The Project Gutenberg eBook of Der Weg zur Zeichenkunst

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Title: Der Weg zur Zeichenkunst

Author: Ernst Weber

Release date: November 1, 2017 [eBook #55874]
Most recently updated: October 23, 2024

Language: German

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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER WEG ZUR ZEICHENKUNST ***

Anmerkungen zur Transkription

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Cover

Die Sammlung

»Aus Natur und Geisteswelt«

nunmehr schon über 600 Bändchen umfassend, sucht seit ihrem Entstehen dem Gedanken zu dienen, der heute in das Wort: »Freie Bahn dem Tüchtigen!« geprägt ist. Sie will die Errungenschaften von Wissenschaft, Kunst und Technik einem jeden zugänglich machen, ihn dabei zugleich unmittelbar im Beruf fördern, den Gesichtskreis erweiternd, die Einsicht in die Bedingungen der Berufsarbeit vertiefend.

Sie bietet wirkliche »Einführungen« in die Hauptwissensgebiete für den Unterricht oder Selbstunterricht, wie sie den heutigen methodischen Anforderungen entsprechen. So erfüllt sie ein Bedürfnis, dem Skizzen, die den Charakter von »Auszügen« aus großen Lehrbüchern tragen, nie entsprechen können; denn sie setzen vielmehr eine Vertrautheit mit dem Stoffe schon voraus.

Sie bietet aber auch dem Fachmann eine rasche zuverlässige Übersicht über die sich heute von Tag zu Tag weitenden Gebiete des geistigen Lebens in weitestem Umfang und vermag so vor allem auch dem immer stärker werdenden Bedürfnis des Forschers zu dienen, sich auf den Nachbargebieten auf dem laufenden zu erhalten.

In den Dienst dieser Aufgabe haben sich darum auch in dankenswerter Weise von Anfang an die besten Namen gestellt, gern die Gelegenheit benutzend, sich an weiteste Kreise zu wenden, der Gefahr der »Spezialisierung« unserer Kultur entgegenzuarbeiten an ihrem Teil bestrebt.

Damit sie stets auf die Höhe der Forschung gebracht werden können, sind die Bändchen nicht, wie die anderer Sammlungen, stereotypiert, sondern werden – was freilich die Aufwendungen sehr wesentlich erhöht – bei jeder Auflage durchaus neu bearbeitet und völlig neu gesetzt. So konnte der Sammlung auch der Erfolg nicht fehlen. Mehr als die Hälfte der Bändchen liegen bereits in 2. bis 6. Auflage vor, insgesamt hat sie bis jetzt eine Verbreitung von weit über 3 Millionen Exemplaren gefunden.

Alles in allem sind die schmucken, gehaltvollen Bände, denen Professor Tiemann ein neues künstlerisches Gewand gegeben, durchaus geeignet, die Freude am Buche zu wecken und daran zu gewöhnen, einen kleinen Betrag, den man für Erfüllung körperlicher Bedürfnisse nicht anzusehen pflegt, auch für die Befriedigung geistiger anzuwenden. Durch den billigen Preis ermöglichen sie es tatsächlich jedem, auch dem wenig Begüterten, sich eine Bibliothek zu schaffen, die das für ihn Wertvollste »Aus Natur und Geisteswelt« vereinigt.

Jedes der meist reich illustrierten Bändchen
ist in sich abgeschlossen und einzeln käuflich

Jedes Bändchen geheftet M. 1.20, gebunden M. 1.50
Werke, die mehrere Bändchen umfassen, auch in einem Band gebunden

Leipzig, im Januar 1917

B. G. Teubner


Jedes Bändchen geheftet M. 1.20, gebunden M. 1.50

Zum Staat und Recht

sind bisher erschienen:

Zur Bürgerkunde

*Der deutsche Staat. Von Geh. Justizrat Prof. Dr. Fr. v. Liszt. (Bd. 600.)

Grundzüge der Verfassung des Deutschen Reiches. Von Geheimrat Professor Dr. E. Loening. 4. Auflage. (Bd. 34.)

Deutsches Verfassungsrecht in geschichtlicher Entwicklung. Von Professor Dr. Ed. Hubrich. 2. Auflage. (Bd. 80.)

Das Wahlrecht. Von Reg.-Rat Dr. O. Poensgen. (Bd. 249.)

Verfassung und Verwaltung der deutschen Städte. Von Dr. M. Schmid. (Bd. 466.)

Politik und ihre Hauptprobleme

*Politik. Von Dr. A. Grabowsky. (Bd. 537.)

Umrisse der Weltpolitik. Von Prof. Dr. J. Hashagen. 3 Bde. I. 1871 bis 1907. II. 1908 bis 1914. *III. Die politischen Ereignisse während des Krieges. (Bde. 553/55.)

Politische Hauptströmungen in Europa im 19. Jahrh. Von weil. Prof. Dr. K. Th. v. Heigel. 3. Aufl. (Bd. 129.)

Staat und Kirche in ihrem gegenseitigen Verhältnis seit der Reformation. Von Pfarrer Dr. phil. A. Pfannkuche (Bd. 485.)

Innere Kolonisation. Von A. Brenning (Bd. 261.)

Die Ostmark. Eine Einführung in die Probleme ihrer Wirtschaftsgeschichte. Von Professor Dr. W. Mitscherlich. (Bd. 351.)

Das Deutschtum im Ausland. Von Professor Dr. R. Hoeniger. (Bd. 402.)

Heer und Marine

Vom Kriegswesen im 19. Jahrhundert. Von Major O. v. Sothen. Mit 9 Übersichtskarten. (Bd. 59.)

Der Krieg im Zeitalter des Verkehrs und der Technik. Von Major A. Meyer. Mit 3 Abbildungen. (Bd. 271.)

Der Seekrieg. Seine geschichtliche Entwickelung vom Zeitalter der Entdeckungen bis zur Gegenwart. Von K. Freiherrn v. Maltzahn, Vize-Admiral a. D. (Bd. 99.)

Soziale Theorien und Sozialpolitik

Soziale Bewegungen und Theorien bis zur modernen Arbeiterbewegung. Von G. Maier. 4. Auflage. (Bd. 2.)

Geschichte der sozialistischen Ideen im 19. Jahrhundert. Von Privatdozent Dr. Fr. Muckle. 2 Bände. 2. Aufl. (Bd. 269, 270.)

Band I: Der rationale Sozialismus.

Band II: Proudhon und der entwicklungsgeschichtliche Sozialismus.

*Marx. Von Prof. Dr. R. Wilbrandt (Bd. 572.)

*Gesundheitspolitik und Gesundheitsgesetzgebung. Von Obermedizinalrat Prof. Dr. M. v. Gruber. (Bd. 534.)

*Kriegsbeschädigtenfürsorge. Von Medizinalrat Dr. Rebentisch, Direktor des Städt. Arbeitsamts Dr. Schlotter, Gewerbeschuldirektor Back und Prof. Dr. S. Kraus. (Bd. 523.)

Soziale Theorien und Sozialpolitik

Arbeiterschutz und Arbeiterversicherung. Von Professor O. v. Zwiedineck-Südenhorst. 2. Auflage. (Bd. 78.)

Die Reichsversicherung. Die Kranken-, Invaliden-, Hinterbliebenen-, Unfall- und Angestelltenversicherung nach der Reichsversicherungsordnung und dem Versicherungsgesetz für Angestellte. Von Landesversicherungsassessor H. Seelmann. (Bd. 380.)

Grundzüge des Versicherungswesens. Von Professor Dr. A. Manes. 2. Auflage. (Bd. 105.)

Die moderne Mittelstandsbewegung. Von Dr. L. Müffelmann. (Bd. 417.)

Die wirtschaftlichen Organisationen. Von Privatdozent Dr. E. Lederer. (Bd. 428.)

Die Konsumgenossenschaft. Von Professor Dr. F. Staudinger. (Bd. 222.)

Frauenfrage

Die moderne Frauenbewegung. Ein geschichtlicher Überblick. Von Dr. K. Schirmacher. 2. Auflage. (Bd. 67.)

Die Frauenarbeit. Ein Problem des Kapitalismus. Von Professor R. Wilbrandt (Bd. 106.)

Einführung in die Rechtskunde

Moderne Rechtsprobleme. Von Geh. Justizrat Professor Dr. J. Kohler. 3. Auflage. (Bd. 128.)

Die Jurisprudenz im häuslichen Leben. Für Familie und Haushalt dargestellt. Von Rechtsanwalt P. Bienengräber. (Bd. 219, 220.)

Strafrecht

Strafe und Verbrechen. Geschichte u. Organisation des Gefängniswesens. Von Kgl. Strafanstaltsdirektor Dr. med. P. Pollitz. (Bd. 323.)

Die Psychologie des Verbrechers (Kriminalpsychologie). Von Kgl. Strafanstaltsdirektor Dr. med. P. Pollitz. 2. Aufl. Mit 5 Diagrammen. (Bd. 248.)

Verbrechen und Aberglaube. Skizzen aus der volkskundlichen Kriminalistik. Von Amtsrichter Dr. A. Hellwig. (Bd. 212.)

Moderne Kriminalistik. V. Amtsr. Dr. A. Hellwig. (Bd. 476.)

Bürgerliches Recht

Das deutsche Zivilprozeßrecht. Von Justizrat Dr. M. Strauß. (Bd. 315.)

Testamentserrichtung und Erbrecht. Von Professor Dr. F. Leonhard. (Bd. 429.)

Der gewerbliche Rechtsschutz in Deutschland. Von Patentanwalt B. Tolksdorf. (Bd. 138.)

Das Recht an Schrift- und Kunstwerken. Von Rechtsanwalt Dr. R. Mothes. (Bd. 435.)

Das Recht des Kaufmanns. Von Justizrat Dr. M. Strauß. (Bd. 409.)

Das Recht der kaufmännischen Angestellten. Von Justizrat Dr. M. Strauß. (Bd. 361.)

Die Miete nach dem BGB. Ein Handbüchlein für Juristen, Mieter und Vermieter. Von Justizrat Dr. M. Strauß. (Bd. 194.)

Die mit * bezeichneten und weitere Bände befinden sich in Vorbereitung bezw. unter der Presse.


Aus Natur und Geisteswelt

Sammlung wissenschaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen

430. Bändchen

Der Weg zur Zeichenkunst

Ein Büchlein für theoretische
und praktische Selbstbildung

von

Dr. Ernst Weber

München

Mit 82 Abbildungen
und einer Farbtafel

Signet

Druck und Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin 1913


Copyright 1913 by B. G. Teubner in Leipzig

Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechts, vorbehalten


Vorwort.

Dies Büchlein ist kein Methodenwerk, das dem Zeichenunterricht in irgendeiner Schule Richtlinien und Beispiele geben möchte. Es ist für den Selbstunterricht des einzelnen gedacht. Gerade hierfür besteht nach meiner Erfahrung ein Bedürfnis. Schon öfters bin ich darum ersucht worden, einmal zu sagen und zu zeigen, wie ich mir die Fertigkeit erworben habe, mit wenig Strichen zeichnerisch auszudrücken, was sich mündlich und schriftlich gar nicht in solcher Kürze und Eigenart zum Ausdruck bringen läßt. Diesem Wunsche suche ich in diesem Büchlein zu entsprechen. »Weg zur Zeichenkunst« nennt es sich, weil es in einem schrittweisen Nach-und-nach jenem Zeichnenkönnen – in diesem schlichten Sinne bitte ich das Wort »Zeichenkunst« zu verstehen – zuführt. Und »der Weg zur Zeichenkunst« soll es heißen dürfen, weil nicht nur mein Pfad bezeichnet wird, sondern weil auf Grund psychologischer und geschichtlicher Erwägungen die heute geltenden Grundsätze des Zeichnenlernens überhaupt mit dargestellt wurden.

Das Büchlein ist in erster Linie für jene Lehrer gedacht, die während ihrer Bildungszeit und später in Amt und Würden keine Gelegenheit fanden, sich zeichnerisch zu schulen, und die doch den neuzeitlichen Anforderungen gern entsprechen möchten. Dann aber auch für alle jene – wes Standes und Alters sie auch sein mögen –, die keine andere Hilfe erreichen können, sich künstlerisch zu vervollkommnen, als einen literarischen Wegweiser. Ihnen möchte mein Büchlein mit Rat und Tat zur Seite stehen.

München, im August 1913.

Ernst Weber.


Inhaltsverzeichnis.

I. Theorie.Seite
1. Abschnitt: Der Bildungswert des Zeichnens 1
2. Abschnitt: Der Zeichenunterricht einst und jetzt 6
A. Der alte Kurs 6
B. Der neue Kurs 12
3. Abschnitt: Die zeichnerischen Darstellungsweisen 15
4. Abschnitt: Der rechte Weg 21
5. Abschnitt: Der rechte Stoff 27
II. Praxis.
6. Abschnitt: Die Vorstufe 29
7. Abschnitt: Die anschauungsgemäße Darstellung 36
A. Flächenhafte Darstellung 36
Schmückendes Zeichnen 43
B. Körperhafte Darstellung 48
1. Linienperspektive 48
Die wissenschaftliche Darstellung 54
2. Licht und Schatten 57
C. Farbige Darstellung 66
8. Abschnitt: Das künstlerische Vorbild 74
Bücherschau 79

[1]

I. Theorie.

Erster Abschnitt.
Der Bildungswert des Zeichnens.

Wer heutzutage den Blick auf die Fülle von zeichenmethodischer Literatur richtet, die alljährlich auf den Markt geworfen wird, der fragt sich unwillkürlich, ob es denn überhaupt der Mühe wert ist, sich so ausgiebig mit einem Fache zu befassen, das jahrhundertelang gar nicht zu den regulären Unterrichtsfächern zählte. Ob zeichnerische Betätigung wirklich den Nutzen bringen kann, den man sich davon erwartet? Ob es nicht Zeit- und Kraftverschwendung ist, eine Tätigkeit, ohne die man früher recht wohl auskommen konnte, so stark zu betonen und zu kultivieren? Und unwillkürlich fragt man nach den eigentlichen Gründen, die unsere Zeit zu ihrer Stellungnahme geführt haben.

Es war zunächst ein mehr außerhalb der eigentlichen Bildungsziele gelegener Zweck: Der heimischen Industrie, dem Kunstgewerbe, sollte aufgeholfen werden. Deutschland wollte im Wettbewerb mit den übrigen Nationen erfolgreich bestehen können. Indem man jedoch daran ging, gleich den Engländern und Amerikanern, den Zeichenunterricht in den Dienst des wirtschaftlichen und nationalen Zwecks zu stellen, mußte man einsehen, daß ein rechter Erfolg nur dann erzielt werden konnte, wenn die Reform von Grund aus vorgenommen wurde. Wenn nicht nur gewerbliche, nicht nur wirtschaftliche Ziele und Zwecke angestrebt, sondern wenn die eigentlichen künstlerischen und pädagogischen Aufgaben in den Vordergrund gerückt würden. Von jeher hatte sich auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts der Grundsatz bewährt: Außerpädagogische Nebenziele finden ihre Verwirklichung da am besten, wo die Hauptkraft den innerpädagogischen, den Bildungs- und Erziehungsfragen zugewandt wird. Das gilt auch vom Zeichenunterricht. Verfolgt man mit ihm in erster Linie gewerblich-technische Ziele, so gerät das Fach in Gefahr isoliert zu werden und zu veröden.

Wer unterrichtlich etwas leisten möchte, muß vor allem zweierlei beachten: die Natur des Menschen, der gebildet und erzogen werden soll, und die Natur des Unterrichtsfaches, in dessen Sphäre er sich Wissen und Können aneignen möchte.

[2]

Fragen wir in unserem Falle zunächst, was die Natur des Menschen fordert, so werden wir finden, daß zwar nicht jeder, der zeichnen lernt, ein Kunstschreiner, ein Dekorationsmaler oder ein Gewerbler im allgemeinen Sinn werden möchte, wohl aber ein ganzer, voller Mensch. Körper und Geist sollen gebildet werden, und es fragt sich zunächst, ob der Zeichenunterricht diese Aufgabe zu leisten vermag.

Kann der Zeichenunterricht körperlich bilden? Zeichnerische Tätigkeit setzt ohne Zweifel eine Menge von Muskeln in Bewegung, wenn auch nicht in dem Maße wie Turnen, wie Klavier- oder Violinspiel, wie Schreinern und Schlossern, Rudern und Schlittschuhlaufen. Zeichnen ist in besonderem Maße Hand- und Fingergymnastik. Höher jedoch ist sein Wert für die körperliche Erziehung als Bildungsmittel der Sinne einzuschätzen. Zeichnen ist eines der vornehmsten Mittel zur Bildung des Gesichtssinnes. Auge und Hand, beide erfahren durch zeichnerische Tätigkeit eine eigenartige Schulung.

Und zwar käme wieder ein Doppeltes in Frage: Die Welt des Sichtbaren als Ein- und als Ausdruck. Dem künstlerisch geschulten Auge schenkt die Welt eine Menge von Erlebnissen, die dem ungeschulten Blick unerlebbar bleiben. Linien und Farben, das Reich des Lichtes und der Schatten, die eigenartigen malerischen Schönheiten einer Landschaft, einer Straße: auch dem Laien fallen die Bilder auf die Netzhaut seines Auges; aber was ihm ein Neben- und Durcheinander von Farben bleibt, die weder Gedanken noch Gefühle künstlerischer Art auszulösen vermögen, das wird für den Betrachter mit geschulten Augen ein Quell fortwährender Freuden und Entdeckungen. Wer mit Künstleraugen in die Welt schaut, dem offenbart sie sich in einem neuen, eigenartigen Lichte. Das naive Sehen wird ein Sehen mit Bewußtsein, ein künstlerisches Fühlen und Schauen. Die Phantasie entfaltet ihre Schwingen, und die Seele fühlt sich erfrischt und gestärkt wie in einem Jungbrunn neuen Lebens. Künstlerische Schulung bedeutet Daseinsbereicherung, Lebensergänzung.

Darin aber liegt der eigentliche Bildungswert, den ein rechter Zeichenunterricht vermittelt: in der geistigen Wirkung, in der seelischen Förderung, die nirgends ausbleiben kann, wo jenes sensualistische Unterziel, die Schulung von Auge und Hand, in rechter Weise angestrebt wird. Der innere Mensch, das Ich, die Persönlichkeit erfährt eine Steigerung, eine eigentümliche Lebenserhöhung. Der Verstand wird geschärft; denn es gehört eine nicht geringe Menge intellektueller Schulung dazu, die einzelnen Gesetze richtig zu erfassen. Der Geschmack erfährt seine Bildung und Verfeinerung. Die Freude am Wahren und Echten,[3] der Haß gegen alles Falsche und Gekünstelte werden rege. Und mit ihnen das rechte Wollen und Streben. Es ist eine Willensleistung ersten Ranges gewesen, als ein Meister wie Dürer, dem die Seele voll war von gewaltigen Ideen, bei Herstellung seiner Kupferstiche Tausende von Strichen und Strichlein, Punkten und Pünktchen mühsam einritzte und eingrub, und es wirkt läuternd und aneifernd, diese Arbeit im kleinen zu beobachten, wie es erhebend und läuternd wirken kann, den Gedanken- und Gefühlsreichtum unserer großen Kunst in sich aufzunehmen.

Ist das Auge vornehmlich Werkzeug für den sichtbaren Eindruck, so spielt hinwiederum die Hand als Organ des sichtbaren Ausdrucks in der Bildungsarbeit eine hervorragende Rolle. Es ist heute, nachdem die Arbeitsschulbewegung sich dieser Aufgabe in einer Weise angenommen hat, die zuweilen übers Ziel hinausschoß, nicht mehr in dem Maße wie früher nötig, auf den Wert manueller Bildung hinzuweisen. Es war ein Unrecht, jahrzehntelang einem einseitigen Intellektualismus, einem ausgesprochenen Gedächtnisdrill zu huldigen und die Arbeit am Konkreten, vor allem die zeichnerische und plastische Darstellungs- und Gestaltungslust des Kindes zu vergessen. Die Gegenwart denkt anders darüber. Sie würdigt auch hier die starke geistige Förderung, die manuelle, besonders zeichnerische Ausdruckstätigkeit zu bieten vermag. Sie weiß, es ist nicht bloß Fingerübung oder Handgeschicklichkeit, wenn ein einfaches Baumblatt charakteristisch gezeichnet werden soll. Sie weiß, es gehört auch denkende Überlegung zur ersten Anlage, es gehört ein Sinn für die Schönheit der Form, es gehört künstlerisches Empfinden für die Akkuratesse der Berippung, es gehört ein starkes Maß von Energie für Bewältigung der ganzen Aufgabe. Verstand, Gefühl und Wille – auch im zeichnerischen Ausdruck finden sie ihre Schulung. Die gewissenhafte Durchführung der zeichnerischen Darstellung verspricht einen fleißigen Arbeiter. Wie im Stil des Aufsatzes, so offenbart sich auch im Stil der Zeichnung der Entschlossene und der Verzagte, der Ordentliche und der Schlumper, der peinlich Saubere und der Schmierer.

Beides – Kultur des Auges und der Hand, zeichnerischer Eindruck und zeichnerischer Ausdruck – dienen jedoch nicht nur dem eigenen Ich; sie werden gleichzeitig Mittel zur Eroberung der Umwelt: der Natur wie der Kultur.

Der Natur im weitesten Sinn: Wer ein künstlerisch geschultes Auge, eine zeichnerisch geschickte Hand sein eigen nennt, der wird die Außenwelt nicht nur mit anderen Augen betrachten als der künstlerisch ungeschulte Laie, er wird sie auch genauer beobachten. Er wird Dinge sehen, die dem andern einfach unsichtbar bleiben. Er wird sich einen[4] Schatz von Form- und Farbenvorstellungen im Gedächtnis aufspeichern, von denen der Laie nichts weiß. Diese genaue Beobachtung wird ihn nicht nur zeichnerisch, nicht nur künstlerisch fördern, sondern auch wissenschaftlich. Es ist eine lebendigere Art von Naturkunde, als sie die Wissenschaft durch systematische Übersichten, durch Begriffe und Zahlen allein vermitteln könnte. Diese Art der Naturbeobachtung ist in der Regel stark gefühlsbetont. Sie ist das rechte Mittel, Liebe zur Natur in dem Beobachter zu wecken. Der Künstler malt – wie Schwind es einmal ausdrückt – all seine Liebe mit in das Bäumchen hinein, das er im Bilde darstellt. Die ganze Umwelt gewinnt für die künstlerische Betrachtung einen eigenen Schimmer, eine Art poetischer Verklärung. Dadurch weckt sie das Interesse für die Erscheinung in einem weit stärkeren Grade, als es die abstrakt wissenschaftliche Betrachtungsweise ohne bildhafte Anschaulichkeit zu leisten vermöchte.

Aber auch in kultureller, in wirtschaftlich-sozialer Hinsicht hat in einer Zeit der Technik, wie es die unsere ist, zeichnerische Schulung von Auge und Hand hervorragende Bedeutung. Es sei nur darauf verwiesen, daß ein rechter Zeichenunterricht manches künstlerische Talent, das ohne Anleitung leicht verkümmern würde, erst entdecken hilft. Die Schule hat freilich nicht die Aufgabe, künftige Künstler zu erziehen. Wichtig aber erscheint die Tatsache, daß mancher Schüler, der in wissenschaftlicher Hinsicht nichts Nennenswertes zu leisten vermag, zuweilen als Zeichner hervorragendes Talent verrät und durch diese Erkenntnis vor verfehlter Berufswahl bewahrt bleibt.

Die Künstler selbst aber dürfen sich von einem künstlerisch gerichteten Zeichenunterricht ein urteilsfähigeres Publikum erwarten. Ein geschultes Auge begnügt sich nicht mit schlechter Fabrikware. Es hat nur Freude am Gediegenen, Ursprünglichen. Der künstlerisch Gebildete wird bei seinen Möbeln die Schönheit nicht in verlogenem Prunk, sondern in ihrer Zweckmäßigkeit und Brauchbarkeit suchen. Die Nachfrage nach dem Guten wird sich mehren; die Kauflust der Masse wird wachsen. Bei Bildern wird man nach wirklichen Meistern greifen; den Wert der Originale wird man würdigen lernen. Der Kunstmarkt, der mit dieser Nachfrage, mit dieser Kauflust rechnen muß, wird seinen Einfluß auch auf das künstlerische Schaffen selbst ausüben. Echte, bodenständige Kunst wird häufiger zu finden sein. Das gleiche gilt für Industrie und Gewerbe.

Die künftige Generation soll jedoch nicht nur in ihrer Eigenschaft als Reproduzentin von einer künstlerischen Bildung Förderung erhoffen dürfen; auch die Schaffenden und Arbeitenden, die Handwerker und die Gewerbetreibenden, die Beamten und die Studenten – kurzum,[5] alle Berufe, deren Angehörige eine Schulung des Auges und der Hand nötig haben, werden durch einen richtigen Zeichenunterricht neue Möglichkeiten gewinnen, ihre Berufsarbeit wirksam zu unterstützen, und neue Ideen für Ausgestaltung dieser und jener Leistung gewinnen. Es gibt kaum einen Beruf, der nicht einmal in die Lage käme, mit zeichnerischen Darstellungsmitteln ausdrücken zu müssen, was sich mit Worten eben nicht ganz verdeutlichen läßt. Ganz abgesehen vom Handwerker, vom Schneider z. B., der zur Kreide greift, bevor er den Anzug zuschneidet; vom Zimmermann und Maurer, die des gezeichneten Planes bedürfen – auch der einfache Bauer, der an seinem Wagen oder an seinem Schweinestall etwas ändern lassen will oder der seinem Knechte verdeutlichen möchte, wo im Walde er die Klafter Holz zu suchen hat, tut sich leichter, wenn er mit ein paar Strichen das Nötige erklären kann. Es ist in der Tat viel Wahrheit in der Äußerung, die der blinde Maler Gérard de Lairesse gegen Ende des 17. Jahrhunderts seinen Schülern in die Feder diktierte: »Es ist das Zeichnen zu allen Professionen, die durch das Urtheil oder Vernunfft und mit dem Gesichte verrichtet werden, dienlich: ja, ich dürfte fast sagen, daß keine Kunst und Wissenschaft in der Welt seye, oder die Zeichnung sei ihr so nötig, als die Hand zum essen.« Das kommt besonders in der Großstadt dem Lehrer einer Abschlußklasse zum Bewußtsein, sobald es sich darum handelt, für die austretenden Schüler die rechten Lehrstellen ausfindig zu machen. Neben guter Schulung im Lesen, Schreiben und Rechnen ist es in erster Linie zeichnerische Fähigkeit und Fertigkeit, was viele Handwerksmeister von ihren künftigen Lehrlingen verlangen.

