ort, wo die entwendeten Fichten, in Klötze geschnitten, untergebracht waren; mehr aber konnte er nicht von ihr erfahren.
Der Müller saß mit seinen Leuten beim Frühstück, als der Förster mit einem Gerichtsschöppen erschien, um abermals Haussuchung vorzunehmen. Aber diesmal nahmen sie sich nicht die Mühe, in Ställen und Schuppen herumzukriechen, sondern sie verfügten sich stracks hinter die Bretmühle, wo sie unter dem »Fluther« nach einigem Suchen ein großes verdecktes Gewölbe und darin die gesuchten Klötze entdeckten. Der Müller schien nicht im Geringsten verlegen bei dieser Entdeckung; er fluchte auf die Diebe, die sein Haus verunehrten, und that, als ob er nicht das Mindeste um das Vergehen wüßte, was der Förster auch glaubte, da er einem solchen Manne, der noch dazu sein Gevatter war, eine solche Handlung nimmermehr zutraute.
»Ich habe dem Bretschneider schon lange nicht getraut,« erklärte er, »und kein Anderer als er und der Kadenlieb sind die Diebe.«
Am folgenden Tage wurde der Bretschneiderfritz mit dem Tagelöhner »Kadenlieb« ins Amt abgeführt.[26] Der Müller mußte zwar auch mit, aber nach kurzem Verhör wurde er als ein angesessener Mann entlassen. Den Bretschneider und seinen Mitverdächtigen sperrte man ein. Sie bekannten ihr Vergehen gleich im ersten Verhör, ohne die Mitschuld des Müllers anzugeben.
Keiner von Beiden hatte eine Ahnung von dem Schicksale, das ihnen bevorstand. Walddiebstähle waren im Königswalder Forst keine Seltenheit, aber der höchste, der bis dahin an Königswalder Einwohnern gestraft worden war, hatte den Betheiligten nicht über drei Monate Gefängniß gebracht. Daß man wegen Waldfrevel ins Arbeitshaus kommen könne, das schien den Beiden ebenso unmöglich wie andern Königswaldern, denn welcher gemeine Mann kennt die so und so viel Paragraphen der verschiedenen Strafgesetzbücher? Wie erschraken daher die Inkulpaten, als ihnen nach halbjähriger Untersuchungshaft das Urtheil eröffnet wurde, welches über den Bretschneider drei und über den Kaden anderthalb Jahre Arbeitshaus verhängte! Der Letztere faßte sich zwar bald wieder und tröstete sich, es werde wohl auszuhalten sein, aber den Ersteren erschütterte der harte Richterspruch[27] so tief und dauernd, daß sein Mitgefangener (seit die Akten spruchreif waren, hatte man die beiden Schuldgenossen zusammengesperrt) fortwährend befürchtete, er möchte sich »ein Leid anthun.« Und wer weiß, was geschehen wäre, hätte nicht vierzehn Tage nach der Urtheilsverkündigung der Amtswachtmeister folgenden Brief überbracht:
»Guter, lieber Fritz! Sie sind gerächt. – Ich habe den Ort, wo die Klötze lagen, verrathen. – Gott weiß, ich wollte Ihnen kein Uebel zufügen – aber die Liebe – o Gott! wie fürchterlich bin ich für meine Verblendung gestraft! – Ich bin nicht mehr in der Mühle – als die Frau erfuhr, daß es anders mit mir stehe, hat sie mich aus dem Hause gejagt. Ich rannte in der Verzweiflung nach dem Hammerteich, aber der liebe Gott hat mich verstoßen, wie mich die Menschen verstießen, er ließ mich zur rechten Zeit die schwere Sünde, die ich zu begehen im Begriff stand, erkennen. – Ich wohne nun im Hause mit der Kartenschlägerbeate zusammen. Es ist ein traurig Leben – o wenn es überstanden wäre. Ich komme nicht aus dem Hause, selbst nicht in die Kirche, denn ich schäme mich vor den Leuten, und zu mir kommt[28] Niemand in meinem Elend; sogar meine besten Freundinnen verachten mich, besonders seit er, dem ich meine Ehre geopfert, fort ist in die weite Welt. Nicht wahr, guter Fritz, so hätten Sie nicht handeln können?
Mein Gewissen läßt mir keine Ruhe – verzeihen Sie mir, lieber Fritz! – ich werde ruhiger werden, wenn ich Ihre Verzeihung habe. Werth bin ich Sie freilich nicht, denn ich habe mich schwer an Ihnen versündigt und weiß auch, daß ich mein Vergehen nie wieder gut machen kann. O wenn ich doch das könnte! – Denken Sie aber ja nicht, daß ich weiter etwas will, als Ihre Verzeihung – daß ich ein so freches Ding wäre, welches einen braven Menschen wie Sie nun für gut genug hielte, nachdem ein Anderer sie sitzen lassen. – Lassen Sie mir nur ein paar Zeilen zukommen, daß Sie mir nicht fluchen.
Ich habe gehört, welch' ein hartes Urtheil Sie getroffen – der Bube, der eine vater- und mutterlose Waise ins tiefste Elend stößt, geht frei aus, und ein braver Mensch, wie Sie, wird wegen ein paar Waldbäumen so entsetzlich bestraft! Aber verlieren Sie den Muth nicht – Gott richtet anders[29] als die Menschen, hoffen Sie auf ihn und den lieben Heiland, der uns zuruft: Kommt her zu mir, Alle, die ihr mühselig und beladen seid! – Ich schicke Ihnen hier ein Buch mit, das ich einmal einem armen Handwerksburschen abgekauft habe; es ist eine wundersame, rührende Geschichte. Ich hätte mich gern selbst aufgemacht und Ihnen das Buch überbracht, aber ich schäme mich so. – Der gute Vater im Himmel stärke und erhalte Sie! Ich werde allezeit für Sie beten.
Concordie E.«
Ein Thränenstrom rann über Fritzens abgehärmte Wangen beim Lesen dieses Briefes, und er konnte sich lange nicht satt daran lesen. Anfangs vermißte er das Buch gar nicht, von welchem im Briefe die Rede und das ihm doch nicht mit übergeben worden war. Er erhielt es erst zu Mittag; es war Zschokke's »Alamontade«.
»Ich hoffe, Ihr werdet kein Hartkopf sein,« sprach der Wachtmeister, als er dem Fritz das Buch darreichte, »Ihr werdet das arme Frauenzimmer nicht ohne Trost lassen. Ihr wißt gar nicht, was sie für Euch gethan hat. Die Extrakost hat sie bezahlt.«
»Sie? Nicht der Müller?« fragte Fritz erstaunt.
»Der wird sich hüten,« erwiederte der Wachtmeister, »das würde ihn ja verdächtig machen. Die Kordel hat Alles bezahlt, mich aber gebeten, Euch nichts davon zu sagen. Und sie hat noch weit mehr thun wollen; sie hat sich erboten, die Fichten nach der Taxe zu bezahlen und auch alle Kosten, wenn Ihr freigegeben würdet. Das geht nun freilich nicht an, denn Strafe muß sein.«
Fritz nahm dies Alles still auf – er war keines Wortes mächtig vor den Empfindungen, die sich in seinem Busen drängten. Der Wachtmeister nahm sein Schweigen für »Hartköpfigkeit« und verließ ihn voll Unwillen. Aber am folgenden Morgen verlangte Fritz Papier und Schreibzeug, und als er das hatte, schrieb er einen Brief, der den Wachtmeister eines Andern belehrte. Ich habe den Brief nicht zu Gesicht bekommen, sonst würde ich seinen Inhalt ebenfalls mittheilen. Aber der Kadenlieb hat erzählt, daß dem alten Wachtmeister beim Lesen des Briefes das Wasser in den Augen gestanden hätte.
Kordel's Brief und Buch waren für den gefangenen Fritz reiche Trostquellen; sein Benehmen[31] wurde von Stund an so, daß es dem »Kadenlieb« zu seinen Befürchtungen keinen Anlaß mehr gab. Als ihm das zweite Erkenntniß, wodurch das erste bestätigt wurde, eröffnet worden war, ließ er sich ruhig und gefaßt in das Arbeitshaus abführen. Man würde sich aber sehr irren, wenn man glaubte, er hätte sich mit stoischem Gleichmuth in sein Schicksal ergeben. Zweierlei nagte an seinem Herzen und raubte ihm die Heiterkeit des Geistes und den muthigen Aufblick nach Oben, wodurch ein solches Loos erträglich wird: die Bekümmerniß um die arme, betrogene und verlassene Kordel, und der Gedanke an das Brandmal, welches seine Strafe für immer auf seinen Namen drückte. Und wie berechtigt dieser Gedanke war, das sollte er nur zu sehr erfahren.
Zwei Jahre hielt Fritz seine Strafe wacker aus. Sein musterhaftes Betragen gewann ihm bald die Liebe der Anstaltsbeamten und ihre menschenfreundliche Behandlung, verbunden mit der innigen Theilnahme, welche Kordel fortwährend an seinem Schicksale bezeugte, hielt ihn so lange aufrecht, und am Ende des zweiten Jahres wurde er auf nachdrückliche Verwendung des Vorstandes der Strafanstalt begnadigt.
Als er, der Gewänder der Schmach entkleidet, aus dem schrecklichen Aufenthalt heraustrat und sich wieder frei in der unendlichen Behausung Gottes fand, da fiel alles Leid und alle finstere Sorge von seinem Herzen; stille bescheidene Hoffnungen hielten Einzug darin, begleiteten ihn und förderten seine Schritte nach der lieben Gebirgsheimath. Er[33] hatte nur fünfzehn Stunden Weges bis Königswald, die gedachte er in einem Tage zurückzulegen. Er vergaß, daß er nicht mehr der frühere Bretschneiderfritz war, dem eine solche Tagereise allerdings Spaß gewesen; bevor er ein Viertel des Weges hinter sich hatte, wurde er inne, welche Verheerungen eine drittehalbjährige Haft auch in dem kräftigsten Körper anrichtet, und mit Mühe und Noth erreichte er gegen Abend das Städtchen Schwarzenberg, welches ungefähr auf der Mitte des Weges liegt. Dort suchte er in einem Gasthause ein Nachtquartier. Die Wirthin, an welche er sich deshalb wandte, machte jenes kalte Gesicht, das armen Fußwanderern gewöhnlich zu Theil wird, wenn sie in einem frequenten Gasthofe Einkehr halten; das hätte den Bretschneiderfritz jedoch wenig gekümmert, hätte die Wirthin nur nicht so schnippisch nach dem Passe gefragt. Da wurde er verlegen. Er hatte an Passes Statt nur seinen Entlassungsschein aus dem Arbeitshause – sollte er das hochmüthige Weib mit seiner Schmach bekannt machen? Lieber hätte er ein Nachtquartier im wilden Forst gesucht, als das gethan. So schüttelte er den Staub von seinen Füßen und hinkte weiter, um in dem nächsten[34] Dorfe Grünstädtel sein Heil zu versuchen. Aber wer weiß, wie es ihm dort wieder gegangen wäre! Glücklicherweise führte ein mitleidiger Stern einen Bergmann des Weges, der den erschöpften Pilger einholte, ein Gespräch mit ihm anknüpfte und, als er seine Lage erfahren hatte, ihn freundlichst einlud, mit ihm bis Raschau (das nur eine Viertelstunde weiter war als Grünstädtel) zu gehen und es sich eine Nacht bei ihm gefallen zu lassen. Fritz hätte dem gastfreundlichen Manne um den Hals fallen mögen, und es versteht sich, daß er sein Erbieten annahm. Die Liebe Gottes giebt sich auf mancherlei Weise kund, am schönsten aber dem Gedrückten durch mitfühlende Menschenherzen. Das erfuhr unser Wanderer so recht in der Hütte des guten Bergmanns, der »froh wie Gott« sein kärglich Mahl mit ihm theilte und ihm ein Lager zurechtmachte, wie er es seit Jahren nicht genossen hatte. Wie wohl that seinem Herzen die freundliche Begegnung, die ihm von den zahlreichen Gliedern der armen Bergmannsfamilie widerfuhr! Wie belebte sie seinen Muth, sein Vertrauen zu den Menschen, seine Hoffnungen wieder! »Ach! wie ist das Leben so schön in der Freiheit unter guten Menschen!« sprach er,[35] als er sich auf sein Lager streckte, und nach innigem Gebete schlief er flugs und fröhlich ein.
Gestärkt und im Herzen erquickt setzte er seine Reise am andern Morgen fort. Sie wurde ihm noch sauer genug, aber frohen Muthes überwand er eine bergige Strecke nach der andern, und wie die Sonne auf die Wipfel seiner heimathlichen Wälder den Scheidekuß glühete, überschritt er die letzte Anhöhe vor Königswald. Als nun die wohlbekannten Thalfluren ihm entgegenlachten, als der alte Kirchthurm und dann ein rauchender Schornstein und ein graues Schindel- oder Strohdach nach dem andern aus der Tiefe auftauchte, da erbebte sein Herz von nie empfundenem Entzücken. Das hemmte seinen wankenden Schritt – er mußte sich am Waldsaum niederlassen, und in das blühende Haidekraut gestreckt, sog er die balsamische Luft der Heimath mit durstigen Zügen. So lag er noch, als die Abendglocke dem fliehenden Tage den Scheidegruß der Königswalder Christengemeine nachrief. Da wurde ihm weh – recht weh ums Herz. Von den Feldern verloren sich die letzten Arbeiter und eilten heim an den traulichen Herd, in die Kreise der Ihrigen, wo das labende Mahl ihrer wartete[36] und bald auch die erquickende Ruhe von des Tages Last und Hitze. Den armen Fritz erwartete Niemand, kein Mahl war ihm bereitet, und wo sollte er sein Haupt hinlegen? Jene Gedanken und diese Frage drängten sich ihm jetzt auf, und dunkle Schatten lagerten sich um seine Seele. Er erinnerte sich, woher er kam und was das in Königswalde zu bedeuten hatte. Es fiel ihm ein, wie die Königswalder es dem »Schneiderfriedel« gemacht hatten, der vor fünf Jahren vom Zuchthause heimgekommen war und den ihr moralischer Bettelstolz in Verzweiflung getrieben hatte. Zwar, Eine Seele lebte ihm in Königswald, bei der er eines freundlichen Empfanges gewiß sein konnte; aber das war ein lediges Frauenzimmer, bei dem er nicht herbergen konnte, zumal da sie ohnehin schon wegen ihres Fehltritts verachtet genug war. Doch stand ihm denn nicht die Mühle offen? Vielleicht – aber ihr kennt den Fritz wenig, wenn ihr glaubt, er habe den Müller, der ihn in Schande und Elend gestürzt, dessen Weib die arme Kordel unbarmherzig aus dem Hause gestoßen, um ein Unterkommen ansprechen können. Mit dem wollte und durfte er nichts mehr zu schaffen haben. Nun, er[37] hatte ja Verwandte in Königswald; gleich da oben im ersten Gute, da hauste seines Vaters Bruder, ein ziemlich vermöglicher Mann; weiter unten wohnten zwei Vettern, die einen einträglichen Grenzhandel trieben und außer diesen lebten auch zwei Mutterschwestern im Dorfe, der entfernten Verwandten nicht zu gedenken. Unser Fritz hatte vor seinem Unglück mit Allen im besten Vernehmen gestanden, dessen erinnerte er sich wohl, aber auch, daß sie sich während seiner Haft nicht um ihn gekümmert hatten. Was Wunder, wenn er jetzt ins Dorf zu gehen zögerte und als er sich endlich dazu entschloß, mit Bangigkeit dem Gute seines Oheims zuwankte!
Seine Ahnung betrog ihn nicht. Der Oheim und seine Frau machten sehr verwunderte Gesichter, als sie den unerwarteten Spätgast eintreten sahen. Da gab es keine traute Umarmung, keinen warmen Händedruck, man bot ihm ein so kühles »Willkommen«, daß es ihm durchs Herz fuhr: man bot ihm einen Platz am Tisch, auf dem eine große Schüssel Kartoffelsuppe dampfte, aber mit so sichtbarem Mißbehagen, daß dem Gaste das Blut zu Häupten stieg. Er nahm Stock und Hut und verließ[38] das ungastliche Haus seines nächsten Verwandten. Sollt' er nun sein Glück bei der Sippschaft weiter versuchen? Was blieb ihm übrig? Wer sollte ihn sonst freundlich aufnehmen, wenn es die Verwandten nicht thaten? Er nahm seinen Weg zum Vetter Konrad, der überdies sein Gevatter war. Hier wäre ihm auch wohl eine bessere Aufnahme zu Theil geworden, hätte der Gevatter Herrenrecht im Hause gehabt, das hatte aber die Frau Gevatterin und das war »eine hochmüthige Gans.« Ein Abendessen und ein Nachtlager sollte dem Fritz zwar gewährt werden, aber ihn ganz ins Haus zu nehmen – das könne er nicht verlangen, meinte das Weib, ärgerlich über ihres Mannes freundliches Benehmen gegen den »Anrüchigen«. Dieser dankte für das Anerbieten und ging weiter. Der Arme! er sollte den bittern Kelch der Erfahrung, daß Vetternfreundschaft die allerunsicherste sei, bis auf die Hefen leeren.
Die Vier, die er noch aufsuchte, nahmen ihn mit gleicher Kälte, wo nicht mit schwerverhaltenem Widerwillen auf; ein Nachtquartier wollten sie ihm zwar nicht versagen, und das wäre ihm auch vor der Hand genug gewesen, aber sie boten es ihm auf eine Weise, die sein Selbstgefühl empörte. Er[39] dankte Allen und ging weiter – aber nicht mehr zu irgend einem Gliede seiner Freundschaft, sondern aus dem Dorfe hinaus – nach dem Gottesacker, dessen eingestürzte Mauer zu jeder Zeit den Zutritt zur stillen Wohnstatt der Todten gestattete. Im Mondschein fand er leicht die Stätte, die er suchte: das Doppelgrab seiner Eltern. Von Schmerz überwältigt sank er dort nieder und weinte und konnte lange nichts als weinen.
O ihr Geister der längst abgeschiedenen Eltern! Sahet ihr aus euren seligen Wohnungen den einzigen Sohn sich winden an eurer Gruft? Sahet ihr nicht, wie seine Thränen euren zurückgelassenen Staub tränkten? Ja, ihr sahet es und ihr tratet vor Gott und batet ihn, daß er dem armen Dulder einen Engel zum Geleite sende auf der dornenvollen Bahn unter den harten, blödrichtenden Menschen. Und Gott war auch schon zuvorgekommen, der Engel war längst da, an eurem Grabe hat er sich dem Heimkehrenden schon geoffenbart durch die sinnigen Liebeszeichen, womit er euern Staub geehrt. Als Fritz sich wieder erhob, sah er das einfache Kreuz, welches er den Eltern hatte setzen lassen, mit einem frischen Kranze geschmückt[40] und das Blumenbeet auf dem Hügel, das er angelegt hatte, so sauber gepflegt, wie er es selber kaum gethan – er wußte gleich, wem er Beides verdanke. Er mußte sie sehen ohne Verzug – er mußte ihr danken, und das nicht allein: er bedurfte ihres freundlichen Willkommens in der Heimath, ihres warmen, theilnehmenden Händedrucks. Der Wächter verkündete bereits die zehnte Stunde, da sah es ja Niemand, wenn er in ihr Haus ging, und ehe noch Jemand im Dorfe aufstand, konnte er es ja wieder verlassen. So schlug er denn den Weg nach ihrer Behausung ein. Durch die Ladenritzen schimmerte noch Licht, als Fritz dort ankam, die fleißige Bewohnerin klöppelte noch, – mit hochschlagendem Herzen klopfte er an den Laden und rief sie beim Namen. Schnell wich der Riegel der Thür – eine warme Hand zog ihn hinein – er trat in die warme Stube – Kordel lag schluchzend an seiner Brust. Aber war das die Kordel, die er vor wenig Jahren gekannt in der schwellenden Fülle und rosigen Frische der Jugend? O nein, das war nur der Schatten ihres holden Leibes. Mit welcher Gier hatte der nimmersatte Geier des Grams an diesen lieblichen Formen gezehrt, die ein[41] leichtsinniger Bube frech entweihte, statt sich in Ehrfurcht zu neigen vor einem Meisterwerke seines Schöpfers! Fritz vermißte indeß keinen ihrer Reize, wenn ihm auch die traurige Verheerung ihrer Gestalt schmerzlich auffiel. Er ließ sie sich ausweinen an seiner Brust, aber er wagte es nicht, seinen Arm um ihren Leib zu legen, nur ihre Hand nahm er und preßte sie an seine Lippen. Nach dieser fast lautlosen Begrüßung führte Kordel den Gast an das Bettchen ihres kleinen Fritz (so hatte sie das vaterlose Knäblein taufen lassen), auf den die ganze Fülle und Frische seiner Mutter übergegangen zu sein schien. Dann eilte sie, ein warmes Essen für den Gast zu bereiten. Wie mundeten ihm die neuen Kartoffeln mit der frischen Butter und der durch den besten Rahm veredelte Kaffee! Zumal da Kordel ihm Gesellschaft leistete. Wie war sie so heiter, so freundlich und so sanft! Ihr besseres Theil trat geläutert und verklärt vor seinen Geist. Er sagte ihr, daß sie nicht fürchten möge, er werde sie in Verlegenheit bringen. Sie möge ihm nur ein Nachtlager auf dem Heuboden gönnen, daß er ein wenig ausruhen könnte, am Morgen mit dem ersten Hahnenschrei wolle er sich ungesehen fortmachen,[42] sich nach einer Herberge umthun und Arbeit suchen. Doch von dem Schlafen auf dem Heuboden, dem Frühaufstehen und Ungesehenfortgehen konnte keine Rede sein; sie lächelte, als er den Grund angab, und sagte, daß sie sich vor dem Gerede der Leute nicht mehr fürchte. Mehr als sie ihr wegen des Kindes angethan, könnten sie ihr nicht anthun; in jenem Falle hätten sie allenfalls noch Grund gehabt, sie zu verachten, anders jetzt, wo sie eine heilige Pflicht erfülle, und wenn man sich gleichwohl darüber aufhielte, so dürfe und werde sie sich dadurch nicht irre machen lassen. Und sie bat den Bedenklichen in so rührenden Ausdrücken und in einer Weise, die ihn glauben ließ, er erzeige ihr eine Wohlthat, daß er sich entschloß, das Hinterstübchen, welches seit dem kürzlich erfolgten Tode der Kartenschlägerin ganz leer stand, zu beziehen, bis er irgend ein passendes Unterkommen würde gefunden haben.
Ein solches zu suchen, ließ Fritz sich gleich am andern Tage angelegen sein. Er war früher ein sehr gesuchter Arbeiter gewesen; so ging er mit gutem Vertrauen aus. Aber obwohl es der Bretmühlen eine ziemliche Anzahl in dieser holz- und[43] wasserreichen Gegend giebt, so wollte sich jetzt doch nirgends eine Stelle für ihn finden. Das machte ihn wohl etwas unmuthig, aber er verzagte darum nicht. Er verstand sich auch auf die »Zeugarbeit«, und so ging er abermals den Wässern der Umgegend nach. Aber er hatte in den Mahlmühlen eben so wenig Glück, als in den Bretmühlen; hie und da gab man ihm auf verblümte Weise zu verstehen, daß man einen Zuchthäusler nicht möge; denn Arbeitshaus oder Zuchthaus ist dem gemeinen Volke all' eins. So kehrte Fritz am Ende der zweiten Woche nach seiner Heimkunft völlig niedergeschlagen in sein Asyl zurück. Kordel gab sich die freundlichste Mühe ihn aufzurichten; sie stellte ihm vor, daß es ja nicht so dränge mit einem Unterkommen; der liebe Gott segne sie dieses Jahr reichlich mit Kartoffeln – daß sie eine Kuh, ein Stück Jungvieh und eine Ziege halte, wisse er; ihre Wirthschaft sei bezahlt und außerdem habe sie auch noch ein paar hundert Thaler auf Interessen ausstehen. So könne sie es sich nun auch etwas leichter machen, als zeither, indem sie sich von ihm in der Wirthschaft helfen ließe. Die Arbeit aber, welche die kleine Wirthschaft für einen rüstigen Mann[44] darbot, schien dem Bretschneider doch zu geringfügig, um sich dafür füttern zu lassen. Da er in seinem erlernten Fache nirgends ein Unterkommen fand, so entschloß er sich, bei den Begüterten von Königswald Taglöhnerarbeit zu suchen. Aber hier sollte ihm das tödtliche Gift des Mißtrauens und der Verachtung tropfenweise eingeflößt und in Galle und Blut hineingetrieben werden. Man hatte für den entlassenen Sträfling nirgends Arbeit.
Der Leser muß nicht glauben, daß es das Vergehen des Bretschneiders war, was sie verachteten und weshalb sie ihn von ihren Thüren scheuchten, – o da waren wohl wenige unter den wohlehrsamen Begüterten von Königswald ganz rein geschoren, so Mancher hatte dann und wann ein Stämmchen aus dem königlichen Forst geholt, ohne daß das Stempeleisen des Forstmeisters es berührt hatte; aber sie hatten es fein schlau angefangen und waren glücklich mit ihrer Beute weggekommen. Vor der Welt waren sie ehrliche Leute, so meinten sie, daß sie es wirklich wären, und glaubten von ihrer Ehrlichkeit keinen bessern Beweis liefern zu können, als wenn sie jeden wegen einer unehrlichen Handlung Bestraften recht sichtlich verachteten.
Leser – glaubst du nicht, daß solche Erfahrungen in solcher Lage einen Menschen zur Verzweiflung treiben, oder doch »die Milch der frommen Denkart in gährend Drachengift verwandeln« können? Bei unserm Fritz war es nahe daran, daß das Eine oder Andere geschah, nur Kordel's immer gleiche Sanftmuth und Freundlichkeit verhinderte, daß das so reichlich in ihm erzeugte Gift nicht alsbald seinen ganzen edleren Menschen vernichtete. Aber daß er durch alle die fehlgeschlagenen Hoffnungen und vergeblichen Anstrengungen, ein ehrlich Unterkommen zu finden, täglich schwermüthiger gemacht wurde, konnte sie nicht hindern. Das schmerzte sie und begann dem Wurm, der an ihrer Gesundheit nagte, neue Nahrung zu geben. Endlich konnte sie nicht länger an sich halten und ein Gedanke, der gleich nach seinen ersten vergeblichen Gängen in ihr aufgetaucht war, brach sich unwiderstehlich Bahn.
»Fritz!« sprach sie etwas rascher als gewöhnlich, »Sie handeln unrecht an sich selbst. Was ärgern Sie sich so ab mit den unvernünftigen Leuten? Was sorgen und quälen Sie sich so um ein Unterkommen unter ihnen? Habe ich nicht genug für[47] uns alle Drei? – Lassen Sie mich ausreden! – Ihre Hand! Sehen Sie den unschuldigen Wurm da – er hat keinen Vater – wer weiß, ob nicht bald auch keine Mutter.«
Hier wurde sie roth und stockte; Fritz aber fiel ihr in die Rede und bat sie, nicht solche Gedanken zu hegen.
»Man muß auf Alles gefaßt sein – ja, lieber Fritz! – mir ist, als werde ich nicht lange mehr für das arme Kind sorgen können. Dieser Husten – meine abnehmenden Kräfte – Fritz! soll ich, wenn der Herr mich abruft, das Kind als Waise zurücklassen?«
»O wäre ich nicht, was ich bin!« rief Fritz gramvoll aus, »so sagte ich, ich will sein Vater sein!«
»Ist es das und immer nur das?« erwiederte Kordel. »Wenn Sie mich auch nicht mehr lieben, wie einst, wenn ich auch nicht werth bin, Ihre Frau zu sein, so – ich flehe Sie an – werden Sie diesem verwaisten Wesen ein Vater!«
»Versteh' ich Sie recht?« stammelte Fritz von einem heiligen Freudenschauer durchbebt. »Wollen Sie mich?«
»Zum Vater meines Kindes machen,« sprach sie mit hohem Erröthen, seine Hand an ihr Herz drückend.
»Aber bedenken Sie, ich bin ein Ausgestoßener.«
»Und was bin ich? Wir tragen das gleiche Loos – die ehrbaren Leute stoßen mich wie Sie von sich – so lassen Sie uns gemeinsam tragen, was uns der Himmel aufgelegt hat! Zum Glück haben wir genug, um die hartherzige Gesellschaft allenfalls entbehren zu können. Wir können einen Handel anfangen – gewiß, Gott wird uns helfen, wenn wir zufrieden sind und fortan auf seinen Wegen wandeln. Wollen Sie?«
»Ob ich will? O du mein einziger Trost im Leben! Ich habe ja nie aufgehört, dich zu lieben und ich dachte mir es seit dem Augenblicke, da ich dein Unglück erfuhr, als das höchste Glück, für dich und dein Kind sorgen zu können. Wenn du mich nicht verschmähst, so will ich deinem Kinde ein treuer Vater sein.«
Da schlang Kordel weinend ihre Arme um seinen Hals – seine Thränen mischten sich mit den ihrigen, und der Engel, der den Schlummer des kleinen Knaben hütete, war Zeuge ihrer Verlobung.
Sechs Wochen später wurden sie getraut. Hochzeitgepränge, Schmaus und Tanz gab es freilich nicht dabei; ihr einziger Hochzeitsgast »bei einem Gericht Gerngesehen« war der Kadenlieb. Dem ging es bei den Königswalder Pharisäern natürlich auch nicht besser oder vielmehr noch schlimmer, als dem Bretschneiderfritz, aber er machte sich nicht viel aus den »Dickköpfen«, wie er sie nannte, und Arbeit und Brod mußte ihm der Müller schaffen.
Hätte Fritz nur einen Theil von dem leichten Sinn seines Schicksalsgenossen gehabt, so hätte er sich in seiner neuen Lage recht zufrieden fühlen mögen. Eine Zeitlang schien es auch, als ob er mit seinem Geschicke ausgesöhnt sei. Es gab vor und nach der Hochzeit vollauf für ihn zu thun: die Hafer- und Kartoffelnernte und andere Feldarbeit, verschiedene Reparaturen im Hause und an den Wirthschaftsgeräthen beschäftigten ihn mehrere Wochen lang recht gehörig, und da sein Weib immer mit einem Lächeln, einem zärtlichen Worte bei der Hand war, so vermißte er die Liebe und Achtung der Welt nicht. Dazu kam, daß Kordel sich merklich zu erholen schien, sie bekam ein frischeres Aussehen, als sie bisher gehabt hatte, und Fritz schöpfte[50] daraus Hoffnung für ihre völlige Wiederherstellung. Auch die Zuneigung, womit der kleine Fritz sich an ihn gewöhnte, war eine Quelle der Freude und des Trostes für ihn. Als aber die Arbeit in Feld und Haus nachließ und der müssigen Stunden zu viele für ihn kamen, wollte ihn der alte Mißmuth wieder beschleichen. Es kränkte ihn doch, daß er sein Gewerbe nicht ausüben konnte; auch daß er unter polizeilicher Aufsicht stand, keine Ehrenrechte in Gemeinde und Staat besaß und von seinen Mitbürgern verachtet war, konnte er nicht verschmerzen. Er gerieth auf den Gedanken, sich selbst eine Bretmühle zu bauen, statt einen Handel anzulegen, und Kordel willigte mit Freuden ein. Sie kündigte ihr Kapital und machte ihm zu seinem Geburtstage, welcher im December fiel, ein Angebinde damit.
Fritz lebte wieder etwas auf, da er nun einen sicheren Weg zu Arbeit und Verdienst vor sich sah. Er suchte und fand bald einen geeigneten Platz zu einer Schneidemühle an einem wasserreichen Nebenbach des Pöhlwassers. Da er aber mit dem Bau vor dem nächsten Frühjahr nicht beginnen konnte und auch zur Holzanfuhr die jetzige Zeit noch nicht günstig war, so trug er das Kapital, um es nicht[51] nutzlos daliegen zu lassen, nach Annaberg zu einem Kaufmann, der zugleich Bankiergeschäfte trieb. Vierzehn Tage später erhielt er die Schreckensnachricht, daß der Kaufmann Bankerott gemacht habe und Fritzens Geld verloren sei.
Das war ein furchtbarer Schlag für unser Paar; Fritz wollte sich nicht darüber zufrieden geben und jammerte immerfort: »Das arme Kind! das arme Kind!« Kordel, die den Verlust eher zu verschmerzen schien, suchte ihn zu trösten, doch gelang es ihr nur unvollkommen. »Wer weiß, wie der liebe Gott auf andere Weise für das Kind sorgt,« sagte sie, wenn Fritz so wehklagte.
Sie hatte Recht – der liebe Gott sorgte bald für das Kind, daß es das Geld entbehren konnte – er nahm es zu sich; das Scharlachfieber raffte es weg.
Das war kurz nach Weihnachten, – am Aschermittwoch senkten sie neben der Hülle des Kindes die seiner Mutter ein. Die Auszehrung, welche ihr der Gram über die Treulosigkeit ihres Verführers, noch mehr aber über die Kränkungen, die sie von den Königswaldern erdulden mußte, zugezogen hatte, war nach dem Tode ihres Knaben plötzlich in ein entschiedeneres[52] Stadium übergetreten. Ruhig und ergeben sah sie ihr Ende herannahen und sanft, wie sie in der letzten Zeit gelebt, schlummerte sie hinüber.
Mit ihr erlosch aller Glanz aus dem Leben des armen Fritz; er schleppte es fortan als eine finstere und bleierne Last mit sich herum. Seine Heimathgenossen fingen allgemach an, mit dem hart Geschlagenen einiges Mitleid zu fühlen, sie zeigten sich freundlicher gegen ihn und boten ihm Arbeit an, aber er mochte nichts mehr von ihnen wissen. Sie waren vornehmlich schuld an dem Tode seines Weibes – dies konnte er ihnen nicht verzeihen, wenn er ihnen auch die eigene Schmach verziehen hätte. Er schloß sich völlig von ihnen ab; außer dem Kadenlieb pflog er mit keinem lebendigen Menschen Umgang – sein Herz war bei den Todten und ihrer Wohnstätte galten seine Besuche. Ihm war am wohlsten, wenn er zwischen seinen Gräbern weilen, oder doch nahe bei der Kirchhofmauer so sitzen konnte, daß er die Kreuze darauf sah. Kordel's Kreuz war allezeit frisch bekränzt. Eine Ziege, die sie aufgezogen und so an sich gewöhnt hatte, daß sie ihr überall hin folgte wie ein Hund, trug diese Anhänglichkeit bald auf ihren trauernden Herrn[53] über, sie war immer bei ihm, wenn er seines traurigen Kultus pflog. So hat er es zwei Sommer getrieben.
Am zweiten Jahrestage von Kordel's Tode brach in Königswald ein Feuer aus, welches bei dem starken Winde, der gerade wehte, für den größten Theil des Ortes verderblich zu werden drohte. Fritz eilte zum Löschen; es war das erste Mal, daß er sich wieder unter seine Mitbürger mischte, von denen es ihm keiner an entschlossener Thätigkeit gleich that, obschon die meisten tüchtig zugriffen. Leider war die Löschanstalt nicht im besten Stande und noch dazu schlecht geleitet. Fritz sah die Nothwendigkeit des Niederreißens zweier Gebäude ein, um das Fortschreiten der Flamme, die bereits ein zweites Haus ergriffen hatte, zu hemmen. Der Richter, welcher Feuer-Commissarius war, widersetzte sich Fritzens Rath und ordnete an, alle Thätigkeit auf das Löschen der brennenden Gebäude zu verwenden. Fritz, von der Nutzlosigkeit dieser Anstrengung überzeugt, rief nun die Hülfeleistenden auf, ihm mit dem erforderlichen Geräthe zu folgen und zum Niederreißen der bezeichneten Gebäude zu schreiten. Alle Einsichtigen folgten seinem Rufe; dadurch wurde[54] der Richter in Wuth versetzt, er stürzte auf den Bretschneiderfritz los, packte ihn bei der Brust und schrie:
»Was will Er hier? Commandiren? Aufwiegeln? Weiß Er, was Er ist? Er hat gar kein Recht in der Gemeine; nicht ein Wort hat Er zu sagen! Unter meiner Aufsicht steht Er, und ich kann Ihn ohne Weiteres ins Loch sperren lassen.«
Fritz erwiederte kein Wort – er vermochte keins hervorzubringen. Er wandte seinen Blick nach Oben und ging zu sehen, wo er sonst helfen konnte. Das zuerst in Brand gerathene Haus gehörte einer armen Wittwe. Sie hatte nur wenig von ihrer Habe zu retten vermocht, und Niemand getraute sich mehr in das über und über brennende Gebäude, um noch Etwas herauszuholen.
