The Project Gutenberg eBook of Sämmtliche Werke 5: Dramatische Werke

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Title: Sämmtliche Werke 5: Dramatische Werke

Author: Nikolai Vasilevich Gogol

Editor: Otto Buek

Translator: Thomas Commichau

Gregorius Itelson

Alexandra Ramm

Carl Ritter

André Villard

Release date: September 5, 2017 [eBook #55487]

Language: German

Credits: Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
Proofreading Team at http://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄMMTLICHE WERKE 5: DRAMATISCHE WERKE ***

Nikolaus Gogol
Dramatische Werke

Nikolaus Gogol
Sämmtliche Werke
In 8 Bänden

Herausgegeben
von
Otto Buek

Band 5

München und Leipzig
bei Georg Müller
1911

Nikolaus Gogol

Dramatische Werke

Herausgegeben
von
Otto Buek

München und Leipzig
bei Georg Müller
1911

Der Revisor

Komödie in fünf Aufzügen

„Den Spiegel soll nicht schelten, wer eine Fratze hat.“

Sprichwort.

Deutsche Übertragung von Th. Commichau

Das Recht der öffentlichen Aufführung ist ausschließlich zu erwerben von dem
Theaterverlag Eduard Bloch,
Berlin C 2, Brüderstraße 1

Personen.

Antón Antónowitsch Skwósnik-Dmuchánowski, Polizeimeister.
Anna Andréjewna, seine Frau.
Márja Antónowna, seine Tochter.
Lúka Lúkitsch Chlópoff, Schulinspektor.
Frau Chlópoff.
Ammós Fjódorowitsch Ljápkin-Tjápkin, Kreisrichter.
Artémij Filíppowitsch Semljaníka, Hospitalverwalter.
Iwán Kusmítsch Schpékin, Postmeister.
Pjotr Iwánowitsch Dóbtschinski } Bürger.
Pjotr Iwánowitsch Bóbtschinski
Iwán Alexándrowitsch Chlestakóff, Beamter aus Petersburg.
Ossip, sein Diener.
Christian Iwánowitsch Hübner, Kreisarzt.
Fjódor Andréjewitsch Ljuljukóff } pensionierte Beamte, Honoratioren der Stadt.
Iwán Lasaréwitsch Rastakówski
Stepán Iwánowitsch Koróbkin
Stepán Iljitsch Uchowjértoff, Polizeiinspektor.
Swistúnoff } Polizeidiener.
Pugowízyn
Djerschimórda
Awdúlin, Kaufmann.
Fewrónja Pjetrówna Poschljópkina, Schlossersfrau.
Die Frau eines Unteroffiziers.
Míschka, Diener des Polizeimeisters.
Ein Kellner.
Ein Gendarm.

Gäste, Kaufleute, Volk, Bittsteller.


Zeit: Um 1835. — Ort: Eine kleine russische Provinzialstadt.

Charaktere und Kostüme
(Bemerkungen für die Herren Schauspieler)

Der Polizeimeister: Ein im Dienst bereits ergrauter und in seiner Art gescheiter Mann. Obgleich bestechlich, gibt er sich als soliden und ernsthaften Menschen und ist in gewissem Sinne sogar Räsoneur. Er spricht weder laut noch leise, noch viel, noch wenig; jedes seiner Worte hat Gewicht. Seine Gesichtszüge sind grob und hart, wie bei allen, die in einer mühsamen Karriere von der Pike auf gedient haben. Der Übergang von Furcht zu Freude, von Unterwürfigkeit zu Hochmut vollzieht sich bei ihm ziemlich unvermittelt, wie bei allen Leuten mit roh entwickelten Charakteranlagen. Er trägt die übliche Uniform mit Litzenkragen und Stulpstiefel mit Sporen; sein graues Haar ist kurzgeschoren.

Anna Andréjewna, seine Frau: Eine noch leidlich konservierte Provinzialkokette, die zur Hälfte in der Lektüre von Romanen und Poesiealbums, zur Hälfte im Kleinkram von Hauswirtschaft und Gesindeplackerei aufgeht. Sehr neugierig, kehrt sie gelegentlich auch Hoffart hervor; erlangt oftmals dadurch Übergewicht über ihren Mann, daß dieser ihr nichts zu antworten weiß; doch erstreckt sich solches Übergewicht nur auf Kleinigkeiten und besteht lediglich in Vorwürfen und Hohn. Im Verlaufe des Stückes wechselt sie viermal die Toilette.

Chlestakóff: ein junger Mann von 23 Jahren, schmächtig und unansehnlich, etwas einfältig und hat, wie man zu sagen pflegt, das Pulver nicht erfunden; einer von den Leuten, die man in den Kanzleien Windbeutel nennt. Er ist nicht imstande längere Zeit bei einem Thema zu verweilen, spricht unzusammenhängend, und die Worte sprudeln ihm unberechenbar aus dem Munde. Je mehr Freimut und Harmlosigkeit der Darsteller dieser Rolle zur Schau trägt, desto größeren Erfolg wird er erzielen. Seine Kleidung ist modern (1835).

Ossip, sein Diener: Von dem Wesen, das Diener in vorgerückten Jahren zu haben pflegen; er spricht gelassen, hält den Blick etwas gesenkt, räsoniert und liebt es, seinem Herrn in dessen Abwesenheit Vorhaltungen zu machen. Seine Stimme ist fast immer monoton, nimmt aber im Gespräch mit seinem Herrn einen mürrischen, kargen, zuweilen sogar groben Ausdruck an. Er ist pfiffiger als sein Herr und weiß sich deshalb rascher zurechtzufinden, spricht aber nicht gern viel und ist ein stilles Wasser. Seine Kleidung ist ein grauer oder blauer verschlissener Kittel.

Bóbtschinski und Dóbtschinski: Beide von kleinem, niedrigem Wuchs, sehr neugierig; einander sehr ähnlich; beide mit leichtem Embonpoint. Sie sprechen hastig und unterstützen ihre Rede durch reichliches Gestikulieren mit den Händen. Dóbtschinski ist ein wenig größer und ernsthafter als Bóbtschinski, dieser aber ist dafür beweglicher und lebhafter als jener.

Ljápkin-Tjápkin, der Kreisrichter: ein Mensch, der fünf bis sechs Bücher gelesen hat und daraufhin den Freigeist herauskehrt. Ist stark in Hypothesen und spricht deshalb jedes Wort mit wichtigem Ton. Der Darsteller dieser Rolle sollte stets eine vielsagende Miene aufsetzen. Er spricht in tiefem Baß, sehr gedehnt, heiser und mit Räuspern, wie eine alte Wanduhr, die erst schnarrt, ehe sie schlägt.

Semljaníka, der Hospitalverwalter: Ein sehr korpulenter, schwerfälliger und plumper Mann; bei alledem Intrigant und Gauner; sehr zuvorkommend und gefällig.

Der Postmeister: Ein bis zur Naivität einfältiger Mensch.

Die übrigen Rollen bedürfen keiner besonderen Anweisungen; ihren Originalen begegnet man auf Schritt und Tritt.

Die Herren Schauspieler sollten der letzten Szene besondere Sorgfalt angedeihen lassen. Das zuletzt ausgesprochene Wort muß auf alle wie ein elektrischer Schlag wirken; gleichzeitig und plötzlich. Die ganze Gruppe muß ihre Stellung in einem Augenblick wechseln; den Ausruf der Überraschung müssen alle Damen einstimmig ausstoßen, wie aus einem Munde. Die Nichtbeachtung dieser Hinweise könnte die gesamte Wirkung in Frage stellen.

Erster Aufzug

Zimmer im Hause des Polizeimeisters

1. Szene

Polizeimeister. Hospitalverwalter. Schulinspektor. Kreisrichter. Revierinspektor. Arzt. Zwei Polizeidiener.

Polizeimeister. Ich habe Sie herberufen, meine Herren, um Ihnen eine sehr unerfreuliche Nachricht mitzuteilen: ein Revisor kommt zu uns.

Kreisrichter. Ein Revisor?!

Hospitalverwalter. Ein Revisor?!

Polizeimeister. Ein Revisor aus Petersburg, inkognito. Und noch dazu mit geheimen Instruktionen.

Kreisrichter. Donnerwetter!

Hospitalverwalter. Das hat uns auch gerade noch gefehlt!

Schulinspektor. Herr des Himmels! Und obendrein mit geheimen Instruktionen!

Polizeimeister. Als wenn ich das vorausgeahnt hätte: die ganze Nacht träumte mir von zwei ungeheuren Ratten — nie habe ich dergleichen vorher gesehen: schwarz und riesengroß! Kamen heran, beschnupperten mich und liefen wieder davon. Ich will Ihnen hier den Brief vorlesen, den ich von Andréj Iwánowitsch Tschmychóff erhalten habe — Sie, Artémij Filíppowitsch, kennen ihn ja. Er schreibt also folgendermaßen: „Teurer Freund, Gevatter und Wohltäter“ (halblaut murmelnd und die Zeilen überfliegend) „... dir zu melden“ — da hier: „Ich beeile mich, dir unter anderem zu melden, daß ein Beamter eingetroffen ist mit der Instruktion: das ganze Gouvernement und speziell unsern Kreis (hebt bedeutungsvoll den Finger in die Höhe) zu inspizieren. Ich erfuhr dies von absolut zuverlässiger Seite, obgleich er sich für einen Privatmann ausgibt. Da ich nun weiß, daß auch bei dir, wie überall, kleine Schnitzer mitunterlaufen, weil du ein kluger Mann bist und ungern fahren läßt, was in deinem Netze zappelt ...“ (Innehaltend) Nun, hier macht er so seine ... „so rate ich dir auf deiner Hut zu sein: er kann jeden Augenblick kommen, wenn er nicht gar schon da ist und sich irgendwo inkognito aufhält ... Gestern ...“ — hier folgen nur noch Familiennachrichten: „ist meine Schwester Anna Kiríllowna mit ihrem Manne zum Besuch angekommen; Iwán Kiríllowitsch ist sehr dick geworden und fiedelt immerfort auf der Geige“, usw. usw. Also nun wissen Sie, wie die Dinge stehen!

Kreisrichter. Eine seltsame, höchst seltsame Geschichte! Da steckt irgendwas dahinter.

Schulinspektor. Wozu das alles, Antón Antónowitsch, wozu? Warum uns einen Revisor?!

Polizeimeister (seufzend). Warum! Sie sehen ja: Schicksal! (Seufzend) Bisher hatte man, Gott sei Dank, nur andre Städte heimgesucht; jetzt kommt eben die Reihe an uns.

Kreisrichter. Ich meine, Antón Antónowitsch, daß dies einen feinen und mehr politischen Hintergrund hat. Es bedeutet einfach: Rußland ... ja ... Rußland will Krieg führen — und das Ministerium, sehen Sie wohl, schickt heimlich einen Beamten ab, um auszuforschen, ob hier herum wo Spione stecken.

Polizeimeister. Eh, was reden Sie da! Sie sind wohl nicht recht gescheit! In einer Kreisstadt Spione! Liegen wir etwa an der Grenze? Die erreicht von hier aus keiner, auch wenn er drei Jahre Galopp fährt.

Kreisrichter. Nein, wie ich Ihnen sage. Sie wollen mich nicht ... wollen nicht ... Die Regierung kennt die feinsten Schliche; weit oder nicht, sie hört sogar die Flöhe husten.

Polizeimeister. Floh hin, Floh her; jedenfalls sind Sie gewarnt, meine Herren. Sehen Sie sich vor! Ich für meinen Teil habe schon so meine Maßregeln getroffen, tun Sie das gleiche. Namentlich rate ich’s Ihnen, Artémij Filíppowitsch! Der durchreisende Revisor wird zweifelsohne vor allem die Ihnen unterstellten Krankenhäuser inspizieren wollen —, drum sorgen Sie dafür, daß alles tadellos sei. Daß die Nachtmützen hübsch rein sind und die Kranken nicht wie die Kesselschmiede aussehen, wie das sonst gewöhnlich der Fall ist.

Hospitalverwalter. Na, wenn’s weiter nichts ist — reine Nachtmützen können sie kriegen.

Polizeimeister. Gut. Und an jedem Bett muß auf lateinisch oder in einer andern fremden Sprache ... das wäre dann eben Ihre Sache, Herr Doktor — muß jede einzelne Krankheit angeschrieben stehen, Datum der Erkrankung, genau auf Jahr und Tag ... Es ist auch gar nicht schön, daß Ihre Kranken einen so starken Tabak rauchen, daß, wer hereinkommt, immerzu niesen muß. Noch besser, wenn überhaupt weniger Kranke da wären; sonst wird gleich der schlechten Verwaltung oder der Unfähigkeit des Arztes schuld gegeben.

Hospitalverwalter. Oh, was die ärztliche Behandlung anbetrifft, so bin ich mit dem Herrn Doktor längst übereingekommen: je naturgemäßer, desto besser — teure Arzeneien brauchen wir nicht. Gewöhnliches Volk: stirbt’s, dann stirbt’s, bleibt’s leben, dann bleibt’s eben leben. Auch könnte sich der Herr Doktor ja doch nicht mit ihnen verständigen: er versteht ja kein Wort Russisch.

Christian Iwánowitsch, der Arzt (gibt Laute von sich, die halb wie i und halb wie e klingen).

Polizeimeister. Auch Ihnen, Ammós Fjódorowitsch, möchte ich raten, einmal nach Ihrem Gerichtslokal zu schauen. Im Vorzimmer, wo sich die Klienten versammeln sollen, haben Ihre Gerichtsdiener die ganzen Hausgänse mit ihren Jungen untergebracht, die einem dort fortwährend zwischen die Beine geraten. Sich um die Wirtschaft kümmern, ist gewiß lobenswert, und warum sollte das ein Knecht auch nicht tun; aber an einem solchen Ort, sehen Sie, paßt sich das doch nicht. Ich wollte das schon eher sagen, habe es aber wieder ganz verschwitzt.

Kreisrichter. Ich lasse sie gleich sämtlich in die Küche schaffen. Kommen Sie doch zum Essen herüber.

Polizeimeister. Schlimm ist’s auch, daß der Sitzungssaal so von Schmutz starrt und daß mitten auf dem Aktentisch Ihre Hundepeitsche liegt. Ich weiß wohl, Sie sind ein großer Jagdfreund, doch besser wär’s, sie wenigstens jetzt wegzunehmen; ist der Revisor erst wieder fort, dann können Sie sie ja meinetwegen wieder hinlegen. Und dann Ihr Beisitzer! Der Mann ist ja wahrscheinlich sehr tüchtig, aber er verbreitet einen Duft, als ob er geradenwegs aus der Branntweinschänke käme — das taugt auch nicht. Schon längst wollte ich mal davon reden, wurde aber, ich weiß nicht wie, davon abgebracht. Es gibt Mittel dagegen, selbst wenn wirklich, wie er behauptet, ihm dieser Geruch angeboren wäre: man könnte ihm Zwiebeln oder Knoblauch zu essen geben oder irgendwas ähnliches. Für diesen Fall kann ja der Herr Doktor mit Medikamenten zu Hilfe kommen.

Christian Iwánowitsch, der Arzt (gibt die vorerwähnten Laute von sich).

Kreisrichter. Nein, das läßt sich nicht vertreiben; er sagt, als Kind habe ihn seine Amme einmal verprügelt, und seit der Zeit müsse er immer etwas Branntwein ausschwitzen.

Polizeimeister. Nun, ich wollte das nur bemerkt haben. Doch betreffs unserer sonstigen Zustände und der sogenannten kleinen Schnitzer, von denen Andréj Iwánowitsch in seinem Briefe redet, weiß ich wahrhaftig nichts beizubringen. Es bleibt nun eben mal wahr: kein Mensch ist ohne Sünde. Das hat Gott selber schon so gewollt, und die Aufklärungsapostel werden vergeblich darüber wettern.

Kreisrichter. Ja, was nennen Sie Sünde, Antón Antónowitsch? Sünde und Sünde ist zweierlei. Ich für mein Teil gebe ganz offen zu, daß ich hier und da kleine Geschenke annehme, doch was für welche? Jagdhunde! Das ist was ganz andres.

Polizeimeister. Jagdhunde oder sonst was, Geschenke bleiben’s doch.

Kreisrichter. O nein, Antón Antónowitsch. Aber wenn einer zum Beispiel einen Pelz für fünfhundert Rubel und seine Frau einen Schal ...

Polizeimeister. Schon gut, schon gut, Sie nehmen also bloß Jagdhunde — dafür glauben Sie aber nicht an Gott und gehen nie in die Kirche; ich aber bin ein gläubiger Mensch und bin jeden Sonntag beim Gottesdienst. Aber Sie ... oh, ich kenne Sie: wenn Sie anfangen, über die Schöpfung zu reden, dann stehen einem die Haare zu Berge.

Kreisrichter. Wenigstens bin ich von alleine darauf gekommen, aus eigenem Verstande.

Polizeimeister. Na, manchmal ist viel Verstand schlimmer als gar keiner. Übrigens habe ich nur so nebenbei ans Kreisgericht gedacht; ehrlich gesagt, es wird ja keiner da hineingucken: das ist ein geheiligter Ort, den Gott selber in Schutz genommen hat. Aber Sie, Lúka Lúkitsch, müssen sich durchaus mal um Ihr Lehrerpersonal kümmern. Es sind ohne Frage gelehrte und hochstudierte Leute, haben aber höchst sonderbare Angewohnheiten, die sich kaum mit dem Lehrberuf vertragen. Da ist zum Beispiel einer, der mit dem aufgedunsenen Gesicht, mir ist sein Name nicht gegenwärtig — der muß absolut immer eine Fratze schneiden, sowie er aufs Katheder steigt, ungefähr so (macht eine Grimasse) und dann steckt er die Hand unter die Halsbinde und kraut sich den Bart. Daß er den Schülern solche Fratzen schneidet, ist ja egal und mag vielleicht nötig sein, das geht mich nichts an; aber sagen Sie selbst, wenn er das vor dem Herrn Inspizienten tut, das kann doch sehr fatal werden; der Herr Revisor oder ein andrer könnte das auf sich beziehen. Da kann der Teufel weiß was dabei herauskommen.

Schulinspektor. Ja, aber was soll ich mit ihm machen; ich habe schon mehrfach mit ihm geredet. Noch kürzlich, als gerade der Schulrat die Klasse betrat, hat er eine solche Grimasse aufgesetzt, wie ich sie noch niemals gesehen hatte. Er denkt sich gar nichts Böses dabei, mich aber rüffelt man dann, daß der Jugend revolutionäre Ideen eingeflößt werden.

Polizeimeister. Auch über Ihren Geschichtslehrer habe ich noch einiges zu bemerken. Es ist ein gelehrtes Haupt, das sieht man deutlich, und strotzt von Wissen; aber er doziert mit solchem Feuer, daß er sich ganz dabei vergißt. Ich hörte ihn einmal: na, solange er von den Babyloniern und Assyrern sprach, da ging’s noch, aber als er auf Alexander den Großen kam — ich kann’s kaum beschreiben, wie er da loslegte. Ich glaubte, es brennt, wahrhaftig! Springt vom Katheder und was das Zeug hält — bautz! — den Stuhl an die Erde. Gewiß, Alexander der Große war schon ein Held, aber braucht man da Stühle zu zerkeilen? Der Staat hat nur Kosten davon.

Schulinspektor. Ja, ja, er ist ein Heißsporn. Ich habe ihm das auch schon ein paarmal vorgehalten; aber dann erwidert er: „Wie Sie wünschen, aber für die Wissenschaft opfere ich mein Leben.“

Polizeimeister. Ach ja, das muß eben unerforschlicher Schicksalswille sein: so ein Gelehrter ist entweder Säufer oder schneidet Fratzen, daß man sich vor den Heiligenbildern schämen möchte.

Schulinspektor. Gott bewahre mich davor, Lehrer sein zu müssen, das ist eine Strafe! Da will jeder reinreden, jeder beweisen, daß auch er Verstand hat.

Polizeimeister. Das hätte alles noch gar nichts zu sagen — das Inkognito ist das Infame! Mit einmal schielt er herein: „Ah, da seid ihr ja, Freundchen! Na wer ist denn von Euch der Richter?“ — „Ljápkin-Tjápkin!“ — „Ei dann bitte schön Herr Ljápkin-Tjápkin!“ — „Und wer ist der Hospitalverwalter!“ „Semljaníka!“ — „Dann bitte doch schön, Herr Semljaníka!“ — Das ist das gemeine!

2. Szene

Die Vorigen. Postmeister.

Postmeister. Herrschaft, was geht denn vor? Ein Revisor soll kommen?

Polizeimeister. Haben Sie’s denn noch nicht gehört?

Postmeister. Eben, von Pjotr Iwánowitsch Bóbtschinski; er war gerade bei mir auf dem Postamt.

Polizeimeister. Na, nun? Was denken Sie drüber?

Postmeister. Was ich denke? ’s gibt Krieg mit den Türken.

Kreisrichter. Da, also! Genau wie ich’s gesagt habe!

Polizeimeister. Ja, zwei kapitale Schlauköpfe!

Postmeister. Freilich, mit den Türken. Das haben uns alles die Franzosen eingebrockt.

Polizeimeister. Schöner Krieg mit den Türken. Uns wird’s an den Kragen gehn, nicht den Türken. Das steht längst fest, ich habe briefliche Nachricht.

Postmeister. Na, wenn’s so ist, dann gibt’s eben keinen Krieg.

Polizeimeister. Nun, was sagen Sie dazu, Iwán Kusmítsch?

Postmeister. Hm, ich? Und Sie, Antón Antónowitsch?

Polizeimeister. Ich? Von Furcht natürlich keine Spur, aber so ein bißchen. Kaufleute und Bürger machen mir etwas Sorge. Sie behaupten, ich hätte sie gerupft, aber bei Gott, wenn ich auch mal von einem oder dem andern was nahm, dann geschah’s nur in aller Unschuld. Ich vermute, (führt den Postmeister beim Arm auf die Seite) ich vermute, man hat mich angeschwärzt. Warum gerade für uns einen Revisor? Hören Sie mal, Iwán Kusmítsch, könnten Sie nicht, zu unserm gemeinschaftlichen Vorteil, jeden Brief, der in Ihrem Postamt ein- und ausgeht, wissen Sie, so’n bißchen aufmachen und durchlesen, ob nicht vielleicht Denunziationen oder dergleichen vertrauliche Mitteilungen drinstehen? Wenn nicht, kann man sie ja wieder zusiegeln oder einfach geöffnet abliefern.

Postmeister. Weiß ich längst! Da brauchen Sie mich nicht erst zu belehren, mach’ ich sowieso schon, aber weniger aus Vorsicht, als aus Neugierde — ich bin geradezu versessen auf das, was in der Welt vorgeht. Ich sage Ihnen, die interessanteste Lektüre. Mancher Brief liest sich ganz köstlich — da werden Dinge beschrieben ... Und eine Darstellung — besser als in den „Moskauer Nachrichten“!

Polizeimeister. Schön, sagen Sie mal, haben Sie da nichts über einen Revisor aus Petersburg gefunden?

Postmeister. Aus Petersburg, nein, aber von einem in Kostromá und Sarátow ist viel die Rede. Wirklich schade, daß Sie keine Briefe lesen; manche Stellen sind großartig. Da schrieb kürzlich ein Leutnant seinem Kameraden und schilderte einen Ball auf die lustigste Art — ganz, ganz ausgezeichnet: „Ich führe hier“, schreibt er, „ein Götterleben: schöne Mädchen in Hülle und Fülle, die Musik rauscht, hoch flattert die Fahne ...“ mit großem Schwung schrieb er. Ich habe den Brief wahrscheinlich noch bei mir; soll ich ihn vorlesen?

Polizeimeister. Nein, lassen Sie’s für jetzt. Also seien Sie so gut, Iwán Kusmítsch: falls Sie gelegentlich auf so eine Beschwerde oder eine Denunziation stoßen, dann ohne weiteres anhalten.

Postmeister. Mit dem größten Vergnügen.

Kreisrichter. Sehen Sie sich aber vor, Sie könnten da mal reinfallen.

Postmeister. Du lieber Gott!

Polizeimeister. Ach, das hat gar nichts zu sagen; ja, wenn Sie das an die große Glocke hängen wollten, aber so ist’s ja reine Privatsache.

Kreisrichter. Na, schlimme Sache das. Übrigens war ich eigentlich gekommen, Antón Antónowitsch, um Ihnen eine junge Hündin zu offerieren; sie ist vom selben Wurf wie mein Köter, den Sie kennen. Daß Tscheptówitsch und Warchowínski im Prozeß liegen, wissen Sie wohl; und ich habe den Spaß davon, jetzt kann ich beim einen wie beim andern meine Hasen jagen.

Polizeimeister. Herr Gott, bleiben Sie mir jetzt mit Ihren Hasen vom Leibe; mir sitzt das verdammte Inkognito im Schädel! Immer drauf lauern, daß jeden Augenblick die Tür aufgeht und baff ...

3. Szene

Die Vorigen. Bóbtschinski und Dóbtschinski stürzen atemlos herein.

Bóbtschinski. Unerhörte Überraschung!

Dóbtschinski. Erstaunliche Neuigkeit!

Alle. Was, was ist denn los?!

Dóbtschinski. Unerwartetes Ereignis: wir kommen ins Gasthaus ...

Bóbtschinski (unterbrechend). Ich und Dóbtschinski kommen ins Gasthaus ...

Dóbtschinski (unterbrechend). Eh, lassen Sie mich, Pjotr Iwánowitsch, ich will erzählen.

Bóbtschinski. Nein, nein, lassen Sie mich, lassen Sie mich ... Sie haben gar kein Geschick ...

Dóbtschinski. Und Sie verhaspeln sich und vergessen alles.

Bóbtschinski. Nein, bei Gott, ich weiß alles; mischen Sie sich nicht hinein, lassen Sie mich erzählen. Helfen Sie, meine Herren, daß Dóbtschinski sich nicht hereinmischt!

Polizeimeister. So reden Sie doch um alles in der Welt, was ist los? Ich brenne vor Ungeduld. Setzen Sie sich, meine Herren, Stühle her; hier haben Sie einen Stuhl, Bóbtschinski. (Alle setzen sich um Bóbtschinski und Dóbtschinski herum.) Nur schnell, was gibt’s?

Bóbtschinski. Erlauben Sie, erlauben Sie, alles nach der Reihe. Kaum daß ich die Ehre hatte, mich von Ihnen zu verabschieden, nachdem Sie geruhten, sich über den empfangenen Brief zu beunruhigen, ja — da rannte ich ... Bitte, unterbrechen Sie mich nicht, Dóbtschinski! Ich weiß alles, alles. Also: da rannte ich zu Koróbkin, da aber Koróbkin nicht zu Hause war, zu Rastakówski, und da ich Rastakówski nicht antraf, von dort zum Herrn Postmeister, um ihm die von Ihnen empfangene Neuigkeit mitzuteilen, und wie ich von da weggehe, begegne ich Dóbtschinski ...

Dóbtschinski. Neben dem Pastetenladen ...

Bóbtschinski. Neben dem Pastetenladen. Ich treffe also Dóbtschinski und sage ihm: haben Sie schon von der großen Neuigkeit gehört, die der Herr Polizeimeister in einem hochbedeutsamen Brief erhalten hat? Dóbtschinski aber hatte sie schon von Ihrer Magd Awdótja gehört, die, ich weiß nicht wonach, zu Philipp Antónowitsch Potschetschújeff geschickt worden war ...

Dóbtschinski (unterbrechend). Nach einem Kognakfäßchen.

Bóbtschinski (mit der Hand abwehrend). Nach einem Kognakfäßchen. Wir gingen also zusammen zu Potschetschújeff ... Nein, Dóbtschinski, nein, unterbrechen Sie mich nicht, bitte ernstlich, unterbrechen Sie mich nicht! ... Wir gehen also zu Potschetschújeff und unterwegs sagt mir Dóbtschinski: „Kommen Sie doch mal erst in die Restauration; ich hab’ so’n gewisses ... seit heut früh hab’ ich nichts genossen und der Magen knurrt mir so ...“ — jawohl, Dóbtschinski knurrte der Magen. „Und in der Restauration,“ sagt er, „gibt’s heut frischen Lachs, kosten wir doch wenigstens.“ Kaum sind wir drin, als plötzlich ein junger Mann ...

Dóbtschinski (unterbrechend). Von hübschem Äußeren, apart gekleidet ...

Bóbtschinski. Von hübschem Äußeren, apart gekleidet, so — ft — ins Zimmer tritt, entschlossener Ausdruck, Physiognomie, Benehmen und hier (fährt mit der Hand um die Stirne) viel, sehr viel. Ich hatte es sozusagen vorausgeahnt und sage zu Dóbtschinski: „Hier geht was vor.“ Jawohl. Und Dóbtschinski hatte schon mit dem Finger gewinkt und den Wirt, den Wirt Wlas gerufen — seine Frau kam vor drei Wochen mit einem strammen Jungen nieder, der mal des Vaters Wirtschaft erben wird. Wie Wlas kommt, fragt ihn Dóbtschinski ganz heimlich: „Wer ist dieser junge Mensch?“ und Wlas antwortet: „Der“ sagt er ... Ach, so unterbrechen Sie mich doch nicht in einem fort, Dóbtschinski, Sie können’s ja doch nicht erzählen, Sie lispeln ja, ich weiß genau, bei Ihnen pfeift ein Zahn ... „Der junge Mensch da“, sagt Wlas, „das ist ein Beamter“, jawohl, „kommt von Petersburg und heißt“, sagt er, „Iwán Alexándrowitsch Chlestakóff, und reist“, sagt er, „nach Sarátoff und führt sich,“ sagt er, „ganz seltsam auf: sitzt schon die zweite Woche hier, geht nie aus, nimmt alles auf Rechnung und zahlt keinen Kopeken.“ Wie er das sagt, geht mir auf einmal ein Licht auf: „He!“ sage ich zu Dóbtschinski ...

Dóbtschinski. Nein Bóbtschinski, ich habe „He!“ gesagt.

Bóbtschinski. Zuerst sagten Sie’s, danach sagte ich’s auch. Also: „He!“ sagten Dóbtschinski und ich. „Warum sitzt er hier, wenn er nach Sarátoff soll?“ Folglich ist er der Beamte.

Polizeimeister. Was, welcher Beamte?

Bóbtschinski. Der Beamte, von dem Sie die Nachricht zu empfangen geruhten — der Revisor.

Polizeimeister (zusammenfahrend). Was reden Sie da, um Gotteswillen, das kann er nicht sein!

Dóbtschinski. Doch! Geld zahlt er keins und abreisen tut er auch nicht. Wer sollte es anders sein? Und dabei lautet sein Paß auf Sarátoff.

Bóbtschinski. Er ist’s, er ist’s, ganz gewiß ... Und was für eine Spürnase, alles hat er bemerkt, beobachtete, wie Dóbtschinski und ich Lachs aßen — etwas reichlicher als sonst, weil Dóbtschinskis Magen ... Ja, so hat er auf unsre Teller geschielt. Der Schreck fuhr mir ordentlich in die Glieder.

Polizeimeister. Herr Gott, erbarme dich über uns arme Sünder! Wo wohnt er denn da?

Dóbtschinski. Auf Nummer fünf, über die Stiege.

Bóbtschinski. In derselben Stube, wo sich voriges Jahr die durchreisenden Offiziere geprügelt hatten.

Polizeimeister. Ist er schon lange da?

Dóbtschinski. An die zwei Wochen; seit Sankt Basilius.

Polizeimeister. Zwei Wochen! (Beiseite.) Gott und alle Heiligen, steht mir bei! In diesen zwei Wochen ist die Witwe des Unteroffiziers ausgepeitscht worden, haben die Gefangenen keine Rationen erhalten. Die Straßen voll Dreck und Kot. Schimpf und Schande! (Greift sich an den Kopf).

Hospitalverwalter. Nun, Antón Antónowitsch, jetzt wird’s eben heißen: auf und in Gala nach dem Gasthof.

Kreisrichter. Nein, nein; erst muß der Stadtälteste, die Geistlichkeit und die Kaufmannschaft vorangeschickt werden; wie schon zu lesen in den „Taten Johanns des Freimaurers“ ...

Polizeimeister. Nein, nein; überlassen Sie das mir. Mich hat schon Schwereres im Leben heimgesucht, es ging vorüber und ich habe noch Dank dazu gehabt. Wohlan! Gott wird auch diesmal helfen. (Zu Bóbtschinski gewandt.) Sagten Sie nicht, es sei noch ein junger Mann?

Bóbtschinski. Jawohl, so an die dreiundzwanzig oder ein wenig über vierundzwanzig.

Polizeimeister. Desto besser, ein junger läßt sich leichter auf den Zahn fühlen; schlimm, wenn’s ein alter Satan gewesen wäre; junge Leute sind Windbeutel. Halten Sie sich bereit, meine Herren, ich gehe jetzt alleine hin — oder vielleicht höchstens in Dóbtschinskis Begleitung, ganz privatim, um wie auf einem Spaziergang bloß mal nachzuschauen, ob die durchreisenden Fremden keinen Anlaß zu Beschwerden haben. He, Swistúnoff!

Polizeidiener. Zu Befehl!

Polizeimeister. Hol mir sofort den Polizeiinspektor, oder nein, ich brauche dich hier. Sag draußen irgendwem, er soll mir so schnell wie möglich den Polizeiinspektor herbeischaffen und komm gleich zurück. (Polizeidiener ab.)

Hospitalverwalter. Kommen Sie, kommen Sie, meine Herren, es könnte wirklich was passieren.

Kreisrichter. Was haben denn Sie zu fürchten? Reine Nachtmützen für die Kranken und damit holla.

Hospitalverwalter. Wenn’s das bloß wäre! Von rechtswegen sollten die Kranken Hafersuppe kriegen, und statt dessen ist bei mir auf allen Korridoren ein solcher Gestank nach Sauerkohl, daß man sich die Nase zuhalten muß.

Kreisrichter. In der Hinsicht bin ich ohne Sorge. Aufs Gericht zu kommen fällt ja doch keinem ein; und wenn er wirklich in so ein Aktenstück reinschaut, wird er seines Lebens nicht froh. Ich sitze nun schon fünfzehn Jahre auf dem Richterstuhl, und wenn ich solch schriftliches Referat ansehn muß — ah! ich mache bloß so mit der Hand! Selbst Salomo würde nicht entscheiden, wo Recht und wo Unrecht ist.

(Kreisrichter, Hospitalverwalter, Schulinspektor und Postmeister ab und kollidieren in der Tür mit dem zurückkehrenden Polizeidiener.)

4. Szene

Polizeimeister. Bóbtschinski. Dóbtschinski und Polizeidiener.

Polizeimeister. Ist der Wagen bereit?

Polizeidiener. Zu Befehl.

Polizeimeister. Geh hinunter ... oder nein, halt! Geh, hol mir ... Aber wo sind denn die andern? Bist du denn allein? Ich habe doch befohlen, daß auch Prochóroff zur Stelle sei. Wo ist Prochóroff?

Polizeidiener. Prochóroff ist auf der Wache, ist aber nicht zu brauchen.

Polizeimeister. Warum nicht?

Polizeidiener. Nun so: man brachte ihn heut morgen totbesoffen an; wir gossen ihm schon zwei Eimer Wasser über den Kopf, aber bis jetzt hat er sich noch nicht aufgerappelt.

Polizeimeister (schlägt sich vor den Kopf). Gott, mein Gott! Lauf schnell auf die Straße, oder nein — zuerst in mein Schlafzimmer, hörst du! und bring mir den Degen und die neue Mütze. Kommen Sie, Dóbtschinski!

Bóbtschinski. Ich auch, ich auch, bitte, nehmen Sie mich doch auch mit, Antón Antónowitsch.

Polizeimeister. Nein, nein, Bóbtschinski, das geht nicht! Es wäre unbequem, und wir hätten zusammen doch keinen Platz im Wagen.

Bóbtschinski. Tut nichts, tut nichts: ich springe hupp, hupp, hupp hinter dem Wagen her; ich möchte bloß so hineinblinzeln durch ein Türritzchen, wie er sich dabei haben wird.

Polizeimeister (den Degen nehmend, zum Polizeidiener). Lauf rasch, nimm dir Polizisten und jeder soll ... Verflucht, wie der Degen zerschrammt ist! Dieser hundsföttische Krämer Awdúljin — sieht beim Polizeimeister den alten Degen und schickt keinen neuen! Infames Pack! Wartet ihr Halunken, ich will euch mit euren ellenlangen Bittschriften! Jeder soll sofort eine Straße packen ... Himmeldonnerwetter Straße — einen Besen soll er packen und gleich die Straße beim Gasthof reinfegen ... hörst du! Und du nimm dich in acht! Ich kenne dich, Bürschchen: du biederst dich da an und läßt silberne Löffel in deine Stiefelschäfte verschwinden — sieh dich vor, ich habe feine Ohren! ... Was hast du neulich beim Kaufmann Tschernájeff ausgefressen? Er schenkt dir zwei Ellen Tuch zur Uniform, und du maust ihm das ganze Stück — paß Obacht! Zu so was bist du noch zu gering! Marsch!

5. Szene

Die Vorigen. Polizeiinspektor.

Polizeimeister. Um alles in der Welt, Stepán Iljitsch, wo treiben Sie sich denn herum? Ist das eine Art?

Polizeiinspektor. Ich war gerade nur einen Augenblick vor der Türe.

Polizeimeister. Na, nun hören Sie mal, Stepán Iljitsch! Der bewußte Beamte aus Petersburg ist eingetroffen. Was haben Sie inzwischen angeordnet?

Polizeiinspektor. Genau was Sie befahlen; ich schickte den Polizeidiener Pugowízyn mit Polizisten ab, um das Trottoir zu fegen.

Polizeimeister. Und wo ist Djerschimórda?

Polizeiinspektor. Djerschimórda mußte nach der Feuerspritze.

Polizeimeister. Und Prochóroff ist besoffen!

Polizeiinspektor. Zu Befehl, besoffen.

Polizeimeister. Wie konnten Sie das geschehen lassen?

Polizeiinspektor. Das weiß Gott! Gestern gab’s vor der Stadt Prügelei — er ritt hinaus, um Ruhe zu schaffen und kam besoffen zurück.

Polizeimeister. Hören Sie jetzt, was Sie zu tun haben: der Wachtmeister, groß und stämmig, wie er ist, soll auf der Brücke Posto fassen und auf Ordnung halten. Lassen Sie den alten Zaun neben dem Schuhmacher abfegen und ein paar Strohwische draufstecken, damit’s so aussieht, als ob dort planiert werden soll; je mehr Rudera, desto mehr glaubt man an den Eifer der Stadtverwaltung. Mein Gott, ich vergaß ja, daß man grade neben diesem Zaun an die vierzig Fuhren Dreck abgeladen hat! O diese schweinische Stadt! Kaum stellt man irgendwo ein Denkmal oder auch nur einen Zaun auf, gleich schleppen sie einem dort, der Teufel weiß woher, sämtlichen Unrat zusammen! Ja — und wenn der Revisor unsere Leute fragen sollte, ob sie zufrieden sind mit ihrem Dienst, daß mir die Kerle gehörig antworten: „Vollkommen zufrieden, Exzellenz!“ Wer sich anders untersteht, dem will ich später schon seine Mißvergnügtheit anstreichen. (Seufzt.) Ach, ach, ach! Ich armer geschlagener Sünder! (Ergreift statt der Mütze die Hutschachtel.) Gebe nur Gott, daß alles gnädig vorübergehe, dann will ich auch eine Wachskerze weihen, so groß, wie sie noch nie ein Mensch geopfert hat: jede Bestie von Krämer soll mir dazu drei Zentner Wachs herschaffen. O Gott, o Gott! Vorwärts, Dóbtschinski (will statt der Mütze die Hutschachtel aufsetzen.)

Polizeiinspektor. Antón Antónowitsch, das ist ja die Pappschachtel und nicht die Mütze.

Polizeimeister (wirft die Schachtel an die Erde). Zum Teufel mit der Pappschachtel! Und wenn gefragt wird: warum ist die Kirche am Hospital nicht gebaut, für die schon vor fünf Jahren die Baugelder angewiesen wurden, dann hat’s ordnungsgemäß zu heißen: sie war schon im Bau, ist aber wieder abgebrannt. Ich habe seinerzeit darüber Rapport erstattet. Daß mir keiner in seiner Dummheit herausplappert, daß sie überhaupt nicht angefangen wurde. Auch muß Djerschimórda eingeschärft werden, daß er mit seinen Fäusten nicht allzu derb dreinpfeffert; bei seinem Ruheschaffen haut er jedem Schuldigen wie Unschuldigen das Feuer aus den Augen. Fahren wir jetzt, Dóbtschinski. (Geht und kommt noch einmal zurück.) Daß man mir auch keinen Soldaten halbnackt auf die Straße läßt; diese Lottergarnison läuft immer nur in Hemd und Uniform herum, und weiter unterwärts ist nichts da. (Alle ab.)

6. Szene

Anna Andréjewna und Márja Antónowna kommen hereingelaufen.

Anna. Wo, wo sind sie? Ach mein Gott! ... (öffnet die Tür.) Mann! Anton! Liebster Anton! (Hastig.) Immer du, immer deinetwegen! Diese ewige Trödelei: „Noch eine Stecknadel, noch ein Lätzchen.“ (Läuft zum Fenster und ruft.) Anton, wohin? Wie? Ist er angekommen? Der Revisor? Mit Schnurrbart? Schönem Schnurrbart?

Stimme des Polizeimeisters. Nachher, nachher meine Liebe!

Anna. Nachher? Was soll mir nachher! Ich will nicht nachher! ... Nur ein Wörtchen: ist’s ein Oberst? Wie? (Fassungslos) Fort ist er! Das will ich dir gedenken. Ewig dies: „Ach Mamachen, nur noch ein Augenblickchen, nur noch das Lätzchen feststecken, gleich bin ich fertig.“ Da hast du dein gleich! Nichts und nichts erfahren! Alles wegen dieser verwünschten Koketterie; bloß hören, daß der Herr Postmeister da ist, und husch vor den Spiegel und sich erst gehörig zieren und sich hier herumdrehen und da herumdrehen, ob man auch hübsch genug ist. Bildet sich ein, daß er ihr die Cour schneidet! Grimassen schneidet er dir, sobald du dich nur umdrehst.

Márja. Aber, was ist denn da nun zu machen, Mamachen? Es ist doch egal, binnen zwei Stunden wissen wir ja alles.

Anna. Zwei Stunden? Bedanke mich schönstens! Auf die Antwort durfte ich ja gefaßt sein; sag doch gleich: in vier Wochen, da wissen wir’s ja noch bestimmter! (Beugt sich zum Fenster hinaus.) He, Awdótja! Wie? — Awdótja, hast du’s gehört, wer da angekommen ist? ... Nicht gehört? Dumme Gans! — Er winkt mit der Hand? Laß ihn winken, hast du ihn wenigstens gefragt? Nicht verstanden? Natürlich, immer verliebten Kram im Kopf! — Wie? Gerade abgefahren! Hätt’st nachrennen sollen! Lauf, lauf rasch! Hörst du, geschwind und frag, wohin sie gefahren sind, aber genau fragen, wer er ist, wie er aussieht — hörst du? Guck durch die Türritze und schau gut nach, auch was er für Augen hat, schwarze oder blaue, und in einer Minute bist du wieder hier, verstanden?! Schnell, schnell, schnell! (Ruft so lange, bis der niedergehende Vorhang die beiden am Fenster stehenden Frauen den Blicken entzieht.)

(Ende des ersten Aufzuges).

Zweiter Aufzug

Kleines Zimmer im Gasthause, ein Bett, Tisch, Handkoffer, eine leere Flasche, Stiefel, Kleiderbürste und dergleichen.

1. Szene

Ossip, liegt auf seines Herrn Bett.

Ossip. Hol’s der Schinder, so’n gemeiner Hunger, und im Magen ein Rumor, als ob da ’n ganzes Regiment ’rumtrompetet. Und kein Fortkommen, nich mal nach Hause. Was soll nu geschehen! Zwei geschlagene Monat weg von Petersburg! Verplempert auf der Reise sein Geld, mein sauberes Herrchen, und jetzt sitzt er da, klemmt den Schwanz ein und macht kusch. Und ’s hätt’ doch schön gereicht auf die Reise; aber nee, siehste, da muß überall Staat gemacht werden. (Äfft ihn nach.) „He, Ossip, lauf, nimm mir das beste Zimmer und bestell mir das feinste Essen, einen gewöhnlichen Mansch kann ich nicht genießen, ich brauche das feinste Essen.“ Ein einfacher tüchtiger Happen hätt’ auch gelangt, aber so’n Leckermaul muß immer was extra’s haben. Sich mit Reisenden einlassen und Karten spielen — na und dann gehörig reingelegt werden! Eh, die Zucht hab’ ich satt! Da is es doch auf ’m Dorf noch immer besser: freilich, so’n Stadtgetue gibt’s da nu mal nich, aber auch weniger Schererei: man nimmt sich ’n Weib, liegt immerzu auf der Ofenbank, und läßt sich die Klöße schmecken. Nu, ’s wird ja keiner abstreiten, und wenn man’s bei Lichte besieht, hat man’s wohl in Petersburg doch am besten. Man bloß Geld in der Tasche, dann aber auch ’n pikfeines politisches Leben; Tehater, tanzende Hunde, alles, was das Herz begehrt. Reden tun sie so delikat, als ob alles adlig wär’. Geht man auf den Markt, schrein die Kaufleute: „Gnädigster Herr!“ Man steigt in ’ne Fähre, gleich sitzt neben einem ’n Beamter. Braucht man Unterhaltung, dann nur in den ersten besten Laden rein: da erzählt so’n feiner Gardekavalier Schnurren aus ’m Lagerleben und erklärt einem alle Sterne am Himmel, daß man’s wie auf der flachen Hand hat. Eine schrumplige Offiziersfrau fängt an zu spektakeln; ’n andermal blinzt einem so’n Kammerzöfchen zu ... pst, pst! (Schüttelt lächelnd den Kopf.) Der Teufel hol die verliebte Wirtschaft! — Nie kriegt man Grobheiten zu hören, alles sagt „Sie“ zu einem. Hat man’s Laufen satt, nimmt man sich ’ne Droschke, setzt sich rein wie ’n feiner Herr, und wenn man nicht zahlen mag — keine Sorge; jedes Haus hat so’n Hinterpförtchen, da witscht man durch und kein Teufel find’t einen. Bloß eins is schlecht: einmal ißt man sich plumpsatt, ’s andere Mal könnt’ man vor Hunger zerspringen, wie zum Beispiel jetzt. Aber daran is er allein schuld. Was soll man mit ihm machen? Papachen schickt Geld und denkt, man wird sparen — i wohin! ... Rumtreiben tut er sich, fährt immerzu Droschke, jeden Tag hol’ ihm ein Tehaterbillett, aber nach acht Tagen, hast du nicht gesehn, da muß ich ihm schon den neuen Frack zum Trödler tragen. Manchmal is er bis aufs letzte Hemd ausgeplündert, daß ihm nur ’n schäbiges Röckchen und ’n alter Mantel übrig bleibt, wahr und wahrhaftig! Und so’n feines Tuch, londonisches! Ein einziger Frack kost’t ihm 150 Rubel, und für 20 schlägt er ’n los; von den Hosen erst gar nich zu reden, die gibt er umsonst zu! Und warum? Darum, weil er nichts tut: statt zu arbeiten, fährt er spazieren auf’m Proschpekt und spielt Karten. Hä, wenn das der Alte wüßte? Der möcht’ sich nich drum kümmern, daß du’n Beamter bist, sondern möcht dir’s Hemd hochnehmen und ’n paar überziehen, daß du dich vier Tage lang jucken könntest. Hast du ’n Dienst, dann dien’ auch. Da kommt nu der Wirt und sagt: erst gezahlt, und hernach kriegt ihr zu essen; nu, und wenn wir nich zahlen? (Seufzend.) Grundgütiger Gott, und wenn’s auch bloß ’ne Kohlsuppe wär’! Ich möcht’ wetten, die ganze Welt hat längst gegessen. — ’s rappelt, gewiß is er’s. (Rafft sich vom Bett auf.)

2. Szene

Ossip. Chlestakóff.

Chlestakóff. Da, nimm das. (Reicht ihm Hut und Spazierstock.) Wieder auf meinem Bett gewälzt?

Ossip. Ich und auf’m Bett? Nich mal angesehn hab’ ich’s.

Chlestakóff. Du lügst! Doch hast du’s getan! Sieh doch hin, wie’s zerwühlt ist!

Ossip. Was hab’ ich vom Bett? Weiß ich überhaupt, was ’n Bett is? Ich hab’ ja Beine zum Stehen. Was geht mich Ihr Bett an?

Chlestakóff (auf- und abgehend). Schau mal nach, ob noch Tabak im Beutel ist.

Ossip. Wo soll er denn herkommen, der Tabak? Sie haben ja schon vorgestern den letzten aufgeraucht.

Chlestakóff (auf- und abgehend und immerfort die Lippen aufeinander pressend, endlich sehr laut und energisch). Hör mal, Ossip!

Ossip. Was befehlen?

Chlestakóff (laut, aber weniger energisch). Geh mal runter.

Ossip. Wohin?

Chlestakóff (viel leiser und zahmer, beinahe bittend). Hinunter ans Büfett ... Sag dort ... man möchte mir zu essen schicken.

Ossip. Ach nee, lieber nich.

Chlestakóff. Was unterstehst du dich, Schafskopf?

Ossip. Nu ja, ob ich nu geh’ oder nich, ’s wird ja doch nichts draus. Der Wirt hat gesagt, er gibt kein Essen mehr.

Chlestakóff. Nichts mehr geben will der Kerl? Die Unverschämtheit!

Ossip. Obendrein hat er gesagt: Ich geh’ zur Polizei! Dein Herr bezahlt seit zwei Wochen nich mehr. Und du und dein Herr, sagt er, seid Spitzbuben, und dein Herr is ’n Gauner.

Chlestakóff. Und du Rindvieh freust dich noch gar, mir das wiederzuerzählen!

Ossip. Weiter sagt er noch: „Da kommt solche Bande hergelaufen, nistet sich ein, macht Schulden, und hinterher kann man sie nich mal rausschmeißen. Ich“, sagt er, „ich werde aber nich spaßen, ich geh’ aufs Gericht und bring Euch ins Loch!“

Chlestakóff. Jetzt schweig, Dummkopf! Geh nur, geh, sag’s ihm. Dieser grobe Klotz!

Ossip. Am gescheit’sten, ich hol’ Ihnen gleich den Wirt selber herauf.

Chlestakóff. Was brauche ich den Wirt? Sag du es ihm alleine.

Ossip. Aber wirklich, Herr ...

Chlestakóff. Na, in des Teufels Namen, so geh und rufe den Wirt!

Ossip (ab).

3. Szene

Chlestakóff allein.

Chlestakóff. Greulichen Hunger hab’ ich! Ein bißchen spazieren gegangen; dachte, der Appetit wird vergehen — nein; im Gegenteil, hol’s der Satan! Hätte ich nur in Pénsa nicht so gelumpt; dann könnte es noch zur Heimreise langen. — Dieser Hauptmann hat mich gründlich ausgebeutelt: wie die Bestie die Volte schlagen konnte! Kaum ein paar Viertelstündchen gespielt — und ratzekahl geschoren. Trotz alledem hätte ich riesige Lust, noch einmal mit ihm loszugehen. Leider kann ich auf den Zufall kaum rechnen. — Was für ein ekelhaftes Nest das! In den Obstläden geben sie nichts auf Pump; es ist geradezu gemein! (Pfeift eine Melodie aus Robert dem Teufel, dann den roten Sarafan, endlich alles mögliche durcheinander.) Es scheint niemand kommen zu wollen.

4. Szene

Chlestakóff, Ossip und der Kellner.

Kellner. Der Wirt läßt fragen, was Sie wünschen?

Chlestakóff. Schönen guten Tag! Na, wie geht’s, Freundchen?

Kellner. Danke, ausgezeichnet.

Chlestakóff. Und wie steht’s in der Wirtschaft? Guter Zuspruch?

Kellner. Danke, alles nach Wunsch.

Chlestakóff. Viel Reisende?

Kellner. Danke, ausreichend.

Chlestakóff. Hör mal, mein Lieber, man hat mir bis jetzt das Essen nicht gebracht; sieh doch geschwind zu, daß sie sich beeilen — ich habe gleich nach Mittag ein dringendes Geschäft.

Kellner. Aber der Wirt hat gesagt, er borgt nicht länger; heute wollte er sogar schon zum Polizeimeister, um sich zu beschweren.

Chlestakóff. Weshalb beschweren? Aber Freundchen, das siehst du doch selber ein, essen muß ich doch; ich würde ja sonst verhungern. Ich habe wirklich starken Appetit — ganz im Ernst.

Kellner. Zu dienen. Er sagte aber: „Zu essen kriegt er nichts, bis er nicht seine vorige Zeche bezahlt hat.“ Wort für Wort.

Chlestakóff. Rede ihm doch zu, dir wird er’s nicht abschlagen.

Kellner. Wie soll ich ihm denn zureden?

Chlestakóff. Setze es ihm nur ganz ernsthaft auseinander, daß ich eben essen muß. Von Geld ein andermal ... So ein Bauer bildet sich ein, wenn ihm ein Tag fasten nichts schadet, könnten’s auch andere Leute vertragen! Unerhört!

(Kellner und Ossip ab.)

5. Szene

Chlestakóff allein.

Chlestakóff. Es wäre doch niederträchtig, wenn er mir nichts zu essen schickte. Einen Hunger hab’ ich, wie noch nie. — Ob man wohl die Garderobe versetzt? Vielleicht die Beinkleider? Nein, eher noch hungern, aber wenigstens im Petersburger Kostüm nach Haus kommen. Schade, daß mir der Jochim nicht die Karosse herleihen wollte; alle Wetter, das wäre doch ein Spaß gewesen, in so einer Staatskutsche heimzureisen und dann der lieben Nachbarschaft mit dem Ungetüm vor die Fenster zu rasseln, vorn Laternen, hinten Ossip in Livree. Ich kann mir’s ordentlich vorstellen, wie sie da alle aufgesprungen wären! „Was ist los? Wer kommt da?“ Und mein Lakai tritt herein: (Richtet sich stramm auf und ahmt den Lakeien nach.) „Iwán Alexándrowitsch Chlestakóff aus Petersburg, geruht die Herrschaft zu empfangen?“ Diese Tölpel, sie ahnen nicht mal, was da drin liegt: „empfangen!“ Kommt ihnen freilich so ein Hanswurst von Gutsbesitzer, der tappt natürlich wie ein ungeschlachter Bär direkt ins Zimmer. — Man nähert sich einer hübschen jungen Dame: „Ah, Gnädigste, wie bin ich ...“ (Reibt sich die Hände und scharrt mit den Füßen.) Tfu! (Spuckt aus.) Rein übel wird einem vor lauter Hunger!

6. Szene

Chlestakóff, Ossip, nachher der Kellner.

Chlestakóff. Nun?

Ossip. Das Essen kommt.

Chlestakóff (klatscht in die Hände und ist mit einem Satz auf dem Stuhl). Das Essen! Das Essen!

Kellner (mit Tellern und Serviette). Der Wirt will es noch ein letztes Mal geben.

Chlestakóff. Wirt hin, Wirt her, ich pfeife auf deinen Wirt! Was bringst du da?

Kellner. Suppe und Braten.

Chlestakóff. Was, bloß zwei Gerichte?

Kellner. Bloß zwei.

Chlestakóff. Schufterei! Ich nehme das nicht an. Sag ihm gefälligst, daß das eine Gemeinheit ist! ... Die paar Brocken!

Kellner. Im Gegenteil, der Wirt sagt, das wäre überreichlich.

Chlestakóff. Und warum keine Sauce?

Kellner. Sauce gibt’s nicht.

Chlestakóff. Wieso gibt’s nicht? Ich habe doch selber gesehen, wie ich bei der Küche vorbeiging, daß eine Masse davon bereitet wurde. Und im Gastzimmer heute morgen aßen zwei alberne Knirpse Lachs und andere schöne Sachen.

Kellner. O ja, da ist es schon, aber es gibt es nicht.

Chlestakóff. Wieso nicht?

Kellner. Gibt’s eben nicht.

Chlestakóff. Und Lachs und Fisch und Kotelettes?

Kellner. Ja, das gibt’s eben für die besseren Leute.

Chlestakóff. Ach, du Tropf!

Kellner. Zu dienen.

Chlestakóff. Ferkel, garstiges ... Warum essen die, und ich nicht? Soll ich das nicht können, zum Kuckuck? Sind das nicht ebenso gut Reisende wie ich?

Kellner. Oh, das weiß man schon, daß die anders sind.

Chlestakóff. Wieso anders?

Kellner. O ganz einfach: die bezahlen eben auch.

Chlestakóff. Mit dir Schafskopf mag ich nichts weiter zu schaffen haben. (Gießt sich Suppe ein und ißt.) Was ist denn das für Suppe? Reines Wasser hast du in die Terrine gegossen! Schmeckt nach gar nichts, riecht bloß. Ich mag diese Suppe nicht, bring mir eine andere.

Kellner. Dann nehmen wir sie zurück. Der Wirt sagte, wenn Sie sie nicht wünschten, brauchten sie auch keine.

Chlestakóff (hält abwehrend die Hand darüber). Nu, nu, nu ... weg, Dummkopf! Solche Manieren kannst du bei deinen Leuten anbringen: ich bin von anderem Schlage! Mit mir rate ich’s dir nicht ... (Ißt.) Gott, o Gott, was für eine Suppe! (Ißt weiter.) Ich glaube, kein Mensch auf der ganzen Welt hat jemals solche Suppe gegessen; statt Fettaugen schwimmen Federn darauf rum. (Schneidet ein Huhn an.) Gräßlich, so was nennt sich Huhn! Gib den Braten! Hier ist etwas Suppe übrig geblieben, nimm dir’s, Ossip. (Zerschneidet den Braten.) Das soll Braten sein? Das ist kein Braten.

Kellner. Was denn sonst?

Chlestakóff. Der Teufel mag wissen was, aber Braten ist’s nicht. Eine geschmorte Axt vielleicht, aber kein Rindfleisch. (Ißt.) Gauner, Kanaillen, damit wollen Sie einen füttern? Die Kinnladen zerschindet man sich, wenn man nur einen Bissen kaut. (Stochert mit den Fingern in den Zähnen.) Schufte! Die reine Baumrinde — man kriegt’s gar nicht wieder heraus; nur die Zähne werden einem schwarz davon; Halunken! (Wischt sich mit der Serviette den Mund.) Und weiter gibt’s nichts?

Kellner. Nein.

Chlestakóff. Kanaillen! Spitzbuben! Nicht mal einen Löffel Sauce oder Pasteten. Gauner! Ziehen den Reisenden nur das Fell über die Ohren.

Kellner (räumt zusammen und trägt mit Ossip die Teller hinaus).

7. Szene

Chlestakóff. Dann Ossip.

Chlestakóff. Absolut, als wenn ich nichts gegessen hätte; der Appetit ist nur noch stärker. Hätt’ ich wenigstens einen lumpigen Dreier, um mir vom Markt eine Semmel holen lassen zu können.

Ossip (tritt herein). Draußen ist da so was wie ’n Polizeimeister angekommen, der sich nach Ihnen erkundigt.

Chlestakóff (erschrocken). Da haben wir die Bescherung! Hat mich diese Bestie von Wirt doch schon verpetzt! Was nun, wenn er mich wirklich ins Loch steckt! In ein standesgemäßes Gewahrsam vielleicht ... Nein, nein, ich will nicht! Auf der Straße treiben sich viele Offiziere und Volks umher, und gerade vorhin erst habe ich ihnen den feinen Ton vorgemacht und mit einem Kaufmannstöchterchen angebandelt ... nein, ich will nicht ... Aber wie kommt er überhaupt dazu, was untersteht er sich denn eigentlich? Wofür hält er mich? Wohl gar für einen Krämer oder Handwerker? (Mut fassend und sich aufrichtend). Ich sag’s ihm aber direkt ins Gesicht: „Wie können Sie sich ...“ (Die Türklinke bewegt sich, Chlestakóff erbleicht und knickt zusammen).

8. Szene

Chlestakóff. Polizeimeister und Dóbtschinski.

(Polizeimeister tritt herein und bleibt stehen; beide betrachten einander mehrere Minuten mit weit aufgerissenen Augen).

Polizeimeister (rafft sich etwas zusammen und grüßt militärisch). Gehorsamster Diener!

Chlestakóff (sich verbeugend). Ganz ergebenster!

Polizeimeister. Verzeihen Sie!

Chlestakóff. Keine Ursache ...

Polizeimeister. Es ist meine Schuldigkeit als oberster Beamter dieser Stadt dafür Sorge zu tragen, daß die Herren Reisenden und Standespersonen keine Plackereien ...

Chlestakóff (anfangs stotternd, allmählich in sicherem Tone). Was soll man aber machen ...? Ich habe keine Schuld ... ich zahle bestimmt ... ich erwarte Geld von zu Hause. (Bóbtschinski schielt durch die Tür.) Er treibt’s ja noch schlimmer: schickt mir Rindfleisch, so zäh, wie’n Knüppel; und die Suppe — der Teufel weiß, was er da rein gemanscht hatte, ich mußte sie zum Fenster hinausgießen. Er hungert mich förmlich aus ... Und ein unglaublicher Tee, riecht nach Hering, aber nicht nach Tee. Und da sollte ich ... das fehlte gerade noch!

Polizeimeister (furchtsam). Verzeihen Sie, ich habe wahrhaftig keine Schuld. Wir haben sonst immer gutes Rindfleisch auf dem Markte — Kaufleute aus Cholmogór bringen es, nüchterne und brave Leute. Ich begreife nicht, wo er dergleichen her hat. Aber wenn man es hier woran fehlen lassen sollte ... Gestatten Sie mir, Ihnen den Vorschlag zu machen, in meiner Begleitung ein anderes Quartier zu beziehen.

Chlestakóff. Nein, das will ich nicht! Ich weiß wohl, was Sie mit dem andern Quartier meinen: das Gefängnis. Wie können Sie es wagen? ... Ich, ich ... ein Petersburger Beamter ... (stolz) Ich ... ich ... ich ...

Polizeimeister (beiseite). Barmherziger Gott, wie er aufgebracht ist; er hat alles erfahren, die verfluchten Kaufleute haben ihm alles hinterbracht!

Chlestakóff (noch kühner). Und wenn Sie mit Ihrer ganzen Truppe anrücken, ich gehe nicht! Ich wende mich direkt an den Minister! (Schlägt mit der Faust auf den Tisch.) Wer sind Sie denn? Wer sind Sie denn?

Polizeimeister (sich windend und am ganzen Leib zitternd). Erbarmen Sie sich. Verderben Sie mich nicht! Mein Weib, meine unmündigen Kinder ... machen Sie mich nicht unglücklich!

Chlestakóff. Nein, ich tu’s dennoch nicht! Das wäre ja noch schöner! Was geht das mich an? Weil Sie Weib und unmündige Kinder haben, soll ich ins Gefängnis? Vorzüglich! (Bóbtschinski steckt den Kopf durch die Tür und zieht ihn erschrocken zurück.) Nein, danke verbindlichst, ich will nicht!

Polizeimeister (zitternd). Nur Unerfahrenheit, nichts wie Unerfahrenheit! Unzureichende Pflichterfüllung. Urteilen Sie selbst, das Diensteinkommen langt kaum für Tee und Zucker. Gelegentliche kleine Douceurs sind doch nur eine Bagatelle: Kleinigkeiten für den Hausstand, oder ein paar Anzüge. Was die Unteroffizierswitwe betrifft, die sich mit Hausierhandel befaßte, und die ich soll haben durchpeitschen lassen, so ist das nichts wie Verleumdung, bei Gott, Verleumdung; das haben meine Feinde ersonnen, niederträchtiges Volk, das mir nach dem Leben trachten möchte.

Chlestakóff. Ja aber, ich habe doch nichts mit denen zu schaffen ... (Überlegend.) Ich verstehe überhaupt nicht, was Sie da von Bösewichtern und einer Unteroffizierswitwe reden ... Das mit dieser Unteroffizierswitwe ist eine Sache für sich — mich aber werden Sie nicht auspeitschen dürfen, so hoch stehen Sie nicht ... Seh doch einer den Herrn! ... Zahlen werde ich, aber augenblicklich habe ich kein Geld. Darum sitze ich ja hier fest, weil ich keinen Kopeken habe.

Polizeimeister (beiseite). Wie schlau eingefädelt! Welch feines Versteckspiel! Wie er sich verstellt! Errate das, wer kann! Ich sehe nicht mehr, wie ihm beizukommen ist. Immerhin versuchen, geht’s nicht, dann komme was will, probiert aber muß es werden. (Laut.) Sollten Sie aber Geld oder sonst etwas nötig haben, dann stehe ich augenblicklich zu Diensten. Es ist meine Pflicht, den Herren Reisenden beizuspringen.

Chlestakóff. Ach ja, leihen Sie mir welches. Ich befriedige dann sofort den Wirt. Zweihundert Rubel genügen mir, auch weniger.

Polizeimeister (die Brieftasche ziehend). Genau zweihundert Rubel, bitte bemühen Sie sich nicht erst nachzuzählen.

Chlestakóff (nimmt das Geld). Danke verbindlichst! Ich schicke es Ihnen postwendend von Hause zurück ... mir war ganz zufällig ... Ich sehe, Sie sind ein anständiger Mensch. Jetzt sieht die Sache wesentlich anders aus.

Polizeimeister (beiseite). Gott sei Dank, er nimmt! Nun wird’s wohl glatter gehen. Statt 200 habe ich ihm 400 angedreht!

Chlestakóff. He, Ossip! (Ossip tritt ein.) Ruf den Kellner her! (Zum Polizeimeister und Dóbtschinski.) Aber warum stehen Sie denn, bitte, setzen Sie sich! (Zu Dóbtschinski.) Aber so nehmen Sie doch Platz, ich bitte recht sehr!

Polizeimeister. Keine Ursache, wir können ebenso gut stehen.

Chlestakóff. So machen Sie mir doch das Vergnügen und setzen Sie sich! Jetzt erkenne ich erst vollkommen die Lauterkeit und Güte Ihres Charakters; aber wahrhaftig, ich hatte anfänglich gemeint, Sie kämen um mich ... (Zu Dóbtschinski.) So setzen Sie sich doch! (Polizeimeister und Dóbtschinski setzen sich; Bóbtschinski schielt durch die Tür und horcht.)

Polizeimeister (beiseite). Man muß dreister vorgehen. Er wünscht, daß man sein Inkognito respektiert. Schön, spielen wir die Komödie mit, tun wir, als ob wir nicht wüßten, wen wir vor uns haben. (Laut.) In Ausübung meiner Pflichten hatte ich hier mit Herrn Pjotr Iwánowitsch Dóbtschinski, Hausbesitzer hiesiger Stadt, den Gasthof betreten, um mich zu überzeugen, ob die Herren Reisenden gut verpflegt werden; denn ich bin total anders als sonstige Amtskollegen, die sich um dergleichen gar nicht kümmern; ich dagegen wünsche, ganz abgesehen von meiner Pflicht, schon aus christlicher Nächstenliebe, daß ein jeder hier eine gute Aufnahme findet — und so verdanke ich der Gunst des Zufalls diese willkommene Bekanntschaft.

Chlestakóff. Auch ich bin sehr erfreut. Ohne Sie hätte ich wahrhaftig lange hier sitzen können; ich wußte nicht mehr, womit ich bezahlen sollte.

Polizeimeister (beiseite). I rede du nur zu! Wußte nicht, womit bezahlen! (Laut.) Ist es erlaubt, zu fragen, wohin Sie zu reisen gedenken?

Chlestakóff. Ich reise ins Gouvernement Sarátow, auf mein Familiengut.

Polizeimeister (beiseite mit ironischem Lächeln). Ah? und errötet nicht einmal! Oh, bei dem muß man die Ohren steif halten! (Laut.) Ein höchst anerkennenswertes Vorhaben! Abgesehen vom Zustand der Fahrwege bereitet das Reisen zwar manche Ungelegenheiten durch öfteren Mangel an Postpferden, dafür aber auf der anderen Seite auch viel schöne Zerstreuung. Sie reisen vermutlich nur zum Vergnügen!

Chlestakóff. Nein, Papa will mich haben. Der Alte ist verdrießlich, daß ich es in Petersburg noch nicht weiter gebracht habe. Er bildet sich ein, daß man nur dort hinzukommen braucht, um sofort den Wladímir ins Knopfloch zu bekommen. Ich gönnte es ihm, sich selber mal in so einer Kanzlei herumzuschlagen.

Polizeimeister (beiseite). Hat man jemals solche Aufschneiderei erlebt? Sogar einen Papa hat er bei der Hand! (Laut.) Gedenken Sie, dort lange zu verweilen?

Chlestakóff. Ich weiß selbst noch nicht. Sehn Sie, mein Vater ist eigensinnig, ein alter Querkopf, hart wie ein Stock. Ich werde ihm aber kurz und bündig sagen: wie du wünschst, aber ohne Petersburg kann ich nicht leben. Warum soll ich denn durchaus mitten unter den Bauern verkommen! Danach steht mir jetzt nicht der Gaumen, meine Seele dürstet nach Licht.

Polizeimeister (beiseite). Unglaublich, wie dick der aufträgt! Eine Lüge nach der andern, und verhaspelt sich nicht mal! Und dabei ein so schmächtiges Bürschchen, daß man ihn mit dem kleinen Finger plattdrücken könnte. Na, warte nur! Du sollst mir schon noch Reden führen! (Laut.) Sehr richtig bemerkt. Was soll man in so einem Winkel auch anstellen? Da lobe ich mir wenigstens ein Städtchen wie das unsre: nachts kein Auge zu, man plagt sich für sein Vaterland, gönnt sich keinerlei Schonung, ohne die leiseste Hoffnung, künftig einmal Dank dafür zu ernten. (Blickt im Zimmer umher.) Dieses Zimmer scheint etwas feucht?

Chlestakóff. Schauderhaftes Zimmer, und Wanzen, wie ich sie noch nie erlebt habe: beißen wie die Hunde.

Polizeimeister. Nicht möglich! Ein so erlauchter Gast und derartig unerhörten Martern ausgesetzt? Seitens fluchwürdiger Wanzen, die es überhaupt auf der Welt nicht zu geben brauchte! Und wie dunkel es in diesem Zimmer ist!

Chlestakóff. Ja, vollkommen dunkel. Der Wirt hat die Angewohnheit, keine Kerzen herzugeben. Man will mal was arbeiten, lesen oder einen poetischen Gedanken zu Papier bringen — unmöglich: Nacht, schwarze Nacht.

Polizeimeister. Dürfte ich mich erkühnen, Ihnen eine Bitte vorzutragen ... doch nein, ich bin dessen nicht würdig.

Chlestakóff. Was ist’s denn?

Polizeimeister. Nein, nein, ich bin nicht würdig, bin nicht würdig!

Chlestakóff. Na, heraus damit, was ist’s?

Polizeimeister. Ich wollte mich erkühnen ... Ich habe in meinem Hause ein für Sie vorzüglich geeignetes Zimmer, hell, ruhig .... doch nein, ich fühle es selbst, es wäre der Ehre zu viel für mich, zürnen Sie mir nicht, ich schlug das lediglich in aller Herzenseinfalt vor.

Chlestakóff. Ganz im Gegenteil, bitte sehr, ich nehme es mit größtem Vergnügen an. In einem Privathaus fühle ich mich bei weitem behaglicher als in dieser Schankbude.

Polizeimeister. Ich bin hoch entzückt! Und wie wird sich erst meine Frau freuen! Dahin geht nun einmal der Zug meines Charakters: schlichte, aber herzliche Gastfreundschaft, vorzüglich gegen erlauchte Personen. Seien Sie überzeugt, daß dahinter keine Art von Schmeichelei verborgen ist; nein, von derartigen Lastern bin ich frei, ich spreche aus vollem Herzen.

Chlestakóff. Verbindlichsten Dank! Auch ich hasse die doppelzüngigen Menschen. Ihre Aufrichtigkeit und Ihr Freimut berühren mich äußerst sympathisch und ich verlange, um es offen zu bekennen, nichts weiter als Ergebenheit und Hochachtung, Hochachtung und Ergebenheit.

9. Szene

Die Vorigen und der Kellner, von Ossip geleitet. Bóbtschinski guckt zur Tür herein.

Kellner. Sie geruhten mich rufen zu lassen?

Chlestakóff. Ja, bring mir die Rechnung.

Kellner. Ich habe sie Ihnen aber doch erst vor kurzem überreicht.

Chlestakóff. Was weiß ich von deinen dummen Rechnungen. Wieviel macht’s?

Kellner. Am ersten Tage geruhten Sie ein Diner einzunehmen, am zweiten Tage aßen Sie bloß Lachs — und von da an ließen Sie alles auf Rechnung gehen.

Chlestakóff. Schafskopf! Muß das noch einmal vorrechnen! Was macht’s im Ganzen?

Polizeimeister. Bitte machen Sie sich doch keine Umstände: der Kerl kann warten. (zum Kellner.) Scheer dich hinaus, man wird’s schicken!

Chlestakóff. In der Tat, das ist das vernünftigste. (Steckt das Geld wieder ein; der Kellner ab; Bóbtschinski schielt durch die Tür.)

10. Szene

Polizeimeister. Chlestakóff. Dóbtschinski.

Polizeimeister. Würden Sie jetzt vielleicht geneigt sein, einige unserer städtischen Anstalten zu besichtigen, etwa die Hospitäler und anderes?

Chlestakóff. Was gibt’s denn da zu sehen?

Polizeimeister. Nun, Sie könnten da zum Beispiel einen Einblick gewinnen in die Art unserer Verwaltung ... die Reinlichkeit ...

Chlestakóff. Mit dem größten Vergnügen, bin gern bereit. (Bóbtschinski steckt den Kopf durch die Tür.)

Polizeimeister. Und von dort könnte man sich, wenn Sie es wünschen sollten, zur Kreisschule begeben, um die Ordnung, in der sich der Unterricht vollzieht, in Augenschein zu nehmen.

Chlestakóff. Schön, schön.

Polizeimeister. Dann, falls Sie das Gefängnis und die städtischen Arrestlokale zu besuchen wünschten — könnten Sie sich überzeugen, wie bei uns die Verbrecher gehalten werden.

Chlestakóff. Gefängnis? — ach wozu? Sehen wir uns dann doch lieber die Hospitäler an.

Polizeimeister. Ganz wie Sie wünschen. Befehlen Sie Ihre eigene Equipage oder nehmen Sie mit meinem bescheidenen Wagen vorlieb?

Chlestakóff. Na, ich fahre dann schon besser mit Ihnen zusammen.

Polizeimeister (zu Dóbtschinski). Pjótr Iwánowitsch, nun habe ich für Sie keinen Platz.

Dóbtschinski. O bitte, hat nichts zu sagen!

Polizeimeister (leise zu Dóbtschinski). Hören Sie, laufen Sie, aber was Ihre Beine laufen können, und bestellen Sie mir zwei Billetts, eins an Semljaníka ins Hospital, das andere meiner Frau. (Zu Chlestakóff.) Darf ich Sie um die Erlaubnis bitten, in Ihrer Gegenwart eine Zeile an meine Frau zu richten, damit sie sich zur Aufnahme eines so geschätzten Gastes vorbereiten kann?

Chlestakóff. Aber weshalb denn? ... Übrigens Tinte ist vorhanden, nur weiß ich nicht, ob Papier ... Vielleicht auf dieser Rechnung?

Polizeimeister. Genügt vollkommen! (Schreibt und spricht während dieser Zeit vor sich hin.) Nun wollen wir doch einmal sehen, wie die Sache nach dem Frühstück und ein paar tüchtigen Flaschen in Gang kommen wird. Wir haben da so einen hiesigen Madeira, äußerlich ganz harmlos, aber kräftig, um einen Elefanten umzuwerfen. Wenn ich nur herausbekäme, was er ist und von welcher Seite man sich vor ihm in acht nehmen muß. (Übergibt das Papier Dóbtschinski: dieser wendet sich zur Türe, aber im selben Augenblick bricht diese aus den Angeln und fliegt zusammen mit dem dahinter horchenden Bóbtschinski auf die Szene. Alle stoßen einen Ruf der Überraschung aus. Bóbtschinski erhebt sich.)

Chlestakóff. Oh, haben Sie sich verletzt?

Bóbtschinski. Durchaus nicht, durchaus nicht, habe fast nichts abbekommen, nur über der Nase eine unbedeutende Schramme. Ich laufe gleich zum Doktor Hübner; er hat ein großartiges Pflaster, da heilt’s geschwind.

Polizeimeister (macht Bóbtschinski ein Zeichen des Vorwurfs; zu Chlestakóff). Das hat gar nichts auf sich. Bitte untertänigst voranzugehen. Ich werde Ihren Diener bescheiden, daß er den Koffer hinüberbringt. (Zu Ossip.) Mein Freundchen, trage das alles zu mir herüber, zum Polizeimeister, jeder kann dich hinweisen. Bitte untertänigst! (Läßt Chlestakóff den Vortritt und folgt ihm; im Hinausgehen dreht er sich noch einmal um und sagt in vorwurfsvollem Ton zu Bóbtschinski.) Sie sind mir auch der Rechte! Konnten sich keinen besseren Ort zum Hinpflanzen aussuchen! Und auf allen vieren wie — weiß der Teufel wie! (Ab. Bóbtschinski hinterher. Der Vorhang fällt.)

(Ende des zweiten Aufzuges.)

Dritter Aufzug

Dasselbe Zimmer wie im ersten Aufzug

1. Szene

Anna Andréjewna und Márja Antónowna am Fenster in der gleichen Haltung wie am Schluß des ersten Aufzuges.

Anna Andréjewna. Da lauern wir nun schon eine geschlagene Stunde, und alles nur wegen deiner albernen Ziererei: war deine Toilette nicht längst fertig — aber nein, da muß immer noch getrödelt werden ... Noch nichts von ihr zu hören. Rein zum Verdrießen! Nirgends eine Seele, wie auf Verabredung! Als wenn alles ausgestorben wäre!

Márja Antónowna. Aber wirklich, Mama, in zwei Minuten erfahren wir alles. Awdótja muß gleich wiederkommen. (Blickt aus dem Fenster und ruft aus.) Ach Mama, Mama, da kommt jemand, da, am Ende der Straße.

Anna Andréjewna. Wo, wo? — Was du auch ewig phantasierst! — Nun ja doch, es kommt jemand. Wer mag das sein? Untersetzt ... im Frack ... Wer ist das? Wer? Man könnte umkommen vor Ärger! Wer ist es denn nun?

Márja Antónowna. Dóbtschinski ist’s, Mamachen!

Anna Andréjewna. Ach was, Dóbtschinski! Immer diese Einbildungen! Nicht entfernt Dóbtschinski. (Winkt mit dem Taschentuch.) Heda Sie, hierher, rasch!

Márja Antónowna. Ganz gewiß, Mama, Dóbtschinski!

Anna Andréjewna. Nur um widersprechen zu können. Du hast gehört, es ist nicht Dóbtschinski!

Márja Antónowna. Na und nun, Mama? Siehst du, es ist doch Dóbtschinski.

Anna Andréjewna. Nun ja doch, Dóbtschinski, jetzt seh ich’s auch; warum streitest du denn? (Ruft aus dem Fenster.) Schnell, schnell, sputen Sie sich doch! Wie steht’s, wo sind sie? Wie? Antworten Sie doch gleich von da, ganz egal! Na, wohl sehr streng? Wie? Und mein Mann, mein Mann? (Ärgerlich vom Fenster zurücktretend.) Tölpel der, wird nichts reden, bis er nicht mitten im Zimmer steht!

2. Szene

Die Vorigen. Dóbtschinski.

Anna Andréjewna. Nun, so reden Sie doch gefälligst, haben Sie denn kein Gewissen? Auf Sie allein habe ich mich verlassen wie auf einen ordentlichen Menschen; alle liefen sie davon und Sie hinterher! Bis diesen Augenblick kann ich von keiner Seele etwas herausbekommen. Schämen Sie sich denn gar nicht? Habe ich nicht Ihren Wánitschka und Ihre Lísotschka aus der Taufe gehoben? Und so behandeln Sie mich?

Dóbtschinski. Mein Gott, Frau Gevatterin, ich bin so gerannt, um Ihnen gefällig zu sein, daß mir alle Luft ausgegangen ist. Ergebenster Diener, Márja Antónowna!

Márja Antónowna. Guten Tag, Pjotr Iwánowitsch!

Anna Andréjewna. Nun rasch, so reden Sie doch, wie und was geht drüben vor?

Dóbtschinski. Antón Antónowitsch schickt Ihnen dieses Billett.

Anna Andréjewna. Nun und er? Natürlich ein General?

Dóbtschinski. Nein, General nicht, aber zum mindesten soviel wie General. Eine Bildung und ein Auftreten!

Anna Andréjewna. Ah, also derselbe, von dem meinem Mann geschrieben wurde?

Dóbtschinski. Eben derselbe! Ich und Bóbtschinski haben das zuallererst entdeckt.

Anna Andréjewna. Weiter, weiter, was geschah weiter?

Dóbtschinski. Gott sei gelobt, alles steht gut. Zuerst geruhte er Antón Antónowitsch etwas hart anzulassen, ja, er wurde sehr heftig und sagte: im Gasthofe wäre alles miserabel, und er würde sich nicht seinetwegen ins Gefängnis sperren lassen; nachher aber, wie er sah, daß Antón Antónowitsch unschuldig waren, und beide sich kurzer Hand verständigt hatten, da setzte er gleich eine andere Miene auf — und Gott sei Dank, alles lief gut ab. Jetzt sind sie ausgefahren, um das Hospital zu besichtigen ... aber wahrhaftig, Antón Antónowitsch schienen bereits befürchtet zu haben, daß man ihn denunziert hätte. Ich selber bekam es so ein bißchen mit der Angst.

Anna Andréjewna. Wovor haben Sie sich denn zu fürchten? Sie sind doch kein Beamter!

Dóbtschinski. Na immerhin, wissen Sie, wenn so ein Vorgesetzter spricht, fährt’s einem doch in die Glieder.

Anna Andréjewna. Ach gehen Sie ... das ist ja dummes Zeug. Nun, und wie sieht er aus? Alt, jung?

Dóbtschinski. Jung, noch ein ganz junger Mann, so an dreiundzwanzig; aber reden tut er wie ein alter. „Sehn Sie“, sagt er, „ich reise da und dahin“ ... (Gestikulierend.) Alles so überlegen. „Ich schreibe auch“, meint er, „und lese auch dann und wann, aber die Dunkelheit im Zimmer behindert mich etwas.“

Anna Andréjewna. Und im Äußeren — brünett oder blond?

Dóbtschinski. Nein, mehr aschblond, und Augen so scharf wie ein Luchs, um das Zittern zu kriegen.

Anna Andréjewna. Was schreibt er mir denn da auf dem Zettel (liest): „Ich eile, mein Herz, dich wissen zu lassen, daß meine Lage sehr kritisch war; doch im Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit für zwei gesalzene Gurken apart und eine halbe Portion Kaviar ein Rubel fünfundzwanzig Kopeken ...“ (Innehaltend.) Das verstehe ich nicht, was sollen hier gesalzene Gurken und Kaviar?

Dóbtschinski. Ach, Antón Antónowitsch benutzten in der Eile ein beschriebenes Papier; da stand so eine Rechnung drauf.

Anna Andréjewna. Ach ja, richtig: (liest weiter) „doch im Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit darf ich auf einen glücklichen Ausgang hoffen. Laß schnell ein Zimmer für den illustren Gast einrichten, das mit den gelben Tapeten; für Mittag brauchst du nicht zu sorgen, wir speisen im Hospital bei Artémij Filíppowitsch; nur Wein laß recht viel kommen; sag dem Kaufmann Awdúljin, er soll vom besten hergeben, sonst schlage ich ihm seine ganze Bude kurz und klein. Mit Handkuß, mein Herz, verbleibe ich dein Antón Skwósnik-Dmuchánowski.“ Ach mein Gott! Jetzt heißt’s aber eilen! He, niemand da? Míschka!

Dóbtschinski (läuft und ruft durch die Tür). Míschka! Míschka! Míschka! (Míschka kommt herein.)

Anna Andréjewna. Hör mal, lauf zum Kaufmann Awdúljin ... warte, ich gebe dir einen Zettel (setzt sich an den Tisch, schreibt und spricht währenddem). Diesen Zettel gibst du dem Kutscher Sídor, er soll zum Kaufmann Awdúljin rennen und Wein holen. Und geh gleich und bring mir dies Zimmer hübsch in Ordnung für einen Gast. Stell ein Bett auf, einen Waschtisch und so weiter.

Dóbtschinski. Und ich, Anna Andréjewna, will hinlaufen und zusehn, wie er inspiziert.

Anna Andréjewna. Gehn Sie, gehn Sie, ich halte Sie nicht.

3. Szene

Anna Andréjewna und Márja Antónowna.

Anna Andréjewna. Nun, Máscha, jetzt müssen wir an unsere Toilette denken. Er ist ein Residenzler: Gott bewahre uns davor, von ihm irgendwie belächelt zu werden. Du solltest am besten dein blaues Kleid mit den schmalen Volants anziehen.

Márja Antónowna. Fi, Mama, das blaue! Das kann ich nicht leiden: die Ljápkin-Tjápkin geht schon in einem blauen und Fräulein Semljaníka geht auch in einem blauen. Nein, ich ziehe lieber das geblümte an.

Anna Andréjewna. Das geblümte! ... wirklich, du sprichst nur um zu widersprechen. Das andere stünde dir viel besser, weil ich mein strohfarbenes anziehen will; ich schwärme für das strohfarbene.

Márja Antónowna. Aber Mama, das strohfarbene steht dir ja gar nicht!

Anna Andréjewna. Mir nicht stehn?

Márja Antónowna. Nein, es steht dir nicht, ich wette was du willst, es steht dir nicht; dafür muß man dunkle Augen haben.

Anna Andréjewna. Nun wird’s reizend! Ich und keine dunklen Augen? Die dunkelsten von der Welt! Was schwatzt du für einen Unsinn! Wieso nicht dunkel, wenn doch beim Kartenlegen für mich immer Treffdame herauskommt?

Márja Antónowna. Ach Mamachen, viel öfter doch Coeurdame!

Anna Andréjewna. Possen! Nichts als Possen! Ich war nie Coeurdame! (Verläßt mit Márja Antónowna in Eile das Zimmer und spricht noch hinter der Szene.) Was das für Phantasien sind, Coeurdame! Soll der Himmel wissen, was das ist! (Nach ihrem Abgang öffnet sich die seitliche Tür und Míschka wirft einen Haufen Kehricht heraus. Durch die andere Tür tritt, einen Handkoffer auf dem Kopfe, Ossip herein.)

4. Szene

Míschka und Ossip.

Ossip. Wo damit hin?

Míschka. Hierher, Kamerad, hierher!

Ossip. Wart, laß mich erst verschnaufen. Miserables Leben das! Auf’n leeren Magen is jeder Packen ’ne Last.

Míschka. Na, Kamerad, kommt der General bald?

Ossip. Was für’n General denn?

Míschka. Na, dein Herr.

Ossip. Mein Herr? Der ’n General?

Míschka. Na, is er denn kein General?

Ossip. General schon, aber vom andern Ende rauf.

Míschka. Is das nu mehr oder weniger als ’n eigentlicher General?

Ossip. Mehr.

Míschka. Siehste wohl! Darum auch das Halloh im Hause.

Ossip. Hör mal, Kleiner; ich seh, du bist ’n flinker Junge — schaff doch unser einem ’n Happen zu essen!

Míschka. Nee, Kamerad, für euch is noch nichts fertig; unsre Hauskost werd’t Ihr ja nich anrühren, aber wenn sich dein Herr erst zu Tisch setzt, kriegst du auch dein Teil ab.

Ossip. Na und Hauskost, was gibt’s denn da bei euch so?

Míschka. Kohlsuppe, Grütze und Fleischkuchen.

Ossip. Kohlsuppe, Grütze und Fleischkuchen — her damit! Egal, eß ich alles. Na, denn rin mit dem Koffer. Is da noch’n Ausgang?

Míschka. Freilich. (Beide tragen den Koffer ins Nebenzimmer.)

5. Szene

Polizeidiener öffnen beide Türflügel. Herein tritt Chlestakóff, gefolgt vom Polizeimeister; weiter zurück Hospitalverwalter, Schulinspektor, Dóbtschinski und Bóbtschinski, mit einem Pflaster auf der Nase. Polizeimeister weist die Polizeidiener auf ein am Boden liegendes Stück Papier; sie rennen hin, um es aufzuheben und stoßen dabei vor Eifer mit den Köpfen zusammen.

Chlestakóff. Vortreffliche Anstalten! Es gefällt mir besonders gut, daß man in Ihrer Stadt die Durchreisenden in alle Sehenswürdigkeiten einführt. In andern Städten hat man mir gar nichts gezeigt.

Polizeimeister. In andern Städten, so wage ich zu behaupten, haben Behörden und Beamte mehr ihren eigenen Vorteil im Auge; hier aber, das darf ich wohl sagen, waltet nur das eine Streben: durch Ordnung und Fürsorge sich das Wohlwollen seiner Obrigkeit zu verdienen.

Chlestakóff. Das Frühstück war ausgezeichnet; ich habe mich ordentlich überessen. Gibt es so was bei Ihnen alle Tage?

Polizeimeister. Lediglich zu Ehren eines hochwillkommenen Gastes.

Chlestakóff. Ich esse gern mal gut. Dafür lebt man ja doch schließlich, um die Blüte des Daseins zu pflücken. Wie hieß doch noch der Fisch?

Hospitalverwalter (vortretend). Laberdan, Ew. Gnaden.

Chlestakóff. Sehr schmackhaft! Wo speisten wir doch? Im Lazarett, nicht wahr?

Hospitalverwalter. Sehr wohl, Ew. Gnaden, im Hospital.

Chlestakóff. Ach ja, ich erinnere mich, da standen Betten. Die Kranken sind wohl geheilt? Viele schienen da nicht zu sein.

Hospitalverwalter. Höchstens zehn Mann, mehr nicht; die übrigen sind alle geheilt. Das ist eben die Wirkung der vorzüglichen Ordnung. Seitdem ich die Verwaltung übernahm — es wird Ihnen freilich kaum glaubhaft erscheinen — seitdem werden sie alle gesund wie die Fliegen. Kaum kommt ein Kranker ins Lazarett, und schon ist er geheilt; und das weniger durch Medikamente als durch unsere Redlichkeit und Pflichttreue.

Polizeimeister. Und wie aufreibend — verzeihen Sie die Kühnheit — wie aufreibend die verantwortungsvolle Tätigkeit eines Stadtoberhauptes! Sachen jeder Art häufen sich, um nur der öffentlichen Bauten, der Reparaturen und der Straßenreinigung zu gedenken ... mit einem Wort, der klügste Mann käme in Verlegenheit — doch, Gott sei Dank, hier bei uns geht alles wie am Schnürchen. Ein andrer Polizeimeister würde da zweifellos an seinen eigenen Vorteil denken; aber wollen Sie es mir glauben, daß ich jeden Abend vor dem Schlafengehen für mich bete: „Herr, mein Gott, lenke meine Taten, damit die Obrigkeit meinen Eifer erkenne und zufriedengestellt sei!“ ... Selbstverständlich ist es ihr freier Wille, ob sie mich belohnen will oder nicht, aber ich für mein Teil habe wenigstens ein reines Gewissen. Ist die Stadt überall wohlbestellt, sind die Straßen gesäubert, die Gefangenen gut gehalten und wenig Betrunkene zu sehen ... was will ich dann mehr? Bei Gott, nach Auszeichnungen strebe ich nicht. Gewiß haben sie viel Verlockendes, aber vor der Tugend sind sie nichts wie eitel Nichtigkeit und Staub.

Hospitalverwalter (beiseite). Tagedieb der, wie er auspackt! Gott schenke mir solche Gabe!

Chlestakóff. Sehr richtig. Offen gestanden, auch ich philosophiere zuweilen gerne; manchmal nur so in Prosa, aber gelegentlich entschlüpft mir auch mal ein Vers.

Bóbtschinski (zu Dóbtschinski). Wie tiefsinnig, wie tiefsinnig das alles, Pjotr Iwánowitsch! Diese Bemerkungen ... man sieht’s, der hat die Bildung studiert.

Chlestakóff. Ach, sagen Sie doch bitte, gibt es hier bei Ihnen keine sogenannten Gesellschaften oder Klubs, wo man zum Beispiel ein Spielchen Karten machen könnte?

Polizeimeister (beiseite). Seht doch das Füchschen, will einem Steine über den Zaun werfen! (Laut.) Gott behüte! Solche Gesellschaften kennt man hier kaum vom Hörensagen. Ich habe überhaupt noch nie Karten angefaßt, weiß nicht einmal, wie man Karten spielt. Ich kann sie auch nicht mit ruhigem Blute betrachten, und wenn ich mal zufällig so einen Karo-König oder dergleichen vor Augen kriege, dann überkommt mich solch Ekel, daß ich geradezu ausspucken muß. Einmal hatte ich den Kindern zu Gefallen ein Kartenhaus aufgebaut, und hinterher mußte ich die ganze Nacht von dem Plunder träumen! Hol sie der Kuckuck! Wie kann man nur seine kostbare Zeit daran verschwenden ...

Schulinspektor (beiseite). Gauner, und hast mir erst gestern hundert Rubel abgeknöpft!

Polizeimeister. ... ich verwerte sie lieber zum Wohle des Vaterlandes.

Chlestakóff. Nun, so ganz sollten Sie das doch nicht ... es hängt eben alles davon ab, von welcher Seite man ein Ding betrachtet. Ja, wenn man z. B. gerade in dem Augenblick paßt, wo man hätte va banque spielen sollen ... na, dann allerdings! ... Nein, sagen Sie das nicht, zuweilen hat so ein kleines Spielchen was sehr Verlockendes.

6. Szene

Die Vorigen. Anna Andréjewna und Márja Antónowna.

Polizeimeister. Ich habe die Ehre, Ihnen meine Familie vorzustellen: meine Frau, meine Tochter.

Chlestakóff (sich verneigend). Wie glücklich bin ich, Gnädigste, meinerseits das Vergnügen zu haben, Sie begrüßen zu dürfen.

Anna Andréjewna. Wir sind noch weit entzückter, eine so hohe Person begrüßen zu dürfen.

Chlestakóff (mit Affektation). Aber bitte sehr, Gnädigste, im Gegenteil, mir ist es noch weit willkommener.

Anna Andréjewna. Nein, wie ist’s möglich! Sie sagen das sicherlich nur aus Galanterie. Bitte untertänigst Platz zu nehmen.

Chlestakóff. Neben Ihnen zu stehen, Gnädigste, bedeutet schon Glück; wenn Sie es aber durchaus befehlen, setze ich mich auch. Wie entzückt bin ich, endlich neben Ihnen sitzen zu dürfen.

Anna Andréjewna. Ach, ich darf kaum wagen, das auf mich zu beziehen ... Ich denke, nach der Residenz müssen Sie die Exkursiong nach hierher sehr unangenehm empfunden haben.

Chlestakóff. Äußerst unangenehm! Daran gewöhnt, comprenez-vous, in der großen Welt zu leben und sich dann plötzlich auf der Landstraße wiederfinden — schmutzige Schenken, roheste Unbildung ... Ich gestehe, ohne einen solchen Zufall, der mich ... (betrachtet Anna Andréjewna und spielt den Galanten) ... für alles entschädigt ...

Anna Andréjewna. In der Tat, Sie müssen das sehr unangenehm empfunden haben!

Chlestakóff. Oh, in diesem Augenblick, Gnädigste, finde ich es sehr angenehm!

Anna Andréjewna. Aber wie ist’s nur möglich! Zuviel der Ehre ... ich verdiene es durchaus nicht.

Chlestakóff. Aber weshalb sollten Sie es nicht verdienen? Sie verdienen es, Gnädigste, wirklich, Sie verdienen es.

Anna Andréjewna. Ich lebe auf dem Dorfe ...