Der Streit um den Wert des Zeichnens ist heutzutage zum Abschluß gekommen und zwar im bejahenden Sinn. Wenn da und dort in reaktionären Kreisen außer der »bewährten Trias Lesen, Schreiben und Rechnen« alles Darüberhinausgehende als unnötige Spielerei erklärt und aus dem Unterrichtsplane gestrichen werden soll, so braucht man sich nicht weiter dadurch beirren zu lassen. Mit derartigen Rückschrittlern rechnet unsere Zeit nicht mehr. Sie hilft dem Gesunden und Lebensfähigen zum Durchbruch, wie sie seinerzeit auch der »bewährten Trias« Geltung verschaffte in einer Umgebung, der es unerhört schien, daß ein Bauernbub außer Lesen auch Schreiben oder gar Rechnen lernen sollte. Der Kultur- und Bildungswert des Zeichnens gilt uns heute als unleugbar erwiesen, und es fragt sich nur, auf welchem Wege der Lernende am sichersten und besten zum rechten Ziele gelangt. Bevor ich mich zur Beantwortung dieser Frage wende, soll uns ein kurzer Rückblick auf die geschichtliche Entwicklung des Zeichenunterrichts vor Um- und Irrwegen bewahren.


[6]

Zweiter Abschnitt.
Der Zeichenunterricht einst und jetzt.

A. Der alte Kurs.

Wer es heutzutage unternimmt, eine Arbeit über den Zeichenunterricht zu veröffentlichen, gerät leicht in Gefahr, Oftgehörtes zu wiederholen. Man könnte getrost die Hälfte der vielen Lehrgänge und Vorlagewerke, die alljährlich neu erscheinen, ausschalten, ohne dem literarischen Bestand in seinem inneren Reichtum nennenswerten Abbruch zugefügt zu haben.

Dieser Gefahr aber steht ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber. Der Vorteil nämlich, daß vieles von dem, was der Reformdrang der neunziger Jahre als maßgebend erklärte, heute – nachdem eine fast zwei Jahrzehnte lange Arbeit hinter uns liegt – als übers Ziel hinausschießend befunden wurde, während andererseits manches, was der Umsturz über Bord gefegt glaubte, sich bei der Überprüfung als brauchbar, ja als notwendig erwies und wieder Aufnahme fand im Rahmen der Gesamtarbeit.

Psychologische Forschungen, die sich eingehend mit der Entwicklung des einzelnen wie des ganzen Volkes befaßten, haben die Grundfragen geklärt, den Fundamenten Festigkeit verliehen und falsche oder überspannte Forderungen ausgemerzt. Die Zeit des nervösen Suchens und Hastens ist vorüber. Die im Anfang alles überstürzende und überflutende Bewegung ist ruhiger geworden. Wer es heute unternimmt, über Zeichnen und Zeichenunterricht zu schreiben, der kommt nicht mehr in Gefahr, mit fortgerissen zu werden und in irgendeinem Strudel zu enden oder abseits im verebbenden Altwasser zu versanden oder zu versumpfen. Wer heute unserer Frage nähertritt, der vermag sich eher einen Überblick über das Ganze der treibenden und drängenden Kräfte zu verschaffen; der kennt die hemmenden und schützenden Dämme und Deiche, die gefährlichen Wirbel, die Klippen und Untiefen; der wird alle Einzelheiten im Hinblick auf das große Oberziel zu erledigen suchen – die beste Bürgschaft für den Dauerwert eines literarischen Erzeugnisses auf dem Gebiete der Pädagogik.

Soll jedoch jene eingangs erwähnte Gefahr, nur Oftgesagtes und Oftgehörtes zu wiederholen, vermieden werden, so muß vor allem eines geklärt sein: die geschichtliche Entwicklung des Zeichenunterrichts. Man muß die mannigfachen Formen kennen, die dieser Zweig der Didaktik im Laufe der Jahrzehnte oder Jahrhunderte angenommen hat. Ich habe mich der eingehenden Erörterung dieser[7] Frage bereits an anderer Stelle unterzogen1 und begnüge mich hier mit einer kurzen Charakterisierung der grundlegenden Ideen und Geschehnisse.

Wie die meisten Fächer des Volksschulunterrichts hat auch das Zeichnen erst spät seine offizielle Anerkennung gefunden. Zuerst als gelegentliches Ausdrucksmittel, dann als getrennt zu betreibendes Fach, und erst in unseren Tagen macht man Ernst mit der Forderung, Zeichnen nicht nur als technische Unterrichtsdisziplin gelten zu lassen, sondern als eine Art Sprache in den Dienst des Gesamtunterrichts zu stellen. Diese Entwicklung hat eine lange Geschichte hinter sich, und es ist interessant zu beobachten, wie bereits vor 150, ja vor 200 und vor 250 Jahren die ersten Pfadfinder, die zumeist über eine geringe zeichnerische Fertigkeit verfügten, doch im wesentlichen schon Forderungen erhoben, die erst in unserer Zeit Verwirklichung finden konnten.

Was 1658 Amon Comenius mit seinem »Orbis pictus« versuchte, was er in seinem »Informatorium« und in seiner »Didactica magna« verlangte; was 1693 John Locke in den »Gedanken über Erziehung«; was 70 Jahre später Jean Jacques Rousseau im »Emil« geschrieben; was Francke und Basedow in ihren Anstalten zu Halle und zu Dessau praktisch durchzuführen suchten: das enthielt, wenn auch nur keimartig, doch schon ein Großteil der Probleme und Lösungen, mit denen später nach langer Erstarrung die modernen Reformer sich neu auseinandersetzen mußten.

Schon jene ersten Fährtensucher haben das eigentliche Ziel des Zeichenunterrichts in seiner Doppelaufgabe erblickt: in der Bildung der Sinne und ihrer Werkzeuge, in der damit bezweckten geistigen Schulung. So sahen besonders Comenius und Rousseau in der zeichnerischen Betätigung ein vorzügliches Mittel, den Gesichtssinn zu schärfen, die Hand geschickt und gewandt zu machen. Locke wies auf die Unterstützung hin, die das Zeichnen dem Formengedächtnis erweisen konnte. Comenius forderte Entwicklung des anschaulichen Denkens. Rousseau sah im Zeichenunterricht ein Hilfsmittel der Erziehung zur Selbsttätigkeit. Auch die praktische Verwendbarkeit zeichnerischer Fähigkeiten und Fertigkeiten, der Nutzen dieser Kunst, wurde bereits von Locke hervorgehoben.

Ähnliches gilt von den methodischen Maßnahmen, die jene Pioniere auf dem Gebiete des Schulzeichnens anwandten, um zu ihren Zielen[8] zu gelangen. Auch die Elemente moderner Didaktik fanden bereits ihre Vertreter: Rousseau forderte mit der Leidenschaft des extremen Reformers das Zeichnen nach der Natur. Comenius, Francke und Basedow ließen auch das Vorbild gelten. Comenius insbesondere wies auf den Wert der Bildbetrachtung hin. Der Gang vom Leichten zum Schweren, vom Einfachen zum Zusammengesetzten fand Berücksichtigung in den Vorschlägen eines Francke und eines Basedow. Die modernsten unter den Reformern – ein Scharrelmann z. B. – fanden ihren Vorgänger bereits in Rousseau, der die absonderliche Forderung erhob, der Lehrer dürfte – wenigstens in den Augen der Schüler – nicht besser zeichnen können als der Lernende selbst: »Und wäre ich ein Apelles, so würde ich mich ihm gegenüber doch als elender Farbenkleckser zeigen!« Ja, sogar allerneueste Gepflogenheiten – die Ausstellung der Schülerarbeiten – hat bereits vor 1762 französischer Esprit zur Tat werden lassen – wenn auch nur im pädagogischen Roman.

Was jene ersten Pfadfinder, was u. a. auch die Philanthropisten Bahrdt, Salzmann, Trapp und Blasche brachten, das war wohl eine Fülle von Anregungen und wertvollen Elementen; als eine wirkliche Methodik des Zeichenunterrichts aber können jene Gedanken und Versuche nicht angesprochen werden. Als erster Zeichenmethodiker für den Schulunterricht dürfte der Schweizer Joh. Heinr. Pestalozzi (1746–1827) gelten. Sonderbar: ein Mann, der selbst nicht zeichnen, der – nach seinem eignen Bekenntnis – nicht einmal richtig schreiben konnte, sollte doch aus gesundem pädagogischem Instinkt heraus das Rechte finden: Jenen Weg, den die Größten unter den Großen der Kunst, den ein Leonardo da Vinci, den gleichzeitig ein Albrecht Dürer, den unter den Modernen ein Hans Thoma von künstlerischem Standpunkte aus als den rechten Weg bezeichneten. Denselben Pfad, auf den auch der denkende Philosoph – es sei nur an Herbert Spencer erinnert – als auf den einzig gangbaren hinwies.

Es ist für den Laien schwer, aus den Schriften Pestalozzis mit ihrem eigenartig krausen Stil, aus seiner ungewohnten Terminologie herauszulesen, was der große Reformator eigentlich meinte. Es würde irreführen, wollte man seine eigenen praktischen Versuche oder gar die seiner Jünger mit den Ideen im »ABC der Anschauung«, im »Bericht an die Eltern«, und besonders in dem methodisch bedeutsamen Werk »Wie Gertrud ihre Kinder lehrt« identifizieren. Pestalozzi war zwar ein pädagogisches Genie, aber ein praktisch unbeholfener Mensch. Was seinem Kopfe entsprang, das sollte fruchtbar werden für die Methodik des folgenden Jahrhunderts. Was er selbst praktisch verwirklichte, war[9] zum großen Teil Stümperei – auch in methodischer Hinsicht. Das gilt besonders von den Theorien und Versuchen auf dem Gebiete des Zeichenunterrichts.

Es hat für uns keine Bedeutung mehr, was und wie er zeichnen ließ. Seine diesbezüglichen Maßnahmen zählen wir heute zu den Verirrungen, ebenso die Methoden seiner Jünger. Was aber in seinen Gedankengängen mühsam Ausdruck finden konnte, das hat Ewigkeitswert und kann auch heute noch richtunggebend wirken. Ich will versuchen, mit eigenen Worten kurz darzustellen, welchem der Pestalozzischen Grundgedanken ich diese hohe Bedeutung zusprechen möchte.

Der große Schweizer schloß etwa folgendermaßen: Was an sichtbaren Eindrücken auf den Menschen wirkt, das ist zunächst ein verwirrendes Vielerlei. Soll Klarheit in dieses ungegliederte, undefinierbare Chaos gebracht werden, so muß geordnet, isoliert, vereinfacht werden. Die Ur- oder Grundformen müssen aus dem Formenwirrwarr der Außenwelt gelöst, für sich betrachtet, für sich erfaßt und bis zur Geläufigkeit geübt werden. Die Gesamtheit dieser Urformen nannte Pestalozzi das »ABC der Anschauung«. Dieses zeichnerische Alphabet sollte das Fundament einer Kunstsprache werden: Wie beim Schreiben aus Buchstaben Wörter, aus Wörtern Sätze gebildet werden, so sollten durch Zusammenfügen aus Linien und Bogen Winkel und in einem lückenlosen Unterrichtsgang die »Urform aller Ausmessungsformen, das gleichseitige Viereck«, ferner der Kreis, das Oval, das Dreieck u. a. konstruiert werden.

All diese Formen sollten die Kinder kennen und benennen lernen und endlich durch Übung dahin gebracht werden, sie selbständig nachzuzeichnen. Gleichzeitig sollten sie angehalten werden, die gelernten Urformen an wirklichen Gegenständen nachzuweisen: »Sobald das Kind die Horizontallinie, mit welcher das ABC der Anschauung anfängt, richtig und fertig zeichnet, so sucht man ihm aus dem großen Chaos der Anschauungen Figuren aus, deren Umriß nichts anderes ist, als die Anwendung der ihm geläufigen Horizontallinie oder wenigstens nur eine unmerkliche Abweichung derselben fordert.« Auf diese Weise entwickelte sich nach Pestalozzi die »Anschauungskunst«, das Vermögen, jeden Gegenstand der Natur nach seinen räumlichen Verhältnissen richtig zu benennen, und die »Zeichnungskunst«, die Fähigkeit, jeden Gegenstand der Natur nach seinen räumlichen Verhältnissen richtig darzustellen.

Pestalozzi wollte also ein Doppeltes: Zunächst gliedert er die Mannigfaltigkeit der Eindrücke, greift einen Einzeleindruck – Linien, geometrische[10] Figur – heraus und übt sie bis zur Geläufigkeit – nach ihren sachlichen, sprachlichen und zeichnerischen Verhältnissen. Dann sucht er nach Verwendung der gewonnenen Formen innerhalb der Mannigfaltigkeit der Außenwelt: nach Möglichkeiten für die wirkliche Existenz der Grundform. Indem er so im Laufe des Unterrichts nach und nach alle Urformen und ihre Zusammensetzungen vermittelt, hofft er das sichtbare All begrifflich und zeichnerisch zu erobern.

Die »bestimmten Ausmessungsformen der Gegenstände« werden auf diese Art »zu einer Geläufigkeit und zu einer Art Takt erhoben«, daß sogar in den »verwickeltsten Gegenständen« »ohne Hilfe der eigentlichen Ausmessungen« alle Teile in ihren gegenseitigen Verhältnissen zueinander richtig vorgestellt und richtig bezeichnet werden können.

Pestalozzi wollte die Natur, die Wirklichkeit begrifflich und zeichnerisch erobern. Auch Rousseau wollte es. Nur schlugen beide verschiedene Wege ein. Rousseau wollte nur Natur zulassen: »Mit meinem Willen soll er keinen anderen Lehrer als die Natur, keine anderen Vorbilder als die Gegenstände selbst haben.« Pestalozzi bediente sich eines Zwischengliedes, eben jenes zeichnerischen Alphabets, das er ein »ABC der Anschauung« nannte. Rousseau stellte die Wirklichkeit an den Anfang seiner methodischen Maßnahmen, Pestalozzi hingegen das Elementare: die »Urform«, die Abstraktion – Gedankendinge wie Linien, Bogen, Winkel und geometrische Figuren.

Rousseaus Emil, der selbst nur eine Romanfigur ist, hat in Wirklichkeit nie zeichnen gelernt. Pestalozzis Schüler hingegen lernten zeichnen. Jene Urformen trieben sie bis zur Geläufigkeit, so daß selbst Herbart noch in späteren Jahren mit einer Art Neid an die zeichnerische Fertigkeit der kleinen Knaben und Mädchen zurückdachte, die er bei seinem Besuche in der Schweiz unter Pestalozzis Leitung beobachten konnte.

Pestalozzis Methode versprach praktischen Erfolg. Sie mutete zwar weniger genialisch an als die des Franzosen. Sie sah mehr nach deutscher Gründlichkeit, nach Systematik, ja nach einer Art Pedanterie aus. Das war jedoch mit ein Grund, warum diese Richtung zunächst Schule machen konnte. Zwei Gedanken waren es, die von Pestalozzis Jüngern begierig aufgegriffen wurden. Der eine hieß: Elementarformen! Der andere: Natur! Im Grunde genommen wollte der große Schweizer mit seinen Elementarformen Natureroberung und durch die Eroberung der Außenwelt Bildung der Innenwelt, der menschlichen Kräfte. Aber wie so oft – besonders in der Pädagogik – ein Ganzes nur in seinen Einzelheiten erfaßt, in seinen Grundideen jedoch[11] ins Gegenteil verkehrt wird, so erging es auch Pestalozzi bei den Pestalozzianern.

Nicht das Oberziel hatte man im Auge, sondern jenes Mittel, das ABC, die Elementarform. Den großen Schweizer hatte zunächst eigentlich keiner ganz verstanden. Sie hatten alle aus jenem Gedankengang nur ein Element herausgegriffen; denn was sie »Natur« nannten, war eigentlich auch nur Elementarform – körperhafte Elementarform – nicht Natur im Sinne Pestalozzis oder gar im Sinne Rousseaus.

Kein Wunder, wenn der Zeichenunterricht der folgenden Jahrzehnte der Erstarrung anheimfiel. Es kam die Zeit der Kopiermethoden, die Zeit der Zeichenhefte mit eingedruckten Vorlagen. Man zeichnete in Liniennetze, nach Richtpunkten – die Stigmographen gewannen Geltung.

In Preußen war durch die Allgemeinen Bestimmungen vom 15. Okt. 1872 der Zeichenunterricht obligatorisch geworden. Der Hamburger Dr. Stuhlmann hatte einen eigenen Lehrplan und eine neue Methode geschaffen, die überall den abstrahierenden Mathematiker, den nüchternen Gewerbetechniker durchblicken ließ, die künstlerischen Interessen jedoch vernachlässigte. Zu rechtem Leben konnte es der Zeichenunterricht unter solcher Führung nicht bringen. Es war das Charakteristische dieser Zeit, daß die eigentlichen Techniker, die Fachmethodiker dem Zeichenunterricht mit Geschick und Konsequenz alles Reizvolle und Lebenweckende nahmen und ihn abseits stellten von allen übrigen Unterrichtsfächern, bis er zum langweiligsten, ödesten und trostlosesten geworden war.

Die rechte Erneuerung konnte nur durch die Kunst selbst kommen. Die Fachmenschen hatten abgewirtschaftet. Als einen Vorgänger der kommenden Bewegung darf man den Leipziger Zeicheninspektor Fedor Flinger gelten lassen, wenn er auch noch in vieler Hinsicht zu den Vertretern der alten Schule zählt. Doch merkte man ihm, der sich auch als humorvoller Illustrator einen Namen gemacht hatte, wohl an, daß er von der Kunst, nicht von der Wissenschaft oder vom Gewerbe kam. Er ist – dem Geiste nach – mehr Pestalozzianer gewesen als all die genannten Elementar- und Naturformenzeichner der vorausgehenden Epoche zusammengenommen. Gleich dem Schweizer Bahnbrecher strebte er nach »bewußtem Sehen« und dachte sich darunter das Vermögen, aus der verwirrenden Mannigfaltigkeit der Außenwelt die Urformen abzulesen. Was jedoch als geometrische Form vermittelt wurde, das sollte nicht Abstraktion bleiben, sondern – ganz wie bei Pestalozzi – in der Wirklichkeit wieder erkannt und wieder[12] verwendet werden. Gleich Pestalozzi sah Flinger im Zeichnen ein Mittel zur geistigen Bildung. Den Intellekt, den Schönheitssinn, ja den ganzen Charakter des werdenden Menschen glaubte Flinger durch einen richtig betriebenen Zeichenunterricht entwickeln zu können. Gesunden pädagogischen Instinkt offenbarte im Gegensatz zur Stuhlmannschen Methode besonders die Bevorzugung der farbigen Darstellung.

So sehen wir denn in seinen Schriften wie in denen seines Landsmannes, des sächsischen Seminarzeicheninspektors Prof. F. O. Thieme, eine Reihe neuer, vorwärtstreibender Gedanken Ausdruck gewinnen. Die eigentliche Umwandlung aber sollte nicht einem allmählichen Nach und Nach überlassen bleiben, sondern erfolgte mit plötzlichem Ruck Ende der achtziger oder anfangs der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts.

B. Der neue Kurs.

Die neuzeitliche Reform des Zeichenunterrichts nahm ihren Anfang in England und Amerika. John Ruskin, William Morris, Walter Crane hatten dort seit Mitte des vorigen Jahrhunderts durch Wort und Tat auf eine Erneuerung der nationalen Kunst und des nationalen Kunstgewerbes hingewirkt. Man sah in der Umgestaltung des Zeichenunterrichts ein Mittel, durch das die Nation und ihre Kultur einer höheren Entwicklung zugeführt werden konnte.

In London hatte E. Cooke seinen »Syllabus of Instruction in Drawing« herausgegeben und einer Anzahl von Grundsätzen und Gepflogenheiten, die bisher als unumstößliche Wahrheiten gegolten hatten, den Krieg erklärt: Das historische Ornament sollte ausgeschaltet werden. Nicht Abstraktion, sondern Leben müsse geboten werden. Nicht darauf komme es an, irgendeine überkommene Form zu kopieren, sondern darauf, die im Kinde schlummernden Kräfte zu wecken und zu gestalten, nicht an den Stilgesetzen einer toten Vergangenheit, sondern an den lebendigen Formen der heimatlichen Natur.

Jenseits des Atlantischen Ozeans, in Nordamerika, waren ähnliche Gedanken wirksam geworden. Dort war ein Baustein, den die deutsche Pädagogik hatte abseits liegen lassen, zum Grund- und Eckpfeiler der neuen Bewegung geworden: Friedrich Froebel, der Schöpfer der Kindergärten. Froebel hatte mit allem Nachdruck auf den Wert des »Gestaltens an und durch Stoff« hingewiesen. »Selbsterziehung und Selbstbelehrung« hatte er für das Kind gefordert. Die Amerikaner suchten diese Forderungen in die Tat umzusetzen und zwar vor allem auf dem Gebiete der zeichnerischen Darstellung und des plastischen Gestaltens.[13] Was Liberty Tadd in Philadelphia, was Prang in Boston verlangten und durchführten, das war im wesentlichen vom Geiste Froebels beeinflußt: Schöpferische Kräfte sollten geweckt und gefördert werden. Nicht nach toten Stilformen, sondern nach der Natur ließ man zeichnen. Zur zeichnerischen Darstellung kamen als Ergänzung Modellieren und Holzschnitzen. Als Modelle dienten Gegenstände der wirklichen Umgebung, Pflanzen, Tiere, Menschen, Landschaften. Oberstes Ziel des Unterrichts war geistige Bildung: Liebe zur Natur, sittliche Tüchtigkeit.

Es ist für den aufmerksamen Beobachter dieser Bewegung interessant, wie trotz der scharfen Gegensätze zur vorausgehenden Richtung, trotz mancher Sonderbarkeiten – es sei nur an Tadds beidarmige Übungen erinnert – doch eine eigenartige Verwandtschaft mit den Ideen Pestalozzis in Erscheinung tritt. Bevor das eigentliche Zeichnen nach der Natur beginnt, wird eine Reihe von Farben-, Form- und Figurentypen vermittelt, also gewissermaßen auch ein »ABC der Anschauung«, wie Pestalozzi es forderte. Die Kinder sollen – wie beim Erlernen der Schriftformen – auch beim Erlernen der zeichnerischen Grundformen so lange geübt werden, bis sich die Wiedergabe automatisch vollzieht.

In Deutschland wäre der Einfluß der Engländer und Amerikaner wahrscheinlich nicht in dem Maße geltend geworden, als es tatsächlich der Fall war, wenn nicht andere Erscheinungen mitgeholfen hätten, die seitherige Zeichenmethode in Verruf zu bringen. Vor allem die Niederlagen der deutschen Produktion auf den verschiedenen Weltausstellungen: 1851 und 1862 in London, 1855 und 1867 zu Paris, 1873 zu Wien und 1893 in Chicago. Die Deutschen hatten dabei erfahren müssen, daß ihre Grossomaxime »Billig und schlecht!« den Weltmarkt nicht auf die Dauer erobern konnte, und man sah in der Reform des Zeichenunterrichts nach englischem und amerikanischem Muster eines der Mittel, der kunstgewerblichen Misere zu steuern.

Es ist hier nicht der Raum gegeben, im einzelnen zu erörtern, was die deutschen Reformer, was Nietzsche und Langbehn für die Umgestaltung der Kulturwertung im allgemeinen, was Dr. Gg. Hirth, was die Professoren Wilh. Rein, Adelbert Matthäi, Konrad Lange, was C. Götze, Fritz Kuhlmann und H. Grothmann für den Zeichenunterricht im besondern getan und erreicht haben. Nicht der Platz, die Verdienste eines Alfred Lichtwark, eines Ferdinand Avenarius, eines Schultze-Naumburg, Albert Dresdner, Ernst Linde, Herm. Muthesius oder die der Hamburger Lehrervereinigung um die Kunsterziehung zu würdigen. Nicht die Stelle, eine ausführliche Betrachtung und Kritik der Kunsterziehungstage und der internationalen[14] Zeichenkongresse zu geben. Nur die grundstürzenden neuen Ideen, wie sie in der großen Bewegung Ausdruck fanden und wie sie sich in dem vom Preußischen Ministerium am 12. Juni 1902 herausgegebenen Amtl. Lehrplan zum Siege durchrangen, sollen kurz dargelegt werden.

Der frühere Zeichenunterricht war für den Schüler eine Geduldsprobe. Phantasie und Gemütsleben gingen leer aus. Korrektheit, peinliche Sauberkeit und Glätte der Ausführung verlangte man in erster Linie. Dadurch wurde der ganze Zeichenunterricht für viele zur widerlichen Last.

Demgegenüber sieht die Gegenwart im Zeichenunterricht ein allgemein ästhetisches Bildungsmittel, wodurch künstlerische Genußfähigkeit und Kunstsinn geweckt und entfaltet werden. Nicht manuelle Fertigkeit gilt als Hauptsache, sondern Richtigkeit in der Erfassung eines Eindruckes, Entschlossenheit und Frische in seiner Wiedergabe. Das Beobachtungsvermögen, das Form- und Farbengedächtnis sollen entwickelt werden. Zwar will man auch zur technischen Geschicklichkeit erziehen; doch darf das technische Können nicht als ausschlaggebendes Kriterium des Unterrichtserfolges gelten. Nicht um die Nachahmung überlieferter Stilformen kann es sich handeln; nicht ein immer wiederkehrendes Einerlei darf geboten werden; darum fordert die Reform Rückkehr zur Natur, Freiheit von aller Schablone, Befreiung der schaffenden Kräfte, Übung am Gegenständlichen, am Wirklichen, an heimischem Gerät, an heimischer Kunst und Natur.

So stellt sich uns die moderne Umgestaltung im wesentlichen als eine Reform nach künstlerischen und psychologischen, nicht nach gewerblichen Gesichtspunkten dar. Nicht um die Herstellung tadelloser Ausstellungsprodukte kann es sich handeln, sondern darum, die im Menschen schlummernden Anlagen, sein Ich, seine Persönlichkeit zur Entfaltung zu bringen. Zugleich gilt Zeichnen als eine Art Sprache, als natürlichstes Ausdrucksmittel für die Welt des Sichtbaren, wo die Lautsprache nicht ausreicht. Darum fordert die Gegenwart Befreiung des Zeichenunterrichts aus der fachmännischen Umklammerung – Zeichnen als Prinzip.