»Helft mir doch wenigstens meine Ziege retten!« rief die jammervolle Wittwe aus; »hört doch, wie das arme Thier schreit!« Damit wollte sie in das Haus; doch Fritz, der eben hinzutrat, ergriff sie, schleuderte sie zurück und eilte selbst in das Gebäude, eh' Andere ihn zurückzuhalten vermochten. Es mag Manchem tollkühn erscheinen, um einer Ziege willen ein Menschenleben zu wagen, aber Fritz wußte, was einem verlassenen Menschen solch'[55] ein Stück Vieh sein kann, und die Wittwe war verlassen wie er – und was galt ihm sein Leben? Es gelang ihm wirklich, das Thier zu retten, ein Freudenruf entrang sich mancher beklommenen Brust, als er sich wieder unter der Thür zeigte. Schon war er fast aus dem Bereiche der fürchterlichen Gefahr, als plötzlich ein brennender Sparren niederstürzte und ihn zu Boden streckte. Der eben herbeigeeilte Kadenlieb trug ihn für todt in sein Haus; schnelle ärztliche Hülfe rief ihn jedoch wieder ins Leben. Der Arzt hoffte ihn zu retten, obschon seine Brust schwer verletzt war. Fritz wünschte blos, von den Menschen errettet zu sein und sein Wunsch ging in Erfüllung. Ein heftiger Blutsturz bahnte seiner Seele den Ausweg aus ihrem vergänglichen Gefäß. Der Kadenlieb, welcher nicht von seinem Bette wich und ihn wie ein Bruder pflegte, wurde sein Erbe.
Der macht' es gescheidt – als der Frühling ins Land kam, bepflanzt' er die Gräber seiner Freunde mit Veilchen und Immergrün, verkaufte Haus und Feld, gab dem Todtengräber ein Sümmchen, damit er die Gräber wohl pflege, und ging mit dem Rest nach Amerika.
Die Bergleute des Reviers hatten Lohntag. Die Auslohnung war vorbei, und das muntere Bergvolk stand in Gruppen längs der Rathhausseite des großen Marktplatzes oder schlenderte durch die zwei Budenreihen des Krammarktes. Denn seit undenklichen Zeiten war in der freien Bergstadt dafür gesorgt, daß die Bergleute, deren Viele stundenweit herkamen, sich eines Theiles der schwergewonnenen Groschen auf leichte Art wieder entäußern konnten. Und wie man Fischreußen vor die Abflußöffnungen der Gewässer legt, so baute man die Buden gerade in die Verlängerung der Gasse, in welcher das Berg- und Zehntamt lag. Da mußten selbst diejenigen hindurch, welche Lust hatten, einen Theil ihres Lohnes in der Sparcasse niederzulegen, die seit einem Jahrzehent bestand, so daß gar manches für die Sparcasse[60] bestimmte Fischlein dort hängen blieb. Das konnte freilich nur von dem unbeweibten Bergvolke gelten, denn der beweibte und dann sicher auch mit Kindern gesegnete Knappe konnte höchstens mit Hülfe eines Heckethalers sich an der Sparcasse betheiligen. Gönnt der sich doch nicht einmal ein billiges Frühstück in der Garküche, aus welcher es so bratenhaft duftet – an das gegenüberliegende »süße Löchel«, die Conditorei, ist gar nicht zu denken, sondern er verzehrt höchstens in den Brodbänken ein »Dreierstöllchen« mit einer halben Knackwurst, nachdem er die Hälfte für seine »Alte«, vorausgesetzt, daß sie noch jung ist, im Kittel geborgen.
Von jungen Burschen sah man in den Brodbänken höchstens den Bergner Ferdinand vom Vater Abraham. Heute war er da. Ein hochgewachsener, blonder, frischer Gesell, mit intelligenten Zügen. Der leinene Kittel kohlschwarz, Fahrleder und Gürtel schön lackirt, auch das Schuhwerk blank gewichst. Unter der Bänkenthür stand er und blickte mit seinen hellen, blauen Augen nach der gegenüberliegenden Conditorei, aber wohl eher nach dem lockigen Kopfe einer Dame, die dort an einem Fenster an der Seite eines Bergherrn stand, als nach den gaumenkitzelnden[61] Dingen des Schaufensters. Dicht neben den Brodbänken befand sich der Laden eines Gelbgießers, an welchen sich die Gewölbe eines Tuchmachers und eines Zinngießers reihten. Diesen drei Geschäftsleuten schien der Lohntag keine Weizenblüthe zu sein; standen sie doch schon seit einer halben Stunde vor dem Gelbgießerladen und klagten über den flauen Geschäftsgang. Plötzlich aber wurde ihre Aufmerksamkeit nach der Conditorei hinübergelenkt, aus welcher eine hochgewachsene Dame mit einer Schaar junger Dämchen in orgelpfeifenähnlicher Größenabstufung hervorquoll.
»Da kommt die Staatsglucke vom Vater Abraham mit ihren Küchlein!« rief der Tuchmacher; »acht Stück, und was für eine Prachtrace! Und richtig – der Liebhaber der Aeltesten, der neue Herr Obereinfahrer, ist auch dabei; der wird wohl die ganze Schaar tractirt haben.«
»Soll mich wundern, ob aus dem Freier auch ein Nehmer wird,« sagte der Zinngießer; »der Herr Obereinfahrer ist ein Feiner; reich und von Adel, wie er ist, denkt er wohl höher hinaus, als zu der armen Schichtmeisterstochter, die Nichts hat, als was sie auf dem Leibe trägt.«
»Ja, wenn das nur noch ihr Eigenthum wäre,« fiel der Tuchmacher ein; »ich will mein Contobuch vom Schinder verbrennen lassen, wenn von all den Fahnen und Behängen, worin das schöne Fräulein prangt, nicht über Dreiviertel in verschiedenen Contobüchern ungelöscht stehen.«
»Oho!« nahm der Gelbgießer das Wort; »macht's nur nicht so gefährlich! Dazu ist mein Schichtmeister Frenzel denn doch ein viel zu wackerer Mann, als daß er solche Schuldenwirthschaft dulden sollte. Es ist wahr, die Schichtmeisterin trägt die Nase ein wenig hoch und macht am Ende mehr aus sich und ihren Töchtern, als dahinter steckt; aber sie ist doch eine tüchtige Hauswirthin, und man findet nirgends eine so ausgesuchte Ordnung und Sauberkeit, wie bei ihr zu Hause.«
»Ei, das ist doch nicht etwa ihr Verdienst!« sagte der Tuchmacher. »Ihr als Gewerke vom Vater Abraham solltet doch wissen, wer da eigentlich die Hauswirthin ist, obgleich sie nur für das Aschenbrödel gilt. Das ist die Kleine, die Stieftochter der großen Dame dort, die Einzige von des Schichtmeisters erster Frau.«
»Die kenn' ich ja gar nicht,« erwiederte der Gelbgießer.
»Natürlich,« erklärte der Tuchmacher; »sowie sich ein Besuch auf dem Vater Abraham zeigt, muß sich Aschenbrödel in der Küche verkriechen. Sie würde schön ankommen, wollte sie sich als schwarze Henne unter den bunten Küchlein der Frau Mama zeigen. Aber sie ist es, die eigentlich das ganze Haus erhält, denn das müßt Ihr doch selbst zugeben, daß die Schichtmeisterin, wenn sie eine Wirthin sein wollte, nicht mehr Staat treiben würde, wie eine Bergmeisterin!«
»Nun, wer weiß,« unterbrach der Zinngießer den Sprecher, »wer weiß, ob sich der Schichtmeister nicht besser steht wie unser Bergmeister. Der Vater Abraham hat schönes Erz, und wer kann einen Schichtmeister, der auf seiner Grube wohnt, so genau –« hier stockte der Redner; ein Blick auf das Gesicht des Gelbgießers machte ihn verstummen. Doch dieser rief schnell: »Was wolltet Ihr sagen, Nachbar Paul? Redet weiter, was meint Ihr? Bedenkt, daß ich Kuxinhaber vom Vater Abraham bin, und mich das sehr nahe angeht, was Ihr da auf der Zunge hattet!«
»Ich hab's verschluckt und vergessen,« sagte der Zinngießer; »Ihr wißt ja, Nachbar Mickley, es[64] kommt Einem manchmal ein überzwercher Gedanke in den Mund. Ich weiß nichts, will nichts wissen und glaube, daß der Schichtmeister Frenzel ein wackerer Mann ist, wie Ihr selbst ihn nanntet.«
»Bis jetzt,« erwiederte der Gelbgießer, »hat seine Gewerkschaft alle Ursach' gehabt, mit ihm zufrieden zu sein, und er gilt allgemein als der tüchtigste Grubenbeamte im ganzen Revier. Aber es ist eine böse Zeit, man darf fast seinem Bruder nicht mehr trauen, und was Ihr da angedeutet, will ich mir hinter die Ohren schreiben.«
»Aber Nachbar Mickley,« sagte der Zinngießer fast ängstlich, »seid doch nicht so wunderlich! Ich habe gar nichts angedeutet, gar nichts. Euer Schichtmeister ist gewiß ein wackerer Mann, kein Mensch kann wider ihn auftreten, auch der Nachbar Kunz nicht. Gewiß, Nachbar Kunz, behauptet Ihr nicht im Ernst, daß es mit den Schichtmeistersleuten so übel stehe, wie Ihr vorhin sagtet.«
»Oh! was ich gesagt hab', das hab' ich gesagt,« versetzte der Tuchmacher, »wollt Ihr einen kleinen Beweis für meine Worte sehen, so schaut in mein Contobuch, da steht noch ein alter Rest von zehn Thalern, um den ich schon zehnmal umsonst gemahnt[65] habe. Aber jetzt ist meine Geduld zu Ende, und wenn ich morgen mein Geld nicht habe, geht's vor Gericht!«
Das ganze Gespräch war von dem jungen Bergmann, der unter der Brodbänkenthür stand, mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt worden. Mehrmals hatte sein Gesicht den Ausdruck heftigen Unwillens angenommen, und bei den letzten Worten des Tuchmachers geschah dies wieder. Er fuhr hastig in seinen Kittel und zog ein Perlbeutelchen hervor, dessen Inhalt er überzählte. Ach! es war viel, viel zu wenig, um die Schuld seines Vorgesetzten zu decken. Er besann sich aber nicht lange; er steckte seine Börse wieder ein und eilte nach der Spar-Casse. Der Geschäftsführer derselben wunderte sich nicht wenig, daß sein treuester Sparkunde heute Geld entnehmen wollte, statt welches einzulegen; aber es half nichts, er mußte dem drängenden Häuer acht blanke Thaler auszahlen. Mit diesem Zuschuß zu seinem heutigen Lohn verfügte dieser sich nach dem Gewölbe des Gelbgießers, wo die drei Bürger noch immer beisammen standen und jetzt neue Glossen über die Schichtmeisterin machten, die mit ihren zwei ältesten Töchtern in einen Goldschmiedsladen getreten war.
»Ist hier nicht der Meister Kunz?« fragte Ferdinand, zu dem Kleeblatt tretend, nachdem er nicht unterlassen hatte, sein Glückauf! zu bieten.
»Der bin ich,« antwortete der Tuchmacher, »was steht zu Diensten? Ich seh's Ihm an, Er bringt Handgeld – nun Er soll heute einen guten Handel machen.«
»Ich komme blos im Auftrage meines Schichtmeisters,« sagte Ferdinand; »soll Ihnen die zehn Thaler auszahlen, die er noch schuldig ist.«
»So?« versetzte der Tuchmacher; »nun, das ist auch Handgeld, – doch ein Ehrenmann der Herr Schichtmeister; aber es hätte ja noch Zeit gehabt, bis der Herr Schichtmeister wieder etwas gebraucht hätte. Komm Er, ich will Ihm gleich die Quittung schreiben.« Und er nahm den Häuer mit in sein Gewölbe.
»Da habt Ihr's!« sagte der Zinngießer zu dem Gelbgießer: »da hat der Nachbar Kunz auch raisonnirt über den schlechten Zahler; nun ist er doch ein Ehrenmann, und Ihr müßt Euch keinen Floh ins Ohr setzen lassen. Ich für meine Person weiß nichts Unlauteres von Euerm Schichtmeister und alle Welt nennt ihn einen tüchtigen Mann. Ich habe nichts gesagt, behüt' Euch Gott!«
Damit entfernte sich der Zinngießer und ging in die Garküche nach seinem Morgentöpfchen. Der Gelbgießer blieb unter seinem Laden stehen und schaute nach dem des Tuchmachers. Nach einer Weile kam Ferdinand daraus wieder zum Vorschein. »Nochmals meinen gehorsamsten Dank an den Herrn Schichtmeister!« rief ihm der Tuchmacher nach, »und ich lasse mich und mein neu assortirtes Lager bestens empfehlen.«
Ferdinand steckte lächelnd seine Quittung zu dem Rest seiner Baarschaft und wollte sich auf den Heimweg machen. Als er aber an das Gewölbe des Gelbgießers kam, hielt dieser ihn auf und nöthigte ihn hinein. Er holte aus einem Wandschrank einen Teller mit Knackwurst und Brodschnitten, eine Flasche und ein Gläschen, schenkte ein und bat den jungen Häuer, zuzulangen. Dieser nahm ein Brodschnittchen, verschmähte aber den Inhalt des Gläschens, weil er nie Branntwein trinke. Der Gelbgießer nannte dies eine Sonderbarkeit und wollte ihn zu dem echten »Eibenstocker« nöthigen. Aber Ferdinand beharrte bei seiner Weigerung, und als der Gelbgießer einen Grund dafür wissen wollte, sagte er: »Ich halte das Branntweintrinken für eins der Hauptübel der Menschheit.«
»Ja, wenn man den Branntwein säuft,« fiel Meister Mickley ein; »aber ein Gläschen zum Imbiß dient zur Gesundheit.«
»Halten Sie zur Güte, Meister!« erwiederte Ferdinand; »unser Herr Markscheider, der alle Dinge der Natur kennt, soweit Menschen sie erforscht haben, hat uns in der Bergschule klar bewiesen, daß der Branntwein, in was immer für einem Verhältniß genommen, nie von Nutzen für die menschliche Natur sein könne; daß er aber in einiger Menge genossen immer verderblich wirke. Die Säufer, die unter das Vieh herabgesunken sind, haben auch Anfangs nur Gläschen getrunken. Doch selbst der mäßigste Genuß bleibt eine Sünde gegen Gott und Menschen, weil er immer die Mitschuld trägt, daß das, was Gott den Menschen zur Nahrung bestimmt hat, so gut wie unter die Füße getreten wird. Lieber Meister, Sie dulden gewiß nicht, daß auch nur ein Bröcklein Brod in Ihrem Hause muthwillig weggeworfen werde; aber in jedem Glase Schnapps werden ein paar Loth Brod zu nichte gemacht. Bedenken Sie, Meister, wie viel tausend Scheffel Korn und Kartoffeln nur in unserm lieben Gebirge jährlich zu Branntwein verbrannt[69] werden – das ist Brod für viele tausend Menschen. Wahrlich, wenn man sich's recht überlegt, so darf es Einen nicht wundern, wenn der liebe Gott über den Greuel einmal ergrimmt und uns ganz entzieht, was wir so schmählich mißbrauchen.«
»Er ist ja ein halber Pastor!« rief der Gelbgießer aus; »na, so lassen wir den Schnapps! Also Er ist auf der Bergschule – sagte Er nicht?«
»Ich wohne bei meiner Mutter in Pobersdorf und fahre auf dem Vater Abraham an, besuche aber die Bergschule seit zwei Jahren.«
»Und da kommt Er alle Tage anderthalb Stunden weit herein in die Stunden? Das macht jeden Tag drei Stunden Wegs um eine Stunde Unterricht!«
»Was kann es helfen,« erwiederte Ferdinand, »in der Stadt ist theuer leben, dazu reicht das Häuerlohn nicht aus.«
»Und von der Grube wohnt Er auch eine Stunde entfernt; da hat Er täglich einen Marsch von 5 Stunden zu machen. Dazu kommt die saure Grubenschicht von 8 Stunden, das thut 13 Stunden täglich, mit der Schule 14 – da bleibt Ihm ja gar keine Zeit zu einem Ueberwerk!«
»Freilich nicht; – nun, ich richte mich mit meiner Mutter ein, und da wir eigne Herberg haben und eine Kuh im Stall, so kommen wir schon aus. Freilich, der Fleischtopf steht bei uns immer weit vom Feuer, aber dafür hat's uns noch kein Jahr an den lieben Kartoffeln gefehlt. Uebrigens leb' ich mit meinen Kameraden in der guten Hoffnung, daß unsere Herren Gewerken uns bald auch zu einem wenig Fleisch helfen werden, da der Vater Abraham neuerdings so höflich geworden.«
»Höflich?« versetzte Meister Mickley, – »es geht wahrlich an mit der Höflichkeit. Es ist wahr, es hat in den letzten Quartalen einige Ausbeute gesetzt; aber lieber Freund, Er bedenkt wohl nicht, daß wir Gewerken viele Jahre nicht einen Heller von unsern Kuxen gehabt, ja gar einmal Zubuße gezahlt haben.«
»Aber die ist doch gewiß längst reichlich wieder erstattet, und nach meiner Ansicht muß es in der letzten Zeit eine ansehnliche Ausbeute gesetzt haben.«
Der Gelbgießer sah den Sprecher scharf an; dann ging er an sein Schreibpult und brachte ein Schreiben zum Vorschein, welches er dem Knappen vorlegen wollte, aber erst noch einmal zurückzog,[71] indem er den jungen Mann fixirend fragte: »Wie hoch schätzt Er ungefähr die Ausbeute vom Vater Abraham auf das letzte Quartal? Ich will einmal sehen, ob Er schon einen tüchtigen Steiger abgäbe, wenn unser alter Meier bergfertig würde. Er muß wissen, daß ich vier Kuxe baue und im Ausschusse der Gewerken sitze, also ein Wörtlein mitzureden habe, wenn es eine Stelle auf dem Abraham zu besetzen giebt. Ich will einmal sehen, ob Er schon ein wenig Erz zu taxiren versteht. Laß Er hören!«
Der Jüngling sah vor sich nieder. Er mußte sich des Gesprächs der drei Bürger erinnern, namentlich der halben Aeußerung des Zinngießers, die zuerst seinen Unwillen erregt hatte. Offenbar wollte der Gelbgießer ihn aushorchen, und er war im Begriff, eine kurze Antwort zu geben; doch lag auch wieder etwas so Herzliches im Tone des Fragenden, daß Ferdinand das rauhe Wort nicht über die Lippen brachte. Zudem war seine Ehrliebe erregt und, was mehr sagen wollte, ihm eine Aussicht gezeigt worden, die sein höchstes Lebensglück zum Hintergrund hatte. Nach einigem Nachsinnen sagte er: »Mit dem Erzschätzen ohne genaue Probe[72] ist es immer ein unsicheres Ding, – aber nach meinem Dafürhalten kann die Ausbeute im letzten Quartal nicht unter 1300 Species betragen haben.«
»Die Ausbeute?« rief der Gelbgießer. »Er meint wohl den Gesammtwerth des gewonnenen Erzes?«
»Nein, den reinen Ertrag, nach Abzug der Gewinnungskosten und des Zehntens.«
Jetzt schlug der Gelbgießer das Buch auf und hielt es dem Häuer vor das Gesicht: »Da les' Er, was unter Quartal Crucis notirt ist.«
Der Jüngling las die Notiz und schüttelte mit dem Kopfe. »Da hätte ich mich stark verrechnet,« sagte er, das Buch zurückgebend; »blos 5 Species auf den Kux, das thut für alle 128 Kuxe 640 Species, also noch nicht die Hälfte der von mir vermutheten Summe. So stark sollte sich einer, der Steiger werden will, freilich nicht verrechnen!«
»Ob Er sich aber auch nur verrechnet hat?« sagte der Meister. »Er scheint mir einen offenen Kopf zu haben – vielleicht hat Er doch recht gerechnet – he?«
»Sie überzeugen mich ja hier vom Gegentheil,« antwortete Ferdinand.
»Aber die Differenz kann wohl an etwas ganz Anderem liegen, als an Seiner Berechnung? Sei er aufrichtig, junger Freund, es soll Sein Schade nicht sein. – Hat Er keine Vermuthung, auf welche Art die schöne Ausbeute, welche Er der Gewerkschaft zugeschätzt hat, auf weniger als die Hälfte geschwunden sein kann?«
Der Jüngling stand rasch auf. »Meister Mickley!« sagte er, »ich habe Ihnen gleich gesagt, daß Erzschätzen nach dem bloßen Augenschein etwas sehr Unsicheres sei; und wenn Sie anderer Meinung sind, so denken Sie, daß ich noch lange in die Bergschule gehen muß, eh' ich reif bin zum Steiger!«
»Ei, nur nicht so heftig, lieber junger Mann!« bat Mickley, ihn bei der Hand nehmend; »nehm' Er nur wieder Platz, und hör' Er, was ich ihm sagen will.«
Ferdinand aber gab vor, daß er zu Hause nothwendig zu thun habe.
»Nun, so besuch' Er mich ein ander Mal, komm Er doch immer, wenn Er die Bergschule besucht; die ist alle Nachmittage zwischen 3 und 4, da kann Er bei mir sich an einer Tasse Kaffee erquicken; und wenn Er Zeichnenmaterial braucht, das kann[74] Er bei mir auch haben, braucht's nicht in der Buchhandlung zu holen. Wart' Er, ich will Ihm einmal etwas zeigen!« Und er schob sich hinter seinen Ladentisch und brachte verschiedene Reißzeuge zum Vorschein. »Ist Er schon mit einem Reißzeuge versehen?« fragte er.
»Ich habe mich mit einem Zirkel und einem selbstgemachten Transporteur behelfen müssen,« sagte Ferdinand; »ein gutes Reißzeug war mir zu kostspielig.«
Der Gelbgießer öffnete das größte der mit schwarzem Maroquin überzogenen Kästchen und legte es mit seinen aus rothem Sammet hervorblitzenden feinen Instrumenten dem jungen Häuer vor. Dieser wurde von dem Anblick unwiderstehlich gefesselt. Ein so kostbares Reißzeug hatte er selbst bei seinem Markscheider nicht gesehen. Stumm stand er darüber gebeugt und wagte kaum Athem zu holen, damit sein Hauch das funkelnde Metall nicht erblinden mache.
»Ist das wohl vollständig?« fragte Mickley; »gefällt es Ihm?«
»Wem wollte das nicht gefallen?« sagte Ferdinand; »wer die edle Mathematik treibt, der muß daran seine Freude haben. Aber es gehört wohl ein guter Beutel dazu, einen solchen Schatz zu besitzen?«
»Manchmal hilft auch ein gutes, ehrliches Gesicht dazu,« sagte der Bürger. »Ich weiß nicht, Er hat mir's angethan. Ich will Ihm was sagen: Das Ding steht seit Jahren hier, und kein Mensch kauft es. Alles behilft sich mit billigen Kästen, den Zimmer- und Maurermeistern kommt's nicht darauf an, ob der Transporteur keinen Grad richtig zeigt, oder das Winkelmaß auf 89 Grad steht statt auf 90, und den Bergschülern fehlt's am Besten. Ich will aber das Ding einmal los sein, ehe es verrostet. Nehm' Er es als eine kleine Aufmunterung zu rechtem Fleiße, damit wir wieder einen tüchtigen Steiger bekommen, wenn der alte Meier bergfertig wird.«
Ferdinand wollte zwar ein so kostbares Geschenk nicht nehmen, aber der Gelbgießer wußte es ihm aufzureden. Als wär' er in den Besitz eines Königreichs gekommen, so froh verließ er das Gewölbe. Draußen stieß er auf Brunhild, die älteste Tochter seines Schichtmeisters aus dessen zweiter Ehe. Er bot dem schönen, eleganten Mädchen sein Glückauf und wollte vorübergehen; aber sie hielt ihn freundlich an. »Haben Sie meinen Vater nicht gesehen, Herr Bergner?« fragte sie. »Oh, zum Herrn fehlt[76] mir viel, Fräulein Brunhild,« erwiederte er, »Ihren Vater vermuth' ich beim Herrn Markscheider.« »Gut, ich danke,« sagte sie, »und nicht wahr, Sie thun mir einen Gefallen?« – »Zwei für einen,« sagte er, »befehlen Sie nur!« – »Sie machen sich wohl aus einem kleinen Umweg nichts, wenn er über den Vater Abraham führt?« sprach sie mit einem feinen Lächeln, »wollen Sie nicht unserer Hedwig sagen, sie möchte der Mutter ihr neues Barègekleid schicken und nicht auf die Eltern mit dem Essen warten; wir sind Alle zu Landgraf's zu Tisch und zu einer Soirée bei Neuhoff's geladen; es kann Mitternacht werden, eh' die Eltern heimkommen. Grüßen Sie die gute Hedwig von mir – und hier, wollten Sie ihr wohl das Stückchen Apfeltorte von mir bringen?«
Ferdinand übernahm den Auftrag mit herzlicher Freude, und das schöne Mädchen nahm freundlich Abschied. »Die hat doch ein Herz,« sagte der Häuer ihr nachblickend; »das hat sie von ihrem Vater, und die Mutter hat es nicht verwüsten können. Gott segne sie!« – Nun lenkte er seinen Schritt dem Thore zu.
Brunhild fand ihren Vater wirklich bei dem Markscheider. Sie theilte ihm mit, welche Einladungen an ihn und die Seinigen ergangen waren, und bat ihn, augenblicklich mit ihr zu kommen. Er ging mit ihr. »Wo ist denn die Mutter?« fragte er vor der Thür.
»Bei dem Goldschmied,« antwortete sie.
»Schon wieder?« fragte er trübe.
»Sei nur nicht bös,« sagte Brunhild, »ich wollte es nicht haben; aber Du weißt, wie die Mutter ist, und vielleicht hat sie heute nicht ganz Unrecht, ich habe Dir noch nicht gesagt, daß die Frau Baronin zum Besuch hierher kommt und bei Neuhoff's absteigt.«
»Heute?« fragte der Schichtmeister; »und da sollen wir wohl am Abend in Gesellschaft der Baronin sein?«
»Ja, und auch schon bei Landgraf's mit ihr speisen.«
»Also die Frau Baronin kommt? Sie will uns kennen lernen,« sagte der Schichtmeister erheitert, »so komm denn!«
Bei dem Goldschmied angekommen und von diesem in sein Wohnzimmer geführt, wurde der Schichtmeister von seiner Frau auf die Seite gezogen. »Hast Du schon gehört, lieber Schatz, welche Ehre, welches Glück uns erwartet?« redete sie ihn an. Und als er bejahte, sagte sie: »Denke Dir, das ist Alles so von dem Baron veranstaltet; der liebe, goldne Mann erwartet den günstigsten Eindruck von der Begegnung unsers Kindes mit seiner Mutter, und hofft morgen schon ihr Jawort zu erhalten. Du kannst Dir meine Seligkeit denken, Schatz, denk' einmal, in einem Vierteljahr ist unser Kind vielleicht Frau Baronin – gnädige Frau! Aber Du weißt, man muß das Eisen schmieden, wenn es glüht, und nur den Dummen kommt das Glück im Schlafe. Es versteht sich, daß wir vor der Frau Baronin anständig erscheinen müssen. Glücklicherweise sind unsere Mädchen, als hätten sie es geahnt, in den letzten Tagen fleißig hinter ihrer[79] Garderobe her gewesen, und mein neues Barègekleid macht sich auch. Aber zu den noblen Gewändern gehört auch ein nobler Schmuck, wenigstens für Brunhild. Ich bin daher gleich hierher gegangen und habe uns einige sehr einfache, aber noble Sachen ausgesucht; Du weißt, ich verstehe mich auf dergleichen. Aber denke Dir, der Goldschmied will uns nur auf einen Wechsel von Dir weitern Credit geben. Vergebens tröstete ich ihn auf das nahe Ende meines Erbschaftsprocesses; er besteht auf dem Wechsel. Nun, Du weißt doch besser als er, wie es um den Proceß steht, daß wir ihn in erster Instanz gewonnen, und daß nach der Versicherung unsers Advocaten das Erkenntniß der zweiten Instanz bald erfolgen und unser Erbe in spätestens drei Monaten in unsern Händen sein muß. Du hast hoffentlich kein Bedenken gegen den Wechsel?«
»Allerdings, liebe Bertha, hab' ich das,« erwiederte der Schichtmeister, »Alles, nur keinen Wechsel! Ich hoffe zwar auch, daß der Proceß bis dahin entschieden sein wird, aber es bleibt doch immer eine Möglichkeit, daß er sich noch sehr lange hinauszieht. Ich meine auch, der Schmuck sei nicht so nothwendig –«
»Nicht nothwendig?« fiel ihm die Frau ins Wort, und da der Goldschmied hinausgegangen war, so rief sie laut: »Brunhild! Klotilde! sagt, ob die Schmucksachen uns nicht nöthig sind, um vor der Frau Baronin zu bestehen?«
Brunhild sagte, sie wolle nichts bestimmen, aber so viel wisse sie, daß ihr Alexis nicht nach Schmuck bei ihr frage. – »Aber,« fiel Klotilde ein, »die Frau Baronin ist eine Banquierstochter, und diese Damen halten viel auf Geschmeide. Die Frau Magisterin sagte, der erste Eindruck einer Begegnung entscheide oft über die ganze Zukunft, und ich möchte der geschmeideliebenden Baronin nicht allzu einfach vor die Augen kommen, wenn ich ihre Schwiegertochter werden wollte!«
»Aus Dir spricht Welt, Mädchen,« rief die Mutter; »ja so ist es, wir müssen den ersten Eindruck wahren!«
Zögernd erklärte der Schichtmeister seine Bereitwilligkeit, den Schmuck gegen eine Obligation zu erstehen. »Ich zweifle nur, daß Herr Reichel darauf eingeht,« bemerkte die Frau, »doch versuche Dein Glück. Komm mit in den Laden!«
Sie gingen hinaus. Der Goldschmied hatte die ausgewählten Gegenstände schon bereit gelegt. Die[81] Frauen überließen sich mit Entzücken der Betrachtung dieser nothwendigen Entbehrlichkeiten, indeß der Schichtmeister mit dem Goldschmied über die Art der Zahlungssicherstellung verhandelte. Herr Reichel wollte von der vorgeschlagenen Art der Zahlungssicherstellung nichts wissen; er bestand auf einem Wechsel nicht nur für die schon im Buch stehende, sondern auch für die neue Schuld. Der Schichtmeister konnte sich zu dem Wechsel nicht entschließen, und der ganze Handel drohte sich zu zerschlagen. Aber Töchter, die zur rechten Zeit bethauete Wimpern zeigen, und Mütter, die im rechten Augenblick das Vaterherz zu packen verstehen, werden meist siegreich aus einem Angriff auf väterliche Finanzscrupel hervorgehen. Klotilden, die als das leibhaftige Ebenbild der Mutter des Vaters Liebling war, perlten Tröpfchen über die rosigen Wangen, und sie ging mit dem Tuche vor den Augen ins Zimmer zurück. »Komm, Brunhild!« rief die Mutter zornig und zog sie jener nach. »Aber Bertha!« sagte der Schichtmeister folgend, »sei nur nicht so bös! Ich kann doch nicht anders.«
Die Beleidigte wendete sich von ihm ab und rief ihren Töchtern zu: »Jetzt kommt, Kinder! kommt[82] gleich mit nach Hause! Es war sehr unrecht, Euch in Pension zu thun. Euer Vater will, Ihr sollt Häuersweiber werden wie das Gänseblümchen, die Hedwig. Kommt! Ihr setzt keinen Fuß wieder in die Pension, und Du, Brunhild, vergissest Deinen Alexis! Vielleicht findet sich auch noch ein Steiger für Dich – armes – unglückliches – Kind –« und ihre Stimme erstarb in Schluchzen.
Da brach dem Schichtmeister das Herz. Er kratzte sich den Kopf – er besann sich – es galt, sich zur Zahlung von 400 Thalern nach Ablauf von drei Monaten verbindlich zu machen. – Die Erbschaft seiner Frau, so redete er sich in der Erregung des Herzens ein, die Erbschaft mußte bis dahin eingehen, und wenn nicht, so wäre darauf inzwischen schon ein Darlehn zu erlangen. – Er ging in den Laden zurück und unterzeichnete den schon ausgefüllten Wechsel. Seine Hand zitterte, aber doch war ihm leichter ums Herz, als er, den Kasten mit dem erstandenen Geschmeide in den Händen, zu seiner Frau trat.
Die vier Familienglieder verfügten sich nun zu der »Frau Magisterin«, bei welcher Brunhild und Klotilde sich jenen schimmernden Anstrich holten, der[83] in gewissen Gesellschaftskreisen für die Blüthe der Erziehung gilt. Als sie nur wenig Minuten das Haus des Goldschmieds verlassen, trat bei diesem ein einzelner, auch bergmännischer Besuch ein. Ein langer, hagerer Graukopf mit dem Abzeichen eines Grubensteigers. Sein gefurchtes Gesicht ließ ihn älter erscheinen, als er war. Sein Glückauf! war nicht das helle, herzhafte, wie es gewöhnlich aus der Knappen Mund ertönt, es klang hohl und traurig. Der Goldschmied führte ihn in ein kleines Bureau, das hinten an den Laden stieß. Der Steiger brachte aus seinem Kittel ein Päckchen in Papier, das ihm der Goldschmied hastig abnahm und mit den Händen wog. »Es scheint leichtes Gut zu sein,« sagte er.
»Leicht?« versetzte der Steiger; »ich wette, daß Sie noch nie schwereres Erz in den Händen gehabt, sehen Sie es nur erst an!«
Der Goldschmied entfernte das Papier und vergaß einen Augenblick den Kunstgriff des Wucherers, das zu kaufende Gut mit Geringschätzung zu betrachten.
»Wie viel haben Sie von dieser Art?« fragte er.
»Zwei Centner,« antwortete der Steiger mit einem tiefen Seufzer.
»Freilich wenig,« sagte der Goldschmied; »wird sich kaum des Schmelzens verlohnen.«
»So sprechen Sie immer,« sagte der Steiger; »aber ich weiß so gut wie Sie, was in dem Erze steckt, und was sich herausschmelzen läßt.«
»Was verlangt Ihr für den Braß?« fragte der Goldschmied wieder.
»Ich hoffe damit den Wechsel meines Sohnes gedeckt zu haben – sonst will ich weiter nichts – ich will froh sein, wenn ich diesen Stein vom Herzen habe.«
Der Goldschmied wollte den Werth des Erzes herabsetzen, so daß der Wechsel nicht damit gedeckt erschien, aber der Steiger bestand auf seiner Forderung, und zuletzt versprach der Goldschmied, den Wechsel auszuliefern, sobald er das Erz in Empfang nähme. Der Steiger wollte es in der zweitnächsten Nacht zum Theil bringen und verabschiedete sich. »O, mein Sohn! mein Sohn!« murmelte er unter der Thür, »wenn Du wüßtest, wohin Dein Uebermuth Deinen alten Vater gebracht hat!« Eine Thräne quoll aus seinem Auge – langsam stieg er die Stufen vor dem Laden hinab. Plötzlich fand er sich angeredet. Aufblickend sah er den Gelbgießer Mickley vor sich stehen.