Chlestakóff. Oh, auch das Dorf hat seine hübschen runden Hügel und stillen Bäche ... Nun freilich, wer wird das alles auch gleich mit Petersburg vergleichen wollen! Ah, Petersburg! Welch ein Leben! Sie denken vielleicht, ich wäre bloß so ein kleiner Aktenschreiber — nicht entfernt! Ich stehe mit dem Abteilungschef auf dem vertrautesten Fuße. Der schlägt mir dann wohl gelegentlich auf die Schulter und sagt: „Na, Kollege, Mahlzeit!“ Ins Departement komme ich höchstens für zwei Minuten, nur um dort Anweisungen zu geben — das so, das so, das so. Da steht gleich so ein Sekretär, flink wie eine Ratte, setzt bloß die Feder an — kri-kri, kri-kri, kri-kri, das fliegt nur so! Man wollte mich sogar zum Kollegien-Assessor machen, na, ich weiß genau warum. Und der Portier kommt mir noch auf die Treppe nachgelaufen und ruft: „Erlauben Sie, Iwán Alexándrowitsch, daß ich Ihnen erst die Stiefel säubere!“ (Zum Polizeimeister.) Aber warum stehen Sie denn, meine Herren? Bitte, setzen Sie sich doch!

Polizeimeister. Unser bescheidner Rang gebietet uns zu stehen.

Hospitalverwalter. Wir können auch stehen.

Schulinspektor. Bitte bemühen Sie sich doch nicht. (Alle drei gleichzeitig.)

Chlestakóff. Rang bei Seite, bitte setzen Sie sich! (Polizeimeister und alle anderen setzen sich.) Im Gegenteil, ich bemühe mich sogar möglichst unbemerkt durchzuschlüpfen, aber unmöglich sich zu verbergen, rein unmöglich! Kaum trete ich wo heraus, gleich heißt’s: „Ei, da ist ja Iwán Alexándrowitsch!“ Einmal hielten sie mich sogar für den Oberkommandierenden; die Soldaten rannten aus der Hauptwache und präsentierten das Gewehr. Nachher sagte mir ein Offizier, ein guter Bekannter von mir: „Schau doch Freundchen, haben wir dich wahrhaftig für den Oberkommandierenden gehalten.“

Anna Andréjewna. Nun sagen Sie bloß!

Chlestakóff. Hübsche Schauspielerinnen kenne ich auch. Auch verschiedene Vaudevilliers ... Mit Schriftstellern verkehre ich viel. Mit Puschkin bin ich ganz intim. Trifft man sich mal, dann sage ich so zu ihm: „Na, Puschkinchen, wie geht’s?“ „Na, wie soll’s gehn, Kollege,“ meint er dann, „danke, es macht sich.“ Ein Original, dieser Puschkin.

Anna Andréjewna. Dann schreiben Sie also auch? Wie wundervoll muß sich doch ein Schriftsteller fühlen! Sie veröffentlichen gewiß auch in Journalen?

Chlestakóff. O ja, auch in Journalen. Ich habe übrigens schon eine Menge Schriften verfaßt: Figaros Hochzeit, Robert der Teufel, Norma ... kaum daß ich die Namen alle noch behalten habe. Und alles wie aus dem Ärmel geschüttelt; ich wollte eigentlich gar nicht schreiben, aber die Theaterdirektoren setzen einem zu: „Liebster, Bester, schreib uns doch was!“ Ich überlege bei mir: „Na, wollen mal sehn.“ Und dann ist’s an einem einzigen Abend hingeworfen. Ich besitze eine geradezu spielende Phantasie. Alles, was unter dem Namen „Baron Brambeus“ ging: „Fregatte Hoffnung“ und „Moskauer Telegraph“ ... das war alles von mir.

Anna Andréjewna. Ach, also Sie waren Brambeus?

Chlestakóff. Freilich, ich korrigiere ihnen allen ja auch ihre Verse. Smírdin zahlt mir 40000 dafür.

Anna Andréjewna. Dann ist sicherlich auch der „Júrij Milosláwski“ von Ihnen?

Chlestakóff. Ganz gewiß.

Anna Andréjewna. Das hatte ich mir gleich gedacht!

Márja Antónowna. Aber Mama, auf dem Titel steht doch: „von Sagóskin“!

Anna Andréjewna. Wußte ich’s doch, daß du selbst hier streiten würdest!

Chlestakóff. Ah, richtig, es ist ja wahr, der ist von Sagóskin; aber es gibt noch einen andern Júrij Milosláwski, und der ist der meinige.

Anna Andréjewna. Nun also, und gerade den Ihren habe ich gelesen. Wie prachtvoll geschrieben!

Chlestakóff. Offen gestanden, ich lebe für die Literatur. Ich führe das erste Haus in Petersburg. Stadtbekannt ist es, das Haus des Iwán Alexándrowitsch. (Sich an alle Anwesenden wendend.) Machen Sie mir doch das Vergnügen, meine Herrschaften, wenn Sie mal in Petersburg sind, bitte, bitte, besuchen Sie mich. Ich gebe auch Bälle.

Anna Andréjewna. Ich kann mir vorstellen, wie stilvoll und glänzend diese Bälle sein müssen!

Chlestakóff. O durchaus nicht, ganz schlicht. Auf dem Tisch zum Beispiel eine Wassermelone — das heißt, so eine für siebenhundert Rubel. Die Suppe in einer Kasserole direkt per Dampfer aus Paris bezogen; man hebt den Deckel ab — ein Duft, wie es nichts Köstlicheres in der Welt gibt! Ich gehe jeden Tag auf den Ball. Dort habe ich auch meine Whistpartie: der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, der französische Botschafter, der deutsche Botschafter und ich. Wir verbeißen uns oft derart ins Spiel, daß man’s kaum beschreiben kann. Rennt man dann nach Haus und klettert in seine vierte Etage hinauf — kann man grade noch zur Köchin stammeln: Mawrúscha, den Überzieher ... Was plappere ich denn — ich vergaß ja, ich wohne doch Beletage, nur eine Treppe hoch ... Auch sehr interessant, mein Antichambre zu sehen, ehe ich mich morgens erhoben habe: da drängen sich Grafen und Fürsten und sumsen wie die Hummeln, man hört nur: sum, sum, sum; zuweilen, wenn der Minister ... (Polizeimeister und die übrigen Herren erheben sich ehrfurchtsvoll von den Sitzen.) Selbst auf meinen Paketadressen steht: an Seine Exzellenz ... Einmal habe ich sogar das Departement geleitet. Das war ganz komisch; der Chef war verreist, keiner wußte wohin. Nun ging natürlich das Gerede los; was macht man, wer soll die Stelle ausfüllen? Viele Generale kamen als Bewerber, treten ein, versuchen — nein, zu schwer! Es scheint ganz leicht, aber näher zugesehn — unmöglich, hol’s der Teufel! Kaum sehn sie, daß es nicht geht — zu mir! Und im selben Augenblick durch die Straßen: Kuriere, Kuriere, Kuriere ... Stellen Sie sich bloß vor: fünfunddreißigtausend Kuriere! Da frage ich Sie doch, welche Situation! „Auf, Iwán Alexándrowitsch, aufs Departement!“ Ich war, offen gestanden, etwas verblüfft, kam im Schlafrock heraus, wollte absagen, denke mir aber: wenn das bis vor Majestät kommt, na, und das Avancement ... „Schön, meine Herren, ich komme, ich komme,“ sage ich, „abgemacht, ich komme; aber daß mir keiner, na, na, na! ich habe feine Ohren, ich will euch ...“ Gesagt, getan: ich quer durchs Departement, das reine Erdbeben, alles schwankt und zittert wie Espenlaub. (Polizeimeister und die Übrigen beben vor Schreck; Chlestakóff erhitzt sich noch stärker.) O ich spaße nicht; ich habe es ihnen allen beigebracht! Selbst der Staatsrat fürchtet sich vor mir. Warum auch nicht? Das ist so meine Art! Ich nehme auf niemand Rücksicht ... Zu jedem sage ich: „Ich weiß alleine Bescheid!“ Ich bin überall, überall. Jeden Tag fahre ich zu Hofe. Morgen werde ich gleich zum Feldmarsch... (schwankt und fällt beinahe zu Boden, wird aber von den Beamten ehrfurchtsvoll gestützt.)

Polizeimeister (tritt näher und versucht, am ganzen Leibe zitternd, zu sprechen). Aber E... E... E...

Chlestakóff (in heftigem, befehlendem Ton). Was wollen Sie?

Polizeimeister. Aber E... E... E... E...

Chlestakóff (im gleichen Ton). Verstehe gar nichts, alles Unsinn.

Polizeimeister. Euer E... Ex...zellenz befehlen vielleicht etwas auszuruhen ... Hier ist ein Zimmer, alles ist bereit.

Chlestakóff. Blödsinn — ausruhen! Meinetwegen auch ausruhen ... Ihr Frühstück, meine Herren, famos ... sehr zufrieden, sehr zufrieden .... (mit Emphase.) Laberdan! Laberdan! (Ab ins Nebenzimmer, gefolgt vom Polizeimeister.)

7. Szene

Die Vorigen außer Chlestakóff und Polizeimeister.

Bóbtschinski. Das ist ein Mann, Pjotr Iwánowitsch! Das heißt doch ein Mann! Noch nie im Leben habe ich vor einer so bedeutenden Persönlichkeit gestanden; vor Furcht bin ich fast gestorben. Was glauben Sie, Pjotr Iwánowitsch, welchen Rang mag er wohl bekleiden?

Dóbtschinski. Ich meine zum mindesten General.

Bóbtschinski. Ich meine jedoch, ein General reicht dem nicht an die Gamaschen! Und wenn selbst General, dann mindestens Generalissimus. Sie hörten ja, wie er den Staatsrat angeblasen hat. Kommen Sie, erzählen wir’s rasch Ammós Fjódorowitsch und Koróbkin. Empfehle mich, Anna Andréjewna!

Dóbtschinski. Empfehle mich, Frau Gevatterin! (Beide ab.)

Hospitalverwalter (zum Schulinspektor). Seltsam, höchst seltsam, weshalb, das weiß ich selbst nicht. Und wir sind nicht einmal in Gala! Was dann, wenn er erwacht und sofort darüber nach Petersburg berichtet? (Verläßt mit dem Schulinspektor nachdenklich das Zimmer; im Hinausgehen:) Empfehlen uns, Gnädigste!

8. Szene

Anna Andréjewna und Márja Antónowna.

Anna Andréjewna. Ach, was für ein reizender junger Mann!

Márja Antónowna. Ach und wie lieb!

Anna Andréjewna. Und diese vornehmen Manieren! Man merkt doch gleich den Großstädter! Haltung und alles von einer Feinheit ... Ach, wie entzückend! Ich schwärme für dergleichen junge Männer! Wirklich, ich bin ganz außer mir. Ich habe übrigens Eindruck auf ihn gemacht; ich bemerkte es wohl, er sah immer nach mir hin.

Márja Antónowna. Aber Mama, mich hat er angesehen!

Anna Andréjewna. Bleib mir gefälligst fort mit deinem Unsinn! Der ist hier überflüssig!

Márja Antónowna. Nein, wirklich, Mama!

Anna Andréjewna. Natürlich! Gott bewahre mich, alles muß sie abstreiten! Jetzt schweig aber mal still! Er und dich ansehn? Weshalb hätte er dich ansehn sollen?

Márja Antónowna. Ganz gewiß, Mama, immerfort hat er mich angesehen. Als er von der Literatur anfing, da sah er mich an, und nachher, wie er erzählte, daß er mit den Botschaftern Whist spielt, da sah er mich auch an.

Anna Andréjewna. Nun, kann sein, vielleicht so einmal, aber dann höchstens etwa so: „Na, sehen wir uns die auch mal an!“

9. Szene

Die Vorigen und Polizeimeister.

Polizeimeister (tritt auf den Fußspitzen herein). Pst ... pst ...

Anna Andréjewna. Wie steht’s?

Polizeimeister. Es ist mir doch fatal, daß er sich übernommen hat. Indes, und wenn auch nur die Hälfte von dem, was er gesagt hat, wahr ist? (Überlegend.) Warum sollte es denn auch nicht wahr sein? Im Rausch offenbart der Mensch alles: wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Freilich, ein bißchen geflunkert hat er schon; aber ohne Flunkern kommt schließlich keine vernünftige Unterhaltung zustande. Mit den Ministern spielt er Karten und fährt zu Hofe ... Wahrhaftig, je mehr man darüber nachdenkt ... weiß der Teufel, was in meinem Schädel vorgeht; mir ist gerade so, als ob ich hoch oben auf einem Glockenturme stünde — oder gehängt werden sollte.

Anna Andréjewna. Ich für mein Teil habe mich durchaus nicht befangen gefühlt: ich sah in ihm lediglich den gebildeten, weltgewandten, vornehmen Mann, sein Rang geht mich dabei gar nichts an.

Polizeimeister. So seid ihr eben alle — ihr Weiber! Alles ist gleich in schönster Ordnung, da genügt ein einziges Wörtchen! Euch ist alles — Spielkram! Das plappert bald so, bald so. Und habt ihr euch verheddert, seht doch, wie sie da nach dem teuren Gatten schreien! Du, meine Verehrteste, hast ihn eben leider so harmlos genommen, wie irgend einen beliebigen Dóbtschinski.

Anna Andréjewna. Sei bitte meinetwegen ganz ohne Sorge. Ich weiß vollkommen, was sich schickt! (wirft dabei einen bedeutsamen Blick auf die Tochter.)

Polizeimeister (für sich). Mit euch auch reden! ... Aber wahrhaftig, dieser ganze Fall! Ich kann mich noch immer nicht vom Schreck erholen. (Öffnet die Tür und ruft hinaus) Míschka! Ruf die Polizeidiener Swistúnoff und Djerschimórda: sie müssen hier irgendwo beim Tore sein. (Nach längerem Schweigen.) Sonderbar, wie es jetzt in der Welt zugeht; wenn es wenigstens ansehnliche Kerle wären, aber so ein unscheinbares, schmächtiges Herrchen — wie soll man da herausbekommen, was er ist? Ein Militär ist immer noch was Greifbares; zieht er aber den Frack an — dann schaut er aus wie eine Fliege mit ausgerupften Flügeln. Hat sich vorhin im Gasthof lange genug verbarrikadiert und mit so viel Anspielungen und Zweideutigkeiten geplänkelt, daß man’s in Ewigkeit nicht hätte zusammenreimen können. Nun hat er endlich die Waffen gestreckt. Hat sogar noch mehr geredet, als nötig war. Eins ist wenigstens sicher: der ist noch sehr jung!

10. Szene

Die Vorigen und Ossip. Alle laufen ihm winkend entgegen.

Anna Andréjewna. Komm doch mal her, mein Lieber!

Polizeimeister. Pst! ... Wie steht’s? Schläft er?

Ossip. Nein, er reckt sich noch ’n bissel.

Anna Andréjewna. Hör mal, mein Lieber, wie heißt denn du?

Ossip. Ossip, Gnädigste.

Polizeimeister (zu Frau und Tochter). Laßt schon, laßt! (Zu Ossip) Nun, Freundchen, hat man dich ordentlich versorgt?

Ossip. Gut versorgt, allerschönsten Dank, tüchtig versorgt.

Anna Andréjewna. Sag doch mal: dein Herr bekommt wohl oft Besuch von Grafen und Fürsten?

Ossip (zur Seite). Was red’t man da nu? Haben sie einen jetzt gut gefüttert, füttern sie einen hernach vielleicht noch besser. (Laut). Ja, auch Grafen kommen.

Márja Antónowna. Ach, Ossipchen, wie reizend ist doch dein Herr!

Anna Andréjewna. Sag doch, Ossip, dein Herr ist wohl ...

Polizeimeister. So hört doch mal auf! Ihr stört mich nur mit euren albernen Fragen. Na Freundchen ...

Anna Andréjewna. Und welchen Rang hat denn dein Herr?

Ossip. Na den gewöhnlichen.

Polizeimeister. Mein Gott, ewig diese Fragereien! Kein Wort kann man zur Sache reden. Nun, mein Freund, wie ist denn so dein Herr? ... Streng? Schimpft er auch mal gerne oder nicht?

Ossip. O ja, auf Ordnung hält er sehr. Alles muß bei ihm auf die Minute gehn.

Polizeimeister. Du gefällst mir recht gut, Freundchen! Du mußt ein braver Mensch sein. Sag mal ...

Anna Andréjewna. Ach, Ossip, was trägt denn dein Herr dort, Uniform oder ...

Polizeimeister. Ruhe, zum Donnerwetter, ihr Plappermäuler! Hier ist’s dringend, hier geht’s um ein Menschenleben .... (Zu Ossip.) Also, Freundchen, du gefällst mir sehr gut; auf der Reise trinkt man gern mal ein Gläschen Tee; kalt ist’s außerdem; da hast du ein paar Blanke für Tee.

Ossip (nimmt das Geld). Ah, danke allerschönstens, gnädiger Herr! Gott schenke Ihnen alle Gesundheit! Wie gut Sie zu ’n armen Menschen sind.

Polizeimeister. Schon gut, schon gut, ich bin selbst sehr froh. Sag mal — —

Anna Andréjewna. Hör doch, Ossip, was für Augen gefallen deinem Herrn am besten? ...

Márja Antónowna. Ach, Ossipchen, was für ein liebes Näschen dein Herr hat!

Polizeimeister. So schweigt doch schon, laßt mich doch endlich! ... (Zu Ossip). Jetzt sag mal, Freund: worauf achtet dein Herr am meisten, will sagen, was behagt ihm auf der Reise am meisten?

Ossip. Genau besehn, alles was kommt. Am meisten aber liebt er’s, wenn man ihn schön aufnimmt und gehörig verpflegt.

Polizeimeister. So so?

Ossip. Ja so. Und sehn Sie, ich bin doch nur ’n Leibeigner, aber er paßt auch auf, daß ich’s gut kriege. Freilich. Wir kommen wohin: „Na, Ossip, gut bewirtet worden?“ „Schlecht, Hochwohlgeboren!“ „Sieh mal, der miserable Wirt. Du“, meint er, „erinnere mich dran, wenn wir heim kommen“. „Ah“, denk ich bei mir, (mit einer Handbewegung) „laß ihn laufen! Ich bin ’n friedlicher Mensch!“

Polizeimeister. Schön, schön, sehr vernünftig, was du da sagst. Eben gab ich dir was für Tee, da nimm noch was für Zwieback.

Ossip. Zu gnädig, Hochwohlgeboren! (Steckt das Geld ein.) Da trink ich mal auf Ihre Gesundheit.

Anna Andréjewna. Komm her, lieber Ossip, nimm auch von mir das.

Márja Antónowna. Ach Ossipchen, gib deinem Herrn für mich einen Kuß! (Aus dem Nebenzimmer hört man ein leichtes Husten Chlestakóffs.)

Polizeimeister. Pst! (Erhebt sich auf den Fußspitzen.) Könnt ihr denn gar keine Ruhe halten! Geht, geht, es ist genug ...

Anna Andréjewna. Komm Máscha! Ich muß dir was erzählen, ich habe an unserm Gaste was bemerkt, was man nur unter vier Augen wiedersagen kann.

Polizeimeister. Was die sich auch immer zu erzählen haben! Einmal hinhören und sich sofort die Ohren verstopfen! (Wieder zu Ossip gewendet.) Na, mein Freund ...

11. Szene

Die Vorigen. Djerschimórda und Swistúnoff.

Polizeimeister. Pst! Wie diese verdammten vierschrötigen Bären mit den Stiefeln stampfen. Das dröhnt, als ob einer vierzig Zentner vom Lastwagen herabwirft! Welcher Satan schickt euch her?

Djerschimórda. Wir kamen auf Befehl ...

Polizeimeister. Pst! (Hält ihm den Mund zu.) Wie das Rabenvieh krächzt! (schüttelt ihn.) „Wir kamen auf Befehl!“ Brüllt wie aus einer Tonne! (Zu Ossip.) Geh, Freundchen, besorge dort das deinige und verfüge über alles, was das Haus bieten kann. (Ossip ab.) Und ihr — ihr habt mir auf der Treppe zu stehen, und nicht von der Stelle gerührt! Und keinen Unbefugten hereingelassen, vor allem keine Kaufleute! Laßt ihr auch nur einen herein, dann ...! So wie ihr seht, daß jemand mit einer Beschwerdeschrift kommt, oder wenn er auch nur so aussieht, als ob er eine Beschwerde über mich einreichen will, dann ohne weiteres eins ins Genick! So! tüchtig! (Machts ihnen mit dem Fuße vor.) Verstanden? Pst! ... Pst! ... (Geht auf den Zehen hinaus, die Polizeidiener vor sich herschiebend.)

(Ende des dritten Aufzuges.)

Vierter Aufzug

(Dasselbe Zimmer im Hause des Polizeimeisters.)

1. Szene

Es treten auf — behutsam auf den Fußspitzen: Kreisrichter, Hospitalverwalter, Postmeister, Schulinspektor, Dóbtschinski, Bóbtschinski, (sämtlich in voller Gala. Die ganze Szene geht im Flüsterton vor sich.)

Kreisrichter (stellt alle im Halbkreis auf). Um Gotteswillen, meine Herren, schnell einen Halbkreis gebildet, und mehr Richtung! Ein gefährlicher Herr: fährt zu Hofe und schnauzt den Staatsrat an! Stellen Sie sich in Schlachtordnung! Sie Pjotr Iwánowitsch, stellen sich hierher.

(Beide Pjotr Iwánowitsch eilen auf den Zehen herbei.)

Hospitalverwalter. Gestatten Sie, Ammós Fjódorowitsch, man sollte doch zuvor etwas versuchen.

Kreisrichter. Und was denn?

Hospitalverwalter. Na, was ganz bekanntes.

Kreisrichter. Schmieren?

Hospitalverwalter. Nun ja doch, schmieren.

Kreisrichter. Das ist gefährlich, das spricht sich ’rum: ein Staatsbeamter! Vielleicht in Form einer Widmung seitens des Adels — irgendein Andenken.

Postmeister. Oder einfach so: Schaun Sie, Euer Gnaden, da ist Geld auf der Post eingegangen, aber keiner weiß, wem’s gehört.

Hospitalverwalter. Passen Sie dann nur auf, daß er Sie nicht mit der Post weiter wohin befördert. Nein, hören Sie, in einem wohlgeordneten Staate behandelt man derartige Dinge anders. Wozu braucht’s denn hier der ganzen Schwadron? Einzeln muß man sich vorstellen, und dann unter vier Augen ... wie sich’s eben gehört; die Ohren dürfen nichts davon merken! So ist das in der guten Gesellschaft hergebracht. Sie, Ammós Fjódorowitsch, müßten den Anfang machen.

Kreisrichter. Nein, besser Sie; in Ihrer Anstalt hat der hohe Besuch doch auch gespeist.

Hospitalverwalter. Dann eher noch Lúka Lúkitsch in seiner Eigenschaft als Erleuchter der Jugend.

Schulinspektor. Nein ich kann nicht, ich kann nicht, meine Herren! Offen gestanden, ich bin so ängstlich, daß ich, wenn ein höherer Beamter mit mir redet, gleich den Kopf verliere und mir die Zunge im Halse stecken bleibt. Nein, meine Herren, lassen Sie mich aus, lassen Sie mich aus!

Hospitalverwalter. Ja, dann bleiben eben nur Sie, Ammós Fjódorowitsch. Sie haben ja auch einen Redefluß, um den Sie Cicero beneiden könnte.

Kreisrichter. Warum nicht gar! Cicero! Was Sie sich auch ausdenken! Wenn ich mich auch manchmal hinreißen lasse beim Gespräch über Jagd- und Schweißhunde ...

Alle (ihn umdrängend). Nein, nein, nicht nur von Hunden, Sie können sogar vom babylonischen Turm ... Nein, Ammós Fjódorowitsch, lassen Sie uns nicht im Stich, seien Sie unser Vater! Nein, Ammós Fjódorowitsch!

Kreisrichter. Lassen Sie mich frei, meine Herren!

(Im selben Augenblick hört man im Nebenzimmer Schritte und Husten Chlestakóffs. Alle rennen um die Wette nach der Tür und drängen sich, um schnell hinauszukommen, was nicht ohne gegenseitige Püffe abgeht; man hört unterdrückte Ausrufe.)

Stimme Bóbtschinskis. Au! Dóbtschinski, Dóbtschinski! Meine Hühneraugen!

Stimme des Hospitalverwalters. Herrschaft laßt los, laßt los, Ihr quetscht mir ja die Seele aus dem Leibe!

(Man hört noch weitere Ausrufe ai! au! Endlich haben sich alle durchgedrückt, und das Zimmer ist leer.)

2. Szene

Chlestakóff allein; tritt herein mit verschlafenen Augen.

Chlestakóff. Ich muß ganz tüchtig geschnarcht haben. Wo sie bloß alle diese Matratzen und Federbetten herhaben mögen? Geschwitzt habe ich sogar. Mir scheint, ich habe mir gestern beim Frühstück einen ziemlichen Schwips zugelegt: noch bis jetzt brummt mir der Schädel. Ich sehe, man kann hier seine Zeit auf die angenehmste Weise verbringen. Ich liebe die Gastlichkeit und schätze sie noch höher, wenn ich mehr aus natürlicher Herzensgüte und weniger mit besonderen Hintergedanken bewillkommnet werde. Zudem ist dies Töchterchen des Polizeimeisters durchaus nicht so übel, und selbst bei der Mama könnte man noch ganz gut ... Alles in allem ... wahrhaftig, diese Art Leben behagt mir.

3. Szene

Chlestakóff und Kreisrichter.

Kreisrichter (tritt ein, bleibt stehen und spricht für sich). Gott, mein Gott! Hilf mir aus dieser Klemme; meine Knie brechen mir vor Angst. (Laut, Haltung nehmend und die Hand am Degen.) Habe die Ehre mich vorzustellen: Ljápkin-Tjápkin, Kollegienassessor und Richter des hiesigen Kreises.

Chlestakóff. Bitte nehmen Sie Platz! So, Sie sind Richter hier?

Kreisrichter. Vor zwanzig Jahren wurde ich auf Vorschlag des Adels für drei Jahre gewählt und verwalte mein Amt bis auf den heutigen Tag.

Chlestakóff. Das ist wohl ein recht einträglicher Posten?

Kreisrichter. Nach zweimaliger Wiederwahl erhielt ich den Wladímir vierter Klasse nebst einer Belobigung seitens meiner vorgesetzten Behörde. (Beiseite.) Wie mir das Geld zwischen den Fingern brennt!

Chlestakóff. Der Wladímir ist mir sehr sympathisch; der Annenorden dritter reicht da nicht heran.

Kreisrichter (streckt die geschlossene Hand ein wenig weiter vor; beiseite). Gott im Himmel, ich weiß nicht mehr, wo ich bin, ich sitze wie auf glühenden Kohlen!

Chlestakóff. Was haben Sie da in der Hand?

Kreisrichter (verliert den Kopf und läßt die Scheine auf den Boden fallen). O nichts.

Chlestakóff. Wieso nichts? Da fiel doch Geld hin.

Kreisrichter (am ganzen Leibe zitternd). D — d — durchaus nicht! (Beiseite.) O Gott! Jetzt bin ich gerichtet, der Henkerwagen wartet schon.

Chlestakóff (das Geld aufhebend). Natürlich ist das Geld.

Kreisrichter (beiseite). Nun bin ich verloren, total verloren!

Chlestakóff. Ach wissen Sie, leihen Sie mir das Geld!

Kreisrichter (eilfertig). Wie ... wie ... mit dem größten Vergnügen! (Beiseite.) Mut, Mut, heilige Mutter Gottes, steh mir bei!

Chlestakóff. Sehen Sie, ich habe mich auf der Reise ganz verausgabt; dies und jenes ... ich schicke es Ihnen übrigens von Hause gleich wieder zurück.

Kreisrichter. Absolut unnötig! An sich schon welche Ehre ... Mit meinen schwachen Kräften der Obrigkeit in Eifer und Hingabe ... zu dienen bereit ... (erhebt sich vom Stuhle, in Haltung und die Hand am Degen.) Ich wage nicht, Sie länger durch meine Gegenwart zu belästigen. Hatten Sie noch irgendwelche Befehle zu erteilen?

Chlestakóff. Was für Befehle?

Kreisrichter. Ich meine — Befehle an den hiesigen Kreisrichter!

Chlestakóff. Wozu? Ich habe augenblicklich gar kein Verlangen nach ihm; nein, durchaus nicht, danke verbindlichst.

Kreisrichter (sich verneigend und im Hinausgehen beiseite). Die Festung ist erobert!

Chlestakóff (nach seinem Abgang). Ein freundlicher Mann, dieser Kreisrichter!

4. Szene

Chlestakóff. Postmeister (tritt ein, in Gala und aufrechter Haltung, die Hand am Degen).

Postmeister. Habe die Ehre, mich vorzustellen: Postmeister und Hofrat Schpékin!

Chlestakóff. Ah, sehr willkommen! Ich liebe angenehme Gesellschaft. Setzen Sie sich. Leben Sie beständig hier?

Postmeister. Zu dienen.

Chlestakóff. Mir gefällt Ihr Städtchen. Es ist freilich nicht sehr bevölkert — aber was tut das? Es ist ja doch keine Residenz, nicht wahr? Es ist ja doch keine Residenz?

Postmeister. Vollkommen richtig.

Chlestakóff. Den bon ton gibt’s doch eben nur in der Residenz, die hat auch keine Provinzgänse. Was ist Ihre Meinung, wie?

Postmeister. Durchaus die nämliche! (Beiseite.) Scheint gar nicht stolz zu sein; erkundigt sich nach allem.

Chlestakóff. Sagen Sie mal aufrichtig: auch in einer kleinen Stadt läßt es sich wohl ganz hübsch leben?

Postmeister. O gewiß.

Chlestakóff. Ich meine so, was braucht man weiter? Man braucht nur geachtet und geliebt zu sein — nicht wahr?

Postmeister. Sehr richtig bemerkt.

Chlestakóff. Ich bin wirklich recht erfreut, daß Sie so ganz meiner Meinung sind. Ich gelte allerdings für einen Sonderling, aber das ist nun mal meine Charakteranlage. (Sieht ihm in die Augen und spricht für sich.) Ob ich diesen Postmeister wohl anpumpen kann? (Laut.) Was mir da komisches passiert ist! Ich habe mich auf der Reise ganz verausgabt. Könnten Sie mir vielleicht dreihundert Rubel leihen?

Postmeister. Aber sofort! Mit dem größten Vergnügen! Haben Sie die Güte. Stehe bereitwilligst zu Diensten.

Chlestakóff. Sehr verbunden! Offen gestanden, es ist mir in den Tod zuwider, mich auf der Reise einschränken zu sollen; wozu auch? Nicht wahr?

Postmeister. Sehr richtig. (Erhebt sich, in aufrechter Haltung und die Hand am Degen.) Ich wage nicht, Sie länger mit meiner Gegenwart zu belästigen ... Hätten Sie einige Anweisungen hinsichtlich des Postdienstes?

Chlestakóff. Nein, nichts. (Postmeister verneigt sich und geht ab.)

Chlestakóff (eine Zigarre anzündend). Der Postmeister scheint auch ein recht netter Mensch zu sein; zum mindesten sehr gefällig. Solche Leute liebe ich.

5. Szene

Chlestakóff und Schulinspektor, der fast zur Tür hereingestoßen wird. Hinter ihm hört man eine ziemlich laute Stimme: „Hasenfuß!“

Schulinspektor (in zitternder Haltung, die Hand am Degen). Habe die Ehre, mich vorzustellen: Schulinspektor und Titularrat Chlópoff.

Chlestakóff. Ah, sehr willkommen! Nehmen Sie Platz, nehmen Sie Platz! Zigarre gefällig? (Reicht ihm eine Zigarre.)

Schulinspektor (unschlüssig, für sich). Hast du nicht gesehn! Darauf war ich nicht vorbereitet. Was nun?

Chlestakóff. Nehmen Sie, nehmen Sie nur; ganz anständiges Kraut. Natürlich nicht so wie in Petersburg. Sehn Sie, mein Verehrtester, dort rauche ich so gewöhnlich das Kistchen zu fünfundzwanzig Rubel, tadellos, man leckt sich ordentlich die Lippen danach. Hier ist Feuer, bitte schön. (Reicht ihm das Licht.)

Schulinspektor (versucht zu rauchen und schlottert am ganzen Leibe).

Chlestakóff. Aber Sie rauchen ja verkehrt!

Schulinspektor (läßt vor Schreck die Zigarre fallen, spuckt aus und weht sich mit der Hand vor dem Gesicht; für sich). Hol das alles doch der Teufel! Diese verfluchte Schüchternheit!

Chlestakóff. Sie scheinen kein Freund von Zigarren zu sein. Ich freilich habe offen gesagt geradezu eine Schwäche dafür. Es geht mir damit so wie mit dem schönen Geschlecht, ich kann da absolut nicht gleichgültig sein. Und Sie? Was mögen Sie mehr, die Brünetten oder Blondinen?

Schulinspektor (schwebt in völliger Ratlosigkeit, was er sagen soll).

Chlestakóff. Nein, frei heraus, Brünette oder Blondinen?

Schulinspektor. Ich wage keine Ansicht ...

Chlestakóff. Nein, nein, keine Ausrede! Ich will unbedingt Ihren Geschmack kennen lernen!

Schulinspektor. Dann würde ich mir ergebenst zu bemerken gestatten ... (Beiseite.) Ich weiß ja selber nicht was; alles dreht sich mir im Kopfe herum.

Chlestakóff. Aha! Sie wollen es nicht sagen! Gewiß hat’s Ihnen so eine kleine Brünette angetan! Hab’ ich recht?

Schulinspektor (schweigt).

Chlestakóff. Ja, ja, Sie erröten, sehen Sie wohl! Warum gestehn Sie’s denn nicht?

Schulinspektor. Meine Befangenheit, Ew. Wohl... Hochwohl... Exzell... (Beiseite.) Läßt mich doch richtig die verdammte Zunge im Stich!

Chlestakóff. Befangenheit! In der Tat, ich habe in meinen Augen so ein gewisses Etwas, das befangen macht. Wenigstens weiß ich genau, daß kein Weib ihm zu widerstehen vermag. Nicht wahr?

Schulinspektor. Ganz zweifellos!

Chlestakóff. Da ist mir ein seltsamer Fall passiert — ich habe mich auf der Reise ganz verausgabt. Könnten Sie mir wohl dreihundert Rubel leihen?

Schulinspektor (greift in die Tasche; für sich). Schöne Blamage, wenn ich jetzt nichts bei mir hätte! Ist da! Ist da! (Zieht die Scheine heraus und überreicht sie zitternd.)

Chlestakóff. Herzlichen Dank!

Schulinspektor. Ich wage nicht, Sie länger mit meiner Gegenwart zu belästigen.

Chlestakóff. Leben Sie wohl.

Schulinspektor (eilt fast laufend hinaus und spricht beiseite). Nun Gott sei Dank! der guckt mir nicht in meine Klassen hinein!

6. Szene

Chlestakóff. Hospitalverwalter, in Haltung und die Hand am Degen.

Hospitalverwalter. Habe die Ehre, mich vorzustellen: Hospitalverwalter und Hofrat Semljaníka.

Chlestakóff. Schönen guten Tag, bitte nehmen Sie gefälligst Platz.

Hospitalverwalter. Ich hatte gestern die Ehre, Sie persönlich empfangen und Ihnen in der meiner Aufsicht anvertrauten Anstalt aufwarten zu dürfen.

Chlestakóff. Ach ja, ich erinnere mich. Sie gaben mir ein vorzügliches Frühstück.

Hospitalverwalter. Ich bin glücklich, dem Vaterlande dienen zu können.

Chlestakóff. Offen gestanden, es ist das meine schwache Seite — ich liebe eine gute Küche. Sagen Sie doch mal, mir scheint — waren Sie nicht gestern ein Endchen kleiner, wie?

Hospitalverwalter. Sehr wohl möglich. (Nach kurzer Pause.) Ich darf es aussprechen, daß ich mit größter Aufopferung und Hingebung meinen Dienst erfülle. (Rückt näher und spricht halblaut.) Sehen Sie, der hiesige Postmeister tut gar rein gar nichts; alles ist gänzlich verwahrlost: Sendungen werden unterschlagen ... bitte nur selbst einmal nachzusehen. Auch der Kreisrichter, der eben vor mir drin war, geht immer nur auf die Hasenjagd, hält seine Hunde im Gerichtslokal, und seine Moral, wenn ich es vor Ihnen bekennen darf — indessen zum Wohle des Vaterlandes muß ich es tun, obwohl er mein Anverwandter und Freund ist — seine Moral ist die denkbar schlechteste. Hier lebt ein Hausbesitzer Dóbtschinski, Sie geruhten ihn bereits bemerkt zu haben, und wenn dieser Dóbtschinski nur einen Schritt aus seinem Hause tut, gleich ist der Kreisrichter drin und treibt mit seiner Frau ... ich kann es beschwören ... Sie brauchen sich da nur mal die Kinder anzusehen: keins von ihnen gleicht dem Dóbtschinski, aber alle, sogar das jüngste Töchterchen, sind dem Kreisrichter wie aus dem Gesicht geschnitten.

Chlestakóff. Was Sie sagen! Das hätte ich nie gedacht!

Hospitalverwalter. Und dann der Schulinspektor. Ich verstehe nicht, wie die Obrigkeit ihm solch ein Amt anvertrauen konnte. Er ist schlimmer als ein Jakobiner und bringt der Jugend derartig verwerfliche Grundsätze bei, daß es schwer zu beschreiben ist. Befehlen Sie, daß ich darüber ein schriftliches Memorandum aufsetze?

Chlestakóff. Schön, jedenfalls schriftlich. Es wird mir sehr willkommen sein. Wissen Sie, ich liebe es sehr, für langweilige Stunden etwas Erbauliches zum Lesen zu haben ... Wie heißen Sie doch? Ich vergesse immer alles.

Hospitalverwalter. Semljaníka.

Chlestakóff. Ach ja, Semljaníka. Sagen Sie, haben Sie Kinder?

Hospitalverwalter. Freilich, ganze fünf, zwei schon erwachsen.

Chlestakóff. So, so, auch schon erwachsene! Na und die ... welchen Geschl...?

Hospitalverwalter. Sie geruhten wahrscheinlich zu fragen, wie sie heißen?

Chlestakóff. Ja wohl, wie sie heißen.

Hospitalverwalter. Nikolái, Iwán, Elisabeth, Márja und Perpetua.

Chlestakóff. Famos.

Hospitalverwalter. Ich wage nicht, Sie länger durch meine Gegenwart zu belästigen und Ihnen kostbare Zeit zu rauben, die den heiligsten Pflichten gewidmet ist ... (Verneigt sich und will abtreten.)

Chlestakóff (Gibt ihm das Geleit). Nein, durch aus nicht. Das ist ja alles sehr spaßhaft, was Sie mir da erzählt haben. Machen Sie mir bald wieder das Vergnügen ... ich höre so etwas sehr gerne. (Geht schnell wieder zur Türe, öffnet sie und ruft hinter ihm her.) He Sie! Wie heißen Sie doch noch? Ich vergesse alles, wie heißen Sie mit Vor- und Vaternamen?

Hospitalverwalter. Artémij Filíppowitsch.

Chlestakóff. Tun Sie mir den Gefallen, Artémij Filíppowitsch, mir ist ein komischer Fall begegnet: ich gab mich auf der Reise vollständig aus. Könnten Sie mir wohl vierhundert Rubel leihen?

Hospitalverwalter. Zu dienen.

Chlestakóff. Wie gut sich das trifft! Danke verbindlichst!

7. Szene

Chlestakóff. Dóbtschinski und Bóbtschinski.

Bóbtschinski. Habe die Ehre mich vorzustellen: Einwohner hiesiger Stadt, Pjotr Iwánowitsch Bóbtschinski junior.

Dóbtschinski. Hausbesitzer Pjotr Iwánowitsch Dóbtschinski junior.

Chlestakóff. Sieh da, wir kennen uns ja bereits! Mir scheint, Sie fielen damals hin? Nun, was macht Ihre Nase?

Bóbtschinski. O danke sehr, bitte bemühen Sie sich nicht: schon ganz trocken, vollkommen trocken.

Chlestakóff. Das ist ja sehr schön. Ich bin sehr erfreut ... (Plötzlich und überraschend.) Haben Sie Geld bei sich?

Dóbtschinski. Geld? Wieso Geld?

Chlestakóff. Um mir tausend Rubel zu leihen.

Bóbtschinski. Eine solche Summe, bei Gott, nein; Sie vielleicht, Pjotr Iwánowitsch?

Dóbtschinski. Ich auf keinen Fall, weil ich mein Geld, belieben Sie zu vermerken, bei der Staatskreditbank angelegt habe.

Chlestakóff. Na, wenn nicht tausend, dann doch hundert.

Bóbtschinski (in den Taschen wühlend). Haben Sie nicht hundert Rubel, Pjotr Iwánowitsch? Ich habe nur vierzig in Papier.

Dóbtschinski. Und ich fünfundzwanzig alles in allem.

Bóbtschinski. Sehen Sie nur genauer nach, Pjotr Iwánowitsch! Ich weiß genau, in Ihrer rechten Tasche ist ein Loch, da werden sich gewiß ein paar verkrochen haben.

Dóbtschinski. Nein, auch da ist nichts drin.

Chlestakóff. Nun egal: was liegt daran; meinetwegen also fünfundsechzig Rubel ... Ist mir einerlei. (Nimmt das Geld.)

Dóbtschinski. Ich möchte mir die Freiheit nehmen, Ihnen noch eine besondere Bitte in einer delikaten Angelegenheit vorzutragen.

Chlestakóff. Und das wäre?

Dóbtschinski. Die Sache ist sehr delikater Natur: mein ältester Sohn, bitte ergebenst zu vermerken, wurde noch kurz vor meiner Hochzeit geboren ...

Chlestakóff. So?

Dóbtschinski. Ja, das heißt, man nennt das nur so, aber er ist so gewiß mein leiblicher Sohn, als wenn er in der Ehe geboren wäre, und überdies habe ich hinterher alles, wie sich’s gehört, durch den gesetzlichen Ehebund geordnet. Nun möchte ich gerne, bitte zu vermerken, daß er von jetzt an auch richtig, das heißt gesetzlich mein Sohn sei und sich nennen dürfte wie ich, Dóbtschinski.

Chlestakóff. Gut, mag er sich doch so nennen, warum nicht?

Dóbtschinski. Ich würde Sie auch damit gar nicht belästigt haben, aber es wäre zu schade um seine Talente. So ein Kerlchen ... berechtigt zu den schönsten Hoffnungen: die verschiedensten Gedichte sagt er auswendig her, und wenn er wo ein Messer in die Finger kriegt, da schnitzt er Ihnen gleich kleine Wägelchen, so geschickt wie ein Tausendkünstler. Pjotr Iwánowitsch kann’s bezeugen.

Bóbtschinski. Ja, er hat wunderbare Talente!

Chlestakóff. Gut gut! Ich werde mir Mühe geben, will Rücksprache nehmen ... ich hoffe ... es soll geschehen, ja, ja ... (zu Bóbtschinski gewandt). Haben Sie nicht auch noch ein Anliegen?

Bóbtschinski. Freilich, ich hätte eine untertänigste Bitte.

Chlestakóff. Nun und welcher Art?

Bóbtschinski. Bitte untertänigst, wenn Sie wieder nach Petersburg kommen, sagen Sie bitte all den verschiedenen hochmögenden Senatoren und Admirälen: Ew. Exzellenz, oder: Ew. Hochwohlgeboren, dort in der und der Stadt lebt Pjotr Iwánowitsch Bóbtschinski — genau so: lebt Pjotr Iwánowitsch Bóbtschinski.

Chlestakóff. Sehr gerne.

Bóbtschinski. Auch wenn Sie mal zufällig den Kaiser treffen, dann sagen Sie bitte auch dem Kaiser: Halten zu Gnaden, kaiserliche Majestät, aber in der und der Stadt lebt Pjotr Iwánowitsch Bóbtschinski.

Chlestakóff. Aber sehr gerne.

Dóbtschinski. Verzeihen Sie, daß wir Sie mit unserer Gegenwart so belästigt haben.

Bóbtschinski. Verzeihen Sie, daß wir Sie mit unserer Gegenwart so belästigt haben.

Chlestakóff. Bitte, hat nichts zu sagen! War mir sehr angenehm. (Geleitet sie bis an die Tür.)

8. Szene

Chlestakóff allein.

Chlestakóff. Recht viel Beamte gibt’s hier. Sie scheinen mich übrigens alle für ein großes Tier zu halten. Freilich, ich habe ihnen gestern einigen blauen Dunst vorgemacht. Die Schafsköpfe! Ich müßte das alles doch an Trapítschkin nach Petersburg schreiben: er verfaßt so kleine Feuilletons — mag er die doch mal gehörig vornehmen. — He, Ossip! Gib mir Tinte und Papier. (Ossip guckt zur Tür herein und ruft: „Gleich!“) Für Trapítschkin wäre das ein gefundenes Fressen — ein gefährlicher Bursche: würde seinen eigenen Vater für einen guten Witz preisgeben, und Geld sieht er auch gern. Diese Beamten sind übrigens recht biedere Leute; ein netter Zug von ihnen, daß sie mir Geld leihen. Ich muß doch mal nachsehen, wie viel es ist. Diese dreihundert vom Kreisrichter — diese dreihundert vom Postmeister, sechshundert — siebenhundert — achthundert ... was für ein fettiger Lappen! achthundert — neunhundert ... Oho, bis an die tausend hat sich das aufgeläppert ... Was sagst du nun, mein schlauer Hauptmann? Komm mir jetzt mal unter die Finger, wollen doch mal sehen, wer den anderen unterkriegt! —

9. Szene

Chlestakóff. Ossip (mit Schreibzeug und Papier).

Chlestakóff. Na, du Esel, siehst du wohl, wie sie mich hier verwöhnen und hofieren! (Beginnt zu schreiben.)

Ossip. Ja, Gott sei gelobt! Aber wissen Sie was, Iwán Alexándrowitsch?

Chlestakóff. Na?

Ossip. Reisen Sie ab! Wahrhaftig, ’s is Zeit!

Chlestakóff (schreibt). Verrücktheit! Weshalb denn?

Ossip. Na so. Was gehen uns alle die Leute an! Zwei Tage haben wir uns hier ausgetobt, na und nu is genug! Was brauch man sich länger mit ihnen abgeben. Spucken Sie drauf! Die Luft is auch nich ganz rein: ’s kann wer anders ankommen — wahrhaftig, Iwán Alexándrowitsch! Und Pferde gibt’s hier so tüchtige — laufen können die ...!

Chlestakóff (schreibt). Nein, ich möchte noch bleiben. Meinetwegen denn morgen.

Ossip. Eh, morgen! Fahren wir doch heute, Iwán Alexándrowitsch! Und wenn man Ihnen hier auch viel Ehre antut, Sie wissen’s ja alleine: besser is auf und davon ... Man nimmt Sie hier ja doch nur für einen andern, und unser alter Herr wird sich ärgern, wenn Sie solange fackeln. Fein könnten wir wahrhaftig abkutschieren! Und stramme Pferde würden sie geben!

Chlestakóff (schreibt). Na gut. Aber erst besorge mir diesen Brief, und dann kannst du meinetwegen gleich einen Postwagen bestellen. Aber sieh zu, daß wir tüchtige Pferde bekommen. Sag dem Postillon: ich lasse ein paar silberne springen, wenn er mich flott wie einen Staatskurier fährt und hübsch dazu bläst! ... (Schreibt weiter.) Ich sehe schon im voraus, wie sich Trapítschkin totlachen wird ...

Ossip. Herr, ich schick den Brief lieber mit dem Hausknecht fort und pack unterdessen geschwind ein, damit keine Zeit verloren geht.

Chlestakóff. Gut. Bring ein Licht.

Ossip (geht hinaus und spricht hinter der Szene). He, Kamerad! Sollst ’n Brief auf die Post tragen und sag dem Postmeister, er soll ihn franko befördern, und er soll dem Herrn gleich die beste Tróika schicken, mit Kurierpferden; und sag, der Herr zahlt dafür nich, sag: ’ne Fuhre auf Staatskosten. Aber flott muß alles gehn, sonst schimpfen seine Gnaden der Herr. Wart, der Brief is noch nich fertig.

Chlestakóff (schreibt weiter). Möchte nur wissen, wo er jetzt wohnt, ob auf der Poststraße oder der Krautstraße; er liebt auch von einem Quartier ins andre zu ziehn und die Miete schuldig zu bleiben. Na, ich schreibe aufs Geratewohl: Poststraße. (Faltet den Brief und adressiert.)

Ossip (bringt ein Licht).

Chlestakóff (siegelt).

(Währenddessen hört man die Stimme Djerschimórdas: „Fort, du Lausbart, hörst doch, daß keiner rein darf!“)

Chlestakóff (gibt Ossip den Brief). Da, bring ihn fort.

(Stimmen der Kaufleute: „Laß uns doch rein! Du mußt uns reinlassen, wir kommen um Geschäfte!“)

Stimme Djerschimórdas. Raus! Raus! Er empfängt nich, er schläft!

(Der Lärm nimmt zu.)

Chlestakóff. Was ist da los, Ossip? Sieh mal nach, was der Lärm bedeutet.

Ossip (sieht aus dem Fenster). Da sind Kaufleute, die rein wollen, aber der Polizist läßt sie nich. Sie winken mit Papieren. Wahrscheinlich wollen sie zu Ihnen.

Chlestakóff (tritt ans Fenster). Was wollt ihr, guten Leute?

Stimmen der Kaufleute. Wir kommen zu deiner Barmherzigkeit! Hab Mitleid, Herr, und nimm unsere Bittschriften an!

Chlestakóff. Man soll sie hereinlassen! Sie mögen kommen. Ossip, sag ihnen, sie mögen kommen.

Ossip (geht hinaus).

Chlestakóff (nimmt durchs Fenster Bittschriften entgegen, faltet eine auseinander und liest). „Seiner hochwohlgeborenen Erlauchtheit dem Herrn Finanziell vom Kaufmann Awdúljin ...“ der Teufel soll wissen, was das ist; und solchen Titel gibt’s erst recht nicht!

10. Szene

Chlestakóff. Kaufleute (mit Weinkörben und Zuckerhüten).

Chlestakóff. Was wollt ihr, lieben Leute?

Kaufleute. Klagen kommen wir vor Eure Barmherzigkeit.

Chlestakóff. Worum handelt es sich?

Kaufleute. Laß uns nicht verderben, allergnädigster Herr! Unschuldig richtet er uns zugrunde!

Chlestakóff. Wer?

Einer der Kaufleute. Alles unser Polizeimeister! Herr, so einen Polizeimeister hat’s noch nie gegeben. Was der uns für Niedertracht antut, das is nich auszudenken. Hat uns so ausgeplündert, daß man bloß noch ’ne Schlinge um den Hals braucht. Wie geht er auch mit einem um! Kriegt einen beim Bart zu packen und sagt: „Ach du Tatarenhund!“ Bei Gott, das tut er! Wenn wir ihm noch hätten was abgehen lassen; aber wir tun ja alles, was wir nur können: was er verlangen kann zu Kleidern für seine Frau und seine Tochter — daran läßt man’s ja nicht fehlen. Aber, siehste, das is ihm alles noch nich genug! Kommt in den Laden rein, und was ihm in die Hände fällt, alles nimmt er mit: sieht er ’n Stück Stoff: „He, Freundchen, schöner Stoff; trag ihn mal zu mir rüber!“ Nu und man muß ’n ihm hintragen, und dabei sind’s doch wenigstens fünfzig Ellen!

Chlestakóff. Nicht möglich? Ist das ein Spitzbube!

Kaufleute. Wirklich wahr! Auf so’n Polizeimeister kann sich keiner nich besinnen. Man versteckt schon alles im Laden, wenn man ihn kaum kommen sieht. Nich mal feine Sachen nur nimmt er, nein, er nimmt jeden Dreck: Backpflaumen, die schon sieben Jahr in der Tonne liegen und die bei uns kein Hausknecht fressen möchte — aber er steckt sich so ’ne Handvoll davon da rein. Auf St. Anton ist sein Namenstag, und man denkt nu, man hat alles gegeben, was er nur brauchen kann: nein, noch mehr soll man geben; er sagt, auf St. Onuphrius hätt’ er auch noch ’n Namenstag. Was soll man nu tun? Man muß auch den St. Onuphrius feiern.

Chlestakóff. Aber das ist ja ein richtiger Räuber!

Kaufleute. Ach Gott, ja. Aber versuch’ einer sich zu sperren, gleich schickt er einem ’n ganzes Regiment Einquartierung. Schlägt man Lärm, dann läßt er einem die Türen verrammeln und sagt: „Foltern und geißeln kann ich dich nicht, das erlaubt mir das Gesetz nicht, aber, Bürschchen, du sollst mir Heringe fressen, bis dir ...!“

Chlestakóff. Dieser Halunke! Der gehört ja direkt nach Sibirien!

Kaufleute. Ach, wo deine Gnade ihn auch hinschickt, das ist uns alles recht, nur weiter weg von uns. Lieber Vater, verachte nich unser Salz und Brot: laß uns dir mit diesem Endchen Zucker und ’nem Körbchen Wein unsere Ehrfurcht beweisen.

Chlestakóff. Nein, das laßt bleiben: ich nehme absolut keine Geschenke. Aber wenn ihr mir zum Beispiel dreihundert Rubel leihen wolltet, das wäre dann was anderes; das kann ich nehmen.

Kaufleute. Bitte, lieber Vater, bitte! (Sie holen Geld heraus.) Warum nur dreihundert? Nimm doch lieber gleich fünfhundert, nur hilf uns!

Chlestakóff. Wohlverstanden: ein Darlehn — dabei bleibt’s; ich nehme es an.

Kaufleute (reichen ihm auf einer silbernen Schale das Geld). Tu uns die Gnade und behalt’ auch gleich die Schale.

Chlestakóff. Nun, meinetwegen auch die Schale.

Kaufleute (sich verbeugend). Dann nimm doch auch schon auf einen Hieb die Zuckerhüte und ...

Chlestakóff. O nein, Geschenke niemals ...

Ossip. Euer Hochwohlgeboren! Warum nehmen Sie’s nich? Nehmen Sie’s doch. Auf der Reise kann man alles brauchen. Her mit dem Zucker und mit den Körben! Alles her! Alles kann zu was taugen. Was is da? ’n Strick? Her mit dem Strick! Auch ’n Strick is gut auf die Reise; bricht mal was am Wagen oder sonst was — man kann’s dann doch binden.

Kaufleute. Tun Sie uns nu auch die Gnade, Euer Herrlichkeit! Wenn Sie uns auf unsre Bitten nich helfen, dann wissen wir nich mehr wohin, dann schon lieber gleich ’n Strick um den Hals.

Chlestakóff. Unbedingt! Unbedingt! Ich werde mich bemühen.

(Die Kaufleute entfernen sich; man hört die)

Stimme eines Weibes. Nein, du darfst mich nicht abweisen; auch dich werde ich verklagen; stoß mich doch nicht so!

Chlestakóff. Wer ist dort? (Tritt ans Fenster.) Was willst du, Mütterchen?

Stimme zweier Frauen. Um deine Barmherzigkeit flehen wir, Vater! Herr, hör uns an!

Chlestakóff (ruft hinaus). Einlassen!

11. Szene

Chlestakóff. Die Schlosserfrau und die Unteroffizierfrau.

Schlosserfrau (auf die Knie fallend). Barmherzigkeit!

Unteroffizierfrau. Barmherzigkeit!

Chlestakóff. Wer seid ihr denn?

Unteroffizierfrau. Die Unteroffizierfrau Iwánow.

Schlosserfrau. Die Schlosserfrau und Bürgerin Fewrónja Pjetrówna Poschljópkina, mein Vater ...

Chlestakóff. Halt, erst soll eine reden. Was willst du?

Schlosserfrau. Barmherzigkeit. Ich klage gegen den Polizeimeister, soll ihn Gott schlagen mit allem Bösen, daß seine Kinder und er, der Halunke, und seine Onkels und seine Tanten alle, alle nicht wissen, wo sie hin sollen!

Chlestakóff. Was ist denn vorgefallen?

Schlosserfrau. Er hat meinem Mann den Kopf scheren lassen und ihn unter die Soldaten gesteckt und das Los war doch nicht auf uns gefallen, dieser Schuft! Und auch das Gesetz erlaubt’s nicht. Er ist ja verheiratet.

Chlestakóff. Wie konnte er denn das tun?

Schlosserfrau. Er hat’s getan, der Halunke! Er hat’s getan! Soll ihn Gott verdammen in dieser und in jener Welt! Und wenn er eine Tante hat, soll ihm auch seine Tante mit allen Pestilenzen geschlagen sein! Und sein Vater, wenn er noch lebt, die Kanaille! daß auch der verrecken soll oder ersticken soll in alle Ewigkeit! So ein Halunke der! Der Schneidersohn sollte genommen werden, der war ja auch ’n Säufer. Aber seine Eltern gaben ein schönes Stück Geld, da machte er sich dann an den Sohn der Kaufmannsfrau Panteléjeff. Aber die Panteléjeff schickte seiner Frau drei Stück Leinwand und da kam er zu mir. „Wozu brauchst du einen Mann,“ sagte er. „Für dich taugt er ja doch nichts mehr.“ Aber ich weiß alleine, ob er noch taugt oder nicht. Das ist schon meine Sache. So ein Halunke! „Ein Dieb ist er,“ sagt er, „wenn er auch jetzt nichts gestohlen hat. Ganz egal,“ sagt er, „stehlen wird er doch und sie werden ihn ja doch sowieso nächstes Jahr unter die Soldaten stecken.“ Was soll ich dann anfangen ohne Mann? So ein Halunke! Sollen doch alle seine Verwandten es so kriegen, daß sie Gottes Licht nicht mehr sehen können und wenn er eine Schwiegermutter hat, so soll auch die Schwiegermutter ...

Chlestakóff. Genug, genug! Nun und du? (Schafft dabei die Schlosserfrau hinaus.)

Schlosserfrau (im Fortgehen). Vergiß es nicht, mein Vater, sei barmherzig.

Unteroffizierfrau. Ich kam wegen dem Polizeimeister.

Chlestakóff. Nun, und warum? Antworte kurz.

Unteroffizierfrau. Ausgepeitscht, Herr.

Chlestakóff. Wie?

Unteroffizierfrau. Aus Irrtum, mein Vater. Die Weiber zankten sich auf dem Markte und wie die Polizei kam und sie nicht fangen konnte, da griffen sie mich und haben mich so zerschunden, daß ich zwei Tage nicht sitzen konnte.

Chlestakóff. Ja, aber was ist jetzt da zu machen?

Unteroffizierfrau. Gewiß ist nichts zu machen, aber für den Fehler soll er Strafe zahlen. Ich muß ja mein Kreuz nun doch tragen, aber Geld könnte ich jetzt grade brauchen.

Chlestakóff. Gut, gut. Geh, geh. Ich werde es anordnen. (Nach dem Fenster strecken sich Hände mit Bittschriften empor.) Wer ist denn da noch? (Geht ans Fenster.) Ich will nicht, ich will nicht! Genug, genug! (Tritt zurück.) Das habe ich jetzt satt. Hol’s der Teufel! Niemand mehr einlassen!

Ossip (schreit aus dem Fenster). Fort, fort! Keine Zeit, kommt morgen wieder!

(Die Tür öffnet sich und es erscheint in ihr eine Gestalt im wollenen Mantel mit verwildertem Bart, geschwollenen Lippen und verbundener Backe. Hinter ihr erscheinen noch einige andere Gestalten.)

Ossip. Raus! Raus! Was untersteht ihr euch! (Packt den ersten um den Leib und zieht ihn mit sich hinaus ins Vorzimmer, die Tür hinter sich zuschlagend.)

12. Szene

Chlestakóff. Márja Antónowna.

Márja. Ach!

Chlestakóff. Warum erschraken Sie so, mein Fräulein?

Márja. Oh, ich bin gar nicht erschrocken.

Chlestakóff (galant.) Aber mein Fräulein, es ist mir ja gerade sehr angenehm, daß Sie mich für einen Menschen hielten, welcher ... Darf ich so kühn sein, zu fragen, wohin Sie zu gehen beabsichtigten?

Márja. Wirklich, ich wollte nirgends hin.

Chlestakóff. Was wollten Sie beispielsweise mit dem nirgendshin sagen?

Márja. Ich dachte, ob Mama vielleicht hier ...

Chlestakóff. Nein, ich möchte eben gerne wissen, weshalb Sie nirgend wohin gingen?

Márja. Ich habe Sie gestört. Sie waren mit wichtigen Angelegenheiten beschäftigt.

Chlestakóff (galant). Ihre Augen sind reizvoller als alle wichtigen Angelegenheiten. Sie können mich überhaupt nicht stören. Ganz und gar nicht. Im Gegenteil, Sie können mir nur Vergnügen bereiten.

Márja. Sie sprechen im Tone der Großstadt —

Chlestakóff. Zu einem so entzückenden Geschöpf, wie Sie es sind. Darf ich mir das Glück gönnen, Ihnen einen Stuhl anzubieten? Doch nein, Sie sollten keinen Stuhl, Sie sollten einen Thron haben.

Márja. Wirklich, ich weiß nicht ... ich hätte doch wohl gehen müssen. (Setzt sich.)

Chlestakóff. Was haben Sie da für ein reizendes Halstuch?

Márja. Sie sind ein Spötter, und wollen sich nur über eine Provinzialin lustig machen.

Chlestakóff. Ach, mein Fräulein, wie sehr wünschte ich, Ihr Halstuch zu sein, um Ihren Lilienhals umschlingen zu können!

Márja. Ich verstehe ganz und gar nicht, wovon Sie sprechen. Dieses Halstuch ... Was für wunderbares Wetter heute ist!

Chlestakóff. Ihre Lippen, mein Fräulein, sind schöner als jedes Wetter.

Márja. Wie Sie auch immer reden ... Ich möchte Sie bitten, mir lieber ein paar Verse zur Erinnerung ins Album zu schreiben. Sie wissen jedenfalls eine Menge.

Chlestakóff. Für Sie, mein Fräulein, tue ich alles, was Sie wünschen. Was für Verse wollen Sie haben?

Márja. Irgendwelche, nur recht hübsche, neue.

Chlestakóff. Was heißt Verse! Ich kenne so viele.

Márja. Also sagen Sie, welche wollen Sie mir einschreiben?

Chlestakóff. Weshalb sagen? Ich kenne sie auch so.

Márja. Ich habe Verse so gern.

Chlestakóff. Ich weiß eine Menge der verschiedensten Gattung. Was meinen Sie zum Beispiel zu diesen:

„O du, der du in Liebesnot

Umsonst mit deinem Schöpfer rechtest!“

Oder anderes dergleichen. Sie wollen mir jetzt gerade nicht einfallen. Aber das tut nichts, statt dessen ziehe ich es vor, Ihnen meine Liebe anzutragen, die durch Ihren Blick ... (Rückt mit dem Stuhle näher).

Márja. Liebe? Ich verstehe nichts von Liebe. Ich habe noch nie gewußt, was Liebe ist. (Rückt mit dem Stuhl weiter ab).

Chlestakóff. Warum rücken Sie denn fort? Es wäre doch viel netter, wenn wir nahe beieinander säßen.

Márja (rückt mit ihrem Stuhl weiter ab). Warum denn nahe? Es kann ja auch weiter sein.

Chlestakóff (rückt näher). Warum denn weiter? Es kann ja auch näher sein.

Márja. Aber warum denn?

Chlestakóff (rückt näher). Sehen Sie, es scheint Ihnen bloß so, daß das nahe ist. Bilden Sie sich ein, es sei weiter. Wie glücklich würde ich sein, mein Fräulein, Sie in meine Arme schließen zu können!

Márja (blickt nach dem Fenster). Was war das, was da vorbeiflog, eine Elster oder ein anderer Vogel?

Chlestakóff (küßt sie auf die Schulter und blickt nach dem Fenster). Eine Elster!

Márja (steht unwillig auf). Nein, das geht zu weit! Diese Dreistigkeit!

Chlestakóff (hält sie zurück). Verzeihen Sie, mein Fräulein, das tat ich nur aus Liebe, aus reiner Liebe.

Márja. Sie halten mich für eine Art von Provinzmädchen ... (Sie bemüht sich hinauszukommen.)

Chlestakóff (hält sie immer noch fest). Nur aus Liebe, wirklich nur aus Liebe. Ich scherzte nur ein wenig, Márja Antónowna. Zürnen Sie mir nicht. Ich bin bereit, Sie auf den Knien um Verzeihung zu bitten. (Fällt auf die Knie.) Verzeihen Sie, verzeihen Sie! Sie sehen mich auf den Knien!

13. Szene

Die Vorigen und Anna Andréjewna.

Anna Andréjewna (erblickt Chlestakóff auf den Knien liegend). Ah, welche Situation!

Chlestakóff (sich erhebend). Verflucht!

Anna Andréjewna (zur Tochter). Was soll das heißen, mein Fräulein? Was ist das für ein Betragen?

Márja. Ach, Mama, ich ...

Anna Andréjewna. Marsch hinaus, hörst du, hinaus, und wage es nicht, mir unter die Augen zu treten. (Márja in Tränen ab).

Anna Andréjewna. Verzeihen Sie, aber meine große Bestürzung ...

Chlestakóff (beiseite). Auch noch ganz appetitlich. Gar nicht übel. (Fällt auf die Knie.) Gnädigste, Sie sehen, ich brenne vor Liebe.

Anna Andréjewna. Wie, auf den Knien? Ach, stehen Sie auf, der Fußboden ist hier so staubig.

Chlestakóff. Nein, auf den Knien, durchaus auf den Knien. Ich muß wissen, was meiner harrt, Leben oder Tod!

Anna Andréjewna. Aber erlauben Sie, ich verstehe den Sinn Ihrer Worte noch gar nicht. Irre ich nicht, so wollen Sie sich zugunsten meiner Tochter erklären?

Chlestakóff. Nein, ich liebe Sie, mein Leben hängt an einem Faden. Wenn Sie meine unwandelbare Liebe nicht krönen, so bin ich des irdischen Daseins nicht wert. Mit flammendem Herzen bitte ich um Ihre Hand!

Anna Andréjewna. Aber gestatten Sie mir zu bemerken, ich bin gewissermaßen — ich bin verheiratet.

Chlestakóff. Was liegt daran! Die Liebe kennt keinen Unterschied. Sagte doch schon Karámsin, „die Gesetze verdammen“. Wir ziehen uns in den Schatten eines Baches zurück. Ihre Hand, ich bitte um Ihre Hand!

14. Szene

Die Vorigen. Márja Antónowna eilt plötzlich herein.

Márja. Mama, Papa wünscht, du möchtest (erblickt Chlestakóff auf den Knien und ruft aus.) Ah, welche Situation!

Anna Andréjewna. Nun was soll das? Wohin? Warum? Welche Keckheit! Hereinzustürzen wie eine verbrannte Katze! Nun, was ist daran so Erstaunliches? Was hat dir so aufzufallen? Wirklich gerade wie ein dreijähriges Kind. Ich weiß nicht, ob du jemals vernünftiger werden und dich benehmen wirst, wie es sich für ein wohlerzogenes Mädchen schickt. Ob du jemals begreifen wirst, was es heißt, gute Sitte und anständiges Betragen!

Márja (unter Tränen). Wirklich Mama, ich wußte nicht ...

Anna Andréjewna. Ewig hast du Flatterkram im Kopf. Du nimmst dir dein Beispiel an den Töchtern des Kreisrichters. Was brauchst du nach denen hinzusehen, du sollst dich nicht um sie scheren. Du kannst andere Vorbilder haben. Sieh deine Mutter an. Nach solchen Vorbildern sollst du dich richten!

Chlestakóff (nimmt die Tochter bei der Hand). Anna Andréjewna, widersetzen Sie sich nicht unserm Glück, segnen Sie unsere treue Liebe.

Anna Andréjewna (in höchstem Erstaunen). Dann wären Sie also in sie ...

Chlestakóff. Entscheiden Sie, ob Leben oder Tod.

Anna Andréjewna. Nun sieh, du Närrin, sieh, deinetwegen, um solch albernes Ding hat unser Gast die Gnade gehabt, sich auf die Knie herabzulassen und du rennst plötzlich fort wie eine Verrückte. Wahrhaftig, ich hätte alle Veranlassung, mich zu weigern. Du bist eines solchen Glückes nicht wert!

Márja. Nie wieder tu ich’s, Mama, wirklich nie wieder!

15. Szene

Die Vorigen. Polizeimeister in größter Hast hereintretend.

Polizeimeister. Nie wieder, Euer Exzellenz! Verderben Sie mich nicht, verderben Sie mich nicht!

Chlestakóff. Was haben Sie denn?

Polizeimeister. Die Kaufleute da haben sich bei Eurer Exzellenz beschwert. Auf Ehre versichere ich, nicht die Hälfte von dem ist wahr, was sie sagen. Sie selber betrügen und übervorteilen das Volk. Die Unteroffiziersfrau hat Ihnen vorgelogen, ich hätte sie durchpeitschen lassen. Sie lügt, bei Gott sie lügt. Sie hat sich selber durchgepeitscht.

Chlestakóff. Weg mit der Unteroffiziersfrau! Was geht die mich an!

Polizeimeister. Glauben Sie ihnen nicht! Glauben Sie ihnen nicht! Das sind solche Lügner, kein Wickelkind glaubt denen mehr. Die ganze Stadt kennt sie als Lügner, und was die Spitzbüberei betrifft, sie selbst sind Spitzbuben, wie es noch keine auf der Welt gab.

Anna Andréjewna. Weißt du denn auch, welcher Ehre uns Iwán Alexándrowitsch würdigt? Er bittet um die Hand unserer Tochter.

Polizeimeister. Aber, aber, Frauchen, du bist von Sinnen! Bitte zürnen Sie nicht, Exzellenz, sie ist ein bißchen wunderlich. Die Mutter war auch so.

Chlestakóff. Nein, ich bitte tatsächlich um ihre Hand. Ich liebe sie.

Polizeimeister. Das kann ich unmöglich glauben, Exzellenz.

Anna Andréjewna. Aber wenn man es dir doch sagt!

Chlestakóff. Ich sage das nicht, um zu scherzen. Ich könnte vor Liebe den Verstand verlieren.

Polizeimeister. Ich wage es nicht zu glauben, ich bin dieser Ehre nicht würdig.

Chlestakóff. Wenn Sie sich weigern, mir die Hand ihrer Tochter zu geben, dann bin ich weiß Gott wozu entschlossen.

Polizeimeister. Ich kann es nicht glauben. Sie belieben zu scherzen, Exzellenz.

Anna Andréjewna. Nein, wahrhaftig, was für ein Tölpel! Wenn man’s dir doch nun sagt!

Polizeimeister. Ich kann’s nicht glauben.

Chlestakóff. Geben Sie mir Ihre Hand, geben Sie, ich bin ein tollkühner Mensch und zu allem bereit. Wenn ich mich erschieße, kommen Sie vors Gericht.

Polizeimeister. O mein Gott, ich bin wirklich, wirklich nicht schuld, weder mit Leib noch Seele. Bitte zürnen Sie nicht, handeln Sie, wie es Ihre Gnaden für gut erachten. In meinem Kopfe sieht es augenblicklich ... ich weiß selbst nicht, was da vorgeht. Ich bin jetzt ein solcher Narr, wie ich es noch niemals gewesen bin.

Anna Andréjewna. Nun, gib deinen Segen.

Chlestakóff (tritt mit Márja Antónowna heran).

Polizeimeister. So segne euch Gott, aber ich bin unschuldig! (Chlestakóff tauscht mit Márja Küsse. Polizeimeister blickt auf sie.) Was für ein Teufelskerl, es ist nicht zu sagen! (Reibt sich die Augen.) Ja, ja, küssen sich, ganz klar, küssen sich. Genau wie ein Bräutigam! Hui, da ist mir aber ein Glück einbeschert! Alle Wetter!

16. Szene

Die Vorigen und Ossip.

Ossip. Der Wagen ist bereit.

Chlestakóff. Schön, Ossip, gleich.

Polizeimeister. Sie geruhen abzureisen?

Chlestakóff. Ja, ich reise.

Polizeimeister. Und wann — das heißt — ... Sie geruhten doch selber vorhin auf eine Hochzeit anzuspielen?

Chlestakóff. Ach, das ist nur momentan. Ich reise bloß für einen Tag zu meinem Onkel — reicher alter Mann — morgen bin ich wieder zurück.

Polizeimeister. Wir wagen nicht Sie zurückzuhalten — in Hoffnung auf ein glückbringendes Wiedersehen.

Chlestakóff. Aber was denn! Ich bin ja gleich wieder da. Leb wohl, meine Liebe ... Nein, ich kann es nicht ausdrücken, leb wohl, mein Herzchen! (Küßt ihr die Hand.)

Polizeimeister. Benötigen Sie vielleicht etwas für die Reise? Sie schienen etwas knapp an Geldmitteln?

Chlestakóff. O nein, wie so? (Denkt etwas nach.) Na, übrigens ja, bitte.

Polizeimeister. Wieviel wünschen Sie?

Chlestakóff. Sie gaben mir damals zweihundert, das heißt nicht zweihundert, sondern vierhundert, ich will aus Ihrem Versehen keinen Vorteil ziehen — dann also bitte jetzt noch einmal vierhundert, damit es rund achthundert sind.

Polizeimeister. Sofort. (Holt die Scheine aus der Brieftasche.) Noch dazu, wie bestellt, ganz neue Scheine.

Chlestakóff. Sieh da! (Nimmt und betrachtet die Scheine.) Das ist schön. Heißt es nicht „neues Geld, neues Glück“?

Polizeimeister. Sehr richtig!

Chlestakóff. Leben Sie wohl, Antón Antónowitsch, ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Gastfreundschaft. Ich habe noch nirgendwo eine so gute Aufnahme gefunden. Leben Sie wohl, Anna Andréjewna, mein süßer Schatz, Márja Antónowna!

(Hinter der Szene):

Stimme des Chlestakóff. Leb wohl, Engel meiner Seele, Márja Antónowna!

Stimme des Polizeimeisters. Wie? Sie wollen mit dem einfachen Postwagen reisen?

Stimme des Chlestakóff. Ja, ich bin’s schon so gewohnt. In den federnden Wagen bekomme ich nur Kopfschmerzen.

Stimme des Postillons. Prrr! ...

Stimme des Polizeimeisters. Man sollte ihn wenigstens mit etwas überdecken und wenn’s auch nur ein Teppich wäre. Soll ich nicht nach einem Teppich schicken?

Stimme des Chlestakóff. Nein, wozu. Das ist unnötig. Aber vielleicht doch — gut, lassen Sie einen holen.

Stimme des Polizeimeisters. He, Awdótja, lauf in die Kammer und hol den besten Teppich, den mit dem blauen Fond, den persischen, schnell!

Stimme des Postillons. Prrr!

Stimme des Polizeimeisters. Wann dürfen wir Sie zurück erwarten?

Stimme des Chlestakóff. Morgen oder übermorgen.

Stimme des Ossip. Is das der Teppich? Gib ihn hierher. So hinlegen. So, und dort noch ’n bissel Heu, so.

Stimme des Postillons. Prrr!

Stimme des Ossip. Noch auf der Seite! Hierher! Noch! Genug! So wird’s fein gehn. (Schlägt mit der Hand auf den Teppich.) So, Euer Wohlgeboren, nu setzen Sie sich!

Stimme des Chlestakóff. Adieu, Antón Antónowitsch!

Stimme des Polizeimeisters. Leben Sie wohl, Euer Exzellenz!

Weibliche Stimmen. Adieu, Iwán Alexándrowitsch!

Stimme des Chlestakóff. Adieu, Mama!

Stimme des Postillons. Los, ihr Hengste!

(Die Postglocke ertönt, der Vorhang fällt.)

(Ende des vierten Aufzuges.)

Fünfter Aufzug

(Dasselbe Zimmer.)

1. Szene

Polizeimeister. Anna Andréjewna. Márja Antónowna.

Polizeimeister. Nun Frau, hättest du an so etwas gedacht? Solch einen Fang zu tun? Du Närrin, gesteh’ es, hättest du dir das träumen lassen? — Eben noch eine gewöhnliche Frau Polizeimeisterin und plötzlich — du Glückspilz, mit so einem Teufelskerl verschwägert.

Anna Andréjewna. O, freilich, das wußte ich längst. Nur dich nimmt das Wunder, weil du ein gewöhnlicher Mensch bist und noch nie gebildete Leute gesehen hast.

Polizeimeister. Ich bin auch ein gebildeter Mensch, aber um darauf zurückzukommen, wahrhaftig, wenn man bedenkt, Frau, was wir beide jetzt für stolze Vögel geworden sind! Nein, Frau, und diese erhabene Höhe, hol’s der Teufel! Halt, jetzt will ich doch mal dieser Bande ihre Bittschriften und Denunziationen eintränken. He, niemand da?

Polizeidiener (kommt herein).

Polizeimeister. Ah, du, Iwán Karpówitsch, schaff mir mal die Kaufleute her, ich will die Kanaillen! Sich über mich beschweren! Seht doch, ihr verdammten Schacherseelen! Wartet nur, Bürschchen, habe ich euch bisher nur geschoren, so sollt ihr mir jetzt geschunden werden! Notier mir jeden, der sich über mich beschwert hat und vornehmlich dieses Schmiererpack, das ihnen die Bittschriften aufgesetzt hat, und bringe ihnen allen bei, daß sie wissen sollen, was Gott für einen Segen auf den Polizeimeister herabgeschickt hat, daß er seine Tochter verheiratet, aber nicht an den ersten besten gewöhnlichen Kerl, nein, sondern an einen, wie es in der Welt noch keinen zweiten gegeben hat, der alles vermag, alles, alles! Schärf’s ihnen allen ein, daß sie’s auch gut wissen, laß es in der ganzen Stadt ausrufen, von sämtlichen Glocken ausläuten. Den Teufel auch, wenn schon triumphieren, dann auch ordentlich triumphieren!

Polizeidiener (ab).

Polizeimeister. Na, nun, Frau, was? Wo werden wir jetzt leben? Hier oder in Petersburg?

Anna Andréjewna. Natürlich in Petersburg, wer soll’s denn auch hier aushalten.

Polizeimeister. Nun, Petersburg ist Petersburg, aber auch hier war’s gar nicht so übel, und das Polizeimeisterspielen, scheint mir, geht dann auch zum Teufel, was Frau?

Anna Andréjewna. Selbstverständlich, was ist denn an dem Polizeimeister gelegen?

Polizeimeister. Jetzt wird man denn auch, was meinst du Frau, hübsch im Rang in die Höhe klettern können, da er ja mit allen Ministern auf du und du steht und zu Hofe fährt. Er könnte einen dann so nett bugsieren, daß man mit der Zeit auch in den Generalsrock hineinschlüpft. Was meinst du, Frau, ob man das wohl erwischt?

Anna Andréjewna. Und ob! Kleinigkeit!

Polizeimeister. Teufel auch, schön wär’s doch General zu sein, die ganze Brust voller Orden und Ordensbänder. Welches ist dir denn lieber, Frau, das rote oder das blaue?

Anna Andréjewna. Selbstredend das blaue.

Polizeimeister. Ei sieh doch, wie hoch sie hinauswill! Auch das rote ist ganz nett. Sieh, warum wünscht man sich General zu sein? Deshalb, weil, wenn man irgendwo hinreist, immer die Feldjäger und Adjutanten vor einem herfliegen: „Pferde“! Und alle andern müssen auf der Station warten, weil sie keine kriegen, alle diese Titulierten und Hauptleute und Polizeimeister, und nur man selbst ist über alles erhaben. Man speist jedesmal beim Gouverneur, und in der Ecke, sieh doch mal, steht dann so ein Polizeimeister. Hahaha! Kanaillenmäßiger Spaß das! (Lacht, daß ihm die Tränen über die Backen laufen.)

Anna Andréjewna. Dir gefällt auch immer nur das Brutale! Du solltest daran denken, daß sich das Leben bald ganz anders wird gestalten müssen, daß deine Bekannten nicht von dem Schlage sein werden, wie so irgendein „Hetzpeitschen-Kreisrichter“, mit dem du auf die Hasenjagd fährst, oder so ein Semljaníka; im Gegenteil, das werden Leute von feinster Lebensart sein, Grafen und Männer der großen Welt ... Aber ich habe wirklich deinetwegen Angst, dir entschlüpfen nicht selten Ausdrücke und Worte, die man in der guten Gesellschaft nie zu hören bekommt.

Polizeimeister. Ach was, Worte tun einem keinen Schaden.

Anna Andréjewna. Allerdings, so lange du Polizeimeister warst, aber dort ist das Leben ein ganz anderes.

Polizeimeister. Ach freilich, dort soll es ja auch zwei Fische geben, Plötz und Stint, so köstlich, daß einem schon vor dem Essen das Wasser im Munde zusammenläuft.

Anna Andréjewna. Ach du und deine Fische! Ich aber wünsche, daß unser Haus das erste in der Residenz sei und daß in meinem Salon ein solcher Ambraduft schwebt, daß man beim Eintreten vor Entzücken die Augen schließt: (Schließt die Augen und tut, als wenn sie Duft einatmet.) Ah, wie wunderbar!

2. Szene

Die Vorigen und die Kaufleute.

Polizeimeister. Ah, willkommen, Ihr Diebsgesindel!

Kaufleute (sich verneigend). Gesundheit und langes Leben, Herr!

Polizeimeister. Na, Ihr Früchtchen, wie steht’s? Wie gehen die Geschäfte? Was, ihr Hausierer und Ellenreiter, ihr euch beschweren? Erzgauner, Bestien, Piratenbande, euch beschweren! So, habt ihr denn viel blechen müssen? „Nu“ denkt sich das, „dafür sperrt er ihn wohl auch ins Loch!“ Halunken, denen sieben Teufel und eine Hexe an die Gurgel fahren sollten! Wißt ihr auch, daß ...

Anna Andréjewna. O Gott, Antón, was du für schauderhafte Ausdrücke hast!

Polizeimeister (ärgerlich). Ach, was heißt hier Ausdrücke! Wißt ihr, daß derselbe Herr Beamte, bei dem ihr euch beschwert habt, jetzt meine Tochter heiraten wird? He? So, und was sagt ihr nun? Jetzt sollt ihr aber was erleben! Ihr beschwindelt die Leute, ihr übernehmt Lieferungen an den Staat und begaunert ihn um Hunderttausende, liefert verfaultes Tuch, opfert davon zwanzig Ellen und wollt auch noch dafür bedankt sein! Und wenn sie wüßten, wie man ihnen ...! Und dabei bläht sich das auch noch auf „ich bin Kaufmann, rühr mich nicht an!“ Dünkt sich so viel wie ein Edelmann, schöne Edelleute! Knoten seid ihr! Ein Edelmann hat Schulbildung, kriegt er auch mal Prügel in der Schule, dann nur darum, damit er was tüchtiges lerne, aber ihr, mit Schelmenstreichen fängt das an und kriegt vom Nachbar Hiebe, nur weil es sich ertappen läßt. Ehe das noch sein Vaterunser kann, betrügt das schon, und wenn ihnen der Bauch schwillt und sie sich die Taschen vollgeschlagen haben, dann tut das wichtig. Huh, was für ein Wundertier! Wenn das jeden Tag seine sechszehn Samoware angeblasen hat, dann dünkt sich das, wer weiß wie! Auf den Kopf spucken soll man euch und auf eure ganze Dicktuerei!

Kaufleute (sich verbeugend). Vergebung, Antón Antónowitsch, Vergebung!

Polizeimeister. Sich beschweren! Wer hat euch betrügen helfen, als ihr die Brücke bautet, und hat zwanzigtausend Rubel für Stämme angerechnet, obwohl deren kaum für hundert da waren? Ich hab euch geholfen, ihr Bocksbärte! Das habt ihr wohl vergessen, und ich hätte es auf euch schieben können und euch nach Sibirien bringen können. Was sagt ihr dazu, he?

Einer der Kaufleute. Vergebung, Antón Antónowitsch! Der Böse hat uns verführt. Eid darauf, wir beschweren uns nie wieder. Verlange, was du willst, als Sühne, aber zürne nur nicht!

Polizeimeister. Zürne nicht! So, jetzt winselt ihr auf den Knien vor mir und warum? Darum, weil ich jetzt der stärkere bin. Aber wenn ich nur einen Augenblick an eurer Stelle wäre, wie würdet ihr mich, Kanaillen, in den tiefsten Dreck stoßen und noch einen Klotz nachwerfen!

Kaufleute (verneigen sich bis zur Erde). Gnade, Antón Antónowitsch, Gnade!

Polizeimeister. Gnade, jetzt heißt’s Gnade, und vorher? Ich sollte euch ... (wehrt mit der Hand ab.) Nun, Gott möge euch verzeihen, jetzt genug davon. Ich bin nicht nachtragend; aber nun gebt acht, sperrt eure Ohren auf: ich verheirate meine Tochter an keinen beliebigen hergelaufenen Edelmann; daß mir die Aussteuer sich sehen lassen kann ... verstanden! Bildet euch nicht ein, mit so einem Stockfisch oder einem Hut Zucker euch drumrum drücken zu können ..! Und nun hinaus!

Kaufleute (entfernen sich).

3. Szene

Die Vorigen. Kreisrichter. Hospitalverwalter. Nachher Rastakówski.

Kreisrichter (noch an der Tür). Darf man seinen Ohren trauen, Antón Antónowitsch? Ein außergewöhnliches Glück ist Ihnen zuteil geworden!

Hospitalverwalter. Habe die Ehre, Ihnen zu diesem außergewöhnlichen Glück zu gratulieren! Ich habe mich aufrichtig gefreut, als ich’s vernahm! (Nähert sich Márja Antónowna zum Handkusse.) Márja Antónowna!

Rastakówski (hereintretend). Gratuliere, Antón Antónowitsch! Gott schenke Ihnen und dem jungen Paare ein langes Leben und reiche Nachkommenschaft an Enkeln und Enkelkindern! Anna Andréjewna! (Küßt Anna Andréjewna die Hand.) Márja Antónowna! (Küßt Márja die Hand.)

4. Szene

Die Vorigen. Koróbkin und Frau. Ljuljukóff.

Koróbkin. Habe die Ehre, Ihnen zu gratulieren, Antón Antónowitsch! Anna Andréjewna! (Küßt ihr die Hand.) Márja Antónowna (Küßt Márja die Hand.)

Frau Koróbkin. Gratuliere von Herzen, Anna Andréjewna, zu diesem neuen Glück! (Küssen sich.)

Ljuljukóff. Habe die Ehre zu gratulieren, Anna Andréjewna! (Küßt ihr die Hand und wendet sich dann zu den Zuschauern und schnalzt verwegen mit der Zunge.) Márja Antónowna, habe die Ehre zu gratulieren! (Küßt ihr die Hand mit der gleichen Pantomime zu den Zuschauern.)

5. Szene

Eine Menge Gäste im Frack und Überrock treten herein, küssen erst Anna Andréjewna mit dem Ausruf „Anna Andréjewna“ die Hand, um das gleiche bei Márja Antónowna auszuführen. Bóbtschinski und Dóbtschinski drängen sich nach vorn.

Bóbtschinski. Habe die Ehre zu gratulieren!

Dóbtschinski. Antón Antónowitsch, habe die Ehre zu gratulieren!

Bóbtschinski. Zum glückvollen Ereignis!

Dóbtschinski. Anna Andréjewna!

Bóbtschinski. Anna Andréjewna! (Beide nähern sich ihr gleichzeitig und stoßen mit den Köpfen zusammen.)

Dóbtschinski. Márja Antónowna! (küßt ihr die Hand.) Habe die Ehre zu gratulieren! Ein großes, großes Glück ist Ihnen bereitet, goldene Kleider werden Sie tragen, schöne delikate Suppen werden Sie essen und werden Ihre Zeit auf die anmutigste Weise verbringen ...

Bóbtschinski (ihn unterbrechend). Márja Antónowna, habe die Ehre zu gratulieren, schenke Ihnen Gott allen Reichtum, viele Dukaten und so einen kleinen netten Jungen, so ... so ... (zeigt mit der Hand wie groß.) daß man ihn sich auf die flache Hand setzen kann, jawohl, und schreien wird er immer: Uah! uah! uah!

6. Szene

Es kommen noch einige Gäste zum Handkusse, darunter der Schulinspektor mit Frau.

Schulinspektor. Ich habe die Ehre ...

Frau Schulinspektor (eilt nach vorne). Gratuliere Ihnen, Anna Andréjewna! (sie küssen sich.) Ach, wie habe ich mich gefreut, eben erzählt man mir, „Anna Andréjewna verheiratet ihre Tochter“. Ach, mein Gott, denke ich bei mir, und war so erfreut, daß ich zu meinem Mann sage, „hör doch, Lúkachen, was für ein Glück Anna Andréjewna wiederfahren ist.“ Nun, Gott sei Dank, denke ich bei mir, und sage zu ihm, „ich bin so entzückt, daß ich vor Ungeduld brenne, es Anna Andréjewna persönlich auszudrücken.“ Ach, mein Gott, denke ich bei mir, Anna Andréjewna hat ja lange schon auf eine schöne Partie für ihre Tochter gewartet, und nun erfüllt sich ihr Wunsch und nun ist’s so gekommen, wie sie es gehofft hat. Und war so entzückt darüber, daß ich ganz die Sprache verlor! Und nun kommen mir die Tränen, und ich weine und schluchze. Und Lúka Lúkitsch sagt zu mir: „Schluchze doch nicht so, Nástja.“ „Lúkachen,“ sage ich zu ihm, „ich weiß selbst nicht warum, aber die Tränen fließen mir so wie ein Bach aus den Augen.“

Polizeimeister. Bitte höflichst Platz zu nehmen, meine Herrschaften. He, Míschka, bring mehr Stühle herein! (Die Gäste beginnen sich niederzulassen.)

7. Szene

Die Vorigen. Polizeiinspektor und Polizeidiener.

Polizeiinspektor. Habe die Ehre zu gratulieren, Euer Hochwohlgeboren! Und Ihnen Glück und Heil auf viele Jahre zu wünschen!

Polizeimeister. Danke, danke! Bitte nehmen Sie Platz, meine Herrschaften. (Die Gäste nehmen alle Platz.)

Kreisrichter. Erzählen Sie uns doch, Antón Antónowitsch, wie sich das alles zugetragen hat, und wie eins nach dem andern gekommen ist.

Polizeimeister. Der Verlauf war höchst merkwürdig: er geruhte plötzlich einen Antrag zu machen.

Anna Andréjewna. In höchst ehrenvoller und zartester Form. Ganz über die Maßen taktvoll sagte er: „Anna Andréjewna, einzig und allein aus Hochachtung vor Ihrem Wert.“ Und ein so hübscher gebildeter junger Mann von vornehmsten Manieren! „Glauben Sie mir, Anna Andréjewna, das Leben ist mir keine Kopeke wert, nur die Ehrfurcht vor Ihren seltenen Vorzügen bewog mich dazu.“

Márja Antónowna. Aber Mama, das hat er doch zu mir gesagt!

Anna Andréjewna. Schweig still, gar nichts weißt du, und menge dich nicht in anderer Leute Angelegenheiten! „Anna Andréjewna, ich vergehe vor Bewunderung,“ bewegte sich in so schmeichelhaften Ausdrücken ... und als ich sagen wollte, „wir erkühnen uns nicht, auf eine solche Ehre zu hoffen,“ da fiel er plötzlich auf die Knie und rief in derselben vornehmen Art: „Anna Andréjewna, machen Sie mich nicht unglücklich, erwidern Sie meine Gefühle und wenn nicht, so macht der Tod meinem Leben ein Ende.“

Márja. Aber Mama, damit meinte er doch mich!

Anna Andréjewna. Nun ja doch ... er meinte dich auch, das leugne ich ja gar nicht!

Polizeimeister. Und wie er uns in Angst versetzt hat, sagte, er wolle sich erschießen: „Ich schieße mich tot, ich schieße mich tot!“

Viele Stimmen. Nein, sagen Sie bloß!

Kreisrichter. Aber so etwas!

Schulinspektor. Das gnädige Schicksal hat es so gefügt.

Hospitalverwalter. Nicht das Schicksal, Verehrtester, das Schicksal ist eine blinde Henne, das Verdienst hat hier seinen Lohn empfangen. (Beiseite.) Diesem Schwein fliegen auch immer die gebratenen Tauben ins Maul!

Kreisrichter. Hören Sie, Antón Antónowitsch, ich möchte Ihnen doch gern die Hündin verkaufen, um die wir handelten.

Polizeimeister. Nein, nein, an Hündinnen liegt mir jetzt nichts mehr.

Kreisrichter. Nun, wenn Sie nicht wollen, dann einen andern Hund.

Frau Koróbkin. Ach, Anna Andréjewna, wie ich mich über Ihr Glück freue, Sie können sich das gar nicht vorstellen!

Koróbkin. Gestatten Sie mir die Frage: wo befindet sich denn zur Zeit der erlauchte Gast? Ich hörte, er sei verreist.

Polizeimeister. Ja, er fuhr für einen Tag fort, in einer besonders wichtigen Angelegenheit.

Anna Andréjewna. Zu seinem Onkel, um ihn um seinen Segen zu bitten.

Polizeimeister. Um seinen Segen zu erbitten. Doch morgen schon ... (Niest; vielstimmiges gleichzeitiges „Zum Wohlsein“.) Danke vielmals! Doch morgen schon (niest; brausendes „Zum Wohlsein“; dazwischen gleichzeitig mehrere andere Stimmen.)

Polizeiinspektor. Gesundheit, Euer Hochwohlgeboren!

Bóbtschinski. Hundert Jahre und einen Sack Dukaten!

Dóbtschinski. Gott schenke Ihnen langes Leben!

Hospitalverwalter. Verrecken sollst du!

Frau Koróbkin. Hol dich der Satan! (Alle fünf gleichzeitig.)

Polizeimeister. Danke verbindlichst! Ich wünsche Ihnen allen das gleiche.

Anna Andréjewna. Wir beabsichtigen, nach Petersburg überzusiedeln. Offen gesagt, die hiesige Atmosphäre ... doch gar zu kleinstädtisch ... wirklich sehr unangenehm ... sehen Sie, und mein Mann ... er soll dort General werden ...

Polizeimeister. Und ich muß gestehen, meine Herrschaften, ich habe große Lust, hol’s der Teufel, General zu werden.

Schulinspektor. Gott erfülle Ihren Wunsch!

Rastakówski. Bei Gott ist kein Ding unmöglich!

Kreisrichter. Ein großes Schiff braucht ein breites Fahrwasser!

Hospitalverwalter. Dem Verdienste seine Krone!

Kreisrichter (beiseite). Was der angeben wird, wenn er wirklich General werden sollte! Dem paßt der Generalsrock wie der Kuh der Sattel. Nein, bis dahin hat’s noch gute Wege. Hast hier gut gelernt, Schäfchen zu scheren, aber zum General langt’s doch noch nicht.

Hospitalverwalter (beiseite). Eh, zum Henker, das möchte schon General werden! Ein findiger Kerl, darf sich’s auch erlauben. Ist ja auch schlau genug, daß ihn kein Teufel fassen kann. (Wendet sich zum Polizeimeister.) Vergessen Sie uns dann nicht, Antón Antónowitsch!

Kreisrichter. Und wenn mal irgend was passiert, zum Beispiel eine kleine Unregelmäßigkeit im Amt, bleiben Sie dann unser Beschützer!

Koróbkin. Im nächsten Jahre will ich meinen Sohn nach der Residenz bringen, damit er die Staatskarriere einschlägt, dann bitte schenken Sie ihm Ihre Protektion! Vertreten Sie Vaterstelle bei der armen Waise!

Polizeimeister. Ich bin gern bereit, mich für ihn zu verwenden.

Anna Andréjewna. Antón, du versprichst auch immer gleich alles. Erstens wirst du gar keine Zeit haben, daran zu denken, und dann, wer wird sich gleich mit solchen Versprechungen belasten!