Eine besondere Rolle spielt im modernen Zeichenunterricht das Zeichnen nach dem Gedächtnis, nach der Phantasie. Der alte Kurs kannte es nicht. Da war die zeichnerische Darstellung streng geregelt durch die Vorlage oder durch das Modell. Eine möglichst getreue Kopie galt als beste Leistung. Jede Abweichung vom Vorbild wurde als Fehler gebrandmarkt. Durch diesen beständigen Zwang zum bloßen Kopieren, durch die Unmöglichkeit, eigene Erinnerungsbilder zeichnerisch zum Ausdruck zu bringen, blieben die gestaltenden Kräfte ohne Übung. Ein[15] Unterricht, der auf freie Selbsttätigkeit hinzielt, darf nicht nur sklavische Nachahmung verlangen, sondern muß entbinden, was an Darstellungskraft und -lust im werdenden Menschen lebt und webt. Er muß das Zeichnen aus der Vorstellung heraus als gleichberechtigt neben dem Zeichnen nach der Wirklichkeit, nach der Natur, nach dem Gegenständlichen gelten lassen.

Auch der neuzeitliche Zeichenunterricht kennt Vorbilder. Aber es sind nicht mehr die Vorlagen der alten Schule mit ihren geometrischen Vielecken und Rosetten, ihren Mäandern und Palmetten und sonstigen ornamentalen Stilformen, sondern Bilder wirklicher Meister. Welche Bedeutung die künstlerische Bildbetrachtung für die Entwicklung des Kunstverständnisses und Kunstgenusses haben kann, das hat vor allem Lichtwark in seinen »Übungen in der Betrachtung von Kunstwerken« zur Darstellung gebracht. Einen Reichtum an künstlerischem Wandschmuck haben einige Verlagsfirmen – es sei nur an Teubner und an Voigtländer erinnert – geschaffen. Das moderne Schulhaus hat einen neuen Stil gewonnen. Kinderbilderbücher, Lesebücher, ja die gewöhnlichen Gebrauchsgegenstände haben in der Ausstattung eine künstlerische Läuterung erfahren, so daß nun auch bei uns in Deutschland in der Tat eine neue »Ausdruckskultur« Geltung zu gewinnen scheint, in der besonders der sichtbare Ausdruck und innerhalb seines Bereichs die zeichnerische Darstellung eine höhere Bedeutung erhalten soll.

Bevor wir nun nach diesem geschichtlichen Rückblick uns fragen, was an dem Alten und was an dem Neuen gesund und stark, berechtigt und verfehlt genannt werden muß, werden wir gut daran tun, erst einmal die Natur des Zeichnens selbst einer näheren Betrachtung zu unterziehen, nachdem der erste Abschnitt sich mehr mit der Bedeutung der zeichnerischen Tätigkeit für die zu entwickelnde Natur des Menschen befaßte. Denn nur aus beiden Erwägungen – aus den künstlerischen wie aus den psychologischen – läßt sich der rechte Weg erschließen.


Dritter Abschnitt.
Die zeichnerischen Darstellungsweisen.

Man kann sich einig sein über den mannigfachen Wert einer Wissenschaft oder einer Kunst. Man kann ihre Pflege in den Schulen für eine dringende Notwendigkeit erklären, und man kann doch rat- und tatlos dastehen, sobald es sich um die praktische Durchführung handelt. Aus dem einfachen Grunde, weil es an Kräften fehlt, die jene[16] Wissenschaft oder Kunst in rechter Weise vermitteln. Mit der obligatorischen Einführung des Zeichenunterrichts in den allgemein bildenden Schulen, mit der detaillierten Aufstellung eines Lehrplans und bestimmter methodischer Grundsätze ist noch wenig erreicht. Die Hauptsache ist und bleibt – wie überall im Unterricht so auch hier – der Lehrer selbst.

Nun hat die deutsche Lehrerschaft wohl den besten Willen, zu leisten und durchzuführen, was sie selbst als besser und fortschrittlicher einsehen gelernt hat; aber ihre eigene Ausbildung verlief vielfach in Bahnen, die unserer Zeit als Irrwege gelten. Die Mehrzahl der heute an öffentlichen Schulen tätigen Lehrer wurde während ihrer Studienjahre zeichnerisch verbildet. Durch die Stuhlmannsche Methode oder durch jahrelanges Kopieren Weishauptscher oder Herdtlescher Vorlagewerke wurden Kraft und Lust zu freier Gestaltung, ja die Freude am ganzen Fache so gründlich ausgetrieben, daß man sich später scheute, die alte Plage zu erneuern. Man ließ – ohne es zu ahnen – eines der wirksamsten didaktischen Hilfsmittel ungenützt zur Seite liegen und half sich auf andre Weise durch. Man verlor zuletzt den Glauben an die eigene Fähigkeit – trotz des »Seminareinsers«. Man stand bewundernd und bedauernd vor dem Schüler, der aus eignem Antrieb heraus zu zeichnen begann, und wußte weder ihm noch sich selbst zu helfen. Man kaufte sich diesen oder jenen modernen Lehrgang; zu einem rechten Verarbeiten aber wollte es nicht kommen. Irgendeinen Kursus zu besuchen, war nicht jedermann möglich. Und selbst wer so glücklich war, fand in der Regel in diesen fachmännisch geleiteten Kursen nicht das, was gerade er für seine Schularbeit suchte und brauchte. Der Betrieb gestaltete sich fast ausschließlich nach der Natur des Faches und nahm zu wenig oder gar keine Rücksicht auf die Natur des Kindes. Beides aber muß in Einklang gebracht werden. Ist dies möglich?

Zeichnen ist ein künstlerisches Fach, ein Zweig der bildenden Kunst. Zeichnen entnimmt seine Gesetze dem Reiche der Kunst. Wer sich klar darüber werden will, welcher Art diese Normen sind, der muß die Wissenschaft der Kunst, die Ästhetik, zu Rate ziehen. Wie überall in didaktischen Fragen, so offenbart sich auch hier der pädagogische Grundwissenschaftscharakter dieser philosophischen Disziplin.

Der bildende Künstler will die Welt des Sichtbaren mit sichtbaren Ausdrucksmitteln wiedergeben. Die Welt des Sichtbaren besteht – real genommen – eigentlich nur aus Körpern. Linien, Flächen, Farben und Lichter sind Abstraktionen, die in Wirklichkeit gar nicht für sich vorkommen[17] können, sondern nur an Körpern. Der dünnste Seidenfaden ist ein Körper, keine Linie. Der feinste Papierbogen hat Länge, Breite, Dicke, ist also ein dreidimensionales Gebilde. Der kleinste Punkt, den wir mit dem Stift oder mit der Kreide zu geben suchen, ist körperhafter Natur.

Die der Natur selbst am meisten analoge Wiedergabe der sichtbaren Welt ist darum die plastische Gestaltung, die körperhafte Nachbildung, wie sie der Bildhauer versucht. Wenn der Plastiker einen Menschen – eine Bismarckstatue z. B. – modelliert, so tut er dasselbe, was nach der biblischen Darstellung der Schöpfer bei Herstellung des ersten Menschen getan haben soll: er formt und knetet aus bildsamer Masse einen menschlichen Körper und haucht ihm – biblisch gesprochen – mittels seiner Kunst eine menschliche Seele ein.

Dem Maler und dem Zeichner aber erwächst eine andere Aufgabe. Sie gestalten zwar auch Körperliches, weil die Außenwelt, die sie nachbilden, nur Körperliches bietet; aber sie haben bei ihrer Gestaltungsarbeit nicht drei, sondern nur zwei Dimensionen zur Verfügung. Vor dem Zeichner liegt nur eine Fläche – eine Tafel, ein Papier oder eine Leinwand – und auf diesem zweidimensionalen Gebilde soll er die dreidimensionale Außenwelt wiedergeben. Das Papier, die Leinwand haben wohl auch eine Dicke – eben weil es Dinge der Außenwelt, also Körper, sind – aber diese dritte Dimension kommt für den Künstler nicht in Betracht. Er kann nur mit der ihm zugewandten Fläche rechnen. Er weiß: da draußen ist ein Ding, das Länge, Breite und Dicke hat, und hier ist eine Fläche, die mir nur Länge und Breite zur Verfügung stellt. Und doch soll er Wirklichkeit nachbilden. Jenes körperliche Gebilde soll flächenhaft wiedergegeben werden. Diese Aufgabe stellt ihn vor ein Problem. Auf doppelte Weise kann sich die Lösung vollziehen. Ein Beispiel möge es erläutern:

Nehmen wir an, eine Zündholzschachtel soll dargestellt werden. Wir wissen: die Schachtel hat sechs Flächen, von denen je zwei einander gleich sind. Es müßten also nur drei Flächen gezeichnet werden, aber in welcher Weise? Schauen wir von oben auf die Schachtel, so sehen wir die größte (Abb. 1 a), bei einer Vierteldrehung die mittlere (Abb. 1 b) oder die kleinste (Abb. 1 c) Fläche. Wir können die drei Flächen mit genauer Angabe ihrer Größe zeichnerisch darstellen (Abb. 1 a, b, c) – ein rechtes Bild der Schachtel aber würden wir auf diese Art nicht erhalten. Es fehlt der Zusammenhang.

Wir könnten versuchen, diesen Zusammenhang dadurch zu erzielen, daß wir alle Flächen in ihrer Verbindung darstellen: die Schachtelhülse[18] mit ihren vier (Abb. 2) und die innere Schachtel mit ihren fünf (Abb. 3) Flächen. Wir könnten, indem wir die neun Flächen mit der Schere ausschnitten und entsprechend zusammenklebten, sogar das Modell einer Zündholzschachtel aus Papier darstellen. Aber das wäre im Grunde genommen doch nur eine plastische, keine zeichnerische Gestaltung.

Abb. 1
Abb. 1
Abb. 2
Abb. 2
Abb. 3
Abb. 3
Abb. 4
Abb. 4

Die rechte zeichnerische Darstellung käme erst zustande, wenn jene drei doppelt vorhandenen Flächen in ihrem Zusammenhang als Grundriß, Aufriß, Seitenansicht durch eine bestimmte Lagerung entsprechend gekennzeichnet würden. Etwa folgendermaßen: (Abb. 4). Auf diese Weise bekämen wir eine wissenschaftliche Skizze. Sie zeigt uns, wie der Körper in Wirklichkeit ist. Aber nur ein für zeichnerische Projektion geschultes Auge wird diese Darstellung richtig deuten können. Denn die Zündholzschachtel sieht in Wahrheit gar nicht so aus. Wir haben in Abb. 4 immer nur Rechtecke vor uns, nur Flächenbilder, nicht Körperbilder. Es wird zwar wiedergegeben, wie die Schachtel nach ihren verschiedenen Ausdehnungen ist, aber nicht, wie sie dem menschlichen Auge erscheint. Soll dieser Augeneindruck wiedergegeben werden, so muß ein anderer Weg eingeschlagen werden. Zu den dargestellten Flächen muß die Dicke des Körpers treten – seine Tiefe muß vorgetäuscht werden. Die Außenwelt muß so dargestellt werden, wie sie sich auf der Netzhaut des Auges projiziert.

[19]

Das ist das Eigenartige in der Welt des Sichtbaren: wohl gibt es draußen in der Außenwelt nur Körper; aber in unsrer Innenwelt, auf der Netzhaut des menschlichen Auges, finden sich nur Flächen, nur zweidimensionale Bilder einer dreidimensionalen Wirklichkeit. Auch das Papier, auch die Leinwand sind Flächen, analog der Augennetzhaut. Es handelt sich also darum, das körperhaft wirkende Bild auf der Netzhautfläche so auf der Papierfläche wiederzugeben, daß es auch hier körperhaften Eindruck im Betrachter erwecken kann.

Abb. 5
Abb. 5
Abb. 6
Abb. 6

Stellen wir jene Zündholzschachtel derart, daß sie uns eine ihrer senkrechten Kanten zukehrt, so sehen wir die Hälfte ihrer sechs Flächen: von je zwei gleichgroßen und gleichgestaltigen Flächen eine. Eine Wiedergabe dieser drei Flächen müßte also das rechte Wirklichkeitsbild ergeben, sofern wir so darstellen, wie die Flächen unserm Auge erscheinen. Bei näherem Zusehen wird sich nämlich zeigen, daß besonders zwei Flächen von der Rechteckfigur stark abweichen. Wir könnten versuchen, diese Umwandlung durch Rauten oder Rhomboide auszudrücken, wie es die sogen. Parallelperspektive tut (Abb. 5 a u. b). Allein auch diese Darstellung würde der Erscheinung nicht gerecht werden. In Wahrheit erscheint keine Fläche mehr als Rechteck, keine als Raute und keine als Rhomboid. Es sind vielmehr Vierecke, bei denen keine Seite mehr der andern gleich ist, bei denen kein Winkel mehr mit dem gegenüberliegenden übereinstimmt (Abb. 6).

Die Gesetze der Perspektive werden in ihre Rechte eintreten und Berücksichtigung fordern. Wir werden ferner finden, daß die eine Fläche heller, die andre dunkler erscheint, daß Farben und Schlagschatten zu sehen sind und was der Belichtungserscheinungen sonst noch sein mögen.

Das auf diese Art entstandene Bild ist grundsätzlich verschieden von jener wissenschaftlichen Skizze, die der denkende Verstand konstruierte. Handelte es sich dort um eine Wiedergabe des wirklich Existierenden,[20] so finden wir hier eine Wiedergabe der sichtbaren Erscheinung. Im Gegensatz zu jener wissenschaftlichen Darstellung haben wir es hier mit einer künstlerischen zu tun. Diese beiden Darstellungsweisen muß der Zeichner scharf auseinanderhalten. Beide haben ihre Berechtigung; aber beide verfolgen durchaus verschiedene Zwecke. Beide können einander unterstützen. Über beide Darstellungsweisen muß sich klar sein, wer die Welt des sichtbaren mit zeichnerischen Mitteln wiedergeben möchte. In beiden muß darum unterrichtet werden, wo Zeichnen gelehrt werden soll.

Noch ein zweiter Unterschied muß dem Zeichner klar geworden sein: der zwischen dem Zeichnen nach der Vorstellung und dem Zeichnen nach der Wirklichkeit. Die alte Schule kannte – wie wir sahen – eigentlich keines von beiden; denn sie betrieb den Zeichenunterricht fast ausschließlich nach Vorlagen und nach Modellen, die eigens für den Zeichenunterricht präpariert wurden: nach geometrischen Vollkörpern, nach Stabmodellen und nach Gipsabgüssen. Die Reformer verwarfen diese Hilfsmittel und forderten ein Zeichnen nach der Natur und ein Zeichnen nach dem Gedächtnis oder nach der Phantasie.

Bei näherem Zuschauen erweist sich allerdings der Unterschied zwischen dem Zeichnen nach der Vorstellung und dem Zeichnen nach der Wirklichkeit nur als gradueller, nicht als wesentlicher; denn jedes Zeichnen nach der Vorstellung ist zugleich ein Zeichnen nach der Wirklichkeit, ist doch nach einem alten Spruch nichts im Verstande, was nicht vorher in den Sinnen war. Alles – auch was wir aus dem Gedächtnis, aus der Erinnerung, aus der Phantasie heraus zeichnen – muß vorher – wenigstens in den Elementen – wirklich gesehen worden sein. Umgekehrt ist jedes Zeichnen nach der Wirklichkeit auch zugleich ein Zeichnen nach der Vorstellung; denn kein Zeichner, auch wenn er noch so sehr darnach strebt, nur wiederzugeben, was ihm die Wirklichkeit zeigt, gibt reine, volle Wirklichkeit, sondern nur Ausschnitte, irgendein Etwas, worauf sein Interesse eingestellt war. Und jeder gibt diesen Ausschnitt nur so, wie er in seiner Seele sich ein Bild, eine Vorstellung davon geschaffen hat. Wenn zehn Maler dieselbe Landschaft zeichnen, so werden nicht zehn gleiche, sondern zehn verschiedene Bilder entstehen, und ein geschultes Auge wird – sofern es sich um bekannte Künstler handelt – auf den ersten Blick die Schöpfer der einzelnen Bilder erkennen können; denn jeder wählte anders aus, jeder vereinfachte und charakterisierte auf seine eigene Art. Die Persönlichkeit wandelt das Wirklichkeitsbild um. Keiner gibt die Wirklichkeit objektiv wieder, sondern nur, was von ihr in seiner Vorstellung lebte.

Wenn der Zeichner auch bei jedem Strich, den er zu Papier bringt,[21] vorher die Wirklichkeit anschaut, im Moment der Niederschrift ist doch der Blick auf den Strich gerichtet, der darum unmittelbar durch die Vorstellung und nur mittelbar durch die Wirklichkeit dirigiert wird. Das gleiche ist jedoch auch beim Zeichnen nach der Vorstellung der Fall. Der ganze Unterschied ist also nur darin zu suchen, daß die zeitliche Differenz zwischen dem Betrachten der Wirklichkeit und der graphischen Darstellung beim Zeichnen nach der Vorstellung eine große, beim Zeichnen nach der Wirklichkeit eine kleine ist.

Beide Arten haben ihre Berechtigung; in beiden Weisen werden wir uns üben müssen, wenn wir zeichnerische Schulung anstreben. Es fragt sich nun nach diesen mehr theoretisch gehaltenen Erwägungen, welchen Weg wir in der Praxis am besten einschlagen, um den verschiedenen Forderungen entsprechen und um möglichst rasch und möglichst sicher dem erstrebten Ziele nahe kommen zu können.


Vierter Abschnitt.
Der rechte Weg.

Wir haben vier Arten der zeichnerischen Darstellung unterschieden: die wissenschaftliche und die künstlerische Zeichnung, das Zeichnen nach der Vorstellung und nach der Wirklichkeit. Jede dieser vier Arten soll gepflegt werden. Es fragt sich jedoch: womit beginnen? Welche Darstellungsweise ist die leichtere? Welche kann zur Grundlage für die anderen werden? In welche Verbindungen können die beiden Gruppen treten? Und was dergleichen Fragen sonst noch sein mögen.

Bei näherem Betrachten ergibt sich, daß für die Unterscheidung beider Gruppen verschiedene Gesichtspunkte maßgebend waren. Gliedert man die Darstellungsweisen in wissenschaftliche und künstlerische, so gewinnt man den Einteilungsgrund aus der Natur des Faches, aus dem Wesen der zeichnerischen Darstellung. Eine Unterscheidung des Zeichnens nach der Vorstellung und nach der Wirklichkeit dagegen gewinnt man im Hinblick auf die Natur des zeichnenden Menschen. Das eine Mal bestimmten technische, das andere Mal psychologische Gesichtspunkte die Einteilung.

Wir werden darum, wenn wir klar darüber werden wollen, welche der einzelnen Darstellungsweisen grundlegend werden können, bei zwei Stellen anfragen müssen: beim »Fach«, bei der Kunst selbst, d. i. bei den Künstlern, den eigentlichen »Technikern«, und bei der Psychologie, d. i. bei den gelehrten Forschern, bei den Theoretikern: den Kinderpsychologen und den Historikern, und bei den Praktikern: den Pädagogen.

[22]

Fragen wir zunächst bei der Kunst an. Sie soll entscheiden, welche Art des Zeichnens – die wissenschaftliche oder die künstlerische – Grundlage werden kann. Das beste wird sein: wir wenden uns gleich an die rechte Schmiede, nicht an irgendeinen Fachzeichenlehrer, sondern an wirkliche Künstler und zwar an die größten, sofern sie uns hinterlassen haben, was Ratschlag werden kann. Zum Glück haben sich gerade die namhaftesten unter ihnen bewußt über ihr Schaffen geäußert. Wie auf dem Gebiete der Dichtkunst Goethe und Schiller, Friedrich Hebbel und Otto Ludwig, wie auf dem Felde der Tonkunst Richard Wagner, so haben sich auch große bildende Künstler – z. B. Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer unter den Alten, Hans Thoma unter den Modernen – Zeit ihres Lebens ernstlich bemüht, klar zu werden über die Naturgesetze ihrer Tätigkeit und zum Teil schriftlich niedergelegt, was ihnen diese Selbstbetrachtung offenbarte.

Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß fast alle diese großen Meister der Kunst zu ähnlichen Forderungen kamen wie Pestalozzi, der pädagogische Reformator, der zwar selbst nicht zeichnen konnte, dessen pädagogisches Genie ihn aber doch das Rechte ahnen ließ. Fast alle diese großen Künstler verlangten für den zeichnerischen, für den künstlerischen Betrieb eine wissenschaftliche, ja eine mathematisch charakterisierte Grundlage.

Leonardo da Vinci, den ein moderner Zeichenmethodiker – H. Grothmann, der Redakteur der bekannten Zeitschrift »Schaffen und Schauen« – als das Ideal des Zeichenlehrers bezeichnet, schreibt in seinem berühmten »Trattato della pittura«: »Wissenschaft ist nur auf mathematischer Grundlage möglich, und indem die Malerei mit mathematischen Mitteln göttliche Werke bis zum Verwechseln nachbildet, ist sie Wissenschaft.« Ferner: »Diejenigen, welche sich in Praxis ohne Wissenschaft verlieben, sind wie die Schiffer, die ohne Steuerruder oder Kompaß zu Schiffe gehen; sie sind nie sicher, wohin sie gehen. Die Praxis soll stets auf guter Theorie aufgebaut sein, und von dieser ist die Perspektive Leitseil und Eingangstür, ohne sie geschieht nichts recht in den Fällen der Malerei.«

Leonardo fordert also als Grundlage des zeichnerischen Betriebs vor allem zwei wissenschaftliche Disziplinen: Mathematik und Perspektive. Hören wir, was andere große Meister auf unsere Frage antworten.

Albrecht Dürer hat in seinen Büchern von der »Unterweysung der meßung« (1525) und »von menschlicher Proportion« (1528) eine Art Lehrgang hinterlassen, der die Grundlagen aller Form- und Raumanschauung, das mathematische Fundament aller Zeichenkunst, vermitteln[23] will. Mit einfachen geometrischen Elementen wird begonnen, zu regelmäßigen Figuren und Körpern wird fortgeschritten. Auch das höchstwertige Gebilde der Natur, der Mensch, wird in seiner Erscheinung mathematisch zu begreifen gesucht. Das Buch, schreibt Hans Thoma, der berühmte Karlsruher Maler, über Dürers »Underweysung«, »ist auch ein Dokument, aus welchem zu ersehen ist, auf welch sicherem Grund eine so hohe geklärte Kunst wie die Dürers, ja die aller großen Meister, beruht.« »Es zeigt, wie notwendig zum künstlerischen Schaffen das auf dem Wissen beruhende Vorstellen vom Raume als Grundlage aller bildenden Künste ist.«

Thoma hat ferner in seinen gesammelten Erinnerungsblättern »Im Herbste des Lebens« ein Bildungsprogramm für Kunstschüler veröffentlicht, worin er den eben erwähnten Gedanken weiter ausführt. Thoma verlangt eine »künstlerische Raumanschauung« als Grundlage für alles künstlerische Schaffen: »Den Schülern würden die Elemente der Geometrie, und zwar möglichst auf Anschauung sich gründend, gelehrt werden: die Gesetze der Optik, der Perspektive werden sich anschließen.« Ferner: »Zur Übung müßten die mannigfachsten geometrischen und perspektivischen Konstruktionen entworfen werden. Diese Raumlehre müßte sozusagen das ABC des Künstlers bilden.« Es ist ganz im Sinne Pestalozzis gedacht, wenn der Direktor der Karlsruher Akademie weiter betont: »In der Kunst ist nur dasjenige Wissen erzieherisch, welches sich auch immer zugleich praktisch betätigen läßt, und nur so viel von diesem Wissen ist fruchtbringend, als sich in Anschaulichkeit, in die Tat umsetzen läßt – so soll die Raumlehre, Perspektive, Anatomie, Farbenlehre nie bloß theoretisch erfaßt, neben dem Können herlaufen, sondern muß sich gleich von Anfang an in augenscheinliche, sinnenkräftige Kunst umsetzen oder umzusetzen sich bemühen.«

Ähnlich wie diese großen Künstler dachten und forderten u. a. der Florentiner Baumeister Filarete, der im 15. Jahrhundert einen Traktat über die Baukunst veröffentlichte, ferner Leon Battista Alberti (1402–1472), der erste Zeichenmethodiker, der Lütticher Maler Gérard de Lairesse (1640–1711), der die Geometrie »das ABC der Zeichenkunst« nannte und der Philosoph Herbert Spencer.2 Alles was diese Klassiker des Zeichenunterrichts an Forderungen erhoben, ist wie eine Umschreibung des Spruches, mit dem im alten Hellas Plato seine Philosophieschüler empfangen haben soll: »Kein Unkundiger der Geometrie trete unter mein Dach!«

[24]

Wenn über eine Frage, so herrscht über diese unter den Meistern der Kunst Einigkeit: Kunst hat neben dem Unaussprechlichen, außer jenem Geheimnisvollen, das nicht lehrbar ist, das aus der Tiefe des menschlichen Innenlebens hervorquillt, das nur dem Genie, der Intuition erfaßbar ist, eine Menge von Bestandteilen, die begrifflich, also wissenschaftlich bestimmbar und darum lehrbar sind.

Wir erfahren gleichzeitig schon aus den wenigen, eben zitierten Aussprüchen, welcher Art diese Bestandteile sind. Wir können dazu zählen die Grundgesetze der Geometrie (Mathematik), der Perspektive, der Farbenlehre (Optik) und der anatomischen Verhältnisse. Mit ihnen, mit der Vermittlung einer »künstlerischen Raumanschauung«, wie Thoma es nennt, müßte darum gleichsam wie mit einem »ABC des Künstlers« oder – um einen Ausdruck Pestalozzis zu gebrauchen – wie mit einem »ABC der Anschauung« im Zeichenunterricht begonnen werden.

Fragen wir nun, was die Psychologie uns raten kann, ob die Theoretiker und die Praktiker, die Forscher und die Pädagogen, jenen Künstlerforderungen zustimmen und was sie selbst aus der Natur des zeichnenden Menschen an Forderungen ableiten.

Wir sind heute bei Beantwortung dieser Frage ungleich günstiger daran als die Zeichenmethodiker vor 10 oder gar vor 20 Jahren; denn eine große Zahl von Gelehrten hat bereits auf diesem Gebiete gearbeitet und ihre im wesentlichen übereinstimmenden Forschungsresultate beweisen die Richtigkeit der Ergebnisse, wenn auch noch, wie es Prof. Meumann in seinem »Programm zur psychologischen Untersuchung des Zeichnens« ausführt,3 eine Menge von Einzelfragen der Beantwortung harrt.