»Ihr noch in der Stadt?« fragte dieser, »und kommt vom Goldschmied?« Der Steiger erschrak. »Ich war – ich hatte – mein Sohn schickte mich hierher –« stotterte er.
»So?« versetzte Mickley; »ist der Herr auch wieder einmal zu Platze? Er ist nun endlich einmal Doctor geworden und geht mit einer vornehmen Heirath um – he?«
»Wie er thut, ja; und da er so gut mit dem Herrn Obereinfahrer steht, so mag wohl was d'ran sein.«
»Ach ja, es ist ja die Schwester vom Herrn Baron, um die er freit; – da gratulir' ich zur vornehmen Freundschaft, Alter!«
»Danke, Meister Mickley, eine brave, bürgerliche Schwiegertochter wäre mir lieber. –«
»Ihr seid ein braver Mann, Steiger,« sagte der Gelbgießer, ihm auf die Schulter klopfend, »ich weiß, Ihr habt's nicht wie Eure Schichtmeisterin darauf angelegt, in vornehme Freundschaft zu kommen. Hättet Ihr doch in Eurer Demuth Euren Sohn gar nicht studiren lassen; aber gute Freunde haben Euch überredet. Daß er nun aus der Art geschlagen, ist somit nicht Eure Schuld.«
»Dort kommt er gerade,« sagte der Steiger, »dort aus dem Posthause; der Herr Obereinfahrer und eine Dame sind bei ihm – sie kommen hierher, wir wollen doch ein wenig auf die Seite gehen.«
»Ei warum nicht gar! Es sind Menschen wie wir auch. Ich möchte Euern Sohn 'mal in der Nähe sehen.«
Jene Drei waren bald in die Nähe der Beiden gekommen; der Steiger salutirte seinem Vorgesetzten, der Bürger grüßte höflich; der Obereinfahrer erwiederte freundlich die Grüße, aber der Doctor, anscheinend in tiefem Gespräch mit der Dame, der eine Zofe und ein Lakai mit Gepäck folgten, ging, ohne nur den Kopf nach seinem Vater zu wenden, stolz vorüber.
»War das Euer Sohn?« fragte der Gelbgießer nach einer Weile. Der Steiger bejahete es mit einem Seufzer.
»Und er sah Euch nicht einmal an!« sagte jener, »und grüßte nicht einmal! Er verleugnet seinen Vater, er schämt sich seiner Herkunft! Armer, alter Mann!«
Der ehrsame Bürger nahm Abschied von dem Greis, und dieser wankte dem Thore zu.
Die Fundgrube Vater Abraham gehörte zu den ältesten Bergwerken des Reviers. An einem sanften Abhange der waldigen Hochebene gelegen, ragten die stattlichen Berggebäude, das gethürmte Huthaus, die Bergschmiede, die Wäsche und der Pferdegöpel aus dunkeln Tannen hervor. Ein Glöcklein, das von Minute zu Minute angeschlagen wurde, schallte weithin durch die einsame Gegend. Es war der Nachmittag desselben Lohntags. Das Wetter wunderschön. Auf einer Bank vor dem Huthause saß ein stattlicher Greis im Bergmannskittel zur Seite eines jungen, einfach bürgerlich gekleideten Mädchens von ausnehmender Anmuth. Eine kleine Gestalt, aber vom zierlichsten Bau, eine bewundernswürdige Vereinigung von Zartheit und Fülle. Während sie emsig strickte, hing ihr blaues Auge an den dunkelblauen[88] Berghäuptern des Fichtelberges und seiner Nachbarn, welche trotz der Entfernung mehrer Stunden doch ganz nahe zu sein schienen, so durchsichtig war die Luft und so günstig die Lage des Standpunktes.
»Ja, schau Dir ihn nur an, den alten lieben Bergkönig,« sagte der Greis; »so wie Du hab' ich ihn schon seit mehr als vierzig Jahren fast täglich betrachtet, entweder von dieser Bank oder vom Fenster aus, und doch hab' ich mich nie satt daran sehen können. Nein, je älter ich geworden, desto lieber hab' ich da hinauf geschaut; und wenn mir noch so weh ums Herz gewesen, von meinen Bergen herab ist mir Linderung gekommen.«
»Ich habe schon oft nachgedacht,« sagte das junge Mädchen, »was es denn eigentlich sei, das uns so heimlich und so magisch von den duftigen Höhen anweht, aber ich habe den Schlüssel zu dem Zauber nicht finden können.«
»Ja, sieh, mein Kind,« erwiederte der Greis; »zwischen den Bergen und dem unverdorbenen Menschenherzen findet eine nahe Verwandtschaft statt. Beide streben zum Himmel, und beide tragen himmlische Kräfte in sich. Aber was den Fichtelberg[89] betrifft, so hat der für ein echtes, treues Bergmannskind noch einen ganz besondern Zauber. Denn sieh, im Fichtelberg hauste der gute Geist des ganzen Gebirges. Das jetzige superkluge Volk will zwar nichts davon wissen, aber ich weiß, was ich weiß.«
»Erzählt mir doch etwas, Großvater!« bat das Mädchen und wandte ihm ihr sonniges Gesicht mit den blauen Augen zu. Zwar war es nur die alte, schon hundertmal von ihm vernommene Geschichte, die sie zu hören hoffen durfte; aber sie wußte, wie gern er sie erzählte, wenn er einen andächtigen Hörer fand, den er gern auch für einen gläubigen nahm.
»Nun, Dir kann man allenfalls so etwas erzählen,« sagte er; »Du gehörst nicht zu den Superklugen.«
»Vor Alters, wo alle Menschen gläubiger waren,« begann der Alte, »kamen die Berggeister häufig auf die Oberwelt und waren den Menschen hülfreich, wo es noth that; aber je ungläubiger die Menschen wurden, desto weniger mochten die guten Geister mit ihnen zu schaffen haben und so zogen sie sich immer mehr in den Schoß der Erde zurück. Doch kommen sie dann und wann noch[90] ans Tages- oder Grubenlicht. Auch ihr Fürst, der Geist des Fichtelberges, ist vor gar nicht langer Zeit noch gesehen worden. Da ist bei meines seligen Vaters Lebzeiten zu Wiesenthal ein armer, armer Häuer gewesen, der hat die Stube voll Kinder und kein Brod in der »Almet« gehabt, auch keins schaffen können, denn seine Grube ist auflässig und er ohne neue Arbeit gewesen. Da treibt ihn das Geschrei der hungrigen Kinder bei Morgengrauen aus dem Hause, und in der Verzweiflung seines Herzens geht er, er weiß selbst nicht wohin. Und wie er gegangen und gegangen ist, steht er oben auf dem Fichtelberg. Da sitzt ein steinalter Bergmann unweit von ihm auf einem Stein, der winkt ihm. Wie er hinkommt, sieht er zu des Alten Füßen einen Brunnen voll hellen Wassers, und war ihm doch sonst nie ein Brunnen da oben vorgekommen. »Was soll ich?« hat er gefragt. »Räume doch die Steine aus meinem Brunnen hier; schlechtes Volk hat sie hineingeworfen.« Das hat sich der Wiesenthaler nicht zweimal sagen lassen; hat nicht gefragt: was krieg ich? oder was geht's mich an? sondern: 's ist ein alter Mann, hat er gedacht, und das Alter muß man ehren; hat sich frisch ans Werk[91] gemacht und die Steine herausgeholt. Und wie er den letzten auf den Rand gebracht, siehe, da ist's blankes Gold gewesen; der Alte aber war verschwunden. Ist kein anderer gewesen, als der gute Bergfürst. Fröhlichen Muthes ist der Häuer heimgeeilt, und alle Noth hat bei ihm ein Ende gehabt. Später ist es ihm eingefallen, daß wohl auch die andern Steine, die er aus dem Brunnen geräumt, goldhaltig gewesen sein könnten; er ist daher wieder auf den Berg gestiegen, aber wie er auch gesucht, er hat keinen Brunnen, noch eine Spur davon mehr gefunden.«
»Es ist recht schade,« sagte das Mädchen, »daß jetzt solche guten Geister keinem Menschen mehr zu Hülfe kommen, wo es der Noth so viel in unserm Gebirge giebt.«
»Ach wohl giebt's der Noth viel im armen Gebirge!« rief der Greis, »mehr als ein Mensch aussagen kann, und die guten Berggeister wären nöthiger als je. Aber sieh, Hedwig, die Menschen haben sie durch ihren Undank selbst verscheucht. Mit den Berggeistern ist der Segen vom Gebirge geflohen; das Bergwerk, sein eigentlicher Lebenspuls, ist in Verfall gekommen, und ich weiß nicht, was noch[92] aus ihm werden wird. Wenn ich zurückdenke in meine Jugendzeit, was für ein Leben war da noch in unserm Revier, und besonders auf unserm Vater Abraham! Wie ich als neuer Hutmann Deine Großmutter heimführte, da standen 250 Bergleute im Staat aufgepflanzt auf der Halde, lauter Vater-Abrahamer, und eine Hochzeit war's, woran die paar Alten, die aus jener Zeit noch leben, noch heute mit Lust denken. Aber wie muß es erst gewesen sein, als droben der alte Schacht noch gangbar war, wo an 500 Bergleute anfuhren und ein Häuer vom Vater Abraham von den Stadtleuten wie ein Herr angesehen war! Doch das war auch eine Strafe des erzürnten Berggeistes, daß er die schlagenden Wetter in den alten Bau schickte, so daß kein Häuer seines Lebens mehr darin sicher war, und der Schacht aufgelassen werden mußte. Nun schlug man da unten ein und suchte nach dem alten Gang, fand aber nur einen Zweig davon, dem zur Mächtigkeit und dem Reichthum des verlassenen gar viel fehlte. Ach, wenn der alte Schacht noch im Gang wäre, wie anders stände es um uns! Dann möchte allenfalls Deine Stiefmutter mit ihren Docken den Staat treiben, womit sie Deinen Vater jetzt ruinirt!«
Hedwig seufzte und fragte dann: »Aber Großvater, sollte man denn den alten Schacht jetzt nicht wieder öffnen können, nachdem er über hundert Jahre darniedergelegen?«
»Du weißt nicht, was es mit den schlagenden Wettern für eine Bewandtniß hat. Sieh, die kommen durch feine, unsichtbare Spalten aus dem feurigen und kochenden Innern des Erdkörpers. Da ist's wie in einem Schmelzofen, nur daß nicht blos ein, sondern alle möglichen Metalle da unter einander in glühendem Fluß sind, und wenn es schon in unsern Schmelzhütten an giftigen Dämpfen und Gasen nicht fehlt, die dem Schmelzer übel zusetzen, wie viel weniger da unten in dem ungeheuren Generalschmelzofen! Die Dämpfe sind zwar gut, es sind die Nährmütter unserer Erzadern, indem sie sich in den gröbern Spalten der Erde zu Metallen niederschlagen; aber ihre Gesellen, die Gase, werden, wenn sie in eine Grube eindringen, die größte Plage des Bergmanns. Es ist aber in der Macht des Berggeistes, die Gasritzen zu öffnen und zu schließen, und er öffnet sie zur Strafe, wenn die Gewerken oder das Bergvolk mit seinen Schätzen gottlosen Mißbrauch treiben. So war's auch auf[94] dem alten Vater Abraham. Da sind die Bergleute gar übermüthig geworden; die Schichtmeisterin ist auch ein Weib gewesen wie Deine Stiefmutter, hoffärtig und hart gegen die Armuth, und ein Gewerke, der die meisten Kuxe gebaut, hat die Schwelgerei so weit getrieben, daß er sich in Wein gebadet und den so mißbrauchten edlen Saft den Armen geschenkt hat. Das hat der Berggeist nicht länger mit ansehen können. Erst hat er gewarnt, hie und da ist eine kleine Wand eingestürzt; dann und wann hat einem Bergmanne ein Schwaden den Athem versetzt – aber wie alle Warnungen nichts gefruchtet, hat er seine furchtbarsten Wetterschleusen aufgezogen; da sind auf einmal zehn Mann vor Ort erschlagen worden, und wer sich nachher wieder hingewagt, hat das gleiche Schicksal gehabt, zuerst in der tiefsten, zuletzt in allen Gezeugstrecken. So hat man den reichen Gang im Stiche lassen müssen. Später sind wohl Versuche gemacht worden, den Gang wieder aufzunehmen, sie sind aber alle unglücklich abgelaufen; noch zu meiner Zeit ließ sich ein vorwitziger Bergmann in den Schacht und ward todt herausgezogen, nicht etwa erstickt, sondern erschlagen. Seitdem hat Niemand dem Zorne des[95] Berggeistes zu trotzen gewagt; und dieser Zorn wird auch nicht weichen, wenn es die Menschen auf dem Vater Abraham treiben wie bisher.«
»Aber Großvater,« sagte Hedwig, »es sind doch nicht alle Leute hoffärtig oder gottlos, die auf dem Vater Abraham leben und verkehren; sollte denn der Berggeist den Unschuldigen mit dem Schuldigen strafen? Das wäre doch ungerecht. Da seid Ihr, mein Vater, der Ferdinand, die Brunhild, der Steiger Meier und so viele rechtschaffene Bergleute, auch die Mutter hat ihre guten Seiten.«
»Dich hast Du nicht mit genannt,« sagte der Greis, »und doch bist Du das einzige Wesen, um dessentwillen der Berggeist wenigstens nicht weiter geht in seinem Zorn. Du bist wie Deine selige Mutter – o die Liebe! sie wäre der Schutzgeist vom Vater Abraham geworden, hätte sie fortgelebt und Deinem Vater eine Schaar Kinder geboren wie ihre Nachfolgerin, das unselige Weib. Mit Deiner Mutter ging der gute Engel Deines Vaters von der Erde, und Deine Stiefmutter scheuchte den letzten Segen vom Vater Abraham. Denn wie das Weib hier zu hausen begann, wurden da unten die Erze tauber und tauber, und zuletzt[96] förderte der Göpel nichts mehr zu Tage als Haldensturz.«
»Aber« – wandte Hedwig ein – »seit ein paar Jahren ist die Grube doch wieder recht höflich geworden, und es sind Aussichten vorhanden, daß sie es noch mehr wird.« –
»Ist doch kein Segen dabei!« versetzte der Greis. »Wenn man unser Erz sieht, so lacht Einem das Herz im Leibe, und wenn es in die Hütten kommt, ist's nichts. Ich sage Dir, es ist kein Segen mehr auf dem Vater Abraham; selbst das Gute, was die Erde noch giebt, wird zunichte, wenn nicht zum Fluch. Du sprachst vom Steiger Meier, ja, das ist mein alter Kamerad von Kindheit auf; wie ich Hutmann ward, wurde er Steiger, und wir sind immer gute Freunde gewesen. Erst als sein Student aus der Art schlug, und der alte Vater dem Oben'naus und Nirgendsan die Zügel nicht straff anzog, gab's manche Mißhelligkeit zwischen uns, und seit einiger Zeit ist er mir gar entfremdet. Ich weiß nicht, was ich denken soll, er kann mich nicht mehr aufrichtig anschauen, und in seinen Mienen liegt etwas, das mir weh thut.«
»Der alte gute Mann hat so viel Sorgen um den Sohn ausgestanden, und die Sorgen haben[97] sein Gesicht fast zur Unkenntlichkeit verzerrt,« meinte Hedwig.
»Und dieser Sohn sollte einmal Dein Mann werden,« – sagte der Greis; – »es war ein Lieblingsgedanke von uns Alten; wer konnte denken, daß der schöne schwarzlockige Bube so ausarten würde! Nun, ich brauchte mein Wort gegen den Steiger nicht zu brechen, sein Herr Sohn sorgte dafür, daß nichts daraus ward. Der liebe Gott hatte es besser mit Dir im Sinne, als wir kurzsichtigen Menschen; er hatte Dir den Rechten schon erwählt. Ja, das ist der Trost meiner letzten Tage, daß ich Dich in der Hut eines so rechtschaffenen Menschen weiß, wie Dein Ferdinand ist. Das ist noch ein echtes Bergmannsblut, treu und wahr und unbefleckt.«
Hedwigs Antlitz leuchtete wie verklärt; sie nahm die braune, schwielige Rechte ihres Ahnen und preßte sie zwischen ihre kleinen zierlichen Hände.
»Deine Stiefmutter sieht zwar scheel zu Eurer Liebe,« fuhr er fort; »die hochmüthige Frau glaubt, es falle eine Perle aus ihrer Krone, wenn ihres Mannes Tochter eines Steigers Weib wird; aber Ihr sollt ihr zum Trotz ein Paar werden, bevor[98] ich meine Augen schließe. Was ich Dich noch fragen wollte, Hedwig – was denkst Du von den Besuchen, die der Doctor Meier seit seiner Ankunft dem Vater Abraham abstattet? Sonst mied er ihn ja.«
Hedwig wurde roth und bückte sich auf ihren Strickstrumpf: »Ich weiß nicht, was er will,« sagte sie nach einer Pause, »ich geh' ihm aus dem Wege, wenn er kommt.«
»Er scheint mit dem hoffärtigen Weibe ziemlich vertraut zu sein,« sagte der Alte, »es fehlte blos noch ein Laster auf dem Vater Abraham! – Doch es fängt an, mir kühl zu werden; die Stunde des Schichtwechsels rückt auch heran, da will ich mich zum Beten fertig machen. Da unser Volk heut' nicht da ist, so hast Du wenig Kocherei auf den Abend, geh' doch noch ein wenig aus, mein Kind!« Er streichelte ihr das volle, in Wellen gescheitelte Haar, stand auf und ging ins Haus.
Auch Hedwig erhob sich, verließ langsam die Halde und verlor sich im nahen Walde. Unwillkürlich schlug sie den Fußweg ein, der am alten Vater-Abraham-Schacht vorbei nach Pobersdorf führte. Der alte Schacht befand sich auf dem höchsten Theile des weiten Plateaus, und seine[99] Halde bot eine vollständige Rundsicht dar, welche Hedwig benutzen wollte, nach ihrem Geliebten zu spähen, der jetzt anfahren mußte. Sie stieg daher hinauf, aber als sie oben ihren Blick in die rechte Richtung brachte, sah sie eine andere Gestalt daher kommen, als die ersehnte. Es war der Doctor Meier, derselbe, dem sie als Kind versprochen gewesen, und der sie aus Hochmuth von sich gestoßen, ehe sie noch das jungfräuliche Alter erreicht hatte. Am letzten Sonntage war sie ihm auf dem Kirchwege begegnet, das erste Mal seit vielen Jahren. Da war der inzwischen zum Mann Gereifte vor der blühenden Jungfrau voll Staunen stehen geblieben. Er hatte sie angeredet, doch war sie durch Ferdinands Dazwischenkunft aus dieser verlegenen Lage befreit worden. Als sie aber nach Hause gegangen, und Ferdinand auf dem halben Wege von ihr geschieden war, hatte der Doctor plötzlich vor ihr gestanden und sich ihr zur Weiterbegleitung aufgedrungen. Da hatte er einen Ton gegen sie angestimmt, der mit seinem frühern Betragen in vollem Widerspruche stand. Sie hatte indessen seine girrenden Aeußerungen für leeres Gerede genommen; doch war sie ihm, als er seitdem täglich im Vater[100] Abraham einsprach, sorgfältig ausgewichen. Auch jetzt wünschte sie ihm nicht zu begegnen; sie schlüpfte daher in die nahe, offenstehende Kaue, welche den alten Schacht überdeckte. Aber die scharfen Geieraugen des Doctors hatten bereits die liebliche Gestalt erspäht, und gerade ihre Flucht reizte ihn, sie zu verfolgen. In raschen Sätzen sprang er die Halde hinan und stand bald im Eingange der Kaue, der schönen Flüchtigen gegenüber; aber zwischen ihm und ihr klaffte der furchtbare Schlund.
»Was fliehen Sie, Hedwig?« fragte er. »Kommen Sie, ich habe einen Auftrag von Ihrer Mutter an Sie. Hier ist ihr Commodenschlüssel, den soll ich Ihnen mit der Bitte überbringen, ihr den neuen Pariser Shawl durch mich zu schicken. Das Kleid hat ihr der Junge richtig überbracht.«
»Warum hat sie denn nicht dem Jungen aufgetragen, ihr den Shawl zu holen, wenn sie ihn durchaus haben muß?«
»Da fragen Sie mich zu viel; – genug, ich kam vorhin in ihre Gesellschaft, und als ich beim Abschiednehmen sagte, ich ginge erst noch einmal nach Pobersdorf, da bat sie mich, auf dem Rückwege ihr den kleinen Gefallen zu thun.«
Zögernd kam jetzt Hedwig um das Mundloch des Schachtes herum. »So kommen Sie,« sprach sie, als sie sich ihm näherte. Er stand unbeweglich vor ihr und schien sie mit seinen Blicken verschlingen zu wollen. Nach einer Weile reichte er ihr die Hand. »Hedwig, Sie stehen mir gegenüber wie eine Fremde, fast wie eine Feindin; das sollte anders sein! Geben Sie mir die Hand.«
»Kommen Sie nur!« drängte sie, »ich will Ihnen den Shawl holen.«
»Stolzes Mädchen! Können Sie den Mann entgelten lassen, was der wilde Knabe verbrach? Konnte er auch in der verschlossenen Knospe die Herrlichkeit der Blume ahnen? Hedwig, der erste Strahl Ihrer Schönheit, der mein Auge traf, ist wie der Blitz durch meine Seele gegangen; ich möchte Ihnen zu Füßen fallen und Sie um Vergessen und Vergeben anflehen. – Hedwig, lassen Sie die alten Zeiten wieder gelten, wo ich Ihnen der nächste Mensch auf Erden sein sollte! –«
»Aber nicht wollte,« fiel sie ein, »und mit Recht, denn wie paßte solch ein Gänseblümchen zu solch einem stolzen Ritter! Nein, Herr Meier, die alten Zeiten sind todt und begraben – lassen wir die[102] Todten ruhen. Zu vergessen und zu vergeben habe ich nichts, denn Sie haben mich nicht gekränkt; die Blume weiß nichts von dem verächtlichen Blick, der die Knospe traf. Gehen Sie jetzt, ich folge Ihnen!«
Aber er ergriff ihre Hand, und als sie sie ihm entziehen wollte, schlang er seinen Arm um ihren Leib und zog sie heftig an sich. »Nein, Mädchen! so mußt Du mich nicht abspeisen wollen. Sieh und fühle, wie Du plötzlich mein ganzes Wesen mit einer namenlosen Gluth erfüllt hast! – Hedwig! es ist über mich gekommen wie ein plötzliches Erwachen aus wüstem Schlaf, wie ein Wirbel, der mich mit allmächtiger Gewalt zu Dir reißt. – Hedwig – das Wort unserer Väter muß sich erfüllen – Du mußt mein werden!«
»Lassen Sie mich los!« rief Hedwig ringend, »ich habe weder Lust noch Zeit, Komödie mit Ihnen zu spielen!«
»Komödie? Mädchen! Siehst Du nicht, fühlst Du nicht, welch verzehrendes Feuer in mir rast, ein Feuer, das, beim Himmel! eher zu einer Tragödie paßt als zu einer Komödie! Hedwig, ich habe gelesen, daß Männer, die lange dem Geschoß des blinden Gottes Trotz boten, von ihm plötzlich[103] mit unheilbarer Wunde gestraft wurden; ich fühle jetzt, daß dies kein bloßes Märchen ist. Hedwig, laß Gnade walten und gieb mir das Recht auf Deinen Besitz zurück!« Hedwig wand sich mit abgewandtem Gesicht ängstlich in den Armen des starken Mannes. »Gieb, gieb es mir zurück!« drängte er – »oder ich nehme es mir!«
Da blickte sie ihm ins Gesicht und erschrak vor dessen Ausdruck bis in die innerste Seele hinein. War es möglich, daß ein Mensch so plötzlich von einer rasenden Leidenschaft ergriffen werden konnte? »Lassen Sie mich!« schrie sie, »Sie sind wie ein Wahnsinniger!«
»So scheint es mir selbst,« versetzte er, »darum gehen Sie glimpflich mit mir um – seien Sie mild und versöhnlich!«
»Lassen Sie mich erst los – dann wollen wir vernünftig mit einander reden.«
»Versprich mit einem Kuß, daß Du nicht entfliehen willst,« und er neigte sich zum Empfang des Pfandes. In diesem Augenblick riß sie sich mit verzweifelter Anstrengung los und floh. Aber er hatte sie schnell wieder erreicht und zog sie in das Innere der Kaue zurück. – »Hülfe! Hülfe!« kreischte[104] sie, daß es weit durch den Wald hin gellte; aber schnell verschloß er ihr den Mund mit seinen Küssen. Vergebens kämpfte Hedwig mit allen Waffen, die dem Weibe gegen die Gewalt verliehen sind, um sich der ungestümen Liebkosungen des Rasenden zu erwehren; aber ihre Kraft reichte gegen die Gewalt ihres Gegners nicht aus. Da plötzlich fühlte der Doctor sich hinten kräftig gepackt, ja eh' er sich noch besinnen konnte, sah er sich zu seinem Entsetzen gerade über dem schwarzen Schachtschlunde schweben, in den er unrettbar stürzen mußte, wenn die Riesenfaust, die ihn hielt, ihn fahren ließ. War etwa ein Berggeist dem bedrängten Mädchen zu Hülfe gekommen? Insofern man die Bergleute scherzweis auch Berggeister nennt, allerdings: Ferdinand war der Retter, der auf seinem Wege zur Schicht den Hülferuf vernommen hatte. Da stand er nun und hielt mit dem nervigen Arm den Dränger seiner Trauten über die grauenvolle Tiefe, und da kniete die Geliebte zu seinen Füßen und beschwor ihn, den Elenden zu schonen. Der Doctor war zu einem Bilde des Todes erblaßt. »So, nun wird er genug haben,« sagte Ferdinand; »diese Cur wird hoffentlich gründlich sein – meint der Herr Doctor nicht[105] selbst?« Und er trug den bleichen Mann vor die Kaue: »Nun komm, Hedwig!« sagte er, »den Arm kann ich Dir nicht bieten in meinem lettigen Grubenzeug.« – Aber Hedwig hing sich ängstlich an seinen Arm und ging mit Ferdinand heim. Beide sahen nichts von den racheblitzenden Blicken, die ihnen folgten.
Der Doctor stand lange brütend auf der Halde. Langsam trat er endlich den Weg nach der Stadt an. Aber er beschloß, den Jungen zu erwarten, welchen Hedwig mit dem Shawl schicken wollte. Er brauchte nicht lange zu warten; der Junge war froh, sich seines Botendienstes so leicht entledigen zu können, und ein Trinkgeld machte seine Freude vollkommen.
»Aber welche Entdeckung hab' ich machen müssen!« sagte der Doctor, als er der Schichtmeisterin den Shawl überreicht hatte und von ihr mit Dankesergießungen überschüttet worden war; »Ihre Hedwig lustwandelte tête-à-tête mit einem gemeinen Bergmann im Walde.«
»Meine Hedwig?« erwiederte die Frau; »die Sie meinen, ist doch nicht mein Kind, sonst würde[107] sie sich sicher nicht zu einer Liaison mit einem Häuer verirren. Aber interessiren Sie sich vielleicht jetzt für das Gänseblümchen, wie Sie es vor Jahren getauft haben?«
»Das gerade nicht; ich wundere mich nur, daß die Liaison von ihnen geduldet wird. Immer ist Hedwig die rechte Tochter von Fräulein Brunhild's Vater, mithin des Barons künftige Schwägerin. Wenn nun die Frau Baronin Mutter erführe, daß ihr Sohn Gefahr liefe, der Schwager eines gemeinen Häuers zu werden, so könnte sie leicht –«
»Um Gotteswillen!« unterbrach ihn die Schichtmeisterin entsetzt; »ich bitte, lassen Sie den Baron und die Frau Baronin ja nichts merken von dem, was Sie gesehen; dafür, daß aus Hedwigs Liaison nichts wird, stehe ich. Von Stund' an muß mein Mann den frechen Menschen, der sich in unsere Familie drängt, ablohnen und Hedwig jeden Verkehr mit ihm untersagen.«
»Zum Glücke Ihrer Brunhild dürfte das klug und weise sein,« bemerkte der Doctor und empfahl sich in der Hoffnung eines genußreichen Abends. Er begab sich zu dem Goldschmied Reichel, der ihn wie einen guten Kunden empfing.
»Wie steht's, Bester?« fragte der Doctor, »hat mein Alter gedeckt?«
»Ich glaube – wenn die ganze Lieferung der Probe gleicht; das muß sich erst ausweisen.«
»Wißt Ihr was? Ihr müßt mir augenblicklich noch hundert Thaler vorstrecken; ich muß morgen nach Hallbach zu meiner Erkornen und da nobel auftreten; wahrscheinlich muß ich ihren Papa nach Bad Kissingen begleiten. Wir vertauschen den alten Wechsel mit einem neuen, und – nun Ihr wißt Euch schon bezahlt zu machen.«
»Aber Ihr Vater war schon jetzt schwierig,« wendete der Goldschmied ein.
»Nur keine Umstände, mein Guter!« sagte der Doctor. »Hoffentlich ist das der letzte Schröpfkopf, den ich an den guten Alten ansetzen muß. Zieht nur die Casse auf, mein Goldmann!«
Der Goldschmied mußte den Doctor wohl unwiderstehlich finden, er zog ein Kästchen aus seinem Ladentisch und zählte die verlangte Summe in Dukaten auf.
Der Doctor strich sie ein. »Die habt Ihr aber gehörig mit Königswasser getauft,« sagte er, die Münzen prüfend, »Ihr seid doch ein unverbesserlicher Anabaptist!«
Gleichgültig, als ob er die Anspielung nicht verstehe, füllte der Goldschmied ein Wechselformular aus und legte es dem Schuldner vor. Dieser unterzeichnete. »So, wieder ein Geschäft gemacht!« sagte er, sein Gold einsteckend.
»Nun noch Eins: Vergeßt um Eurer selbst willen nicht, daß die Klausel, »nach Wechselrecht verfahren,« keine andere Bedeutung haben kann, als die eines Schreckschusses! Ihr kennt das Sprichwort vom Hehler!« Und er ging.
»Das ist der leibhaftige Satan!« murmelte der Goldschmied, ihm nachstarrend.
Diese Verhandlung zeigt, daß der unglückliche alte Steiger sich sehr irrte, indem er wähnte, seinem Sohne sei das verzweifelte Mittel, dessen übermäßige Geldbedürfnisse zu befriedigen, so verborgen geblieben, wie er es zu halten gesucht. Der entartete Sohn selbst hat den Goldschmied auf den Vater gehetzt. Nur der Ort, wo dieser das Erz aufbewahrte, war jenem unbekannt, und er hatte bisher auch nicht Ursache gehabt, danach zu forschen.
Während der Vater tief im Schoße der Erde nicht nur mit seinem schweren Tagewerk sich plagte, sondern auch von Gewissensbissen gequält wurde,[110] verlebte der Sohn einen genußreichen Abend im Salon des reichen Handelsherrn Neuhoff. Er war ein ausgezeichneter Gesellschafter, als solcher schon früher der Baronin von Brunn, in deren Haus ihn ihr Sohn eingeführt hatte, so lieb und werth geworden, daß man an ihrem Wohnorte Hallbach lange von einem zärtlichen Verhältniß zwischen Beiden munkelte, bis es offenkundig ward, daß der junge Arzt sich Hoffnung auf die Hand der Baronesse Lydia mache. Heute entfaltete er alle seine Gaben, theils um sich in guter Gesellschaft über die am Nachmittag erlittene Niederlage erhoben zu fühlen, theils um seinen Einfluß auf die Baronin zu befestigen. Diesen Einfluß bedurfte er nicht nur für seinen Heirathsplan, der freilich mit seinem Benehmen gegen Hedwig im Widerspruch stand, sondern auch zur Förderung der Wünsche des jungen Barons und Brunhild's, wodurch er an der Schichtmeisterin eine dankbare Bundesgenossin gegen Hedwig und ihren Häuer gewann. Seine Bemühungen gelangen vollständig; er wußte die Baronin dergestalt auf die in Wahrheit vorhandenen trefflichen und zum Theil glänzenden Eigenschaften Brunhild's aufmerksam zu machen, daß am Schlusse des Abends der Baron[111] es wagen konnte, der Mutter seine Wahl zu gestehen. Und die von der schönen, und, was ihr allerdings viel galt, eleganten jungen Dame bezauberte Gnädige beschloß den Abend mit einer stillen Verlobung, vorbehältlich der Einwilligung ihres gichtkranken Gatten, an der sie nicht zweifelte. »Ich curire ihn,« sagte der Doctor, »und im schlimmsten Falle geht das Glück des Freundes dem meinigen vor, wenn ich liquidire.«
Als er früh zwischen vier und fünf Uhr sich seiner väterlichen Behausung näherte, sah er aus der schwer zugänglichen Oeffnung eines alten Stollens eine dunkle Gestalt treten und gleichfalls auf das Haus zugehen. Er ging ihr schnell nach und stieß an der Hausthür auf seinen Vater. »Du kommst so spät aus der Stadt?« redete der Greis den Sohn an, »so lange hast Du geschwärmt? Und ich muß mich mit der sauern Nachtschicht plagen! Du solltest doch nun ein anderes Leben anfangen!«
»Du hast keine Idee von dem Leben einer Gesellschaftssphäre, zu der ich nun einmal durch Anlage und Neigung gehöre,« antwortete der Doctor. »Ich muß meine höhere Bestimmung erfüllen, und Du wirst bald Ursache haben, Dich über alle Opfer zu[112] freuen, die Du mir gebracht. Du sollst sie an keinen Undankbaren verschwendet haben. Laß Dir sagen, daß ich heute glücklich die Verlobung zwischen dem Obereinfahrer und Schichtmeisters Brunhild zu Stande gebracht habe; und was ich über die Mutter zu Gunsten Anderer vermocht, das vermag ich auch zu meinen eigenen. Du wirst sehen, in wenig Wochen darfst Du die reiche Baronesse Lydia von Brunn als Deine Schwiegertochter begrüßen!«
»Dann werde ich wohl am längsten einen Sohn gehabt haben,« sagte der Greis, »wer seinen Vater auf der Straße nicht kennen will, wenn er nur in eines Barons Gesellschaft geht, wird ihm vollends fremd sein, wenn er der Mann einer Baronesse ist. Nun, ich wünsche Glück zu dem hohen Flug – freuen könnte ich mich nur, wenn Du mir eine Schwiegertochter brächtest, wie meine Hedwig, die Du im tollen Hochmuth von Dir gestoßen.«
»Die hat sich längst zu entschädigen gewußt,« sagte der Doctor.
»Wohl ihr,« erwiederte der Steiger, »Gott hat ihr trefflichen Ersatz gegeben. Das ist auch mein Trost bei der ganzen Geschichte, daß das Mädchen nun doch noch glücklich wird. Doch jetzt[113] laß uns hineingehen, ich höre die Mutter Licht anschlagen.«
Sie gingen hinein.
Die letzten Worte hatten den Stachel der Eifersucht und Rache, den der Sohn im Herzen trug, tiefer hineingetrieben. Daß sein Vater aus dem alten Stollen gekommen war, leitete ihn auf die Vermuthung, daß dort die geheime Erzniederlage desselben sei, und diese Vermuthung führte sein brütendes Gehirn auf einen Gedanken, dessen Tücke er vor sich selbst mit der Ausflucht beschönigen konnte, er müsse von seinem Vater die nahe Möglichkeit der Entdeckung seines Verbrechens entfernen; denn so gut wie er konnte auch ein fremder Mensch, vielleicht gar der Bergner, den Vater einmal bei seinem nächtlichen Gange von oder zu dem Stollen beobachten, Verdacht schöpfen, untersuchen – und dann war der Vater verloren.