Polizeimeister. Weshalb denn, meine Liebe, zuweilen geht das doch!

Anna Andréjewna. Gewiß geht’s, aber deswegen braucht man doch nicht gleich jedem Gründling seine Protektion zuzuwenden!

Frau Koróbkin. Haben Sie gehört, wie sie uns traktiert?

Eine Dame. Ja, so war sie immer, ich kenne sie genau. Setze sie an den Tisch, und sie legt die Beine ...

8. Szene

Die Vorigen. Der Postmeister (in Hast mit einem aufgebrochenen Brief in der Hand.)

Postmeister. Unglaubliche Sache, Herrschaften! Der Beamte, den wir für einen Revisor hielten, war gar kein Revisor!

Alle. Wie, kein Revisor?

Postmeister. Absolut kein Revisor! Ich erfuhr’s durch einen Brief.

Polizeimeister. Was soll das heißen? Durch was für einen Brief?

Postmeister. Durch einen eigenhändigen Brief von ihm. Man bringt mir einen Brief auf die Post, ich schaue die Adresse an, lese „Poststraße“, und war starr vor Schreck. Na, denke ich, bei mir hat er richtig Unregelmäßigkeiten in der Postverwaltung entdeckt und berichtet darüber der Behörde. Nehm ihn und brech ihn auf.

Polizeimeister. Wie kommen Sie dazu?!

Postmeister. Ich weiß selbst nicht wie, eine übernatürliche Gewalt zwang mich dazu. Ich hatte schon den Kurier kommen lassen, der ihn per Estafette befördern sollte — aber da überkam mich eine so heftige Neugierde, wie ich sie noch nie empfunden habe. Ich darf nicht, ich darf nicht, ich weiß, ich darf nicht — aber es zieht, zieht immer stärker. In einem Ohre flüstert es: „mach ihn nicht auf, du fällst rein“, aber ins andere Ohr raunt mir ein Satan: „brich auf, brich auf, brich auf“, und wie ich das Siegel berühre — Feuer, und wie ich’s erbrochen hatte — Eis — kaltes Eis. Mir zitterten die Hände und alles drehte sich rundherum.

Polizeimeister. Wie konnten Sie sich erdreisten, den Brief einer so hochbevollmächtigten Persönlichkeit zu erbrechen?!

Postmeister. Das ist ja gerade der Spaß, daß er weder hochbevollmächtigt, noch auch eine Persönlichkeit ist!

Polizeimeister. Was sollte er denn nach Ihrer Meinung sein?

Postmeister. Nicht dies, nicht das, weiß der Teufel, was.

Polizeimeister (zornig). Wie, nicht dies, nicht das? Wie können Sie sich unterstehen, von ihm zu sagen „nicht dies, nicht das, und weiß der Teufel, was?“ Ich lasse Sie verhaften!

Postmeister. Wer, Sie?

Polizeimeister. Ja, ich!

Postmeister. Hände weg!

Polizeimeister. Wissen Sie denn überhaupt, daß er meine Tochter heiraten wird, daß ich selbst zu den Großen zählen werde, und daß ich Sie ins hinterste Sibirien verschicken kann?!

Postmeister. I, Antón Antónowitsch, Sibirien! Sibirien ist weit! Ich werde Ihnen lieber gleich den Brief vorlesen. Herrschaften, soll ich vorlesen?

Alle. Lesen Sie, lesen Sie!

Postmeister (liest). „Lieber Trapítschkin! In Eile will ich dir davon Mitteilung machen, was für Wunderdinge mir hier passiert sind. Auf der Reise hatte mich ein Hauptmann so vollständig ausgebeutelt, daß der Gastwirt schon nahe daran war, mich ins Loch stecken zu lassen, als plötzlich, dank meiner Petersburger Physiognomie und meinem Petersburger Kostüm, mich das ganze Städtchen für einen Generalgouverneur zu halten begann. Kurz, jetzt wohne ich beim Polizeimeister, schlemme und schneide abwechselnd bald seiner Frau und bald seiner Tochter auf Mord die Cour; ich schwanke bloß, an welche von beiden ich mich zuerst heranmachen soll — wahrscheinlich aber an die Mama, da sie aussieht, als ob sie zu jeder Gefälligkeit bereit sei. Weißt du noch, wie wir beide in der Klemme saßen und uns unser Mittagbrot zusammenmausten, und mich einmal ein Konditor am Kragen erwischte à conto einiger Pasteten, die wir zu Lasten der Schatulle des Königs von Britannien verspeist hatten? Jetzt hat sich das Blättchen vollständig gewendet! Alle pumpen mir so viel, wie ich nur haben will. Unglaubliche Exemplare, du würdest bersten vor Lachen! Du schreibst ja so kleine Feuilletons; verewige sie denn durch deine Feder. Da ist zuerst gleich der Polizeimeister: borniert wie ein grauer Wallach ...“

Polizeimeister. Das ist nicht möglich! Das kann nicht dastehn!

Postmeister (zeigt ihm die Stelle). Bitte, lesen Sie doch selbst.

Polizeimeister (liest). ... „wie ein grauer Wallach.“ Unmöglich, das haben Sie selbst geschrieben!

Postmeister. Wie käme ich denn dazu?

Hospitalverwalter. Lesen!

Schulinspektor. Lesen!

Postmeister (liest weiter). „... der Polizeimeister: borniert wie ein grauer Wallach ...“

Polizeimeister. Hol ihn der Satan! Muß das noch einmal wiederholen! Als ob’s nicht so wie so schon dastünde!

Postmeister (liest weiter). Hm .. hm .. hm „.. grauer Wallach ... Der Postmeister ist gleichfalls ein netter Kunde ...“ (Hält im Lesen inne). Nun, hier drückt er sich auch über mich wenig respektvoll aus.

Polizeimeister. Nein, lesen Sie weiter!

Postmeister. Aber wozu denn? ...

Polizeimeister. Nein, zum Henker, wenn schon lesen, dann auch alles lesen! Lesen Sie alles vor!

Hospitalverwalter. Geben Sie, ich werde lesen. (Setzt die Brille auf und liest.) „Der Postmeister gleicht auf ein Haar unserm Departements-Hausknecht Michéjeff, auch ein Gauner und säuft Schnaps.“

Postmeister (zu den Zuschauern). Ein niederträchtiger Lümmel, der nichts weiter als eine Tracht Prügel verdient!

Hospitalverwalter (liest weiter). „Der Hospitalverw... w.. w..“ (Stotternd).

Koróbkin. Warum bleiben Sie denn stecken?

Hospitalverwalter. Unleserliche Schrift .. man sieht auch zur Genüge, daß das ein Flegel ist.

Koróbkin. Lassen Sie mich lesen! Ich glaube, ich habe bessere Augen! (will den Brief nehmen).

Hospitalverwalter (hält den Brief fest). Nein, diese Stelle kann man ja überschlagen, weiterhin wird es leserlicher.

Koróbkin. Geben Sie nur her, ich weiß schon Bescheid.

Hospitalverwalter. Aber was denn — lesen kann ich auch — weiterhin ist alles ganz deutlich.

Postmeister. Nein, alles vorlesen! Vorher ist auch alles vorgelesen worden!

Alle. Abgeben, Artémij Filíppowitsch, Brief abgeben! (Zu Koróbkin.) Lesen Sie vor!

Hospitalverwalter. Gleich, gleich. (Er gibt Koróbkin den Brief.) Erlauben Sie ... (deckt die Stelle mit dem Finger zu) ... da ... bitte von hier ab. (Alle umdrängen Koróbkin.)

Postmeister. Vorlesen! vorlesen! zum Kuckuck! alles vorlesen!

Koróbkin (liest). „Der Hospitalverwalter Semljaníka ist ein komplettes Schwein mit einer Nachtmütze.“

Hospitalverwalter (zu den Zuschauern). Sehr geistreich! Schwein mit einer Nachtmütze! Welches Schwein trägt Nachtmützen?

Koróbkin (liest weiter). „Der Schulinspektor ist durch und durch mit Knoblauch verpestet.“

Schulinspektor (zu den Zuschauern). Bei Gott, ich habe nie Knoblauch in den Mund genommen!

Kreisrichter (beiseite). Gott sei Dank, mich läßt er ungeschoren!

Koróbkin (liest weiter). „Der Kreisrichter ...“

Kreisrichter. Hopsa! (Laut.) Meine Herrschaften, ich denke, der Brief ist doch wohl zu lang ... Wozu in aller Welt solchen Quatsch vorlesen!

Schulinspektor. Nein!

Postmeister. Nein, vorlesen!

Hospitalverwalter. Nein, lesen Sie nur vor!

Koróbkin (fährt fort). „Der Kreisrichter Ljápkin-Tjápkin ist im höchsten Grade mauvais ton ...“ (Hält inne). Das scheint ein französischer Ausdruck zu sein.

Kreisrichter. Mag der Teufel wissen, was das bedeutet! Wenn bloß Halunke, dann gut; aber es kann noch was viel Schlimmeres sein.

Koróbkin (liest weiter). „Im übrigen ist das Völkchen gastfreundlich und äußerst harmlos. Lebe wohl, teuerster Trapítschkin. Ich gedenke mich nach deinem Vorbild jetzt ebenfalls der Literatur zu widmen, denn, lieber Freund, man bekommt diese Art Leben schließlich doch satt und sehnt sich nach geistiger Nahrung. Ich sehe es ein, man muß wirklich höheren Zielen zustreben. Schreibe mir doch nach Gouvernement Sarátoff, Gutsbezirk Podkalítowka. (Dreht den Brief um und liest die Adresse.) Seiner Hochwohlgeboren, dem wohledlen Herrn, Herrn Iwán Wassíljewitsch Trapítschkin, St. Petersburg. Poststraße 97, Hof geradezu, drei Treppen rechts.“

Eine Dame. Welch unverhoffte Züchtigung!

Polizeimeister. Sollte es treffen, dann hat’s jetzt getroffen! Vernichtet, total vernichtet! Ich erkenne nichts mehr; ringsum nichts wie Schweineschnauzen, und keine Menschengesichter! .... Haltet ihn fest, haltet ihn fest! (Fährt mit den Armen durch die Luft.)

Postmeister. Was festhalten! Ich ließ ihm wie abgekartet das beste Gespann geben, und der Satan riet mir auch noch Relais vorauszubestellen!

Frau Koróbkin. Das nenn’ ich doch beispiellose Konfusion!

Kreisrichter. Zu allem Überfluß — hol’s der Teufel, meine Herren, hat er mir sogar dreihundert Rubel abgepumpt!

Hospitalverwalter. Mir auch dreihundert!

Postmeister (seufzt.) Ach, und mir auch dreihundert!

Bóbtschinski. Und von mir und Dóbtschinski nahm er fünfundsechzig Rubel in Papier, jawohl!

Kreisrichter (breitet in höchstem Erstaunen die Arme aus). Aber ich bitte Sie um alles, meine Herren, wie konnten wir bloß auf solch einen Schwindel hereinfallen?!

Polizeimeister (schlägt sich vor die Stirne). Und ich — und ich grauer Esel? Verdient hab’ ich’s, ich hirnverbrannter Schöps! Dreißig Jahre stehe ich im Dienst, habe mich von keinem Krämerhund oder Bauunternehmer jemals übers Ohr hauen lassen, habe einen Gauner mit dem andern betrogen, habe jeden Schelm und jeden Spitzbuben, der alle Welt bestahl, doch noch an meiner Angel gefangen, habe drei Gouverneure übertölpelt! ... Ach was, Gouverneure, (mit einer Handbewegung) wo bleiben da Gouverneure ...

Anna Andréjewna. Aber das kann nicht sein, Antón, er hat sich doch mit Máscha verlobt!

Polizeimeister (zornig). Verlobt! Der Fuchs mit der Gans! Nette Verlobung! ... Kommt mir noch mit Verlobung! (In fassungslosem Erstaunen.) Seht her, seht her, Welt und alle Christenheit, seht her, was für ein Ochs der Polizeimeister geworden ist! Pfeift ihn aus, den alten Halunken! (Droht sich selber mit der Faust.) O ich Rindvieh, halte einen Windhund und Waschlappen für einen gewaltigen Herrn! Da fährt er nun hin und bimmelt das auf allen Straßen aus! Trägt die infame Historie bei aller Welt herum! Ins Gespött kommen ist da noch gar nichts, aber da finden sich Federfuchser und Zeilenschmierer, die bringen mich auf die Bretter! Da wird Rang und Name nicht geschont und alle werden sie grinsen und applaudieren! Was lacht ihr? Ihr lacht über euch selber! ... Ihr! ... (Stampft vor Wut auf den Boden.) Ich möchte ihnen mal kommen, diesen Zeilenschmierern! Pfui über euch Federfuchser, verdammte Liberalen! Teufelsbrut! In ein Bündel sollte man euch allesamt zusammenschnüren, zu Staub zermalmen und dann dem Teufel zum Fraß! (Ballt die Faust und stampft auf dem Boden. — Nach einer kurzen Pause.) Bis diesen Augenblick kann ich noch nicht zu mir kommen! Wahrlich, wen Gott strafen will, den schlägt er zuvor mit Blindheit. Was hatte denn dieser Windbeutel mit einem Revisor gemein? Nichts! Nicht so viel wie der kleine Finger — und mit einmal schreit alles: „der Revisor, der Revisor!“ Antwortet mir!

Hospitalverwalter. Schlagt mich tot, wenn ich sagen kann, wie das kam. Ein Nebel hat uns irre geführt, der Satan hat uns geblendet.

Kreisrichter. Aber wer hat’s denn ausgeheckt — wer denn? Diese Bürschchen da! (Deutet auf Bóbtschinski und Dóbtschinski.)

Bóbtschinski. Ich nicht, ich nicht, nicht mal gedacht hab’ ich ...

Dóbtschinski. Ich weiß von nichts, von gar nichts ...

Hospitalverwalter. Freilich ihr!

Schulinspektor. Selbstredend! Kamen wie die Besessenen aus dem Wirtshaus gerannt: „Er ist da! er ist da! und Geld zahlt er auch keins!“ ... Einen sauberen Vogel habt ihr gegriffen!

Polizeimeister. Natürlich ihr! Klatschbasen, Lügner verdammte!

Hospitalverwalter. Hol euch der Teufel mit eurem Revisor und euren Aufschneidereien!

Polizeimeister. Nichts tun Sie, wie in der Stadt ’rumrennen und alles in Aufruhr versetzen! Plappermäuler verfluchte! und Klatsch verbreiten, gekappte Elstern ihr!

Kreisrichter. Verdammte Sudelköche!

Schulinspektor. Hansnarren!

Hospitalverwalter. Kurzbäuchige Mistpilze!

(Alle umringen die beiden.)

Bóbtschinski. Bei Gott, ich war’s nicht, Dóbtschinski war’s!

Dóbtschinski. Nein, Bóbtschinski, ich nicht, Sie waren zuerst derjenige ...

Bóbtschinski. Oho nein, zuerst waren Sie’s!

Letzte Szene

Die Vorigen. Ein Gendarm.

Gendarm. Soeben mit Spezialmission von Petersburg eintreffend, fordert der Herr Revisor Sie unverzüglich zu sich. Er ist im Gasthof abgestiegen!

(Diese Worte treffen alle wie ein Donnerschlag. Ein einziger Schrei der Überraschung entringt sich dem Munde sämtlicher Damen. Die ganze Gruppe wechselt plötzlich die Stellung und bleibt in dieser wie versteinert stehen.)

Márja Antónowna und Anna Andréjewna. Eigene Handzeichnung Gogols zur letzten Szene des „Revisor“.

Eigene Handzeichnung Gogols zur letzten Szene (pag. 132) des „Revisor“.

Eigene Handzeichnung Gogols zur letzten Szene des „Revisor“.

Stumme Szene

Als Schlußbild des letzten Aufzuges.

(In der Mitte der Polizeimeister wie eine Bildsäule, mit ausgestreckten Armen und hintenüber geworfenem Kopf. Zu seiner Rechten seine Frau und seine Tochter in einer mit ängstlicher Spannung auf ihn gerichteten Körperhaltung; neben ihnen der Postmeister, in ein Fragezeichen verwandelt, den Zuschauern zugekehrt; neben diesem der Schulinspektor, in blödeste Bestürzung versetzt; neben ihm, unmittelbar am Seitenrande der Bühne, drei weibliche Gäste, eng gruppiert, deren höhnischer Gesichtsausdruck dem Polizeimeister und seinen Angehörigen gilt. Zur Linken des Polizeimeisters der Hospitalverwalter, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, als wenn er auf etwas lausche; neben ihm der Kreisrichter, mit gespreizten Händen fast am Boden kauernd und die Lippen bewegend, als wenn er pfeifen oder sagen wolle: „Holla, Alte, jetzt hat’s eingeschlagen!“ Neben ihm Koróbkin, den Zuschauern zugewandt, ein Auge blinzelnd zugekniffen und schadenfroh auf den Polizeimeister weisend; neben ihm, unmittelbar am Seitenrande der Bühne, Dóbtschinski und Bóbtschinski, einander die Hände entgegenstreckend und sich mit aufgesperrtem Munde und weit aufgerissenen Augen anstarrend. Alle übrigen Gäste stehen wie Bildsäulen da. Fast anderthalb Minuten verharrt die ganze versteinerte Gruppe in dieser Stellung, bis der Vorhang fällt.)

(Ende des letzten Aufzuges.)

Anhang zur Komödie
„Der Revisor“

I.
Abriß aus einem Brief
(1841)
den der Autor bald nach der ersten Aufführung an einen Schriftsteller richtete

„.... Der Revisor ist aufgeführt worden — und mir ist so seltsam, so traurig zumute ... Ich ahnte, ich wußte im voraus, wie es kommen würde, und doch hat sich ein Gefühl tiefer Niedergeschlagenheit und herber Enttäuschung meiner bemächtigt. Mein eigenes Werk kam mir unausstehlich, fremd und gar nicht wie mein eigenes vor. Die Hauptrolle mißriet vollständig; das hatte ich schon vorausgesetzt. Dürr begriff absolut nicht, was Chlestakoff bedeutet. Er machte aus ihm eine Art Alnaskaroff, von der Sorte landläufiger Vaudeville-Schelme, die sich im Gefolge der Pariser Theaterstücke bei uns breit zu machen beliebten. Er machte einen ganz gewöhnlichen Schwindler aus ihm, eine armselige Figur, wie sie seit zweihundert Jahren in ein und derselben Maske auftritt. Ist denn wirklich aus der Rolle selber nicht zu erkennen, was Chlestakoff bedeutet? Oder war ich selber bis heute von einem blinden Dünkel besessen, reichte mein Können nicht aus, um diesen Charakter zu meistern, so daß sich für den Schauspieler keine Spur, kein Fingerzeig bot? Und mir erschien er so klar. Chlestakoff ist ganz und gar kein Betrüger, kein Lügner von Profession; er vergißt selber, daß er lügt, und glaubt beinahe selber an das, was er faselt. Er läßt sich gehen, ist gut aufgelegt; sieht, daß alles nach Wunsch geht, daß er umdienert wird; und gerade deshalb redet er flotter, ungezwungener, frisch von der Leber weg, plaudert sorglos ins Blaue hinein, und zeigt sich namentlich beim Lügen in seiner wahren Gestalt. Unsere Schauspieler verstehen überhaupt nicht zu lügen. Sie bilden sich ein, lügen hieße weiter nichts, als dummes Geschwätz machen. Lügen heißt vielmehr: eine Lüge in einem so die Wahrheit vortäuschenden, so natürlichen und naiven Tone aussprechen, wie man eben nur die Wahrheit selber sagen kann; und gerade darauf beruht die ganze Komik der Lüge. Ich bin fast überzeugt, daß Chlestakoff einen besseren Erfolg gehabt haben würde, wenn ich diese Rolle einem der wenigst talentierten Schauspieler anvertraut und ihm bloß gesagt hätte: Chlestakoff ist ein gewandter Mensch, durchaus comme il faut, gescheit und, wenn man so will, wohlanständig, und es sei nur nötig, ihn genau so darzustellen. Denn Chlestakoff ist gar kein abgefeimter oder theatralisch-prahlerischer Lügner: er lügt mit Gefühl; aus seinen Augen spricht das Behagen, das er dabei empfindet. Es ist dies überhaupt der schönste und poetischste Augenblick seines Lebens, beinahe eine Art Begeisterung. Wenn wenigstens ein Hauch davon zu spüren gewesen wäre! Aber nicht eine Spur eines solchen Charakters, weder der Person, noch des äußeren Gebarens oder der Physiognomie war dem armen Chlestakoff gegeben worden. Freilich, die alten Beamten in ihren verschlissenen Alltagsuniformen nebst abgescheuerten Kragen waren ungleich leichter zu karikieren; das Erfassen solcher Züge dagegen, welche als ziemlich wohlanständig nicht durch scharfe Ecken über das gesellschaftlich allgemein Gültige hinausragen, ist Sache eines erprobten Meisters. Bei Chlestakoff darf nichts stark betont werden. Er gehört dem Kreise an, der sich augenscheinlich in keiner Weise von der Art sonstiger junger Leute unterscheidet. Er hat auch zuweilen eine gute Haltung, spricht hin und wieder vernünftig, und nur in Fällen, die entweder Geistesgegenwart oder Charakter erfordern, offenbart sich seine halb niederträchtige, halb unbedeutende Natur. Die Züge der Rolle so eines Polizeimeisters sind deutlicher und schärfer umrissen. Ihn bezeichnet allein schon sein stark persönliches, unveränderliches, rücksichtsloses Äußere und läßt durch sich zum Teil auf seinen Charakter schließen. Chlestakoffs Züge sind viel unschärfer, viel schwächer angedeutet, und darum schwerer zu erfassen. Was ist denn, wenn wir genauer prüfen wollen, dieser Chlestakoff so recht eigentlich? Ein junger Mensch, ein Beamter und Einfaltspinsel, wie man zu sagen pflegt, der aber viele Eigenschaften in sich vereinigt, die Leuten anhaften, welche die Welt keineswegs einfältig nennt. Derartige Eigenschaften an Leuten zur Schau zu stellen, welche daneben auch tüchtige Verdienste aufzuweisen haben, wäre ein Verbrechen von seiten des Schriftstellers, denn er würde sie dadurch dem allgemeinen Gelächter preisgeben. Mag doch also lieber jeder sich zu seinem Teil in dieser Rolle wiedererkennen und sich dabei ruhig umschauen dürfen, ohne befürchten zu müssen, daß jemand mit Fingern auf ihn weist und ihn bei Namen nennt. Mit einem Wort, diese Figur soll ein Typus vieles dessen sein, was in den verschiedensten russischen Charakteren zerstreut vorhanden ist, sich aber hier zufällig in einer Person vereinigte, wie das in der Natur ja sehr häufig vorkommt. Wenigstens eine Minute lang, wenn nicht gar mehrere, war oder ist jeder einmal ein Chlestakoff, wenn er sich das natürlich auch nicht wird eingestehen wollen; er macht sich sogar über die Tatsache gern selber lustig, allerdings nur bei anderen, nicht bei der eigenen Person. Auch der gewandte Gardeoffizier, auch der Staatsmann, selbst unser lieber Bruder, der sündige Literat, alle zeigen sich zuweilen als Chlestakoff. Es gibt überhaupt kaum einen Menschen, der es im Leben nicht wenigstens einmal gewesen wäre; die Sache ist nur die, daß er sich hinterher sehr geschickt so zu drehen weiß, als sei er’s gar nicht gewesen.

Sollte nun also in meinem Chlestakoff nichts davon zu erkennen sein? Sollte er wirklich eine nichtssagende Figur sein, während ich mich von einer momentanen hoffärtigen Stimmung hinreißen ließ zu glauben, daß ein Schauspieler von hervorragendem Talent sich einst noch bei mir bedanken würde für die Vereinigung so vieler verschiedenartiger Wesenszüge in einer einzigen Person, die ihn in den Stand setzt, sein Können nach allen Richtungen zugleich glänzen zu lassen? Und statt dessen wäre aus Chlestakoff eine kindische, inhaltlose Rolle geworden! Das ist niederdrückend und tief verstimmend.

Schon von Beginn der Vorstellung an saß ich gelangweilt im Theater. Um Beifall und Aufnahme seitens des Publikums kümmerte ich mich nicht. Nur vor einem Kritiker unter all denen, die anwesend waren, hatte ich Bange, — und dieser Kritiker war ich selbst. In meinem Innern vernahm ich Murren und Vorwürfe gegen mein eigenes Stück, die alle übrigen übertönten. Aber das Publikum war im allgemeinen zufrieden. Die eine Hälfte der Zuschauer nahm das Stück sogar mit Wohlwollen auf, die andere tadelte bei einzelnen Anlässen, die sich jedoch nicht auf das Kunstwerk selbst bezogen. Auf welche Weise man tadelte, darüber wollen wir uns bei unserem nächsten Wiedersehen unterhalten: es ist manches Lehrreiche und viel Spaßhaftes darunter. Ich habe sogar einiges davon aufgeschrieben, doch das nebenbei.

Hauptsächlich scheint der Polizeimeister die günstige Aufnahme des Revisors beim Publikum verursacht zu haben. Auf ihn hatte ich auch schon vorher volles Vertrauen gesetzt, denn für ein Talent wie Ssossnizki konnte diese Rolle nichts Unklares an sich haben. Ich bin wenigstens froh, ihm die Möglichkeit geboten zu haben, ein Talent in seinem ganzen Umfange zeigen zu können, von dem man sich bereits kühl abzuwenden begann, und dabei ihn selbst auf eine Stufe mit vielen Schauspielern stellte, die durch freigebigen Applaus bei alltäglichen Vaudevilles und ähnlichen Unterhaltungsstücken belohnt werden. Auch auf den Diener hatte ich Hoffnungen gesetzt, weil ich bei dem betreffenden Schauspieler viel Beobachtungsgabe und Verständnis für den Text wahrgenommen hatte. Im Gegensatz dazu gerieten unsere beiden Freunde Bóbtschinski und Dóbtschinski über alles Erwarten schlecht. Obschon ich selber erwartet hatte, daß sie schlecht sein würden, weil ich die Rollen der beiden kleinen Beamten Schtschepkin und Rjásanski auf den Leib geschrieben hatte, hegte ich doch die Hoffnung, daß deren Äußeres und Position sie einigermaßen heben und weniger karikieren würden. Es kam aber gerade umgekehrt: eine vollkommene Karikatur wurde daraus. Schon vor Beginn der Vorstellung, als ich sie in ihren Kostümen erblickte, war ich entsetzt. Diese beiden sonst so adretten, etwas korpulenten Menschen mit ihrem sauber geglätteten Haar erschienen plötzlich in plumpen, ungeheuerlichen grauen Perücken, ganz verfilzt, schmierig, struppig, mit übergroßen hervorquellenden Chemisettes; und auf der Bühne schnitten sie derartige Grimassen, daß es einfach unerträglich war. Überhaupt war die Kostümierung der meisten handelnden Personen sehr schlecht und karikiert. Ich hatte das gewissermaßen vorausgeahnt, als ich darum bat, eine Kostümprobe stattfinden zu lassen. Man versicherte mir aber, das sei gar nicht nötig und auch nicht herkömmlich, und die Schauspieler würden schon wissen, was sie zu tun hätten. Wie ich merkte, daß meine Worte in den Wind gesprochen waren, ließ ich die Leute gewähren. Ich wiederhole noch einmal: scheußlich! Ich weiß selber nicht, weshalb mich der Ekel so überkommt.

Während der Vorstellung bemerkte ich, daß der Anfang des vierten Aktes flau wirkte; es machte den Eindruck, als ob der bisher lebhafte Fluß der Handlung hier stocke oder sich träge dahinschleppe. Tatsächlich hatte mich ein einsichtiger und erfahrener Schauspieler schon bei Gelegenheit der Lesung des Stückes darauf aufmerksam gemacht, daß es nicht geschickt sei, Chlestakoff mit dem Geldborgen den Anfang machen zu lassen, und daß es besser sein würde, wenn die Beamten es ihm von sich aus anböten. Obwohl ich die recht feine Bemerkung anerkennen mußte, da sie in gewisser Hinsicht wohlberechtigt war, sah ich dennoch nicht ein, weshalb Chlestakoff als ein sich entwickelnder Chlestakoff nicht zuerst um Geld bitten sollte. Allein die Bemerkung war einmal gemacht, und ich sagte mir: du wirst diese Szene vermutlich schlecht ausgeführt haben. Und wirklich, jetzt während der Vorstellung erkannte ich deutlich, daß der Anfang des vierten Aktes matt ist und das Kennzeichen einer gewissen Schwäche an sich trägt. Zu Haus angekommen, machte ich mich sofort an die Umarbeitung. Jetzt scheint er etwas wirkungsvoller, wenigstens natürlicher geworden zu sein und geht besser aufs Ziel los. Aber ich habe die Kraft nicht mehr, mich um die Aufnahme dieses Zusatzes in das Stück abzuplacken. Ich bin es müde geworden; und da ich überdies weiß, wie man zu solchem Zweck herumkutschieren, bitten und Bücklinge machen muß, so mag der Himmel ihm gnädig sein; er könnte schließlich ja noch in einer zweiten Auflage oder Überarbeitung des „Revisor“ seinen Platz finden.

Noch ein Wort über die letzte Szene. Sie kam absolut nicht zur Geltung. Der Vorhang fällt in einem sozusagen verworrenen Augenblick, und das Stück scheint noch gar nicht zu Ende zu sein. Daran bin ich aber nicht schuld. Man wollte eben nicht auf mich hören. Auch jetzt behaupte ich noch, daß die letzte Szene so lange keinen Erfolg haben wird, bis man nicht begriffen hat, daß sie einfach ein stummes Tableau ist, daß dies Ganze eine versteinerte Gruppe darstellen soll, daß hier das Drama zu Ende ist und von wortloser Mimik abgelöst wird, daß der Vorhang erst nach zwei bis drei Minuten fallen darf, und daß all dies unter denselben Bedingungen erfolgen muß, welche die sogenannten „lebenden Bilder“ erheischen. Man entgegnete mir aber, daß dies den Schauspielern Zwang auferlege, daß man dann die Gruppierung einem Ballettmeister übertragen müßte, was für die Schauspieler einigermaßen demütigend sein würde usw. usw. Und noch manches Weitere konnte ich von den Mienen ablesen, was noch viel ärgerlicher als das Geäußerte war. Aber all dieses „Weiteren“ ungeachtet halte ich meine Meinung aufrecht und behaupte hundertmal: „Nein, das legt durchaus keinen Zwang auf, das ist nicht demütigend.“ Mag immerhin ein Ballettmeister die Gruppe gestalten und anordnen, wenn er nur die Fähigkeit besitzt, sich in die augenblickliche Situation jeder einzelnen Person zu versetzen. Gezogene Grenzen behindern ein Talent nicht, so wenig wie granitene Ufer einen Strom; im Gegenteil, einmal in sie geleitet, wird er mit stärkeren und volleren Wogen dahinrauschen. Ein temperamentvoller Schauspieler kann auch in einer ihm angewiesenen Pose alles ausdrücken. Sein Gesicht bleibt hier von allen Fesseln befreit, einzig die Stellung ist bedingt; sein Gesicht darf zwanglos jede innere Bewegung widerspiegeln. Und in diesem Verstummtsein liegt für ihn eine Fülle mannigfaltigster Möglichkeiten. In diesem Erschrecken gleicht keine der handelnden Personen der anderen, so wenig wie deren Charaktere und der Grad ihrer Furcht und Angst sich gleichen, entsprechend der Verschiedenheit der von jedem einzelnen begangenen Sünden. Anders verdonnert steht der Polizeimeister da, anders seine Frau und seine Tochter. Auf seine besondere Weise erschrickt der Kreisrichter, auf besondere der Hospitalverwalter, der Postmeister usw. usw. Wieder anders fährt es Bóbtschinski und Dóbtschinski in die Glieder, die sich auch hier gleichbleiben und sich gegenseitig mit einer stummen Frage auf den Lippen anstarren. Einzig die Gäste dürfen auf gleichartige Weise betroffen erscheinen, sie stellen aber auch bloß den Hintergrund des Tableaus dar, der mit einem Pinselstrich entworfen und in ein und dasselbe Kolorit getaucht ist. Mit einem Wort: jeder einzelne spielt seine Rolle mimisch weiter und kann, wenn er sich auch vom Ballettmeister begutachten lassen mußte, deshalb doch ein großer Schauspieler bleiben. Aber meine Kräfte reichen nicht aus, um mich noch länger abzuplacken und herumzustreiten. Ich bin seelisch und körperlich ermattet. Es weiß und hört ja auch wahrhaftig niemand meinen Kummer. Mögen sie doch alle in Gottes Namen tun was sie wollen! Mein Stück ist mir zuwider geworden. Ich möchte jetzt weit weg von hier, und nur meine bevorstehende Reise, Dampferfahrt, Meer und andere ferne Himmelsstriche können mich allein noch wiederbeleben. Ich sehne mich unbeschreiblich danach. Kommen Sie um Himmelswillen bald; bevor ich von Ihnen nicht Abschied genommen, reise ich nicht ab. Noch vieles habe ich Ihnen zu sagen, wozu ich in einem langweiligen, kalten Briefe außerstande bin ....“

St. Petersburg, 25. Mai 1836.

II.
Vorbemerkung
für diejenigen, die den „Revisor“ sachgemäß aufzuführen beabsichtigen.

1.
(Die ersten Seiten von Gogols eigenhändiger Reinschrift.)

Vor allem muß man sich davor hüten, in eine Karikatur zu verfallen. Auch in der kleinsten Rolle darf nichts übertrieben oder trivialisiert werden. Im Gegenteil, der Schauspieler muß sich besondere Mühe geben, noch einfacher, schlichter und gewissermaßen vornehmer zu wirken, als die darzustellende Person in Wirklichkeit ist. Je weniger er es darauf anlegen wird, zum Lachen zu reizen oder komisch zu sein, desto stärker wird die Komik seiner Rolle zum Vorschein kommen. Sie äußert sich gerade in dem Ernst, mit dem jede in der Komödie auftretende Person ihren Geschäften nachgeht. Alle diese Leute sind eifrig, lebhaft, beinahe hitzig dahinter her, als wenn es sich um die wichtigste Aufgabe ihres Lebens handele. Dem Zuschauer wird die Albernheit ihres Tuns bloß nebenbei sichtbar. Sie selber aber spaßen durchaus nicht und ahnen nicht einmal, daß sich jemand über sie lustig macht. Ein vernünftiger Schauspieler soll, ehe er sich die kleinen Eigenheiten und äußerlichen Absonderlichkeiten der ihm übertragenen Person aneignet, erst einmal den allgemein menschlichen Gehalt der Rolle zu erfassen suchen .... Er soll zu begreifen suchen, wozu diese bestimmt ist, worin die hauptsächlichste und wesentlichste Beschäftigung jeder Person besteht, von der ihr Dasein erfüllt und die das beständige Ziel ihrer Gedanken ist, — der ewig im Kopf steckende Nagel. Hat er diesen wesentlichsten Daseinszweck der darzustellenden Person erfaßt, dann muß sich der Schauspieler so in sie einleben, daß deren Gedanken und Bestrebungen ihm ganz zu eigen werden und während der Dauer der Vorstellung seinen Geist beherrschen. Um szenische Einzelheiten und Nebendinge soll er sich nicht weiter kümmern; sie werden ohne weiteres leicht und sicher gelingen, sofern er nur keinen Augenblick jenen Nagel aus dem Kopf verliert, welcher in dem seines Helden steckt. Alle diese Einzelheiten und verschiedenen kleinen Züge, deren sich oft schon solche Schauspieler mit Glück zu bedienen wissen, welche zwar zu gefallen und Gang und Gebaren abzulauschen, nicht aber eine Rolle auszuschöpfen vermögen, — alle diese Züge also sind höchstens Lichter, die man dann erst aufsetzen darf, wenn das Bild fertig und wohlgelungen ist. Sie sind das Kleid und der Körper der Rolle, nicht aber deren Seele. Und somit muß man sich zuerst diese Seele, dann erst das Kleid der Rolle aneignen.

Eine der wichtigsten Rollen ist der Polizeimeister. Dieser Mensch ist vor allem darauf bedacht, seine Taschen zu füllen. Diese Beschäftigung ließ ihm keine Zeit, ernster ins Leben zu schauen oder sich selbst genauer zu betrachten. Durch sie wurde er zum Blutsauger und, ohne es selber zu merken, erbarmungslos, weil er unfähig ist, böse Gelüste zu unterdrücken; ihn beherrscht nur das Verlangen, sich alles anzueignen, was sein Auge erblickt. Er weiß überhaupt nicht mehr, daß das seinem Nächsten Schaden bringt und manchen zugrunde richtet. Den Kaufleuten, die ihn hatten verderben wollen, verzeiht er im selben Augenblick, wo diese ihm eine verlockende Anerbietung machen, weil der Anreiz irdischer Schätze jede Rücksicht auf Lage und Leiden seines Nächsten in ihm erstickt und abgestumpft hat. Er fühlt zwar, daß er ein Sünder ist; er geht in die Kirche; glaubt sogar fromm zu sein. Aber das Gelüst, sich die Taschen zu füllen, ist übermächtig, übermächtig auch die eingewurzelte Gewohnheit, sich alles anzueignen und nichts sich entgehen zu lassen.

Er ist ein echter Russe, zwar nicht gerade ein Unmensch, aber doch einer, bei dem sich die Rechtsbegriffe verwirrt haben, der ganz Lüge geworden ist, ohne es selbst zu merken. Darum räsoniert er auch, beißt den Ehrbaren und Würdigen heraus und redet manchmal mit Wärme. Er gehört vielleicht sogar zu den Leuten, die, wenn sie erkannt haben, daß alle um sie her ehrlich geworden sind, daß Ehrlichkeit erford.....

2.
(Der vollständige Entwurf.)

Vor allem muß man sich davor hüten, in eine Karikatur zu verfallen. Nichts darf karikiert erscheinen. Je mehr Einfachheit im Spiel, desto ..... Je weniger es der Schauspieler darauf anlegen wird zum Lachen zu reizen oder komisch zu sein, desto komischer wird die Figur selber wirken. Auf dem Ernst, mit dem jede Person bei ihrer Sache ist, beruht ..... Der Schauspieler soll, ehe er sich die Wunderlichkeiten und kleinen äußeren Besonderheiten jeder Person aneignet, erst einmal den allgemein menschlichen Gehalt der Rolle erfassen. Vor dem eigentlichen Charakter der Person muß man den Zweck ergründen, wofür sie da ist, worin ihre Tätigkeit und Beschäftigung besteht, wovon ihr Leben erfüllt ist und worum es sich hauptsächlich dreht, worauf und wohin sich beständig ihre Gedanken und Bestrebungen richten. Hat er diesen wesentlichsten Daseinszweck der darzustellenden Person erfaßt, dann muß sich der Schauspieler so in diese Tätigkeit einleben, sich alle Gedanken und Bestrebungen so zu eigen machen, daß sie während der ganzen Vorstellung seinen Kopf beherrschen; an szenische Einzelheiten soll er gar nicht denken. Sie werden ohne weiteres gut gelingen, sofern er nur so ernsthaft und eifrig bei seiner Sache ist, wie es die darzustellende Person, ohne zu spaßen, selber tut.

Eine der wichtigsten Rollen ist der Polizeimeister. Ein Mensch, der vor allem darauf bedacht ist, seine Taschen zu füllen. Diese Beschäftigung ließ ihm keine Zeit, ernster ins Leben zu schauen oder sich selbst zu betrachten. Durch sie wurde er, vielleicht ohne es selbst zu merken, zum Blutsauger, weil er unfähig ist, böse Gelüste zu unterdrücken. Ihn beherrscht nur das Verlangen, sich alles anzueignen, was sein Auge erblickt. Er hat vergessen, daß dadurch sein Nächster zugrunde gerichtet wird. Er fühlt zwar gelegentlich, daß er ein Sünder ist, betet, geht zur Kirche, glaubt sogar fromm zu sein und denkt auch daran, künftig einmal bereuen zu wollen. Aber das Gelüst, sich die Taschen zu füllen, ist übermächtig, und übermächtig die eingewurzelte Gewohnheit. Das umlaufende Gerücht vom Revisor hat ihn in Aufregung versetzt, mehr noch der Umstand, daß dieser inkognito kommen soll und niemand weiß, wann und von woher er erscheinen wird. Er befindet sich vom Beginn bis zum Schluß des Stückes in Situationen, die weit über alles hinausgehen, was ihm sonst derart im Leben beschieden war. Seine Nerven sind gespannt. Beim Übergang von Furcht zu Freude und Hoffnung bekommt sein Ausdruck etwas Überhitztes, dann ist er der Täuschung stärker ausgesetzt, und er, der zu anderer Zeit nicht so bald ...., ist nun leicht zu übertölpeln. Wie er sieht, daß der Revisor in seiner Hand ist, gar nicht gefährlich ist und sich sogar mit ihm verschwägert hat, überläßt er sich ungestümer Freude in Voraussicht dessen, daß sein Leben von nun an in Gastereien und Trinkgelagen aufgehen wird, daß er selbst Stellungen vergeben, auf den Stationen Pferde verlangen, die Polizeimeister im Vorzimmer warten lassen, groß tun und den Ton angeben wird. Darum bedeutet die plötzliche Meldung von der Ankunft des echten Revisors für ihn einen stärkeren Donnerschlag als für alle anderen und seine Lage wird zu einer wirklich tragischen.

Der Kreisrichter ist, was Bestechlichkeit anbetrifft, weniger sündig. Ihm fehlt sogar die Neigung zum Unrechttun; dafür ist seine Jagdleidenschaft groß ..... Aber das ist nun einmal so, jeder Mensch hat schließlich irgendeine Leidenschaft .... Ihr zuliebe läßt er sich eine ganze Reihe von Ungerechtigkeiten zuschulden kommen, ohne sich dessen bewußt zu sein. Er beschäftigt sich ausschließlich mit sich und seinem Verstande und ist nur darum gottlos, weil sich ihm auf dieser Bahn Gelegenheit bietet, sich selbst ins gehörige Licht zu stellen. Für ihn ist jedes Ereignis, auch ein solches, was andere in Schrecken versetzt, ein willkommener Fund, weil es ihm Stoff zu seinen Mutmaßungen und Kombinationen gibt, die ihn ebenso befriedigen, wie den Künstler seine Schöpfung. Diese Selbstzufriedenheit muß sich auf dem Gesicht des Schauspielers ausprägen. Während er spricht, beobachtet er gleichzeitig, welchen Eindruck seine Worte auf andere machen. Er forscht .....

Semljaníka ist ein korpulenter Mann, aber ein schlauer Spitzbube. Trotz seiner mächtigen Leibesfülle besitzt er viel Gewandtheit und Schmeichlerisches in Sprache und Auftreten. Auf die Frage Chlestakóffs, wie der verspeiste Fisch hieß, springt er mit der Gelenkigkeit eines 22jährigen Stutzers herzu, um ihm die Worte: „Laberdan, Ew. Gnaden!“ direkt unter die Nase zu blasen. Er ist einer von denen, die, um sich selber zu decken, kein anderes Mittel finden, als andere in die Patsche zu bringen, und deshalb mit Ränkespinnen und Angeberei flink bei der Hand sind, ohne dabei Verwandtschaft und Freundschaft zu ...., einzig darauf bedacht, nur selber durchzuschlüpfen. Trotz seiner Beleibtheit und Schwerfälligkeit ist er immer beweglich. Ein kundiger Schauspieler wird sich natürlich keine solcher Gelegenheiten entgehen lassen, wo die Zuvorkommenheit eines korpulenten Mannes auf die Zuschauer besonders komisch wirken kann, ohne es bis zur Karikatur zu treiben.

Der Schulvorsteher ist nichts weiter als ein durch häufige, aber zwecklose Revisionen und Rüffel eingeschüchterter Mensch; darum fürchtet er alle Besichtigungen wie das Feuer und zittert bei der Kunde vom Revisor wie Espenlaub, obwohl er selber nicht weiß, was er verbrochen hat. Der ihn darstellende Schauspieler hat lediglich die beständige Angst zum Ausdruck zu bringen.

Der Postmeister ist ein bis zu Naivität einfältiger Kerl, der das Leben wie eine zum Zeitvertreib dienende Sammlung amüsanter Histörchen ansieht, die er sich aus erbrochenen Briefen zusammenliest. Für Bestechungen ist er ohne w..... zugänglich. Der Schauspieler hat nichts weiter zu tun, als so einfältig wie möglich zu sein.

Die beiden Stadtklatschbasen Bóbtschinski und Dóbtschinski aber müssen besonders gut gegeben werden. Der Schauspieler muß sie sehr scharf aufzufassen suchen. Es sind das Leutchen, deren ganzes Dasein darin aufgeht in der Stadt umherzurennen, um überall ihre Aufwartung zu machen und Neuigkeiten in Umlauf zu bringen. Ihr ganzes Wesen ist .... Die Leidenschaft zu klatschen hat jede andere Betätigung unterdrückt und wurde zur treibenden Kraft und zum Zweck ihres Lebens. Es ist unbedingt notwendig, ihr Behagen sichtbar werden zu lassen, wenn es ihnen endlich geglückt ist, die Erlaubnis zum Erzählen zu erhalten. Ihre Eilfertigkeit und Hast ist lediglich von der Angst verursacht, es könne sie jemand stören oder am Erzählen hindern. Sie sind neugierig, aus dem Bedürfnis Stoff zum Klatschen zu bekommen. Darum auch, nämlich weil er möglichst rasch erzählen will, stottert Bóbtschinski ein wenig. Beide sind klein, untersetzt und einander ungemein ähnlich, haben auch beide ein kleines Embonpoint. Beide haben ein rundliches Gesicht, saubere Kleidung und glattgescheiteltes Haar. Dóbtschinski hat auch einen Anflug von Glatze: man sieht, daß er kein Hagestolz wie Bóbtschinski, sondern verheiratet ist. Trotzdem hat Bóbtschinski das Übergewicht durch seine größere Lebhaftigkeit und regiert ihn sogar einigermaßen durch Verstand. Der Schauspieler muß alle nebensächlichen Züge außer acht lassen, wenn er diese Rolle gut darstellen will, und hat sich nur bewußt zu bleiben, daß er mit einem starken Sprachfehler behaftet sein soll. Mit einem Wort, es sind Leutchen, die vom Schicksal nicht für eigene, sondern für fremde Interessen in die Welt gesetzt wurden.

Alle übrigen Personen: Kaufleute, Gäste, Polizeibeamte und Bittsteller jeder Art sind Gestalten, wie sie uns täglich vor Augen kommen, und werden darum von jedem leicht aufgefaßt werden können, der Rede und Gebaren von Leuten jederlei Schlages zu beobachten versteht. Das gleiche kann auch vom Diener gesagt werden, obschon diese Rolle wichtiger als die erwähnten ist. Er ist ein russischer Diener in vorgerücktem Alter, der etwas mürrisch ist, seinem Herrn grob kommt, weil er merkt, daß dieser ein Federfuchser und Tropf ist, und ihm hinter dem Rücken Strafpredigten zu halten liebt; ein stilles Wasser, daneben aber sehr findig im Aufspüren von Gelegenheiten, wo etwas für ihn abfallen kann, — also eine allgemein bekannte Figur, weshalb auch diese Rolle stets gut gespielt wurde. Dementsprechend wird man leicht ermessen können, welchen Eindruck die Ankunft des Revisors auf jede einzelne dieser Personen auszuüben imstande ist.

Man darf nur nicht vergessen, daß in all diesen Köpfen der Revisor spukt. Jeder beschäftigt sich mit ihm, um ihn drehen sich Furcht und Hoffnung aller handelnden Personen. Die einen wiegen sich in Hoffnung auf ein strenges Gericht und Erlösung von schlimmen Polizeimeistern und sonstigen Schnapphähnen, die andern erfaßt panischer Schrecken bei der Wahrnehmung, daß den obersten Beamten und Spitzen der Behörden angst und bange wird. Bei den übrigen, also denen, die auf die Dinge dieser Welt gleichmütig, mit dem Finger in der Nase zu schauen pflegen, herrscht Neugierde nebst einer gewissen geheimen Scheu, die Persönlichkeit von Angesicht sehen zu sollen, die so viel Furcht verbreitet und die darum unstreitig eine außergewöhnliche und bedeutende sein muß.

Am schwierigsten ist die Rolle dessen, der von der erschreckten Stadt für den Revisor gehalten wird. Chlestakóff ist an und für sich ein unbedeutender Mensch. Sogar einfältige Leute würden ihn ihrerseits sehr einfältig nennen. Nie in seinem Leben ist er zu etwas berufen gewesen, was Nachdenken erforderte. Aber die Wirkung der allgemeinen Furcht macht ihn zu einer bemerkenswert komischen Figur. Indem sie aller Augen benebelt, schafft sie ihm Gelegenheit, eine komische Rolle zu spielen. Eben noch von allem entblößt und sogar des Vergnügens beraubt, stolz auf dem Newski-Prospekt umherzuflanieren, fühlt er mit einmal freie Bahn und sieht sich unverhofft allen Verlegenheiten enthoben. Er ist vollständig überrascht und glaubt zu träumen, kann auch lange Zeit gar nicht begreifen, weshalb man ihm soviel Aufmerksamkeit und Achtung bezeugt. Er empfindet bloß ein angenehmes Behagen bei der Wahrnehmung, wie man ihn hofiert, bedient, alle seine Wünsche erfüllt und begierig jede seiner Äußerungen auffängt. Da redet er denn ziellos ins Blaue hinein. Die Themata für seine Aufschneidereien liefern ihm die Ausfrager, die ihm die Worte gewissermaßen selbst in den Mund legen und somit seine Expektorationen veranlassen. Er fühlt bloß wie leicht sich überall prahlen läßt, wo nichts einen behindert. Er phantasiert, daß er in der Literatur einen Namen hat, auf Bällen die erste Rolle spielt, selber Bälle gibt und, damit nicht genug, auch ein großer Staatsmann ist. Vor nichts scheut er zurück, wonach man ihn etwa .... Das Diner mit all’ den Laberdanen und Weinen hat seine Zunge gelöst und ihn redselig gemacht. Je weiter er fabelt, desto stärker wird seine Einbildungskraft und er gerät wiederholt in ordentliche Hitze. Weil er gar nicht die Absicht hat, aufzuschneiden, vergißt er selber, daß er lügt. Er meint sogar all das wirklich geleistet zu haben, wovon er faselt. Darum versetzt auch die Szene, wo er sich für einen Staatsmann ausgibt, alle Beamten so in Schrecken. Darum zeigt auch, namentlich bei der Erzählung, wie er in Petersburg allen miteinander den Kopf gewaschen hat, sein Antlitz alle Merkmale von Würde und was nur irgend sonst dazu gehört. Weil er gesehen hat, wie man hierorts Rüffel austeilt, auch aus eigner, vielfacher Erfahrung weiß, was es mit dem Gerüffeltwerden auf sich hat, bereitet es ihm (das muß meisterhaft in den Reden zum Ausdruck gebracht werden) in diesem Augenblick besonderes Behagen, endlich auch einmal andere Leute herunterzuputzen — wenn auch nur erzählenderweise. Er würde sich auch noch weiter in seinen Aufschneidereien versteigen, wenn ihm nicht die Zunge bereits den Dienst versagte, infolgedessen sich die Beamten genötigt sehen, ihn ehrerbietig und furchtsam aufs vorbereitete Bett zu bringen.

Beim Erwachen ist er wieder derselbe Chlestakóff wie vorher; er weiß überhaupt nicht mehr, wodurch er sie alle ins Bockshorn gejagt hat. Alle Phantasie ist ihm wieder abhanden gekommen und sein Betragen ist so albern wie zuvor.

Fast gleichzeitig bandelt er mit der Mutter und mit der Tochter an. Er bittet um Geld, weil ihm das wie unwillkürlich über die Lippen kommt und auch schon der erste, an den er sich wandte, es ihm bereitwilligst zur Verfügung stellte. Erst gegen Schluß des Aktes wird es ihm klar, daß man ihn für irgendein großes Tier hält. Ohne Ossips Warnung aber, dem es mit Mühe gelingt, ihm begreiflich zu machen, daß diese Täuschung nicht lange vorhalten könne, würde er mit größter Seelenruhe solange dageblieben sein, bis man ihn mit Schimpf und Schande hinausgeworfen hätte. Kurz, diese Gestalt ist ein Wahngebilde, das sich wie ein personifiziertes, lügenhaftes Blendwerk mitsamt der Troika verflüchtigt. Dessenungeachtet muß diese Rolle durchaus dem besten verfügbaren Schauspieler anvertraut werden, weil sie die allerschwierigste ist. Denn dieser alberne Mensch und oberflächliche Charakter vereinigt in sich eine Menge von Eigenschaften, welche auch nicht oberflächliche Leute besitzen. Namentlich darf der Schauspieler diese Sucht zu prahlen nicht außer acht lassen, mit der mehr oder weniger alle Menschen behaftet sind und die bei Chlestakóff am stärksten ausgebildet ist, — eine kindische Neigung zwar, die sich nichtsdestoweniger aber bei vielen klugen alten Leuten findet, so daß wohl selten jemand ihr nicht bei irgendeiner Gelegenheit im Leben .... Mit einem Wort, der Schauspieler muß für diese Rolle ein sehr vielseitiges Talent mitbringen, fähig, die mannigfaltigsten Eigenschaften eines Menschen darzustellen und nicht nur ewig ein und dieselben. Er muß zugleich ein gewandter Weltmann sein, weil er sonst außerstande sein würde, naiv und harmlos diesen hohlen, weltlichen Leichtsinn zur Anschauung zu bringen, der einen Menschen über alles und jedes hinwegtändeln läßt und in so beträchtlichem Umfange Chlestakóff zu eigen ist.

Die letzte Szene des „Revisors“ muß ganz besonders umsichtig gespielt werden. Hier ist der Spaß zu Ende, und die Situation vieler Personen ist eine fast tragische. Die des Polizeimeisters ist die allerverzweifeltste; denn, wie dem auch sei, sich plötzlich betrogen zu sehen, noch dazu von dem dümmsten und albernsten Bürschchen, das weder Ansehen noch Gestalt hatte und kaum einem Zündhölzchen glich (Chlestakóff ist, wie erinnerlich, schmächtig, alle andern dick), — von dem sich betrogen zu sehen, ist wahrhaftig kein Spaß mehr. Und so plump betrogen zu werden, während man selber doch schlaue Köpfe und sogar die abgefeimtesten Gauner hinters Licht zu führen verstanden hatte! Die schließlich erfolgende Meldung von der Ankunft des echten Revisors wirkt auf ihn wie ein Donnerschlag. Versteinert steht er da. Mit ausgebreiteten Armen und hintenübergeworfenem Haupt verharrt er regungslos, und alle handelnden Personen um ihn her bilden eine momentan versteinerte Gruppe in den verschiedensten Stellungen.

Die ganze Szene ist ein stummes Bild und muß darum ebenso gestellt werden wie die lebenden Bilder. Jede Person muß eine Stellung angewiesen erhalten, die ihrem Charakter entspricht, nach dem Grade ihrer Furcht und der Stärke des Schreckens, den die Meldung von der Ankunft des echten Revisors ihr verursacht. Diese Stellungen dürfen nichts miteinander gemein haben, müssen vielmehr mannigfaltig und verschieden sein; auch muß darum jeder die seine genau im Kopfe haben, um sie sofort annehmen zu können, wenn die verhängnisvolle Kunde sein Ohr trifft. Anfangs wird das freilich gezwungen herauskommen und an Automaten erinnern; allmählich aber, nach einigen Wiederholungen, im Maße wie jeder Schauspieler seine Situation tiefer erfaßt haben wird, wird ihm die angewiesene Pose geläufiger werden und ein natürlicheres, seinem Wesen entsprechenderes Ansehen bekommen. Das Hölzerne und Ungelenke des Automaten wird verschwinden und es wird den Anschein haben, als sei dieses stumme Bild ganz von selbst entstanden.

Als Signal zur Veränderung der Stellung kann jener unterdrückte Schrei dienen, den Frauen bei einer unerwarteten Erscheinung auszustoßen pflegen. Die einen nehmen die ihnen im stummen Bilde angewiesene Pose allmählich an und beginnen damit bereits beim Eintritt des Boten mit der verhängnisvollen Meldung; das sind diejenigen, die minder betroffen sind. Die anderen nehmen sie momentan an, nämlich die, welche einen stärkeren Schlag erhalten. Der führende Schauspieler täte gut daran, seine eigene Pose vorübergehend aufzugeben und dies Bild einige Male selber wie ein Zuschauer zu betrachten, um zu prüfen, wo etwas abzuschwächen, stärker zu betonen oder zu mildern wäre, damit das Bild natürlicher wirkt.

Das Bild muß etwa folgendermaßen gestellt werden: in der Mitte der Polizeimeister, stumm und versteinert. Zu seiner Rechten seine Frau und Tochter, beide ihm schreckensbleich zugewandt. Hinter ihnen der Postmeister, in ein Fragezeichen verwandelt und den Zuschauern zugekehrt. Hinter diesem Luka Lukitsch, kreidebleich. Links vom Polizeimeister Semljanika mit hochgezogenen Augenbrauen und die Finger im Munde, wie einer, der sich böse verbrannt hat. Hinter ihm der Kreisrichter, fast auf die Erde gekauert und eine Grimasse schneidend, als wenn er sagen wollte: „Holla, Alte, jetzt hat’s eingeschlagen!“ Hinter diesen starren Bobtschinski und Dobtschinski einander mit offenem Munde an. Die Gäste verteilen sich in zwei Gruppen auf beiden Seiten; jede für sich nimmt eine eigne allgemeine Stellung an und heftet ihre Blicke auf den Polizeimeister. Fast eine Minute lang währt diese stumme Szene, bis endlich der Vorhang fällt. Damit sich die Gruppe geschickter und ungezwungener entwickele, überträgt man sie am besten einem tüchtigen Künstler, der Gruppen zu komponieren versteht, Skizzen entwerfen kann und .....

Wenn sämtliche Schauspieler auch nur einigermaßen im Laufe der Vorstellung allen Anforderungen ihrer Rollen genügt haben, dann werden sie auch in dieser stummen Szene die entscheidende Situation ihrer Rollen zum Ausdruck bringen und dadurch ihrem vollendeten Spiel die Krone aufsetzen. Erwiesen sie sich aber während der Vorstellung teilnahmslos und unbeholfen, dann werden sie auch hier so wirken, mit dem Unterschied, daß sich in dieser stummen Szene ihr Nichtkönnen noch deutlicher offenbaren wird.

III.
Zwei Szenen, die schon bei der ersten Ausgabe als den Gang der Handlung störend ausgeschieden wurden.

Anna Andréjewna und Márja Antónowna.

Márja Antónowna. Wirklich, Mama, ich begreife nicht, wie du glauben kannst, deine Augen seien das Schönste ...

Anna Andréjewna. Papperlapapp, rede kein dummes Zeug! Als noch die Frau Oberst hier wohnte, die die größte Modedame war, die ich je gesehen, und sich alle Kostüme aus Moskau verschrieb — sagte sie mir bei jeder Gelegenheit: „Liebste Anna Andréjewna, verraten Sie mir doch bloß das Geheimnis, weshalb Ihre Augen einen so sprechenden Ausdruck haben!“ Überhaupt herrschte nur eine Stimme: „Mit Ihnen, Anna Andréjewna, braucht man nur eine Minute beisammen zu sein, um infolge Ihrer Liebenswürdigkeit alles um sich her zu vergessen.“ Und der Stabsrittmeister Starokopytoff, der sich damals, was weiß ich, wegen Remonte hier aufhielt? Der schöne Mann mit dem frischen, prächtig roten Gesicht, den pechschwarzen Augen, dem weißen Hemdkragen aus dem feinsten Batist, wie ihn unsre Kaufleute uns noch nie geliefert haben? Der sagte mir zu wiederholten Malen: „Ich schwöre Ihnen, Anna Andréjewna, noch nie habe ich solche Augen gesehen, nicht einmal in Romanen davon gelesen; ich weiß nicht wie mir geschieht, wenn ich Sie anschaue! ..“ Ich trug damals noch eine Tüllpelerine, mit Weinblättern und Ähren bestickt und mit zarten Spitzen eingefaßt, kaum einen Finger breit, einfach bezaubernd! Und dann sagte er jedesmal: „Ihr Anblick, Anna Andréjewna, bereitet mir solches Entzücken, daß mein Herz vollständig ...“ ach, ich weiß schon gar nicht mehr, was er alles geredet hat. Nachher hat er sogar noch Geschichtchen gemacht: er wollte sich partout erschießen, aber die Pistolen waren irgendwie abhanden gekommen; sonst wäre er längst nicht mehr am Leben.

Márja Antónowna. Ich weiß nicht, Mama, aber ich meine doch, deine untere Gesichtspartie sei weit hübscher als deine Augen.

Anna Andréjewna. Unsinn, davon kann gar keine Rede sein! Das ist alles dummes Zeug!

Márja Antónowna. Nein, wirklich, Mama, wenn man dich so sprechen oder im Profil sitzen sieht, dann ist besonders dein Mund ...

Anna Andréjewna. Hör auf mit dem dummen Geschwätz! Du bist wirklich unausstehlich! Immerfort muß sie herumstreiten ... Gott bewahr’ mich! Will gleich vor Neid vergehen, nur weil ihre Mama schöne Augen hat! — Und bei all dem Gezänk und dem Unsinn haben wir uns richtig ganz verplappert. Paß auf, er kommt und überrascht uns noch in dem unmöglichsten Aufzuge! (Eiligst ab, gefolgt von Márja Antónowna.)

 

Chlestakóff und Rastakówski (in Uniform der Zeit Katharinas II. mit Achselschnüren).

Rastakówski. Habe die Ehre mich vorzustellen: Einwohner und Hausbesitzer hiesiger Stadt, Sekond-Major a. D. Rastakówski.

Chlestakóff. Sehr erfreut; bitte nehmen Sie gefälligst Platz. Ich bin mit Ihrem Chef sehr gut bekannt.

Rastakówski (hat sich gesetzt). Ah, Sie kannten also Sadunaiski?

Chlestakóff. Welchen Sadunaiski?

Rastakówski. Nun, den Grafen Rumjanzoff-Sadunaiski, Pjotr Alexándrowitsch; der war ja mein früherer Chef.

Chlestakóff. Ach so, ja ... Sie haben also wohl lange gedient?

Rastakówski. Ich nahm bereits 1773 an der Belagerung von Silistria teil. Da ging es heiß zu. So dicht stand der Türke vor uns, gerade wie dieser Tisch. Ich war damals Sergeant, und Sekond-Major in unserem Regimente war — Sie kannten ihn gewiß — Pjotr Wassiljewitsch Gwosdjew.

Chlestakóff. Gwosdjew? was für ein Gwosdjew?

Rastakówski. Pjotr Wassiljewitsch. Er wurde später auf Allerhöchsten Befehl der verewigten Kaiserin zu den Dragonern versetzt.

Chlestakóff. Nein, mir unbekannt.

Rastakówski. Ich dachte mir gleich, daß Sie ihn nicht kennen, weil er schon vor mehr als dreißig Jahren gestorben ist. Hier ganz in der Nähe, zwanzig Werst von der Stadt, lebt seine Enkelin, verheiratet mit Iwán Wassiljewitsch Rogatka.

Chlestakóff. Mit Rogatka? Sehen Sie doch mal an! Das ist mir ganz neu.

Rastakówski. Freilich, mit Iwán Wassiljewitsch Rogatka. Der Türke also stand so dicht vor uns, wie dieser Tisch. Frost und Schneegestöber waren so stark, wie in dem Jahr, da die Franzosen auf Moskau losrückten. In unserem Regimente stand noch ein Sekond-Major namens Ficktel-Knabe, ein Deutscher. Er hieß Siegfried Iwánowitsch, aber der damalige General en chef taufte ihn einfach um: „Du bist kein Siegfried,“ sagte er, „sondern Suppe; darum sollst du Suppe Iwánowitsch heißen.“ Und seitdem wurde er nur noch Suppe Iwánowitsch genannt. Dieser Suppe Iwánowitsch also, nebst dem eben erwähnten Sekond-Major Gwosdjew sollten einmal eine Fouragierung vornehmen. Ihnen beigegeben waren ich und der Quartiermeister Trepakin, vielleicht haben Sie ihn gekannt, Awtonom Pawlowitsch; ich glaube, er ist auch schon bald fünfundzwanzig Jahre tot.

Chlestakóff. Trepakin? Nein, kenne ich nicht. Übrigens hätte ich eine Bitte an Sie ...

Rastakówski (ohne darauf zu hören). Eine schöne männliche Gestalt, blondes Haar, dazu goldne Achselschnüre. Wie der Mazurka tanzen konnte! Brauchte nur in die Hände zu klatschen, um selbst dem Oberst seine Tänzerin abspenstig zu machen. Na, und überhaupt die kleinen Mädchen, ha, ha, ha! ... Wir biwakierten damals unter Zelten; und wenn man bloß mal so in sein Zelt hineinguckte, ha, ha, ha, da saß auch richtig so eine Kleine drin; und wurde dann morgens vom Burschen hinausgeführt, als Dragoner vermummt, im Dreimaster, ha, ha, ha, ein Portepée an der Seite, ha, ha, ha ...

Chlestakóff. Eine ähnliche Geschichte passierte einem meiner Bekannten, einem Beamten in recht einträglicher Stellung. Wie der eines Tages im Schlafrock dasitzt und seine Pfeife raucht, kommt mit einemmal ein Offizier von der Chevaliergarde, auch ein Freund von mir, herein und sagt ... (unterbricht sich und schaut Rastakówski scharf ins Auge.) Hören Sie mal, könnten Sie mir nicht etwas Geld borgen? Ich habe mich unterwegs ganz verausgabt.

Rastakówski. Wer bat denn um Geld: der Beamte den Offizier oder der Offizier den Beamten?

Chlestakóff. Nicht doch, ich bitte Sie darum. Sehen Sie, ich tue es lieber gleich, ehe ich’s nachher noch vergesse.

Rastakówski. Also Sie brauchen Geld? Seltsam, und ich glaubte, der Offizier in der Anekdote bäte darum. Wie man sich doch im Gespräch oft täuschen kann! Sie also brauchen Geld? Und ich kam offen gestanden gerade mit der Absicht, Sie meinerseits mit einer äußerst dringlichen Bitte zu belästigen.

Chlestakóff. Und die wäre?

Rastakówski. Ich habe nämlich Anspruch auf eine Pensionszulage und hatte Sie höflichst darum bitten wollen, dort bei den Senatoren oder bei sonstigen Persönlichkeiten ein gutes Wort für mich einzulegen.

Chlestakóff. Aber gewiß, mit Vergnügen.

Rastakówski. Ich selber habe schon mal eine Bittschrift eingereicht, möglicherweise aber nicht an die zuständige Stelle.

Chlestakóff. Wie lange ist denn das her?

Rastakówski. Um die Wahrheit zu sagen, noch nicht gar so lange, im Jahre 1801; ich warte aber seit diesen dreißig Jahren noch immer auf Bescheid. Ich beförderte sie durch Iwán Pjetrówitsch Ssossulkin, der damals gerade nach Petersburg reiste; leider ist er kein sonderlich zuverlässiger Mensch. So kann es gekommen sein, daß sie nicht gehörigen Orts eingereicht wurde. Jetzt wird es aber gewiß nicht mehr lange dauern: dreißig Jahre sind um, und da wird die Entscheidung wohl bald erfolgen müssen.

Chlestakóff. Selbstverständlich, jetzt wird sie bald erfolgen müssen; übrigens bin ich gern bereit, mich auch meinerseits ... Keine Ursache, schon gut, schon gut.

IV.
Eine vom Autor in die Buchausgabe nicht mitaufgenommene Szene des „Revisor“.[1]

8. Szene (des vierten Aufzuges)

Chlestakóff und Hübner.

Hübner. Ich habe die Ehre, mich zu rekommandieren: Doktor der Armenanstalten Hübner.

Chlestakóff. Bitte nehmen Sie gefälligst Platz.

Hübner. Es freut mich sehr, die Ehre zu haben, einen so würdigen Mann zu sehen, den die hohe Obrigkeit bevollmächtigt hat ...

Chlestakóff. Bitte kein Deutsch, da bin ich recht wenig ... Sprechen wir doch lieber russisch. Was ich sagen wollte: die Herren Beamten beziehen jetzt allgemein ein recht gutes Gehalt. Haben Sie sich mit Geld versehen?

Hübner. Geld? Wieso Geld?

Chlestakóff. Nun, ich würde Sie in dem Falle gebeten haben, es mir zu borgen ... zu borgen ... Soll natürlich heißen: Sie gibt es mir jetzt, und ich gebe[2] es Ihnen später wieder.

Hübner. Geld ... Geld habe ich keins ... (zieht eine Brieftasche heraus und schüttelt sie aus). Sehen Sie! Nichts da ... nur eine Zigarre ... weiter nichts ...

Chlestakóff. Na, dann ist nichts zu machen. Wo nichts ist, hat auch der Kaiser sein Recht verloren.

Hübner (steckt die Brieftasche ein und greift in die Rocktasche). Wollen Sie eine Zigarre rauchen? (Zieht sie heraus und überreicht sie ihm).

Chlestakóff. Recht gern, gut! Geben Sie her, gibt (nimmt sie und steckt sie an). Ganz leidliche Zigarre; gewiß aus Petersburg. (Bläst den Rauch vor sich hin).

Hübner. Nein ... aus ... Riga ...

Chlestakóff. Aus Riga? So, das dachte ich mir gleich.

Hübner (steht auf und verbeugt sich). Ich darf Sie nicht mehr beunruhigen (sic!) und Ihnen die teure Zeit rauben, die Sie den Staatsgeschäften widmen. (Verabschiedet sich).

Chlestakóff. Adieu. War mir sehr angenehm.

9. Szene

Chlestakóff (allein). Auch eine Zigarre ist mal ganz nett. Wieviel Beamte es doch hier gibt usw.

V.
Vorwort
zu einer zum Besten der Armen geplanten Ausgabe des „Revisor“.
1846.

Fast alle russischen Schriftsteller haben aus Teilen ihrer Werke Spenden zum Besten der Armen gemacht: manche gaben zu diesem Zweck ganze Bücher heraus, andere steuerten bereitwillig zu Sammelwerken bei; noch andere endlich veranstalteten eigens dafür öffentliche Vorlesungen. Ich allein hatte mich abseits gehalten. Vom Wunsche beseelt, diese meine Unterlassung, wenn auch spät, zu sühnen, bestimme ich die vierte und fünfte gleichzeitig in Moskau und Petersburg erscheinende Ausgabe des „Revisor“ zum Besten der Notleidenden. Sie ist um eine dem Publikum noch unbekannte Skizze: „Die Deutung des Revisors“ vermehrt, die aus verschiedenen Gründen und Umständen bisher nicht veröffentlicht werden konnte und hier zum erstenmal ihren Platz findet.

Der Erlös dieser beiden Ausgaben soll ausschließlich solchen Bedürftigen zugute kommen, welche sich in unscheinbaren, niedrigen Stellungen befinden und bei einem Einkommen, das kaum für den eigenen Unterhalt notdürftig hinreicht, noch ärmere Anverwandte zu unterstützen, oft sogar zu erhalten gezwungen sind; mit einem Wort: er ist für diejenigen bestimmt, denen das bittere Los fiel, die doppelte Last des Lebens zu tragen. Und deshalb bitte ich alle meine Leser, welche bereits durch den Kauf dieses Buches das wohltätige Werk begonnen haben, es auch in gleicher Weise fortzusetzen, namentlich aber, soweit es ihre Zeit erlaubt, über alle in erster Linie Bedürftigen in Moskau sowohl wie in Petersburg nach Möglichkeit Kunde einzuziehen, sich die Mühe nicht verdrießen zu lassen, um in deren drückende Verhältnisse selbst hineinzuschauen, und alle derartigen Nachrichten denen zu übermitteln, die mit der Verteilung der Unterstützungen betraut sind.

Es herrscht viel Elend um uns her, von dem wir nichts wissen; oft siecht in derselben Stadt, derselben Straße, ja in demselben Hause, in dem wir wohnen, ein Mensch unter der schweren Last der Not und dem durch sie erzeugten Herzenskummer dahin, dessen ganzes Schicksal vielleicht abgewendet werden konnte, wenn wir nur einmal den Blick auf ihn gerichtet hätten; wir aber schauten uns nicht nach ihm um; wir leben sorglos und unbekümmert weiter, hören fast teilnahmslos die Nachricht, daß ein jemand, der neben uns lebte, zugrunde gegangen ist, und ahnen nicht einmal, daß die Ursache seines Unterganges lediglich die war, daß wir uns nicht die Mühe gaben, nach ihm hinzusehen. Um Christi willen bitte ich inständigst einer mündlichen Rücksprache mit solchen nicht aus dem Wege zu gehen, welche verschlossen und zurückhaltend sind, stumm sich grämen, stumm leiden und stumm dahinsterben, so daß man nur selten und oft erst nach ihrem Tode erfährt, sie seien unter der unerträglichen Last ihres Kummers zusammengebrochen. Alle diejenigen meiner Leser, welche durch wichtige Geschäfte und Pflichten gebunden nicht die Muße haben, sich direkt der Lage der Bedürftigen anzunehmen, bitte ich, sich einer möglichst weitgehenden pekuniären Beihilfe nicht zu versagen und diese einer von den mit der Verteilung der Unterstützungen betrauten Personen zu überweisen, deren Namen und Adressen am Schluß dieses Vorwortes verzeichnet sind.

Ich erachte es für meine Pflicht hierbei mitzuteilen, daß ich für diese Mühewaltung lediglich solche von den mir bekannten Persönlichkeiten ausgewählt habe, welche, ohne durch eigene Sorgen und Geschäfte an der für dergleichen Angelegenheiten notwendigen Muße gekürzt zu sein, sich überdies aus Herzensbedürfnis gedrungen fühlen, dem Nächsten zu helfen und diese mühselige Arbeit freudig auf sich genommen haben, ungeachtet dessen, daß sie sie vieler angenehmer gesellschaftlicher Vergnügungen beraubt, auf die man sonst ungern verzichtet. Deshalb darf sich jeder Gebende überzeugt halten, daß die von ihm gewährte Unterstützung auch mit Überlegung verteilt und keine Kopeke nutzlos vergeudet werden wird. Die Betreffenden werden keinem Menschen eher beispringen, bevor sie ihn nicht aus der Nähe kennen gelernt, alle obwaltenden Umstände erwogen und so die volle Einsicht gewonnen haben, auf welche Art und Weise die jenem zugedachte Unterstützung zur Anwendung kommen soll. In solchen Fällen jedoch, wo der Unglückliche sein schweres Los selbst verschuldet hat und sein Elend mit Gewissensfragen in Verbindung steht, werden sie die Beihilfe nur durch erfahrene Geistliche und namentlich solche Beichtiger zur Ausführung bringen lassen, die nicht zum erstenmal mit Seele und Gewissen des Menschen zu tun hatten. Es wäre wünschenswert, wenn jeder, der Nachforschungen nach Bedürftigen anzustellen gedenkt, sich der Mühe unterziehen wollte, die Ergebnisse den Verteilern der Unterstützungsgelder persönlich und nicht schriftlich darzulegen; denn bei mündlicher Rücksprache lassen sich all’ jene Mißverständnisse leicht beseitigen, die bei brieflicher Mitteilung nie zu vermeiden sind. Auf diese Weise wird jeder sich nach Beschaffenheit seines Falles selber darüber ein Urteil bilden können, an welche der bezeichneten Personen er sich lieber, bequemer und zweckentsprechender wenden mag, auch erwägen können, wann die mitfühlende Beteiligung einer Frau, wann das kräftige, brüderlich ermutigende Wort eines Mannes im besonderen vonnöten sei. Noch nützlicher wäre, wenn zu solchen Besprechungen ein für allemal eine bestimmte Stunde festgesetzt würde, beispielsweise von 11-12, eine Stunde, die überhaupt für alle, wenigstens für die Mehrzahl, die geeignetste ist; und sollte sie trotzdem dem einen oder anderen nicht genehm sein, so wird der zu dieser Stunde Vorsprechende auf jeden Fall die Ansage einer anderen, geeigneteren erhalten können.

Zur Verteilung der Unterstützungsgelder haben sich bereit erklärt:

In Moskau:

Awdotja Pietrowna Jelagina.
Katerina Alexandrowna Swjerbejewa.
Wjera Sergejewna Aksakowa.
Alexej Stjepanowitsch Chomjakoff.
Nikolai Filippowitsch Pawloff.
Pjotr Wassiljewitsch Kirejewski.

In Petersburg:

Olga Stjepanowna Odojewskaja.
Gräfin Anna Michailowna Wjeljegorskaja.
Gräfin Daschkowa.
Arkadij Ossipowitsch Rosseti.
Jurij Fjodorowitsch Ssamarin.
Wladimir Alexejewitsch Muchanoff.

VI.
Die Deutung des Revisors

Personen:

Erster Schauspieler, Komiker: Michailo Sjemjonowitsch Schtschepkin.
Eine hübsche Schauspielerin.
Zweiter Schauspieler.
Fjodor Fjodorowitsch, Theaterenthusiast.
Pjotr Pjetrowitsch, ein vornehmer Herr.
Sjemjon Sjemjonowitsch, ein Herr aus ebenfalls ziemlich gutem Stande.
Nikolai Nikolajewitsch, ein Literat.
Schauspieler und Schauspielerinnen.

Erster Schauspieler (tritt auf die Bühne). Nun, jetzt wäre Bescheidenheit unangebracht. Diesmal, darf ich sagen, habe ich ausgezeichnet gespielt und der Applaus des Publikums war nicht unverdient. Fühlt man das selber, ohne sich vor sich selbst zu schämen, dann war eben die Leistung vollkommen.

(Eine Menge Schauspieler und Schauspielerinnen betreten die Bühne)

Zweiter Schauspieler (einen Kranz in der Hand). Michailo Sjemjonowitsch, jetzt kommen wir, nicht das Publikum, um Ihnen diesen Kranz zu bringen. Das Publikum verteilt seine Kränze nicht immer nach strenger Wahl; es schenkt sie auch geringeren Leistungen. Wenn aber Kollegen, die doch oftmals neidisch und unbillig sind — wenn eben diese Kollegen jemandem einmütigen Sinnes einen Kranz bringen, dann besagt das, daß dieser Mann des Kranzes vollkommen würdig ist.

Erster Schauspieler (den Kranz entgegennehmend). Liebe Kollegen, ich weiß diesen Kranz zu schätzen.

Zweiter Schauspieler. Nein, nicht in der Hand, aufs Haupt sollen Sie ihn setzen!

Alle Schauspieler und Schauspielerinnen. Aufs Haupt den Kranz!

Die hübsche Schauspielerin (vortretend, mit befehlender Gebärde). Michailo Sjemjonowitsch, den Kranz aufs Haupt!

Erster Schauspieler. Nein liebe Kollegen, den Kranz nehme ich zwar von Euch an, aber aufsetzen darf ich ihn nicht. Etwas anderes ist’s, vom Publikum einen Kranz zu empfangen, als den gewohnten Ausdruck des Dankes, womit es jeden beschenkt, der seinen Beifall zu erringen wußte; einen solchen Kranz nicht aufsetzen, würde Geringschätzung gegenüber seiner Gunst bedeuten. Um aber einen Kranz im Kreise gleichwürdiger Kollegen aufzusetzen, dazu bedürfte es weit größerer Selbstüberhebung, als ich sie besitze.

Alle. Den Kranz aufs Haupt!

Die hübsche Schauspielerin. Den Kranz aufs Haupt, Michailo Sjemjonowitsch!

Zweiter Schauspieler. Das ist unsere Sache, hier richten wir, nicht Sie. Setzen Sie ihn bitte nur erst mal auf, dann wollen wir Ihnen schon sagen, weshalb wir Sie bekränzt haben. So ist’s recht! Und nun hören Sie! Der Kranz gebührt Ihnen darum, weil Sie uns schon reichlich zwanzig Jahre angehören, ohne daß auch nur ein einziger unter uns sich jemals von Ihnen gekränkt gefühlt hätte; darum, weil Sie hingebender als wir alle ihre Pflicht getan und eben dadurch auch unseren Ehrgeiz geweckt haben, auf unserer Bahn nicht zu ermatten, wozu wir sonst schwerlich die Kraft gehabt hätten. Gibt es denn eine Macht, die stärker fortreißen könnte, als das anfeuernde Beispiel eines Kollegen? Und darum auch, weil Sie stets nicht nur an sich selbst gedacht, sich nicht nur Mühe gegeben haben, Ihre eigne Rolle gut zu spielen, sondern auch Sorge trugen, daß jeder andere die seine nicht verderbe, keinem Ihren Rat versagt und keinen gering geachtet haben. Und endlich darum, weil Sie die Kunst so geliebt haben, wie niemals einer von uns übrigen. Nun wissen Sie, warum wir einmütig Ihnen jetzt diesen Kranz widmen.

Erster Schauspieler (mit Rührung). Nein, liebe Kollegen, so war es nicht, wiewohl ich wünschte, es wäre so gewesen.

(Es erscheinen Fjodor Fjodorowitsch, Sjemjon Sjemjonowitsch, Pjotr Pjetrowitsch und Nikolai Nikolajewitsch.)

Fjodor Fjodorowitsch (den ersten Schauspieler lebhaft umarmend). Michailo Sjemjonowitsch, ich bin außer mir, weiß gar nicht, was ich zu Ihrem Spiel sagen soll: so schön haben Sie noch nie gespielt!

Pjotr Pjetrowitsch. Ohne alle Schmeichelei, Michailo Sjemjonowitsch, aber ich muß aufrichtig bekennen: ich habe niemals — trotzdem ich, wie ich ohne mich zu brüsten sagen darf, alle erstrangigen Theater Europas besucht und die vorzüglichsten Schauspieler gesehen habe — niemals habe ich ein ähnlich vollkommenes Spiel gesehen, nein niemals, ohne alle Schmeichelei!

Sjemjon Sjemjonowitsch. Michailo Sjemjonowitsch! ... (außerstande, sich in Worten auszudrücken, mit einer Handbewegung). Sie sind der reine Dämon!

Nikolai Nikolajewitsch. So vorzüglich, so restlos vollkommen, so verständnisvoll und mit so tiefer Auffassung seine Rolle spielen — nein, das geht über eine einfache Darstellung hinaus, das ist eine zweite Gestaltung, ist eine Neuschöpfung!

Fjodor Fjodorowitsch. Die vollendete Kunst hat ihren Kranz erhalten! Hier endlich begreift man die Hoheit der Kunst. Was hat denn z. B. die Persönlichkeit, die Sie eben darstellten, sonst reizvolles an sich? Ist’s möglich, dem Zuschauer durch Verkörperung irgendeines beliebigen Schurken Genuß zu bereiten? Ihnen ist das gelungen. Ich habe geweint, nicht aus Teilnahme für das Schicksal dieses Menschen, sondern weil ich hingerissen war. Mir wurde hell und leicht ums Herz, und zwar deshalb, weil Sie alle Züge dieses verderbten Charakters ans Licht brachten, weil Sie klar erkennen ließen, was so ein Schurke bedeutet.

Pjotr Pjetrowitsch. Gestatten Sie mir immerhin, um ganz abzusehen von der meisterhaften Darstellung des Stückes, dergleichen ich aufrichtig gestanden noch nie gesehen habe — und ich bin doch, ohne Rühmens gesagt, in den besten Theatern gewesen — ich weiß auch nicht einmal, wem der Autor mehr zu Dank verpflichtet ist: Ihnen, meine Herrschaften, oder unserer Theaterleitung; wahrscheinlich aber beiden zugleich, denn eine derartige Aufführung hebt jedes Stück (ich bitte meine Worte nicht als leere Schmeichelei aufzufassen!). Immerhin also gestatten Sie mir, wenn wir von alldem absehen, eine Bemerkung über das Stück selbst zu machen, dieselbe Bemerkung, die sich mir schon vor zehn Jahren, bei Gelegenheit der ersten Aufführung aufdrängte: ich vermag nämlich im „Revisor“, auch wenn er so vortrefflich wie jetzt gespielt wird, nicht den geringsten Nutzen für die Allgemeinheit zu erkennen, so daß man sagen dürfte, das Stück sei für sie unentbehrlich.

Sjemjon Sjemjonowitsch. Ich meinesteils halte es sogar für schädlich; es wird darin unsere Entwürdigung geschildert. Ich kann nicht glauben, daß derjenige, der es schrieb, sein Vaterland liebt. Überdies: welche Nichtachtung, welche Rücksichtslosigkeit offenbaren sich darin! Ich fasse es überhaupt nicht, wie man wagen kann, allen ins Gesicht zu sagen: „was lacht ihr? Ihr lacht über euch selber!“

Fjodor Fjodorowitsch. Aber Sjemjon Sjemjonowitsch, lieber Freund, du vergißt ja ganz, daß das nicht der Autor, sondern der Polizeimeister sagt, der aufgebrachte, zornige Schurke, der natürlich wütend ist, weil man über ihn lacht.

Pjotr Pjetrowitsch. Fjodor Fjodorowitsch, dagegen wäre doch einzuwenden, daß gerade diese Worte eine befremdende Wirkung taten, und daß sicherlich sehr viele Zuschauer den Eindruck gehabt haben, als richte der Autor jene Worte: „Was lacht ihr? Ihr lacht über euch selber!“ ausdrücklich an sie. Ich sage das — meine Herrschaften, Sie werden meine Worte nicht so auffassen, als ob ich dem Autor persönlich übelwollte, oder voreingenommen gegen ihn wäre, oder ... kurz, als ob ich irgend etwas gegen ihn hätte, verstehen Sie mich recht; nein, ich gebe lediglich meinem eigenen Empfinden Ausdruck; mir kam es aber wirklich so vor, als ob in diesem Augenblick ein Mensch vor mir stünde, der sich über alles an uns lustig macht, über unsre Eigenschaften, unsre Sitten und Gewohnheiten; und, indem er uns zwingt, selber über all dies zu lachen, uns ins Gesicht sagt: „ihr lacht über euch selber!“

Erster Schauspieler. Erlauben Sie mir hier ein Wort einzuschalten. Das hat sich ganz unwillkürlich so ergeben: in einem an sich selbst gerichteten Monologe pflegt sich der Schauspieler gewöhnlich dem Publikum zuzuwenden. Obwohl nun der Polizeimeister halb bewußtlos und dem Wahnsinn nahe ist, muß er doch erkennen, wie überaus lächerlich er sich durch seine ohnmächtigen Drohungen gegen Chlestakóff macht, der zur selben Zeit im Postwagen über Stock und Stein auf Nimmerwiedersehen davonjagt. Mag man dem immerhin die Deutung geben, von der Sie reden: dem Autor jedenfalls hat jede derartige Absicht ferngelegen; ich sage Ihnen das deshalb, weil ich ein kleines Geheimnis dieses Stückes kenne. Gestatten Sie mir übrigens eine Gegenfrage: was wäre denn, wenn der Autor wirklich die Absicht gehabt hätte, dem Zuschauer begreiflich zu machen, daß er über sich selber lacht?

Sjemjon Sjemjonowitsch. Danke für das Kompliment! Ich für mein Teil vermag nichts an mir zu entdecken, was ich mit den im „Revisor“ geschilderten Personen gemein hätte. Verzeihen Sie! Ich will mich gewiß nicht rühmen, ohne Fehler zu sein, wie das ja auch sonst kein Mensch kann, aber jenen Leuten gleiche ich doch nicht. Das fehlte noch gerade! Im Motto heißt es: „Den Spiegel soll nicht schelten, wer eine Fratze hat.“ Pjotr Pjetrowitsch, ich frage dich: habe ich eine Fratze? Und dich, Nikolai Nikolajewitsch, frage ich: habe ich eine Fratze? (Sich an die übrigen wendend.) Meine Herrschaften, ich frage Sie alle: habe ich etwa eine Fratze?

Fjodor Fjodorowitsch. Aber, Sjemjon Sjemjonowitsch, lieber Freund, du stellst wunderliche Fragen. Ein Ausbund von Schönheit bist du freilich nicht, wie ja auch wir allesamt Sünder sind. Man kann wirklich nicht so ohne weiteres behaupten, daß dein Gesicht die Vollkommenheit selber wäre; wie man es sich auch betrachtet, ein wenig schief ist es doch; nun, und was schief ist, ist schließlich auch eine Fratze.

Pjotr Pjetrowitsch. Aber meine Herren, Sie kommen ja ganz vom Thema ab! Das ist doch jedermanns eigene Gewissenssache; und wir amüsieren uns darüber zu streiten, wer eine Fratze hat, und wer nicht. Die eigentliche Frage war aber doch, um wieder darauf zurückzukommen: ich sehe in dieser Komödie nichts von Vernunft, ich sehe nichts von einem Zweck darin, wenigstens geht aus dem Werke selbst nichts dergleichen hervor.

Nikolai Nikolajewitsch. Ja, was wollen Sie denn noch für einen Zweck, Pjotr Pjetrowitsch? Die Kunst trägt doch ihren Zweck in sich selbst; das Streben nach dem Schönen und Erhabenen, das ist Kunst; das ist das unverbrüchliche Gesetz der Kunst, und ohne dies ist Kunst nicht Kunst. Und darum kann sie in keinem Falle unmoralisch sein. Sie strebt durchaus zum Guten, positiv oder negativ, ob sie uns nun das Edelste darstellt, was der Mensch besitzt, oder sich über die Häßlichkeit seiner Laster lustig macht. Wenn man alles Schlechte zur Schau stellt, was im Menschen steckt, und so kraß darstellt, daß jeder Zuschauer tiefen Abscheu davor empfindet, dann frage ich: Ist das nicht eine Verherrlichung alles Edlen? Nicht eine Verherrlichung der Tugend?

Pjotr Pjetrowitsch. Unstreitig, Nikolai Nikolajewitsch, doch möchte ich trotzdem ....

Nikolai Nikolajewitsch (fortfahrend). Nicht das ist schlimm, daß man uns im Sünder die Sünde zeigt, so daß wir erkennen, wie schlecht sie ist, sondern schlimm ist, wenn sie so dargestellt wird, daß man nicht weiß, auf welche Seite man sich stellen soll; schlimm endlich, daß uns die Tugend in einer Weise gezeigt wird, daß man in ihr nichts mehr von Tugend erkennt.

Erster Schauspieler. Wahr und schön gesprochen, Nikolai Nikolajewitsch! Sie haben ausgesprochen, was von jeher meine Überzeugung war, nur daß ich selbst es nie so treffend formulieren konnte. Ja, das ist das Schlimme, daß man in der Tugend die Tugend nicht mehr erkennt. Dies Übel kommt aber von all den modernen Dramen her, mit denen wir das Publikum unterhalten müssen. Der Zuschauer verläßt das Theater, ohne sich Rechenschaft geben zu können, was er denn eigentlich gesehen hat, ob ein böser oder ein guter Mensch vor ihm stand; er leitete ihn nicht zur Tugend, er hielt ihn nicht vor dem Laster zurück, und so bleibt er wie in einem Traum befangen, ohne aus dem, was er gesehen, eine brauchbare Richtschnur fürs Leben gewinnen zu können, ja sogar irre gemacht auf dem Wege, den er bisher gegangen, und bereit, dem ersten besten zu folgen, der ihn abseits führt, ohne zu fragen wohin und warum.

Fjodor Fjodorowitsch. Fügen Sie noch hinzu, Michailo Sjemjonowitsch, welche Überwindung es einen Schauspieler kosten muß, eine derartige Rolle zu spielen, sofern er ein echter, wahrer Künstler ist.

Erster Schauspieler. Sprechen Sie nicht davon, Ihre Worte treffen mich mitten ins Herz. Sie können gar nicht ermessen, wie bitter das manchmal ist. Man lernt, man studiert seine Rolle, und weiß doch selber nicht, wie man sie verkörpern soll. Dann vergißt man sich mitunter, versetzt sich in die Lage der darzustellenden Person, erhitzt sich, erschüttert die Zuschauer — und wenn man sich schließlich besinnt, wodurch man das erreicht hat, wird man uneins mit sich selbst: man möchte in die Erde versinken, und glüht beim Applaus wie vor eigener Scham. Ja, ich vermag nicht zu entscheiden, was verwerflicher ist: die Niedertracht so darzustellen, daß es den Zuschauer mit ihr zu sympathisieren gelüstet, oder das Walten der Tugend so wenig zur Erscheinung kommen zu lassen, daß jener gar nicht den Wunsch fühlt, ihr zu folgen. Eines wie das andere ist meiner Meinung nach — Fäulnis, aber keine Kunst. Nikolai Nikolajewitsch hat weise gesprochen: schlimm ist’s, wenn man in der Tugend die Tugend nicht erkennt.

Zweiter Schauspieler. Wahr, sehr wahr; schlimm, wenn man in der Tugend die Tugend nicht erkennt.

Pjotr Pjetrowitsch. Dagegen habe ich ganz und gar nichts einzuwenden. Nikolai Nikolajewitsch hat weise gesprochen, und Michailo Sjemjonowitsch hat es noch weiter ausgeführt. Jedoch ist all dies keine Antwort auf meine Frage. Das, was Sie eben ausgesprochen haben, nämlich: daß die Tugend mit einer magischen Kraft dargestellt werden solle, fähig, nicht nur den guten, sondern auch den schlechten Menschen an sich zu ziehen, und andererseits das Laster in so durchsichtiger Weise, daß der Zuschauer nicht nur keine Neigung spürt, mit den dargestellten Personen zu sympathisieren, sondern umgekehrt den lebhaften Wunsch fühlt, sie weit von sich zu stoßen, — all dies, Nikolai Nikolajewitsch, muß selbstverständlich die absolute Vorbedingung jedes Dichterwerkes sein; um von Zweck schon gar nicht zu reden. Jedes Dichterwerk aber muß darüber hinaus noch Sinn und Bedeutung selbständiger Art besitzen, Nikolai Nikolajewitsch, sonst geht seine Originalität verloren, sehen Sie das wohl ein? Deshalb kann ich im „Revisor“ nicht die große Bedeutung erkennen, die andere ihm beimessen. Es ist notwendig, daß volle Klarheit darüber herrsche, warum solch ein Werk unternommen wurde, speziell was es bezweckt, worauf es zielt und was es neues durch sich sagen will. Darum handelt es sich, Nikolai Nikolajewitsch, und nicht um das, was Sie im allgemeinen über Kunst sagen.

Nikolai Nikolajewitsch. Aber wozu denn erst fragen, was es bezweckt? Das liegt doch auf der Hand.

Pjotr Pjetrowitsch. Nein, Nikolai Nikolajewitsch, das liegt keineswegs auf der Hand. Ich kann in dieser Komödie keinen besonderen Zweck erkennen, es sei denn, der Autor hätte ihn absichtlich verhüllt. Dann aber bedeutet das eine Verletzung des Kunstprinzips, was Sie auch dagegen einwenden mögen. Betrachten wir diese Komödie doch mal genauer: der „Revisor“ bringt doch gewiß nicht die Wirkung hervor, daß die Zuschauer sich hinterher erhoben fühlen; im Gegenteil, ich denke, Sie wissen es selber, daß die einen zwecklos beunruhigt, andere sogar erbittert wurden, und alle samt und sonders ein drückendes Unbehagen mit nach Haus nahmen. Wenn wir absehen vom Vergnügen, das die geschickt erfundenen Szenen bereiten, von der komischen Situation vieler Personen, von der gewiß meisterhaften Zeichnung einzelner Charaktere absehen, so bleibt doch in Summa so etwas — ich kann das gar nicht einmal klar bezeichnen — so etwas unnatürlich Düsteres, so etwas wie Schrecken über unsere Sittenlosigkeit zurück. Gerade das Erscheinen des Gendarmen, der wie eine Art Henker in die Tür tritt, dies Versteinern, welches sich in allen Gesichtern ausprägt, während er das Eintreffen des wahren Revisors ankündigt, der sie alle zerschmettern, vernichten, vom Erdboden vertilgen soll, — all dies ist unerhört schreckhaft! Ich bekenne Ihnen ganz aufrichtig, à la lettre, daß mir keine einzige Tragödie jemals eine so trübe, drückende, trostlose Stimmung verursacht hat; weshalb ich sogar argwöhne, der Autor habe durch die letzte Szene seiner Komödie absichtlich diese Wirkung hervorbringen wollen. Es ist ausgeschlossen, daß das durch bloßen Zufall zustande gekommen sein sollte.