Die Engländer James Sully, E. Cooke, Lukens, die Amerikaner Stanley Hall, William James, Earl Barnes, Maitland, der Franzose Bernard Pérez, der Italiener Corrado Ricci, die Deutschen Wilh. Preyer, Siegfr. Lewinstein, Gg. Kerschensteiner, Verworn, Karrenberg, R. Bürckner u. a. haben in eingehenden experimentellen Untersuchungen die Entwicklung der zeichnerischen Begabung des Kindes untersucht. Andere – es sei nur an den Leipziger Historiker Karl Lamprecht und an den Philosophen Wilh. Wundt erinnert – haben ihre Forschungen ausgedehnt auf die Völkerpsychologie, haben die historischen Zeichnungen früherer Jahrhunderte und die prähistorischen vergangener[25] Jahrtausende untersucht oder – wie Th. Koch, Karl Weule, Max Schmidt, Moszelk, Hoffmann, Emil Stephan – die Zeichnungen der Naturvölker – die zeichnerischen Darstellungen der Neger und der Indianer, der Eskimos, der Buschmänner und der Südseeinsulaner – zur Grundlage von psychologischen Forschungen genommen.

Es ist an und für sich gleichgültig, wie viele Stufen der zeichnerischen Entwicklung die einzelnen Forscher unterschieden haben, ob 3 (Sully), 4 (Cooke, Kerschensteiner) oder 6 (Barnes) – im allgemeinen hat sich gezeigt, daß der einzelne Mensch der Gegenwart ebenso wie die Völker der Vergangenheit und die Naturvölker unserer Tage mit einem Gekritzel beginnen und dann – wenn wir Wilh. Wundts Terminologie gebrauchen wollen – vom idiographischen zum physiographischen Typus fortschreiten. Mit andern Worten: der einzelne wie die Gesamtheit eines Volkes zeichnet, nachdem sich die Freude an der bloßen Bewegung, an dem »Gekritzel« ausgelebt hat, zuerst nach selbstgebildeten Vorstellungen, nach Ideen, und erst später die Dinge so, wie sie die Natur uns zeigt. Das Zeichnen nach der Vorstellung geht also stets dem Zeichnen nach der Wirklichkeit voraus und bildet darum die natürlichste Unterstufe in der zeichnerischen Entwicklung des Einzelmenschen wie des Volkes.

Und weiterhin zeigt sich, daß Kinder und Naturvölker zuerst darstellen, was sie vom Gegenstande wissen, daß sie im Anfang nur andeuten, nur schematisch beschreiben und erst später anschauungsgemäß darstellen.4 Der Mensch zeichnet wohl darum zuerst nach der Vorstellung, weil die Wirklichkeit mit ihrer verwirrenden Mannigfaltigkeit ihm eine solche Menge von zeichnerischen Problemen vor die Augen führt, daß er sie unmöglich bewältigen kann. Dabei würde der fortwährende Vergleich mit dem Gegenstande zeigen, daß die Wiedergabe nicht stimmt, daß irgend etwas falsch ist, ohne daß es dem Zeichner klar würde, wie der Fehler eigentlich zu beseitigen wäre.

Anders beim Zeichnen nach der Vorstellung: Das visuelle Vermögen greift aus dem Chaos der Umgebung irgend etwas heraus und stellt es gesondert als Erinnerungsbild vor die Seele. Dieses Erinnerungsbild ist vereinfachter, schematisierter, schablonenmäßiger als die Wirklichkeit. Darum ist es ganz natürlich, wenn der ungeübte Zeichner in seiner Verlegenheit, die Wirklichkeit naturgetreu wiederzugeben, nach diesem Produkt seines visuellen Gedächtnisses greift und seine zeichnerische[26] Wiedergabe versucht. Die Darstellung erscheint ihm leichter, weil das Modell einfacher ist. Erst wenn die Fähigkeiten des Sehens und des Vorstellens sich mehr entwickelt haben, erst dann fällt dem Zeichner die starke Distanz zwischen der Wirklichkeit und seiner Darstellung auf. Dann erst empfindet er die Notwendigkeit einer naturgetreueren, einer anschauungsgemäßeren Darstellung. Dann ist aber auch die Zeit gekommen, jenes Zeichnen nach der Vorstellung allmählich in ein Zeichnen nach der Wirklichkeit überzuführen.

Vergleicht man die Forderungen der großen Künstler mit den Resultaten der gelehrten Forschung, so erscheint es dem flüchtigen Blick, als bestände eine eigenartige Übereinstimmung zwischen beiden: Dort die Forderung einer wissenschaftlichen Grundlage, das Verlangen nach einem Bewußtwerden geometrischer, perspektivischer, optischer und anatomischer Gesetzmäßigkeiten – hier die Erscheinung, daß das Zeichnen von einer Niederschrift des Gewußten zu einer Darstellung des Erscheinungsgemäßen weiterschreitet. Dem tiefer dringenden Blick aber zeigt sich, daß sich beide scheinbar analoge Entwicklungsstadien doch nicht ohne weiteres in Übereinstimmung bringen lassen. Die zeichnerische Tätigkeit ist eben doch eine zusammengesetztere, als daß sie sich durch einen oder durch zwei Einteilungsgründe restlos gliedern ließe.

Die alte Schule machte den Versuch, den Zeichenunterricht mit wissenschaftlichem Zeichnen nach der Vorstellung – oder besser: nach der Vorlage! – zu beginnen. Sie ließ Punkte, Linien, Striche zeichnen und schritt weiter zu geometrischen Figuren und zu stereometrischen Körpern, zum Kopieren von Vorlagen und konstruierten Modellen. Sie vermochte jedoch auf diesem Wege nichts Nennenswertes zu erreichen. Was sie an Ergebnissen zeitigte, zeigte in der Regel nur eine Seite der zeichnerischen Bildung: die Erziehung zu korrekter Strichführung, zur Peinlichkeit und Sauberkeit. Es wurde mehr eine Art logischer Schulung, dazu eine Bewegungsgeschicklichkeit gewisser Muskeln, Sehnen und Gelenke erzielt, aber keine zeichnerische Ausbildung im künstlerischen Sinne. Die apperzeptiven Vorgänge – insbesondere jene, die sich auf Gefühl und Wille beziehen – blieben unbeachtet. »Die künstlerische Auffassung und innere Verarbeitung des zu zeichnenden Objektes und der Zeichnung selbst« wurden ausgeschaltet, da ja die Vorlage beides vorweg nahm und nur zum Kopieren anleitete. Unbeachtet blieben ferner die visuellen Erinnerungsbilder, da das Zeichnen nach der Vorlage ihrer nicht bedurfte.

Wer den rechten Weg finden will, der darf sein Augenmerk nicht nur auf irgendein Teilgebiet der zeichnerischen Tätigkeit richten, sondern[27] auf die Gesamtheit der genannten Momente. Vor allem ist die Darstellungslust mit zu berücksichtigen, die jedoch nicht nur von den Darstellungsweisen allein, sondern auch vom Inhalte, vom Stoff der zeichnerischen Darstellung, bedingt ist. Zu der Frage nach dem rechten Weg tritt darum als Ergänzungsfrage die nach dem rechten Stoff.


Fünfter Abschnitt.
Der rechte Stoff.

Wollte man – wie es die alte Schule getan – mit einem streng wissenschaftlichen Betrieb den Zeichenunterricht beginnen, wollte man an den Anfang die Darstellung geometrischer Elemente oder die exakte Wiedergabe geometrischer Flächen und stereometrischer Körper stellen oder wollte man gleich mit den Gesetzen der Perspektive, der Farbenlehre und der Anatomie beginnen, so würde die Darstellungslust gar bald erlahmen. Denn weder das Kind noch der Naturmensch verfolgen mit ihrer zeichnerischen Tätigkeit wissenschaftlich gerichtete Interessen. Die Linie an sich, die geometrische Figur, der stereometrische Körper sind ihnen gleichgültig.

Wohl arbeiten sie mit Linien und Punkten; aber diese Art der Darstellung ist im wesentlichen bedingt durch die Art des Werkzeugs und des Materials, das ihnen zur Verfügung steht: In der Steinzeit gab man den Umriß mit einem spitzen Feuerstein und füllte die Fläche mit rotem Ocker, mit Kreide oder mit einer andern durch Fett oder durch Wasser breiig verrührten Farbe, indem man mit dem Finger die Fläche innerhalb der Umgrenzungslinie »eindeckte«. Wohl findet man unter den Darstellungen meist geometrische Figuren: Dreiecke, Rauten, Kreise, Bandstreifen usw. Aber die Absicht war nicht, geometrische Gebilde darzustellen, sondern lebendige Wesen. Die Dreiecke auf Indianerzeichnungen bedeuteten Fledermäuse, die Rauten Bienen usw. Daß die Darstellung so wenig naturgetreu ausfiel, lag eben in der tiefen Entwicklungsstufe des Zeichners begründet. Wir sehen eine Wiederholung dieses Vorgangs bei der zeichnerischen Entwicklung des Kindes.

»Das Kind vermag erst von einem gewissen Lebensalter an, etwa dem 10. Jahre an,« schreibt Johannes Kretzschmar in einem Artikel über »die freie Kinderzeichnung in der wissenschaftlichen Forschung«5,[28] »zum physiographischen Typus überzugehen, weil es in eben diesem Alter auf einen bestimmten Grad der seelischen Entwicklung gelangt, zum Stadium der Normierungsfähigkeit. Es zeichnet vorher ideographisch, weil es noch auf dem psychischen Standpunkt des Assoziationsmechanismus steht; es richtet seine Aufmerksamkeit nur auf den Inhalt, nicht auf die Form der zeichnerischen Darstellung, weil seine Phantasie die Beobachtungsfähigkeit beeinträchtigt und keine Rücksicht nimmt auf den Unterschied zwischen Schein und Wirklichkeit.«

Kinder wollen zunächst zeichnen, was ihnen der Darstellung wert erscheint: das Lebendige, das Bewegte, das Auffallende – nicht geometrische Elementarformen, nicht inhaltlose Abstraktionen. Nach den Resultaten der gelehrten Forschung bringen 75% der freien Kinderzeichnungen die menschliche Gestalt. Dann folgen Tiere, Häuser, Bäume, sowie Gegenstände, die in irgendein Gefühlsverhältnis zum Kinde treten: Waffen, Weihnachtsgeschenke, Luftschiffe, Eisenbahnen u. ä.

Für perspektivische Gesetzmäßigkeit fehlt im Anfang noch alles Verständnis. Wir wissen: die perspektivische Darstellung in der Kunst ist das Produkt einer jahrtausendelangen Entwicklung. Ägypter und Griechen gaben die Tiefe noch durch die Höhe. Sie zeichneten entfernte Gegenstände über die näher gerückten. Wir wissen: auch die Entwicklung des farbigen Sehens brauchte Jahrtausende, ehe es die heutige Höhe erreichte. Noch Dürer und seine Zeitgenossen gaben die Farben in einer konventionellen Art, die in der Gegenwart überholt ist.

Die Forderung unserer großen Künstler – eine wissenschaftliche Grundlage durch Vermittlung geometrischer, perspektivischer, optischer und anatomischer Erfahrungen und Einsichten zu geben – bleibt wohl zu Recht bestehen; sie erfährt jedoch durch die Ergebnisse der psychologischen Forschung eine Verrückung ihres Grundlagencharakters: Sie wird nicht mehr an den Anfang aller zeichnerischen Betätigung zu stellen sein, sondern erst da einsetzen, wo es sich um die Erlernung einer anschauungsgemäßen Darstellung handelt, wo das Zeichnen nach der Natur, nach der Wirklichkeit, auftritt. Erst dann, wenn das Kind – wie Kretzschmar es ausdrückt – fähig ist, »zum physiographischen Typ überzugehen«.

Dem Zeichnen nach der Wirklichkeit aber wird eine Vorstufe den Erfolg sichern müssen: eine Vorstufe, auf der jene Darstellungslust sich ausleben kann, indem sie alles in ihren Bereich einschließt, was überhaupt zu zeichnerischer Darstellung reizt. Nicht um streng wissenschaftliches Zeichnen, auch nicht um anschauungsgemäße Darstellungen[29] wird es sich auf dieser Vorstufe handeln, sondern um ein Zeichnen nach psychologischen Grundsätzen. Aber in diesen schematischen Zeichnungen wird doch enthalten sein, was Pestalozzi ein »ABC der Anschauung« nennt.


II. Praxis.

Sechster Abschnitt.
Die Vorstufe.

Es ist nicht meine Absicht, in folgendem eine Methode des Zeichenunterrichts ausführlich darzustellen oder Zeichnen in irgendeiner Schulgattung als Unterrichtsfach und als Unterrichtsprinzip eingehend zu schildern und zu veranschaulichen. Das Ziel, das ich in diesem Büchlein verfolge, ist ein andres. Es soll hier an einigen Beispielen gezeigt werden, wie jeder, der keinen lebendigen Lehrmeister zur Seite hat, doch durch Selbsttätigkeit und durch selbständige Versuche sich nach und nach auf autodidaktischem Wege erwerben kann, was ein gebildeter Mensch heutzutage an zeichnerischem Wissen und Können braucht.

Besonders den Lehrern von heute wird es erwünscht sein, wenn ihnen Gelegenheit geboten wird, die Zeichenfertigkeit, die sie sich während ihrer Bildungsjahre holten und die den neuen Anforderungen nicht mehr genügt, zu vervollkommnen. Was in folgendem geraten und geboten wird, ist wahrscheinlich wesentlich andrer Art als der Zeichenunterricht der alten Schule. Ich selbst ging zwar durch diese alte Schule hindurch; aber was ich mir an zeichnerischer Bildung dort holte, hatte für mich wenig Lebenswert. Was mir vonnöten war, mußte ich mir auf eigne Faust zusammensuchen. Dabei entstand für mich selbst ein eigner Lehrgang, der mit jenem der alten Schule nicht zusammenstimmte, der jedoch – wenn ich ihn an den im vorausgehenden aufgestellten theoretischen Forderungen messe – in der Hauptsache den neuzeitlichen Grundsätzen entspricht.

Meine Ausführungen werden wohl Ähnlichkeit mit denen haben, die ich in meiner Methodik des Zeichenunterrichts6 darlegte; denn die verschiedenen Entwicklungsstufen der zeichnerischen Begabung sind im Grunde dieselben, einerlei, ob es sich um Kinder oder um Erwachsene handelt. Wie es Völker gibt, die auf einer bestimmten Stufe stehen[30] bleiben und es nie zur erscheinungsgemäßen oder gar zur raumgemäßen Darstellung bringen, so gibt es auch unter den erwachsenen Einzelmenschen in Deutschland eine Unmenge, die in ihrer zeichnerischen Entwicklung noch auf der Stufe des Schemas, wie wir sie bei normalen 6–8jährigen Kindern finden, stehen und zeitlebens auf dieser Stufe verharren, trotzdem sie in ihrer Jugend jahrelang den Zeichenunterricht der alten Schule genossen haben. Ich werde also auch in meinen Darlegungen bei jener untersten Stufe beginnen müssen. Da ich mich jedoch an geistig reife Menschen wende, werden Ausgestaltung und Tempo meines Lehrgangs doch andres Gepräge tragen müssen als die Lehrgänge eines streng geregelten Schulunterrichts.

Abb. 7
Abb. 7

Ich denke mir also einen Schüler, der geistig so reif ist, daß er mittels eines Buches sein eigner Lehrer werden kann. Oder einen Lehrer, der wissenschaftlich auf der Höhe steht, im Zeichnen aber noch auf der Entwicklungsstufe eines Naturmenschen verbleiben mußte, da ihm seinerzeit nicht die rechte Anleitung zuteil wurde. Einen Lehrer also, der durch Zuhilfenahme dieses Büchleins sein eigner Schüler werden soll. Womit sollen derartige Kunstbeflissene auf der Vorstufe, um die es sich zunächst handelt, die zeichnerische Darstellungslust befriedigen?

»Die Beziehung zum originalen Vorbild ist gerade das, was dem Indianer die Freude an der Zeichenkunst gibt. Es macht ihm Spaß, daß er mit wenigen Strichen einen Fisch zeichnen kann.«

So schreibt Karl von den Steinen in seinem Buche »Unter den Naturvölkern«, wo er von der Ornamentik der Bakairi berichtet. Ich bin der Anschauung, daß mit dieser Freude an der verhältnismäßig leichten Art der charakteristischen Darstellung eines bekannten Objekts der Zeichenunterricht beginnen müßte. Es wird sich darum zunächst um jene Ausdrucksmittel und Darstellungsweisen handeln, die es auch dem zeichnerisch Ungeschulten ermöglichen, mit wenig Strichen etwas Konkretes – am besten etwas Lebendiges oder doch Gefühlsbetontes, nicht eine geometrische Abstraktion – wiederzugeben.

Vor kurzem saß ich einmal mit einem ehemaligen Studienfreunde zusammen, der seit Abgang von der Lehrerbildungsanstalt nichts mehr gezeichnet hatte. Von all den vielen damaligen »Errungenschaften« des Zeichenunterrichts war ihm nichts geblieben. Nur was uns einmal der Lehrer für Rechenmethodik an der Tafel veranschaulicht hatte, die[31] charakteristische Darstellung eines Apfels mit einem einzigen Linienzug, das konnte er noch, das allein hatte er in seinem Lehrerdasein praktisch verwenden können (Abb. 7). Dieser Apfel hatte ihm dieselbe Freude bereitet, wie sie der Indianer bei der schematischen Darstellung seines Fisches empfand, und er hatte die Leistung durch zwei Jahrzehnte hindurch herübergerettet in seine Mannesjahre als einziges zeichnerisches Kunststücklein, dessen Vorführung nicht zu mißglücken pflegte.

Abb. 8
Abb. 8

Das Erlebnis erinnerte mich zugleich lebhaft an das »einzige zeichnerische Kunststücklein«, das meine Großmutter sich ins Greisenalter mitgenommen hatte und das sie seinerzeit uns Kindern immer wieder vorführte, so oft wir baten, sie möchte uns etwas »malen«. Der Stoff war wohl etwas schwieriger zu bewältigen – es handelte sich um die Darstellung eines Storches – im Prinzip aber war die Sache dieselbe wie die eben erwähnte: mit wenigen Strichen wurde eine charakteristische Lebensform wiedergegeben.

Die Großmutter pflegte dabei folgendes zu erzählen: »Es war einmal ein Mann. Der hatte einen hübschen Teich. Darin schwammen große und kleine Fische herum (Abb. 8 a). Der Mann aber hatte sich in der Nähe ein Häuslein bauen lassen und schaute jeden Tag zum Fenster hinaus auf seinen Teich hinab, wo die vielen Fische herumschwammen (Abb. 8 b). Später ließ er sich sogar einen schönen breiten Weg bauen (Abb. 8 c). Darauf ging er jeden Tag hinunter ans Wasser und freute sich seines Besitzes. Am Abend aber ging er zufrieden wieder nach Hause. Sechs Spitzbuben aber (Abb. 8 d) lauerten auf der andern Seite des Teiches, und in der Nacht schlichen sie auf schmalen Pfaden heran (Abb. 8 e) und fingen dem Mann die Fische weg. Als dieser es merkte, wurde er zornig und schrie in seiner Wut: »Da möcht man ja gleich ein Storch werden!« Kaum hatte er den Wunsch ausgesprochen, da war er auch schon erfüllt (Abb. 8 f): er war ein richtiger Storch[32] geworden« – und die Großmutter hielt uns zu allgemeinem Ergötzen das fertige Storchenschema, das während der Erzählung entstanden war, vor die Augen.

Abb. 9
Abb. 9

Ähnlicher Art pflegen in der Regel die zeichnerischen Leistungen zu sein, die der erwachsene Mensch sich handbereit zu erhalten vermag und mit denen er unter Umständen sein zeichnerisches Laientum oder seine absolute Unfähigkeit zu widerlegen strebt.

Abb. 10
Abb. 10

Soll ihm nun die eigne Fortbildung Spaß bereiten, so wird es darauf ankommen, ihm noch mehr derartige Formen zu zeigen, die er sich rasch aneignen kann und deren Beherrschung die eigene Erfindungsgabe anzuregen vermögen. Vor allem Lebewesen, deren charakteristische Erscheinungsformen sich leicht darstellen lassen. Ohne Rücksicht auf die Gesetze der Perspektive. Die Zeichnungen der Kinder wie der Naturvölker zeigen zunächst flächenhafte Formen; denn es wäre verfrüht, auf einer niedern Entwicklungsstufe die Darstellungsweisen einer höhern Staffel mitzuteilen. Wir werden darum gleich den Künstlern der Stein- und Bronzezeit, gleich den Ägyptern, gleich den Mönchen des Mittelalters auf dieser Vorstufe die Tiefe unberücksichtigt lassen und nur flächenhaft gestalten. Verkürzungen, schwierige Probleme der Überschneidung, alle Beleuchtungserscheinungen werden auf dieser Stufe ausgeschaltet bleiben. Wir werden uns nur bemühen, mit den einfachsten Mitteln ein charakteristisches Abbild irgendeines Objektes aus der Vorstellung wiederzugeben.

[33]

Abb. 11
Abb. 11

Dabei werden freilich alle die verschiedenen geometrischen Elemente, alles, was Pestalozzi sein »ABC der Anschauung« nennt – »die horizontalen, perpendikularen und schrägen Linien, der rechte, der spitze und der stumpfe Winkel, das gleichseitige Viereck, das Rechteck, die gebogene Linie, der Kreis, das Oval, der Halbkreis, der Viertelskreis, das halbe Oval« usw. – mit zur Darstellung kommen, aber – und hierin liegt der grundlegende Unterschied – nicht als geometrische Abstraktion, sondern als charakteristische Darstellungsweise einer konkreten Lebensform.

Abb. 12
Abb. 12

Nicht darum handelt es sich – wie manche Methodiker es taten und wie ich es an anderer Stelle verwerfend kritisierte7 – aus geometrischen Grundformen schwierige Naturformen unnatürlich zu konstruieren, sondern darum, Lebensformen auf einfachste Weise aus dem visuellen Gedächtnis heraus zeichnerisch zu charakterisieren.

[34]

Abb. 13
Abb. 13
Abb. 14
Abb. 14
Abb. 15
Abb. 15

Ein paar Beispiele mögen kennzeichnen, wie ich mir die Sache denke:

Abb. 9 gibt Lebewesen – Katzen, Hasen, Vögel – die mit einfachen Kreisen, Ovalen usw. charakterisiert werden können.

Abb. 10 zeigt einige Baumformen in primitivster Bleistifttechnik.

Oder man suche nach Objekten, deren natürliche Erscheinung an zeichnerische Elementarformen erinnert, und versuche z. B. aus dem Halbkreis – Abb. 11 – oder aus der Spirale – Abb. 12 – charakteristische Lebensformen zu gestalten.

Derartige Beispiele lassen sich leicht verdutzendfachen und geben der[35] Selbsttätigkeit immer neue Anregung – Abb. 13. Eine besonders zu empfehlende Übung ist die Darstellung des bewegten Menschen in einfacher schematischer Art – Abb. 14 u. 15.

Abb. 16
Abb. 16
Abb. 17
Abb. 17
Abb. 18
Abb. 18

Für die Übung senkrechter und wagrechter Linien eignen sich Bäume, Gartenzäune u. a. Abb. 16.

Ist man endlich so weit, daß man Tier- und Menschenformen in schematischer Darstellung wiederzugeben vermag, so versuche man kleinere Szenen – Abb. 17 u. 18 – wie ja schon das vorschulpflichtige Kind seine Freude an derartigen phantasiemäßig geschauten Bildchen hat und[36] immer wieder neue Lust aus ihrem Gelingen schöpft. Darauf aber kommt es auf dieser Stufe vor allem an; denn nur fleißige Übung vermag die Kräfte zu wecken und die Geschicklichkeiten zu entwickeln, die nötig sind, das im folgenden Geforderte zu erreichen.

Es handelt sich bei derartigen Versuchen nicht darum, irgendeine Erscheinung vollkommen erscheinungsgetreu wiederzugeben; es kommt vielmehr darauf an, das Bild oder das Schema, das unsere Erinnerung von irgendeinem Ding der Außenwelt in der Seele festgehalten hat, in charakteristischer, technisch einfachster Art darzustellen. Der zeichnerische Stoff ist auf dieser Stufe noch unbegrenzt. Alles ist darstellbar: die ganze Welt der Erscheinungen, der leblosen wie der belebten. Man sollte sich seine Darstellungsfreude nicht durch anfängliches Mißlingen verderben lassen. Es ist auch gar nicht nötig, alle Formen dieser Vorstufe aus sich zu schöpfen. Findet man irgendwo – in einer illustrierten Zeitschrift oder auf einem Plakat – eine stark vereinfachte, charakteristische Darstellung, so betrachte man sie aufmerksam, präge ihre Formen dem Gedächtnisse ein und versuche sie aus der Erinnerung wiederzugeben.

Zwei Ziele sind es, die es auf dieser Stufe zu erreichen gilt: erstens die Auffassung einzelner Objekte und bestimmter Szenen als Ganzes; denn derartige schematische Grundlagen werden auch auf höherer Stufe beim Entwurf Grundlage für die erscheinungsgetreue Darstellung werden können. Der andere Grund aber bezieht sich auf die Gewinnung einer gewissen technischen Fertigkeit. Nur durch beständige Übung wird die Hand nach und nach gefügiger werden, dem Willen des Zeichners zu gehorchen. Die verschiedenen Elementarformen aber, auf deren Vermittlung man früher soviel Zeit verwandte, werden hier unbewußt, wie im Spiele, miterlernt und zur Darstellung gebracht – ein Nebengewinn, der keineswegs zu unterschätzen ist.


Siebenter Abschnitt.
Die anschauungsgemäße Darstellung.

A. Flächenhafte Darstellung.

In Wirklichkeit existieren nur Körper. Flächen, gelöst von Körpern, sind Gedankendinge. Und doch soll jede zeichnerische Darstellung auf einer Fläche erfolgen, also flächenhaften Charakter tragen. Am leichtesten sind für den perspektivisch Ungeschulten im Anfang darum solche Gegenstände darzustellen, die eine geringe Dicke oder Tiefe haben, so daß durch flächenhafte Wiedergabe ihre Erscheinung hinreichend charakterisiert wird.

[37]

Abb. 19
Abb. 19

Es wird sich also, sobald auf jener Vorstufe die elementarsten zeichnerischen Kenntnisse und Geschicklichkeiten erworben wurden, darum handeln, unter den wirklich vorführbaren Gegenständen jene auszuwählen, die eine geringe Dicke besitzen, also flächenhaften Charakter tragen und sich darum am besten flächenhaft wiedergeben lassen. Beim Zeichnen nach der Wirklichkeit wäre als

1. Stufe die flächenhafte Wiedergabe flächenhafter Dinge zu nennen.

Es existiert eine ganze Reihe von derartigen Objekten, und jeder moderne Zeichenlehrplan weiß sie zu nennen: Blattformen, Schilde, Brillengläser, Spiegel, Bilderrahmen, Schiefertafel, Heft, Briefumschlag, Türe, Fenster, Papierdrachen, Schere; unter den Tieren Schmetterlinge, Fische u. a.