Wie kein Mensch so bös ist, daß er nicht nach einer Rechtfertigung seiner bösen Absichten suchte und sie auch glücklich fände, so fand der Doctor, als er am Tage wieder in die Stadt kam und da zufällig den Häuer Ferdinand Bergner aus dem Laden des Gelbgießers treten und diesen das Abschiedswort[114] rufen hörte: »Auf Wiedersehen, mein lieber Steiger in spe,« in diesem Worte mehr als eine bloße Rechtfertigung seines schon fertigen Anschlages, er fand sich als Sohn verpflichtet, einen Menschen unschädlich zu machen, der offenbar seinem Vater nach dem Brode trachtete. Er hatte eigentlich heute abreisen wollen, aber sein tückischer Plan nöthigte ihn, noch eine Nacht in der Heimath zu verweilen. Sobald es finster war, verließ er die Stadt, nicht ohne sich vorher mit Wachszündern zu versehen, eilte nach Pobersdorf und in den alten Stollen bei der väterlichen Wohnung. Er mußte lange suchen, ehe er seine Vermuthung bestätigt fand; aber er fand sie bestätigt: in einem Haufen alten Schuttes lagen die schimmernden Stufen.
Wie das Haus des Steigers, war auch Ferdinands Wohnung ein altes Zechenhaus, das von ersterem etwa tausend Schritte entfernt stand. Daher fehlte es auch nicht an einem Stollen daselbst, der dicht hinter dem Hause mündete. Der Doctor kannte, als Ferdinands Jugendgespiele, die Oertlichkeit genau; er wußte auch, daß dieser Stollen durch eine Thür verschlossen war; aber auch dafür hatte er sich gerüstet; er kannte die einfache Schließvorrichtung[115] solcher Grubenthüren und hatte sich mit einem Stück Draht versehen, das er hier gleich in die rechte Form brachte. Seine Absicht war, die Erzstufen in Ferdinands Stollen, die sogenannte Jakobszeche, zu schaffen, dort zu verbergen und nach einiger Zeit den Verdacht der Erzentwendung auf den verhaßten Häuer zu lenken. Sein Werkzeug zur Vollendung des verruchten Vorhabens sollte ein naher Anverwandter, ebenfalls Häuer auf dem Vater Abraham und Aspirant auf die Steigerstelle, werden. Mittels einer Leinenschürze, welche seine Mutter am Gartenzaun zum Trocknen aufgehangen, bewirkte er in drei Gängen den nicht leichten Transport. In einer Stunde war das Werk der Bosheit geschehen. Er hatte das Erz in der Jakobszeche so untergebracht, daß nur ein mit Absicht spähendes Auge es entdecken konnte. Froh über das Vollbrachte ging er heim, um noch eine Nacht unter dem väterlichen Dache zuzubringen.
Er hatte keine Ahnung, daß gerade diese Nacht, wo sein Vater die Nachtschicht aussetzte, zur Ablieferung einer Hälfte des gestohlenen Erzes bestimmt war. Um 1 Uhr nach Mitternacht stand der Steiger auf und begab sich in seinen Stollen. Wie erschrak[116] der beklagenswerthe Mann, als das Erz nicht mehr zu finden war! Er durchsuchte alle Winkel und Schutthaufen des nicht tiefen Stollens – das Erz war verschwunden. Wie vernichtet setzte er sich auf einen Stein im Stollen; er erschöpfte sich in Muthmaßungen, wer des Erzes habhaft geworden und es fortgetragen haben könnte; eben so wenig wie sein alter Camerad, der Hutmann, war er ganz frei von Aberglauben – vielleicht war das Erz durch das Blendwerk eines Kobolds unsichtbar gemacht, vielleicht war es gar »heimgegangen« – aber es konnte wohl auch von einem Menschen entdeckt und weggeschafft worden sein; dann war das Geheimniß schon nicht mehr blos unter Zweien. Er zitterte vor Angst, aber auch vor Frost; um sich zu erwärmen und zu ermuntern, nahm er einen Schluck aus seinem Fläschchen, das er jedes Mal gefüllt mit zur Schicht zu nehmen pflegte, die er heute von der Stadt aus antreten wollte. Aber statt daß er sonst das Fläschchen nur allmälig im Verlaufe der Schicht geleert hatte, trank er es jetzt in wenig Minuten aus. Neu belebt machte er sich an eine neue Durchsuchung des Stollens. Umsonst, das Erz war und blieb weg. Wieder setzte er sich[117] nieder und versank in qualvolles Sinnen. Endlich erklang das Häuerglöcklein. Das lud zur Schicht. Er erhob sich, sein Kopf war schwer, taumelnd verließ er den Stollen und schlug die Richtung nach dem Vater Abraham ein. Was ihm noch nie begegnet, widerfuhr ihm jetzt: er verirrte sich im Walde und kam erst später als die andern Bergleute auf die Grube. Noch immer berauscht, voll Angst und Verdruß, stieg er in den Schacht. Die gewohnte Sicherheit des Trittes hatte ihn verlassen; in der halben Teufe verfehlte er eine Sprosse und stürzte hinab zu den Füßen Ferdinands, der heute bei der Förderung beschäftigt war. Dieser fing zwar noch den Oberkörper des stürzenden Greises mit seinen Armen auf, derselbe war aber bereits im Fallen durch die Wände erheblich verletzt, so daß er stark blutete und kein Lebenszeichen von sich gab. Ferdinand befahl dem nahen Hundejungen, Wasser zu bringen, und suchte dann seinen unglücklichen Vorgesetzten zu beleben. Auf den Lärm des Jungen kamen bald mehrere Häuer von ihren Oertern und theilten Ferdinands Bemühungen. Es gelang, dem Greise einige Lebenszeichen zu entlocken; aber sie blieben sehr schwach. »Wir müssen ihn hinaufschaffen,«[118] erklärte Ferdinand, »ich fahre schnell aus und mache die Hängematte zurecht; Einer von Euch führt sie beim Herausfördern.« Die Cameraden waren damit einverstanden. Ferdinand fuhr aus, traf Hedwig schon wach, machte sie mit dem Unglücksfall bekannt, und erhielt nicht nur die nöthigen Decken und Stricke zu der Hängematte, sondern wurde auch von ihr in deren rascher Herstellung unterstützt. Nach einer halben Stunde lag der Verunglückte auf einem Sopha in der Wohnstube des Schichtmeisters, der sogleich einen Boten nach Pobersdorf schickte, um den Doctor herbeizuholen. Inzwischen kam der Steiger zum Bewußtsein; das erste Wort aber, das er wieder vernehmen ließ, war: »Ich muß sterben, ruft mir den Hutmann, daß ich ihm beichte!«
Hedwig weckte ihren Großvater, der den Schlaf der Gerechten schlief. Sie theilte ihm schonend mit, was seinem Jugendfreunde zugestoßen war. Erschüttert stand der Greis auf und war bald am Lager des Sterbenden. Als dieser verlangte, mit ihm allein zu sein, ging der Schichtmeister mit den Uebrigen aus der Stube; und nun nahm der Unglückliche dem alten Freunde das Versprechen ab,[119] gleich wie ein Geistlicher das Beichtgeheimniß zu ehren; dann bekannte er ihm seine Schuld und beschwor ihn, den Schichtmeister vor den Fallstricken des wucherischen Goldschmiedes zu warnen. Unmittelbar darauf verschied er. Der Doctor kam nur zur Leiche des durch ihn gemordeten Vaters. Ob er die grause Schuld wohl fühlte? Ob die Schmerzensäußerungen, denen er sich überließ, echt und von tiefem Grunde waren? Der weitere Verlauf dieser Geschichte wird es lehren.
Für jetzt hatte der erschütternde Todesfall wenigstens den Einfluß auf das Gemüth des Doctors, daß er den Anschlag gegen Ferdinand nicht weiter verfolgte, sondern nach der Beerdigung seines Vaters seine so lange aufgeschobene Reise antrat. Der Trauerfall hatte auch bei den Bewohnern des Vater Abraham alles Andere so weit in den Hintergrund gedrängt, daß bis dahin der Schichtmeister die ihm von seiner Frau als nothwendig dargestellte und geforderte Ablohnung Ferdinands auszusprechen vergessen hatte. Kaum war der Steiger Meier begraben, so erinnerte die Schichtmeisterin ihren Gatten wieder an jene Maßregel. Vergebens stellte er vor, wie unentbehrlich gerade jetzt Ferdinand für die Grube geworden sei, denn der Häuer Meier, der sich zur Vertretung der Steigerstelle dränge, sei dieser[121] Aufgabe nicht gewachsen. Allein die Frau brachte bald wieder durch den Vater den Beamten zum Schweigen. Glücklicherweise war die Verhandlung von Brunhild gehört worden, die auf einen kurzen Besuch da war; und diese vertraute Hedwig den ihrer Liebe drohenden Streich. Hedwig setzte augenblicklich ihren Großvater davon in Kenntniß.
»Was!« schrie der würdige Greis, »den besten Häuer vom Vater Abraham will mein Sohn dem Drachen von Weib opfern? Und gerade jetzt, wo ein Steiger fehlt? Denn der Meier Hilf, der den Steiger spielen möchte, taugt kaum zum Scheidejungen. Wart', da will ich, der Hutmann, auch ein Wort mitreden!« Und er ging hinab, rief seinen Sohn aus dem Zimmer und lud ihn zu einem kleinen Gang in den Wald ein.
»Lieber Sohn,« begann er, als sie im Schatten der Tannen wandelten, »ich habe noch den Auftrag eines Sterbenden an Dich auszurichten. Der arme Steiger Meier hat mir in seinen letzten Augenblicken ein schreckliches Geheimniß anvertraut, das mir zum Theil den Unsegen erklärt, der auf dem Vater Abraham lastet. Ich darf Dir nicht Alles sagen, aber ich soll Dich warnen vor den Fallstricken des[122] wucherischen Goldschmieds. Ich will hinzufügen, daß dieser Goldschmied den unglücklichen Steiger zu einem Verbrechen verführt hat, zu dem er wohl auch Dich verleiten könnte, wenn er Dich so in seine Gewalt bekäme wie ihn.«
»Ich weiß nicht, was mir das soll,« sagte der Schichtmeister empfindlich; »ich bin doch kein Knabe mehr.«
»Höre Deinen Vater an, mein Sohn!« sagte der Greis. »Noch bin ich Hutmann auf dem Vater Abraham und das Haupt meines Stammes; ich habe darauf zu sehen, daß Zucht und Ehre in dem Hause wohne, das mir zur Hut übergeben worden, und in der Familie, die meinen Namen führt. Ich hätte schon eher ein ernstes Wort mit Dir reden sollen, um das Verderben abzuwehren, das dem Vater Abraham und meinem Hause droht. Aber es ist so, man bessert nicht eher einen gefährlichen Pfad, bis ein Nächster darauf den Hals gebrochen. Ich sage Dir, der Hochmuth, der in Deiner Familie eingerissen, führt Dich zum jähen Fall – vielleicht zu einem schlimmeren, als er den Steiger Meier ereilte. Ihr treibt mehr Aufwand, als ihr ehrlicherweise bestreiten könnt.«
»Ach Vater, mische Dich doch nicht in meine eigensten Angelegenheiten!« unterbrach ihn der Sohn, »ich weiß schon, wie weit ich dem Dir allerdings unbehaglichen Sinne meiner Frau für das Feine und Wohlanständige und ihrer Mutterzärtlichkeit nachzugeben habe. Ich hoffe, der Hutmann Frenzel wird die Ehre seines Namens nicht befleckt finden durch die Verbindung seiner Enkelin mit einem Freiherrn von Brunn.«
»Alle Achtung vor dem Freiherrn von Brunn; ist er doch mein hoher Vorgesetzter und gewiß ein vortrefflicher Herr; aber die Ehre eines Namens wird in Wahrheit nur durch Rechtschaffenheit bewahrt. Mein Sohn, das edle Bergwerk ist im Verfall, wodurch? Durch die Schuld der Gewerke und des Bergvolkes, besonders seiner Vorgesetzten. Die sind nicht der wahren, sondern eitler Ehre nachgejagt, und diese Jagd hat die Treue von den Bergen gescheucht und mit der Treue den Segen.«
»Sonst soll es der Unglaube gewesen sein, der die guten Berggeister verscheucht und so das Bergwerk zu Grunde gerichtet habe,« warf der Schichtmeister spottend ein.
»Es hängt Alles zusammen,« sagte der Hutmann, »der Unglaube kommt aus einem hoffärtigen Herzen wie die Ehrsucht, und wo die Demuth wohnt, wohnt auch die Treue; und die guten Geister mögen nicht länger weilen, wo Treue, Glaube und Demuth fliehen; es hängt Alles zusammen.«
»Ich will Dir bessern Bescheid über den Verfall unsers vaterländischen Bergbaues sagen,« fiel der Schichtmeister ein: »unser Erzgebirge ist nicht ärmer an Metallen als sonst, aber der Bau in den großen Teufen ist kostspieliger als sonst bei geringerer Teufe, und dazu ist der Metallwerth so gesunken, daß sich der Abbau manches Erzfeldes nicht mehr lohnt, das bei den alten Metallpreisen für reich und ergiebig gelten würde.«
»Ja, Ihr studirten Herrn habt für Alles eine ganz natürliche Erklärung,« meinte der Alte, »aber ich weiß, was ich weiß, sei es, wie es sei, das kannst Du mir nicht abstreiten, daß die Hoffart die Mutter der Untreue ist, und wo Hoffart und Untreue hausen, da baut keine Schwalbe ihr Nest, da ist Unsegen und Verderben. Darum beschwör' ich Dich, treib' den Hoffartsteufel aus Deinem Hause, eh' er das Ei der Untreue ausbrütet! Fang' gleich[125] damit an, daß Du zu Deinem hoffärtigen Weibe sprichst: Der Ferdinand Bergner bleibt auf dem Vater Abraham, Punktum! Was hast Du gegen den Menschen, daß Du ihn fortschicken willst?«
Der Schichtmeister wußte keine Anklage wider den jungen Häuer vorzubringen, er behauptete blos, der bevorstehenden Familienverbindung mit dem Freiherrn von Brunn das Opfer bringen und einen ihm sonst selbst lieben Menschen dem Hause entfremden zu müssen. Der schwache Mensch glaubte, seinen Erzeuger von der Nothwendigkeit dieser Maßregel ebenso überzeugen zu können, wie er durch seine Frau überzeugt war. Aber er irrte sich.
»Weißt Du, ob dem Obereinfahrer die Halbschwägerschaft mit dem Häuer, hoffentlich bald Steiger Bergner anstößig ist? Hast Du ihn schon darüber gefragt?« Der Schichtmeister mußte verneinen. »Also ist der ganze Vorwand nur ein Hirngespinnst Deiner Frau!« sagte der Greis; »der Obereinfahrer beweist ja schon dadurch, daß er selbst eine arme bürgerliche Schichtmeisterstochter freit, daß er weit über die lächerlichen Standesgrillen hinaus ist, die Ihr ihm zutraut. Ich glaube, er würde es Euch sehr wenig danken, daß Ihr mehr um seine Standesehre[126] besorgt seid als er selbst. Aber so geht es der Hoffart allerwegen: immer macht sie die Rechnung ohne den Wirth. Ich hoffe, der Ferdinand bleibt auf der Grube, und solltest Du ihn vertreiben wollen, so werde ich mich den Weg in die Stadt nicht verdrießen lassen und dem Gewerkenausschuß rathen, der Grube sofort in dem Bergner einen neuen Steiger zu geben. Ich hoffe, daß mein Wort noch etwas gilt bei den Herren, und ich will es geltend machen; denn dem Vater Abraham thut gerade jetzt, wo der Schichtmeister so schwach ist, ein Steiger noth, der die Augen offen hat und die alte Bergmannstreue fest im Herzen!«
»Du wirst mich doch nicht in eine schiefe Stellung zur Gewerkschaft bringen wollen?« sagte der Schichtmeister.
»Gehe nur ein Jeder seinen geraden, rechten Weg, so giebt's keine schiefe Stellung!« versetzte der Alte. »Du weißt nun meine Meinung – thu, was Du willst!« Er wandte sich wieder dem Huthause zu.
Als der Schichtmeister heim kam, hatte er mit seiner Frau eine geheime Berathung, in welcher sie lange auf Ferdinands Entfernung bestand, sich endlich[127] aber doch überzeugen ließ, daß nach der Willenserklärung des Großvaters der gefaßte Beschluß unausführbar war. Sie gab in der Hoffnung nach, bald Mittel zu finden, sich des »gemeinen Menschen« zu entledigen.
Während der wackere Hutmann sich so eifrig seines Schützlings annahm, war auch der Gelbgießer Mickley bemüht, ihm den Steigerposten zuzuwenden. Ehe Ferdinand es sich träumen ließ, wurde er vom Bergamte zur Prüfung geladen. Es waren zwar außer dem Vetter des Doctors noch drei Bewerber um die Stelle da, aber er durfte es mit allen aufnehmen. Er ging als Sieger aus diesem Ehrenkampfe hervor und erhielt schon am folgenden Tage seine Bestallung als Steiger der Fundgrube Vater Abraham. Es versteht sich von selbst, daß ein redlich Liebender, wenn er sich in die Lage gebracht sieht, sein Nestchen zu bauen, damit nicht säumt. So empfing auch Ferdinand nicht so bald seine Bestallung aus der Hand seines Schichtmeisters, als er sich auch ein Herz faßte und um Hedwigs Hand bat. Der Schichtmeister hätte vielleicht im ersten Augenblick sich das Jawort durch den persönlichen Zauber, den der Freier auf ihn übte, entlocken[128] lassen, wäre nicht die Schichtmeisterin eingetreten. Ein Blick auf sie und von ihr reichte hin, den ganzen Zauber wirkungslos zu machen, und der junge Steiger sah sich abgewiesen. Vergebens erklärte Hedwig ihren entschiedenen Willen, niemals von Ferdinand zu lassen, vergebens erhob auch der Großvater seine gewichtige Stimme zu Gunsten der Liebenden; die Schichtmeisterin setzte jetzt ihren Willen durch.
»Na, weißt Du was,« sagte der Greis, als er mit Hedwig allein war, »eigentlich ist es gut, daß es nicht so glatt mit Euch Beiden geht; je steiler der Weg zum Himmel, desto größer die Seligkeit. Ich bin nun siebzig Jahre alt und hab' schon viel widerwillige Eltern gesehen; aber mir ist kein Fall vorgekommen, wo sie durchgedrungen wären, wenn anders die Liebenden das Herz auf dem rechten Flecke hatten. Na, bei Dir ist das der Fall, das weiß ich, und bei dem Ferdinand auch, das mußt Du noch besser wissen als ich. Daß Du noch eine Weile Aschenbrödel hier sein mußt, ist gewiß ein kleineres Unglück für Dich, als wenn Dich Deine Stiefmutter hätschelte und zur Hoffart erzöge!« Und zu Ferdinand sprach er: »Glückauf, Steiger![129] Du bist nun berufen, scharf nach dem Rechten zu sehen auf dem Vater Abraham. Für Deine Steigerbildung hat der Markscheider gesorgt; aber die Steigerbildung thut's nicht allein, ein echter Steiger braucht auch ein Steigerherz. Nun, ein solches hat Dir Gott verliehen, das halte fest und rein, so wird's wohl um Dich und den Vater Abraham stehen. Wisse, Dein Vorfahrer war auch ein rechter Steiger, aber er ließ sich vom Teufel blenden und entging vielleicht nur durch den schnellen Tod großer Schmach. Aber wenn er selbst auch noch so wegkam, das Bergwerk hat doch den Fluch seines Strauchelns gefühlt – trag' Sorge, Steiger, daß der Fluch wieder hinweggenommen werde; halt' auf Recht und Treue auf dem Vater Abraham! Und wenn Du einmal etwas siehst, was nicht ganz recht ist vor Gott und Menschen, auf welcher Seite es immer sei, drück' nicht etwa Deine Augen zu – aber fahr' auch nicht mit der Hast eines Büttels drein, der ein Dutzend Kinder von seinen Denunciations-Groschen füttern muß! Weißt, es würde weniger Verbrechen in der Welt geben, wenn man das erste Verbrechen unter vier Augen strafte, statt den Verbrecher[130] sogleich der Brandmarkung für's ganze Leben preiszugeben!«
Ferdinand schüttelte dem Greise herzlich die Hand und stieg mit hoffnungsfreudigem Herzen in den Schacht zu seiner ersten Steigerschicht.
Vier Wochen nach Ferdinands Beförderung erlangte der Obereinfahrer die väterliche Einwilligung in seine Heirath, und nun wurde seine Verlobung öffentlich bekannt gemacht. Schicklicherweise konnte Brunhild nun nicht länger in der Pension bleiben, sondern mußte bis zu ihrer Vermählung im Vaterhause wohnen. Da war jetzt alle Sorge auf Vollendung der bräutlichen Ausstattung und Vorbereitung zu einer würdigen Hochzeitsfeier gerichtet. Mit bangem Herzklopfen sah Hedwig, der jetzt die ganze Hauswirthschaft zufiel, das Herbeischleppen all der kostbaren Gegenstände, welche der eitlen Mutter zur Ausstattung der künftigen Baronin unerläßlich schienen, mit Kopfschütteln und Murren beobachtete der Großvater das Treiben; zumal als der Erbschaftsproceß, auf den seine Schwiegertochter pochte, kein[132] Ende nehmen wollte, und der Schichtmeister selbst anfing, eine sehr besorgte Miene zu zeigen.
Da jetzt der Obereinfahrer öfters auf dem Vater Abraham einsprach, um seine Braut zu sehen, so wachte die Schichtmeisterin strenger als je darüber, daß Ferdinand sich ihrem Familienkreise fernhielt. Doch fand sich bei ihren häufigen Stadtbesuchen und Brunhild's freundlicher Gesinnung für die Liebenden Gelegenheit genug, sich zu sehen und gegenseitig zu ermuthigen. Ferdinand ging jeden Tag mit frischer Hoffnungsfreudigkeit an sein schweres Tagewerk; er war seinen Untergebenen, von denen nur der bei der Steigerwahl durchgefallene Meier ihm mit Mißmuth gehorchte, ein Vorbild an Fleiß und Pünktlichkeit im Dienst und sah streng auf die Pflichterfüllung jedes Einzelnen. Aber er sorgte auch für die Verbesserung ihrer Lage. Die Anbrüche hielten aus, und ehe drei Monate um waren, erfuhr er durch seinen Gönner Mickley, daß die letzte Erzlieferung von der Schmelz-Administration doppelt so hoch bezahlt worden sei, als jede frühere Lieferung von gleichem Gewicht. Mußte Ferdinand, der keine so auffallende Veredlung des Ganzen wahrgenommen hatte, dies Ergebniß Wunder nehmen,[133] so äußerte er doch nichts hierüber, vielmehr ergriff er diese Gelegenheit sogleich, um für seine Häuer eine Lohnaufbesserung zu beantragen.
»Na,« sagte der Gelbgießer; »ich werde die Sache dem Ausschuß vorlegen. Es ist schön von Ihm, daß Er Seiner armen Kameraden gedenkt und für sich nichts begehrt. Wenn der Vater Abraham so höflich bleibt wie jetzt, so glaub' ich, die Gewerkschaft wird sich billig finden lassen. Ich werde mich gewiß dafür verwenden. Aber jetzt muß ich Ihm was zeigen.« Er holte aus einem Wandschrank eine Erzstufe. »Woher glaubt Er wohl, daß diese Stufe ist?« fragte er.
Ferdinand nahm sie, wog und betrachtete sie genau. »Soll sie aus dem hiesigen Revier sein?« fragte er nach einer Weile. Der Gelbgießer bejahete, und der junge Metallurg begann seine Prüfung von Neuem. Endlich sagte er: »Die Gangart ist ganz die unsrige, und ich glaube nicht, daß im hiesigen Revier noch irgendwo Weißgiltigerz mit gediegenem Silber zugleich so in den Quarz einbricht, wie auf dem Vater Abraham. Ich kenne hier herum wohl jedes Gestein, wo man auf Silber baut, aber nirgends sonst hab' ich dergleichen gesehen, wie dieses ist.«
»Hm!« sagte der Gelbgießer, »ich dachte mir's auch – aber ich traute doch meinen Augen nicht ganz. Nun will ich Ihm auch sagen, wie ich zu der Stufe gekommen bin. Der Goldschmied Reichel hat seinen Lehrjungen mißhandelt, daß er ihm davongelaufen ist. Da er nicht wieder zu ihm und lieber Gelbgießer werden wollte, so bat mich sein Vater, es mit ihm zu versuchen. Nun, es scheint ein anstelliger Junge zu sein; deshalb brauchte ich ihn bei der neuen Einrichtung meines Stufen-Cabinets nach dem Breithaupt'schen System. Da sagte er, er hätte auch ein paar Stufen zu Hause, ob ich sie haben wolle. Nun, ich bin ein Liebhaber von dem Zeug und hieß ihn danach gehen. Da brachte er mir die schöne Silberstufe da, aber nur diese, die andere hatten seine Geschwister verschleppt. »Aber, Junge!« rief ich erstaunt, »wo hast Du die prächtige Stufe her?« Ganz unbefangen gab er zur Antwort, er habe sie beim Kartoffelabkeimen für seine Meisterin im Keller unter den Kartoffeln gefunden, und weil es gerade Weihnachten gewesen, wo bei seinen Eltern das Bergwerk für die Kinder aufgebaut worden, da habe er beide Stufen mit hingenommen und in das Bergwerk gethan. Was sagt Er dazu?«
»Ich weiß nicht, was ich denken soll,« sagte Ferdinand, »wie können die Stufen vom Vater Abraham in den Keller des Goldschmieds gekommen sein, der nicht einmal zu den Gewerken gehört?« Bei sich mußte er wohl an die Anspielung des alten Hutmanns auf ein Verbrechen des Steigers Meier denken; aber er wagte nicht, den Gedanken laut werden zu lassen.
Der Gelbgießer sah dem jungen Mann forschend ins Gesicht, doch nicht mißtrauisch, denn dieses Gesicht war ihm ein treuer Spiegel des fleckenlosesten Gemüthes. »Ich will Ihm was sagen, Steiger,« nahm Mickley endlich das Wort, »dem Goldschmied hab' ich nie getraut, er ist ein Wucherer, und wer einmal Wucher treibt, der ist auch zu andern Schlechtigkeiten fähig! Wer nur einmal in seinem Kartoffelkeller nachgraben könnte, der fände vielleicht noch mehr Erz vom Vater Abraham.«
»Wenn er es nicht bei guter Zeit fortgeschafft hat,« fiel Ferdinand ein. »Aber Sie haben Recht, wo die zwei Stufen gelegen, da können auch noch mehr gelegen haben. Nur ist es mir ein Räthsel, wie sie hingekommen.«
»Weiß Er noch, wie ich Ihn vor einem Vierteljahr fragte, wie hoch Er das gelieferte Erz schätze,[136] und wie wenig die Ausbeute Seiner Schätzung entsprach? Junger Freund,« fuhr er seine Hand fassend fort, »wir sind jetzt unter uns, und was wir reden, bleibt unter uns: ist Ihm denn noch nicht der übermäßige Aufwand unseres Schichtmeisters aufgefallen?«
»Seiner Frau, wollen Sie sagen,« versetzte Ferdinand, »denn der Schichtmeister selbst ist ein schlichter Mann, nur leider zu gut gegen seine Frau. Allerdings ist das für einen Schichtmeister eine sehr theure Ehehälfte.«
»Zumal jetzt,« fiel der Gelbgießer ein, »wo sie Schwiegermutter eines Barons wird. Es ist ja übertrieben, was die Frau zusammenkauft – borgt, wollt' ich sagen; aber später oder früher muß es doch einmal bezahlt werden. Wovon aber? he? etwa von dem da?« Er deutete auf die Stufe.
Ferdinand erschrak – »Herr Mickley!« rief er, – »Sie thun unserm Schichtmeister Unrecht.«
»Ich sage nicht, daß er schon auf solche Art gezahlt hat, aber es kann dazu kommen; Schulden und Schuld und Schuft – es ist nur ein Unterschied von wenig Buchstaben, gewöhnlich geht's vom ersten zum letzten.«
»Aber nicht Jeder, der Schulden hat, ist oder wird ein Schuft.«
»Das sag' ich ja nicht, ich habe selbst einen Schuldner, einen Poeten, der hier die Schule besuchte; ein strebsamer, offener Kopf, aber armer Teufel, der hinter dem Webstuhl verkommen wäre, hätte er keine Schulden machen wollen. Nun, er hat als Student und Poet mehr Schulden machen müssen, als ich zu bezahlen haben möchte; aber er ist darum doch eine grundehrliche Haut und wird's auch bleiben, denn bei allem hohen Geist hat er ein demüthiges Herz. Aber wo Schulden eine Frucht der Hoffart und des Uebermuthes sind, da hat der Teufel sein Spiel.«
»Für den Schichtmeister bin ich gut,« sagte Ferdinand warm, »und was die Frau betrifft, so hab' ich helle Augen, und wäre ich auch blind, so würde kein Häuer, kein Hundejunge ihr zu einem Unterschleif behülflich sein, drehte es sich auch nur um eine Bleiglanzstufe wie ein Daumenglied groß.«
»Nun, ich will Ihm glauben,« sagte der Gelbgießer, – »eine sonderbare Sache bleibt es mit der Stufe, – aber es läßt sich vor der Hand nichts damit machen. Ein Glück, daß wir jetzt einen tüchtigen Steiger haben, – der alte, – na, man soll die Todten ruhen lassen. – Seh' Er nur wacker[138] zum Rechten, – es wird Sein Schade nicht sein. Da fällt mir noch etwas ein. Neulich wurde im Ausschuß die Frage aufgeworfen, ob es nicht gut wäre, den alten Schacht wieder einmal zu untersuchen, es könnten die bösen Wetter wohl gewichen sein. Vor Jahren wurde schon einmal ein Gutachten darüber von unserm Schichtmeister verlangt. Der fand den Versuch nur unter der Bedingung möglich, daß wir einen neuen Stollen zur Wetterlosung vom Höllengrund aus treiben ließen. Das war und blieb uns ein zu kostspieliges Unternehmen. Jetzt wollen wir den Schichtmeister geradezu mit der Untersuchung beauftragen, weil wir glauben, bei gehöriger Vorsicht sei die Sache nicht nothwendig lebensgefährlich. Einen gemeinen Bergmann hinabzulassen, wie es vor Zeiten geschehen, das würde wenig nützen. Gesetzt aber, der Schichtmeister lehnte den Auftrag ab, was dem Vater einer so zahlreichen Familie Niemand verdenken könnte, hätte Er wohl den Muth, das Wagstück zu unternehmen?«
»Wenn mir's befohlen wird, – ja!« erklärte Ferdinand fest, »aus bloßem Vorwitz wär' es wohl strafbar, aber bei Erfüllung einer Pflicht giebt man[139] sich in Gottes Hand. Da muß ja jeder Bergmann täglich sein Leben wagen!«
»Er ist ein echtes Bergmannsblut!« rief der Gelbgießer. »Nun weiß Er was, ich hab' mir ein Plänchen erdacht. Wird der alte Schacht wieder gangbar, so müssen wir doch dort neue Bergleute anlegen und mehr als am neuen. Da reicht nun ein Schichtmeister mit einem Grubensteiger und Hutmann nicht aus, und wenn wir schon dem Frenzel die Leitung beider Gruben als Schichtmeister lassen, so brauchen wir doch noch ein paar Grubensteiger für den oberen Schacht und für beide Schächte einen tüchtigen Obersteiger. Und der wird Er und kein Anderer. Dann denk' ich, soll Er auch Sein Mädchen bekommen.«
Ferdinand drückte dem Redner freudig die Hand. »Wenn über mich befohlen wird,« sagte er, »so gehorche ich. Aber den Schichtmeister übergehen Sie nicht! Und wenn er das Wagstück auf sich nimmt, so wollen die Herren Gewerken hübsch an seine Familie denken.«
»Daran soll's nicht fehlen,« sagte Mickley und Ferdinand nahm Abschied.
Ferdinand hatte in der einzigen Buchhandlung des Ortes ein Buch über Naturlehre bestellt und[140] wollte sehen, ob es angekommen sei. Er mußte da an dem Hause des Goldschmieds vorbei und begegnete vor der Thür desselben dem Schichtmeister mit ganz verstörtem Gesicht. Er konnte sich nicht helfen, er trat mit einem Glückauf auf ihn zu und fragte, ob ihm etwas fehle. Der Gefragte starrte ihn an, – nach einer Weile sagte er: »Was soll mir fehlen? Ich suche meine Frau, – hat Er sie gesehen?«
Da Ferdinand verneinte, so ließ ihn der Schichtmeister stehen und eilte in die nächste Seitengasse. Ferdinand sah ihm bedenklich und beklommen nach. Schon seit längerer Zeit war ihm eine zunehmende Abmagerung und Verdüsterung des sonst so vollen und freundlichen Gesichtes seines Vorgesetzten aufgefallen, und er und Hedwig hatten darüber oft ihre Besorgnisse getauscht; aber so verstört war ihm dieses Gesicht nie erschienen. Mit trüben Gedanken ging er in den nahen Buchladen; hier eingetreten, fand er sich dem Obereinfahrer und – dem Doctor Meier gegenüber. Ferdinand bot dem Ersteren seinen bergmännischen Gruß und fragte dann nach seinem Buch. Es war nicht angekommen.
»Wollen Sie das Buch für sich?« fragte der Baron, und als Ferdinand bejahete, sagte er: »Dann[141] können Sie sich die Ausgabe ersparen; vielleicht ist das Buch noch gar nicht verschrieben, oder man macht die Bestellung rückgängig. Ich habe eine sehr gute Physik zum Selbstunterricht, – irre ich nicht, so sind Sie der neue Steiger auf dem Vater Abraham, den ich mit geprüft habe, kommen Sie mit zu mir, ich schenke Ihnen das Buch.«
Ferdinand war ganz überrascht von dieser Güte. Bis jetzt war der Herr nur immer an ihm vorübergegangen, ohne von ihm weiter Notiz zu nehmen, und nun kam er ihm auf einmal mit einem so freundlichen und werthvollen Geschenk entgegen. Hatte vielleicht Brunhild ihre Furcht vor der Mutter und ihre Schüchternheit vor dem vornehmen Bräutigam so weit überwunden, daß sie ihm von Hedwigs Liebe zu Ferdinand geplaudert? Während dieser hierüber nachsann, sagte der Obereinfahrer zu dem Doctor: »Es bleibt dabei, Robert: Du wohnst die wenigen Tage Deines Hierbleibens bei mir. Willst Du jetzt Deine Mutter begrüßen, was nicht mehr als billig ist, so geh' und komm' zurück, wann es Dir beliebt!« Dann ging er mit Ferdinand fort. Düster blickte diesem der Doctor nach und machte sich dann langsam ebenfalls auf den Weg.[142] Auf dem Markte begegnete er der Schichtmeisterin mit ihrer zweiten Tochter. »Ei! da ist ja der Herr Doctor wieder!« rief ihm die Frau entgegen. Nach gewechselter Begrüßung fragte sie: »Wie geht's auf Hallbach? Was machen die gnädigen Herrschaften?«
»O, die sind in dulci jubilo, weil ich den Papa gichtfrei aus Kissingen zurückgebracht habe. Sie senden die herzlichsten Grüße an die Braut ihres lieben Sohnes und ihr ganzes Haus, aber der gnädige Herr will nun auch die künftige Schwiegertochter sehen. Ich komme als außerordentlicher Botschafter, um sie mit ihrer Frau Mama und dem Bräutigam abzuholen!«
»O welche Ehre! die treffliche Herrschaft!« rief die Schichtmeisterin; »Klotilde, da gilt es, schnell etwas Garderobe in Stand zu setzen!« dann stellte sie noch manche Frage eitler Neugier, die der Doctor zur größten Befriedigung beantwortete. »Aber was hab' ich hören müssen?« sagte er darauf, – »der Mensch, – wie heißt er doch! – nun, der früher Ihr Schwiegersohn werden wollte, der ist ja Steiger auf dem Vater Abraham geworden!«
»Das erfahren Sie jetzt erst?« versetzte die Schichtmeisterin, »freilich ist er's geworden, so sehr[143] ich dagegen gekämpft, er hat sich die Gunst der Gewerke erschlichen und schon auf den Tod Ihres Vaters gelauert.«
»Das scheint mir selbst so,« sagte der Doctor, »und nun ist er Ihnen ein Stück näher gerückt; ich meine in Betreff seiner Heirathsabsichten.«
»Das mag er sich einbilden, aber daß er sich täuscht, dafür bin ich da!«
»Er scheint aber ein Fuchs zu sein, hat er doch auch schon den Baron für sich eingenommen. Der hat ihn jetzt freundlich zu sich eingeladen, um ihm ein Buch zu schenken. Wenn der Mensch da nur nicht von seiner Liebschaft plaudert!«
»Das wäre ja gräßlich! Was meinen Sie, da wäre der Baron wohl im Stande, die Verlobung rückgängig zu machen?«
»Das schon nicht,« erwiederte der Doctor lächelnd der erschrockenen Frau, »dazu liebt er die Brunhild zu innig; ja ich glaube, er könnte mit seinem guten Herzen wohl der Fürsprecher des Schleichers werden, aber auch dadurch sein eigenes Glück gefährden. Ich weiß, was es bedurft hat, den alten Herrn für die Verbindung mit einer so anständigen Familie, wie die Ihrige ist, zu gewinnen. Hätte ich nicht meine[144] eigene Angelegenheit vor ihm einstweilen in den Hintergrund treten lassen, so weiß ich nicht, ob Sie so bald Hochzeit halten würden, als es nun der Fall sein wird.«
»O, Sie guter, lieber Herr Doctor!« sagte die Frau, seinen Arm drückend, »wie dankbar müssen wir Ihnen sein! Aber verlassen Sie sich auch darauf, daß wir Ihren Empfehlungen keine Schande machen werden. Lassen Sie nur erst die Hochzeit vorbei sein, dann muß das Frauenzimmer zu fernen Verwandten. Jetzt bei dem Drasch, den wir haben, kann ich sie nicht entbehren.«
Leise flüsterte der Doctor ihr zu: »Lassen Sie das Mädchen lieber da, vielleicht findet sich ein Mittel, den Steiger unschädlich zu machen – wir sprechen weiter darüber – auf Wiedersehen!« Damit trennten sie sich.