Erster Schauspieler. Da sind Sie also doch endlich bei dieser Frage angelangt. Der „Revisor“ wird nun schon an die zehn Jahr auf den Bühnen dargestellt; mehr oder minder haben alle an der niederdrückenden Wirkung, die er auf sie ausübte, Anstoß genommen; und dennoch hat sich niemand die Frage vorgelegt: weshalb mußte diese Wirkung erzielt werden? Als wenn der Autor seine Komödie nur so aufs Geratewohl geschrieben haben sollte, ohne überhaupt daran zu denken, wozu sie nützen und welche Folgen sie haben könnte. Gestehen Sie ihm doch wenigstens dieses Quentchen Verstand zu, das Sie sonst keinem Menschen absprechen; jede Tat hat doch schließlich einen Beweggrund, selbst bei unvernünftigen Leuten.

(Alle sehen ihn erstaunt an.)

Pjotr Pjetrowitsch. Erklären Sie sich genauer, Michailo Sjemjonowitsch, das ist nicht ganz verständlich.

Sjemjon Sjemjonowitsch. Sie scheinen uns Rätsel aufgeben zu wollen.

Erster Schauspieler. Ja, ist Ihnen denn wirklich gar nicht aufgefallen, daß der „Revisor“ keinen Schluß hat?

Nikolai Nikolajewitsch. Wieso keinen Schluß?

Sjemjon Sjemjonowitsch. Was denn noch für einen Schluß? Fünf Akte sind doch da, auf sechs bringt es keine Komödie. Soll etwa noch ein weiterer Skandal nachfolgen?

Pjotr Pjetrowitsch. In der Tat, Michailo Sjemjonowitsch, was wäre denn das für eine Art Stück, wenn es keinen Schluß hätte? Ist das etwa auch eine Kunstregel, Nikolai Nikolajewitsch? Das kommt mir wirklich so vor, als wenn man vor uns alle ein verschlossenes Kästchen hinstellen und fragen wollte, was darin sei.

Erster Schauspieler. Und wenn es nun tatsächlich zu dem Zweck hingestellt wäre, damit Sie sich selber bemühen, es zu öffnen?

Pjotr Pjetrowitsch. Dann muß einem das wenigstens gesagt, oder gleich der Schlüssel in die Hand gegeben werden.

Erster Schauspieler. Aber wenn der Schlüssel nun doch daliegt, neben dem Kästchen liegt?

Nikolai Nikolajewitsch. Sprechen Sie doch nicht weiter in Rätseln! Sie haben von irgend etwas Kenntnis. Sicherlich hat Ihnen der Autor den Schlüssel an die Hand gegeben, und Sie halten ihn fest und spielen den Geheimnisvollen.

Fjodor Fjodorowitsch. Erklären Sie sich, Michailo Sjemjonowitsch; es interessiert mich allen Ernstes zu erfahren, was dahinter stecken mag! Mit meinen Augen sehe ich nichts.

Sjemjon Sjemjonowitsch. So öffnen Sie uns doch das rätselhafte Kästchen! Was ist’s mit diesem seltsamen Ding, das uns geheimnisvoll gebracht, geheimnisvoll vor uns aufgestellt und geheimnisvoll vor uns verschlossen gehalten wird?

Erster Schauspieler. Und was dann, wenn es sich so öffnet, daß Sie sich wundern müßten, es nicht selber haben öffnen zu können? Wenn dann etwas darin liegt, was manchem als wertloser Groschen, anderen aber als blanker Dukaten gilt, von dauerndem Wert, wie auch seine Prägung sich verändern möge?

Nikolai Nikolajewitsch. Jetzt genug mit Ihren Rätseln! Geben Sie uns ohne Umschweife den Schlüssel!

Sjemjon Sjemjonowitsch. Den Schlüssel, Michailo Sjemjonowitsch!

Fjodor Fjodorowitsch. Den Schlüssel!

Pjotr Pjetrowitsch. Den Schlüssel!

Alle Schauspieler und Schauspielerinnen. Michailo Sjemjonowitsch, den Schlüssel!

Erster Schauspieler. Den Schlüssel? Werden Sie ihn auch annehmen, meine Herrschaften? Ihn nicht vielleicht mitsamt dem Kästchen fortschleudern?

Nikolai Nikolajewitsch. Den Schlüssel! Weiter wollen wir nichts hören. Den Schlüssel!

Alle. Den Schlüssel!

Erster Schauspieler. Gut also, ich will Ihnen den Schlüssel geben. Möglicherweise sind Sie nicht gewohnt, aus dem Munde eines Komikers derartige Worte zu vernehmen; doch einerlei, heut glüht meine Seele, ich fühle mich leicht und frei, und will darum alles aussprechen, was ich auf dem Herzen habe, wie Sie auch immer meine Worte aufnehmen mögen. Nein, meine Herrschaften, der Autor hat mir den Schlüssel nicht anvertraut, aber es gibt Momente der Seelenstimmung, wo man plötzlich erkennt, was vordem unbegreiflich war. Ich fand diesen Schlüssel und mein Herz sagt mir, daß es der rechte sei; das Kästchen tat sich vor mir auf, und meine Seele sagt mir, daß der Autor selber nichts anderes gemeint haben könne.

Schauen Sie einmal genau in jene Stadt hinein, die im Stück geschildert wird! Alle ohne Ausnahme sind überzeugt, daß es eine solche Stadt in ganz Rußland nicht gibt; man hat nirgendwo bei uns von einem Orte gehört, in dem sämtliche Beamten solche Schurken wären; immer sind doch wenigstens zwei bis drei ehrenhafte darunter. Hier aber kein einziger. Mit einem Wort, solch eine Stadt existiert nicht, nicht wahr? Wie aber nun, wenn dies vielmehr unsere eigene Seelenstadt wäre, die sich in einem jeden von uns befindet? Nein, lassen Sie uns nicht mit irdischen Augen auf uns schauen — denn kein irdisches Wesen wird dereinst über uns zu Gericht sitzen, — versuchen wir doch einmal mit den Augen dessen auf uns zu schauen, der von allen Menschen Rechenschaft fordern wird, vor dem auch die besten unter uns, beherzigen sie das, vor Scham die Blicke zu Boden senken werden, und dann wollen wir einmal sehen, ob noch ein einziger den Mut haben wird zu fragen: „habe ich denn eine Fratze?“ Ob er nicht vielmehr über seine eigene Verworfenheit dann ebenso erschrecken wird, wie er über die Verworfenheit aller jener Beamten erschrak, die er vorhin im Stück sah. Nein, Pjotr Pjetrowitsch, nein, Sjemjon Sjemjonowitsch, sagen Sie mir nicht: „das ist alter Kram“ oder „das wissen wir längst!“ Lassen Sie auch mich einmal reden. Bin ich denn etwa bloß zum Spaßmachen da? Dinge, die uns zu dem Zweck gegeben sind, damit wir ewig an sie denken sollen, darf man nicht alt heißen: wie etwas Neues sollen wir sie aufnehmen, gleich als hörten wir sie zum erstenmal, ohne Ansehung dessen, der sie ausspricht, sei er wer er sei. Nein, Sjemjon Sjemjonowitsch, nicht um unsere Vortrefflichkeit darf es sich handeln, sondern um die Sorge, daß unser Leben, welches wir für eine Komödie anzusehen uns gewöhnt hatten, nicht auch so tragisch ende, wie die Komödie, die wir vorhin gespielt haben. Man sage was man will, furchtbar aber ist jener Revisor, der uns an den Pforten des Grabes erwartet. Und Sie wüßten nicht, wer dieser Revisor ist? Wozu die Verstellung? Dieser Revisor ist unser erwachendes Gewissen, das uns jählings zwingt, uns mit scharfem Auge selbst zu betrachten. Vor diesem Revisor wird nichts verborgen bleiben, weil er in Sendung des Allerhöchsten kommt und gerade in dem Augenblicke gemeldet wird, wo es keinen Schritt zurück mehr gibt. Dann wird sich vor uns, wird sich in unserm eignen Innern ein solches Gräuel enthüllen, daß sich vor Schrecken unser Haar sträuben wird. Darum ist es besser eine Revision von alle dem, was in uns ist, im Anfang des Lebens vorzunehmen, und nicht erst am Schlusse; besser, statt schalen Selbstlobs und schaler Selbstbeschönigungen schon jetzt in diese unsaubere Seelenstadt einzutreten, die oftmals verwahrloster als jede andere Stadt ist, und in der unsere Leidenschaften wie verworfene Beamte hausen, die den Schatz unsrer eigenen Seele bestehlen. Am Anfang des Lebens soll man einen Revisor nehmen und Hand in Hand mit ihm alles durchprüfen, was in uns ist, — einen wirklichen Revisor, keinen falschen, keinen Chlestakóff! Chlestakóff ist ein Windbeutel, Chlestakóff ist das leichtfertige irdische Gewissen, das feile, betrügerische Gewissen; ein Chlestakóff wird von den in unsrer Seele hausenden Leidenschaften sofort bestochen; an seiner Hand werden wir in unserer Seele nichts entdecken. Sehen Sie doch, wie sich jeder Beamte im Gespräch mit ihm geschickt herauswindet, rechtfertigt und fast wie ein Heiliger davongeht. Bedenken Sie, ist nicht jede unserer Leidenschaften noch viel schlauer als diese schurkischen Beamten? Die Leidenschaften nicht nur, nein sogar jede beliebige gleichgültige, platte Gewohnheit? Sie weiß sich uns so geschickt zu entwinden und zu rechtfertigen, daß man sie geradezu für eine Tugend hält, sich vor seinem Nächsten noch brüstet und spricht: „sieh, wie herrlich meine Stadt ist, wie alles darin so ordentlich und sauber ist!“ Heuchler sind unsere Leidenschaften, Heuchler, sage ich Ihnen, denn ich habe für mich selbst mit ihnen zu schaffen gehabt. Nein, mit dem leichtfertigen irdischen Gewissen entdeckt man in sich nichts davon: dies wird von jenen, und jene werden von diesem geprellt, wie die Beamten von Chlestakóff, und schließlich verflüchtigt es sich auf Nimmerwiedersehen. Und man steht dann da wie der Dummkopf Polizeimeister, der schon wer weiß wie hoch hinauswollte, sich schon General träumte, ganz zuversichtlich verkündete, er werde in der Residenz der Erste sein, den anderen bereits Ämter und Würden versprach, und dann doch plötzlich wahrnehmen muß, daß er komplett betrogen und übertölpelt worden ist von einem Bürschchen, einem Schlingel, einem Windbeutel, der nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem wirklichen Revisor besessen hatte. Nein, Pjotr Pjetrowitsch, nein, Sjemjon Sjemjonowitsch, nein, meine Herrschaften, alle, alle, die ihr solcher Anschauung sein mögt, entschlagt auch dieses weltlichen Gewissens! Laßt uns nicht mit Chlestakóff, sondern mit dem wirklichen Revisor auf uns schauen. Ich versichere euch, unsere Seelenstadt ist es wert, daß für sie so von uns gesorgt werde, wie ein gewissenhafter Herrscher für sein Reich sorgt. Mit Ernst und Strenge, wie er aus seinen Landen die Bestechlichen entfernt, so laßt uns die bestechlichen Elemente aus unsrer eigenen Seele vertreiben! Ein Mittel, eine Geißel gibt es, womit man sie austreiben kann: mit dem Lachen, meine werten Landsleute! Mit dem Lachen, das all’ unsre niederen Leidenschaften so fürchten, dem Lachen, das uns geschenkt ist, um über alles, was die echte Schönheit des Menschen entstellt, lachen zu können. Geben wir doch dem Lachen seine wahre Bedeutung wieder! Entreißen wir es denen, die es erniedrigt haben zu einem leichtfertigen, weltlichen Gespött über alles, ohne Unterschied zwischen Gut und Böse. In derselben Weise, wie wir über die Verderbtheit anderer gelacht haben, laßt uns hochherzig lachen über die eigenen Schwächen, welcher Art sie auch sein mögen! Laßt uns nicht nur diese eine Komödie, sondern alles, was aus der Feder jedes beliebigen Schriftstellers kommt, der Laster und Niedrigkeit lachend an den Pranger stellt, so auf uns selbst beziehen, als wenn es lediglich für uns geschrieben wäre: alles werden wir in uns aufspüren, sofern wir unsere Seele nur nicht mit einem Chlestakóff, sondern mit dem wirklichen und unbestechlichen Revisor betreten. Und nicht wollen wir uns irre machen lassen, wenn so ein aufgebrachter Polizeimeister oder richtiger: der böse Geist selber uns zuraunt: „Warum lacht ihr? Ihr lacht über euch selbst!“ Stolz wollen wir ihm dann entgegnen: „Jawohl, wir lachen über uns selbst, weil wir die Stimme unseres edlen russischen Wesens vernehmen, weil wir den Befehl des Höchsten vernehmen, der uns gebietet, besser zu werden als die übrigen!“ Meine lieben Landsleute, seht, in meinen Adern fließt dasselbe russische Blut wie in den euren. Schaut her: ich weine! Ich, der Komiker, der euch noch eben belustigt hat, ich weine jetzt. Gönnt mir das Bewußtsein, daß auch mein Lebensweg so ehrenhaft ist, wie der eines jeden von euch, daß auch ich meinem Vaterlande so ehrlich diene, wie ihr andern alle, daß ich kein beliebiger Possenreißer bin, geschaffen zur Kurzweil der gedankenlosen Menge, sondern ein treuer Beamter des großen Gottesreiches; und daß ich ein Lachen in euch erweckt habe — nicht das sündhafte, mit dem ein Mensch den andern verspottet, und das die nichtige Leere des Müßiggangs gebiert, — sondern jenes Lachen, welches aus der Nächstenliebe quillt. Einträchtig wollen wir aller Welt beweisen, daß in russischen Landen alles, was da lebt, klein und groß, bemüht ist, dem zu dienen, dem man auf Erden dienen soll, und (nach oben blickend) nach dorthin aufwärts strebt zur höchsten, ewigen Schönheit.

VII.
Nachtrag
zur „Deutung des Revisors“.

Sjemjon Sjemjonowitsch. Was bedeutet das, Michailo Michailowitsch, von was für einer Seelenstadt reden Sie?

Michailo Michailowitsch. Es war eine Eingebung. Mir schien, es sei dies meine eigene Seelenstadt, und die letzte Szene stelle die letzte Szene des Lebens vor, wo das Gewissen einen plötzlich zwingt, sich selbst scharf zu betrachten und vor sich selber zu erschrecken. Mir schien, als sei dieser wirkliche Revisor, dessen bloße Ankündigung am Schluß der Komödie solchen Schrecken hervorruft, unser wahres Gewissen, welches uns an der Pforte des Grabes entgegentritt; und dieser Windbeutel Chlestakóff, dieser Schelm, oder wie Sie ihn sonst nennen wollen, sei unser falsches weltliches Gewissen, das, indem es sich unsern Schrecken zunutze macht, unversehens die Maske des wahren annimmt und sich von unseren Leidenschaften bestechen läßt, wie Chlestakóff von den Beamten, um dann wie dieser spurlos zu verschwinden. Mir schien, als träte jener trostlos niederdrückende Schluß, der die Zuschauer so betrübt und erschüttert hat, mit der Mahnung vor mich hin, daß auch das Leben, das wir gewöhnlich als eine Komödie betrachten, einen solch düster-tragischen Abschluß haben könne. Mir schien, als lehre der gesamte Inhalt der Komödie, daß man die Pflicht habe, zu Anfang jenen Revisor zu nehmen, der uns am Schluß entgegentritt, um an seiner Hand die eigene Seele genau so durchzuprüfen, wie ein gerechter Herrscher sein Reich revidiert, und daß man sich ebenso gegen die eigenen Leidenschaften wappnen müsse, wie sich ein solcher gegen bestechliche Beamte wappnet; und zwar darum, weil jene ebenso rücksichtslos die Schätze unserer Seele bestehlen, wie diese die Kassen und das Vermögen des Staates. Mit dem echten Revisor soll man es tun, weil unsere heuchlerischen Leidenschaften, und nicht nur sie allein, sondern jede geringste alberne Gewohnheit so schlau uns beizukommen, sich so geschickt vor uns zu beschönigen versteht, wie nur irgend die schurkischen Beamten vor Chlestakóff, so daß man drauf und dran ist, sie für Tugenden zu halten und sich der Ordnung in der eigenen Seelenstadt zu rühmen, ohne auch nur im entferntesten zu argwöhnen, daß man hinterher der Betrogene sein könne, gleichwie der Polizeimeister. So kam es mir vor.

Pjotr Pjetrowitsch. Michailo Michailowitsch, all das ist schön gesprochen; wo aber fanden Sie hier die Ähnlichkeit? Was für eine Beziehung besteht denn zwischen Chlestakóff und dem leichtfertigen weltlichen Gewissen, oder zwischen dem echten Revisor und dem echten Gewissen? Nikolai Nikolajewitsch, sagen Sie mir offen: finden Sie hier irgendwelche Analogie?

Nikolai Nikolajewitsch. Nicht die geringste.

Sjemjon Sjemjonowitsch. Auch ich nicht; wie weit ich auch die Augen aufsperre, ich sehe nichts davon.

Fjodor Fjodorowitsch. Ich muß Ihnen aufrichtig gestehen, Michailo Michailowitsch, obgleich der Gedanke nicht übel ist und einer künstlerischen Arbeit sehr wohl als Thema dienen könnte, daß ich dennoch nicht glauben kann, der Autor habe ihn im Sinn gehabt.

Nikolai Nikolajewitsch (bestimmt). Unsinn! er ist ihm nicht einmal eingefallen!

Michailo Michailowitsch. Ja, habe ich denn etwa behauptet, daß der Autor ihn im Sinne gehabt hat? Ich erklärte Ihnen doch vorhin schon: „Der Autor gab mir den Schlüssel nicht, ich biete Ihnen dafür den meinen.“ Selbst wenn er diesen Gedanken gehabt hätte, würde er doch in einem solchen Falle unklug gehandelt haben, wenn er ihn deutlich erkennen ließe. Dann wäre die Komödie auf eine Allegorie hinausgelaufen, hätte sich in eine dürre, moralisierende Predigt verwandelt. Nein, seine Sache war es vielmehr, lediglich den Abscheu vor tatsächlichen Mißständen, nicht solchen in einer ideellen Stadt, sondern in einer realen, irdischen, zur Darstellung zu bringen, und alles Schlechte unserer Heimat so zusammenzufassen, daß man es sofort als solches erkennt und nicht etwa für das unvermeidliche Übel hält, welches ebenso unausweichlich zwischen das Gute gemengt ist, wie die Schatten auf einem Gemälde. Seine Pflicht war es, diese Schatten so schwarz zu malen, daß ein jeder fühlen soll, es müsse dagegen angekämpft werden; daß den Zuschauer Schrecken erfaßt und ihm der Schauder durch Mark und Bein geht. Das war seine Pflicht. Unsere Pflicht aber ist es, die Moral daraus zu ziehen. Wir sind Gott sei Dank keine Kinder mehr. Ich habe darüber nachgesonnen, was für eine Moral ich für mich selbst daraus ziehen könnte, und bin auf jene verfallen, die ich Ihnen soeben mitgeteilt habe.

Pjotr Pjetrowitsch. Michailo Michailowitsch! Eine Komödie wird für alle geschrieben; es soll jedermann die Moral daraus ziehen können, eine Moral, die naheliegt und allen erreichbar ist, nicht aber so fern liegen darf, daß höchstens ein ungewöhnlich begabter Mensch sie für sich allein finden kann. Warum, frage ich, hat niemand außer Ihnen diese Moral gefunden?

Nikolai Nikolajewitsch. Sehr richtig, das ist der springende Punkt! Erklären Sie erst einmal, weshalb nur Sie, und nicht auch alle anderen sie gefunden haben?

Sjemjon Sjemjonowitsch. Ja, Michailo Michailowitsch, weshalb haben Sie und nur Sie allein sie gefunden?

Michailo Michailowitsch. Zunächst einmal: woher wissen Sie, daß nur ich allein diese Moral gefunden habe? Und ferner: aus welchem Grunde halten Sie sie für fernliegend? Ich meine doch, daß uns unsere Seele näher liegt, als alles andere. Ich hatte damals meine eigene Seele im Sinne, ich dachte an mich selbst, und darum eben zog ich diese Moral daraus. Hätten auch andere vor allem an sich selbst gedacht, dann hätten auch sie gewiß die gleiche Moral wie ich finden können. Dringt denn aber jeder von uns so tief in das Dichterwerk ein, wie die Biene in die Blüte? Um herauszusaugen, was man braucht? Nein: wir suchen in allem eine Moral für andere, nicht für uns; wir sind immer dabei, die Allgemeinheit zu behüten und zu bewahren, indem wir eifrigst für die Moralität anderer Leute Sorge tragen — und unsere eigene vergessen. Machen wir uns doch gern über andere lustig, nicht aber über uns selbst; freuen uns, die Fehler der anderen zu bemerken, nicht aber die eigenen. Wie dem nun auch sein mag, schauen Sie doch aber mal hin: dreitausend Menschen kommen ins Theater; alle wissen, daß sie gekommen sind, um sich zu amüsieren und jeder von diesen dreitausend setzt voraus, er werde Gelegenheit finden, sich über andere lustig machen zu können, nicht aber über sich selbst. Die leiseste Andeutung, daß er selber vielleicht gar dem ähnele, über den er lachte, kann ihn erzürnen und er würde sofort wütend wiederholen: „habe ich denn eine Fratze?“

Sjemjon Sjemjonowitsch. Michailo Michailowitsch, in diesem Sinne meine ich das nicht ...

Michailo Michailowitsch (ihn unterbrechend). Gestatten Sie, Sjemjon Sjemjonowitsch! Sie, ein ehrenwerter Mann, mit echt russischem Herzen, ein Mensch, der mit wahrhaft christlichem Auge das Leben betrachtet, — warum sprechen Sie aus, was Ihrer eigenen Denkungsart widerstreitet? Vor allem, warum vergessen Sie jedesmal, daß das Thema der Komödie und überhaupt der Satire nicht das Tüchtige, sondern das Verächtliche im Menschen ist? Daß, je schwärzer sie das Laster schildert und je stärker sie den Zuschauer erbeben und vor ihm schaudern macht, sie desto vollkommener ihren Zweck erreicht? Warum vergessen Sie das jedesmal und weisen der Satire Motive zu, die vielmehr dem Bereiche der Tragödie gehören? Warum betrachten Sie nicht auch das Werk des Schriftstellers mit dem Auge des Christen? Nein, wer eine Moral haben will, wird sie für sich selbst auch finden; wer in seine eigene Seele schaut, wird von überallher nehmen, was er braucht: wird auch in dieser realen Stadt seine eigene Seelenstadt erkennen, wird erkennen, daß man sich mit aller Kraft gegen die Heuchelei wappnen muß. Nein, lassen Sie die Satire unbehelligt, sie tut ihre Schuldigkeit. Das Laster darf nirgendwo geschont werden, mag es zu Tage treten, wo es wolle. Wenn Sie aber schon christlich handeln wollen, dann beziehen Sie die Satire auf sich selbst, wenden Sie die Komödie auf sich selbst an, ehe Sie eine Beziehung auf die Allgemeinheit darin suchen. Will man wahrhaft christlich handeln, dann ist es Pflicht, jede Dichtung, in der das Laster gegeißelt wird, auf sich selbst zu beziehen, gleich als wäre Sie bloß unsertwegen verfaßt. Sie wissen es ja doch, daß wir keinen Fehler an anderen entdecken können, den wir nicht wenigstens als Reflex auch selber besäßen, — in geringerem Maßstabe, anders geartet, in anderer Verkleidung, anständiger, liebenswürdiger und verbrämter als Chlestakoff. Einerlei was man sucht, wenn man in seine Seele nur mit jenem unbestechlichen Revisor hineinschaut, der unser an der Pforte des Grabes harrt! Wir wissen das sehr wohl, wollen es aber nicht wissen! Tagtäglich gestehen wir uns ein, daß unser Inneres von Leidenschaften wimmelt, aber austreiben wollen wir sie nicht. Und haben doch eine Peitsche in der Hand, um sie austreiben zu können.

Sjemjon Sjemjonowitsch. Eine Peitsche? Welche Peitsche denn?

Michailo Michailowitsch. Ist das Lachen etwa keine Peitsche? Oder meinen Sie, es wäre uns umsonst geschenkt, während doch selbst der verworfenste Mensch sich davor fürchtet? Fürchtet sich doch sogar derjenige davor, der sich sonst vor nichts fürchtet! Also ist es uns zu einem wichtigen Zwecke geschenkt. Und wozu? Meinen Sie etwa, um uns in oberflächlicher Weise zu amüsieren? Haben wir es aber zu dem Zwecke erhalten, um damit alles zu geißeln, was die edleren Eigenschaften des Menschen befleckt, warum geißeln wir dann nicht zuerst einmal das, was unsere eigene Seele verunziert? Warum verwenden wir es nicht gegen das eigene Innere, treiben nicht aus dem eigenen Lande die eigenen Schurken hinaus? Warum soll die leise Andeutung, daß wir über uns selbst lachen, uns Ärger verursachen? Sei dem wie ihm wolle, aber jede unserer Leidenschaften, jede unserer schlechten Gewohnheiten will immer eine möglichst vornehme Rolle spielen und äußerlich vornehm scheinen, und schleicht sich lediglich unter dieser Maske in unsere Seele ein, die, weil von edlerer Natur, jene in ihrer schmutzigen Nacktheit sonst zurückweisen würde. Aber glauben Sie mir, würden wir sie vor uns selbst dem Lachen preisgeben und so schonungslos geißeln, daß man selber vor Scham erglüht und nicht weiß, wo man sein Antlitz verbergen soll, — sie würde nicht wagen, sich in unserer Seele einzunisten, und würde spurlos verschwinden.

Sjemjon Sjemjonowitsch. In der Tat, Ihre Worte geben zu denken. Sie glauben also, die Anwendung des Lachens auf sich selbst, gegen die eigene Person, sei möglich?

Pjotr Pjetrowitsch. Ich bin der Meinung, daß das bloß derjenige vermag, der den Adel der menschlichen Natur fühlt und Schauder vor seinen eigenen Fehlern empfindet.

Michailo Michailowitsch. Und ich meinerseits bin überzeugt, daß, wer nur ein echt russisches Herz besitzt, es ganz leicht kann. Ein jeder von uns besitzt ja doch dies Lachen; ein gewisser schonungsloser Sarkasmus ist selbst unter unseren niederen Volksschichten verbreitet. Auch besitzen wir den Mut, aus uns herauszugehen und uns selbst nicht zu schonen. Und gerade deshalb ist es vielleicht uns allein möglich, dem Lachen seine ihm gebührende Richtung zu geben. Widerlegen Sie mich, beweisen Sie mir, daß ich lüge; vernichten Sie, zerstören Sie meine Überzeugung, und vernichten Sie zugleich mich selber, den armseligen Possenreißer, der für diese Überzeugung lebt, die er an seinem eigenen Leibe erprobt hat. Sjemjon Sjemjonowitsch, fließt nicht in meinen Adern das gleiche russische Blut wie in den Ihren? Fühle ich in meinen erhabensten Momenten etwas anderes, als Sie in solchen zu fühlen fähig sind? Stehe ich nicht gerade jetzt in meinem erhabensten Momente vor Ihnen? Meine Laufbahn ist beendet; ich verlasse das Theater, dem ich zwanzig Jahre lang gedient habe. Sie selber haben mich mit dem Kranz geschmückt, haben mich in Wallung gebracht. Sie selber haben mich fast gezwungen zu sagen, was ich eben gesagt habe. Sehen Sie her: ich weine. Ich, der Komiker, der Sie noch eben belustigte, ich weine nun. Gönnen Sie mir das Bewußtsein, daß auch mein Lebensweg so ehrenhaft war, wie der eines jeden von Ihnen; daß auch ich meinem Vaterlande treu gedient habe, daß ich kein alberner Possenreißer, sondern ein ehrlicher Beamter des großen Gottesreiches war, und in Ihnen nicht etwa das törichte Lachen erweckt habe, womit ein Mensch den anderen verspottet, sondern jenes Lachen, welches aus der Nächstenliebe quillt. Nikolai Nikolajewitsch, Fjodor Fjodorowitsch, Sjemjon Sjemjonowitsch, und ihr andern Kameraden alle, mit denen ich Stunden der Arbeit und Stunden lehrreicher Aussprache geteilt, von denen ich vieles gelernt habe und von denen ich jetzt mich trenne, — Freunde! Das Publikum liebte mein Talent, ihr aber liebtet mich selber! Entreißt, wenn ich nicht mehr da bin, entreißt dieses Lachen denjenigen, die es herabgewürdigt haben zu einem Gespött über alles, ohne Unterschied zwischen Gut und Böse! Ich sage euch: glaubt diesen meinen Worten ... Es ist edel, es ist ehrenhaft, dieses Lachen. Es ist uns ausdrücklich darum geschenkt, damit wir über uns selbst, nicht über unsern Nächsten lachen sollen. Und wer nicht den Mut hat, über seine eigenen Fehler zu lachen, der sollte besser überhaupt nicht lachen! ... Er wird einst dafür Rechenschaft geben müssen! ...

Eine Heiratsgeschichte

Eine ganz unwahrscheinliche Begebenheit in zwei Aufzügen

1833

Deutsch von Carl Ritter und André Villard

Den Bühnen gegenüber als Manuskript gedruckt

Personen.

Agathe Tichonowna, eine heiratslustige Kaufmannstochter.
Arina Panteleimonowna, ihre Tante.
Thekla Iwanowna, eine Heiratsvermittlerin.
Podkoliessin, Beamter — Hofrat.
Kotschkarjow, sein Freund.
Iwan Pawlowitsch Eierkuchen, Exekutor.
Anutschkin, Infanterie-Leutnant a. D.
Schewakin, Leutnant zur See.
Dunjaschka, das Dienstmädchen.
Starikow, ein Kaufmann.
Stepan, Podkoliessins Diener.

Erster Aufzug

(Zimmer eines Junggesellen.)

1. Auftritt

Podkoliessin.

Podkoliessin (liegt allein auf dem Sofa und raucht eine Pfeife). Ja, wenn man so allein auf dem Sofa liegt und nachdenkt, dann merkt man erst recht, daß es so nicht weiter geht ..... Man muß heiraten! ... Wirklich, da lebt man so dahin, bis einem schließlich die ganze Geschichte zum Halse raushängt. Nun habe ich auch wieder die Fastenzeit vorüberstreichen lassen, und doch ist alles fix und fertig! Es sind ja bald drei Monate, daß mir die Heiratsvermittlerin das Haus einläuft. Wahrhaftig, man muß sich bald vor sich selber schämen ... He, Stepan!

2. Auftritt

Podkoliessin und Stepan.

Podkoliessin. War die Heiratsvermittlerin nicht da?

Stepan. Nein.

Podkoliessin. Und bist du beim Schneider gewesen?

Stepan. Jawohl.

Podkoliessin. Wie ist’s, arbeitet er an meinem Frack?

Stepan. Jawohl.

Podkoliessin. Ist er bald fertig?

Stepan. Ja, nun wird’s wohl nicht mehr lange dauern. Er ist schon bei den Knopflöchern.

Podkoliessin. Was? ... Was hast du gesagt? ...

Stepan. Ich sage, er ist schon bei den Knopflöchern!

Podkoliessin. Sag mal, hat er denn gar nicht gefragt, wozu dein Herr den Frack braucht? ...

Stepan. Nein, danach hat er nicht gefragt.

Podkoliessin. Oder hat er vielleicht nur gesagt: „Dein Herr will wohl heiraten?“ ...

Stepan. Nein, darüber hat er auch nichts gesagt.

Podkoliessin. Aber du hast doch bei ihm auch andere Fräcke hängen sehen? Er arbeitet doch auch für andre Leute.

Stepan. Ja, es liegen viele Fräcke bei ihm herum.

Podkoliessin. Nun sag mal, mein Stoff ist wohl etwas besser als bei den übrigen, was? ...

Stepan. Ja, etwas feiner wird er schon sein.

Podkoliessin. Was sagst du? ...

Stepan. Ich sage, etwas feiner wird er schon sein.

Podkoliessin. Gut, ... schön! ... Aber hat er denn nicht gefragt, warum dein Herr so feinen Stoff zu seinem Frack nimmt?

Stepan. Nein!

Podkoliessin. Also vom Heiraten hat er nicht gesprochen?

Stepan. Nein, davon hat er nichts gesagt.

Podkoliessin. Aber hast du ihm auch meinen Rang und Titel genannt und gesagt, wo ich diene? ...

Stepan. Gewiß, gnädiger Herr!

Podkoliessin. Nun, und er? ...

Stepan. ... hat gesagt: „Schön, ich werde mir Mühe geben!“

Podkoliessin. Gut, du kannst gehen.

(Stepan geht ab.)

3. Auftritt

Podkoliessin (allein).

Podkoliessin. Ja, ich bin nun mal der Ansicht, ein schwarzer Frack ist doch solider. Die bunten, ... die passen mehr für Sekretäre, Titularräte und solch ein Volk. Das ist was für Grünschnäbel. Ein Mann von höherem Rang, muß eben das ... das ... ja, wie soll man gleich sagen ... eh, jetzt habe ich dies Wort vergessen ... es war ein so schönes Wort, und ich hab’s vergessen ... Ja, mein Bester, dreh und wende dich, wie du willst: ... ein Hofrat steht im Grunde genommen nicht hinter einem Oberst zurück; es sei grade, daß er keine Epauletten trägt ... He, Stepan!

4. Auftritt

Podkoliessin und Stepan.

Podkoliessin. Hast du die Stiefelwichse gekauft?

Stepan. Jawohl.

Podkoliessin. Wo? ... In dem Laden, von dem ich dir gesprochen habe? Auf dem Wosnissenski Prospekt?

Stepan. Ja, in dem Laden.

Podkoliessin. Und ist die Wichse gut?

Stepan. Ja, sehr gut.

Podkoliessin. Hast du schon probiert, die Stiefel damit zu putzen?

Stepan. Jawohl.

Podkoliessin. Nun, und glänzen sie schön?

Stepan. Ja, glänzen tun sie mächtig!

Podkoliessin. Und sag: wie du die Wichse bei ihm kauftest, hat er da nicht gefragt, wozu dein Herr so feine Stiefelwichse braucht?

Stepan. Nein.

Podkoliessin. Hat er nicht gefragt: dein Herr will am Ende gar heiraten?

Stepan. Nein, er hat nichts gesagt.

Podkoliessin. So? ... Na, es ist gut ... geh nur! (Stepan geht ab.)

5. Auftritt

Podkoliessin (allein).

Podkoliessin. Wenn man so denkt: was sind ein Paar Stiefel? Eine höchst gleichgültige Sache! Und doch, wenn sie schlecht genäht sind und die Wichse stumpf bleibt, so begegnet man dir in der vornehmen Welt schon nicht mehr mit der gleichen Achtung. Es fehlt was, es ist nicht mehr das Richtige. Und was noch sehr unangenehm ist, das sind Hühneraugen. Alles kann ich ertragen, bei Gott, nur keine Hühneraugen .... He, Stepan!

6. Auftritt

Podkoliessin und Stepan.

Stepan. Der Herr wünschen?

Podkoliessin. Hast du dem Schuster auch gesagt, er solle die Stiefel so machen, daß ich keine Hühneraugen bekomme?

Stepan. Jawohl.

Podkoliessin. Und was sagt er?

Stepan. Er hat gesagt: Gut! (Stepan geht ab.)

7. Auftritt

Podkoliessin allein, später Stepan.

Podkoliessin. ’s ist doch ’ne verdammte Plackerei, das Heiraten! Hol’s der Teufel! Erst dies und dann das und dann wieder jenes. Alles will überdacht und geordnet sein, Teufel nochmal! Das ist nicht so leicht, wie man zu sagen pflegt ... He, Stepan! (Stepan kommt herein.) Ich wollte dir noch sagen ...

Stepan. Die Alte ist da.

Podkoliessin. So, ist sie da? Sag ihr, sie soll mal reinkommen. (Stepan geht.)

Podkoliessin. Ja, das ist so ’ne Sache. Die ist gar nicht so ohne. Eine höchst komplizierte Geschichte das!

8. Auftritt

Podkoliessin und Thekla.

Podkoliessin. Ah, guten Tag! ... Guten Tag, Thekla Iwanowna! Nun was gibts, wie sieht’s aus ... Nehmen Sie einen Stuhl! Setzen Sie sich nur und erzählen Sie. Nun, also, wie steht’s? Wie heißt sie doch gleich? Melanie? ...

Thekla. Nicht doch, Agathe Tichonowna.

Podkoliessin. Richtig, Agathe Tichonowna. Wohl so ’ne vierzigjährige Jungfrau, was?

Thekla. Aber nicht doch, davon ist keine Rede. Das heißt, — heiraten Sie bloß. Jeden Tag werden Sie mich loben und mir danken.

Podkoliessin. Ach was, du schwindelst ja, Thekla Iwanowna!

Thekla. Ich bin schon zu alt, um noch zu lügen, Väterchen. Das überlaß ich den Hundesöhnen.

Podkoliessin. Und wie steht’s mit der Mitgift? ... Erzähl mir’s doch noch einmal.

Thekla. Gott, sie bekommt ein steinernes Haus mit, ein zweistöckiges, im Moskauer Viertel. Das rentiert sich, sage ich Ihnen, na, Sie werden Ihre reinste Freude daran haben. Für den Laden allein zahlt ein Kaufmann siebenhundert Rubel ... Eine Schenke ist darin, die ist überhaupt immer voll. Dazu hat’s zwei hölzerne Seitenflügel; der eine, der ist ganz aus Holz, und der andere hat ein steinernes Fundament. Jeder für sich bringt jährlich vierhundert Rubel. Und dann gehört ihr noch ein Gemüsegarten auf der Wiborger Seite. Vorvoriges Jahr, da hat ihn ein Kaufmann gepachtet, um Kohl darin zu pflanzen, ich sage Ihnen, ein braver, nüchterner Mann, der nie einen Tropfen Schnaps in den Mund nimmt. Er ist Vater von drei Söhnen. Zwei davon hat er schon verheiratet. „Mein dritter aber“, sagte er, „ist noch zu jung. Der kann ruhig ein bißchen im Laden sitzen und für das Geschäft sorgen. Ich bin schon zu alt,“ sagt er, „jetzt mag mein Sohn für mich im Laden sitzen, damit das Geschäft besser geht.“

Podkoliessin. Schön, schön; aber wie sieht sie denn aus? Ist sie denn hübsch? ...

Thekla. Ach, der reinste Milchzucker! Weiße Haut, rote Backen, überhaupt: Milch und Blut. Oh, sie ist so reizend, ich kann’s gar nicht sagen, wie reizend. Also, Sie werden zufrieden sein. Bis dahinauf (zeigt auf den Hals). Das heißt, zu Freund und Feind werden Sie sagen: ... „Diese Thekla Iwanowna, bei der muß ich mich aber bedanken!“

Podkoliessin. Aber sie ist doch nicht einmal Hauptmannstochter.

Thekla. Ihr Vater war Kaufmann dritter Gilde. Ich sage Ihnen, ein General brauchte sich ihrer nicht zu schämen. Von einem Kaufmann will die gar nichts hören. „Mein Mann mag aussehen wie er will,“ sagt sie, „und wenn er äußerlich auch noch so unansehnlich ist; wenn er nur den Adel hat.“ Einfach ein Bonbon, sage ich Ihnen. Und wenn sie des Sonntags ihr seidenes Kleid anzieht, Jesus, wie sie dann einherrauscht .... gradezu ’ne Gräfin.

Podkoliessin. Aber Sie begreifen doch, warum ich danach frage. Ich bin doch Hofrat. Und da muß ich doch ein ... ein ... na, Sie verstehen mich schon.

Thekla. Natürlich, das ist doch klar. Was sollte dabei nicht zu verstehen sein? Es war auch schon ’n Hofrat da. Wir haben ihn aber abgewiesen, weil er uns nicht gefallen hat. Er hatte aber auch gar zu merkwürdige Manieren. Jedes Wort, das er sprach, war gelogen. Und dabei war es doch ein ganz stattlicher Mann. Ja, was ist da zu machen? ... Gott hat ihn nun mal so geschaffen! Er ärgerte sich selbst darüber. Aber es war ihm einfach unmöglich, das Lügen zu lassen. Es war halt Gottes Wille.

Podkoliessin. Nun, und außer dieser? Können Sie mir keine anderen Vorschläge machen? ...

Thekla. Was wollen Sie denn noch für welche? ... Eine Schönere können Sie sich ja gar nicht wünschen.

Podkoliessin. Als wenn’s überhaupt keine Schönere gäbe!

Thekla. Suchen Sie auf der ganzen Welt, Sie finden keine.

Podkoliessin. Na schön, ich will’s mir überlegen, Mütterchen! Also kommen Sie übermorgen wieder. Dann wollen wir die Sache noch einmal durchsprechen. Wissen Sie, so wie heute. Ich liege auf dem Sofa, und Sie erzählen mir.

Thekla. Ach, mein Gott, jetzt komme ich doch schon den dritten Monat Tag für Tag zu Ihnen hergelaufen und doch kommt nichts dabei heraus: immer sitzen Sie im Schlafrock da und rauchen.

Podkoliessin. Sie denken sich wohl, heiraten das ist so, als ob ich zu meinem Diener sage: „He Stepan, bring mir mal die Stiefel her! Zieh sie mir an und los!“ Das will doch überlegt, durchdacht sein.

Thekla. Na, wie Sie wollen! Wollen Sie sich die Sache erst ansehen, .... meinetwegen! Dies Recht steht Ihnen bei jeder Ware zu. Lassen Sie sich doch den Mantel bringen, ... es ist ja noch früh, ... und fahren Sie hin!

Podkoliessin. Wie jetzt? ... Sehen Sie doch, wie trübe es draußen ist. Wenn es nun anfängt, zu regnen, und ich bin gerade unterwegs ...

Thekla. Es ist ja nur Ihr eigener Schaden! Sie fangen ja schon an, graue Haare zu bekommen. Bald taugen Sie überhaupt nicht mehr zum Ehemann. Auch was Besonderes ... Hofrat! Wir haben noch ganz andere Freier wie Sie!

Podkoliessin. Was für dummes Zeug schwatzen Sie da! Was fällt Ihnen nur plötzlich ein, zu behaupten, ich hätt’ graue Haare? Wo sollen die denn sein? ... (Zupft an seinen Haaren.)

Thekla. Und warum sollen Sie keine grauen Haare haben? ... So ist es nun einmal im Leben. Sie sind mir auch einer! Die gefällt ihm nicht, und jene paßt ihm nicht. Ich habe einen Kapitän an der Hand, dem reichen Sie nicht an die Schulter. Der hat ’ne Stimme! ... Wie ’ne Trompete. Er dient in der Admiralität.

Podkoliessin. Nein, das lügst du! Ich will doch mal in den Spiegel sehen. Wo hast du nur ein graues Haar gefunden? ... He, Stepan, bring mir mal den Spiegel her! Oder nein, warte, ich werde ihn mir schon selber holen. Graue Haare! das fehlte mir gerade noch. Gott behüte! Das ist ja schlimmer als die Pocken. (Er geht in das nächste Zimmer.)

9. Auftritt

(Kotschkarjow kommt hereingelaufen.) Thekla und Kotschkarjow.

Kotschkarjow. Nun, Podkoliessin, wo steckst du denn? (Erblickt Thekla.) Nanu, wie kommst du hierher? ... Na, warte nur! Sag, bei allen Teufeln, wozu hast du mich bloß verheiratet? ..

Thekla. Nun, ist das denn so schlimm? Du hast eben deine Pflicht getan.

Kotschkarjow. Pflicht getan! Eine Frau genommen; auch was Besonderes. Als wenn ich nicht ohne Frau ausgekommen wäre.

Thekla. Du warst ja gar nicht loszuwerden. „Schaff mir ’ne Frau, Mütterchen, schaff mir ’ne Frau!“

Kotschkarjow. Ach, du alte Ratte du! Was aber suchst du bloß hier? Oder sollte gar der Podkoliessin?

Thekla. Warum denn nicht ... Mit Gottes Hilfe! ..

Kotschkarjow. Wirklich? Nein, solch ein Lump! Und erzählt mir kein Sterbenswörtchen davon. So ein Kerl! Macht’s ganz im geheimen. Wie? .. Was? ..

10. Auftritt

Die Vorigen und Podkoliessin mit einem Spiegel in der Hand, in dem er sich aufmerksam betrachtet.

Kotschkarjow (kommt herangeschlichen und erschreckt ihn). Puff!

Podkoliessin (schreit auf und läßt den Spiegel fallen, der zerbricht). Du? Du bist wohl verrückt geworden? .. Was für einen Sinn hat das nur? .. Wozu diese Dummheiten? .. Wahrhaftig, ich bin so erschrocken, daß ich gar nicht weiß, wo ich bin.

Kotschkarjow. Ach, reg dich nicht auf ... es war doch nur ein Spaß!

Podkoliessin. Ein schöner Spaß! Ich kann mich bis jetzt nicht vom Schreck erholen. Und der Spiegel ist zerbrochen. Das war doch kein billiges Stück. Den hab’ ich in einem englischen Laden gekauft.

Kotschkarjow. Nun, nun, sei friedlich! Ich werde dir einen andern Spiegel kaufen.

Podkoliessin. Ja, ja, ich weiß schon. Ich kenne diese andern Spiegel schon. In denen sieht man um zehn Jahre älter aus. Die ganze Fratze wird einem schief darin.

Kotschkarjow. Ich hätte viel mehr Grund, mich über dich zu ärgern. Ich bin doch dein Freund, und du verheimlichst mir alles. Du willst dich verheiraten!

Podkoliessin. Ach, Unsinn. Wer denkt denn daran.

Kotschkarjow. Bitte, hier steht der Beweis. (Zeigt auf Thekla.) Man weiß schon, was das für ein Vogel ist. Nun, nun, das schadet ja nichts. Das ist doch kein Verbrechen! Ein ganz christliches Werk, sogar ein patriotisches Werk! Doch, laß mich nur machen! Ich nehme alles auf mich. (Zu Thekla.) Also, nun los, erzähle. Wie, wo, was. Ist es ’ne Adlige, eine aus dem Beamten- oder Kaufmannsstande und, vor allem, — wie heißt sie?

Thekla. Agathe Tichonowna heißt sie.

Kotschkarjow. Aha, Agathe Tichonowna Brandachlistowa!

Thekla. Nein, Kuperdjagina.

Kotschkarjow. Na ja, und wohnt in der Schestilawotschnaja.

Thekla. Nicht doch, in der Nähe von Peßki wohnt sie. In der Müllnijgasse.

Kotschkarjow. Natürlich, in der Müllnijgasse, gleich hinter dem Kramladen. In dem hölzernen Haus.

Thekla. Nein, nicht hinter dem Kramladen; hinter der Schenke.

Kotschkarjow. Wieso hinter der Schenke? ... Das versteh ich nicht.

Thekla. Wenn du in die Gasse einbiegst, so kommst du gleich an einem Häuschen vorbei. Gleich hinter dem Häuschen mußt du nach links einbiegen. Dann siehst du das hölzerne Haus vor dir, in dem die Näherin wohnt, ... die, die früher mit dem Obersekretär des Senats zusammengelebt hat. An der Näherin also mußt du vorübergehen: du läßt sie hinter dir. Aber sofort danach, das steinerne Haus, das gehört ihr. Das heißt, da wohnt sie: Agathe Tichonowna, die Braut.

Kotschkarjow. Gut, gut. Ich werde schon Alles besorgen. Jetzt kannst du abziehen. Wir brauchen dich nicht mehr.

Thekla. Was, du willst doch nicht, .... du kriegst doch keine Heirat zustande!

Kotschkarjow. Selbstverständlich! Ich besorge das ganz allein. Du brauchst dich um nichts mehr zu kümmern.

Thekla. Pfui, schäme dich. Das ist doch kein Beruf für Männer. Lassen Sie die Hand davon, Väterchen! Ich bitte Sie!

Kotschkarjow. Geh, geh nur. Was verstehst denn du davon? Schuster, bleib bei deinen Leisten. Los, Abfahrt!

Thekla. Was? Du willst den Leuten das Brot wegnehmen? Wart, du alter Sünder. Mischt sich in diese Angelegenheit. Wenn ich das gewußt hätte! Kein Wort wäre über meine Lippen gekommen! (Läuft wütend hinaus.)

11. Auftritt

Kotschkarjow und Podkoliessin.

Kotschkarjow. Hör mal, lieber Freund, eine solche Sache läßt durchaus keinen Aufschub zu. Also komm, fahren wir.

Podkoliessin. Was fällt dir ein? Ich bin ja noch garnicht ... Ich überlege es mir doch erst!

Kotschkarjow. Ach was, Torheiten. Sei doch nicht so schüchtern. Ich werde dich schon verheiraten ... Du sollst es selbst nicht merken. Also komm, wir fahren gleich zur Braut, und du siehst sofort, wie die Sache steht.

Podkoliessin. Was redest du da? ... Wir können doch nicht gleich hinfahren.

Kotschkarjow. Warum denn nicht? ... Ich bitte dich, woran fehlt’s denn noch? ... Sieh selbst an, jetzt bist du unverheiratet. Und wie lebst du? Guck dich doch nur mal im Zimmer um, ... wie sieht es denn hier aus? ... Dort liegt ein ungeputzter Stiefel, da steht das Waschbecken. Hier, auf dem Tisch treibt sich ein Haufen Tabak herum; und du selbst liegst beständig auf der Bärenhaut und faulenzt.

Podkoliessin. Das ist wahr. Wie unordentlich es bei mir zugeht, das weiß ich am allerbesten.

Kotschkarjow. Na, und nun denk mal, wenn du erst eine Frau haben wirst. Du wirst dich selbst nicht wiedererkennen. Dort wird ein Sofa stehen, dazu ein kleines Hündchen ... ein Zeisig oder sonst was im Käfig ... hier Häkeleien ... Und nun stell dir vor, du sitzt auf dem Sofa und plötzlich setzt sich dein Weibchen an deine Seite ... so ein reizendes Frauchen, und streichelt dich mit ihren Händchen.

Podkoliessin. Teufel, ja, wenn ich denke, was für reizende Händchen es in der Welt gibt. Weißt du, Freund, so weiß wie Milch ...

Kotschkarjow. Ach was, als ob sie bloß Händchen hätten. Die haben noch ganz was anderes! ... Doch wozu noch viele Worte machen; ... weiß der Teufel, was die nicht alles haben.

Podkoliessin. Ich muß sagen, wenn ich ehrlich sein soll, ich habe es ganz gern, wenn solch hübsches Mädel neben mir sitzt.

Kotschkarjow. Aha, siehst du, du bist also selbst auf den Geschmack gekommen! Jetzt laß mich nur machen. Du brauchst dich um nichts mehr zu kümmern. Das Verlobungs-Essen und alles, was drum und dran hängt das besorge ich ganz allein. Was den Champagner betrifft — unter einem Dutzend läßt sich gar nicht erst anfangen. Da magst du nun reden, was du willst. Dazu kommt dann noch ein halbes Dutzend Madeira, — unbedingt. Die Braut hat sicherlich einen ganzen Haufen von Tanten und Basen, die lieben nämlich nicht zu scherzen. Na, und den Rheinwein, ach was, hol’ ihn der Teufel, auf den verzichten wir, nicht? Und dann das Essen, — weißt du, — da habe ich einen Hoftraiteur, der Kerl liefert dir ein Diner, nach dem stehst du überhaupt nicht mehr auf.

Podkoliessin. Hör mal, du legst dich aber gleich ganz gehörig ins Zeug. Das ist ja beinahe, als ob schon heute abend die Hochzeit wäre.

Kotschkarjow. Gewiß! Warum denn nicht? ... Wozu sollen wir es denn aufschieben? Du bist doch mit allem einverstanden.

Podkoliessin. Ich? Nein, mein Bester, ich bin noch durchaus nicht einverstanden.

Kotschkarjow. Da haben wir’s. Soeben hast du doch erklärt, du wolltest gerne heiraten!

Podkoliessin. Ich meinte doch nur, es wäre nicht schlecht ...

Kotschkarjow. Wie, aber wir haben doch ... die ... ganze Sache schon vollständig ... Ja, wie? Gefällt dir denn das Eheleben nicht, was?

Podkoliessin. Gewiß gefällt es mir! ...

Kotschkarjow. Na also, woran fehlt’s denn noch?

Podkoliessin. An nichts; es ist alles nur so sonderbar.

Kotschkarjow. Was ist sonderbar?

Podkoliessin. Du wirst doch zugeben, daß es merkwürdig ist: da war man so lange unverheiratet, und dann soll man plötzlich Ehemann sein.

Kotschkarjow. Nein, hör mal, schämst du dich denn nicht? Nein, ich sehe wirklich, mit dir muß man ernst reden! Also, ich will ganz aufrichtig gegen dich sein, wie ein Vater zu seinem Sohne. Betrachte dich doch nur einmal genau, so wie du jetzt mich ansiehst; ... was stellst du eigentlich vor? Ein Klotz bist du, ohne alle tiefere Bedeutung. Na, und wozu lebst du eigentlich? Guck doch bloß mal in den Spiegel! Na, was siehst du da? ... Ein dummes Gesicht, und weiter nichts. Statt dessen, überlege dir doch nur, wie dann die kleinen Kinderchen um dich herumhüpfen werden. Nicht etwa zwei oder drei, nein, gleich ein halbes Dutzend. Und alle gleichen dem Vater, wie ein Tropfen Wasser dem andern. Jetzt bist du allein, bist Hofrat, Expeditor, oder irgendein Direktor irgendeines Departements und weiß Gott, was sonst noch. Und nun stell dir erst mal vor, was dann sein wird. Alle die kleinen Expeditorchen um dich herum, diese kleinen Spitzbuben, und wenn dann solch ein kleiner Wildfang die Hände ausstreckt und dir im Bart zu krauen beginnt, und du dazwischen wie ein Hund bellen mußt: Wau, wau, wau ... na, nun sag selbst, kann es etwas Hübscheres geben? ...

Podkoliessin. Aber, wenn sie nur nicht solche Schelme wären. Sie werden mir nur alles zerreißen und meine Papiere durcheinanderbringen.

Kotschkarjow. Laß sie doch. Dafür werden sie dir alle ähnlich sehen; das ist eben der Witz.

Podkoliessin. Ja, es hat wirklich etwas Komisches, weiß der Teufel. So’n kleiner Windbeutel, so ein junger, täppischer Hund, und ist dir schon wie aus dem Gesicht geschnitten.

Kotschkarjow. Natürlich, gewiß ist es komisch. Na also, dann fahren wir.

Podkoliessin. Also ... gut, meinetwegen!

Kotschkarjow. He, Stepan, hilf deinem Herrn beim Anziehen.

Podkoliessin (kleidet sich vor dem Spiegel an). Ich denke, vielleicht sollte ich lieber eine weiße Weste nehmen?

Kotschkarjow. Ach was, Unsinn, es kommt ja nicht so genau drauf an.

Podkoliessin (legt sich den Kragen um). Die verdammte Wäscherin. Hat schon wieder den Kragen so schlecht gestärkt; er will absolut nicht stehen. Stepan, sag ihr, wenn sie die Wäsche noch einmal so schlecht plättet, dann schicke ich nach einer andern. So ein dummes Weib! Wahrscheinlich sitzt sie den ganzen Tag mit ihren Liebsten zusammen, anstatt zu plätten.

Kotschkarjow. Beeil dich ein bißchen, lieber Freund, was trödelst du denn so lange herum.

Podkoliessin. Gleich, gleich! (Zieht den Frack an und setzt sich.) Hör mal, Ilja Fomitsch, weißt du was: Fahr du doch lieber alleine!

Kotschkarjow. Was fällt dir ein! Hast du plötzlich den Verstand verloren? Ich soll fahren? .. Wer von uns will sich denn eigentlich verheiraten? .. Du oder ich? ...

Podkoliessin. Wirklich, ich habe keine rechte Lust. Fahren wir lieber morgen.

Kotschkarjow. Na, hast du bloß einen Funken Verstand? .. Bist du nicht ein Trottel? .. Ist schon ganz fertig und plötzlich will er nicht mehr. Nein, sag selbst, bist du nicht ein Schwein? .. Bist du nicht ein Lump, nach alledem? ...

Podkoliessin. Wozu schimpfst du? ... Was soll das? ... Habe ich dir denn was zuleide getan?

Kotschkarjow. Ein Esel bist du, ein altes Schaf, das wird dir jeder sagen. Dumm bist du, einfach dumm. Trotzdem du Expeditor bist! Für wen sorge ich mich denn eigentlich? Doch nur für dich. Zu deinem Vorteil! Sie werden dir noch den Bissen vor dem Munde wegschnappen. Liegt da auf seinem Faulbett, der verdammte Junggeselle. Nein, sag mal bitte, wonach siehst du eigentlich aus? Du Waschlappen du! Du alte Schlafmütze! Na, ich hätte beinahe etwas gesagt. Wenn’s nur nicht zu unanständig wäre. ... Ein altes Weib bist du; schlimmer als ein altes Weib!

Podkoliessin. Du benimmst dich sehr fein. Tatsächlich! (Halblaut.) Du bist wohl nicht ganz bei Troste? Da steht der Knecht, und du schimpfst drauf los und gebrauchst in seiner Gegenwart solche Worte. Du konntest dir dazu wohl keinen andern Ort auswählen? ...

Kotschkarjow. Ja, wie soll man dich denn nicht schimpfen. Kann denn ein Mensch dabei ruhig bleiben und nicht schimpfen? ... Wer hat denn soviel Selbstbeherrschung? .. Du hast dich als anständiger Mensch entschlossen, zu heiraten; ... bist der Stimme der Vernunft gefolgt, und nun, mit einemmal, aus einer bloßen Laune ... Du hast wohl Tollkirschen gefressen? .. Du Tölpel, du Holzklotz du!

Podkoliessin. Nun, nun, genug ... ich fahre! Was schreist du so?

Kotschkarjow. Du fährst? Selbstverständlich fährst du! Du kannst ja gar nichts anderes tun, als fahren. (Zu Stepan.) Bring Hut und Mantel! Schnell ...

Podkoliessin (in der Türe). Du bist ein seltsamer Mensch, Kotschkarjow! Wahrhaftig! Mit dir ist es doch wirklich nicht zum Aushalten. Schimpfst mit einem Mal los, ohne alle Ursache und ohne jeden Grund! Das ist doch kein Benehmen.

Kotschkarjow. Ach, das ist ja längst vorbei! Ich schimpfe ja gar nicht mehr ...

(Beide ab.)

12. Auftritt

Agathe Tichonowna legt Karten, Arina Panteleimonowna, ihre Tante, blickt ihr über die Achseln in die Karten.

Agathe Tichonowna. Tantchen, sieh, schon wieder ein Weg! Ein Karo-König interessiert sich für mich. ... Tränen! ... Ein Liebesbrief ... links der Treff-König zeigt große Teilnahme, aber hier liegt ein böses Weib dazwischen.

Arina Panteleimonowna. Und was denkst du, der Treff-König: wer mag das sein?

Agathe Tichonowna. Das kann ich doch nicht wissen.

Arina Panteleimonowna. Aber ich weiß es.

Agathe Tichonowna. Ja? ... Wer? ...

Arina Panteleimonowna. Nun, der nette Kaufmann vom Tuchmarkt, Alexei Dmitriewitsch Starikow.

Agathe Tichonowna. Ach, der doch auf keinen Fall. Ich gehe jede Wette ein, daß der es nicht ist.

Arina Panteleimonowna. Streite doch nicht, Agathe Tichonowna, sieh doch die blonden Haare hier; einen andern Treff-König gibt es ja gar nicht.

Agathe Tichonowna. Aber nicht doch, Tantchen, Treff-König ist immer ein Edelmann. Ein Kaufmann reicht noch lange nicht an den Treff-König heran.

Arina Panteleimonowna. Ach, Agathe Tichonowna, du würdest auch anders reden, wenn dein seliger Vater, Tichon Panteleimonowitsch, noch am Leben wäre. Der schlug manches liebe Mal mit der Faust auf den Tisch und schrie: „Ich spucke auf jeden, der sich schämt, ein Kaufmann zu sein. Ich gebe meine Tochter keinem Obersten,“ sagte er. „Mögen das doch andre Leute machen. Und mein Sohn, der soll mir auch nicht Beamter werden“, sagte er. „Dient nicht der Kaufmann seinem Zaren genau so gut wie jeder andere?“ sagte er. Und dabei schlug er so mit der Faust auf den Tisch, daß es krachte. Und das war ’ne Hand, sag’ ich dir, so groß wie ein Eimer. Ja, solch ein leidenschaftlicher Mensch war er. Wenn ich offen sein soll, deiner seligen Mutter hat er das Leben auch gehörig versalzen. Sonst hätt’ sie wohl noch länger gelebt.

Agathe Tichonowna. Nun, soll ich etwa eben solch einen bösen Mann kriegen? Nein, unter keinen Umständen nehme ich einen Kaufmann.

Arina Panteleimonowna. Aber Alexei Dmitriewitsch ist doch gar nicht solch einer.

Agathe Tichonowna. Nein, ich will ihn nicht. Ich mag ihn nicht. Und dann trägt er einen Vollbart. Beim Essen wird es ihm immer in den Bart heruntertropfen. Nein, nein, ich will ihn nicht!

Arina Panteleimonowna. Aber wo soll man nur einen anständigen Adligen hernehmen? Sie liegen doch nicht auf der Straße herum!

Agathe Tichonowna. Thekla Iwanowna wird schon einen auftreiben. Sie versprach mir’s, den Allerschönsten zu finden.

Arina Panteleimonowna. Ach, die schwindelt ja nur, Herzchen.

13. Auftritt

Die Vorigen und Thekla Iwanowna.

Thekla. Aber nein, Arina Panteleimonowna, schämen Sie sich doch, mir hinterm Rücken so was nachzureden.

Agathe Tichonowna. Ach, da sind Sie ja, Thekla Iwanowna! Nun, wie steht’s? Sprechen Sie doch! Erzählen Sie! Haben Sie einen?

Thekla. Ja doch, ja, lassen Sie mich nur erst verschnaufen. Wie bin ich in Ihrem Auftrag herumgelaufen! ... Ich bin in allen Häusern gewesen, in allen Kanzleien und Ministerien; hab’ sogar in die Kasernen geguckt! ... Wissen Sie, Mütterchen, beinah geschlagen hat man mich ... bei Gott! Die Alte, die ihre Hand in der Heirat der Affeirows im Spiel gehabt hat, die stürzte sich auf mich los und schrie: „Du bist mir auch so eine und so ’ne, nimmst bloß andern Leuten das Brot weg, bleib du doch gefälligst in deinem Revier!“ ... „Was soll ich tun,“ sagte ich ihr geradezu ins Gesicht, „verzeih, aber für mein Fräulein, da bin ich jederzeit zu allem bereit.“ Ja mein Herzchen, was ich Ihnen aber auch für Freier besorgt habe! Na, das heißt: solange die Welt steht, — und sie wird noch lange stehen — aber solche hat es denn doch noch nie gegeben. Ein paar werden noch heute ihre Aufwartung machen. Ich komme absichtlich hergelaufen, um Sie vorzubereiten.

Agathe Tichonowna. Wie? Heute noch? ... Liebste Thekla Iwanowna, ich bitte Sie ... ich fürchte mich ...

Thekla. Sie brauchen keine Angst zu haben, Mütterchen. ’s ist ja eine ganz gewöhnliche Sache! Sie werden eben kommen, sich umsehen, und — weiter nichts! Sie werden sie sich auch ansehen, und wenn sie Ihnen nicht gefallen, nun, dann fahren sie eben wieder fort.

Arina Panteleimonowna. Na, du wirst mir schon nette Kerle rausgesucht haben.

Agathe Tichonowna. Wie viele sind es denn? Sind’s viele?

Thekla. Nun, an die sechs Mann werden es wohl sein.

Agathe Tichonowna (aufschreiend). Ach Herrjeh! ...

Thekla. Nun, nun, springen Sie doch nicht gleich in die Höhe, Mütterchen! ... Um so leichter ist doch die Wahl. Gefällt dir der eine nicht, so tut’s vielleicht der andere.

Agathe Tichonowna. Und sind es Adlige? ..

Thekla. Aber natürlich! Alle! Wie ausgesucht! Solche Adlige wie die, finden Sie nirgends mehr.

Agathe Tichonowna. Und was sind es für Menschen? ...

Thekla. Ach, prächtige Menschen! Alles prachtvolle, propre, junge Leute. Da haben Sie erstens den Baltasar Baltasarowitsch Schewakin. Ein ganz vorzüglicher Mensch; er hat in der Flotte gedient. Der paßt ausgezeichnet zu Ihnen! „Denn“, sagt er, „was meine Braut betrifft, die muß voll sein.“ Die mageren, die mag er gar nicht leiden. Und dann ist da Iwan Pawlowitsch, der Ixikutor! Ein sehr würdiger, ein geradezu unnahbarer Mann. Wenn der einen anschreit: „Erzähl’ mir nur keine langen Geschichten von der Braut. Sag lieber, was hat sie an Mabilien und Immabilien, und damit basta!“ So und so viel, Väterchen, bei Gott! „Das lügst du, Luder!“ ... Und dann hat er mir noch ein Wort an den Kopf geworfen, ja, Mütterchen, das ist schon zu unanständig, um es hier zu wiederholen. Da hatt’ ich’s gleich raus: das muß aber ein vornehmer Mann gewesen sein.

Agathe Tichonowna. Nun, und wer noch? ..

Thekla. Dann ist da noch ein Herr, Nikolai Iwanowitsch Anutschkin. Eine majestätische Gestalt! Und was für Lippen er hat ... die reinsten Himbeeren. So ein feiner Herr! „Ich will,“ sagte er, „daß meine Frau hübsch und gut erzogen ist, und Französisch muß sie sprechen können.“ Ja, ein Herr von äußerst feinem Benehmen! Alles deutsche Finessen! Und dabei ist er so zart und hat so schmale, dünne Beinchen.

Agathe Tichonowna. Nein, grade diese Zarten, die wollen mir nicht so recht, ... ich weiß nicht, aber ich finde keinen Geschmack an ihnen.

Thekla. Ja, wenn Sie auf etwas Massiveres reflektieren, dann nehmen Sie doch Iwan Pawlowitsch! Einen passenderen können Sie ja gar nicht finden. Da ist nichts zu sagen. Das ist ein Herr! Der geht Ihnen hier nicht durch die Tür. So ein prächtiger Mensch!

Agathe Tichonowna. Und wie alt ist er?

Thekla. Ach, noch ein junger Mann! Vielleicht an die fünfzig. Oder noch nicht einmal fünfzig.

Agathe Tichonowna. Und wie ist sein Name?

Thekla. Er heißt Iwan Pawlowitsch Eierkuchen.

Agathe Tichonowna. Wie ... Eierkuchen ... das ist sein Familienname?

Thekla. Ja, das ist sein Name.

Agathe Tichonowna. Gott, welch ein Name! Denk doch nur, Theklachen, wie soll denn das werden, wenn ich den heirate? Dann heiße ich ja plötzlich Agathe Tichonowna Eierkuchen. Weiß Gott, das ist ja fürchterlich!

Thekla. I was, liebes Mütterchen, bei uns in Rußland gibt es nun mal solche Namen, da möchte man am liebsten gleich ausspucken und das Kreuz darüber schlagen, wenn man sie hört. Aber wenn er Ihnen nicht gefällt, so nehmen Sie doch Baltasar Baltasarowitsch Schewakin. Ein herrlicher Freier!

Agathe Tichonowna. Und was für ein Haar hat er?

Thekla. Sehr schönes Haar, mein Herzchen.

Agathe Tichonowna. Und die Nase?

Thekla. Eh, die Nase ist auch schön. Überhaupt, alles steht an seinem richtigen Fleck. Und er selbst ist ein prächtiger Mensch. Nur über eins dürfen Sie sich nicht ärgern: — in seiner ganzen Wohnung werden Sie nichts finden, als seine lange Pfeife. Nicht ein Möbelstück weiter!

Agathe Tichonowna. Und wen gibt’s noch?

Thekla. Akinthus Stepanowitsch Pantjelejew. — Ein Beamter und Titular-Rat. Er stottert zwar ein wenig, aber dafür ist er sehr zurückhaltend.

Arina Panteleimonowna. Du sagst immer ein Beamter, ein Beamter! Sag mir lieber, ob er nicht gerne einen über den Durst trinkt.

Thekla. Aha, das tut er! Dem kann ich nicht widersprechen. Das ist wahr. Was soll man machen? ... Dafür ist er auch Titular-Rat. Aber im übrigen ist er so ruhig und sanft wie Seide.

Agathe Tichonowna. Nein, ich danke schön. Einen Trinker will ich nicht zum Manne haben.

Thekla. Gut, Mütterchen, mach was du willst. Wollt Ihr nicht den einen, so nehmt einen andern. Aber, ... schließlich, was ist auch dabei, wenn er wirklich einen zuviel trinkt? Er braucht doch nicht gleich die ganze Woche betrunken zu sein. Er wird auch schon seinen nüchternen Tag haben.

Agathe Tichonowna. Nun, und wer weiter?

Thekla. Ja, es ist noch einer da. Aber das ist nur so einer, Gott mit ihm! Die andern sind schon besser!

Agathe Tichonowna. Nein, sag, wer ist er.

Thekla. Am liebsten hätte ich gar nicht von ihm gesprochen. Freilich ist er ja Hofrat, mit ’nem Band im Knopfloch. Aber so furchtbar schwerfällig; kaum aus dem Haus ist er herauszukriegen.

Agathe Tichonowna. Nun und wer noch? Das sind doch erst fünf! Und zuerst sprachst du doch von sechsen.

Thekla. Haben Sie denn wirklich noch nicht genug? Sehen Sie mal an, wie Sie plötzlich hinterher sind, und zuerst waren Sie doch ganz erschrocken.

Arina Panteleimonowna. I, geh du mir mit all deinen Adligen. Und wenn es auch ein halbes Dutzend sind; ein Kaufmann wiegt sie alle miteinander auf.

Thekla. Ach nein, Arina Panteleimonowna, ein Adliger, der ist doch was Vornehmeres.

Arina Panteleimonowna. Was mache ich mir aus der Vornehmheit. Sieh dir mal den Alexei Dmitriewitsch an, wenn der mit seiner Zobelmütze im Schlitten vorüberfährt ...

Thekla. Dafür kommt ihm ein Adliger mit seinen Epauletten entgegen und sagt: „Was fällt dir ein, du Koofmich du; mach mir mal Platz“. Oder „he, Herr Kaufmann, ein paar Meter Samt; aber vom allerbesten“. Worauf der Kaufmann erwidert: „Bitte sehr, Euer Gnaden!“ — „Nimm mal deine Mütze ab, du Flegel!“ So spricht ein Adliger.

Arina Panteleimonowna. Aber, wenn der Kaufmann keine Lust hat, braucht er ihm kein Tuch zu verkaufen. Dann kann dein Adliger nackt dasitzen und hat nichts anzuziehen.

Thekla. Dann wird ihm der Adlige eins über den Schädel schlagen.

Arina Panteleimonowna. Dann wird der Kaufmann zur Polizei laufen und ihn verklagen.

Thekla. Dann wird der Adlige den Kaufmann bei dem Senator verklagen.

Arina Panteleimonowna. Dann wird der Kaufmann zum Gouverneur gehen.

Thekla. Dann wird der Adlige ...

Arina Panteleimonowna. Ach was, nichts wie Schwindel mit deinen Adligen. Der Gouverneur ist mehr als dein Senator. Tut sich da mit ihren Adligen dicke. Auch so’n Adliger muß manches liebe Mal seine Bücklinge machen. (Es läutet an der Türe.) Ich glaube, es hat geläutet!

Thekla. Ach Gott, da sind sie schon.

Agathe Tichonowna. Wer ... sie?

Thekla. Nun ja, sie — einer von den Freiern.

Agathe Tichonowna (schreit auf). Ach herrjeh, ach herrjeh!

Arina Panteleimonowna. Heilige Mutter Gottes, vergib mir meine Sünden! Hier im Zimmer ist ja noch gar nicht aufgeräumt. (Sie nimmt alles, was auf dem Tische liegt, zusammen und läuft damit durch das Zimmer.) Herrgott, das Tischtuch ist ja ganz schwarz ... Dunjaschka ... Dunjaschka! (Dunjaschka kommt hereingelaufen.) Schnell ein reines Tischtuch! (Arina reißt das Tischtuch vom Tisch und läuft durchs Zimmer.)

Agathe Tichonowna. Ach, Tantchen, was soll ich nur machen? Ich hab’ ja fast nur ein Hemd an.

Arina Panteleimonowna. Ach Gott, Kind, lauf nur schnell und zieh dich um. (Sie rennt erregt durch das Zimmer. Dunjaschka bringt ein reines Tischtuch. Es läutet wieder.) Lauf doch nur hin und öffne. Sage, wir kommen gleich. (Dunjaschka geht. Man hört sie von draußen „gleich“ rufen.)

Agathe Tichonowna. Aber Tante, mein Kleid ist nicht geplättet.

Arina Panteleimonowna. Ach, du lieber Gott, erbarme dich unser; — zieh doch das andre an.

Thekla (kommt hereingelaufen). Warum kommen Sie denn nicht heraus? — Kommen Sie, Agathe Tichonowna — machen Sie doch schneller, Mütterchen! (Man hört es wieder läuten.) Ach, jetzt wartet er schon eine Ewigkeit.

Arina Panteleimonowna. Dunjaschka, laß ihn eintreten und bitte ihn, zu warten.

(Dunjaschka läuft in den Flur und öffnet die Tür; dann hört man Stimmen: „Zu Hause?“ ... „Ja, bitte, treten Sie ein.“ Die Frauen blicken angestrengt durch das Schlüsselloch.)

Agathe Tichonowna (aufschreiend). Herr Gott, wie dick er ist!

Thekla. Er kommt, er kommt! (Alle laufen eilig weg.)

14. Auftritt

Iwan Pawlowitsch Eierkuchen und Dunjaschka.

Dunjaschka. Bitte, warten Sie hier gefälligst! (Geht ab.)

Eierkuchen. Meinetwegen ... Warten ... na dann warte ich eben ... Wenn’s mich nur nicht zu lange aufhält. Ich bin ja nur auf einen Sprung aus dem Bureau fortgegangen. Wie, wenn es nun dem General plötzlich einfiele, zu fragen: „Und wo ist der Exekutor?“ ... „Er ist auf die Brautschau gegangen.“ Wenn er mich nur nicht mitsamt der Braut abfahren läßt. Übrigens, ich will mir doch noch mal das Verzeichnis ansehen: (Er liest.) Also, ein zweistöckiges, steinernes Haus ... (Sieht empor und betrachtet das Zimmer) Stimmt, ist vorhanden! (Liest weiter.) Zwei Seitenflügel; einer auf einem Fundament von Stein und ein hölzerner Flügel. Na der hölzerne ist ziemlich schlecht. Weiter: eine Kutsche, ein doppelsitziger Schlitten mit Schnitzwerk und dazu eine große und eine kleine Decke. Na, den Schlitten wird man wohl in die Rumpelkammer stecken können. Die Alte behauptet zwar, er sei prima. Schön, meinetwegen auch prima. Zwei Dutzend silberne Löffel. Hm, ja, in der Wirtschaft werden freilich silberne Löffel gebraucht. Zwei Fuchspelze. Hm. Vier große Oberbetten und zwei kleine. (Er preßt die Lippen bedeutungsvoll zusammen.) Sechs Paar seidene und sechs Paar Kattunkleider. Zwei Nachtjacken ... Na, das sind Torheiten! Wäsche, Tischtücher; ach, das mag sie halten wie sie will. Übrigens, man muß das doch alles gut in Augenschein nehmen. Jetzt verspricht man dir Häuser und Equipagen, und wenn es zur Heirat kommt, findet man nichts als Oberbetten und Daunenkissen.

(Man hört es läuten. Dunjaschka läuft atemlos durchs Zimmer und öffnet die Tür. Man hört Stimmen: „Zu Hause?“ „Jawohl!“ ...)

15. Auftritt

Iwan Pawlowitsch Eierkuchen und Anutschkin.

Dunjaschka. Bitte, warten Sie hier, sie werden sogleich kommen. (Geht ab.)

(Anutschkin und Eierkuchen begrüßen sich.)

Eierkuchen. Ich habe die Ehre!

Anutschkin. Habe ich vielleicht das Vergnügen, den Vater der reizenden Tochter zu begrüßen?

Eierkuchen. Nein, keineswegs den Vater! Ich habe überhaupt noch keine Kinder.

Anutschkin. So, dann bitte ich Sie vielmals um Entschuldigung.

Eierkuchen (beiseite). Die Physiognomie dieses Menschen kommt mir verdächtig vor. Sollte er etwa wegen derselben Sache hier sein wie ich? (Laut.) Sie kommen wohl des Fräuleins wegen?

Anutschkin. Ach nein ... Durchaus nicht ... Ich bin nur beim Spazierengehen so mit herangekommen.

Eierkuchen (beiseite). Der Kerl lügt! Sicher lügt er! Dies Spazierengehen kenn’ ich. Heiraten will er, der Lump!

(Man hört es läuten. Dunjaschka läuft durchs Zimmer und öffnet die Tür. Man hört Stimmen: „Zu Hause?“ „Jawohl!“)

16. Auftritt

Dieselben und Schewakin begleitet von Dunjaschka.

Schewakin (zu Dunjaschka). Bitte schön, Kindchen, putz mich mal ab! Weißt du, auf der Straße ist mir so viel Staub angeflogen. Und nimm mir doch hier den Flocken ab. (Wendet den Kopf.) So, danke schön, mein Kind. Sieh doch mal nach: Kriecht mir da nicht ’ne Spinne über den Rock? Sind auch die Rockschöße hübsch rein? Danke, meine Liebste! Sieh mal, hier scheint noch was zu sitzen. (Streicht mit der Hand über den Ärmel und beobachtet Anutschkin und Iwan Pawlowitsch.) Es ist nämlich englischer Stoff. Und wie er sich trägt! Im Jahre 95, als unsere Flotte in Sizilien lag, — ich war damals allerdings noch Kadett — hab’ ich mir die Uniform daraus machen lassen. 1801 unter Zar Pawel Petrowitsch wurde ich Leutnant, und der Stoff war noch ganz wie neu. 1814 machte ich die Weltumseglung mit, da merkte ich zum erstenmal, daß er anfängt, sich an den Nähten abzuscheuern, und 1815 nahm ich meinen Abschied; da brauchte ich ihn blos wenden zu lassen. Nun trage ich ihn schon zehn Jahre, und er ist noch immer fast wie neu ... So ist’s gut, Herzchen, danke schön, meine Holde ... (Er wirft ihr eine Kußhand zu, geht an den Spiegel und fährt sich mit der Hand durch die Haare.)

Anutschkin. Gestatten Sie mir, Sizilien ... Sie geruhten vorhin ... Sizilien zu erwähnen. Ist das eigentlich ein schönes Land ... dieses Sizilien?

Schewakin. Äh, ich sage Ihnen, ein herrliches Land. Vierunddreißig Tage lagen wir dort vor Anker. Eine Gegend, sage ich Ihnen, einfach entzückend. Solche Berge, — zwischendurch mal ein Granatenbaum, und überall diese kleinen Italienerinnen, wie zarte Röschen, einfach zum Küssen!

Anutschkin. Und wie steht es mit der Bildung?

Schewakin. Oh, ganz ausgezeichnet! Sie sind so gebildet, wie bei uns etwa nur die Gräfinnen. Sehen Sie, zum Beispiel ... mitunter bummelt man durch die Straßen. Sie wissen ja, was ein russischer Leutnant ist. Natürlich Epauletts (er zeigt auf die Schulter), goldene Schnüre; — und herum alle die schwarzäugigen Schönen, ... dort hat ja jedes Haus einen Balkon und platte Dächer, platt wie dieser Fußboden ... Da sieht man denn mal so rauf, und oben sitzt dann solch ein Röschen. Natürlich will man sich doch auch nichts vergeben .... (Macht eine liebenswürdige Verbeugung und winkt mit der Hand.) Und auch sie macht bloß so .... (Macht eine entsprechende Geste.) Selbstverständlich alle brillant gekleidet. Hier, so ein Mieder, dann das Korsett, allerhand Damen-Ohrringe, mit einem Wort ... ein Leckerbissen.

Anutschkin. Und wenn ich Sie noch um eine Auskunft bitten dürfte ... Sagen Sie ... welche Sprache spricht man in Sizilien?

Schewakin. Natürlich spricht alles Französisch.

Anutschkin. Dann sprechen also auch alle jungen Damen Französisch?

Schewakin. Alle, ohne Ausnahme ... Sie werden mir vielleicht nicht glauben, was ich Ihnen jetzt sage: Wir haben vierunddreißig Tage vor Sizilien gelegen, und während dieser ganzen Zeit habe ich nicht ein einziges Wort Russisch von ihnen gehört.

Anutschkin. Nicht ein Wort?

Schewakin. Kein Wort. Dabei rede ich noch nicht einmal von den Adligen und den übrigen Signoren, d. h. von ihren Offizieren, — nein, nehmen Sie den gewöhnlichen Bauern oder Arbeiter, der jeden Dreck auf seinen Schultern schleppt, probieren Sie mal, ihm zu sagen: Bruder, gib mir ein Stück Brot! — Er wird Sie nicht verstehen, bei Gott; er versteht Sie nicht. Aber sagen Sie ihm dasselbe auf französisch: Dateci del pane oder Portate vino — dann versteht er Sie sofort. Im Augenblick läuft er hin und bringt, was Sie wünschen.

Iwan Pawlowitsch. Ein merkwürdiges Land muß doch dieses Sizilien sein, wie ich sehe. Sie sagten da: ein Bauer! Wie ist es denn mit diesem Bauern? Ist er ganz ebenso wie ein russischer Bauer? So ein breitschultriger Kerl, der den Acker pflügt, oder nicht?

Schewakin. Darüber kann ich Ihnen leider keine Auskunft geben. Ob sie auch pflügen oder nicht, das hab’ ich gar nicht beobachtet. Aber was das Tabakschnupfen anbelangt, so kann ich Ihnen allerdings versichern, daß sie ihn nicht nur alle schnupfen, sondern daß sie ihn auch in die Backen stecken. Auch das Fahren ist dort sehr bequem. Nichts wie Wasser ringsherum, und dabei überall Gondeln. Und darinnen selbstverständlich solch eine kleine Italienerin, so ein Röschen, und angezogen, ... pikfein! So ein Lätzchen und Tüchlein, und so ... Sehen Sie, wir hatten auch zwei englische Offiziere mit uns. Ich sage Ihnen, das war eine Gesellschaft, ganz wie unsere Seeleute. Anfangs war es ja ein bißchen merkwürdig, wir verstanden uns nämlich nicht; aber als wir uns erst ordentlich kennen gelernt hatten, da verstanden wir uns vortrefflich. So zeigen Sie zum Beispiel auf die Flasche oder auf das Glas, und jeder weiß sofort — das bedeutet: einen nehmen. Oder man legt die Finger an den Mund und macht mit den Lippen nur: Paff! Paff! Das bedeutet dann einfach: Ich will eine Pfeife rauchen. Überhaupt kann ich Ihnen sagen: eine ganz leichte Sprache. Unsere Matrosen, die verstanden sich bereits nach zwei oder drei Tagen.

Iwan Pawlowitsch. Wie ich sehe ein höchst interessantes Leben in fremden Ländern. Es freut mich außerordentlich, die Bekanntschaft eines Mannes zu machen, der so weit herumgekommen ist. Darf ich fragen, mit wem ich die Ehre habe?

Schewakin. Schewakin, Leutnant zur See a. D. Erlauben Sie, mich auch meinerseits zu erkundigen, mit wem ich das schätzbare Vergnügen habe ...

Eierkuchen. Exekutor, noch im Dienst, Iwan Pawlowitsch ... Eierkuchen!

Schewakin (ihn nicht verstehend). Ja, ich habe auch schon etwas gegessen. Sehen Sie, ich weiß, ich habe noch einen großen Weg vor mir, und es ist heute sehr kalt; da habe ich ein Stückchen Brot mit Hering zu mir genommen.

Eierkuchen. Nein, Sie scheinen mich nicht richtig verstanden zu haben; Eierkuchen — das ist mein Familienname.

Schewakin (sich verbeugend). Ah, das freut mich sehr! ... Verzeihen Sie, ich höre etwas schlecht. Ich verstand, Sie wollten sagen: Sie hätten Eierkuchen gegessen.

Eierkuchen. Ja, was soll man machen! — Ich wollte schon den General um die Erlaubnis bitten, mich Eierkuchler nennen zu dürfen. Aber meine Verwandten waren dagegen, sie meinten, das hätte wieder zu viel Ähnlichkeit mit „Ei Verfluchter“ ...

Schewakin. Ja, es passieren schon solche Geschichten. Sehen Sie z. B. unser ganzes drittes Geschwader: sämtliche Offiziere und Matrosen hatten so merkwürdige Familiennamen .... Herr von Spülicht, Herr von Süffel, Leutnant von Schweißlappen, und ein Kadett, übrigens sonst ein famoser Kerl, hieß ganz einfach: Loch, so daß man den Kapitän manchmal rufen hörte: Komm doch mal her, Löchlein. Auch die anderen machten sich oft über ihn lustig und riefen ihm zu: Ach du Loch, du Löchlein du! (Es schellt. Thekla läuft durch das Zimmer und öffnet.)

Eierkuchen. Eh, guten Tag, Mütterchen!

Schewakin. Guten Tag, wie geht’s, meine Seele?

Anutschkin. Guten Tag, Mütterchen Thekla Iwanowna.

Thekla (kommt atemlos gelaufen). Danke schön, danke schön, meine lieben Herren. Gut, gut.

(Sie öffnet die Tür, im Vorzimmer hört man Stimmen: „Zu Hause?“ „Jawohl!“ Dann hört man ein paar unverständliche Worte, worauf Thekla ärgerlich ausruft: „Du bist mir aber auch einer!“ ...)

17. Auftritt

Die Vorigen. Kotschkarjow, Podkoliessin und Thekla.

Kotschkarjow (zu Podkoliessin). Denk immer nur an eins: Courage und weiter nichts! (Er sieht sich um, macht erstaunt einige Verbeugungen, beiseite.) Teufel, was für ein Haufen Menschen! Was hat das zu bedeuten? Das sind doch nicht etwa lauter Freier? (Er gibt Thekla einen Rippenstoß und sagt leise zu ihr.) Woher nahmst du bloß all die Geier?

Thekla (leise). Was, Geier? ... Das sind lauter anständige Menschen.

Kotschkarjow (zu ihr). Nun, nun, viel Geschrei und wenig Wolle!

Thekla. Kehr du nur vor deiner Tür. Du hast auch nichts, womit du prahlen könntest ... ’ne Zobelmütze auf’m Kopf und ’ne Wassersuppe in dem Topf!

Kotschkarjow. Das sind wohl alles deine Kunden, was? Alle mit ’nem Loch im Beutel. (Laut.) Aber wo bleibt sie denn nur? Diese Tür geht wohl in ihr Schlafzimmer? (Geht zur Türe.)

Thekla. Schäme dich was, ich sagte dir doch, sie zieht sich noch um.

Kotschkarjow. Welch ein Malheur! Was ist denn dabei? ... Ich will ja nur mal reingucken ... und weiter nichts. (Sieht durch das Schlüsselloch.)

Schewakin. Ah, ich bitte sehr, erlauben Sie mir doch auch einmal, hineinzusehen.

Eierkuchen. Ach, lassen Sie mich nur ein Augenblickchen durchsehen.

Kotschkarjow (sieht noch immer durchs Schlüsselloch). Es ist nichts zu sehen, meine Herrschaften! Man kann absolut nichts erkennen. Man sieht nur was Weißes; aber es ist nicht herauszukriegen: ist’s eine Frau oder ein Kopfkissen.

(Alle drängen sich jedoch um die Tür und suchen sich gegenseitig fortzustoßen, um durchs Schlüsselloch zu sehen.)

Kotschkarjow. Sst. Es kommt jemand ... (Alle springen zurück.)

18. Auftritt

Die Vorigen, Arina Panteleimonowna und Agathe Tichonowna. Alle verbeugen sich.

Arina Panteleimonowna. Was verschafft uns die Ehre Ihres Besuches?

Eierkuchen. Wie ich aus den Zeitungen erfahre, wollen Sie Holz schlagen lassen. Ich bin staatlicher Exekutor, und so komme ich, zu hören, um was für einen Baumschlag es sich hier handelt, wieviel und bis wann Sie liefern können.

Arina Panteleimonowna. Holz — haben wir zwar nicht abzugeben, aber wir freuen uns über Ihren Besuch. Darf ich nach Ihrem Namen fragen?

Eierkuchen. Iwan Pawlowitsch Eierkuchen — Kollegienassessor.

Arina Panteleimonowna. Nehmen Sie gefälligst Platz. (Wendet sich an Schewakin und blickt ihn scharf an.) Und darf ich Sie fragen, was Sie ...

Schewakin. Oh, ich habe auch so eine Annonce gelesen und da hab’ ich mir gedacht: da mußt du doch mal hingehen. Sehen Sie, das Wetter war sehr schön, überall am Wege grünt und blüht es ...

Arina Panteleimonowna. Und wie ist Ihr Name?

Schewakin. Oh, Leutnant zur See a. D. ... Baltasar Baltasarowitsch Schewakin der Zweite. Wir hatten nämlich noch einen andern Schewakin, aber der nahm noch vor mir seinen Abschied. Er wurde nämlich am Bein verwundet, Mütterchen. Und dabei traf ihn die Kugel so eigentümlich; sie verletzte nur eine Sehne, ohne den Knochen in Mitleidenschaft zu ziehen. Das hing alles nur grade noch zusammen, und wenn man neben ihm stand, sah es genau so aus, als ob er einem von hinten eins mit dem Fuße auswischen wollte.

Arina Panteleimonowna. Bitte, nehmen Sie doch Platz. (Zu Anutschkin.) Und Sie, mein Herr, was führt Sie her?

Anutschkin. Ich habe die Ehre, Ihr Nachbar zu sein. Ich wohne ganz in Ihrer Nähe.

Arina Panteleimonowna. Etwa im Hause der Frau Kaufmann Tulubow? Hier gegenüber?

Anutschkin. Nein, das nicht. Einstweilen wohne ich noch in Peßki; aber ich habe die feste Absicht, mit der Zeit hierher in Ihren Bezirk zu ziehen.

Arina Panteleimonowna. Setzen Sie sich, bitte! (Zu Kotschkarjow.) Und darf ich wissen, was Sie veranlaßte ...

Kotschkarjow. Ja! Wie? Erkennen Sie mich denn nicht? (Wendet sich an Agathe Tichonowna.) Und auch Sie nicht, mein Fräulein?

Agathe Tichonowna. Mir scheint, ich habe Sie noch nie gesehen.

Kotschkarjow. Aber erinnern Sie sich doch. Sie haben mich sicher schon irgendwo gesehen.

Agathe Tichonowna. Ich weiß wirklich nicht. Doch nicht etwa bei Birjuschkins?

Kotschkarjow. Wo denn sonst? ... Natürlich bei Birjuschkins.

Agathe Tichonowna. Ach, dann wissen Sie wohl noch gar nicht, was für eine Geschichte da passiert ist?

Kotschkarjow. Gewiß; sie hat sich verheiratet.

Agathe Tichonowna. Nun, das wäre noch nicht so schlimm; nein, sie hat sich ein Bein gebrochen.

Arina Panteleimonowna. Ja, ein schwerer Bruch. Sie fuhr spät abends im Wagen nach Hause, der Kutscher war betrunken und warf den Wagen um.

Kotschkarjow. Richtig, jetzt erinnere ich mich! Irgend etwas mußte mit ihr passiert sein ... entweder sie hatte sich verheiratet oder sie hatte sich ein Bein gebrochen.

Arina Panteleimonowna. Und wie heißen Sie?

Kotschkarjow. Bitte sehr — Ilja Fomitsch Kotschkarjow. Wir sind doch Verwandte. Meine Frau spricht fortgesetzt davon. Erlauben Sie, erlauben Sie: (Er faßt Podkoliessin bei der Hand und zieht ihn herbei.) Mein Freund Iwan Kusmitsch Podkoliessin, Hofrat. Ist Expeditor, macht aber alles allein. Er hat sein Ressort famos in die Höhe gebracht.

Arina Panteleimonowna. Und wie ist Ihr Name?

Kotschkarjow. Podkoliessin. Iwan Kusmitsch Podkoliessin. Der Direktor, der ist überhaupt nur noch pro forma da. Er hat das ganze Departement in den Händen. Iwan Kusmitsch Podkoliessin.

Arina Panteleimonowna. Bitte, nehmen Sie Platz.

19. Auftritt

Die Vorigen und Starikow.

Starikow (verbeugt sich lebhaft und schnell wie ein Kaufmann und stemmt die Hände ein wenig in die Seite). Guten Tag, Mütterchen Arina Panteleimonowna. Bei uns in der Passage war davon die Rede, Sie hätten Wolle zu verkaufen, Mütterchen.

Agathe Tichonowna (wendet sich verächtlich ab, halblaut murmelnd, aber so, daß er es verstehen kann). Hier ist doch kein Kramladen.

Starikow. Ei, also komm’ ich wohl nicht zupaß? Oder ist der Brei schon ohne mich ausgelöffelt?

Arina Panteleimonowna. Bitte, bitte, Alexei Dmitriewitsch, wenn wir auch nicht mit Wolle handeln, aber wir freuen uns doch sehr, daß Sie uns das Vergnügen machen. Bitte, nehmen Sie Platz.

(Alle sitzen schweigend da. Pause.)

Eierkuchen. Ein äußerst seltsames Wetter heute. Morgens, da sah es ganz so aus, als ob es regnen wollte. Jetzt jedoch scheint es wieder vorüber zu sein.

Agathe Tichonowna. Ja, dieses Wetter ist wirklich furchtbar ... Bald ist es hell, und bald regnet es unaufhörlich. Ein höchst peinliches Wetter.

Schewakin. Ganz recht! Zum Beispiel — sehen Sie in Sizilien, Mütterchen! Wir waren einmal im Frühjahr mit unserer Flotte dort. Die jetzige Jahreszeit entspricht ungefähr unserem Februar. Wenn man da seine Schritte ins Freie lenkt, dann leuchtet die Sonne. Und dann fängt es plötzlich an zu regnen, und wenn man genauer zusieht, dann regnet es wirklich.

Eierkuchen. Das Unangenehmste bei solch einem Wetter ist, alleine zu Hause zu sitzen. Bei einem verheirateten Manne, da ist’s doch eine ganz andere Sache. Der langweilt sich nicht; aber, wenn man alleine sitzt, das ist einfach nicht zum ...

Schewakin. Oh, eine tödtliche Langeweile!

Anutschkin. Ja, das dürfte man wohl behaupten.

Kotschkarjow. Ach was, die reinste Folter ist es. Man wird seines Lebens nicht mehr froh. Gott bewahre mich vor einem solchen Zustand.

Eierkuchen. Wie wäre es nun, mein Fräulein, wenn Sie in die Lage kämen, sich ein ... einen ... Gegenstand zu wählen? Kann ich Ihren Geschmack erfahren? Entschuldigen Sie, daß ich so frei von der Leber rede ... Was paßte Ihnen wohl am besten? Ich meine, welches Amt müßte Ihr Mann bekleiden?

Schewakin. Wollten Sie nicht einen Mann Ihr eigen nennen, der sich mit allen Stürmen des Meeres herumgeschlagen hat? ...

Kotschkarjow. Nein, nein, der beste Mann ist meiner Meinung nach nur einer, der ein ganzes Departement leiten kann.