Abb. 20
Abb. 20

Soll jedoch mit der zeichnerischen Wiedergabe derartiger Modelle wirklich etwas erzielt werden, was über jene Vorstufe hinausweist und zeichnerisch fördert, so muß die Darstellung nach neuen Gesichtspunkten erfolgen: Das inhaltliche Interesse, das jene Gedächtniszeichnungen der Vorstufe so stark beeinflußte, muß mehr und mehr abgelöst werden durch ein formales Interesse, das die Wahl der Modelle und die Art ihrer Darstellung im wesentlichen bestimmt. Mit andern Worten: die Auswahl der zu zeichnenden Gegenstände wird von zeichnerischen Gesichtspunkten aus erfolgen müssen.

[38]

Abb. 21
Abb. 21
Abb. 22
Abb. 22

Es wird sich darum handeln, solche Modelle zu wählen, deren Darstellung nur dann in korrekter Weise gelingt, wenn eine dabei Anwendung findende Elementarform zeichnerisch beherrscht wird: wenn Ellipse, Eiform, Kreis, Viereck, Dreieck, Raute, Trapez, Vielecke und ihre mannigfachen Kompositionen zeichnerisch richtig zur Darstellung gelangen. Ein paar Beispiele mögen illustrieren, wie ich mir die Sache denke:

Abb. 19 zeigt z. B. eine Reihe von Zeichnungen, die fast alle aus der Oval- oder aus der Eiform entstanden sind. Nur erfährt diese Elementarform je nach der Eigenart des betreffenden Gegenstandes eine gewisse Umwandlung.

Abb. 23
Abb. 23

Das veranschaulicht z. B. auch Abb. 20: Rechteck, Dreieck, Spitzbogen usw. finden in derartigen Darstellungen eine technisch korrektere Übung und Anwendung, als es bei den Darstellungen auf der Vorstufe möglich und beabsichtigt war. Hier würde sich ein Mißlingen in formaler Hinsicht ohne Zweifel empfindlicher bemerkbar machen als auf jener Vorstufe, die ihr Hauptaugenmerk noch der inhaltlichen Seite zuwenden durfte. Würde z. B. der dreieckige Papierhelm in Abb. 20 statt des rechten Winkels einen spitzen oder einen stumpfen Winkel erhalten, so wäre die Zeichnung nicht nur vom geometrischen, sondern auch vom technisch-konstruktiven Gesichtspunkt aus falsch; denn beim Falten des Papierhelms in der angegebenen Weise muß der betreffende Winkel naturnotwendig seine 90 Grad erhalten, wenn die Sache handwerkstechnisch[39] klappen soll. Ähnlich verhält es sich bei den Fensterläden in Abb. 21. Würden die Läden zu schmal gezeichnet, so könnten sie beim Schließen die Fensterscheiben nicht vollständig decken. Würden sie jedoch zu breit dargestellt, so könnten sie überhaupt nicht recht geschlossen werden.

Abb. 24
Abb. 24

Empfehlen wird es sich, derartige Darstellungen in größerem Format mit ausgiebigem Material – mit Kohle oder mit Farbstift – auszuführen, um nach und nach einen gewissen Schwung der Linienführung zu erreichen, wie er eben nur durch fortgesetzte Übung an großformatigen Zeichnungen erworben werden kann.

Als 2. Stufe könnte man die flächenhafte Wiedergabe körperhafter Dinge gelten lassen.

Abb. 25
Abb. 25
Abb. 26
Abb. 26

Auf der Suche nach geeignetem Material, nach zusammengesetzten flächenhaften Modellen, wird man bald auf Gegenstände stoßen, die gemischten Charakter tragen. Ein Hoftor z. B. zeigt in seinen hölzernen Bestandteilen flächenhaften, in seinen steinernen körperhaften Charakter. Die perspektivische Wiedergabe ist auf dieser Stufe noch nicht möglich. Man gebe darum das Ganze flächenhaft (Abb. 22). Man wähle auch auf dieser Stufe zunächst wieder Gegenstände, die Formen zeigen, durch deren Wiedergabe jene Elementarformen neuerdings geübt werden (Abb. 23). Solche Modelle finden sich unter den Kulturerzeugnissen, auch unter den modernsten (Abb. 24) häufiger als unter den naturgewachsenen; denn die Natur kümmert sich nicht um geometrische Gesetze. Das Zeichnen[40] nach der Wirklichkeit aber wird die lebendige Natur nicht ausschalten können, sondern wird sie zeichnerisch zu bewältigen suchen. Schon auf der 1. Stufe werden flache Naturformen: Blätter, Schmetterlinge, Käfer, Fische, d. s. Lebewesen, die sich überdies durch eine gewisse Symmetrie auszeichnen, dargestellt werden. Aber auch hier werden – wenigstens bei Anlage der Zeichnung – jene Elementarformen eine Rolle spielen, indem sie die Gesamterscheinung charakterisieren und den Blick von verwirrenden Details ab- und dem Wesentlichen zuwenden. Ein Efeublatt würde nicht in naturalistischer Form (Abb. 25), sondern in einer gewissen Stilisierung wiedergegeben werden, die ihr eigenartiges Gepräge jenem Streben nach Regelmäßigkeit, Gefälligkeit und Linienschwung verdankt (Abb. 26).

Abb. 27
Abb. 27

In ähnlicher Weise könnte jedes Naturblatt zum zeichnerischen Problem werden, ein gewaltiger Vorzug dieser modernen Modelle vor jenen früheren Vorlageblättern, die fertige Problemlösungen brachten und dem Zeichner die eigentlich künstlerische Leistung vorwegnahmen.

[41]

Abb. 28
Abb. 28

Dasselbe gilt von der Wiedergabe jener Tierformen, die in ihrer symmetrischen Form Ähnlichkeit mit Blattdarstellungen haben (Abb. 27 und 28). Höheren Reiz gewinnen derartige Formen, sofern man versucht, auch ihre farbige Erscheinung mit zur Darstellung zu bringen.

Abb. 29
Abb. 29

Eine Art Übergang zur räumlichen Darstellung könnte in der 3. Stufe erblickt werden: in der Beachtung der Überschneidungslinien. Gleichzeitig müßte die Darstellung auf dieser Stufe sich mehr und mehr einer naturalistischeren Wiedergabe befleißigen und dadurch den Zeichner zwingen, das Zeichnen nach der Vorstellung, das auf der ersten und zweiten Stufe noch stark vorherrschte, in ein Zeichnen nach der Wirklichkeit überzuführen. Starke Verkürzungen werden jedoch weniger Berücksichtigung finden können. Statt der symmetrisch gestalteten Modelle der ersten und zweiten Stufe würden Naturobjekte unsymmetrischer Art – Zweige, Bäume, Tiere und Menschen in Seitstellung – in Betracht kommen. Die Darstellung selbst dürfte in der Hauptsache Silhouettencharakter tragen.

Abb. 30
Abb. 30

Man stelle bei derartigen Übungen das Modell so auf oder man suche sich bei nicht verrückbaren Modellen einen derartigen Standpunkt, daß ein Hintergrund vorhanden ist, der für scharfe Abgrenzung sorgt. Man beobachte den Baumzweig, der aus dem Gewirr der Äste und Zweige hinausstrebt in den lichtblauen Himmel, so daß Blätter und Früchte auch wirklich in ihrem Silhouettencharakter in Erscheinung treten (Abb. 29). Man wage sich im Anfang nicht an große Baumgruppen oder gar an einen ganzen Wald. Man wähle vielmehr[42] den einzelnen Baum, am besten einen freistehenden (Abb. 30), der noch ziemlich jung ist und kein reiches Astgewirr aufweist. Das Laubwerk gebe man zusammenfassend, ohne jedes Detail, jedes einzelne Blättchen, zu beachten (vgl. Abb. 30 links und rechts). Auch hier handelt es sich um das Ganze, um den Gesamteindruck, nicht um unwesentliche Einzelheiten. Bei größeren Bäumen greife man nur einen Teil heraus (vgl. Abb. 30 Mitte), wenn die Darstellung des ganzen Objektes zu schwer erscheinen sollte. Aber auch beim Skizzieren solcher Teile, muß der Ausschnitt als zeichnerische Einheit erfaßt und dargestellt werden mit entsprechender Verteilung auf der zur Verfügung stehenden Fläche.

Abb. 31
Abb. 31

Schwieriger gestaltet sich die flächenhafte Wiedergabe der bewegten Erscheinung. Man beobachte, den Stift in der Hand, eine Rabenschar, wie sie sich z. B. im Frühjahr oder im Herbst zwischen den Furchen der Sturzäcker breit macht. Der fliegende Vogel ändert sein Erscheinungsbild mit jedem Augenblick. Wer es festhalten will, muß sich an blitzschnelles Beobachten gewöhnen. Mit wenigen Strichen wäre dann der in der Vorstellung haftende Eindruck im Umriß wiederzugeben. Das Eindecken der dunklen Fläche kann man zu Hause mit dem Pinsel vornehmen (Abb. 31). Die Darstellung wird in solchen Fällen einem Gemisch von Zeichnen nach der Natur und Zeichnen nach der Vorstellung entspringen.

[43]

Abb. 32
Abb. 32

Bei der Wiedergabe vierfüßiger Tiere wird man gut daran tun, schwierige Verkürzungen anfangs zu vermeiden. Die charakteristische Wiedergabe gewinnt man am leichtesten aus der Seitenansicht (Abb. 32). Ein treffliches Hilfsmittel bietet auf dieser Stufe das Studium guter Silhouetten.

Abb. 33
Abb. 33

Auch das Ausschneiden aus Papier mit der Schere ist wie kaum eine zweite Tätigkeit geeignet, das Erfassen ganzer Figuren und das Gedächtnis für charakteristische Formen zu fördern. Das Zeichnen und Gestalten nach der Vorstellung dürfte eben auch auf dieser Stufe nicht versäumt werden. Nur sollte man stets darnach streben, alles mittlerweile durch Beobachten der Natur und durch Darstellen der Wirklichkeit Gewonnene und Erlernte mit einzubeziehen und mit zu verwerten (vgl. Abb. 33), so daß nach und nach auch das sogen. Gedächtniszeichnen sich vom bloßen Schema zu lösen und mehr und mehr den Eindruck des Erscheinungsgetreuen zu erwecken vermag.

Schmückendes Zeichnen.

Ist der Zeichner so weit gekommen, daß er einige Treffsicherheit in der flächenhaften Wiedergabe flächenhafter und körperhafter Gegenstände erzielt hat, dann wäre es an der Zeit, das erlangte Können in den Dienst dekorativer Aufgaben zu stellen. Über Art und Wesen des zeichnerischen Schmuckes habe ich an anderer Stelle8 bereits ausführlich geschrieben, so daß ich mich hier kurz fassen kann. Ich vertrete die Anschauung, daß Schmuck kein Sonderdasein führen kann, sondern eines zu schmückenden Gegenstandes bedarf. Oder noch richtiger ausgedrückt: daß der Gegenstand nach dem Schmuck rufen muß, nicht umgekehrt, und daß darum die Art des Schmuckes durch die Art des Gegenstandes bedingt wird.

[44]

Diese Grundbedingung zugegeben, wird man doch als Vorstufe Übungen dekorativer Art anstellen können, die mit gewonnenen Formen und mit zu füllenden Flächen rechnen, ohne zunächst ein bestimmtes Objekt, das geschmückt werden soll, ins Auge zu fassen. Denn zeichnerischer Schmuck ist immer Flächenfüllung und trägt, da es sich um Flächen handelt, am besten flächenhaften Charakter. Wo das zeichnerische Ornament Tiefe vortäuscht, da gewinnt es Bildcharakter und zerreißt den Eindruck der Ebene, des Flächenhaften. Zum dekorativen Füllen einer Fläche eignen sich darum in erster Linie wieder Flächen. Um flächenfüllend zu wirken, müssen die Figuren, sofern sie der lebenden Natur entnommen sind, eine gewisse Stilisierung erfahren, da sonst das Ornament nicht den Eindruck der Geschlossenheit hervorruft. Diese Stilisierung, diese Anbequemung der Füllung an die Form der zu füllenden Fläche ist ein Problem, das ohne Zweifel starken Bildungswert besitzt, für Kinder jedoch in der Regel zu schwer ist.

Zur Füllung der Fläche können eigentlich alle bisher behandelten Formen Verwendung finden, von der geometrischen Elementarform bis herauf zur Tier- und Menschenfigur. Die einfachste Art der Dekoration wird durch Wiederholung, durch Neben- oder Übereinanderreihung (Abb. 34), durch symmetrische Ordnung von einem bestimmten Mittelpunkt aus erzielt werden. Erst auf höherer Stufe wird man eine freiere und mannigfaltigere Art des Schmuckes wählen.

Abb. 34
Abb. 34

Bei jeder praktischen Verwendung der Schmuckform aber wird die Natur des Objekts, das geschmückt werden soll, Form und u. a. auch Inhalt des Ornaments bestimmen müssen. Es hat darum einen weitaus höheren Bildungswert, sich die Aufgabe zu stellen, ein bestimmtes Objekt – einen Abreißkalender, eine Einladungskarte, ein Türschild, einen Gratulationsbrief, irgendeinen Gebrauchsgegenstand – nach eigenen Ideen zu schmücken, als ein vom geschmückten Gegenstand gelöstes historisches Ornament zu kopieren, wie es die alte Schule tat.

Abb. 35
Abb. 35

Wenn Walter Crane die Farbe als »das vollendetste und schönste Ausdrucksmittel in Kunst« erklärt, so gilt diese Anschauung ganz besonders auch vom dekorativen Zeichnen. Nichts wirkt dekorativer als die Farbe. Da der farbigen Darstellung jedoch ein eigener Abschnitt gewidmet werden soll, so möchte ich hier nicht näher auf die Probleme der farbigen Darstellung eingehen, sondern vorerst einige Vorfragen, nämlich die der Raumverteilung und der Raumfüllung kurz erörtern. Soll eine Fläche mit zeichnerischem Schmuck versehen werden, so wird man sich zunächst fragen müssen, was für ein Schmuck gerade auf diese Fläche paßt. Eine Zimmerwand wird man mit anderen Zeichnungen[45] schmücken als ein Vorsatzpapier und dieses anders als eine Gratulationskarte. Doch abgesehen von derartigen Erwägungen, die wahrscheinlich den Inhalt des zeichnerischen Schmuckes bestimmen, wird die Fläche ihrer individuellen Form und Stellung wegen ganz bestimmte Forderungen an ihren Schmuck stellen. Es wird darauf ankommen, ob die Fläche eben oder gewölbt ist, ob sie senkrecht zu stehen oder wagrecht zu liegen kommt, ob sie quadratisch oder bandförmig, kreisrund oder oval ist. Denn der Schmuck wird sich der Bewegung, die der Mensch naturnotwendig in jede Fläche hineinsieht, anbequemen müssen. Eine rechteckige Fläche z. B., die höher ist als breit, ein sogenanntes »stehendes Rechteck«, macht auf den Beschauer den Eindruck des Aufwärtsstrebenden, des Emporwachsens; eine rechteckige Fläche hingegen, die breiter als hoch ist, ein sogenanntes »liegendes Rechteck«, erweckt das Gefühl des Ruhenden, des Behäbigen, und gewinnt erst wieder Bewegungscharakter, sobald sie sich zum Band, zur wagrecht »laufenden« Bordüre verlängert.

Abb. 36
Abb. 36

[46]

Der zeichnerische Schmuck wird dieser jeder charakteristischen Fläche gewissermaßen von Natur aus innewohnenden Bewegung gerecht werden müssen. Quadrat- und Kreisfüllungen werden sich am besten um einen Mittelpunkt gruppieren (Abb. 35 links und rechts). Senkrecht steigende Bordüren werden auch in ihrem Schmuck den Eindruck des Steigenden, des Emporstrebenden erwecken müssen. Wagrecht laufende Bordüren dagegen werden den Charakter des Seitwärtslaufenden oder des Ruhenden (Abb. 36) oder des Hängenden (Abb. 35) zu erwecken haben, wenn der Schmuck der geschmückten Fläche entsprechen soll. Unter Umständen können auch mehrere Gesichtspunkte zugleich nach Geltung streben. Bei einer Tapete z. B. wird die obere Kante die Wandfläche abschließen und gleichzeitig den Blick ringsum zu lenken haben, während die Fläche selbst, je weiter sie abwärts führt, nach Ruhe zu streben hat, damit die Silhouetten der im Zimmer stehenden Möbel und der darin wohnenden Menschen sich wohltuend von der ruhig gehaltenen Fläche abheben können.

Abb. 37
Abb. 37
Abb. 38
Abb. 38

Der Anfänger tut, sobald er über den Bewegungscharakter der Fläche Klarheit gewonnen hat, gut daran, die zu schmückende Fläche zu zerteilen (Abb. 37). Entweder durch senkrechte (Abb. 37 a) oder durch wagrechte (Abb. 37 b) Striche, durch Schräg- (Abb. 37 d, e) oder durch Bogenlinien (Abb. 37 f, g), durch Kombination der Elemente (Abb. 37 c, e, f), durch strahlenförmige Gliederung der Fläche (Abb. 37 h) usw. Auf diese Weise erhält man eine reiche Zahl von Elementarfiguren, von Quadraten (Abb. 37 c, d), Rauten, Dreiecken (Abb. 37 e) u. a. Gebilden. Diese geometrischen Einzelfiguren gilt es nun zu »füllen«. Entweder alle gleichmäßig oder im rhythmischen Wechsel (Abb. 37 f). Die Füllung selbst kann ebenfalls geometrischen Charakter erhalten; sie kann jedoch auch Formen verwenden, die sie dem Pflanzen- (Abb. 34, 35 und Farbtafel), dem Tier- (Abb. 36) oder dem Menschenreich entnimmt. In diesem Falle wird der Zeichner vor die Aufgabe gestellt, die Naturform in jene geometrische Teilfigur, in ein Quadrat, in ein Rechteck, in eine Raute usw. einzufügen. Das verlangt in der Regel eine Wandlung, eine Stilisierung der nach der Natur entworfenen Zeichnung.

Die Naturform wird bei dieser Eingliederung in das entworfene Liniennetz selbst etwas vom geometrischen Charakter annehmen, indem[47] sie ihre Begrenzungslinien den geometrischen parallel laufen läßt (Abb. 38 links) oder indem sie eine diagonale Anordnung versucht (Abb. 38 Mitte). In beiden Fällen können die Objekte, die zur Füllung verwandt werden, verdoppelt (Abb. 38 rechts), verdrei- und vervierfacht werden; nur wird es sich nötig erweisen, in solchen Fällen nach einem gewissen Gegengewicht zu streben, damit nicht innerhalb des zu füllenden Raumes eine unangenehme Leere sich bemerkbar macht.

Abb. 39
Abb. 39

Ist auf diese Weise durch das Netz der Hilfslinien eine Sicherheit gewonnen, die sich gern an schwierigeren Aufgaben versuchen möchte, dann kann man daran denken, die Fläche freier, d. h. ohne geometrische Zerteilung, zu füllen (Abb. 39).

Handelt es sich endlich um eine praktische Verwendung der skizzierten Ornamente, so wird es nötig werden, auch das Material zu erwägen, woraus der Schmuck hergestellt werden soll, desgleichen das Werkzeug in Betracht zu ziehen, das bei der Materialverarbeitung verwendet wird. Soll die Leistung material- und werkgerecht ausfallen, so kommt zu all den bereits genannten Überlegungen noch ein sogenanntes »Denken im Material«, eine geistige Tätigkeit, die sich erst nach vielfacher Übung mit dem betreffenden Werkzeug und an dem in Frage stehenden Material erwerben läßt. Hier wäre die Stelle, wo zeichnerisches Darstellen und plastisches Gestalten eine durch die Natur der Sache geforderte Verbindung gewinnen könnten.

Abb. 40
Abb. 40

Zum schmückenden Zeichnen können auch jene Übungen gezählt werden, die ihre Aufgabe darin erblicken, die Schriftformen des großen und kleinen Alphabets in künstlerischer Art wiederzugeben. Die Schriftformen[48] sind dem Erwachsenen in der Regel geläufig. Auch die schwierigeren Formen der geschriebenen Buchstaben und Ziffern. Darum kann die Fertigkeit im Schreiben die Erwerbung zeichnerischer Geschicklichkeit fördern helfen. Abb. 12 z. B. zeigt einige Buchstaben und Ziffern, die bei Erlernung der Spiralen und Schneckenlinien mit Verwendung finden können. Noch geeigneter jedoch für dekorative Zwecke sind die Formen der Antiqua. Sie lassen sich ohne besonderen Zwang aus einer Reihe von geometrischen Elementarformen entwickeln (Abb. 40), und indem man sich an ihrer Konstruktion versucht, stellt man gleichzeitig Quadrate, Rechtecke, Dreiecke, Kreise, Ovale, Halbkreise, Spiralen usw. dar (Abb. 40 oben). Eine Aneinanderreihung gewisser Buchstabenformen des großen lateinischen S z. B. (Abb. 40 unten) ergibt bei geringförmiger Abänderung direkt ornamentale Formgebilde, ein Beweis für den dekorativen Charakter dieser Schriftform. Mit vollem Recht wenden darum die Methodiker der Gegenwart ihr Augenmerk einer Reorganisation der Beschriftung von künstlerischen Gesichtspunkten aus zu.

B. Körperhafte Darstellung.

1. Linienperspektive.

Wenn man bedenkt, wie wenig Grundgesetze bei Beherrschung einer elementaren perspektivischen Darstellung gekannt und angewendet werden müssen, und weiterhin, daß jeder Mensch mit gesunden Sinnen die perspektivischen Erscheinungen in jedem Augenblick seines wachen Daseins fortwährend zu sehen bekommt, so muß man sich eigentlich wundern, daß die Menschheit erst eine Entwicklung von Jahrtausenden brauchte, um diese Gesetze zu entdecken und sie bewußt zu verwenden, ja, daß die Naturvölker der Gegenwart und die meisten Erwachsenen bis zur Stunde nicht imstande sind, irgend etwas aus der Fülle ihre täglichen Erscheinungen perspektivisch richtig darzustellen.

Wer klar werden will über jene Grundgesetze, der tut am besten daran, gleich vor die Wirklichkeit zu treten. Doch kommt viel darauf an, die rechten Objekte zu wählen. An kleinen Gegenständen, an Zündholzschachteln, an Zigarrenkästen, an Bällen und Kugeln, wie sie gewöhnlich für den ersten Unterricht im perspektivischen Zeichnen benützt werden, sieht man die perspektivischen Eigenheiten erst dann, wenn das Auge bereits gelernt hat, bewußt perspektivisch aufzufassen. Erst müssen die perspektivischen Gesetze einmal an wirklichen Erscheinungen gesehen worden sein, ehe man sie darstellen läßt. Dazu aber eignen sich am besten Gegenstände größeren[49] Formats: Bäume, Häuser, besonders aber Baumreihen, Häuserreihen – Alleen, Straßenzüge.

Abb. 41
Abb. 41

Man gehe zunächst einmal hinaus vor die Stadt auf ein Stück Land, das einen weiten Ausblick gestattet. Am besten wird sich eine freie Ebene dazu eignen. In der Ferne scheinen sich Himmel und Erde zu berühren. Es ist der Horizont. Man halte den Arm in Augenhöhe wagrecht vor sich hin, und man wird finden, daß der Horizont eine wagrechte Linie in Augenhöhe bildet. Vergleicht man die auf der Ebene stehenden Bäume, Häuser und Menschen miteinander, so wird man ohne weiteres entdecken, daß der Gegenstand um so undeutlicher und umso kleiner erscheint, je weiter er sich von uns entfernt, umso deutlicher und größer aber, je näher er unserm Auge rückt.

Schreitet man einer fernen Baumreihe zu, die unsern Weg im rechten Winkel schneidet, so erscheinen die Bäume – falls sie es in Wirklichkeit sind – aus der Ferne alle gleich groß zu sein. Trifft unser Blick die Baumreihe jedoch im spitzen Winkel, so tritt das bereits gefundene Gesetz in Kraft: die entfernten Bäume erscheinen kleiner. Wollte man diese Erscheinung darstellen, so würde sich ergeben, daß alle wagrechten Linien über der Augenhöhe abwärts, alle wagrechten Linien unter der Augenhöhe aufwärts zu laufen und sich in einem Punkt zu vereinigen scheinen, der in Augenhöhe liegt. Dieser Punkt ist der Fluchtpunkt. Senkrechte Linien dagegen – die Stämme der Bäume z. B. – erscheinen wohl verkürzt, je weiter sich der Gegenstand entfernt, bleiben jedoch immer senkrecht (Abb. 41 u. 42).

[50]

Abb. 42
Abb. 42

Mit diesen wenigen Gesetzen wäre eigentlich die elementare Perspektive, soweit sie für die freihändige Wiedergabe der Wirklichkeit in Frage käme, erschöpft. Schwierigkeiten ergeben sich für den Anfänger eigentlich nur noch dann, wenn ein Gegenstand »über Eck« steht, d. i. wenn er dem Anschauer eine Kante und infolgedessen zwei Seitenflächen zuwendet. Dann wird man finden, daß auch zwei Fluchtpunkte anzunehmen sind und daß der Fluchtpunkt jener Vorderkante um so näher liegt, je verkürzter, umso ferner aber, je breiter die Seitenfläche dem Blick erscheint (Abb. 43). Erst wenn es gelungen ist, diese Gesetzmäßigkeit der Wirklichkeitserscheinungen zu sehen und zu verstehen, wird man daran gehen, sie zeichnerisch darzustellen.

Als 1. Stufe wird die perspektivische Darstellung flächenhafter Dinge zu nennen sein: Geöffnete Fensterflügel, Türen, Briefumschläge, Hefte, Schachbrett, Bilderrahmen, Reißschiene, Winkel, Münzen, Schützenscheiben (Abb. 44). Gute Dienste vermögen bei derartigen Anfangsübungen das genaue Visieren und Messen zu leisten. Das natürlichste Hilfsmittel hierzu ist der gewöhnliche Bleistift. Manche Methodiker befürworten eigene Visierrähmchen und Maßstäbchen. Andere verwerfen jedes Hilfsmittel. Ich bin der Anschauung, daß man im Anfang sich recht wohl solcher Stützen bedienen kann, daß man jedoch darnach streben soll, sich möglichst bald von ihnen frei zu machen. Besondere Schwierigkeiten bereitet dem Anfänger das richtige Halten des Stiftes oder des Stäbchens. Es soll immer so gehalten werden, daß es – von oben gesehen – parallel zu der Linie steht, die man sich durch beide Augen gezogen denkt (Abb. 45).