Die Schichtmeisterin begab sich jetzt nach der Pension ihrer Kinder, wo sie ihrem Manne das Rendezvous gegeben, das sie aber um eine Stunde versäumt hatte. Er hatte, wie wir gesehen, sie inzwischen gesucht, war aber zuletzt wieder an den verabredeten Ort gegangen und traf, abermals zum Suchen ausgehend, sie unter der Thür.
»Endlich!« rief er, »Du bist aber doch auch gar zu sorglos, Frau!«
»Sorglos? Ich?« rief sie erstaunt. – »Nun bitt' ich einen Menschen, zu entscheiden, wer mehr sorgt und schafft in dieser Zeit wie ich!«
»Geh hinauf, Klotilde,« sagte der Schichtmeister, »ich muß mit Deiner Mutter noch einen Weg gehen.«
Klotilde gehorchte, und der Schichtmeister nahm den Arm seiner Frau, blieb aber in der Hausflur stehen und sagte: »Weißt Du auch, daß wir verloren sind? Morgen ist der Wechsel fällig, und die Post ist wieder angekommen, ohne eine Entscheidung Deiner Angelegenheit, geschweige gar Geld zu bringen!«
»Nun, der Goldschmied wird wohl prolongiren,« sagte sie.
»Nicht eine Stunde. – Ich war bei ihm, bat ihn, fiel ihm bald zu Füßen, – umsonst: er erklärte, er könne nicht anders, er habe in jüngster Zeit solche Ohrfeigen von unsicheren Schuldnern bekommen, daß er nicht mehr schonen könne. Wenn der Wechsel morgen nicht gedeckt wäre, müsse er nach Wechselrecht verfahren.«
»Um des Himmels willen!« rief die Frau, die Hände zusammenschlagend; »was wird da aus meinen[146] Kindern? was aus Brunhild? Dich setzen lassen, – Herr des Himmels! das wäre ja ein Schlag, der alle Hoffnungen vernichtete! Komm, Mann! ich will selbst mit zum Goldschmied gehen, – er muß noch warten, ich will ihm meine Erbschaft verpfänden, – komm!«
Sie gingen zu dem Wucherer. Er empfing sie mit triumphirender Miene und führte sie in sein Zimmer. »Ist vielleicht die Erbschaft angelangt?« sagte er, »das wäre mir höchst erwünscht.«
Die Schichtmeisterin berichtigte seinen vermeintlichen Irrthum und brachte ihren Vorschlag an.
»Es thut mir leid, verehrte Frau,« entgegnete der Goldschmied, »darauf kann ich mich nicht einlassen. Ich bin schon zu sehr geprellt worden, – verzeihen Sie, – aber in Geldsachen keine Freundschaft! – bis morgen Abend um fünf hab' ich mein Geld, oder der Herr Schichtmeister sitzt im Stockhaus. Ich kann's nicht ändern.«
»Aber Mann! Sie werden doch kein solcher Tyrann sein?« rief die Schichtmeisterin. – »Sie werden uns doch nicht unglücklich machen wollen? Denken Sie doch an meine Kinder, meine armen, unschuldigen Kinder, – meine Brunhild, die dieser Schlag auf der Stelle tödtete!«
»Die Kinder, – hm, – die Kinder,« sagte der Wucherer im Tone des Mitleidens, – »um ihretwillen könnte man schon ein Uebriges thun.« –
»O Sie Guter!« rief die Frau, dem Manne fast um den Hals fallend, und der Schichtmeister sagte: »Ja, Herr Reichel, um meiner Kinder willen lassen Sie Billigkeit walten. – Nur noch kurze Zeit Geduld, und Sie sollen mit gutem Zins bezahlt werden.«
»Die Zeiten sind schlecht, sehr schlecht,« sagte der Wucherer, eine Thräne im Auge, – »aber Ihre Fräulein Tochter ist ein herrliches Geschöpf, – ja, die Natur hat sie sichtlich zu etwas Hohem bestimmt; es wäre jammerschade, wenn sie an der Schwelle ihres Glückes ins tiefste Elend geschleudert würde.« –
Die Schichtmeisterin schluchzte laut auf, dem Schichtmeister blutete das Herz.
»Ich will Ihnen etwas sagen,« fuhr der Goldschmied fort, »borgen kann ich nicht länger, aber aus Erbarmen mit Ihrer lieben Fräulein Tochter will ich – könnte ich – nun, man ist auch ein Mensch – ich könnte – für Sie freilich ist es ein Leichtes, ich riskire doppelt und dreifach dabei, aber was thut man nicht aus christlicher Liebe! –[148] ich könnte mich allenfalls zur Annahme von Waare an Zahlungsstatt verstehen.«
»Waare?« rief die Frau; »was für Waare sollen wir Ihnen denn bringen? Ich habe unbeschränkten Credit bei den Schnitt- und Modehändlern.«
»Sie verstehen mich nicht,« sagte der Goldschmied lächelnd, »ich kann doch keinen Schnittladen etabliren! Ich meine: der Herr Schichtmeister soll mir von seiner Waare liefern.«
»Von meiner Waare?« rief der Schichtmeister zusammenfahrend, »was hab' ich denn für Waare?«
»Ich glaube, die Frau Schichtmeisterin versteht mich nun, ich kann mich nur auf Waare einlassen, die in mein Fach schlägt, denken Sie, ich wäre der Schuster und Sie der Gerber, liefern Sie dem Schuster Leder!«
Der Schichtmeister sah starr zur Erde. Der Wucherer wechselte mit der Frau einen Blick der Verständigung.
»Ich sehe, Sie sind unentschlossen,« sagte er dann zu dem Schichtmeister, »und Unentschlossenheit steckt an, ich finde doch, es sei gut, daß ich mir die Sache selbst erst noch überlege. Was Ihnen[149] bedenklich scheint, muß es mir doppelt sein. Gut! ich will aus warmem Antheil an Ihrem Familienglück den Wechsel um acht Tage prolongiren, bis dahin wollen wir uns den Handel überlegen, aber ich schwöre, daß ich länger keinen Augenblick warten kann.«
Wie Verhungernde ein Brodkrümchen, ergriffen die beiden Gatten die dargebotene Frist. Sie schmeichelten sich mit der Hoffnung, daß inzwischen der Erbschaftsstreit sich entscheiden und sie in den Besitz der nöthigen Zahlungsmittel bringen müsse. So gingen sie heim.
Der Schichtmeister und seine Frau sollten sich sehr bald enttäuscht sehen. Am folgenden Morgen brachte der Postbote ein Schreiben von ihrem Sachwalter aus der Kreisstadt, dem das appellationsgerichtliche Erkenntniß in ihrer Sache beilag, und dieses Erkenntniß sprach der Gegenpartei die Erbschaft ungetheilt zu. Das war ein fürchterlicher Schlag. Zwar vertröstete der Sachwalter auf das drittinstanzliche Urtheil, welches gewiß das erste Erkenntniß wieder herstellen würde, – aber welche weit hinausgeschobene Aussicht war das, wie nutzlos für die Gefahr, in der man schwebte!
Brunhild, welcher aus den aufgeregten und verstörten Mienen ihrer Eltern eine Ahnung von dem Inhalte der Hiobspost aufging, nahm die Mutter auf die Seite und erbot sich, all' ihren[151] Schmuck, selbst den bezahlten, zurückzugeben; die Mutter und Schwester sollten das Gleiche thun, um den Goldschmied zu befriedigen.
»Wo denkst Du hin, Kind?!« rief die Frau; »in einigen Tagen sollen wir zu Deinem Schwiegervater reisen, sollen uns dem freiherrlichen Hause präsentiren! Wie können wir so ärmlich auftreten, nachdem uns die gnädige Frau so geschmückt gesehen! Da müßte sie ja denken, wir hätten die Sachen blos geborgt gehabt. Nein, das geht nicht! Nur nicht ängstlich, meine Tochter! Es wird sich Alles machen. Der Goldschmied wird befriedigt, kümmere Dich um nichts!« Und sie ging zu ihrem Gatten, der bei ihrem Eintritte schnell ein paar Terzerole im Pulte verbarg. Sie bat ihn, mit in den Wald zu gehen, und er folgte ihr.
»Noth kennt kein Gebot!« begann sie unter den Bäumen, nachdem sie sich sorgfältig umgesehen. »Wir müssen uns in das Unvermeidliche schicken; – einmal ist nicht immer, – und den kargen Gewerken, die ihrem Schichtmeister längst hätten eine Gehaltzulage geben können, da der Vater Abraham so höflich geworden, geschieht nur Recht, wenn wir uns selber helfen.«
»Weib!« rief der Schichtmeister, – »wo denkst Du hin? Es hieße ja ewige Schande über uns Alle bringen, wenn ich solche Untreue verübte. Nein, lieber geh' ich ins Gefängniß, oder –«
»Und zerstörst das Glück Deiner Tochter, ja aller Deiner Kinder! Ich fürchte nicht, daß Du solch ein Rabenvater sein wirst. Brunhilds schönes Herz bräche auf der Stelle, zerrisse ihr Bund mit Alexis, – denn die Tochter eines Schuldgefangenen kann nicht mehr hoffen, Baronin von Brunn genannt zu werden.«
»O Gott! mein Gott! welche Qual!« klagte der Mann; »ich sehe keine Möglichkeit der Rettung. Ich bin gestern bei Pontius und Pilatus gewesen, um Geld zu erborgen, – verlorne Mühe! Alles zog sich hinter Ausflüchte zurück. Es steht schrecklich, schrecklich mit uns!«
»Nicht so schrecklich, als es Dir die Muthlosigkeit vorspiegelt,« versetzte die Frau, »Du wärest nicht der Erste, der sich auf die Art rettete, wie ich meine – ein paar Centner Erz sind bald auf die Seite geschafft.«
»Aber, Weib! wenn es herauskäme.«
»Ja, dafür muß man sorgen, daß es nicht herauskommt.«
»Wie wäre das möglich? Ja, wenn der alte gute Steiger Meier – –« er konnte nicht vollenden; ihm fiel die Warnung seines Vaters ein, und ein Schauer durchrieselte ihn.
»Du meinst, wenn der noch lebte, ließe sich eher etwas wagen, als unter den Späheraugen des neuen Steigers? Wolltest Du nicht so sagen?«
Der Schichtmeister seufzte tief auf. – »Bertha! brechen wir ab von dem Capitel!«
»Nein, Schatz! wir müssen ins Reine kommen, was geschehen soll. Geschehen muß etwas; wir sind es unsern Kindern schuldig, daß wir handeln. Es ist mein einziger Stolz, meine Kinder zu Glück und Ehre zu bringen. Es sind Deine Kinder, Fritz! die liebsten, schönsten Kinder der Gegend. Sie dürfen nicht in Dunkelheit und Elend verkommen! Auf, Mann! Vater!«
»Aber der Steiger – der Ferdinand – er hat seine Augen überall.«
»Der Spion! – Aber halt! – ich entsinne mich – wart' einmal, Mann! ich denke, wir werden den Aufpasser los.«
»Wie so?«
»Nun, laß mich nur machen! Ein Freund hat mir gestern etwas zugeflüstert. Ich gehe diesen[154] Nachmittag wieder in die Stadt, um das Nähere zu erforschen.«
»Vater! Mutter!« rief jetzt eine Stimme vom Huthause her. Es war Brunhilds Stimme. Die Gatten folgten dem Rufe und trafen vor dem Hause den Zubußboten, der den Schichtmeister einlud, den Nachmittag um 4 Uhr in der Wohnung des Gelbgießers Mickley zu einer Berathung des Gewerkeausschusses sich einzufinden.
»Das paßt prächtig, da können wir zusammen gehen!« rief die Schichtmeisterin. – Und so geschah es.
Dem Schichtmeister wurde vom Ausschusse der Beschluß mitgetheilt, es solle ein Versuch gemacht werden, den alten Vater Abraham wieder zu befahren, und man wolle ihm diesen Versuch unter Zusicherung einer Gratification von 100 Thlrn. von der nächsten Quartalausbeute übertragen. Der Schichtmeister war überrascht, sich zu einem Wagstück erlesen zu sehen, das er früher widerrathen – und doch erschien es ihm wie ein vom Himmel selbst ihm gewiesener Ausweg aus den Verstrickungen der Schuld. »Lieber ehrenvoll im Berufe sterben, als der Schande verfallen!« dachte er, – »und wenn ich als ein Opfer meiner Pflicht sterbe, wird meiner[155] Familie der Antheil aller Guten – dann ist auch das Glück meiner Brunhild gewahrt!« Laut und fest erklärte er seine Bereitwilligkeit, den Auftrag auszuführen.
Der Ausschuß war theils verwundert, theils erfreut hierüber. Man rühmte den mannhaften Sinn, der noch immer unter dem Bergstande nicht erstorben wäre; doch unterließ man auch nicht, ihn auf die Gefahr aufmerksam zu machen, der er entgegenging, man erinnerte ihn an seine zahlreiche Familie und wie es ihm Niemand verargen werde, wenn er um der Seinen willen einem Jüngeren, Familienlosen, vielleicht dem Steiger Bergner, das gefahrvolle Unternehmen überließe. Aber er blieb bei seiner Erklärung und verließ am Ende mit leichterem Herzen als er gekommen, die Versammlung.
Der Schichtmeister fand seine Frau bei Klotilden. Sie war nicht so heiter gestimmt wie er, denn sie hatte den Doctor nicht daheim getroffen. Dieser hatte einen Ausflug gemacht, von dem er erst den dritten Tag zurückkehren würde. Der Schichtmeister theilte ihr, nachdem Klotilde entfernt worden, das auf seiner Seite Geschehene mit.
»Gott im Himmel!« rief die Frau entsetzt aus, »und darüber kannst Du froh sein Mann? Siehst[156] Du denn nicht ein, daß das nur eine Falle ist, die sie Dir legen? Sie wollen Dich los sein und ihren Liebling, den Schleicher Ferdinand, an Deine Stelle bringen! Es ist eine Verschwörung gegen Dein Leben, – begreifst Du das nicht?«
»Du bist entsetzlich, Bertha! Die Herren haben mich wohl auf die Gefahr aufmerksam gemacht und wollten mir es gar nicht verargen, wenn ich eben dem Ferdinand das Wagstück überließe. Aber das duldet einmal meine bergmännische Ehre nicht, und dann ist es für mich der einzige Weg, mit Ehren aus dieser verzweifelten Lage zu kommen.«
»Nein! nein!« rief sie, ihm um den Hals fallend. »Ich lasse Dich nicht, Du darfst Dich nicht opfern, darfst Deine Kinder nicht zu Waisen machen!« Plötzlich durchzuckte sie ein Gedanke, – sie fuhr in die Höhe, ihre Augen funkelten, ihre Nasenflügel dehnten sich weit. »Ich hab's! ich hab's!« rief sie, »weißt Du was? Du versprichst dem Ferdinand die Hand der Hedwig, – und er stiege in die Hölle! Du mußt mir und Deinen Kindern bleiben, – der Ferdinand wird vor Wonne tanzen, wenn ihm plötzlich die Hand seines Herzblattes geboten wird. Kostet ihm das Wagstück das Leben,[157] nun so stirbt ein lediger Mensch und er stirbt im Rausche des Glückes; kommt er davon, nun, so muß die Verlobung so lange geheim bleiben, bis Brunhild Baronin von Brunn ist!«
»Aber was wird dann aus mir? Wie entrinn' ich den Klauen des Wucherers?«
»Folge nur jetzt dem Fingerzeig des Himmels! das Uebrige findet sich.« Bei sich dachte sie: ist nur erst der Aufpasser vom Wetter erschlagen, so haben wir freies Spiel auf dem Vater Abraham; es fällt mir nicht ein, den gemeinen Menschen in die Familie aufzunehmen. Es ward ihr nicht leicht, den Gatten von seinem gefaßten Entschlusse abzubringen; aber endlich siegte der Gedanke, seiner halbverwaisten und arg zurückgesetzten ältesten Tochter sich endlich einmal väterlich gerecht erweisen zu können, über seine Bedenken; und er überließ sich wieder ganz dem Einflusse seiner Frau.
Ferdinand hatte sich inzwischen mit dem ganzen Feuer seines wißbegierigen Geistes über das Werk gemacht, das ihm von dem Obereinfahrer geschenkt worden war. Es war Müller-Pouillet's großes physikalisches Werk, für den armen Steiger ein außerordentlicher Schatz. Der Zufall hatte gewollt,[158] daß ihm im ersten Durchblättern des Werkes die Beschreibung der von Humphry Davy erfundenen Sicherheitslampe in die Augen gefallen war, und in der Erinnerung an das letzte Gespräch mit Mickley ergriff er sogleich den Gedanken, eine solche Lampe nach Anleitung des Buches zu construiren. Er eilte in die Stadt und kaufte sich den dazu erforderlichen feinen Draht. Mochte nun der Schichtmeister selbst den Auftrag der Gewerken übernehmen oder ihm die Ausführung überlassen, jedenfalls sollte die Sicherheitslampe dabei ihre Dienste leisten.
Es war kurz vor dem Schichtwechsel, wo er, schon wieder aus der Stadt zurückgekehrt, mit Hedwig und ihrem Großvater auf der Hausbank saß und Beiden seine schöne Entdeckung mittheilte, als Hedwigs Eltern heimkehrten. Der Schichtmeister forderte ihn sogleich auf, mit ins Zimmer zu kommen, und fragte ihn hier, ob er Hedwigs Hand unter der Bedingung annehme, daß er sich der Versuchsfahrt in den alten Schacht unterziehe. Dem jungen Manne war, als thäte sich plötzlich der Himmel vor ihm auf. »Und wenn zehntausend Kobolde darin hausten, ich führe hinein!« rief er trunken vor Entzücken, – »aber ich nehme Sie beim Wort.«
»Hier meine Hand!« sagte der Schichtmeister. »Bertha, gieb ihm die Deine auch zur Bekräftigung, daß er unser Schwiegersohn werden soll, wenn –«
»Lassen Sie mich Hedwig mit dem Großvater holen und verloben Sie uns ordentlich,« bat Ferdinand und eilte hinaus. Thränen rollten über seine Wangen, als er zu den Beiden trat und sie, keines Wortes mächtig, auf- und mit in die Stube zog. Als Hedwig hier ihr Glück erfuhr, sank sie entzückt erst dem Vater, dann der Mutter an die Brust, dann in die Arme ihres Trauten. Das Verlöbniß ward unter der Bedingung vorläufiger Geheimhaltung geschlossen. Als Hedwig hinterher erfuhr, um welchen Preis ihr Glück erkauft worden, erschrak sie freilich; aber Ferdinand tröstete sie mit seiner Sicherheitslampe.
Die Versuchsfahrt wurde auf übermorgen festgesetzt. Bis dahin wollte der Schichtmeister alle nöthigen Vorbereitungen dazu treffen. Der Hutmann, welcher seine Schwiegertochter halb durchschaute, sorgte dafür, daß sie ihr Wort später nicht zurücknehmen konnte; obgleich das Schreiben bei ihm schwer ging, so ließ er sich's doch nicht verdrießen, sogleich ein Anerkenntniß des geschlossenen[160] Verlöbnisses aufzusetzen und es von beiden Eltern unterschreiben zu lassen. Er sorgte auch dafür, daß die Zurüstungen zur Befahrung des alten Schachtes streng nach der Regel getroffen wurden. Haspel, Seil, Signalschnur und Glocke, Fahrstuhl, – Alles untersuchte er genau und ließ es wohl befestigen. Die zuverlässigsten Häuer wurden zur Dienstleistung bei dem Unternehmen ausgewählt.
Dieses selbst fand statt in Gegenwart des Ausschusses und einer bergamtlichen Commission, zu welcher der Obereinfahrer gehörte. Freudig, in seinem besten Grubenkleide, seine Sicherheitslampe in der Blende und mit Schlägel und Eisen bewaffnet, ging Ferdinand ans Werk. Der Kuß der Liebe hatte ihn dazu geweiht, ihm schien es gefeit. Den Zeugen war nicht wohl zu Muthe, als Ferdinand in den Stuhl stieg und die Haspeldreher an ihre Kurbeln griffen. »Es gilt zwölf Schichten für einen Jeden von Euch!« rief ihnen der Gelbgießer zu. Es hätte dieses Versprechens nicht bedurft, denn die beiden Knappen hätten für ihren Steiger das Leben gelassen. Der Stuhl wurde über die Mündung gehoben und nun schwebte der kühne Schachtergründer frei über der grauenvollen Tiefe. Die Zuschauer[161] erbleichten. – »Los!« rief Ferdinand, und der Haspel begann zu arbeiten. »Glückauf!« rief der Verschwindende, und das Tageslicht schloß sich über ihm. Athemlos stand Alles umher, nur das Schnurren des Seiles unterbrach die Stille. »Wißt Ihr was?« brach endlich der Gelbgießer das Schweigen gegen seine Ausschußgenossen, »ist Alles, wie wir hoffen, so wollen wir ein paar Hundert Thaler nicht ansehen, es ist bei Gott ein Stück Arbeit, an das Keiner von uns um manches Tausend gehen möchte! Wir wollen dem braven Manne ein Geschenk von 300 Thalern aussetzen und dem Schichtmeister die schon bewilligten 100 Thaler zur Ausstattung seiner ältesten Tochter lassen. Ich verlege die Summe und ziehe sie nach und nach von der Ausbeute ab.« Es war der rechte Moment, Alle zu einer solchen Verwilligung geneigt zu finden; Angesichts der grausen Gefahr hatte Keiner den Muth, sie zu verweigern. »Abgemacht also!« sagte Mickley, und ihm war, als könnte er das Weitere nun leichtern Herzens abwarten. Die ganze Verhandlung aber war von dem Schichtmeister vernommen worden, und er hätte sich in den Schacht stürzen mögen, daß er sich um den reichen Lohn gebracht, der ihn aus aller Bedrängniß retten konnte.
Langsam wand sich das Seil von seiner Walze; die Augen der Anwesenden waren bald auf diese, bald auf das Glöcklein gerichtet, welches mit der Signalschnur verbunden war, die sich von einer am Fahrstuhl angebrachten Rolle selbst abwickelte. Verabredeterweise sollte auf dreimaliges Läuten der Glocke hinter einander das Seil sogleich aufgewunden werden. Auf blos zweimaliges Läuten sollte man den Haspel nur in Ruhe stellen. Ring nach Ring verschwand von dem Haspel, das Glöcklein blieb unbewegt. Erst als das Seil bis auf wenige Ringe abgelaufen war, bewegte sich plötzlich die Schnur; Alles blickte auf die Glocke und lauschte, – einmal – zweimal; – »in die Ruhe!« commandirte der Schichtmeister mit dem Hutmann zugleich. »Er hat gleich die tiefste Strecke genommen,« sagte der Obereinfahrer, »und nun schütze ihn Gott vor schlagendem Wetter!«
Der Hutmann nahm seine Kappe ab und faltete die Hände; die Andern folgten seinem Beispiel, die ganze Versammlung war eine stille, betende Gemeinde. Aber Niemand von ihr hatte eine Ahnung von der einsamen Beterin, die draußen an einer Ecke der Halde hinter einem Fichtengebüsch knieete.[163] Es war Hedwig, die nicht im Huthause hatte bleiben können, sondern von dem stürmisch bewegten Herzen in die Nähe des Ortes getrieben worden war, wo sich für sie Leben oder Tod entschied.
Es war das Leben, das der Ewige Hedwig beschieden hatte. Nach Verlauf einer furchtbaren Stunde ertönte die Glocke von Neuem, und dies Mal in drei Pulsen. Hedwig kannte das Zeichen; hochauf jubelte ihr Herz; ein Ausruf des heißesten Dankes zum Himmel empor, und auf sprang sie, keine falsche Scheu hielt sie zurück, sie mußte dabei sein, wenn der Geliebte das Tageslicht wieder begrüßte, ihr Glückauf durfte nicht fehlen, wenn die, die ihn nicht liebten wie sie, ihm das ihrige entgegenriefen. Und da stand sie nun unter der Thür der Kaue zur Seite des Gelbgießers, und der sah zum ersten Male das holde Geschöpf, das der höchste Preis für die That seines jungen Freundes sein sollte. Der ehrliche Bürger ahnte gleich, daß diese und keine Andere die Erwählte sei, und er nahm ihre Hand und flüsterte: »Der Herr hilft, – ich wünsche Glück zum Brautstand!« Lauter schnurrte das Seil, rüstiger drehten die Haspler, da halt! was war das? ein Angstschrei entrang sich Hedwigs[164] Herzen, die Glocke klang, – aber nein; nur ein Zufall bewegte die Schnur und vorwärts geht das Drehen, – bald erglänzt der schwarze Schlund in einem goldenen Dämmer, – noch ein paar Windungen, da taucht der Schachthut, der Kopf empor. »Glückauf!« ruft hell und stark der glückliche Teufenfahrer; – »Glückauf! Glückauf!« rufen alle Männer, daß die alte Kaue erzittert und der Wald erdröhnt, – aber wo bleibt denn Dein Glückauf, Du süße, liebeglühende Maid? Ach! Deine Seligkeit ist viel zu groß, als daß sie laut werden dürfte vor den Menschen, und ohne zu wissen, wie es geschieht, sinkst Du an die Brust dessen, den Gott Dir neu und nun wohl auf immer geschenkt. Vergessen ist das Versprechen des Geheimnisses, rein vergessen; der Augenblick ist zu groß für kleinliche Rücksichten, und wenn Könige und Kaiser zugegen wären und der Großmogul Euer künftiger Schwager, Ihr müßt Euch umarmen und vor Gott und der Welt bekennen, daß Euch eine Liebe eint, die stärker ist als der Tod. – Erst dann mögen die Herren der Commission und des Ausschusses den Bericht vernehmen. Der Bericht war kurz, aber wenn auch etwas grauenhaft, doch in bergmännischer Hinsicht[165] befriedigend. Ferdinand hatte die Leichen der einst in der Grube Erschlagenen gefunden, aber auch den alten Gang; und eine Stufe, die er abgeschlagen, erwies sich als reichhaltiges Silbererz, das den neuen Angriff des alten Baues wohl verlohnte.
»Das ist Alles gut,« sagte der Obereinfahrer, der Ferdinands Geheimniß von der Sicherheitslampe kannte; »aber wir sind noch nicht versichert wegen der schlagenden Wetter.«
»Doch,« erklärte Ferdinand; »auch das hab' ich nicht ungeprüft gelassen. Ich hatte mich mit Wachszündern versehen, die ich bei der Einfahrt von Zeit zu Zeit anzündete und fallen ließ; an ihrem schönen Fortbrennen überzeugte ich mich, daß der Schacht weder schlagende noch erstickende Wetter hatte, und unten in der söhligen Strecke zog ich einen langen Schwefelfaden viele Lachter weit hinter, den zündete ich vorn an und ließ das Feuer hinter laufen; nicht ein Lüftchen rührte sich. Wahrscheinlich sind in der langen Zeit, daß Niemand unten gewesen, die freien Spalten, durch welche die Wetter früher eindrangen, verwachsen; denn auch die Erdrinde, die man für starr und todt hält, ist ja fortwährenden Veränderungen unterworfen.«
»Bravo!« sagte der Obereinfahrer; »so gratulire ich den Herren Gewerken vom Vater Abraham und empfehle diesen wackern, einsichtsvollen Steiger ihrer Gunst. Ich hoffe, wir werden uns von nun an öfter sehen, mein lieber Freund und – Schwager! Denn daß Sie das werden wollen, hab' ich so eben gesehen!« Damit reichte er dem glücklichen Ferdinand die Hand.
»Da siehst Du, was Deine Stiefmutter für eine Gans ist,« murmelte der Hutmann Hedwig zu, »der Herr Obereinfahrer freut sich, einen solchen Schwager zu haben.«
Das Mädchen drückte ihm in namenloser Seligkeit die Hand. Die Versammlung bewegte sich nun langsam dem Huthause zu.
Hier war inzwischen der Doctor Meier angekommen und befand sich mit der Hausfrau allein in eifrigem Gespräch, als eines der jüngeren Mädchen hereinsprang und rief: »Mutter! Mutter! sie kommen!« Die Frau eilte ans Fenster. Ein Blick hinaus machte sie erbleichen. »Er lebt, – er ist dabei!« rief sie, »und an seiner Seite die Dirne – und der Baron, – ich kriege den Tod!«
»Nur ruhig, meine Beste!« sagte der Doctor, »wenn Ihre Mine nicht wirkt, so wirkt die meinige. Verlassen Sie sich auf mich und treten Sie der Gesellschaft heiter entgegen!«
Gleich darauf trat die Gesellschaft ein.
Der Doctor hielt sich nur noch wenige Augenblicke im Huthause auf. Er eilte nach Pobersdorf zu seinem Vetter, dem er sich früher eben so sehr entfremdet hatte wie seinem Schulkameraden Ferdinand, dem er aber wieder näher getreten war, als er glaubte, ihn brauchen zu können.
»Ich glaube, Du hast es jetzt in der Hand, Steiger auf dem Vater Abraham zu werden,« so eröffnete er jetzt seine Verhandlung mit ihm.
»Wie so?« fragte der Bergmann stutzig.
»Ich habe in der Stadt von Erzpartirerei gehört, die auf dem Vater Abraham getrieben werden soll. Du weißt, der Obereinfahrer ist mein Freund; der hat schon lange auf den Grund des Gerüchtes gespürt, aber umsonst. Durch einen Zufall glaub' ich dem Erzdiebe auf die Spur gekommen zu sein;[169] aber da ich nicht gut selbst die Spur verfolgen konnte, so schwieg ich gegen meinen Freund davon. Täuscht mich die Spur nicht, so ist kein Anderer der Dieb als der – wie heißt er doch! – nun, der Dir die Steigerstelle vor der Nase weggeschnappt hat.«
»Ach, Du meinst den Bergner Ferd–,« sagte der Vetter, »bist ja mit ihm in die Schule gegangen, – der sollte Erz gestohlen haben? – Ja, – meiner Treu! jetzt geht mir ein Licht auf: Der »Boß!« hat 100 Thlr. in der Sparkasse und einen ganzen Schrank voll Bücher, so viel Geld hat ein Häuer nicht übrig, und wenn andere Bergleut' ihre freie Zeit zu Nebenverdienst verwendet haben, ist er daheim gesessen und hat gezeichnet, geschrieben, gerechnet und in Büchern gelesen; da hat er gut gescheidter werden können als Andere, aber er hat auch weniger verdient dabei und doch 100 Thaler gespart, – das geht nicht mit rechten Dingen zu.«
»Nun, ich denke, ich habe seine Geldquelle entdeckt,« sagte der Doctor, »aber ich müßte aus dem Spiele bleiben.«
»Wenn ich Etwas finde, brauch' ich's nur meinem Schwager, dem Bergamtsboten zu stecken, der wird's schon vor die rechte Schmiede bringen.«
»Ganz recht so! mach' Deine Sache, ich werde bei meinem Obereinfahrer das Meinige für Dich thun.« Hiermit schied er.
Die Gesellschaft hatte sich vom Huthause verloren. Ferdinand war angefahren, und Hedwig waltete in der Küche. Da trat ihre Schwester Brunhild zu ihr. »Du hast recht viel Drasch um meinetwillen,« sagte sie in ihrer gewohnten, nur etwas schüchternen Freundlichkeit.
»Arbeiten ist mir ja eine Lust,« erwiederte Hedwig. »Ich wollte, ich könnte wirklich etwas für Dich thun; Du warst immer so gut mit mir, wenn Du's auch vor Deiner Mutter nicht so merken lassen durftest; ich hätte gern an Deiner Garderobe mitgeholfen, aber da läßt mich die Mutter nicht an, weil sie meint, ich hätte keinen Geschmack.«
»Ach, die Mutter quält sich und Andere mit ihrem Geschmacksfanatismus,« sagte Brunhild; »ich will froh sein, wenn ich erst bei meinem Alexis bin, dann hat doch diese peinliche Mutterfürsorge ein Ende. Sag', hast Du den Vater beobachtet?«
»In den Augenblicken, wo ich mit ihm zusammenkomme, wohl,« sagte Hedwig, »Du bist mehr um ihn, kommt er Dir denn auch so verstört vor wie mir?«
»Das wollt' ich von Dir wissen, – o Gott! mir liegt eine fürchterliche Last auf dem Herzen. Ich habe schon gebetet; es wird nicht anders. Seit die Gesellschaft fort ist, kommt mir der Vater ganz verzweifelt vor; er hat sich mit der Mutter gezankt und jetzt auf seine Schreibstube eingeschlossen. Mit der Mutter läßt sich auch seit gestern kein vernünftiges Wort mehr reden; sie ist so leidenschaftlich, und manchmal erschreckt sie mich fast durch ihren Blick. Ich habe sie noch nie so gesehen! Höre Du mich, Hedwig, Du bist gut und klug, glaube mir, ich nehme den herzlichsten Antheil an Deinem Glücke, wenn ich mir es auch vor der Mutter nicht so merken lasse.«
Hedwig zog sie an sich und küßte sie.
»Was ich Dir sagen wollte,« fuhr Brunhild fort, »mir ahnt ein Unheil, – und ich bin eigentlich die Hauptursache davon. Meinetwegen haben sich die Eltern in Schulden gestürzt. Freilich hab' ich gegen den übertriebenen Aufwand geredet, aber die Mutter ließ sich nicht weisen, es wurde gekauft und geborgt auf die Erbschaft los, und darauf hin hat sich der Vater auch verleiten lassen, dem Goldschmied einen Wechsel von vierhundert Thalern auszustellen,[172] der in diesen Tagen fällig ist. So viel ich wegbekommen habe, ist der Erbschaftsproceß verloren, und nun soll der Vater den Wechsel decken und kann es nicht.«
»Und was droht ihm da?« fragte Hedwig bebend.