Anutschkin. O bitte, warum denn ein solches Vorurteil. Warum wollten Sie einen Mann geringschätzen, der vielleicht nur bei der Infanterie gedient hat, der es aber doch versteht, die Formen der feinen Welt zu schätzen.

Eierkuchen. Entscheiden Sie, Fräulein!

Agathe Tichonowna (schweigt).

Thekla. So sprechen Sie doch, Mütterchen! Reden Sie doch einen Ton.

Eierkuchen. Nun Fräulein, bitte, wie steht’s? ...

Kotschkarjow. Wie denken Sie darüber, Agathe Tichonowna?

Thekla (leise zu ihr). Sagen Sie doch irgendwas, ... sagen Sie nur: „Ich danke bestens,“ oder „mit Vergnügen!“ Man sitzt doch nicht so stumm da.

Agathe Tichonowna (leise). Ich schäme mich ja! Ich schäme mich wirklich. Ich will lieber gehen ... wirklich, ich will gehen. Tantchen, bleiben Sie statt meiner hier.

Thekla. Ach, tu mir doch diese Schande nicht an. Lauf nur nicht fort, du blamierst uns ja nur. Weiß Gott, was sie von uns denken werden? ...

Agathe Tichonowna (wie vorher). Nein, ich geh ... ich geh ... ich geh wirklich ... (Sie läuft hinaus; Thekla und Arina Panteleimonowna folgen ihr.)

20. Auftritt

Die Vorigen ohne die Frauen.

Eierkuchen. Da haben wir’s! Jetzt laufen sie alle fort. Was soll das nun wieder bedeuten? ...

Kotschkarjow. Wahrscheinlich ist irgend etwas passiert? ...

Schewakin. Vielleicht ist die Toilette in Unordnung geraten. Man muß etwas nachhelfen ... Vielleicht das Mieder feststecken ... (Thekla kommt zurück; alle stürzen mit Fragen auf sie zu.) Nun, nun, was ist los?

Kotschkarjow. Ist was passiert? ...

Thekla. Wie soll denn was passiert sein! Bei Gott! Nichts ist passiert.

Kotschkarjow. Warum ist sie denn dann fortgelaufen?

Thekla. Ihr habt sie in Verlegenheit gebracht. Darum ist sie rausgelaufen. Sie war ja ganz verwirrt und wußte nicht mehr ein noch aus. Sie bittet mich, daß Ihr sie entschuldigen sollt. Ihr möchtet doch heute abend zu einem Glas Tee kommen. (Geht ab).

Eierkuchen. Eh, dieses Glas Tee! Deswegen kann mir die ganze Heiraterei gestohlen werden. Nun geht wieder die Plackerei von vorne los ... „Heute haben wir keine Zeit ... bitte kommen Sie morgen ... oder übermorgen ... auf ein Glas Tee! Wir müssen es uns noch überlegen“ ... Und dabei ist die Heirat doch ’ne ganz lumpige Sache. Erfordert durchaus kein Kopfzerbrechen. Hol’s der Teufel! Ich steh im Dienst, ich hab’ keine Zeit.

Kotschkarjow (zu Podkoliessin). Hör mal du, das Mädel ist nicht übel, was? ...

Podkoliessin. Durchaus nicht übel!

Schewakin. Nettes Mädchen das!

Kotschkarjow (beiseite). Teufel, dieser Esel ist wohl verliebt! Er verpfuscht uns womöglich noch die ganze Geschichte. (Laut.) Die ist doch nicht nett! Auch nicht im mindesten.

Eierkuchen. Die Nase ist zu groß.

Schewakin. O nein. Davon habe ich nichts bemerkt. Sie ist ein richtiges Röschen!

Anutschkin. Auch ich möchte mich dieser Ansicht anschließen. Es ist doch nichts Rechtes. Ich möchte sogar zweifeln, daß sie etwas von den Formen der feinen Welt versteht. Es ist noch die Frage, ob sie das Französische beherrscht.

Schewakin. Aha, dann gestatten Sie mir wohl die Frage, warum haben Sie es nicht versucht, mit ihr Französisch zu sprechen. Vielleicht kann sie es doch?

Anutschkin. Sie glauben, daß ich des Französischen mächtig bin. Ach nein, ich hatte leider niemals das Glück, eine dahingehende Erziehung zu genießen. Mein Vater war ein Schweinehund, sozusagen ... ein Lump. Er hat gar nicht daran gedacht, mich Französisch lernen zu lassen. Damals war ich ja noch ein Kind; es wäre also ganz leicht gewesen, es mir beizubringen. Ich hätte nur tüchtig Prügel zu bekommen brauchen, dann könnte ich heute Französisch.

Schewakin. Da Sie es nun aber nicht verstehen, was könnte es Ihnen nützen, wenn diese ...

Anutschkin. O nein! Bei einer Frau ist das etwas ganz anderes. Sie muß es unbedingt können; sonst ist eben ... dieses und das und ... (er macht ein paar Gesten) alles eben nicht in Ordnung.

Eierkuchen (beiseite). Mag sich ein anderer darüber den Kopf zerbrechen. Ich will unterdessen mal hinlaufen und mir das Haus und seine beiden Seitenflügel von unten ansehen. Wenn da nur alles in Ordnung ist, dann setze ich es heute abend noch durch. Diese Herren Freier sind mir gewiß nicht gefährlich, das ist ja man ’ne recht schwächliche Sorte. Solche Gesellen! Nein, die Frauenzimmer haben einen andern Geschmack.

Schewakin. Man sollte sich eine Pfeife anzünden! Haben wir vielleicht denselben Weg? Darf ich fragen, wo wohnen Sie doch gleich?

Anutschkin. Bitte sehr, in Peßki, in der Petrowski-Gasse.

Schewakin. Hm, das wäre allerdings ein Umweg. Ich wohne auf Wassiliewski-Ostrow, in der achtzehnten Linie. Übrigens kann ich Sie doch begleiten.

Starikow. Nein, die Herrschaften sind mir doch etwas zu hochnäsig. Na, Agathe Tichonowna, Sie werden noch einmal an mich denken. Ich empfehle mich Ihnen, meine Herren. (Er verbeugt sich und geht ab.)

21. Auftritt

Podkoliessin und Kotschkarjow.

Podkoliessin. Und worauf warten wir?

Kotschkarjow. Nein, sag mal, sie ist doch ganz reizend, was?

Podkoliessin. Ach, geh, aufrichtig gesagt, sie gefällt mir nicht!

Kotschkarjow. Da haben wir’s! Was soll das nun wieder heißen? Vorhin hast du doch selbst zugegeben, daß sie hübsch ist.

Podkoliessin. Ich weiß nicht, aber es ist wohl doch nicht das Richtige. Die Nase ist zu lang und dann: sie spricht ja nicht Französisch.

Kotschkarjow. Was soll denn das? ... Wozu hast du es denn nötig, daß sie Französisch spricht?

Podkoliessin. Nein, bitte, ein Mädchen, das heiraten will, muß Französisch können.

Kotschkarjow. Wozu?

Podkoliessin. So ... weil ... nun ich weiß nicht mehr warum; sonst ist die Sache eben nicht in Ordnung.

Kotschkarjow. Da haben wir’s! Irgendein Esel hat hier so was behauptet, und du läßt gleich die Ohren hängen. Sie ist entzückend, sag’ ich dir, einfach entzückend! Ein solches Mädchen findest du überhaupt nicht wieder.

Podkoliessin. Ich muß ja gestehen, im Anfang gefiel sie mir ebenfalls. Aber als nachher die andern kamen und sagten, die Nase sei zu lang, da sah ich genauer hin und fand wirklich, daß die Nase zu lang ist.

Kotschkarjow.

Ach, dieser Esel läuft umher,

Find’t seine eigne Tür nicht mehr!

Du Dummkopf, das wird doch absichtlich so geredet, um dich wegzugraulen. Ich hab’s doch genau so gemacht. So wird’s eben gemacht! Bester, ich sag’ dir, das ist ein Mädchen! Sieh dir nur mal die Augen an. Augen sind das! Die reden und glühen ja förmlich. Weiß der Teufel! Und die Nase ... Himmel, ist das ’ne Nase! Wie Alabaster so weiß. Ach was, Alabaster reicht da gar nicht heran. Sieh du sie dir nur erst mal ordentlich an.

Podkoliessin (lächelnd). Ja, jetzt sehe ich es selbst: sie ist wirklich schön.

Kotschkarjow. Natürlich ist sie’s! Hör mal: jetzt, nachdem sie alle fort sind, können wir gleich reingehen, du erklärst dich, und die Geschichte ist erledigt.

Podkoliessin. Nein, das tue ich denn doch nicht.

Kotschkarjow. Warum denn nicht?

Podkoliessin. Das wäre doch zu unverschämt. Wir sind doch so viele, mag sie selbst wählen.

Kotschkarjow. Was gehen denn dich die andern an? Fürchtest du dich vor der Konkurrenz. Wie? Oder willst du, daß ich sie alle in einer Minute hinausbefördere?

Podkoliessin. Ja, wie willst du sie denn hinausbefördern?

Kotschkarjow. Das laß nur meine Sache sein! Versprich mir nur das eine, daß du nachher dein Wort nicht zurücknimmst.

Podkoliessin. Weshalb sollte ich das nicht versprechen? Bitte schön, ich leiste ja gar keinen Widerstand. Ich habe die feste Absicht, zu heiraten! — —

Kotschkarjow. Deine Hand darauf!

Podkoliessin (reicht ihm die Hand). Hier.

Kotschkarjow. Nun, mehr brauch’ ich nicht. (Beide ab.)

Zweiter Aufzug

Zimmer im Hause Agathe Tichonownas.

1. Auftritt

Agathe Tichonowna allein; später Kotschkarjow.

Agathe Tichonowna. Nein, wie schwer wird einem doch eine solche Wahl! Wären es nur einer oder zwei. Aber nun gleich vier. Ja, wer die Wahl hat, hat die Qual! Nikanor Iwanowitsch ist ja nicht übel; obwohl er etwas zu mager ist. Iwan Kusmitsch ist übrigens auch nicht häßlich und, wenn ich die Wahrheit sagen soll, so ist zwar Iwan Pawlowitsch ein wenig dick, aber doch ein ganz stattlicher Mann. Schöne Geschichte! Was soll ich nur anfangen? Andererseits hat auch Baltasar Baltasarowitsch seine Vorzüge. Nein, wie schwer wird einem doch solch ein Entschluß! Es läßt sich gar nicht sagen, wie schwer. Wenn man die Lippen Nikanor Iwanowitschs nehmen und die Nase Iwan Kusmitschs darüber setzen könnte, und wäre dazu etwas von der Keckheit Baltasar Baltasarowitschs und dann noch ein wenig von der Fülle Iwan Pawlowitschs dabei — dann würde ich mich auf der Stelle entschließen. So aber, ach, ich mag gar nicht daran denken! Der Kopf schmerzt mir schon. Vielleicht wäre es das Beste, darum zu losen. Möge Gott entscheiden! Wen ich ziehe, der soll mein Mann werden. So, ich werde alle Namen auf Zettelchen schreiben, sie rollen, durcheinanderschütteln, und mag dann kommen, was kommen will. (Sie geht an das Tischchen, holt Papier und eine Schere herauf, schneidet einige Zettel, rollt sie und fährt fort.) Wie schrecklich ist doch die Lage eines jungen Mädchens, besonders wenn sie verliebt ist ... Kein Mann kann sich da hineinversetzen, ach, keiner wird sie auch nur verstehen wollen. So, jetzt sind sie alle fertig. Jetzt brauche ich sie nur ins Täschchen zu stecken, die Augen zuzumachen und dann mag kommen, was da will. (Sie legt die Zettel in den Pompadour und mischt sie mit der Hand.) Wie ängstlich ich bin! Ach, wenn Gott gäbe, daß ich Nikanor Iwanowitsch zöge ... Doch nein, warum grade ihn? ... Lieber schon Iwan Kusmitsch. Aber warum grade Iwan Kusmitsch? Die andern sind doch auch nicht schlechter. Nein, ich will an nichts denken. Wen ich herausziehe, der mag es schon sein. Endgültig! (Sie sucht mit der Hand im Pompadour herum und zieht statt eines Zettels — alle auf einmal.) Ach Herr Gott, jetzt habe ich alle auf einmal herausgezogen ... Ach, wie mein Herz klopft ... Nein, nein, nur einen! (Sie legt die Zettel wieder in den Pompadour und mischt sie von neuem. In diesem Augenblick kommt Kotschkarjow leise herein und tritt hinter sie.) Ach, wenn ich doch Baltasar Baltasarowitsch, nein, ich wollte sagen Nikanor Iwanowitsch ... Nein, nein, ich will nicht. Das Schicksal mag entscheiden.

Kotschkarjow. Nehmen Sie Iwan Kusmitsch! Fertig! Das ist schon das allerbeste.

Agathe Tichonowna. Ach! (Sie schreit auf, bedeckt das Gesicht mit beiden Händen und fürchtet sich, sich umzusehen.)

Kotschkarjow. Warum erschrecken Sie so? Haben Sie keine Angst; ich bin es. Wirklich, nehmen Sie schon Iwan Kusmitsch.

Agathe Tichonowna. Ach, ich schäme mich so. Gewiß haben Sie gehorcht.

Kotschkarjow. Das schadet doch nichts! Ich gehöre doch zur Familie. Vor mir brauchen Sie ja keine Geheimnisse zu haben. Lassen Sie mich doch Ihr Gesichtchen sehen.

Agathe Tichonowna (zieht die Hand zur Hälfte zurück). Nein, wirklich, ich schäme mich!

Kotschkarjow. Also, nehmen Sie Iwan Kusmitsch.

Agathe Tichonowna. Ach! (Schreit wieder auf und bedeckt das Gesicht von neuem mit den Händen.)

Kotschkarjow. Wirklich, er ist ein prächtiger Mensch; er hat sein Ressort famos in die Höhe gebracht. Wahrhaftig, ein seltener Mensch!

Agathe Tichonowna (zieht ihre Hände wieder langsam zurück). Wie aber ... und der andere? Nikanor Iwanowitsch? Das ist doch auch ein vortrefflicher Mensch.

Kotschkarjow. Aber, ich bitte Sie, das ist doch nur Bruch; im Vergleich zu Iwan Kusmitsch.

Agathe Tichonowna. Wieso denn?

Kotschkarjow. Aber das ist doch ganz klar! Iwan Kusmitsch ist eben ein Mensch ... nun also, ein Mensch, so, wie Sie ihn einfach nicht wieder finden.

Agathe Tichonowna. Und Iwan Pawlowitsch?

Kotschkarjow. Na, Iwan Pawlowitsch ist natürlich auch Bruch; kurz und gut, sie sind eben alle Bruch.

Agathe Tichonowna. Wirklich alle?

Kotschkarjow. Urteilen Sie doch selbst. Sie brauchen nur zu vergleichen. So oder so — Iwan Kusmitsch, und daneben die andern ... hergelaufenes Gesindel! Dieser Iwan Pawlowitsch, dieser Nikanor Iwanowitsch. Pfui Teufel noch einmal!

Agathe Tichonowna. Eigentlich haben Sie recht! Es sind wahrhaftig recht unansehnliche Menschen.

Kotschkarjow. Was? ... Unansehnlich? Pack! Strolche! Eine ganz gefährliche Bande! Haben Sie denn Lust, schon am Tage nach der Hochzeit geschlagen zu werden?

Agathe Tichonowna. O mein Gott! Welch ein Unglück ... ich könnte mir kein furchtbareres Unglück denken.

Kotschkarjow. Etwas Furchtbareres läßt sich auch gar nicht vorstellen.

Agathe Tichonowna. Also Sie meinen, ich soll Iwan Kusmitsch nehmen?

Kotschkarjow. Gewiß. Iwan Kusmitsch. Natürlich! Iwan Kusmitsch (Beiseite.) Ich glaube, die Sache geht glatt. Podkoliessin sitzt im Café, ich will gleich mal hinlaufen und ihn holen.

Agathe Tichonowna. Also, Sie meinen wirklich, daß ich Iwan Kusmitsch nehmen soll?

Kotschkarjow. Unbedingt Iwan Kusmitsch ...

Agathe Tichonowna. Und ich soll den andern einen Korb geben?

Kotschkarjow. Selbstverständlich! ...

Agathe Tichonowna. Wie soll ich das nur machen? Ich schäme mich ein wenig.

Kotschkarjow. Was ist dabei zu schämen? ... Sagen Sie doch einfach, Sie fühlen sich noch zu jung zum Heiraten.

Agathe Tichonowna. Das werden sie mir nicht glauben. Sie werden erst fragen: wie, warum, weswegen ...

Kotschkarjow. Ja, wollen Sie die Gesellschaft auf einmal loswerden, dann sagen Sie doch einfach: „Macht daß ihr rauskommt, Ihr Esel!“

Agathe Tichonowna. Aber nein, so was sagt man doch nicht!

Kotschkarjow. Versuchen Sie’s nur mal, seien Sie sicher, danach laufen sie alle davon.

Agathe Tichonowna. Nein, das wäre ja geradezu grob.

Kotschkarjow. Aber Sie sehen sie doch nicht mehr wieder. Da kann’s Ihnen doch gleich bleiben.

Agathe Tichonowna. Es schickt sich aber doch nicht. Und dann, sie könnten in Wut geraten.

Kotschkarjow. Das ist doch kein Unglück, wenn sie böse werden. Wenn’s noch irgendwelche Folgen hätte, dann wär’s was anderes. Das Schlimmste, was Ihnen passieren kann, ist, daß Ihnen der eine oder der andere ins Gesicht spuckt. Weiter nichts! ...

Agathe Tichonowna. Nun, da sehen Sie’s!

Kotschkarjow. Nun? Was schadet denn das? Manch einem ist das schon ein paarmal passiert. Bei Gott! Da hab’ ich einen Bekannten, einen hübschen Kerl, mit roten Backen, der hat seinem Chef so lange auf dem Hals gelegen, ihn um Zulage gequält, bis der es schließlich nicht mehr aushielt, und ihm gradweg ins Gesicht spuckte. Bei Gott! „Da hast du deine Zulage,“ hat er ihn angebrüllt, „laß mich in Ruhe, du Satan!“ aber bekommen hat er die Zulage nachher doch. Was hat’s ihm geschadet, daß er ihn angespuckt hat? Ja, hätte er kein Taschentuch bei sich gehabt! Aber er hatte ja eins in der Tasche, nahm es heraus und wischte sich ab. (Draußen schellt es.) Aha, es klopft, da kommt wohl schon einer angezogen. Aber jetzt möchte ich keinem von ihnen begegnen. Sagen Sie, gibt es hier keinen zweiten Ausgang?

Agathe Tichonowna. Ja, doch, hier über die Hintertreppe ... Ich zittre am ganzen Körper. Wahrhaftig! ...

Kotschkarjow. Das macht nichts. Nur Mut und Selbstvertrauen! Leben Sie wohl. (Beiseite.) Ich muß doch den Podkoliessin schnell herschleppen.

2. Auftritt

Agathe Tichonowna und Eierkuchen.

Eierkuchen. Ich bin mit Absicht etwas früher gekommen, mein Fräulein, um Sie ganz allein zu sprechen und zwar in aller Ruhe. Was meinen Rang anbetrifft, Fräulein, so sind Sie, wie ich glaube, zur Genüge informiert. Ich bin Kollegien-Assessor; meine Vorgesetzten lieben mich; meine Untergebenen gehorchen mir; ich bedarf also nichts als einer Lebensgefährtin.

Agathe Tichonowna. Ja.

Eierkuchen. Jetzt aber habe ich eine gefunden, nämlich Sie! Bitte, antworten Sie mir, aber ohne Umschweife: Ja, oder nein! (Er betrachtet ihre Schultern; beiseite.) In der Tat, sie ist nicht so mager, wie die deutschen Mädchen; sie hat doch wenigstens was auf sich.

Agathe Tichonowna. Aber ich bin doch noch zu jung; ich will noch nicht heiraten.

Eierkuchen. Aber ich bitte Sie, mein Fräulein, warum bemüht sich dann die Vermittlerin? Nein, vielleicht wollten Sie etwas anderes sagen; sprechen Sie sich ruhig aus! (Es klingelt.) Teufel, die lassen einem ja nicht mal Zeit, die Sache richtig anzupacken.

3. Auftritt

Die Vorigen und Schewakin.

Schewakin. Mein gnädiges Fräulein, ich bitte Sie um Verzeihung, wenn ich vielleicht ein wenig zu früh erscheine. (Dreht sich um und erblickt Eierkuchen.) Aha, es ist schon jemand hier. Iwan Pawlowitsch, ich habe die Ehre!

Eierkuchen (beiseite). Hol’ dich der Teufel mit deiner Ehre. (Laut.) Also, wie steht’s, mein Fräulein? Sagen Sie doch nur ein Wort: Ja oder nein? (Es läutet. Eierkuchen spuckt wütend aus.) Schon wieder die Glocke!

4. Auftritt

Die Vorigen und Anutschkin.

Anutschkin. Vielleicht, mein Fräulein, dürfte ich etwas früher gekommen sein, als es die Regeln des Anstandes erlauben. (Erblickt die übrigen und begrüßt sie mit einem Ausruf des Erstaunens.) Ah, Ihr ergebener Diener!

Eierkuchen (bei sich). Zum Teufel mit deinem Diener! Dich hat der Satan hergeführt. Wenn du doch auf deinen dürren Stelzen zusammenklapptest! (Laut.) Nun also, mein Fräulein, entscheiden Sie sich jetzt! Sie wissen, mich ruft mein Dienst, ich habe nicht viel Zeit zu verlieren. Ja oder nein?

Agathe Tichonowna (verlegen). Es ist nicht nötig ... es ist nicht nötig ... nicht doch ... (Zu sich selber.) Ich weiß ja gar nicht, was ich spreche.

Eierkuchen. Wie, nicht nötig? In welcher Hinsicht nicht nötig?

Agathe Tichonowna. Ach nein, nein, das wollte ich ja gar nicht sagen. (Plötzlich Mut fassend.) Raus! (Schlägt die Hände vor dem Gesicht zusammen.) Ach, mein Gott, mein Gott, was hab’ ich nur gesagt!

Eierkuchen. Wie raus? Was bedeutet das: Raus? Ich muß Sie fragen, was Sie darunter verstanden haben wollen? (Stemmt die Arme drohend in die Seite und geht auf sie zu.)

Agathe Tichonowna (sieht ihn erschrocken an und schreit entsetzt auf). Mein Gott, er will mich schlagen! Er will mich schlagen!

(Sie läuft hinaus; Eierkuchen bleibt mit offenem Munde stehen. Auf ihr Schreien kommt)

Arina Panteleimonowna (hereingelaufen. Sowie sie ihm ins Gesicht sieht, schreit sie ebenfalls auf). Mein Gott, er will mich schlagen! (Läuft hinaus.)

Eierkuchen. Was für eine Komödie geht hier vor sich? Eine schöne Geschichte das! (Es läutet wieder an der Türe; man hört von draußen Stimmen.)

Stimme Kotschkarjows. So komm doch endlich! Komme doch rein! Was stehst du denn da?

Stimme Podkoliessins. Geh nur voran! Laß mich einen Augenblick. Mein Hosenträger ist mir losgegangen. Laß mich ihn erst wieder befestigen.

Stimme Kotschkarjows. Du läufst mir nur wieder weg.

Stimme Podkoliessins. Wahrhaftig nicht. Ich laufe nicht weg. Bei Gott nicht.

5. Auftritt

Die Vorigen und Kotschkarjow.

Kotschkarjow. Da haben wir’s! Als ob’s so nötig wäre, sich die Hosenträger in Ordnung zu bringen.

Eierkuchen (sich zu ihm wendend). Bitte, sagen Sie: das Fräulein hier ist wohl etwas dumm? Wie? ...

Kotschkarjow. Wieso? Was ist denn passiert?

Eierkuchen. Ihr Benehmen ist wirklich höchst merkwürdig. Sie läuft einfach hinaus und schreit in einem fort: „Er schlägt mich ... er schlägt mich!“ Weiß der Teufel, was das bedeuten soll!

Kotschkarjow. Aha ... Ja, das kommt bei ihr öfters vor. Sie ist eben ein bißchen beschränkt.

Eierkuchen. Sagen Sie bitte, Sie sind doch verwandt mit ihr ...

Kotschkarjow. Aber gewiß. Ich bin ihr Verwandter.

Eierkuchen. So ... und in welchem Grade?

Kotschkarjow. Das kann ich nicht so genau feststellen. Die Tante meiner Mutter hängt irgendwie mit ihrem Vater zusammen. Oder auch ihr Vater irgendwie mit meiner Tante. Meine Frau weiß darin besser Bescheid als ich. Das ist ihre Angelegenheit.

Eierkuchen. Und ist sie denn schon lange so albern?

Kotschkarjow. Ja, das hat sie schon seit der Geburt.

Eierkuchen. Hm, besser wär’s freilich, wenn sie etwas klüger wäre. Übrigens, mag sie doch dumm sein, auch gut, wenn nur das übrige in Ordnung ist.

Kotschkarjow. Ja, sie bekommt doch nichts mit!

Eierkuchen. Was? ... Und das steinerne Haus?

Kotschkarjow. Aber, das sind doch bloß Redensarten. Das heißt doch nur so — es wäre von Stein ... Wenn Sie wüßten, wie das Haus gebaut ist! Die Mauern sind doch nicht massiv! Zwei Reihen Ziegelsteine und dazwischen Sägemehl und Hobelspäne und allerhand solch ein Plunder.

Eierkuchen. Was sagen Sie? ...

Kotschkarjow. Natürlich, wissen Sie denn nicht, wie heutzutage Häuser gebaut werden? Doch nur, damit man sie beleihen kann.

Eierkuchen. Aber auf diesem Hause liegen ja keine Hypotheken.

Kotschkarjow. Von wem haben Sie sich denn das erzählen lassen? Das ist’s ja eben. Wenn’s nur die Hypotheken wären ... Die Zinsen für die beiden letzten Jahre sind noch nicht einmal bezahlt. Und dann hat sie noch einen Bruder im Senat, der streckt auch seine Finger nach dem Hause aus. Es gibt keinen größeren Halunken auf der Welt, als den. Seiner eigenen Mutter würde er den letzten Rock wegnehmen, der Elende.

Eierkuchen. Was hat mir denn aber die Vermittlerin gesagt ... Oh, diese Bestie, dieser Auswurf der Menschheit! (Beiseite.) Aber vielleicht lügt er nur? Ich muß die Alte einem strengen Verhör unterziehen. Und sollte etwas Wahres dran sein, na, dann soll sie mir ein ander Liedchen anstimmen.

Anutschkin. Dürfte ich Ihnen auch mit einer Frage lästig fallen? ... Ich muß gestehen, ich spreche selbst nicht Französisch, und da ist es außerordentlich schwer zu beurteilen, ob eine Dame es kann oder nicht. Spricht sie Französisch?

Kotschkarjow. Ach wo, keine Ahnung hat sie!

Anutschkin. Was sagen Sie?

Kotschkarjow. Wie, ich muß das doch wissen! Sie war ja mit meiner Frau im selben Pensionat. Ihre Faulheit war geradezu berühmt; kurz, immer war sie die Dumme. Vor allem der französische Lehrer, der hat sie beständig mit dem Stock geschlagen.

Anutschkin. Denken Sie sich! Sofort, als ich sie sah, hatte ich’s im Gefühl: die versteht kein Französisch.

Eierkuchen. Ach, hol’ euch der Teufel mit eurem Französisch. Aber dieses verfluchte Weib, die Thekla Iwanowna, diese Bestie, diese alte Hexe! Wenn Sie bloß wüßten, wie schön sie mir das alles ausgemalt hat. Die reinste Künstlerin! „Bitte, ein Haus,“ sagte sie, „und zwei Seitenflügel dazu, auf einem vorzüglichen Fundament, silberne Löffel, ein Schlitten — man braucht sich nur reinzusetzen und loszufahren.“ Mit einem Wort, man findet es selten in einem Roman so schön dargestellt. Ach, du alte Schuhsohle, verfluchte, warte, wenn ich dich nur in die Finger kriege ...

6. Auftritt

Die Vorigen und Thekla.

(Sobald sie sie erblicken, stürzen sie alle, durcheinandersprechend, auf sie zu.)

Eierkuchen. Ah, da ist sie ja! Bitte, komm mal her, alte Sünderin! Näher, immer näher, noch näher ... komm mal her!

Anutschkin. Also so konnten Sie mich hintergehen, Thekla Iwanowna?

Kotschkarjow. Weh dir, Barbara, jetzt warte deines Gerichts!

Thekla. Von all dem versteh’ ich kein Wort! Ihr macht mich ja ganz taub.

Eierkuchen. Eine Reihe Ziegelsteine, du alte Schuhsohle, und nichts als Hobelspäne dazwischen; und was hast du mir vorgelogen, von einem Zwischenstock, und weiß der Teufel was sonst noch?

Thekla. Ich weiß es doch nicht, ich hab’s nicht gebaut; vielleicht darf es gar nicht anders sein, vielleicht muß es nur eine Reihe Ziegelsteine haben, daher ist’s auch so gebaut worden.

Eierkuchen. Und dann die Hypotheken! Hol’ dich der Teufel, verfluchte Hexe! (Stampft wütend mit dem Fuße auf.)

Thekla. Du bist mir einer! Hier noch zu schimpfen. Ein andrer würde mir dankbar sein, daß ich mich so für ihn abgequält habe.

Anutschkin. Ja, Thekla Iwanowna, mir haben Sie auch erzählt, daß sie Französisch kann.

Thekla. Kann sie auch, mein Lieber. Deutsch und Französisch, alles kann sie; auf all die feinen Manieren versteht sie sich.

Anutschkin. O nein, mir scheint, sie spricht nur Russisch.

Thekla. Ist denn das so schlimm? Russisch ist doch verständlicher, daher spricht sie eben Russisch. Und spräche sie irgendeine barbarische Sprache, so säßest doch nur du in der Patsche. Kein Wort würdest du verstehen! Da ist doch über unser Russisch weiter kein Wort zu verlieren. Das kennt man wenigstens, auch die lieben Heiligen haben doch Russisch gesprochen.

Eierkuchen. Nun? komm mal näher, immer näher, du Hexe!

Thekla (weicht zurück und sucht die Tür zu erreichen). Nein, ich danke bestens. Ich kenne dich. Du bist ein gefährlicher Mensch. Ehe man sich’s versieht, haust du zu.

Eierkuchen. Paß auf, Herzchen, das bleibt dir nicht geschenkt! Ich nehm’ dich und bring’ dich zur Polizei; du sollst schon merken, was es heißt, ehrliche Leute zu betrügen. Darauf kannst du dich verlassen. Deiner Braut aber bestelle von mir: in meinen Augen ist sie ein Lump! Hörst du, vergiß es nicht, zu bestellen! (Geht hinaus.)

Thekla. Seht doch einer den an. Wie wütend der ist! Er denkt, weil er so dick ist, könnt’ es keiner mit ihm aufnehmen. Und ich sage dir, du bist selbst ein Lump! Hörst du!

Anutschkin. Ich muß Ihnen ebenfalls gestehen, meine Verehrteste, ich hätte nie gedacht, daß Sie mich so betrügen könnten! Wenn ich’s gewußt hätte, daß die Dame auf solch einem Niveau der Bildung steht, keinen Fuß würde ich über die Schwelle dieses Hauses gesetzt haben! Jawohl! (Geht hinaus.)

Thekla. Ihr habt wohl Tollkirschen gefressen, oder einen zu viel genippt? Seht mal an, mäkeln die hier herum; dem ist die Bildung wohl auch in den Kopf gestiegen!

7. Auftritt

Thekla, Kotschkarjow und Schewakin.

Kotschkarjow (sieht Thekla an und zeigt mit dem Finger laut lachend auf sie). Hahaha!

Thekla (ärgerlich). Na, was strapazierst du denn deinen Hals so?

Kotschkarjow (fährt fort zu lachen).

Thekla. Du wirst gleich platzen!

Kotschkarjow. ’ne schöne Heiratsvermittlerin bist du mir. Eine Künstlerin in deinem Fach! Du hast die Sache aber raus. (Lacht unaufhörlich weiter.)

Thekla. Was der zu lachen hat? ... Deine selige Mutter wird wohl auch nicht ganz bei Troste gewesen sein, als sie dich zur Welt brachte. (Sie läuft wütend hinaus.)

8. Auftritt

Kotschkarjow und Schewakin.

Kotschkarjow (fährt fort zu lachen). Herrgott, ich kann einfach nicht mehr! Bei Gott, ich kann nicht mehr! Ich halt’s nicht mehr aus, ich platze vor Lachen. (Lacht weiter.)

Schewakin (sieht ihn an und fängt gleichfalls an zu lachen).

Kotschkarjow (ermüdet in einen Stuhl sinkend). Wahrhaftig, mir geht die Puste aus! Ich fühle, wenn ich noch lange so weiter lache, so verrecke ich.

Schewakin. Ihr fröhliches Naturell gefällt mir außerordentlich. Wissen Sie, bei unserm Geschwader, das unter Kapitän Bolderow stand, war auch ein Kadett, namens Petuchow. Anton Iwanowitsch. Der war auch immer so fröhlich. Dem brauchte man nur den kleinen Finger zu zeigen, und schon lachte er los! Bei Gott! Und dann lachte er den ganzen Tag hindurch, bis zum späten Abend ... Wenn ihn einer nur ansah, kriegte er schon das Lachen, und eh’ man’s sich versah, lachte man selber mit.

Kotschkarjow (atemholend). Ach Gott, erbarme dich meiner. Diese dumme Gans, was die sich einbildet. Wie soll sie es fertig kriegen, einen Menschen zu verheiraten. Die will einen verheiraten! Ja, wenn ich die Sache in die Hand nehme, dann will ich schon eine Heirat zustande bringen.

Schewakin. Wirklich? ... In der Tat, könnten Sie den Heiratsvermittler spielen? ...

Kotschkarjow. Selbstverständlich! Ich übernehme es, jedes beliebige Paar zusammenzubringen.

Schewakin. Hören Sie mal, wenn das stimmt, so .... verschaffen Sie mir doch das Fräulein.

Kotschkarjow. Ihnen? ... Was brauchen Sie denn zu heiraten?

Schewakin. Warum denn nicht! Erlauben Sie mal, das ist doch eine seltsame Frage! Es ist doch klar, wozu.

Kotschkarjow. Sie haben doch eben gehört, daß sie nichts mitbekommt.

Schewakin. Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren! ... Das ist ja nicht schön, aber bei diesem entzückenden Fräulein mit den reizenden Manieren, da kann man schließlich auch ohne Mitgift auskommen. Ein kleines Kämmerchen, (macht eine entsprechende Geste) ein kleiner Flur, eine kleine spanische Wand oder so etwas wie ein Vorhang ...

Kotschkarjow. Ja, aber was gefällt Ihnen denn an ihr so sehr?

Schewakin. Wenn ich offen sein soll, so ist es grade jene Fülle, die sie auszeichnet. Sehen Sie, ich bin ein großer Amateur in bezug auf ... auf ... rundliche Frauen.

Kotschkarjow (sieht ihn von der Seite an und sagt dann zu sich selbst). Na, damit kann er gerade nicht allzusehr Staat machen. Sieht selbst aus, wie ein ausgeschüttelter Tabaksbeutel. (Laut.) Wissen Sie, Sie sollten überhaupt nicht heiraten.

Schewakin. Wie meinen Sie das? ...

Kotschkarjow. Ganz einfach. Was haben Sie denn für eine Figur? Unter uns gesagt, Sie haben ja die reinsten Hahnenfüße.

Schewakin. Hahnenfüße? ...

Kotschkarjow. Natürlich! ... Gewiß! ... Wonach sehen Sie denn aus?

Schewakin. Nein, erlauben Sie mal, wie können Sie sagen, ich hätte Hahnenfüße?

Kotschkarjow. Sehr einfach! Das sind doch Hahnenfüße! ...

Schewakin. Gestatten Sie mal, mir scheint, in Ihren Worten liegt etwas: mir scheint, Sie werden persönlich!

Kotschkarjow. Ich sage Ihnen das doch nur, weil ich weiß, daß Sie ein vernünftiger Mensch sind. Einem andern hätte ich das doch nicht gesagt. Also gut, ich verschaffe Ihnen eine Frau; aber eine andere.

Schewakin. Dann möchte ich Sie doch bitten ... keine andere. Seien Sie schon so gut ... bleiben wir bei dieser.

Kotschkarjow. Schön, wenn Sie denn durchaus wollen ... meinetwegen. Aber unter einer Bedingung ... Sie dürfen sich nicht hineinmischen. Sie dürfen sich dem Fräulein überhaupt nicht zeigen. Ich werde alles allein machen.

Schewakin. Erlauben Sie mal, ohne mich geht es denn doch nicht. Immerhin werde ich mich doch wohl dabei sehen lassen müssen.

Kotschkarjow. Nein, durchaus nicht. Gehen Sie nach Hause und warten Sie auf mich. Heute abend ist alles in schönster Ordnung.

Schewakin (reibt sich die Hände). Famos! Das wäre ja famos. Sagen Sie, brauchen Sie denn kein Attest, kein Dienstzeugnis? Vielleicht dürfte sich das Fräulein doch dafür interessieren. Ich werde sofort laufen und es holen.

Kotschkarjow. Nein, nein, ich brauche nichts! Gehen Sie nur ruhig nach Hause. Verlassen Sie sich drauf, Sie bekommen noch heute Nachricht. (Er begleitet ihn hinaus.) Teufel auch, das würde dir wohl passen! ... Doch was ist das nur? Warum kommt denn der Podkoliessin nicht wieder? Das ist doch sehr merkwürdig! Er kann doch seine Hosenträger nicht ewig in Ordnung bringen ... Am Ende muß ich noch selbst hinlaufen und ihn holen.

9. Auftritt

Kotschkarjow, Agathe Tichonowna.

Agathe Tichonowna (sieht sich nach allen Seiten um). Sind sie fort? ... Ist niemand mehr hier? ...

Kotschkarjow. Niemand! ... Sie sind alle fort! ...

Agathe Tichonowna. Ach, wenn Sie wüßten, wie ich gezittert habe. Nein, so etwas habe ich wirklich noch nicht erlebt. Ach, wie furchtbar war dieser Eierkuchen! ... Wie ein Tyrann wird der einmal seine Frau behandeln. Ich fürchte immer noch, er könnte jeden Augenblick zurückkommen.

Kotschkarjow. Nein, der kommt nicht wieder. Ich setze meinen Kopf ein, daß keiner von beiden seine Nase mehr zur Türe hineinsteckt.

Agathe Tichonowna. Und der Dritte?

Kotschkarjow. Welcher Dritte?

Schewakin (steckt leise den Kopf zur Tür hinein). Ich hörte für mein Leben gern, was ihr kleines Mündchen von mir sagen wird ... Oh, dieses zarte Röschen!

Agathe Tichonowna. Ich meine ... Baltasar Baltasarowitsch ...

Schewakin. Jetzt kommt’s, jetzt kommt’s! (Reibt sich die Hände.)

Kotschkarjow. Verflucht noch mal, ich denke mir, von wem reden Sie bloß? Der Kerl ist ja ein ausgemachter Tölpel! — Pfui Teufel nochmal!

Schewakin. Was ist das? ... Wahrhaftig, davon versteh’ ich kein Wort.

Agathe Tichonowna. Aber auf den ersten Blick machte er auf mich den Eindruck eines sehr guten Menschen.

Kotschkarjow. Er ist aber doch immer betrunken!

Schewakin. Bei Gott, ich verstehe nichts davon!

Agathe Tichonowna. Wahrhaftig ... er trinkt?

Kotschkarjow. Ich bitte Sie ... ein ausgekochter Lump!

Schewakin (laut). Nein, gestatten Sie! Ich habe Sie denn doch nicht gebeten, derartige Behauptungen aufzustellen. Hätten Sie einige Worte zu meinen Gunsten geredet, oder irgend etwas Lobendes gesagt, das wäre etwas anderes gewesen ... Mit diesen Worten jedoch, nein bitte, suchen Sie sich dafür einen andern aus. Nein, ich danke bestens. Ergebener Diener.

Kotschkarjow (beiseite). Warum mußte der Kerl nur zurückkommen! (Zu Agathe Tichonowna.) Sehen Sie, sehen Sie nur ... er kann sich ja kaum noch auf den Füßen halten. Und so benimmt er sich jeden Tag. Jagen Sie ihn doch zum Teufel, fertig! (Beiseite.) Daß dieser verfluchte Podkoliessin noch nicht da ist ... Dieser Lump! ... Na warte ... das will ich dir anstreichen! (Geht ab.)

10. Auftritt

Agathe Tichonowna und Schewakin.

Schewakin (beiseite). Verspricht, mich zu loben und ... statt dessen ... beschimpft er mich. Ein seltsamer Mensch! (Laut.) Mein gnädiges Fräulein, schenken Sie seinen Worten keinen Glauben.

Agathe Tichonowna. Nein, entschuldigen Sie mich, ich fühle mich nicht ganz wohl. Der Kopf schmerzt mir so. (Will gehen.)

Schewakin. Aber vielleicht gefällt Ihnen etwas nicht an mir? (Er zeigt auf seinen Kopf.) Bitte, achten Sie nicht darauf, daß ich einen gewissen Anflug von Glatze habe. Das macht nichts. Es ist mir vom Fieber zurückgeblieben. Mit der Zeit kommen die Haare schon wieder.

Agathe Tichonowna. Es interessiert mich nicht, was Ihnen fehlt.

Schewakin. Und dann, mein gnädiges Fräulein, wenn ich einen schwarzen Frack anziehe, wird mein Teint um vieles heller.

Agathe Tichonowna. Um so besser für Sie. Leben Sie wohl! (Sie geht hinaus.)

11. Auftritt

Schewakin allein.

Schewakin (ihr nachrufend). Mein Fräulein, bitte, gestatten Sie, sagen Sie mir bitte, was ist geschehen. Warum, weshalb? ... Haftet mir denn irgendein wesentlicher Makel an? ... Fort! Wie seltsam! Das passiert mir nun schon das siebzehnte Mal, und immer läuft es fast ebenso aus. Im Anfang geht alles glatt, und wenn die Geschichte zum Klappen kommt, dann, eh’ ich mich’s versehe, hab’ ich meinen Korb weg. (Geht nachdenklich auf und ab) Ja, ja ... das ist nun bereits die Siebzehnte .... Und was hat sie bloß? ... Warum sollte sie nicht zum Beispiel ... (Nachdenklich.) Eine dunkle, höchst dunkle Geschichte ... Wenn ich noch wirklich so häßlich wäre ... (Betrachtet sich.) Aber das kann doch kein Mensch behaupten! Gott sei Dank! Die Natur hat einen doch wirklich nicht stiefmütterlich behandelt. Unbegreiflich! Ob ich nicht schnell mal nach Hause laufe und in meinem Kästchen nachsehe? Ich muß doch da noch ein paar Verse liegen haben. Denen kann keine widerstehen ... Bei Gott! Und ich begreife das alles gar nicht! Zuerst schien’s mir so gut zu glücken. ... Ja, ich werde wohl kehrtmachen müssen. Schade, sehr schade! (Geht ab.)

12. Auftritt

(Podkoliessin und Kotschkarjow treten ein und blicken zurück.)

Kotschkarjow. Er hat uns nicht bemerkt! Hast du gesehen, mit was für einer langen Nase er abgezogen ist?

Podkoliessin. Tatsächlich? ... Also er hat eben so einen Korb bekommen, wie die andern?

Kotschkarjow. ... Einen mächtigen!

Podkoliessin (mit selbstgefälliger Miene). Das muß eigentlich recht peinlich sein, sich einen Korb zu holen.

Kotschkarjow. Das will ich meinen.

Podkoliessin. Ich kann es noch immer nicht glauben, daß sie es ihm so grade ins Gesicht gesagt hat, sie ziehe mich vor.

Kotschkarjow. — Zieht dich vor? ... Ich sage dir ... sie ist einfach hingerissen! Verliebt bis über die Ohren! Was sie dir nur für Kosenamen gegeben hat! Eine solche Leidenschaft! ... Sie glüht ja förmlich! ...

Podkoliessin (lächelt selbstzufrieden). Ja, das ist wahr ... Wenn eine Frau will, kann sie einem Worte sagen ... unsereiner würde niemals auf so etwas kommen: „Mein Frätzchen, mein Mistkäferchen, mein Fliegenpilzchen“ ...

Kotschkarjow. Ach, das ist noch nichts! Heirate mal erst! Die Worte, die du da in den ersten zwei Monaten zu hören bekommst, — na, du zergehst förmlich vor Wonne!

Podkoliessin (lächelnd). Wahrhaftig? ...

Kotschkarjow. Was für eine ehrliche Haut! Doch jetzt schnell zur Sache! Geh hin, erkläre dich sofort, eröffne ihr dein Herz und bitte Sie um ihre Hand.

Podkoliessin. Wie denn? Doch nicht etwa jetzt gleich? ... Was fällt dir ein!

Kotschkarjow. Natürlich gleich! Ah, da ist sie ja selbst!

13. Auftritt

Die Vorigen und Agathe Tichonowna.

Kotschkarjow. Mein Fräulein, ich bringe Ihnen hier einen Sterblichen, den Herrn, den Sie hier vor sich sehen. Es hat überhaupt noch keinen Menschen gegeben, der so verliebt war wie er. Gott behüte, das möcht’ ich ja meinem ärgsten Feinde nicht wünschen.

Podkoliessin (stößt ihn mit der Hand in die Seite, leise). Nein, hör mal, du treibst es aber zu toll!

Kotschkarjow (zu ihm). Das schadet nichts. (Leise zu ihr.) Seien Sie nur recht keck zu ihm; er ist noch etwas schüchtern. Sie müssen ziemlich herausfordernd sein. Klappern Sie nur tüchtig mit den Augen und dann werfen Sie ihm plötzlich einen Blick zu, daß er platt ist, der Bösewicht! Oder zeigen Sie ihm ein Stückchen von Ihrer Schulter, damit er mal hingucken kann, der Schuft, der! Übrigens hätten Sie auch ein Kleid mit kurzen Ärmeln anziehen können! Na, schließlich ist dies auch gut! (Laut.) Also, ich lasse Sie in der angenehmsten Gesellschaft zurück. Ich will nur noch einen Blick in das Speisezimmer und in die Küche werfen. Ich werde dort Bescheid sagen. Gleich muß der Diener kommen, der das Souper bringt ... vielleicht ist der Wein auch schon da. Na, auf Wiedersehen! ... (Zu Podkoliessin.) Mehr Mut, Mut! (Er geht.)

14. Auftritt

Podkoliessin und Agathe Tichonowna.

Agathe Tichonowna. Aber bitte schön, so nehmen Sie doch Platz!

(Beide setzen sich und schweigen.)

Podkoliessin. — Fahren Sie gerne spazieren?

Agathe Tichonowna. Wie meinen Sie das? ...

Podkoliessin. Im Sommer ist es doch schön, Kahn zu fahren.

Agathe Tichonowna. Ja, zuweilen mache ich einen Ausflug mit Bekannten.

Podkoliessin. Es läßt sich noch nicht voraussagen, was für einen Sommer wir in diesem Jahre haben werden.

Agathe Tichonowna. Aber hoffentlich wird er gut!

(Beide schweigen.)

Podkoliessin. Welches ist Ihre Lieblingsblume, gnädiges Fräulein?

Agathe Tichonowna. Am meisten liebe ich die Blumen, die stark duften. Zum Beispiel Nelken!

Podkoliessin. Den Damen stehen Blumen sehr gut.

Agathe Tichonowna. Ja, man muß sagen, sie machen recht viel Vergnügen!

(Beide schweigen.)

In welcher Kirche waren Sie am vorigen Sonntag?

Podkoliessin. In der Himmelfahrts-Kirche. Und eine Woche vorher, da war ich in der Kasanschen Kirche. Übrigens ist es doch ganz gleich, in welche Kirche man beten geht ... Nur ... die letztere ... die ist viel prächtiger.

(Beide schweigen.)

(Podkoliessin beginnt mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln.)

Bald findet in Katharinenhof ein Gartenfest statt.

Agathe Tichonowna. Ja, ich glaube, in einem Monat.

Podkoliessin. Oh, in kaum einem Monat!

Agathe Tichonowna. Es wird wohl sehr lustig werden.

Podkoliessin. Heute haben wir den Achten. (An den Fingern abzählend.) Den Neunten, den Zehnten, den Elften ... In zweiundzwanzig Tagen.

Agathe Tichonowna. Denken Sie nur, schon so bald!

Podkoliessin. Und den heutigen Tag habe ich dabei noch gar nicht mal mitgezählt.

(Pause.)

Was für mutige Leute doch unsere Russen sind!

Agathe Tichonowna. Wie? ...

Podkoliessin. Ich meine die Arbeiter! Stehen da ganz ruhig hoch oben auf dem Gerüst. Ich kam nämlich heute an einem Neubau vorüber. Sitzt so ein Stukkateur ganz gemütlich hoch oben und denkt sich gar nichts dabei. Er fürchtet sich nicht im mindesten.

Agathe Tichonowna. Ja! Und wo war denn das? ...

Podkoliessin. Auf dem Wege nach dem Departement, da, wo ich täglich vorüberkomme. Ich gehe doch jeden Morgen in den Dienst.

(Beide schweigen. Podkoliessin fängt wieder an, mit den Fingern auf den Tisch zu klopfen. Dann steht er auf, nimmt seinen Hut und macht eine Verbeugung.)

Agathe Tichonowna. Wie, Sie wollen schon gehen?

Podkoliessin. Ja, gewiß habe ich Sie gelangweilt. Entschuldigen Sie.

Agathe Tichonowna. Aber wie können Sie nur so etwas glauben? Im Gegenteil. Ich danke Ihnen von Herzen für die angenehme Unterhaltung.

Podkoliessin (lächelnd). Nein, wirklich, mir schien, daß ich Sie langweilte.

Agathe Tichonowna. Wahrhaftig nicht!

Podkoliessin. Oh, wenn ich mich geirrt haben sollte, so erlauben Sie mir doch, daß ich zu einer anderen Zeit ... vielleicht einmal abends ...

Agathe Tichonowna. Ich würde mich außerordentlich freuen ... (Sie verabschieden sich voneinander, und Podkoliessin geht.)

15. Auftritt

Agathe Tichonowna (allein).

Welch ein würdiger Mensch! Jetzt habe ich ihn erst recht kennen gelernt! Wahrhaftig, man muß ihn liebhaben! Und dabei so klug und bescheiden zugleich! Ja, sein Freund hatte vollständig recht. Schade nur, daß er so schnell wieder fortgegangen ist. Ich hätte ihm so gern noch ein wenig zugehört. Wie angenehm ist es, mit ihm zu plaudern. Und was vor allem so angenehm ist, er macht gar keine Redensarten. Ich hätte ihm auch noch einiges sagen mögen ... aber ich muß gestehen, mir fehlte der Mut dazu. Mein Herz klopfte so stark. ... Welch ein herrlicher Mensch! Ich will doch hingehen und es der Tante erzählen. (Sie geht hinaus.)

16. Auftritt

Podkoliessin und Kotschkarjow (treten herein).

Kotschkarjow. Warum nach Hause? Was für ein Unsinn ist das wieder? Warum nach Hause?

Podkoliessin. Ja, wozu soll ich denn hierbleiben? ... Ich habe doch alles gesagt, was nötig war.

Kotschkarjow. So? Hast du dich ihr ganz erklärt? ...

Podkoliessin. Ja, das wäre vielleicht noch das einzige; erklärt habe ich mich allerdings noch nicht!

Kotschkarjow. Eine schöne Geschichte! ... Warum denn nicht? ...

Podkoliessin. Ich bitte dich, ich kann doch nicht so plötzlich, so ohne alle einleitenden Worte mit der Tür ins Haus fallen: Mein Fräulein, wollen wir uns doch heiraten!

Kotschkarjow. Worüber habt ihr denn die ganze Zeit gesprochen? Mehr als eine halbe Stunde lang?

Podkoliessin. Nun. Über alles mögliche! Und ich muß sagen, ich bin sehr befriedigt. Ich habe die Zeit sehr angenehm verbracht.

Kotschkarjow. Nein, höre mal, sage doch selbst, mein Bester, wie sollen wir denn noch heute mit der ganzen Geschichte fertig werden? In einer Stunde spätestens müssen wir in die Kirche fahren ... zur Trauung ...

Podkoliessin. Du bist wohl verrückt? ... Heut sollen wir schon Hochzeit machen?

Kotschkarjow. Weshalb denn nicht? ...

Podkoliessin. Noch heute zur Trauung fahren! ... Welch ein Wahnsinn!

Kotschkarjow. Aber du hast mir doch selbst dein Wort gegeben und hast gesagt, sobald die Freier heraus sind, bist du bereit, dich zu verheiraten!

Podkoliessin. Nun ja, ich nehme auch jetzt mein Wort nicht zurück. Aber doch nicht gleich. Laß mir doch wenigstens einen Monat Zeit dazu.

Kotschkarjow. Was? ... Einen Monat!

Podkoliessin. Nun ja, freilich!

Kotschkarjow. Du hast wohl den Verstand verloren, was?

Podkoliessin. Ja, einen Monat brauche ich mindestens.

Kotschkarjow. Aber ich habe doch schon das Souper beim Traiteur bestellt. Du Klotz du! ... Nein, hör mal, Iwan Kusmitsch, sei jetzt nicht eigensinnig, Bruder. Laßt euch doch gleich trauen!

Podkoliessin. Ich bitte dich, Freund, was redest du da? ... Wie ist denn das gleich möglich?

Kotschkarjow. Iwan Kusmitsch, sieh mal, ich bitte dich recht herzlich ... wenn nicht für dich selbst, so tue es doch meinetwegen! Mir zuliebe!

Podkoliessin. Nein, tatsächlich — es geht nicht!

Kotschkarjow. Doch, doch, es geht schon, Liebster! Es geht alles, Liebling; laß die Launen.

Podkoliessin. Nein, wirklich nicht. Es geht nicht. Es ist wirklich nicht möglich.

Kotschkarjow. Warum nicht möglich? ... Wer hat dir das bloß eingeredet? Überlege doch selbst. Du bist doch ein gescheiter Kerl! Ich spreche nicht so, um dir zu schmeicheln oder weil du Expeditor bist, nein, einfach, weil ich dich liebe! — Genug, Herzchen, entschließe dich. Sieh doch die Sache mit vernünftigen Augen an!

Podkoliessin. Ja, wenn ich nur eine Möglichkeit sehen würde — ich wäre gerne bereit ...

Kotschkarjow. Iwan Kusmitsch, alter Kerl, lieber Freund ... willst du, daß ich vor dir auf die Knie falle? ...

Podkoliessin. Ja, wozu nur das alles?

Kotschkarjow (fällt auf die Knie). Nun gut, hier knie ich. Jetzt siehst du es, wie sehr ich dich bitte. Ich will dir’s mein Leben lang nicht vergessen. Herzchen, sei nicht eigensinnig!

Podkoliessin. Nein, Freund, es geht nicht! Wirklich nicht!

Kotschkarjow (steht auf, wütend). Schweinehund!

Podkoliessin. Gut, schimpf nur!

Kotschkarjow. Rindvieh! ... Einen größeren Esel, wie dich, hat es tatsächlich noch nie gegeben!

Podkoliessin. Schimpfe doch meinetwegen. Schimpfe nur!

Kotschkarjow. Für wen habe ich mich nun geplagt und abgerackert? Doch nur für dich; in deinem Interesse, du Schaf! Was geht mich die ganze Geschichte im Grunde an? ... Gut, ich gehe sofort meiner Wege und laß dich laufen. Was hab’ ich denn davon?

Podkoliessin. Ja ... hab’ ich dich denn um deine Bemühungen gebeten? Geh doch nur, bitte!

Kotschkarjow. Und ich sage dir, daß du zugrunde gehen wirst. Ohne mich wirst du zu nichts kommen. Wenn dich nicht ein anderer verheiratet, bleibst du dein Leben lang ein ... Dummkopf.

Podkoliessin. Und was kümmert’s dich? ...

Kotschkarjow. Ich bin doch nur um dich besorgt, du Dummkopf.

Podkoliessin. Und ich verzichte auf deine Besorgnis.

Kotschkarjow. Nun, so geh zum Teufel!

Podkoliessin. Gut. Ich gehe.

Kotschkarjow. Da gehörst du auch hin.

Podkoliessin. Nun schön, ich gehe schon.

Kotschkarjow. Geh nur, geh! Wenn du dir nur gleich ein Bein brächst! Wahrhaftig, es ist mein innigster Wunsch, daß dir irgendein besoffener Droschkenkutscher mit der Deichsel in die Gurgel fährt. Du Lappen du! Und das will ein Beamter sein, ... Das schwöre ich dir, von nun an ist alles zwischen uns aus. Komm mir nicht mehr unter die Augen!

Podkoliessin. Nun gut, du sollst mich nicht mehr sehen! (Geht.)

Kotschkarjow. Geh doch zu deinem alten Freunde, dem Teufel. (Öffnet die Tür und ruft ihm nach.) Esel!

17. Auftritt

Kotschkarjow (allein, geht aufgeregt im Zimmer auf und ab). Hat die Welt jemals einen solchen Menschen gesehen? .. Solch ein Esel! Übrigens, wahrhaftig, ich bin auch gut! .. Nein, sagt nur, ich möchte euch alle zu Zeugen anrufen: Bin ich nicht genau solch ein alter Esel? Bin ich nicht ganz dumm? ..... Was rege ich mich auf und schreie mir die Kehle wund? .. Sagt, was ist er mir? Er ist doch nicht mein Verwandter. Und ich bin weder seine Amme, noch seine Tante, noch seine Schwiegermutter, oder gar seine Patin! Was zum Teufel rackere ich mich seinetwegen ab? Gönne mir keinen Augenblick Ruhe ... mag er doch zum Satan gehen! Weiß der Teufel, wozu das alles! Wozu nur der Mensch mitunter etwas tut? ..... Solch ein Halunke! Diese niederträchtige, widerwärtige Visage! Nehmen möchte ich dich, du dummes Rindvieh; Nase, Ohren, Mund und Zähne ... einschlagen möcht’ ich dir ... (Macht mit der Hand wütend die entsprechenden Bewegungen.) Und was das Empörendste dabei ist: er geht einfach nach Hause ... er macht sich weiter keine Kopfschmerzen ... er schüttelt’s sich ab, wie ein nasser Hund ... Nicht zum Ertragen ist dieser Gedanke! Jetzt geht er heim, legt sich aufs Sofa und raucht sich eine Pfeife an. Dieser gemeine Patron! Wahrhaftig, es gibt ekelhafte Fratzen auf der Welt; aber so eine läßt man sich denn doch nicht träumen ... Bei Gott, eine widerwärtigere Visage läßt sich gar nicht ausdenken. Tatsächlich nicht! Aber nein, jetzt gerade nicht! Ich hol’ ihn zurück, den nichtsnutzigen Kerl. Er soll mir nicht entwischen, ich bring’ ihn wieder zurück, den Lump! (Er läuft fort.)

18. Auftritt

Agathe Tichonowna (tritt ein). Wie mir das Herz klopft ... ich kann es gar nicht sagen. Wohin ich schaue, wohin ich mich wende ... überall sehe ich Iwan Kusmitsch vor mir sitzen. Es muß wohl wahr sein, daß niemand seinem Schicksal entgehen kann. Vorhin versuchte ich an ganz etwas anderes zu denken! Aber, was ich mir auch vornehme ... ich probierte Garn abzuwickeln, fing an, den Pompadour zu sticken, aber ach, immerzu, in einem fort drängt sich mir das Bild Iwan Kusmitschs auf. (Pause.) Ach, also wirklich, nun soll die große Veränderung in meinem Leben kommen ... Erst wird man mich in die Kirche führen ... dann mich mit ihm allein lassen; ... mit dem Manne ... oh, mir wird schon jetzt ganz schaurig! — ja, leb wohl, meine schöne Mädchenzeit! (Sie weint.) Wie viele Jahre hab’ ich so ruhig dahingelebt; — lebte und lebte vor mich hin! Und nun mit einem Male soll ich heiraten, die Frau eines Mannes werden. Und all die Sorgen, die einen da erwarten. Die Kinder ... ach ... und die Knaben, dieses wilde Volk ... Und dann kommen auch die Mädchen, die werden schnell groß und wollen dann ebenfalls versorgt sein. Noch gut, wenn sie brave Männer bekommen; aber vielleicht kriegen sie einen Säufer ... oder einen solchen Kerl, der alles auf eine Karte zu setzen bereit ist ... (Sie fängt wieder an zu weinen.) Eigentlich habe ich doch meine Mädchenzeit gar nicht so recht genossen ... Nur siebenundzwanzig Jahre hat sie gedauert ... (Mit veränderter Stimme.) Aber warum zögert nur Iwan Kusmitsch so lange?

Agathe Tichonowna und Podkoliessin, den Kotschkarjows Hände in die Tür hineinschieben.

Podkoliessin (stockend). Ich komme, mein Fräulein, um Ihnen eine Erklärung abzugeben ... aber ... ich wüßte nämlich gerne zuvor, ob Ihnen diese Erklärung nicht zu seltsam vorkommen wird.

Agathe Tichonowna (die Augen senkend). Um was handelt es sich denn?

Podkoliessin. Nein, Fräulein, sagen Sie mir erst, daß Sie sich nicht darüber wundern werden.

Agathe Tichonowna (wie vorher). Ich weiß doch gar nicht, was es ist.

Podkoliessin. Gestehen Sie nur, es wird Ihnen sicherlich sehr merkwürdig vorkommen, was ich Ihnen zu sagen habe.

Agathe Tichonowna. Aber ich bitte Sie, warum denn merkwürdig? ... Alles was Sie mir sagen, ist mir angenehm.

Podkoliessin. Aber so etwas haben Sie gewiß noch niemals gehört ... (Agathe Tichonowna läßt die Augen noch tiefer sinken; inzwischen ist Kotschkarjow leise hereingetreten. Er stellt sich hinter Podkoliessin.) Es handelt sich nämlich ... um das folgende ... Aber nein, sprechen wir lieber ein andermal davon.

Agathe Tichonowna. Aber was ist es denn nur?

Podkoliessin. Es ist ... nämlich ... ich möchte Ihnen nämlich erklären, aber ich habe noch immer Zweifel ...

Kotschkarjow (beiseite, die Hände zusammenschlagend). Herrgott, ist das ein Mensch! Das reinste alte Weib, und kein Mensch! Ein Hohn, eine Parodie auf die Menschheit! ...

Agathe Tichonowna. Aber warum zweifeln Sie denn noch?

Podkoliessin. Ach, ich weiß nicht, mir kommen immer wieder Bedenken.

Kotschkarjow (laut). Herrgott, wie dumm ist das alles! Wie dumm! Fräulein, Sie sehen doch, er hält eben um Ihre Hand an. Er will Ihnen erklären, daß er ohne Sie nicht länger leben, nicht existieren kann. Er möchte Sie nur fragen, ob Sie bereit wären, ihn glücklich zu machen.

Podkoliessin (beinahe erschrocken, gibt ihm einen Rippenstoß und spricht lebhaft). Ich bitte dich, was sagst du da? ...

Kotschkarjow. Also, entschließen Sie sich, mein Fräulein. Wollen Sie diesen Sterblichen glücklich machen?

Agathe Tichonowna. Ach, wie könnte ich glauben, daß es in meiner Macht liegen sollte, das Glück eines Mannes ... das Glück eines Mannes ... Nun gut, ich bin einverstanden ...

Kotschkarjow. Natürlich! Selbstverständlich! Warum denn nicht gleich so? So reicht euch doch die Hände, Kinder!

Podkoliessin. Gleich! (Er will Kotschkarjow etwas ins Ohr flüstern. Dieser zeigt ihm die Faust, runzelt die Stirn, und Podkoliessin reicht Agathe Tichonowna die Hand.)

Kotschkarjow (legt ihre Hände ineinander). So, Gott segne euch! Auch ich gebe euch meinen Segen zu eurem Bunde. Die Ehe, wißt ihr, ist immer so ’ne Sache. Ja, das ist nicht, als ob man sich ’ne Droschke nimmt, sich reinsetzt und irgendwohin losfährt. Das ist eine ganz andere Sache; ja, das ist eine Pflicht! Leider habe ich jetzt keine Zeit mehr; darum will ich euch nachher sagen, was das für eine Pflicht ist. So, Iwan Kusmitsch, und jetzt küsse deine Braut! Nunmehr darfst du es tun; ja, mein Freund, nun mußt du es sogar tun! ... (Agathe Tichonowna senkt die Augen.) Nicht doch, nicht doch, mein Fräulein. Das muß so sein. Sie müssen sich küssen lassen.

Podkoliessin. Nein, Fräulein, gestatten Sie ... Jetzt müssen Sie schon gestatten. (Er küßt sie und nimmt sie bei der Hand.) Welch ein herrliches Händchen! Woher haben Sie nur ein so herrliches Händchen, mein Fräulein? ... Und noch eins ... Lassen Sie unsere Hochzeit sofort stattfinden! Sofort!

Agathe Tichonowna. Wie, gleich? ... Aber das ist am Ende doch zu schnell!

Podkoliessin. Nein, nein, davon will ich nichts hören! Die Trauung soll gleich stattfinden. So schnell als möglich!

Kotschkarjow. Vorzüglich! Bravo! ... Sehr gut! Du bist ja ein Prachtkerl! Ich muß sagen, ich habe immer nur das Beste von dir erwartet. Und Sie, Fräulein, beeilen Sie sich jetzt. Ziehen Sie sich recht schnell um. Jetzt darf ich’s ja verraten. Ich habe schon vorhin einen Wagen besorgt und auch ein paar Gäste für heute abend geladen. Sie sind wahrscheinlich schon auf dem Wege nach der Kirche. Ihr Hochzeitskleid liegt doch schon bereit, nicht wahr?

Agathe Tichonowna. O gewiß, schon lange. Ich kleide mich schnell um und bin sofort fertig.

19. Auftritt

Kotschkarjow und Podkoliessin.

Podkoliessin. Nun, lieber Freund, ich bin dir wirklich dankbar. Jetzt begreife ich erst, was du mir für einen Dienst erwiesen hast. Mein eigener Vater konnte nicht das für mich tun, was du mir getan hast. Ja, jetzt sehe ich es, du hast dich nur von deiner Freundschaft leiten lassen. Ich danke dir, Bruder! Ja, das werde ich dir nie vergessen. (Gerührt.) Nächstes Frühjahr werde ich dem Grabe deines Vaters einen Besuch abstatten.

Kotschkarjow. Ach, nicht doch, lieber Freund! Ich freue mich ja selber. Komm, laß dich küssen. (Küßt ihn erst auf eine und dann auf die andre Backe.) Gebe Gott, daß du glücklich wirst. (Sie küssen sich.) Hoffentlich schickt er dir nun auch Reichtum und Überfluß und einen ganzen Haufen Kinder.

Podkoliessin. Dank dir, Bruder! Wahrhaftig; jetzt erst fange ich an, zu begreifen, was es heißt, leben! Eine völlig neue Welt tut sich plötzlich vor mir auf ... Nun erkenne ich, daß sich das alles bewegt, sich regt, fühlt, empfindet, sich gewissermaßen verflüchtigt, weißt du, man weiß sozusagen selbst nicht recht, wie und was eigentlich vorgeht. Früher aber habe ich nichts davon gesehen, nichts von alle dem begriffen. Das heißt, ich war einfach ein unwissender, ahnungsloser Mensch, der über nichts weiter nachdachte, in nichts tiefer hineinblickte, und so dahinlebte ... wie jeder andre Mensch.

Kotschkarjow. Das freut mich, freut mich von Herzen. Doch, ich muß jetzt gehen und mal nachschauen, ob der Tisch auch gut gedeckt ist. Ich bin gleich wieder da. (Beiseite.) Aber seinen Hut will ich doch lieber verstecken, für alle Fälle. (Er nimmt den Hut und trägt ihn mit sich fort.)

20. Auftritt

Podkoliessin (allein).

Podkoliessin. Es ist wahr! Was war ich denn bis auf den heutigen Tag? ... Hatte ich auch nur einen Begriff vom Leben? ... Ach, gar keine Ahnung hatt’ ich! Was war denn schließlich dies mein Junggesellen-Dasein? ... Was galt ich? ... Was tat ich? Ich lebte ... vegetierte so hin ... versah meinen Dienst ... ging ins Departement ... aß und schlief ... mit einem Wort, ich war der hohlste, gewöhnlichste Mensch von der Welt. Jetzt erst sehe ich ein, wie dumm doch die Menschen sind, die nicht heiraten. Und wenn man so zusieht, wie viele so blind dahintrotten. Wenn ich ein König wäre, wahrhaftig, ich erließe ein Gesetz ... alle Menschen in meinem Reiche müßten sich verheiraten. Unter meiner Herrschaft sollte es auch nicht einen Hagestolzen geben! Ja, wenn ich so daran denke, noch ein paar Augenblicke, und ich werde verheiratet sein. Wie lange noch, ... und ich werde alle Wonnen auskosten, wie sie eigentlich doch nur im Märchen vorkommen. Eine Seligkeit, die sich nicht ausdrücken läßt, und für die sich keine Worte finden lassen. (Pause.) Übrigens mag man sagen, was man will, aber es wird einem beinahe unheimlich zumute, wenn man sich das alles so genau vorstellt! ... Sich für immer ... für das ganze Leben, sei dem, wie ihm wolle ... sich für das ganze Leben zu binden. Denn: dann gibt’s keine Reue mehr ... keine Ausrede ... nichts, nichts mehr ... dann ist’s vorbei ... dann ist alles zu Ende! Ja, eigentlich könnte ich ja schon jetzt nicht mehr zurück. Noch ein paar Augenblicke, ... und man steckt im Joch! Nicht mal durchgehen könnte man mehr ... dort unten steht schon der Wagen, ... und ... alles ist schon vorbereitet! ...

Wie? Sollte es denn wahrhaftig kein Zurück mehr geben? Natürlich, jetzt geht’s nicht mehr! Dort in der Tür und überall stehen Menschen. Wie? ... sie würden fragen: ... He, was ist los? ... Nein, nein, es geht nicht mehr! Doch halt, da ist ja ein offenes Fenster! Wie, wenn ... wenn, wenn ich da hinausspränge? ... Nein, unmöglich ... Das würde sich nicht schicken ... Und dann ... ist es ja wohl auch zu hoch ... (Er geht ans Fenster.) Na, gar so hoch ist’s eigentlich nicht! Es sind ja nur die Grundmauern, und die sind ja gar nicht so hoch. Aber nein, ich habe ja nicht einmal meinen Hut bei mir! ... So, ohne Hut ... das würde sich wirklich nicht passen! Hm, wie ... Sollte es wirklich nicht ohne Hut gehen? ... Hm, wie, wenn man es vielleicht doch versuchte! ... Soll ich es wagen? ... Wie? ... (Er steigt auf die Fensterbank und springt hinunter mit den Worten:) Gott steh mir bei! (Man hört ihn draußen ächzen und stöhnen.) Mein Gott, das ist aber verdammt hoch! ... He, Kutscher! ...

Stimme eines Droschken-Kutschers. Soll ich vorfahren?

Podkoliessins Stimme. Nach dem Kanal, an der Semjonowschen Brücke.

Die Stimme des Kutschers. Einen Groschen, gnädiger Herr, das ist nicht zu viel.

Podkoliessins Stimme. Na, schön ... Nur los!

(Man hört die Droschke fortrollen.)

21. Auftritt

Agathe Tichonowna (im Brautkleide, tritt mit verschämt gesenktem Blick herein). Ich weiß selbst nicht, was in mir vorgeht. Ich schäme mich schon wieder und zittre am ganzen Körper; ach, wenn er doch nur einen Augenblick, nur gerade jetzt nicht im Zimmer wäre! Möcht’ er doch nur fortgegangen sein! (Sich ängstlich umblickend.) Ja, wo ist er denn nur? Niemand hier? Wo ist er denn nur hinausgegangen? (Sie öffnet die Tür ins Vorzimmer und ruft) Thekla, wo ist Iwan Kusmitsch hingegangen? ...

Theklas Stimme. Er ist doch drinnen!

Agathe Tichonowna. Wo drinnen?

Thekla (eintretend). Na, er saß doch noch eben hier im Zimmer.

Agathe Tichonowna. Aber er ist doch nicht da, das siehst du doch selbst.

Thekla. Aus dem Zimmer ist er aber auch nicht herausgekommen! Ich hab’ doch die ganze Zeit im Flur gesessen.

Agathe Tichonowna. Ja, wo kann er bloß sein?

Thekla. Wahrhaftigen Gott, ich weiß nicht wo. Er ist doch nicht etwa durch die andere Tür, die Hintertreppe hinuntergelaufen? ... Oder nein ... gewiß sitzt er in Arina Panteleimonownas Zimmer.

Agathe Tichonowna. Tantchen! Tantchen!

22. Auftritt

Die Vorigen. Arina Panteleimonowna.

Arina Panteleimonowna (festlich gekleidet). Was ist los?

Agathe Tichonowna. Ist Iwan Kusmitsch bei Ihnen?

Arina Panteleimonowna. Nein, er muß doch hier sein. Er war gar nicht bei mir.

Thekla. Und im Vorzimmer war er auch nicht. Die ganze Zeit über saß ich draußen ...

Agathe Tichonowna. Nun und hier ist er auch nicht, das seht ihr selbst.

23. Auftritt

Die Vorigen und Kotschkarjow.

Kotschkarjow. Nun? Was ist passiert? ...

Agathe Tichonowna. Iwan Kusmitsch ist fort.

Kotschkarjow. Wie? Fort? Ist er denn fortgegangen?

Agathe Tichonowna. Nein, er ist nicht da, und fortgegangen ist er auch nicht.

Kotschkarjow. Wie ist das möglich? Fort? Und doch nicht weggegangen?

Thekla. Wo kann er nur hin sein? Das will mir nicht in den Kopf! Die ganze Zeit über saß ich im Vorzimmer. Nicht vom Fleck habe ich mich gerührt.

Arina Panteleimonowna. Aber über die Hintertreppe kann er auch nicht gegangen sein.

Kotschkarjow. Was bedeutet das zum Teufel? ... Er kann doch nicht einfach verschwunden sein ... wenn er das Zimmer nicht verlassen hat. Vielleicht versteckt er sich irgendwo. Iwan Kusmitsch, wo bist du? Mach doch keine faulen Witze! Komm schnell her! Was sollen denn die dummen Späße? Es ist höchste Zeit, zur Kirche zu fahren. (Er guckt in den Schrank und wirft sogar flüchtige Blicke unter die Stühle.) Unbegreiflich! Doch nein, fort kann er ja nicht sein! Das ist vollständig ausgeschlossen! Er ist hier! Dort im Zimmer liegt ja sein Hut. Ich hatte ihn ja absichtlich dorthin gelegt.

Arina Panteleimonowna. Ich will doch mal das Mädchen fragen. Sie hat die ganze Zeit über auf der Straße gestanden. Dunjaschka! ... Dunjaschka! ...

24. Auftritt

Die Vorigen und Dunjaschka.

Arina Panteleimonowna. Wo ist Iwan Kusmitsch? Hast du ihn nicht gesehen?

Dunjaschka. Gewiß! Der Herr sind ja aus dem Fenster gesprungen.

Agathe Tichonowna (schreit auf und schlägt die Hände zusammen).

Alle. Aus dem Fenster? ...

Dunjaschka. Jawohl, aus dem Fenster! Dann haben sie sich eine Droschke genommen und sind losgefahren.

Arina Panteleimonowna. Ist es denn auch wahr, was du da schwatzt?

Kotschkarjow. Du lügst! Das kann nicht sein!

Dunjaschka. Gott helfe mir, sie sind rausgesprungen! Auch der Kaufmann nebenan im Kramladen hat’s gesehen. Eine Droschke für einen Groschen haben sie genommen und sind fortgefahren.

Arina Panteleimonowna (auf Kotschkarjow zugehend). Wie, mein Herr, wollen Sie uns verhöhnen? Wollen Sie Ihren Spott mit uns treiben? ... Uns an den Pranger stellen? ... Bald sechzig bin ich jetzt, aber solche Schande hab’ ich noch nicht erlebt. Wahrhaftig Herr, ich spucke Ihnen ins Gesicht, wenn Sie ein ehrlicher Mensch sind! Ein Schuft sind Sie, wenn Sie ein ehrlicher Mensch sind! Ein armes Mädchen so vor der ganzen Welt zu beschimpfen. Ich bin ja nur eine einfache Frau, aber so was hätte ich niemals fertig gebracht! Und das will noch ein Adliger sein! Aber man sieht, euer Adel reicht auch nur für allerhand Gaunereien und Schweinereien. (Sie geht wütend ab, die Braut hinter sich herziehend.)

Kotschkarjow (steht wie niedergeschmettert da).

Thekla. He, so, so sieht also der Herr aus, der seine Sache so gut versteht? He, wollte eine Heirat zustande bringen ... ohne die Heiratsvermittlerin! Mögen meine Freier sein, wie sie wollen, gerupft und gezupft und weiß Gott wie, aber solche, die zum Fenster hinausspringen, solche findst du bei mir nicht! Haltet zu Gnaden, mein gnädiger Herr.

Kotschkarjow. Aber das ist ja alles Unsinn! Das stimmt ja alles nicht! Ich laufe hin zu ihm und hol’ ihn zurück! (Ab.)

Thekla. Ja, hol ihn nur wieder! ... Du kennst wohl das Heiratsgeschäft nicht ... Wäre er noch zur Türe hinausgelaufen, dann ging’s allenfalls noch an; ... aber wenn der Bräutigam durchs Fenster hoppst ... da ... gesegnete Mahlzeit! ... Alle Achtung, gnädiger Herr! ...

Dramatische Fragmente
und
Einzelne Szenen
(1832-1837)

Die Spieler

Deutsch von
Gregorius Itelson

Den Bühnen gegenüber als Manuskript gedruckt
Alle Rechte vorbehalten

„Geschichten aus alten Zeiten ...“

1. Auftritt

(Ein Zimmer in einem städtischen Gasthaus.)

Icharew kommt in Begleitung des Hoteldieners Alexej und seines eigenen Dieners Gawrjuschka.

Alexej. Bitte, bitte sehr, hier haben Sie ein Zimmerchen, das allerruhigste; gar kein Lärm.

Icharew. Lärm gibt’s wohl keinen, aber Kavallerie, Springer wohl genug, was?

Alexej. Das heißt, Sie meinen wohl von wegen der Flöhe? Seien Sie nur ruhig. Wenn ein Floh oder eine Wanze Sie beißen sollte, so haben wir’s zu verantworten, das ist unsere Sache.

Icharew (zu Gawrjuschka). Geh, bringe die Sachen aus dem Wagen her! (Gawrjuschka ab; zu Alexej) Wie heißt du?

Alexej. Alexéj.

Icharew. Nun höre, (mit Bedeutung) erzähl mal, wer wohnt bei euch?

Alexej. Hier wohnen jetzt viele, fast alle Zimmer sind besetzt.

Icharew. Wer denn alles?

Alexej. Schwóchnew — Peter Petrowitsch, Krugel — Oberst, Stepán Iwánowitsch Uteschítelny.

Icharew. Spielen die?

Alexej. Schon die sechste Nacht hintereinander spielen sie.

Icharew. Da hast du ein paar Rubelstücke. (Steckt ihm in die Hand.)

Alexej (sich verbeugend). Danke gehorsamst!

Icharew. Nachher gibt’s noch mehr.

Alexej. Gehorsamsten Dank!

Icharew. Spielen die untereinander?

Alexej. Nein, neulich haben sie den Leutnant Artunówsky bearbeitet; und dem Fürsten Schenkin haben sie sechsunddreißig Tausend abgewonnen.

Icharew. Hier hast du noch einen roten Lappen. Wenn du mir ehrlich dienst, kriegst du noch. Gestehe doch, die Karten hast du gekauft?

Alexej. Nein, die haben sie selbst gekauft.

Icharew. Bei wem?

Alexej. Bei dem hiesigen Kaufmann Wachraméjkin.

Icharew. Du lügst, Schwindler!

Alexej. Bei Gott!

Icharew. Gut, wir werden später mit dir verhandeln. (Gawrjuschka bringt eine Schatulle.) Stelle sie hierher. Jetzt geht und bringt mir etwas zum Waschen und zum Rasieren. (Die Diener ab.)

2. Auftritt.

Icharew allein.

Öffnet die Schatulle, die ganz mit Kartenspielen gefüllt ist.

Icharew. Ist das ein Anblick, was? Jedes Dutzend von Gold! Mit Schweiß, mit Mühe ist jedes hergestellt. Eine Kleinigkeit, bis jetzt flimmert’s mir noch vor den Augen von diesen verdammten Sprenkeln. Aber dafür ist’s ein wahres Kapital! Man kann’s den Kindern als Erbteil hinterlassen. Da ist es, das schicksalschwere Päckchen. Einfach eine Perle! Dafür hat es auch einen Namen, jawohl: Adelaida Iwanowna. Diene mir nur, mein Liebchen, so wie dein Schwesterchen mir gedient hat; gewinne mir ebenfalls achtzig Tausend, so werde ich dir ein Marmordenkmal setzen, wenn ich auf das Gut komme; in Moskau werde ich es bestellen. (Hört ein Geräusch und schließt schnell die Schatulle zu.)

3. Auftritt

Alexej und Gawrjuschka bringen eine Waschschüssel, einen Wasserkrug und ein Handtuch.

Icharew. Sind die Herren jetzt zu Hause?

Alexej. Ja wohl, sie sind jetzt im Salon.

Icharew. Ich werde mal hingehen und nachsehen, was für Leute das sind. (Ab.)

4. Auftritt

Alexej und Gawrjuschka.

Alexej. Kommt ihr von weitem her?

Gawrjuschka. Aus Rjasán.

Alexej. Seid ihr selbst auch aus jenem Gouvernement?

Gawrjuschka. Nein, wir selber sind aus dem Smolénskischen.

Alexej. So, so! Also, das heißt, das Gut ist im Smolenskischen?

Gawrjuschka. Nein, nicht im Smolenskischen. Im Smolenskischen haben wir hundert Seelen und im Kalúgischen achtzig.

Alexej. Ich verstehe schon, also in zwei Gouvernements.

Gawrjuschka. Jawohl, in zwei Gouvernements. Da ist bei uns an Dienerschaft: Ignát der Buffetier, Pawlúscha, der früher mit dem Herrn reiste, Gerássim, der Lakai, Iwán, ebenfalls Lakai, Iwán, der Hundeknecht, noch einmal Iwán, der Musikant, dann der Koch Grigórij, der Koch Semjón, Baruch, der Gärtner, Deméntij, der Kutscher — so ist es bei uns!

5. Auftritt

Dieselben; Krugel, Schwochnew, vorsichtig eintretend.

Krugel. Wahrhaftig, ich fürchte, daß er uns hier antreffe.

Schwochnew. Tut nichts, Stepan Iwanowitsch wird ihn aufhalten. (Zu Alexej.) Geh, Lieber, man ruft dich. (Alexej ab. Schwochnew vorsichtig an Gawrjuschka herantretend.) Woher ist dein Herr?

Gawrjuschka. Jetzt kommt er aus Rjasán.

Schwochnew. Gutsbesitzer?

Gawrjuschka. Gutsbesitzer.

Schwochnew. Spielt?

Gawrjuschka. Spielt.

Schwochnew. Hier hast du einen Roten (gibt ihm das Papiergeld), erzähl mir alles.

Gawrjuschka. Werden Sie aber dem Herrn auch nichts sagen?

Beide. I wo, hab keine Angst.

Schwochnew. Wie, ist er jetzt bei Gewinn, was?

Gawrjuschka. Kennen Sie den Oberst Tschebotaróff?

Schwochnew. Nein! Warum?

Gawrjuschka. Vor drei Wochen haben wir ihm achtzig Tausend in Geld abgewonnen, einen Warschauer Wagen, eine Schatulle, einen Teppich und mehrere Paar goldene Epaulettes, an reinem Gold sechshundert Rubel.

Schwochnew (sieht Krugel bedeutungsvoll an). He! Achtzigtausend? (Krugel schüttelt den Kopf.) Glaubst du, es ist eine reine Sache? Das wollen wir gleich erfahren. Hör mal, Gawrjuschka, wenn dein Herr allein zu Hause bleibt, was macht er dann?

Gawrjuschka. Was heißt das: was macht er? Was soll er denn machen? Er ist ein Herr, er hält sich gut, er tut gar nichts.

Schwochnew. Du lügst; er läßt wohl die Karten nicht aus der Hand?

Gawrjuschka. Das kann ich nicht wissen. Ich reise erst zwei Wochen mit dem Herrn; früher reiste immer Pawluscha mit ihm. Wir haben auch Gerassim, den Lakai, noch mal Iwan, den Lakai, Iwan, den Hundeknecht, Iwan, den Musikanten, Dementij, den Kutscher, und neulich haben wir uns aus dem Dorfe noch einen geholt.

Schwochnew (zu Krugel). Was glaubst du? Ein Falschspieler?

Krugel. Sehr möglich.

Schwochnew. Na, probieren müssen wir’s doch.

(Beide schnell ab.)

6. Auftritt

Gawrjuschka (allein). Geschickte Herren, aber fürs Papiergeld besten Dank. Dafür kriegt Matrjóna eine Haube und die Bengels Pfefferkuchen. Ach, wie liebe ich das Leben auf Reisen! Da fällt ja immer etwas ab. Der Herr schickt mal, was einzukaufen, da kann man schon ein Zehnkopekenstück vom Rubel in die Tasche legen. Wenn man bedenkt, was für ein schönes Leben die Herren haben: wohin du willst, da reist du hin. Hast du’s in Smolénsk satt, gehst du nach Rjasán, willst du nicht nach Rjasán, so nach Kasán, willst du nicht nach Kasán, dann direkt nach Jarosláw. Aber das eine weiß ich bis jetzt nicht, welche von diesen Städten ist ziviler: Rjasán oder Kasán? Kasán wird wohl ziviler sein, denn in Kasán ...

7. Auftritt

Icharew, Gawrjuschka, nachher Alexej.

Icharew. Sie haben nichts Besonderes an sich, wie mir scheint. Übrigens ... Ach, wie möchte ich sie gern rupfen! Lieber Gott, wie möcht’ ich’s so gern! Wenn ich daran denke, wahrhaftig, so kriege ich Herzklopfen! (Nimmt eine Bürste und Seife, setzt sich vor den Spiegel und fängt an, sich zu rasieren.) Die Hand zittert mir, ich kann mich nicht rasieren. (Alexej tritt ein.)

Alexej. Befehlen Sie — etwas zu essen?

Icharew. Gewiß, gewiß, bring etwas Imbiß für vier Personen: Kaviar, Lachs und vier Flaschen Wein, und gib ihm auch zu essen. (Zeigt auf Gawrjuschka.)

Alexej (zu Gawrjuschka). Bitte nach der Küche, da steht für Sie was bereit. (Gawrjuschka ab.)

Icharew (sich rasierend). Hör mal, haben sie dir viel gegeben?

Alexej. Wer denn?

Icharew. Nun, mach keine Faxen, sprich!

Alexej. Jawohl, sie haben mir was für Bedienung geschenkt.

Icharew. Wieviel? Fünfzig Rubel?

Alexej. Jawohl, fünfzig haben sie mir gegeben.

Icharew. Von mir kriegst du nicht fünfzig, sondern — siehst du, dort auf dem Tisch, da liegt ein Hundertrubelschein, nimm ihn dir. Hab keine Angst, er beißt nicht. Von dir wird nichts mehr verlangt, als Ehrlichkeit, verstehst du? Die Karten mögen beim Wachramejkin oder bei einem anderen Kaufmann gekauft werden, das geht mich nichts weiter an. Aber hier hast du als Zugabe noch ein Dutzend Kartenspiele von mir. (Gibt ihm ein versiegeltes Paket.) Hast du verstanden?

Alexej. Was ist denn da nicht zu verstehen? Sie können sich darauf verlassen, das ist schon meine Sache.

Icharew. Und die Karten verstecke ordentlich, daß man sie nicht gewahr wird. (Legt Bürste und Seife weg und trocknet sich das Gesicht mit dem Handtuch ab. Alexej ab.) Das wäre sehr, sehr schön. Ach, ich gestehe, ich möchte sie recht gern hineinlegen.

8. Auftritt

Schwochnew, Krugel und Stepan Iwanowitsch Uteschitelny treten mit Verbeugungen ein.

Icharew (mit einer Verbeugung ihnen entgegenkommend). Bitte um Entschuldigung: das Zimmer ist, wie Sie sehen, nicht besonders schön: im ganzen vier Stühle.

Uteschitelny. Die Freundlichkeiten des Hausherrn sind wertvoller, als alle Bequemlichkeiten.

Schwochnew. Man lebt ja nicht mit dem Zimmer, sondern mit guten Menschen.

Uteschitelny. Die reine Wahrheit. Ich könnte gar nicht ohne Gesellschaft auskommen. (Zu Krugel.) Erinnerst du dich, mein Bester, wie ich hierherkam, mutterseelenallein? Denken Sie sich, nicht einen einzigen Bekannten hatte ich hier. Die Wirtin — eine alte Greisin. Auf der Treppe irgendeine furchtbar häßliche Scheuerfrau. Da sehe ich: um sie herum scharwenzelt ein Infanterist, scheint ganz ausgehungert ... Mit einem Wort — eine tödliche Langeweile! Da plötzlich sendet mir das Schicksal ihn, und nachher führt mich der Zufall mit diesem da zusammen. Nun war ich aber froh! Ich kann keine Stunde ohne Gesellschaft von Freunden auskommen. Alles, was ich auf der Seele habe, bin ich bereit, jedem zu erzählen.

Krugel. Ja, Freundchen, das ist aber auch dein Fehler, und keineswegs eine Tugend. Jedes Zuviel schadet, du bist vermutlich schon mehr als einmal betrogen worden.

Uteschitelny. Jawohl, ich bin betrogen worden und werde noch immer betrogen werden, und doch kann ich ohne Aufrichtigkeit nicht leben.

Krugel. Nun weißt du, ich muß gestehen, das ist mir unbegreiflich! Mit jedem aufrichtig sein! Freundschaft, das ist ganz was anderes.

Uteschitelny. Das schon, aber der Mensch gehört der Gesellschaft an.

Krugel. Er gehört wohl, aber nicht ganz.

Uteschitelny. Nein, ganz.

Krugel. Nein, nicht ganz.

Uteschitelny. Nein, ganz!

Schwochnew (zu Uteschitelny). Streite nicht, lieber Freund, du hast unrecht.

Uteschitelny (hitzig). Nein, ich werde dirs beweisen, das ist eine Pflicht, das ist — das ist — das ist — eine Schuldigkeit, das ist — das ist ...

Schwochnew. Nun ist er losgegangen! Er ist nämlich furchtbar hitzig; die ersten paar Worte von dem, was er spricht, kann man noch verstehen, aber weiter versteht man nichts.

Uteschitelny. Ich kann nicht, ich kann nicht! Wenn es die Pflicht betrifft, so komme ich ganz außer Fassung! Ich erkläre gewöhnlich schon von vornherein: meine Herren, wenn die Rede von so etwas Ähnlichem sein wird, so müssen Sie schon verzeihen, ich lasse mich hinreißen, ja, ich lasse mich hinreißen. Wie im Rausch gleichsam, und meine Galle kocht und kocht über!

Icharew (für sich). Nun, lieber Freund, ich kenn’ schon die Leute, die sich hinreißen lassen und hitzig werden bei dem Worte Pflicht. Deine Galle wird schon überkochen, aber nicht bei solcher Gelegenheit. (Laut.) Nun, meine Herren, während hier über heilige Pflichten gestritten wird, wollen wir da nicht auch ein Spielchen machen? (Während des Gespräches wird das Frühstück serviert.)

Uteschitelny. Bitte, wenn’s nur ein kleines Spiel ist, warum nicht?

Krugel. Unschuldigen Vergnügungen bin ich nie abgeneigt.

Icharew. Wie ist es, in diesem Hotel wird’s wohl Karten geben?

Schwochnew. Oh, Sie brauchen nur zu befehlen!

Icharew. Karten! (Alexej macht sich am Kartentisch zu schaffen.) Und inzwischen, bitte, meine Herren, (zeigt mit der Hand auf den Frühstückstisch und tritt heran) der Lachs ist, wie es scheint, nicht sonderlich, aber der Kaviar geht an.

Schwochnew (indem er ein Stück in den Mund steckt). Nein, der Lachs ist auch nicht übel.

Krugel (ebenfalls). Der Käse ist auch gut; auch der Kaviar ist nicht übel.

Schwochnew (zu Krugel). Erinnerst du dich, was für vortrefflichen Käse wir vor zwei Wochen gegessen haben?

Krugel. Nein, nie in meinem Leben werde ich den Käse vergessen, den ich bei Peter Alexándrowitsch Alexándrow gegessen habe.

Uteschitelny. Sieh mal, mein Lieber: wann ist denn der Käse eigentlich gut? Er ist dann gut, wenn du dir nach einem Mittagessen noch ein zweites vornimmst — das ist seine eigentliche Bestimmung. Er ist gleichsam wie ein guter Quartiermeister; er sagt: bitte, meine Herrschaften, hier ist noch Platz.

Icharew. Bitte, meine Herrschaften, die Karten sind auf dem Tisch.

Uteschitelny (an den Kartentisch herantretend). Ah, das ist nun wieder einmal eine Sache aus alten Zeiten! Sieh mal, Schwochnew, Karten! Ha, wieviele Jahre sind’s wohl her?

Icharew (zur Seite). Na, na! Tu doch nicht so!

Uteschitelny. Wollen Sie die Bank halten?

Icharew. Eine kleine, gewiß! Fünfhundert Rubel! Wollen Sie abheben? (Gibt Karten. Das Spiel fängt an. Man hört Ausrufe.)

Schwochnew. Vier, Aß, beide zu zehn.

Uteschitelny. Gib mir mal dein Kartenspiel, Liebster, ich will mir eine Karte wählen: auf das Glück unserer Frau Adelsmarschall.

Krugel. Gestatten Sie mir eine Neun hinzuzufügen.

Uteschitelny. Schwochnew, gib mal die Kreide! Ich schreibe an und schreibe ab.

Schwochnew. Hol’s der Teufel, Paroli!

Uteschitelny. Und fünf Rubel Einsatz!

Krugel. Attendez! Gestatten Sie mir, nachzusehen, ich glaube, es müssen noch zwei Dreien im Spiel sein.

Uteschitelny (springt auf, für sich). Hol’s der Teufel, die Sache ist nicht sauber, hier sind andere Karten, das ist augenscheinlich (Das Spiel geht weiter.)

Icharew (zu Krugel). Gestatten Sie die Frage: Gelten beide?

Krugel. Beide!

Icharew. Erhöhen Sie nicht?

Krugel. Nein.

Icharew (zu Schwochnew). Und Sie, setzen Sie nichts?

Schwochnew. Gestatten Sie, daß ich dieses Spiel abwarte. (Steht auf, geht eilig auf Uteschitelny zu und sagt schnell:) Hol’s der Teufel, Liebster, er macht alle möglichen Kunststücke. Ein Falschspieler ersten Ranges.

Uteschitelny (erregt). Wollen wir denn auf die Achtzigtausend verzichten?

Schwochnew. Natürlich verzichten wir, wenn’s nicht geht.

Uteschitelny. Nun, das ist noch die Frage, aber vorläufig müssen wir uns mit ihm verständigen.

Schwochnew. Wieso?

Uteschitelny. Ihm einfach alles eingestehen.

Schwochnew. Wozu denn?

Uteschitelny. Das sage ich dir nachher, komm. (Gehen beide auf Icharew zu und klopfen ihm von beiden Seiten auf die Schulter.)

Uteschitelny. Verschießen Sie nicht umsonst Ihr Pulver.

Icharew (zusammenfahrend). Wieso?

Uteschitelny. Was ist da lange zu reden? Erkennt denn einer nicht seinesgleichen?

Icharew (höflich). Gestatten Sie die Frage, wie soll ich das verstehen?