[51]

Abb. 43
Abb. 43

Auf der 2. Stufe wird man dann daran denken können, körperhafte Dinge perspektivisch darzustellen. Ist die Übung auf der ersten Stufe ausgiebig erfolgt, so wird die zweite Stufe keine besonderen Schwierigkeiten mehr bereiten; denn bei näherem Zuschauen stellt sich dann die perspektivische Darstellung körperhafter Dinge nur als eine Zusammenstellung mehrerer perspektivisch dargestellter Flächen dar. Eine Zigarrenkiste – über Eck gestellt – würde für die perspektivische Wiedergabe die Lösung der Aufgabe verlangen: drei viereckige Flächen – zwei senkrecht und eine wagrecht stehende – in ihrem gegenseitigen Zusammenhang wiederzugeben (Abb. 6).

Es ist an und für sich gleichgültig, ob man die perspektivische Wiedergabe körperhafter Dinge mit runden oder mit eckigen Formen beginnt. Am leichtesten lassen sich Rundformen an das bisher erworbene Können anschließen. Irgendein zylindrischer oder ein kegelförmiger Körper lassen sich ohne weiteres aus der bereits geläufigen flächenhaften Darstellung gewinnen (Abb. 46).

Abb. 44
Abb. 44

An Modellen für einfache linienperspektivische Darstellung ist jedes Wohn- und Studierzimmer reich. Man lege ein Buch vor sich hin auf den Tisch oder man schichte einen Stoß Bücher übereinander und versuche die perspektivische Wiedergabe (Abb. 47). Man stelle kleine Gruppen zusammen: Zigarrenkiste, Zündholzschachtel, Aschenbecher; Tisch,[52] Stuhl, Krug; Marktkorb, Flasche; Reisekorb, Hutschachtel u. a., Schränke, Truhen, Öfen usw., Zimmerecken u. a. geben Gelegenheit in Hülle und Fülle, das Erkannte an wirklichen Gegenständen neu zu entdecken und wiederzugeben. Oder man werfe einen Blick durchs Fenster – der Rahmen des Fensters ist ein treffliches Mittel zur Erkenntnis der Neigungswinkel – und man wird eine Menge neuer geeigneter Modelle vorfinden: den Giebel oder die gestaffelte Feuermauer vom Nachbarhaus (Abb. 49), Erkertürmchen, Dachfenster, Kamin, Telegraphenstangen und -drähte (Abb. 48) und was dergleichen Objekte sonst noch sein mögen.

Abb. 45
Abb. 45

Das Zeichnen nach der Vorstellung endet nicht mit jenen Übungen, wie sie die Vorstufe verlangte, sondern findet seine Fortsetzung auf allen Stufen der zeichnerischen Entwicklung. Nur wird aus jenen schematischen Darstellungen nach und nach ein anschauungsgemäßeres Zeichnen werden, je nach dem erreichten Grade von Verständnis und Können. Besonders geeignet, Sicherheit in der Auffassung und Darstellung zu erzielen, sind frei aus der Vorstellung heraus gefertigte perspektivische Aufgaben.

Man stelle sich z. B. das Problem, eine eckige oder eine runde Säule, eine Pyramide oder einen Kegel, zusammengesetzte geometrische Körper in verschiedener Stellung über und unter Augenhöhe, stehend und liegend, von vorn und von der Seite, von oben und unten betrachtet, mit wenig Strichen perspektivisch wiederzugeben (Abb. 50).

Abb. 46
Abb. 46

Oder man versuche eine Anwendung der perspektivischen Erkenntnisse und Fertigkeiten in der Darstellung wirklicher Objekte. Der perspektivischen Wiedergabe des Zylinders z. B. in der Plakatsäule, im Blumenkübel, im Maßkrug, in den Lampions, gleichzeitig im Zylinderhut, im Stehkragen, in den Rockärmeln, im Hosen- und im Mantelsaume – Abb. 51 – Aufgaben, gewissermaßen analog denen der Vorstufe – Abb. 17,[53] 18 – jedoch mit Verwendung des mittlerweile erlernten Wissens und Könnens. Durch derartige freihändige Konstruktionen wird das Erlernte immer mehr verfügbar und die Sicherheit der Wirklichkeit gegenüber erfährt eine Steigerung, wie sie das Darstellen nach der Wirklichkeit allein nie verleihen kann.

Abb. 47
Abb. 47
Abb. 48
Abb. 48
Abb. 49
Abb. 49

Durch ein derartiges Zurückgreifen auf die Tätigkeiten der Vorstufe oder durch ein beständiges Einbeziehen des Gedächtniszeichnens in die höheren Stufen der zeichnerischen Ausbildung gewinnt das Ganze einen inneren Zusammenhang, wie er bei unseren Zeichenlehrplänen in der Regel leider nicht zu finden ist. Nur auf diese Art aber ist eine gewisse Stetigkeit in den Entwicklungsgang zu bringen; denn das bereits Gewonnene erfährt durch die immer wiederkehrende Übung eine Festigkeit, die zur sichersten Gewähr für einen lückenlosen Fortschritt wird.

Es wäre grundfalsch zu glauben, das Zeichnen nach der Vorstellung könne auf der Vorstufe erledigt werden. Das Gedächtniszeichnen sollte vielmehr durch das Zeichnen nach der Wirklichkeit seine Vervollkommnung erfahren. Es darf nichts auf der Stufe des Schemas stehen bleiben, sondern muß die Entwicklung, die das anschauungsgemäße Zeichnen nach dem Gegenstande durchläuft, gewissermaßen parallel mit durchlaufen. Es ist eine vorzügliche Übung, wenn man, nachdem man versucht hat, ein Objekt nach der Natur darzustellen, daran geht, das gleiche Objekt nach der Vorstellung oder aus[54] dem Gedächtnis zu zeichnen. Nur so werden die Gesetze der Darstellung nicht nur bewußt, sondern auch geläufig.

Abb. 50
Abb. 50

Durch dieses Aufsuchen der körperhaften Elementarform – des Würfels, der Kugel, des Zylinders, der Pyramide und des Kegels – in der Naturform finden jene Übungen der vorausgehenden Stufe, die auf ähnliche Weise die flächenhaften Elementarformen – Quadrat, Rechteck, Dreieck, Raute, Ovale, Kreis – in den Wirklichkeitsformen aufsuchten und darstellten (Abb. 19, 20, 21, 22, 23 u. 24), gewissermaßen ein Analogon. Dadurch wird ein Mechanismus verhütet, der den Zeichenunterricht jahrzehntelang zur langweiligen Plage machte. Wie der Indianer an seiner Fischzeichnung Freude empfindet, so wird auch hier die zeichnerische Tätigkeit ein Quell der Darstellungslust; denn es sind nicht abstrakte geometrische Körperformen, die es nachzubilden gilt; es sind Wirklichkeitsausschnitte: der Würfel wird zum Haus, das dreikantige Prisma zum Dach, die Säule zum Turm, Kegel oder Pyramide zu seiner Spitze. Die wirkliche Erscheinungswelt erfährt auf diese Art eine Behandlung, wie es Pestalozzi mit seinem ABC der Anschauung erstrebte, aber doch nicht zu erreichen vermochte, da ihm selbst an technischem Können fehlte, was er seinen Zöglingen gern vermittelt hätte.

Die wissenschaftliche Darstellung.

Hier wäre auch die Stelle, wo das wissenschaftliche Zeichnen einsetzen könnte. Ein Zweifaches könnte unterschieden werden: das freie Zeichnen und das gebundene Zeichnen mit Lineal, Winkel und Zirkel (Abb. 2, 3, 4 u. 5).

Abb. 51
Abb. 51

Das Linearzeichnen hat im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte eine gründliche methodische Durcharbeitung erfahren. Schon[55] Dürer widmete seiner Methode ausführliche »Unterweisung«. Diese Gattung der zeichnerischen Darstellung konnte durch die Reform keine nennenswerte Förderung erfahren. Eher könnte man von einem Zurückdrängen und teilweisen Verkennen sprechen. Was die neue Schule auf dem Gebiete des wissenschaftlichen Zeichnens an Vorwärtsdrängendem brachte, das war eine stärkere Betonung der wissenschaftlichen Freihandskizze.

Abb. 52
Abb. 52
Abb. 53
Abb. 53

Es wurde bereits darauf hingewiesen, welcher Art diese wissenschaftliche Zeichnung sein kann: daß sie sich auf die Darstellung des Grundrisses, des Aufrisses und der Seitenansicht sowie auf die Wiedergabe charakteristischer Körperschnitte zu beschränken pflegt. Jeder gebildete Mensch sollte derartige Darstellungen zu lesen vermögen. Karten als Grundrisse, Profile als Aufrisse treten ja schon jedem Volksschüler der Mittelklasse im heimatkundlichen Unterricht entgegen. Aber auch im täglichen Leben, beim Bau eines Hauses, beim Einrichten einer Wohnung, beim Herstellen eines Möbels und in hundert ähnlichen Fällen kann sich die Notwendigkeit ergeben, wissenschaftliche Zeichnungen verstehen und unter Umständen entwerfen zu müssen.

Der einfachste Weg zum Erlernen dieser Darstellungsweise wird sich – wie beim anschauungsgemäßen Wiedergeben eines Objekts – an der Hand der Wirklichkeit finden lassen: Man beginne, wie beim Freihandzeichnen auch, mit der Darstellung flacher Objekte. Fenster, Türen, Bilderrahmen, Wände eignen sich als Aufrisse. Haus- und Gartenanlagen, Stadtbezirke u. ä. als Grundrisse. Bei der Wiedergabe körperhafter Objekte wähle man vorerst solche, die von geometrischen Grundformen – Prismen, Walzen, Pyramiden, Kegeln, Kugeln, Halbkugeln – wenig abweichen: Stühle, Schemel, Tische, Kästen usw. Eine besonders[56] reizvolle Aufgabe ist die freie Konstruktion der eignen Zimmereinrichtung und ihre zeichnerische Darstellung für den Schreiner. Man mache den Versuch, einen Küchenschrank z. B. mit genauer Angabe der Maße im Grund- und Aufriß, sowie in der Seitenansicht darzustellen, und man wird finden, welch reiches Maß von Überlegung ein derartiges Möbelstück verlangt. Doch lohnt sich die Mühe reichlich durch den persönlichen Stil, den auf diese Weise die Einrichtung des eigenen Heimes gewinnt (Abb. 52 u. 53). Oder man versuche, die eigene Wohnung auszumessen und im Grundriß darzustellen. Praktischen Wert kann diese Übung bei einem Umzug gewinnen. Man weiß dann sofort, ob der zur Verfügung stehende Platz ausreicht, in welcher Hinsicht sich Ergänzungen notwendig erweisen und erspart von vornherein das mißliche Verrücken der Möbel in der neuen Wohnung (Abb. 54).

Abb. 54
Abb. 54

Für wissenschaftliche Freihandskizzen sowie für die ersten Übungen im Maßstabzeichnen eignet sich besonders gut quadriertes Papier.

Da es heutzutage an Beispielsammlungen für wissenschaftliches Zeichnen – besonders für Linear- und Maßstabzeichnen – nicht mangelt, so glaube ich von einer größeren Zahl von Darstellungen absehen zu können.

Nur auf ein Gebiet möchte ich an dieser Stelle noch verweisen, da es zu einem unerschöpflichen Born künstlerischen Genusses werden kann und dem künstlerischen, besonders dem zeichnerischen Verständnis in der eben angedeuteten Art immer neue Aufschlüsse zu geben vermag. Ich meine das Studium der Baustile. Es ist keineswegs nötig, dickleibige, wissenschaftlich gehaltene Bände durchzustudieren. Wir besitzen heutzutage eine Anzahl kurzgefaßter handlicher Ausgaben über das Wesentliche[57] vergangener und gegenwärtiger Richtungen. Was Ägypter, Griechen und Römer, was die altchristliche, romanische und gotische Kunst, was Renaissance, Barock und Rokoko, was der Neuklassizismus und die Moderne an eigenartigen Schöpfungen hervorbrachten, das findet hier an der Hand zahlreicher Illustrationen eine Erläuterung, die auch dem Laien verständlich ist. Und was ich für besonders wertvoll erachte: fast jede deutsche Stadt bietet eine Fülle von architektonisch Wertvollem. Man sollte kaum glauben, wieviele Menschen – auch unter den sogenannten Gebildeten – heute noch blind und verständnislos an den köstlichsten Schätzen ihrer täglichen Umgebung vorübergehen. Hätten sie eine Ahnung davon, wieviel an Glück sie deshalb entbehren müssen, sie würden nicht eher ruhen und rasten, bis ihnen die Sinne für diese eigenartige Welt steinerner Schönheit erschlossen wären.

2. Licht und Schatten.

Die zeichnerische Darstellungsmöglichkeit des Körperhaften ist mit der genauen Wiedergabe der Umgrenzungs- und Überschneidungslinien nicht erschöpft. Der Wirklichkeitscharakter der Zeichnung wird gewaltig gesteigert, sobald Licht und Schatten mit zur Darstellung gelangen. Selbst da, wo die Linienperspektive noch gar nicht in Frage kommt – bei der flächenhaften Darstellung körperhafter Gegenstände – kann durch Unterscheidung von hellen und dunklen Stellen der Eindruck des Körperhaften hervorgerufen werden.

Abb. 55
Abb. 55

Darum dürfte es sich vielleicht empfehlen mit dieser elementaren Art von Lichtstudien die Beleuchtungsdarstellungen zu beginnen (Abb. 55). Für die ersten Schattenstudien eignen sich am besten helle eckige Körper, deren Kanten eine scharfe Grenze zwischen Licht und Schatten bilden (Abb. 56).

Abb. 56
Abb. 56

Schwieriger gestaltet sich die Schattengebung bei runden Körpern, da hier ein allmählicher Übergang zwischen den lichten und dunklen Stellen zu finden ist. Für den Anfänger empfiehlt es sich, diese feinen Unterschiede zunächst unberücksichtigt zu lassen und Licht und Schatten vorerst als geschlossene Flächen wiederzugeben. Dabei[58] fällt allerdings den meisten schwer, die Grenze zwischen Licht und Schatten zu finden. Ein gutes Hilfsmittel ist, die Augenlider so weit zu schließen, bis Licht und Schatten an dem betrachteten Objekt wirklich als stark beleuchtete und stark verdunkelte Massen auseinanderfallen (Abb. 57 a u. b).

Abb. 57
Abb. 57
Abb. 58
Abb. 58

Außer dem Schatten, den der Körper selbst zeigt, ist auch jener Schatten zu beachten, den der Körper auf seine Standfläche oder auf eine in der Nähe befindliche Wand wirft. Dieser sogenannte Schlagschatten ist u. a. abhängig von der Helligkeit der Beleuchtung, von dem Winkel der einfallenden Lichtstrahlen, von der Gestalt des Objekts, kann also ganz verschiedene Helligkeitsstufen und Formen erhalten und darf darum nicht nach irgendeinem Schema beigefügt werden, sondern erfordert genaues Studium der Wirklichkeit (Abb. 58 u. 59). Ist man endlich so weit, daß man die einfachen Gegenstände hinsichtlich ihrer Linienperspektive und hinsichtlich ihrer Belichtung und Farbe zeichnerisch wiederzugeben vermag, so wird man, bevor man zum Studium der lebenden Natur und zu Freilichtstudien übergeht, sich an sogenannten Stilleben versuchen. Man wird Gegenstände, die in Wirklichkeit ebenfalls beisammen zu stehen pflegen – Zigarren- und Zündholzschachteln, Zigaretten und Aschenschale, Töpfe und Teller, Hobel und Hammer, Krüge, Flaschen und Gläser usw. – nach zeichnerischen Gesichtspunkten gruppieren und darzustellen versuchen.

Abb. 59
Abb. 59

Auch beim Zeichnen sogenannter Stilleben wird es sich empfehlen, den Blick vorerst für das Ganze zu schulen, für den Gesamteindruck, der Gruppe, ehe man an die Ausarbeitung[59] der Details denkt; denn wo die Raumverteilung als mißglückt bezeichnet werden muß, da kann auch die sorgsamste Wiedergabe der Einzelheiten das Bild nicht mehr zu einem gelungenen werden lassen.

Hat man sich an einfachen und zusammengesetzten Gebrauchsgegenständen des Hauses hinreichend geübt, dann ist es an der Zeit, das erworbene Wissen und Können an Objekten der lebenden Natur zu versuchen.

Zunächst an Pflanzen: Man gehe hinaus vor die Stadt und pflücke sich vom Wegrain ein paar Ähren oder einige Blüten, die nicht so schnell verwelken, sondern mehrere Stunden hindurch ihre Gestalt behalten, und versuche ihre Wiedergabe (Abb. 60).

Abb. 60
Abb. 60

Man wird dabei finden, wie ungleich reicher und detaillierter diese naturgewachsene Wirklichkeit ist als die von Menschenhand hergestellten Erzeugnisse. Auch hier beim Skizzieren einer Pflanze wird es sich in erster Linie darum handeln, die Gesamterscheinung zu charakterisieren: ihre Höhe und Breite anzugeben, die Hauptlinien – bei einem Blatte die Mittelrippen, bei einer Blüte die Grundform, bei einem Baume die stärksten Äste und den Umriß des gesamten Laubwerks – zu charakterisieren und erst später Einzelheiten zu berücksichtigen (Abb. 61). Denn alles künstlerische Sehen ist ein vereinfachtes Sehen.[60] Empfehlen wird sich, nicht nur die einzelnen Teile der Pflanze, sondern auch die Zwischenräume mit in Vergleich zu ziehen. Für den Anfänger ist es ratsam, fleißig mit dem Stifte zu visieren, zu untersuchen, welche Punkte senkrecht übereinander, welche in gleicher Höhe liegen usw.

Abb. 61
Abb. 61
Abb. 62
Abb. 62

Noch schwieriger gestaltet sich die Aufgabe, ein lebendes Tier zeichnerisch wiederzugeben; denn in jedem Augenblick ändert es seine Stellung. Die natürlichsten Vorstufen wären darum die Tierdarstellungen nach kunstgewerblich erzeugten Tierformen – Kinderspielzeug, Porzellanfiguren u. a. – und nach ausgestopften Tieren (Abb. 62 a u. b u. Abb. 63). Erst wenn man durch hinreichende Übung an diesen stillen, tadellos modellstehenden »Lebewesen« sich eine gewisse Treffsicherheit erworben hat, mag man sich an der zappeligen Wirklichkeit versuchen. Empfehlenswert[61] ist bei Anlage derartiger Zeichnungen das Blockieren der Gesamtfigur; denn erst soll das Ganze der Erscheinung aufgefaßt werden, ehe man an die Darstellung aller Einzelheiten herantritt.

Abb. 63
Abb. 63

Beim Zeichnen des lebenden Tieres ist die Mannigfaltigkeit noch ungleich reicher, das Charakteristische ausgeprägter. Für die Zeichner, welche dies Büchlein im Auge hat, wird es nicht darauf ankommen, in der Tierdarstellung irgendeinem Spezialistentum zu huldigen. Darum werden sich ins Detail gehende anatomische Studien der Muskelpartien u. a. nicht nötig erweisen. Bei Vögeln sind Haut und Muskeln mit Federn bedeckt, bei den Säugetieren mit Haaren. Eine gewisse Kenntnis des Knochengerüstes wird genügen, das Wesentliche der Gesamterscheinung einigermaßen treffsicher wiederzugeben.

Man wird beim Skizzieren lebender Tiere übrigens gut daran tun, im Anfang solche Modelle zu wählen, die still sitzen oder sich nur langsam bewegen (Abb. 64). Leichter fallen dem Anfänger Vögel als vierfüßige Tiere. Darum beginne man mit der Skizzierung von Hühnern, Gänsen, Enten, bevor man sich an Pferde, Hunde, Katzen, Rehe u. a. Säugetiere wagt (Abb. 65, 66 und 67). Dabei wird es darauf ankommen, dem Tiere zuerst eine günstige Stellung – Seitenansicht (man vgl. Hahn und Henne auf Abb. 65 und Tauben und Gans auf Abb. 67) oder Vorderansicht (man vgl. Abb. 65 links) – abzugewinnen, bevor man versucht auch schwierigere Haltungen (man vgl. die Gänse vor der Futterschüssel in Abb. 67, sowie den Papagei und die Enten) wiederzugeben.

Abb. 64
Abb. 64
Abb. 65
Abb. 65
Abb. 66
Abb. 66
Abb. 67
Abb. 67

Die menschliche Figur ist bekanntlich das erste Modell, das sich das kleine Kind beim Beginn seiner zeichnerischen Laufbahn erwählt. Das gleiche tun der Naturmensch und der Künstler, der das Höchste und Letzte erstrebt. Die menschliche Figur steht am Anfang und am Ende der künstlerischen Darstellung. Sie ist also das Leichteste und das Schwerste zugleich. Das Leichteste, insofern es sich um die schematische, das Schwerste, sobald es sich um die anschauungsgemäße Wiedergabe der menschlichen[62] Figur handelt. Man hat darum die menschliche Figur als Ganzes zuweilen ganz aus dem Schulzeichnen verbannt und sich mit der Darstellung einzelner Glieder – der Hände, der Füße, der Ohren usw. – begnügt. Ich halte diesen Weg für falsch. Wer die menschliche Figur zeichnerisch einigermaßen beherrschen will, der muß sie als Ganzes auffassen und wiedergeben. Freilich kann es sich nur um Skizzen handeln. Bei diesen Skizzen aber sollte die Darstellung von Einzelheiten, von Details zunächst gar keine Rolle spielen. Als geeignete Modelle empfehlen sich für den Anfang wieder Kunstprodukte – die drolligen Steiffpuppen z. B. (Abb. 68) – bevor man einen lebenden Menschen in ruhiger Haltung – am besten zunächst von vorn (Abb. 69) oder in Seitenansicht (Abb. 70 a) wiedergibt. Man kann sich dabei eines Proportionsschemas bedienen, wie es bereits Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer konstruierten. Für gewöhnlich aber genügt die Skizzierung einiger Richtungslinien und einfache Blockierung (Abb. 70 c). Für bestimmte Teile – z. B. für den Kopf – kann die Kopie einer Photographie (Abb. 71) oder das Arbeiten nach einem Gipsabguß (Abb. 72) dem Anfänger recht wohl zustatten kommen. Ich möchte darum derartige Modelle nicht grundsätzlich ausgeschaltet wissen. Sie stellen gewissermaßen Zwischenstationen auf dem Wege nach der zeichnerischen Wiedergabe lebendiger Natur dar.

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Abb. 68
Abb. 68
Abb. 69
Abb. 69
Abb. 70
Abb. 70

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Abb. 71
Abb. 71
Abb. 72
Abb. 72
Abb. 73
Abb. 73

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Abb. 74
Abb. 74

Das Landschaftzeichnen wäre die natürliche Fortsetzung jener Übungen, die zur Erlernung der Linienperspektive, sowie beim Studium der Beleuchtungserscheinungen dienten. Vom einzelnen perspektivisch gesehenen und dargestellten Körper zur Wiedergabe einfacher Stilleben, von der Darstellung von Innenräumen – Zimmerecken, Gängen – bis zur Wiedergabe landschaftlicher Ausschnitte – nur um solche, nicht um Landschaftsbilder, kann es sich auf der Stufe, die hier in Frage steht, handeln – läßt sich unschwer ein Gang vom Einfachen zum Zusammengesetzten, vom Leichten zum Schwereren nach schon gekennzeichneten Grundsätzen einhalten.

Abb. 75
Abb. 75

Beim Darstellen der Landschaft wähle man im Anfang ferne Objekte, bei denen die Details verschwinden. Günstiger als der Mittag sind Morgen und Abend, besonders wenn die Sonne hinter den zu zeichnenden Gegenständen steht, so daß sich diese silhouettenhaft vom lichten Himmel abheben (Abb. 73 u. 74). Auch hier ist der Beginn mit flächenhafter Darstellung der natürliche Ausgangspunkt. Bei körperhafter Darstellung aber wähle man zunächst möglichst einfache Objekte (Abb. 75), bei denen die Perspektive noch keine besonderen Anforderungen stellt (Abb. 76).[66] Zu empfehlen ist dabei das Zusammenfassen der Details im Baumschlag z. B. zu einheitlichen Massen, sowie das Herausgreifen geschlossener Gruppen – Bäume oder Häuser (Abb. 77 u. 78). Erst wenn man an derartigen Ausschnitten den Blick für das landschaftlich Malerische geübt und eine gewisse Technik entwickelt hat, gehe man an die Wiedergabe reicherer Motive. Daß dabei das Studium guter Landschaftsgemälde, sowie das Kopieren von Meisterskizzen von Wert sein kann, soll im Schlußabschnitt noch näher ausgeführt werden.

Abb. 76
Abb. 76
Abb. 77
Abb. 77
Abb. 78
Abb. 78

C. Farbige Darstellung.

Die neue Richtung betont mit besonderem Nachdruck die Verwendung der Farbe in der zeichnerischen Darstellung. Dadurch erhält der moderne Zeichenbetrieb größere Wärme; denn wo die Farbe fehlt, da wirkt alles kälter, freudenärmer. Man wird darum auf dieses Darstellungsmittel, das die Darstellungslust in besonderem Maße zu fördern vermag, nicht verzichten. Schon bei den Übungen der Vorstufe wird man farbig gestalten. Statt[67] des schwarzen Graphitstiftes wird man mit Farbstiften, mit Kohle und farbigen Kreiden arbeiten.

Farbtafel
Farbtafel

Noch stärkere Geltung gewinnt die Farbe bei der flächenhaften Darstellung, insbesondere beim schmückenden Zeichnen. Das Ornament z. B. gewinnt erst durch die Farbe Leben und Kraft. Hier wird es sich jedoch in der Hauptsache um flüssige Farben handeln, die mit dem Pinsel aufzutragen sind. Bevor man jedoch daran geht, mit Farbe und Pinsel zu arbeiten, wird es sich nötig erweisen, einige Übungen im Farbmischen und im Farbtreffen zu veranstalten.