»Gefängniß, der Gläubiger kann ihn so lange setzen lassen, bis er zahlt.«
»Barmherziger Gott!« rief Hedwig, »aber so weit wird's doch der Goldschmied nicht treiben?«
»Du kennst den Mann nicht,« sagte Brunhild, »das ist ein Shylock; o, der Vater ist in fürchterliche Hände gerathen und um meinetwillen!«
Beide Mädchen mußten weinen. Nach einiger Zeit sagte Hedwig: »Aber unser Klagen nützt nichts, wir müssen auf Mittel denken, dem Vater zu helfen.«
»Ich habe mir schon den Kopf zerbrochen,« sagte Brunhild, »aber ich sehe keinen Ausweg. Ich war heimlich in der Stadt und wollte dem Goldschmied meinen ganzen Schmuck geben; er nahm ihn nicht, in fünf Tagen wolle er den Wechsel baar gedeckt sehen, sagte er.«
»Halt! ich hab's!« rief Hedwig, »der Gewerkenausschuß hat meinem Ferdinand 300 Thaler Belohnung für die Befahrung des alten Schachtes zugesichert,[173] 100 Thaler hat er in der Sparcasse, das sind 400 Thaler, die muß er dem Vater leihen!«
»Wird er das wohl thun?«
»So gewiß, als es Dein Baron thun würde, wenn Du ihn darum bätest. Aber bei Euch vornehmen Leuten liegt ewig noch eine Scheidewand zwischen den Seelen, wenn Ihr Euch auch noch so sehr liebt!«
»Ich hätte wahrlich nicht den Muth, an meinen Alexis solch eine Bitte zu richten.«
»Das kommt von der Unnatur her, in die Du hineingezwängt worden bist; es ist ein Wunder, daß Du noch so gut und lieb geblieben. Ich hoffe, wenn Du erst ganz bei Deinem Alexis sein wirst, wird die gesunde Natur bei Dir wieder zu ihrem vollen Rechte kommen. Gräme Dich also nicht mehr um den Vater, fünf Tage noch hat es Zeit mit dem Wechsel, da ist er gedeckt.«
Brunhild umschlang die edle Schwester und ergoß zum ersten Mal ihr ganzes volles Herz vor einer verwandten Frauenseele. Gleich darauf erschien der Baron und brachte die Nachricht, eine Tante von ihm sei angekommen, wolle aber noch heute nach Schloß Scharfenstein, wohin sie geladen[174] worden. Und da er selbst seine Braut dort noch vorzustellen habe, so wolle er mit ihr die Tante begleiten. Die Schichtmeisterin fand es von selbst verständlich, daß Brunhild von der Partie war, und diese glaubte jetzt ohne Angst um den Vater, sich auf ein paar Tage entfernen zu dürfen.
Als Ferdinand ausfuhr, gab Hedwig ihm eine Strecke weit das Geleit und theilte ihm die Bedrängniß ihres Vaters mit. Er war mit Freude zur Hülfe bereit. »Morgen wird mir wahrscheinlich das Geld für die Fahrt ausgezahlt,« sagte er, »wenn nicht, so gehe ich übermorgen früh in die Stadt und dem Mickley nicht vom Halse, bis ich das Geld habe. Dann ist die Sache abgemacht. Aber sag' Deinem Vater nichts davon, Du weißt, ich liebe es nicht, über solche Dinge viel Geräusch zu machen. Uebermorgen bringe ich Dir den quittirten Wechsel.«
Dabei blieb es. Als Hedwig bei ihrer Rückkehr dem Vater unter der Hausthür begegnete, flüsterte sie ihm zu: »Hoffe und vertraue, es ist Hülfe nah!«
Er sah ihr forschend in das mondbeglänzte Gesicht. Ihr Auge schwamm in Thränen, aber ihren[175] Mund umspielte ein seliges Lächeln. Er streichelte ihr die Stirn und sagte: »Du sprichst wie ein Engel, – ach –« aber das Dazwischentreten seiner Frau schloß ihm den Mund.
»Wo steckst Du denn so lange?« herrschte sie Hedwig zu, »geh' doch an Deine Arbeit!« Dann wollte sie mit dem Gatten ein Gespräch anknüpfen, aber der machte sich unwillig los. – »Du bist mein Dämon!« sagte er und ging in seine Schreibstube, wo er sich wieder einschloß.
Hier lagen die Terzerole frei auf dem Tische. »Heute noch nicht!« sprach er und verbarg sie nochmals, »die Engelsstimme hat noch einmal Hoffnung in mein Herz gesenkt. Hoffe und vertraue, es ist Hülfe nahe! so sprach das verkannte, verstoßene Kind, – o wie hab' ich das an ihm verdient? – Weiß sie meine Lage und hat sie den Ferdinand zur Hülfe aufgefordert? Der könnte helfen; aber ich selbst hätte nicht den Muth, den edlen Menschen anzusprechen, den wir erst zu verderben getrachtet. O Gott! wie gerecht bist Du! Den wir verderben wollten, der ist mit Ehre gekrönt, und er trägt den Lohn davon, der unser hätte werden können. Jetzt wären wir gerettet, – o Weib! Weib!« – Er[176] versank eine Zeit lang in trübes Brüten; nach und nach wurden seine Züge weicher und Thränen entquollen seinen Augen. – »O Gott! o Gott! wie tief bin ich gefallen!« rief er aus und sank auf seine Kniee zum brünstigen Gebete.
Der folgende Tag verging ziemlich still im Huthause, nur daß zwischen den beiden Gatten wieder ein verdrießlicher Auftritt stattfand, nach welchem der Schichtmeister sich in sein Zimmer schloß, und seine Frau von Stunde zu Stunde widerwärtiger gegen ihre Umgebung wurde. Niemand hatte darunter mehr zu leiden als Hedwig, doch trug sie Alles mit stiller Geduld; sie fühlte, daß ihre Tyrannin der elendere und beklagenswerthere Theil war.
Da Ferdinand an diesem Tage das ihm zugesicherte Geschenk nicht erhielt, so machte er sich den folgenden Morgen auf den Weg nach der Stadt, um es zu fordern. Es bedurfte nur eines Wortes bei dem biedern Gelbgießer, um diesen zur Zahlung zu vermögen. Dreihundert baare Thaler wurden dem armen Bergmann zugezählt, – eine Summe, die er nie beisammen gesehen, geschweige denn sein genannt hatte! Was würde der Sparcassenmann für Augen machen, wenn er eine solche Einlage[177] brächte. Aber was machte er für welche, als der sparsame Knappe sein ganzes Guthaben verlangte und auch nicht eher vom Platze wich, bis er es hatte! Froh wie Gott ging Ferdinand dann zu dem Goldschmied und erklärte, von dem Schichtmeister abgeschickt zu sein, den Wechsel einzulösen.
Der Goldschmied riß erstaunt die Augen auf, wollte Bedenklichkeiten erheben, aber Ferdinand hatte in seinem Wesen so etwas Gebietendes, daß der Wucherer sich gezwungen fühlte, den Wechsel herbeizuschaffen, zu quittiren und Ferdinand einzuhändigen. Kaum war dies geschehen, als die Ladenthür aufging und außer dem Bergschreiber und dem Bergamtsdiener einen Gerichtsactuar und den Gerichtsfrohn einließ. »Da finden wir die Compagnons gleich beisammen,« sagte der Bergschreiber. »Im Namen des Gesetzes erkläre ich diese beiden Herren für Gefangene!« sagte der Actuar; »ich hoffe, Sie werden sich Ihr Loos nicht durch Widersetzlichkeit erschweren!«
Der Goldschmied bebte wie ein Espenblatt, indeß Ferdinand sich blos verwunderte. »Da muß ein Irrthum walten,« sagte er, »und der wird sich bald aufklären; ich gebe mich ruhig gefangen.«[178] Der Goldschmied erhob allerlei Einwände; seine Frau kam herbeigeheult und wollte ihn nicht fortbringen lassen. Es half aber Alles nichts, die Verhaftung wurde vollzogen.
Der Vetter des Doctors war rasch zu Werke gegangen, aber er würde seinen Zweck nicht so bald erreicht haben, hätte nicht die von den Geschwistern des Lehrburschen vom Gelbgießer Mickley verschleppte Silberstufe ihren Weg schon vorher in die Hände des Bergamtsboten gefunden gehabt. Dieser hatte nachgeforscht, woher die Stufe gekommen; und als nun sein Schwager ihm mittheilte, welche Entdeckung er in der alten Jacobszeche gemacht, da hatte es gar keiner Weitläufigkeiten bedurft; jener war in die Bergkanzlei gegangen und hatte dem Bergschreiber Anzeige erstattet. Es war sofort eine bergamtliche Untersuchung der Jacobszeche vorgenommen und dort das vom Doctor dahin getragene Erz gefunden worden.
Mit großer Verwunderung sah der Gelbgießer Mickley seinen Schützling in Gesellschaft der Bergamts- und Gerichtspersonen sammt dem Goldschmied über den Markt nach dem Rathhause gehen. Bald erfuhr er die Bedeutung dieses Aufzuges. Sogleich[179] zog er sich an und eilte aufs Rathhaus, um dem Gericht seine Bürgschaft für Ferdinand anzutragen. Der Richter erlaubte ihm nur, den Gefangenen in Beisein eines Actuars zu besuchen. Ferdinand empfing den edlen Freund mit einer Miene, welche das unerschütterliche Vertrauen, das dieser in ihn setzte, bestätigte. Er erzählte den Hergang der Verhaftung. Der Gelbgießer fragte, ob er etwas für ihn thun könne. Ferdinand bat ihn, seiner Mutter in beruhigender Weise wissen zu lassen, wo er sich befinde, und seiner Braut mitzutheilen, daß der Wechsel eingelöst, ihm aber vom Gericht abgenommen wäre.
»Hat Er denn eine Wechselschuld bei dem Wucherer?« fragte Mickley.
»Ich nicht,« sagte Ferdinand, »aber eine mir theure Person.«
»Sollte die Verhaftung mit dem Wechsel in einem Zusammenhange stehen?« fragte Jener wieder.
»Ich glaube nicht,« sagte Ferdinand.
»Nun, ich werde Beides bestellen,« versicherte Mickley, »und für eine Erquickung will ich auch sorgen.«
»Das Liebste wäre mir ein Buch; meine Mutter soll mir das neue, vom Herrn Obereinfahrer geschenkte schicken.«
»So behalt' Er frohen Muth; der liebe Gott wird Ihm schon beistehen.« Damit schloß Mickley seinen Besuch.
Hedwig war einen Augenblick durch die ihr vom Gelbgießer selbst gebrachte Schreckensbotschaft von der Einkerkerung ihres Geliebten wie niedergedonnert. Aber sie raffte sich bald wieder zusammen, war er doch unschuldig! Sie erklärte, den Gelbgießer in die Stadt begleiten zu wollen. Ihr Vater war im Schacht, und den Widerspruch der Mutter, die nicht wußte, was es gab, achtete sie nicht, es war ihr erster Ungehorsam. Unterwegs theilte ihr Mickley mit, wie die ganze Sache stand, und daß durch die Entdeckung einer beträchtlichen Partie reichhaltigen Erzes in der hinter Ferdinands Haus befindlichen Jacobszeche dieser allerdings ziemlich belastet erscheine.
»Das Erz hat irgend ein schlechter Mensch hingeschafft!« rief Hedwig aus, »und der das gethan, muß einen besondern Zahn auf Ferdinand haben; ich weiß aber keinen Feind von ihm zu nennen als[181] den Bergmann Meier, der sich auf den Steigerdienst gespitzt hatte, und seinen Vetter, den Doctor Meier.« Und sie erzählte, in welcher Weise einst der Doctor mit Ferdinand zusammengetroffen war.
»Gut! gut!« sagte Mickley, »jetzt entsinn' ich mich, daß ich den alten Steiger Meier in seiner letzten Zeit ein paar Mal bei dem Goldschmied habe aus- und eingehen sehen, und nach dem letzten Mal stürzte er plötzlich in den Schacht. Ich hatte schon damals meine Gedanken darüber, aber ich wollte dem alten Mann nicht Unrecht thun. Wir gehen jetzt stracks aufs Stadtgericht; da will ich gleich den Antrag stellen, daß alle Papiere des Goldschmieds durchsucht werden!«
So geschah es; auch wirkte der wackere Bürger für Hedwig die Erlaubniß aus, den Gefangenen zu sprechen.
Mittlerweile war auf dem Huthause der Doctor Meier erschienen und hatte der Schichtmeisterin triumphirend zugerufen: »Die Falle ist zu, der Fuchs gefangen!« Diesen Zuruf hörte der in der Küche seine Pfeife anzündende Hutmann. Dieser war bei Mickley's Anwesenheit und Fortgehen mit Hedwig im Walde gewesen, wußte daher noch nichts von[182] Ferdinands Verhaftung. Doch fiel ihm die Aeußerung des Doctors auf, und er brachte sie gleich in Zusammenhang mit Hedwigs ganz außerordentlichem Gang in die Stadt. Seine Aufmerksamkeit wurde noch mehr erregt durch den Jubel, mit dem die Schichtmeisterin den Ruf des Doctors aufnahm. »Also der Fuchs ist unschädlich gemacht?« rief sie, – »o Sie sind der Schutzgeist meines Hauses!« – »Gott behüt' uns vor solchem Schutzgeist!« sprach der Greis bei sich; »da ist ein Bubenstück gegen meinen Steiger ausgeführt worden!« Er konnte nicht hören, was die Beiden weiter verhandelten. Der Doctor entfernte sich bald, und der Greis beschloß, auf seine Schwiegertochter Acht zu haben.
Es war nach Tisch. Der argwöhnische Alte raubte sich heute sein gewohntes Mittagsschläfchen, um auf Alles zu merken, was im Hause vorging. Doch hielt er sich still in seinem Stübchen. Gerade unter diesem befand sich die Scheidebank und die damit verbundene Erzkammer. Die Scheidearbeit ruhte heute; daher war die Scheidebank verschlossen. Der Schichtmeister brauchte die Scheidearbeiter zur Ausbesserung des Pumpwerks im Schacht. Dennoch[183] vernahm der Hutmann auf einmal ein Geräusch in der Scheidebank oder Erzkammer. Er schlich sich hinaus und verbarg sich auf der Treppe. Bald darauf ging die in die Hausflur führende Thür der Erzkammer auf, und die Schichtmeisterin trat mit einem verdeckten Handkorbe heraus, der ihr sichtlich sehr schwer wurde. Sie betrat damit die dunkle Treppe und wurde ihren Schwiegervater erst gewahr, als sie dicht vor ihm stand.
»Ei, Frau Tochter! was für schwere Spitzen, Hauben oder Tücher tragen Sie denn da?« redete er sie an, und ehe sie es hindern konnte, hatte er den Deckel aufgehoben, und die schönsten Erzstufen blinkten ihm entgegen. »Ich hätte nicht gedacht, daß meine Sohnsfrau sich so gut auf Erz verstände; wahrlich! die besten Stufen hat sie sich herausgeklaubt, – kommen Sie doch gefälligst mit herauf, Madame, wir wollen uns oben die Dingelchen bei Licht besehen. Nur keine Umstände, sonst ruf' ich die Leute vom Göpel herüber und sage ihnen, bei wem sie sich bedanken mögen, daß sie zu keiner Lohnverbesserung kommen können.«
Vernichtet folgte die Frau dem strengen Greise auf sein Zimmer. Er schloß hinter ihr ab. »Jetzt,[184] Du Weib des Unheils, bekenne: was wolltest Du mit dem Erz thun?« Die Frau schwieg lange; aber endlich beichtete sie unter strömenden Thränen. Es kam ein seltsames Gemisch von wirklicher Mutterzärtlichkeit, Eigenliebe und Hoffart, wie es nur in der seichten Lache der Halbbildung möglich ist, zum Vorschein. Und als sie ein umfassendes Bekenntniß abgelegt hatte, und das ganze Gerüst ihres Hochmuths zusammengebrochen war und sie mit ihm, da sprach der Greis: »Unglückselige Frau! Du hast fürchterlich gefrevelt. Du hast uns Alle an einen Abgrund gebracht, von dem ich keine Rettung sehe, wenn Gott nicht ein Wunder thut!«
»Mutter! Mutter!« rief jetzt eine Kinderstimme von unten. Der Greis öffnete die Thür und fragte hinaus, was die Mutter solle. »Es ist ein Mann da,« lautete die Antwort. Der Hutmann ging hinab; es war der Gerichtsbote, der den Schichtmeister auf das Stadtgericht beschied.
»Was soll er dort?« fragte der Greis voll banger Ahnung.
»Er soll als Zeuge aussagen, ob er dem Steiger Bergner aufgetragen, für ihn einen Wechsel zu bezahlen?«
»Wie? weiter nichts? der Wechsel ist bezahlt?«
»Wie die Quittung besagt, die man beim Steiger gefunden.«
»Gut! ich will meinen Sohn gleich aus dem Schacht rufen lassen.«
»Ja, thut das! denn die Freilassung des Steigers hängt von dem Zeugniß ab. Der Herr Obereinfahrer hat sich für ihn verwandt, und der Herr Stadtrichter will ihn entlassen, wenn es mit dem Wechsel seine Richtigkeit hat.«
Der Greis ahnte den ganzen Zusammenhang; er eilte an den Göpel und schickte einen Bergmann in den Schacht nach seinem Sohn. »Sagt ihm, es gäbe eine gute Nachricht!« rief er dem Bergmann nach. Dann ließ er den Gerichtsboten in das Wohnzimmer treten und ging zu seiner Schwiegertochter zurück.
»Jetzt, Frau, trag das Erz wieder an seinen Ort und danke dem barmherzigen Gott, daß er Dein Verbrechen verhütet. Er wollte nicht den Untergang der Deinen, darum hat er auch schon die Rettung aus aller Noth geschickt. Wie dies geschehen, wirst Du später hören!«
Die Frau fiel auf ihre Kniee und umklammerte schluchzend die des Greises.
Der Schichtmeister war bald oben und ging, nachdem er vernommen, was vorgefallen war, mit tief erschütterter Seele im Geleite des Gerichtsboten nach der Stadt.
Zwei Stunden später füllte sich das Huthaus mit frohen Menschen. Im Triumph brachte Hedwig ihren Ferdinand, gefolgt von dem Schichtmeister, Ferdinands Mutter, dem Gelbgießer, dem Baron von Brunn und Brunhild. Die Letztern waren, von Scharfenstein zurückkehrend, in dem Augenblick über den Markt gefahren, wo Hedwig von Ferdinand gekommen war, und diese hatte sogleich die Schwester angerufen und ihr das Geschehene mitgetheilt. Da hatte Brunhild, die inzwischen alle Schüchternheit gegen ihren Bräutigam verloren, diesen sofort in das Geheimniß gezogen. Der edle Mann hatte sogleich seine Vermittelung angeboten und war ohne Säumen zur That geschritten. Auf seine Fürsprache wurde Ferdinand, nachdem der Schichtmeister sich zu dem Wechsel bekannt hatte, gegen Handgelöbniß entlassen.
Da mußte nun die Schichtmeisterin in dem Manne, den sie erst dem Tode und dann der Entehrung preiszugeben versucht, den Wohlthäter ihres[187] Hauses erkennen. Eine tiefere und heilsamere Beschämung konnte ihr nicht widerfahren.
War Ferdinand nun schon noch immer der Untersuchung unterworfen, so dienten doch die Enthüllungen, welche die Schichtmeisterin ihrem Schwiegervater gemacht hatte, und die dieser dem Obereinfahrer mittheilte, dazu, die Wahrheit völlig ans Licht zu bringen. Mit Schmerz erkannte der Baron die Unwürdigkeit seines Freundes; er schüttelte den Schmarotzer ab und ließ ihm die Wahl, sich entweder über dem Meere eine neue Heimath zu suchen oder ins Gefängniß zu wandern. Der Elende wählte das Erstere. Als Brunn ihn am Bord eines Schiffes wußte, wirkte er auf Niederschlagung des Processes hin, die er auch erlangte, als der Goldschmied eines Morgens im Gefängniß erhängt gefunden wurde.
Der Obereinfahrer Freiherr von Brunn und Steiger Bergner hatten an einem Tage Hochzeit, und es zeigte sich, daß nur in der hoffärtigen Einbildung der Schichtmeisterin die Furcht begründet war, die Familie des Freiherrn werde an der Verschwägerung mit einem redlichen Bergmanne niedern Grades Anstoß nehmen. Gleich nach der Hochzeit[188] begann der neue Betrieb des alten Schachtes; Frenzel wurde Schichtmeister und Ferdinand Obersteiger der vereinigten Vater Abraham Fundgruben. Ein stattliches Huthaus krönt jetzt mit einem Dampfgöpel und anderen Betriebsgebäuden die alte Halde, und an schönen Sommertagen kann der Wanderer auf der Hausbank eine allerliebste junge Frau sich abwechselnd der reizenden Aussicht auf das wiesenthaler Gebirge und der drei kleinen Engel erfreuen sehen, die zu ihren Füßen spielen. An Sonntagen vervollständigt das anmuthige Bild der Vater Obersteiger und nicht selten der Groß- und Urgroßvater vom untern Huthause. Auch hier ist nach jener Lection ein einfältigerer Sinn, Friede und Segen eingekehrt.
Da wo das Erzgebirge an das Voigtland grenzt, ist ein Landstrich, in welchem fast jeder dritte Ort sich auf »grün« endigt. Die Leute dort sagen, das rühre von den vielen Vogelherden her, die es da giebt. Denn »'s Grün« heißt der Platz, worauf der Vogelherd angelegt ist. Die vielen Vogelherde aber deuten auf die Hauptpassion der Bewohner; die Gegend ist weithin bekannt als Vogelstellerdistrikt. Der hat auch einen Vorort – Wellersgrün nennen wir ihn, obgleich er auf der Landkarte anders lautet; doch »grünt« er sich wenigstens.
Da hauste bei Menschengedenken ein Mann, der hatte sich vom Bürstenbinder, Krämer und Achtelhufengutsbesitzer zum Potentaten der Gimpel emporgeschwungen. Die Einleitung läßt schon ahnen, daß hier nicht von jener adamitischen Gimpelspecies[192] die Rede ist, welcher das goldene Gefieder von den Händen leichtfertiger Evastöchter gerupft zu werden pflegt, sondern von dem niedlichen Sängervolke, dessen Heimath der grüne Tannenwald ist, und das den Wellersgrünern von jeher ihre gesuchtesten Virtuosen in der Tonkunst lieferte. Gottfried Unger – so hieß unser Mann – hatte keine Ahnung von jener uneigentlichen Gimpelspecies; ihm war Gimpel gleichbedeutend mit Genie, und darum war er stolz auf den Königstitel, welchen ihm seine Heimathgenossen ertheilt hatten, weil er im Fangen und Abrichten der kleinen Waldsänger eine Meisterschaft besaß, die man einer wunderbaren Herrschaft über diese Thiere zuschrieb. So berühmt vor allen seinen vogelstellenden Landsleuten war König Gottfried, daß seine Zöglinge nicht allein in ferne Gegenden verschrieben wurden, sondern daß auch nicht selten Bewohner der benachbarten Städte nach Wellersgrün lediglich in der Absicht wallfahrteten, den »Gimpelkönig« und seinen Hof zu sehen.
Gewisse Leute wollten zwar behaupten, diese Besucher zöge noch etwas ganz Anderes nach dem schmucken gelben Hause am hüpfenden Wasserfall des »Grünbächels«, als König Ungers Hofkapelle –[193] nämlich die Prinzessin des kleinen Reiches, das über alle Beschreibung nette und herzige Hannchen, Ungers eheleibliche neunzehnjährige Tochter. Aber wenn dies auch vielleicht hinsichtlich des jüngeren Theiles der Wallfahrer seine Richtigkeit hatte, so doch bestimmt nicht in Ansehung der vielen gesetzten Männer, die sich darunter befanden; für die war es interessant genug, Herrn Gottfried umringt von seinem gefiederten Hofstaat zu sehen.
Man denke sich eine große, weißgetünchte, vom Scharwerksmaurer unter der Decke mit einer Guirlande von Phantasieblumen geschmückte Stube, deren fünf Fenster rechts und links mit Reihen vollbesetzter Vogelbauer garnirt sind. Das der Stubenthür gegenüber befindliche Fenster ist mit Epheu eingefaßt, eine Reihe Blumentöpfe mit Balsaminen, Muskat- und Rosenkrautstöcken bedeckt das Bret, und die Bauer zu beiden Seiten zeichnen sich durch Größe und Zierlichkeit aus. Hier hausen die Gimpel – sie sind der hohe Adel des Ungerschen Reiches; die andern in den unansehnlichen Behältern, die Quäker, Finken, Meisen, Zeisige und dergleichen, sind das gemeine Volk. Vom künstlerischen Gesichtspunkte aus betrachtet, sind jene die Solosänger,[194] diese die Choristen. Vor dem solchergestalt ausgezeichneten Fenster steht ein kleiner Tisch und vor diesem ein Lederpolsterstuhl – das ist der Thron des Monarchen, da sitzt er, ein stattlicher Funfziger, den einen Arm auf den Tisch gestemmt, mit dem andern die Meerschaumpfeife haltend, der er sparsam abgemessene Wolken entzieht und giebt seinen Lieblingen Audienz. Solches geschieht, indem er einen Bauer nach dem andern von seinem Nagel herunternimmt, ihn vor sich auf den Tisch setzt und eine Melodie intonirt, worauf der Bewohner des Bauers sofort einfällt und die Weise zu Ende führt. Auf diese Weise wird der Zuhörer nach und nach mit einer Blumenlese von Melodieen erfreut, die vom »Freund, ich bin zufrieden« bis zum »Frisch auf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd!« fast alle Rhythmen des Liedergesanges umfassen. Freilich wird dem fremden Zuhörer der Genuß dieses Concertes durch das wirre Durcheinander des Chores verdorben, denn es ist kaum möglich, vor dem Zwitschern, Zirpen und Wirbeln der Quäker, Zeisige, Finken u. s. w. den schulgerechten Gesang der Solisten zu vernehmen. Meister Ungers Gehör aber unterscheidet diesen recht wohl, ja für dasselbe[195] dient der gemeine Chor den edlen Concertisten nur zur Folie, wie dies ja auch bei mancher musikalischen Kunstanstalt der Nichtgimpel der Fall ist.
Wer den ehrenwerthen Meister so unter seinen Vögeln sah, oder wer gar seinen Lehrstunden beiwohnte, der mußte die heitere Gemüthsruhe, die unerschöpfliche Geduld desselben bewundern, und war es eine Frau, die ihn so beobachtete, so konnte sie kaum umhin, Frau Unger um ein solches Lamm von einem Eheherrn zu beneiden. Allein sowie Herr Gottfried seinen Vögeln den Rücken gewendet hatte, war er ein ganz anderer Mensch, da keifte und nörgelte er im Hause herum, bis es seiner Gattin glücklich gelang, ihn auf den Vogelherd oder in die Schänke zu spediren. Vielleicht wurde das Maß von Geduld, so ihm die Vorsehung verliehen, von seinen Zöglingen so vollständig absorbirt, daß ihm für den Verkehr mit Menschen nichts davon übrig blieb. Niemand konnte im Umgange reiz- und verletzbarer sein, und in ganz Wellersgrün gab es keinen Menschen, der so schwer zu versöhnen war wie er, zumal wenn ihm Jemand sein Steckenpferd unsanft berührte. Kam er doch seit vielen Jahren schon nicht mehr in die Ortskirche, weil der Pfarrer[196] sich einmal von der Kanzel gegen das Vogelstellen auszusprechen gewagt hatte; da der hierdurch schwerbeleidigte Gimpelkönig aber doch ein guter Christ sein wollte, so ging er entweder nach Schönheide oder Hundshübel zum Gottesdienst. Desto fleißiger besuchte er eine der Ortsschänken, nicht nur weil der Inhaber derselben seine Liebhaberei theilte, sondern auch weil dies der Ort war, wo er fortwährend Gelegenheit hatte, neue »Stückla« für seine Gimpel zu hören. Zu seiner Ehre muß gesagt werden, daß er sich fast nie betrank; sein gewöhnliches Getränk war das heimische »Einfache«, worauf er höchstens zum Schluß einen »Eibenstöcker« setzte, den er seinen Magendoctor nannte.
Hausdespoten werden von ihren Familien nicht mit Rosenketten in ihren vier Pfählen festgehalten – der Ungerschen Familie war, als hätte sich ein böser Wind gelegt, sobald sich ihr Haupt auf den Vogelherd oder in die Schänke verfügt hatte. Da wurde es erst gemüthlich im Hause. Mutter und Tochter krochen aus Küche, Stall und Keller hervor und reiheten sich mit den beiden »Gimpelprinzen« um den Ofen; oft kam dazu auch der Geselle mit dem Lehrjungen. Da wurde nun gescherzt, erzählt oder gesungen, ohne daß jedoch dabei die Hände[197] feierten. Sonntags traktirte Frau Unger das ganze Hausgesinde mit einem Nachmittagskaffee und »Hefenkloß«, in welchem die Rosinen nicht fehlen durften, und wer zur rechten Zeit bei ihr einsprach, war ein frohwillkommener Gast. Manches arme Dorfkind hatte regelmäßig das Glück, keins aber regelmäßiger, als das »Rußbuttenlobel«, ein alter Junggeselle, der in seiner Jugend mit Rußbutten durchs Land gezogen und seit er zu solchem Erwerb invalid geworden, in die Stelle eines Vice-Tag- und Nachtwächters von Wellersgrün eingerückt war. Diese wichtige Person war für das Ungersche Haus noch mehr, als ihr Titel besagte: sie war zugleich Historienbuch, Liedersammlung, Ortschronik und Zeitung. Daher geschah es, daß, sobald »Rußbuttenlobels« wohlbekannter Amtsspieß an der Ungerschen Hausthür lehnte, – denn die Schwelle durfte dieses polizeiliche Attribut nicht überschreiten, das wäre eine Verletzung der Wellersgrüner Habeascorpusakte gewesen, – eine Nachbarin nach der andern in die Gimpelresidenz »hutzen«1 eilte, um das Neueste aus der Tagesgeschichte zu erfahren.
So war es auch am Trinitatisfeste des Jahres Eintausend Achthundert und –Zig. Der Hausherr saß beim Einfachen in der obern Schänke; die Hausfrau mit ihren Kindern und Hausgenossen am Kaffeetisch, und »Rußbuttenlobel« trat mit seinem »Helf Gott!« in die Stube. Nachdem er von allen Seiten freundlich bewillkommt und von Hannchen an den Tisch gezogen worden, hieß es rechts und links: »Was hat's Neues in der alten Welt?« Lobel warf sich in die Brust, that einen Zug aus der ihm vorgesetzten Tasse, einen kräftigen Biß in den »Hefenkloß« und sagte: »So in einem Athem, Ihr guten Leut', läßt sich das nicht erzählen.« Darauf leerte er die Tasse und ließ den Hefenkloß mit großer Schnelligkeit zwischen seinen Kinnladen verschwinden. Alle Anwesenden hefteten die Augen auf den Anfangspunkt dieser Werkzeuge; doch Lobel richtete seine Blicke, eh' er sprach, nach der Thür, als erwarte er noch einige Ohren für seine Zeitung. Er wartete nicht vergebens – der Spieß war gesehen worden – ehe fünf Minuten vergingen, war ein halbes Dutzend Nachbarinnen versammelt, von denen sich die eine ein Loth Kaffee, die andere ein Gebind Zwirn, die dritte für einen Pfennig Pfeffer[199] zum schicklichen Behelf nahm, und der Bericht – den wir mit Beseitigung der Mundart wortgetreu wiedergeben – begann:
»Es geht arg her in der alten Welt, Ihr guten Leut'! Der Franzos draußen ist wieder einmal kollerig, aber ob's ihm unter der Mütze fehlt oder in den Schuhen, das weiß der Himmel, und in Welschland wollen sie auch gescheidt werden, ob's ihnen aber von der hohen Obrigkeit erlaubt wird, das weiß der Zeitungsschreiber nicht, wie soll's Rußbuttenlobel wissen! Aber der Russ' dahinten scheert sich den Teufel darum, ob's in Polen Wölfe giebt oder nicht – er hat einen gar guten Magen, das wissen wir von Anno dreizehn, da haben die Kosacken gefressen, was ihnen zwischen die Zähne kam; übrigens ist es oben im Sibirienland fast so kalt wie in Karlsfeld, wie die Polaken zu erzählen wissen und viele andere Ehrenleut', die dort auf dem Zobelfang waren – Du mußt aber hübsch aufpassen, Heinerle, sonst bleibst zeitlebens ein dummer Junge, und die Rosinen mußt Du nicht aus dem Hefenkloß bohren – und in England werden sie nächstens mit Dampf in den Mond fahren, ich wollte, sie wären schon alle droben gewesen,[200] eh' sie unserm armen Gebirge sein Klöppelwesen ruinirten – daß sich Gott erbarm'! meine Schwester hat gestern in der Stadt schon wieder zwei Pfennige weniger bekommen für die Elle Borten! Item: der Papst ist gestorben, der Tod kann's aber machen, wie er will, er wird nicht fertig mit der Gesellschaft, es ist schon wieder ein neuer da – meiner Hühner halben! – ich wollte nur, ich hätte ein paar Fuder von den Feigen und Apfelsinen, die dieses Jahr in Welschland gewachsen sind, und könnte sie in Wellersgrün verzehren. Doch daß ich nicht Eins über dem Andern vergesse – Friedel, Du wirst gleich Dein Schälchen hinunterstoßen, 's wär' schad' um den eingebrockten Hefenkloß, aber der Steingutmacher will auch leben – in Lindengrün hat eine Bergmannsfrau Vierlinge gehabt; da fleckt's! jedoch aber im Dänemarkschen – 's muß wohl um Buxtehude herum liegen, dort bin ich nicht gewesen – da will der Königsstamm aussterben – geht mir auch nicht besser, bin Rußbuttenlobel der Erste und Letzte und habe nichts auf meinem Gewissen, als den armen Handwerksburschen, den ich verarretirt und aus dem Dorfe verbannt habe, weil er ins Lieben-Konrads Haus fechten kam, obwohl mein[201] Spieß vor der Thür lehnte; da konnte der dumme Teufel doch denken, daß die Polizei nicht weit war und ihn erwischen würde; aber gedauert hat mich der Schelm, mein' Seel'. Wie gesagt, es geht arg zu in der alten Welt – aber Ihre Hefenklöß' sind delicat, Frau Dore! – wenn's nicht bald anders wird mit der Menschheit, glaub' ich, der Pfannenstieler Pfarrer, der zu den Heiligen gehört, behält Recht – der sagt, das Ende aller Dinge sei vor der Thür. Nun meinetwegen! ich hab' Nichts zu verlieren als den Spieß und vier Zeilen Erdäpfel auf des Richters Feld; wegen des armen ausgewiesenen Handwerksburschen werd' ich nicht gleich in die Hölle fahren, wiewohl 's nicht christlich war. Ja, arg geht's zu in der Welt – aber im Ungerhaus giebt's gute Hefenklöß', das ist auch gewiß!«
Er wischte sich mit dem Aermel seiner Manchesterjacke den Schweiß von der Stirn, nahm einen frischen Hefenkloß, überlieferte ihn seinen Kauwerkzeugen, schlürfte eine zweite Tasse Kaffee und begann auf die Frage: »Ist das Alles?« von Neuem:
»Das war's Auswärtige; nun kommt das Einheimische, und das ist das Wichtigste.« – Er berichtete nun, wo ein Todesfall vorgekommen und[202] zu erwarten, ein Kind geboren, eine Hochzeit vor der Thür, ein Hausbau in Angriff genommen war und dergleichen mehr, endlich schloß er: »Doch nun das Beste! Was denkt Ihr, daß das Allerneueste ist?«
Alle sahen ihn gespannt an.
»Gelt, Ihr wißt's nicht?« sagte er nach einer Pause. »Nun so hört: mein Vetter, der Sacher Heinrich, ist diesen Mittag aus der Fremde gekommen!«
Das schien in der That eine unerwartete und wichtige Neuigkeit zu sein, denn alle Anwesenden gaben Zeichen der Ueberraschung und des Interesses von sich – Niemand aber lebhaftere, als Hannchen, denn die stieß einen lauten Schrei aus und wurde roth wie eine Erdbeere bis in den Nacken hinein.