Uteschitelny. Ganz einfach, ohne überflüssige Worte und Zeremonien. Wir haben Ihre Kunst gesehen, und seien Sie versichert, wir wissen Ihren Wert zu schätzen. Und deshalb schlage ich Ihnen im Namen unserer Kameraden ein Freundschaftsbündnis vor. Wenn wir unsere Kenntnisse und Kapitalien zusammentun, können wir viel erfolgreicher arbeiten als einzeln.

Icharew. In welchem Maße darf ich von der Richtigkeit Ihrer Worte überzeugt sein?

Uteschitelny. In diesem Maße: Für Aufrichtigkeit zahlen wir mit Aufrichtigkeit. Wir gestehen Ihnen hier ganz offen, daß wir uns verabredet haben, Sie zu beschwindeln, weil wir Sie für einen gewöhnlichen Menschen gehalten haben. Aber jetzt sehen wir, daß Ihnen die höchsten Geheimnisse bekannt sind. Und nun, wollen Sie unsere Freundschaft annehmen?

Icharew. Zu einem so freundlichen Anerbieten kann ich nicht nein sagen.

Uteschitelny. Also reichen wir einander die Hände. (Alle drücken nacheinander Icharew die Hand.) Von nun ab sei alles gemeinschaftlich, fort mit Verstellung und Zeremonien! Gestatten Sie die Frage, seit wann haben Sie angefangen, die Tiefe der Wissenschaft zu erforschen?

Icharew. Ich muß gestehen, schon seit meiner frühen Jugendzeit war es stets mein Bestreben. Schon in der Schule während der Vorlesungen des Professors habe ich meinen Kommilitonen unter dem Tisch die Bank gehalten.

Uteschitelny. Das dachte ich mir. Eine solche Kunst kann man nicht erwerben ohne eine Praxis in den Jahren der zartesten Jugend. Erinnerst du dich des ungewöhnlichen Knaben, Schwochnew?

Icharew. Welches Knaben?

Uteschitelny. Erzähle mal.

Schwochnew. Eine solche Begebenheit werde ich nie vergessen. Sagt mir da einmal sein Schwager (zeigt auf Uteschitelny) Andréj Iwánowitsch Pjátkin: „Schwochnew, willst du ein Wunder sehen? Ein Junge von elf Jahren, der Sohn von Iwán Micháilowitsch Kubischew, macht solche Kartenkunststücke, wie kein einziger Spieler. Reise mal nach dem Tjetjúschischen Kreis und sieh dir’s an!“ Ich muß gestehen, ich habe mich sofort nach dem Tjetjúschischen Kreis begeben, ich frage nach dem Dorf des Iwan Michailowitsch Kubischew und komme direkt zu ihm. Ich lasse mich anmelden. Es kommt ein Herr gesetzten Alters, ich stelle mich vor und sage: „Entschuldigen Sie bitte, ich habe gehört, daß Gott Ihnen einen ganz ungewöhnlichen Sohn geschenkt hat.“ — „Jawohl, das muß ich zugeben“, sagt er, und was mir gefallen hat, verstehen Sie wohl, ohne irgendwelche Umschweife und Prätentionen — Ja, sagt er, das ist richtig, wenn’s auch einem Vater nicht zukommt, seinen eigenen Sohn zu loben, aber der ist wirklich gewissermaßen ein Wunder. Mischa, sagt er, komm mal her, zeig mal dem Gast deine Kunst. Nun wissen Sie, wie so’n Junge ist, der Junge ist noch ganz Kind, reicht mir kaum bis an die Schulter, und in den Augen ist auch nichts Besonderes zu bemerken. Er fängt an, Karten zu geben, und ich bin ganz baff! Es übersteigt alle Beschreibung!

Icharew. Ist es möglich, daß gar nichts zu bemerken war?

Schwochnew. Nichts, gar nichts, nicht die Spur. Ich schaute zu mit beiden Augen.

Icharew. Das ist unbegreiflich!

Uteschitelny. Ein Phänomen, ein wahres Phänomen!

Icharew. Wenn ich noch bedenke, daß dazu doch Kenntnisse notwendig sind, die auf der Schärfe der Augen und einem aufmerksamen Studium des Musters beruhen.

Uteschitelny. Aber jetzt ist das ja sehr viel leichter geworden. Jetzt ist das Besprenkeln und Bezeichnen ganz aus dem Gebrauch gekommen. Man sucht jetzt den Schlüssel zu erlernen.

Icharew. Das heißt, den Schlüssel der Zeichnung?

Uteschitelny. Jawohl. Den Schlüssel der Zeichnung auf der Rückseite. Da lebt in einer Stadt, — in welcher, das will ich nicht sagen, — ein ehrbarer Mann, der nichts anderes tut, als nur dies: Jedes Jahr bekommt er aus Moskau einige hundert Kartenspiele, von wem, — das bleibt ein Geheimnis. Seine ganze Aufgabe und Pflicht besteht darin, das Muster auf der Rückseite jeder Karte zu untersuchen, und einen Schlüssel dazu einzuschicken, d. h. sieh nur hin: bei der Zwei, da ist die Zeichnung so angeordnet, bei einer anderen Karte ist die Sache so, und dann wieder so, und für das allein bekommt er jährlich fünftausend in barem Gelde.

Icharew. Das ist allerdings eine sehr wichtige Sache!

Uteschitelny. Ja, das muß übrigens auch so sein. Das ist, was man in der National-Ökonomie die Arbeitsteilungen nennt. Zum Beispiel, ein Wagenbauer, der macht ja nicht selbst den ganzen Wagen, er gibt doch auch dem Schmied und dem Tapezierer was ab. Sonst würde ja das ganze Menschenleben nicht ausreichen.

Icharew. Gestatten Sie eine Frage: Wie machten Sie’s bis jetzt, um Ihre Kartenspiele in Kurs zu setzen. Die Bedienung bestechen, das ist ja nicht immer möglich.

Uteschitelny. Gott behüte! ist auch gefährlich. Das hieße ja manchmal, sich selbst verraten. Wir machen es anders. Einmal machten wir’s auf folgende Weise: Unser Agent kommt zum Jahrmarkt und nimmt als Kaufmann Logis im Stadthotel; er habe noch nicht Zeit gefunden, sich einen Laden zu mieten. Da stehen nun die Kisten und Ballen noch so im Zimmer herum. Er lebt im Hotel, macht Ausgaben, ißt, trinkt und verschwindet plötzlich, man weiß nicht, wohin, ohne seine Rechnung bezahlt zu haben. Der Hotelwirt sucht im Zimmer herum und sieht, es ist nur ein Ballen zurückgeblieben. Er macht den Ballen auf, sieh da: hundert Dutzend Kartenspiele. Die Karten werden natürlich gleich verauktioniert. Das Dutzend einen Rubel billiger, da kaufen die Kaufleute in einem Augenblick alles für ihren Laden auf, und in vier Tagen hat die ganze Stadt ihr Geld im Spiel verloren.

Icharew. Das ist sehr geschickt.

Schwochnew. Nun, und bei jenem, beim Gutsbesitzer?

Icharew. Was denn, beim Gutsbesitzer?

Uteschitelny. Ja so, die Geschichte war auch nicht schlecht gemacht. Ich weiß nicht, ob’s Ihnen bekannt ist, es gibt einen Gutsbesitzer Arkádij Antónowitsch Dergunów, ein furchtbar reicher Mann, spielt vorzüglich, ist von beispielloser Redlichkeit, und, verstehen Sie, ihn herumzukriegen, ist gar keine Möglichkeit. Alles beaufsichtigt er selbst, seine Dienerschaft ist gut erzogen, — die reinen Kammerherren, das Haus — ein Palast, sein Garten — alles nach englischem Muster, kurz, ein russischer Edelmann im vollen Sinne des Wortes. Wir sind schon drei Tage bei ihm. Wie fängt man’s an? Einfach keine Möglichkeit! Endlich kamen wir auf einen Gedanken. Eines Morgens rast am Hofe ein Dreigespann vorbei, im Wagen sitzen ein paar junge Burschen, alle im höchsten Grade besoffen, alles singt Lieder und treibt’s, wie die wilde Jagd. Zu so einem Schauspiel kommt natürlich die ganze Dienerschaft herbeigelaufen. Sie gaffen, lachen und bemerken, daß aus dem Wagen etwas herausgefallen ist. Sie kommen hinzu und sehen einen Reisekoffer. Sie winken mit den Händen und rufen: Halt! Aber i wo, niemand hört, sie sind fortgerast, und nur der Staub auf dem ganzen Wege ist aufgewirbelt. Sie machen den Reisekoffer auf, finden Wäsche, einige Kleidungsstücke, zweihundert Rubel bares Geld und gegen vierzig Dutzend Kartenspiele. Nun natürlich, auf das Geld wollten die Dienstboten nicht verzichten, die Kartenspiele kamen auf den herrschaftlichen Tisch und schon am nächsten Tage waren gegen Abend alle, der Hausherr wie die Gäste, ohne eine Kopeke in der Tasche, und das Spiel war zu Ende.

Icharew. Sehr geistreich! Das bezeichnen die Leute mit Schwindel oder ähnlichen Namen, aber das ist ja nur Scharfsinn und feiner Verstand.

Uteschitelny. Die Leute verstehen ja nichts vom Spiel. Im Spiel gibt es kein Ansehen der Person, das Spiel sieht auf nichts. Mag mein eigener Vater mit mir Karten spielen; ich würde meinen Vater beschwindeln. Setze dich nicht mit mir hin! Hier sind alle gleich.

Icharew. Richtig, das versteht man nicht, daß ein Spieler der tugendhafteste Mensch sein kann. Ich kenne einen, der zu allen möglichen Mogeleien geneigt ist, aber einem Armen gibt er seine letzte Kopeke. Und er wird es keineswegs verschmähen, sich mit Dreien gegen Einen zu verbinden und ihm das Geld abzunehmen. Aber meine Herren, da wir schon so aufrichtig miteinander sind, so will ich Ihnen eine ganz wunderbare Sache zeigen. Wissen Sie, was das heißt, ein kombiniertes oder zusammengesuchtes Kartenspiel, in dem jede Karte von mir auf eine bedeutende Distanz erraten werden kann?

Uteschitelny. Ich weiß es wohl, aber vielleicht in etwas anderer Art.

Icharew. Ich kann mich wohl rühmen, daß Sie ein ähnliches nirgends finden werden. Es hat fast ein halbes Jahr Arbeit gekostet. Ich habe zwei Wochen nachher das Sonnenlicht nicht sehen können. Der Arzt befürchtete eine Augenentzündung. (Nimmt es aus der Schatulle.) Da ist es, aber nehmen Sie mir’s nicht übel, es hat auch einen Namen wie ein Mensch.

Uteschitelny. Wieso einen Namen?

Icharew. Jawohl, einen Namen: Adelaida Iwánowna.

Uteschitelny. Hör mal, Schwochnew, das ist ja eine ganz neue Idee, ein Kartenspiel Adelaida Iwanowna zu nennen. Ich finde es sogar sehr geistreich.

Schwochnew. Sehr schön: Adelaida Iwanowna! Wunderschön.

Uteschitelny. Adelaida Iwanowna! Sogar eine Deutsche! Hörst du, Krugel, da hast du eine Frau.

Krugel. Was bin ich für ein Deutscher? Mein Großvater war ein Deutscher, und auch der verstand kein Deutsch.

Uteschitelny (das Kartenspiel betrachtend). Das ist wahrhaftig ein Schatz. Wirklich, es ist gar nichts zu merken. Können Sie tatsächlich jede Karte erraten, auf jede beliebige Distanz?

Icharew. Bitte, ich stelle mich fünf Schritt weit von Ihnen auf und werde von da aus jede Karte benennen. Ich bin bereit, zweitausend Rubel zu zahlen, wenn ich mich irre.

Uteschitelny. Nun, was ist das für eine Karte?

Icharew. Eine Sieben.

Uteschitelny. Richtig, und diese?

Icharew. Ein Bube.

Uteschitelny. Hol’s der Teufel, ganz richtig! Nun, und diese?

Icharew. Eine Drei.

Uteschitelny. Unbegreiflich!

Krugel (die Achseln zuckend). Unbegreiflich!

Schwochnew. Unbegreiflich!

Uteschitelny. Gestatten Sie mir, noch mal nachzusehen. (Besieht das Kartenspiel.) Ein ganz wundervolles Ding, es ist wirklich wert, daß man ihm einen Namen gab. Aber gestatten Sie die Bemerkung, das Spiel in Gebrauch zu nehmen, ist doch eine schwierige Sache; vielleicht geht’s etwa mit einem ganz unerfahrenen Spieler, man muß es ja selbst vertauschen.

Icharew. Aber das tut man ja nur während der Hitze des Spiels, wenn das Spiel so hoch geht, daß der erfahrenste Spieler unruhig wird, und wenn ein Mensch nur ein bißchen verwirrt ist, so kann man ja mit ihm machen, was man will. Wissen Sie denn nicht, daß das mit den besten Spielern passiert, was man so nennt „sich heiß spielen“. Wenn er zwei, drei Nächte hintereinander spielt, ohne zu schlafen — nun, dann spielt er sich eben heiß. Im Hasardspiel kann ich immer den Talon vertauschen. Glauben Sie mir, die ganze Kunst besteht nur darin, daß man kaltblütig bleibt, wenn der andere hitzig ist; und die Aufmerksamkeit anderer abzulenken, dazu gibt es tausend Mittel. Fangen Sie nur mit einem der Spieler irgendeinen Krakehl an, sagen Sie z. B., er hätte nicht richtig aufgeschrieben, dann wenden sich die Augen Aller auf ihn, und in diesem Augenblick ist das Kartenspiel bereits vertauscht.

Uteschitelny. Nun, ich sehe, daß Sie außer der Kunst auch noch die Tugend der Kaltblütigkeit besitzen. Das ist eine wichtige Sache. Ihre Bekanntschaft ist nun für uns desto wertvoller geworden. Wollen wir alle Zeremonien, alle überflüssigen Formalitäten fallen lassen und wollen wir einander einfach du sagen.

Icharew. Das hätten wir schon längst tun sollen.

Uteschitelny. Kellner! Champagner, zur Bekräftigung des freundschaftlichen Bundes!

Icharew. Jawohl, es gehört sich, daß man das begieße!

Schwochnew. Nun, meine Herren, wir haben uns ja zu Heldentaten versammelt. Das Geschütz ist in unseren Händen, die nötigen Kräfte haben wir, es fehlt nur eins.

Icharew. Richtig, richtig! Die Festung fehlt ja, die zu nehmen wäre, das ist das Pech!

Uteschitelny. Was ist da zu machen? Vorläufig gibt’s noch keinen Feind. (Sieht Schwochnew fest an.) Wie? Du machst ja ein Gesicht, das zu sagen scheint: ein Feind wäre wohl da.

Schwochnew. Ja, da ist ... (Bleibt stecken.)

Uteschitelny. Ich weiß schon, wen du meinst.

Icharew (lebhaft). Wen denn, wen denn? Wer ist es?

Uteschitelny. Ach, Unsinn! Das hat er sich ausgedacht. Der reinste Unsinn! Sehen Sie mal, hier ist ein zugereister Gutsbesitzer, Micháilo Alexándrowitsch Glow. Aber was ist da zu reden, er spielt ja gar nicht. Wir haben uns schon mit ihm zu schaffen gemacht. Ich habe ihm einen ganzen Monat den Hof gemacht, habe mit ihm Freundschaft geschlossen, habe sein Vertrauen erworben und habe doch nichts ausgerichtet.

Icharew. Aber hör mal, kann man ihn denn nicht zu sehen bekommen? Wer weiß, vielleicht doch?

Uteschitelny. Nun, ich sage dir im voraus, das wird ganz vergebliche Mühe sein.

Icharew. Aber wir wollen’s doch mal versuchen.

Schwochnew. Nun, bring ihn doch wenigstens hierher. Wenn’s uns nicht gelingt, so unterhalten wir uns doch ein wenig. Warum wollen wir’s denn nicht versuchen?

Uteschitelny. Meinetwegen, mir macht’s ja nichts, ich bringe ihn schon her.

Icharew. Bring ihn doch, bitte, gleich hierher!

Uteschitelny. Schon gut, schon gut! (Ab.)

9. Auftritt

Dieselben ohne Uteschitelny.

Icharew. Wahrhaftig, wie kann man wissen, manchmal scheint eine Sache ganz unmöglich.

Schwochnew. Ich bin auch derselben Meinung. Wir haben’s doch nicht mit Göttern zu tun, sondern mit einem Menschen, und ein Mensch bleibt immer ein Mensch. Heute sagt er nein, morgen nein, übermorgen nein, und am vierten Tage, wenn man ihm nur ordentlich zusetzt, sagt er ja. Mancher tut ja bloß so, als ob er so unzugänglich sei, aber wenn man genauer zusieht, so merkt man, daß nur viel Lärm um nichts gemacht worden ist.

Krugel. Nun, dieser ist nicht derart.

Icharew. Ach, wenn’s doch wäre! Es ist nicht zu glauben, wie jetzt der Trieb zur Tätigkeit in mir erwacht ist. Sie müssen wissen, daß mein letzter Gewinn von achtzigtausend beim Oberst Tschebotarjów bereits vom vergangenen Monat herrührt. Seitdem habe ich einen ganzen Monat keine Praxis mehr gehabt. Sie können sich kaum denken, was für eine Langeweile ich in dieser ganzen Zeit ausgestanden habe, eine tödliche Langeweile!

Schwochnew. Ich begreife diese Lage ganz wohl. Es ist gerade wie bei einem Feldherrn: was muß der empfinden, wenn es keinen Krieg gibt. Das, mein Liebster, ist einfach eine fatale Zwischenpause. Ich weiß es aus eigener Erfahrung, das ist kein Spaß.

Icharew. Du glaubst es nicht, es kommt manchmal so weit, daß, wenn jemand bloß fünf Rubel in der Bank halten würde, ich bereit wäre, mich hinzusetzen und zu spielen.

Schwochnew. Eine ganz natürliche Sache. So hat auch schon manchmal der geschickteste Spieler verloren: aus Melancholie, wenn keine Arbeit da ist, gerät er in der Hitze manchmal an einen von jenen, die man Habenichtse und Stromer nennt, — nun, und verliert alles um nichts und wieder nichts.

Icharew. Ist der Glow reich?

Krugel. Oh, Geld hat er schon! Ich glaube, so gegen tausend Leibeigene.

Icharew. Ei, der Teufel! Vielleicht könnte man ihm was zu trinken geben, Champagner, was?

Schwochnew. Er nimmt keinen Tropfen in den Mund.

Icharew. Was ist nun mit ihm zu machen? Wie kommt man an ihn heran? Aber nein, ich denke doch, das Spiel ist eine verführerische Sache. Ich glaube, wenn er sich nur hinsetzen wollte und zusehen, wie die andern spielen, so würde er’s doch nicht aushalten.

Schwochnew. Nun, wir wollen’s jetzt versuchen. Wir wollen hier etwas abseits mit Krugel ein ganz kleines Spielchen machen. Aber man muß ihm nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken, alte Leute sind mißtrauisch. (Setzen sich abseits an den Spieltisch.)

10. Auftritt

Dieselben. Uteschitelny und Michailo Alexandrowitsch Glow, ein Herr in gesetzten Jahren.

Uteschitelny. Hier, Icharew, gestatte, daß ich dir Michailo Alexandrowitsch Glow vorstelle.

Icharew. Ich muß gestehen, ich habe mir schon lange die Ehre gewünscht. Da wir doch in einem Hotel wohnen ...

Glow. Ich freue mich auch, Ihre Bekanntschaft zu machen. Nur schade, daß es fast vor der Abreise geschieht.

Icharew (reicht ihm einen Stuhl). Bitte ergebenst! Leben Sie schon lange in dieser Stadt? (Uteschitelny, Schwochnew und Krugel flüstern miteinander.)

Glow. Ach, lieber Herr, ich habe sie schon so satt, diese Stadt, ich würde mich schon herzlich freuen, von hier fortzukommen.

Icharew. Nun, halten Sie hier Geschäfte davon ab?

Glow. Jawohl, Geschäfte. Ist das eine Sache, diese Geschäfte!

Icharew. Wohl ein Prozeß?

Glow. Nein, Gott sei Dank, kein Prozeß, aber doch eine ziemlich schwierige Angelegenheit. Sehen Sie mal, ich verheirate jetzt meine Tochter, ein achtzehnjähriges Mädchen. Verstehen Sie meine Lage als Vater? Ich bin hierher gekommen, verschiedene Einkäufe zu machen, hauptsächlich aber eine Hypothek auf ein Gut aufzunehmen. Die Sache wäre schon ganz zu Ende, aber das Amt gibt noch immer das Geld nicht heraus, und so bleibe ich ganz unnützer Weise hier.

Icharew. Gestatten Sie mir die Frage, für welche Summe verpfänden Sie Ihr Gut?

Glow. Für zweihunderttausend. Schon in diesen Tagen sollte das Geld ausgezahlt werden, aber nun zieht sich’s hin, und ich hab’s schon satt, hier zu sitzen. Zu Hause, wissen Sie, habe ich alles nur auf ganz kurze Zeit zurückgelassen. Meine Tochter ist Braut. Alles wartet ... Ich habe sogar schon beschlossen, nicht weiter zu warten und hier alles liegen zu lassen.

Icharew. Wieso? Wollen Sie denn nicht abwarten, bis Sie das Geld bekommen?

Glow. Was ist zu machen, mein Liebster? Bedenken Sie nur meine Lage. Seit einem Monat habe ich meine Frau und die Kinder nicht gesehen und habe auch keinen Brief erhalten. Weiß Gott, wie’s dort zugeht. Ich überlasse alles meinem Sohn, der hierbleibt. Ich hab’s satt. (Sich an Schwochnew und Krugel wendend.) Was machen Sie, meine Herren? Ich glaube, ich störe wohl. Sie waren mit etwas beschäftigt?

Krugel. Unsinn! Das ist nur so; vor Langeweile spielen wir ein bißchen.

Glow. Ich glaube, das ist so etwas wie Bankspiel?

Schwochnew. Ach was, nur zum Zeitvertreib: ein Pfennigspiel.

Glow. Ach, meine Herren, hören Sie, was Ihnen ein alter Mann sagt. Sie sind junge Leute, natürlich, da ist nichts Schlimmes dabei: so’n bißchen Zerstreuung; und in einem Pfennigspiel kann man ja nicht viel verlieren. Das ist ja ganz richtig. Aber immerhin ... Ach, meine Herren, ich habe selbst gespielt und kenne das aus Erfahrung. Da heißt alles auf der Welt eine Pfennigsache, aber sieht man näher zu, so endet ein kleines Spielchen manchmal als sehr großes Spiel.

Schwochnew (zu Icharew). Na, da fängt der Alte schon mit seinem Gerede an. (Zu Glow.) Nun sehen Sie mal, da machen Sie gleich aus einer Kleinigkeit eine wichtige Sache. Das ist so die gewohnte Manier der alten Herren.

Glow. Wieso? Ich bin ja noch gar nicht so alt, aber ich urteile aus Erfahrung.

Schwochnew. Ich meine ja nicht gerade Sie, aber die alten Herren haben es überhaupt an sich: wenn sie sich an etwas verbrannt haben, so sind sie überzeugt, daß auch der andere sich an derselben Sache verbrennen müsse. Wenn sie auf einem Wege dahingingen und aus Zerstreutheit auf dem Glatteis ausgeglitten und hingefallen sind, dann schreien sie gleich und geben es für eine allgemeine Regel aus, daß auf diesem Wege niemand gehen soll, denn da sei an einer Stelle Glatteis und jeder müsse auf die Nase fallen. Das bedenken sie nicht, daß ein anderer vielleicht nicht so zerstreut sein wird und seine Stiefel auch nicht so glatte Sohlen haben. Nein, das alles verstehen sie nicht. Hat mal ein Hund einen Menschen auf der Straße gebissen, dann heißt es, alle Hunde beißen, und niemand darf auf die Straße gehen.

Glow. Nun ja, mein Teuerster, das ist schon richtig, so ne schlechte Gewohnheit gibt’s ja. Aber auch die jungen Leute sind gut, die haben schon gar zu viel Feuer, die laufen jeden Augenblick Gefahr, sich das Genick zu brechen!

Schwochnew. Das ist es eben, daß wir keinen Mittelweg kennen. Die Jugend tobt, daß es nicht mehr auszuhalten ist, und das Alter wird so heuchlerisch, daß wieder die anderen es nicht aushalten können.

Glow. Also so eine beleidigende Meinung haben Sie von den Alten?

Schwochnew. Aber nein, was ist denn das für eine beleidigende Meinung? Das ist die reine Wahrheit, nichts mehr.

Icharew. Gestatte mir doch die Bemerkung: dein Urteil ist zu scharf.

Uteschitelny. Von wegen des Kartenspiels bin ich ganz derselben Meinung wie Michailo Alexandrowitsch. Ich habe selber gespielt und habe stark gespielt, aber Gott sei Dank, ich habe das für immer aufgegeben. Nicht etwa, daß ich all mein Geld verloren hätte oder daß ich mich gegen das Schicksal auflehnte. Glauben Sie mir, das ist noch gar nichts: der Geldverlust ist nicht so wichtig, wie die Seelenruhe. Schon die Aufregung, die man während des Spiels empfindet, verkürzt, was man auch sagen mag, merklich unser Leben.

Glow. Jawohl, richtig, mein Teuerster, bei Gott, das haben Sie sehr weise bemerkt. Gestatten Sie mir eine unbescheidene Frage: Ich habe schon so lange das Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu genießen und bis jetzt ...

Uteschitelny. Welche Frage denn?

Glow. Gestatten Sie mir die Frage, wenn es auch eine kitzlige Sache ist: wie alt sind Sie?

Uteschitelny. Neununddreißig.

Glow. Denken Sie mal, was ist das denn, neununddreißig Jahre? Noch ein ganz junger Mensch. Wenn doch bei uns in Rußland recht viele solche wären wie Sie, die so weise urteilen. Du lieber Himmel, das wäre ja ein goldenes Zeitalter, sozusagen eine Asträa. Wie bin ich dem Schicksal dankbar, daß ich Sie kennen gelernt habe!

Icharew. Glauben Sie mir, ich teile auch ganz dieselbe Ansicht. Ich würde jungen Burschen auch nicht gestatten, Karten in die Hand zu nehmen, aber weshalb sollen denn vernünftige, gesetzte Leute sich nicht etwas amüsieren, z. B. ein älterer Herr, der nicht mehr tanzt, warum nicht?

Glow. Das ist schon richtig, gewiß, aber glauben Sie mir, es gibt im Leben so viele Freuden, sozusagen heilige Pflichten. Ach meine Herren, hören Sie doch auf einen alten Mann. Es gibt für den Menschen keine bessere Bestimmung als das Familienleben, im häuslichen Kreis. Alles was Sie jetzt umgibt, sind ja nichts als Aufregungen, bei Gott, nur Aufregungen, aber das eigentliche Glück haben Sie ja noch nicht genossen. Nehmen Sie mal mich, glauben Sie mir, ich kann die Minuten kaum zählen, bis ich die Meinigen wiedersehe, bei Gott! Wenn ich mir vorstelle, wie mein Töchterlein mir um den Hals fällt: Papachen, liebstes Papachen! Auch mein Sohn ist aus dem Gymnasium gekommen, ich habe ihn ein halbes Jahr lang nicht gesehen. Wahrhaftig, ich kann’s gar nicht aussprechen; bei Gott, so ist es! Nach alledem will man keine Karte mehr ansehen!

Icharew. Aber weshalb soll man denn die väterlichen Gefühle mit den Karten zusammenwerfen? Die väterlichen Gefühle sind etwas für sich, und die Karten sind wieder etwas für sich.

Alexej (tritt ein, zu Glow). Ihr Diener fragt wegen der Koffer: befehlen Sie, sie hinauszutragen? Die Pferde warten schon.

Glow. Ah, sofort. Entschuldigen Sie, meine Herren, daß ich Sie für einen Augenblick verlasse. (Ab.)

11. Auftritt

Schwochnew. Icharew. Krugel. Uteschitelny.

Icharew. Nein, da ist keine Hoffnung!

Uteschitelny. Ich habe dir’s ja vorher gesagt. Ich begreife nicht, wie Sie es dem Menschen nicht sofort ansehen! Man braucht ja nur hinzusehen, um zu wissen, wenn einer nicht spielen will.

Icharew. Aber ich glaube, man müßte ihm doch ordentlich zusetzen. Weshalb hast du ihn denn noch selber unterstützt?

Uteschitelny. Aber mein Liebster, anders geht’s doch nicht. Mit diesen Leuten muß man sehr vorsichtig umgehen, sonst merkt er’s ja gleich, daß man ihm etwas abgewinnen will.

Icharew. Nun, und was ist daraus geworden? Er reist ja bald ab, es ist ja doch ganz egal.

Uteschitelny. Na, warten wir ab, die Sache ist noch nicht ganz zu Ende.

12. Auftritt

Dieselben und Glow.

Glow. Besten Dank für die angenehme Bekanntschaft, meine Herren. Ich bedaure wahrhaftig nur, daß sie erst so spät zustande gekommen ist. Gott wird uns übrigens vielleicht noch einmal zusammenführen.

Schwochnew. O gewiß, die Wege sind glatt, und die Menschen treiben sich weit herum, warum sollte man da nicht noch mal zusammentreffen? Wenn nur das Schicksal es so will!

Glow. Bei Gott, ganz richtig, wenn das Schicksal will, so sehen wir uns vielleicht schon morgen wieder, das ist die reinste Wahrheit! Adieu, meine Herren! Aufrichtigsten Dank! Und Ihnen, Stepan Iwanowitsch, bin ich besonders verpflichtet. Wahrhaftig, Sie haben mir meine Einsamkeit versüßt!

Uteschitelny. Aber bitte, hat nichts zu sagen. Ich habe getan, was ich konnte.

Glow. Nun, wenn Sie schon so gut sind, so erweisen Sie mir noch eine Gunst, wenn ich Sie bitten darf.

Uteschitelny. Welche? Sagen Sie mir bloß alles; alles, ich bin zu allem bereit!

Glow. Beruhigen Sie einen alten Vater.

Uteschitelny. Wieso denn?

Glow. Ich lasse meinen Sascha hier. Ein netter Junge, eine gute Seele, aber immerhin nicht ganz zuverlässig, zweiundzwanzig Jahre alt, ich bitte Sie, was sind das für Jahre? Fast noch ein Kind. Er hat die Schule durchgemacht und denkt nun an nichts anderes als an die Husaren. Ich sage zu ihm: „Es ist ja noch zu früh, Sascha, warte doch, sieh dich doch ein bißchen um, warum willst du denn Husar werden? Wer weiß, vielleicht hast du ganz zivile Anlagen. Du kennst ja noch die Welt gar nicht, die Zeit gehört ja dir!“ Nun, Sie begreifen wohl, ein so junges Wesen, da kommt ihm bei den Husaren alles so glänzend vor; die reiche gestickte Uniform ... Was ist da zu machen? Die Bestrebungen kann man ja nicht aufhalten .... Also seien Sie doch so gut, Väterchen Stepan Iwanowitsch! Er bleibt nun ganz allein. Ich habe ihm einige geschäftliche Aufträge gegeben. Er ist ja ein junger Mann, es kann ja alles passieren; daß ihn da nur die Beamten nicht irgendwie beschwindeln. Wer weiß! Also nehmen Sie ihn doch unter Ihren Schutz! Beaufsichtigen Sie seine Schritte, halten Sie ihn von allem Bösen ab! Seien Sie doch so gut, Väterchen! (Faßt seine beiden Hände.)

Uteschitelny. Bitte, bitte sehr. Alles, was ein Vater für seinen Sohn tun kann, werde ich für ihn tun.

Glow. Ach, Väterchen! (Sie umarmen und küssen sich.) Da sieht man doch gleich, wenn einer ein gutes Herz hat, bei Gott! Gott wird Sie dafür belohnen! Adieu, meine Herren! Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Beste!

Icharew. Adieu, glückliche Reise!

Schwochnew. Ich wünsche, daß Sie die Ihrigen gesund vorfinden!

Glow. Ich danke Ihnen, meine Herren!

Uteschitelny. Und ich werde Sie bis zum Wagen begleiten und Ihnen hineinhelfen.

Glow. Ach, Väterchen, wie gut sind Sie!

13. Auftritt

Schwochnew, Krugel und Icharew.

Icharew. Fort ist der Vogel!

Schwochnew. Ja, man hätte doch was ergattern können!

Icharew. Ich muß gestehen, wie er da sagte: zweihunderttausend, da bekam ich sogar Herzklopfen.

Krugel. An eine solche Summe ist es sogar süß zu denken.

Icharew. Wenn man bedenkt, wieviel Geld umsonst, ohne irgendeinen Nutzen herumliegt! Was hat man nun davon, daß er zweihunderttausend bekommen wird? Das alles wird ja bei Einkäufen von irgendwelchen Lappen und altem Zeug draufgehen.

Schwochnew. Alles das ist Plunder und Tand.

Icharew. Und wieviel Geld geht so in der Welt ohne Umsatz verloren! Wieviel tote Kapitalien gibt es, die wie die Toten in den Banken herumliegen. Es ist wahrhaftig ein Jammer! Ich möchte nicht mehr haben, als was im Vormundschaftsrat liegt.

Schwochnew. Ich wäre schon mit der Hälfte zufrieden.

Krugel. Und ich mit einem Viertel.

Schwochnew. Na, na, flunkere nicht, Deutscher, du wirst schon noch mehr verlangen.

Krugel. Auf Ehrenwort!

Schwochnew. Schwindel!

14. Auftritt

Dieselben und Uteschitelny (kommt eilig, mit vor Freude strahlendem Gesicht).

Uteschitelny. Schadet nichts, schadet nichts, meine Herren, er ist fort, hol ihn der Teufel! Desto besser! Der Sohn ist dageblieben. Der Vater hat ihm die Vollmacht übergeben und alle Rechte auf den Empfang der Gelder vom Fiskus; und er hat mir die Aufsicht über alles anvertraut. Der Sohn ist ein feiner Kerl, es zieht ihn zu den Husaren. Da gibt’s eine Ernte. Ich gehe und bringe ihn gleich zu euch. (Schnell ab.)

15. Auftritt

Schwochnew, Krugel und Icharew.

Icharew. Der Uteschitelny! Ist das einer!

Schwochnew. Bravo! Die Sache nimmt eine vortreffliche Wendung! (Alle reiben sich vor Freude die Hände.)

Icharew. Ein braver Kerl, der Uteschitelny! Jetzt begreife ich, warum er sich an den Alten herangemacht hat und ihm in allem zustimmte. Und das alles so fein, so glatt!

Schwochnew. Oh, dazu hat er ein ungewöhnliches Talent!

Krugel. Ganz ungeheuere Fähigkeiten!

Icharew. Ich muß gestehen, als der Vater sagte, daß er den Sohn hier läßt, da ging mir selber ein Gedanke durch den Kopf, aber nur einen Augenblick, und dieser hat’s gleich ... was für ein Scharfblick!

Schwochnew. Oh, du kennst ihn noch nicht genügend!

16. Auftritt

Dieselben, Uteschitelny und Alexander Michailowitsch Glow, ein junger Mann.

Uteschitelny. Meine Herren, gestatten Sie, daß ich Ihnen vorstelle: Alexander Micháilowitsch Glow, ein vorzüglicher Kamerad. Ich bitte Sie, ihn zu lieben, wie mich selbst!

Schwochnew. Sehr erfreut! (Drückt ihm die Hand.)

Icharew. Ihre Bekanntschaft ist uns ...

Krugel. Gestatten Sie, daß wir Sie gleich umarmen!

Glow. Meine Herren, ich ...

Uteschitelny. Bitte ohne Zeremonien, ganz ohne Zeremonien. Gleichheit ist hier die erste Sache, meine Herren. Glow, du siehst, hier sind alle Kameraden, daher zum Teufel mit aller Etikette. Wollen wir uns gleich „du“ sagen?

Schwochnew. Jawohl, „du“.

Glow. Ja „du“. (Reicht ihnen allen die Hand.)

Uteschitelny. So, bravo! Kellner, Champagner! Bemerken Sie, meine Herren, wie er schon heute etwas vom Husaren an sich hat. Nein, dein Vater, gestatte bitte das harte Wort, ist ein großes Viech. Du mußt schon verzeihen, wir sind ja auf „du“. Wie konnte er nur so einen famosen Kerl in den Tintendienst stecken wollen! Nun, Bruder, findet die Hochzeit deiner Schwester bald statt?

Glow. Hol’s der Teufel mit der Hochzeit! Ich bin furchtbar ärgerlich, daß der Vater mich deswegen drei Monate auf dem Dorfe festgehalten hat!

Uteschitelny. Hör mal, ist deine Schwester hübsch?

Glow. So hübsch ... Wenn sie nicht meine Schwester wäre, dann würde ich’s ihr schon zeigen.

Uteschitelny. Bravo, bravo, Husar, da sieht man gleich den Husaren! Nun hör mal, würdest du mir helfen, wenn ich sie entführen wollte?

Glow. Warum denn nicht? Gewiß würde ich dir helfen.

Uteschitelny. Bravo, Husar! Das ist ein richtiger Husar, zum Teufel! Kellner, Champagner! Das ist mein wahrer Geschmack, solche offenherzigen Menschen habe ich gern! Warte mal, meine Seele, laß dich umarmen!

Schwochnew. Laß mich ihn auch umarmen. (Umarmt ihn.)

Icharew. Auch ich! (Umarmt ihn.)

Krugel. Nun, wenn’s so ist, dann werde auch ich ihn umarmen. (Umarmt ihn. Alexej bringt eine Flasche, den Korken mit den Fingern festhaltend, der knallend an die Decke fliegt. Er füllt die Gläser.)

Uteschitelny. Meine Herren, auf das Wohl des künftigen Husaren! Möge er der erste Haudegen, der erste Kurschneider, der erste Säufer, kurz, möge er alles mögliche werden!

Alle. Möge er alles mögliche werden! (Trinken.)

Glow. Auf das Wohl des gesamten Husarentums! (Erhebt das Glas.)

Alle. Auf das Wohl des gesamten Husarentums! (Trinken.)

Uteschitelny. Meine Herren, man muß ihn jetzt schon in alle Husarenbräuche einweihen. Wie Sie sehen, trinkt er schon leidlich gut, aber das ist ja ’ne Kleinigkeit. Man muß dazu auch noch ein rechter Kartenspieler werden. Spielst du Bank?

Glow. Ich möchte schon recht gerne spielen, ich möchte furchtbar gern, aber ich habe kein Geld.

Uteschitelny. Das ist Unsinn, kein Geld! Man braucht nur etwas zu haben, um sich an den Spieltisch zu setzen, dann kommen die Gelder schon, du wirst ja gewinnen.

Glow. Man muß doch aber was haben, um anzufangen.

Uteschitelny. Ah, wir werden dir’s kreditieren. Du hast ja eine Vollmacht auf die Gelder vom Fiskus. Wir können ja warten. Wenn du sie bekommst, so wirst du uns sofort bezahlen, bis dahin kannst du uns ja einen Wechsel geben. Übrigens, was sage ich da: als ob du unbedingt verlieren müßtest! Du kannst ja sofort einige Tausend in bar gewinnen.

Glow. Wenn ich aber verliere?

Uteschitelny. Schäme dich, was bist du denn für ein Husar! Natürlich, eins von beiden: entweder gewinnst du, oder du verlierst. Aber darin besteht ja die ganze Sache, in dem Risiko liegt ja die Haupttugend. Nicht riskieren kann ja jeder. Aufs Gewisse hin würde auch eine Beamtenseele es wagen und ein Jude eine Festung bestürmen.

Glow. Hol’s der Teufel! Wenn’s so ist, dann spiele ich, was soll ich mir da noch aus dem Vater machen!

Uteschitelny. Bravo, Junker! Kellner! Karten! (Schenkt ihm ein.) Was braucht man denn hauptsächlich? Man braucht Kühnheit, Kraft. Nun gut, meine Herren, ich werde eine kleine Bank von fünfundzwanzig Tausend halten. (Gibt Karten nach rechts und links.) Nun, Husar? Und du, Schwochnew, was setzt du? (Gibt.) Wie sonderbar die Karten fallen! Höchst interessant das zu berechnen! Der Bube ist geschlagen, die Zehn hat gestochen. Was hast du da, sieh mal nach. Auch die Vier hat geschlagen, was? Ah, Husar, Husar! Ist das ein Husar! Bemerkst du, Icharew, wie er schon die Einsätze großartig erhöht? Und das As kommt noch immer nicht heraus. Schwochnew, warum schenkst du ihm nicht ein? Da, da, da ist das As! Da hat Krugel auch schon was geholt, der Deutsche hat immer Schwein! Die Vier hat gewonnen. Ah, bravo, bravo, Husar! Hörst du’s, Schwochnew? Der Husar hat schon beinahe fünftausend gewonnen.

Glow (biegt die Karte um). Hol’s der Teufel! Paroli! Da ist schon wieder die Zehn auf dem Tisch. Die gilt auch, und noch fünfhundert Rubel Einsatz!

Uteschitelny (weitergebend). Ah, bravo, Husar! Die Sieben ist geschla— — ach nein, zum Teufel! Wieder pliez! Wieder pliez! Ah, nun hat der Husar verloren. Na, Liebster, was ist da zu machen? Nicht jeder hat eine Marie zur Frau, das kommt so, wie’s Gott gibt! Krugel, hör doch auf, zu rechnen, setze doch die, welche du gezogen hast. Bravo, da hat der Husar wieder gewonnen. Warum gratuliert ihr ihm nicht? (Alle trinken und gratulieren ihm, indem sie mit den Gläsern anstoßen.) Man sagt, Pique-Dame verrät einen immer, aber ich kann’s nicht behaupten. Erinnerst du dich, Schwochnew? Deine Brünette, die du Pique-Dame genannt hast? Was macht die jetzt, die Liebste? Die ist wohl ganz außer Rand und Band? Krugel, deine ist geschlagen! (Zu Icharew.) Und auch deine ist geschlagen! Schwochnew, deine ist auch geschlagen, der Husar ist auch kaputt.

Glow. Hol’s der Teufel! Va banque!

Uteschitelny. Bravo, Husar! Das ist die richtige Husarenschneidigkeit! Weißt du, Schwochnew, daß das eigentliche Gefühl doch stets herauskommt? Bis jetzt sah man immer schon, daß er einmal ein Husar sein wird, nun aber sieht man, daß er auch schon jetzt ein Husar ist. Das ist so die Natur! Der Husar ist wieder geschlagen!

Glow. Va banque!

Uteschitelny. Bravo, Husar! Auf alle fünfzigtausend! Das nennt man Seelengröße! Na, such doch mal, wo findest du so einen Zug. Das ist ja eine wahre Heldentat! Der Husar ist wieder geschlagen!

Glow. Va banque! Hol’s der Teufel! Va banque!

Uteschitelny. Oho, Husar, auf hunderttausend! Was? Und die Äuglein, die Äuglein! Merkst du’s Schwochnew, wie seine Äuglein brennen? Er hat etwas von einem Barklai de Tolly. Das ist etwas Heroisches! Der König ist noch immer nicht da! Hier hast du die Karo-Dame, Schwochnew. Da, hier, Deutscher, friß die Sieben! Routé, unbedingt routé! Der König scheint gar nicht im Spiel zu sein. Wahrhaftig, das ist sogar sonderbar. Ah, da ist er, da ist er. Wieder ist der Husar geschlagen!

Glow (hitzig). Va banque! Hol’s der Teufel! Va banque!

Uteschitelny. Nein, Bruder, halt! Du hast jetzt schon zweihunderttausend verloren. Erst zahlen, ohne das kann man kein weiteres Spiel anfangen. Soviel können wir dir nicht kreditieren!

Glow. Aber wo soll ich’s denn hernehmen? Ich hab’ ja jetzt kein Geld!

Uteschitelny. So gib uns einen Wechsel! Unterschreibe!

Glow. Bitte, ich bin bereit! (Nimmt die Feder.)

Uteschitelny. Und gib uns auch die Vollmacht auf die Gelder heraus.

Glow. Hier habt ihr auch die Vollmacht!

Uteschitelny. Jetzt unterschreibe dies, und dann auch dies! (Gibt ihm etwas zu unterschreiben.)

Glow. Bitte, ich bin bereit, alles zu tun. Hier habe ich unterschrieben. Jetzt wollen wir weiterspielen.

Uteschitelny. Nein, Liebster, warte, erst mußt du das Geld vorzeigen!

Glow. Ich werd’s euch doch bezahlen, seid nur ganz ruhig!

Uteschitelny. Nein, Bruder, erst das Geld auf den Tisch!

Glow. Was ist denn das? Das ist ja die reinste Niedertracht!

Krugel. Nein, das ist keine Niedertracht.

Icharew. Nein, das ist eine ganz andere Sache, die Chancen sind ja nicht gleich.

Schwochnew. Auf die Weise wirst du dich hinsetzen, um uns das Geld abzugewinnen. Das kennt man: wer sich ohne Geld zum Spiel hinsetzt, der setzt sich hin, um sicher zu gewinnen.

Glow. Was wollt ihr denn? Fordert doch beliebige Zinsen, ich bin zu allem bereit. Ich werde euch doppelt bezahlen!

Uteschitelny. Was machen wir uns aus deinen Zinsen, Liebster? Wir sind selber bereit, beliebige Zinsen zu zahlen, aber borg uns erst Geld.

Glow (verzweifelt und entschlossen). So sagt doch euer letztes Wort: wollt ihr spielen?

Schwochnew. Bring Geld, und wir wollen gleich spielen.

Glow (eine Pistole aus der Tasche herausholend). Nun, dann lebt wohl, meine Herren! Ihr werdet mich auf dieser Welt nicht mehr wiedersehen! (Schnell ab mit der Pistole.)

Uteschitelny. Du, du, bist du verrückt? Man muß ihm nach! In der Tat, er könnte sich ja noch erschießen! (Schnell ab.)

17. Auftritt

Schwochnew, Krugel und Icharew.

Icharew. Das gibt noch eine Geschichte, wenn dieser Teufel sich erschießt.

Schwochnew. Hol ihn der Teufel, mag er sich erschießen, nur nicht jetzt, denn noch sind die Gelder nicht in unseren Händen; das ist das Schlimme.

Krugel. Ich befürchte alles. Es ist ja auch möglich ...

18. Auftritt

Dieselben, Uteschitelny und Glow.

Uteschitelny (faßt Glow bei der Hand, in der er die Pistole hält). Was ist mit dir, was ist mit dir, Bruder? Bist du verrückt? Hören Sie, hören Sie doch, meine Herren? Er hatte schon die Pistole in den Mund gesteckt. He, schäm dich!

Alle (an ihn herantretend). Du, du ... Um Gottes willen, was ist mit dir?

Schwochnew. Und dabei ist er so’n gescheiter Mensch; und wegen so einer Lappalie will er sich erschießen!

Icharew. Auf diese Weise müßte sich ja ganz Rußland erschießen: Jeder hat verspielt oder hat doch die Absicht, zu verspielen. Wenn das nicht wäre, so könnte man ja auch nicht gewinnen, das mußt du doch selber bedenken!

Uteschitelny. Du bist einfach ein Dummkopf, laß dir’s sagen. Du kennst dein eigenes Glück nicht. Fühlst du denn nicht, daß du gewonnen hast, indem du verloren hast?

Glow (ärgerlich). Ihr haltet mich wirklich für einen Dummkopf. Was ist denn da für ein Gewinn, zweihunderttausend zu verlieren! Der Teufel auch!

Uteschitelny. Ei, du Einfaltspinsel, weißt du denn nicht, was für einen Ruhm du dir im Regiment erwirbst? Hörst du, eine Kleinigkeit: noch nicht Junker sein und zweihunderttausend verlieren! Die Husaren werden dich ja auf den Händen tragen!

Glow (ermuntert sich). Was denkt ihr denn? Werde ich denn nicht den Mut haben, auf das alles zu pfeifen, wenn es so weit ist? Hol’s der Teufel! Es lebe das Husarentum!

Uteschitelny. Bravo, es leben die Husaren! Teremtete! Champagner! (Man bringt ein paar Flaschen.)

Glow (das Glas in der Hand). Es leben die Husaren!

Icharew. Es leben die Husaren! Hol’s der Teufel!

Schwochnew. Teremtete! Es leben die Husaren!

Glow. Ich pfeife auf alles, wenn es so ist. (Stellt das Glas auf den Tisch.) Aber das eine ist schlimm, wie komme ich nach Hause? Mein Vater! Mein Vater! (Faßt sich beim Haar.)

Uteschitelny. Wozu willst du denn zum Vater? Ist ja gar nicht nötig!

Glow (ihn verwundert anglotzend). Wieso?

Uteschitelny. Du kannst ja von hier direkt ins Regiment fahren! Wir geben dir was zur Equipierung. Liebster Schwochnew, wir müssen ihm jetzt zweihundert Rubel geben, mag der Junker sich etwas amüsieren. Ich hab’s schon bemerkt, er hat so ’ne Brünette, was?

Glow. Hol’s der Teufel! Ich laufe gleich zu ihr, und werde sie im Sturme nehmen!

Uteschitelny. Ist das ein Husar, was? Schwochnew, hast du nicht zweihundert Rubel bei dir?

Icharew. Ich werde ihm schon was geben, mag er sich ordentlich amüsieren! (Glow nimmt das Papiergeld und fuchtelt damit in der Luft herum.)

Alle. Champagner! (Man bringt die Flaschen.)

Glow. Es leben die Husaren!

Uteschitelny. Sie leben hoch! Weißt du, Schwochnew, was mir jetzt eingefallen ist? Wir wollen ihn auf die Hände nehmen und in die Höhe werfen, wie man es bei uns im Regiment tat. Nun, antreten! faßt ihn an! (Alle treten an ihn heran, fassen ihn an den Händen und Füßen, wiegen ihn auf und ab und singen dabei nach der bekannten Melodie das bekannte Lied:)

Herzlich lieben wir dich allesamt,

Bleibe unser Haupt du immerdar,

Unsre Herzen sind für dich entflammt,

Wir sind deine treue Kinderschar!

Glow (mit erhobenem Glas). Hurrah!

Alle. Hurrah! (lassen ihn auf die Erde hinab).

Glow (wirft das Glas zu Boden, alle zerschlagen ebenfalls ihre Gläser, die einen mit dem Stiefelabsatz, die anderen direkt am Boden). Ich gehe gleich zu ihr.

Uteschitelny. Können wir nicht auch mit, wie?

Glow. Nein, niemand soll ..., und wenn jemand ... so geht’s auf Säbel.

Uteschitelny. Ach, ist das ein Haudegen, was? Eifersüchtig und streitsüchtig wie ein Teufel. Ich glaube, meine Herren, daß aus ihm noch ein richtiger Kampfhahn wird. Nun adieu, leb wohl, Husar, wir halten dich nicht weiter auf.

Glow. Adieu!

Schwochnew. Komm und erzähl uns nachher! (Glow ab).

19. Auftritt.

Dieselben ohne Glow.

Uteschitelny. Man muß ihn sanft behandeln, so lange das Geld noch nicht in unsern Händen ist. Aber dann hol ihn der Teufel!

Schwochnew. Ich fürchte nur eins, daß sich die Sache mit der Herausgabe der Gelder vom Fiskus lange hinziehen könnte.

Uteschitelny. Ja, das wäre sehr schlimm. Übrigens meine Herren, wie ihr wißt, gibt’s ja zu diesem Zweck Antreiber. Wie dem auch sein mag, wir werden schon diesem oder jenem etwas Geld in die Hände stecken müssen; der Ordnung halber.

20. Auftritt.

Dieselben und der Beamte Samuchrischkin; er ist mit einem etwas schäbigen Frack bekleidet und steckt den Kopf durch die Tür.

Samuchrischkin. Gestatten Sie die Frage, ist hier Glow, Alexander Michailowitsch Glow?

Schwochnew. Nein, er ist eben fortgegangen. Was wünschen Sie denn?

Samuchrischkin. Ich komme in Geschäften wegen der Herausgabe der Gelder.

Uteschitelny. Wer sind Sie denn?

Samuchrischkin. Ich bin ein Beamter aus dem Fiskus.

Uteschitelny. Ah, bitte sehr, bitte gehorsamst, Platz zu nehmen. Für diese Sache haben wir alle das lebhafteste Interesse, um so mehr, als wir freundschaftliche Abmachungen mit Alexander Michailowitsch abgeschlossen haben. Deshalb werden Sie begreifen, daß Sie von ihm und von ihm und von ihm (zeigt mit den Fingern auf alle) den aufrichtigsten Dank zu gewärtigen haben. Es handelt sich nur darum, daß man die Gelder aus dem Fiskus möglichst schnell erhalte.

Samuchrischkin. Wie Sie wollen, vor zwei Wochen geht’s nicht.

Uteschitelny. Nein, das ist aber furchtbar lang. Sie vergessen ja, daß wir uns unsererseits bedanken ...

Samuchrischkin. Das versteht sich ja von selbst, es wird alles angenommen: wie könnte ich das vergessen? Wir sprechen auch deshalb von zwei Wochen, sonst würden wir Ihnen vielleicht drei Monate lang zu schaffen machen. Das Geld wird bei uns nicht vor anderthalb Wochen eintreffen, und augenblicklich haben wir im ganzen Amt auch nicht eine Kopeke. In der vorigen Woche haben wir hundertundfünfzigtausend erhalten, die haben wir aber alle ausgegeben. Jetzt warten noch drei Gutsbesitzer auf Geld, die bereits im Februar ihre Güter verpfändet haben.

Uteschitelny. Nun, das gilt für andere. Für uns aber machen Sie es aus Freundschaft. Wir müssen uns etwas näher kennen lernen. Nun ja, wir stehen einander doch nahe. Ja, wie heißen Sie gleich? Fentafléj Perpéntitsch, nicht?

Samuchrischkin. Psoj Stáchitsch.

Uteschitelny. Nun, das ist ja fast dasselbe. Also hören Sie, Psoj Stachitsch. Seien wir wie alte Freunde. Nun wie steht’s, wie gehen die Geschäfte? Wie ist Ihr Dienst?

Samuchrischkin. Ja, wie soll denn der Dienst sein? Wie gewöhnlich: Man dient eben.

Uteschitelny. Nun, und wie ist es mit den verschiedenen Einkünften, verstehen Sie? Sagen wir einfach, nehmen Sie viel Geschenke?

Samuchrischkin. Aber ich bitte Sie: natürlich, wovon soll man denn leben?

Uteschitelny. Nun sagen Sie mal ganz aufrichtig, wie ist es bei Ihnen im Amt: Greifen alle zu?

Samuchrischkin. Ach Gott, nun lachen Sie auch, wie ich sehe. Ach, meine Herren! ... Sehen Sie mal: auch die Herren Schriftsteller, die lachen alle über die, die sich bestechen lassen; aber wenn man genauer zusieht, so lassen sich auch andere Leute bestechen, die besser als wir zu sein scheinen. Z. B. Sie meine Herren, Sie haben nur einen vornehmeren Namen dafür erfunden. Eine Spende für wohltätige Zwecke oder so was. Weiß der Himmel, wie das heißt. Aber sieht man genauer zu, so ist’s in Wirklichkeit dieselbe Bestechung: wie sagt man doch, dieselbe Couleur in grün.

Uteschitelny. Wie ich sehe, fühlt sich unser Psoj Stachitsch gekränkt. So ist es, wenn man dem Ehrgefühl zu nahe tritt.

Samuchrischkin. Ja, das Ehrgefühl ist eine kitzlige Sache, das wissen Sie wohl selber. Aber ich bin gar nicht böse. Ich habe schon ein langes Leben hinter mir, Väterchen.

Schwochnew. Schon gut, wir wollen ganz freundschaftlich miteinander sprechen, Psoj Stachitsch. Wie steht’s mit Ihnen, was machen Sie, wie geht’s bei Ihnen? Wie schlagen Sie sich in der Welt durch? Haben Sie ein Frauchen und Kinderchen?

Samuchrischkin. Gott sei Dank, Gott hat mich gesegnet. Zwei Jungens besuchen schon die Kreisschule, die zwei anderen sind noch etwas jünger. Einer läuft noch im Hemdchen rum und der andere kriecht noch auf allen Vieren.

Uteschitelny. Nun, und sie können wohl alle mit den Händchen schon so machen, glaub ich. (Zeigt mit der Hand, wie man Geld nimmt.)

Samuchrischkin. Ach bitte, meine Herren, sind Sie aber! Sie fangen schon wieder an.

Uteschitelny. Nun, nun, schon gut, Psoj Stachitsch. Das geschieht ja alles aus Freundschaft. Was ist denn nun dabei, wir sind ja unter uns. Heda, ein Champagnerglas für Psoj Stachitsch. Wir müssen ja jetzt gute Freunde sein. Wir wollen Sie auch bald mal besuchen.

Samuchrischkin (nimmt das Glas). Ah, bitte schön, meine Herren, Sie sollen herzlich willkommen sein! Ich kann Ihnen aufrichtig sagen, einen solchen Tee wie Sie ihn bei mir trinken werden, finden Sie nicht einmal beim Gouverneur.

Uteschitelny. Natürlich ein Geschenk vom Kaufmann?

Samuchrischkin. Jawohl, vom Kaufmann, direkt aus Kjachta bezogen.

Uteschitelny. Aber wie ist denn das, Psoj Stachitsch, Sie haben ja gar keine amtlichen Beziehungen zu den Kaufleuten.

Samuchrischkin (trinkt das Glas aus und stützt sich mit den Händen auf die Knie). Die Sache ist nämlich so. Der Kaufmann hat eigentlich nur aus Dummheit blechen müssen. Der Gutsbesitzer Frakassow, wenn Sie den vielleicht kennen, nimmt eine Hypothek auf sein Gut auf, alles ist abgemacht, wie sich’s gehört, und am nächsten Tag soll er das Geld bekommen. Er plant die Errichtung irgendeiner Fabrik halbpart mit dem Kaufmann. Nun, Sie begreifen wohl, uns geht es ja gar nichts an, ob das Geld für eine Fabrik verwendet wird oder für etwas anderes, und wessen Kompagnon er ist, das ist gar nicht unsere Sache. Aber der Kaufmann plappert aus Dummheit in der Stadt herum, daß er mit dem Gutsbesitzer halbpart ein Kompagnie-Geschäft abgeschlossen hat und von ihm von Stunde zu Stunde Geld erwartet. Da ließen wir dem Kaufmann sagen: wenn er uns zweitausend schickt, so wird das Geld gleich ausgezahlt, wenn nicht, so kann er lange warten. Indessen aber, verstehen Sie wohl, sind ihm schon die Kessel und die andern Gerätschaften für die Fabrik gebracht worden, und man wartet bloß noch auf das Handgeld. Der Kaufmann sieht — die Sache ist schlimm, er bezahlt seine zweitausend und jedem von uns noch drei Pfund Tee. Man wird vielleicht sagen, das ist Bestechung, aber es geschieht ihm doch recht. Warum ist er so dumm, wer hat ihn denn zum Reden gezwungen; er hätte doch seiner Zunge Halt gebieten können.

Uteschitelny. Hören Sie mal, Psoj Stachitsch, bitte erledigen Sie doch unser Geschäftchen, wir werden Ihnen schon was geben, und Sie machen es mit Ihrem Vorgesetzten ab, wie sich’s gehört. Nur um Gottes Willen möglichst schnell, Psoj Stachitsch, wie?

Samuchrischkin. Wir werden uns schon Mühe geben. (Steht auf.) Aber ich will Ihnen ganz offen sagen, so schnell, wie Sie wollen, geht es nicht. Bei Gott, bei uns im Amt ist keine Kopeke vorhanden, aber ich will mir schon Mühe geben.

Uteschitelny. Nun, und wie soll ich nach Ihnen fragen?

Samuchrischkin. Fragen Sie ganz einfach nach Psoj Stachitsch Samuchrischkin. Auf Wiedersehen, meine Herren! (Geht zur Tür).

Schwochnew. Psoj Stachitsch, bitte Psoj Stachitsch, (sieht sich um) sehen Sie doch zu.

Uteschitelny. Psoj Stachitsch, bitte Psoj Stachitsch, helfen Sie recht schnell.

Samuchrischkin. Ich habe ja schon gesagt, ich werde mir Mühe geben.

Uteschitelny. Zum Henker, das dauert aber lange, (schlägt sich mit der Hand vor die Stirn) nein, ich will ihm nachgehen, vielleicht erreiche ich etwas, ich werde kein Geld sparen, hol ihn der Teufel, ich werde ihm dreitausend von meinem Geld geben. (Schnell ab).

21. Auftritt

Schwochnew, Krugel, Icharew.

Icharew. Natürlich wäre es besser, das Geld möglichst bald zu bekommen.

Schwochnew. Und wie dringend nötig wir es haben, wie dringend nötig!

Krugel. Ach, wenn er ihn nur herumkriegen könnte.

Icharew. Wie, sind denn etwa Ihre Angelegenheiten ...

22. Auftritt

Dieselben und Uteschitelny.

Uteschitelny (tritt ein, verzweifelt). Zum Teufel, früher als in vier Tagen kann er es keinesfalls machen, ich möchte mir den Kopf an der Wand zerschellen.

Icharew. Warum hast du denn nur solche Eile, kannst du denn nicht noch vier Tage warten?

Schwochnew. Das ist es ja, Liebster, das ist für uns viel zu wichtig.

Uteschitelny. Warten? Weißt du denn, daß man uns stündlich in Nischni-Nowgorod erwartet? Wir haben es dir noch nicht erzählt. Schon vor vier Tagen haben wir die Meldung bekommen, wir müßten eiligst dahin und sollten unter allen Umständen etwas Geld mitbringen. Ein Kaufmann hat da für sechshunderttausend Rubel Eisen mitgebracht. Dienstag ist die endgültige Abmachung, und das Geld wird ihm bar ausgezahlt; und gestern ist ein anderer mit Flachs für eine halbe Million angekommen.

Icharew. Nun, was ist denn dabei?

Uteschitelny. Wieso, was ist denn dabei? Die Alten sind doch zu Hause geblieben, und haben an ihrer Stelle ihre Söhne hingeschickt.

Icharew. Ob aber die Söhne auch ganz bestimmt spielen werden?

Uteschitelny. Aber wo lebst du bloß? Etwa in China? Weißt du denn nicht, wie diese Kaufmannssöhnchen sind? Der Kaufmann erzieht ja seinen Sohn derart, daß er entweder gar nichts weiß, oder nur das weiß, was ein Adliger und nicht was ein Kaufmann zu wissen braucht. Natürlich ist auch das Söhnchen danach: spaziert am Arm mit Offizieren, und bummelt herum. Das ist für uns die einträglichste Kundschaft, mein Liebster. Diese Schafsköpfe wissen nicht, daß sie für jeden Rubel, den sie uns abschwindeln, tausend bezahlen. Jawohl, das ist unser Glück, daß der Kaufmann nur daran denkt, seine Töchter mit einem General zu verheiraten und dem Sohne Rang und Titel zu verschaffen.

Icharew. Und sind das auch sichere Sachen?

Uteschitelny. Ob es sichere Sachen sind! Man würde uns doch nicht benachrichtigt haben. Es ist fast alles in unsern Händen, jede Minute ist jetzt teuer.

Icharew. Ach, zum Teufel, was sitzen wir denn hier. Meine Herren, wir haben ja abgemacht, gemeinschaftlich zu arbeiten.

Uteschitelny. Gewiß, das ist auch unser Vorteil. Hör mal, was mir eingefallen ist. Du brauchst ja vorläufig nicht zu eilen. Du hast jetzt achtzigtausend in barem Geld. Gib uns das Geld und nimm Glows Wechsel von uns, du bekommst sicher hundertfünfzigtausend, also das Doppelte, und uns würdest du noch gar einen Dienst erweisen. Denn wir brauchen jetzt das Geld so sehr, das wir mit Freuden das Dreifache für jede Kopeke zu zahlen bereit sind.

Icharew. Sehr gern, warum nicht: um Ihnen zu beweisen, daß die Freundschaft ... (Geht an die Kassette und nimmt einen Haufen Geldscheine hervor.) Hier habt ihr achtzigtausend.

Uteschitelny. Und hier hast du die Wechsel. Jetzt eile ich gleich zu Glow, ich will ihn herbeiholen und alle Formalitäten erledigen. Krugel, bring das Geld auf mein Zimmer. Hier hast du den Schlüssel zu meiner Kassette. (Krugel ab.) Ach, wenn wir es einrichten könnten, daß wir heute abend abreisen können! (Ab.)

Icharew. Natürlich, natürlich, hier ist keine Minute zu verlieren.

Schwochnew. Und dir rate ich auch, hier nicht noch lange sitzen zu bleiben. Sowie du das Geld bekommen hast, komme sofort zu uns. Mit den zweihunderttausend — weißt du, was man damit machen kann? Man kann einfach den ganzen Jahrmarkt in die Luft sprengen ... Ach, ich habe ganz vergessen, dem Krugel etwas Wichtiges zu sagen. Warte nur, ich komme gleich zurück. (Schnell ab.)

23. Auftritt

Icharew (allein). Was für eine Wendung doch die Umstände genommen haben, was? Noch heute morgen bloß achtzigtausend, und gegen abend schon zweihunderttausend, wie? Für manchen bedeutet das ja ein ganzes Leben voll Dienst und Arbeit, den Preis für ein ständiges Sitzen, Entbehrungen, Verlust der Gesundheit, und hier bist du in einigen Stunden, ja in einigen Minuten ein regierender Prinz. Eine Kleinigkeit das: Zweihunderttausend! Ich kann mir denken, was aus mir geworden wäre, wenn ich auf dem Lande gesessen wäre und mich mit den Starosten und Bauern herumgeschlagen hätte, um jährlich dreitausend einzuheimsen. Ist denn Bildung eine Kleinigkeit? Die Unbildung, die sich auf dem Lande an dir festsetzt, die kannst du nachher nicht mit dem Messer abkratzen. Womit hätte man da seine Zeit verloren? Mit Gesprächen mit den Starosten und den Bauern ... Ich aber will mich mit gebildeten Menschen unterhalten! Jetzt bin ich sichergestellt, jetzt habe ich freie Zeit. Jetzt kann ich mich damit beschäftigen, was zu unserer Bildung beiträgt. Wenn ich nach Petersburg will, kann ich auch nach Petersburg reisen, da gehe ich ins Theater, sehe die Münze, da spaziere ich am Palais, am Englischen Quai vorbei, gehe in den Sommergarten. Oder ich gehe nach Moskau und diniere bei Jar, ich kann mich nach der Mode der Residenz kleiden, kann mich mit den andern gleichstellen und die Pflichten eines aufgeklärten Menschen erfüllen. Und was ist die Ursache davon? Was gibt mir die Möglichkeit dazu? Das, was man Betrügerei nennt. Ach, Unsinn, das ist eben gar keine Betrügerei, ein Betrüger kann man in einer Minute werden, hierzu aber ist Praxis, Studium nötig. Aber zugegeben, es sei Betrügerei. Es ist doch eben eine notwendige Sache; was kann man denn ohne sie machen? Sie ist gewissermaßen eine Warnung. Wenn ich z. B. nicht alle Feinheiten kennte, wenn ich das alles nicht begriffen hätte, wie hätte man mich da nicht beschwindeln können! Sie haben mich ja auch wirklich beschwindeln wollen. Dann sahen sie aber, daß sie es nicht mit einem gewöhnlichen Menschen zu tun haben, und gingen mich selbst um meine Hilfe an. O nein, Verstand — das ist eine große Sache; und in der Welt ist Feinheit notwendig. Ich sehe das Leben von einem ganz anderen Standpunkt an. So leben, wie ein dummer Kerl, so kann jeder leben, das ist kein Kunststück, aber mit Witz und mit Kunst leben, alle betrügen und doch selbst nicht betrogen werden, das ist die eigentliche Aufgabe, das wahre Ziel.

24. Auftritt

Icharew und Glow, der eilig eintritt.

Glow. Wo sind sie denn? Ich bin eben im Zimmer gewesen, das ist leer.

Icharew. Sie sind soeben hier gewesen, sie sind nur auf einen Augenblick fortgegangen.

Glow. Wie, schon fort? Haben sie Geld bei dir genommen?

Icharew. Jawohl, wir haben’s schon abgemacht. Jetzt handelt sich’s noch um dich.

25. Auftritt

Dieselben und Alexej.

Alexej (zu Glow). Sie wünschen zu wissen, wo die Herren sind?

Glow. Jawohl.

Alexej. Die sind ja schon abgereist.

Glow. Wieso abgereist?

Alexej. So, sie hielten schon seit einer halben Stunde Wagen und Pferde bereit.

Glow (schlägt die Hände zusammen). Nun sind wir beide hineingelegt!

Icharew. Was für ein Unsinn? Ich verstehe kein Wort. Uteschitelny muß jeden Augenblick zurückkommen. Du weißt ja, daß du die ganze Schuld jetzt mir bezahlen mußt. Sie haben sie mir zediert.

Glow. Ach was, Schuld? Zum Teufel! Du willst bezahlt haben? Siehst du denn nicht, daß du zum Narren gehalten und angeführt bist wie ein Gimpel?

Icharew. Was sprichst du da für einen Unsinn? Du scheinst deinen Rausch noch immer im Kopf zu haben.

Glow. Nun, wie es scheint, haben wir beide einen Rausch. Erwache doch! Glaubst du etwa, ich bin Glow? Ich bin ebensowenig Glow, wie du der Kaiser von China.

Icharew (unruhig). Aber ich bitte dich, was sprichst du da für einen Unsinn? Und dein Vater? ... und ...

Glow. Der Alte? Erstens ist er gar nicht mein Vater, und wird den Teufel Kinder haben; und zweitens heißt er auch nicht Glow, sondern Krinizin und nicht Michailo Alexandrowitsch, sondern Iwán Klímitsch; der ist von derselben Bande.

Icharew. Hör mal, sprich du im Ernst; damit treibt man keinen Spaß.

Glow. Was für einen Spaß? Ich habe mich ja selber daran beteiligt und bin ebenfalls betrogen. Sie haben mir dreitausend für meine Mühe versprochen.

Icharew (geht auf ihn zu, hitzig). He, treib keinen Spaß, sage ich dir! Du glaubst, ich bin so dumm? Und die Vollmacht, und der Fiskus? Da war doch noch soeben der Beamte aus dem Fiskus, Psoj Stachitsch Samuchrischkin. Du glaubst, ich kann ihn wohl nicht gleich herbeiholen lassen?

Glow. Erstens ist er gar kein Beamter aus dem Fiskus, sondern ein Stabskapitän a. D. von derselben Bande; und dann heißt er gar nicht Samuchrischkin, sondern Mursaféjkin und nicht Psoj Stachitsch, sondern Frol Semjónowitsch.

Icharew (verzweifelt). Und wer bist du, Teufel? sprich, wer bist du?

Glow. Wer ich bin? Ich war ein anständiger Mensch und bin durch die Not zu einem Schwindler geworden. Sie haben mir alles im Spiel abgewonnen, alles bis aufs Hemd. Was soll ich nun machen? ich will doch nicht vor Hunger sterben. Für dreitausend habe ich mich dazu hergegeben, mitzuarbeiten und dich zu beschwindeln. Ich sag’ es dir gerade heraus, du siehst, ich handle vornehm.

Icharew (faßt ihn wütend am Kragen). Du Schwindler.

Alexej (für sich). Na, da kommt’s, wie es scheint, gleich zu einer Rauferei, da will ich lieber verschwinden. (Ab.)

Icharew (Glow fortziehend). Komm, komm.

Glow. Wohin, wohin?

Icharew (in Wut). Wohin? zum Gericht! zum Gericht!

Glow. Aber ich bitte dich, du hast ja gar kein Recht dazu!

Icharew. Wieso, ich habe kein Recht? Stehlen, am hellichten Tage Geld wegnehmen ... in so gaunerischer Weise! Ich hätte kein Recht? Aber warte nur, im Gefängnis, in Sibirien wirst du wohl auch sagen, daß ich kein Recht habe? Warte nur, man wird eure ganze Gaunerbande noch abfassen! Ihr werdet schon sehen, was es heißt, das Vertrauen und die Ehrlichkeit gutmütiger Menschen zu hintergehen. Das Gesetz, das Gesetz, das Gesetz werde ich anrufen. (Zieht ihn fort.)

Glow. Du könntest das Gesetz ja dann anrufen, wenn du selbst nicht gesetzwidrig gehandelt hättest. Aber bedenke doch, du hast dich ja mit ihnen verbunden, um mich zu beschwindeln und mir das Geld abzugewinnen, und die Karten waren ja dein eigenes Fabrikat. Nein, Brüderchen, das ist ja eben die Sache, daß du gar kein Recht hast, zu klagen.

Icharew (schlägt sich in seiner Verzweiflung mit der Hand vor die Stirn). Zum Teufel, das ist wahr. (Fällt entkräftet auf den Stuhl, indessen eilt Glow fort). Aber solch ein teuflischer Betrug!

Glow (steckt den Kopf durch die Tür). Tröste dich, du hast es ja noch nicht so schlimm, dir bleibt ja noch die Adelaida Iwanowna! (Verschwindet).

Icharew (wütend). Hol der Teufel die Adelaida Iwanowna! (Ergreift das Kartenspiel und schleudert es gegen die Tür, einzelne Karten fliegen auf den Boden.) Da muß es nun solche Schwindler geben zum Schimpf und zur Schande der Menschheit! Aber es ist ja einfach zum Wahnsinnigwerden: Wie teuflisch war das alles durchgeführt, wie fein! Dieser Vater, dieser Sohn und dieser Beamte Samuchrischkin — und das alles ist abgekartet, und ich kann nicht einmal klagen. (Springt vom Stuhl auf und geht erregt im Zimmer auf und ab.) Und da soll man noch den Schlauen spielen, da soll man seinen Geist, seinen Witz anstrengen, Mittel erdenken .... Nein, hol’s der Teufel, es lohnt sich gar nicht, es ist des edlen Eifers, es ist der Mühe nicht wert! Da findet sich gleich in deiner Nähe ein Gauner, der dich noch übergaunert, ein Schwindler, der mit einem Male das ganze Gebäude in die Luft sprengt, an dem du jahrelang gearbeitet hast. (Mit einer ärgerlichen Handbewegung.) Zum Teufel, ist das eine schwindelhafte Welt! Nur der hat Glück, der so dumm ist wie ein Klotz, und der nichts versteht, an nichts denkt, nichts tut und mit abgenutzten Karten um einen Groschen Boston spielt!

Szenen aus einer unvollendeten Komödie

Deutsch von Alexandra Ramm

Der Morgen eines vielbeschäftigten Herrn

1. Auftritt

Ein Kabinett. Einige Schränke mit Büchern. Auf dem Tisch liegen zerstreute Papiere. Iwan Petrowitsch, ein Beamter, tritt im Schlafrock herein, reckt sich und klingelt. Im Flur hört man eine Stimme: „Sofort!“ Iwan Petrowitsch klingelt zum zweiten Male; wieder dieselbe Stimme: „Sofort!“ Iwan Petrowitsch klingelt ungeduldig zum dritten Male; der Diener tritt ein.

Iwan Petrowitsch. Bist du taub geworden?

Der Lakai. O nein.

Iwan Petrowitsch. Und warum hat es dir beliebt, nicht eher zu erscheinen, als bis ich zum dritten Male geklingelt habe?

Der Lakai. Wie hätte ich es anders machen können! Ich konnte doch meine Arbeit nicht wegwerfen: ich habe die Stiefel geputzt!

Iwan Petrowitsch. Und was hat Iwan getan?

Der Lakai. Iwan hat das Zimmer gefegt. Und dann ist er in den Pferdestall gegangen.

Iwan Petrowitsch. Hol mir das Hündchen her! (Der Lakai bringt das Hündchen.) Sususchka, Sususchka, ah Sususchka. Wir wollen dir jetzt ein Stückchen Papier anbinden. (Befestigt ihm ein Stückchen Papier am Schwanz.)

Ein anderer Lakai (kommt hereingelaufen). Alexander Iwanowitsch!

Iwan Petrowitsch. Bitte! (Läßt eilig das Hündchen fallen und schlägt ein Gesetzbuch auf.)

2. Auftritt

Iwan Petrowitsch und Alexander Iwanowitsch, (auch ein vielbeschäftigter Herr).

Alexander Iwanowitsch. Guten Morgen, Iwan Petrowitsch.

Iwan Petrowitsch. Nun, wie befinden Sie sich, Alexander Iwanowitsch?

Alexander Iwanowitsch. Danke sehr. Störe ich auch nicht?

Iwan Petrowitsch. Ach, ich bitte Sie. Ich bin ja immer beschäftigt. Nun — um wieviel Uhr sind Sie nach Haus gekommen?

Alexander Iwanowitsch. So um sechs. Als ich aus der Offizierskaja herauskam, fragte ich einen Posten, an dem ich vorüberkam: „Brüderchen, hast du nicht gehört, wie spät es ist?“ „Jawohl, es hat schon sechs geschlagen!“ sagte er. So habe ich erfahren, daß es schon sechs Uhr war.

Iwan Petrowitsch. Denken Sie sich: ich bin auch fast um die gleiche Zeit zurückgekommen! — Nun, denken Sie noch an das Whistchen? Hä hä hä!

Alexander Iwanowitsch. Hä hä hä! ... Ich habe sogar davon geträumt.

Iwan Petrowitsch. Hä hä hä! Ich habe immer gedacht: was soll es nur bedeuten, daß er den König ausspielt! Ich hatte die Dame und zwei kleinere Karten in Kreuz in der Hand und hatte schon längst gesehen, daß Lukian Fedossejewitsch renoncierte.

Alexander Iwanowitsch. Am längsten zog sich die achte Runde hin.

Iwan Petrowitsch. Jawohl. (Nach einer Pause.) Ich hatte Lukian Fedossejewitsch schon zugewinkt, daß er Trumpf ausspielen soll; aber nein! Und dabei hätte er nur einmal Trumpf zu bringen brauchen, und mein Pique-Junge hätte gestochen!

Alexander Iwanowitsch. Erlauben Sie, Iwan Petrowitsch, der Junge hätte nicht gestochen!

Iwan Petrowitsch. Oho! Er hätte doch gestochen!

Alexander Iwanowitsch. Er hätte nicht gestochen, weil Sie ja nie zum Anspielen gekommen wären.

Iwan Petrowitsch. Aber Sie haben ja Lukian Fedossejewitschs Pique-Sieben vergessen!

Alexander Iwanowitsch. Hatte er denn noch ein Pique? Ich kann mich gar nicht daran erinnern ...

Iwan Petrowitsch. Aber gewiß. Er hatte zwei Pique: die Vier, die er auf die Dame gegeben hatte, und eine Sieben.

Alexander Iwanowitsch. Aber nein, Iwan Petrowitsch, erlauben Sie: er konnte nicht mehr als ein Pique haben!

Iwan Petrowitsch. Aber mein Gott, Alexander Iwanowitsch, wem erzählen Sie das! Zwei Pique! Ich sehe sie noch wie jetzt vor mir: eine Vier und eine Sieben!

Alexander Iwanowitsch. Eine Vier hatte er, das stimmt — aber keine Sieben. Dann hätte er doch Trumpf gespielt, das müssen Sie doch zugeben, er hätte dann eben Trumpf gespielt!

Iwan Petrowitsch. Bei Gott, Alexander Iwanowitsch, bei Gott!

Alexander Iwanowitsch. Nein, Iwan Petrowitsch. Es ist durchaus unmöglich.

Iwan Petrowitsch. Erlauben Sie, Alexander Iwanowitsch: wissen Sie, was das Beste ist? Wir fahren morgen zu Lukian Fedossejewitsch. Sind Sie einverstanden?

Alexander Iwanowitsch. Gut.

Iwan Petrowitsch. Fragen wir ihn selbst, ob er eine Pique Sieben in der Hand gehabt hat.

Alexander Iwanowitsch. Bitte sehr — ich bin durchaus nicht abgeneigt. Übrigens, wenn man sich die Sache überlegt, warum spielt eigentlich Lukian Fedossejewitsch so schlecht? Man kann doch nicht sagen, daß er keinen Verstand hat. Er ist ein feiner Mann, und sein Benehmen ...

Iwan Petrowitsch. Und fügen Sie hinzu: von großen Kenntnissen! Ein Mann — das dürfen wir unter uns wohl sagen — wie wir nur wenige in Rußland haben. — Waren Sie bei Sr. Exzellenz?

Alexander Iwanowitsch. Jawohl. Ich komme soeben von ihm. — Es war etwas kalt heut morgen. Wie Ihnen wohl bekannt sein wird, habe ich die Gewohnheit, ein Wams aus Elenleder zu tragen: es ist viel angenehmer als eins von Flanell und wärmt dabei nicht so. Darum ließ ich mir den Pelz geben. Ich komme zu Sr. Exzellenz. — Se. Exzellenz schläft noch. Nun, da habe ich gewartet. Und dann sprachen wir von diesem und jenem.

Iwan Petrowitsch. Und von mir wurde nicht gesprochen?

Alexander Iwanowitsch. Gewiß, auch von Ihnen. Und dann wurde die Unterhaltung noch sehr amüsant.

Iwan Petrowitsch (angeregt). Was, was, was?

Alexander Iwanowitsch. Erlauben Sie ... erlauben Sie, immer eins nach dem andern! Das ist eine höchst unterhaltsame Geschichte. Se. Exzellenz fragte mich unter andern, wo ich meine Zeit verbringe, da er mich so lange nicht gesehen hätte, und sprach den Wunsch aus, etwas über den gestrigen Abend und über die Anwesenden zu erfahren. Ich antwortete: „Ew. Exzellenz, es waren anwesend: Pawel Grigorjewitsch Borschtschow, Ilja Wladimirowitsch Bubunizin.“ Se. Exzellenz sagt nach jedem Wort: „Hem!“ Ich sagte: „Außerdem war noch ein Bekannter Ew. Exzellenz ...“

Iwan Petrowitsch. Nun, nun?

Alexander Iwanowitsch. Erlauben Sie! Und was meinen Sie wohl, sagte Se. Exzellenz darauf?

Iwan Petrowitsch. Ich weiß nicht ...

Alexander Iwanowitsch. Er sagte: „Wer könnte das sein? —“ „Iwan Petrowitsch Barsukow,“ antwortete ich. „Hem,“ sagte Se. Exzellenz. „Das ist ein Beamter, und noch dazu ...“ (Hebt die Augen empor.) Die Decken sind bei Ihnen recht nett bemalt: ist das auf Ihre Kosten geschehen, oder auf die Ihres Wirts?

Iwan Petrowitsch. Aber nein, das ist doch eine Amtswohnung!

Alexander Iwanowitsch. Sehr, sehr hübsch. Körbchen, eine Lyra, rings herum Zwiebacke, Trommeln und eine Trompete. Wirklich, sehr, sehr natürlich!

Iwan Petrowitsch (ungeduldig). Und was sagte Se. Exzellenz?

Alexander Iwanowitsch. Ach, das hätte ich richtig vergessen. Was sagte er doch noch ...?

Iwan Petrowitsch. Er sagte: „Hem! ... Das ist ein Beamter ...“

Alexander Iwanowitsch. Richtig! „Das ist ein Beamter ...“ ... nun, und ... „und steht in meinem Dienst!“ Nachher war die Unterhaltung nicht mehr so interessant und wandte sich gewöhnlichen Dingen zu.

Iwan Petrowitsch. Und weiter hat er nichts von mir gesagt?

Alexander Iwanowitsch. Nein.

Iwan Petrowitsch (für sich). Nun, das ist vorläufig noch nicht viel. Gott, Gott, wie wäre es, wenn er gesagt hätte: In Berücksichtigung dieser und jener Verdienste schlage ich diesen Barsukow vor ...

3. Auftritt

Die Vorigen und Schreider, der zur Tür hereinschaut.

Iwan Petrowitsch. Kommen Sie herein, kommen Sie herein, es macht nichts, bitte kommen Sie nur her: Was ist das? Ein Rapport?

Schreider. Wollen Sie freundlichst unterschreiben. Hier ist eine Meldung an den Cameralhof, und das ist ein Rapport an den Verwalter.

Iwan Petrowitsch (liest inzwischen). ... dem Herrn Verwalter ... Was ist das! Sie haben ja nicht überall gleichen Rand gelassen? Was soll das? Wissen Sie, daß man Sie dafür mit Arrest bestrafen kann? (Wirft ihm einen bedeutungsvollen Blick zu).

Schreider. Ich habe es Iwan Iwanowitsch gesagt: aber er hat geantwortet, der Minister werde auf solche Lappalien nicht achten.

Iwan Petrowitsch. Lappalien! Iwan Iwanowitsch hat gut reden! Ich selber denke ja auch so: der Minister wird das wirklich nicht beachten! Aber wenn es ihm nun plötzlich doch einfällt?

Schreider. Man kann es ja abschreiben; nur wird es dann zu spät werden. Aber da Sie selbst zu sagen belieben, daß der Minister es nicht beachten wird ...

Iwan Petrowitsch. Natürlich. Das ist ja alles sehr richtig. Ich bin durchaus mit Ihnen einverstanden, er wird sich mit solchen Kleinigkeiten nicht abgeben. Aber setzen Sie den Fall, daß es ihm doch einfällt. Ich will doch mal sehen, wie groß der Raum ist, den man für den Rand gelassen hat ...?

Schreider. Wenn es so ist, werde ich es sofort abschreiben.

Iwan Petrowitsch. Ja eben „wenn es so ist“. Ich spreche ja nur mit Ihnen, weil Sie Universitätsbildung haben. Bei einem andern würde ich kein Wort verlieren.

Schreider. Ich habe es mir nur erlaubt, weil der Herr Minister ...

Iwan Petrowitsch. Gestatten Sie! Gestatten Sie: Das ist vollkommen richtig: ich bin ja auf ein Haar mit Ihnen einig. Gewiß, der Minister wird es nie beachten! er wird sich gar nicht darum kümmern. Aber wenn es ihm plötzlich doch ... was dann?

Schreider. Ich werde es abschreiben. (Entfernt sich.)

4. Auftritt

Iwan Petrowitsch (zuckt die Achseln und wendet sich an Alexander Iwanowitsch). Das hat immer noch Wind im Kopfe! Sonst ein anständiger junger Mann, erst vor kurzem von der Universität gekommen, aber hier (zeigt auf die Stirn) rein gar nichts. Sie können sich keine Vorstellung machen, verehrtester Alexander Iwanowitsch, wieviel Mühe es mir gekostet hat, das alles in Ordnung zu bringen. Sie hätten nur sehen sollen, in welchem Zustand ich meinen Posten übernommen habe! Denken Sie sich — kein Kanzleibeamter konnte einen ordentlichen Buchstaben schreiben! Man mußte es mit ansehen, wie der eine das „An“ auf die falsche Zeile brachte und wie der andere auf der ersten Zeile „Dur“ und auf der andern „chlaucht“ schrieb. Mit einem Wort: es war entsetzlich! Eine babylonische Verwirrung! Und schauen Sie sich jetzt einmal die Akten an: alles ist schön und gut! Das Herz freut sich, die Seele triumphiert! Und eine Ordnung — alles ist an seinem Platz!

Alexander Iwanowitsch. Man kann also sagen, daß Sie sich Ihren Rang mit Schweiß und Blut erworben haben!

Iwan Petrowitsch (seufzend). Jawohl! Mit Schweiß und Blut! Aber was soll ich machen, ich habe nun einmal so einen Charakter! Was wäre ich nicht alles geworden, wenn ich mich nur darum bemüht hätte! Auf meiner Brust wäre kein Platz mehr für die Orden! Aber was soll ich machen? Ich kann nun einmal nicht anders handeln. So nebenbei werde ich ja schon ein paar Andeutungen und Anspielungen fallen lassen, aber geradeheraus etwas fordern, unmittelbar etwas für mich erbitten — nein, das ist meine Sache nicht! Andere steigen fortwährend im Rang — ich dagegen habe nun einmal so einen Charakter: zu allem kann ich mich herbeilassen, aber niemals zu einer Ungerechtigkeit! (Seufzt.) Nur eins möchte ich jetzt: wenn ich doch einen kleinen Orden ins Knopfloch kriegen könnte! Nicht, weil ich ein besonderes Interesse daran hätte, sondern nur darum, damit man merkt, daß meine Vorgesetzten mir einige Aufmerksamkeit schenken. Ich möchte Sie bitten, Alexander Iwanowitsch, seien Sie so hochherzig, machen Sie doch bei Gelegenheit, natürlich so ganz nebenbei, Sr. Exzellenz gegenüber eine Anspielung, daß bei Barsukow in der Kanzlei eine Ordnung herrscht, wie Sie sie selten gefunden haben, oder doch irgend etwas ähnliches.

Alexander Iwanowitsch. Mit dem größten Vergnügen, sowie sich eine Gelegenheit bietet ...

5. Auftritt

Die Vorigen und Katerina Alexandrowna. Iwan Petrowitschs Frau.

Katerina Alexandrowna (erblickt Alexander Iwanowitsch). Ah! Alexander Iwanowitsch! Mein Gott, wie lange wir uns nicht gesehen haben! Sie haben mich ganz vergessen! Wie geht es Natalia Fominischna!

Alexander Iwanowitsch. Gottseidank! Übrigens kränkelt sie seit einer Woche.

Katerina Alexandrowna. Aeh!

Alexander Iwanowitsch. Sie leidet an Stichen und Beklemmungen in der Magengrube. Der Arzt hat ihr ein Abführungsmittel und heiße Kompressen von Kamillentee und Salmiakgeist verschrieben.

Katerina Alexandrowna. Versuchen Sie es doch mit einem homöopathischen Mittel.

Iwan Petrowitsch. Da du gerade von Homöopathie sprichst — es ist wirklich merkwürdig, wenn man bedenkt, wie weit man es jetzt mit der Aufklärung gebracht hat, Katerina Alexandrowna. Ich war vor kurzem in einer Vorstellung. Und was glauben Sie? Ein Bengel, wie soll ich euch sagen, so groß (zeigt mit der Hand) und etwa drei Jahr alt, nicht mehr — ihr hättet sehen müssen, wie der auf einem ganz dünnen Seil tanzte! Ich versichere Ihnen, im Ernst, der Atem stockte einem vor Angst!

Alexander Iwanowitsch. Die Melas singt wirklich sehr schön.

Iwan Petrowitsch (bedeutungsvoll). Die Melas? O ja. Mit vielem Gefühl!

Alexander Iwanowitsch. Ausgezeichnet.

Iwan Petrowitsch. Haben Sie bemerkt, wie geschickt sie das ... nimmt ... (beschreibt mit der Hand Kreise vor den Augen).

Alexander Iwanowitsch. Jawohl, besonders das macht sie ganz wundervoll. — Doch es ist gleich zwei Uhr.

Iwan Petrowitsch. Wie! Wollen Sie schon gehen, Alexander Iwanowitsch?

Alexander Iwanowitsch. Es ist Zeit. Ich muß heut vormittag noch an ungefähr drei Stellen sein.

Iwan Petrowitsch. Nun, dann auf Wiedersehn. Wann sehen wir uns? Richtig, ich hab fast vergessen: morgen sind wir doch bei Lukian Fedossejewitsch?

Alexander Iwanowitsch. Ganz bestimmt. (Sie verabschieden sich.)

Katerina Alexandrowna. Leben Sie wohl, Alexander Iwanowitsch.

Alexander Iwanowitsch (in der Garderobe, während er sich den Pelz umlegt). Ich kann diese Art Menschen nicht ausstehen! Das tut nichts, wird nur immer fetter und stellt sich, als wäre er dies und jenes, als hätte es dies getan und jenes verbessert — die leibhaftige Tugend! Und welche Ansprüche das macht! Einen Orden! Und er wird ihn auch bekommen! Ja, er wird ihn bekommen — dieser Gauner! Er wird ihn bekommen! Solche Menschen haben ja immer Erfolg! Und ich? Hä? Fünf Jahre bin ich länger im Dienst und bis jetzt noch nicht einmal für einen Orden vorgeschlagen? Pfui, was für eine ekelhafte Physiognomie? Und dazu entwickelt er noch zarte Gefühle: er will ja gar nichts so besonderes, nur damit man merkt, daß seine Vorgesetzten ihm einige Aufmerksamkeit erweisen. Und er bittet mich noch, daß ich ein Wort für ihn einlegen soll! Da sind Sie an den Richtigen gekommen, Verehrtester! Ich werde ihm schon einen Dienst erweisen! Nein, mein Bester, du sollst keinen Orden bekommen! Keinen! Keinen!! (Klopft einige Male wie zur Bestätigung mit der Faust auf die Handfläche und entfernt sich.)

Der Prozeß.

1. Auftritt

Ein Kabinett.

Proletew (ein Sekretär, sitzt allein im Sessel und hat fortwährend den Schlucken). Was ist denn mit mir los? Grad als wenn’s mir aufstößt. Das Mittagessen von gestern steckt mir noch in der Kehle. Da ißt man und ißt — weiß der Teufel, was man alles ißt! (Es stößt ihm auf.) Da ist’s! (Es stößt ihm auf.) Schon wieder. (Es stößt ihm auf.) Noch einmal! (Es stößt ihm auf.) Jetzt schon zum viertenmal! (Es stößt ihm auf.) Der Teufel soll auch das viertemal holen! Jetzt will ich mal die „Nördliche Biene“ lesen und sehen, was da drin steht. Ah, wie ich diese „Nördliche Biene“ über habe! Grad wie ein Frauenzimmer, das als alte Jungfer sitzengeblieben ist. (Liest und schreit auf.) Krachmanow eine Auszeichnung! Ah? Petruschka Krachmanow! Solch ein kleiner Bengel war er. (Zeigt mit der Hand.) Ich habe ihn doch selbst im Kadettenkorps untergebracht. Ah? (Fährt fort zu lesen, plötzlich schreit er auf, indem er die Augen weit aufreißt.) Was ist das? Was ist das? Heißt das wirklich Burdjukow? Wirklich! Pawel Petrowitsch Burdjukow ist befördert worden! Ah? Nun? Ein bestechlicher Kerl, der zweimal von Gerichtswegen verfolgt wurde, der Vater ein Dieb, der den Fiskus bestohlen hat — der ekelhafteste Mensch, den man sich nur vorstellen kann — Hä? Und die ganze Welt hält ihn für einen aufrichtigen Menschen. Solch ein Schurke! Hat er nicht behauptet: „Der Prozeß Buchtjelew ist nicht sachlich entschieden worden, der Senat ist der Sache nicht auf den Grund gegangen!“ — Und warum? Der Schurke hat einfach erfahren, daß auf meinen Teil zwanzigtausend Rubel fallen würden — da denkt er sich, warum hat er die nicht bekommen? Der ist wie ein Hund, der auf dem Heu liegt: Was er selbst nicht kriegt, gönnt er auch einem andern nicht. Aber ich kenne dich, geh doch und schwindle andern etwas vor, verstell dich nur vor ihnen. Ich weiß genug von dir. Wahrhaftig, ich ärgere mich, daß ich in die Zeitung hineingesehen habe. Wenn man die liest, hat man nichts als Ärger und Ekel. He, Andrei!

2. Auftritt

Der Lakai (hereintretend). Was befehlen Sie?

Proletew. Trag diese Zeitung hinaus! Warum hast du sie überhaupt gebracht, du Narr! (Andrei trägt die Zeitung hinaus.) Was sagt man nur zu diesem Burdjukow. Ah, den würde ich, ohne viel Worte zu machen, einfach nach Kamtschatka schicken. Ich würde ihm mit dem größten Vergnügen einen Schabernack spielen, das muß ich gestehen — sofort in diesem selben Augenblick. Aber es hat sich bis jetzt noch keine, aber auch keine Gelegenheit gefunden ... Was soll ich machen? Gott zürnt mir wohl! Ah, ich würde dich schon streicheln, ich würde dir schon was um die Lippen schmieren ... Und was er für Lippen hat! Wie ein Stier — so ’ne Kanaille!

Der Lakai. Burdjukow ist da.

Proletew. Wer?

Der Lakai. Burdjukow ist da.

Proletew. Was für einen Unsinn redest du?

Der Lakai. Zu Befehl.