Zu dem Zwecke drückt man aus den Tuben zunächst die drei Grundfarben oder primären Farben blau – rot – gelb auf die Palette und versucht nun durch Mischung die sogenannten Zwischenfarben oder sekundären Farben zu erhalten. Dabei wird sich etwa folgende Skala ergeben:

blau
}
|violett
rot
}
|orange
gelb
}
|grün
blau

Mischt man blau, rot und gelb, so erhält man grau oder braun (vgl. Farbtafel!). Dasselbe ist der Fall bei einer Mischung von violett und gelb, von orange und blau, von grün und rot; denn jede dieser Mischungen enthält die drei Grundfarben. Man nennt jene Farbe, die einem bestimmten Farbton noch fehlt, um alle Grundfarben zu enthalten, die Komplementär- oder Ergänzungsfarbe des betreffenden Farbtones. Die Komplementärfarbe zu grün wäre also rot, zu orange blau usw. Bei dekorativen Farbübungen oder bei Verwendung von farbigem Papier kann das Wissen um diese Komplementärfarben gute Dienste leisten und vor häßlichen und unmöglichen Farbzusammenstellungen bewahren. Auf grünem Tonpapier wirkt z. B. rot – die Komplementärfarbe – gut, während gelb und blau einen schlechten Zusammenklang mit grün ergeben. Setzt man die Grundfarben in ihrer Reinheit unvermittelt nebeneinander, so wirkt die Zusammenstellung oft hart und unschön oder schreiend und dissonierend (vgl. Farbtafel!). Um dies zu vermeiden und um einen gewissen Zusammenklang, eine »Harmonie« der Farben zu erzielen, sucht man die Farben zusammenzustimmen. Man gibt ihnen einen einheitlichen Gesamt- oder Grundton. Oder man »bricht« die Farben, indem man sie entsprechend mischt. Man arbeitet dann mit sogenannten Halbtönen (vgl. Farbtafel!), wie ja die Natur dem menschlichen Auge in der Regel gebrochene Farbtöne zeigt und nur im hellen Sonnenlicht unter ganz bestimmten Umständen den vollen Glanz einer ungebrochenen Farbe schauen läßt.

[68]

Weiß und schwarz sind eigentlich keine rechten Farben. Sie dienen vielmehr dazu, die Farben aufzuhellen oder nachzudunkeln. Nur mit rot und orange gemischt läßt sich schwarz zur Herstellung eines helleren oder dunkleren Braun verwenden (vgl. Farbtafel!).

Bei derartigen Farbtreffübungen ist mit allgemein gehaltenen theoretischen Anleitungen jedoch wenig gedient. Hauptsache bleiben die praktischen Versuche, da es nicht nur auf die Farbqualitäten, sondern in besonderem Grade auch auf die Farbquantitäten ankommt und jedes mehr oder weniger die Nuance der Mischung ändert.

Besonders schwierig gestaltet sich die farbige Darstellung nach der Wirklichkeit, wie sie bei der körperhaften Wiedergabe körperhafter Objekte mit farbigen Lichtern und Schatten gefordert wird. Der Anfänger pflegt alle Glanzlichter weiß, alle Schlagschatten schwarz zu geben. In Wahrheit kommen jedoch reines Weiß und reines Schwarz in der Natur fast nie vor und sollten bei farbigen Darstellungen nach der Wirklichkeit nur selten Verwendung finden. In der Regel pflegt es bei den ersten Darstellungsversuchen ähnlich zu gehen, wie bei den ersten zeichnerischen Versuchen überhaupt: es wird dargestellt, was man weiß, nicht was man sieht.

Man weiß: der Schnee ist weiß; also wählt man weiß zu seiner Wiedergabe. Man weiß: die Schatten sind dunkel; also gibt man sie schwarz oder grau wieder. Man weiß: die Zitrone ist gelb; also malt man sie auf der Lichtseite hell-, auf der Schattenseite dunkelgelb. Dem Auge aber, das Farben sehen gelernt hat, wird diese Wiedergabe unwirklich erscheinen; denn der Schnee ist nur auf bestimmt geneigten Flächen fast weiß; die darauffallenden Schatten sind blau oder violett, rötlich oder bräunlich, je nach den Reflexen, die vom Firmament und von den farbigen Gegenständen selbst ausgehen. Man wird darum die Farbe des Gegenstandes und die Farbe seiner Erscheinung streng auseinanderhalten müssen. Jedes Objekt erleidet in seiner farbigen Erscheinung eine starke Beeinflussung durch die Umgebung, in der es sich eben befindet, durch Tages- und Jahreszeit. Es gibt kaum einen größeren Zauberer als das Licht, und es zählt zu den reizvollsten Aufgaben, die mannigfachen Veränderungen zu studieren und wiederzugeben, die ein Körper in seinen Eigenfarben erleidet, sobald das Licht wechselt, das ihn umspielt.

Durch die Farbe kann übrigens auch eine Raumwirkung erzielt werden, ähnlich jener, die durch die Linienperspektive zustande kommt. Mit zunehmender Entfernung ändert sich die Farbe des Gegenstandes. Wie wir bei weit entfernten Objekten die Details der Linien und Formen[69] nicht mehr unterscheiden können, so vermischen sich für das menschliche Auge auch alle Nuancen der Farbe. Sie verschmelzen und verschwimmen zu einheitlichen Farbflächen. Die dazwischenliegende Luftschicht wirkt mit und zieht einen bläulichen Schleier davor. Man spricht dann von den Erscheinungen der Luftperspektive, die natürlich mit jedem Wechsel der Witterung sich ändern und der Landschaft ihre eigenartigen Stimmungen verleihen.

Wer einen Körper nach seinen Lichtern, Schatten und Farben körperhaft wiedergeben will, muß sich klar geworden sein über den Unterschied zwischen zeichnerischer und malerischer Darstellung. Es wäre irrtümlich zu glauben, die zeichnerische Wiedergabe wolle Linien, die malerische dagegen Flächen darstellen. Wir sahen: beide wollen Körper abbilden, weil die Wirklichkeit nur Körper bietet; aber beide können nur Flächen darstellen, weil sie ihre Bilder auf einer Ebene – auf dem Papier oder auf der Leinwand – entstehen lassen.

Der Zeichner charakterisiert jedoch seine Flächen in der Hauptsache dadurch, daß er ihre Grenzlinien, wozu hier auch die Überschneidungen gerechnet werden können, wiedergibt. Der Maler jedoch läßt die Grenzlinien unberücksichtigt; er gibt hellere und dunklere farbige Flächeninhalte, die durch ihre Helligkeitsunterschiede sich von selbst begrenzen.

Dieser Unterschied bedingt eine verschiedene Technik für die zeichnerische wie für die malerische Darstellungsweise. Man hat eine Zeitlang geglaubt, Malen sei für den Anfänger leichter als Zeichnen, da der Zeichner die Gesamterscheinung in ihren wesentlichen Merkmalen erfaßt haben muß, bevor er den ersten Strich zu ihrer Blockierung ansetzt, während der Maler gewissermaßen von innen nach außen gestaltet und aus einem farbigen Fleck durch allmähliches Erweitern die entsprechende Form gewinnen kann. Es mag sein, daß auf diese Art durch »Pinselspiele« allerlei Figuren entstehen können. Schon auf der Vorstufe, beim Zeichnen nach der Vorstellung (Abb. 79). Sobald es sich jedoch um die Wiedergabe der Wirklichkeit handelt, wird es sich nötig erweisen, daß auch der Maler zeichnen kann. Wenn er auch die Grenzlinien nicht wiedergibt, so muß er doch genau wissen, wo die Grenzen seiner Flächen sitzen. Auch für die malerische Darstellung ist eine gute Zeichnung Grundlage.

Die Zeichnung kann auch farbig gegeben werden. Man kann die von schwarzen Konturen eingeschlossenen Flächen farbig eindecken oder die fertige Bleistift-, Tusch- oder Kohlezeichnung mit einer dünnen Aquarellfarbe übermalen, ohne daß die Begrenzungslinien, Licht- und Schattenstellen[70] verwischt oder zugedeckt werden, sondern noch durch die dünne Farbschicht sichtbar sind. Wir können die Konturen selbst farbig geben. Wir erhalten auf diese Weise die farbig eingedeckte oder die farbige Zeichnung.

Abb. 79
Abb. 79

Bei der malerischen Behandlung jedoch wird man von jeder Begrenzungslinie absehen. Um jedoch nicht in grobe Fehler oder in »Sudeleien« zu verfallen, empfiehlt es sich für den Anfänger, den Pinsel anzufeuchten und mit Wasserstrichen die Form zeichnerisch zu skizzieren, bevor man sie malerisch darstellt. Auch bei der malerischen Darstellung können die Farben dünnflüssig – besonders beim Untermalen – und dickflüssig – als sogenannte Deckfarben – Verwendung finden. Die Farben können neben- und übereinander gesetzt werden. Es kann »Naß in Naß« gemalt werden, und es kann zur folgenden Farbe gegriffen werden, wenn die daneben oder darunter gesetzte völlig getrocknet ist. Jede dieser verschiedenen Techniken hat ihre Berechtigung. Aber auch hier kann nur ausgiebige Übung lehren, was für den Einzelfall am empfehlenswertesten oder am berechtigtsten ist. Auf der Farbtafel könnte man z. B. den Krug und das Portemonnaie als malerische Darstellung, das Rebhuhn als farbige Zeichnung, den Zweig mit den Beeren als ein Zwischending von malerischer und zeichnerischer Wiedergabe gelten lassen. Bei der Darstellung des Kruges und des Portemonnaies sind keine Konturen, sondern nur Flächen wiedergegeben, und zwar ist in beiden Fällen der farbige Grund des Papiertons mit verwendet, um eine bestimmte getönte Fläche zu kennzeichnen. Bei der Krugdarstellung sind die Mitteltöne in demselben Blaugrau gehalten wie der Hintergrund: Bei der Portemonnaiedarstellung dient[71] der lichtbraune Papierton zur Kennzeichnung der hellsten Flächen des Gegenstandes.

Das Rebhuhn ist gezeichnet und farbig eingedeckt. Man sieht genau die dunkle Kontur, die Grenzlinien zwischen kontrastierenden Körperteilen. Die Zeichnung könnte auch ohne Farbe bestehen. Krug und Portemonnaie hingegen müßten, sobald man die Farben wegnehmen würde, aufhören, sichtbar zu sein. Das wäre wohl auch bei dem Zweig mit den Beeren der Fall; doch arbeitet diese Darstellung – mit Ausnahme der lichteren Stellen auf den Beeren ohne Hereinbeziehung des farbigen Grundtones und setzt ihre Flächen scharf begrenzt – wenn auch ohne eigentliche Kontur – auf den licht gehaltenen Grund.

Am leichtesten ist im Anfang das Arbeiten mit dickflüssigen Deckfarben. Schwieriger gestaltet sich das Darstellen mit dünnflüssigen Wasserfarben, da ein frühzeitiges Eintrocknen bei nochmaligem Überfahren dunklere Flecken oder unschöne Ränder gibt.

Über die Behandlung der Öl- und der Temperafarben soll hier nichts Näheres ausgeführt werden, da diese Techniken doch nur auf höherer Stufe, als sie für unsere Zwecke in Betracht kommt, Geltung gewinnen können.

Nur eine technische Frage soll im Anschluß an die vorstehenden Betrachtungen noch kurz erörtert werden: die Technik der Licht- und Schattengebung. Ich habe an anderer Stelle9 eine Spezialfrage dieser Technik ausführlich an der Hand von Hunderten von Zeichnungen besprochen. Was ich dort von der Wandtafeltechnik im besonderen zu sagen hatte, gilt grundsätzlich für jede Licht- und Schattendarstellung: Es kommt in erster Linie auf das Material an, mit dem gearbeitet wird: auf den Papierton, der die Zeichnung aufnehmen soll, und auf das Werkzeug, mit dem gezeichnet oder gemalt wird.

Ist die Grundierung hell, so wird man sie mit heranziehen oder aussparen für die Lichtstellen der Zeichnung (vgl. die Darstellung des Portemonnaies); ist die Grundierung dunkel, so wird sie bei Darstellung der Schattentöne Verwendung finden. In beiden Fällen werden die nicht durch den Papierton gekennzeichneten Flächen aufgetragen werden müssen: das eine Mal als dunkle Schatten, das andere Mal als helle Lichter. Es kann jedoch der Papierton auch als Hintergrund aufgefaßt werden und beides – Lichter und Schatten – sowie alle Zwischentöne müssen gegeben werden.

In all diesen Fällen handelt es sich um Kennzeichnung von Flächen. Je nach dem Werkzeug wird die Fläche eine verschiedene Art der Füllung[72] erfordern. Mit dem Pinsel läßt sich die Fläche durch breite, geschlossene Striche gleichmäßig decken (Abb. 80 b). Mit einem spitzen Werkzeug – mit der Feder, dem Bleistift, dem Farbstift, der Kreide und der Kohle – jedoch wird man mit nebeneinanderliegenden oder mit sich kreuzenden Schraffen arbeiten müssen, um den Eindruck der Fläche zu erzeugen (Abb. 80 c), es sei denn, man bediene sich eines Wischers und verreibe die Zwischenräume, so daß eine der Pinseltechnik ähnliche Darstellungsweise – das Schummeln oder Röteln – entsteht (Abb. 80 a). Jede dieser Schraffierungsarten hat ihre Berechtigung. Für den Anfänger empfiehlt es sich jedoch, vorerst mit geschlossenen Flächen – Pinseltechnik – und mit gleichmäßig nebeneinander gesetzten Schattenstrichen zu arbeiten, bevor man sich an komplizierten Techniken versucht.

Abb.80
Abb. 80

Ist der Grund hell und wird die Zeichnung als dunkle Fläche aufgetragen oder ist der Grund dunkel und die Zeichnung erscheint als lichte Fläche, so macht sich eine Kontur oder eine besondere Kennzeichnung des Umrisses eigentlich unnötig. Man vergleiche auf der Farbtafel links oben die Darstellung der Blätter und der Beeren! Sie sind dunkelgrün und dunkelblau auf lichten Grund gesetzt und sind darum in ihren Begrenzungslinien durch den Kontrast der Flächen hinreichend gekennzeichnet. Sie haben keine weitere Kontur nötig. Ähnlich verhält es sich mit der Darstellung des Portemonnaies auf der gleichen Tafel rechts unten. Nur tritt hier das umgekehrte Verhältnis ein: das lichtbraune Leder hebt sich scharf ab von dem grünschraffierten Hintergrund und muß in seiner Begrenzung nicht weiter gekennzeichnet werden. Scheinen jedoch die Farbflächen des dargestellten Objektes sich mit den Farben des Grundes zu vermischen, so daß die Ränder verschwinden, so wird man der Zeichnung eine Kontur geben.

Dies gilt auch für dekorative Übungen. Hier kann die Kontur direkt zum dekorativen Element werden. Orange auf grünblau, scharlachrot auf graublau, ultramarin oder türkisblau auf grünlichem Weiß heben sich ohne weiteres voneinander ab. Aber selbst in solchen Fällen können dunkle und lichte Konturen zur Belebung beitragen. Trifft z. B. wie bei der Bordüre auf der Farbtafel (unten rechts) ein dunkleres Braun oder ein blasses Grün auf einen lichtbraunen Grund, so kann durch[73] Hinzufügung einer schwarzen Kontur der Eindruck des Weichen und Verschwimmenden vermieden und die Darstellung geschlossener und kräftiger gestaltet werden.

Abb. 81
Abb. 81

Es wäre falsch, zu behaupten, diese oder jene Art sei die berechtigtere. Beide haben Existenzberechtigung, weil beide durchaus verschiedenartig wirken und darum für verschieden geartete Zwecke verwendet werden können. Auch die dekorative Zeichnung ist Ausdruck einer seelischen Stimmung und wird je nach der Eigenart des Lebens, dem sie entsprang, mit verschiedenen Ausdrucksmitteln gestaltet. Eine dunkle Kontur macht die Zeichnung auf lichtem Grund schwerer und massiger (Abb. 81 a) als eine lichte Kontur auf dunkelm Grund (Abb. 81 b). In beiden Fällen aber gewinnt die Darstellung eine gewisse Stilisierung, da die Natur überhaupt keine Konturen, sondern nur Flächen aufweist. Läßt man hingegen die Kontur überhaupt wegfallen, so erweckt die Darstellung, auch wenn sie im übrigen keine wesentlichen Änderungen erfährt, einen naturalistischeren und zugleich malerischen Eindruck (Abb. 81 c, d). Es wird darum wohl immer Sache des Geschmacks bleiben, zu bestimmen, welche Art der Technik und welche Darstellungsweise in einzelnen Fällen Anwendung finden sollen. Mit verstandesmäßigen Regeln allein ist hier nichts gedient.


[74]

Achter Abschnitt.
Das künstlerische Vorbild.

Vor 20 und 30 Jahren erlernte man das Zeichnen in der Hauptsache durch Kopieren von Vorlageblättern. Das Zeichnen nach der Natur war damals ein Zeichnen nach Gipsmodellen, nach Abgüssen ornamentaler Stilformen oder nach Bruchstücken antiker Plastik. Die neue Richtung hat mit dieser Gepflogenheit gebrochen. Sie fordert Zeichnen nach der Natur und verbannt grundsätzlich Vorlagen und Gipsmodelle.

Der neue Grundsatz mag als Gegenforderung dem alten Betrieb gegenüber verständlich sein. Bei rigoroser Durchführung aber führt er zu neuer Einseitigkeit. Nicht darauf kann es ankommen, alle Vorlagen und Modelle zu verbannen, sondern darauf, die rechten Vorlagen und die rechten Modelle auszuwählen und sie neben dem Zeichnen nach der Wirklichkeit in rechter Weise zu benützen. Denn bei Lichte besehen sind auch diese Vorlagen ein Stück Wirklichkeit, ein Stück Natur, einmal insofern auch sie konkrete Dinge und keine Abstrakta sind, dann aber auch darum, weil jede künstlerische Darstellung ein Stück Menschennatur widerspiegelt, das aneifernd und vorbildlich wirken kann. In doppeltem Sinn können Zeichnungen und Bildwerke für den Lernenden in Frage kommen: als Mittel zu künstlerischer Geschmacksbildung und als Vorbilder für die technische Lösung zeichnerischer oder malerischer Probleme.

Wer zeichnen lernen will, muß Zeichnungen studieren. Muß sehen, wie andere es machten, um diese oder jene Wirkung hervorzurufen, um gewisse Schatten- und Lichtstellen treffend zu charakterisieren und was der technischen Probleme sonst noch sein mögen. Dies kann geschehen, indem man den Künstler beim Arbeiten selbst beobachtet, indem man aufmerkt, wie er die Kohle, den Stift, die Feder, den Pinsel handhabt, oder indem man die künstlerische Leistung studiert und aus den fertigen oder noch besser aus den halbfertigen Bildern und Entwürfen den Entwicklungsgang und die Entstehungsweise der Leistung herausliest. Es gibt für den Lernenden darum kaum etwas Bildenderes als das Studium künstlerischer Handzeichnungen, wie große Meister – von Leonardo da Vinci, Raffael, Dürer an bis zu den Modernen – sie in ihren Skizzenbüchern hinterlassen haben. Die Vorlage muß künstlerischen Charakter tragen. Statt der alten Vorlagen eines Weishaupt und eines Herdtle sollten künstlerische Skizzen10 gesammelt und für den Zeichenunterricht herausgegeben werden.

[75]

Wem die Gelegenheit fehlt, derartige Skizzen zu studieren, der greife nach gut illustrierten Zeitschriften, nach den Fliegenden Blättern, nach den Meggendorfer Blättern, der Jugend, dem Kunstwart und betrachte sie vom zeichnerischen Standpunkt aus. Er wird eine Fülle von bildendem Material finden. Die Eigenart der einzelnen Künstler wird ihm immer mehr zum Bewußtsein kommen. Bald wird er fühlen: hinter all den Linien und Farben lebt und webt ein Mensch mit bestimmtem Charakter, mit eigenartigem Denken, Empfinden und Schauen.

Ein derartig geschulter Betrachter wird in Zukunft ein Bild, eine Zeichnung nicht mehr ausschließlich inhaltlich und gefühlsmäßig werten, sondern seine Aufmerksamkeit auch der Künstlerpersönlichkeit und den formalen technischen Bedingungen zuwenden, die das Bild werden ließen. Das naive Interesse an der bildlichen Darstellung wird zum künstlerischen und gleichzeitig zum kunsthistorischen werden. Man wird nicht nur das Entstehen des Einzelbildes der Beachtung wert halten, man wird gleichzeitig auch das Werden einer gewissen künstlerischen Richtung, eines gewissen Stils begreifen wollen, man wird sich dazu gedrängt fühlen, Kunstgeschichte zu studieren.

Ich denke hier nicht an das Studium abstrakter ästhetischer Theorien, an das Lesen kunstgeschichtlicher Leitfäden; ich denke hier vor allem an das Studium der Kunstwerke selbst und an die Biographien wirklicher Künstler, wie sie z. B. die Künstlermonographien v. H. Knackfuß oder die Künstlermappen von F. Avenarius bieten.

Dem zeichnerisch Geschulten, dem technisch Tätigen wird sich dabei der Wert des Originals offenbaren. Er wird wertlose Reproduktionen, mechanisch hergestellte farbige Drucke, die eine verfehlte Mischung wiedergeben, verwerfen. Er wird nach dem Echten greifen. Unsere Künstler erwarten mit Recht von einem künstlerisch erzogenen Publikum eine neue Blüte ihrer Kunst; denn das Angebot pflegt sich auch auf dem Kunstmarkt nach der Nachfrage zu richten. Wertloser Kitsch kann nur gedeihen, wo eine kritiklose Masse sich mit Schund begnügt.

Die Meisterzeichnung kann auch als Vorlage dienen; sie kann und soll kopiert werden. Es gibt Anhänger der modernen Richtung, die dies bestreiten. Reformer, die grundsätzlich gegen jede Vorlage, gegen jedes Kopieren Front machen. Das ist eine Einschränkung der Bildungsmöglichkeiten, eine Versperrung der besten Bildungsgelegenheit für den Lernenden. Kein Künstler ist durch das Studium der Natur allein zu dem geworden, was er letzten Endes erreichte. Natur und Kunst waren seine Führerinnen. Wollte man den Künstler zwingen, nur Wirklichkeit, nur Natur zu studieren, man würde ihn gleichzeitig dazu verdammen,[76] alle Irrtümer zu wiederholen, welche die Kunst im Laufe der Jahrhunderte überwinden mußte. Jeder Künstler war einmal Nachahmer, Jünger eines Meisters. Daß er später selbst Meister wurde, tut dieser Jüngerschaft keinen Eintrag. Was von den Großen gilt, es gilt sicher auch von den Kleinen: von uns Alltagsmenschen, die zeichnen lernen wollen.

Allerdings wird viel davon abhängen, welcher Art diese Vorbilder sind.

Eine Aufgabe, die gewissermaßen als Überleitung zum Zeichnen nach der Wirklichkeit gelten kann, ist das Zeichnen nach Photographien. Es ist eine oft gehörte Warnung, daß das Betrachten von Photographien, wie man sie heutzutage in gewissen Wochenschriften findet, künstlerisch verbildend wirkt. Das verwirrende Allerlei, die geschmacklose Zusammenstellung u. a. machen diese Reproduktionen der Wirklichkeit in der Tat künstlerisch wertlos. Es ist jedoch durch mannigfache Beispiele bewiesen worden, daß die Photographie selbst einer künstlerischen Kultur wohl fähig ist. Und viel zu wenig scheint mir beachtet zu werden, daß gute Photographien geeignete Vorlagen abgeben können für die zeichnerische Darstellung. Unsere Künstler wissen das längst.

Die Photographie ist Wiedergabe der Wirklichkeit. Mechanische Wiedergabe, nicht Darstellung durch Menschenhand. Wohl wählt der Photograph einen bestimmten Ausschnitt, bestimmte Stellungen, bestimmte Belichtungserscheinungen; aber innerhalb der gegebenen Verhältnisse kann er Wesentliches nicht ändern. Er muß, wenn er nicht mit unnatürlicher Retouche arbeiten will, hinnehmen und darstellen, was ihm die Wirklichkeit bietet. Man kann sagen: der photographische Apparat gibt Wirklichkeit, Natur ohne menschliches Hinzu- oder Hinwegtun.

Die Photographie stellt objektiver dar als der Mensch. Sie bedient sich einer außer- oder übermenschlichen Technik. Sie ist darum das Gegenteil der Vorlage. Gerade aus diesem Grunde aber hat sie eine besondere Berechtigung im modernen Zeichenbetrieb. Sie vermittelt nicht Problemlösungen, sie stellt vielmehr jedem, der sie kopieren möchte, zeichnerische oder malerische Probleme. Eben weil sie der Eigentätigkeit so viel zu tun übrig läßt.

Auch die Kopie einer Photographie sollte nur ein Zwischenglied in der zeichnerischen Ausbildung darstellen. Handelt es sich um Objekte, deren zeichnerische Wiedergabe zunächst unüberwindliche Schwierigkeiten bietet, so kann eine entsprechende Photographie recht wohl als Zwischenstation Verwendung finden (Abb. 82).

Bei Darstellung eines lebenden Tieres, eines Hundes z. B., fällt es dem Anfänger, wie bereits bemerkt wurde, schwer, über den[77] flüchtigen Umriß hinaus zu kommen, da das Modell in der Regel nicht zum Stillhalten zu bringen ist. Hier könnte die Kopie einer Photographie (Abb. 82 c) recht wohl als Vorübung eingeschaltet werden.

Abb. 82
Abb. 82

Die Umsetzung dieser mechanischen Darstellung durch den Apparat in eine Zeichnung erfordert sicher ein weitaus größeres Maß von Überlegung, von technischer Erfindungsgabe als die Darstellung nach irgendeiner Zeichnung; denn gerade die Umsetzung einer Photographie in zeichnerische Technik stellt Probleme. Sie wird verschieden ausfallen je nach Material und Werkzeug. Der Pinsel (Abb. 82 a) arbeitet anders als Bleistift (Abb. 82 d) und Feder (Abb. 82 e). Eventuelle Verwendung zu dekorativen Zwecken erfordert die Stilisierung (Abb. 82 b) der Naturform. Die Wiedergabe wird verschieden ausfallen, je nachdem nur Flächen, nur Umrisse oder auch Licht und Schatten wiedergegeben, ob ohne oder mit Farben dargestellt werden soll und was der Probleme sonst noch sein mögen.

Ebenso einseitig wie die Forderung, alle Vorlagen auszuschalten, ist die, alle Modelle zu verwerfen, die nicht der Natur entnommen sind; denn es ist schwer, die rechte Grenze zwischen Natur und Zeichenmodell älteren oder neueren Stils genau zu bestimmen. Wollte man unter »Natur« nur das ohne Zutun des Menschen Gewordene, das Naturgewachsene – die Pflanze, das Tier, den Menschen – gelten lassen, so müßte eine Menge von Modellen in Wegfall kommen, die gerade der moderne Zeichenunterricht bisher ausgiebig benutzte: Gebrauchsgegenstände, Tische, Stühle, Zimmereinrichtungen, Häuser usw. Läßt man aber diese »Natur«, die im Grunde genommen »Kultur« ist, gelten, so sehe ich keinen zwingenden Grund, warum man gewisse Zeichenmodelle grundsätzlich ausscheiden will. Zwischen einem Tennisschläger und einer griechischen Palmette ist – soferne man beide Kulturerzeugnisse als Modelle für den Zeichenunterricht wertet – kein wesentlicher Unterschied. Beide sind Körper mit flächenhaftem Charakter, der eine aus Holz, der andre aus Stein; beide stellen ähnliche zeichnerische Probleme, soferne sie dargestellt werden sollen.