»Nicht wahr, Jungfer Hannel,« bemerkte der Erzähler, »das ist Wasser auf Ihre Mühle?«
Alle blickten die Gefragte an. Diese warf dem Frager einen zürnenden Blick zu und eilte zur Thür hinaus.
»Da hat man's,« sagte Lobel, »alte Liebe rostet nicht!«
»'s war auch gar ein feiner Bursch, der Sacher Heinrich,« meinte eine der Nachbarinnen.
»Ihr solltet ihn erst jetzt sehen,« versetzte Lobel, »jetzt sticht er alle Wellersgrüner Bursche aus, sowohl was Ansehen als Manieren betrifft; ich sollt's nicht sagen, weil's mein leiblich Schwesterkind ist – aber wahr bleibt wahr. Er ist aber auch ein Stück in der Welt herumgekommen, wie Keiner in Wellersgrün – sogar in Welschland ist er gewesen, und in Frankreich hat er fast zwei Jahre gearbeitet – da kann's Hannel bald hören, wie das auf Französisch heißt:
»Laß Er das Geplapper, Lobel!« gebot Frau Unger. »Vor drei Jahren, wie Sein Vetter in die Fremde ging, war mein Hannel noch ein Kind, und wer weiß, ob der Sacher Heinrich jetzt noch an die Tändelei denkt. Mein Hannel hat sie längst vergessen; und nun treib' Er mir das Mädel nicht wieder aus der Stube mit solchem Spaß! – Aber sehen möcht' ich den Sacher Heinrich, das gesteh' ich.«
»Ich auch« – »ich auch« – hieß es von mehren Seiten und Rußbuttenlobel schloß mit der Aeußerung: »Er wird schon kommen und sein Schätzel grüßen.«
Jetzt schlugen ferne Trompetenklänge an die Ohren der Gesellschaft.
»Das hätt' ich bald über dem Sacher Heinrich vergessen,« sagte die inkarnirte Dorfzeitung, »in der obern Schänke ist heute Musik – sie blasen schon zusammen. Also munter, ihr jungen Leut'!«
Diese Mahnung galt den ledigen Personen im Zimmer und man säumte nicht, ihr nachzukommen, denn das junge Volk tanzt in Wellersgrün so gern wie überall im lieben Gebirge. Bald war Frau Unger mit ihren Kindern allein daheim. Denn auch Rußbuttenlobel mußte von Amtswegen in die Schänke. Wie er, den kürzesten Weg nehmend, aus der Hinterthür in den Ungerschen Grasgarten trat, fand er Hannchen dort in sich versunken stehen. Er schlich sich nahe und sah, wie sie einer Sternblume die Blättchen nach einander ausriß und dazu halblaut sagte: »Er liebt mich – von Herzen – mit Schmerzen – klein Wenig – gar nicht – er liebt mich – –« Da fiel das letzte Blatt und Rußbuttenlobel ging mit den Worten vorüber: »Ei freilich! Komm Sie nur in die Schänke, Jungfer; da ist er auch.«
In der Schänke ging es laut. Aus dem ganzen Dorfe strömten die Gäste herbei, die Alten nach der Schänkstube im Erdgeschoß, die Jungen nach dem darüber gelegenen Tanzboden. Nur ein Trupp munterer Bursche, aus deren Mitte ein fast elegant gekleideter Jüngling hoch emporragte, folgte dem Zuge der Alten. Als er in die Schänkstube trat, gerieth die ganze anwesende Gesellschaft in Bewegung. »Der Sacher Heinrich!« lief's von Mund zu Munde, und bald fand sich der feingekleidete Mensch umdrängt von Solchen, die ihm ihr »Grüß Gott, Heinrich!« und das Bierglas zum Willkommentrunk entgegenbrachten.
Während er allen in erwünschter Weise Bescheid that, wurde er mehr und mehr dem Hintergrunde zugeschoben, bis er dicht vor dem »Herrentisch« stand,[206] an welchem die Angesehenen des Ortes, darunter auch der »Gimpelkönig«, ihren Platz hatten. Die gleiche Begrüßung ward ihm auch hier zu Theil; dann rückte man eng zusammen und bemächtigte sich des Ankömmlings gänzlich, indem man ihn an den Tisch zog und zwischen sich nahm, daß er weder zur Rechten, noch zur Linken entweichen konnte. Das war eine große Ehre, und Heinrich wußte sie zu schätzen; – er zog seine wohlgefüllte Cigarrentasche, damals in Wellersgrün ein unerhörter Luxus, präsentirte sie den Umsitzenden und steckte sich selbst einen der duftenden Glimmstengel an, worauf er sich in Bereitschaft setzte, auf die mancherlei Fragen, die man an ihn richten würde, bündige Antwort zu geben. Seine Begleiter pflanzten sich, die dorfüblichen Pfeifen im Munde, vor dem Tische, dem Freunde gegenüber auf.
An Fragen seitens der Tischgenossen Heinrichs fehlte es nun nicht, sie waren aber so mannigfaltig und wirr durcheinanderlaufend, daß der Gefragte gar nicht dazu kommen konnte, sie zu beantworten. Endlich machte der Wirth den Vorschlag, der Heimkömmling möge seine Reisegeschichte zum Besten geben, wogegen er sich zu einer »Stütze« Doppelbier erbot.[207] Der Vorschlag wurde wie das Anerbieten freudig aufgenommen. Erst that man der »Stütze« alle mögliche Ehre an, und dann begann Heinrich seine Erzählung. Daraus erfuhren die Zuhörer, daß der junge Mann, nachdem er vor drei Jahren als Tischlergeselle das Felleisen genommen, sich nicht lange in den engen Grenzen seines Vaterlandes gefallen, daß es ihn in die Weite getrieben hatte, um Menschen und Sitten kennen und etwas Rechtes in seinem Fache zu lernen. Erst war er nach Wien gewandert, von da hatte es ihn nach Italien gezogen, wo es ihm aber sehr trübselig ergangen war. Unter unsäglichen Beschwerden hatte er sich nach der Schweiz durchgeschlagen und nachdem er hier wieder etwas »zu Federn gekommen«, sich der Hauptstadt Frankreichs zugewendet. So gut er es nun daselbst getroffen, so mächtig ihn anfangs das Leben in der ungeheuren Weltstadt angezogen hatte, so war doch allgemach die Sehnsucht nach der Heimath in ihm wach geworden. Sein Meister hatte ihn zum Werkführer über fünfzig Arbeiter, ja zu seinem Eidam machen wollen, aber da war plötzlich das Verlangen nach der lieben Heimath so mächtig geworden, daß er es keinen Tag mehr in Paris[208] ausgehalten und »Knall und Fall« den Wanderstab zur Heimkehr ergriffen hatte. Die mancherlei kleinen Reiseabenteuer, welche in Heinrichs Erzählung vorkamen, verliehen derselben eine solche Würze, daß Einer von seinen Zuhörern nach Leerung der vom Wirth gespendeten Stütze gleich eine zweite bringen ließ. Heinrich schloß mit den Worten: »So bin ich denn nun glücklich wieder in Wellersgrün und denk' auch da zu bleiben, denn das können Sie mir glauben, werthe Landsleut', so schön es draußen sein mag, es bleibt doch wahr, wie man bei uns spricht: »d'rham is d'rham.« Da schüttelten ihm alle Umsitzenden die Hand, tranken auf sein Wohl, lobten seinen Entschluß und sicherten ihm zu seiner Niederlassung im Orte allen möglichen Beistand zu.
»An meiner Fürsprache beim Handwerk soll's ihm nicht fehlen, Heinrich!« sagte unter andern der Obermeister von der Zunft der vereinigten fünfzehn Handwerke.
»Und Credit, wie Empfehlungen nach Schneeberg und Auerbach finden Sie bei mir,« versprach der Krämer, oder wie er sich nannte, Kaufmann des Oberdorfes. Der Förster eröffnete ihm die besten Aussichten auf unbeschränkten Nutzholzcredit[209] und der Zimmermeister wollte ihm sein mütterliches Häuschen herrichten, daß es eine Art hätte. Zuletzt war auch von einer Frau die Rede, und von mehr als einer Seite ließ man merken, daß er ein ganz annehmbarer Schwiegersohn wäre.
»Mit dem Heirathen,« sagte jedoch Heinrich, »hat es bei mir noch Zeit. Vor der Hand drängt's mich nicht, denn meine Mutter ist, Gott sei Dank! noch rüstig, und übrigens – kommt Zeit, kommt Rath!« Dabei warf er aber einen anhaltenden Seitenblick nach Meister Unger und nach einer Pause richtete er an diesen die Frage: »Wie geht's daheim, Meister Unger? Ist die Frau sammt den Kindern wohlauf?«
»Was soll's mit denen für Noth haben?« war die Antwort. »Man sorgt und schafft doch genug für sie! Nun, Er besucht uns doch, Heinrich – Er wird sich freuen, wenn Er meine Gimpel sieht und hört.«
Heinrich lächelte und blies eine starke Wolke vor sich hin.
»Ei, Heinrich!« sagte der Schänkwirth, »wir waren ja ehedem auch ein Vogelfreund und suchten als Steller Unsersgleichen – wir werden jetzt das edle Vergnügen doch auch wieder treiben?«
»Da sei Gott vor!« erwiederte der Gefragte. »Ich bedaure, daß ich jemals ein Vöglein seiner Freiheit beraubt habe – halten Sie mir's zu Gute, lieben Leute! – aber ich muß Ihnen sagen: mir erscheint es jetzt geradezu sündlich, das Vogelfangen.«
Dem Gimpelkönig entsank die Pfeife, der Wirth wurde kirschbraun im Gesicht und der eine und andere der Tischgenossen rief: »Wie so? Was sagt er? Sündlich?«
»Ja – nehmen Sie mir's nicht übel!« erwiederte der junge Mann fest, »so erscheint es mir, und lassen Sie sich sagen warum? Lassen Sie sich erzählen, wie ich zu dieser Ansicht gekommen bin. Sie wissen, daß ich früher auch meinen Vogel gestellt habe, wie Einer, und der Meister Unger da muß mir bezeugen, daß im Lernen der Gimpel Keiner ihm gleich kam als ich – es hat manchen kleinen Wettstreit zwischen uns gegeben, aber in aller Freundschaft – und wie ich in die Fremde ging, that mir nichts so weh, als daß ich meine Vögel da lassen mußte; ich hätte sie lieber mitgenommen, wenn es gegangen wäre. Zog ich dann auf meiner Wanderschaft durch einen Wald und hörte einen Reiterfinken schlagen oder eine Amsel[211] singen, so zuckte es mir in allen Gliedern, ich ärgerte mich, daß ich gar kein Stellzeug bei mir hatte, aber dessenungeachtet schlich ich den Vögeln wohl stundenlang nach und so kam es oft, daß ich über einer mäßigen Tagereise zwei, auch drei Tage zubrachte. Das war viel Zeitverlust und Verlust an Geld obendrein. Nach und nach verlor sich zwar das Erpichtsein aufs Vogelstellen etwas, ganz aber konnte ich's doch nicht los werden und wenn der liebe Sonntag kam, ging ich vogelstellen, statt in die Sonntagsschulen, welche einsichtsvolle Menschenfreunde zur Fortbildung des Handwerkerstandes weit und breit ins Leben gerufen haben. So ging es, bis ich ins Welschland kam. Da hatt' ich das Unglück, der Polizei verdächtig zu werden: statt für einen ehrlichen Handwerksburschen sah sie mich für einen geheimen Revolutionär an – ich wurde verhaftet und nach Padua ins Gefängniß gebracht. Im Gefängniß, ihr lieben Leute, lernt man erst Jesum Christum erkennen. Vier Wochen mußte ich einsam in einem schauerlichen Loche sitzen – ach! ich dachte, der liebe Herr Gott habe in seinem Zorn die Tage plötzlich zu Jahren ausgesponnen, so fürchterlich lang wurde mir die Zeit. Da fielen[212] mir alle meine Sünden ein – und auch mein Vogelstellen. Da dachte ich, wie meine armen Vöglein der Verlust ihrer Freiheit geschmerzt haben müsse, und ich mußte es als eine Strafe vom lieben Gott erkennen, daß ich jetzt auch in einem Käfig steckte, der freilich nicht von schwachem Draht oder Holz, sondern aus gewaltigen Steinen erbaut war. Als ein Tag nach dem andern dahinschlich, ohne daß ich erlöst wurde oder eine Vertröstung auf baldige Erlösung erhielt, wurde ich lebenssatt, die Verzweiflung übermannte mich, mehr als einmal war ich nahe daran, mit dem Kopfe wider die Wand zu rennen und ihn zu zerschmettern; nur der Gedanke an meine gute Mutter hielt mich davon zurück. Dann fielen mir meine Vögel immer wieder ein und ich dachte: so wie dir jetzt, so ist es auch den armen Thierlein zu Muthe gewesen, da sie deine Gefangenen waren! Du sahest wohl ihr ängstlich Flattern an der Leimruthe, im Netz oder im Bauer, du hörtest ihr kläglich Schreien, bemerktest ihre traurigen Mienen – und doch ließest du sie im Käfig, getrennt von ihren Jungen, oder das Männchen von seinem Weibchen; sie mußten ihr herbes Loos tragen – so füge nun auch du[213] dich in dein Schicksal! Des Nachts aber kamen schreckhafte Träume; da verwandelten sich meine ehemaligen Gefangenen in gräuliche Riesenvögel, die mit ihren furchtbaren Schnäbeln nach mir hackten oder mich mit ihren Krallen packten und an den Rand eines schauerlichen Abgrundes rissen, bei dessen Anblick ich entsetzt aufschrie und erwachte. Da betete ich in meiner Angst zu Gott und schwur, nie wieder eines seiner für die Freiheit geborenen Geschöpfe dieses ersten Lebensgutes zu berauben – denn das sag' ich aus Erfahrung: es giebt kein köstlicheres Gut im Leben als die Freiheit, und ein Raub an diesem Gute wider ein Geschöpf Gottes verübt ist ein Frevel schwarz wie der Mord –«
»Einen Eibenstöcker!« rief der Gimpelkönig, und Heinrich, ohne auf dessen unwirsches Gesicht zu achten, fuhr fort:
»Endlich ward ich frei – mir war, als läge ein Zeitraum von Jahren zwischen Verlust und Wiedergewinn meiner Freiheit, und ich konnte kaum gehen, so hatte die Haft mich angegriffen. Als ich mich außerhalb der Stadt fand, kniete ich auf offenem Felde nieder und dankte Gott, daß ich wieder fessellos unter seinem Himmel und auf seiner[214] Flur athmete, und wiederholte meinen Schwur, nie wieder Hand an ein lebendiges Wesen zu legen, um es seiner angeborenen Freiheit zu berauben. Darauf zog ich viele Tage durch herrlich bebaute Gegenden – aber so mannigfach und üppig alle Gewächse erschienen, so reizend die goldenen Früchte aus den dunkelgrünen Kronen der Bäume schimmerten, so schwellend die Matten, so gestaltenreich die Höhen sich in Aug' und Seele drängten, so fehlte ihnen doch ein Reiz, den ich mit Wehmuth vermißte: die Schwärme singender Vögel, welche unsere Heimathwälder beleben. Wichen sie vor mir als vor einem Feind oder einem Verfluchten, dessen Ohr nimmer werth war, sich an ihren Melodieen zu weiden?«
»Noch einen Eibenstöcker!« unterbrach Meister Unger den Erzähler abermals.
»Willst Du schon nach Hause?« fragte der Obermeister der fünfzehn Handwerke.
»Nein,« erwiederte der Gefragte, »es wird mir blos übel von dem Gemähre –«
»Ruhig!« riefen mehre Stimmen, »erzähl' weiter, Heinrich!«
»Ja, erzähl' Er weiter, Mosje Sacher!« stimmte[215] der Förster bei – aus Seiner Geschichte kann Mancher 'was lernen!«
Dies beabsichtigte Heinrich eben und rücksichtslos, wie immer jugendliche Verkündiger ernster Wahrheiten, fuhr er fort: »Bald traf ich mit einem Landsmann zusammen, einem Maler, der desselben Weges zog wie ich, und als die Rede gerade auf den von mir wahrgenommenen Mangel an Singvögeln in der paradiesischen Gegend kam, fragte ich ihn nach der Ursache dieser Erscheinung. Er antwortete mir, daß nur die furchtbaren Nachstellungen der Menschen nach und nach die Wälder und Fluren dieses Striches von den kleinen Sängern entblößt hätten. Da dacht' ich an meine Heimath und den hier getriebenen Vogelfang, und mir war bange darum, daß da auch eintreten möchte, was ich dort zu beklagen fand. Später gingen wir durch eine große Kastanienpflanzung, die fast ganz abgestorben war. Die wenigen noch grünen Bäume waren mit Schaaren von Raupen bedeckt. Es war ein trauriger Anblick – ich dachte an alle die Arbeit, die hier vergebens aufgewendet, an alle die Hoffnungen, welche vernichtet waren. Offenbar war die Pflanzung ein Opfer des Raupenfraßes, und ein Landmann,[216] den mein Gefährte fragte, bestätigte dies. »So rächt sich jetzt an den Kindern, was ihre Väter gesündigt haben,« sagte der Maler, »hätten diese die Singvögel nicht von Wald und Flur vertilgt, so hätte das zerstörende Insekt nie so mächtig werden können, als es hier geworden.« Ich schrieb mir das hinter die Ohren und will's auch mein Leben lang nicht vergessen. Und ich hab' noch viel über den Gegenstand nachgedacht, und es ist mir immer klarer geworden, daß das Wegfangen der Singvögel eine Sünde sei und daß ein Vogelsteller Gott nimmermehr gefallen, ja schwerlich in den Himmel kommen könne.«
»Hoho!« rief der Schänkwirth, »wer's glaubt, wird selig.«
»Nein, der ist ein Esel!« polterte Meister Unger.
»Es ist dummes Zeug,« sagte der Obermeister der Fünfzehnerzunft, »schmeckt nach Pfaffen – fort damit!«
»Ja, fort damit!« schrie der Gimpelmonarch. »Wirth, noch einen Eibenstöcker! Das fehlt noch, daß so ein Gelbschnabel uns Mores lehren will!«
»Der Sacher hat aber Recht,« erklärte der Förster.
»Bei Euch Grünröcken,« erwiederte Unger, das ihm gereichte Glas Branntwein hinabstürzend, »Ihr möchtet nur allein im Walde Herr sein, es soll kein anderer Mensch sein Vergnügen darin haben. – Weiß Er was, Sacher: geh' Er lieber hin, wo Er hergekommen ist, wir brauchen in Wellersgrün keine Neuerer und Weltumstürzer, wie Er ist – geh' Er wieder nach Paris, wo dergleichen hingehören!«
Heinrich schwieg, aber seine jüngern Freunde drangen jetzt ungestüm auf den Gimpelkönig ein. »Das leiden wir nicht,« schrieen sie, – »das ist schändlich, ein Wellersgrüner Kind so zu behandeln!«
»Ein Wechselbalg mag er sein und kein Wellersgrüner!« rief Meister Unger, aber sogleich saß ihm ein Schlag im Gesicht.
»Ums Himmelswillen, keine Schlägerei!« rief Heinrich und warf sich zwischen den Angegriffenen und die Angreifer – da fuhr ein Bierglas durch die Luft, im Nu war die Schänkstube in ein Schlachtfeld verwandelt, wo zwischen zwei an Stärke fast gleichen Parteien ein erbitterter Faustkampf geführt wurde. Die Ursache des Kampfes selbst, Heinrich, gab sich alle Mühe, ihn beizulegen –[218] umsonst; – er bat, er flehete, er weinte – er ließ sich sogar von dem ergrimmten Gimpelkönig einen Schlag versetzen, ohne ihn zu erwiedern, – es war vergebens, der Kampf wurde nur erbitterter – bis »Rußbuttenlobel« außerhalb eines Fensters erschien, sich durch den offenen Flügel auf die innere Brüstung schwang und mit vorgehaltenem Spieß ausrief: »Ruhe! im Namen der Obrigkeit, Ruhe! eh' Ihr's Euch versehen werdet, ist der Gensd'arm hier!«
Das wirkte. Die Parteien trennten sich; die Anhänger Heinrichs meinten, man müsse ja nicht bei den »Dickköpfen« sein, und alsbald zogen sie ab und hinauf auf den Tanzboden, wo sie, namentlich dem weiblichen Theile der Gesellschaft, ganz willkommen waren. Heinrich nahm aber traurig in einem Seitenzimmer Platz, und während seine Kameraden walzten, versank er in tiefes Sinnen.
Eine geraume Weile saß Heinrich gedankenvoll allein, als er seine Schulter von einer Hand berührt fühlte und aufblickend Rußbuttenlobel neben sich sah. Heinrich reichte ihm stumm das Glas dar; Lobel trank daraus, gab ihm die Hand und sagte:
»Es war eine Finte mit dem Gensd'arm, Vetter! Ich wollt' Euch nur auseinander haben.«
»Ich danke Dir, Vetter!« erwiederte Heinrich – »ach, ich möchte weinen wie ein Kind über diesen Empfang in der Heimath. Wie hab' ich mich in der Fremde draußen auf diesen Tag gefreut – und nun muß er mir so verdorben werden!«
»Wie konntest Du auch dem Meister Unger so auf sein bestes Hühnerauge treten?« sagte Lobel. »Hast Du denn gar nicht ans Hannel gedacht? Drunten sitzt der alte Vogelfried nun, und tobt[220] und schimpft auf Dich, und sagt ganz unverholen, er wisse wohl, daß Du ein Auge auf seine Tochter hättest, aber eher woll' er sie dem Rußbuttenlobel – also mir – geben, denn so einem Neuerer und Weltverbesserer, wie Du wärest. Wenn das arme Hannel dies wüßte!«
»Ei was wird die sich darum härmen!« erwiederte Heinrich, »wer weiß, will sie noch etwas wissen von mir! Damals, wie ich mit ihr ging, war sie noch ein halbes Kind und ich selbst hinter den Ohren nicht trocken, und inzwischen sind drei Jahre vergangen – ich hab' ihr nie geschrieben – Lobel, lassen wir das Mädel sein – ich weiß ja auch nicht, ob sie heute noch nach meinem Sinne wäre!«
»Sieh sie nur einmal, Heinrich!« fiel der Andere ein, »ich wette meinen Spieß gegen was du willst, sie gefällt dir jetzt noch besser, denn sonst – ach, die Augen werden Dir übergehen, wenn Du sehen wirst, wie das voll und schlank, und blumig und samig geworden ist, so voll Lieblichkeit, daß man's immer anschauen und drüber beten und fluchen vergessen möchte! Komm mit; sie erwartet Dich!«
»Wo?«
»Daheim, bei ihrer Mutter.«
»Wo denkst Du hin, Lobel! Nach dem, was hier vorgefallen ist, kann nicht die Rede davon sein, daß ich die Schwelle des Unger'schen Hauses betrete. Ich hätte nach dieser Geschichte lieber Lust, wieder in die Fremde zu gehen.«
»Und Deine alte Mutter zu verlassen – und das traute Hannel! Du denkst, das Mädel hat Dich vergessen? Das weiß ich besser. Denk' nur, wie ich vorhin zum Kaffee unten war, da erzählt' ich der ganzen Gesellschaft, daß Du da wärest. Da schrie sie laut auf, wurde über und über roth, und als ich sie mit Dir aufzog, rannte sie zur Thür hinaus. Und als ich darauf fortging, stand sie im Grasgarten hinter ihrem Hause, und ließ sich von der Käseblume sagen, ob Du sie liebtest. Und als die Blume sagte: er liebt Dich, kreuzte sie die Hände über das wonnige Herzchen und sah mit entzückten Augen gen Himmel. Sieh, so liebt sie Dich – und Du – ja, die Blume spricht wahr: Du liebst sie, du willst Dir's nur nicht gestehen.«
»Du irrst Dich, Vetter – ich gestehe, daß ich mich des herzigen Kindes gern erinnere, aber mein[222] Herz schlägt ganz ruhig dabei. Wie ist es – wird sie nicht zum Tanz kommen?«
»Seit Du fort warst, ist sie äußerst wenig zur Musik gewesen – aber heute, da sie weiß, daß Du wieder da bist, wird sie wohl kommen.«
»Gut – warten wir das ab – sehen möcht' ich sie wohl, aber in ihres Vaters Haus komm' ich nicht.«
»Und mußt doch einmal Hochzeit darin machen.«
»Still davon, Vetter! Das ist vorbei! – Da, laß frisch einschenken!«
Der Tanz war eben zu Ende; die Tänzer stürmten, soweit es der Platz zuließ, ins Zimmer, wo Heinrich saß. Die Freunde tranken ihm zu und als die Musik von Neuem begann, drangen sie in ihn zu tanzen. Er ließ sich endlich bewegen, aufzustehen, ging langsam nach der Saalthür und musterte den anwesenden Mädchenflor. Es schien nicht, daß ihn Eine anzog – er stand unschlüssig da – auf einmal öffnete sich die gegenüber befindliche Thür des Haupteingangs. – »Da kommt sie,« flüsterte Lobel hinter Heinrich, der die eintretende Gestalt anstarrte.
War das wirklich das Kind, mit dem er einst harmlos »Liebstens« gespielt hatte? War diese[223] vollaufgeblühte Jungfrau, diese gebietende und doch so leicht daher schwebende Gestalt mit dem Zaubergrübchen im rosigen Kinn, dem schwellenden Purpurmund und den meertiefen Augen wirklich die stille Mädchenknospe, die einst an seinem Herzen geruht hatte, sorglos träumend in der sicheren Hut seines reinen Sinnes? Was damals nur Ahnung gewesen, das war jetzt Licht, Fülle, Leben – was einst dulden konnte, daß der Jüngling harmlos mit ihm tändelte, das forderte jetzt Achtung, Verehrung, Liebe. Eine süße Bestürzung, ein minutenlanges Schwanken zwischen Staunen und Entzücken und dann ein Aufflammen des ganzen Feuers, das in seiner Brust verborgen glühte – dann stand er vor ihr mit der stummen, aber tiefen Huldigung, die noch jeder männliche Geist dem Weibe darbrachte, dessen Liebreiz sein Herz rührte. Seine Verneigung vor ihr, die Schüchternheit, mit der er die ihm ebenso schüchtern gebotene Hand nahm, die ehrerbietige Art, mit welcher er sie »Jungfer Hannchen« anredete – das waren die äußeren Zeichen dieser Huldigung; andere hatte der, trotz seinen weiten Wanderungen und seinem Verkehr mit Welschen und Franzosen, einfach gebliebene Gebirgssohn[224] nicht. Und sie? Sie fand ihn freilich nicht in so bedeutsamer Weise verändert, wie er sie – der Schritt vom einundzwanzigjährigen zum vierundzwanzigjährigen Jüngling ist kein so großer, wie der vom fünfzehn- zum achtzehnjährigen Mädchen – aus dem Flaum um den Mund war ein zierlicher Bart geworden, eine weitere äußerliche Veränderung fiel ihr nicht auf. Erst war es ihr gewesen, als müsse sie ihm so frei und munter entgegenhüpfen wie sonst – aber mit einemmal empfand sie ihm gegenüber eine unaussprechliche Beklemmung, ihre Hand zitterte in der seinen und außer dem großen, strahlenden Blick, mit dem sie ihn begrüßt hatte, wagte sie ihm keinen mehr ins Gesicht zu thun, wenn sie merkte, daß sein Auge auf ihr ruhte. So standen sie lange da und wer weiß, wie lange sie es so getrieben hätten, wäre nicht ein junger Mann im lichtblauen Rock auf sie zugekommen und hätte da Hannchen nicht schnell Heinrichs Arm genommen und ihm zugeflüstert: »Wir wollen tanzen, sonst fordert mich Der auf und ich kann ihn doch nicht leiden!« Da flog Heinrich mit ihr in den Reihen und tanzte nach Jahren wieder den ersten heimathlichen Walzer. Vergessen war[225] alles vorhin Vorgefallene – Athem wehete in Athem – Puls schlug an Puls – Blick flammte in Blick. – »Mein Hannchen« klang es herüber – »mein Heinrich« flüstert' es hinüber – und als der Walzer zu Ende war, führte der glückliche Tänzer sein Mädchen mit dem Entschlusse aus dem Saale, nimmer wieder von der Heimath und seinem Hannchen zu weichen.
Dort in dem heimlichen Winkel des Nebenzimmers, wo Heinrich vorhin allein gesessen, nahmen sie jetzt miteinander Platz, und nun ging es an ein Fragen und Erzählen und Händedrücken und – was weiß ich! – Zum Beschluß erklärte Heinrich dem entzückt aufhorchenden Mädchen noch, daß er in vier Wochen Meister würde und wenn's nach seinem Willen ginge, müßte Hannchen in einem Vierteljahr sein liebes Weibchen sein. Da kam »Rußbuttenlobel« und flüsterte: »Kinder! seid »a Bissel« auf Eurer Hut vor dem Kunz-Karl-Fried – wenn er kommt und will mit Ihr tanzen, Jungfer Hannel, so schlag' Sie's ihm nicht ab; Sie weiß, er hat ein Aug' auf Sie, und wenn Sie ihn beleidigt, so geht er hinunter zum Alten und verdirbt Euch die Freude! Ich muß jetzt[226] einmal ins Dorf schauen – seid gescheidt!« Damit verschwand er.
»Was?« sagte Hannchen, »mit dem Kunz soll ich tanzen? Nimmermehr! Ich will nur mit Dir tanzen, Heinrich!«
»Doch,« erwiederte dieser, »doch möcht' ich Dir rathen, ihm wenigstens einen Tanz zu gönnen. Du bist ihm vorhin schon ausgewichen – ein zweites Mal nimmt er's gewiß sehr übel, und dann – ich muß Dir sagen, daß ich bei Deinem Vater in Ungnade gefallen bin – wenn ihm der Kunz hinterbringt, daß wir beisammen sind, so reißt er uns wohl auseinander.«
»So wollen wir fortgehen – ich sage Dir, ich kann und darf nicht mit diesem Menschen tanzen, Du wirst schon noch erfahren, warum –«
»So laß uns noch den nächsten Reihen zusammentanzen,« sagte Heinrich, »damit ich wenigstens einmal bestelle – man möchte mich sonst für einen Lump halten – dann gehen wir spazieren.«
Das Paar erhob sich – aber da stand der Gemiedene schon vor ihnen und bat Hannchen um den nächsten Tanz. Diese schmiegte sich an den Geliebten und ward von ihm dem Unliebsamen im[227] Fluge entführt. »Einen Walzer!« rief Heinrich den Musikern zu, ein Achtgroschenstück auf das Orchesterpult werfend. Schnell war der Tanz im Gange und Kunz hatte das Nachsehen.
Inzwischen fuhr in der Schänkstube Meister Unger fort, dem so unberufen aufgetretenen Gegner des Vogelstellens in tiefster Seele zu grollen und dann und wann diesem Groll durch ein derbes Wort Luft zu machen. »Ich hab' ihm aber doch eins gegeben, daran er denken wird,« sagte er endlich und ließ sich den vierten »Eibenstöcker« geben und noch einen – und wieder einen – da wurde er immer aufgeregter, bis der junge Kunz-Müller von Neuhahn – eben jener Karl-Fried – hereintrat und sich dem »Herrentische« näherte. Er war ein guter Kunde des Gimpelkönigs; als ihn dieser daher zu Gesicht bekam, sänftigte sich sein Zorn etwas, er reichte ihm freundlich die Hand und zog ihn an seine Seite. »Na, wie ist's, Karl-Fried,« redete er den Platznehmenden an, »wollt Ihr meinen Wallheim noch haben? Wenn nicht, so wandert er nach Kirchberg, wo mir Einer fünf Thaler und Tuch zu einem Rock und ein Paar Lödelschuh dafür geboten hat.« Der Wallheim war aber einer seiner[228] gefiederten Schüler, darum so genannt, weil er das Mantellied aus Holtei's »Lenore« sang.
»Was der Wollklopper giebt, kann ich auch noch zahlen,« erwiederte der Müller, »ich nehme den Vogel für einen Doppellouisd'or, aber den Bauer müßt Ihr zugeben.«
»Für eine Metze Heugesäm' – topp! – Wirthschaft, ein Fläschel zum Leihkauf!« rief der Verkäufer. Während der Wirth dem Befehl nachkam, flüsterte der Müller dem Vater Hannchens etwas ins Ohr.
»Da soll doch gleich –« der Fluch erstarb dem empörten Vater auf der Zunge; er sprang auf und eilte zur Thür. Der Ohrenbläser rannte ihm bestürzt nach. »Lieber Meister Unger!« bat er, »seid nicht so hitzig! macht kein Aufsehen! – ich bin dem Hannel gut – und weil wir einmal darauf zu reden kommen, so will ich Euch nur sagen, daß es mein Wunsch ist, Euer Schwiegersohn zu werden.«
Der Alte vergaß seinen Zorn für einen Augenblick. »Wirklich, Karl-Fried? Ist das Euer Ernst?« fragte er erfreut. »Warum habt Ihr mir das nicht schon längst gesagt?«
»Je nun – ich hatte immer das Herz nicht – das Hannel that so apart gegen mich.«
»Ich will ihr das Apartthun schon einstreichen,« erklärte Meister Unger. »Ihr wißt, in meinem Hause bin ich Herr, da gilt, was ich will. Ihr werdet mein Schwiegersohn, Karl-Fried, oder ich will zeitlebens keinen Vogel mehr fangen! Jetzt aber will ich meinen Nickel vom Tanzboden holen, wenn sie mit dem »Leimtiegel« karessirt.«
Er eilte fort und stand in wenig Augenblicken vor den Liebenden, die bei der eben eingetretenen Tanzpause sich in ihren Plauderwinkel zurückgezogen hatten.
»Du gehst augenblicklich mit mir in die Schänkstube oder nach Hause!« herrschte der Vater der Tochter zu.
Hannchen, an unbedingten Gehorsam gegen die Eltern gewöhnt, erhob sich und erklärte, nach Hause gehen zu wollen, wenn sie nicht auf dem Tanzboden bleiben dürfe. Heinrich stand auf und sagte: »Verzeihen Sie mir, Meister Unger, wenn ich Sie beleidigt habe – es war bestimmt nicht meine Absicht –«
»Mit Ihm hab' ich gar nichts zu reden,« versetzte Jener, »und Er hat nichts mit meiner Tochter zu reden, merk' Er sich das, und wenn Er dem[230] Mädel nachläuft, so will ich's Ihm schon einstreichen!«
Das liebende Paar wäre dem Ergrimmten gern um den Hals gefallen, wenn der Ort eine solche Scene gestattet hätte. Mit feuchten Augen fügte sich Hannchen in den Befehl ihres Vaters. Er wollte sie mit in die Schänkstube nehmen, allein sie machte sich los und ging weinend nach Hause.
Heinrich hatte ihr mitgetheilt, auf welche Weise er dazu gekommen war, den Vater so gegen sich zu erbittern, und sie kannte diesen zu gut, um nicht zu wissen, wie ernst und dauernd diese Erbitterung sein mußte. Aber so tief sie darum den Vorfall beklagte, so konnte sie doch dem Geliebten nicht Unrecht geben, daß er so freimüthig als Anwalt der armen Vöglein aufgetreten war, und wiewohl sie bisher über das Unrecht, das in der Liebhaberei des Vogelstellens lag, noch wenig nachgedacht hatte, so war es ihr doch sofort einleuchtend, und mit dem Feuer eines edlen Gemüthes faßte sie den lebhaftesten Abscheu dawider. Es beunruhigte sie sogar, daß sie ihren Vater zuweilen nach dem Vogelherd begleitet, Beeren für denselben gesammelt, auch wohl, wenn er selbst abwesend war, an seiner Statt[231] den Herd besorgt hatte. Sie beschloß, sich künftig solchen Aufträgen nur gezwungen zu fügen. Daheim angelangt, fiel sie ihrer Mutter weinend um den Hals und gestand ihr ihr Glück und ihr Leid. Frau Unger tröstete die Bekümmerte, billigte ihre Liebe, ermahnte sie zur Geduld und versprach ihr, Alles aufzubieten, um ihr den Weg zur Hochzeit zu ebnen.