Proletew. Du lügst, Esel. Burdjukow? Pawel Petrowitsch Burdjukow?

Der Lakai. Nein, Pawel Petrowitsch nicht — irgendein anderer!

Proletew. Was für ein anderer?

Der Lakai. Belieben Sie selbst nachzusehen: er wartet draußen.

Proletew. Ich lasse bitten.

3. Auftritt

Proletew und Christophor Petrowitsch Burdjukow.

Burdjukow. Bitte entschuldigen Sie die Störung, die ich Ihnen verursache. Allerlei Umstände und Geschäfte haben mich aus unserm Städtchen vertrieben. Ich bin hergekommen, Sie um Ihre persönliche Hilfe und um Ihren Schutz zu bitten.

Proletew (beiseite). Das ist wirklich ein anderer. Aber er hat eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm. (Laut.) Was wünschen Sie? Womit kann ich Ihnen dienen?

Burdjukow (zuckt die Achseln). Gott, ein Prozeß. Eine Gerichtssache.

Proletew. Eine Gerichtssache? Gegen wen?

Burdjukow. Gegen meinen eigenen Bruder.

Proletew. Erlauben Sie mir, Sie zuerst um Ihren Namen zu bitten. Und dann setzen Sie mir Ihre Angelegenheit näher auseinander. Wollen Sie bitte Platz nehmen.

Burdjukow. Mein Name ist Burdjukow, Christophor Petrowitsch, und der Prozeß geht gegen meinen leiblichen Bruder, Pawel Petrowitsch Burdjukow.

Proletew. Was sagen Sie? Was? ... Nein!

Burdjukow. Ja, was starren Sie mich so an? Glauben Sie vielleicht, ich bin zu meinem Vergnügen mit der Post aus Tambow hierhergekommen?

Proletew. Gott segne Sie für diese gute Tat! Erlauben Sie mir, Ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Etwas Gescheiteres hätten Sie sich nie ausdenken können. Nun soll man noch sagen, daß es keine Großmut und keine Gerechtigkeit gibt! Und was wäre das? Hier steht der leibliche Bruder! Durch Blutsbande verbunden — und er hat den Bruder nicht geschont! Ein Prozeß gegen den leiblichen Bruder! Erlauben Sie, daß ich Sie umarme.

Burdjukow. Mit Vergnügen. Ich hätte Sie selbst gern für Ihr Entgegenkommen umarmt. (Sie umarmen sich.) Das muß ich gestehen: vorhin, als ich Ihr Gesicht sah, hätte ich niemals geglaubt, daß Sie ein so vernünftiger Mensch sind!

Proletew. Da haben wir’s! — Wieso denn?

Burdjukow. Wirklich — im Ernst! Gestatten Sie mir eine Frage: Ihre selige Mutter hat wohl einen großen Schreck gehabt, als sie mit Ihnen schwanger ging?

Proletew. Was der für einen Unsinn zusammenschwatzt!

Burdjukow. Wirklich, seien Sie nicht beleidigt, ich werde Ihnen sagen, das kommt sehr oft vor. Bei unserm Vorsitzenden ist die ganze untere Gesichtspartie, ähnlich wie bei einem Schaf, gleichsam abgeplattet und mit Fell bewachsen — ganz wie bei einem Schaf. Und das infolge eines ganz unbedeutenden Umstandes: als die Selige beim Gebären war, da war ein Schaf am Fenster erschienen, und der Böse muß es reiten, daß es zu blöken anfängt!

Proletew. Bitte, lassen wir den Vorsitzenden und das Schaf in Ruh ... Nein, wie ich mich freue!

Burdjukow. Und wie ich mich erst freue, daß ich solch einen Gönner gefunden habe! Erst jetzt, wo ich Sie näher ansehe, finde ich, daß Ihr Gesicht mir bekannt ist: wir hatten in unserm Karabinierregiment einen Leutnant, der Ihnen ähnelte wie ein Tropfen Wasser dem andern. Ein schrecklicher Trunkenbold! Wissen Sie, ich kann Ihnen sagen: kein Tag verging, ohne daß seine Visage ganz zerschlagen war.

Proletew (beiseite). Wie es scheint, hat dieser Dorfbär nicht die Gewohnheit, seine Zunge im Zaum zu halten; aller Unrat, der in seiner Seele sitzt, muß auf die Zunge. (Laut.) Ich habe nicht viel Zeit, bitte, kommen Sie zur Sache.

Burdjukow. Erlauben Sie, aber das läßt sich im Sitzen nicht erzählen. Das ist ein schwieriger Kasus. Haben Sie die Gutsbesitzerin Jewdokia Malafejewna Merinow aus dem Ustjuger Kreise gekannt? Nein? Sie haben Sie nicht gekannt? Schön. Es war meine leibhaftige Tante und auch die dieser Bestie, meines Bruders. Ich und mein Bruder sind ihre nächsten Erben. — Belieben Sie das zu beachten: darum handelt es sich nämlich! Außerdem ist noch eine Schwester da, die den General Polawischtschew geheiratet hat: nun, über die wollen wir kein Wort weiter sagen, die hat ohnedies schon ihr Teil abbekommen. Nun erlauben Sie: da hat sich also dieser Gauner, mein Bruder, — in dieser Beziehung kann der Teufel noch von ihm lernen — an meine Tante herangemacht: „Tantchen, Sie haben Gottseidank schon siebzig Jahre lang gelebt, wozu wollen Sie sich bei einem so hohen Alter noch mit der Wirtschaft abgeben: lassen Sie lieber mich für Sie wirtschaften und für den Unterhalt sorgen.“ Und so geschah es! Merken Sie etwas? Merken Sie etwas? Er siedelte in ihr Haus über, und nun lebt er dort und herrscht dort wie der wirkliche Herr des Hauses. Hören Sie auch zu?

Proletew. Jawohl.

Burdjukow. Also schön. Ja also ... nun wird die Tante krank. Warum? — Gott mag es wissen. Vielleicht hat er selbst ihr etwas eingegeben. Man gibt mir von anderer Seite einen Wink. Merken Sie etwas? Ich komme hin: im Flur begegnet mir diese Bestie, das heißt mein Bruder, ganz in Tränen aufgelöst und wie abwesend, und sagt zu mir: „Nun, Brüderchen,“ sagt er, „nun sind wir für ewig unglücklich: unsere Wohltäterin ...“ „Wie, hat sie ihre Seele Gott überantwortet?“ — „Nein, sie liegt im Sterben.“ Ich trete ein und wirklich: die Tante liegt in den letzten Zügen und rollte nur noch die Augen. Nun, was soll man tun? Weinen? Das hilft ja auch nichts. Das hätte doch nichts geholfen, he?

Proletew. Nein, gar nichts.

Burdjukow. Was ist also zu machen? Nichts ist zu machen! Es war eben Gottes Wille! Ich trete näher heran. „Tantchen,“ sage ich, „wir sind alle sterblich. Unser Leben steht heut wie morgen in Gottes Hand, wie man zu sagen pflegt. Wollen Sie nicht rechtzeitig irgendeine Anordnung treffen?“ Und was tut das Tantchen? Ich sehe, sie kann kaum noch die Zunge bewegen und lallt nur: „Eh, eh, eh!“ Dieser Schuft aber steht neben ihrem Bett und sagt: „Tantchen erklärt hiermit, daß sie ihre Anordnungen schon getroffen hat!“ Hören Sie? Hören Sie?

Proletew. So ein ..! Hatte sie denn wirklich etwas derartiges gesagt?

Burdjukow. I wo, zum Teufel! Sie lallte nur: „Eh, eh, eh!“ Ich dränge also immer mehr. „Gestatten Sie, Tantchen, daß ich erfahre, was das für Anordnungen sind?“ Und was tut das Tantchen? Das Tantchen antwortet wieder nur: „Eh, eh, eh ...“ Jener Schurke aber erklärt wieder: „Tantchen sagt, das sich die betreffenden Anordnungen in ihrem Testament befinden!“ Hören Sie? Hören Sie? Was sollte ich da machen? Ich schwieg und sagte kein Wort!

Proletew. Aber erlauben Sie: warum haben Sie ihn nicht gleich Lügen gestraft?

Burdjukow. Was sollte ich machen? (Gestikuliert mit den Händen.) Er fing an zu schwören, sie hätte das wirklich alles gesagt! Nun — ich mußte ihm glauben!

Proletew. Und hat man das Testament geöffnet?

Burdjukow. Jawohl.

Proletew. Nun, und ..?

Burdjukow. Passen Sie auf: Sobald man nach Christenpflicht alles besorgt hatte, sagte ich, es sei doch jetzt Zeit, sich die letzte Willenserklärung der Seligen anzusehen. Der Bruder konnte kaum antworten: er war so voller Schmerz und Verzweiflung, daß er nur fortwährend weinte. „Nehmen Sie es“, sagte er, „und lesen Sie selbst.“ Die Zeugen versammelten sich, und man las das Testament vor. Nun, und was glauben Sie, steht in dem Testament? Folgendes: „Meinem Neffen Pawel Petrows Sohn Burdjukow“ — passen Sie auf — „hinterlasse ich zur Belohnung für seine kindliche Sorge um mich und für sein stetes Verweilen in meiner Nähe bis zu meinem Tode“ — merken Sie etwas? — „mein ererbtes und wohlerworbenes Gut im Kreise Ustjug,“ — aha, soweit ist es also gekommen! — „fünfhundert Seelen, Mobilien und alles Übrige!“ Nun, haben Sie gehört? „Meiner Nichte Maria Petrowna Powalischtschew, geborene Burdjukow, hinterlasse ich das ihr zukommende Gut von hundert Seelen ... Meinem Neffen“, aha, merken Sie etwas? Da ist die Eiterbeule! „Chrisanphy Petrows Sohn Burdjukow“, passen Sie auf, passen Sie auf, „vermache ich als Erinnerung an mich“, oho! oho! „drei Samtröcke und das ganze Gerümpel, das sich im Speicher befindet, als da sind: zwei Federbetten, das Fayencegeschirr, die Laken und Häubchen ...“ und der Teufel mag wissen, was für Lumpereien noch! Nun? wie gefällt Ihnen das? Ich frage Sie: wozu zum Teufel brauche ich drei Samtröcke?

Proletew. So ein Lump! Ich bitte Sie!

Burdjukow. Eine Schurkerei — das stimmt vollkommen. Ich bin durchaus einer Meinung mit Ihnen, aber ich frage Sie nochmals: wozu brauche ich drei Samtröcke? Was soll ich damit anfangen? Soll ich sie mir über den Kopf ziehen?

Proletew. Und haben die Zeugen unterschrieben?

Burdjukow. Natürlich, er hatte sich schon das rechte Lumpenpack zusammengetrommelt!

Proletew. Und die Selige hatte eigenhändig unterzeichnet?

Burdjukow. Darum handelt es sich ja — sie hat unterzeichnet, aber der Teufel mag wissen wie!

Proletew. Wie?

Burdjukow. Passen Sie auf: die Selige hieß Jewdokia, und sie hat so ein Zeug hingekritzelt, das keiner entziffern kann.

Proletew. Warum nicht?

Burdjukow. Ja das mag der Teufel wissen! Sie hätte doch Jewdokia schreiben müssen — in Wahrheit aber hat sie geschrieben: „Tauche ein!“

Proletew. Was Sie sagen!

Burdjukow. Oh, ich werde Ihnen sagen: der ist zu allem fähig! „Und meinem Neffen Chrisanphy Petrow: drei Samtröcke!“

Proletew (beiseite). Dieser Pawel Petrowitsch Burdjukow ist ein Hauptkerl, nie hätte ich geglaubt, daß er so ein Schlaukopf ist!

Burdjukow (gestikulierend). „Tauche ein!“ Was soll das bedeuten? Das ist doch kein Name: „Tauche ein!“

Proletew. Und was beabsichtigen Sie nun zu tun?

Burdjukow. Ich habe schon eine Eingabe behufs Kassierung des Testaments eingereicht, weil die Unterschrift falsch ist. Sie sollen mir doch nichts vorlügen: die Selige hieß Jewdokia und nicht „Tauche ein!“

Proletew. Sie haben ganz Recht! Doch erlauben Sie mir jetzt, die Sache in die Hand zu nehmen. Ich werde sofort einen mir bekannten Sekretär benachrichtigen, und Sie stellen mir inzwischen eine Abschrift von Ihrem Testament zu.

Burdjukow. Ich bin Ihnen unendlich verpflichtet. (Nimmt seinen Hut.) Durch welche Tür geht man hinaus, durch diese oder jene?

Proletew. Bitte durch diese.

Burdjukow. Aha. Ich habe bloß darum gefragt, weil ich noch wegen eines Bedürfnisses wohin muß. Also auf Wiedersehen, Verehrtester! ... Wie heißen Sie doch? ... Ich vergesse es immer.

Proletew. Alexander Iwanowitsch.

Burdjukow. Alexander Iwanowitsch. Alexander Iwanowitsch heißt einer von den Proldiukowskis; kennen Sie ihn?

Proletew. Nein.

Burdjukow. Er wohnt fünf Werst von unserm Gute. Leben Sie wohl!

Proletew. Leben Sie wohl, Verehrtester, leben Sie wohl!

4. Auftritt

Proletew. Später der Diener.

Proletew. Das ist ja ein unerwartetes Glück! Das ist geradezu ein Geschenk; einfach eine Schickung Gottes. Seltsam, aber man fühlt so ein unsagbares Vergnügen in der Seele, als ob einem die eigene Frau zum erstenmal einen Sohn geboren, oder der Minister einem in Anwesenheit aller Beamten einen Kuß gegeben hat. Bei Gott — etwas beinahe Magnetisches. He! Andrei! (Andrei tritt ein.) Geh sofort zu meinem Sekretär und rufe ihn her. Hörst du? Ja — und wart mal: hier hast du ein Trinkgeld, betrink dich ordentlich, heut erlaub’ ich’s dir; und da hast du noch etwas für deinen Jungen, für Kuchen. Sag dem Sekretär, er soll sofort ... es handle sich um eine höchst eilige Angelegenheit! Ach, endlich doch ... aber mit wie vieler Mühe! Auch in unsere Straße also zog das Glück ein! Warte, jetzt setze ich mich hin und pfeife, und wir wollen sehen, wie du tanzen wirst! Wenn ich erst aus meinen Kollegen ein Orchester zusammenbringe, dann sollst du mir tanzen, daß dir dein Leben lang die Hüften schmerzen sollen!

Das Vorzimmer

1. Auftritt

Das Theater stellt ein Flurzimmer dar. Rechts führt eine Tür zur Treppe, links eine zum Saal. Im Hintergrund, etwas zur Seite, die Tür zum Kabinett. Auf einer Bank, die durch die Länge des Raums bis zu dieser Tür reicht, schlafen Pjotr, Iwan und Grigori, einer den Kopf auf die Schultern des andern stützend. An der Tür, die zur Treppe führt, ertönt lautes Klingeln. Die Lakaien erwachen.

Grigori. Geh, mach die Tür auf! Man klingelt.

Pjotr. Und warum bleibst du sitzen? Du hast wohl Beulen an den Füßen, was? Du kannst wohl nicht aufstehen?

Iwan (beruhigend). Nun gut, ich werde gehen. Ich werde schon aufmachen. (Öffnet die Tür und ruft.) Das ist ja Andruschka!

(Ein fremder Diener in Mütze und Mantel tritt ein, er trägt ein Bündel in der Hand.)

Grigori. Nun, du Moskauer Nachteule, was hat dich hierher getrieben!

Der fremde Diener. Du Schuchoner Kauz, wenn du so viel herumgelaufen wärst wie ich! Sie befiehlt mir das da (hebt das Bündel empor) der Blumenhändlerin auf der Petersburgskaja zu bringen. Aber kein Gedanke, daß sie mir etwa eine Kopeke für eine Droschke gibt. Und auch zu eurem Herrn soll ich .. nun, schläft er noch?

Grigori. Wer? Der Bär? Nein, der liegt noch in seiner Höhle und hat noch nicht gebrummt.

Pjotr. Ist es wahr, daß eure Gnädige euch Strümpfe stopfen läßt? (Alle lachen.)

Grigori. Brüderchen, von jetzt ab sollst du die Stopferin heißen — wir werden dich alle so nennen!

Der fremde Lakai. Bist du ein Lügner! Nie habe ich einen Strumpf gestopft!

Pjotr. Aber es ist ja bekannt von euch: bis zum Mittag ist ein Diener bei euch Koch, und nach dem Mittag Kutscher, Lakai oder Stiefelflicker.

Der fremde Lakai. Nun und was ist schon dabei? Ein Handwerk steht doch dem andern nicht im Wege. Man kann doch nicht ohne Arbeit herumsitzen! Gewiß, ich bin Lakai und Damenschneider zugleich. Ich nähe für meine Gnädige und auch für Fremde — so bring ich doch noch ein paar Kopeken zusammen. Und ihr, was tut ihr? Ihr tut nichts!

Grigori. Nein Bruder, ein anständiger Herr wird seine Lakaien nicht mit solchen Arbeiten beschäftigen: dafür gibt es Handwerker genug. Der Graf Bulkin hat allein dreißig Diener, und dort, Bruder, dort gibt es nicht so was. „Petruschka, geh mal da und dahin.“ „Nein,“ würde er antworten, „nein, das ist nicht meine Sache. Belieben Sie doch Iwan zu beauftragen!“ Ja, so ist es! So sieht es aus, wenn ein Herr wie ein Herr lebt! Eure Alte, die aus Moskau angekommen ist, hat überhaupt eine Kalesche wie eine geknackte Nuß. Die Schwänze der Pferde sind mit Strippen zusammengebunden. (Alle lachen).

Der fremde Lakai. Nein, was du für ein Spaßvogel bist! — Und was hast du davon, wenn du den ganzen Tag herumliegst? Dabei kommt keine Kopeke heraus!

Grigori. Was brauche ich deine Kopeken? Wozu ist denn der Herr da? Den Lohn zahlt er mir doch aus, ob ich nun arbeite oder nicht. Für das Alter sparen brauche ich nicht. Das wäre ja ein netter Herr, der seinem Diener keine Pension für seine Arbeit aussetzt.

Der fremde Lakai. Übrigens ... die Kollegen wollen einen Ball geben?

Pjotr. Ja. Kommst du?

Der fremde Lakai. Ach, das wird schon ein Ball werden. Bloß dem Namen nach, sonst ...

Grigori. O nein Bruder, das wird ein richtiger Ball werden! Alle geben einen Rubel, und manche noch mehr. Der Koch des Fürsten hat fünf Rubel gegeben und übernimmt es persönlich, das Essen zu bereiten. Eine Bewirtung wird es geben — nicht etwa bloß Nüsse! Ein halbes Pud Konfitüren sind schon gekauft, dazu Eis ... (man hört ein dünnes Klingeln im herrschaftlichen Kabinet.)

Der fremde Lakai. Geh hin, der Herr klingelt.

Grigori. Der kann warten. — Man will ’ne Lumination machen. Mit der Musik ist auch schon verhandelt worden, man ist sich aber noch nicht einig geworden: es ist kein Baß da, sonst wäre man schon ... (Man hört ein etwas stärkeres Läuten aus dem Kabinett.)

Der fremde Lakai. Geh! Geh doch! Er klingelt.

Grigori. Der kann warten. — Wieviel gibst du?

Der fremde Lakai. Ach, was ist an diesem Ball dran. Das ist alles doch nur so.

Grigori. Nun binde mal deinen Beutel auf, du — Stopferin. Da, sieh ihn dir an, Petruschka, was für einer das ist ... (Pufft ihn mit dem Finger. Während dieser Zeit öffnet sich die Tür, der Herr im Schlafrock streckt die Hand aus und packt Grigori beim Ohr; alle erheben sich von ihren Plätzen.)

2. Auftritt

Der Herr. Was tut ihr eigentlich hier, ihr Müßiggänger? Drei Mann, und kein einziger erhebt sich von seinem Platz! Und ich klingle aus allen Kräften, ich habe beinahe die Schnur zerrissen!

Grigori. Es war nichts zu hören, gnädiger Herr.

Der Herr. Du lügst.

Grigori. Bei Gott! Warum soll ich lügen? Petruschka hat ja auch dabeigesessen. Das ist schon so eine Klingel, gnädiger Herr, die taugt gar nichts, niemals hört man etwas. Man muß den Schlosser rufen.

Der Herr. Nun, dann muß man eben den Schlosser rufen.

Grigori. Ich habe es dem Hausmeister auch schon gesagt. Aber was hilft das? Man sagt ihm etwas, und er schimpft einen nur aus.

Der Herr (erblickt den fremden Lakaien). Was ist denn das da für ein Mensch?

Grigori. Ein Diener von Anna Petrowna, der einen Auftrag an Sie hat.

Der Herr. Nun, Bruder, was hast du mir zu sagen.

Der fremde Lakai. Die gnädige Frau läßt sich empfehlen und läßt Ihnen mitteilen, daß die gnädige Frau heute bei Ihnen sein wird.

Der Herr. Weißt du nicht warum?

Der fremde Lakai. Das weiß ich nicht. Die gnädige Frau sagte nur: Sage Fjodor Fjodorowitsch, ich hätte befohlen, ihn zu grüßen, und ich werde heute zu ihm kommen.

Der Herr. Und wann? Um wieviel Uhr?

Der fremde Lakai. Um wieviel Uhr? Das weiß ich nicht. Die gnädige Frau sagten nur: „Melde Fjodor Fjodorowitsch“ sagte sie, „daß ich zu ihm kommen werde, und daß ich ihn persönlich aufsuchen werde“.

Der Herr. Gut. Petruschka, hilf mir schnell, mich ankleiden. Und ihr da — keiner wird empfangen, hört ihr? Allen wird gesagt, ich bin nicht zu Hause! (Geht, Petruschka folgt ihm.)

3. Auftritt

Der fremde Lakai (zu Grigori). Nun siehst du, da hast du’s bekommen.

Grigori (macht eine abwehrende Bewegung). Ach, das ist schon ein Dienst! Man mag sich so viel Mühe geben, als man will: man wird doch ausgescholten! (Die Klingel an der Flurtür erschallt.)

Grigori. Da kommt schon wieder ein Störenfried. (Zu Iwan.) Geh, mach auf! Was, hältst du Maulaffen feil! (Iwan öffnet die Tür, ein Herr im Pelz tritt herein.)

4. Auftritt

Der Herr im Pelz. Ist Fjodor Fjodorowitsch zu Hause?

Grigori. Nein.

Der Herr. Wie ärgerlich. Weißt du nicht, wohin er gegangen ist?

Grigori. Ich weiß nicht. Wahrscheinlich ins Departement. Wen darf ich melden?

Der Herr. Sag, daß Neweleschtschagin hier war. Und es hätte ihm sehr leid getan, daß er niemand zu Haus getroffen habe. Hörst du? Wirst du es auch nicht vergessen? Neweleschtschagin.

Grigori. Lentjagin?

Der Herr (eindringlich). Neweleschtschagin.

Grigori. Sie sind ein Deutscher?

Der Herr. Was — ein Deutscher! Ein Russe natürlich! Ne-we-lesch-tscha-gin.

Grigori. Hörst du, Iwan, vergiß nich. Erdaschtschagin. (Der Herr entfernt sich.)

5. Auftritt

Der fremde Lakai. Lebt wohl, Brüder. Es ist jetzt Zeit für mich.

Grigori. Nun, wie steht’s? Wirst du zum Ball kommen?

Der fremde Lakai. Das will ich mir noch überlegen. Leb wohl, Iwan. (Ab.)

Iwan. Leb wohl. (Er geht, um die Tür zu öffnen.)

6. Auftritt

Das Stubenmädchen eilt durch das Vorzimmer.

Grigori. Wohin? Wohin? So schenken Sie mir doch nur einen Blick. (Hascht sie beim Rock.)

Das Mädchen. Es geht nicht, es geht nicht, Grigori Pawlowitsch. Halten Sie mich nicht auf, ich habe gar keine Zeit. (Reißt sich los und eilt zu der Tür, die zur Treppe führt.)

Grigori (sieht ihr nach). Schau nur, wie die trippelt! (Lacht.) He he he!

Iwan (lacht). Hi hi hi. (Der Herr tritt herein; Grigori und Iwan machen plötzlich besorgte Gesichter und werden ernst. Grigori nimmt den Pelz von dem Ständer und legt ihn dem Herrn um die Schultern; der Herr entfernt sich. Grigori bleibt in der Mitte des Zimmers stehen und putzt sich die Nase mit dem Finger.)

Grigori. Jetzt haben wir freie Zeit: der Herr ist weg. Nun wäre ja alles gut, aber gleich kommt dieser Teufel, dieser Wanst von einem Hausmeister. (Hinter der Bühne hört man den Hausmeister lärmen: „Es ist ’ne wahrhaftige Strafe Gottes, zehn Mann im Hause und kein einziger räumt auf!“) Da schreit er schon, dieser Dickwanst.

7. Auftritt

Der Hausmeister (tritt sehr beleidigt und erregt herein und gestikuliert heftig mit den Händen). Wenn ihr euch nicht vor Gott fürchtet, so solltet ihr euch doch wenigstens vor eurem Gewissen fürchten. Die Teppiche sind bis jetzt noch nicht ausgeklopft! Sie, Grigori Pawlowitsch, sollten den andern ein Beispiel geben: und gerade Sie schlafen vom Morgen bis Abend. Die Augen sind Ihnen ja ganz verschwollen vom Schlaf, bei Gott! Sie sind ein wirklicher Schurke, Grigori Pawlowitsch!

Grigori. Bin ich denn kein Mensch, daß ich nicht auch mal einschlummern kann?

Der Hausmeister. Wer sagt denn auch ein Wort dagegen? Warum soll man nicht einmal einschlummern können? Aber doch nicht für den ganzen Tag! Und auch du, beispielsweise, Pjotr Iwanowitsch, ohne etwas gegen dich sagen zu wollen, du gleichst doch ganz einem Schwein — bei Gott! Was hast du zu arbeiten? Ein, zwei Leuchter putzen. Und warum sitzt du hier herum? (Pjotr entfernt sich langsam.) Und dir, Iwan, müßte man einfach einen Stoß ins Genick geben.

Grigori (indem er sich entfernt). Ach, dieses Leben — dieses Leben! Der Kerl steht auf und gleich beginnt er zu schreien!

Der Hausmeister (bleibt allein). Darin besteht eben die Ordnung, daß jeder Mensch seine Pflicht kennt. Wenn du ein Diener bist — so mußt du auch ein Diener sein, bist du ein Edelmann — so sei ein Edelmann, bist du ein Bischof — so mußt du ein Bischof sein. Sonst könnte ja jeder anfangen ... ich würde z. B. gleich sagen: „Nein, ich bin kein Hausmeister, sondern ein Gouverneur oder irgendeiner von der Infanterie.“ Aber darauf würde mir doch jeder antworten: „Nein, du lügst, du bist ein Hausmeister und kein General.“ — Ja! „Deine Pflicht ist es, über das Haus zu wachen und über das Benehmen der Diener!“ Ja! „Für dich heißt es nicht: ‚Bon jour comment vous français‘, sondern: halt Ordnung, gib deine Anweisungen!“ So ist’s! Jawohl!

8. Auftritt

Anuschka, das Stubenmädchen aus dem andern Hause, tritt ein.

Der Hausmeister. Ah, Anna Gawrilowna! Meine Hochachtung! Ich begrüße Sie mit außerordentlichem Vergnügen!

Anuschka. Machen Sie sich keine Mühe, Lawrenti Pawlowitsch. Ich komme absichtlich nur auf eine Minute zu Ihnen; ich habe den Wagen Ihres Herrn gesehen und erfahren, daß er nicht zu Hause ist.

Der Hausmeister. Daran haben Sie sehr wohl getan. Ich und meine Frau werden uns sehr freuen. Bitte, setzen Sie sich doch.

Anuschka (setzt sich). Sagen Sie, Sie wissen doch etwas von dem Ball, der in den nächsten Tagen stattfinden soll?

Der Hausmeister. Natürlich. Sehen Sie wohl, es war beispielsweise eine Kollekte veranstaltet: ein Mensch gibt etwas, und ein anderer gibt etwas, und wie gesagt, ein dritter ... Natürlich wird das sozusagen eine größere Summe ausmachen. Ich und meine Frau haben zusammen fünf Rubel gegeben. Natürlich: es ist doch ein Ball! Oder wie man zu sagen pflegt: eine Soiree! Es wird auch was vorgesetzt werden, wie gesagt, Erfrischungen und für die jungen Leute Tänze und Vergnügungen ähnlicher Art.

Anuschka. Ich werde unbedingt kommen, unbedingt. Ich bin nur hergekommen, um zu erfahren, ob Sie und Agafja Iwanowna da sein werden.

Der Hausmeister. Agafja Iwanowna spricht von nichts anderem als von Ihnen.

Anuschka. Ich fürchte mich nur wegen der Gesellschaft.

Der Hausmeister. Nein, Anna Gawrilowna, die Gesellschaft wird sehr gut sein. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber ich habe gehört, daß der Kammerdiener des Fürsten Tolstogub, der Büfettier und der Kutscher des Fürsten Brjuchowezki und das Stubenmädchen irgendeiner Fürstin da sein werden. Ich hoffe, daß auch einige Beamte kommen werden.

Anuschka. Nur eins gefällt mir gar nicht, daß auch die Kutscher da sein werden. Sie riechen immer nach schlechtem Tabak oder Wodka; und dabei sind sie alle so ungebildet und haben schlechte Manieren.

Der Hausmeister. Erlauben Sie mir Ihnen zu sagen, Anna Gawrilowna, daß es Kutscher und Kutscher gibt. Das ist natürlich richtig: die Kutscher haben ununterbrochen mit den Pferden zu tun und manchmal müssen sie, mit Verlaub zu sagen, sogar den Dung auskehren; gewiß, so ein einfacher Mensch — der trinkt ab und zu ein Glas Wodka und manchmal auch mehr, raucht gewöhnlich Bakun, wie es das einfache Volk meistenteils zu tun pflegt, und so ist es ja natürlich, daß er manchmal beispielsweise nach Dung oder Wodka stinkt — gewiß, das stimmt. Aber das müssen Sie doch selbst sagen, Anna Gawrilowna, daß es auch Kutscher gibt, die zwar Kutscher sind — die man aber nach ihren Gewohnheiten eher Stallbeamte als Kutscher nennen möchte. Ihr Amt oder ihre Obliegenheit sozusagen besteht darin, daß sie Hafer herausgeben oder einem Vorreiter oder Kutscher eine Zurechtweisung erteilen, wenn sie sich was zuschulden kommen lassen.

Anuschka. Wie Sie schön reden können, Lawrenti Pawlowitsch, ich bin immer ganz hingerissen.

Der Hausmeister (mit einem zufriedenen Lächeln). Oh, keine Ursache zu danken, Gnädigste! Gewiß, nicht jeder Mensch kann reden, nicht jeder hat sozusagen die Gabe des Wortes. Natürlich kommt es vor ... daß einer, wie man zu sagen pflegt, nur stammelt ... oder andere Fälle ähnlicher Art ... was ja allerdings eine natürliche Anlage ist ... Aber belieben Sie nicht, in mein Zimmer zu kommen? (Anuschka geht ab, Lawrenti Pawlowitsch folgt ihr.)

Fragment

Ein Zimmer im Hause Maria Alexandrownas.

1. Auftritt

Maria Alexandrowna, eine Dame mittleren Alters, und Michailo Andrejewitsch, ihr Sohn.

Maria Alexandrowna. Hör, Mischa, ich wollte schon längst mit dir sprechen: du mußt deinen Dienst wechseln.

Mischa. Meinetwegen morgen.

Maria Alexandrowna. Du mußt zum Militär.

Mischa (reißt die Augen auf). Zum Militär?

Maria Alexandrowna. Ja.

Mischa. Was sagen Sie, Mamachen, zum Militär?

Maria Alexandrowna. Warum bist du so erstaunt?

Mischa. Aber ich bitte Sie — wissen Sie denn nicht: man muß doch mit dem Junker anfangen!

Maria Alexandrowna. Nun ja, du wirst ein Jahr als Junker dienen, und dann wirst du Offizier werden — laß das nur meine Sorge sein.

Mischa. Aber was finden Sie Militärisches an mir? Auch meine Figur ist doch gar nicht militärisch. Ich bitte Sie, Mütterchen, wahrhaftig, Sie haben mich mit diesen Worten so überrascht, daß ich ... ich ... ich weiß einfach nicht, was ich davon denken soll. Ich bin Gott sei Dank ein wenig dick, und wenn ich noch die Junkeruniform mit den kurzen Schößen anziehen soll, werde ich mich schämen, mich anzusehen.

Maria Alexandrowna. Tut nichts. Man wird dich zum Offizier ernennen, und du wirst eine Uniform mit langen Rockschößen tragen, die deinen Embonpoint gänzlich verdecken wird, so daß man nichts davon merkt. Es ist sogar besser, daß du ein wenig beleibt bist — um so eher wird die Beförderung kommen: sie werden sich ja schämen, daß es in ihrem Regiment so einen dicken Fähnrich gibt.

Mischa. Aber Mutterchen, ich habe ja nur noch ein Jahr bis zum Kollegienassessor. Ich bin schon zwei Jahr lang Titularrat.

Maria Alexandrowna. Hör auf, hör auf! Dieses Wort „Titular“ peinigt meine Ohren; mir kommt immer gleich Gott weiß was dabei in den Sinn. Ich will, daß mein Sohn in der Garde dient, ich kann diese Garnitur jetzt einfach nicht mehr ansehen.

Mischa. Aber Mutterchen, bedenken Sie: sehen Sie mich einmal gut an, auch mein Äußeres. Schon in der Schule nannte man mich eine Schlafmütze. Beim Militär ist es doch immer notwendig, daß man mutig auf seinem Gaul sitzt, eine klangvolle Stimme, einen heldenhaften Wuchs und eine schlanke Taille hat.

Maria Alexandrowna. Das wirst du schon haben, das wirst du schon alles haben. Ich wünsche unbedingt, daß du dienst. Und es gibt einen wichtigen Grund dafür.

Mischa. Was für einen Grund?

Maria Alexandrowna. Nun — einen wichtigen Grund.

Mischa. Immerhin können Sie mir doch sagen, was für ein Grund das ist.

Maria Alexandrowna. Ach, ich habe meinen Grund — ich weiß auch gar nicht, ob du das richtig verstehen wirst. Die Gubomasowa, diese Närrin, sagte vorgestern bei den Rogoschinskis — und zwar absichtlich, damit ich’s hören sollte — ich saß als dritte in der Reihe: vor mir saß Sofia Wotruschkow, die Fürstin Alexandrin und nach der Fürstin Alexandrin gleich ich — und was glaubst du wagte diese abscheuliche Person zu sagen? ... Wahrhaftig, ich wollte mich schon von meinem Platze erheben und wenn nicht die Fürstin Alexandrin dagewesen wäre, weiß ich nicht, was ich getan hätte. Denk dir, sie sagte: „Ich bin sehr froh, daß man keine Zivilisten zu den Hofbällen zuläßt, die sind alle“ sagte sie, „mauvais genre, sie riechen nach etwas Unvornehmen. Ich bin froh,“ sagte sie weiter, „daß mein Alexis keinen solchen ekelhaften Frack trägt“. Und das alles sagte sie so geziert, in so einem Ton, so ... wahrhaftig, ich weiß nicht, was ich getan hätte. Und dabei ist ihr Sohn doch einfach ein Trottel, der nichts kann, als die Beine in die Höhe heben. So ein abscheuliches Frauenzimmer!

Mischa. Was, Mütterchen, das ist der ganze Grund?

Maria Alexandrowna. Ja, jetzt will ich es erst recht haben, ihr zum Trotz — daß mein Sohn bei der Garde dient und alle Hofbälle besucht.

Mischa. Aber Mütterchen, ich bitte Sie: — einzig weil sie eine Närrin ist ...?

Maria Alexandrowna. Nein, ich bin fest entschlossen: sie soll vor Ärger platzen, sie soll wütend sein.

Mischa. Aber ...

Maria Alexandrowna. Oho, ich werde es ihr schon zeigen! Sie mag tun was sie will: ich werde alle meine Kräfte anstrengen, und mein Sohn wird auch in der Garde dienen. Wenn er auch etwas dadurch verliert — er wird unbedingt dort dienen. Soll ich jedem ekelhaften Frauenzimmer gestatten, sich vor mir aufzublasen und ihre Stumpfnase noch höher zu tragen? Nein, nie wird das geschehen! Sie können machen, was Sie wollen, Natalia Andrejewna!

Mischa. Aber werden Sie sie damit auch ärgern?

Maria Alexandrowna. Nein, ich werde das nie zugeben!

Mischa. Gut, wenn Sie es verlangen, werde ich mich zum Militär versetzen lassen; aber wahrhaftig, es wird mir selbst lächerlich vorkommen, wenn ich mich in der Uniform sehen werde.

Maria Alexandrowna. Mindestens ist sie noch vornehmer als dieses Fräckchen. Und nun etwas anderes: ich will dich verheiraten.

Mischa. Wie, alles auf einmal? Ich soll den Dienst wechseln und mich außerdem noch verheiraten?

Maria Alexandrowna. Nun und was ist dabei? Als ob es nicht möglich ist, daß man den Dienst wechselt und zugleich heiratet.

Mischa. Aber ich hatte ja gar nicht die Absicht. Ich will noch nicht heiraten.

Maria Alexandrowna. Du wirst schon wollen, wenn du erst erfährst, wen. Mit dieser Heirat wirst du dein Glück machen: sowohl im Dienst wie in der Familie. Mit einem Wort: ich will dich mit der Fürstin Schlepochwostow verheiraten.

Mischa. Aber Mütterchen, das ist ja eine Gans allerersten Ranges.

Maria Alexandrowna. Gar nicht ersten Ranges. — Sie ist genau so eine wie alle andern. Ein ausgezeichnetes Mädchen, sie hat nur kein Gedächtnis: manchmal vergißt sie sich und sagt etwas Unpassendes; doch das ist nur Zerstreutheit, dafür klatscht sie nicht und sie wird sich nie etwas Schlimmes ausdenken.

Mischa. Aber ich bitte Sie, wie sollte sie auch klatschen! Sie kann ja kaum ein Wort hervorbringen und wenn sie es tut, dann nur so, daß man die Hände ringen möchte. Sie wissen ja selbst, Mütterchen, das Heiraten ist eine Herzensangelegenheit, man muß die Seele ...

Maria Alexandrowna. Nun ja! Als ob ich’s geahnt habe! Höre, laß diesen liberalen Tonfall! Er paßt nicht zu dir, ich habe dir das schon zwanzigmal gesagt. Anderen mag er vielleicht liegen, aber dich kleidet er schon gar nicht.

Mischa. Mütterchen, war ich Ihnen je ungehorsam? Ich bin schon bald dreißig Jahre alt, und ich gehorche Ihnen in allem wie ein Kind. Sie befehlen mir irgendwohin zu fahren, wohin ich in den Tod nicht fahren möchte — und ich tue es, ohne Ihnen auch nur zu zeigen, wie schwer es mir fällt. Sie befehlen mir, mich im Vorzimmer des Herrn Soundso herumzudrücken, und ich drücke mich im Vorzimmer des Herrn Soundso herum, auch wenn es ganz gegen meine Wünsche ist. Sie befehlen mir, auf den Bällen herumzutanzen — und ich tanze, trotzdem alle über mich und meine Figur lachen. Schließlich befehlen Sie mir den Dienst zu wechseln: und ich wechsle den Dienst, mit dreißig Jahren werde ich Junker, werde mit dreißig Jahren gleichsam von neuem geboren wie ein Kind — alles Ihnen zuliebe, und dabei reiben Sie mir jeden Tag den Liberalismus unter die Nase. Es vergeht kein Moment, wo Sie mich nicht einen Liberalen nennen. Hören Sie, Mütterchen, das schmerzt — ich schwöre Ihnen, das schmerzt. Ich habe doch wohl für meine aufrichtige Liebe und Anhänglichkeit an Sie mehr verdient, als ...

Maria Alexandrowna. Bitte, sprich nicht so. Als ob ich nicht weiß, daß du ein Liberaler bist! Ich weiß sogar, wer dir dies alles eingeredet hat: das kommt alles von diesem widerlichen Sobatschkin.

Mischa. Nein, Mütterchen, das ist zu viel, nun soll ich auch noch Sobatschkin folgen. Sobatschkin ist ein Lump, ein Spieler und alles, was Sie wollen. Aber daran ist er unschuldig. Ich werde ihm niemals erlauben, auch nur einen Schatten von Einfluß auf mich zu haben.

Maria Alexandrowna. Ach mein Gott, was ist das für ein furchtbarer Mensch! Ich erschrak förmlich, als ich ihn durchschaute. Ohne alle Grundsätze, ohne Tugenden — was für ein abscheulicher Mensch! Wenn du wüßtest, was er für Gerüchte über mich verbreitet hat! ... Drei Monate konnte ich mein Gesicht nirgends sehen lassen. Talgstümpfe soll man bei mir brennen! Wochenlang sollen die Teppiche in den Zimmern nicht mit der Bürste berührt werden! Die Pferde seien bei mir mit einfachen Stricken angeschirrt, und ich soll so spazieren gefahren sein: mit einem Kummet, wie bei einem gewöhnlichen Droschkengaul ... Ich wurde ganz rot vor Scham; über eine Woche bin ich nicht ausgegangen, ich weiß gar nicht, wie ich das alles überstehen konnte. Wahrhaftig, nur der Glaube an die Vorsehung hat mich noch aufrecht erhalten!

Mischa. Und Sie glauben, daß so ein Mensch Macht über mich gewinnen könnte? Sie glauben, ich würde erlauben, daß er ...

Maria Alexandrowna. Ich habe ihm gesagt, daß er es nicht wagen soll, sich vor meinen Augen zu zeigen, und es gibt nur ein Mittel, mit dem du dich rechtfertigen kannst: daß du jetzt deinen Trotz aufgibst und noch heute der Fürstin eine Deklaration machst.

Mischa. Aber Mütterchen, wenn das nicht möglich ist?

Maria Alexandrowna. Wieso ist das nicht möglich, wieso nicht?

Mischa (beiseite). Ein entscheidender Augenblick. (Laut.) Gestatten Sie mir, mindestens hier meine eigene Meinung zu haben, mindestens in einer Angelegenheit, von der das Glück meines zukünftigen Lebens abhängt. Sie haben mich bis jetzt nicht gefragt — aber wenn ich nun in eine andere verliebt wäre?

Maria Alexandrowna. Das ist ja etwas ganz neues für mich, ich muß gestehen, davon habe ich noch nichts gehört. Nun, und wer ist diese andere?

Mischa. Ach Mütterchen, ich schwöre dir, nie hat es ein ähnliches Wesen gegeben. Sie ist ein Engel: ein Engel an Leib und Seele.

Maria Alexandrowna. Und wo ist sie her? Wer ist ihr Vater?

Mischa. Ihr Vater ist Alexander Alexandrowitsch Odossimow.

Maria Alexandrowna. Odossimow? Der Name ist mir unbekannt. Ich weiß von keinem Odossimow ... Ist er ein reicher Mann?

Mischa. Ein seltener Mensch! Ein merkwürdiger Mensch!

Maria Alexandrowna. Und ist er reich?

Mischa. Was soll ich Ihnen sagen! Sie müssen ihn selbst sehen! Solche seelischen Vorzüge, wie er sie hat, gibt es auf der ganzen Welt nicht wieder.

Maria Alexandrowna. Aber was ist er? Wer ist es? Was ist sein Rang? Wie groß ist sein Vermögen?

Mischa. Ich verstehe, was Sie meinen, Mütterchen. Gestatten Sie mir, Ihnen meine Gedanken offen darzulegen. Wie auch die Verhältnisse sein mögen — es gibt jetzt in Rußland keinen Bräutigam, der nicht eine reiche Braut sucht. Jeder will seine Lage mit Hilfe der Mitgift seiner Frau verbessern. Das mag ja unter gewissen Verhältnissen verzeihlich sein: ich begreife, daß ein Mann, der im Dienste oder anderswo einen Mißerfolg gehabt hat, den vielleicht übermäßige Ehrlichkeit daran gehindert hat, sich ein Vermögen zu erwerben — kurz, was der Grund auch sein mag, — daß der ein Recht hat, sich eine reiche Braut zu suchen. Und vielleicht wären die Eltern ungerecht, die seine guten Eigenschaften nicht anerkennen und ihm ihre Tochter nicht zur Frau geben würden. Aber sagen Sie selbst: würde ein begüterter Mann gerecht handeln, der sich eine reiche Braut suchen wollte? Was sollte dann aus der Welt werden? Das ist doch ebenso, als wollte einer einen Mantel über seinen Pelz anziehen, wenn ihm schon ohnedies warm genug ist ... während dieser Mantel vielleicht jemand anderem die Schultern wärmen könnte. Nein, Mütterchen, das ist unrecht! Der Vater hat sein ganzes Vermögen der Erziehung seiner Tochter geopfert.

Maria Alexandrowna. Genug! Genug! Ich bin nicht imstande, mehr zu hören! Ich weiß schon alles — alles! Da hat er sich in eine Vagabundin verliebt, in die Tochter irgendeines Fourieurs, der vielleicht Gott weiß was treibt.

Mischa. Mütterchen ...

Maria Alexandrowna. Der Vater ist ein Säufer, die Mutter eine Köchin, und die Verwandtschaft besteht aus kleinen Polizeibeamten und Branntweinverkäufern! ... Und das alles muß ich mit anhören, muß das alles ertragen ... ertragen von dem eigenen Sohn, für den ich mein Leben nicht geschont habe! ... Nein, das werde ich nicht überleben!

Mischa. Aber Mütterchen, erlauben Sie ...

Maria Alexandrowna. Mein Gott, was für eine Moral haben denn die jungen Leute jetzt nur! Nein, das werde ich nie überleben, ich schwöre es dir, das werde ich nicht überleben ... Ah, wie wird mir, mir wird ganz schwindlig im Kopf. (Schreit auf.) Ach, ich habe Stiche in der Seite! ... Maschka! Maschka! Das Fläschchen! ... Ich weiß nicht, ob ich den Abend noch erleben werde! Grausamer Sohn!

Mischa (eilt auf sie zu). Mütterchen, beruhigen Sie sich. Sie schaden sich nur ...

Maria Alexandrowna. Und das alles hat dieser widerliche Sobatschkin angerichtet. Ah, ich weiß nicht, warum ich diese Pest bis jetzt noch nicht davongejagt habe.

Der Lakai (in der Tür). Sobatschkin ist gekommen.

Maria Alexandrowna. Was! Sobatschkin? Schickt ihn fort! Fortschicken, daß keine Spur mehr von ihm übrig bleibt!

2. Auftritt

Dieselben und Sobatschkin.

Sobatschkin. Maria Alexandrowna, seien Sie großmütig und verzeihen Sie mir, daß ich so lange nicht bei Ihnen gewesen bin. Aber bei Gott, es war mir unmöglich. Sie können sich gar nicht denken, wieviel Geschäfte ich zu erledigen habe ... ich wußte ja, daß Sie böse sein werden, wahrhaftig, ich wußte es ... (Er erblickt Mischa.) Guten Tag, Bruder, wie geht’s dir?

Maria Alexandrowna (beiseite). Ich finde einfach keine Worte. So ein Mensch! Und er entschuldigt sich noch, daß er so lange nicht hiergewesen ist!

Sobatschkin. Ich freue mich, daß Sie so wohl und gesund sind, soweit man nach dem Aussehen urteilen kann. Und wie steht’s mit der Gesundheit Ihres Herrn Bruders? Ich muß gestehen, daß ich ihn auch hier zu treffen hoffte.

Maria Alexandrowna. Da hätten Sie doch ihn aufsuchen sollen und nicht mich.

Sobatschkin (lächelt). Ich bin gerade zu Ihnen gekommen, um Ihnen eine höchst interessante Anekdote zu erzählen.

Maria Alexandrowna. Ich liebe die Anekdoten nicht.

Sobatschkin. — Von Natalia Andrejewna Gubomasowa.

Maria Alexandrowna. Was? Von der Gubomasowa? ... (Bemüht sich ihre Neugier zu verbergen.) Dann ist es wohl erst vor kurzem passiert?

Sobatschkin. In diesen Tagen.

Maria Alexandrowna. Um was handelt es sich denn?

Sobatschkin. Wissen Sie, daß sie ihre Mädchen eigenhändig prügelt?

Maria Alexandrowna. Nein! Was Sie sagen! Oh, was für eine Schande! Ist es nur möglich?

Sobatschkin. Ich schwöre es Ihnen, erlauben Sie mir, Ihnen den Hergang zu erzählen. Eines Tages befiehlt sie einem Mädchen, das sich irgend etwas hatte zuschulden kommen lassen, sich so, wie es sich gehört, aufs Bett zu legen. Sie selbst geht in ein anderes Zimmer — ich kann mich nicht mehr erinnern warum, aber ich glaube, um eine Rute zu holen. Inzwischen verläßt das Mädchen aus irgendeinem Grunde das Zimmer. Statt ihrer kommt Natalia Andrejewnas Mann hinein, legt sich aufs Bett und schläft ein. Natalia Andrejewna erscheint also mit der Rute, befiehlt einem Mädchen, sich dem auf dem Bett Liegenden auf die Füße zu setzen, deckt einen Lappen über ihn — und prügelt ihren eigenen Mann durch.

Maria Alexandrowna (schlägt die Hände zusammen). Mein Gott, welche Schande! Wie habe ich bis jetzt nur nichts davon erfahren? Aber ich muß Ihnen gestehen, ich war immer davon überzeugt, daß sie zu so etwas fähig sei.

Sobatschkin. Selbstverständlich. Ich habe es schon in aller Welt erzählt. Und da sagt man nun: dies Musterweib! Sie sitzt in ihrem Haus, beschäftigt sich mit der Erziehung ihrer Kinder und bringt ihnen selbst englisch bei! ... Eine schöne Erziehung! Jeden Tag prügelt sie ihren Mann durch wie eine Katze! ... Wahrhaftig, es tut mir leid, aber ich kann nicht länger bei Ihnen bleiben. (Verbeugt sich.)

Maria Alexandrowna. Warum haben Sie es so eilig, Andrej Kondratjewitsch? Schämen Sie sich nicht, nachdem Sie so lange nicht bei mir gewesen sind? ... Ich war immer gewöhnt, Sie als Freund des Hauses zu betrachten — bleiben Sie doch! Ich wollte noch mit Ihnen über etwas sprechen. Hör mal Mischa, der Wagenbauer wartet in meinem Zimmer auf mich: bitte sprich du mit ihm. Frage ihn, ob er es übernehmen will, die Kutsche bis zum ersten wieder in Stand zu setzen. Er soll sie blau anstreichen, mit hellen Ornamenten — in der Art wie die Kutsche der Gubomasowa. (Mischa entfernt sich.)

Maria Alexandrowna. Ich habe meinen Sohn absichtlich weggeschickt, weil ich mit Ihnen allein reden will. Sagen Sie, wissen Sie etwas darüber, ob es hier irgendwo einen Alexander Alexandrowitsch Odossimow gibt?

Sobatschkin. Odossimow? ... Odossimow ... Odossimow ... Ich weiß, daß es irgendwo einen Odossimow gibt ... aber ich kann mich ja genauer erkundigen.

Maria Alexandrowna. Bitte.

Sobatschkin. Ich erinnere mich ... Ja, ich erinnere mich, es gibt einen Odossimow, einen Tischvorsteher oder einen Abteilungschef ... ja, ja, es gibt so einen ...

Maria Alexandrowna. Denken Sie nur, es ist da eine komische Geschichte passiert ... Sie könnten mir einen großen Dienst erweisen.

Sobatschkin. Sie haben nur zu befehlen. Für Sie bin ich zu allem bereit: aber das wissen Sie ja selbst!

Maria Alexandrowna. Es handelt sich um folgendes: Mein Sohn hat sich verliebt ... oder richtiger gesagt, es ist ihm eine wahnsinnige Idee in den Kopf gekommen ... nun, er ist ein junger Mensch ... mit einem Wort: er ist in die Tochter dieses Odossimow verliebt.

Sobatschkin. Verliebt? Aber er hat mir doch nichts davon erzählt? Allerdings, wenn Sie es sagen, wird er wohl verliebt sein.

Maria Alexandrowna. Ich bitte Sie um einen großen Dienst, Andrej Kondratjewitsch ... Ich weiß, Sie gefallen den Frauen.

Sobatschkin. He he he! Woher wissen Sie das? Aber wirklich, denken Sie sich nur: in der Fastnachtswoche haben sich sechs Kaufmannsfrauen ... vielleicht glauben Sie, daß ich ihnen meinerseits irgendwie ... etwa den Hof gemacht habe oder sonst was ... Ich schwöre Ihnen, nicht einmal angesehen habe ich sie! Ja noch mehr! Kennen Sie diesen — wie heißt er nur gleich — Jermolay? Jermolay ...? Mein Gott, Jermolay, der in der Litejnaja wohnte, unweit der Kirotschnaja?

Maria Alexandrowna. Ich kenne dort niemanden.

Sobatschkin. Mein Gott, Jermolay Iwanowitsch, glaub ich — schlagen Sie mich tot, aber ich habe den Familiennamen vergessen. Seine Frau ist vor fünf Jahren in eine peinliche Geschichte verwickelt gewesen ... Sie kennen sie doch? .. Silphida Petrowna?

Maria Alexandrowna. Durchaus nicht. Ich kenne weder einen Jermolay Iwanowitsch noch eine Silphida Petrowna.

Sobatschkin. Mein Gott, der in der Nähe von Kuropatkin wohnte!

Maria Alexandrowna. Ich kenne aber auch Ihren Kuropatkin nicht.

Sobatschkin. Nun, Sie werden sich später daran erinnern. Also die Tochter ist fürchterlich reich. Bis zu zweimalhunderttausend Rubel Mitgift — ohne jeden Schwindel! Noch vor der Hochzeit soll man den Lombardschein in den Händen haben ...

Maria Alexandrowna. Nun, und Sie? Und da haben Sie sie nicht geheiratet?

Sobatschkin. Nein! Drei Tage lang lag der Vater vor mir auf den Knien und flehte mich an. Die Tochter hat es nicht verwinden können und sitzt jetzt im Kloster.

Maria Alexandrowna. Und warum haben Sie sie nicht geheiratet?

Sobatschkin. Mein Gott ... Ich sagte mir: der Vater ist Branntweinpächter, und die Verwandtschaft — lauter hergelaufene Leute ... Glauben Sie mir, später hat es mir wahrhaftig selbst leid getan. Bei Gott, hol’s der Teufel! Wie diese Welt eingerichtet ist! Überall nichts wie Konventionen und Rücksichten! Wie viele hat das schon zugrunde gerichtet!

Maria Alexandrowna. Und warum müssen Sie sich nach der Welt richten? (Beiseite.) Wahrhaftig, jetzt glaubt jedes emporgekommene Insekt, daß es ein Aristokrat ist. Der Mensch ist erst Titularrat, — und man höre nur, wie er spricht!

Sobatschkin. Nun ja, aber es ging nun einmal nicht, Maria Alexandrowna, wirklich, es ging nicht ... Sie verstehen, da hätte man gesagt: „Aha, weiß der Teufel, wen er geheiratet hat ...“ Allerdings passieren mir fortwährend solche Geschichten. Manchmal habe ich wirklich keine Schuld, von meiner Seite ist durchaus nichts geschehen, aber was soll man machen? (Spricht leise vor sich hin.) Dann findet man, wenn die Newa aufgeht, immer zwei bis drei ertrunkene Frauen — ich schweige lieber davon, weil man sonst noch in allerlei Geschichten verwickelt wird ... Ja, man liebt mich — und warum, frage ich? Man kann doch nicht sagen, daß mein Gesicht so sehr ...

Maria Alexandrowna. Hören Sie auf! Als ob Sie nicht selbst wüßten, daß Sie ein schöner Mann sind.

Sobatschkin (lächelt). Stellen Sie sich nur vor: schon als ich noch ein Knabe war, ging keine an mir vorüber, ohne mich mit dem Finger am Kinn zu fassen und zu sagen: „Oh, wie schön dieser Schelm ist!“

Maria Alexandrowna (beiseite). Ich bitte! ... Von wegen der Schönheit — das ist doch ein richtiger Mops! Und das bildet sich ein, daß es schön sei! (Laut.) Nun, dann hören Sie, Andrej Kondratjewitsch, bei Ihrem Äußeren wird das leicht zu machen sein. Mein Sohn ist bis zur Narrheit in das Mädchen verliebt und redet sich ein, daß sie die wahrhafte Güte und Unschuld ist. Wissen Sie, wäre es nun nicht möglich, ihm das Mädchen auf irgendeine Art in einem anderen Lichte erscheinen zu lassen? Sie sozusagen ein bißchen herabzusetzen? ... Wenn auch Sie keinen Eindruck auf sie machen, so daß sie sich in Sie vergafft ...

Sobatschkin. Seien Sie überzeugt, Maria Alexandrowna, streiten Sie nicht! Sie wird es: ich lasse mir den Kopf abschlagen, wenn sie sich nicht in mich verliebt. Oh, Maria Alexandrowna, lassen Sie mich Ihnen erzählen, mir passierten schon andere Geschichten ... erst in diesen Tagen ...

Maria Alexandrowna. Wie es auch enden mag — ob sie sich nun vernarrt oder nicht: es ist nur notwendig, daß sich in der Stadt das Gerücht verbreitet, Sie hätten ein Verhältnis mit ihr ... und daß mein Sohn es erfährt.

Sobatschkin. Ihr Sohn?

Maria Alexandrowna. Jawohl, mein Sohn.

Sobatschkin. Hm.

Maria Alexandrowna. Was — hm?

Sobatschkin. Oh, nichts. Ich machte nur so: hm.

Maria Alexandrowna. Sie finden vielleicht, daß es zu schwierig für Sie ist?

Sobatschkin. Oh, nein, gar nicht. Aber diese Verliebten ... Sie glauben gar nicht, zu welch sinnlosen Dingen und unpassenden Kindereien sie sich hinreißen lassen: bald sind es Pistolen, bald ... weiß der Teufel, was. Nicht etwa, daß mich das irgendwie ... aber wissen Sie, es schickt sich nicht in der guten Gesellschaft.

Maria Alexandrowna. Oh! Was das betrifft, da seien Sie ganz ruhig. Verlassen Sie sich nur auf mich — das werde ich schon nicht zulassen.

Sobatschkin. Übrigens war das nur eine Nebenbemerkung. Glauben Sie mir, Maria Alexandrowna, wenn es sich darum handelte, mein Leben für Sie aufs Spiel zu setzen: bei Gott, ich würde es mit Vergnügen tun! Ich liebe Sie so sehr, daß es mir, um die Wahrheit zu sagen, fast etwas peinlich ist: sie mögen Gott weiß was glauben, und doch ist es nur tiefe Verehrung. — Ach ja, ausgezeichnet, daß ich mich daran erinnere! Ich wollte Sie bitten, Maria Alexandrowna, mir auf kurze Zeit zweitausend Rubel zu leihen. Weiß der Teufel, was ich für ein idiotisches Gedächtnis habe! Als ich mich anzog, habe ich immerfort daran gedacht: nur die Brieftasche nicht vergessen! Ich lege sie absichtlich auf den Tisch, gerade vor meine Augen. Und nun hab’ ich alles mitgenommen, hab’ die Tabaksdose mitgenommen und ein zweites Taschentuch — nur die Brieftasche ist auf dem Tisch liegen geblieben.

Maria Alexandrowna (beiseite). Was soll ich mit ihm machen? Gebe ich ihm das Geld, so wird er mich vollends auspressen, gebe ich’s ihm nicht, so wird er in der ganzen Stadt solch einen Unsinn über mich verbreiten, daß ich mein Gesicht nirgends sehen lassen kann. Das beste ist, daß er noch behauptet, die Brieftasche vergessen zu haben! Die Brieftasche hast du bei dir, das weiß ich genau, aber sie ist leer. Doch was soll ich machen — man muß ihm das Geld geben. (Laut.) Bitte, Andrej Kondratjewitsch, warten Sie hier, ich werde es Ihnen gleich bringen.

Sobatschkin. Sehr schön, ich werde mich ein Weilchen hersetzen.

Maria Alexandrowna (während sie weggeht, beiseite). Ohne Geld wird der Lump ja doch nichts machen.

Sobatschkin (allein). Diese Zweitausend kann ich gerade ausgezeichnet gebrauchen. Meine Schulden werde ich davon allerdings nicht bezahlen: der Schuster kann warten, der Schneider kann warten, und Anna Iwanowna kann auch warten: sie wird natürlich wieder Lärm schlagen, aber was soll ich machen? Ich kann doch nicht überall mit dem Gelde um mich werfen! Sie hat an meiner Liebe genug, und was das Kleid betrifft — da lügt sie, das hat sie! ... Ich werde es so machen: nächstens wird ein Fest stattfinden, und wenn mein Wägelchen auch noch neu ist, so kennt es doch jeder und hat es schon gesehen. Aber ich höre, daß Jochim soeben mit einem Wagen fertig geworden ist, der ganz nach der letzten Mode gebaut ist und den er noch niemandem gezeigt hat. Wenn ich diese Zweitausend noch zu meinem Wagen hinzulege, so werde ich ihn sehr gut dafür eintauschen können. Ah, wissen Sie, das wird Effekt machen! ... Auf dem ganzen Fest werden höchstens ein oder zwei solche Wagen zu sehen sein. Überall wird man dann von mir sprechen ... Inzwischen muß ich allerdings über Maria Alexandrownas Auftrag nachdenken. Mir scheint, daß es das Vernünftigste ist, wenn ich mit Liebesbriefen beginne. Wie, wenn ich etwa einen Brief in ihrem Namen schriebe und ihn zufällig in seiner Gegenwart fallen ließe oder ihn auf dem Tisch in seinem Zimmer vergesse? Gewiß, es kann allerlei Böses dabei herauskommen. Nun und das wäre? Schlimmstenfalls kann es Schläge geben ... Schläge tun natürlich weh, aber doch nicht so, daß man ... Außerdem kann ich ja auch davonlaufen; und wenn es irgendwie gefährlich wird — laufe ich geradezu in das Schlafzimmer Maria Alexandrownas und zwar direkt unter ihr Bett. Mag er mich doch dort hervorholen! Die Hauptsache ist, wie der Brief geschrieben werden muß! Ich kann in den Tod keine Briefe schreiben: das ist mein Ende! Der Teufel weiß warum! Im Gespräch könnte ich alles, scheint mir, sehr schön auseinandersetzen; aber sowie ich die Feder anfasse, so ist es mir, als ob mir jemand eine Ohrfeige gegeben hätte. Konfusion und nichts als Konfusion — ich kann die Hand nicht bewegen, und alles ist aus ... Vielleicht geht’s so: Ich habe noch einige Briefe, die vor kurzem an mich geschrieben worden sind; wenn ich einen von den besseren aussuchte, den Namen wegradierte und einen andern an seine Stelle setzte? Hm — das ist wirklich nicht übel? Bei Gott, ich werde mal in meinen Taschen nachsehen, ob ich nicht einen finde, den ich brauchen kann. (Nimmt ein paar Briefe aus der Tasche.) Zum Beispiel dieser! (Liest.) „Ich bin Gottseidank gesund, aber ich werde krank vor Schmerz. Oder haben Sie mich ganz vergessen, mein Herzchen? Iwan Danilowitsch hat Sie im Teater gesehen, mein Herzchen — ach, wären Sie doch zu mir gekommen und hätten Sie mich durch Ihre heiteren Gespreche beruhigt.“ Hol’s der Teufel, ich glaube die Orthographie stimmt nicht. Nein, mit dem läßt sich keine Falle legen, glaube ich. (Liest weiter.) „Ich habe ein Strumpfband für Sie gestickt, mein Herzchen.“ Und jetzt wird sie zärtlich. Etwas reichlich bukolisch und schmeckt nach Chateaubriand. Ah, hier ist noch etwas, vielleicht findet sich etwas Besseres darunter! (Faltet einen Brief auseinander, kneift ein Auge zu und bemüht sich, ihn zu entziffern.) „Lie-bens-wür-di-ger Freund!“ Nein, das heißt nicht liebenswürdiger Freund: aber wie heißt es denn nur? „Zärtlichster, Teuerster?“ Nein, auch nicht Teuerster, nein, nein. (Liest.) „Lu-lu-lu-mp.“ Hm. (Beißt die Lippen zusammen.) „Wenn du verräterischer Räuber meiner Unschuld, wenn du dem Krämer das Geld, das ich in der Unerfahrenheit meiner Seele für dich geborgt habe, nicht bezahlst, werde ich dich, du ekelhafte Fratze (das letzte Wort preßt er beinahe zwischen den Zähnen hervor) ... der Polizei anzeigen!“ Der Teufel soll sie holen, wahrhaftig, der Teufel soll sie holen! Es steht doch wirklich garnichts in diesem Brief. Gewiß: man kann alles sagen, aber man muß es doch anständig ausdrücken; in Worten, die einen Menschen nicht verletzen. Nein, nein, ich sehe, alle diese Briefe sind nicht geeignet. Man muß etwas Kräftiges suchen, etwas, worin etwas wie Siedehitze, wie man zu sagen pflegt — zu spüren ist. Ah, hier, hier — sehen wir uns mal das an! (Liest.) „Grausamer Tyrann meiner Seele!“ Aha, das ist gut. „Laß dich durch mein Herzensschicksal rühren!“ Sehr edel! Bei Gott, sehr edel! Da spürt man doch die Erziehung! Man sieht gleich, wie sich jemand benimmt. So muß man schreiben: empfindsam und doch wird der Mensch nicht beleidigt. Diesen Brief werde ich ihm zustecken. Weiter brauche ich ja gar nicht erst zu lesen: ich weiß nur nicht, wie man den Namen so ausradieren kann, daß nichts zu sehen ist. (Er blickt auf die Unterschrift.) Aha, das ist schön! Es steht gar kein Name darunter! Ausgezeichnet! Das kann ich unterschreiben! Nein, wie sich die Sache von selbst macht! — Und dabei sagt man noch: das Äußere kommt nicht in Betracht! Wenn du nicht hübsch wärst, so würde man sich nicht in dich verlieben, so würde man dir keine Briefe schreiben, und hätte ich keine Briefe, so würde ich nicht wissen, wie ich die Geschichte anfangen soll. (Tritt vor den Spiegel.) Heut hab’ ich mich noch ein bißchen gehen lassen: manchmal ist mir’s sogar, als ob ich ein bedeutendes Gesicht habe ... Schade, daß meine Zähne schlecht sind, sonst hätte ich die größte Ähnlichkeit mit Fürst Bagration. Ich weiß nur nicht, wie ich mir den Backenbart stehen lassen soll: so, daß er ringsherum eine ausgesprochene Freese bildet — wie mit Tuch benäht, wie man zu sagen pflegt — oder ob ich alles kahl abrasieren und mir nur unter der Lippe etwas zulegen soll? Ah?

Nach dem Theater

(Epilog zu einer neuen Komödie.)

Deutsch von Alexandra Ramm

Der Vestibül des Theaters. Auf der einen Seite sieht man die Treppen, die zu den Logen und Gallerien emporführen; in der Mitte das Entree zu den Fauteuils und den Balkons, auf der anderen Seite den Ausgang. Man hört entferntes Applaudieren.

Der Autor des Stücks[3] (tritt hinaus). Ich habe mich herausgewunden wie aus einem Sumpf. Nun ist er endlich da, der Lärm und der Beifall! Das ganze Theater dröhnt! Das ist der Ruhm. Gott, wie hätte mein Herz vor sieben, acht Jahren geklopft! Wie hätte es mich emporgehoben! Aber das liegt weit hinter mir. Damals war ich jung, kühn — wie ein Jüngling. Gepriesen sei das Schicksal, das mich vor frühem Ruhm und Bewunderung bewahrt hat. Aber jetzt ... Die besonnene Kühle des Alters macht jeden weise. Endlich wird einem klar, daß der Beifall noch nicht viel bedeutet und daß er alle zu belohnen bereit ist: ob es ein Schauspieler ist, der die Geheimnisse der Seele und des menschlichen Herzens kennt, ein Tänzer, dem es gelungen ist, mit den Füßen künstliche Verschlingungen zu bilden, ein Gaukler — alle umtost der Beifall. Ob es der grübelnde Verstand, das empfindende Herz, die tönende Tiefe der Seele, die kunstvoll bewegten Füße oder die gewandt mit Gläsern spielenden Hände sind — auf sie alle plätschert der Beifall herab. Nein, nicht Beifall wünsche ich mir jetzt: ich wünschte in allen Logen zu sein, auf den Balkons, im Parkett, auf den Gallerien — überall möchte ich sein und aller Meinungen und Eindrücke hören, solange sie noch keusch und frisch sind und sich noch nicht der Kritik der Kenner und Journalisten untergeordnet haben, solange jeder noch unter der Wirkung seines eigenen Urteils steht. Ich muß es wissen: denn ich bin ein Komödienschreiber. Alle anderen Werke und Kunstformen stehen unter dem Urteil Weniger, und nur der Komödienschreiber unterliegt dem Gericht Aller; jeder Zuschauer hat ein Anrecht auf ihn, und jeder Stand ist über ihn Richter. Oh! Wie ich wünschte, daß mir jeder Einzelne alle Unzulänglichkeiten und Fehler sagte! Mag er über mich lachen, mag Mißgunst seine Worte leiten, Parteilichkeit, Empörung, Haß, alles — wenn nur die wahre Meinung gesagt wird. Es ist nicht möglich, daß ein Wort ohne Grund gesprochen wird, und aus allem kann ein Funke der Wahrheit aufblitzen. Wer es wagt, andern die lächerlichen Seiten der Welt zu zeigen, muß verständnisvoll die Hinweise auf seine eigenen Schwächen und Lächerlichkeiten hinnehmen. Ich will es versuchen, ich bleibe hier im Vorraum, während das Publikum das Theater verläßt. Es ist unmöglich, daß man nicht über das neue Stück spricht: die Menschen sind lebhafter unter der Wirkung des ersten Eindrucks und wollen ihre Meinungen austauschen. (Tritt zur Seite.)

Es erscheinen einige gutgekleidete Herrn (der eine spricht zum andern). Gehen wir lieber gleich, es wird nur noch ein unbedeutendes Vaudeville gespielt. (Beide entfernen sich.)

(Zwei Elegants von stattlichem Äußeren kommen die Treppe herab.)

Der erste Elegant. Es wäre gut, wenn die Polizei meinen Wagen nicht zu weit zurückgetrieben hätte. — Weißt du nicht, wie diese junge Schauspielerin heißt?

Der andere Elegant. Nein. Aber sie ist nicht übel.

Der erste Elegant. Sicher, nicht übel. Aber es fehlt ihr etwas ... Ich empfehle dir übrigens ein neues Restaurant, gestern hat man uns frische grüne Erbsen serviert. (Küßt sich die Fingerspitzen.) Entzückend! (Beide entfernen sich.)

Ein Offizier (läuft herein, ein anderer hält ihn am Arm fest).

Der andere Offizier. Bleiben wir doch.

Der erste Offizier. Nein, Brüderchen, zum Vaudeville wird mich nichts verlocken. Ah, wir kennen diese Stücke, die als Nachspeise serviert werden. Lakaien statt Schauspieler, und die Weiber — ein Ungetüm über das andere! (Sie entfernen sich.)

Ein Weltmann (stutzerhaft gekleidet, kommt die Treppe herunter). Ein Spitzbube, dieser Schneider. Er hat mir die Beinkleider so eng gemacht, daß ich die ganze Zeit vor Unbequemlichkeit kaum sitzen konnte. Dafür gedenke ich ihn noch etwas hinzuziehen und ihm die nächsten zwei Jährchen nichts zu bezahlen. (Er entfernt sich.)

Ein anderer Weltmann (etwas beleibter, er spricht lebhaft zum andern). Niemals, niemals, glaube es mir, wird er sich mit dir zum Spielen hinsetzen. Weniger als hundertfünfzig Rubel den Robber spielt er nicht. Ich weiß es genau, weil mein Schwager Pafnutiew jeden Tag mit ihm spielt.

Der Autor des Stückes (für sich). Und noch immer kein Wort über die Komödie!

Ein Beamter (in mittleren Jahren, kommt mit ausgestreckten Händen heraus). Das ist ja einfach — weiß der Teufel, was! ... So ein! ... So ein! ... Das ist doch unerhört! (Er entfernt sich.)

Ein Herr (der sich um die Literatur nur wenig kümmert, wendet sich zu einem andern). Das ist doch eine Übersetzung, nicht wahr?

Der andere. Aber ich bitte Sie, eine Übersetzung! Das Stück spielt doch in Rußland, es sind unsere Sitten, sogar unsere Titel.

Der Herr (den die Literatur wenig kümmert). Ich erinnere mich an etwas Französisches ... wenn es auch nicht ganz in dieser Art war. (Beide entfernen sich.)

Der eine von zwei Zuschauern (die sich auch hinausbegeben). Jetzt kann man noch nichts wissen. Warte ab, was die Zeitungen sagen, dann wirst du es erfahren.

Zwei Pekeschen (die eine zu der andern). Nun, und Sie? Ich möchte Ihre Meinung über die Komödie hören.

Die andere Pekesche (macht mit den Lippen eine bedeutsame Bewegung). Gewiß, natürlich, man kann nicht sagen, daß es daran ... fehlte ... sie ist in ihrer Art ... Natürlich, wer behauptet denn, daß es wiederum nicht ... und wo ist denn sozusagen ... übrigens aber ... (Drückt wie zur Bekräftigung die Lippen zusammen.) Ja, ja. (Gehen ab.)

Der Autor (für sich). Nun, diese haben bisher noch nicht viel gesagt. Übrigens, es wird noch viel herumgestritten werden: Vorne sehe ich heftig gestikulierende Leute.

Zwei Offiziere.

Der eine. Ich habe noch nie so gelacht.

Der andere. Ich meine: eine ausgezeichnete Komödie.

Der eine. Nun, nun, wir wollen doch abwarten, was die Zeitungen sagen werden: erst muß sie dem Urteil der Kritik unterzogen werden ... Schau, schau! (Stößt ihn am Arm.)

Der andere. Was?

Der eine (zeigt mit dem Finger auf einen von zwei die Treppe herunterkommenden Herren). Ein Literat!

Der andere (eilig). Wer?

Der eine. Dieser da! St! Wir wollen hören, was sie sagen werden.

Der andere. Und wer ist der andere neben ihm?

Der eine. Ich weiß nicht, ein unbekannter Herr. (Beide Offiziere treten zur Seite, um den Herunterkommenden Platz zu machen.)

Der unbekannte Herr. Ich kann über die literarischen Qualitäten nicht urteilen: aber mir scheint, sie enthält geistreiche Bemerkungen. Witzig, witzig!

Der Literat. Aber ich bitte Sie, was ist hier Geistreiches? Was für ein gewöhnliches Volk hier vorgeführt wird! Und was für ein Ton! Die Späße sind flach; einfach schmierig!

Der unbekannte Herr. Aha, das ist eine andere Sache. Ich sage eben: in bezug auf die literarischen Qualitäten habe ich kein Urteil; ich habe nur bemerkt, daß das Stück komisch ist und unterhält.

Der Literat. Aber es ist auch nicht komisch. Ich bitte Sie, was ist hier komisch, und worin liegt der Genuß? Das Sujet: unmöglich! Alles Unsinn; kein Auftakt, keine Handlung, keine Struktur.

Der unbekannte Herr. Nun ja, dagegen sage ich ja gar nichts. In literarischer Beziehung ist es schon so; in literarischer Beziehung ist sie nicht komisch, aber vom Standpunkt eines sozusagen Außenstehenden hat sie ...

Der Literat. Ja, was hat sie? Ich bitte Sie, sie hat auch das nicht! Was für eine Konversation! Wer spricht so in der besseren Gesellschaft? Nun sagen Sie doch selbst, sprechen wir so miteinander?

Der unbekannte Herr. Das ist allerdings wahr. Das haben Sie sehr fein bemerkt. Darüber habe ich eben auch selbst nachgedacht: in der Konversation ist keine Vornehmheit. Es scheint, daß alle Personen ihre niedrige Natur nicht verbergen können — das ist wahr.

Der Literat. Nun — und Sie loben noch!

Der unbekannte Herr. Wer lobt? Ich lobe doch nicht! Ich sehe es jetzt selbst ein, daß das ganze Stück Unsinn ist. Aber mit einemmal kann man das doch nicht einsehen, in literarischer Beziehung habe ich kein Urteil. (Beide entfernen sich.)

Ein anderer Literat (kommt mit zwei Zuschauern, mit denen er unter heftigen Gestikulationen spricht). Glauben Sie mir, ich kenne die Sache schon. Ein abscheuliches Stück! Ein schmutziges, ein schmutziges Stück! Kein einziger wirklicher Mensch, lauter Karikaturen! In der Natur gibt es so etwas nicht, glauben Sie mir, ich weiß das besser: ich bin selbst Schriftsteller. Man behauptet, es enthält Frische, Beobachtung ... aber das ist ja alles Unsinn! Das sind alles Freunde, Freunde, die es loben — alles Freunde! Ich habe schon gehört, man hat ihn neben die Von Wisins gestellt, und das Stück ist einfach nicht wert, eine Komödie zu heißen. Eine Farce, nichts als eine Farce, und keine gelungene Farce. Der schlechteste, leerste Schwank von Kotzebue ist im Vergleich mit ihr — ein Montblanc gegen einen Pulkowoberg. Ich werde Ihnen das alles beweisen, mathematisch beweisen — wie, daß zweimalzwei gleich vier ist. Die Freunde und Kameraden haben ihn so über alle Maßen gelobt, daß er wohl nun selbst glaubt, daß ihm nicht mehr viel zum Shakespeare fehlt. Bei uns übertreiben ja die Freunde immer. Zum Beispiel auch Puschkin! Warum spricht jetzt ganz Rußland von ihm? — Alles nur die Freunde: sie haben geschrien und geschrien, und nach ihnen hat auch ganz Rußland zu schreien begonnen. (Entfernt sich mit den Zuschauern.)

Die beiden Offiziere (treten hervor und nehmen ihre vorigen Plätze ein).

Der erste. Das ist richtig, vollständig richtig: nichts als eine Farce; ich habe es schon früher gesagt, eine dumme Farce, die nur durch die Freunde gehalten wird. Ich muß gestehen, manches war geradezu ekelhaft anzuschauen.

Der andere. Aber du sagtest doch, daß du nie so gelacht hättest!

Der erste. Ah, das ist wieder eine andere Sache. Du verstehst mich nicht, man muß dir das auseinandersetzen. Was ist denn das für ein Stück? Erstens keine Exposition, auch keine Handlung, absolut keine Kombinationen; lauter Unmöglichkeiten — und dazu lauter Karikaturen ...

Zwei andere im Hintergrunde.

Der eine (zum andern). Wer kritisiert da? Scheinbar einer von den Unseren.

Der andere (schaut dem Sprechenden von der Seite ins Gesicht und macht eine Handbewegung).

Der erste. Was? Ist er dumm?

Der andere. Nein, das nicht. Verstand hat er schon — doch erst nach dem Erscheinen der Zeitschrift, allein verspätet sie sich — ist so nichts in seinem Kopfe. Aber gehen wir doch. (Sie entfernen sich.)

(Zwei Kunstliebhaber.)

Der erste. Ich gehöre durchaus nicht zu denen, die immer nur zu Worten greifen, wie schmutzig, ekelhaft, schlechter Ton und ähnliches. Das ist doch eine fast bewiesene Sache, daß solche Worte meist aus dem Munde solcher kommen, deren Ton selbst zweifelhaft ist; sie sprechen vom Salon und werden nur im Vorzimmer empfangen. Aber von denen ist ja nicht die Rede. Ich spreche davon, daß das Stück keine Exposition hat.

Der andere. Ja, wenn man die Exposition in dem Sinne nimmt, wie sie gewöhnlich genommen wird, d. h. im Sinne einer Liebesintrige, so ist sie wirklich nicht vorhanden. Aber es scheint mir, daß es Zeit ist, mit der ewigen Berufung auf diese Exposition aufzuhören. Man muß nur scharf um sich blicken. Alles hat sich in der Welt längst geändert. Jetzt wird ein Drama durch das Bestreben der Helden exponiert, sich eine vorteilhafte Stellung zu erobern, zu glänzen, einen andern um jeden Preis in den Schatten zu stellen, Rache für eine Mißachtung, für eine Verhöhnung zu nehmen. Elektrisiert ein Amt, ein Kapital, eine vorteilhafte Heirat nicht mehr als die Liebe?

Der erste. Das ist ja alles sehr gut; aber auch unter diesem Gesichtspunkt finde ich keine Exposition in dem Stücke.

Der andere. Ich will jetzt nicht untersuchen, ob es in diesem Stück eine Exposition gibt oder nicht. Ich will nur sagen, daß man jetzt nur auf Einzelheiten achtet und die allgemeine Exposition überhaupt nicht sieht. Die Menschen sind einfach an diese unvermeidlichen Liebespaare gewöhnt, ohne deren Heirat kein Stück schließen kann. Gewiß ist auch das eine Exposition: aber was für eine! Ein Knoten im Zipfel eines Taschentuchs. Nein, eine Komödie muß sich selbst knüpfen — und zwar mit ihrer ganzen Masse, zu einem großen allgemeinen Knoten. Diese Exposition muß alle Personen umfassen, nicht nur eine oder zwei; muß berühren, was alle handelnden Personen mehr oder weniger tief ergreift. Hier ist jeder der Held: der Fluß, der Gang des Stückes bewirkt eine Erschütterung der ganzen Maschinerie. Kein einziges Rad darf stehen bleiben, als wäre es verrostet oder gehörte nicht zur Sache.

Der erste. Aber es kann doch nicht jeder der Held sein. Einer oder zwei müssen doch die andern leiten.

Der andere. Doch nicht leiten, sondern hervorragen. Auch in der Maschine bewegen sich bestimmte Räder bemerkbarer und stärker. Und man kann sie höchstens die Haupträder nennen; aber gelenkt wird das Stück durch eine Idee, durch einen Gedanken: ohne sie gibt es keine Einheit. Und exponieren kann alles: selbst das Entsetzen, die Angst der Erwartung, das ferne Gewitter des herannahenden Gesetzes ...

Der erste. Aber das heißt schon, der Komödie eine allgemeine Bedeutung zu geben.

Der andere. Ja ist denn das nicht ihre wahre und wirkliche Bedeutung? Schon von Beginn an war die Komödie eine öffentliche Angelegenheit des Volkes. Zumindest stellte sie sich so bei ihrem Vater Aristophanes dar. Später wurde sie in den Engpaß privater Beziehungen gedrängt, das Auf und Ab der Liebe wurde hineingetragen, immer dieselbe unvermeidliche Exposition. Und wie schwach ist sie deshalb selbst bei den besten Komödiendichtern! Wie nichtig sind diese Theaterliebhaber mit ihrer papierenen Liebe!

Ein dritter (tritt heran und klopft ihm leicht auf die Schulter). Du hast unrecht. Die Liebe kann ebenso wie jedes andere Gefühl Ingredienz einer Komödie sein.

Der andere. Ich sage ja auch gar nicht, daß sie es nicht sein kann. Aber die Liebe kann, wie andere erhabenere Gefühle, nur dann einen erhebenden Eindruck machen, wenn sie in ihrer ganzen Tiefe entwickelt wird. Hat man einmal begonnen, sie darzustellen, muß man alles andere aufopfern; alles, was eben den Charakter der Komödie ausmacht, verblaßt dann, und die Bedeutung der Komödie als Angelegenheit der Gesellschaft verschwindet.

Der dritte. Also muß der Gegenstand der Komödie unbedingt etwas Niedriges sein? Die Komödie ist also immer ein untergeordnetes Genre?

Der andere. Für den, der nur auf die Worte achtet und nicht den Sinn zu begreifen sucht, wird es so sein. Kann das Positive wie das Negative nicht der gleichen Absicht dienen? Können die Komödie und die Tragödie nicht den gleichen hohen Gedanken ausdrücken? Die seelischen Schwingungen eines schurkischen und ehrlosen Menschen, die gröbsten wie die feinsten, — zeichnen sie nicht schon das Bild eines ehrenhaften Mannes? Verraten denn nicht die Anhäufung von Niedrigkeiten, von Verletzungen der Gesetze und der Gerechtigkeit deutlich, was Gesetz, Pflicht und Gerechtigkeit von uns fordert? In den Händen eines geschickten Arztes heilen das heiße wie das kalte Wasser mit gleichem Erfolge dieselben Krankheiten. In der Hand des Talents kann alles ein Mittel des Schönen werden, wenn es nur durch die hohe Absicht, dem Schönen zu dienen, geleitet wird.

Ein vierter (tritt hinzu). Was kann dem Schönen dienen und worüber streitet ihr?

Der erste. Der Streit entstand bei uns über die Komödie. Wir sprechen allgemein von der Komödie, über die neue Komödie hat noch keiner ein Wort gesagt. Und was haben Sie zu bemerken?

Der vierte. Ich möchte folgendes bemerken: man spürt das Talent, Beobachtung des Lebens, viel Lächerliches, Richtiges, der Natur Abgelauschtes, aber ganz allgemein: dem Stück fehlt etwas. Man sieht weder eine Intrige noch eine Auflösung. Es ist doch merkwürdig, daß alle unsere Komödiendichter nicht ohne die Regierung auskommen können. Ohne sie schließt bei ihnen keine Komödie.

Der dritte. Das ist wahr. Aber übrigens, es ist andererseits sehr natürlich. Wir haben doch alle mit der Regierung zu tun, wir stehen ja fast alle in ihrem Dienst; unser aller Interessen sind mehr oder weniger mit der Regierung verknüpft. Es ist also nicht verwunderlich, wenn sich das in den Schöpfungen unserer Dichter spiegelt.

Der vierte. Richtig. Mag diese Beziehung auch spürbar sein, so ist es doch lächerlich, daß ein Stück keinesfalls ohne die Regierung auskommen kann. Sie muß unbedingt erscheinen: wie das unentrinnbare Schicksal in den Tragödien der Alten.

Der andere. Nun sehen Sie: es ist also beinahe etwas Unwillkürliches bei unseren Komödiendichtern. Und das bildet also ein charakteristisches Merkmal unserer Komödie. Unsere Seele enthält irgendeinen geheimen Glauben an die Regierung. Nun? Dabei ist doch nichts Schlimmes: Gott gebe, daß die Regierung immer und überall von ihrer Bestimmung, die Vertreterin der Vorsehung auf Erden zu sein, zu hören bekommt. Und daß wir daran glauben, so wie die Alten geglaubt haben, daß das Verbrechen vom Schicksal ereilt wird.

Der fünfte. Guten Abend, meine Herren. Ich höre nur immer das eine Wort „Regierung“. Die Komödie hat Lärm und Streit entfesselt ...

Der zweite. Wollen wir diesen Zank und Lärm nicht lieber bei mir austragen, als in diesem Theatervorraum. (Sie entfernen sich.)

(Einige würdige und anständig gekleidete Herren erscheinen einer nach dem andern.)

Erster Herr. So, so, ich sehe: es ist wahr, es gibt so etwas bei uns, aber es kommt auch anderswo vor, und noch Schlimmeres; aber zu welchem Zwecke, wozu so etwas darstellen? — Das ist die Frage. Warum diese Vorstellungen? Was für einen Nutzen bringen sie? — Erklären Sie mir das! Was nützt es mir, zu wissen, daß es da und dort Schelme gibt? Ich ... ich verstehe einfach die Notwendigkeit solcher Vorführungen nicht. (Er entfernt sich.)

Zweiter Herr. Nein, das ist doch keine Verhöhnung der Laster, das ist doch eine widerwärtige Verhöhnung Rußlands. — Das ist die Sache. Das heißt, die Regierung selbst in ein schlechtes Licht stellen, denn schlechte Beamte und Übergriffe, die in allen Ständen vorkommen, bloßstellen, bedeutet die Regierung selbst kompromittieren. Man sollte solche Vorstellungen nicht erlauben. (Er entfernt sich.)

(Herr A. und Herr B. treten ein, Männer von nicht geringem Rang.)

Herr A. Ich spreche nicht davon; im Gegenteil, Mißbräuche muß man uns zeigen; das ist notwendig, daß wir unsere Vergehen sehen; und ich teile nicht im geringsten die Meinung vieler allzu stark erregter Patrioten; aber mich dünkt, daß hier zu viel Trauriges vorkommt ...

Herr B. Ich wünschte sehr, daß Sie die Meinung eines sehr bescheiden angezogenen Herrn gehört hätten, der neben mir im Sessel saß ... Ach, da ist er ja selbst.

Herr A. Wer?

Herr B. Eben dieser sehr bescheiden angezogene Herr. (Wendet sich zu ihm.) Wir haben unser Gespräch nicht beendet, dessen Anfang mir sehr interessant war.

Der sehr bescheiden angezogene Herr. Auch ich muß gestehen, daß ich sehr froh bin, die Unterhaltung fortsetzen zu können. Ich habe soeben allerlei Diskussionen gehört, zum Beispiel: daß das alles nicht wahr sei, daß es eine Verhöhnung unserer Regierung, unserer Sitten sei und daß das alles gar nicht vorgeführt werden dürfe. Das zwang mich, das ganze Stück noch einmal durchzudenken und in Gedanken zu überschauen. Und ich muß gestehen, daß mir der Gehalt der Komödie noch bedeutender erschien. Mir scheint, das Lachen trifft hier am stärksten und tiefsten die Heuchelei, die wohlanständige Maske, unter der Niedrigkeit und Schurkerei erscheinen, den Schelm, der sich hinter dem Äußeren eines ehrbaren Mannes verbirgt. Ich muß gestehen, ich empfand Freude, als ich sah, wie lächerlich die ehrbaren Worte im Munde eines Schurken klingen, und wie ungeheuer lächerlich wurde allen vom Parkett bis zum Olymp diese von ihm angenommene Maske. Und danach gibt es noch Menschen, die behaupten, daß man so etwas nicht auf der Bühne vorführen sollte! Ich vernahm eine Bemerkung, die ein, wie mir schien, sehr achtbarer Herr gemacht hatte: „Und was wird das Volk sagen, wenn es sieht, daß bei uns solche Übergriffe vorkommen?“

Herr A. Ich muß gestehen, entschuldigen Sie, daß mir selbst auch diese Frage aufgetaucht ist: und was wird unser Volk sagen, wenn es dies alles sieht?

Der sehr bescheiden angezogene Herr. Was das Volk sagen wird? (Geht zur Seite, zwei Männer in Armjaks gehen vorüber.)

Der blaue Armjak (zum grauen). Frech waren die Woiwoden, aber sie erblaßten doch, als das Zarengericht begann! (Beide gehen hinaus.)

Der sehr bescheiden angezogene Herr. Das wird das Volk sagen! Haben Sie gehört?

Herr A. Was?

Der sehr bescheiden angezogene Herr. Es wird sagen: „Frech waren die Woiwoden, aber sie erblaßten doch, als das Zarengericht begann!“ Haben Sie gehört, wie sicher der Instinkt und das Gefühl des Menschen sind? Wie treu das einfache Auge sieht, wenn es nicht von Theorien und Gedanken verschleiert ist, die aus Büchern herausgezupft sind; sondern alles aus der menschlichen Natur schöpft? Ist es denn nicht ganz offensichtlich, daß nach so einer Vorstellung das Volk mehr Glauben an die Regierung bekommt? Ja, es braucht solche Aufführungen! Es soll die Regierung von ihren schlechten Vertretern trennen lernen. Es soll sehen, daß die Übergriffe nicht von der Regierung aus geschehen, sondern von denen, die ihre Forderungen nicht verstehen. Die der Regierung gegenüber keine Verantwortung auf sich nehmen wollen. Es soll sehen, daß sie edel denkt, daß sie mit wachem Auge alle gleich behütet, daß sie früher oder später die Verräter des Gesetzes, der Ehre und der heiligen Pflicht der Menschheit herausfinden wird, daß die, die kein reines Gewissen haben, vor ihr erblassen werden. Ja, es muß diese Vorstellungen sehen; glauben Sie mir, wenn es einmal am eigenen Leibe die Schikanen und Ungerechtigkeiten erfahren sollte, wird es getröstet, mit einem festen Glauben an das stets wache höhere Gesetz aus dieser Vorstellung hinausgehen. Auch noch eine andere Bemerkung gefiel mir: „Das Volk wird eine schlechte Meinung von seinen Beamten bekommen.“ Das heißt, man glaubt, daß das Volk hier im Theater zum ersten Male seine Vorgesetzten kennen lernt: wenn ihm zu Hause irgendein schurkischer Amtmann den Fuß auf den Nacken setzt, so wird es dies nicht bemerken, aber wenn es ins Theater geht, dann erst gehen ihm die Augen auf. Man hält unser Volk wirklich für dümmer als einen Klotz — für so dumm, daß es nicht imstande ist, zu unterscheiden, ob ein Kuchen mit Fleisch oder mit Brei gefüllt ist. Nein, jetzt scheint es mir sogar gut, daß auf der Bühne kein einziger ehrlicher Mensch vorgeführt wurde. Der Mensch ist so eitel: zeige ihm unter vielen schlechten Eigenschaften nur eine gute, und er wird stolz aus dem Theater gehen. Nein, es ist gut, daß nur Ausnahmefälle und lasterhafte Menschen dargestellt sind, die so in die Augen fallen, daß man nicht ihr Mitbürger zu sein wünscht, daß man sich zu gestehen schämt, daß es so etwas überhaupt gibt.

Herr A. Aber gibt es denn bei uns wirklich solche Menschen, genau solche?

Der sehr bescheiden angezogene Herr. Gestatten Sie mir, Ihnen darauf folgendes zu antworten: ich weiß nicht, warum ich jedesmal traurig werde, wenn ich eine solche Frage höre. Ich kann offen mit Ihnen sprechen, in Ihren Zügen sehe ich etwas, das mich zur Aufrichtigkeit auffordert. Der Mensch stellt zu allererst diese Frage: „Gibt es denn wirklich solche Menschen?“ Aber hat man je gehört, daß einer diese Frage gestellt hätte: „Bin ich denn selbst ganz frei von diesen Lastern?“ Niemals, niemals! Noch eins — ich will ja offen mit Ihnen reden. — Ich habe ein gutes Herz und viel Liebe in meiner Brust, aber wenn Sie wüßten, wieviel seelische Anstrengungen und Erschütterungen es mich gekostet hat, um nicht in viele Laster zu verfallen, in die man unwillkürlich gerät, wenn man mit den Menschen zusammenlebt! Und wie kann ich jetzt sagen, daß in mir selbst, in diesem Augenblick, sich nicht die gleichen Neigungen regen, über die alle vor zehn Minuten gelacht haben, über die ich selbst gelacht habe?

Herr A. (nach kurzem Schweigen). Ich muß gestehen, Ihre Worte zwingen mich zum Nachdenken. Und wenn ich mich erinnere, wenn ich mir vorstelle, wie stolz uns unsere europäische Erziehung gemacht hat, wie sie uns überhaupt vor uns selbst verborgen hat, wie hochmütig und mit welcher Verachtung wir auf jene sehen, die diesen äußeren Schliff nicht empfangen haben, wie jeder von uns sich fast als Heiligen hinstellt, und von dem Schlechten immer in dritter Person spricht — ich muß gestehen, dann wird mir traurig zumute ... Aber verzeihen Sie meine Unbescheidenheit — Sie sind übrigens selbst schuld daran — darf ich wissen, mit wem ich das Vergnügen zu sprechen habe?

Der sehr bescheiden angezogene Herr. Ich bin nicht mehr und nicht weniger als einer jener Beamten und nehme eine Stellung ein, deren Träger in der Komödie vorgeführt werden; und ich bin erst vorgestern aus meinem Städtchen hier angekommen.

Herr B. Das hätte ich kaum geglaubt. Und scheint es Ihnen nach alledem nicht peinlich, mit solchen Menschen zu dienen und zusammen zu leben?