[78]

Modelle für den Zeichenunterricht liefert – großzügig gedacht – die Welt des Sichtbaren überhaupt. Was der zeichnerischen Bildung aus dieser Welt des Sichtbaren dienstbar gemacht werden kann, ohne gegen die Forderungen der Kunst und der Psychologie zu verstoßen, das sollte nicht doktrinär verworfen, sondern in den Dienst der Sache gestellt werden, um den Lernenden so weit zu fördern, daß er nicht nur zeichnerisch darstellen kann, was er in Wirklichkeit vor sich sieht, sondern auch auszudrücken vermag, was sein Seelenauge schaut. Erst dann wird der zeichnerische Ausdruck das werden, was die besten der Reformer für ihn erhoffen und erstreben: eine durch nichts zu ersetzende Sprache mit eigenartigen Mitteln und eigenartigen Wirkungen für den geistigen Verkehr der Einzelmenschen und der Völker untereinander.

In dieser Hoffnung möchte ich Abschied nehmen von den verehrten Lesern, die mir auf meinem »Weg zur Zeichenkunst« bis hierher gefolgt sind, und ihnen ein »Glück auf« zum Weitermarschieren zurufen. Was ich geben konnte, sind allerdings nur gute Ratschläge gewesen; doch wenn sie imstande waren, zu eigenem Tun anzuregen, so haben sie ihre Aufgabe erfüllt; denn in der Moral wie in der Kunst ist – nach einem alten Sprichwort – Reden nichts, Tun alles.


[79]

Bücherschau.

Ich möchte diese Arbeit nicht schließen, ohne noch auf ein paar Werke zu verweisen, deren Studium ich all denen anraten möchte, die in ihrem Streben nach zeichnerischer Vervollkommnung eingehendere Anleitung wünschen, als sie in einem kleinen Bändchen gegeben werden konnte. Dabei sehe ich ab von eigentlich methodischen Arbeiten, so groß heutzutage ihre Zahl auch ist und so treffliche Leistungen darunter sein mögen.

Die Werke, auf die ich hier mit kurzen Bemerkungen eingehe, sind keine Lehrgänge und keine Vorlagewerke, sondern Anleitungen zur künstlerischen Auffassung der Kunst und der Natur, Werke, die dem Leser und Betrachter die Augen öffnen werden für die Schönheit des Geschaffenen ringsum.

Im Buchverlag der »Hilfe«, Berlin-Schöneberg, erschienen in den letzten Jahren zwei Bändchen, die man recht wohl als »Wegweiser zu künstlerischem Verständnis, Genuß und Geschmack« bezeichnen kann:

»Form und Farbe« von Friedrich Naumann (Preis 4 Mk.) und »Von der Natur zur Kunst« von Adolf Saager (Preis 4 Mk.).

Beide Arbeiten sind weniger für Künstler als vielmehr für Kunst- und Naturfreunde geschrieben und darum vor allem geeignet, den Laien allmählich überzuführen zu einer künstlerischen Auffassung seiner Umwelt.

Ist dies gelungen und sucht er nach einem reichen Anschauungsmaterial – die beiden genannten Bücher sind leider ohne Illustration –, dann vermögen zwei andere Werke reiche Anregung zu bieten:

»Elementargesetze der bildenden Kunst« von Hans Cornelius, Verlag B. G. Teubner-Leipzig (Preis geh. 7 Mk., geb. 8 Mk.), und »Linie und Form« von Walter Crane, Verlag Hermann Seemann Nachfolger-Leipzig (Preis brosch. 10 Mk., geb. 12 Mk.).

In beiden Werken finden vor allem die formalen Fragen künstlerischer Tätigkeit an der Hand von mehreren hundert Abbildungen eingehende Erörterung.

Wer sich den Blick an der klassischen Kunst vergangener Jahrhunderte und Jahrtausende schulen möchte, dem sei die »Anleitung zu vergleichender Kunstbetrachtung« empfohlen, wie sie in dem reich illustrierten Bande »Sehen und Erkennen« von Paul Brandt gegeben ist. Verlag Ferd. Hirth & Sohn-Leipzig (Preis 5 Mk.).

Auch die prächtigen »Denkmäler griechischer und römischer Skulptur«, herausgegeben von A. Furtwängler und H. L. Urlichs, Verlag F. Bruckmann-München (Preis 4,80 Mk.), verfolgen ähnliche Ziele. Es sind nicht kunsthistorische Leitfäden, sondern künstlerische Anleitungen zum Verständnis und zum Genießen einer Welt, die den meisten Menschen ohne Führung unerschlossen bleiben müßte.

[80]

Dann möchte ich noch zwei Bücher nennen, die selbst von deutschen Künstlern geschrieben sind und uns einen Blick in die Künstlerseele und in ihre Entwicklungsart und -möglichkeit schenken:

»Lebenserinnerungen eines deutschen Malers« von Ludwig Richter. Verlag Max Hesse-Leipzig, und »Im Herbste des Lebens« von Hans Thoma, Verlag der Süddeutschen Monatshefte-München.

Beides Autobiographien mit einer Fülle künstlerischer Weisheit und Natürlichkeit.


Im Anschluß an die gesamte vorliegende Arbeit – nicht als Ergänzung dieser Bücherschau – möchte ich noch kurz charakterisierend auf meine eigenen Arbeiten hinweisen, insofern sie sich mit zeichnerischer oder künstlerischer Bildung befassen und geeignet sein dürften, in Einzelfragen weitgehenderen Aufschluß zu geben, als es in diesem Bändchen möglich war.

1. Eine allseitige Durchdringung und Verwertung der zeichnerischen Tätigkeit vom philosophisch-pädagogischen Standpunkte aus, eine wissenschaftlich begründete Methodik des Zeichnens, findet sich in meinem Buche: »Zeichnerische Gestaltung und Bildungsarbeit« (Verlag Friedrich Kortkamp, Langensalza – 6 Mk.).

2. Eine Einzelfrage, die Entwicklung und Ausgestaltung der Schülervignette, behandelt im Zusammenhang mit den grundlegenden Fragen des Zeichenunterrichts mein »Angewandtes Zeichnen« (Verlag B. G. Teubner, Leipzig – 2,20 Mk.).

3. »Die Technik des Tafelzeichnens« (Verlag B. G. Teubner, Leipzig – 6 Mk. 3. Auflage) sucht die der Wandtafel und der Kreide innewohnenden Gesetze zu ergründen und baut darauf eine naturgemäßere und wirkungsvollere Art der Darstellung auf, als es die früher gebräuchlichen Ausdrucksweisen vermochten.

4. Was das erstgenannte Werk für die Pinseltechnik, das zweite für die Technik der Feder, das dritte für die der Kreide zu geben bemüht war, das sucht mein demnächst erscheinendes »Lebendiges Papier« (Verlag B. G. Teubner – 2,50 Mk.) für die Ausschneidetechnik der Schere zu gestalten: gleich der »Technik des Tafelzeichnens« ein Mappenwerk, das sich direkt an den Spieltrieb und an die Gestaltungslust des Kindes wendet und eine wirksame Vorschule für zeichnerische Bildung überhaupt werden könnte.


Fußnoten

1 Ernst Weber: Zeichnerische Gestaltung und Bildungsarbeit. Verlag F. Kortkamp, Langensalza.

2 Man vergleiche die ausführlichen Zitate in meinem Buche »Zeichnerische Gestaltung und Bildungsarbeit«. Verlag Kortkamp, Langensalza.

3 Zeitschr. für päd. Psychol. u. experim. Pädagogik. 13. Jhrg. Heft 7/8. Seite 353 ff. Verlag Quelle & Meyer, Leipzig 1912.

4 Vgl. »Das Zeichnen der Naturvölker« v. Alfr. Vierkandt. Zeitsch. für angew. Psych. u. psych. Sammelforschg. Bd. 6. Heft 4. Verlag Barth, Leipzig.

5 Zeitschrift für pädagogische Psychologie und experimentelle Pädagogik. 13. Jahrg. Heft 7/8. Seite 390.

6 Ernst Weber: »Zeichnerische Gestaltung und Bildungsarbeit«, Verlag Kortkamp, Langensalza.

7 Ernst Weber: »Die Technik des Tafelzeichnens«, Begleittext. Verlag B. G. Teubner, Leipzig.

8 Ernst Weber: Angewandtes Zeichnen. Verlag B. G. Teubner, Leipzig.

9 Ernst Weber: »Die Technik des Tafelzeichnens«, Verlag B. G. Teubner, Leipzig.

10 Ähnlich wie in dem Kalender »Natur und Leben« oder in der Zeitschrift »Licht und Schatten«.


Von Dr. Ernst Weber erschienen ferner im gleichen Verlage:

Die Technik des Tafelzeichnens. 40 teils farbige in Kreidetechnik gezeichnete Tafeln nebst einem Erläuterungsheft mit 6 Illustrationen. 3. Auflage. In Mappe M. 6.–

»Ein Buch für die Lehrerbildungsanstalt, eine fleißige und tüchtige Arbeit, eine schöne, fachkundige und alle Darstellungsarten auf der schwarzen Schultafel umfassende Leistung. Das Werk zeigt auf 40 bunten Tafeln einmal, wie man auf der schwarzen Tafel zeichnen soll und gibt hierzu die notwendigen Anleitungen und einmal, was man alles auf der schwarzen Tafel leisten kann, wenn man sich entsprechend eingeübt hat und die notwendige Geschicklichkeit hierzu besitzt. Wir empfehlen das Buch zur Einführung in allen Schulen.« (Zeitschrift f. Zeichen- u. Kunstunterricht.)

Angewandtes Zeichnen. Neue Ausgleiche und Ausblicke. Mit 186 Abbildungen im Text. Steif geh. M. 2.20.

»… Die Schrift wird ihr gut Teil beitragen zur Klärung der heute noch verworren und extrem sich bekämpfenden Auffassungen und Richtungen; denn sie ist die klare, in sich geschlossene, begründete Stellungnahme eines für den Lehrberuf in seltenem Grade begabten Lehrers, und aufgebaut auf eine mehr als durchschnittliche Herrschaft auch über das rein Technische des Faches. Das Buch ist zugleich ein kleines Muster dafür, wie man von einem Einzelproblem aus ins Weite denken kann, von einer Detailfrage den Zugang zu den großen Zeitgedanken der pädagogischen Bewegung findet.«

(Zeitschrift für pädagog. Psychologie und experiment. Pädagogik.)

Lebendiges Papier. Erfindungen und Entdeckungen eines Knaben. Mit 10 Tafeln und 78 Zeichnungen. gr. 8. 1913. Geb. M. 2.50.

Das Büchlein gibt in Wort und Bild den Kindern, großen wie kleinen, eine Anleitung, sich aus totem Papier mit der Schere ihr Spielzeug selber zu erschaffen.


Das darstellende und schmückende Zeichnen in der Volksschule auf der Grundlage der Arbeitsidee. Eine Lehrplanskizze von Paul Wendler. Mit 9 Tafeln (1 farb.) u. 4 Abb. Geh. M. 2.–

Der Verfasser baut sein System nicht auf die geometrischen Eigenschaften der Linien auf, sondern macht sich den Formenreichtum und das Formenleben außerhalb ihres Bannkreises zunutze, um die Kinder zu einem rechten Formenverständnis zu führen und den Zeichenunterricht zu einer lebensvollen Formenkunde zu gestalten. Er geht von den zweckmäßig gestalteten Natur- und Kunstformen aus, schließt seine Unterweisung an wirklich vorhandene Dinge an und lehrt den Zweck der Objekte begreifen, lehrt die durch Material und Aufgabe bedingten Eigentümlichkeiten erfassen, und führt so vom Verständnis des Charakteristischen zu dessen Wiedergabe.

Der Betrieb des Zeichenunterrichts. Die Zeichenmaterialien und Lehrmittel sowie die Anlage und Einrichtung der Zeichensäle. Ein Handbuch für Zeichenlehrer, Schulbehörden und zum Selbstunterricht. Herausg. von Prof. Otto Haßlinger und Zeichenlehrer Emil Bender. Mit 206 Fig. u. 21 Tafeln. In Leinw. geb. M. 8.–

»Die Herausgeber bekennen sich zum neuzeitlichen Zeichenunterricht, gehören aber zu den besonnenen Männern, die sich der Zeichenreform nicht gleich mit Kopf und Kragen verschrieben haben. Ich wollte, ihre Grundsätze würden überall im Zeichenunterricht befolgt.«

(Mittel- und höhere Mädchenschule.)

Pflanzenornamente für den Zeichenunterricht. Bearb. im Auftrage des Großherzogl. Badischen Oberschulrates von Prof. Otto Haßlinger und Reallehrer Albrecht Gansloser. 2 Lieferungen. gr. Fol. 12 farbige Tafeln, enthaltend 53 Ornamente. Je M. 7.–

»Das Werk charakterisiert sich als eins der besten dieser Art. Für das Studium vegetabiler Formen und Farben kann man sich nichts Schöneres denken. Höheren Schulen, gewerblichen und Fortbildungsanstalten, besonders aber Mädchen- und Frauen-Arbeitsschulen werden diese neuen Pflanzenornamente bald unentbehrlich erscheinen. Wir wünschen dem Werke die wohlverdiente weiteste Verbreitung.«

(Kreide.)


Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin

Elementargesetze der bildenden Kunst. Grundlagen der praktischen Ästhetik von Prof. Dr. Hans Cornelius. 2., vermehrte Aufl. Mit 245 Abb. und 13 Tafeln. Geh. M. 7.–, in Leinw. geb. M. 8.–

»Es gibt kein Buch, in dem die elementarsten Gesetze künstlerischer Raumgestaltung so klar und anschaulich dargelegt wären. Wir haben hier zum ersten Male eine zusammenfassende, an zahlreichen einfachen Beispielen erläuterte Darstellung der wesentlichsten Bedingungen erhalten, von denen die Gestaltung in Architektur, Plastik und Kunstgewerbe abhängt. Die Ausstattung des Buches selbst ist ein schönes Beispiel für eine derartige praktische Anwendung … Nicht nur die Klarheit und Systematik der Darstellung überhaupt, sondern auch die Fülle neuer Bemerkungen und treffender Beobachtungen ist geradezu überraschend.«

(Zeitschrift für Ästhetik.)

Die Natur in der Kunst. Studien eines Naturforschers zur Geschichte der Malerei. Von Prof. Dr. Felix Rosen. Mit 120 Abbild. nach Zeichnungen von E. Süß und Photographien des Verfassers. In Leinw. geb. M. 12.–

»… Rosen hat eine äußerst interessante Darstellung des gesamten italienischen Trecento und Quattrocento wie der altniederländischen Kunst unter dem Gesichtspunkte der Naturschilderung gegeben. Wie die Mächte des zeugenden Lebens der Erde begriffen und wiedergegeben sind, wie die Erfassung der natürlichen Formen der Landschaft, Wege, Felsen, Blumen, Bäume immer bestimmter wird, wie das Gefühl der Einheit alles Lebendigen wächst und auch der Mensch nicht mehr eine Ausnahme, sondern ein Teil dieses bewegten Naturlebens wird – das sind Rosens Hauptgesichtspunkte.«

(Deutsche Zeitschrift für das gesamte Leben der Gegenwart.)

Die deutsche Malerei im 19. Jahrh. Von Prof. Dr. R. Hamann. 4 Bde. 2 Bde. m. Text, 2 Bde. m. Abb. (ANuG Bd. 448–451, auch in 1 Bd. geb.) Geh. je M. 1.–, geb. je M. 1.25.

Zwei Textbändchen führen in die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts ein, deren Bedeutung seit der Jahrhundertausstellung in Berlin immer stärker ins allgemeine Bewußtsein gerückt ist, in ihre geschichtliche Entwicklung, in ihre Stoffe und deren malerische Behandlung. Zwei weitere Bände enthalten zur Erläuterung und Veranschaulichung der Darstellung geeignete Bilder.

Deutsche Baukunst im Mittelalter. Von Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. A. Matthaei. 3. Aufl. Mit 29 Abb. (ANuG Bd. 8.) Geh. M. 1.–, geb. M. 1.25.

Der Verfasser gibt eine Darstellung der Entwicklung der deutschen Baukunst bis zum Ausgang des Mittelalters und klärt über ihr Wesen als Kunst auf, zeigt, wie sich im Verlauf der Entwicklung die Raumvorstellung klärt und vertieft, wie das technische Können wächst und die praktischen Aufgaben sich erweitern, wie in dem behandelten Zeitraum das germanische Volk aus der Erbschaft der Antike etwas Neues entwickelt, die romanische Kunst, und wie in den Zeiten der Kreuzzüge neue Anregungen kommen, die zur Gotik führen.

Deutsche Baukunst seit dem Mittelalter bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Von Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. A. Matthaei. Mit 62 Abbildungen und 3 Tafeln. (ANuG Bd. 326.) Geh. M. 1.–, geb. M. 1.25.

Schildert die Baugeschichte Deutschlands vom Mittelalter bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, indem für jede der drei Hauptperioden zuerst die historische Grundlage gegeben wird, aus der die Eigenart des Raumsinns und die Bauaufgaben der Zeit verständlich werden, dann gezeigt wird, wie die konstruktiven und ästhetischen Probleme nach Grundriß, Aufbau, Lichtzuführung, Formengebung und Außenbau gelöst werden, endlich eine Reihe ausgewählter Beispiele aus der Geschichte der Baukunst behandelt werden.

Deutsche Baukunst im 19. Jahrhundert. Von Prof. Dr. A. Matthaei. (ANuG Bd. 453.) Geh. M. 1.–, geb. M. 1.25. (In Vorb.)


Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin

Kleine Beschäftigungsbücher

für Kinderstube und Kindergarten

Herausgegeben von Lili Droescher. 2. Auflage.

Band I: Das Kind im Hause. Von Lili Droescher. Mit 10 Abbildungen. Kart. M. –.80.

Band II: Was schenkt die Natur dem Kinde? Anleitung zur Naturbeobachtung und Beschäftigung von Minna Blanckertz-Berlin. Mit 28 Abbildungen und einer farbigen Tafel. Kart. M. 1.–

Band III: Kinderspiel und Spielzeug. Von Clara Zinn, geb. Schöne. Mit 41 Abbildungen. Kart. M. 1.–

Band IV: Geschenke von Kinderhand. Von Emma Humser. Mit 151 Abbildungen. Kart. M. 1.–

Band V: Allerlei Papierarbeiten. Von Hildegart Gierke und Alice Davidsohn, geb. Kuczynski. Mit 28 Abbildungen, 114 Zeichnungen und 1 farbigen Tafel. Kart M. 1.20.

»Eine köstliche Gabe. Die Büchlein geben vor allem Müttern und Erzieherinnen eine Fülle von Anregung, die Kinder zu beschäftigen, sie denken, sehen, beobachten zu lehren, aus den unscheinbarsten Dingen, wie sie Natur und die tägliche Umgebung bieten, die herrlichsten Sachen selbst zu fertigen. Alles bekommt einen Wert, und die Kinder werden ständig gefesselt und interessiert und ihnen Herz und Augen für ihre Umgebung geöffnet. Diese Beschäftigungsbücher können unsern Müttern und Erziehern nicht warm genug empfohlen werden.«

(Freie deutsche Schule.)

Handarbeit für Knaben und Mädchen

Jedes Heft M. 1.–

1. Papparbeit. Von Chr. F. Morawe.

2. Nadelarbeit. Von A. Pallat-Hartleben und E. Rosenmund.

3. Spielzeug aus eigener Hand. Von A. Jolles.

4. Holzarbeit. Von J. L. M. Lauweriks.

5. Zeichnen für Nadelarbeit. Von M. Grupe.

6. Modellieren. Von M. Dehrmann.

7. Modellschiffbau. Von K. Storch.

8. Handnäharbeit. Von M. Stacke und F. Küntzel.

9. Aus einer Schülerwerkstatt. Von F. P. Hildebrandt.

10. Was mache ich meinen Eltern zu Weihnachten. Von P. Lindner, E. Carp, A. Pallat-Hartleben.

11. Metallarbeit. Von F. Zwollo u. W. Rüsing.

Weitere Bändchen in Vorbereitung.

Als Sonderheft erschien: Aus der Praxis der deutschen Kunsterziehung. M. 1.50.

»Es kann für Eltern kaum beglückendere Stunden geben, als wenn sie an Hand dieser Heftchen die Beschäftigung der Kinder leiten und dabei deren Fähigkeiten und Neigungen verfolgen können. Wo Kinder sind, da gehören auch diese Heftchen hin.«

(Zeitschrift des bayrischen Kunstgewerbevereins.)

»… Hier bietet sich die Möglichkeit, die außerordentlich anregenden und wie selbstverständlich mustergültigen Darstellungen aus der immer mehr in ihrer – wenn in richtige Bahnen geleitet – erzieherischen Bedeutung erkannten Handarbeit zu erwerben, was der im Vergleich zu der hervorragenden Ausstattung – namentlich auch durch Abbildungen – mäßige Preis erleichtert.« (Blätt. z. Förd. d. Knabenhandarbeit.)

Aus der Praxis der Knaben- und Mädchenhandarbeit.

Von Geh. Reg.-Rat Dr. L. Pallat. Mit 38 schwarzen und 4 bunten Tafeln. 8. 1913. (Unter der Presse.)


Karl Bauers Charakterköpfe

– aus Deutschlands großer Zeit

16 Federzeichnungen

Friedrich Wilhelm III. · Königin Luise · H. v. Kleist · Fichte · Schleiermacher · W. v. Humboldt · Stein · Hardenberg · Scharnhorst · York · Blücher · Gneisenau · Körner · Jahn · Arndt · Napoleon.

In Mappe(m. 16 Blätt. 28:36 cm) M. 3.– Einzelblätter auf Karton M. –.60. In Erlenrahmen unter Glas (zum Auswechseln) M. 2.50, in Rahmen (schwarz polierte Leiste) unter Glas M. 3.50.

»Ist es ein künstlerischer Genuß, die feine und mit eigenartiger Sicherheit gehandhabte Technik in der Ausführung zu bewundern, wie solche so ganz aus dem Stoffe selbst sich herausfertigt, so ist es ein sittlicher Genuß, im Sinne wahrer Ästhetik, der Auffassung des Künstlers nachzugehen und mit ihm zu vernehmen, wie diese Herzen schlugen, wie hinter diesen Stirnen Gedanken ruhten, die zu Taten wurden; wie die Funken sprühten, um als Flammen ins Vaterland zu schlagen.«

(Literar. Zentralblatt.)

– zur deutschen Geschichte

32 Federzeichnungen

1. Arminius. 2. Karl der Große. 3. Barbarossa. 4. Kaiser Maximilian. 5. Gutenberg. 6. Dürer. 7. Luther. 8. Gustav Adolf. 9. Wallenstein. 10. Der Große Kurfürst. 11. Friedrich der Große. 12. Seydlitz. 13. Maria Theresia. 14. Lessing. 15. Schiller. 16. Goethe. 17. A. v. Humboldt. 18. Beethoven. 19. Pestalozzi. 20. Napoleon I. 21. Königin Luise. 22. Blücher. 23. Körner. 24. Jahn. 25. Uhland. 26. Richard Wagner. 27. Menzel. 28. Krupp. 29. Wilhelm I. 30. Bismarck. 31. Moltke. 32. Wilhelm II.

Mappe mit 32 Blättern 28:36 cm M. 4.50
Mit 12 Blättern nach Wahl M. 2.50
Liebhaberausgabe: 32 Blätter auf Karton in Leinwandmappe M. 10.–
Einzelblätter M. –.60
In Erlenrahmen unter Glas (zum Auswechseln) M. 2.50
In Rahmen (schwarz polierte Leiste) unter Glas M. 3.50

K. W. Diefenbachs Schattenzeichnungen

»Eines der formenschönsten Werke, die der deutschen Kunst je gelungen sind. Seine Grundstimmung ist eine Art Anbetung der Schönheit in der Natur, eine Feierstimmung, die sich vom heut in ein ersehntes Erdenparadies hinüberträumt. In den Motiven nackter Körperbewegung liegt eine Fülle von Grazie, wie wir sie sonst nur von Werken romanischen Ursprungs gewohnt sind.«

(Ferdinand Avenarius im Kunstwart.)

»Per aspera ad astra«

Album M. 12.–

Wandfriese, die Teilbilder 3, 4, 5, 7, 10, 11, 12, 19, 20, 21 des Frieses im Format 42×80 cm f. Fernwirk. berechn. als Sopraporten usw. pro Blatt M. 4.–

im Format 35×18 cm als klein. Wandbild., z. Bekleid. v. Wandschirmen usw. pro Blatt M. 1.–

Rahmen, passend für beide Größen 42×80 cm u. 35×18 cm schwarz polierte Leiste mit Glas M. 8.– und M. 3.25

hellbraune Furnierleiste mit schwarzer Einfassung und Ecken M. 12.– und M. 4.– ohne Glas ermäßigt sich d. Preis um M. 2.– für die große und M. 1.– für die kleine Ausg.

»Göttliche Jugend«

Göttliche Jugend
Einzelbild aus »Göttlicher Jugend« 1 Bild i. Rahmen M. 3.–

Zunächst erschienen Teil I:

Mappe mit 20 Blättern (Format 25,5×34 cm) M. 5.–
Einzelbilder daraus je M. –.50
dieselben unter Glas in Leinwandeinfassung je M. 1.–
Rahmen: schwarz polierte Leiste mit Glas für ein Bild M. 2.50
ohne Glas M. 2.–
für drei Bilder nebeneinander M. 6.50
ohne Glas M. 4.–
für vier Bilder nebeneinander M. 8.–
ohne Glas M. 6.–
Schwarzer Ovalrahmen mit Glas und Aufhängeschnur für ein Bild M. 3.50

Vollständiges Verzeichnis über künstlerischen Wandschmuck mit farbiger Wiedergabe von ca. 200 Blättern gegen Einsendung von 40 Pfg., Ausland 50 Pfg., vom Verlag B. G. Teubner in Leipzig und Berlin.


Weitere Anmerkungen zur Transkription

Der Buchkatalog Aus Natur und Geisteswelt ist als eigenes Projekt im Project Gutenberg unter Nummer 53614 verfügbar und wurde hier entfernt.

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. Die Farbmischungstabelle auf Seite 67 wurde zur besseren Darstellbarkeit gedreht.

Korrekturen:

S. 8: 1847 → 1827
Joh. Heinr. Pestalozzi (1746–1827)

S. 9: auf → aus
Chaos der Anschauungen Figuren aus