Den folgenden Tag gab es zwei Brautwerbungen im Ungerschen Hause. Die eine kam schriftlich an die Hausfrau, Rußbuttenlobel war ihr Ueberbringer und Heinrich ihr Absender – die andere brachte Kunz-Karl-Fried in Person bei dem Hausherrn an. Dieser saß indeß nicht auf dem hohen Pferde wie gestern; er war mit einem Rausche heimgekommen, und dessen schämte er sich heute vor seiner Familie. Er nahm daher den ihm so lieben Werber etwas kleinlaut auf und schob, um seine stillzürnende Ehehälfte zu begütigen, ihr die Entscheidung über diese Angelegenheit zu. Frau Unger aber entschied so: »Meister Kunz, Er hat schon Sein Theil – heirath' Er das arme Mädel, dem Er die Ehre genommen!« Verblüfft vernahm der reiche Bewerber diesen Bescheid, stotterte etwas von[232] dem Unpassenden, ein so armes Ding wie die Gemeinte zu seiner Frau zu machen, und zog sich, als ihm hierauf Frau Unger eine tüchtige Lection in Wellersgrüner Hochdeutsch gegeben, mit dem erhandelten Gimpel zurück, jedoch ohne seine Hoffnung auf Hannchens Besitz ganz aufzugeben, da er auf seinen Geldsack und Meister Jobsts Gunst pochte.
Ganz andern Bescheid trug Rußbuttenlobel von Frau Unger heim. Zwar auf eine schriftliche Erwiederung des schriftlichen Antrages konnte die Gute sich nicht einlassen, da es zu ihrer Jugendzeit in Wellersgrün noch nicht Sitte gewesen war, daß ein Mädchen schreiben lernte – aber der freundlichste Gruß und die herzlichste Zusage legte sie dem Liebesboten in den Mund, und dieser war nicht der Mann, der eine Silbe fehlen ließ, wenn er etwas auszurichten hatte. »Was die Einwilligung meines Alten betrifft,« hatte die wackere Frau gesagt, »so wird es zwar etwas Zeit und Mühe kosten, sie zu erlangen, aber einmal muß er doch Ja sagen.«
»Du lieber Gott!« rief Heinrich, als er dies vernahm, »heute über zwanzig Jahre ist auch »einmal!« Da kann mir's gehen, wie dem Lautersgrüner Pastor, – der hat sich mit seinem Schatz[233] auch zwanzig Jahre geschleppt und wie er endlich zu der Pfarre gekommen, daß er hat heirathen können, sind sie beide halb stumpf gewesen!«
»Ich denk', so soll's Dir nicht gehen,« tröstete Lobel, »der alte Gimpelkönig hat zwar einen harten Kopf, aber ich glaub', er ist mürb' zu machen – ich hoffe, Du führst Dein Hannel in Kurzem heim, wenn Du mir folgst.«
»Vetter – Herzensvetter – sprich, was soll ich thun?«
»Du mußt den Alten mürb' machen – mußt mit ihm um die Wette vogelstellen und Gimpel lernen –«
»Nimmermehr!«
»Versteh mich recht – Du sollst's nur zum Schein – sollst selbst nicht einen einzigen Vogel fangen, aber sollst einen Vogelherd bauen – dem Alten in den Strich – und ihm so den Fang verderben, Du weißt ja Bescheid damit.«
»Man muß auch den Schein des Unrechts meiden, besonders wenn man sich zu seinem Bekämpfer aufwirft.«
»Auch um dieses Bekämpfens willen ist es gut, wenn Du scheinbar umlenkst. Du hast es ganz[234] falsch angefangen, daß Du so mit der Thür ins Haus fielst. Böse Gewohnheiten sind wie Warzen – Wegschneiden hilft nicht, man muß sie durch Sympathie vertreiben. Jetzt, wo Du das ganze vogelstellende Wellersgrün vor den Kopf gestoßen hast, magst Du noch so schöne Reden wider den Vogelfang halten, Du predigst doch tauben Ohren. Mach' es einmal ganz anders! Gewinne Dir zuerst den Eckstein der Vogelstellerzunft, den Gimpelkönig, geh' ihm in seiner Leidenschaft zu Leibe! Ich verschaffe Dir Gimpel zum Lernen – und Du mußt ein paar lernen, vor welchen sich alle Gimpel des Gimpelkönigs verstecken müssen. Er muß seine Reputation in Gefahr kommen, muß sie auf Dich übergehen sehen – so wird er mürbe und kapitulirt!«
»Vetter!« rief Heinrich und schloß die Wellersgrüner Sicherheitspolizei mit einer Freude in seine Arme, die dieses Institut ihm anderwärts nicht eingeflößt hatte – »Vetter! Du bekommst in meinem Hause deinen Auszug – Dein Plan ist göttlich – daß ich nicht selbst darauf verfiel! – Aber ich bin zu sehr verliebt, dergleichen auszudenken. – Vetter, mach' Deine Sach', ich mache die meine!«
Die Zeit des Gimpelfangs war wieder da, und es that auch noth, denn Meister Ungers Kapelle war durch einen in letzter Zeit ungewöhnlich starken Absatz sehr zusammengeschmolzen und er mußte rekrutiren. Hannchen hatte sich längst auf diesen Zeitpunkt gefreut, denn nun lag ihr Vater zu halben Tagen im Vogelherd und sie konnte den Geliebten unter den Augen ihrer Mutter täglich bei sich empfangen.
Dieser war inzwischen Meister geworden, erfreute sich einer guten Kundschaft, und sein Hauswesen war so in den Stand gesetzt, daß er jeden Tag ein Weibchen heimführen konnte. Bisher war es ihm nur selten vergönnt gewesen, die dazu Auserkorene auf Augenblicke verstohlen zu sprechen – mit welchem Entzücken ging er am ersten Nachmittage,[236] da Meister Unger auf dem Vogelfang war, frank und frei in das ihm geöffnete Haus!
Ein Glück war es, daß der »Kunz-Karl-Fried« nicht im Orte hauste, sonst wäre dem glücklichen Freiersmann die Freude bald wieder versalzen gewesen; aber die Wellersgrüner konnten ihn immerhin zu seinem Schätzchen gehen sehen, die hielten das Geheimniß eines liebenden Paares heilig. Einiges Aufsehen machte es indeß, als man erfuhr, der Sacher Heinrich, der sich in der Schänke so kräftig gegen den Vogelfang ausgesprochen, habe jetzt selbst im Niederwellersgrüner Hammerwalde einen Vogelherd angelegt – aber auch dies fand man bald in der Ordnung, indem man es als ein »Blendwerk« deutete, daß der pfiffige Liebhaber nothgedrungen dem Vater seiner Liebsten vormache, um diesem die Meinung beizubringen, er wäre gleich ihm selber auf dem Vogelfang, während er ganz gemüthlich um das Töchterlein freiete. Als aber Meister Unger die sonderbare Mär von Heinrichs Anstalten zum Vogelstellen hörte, rieb er sich vergnügt die Hände. »Da hat man das Großmaul!« sagte er, »wie es außer der Zeit war, da konnt' er gut wider das Vogelstellen predigen, aber kaum[237] ist die Zeit da, da kann er's selbst nicht lassen. Ja, lehrt mich das nicht kennen! Was einmal zum Vogelfang geboren ist, kann sein' Lebtag' nicht davon loskommen! – Meine Tochter kriegt er aber nun doch nicht!«
Vier Wochen des herrlichsten Wetters für den Vogelfang gingen in das Land. Täglich ging Meister Unger ans Werk und täglich kehrte er heim, ohne mehr zu fangen, als hin und wieder einen »lumpigen Quäker«. Das edlere Geflügel, wie Grünertse, Zippen, namentlich aber Gimpel, schien ihm ganz und gar den Rücken gekehrt zu haben. Noch drei gelernte Gimpel hatte er in seinem Besitz und die Nachfragen nach diesen Sängern häuften sich wie noch nie. Nach Monatsfrist war er auch nicht um einen reicher.
Man hätte glauben sollen, das fortwährende Fehlschlagen aller Bemühungen wäre das Grab von Seiner Majestät Geduld geworden; aber man hat keinen Begriff von der Geduld eines leidenschaftlichen Vogelstellers. Meister Unger wurde durch das Mißlingen seiner Operationen nur um so erpichter, zumal da die Anreizungen von Außen – Bestellungen auf gelernte und ungelernte Gimpel –[238] sich mehrten. Aus diesen Bestellungen ersah er zugleich, welch' ungeheuern Ruf er erlangt hatte, und er war nicht der Mann, der gegen solchen Ruf gleichgültig sein, ihn ohne Schmerz verlieren konnte. Davon, daß viele Aufträge fingirt, ein bloßes Machwerk Rußbuttenlobels waren, hatte er freilich keine Ahnung. Statt des halben, legte er sich bald den ganzen Tag auf seine Lieblingsbeschäftigung; es fehlte wenig, so wäre er ganz hinaus auf den Vogelherd gezogen. Es war aber Alles umsonst – das Glück hatte sich entschieden von ihm gewendet. Dagegen mußte er hören, wie dem Sacher die »rarsten« Vögel zuströmten und wie dieser bereits im Besitz einer so zahlreichen Gimpelkapelle sei, wie er selbst sie nie beisammen gehabt. Da wurde dem Gimpelkönig angst und bang um seinen Ruhm – wenn jetzt bei seiner Anwesenheit zu Hause ein städtischer Besuch kam, versteckt' er sich und ließ sich verläugnen, denn er wußte nicht, wie er seine Armuth an Sängern beschönigen sollte. Er begann an Zauberei zu glauben, und als er eine Zeitlang weiter nichts fing, galt es ihm als ausgemacht, daß sein Vogelherd behext sei – und wer konnte der Hexenmeister anders sein, als der in Welschland und[239] Frankreich mit allen Teufelskünsten bekannt gewordene Sacher? – Der Hexenmeister war jedoch Niemand als Rußbuttenlobel, welcher sich im Besitz eines Mittels befand, wodurch der für die Vögel ausgehängte Köder diesen schon von Weitem verleidet wurde – eine feine Essenz, womit Lobel in der Nacht die Beeren, oder worin sonst der Köder bestand, besprengte und dadurch die Vögel verscheuchte.
Mittlerweile machte der Müller aus Neuhahn vergebliche Versuche, sich bei Frau Unger sowohl, als bei Hannchen in Gunst zu setzen. Ein goldener Henkeldukaten an schwarzem Sammethalsbande wurde von ersterer ohne Antwort zurückgeschickt, und eine schwere goldene Halskette erfuhr bei Hannchen, die eben keine Danae war, gleiches Schicksal. Herr Kunz, der nicht begriff, wie ein Frauenzimmer blind gegen die Reize des Goldes sein könnte, argwöhnte ganz richtig, daß doch wohl der Sacher Heinrich noch zu dem Hannchen schleiche. Er legte sich in den Hinterhalt, um darüber ins Reine zu kommen, und brauchte nicht lange zu lauern, um seinen Verdacht bestätigt zu finden. Eine Stunde später erfuhr Meister Unger auf dem Vogelherd die[240] Schreckenspost, daß der Mensch, der an all seinem Unglück schuld war, hinter seinem Rücken in sein Haus »auf die Freiet« ginge. »Der Mensch bringt mich unter die Erde!« rief der betrogene Vater aus und das Wasser trat ihm in die Augen vor Zorn und Schmerz. Er kratzte sich hinter den Ohren, raufte sich die Haare, lief im Vogelherd auf und ab und fragte: »Was soll ich thun? Den Vogelherd verlassen und nach Hause eilen, dort Ordnung zu schaffen? Aber wer weiß, mach' ich nicht gerade heute einen guten Fang? O ich geplagter Mann! Drin in meinem Hause geht's drunter und drüber und hier hält mich das Geschäft. – Herzens-Karl-Fried«, redete er diesen weinerlich an, »jetzt kann ich unmöglich von hier fort – Ihr müßt Euch gedulden – wenn ich nach Hause komme, will ich meinem Weibsen den Marsch schon machen. Verlaßt Euch auf mich, der Tischler kommt mir nicht wieder ins Haus!«
Es giebt keine blindere und verkehrtere Leidenschaft als die Eifersucht einer aufdringlichen Liebe. Kunz begriff nicht, daß eine angefochtene Liebe nur heißer und fester wird. Als Meister Unger am Abend seinem »Weibsen den Marsch machte« und[241] Heinrichs Besuche in seinem Hause streng untersagte, unterwarfen sich zwar Weib und Kind dem Verbote; aber die wußten schon, wo sie waren: sie waren ja »d'rham« in Wellersgrün, im lieben Gebirge, wo verfolgte Liebe überall Schutz findet, wenn nicht unter dem eigenen Dache, so doch in irgend einem Nachbarstübchen, oder, wenn es sein muß, draußen im schattigen Tannenwald. »Ihr werdet einander doch dann und wann sehen,« tröstete die Mutter ihr Kind, »morgen gehst Du zur Muhme Christliebe zu Rocken, und wenn früh das Rußbuttenlobel kommt, so steck' ich's ihm, dann erfährt's Dein Heinrich schon.«
Die Bestellungen auf Gimpel, welche Meister Unger erhalten und angenommen hatte, beliefen sich schon auf ein paar Dutzend, und er hatte noch immer nur seine alten drei Stück. Man kam und mahnte – er vertröstete – aber seine Hoffnungen auf eine Wendung seines Unsterns schlugen fehl – er konnte sein Wort nicht halten – er stand am Abgrunde seines Ruhmes. Heinrich hatte eine Menge der begehrten Vögel und zum Theil schon gelernte – wenn Ungers Kunden davon erfuhren, so war er »gepritscht«, und Heinrich trat an seine,[242] so lange mit Ehren behauptete Stelle. Als er eines Abends glücklos wie immer heimkehrte, kam ihm wohl der Gedanke, es koste vielleicht nur ein Wort bei dem Tischler, so ließe dieser ihm einen Theil seiner Herde, und er könne damit seine Ehre retten – aber dieses Wort zu sprechen, war ihm unmöglich. Den Abend darauf schüttete er gegen Rußbuttenlobel, dem er nicht im mindesten mißtrauete, sein ganzes Herz aus. Der schlaue Wächter unterließ nicht, auf der einen Seite den Ehrgeiz des alten Voglers gehörig zu streicheln, auf der andern aber Heinrichs Virtuosen in das glänzendste Licht zu stellen. In der That war es dem jungen Tischlermeister gelungen, ein paar Gimpel vorzüglich gut abzurichten; der eine sang sogar zwei Melodieen: »Kommt a Vogerl g'flogen« und »Hörst Du nicht die Vöglein singen« – ohne allen Anstoß und mit einer Richtigkeit des Zeitmaßes, die Unger seinen Sängern nie beizubringen wußte. Diesen Vogel taufte Rußbuttenlobel den »Steiermärker« und er hatte es durch seine Beredtsamkeit bald dahin gebracht, daß Meister Gottfried von Begierde brannte, den »Steiermärker« zu hören, ja wo möglich zu besitzen. Lobel äußerte jedoch bescheidene Zweifel[243] in Bezug auf die Erfüllung des letzten Wunsches, dagegen versprach er zur Erreichung des ersten behülflich zu sein, nur müsse er abwarten, wenn Heinrich einmal einen Nachmittag nicht zu Hause wäre, da wolle er dem Meister den Steiermärker auf den Vogelherd bringen.
Der Nachmittag, wo Heinrich nicht zu Hause war, mußte natürlich bald kommen, und Rußbuttenlobel zog vergnügt mit dem Käfig, welcher den Steiermärker beherbergte, hinaus nach Ungers Vogelherd. Der arme Mann hatte eben wieder einen Schritt näher zum Grabe seines Ruhmes gethan: er hatte »kein Schwänzel« gefangen und war recht niedergeschlagen, als Lobel in den Herd eintrat. Dem ehrlichen Boten das Bauer entreißen, das es verhüllende Tuch wegziehen und den Gimpel nach allen Seiten betrachten, war eins. Lobel intonirte und der Steiermärker begann. Lange lange schon war dem Gimpelkönig auf seinem jetzt wackeligen Throne kein Ohrenschmauß zu Theil geworden, wie in diesem Augenblick. Es war ihm, als müsse er den Sänger küssen – er schnalzte mit der Zunge – klatschte in die Hände – er setzte den Vogel vor sich auf die Bank und kauerte andächtig davor[244] – am Ende fing er an zu greinen und sagte: »Mit mir ist's aus – wenn die Leute dich hören, Steiermärker, so will kein Mensch von mir einen Gimpel mehr, und ich heiße der Gimpelkönig nur noch zum Spott! – Rußbuttenlobel, verschafft mir den Steiermärker!«
»Das steht nicht in meiner Macht – Ihr könnt denken, daß mein Vetter den Vogel auch gern hat – ja, ich sag' Euch, er hält ihn wie seinen Augapfel, und wenn er wüßte, daß ich ihn hier herausgetragen hätte – ich käme ins Teufels Küche!«
»Oho! ich werd' ihn nicht behexen, wie mir der Sacher den Vogelherd behext hat,« erwiederte Meister Unger. »Lobel! ich bitt' Euch, verhelft mir zu dem Gimpel da!«
»Ich will dem Heinrich sagen, daß Ihr –«
»Nein! nein! er darf nicht wissen, daß ich den Vogel haben will.«
»Das würde ihm ja doch nicht verborgen bleiben, wenn der Vogel in Eure Hände käme,« sagte Lobel und versprach alles Mögliche zu thun, um seinem Vetter den Gimpel feil zu machen.
Von Stund' an war es um den letzten Rest von des Gimpelkönigs Seelenruhe geschehen. Der[245] Gesang des Steiermärkers klang ihm in den Ohren, wo er ging und stand. Daheim, auf dem Vogelherd, auf dem Felde, überall war es ihm, als hörte er's tönen: »Kommt a Vogerl g'flogen, setzt sich auf mein'n Hut« – er träumte wachend und schlafend von dem niedlichen Sänger. Er fing schon an, den Zwiespalt mit dem Eigenthümer desselben zu beklagen, begann zu bereuen, daß er ihn beleidigt, geschlagen, aus dem Hause gewiesen – ach! wenn es ihm nur möglich gewesen wäre, dem Beleidigten die Hand zur Versöhnung zu bieten! Wie sich jetzt herausstellte, war es dem Tischler ja mit dem Verdammen des Vogelfanges gar nicht so ernst gewesen, als man es aufgenommen hatte – jetzt ließ sich schon mit ihm leben – aber ihm entgegengehen? – nein – das wäre eine Erniedrigung gewesen, ein solcher Gedanke durfte nicht aufkommen. »Wenn nur das Rußbuttenlobel käme!« seufzte der Geplagte, als er wieder leer vom Vogelherd heimkehrte.
Rußbuttenlobel kam.
»Es kann nicht anders sein,« klagte der unglückliche Vogelsteller dem würdigen Polizeimann, »mein Vogelherd ist behext – zwei Tage hab' ich wieder kein Schwänzel gefangen.«
»Das glaub' ich,« sagte Lobel, »in den letzten zwei Tagen ist mein Vetter beständig auf seinem Herd gewesen, da konntet Ihr nichts fangen, Meister Unger!«
»Wie so? – sagt mir's, wie so?«
»So fragt man die Bauern aus, Meister Unger –«
»Lobel, sagt mir's – es soll Euer Schade nicht sein – der Sacher kann hexen, gelt?«
Lobel machte eine geheimnißvolle Miene, rückte seine Mütze, kratzte sich das Hinterhaupt, nahm den Frager beim Arm und flüsterte ihm ins Ohr: »Versprecht Ihr mir, daß Ihr mich nicht verrathen wollt, Meister Unger?«
Dieser schwor »Stein und Bein« und Lobel sagte darauf: »Der Heinrich hat ein Mittel, alle Vögel eine Stunde im Umkreis an sich zu locken – ich weiß nicht, worin es besteht, aber so viel kann ich Euch sagen: die Kraft liegt im Köder – die Beeren sind in eine Flüssigkeit getaucht, deren Bereitung ich vergebens erforscht habe, sonst hätte ich Euch längst ein Fläschchen davon verschafft –«
»Um's Himmelswillen, verschafft mir eins!« unterbrach ihn der leichtgläubige Hörer.
»Das ist unmöglich, ich müßt' es denn stehlen – das wäre ein schöner Streich von einem Polizeimann. Aber hört – ich weiß einen Weg, Euch zu helfen. So viel hab' ich nach und nach ausspionirt, daß mein Vetter vor jedem Fang frische Beeren – ich glaub', es sind Pfaffenhütle – nimmt und sie auf dem Vogelherd selbst zubereitet. Ihr müßt sehen, wie Ihr solche Beeren in Eure Gewalt bekommt. Der Heinrich bleibt nie wie Ihr einen ganzen Nachmittag auf dem Herd – er geht stundenlang davon weg und wieder hin, wie's ihm gelegen ist. Nun dürft Ihr nur einmal abpassen, wenn er eine solche Pause macht – da schleicht Ihr – ja so, das geht nicht – eine Mannsperson und eine verheirathete Weibsperson darf die Beeren, wenn sie einmal geweiht sind, nicht berühren, sonst verlieren sie ihre Kraft; es muß eine reine Magd sein, welche die Beeren nimmt – und auch nicht zu jeder Zeit darf das geschehen, sondern nur zum Neumond –«
»Ich schick's Hannel,« fiel Meister Unger ein.
»Aber wird die gehen – wird die ihren Herzensschatz bestehlen?«
»Ei was! – so was ist kein Diebstahl, dergleichen[248] kommt unter Jägersleuten vor. Also zum Neumond, sagt Ihr, muß es geschehen?«
»Zu keiner andern Zeit – all solch Hexenwerk will beim Neumond getrieben sein.«
»Gut – wenn haben wir den nächsten Neumond?«
»Uebermorgen.«
»Das ist herrlich! Aber wird da der Sacher gerade auf den Vogelherd gehen?«
»Und wenn er sonst nie ginge, den Neumond versäumt er nicht. Instruirt nur's Hannel gut, damit sich's nicht erwischen läßt! Und noch eins, das ich bald vergessen hätte – wenn sie hingeht, muß sie stracks nach dem Herd gehen, darf nicht davor stehen bleiben, sich nicht umsehen und keinen Laut von sich geben, bis sie bei den Beeren ist, und wenn sie die hat, muß sie, ohne sich umzusehen, wieder fortgehen. Das schärft ihr ja recht ein!«
In der Erwartung des Neumonds und des damit verknüpften Hexenstückleins schlichen dem Gimpelkönig die Stunden langsam dahin. Er hatte jetzt für nichts mehr Sinn als für den Köderraub, selbst der Steiermärker trat etwas in den Hintergrund, doch vergaß er ihn nicht ganz, und als am[249] Vorabend des verhängnißvollen Tages ein Brief von Leipzig an ihn kam, worin ein Unbekannter anfragte, ob es wahr sei, was man von dem wunderbaren Gimpel spräche, der zwei Melodieen mit unerhörter Virtuosität sänge, und ob dem Herrn Unger – denn sonst könne doch Niemand im Besitz eines solchen Wunders sein – das Thier feil wäre – als Meister Unger diesen Brief gelesen, behauptete der Steiermärker den gleichen Platz mit dem morgenden Abenteuer. Er konnte unmöglich schlafen – als Lobel in der Nähe die zehnte Stunde abrief, schlich er sich hinaus zu ihm und bat ihn, nach dem Abrufen zu ihm zu kommen und ein Gläschen »Eibenstöcker« mit ihm zu trinken, denn als Krämer führte er selbst seinen Magentrost im Laden.
Lobel ließ nicht vergebens auf sich warten. Was die Beiden da mit einander ausgemacht haben, weiß ich nicht; aber am folgenden Morgen erschien der Wächter sehr früh bei Heinrich, lachte im ganzen Gesichte und sagte: »Heinrich, das Eisen ist warm – nun schmiede zu! Heute oder nie wird die Komödie aus.«
Nie war der Gimpelkönig seinen Angehörigen milder erschienen, als am heutigen Tage. Nicht ein einzigesmal ließ er sich als Topfgucker betreffen, nicht ein einzigesmal keifte er um ein Nichts. Der wackern Hausfrau widerfuhr das Unglück, daß »der Götzen« in der Röhre anbrannte – wenn es nun nichts setzt, dachte sie, so geht ein Wunder vor! Aber der gestrenge Hausherr verlor kein Wort darum, er setzte sich zu Tische und verschlang seinen Götzen sammt der verbrannten Rinde in schweigsamer Hast. Das frohe Staunen der Frau und Kinder war groß.
Eben so groß, aber minder froh war Hannchens Staunen, als nach dem Essen der Alte sie ersuchte, sich fertig zu machen, daß sie mit ihm auf den Vogelherd gehen könne. Was sollte sie auf dem Vogelherd? Sollte sie an einem Geschäft sich[251] betheiligen, das ihr Heinrich sie als ein Unrecht verabscheuen gelehrt? Sie machte Ausflüchte, aber umsonst; sie mußte sich entschließen, und ihre Mutter, von Lobel gestimmt, forderte sie selbst auf, diesmal dem Vater zu willfahren. »Nimm Dein Handkörbchen mit!« befahl er beim Fortgehen, und dem nachkommend, trat sie an seiner Seite den Gang an. Aber statt nach dem Gemeindeholz, wo der väterliche Vogelherd stand, ging es nach dem Hammerwalde. »Dort ist ja nicht Dein Vogelherd!« sagte sie stehen bleibend.
»Komm nur!« erwiederte er, »wir machen einen Umweg; dort giebt's viel Beeren, die mir fehlen, die wollen wir mitnehmen.« Und sie schritten weiter. »Hannel!« sagte er bald darauf im sanftesten Tone, dessen er den Seinen gegenüber nur fähig war, »Hannel, Du mußt mir einen Gefallen thun – wer weiß, ob ich Dir nicht auch einen thun kann.«
Hannchen, die einer solchen Sprache aus dem Munde ihres Erzeugers gar nicht mehr gewohnt war, fühlte sich ganz gerührt dadurch und sagte: »Ich bin Dir ja immer folgsam gewesen – nur wegen des Kunz-Karl-Fried war mir's unmöglich, Dir zu gehorchen – ach, Vater! dringe mir doch[252] diesen Menschen nicht weiter auf! ich will auch Alles thun, was Du nur willst.«
»Gut, Du sollst Deinen Willen haben, wenn Du den Kunz nun einmal nicht leiden kannst – aber laß mich nun auch meinen Willen haben.«
»Nun?« fragte Hannchen mit erleichtertem Herzen.
»Geh – hm – je nun – Du sollst mit Deinem Körbchen hinübergehen nach des Sacher Heinrichs Vogelherd – siehst Du, dort in der Telle liegt er – Dort wirst Du viel Lockbeeren finden – davon sollst Du mir ein Körbchen voll holen.«
»Die Beeren sind aber ja nicht unser.«
»Das weiß ich wohl – sie sind dem Sacher – aber ich muß die Beeren haben – wenn Du mir sie nicht holst, so nehm' ich mein Wort zurück und Du mußt den Kunz-Karl-Fried doch heirathen!«
Hannchen schrak zusammen. Sie hatte als einfaches gebirgisches Landmädchen keinen rechten Begriff von der Ausdehnung der väterlichen Gewalt, daher zitterte sie bei dem Gedanken, daß ihr Vater sie wohl am Ende ebenso gut zu einer Heirath mit dem ihr verhaßten Bewerber zwingen, als er seine Einwilligung zur Verbindung mit dem Geliebten verweigern konnte. In der Angst ihres Herzens[253] gehorchte sie ohne Weiteres. Ihr Vater versicherte, daß sie nicht zu fürchten brauche, erwischt zu werden, da der Eigner des Herdes erst vor einer Stunde heimgegangen sei, schärfte ihr noch Rußbuttenlobels Anweisungen ein und entließ sie mit den Worten: »Ich verberge mich hier im Gebüsch und erwarte Dich.«
Die Entfernung des Sacherschen Vogelherdes von besagtem Gebüsch betrug nur zehn Minuten; in spätestens einer halben Stunde mußte Hannchen mit dem Raube zurück sein. Allein es vergingen Dreiviertelstunden und die Abgesandte ließ sich nicht wiedersehen. Der Alte harrte in fieberhafter Aufregung – an dem glücklichen Erfolge des Unternehmens hing sein Ruf, seine Ruhe, das Glück seiner Tage, wie er wähnte. Von Minute zu Minute steigerte sich diese Erregung. Er trat von Zeit zu Zeit aus seinem Versteck und spähete nach der Gegend des Vogelherdes hinüber – aber Hannchen zeigte sich nicht. Endlich übermannte ihn die Unruhe seines Herzens – es litt ihn nicht mehr auf dem Platze – er mußte sehen, was aus dem Mädchen geworden. Er zog sich in dem Gebüsche, das den Hammerwald säumte, langsam und vorsichtig[254] nach dem Vogelherde hin. Jeden Augenblick, wenn ein Vogel im Gebüsch sich regte, glaubte er, die Tochter käme, aber er fand sich allemal getäuscht. So gelangte er in die Nähe des Herdes. Keine Spur von einem Menschen rings zu sehen. Er kroch auf allen Vieren nah an die Einfriedigung – es war so still hier wie auf dem Friedhofe. Nur dann und wann drang das Pfeifen eines Lockvogels aus der Reisighütte des Vogelherdes. Sollte Hannchen etwa da drinnen und eingeschlafen sein? Er schlich sich hinan – es war, als vernähme er ein Flüstern und Murmeln – er bog einige Zweige zurück, um ein Guckloch zu erhalten – Himmel! welch ein Schauspiel öffnete sich da seinen Blicken! Da saß sie, die Pflichtvergessene, in den Armen ihres Buhlen; vor ihr stand das Körbchen, halb gefüllt mit Beertrauben, während eine Menge dergleichen auf Heinrichs Schooß lag. Andere hielt er in seiner Linken – aber was that er damit? Er zählte die Beeren daran – »fünfundzwanzig,« schloß er halblaut – »also weiter, mein Kind! fünfundzwanzig Küsse als Lösegeld!« – Und die Gefangene? Da hält sie das Mäulchen hin und zahlt, zahlt so prompt, wie es nur auf der Wechselbank geschehen[255] kann. Fünfundzwanzig baare Küsse zählt der erstaunte Vater, dann sieht er, wie die Zahlerin die Traube lächelnd nimmt und sie in das Körbchen wirft – mithin hat sie alle Trauben, die darin liegen, mit solcher Münze ausgelöst! Und weiter muß er sehen, wie Heinrich schon wieder eine andere Traube ergriffen hat und daran zählt – also soll es so fortgehen, bis alle Beeren ins Körbchen gewandert sind? Welch Vaterauge könnte das mit ansehen?
»Was ist das?« ruft Meister Unger in die Scene hinein und steht einen Augenblick später zürnend vor dem auseinandergeprallten Paare. Wehe! welch' ein Wetter wird nun über die Erschrockenen hereinbrechen? – Doch horch! welch ein Tönen dringt an das Ohr des Ergrimmten und schmeichelt sich weich und lieblich in seine innerste Seele hinein? »Kommt a Vogerl g'flogen«, singt der Steiermärker zur Seite seines Herrn – wie bezaubert steht der Gimpelkönig da, und lauscht und lauscht, vergißt Vaterzorn und Kindesungehorsam und hat nur Augen und Ohren für den kleinen Sänger. Und wie dem ersten Stücklein gar das andere folgt:
da wird er so gerührt, so von Entzücken hingerissen, daß es ein Blinder wahrnehmen möchte, geschweige denn die scharfsichtige Liebe. Kaum hatte der Steiermärker ausgesungen, so ergriff Heinrich den Käfig und reichte ihn dem Lauschenden mit den Worten: »Nehmen Sie den Vogel, Meister Unger; er war längst für Sie bestimmt und alle meine Vögel sollen Sie haben – seien Sie nur wieder gut mit mir!« Und Hannchen warf sich an die Vaterbrust und bat mit für den Geliebten und für sich selbst: »Du siehst, ich that Deinen Willen, aber ich wurde ertappt, und da ich Dir für mein Leben gern die Beeren verschaffen wollte, an denen Dir so viel gelegen schien, so unterwarf ich mich der Bedingung, unter welcher ich sie allein retten konnte: ich löste sie aus.«
»Und das ist Dir gewiß nicht sauer geworden, Du Taubenschnabel!« fiel ihr der Alte ins Wort. Dann wendete er sich an Heinrich: »Er will mir den Steiermärker wirklich lassen?« fragte er.
»Den Steiermärker sammt meinem ganzen Reichthum an Gimpeln.«
»Und was will Er dafür haben?«
»Für Geld sind mir die Vögel nicht feil – schenken Sie mir Ihre Freundschaft!«
Das war für den Gimpelkönig zu viel. Er fühlte, wie schwer er den jungen Mann gekränkt hatte – und doch schenkte derselbe ihm jetzt den unschätzbaren Steiermärker – solche Großmuth hätte einen Botokuden rühren müssen – er richtete sich in die Höhe und sagte: »Von einem fremden Menschen kann ich kein Geschenk nehmen, Meister Sacher.«
»O so lassen Sie das Fremdsein zwischen uns aufhören – machen Sie mich zu einem Gliede Ihrer Familie – zu Ihrem Sohne!«
Hannchen umschlang mit dem Bittenden zugleich den mit seinem Ausspruch Zögernden – da trat das bis jetzt versteckt gebliebene Rußbuttenlobel leise hinter ihn, intonirte, und der Steiermärker sang: »Hörst Du nicht die Vöglein singen.« Da war von einem längern Widerstande gegen die Bitten der Liebenden keine Rede.
»Wenn Ihr denn durchaus nicht voneinander lassen könnt, so habt Euch in Gottes Namen!«[258] sprach der Alte, drängte die Glücklichen von sich weg und schloß dafür den Vogelbauer mit dem Steiermärker in seine Arme.
»Wann soll ich Euch denn die andern dreißig Vögel bringen, Meister Unger?« fragte Rußbuttenlobel vortretend.
»Ihr auch da, Lobel?« rief der Gefragte.
»Ja,« sagte Lobel; »ich hatte Lunten, daß hier 'was Polizeiwidriges im Werke wäre, und da gehörte ich auf den Plan. Ich bin nur froh, daß Alles so abgelaufen ist, denn es ist ein traurig Amt, der Gerechtigkeit in die Hände zu arbeiten, viel lieber schanz' ich der Geistlichkeit 'was zu.«
Den andern Tag erfuhr ganz Wellersgrün und auch die Neuhahner Mühle durch die getreue Dorfpost die unerwartete Kunde von der Aussöhnung der Meister Gottfried und Heinrich und des Letzteren Verlobung mit Hannchen. Der Verlobung folgte bald die Hochzeit, und als Heinrich im Besitze seines Schatzes war, ließ er nicht nur seinen Vogelherd wieder eingehen, sondern bekämpfte auch aufs Neue, jedoch mit mehr Behutsamkeit und Mäßigung, als jenen Sonntag, die Leidenschaft seiner Heimathgenossen für den Vogelfang. Der Schwiegervater[259] wurde leichter, als sich erwarten ließ, durch die Großvaterfreuden bekehrt, und wenn ihm auch der Steiermärker, so lange er lebte, schon als Vermittler dieser Freuden lieb und werth blieb, so war sein Vogelherd doch bei der Taufe seines fünften Enkels bereits verfallen, und es kam ihm fast wie eine alte Sage vor, daß es einst in Wellersgrün einen Gimpelkönig gegeben und daß dieser Niemand anders gewesen als er selbst.
Weitere Anmerkungen zur Transkription
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Wiederholte Anführungszeichen in Folgeabsätzen bei gleichem Sprecher wurden entfernt.
Korrekturen:
S. 50: Pohlwassers → Pöhlwassers
einem wasserreichen Nebenbach des Pöhlwassers