Der sehr bescheiden angezogene Herr. Peinlich? Darauf möchte ich Ihnen folgendes antworten: ich gestehe, daß ich oft die Geduld verloren habe. In unserem Städtchen gehören nicht alle Beamten zu dem ehrlichen Dutzend, oft muß man die Wände hinaufklettern, um eine gute Tat durchzusetzen, schon mehrere Male wollte ich den Dienst quittieren; aber jetzt, eben nach dieser Vorstellung, fühle ich eine Frische und zugleich neue Kraft, um meine Tätigkeit fortzusetzen. Mich tröstet schon der Gedanke, daß die Gemeinheit bei uns nicht verborgen bleibt oder gar gefördert wird. Daß sie dort, im Angesicht aller ehrlichen Menschen vom Lachen getroffen wird; daß es eine Feder gibt, die es nicht unterläßt, unsere niedrigen Taten bloßzustellen, wenn dies auch unserem nationalen Stolze nicht schmeichelt, und daß es bei uns eine gute Regierung gibt, die es gestattet, dies all denen vor Augen zu führen, für die es bestimmt ist; und schon das allein gibt mir den Mut, meinen nutzbringenden Dienst fortzusetzen.

Herr A. Erlauben Sie mir, Ihnen einen Vorschlag zu machen. Ich bekleide ein Amt, ein ziemlich hohes Amt. Ich brauche wahrhaft edeldenkende und ehrliche Mitarbeiter. Ich biete Ihnen eine Stellung an, in der Sie ein weites Feld für Ihre Tätigkeit finden werden, die Ihnen unvergleichlich mehr Vorteile bieten wird und wo Sie an einer achtbaren Stelle stehen werden.

Der sehr bescheiden angezogene Herr. Gestatten Sie mir, Ihnen von ganzem Herzen und ganzer Seele für Ihr Anerbieten zu danken. Und erlauben Sie mir zugleich, es abzulehnen. Wenn ich fühle, daß ich in meiner Stellung nützlich sein kann, wäre es dann anständig von mir, sie zu verlassen? Und wie kann ich sie verlassen, wo ich nicht fest überzeugt bin, daß nach mir nicht irgend ein Kerl kommen wird, der ein Schreckensregiment beginnt. Wenn Sie aber das Anerbieten als Belohnung gedacht haben, so gestatten Sie mir Ihnen folgendes zu sagen: Ich habe wie alle andern dem Dichter des Stückes applaudiert, aber ich habe ihn nicht hervorgerufen. Was für eine Belohnung käme ihm zu? Wem das Stück gefällt, der mag es loben, aber er — er hat nur seine Pflicht erfüllt. Wir sind wahrhaftig so weit gekommen, daß einer sich nicht nur um einer Heldentat willen, sondern schon wenn er einem andern im Leben oder im Dienst nicht schadet, für einen Gott weiß wie edlen Menschen hält, und ernsthaft beleidigt ist, wenn man dies nicht bemerkt und ihn nicht dafür belohnt. „Aber ich bitte,“ schreit er, „ich war Zeit meines Lebens ein ehrlicher Mensch, ich habe kaum eine Niederträchtigkeit begangen, — warum gibt man mir kein Amt, keine Orden?“ Ich dagegen denke so: wer nicht ohne Aufmunterung anständig sein kann — an dessen Anstand glaube ich nicht; sein Krämeranstand ist keinen Heller wert!

Herr A. Zumindest werden Sie mir doch Ihre nähere Bekanntschaft nicht versagen: verzeihen Sie meine Zudringlichkeit. Sie sehen ja selbst, daß sie die Folge meiner aufrichtigen Hochachtung ist. Geben Sie mir Ihre Adresse.

Der sehr bescheiden angezogene Herr. Hier ist meine Adresse. Aber seien Sie überzeugt, ich werde nicht zulassen, daß Sie von ihr Gebrauch machen, und schon morgen früh werde ich selbst bei Ihnen vorsprechen. Verzeihen Sie mir, ich bin nicht in der großen Welt erzogen und kann nicht reden ... Aber bei einem Staatsbeamten diese großmütige Aufmerksamkeit, dieses Streben nach dem Guten zu finden ... Gott gebe, daß jeder Herrscher von solchen Leuten umgeben sei! (Entfernt sich eilig.)

Herr A. (dreht die Visitkarte in den Händen herum). Ich blicke auf diese Karte und den mir unbekannten Namen, und mir wird das Herz so voll. Wie sich dieser anfangs so traurige Eindruck von selbst verflüchtigt hat! Gott behüte dich, mein Rußland, das wir noch so wenig kennen! In der fernsten Provinz, in einem deiner verlorenen Winkel ist so eine Perle verborgen und sicher ist sie nicht die einzige. Sie sind wie die Körner einer Goldader, versprengt in den finstern Tiefen deines Granits. Es liegt ein Gefühl tiefen Trostes in einer solchen Erscheinung, und es wurde hell in meiner Seele nach der Begegnung mit diesem Beamten, wie es in seiner eignen Seele hell wurde nach der Aufführung dieser Komödie. Leben Sie wohl! Ich danke Ihnen, daß Sie mir diese Begegnung verschafft haben. (Entfernt sich.)

Herr W. (tritt zu Herrn B. heran). Wer war das, mit dem Sie sprachen? Ich glaube, er ist Minister, nicht wahr?

Herr P. (kommt von der anderen Seite). Hör doch Bruder, was ist das eigentlich für eine Geschichte? ...

Herr B. Was?

Herr P. Wie kann man so etwas aufführen?!

Herr B. Warum denn nicht?

Herr P. Aber ich bitte, urteile doch selbst. Was ist denn das eigentlich? Nichts als Laster und Laster; was für ein Beispiel sollen sich die Zuschauer daran nehmen?

Herr B. Ja, wird denn das Laster verherrlicht? Es wird doch dem Spott preisgegeben.

Herr P. Na Bruder, was du auch sagen magst: die Achtung ... aber dadurch geht doch die Achtung vor Amt und Beamten verloren.

Herr B. Nicht vor Amt und Beamten geht die Achtung verloren, sondern vor denen, die ihre Pflichten schlecht erfüllen.

Herr W. Gestatten Sie mir jedoch, zu bemerken: das alles ist immerhin eine Beleidigung, die mehr oder weniger alle trifft.

Herr P. Sehr richtig. Das wollte ich ihm schon selbst sagen. Das ist eine Beleidigung, die alle trifft. Jetzt führt man uns zum Beispiel einen Titularrat vor, und nächstens ... äh ... wird man uns noch am Ende ... äh ... einen wirklichen Staatsrat vorführen.

Herr B. Nun und was wäre dabei? Die Persönlichkeit darf nicht angetastet werden; aber wenn ich mir eine Figur erdenke und sie mit den Lastern versehe, die unter uns Menschen vorkommen, und wenn ich ihr einen Rang gebe, der mir geeignet erscheint, wenn es auch der eines wirklichen Staatsrats ist, und wenn ich sage, daß dieser wirkliche Staatsrat nicht so ist, wie er sein sollte: was ist dabei? Kommen denn solche Patrone unter wirklichen Staatsräten nicht vor?

Herr P. Aber nein, mein Lieber, das ist schon zu viel. Wie kann denn ein solcher Patron wirklicher Staatsrat sein? Vielleicht Titularrat ... Nein, du gehst schon zu weit.

Herr W. Aber warum soll man uns nur das Schlechte zeigen und nicht auch das Gute, das, was der Nacheiferung würdig ist?

Herr B. Warum? Eine merkwürdige Frage: Warum? So kann man oftmals „Warum“ fragen. Warum führte ein Vater seinen Sohn, um ihn dem liederlichen Leben zu entreißen, ohne viele Worte und Moralpredigten in ein Krankenhaus, wo ihm die furchtbaren Folgen eines lasterhaften Lebens in all ihren Schrecknissen offenbar wurden? Warum tat er das?

Herr W. Gestatten Sie mir, Ihnen zu bemerken: das heißt doch gewissermaßen Krankheiten der Gesellschaft entblößen, die man verhüllen, und nicht noch aufzeigen sollte!

Herr P. Das ist wahr. Ich bin damit vollkommen einverstanden. Bei uns muß man das Schlimme verbergen, und nicht noch aufdecken.

Herr B. Wenn ein anderer als Sie diese Worte gesprochen hätte, würde ich sagen, daß nicht wahre Liebe zum Vaterland, sondern Heuchelei sie diktiert habe. Nach Ihrer Meinung muß man die gesellschaftlichen Krankheiten, wie Sie sie nennen, nur verhüllen, nur äußerlich heilen, sie sollen nur vorläufig nicht zu sehen sein, aber im Innern mag die Krankheit fortwüten — das macht nichts. Es macht nichts, daß sie ausbricht und sich in solchen Symptomen offenbart, die keiner Heilung mehr fähig sind. Das macht nichts. Sie wollen nicht wissen, daß wir ohne ein tiefes herzliches Bekenntnis, ohne christliches Eingestehen unserer Sünden, ohne sie in unsern eigenen Augen zu übertreiben, nicht die Kraft haben, uns über sie zu erheben, wir nicht die Kraft haben, uns mit unserer Seele über die Gemeinheit des Lebens emporzuschwingen. Sie wollen es nicht wissen! Soll der Mensch taub bleiben, soll er schlafend durch das Leben wandeln, soll er nie erschüttert werden, nie aus tiefster Seele weinen, soll er seine Seele so einschläfern, daß nichts mehr ihn aufrütteln kann! Nein ... verzeihen Sie mir! Wer so spricht, dessen Lippen werden von kaltem Egoismus bewegt und nicht von heiliger, reiner Liebe zur Menschheit. (Er entfernt sich.)

Herr P. (nach einigem Schweigen). Warum schweigst du? — Nun wie gefällt er dir? Was er nicht alles erzählt hat! Wie?

Herr W. (schweigt).

Herr P. (fortfahrend). Er mag reden was er will — aber das sind doch immerhin unsere Wunden.

Herr W. (beiseite). Nein, was sich der mit seinen „Wunden“ hat! Jetzt wird er sie jedem vorsetzen, der ihm über den Weg läuft!

Herr P. Ich könnte vielleicht auch eine ganze Menge darüber sagen: aber was würde das beweisen? ... Ah da ist ja Fürst N. Höre Fürst, lauf nicht davon.

Fürst N. Was gibts?

Herr P. Nun, wir wollen uns ein wenig unterhalten. Na, wie ist das Stück?

Fürst N. Recht komisch.

Herr P. Sag doch bitte: wie kann man das nur aufführen! Wie ist das blos möglich?

Fürst N. Warum soll man es nicht aufführen?

Herr P. Urteile doch selbst, das geht doch nicht: Plötzlich steht ein Schurke auf der Bühne — das sind doch unsere Wunden!

Fürst N. Was für Wunden?

Herr P. Das sind doch unsere Wunden! Sozusagen unsere gesellschaftlichen Wunden.

Fürst N. (ärgerlich). Ich schenke sie dir! Mögen es meinetwegen deine Wunden sein, aber nicht meine! Warum schiebst du sie mir zu? Ich muß nach Hause. (Entfernt sich.)

Herr P. (fortfahrend). Und weiter: was für Unsinn hat er hier zusammengeredet? Er sagte, ein wirklicher Staatsrat kann ein Schelm sein. Wenn es noch ein Titularrat wäre ... das wäre noch möglich ...

Herr W. Aber wollen wir doch gehen. Genug von dem Gerede; ich denke, alle Vorübergehenden haben schon erfahren, daß Sie ein wirklicher Staatsrat sind. (Beiseite.) Es gibt Menschen, die die Kunst besitzen, alles in den Schmutz zu ziehen. Wenn sie deinen eigenen Gedanken wiederholen, wissen sie ihn so banal zu machen, daß man rot wird. Wenn du eine Dummheit gesagt hast, die vielleicht noch durchschlüpfen könnte, so findet sich immer noch ein Freund oder Verehrer, der sie in Umlauf bringt und sie noch dümmer macht, als sie ist. Es ist wirklich ärgerlich — wie wenn man in den Dreck gestoßen wird! (Sie entfernen sich.)

(Ein Militär und ein Zivilist treten zusammen auf.)

Der Zivilist. So seid ihr Herren vom Militär! Ihr sagt: „Das muß man auf die Bühne bringen“, ihr seid bereit, euch über einen Zivilbeamten lustig zu machen; aber greift man irgendwie das Militär an, sagt man nur, daß in dem und dem Regiment einige Offiziere — von lasterhaften Neigungen ganz zu schweigen — sich zum Beispiel schlecht benehmen, schlechte Manieren haben — so seid ihr gleich bereit, mit einer Klage zum Reichsrat zu laufen.

Der Militär. Nein hören Sie: für wen halten Sie mich? Gewiß, es gibt auch unter uns solche Don Quijotes, aber glauben Sie mir, es gibt auch viele wahrhaft vernünftige Männer, die froh sein würden, wenn man die, die ihren Beruf schänden, dem allgemeinen Spott ausliefern würde. Ja, wo ist denn hier eine Beleidigung? Geben Sie uns nur mehr davon! Wir sind bereit, jeden Tag zuzuschauen.

Der Zivilist. So sind die Menschen, immer schreien sie: „Gib uns, gib uns“. Aber wenn du es tust, sind sie empört. (Sie entfernen sich.)

(Zwei Pekeschen.)

Die erste Pekesche. Man nehme zum Beispiel die Franzosen; aber bei ihnen ist das alles sehr nett. Erinnerst du dich unter anderem des gestrigen Vaudeville: sie entkleidet sich, legt sich ins Bett, nimmt die Salatschüssel vom Tisch und stellt sie unter das Bett. Das ist natürlich indezent, aber allerliebst. Das alles kann man sich ansehen, das verletzt nicht ... Meine Frau und meine Kinder gehen jeden Tag ins Theater. Aber hier — was ist das nun? Irgend ein Lump, ein Bauer, den ich nicht in mein Vorzimmer hineingelassen hätte, macht sichs mit seinen Stiefeln bequem, gähnt und stochert sich in den Zähnen — wirklich, was soll das bedeuten? Wie sieht das aus?

Die zweite Pekesche. Bei den Franzosen ist das eine andere Sache! Dort machts die societé, mon cher! Bei uns ist so etwas unmöglich. Bei uns sind die Autoren ohne jede Bildung: zum größten Teil sind es alles Zöglinge eines Seminars. Sie neigen zum Wein, zur Ausschweifung. Auch zu meinem Lakei kam immer so ein Autor: wo soll der also eine Vorstellung von der guten Gesellschaft hernehmen? (Sie entfernen sich.)

Eine Weltdame (in Begleitung zweier Herren, der eine trägt einen Frack und der andere eine Uniform): Was für Menschen, was für Personen hier vorgeführt werden! Nicht einer, der einigermaßen anziehend ist ... Warum schreibt man bei uns nicht so, wie die Franzosen schreiben, zum Beispiel Dumas und ähnliche. Ich verlange keine Muster von Tugend; zeigt mir eine Frau, die irrt, die ihren Mann betrügt, die sich zum Beispiel einer lasterhaften und verbotenen Liebe hingibt — aber stellt es mir so hinreißend dar, daß ich mit ihr mitfühle, daß ich sie lieb gewinne ... Hier dagegen ist eine Person immer ekelhafter als die andere.

Der Herr in Uniform. Ja, so trivial, so trivial.

Die Weltdame. Sagen Sie: warum ist bei uns in Rußland alles noch so trivial?

Der Herr im Frack. Mein Herz, du wirst mir nachher erzählen, warum alles so trivial ist. Man ruft unsern Wagen auf. (Sie entfernen sich.)

(Drei Herren treten auf.)

Der erste. Warum soll man denn nicht ein wenig lachen? Man darf doch noch lachen: aber ist das ein Gegenstand für den Spott — Mißbräuche und Laster! Was gibt es da zu spotten?

Der zweite. Über was soll man denn sonst lachen? Etwa über die Tugenden, über die Vorzüge eines Menschen?

Der erste. Nein; das ist doch kein Gegenstand für eine Komödie, mein Lieber! Das soll sozusagen auch die Regierung treffen. Gibt es denn keine anderen Gegenstände, worüber man schreiben kann?

Der zweite. Was wären das für andere Gegenstände?

Der erste. Nun, gibt es denn so wenig komische gesellschaftliche Ereignisse? Nehmen wir zum Beispiel an: ich will zu einem Gartenfest auf die Apothekerinsel fahren, und der Kutscher würde mich plötzlich auf der Wyborgskaja oder bei dem Smolnikloster absetzen. Gibt es denn nicht genug solcher komischer Situationen?

Der zweite. Das heißt: Sie wollen der Komödie jede ernste Bedeutung nehmen. Aber warum solche absolute Gesetze aufstellen? Komödien in der Art, wie Sie es wünschen, gibt es ja in Unzahl. Warum soll es nicht zwei oder drei wie die eben gespielte geben dürfen? Wenn Ihnen solche Komödien gefallen, wie die, von denen Sie soeben sprachen, so brauchen Sie nur ins Theater zu gehen: dort können Sie täglich ein Stück sehen, wo einer sich unter dem Stuhl versteckt und der andere ihn am Bein hervorzieht.

Der dritte. Nein, nein, bitte, so ist es denn doch nicht. Alles hat seine Grenzen, es gibt Dinge, über die man sozusagen nicht spotten darf, die schon gewissermaßen etwas Heiliges sind.

Der zweite (für sich mit einem bitteren Lächeln): So ists immer auf der Welt. Lacht man über das wahrhaft Edele, über das, was das große Heiligtum unserer Seele ausmacht, so wird keiner dafür eintreten; lacht man aber über das Laster, über das Gemeine und Niedrige — dann schreien alle: „Er verspottet unsere Heiligtümer!“

Der erste. Na, nun sehen Sie’s; wie ich merke, sind Sie jetzt überzeugt: Sie sagen kein Wort. Glauben Sie mir, man muß überzeugt sein: das ist das Wahre. Ich selbst bin ein unparteiischer Mensch und ich will nicht sagen, daß ... aber das ist einfach keine Angelegenheit für einen Autor, kein Gegenstand für eine Komödie. (Sie entfernen sich.)

Der zweite (für sich). Ich gestehe, ich möchte um keinen Preis an Stelle des Autors sein. Allen soll man’s recht machen! Wählt man ein unbedeutendes gesellschaftliches Ereignis, so schreien alle: „Er schreibt Unsinn! Das hat doch keinen tiefen moralischen Zweck;“ wählt man aber einen Gegenstand, der irgendeinen sittlichen Kern enthält, so sagen sie: „Das ist nicht seine Sache, er soll spaßige Sachen schreiben!“ (Er entfernt sich.)

(Eine junge Weltdame in Begleitung ihres Mannes.)

Der Mann. Unser Wagen kann nicht weit sein, wir können gleich fahren.

Herr N. (tritt zu der Dame heran). Was sehe ich! Sie sind hergekommen, um sich ein russisches Stück anzusehen!

Die junge Dame. Was ist dabei? Habe ich denn gar keinen Patriotismus?

Herr N. Nun, wenn es so wäre: so werden Sie mit Ihrem Patriotismus doch nicht allzusehr auf ihre Kosten gekommen sein. Sie schimpfen doch wohl auf das Stück?

Die junge Dame. Gar nicht. Ich finde, daß vieles darin ungemein richtig ist: ich habe von Herzen gelacht.

Herr N. Warum haben Sie denn gelacht? Vielleicht weil Sie gern über alles Russische lachen?

Die junge Dame. Nein, nur darum, weil es einfach komisch war. Weil hier jene Niedertracht, jene Gemeinheit öffentlich entlarvt wurde, die immer die gleiche Gemeinheit und Niedertracht bleibt, welches Gewand sie auch anlegen mag, und ob sie sich in einer Kreisstadt oder hier, mitten unter uns abspielt: deshalb habe ich gelacht.

Herr N. Mir sagte eben eine sehr gescheite Dame, daß sie auch gelacht hat, aber bei alledem hat das Stück auf sie einen sehr traurigen Eindruck gemacht.

Die junge Dame. Ich mag nicht wissen, was Ihre gescheite Dame empfunden hat, aber ich habe keine so empfindlichen Nerven, und ich lache immer gern über das, was in seinem Kern komisch ist. Ich weiß, daß es unter uns auch Leute gibt, die im Herzen über die schiefe Nase eines Menschen lachen können, aber den Mut nicht aufbringen, über die häßliche Seele eines Menschen zu lachen.

(In der Entfernung erscheint noch eine junge Dame mit ihrem Mann.)

Herr N. Ah da kommt Ihre Freundin. Ich möchte ihre Meinung über die Komödie hören. (Die Damen reichen sich die Hände.)

Die erste Dame. Ich sah von weitem, wie du lachtest.

Die zweite Dame. Ja, wer hat denn nicht gelacht? Alle haben doch gelacht.

Herr N. Und hatten Sie denn gar kein trauriges Gefühl dabei?

Die zweite Dame. Ich gestehe, mir war wirklich traurig zu Mut. Ich weiß, daß das alles sehr wahr ist; ich habe viel Ähnliches gesehen, und es hat mich immer traurig gestimmt.

Herr N. Also hat Ihnen die Komödie nicht gefallen?

Die zweite Dame. Aber erlauben Sie, wer sagt denn das? Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß ich von ganzem Herzen gelacht habe und sogar mehr als alle andern; ich glaube sogar, daß man mich für eine Wahnsinnige gehalten hat ... Aber ich wurde deshalb traurig, weil ich den Wunsch hatte, wenigstens auf einem guten Gesicht ausruhen zu können. Diese Masse, diese Überfülle des Gemeinen ...

Herr N. Sprechen Sie! Sprechen Sie!

Die zweite Dame. Hören Sie: empfehlen Sie dem Autor, daß er wenigstens einen anständigen Menschen hineinbringt. Sagen Sie ihm, daß man ihn darum bittet, daß es wirklich gut wäre.

Der Mann der ersten Dame. Gerade dies sollten Sie ihm nicht empfehlen! Die Damen wollen unbedingt einen Ritter sehen, der bei jeder Gelegenheit von Edelmut spricht, und sei es auch in den banalsten Phrasen.

Die zweite Dame. Durchaus nicht. Wie wenig Sie uns kennen! Gerade Ihnen ist dies eigentümlich! Gerade Ihr liebt nur Phrasen und Reden von Hochherzigkeit und Edelmut. Ich habe einmal das Urteil eines von den Euren gehört: ein Dickwanst schrie so, daß er, wie ich glaube, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenkte — das alles sei Verleumdung, solche Gemeinheiten und Schurkereien kämen bei uns nie vor. Und wer sagte das? — Der allerniedrigste und gemeinste Mensch, der stets bereit war, seine Seele, sein Gewissen und alles, was Sie wollen, zu verkaufen. Ich will ihn nur nicht beim Namen nennen.

Herr N. Aber sagen Sie es doch: Wer war es?

Die zweite Dame. Warum wollen Sie es wissen? Er war es ja nicht allein; ich hörte, wie man um uns herum unaufhörlich schrie: „Das ist eine widerwärtige Verhöhnung Rußlands, eine Verhöhnung der Regierung! Wie kann man nur so etwas zulassen? Was wird das Volk dazu sagen?“ Und warum haben sie so geschrieen? Etwa, weil sie wirklich so dachten und fühlten? — Oh nein, verzeihen Sie. Nur darum, um Lärm zu machen, damit man das Stück verbietet, oder vielleicht, weil sie etwas in ihm gefunden hatten, das sie an sich selbst erinnerte. So sind Ihre wahren Ritter, und — nicht die Theaterhelden!

Der Mann der ersten Dame. O bei Ihnen regt sich schon etwas wie eine kleine Empörung!

Die zweite Dame. Empörung — jawohl Empörung. Ja, ich bin empört, sehr empört. Man kann doch nicht ruhig bleiben, wenn man sieht, wie die Gemeinheit unter allen möglichen Masken auftritt.

Der Mann der ersten Dame. Nun ja: Sie möchten, daß sofort irgendein Ritter hervortritt, über einen Abgrund springt und sich das Genick bricht ...

Die zweite Dame. O nein, verzeihen Sie.

Der Mann der ersten Dame. Natürlich: was verlangt denn eine Frau? — Sie verlangt unbedingt, daß sich im Leben irgendein Roman abspielt.

Die zweite Dame. Nein, nein, nein! Ich könnte es zweihundertmal wiederholen: nein! Das ist eine ganz alte, banale Vorstellung, die Sie uns immer wieder aufdrängen wollen. Die Frau hat mehr wahrhaften Edelmut, als der Mann, die Frau ist nicht imstande, sie ist unfähig, alle jene Niedrigkeiten und Schurkereien zu begehen, die ihr Männer euch leistet. Die Frau kann nicht heucheln, wo ihr heuchelt, sie kann nicht durch die Finger sehen, wo ihr es tut, wo es sich um solche Gemeinheiten handelt! Sie ist anständig genug, um dies alles auszusprechen, ohne sich erst überall umzuschauen, ob es den Leuten auch gefällt — denn das muß ausgesprochen werden. Was gemein ist — ist gemein, da hilft kein Vertuschen und kein Beschönigen. Es bleibt eine Gemeinheit, eine Gemeinheit, eine Gemeinheit!

Der Mann der ersten Dame. Ich glaube, jetzt sind Sie wahrhaftig allen Ernstes böse.

Die zweite Dame. Weil ich offen bin und es nicht ertragen kann, wenn man die Unwahrheit spricht.

Der Mann der ersten Dame. Nun, nun, seien Sie nicht böse und geben Sie mir Ihr Händchen. Ich scherzte ja nur.

Die zweite Dame. Hier haben Sie meine Hand — ich bin ja gar nicht böse. (Sie wendet sich an Herrn N.) Hören Sie: bitte raten Sie doch dem Autor, daß er einen edlen und ehrlichen Menschen in die Komödie hineinbringt.

Herr N. Ja aber wie soll man das machen? Wie, wenn er nun einen ehrlichen Menschen hineinbrächte und dieser ehrliche Mensch ein Theaterheld würde?

Die zweite Dame. O nein, wenn er wirklich stark und tief empfindet, so wird sein Held kein Theaterritter werden.

Herr N. Aber ich glaube, das ist nicht so leicht zu machen.

Die zweite Dame. Sagen Sie doch einfach, daß Ihr Autor keine starken und tiefen Seelenregungen hat.

Herr N. Aber warum nur?

Die zweite Dame. Nun, wer unaufhörlich und immerfort lacht, der kann doch keine allzu hohen Gefühle haben: unmöglich kann ihm bekannt sein, was nur ein zartes Herz empfindet.

Herr N. Das ist ausgezeichnet! Also nach Ihnen kann der Verfasser kein edler Mensch sein?

Die zweite Dame. Sehen Sie! Sie legen es gleich ganz anders aus. Ich habe doch kein Wort davon gesagt, daß ein Komödiendichter nicht edel sein und keinen strengen Begriff von der Ehre im vollen Sinn dieses Wortes haben kann. Ich sage nur, daß er nicht imstande ist ... eine von Herzen kommende Träne zu vergießen und etwas aus ganzer Kraft, aus tiefster Seele zu lieben.

Der Mann der zweiten Dame. Aber wie kannst du das nur so positiv behaupten?

Die zweite Dame. Ich kann es, weil ich es weiß. Alle Menschen, die immer nur lachten, oder Spötter waren, besaßen eine große Eigenliebe und waren fast alle Egoisten; vornehme und edle Egoisten natürlich — aber immer doch Egoisten.

Herr N. Also Sie geben unbedingt jener Art von Werken den Vorzug, in denen nur die hohen Regungen der Menschen vorkommen.

Die zweite Dame. Aber natürlich! Ich werde sie immer höher stellen, und ich muß gestehen, ich habe mehr inneres Vertrauen zu einem solchen Autor.

Der Mann der ersten Dame (wendet sich an Herrn N.). Nun, du siehst doch, es kommt auf das gleiche hinaus — so ist der Geschmack der Frauen. In ihren Augen steht die banalste Tragödie höher als die allerbeste Komödie. Schon allein, weil es eine Tragödie ist ...

Die zweite Dame. Schweigen Sie, sonst werde ich wieder böse. (Wendet sich an Herrn N.) Nun sagen Sie, habe ich denn nicht die Wahrheit gesagt: ein Komödienschreiber muß doch unbedingt eine kalte Seele haben?

Der Mann der zweiten Dame. Oder eine glühende, denn ein reizbares Temperament fordert doch auch zum Spott und zur Satire heraus.

Die zweite Dame. Oder eine leicht erregbare Seele. Aber was bedeutet das? — Das bedeutet, daß der Anlaß zu diesen Werken immer nur Galle, Verbitterung, Empörung ist, wenn auch eine in jeder Hinsicht gerechte Empörung. Aber es fehlt das, was erkennen läßt, daß das Werk aus einer hohen Liebe zur Menschheit ... kurz aus Liebe geboren ward. Nicht wahr?

Herr N. Sehr richtig.

Die zweite Dame. Und nun sagen Sie: hat der Autor der Komödie Ähnlichkeit mit diesem Porträt?

Herr N. Wie soll ich Ihnen sagen? Ich kenne ihn nicht so gut, um über seine Seele urteilen zu können. Aber wenn ich überlege, was ich alles von ihm gehört habe, so muß er entweder ein Egoist oder ein sehr reizbarer Mensch sein.

Die zweite Dame. Nun sehen Sie, ich wußte es doch ganz genau.

Die erste Dame. Ich weiß nicht warum — aber ich möchte nicht, daß er ein Egoist wäre.

Der Mann der ersten Dame. Ah, da kommt unser Lakai, unser Wagen ist also vorgefahren. Leben Sie wohl. (Drückt der zweiten Dame die Hand.) Sie kommen doch zu uns, nicht wahr? Wir wollen doch bei uns zu Hause Tee trinken?

Die erste Dame (im Weggehen). Gern.

Die zweite Dame. Unbedingt.

Der Mann der zweiten Dame. Ich glaube, unser Wagen ist auch vorgefahren. (Folgen ihnen.)

(Zwei Zuschauer treten herein.)

Der erste. Erklären Sie mir nur das eine: wenn man jeden Akt, jede Person, jeden Charakter einzeln betrachtet, warum sieht man dann, daß alles wahr, alles lebendig und der Natur entnommen ist, und doch erscheint es im ganzen als etwas Ungeheuerliches, Übertriebenes, als eine Karikatur, so daß man sich nach Verlassen des Theaters unwillkürlich fragt: existieren denn wirklich solche Menschen? Und dabei sind es doch nicht eigentlich Verbrecher!

Der zweite. Nicht im geringsten — es sind durchaus keine Verbrecher! Sie sind einfach das, was das Sprichwort so ausdrückt: Kein böser Sinn, ein Schelm schlechthin.

Der erste. Und dann noch eins: diese ungeheure Anhäufung, dieses Übermaß — ist das nicht schon ein Fehler einer Komödie? Sagen Sie mir, wo gibt es eine Gesellschaft, die aus lauter solchen Menschen besteht, wo — wenn nicht die Hälfte — so doch mindestens nicht ein kleiner Bruchteil anständige Menschen sind. Wenn eine Komödie ein Bild, ein Spiegel unseres sozialen Lebens sein soll, so muß dieses sich in voller Deutlichkeit spiegeln.

Der zweite. Erstens ist meiner Meinung nach diese Komödie kein Bild, sondern eher noch eine Frontispice. Sie sehen, Szene und Schauplatz sind imaginär. Sonst hätte der Autor wohl keine Fehler und keine offensichtlichen Anachronismen begangen und nicht manche Personen solche Worte sagen lassen, die weder ihrem Charakter noch der Stellung, die sie einnehmen, entsprechen. Nur die erste Gereiztheit hat das für eine persönliche Anspielung nehmen können, worin auch nicht einmal ein Schatten von Persönlichem liegt und was mehr oder weniger allen Menschen eigen ist. Das ist vielmehr ein großer Sammelpunkt: von überall her, aus allen Winkeln Rußlands sind hier alle Abnormitäten, alle Mißbräuche und Verirrungen zusammengeströmt, um einer Idee zu dienen und dem Zuschauer eine lebhafte edle Abscheu vor vielem Häßlichen und Niedrigen einzuflößen. Der Eindruck wird aber immer größer, weil keine der dargestellten Personen alles Menschliche verloren hat: überall klingt dies Menschliche hindurch. Dadurch wird die seelische Erschütterung noch tiefer, und wenn der Zuschauer lacht, wendet er sich unwillkürlich um, wie wenn er fühlte, daß ihm das ganz nahe ist, worüber er lachte, und daß er jeden Augenblick darüber wachen muß, daß es nicht in seine eigene Seele hinüberfließe. Am amüsantesten mußte wohl folgender Vorwurf für den Autor sein, wie ich glaube. „Warum sind seine Personen und Helden nicht sympathisch?“ während er doch alles getan hat, um sie recht abstoßend zu machen. Und wenn auch nur ein anständiger Mensch in die Komödie hineingebracht worden wäre, mit der ganzen Anziehungskraft, die von einem solchen ausgeht, so hätten sich alle, bis auf den Letzten, auf die Seite des anständigen Menschen gestellt und die ganz und gar vergessen, vor denen sie jetzt so erschrocken sind. Diese Gestalten würden uns vielleicht nach der Vorstellung nicht so verfolgen, wie wenn sie lebendig wären; der Zuschauer nähme kein schmerzliches Gefühl aus dem Stück mit und würde sich nicht fragen: „Existieren denn wirklich solche Menschen?“

Der erste. Gewiß. Aber das wird man doch nicht gleich begreifen.

Der zweite. Sehr natürlich. Der innere Sinn der Sache wird immer erst nachher verstanden. Und je lebhafter, je deutlicher die Gestalten sind, in denen er sich verkörpert und auf die er sich verteilt, um so mehr bleibt die allgemeine Aufmerksamkeit an diesen Gestalten haften. Nur wenn man sie zusammenaddiert, erhält man die Summe und den Sinn einer solchen Schöpfung. Aber solche Zeichen schnell zergliedern und addieren, sie sogleich auf den ersten Blick lesen — das kann nicht jeder; und bis dahin wird man immer nur Zeichen sehen. Und ich sage es Ihnen im Voraus, Sie werden es noch erleben: vor allem wird jedes Kreisstädtchen in Rußland in Empörung geraten und behaupten, daß das eine böse Satire, eine platte und gemeine Erdichtung ist, die sich offen gegen dies Städtchen richtet. (Sie entfernen sich.)

Ein Beamter. Das ist nichts wie eine platte gemeine Erdichtung! Das ist eine Satire! Ein Pasquill!

Ein anderer Beamter. Jetzt ist also gar nichts mehr übriggeblieben. Man braucht keine Gesetze, man braucht auch dem Staate nicht zu dienen. Diese Uniform, die ich trage, — muß ich also fortwerfen: sie ist jetzt nicht mehr als ein Lappen.

(Zwei junge Menschen laufen herein.)

Der eine. Jetzt sind alle zornig. Ich habe schon so viel reden hören, daß ich schon, wenn ich einen bloß ansehe, erraten kann, was er über das Stück denkt.

Der andere. Nun, und was denkt dieser da?

Der erste. Der grade in die Ärmel seines Mantels fährt?

Der andere. Ja.

Der erste. Der denkt folgendes: „Für so eine Komödie solltest du mir nach Nertschinsk! ...“ Aber ich glaube, die Galerie kommt schon herunter. Das Vaudeville scheint schon aus zu sein. Gleich wird der Strom der kleinen Leute hereinbrechen. Wir wollen gehen. (Beide entfernen sich.)

(Der Lärm wird stärker; man hört und sieht die Menschen alle Treppen herunterlaufen. Es kommen: Bauernröcke, Pelzjacken, Hauben, lange deutsche Kaufmanns-Kaftans, Dreimaster und Federbüsche, Mäntel aller Arten: Friesmäntel, Militäruniformen, abgetragene und stutzerhafte mit Biberkragen. Die Menge stößt den Herrn, der in die Ärmel des Mantels fährt, weg; der Herr tritt zur Seite und fährt dort fort, den Mantel anzuziehen. In der Menge werden Herren und Beamte aller Art sichtbar. Lakaien in Livree bahnen den gnädigen Frauen den Weg.)

Man hört eine kreischende Frauenstimme: Herrgott, man erdrückt mich ja ganz von allen Seiten.

Ein geschmeidiger junger Beamter (läuft an den Herrn heran, der den Mantel anzieht). Erlauben Exzellenz, daß ich Ihnen den Mantel halte.

Der Herr im Mantel. Ah, guten Tag! Du hier? Du bist wohl hergekommen, um das Stück zu sehen?

Der junge Beamte. Jawohl, Exzellenz, es ist sehr gut und mit viel Witz beobachtet!

Der Herr im Mantel. Ach Unsinn! Da gibts gar nichts Witziges!

Der junge Beamte. Sehr richtig, Exzellenz! Absolut nichts!

Der Herr im Mantel. Für solche Sachen verdient man, ausgepeitscht und nicht noch gelobt zu werden.

Der junge Beamte. Jawohl, Exzellenz.

Der Herr im Mantel. Daß man die jungen Leute nur ins Theater läßt! Die werden dort viel Nützliches lernen! Auch du: jetzt wirst du wohl in die Kanzlei kommen und gleich mit Grobheiten beginnen?

Der junge Beamte. Wie könnte ich nur, Exzellenz! ... Gestatten Sie, daß ich Ihnen den Weg freimache. (Zu der Menge, während er ein paar Leute fortstößt.) He, ihr da, macht Platz! Ein General kommt! (Tritt mit übertriebener Höflichkeit an zwei stutzerhaft gekleidete Herren heran.) Meine Herren, tuen Sie mir den Gefallen, lassen Sie den General durch!

(Die gutgekleideten Herren treten zur Seite und geben den Weg frei.)

Der erste. Weißt du, was das für ein General ist? Es muß wohl eine bekannte Größe sein?

Der zweite. Ich weiß nicht. Ich habe ihn noch nie gesehen.

Ein redseliger Beamter (mischt sich von hinten in das Gespräch). Ein ganz einfacher Staatsrat vierter Klasse. So ein Glück! Nach fünfzehnjährigem Dienst hat er schon den Wladimir-, den Anna- und Stanislaworden, dreitausend Rubel Gehalt, und außerdem zweitausend Zuschuß und dazu noch Zulagen vom Rat, von der Kommission und vom Departement.

Die gutgekleideten Herren (einer zum andern). Gehen wir. (Sie entfernen sich.)

Der redselige Herr. Das sind wohl verwöhnte Muttersöhnchen. Dienen wahrscheinlich im auswärtigen Amt. Ich habe die Komödien nicht gern; meinem Geschmack entspricht mehr die Tragödie. (Geht ab.)

Eine Stimme aus der Menge. Wieviel Volk hier zusammengeströmt ist!

Ein Offizier (drängt sich mit einer Dame am Arm durch die Menge). He, ihr Langbärte da, drängt doch nicht so. Siehst du denn nicht — das ist eine Dame!

Ein Kaufmann (mit einer Dame am Arm). Wir haben doch auch eine Dame bei uns, Väterchen.

Eine Stimme aus der Menge. Jetzt hat sie sich umgesehen, siehst du, siehst du? Sie ist jetzt häßlicher geworden — aber vor drei Jahren ...

Verschiedene Stimmen. Hörst du, dreißig Kopeken habe ich von ihm zurückbekommen. — Ein schurkisches, schlechtes Stück! — Ein amüsantes Stück. — Was drängst du dich mir bis an die Gurgel ran?

Eine Stimme vom äußersten Ende. Das ist alles Unsinn! Wo hätte sich so ein Ereignis abspielen können? So etwas könnte höchstens noch auf der Tschukotzki-Insel geschehen.

Eine Stimme vom anderen Ende. Nun, ganz so eine Sache ist unserer Stadt passiert. Ich glaubte schon, der Autor habe — wenn er nicht selbst dort gewesen ist — doch zum mindesten davon gehört.

Die Stimme des Kaufmanns. Es ist — sehen Sie wohl — sozusagen mehr von der moralischen Seite gesehen. Gewiß, es gibt sozusagen sehr verschiedene Menschen. Aber wollen Sie bitte in Betracht ziehen, daß auch ein ehrlicher Mensch, wenn die Gelegenheit sich bietet ... Und von wegen der Moral — so kommt das auch bei den Adligen vor.

Die Stimme eines Mäzens. Wahrscheinlich ist er eine Kanaille, ein Schuft — dieser Dichter: alles hat er ausgekundschaftet, er weiß alles!

Die Stimme eines brummigen, aber offenbar erfahrenen Beamten. Was weiß er denn? Den Teufel weiß er! Und schwindeln tut er, schwindeln: alles, was er da geschrieben hat — alles ist gelogen! Man nimmt auch die Schmiergelder nicht auf diese Weise, wenn es darauf ankommt ...

Die Stimme eines andern Beamten aus der Menge. Ach was sagen Sie: „Lächerlich, ganz lächerlich!“ Wissen Sie auch warum das lächerlich ist? Das sind doch alles bestimmte Personen. Er hat nämlich alle seine Großmütter und Tanten dargestellt. Das ist das Lächerliche daran!

Eine unbekannte Stimme. Halt, man hat ein Tuch gestohlen!

(Zwei Offiziere, die sich erkennen, begrüßen einander über die Menschen hinweg.)

Der erste. Michèl, gehst du hin?

Der zweite. Jawohl.

Der erste. Nun, ich bin auch dort.

Ein Beamter von bedeutendem Äußern. Ich würde alles verbieten. Nichts braucht man zu drucken. Genieße die Errungenschaften der Bildung, lies — aber schreib nicht! Es gibt schon genug Bücher — wir brauchen keine mehr!

Eine Stimme aus dem Volke. Nun wenn er ein Schurke ist — so ist er eben ein Schurke! Sei kein Schurke, und man wird nicht über dich lachen.

Ein hübscher und wohlbeleibter Herr (spricht hitzig zu einem unansehnlichen kleinen Herrn). Die Sittlichkeit leidet darunter, die Sittlichkeit leidet darunter — das ist das Wesentliche.

Ein kleiner, unansehnlicher Herr von boshaftem Charakter. Aber die Sittlichkeit ist doch etwas Relatives.

Der schöne und beleibte Herr. Was verstehen Sie unter dem Wort „relativ“?

Der unansehnliche kleine Herr von boshaftem Charakter. Das, daß jeder die Sittlichkeit mit seinem eigenen Maßstabe mißt. Der eine nennt es sittlich, wenn man den Hut vor ihm auf der Straße lüftet. Der andere nennt das Sittlichkeit, daß man durch die Finger sieht, wenn er stiehlt; der dritte nennt die Dienste sittlich, die man seiner Geliebten erweist. Wie sagt doch jeder von uns gewöhnlich zu seinen Untergebenen? — Er erklärt von oben herab: „Mein Herr, geben Sie sich Mühe, Ihre Pflicht gegen Gott, Kaiser und Vaterland zu erfüllen,“ worauf das aber zu beziehen ist — das kannst du dir selbst zurechtlegen. Allerdings ist das nur noch in der Provinz üblich, in der Residenz passiert so etwas nicht mehr, nicht wahr? Wenn sich hier jemand in drei Jahren zwei Häuser anschafft — wie hängt das zusammen? Doch nur mit der Ehrlichkeit; nicht wahr?

Der hübsche beleibte Herr (beiseite). Der ist bös wie der Teufel und hat eine Zunge wie eine Schlange!

Der unansehnliche Herr von boshaftem Charakter (stößt einen ihm gänzlich unbekannten Herrn am Arm und spricht zu ihm, indem er auf den hübschen Herrn hinweist). Vier Häuser in einer Straße; alle nebeneinander, die sind in sechs Jahren aus der Erde gewachsen! Wie wirkt die Ehrlichkeit auf die Vegetation, was?

Der Unbekannte (entfernt sich eilig). Verzeihen Sie, ich habe nicht ganz verstanden ...

Der unansehnliche Herr von boshaftem Charakter (stößt einen unbekannten Nachbar am Arm). Wie sich heutzutage die Taubheit in der Stadt verbreitet hat, was? Das macht alles das ungesunde und feuchte Klima!

Der unbekannte Nachbar. Ja, und die Grippe. Bei mir waren sämtliche Kinder krank.

Der unansehnliche Herr von boshaftem Charakter. Ja, die Grippe, die Taubheit und der Ziegenpeter im Halse. (Verliert sich in der Menge.)

(Eine Unterhaltung in einer abseits stehenden Gruppe.)

Der erste. Man behauptet, daß mit dem Autor selbst eine ähnliche Geschichte passiert ist; er soll schuldenhalber in einem Städtchen im Gefängnis gesessen haben.

Ein Herr auf der anderen Seite der Gruppe (fällt ihm ins Wort). Nein, nicht im Gefängnis, sondern auf einem Turm. Vorüberfahrende haben es gesehen. Man sagt, es sei etwas Außerordentliches gewesen. Denken Sie sich, ein Dichter auf einem fabelhaft hohen Turm, ringsherum Berge, in einer entzückenden Lage und von dort herab rezitiert er seine Gedichte. Nicht wahr, darin offenbart sich doch ein ganz besonderer Zug des Dichters?

Ein positiv gesinnter Herr. Der Autor muß ein gescheiter Mensch sein.

Ein negativ gesinnter Herr. Aber nicht im geringsten. Ich weiß, er hat gedient, und man hat ihn fortgejagt: er war nicht einmal imstande, ein Gesuch abzufassen.

Ein ganz gewöhnlicher Lügner. Ein kecker, ein schlauer Kopf! Man wollte ihm lange keine Anstellung geben — und was glauben Sie? Er schrieb ganz einfach einen Brief an den Minister. Und wie der geschrieben war! — In Quintilianischem Stil. Schon allein der Anfang: „Sehr geehrter Herr!“ Und so ging es weiter, weiter und weiter ... so an die acht Seiten heruntergehauen! Als der Minister das las, sagte er: „nun, ich danke, ich danke! Ich sehe, du hast viel Feinde. Du sollst Chef der Abteilung werden.“ Und so hat er sich gleich von einem gewöhnlichen Schreiber zum Abteilungschef aufgeschwungen.

Ein Herr mit gutmütigem Charakter (wendet sich zu einem anderen kaltblütigen Herrn). Der Teufel weiß, wem man da glauben soll! Im Gefängnis hat er gesessen und auf den Turm ist er geklettert! Aus dem Dienst hat man ihn gejagt und eine Anstellung hat er bekommen.

Ein kaltblütiger Herr. Das sind ja alles Improvisationen.

Der gutmütige Herr. Wieso — Improvisationen?

Der kaltblütige Herr. Ganz einfach ... Zwei Minuten vorher wissen sie ja selbst nicht, was sie von sich hören werden. Ein Zungenschlag — und plötzlich platzen sie, ohne daß sie selbst etwas davon wissen, mit einer Neuigkeit heraus, sind zufrieden, — und kehren nach Haus zurück, als ob sie sich satt gegessen hätten. Am andern Tag aber ist alles vergessen, was sie selbst sich ausgedacht hatten. Es scheint ihnen, als ob sie es von andern Leuten gehört hätten, und dann gehen sie los und erzählen es in der ganzen Stadt herum.

Der gutmütige Herr. Aber das ist gewissenlos: lügen und es selbst nicht fühlen.

Der kaltblütige Herr. Oh, es gibt auch empfindliche Leute. Es gibt solche, die fühlen, daß sie lügen, aber sie halten es in der Unterhaltung für etwas Notwendiges: Wie das Korn auf dem Felde das Auge entzückt, so eine Lüge die Rede erst schmückt.

Eine gutsituierte Dame. Aber was für ein boshafter Spötter dieser Autor sein muß! Ich gestehe, daß ich ihm um keinen Preis unter die Augen kommen möchte: er würde sofort etwas Komisches an mir entdecken.

Ein Mann von Gewicht. Ich weiß nicht, was für ein Mann das ist. Das ist ... das ist ... das ist ... Für diesen Menschen gibt es nichts Heiliges: heut sagt er: der Rat Soundso ist kein guter Beamter, und morgen wird er erklären, daß es keinen Gott gibt. Bis dahin ist nur ein Schritt.

Ein zweiter Herr. Verspotten! Aber mit dem Lachen darf man nicht spaßen! Das heißt doch jede Achtung zerstören — ja das heißt es!! Danach kann ja jeder kommen und mir auf der Straße einen Schlag versetzen und sagen: „Man lacht doch über euch; du bekleidest doch dasselbe Amt, da hast du eine Ohrfeige!“ Jawohl, das bedeutet es.

Ein dritter Herr. Natürlich! Das ist eine ernste Sache. Man sagt: „so eine Kleinigkeit, so eine Bagatelle: eine Theatervorstellung!“ Nein, das ist gar keine solche Kleinigkeit. Darauf muß man ernstlich achtgeben! Für solche Sachen kommt man nach Sibirien. Wenn ich die Macht hätte — würde der Autor nicht zu mucksen wagen! Ich würde ihn an einen solchen Ort bringen lassen, wo kein Lichtstrahl hineinfällt.

(Es erscheint eine Gruppe von Menschen, von Gott weiß welcher Art, übrigens aber von vornehmem Äußeren und gutgekleidet.)

Der erste. Bleiben wir lieber hier stehen, bis die Menge sich verlaufen hat. Nein, was soll das wirklich! Lärm machen, in die Hände klatschen, als ob das Gott weiß was wäre! So eine Kleinigkeit, irgendein bedeutungsloses Theaterstück — und so einen Alarm zu schlagen! Schreien, den Autor hervorrufen — was soll das wirklich!

Der zweite. Immerhin war das Stück amüsant und unterhaltend.

Der erste. Nun ja, amüsant, so wie uns gewöhnlich jede Bagatelle amüsiert. Aber warum dieser Lärm, diese Diskussionen? Man streitet darüber wie über eine wichtige Sache, man applaudiert ... was soll das bedeuten! Schön, ich verstehe, wenn es sich noch um eine Sängerin oder Tänzerin handelte — das verstände ich noch: da bewundert man doch wenigstens die Kunst, die Geschmeidigkeit, die Geschicklichkeit, das natürliche Talent. Aber hier? Man schreit: „ein Literat, ein Literat, ein Schriftsteller“! Ja, was ist denn ein Schriftsteller? Weil ihm manchmal ein witziges Wort einfällt, oder weil er die Natur abschreibt ... Ist denn das so schwer? Was ist denn das für eine Kunst? Das sind doch alles Fabeln und weiter nichts!

Der zweite. Aber natürlich — eine höchst mittelmäßige Sache.

Der erste. Denken Sie selbst: Ein Tänzer zum Beispiel: Das ist doch immerhin Kunst, was er leistet, das kann ihm doch keiner nachmachen. Wenn ich es zum Beispiel wollte: ja bei mir würden sich einfach die Füße nicht von der Stelle bewegen. Ich sollte mal versuchen, einen Entrechat zu machen: ich würde keinen einzigen fertig bringen. Aber schreiben kann man, auch ohne es gelernt zu haben. Ich weiß nicht, wer der Autor ist, aber man hat mir erzählt, daß er ein absolut ungebildeter Mensch ist, der nichts weiß — den man irgendwo hinausgeworfen hat.

Der zweite. Aber erlauben Sie mal, etwas muß er doch wissen: ohne dies kann man doch nicht schreiben.

Der erste. Aber ich bitte Sie, was kann er denn wissen? Sie wissen ja selbst, was ein Literat ist. Der leerste Mensch! Das ist doch weltbekannt — zu nichts zu gebrauchen. Man hat schon versucht, sie irgendwie zu verwenden — aber man hat es aufgegeben. Nun sagen Sie selbst: was schreiben sie denn? Das sind doch alles Torheiten und Fabeln. Wenn ich wollte, könnte ich sofort so etwas schreiben, und ebenso Sie und er, jeder kann so etwas schreiben.

Der zweite. Nun ja ... gewiß — warum sollte man so etwas nicht schreiben können. Wenn man nur ein Funken Verstand im Kopf hat, so kann man es schon.

Der erste. Man braucht auch keinen Verstand dazu. Wozu denn Verstand? Das sind doch alles Fabeln. Ja, wenn es noch zum Beispiel eine schwierige Wissenschaft wäre, irgendeine Sache die man nicht kennt — aber was ist denn das? Das weiß doch jeder Bauer. Das kann man jeden Tag auf der Straße sehen. Man braucht sich nur ans Fenster zu setzen und sich alles zu notieren, was passiert — das ist das ganze Kunststück.

Der dritte. Das ist wahr. Wahrhaftig, wenn man nur bedenkt, mit was für Unsinn man seine Zeit vergeudet!

Der erste. Sehr richtig, das ist Zeitverschwendung und sonst nichts. Lauter Fabeln und Torheiten! Man müßte es einfach verbieten, ihnen Tinte und Feder in die Hand zu geben. Aber das Volk strömt heraus — wollen wir gehen! Lärm machen, schreien, Beifall klatschen! Und die Sache ist doch ganz wertlos! Fabeln! (Sie entfernen sich. Die Menge lichtet sich, einige Zurückgebliebene laufen vorüber.)

Der gutmütige Beamte. Nun immerhin, er hätte doch wirklich wenigstens einen anständigen Menschen auftreten lassen können. Aber nichts als Schurken und Gauner!

Ein Mann aus dem Volke. Hörst du, erwarte mich an der Straßenkreuzung! Ich laufe nur hinein und hole meine Handschuhe.

Ein vornehmer Herr (sieht auf die Uhr). Es ist bald ein Uhr. Noch nie bin ich so spät aus dem Theater gekommen. (Er entfernt sich.)

Ein Beamter der sich verspätet hat. Nichts als unnütz verlorene Zeit! Nein, ich gehe nie mehr ins Theater! (Er entfernt sich, das Vestibül leert sich.)

Der Autor des Stücks (tritt hervor). Ich habe mehr gehört, als ich vermutete. Was für eine bunte Menge von Ansichten. Wie glücklich ist doch der Komödiendichter, der einer Nation entstammt, wo die Gesellschaft noch keine kompakte unbewegliche Masse bildet, wo sie noch nicht von einer Rinde alter Vorurteile umgeben ist, die die Gedanken aller mit derselben Form und demselben Maß umschließt; wo jeder Mensch seine eigene Meinung hat, wo jeder selbst der Schöpfer seines Charakters ist. Welche Mannigfaltigkeit liegt in allen diesen Meinungen, und wie leuchtete doch aus allen der starke, klare, russische Geist hervor!: in dem edlen Streben des Staatsmanns, in der hohen Selbstverleugnung des in die Provinz verschlagenen Beamten, in der zarten Schönheit einer großmütigen Frauenseele, dem ästhetischen Gefühl der Kenner und in dem schlichten sicheren Instinkt des Volkes. Wie war selbst in den unfreundlichen Urteilen noch so vieles enthalten, was der Komödiendichter wissen muß! Ja, ich bin befriedigt. Aber warum wird mir so traurig ums Herz ...? Seltsam: es schmerzt mich, daß keiner die redliche Person bemerkt hat, die in meinem Stück auftritt. Und doch gibt es eine ehrliche, edle Persönlichkeit, die während des ganzen Stückes mitwirkt. Diese edle ehrliche Person war — das Lachen. Es war hochherzig, weil es sich hervorzutreten entschloß, trotz der gemeinen Bedeutung, die die Welt ihm beilegt. Es war hochherzig, weil es sich hervorzutreten entschloß, obschon es dem Komödiendichter einen schlechten Ruf einbrachte — den Ruf eines kalten Egoisten, und sogar die Leute zwang, an das Vorhandensein zarter Seelenregungen bei ihm zu zweifeln. Für dieses Lachen ist keiner eingetreten. Ich aber, der Komödiendichter, ich diente ihm treu und ehrlich, und darum muß ich sein Fürsprecher sein. Nein, das Lachen hat eine größere Bedeutung und ist tiefer, als alle glauben — nicht das Lachen, das ein flüchtiger Reiz, das die Galle oder ein krankhafter Charakter erzeugt; auch nicht das leichte Lachen, das der müßigen Zerstreuung und Unterhaltung dient — sondern jenes Lachen, das ganz aus der lichten Natur des Menschen strömt — das aus ihr hervorströmt, weil sich auf ihrem Grunde sein ewig sprudelnder Quell befindet; ein Lachen das den Gegenstand vertieft, und hell hervortreten läßt, was sonst flüchtig vorübergeglitten wäre, und ohne dessen durchdringende Kraft diese Kleinheit und die Hohlheit des Lebens den Menschen nicht so mit Schrecken erfüllen würde. Das Verächtliche und Nichtige, an dem er täglich gleichgültig vorbeigeht, würde nicht mit dieser furchtbaren, beinahe bizarren Gewalt vor ihm emporwachsen und er würde nicht in den Ruf ausbrechen: „Gibt es denn wirklich solche Menschen?“ während es, wie er selbst weiß, noch viel schlimmere Menschen gibt. Nein, die haben unrecht, die da behaupten, daß das Lachen uns empört. Nur das Finstere empört uns, das Lachen aber ist leuchtend und hell. Vieles würde den Menschen empören, wenn es ihm in seiner ganzen Nacktheit gezeigt würde, aber von der Macht des Lachens erleuchtet, bringt es unserer Seele Frieden und Versöhnung. Und wer an einem boshaften Menschen Rache nehmen will, söhnt sich schon beinahe mit ihm aus, wenn er gewahr wird, wie die gemeinen Regungen seiner Seele verlacht werden. Die sind ungerecht, die da behaupten, das Lachen wirke nicht auf die, gegen die es gerichtet ist, und daß der Spitzbube der erste ist, der über einen andern Spitzbuben lacht. Der Enkel des Schurken wird darüber lachen, aber über seinen schurkischen Zeitgenossen wird kein Spitzbube lachen können. Er merkt, daß sich der Eindruck seines Wesens schon allen unwiderstehlich eingeprägt hat, daß eine einzige gemeine Bewegung von ihm genügt, um ihm diesen Eindruck als ewiges Kennzeichen anzuheften; und vor dem Spott fürchtet sich sogar der, der sich vor nichts auf der Welt mehr fürchtet. Nein, nur dem ist jenes gütige Lachen gegeben, der ein von Grund aus gutes Herz hat. Aber man hört sie nicht, die gewaltsame Macht dieses Lachens; „was lächerlich ist, ist gemein“, sagt die Welt; nur das, was im erhobenem Tone gesagt wird, nur das wird als das Hohe bezeichnet. Aber mein Gott, wie viel Menschen gehen täglich an uns vorüber, für die es überhaupt nichts Hohes in der Welt gibt! Alles, was die Begeisterung erschuf, ist für sie Torheit und Fabelei. Die Werke Shakespeares sind Fabeln für sie, die heiligsten Regungen der Seele sind auch nichts als Fabeln. Nein, nicht verletzte kleinliche Dichtereitelkeit zwingt mich, das zu sagen, nicht weil meine unreifen schwachen Schöpfungen soeben als Fabeln bezeichnet wurden — nein, ich sehe meine Fehler ein, ich sehe ein, daß ich Vorwürfe verdient habe; aber meine Seele konnte es nicht gleichgültig ertragen, daß die vollendetsten Schöpfungen als Torheiten und Fabeln bezeichnet wurden, daß alle Leuchten und Sterne dieser Welt nur für Verfasser von Torheiten und Fabeln gehalten wurden. Das Herz tat mir weh, als ich sah, wieviel stumpfe, tote Menschen es hier, mitten im treibenden Leben gibt, die uns durch die starre Kälte ihrer Seelen erschrecken, durch die unfruchtbare Wüstenei ihrer Herzen; das Herz tat mir weh, als ich sah, wie auf ihren unempfindlichen Gesichtern auch nicht die Spur eines Eindrucks dessen aufblitzte, was einer von tiefer Liebe erfüllten Seele himmlische Tränen entlockt hätte. Und ihre Zunge zögerte keinen Augenblick, ihr ewiges „Fabeln“, „Fabeln“ auszusprechen. Doch sieh, Jahrhunderte sind verflossen, Städte und Völker sind vom Angesicht der Erde getilgt und verschwunden, wie Rauch ist alles verflogen, was einstmals war — aber die Fabeln leben noch und wiederholen sich bis heute, und andächtig lauschen ihnen weise Herrscher, tiefsinnige Fürsten, der herrliche Greis und der von edlem Streben erfüllte Jüngling. Fabeln ...! Es ächzen die Balkone und die Brüstungen des Theaters: von oben bis unten erschauert alles, ist ganz in ein einziges Gefühl, in einen Augenblick verwandelt, alles verschmilzt zu einem einzigen Menschen, alle Menschen treffen wie Brüder in einer seelischen Regung zusammen, und der einstimmige Beifallssturm wird zu einer hehren Dankhymne für den, der schon seit fünfhundert Jahren nicht mehr auf der Welt ist. Vernehmen es seine verwesten Knochen im Grabe? Gibt seine Seele Antwort, die im Leben so herbes Leid erduldet hat? Fabeln ...! Dort, in die Reihen der erschütterten Menge tritt ein vom Unglück und der schier unerträglichen Last des Lebens Gebeugter; schon will er in seiner Verzweiflung Hand an sich legen — da plötzlich entströmen erfrischende Tränen seinen Augen, er geht hinaus, versöhnt mit dem Leben, und bittet den Himmel um neue Leiden und Schmerzen, nur damit er leben und wieder Tränen vergießen kann über solche Fabeln. Fabeln ...! Die Welt würde einschlummern ohne solche Fabeln, das Leben verflachen, Schlamm und Schimmel würden die Seele überziehen. Fabeln ...! Oh! heilig seien die Namen derer, die solchen Fabeln andächtig gelauscht haben, heilig noch ihren Enkeln bis in alle Ewigkeit: der wunderbare Finger der Vorsehung schwebte ewig über dem Haupt ihrer Schöpfer. Selbst in den Zeiten des Unglücks und der Verfolgungen traten die Vornehmsten und Besten im Staate, als die ersten, schützend auf ihre Seite, und ein gekrönter Monarch beschattete sie mit seinem königlichen Schild von der Höhe seines unerreichbaren Thrones.

Wohlan denn, frisch auf den Weg. Nicht möge die Seele der Tadel verwirren, sondern hochherzig nehme sie die Hinweise auf ihre Mängel hin. Selbst das darf sie nicht betrüben, daß man ihr große Regungen und die heilige Liebe zur Menschheit abspricht. Die Welt gleicht einem Strudel: ewig kreisen in ihr Meinungen und Ansichten, aber sie alle zermahlt die Zeit: wie eine Schale fallen die falschen ab, aber gleich harten Körnern bleiben unerschütterlich die ewigen Wahrheiten bestehen. Was einst als hohl und leer angesehen wurde, kann später mit ernster Bedeutung ausgerüstet erscheinen. In der Tiefe eines kalten Gelächters entdeckt man vielleicht plötzlich glühende Funken einer ewigen, machtvollen Liebe. Und wer will es wissen — vielleicht kommt einmal die Zeit, wo alle Menschen anerkennen, daß kraft der gleichen Gesetze, nach denen der Stolze und Starke im Unglück klein und schwach erscheint, während das Elend den Schwachen zu einem Riesen emporwachsen läßt — daß kraft der gleichen Gesetze der, der häufig weint und bittre, von Herzen kommende Tränen vergießt, vielleicht mehr lacht als alle andern auf der Welt ...!

Anhang

Der Revisor

Diese Komödie ist im Jahre 1834 begonnen. Das Bühnenmanuskript wurde am 4. Dezember 1835 vollendet und am 2. März für die Aufführung freigegeben, trotzdem fuhr der Autor fort, auch nach der Freigabe durch die Zensur an diesem Texte weiterzuarbeiten. Am 19. April 1836 fand die erste Aufführung am Alexandertheater zu St. Petersburg, und zwar an einem Sonntage statt — das kleine Theater in Moskau folgte am 25. Mai desselben Jahres. Zugleich mit der Aufführung erfolgte die Drucklegung der Buchausgabe des Revisor, die sich in vieler Hinsicht von der Bühnenausgabe unterschied. Das Buch erschien im April 1836 (die Unterschrift des Zensors trägt das Datum: den 13. März 1836). Von diesem Zeitpunkt ab ist der Revisor mehrmals und zu verschiedenen Zeiten immer wieder umgearbeitet worden, bis er die Fassung erhielt, die im dritten Bande der ersten Ausgabe der „Werke Gogols“ abgedruckt ist. Die endgültige Umarbeitung des Textes fällt in den Zeitabschnitt zwischen dem März 1841 und dem 15. Juli 1842. Eine der letzten Fassungen, die im Druck vorliegen, weist folgende Abweichungen gegenüber den vorhergehenden Ausgaben auf:

1) Ist die stumme Schlußszene, die in den früheren Ausgaben folgendermaßen lautete, weit ausführlicher behandelt: „Alle stoßen einen Schrei der Überraschung aus und bleiben mit offenem Munde und langen Gesichtern stehen. Stumme Szene. Der Vorhang fällt.“

2) In der zweiten Ausgabe von „Gogols Werken“ fehlen folgende Ausführungen über die Gäste, die offenbar vom Verfasser herstammen: „Die Gäste müssen einen möglichst verschiedenartigen Charakter haben. Es müssen große und kleine, dicke und dünne, ungekämmte und gekämmte darunter sein. Auch müssen sie verschieden angezogen sein, die einen müssen Fräcke, die andern ungarische Röcke und andre Röcke von verschiedener Farbe und verschiedenem Schnitt tragen. Auch die Kostüme der Damen müssen dieselbe Mannigfaltigkeit aufweisen, die einen müssen ziemlich anständig angezogen sein, sogar mit einem gewissen Anspruch auf Modernität, doch aber muß es immer an etwas fehlen: entweder sitzt die Haube schief, oder sie haben einen ganz seltsamen Pompadour usw., wieder andre haben Kleider an, die überhaupt keiner Mode entsprechen — sie tragen große Tücher und Hauben in Form eines Zuckerhutes — überhaupt muß man auf das Ganze des Stückes achten. Angst, Entsetzen, Überraschung, Unruhe — das alles muß plötzlich und überall in der ganzen Gruppe der handelnden Personen zum Ausdruck kommen und sich zugleich in jedem Einzelnen in seiner Weise und gemäß seinem besonderen Charakter spiegeln“ (Vergl. Seite 8).

3) Die Stelle im Monolog Chlestakoffs (Seite 35 „Dieser Hauptmann“ usw.) hatte in den beiden ersten Ausgaben folgende Fassung: „Dieser Hauptmann hat mich am meisten ausgebeutelt, übrigens: man kann sagen, was man will, die Bestie konnte glänzend die Volte schlagen. Kaum ein Viertelstündchen gespielt und ratzekahl geschoren! Er spielt wirklich fein! Wenn ich doch noch einmal irgendwo mit ihm zusammentreffen könnte! Übrigens, wie sollten wir noch einmal zusammentreffen? Zu alledem bedarf’s eines glücklichen Zufalls. Wenn ich doch nur schnell nach Hause fahren könnte. Wirklich, ich habe das Reisen satt. Und dazu muß es noch so ein ekelhaftes Nest sein! In andern Städten, da findet man doch noch wenigstens etwas: hier dagegen gibt es auch gar nichts. Im Obstladen, da gibt es zwar noch einen passablen Stör, aber die verdammten Verkäufer geben einem so schrecklich wenig zum Probieren“.

4) Ferner ist folgende Stelle aus den ersten beiden gedruckten Ausgaben des Revisor umgearbeitet: „Chlestakoff (erschrocken). Da haben wir die Bescherung! Daran hätte ich weiß Gott niemals gedacht. Diese Bestie von Wirt! Was nun, wenn er mich wirklich ins Loch steckt! Hm! In ein standesgemäßes Gewahrsam ... das wäre noch nicht so schlimm, da ginge ich vielleicht noch mit. Nein, was sage ich, ich ginge noch mit? Gestern haben mir zwei Kaufmannstöchter nachgesehen, und dann treiben sich da auch immerfort Offiziere herum ... Nein damit bin ich nicht einverstanden. Das kann er nicht machen, oder wenn er es täte, wäre er ein solches Schwein ... Das kann man sich wohl mit irgendeinem Krämer oder mit einem Handwerker erlauben ... Nein, nur nicht nachgeben (Mut fassend). Was kann er mir antun? Ich sags ihm geradezu. Wie können Sie! ... Ich will nichts davon wissen. (Die Türklinke bewegt sich, Chlestakoff erbleicht).“

5) Auch folgende Stelle aus der ersten und zweiten Ausgabe hat leichte Änderungen erfahren: Seite 120. „Schweig still, gar nichts weißt du, und menge dich nicht in anderer Leute Angelegenheiten. Anna Andrejewna, glauben Sie mir, ich bitte nur darum um Ihre Hand oder um die Ihrer Tochter, weil ich mich von herzlicher Liebe ergriffen fühle, und von Bewunderung für Ihre Vorzüge erfüllt bin. In so schmeichelhaften Ausdrücken bewegte er sich, ... und als ich sagen wollte, wir erkühnen uns nie, auf eine solche Ehre zu hoffen, da sagte er kein Wort, fiel plötzlich auf die Knie und rief in derselben vornehmen Art: Anna Andrejewna, machen Sie mich nicht unglücklich! Wenn Sie meine Gefühle nicht erwidern, so macht der Tod meinem Leben ein Ende. Und weiter — Kreisrichter. In der Tat! Ein außerordentliches Ereignis! Schulinspektor. Das gnädige Schicksal hat es so gefügt. — Hospitalverwalter (beiseite). Diesem Schwein fliegen auch immer die gebratenen Tauben ins Maul.“

Alle Korrekturen und Verbesserungen, die in der endgültigen Fassung des Revisors Aufnahme fanden, sind von Gogol in die erste in Druck erschienene Ausgabe eingetragen (1836).

Abriß aus einem Brief, den der Autor bald nach der ersten Aufführung an einen Schriftsteller richtete. Der erste Entwurf stammt aus dem April des Jahres 1836. Die endgültige Ausarbeitung für den Druck fand Anfang März 1841 statt.

Vorbemerkung für diejenigen, die den Revisor sachgemäß aufzuführen beabsichtigen. Ist wahrscheinlich gegen Ende des Jahres 1842 niedergeschrieben.

Zwei Szenen, die schon bei der ersten Ausgabe, als den Gang der Handlung störend, ausgeschieden wurden. Der erste Entwurf stammt aus den Jahren 1834 und 1835. Ende 1835 wurden sie noch einmal umgearbeitet. Die zweite von diesen Szenen erschien zum erstenmal im „Moskwitjanin“ (Der Moskauer) Band 3, 1841, und dann um einige Stellen vermehrt in der zweiten Ausgabe des „Revisor“, 1841 wurden beide Szenen für den Druck umgearbeitet.

Eine vom Autor in die Buchausgabe nicht mit aufgenommene Szene des „Revisor“. Stammt aus dem Jahr 1835.

Vorwort zu einer zum Besten der Armen geplanten Ausgabe des „Revisor“. Ist im Oktober des Jahres 1846 niedergeschrieben.

Die Deutung des „Revisors“. Stammt aus dem Jahre 1846.

Nachtrag zur „Deutung des Revisor“ stammt aus der zweiten Hälfte des Jahres 1847.

Eine Heiratsgeschichte

Der erste Entwurf dieser Komödie stammt aus dem Jahre 1833. 1834 wurde das Werk von Grund aus umgearbeitet, aber erst 1841 oder zu Anfang des Jahres 1842, erhielt das Stück nach wiederholten Umarbeitungen seine endgültige Gestalt. Es erschien zum erstenmal in der ersten Ausgabe von Gogols Werken im Druck.

Die Spieler

Diese Komödie wurde im Anfang Juni 1836 noch vor Gogols Reise ins Ausland begonnen und erschien 1842 zum erstenmal in Druck. Als Gogol das Werk für den Druck fertiggestellt hatte, schrieb er an Prokopowitsch. „Ich habe die Ihnen zugehenden Spieler nur mit Mühe rekonstruiert, das Brouillon ist vor so langer Zeit und so unleserlich geschrieben, daß es mich eine schier unendliche Arbeit kostete, es zu entziffern.“

Der Morgen eines vielbeschäftigten Herrn. Der Prozeß. Das Bedientenzimmer und das Fragment

bilden Teile, oder nach Gogols eigenen Worten, „die Fetzen einer vom Autor vernichteten Komödie: Der Wladimirorden dritter Klasse“, deren erster Entwurf aus dem Jahre 1832 stammt.

Der Morgen eines vielbeschäftigten Herrn. Diese Szenen wurden im Herbst des Jahres 1835 für den Druck bearbeitet, und zwar aus jenen Fetzen der vernichteten Komödie. Diese Szenen gehörten zu den frühesten der Komödie. Später bearbeitete Gogol diese Szenen noch einmal für Puschkins „Ssowremennik“ (der Zeitgenosse). Dies war die letzte Fassung vom März des Jahres 1836. Sie trugen den Titel Der Morgen eines Beamten und erschienen im Ssowremennik unter dem Titel Der Morgen eines vielbeschäftigten Herrn. Petersburger Szenen. Als Gogol diese Szenen für die gesammelten Werke vom Jahre 1842 fertigstellte, änderte er nur folgende Stelle: „Alexander Iwanowitsch: Er stach nicht, weil ich meine Dame noch nicht abgeworfen hatte. Iwan Petrowitsch: Gut, Sie spielen Dame, aber Lukian Fedossejewitsch hat ja noch die Trumpf Sieben. Alexander Iwanowitsch: Ja hatte er denn noch einen Trumpf? Ich kann mich gar nicht erinnern. Iwan Petrowitsch: Aber gewiß. Er hatte noch zwei Trümpfe! die Zehn, mit der er die Trümpfe herauslocken mußte, und die Sieben. Alexander Iwanowitsch: Aber nein, Iwan Petrowitsch, erlauben Sie, er konnte nicht mehr als einen Trumpf haben, denn ... Iwan Petrowitsch: Aber mein Gott, Alexander Iwanowitsch, wem erzählen Sie das? Zwei Trümpfe. Zwei Trümpfe! Ich sehe sie noch jetzt vor mir! die Zehn und die Sieben. Alexander Iwanowitsch: Eine Zehn hatte er, das stimmt, aber keine Sieben. Dann hätte er doch Trumpf gespielt, das müssen Sie doch zugeben, dann hätte er eben Trumpf gespielt. Iwan Petrowitsch: Bei Gott, Alexander Iwanowitsch. Bei Gott.“

Der Prozeß. Wurde im Jahre 1839 oder Anfang 1840 vollendet.

Die Bedientenstube. Wurde gegen Ende des Jahres 1839 neu bearbeitet und in einigen Teilen ergänzt.

Das Fragment — die erste Niederschrift — stammt wahrscheinlich aus dem Jahre 1837. Es wurde 1840 umgearbeitet. Anfang 1841 wurde diese Bearbeitung ins reine geschrieben. Die letzten Korrekturen stammen vom August des Jahres 1842 aus der Zeit der Drucklegung der „Werke“ Gogols. Im gedruckten Text fehlen folgende Seiten aus dem Manuskript „Mischa. Ach Mutter, Mamachen, wie oft habe ich Sie gebeten, dieses Wort nicht zu wiederholen. Sie glauben nicht, wie widerwärtig es mir ist, wie gemein es klingt und was für eine dumme und falsche Bedeutung es bei uns angenommen hat. Seien Sie doch nicht so, wie jene alten Herren, die dieses Wort allen Menschen unter die Nase reiben, ohne sich den Menschen und das Wort erst ordentlich angesehen zu haben, das sie einem ins Gesicht schleudern. Was ist von den fünfzig Hohlköpfen (sic!) übriggeblieben, denen man eine französische Erziehung angedeihen ließ? Sie haben sich an dies sagenhafte Wort geklammert, legen es nun jedermann bei, und beehren jeden damit, der ihnen in den Weg läuft. Wenn sie einen Menschen sehen, dessen Anzug ein wenig anders ist, als der anderer Leute, der eine andre Frisur hat oder bei dem kurz gesagt etwas nicht ganz so ist, wie bei andern Menschen, so schreien sie gleich: Ein Liberaler! Ein Liberaler! Ein Revolutionär! Seht doch seine Frackschöße an, die sind ganz anders wie bei andern Leuten, sein Halstuch ist ganz anders gebunden, er trägt seine Haare anders! Sie glauben nicht, wie sich jedesmal mein Herz empört, wenn ich etwas Derartiges höre. Wie wenig kennen sie das Herz eines Russen und die starken festen Züge seines Charakters! Sie wissen nicht, daß, wenn er sich auch von etwas hinreißen läßt, er dies nur auf Grund von schönen, geistigen Motiven tut und nicht infolge einer zusammenhanglosen Idee, die in dem leichtsinnigen Kopfe eines Franzosen entsprungen ist, (der in der Tiefe seines Herzens soviel tiefe innerliche Überzeugungen birgt, die ihn auf ewig wider alle kleinlichen Verirrungen des Verstandes behüten. Schon diese Liebe für seinen Zaren, dieses ganze ursprüngliche Gefühl, das in seiner Seele lebt, und von dem er sich nicht befreien kann, selbst wenn es ihm einfiele! Für ihn ist er bereit, sein ganzes Hab und Gut hinzugeben, sein Leben zu opfern, alles stumm zu ertragen, und das ohne vorher ein Wort davon zu reden oder sich gar damit zu brüsten. Ist es da nicht bitter, zu sehen, daß man einem solchen russischen Mann in trivialer Weise Gedanken beilegt, die er nie gehabt hat und nicht haben kann, und daß man ihn mit dem abgeschmackten, abgedroschenen Wort zu treffen glaubt, er spiele den Liberalen. Mütterchen! um Gottes willen brauchen Sie dieses widerwärtige Wort nicht. Und vermeiden Sie es, wahllos all das, was Ihnen nicht gefällt, damit zu bezeichnen. Bitte sehen Sie doch zu: Wann und worin war ich Ihnen je ungehorsam?)“ Die zweite eingeklammerte Hälfte des Textes hat Gogol durchgestrichen und auf der dritten Seite folgenden Passus dafür gesetzt: „Und dieser russische Mann, in dessen Busen eine ursprüngliche, mit seiner eigensten Natur erwachsene, unergründliche Liebe für seinen Zaren lebt — ein Gefühl, für das er alles hingeben, sein ganzes Hab und Gut zum Opfer bringen, ja sein Leben aufopfern würde, ohne vorher ein Wort darüber zu reden oder sich später damit zu rühmen und zu brüsten — dieser russische Mann soll durch dieses häßliche Wort getroffen werden, das man ebensogut jedem hergelaufenen Frechling oder Vagabunden beilegt. Nein Mütterchen, brauchen Sie alle Worte, die Sie wollen, nur nicht dies banale und abgedroschene Wort. Denken Sie doch, wann und worin war ich Ihnen je ungehorsam?“ Von diesem ganzen Absatz ist nur die letzte gesperrt gedruckte Zeile in den Text der gedruckten Ausgabe aufgenommen worden.

Nach dem Theater

Epilog zu einer neuen Komödie. Die ersten Entwürfe sind im April des Jahres 1836 in Petersburg niedergeschrieben. Im Oktober 1842 wurde diese Szene vollendet.

Die Nachträge und Varianten zu diesem Bande sind der Ausgabe von Tischonorawow, St. Petersburg 1901, entnommen.

Der Herausgeber.

Druck von Mänicke und Jahn, Rudolstadt.

Fußnoten

[1] Der Humor dieser Szene geht in der Übersetzung größtenteils verloren: Hübner nämlich spricht deutsch und radebrecht russisch, Chlestakóff dagegen russisch und radebrecht deutsch. Die deutschen Worte des Originals seien wenigstens im Druck gekennzeichnet. — Anmerk. d. Übers.

[2] Ein in der Übersetzung nicht zu veranschaulichender Wortwitz des Originals.

[3] Es versteht sich von selbst, daß der Autor des Stückes eine ideale Persönlichkeit ist: er verkörpert die Situation des Komödiendichters in der Gesellschaft, — des Komikers, der sich die Verspottung der Mißbräuche in den verschiedenen Ämtern und Ständen zur Aufgabe gemacht hat.

MODERNE RUSSEN

MICH. P. ARTZIBASCHEW:

Ssanin, Roman
GEHEFTET M. 5.—, GEBUNDEN M. 6.50

Aufruhr, Novellen
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Revolutionsgeschichten
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ALEXANDER KUPRIN:

Die Gruft
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GEORG MÜLLER VERLAG MÜNCHEN

M. ARTZIBASCHEW, Ssanin. Roman. 20. Auflage.

Finster, groß und ernst, von religiösem und sozial-ethischem Pathos erfüllt, mit weltreformatorischen Absichten und Gesinnungen, steht die russische Kunst, wie in Dostojewski und Tolstoi, so auch in Artzibaschew vor uns. Mit düsteren und starren Savonarola-Mienen blickt der Dichter auf das Leben seiner Zeit und seines Volkes, und er trägt Geißeln in seiner Hand; überall lodern die Flammen der Revolution, verspürt man den Atem umstürzlerischen Fühlens und Denkens.

Julius Hart im Tag

Das Dichterische hebt das ganze Buch Artzibaschews über das Niveau der Tendenz- und Absichtenbücher empor. Artzibaschew müßte zwar kein Russe sein, wenn sein Buch nicht im Grundton aller russischen Literatur, in philosophierender Grübelei erklingen sollte, aber er phantasiert nicht ins Blaue hinein, er hat vor allem wirklich etwas zu sagen. Und er sagt es mit künstlerischem Stil und poetischer Kraft.

Münchener Post

Der Verfasser verfügt über einen eigentümlichen Zauber in der knappen Charakteristik der Frauengestalten. Er gibt reizende, poetische Naturbilder von Gärten und Landschaften, in denen die jungen Leute sich umhertreiben; einzelne Szenen haben einen großartigen Zug echt russischen Charakters, wie man derartiges nur bei den ganz großen russischen Dichtern findet.

Kölnische Zeitung

M. ARTZIBASCHEW, Aufruhr u. andere Novellen. 3. Aufl.

Artzibaschew ist unstreitig der beste unter den jungrussischen Erzählern, der schon eine unendliche Reihe von Nachtretern gefunden hat. Er ist im Grunde seines Schaffens Impressionist ... seine Bilder stehen vor uns in einem packenden Rahmen, in klarer Deutlichkeit, mit richtiger Licht- und Schattenverteilung und in der menschlichen Unmittelbarkeit, die uns am tiefsten ergreift. Sein vorliegender Novellenband ist wieder einmal die Bestätigung dieser seiner großen poetischen Kunst.

Berliner Morgenpost

Es ist etwas Gewaltiges um den Realismus und die nackte Offenheit von dem Autor des „Ssanin“! Er ist ein Arzt der Seele, der die Wunden am Organismus des russischen Volkskörpers rücksichtslos bloßlegt. Keinem denkenden Leser wird es je einfallen, eine zynische Note in diesen aus künstlerischem und sozialethischem Geiste entstandenen Bildern zu suchen.

Hamburgisches Fremdenblatt

M. ARTZIBASCHEW, Millionen u. andere Novellen. 3. Aufl.

Die Psychologie der Erzählung ist so ausgezeichnet, wie man das von den Russen gewohnt ist. Sie geht in den Spuren des großen Dostojewski. Ein besonderes formales Moment sind die Naturstimmungen zu Anfang fast jeden Kapitels. Auch in der zweiten Erzählung finden sie sich. Sie sind eine Art von intimerem Symbolismus. Artzibaschews Sprache ... zeigt aber bemerkenswerte und besondere individuelle Vorzüge. Unvergleichlich und von höchst unmittelbarer, reizvoller Wirkung ist z. B. die schlichte und knappe und doch sehr plastische und suggestive Wirkung, wie Artzibaschew den Reiz des weiblichen Körpers und seine Macht auf den Mann mitzuteilen weiß. Ich könnte mir vorstellen, daß Artzibaschew nach solcher Richtung ein Dichter des Weibes werden könnte, wie ihn Rußland noch nicht gehabt hat.

Johannes Schlaf in „Nord und Süd“

Ein bis ins Unterbewußtsein kühn hineingreifendes, scharfes und unfehlbares psychologisches Vermögen, eine meisterhafte, wohlklingende Bildersprache, eine bis hart an die Grenze des Überfeinerten gesteigerte Ästhetik ... In allem eine minutiöse Detailmalerei, und eine Milieuschilderung, wie sie zum Besten in ihrer Art gerechnet werden müssen.

B. Z. am Mittag

M. ARTZIBASCHEW, Revolutionsgeschichten. 3. Aufl.

Der berühmte Dichter des „Ssanin“ zeigt sein hervorragendes dichterisches Können auch in diesem neuen Werk. Die „Revolutionsgeschichten“ sind furchtbare Illustrationen zu den nun schon historisch gewordenen Greueltaten jener Zeit, da Revolution und Reaktion in Rußland einen grauenvollen Kampf begannen. In diesen Geschichten steckt die sittliche Kraft der russischen Jugend und Intelligenz, die es gewagt hat, an den Grundlagen des tönernen Kolosses zu rühren und die Reformation des Landes unter Aufopferung ihrer eignen Personen zu erzwingen. Und doch lesen sich diese Geschichten nicht etwa bloß wie historische Berichte. Sie sind dichterische Schöpfungen.

Dr. Messer i. d. Neuen Freien Presse, Wien

FJODOR SSOLOGUB, Der kleine Dämon. Roman. 3. Aufl.

Ssologubs „Kleiner Dämon“ ist ein Buch, das man gerne liest und über das man gerne schreibt, seinem furchtbaren Stoffe, der Tatsache zum Trotz, daß es Seite für Seite vom Schmutz eines für westeuropäische Begriffe schier unglaublich niedrigen Alltags geradezu pappt. Dies grausame Buch ... bedarf einer energischen Abwehr der Insinuation des Naturalismus und seiner Lust zu stinken. Ssologub steht hoch über dem Verdachte, mit den Widrigkeiten seines Werkes Sensation beabsichtigt zu haben ... Er ist Dichter durch und durch und blickt mit den ernsten, echt menschlichen Augen eines vornehmen Ethikers. Ssologub macht keinerlei literarischen Getues mit dem Satanismus der Welt, die er schildert. Er spricht ruhig und gelassen wie von einer Sache, über die wir uns längst einig sind. Sein Pessimismus posiert nicht und ist keine trockene These, sondern bitterlich ernste Lebenserfahrung, Lebensstimmung.

Hermann Eßwein im Literarischen Echo

ALEXANDER KUPRIN, Die Gruft. Ein Roman aus der russischen Tiefe. Dritte Auflage.

Ein mächtiges Gefühl der Wirklichkeit lodert in seinem Schaffen, ein Streben, das ganze russische Leben zu umfassen und die Vielheit seiner Formen sinnreich zu beleuchten ... Kuprins Naturalismus hat hier in der Sprache, in der Darstellung von Tatsachen und in den Farben den Höhepunkt erreicht. Er erscheint hier als Naturforscher, als Psychologe und als Chirurg, der mit verblüffender Kaltblütigkeit das Seziermesser handhabt, um alle Atome zu zerlegen ... Die ethische Kraft, mit der Kuprin sein Werk geschrieben, ist gewaltig genug, um jede ernstdenkende und mitfühlende Persönlichkeit hinzureißen.

Neue Freie Presse, Wien

Was Kuprins Buch, das er den Müttern und der Jugend widmet, von der Bordell- und Dirnenliteratur unterscheidet, in der mit einem ethisch-sentimentalen Rittertum die Notwendigkeit der Institution und die Zusammenhänge unterschlagen wurden, ist die Objektivität, mit der er den Dingen aus nächster Nähe klar ins Auge sieht, ohne das ungeheuer Geschäftsmäßige der Prostitution dabei mit Gemüt zu überfälschen ... Es ist ein Erkenntnis- und ein Mahnbuch, ein Buch der Nächstenliebe, voll großen sozialen Empfindens.

Vorwärts, Berlin

RUDOLF HUCH

Mehr Goethe
7. Aufl. Geh. M. 2.—, geb. M. 3,—

Winterwanderung
2. Aufl. Geh. M. 2.50, geb. M. 3.50

Die beiden Ritterhelm
Roman. 2. Aufl. Geh. M. 4.—, geb. M. 5.—

Die Familie Hellmann
Roman. 2. Aufl. Geh. M. 6.—, geb. M. 7.50

Die Rübenstedter
Eine Kleinstadtsommergeschichte
2. Aufl. Geh. M. 3.—, geb. M. 4.—

Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
von ihm selbst erzählt
2. Aufl. Geh. M. 5.—, geb. M. 6.50

GEORG MÜLLER VERLAG MÜNCHEN

 

Mehr Goethe

Und nun komme ich zu einem der eigenartigsten und selbständigsten Bücher, die den Namen Goethe auf ihren Schild geschrieben haben. Das Buch von Rudolf Huch „Mehr Goethe!“ hat ja inzwischen seinen breiten Weg in die deutsche Leserwelt gefunden, es bedarf also der Empfehlung kaum noch ... Es ist ein frisches, mutiges und gesundes Buch, das aus seinem Herzen keine Mördergrube macht, keck und dreist, ohne viel gelehrten Ballast im Schulsack, mitten in die Dinge hineinspringt und alle graue Theorie zum Teufel jagt.

(‚Westermanns Monatshefte‘)

Winterwanderung

Anmutig und durch einen Beigeschmack feiner Ironie ätzend und oft fast pikant in gutem Sinne liest sich ein gleichwohl gedankenreiches, zu aphoristischer Form neigendes Werk von Rudolf Huch: Winterwanderung ... Ein vornehmer Grundton, ein aristokratischer Pessimismus, der sich an Schopenhauer vertieft hat, zieht durch Huchs Weltanschauung; aber ein oft feinsatirischer, oft grimmiger Humor bildet das angenehme Gegengewicht und läßt steife Feierlichkeit nicht aufkommen. Das geistvolle Buch, wiederum ausgezeichnet durch eine fesselnde Stilistik, ist insofern eine empfehlenswerte Ergänzung zu des Verfassers bekanntem Buch: Mehr Goethe.

(‚Der Türmer‘)

Die beiden Ritterhelm

Den hohen Reiz des Buches macht die gleichmäßige, epische Gelassenheit aus und, mit ihr zusammenhängend, die dem Stoff gemäße patrizische Natur des Erzählers. Das gibt dem Ganzen eine ungewöhnliche, lückenlose Einheitlichkeit. Wir spüren ein bildungsgesättigtes Wesen, das der Bildungsprotzerei entgegengesetzt ist, wir spüren einen tiefen Ernst der Lebensanschauung und zugleich eine humorisch mildernde Überstrahlung; weite Ausblicke werden in verhaltener Darstellung angedeutet, und überall erfreut die unsüßliche Anmut der sparsamsten Linie.

(‚Der Kunstwart‘)

Huchs Buch ist von einer kräftigen Strenge, herb und unerbittlich, männlich durch und durch. Und es ist fest in seinem Gefüge, seine Gewölbe sind tragkräftig, und der Mörtel des Baues ist hart wie Stein ... Die Gefühle der Menschen in diesem Buche liegen nicht an der Oberfläche und können nicht leichthin berührt werden. Sie sind in Knospen eingeschlossen ... Huchs Buch gehört zu jenen, die man nicht vergißt.

(Karl Hans Strahl in ‚Die Zeit‘, Wien)

Die Familie Hellmann

Kein Buch führt wohl so in gerader Linie auf den Stammbaum Goethes zurück wie dieser Familienroman Rudolf Huchs. Er ist ein Erlebnis für den Leser, davon er manchen Tag zehren kann und das ihm schwerlich mehr aus dem Gedächtnis schwindet; auf den fünfhundert Seiten wird keine Zeile langweilig sein. Da ist edle Ausgeglichenheit der Sprache, Wohlklang, Feinnervigkeit, männliche Kraft und frauliche Süßigkeit: das Buch hat etwas im tiefsten Grunde Musikalisches ... „Die Familie Hellmann“ bildet einen Höhepunkt in Rudolf Huchs künstlerischem Schaffen und verdient es, den bisher noch viel zu wenig gekannten Dichter endlich ans Licht zu führen.

(Dr. Ludwig Finckh in den ‚Propyläen‘)

Rudolf Huch hat sich schon früher durch einige Werke die Achtung des deutschen Publikums errungen. Mit diesem Roman steht er als ein ganz reifer, eigenartiger und als literarischer Charakter durchgebildeter Künstler vor uns, der auf äußeren und inneren Stil etwas hält, nicht gewisser Szenen wegen sich technisch überhastet, sondern ruhig und sachlich, das heißt episch langsam von Nuance zu Nuance, von Stufe zu Stufe fortschreitend erzählt. Und trotz dieser scheinbar ruhigen und sachlichen Art formt sich seine Geschichte immer mehr, runden sich seine Gestalten und erleben mit objektiver Unerbittlichkeit ihr Schicksal. Neben den tatsächlichen Hauptpersonen gewinnt eine Anzahl Nebenfiguren durch die liebevolle Behandlung von seiten des Autors wirkliches Leben und wirkliche, menschenähnliche Plastik.

(‚Pester Lloyd‘)

Rudolf Huch hat eine streitbare Schrift „Mehr Goethe!“ verfaßt, in der er den Deutschen als unverlierbare Richtschnur den Weg zu Goethe anpreist. Diesen Weg ist er mit seinem schönen Roman selbst geschritten. Er beleuchtete den Grundsatz des großen Meisters: Bilde, Künstler, rede nicht. Seine Figuren haben plastisches Leben. Sie bleiben in unserer Erinnerung, als ob wir sie selbst gesehen hätten. Lyrische Stimmungen, an denen auch dieser Roman nicht arm ist, verdrängen doch nicht die hartgefügten Menschengestalten, die der Dichter geschaffen hat.

(Dr. Max Messer)

Rudolf Huch ist ein Dichter mit starker Eigenart. Er prägt scharf und hart und baut seine Sachen ohne alle umhüllende Weichheit und Zartheit aus. Eine wirkliche Kompositionskunst und eine wundervolle Teleologie ist da, die jedes einmal aufgenommene Moment des Stoffes entwickelt und zur Geltung bringt. Huch schmückt die Form; doch sein Schmuck ist karg und spröd, voll Einfalt und Ungebrochenheit ... Wenige sind so frisch, kernhaft und anspruchslos wie er. Schönheit, tiefe und innere Größe ist auch den Menschen nahe, die durch diese letzte Arbeit Huchs gehen.

(‚Mannheimer General-Anzeiger‘)

Die Rübenstedter

Gottlob, endlich einmal Humor, wirklicher deutscher Erzählerhumor! Der Verfasser zitiert nicht umsonst in seiner Vorrede solch gute Geister wie Wilhelm Raabe und Fritz Reuter. Er hätte meinethalben auch noch Dickens nennen können, ja vielleicht den mit dem besten Recht. Denn Rudolf Huch streift ... durchaus die behagliche, künstlerische Sphäre des englischen Erzählers ... Huch steht alle „Moral“ so fern, daß er für die moralisch außerordentlich streng geregelte Lebensweise von Rübenstedt ein wirklich befreiendes Lachen des Mitgefühls übrig hat, das durchhält bis zum Schluß.

(Eugen Kalkschmidt in der ‚B. Z. am Mittag‘)

Die Rübenstedter sind ein ganz selbständiges Buch, durchsonnt von einem breiten, behäbigen Humor, köstlich in der feinen Verspottung der Kleinstädter, der Philister und all der Leute, deren freie geistige Regungen in der Kleinstadt verkümmert und die in ihr lederne Pedanten und Banausen geworden sind ... Die Gestalten der Geschichte sind mit wenig Strichen prächtig charakterisiert, die Darstellung ist von reifer Lebensweisheit getragen.

(‚Rhein- und Ruhr-Zeitung‘)

Rudolf Huchs Kleinstadtsommergeschichte „Die Rübenstedter“ ist ein prächtiges Buch .... Es ist ein Buch, das ganz köstliche Einzelheiten enthält, und über viele Stellen kann man bis zu Tränen lachen. Die Sprache in ihrer Ruhe und Sachlichkeit, die reiche Reihe glänzend gezeichneter, lebensvoller Gestalten ... sichern dem Buche einen guten Platz in unserer humoristischen Erzählungsliteratur.

(‚Literar. Zentralblatt‘)

Anmerkungen zur Transkription

Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. Auch Variationen in der Transliteration der russischen Namen wurden nicht verändert. Die Übersetzer haben teilweise, zumeist im »Revisor«, die russischen Namen unter Verwendung von Akzenten transliteriert. Dies wurde unverändert übernommen und auch nicht vereinheitlicht.

Offensichtliche Fehler wurden, teilweise unter Zuhilfenahme des russischen Originaltextes, korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):